Der Streit um die Agrar-Gentechnik: Perspektiven der Akteur-Netzwerk-Theorie [1. Aufl.] 9783839415023

Der Streit um die Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft tobt seit einigen Jahren. In diesem Buch wird der Konfl

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Der Streit um die Agrar-Gentechnik: Perspektiven der Akteur-Netzwerk-Theorie [1. Aufl.]
 9783839415023

Table of contents :
INHALT
1. Einleitung
2. Risiko- und Technikkonflikte in der Soziologie
2.1 Akzeptanzstudien und Technikfolgenabschätzung
2.1.1 Studien zur Akzeptanz und zur Risikowahrnehmung
2.1.2 Der kulturalistische Ansatz
2.1.3 Technikfolgenabschätzung
2.2 Risikogesellschaft und Partizipation
2.2.1 Die These von der Risikogesellschaft
2.2.2 Partizipative Technikfolgenabschätzung
2.2.3 Risiko als Konflikt zwischen Weltbildern
2.3 Diskurse und Ressourcen
2.3.1 Diskursanalytische Ansätze
2.3.2 Strategien und Ressourcen
2.3.3 Diskursstrategien in Risikokontroversen
2.4 Zusammenfassung
3. Die Akteur-Netzwerk-Theorie
3.1 Das Netzwerkkonzept der ANT
3.1.1 Wissenschaftliches Wissen
3.1.2 Konzeption der Akteur-Netzwerke
3.1.3 Das Konzept der Verfassung
3.2 Kritische Rekonstruktion der Akteur-Netzwerk-Theorie
3.2.1 Netzwerkdynamik: Ereignisse
3.2.2 Netzwerkbegriff: Das verschachtelte Netzwerk
3.2.3 Asymmetrien: Kooperation und Konflikt
3.3 Akteur-Netzwerk-Theorie und Textanalyse
3.3.1 Repräsentation und heterogenes Netzwerk
3.3.2 Kodierungs- und Auswertungsstrategie
4. Die Agrar-Gentechnik als Akteur-Netzwerk
4.1 Die Konstruktion der Agrar-Gentechnik
4.1.1 Anwendungsbereiche
4.1.2 Anbausituation
4.1.3 Die zweite Generation
4.1.4 Verhältnis zur Biotechnologie
4.2 Objektkonstruktion und gesellschaftliche Praxis
5. Diskurs: Risiko und Nutzen
5.1 Konstruktion der Risiko- und Nutzen-Verbindungen
5.1.1 Unterschiedliche Aktivität
5.1.2 Unterschiedliche Netzwerkeinbettung
5.1.3 Unterschiedliche Objektkonstruktion
5.2 Grenzarbeit: Die Konstruktion der Gentechnikdebatte
5.2.1 Explizite Positionierung: Moral und Vernunft
5.2.2 Implizite Positionierung: Argumente zwischen Fakt und Fiktion
5.2.3 Pauschalisierende Naturbilder
6. Agrar-Gentechnik und Gesellschaft
6.1 Faktoren der Ausbreitung
6.1.1 Auskreuzung und Kontamination
6.1.2 Kontrollierbarkeit
6.1.3 Koexistenz
6.1.4 Wahlfreiheit
6.1.5 Landwirte
6.1.6 Verbraucher
6.1.7 Gentechnikdebatte
6.1.8 Zusammenfassung
6.2 Auswirkungen auf die (landwirtschaftliche) Praxis
6.2.1 Agrar-Gentechnik und gentechnikfreie Landwirtschaft
6.2.2 Industrialisierte und kleinbäuerliche Landwirtschaft
6.2.3 Zusammenfassung
6.3 Politische und ökonomische Interessen in der Technikentwicklung
6.3.1 Die Konstruktion der Biotechnologieunternehmen
6.3.2 Die Interessen der Biotechnologieunternehmen und das Allgemeinwohl
6.3.3 Öffentliche und private Forschung
6.3.4 Die Konstruktion von Absatzmärkten
6.3.5 Die Herstellung der Aktivität der Unternehmen
6.3.6 Politische und ökonomische Interessen
6.3.7 Zusammenfassung
6.4 Politische Repräsentation
6.4.1 Die Regulierung der Agrar-Gentechnik
6.4.2 Haftung
6.4.3 Vorsorgeprinzip und Risikoprinzip
6.4.4 Zusammenfassung
6.5 Resümee: Die Agrar-Gentechnik in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen
7. Chancen des Netzwerkaufbaus
7.1 Zukunftserwartung
7.2 Verfassung
7.2.1 Natur und Gesellschaft
7.2.2 Ökonomie, Wissenschaft und Politik
7.2.3 Typisierung der Verfassungen
7.3 Selbstrepräsentation
8. Schluss
Anhang: Auswahl der Positionspapiere
Literatur

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Birgit Peuker Der Streit um die Agrar-Gentechnik

Birgit Peuker promovierte an der Technischen Universität Dresden. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Technik- und Umweltsoziologie.

Birgit Peuker

Der Streit um die Agrar-Gentechnik Perspektiven der Akteur-Netzwerk-Theorie

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 transcript Verlag, Bielefeld

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I N H A LT

1. Einleitung 2. Risiko- und Technikkonflikte in der Soziologie 2.1 Akzeptanzstudien und Technikfolgenabschätzung 2.1.1 Studien zur Akzeptanz und zur Risikowahrnehmung 2.1.2 Der kulturalistische Ansatz 2.1.3 Technikfolgenabschätzung 2.2 Risikogesellschaft und Partizipation 2.2.1 Die These von der Risikogesellschaft 2.2.2 Partizipative Technikfolgenabschätzung 2.2.3 Risiko als Konflikt zwischen Weltbildern 2.3 Diskurse und Ressourcen 2.3.1 Diskursanalytische Ansätze 2.3.2 Strategien und Ressourcen 2.3.3 Diskursstrategien in Risikokontroversen 2.4 Zusammenfassung 3. Die Akteur-Netzwerk-Theorie 3.1 Das Netzwerkkonzept der ANT 3.1.1 Wissenschaftliches Wissen 3.1.2 Konzeption der Akteur-Netzwerke 3.1.3 Das Konzept der Verfassung 3.2 Kritische Rekonstruktion der Akteur-Netzwerk-Theorie 3.2.1 Netzwerkdynamik: Ereignisse 3.2.2 Netzwerkbegriff: Das verschachtelte Netzwerk 3.2.3 Asymmetrien: Kooperation und Konflikt 3.3 Akteur-Netzwerk-Theorie und Textanalyse 3.3.1 Repräsentation und heterogenes Netzwerk 3.3.2 Kodierungs- und Auswertungsstrategie

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4. Die Agrar-Gentechnik als Akteur-Netzwerk 4.1 Die Konstruktion der Agrar-Gentechnik 4.1.1 Anwendungsbereiche 4.1.2 Anbausituation 4.1.3 Die zweite Generation 4.1.4 Verhältnis zur Biotechnologie 4.2 Objektkonstruktion und gesellschaftliche Praxis

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5. Diskurs: Risiko und Nutzen 5.1 Konstruktion der Risiko- und Nutzen-Verbindungen 5.1.1 Unterschiedliche Aktivität 5.1.2 Unterschiedliche Netzwerkeinbettung 5.1.3 Unterschiedliche Objektkonstruktion 5.2 Grenzarbeit: Die Konstruktion der Gentechnikdebatte 5.2.1 Explizite Positionierung: Moral und Vernunft 5.2.2 Implizite Positionierung: Argumente zwischen Fakt und Fiktion 5.2.3 Pauschalisierende Naturbilder

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6. Agrar-Gentechnik und Gesellschaft 6.1 Faktoren der Ausbreitung 6.1.1 Auskreuzung und Kontamination 6.1.2 Kontrollierbarkeit 6.1.3 Koexistenz 6.1.4 Wahlfreiheit 6.1.5 Landwirte 6.1.6 Verbraucher 6.1.7 Gentechnikdebatte 6.1.8 Zusammenfassung 6.2 Auswirkungen auf die (landwirtschaftliche) Praxis 6.2.1 Agrar-Gentechnik und gentechnikfreie Landwirtschaft 6.2.2 Industrialisierte und kleinbäuerliche Landwirtschaft 6.2.3 Zusammenfassung 6.3 Politische und ökonomische Interessen in der Technikentwicklung 6.3.1 Die Konstruktion der Biotechnologieunternehmen 6.3.2 Die Interessen der Biotechnologieunternehmen und das Allgemeinwohl 6.3.3 Öffentliche und private Forschung 6.3.4 Die Konstruktion von Absatzmärkten

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6.3.5 Die Herstellung der Aktivität der Unternehmen 6.3.6 Politische und ökonomische Interessen 6.3.7 Zusammenfassung 6.4 Politische Repräsentation 6.4.1 Die Regulierung der Agrar-Gentechnik 6.4.2 Haftung 6.4.3 Vorsorgeprinzip und Risikoprinzip 6.4.4 Zusammenfassung 6.5 Resümee: Die Agrar-Gentechnik in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen

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7. Chancen des Netzwerkaufbaus 7.1 Zukunftserwartung 7.2 Verfassung 7.2.1 Natur und Gesellschaft 7.2.2 Ökonomie, Wissenschaft und Politik 7.2.3 Typisierung der Verfassungen 7.3 Selbstrepräsentation

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8. Schluss

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Anhang: Auswahl der Positionspapiere

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Literatur

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1 EINLEITUNG

Auseinandersetzungen um Technikinnovationen, so wie sie in Risikokontroversen zum Ausdruck kommen, beziehen sich seit dem Auftauchen der neuen sozialen Bewegungen in den 70er Jahren nicht mehr nur auf die negativen Auswirkungen auf die soziale, sondern auch auf die natürliche Umwelt. Dies führte in der sozialwissenschaftlichen Bearbeitung der Umweltproblematik zu einer Problematisierung des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft. Der Grund für Risikokontroversen wurde dabei zumeist auf unterschiedliche Vorstellungen über Natur zurückgeführt, wobei vor allem technikkritischen Positionen ein »wertbehaftetes« Naturverständnis unterstellt wurde, das unter bestimmten Bedingungen – insbesondere im Hinblick auf die Vermeidung einer Selbstvernichtung der Menschheit – förderlich, unter anderen Bedingungen – insbesondere in Hinblick auf das wirtschaftliche Wachstum – hinderlich sein kann. Risikokontroversen wurden dementsprechend unter dem Blickwinkel betrachtet, wie ein fruchtbarer Austausch zwischen Befürwortern und Kritikern eingeleitet werden könne, um zu einen gesellschaftlichen Konsens über die Richtung und Gestaltung von Technikinnovationen zu gelangen. Hierdurch aber entsteht die Gefahr einer Parteilichkeit sozialwissenschaftlicher Untersuchungen. Der Ansatzpunkt der hier vorliegenden Studie ist im Gegensatz hierzu darauf ausgerichtet, Risikokontroversen und Technikkonflikte als soziale Konflikte aufzufassen. Die unterschiedlichen Stimmen, die im Diskurs auftauchen, verweisen auf problematische Auswirkungen der Gentechnik in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, sie sind nicht 9

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

nur Ausdruck kultureller Deutungsmuster, sondern beziehen sich auf gelebte gesellschaftliche Praktiken, die durch diskursive Lernprozesse nicht einfach weggeredet werden können. Mit der Analyse unterschiedlicher Positionen zur Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft soll der Konflikt auf eine durch die Gentechnik gesetzte Asymmetrie zurückgeführt werden, welche bestimmte gesellschaftliche Praktiken befördert, andere bedroht. Allgemein ist die Gentechnik seit den 70er Jahren – und seit den 80er Jahren auch in Deutschland – Gegenstand einer gesellschaftlichen Kontroverse. Insbesondere ihre Anwendung im Bereich der Landwirtschaft bei der Herstellung transgener Kulturpflanzen – auch »Grüne Gentechnik« oder »Agro-Gentechnik« im Folgenden aber als AgrarGentechnik bezeichnet – ist hoch umstritten. Im Gegensatz zu ihrer Anwendung im pharmazeutischen Bereich konnte bislang keine Annäherung der konkurrierenden Positionen erreicht werden, weswegen teilweise schon von einer »Kommunikationssperre« gesprochen wurde. Die Gentechnik gilt auf der einen Seite als eine Technik, welche die Grenzen zwischen Natur und Gesellschaft verwischt, auf der anderen als eine Methode zur Verbesserung der Natur. In der einen Sichtweise trägt die prinzipielle Anwendbarkeit der Gentechnik auf alle lebenden Organismen zu einer Steigerung der menschlichen Verfügungs- und Kontrollgewalt bei und damit zu neuen Ungleichgewichten in der Verteilung gesellschaftlicher Macht und neuen Abhängigkeiten von denjenigen sozialen Akteuren, die im Besitz dieser Techniken sind. In der anderen Sichtweise beschleunigt und erweitert die Anwendung der Gentechnik gerade durch die Möglichkeit der artüberschreitenden Kombination nur das, was zuvor in mühevoller und zeitaufwändiger Züchtungsarbeit geleistet werden konnte. In der einen Sichtweise entstehen Risiken durch eine Erweiterung der menschlichen Eingriffstiefe. Sie zeigen sich in ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Dimensionen. In der anderen Sichtweise besteht der Nutzen der Agrar-Gentechnik in der Herstellung von Kulturpflanzen, die sowohl ökonomische Vorteile als auch gesundheitliche und ökologische Verbesserungen gegenüber konventionellen Kulturpflanzen mit sich bringen. Die Gentechnik selbst ist eine Methode mit einer langen Geschichte. Das Gen als Träger der Erbsubstanz war lange vor der ersten erfolgreichen Genübertragung Anfang der 70er Jahre ein wissenschaftliches Konzept, das eingeführt wurde, um die Übertragung von Eigenschaften zwischen den Generationen erklären zu können.1 Doch die Gentechnik ist

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Zur Geschichte der Genetik aus wissenschaftshistorischer Sichtweise vgl. Fox Keller 1998; Kay 2001.

EINLEITUNG

mehr als nur eine wissenschaftliche Methode. Sie ist gesetzlich durch ihre Verfahren definiert und reguliert. Als Beginn der Debatte um die Gentechnik und dem Ursprung rechtlicher Regulierung wird die Konferenz von Asimolar (1974) angesehen, auf der nach der ersten gelungenen Übertragung genetischer Information auf einen Fremdorganismus führende Mikrobiologen auf mögliche Gefahren der Gentechnik bei einer Freisetzung verwiesen und für eine Selbstbeschränkung der Wissenschaftler plädierten. Aus der freiwilligen Selbstbeschränkung wurden rechtliche Regulierungsmechanismen – was die Gentechnikkritik von Seiten der Wissenschaftler erheblich dämpfte –, die auch als Vorläufer des deutschen und europäischen Gentechnikgesetzes angesehen werden (vgl. Aretz 1999: 85ff.; Bandelow 1999: 88ff.; Rücker 2000: 73ff.). Die Gentechnikkritik der Umweltbewegung thematisiert weniger technische Risiken als soziale Folgen. Mitte der 80er Jahre kam die öffentliche Debatte auch in der Bundesrepublik an. Innerhalb der nun schon 30 Jahre andauernden Debatte haben sich die Gegenstände der Kritik und die Technik selbst gewandelt. Ging es in den 70er Jahren noch vor allem um die Frage der Laborsicherheit, rückte in den 80er Jahren die Patentproblematik in den Mittelpunkt. Stand zunächst die Reproduktionsmedizin im Fokus, konzentrierten sich die Diskussionen dann vor allem auf die Anwendungen im landwirtschaftlichen Bereich (vgl. Daele 1991: 26ff. u. 35f.; Hampel/Renn 1999: 9; Schurman/Munro 2006). Wurde die Debatte zunächst nur von einer kleinen Schicht von Gentechnikkritikern getragen, hatte sie spätestens seit dem Fall des EUZulassungsmoratoriums 2004 eine breitere Mobilisierungsebene erreicht.2 Nach einer anfänglichen pauschalen Ablehnung der Gentechnik spaltete sich der Diskurs nach unterschiedlichen Anwendungsbereichen auf, wobei zumindest eine Teilakzeptanz für den pharmazeutischen Bereich erlangt wurde.3 So wird zwischen der Anwendung der Gentechnik im pharmazeutischen Bereich und der Anwendung in der Landwirtschaft unterschieden. Der eine Bereich wird meist als »Rote Gentechnik« bezeichnet, der andere als »Grüne Gentechnik«.4 Die Unterscheidung zwischen Grüner und Roter Gentechnik rechtfertigt sich nicht nur durch 2 3 4

Vgl. hierzu insbesondere Schurman/Munro 2006. Vgl. hierzu Steindor 1999. In Bezug auf eine generelle Ablehnung vgl. Keller/Koechlin 1989. Da diese Unterscheidung aber manche Anwendungsgebiete nicht zu fassen vermochte, wurden andere Farben zur Kennzeichnung anderer Anwendungsgebiete herangezogen: so »Graue Gentechnik« für Forschungen zu Mikroorganismen und »Blaue Gentechnik« für Forschungen zu Meeresorganismen. 11

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

eine unterschiedliche Akzeptanz von Seiten der Bevölkerung – so ist die »Rote Gentechnik« in der Öffentlichkeit weitestgehend toleriert –, sondern auch durch die unterschiedliche Art der Anwendung der Gentechnik. Die Anwendung im pharmazeutischen Bereich findet zumeist räumlich begrenzt und nur fallspezifisch statt. Gentechnisch veränderte Kulturpflanzen hingegen werden »freigesetzt« und dies auch noch in Gegenden, die üblicherweise mit Natur und Tradition in Verbindung gebracht werden: auf dem Land. In den Sozialwissenschaften werden Risikokontroversen meist als Auseinandersetzung über das Risiko und den Nutzen einer Technik aufgefasst, in der sich Befürworter und Gegner einer Technologie gegenüberstehen – bei der Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft seit 30 Jahren unversöhnlich. Die unterschiedlichen Auffassungen wurden dabei entweder auf kulturell bedingte Wahrnehmungsverzerrungen zurückgeführt oder als strategisch konstruierte Argumente angesehen, die nur als Mittel für die Verfolgung ganz anderer gesellschaftspolitischer Zwecke eingesetzt werden. In der hier vorliegenden Studie sollen Risiko- und Nutzenerwartungen nicht als subjektiv verzerrte Wirklichkeitsauffassungen begriffen werden, sondern als Verweise auf eine gemeinsam geteilte Wirklichkeit. Diese Vorgehensweise kann durch die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) – welche die theoretische Grundlage dieser Arbeit bildet – begründet werden. Sie ermöglicht es, die zumeist in sozialwissenschaftlichen Ansätzen angelegte Dichotomie zwischen Wahrnehmung und Handeln sowie zwischen Handlung und Struktur zu überwinden. Die ANT ist ein Ansatz aus der Wissenschafts- und Technikforschung, der sich insbesondere mit der Genese gesellschaftlicher Wissensansprüche und technischer Problemlösungsstrukturen beschäftigt. Ihre Grundthese ist, dass sich soziale Deutungsmuster durch gesellschaftliche Praktiken verfestigen. Wissen bedingt damit nicht Handeln, Handeln bedingt nicht Wissen, sondern kognitive und soziale Prozesse sind miteinander verwoben. Deutungsangebote verbreiten sich nur durch ihre Einschreibung in möglichst unterschiedliche Entitäten – wie zum Beispiel technische Objekte, Zeitschriftenartikel oder Routinen – und durch die beständige Aufrechterhaltung dieser Einschreibung durch gesellschaftliche Praktiken. Mit der ANT kann demnach angenommen werden, dass auf der einen Seite die Thematisierung von Risiken nicht nur eine hypothetische Annahme darstellt, die wissenschaftlich belegt oder abgewiesen werden kann, sondern darüber hinaus auf reale Folgen verweist, welche die Agrar-Gentechnik in einigen gesellschaftlichen Bereiche hat. Auf der anderen Seite ist der Verweis auf einen Nutzen nicht nur eine Annahme 12

EINLEITUNG

über einen potentiellen Nutzen, der sich als leere Versprechung erweisen könnte, sondern Hinweis auf reale Folgen in einigen gesellschaftlichen Bereichen. Die in der Debatte geäußerten Risiko- und Nutzenerwartungen werden in der vorliegenden Studie als Effekte aufgefasst, welche die Agrar-Gentechnik in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen hervorruft. Die Konzepte, welche die ANT zur Untersuchung wissenschaftlicher Kontroversen entwickelte, sollen für die Untersuchung von Risikokontroversen fruchtbar gemacht werden. Hierbei wird insbesondere auf zwei Konzepte zurückgegriffen: Das Konzept der Repräsentation und das Konzept des heterogenen Netzwerkes. Die Wirklichkeitsbeschreibungen sozialer Akteure sind Repräsentationen: das »Sprechen im Namen anderer«. Dieses »Sprechen im Namen anderer« wird durch den Aufbau eines heterogenen Netzwerkes legitimiert, also durch die Anordnung von Dingen, Personen und Symbolen, die diese Repräsentation auch bei Abwesenheit des Sprechers stützen und Einfluss auf das Verhalten Anderer ausüben. Wie auch in anderen Ansätzen zu Diskursanalyse verbindet sich damit die Sprache und die sprachliche Äußerung mit gesellschaftlicher Macht. Jedoch geht es in der vorliegenden Studie um die Verteilung bereits verfestigter Positionen in heterogenen Netzwerken und nicht um die Genese von Netzwerkstrukturen und einer Beobachtung der sozialen Praktiken, die zu ihrer Verfestigung führen, wie dies Ansätze aus dem Umkreis der ANT mittels ethnographischer Methoden (wie zum Beispiel teilnehmender Beobachtung) nachzuzeichnen versuchen. So wird nicht nur aus Befürwortersicht ein Netzwerk konstruiert, um der Ausbreitung der Agrar-Gentechnik förderlich zu sein, der Verweis auf die Risiken der Agrar-Gentechnik deutet gerade auch darauf hin, dass alternative Netzwerkbildungsprozesse, die ebenso zum Teil schon verfestigt sind – wie vor allem die Strukturen um die ökologische Landwirtschaft – von ihr bedroht werden. Damit divergiert das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit, mit ihrem Bezug auf die Identifikation bereits verfestigter Netzwerkstrukturen und der Frage, an welchen Punkten sie miteinander in Konflikt geraten, von klassischen Ansätzen der ANT. Infolgedessen wurden einige Konzepte der ANT einer kritischen Revision unterzogen und der Forschungsfrage angepasst. Diese theoretische Diskussion findet sich im dritten Kapitel. Aus diesem Grund wurde auch die methodologische Herangehensweise der ANT, die einen direkten Zugang zu materiellen Konstitutionsprozessen für möglich hält, nicht übernommen. Es geht nicht darum, das Wechselspiel zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren nachzuerzählen und dabei der »Agency« jedes 13

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Akteurs in seinen vielfältigen Verzweigungen Rechnung zu tragen. Vielmehr wird aus den (sprachlichen) Wirklichkeitsbeschreibungen gesellschaftlicher Akteure auf die zu Grunde liegenden, bereits verfestigten gesellschaftlichen Praktiken und damit heterogenen Netzwerkstrukturen geschlossen. Mit der ANT kann der Konflikt um die Agrar-Gentechnik als ein Konflikt gesellschaftlicher Akteure konzeptualisiert werden, die um die Förderung bzw. Behinderung der Ausbreitung der Agrar-Gentechnik als heterogenes Netzwerk streiten. Die Konzeption des gesellschaftlichen Akteurs ist dabei an die Figur des »Sprechers« in der ANT angelehnt. Soziale Akteure – dies können individuelle kollektive Akteure sein – beanspruchen im Namen anderer zu sprechen, sei es im Namen der Nation, der Umwelt oder der Entwicklungsländer. Dieser Anspruch, im Namen anderer zu sprechen, wird gesetzt, da soziale Akteure unterschiedliche Vorstellungen von dem haben, was Gesellschaft sein soll, wohin die gesellschaftlichen Entwicklungen führen und was Gesellschaft und Natur sowie ihr Verhältnis zueinander überhaupt sind. Diese Vorstellungen von Natur und Gesellschaft werden mittels des Konzeptes der Verfassung in Anlehnung an die Konzeption der modernen Verfassung bei Bruno Latour (vgl. Latour 1998) analytisch erfasst. Dabei besteht die These darin, dass in Risikokontroversen alternative Verfassungsentwürfe – also alternative Vorstellungen über das Verhältnis von Natur und Gesellschaft – auftauchen, die um ihre Durchsetzung ringen. Die Erwartungen von der Zukunft – im Folgenden gefasst als Zukunftserwartung – sowie die Vorstellungen von Natur und Gesellschaft, die sich ebenso auf bestimmte Vorstellungen des Menschen in der Gesellschaft, ihrer Interessen und der Rolle der Ökonomie beziehen – der Verfassung – kennzeichnen einen gesellschaftlichen Akteur. Damit ist nicht nur ein bestimmtes Milieu von Vorstellungswelten umrissen, sondern ebenso unterschiedliche gesellschaftliche Praktiken, die sich an der Zukunftserwartung und der Verfassung ausrichten. Der Grundgedanke in der Konzeption der gesellschaftlichen Akteure ist, dass soziale Akteure nicht nur individuell unterschiedliche Perspektiven auf die Welt besitzen, sondern auch tatsächlich in anderen Welten leben. Hierfür werden unterschiedliche Dinge versammelt, um es sich in der Welt heimisch zu machen. Diese Dinge können bestimmte Ideen, Gegenstände, Menschen, Zukunftsaussichten etc. sein. Soziale Akteure mit ähnlichen Zukunftsaussichten und Weltdeutungen können als gesellschaftliche Akteure betrachtet werden, die, ohne sich zu kennen, zusammen handeln. Inwiefern sich soziale Akteure in dem Feld der Auseinandersetzungen gesellschaftlicher Akteure verorten und welche Rolle sie sich selbst zuschreiben, ist dabei eine Frage der Selbstrepräsentation, die 14

EINLEITUNG

in der Grundkonzeption der Studie als wesentlich für soziales Handeln und den strategischen Aufbau von Netzwerkstrukturen erachtet wird. Unterschiedliche gesellschaftliche Akteure geraten in Konflikt miteinander – so die These –, wenn sie versuchen, für ihre Netzwerkbildungsprozesse die gleichen Objekte zu mobilisieren bzw. wenn Objekte mobilisiert werden, die andere Netzwerkbildungsprozesse behindern. Das Objekt Agrar-Gentechnik mag eines dieser Objekte sein, das die Zukunftserwartungen einiger gesellschaftlicher Akteure befördert andere aber bedroht. Gesellschaftliche Akteure sind demnach gekennzeichnet durch unterschiedliche gesellschaftliche Praktiken und unterschiedliche Vorstellungen über Technik im Verhältnis zu Natur und Gesellschaft, die sich an unterschiedlichen Risiko- und Nutzenerwartungen in Bezug auf die Agrar-Gentechnik zeigen und die auf der Folie allgemeiner gehaltener Zukunftserwartungen entstehen. Die Agrar-Gentechnik hat unterschiedliche Chancen von gesellschaftlichen Akteuren integriert zu werden bzw. sie hat unterschiedliche Wirkungen auf die Aktivität gesellschaftlicher Akteure. Damit erscheint die Agrar-Gentechnik als Netzwerk. Am Beispiel der Agrar-Gentechnik soll ein allgemeineres Konzept zur Untersuchung von gesellschaftlichen Kontroversen vorgestellt werden, das diese Kontroversen als Auseinandersetzung und Konflikt um den Aufbau heterogener Netzwerkstrukturen beschreibt. Der Ansatz soll es nicht nur ermöglichen, unterschiedliche Positionen zu beschreiben, miteinander zu vergleichen und auf die akteursspezifische Einbindung der Agrar-Gentechnik in gesellschaftliche Praktiken zurückzuführen, sondern ebenso zu bestimmen, welche Chance unterschiedliche Akteure haben, ihre Position durchzusetzen. Damit verfolgt die Studie das empirische Ziel, die Auswirkungen der Agrar-Gentechnik in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen zu analysieren und über eine Identifizierung und Typisierung der Verfassungen und Zukunftserwartungen die Konfliktpunkte näher zu bestimmen und die Chancen eines strategischen Netzwerkaufbaus zu diskutieren. Das theoretische Ziel besteht darin, durch eine kritische Rekonstruktion der ANT eine allgemeine theoretische Grundlage zu schaffen für die Beschreibung gesellschaftlicher Wissensproduktion und gesellschaftlicher Machtasymmetrien. Das methodische Ziel ist es, eine Verbindung zwischen ANT und Diskursanalyse herzustellen, die ebenso Anschlussmöglichkeiten für die Anwendung netzwerkanalytischer Methoden aufzeigt. Im zweiten Kapitel wird in den Forschungsstand zur sozialwissenschaftlichen Untersuchung von Risiko- und Technikkonflikten eingeführt. Die Darstellung folgt dabei einem imaginierten chronologischen Ablauf beginnend mit Ansätzen, die noch von einer Experten- und Lai15

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

endifferenz ausgehen, über Ansätze, welche die Laienrationalität aufwerten, bis hin zu Ansätzen, für welche die Differenz von Laien und Experten überhaupt keine Rolle mehr spielt. Dabei werden jeweils realistischobjektivistisch orientierte Ansätze sozialkonstruktivistischen Ansätzen gegenübergestellt: zunächst Studien zur Risikowahrnehmung denen der Technikfolgenabschätzung, weiterhin die partizipative Technikfolgenabschätzung denen zur reflexiven Modernisierung und letztlich diskursanalytische Ansätze den Ansätzen zur Ressourcenmobilisierung. Das dritte Kapitel widmet sich der Darstellung und Diskussion der Akteur-Netzwerk-Theorie und ihrer Erweiterung in den modernisierungstheoretischen Schriften von Latour. Ziel dieses Kapitels ist es, die für die Untersuchung wesentlichen Konzepte zu diskutieren und durch eine kritische Rekonstruktion der ANT den theoretischen Rahmen vorzustellen, der sowohl die Untersuchung anleitete als auch zur Interpretation der Ergebnisse dient. Hier werden ebenso der Aufbau und die Anlage der Studie vorgestellt. Analysiert werden ausgewählte Positionen zur Agrar-Gentechnik in der bundesdeutschen Debatte. Hierbei wird die durch die ANT angeleitete Diskursanalyse mit dem formalen Netzwerkkonzept verbunden, was nicht nur die Interpretation in qualitativer Hinsicht erleichtert, sondern auch einen Anschluss für die Anwendung netzwerkanalytischer Methoden aufzeigt, die sich für ähnlich gelagerte Studien als fruchtbar erweisen könnte. Die Ergebnisse der Untersuchung werden in den Kapiteln vier bis sieben vorgestellt, die an dieser Stelle nicht vorweg genommen werden sollen. Eine Zusammenfassung und ein Fazit befinden sich im achten Kapitel.

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2 RISIKO-

UND

T ECHNIKKONFLIKTE

IN DER

SOZIOLOGIE

Am Anfang der sozialwissenschaftlichen Untersuchung von Risiko- und Technikkonflikten stand die Verwunderung darüber, dass Technikinnovationen nicht mehr fraglos hingenommen wurden. Obwohl Risikokontroversen sich meist um Technikinnovationen ranken, beziehen sie sich ebenso oft auf die Auswirkungen moderner Industriegesellschaften, die erst in der Kumulation an sich unproblematisch erscheinender gesellschaftlicher Praktiken zu negativen Auswirkungen auf die natürliche und gesellschaftliche Umwelt führen. Die Kritik richtet sich dann nicht nur auf eine unproblematische Auffassung von Technikinnovation, die diese unreflektiert mit einem sozialen Fortschritt gleichsetzte. Sie richtet sich auch auf eine gesellschaftliche Praxis, welche die Folgen menschlichen Handelns auf die Umwelt ignoriert. Verantwortlich hierfür werden gesellschaftliche Deutungsmuster gemacht, die eine Dichotomie zwischen Natur und Gesellschaft setzen. Das Problem ist nun, dass auch die Sozialwissenschaften, welche die Risiko- und Umweltproblematik wissenschaftlich zu bearbeiten beanspruchen, selbst mit dieser Dichotomie arbeiten. Die Wissenschafts- und Technikkritik führte zu der Realismus-Konstruktivismus-Debatte, die sich an der Erkenntnis entzündete, dass der Mensch handelnd bereits Teil der Natur ist, die er beobachtet und sich damit seine eigenen Beobachtungsbedingungen erst schafft. Damit taucht das Problem auf, was als objektiv gegeben angesehen werden muss und was nur als subjektive Erkenntnisleistung des Individuums oder eines kollektiven Akteurs. 17

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Diese Problemlage kann auf zwei unterschiedlichen Ebenen auftauchen. Zum einen kann auf der Ebene des Verhältnisses der Wissenschaften zu ihrem Gegenstand gefragt werden, inwiefern die Wissenschaft mit ihrem objektivierenden Zugriff auf die Natur Vorbedingung der Umweltproblematik sei, die sie zu lösen beanspruchte. Zum anderen kann auf der Ebene der Beobachtung gesellschaftlicher Kommunikation durch die Sozialwissenschaften danach gefragt werden, ob in der Gesellschaft die Risiken tatsächlich zugenommen haben (Risikoobjektivismus) oder sich nur die Sensibilität gegenüber Risiken erhöht hat (Risikosubjektivismus).1 Hier interessiert nur die zweite Problemebene. Auf dieser Ebene kann zunächst aus der Sichtweise des Risikoobjektivismus danach gefragt werden, welche gesellschaftlichen Ursachen für das Auftauchen von Risikokontroversen verantwortlich gemacht werden könnten. In der These von der »Risikogesellschaft« wurde behauptet, dass die moderne Gesellschaft in mehreren Dimensionen und nicht nur in Bezug auf neue Technologien durch Unsicherheiten gekennzeichnet sei. Aus dieser Sichtweise stellt sich in der Moderne die Risikoproblematik infolge der gestiegenen Komplexität in der Gesellschaft.2 Nur durch eine Veränderung gesellschaftlicher Institutionen könnten in einem gesellschaftlichen Lernprozess im Prozess der »reflexiven Modernisierung« diese Probleme bearbeitet werden. Das Risikoproblem entsteht hier aus dem Modernisierungsprozess, der zunächst der Bevölkerung industrialisierter Länder einen beträchtlichen Wohlstandsgewinn brachte. Das Erschrecken darüber, dass die zivilisatorischen Errungenschaften sich gegen den Menschen kehren können, wird in diesem Zusammenhang als eine erneute Sensibilisierung für Risiken in der Moderne verantwortlich gemacht. Die Sensibilisierung der Risikowahrnehmung wird dabei auf die Wohlstandsteigerung selbst zurückgeführt, welche die Menschen an ein bestimmtes Maß an Sicherheit gewöhnte und Verunsicherungen weniger tolerieren lasse. Dabei wird als moralische Forderung an den modernen Menschen gestellt, die negativen Begleiterscheinungen der Modernisierung zu tolerieren und 1

2

18

Vgl. zu dieser Problemstellung Douglas/Wildavsky 1982; Halfmann 1990; Krohn/Krücken 1993; Conrad 1998: 34f.; Holzinger 2004: 25ff. Parallel zu dieser Frage besteht die Problemstellung in der Umweltsoziologie darin, ob die Umweltprobleme nur auf eine erhöhte Sensibilität zurückzuführen seien oder sich real ergeben. Krohn/Krücken (1993) weisen in Bezug auf diese Problemstellung darauf hin, dass die Unterscheidung zwischen Risikoobjektivismus und Risikosubjektivismus selbst als ein soziales Konstrukt gesellschaftlicher Akteure aufgefasst werden sollte. Vgl. zu dieser Kennzeichnung ebenso Rammert 1994: 83. Zur These der Risikogesellschaft vgl. Beck 1986.

RISIKO- UND TECHNIKKONFLIKTE IN DER SOZIOLOGIE

nicht zu verlangen, mittels erneuter riskanter Technikinnovation diese zu korrigieren. So zog Wildavsky (1993a) aus der als Risikoparadoxon bezeichneten Erkenntnis, dass auch Nichthandeln eine Entscheidung sei, die negative Folgen haben könne, die Schlussfolgerung, dass Risiken auch als Chancen aufgefasst werden müssen, um die Wandelbarkeit der Gesellschaft zu gewährleisten.3 Eine andere Herangehensweise bildete die Beobachtung von Risikokontroversen und der an ihnen beteiligten Akteure mit ihren unterschiedlichen Interessen, Weltbildern und Risikodefinitionen. Auch diese Betrachtungsweise ist durch die Spannung gekennzeichnet: entweder die Meinungen der Akteure ernst zu nehmen oder sie als subjektiv verzerrte Weltsichten zu interpretieren. Risiko- und Technikkontroversen werden meist als Auseinandersetzungen von Befürwortern und Gegnern einer Technologie konzeptualisiert. Diese Dichotomie birgt eine Gefahr in sich, denn meist wird eine der beiden Seiten als irrationaler und wertbehafteter angesehen als die andere. So wurden teilweise die Kritiker einer Technik mit der Umweltbewegung in eins gesetzt und diese selbst als eine antimodernistische Strömung dargestellt. Doch zu Beginn stand die Frage, inwiefern Laien in der Lage sind, die Risiken einer Technik überhaupt zu beurteilen.

2 . 1 Ak z e p t a n z s t u d i e n u n d Te c h n i k f o l g e n a b s c h ä t z u n g Das Problem der mangelnden Technikakzeptanz wurde zu Beginn auf zwei unterschiedliche Weisen wissenschaftlich zu bearbeiten versucht. Auf der einen Seite standen Akzeptanzstudien und Studien zur Risikowahrnehmung, welche die Gründe für das Akzeptanzproblem auf der Seite der subjektiven Wahrnehmung von Risiken zu finden suchten, und auf der anderen Seite wurden Technikfolgenabschätzungsprogramme eingerichtet, welche den Verweis auf mögliche Risiken von Technologien ernst nahmen und durch eine Antizipation möglicher Technikfolgen zu begegnen und damit die Grundlage für die Steigerung der Technikakzeptanz zu schaffen suchten. Beide Ansatzpunkte gingen von einer Differenz zwischen Laien- und Expertenrationalität aus. In ihrer Methodologie ist ihnen gemeinsam, von Singularitäten auszugehen: Individuen auf der einen Seite und einzelne Technikinnovationen auf der anderen Seite.

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Ähnlich auch Bonß 1995; Wiesenthal 1994; Krohn/Krücken 1993: 35ff. 19

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2.1.1 Studien zur Akzeptanz und zur Risikowahrnehmung In den Akzeptanzstudien und in Studien zur Risikowahrnehmung wurde nach Gründen für die mangelnde Technikakzeptanz gesucht sowie nach möglichen Maßnahmen, wie man die Akzeptanz für Technikinnovationen in der Bevölkerung steigern könne.4 Im Wesentlichen richteten sich die Untersuchungen darauf aus, die mangelnde Akzeptanz auf Befürchtungen potentiell negativer Auswirkungen der Technik – also auf Technikrisiken – zurückzuführen. Diese Befürchtungen wurden jedoch meist als irrationale Ängste entlarvt, denen man durch die Weiterleitung rationaler Information und durch wissenschaftliche Aufklärung begegnen könne.5 Dabei wurde erkannt, dass die technische Risikoabschätzung der Experten mit dem subjektiven Risikoempfinden der Laien auseinanderfällt (vgl. Hüfner 1989). So mangele es der Bevölkerung an einer rationalen Risiko-Kosten-Abschätzung: unwahrscheinliche Risiken würden weit eher akzeptiert als wahrscheinlichere. Die wissenschaftlich-technische Risikoabschätzung geht hingegen von dem ingenieurtechnischen Risikokalkül aus, dass ein Risiko als das Produkt aus Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit definiert.6 Als Gründe hierfür wurden im Wesentlichen drei Punkte benannt: die Qualität der Risiken, der Grad der Freiwilligkeit, mit welchem diese eingegangen werden, und der mit ihnen verbundene Nutzen. So wurde zunächst hinsichtlich der Qualität der Risiken festgestellt, dass neuartige Risiken weniger leicht akzeptiert werden (vgl. Fritzsche 1986: 134ff.; Banse 1996: 22). Neue Risiken sind im Gegensatz zu traditionellen Risiken örtlich und zeitlich nicht eingrenzbar und treten als globale Phänomene mit nicht absehbaren Langzeitwirkungen auf. Ebenso sind die neuen Risiken das Resultat des Zusammenwirkens einer Vielzahl sozialer Akteure und damit individuell nicht mehr zurechenbar. Darüber hinaus ist der mögliche Schaden und der in Aussicht gestellte Gewinn nicht bekannt, da sich nur schwer exaktes Wissen über die Ein-

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Als eine der ersten wegbereiteten Arbeiten vgl. Starr 1997. Zu dieser Einschätzung vgl. Krohn/Krücken 1993: 29f.; Bechmann 1997. Ebenso verweist Weingart (2003) auf das traditionelle Modell über das Verhältnis der Wissenschaft zur Öffentlichkeit hin, bei dem vor allem von einer linearen Beziehung zwischen Sender und Empfänger im Sinne der Aufklärung ausgegangen wurde und zum Ziel habe, den Kenntnisstand über Wissenschaft und Technologie in der Bevölkerung zu verbessern und damit die Akzeptanz zu steigern. Vgl. Weingart 2003: 116f. Vgl. Hüfner 1989. Mit dieser Formel wird auch bei den Versicherungen gearbeitet. Zur Kritik an der »Risikoformel« vgl. Banse 1996: 35ff.

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trittswahrscheinlichkeit und das Schadensausmaß ermitteln lässt.7 Ebenso herrscht teilweise Unsicherheit darüber, worin der zukünftige Schaden bestehen könnte. Infolgedessen werden diese Risiken auch als »hypothetische Risiken« gekennzeichnet, da sie weniger wissenschaftlich begründet seien (vgl. Mazur 1983; Daele 1991: 28; Aretz 1999: 54). Neue Risiken sind ebenso mittels der Sinne nicht unmittelbar erfahrbar. Dies zeige sich vor allem bei chemischen, radioaktiven und gentechnischen Risiken. Ohne Informationen kann der Laie gentechnisch veränderte von nicht gentechnisch veränderten Produkten nicht unterscheiden (vgl. Hampel/Renn 1999: 8f.). Dieser Befund führte in der Folge dazu, stärker über die Rolle der Wissenschaft und der Medien als Vermittler von Wissen über Risiken nachzudenken. Als ein weiterer wichtiger Grund für die Akzeptanz von Risiken wurde die Freiwilligkeit der eingegangenen Risiken erkannt. Freiwillig eingegangene Risiken werden leichter akzeptiert als unfreiwillig zugemutete (vgl. Fritzsche 1986; Radkau 1988; Hüfner 1989; Renn/Zwick 1997; Rücker 2000). Dies führte in einer Weiterentwicklung dieses Befundes zu der Forderung nach einer Partizipation der Bevölkerung an Technikfolgenabschätzungsprozessen, nicht nur, um die Technikgestaltung auf sie ausrichten zu können, sondern auch, um sie in einem Kommunikationsprozess von dem Nutzen einer Technik zu überzeugen (vgl. auch in Bezug auf die Gentechnik Bonfadelli/Meier/Schanne 1999: 1f. u. 14f.). So wurde auch im Hinblick auf die moderne Biotechnologie darauf verwiesen, dass ihre Entwicklung weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hätte und damit jenseits demokratischer Willensbildung (vgl. Dolata 1996: 196ff.; Albrecht 2000: 147f.; Martinsen 2000: 66). Ein ausschlaggebender Grund für die Technikakzeptanz ist damit drittens auch der mit einer Technik verbundene Nutzen. Risiken werden eher akzeptiert, wenn mit ihnen ein Nutzen verbunden ist (vgl. Hüfner 1989; Renn/Zwick 1997; Rücker 2000: 92ff.). Dies führte in der Folge dazu, nach den moralisch-ethischen Bewertungsmaßstäben zu fragen, 7

Vgl. zur Charakterisierung der neuen Risiken Krohn/Krücken 1993: 25ff.; Bonß 1995: 62ff.; Banse 1996: 23ff. Dabei wird die historische Entwicklung des Risikoverständnisses in drei Abschnitte unterteilt: (1) das traditionelle Risikoverständnis, bei dem individuell ein möglicher Schaden mit Aussicht auf Gewinn in Kauf genommen wird, (2) das wohlfahrtsstaatliche Risikoverständnis, in dem durch die Versicherung individuelle Risiken kollektiv abgefedert werden, und (3) die erwähnten neuen Risiken. Diese werden von Bonß (1995) auch als »Gefahren zweiter Ordnung« bezeichnet, da die aus dem Risikohandeln resultierenden Phänomene quasi als Naturgewalten auftreten, die durch Risikohandeln nicht mehr verändert werden können, sondern hingenommen werden müssen. Vgl. Bonß 1995: 82. 21

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nach denen Risiken und Nutzen gegeneinander abgewogen werden (vgl. Banse 1996: 20). In Technikakzeptanzstudien zur Gentechnik ist zu parallelen Ergebnissen gelangt worden. Als erklärungsbedürftig erscheint hierbei die unterschiedliche Akzeptanz ihrer Anwendungsbereiche: Der Einsatz der Gentechnik im medizinischen Bereich (der so genannten »Roten Gentechnik«) wird eher akzeptiert als ihre Anwendung in Landwirtschaft (der so genannten »Grünen Gentechnik«) und Lebensmitteln, was darauf zurückgeführt wird, dass es im Bereich Lebensmittel und Landwirtschaft für den Verbraucher keinen erkennbaren Nutzen gebe (vgl. Hampel 1999; Rücker 2000: 94; Bonfadelli 2002: 78ff.). Weiterhin wird für die niedrige Technikakzeptanz das mangelnde Vertrauen zu denjenigen Akteuren, die wesentlich an der Technikentwicklung beteiligt sind, verantwortlich gemacht. So habe nach Renn/ Zwick (1997) die schleichende Einführung von Technologien und die mangelnde Möglichkeit der Mitbestimmung zu einem Vertrauensverlust in Industrie, Politik und Bürokratie geführt und die Technikkritiker gestärkt.8 Hinzu käme, dass sich durch die neuen Technologien wie der Kern- und Gentechnik die gesellschaftlichen Entscheidungsmöglichkeiten verringerten, da andere mögliche Technikentwicklungspfade abgeschnitten werden würden (vgl. Radkau 1988). Akzeptanzstudien und die Studien zur Risikowahrnehmung unterlagen vielfältiger Kritik, insbesondere da sie nur von einer Form rationalen Wissens und nur einer Form rationaler Kalkulation ausgingen. Aus Sichtweise dieser Studien mangele es der Bevölkerung, also den Laien in Absetzung zu den Experten, nicht nur an Wissen, sondern auch an Rationalität. Damit wurde die Forderung erhoben, unterschiedliche Formen rationalen Wissens und rationaler Kalkulation in die Untersuchung mit einzubeziehen.

2.1.2 Der kulturalistische Ansatz Eine weitere Problematik der Akzeptanzstudien und Studien zur Risikowahrnehmung betrifft die individualisierte Sichtweise auf Einstellungsmuster zu einer Technikinnovation. Diese Perspektive überwindet der kulturalistische Ansatz (Cultural Theory). Dieser Ansatz stammt aus der Anthropologie und wurde im Wesentlichen durch Mary Douglas entwickelt und zusammen mit Aaron Wildavsky auf die Wahrnehmung der Umweltproblematik übertragen (vgl. Douglas/Wildavsky 1982). Hauptthese dieses Ansatzes ist, dass kulturelle Deutungsmuster, wozu auch die

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Vgl. Renn/Zwick 1997: 6; in Bezug auf die Biotechnologie vgl. Hampel 1999: 22.; Hampel/Pfennig 1999: 53f.; Rücker 2000: 97.

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Wahrnehmung sozialer Probleme und Umweltprobleme gerechnet werden können, von der sozialen Organisationsweise abhängig sei. In ihrer Studie zum Aufstieg des Umweltbewusstseins in den USA identifizieren Douglas und Wildavsky in der amerikanischen Gesellschaft drei Formen von sozialer Organisation: eine hierarchische Organisationsweise und eine marktförmige Organisationsweise als zentrale, und eine sektenförmige, eher egalitär ausgerichtete Organisationsweise als periphere. Ihre These ist, dass der Aufstieg des Umweltbewusstseins in der USA mit der Ausbreitung sektiererischer Organisationsweisen erklärt werden kann. Diese sozialen Organisationsweisen können auch als kulturelle Wertorientierungen begriffen werden, die Wildavsky (1993b) für unterschiedliche Risikowahrnehmungen verantwortlich macht: • Diejenigen Individuen, die einer egalitären Wertorientierung angehören, zielen auf eine Technikkritik, wenn die in Frage stehende Technik diesen Werten widerspricht. • Diejenigen Individuen, die einer hierarchischen Wertorientierung anhängen, befürworten grundsätzliche jede Technik, die auch von den Autoritäten befürwortet wird. • Diejenigen Individuen, die einer individualistischen Wertorientierung anhängen, begreifen Risiken solange als Chance, wie sie ihren eigenen Handlungsspielraum nicht beengt.9 Die Leistung dieses Ansatzes besteht darin, darauf zu verweisen, dass die Risikowahrnehmung abhängig ist von spezifischen Lebensweisen. Technikakzeptanz richtet sich demzufolge auch nach der spezifischen Lebenswelt der Akteure. Die Bedeutung der Freiwilligkeit bei der Übernahme von Risiken und die Übereinstimmung einer Technik mit gegebenen Werten und Handlungsspielräumen, verweisen darauf, dass Technik-

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Vgl. Wildavsky (1993b): 200f. Diese Unterteilung orientiert sich an dem Grid-Group-Schema von Mary Douglas, dass sie zur Einteilung von Gesellschaften und Gruppen aufgestellt hat. Die Grid-Dimension bezieht sich auf den Grad der Regelorientierung von Organisationen, die Group-Dimension hingegen auf den Grad der Verpflichtung der Individuen zu einem Kollektiv. Hierdurch erhält sie vier unterschiedliche Organisationsweisen: Hierarchie ist gekennzeichnet durch starke Regelorientierung und starke kollektive Verbundenheit, Markt ist gekennzeichnet durch eine schwache Regelorientierung und schwache kollektive Verbundenheit, während Sekte eine schwache Regelorientierung aber starke kollektive Verbundenheit auszeichnet. Die vierte Dimension wird in der persönlichen Wertorientierung als Fatalisten bezeichnet. Sie folgen einer starken Regelorientierung bei gleichzeitig schwacher kollektiver Verbundenheit. Zur Weiterentwicklung dieses Ansatzes siehe Thompson/Ellis/Wildavsky 1990. 23

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kritik bzw. mangelnde Technikakzeptanz mit der selbstverstandenen Freiheit sozialer Akteure in einem Zusammenhang stehen. In den kulturalistischen Sichtweise wird ein Hinweis auf die Umweltbewegung als ein kollektiver Akteur, der Träger der Technikkritik ist, gegeben. Die Auseinandersetzung über eine Technik wird damit nicht mehr als ein Konflikt zwischen Laien und Experten aufgefasst, sondern als eine Auseinandersetzung zwischen modernen und antimodernen Strömungen. Diese Auffassung setzt sich noch in den partizipativen Technikfolgenabschätzungsprogrammen fort, wie der nächste Abschnitt zeigen soll. Allgemein bezieht sich die Kritik an diesem Ansatz darauf, dass er die Vielfalt kultureller Erscheinungsformen auf nur vier Dimensionen reduziert und ihnen gesellschaftliche Gruppen und Individuen zuordnet oder – negativer ausgedrückt – in »bestimmte Schubladen steckt«.10 Jenseits dieser Kritik stellt sich die Frage, inwiefern sich Elemente dieser Analysen auch im empirischen Material wiederfinden lassen, wenn dieses Schema nicht analytisch vorausgesetzt, sondern die Frage nach den Formen des Zusammenspiels unterschiedlicher kultureller Elemente und gesellschaftlicher Praktiken offen gelassen wird.

2.1.3 Technikfolgenabschätzung Die neuen Risiken in der Moderne werden zum Teil auf die neuen Technologien, zu denen neben der Gentechnik auch die Kernenergie und die Informationstechnologien gezählt werden (vgl. Aretz 1999: 29ff.), zurückgeführt. Diese seien so angelegt, dass sie beständig die Voraussetzung für ihre eigene Transformation schaffen, wodurch sie immer wieder erneut die Frage ihrer Kontrollierbarkeit und Verantwortbarkeit aufwerfen und damit ebenso die Frage nach ihrer Legitimation und Akzeptanz (vgl. Joerges 1992: 49ff.). Auch die Gentechnik zählt zu diesen neuen Technologien. Nach Bonß/Hohlfeld/Kollek (1992) trägt die Gentechnik bereits durch ihre allseitige Anwendbarkeit und ihr reduktionistisches Theorieprogramm, das nur auf eine Anwendung unter Laborbedingungen zugeschnitten sei, ihr Risiko in sich. Ebenso weisen Krohn/Weyer (1990) darauf hin, dass bei Freisetzungsexperimenten mit gentechnisch veränderten Pflanzen die

10 Vgl. zu einer Kritik ebenso Renn 1991; Milton 1996: 95ff. Ebenso verweist Milton (1996) in Bezug auf das Umweltbewusstsein darauf, dass sie nicht mit der Umweltbewegung als historischen Akteur gleichgesetzt werden dürfe, sondern eine bestimmte Perspektive darstelle. Vgl. Milton 1996: 104. 24

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Risiken des Forschungsprozesses, die bislang im Labor eingeschlossen waren, in die Gesellschaft getragen werden würden. Diesen der Technik inhärenten Risiken sollte durch die Etablierung von Technikfolgenabschätzungsprogrammen (TA) begegnet werden,11 die ebenso in Bezug auf die Gentechnik durchgeführt wurden.12 Die Technikfolgenabschätzung (TA) war bereits als Kritik an einer undifferenzierten Positivbewertung jeglicher Technikentwicklung gedacht gewesen (vgl. Gloede 1994: 105ff.). Anspruch der TA war es, politische Entscheidungen durch die Bereitstellung von Wissen über Risiken und Chancen einer Technologie wissenschaftlich zu fundieren (vgl. Ropohl 1994a; Schmidt/Gehrlein 2002). Die TA war demnach bereits ein Schritt weg vom Fortschrittsoptimismus und verfolgt den Gedanken einer gesellschaftlich gesteuerten Technikentwicklung. So wurden in den 70er Jahren zuerst in den USA, dann auch in Europa und Deutschland zahlreiche staatliche Technikfolgenabschätzungsinstitute gegründet (vgl. Ropohl 1994b; Rücker 2000; Degele 2002), sahen sich aber in der Folge einer zunehmenden Kritik ausgesetzt.13 Diese Kritik resultierte daraus, dass sich die im Grenzbereich zwischen Politik und Wissenschaft bewegt. So wurden zum einen aus dem Bereich der Politik an der TA kritisiert, dass ihre Ergebnisse vorurteilsgeladen seien und eher der Legitimationsbeschaffung dienten.14 Außerdem stünden den Institutionen der Politik und Wissenschaft gar nicht die Mittel zur Verfügung, den Technikentwicklungsprozess zu steuern (vgl. Ropohl 1994b: 22). Im Bereich der Wissenschaft stellte sich zum anderen vor allem das methodische Problem, wie die Folgen einer Technik beurteilt werden könnten, wenn diese noch nicht eingeführt worden sei und damit keiner empirischen Überprüfung unterzogen werden könne. 11 In Anlehnung an den englischen Begriff technology assessment auch vielfach als Technikbewertung bezeichnet. Zur Entstehung der TA im Allgemeinen vgl. Degele 2002. 12 Zu den Technikfolgenabschätzungsprogrammen zur Gentechnik vgl. Gloede 1994. Zu nennen ist hierbei die Enquete-Kommission »Chancen und Risiken der Gentechnologie« (1990) und das Projekt »Biologische Sicherheit bei der Nutzung der Gentechnik« (1992) des Büros für Technikfolgenabschätzung am Deutschen Bundestag. 13 In der USA wurden diese Programme auf Grund der zunehmenden Kritik wieder eingestellt. Vgl. Rücker 2000: 34. In Deutschland bestehen sie aber weiter fort. Vgl. Ropohl 2003: 61. Zur Kritik an der TA vgl. zusammenfassen Degele 2002. 14 Vgl. Gloede 1994: 108f.; Rücker 2000: 34ff. Wobei die TA sich ebenso der Gefahr des naturalistischen und des kulturalistischen Fehlschlusses aussetzt. So kann die wertgeleitete Beobachtungsweise als objektiv hingestellt werden (normativistischer Fehlschluss) oder aus den empirischen Sachverhalten eine Norm abgeleitet werden (naturalistischer Fehlschluss). Vgl. hierzu Karafyllis 2000. 25

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Setze die Technikfolgenabschätzung aber erst nach der Einführung ein, dann wäre sie nur rückwärtsgewandt (vgl. Gloede 1994: 107f.). Den Gedanken einer Umkehrbarkeit bereits in Gang gesetzter Technikentwicklungsprozesse sowie die soziale Gestaltbarkeit von Technik würde die TA nicht anerkennen (vgl. Strübing 2000).

2.2 Risikogesellschaft und Partizipation Sichtweisen, welche von einer Dichotomie zwischen Laien und Experten ausgehen, meinen, die Technikakzeptanz durch eine Aufklärung der Laien steigern zu können. Sozialwissenschaftliche Studien wiesen darauf hin, dass dies nicht der Fall sei: mehr Information führe nicht zu mehr Akzeptanz (vgl. Fritzsche 1986; Günther 1998; Grunwald/Saupe 1999; Grove-White/Macnaghten/Wynne 2000: 10f.). Laien hätten bezüglich der Definition von Risiken eine andere Rationalität. So würden sie unter den möglichen negativen Folgen von Risiken auch ökologische, soziale und rechtliche Auswirkungen zählen. Auswirkungen, die von technischen Risikoanalysen bislang nicht beachtet worden waren, da sie sich eher auf Sach- und Gesundheitsschäden bezogen (vgl. Hampel/ Renn 1999: 16f.). Aus theoretischer Sicht bot es sich demnach einerseits an, nach den gesellschaftlichen Konstitutionsbedingungen von Risiken zu fragen, die zu einem gewandelten Risikoverständnis geführt hatten. Aus praktischer Sichtweise ging es andererseits darum, der Laienmeinung in partizipativen Technikfolgenabschätzungsprogrammen mehr Gehör zu schenken, nicht um Laien zu belehren, sondern, um von ihnen zu lernen. Dabei wurde ebenso erkannt, dass Risikokonstruktionen durch unterschiedliche Werthaltungen beeinflusst sind und Laien sich nach unterschiedlichen Interessengruppen und Milieus differenzieren, denen unterschiedliche Weltbilder zu Grunde liegen.

2.2.1 Die These von der Risikogesellschaft Mit Ulrich Becks These von der »Risikogesellschaft« (Beck 1986) wurde nicht mehr nach der individuellen Risikowahrnehmung gefragt, sondern nach den gesellschaftlichen Konstitutionsbedingungen von Risiken und Unsicherheiten in der modernen Gesellschaft. Seine These besagt, dass die in der Moderne fortgetriebenen Rationalisierungsprozesse nicht nur zu einer Befreiung aus Naturzwängen geführt hätten, sondern zu neuen Gefährdungspotentialen. Die Nebenfolgen menschlicher Entscheidungen führten zu neuen Unsicherheiten, die mittels der Institutionen 26

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von Wissenschaft und Politik nicht mehr gelöst werden könnten und überkommene abendländische Denkmuster, wie die Unterscheidung zwischen Natur und Gesellschaft, in Frage stellten. Die von Beck genannten Aspekte tauchen ebenso in der weiteren risikosoziologischen Forschung auf. Die neuen Unsicherheiten lassen sich mit diesen als Kontroll-, Entscheidungs- und Verteilungsproblem kennzeichnen. Das Kontrollproblem stellt sich aus dem unkontrollierten Zusammenwirken an sich rationaler Systemkomponenten, die infolge der zunehmenden Komplexität sozio-technischer Zusammenhänge zu unvorhersehbaren Folgen führe. Deutlich wird dies insbesondere in Charles Perrows These von den »normalen Katastrophen« (vgl. Perrow 1988). Mit seiner Unterscheidung von losen und festen Kopplungen, verweist er darauf, dass die Wahrscheinlichkeit einer Funktionsstörung, die in einen katastrophalen Zusammenbruch des Gesamtsystems führen kann, sich bei komplexen Systemen mit starren Kopplungen erhöht. Fehler, die beständig auftauchen und sich auch nicht vermeiden lassen, summieren sich bei diesen Systemen auf, während sie bei Systemen mit losen Kopplungen noch aufgefangen werden können.15 Das Entscheidungsproblem besteht darin, dass die Folgen einer Entscheidung nicht bekannt sind und sich infolge des komplexen Zusammenwirkens technischer, sozialer und natürlicher Elemente bereits eingetretene Folgen nicht mehr auf einen Verantwortlichen zurückführen lassen. So tauchen Handlungsfolgen auch an Stellen auf, die außerhalb des Handlungszusammenhanges liegen. Dies wird als Entkopplung von Handlungen und Handlungsfolgen beschrieben (vgl. Bonß 1995: 63ff.). Ebenso hat sich die Organisationsweise der Gesellschaft so geändert, dass ihre angestrebten und verwirklichten Ziele oder Zwecke nicht mehr nur durch individuelle Leistungen erbracht werden, sondern durch kollektives Handeln. Dies wird allgemein als eine Verlängerung von Handlungsketten beschrieben (vgl. Lipp 1997).16 Die Ausdifferenzierung und größere Verflechtung der Handlungszusammenhänge führt weiterhin zu einem Auseinanderfallen von Risikoentscheidern und Risikobetroffenen (vgl. Krohn/Krücken 1993: 31). Dies kommt ebenso in der Unterscheidung zwischen Risiko und Gefahr bei Niklas Luhmann zum Ausdruck (vgl. Luhmann 1993). Beide Begriffe beziehen sich bei Luhmann auf einen möglichen Schaden, wobei bei 15 Die Katastrophenträchtigkeit komplexer Systeme kann dabei nicht nur für technische, sondern auch für Organisationssysteme gelten. Zu einer Entgegensetzung von starren Kopplungen in technischen Systemen und losen Kopplungen in Sozialsystemen vgl. Halfmann 1990. 16 Diese Problematik wird im Allgemeinen als die Verantwortungsproblematik in der modernen Gesellschaft behandelt, vgl. u.a. Kaufmann 1992; Bayertz 1995; Lipp 1997. 27

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Risiken die Schäden als innerhalb, bei Gefahren als außerhalb des eigenen Kontrollzugriffs liegend angesehen werden. Das, was für den einen ein Risiko darstellt, wird für den anderen zur Gefahr. Die Risikoproblematik wird damit Ausdruck sozialer Ungleichheiten, da die Verteilung von Risiken für Individuen und Gruppen durch schon bestehende Ungleichheitsstrukturen ungleich gestreut wird (Verteilungsproblem). Infolgedessen wurden Risikokonflikte als neue soziale Konflikte angesehen, die sich nicht mehr wie vormals auf die Verteilung von Gütern, sondern auf die Herstellung von öffentlichen Gütern beziehen.17 Damit entsteht ebenso das Problem, wie Technikinnovationen legitimiert werden könnten. Die Unsicherheiten in der modernen Gesellschaft wird folglich größtenteils auf deren zunehmende Komplexität zurückgeführt, die Komplexität selbst auf einen fortgetriebenen Rationalisierungsprozess, der wiederum in seiner Überspitzung zu einer gesellschaftlichen Selbstgefährdung führt. In dieser Situation können Wissenschaft (und mit ihr die Technik) und Politik ihren Aufgaben als Lieferanten von sicherem Wissen und legitimen Entscheidungen nicht mehr nachkommen. Wissenschaft kann nicht die verlangten Eindeutigkeiten produzieren und trage sogar noch zur Steigerung von Entscheidungsunsicherheiten bei.18 Dies führe zu einer Entgrenzung von Wissenschaft und Politik, da sich sowohl Akteure außerhalb der Wissenschaft an der Wissensproduktion beteiligten als auch die Akteure im Bereich der Politik sich vervielfältigten (vgl. Beck 1986: 257 u. 317). Die Entwicklungen führen ebenso zu einer Einebnung der Differenz zwischen Experten und Laien.19 17 Vgl. Beck 1986; Lau 1989; Eder 1997b. Zu einer Übersicht vgl. Renn 1991. 18 Zu der Vervielfältigung der Entscheidungsmöglichkeiten, die als Grund für die gestiegenen Unsicherheiten in der Moderne genannt werden, vgl. Lau 1989; Renn 1991. Parallel dazu wird die Rolle der Technik betrachtet. Technik sollte zu einer Reduktion der Komplexität führen, durch ihre unerwarteten Nebenfolgen jedoch führe sie zu einer Komplexitätssteigerung. Vgl. hierzu Radkau 1988. Ebenso verweist Luhmann (1993) auf die gestiegene Entscheidbarkeit über zukünftige Schäden. Diese zunehmende Entscheidbarkeit führt Luhmann jedoch nicht auf die zunehmende Repräsentationsfähigkeit der Wissenschaft zurück, sondern auf ihre mangelnde Repräsentationsfähigkeit hinsichtlich der (näheren) Zukunft der Gesellschaft. Wobei nach Luhmann auch kein anderes gesellschaftliches Teilsystem dieses Problem zu lösen in der Lage wäre. In gleicher Weise argumentiert Albrecht (2000) in Bezug auf die Gentechnik, dass im herkömmlichen Demokratiemodell kein Sprecher für zukünftige Interessen vorgesehen sei. 19 Der gesellschaftliche Bruch wird von Beck (1986) auch als »reflexive Modernisierung« beschrieben, da die Moderne zur Lösung der Folgeproblematik sich auf ihre eigenen Bedingungen zurückbeziehen müsse, was in der Forderung nach einer »zweiten Moderne« als Fortschreibung der in 28

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2.2.2 Partizipative Technikfolgenabschätzung Aus einer anderen Richtung wurde durch die sozialwissenschaftliche Technikforschung die Differenz zwischen Laien und Experten in Frage gestellt. So wurde in der Techniksoziologie mit dem Technikdeterminismus und der Linearitätsvorstellung in der Konzeption der Technikentwicklung gebrochen. Dabei wurde auf den Anteil unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen am Technikentwicklungsprozess verwiesen, die ihre spezifischen Interessen in die Konstruktion einer Technik mit einbrächten. Nicht oder nicht nur innertechnologische Entwicklungsprinzipien, sondern vor allem soziale Logiken würden in den Technikentwicklungsprozess mit einfließen. Die Technikgeneseforschung, die von einer solchen sozialen Konstruktivität der Technik ausging, entstand in Absetzung zur TA. Sie beanspruchte nicht nur neben den Folgen die sozialen Bedingungen von Technikinnovationen zu untersuchen, sie begriff auch die Durchsetzung einer Technik nicht als Akzeptanzproblem, sondern als einen Prozess der sozialen Aneignung.20 Die Technikgeneseforschung ist damit Teil der sozialkonstruktivistischen Technikforschung (Social Construction of Technology (SCOT)). Die sozialkonstruktivistische Technikforschung hat darauf verwiesen, dass unterschiedliche soziale Gruppen mit technischen Artefakten unterschiedliche Interpretationen und Nutzungsperspektiven verbinden (vgl. Bijker/Hughes/Pinch 1987; Pinch/Bijker 1987; MacKenzie/Wajcman 1999). Diese interpretative Flexibilität, die mit dem technischen Artefakt verbunden ist, wird in einem mehrstufigen Schließungsprozess durch Ausschluss oder Annäherung der Perspektiven eingeschränkt (vgl. Pinch/Bijker 1987: 26ff.). Für die Untersuchung von Technikkonflikten stellt sich nicht nur die Frage, inwiefern die Sichtweisen unterschiedlicher Akteure in den Technikgestaltungsprozess Eingang finden, sondern auch, inwiefern die Bewertung einer Technik nicht nur hinsichtlich ihrer Funktionstüchtigkeit, sondern auch hinsichtlich ihrer sozialen Auswirkungen erfolgen müsse. Auf diesen Gedanken bauen partizipative Technikfolgenabschätzungsprogramme auf, welche die TA-Verfahren auf eine Partizipation der ersten Moderne begonnenen Rationalisierungsprozesse gipfelt. Vgl. Beck 1986: 250ff. 20 Zu einer zusammenfassenden Darstellungen der Entstehung und des Anspruchs der Technikgeneseforschung vgl. Degele 2002: 46ff. Zu Ansätzen der Technikgeneseforschung vgl. Nelson/Winter 1977; Dierkes 1993; Rammert 1993. Zu dem Netzwerkansatz in der Technikgeneseforschung vgl. Weyer/Kirchner/Riedl 1997. Weitere Ansätze der Technikgeneseforschung sind die Leitbildforschung (vgl. als Beispiel Dosi 1982; Abel 2000) und das Paradigmenkonzept (vgl. als Beispiel Fleischmann 1998). 29

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von Laien und gesellschaftlichen Interessengruppen hin öffneten. Ihr Anspruch ist es, einen Dialog zwischen Technikentwicklern und -anwendern zu etablieren. Damit wurde die Laienrationalität gegenüber der Expertenrationalität aufgewertet (vgl. Krohn/Krücken 1993: 31; Martinsen 2000: 55f.). Partizipative Technikfolgenabschätzungsprogramme verfolgen eine doppelte Zielstellung: der politischen Instrumentalisierung üblicher TAVerfahren entgegenzuwirken und Technikinnovationen sozial robuster zu gestalten. Somit soll zum einen durch eine höhere Diskursivität bei der Prüfung von Sachargumenten sowohl Transparenz als auch Legitimität gegenüber der politischen Entscheidungsfindung geschaffen werden (vgl. Bora/Döbert 1993: 78; Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg 1995: 11f.). Zum anderen wurde das Ziel verfolgt, die Technikentwicklung in den sozialen Kontext einzubetten, was aus der Sichtweise von Unternehmen bedeutet, Innovationen mit dem Markt abzugleichen (vgl. Renn/Zwick 1997: 10f.; Ammon 1998: 143).21 Insbesondere in Bezug auf die Gentechnik wurden partizipative Technikfolgenabschätzungsprozesse und Mediationsverfahren initiiert.22 Die Erkenntnisse, die hierbei gewonnen wurden, können erste Hinweise für die Strukturierung von Risikokontroversen liefern. Die Programme können hinsichtlich der Form und Zielsetzung unterschieden werden. Der Einbezug gesellschaftlicher Interessengruppen bezieht sich auf bereits organisierte, politische Akteure mit einer ausformulierten Sichtweise und Problematisierung als außerwissenschaftliche Experten. Diese Vorgehensweise wurde vom Berliner Wissenschaftszentrum (WZB) in dem Anfang der 90er Jahre durchgeführten partizipativen Technikfolgenabschätzungsprogramm gewählt (vgl. Daele/Pühler/Sükopp 1996). Der Einbezug von breiteren Schichten der Bevölkerung bezieht sich hingegen auf die Anhörung (noch) uninformierter Laien, also von unorganisierten Bevölkerungsteilen. Dies war in der vom Centre for the Study of Environmental Change (CSEC) an der Universität von Lancaster ebenfalls in den 90er Jahren durchgeführten Studie Uncertain World der

21 An der Etablierung von Partizipationsverfahren als Lösungsinstrument für die gesellschaftliche Problematik, wie sie angesichts moderner Risiken entstanden ist, wurde Kritik hinsichtlich der Umsetzbarkeit geübt. So seien zu viele Interessen zu vereinen. Vgl. Luhmann 1993: 179ff. Ebenso gerieten partizipative Verfahren unter den Verdacht der Akzeptanzbeschaffung, da sie keinen Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung erlangen könnten, im Gegensatz zu öffentlichen Beteiligungsverfahren innerhalb des politischen Systems. Vgl. Dolata 1996: 179ff. 22 Vgl. Schell/Mohr 1995; Daele/Pühler/Sükopp 1996; Behrens/Ammon 1998; Daele 1998; Skorupinski 2002. 30

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Fall.23 Beide Verfahren, ihre Problematiken und Befunde sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.

2.2.2.1 Das Technikfolgenabschätzungsprogramm am Wissenschaftszentrum Berlin Eines der bedeutsamsten partizipativen Technikfolgenabschätzungsprogramme ist das vom Berliner Wissenschaftszentrum (WZB) Anfang der 90er Jahre durchgeführte Programm zu transgenen herbizidresistenten Pflanzen (1991-1993). Ziel des als politisches Experiment gedachten Modellversuches war es, den Prozess der Technikfolgenabschätzung durch eine Beteiligung gesellschaftlicher Interessengruppen der politischen Kontroverse gegenüber zu öffnen. Durch einen Dialog sollte ein Lernprozess induziert werden, der zu größerer Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit und Legitimität politischer Entscheidungen führen sollte.24 Am Verfahren sollten alle wesentlichen Interessengruppen beteiligt werden: sowohl Befürworter als auch Gegner aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft, Behörden und Umweltgruppen. Auf mehreren Konferenzen wurden wissenschaftliche Gutachten zu den Risiken transgener herbizidresistenter Pflanzen gemeinsam diskutiert und ausgewertet. Alle Beteiligten des Verfahrens sollten sich als Subjekte verstehen und Einfluss auf die Themen und den Verlauf des Verfahrens haben (vgl. Bora/Döbert 1993: 78f.; Daele/Pühler/Sükopp 1996: 10ff.) Damit war Anspruch des Projektes, die Dimensionen üblicher Technikfolgenabschätzungsprogramme auszuweiten, was sowohl durch einen Einbezug gesellschaftlicher Interessengruppen als auch durch eine Ausweitung der betrachteten Folgendimensionen gelingen sollte. Dennoch blieb der TA-Prozess in seinem Kern »konventionell« (Daele/Pühler/Sükopp 1996: 5). So wurde entgegen der ursprünglichen Intention aus Kosten- und Ressourcengründen keine probleminduzierte TA, die nach einem Vergleich alternativer Techniken verlangt, durchgeführt, sondern 23 Vgl. Grove-White/Macnaghten/Mayer 1997. Eine ähnliche Herangehensweise wurde von der Akademie für Technikfolgenabschätzung in BadenWürttemberg zu Chancen und Risiken der Gentechnik gewählt. In der Studie wurden acht Bürgerforen nach dem Konzept der Planungszelle von Peter C. Dienel durchgeführt. Dieses Konzept sieht unter anderem vor, dass Kleingruppen unter Zeitbegrenzung den Sachverhalt diskutieren und Entscheidungen treffen, nachdem sie von Experten und Vertretern von Interessengruppen informiert worden waren. Vgl. Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg 1995. 24 Vgl. Daele/Pühler/Sükopp 1996: 3f.; als eine das Verfahren begleitende Studie zur Selbsteinschätzung der Diskursteilnehmer siehe Bora/Döbert 1993. 31

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nur die potentiellen Folgen der in Frage stehenden Technik diskutiert (vgl. Gloede 1994: 121; Daele/Pühler/Sükopp 1996: 5f.). Das Verfahren wurde von einigen Umweltverbänden vor der Abschlusskonferenz im Juni 1993 vorzeitig verlassen, wobei die Gründe, die dafür angegeben werden, divergieren. Nach der Sichtweise Daele/ Pühler/Sükopp (1996) lag der Rückzug darin begründet, dass »das Verfahren eine unmittelbare Orientierung am Ziel der politischen Mobilisierung von Öffentlichkeit nicht zuließ« (Daele/Pühler/Sükopp 1996: 8). Die beteiligten Umweltgruppen gaben nach Gill (1996) zwei Gründe an: Zum einen hätten die am Verfahren beteiligten Unternehmen während das Verfahren noch lief, einen Freisetzungsantrag vorbereitet, zum anderen fühlten sich die beteiligten Umweltgruppen hinsichtlich ihrer zeitlichen und finanziellen Ressourcen benachteiligt (vgl. Gill 1996: 55).25 Im Grunde aber wird der Austritt der Umweltverbände darauf zurückgeführt, dass die Wahl einer technikzentrierten TA und deren Konzentration auf naturwissenschaftliche Argumente die soziale Dimension der Problematik vernachlässigte und durch diese thematische Verengung auch trotz der Übereinstimmung über die Fakten die Umweltgruppen die Sachargumente – in denen keine besonderen Risiken der Gentechnik festgestellt wurden – nicht mittragen konnten.26 So setzte einer der wichtigsten Befunde des Verfahrens an der Beobachtung an, dass zwar Einigkeit über die Fakten, grundsätzliche Werte und Rationalitätsvorstellungen bestand, der Dissens dadurch aber nicht aufgelöst werden konnte (vgl. Bora/Döbert 1993: 84f.; Daele/Pühler/Sükopp 1996: 23; Daele 1998: 40f.). Infolgedessen müssen für den Konflikt tiefgehendere Gründe verantwortlich gemacht werden, als die bloße Auseinandersetzung 25 Diese Problematik tauchte auch bei anderen partizipativen TA-Verfahren auf. Damit lässt sich allgemein kritisieren, dass organisationsschwächere Akteure in diesen Verfahren strukturell benachteiligt sind (vgl. Ammon 1998: 136f.; Martinsen 2000: 56f.). Die Beteiligung an Dialogen – wie sie auch noch heute in einigen umweltpolitischen Bereichen durchgeführt werden – erscheint aus dieser Perspektive als Bindung der Arbeitskraft, die in anderen Bereichen sinnvoller eingesetzt werden könnte. Aus denselben Gründen verweigerten kritische Gruppen in dem Projekt »Gen-Welten« (1998-1999) ihre Teilnahme an einer Diskursveranstaltung. Vgl. Kress/Potthast 2000: 64. 26 Vgl. Gill 1996: 54; Daele 1998: 40f. In einer Bewertung verweist Bandelow (1999) darauf, dass der Diskurs durch den Bezug auf die wissenschaftliche Rationalität bereits herrschaftsförmig vorstrukturiert gewesen sei: »Indem technische Kriterien der gegenwärtig dominierenden Wissenschaftsauffassung (Wiederholbarkeit der Ergebnisse, Überprüfbarkeit von Bewertungen, Trennung von Fakten und Werten) auf den Gentechnikkonflikt angewendet werden, wird der Kreis der möglichen Anhänger von Kompromissen ex ante eingeschränkt, da eine Akzeptanz der Maßstäbe und Methoden umstritten ist.« Bandelow 1999: 83. 32

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über Risiko und Nutzen einer Technologie, die sich eher auf der Oberfläche abspielt. Als Gründe für den Konflikt wurden unterschiedliche Einstellungen zur Technik im Verhältnis zu Natur und Gesellschaft angeführt (vgl. Daele 1998: 42; aber auch Martinsen 2000: 64f.). Zur näheren Kennzeichnung dieser unterschiedlichen Einstellungen führt Wolfgang van den Daele die Unterscheidung zwischen zwei unterschiedlichen modernen Grundeinstellungen ein. Die Grundeinstellung der Kontingenzerhöhung und die Grundeinstellung der Fundamentalisierung (vgl. Daele 1991: 14f.; Daele 1993). Die offizielle und in den gesellschaftlichen Institutionen verankerte Kultur ziele auf Kontingenzerhöhung und schreibe den Prozess der Rationalisierung fort: »Übersetzung von Wirklichkeiten in Möglichkeiten, von Handlungsgrenzen in Handlungsoptionen, von Substanzen in Funktionen und von absoluten Werten in bloße Präferenzen« (Daele 1991: 14). Demgegenüber stehe der Fundamentalismus, der dem in der Geistesrichtung der Kontingenzerhöhung transportierten Ressourcenbegriff von Natur einen moralisierenden Naturbegriff entgegensetze, dem Freiheitsbegriff eine absolute Moral, die sich an den von der Natur gesetzten Grenzen orientiere und den objektivierenden Zugang der Wissenschaft zur Welt kritisiere. Die Sichtweise der Fundamentalisierung sei aber an die herrschende Kultur nicht anschlussfähig. So könnten in einer pluralistischen Gesellschaft substantialistische Werte, die Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben, nicht festgeschrieben werden, da sie andere Werte, wie die auf Gesundheit und Selbstbestimmung, bedrohen würden (vgl. Daele 1991: 18). Ebenso sei im bundesdeutschen Grundgesetz die Freiheit von Wissenschaft und Forschung garantiert und das, was der Gesellschaft nütze, werde auf den Märkten entschieden und nur selten vom Staat (vgl. Daele/Pühler/Sükopp 1996: 20). Eine Bewertung nach dem Nutzen sei nicht angelegt, weswegen eine Technik nicht auf Grund mangelnden Nutzens abgelehnt werden könne (vgl. Daele 1998: 43).27 Alternative Vorstellungen über Moral, Wissen und Natur sowie eine grundsätzlichere Kritik an den modernen Institutionen könne nur über die Risikothematik Anschluss an die gesellschaftliche Kommunikation finden. Dies führe zu einer »Überfrachtung der Risikothematik« (Daele 1993: 170; vgl. ebenso Ammon 1998: 142f.; Günther 1998). So gebe es Strategien, die Risikothematik so umzudefinieren, dass sie in einer Ausweitung der Schadensdimension auch ökologische, soziale und kulturelle Folgen mit aufzunehmen vermag und in einer Ausweitung der Möglichkeitsdimension nicht nur nachweisbare, sondern auch hypothetische Ri27 Zu ähnlichen Befunden bezüglich der Anschlussfähigkeit ethischer und moralischer Vorstellungen an die dominierenden Prinzipien von Ökonomie und Wissenschaft vgl. Banse 1996: 21. 33

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siken bzw. den ganzen Komplex von Unsicherheit und Nichtwissen über die Folgen der Technikinnovation mit einbeziehen kann (vgl. Daele 1993: 177ff.). In der Moderne fehlen Institutionen, die eine Arena für die Diskussion grundsätzlichere Thematiken im Zusammenhang mit der Technikinnovation bieten, Institutionen, welche die Technikentwicklung dem demokratischen Einspruch ausliefern (vgl. Martinsen 2000: 64f.). So merkte auch Daele selbstkritisch an, dass das Verfahren zwar eine Ausweitung des politischen Diskurses erreicht hätte, damit aber nicht eine Beteiligung an der politischen Entscheidungsfindung verbunden gewesen wäre (vgl. Daele 1998: 43). Dennoch aber konnte das Verfahren dem Druck politischer Entscheidungsfindung nicht soweit entfliehen, dass es eine Arena für genau die Diskussion der Probleme geschaffen hätte, die in der politischen Kultur nicht diskutiert werden können. Damit reifizierte das Verfahren die Unlösbarkeit der Kontroverse. Mit dieser Interpretation der Ergebnisse wird deutlich, dass die Dichotomie zwischen Laien und Experten auch in diesem partizipativen Modell der Technikfolgenabschätzung weiterhin präsent ist. Sie zeigt sich hier aber auf einer anderen Stufe: in der Dichotomie zwischen Wissenschaft und Politik. So wird zwischen der Rationalität des wissenschaftlichen Diskurses und der Wertbezogenheit des politischen Diskurses unterschieden, wobei die Wertbezogenheit von Aussagen mit Irrationalität gleichgesetzt wird.28 Diese Dichotomie und das (teilweise) Scheitern des Projektes kann dahingehend interpretiert werden, dass wissenschaftliches Wissen (hier die Gutachten) als Mittel der politischen Konsensfindung gebraucht werden sollten. So war eines der Ziele des Vorhabens gewesen, zu einer Rationalisierung der Debatte beizutragen, worunter die Rückführung politischer Positionierung auf eine wissenschaftliche Rationalität verstanden wird (vgl. Bora/Döbert 1993: 92ff.; Daele 1998: 40f.; in einer Kritik Bandelow 1999: 81f.). Eine Entpolitisierung der Betrachtung der Risikodebatte wäre erreicht, wenn die Diskurspositionen unabhängig einer politischen oder gesellschaftlichen Entscheidungsfindung und damit ihre 28 Vgl. hierzu explizit Bora/Döbert 1993: 83ff. Bora/Döbert (1993) thematisieren zwar die Präsenz von Rhetorik in den Wissenschaften und die Notwendigkeit von Sachbezogenheit in politischen Kontroversen, führen dies aber auf eine Verunreinigung eines grundsätzlichen Prinzips zurück. Zu einer Kritik dieser Trennung vgl. ebenso Gloede 1994: 122. Mit Bezug auf die Trennung zwischen politischem und wissenschaftlichen Diskurs fällt er folgendes Urteil: »Wer diese exklusive, sozial asymmetrische Zuordnung von Orientierungen zu Diskursen dennoch vornimmt, hat letztlich trotz diskursiven und partizipativen Konzepts eine Ausrichtung von TA im Sinn, für die der Partizipations-Gedanke lediglich instrumentelle Funktion besitzt.« Gloede 1994: 122. 34

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Sichtweisen gleichberechtigt und unabhängig von ihrer politischen Umsetzbarkeit und gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit untersucht werden würden.

2.2.2.2 Die Studie Uncertain World Das Programm des WZB wollte durch den Einbezug organisierter Interessengruppen zu einer Ausweitung der Partizipation gelangen und reproduzierte gleichzeitig die Trennung zwischen wissenschaftlichem und politischem Diskurs. Eine andere Herangehensweise wählte die vom Centre for the Study of Environmental Change (CSEC) an der Universität von Lancaster durchgeführte Studie Uncertain World, die weniger durch ein spezifisches Diskursverfahren zu einer Einigung divergierender Diskurspositionen gelangen wollte, als vielmehr durch Gruppendiskussionen (oder sogenannten focus groups) das Spezifische an der Rationalität der Laien erfassen. Damit stellte sie die Dichotomie zwischen wertfreier Wissenschaft und subjektiver, wertbehafteter Auffassung von Laien in Frage.29 Die Einstellung von Laien gegenüber Gentechnik in Lebensmitteln und der modernen Biotechnologie wurde in insgesamt neun Fokusgruppen mit unterschiedlicher Zusammensetzung (Schicht, Alter, Region) untersucht. Der Untersuchungszeitraum lag von Oktober 1996 bis Februar 1997 und damit noch vor einem signifikanten Aufleben der Diskussionen um Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmitteln. Diese Entwicklungen wurden durch die Nachfolgestudie Wising Up – die ebenfalls mit Fokusgruppen arbeitete und ebenfalls durch das CSEC durchgeführt wurde – in den Jahren 1998-2000 weiter verfolgt.30 Die Befunde der Studien zeigten eine allgemeine Ablehnung von Gentechnik in Lebensmitteln in der Bevölkerung. In der Bewertung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln wurden Parallelen zu Chemie in Lebensmitteln und der BSE-Krise gezogen (vgl. Grove-White/Mac29 Die Studie wurde von Unilever finanziell unterstützt und unter Mithilfe der britischen Nichtregierungsorganisation Green Alliance durchgeführt. Vgl. Grove-White/Macnaghten/Mayer 1997: 1. 30 Vgl. Grove-White/Macnaghten/Wynne 2000. Der Fokus der Nachfolgestudie Wising Up war ein leicht anderer als der von Uncertain World. Während bei Uncertain World die Einstellung zu gentechnisch veränderten Lebensmitteln im Mittelpunkt stand, zielte die Studie Wising Up darauf, die Rolle von Informationen im Diskurs näher zu beleuchten. Infolgedessen wurde in Wising Up die empirische Basis von Fokusgruppen durch Experteninterviews – mit Experten aus Wirtschaft, Politik und dem Bereich der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) – ergänzt, um dem unterschiedlichen Umgang mit Informationen sowohl aus Laien- als auch aus Expertenperspektive nachgehen zu können. 35

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naghten/Mayer 1997: 6f.). Insbesondere wurde die Übertragung von menschlichen Genen abgelehnt. Insofern eine solche Übertragung zur Lebensmittelherstellung benutzt werden würde, wurden sogar Parallelen zum Kannibalismus gezogen (vgl. Grove-White/Macnaghten/Mayer 1997: 10). Jedoch zeigte sich – entgegen der Interpretation beim WZBVerfahren, das Technikkritik eher eine fundamentalistische Sichtweise unterstellte –, dass technikkritische Laien sehr wohl zu einem differenzierten Urteilsvermögen gegenüber technischen Innovationen in der Lage sind. So war bei der Bewertung der einzelnen Produkte von Bedeutung, welche Organismen genetisch modifiziert werden und von welchem Spenderorganismus die Gene kommen (vgl. Grove-White/Macnaghten/Mayer 1997: 11ff. u. 16ff.). Ebenso war allgemein der Wille nach einem Dialog mit den Technikentwicklern erkennbar (vgl. GroveWhite/Macnaghten/Wynne 2000: 26f.). Die Ablehnung von Gentechnik in Lebensmitteln rührte eher von einer tief empfundenen Machtlosigkeit in der Bevölkerung gegenüber der Technikentwicklung her, die sich jenseits der Möglichkeit öffentlicher Einspruchnahme vollziehe (vgl. Grove-White/Macnaghten/Wynne 2000: 22 u. 24). Darum wurde die Erwartung gegenüber der Politik geäußert, eine aktivere Rolle bei der Regulation der Biotechnologie zu spielen und Verantwortung gegenüber der Technikentwicklung zu übernehmen.31 Dabei wurde gleichzeitig aber Resignation hinsichtlich der Fähigkeit politischer Akteure, diesen Erwartungen nachzukommen, offensichtlich (vgl. Grove-White/Macnaghten/Mayer 1997: 19ff.). So glaubten viele der an den Fokusgruppen Beteiligten, dass, unabhängig von der Regulierung, schon viele Lebensmittel gentechnisch verändert seien (vgl. Grove-White/Macnaghten/Mayer 1997: 7; Grove-White/Macnaghten/ Wynne 2000: 21f.). Dies offenbarte auch ein tiefes Misstrauen gegenüber den an der Technikentwicklung beteiligten Institutionen aus den Bereichen Industrie und Regierung. Gefragt wurde nach den Gründen und Interessen, die hinter der Technikentwicklung stehen (vgl. GroveWhite/Macnaghten/Mayer 1997: 13ff.) Allgemein wurde insbesondere bei der Studie Wising Up ein differenzierter Umgang mit Information deutlich. Hier wurde den Informationen, die von Seiten der Industrie und der Regierung gegeben wurden, unterstellt, sie seien nach den spezifischen Interessen der jeweiligen Institution verzerrt (vgl. Grove-White/Macnaghten/Wynne 2000: 23ff.). 31 Vergleichbare Befunde tauchten auch in der Studie der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg (1995) auf. Auch hier wurde die Forderung nach staatlicher Verantwortungsübernahme gestellt (vgl. Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg 1995: 5). 36

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Während aber bei der Studie Uncertain World noch ein größeres Vertrauen der Öffentlichkeit in die Nichtregierungsorganisationen (NGOs), besonders Greenpeace, festgestellt werden konnte (vgl. Grove-White/ Macnaghten/Mayer 1997: 14f. u. 22), war dieses bei Wising Up, nach der Verschärfung der Kontroverse, nicht mehr uneingeschränkt gegeben. Auch bei Informationen von Seiten der NGOs, wie auch bei allen anderen Informationen, wurden diese nach ihrer Quelle bewertet und danach gefragt, welche Interessen und Ziele hinter diesen stehen. Trotzdem konnten sich die Menschen ein Bild von der Lage machen, indem sie Informationen aus unterschiedlichen Quellen miteinander verglichen (Triangulation). Die Schlussfolgerungen beider Studien bezogen sich darauf, dass die derzeitigen politischen Institutionen nicht in der Lage seien, der Technikinnovation angemessen zu begegnen. Sowohl politische als auch wirtschaftliche Akteure folgten einer Logik, welche die weiteren sozialen Implikationen der Technikinnovation ausblendete und sich allein nur auf die Funktionstüchtigkeit der Technik beziehe. Dies zeigte sich bei Wising Up im Umgang mit Informationen: So wurde durch die interviewten Experten der Umstand nicht erkannt, dass die Bevölkerung kritisch mit Informationen umgehe. Sie glaubten einen direkten Informationsfluss etablieren zu können, der die Laien in ihrer individuellen Wahlentscheidungen unterstützen helfe. Entgegen dieser Auffassung, so die Autoren, bildeten sich Einstellungen und Wertstrukturen, welche die Kaufentscheidung beeinflussten, nicht losgelöst vom sozialen Zusammenhang. Die Nichtbeachtung der sozialen Einbettung individueller Entscheidungen würde zu einer Verschärfung der Krise beitragen (vgl. Grove-White/Macnaghten/Wynne 2000: 33ff.). Die Befunde und Interpretationen der Studien Uncertain World und Wising up stellen die Unterscheidung zwischen Laien und Experten in Frage. Laien besitzen demnach eine spezifische Rationalität, welche auf die sozialen Dimensionen von Technikinnovation verweist. Diese spezifische Rationalität muss – so die Forderung – Beachtung finden, um die Entscheidung über riskante Technikinnovationen sozial einzubetten. Diese soziale Einbettung soll nicht vorrangig der Legitimation von Technikinnovationen dienen, sondern auch als Frühwarnsystem gegenüber fehlerhaften Technikentwicklungspfaden fungieren. Aus diesem Grund müsste die entsprechende Umgestaltung moderner Institutionen, die bislang eine Beachtung der Laienrationalität nicht ermöglichte, und die entsprechenden zu etablierenden Partizipationsverfahren, auch die Option eines Technikverbotes umfassen. Die Studien stellen also nicht nur moderne Denkkategorien, wie die zwischen Experten und Laien und zwischen Technik und Gesellschaft in Frage, sondern auch die Fähigkeit 37

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moderner Institutionen mit der beschleunigten Technikinnovation umzugehen.

2.2.3 Risiko als Konflikt zwischen Weltbildern Die Sichtweise von Laien wird als Ausdruck eines gewandelten Technikverständnisses begriffen. Technik sollte demnach nicht nur nach ihrer Funktionstüchtigkeit bewertet werden, sondern ebenso nach ihren sozialen Auswirkungen. Damit deckt sich die Laienperspektive mit der Forderung der sozialwissenschaftlichen Technikforschung. Den Befunden der CSEC-Studien folgend, reproduziert die Dichotomie zwischen Laien und Experten moderne Dichotomien, die gerade zu der Risiko- und Umweltproblematik führten. Die öffentliche Inakzeptanz kann als Sensor für die inadäquate Sichtweise auf Mensch und Natur gelten (vgl. Wynne 1996: 44ff.). Diese inadäquate Sichtweise verweist ebenso auf ein Versagen moderner Institutionen bei der Bewältigung der Risikoproblematik, darauf deuteten die Diskussionen in der Folge der WZB-Studie hin. Doch während die WZB-Studie noch von einer Unveränderbarkeit moderner Institutionen ausgeht, indem sie auf die Unvereinbarkeit eines Technikverbotes mit der modernen Verfasstheit hinweist, fordert die CSEC-Studie genau eine solche Möglichkeit und damit einen Umbau moderner Institutionen. Sozialwissenschaftliches Wissen könne bedeutsam werden, Technik nicht nur der physischen, sondern auch der sozialen Umwelt anzupassen.32 Der These der Risikogesellschaft folgend tauchen in der reflexiven Moderne neue politische Akteure auf. Laien beginnen sich in Interessengruppen zu organisieren und aktiv zu werden. Laien sind aber auch plural in ihren Werthaltungen. Die ausbrechenden Kontroversen können nicht beigelegt werden, weder durch den Rückgriff auf die Wissenschaft noch durch den Rückgriff auf Moral (vgl. Luhmann 1993). So wurde insbesondere in Bezug auf die Debatte um die Agrar-Gentechnik eine Kommunikationssperre erkannt (vgl. Halfmann 1990; Renn/Zwick 1997; Kress/Potthast 2000). Der Dissens besteht fort, obwohl Übereinstimmung über die zu Grunde liegenden Werte als auch über das gemeinsam geteilte Wissen herrscht. Damit zeigt sich in den Risikokontroversen sowohl eine Infragestellung moderner Denkkategorien als auch eine Infragestellung gesellschaftlicher Institutionen. Dies ließ die Vermutung entstehen, dass es in Risikodiskursen nicht eigentlich um Risiken ginge, sondern dass sich in 32 Vgl. Grove-White/Macnaghten/Wynne 2000: 30ff.; aus wissenschaftstheoretischer Sicht vgl. Ritsert 1996: 125; wobei er dies eher unter dem Blickpunkt der Akzeptanzbeschaffung sieht. 38

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der Risikoproblematik gesellschaftliche Problemlagen spiegelten. So sei der Technikbezug in Risikokontroversen meist nur symbolischer Natur, überschreite die rationale Kosten-Nutzen-Kalkulation und verweise auf tieferliegende gesellschaftliche Konflikte (vgl. Radkau 1988; Renn 1991; Martinsen 2000; Deane-Drummond/Szerszynski/Grove-White 2003). Nur über den Begriff des »Risikos« sei es möglich, dass die pluralen Wertvorstellungen, Rationalitäten und Weltbilder in der modernen Gesellschaft zum Ausdruck gebracht und miteinander vermittelt werden könnten (vgl. Renn 1991; Brand/Eder/Poferl 1997). In Reaktion auf diese Erkenntnis wurde die Forderung erhoben, sich der Konstruktion von Risiken bei unterschiedlichen sozialen Akteuren empirisch zu nähern. In einer Erweiterung dieser Forderung wurde auch nach einer Untersuchung unterschiedlicher Vorstellungen über das Verhältnis von Natur und Gesellschaft als Grundlage unterschiedlicher Risikokonstruktionen verlangt.33 Unterschiedliche Akteure und ihre Sichtweisen sollten beobachtet werden, wobei jeder Akteur als Experte für seinen jeweiligen Lebensbereich angesehen werden kann. Damit rückt die empirische Untersuchung von Risikokontroversen in den Mittelpunkt. »Risiko« wird nun als ein Konstrukt aufgefasst. Daraufhin wurde die Vermutung geäußert, dass der Konflikt weniger als eine Auseinandersetzung über das Für und Wider einer Technologie aufzufassen sei, sondern vielmehr als ein Konflikt unterschiedlicher Weltbilder (vgl. in Bezug auf die Gentechnikkontroverse Rücker 2000; Gill 2003a; in Bezug auf die Kerntechnikkontroverse vgl. Fritzsche 1986). Dass der Begriff des »Weltbildes« als Grundlage von Risikokontroversen einige Verzerrungen beinhalten kann, zeigen Ansätze, die im Wesentlichen Technikkritik auf eine antimodernistische Einstellung zurückführen. In diesen Ansätzen wird der Risikokonflikt als eine einfache Gegenüberstellung von Befürwortern und Gegnern aufgefasst (so bei Renn/Zwick 1997; Daele 1993). Diese Kennzeichnung wird empirisch mit dem Auftauchen der Umweltbewegung begründet. Akteure der Umweltbewegung stehen den etablierten gesellschaftlichen Akteuren gegenüber, und es wird der Eindruck erweckt, als handele es sich bei Technikkonflikten um eine Auseinandersetzung zwischen einer modernen und einer antimodernen Strömung. So seien die alternativen Weltbilder Ausdruck einer allgemeinen Ablehnung des Projektes der Moderne (vgl. 33 So wurde die Forderung erhoben, der sozialen Konstruktion von Technikfolgen durch gesellschaftliche Akteure nachzugehen (vgl. Daele 1993; Lau 1989) und unterschiedliche Vorstellungen von Technik im Verhältnis zu Natur und Gesellschaft (vgl. Krohn/Krücken 1993; Joerges 1995; Eder 1998) sowie unterschiedliche Risikodefinitionen (vgl. Renn 1991; Wiedemann/Rohrmann/Jungermann 1991; Bonß 1995; Metzner 1997) und Vorstellungen von Nachhaltigkeit (vgl. Radkau 2002) zu untersuchen. 39

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Renn/Zwick 1997). Diese Auffassung zeigt sich auch in der Unterscheidung zwischen Kontingenzerhöhung und Fundamentalisierung bei Daele 1993, die er als die zwei wesentlichen kulturellen Grundströmungen der Moderne beschreibt.34 Damit wird unter »Weltbild« meist eine kulturell geprägte Auffassung über das Verhältnis von Natur und Gesellschaft, Technik und Mensch verstanden, von der ebenso Vorstellungen über Moral und Rationalität abhängig seien.35 Die Rückführung von Weltbildern auf soziale Gruppen und Akteure führt jedoch zu einer kulturellen Festbindung von Einstellungs- und Vorstellungsmustern. Dies ist mit dem Gedanken von einer Veränderlichkeit und Dynamik gesellschaftlicher Diskurse unvereinbar.36 Durch die Rückbindung von Positionierungen im Risikodiskurs an die Kultur wird die Dichotomie zwischen Technikbefürwortern und Technikgegnern verdinglicht. Dadurch wird ebenso die Vielfalt von Vorstellungen verdunkelt, die meist hinter diesen Positionierungen vorhanden ist. Eine solche Herangehensweise missachtet, dass Gentechnikkritik auf soziale Probleme hinweisen könnte, die zwar ihre Geschichte haben, aber aktuell Brisanz besitzen. Durch einen stärkeren Fokus darauf, worauf mittels der Kritik (aber auch mit der Befürwortung) hingewiesen wird, als darauf, woher die unterschiedlichen Positionen stammen, könnte den Positionen stärker gerecht werden.

2.3 Diskurse und Ressourcen Die Erkenntnis, dass es nicht nur eine Position gibt, die Rationalität beanspruchen kann, und dass die Zuschreibung von Rationalität auf gesellschaftlichen Machtstrukturen beruht, führt zu einer Überschreitung der Differenz zwischen Laien und Experten. Bei der Betrachtung von Risikokontroversen steht vielmehr die Unterscheidung zwischen Befürwortern und Gegnern im Mittelpunkt der Betrachtung. 34 In ähnlicher Weise könnte der in Abschnitt 2.1.2 diskutierte kulturalistische Ansatz hier aufgeführt werden. Auch bei Wildavsky und Douglas wurde der Bereich der Sekte mit der Umweltbewegung gleichgesetzt. 35 Gill (2003a) fasst Weltbilder allgemein als Kosmologien. Sein Ansatz wird bei der Erörterung diskursanalytischer Ansätze zu Technikkonflikten näher betrachtet. Siehe Abschnitt 2.3.1.2. 36 Dies führt soweit, dass bei einigen Ansätzen über die diversen Spezifika deutscher Technikkritik nachgedacht wird und dabei entweder auf den deutschen Idealismus oder den Nationalsozialismus verwiesen wird. Vgl. in Bezug auf die Gentechnikkritik Aretz 1999: 112ff.; Peters/Sawicka 2007. Letztere führen die Gentechnikkritik auf mangelnden Nationalstolz zurück. Vgl. insbesondere Peters/Sawicka 2007: 81. 40

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Parallel zur konstruktivistischen Wende in der Wissenschafts- und Techniksoziologie, die den Anteil unterschiedlicher sozialer Akteure an der Technikentwicklung Beachtung schenken wollte, vollzog sich die kommunikative Wende vor allem im Bereich der Politikfeldanalyse und den Forschungen zu den neuen sozialen Bewegungen. Die kommunikative Wende rückt die Bedeutung der Sprache als gesellschaftliche Praxis in den Mittelpunkt der Betrachtung. Sprache wurde nun nicht mehr als transparentes Instrument der Weltbeschreibung aufgefasst, über das unproblematisch Aufschluss über die soziale Praxis erlangt werden könne, sondern wurde als Teil der sozialen Praxis selbst konzeptualisiert (vgl. Knoblauch 2001: 208.). Hier zeigt sich die Nähe zu konstruktivistischen Ansätzen: Nicht mehr Wissen und seine Verteilung stehen im Mittelpunkt, sondern seine Konstruktion in kommunikativen Prozessen. Diese werden, wenn sie öffentlich geführt werden, als Diskurse konzeptualisiert. Hauptfragestellung ist, wie sich bestimmte Positionen im Diskurs durchsetzen und damit in die Position gelangen, Vernunft und Moral beanspruchen zu können.37 Dass dafür nicht nur diskursive Strategien notwendig sind, darauf verweisen politikwissenschaftliche Ansätze, die sich ebenso auf die Fähigkeit, Ressourcen zu mobilisieren, beziehen, als auch auf die Restriktionen sozio-ökonomischer Strukturen, in denen strategisches Handeln eingebettet ist. Von der Zentralität strategischen Handelns rücken diskursanalytische Ansätze ab und verweisen vielmehr auf die Bedeutung von Denkmustern, die sich überindividuell ausbilden. Diese Denkmuster spielen auch in politikwissenschaftlichen Ansätzen eine Rolle, nur dass sie hier in netzwerkartigen Zusammenhängen strategisch ausgebildet und durchgesetzt werden.38

2.3.1 Diskursanalytische Ansätze Diskursanalytische Ansätze zollen der zunehmenden Bedeutung öffentlich geführter Debatten – den Diskursen – Aufmerksamkeit. Der Untersuchungsgegenstand sind Sprachakte, die als soziales Handeln aufgefasst werden, und ihr Zusammenspiel in einer (teil-)öffentlichen Arena. 37 Zu einer Übersicht über diskursanalytische Ansätze und ihrer praktischen Anwendung vgl. Keller/Hirseland/Schneider 2001; Keller/Hirseland/ Schneider 2003. 38 Nach Milton (1996) verweisen diese beiden Herangehensweisen auf die zwei unterschiedlichen Forschungstraditionen in Europa und den USA: Während europäische Ansätze sich eher auf die Kultur beziehen würden – was sich in der Bedeutung von Diskursen zeigt – stellte die amerikanische Perspektive die Praxis in den Mittelpunkt. Vgl. Milton 1996: 78ff. Ähnlich Hellmann 1998. 41

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Durch eine Diskursanalyse sollen Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Wirklichkeit gezogen werden. Anders als die aus der Linguistik stammende Discourse Analysis bezieht sich die sozialwissenschaftliche Diskursanalyse nicht auf den konkreten Sprachgebrauch, sondern auf die Struktur überindividueller Wissensordnungen. Als theoretische Fundierung wird dabei auf unterschiedliche sozialwissenschaftliche Theorietraditionen Bezug genommen: Die Diskurstheorie Foucaults, die Rahmenanalyse Goffmans, aber auch die Diskursethik Habermas’.39 Die Definition des Begriffs »Diskurs« ist je nach Ansatz unterschiedlich. Eine allgemeine Definition bieten Keller/Hirseland/Schneider (2001); sie definieren Diskurse als »[...] (mehr oder weniger) öffentliche, geplante und organisierte Diskussionsprozesse [...], die sich auf je spezifische Themen von allgemeinem gesellschaftlichen Belang beziehen« (Keller/Hirseland/Schneider 2001: 7). Ebenso divergieren die Auffassungen darüber, in welchem Verhältnis Sprache, Diskurs, gesellschaftliche Praxis und materielle Objekte zueinander stehen. Vor allem der letztere Aspekt dürfte für die Untersuchung von Risikodiskursen und Technikkonflikten von besonderem Interesse sein. Diese Unterschiede werden an zwei prominenten Ansätzen der sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse diskutiert: die Diskursanalyse in der Tradition von Foucault und die Rahmenanalyse. Anschließend wird sich diskursanalytischen Ansätzen zur Untersuchung von Risikokontroversen zugewandt und politikwissenschaftliche Ansätze zur Gentechnikpolitik, die auf der Rahmenanalyse aufbauen, vorgestellt.

2.3.1.1 Die Diskursanalyse als Instrument der Sozialwissenschaften In den Sozialwissenschaften sind insbesondere zwei diskursanalytische Ansätze zentral: diskursanalytische Ansätze in der Tradition von Foucault und Ansätze der Rahmenanalyse aus den Politikwissenschaften. Diskursanalytische Ansätze, die in der Tradition Foucault stehen, begreifen Diskurse als ein eigenständiges soziales Phänomen, das unabhängig von den Individuen aber dennoch historisch variabel, soziale Praktiken anleitet.40 Diese Ansätze stehen demnach jenseits handlungstheoretischer und strukturalistischer Ansätze: Deutungen sind überindi39 Vgl. Keller/Hirseland/Schneider 2001: 9ff. Ebenso gibt es Versuche aus einer Verbindung unterschiedlicher Theorietraditionen eigene Ansätze zu entwickeln – wie die beiden voneinander zu unterscheidenden aber ebenfalls bei Foucault ansetzenden Ansätze der Critical Discourse Analysis von Norman Fairclough (vgl. Fairclough 1989; Fairclough 1995; Fairclough 2001;) und der Kritischen Diskursanalyse von Siegfried Jäger (vgl. Jäger 2001; Jäger 2004). 42

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viduell und die strukturierenden Regeln des Diskurses selbst wandelbar.41 Durch das Konzept der Diskursposition rücken individuelle Akteure aus dem Blickpunkt. Ansatzpunkt für die Analyse sind vielmehr soziale Akteure, deren Organisationsgrad irrelevant ist, da sich ihre Abgrenzung dadurch bestimmt, welche Positionen sie im Diskurs einnehmen. Untersucht wird demnach nicht der verborgene Sinn, sondern die strukturellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Diskursbeiträgen unterschiedlicher sozialer Akteure, um so die Diskurspositionen herauszuarbeiten. Im Mittelpunkt der Analyse stehen dabei vor allem die Prozesse der Durchsetzung bestimmter Deutungsmuster in Verbindung mit der gesellschaftlichen Praxis. Die Verbindung von Wissen und Macht beruht hier gerade auf den Regeln des Diskurses, die seine Eigenständigkeit als soziales Phänomen ausmachen. Diese Regeln beziehen sich darauf, was, wann, wie gesagt werden darf, womit auch bestimmt wird, was, wann, wie getan werden kann. Die Macht des Diskurses besteht in seiner gesellschaftsstrukturierenden Kraft. Der Diskurs besitzt eine eigene Realität, die auch als »Materialität des Diskurses« bezeichnet wird, wobei Materialität hier nicht als Inkorporierung in materielle Gegebenheiten missverstanden werden darf. Das genauere Wechselspiel zwischen nichtsozialen Konstellationen und sozialen Deutungsmustern wird konzeptionell nicht genau geklärt.42 Die Rahmenanalyse wurde vor allem in den Politikwissenschaften angewandt und bezieht sich auf die Analyse von Kontroversen in der politischen Öffentlichkeit.43 Hierbei steht das Konzept des Deutungsrahmens (Frame) im Mittelpunkt. Dieses Konzept geht davon aus, dass es hinter der manifesten Ebene eines Textes noch einen latent gehaltenen Deutungsrahmen gibt, welcher das Verständnis des Textes überhaupt erst 40 Foucault selbst hat seine Diskursanalyse nie systematisch benutzt und empirisch angewendet. Vgl. Schwab-Trapp 2001: 262. 41 In den beiden Bänden zur Diskursanalyse von Keller/Hirseland/Schneider (2001) und Keller/Hirseland/Schneider (2003)wird aber versucht, die handlungstheoretische Position durch einen Rückgriff auf die Wissenssoziologie Peter L. Berger und Thomas Luckmanns zu stärken und damit auch methodisch Anknüpfungspunkte zu den Methoden der qualitativen Sozialforschung zu schaffen. Vgl. Keller 2001; Schwab-Trapp 2001; Keller 2003; Schwab-Trapp 2003; und insbesondere Waldschmidt 2003. 42 Ein Konzept stellt das des Dispositivs dar, das sich auf die Anordnung von auch materiellen Dingen bezieht. Zu Ansätzen, die versuchen Foucault für die kritische Bearbeitung der Umweltproblematik fruchtbar zu machen, obwohl er selbst diese Thematik vernachlässigt habe, vgl. die Beiträge in Darier 1999. 43 Ebenso wurde der Ansatz in der Forschung zu den neuen sozialen Bewegungen verwandt. Vgl. zu einem Überblick Hellmann 1998. Weiterhin vgl. Donati 2001; Hajer 2003; Hajer/Wagenaar 2003. 43

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ermöglicht. Allgemein werden Einzelereignisse in diesen Deutungsrahmen eingeordnet und mit Sinn versehen. Die Rahmenanalyse wurde insbesondere auf Technik- und Umweltkonflikte angewandt.44 In der Perspektive des Framing-Konzeptes stellen sich diese als Deutungs- bzw. Definitionskonflikte dar, die vor allem deswegen bedeutsam werden, da sie Einfluss auf die gesellschaftliche Praxis besitzen, zum Beispiel wenn sie sich in Institutionen und der Organisationsweise niederschlagen.45 Diese Deutungskämpfe werden zwischen Diskurskoalitionen ausgetragen. Soziale Akteure bilden dann Diskurskoalitionen, wenn sie einen gleichen Deutungszusammenhang teilen, womit unterschiedliche Problemdefinitionen und (politische) Lösungsstrategien verbunden sind (vgl. Hajer 1996: 247). Demnach untersucht die Rahmenanalyse unterschiedliche Diskursbeiträge sozialer Akteure nach ihren zu Grunde liegenden Deutungsmustern und versucht den Zusammenhang mit der Konstruktion der Argumente, Objekte und Thematiken auf der manifesten Textebene zu klären. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Deutungsrahmen entscheidend für die Interpretation von Sachverhalten ist. Ziel ist es, die Unterschiede und Konfliktpunkte der Deutungsrahmen von Akteuren herauszuarbeiten und als erklärende Variable deren spezifische Kultur anzuführen.

2.3.1.2 Diskursanalytische Ansätze bei der Untersuchung von Technik- und Risikokontroversen Die im vorigen Abschnitt vorgestellten diskursanalytischen Ansätze stellen die Regeln von Diskursen, die hegemonielle Sprecherpositionen über weniger erfolgreiche Diskurspositionen hervorbringen, in den Mittelpunkt ihrer Analyse, um somit dem Zusammenhang zwischen hegemonialem Diskurs und gesellschaftlicher, insbesondere politischen Praxis nachzugehen. Der Fokus bei der sozialwissenschaftlichen Untersuchung von Risikokontroversen ist jedoch ein anderer. Hier liegt das Erkenntnisinteresse auf dem Verhältnis von Technik und Gesellschaft und der Abhängigkeit dieses Verhältnisse von dem, was als Natur gilt und in welchem Verhältnis sie zur Gesellschaft gesetzt wird. In der Analyse von Risikodiskursen wird damit vor allem auf das Zusammenspiel unterschiedlicher Diskursakteure und ihrer Auswirkung auf die Technikent44 Vgl. die in Abschnitt 2.3.1.3 diskutierten Ansätze von Bandelow 1999 und Aretz 1999. 45 Vgl. Donati 2001: 151: »Weil dieser Prozeß der Kategorisierung praktische Konsequenzen hat, Akteure entsprechend ihrer Kategorien entscheiden und handeln und damit den relevanten Fakten Sinn verleihen, werden unterschiedliche Kategorien als Quelle sozialer Kämpfe um legitime Realitätsdefinitionen wahrscheinlich.« Vgl. ebenso Hajer 2003: 278. 44

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wicklung gezielt. Nicht die soziale Organisationsweise, sondern die Technikkonstruktion soll untersucht werden, womit auch das methodische Problem gestreift wird, inwiefern soziale Akteure – und damit auch ihre Diskurse – auf die Technikentwicklung Einfluss haben können. Infolgedessen steht weniger die kulturelle Bedeutung von Diskursen im Mittelpunkt, sondern die soziale Konstruktion von Technik. Es werden aber zwei wesentliche Aspekte aus der Diskursanalyse übernommen: Die Auffassung von Sprache als Ressource für die Durchsetzung der eigenen Position und das Wechselspiel zwischen gesellschaftlichen Deutungsmustern und der gesellschaftlichen Praxis. Beispielhaft kann diese Vorgehensweise an Gill (2003a) verdeutlicht werden.46 Bernhard Gill geht in seiner Analyse von Risiko- und Technikkonflikten von der Annahme aus, dass diese nicht aus Interessendivergenzen resultieren, sondern auf unterschiedliche Weltbilder zurückzuführen seien. Dabei entwirft er – aufbauend auf historischen und soziologischen Hinweisen aus der Kulturgeschichte – drei Idealtypen von unterschiedlichen Weltbildern, die er dann in einer Analyse der Diskurse um die Biomedizin und transgene Lebensmittel nachzuweisen versucht. Das identitätsorientierte Weltbild speist sich aus dem Traditionalismus und Konservatismus. Aus dieser Sichtweise wird sich gegen trans46 Eine andere Herangehensweise ist die, Diskurse nicht als Grundlage für individuelle Einstellungen zu einer Technik zu begreifen, sondern sie in engem Zusammenhang mit der Technikkonstruktion zu betrachten. So verweist Görg (2003) auf die funktionale Besetzung und Umdeutung des Begriffs der »Biodiversität« in der Konstruktion internationaler Vertragswerke, wie der Konvention über biologische Vielfalt (CBD), um eine technisch vermittelte Verteilung von Ressourcen – hier »genetischen Ressourcen« – zu legitimieren. Ähnlich zeigt Weber (2003) am Beispiel der Artificial-Life-Forschung (AL), wie durch symbolische Ordnungen – wie einem veränderten Naturbegriff, der weniger seine Passivität als seine Kreativität betont – Technikentwicklung flankiert und gesellschaftlich legitimiert werden. Hier wird eine strategische Setzung von Begrifflichkeiten bei gleichzeitiger Koevolution von Technik, Natur und Gesellschaft behauptet. Ebenso bezieht sich die Studie von Aretz (1999) auf eine Analyse der Bedingungen von Technikentwicklung, wobei er als einen möglicherweise behindernden Faktor die Gentechnikdebatte identifiziert. Das Konzept, dass er seiner Untersuchung der Gentechnikdebatte zu Grunde legt, richtet sich jedoch nach den Policy-Studien und den in diesen vorhandenen Konzept des politischen Diskurses. Damit geht es um die Durchsetzung von bestimmten Politikinhalten in einer Arena, in der unterschiedliche Interessengruppen um einen Einfluss auf die Gestaltung des Technik-Gesellschafts-Verhältnisses ringen. Eher auf einen Vergleich unterschiedlicher Akteursgruppen bezogen vgl. Rohrmann 1991. Zu einer Diskursanalyse des ökologischen Diskurses vgl. Brand/Eder/Poferl 1997, aus einer eher linguistisch-philosophischen Perspektive vgl. Harré/Brockmeier/Mühlhäusler 1998. 45

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gene Lebensmittel gewandt, da in der durch die Gentechnik ermöglichte artübergreifende Kombination genetischen Materials eine Überschreitung der von der Natur gesetzten Grenzen gesehen wird. Das utilitätsorientierte Weltbild bezieht seine Quellen aus dem Rationalismus und Utilitarismus. Hier könnte sich gegen transgene Lebensmittel ausgesprochen, wenn es nachweisbare, vor allem gesundheitliche Risiken geben würde. Das alteritätsorientierte Weltbild speist sich aus der Romantik und dem Postmodernismus und wendet sich gegen die Agrar-Gentechnik, weil sie Ausdruck einer stärkeren Industrialisierung der Landwirtschaft ist. Die Landwirtschaft als Ausdruck einer der Gesellschaft entgegengesetzten Natur soll in ihrer Ursprünglichkeit bewahrt werden.47 Auch bei Gill sind Diskurse in erster Linie öffentlich geführte Debatten. Er verwendet den Diskursbegriff vor allem, um sich gegen die Einstellungsforschung im Bereich der Untersuchung von Technikkonflikten abzugrenzen und darauf hinzudeuten, dass individuelle Handlungen durch »kollektive Sinnstiftungs- und Begründungsmuster«, so wie sie in öffentlichen Diskursen kursieren, geprägt sind.48 Diskurse sind in der Lage, kollektive Praktiken – die nicht beständig dem diskursiven Bewusstsein unterliegen müssen – zu transformieren und individuellen Handlungen Bedeutung zu verleihen (vgl. Gill 2003a: 109ff.). Damit behauptet Gill eine Wechselwirkung von gesellschaftlichen Praktiken und der durch Diskurse produzierten symbolischen Ordnung. Insbesondere für die allgemein ressourcenschwachen NGOs stellten Diskurse einen nicht zu vernachlässigenden Macht- und Einflussfaktor dar (vgl. Gill 2003a: 113).49 Der Zusammenhang zwischen Weltbildern, die unterschiedliche Vorstellungen zu Technik, Natur und Mensch umfassen, und Einstellungen zur Gentechnik könnte meines Erachtens auch näher in Bezug auf das strategische Handeln der Akteure analysiert werden. Eine andere Frage wäre ebenso, diese Idealtypen nicht vor der empirischen Untersuchung

47 Vgl. zu der Konzeption der Idealtypen Gill 2003a, Kapitel 2: 50ff. und zu ihrer Anwendung auf den britischen Diskurs um transgene Lebensmittel Kapitel 5: 163ff. 48 Vgl. Gill 2003a: 107f. u. 114: »(Relativ) stabil sind also nicht so sehr die Bewusstseinsinhalte der Individuen (›Einstellungen‹), sondern eher die kollektiven Sinnstiftungs- und Begründungsmuster (›Diskurse‹) zu den in unserem Alltag etablierten Handlungszusammenhängen (›Praxen‹).« 49 Hier wird der Unterschied zu den unten diskutierten Ressourcenmobilisierungsansätzen (RM-Ansätze) deutlich (vgl. Abschnitt 2.3.2.1): Nicht materielle Ressourcen, sondern die strategische Nutzung der Position im Diskurs spielt für Bewegungsorganisationen eine Rolle, obwohl auch im RMAnsatz die Medien eine Rolle spielen, zählt dort eher Geld und Arbeit als bedeutsame Ressource. 46

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zu konstruieren, sondern durch die empirischen Analyse zu einer Typisierung von Weltbildern zu gelangen. Insgesamt ist zu bemerken, dass insbesondere bei der Untersuchung von Risiko- und Technikkontroversen – insofern keine Verbindung zu politikwissenschaftlichen Arbeiten und Arbeiten zu neuen sozialen Bewegungen besteht – zwar auf die Bedeutung von Diskursen hingewiesen, aber kein explizit diskursanalytischer Ansatz verfolgt wird.

2.3.1.3 Ansätze der Policy-Forschung zur Gentechnikpolitik Innerhalb der Politikwissenschaften ist eine ähnliche Tendenz hin zu einer stärkeren Betrachtung von Akteurskonstellationen zu beobachten (Arena-Ansatz) sowie eine Tendenz, sich neben der Analyse des Wandels von politischen Institutionen mit dem Wandel politischer Inhalte zu beschäftigen (Policy-Analyse). Aus politikwissenschaftlichem Blickwinkel steht die Entwicklung der Gentechnikpolitik und ihrer Rechtsinstrumenten in politischen Arenen im Mittelpunkt. Gefragt wird nach den Bedingungen der Entstehung bestimmter Regelungsmechanismen. Bei Ansätzen der Policy-Forschung werden Überzeugungen als eigenständige Faktoren politischen Wandels berücksichtigt, weswegen sich hier auch der Rahmenanalyse als diskursanalytischer Ansatz bedient wird, um politische Diskurse und ihren Einfluss auf die Politikgestaltung zu untersuchen.50 Bandelow (1999) betrachtet den Wandel der bundesdeutschen Gentechnikpolitik als Ausdruck von Lerneffekten auf Seiten der politischen Akteure. Dabei konzeptualisiert er das Politikfeld als eine Auseinandersetzung von Befürwortern und Gegnern, die in ihren Netzwerken bestimmte Überzeugungen und Denkmuster pflegen, die sich nur durch eine Veränderung der Zusammensetzung dieser Netzwerke (bei ihm »Advocacy-Koalitionen«) oder aber auch durch individuelles Lernen verändern können. Dabei führt er die nach seiner Auffassung Radikalisierung der Gentechnikkritik auf einen Wandel in der Zusammensetzung 50 Dabei wird in der Politikwissenschaft ein Wechsel von der Untersuchung politischer Institutionen hin zu einer Untersuchung von Politikinhalten festgestellt. Dieser Wandel wird von Hajer/Wagenaar (2003) auf den Wandel der Politik selbst zurückgeführt, die durch eine stärkere Bedeutung von informellen Arrangements und interorganisationalen Netzwerken gekennzeichnet ist und weniger durch staatlich-autoritäre Entscheidungen (Governance statt Government). Neue Politikstile und neue Akteure rücken politische Diskurse in den Mittelpunkt, da nur das Verständnis unterschiedlicher Positionen eine Problemlösung ermöglichen würde. Vgl. Hajer/Wagenaar 2003: 1ff. 47

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der Kritiker-Koalition zurück. Diese sei zu Beginn (in den 70er Jahren) noch überwiegend von Naturwissenschaftlern getragen worden, die dann aber nach und nach verschwanden (vgl. Bandelow 1999: 229f.). Hier wird demnach nicht das Mit- und Gegeneinander unterschiedlicher Diskursakteure betrachtet, sondern ihr Ringen um Einfluss auf die Gestalt von Rechtsinstrumenten. Von Bedeutung ist das strategische Handeln auf Grund von Überzeugungen.51 Andere diskursanalytische Ansätze zur Agrar-Gentechnik beziehen sich auf diskursive Strategien in politischen Teildiskursen, wie zur Kennzeichnungsregelung (vgl. Klintmann 2002; zum Vorsorgeprinzip vgl. Levidow 2001 und zur Debatte um die »Koexistenz« vgl. Levidow/ Boschert 2008). Levidow (2001) und Levidow/Boschert (2008) beziehen sich ebenso auf unterschiedliche Frames, die auf unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft der Landwirtschaft aufbauen. Weiterhin ist die Arbeit von Schurman/Munro (2006) zu nennen, die auf die aktive Rolle von Intellektuellen in der Konstruktion von Argumenten und der Etablierung einer gentechnikkritischen Koalition hinweisen. Sie wenden sich dabei direkt gegen die Rahmenanalyse und den Ansatz der Ressourcenmobilisierung52: Weder starre Deutungsrahmen noch Ressourcen und Organisationsgrad könnten das Auftauchen der gentechnikkritischen Bewegung erklären, sondern vielmehr die kognitive Arbeit der Intellektuellen. Auch hier wird demnach auf den Diskurs als wichtige Ressource insbesondere für soziale Bewegungen verwiesen. Politikwissenschaftliche Ansätze beziehen sich vor allem auf die Entstehung und Entwicklung von Politikinstrumenten. Die gemeinsame Analyse von diskursiven Elementen und materiellen Elementen bei unterschiedlichen Akteuren ist bei ihnen angelegt, jedoch muss die Kontroverse um die Agrar-Gentechnik breiter gefasst und nicht nur als eine politische Auseinandersetzung konzeptualisiert werden. Vielmehr geht es darum, den Streit um eine Technik als Auseinandersetzung um die Zusammensetzung eines Kollektives (der Gesellschaft) aufzufassen. Es wäre möglich, dass wichtige Ressourcen außerhalb der politischen Arena mobilisiert werden.

51 Eine weitere Studie aus dem Umkreis der Policy-Forschung zur Gentechnikpolitik stellt Agnes Rückers Studie zur Entstehung der Novel-FoodVerordnung dar. Vgl. Rücker 2000. 52 Zum Ansatz der Ressourcenmobilisierung (RM-Ansatz) vgl. Abschnitt 2.3.2.1. 48

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2.3.2 Strategien und Ressourcen Diskursanalytische Ansätze beziehen sich vor allem auf öffentlich geführte Auseinandersetzung und legen das Hauptaugenmerk auf die überindividuellen Diskursformationen, die individuelle Diskursakteure zwar strategisch verändern können, dies aber immer nur aufbauend auf historisch gewachsene Diskurszusammenhänge und in Auseinandersetzung mit anderen Diskursakteuren. Der Mangel diskursanalytischer Ansätze besteht darin, zwar Sprache als Ressource zu fassen, in der Analyse aber materielle Ressourcen und institutionelle Strukturen zu vernachlässigen. Im Unterschied zu diskursanalytischen Ansätzen wird bei politikwissenschaftlichen Ansätzen stärker auf die strategischen Aspekte in der Auseinandersetzung unterschiedlicher (politischer) Akteure und die Verteilung auch materieller Ressourcen Bezug genommen. Ein Nachteil besteht darin, dass sie unorganisierte Akteure außerhalb des Politikfeldes in ihren Analysen vernachlässigen. Ihr Vorteil besteht darin, die Analyse der Politikinhalte (die allgemein auch als Diskurspositionen gefasst werden könnten) mit einer Analyse der institutionell verfestigten Machtstrukturen zu verbinden, die über eine Betrachtung der »Materialität des Diskurses« hinausgeht. Die Analyse der Machtstrukturen kann zum einen über eine Analyse der Verteilung der Ressourcen erfolgen, auf welche die Akteure in einer Auseinandersetzung zugreifen. Zum anderen können die sozio-ökonomischen Strukturen Beachtung finden, innerhalb derer Akteure und damit auch die Technikentwicklung eingebettet sind. In den beiden folgenden Abschnitten werden diese beiden Herangehensweisen näher erörtert und daran anschließend eine Anwendung der ANT auf die Untersuchung von Risikokontroversen vorgestellt.

2.3.2.1 Der Ansatz der Ressourcenmobilisierung Der aus der Sozialen Bewegungsforschung stammende und Anfang der 70er Jahre entstandene und vor allem in der amerikanischen Soziologie prominente Ansatz der Ressourcenmobilisierung (RM-Ansatz) besagt, dass der Verlauf und der Erfolg sozialer Bewegungen von der Fähigkeit kollektiver Akteure abhängig ist, Ressourcen zu mobilisieren (vgl. McCarthy/Zald 1977; Opp 1998). Unter Ressourcen wurde dabei vor allem Geld und Arbeit benannt.53 Diese Einengung der Perspektive auf nur we53 Der Ressourcenbegriff in der RM-Theorie war Anfangs recht ungenau (vgl. Opp 1998: 95). McCarthy/Zald (1977) benennen spezifischer als Ressourcen »the linkages of social movements to other groups, the dependence of movements upon external support for success, and the tactics 49

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nige Güter, die Vernachlässigung der kulturellen Einbettung der Akteure sowie deren Deutungsschemata wurden in der Folge an dem RM-Ansatz kritisiert (vgl. Hellmann 1998: 13; Donati 2001: 145).54 Der Ansatz der Ressourcenmobilisierung wurde auch auf die Analyse von Technik- und Risikokontroversen angewendet. So verbindet Renn 1991 in seinem Ansatz zur Analyse der Kernenergiedebatte das ArenaModell mit dem Ansatz der Ressourcenmobilisierung. Anhand des Arena-Modells identifiziert er in der politischen Arena der Bundesrepublik zwei sich einander gegenüberstehenden Parteien, die über die Frage einer Anwendung oder Ablehnung der Kerntechnik streiten. Die Gegner – wie die Partei der GRÜNEN und die Umweltverbände – konnten eine breite soziale Basis in der Bevölkerung mobilisieren, die Befürworter – die Industrie – versuchten den Staat als Verbündeten zu gewinnen, der seinerseits die Wissenschaft mobilisierte. Renn 1991 verweist darauf, dass die Kernenergie selbst von den Akteuren zur Mobilisierung sozialer Ressourcen benutzt werden kann, obwohl sie nicht vorrangig an einer Thematisierung interessiert seien (vgl. Renn 1991: 41). Kerntechnikgegner sehen die Frage der Kernenergieentwicklung als eine politische Frage, sie sind dem Umweltschutz verbunden und skeptisch gegenüber den Leistungen von Wissenschaft und Technik. Manche von ihnen benutzen die Thematik, um eine Veränderung der Institutionen herbeizuführen. Die Kerntechnikbefürworter hingegen haben eher konservative Anschauungen zu Politik und Gesellschaft. Manche von ihnen benutzen die Kerntechnik als Symbol für die Leistungsfähigkeit des Staates. Folglich setzt Renn (1991) die Mobilisierung von Ressourcen in einem Technikkonflikt in Abhängigkeit sowohl von allgemeineren Vorstellung von Technik und Gesellschaft als auch zu weiteren politischen Interessen der beteiligten Akteure. Technikkontroversen werden hier selbst, ebenso wie bei diskursanalytischen Ansätzen, zu einer Ressource für die Durchsetzung ganz anderer Interessen. Im Zuge dessen tritt die Debatte über Risiko und Nutzen in den Hintergrund. Sie verweist nicht mehr auf den tatsächlichen Nutzen bzw. Risiko, sie wird strategisch ge-

used by authories to control or incorporate movements.« McCarthy/Zald 1977: 1213. 54 Für Opp (1998), der sich auch auf den RM-Ansatz bezieht, können Ressourcen allgemein alle Güter zählen, über welche kollektive Akteure Kontrolle erlangen und die für ihre Ziele nützlich und wertvoll erachtet werden (vgl. Opp 1998: 95ff.). Dieser »unspezifische Ressourcenbegriff« (Opp 1998: 96) verweist darauf, dass das, was als Ressource erkannt wird, abhängig ist von der sozialen Konstruktion der Akteure, wobei in den Analysen zur Ressourcenmobilisierung meist diese Konstruktionsleistung nicht nachvollzogen wird. 50

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nutzt. Hier wird die Risiko-Nutzen-Debatte nicht als das Hauptproblemfeld von Risikokontroversen angesehen.

2.3.2.2 Der Politisch-ökonomische Ansatz Auf einen anderen Aspekt von Machtstrukturen macht Ulrich Dolata aufmerksam, indem er auf die sozio-ökonomischen Strukturen verweist, die über die individuelle Ressourcenmobilisierung hinausgeht (vgl. Dolata 1996; Dolata 2003). Technikentwicklung vollzieht sich seiner Ansicht nach immer konflikthaft in der Konkurrenz unterschiedlichster sozialer Akteure, unabhängig von ihrem Organisationsgrad. Das Ringen um die Durchsetzung ihrer Interessen findet dabei in einer Arena statt, die in hohem Maße von bereits bestehenden Macht-, Ressourcen- und Interessenstrukturen vorstrukturiert ist. Dadurch wird ebenso der Aushandlungsspielraum begrenzt, nicht nur für kooperative Netzwerkbildungsprozesse, sondern auch für Diskurse.55 In Bezug auf die Gentechnik erweitert Dolata die Perspektive von einer reinen Betrachtung der Gentechnikpolitik zu einer Gesamtanalyse des politischen-ökonomischen Komplexes um die Gentechnik (vgl. Dolata 1996). Er ist damit in der Lage auch die ökonomischen Akteure mit ihren Ressourcen und jeweiligen Interessen in seine Analyse einzubeziehen.56 Hinsichtlich der in der Bundesrepublik beteiligten Akteure an der Technikentwicklung kommt er zu dem Befund, dass vor allem bereits zentrale Akteursgruppen Einfluss gewinnen konnten. So hätten zu Anfang (in den 70ern) zwar wirtschaftliche Interessen und politische Einflussnahmen eine nur sehr marginale Rolle gespielt, ab Anfang der 80er Jahre wäre aber die Entwicklung vor allem durch das politisch-administrative System vorangetrieben worden, denen die Bereiche der Wirtschaft, der öffentlichen Debatte und der Scientific Community erst folgten (vgl. Dolata 1996: 185ff.). Zu bemerken ist, dass auch aus dieser Perspektive unterschiedliche Akteure und Diskurse eine Rolle spielen, letzteren aber nicht ein solch 55 »Technikentwicklung findet in sozialen Macht- und Konkurrenzfigurationen statt, in die Kooperation und Aushandlung eingelagert sind und in denen ›weiche‹ Faktoren (wie Vertrauen, Lernen und Informalität) von ihren ›harten‹ Kontrapunkten (wie Macht, Interesse, Opportunismus und Vertrag) gerahmt werden. Zusammenarbeit und Aushandlung finden immer im Schatten von Wettbewerb und Konkurrenz statt. Und Vertrauen, Verständigung und Diskurs entwickeln sich nicht neben oder als Ersatz, sondern immer im Schatten der Macht.« Dolata 2003: 13. 56 Bandelow (1999) kritisiert Dolatas Vorgehen dahingehend, dass er noch von einem substantialistischen Interessenbegriff ausgehe. Die Deutungsmuster, auf welche seine Analysen sich beziehen seien hingegen historisch wandelbar. 51

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zentraler Stellenwert zugeschrieben wird wie in diskursanalytischen Ansätzen.

2.3.2.3 Ansätze der Akteur-Netzwerk-Theorie zu Risikokontroversen Eine Ausweitung des Arena-Ansatzes mit Anleihen an der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) nehmen Clarke/Montini (1993) in ihrer Studie vor, in welcher sie den Diskurs um das Abtreibungsmittel RU486 betrachten.57 Bei dieser Debatte geht es im Wesentlichen um einen Konflikt zwischen Abtreibungsgegnern, auf deren Druck das Medikament zurückgezogen, auf Druck der internationalen medizinischen Gemeinschaft aber wieder eingeführt wurde. Die Erweiterung des Arena-Ansatzes erfolgt sowohl in Hinblick auf die beachteten Akteuren – nicht nur die Akteure, die sich aktiv in eine Arena einbringen, sich also artikulieren können, werden betrachtet, sondern auch die impliziten Akteure – als auch in Hinblick auf die Geschichte der Technik und benachbarter Diskursbereiche wie die Abtreibungsthematik und der Reproduktionsmedizin. Dabei wurde insbesondere beobachtet, inwiefern die Interessen der unterschiedlichen Akteure in deren Konzeption der Technik einfließen (vgl. Clarke/Montini 1993: 44ff.). Einer der Hauptbefunde der Studie ist, dass viele der Akteure RU486 als eine Black Box auffassten und nur versuchten, die soziale Umwelt so zu reorganisieren, dass seine Ausbreitung entweder behindert oder vorangetrieben wurde. Nur wenige Akteure versuchten die Black Box zu öffnen und verwiesen auf die Instabilität der Technologie (vgl. Clarke/ Montini 1993: 68f.). Damit erwies sich die Technik RU486 als ein wichtiger Verbündeter für eine Anzahl weiterer Themen, als ein Ort, an dem sich unterschiedliche Akteure mit ihren Vorstellungen treffen.58 Die Studie verdeutlicht den Wert, den die ANT für eine Diskursanalyse haben kann. Die Technik selbst wird nun nicht mehr nur in ihren sozialen Auswirkungen behandelt, sie stellt selbst Teil der Lebenswelt unterschiedlicher Akteure dar, die um die Ausgestaltung der Technik auf Grund ihrer unterschiedlichen Vorstellungen von Gesellschaft streiten. Der Bezug auf die Technik wird selbst zu einer Ressource. 57 Bei dem Abtreibungsmittel RU486 handelt es sich um ein Medikament, dass zu einer »intentionalen Missgeburt« führt. Der Vorteil besteht darin, dass kein medizinischer Eingriff notwendig ist, also die Integrität des Körpers nicht verletzt wird. 58 »Sociologically, the specific technology becomes the site for an array of other issues, a strategic pawn deployed qua symbol in multiple simultaneous games, with more or less reflexivity.« Clarke/Montini 1993: 67f. 52

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2.3.3 Diskursstrategien in Risikokontroversen Diskursanalytische Ansätze verdeutlichen, dass Sprache eine Ressource ist, die strategisch dazu benutzt werden kann, eigene Interessen zu verfolgen bzw. dass der Diskurs individuelles Denken und Handeln in gleicher Weise strukturiert, wie materielle Gegebenheiten. Folglich wird in Risikokontroversen nicht nur um die Definition von Risiken gerungen, sondern ebenso um die Durchsetzung von unterschiedlichen Vorstellungen von Technik, Natur und Gesellschaft. In der sozialwissenschaftlichen Diskussion werden vor allem zwei gesellschaftliche Institutionen als besonders bedeutsam für die Strukturierung von Risikokontroversen hervorgehoben. Diese sind zum einen die Medien und zum anderen die Wissenschaften. So seien die Risiken der Agrar-Gentechnik zum einen der Alltagserfahrung nicht unmittelbar gegeben und müssten medial vermittelt werden, zum anderen seien sie hochgradig wissensabhängig. Infolgedessen ist der öffentliche Diskurs durch die Wissenschaft (Beweis der Existenz von Risiken) und die Medien (Konstruktion von Betroffenheit) vorstrukturiert (vgl. Brand/Eder/ Poferl 1997). Die zentrale Stellung von Medien und Wissenschaft führten auf der einen Seite zu einer verstärkten Verwissenschaftlichung und auf der anderen Seite zu einer verstärkten Moralisierung von Risikodiskursen.59 Die Verwissenschaftlichung zeige sich im Phänomen des Streites zwischen Experten und Gegenexperten. Jede Partei in der Kontroverse könne ihre eigenen Experten mobilisieren, so dass zu jedem Argument ein ebenso wissenschaftlich begründetes Gegenargument vorgebracht werden könne (vgl. Bonß/Hartmann 1985: 16f.; Brand/Eder/Poferl 1997; Renn/Zwick 1997; Fleischer/Fugger/Grunwald 2001: 284; Ezrahi 2003: 73). Darin zeige sich die zunehmende Politisierung der Wissenschaft. Wissenschaft werde als eine strategische Ressource gebraucht (vgl. Lau 1989). In den Medien hingegen sei eine verstärkte Entrationalisierung zu verzeichnen. Es sei ein Anstieg der Bedeutung von Symbolen zu beobachten und eine Verminderung der Bedeutung von Argumenten. Wichtiger, als das Publikum zu überzeugen, sei es, in den Medien präsent zu bleiben. Damit führe der Mediendiskurs auch nicht zu einer höheren Rationalisierung des Umweltdiskurses (vgl. Brand/Eder/Poferl 1997; Rücker 2000: 97f.), sondern vielmehr zu seiner verstärkten Moralisierung (vgl. Renn 1991). Die Moralisierung von Risikokontroversen wird aber auch jenseits des Einflusses der Medien als eine Kommunikationss59 Zur Verwissenschaftlichung vgl. Bonß/Hartmann 1985: 13ff. 53

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trategie sowohl bei Befürwortern als auch bei Gegnern beschrieben, die dazu benutzt wird, die jeweils andere Seite zu desavouieren.60 Mit den diskurs- und akteursspezifischen Ansätzen wird die noch in den partizipativen Technikfolgenabschätzungsprogrammen präsente Unterscheidung zwischen Laien und Experten durch die Unterscheidung zwischen Befürwortern und Gegnern einer Technik abgelöst. Dadurch rücken vermehrt organisierte Interessengruppen in den Mittelpunkt und es entsteht das Problem, auch den Anteil der unorganisierten Öffentlichkeit und ihre Stellung zu Diskursen zu betrachten.

2.4 Zusammenfassung Das Wechselspiel von Realismus und Konstruktivismus bei der Untersuchung von Risikokontroversen und Technikkonflikten zeigt sich auf mehreren Ebenen. Auf der ersten Ebene – dies verdeutlichte der erste Abschnitt – steht auf der einen Seite die individuelle Wahrnehmung von Risiken, die zwar auch auf kulturelle Einflüsse zurückgeführt werden kann, aber dennoch als Laienperspektive abgewertet wird. Auf der anderen Seite stehen die Risiken der Technik selbst, die in Technikfolgenabschätzungsprogrammen erkannt und prospektiv vermieden werden sollen. Damit besteht hier eine Differenz zwischen Laien und Experten. Auf der nächsten Ebene – dargestellt im zweiten Abschnitt – erfolgte ein Wandel in der Perzeption von Technik und Gesellschaft. Technik wird nicht mehr als ein abgrenzbares Instrument begriffen, sondern als ein gesellschaftliches Projekt. Unterschiedliche soziale Akteure werden sowohl in der Technikkonstruktion bedeutsam, in dem Sinne, dass ihre Vorstellungen in die Gestaltung von Technik einfließen. Soziale Akteure werden aber auch für die Kontextualisierung von Technik bedeutsam, in dem Sinne, dass sie erst die Bedingungen ihrer Anwendung schaffen. In dieser Sichtweise kann Technik nicht nur aus sich Risiken produzieren, wie zum Beispiel durch katastrophale Zusammenbrüche oder andere Funktionsstörungen. Sie kann auch negative Folgen in sozialen und ökologischen Kontexten haben. In partizipativen Technikfolgenabschätzungsprogrammen sollte die Logik des sozialen Kontextes, auf den sensibilisierte soziale Akteure (wie die Laien oder Akteure aus der Umweltbewegung) hinweisen, abgeschöpft werden, um als Anregung für die Technikgestaltung und politische Entscheidungsfindung zu dienen. Einige Sichtweisen bei Laien, in der allgemeinen Öffentlichkeit oder bei organisierten Akteuren aus den sozialen Bewegungen wurden dabei als 60 Vgl. Renn/Zwick 1997: 2; Günther 1998; ähnlich aber auf die Angstkommunikation bezogen vgl. Martinsen 2000. 54

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überholt und antimodern oder zumindest nicht anschlussfähig an moderne Institutionen und Diskurse dargestellt. Insgesamt wurde damit die Dichotomie zwischen Laien und Experten entschärft, aber nicht aufgehoben. Die Laienperspektive bzw. die Perspektive der Umweltbewegung wurde zwar als bemerkenswert anerkannt, diejenigen aber, welche die Technikentwicklung beförderten, konnten weiterhin darüber entscheiden, welchen Teil der Botschaft sie hören wollten. Das Auftauchen von Risikokontroversen wurde dabei auf gesellschaftliche Ursachen zurückgeführt, die bereits auf einen Wandel gesellschaftlicher Denkmuster und Institutionen verwiesen (Stichwort: Risikogesellschaft). Die in den Risikokontroversen thematisierten Unsicherheiten sollten dabei in der gestiegenen Komplexität und der größeren Innovationsgeschwindigkeit begründet liegen. Auf einer dritten Ebene – dargestellt im dritten Abschnitt – wird die Forderung nach einer Untersuchung unterschiedlicher Denkmuster bei den diversifizierten sozialen Akteuren erhoben. Diskursanalytische Ansätze konzentrierten sich bei der Analyse der Entstehung und Durchsetzung von Deutungsmustern vor allem auf Sprache als wichtiges Instrument für die Verteilung gesellschaftlicher Macht. Dabei vernachlässigten sie die Verteilung materieller Ressourcen und die sozio-ökonomischen Strukturen, in welche Diskurse eingebettet sind. Teilweise vermieden sie auch den Gedanken strategischen Handelns, dies mehr noch bei diskursanalytischen Ansätzen in der Tradition Foucaults als bei der Rahmenanalyse. Bei Ansätzen, die eher strategisches Handeln und die Verteilung von Ressourcen betrachten, kam hingegen der diskursive Aspekt zu kurz. Bei diskursanalytischen Ansätzen erweist sich somit die Sprache als eine weitere Ressource. Sie ist aber, wie die Ansätze zur Ressourcenmobilisierung und zu politisch-ökonomischen Ansätzen zeigten, nicht die alleinige Ressource. Ob aber nun der Diskurs oder eher andere Ressourcen für wichtiger erachtet werden, von Bedeutung ist, dass beide Ressourcenarten betrachtet werden müssen. Diese sind über soziale Akteure verteilt, die mehr oder weniger strategisch diese Ressourcen benutzen, um ihre Interessen durchzusetzen. Die Verteilung dieser Ressourcen kann dabei als Vorstrukturierung beschrieben werden: als eine historisch entstandene Ungleichheitsstruktur bzw. Machtasymmetrie. Damit sind die drei Probleme benannt, die im folgenden theoretischen Kapitel geklärt werden sollen. Zum einen (1) fragt sich, in welchem Verhältnis diskursive und nichtdiskursive Ressourcen zueinander stehen. Die ANT, dies soll im Folgenden begründet werden, vermag Aussagen über die Wirklichkeit als den (vorläufigen) Endpunkt einer auf sie ausgerichteten Praxis zu be55

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

greifen. Weiterhin (2) fragt sich, inwiefern das Handeln der Akteure strategisch erfolgt und inwiefern es in Strukturen eingebettet ist. Im nächsten Kapitel wird diese Problematik durch eine systematischere Betrachtung des Handlungsmodells geklärt. Dies erfolgt durch die konzeptionell symmetrische Gleichbehandlung von menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren in der ANT.61 Dadurch soll ein einheitlicher Rahmen für die Untersuchung unterschiedlicher Aktivitäten, von denen die menschliche Handlungsfähigkeit dann nur ein Spezialfall darstellt, gesetzt werden. Und letztlich (3) stellt sich die Frage, welche Rolle die Interessen einnehmen. In der vorangegangenen Diskussion sind bereits zwei Möglichkeiten aufgetaucht: Entweder wird Interesse als Interesse am Machterhalt gekennzeichnet oder als Interesse an der Aufrechterhaltung von Weltbildern. Auch wenn der Begriff des Weltbildes kritisch betrachtet werden muss, da der kulturalistische Ansatz, dem dieser entspringt, immer konservative Konnotationen trägt, der es verhindert, die Wandlungsfähigkeit von Positionen zu erfassen, soll er zunächst als Arbeitsbegriff übernommen werden, um ihn im dritten Kapitel durch den der »Verfassung« von Latour zu ersetzen. Damit wird gleichzeitig offenbar, dass der Begriff des Weltbildes nicht das beinhaltet, auf was der Begriff des Interesses eigentlich verweist: auf die Zukunft. Hierfür wird das Konzept der »Zukunftserwartung« eingeführt. Zuvor sollen aber noch einmal die wichtigsten Ergebnisse dieses Kapitels zusammengefasst werden. Zunächst muss erstens bei der Betrachtung von Risikokontroversen davon ausgegangen werden, dass es mehr als nur eine Perspektive und auch mehr als nur zwei Perspektiven auf eine Technik gibt. Die Trennung in Laien und Experten oder die Trennung zwischen Befürwortern und Gegnern beinhaltet, insofern sie als eine analytische Zuschreibung gebraucht wird, eine Dichotomie, die eine hegemoniale Perspektive beinhaltet (vgl. Clarke/Montini 1993: 44). Diese Hegemonie zeigt sich darin, dass eine Seite Dichotomie als minderwertig dargestellt wird, sei es durch die Kennzeichnung der Position als irrational oder als unmoralisch. Davon zu unterscheiden ist, dass diese Dichotomien von den Diskursakteuren selbst gebraucht werden, um die eigene Position zu stärken und die andere Seite in ihren Argumenten zu diskreditieren, indem ihr Vernunft und Moral abgesprochen wird. In Bezug auf die Untersuchung von Risikokontroversen muss somit die Unterscheidung zwischen Befürwortern und Gegnern selbst als ein Konstrukt begriffen werden. 61 Um es vorweg zu nehmen: Es ist damit nicht eine Zuschreibung von Handlungsfähigkeit an nichtmenschliche Akteure gemeint, auch wenn diese Auffassung von einigen Vertretern und Kritikern der ANT gerne in den Vordergrund gerückt wird. 56

RISIKO- UND TECHNIKKONFLIKTE IN DER SOZIOLOGIE

Ähnliches gilt für die Unterscheidung von Natur und Gesellschaft. Diese kann zwar als ein analytisches Konzept für die sozialwissenschaftliche Analyse in Frage gestellt werden, so wie dies »postmodernistischen« und sozialkonstruktivistischen Ansätzen unterstellt wird. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Kategorien nicht auch weiterhin als Deutungskonzept in der gesellschaftlichen Kommunikation präsent sind und ihre Wirkmächtigkeit entfalten, indem sich gesellschaftliche Praktiken auf sie ausrichten. Dennoch stellt sich die Frage, in welcher Weise Natur und Gesellschaft durch die Diskursparteien konstruiert werden und welche Auswirkungen unterschiedliche Auffassungen auf die Definition von Risiko- und Nutzenerwartungen haben. So ist zweitens anzunehmen, dass, infolge gesellschaftlicher Transformationsprozesse sich auch die Auffassungen über das Verhältnis von Natur und Gesellschaft gewandelt haben und dies bei unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren in unterschiedlicher Weise. Jedoch wird im Folgenden die These aufgestellt, dass nicht nur die Natur eine Umdefinition erfährt, sondern gleichzeitig auch die Gesellschaft. Die Untersuchung unterschiedlicher Anschauungen über das Verhältnis von Natur und Gesellschaft muss demnach alle drei Aspekte umfassen: Natur, Gesellschaft und das Verhältnis zwischen beiden Bereichen. Ein dritter Punkt verweist darauf, dass es bei Risikokontroversen um die Kontrolle von Ressourcen geht. Damit kann sich auch durch die Technikkritik strategisch auf die Ablehnung einer Technik bezogen werden. Trotz dieser Ausnutzung und strategischen Anbindung von Bewegungsakteuren ist dieser Bezug, so eine weitere These, nicht rein symbolisch zu bewerten, sondern kann nur erfolgen, indem er auf reale Konsequenzen der Technik verweist. Viertens, und darauf machen diskurstheoretische Ansätze aufmerksam, kann auch die Sprache strategisch genutzt werden. Dies zeigt sich an der Konstruktion der Dichotomie von Befürwortern und Gegnern im Diskurs, die sinnvoll ist, um Allianzen trotz weltanschaulicher Divergenzen gründen zu können. Dennoch dürfen nicht alle Kommunikationen als strategisch verzerrt aufgefasst werden. Die Thematisierung von Risiken und Chancen verweisen auf reale Entwicklungen, welche die AgrarGentechnik haben kann. Diese Thesen sollen im nächsten Kapitel theoretisch mittels der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) begründet werden. Sie soll unter dem Aspekt betrachtet werden, inwiefern es zum einen methodisch möglich ist, aus Diskurspositionen Aufschluss über die gesellschaftliche Praxis gewinnen zu können. Sie soll aber auch eine Verbindung zwischen Ansätzen der Diskursanalyse, welche die Sprache als Ressource zur Stärkung der Diskursposition darstellt, und Ansätzen zur Ressourcenmobili57

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

sierung, welche nichtdiskursive Ressourcen stärker Beachtung schenkt, gewährleisten. Diskurspositionen werden als Stimmen aufgefasst, die aus ihren Lebensbereichen berichten. Der hier verfolgte Ansatz untersucht, auf welche Probleme diese Stimmen hindeuten und nicht woher unterschiedliche Auffassungen (kulturgeschichtlich) kommen noch, wie Sprache strategisch eingesetzt wird.

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3 D I E A K T E U R -N E T Z W E R K -T H E O R I E

Wieso kann ein Ansatz, der aus der Wissenschaftsforschung stammt, sich zur Untersuchung von Technikkonflikten eignen? Die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) bezieht ihr Grundrepertoire an Begrifflichkeiten aus der Untersuchung von wissenschaftlichen Kontroversen, die eng im Zusammenhang mit Technikgeneseprozessen gesehen wurden. Die Konzeption, wie sich in wissenschaftlichen Kontroversen bestimmte Wissensansprüche durchsetzen, kann auf die Untersuchung von Risikokontroversen übertragen werden. Die Diskussion der Konzepte für die Beschreibung wissenschaftlicher Wissensproduktion in diesem Kapitel zielt demnach auf die Erstellung eines Analyserahmens für die Untersuchung gesellschaftlicher Wissensproduktion. Die ANT wurde im Wesentlichen von Bruno Latour und Michel Callon sowie von John Law entwickelt.1 Bereits in ihren Anfängen beanspruchte sie, nicht nur auf Probleme der Wissenschafts- und Techniksoziologie anwendbar zu sein, sondern gelangte vor allem in den modernisierungstheoretischen Schriften von Latour (vgl. Latour 1998) zu einer Beschreibung der Moderne. Zentral ist hierbei die Kritik moderner Trennungen, wie die zwischen Natur und Gesellschaft, zwischen Wissenschaft und Politik sowie zwischen Mensch und Nichtmenschen. Dadurch, dass sie die physische Dimension von Sozialität beachtet, und ihr spezifischer Ansatzpunkt das Studium von Verbindungen ist, gilt sie als 1

Für die grundlegenden Texte vgl. Callon/Latour 1981; Law 1986; Callon 1986. Eine Sammlung weiterer klassischer Texte der ANT findet sich in dem Sammelband von Belliger/Krieger 2006. 59

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Dritter Weg zwischen soziologischen Relativismus und wissenschaftlichem Objektivismus. Die ANT ist alles andere als eine einheitliche Theorie. Wie ihre Vertreter selbst betonen, handelt es sich weniger um einen homogenen Ansatz, der über die Zeit einen Kern von Identität bewahrt hätte, als um eine Sammelbezeichnung unterschiedlicher Ansätze (vgl. Latour 1999a: 19ff.; Law 1999: 2), die schon ihre »Post«-Phase erreicht haben. 2 In diesem Sinne wäre es auch eher angebracht von dem »Akteur-NetzwerkAnsatz« zu sprechen, als von einer ausgereiften Theorie.3 Aus diesem Grund wird hier die ANT nicht als ein einheitlicher Theorierahmen vorgestellt, sondern es werden für die empirische Untersuchung wichtige Schlüsselkonzepte diskutiert. Von zentraler Bedeutung ist hierbei der Begriff der Repräsentation, der stellvertretend nicht nur für wissenschaftliches Wissen, sondern auch für andere gesellschaftliche Wissensformen, aber auch für technische Artefakte stehen kann. Der Begriff der Repräsentation ist in der ANT von der politischen Repräsentation abgeleitet und bezieht sich dabei insbesondere auf die Position eines Sprechers, der im Namen anderer spricht. Mit dieser Figur sind zwei Aspekte verbunden, die zentral für die gesamte Arbeit sein werden. Zum einen wird durch den Sprecher und damit durch die Repräsentation eine (Macht-)Asymmetrie gesetzt. Mit der Repräsentation sind Machtverhältnisse eng verbunden. Zum anderen muss die Stabilität einer Repräsentation, im Sinne davon, dass diejenigen, in deren Namen gesprochen wird, die Repräsentation akzeptieren, sichergestellt werden. Dies gelingt durch den Aufbau heterogener Netzwerke. Mit diesem Begriff ist ein Praxiszusammenhang gemeint, der das Zusammenspiel von sozialen Akteuren, materiellen Dingen und diskursiven Konzepten betrifft. Das Netzwerk wird deswegen als heterogen bezeichnet, da die unterschiedlichsten Materialien auftauchen. Werden die Interaktionen dieser Verbindungen stabilisiert, dann wird auch die Repräsentation gestärkt. In Bezug auf Wissensformen bedeutet das, dass die Gültigkeit oder Wahrheit einer Repräsentation davon abhängt, inwiefern sie gültig und wahr gemacht wird. Macht und Wahrheit werden damit in der Kontrolle kontextspezifischer Praxisformen verankert. Dieser These fügt Latour in seinem Buch Wir sind nie modern gewesen noch eine weitere hinzu. Nach ihm ist die Produktion von Repräsen2

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Im englischen Sprachgebrauch als »After-ANT« bezeichnet. Vgl. ebenso die Beiträge und den Titel des Sammelbandes Actor Network Theory and After Law/Hassard 1999. Ebenso sind ihre Vertreter mit deren Namen nicht besonders glücklich. So wurden als Alternativen »Soziologie der Assoziationen« (sociology of associations) (vgl. Latour 2005: 9) und »Soziologie der Übersetzung« (sociology of translation) (vgl. Callon 1980; Callon 1986) vorgeschlagen.

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

tationen in der Moderne durch ein bestimmtes Verhältnis von Natur und Gesellschaft, Wissenschaft und Politik vorstrukturiert. Dieses Kräfteverhältnis zwischen Natur, Gesellschaft, Wissenschaft und Politik bezeichnet er als moderne Verfassung. Ausgehend von der These, dass in der Nachmoderne sich dieses spezifische Kräfteverhältnis aufzulösen beginnt, oder in den Worten Latours, durch die Ausbreitung der Hybriden die moderne Verfassung gesprengt wird, wird in der empirischen Untersuchung angenommen, dass neue Verfassungen im Entstehen begriffen sind oder zumindest das moderne Kräfteverhältnis in der modernen Verfassung sich verschiebt. So gehen, wie im zweiten Kapitel gezeigt, auch Untersuchungen von Risikokontroversen von unterschiedlichen »Weltbildern« aus. Der Begriff der Verfassung soll verdeutlichen, dass unterschiedliche Auffassungen oder Weltbilder in verschiedenen Praxisfeldern zu verorten sind. Durch die Diskussion der drei Konzepte (Repräsentation, heterogenes Netzwerk und Verfassung) soll ein theoretischer Rahmen für die Untersuchung von Risikokontroversen erstellt werden. So werden im empirischen Teil die Pro- und Contra-Argumente zur Agrar-Gentechnik als Repräsentationen und damit als gesellschaftliche Wissensformen aufgefasst. Die heterogenen Netzwerkstrukturen werden in den sozialen Praxisbereichen verortet, die mit der Agrar-Gentechnik konfrontiert werden, wie zum Beispiel landwirtschaftliche, unternehmerische und politische Aktivitäten. Dabei wird angenommen, dass diesen Praktiken unterschiedliche Vorstellungen von Natur und Gesellschaft (Verfassungen) zu Grunde liegen. Mittels dieses theoretischen Rahmens sollen die am Schluss des vorangegangenen Kapitels umrissenen Probleme geklärt werden. Diese betreffen das Verhältnis von diskursiven und nichtdiskursiven Ressourcen, den Zusammenhang zwischen strategischer und vorstrukturierter Aktivität sowie von Kultur und Interessen. Die Diskussion der Konzepte der ANT zielt neben einer Ausrichtung auf die Untersuchung von Risikokontroversen ebenso in methodischer Hinsicht auf eine Anbindung an netzwerkanalytische Methoden. Die Netzwerkanalyse geht dabei von einem formalen Netzwerkkonzept aus, das sich auf folgende Dimensionen bezieht: (1) die Entitäten (oder Knoten) eines Netzwerkes, (2) den Verbindungen (oder Kanten) eines Netzwerkes und (3) das Gesamtnetzwerk (vgl. Jansen 2003: 11f.). Das formale Netzwerkkonzept wird dabei auf die Konzeption des heterogenen Netzwerkes übertragen. Diese Übertragung ist nicht, wie im Folgenden deutlich werden wird, bruchlos möglich. In der Diskussion der Konzepte aus der ANT tauchen Leerstellen auf, welche die Aspekte der Materialität, der Macht und des Interesses betreffen. Die im zweiten Abschnitt dieses Kapitels unternommene kritische Rekonstruktion der ANT soll 61

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

diese Leerstellen füllen. Dies geschieht durch die Einführung von zwei Konzepten: durch das Konzept der Zukunftserwartung, das sich auf die Ausrichtung der Netzwerkbildungsprozesse bezieht, und durch das Konzept der Selbstrepräsentation, das als Abgrenzungsmerkmal von nichtmenschlichen und menschlichen Wesen fungiert. In der Rezeption der ANT ist das erweiterte Symmetrieprinzip ihr wesentliches Merkmal. Im Gegensatz dazu wird hier die Behauptung aufgestellt, dass die Einebnung der Unterscheidung von menschlichen und nichtmenschlichen Wesen für die Netzwerkkonzeption der ANT nicht wesentlich ist. Weit mehr von Bedeutung ist das Konzept des Akteur-Netzwerkes, wodurch die Konzeption eines in sich verschachtelten Netzwerkes erfolgen kann. Eine weitere methodische Einbettung erfolgt im dritten Abschnitt, in dem spezifische Aspekte einer Verbindung von ANT, Netzwerkanalyse und Textanalyse diskutiert werden und die methodische Vorgehensweise der empirischen Analyse vorgestellt wird.

3 . 1 D a s N e t z w e r k k o n z e p t d e r AN T Die ANT zeichnet sich nicht nur durch eine Pluralität ihrer Ansätze aus, sie besitzt selbst eine Geschichte. Die Theorieentwicklung der ANT kann in drei Phasen gegliedert werden, die sich teilweise überlappen. Die erste Phase – die Phase der Laborstudien – ist noch weitgehend durch wissenschaftssoziologische Fragestellungen geprägt. Hier geht es um die Frage, wie sich trotz interpretativer Flexibilität in wissenschaftlichen Kontroversen einige Aussagen als Fakten durchsetzen. Wie wird die Stabilität wissenschaftlicher Aussagen erzeugt, im Gegensatz zu den instabileren Aussagen des Alltagswissens? In der zweiten Phase – der Phase der klassischen ANT – werden diese Mechanismen in einem allgemeineren Erklärungsansatz verarbeitet, der die Stabilität von Wissen und Technik auf Machtbeziehungen bzw. der Etablierung von Sprecherpositionen zurückbezieht. In der dritten Phase – der Phase der PostANT – wird weit mehr dem durch den Sprecher Disziplinierten Aufmerksamkeit geschenkt. Im Mittelpunkt steht die These der Fraktionalität und Multiplizität von Subjekten bzw. Entitäten, die keine scharfen Grenzen besitzen und dennoch ihre Identität erhalten können. Ein populäres Hauptkennzeichen in der Rezeption der ANT ist, wie bereits erwähnt, das erweiterte Symmetrieprinzip, das fordert, Menschen und Nichtmenschen (Tieren, materiellen Objekten) gleich zu behandeln. Ablehnung rief diese Forderung zunächst vor allem deswegen hervor, da sie die vermeintliche Zuschreibung von Handlungsfähigkeit an Nichtmenschen enthielt (vgl. Pickering 1993: 562ff.). Die Hauptkritikpunkte 62

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

beziehen sich jedoch vor allem darauf, dass die ANT ihrem Anspruch sowohl theoretisch als auch methodisch nicht gerecht werden kann und ihr es überhaupt nicht möglich ist, die Aktivitätspotentiale von nichtmenschlichen Wesen zu erfassen (vgl. Collins/Yearly 1992a: 312ff.; Gingras 1995: 128ff.; Kneer 2008: 275ff.). Im Unterschied zu dieser Rezeptionstradition, die sich vor allem auf die methodologischen Probleme einer Gleichbehandlung von menschlichen und nichtmenschlichen Entitäten bezieht, soll im Folgenden die Aufmerksamkeit auf eine andere Problemstellung der ANT gelenkt werden, die sich durch all ihre Entwicklungsphasen zieht und einen Großteil der Ansätze bestimmt, nämlich die Frage, wie Stabilität (einer Repräsentation oder einer Technik) in einem Raum von Instabilität erzeugt werden könne. Die Antwort, welche die ANT darauf gibt, ist, dass Stabilität nur durch die Errichtung einer Asymmetrie, also durch die Errichtung einer Machtbeziehung, erreicht werden kann. Unter diesem Fokus betrachtet sind insbesondere drei Aspekte zentral. Der erste Aspekt besteht in der Konzeption von Materialität, die, wie gezeigt werden soll, hier weniger als physischer Körper aufgefasst wird, sondern vielmehr die Eigenständigkeit von Entitäten betrifft. Der zweite Aspekt bezieht sich auf den Begriff der Macht und der Möglichkeit des Widerstandes gegen Netzwerkbildungsprozesse, wobei gezeigt werden soll, dass in der ANT die Idee der Setzung von Asymmetrien nicht konsequent durchgehalten wird und damit nur ungenügend zwischen der Produktion und Ausbreitung von Netzwerken unterschieden werden kann. Der dritte Aspekt bezieht sich auf die Stellung des Interesses, also der Motivation, sich an Netzwerkbildungsprozessen zu beteiligen. Dieser Punkt erscheint in der ANT zentral aber zu ungenügend ausgearbeitet. Um diese Leerstelle zu füllen, wird in dem darauf folgenden Abschnitt das Konzept der Zukunftserwartung eingeführt. Das Grundkonzept der ANT wird im Folgenden anhand von drei Konzepten verdeutlicht: dem Konzept der Repräsentation, dem Konzept der Macht und dem Konzept der Verfassung. In den ersten beiden Abschnitten steht zunächst das Verhältnis von Repräsentation und Macht im Mittelpunkt. Im ersten Abschnitt wird in Rückgriff auf Arbeiten aus der wissenschaftssoziologischen Phase der ANT, ihr Konzept der wissenschaftlichen Repräsentation diskutiert. Hierdurch soll in den Netzwerkbegriff der ANT eingeführt und die Genese der für die ANT zentralen Begrifflichkeiten veranschaulicht werden. Anschließend erfolgt im zweiten Abschnitt eine erweiterte Erörterung des Netzwerkbegriffs und des Konzeptes der Produktion von Repräsentationen. Dabei wird nach Anschlusspunkten gesucht, wie dieses Konzept nicht nur für die wissenschaftliche, sondern auch die gesellschaftliche Wissensproduktion und 63

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

für die Betrachtung von Risikokontroversen fruchtbar gemacht werden könnte. Erst im dritten Abschnitt wird das Konzept der Verfassung eingeführt und diskutiert. Hier stehen unterschiedliche Repräsentationsarten und Mechanismen der Produktion von Repräsentationen im Mittelpunkt.

3.1.1 Wissenschaftliches Wissen Die Anfänge der Akteur-Netzwerk-Theorie liegen in den Laborstudien. So zählt neben der Studie von Karin Knorr-Cetina (dargelegt in Die Fabrikation der Erkenntnis (1981)) die von Latour und Steve Woolgar durchgeführten Laborstudien (dargelegt in Laboratory Life (1979)) zu den bedeutsamsten Beiträgen in der Wissenschaftssoziologie (vgl. Latour/Woolgar 1986; Knorr-Cetina 1991). Das aus der empirischen Studie gewonnene Modell wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion bildet den Grundstein der Akteur-Netzwerk-Theorie. Die Laborstudien stehen unter dem Paradigma des wissenssoziologischen Ansatzes der Wissenschaftssoziologie. Dieser Zweig beschäftigte sich im Gegensatz zum institutionalistischen Ansatz mit den Wissensinhalten und weniger mit ihrer institutionellen Fassung.4 Das für den wissenssoziologischen Ansatz zentrale Symmetriegebot bei David Bloor, das er in seinem strong programme aufstellte und auf das sich das erweiterte Symmetrieprinzip der ANT zurückbezieht, geht von der Gleichheit der untersuchten Wissensbestände aus. Demnach soll in der Erklärung der Konstitution von Wissen nicht danach unterschieden werden, ob dieses wahr oder falsch sei.5 Die Gleichbehandlung der Wissensformen resultiert aus einem wissenschafts- und rationalitätskritischen Impuls. So wenden sich die Vertreter dieses Ansatzes gegen die positivistische und 4

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Der institutionalistische Ansatz geht auf Robert K. Merton (dargelegt in seinem Buch Science and Technology in a Democratic Order, das zuerst 1942 erschien) zurück, der wissenssoziologische Ansatz hingegen auf Karl Mannheim (dargelegt in seinem Buch Utopie und Ideologie. Vgl. zu einer Darstellung und Kritik des Ansatzes von Merton Felt 1995: 57ff.; Heintz 1998: 57ff.; Coser 1999; Weingart 2003: 15f. Zu einer Darstellung und Kritik des Ansatzes von Mannheim vgl. Heintz 1993: 531f.; Wiggershaus 1997: 65; Kettler/Meja 1999. Bloor stellte in seinem strong programme vier Forderungen auf: (1) die Forderung nach einer kausalen Erklärung (Kausalität), (2) die Forderung, sowohl wahre als auch falsche Wissensinhalte einer Erklärung zuzuführen (Unvoreingenommenheit), (3) die Forderung, dass für die Erklärung wahren und falschen Wissens dieselben Gründe angeführt werden müssen (Symmetrie) und (4) dass die aufgefundenen Erklärungen für die Wissenssoziologie ebenso gelten müssen (Reflexivität). Vgl. Bloor 1991: 7. Bloors strong programme gilt als einer der ersten relativistischen Ansätze in der Wissenschaftsforschung und er selbst als Begründer der Soziologie wissenschaftlichen Wissens (Sociology of Scientific Knowledge (SSK)).

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

empiristische Auffassung in den Wissenschaften, die von einer Korrespondenz von theoretischen Sätzen mit der Welt ausgeht, ohne dass das Forschersubjekt Einfluss auf die Beobachtung gewinnt (vgl. Knorr-Cetina 1981: 226f.; Bloor 1991: 13ff.). Rationalität werde in der positivistischen Wissenschaftsauffassung in Zusammenhang mit einer normativen Vorstellung von rationalem und damit richtigem Handeln gebracht (vgl. Bloor 1991: 11; Star 1991: 30ff.). Die Entmündigung des Laien durch den Wissenschaftler sollte demgegenüber aufgehoben werden (vgl. Collins/Yearly 1992b: 382; Callon/Latour 1992: 357).6 Das Hauptproblem, dem sich die Laborstudien stellen, ist, wie in einem interpretationsbezogenen und offenen Prozess allgemein anerkannte Fakten entstehen können. Ein Problem, das in der wissenssoziologischen Wissenschaftsforschung als Schließung der Kontroverse bekannt ist. Diesem Problem widmeten sich ebenso Latour und Woolgar in Laboratory Life. Die Laborstudie wurde Ende der 1970er Jahre in einem biologischen Labor am Salk-Institut in Kalifornien durchgeführt. Der Beobachtungszeitraum umfasste annähernd zwei Jahre. Anspruch der Studie war, durch eine detaillierte Beschreibung der alltäglichen Praktiken – unter so wenig Vorannahmen wie möglich – den technischen bzw. kognitiven Kern der Wissenschaften der soziologischen Analyse zuzuführen.7 Es sollten nicht Aussagen von Wissenschaftlern über ihre Tätigkeiten untersucht werden, sondern wie sie in ihrer alltäglichen Praxis zu diesen Aussagen gelangten. 6

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Zur Begründung dieser Kritik wurde sich vor allem auf die wissenschaftstheoretischen und wissenschaftshistorischen Arbeiten der anti-positivistischen Wende bezogen. Als Schlüsselautoren gelten hier Thomas S. Kuhn (vgl. Kuhn 1999), Paul Feyerabend (vgl. Feyerabend 1993) und Quine (vgl. Quine 1961). Allgemein zur anti-positivistischen Wende und deren Einfluss auf die Wissenschaftssoziologie vgl. zusammenfassend Heintz 1993: 532ff; Felt 1995: 123ff. So wurde die Behauptung des Positivismus bzw. Empirismus, theoriefreie Beobachtungssätze erzeugen zu können, in der These von der Theoriegeladenheit empirischer Beobachtungen abgelehnt. Demnach findet jede Beobachtung oder Messungen bereits auf Grundlage von theoretischen Vorannahmen statt. Die These der empirischen Unterdeterminiertheit hingegen verweist darauf, dass es unterschiedliche Theorien mit derselben empirischen Basis geben kann, ohne dass mittels Beobachtung entschieden werden könne, welche der Theorien die Richtige sei. Darüber hinaus besagt die Duhem-Quine-These, dass bei der Hypothesenprüfung niemals nur die einzelne Aussage, sondern immer auch die gesamte Theorie zur Disposition stünde (deswegen wurde diese Position auch als Holismus bezeichnet), wobei bei widersprechenden Befunden nicht entschieden werden könne, welcher Teil der Theorie modifiziert werden müsse. Vgl. Latour/Woolgar 1986: 24ff. Das Technische und das Kognitive werden auch in der Folge parallel gesetzt. 65

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Die Befunde der Studie zeigten, dass Fakten in einem langsamen Prozess konstruiert werden müssen und dass die lokale Umgebung einen entscheidenden Einfluss auf den Konstruktionsprozess gewinnt. Nur durch die Kontextbezogenheit ist es überhaupt möglich, den lokalen Umständen zu entfliehen.8 Erst durch die Auseinandersetzung mit greifbaren Materialien gelingt es, allgemeinere Aussagen treffen zu können. Weiterhin erwies sich das Labor als eine Ansammlung von Apparaturen, Instrumenten und Präparaten, die als Materialisierungen vorangegangener Wissensprozesse dargestellt werden können. Doch anders als bei Knorr-Cetina wird hier die Bedeutung von Aufzeichnungen bzw. Inskriptionen in den Mittelpunkt gerückt. Inskriptionen sind Beschriftungen, Etiketten, Notizen, Diagramme oder Darstellungen, welche die Ordnung im Labor aufrecht erhalten.9 Sie werden dadurch definiert, dass sie im direkten Verhältnis zu materiellen Dingen zu stehen scheinen (vgl. Latour/Woolgar 1986: 51). Das Labor besteht aus einer Fülle solcher Inskriptionen, deren Anhäufung wiederum eine neue Unordnung im Labor entstehen lässt. Die Hauptbesorgnis der Wissenschaftler besteht darin, diese Unordnung zu reduzieren, indem sie bestimmte Inskriptionen auswählen und mit einer Interpretation bzw. Aussage (statement) versehen (vgl. Latour/Woolgar 1986: 255ff.). Nun taucht das Problem auf, dass jede Inskription, aber auch jede Aussage, in unterschiedlicher Weise interpretiert werden kann. Diese Aussagen stehen zunächst gleichberechtigt nebeneinander, das heißt, ihre Wahrheit oder Falschheit ist gleich wahrscheinlich. Es zeigte sich aber im Laufe der Untersuchung, dass es unterschiedliche Strategien gibt, eine Asymmetrie in diese möglichen Interpretationen einzuführen, so dass die favorisierte Interpretation einem gegebenen Publikum plausibler erscheint als die anderen alternativen Interpretationen. Eine Strategie ist zum Beispiel, den eigenen Geltungsanspruch nicht nur durch eine Beobachtung, wie sie sich durch eine Inskription darstellen lässt, sondern durch mehrere zu stützen. Wissenschaftler beschäftigen sich weniger mit der »Natur« als mit Aussagen, die sie so modifizieren, dass sie als Fakten erscheinen (vgl. Latour/Woolgar 1986: 237). Je mehr es gelingt, die alternativen Interpretationen zurückzudrängen und das Publikum dazu zu bewegen, die eigene Interpretation zu übernehmen, desto mehr erscheint die Interpretation bzw. Aussage als Fakt. Eine Folge davon ist, dass sie den Kontext ihrer Entstehung ver8

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Zu einer ähnlichen Einsicht war ebenso Knorr-Cetina gelangt, worauf Latour und Woolgar auch verweisen. Vgl. Knorr-Cetina 1991: 32ff. und Latour/Woolgar 1986: 239f. Zu einer Kritik an der zentralen Stellung des Konzeptes der Inskriptionen vgl. Hacking 1992: 33ff.; zu einer Diskussion der theoretischen Wurzeln vgl. Schmidgen 2008.

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liert. Eine Methode, die Zweifel an einer Aussage zu nähren, ist demnach, sie an die Bedingungen ihrer Entstehung zurückzubinden.10 Erst wenn eine Aussage unabhängig von ihren Entstehungsbedingungen dargestellt wird, erscheint sie als universeller Fakt. Dieser Prozess, in dem eine Aussage langsam ihre Entstehungsbedingungen abstreift, wird auch als Blackboxing beschrieben. Der Begriff der Black Box stammt aus der Kybernetik, der bei zu komplexen Sachverhalten nur den Input und den Output betrachtet, nicht aber die inneren Prozesse selbst. Zu Beginn der Soziologie wissenschaftlichen Wissens ist dieser Ausdruck als eine Metapher für das wissenschaftliche Wissen in Zusammenhang mit der Forderung gebraucht worden, die Black Box des wissenschaftlichen Wissens zu öffnen und dessen kognitive Strukturen der soziologischen Analyse zuzuführen (vgl. Collins 1985: 132f.). Hier aber wird als eine Black Box die Darstellung einer Aussage unabhängig vom Kontext ihrer Erzeugung definiert. Eine Folge dieses Prozesses ist, dass die Aussagen in die Fertigkeiten und Fähigkeiten (tacit skills) der Wissenschaftler und in andere Einrichtungsgegenstände des Labors inkorporiert und damit materialisiert bzw. reifiziert werden. Ein wichtiger Mechanismus für die Herstellung einer Black Box bzw. eines wissenschaftlichen Faktes ist die Erlangung von Glaubwürdigkeit (credibility). Dieses Konzept soll die Investitionen verdeutlichen, welche von den Wissenschaftlern getätigt werden, um die Glaubwürdigkeit eines Argumentes zu erhöhen. Diese Investitionen sind zum Beispiel Ausrüstungsgegenstände, Geld, Reputation, Ausbildung, Daten, Artikel. All diese Investitionen sind ineinander übersetzbar und bedingen sich gegenseitig (cycle of credibility), denn ohne Geld lässt sich keine Ausbildung finanzieren, ohne Ausbildung lässt sich kein Labor betreten, ohne Labor lassen sich keine Daten gewinnen und ohne Daten können keine Artikel geschrieben werden, die wiederum wichtig sind für die eigene Reputation (vgl. Latour/Woolgar 1986: 187ff.). Dies hat den Effekt, dass die Kosten in die Höhe getrieben werden, ein Argument in Frage zu stellen. Je mehr ein Argument auf bereits anerkannten Fakten bzw. Black Boxes aufbaut, desto weniger kann es durch alternative Interpretationen in Frage gestellt werden. Die Alternative müsste ebenso viel in ihre eigene Glaubwürdigkeit investieren, welche nötig gewesen war, die Fakten zu produzieren, die in Frage gestellt werden sollen. Das Streben nach Glaubwürdigkeit wird als eine der Hauptmotivationen von Wissen10 Zur Verdeutlichung dieser Beobachtung soll folgendes Beispiel aus Latour/Woolgar 1986 dienen: »For example, the assertion that ›X observed the first optical pulsar‹ can be severely undermined by use of the following formulation: ›X thought he had seen the first optical pulsar, having stayed awake three nights in a row and being in a state of extreme exhaustion‹.« Latour/Woolgar 1986: 21. 67

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schaftlern anerkannt, die wissenschaftliche Arbeit auf die Produktion von Fakten auszurichten. Diese Motivation, sich an Netzwerkbildungsprozessen zu beteiligen, wird später von der ANT vernachlässigt. Das Resultat des Prozesses ist Inversion: Der konstruierte Fakt erscheint unkonstruiert. Den Überzeugten erscheint es, als hätten sie zur Annahme eines Argumentes überzeugt werden müssen, die materiellen Komponenten erscheinen so, als ob sie für »das Denken« weniger wichtig wären und die Glaubwürdigkeit von Aussagen erscheint so, als ob politische und ökonomische Ressourcen keine Rolle spielen würden.11 Durch die Inversion erscheint erst die Trennung zwischen Fakt und Artefakt, kognitiven und materiellen Komponenten, Wissenschaft und Gesellschaft, die im Konstruktionsprozess hingegen vermischt vorliegen. Die Schließung einer Kontroverse, das heißt, die Durchsetzung einer Aussage als Fakt und aller anderen als Artefakte bzw. Fiktionen, wird demnach von Latour und Woolgar auf den Mechanismus des Blackboxings zurückgeführt. Dieser Prozess wurde durch Callon näher spezifiziert. In seinem Übersichtsartikel über verschiedene Modelle von der Wissenschaft, die er in einer Entwicklungslinie stehen sieht, ordnete Callon die ANT dem letzten Typus zu: dem Modell der Wissenschaft als erweiterte Übersetzung.12 Allgemein bezeichnet er die Vorgehensweise bei der Herstellung von Aussagen als »Übersetzung«. Der Begriff der Übersetzung kann als einer der Schlüsselbegriffe der ANT betrachtet werden. In dem Prozess der Übersetzung werden unterschiedliche Entitäten zu einem Netzwerk zusammengefügt, um es repräsentieren zu kön11 »The result of the construction of a fact is that it appears unconstructed by anyone; the result of rhetorical persuasion in the agnostic field is that participants are convinced that they have not been convinced; the result of materialisation is that people can swear that material considerations are only minor components of the ›thought process‹; the result of the investments of credibility, is that participants can claim that economics and beliefs are in no way related to the solidity of science; as to the circumstances, they simply vanish from accounts, being better left to political analysis than to an appreciation of the hard and solid world of facts!« (Herv. i. Org.) Latour/Woolgar 1986: 240. 12 Vgl. Callon 1995. Diese Sichtweise auf die Wissenschaft grenzt Callon (1) von dem klassischen Modell ab, welches Wissenschaft unter dem Gesichtspunkt rationalen Wissens betrachtet. Weiterhin unterscheidet er (2) die Auffassung von Wissenschaft als kompetitives System, innerhalb dessen die Wissenschaftler um die Durchsetzung ihrer Geltungsansprüche ringen, sowie (3) von Wissenschaft als soziokulturelle Praxis. Unter die zweite Auffassung fallen all die Ansätze, welche die innerwissenschaftliche Kommunikation in den Mittelpunkt rücken: die wissenschaftssoziologischen Ansätze von Merton, Collins und sogar die Laborstudie von Latour und Woolgar. Das dritte Modell folgt weitgehend der Auffassung von Wissenschaft als lokaler kultureller Praxis, wie zum Beispiel bei Knorr-Cetina. 68

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nen. Darum wird mit Übersetzung auch das »Sprechen im Namen anderer« bezeichnet. So spricht der Wissenschaftler, der zu einer Aussage gelangt, im Namen des Labors und aller in ihm enthaltenen Geräte, Untersuchungsgegenstände, Mitarbeiter und Techniker, ebenso wie eine Sozialwissenschaftlerin, die eine Studie über Technikkonflikte durchgeführt hat, sowohl im Namen der Konfliktparteien als auch der betreffenden Technik sowie der Computerprogramme spricht, die ihr bei der Auswertung des empirischen Materials behilflich gewesen sind. Da es sich bei einer Übersetzung nicht nur um die Übersetzung sprachlicher Aussagen in eine neue Repräsentation handelt, sondern auch um die Antizipation des Ungesagten, wird von »erweiterter Übersetzung« gesprochen. Das Problem einer Repräsentation, das heißt, dem Sprechen im Namen anderer, ist, dass diejenigen, in deren Namen gesprochen wird, sich gegen die Repräsentation wehren können. Sie können sich plötzlich ganz anders verhalten, die Substanz im Labor kann auf einmal andere Eigenschaften annehmen oder Mitarbeiter einer Forschungsgruppe können auf eine verfälschte Darstellung und Interpretation des Datenmaterials verweisen. Geschieht dies, wird die Repräsentation zu einer Aussage einer einzelnen Person degradiert. Der Prozess der Übersetzung soll gewährleisten, das dies nicht vorkommt. Er führt zu einer Disziplinierung derjenigen, in deren Namen gesprochen werden soll. Bildhaft gesprochen, sucht sich der designierte Sprecher Verbündete, die ihn in dieser Funktion bestärken. Dies werden sie nur dann tun, wenn sie mit der Repräsentation einverstanden sind, das heißt, selbst ein Interesse daran haben, dass diese aufgestellt und verbreitet wird. Die »Suche nach Verbündeten« vollzieht sich durch einen Verhandlungsprozess, innerhalb dessen die Repräsentation, wie sie letztendlich durch die Sprecherperson geäußert wird, ihre Form annimmt. Der Verhandlungs- bzw. Übersetzungsprozess vollzieht sich in mehreren Stufen.13 Zunächst (problematization) werden durch den Wissenschaftler die betreffenden Akteure definiert und ihre Interessen so umgeschrieben, dass sie unter einer von dem Wissenschaftler vorgestellten Problematisierung eine gemeinsame Lösung zu finden glauben. In einem zweiten Schritt (interessement) werden dann konkurrierende Problematisierungen ausgeschaltet, um das Interesse an der eigenen zu stärken. In den Verhandlungen um die Gestalt der Repräsentation werden den Verbündeten bzw. den Entitäten bestimmten Rollen zugeschrieben. Ist die Vermittlung der Bedeutung der eigenen Repräsentation und Problematisierung erfolgreich, wird in einem dritten Schritt (enrolment) die Eta13 Vgl. zu dieser Aufschlüsselung des Übersetzungsprozesses Callon 1986: 203ff. 69

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blierung eines gesamten Rollensets erreicht. Dieses definiert die Verhaltensweisen der einzelnen Partner und gewährleistet dadurch die Stabilität der Repräsentation. Der letzte Schritt (mobilisation) meint zunächst, dass durch die erfolgreiche Herstellung einer Repräsentation nicht nur bislang unverbundene Entitäten miteinander kooperieren, sondern auch, dass ihre Interessen jenseits ihres angestammten Kontextes vertreten werden: in diesem Fall zum Beispiel auf einer Konferenz auf welcher der Wissenschaftler seine Ergebnisse präsentiert. Dadurch werden die Verbündeten »verschoben« (displaced). Doch der Begriff der mobilisation verweist auf mehr, nämlich darauf, dass jede Übersetzung bereits auf vorangegangenen Übersetzungen aufbaut. Der Wissenschaftler verhandelt bereits mit Sprechpersonen bzw. Repräsentanten. So untersucht der Wissenschaftler nur eine Probe der betreffenden Substanz, über die er eine Aussage treffen möchte, bzw. untersucht nur eine repräsentative Stichprobe einer Grundgesamtheit; über die Finanzierung seines Projektes spricht er nur mit einem Vertreter der Institution, welche jene sicherstellen soll. Die »Wahl« dieser Sprecherperson ist dabei wiederum nur das Resultat eines Übersetzungsprozesses gewesen. Damit ergibt sich eine Kette von Repräsentationen, die in der Repräsentation des Wissenschaftlers einen vorläufigen Endpunkt findet. Vorläufig deswegen, da es offensichtlich ist, dass auch seine Repräsentation Teil einer neuen Übersetzung werden kann. An jedem Punkt einer Übersetzungskette, an dem zu einer zeitweiligen Stabilisierung und damit Repräsentation der Verbündeten gelangt wird, wird die Zahl derer, die sich der Repräsentation gegenüber undiszipliniert verhalten können, reduziert. Die Repräsentation selbst findet ihre Materialisierung zum einen in der Sprecherperson und zum anderen dadurch, dass im Prozess der Übersetzung das Verhalten der Verbündeten transformiert wurde. In der Kaskade der Zusammenfassung treten die einzelnen Sprecherpersonen auch als Vermittler auf: zwischen dem, was sie repräsentieren, und dem, der sie selbst zu repräsentieren beansprucht. Der Referent, worauf die Repräsentation am vorläufigen Ende dieser Übersetzungskette verweist, existiert entlang dieser Übersetzungskette. Sie besitzt nicht einen Referenten, sondern viele kleinere Mikroreferenzen. Betrachtet man jedoch nur eine einzelne Repräsentation, könnte der Eindruck entstehen, dass die Repräsentation nur einen Referenten hat. Dies geschieht, wie oben bereits erwähnt, in der Inversion der Übersetzung (vgl. Latour 1987: 98; Callon 1995: 53).14 Der Gedanke der Inversion der Übersetzung wird bei der kritischen Rekonstruktion der ANT

14 Vgl. zu der Übersetzungskette und der Eigenart wissenschaftlicher Referenten Callon 1995: 50ff.; Latour 1996e: 182ff. 70

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für die Unterscheidung zwischen der Produktion und der Ausbreitung von Netzwerken bedeutsam sein. In seinem Buch Science in Action baut Latour das Konzept zur Schließung von wissenschaftlichen Kontroversen aus. Hier wird weit mehr als noch in den Laborstudien die Einschreibung in materielle Entitäten als wesentlicher Mechanismus der allmählichen Schließung von Kontroversen angesehen. Damit rücken technische Artefakte verstärkt in den Mittelpunkt, wobei die Konstruktionsmechanismen für die Konstruktion von wissenschaftlichen Fakten auf die Konstruktion technischer Artefakte übertragen werden.15 Dadurch wird die enge Verflechtung von Wissenschaft und Technik, bezeichnet als technoscience, herausgestellt. In der ANT werden damit nicht nur sprachliche Aussagen als Repräsentation aufgefasst, sondern auch funktionierende Maschinen und Experimente. Für die kritische Rekonstruktion der ANT ist von besonderem Interesse, wie Latour die Strategien, mittels derer Aussagen zu Fakten gehärtet werden, spezifiziert. Eine wissenschaftliche Aussage wird zum Fakt, je mehr sie in Bücher, technische Artefakte und Fähigkeiten inkorporiert ist, das heißt, ihr Status als Fakt ist abhängig von der undeformierten Übernahme durch andere. Dies bedeutet genauer: Ihr Status als Fakt ist davon abhängig, (1) dass sich überhaupt auf sie in anderen Repräsentation bezogen wird, (2) dass dieser Bezug sie nicht deformiert, (3) möglichst viele positive Rückbezüge erfolgen. Demnach müssen die Bedingungen untersucht werden, die eine undeformierte Übernahme sicherstellen. Diese Bedingungen werden von Latour vor dem Hintergrund betrachtet, inwiefern es überhaupt möglich ist, eine wissenschaftliche Aussage in Frage stellen zu können. Zunächst verleiht der Einbezug von Black Boxes der Aussage Gewicht. Je mehr bereits anerkannte Fakten in die Repräsentation eingebaut werden, desto eher wird die Repräsentation gestärkt. Sie partizipiert an der Stärke der Black Box. Durch diesen Bezug wird es schwieriger, die entsprechende Repräsentation in Frage zu stellen, denn mit ihr müssten auch all die anerkannten und weit verbreiteten Fakten bezweifelt werden, die mit ihr verbunden sind. Der Herausforderer hat es nicht

15 Die Übertragung der Mechanismen der Konstruktion von Fakten auf die der Technik sowie der Verweis auf die Konstruktivität der Unterscheidung von Wissenschaft und Technik sind Kennzeichen der sozialkonstruktivistischen Technikforschung, die Mitte der 80er Jahre entstand. Vgl. Rammert 1994: 88. Einer der ersten Aufsätze, der diese Verbindung zog, findet sich bei Pinch/Bijker 1987. Vgl. ebenso Abschnitt 2.2.2. In der Folge engagierten sich auch zunehmend Akteur-Netzwerk-Theoretiker in der Technikgeneseforschung. 71

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mehr nur mit einer Aussage und einem Gegner zu tun, sondern mit vielen.16 Weiterhin ist der Einbezug nichtmenschlicher Akteure von Bedeutung. Der Vorteil der Laborwissenschaften besteht gerade darin, dass sie diese nichtmenschlichen Akteure zu mobilisieren vermögen.17 Nicht nur, dass ihnen durch Inskriptionsgeräte (inscription devices) eine Stimme verliehen wird. Auch durch technische Artefakte, die funktionierende Maschine, wird die wissenschaftliche Repräsentation gestützt. In den Laboren können die Verbindungen zu den nichtmenschlichen Akteuren erprobt und die Verbindung zu ihnen gestärkt werden, bevor man sie der möglichen Dekonstruktion durch die zweifelnde Öffentlichkeit preisgibt. Der Herausforderer einer Aussage, die auf Grundlage dieser Voraussetzungen getroffen wird, müsste ebenso Ressourcen – Zeit, Geld, soziale Unterstützung – für die Errichtung eines Laboratoriums aufbringen, das Aussagen mit einer ähnlichen Stärke ermöglichen würde. Durch die Mobilisierung einer größtmöglichen Anzahl von Verbündeten, ihre Anordnung in einem »logisch« erscheinenden Argumentationsverlauf sowie die Einbeziehung von nichtmenschlichen Akteuren und Black Boxes – anerkannten Fakten und funktionierenden Maschinen18 – wird die Möglichkeit widersprechender Repräsentationen eingeschränkt, wodurch die Repräsentation allmählich alternativlos erscheint. Sie wird unentbehrlich für die Konstruktion nachfolgender Repräsentationen. Sie wird zu einem obligatory point of passage (OPP) für die Durchsetzung der Interessen von Akteuren. Somit schließt sich eine wissenschaftliche Kontroverse sukzessiv, indem sich die wissenschaftliche Aussage in immer mehr Repräsentationen und Entitäten festsetzt. Hier erscheint die Ausbreitung der Netzwerke, in der die Repräsentation zirkuliert, als ein beständiger Rückbezug innerhalb der Übersetzungskette. Die Aussage muss beständig aktualisiert werden, damit sie als ein Fakt bestehen bleibt, ebenso wie eine funktionierende Maschine ebenso viel Arbeit für ihre Aufrechterhaltung (Pflege, Reparatur) benötigt wie vielleicht für ihre Herstellung nötig ge16 Vgl. Latour 1987: 80ff. Dieser Gedanke ergibt sich aber schon aus der Konzeption der Übersetzungskette. 17 Die Besonderheit der neuzeitlichen Wissenschaften wird bei Latour 1998 auf die Erfindung nichtmenschlicher Zeugen zurückgeführt. Vgl. Latour 1998: 34ff. Darauf verweist ebenso Stengers 1997: 201ff. und Haraway 1996. 18 Die Definition einer Black Box schwankt hier. Üblicherweise wird in der ANT darunter ein Set von Verbindungen verstanden, die nicht mehr in Frage gestellt werden. In Science in Action bezieht Latour dies aber eher darauf, dass unterschiedliche Elemente »wie einer« agieren, was insbesondere bei einer funktionierenden Maschine, nicht aber bei einem Fakt der Fall sei. Vgl. Latour 1987: 131. 72

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wesen war (vgl. Latour 1987: 132ff.). Werden sie nicht mehr aufrecht erhalten, zerfällt der Fakt bzw. die Maschine. Somit kann eine wissenschaftliche Kontroverse niemals endgültig geschlossen werden, denn es ist prinzipiell möglich, dass sie wieder eröffnet wird – wenn der Herausforderer die notwendigen Ressourcen dafür aufbringt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwiefern die physische Einschreibung von Fakten und Maschinen zu einer gewissen Eigenständigkeit der Entitäten beiträgt. Die Besonderheit der Produktion wissenschaftlicher Aussagen als zeitintensiver Prozess schlägt sich auch in der räumlichen Anordnung wissenschaftlicher Netzwerke nieder. Die Produktion wissenschaftlicher Aussagen findet – insbesondere wenn man die Laborwissenschaften im Auge behält – nur an wenigen, konzentrierten Orten statt. Nur durch die lokale Ausbalancierung unterschiedlicher Elemente können Repräsentationen konstruiert werden. Wissen, so Latour, entsteht aus Vertrautheit (vgl. Latour 1987: 215f.). Wie aber ist es möglich, dass dennoch Aussagen über Sachverhalte getroffen werden können, die außerhalb des Ortes der Wissensproduktion liegen? Oder anders gewendet: Wie ist es möglich, aus der Distanz in unvertrauten Gebieten zu handeln?19 Die Antwort lautet: Indem sie zu dem Ort der Wissensproduktion gebracht werden.20 Dazu werden zunächst Objekte aus ihrem Ursprungskontext herausgelöst und stabilisiert, um sie ohne Transformationen an den Ort der Wissensproduktion, den centers of calculation zu transportieren. Diese Objekte, auch immutable mobiles genannt, da sie sich ohne Verzerrungen transportieren und rekombinieren lassen, können entweder verschriftlichte Daten (zum Beispiel geographische Karten) sein oder Teilstücke des Untersuchungsobjektes selbst (zum Beispiel Herbarien). Durch das Herauslösen aus ihrem Ursprungskontext und ihrer Akkumulation im Zentrum, in den centers of calculation, können die Entitäten nun weiter reduziert werden. Die Techniken der Vereinfachung – die Kaskade der Zusammenfassung – sind bereits in Bezug auf die Übersetzungskette erwähnt worden. Hier ist jedoch weiterhin von Bedeutung, dass diese Vereinfachung durch die Konstruktion von neuen Entitäten geschieht (wie zum Beispiel Tabellen, Diagramme, Modelle) welche die Verbindung zu dem, was sie vereinfachen, aufrecht erhalten. Damit wird es nicht nur möglich, im Namen von anderen zu sprechen, sondern auch den Weg zurückzuverfolgen, wodurch der Eindruck entstehen kann, dass Gebiete vertraut erscheinen, obwohl man sie selbst noch nicht betreten hat. Hier wird der innere Charakter einer (wissenschaftlichen) Repräsen-

19 Vgl. zu dieser Fragestellung ebenso Law 1986; Latour 1996c: 371ff. 20 Vgl. zu der folgenden Darstellung insbesondere Latour 1987. 73

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tation deutlich: Es handelt sich um die vereinfachte Darstellung eines Netzwerkes, die Darstellung von Verbindungen. Der Weg vom Zentrum in die Peripherie, der durch die wissenschaftliche Repräsentation freigeschlagen wurde, kann jedoch nur gefestigt werden, wenn die Außenwelt für die Bestätigung der Repräsentation vorbereitet wird, das heißt, die Instrumente, die diese Repräsentation stützen, Verbreitung finden (zum Beispiel Thermometer für die Temperatur, Straßenschilder für Straßenkarten, Glühbirnen für die Elektrizität, in anderer Weise auch Bibeln für den christlichen Glauben). Da diese Verbreitung wiederum nur an lokalen Orten stattfinden kann und die Angleichung dieser Orte an die Repräsentation wiederum Arbeit benötigt, breiten sich die Netzwerke nur langsam aus. Innerhalb der Netzwerke ist es aber nun problemlos möglich, Dinge und Menschen zu mobilisieren und von einem Ort zu dem anderen zu gelangen. Ein wissenschaftliches Netzwerk bzw. die technoscience tritt nun als eine Ansammlung von lokalen Punkten auf, deren Verbindung durch die wissenschaftliche Repräsentation ermöglicht wird. Auch hier muss wieder unterschieden werden zwischen den Punkten der Wissensproduktion, den centers of calculation, und den lokalen Orten, die der dort hergestellten Repräsentation angeglichen werden, also zwischen Produktion und Ausbreitung. Diese räumlich gedachte Ausbreitung der Netzwerke der technoscience konvergiert mit der zeitlichen Struktur der Übersetzungskette. Jede Transformation einer lokalen Gegebenheit, sei es die innerhalb der Kaskade der Zusammenfassung in der wissenschaftlichen Produktion oder die in der Angleichung der lokalen Gegebenheiten in der Ausbreitung der Netzwerke, kann als eine Übersetzung aufgefasst werden, die Arbeit und Verhandlung erfordert. Der Unterschied zwischen Produktion und Ausbreitung besteht dann nur darin, inwiefern eine beiderseitige Transformation stattfindet. Weiterhin bedeutet diese Konvergenz, dass in dem Gesamtnetzwerk seine eigene Geschichtlichkeit in vergegenständlichter Form aufgehoben ist. Das Netzwerk ist durch die Vielzahl der Übersetzungsprozesse geformt. Dieser Gedanke wird bei der verallgemeinerten Betrachtung des Netzwerkbegriffes im nächsten Abschnitt von Bedeutung sein. In den Laborstudien und aus der Sichtweise von Wissenschaft als erweiterter Übersetzung wird eine Einebnung der modernen Trennung zwischen Wissenschaft und Nichtwissenschaft angestrebt. Wissenschaftliches Wissen und nichtwissenschaftliches Wissen unterscheiden sich nicht prinzipiell, sondern graduell. So werden sowohl in alltagsweltlichen Wissensformen als auch beim wissenschaftlichen Wissen Verbindungen gezogen. Der Unterschied besteht nur darin, dass in der Konstruktionsweise von wissenschaftlichem Wissen die Verbündeten stärker 74

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diszipliniert und die Interpretationsmöglichkeiten von Aussagen eingeschränkt werden. Dadurch werden längere Netzwerke möglich (Latour 1987: 183ff.). Ebenso basieren wissenschaftliche Repräsentationen auf der Verdichtung vielfältiger Spuren, wodurch sich gerade ihre Stabilität im Gegensatz zu anderen Wissensformen begründet.21 Dieser Prozess der Verdichtung, der Kaskade der Zusammenfassung innerhalb der Übersetzungskette, erfordert Arbeit und Zeit. Demnach ist die Besonderheit der Wissenschaften nicht auf ihrer besonderen Rationalität begründet, sondern in dem enormen Ressourcenaufwand zur Festigung ihrer Aussagen. Wissenschaftliche Fakten gelten aber, auch wenn sie den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben, nur innerhalb des Netzwerkes, in dem sie beständig aktualisiert werden, und das heißt in den Begriffen der ANT, in den Netzwerken, in denen sie zirkulieren. Das Konzept der Wissenschaft als erweiterter Übersetzung wendet sich gegen den Relativismus, der die Ortsgebundenheit jeglicher Wissensproduktion betont, und setzt dagegen ein relativen Relativismus oder Relationismus, der die Festschreibung von Globalität und Lokalität offen lässt (vgl. Latour 1996c: 376ff.) So kennzeichnen Latour und Woolgar ihren Ansatz als einen konstruktivistischen, den sie von sozialkonstruktivistischen Ansätzen unterscheiden. Sie wollen ihre Konzeption der Konstruktion wissenschaftlicher Fakten nicht als einen »sozialen« verstehen, da nicht nur soziale Faktoren im herkömmlichen Sinne den Konstruktionsprozess beeinflussen.22 An dieser Konzeption ist die Kritik geäußert worden, dass hier der Konstrukteur der Repräsentation, der Wissenschaftler, als übermächtiger Akteur erscheint. In diesem Zusammenhang wurde die kriegerische Metapher, die dieser Beschreibung der Wissenschaft zu Grunde liege, kritisiert: die Begriffe »Verbündeter«, »Verhandlung«, »Disziplinierung« und »Hochrüstung der Labore« legen nahe, Wissenschaft als einen Machtkampf zwischen mächtigen Wissenschaftlern aufzufassen, dessen Folge die Umgestaltung der Welt ist (vgl. Shapin 1988; Schaffer 1991; Star 1991; Fujimura 1992; Haraway 1996: 360). In gleicher Weise wür21 Ein Fehler der Parawissenschaften, so Latour (1996e,) sei es, dass sie schon eine einzige Spur als Beweis für ihre Aussagen nehmen. Vgl. Latour 1996e: 182ff. 22 Im Prinzip sprechen sie diesem Ausdruck jegliche Bedeutung ab. In einem Postskriptum zur zweiten Ausgabe erklären sie die Streichung des Wortes »social« aus dem Untertitel »The Construction of Scientific Facts« mit den Worten: »[...] ›social‹ was primarily a term of antagonism, one part of a binary opposition. But how useful is it once we accept that all interactions are social? What does the term ›social‹ convey when it refers equally to a pen's inscription in graph paper, to the construction of a text and to the gradual elaboration of an amino-acid chain? Not a lot.« (Herv. i. Org.) Latour/Woolgar 1986: 281. 75

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de durch den Einbezug auch nichtmenschlicher Verbündeter wieder der »Natur« ein Anteil an der Schließung der Kontroverse zugestanden, die sie aber auf Grund der interpretativen Flexibilität von Daten nicht haben könne.23 Bereits hier deuten sich drei Leerstellen an, die im folgenden Abschnitt genauer diskutiert werden sollen. So bleibt zunächst das Interesse, sich an Netzwerkbildungsprozesse zu beteiligen, unterbestimmt. Zwar taucht noch in Laboratory Life als Interesse der Wissenschaftler, an der Hochrüstung der Labore zu partizipieren, das Streben nach Glaubwürdigkeit auf (credibility). Wichtig bleibt aber zu vermerken, dass die Verbündeten in einer freiwilligen Selbstdisziplinierung ihre Stimme abgeben. Somit ist nicht nur die Motivation der Wissenschaftler ungeklärt, sondern auch der Antrieb der Verbündeten, sich diesem anzuschließen.24 Weiterhin wird zwar darauf verwiesen, dass die Produktion einer wissenschaftlichen Repräsentation nur durch die Setzung einer Asymmetrie möglich ist, jedoch wird durch die angenommene zeitliche und räumliche Konvergenz der Übersetzungskette mit der Ausbreitung der Netzwerke die Produktion einer Repräsentation (in den wissenschaftlich-technischen Netzwerken) mit der Ausbreitung der Netzwerke (zum Beispiel durch Technikdiffusion) gleichgesetzt. Dadurch wird der Machtbegriff ad absurdum geführt. Ein weiteres Problemfeld betrifft den Status des Materiellen. In der Konzeption müssen, dem ethnomethodologischen Impetus folgend, Artefakte beständig aufrecht erhalten werden. Andererseits aber soll das Materielle eine die sozialen Beziehungen verstärkende Rolle spielen, da es eine gewisse Eigenständigkeit besitzt. Es scheint, als ob der Trägheit etablierter Verbindungen auch jenseits beständiger Aufrechterhaltung in der ANT zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.

3.1.2 Konzeption der Akteur-Netzwerke Im vorangegangenen Abschnitt wurde das Konzept des wissenschaftlichen Netzwerkes vorgestellt. Dieses Konzept wurde ebenso auf die Beobachtung anderer gesellschaftlicher Phänomene übertragen. So dienten Konzepte der ANT nicht nur der Beobachtung wissenschaftlich-technischer Netzwerke, sondern ebenso von Praktiken in Kunst, Medizin, bei 23 Vgl. zu der Kritik an der Tendenz der ANT zum Realismus die Kritiken bei Schaffer 1991: 189; Collins/Yearly 1992a; Collins/Yearly 1992b. 24 In Bezug auf die Kritik an der mangelnden Konzeption des Interesses der Wissenschaftler siehe die Kritik an Science in Action bei Shapin (1988). In Bezug auf die Kritik an die mangelnde Betrachtung der Motivation der Verbündeten, sich an Netzwerkbildungsprozessen zu beteiligen, siehe insbesondere die Kritik von Star 1991: 27ff. 76

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der Erweiterung von Organisationstheorien sowie der Konzeptualisierung von politischen und ökonomischen Prozessen.25 Ziel der folgenden Diskussion des Konzeptes der Akteur-Netzwerke ist es, das Modell wissenschaftlicher Wissensproduktion auf die gesellschaftliche Wissensproduktion zu übertragen und damit eine theoretische Grundlage für die Beobachtung von Risikokontroversen zu schaffen. Die Diskussion erfolgt auf drei Ebenen, die sich am formalen Netzwerkbegriff orientieren: auf der Ebene der Elemente eines Netzwerkes, auf der Ebene der Verbindungen zwischen diesen Elementen und schließlich auf der Ebene des gesamten Netzwerkkonzeptes. Um es vorwegzunehmen: Es wird sich dabei zeigen, dass der Netzwerkbegriff der ANT von dem der sozialen Netzwerkforschung konzeptuell zu unterscheiden ist. Im Unterschied zur sozialen Netzwerkforschung können als Elemente eines Netzwerkes nicht nur soziale Akteure, sondern auch nichtsoziale Aktanten auftreten. Weiterhin sind im Netzwerkkonzept der ANT infolge des Konzeptes der Akteur-Netzwerke die Elemente nicht auf einer Ebene angesiedelt. Akteur-Netzwerke sind durch eine Asymmetrie gekennzeichnet, welche einige Entitäten vor anderen als Sprecher und Aktanten designiert und in eine besondere Beziehung setzt. Zuletzt bildet aus der Perspektive der ANT das Netzwerk nicht ein Beziehungsmuster ab, vielmehr will die ANT mit ihrem Netzwerkbegriff einen neuen Raumbegriff etablieren, der dadurch gekennzeichnet ist, dass er dynamisch und formbar ist. Die Aspekte von Dynamik und Formbarkeit ist vor allem von den Post-ANT-Ansätzen in den Mittelpunkt ihrer Analysen gestellt worden. Sie reagierten damit auf die Kritik an der klassischen ANT, dass diese zu sehr den Fokus auf Prozesse der Stabilisierung richte und dabei die Transformationsprozesse vernachlässige, welche diese Stabilisierungsprozesse beständig bedrohen. Hier wird die These vertreten, dass durch diese Verschiebung in der Theoriebildung, das in der ANT angelegte Potential zur Analyse von Macht verringert wird, da nun wiederum die Post-ANT-Ansätze die Transformationsprozesse überbetonen. Dabei wird unter Macht, die durch eine Repräsentation gesetzte Asymmetrie verstanden. Dieses Wechselverhältnis von Stabilität und Instabilität, das zu beachten notwendig ist, soll im Folgenden näher diskutiert werden.

3.1.2.1 Entitäten Der Begriff des Aktanten bezeichnet jede Entität, die fähig ist zu wirken. Er umfasst damit sowohl menschliche Akteure als auch materielle Dinge 25 Vgl. für einen Überblick die Bibliographie von 2000 unter http://www.lan cs.ac.uk/fass/centres/css/ant/ant.htm. 77

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sowie jede andere Entität, die während einer empirischen Untersuchung auftauchen kann. Ein Aktant ist demnach zunächst nur ein analytisches Konzept. Es soll eine konzeptionelle Basis für die Untersuchung bieten, wie das Verhältnis von Natur und Gesellschaft konstruiert wird. Was Natur und Gesellschaft ist, stellt sich als eine empirische Frage. Daraus folgt, wie bereits bei der Untersuchung der Konstruktionsbedingungen wissenschaftlichen Wissens, dass jede a-priori-Unterscheidung von Natur und Gesellschaft abgelehnt wird, da nicht schon das vorausgesetzt werden soll, was erst untersucht und erklärt werden muss. Diese Vorgehensweise erscheint zunächst legitim, in der Hinsicht, dass nun die Konzeption des Aktanten als analytische Kategorie auftaucht, die Kategorien von Natur und Gesellschaft hingegen als Konzepte sozialer Akteure. Es ist jedoch der von der ANT aufgestellten Behauptung entgegenzutreten, dass dieser Begriff jegliche Vorannahme vermeiden und eine vorurteilsfreie Beobachtung zu vollziehen hilft.26 Der Begriff des Aktanten wird in der ANT näher bestimmt und in ein umfassendes Netzwerkkonzept eingebettet. Damit werden auch Vorannahmen darüber getroffen, wie sich Aktanten in einem Netzwerk verhalten. Im Laufe der Theorieentwicklung erfährt der Begriff des Aktanten einige Wandlungen, die mit der Verschiebung der Aufmerksamkeit von Prozessen der Stabilisierung zu einer stärkeren Betrachtung der Transformationsprozesse zusammenhängen. Es können drei Stufen in der Entwicklung nachgezeichnet werden. Zunächst (1) wird unter einem Aktanten eine Entität verstanden, die fähig ist, andere Entitäten von sich abhängig zu machen. Diese Konzeption steht in engem Zusammenhang mit dem Prozess der Übersetzung und der Repräsentation, insbesondere der Fähigkeit, im Namen anderer zu sprechen.27 Er bezeichnet aber auch all das, was repräsentiert werden kann, und deckt sich mit dem Begriff des Verbündeten, der die Repräsentation stützt.28 Diese begriffliche Unschärfe ist darauf zurückzuführen, dass es zunächst bedeutsamer war, darauf hinzuweisen, dass der Unterschied zwischen Mikro- und MakroAkteuren durch die Etablierung einer Asymmetrie zwischen zuvor gleichberechtigten Akteuren entsteht. Hierbei spielte das bereits disku26 Zu dem Anspruch, dass die ANT eine spezifische Methode darstellt, die Vorannahmen zu vermeiden hilft, siehe Latour 1996c: 376ff.; Latour 1999a: 19f. 27 Vgl. Callon/Latour 1981: »What is an ›actor‹? Any element which bends space around itself, makes other elements dependent upon itself and translates their will into a language of its own.« Callon/Latour 1981: 286. Der Begriff des Aktanten, einem aus der Semiotik stammenden Begriff, wurde erst später für den Begriff des Akteurs eingeführt, um stärker zu betonen, dass es sich hierbei auch um nichtmenschliche »Akteure« handeln kann. 28 Vgl. Latour 1987: »I propose to call whoever and whatever is represented actant.« Latour 1987: 84. 78

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tierte Konzept der »Black Box« eine besondere Rolle. Je mehr Black Boxes ein Akteur kontrolliert, desto »größer« und »mächtiger« erscheint er (vgl. Callon/Latour 1981). Damit stand die vorgängige Gleichheit der Aktanten im Vordergrund und nicht, welche Auswirkungen die Etablierung einer Asymmetrie auf die Aktanten hat und welche Unterschiede sie zwischen diesen erzeugt. In der weiteren begrifflichen Klärung (2) erscheint dann als ein Aktant eine Entität, die in der Lage ist, im Prozess der Übersetzung heterogene Netzwerke zusammenzuziehen und diese zu repräsentieren. Dies bedeutet ebenso, dass sie in der Lage ist, die Eigenschaften der beteiligten Entitäten zu bestimmen. Unabhängig von der Stabilisierung dieser Repräsentation durch die Ausbreitung der Netzwerke erscheint der Aktant dann als eine Black Box, die, wenn man sie öffnet, ein Netzwerk enthält. Ein Aktant kann damit als ein Netzwerk aufgefasst werden – als ein Akteur-Netzwerk (vgl. Callon/Latour 1981: 279; Callon 1991: 142f.). Von dem Aktanten unterschieden sind die Verbündeten, die durch den Aktanten diszipliniert werden. Da diese Verbündeten ebenso als Repräsentanten aufgefasst werden können, weil sie ein Mittelglied innerhalb einer Übersetzungskette bilden, stellen sie wiederum Aktanten dar. Die Verbündeten werden deswegen auch teilweise als Vermittler bezeichnet (vgl. Callon 1986: 214ff.; Callon 1991: 138ff.; Latour 1996c: 373ff.). Was als ein Aktant, was als ein Netzwerk und was als ein Verbündeter bzw. Vermittler aufgefasst werden muss, hängt somit von der Perspektive des Beobachters ab. Auf einer allgemeinen Ebene handelt es sich jedoch bei Aktanten und Vermittlern um gleichberechtigte MikroAkteure, deren Unterschied allein darin besteht, wer repräsentiert (der Aktant) und wer nicht (der Vermittler), wer die Rollen definiert (Aktant) und wer angehalten ist, sie zu befolgen (Vermittler). Die Asymmetrie wird hier demnach durch die Repräsentation gesetzt. Sie ermöglicht es einem Netzwerk, als ein einziger Aktant zu erscheinen. Es ist offensichtlich, dass durch die Konzentration auf die Disziplinierung der Vermittler, die gegenseitigen Transformationen im Übersetzungsprozess undeutlich werden. Ebenso erscheint gerade die Etablierung einer Asymmetrie erklärungsbedürftig, was durch eine allein begriffliche Trennung nicht zu leisten ist.29 In der Weiterentwicklung des Begriffes wurde demnach (3) als Aktant jede Entität bezeichnet, die fähig ist, Wirkungen zu produzieren.30 29 Die bei Latour 2005 vorzufindende Unterscheidung zwischen mediators und intermediaries bezieht sich eher auf die Funktion, die eine Entität innerhalb eines Netzwerkes einnimmt und wird weiter unten diskutiert. 30 Vgl. Callon/Latour 1992: 350; Callon 1995: 50ff. Diese Definition entspricht der semiotischen Auffassung eines Aktanten. 79

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Damit wird jeder Entität die Fähigkeit zugesprochen, Wirkungen produzieren zu können. Somit ist jede Entität ein Aktant. Dies entspricht ebenso dem Prinzip der Gleichbehandlung. Näher bestimmt werden die Aktanten durch das Netzwerk, in das sie eingebettet sind. Sie definieren sich gegenseitig, das heißt, sie repräsentieren sich auch gegenseitig. Jeder Entität wird demnach neben der Fähigkeit zu wirken ebenso die Fähigkeit zu repräsentieren zugestanden. Damit verschwindet die anfangs noch enthaltene Unterscheidung zwischen Repräsentant und Repräsentation. Die Entitäten selbst sind nun jeweils vorläufig stabilisierte Punkte innerhalb eines Übersetzungsprozesses, der nun als ein Transformationsprozess aufgefasst wird. Gleichzeitig verschwindet der Unterschied zwischen Repräsentation und Agens: durch die Definition der Eigenschaften wird sowohl etwas bewirkt als auch repräsentiert. Eine Entität ist damit ein Produkt ihrer eigenen Geschichtlichkeit. Obwohl sie konzeptionell gleichbehandelt werden, sind sie in ihrer empirischen Faktizität unterschiedlich. Eine Entität wird aus den vielen lokalen und zeitlichen Interaktionen mit anderen Entitäten geformt und damit ihre Fähigkeit zu repräsentieren bestimmt und eingegrenzt. Durch die Aufsummierung (summing up) all der Interaktionen, welche die Entität formen, wird ein Rahmen gesetzt (framing) (vgl. Latour 1999a: 17ff.), innerhalb dessen weitere Bewegung möglich ist. Dieses Potential für weitere Bewegung ist das, was eine Entität in der jeweiligen Situation anbietet und ihren Akteursstatus ausmacht (vgl. Latour 1996c: 373). Um es zusammenzufassen: Zu Beginn diente der Begriff des Aktanten dazu, Entitäten konzeptionell gleich zu behandeln, wobei eine Asymmetrie durch die Kontrolle von Black Boxes gesetzt wurde. Danach wurde die Konzeption der Akteur-Netzwerke eingeführt und die disziplinierende Wirkung der Repräsentation auf das Netzwerk herausgestellt, welches sie zu repräsentieren beansprucht, womit eine Unterscheidung zwischen dem Repräsentanten und dem Repräsentierten gezogen wurde. Mit der stärkeren Betrachtung der Transformationsprozesse im Übersetzungsprozess jedoch wurde allen Entitäten die Fähigkeit zu repräsentieren und zu disziplinieren, das heißt, zu wirken, zugestanden. Damit aber kann die Setzung einer Asymmetrie konzeptionell nicht mehr gefasst werden. Alle Entitäten bewegen sich in einem diffusen Feld der Macht. In der Weiterentwicklung der ANT zur Post-ANT wurde darum auch nicht mehr von Akteur-Netzwerken, sondern von Flüssigkeiten oder fluiden Objekten gesprochen (vgl. Mol/Law 1994; Latour 1996c: 273ff.; Laet/Mol 2000). Hier wird der Gedanke eines (auf den Netzwerkerbauer) zentralisierten Netzwerkes abgelehnt. Objekte und Akteure haben keine festen Grenzen und passen sich dem jeweiligen Kontext an. Infol-

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gedessen wird eine besondere Aufmerksamkeit auf die Betrachtung lokaler Transformations- und Adaptionsprozesse gelegt.31 Das Konzept der Boundary Objects, das zuerst von Griesemer/Star (1989) entworfen wurde, bewahrt hingegen den Gedanken eines strategischen Netzwerkaufbaus, wendet sich aber gegen die Idee einer vollständigen Disziplinierung der Mittler, wie sie im Konzept der Black Box und des obligatory point of passage (OPP) enthalten ist. Griesemer undStar führen das Konzept der Boundary Objects ein, um die Kooperation beim Aufbau der Sammlung des Museum of Vertebrate Zoology in Berkley zu beschreiben. Hier ermöglichten Boundary Objects, dass unterschiedliche Personengruppen (Wissenschaftler, Mitarbeiter der Administration, Trapper) mit unterschiedlichem Bildungsstand und unterschiedlichen Interessen zusammenarbeiten konnten. Sowohl der Staat Kalifornien als Territorium, dessen Flora und Fauna dokumentiert werden sollten, als auch das Museum als Organisationseinheit und standardisierte Formulare für die Erfassung und Beschreibung der Exemplare und des Kontextes, aus dem sie entnommen wurden, fungierten dabei als Boundary Objects.32 Grenzobjekte sind Objekte, die den Austausch zwischen unterschiedlichen sozialen Welten ermöglichen, gerade weil sie eine gewisse Formbarkeit beibehalten. Sie begrenzen das Handeln, ohne es zu determinieren. Sie sind vage genug, dass sich Interessen unterschiedlicher sozialer Welten mit ihnen verbinden können. Das Konzept der Boundary Objects soll verdeutlichen, dass Entitäten in unterschiedliche Netzwerke mehrfach integriert sein können. Dieses Konzept verweist somit darauf, dass es auch graduelle Abstufungen in der Disziplinierung geben kann. Inwiefern die Entitäten als Black Boxes auftreten und inwiefern als Boundary Objects ist damit eine empirische Frage. In der empirischen Studie wird sich zeigen, dass einige Entitäten, die im Diskurs um die Agrar-Gentechnik mobilisiert werden, und die Agrar-Gentechnik selbst einen ebensolchen unscharfen Charakter in ihren Grenzen besitzen. Die Einbindung in unterschiedliche soziale Welten führt dabei aber nicht zu Kooperation, sondern zum Konflikt. An dem Konzept des Aktanten ist aus unterschiedlichen Richtungen Kritik geübt worden, die sich insbesondere auf die Gleichbehandlung von menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren beziehen. Die Zuschreibung von Aktivität an Nichtmenschen sei kontraintuitiv.33 Dadurch würde, so zum Beispiel Pickering (1993), der Gedanke nahegelegt, dass 31 Das Konzept fluider Objekte wurde vor allem anhand der Untersuchung von Technologietransfers untersucht. Vgl. Laet/Mol 2000. 32 Ein ähnliches Konzept, das ebenso in Anlehnung an das Konzept der Boundary Objects entwickelt wurde, ist das Konzept der Standardized Packages von Fujimura (1992). Zur Mehrfacheinbindung nicht nur von Objekten, sondern auch von Personen vgl. Star 1991. 81

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auch Dinge der Intentionalität und der Handlung fähig seien (vgl. Pickering 1993: 562ff.). Vielmehr würden die materiellen Gegebenheiten menschlichem Handeln Widerstände entgegenbringen.34 Weiterhin gingen mit der Ablehnung des Handlungskonzeptes auch dessen ethische Implikationen verloren. Die Zuschreibung von Verantwortung und die Bewertung von Handlungsalternativen sei nicht mehr möglich.35 Jedoch lehnt die ANT gerade das klassische Handlungskonzept ab und setzt an dessen Stelle den Begriff der Übersetzung.36 Jedoch bleibt zu kritisieren, dass hier der Begriff des Interesses, obwohl es sich um eine Interessenübersetzung handelt, nicht ausgearbeitet wird. Entitäten werden durch ein bestimmtes Potential, bestimmte Verbindungen eingehen zu können, gekennzeichnet. Netzwerkbildungsprozesse besitzen keine vorgängige Richtung. Zufällige Verbindungen werden dadurch gestärkt, dass gleichzeitig ein Interesse an dieser Verbindung wächst, so wie man sich an einen zugelaufenen Hund gewöhnt. Collins/Yearly (1992a/b) sehen hingegen vor allem ein methodisches Problem im Begriff des Aktanten. Materielle Prozesse, wie nichtmenschliche Aktivität auch übersetzt werden kann, seien Gegenstand der Naturwissenschaften. Naturwissenschaftler und nicht Soziologen seien darauf spezialisiert, diese zu untersuchen. Der Einbezug materieller Komponenten würde es nahelegen, dass naturwissenschaftliche Kategorien, die in ihrer Objektivität durch wissenschaftssoziologische Arbeiten in Frage gestellt wurden, unreflektiert in die Analyse einfließen (vgl. Schaffer 1991: 189; Collins/Yearly 1992a; Collins/Yearly 1992b). Nimmt man aber nach Aussage der ANT an, dass sie die Verbindungen zwischen unterschiedlichen Entitäten betrachten will und nicht die Entitäten selbst, wird diese Kritik gegenstandslos. Das Prinzip der Gleichbehandlung richtet sich gegen den Essentialismus. Andererseits trifft die Kritik zu, wenn aus der Gleichbehandlung wieder ein Essentialismus folgt, nämlich die Eigenschaften der Formbarkeit, Interpretierbarkeit und Unbestimmbarkeit auch für Prozesse der physischen Realität zu universalisieren und festzuschreiben. 33 Diese Zuschreibung wird auf die Zentralität von Inskriptionen im Laborkonzept zurückgeführt, wobei die interpretative Flexibilität missachtet und als direkte Äußerung materieller Dinge angesehen werden würde. Vgl. Hacking 1992: 33ff.; Collins/Yearly 1992a: 311ff. 34 Sein Konzept von Widerstand und Anpassung soll dabei die Materialität des Handelns unter Beibehaltung von materieller und menschlicher Aktivität ermöglichen. Vgl. Pickering 1993. 35 Vgl. die Kritiken bei Lee/Brown 1994: 772ff.; Gingras 1995: 142f., FN 14. 36 Dies wird im nächsten Abschnitt 3.1.2.2 deutlicher. Der Begriff der Übersetzung wird an Stelle des Begriffs der Handlung gesetzt. Vgl. Callon 1995: 50ff. 82

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3.1.2.2 Verbindungen Als Verbindung zwischen heterogenen Elementen galt zunächst der Prozess der Übersetzung. Wie bereits in Bezug auf die Konstruktion wissenschaftlicher Fakten dargestellt, vollzieht sich dieser Prozess in mehreren Schritten. Entitäten werden aus konkurrierenden Einbindungen herausgelöst und auf den Erhalt der in einer Repräsentation dargestellten Verbindung ausgerichtet. Herauslösung und Einbindung ist dabei ein langsamer Prozess, innerhalb dessen der Konstrukteur des Netzwerkes einen Entwurf der Repräsentation mit seinen Verbündeten abstimmt. Die Stabilität der Verbindung wird dabei dadurch gewährleistet, dass sich die Verbündeten in einer Art freiwilligen Selbstdisziplinierung der Repräsentation unterwerfen, da sie selbst ein Interesse daran haben, das Netzwerk aufrecht zu erhalten. In der weiteren Entwicklung der ANT zur Post-ANT wurde die Aufmerksamkeit eher auf die gegenseitigen Transformationen im Prozess der Übersetzung gelenkt und die einseitige Sichtweise auf einen Netzwerkkonstrukteur abgelehnt. Jedoch ist bereits im Begriff der Übersetzung der Gedanke enthalten, dass Stabilität gegenüber den Prozessen der Transformation eher eine Ausnahme darstellt (vgl. Latour 1986: 268; Latour 1996c: 378ff.) Transformation wurde alternativ auch als Verschiebung (displacement) bezeichnet (vgl. Callon 1986: 222ff). Dadurch, dass sich der Netzwerkerbauer als Sprecher setzt, der eine Vielzahl von Stimmen zu einer vereinigt, verändert er diejenigen, in dessen Namen er spricht. Transformationen bezogen sich demnach zunächst nur auf die Repräsentierten und nicht auf den Repräsentanten. Mit dem Bedeutungsverlust des Sprechers oder Netzwerkerbauers in der ANT werden Transformationsprozesse als Kern jeder Verbindung aufgefasst, die erst in ihrer Stabilisierung die Bildung eines heterogenen Netzwerkes und die Herstellung einer Repräsentation ermöglichten. Entitäten transformieren sich, indem sie sich gegenseitig zustoßen. In diesem Zusammentreffen definieren sie sich gegenseitig in ihren Eigenschaften. Diese gegenseitige Definition kann zunächst als Ausdruck dessen gesehen werden, dass in dem »Zusammenstoßen« unterschiedliche Elemente mit einer spezifischen Vorstrukturierung einander in den Eigenschaften, die sie annehmen können, gegenseitig begrenzen und ermöglichen.37 Das sich gegenseitig Näherkommen zweier Fremder in einem Dialog mag hierfür ein Bild liefern, aber auch der Bastler, der die 37 Dieser Gedanke der Vorstrukturierung und Rahmensetzung wurde im vorigen Abschnitt mittels der Latour’schen Begriffe summing up und framing erörtert. Latour wollte damit die Trennung zwischen Akteur und Netzwerk überwinden. Vgl. Latour 1999a: 16. 83

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Beschaffenheit des Materials in unterschiedlichen Kombinationsprozessen ausprobiert oder der Student, der sich blind in ein neues Wissensgebiet hineintastet. Je länger der Dialog, das Spiel, das Betasten anhält, desto mehr wird die Verbindung gestärkt und desto mehr schält sich heraus, wer der Andere ist oder die Anderen sind, mit denen man es zu tun hat. Damit ändert sich gleichzeitig ihre Existenzweise.38 Der Gedanke der ANT ist es nun, dass in diesen Gesten, welche die Grenzen des Gegenübers ermessen und dabei das Gegenüber erst hervorbringen, als seien alle sich gegenseitig Töpfer und Ton, die Verbindung repräsentiert wird.39 Doch diese Gesten sind ebenso vergänglich und zeitweilig. Vergänglichkeit kann dadurch vermieden werden, dass die Verbindung in einem neuen Objekt bzw. in einer neuen Entität stabilisiert wird: Diese Entität kann nach den Überlegungen im vorangegangenen Abschnitt als Boundary Object bezeichnet werden. Diese wurde zuvor auch als ein Vermittler bezeichnet. Damit schiebt sich etwas Drittes zwischen die Entitäten oder – um Missverständnisse zu vermeiden, dass eine Verbindung nur zwischen zwei Entitäten gedacht wird – es bildet sich ein gemeinsamer Bezugspunkt, auf den sich die Entitäten ausrichten (alignment) (vgl. Callon 1991: 144ff.). Dieser gemeinsame Bezugspunkt kann auch als ein Ereignis konzeptualisiert werden.40 Dieser gemeinsame Bezugspunkt repräsentiert das heterogene Netzwerk41 und bildet einen Rahmen, innerhalb dessen die Aktivität der Elemente weiterhin ausgeübt werden kann. Diese repräsentierende Entität muss nicht unbedingt eine sprachlich strukturierte sein, in denen die einzelnen Rollen der Entitäten bis ins Einzelne vorgeschrieben werden. Vielmehr sind auch Symbole oder Ideen als gemeinsamer Bezugspunkt denkbar. Der Charakter einer Verbindung besteht somit nicht in einer Angleichung der Elemente eines Netzwerkes, denn es werden ihnen in der Repräsentation nicht die gleichen Rollen zugeschrieben. Vielmehr treten sie durch die Verbindung bzw. Repräsentation erst als distinktive, durch unterschiedliche Eigenschaften charakterisierte Entitäten hervor. Ähnlich nimmt das Objekt Agrar-Gentechnik umso mehr Gestalt an (jenseits dessen nur ein Set von Praktiken innerhalb der Pflanzenzüchtung zu sein), inwiefern sie mit unterschiedlichen Entitäten (Sachverhalten oder sozialen Akteuren) 38 Vgl. zu diesem Abschnitt insbesondere Latour 1996b. 39 Vgl. hierzu Latour 1996c: 273; Law 1999: 3. Dieser Gedanke, dass eine Verbindung gleichzeitig ihre Darstellung ist, wird auf die Semiotik zurückgeführt. Es ist aber auch einige Verwandtschaft zum Account-Konzept in der Ethnomethodologie erkennbar. 40 Vgl. zu der Bedeutung von Ereignissen Latour 1996b; Stengers 1997. 41 Dies kann in der Wendung zu einer »Selbstrepräsentation« einer politischen Gemeinschaft verdeutlicht werden. Vgl. hierzu insbesondere Latour 2000: 321. 84

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in Verbindung gebracht wird, auf welche sie entweder einen negativen oder positiven Einfluss haben soll. Als eine Repräsentation kann nach diesen Überlegungen demnach eine Entität gelten, auf die mehrere andere Entitäten ausgerichtet sind. Sie ist der Kern eines heterogenen Netzwerkes. Damit wird eine Asymmetrie eingeführt zwischen den Entitäten eines heterogenen Netzwerkes und der Entität, die repräsentiert. Je mehr durch die Repräsentation die Rollen festgelegt sind, welche die Transformationsprozesse innerhalb eines heterogenen Netzwerkes steuern, desto mehr diszipliniert sie die Aktanten, löst sie aus alternativen Kontextbindungen und festigt ihre Identität. Mit der Herauslösung aus anderen Netzwerken wird der Bezug auf die Repräsentation und damit die Einbindung in ein bestimmtes Netzwerk alternativlos. Infolgedessen setzt sie sich als obligatory point of passage (OPP). Eine wissenschaftliche Repräsentation, welche in sich die vereinfachte Darstellung eines Netzwerkes enthält, ist die idealisierte Endform einer Repräsentation, da sie die Interpretationsmöglichkeiten der in ihr enthaltenen Regeln einschränkt. Erst durch diese Einschränkung des Möglichkeitsraumes und der Ausrichtung der Aktivität auf die Aufrechterhaltung der Repräsentation gelingt eine Stabilisierung der Verbindung. Wenn sie jedoch nicht mehr aufrecht erhalten wird, zerfällt sie. Damit besteht das Problem, dass Verbindungen, auch wenn sie materialisiert wurden, wieder zerfallen, wenn sie nicht aufrecht erhalten werden. Würde die Repräsentationsfähigkeit nur Menschen zugestanden, gebe es damit keine agency der Dinge mehr. Wie aber die Überlegungen im vorangegangenen Abschnitt zeigten, ist die vollständige Herauslösung aus alternativen Netzwerkeinbindungen nur ein Idealfall. Dies korrespondiert mit dem Gedanken, dass eine Black Box niemals endgültig geschlossen werden kann. Damit ist es zumindest denkbar, sich gegen Netzwerkeinbindungen zur Wehr setzen zu können (vgl. Star 1991). Aus der Perspektive des Individuums ist seine Identität immer gebrochen und multipel.42 Verbindungen können demnach nach ihrer Dauerhaftigkeit unterschieden werden. Das Interesse kann nun zunächst als Interesse an der Aufrechterhaltung dieser Gemeinschaft gedeutet werden.43 Dieses Interesse erscheint zunächst erklärlich, wenn man sich den Gedanken in das Gedächtnis zurückruft, dass Aktanten ihre Identität als abgrenzbare Entitäten nur durch Bindungen bzw. Verbindungen aufrecht erhalten können. Dies würde 42 Zum Thema der Multiplizität im Gegensatz zur Singularität auch in Bezug auf Objekte vgl. Law 2002. 43 Ein Hinweis hierauf erfolgt durch Latour 1987: 210ff. Hier wird beschrieben, wie der Eindruck der Rationalität von Wissenschaftlern gegenüber anderen Kulturen daher rührt, dass er an der Aufrechterhaltung seiner eigenen Gesellschaft interessiert sei. 85

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nun den Gedanken nahelegen, dass der Kern der Verbindung in dem Interesse nach Selbsterhaltung liegt und dies nur in der Aufrechterhaltung des Netzwerkes, welches die Bedingung der eigenen Möglichkeiten ist, verfolgt werden kann.44 Jedoch tritt ein weiterer Gedanke hinzu, der in der ANT aber nur implizit enthalten ist: Ohne das Interesse an dem Anderen, an dem Fremden, würde keiner seine Hand erheben, um die Grenzen seiner Umwelt zu erkunden. Ohne den Impuls zur Bewegung würden die Aktanten nicht ihren angestammten Kontext verlassen. Nur indem er ihn verlässt, ist die Bildung von heterogenen Netzwerken überhaupt möglich.45 Genau diese Motivation soll später durch das Konzept der Zukunftserwartung erfasst werden. In allgemein gefasster Form gibt eine Repräsentation die Entitäten vor, die sich auf sie ausrichten können, indem sie ihre Eigenschaften und die Beziehung der Elemente untereinander bestimmt. Sie strukturiert das Netzwerk und zieht Grenzen.46 In diesem Sinne begrenzt und ermöglicht eine Repräsentation die möglichen Eigenschaften der Aktanten, die ihr zustoßen können. Der Unterschied zwischen Repräsentation (bzw. Boundary Object) und Aktant besteht mithin wiederum nur als ein gradueller Unterschied. Jedoch bleibt der Gedanke erhalten, dass zwar eine Repräsentation das gemeinsame Produkt der Aktanten ist, die sich in einem heterogenen Netzwerk finden, dass sich aber andere ebenso auf die Repräsentation beziehen können. Ähnlich wie bei wissenschaftlichen Repräsentationen besteht hier demnach ein Unterschied zwischen Produktion und Ausbreitung von Akteur-Netzwerken in andere Kontexte. So ist zum Beispiel die Agrar-Gentechnik nicht das Produkt all derer, die auf sie Bezug nehmen. Würden man diesen Gedanken konsequent zu Ende denken, wären die Kritiker für die Risiken der Agrar-Gentechnik selbst verantwortlich, da sie beständig auf sie verweisen. Damit zeigt 44 Der Gedanke, dass Selbst- bzw. Systemerhaltung Antrieb und Ziel von Aktivität ist, ist ebenso in anderen soziologischen Theorien – wie zum Beispiel der Systemtheorie – enthalten. 45 An dieser Stelle der Argumentation tritt eine Unschärfe auf zwischen den Begriffen des Aktanten und dem Kontext. Diese kann hier vorerst nicht geklärt werden. Als Kontext erscheint das Netzwerk. Jedoch ist – dies sollte die Argumentation zeigen – das Eingehen neuer Verbindungen nur möglich durch den Impuls, diesen Kontext zu verlassen. 46 Nach Callon (1995) gibt es drei Regeln des Netzwerkaufbaus, die bestimmen, welche Übersetzungen, Assoziationen und Repräsentationen erlaubt, das heißt möglich sind: (1) Wer ist autorisiert mit wem zu sprechen? (Welche Übersetzungen werden erlaubt und welche nicht?). (2) Wer kann sich mit wem verbünden? (Arrangement der Zirkulationsmöglichkeiten). (3) Wer spricht im Namen von Wem? (Wahl der Sprecherperson). Vgl. Callon 1995: 50ff. Damit besitzt die ANT Verwandtschaft zu diskursanalytischen Ansätzen. 86

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sich, dass es unerlässlich ist, zwischen der Produktion und Ausbreitung von Netzwerken zu unterscheiden. Mit der Ablehnung essentialistischer Vorannahmen über die Eigenschaften der Entitäten drängt die ANT darauf, die Verbindungen zu studieren.47 Diese Verbindungen werden als Ausrichtung auf eine Repräsentation verstanden. Die Konzeptualisierung verbleibt jedoch in vielen Schriften ungenau,48 weswegen der Vorwurf erhoben wurde, dass nicht klar werden würde, welche Methoden aus der Forderung nach einer Untersuchung von Repräsentationen folgen (vgl. Shapin 1988: 541ff.) Im Gegensatz zu den Laborstudien sollen weniger soziale Praktiken als Repräsentationen studiert werden, die in der Konzeptualisierung einer Verbindung eine wesentliche Rolle spielen. Damit verlieren inkorporierte Fähigkeiten (tacit knowledge), die in der Wissenschaftssoziologie noch eine wesentliche Rolle spielten, ihre Bedeutung.49 Weiterhin wurde die Kritik geübt, dass die ANT nicht erklären könne, wieso einige Verbindungen halten und andere nicht oder aber auch, wieso manche Verbindungen gezogen werden und andere nicht (vgl. Gingras 1995: 138ff.). Da als Ursache für die Dauerhaftigkeit einer Verbindung das Interesse der Aktanten an der Aufrechterhaltung des Netzwerkes genannt wird, verweist diese Kritik wiederum auf die fundamentale Leerstelle in der ANT: Das Interesse an der Aufrechterhaltung mag zwar Stabilität erklären, nicht aber die Dynamik von Transformationsprozessen, die zu neuen stabilen Verbindungen führen. Jedoch ist zunächst festzuhalten, dass im Übersetzungsprozess bzw. im Konstruktionsprozess einer Repräsentation die Aktivität verortet wird. Das klassische Handlungsmodell wird abgelehnt und durch den »kollektiven« Konstruktionsprozess ersetzt (vgl. Callon 1995: 50ff.).

47 Hierfür gibt es eine Fülle von Verweisen. Als eine der ersten siehe Callon/ Latour 1981: 300; Latour 1987: 140f.; später bei Latour 1996c: 373ff. 48 Insbesondere wurde an dem Begriff der Übersetzung kritisiert, dass er keine Aussagen darüber mache, wie die Verbindungen tatsächlich hergestellt werden. Vgl. Law 1999: 8f. 49 Vgl. zu den Kritiken hierzu Shapin 1988: 543ff.; Collins/Yearly 1992b: 372ff. Gleichwohl werden sie aber mit einbezogen. So bei Latour 1987, um die Schließung einer Kontroverse näher zu verdeutlichen (vgl. Latour 1987: 42). Callon (1995) weist darauf hin, dass inkorporierte Fähigkeiten wesentlich für den Übersetzungsprozess sind (vgl. Callon 1995: 50ff.). Fähigkeiten können seiner Meinung nach nur durch das Netzwerk beschrieben werden, in denen sie zum Ausdruck kommen (vgl. Callon 1991; 137f.), also wiederum nur durch Repräsentationen. 87

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3.1.2.3 Netzwerke Auch bezüglich des Netzwerkbegriffs ist in der Entwicklung der ANT eine Wandlung festzustellen. Der Gedanke eines Netzwerkes, in dem zentrale Punkte der Macht durch Strecken der Disziplinierung miteinander verbunden werden, ändert sich in den Post-ANT-Ansätzen: Nun befinden sich alle Entitäten in einer Transformationskette bzw. in einem Kräftefeld, in dem sich alles beständig ändert. Für eine Analyse der Setzung von Asymmetrien ist die Betonung beständiger Transformation wenig hilfreich. Im Folgenden soll demnach die Erörterung der Etablierung von Asymmetrien, so wie sie noch bei der Betrachtung wissenschaftlichtechnischer Netzwerke von Bedeutung war, im Hinblick auf ein allgemeiner gefasstes Netzwerkkonzept dargestellt werden. Um die Grundidee des Netzwerkbegriffs zu verdeutlichen, der sich von dem des technischen Netzwerkes dadurch unterscheidet, dass hier die Arbeit eines Akteurs (oder Aktanten) in den Mittelpunkt rückt (vgl. Latour 1996c: 371ff.), kann der Gedanke einer Menschenkette weiterhelfen, in der irgendwelche Gegenstände weitergereicht werden, wie zum Beispiel Wassereimer, um einen überfluteten Keller auszuschöpfen, oder Sandsäcke, um eine Flut einzudämmen. Leitend ist demnach der Gedanke, dass Bewegung abhängig ist von den lokalen Orten, welche den entsprechenden Gegenstand oder die entsprechende Aussage weiterleiten. Fehlt nur ein Glied in der Kette, ist auch der Weitertransport unterbrochen. Da jeder lokale Punkt durch einen Aktanten besetzt ist, steht es in seiner Macht, den entsprechenden Gegenstand oder eben die entsprechende Aussage einfach nur weiterzuleiten, ihn zu verändern (zum Beispiel etwas von dem Wasser zu verschütten, was in dem Eimer ist) oder die Kette zu unterbrechen. Die Ausbreitung von Netzwerken vollzieht sich durch eine undeformierte Übernahme einer lokal erzeugten Repräsentation. Eine undeformierte Übernahme ist demnach eine Kontextübertragung aus dem Kontext ihrer Produktion in einen anderen. Die Übertragung ist dann erfolgreich, wenn sich die Aktanten des neuen Kontextes bzw. lokalen Punktes in ihrer Aktivität auf die Repräsentation ausrichten und sie damit stützen. Diese Ausrichtung wird insbesondere durch die disziplinierende Wirkung der Repräsentation sichergestellt. Die disziplinierende Wirkung besteht dabei in der Einschränkung der Interpretationsmöglichkeiten der in ihr enthaltenen Rollenzuschreibung. Eine Repräsentation ist somit ein bewegter Aktant, der fähig ist, seinen eigenen Kontext zu definieren (vgl. Latour 1996c: 273 u. 278ff.). Die Konzeption des wissenschaftlichen Netzwerkes, innerhalb dessen sich die Bestätigung von Repräsentationen an unterschiedlichen lo88

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kalen Punkten vollzieht und Fakten bzw. Maschinen undeformiert zirkulieren, wird im Wesentlichen gekennzeichnet durch den Akteur, der die Konstruktionsarbeit leistet (vgl. Latour 1996c: 371ff.). Das Netzwerk ermöglicht, von einem Zentrum aus die Peripherie zu kontrollieren, das heißt, aus einer Distanz heraus zu agieren (vgl. Law 1986; Latour 1996c: 371ff.). Das Zentrum ist hierbei der Ort der Wissensproduktion bzw. der Ort, an dem die Repräsentation hergestellt wird. Dieses Zentrum leitet die Transformationen an, die in einer Kaskade der Zusammenfassung zu der Herstellung einer Repräsentation führen, ebenso wie von hier aus die Verbreitung der Repräsentation fortgetrieben wird, indem unterschiedliche Punkte auf die Repräsentation ausgerichtet werden. Zeitlich wie auch räumlich bildet das Akteurs-Zentrum die Spitze einer Hierarchie. Sowohl in der Übersetzungskette, der Kaskade der Zusammenfassung bei der Produktion einer Repräsentation, als auch im Verhältnis von Zentrum und Peripherie bei der Ausbreitung der Repräsentation, bilden die einzelnen Punkte nur Durchgangsstationen zum Zentrum. Das Netzwerkkonzept beinhaltet demnach nicht ein Beziehungsgeflecht zwischen gleichberechtigten Knotenpunkten. Die Knotenpunkte sind vielmehr lokale Machtzentren, deren Einflussbereich durch das Zentrum des Gesamtnetzwerkes koordiniert wird. Wie schon bei der Produktion einer Repräsentation bedeutet die Ausbreitung von Netzwerken nicht eine Angleichung (im Sinne von einander gleichmachen) der lokalen Punkte an die Repräsentation, sondern, dass ihnen vom Zentrum ihr jeweiliger Status verliehen, ein bestimmtes Machtpotential als Lehen übergeben wird. Macht bemisst sich in der Konzeption wissenschaftlichtechnischer Netzwerke nach der Anzahl der Aktanten, die auf den Knotenpunkt hin ausgerichtet sind (vgl. Callon/Latour 1981: 292). Eine Ähnlichkeit der Aktanten ist nur durch ihre Position im Verhältnis zum Zentrum gegeben bzw. durch die gleiche Rollenzuschreibung in der Repräsentation. Abstrakt gesehen sind die einzelnen Knotenpunkte gleichberechtigte (gleich große) lokale Punkte. Die Asymmetrie durch die Produktion der Repräsentation gesetzt (oder einfacher gesprochen: durch die Deutungsmacht). Erkennbar wird die Asymmetrie an den Transformationsprozessen. Bei einer gelungenen Kontextübertragung wird die Repräsentation nicht verändert, dafür aber der Kontext, der sich auf sie ausrichtet. Der Zusammenhang zwischen der Kaskade der Zusammenfassung und der Hierarchie in der Netzwerkausrichtung verdeutlicht ebenso, dass eine Kontextübertragung nur durch eine Vereinfachung der Repräsentation möglich ist (vgl. Callon/Latour 1981: 299; Law 1986: 245ff.). In der Konzeption des wissenschaftlich-technischen Netzwerkes sind ebenso zwei weitere Aspekte der allgemeinen Netzwerkkonzeption er89

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kennbar: Zum einen besteht die Verbindung zwischen den unterschiedlichen Machtzentren in der Zirkulation von immutable mobiles bzw. Vermittlern. Dies sind die Boten, welche die Knotenpunkte verbinden.50 Sie können danach unterschieden werden, ob sie die Botschaft bei der Weitergabe verzerren (intermediaries) oder undeformiert weitertransportieren (mediator) (vgl. Latour 2005: 37ff.). Zum anderen liegt in dem Netzwerkkonzept eine andere Raumvorstellung verborgen, die sich nicht mit dem euklidischen drei-dimensionalen Raum decken soll (vgl. Latour 1996c: 369f.; Law 1999: 6f.). Nicht alle Aktanten an einem lokalen Punkt sind auf die Repräsentation ausgerichtet. Dies verdeutlicht, dass die in einer räumlich und zeitlich abgrenzbaren Situation vorliegenden Entitäten nicht unbedingt in Beziehung zueinander stehen müssen, das heißt, dass ihnen weiter entfernt liegende Aktanten viel näher sein können. In der allgemeineren Netzwerkkonzeption wird damit deutlich, dass die Aktanten trotz ihrer Netzwerkeinbindung dennoch eine relative Eigenständigkeit behalten. Wie bereits gezeigt, bietet ein Aktant auf Grund seiner Vorstrukturierung (summing up) einen Raum von möglichen Verbindungen an (framing). Er kann sich damit an unterschiedliche Repräsentationen anlagern, demnach in unterschiedliche Netzwerke (mehrfach) eingebunden sein. Je mehr dieser Möglichkeitsraum eingeschränkt wird und je mehr alternative Netzwerkbindungen gelöst werden, desto stabiler ist eine Repräsentationen. Damit steigert sich jedoch die Abhängigkeit eines Aktanten zu einem bestimmten Netzwerk. Seine Eigenständigkeit bewahrt ein Aktant nur, indem er sich andere Bindungen erhält bzw. sich nicht nur auf eine Repräsentation ausrichtet. Mit der gestiegenen Abhängigkeit von einer Repräsentation wird der Aktant zwar in seiner Identität durch die Rollenzuschreibung gestärkt, er verschwindet aber in der Außenansicht. Von außen erscheint das heterogene Netzwerk, von dem er ein Teil ist, als eine Black Box, als ein einziger Aktant. Zwei Aspekte sind in Bezug auf die Setzung von Machtasymmetrien bedeutsam. So liegt (1) Macht bei denjenigen, welche eine Repräsentation produzieren und für ihre Ausbreitung sorgen. Auch wenn die Produktionsstrukturen selbst nicht erkennbar sind, lassen sich die Machtzentren an der Netzwerkausrichtung erkennen. So erfolgt von den Machtzentren aus eine undeformierte Weitergabe von Repräsentationen durch die erfolgreiche Disziplinierung der Mittler. Weiterhin (2) besteht eine Asymmetrie darin, dass die Eigenständigkeit der Aktanten eingeschränkt wird, was bedeutet, dass alternative Netzwerkverbindungen ausgeschlossen 50 Callon (1991) benennt vier Haupttypen solcher intermediaries: (1) literarische Inskriptionen, das heißt Texte, (2) technische Artefakte, (3) Menschen, (4) Geld. Vgl. Callon 1991: 135ff. 90

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werden. Doch selbst in stabilisierten Netzwerken gelingt dies nie vollständig, da eine Black Box nie endgültig geschlossen werden kann. Beide Aspekte von Macht werden für die empirische Untersuchung bedeutsam sein. Auf Grund der Mehrfacheinbindung von Entitäten kann das Netzwerk nicht als eine Hierarchie gedeutet werden. Die Vektoren der Abhängigkeiten überschneiden sich. Es gibt unterschiedliche Centers of Calculation im Netzwerk der gesellschaftlichen Wissensproduktion. So werden in der empirischen Untersuchung die Organisationen, die sich zur Agrar-Gentechnik positionieren, als solche aufgefasst; also als Wissensproduktionsstätten, die Argumentationspapiere für und wider die Agrar-Gentechnik herstellen, Argumente und Akteure mobilisieren, um ihre Position zu stützen. Wie erfolgreich sie dabei sind, ist eine offene Frage, der in der empirischen Untersuchung nachgegangen wird.51 Das Netzwerkkonzept der ANT ist auf der Ebene der Gegenstandskonzeption und auf der methodologischen Ebene kritisiert worden. Auf der Ebene der Gegenstandskonzeption ist der Hauptgedanke der ANT vorzufinden, dass die Gesellschaft nur verstanden werden könne, wenn ihre Verankerung in materielle, insbesondere technische Gegebenheiten mit betrachtet wird. Natur und Gesellschaft werden durch heterogene Netzwerke stabilisiert. Die Eigenschaften der Natur, Form und Charakter der Entitäten werden durch Assoziationen aufrecht erhalten, ebenso wie die sozialen Beziehungen durch ihre Verankerung in materiellen Gegebenheiten (den missing masses) gestützt werden.52 Dies führte zu dem Missverständnis, dass die methodische Gleichbehandlung, wie zum Beispiel die von menschlichen und nichtmenschlichen Aktanten, auf die Behauptung hinauslaufe, dass zwischen ihnen kein wesentlicher Unterschied bestehen würde. In gleicher Weise führte die Konzeption einer engen Verwobenheit von technischen, sozialen und diskursiven Elementen zu der Annahme, dass zwischen ihnen auch in der Praxis nicht unterschieden werden könne (vgl. Gingras 1995: 129f.). Jedoch betont die ANT, dass mit der konzeptionellen Gleichbehandlung nicht die Leugnung von Differenzen einhergehe (vgl. Callon/Latour 1992: 256). Das Netzwerkkonzept legt nahe, dass stabilisierte Netzwerke gerade erst distinkte, voneinander unterscheidbare Einheiten produzieren. Die ANT schafft einen neuen Gegenstand der Analyse: die Akteur-Netzwerke. Damit stellt sie nach Ansicht einiger ihrer Kritiker keine Sozialtheorie dar, da sie den Begriff des Sozialen durch die Aufhebung 51 Die hierbei auftauchenden Probleme werden an den entsprechenden Punkten diskutiert. 52 Vgl. Latour 1986; Latour 1992. Siehe ebenso die 3. und 4. Methodenregel in Latour 1987. 91

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der Trennung zwischen Menschen und Nichtmenschen so ausweitet, dass sie die disziplinäre Abgrenzung sprengt.53 Vielmehr wird das Soziale in den Verbindungen verortet, die sich auf Grund der Einebnung der Trennung zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Aktanten auf alle denkbaren Assoziationen beziehen können.54 Auf der methodologischen Ebene bezieht sich die Kritik an der ANT auf die ungenügende Trennung zwischen Epistemologie und Ontologie (vgl. Gingras 1995: 126; Weber 2003: 91f.; Schüttpelz 2008). So wurde kritisiert, dass die Konstruktion von Wissen nicht mit der Beschaffenheit der Wirklichkeit gleichgesetzt werden könne (vgl. Shapin 1988: 541ff.; Collins/Yearly 1992b: 382; Sismondi 1993: 535; Gingras 1995: 137f.;). Weiterhin sage die Selbstbeschreibung eines Netzwerkes noch nichts über die tatsächlichen Praktiken aus.55 Der Grundgedanke der ANT ist aber, dass die Repräsentation von Entitäten mit deren Existenzweise zusammenhängt. Daraus entstehen über die grundlegende Kritik hinaus zwei methodische Probleme, die sich auf der ersten und der zweiten Beobachtungsebene ergeben. So erhebt die ANT den methodischen Anspruch, ein heuristisches Konzept zu entwerfen, das vorurteilsfrei die Untersuchung von Netzwerkaktivitäten anzuleiten vermag. Durch das Studium von Verbindungen und Assoziationen soll das Gesamtnetzwerk nachgezeichnet und durch seine Beschreibung zu einer Erklärung des Netzwerkes gelangt werden. Durch eine »möglichst arme Infrasprache« soll es dem Beobachter ermöglicht werden, unterschiedliche Netzwerke zu »bereisen« (vgl. Latour 1996c: 376ff.). An dem methodologischen Konzept der ANT ist insbesondere wie schon bei den Laborstudien der Theorieverzicht problematisch.56 Die These von der Theoriegeleitetheit der Beobachtung verdeutlicht bereits, dass eine vorurteilsfreie Beobachtung nicht möglich ist. In diesem Sinne ist der ANT eine gewisse Inkonsistenz vorzuwerfen, da bei ihrer Beobachtung wissenschaftlicher Praktiken, auf der letztendlich das gesamte Akteur-Netzwerk-Konzept aufbaut, von der interpretativen Flexibilität und der Theoriegeleitetheit der Beobachtung ausgegangen und konzeptionell in den Netzwerkbegriff eingearbeitet 53 Zu einer Kritik hierzu vgl. Collins/Yearly 1992a: 309ff.; Hasse/Krücken/ Weingart 1994: 249ff.; Lee/Brown 1994; Halfmann 2001: 141. Jedoch sehen andere die Leistung der ANT vor allem in Bezug auf die Beschreibung avancierter Technik gegeben, wie zum Beispiel autonome technische Agenten, bei denen die Zuschreibung von Handlungsfähigkeit Sinn machen würde. Vgl. hierzu Teubner 2006 sowie das Konzept des verteilten Handelns bei Rammert/Schulz-Schaeffer 2002. 54 So angedeutet bei Callon/Latour 1992: 359. 55 Vgl. die Kritiken bei Collins/Yearly 1992b: 372ff. 56 Vgl. zur Kritik an den Laborstudien Hasse/Krücken/Weingart 1994: 238. 92

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wird. Da jegliche Problematisierung des Verhältnisses von Theorie und Empirie für den eigenen Forschungsansatz ignoriert wird, folge – so die Kritiker – ein naiver Realismus (vgl. Collins/Yearly 1992a; Gingras 1995). Die ANT lehnt die Vorstellung, dass es einen privilegierten Zugang zur Realität geben könnte, jedoch ab (vgl. Latour 1996b: 90). Sie möchte nicht repräsentieren, sondern den durch die bisherigen Repräsentationsweisen zum Schweigen gebrachten wieder zu einer Stimme verhelfen (vgl. Woolgar 1992: 335ff.; Latour 2001: 101f.). In diesem Sinne transportiert die ANT einen moralischen Anspruch: Sie will nicht repräsentieren und damit disziplinieren, sie möchte die Vielfalt steigern (vgl. Latour 1996c: 376ff.).57 Die durchaus nachzuvollziehenden Kritiken zeigen, dass ihr das nicht gelingt.58 Unter die Kategorie von Natur und Gesellschaft wird eine weitere Beschreibungsebene gesetzt: die AkteurNetzwerke. Damit schafft sie zwar eine Vergleichsebene, auf der sich die Konstruktionsprozesse von Natur und Gesellschaft beobachten lassen, sie löst aber nicht das Problem, dass mit der Konzeption von AkteurNetzwerken diese als Untersuchungsgegenstand erst erschaffen, konstruiert, repräsentiert und damit diszipliniert werden (vgl. Collins/Yearly 1992a: 377ff.). Der von der ANT transportierte moralische Anspruch führt ebenso zu dem zweiten Problemkreis. Da die Wirklichkeitsbeschreibungen der Akteure ernst genommen werden sollen, kann nicht mehr zwischen Fakt und Fiktion unterschieden werden. Die Problematik, die sich hieraus ergibt, ist, dass in den Wirklichkeitsbeschreibungen Wertungen enthalten sind, die sich durchaus gegen die Existenzweise anderer Akteure richten können. Eine Kritik dieser Wirklichkeitsbeschreibungen (zum Beispiel die Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen) ist mittels der ANT nicht möglich.59 Weiterhin geht durch die Ablehnung theoretischer Begriffe die Vorstrukturierung der beobachteten Netzwerkbildungsprozesse in die Untersuchung nicht mit ein. Die Konstruktion von Netzwerken baut immer nur auf vorherigen Zuständen des Netzwerkes auf. Aus diesem Grund müssten eigentlich die gesamtgesellschaftlichen Restriktionen betrachtet werden, welche die Freiheit des Konstrukteurs ein57 Will man also nach einer inneren Wertausrichtung von Theorie suchen, so ist sie gerade hier zu verorten. Durch diesen Anspruch, der gegen Disziplinierung und auf Vielfalt ausgerichtet ist, werden viele Konzepte der ANT und auch der Post-ANT-Ansätze verständlicher. 58 Vgl. die Kritiken zu der machiavellistischen Beschreibungsweise wissenschaftlicher Praktiken. Expliziter insbesondere bei Schaffer 1991: 183ff.; Collins/Yearly 1992a: 317ff.; Lee/Brown 1994. Weiterhin hat die ANT diesen Mangel auch selbst bemerkt. Siehe unter anderem Law 1999 und die Diskussion bei Neyland 2006. 59 Vgl. die Kritik bei Kenshur 1996. 93

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schränken (vgl. Gingras 1995: 138ff.; Schüttpelz 2008). In dem Konzept der modernen Verfassung versucht Latour eine Beschreibung der Moderne. Diese Beschreibung kann als Hinweis auf die Vorstrukturierung von Netzwerkbildungsprozessen gelesen und in das Netzwerkkonzept der klassischen ANT integriert werden.

3.1.3 Das Konzept der Verfassung Netzwerkbildungen finden in einem historischen Raum statt. Sie bauen auf bereits vorhandene Netzwerkbildungsprozesse auf. Ebenso sind Technikinnovationen nicht erst seit den 70er Jahren von Technikkonflikten begleitet gewesen. Damit stellt sich die Frage, durch welche historische Konstellation die zeitgenössischen Technikkonflikte gerahmt sind. Wie sind sie vorstrukturiert? Insbesondere in den modernisierungstheoretischen Schriften Latours gelangt die ANT zu einer Beschreibung der Moderne, die diese Vorstrukturierung kennzeichnen kann (vgl. Latour 1998; Latour 2000; Latour 2001). Die These Latours, wie er sie insbesondere in seinem Essay Wir sind nie modern gewesen dargelegt hat, ist hierbei, dass die Trennung zwischen Natur und Gesellschaft eine moderne Erfindung ist, die gerade den Erfolg von Wissenschaft und Technik bedingte. Den Begriff der modernen Verfassung gebraucht Latour um die Kosmologie der Moderne, welche die Trennung von Natur und Gesellschaft umfasst, zu beschreiben. Mit dem Begriff der Verfassung ist es möglich die Vorstrukturierung von Beziehungssetzungen in der gegenwärtigen Situation an der Unterscheidung von Natur und Gesellschaft orientiert zu erfassen. Ebenso wird in der folgenden Diskussion deutlich, dass die Verfassung als Instrument der Stabilisierung von Repräsentationen sowie als Instrument der Ausbreitung von Netzwerken und damit als Machtinstrument aufgefasst werden kann. Dadurch, dass der Bereich der Politik neben dem Bereich der Wissenschaft in der Konzeption der modernen Verfassung auftaucht, kann durch die Diskussion ebenso ein Ansatzpunkt für die Klärung des Interessenbegriffs geliefert werden. Die moderne Verfassung60 umfasst die Definition zweier großer Bereiche – Natur und Gesellschaft – innerhalb derer die in ihnen versammelten Entitäten repräsentiert werden. Hierfür gibt es zwei legitimierte Sprecherpositionen: Wissenschaft und Politik. Die moderne Verfassung beinhaltet damit zwei Repräsentationstechniken: die politische Repräsentation der Gesellschaft und die wissenschaftliche Repräsentation der Natur. Der Gegenstand der Repräsentation ist in beiden Bereichen abgegrenzt und seine Eigenschaften werden vorab von der Verfassung defi60 Vgl. für die folgende Darstellung insbesondere Kapitel 2 in Latour 1998: 22ff. 94

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niert: Die Natur versammelt alle nichtmenschlichen Entitäten, die Gesellschaft alle menschlichen Wesen. Nichtmenschliche Entitäten werden als geschichtslos und passiv konzeptualisiert, menschliche Wesen hingegen als zur freien Handlung fähig. Die Struktur der modernen Verfassung ergibt sich für Latour nun daraus, dass er zwischen zwei unterschiedlichen Praktiken unterscheidet: der Arbeit der Reinigung und der Arbeit der Vermittlung. Letztere ist nur ein anderer Name für den in den vorangegangenen Abschnitten vorgestellten Prozess der Übersetzung (vgl. Latour 1998: 18ff.). Die in der Arbeit der Vermittlung hergestellten Verbindungen – den heterogenen Netzwerken – werden in der Arbeit der Reinigung entweder als zur Seite der Natur oder zur Seite der Gesellschaft zugehörig dargestellt. Nach der Arbeit der Reinigung erscheint Natur als von dem Menschen unabhängig, Gesellschaft hingegen als Resultat der freien Handlungen von Menschen. Aus der Perspektive der Arbeit der Vermittlung zeigt sich jedoch, dass Natur durch den Menschen konstruiert, die Gesellschaft hingegen durch materielle Artefakte zusammengehalten wird, die vom Menschen unabhängig sind. Das Konzept der modernen Verfassung baut demnach auf zwei ineinander verschachtelten Unterscheidungen auf. Nicht nur die Trennung zwischen Natur und Gesellschaft ist in der modernen Verfassung enthalten, sondern ebenso die Trennung zwischen der Arbeit der Reinigung und der Arbeit der Vermittlung. Würden beide Praktiken zusammenbetrachtet, so Latour, würde also eine Vermittlung zwischen Natur und Gesellschaft zugelassen, dann ergebe sich ein Paradox. Dieses Paradox und seine Auflösung wird in Tabelle 1 verdeutlicht (vgl. zu dieser Darstellung Latour 1998: 47, Abb. 2). Tabelle 1: Die moderne Verfassung nach Latour Natur

Gesellschaft

Arbeit der Reinigung

... ist vom Menschen unabhängig

... ist durch den Menschen konstruiert

Arbeit der Vermittlung

... ist durch den Men- ... ist vom Menschen unabschen konstruiert hängig

Repräsentant

... ist im Labor konstruiert

... erhält Stabilität durch die Mobilisierung von Dingen

Wissenschaft

Politik

Quelle: Latour 1998: 47, Abb. 2

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DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Die Konzeption der modernen Verfassung baut auf der ANT und ihrer Beschreibung wissenschaftlicher Netzwerke auf. Die Konstruktivität wissenschaftlicher Erkenntnisse im Labor (Arbeit der Vermittlung) erscheint in der Inversion der Übersetzung (Arbeit der Reinigung) als direkte Aussage der Natur. Da damit gleichzeitig eine Ausbreitung der Netzwerke verbunden ist, erhält die Gesellschaft ihren Zusammenhalt durch die damit einhergehende Mobilisierung von Entitäten. Dieser Grundgedanke wird nun auf die Repräsentation der Gesellschaft erweitert. Wissenschaft tritt nun als Repräsentant der Natur auf, als Repräsentant der Gesellschaft hingegen die Politik. Eine der wesentlichen Funktionen, die Latour der modernen Verfassung zuschreibt, ist die der Kritik. Kritik wird als Mechanismus vorgestellt, der zur Ausbreitung von Netzwerken beiträgt. Latour ist gegenüber der Kritik äußerst kritisch eingestellt. Er bezeichnet sie als Denunziation.61 Mittels der kritischen Ressourcen von Natur und Gesellschaft sei es möglich geworden, die Vielzahl der Einzelmeinungen zu begrenzen und die Wissenschaft als Repräsentanten zu etablieren. So kann der Verweis auf die transzendenten Naturgesetze dazu dienen, die von der wissenschaftlichen Repräsentation abweichenden Meinungen als bloße Glaubensvorstellung darzustellen. Sie setzt damit den Unterschied zwischen Glauben und Wissen und präferiert Letzteres vor Ersterem. Der Verweis auf die Gesellschaft hingegen vermag Wissensansprüche – selbst die wissenschaftlichen – als Ideologie darzustellen, indem sie diese auf menschliche Akteure bzw. gesellschaftliche Strukturen zurückführt. Durch den wechselseitigen Gebrauch dieser kritischen Ressourcen sei es möglich, den Eindruck unbegrenzter menschlicher Freiheit zu bewahren, obwohl die Wissenschaften die Bindungen an natürliche und gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten stärkten. Im Hintergrund werden die Hybriden vermehrt, das heißt, immer mehr Dinge mobilisiert und in die menschliche Gesellschaft einbezogen, die letztendlich die menschliche Freiheit begrenzten.62 In gleicher Weise wird politische Macht dadurch gefestigt, dass den Menschen ihre eigenen Vorstellungen von Moral durch eine andere, abstrakte Moral ersetzt wird (vgl. Latour 2000: 270ff.). 61 Vgl. Latour 1998: 61. Ein anschauliches Charakterbild des modernen Kritikers findet sich in Latour 2000: 330f. u. 339ff. Zu den modernen Kritiken, wie sie im Folgenden dargestellt werden, vgl. Latour 1998: 50ff. 62 »Wie könnte man die Kollektive besser ausweiten als durch Verbündung mit der Transzendenz der Natur und der totalen menschlichen Freiheit, während man sich gleichzeitig die Natur einverleibt und die Spielräume der Freiheit absolut begrenzt?« Latour 1998: 54. 96

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Die moderne Verfassung hat damit zum einen die Funktion nichtwissenschaftliches Wissen und die alltägliche Moral zu entwerten und zum anderen die Abhängigkeit des Menschen zu bereits gefestigten Netzwerken zu leugnen, indem der Mensch allein als der Urheber seines Schicksals dargestellt wird. Damit wird die Ausbreitung der Netzwerke durch zweierlei begünstigt: Zum einen werden die Bindungen des Menschen an seine Umwelt abgestritten, zum anderen werden ihm neue Bindungen vorgegeben. Wie bereits dargestellt bezieht sich ein Übersetzungsprozess gerade darauf, einen Aktanten aus Alternativeinbindungen zu lösen (interessement) und ihn auf eine Repräsentation hin auszurichten (enrolment). Mittels der kritischen Ressourcen von Natur und Gesellschaft ermöglicht die moderne Verfassung, bereits bestehende Verbindungen zu zerschlagen und durch neue zu ersetzen. Damit wird die Ausbreitung der Netzwerke vorangetrieben und mit der Ausbreitung der Netzwerke politische Macht gefestigt. Ähnlich ist der Gedanke einer Parallelität von technischem und sozialem Fortschritt zu betrachten. Jede technische Innovation wird hier gleichzeitig zu einem sozialen Fortschritt. Die Ausbreitung der Netzwerke, die in diesem Sinne als Technikinnovation begriffen werden können, gestaltet den sozialen Kontext um, was in der Ideologie der Moderne ebenso als ein Fortschritt dargestellt wird.63 Macht ist demnach die Fähigkeit, diese Destabilisierungsprozesse durchzuführen. In der Sichtweise Latours erscheint die moderne Verfassung als Ideologie und die Praktiken der Reinigung als unzulässige Praktiken, auch wenn er sich selbst von solch einer Kritik distanziert. Die Arbeit der Vermittlung wird als eine anthropologische Grundkonstante eingeführt. Die Arbeit der Reinigung hingegen nur als eine zusätzliche Praktik, welche es vermag, die Arbeit der Vermittlung zu beschleunigen und damit zu all den Problemen der Moderne beizutragen, die auf eine soziale als auch ökologische Krise in den westlichen Industriegesellschaften hindeuten. Auch wenn Latour behauptet, dass er die moderne Verfassung nicht als Ideologie darstellen möchte (vgl. Latour 1998: 75) und keineswegs die Praktik der Vermittlung der Praktik der Reinigung bevorzuge (vgl. Latour 1998: 70), drängt sich doch der Eindruck auf, dass die moderne Verfassung eine Fiktion und die Arbeit der Reinigung eine unzulässige Praxis sei. Damit bedient er sich ebenso einer denunziatorischen Kritik, die er doch vermeiden möchte.64 63 Es ist schwierig, zu behaupten, dass die Ausbreitung der Netzwerke mit Technikinnovation gleichzusetzen sei, da die ANT und auch Latour keinen ausgearbeiteten Technikbegriff besitzen bzw. ihn nicht sauber von Wissenschaft abgrenzen. 64 Vgl. zu einer ähnlichen Anmerkung Kneer 2008: 271f. 97

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Latour selbst entwirft ein (normatives) Gegenbild zur modernen Verfassung. Latour möchte in der »politischen Ökologie« das Bild von Natur und Gesellschaft richtigstellen (vgl. Latour 2001: 21ff.). Eine Vermittlung zwischen beiden Bereichen soll gedacht werden können. Die Umwelt eines Menschen begreift Latour als Beziehungsgeflecht, das ähnlich einem heterogenen Netzwerk unterschiedliche Dinge, nicht nur Menschen, umfassen kann. Der Mensch befindet sich in einer Gemeinschaft, die Latour als Natur-Kulturen oder auch als Kollektiv bezeichnet.65 Das Soziale wird nun in den Assoziationen gesehen, welche die Bewohner dieser Natur-Kulturen miteinander verbinden und die ihr Außen in allen noch nicht in das Kollektiv einbezogenen Wesen findet (vgl. Latour 2001: 56). Diese Verbindungen determinieren den Menschen aber nicht in seiner Freiheit und schränken ihn ein, sondern ermöglichen erst seine Handlungsfähigkeit.66 Dieser Gedanke deckt sich mit dem Gedanken im allgemeinen Netzwerkkonzept, dass erst durch die Einbindung in ein heterogenes Netzwerk die Aktanten als distinktive Einheiten hervorgebracht werden. Gleichzeitig wird mit diesen Bindungen ein Wert verbunden.67 Wie an der Konzeption der Übersetzung erkennbar, verbindet die einzelnen Elemente eines Netzwerkes ein gemeinsames Interesse. Auch das Kollektiv besitzt eine Repräsentation, die dieses heterogene Netzwerk erst hervorbringt. Diese Repräsentation ist jedoch weniger auf einen universalistischen Geltungsanspruch ausgerichtet, sondern auf die Selbstrepräsentation einer bestimmten Gemeinschaft (vgl. Latour 2000: 321). Ebenso sind die Repräsentationen der Dinge nicht wahr, weil sie mit ihrem wirklichen Wesen übereinstimmen, sondern sie sind wirklich, da sie konstruiert sind. Somit soll eine soziologische Untersuchung nicht eine Fremdbeschreibung erzeugen, sondern sich der Selbstbeschreibung als Wirklichkeitsbeschreibung annehmen (vgl. Latour 2000: 348ff.). Gegen das Konzept in der modernen Verfassung entwirft Latour eine neue Verfassung, welche die Menschen und die Dinge nicht mehr entmündigen soll. Latour zielt darauf, die Definition einer Verbindung nicht 65 Zu diesen Begriffen vgl. Latour 1998: 11 u. 143. 66 »Wie wir wieder und wieder gesehen haben, verringern Bindungen nicht die Autonomie, sondern fördern sie.« Latour 2000: 338. Damit wird Humanität als Vermittlung neu definiert: »Wenn man das Handeln auf alle Mittler umverteilt, verliert man zwar die reduzierte Form des Menschen, gewinnt aber eine andere, die man unreduziert denken muss. Das Menschliche ist gerade in der Delegation, im Paß, in der Sendung, im ständigen Austausch der Formen.« Latour 1998: 184. 67 In Bezug auf Andere sind Assoziationen das, »what they value most, what they are most dearly attached to.« (Herv. i. Org.) Latour 1987: 205. 98

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mehr in die Hände eines Repräsentanten zu legen, sondern sie zu demokratisieren. Alle Bewohner in einem Kollektiv sollen gehört werden. Wie sich die neue, friedlichere Verfassung zu gestalten habe, könne aber nur ein kollektiver Lernprozess zeigen. Jedoch ist ein angemessener Umgang mit der Umweltproblematik – die nicht nur als Umweltproblematik, sondern ebenso als soziale und ökonomische Problemlage bezeichnet werden kann (vgl. Latour 2001: 40) – nur in einer Verlangsamung der Ausbreitung der Netzwerke möglich, indem die zu etablierenden Verbindungen immer wieder neu durchdacht werden würden. Das Problem der Hybriden stellt sich demnach als ein Problem dar, dass sich die bislang ausgeschlossenen oder ruhig gestellten Stimmen wieder Gehör verschaffen bzw. nicht mehr durch eine Ausbreitung der Netzwerke diszipliniert werden können. So ist zum einen die wissenschaftliche Erkenntnisproduktion als ein konstruktiver Prozess offensichtlich und zum anderen die Bindung des Menschen an seine nichtmenschliche Umwelt deutlich geworden. Dies sei nur dadurch ermöglicht, da Wissenschaft und Technik – die technoscience – die Verbindungen zur nichtmenschlichen Umwelt gestärkt habe. Die in dieser Arbeit vertretene These ist, dass das Konzept der modernen Verfassung bei Latour und das Verhältnis der Praktiken der Reinigung und der Vermittlung die Unterscheidung zwischen Ausbreitung und Produktion von Netzwerken nivelliert. Diese Unterscheidung ist jedoch, wie bereits bei der Diskussion der klassischen ANT betont wurde, für die Untersuchung von Machtasymmetrien unabdingbar. Diese These führt weitergehend zu der empirischen Hypothese, welche die empirische Untersuchung zur Agrar-Gentechnik anleitete, dass die Sprengung der modernen Verfassung durch die Ausbreitung der Hybriden nicht zu differenzlosen Netzwerkbildungsprozessen führt, sondern zu einer Modifikation und Transformation der modernen Verfassung. Dabei wird davon ausgegangen, dass mehrere Verfassungsentwürfe im Entstehen begriffen sind. Diese Annahme wird im Folgenden damit begründet, dass die Praktiken der Reinigung als notwendig für die Praktiken der Vermittlung betrachtet werden müssen. Sie sind wesentlich für die Vorannahmen, welche die Praktiken der Vermittlung erst ermöglichen und der Netzwerkbildung eine Richtung geben. Die konzeptuelle Stellung der Praktiken der Reinigung bei Latour, enthält implizit den Gedanken, dass diese abgeschafft werden könnten, ja, es wird sogar die Forderung aufgestellt, dass sie abgeschafft werden müssten. Die geringere Bewertung der Praktiken der Reinigung resultiert daraus, dass Latour zwei Unterscheidungen in eins- bzw. gleich setzt: die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt und die Unter-

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scheidung zwischen Natur und Gesellschaft.68 Beide Unterscheidungen sind aber voneinander zu trennen. So ist die Subjekt-Objekt-Problematik zunächst nicht ein Problem von Handlungen, sondern das Grundproblem der Erkenntnistheorie. Sie steht damit im Mittelpunkt der Repräsentationsproblematik, dem sich sowohl die Wissenschaft als Repräsentant der Natur als auch die Politik als Repräsentant der Gesellschaft, zu stellen hat. Die Problematik bezieht sich demnach auf die Produktion einer Repräsentation. Dadurch tritt sie als ein Problem gesellschaftlicher Akteure auf. Sie wird nicht als methodologisches Problem thematisiert. Die Unterscheidung von Natur und Gesellschaft hingegen stützt nach der Konzeption der modernen Verfassung die Ausbreitung von Repräsentationen. Die ungenügende Trennung beider Unterscheidungen korrespondiert demnach mit der ungenügenden begrifflichen Trennung zwischen der Produktion und der Ausbreitung einer Repräsentation, so wie sie schon im Gesamtkonzept der ANT aufgefallen war. Beide Unterscheidungen werden darüber hinaus mit der Unterscheidung von Aktivität und Passivität verbunden. Auf der einen Seite – der Gesellschaft – versammeln sich die Menschen, die als Subjekte der freien Handlung fähig aber durch gesellschaftliche Bindungen geprägt sind. Auf der anderen Seite – der Natur – stehen die nichtmenschlichen Wesen, die passiv als Ressourcen für die umgestaltenden Pläne des Subjektes dienen, dennoch aber Naturgesetzen unterworfen sind. Es kann gezeigt werden, dass in der modernen Verfassung die Vermittlung zwischen Subjekt und Objekt repräsentiert, also in gereinigter Form dargestellt wird und dies unabhängig vom Gegenstand, sei er Natur oder Gesellschaft. Die Arbeit der Vermittlung wird demnach repräsentiert. Dies zeigt sich bei einer erneuten Betrachtung der wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion. So bildet die Wissenschafts- und Erkenntnistheorie jene Vermittlungsproblematik ab, die auch als Subjekt-ObjektProblematik bekannt ist. Damit wird die Arbeit der Vermittlung – entgegen den Annahmen Latours – ebenso repräsentiert, wenn auch in gereinigter Form. Die Subjektposition stellt sich in den Wissenschaften anders dar als in der Politik. So verweist Stengers (1997) – welche in ihrem Buch Die Erfindung der modernen Wissenschaften einige Grundgedanken aus dem Umfeld der ANT fortführt – darauf, dass die Macht der Wissenschaften auf die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt zurückgeführt werden kann, wobei das Subjekt frei von Meinungen sei und das Objekt im Experiment »vor einem Tribunal« auf die Probe gestellt werde. Doch auch außerhalb der Experimentalwissenschaften sei 68 Hinweise für eine Gleichsetzung gibt es bei Latour 1998 zum Beispiel in Abbildung 4 und folgende (vgl. Latour 1998: 70). Expliziter bei Latour 2001: 104ff. 100

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das Hauptkennzeichen, dass Praktiken erfunden werden, die es ermöglichen, Aussagen immer wieder erneut zu erproben. Dadurch werde eine Dynamik in Gang gesetzt, Mensch und Sachen beständig neu zu definieren (vgl. Stengers 1997: 201ff.). In den theoretisch-experimentellen Wissenschaften würden Mittel einer systematischen Abwandlung erfunden, so dass das Phänomen als legitimer Repräsentant aus dem Spiel der Variablen heraustreten könne (vgl. Stengers 1997: 224). An diesen Gedankengang können folgende Überlegungen angeschlossen werden. Mit der Entstehung der neuzeitlichen Wissenschaften wurde deren Autonomie durch ihre Trennung von anderen gesellschaftlichen Bereichen, insbesondere zu denen der Religion und Politik, begründet.69 In der Trennung der Institution der Wissenschaft soll es dem Forscher möglich werden, seine Eigenschaften als menschliches Subjekt abzustreifen und dadurch vorurteilsfrei – objektiv – von dem Objekt zeugen zu können. Demnach wird in den Wissenschaften eine andere Subjektform erfunden, die sich von den Subjekten, welche die Gesellschaft bilden sollen, unterscheidet: das Forschersubjekt. Dieses muss sich aller gesellschaftlicher Bindungen enthalten und sein Handeln zurückstellen. Damit taucht das Subjekt-Objekt-Problem als eine Subjekt-Objekt-Spaltung erst auf. Dieses Problem wird vor allem an der bekannten »Gehirn im Tank«These deutlich: Wie soll ein Geist in einem abgeschlossenen Gefäß dennoch von der Außenwelt zeugen können? Die Experimentalwissenschaften lösten dieses Problem methodisch durch das Experiment: durch die Kontrolle der Einflussgrößen, welche Auswirkungen auf das Erscheinen des Phänomens haben könnten. So wie der Forscher sich selbst kontrollierte (wenn man so will: selbst disziplinierte), kontrollierte er die Variablen des Experiments, so dass seine Erkenntnis rein dem Phänomen gegenübertreten konnte. Die ANT weist nun darauf hin, dass dieses Phänomen, dessen der Forscher ansichtig wird, nur stabilisiert werden kann, wenn es auch für andere Menschen und zu anderen Orten und Zeiten wieder auftaucht. Dies kann aber nur geschehen, indem die Komponenten, die in der experimentellen Situation kontrolliert wurden, ebenso in anderen Situationen kontrolliert werden. Die Kontrolle von Störgrößen ist demnach das wesentliche Merkmal der praktischen Lösung des Erkenntnisproblems. Somit wird in den Wissenschaften nicht nur eine neue Subjektposition, sondern auch eine neue 69 Diese Trennung fand ihren institutionellen Rahmen in der Gründung der wissenschaftlichen Akademien im 17. Jahrhundert in Frankreich und England. Insbesondere in dem Gründungsstatut der Royal Society wurde es, um gutes Benehmen zu bewahren und Streit zu vermeiden, verboten, Themen aus Politik, Religion und Metaphysik anzusprechen. Vgl. hierzu Daele 1977: 139; Shapin 1998: 155f. 101

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Handlungsform entwickelt. Menschliche Aktivität bzw. die Aktivität des Subjektes besteht nur in dem Aufbau der Experimentieranordnung. Sie liegt also vor dem Eintreten des Ereignisses, in dem sich die Natur zu erkennen geben soll. In der Situation liegt die Aktivität allein nur im Phänomen begründet. Die Besonderheit der Subjektposition und der Handlungskonfiguration in den Wissenschaften gilt als Legitimation für die bevorzugte Stellung der Wissenschaften in der Erkenntnisproduktion. Sie bildet das Abgrenzungskriterium für wissenschaftliches und nichtwissenschaftliches Wissen. Nichtwissenschaftliches Wissen gilt als kontextgebunden. Wissenschaftliches Wissen hingegen durch die Kontrolle von Störgrößen als Ausdruck von Tatsachen. Jedoch wird in einer experimentellen Situation die Situation nicht vollständig kontrolliert, bzw. es wird nicht beansprucht, diese vollständig kontrollieren zu können. Es werden nur die unabhängigen Variablen kontrolliert, um sich von den Variationen der abhängigen Variable überraschen zu lassen. Durch die kontrollierte Veränderung der unabhängigen Variable kann damit ein Beziehungsgeflecht herausgearbeitet werden, um so zu einer allgemeinen Regel zu gelangen, wie das Auf- und Abtauchen der abhängigen Variable, des Phänomens, beeinflusst werden könne. Inwiefern aber die abhängige Variable in einem größeren Maßstab realisiert wird, liegt schon nicht mehr im Bereich der Wissenschaften. Für die Ausbreitung der Netzwerke ist die Wissenschaft als Institution nicht mehr verantwortlich. Wissenschaft ist nur die Produktion einer Repräsentation.70 Diese Repräsentation hat darüber hinaus besondere Merkmale. Sie gibt nur die Bandbreite, die Grenzwerte, für das Auftreten bestimmter Effekte an.71 Die Besonderheit wissenschaftlichen Wissens besteht darin, dass sie bereits ein vereinfachtes Netzwerk beinhaltet. 70 Die Bedeutung der Unterscheidung zwischen der Produktion einer Repräsentation und ihrer Ausbreitung wurde bereits in den vorangegangenen Abschnitten verwiesen. Dieser Gedanke kann nun mit Stengers (1997) gestützt werden. Sie unterscheidet zwischen den Verhandlungen, in denen die Forderungen und die Befriedigung der Interessen der Verbündeten im Mittelpunkt stehen, und der Rhetorik, in der ein Artefakt einer Öffentlichkeit vorgestellt wird, die das Produkt kaufen soll, sich aber gegen das Produkt wehren kann. Daraus leitet sie die Forderung ab, dass sich die Wissenschaftler bewusst werden sollten, dass sie das Milieu wechseln, wenn sie das Labor verlassen, und dass es hier Menschen mit anderen Projekten gibt, die etwas als Problem erachten, was innerhalb der wissenschaftlichen Praxis vernachlässigt werden konnte. Vgl. Stengers 1997: 185ff. 71 Von den theoretisch-experimentellen Wissenschaften unterscheidet Stengers (1997) die Feldwissenschaften, innerhalb derer eine Kontrolle der Störgrößen nicht möglich sei. Dennoch wird auch hier in der Repräsentation ein Variablengeflecht angegeben bzw. auf dieses reduziert. Vgl. Stengers 1997: 22f. 102

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

Dieser Gedanke lässt sich nun weiter präzisieren. Eine wissenschaftliche Repräsentation bezieht sich weder allein nur auf die Gegenstände noch allein nur auf ihre Beziehungen untereinander, ebenso bildet sie ein Netzwerk nicht einfach nur ab. Neben der Zuschreibung von Eigenschaften und der Bestimmung der Beziehungen der Elemente treten noch Angaben über die Variationsmöglichkeiten der Eigenschaften und der Beziehungen. Es wird demnach ein dynamisches System repräsentiert. Die Repräsentation erreicht dadurch, dass sie sich ebenso auf unterschiedliche Kontexte bezieht, größere Allgemeingültigkeit. Eine wissenschaftliche Repräsentation gibt also eine Bandbreite von Möglichkeiten an, die erst noch der Spezifikation durch andere gesellschaftliche Teilbereiche wie zum Beispiel durch die Politik und der Technik bedarf. Womit aber nicht ausgeschlossen ist, dass sich andere gesellschaftliche Bereiche wissenschaftlicher Repräsentationen als Black Box bedienen, um ihre eigenen Praktiken zu legitimieren. Dies stellt dann aber nur eine andere Form der Übernahme und der Ausbreitung der Netzwerke dar.72 Die Besonderheit einer wissenschaftlichen Repräsentation zielt darauf, allgemeine Regeln für die Disziplinierung von Aktanten in heterogenen Kontexten anzugeben. Damit ist es für eine wissenschaftliche Repräsentation nicht unbedingt notwendig, die Entitäten als passiv und geschichtslos darzustellen. Vielmehr: Passivität und Geschichtslosigkeit werden erst durch die Ausbreitung der Netzwerke erzeugt, indem die Aktanten diszipliniert werden. Dies ist aber nicht Inhalt einer wissenschaftlichen Repräsentation. Wissenschaftliche Repräsentationen lassen sich danach unterscheiden, inwiefern sie sich auf die Angabe allgemeiner Regeln und inwiefern sie sich auf eine Zuschreibung von Eigenschaften beziehen. Eine wissenschaftliche Repräsentation in der Art einer dichten Beschreibung wie in der Ethnomethodologie ist demnach anders zu bewerten als die Angabe eines physikalischen Gesetzes. Die allgemeine Regel gilt dabei als unveränderlich. Die Eigenschaftszuschreibungen der Entitäten werden als ein Ausfluss dieser allgemeinen Regel aufgefasst. Somit können die Regeln zwar nicht geändert werden. Zwischen ihnen kann aber durch den Zugriff auf die Entitäten gewechselt und damit der Output, das heißt, die materiellen Gegebenheiten beeinflusst werden. In ähnlicher Weise unterscheidet Stengers (1997) zwischen theoretischer und phänomenologischer Physik. Als Beispiel für die erste führt sie Galileis schiefe Ebene an, mittels der er die Bewegungsgesetze verdeutlichte, für die zweite Boyles Luftpumpe. In der ersten Fassung werden die Phänomene nur beschreibbar gemacht. Die Luftpumpe hingegen beschreibt nichts, 72 Die Formen der Übernahme werden in Abschnitt 3.2 näher beleuchtet. 103

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

sondern lässt sich in alle Situationen integrieren (vgl. Stengers 1997: 155ff.). Das Objekt der Wissenschaften besteht also nicht in dem materiellen Objekt, sondern in dem Phänomen einer Eigenschaftsveränderung. Die beobachtbare Entmaterialisierung bzw. Virtualisierung ist eine Folge von Entwicklungen in einigen wissenschaftlichen Disziplinen, die sich stärker mathematisieren, stärker auf die Regelhaftigkeit von Prozessen und der Erzeugung neuer Objekte Bezug nehmen als auf die Beschreibung konkreter Objekte. Trotz dieser Entwicklung bleibt aber in der inneren Konzeption der Wissenschaften der Bezug zwischen allgemeiner Regel und Objekt erhalten. Die Angabe einer Beziehung ohne gleichzeitige Angabe der Eigenschaften der Entitäten, auf die sie zu gelten habe, würde keinen Sinn ergeben. In der Konzeption der Wissenschaften ist die Vermittlung zwischen Subjekt und Objekt demnach repräsentiert. Die Praktiken der Reinigung repräsentieren die Praktiken der Vermittlung, womit sie diese disziplinieren. Die effektive Arbeit der Vermittlung hängt inhärent mit der Praktik der Reinigung zusammen. Die Arbeit der Reinigung und die Arbeit der Vermittlung bedingen sich gegenseitig. Damit ist jede Repräsentation notwendigerweise reduktionistisch und gereinigt. Dieser Zusammenhang soll nun näher beachtet werden. In den beiden Repräsentationsbereichen von Politik und Wissenschaft gibt es nach Latour zwei unterschiedliche Vermittlungstechniken, wie die einzelnen Elemente zusammengefasst werden können. Zur Repräsentation der nichtmenschlichen Entitäten wird innerhalb der Wissenschaften durch die Vermittlung des Labors gelangt. Die Darstellung der Vermittlungstechniken für den Bereich der Politik verbleiben bei Latour ungenau. Dennoch werden für diesen Bereich ähnliche Vermittlungstechniken (Arbeit der Vermittlung) angenommen. Die Repräsentation, die durch diese Vermittlungstechniken hergestellt wurde, erscheint dann aber nicht als Ergebnis dieser Vermittlungsarbeit, sondern als Ausdruck der »Gesellschaft« oder der »Natur« (Arbeit der Reinigung), jenen ontologischen Seinsbereichen, auf welche letztendlich die Repräsentation zielt. Hier zeichnet sich ein Zirkel ab: Es werden zwei Versammlungen von Entitäten mit bestimmten Eigenschaften definiert, die erst in der Vermittlungsarbeit zusammengesetzt werden. Eine Repräsentation ist nach der Konzeption der ANT das Resultat des Prozesses der Übersetzung, innerhalb dessen die Repräsentierten selbst ein Interesse an der Repräsentation gewinnen. Um diese Repräsentation zu konstruieren, wird sich aber nicht nur auf den Bereich konzentriert, den es letztlich zu repräsentieren gilt. Wie gezeigt, ist die Konstruktion der Repräsentation vom Aufbau heterogener Netzwerke abhän104

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

gig. Das bedeutet, dass nicht nur diejenigen an der Repräsentation interessiert werden, auf welche die Repräsentation letztlich zielt, sondern ebenso auf diejenigen, die in der Repräsentation keine Stimme mehr finden werden. Nicht nur, da die Repräsentation eine reduktionistische Darstellung von dem ist, was sie zu repräsentieren beansprucht, sondern auch, weil für die Produktion einer Repräsentation es der Hilfe von Wesen bedarf, die nicht in den Hoheitsbereich der jeweils herrschenden Repräsentanten (Politik oder Wissenschaft) fallen. Es wird von Eigenschaften ausgegangen, die vorab von der Verfassung definiert werden, um dann über den Umweg des anderen Hoheitsbereiches wieder zu ihnen zurückzugelangen. Ein ähnliches Problem stellt sich im idealtypischen hierarchischen Aufbau der Wissenschaft, im Verhältnis von Theorie und Empirie. Auch hier wird von theoretischen Vorannahmen ausgegangen, um daraus empirische Sätze abzuleiten, die in den Phänomenen ihre Bestätigung finden, um so wiederum als Beispiele für die Theorie selbst zu gelten. Dieser Umweg führt jedoch hier wie dort zu einer Bereicherung. So sind zwar die zu repräsentierenden Eigenschaften in der Verfassung vorbestimmt, sie werden aber in der Repräsentation konkretisiert. In der Arbeit der Reinigung werden alle Komponenten, die entweder nicht zur Natur oder zur Gesellschaft gehören, aus der Repräsentation getilgt und die Arbeit der Vermittlung, also der Umweg, unsichtbar gemacht. Dadurch wird Natur oder Gesellschaft in einer Art Kurzschluss die Ursache einer Repräsentation. Gesellschaft scheint dann nur aus sozialen Beziehungen zu bestehen, Natur hingegen aus stummen, sich nach Naturgesetzen richtenden Dingen. In dieser Sichtweise kann die Arbeit der Reinigung auch als eine besondere Form der Arbeit der Vermittlung aufgefasst werden (vgl. Latour 1987: 107). Durch sie wird die Verfassung, als Repräsentation einer Kosmologie, gestützt, da die gereinigten Repräsentationen für sie nur Beispiele sind. Beide Praktiken sind Übersetzungsleistungen, nur dass mit der Arbeit der Reinigung ein besonderer Übersetzungsprozess bezeichnet wird, innerhalb dessen den Entitäten die Eigenschaften sozial oder natürlich bzw. passiv oder aktiv zugeschrieben werden. Wie aber könnte man nun die Arbeit der Reinigung und Vermittlung allgemeiner fassen? Wie bereits gezeigt, werden als Grundphänomen heterogene Netzwerke angenommen, die durch eine Repräsentation zusammengezogen werden. Die Arbeit der Vermittlung bezeichnet jene Aushandlungsprozesses von Rollen bei der Produktion einer Repräsentation. Hier finden beständige und gegenseitige Transformationsprozesse statt. Die Arbeit der Reinigung hingegen bezieht sich auf die Zuschreibung von Eigenschaften. Wie gezeigt kann dies nur reduktionistisch gesche105

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

hen, indem andere potentielle Eigenschaften unterdrückt oder ignoriert werden. In dieser Hinsicht erweist sich die Arbeit der Reinigung als eine wesentliche Voraussetzung der Herstellung von Repräsentationen und damit für die Stabilität und Dauerhaftigkeit von heterogenen Netzwerken bedeutsam. Sie ist demnach an der Aufrechterhaltung der Netzwerke beteiligt. Ohne sie würden die Netzwerke zusammenbrechen. Ausgehend von der Unterscheidung zwischen der Produktion einer Repräsentation (zum Beispiel im Labor) und der Ausbreitung der Netzwerke (zum Beispiel durch die Serienproduktion) kann das Verhältnis der beiden Praktiken geklärt werden. Nur in der Produktion einer Repräsentation ist die Arbeit der Vermittlung eine Voraussetzung der Arbeit der Reinigung. In der Ausbreitung der Netzwerke hingegen ist die Arbeit der Reinigung eine Voraussetzung der Vermittlungsarbeit. Nur der Vorschlag über eine Zuschreibung von Eigenschaften können Verhandlungen darüber ausgelöst werden, ob diese Zuschreibung passt. Das Verhältnis der beiden Praktiken kann demnach zunächst unabhängig von der modernen Verfassung konzeptualisiert werden. Die Funktion der modernen Verfassung ist nur eine Erleichterung der Konstruktion von Repräsentationen, indem sie die Eigenschaften, die Entitäten zugeschrieben werden, vorgibt. Damit hat die Verfassung zwei Funktionen, eine explizit von Latour genannte, die Kritik, und eine implizit enthaltene, die Vorannahmen über die Verteilung von Eigenschaften aufzustellen. Vor allem die Funktion der Verteilung von Eigenschaften wird bei der empirischen Untersuchung eine Rolle spielen. Für die Ausbreitung der Netzwerke ist insbesondere die Ausrichtung von Netzwerkprozessen, die bislang durch den diffusen Begriff des Interesses erfasst wurde, bedeutsam. Die Diskussion des Zusammenhangs zwischen Wissenschaft und Politik kann helfen, diesen Begriff weiter zu präzisieren. Der Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Politik kann auf zwei Ebenen betrachtet werden: auf der Ebene der Vermittlung und auf der Ebene der Reinigung. Auf der Ebene der Vermittlung stellt sich der Zusammenhang dadurch her, dass die jeweiligen Repräsentationen durch Aktanten aus den jeweilig anderen Repräsentationsbereichen überhaupt erst hergestellt werden können. Auf der Ebene der gereinigten Produkte hingegen geben die Produkte der Wissenschaft den Rahmen vor, innerhalb dessen sich die Produktion politischer Repräsentation überhaupt erst vollziehen kann. Der Entwurf der modernen Verfassung bei Latour kann nun einer Revision unterzogen werden. Bis jetzt erscheinen nur die Repräsentationsmechanismen in der Wissenschaft ausgearbeitet. Wie aber stellt sich das Repräsentationsregime der Wissenschaften im Verhältnis zu dem der Politik dar? Im Aussagensystem der Wissenschaft spiegelt sich die institutionelle Trennung zwischen Wis106

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

senschaft und Politik in der Trennung zwischen Seins- und Sollensaussagen wider. In der wissenschaftlichen Repräsentation wird ein Möglichkeitsraum repräsentiert. Hier bezieht sich die Repräsentation auf die potentiellen Entwicklungsmöglichkeiten derjenigen, die repräsentiert werden sollen. Dies ist das »was ist«. Es sind Seinsaussagen. Jedoch können sich diese Aussagen sowohl auf die Natur beziehen als auch auf die Gesellschaft. In der Trennung zwischen Natur- und Gesellschaftswissenschaften kommt dies zum Ausdruck. In der modernen Verfassung nach Latour nimmt jedoch die Politik die Stellung eines Repräsentanten der Gesellschaft ein. Gibt es demnach zwei Repräsentanten der Gesellschaft? Hier liegt eine Ungenauigkeit in der modernen Verfassung nach Latour vor, die nun korrigiert werden soll. Politik bezieht sich weniger auf die Zuschreibung von Eigenschaften eines politischen Körpers. Sie bezieht sich nicht auf das »was ist«, das wird der Wissenschaft überlassen. Sie zielt auf das »was sein soll«. Sie zielt damit auf Intervention und konzeptualisiert die Bürger als der freien Handlung mächtig: Mit einem Wort, sie zielt auf das, was von der Zukunft erwartet wird. Damit nehmen die Bürger eben jene Subjektposition ein, die der Subjektposition des Wissenschaftlers oder allgemeiner des teilnahmslosen Beobachters entgegengesetzt ist. Somit kann die Verfassung nun korrigiert werden (vgl. Tabelle 2): Politik ist die Repräsentation der Zukunftserwartung, aber nur insofern sie das Gemeinwesen betrifft. Wissenschaft ist die Repräsentation potentieller Entwicklungsmöglichkeiten, jedoch nur insofern sie sich auf eine allgemeine Regel zurückführen lassen. Hier werden nun ganz andere blinde Punkte in der Verfassung sichtbar. Nicht die Arbeit der Vermittlung bleibt unrepräsentiert. Denn – wie gezeigt – wird sie, wenn auch nur reduktionistisch repräsentiert. Es bleiben vielmehr unrepräsentiert: die Zukunftserwartung der Dinge auf der politischen Seite und die Repräsentation von Spontanität auf der Seite der Wissenschaft. Tabelle 2: Neukonzeption der modernen Verfassung Bereich

Natur/Gesellschaft

Politischer Körper

Entität

Gesetz

Körper

Eigenschaften

systematischer Zusammenhang

Spontanität

Repräsentationsbereich

potentielle Entwicklungsmöglichkeiten

Zukunftserwartung

Repräsentant

Wissenschaft

Politik 107

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Es soll hier nicht darum gehen, eine Übersetzbarkeit von Seins- und Sollensaussagen zu behaupten. Vielmehr verweisen die Begrenzungen der modernen Verfassung auf eine Begrenzung ihres Gültigkeitsbereiches. Eine Ausrichtung, ein Sollen, wird nur Menschen zugestanden, nicht den Dingen. Spontanität hingegen, ist nur außerhalb der Wissenschaften möglich. Diese zwiefache Trennung erzeugt eine neue Vierfeldertafel: Spontanität wird nur dem individuellen Menschen zugestanden, eine normative Wertausrichtung nur der Gesellschaft. Die Wissenschaft soll hingegen dort am objektivsten sein, wo diese beiden Eigenschaften nicht präsent sind. An beiden Punkten ist aber auch die Erkenntnissituation in den Wissenschaften in Zweifel gezogen worden: auf der Gegenstandsseite ebenso wie auf der Seite des Beobachters. So kritisierte, um nur ein Beispiel zu nennen, Adorno die Unterscheidung von Seins- und Sollensaussagen dahingehend, dass bereits in den Gegenständen ein Sollen läge (vgl. Adorno 1987: 137f.). Zum anderen wurde in der Wissenschaftsforschung der Beobachterstatus und demnach die Konzeptualisierung des Forschersubjektes angezweifelt: Inwiefern ist es dem Forschersubjekt überhaupt möglich, alle Bindungen zu kappen und sich objektiv den Phänomenen zu stellen?

3.2 Kritische Rekonstruktion der Ak t e u r - N e t z w er k - T h e o r i e Die kritische Rekonstruktion der ANT folgt dem formalen Netzwerkkonzept. Das formale Netzwerkkonzept besteht aus einer Definition der Knoten und Kanten, das heißt, bei sozialen Netzwerken der sozialen Akteure und ihrer sozialen Beziehungen. Nach der Diskussion im vorangegangenen Abschnitt lässt sich das Netzwerkkonzept der ANT als heterogenes Netzwerk beschreiben, das im Gegensatz zu sozialen Netzwerken neben sozialen Akteuren auch materielle Dinge und diskursive Konzepte als Elemente umfassen kann. Nach der ANT sind die Knoten eines Netzwerkes demnach Entitäten, die auch als Aktanten bezeichnet werden. Die Verbindungen zwischen diesen Entitäten bilden die Übersetzungsprozesse. Da diese einen Transformationsprozess umfassen, ist dem Netzwerkbegriff der ANT eine spezifische Dynamik zu eigen. Die Ausrichtung dieser Dynamik wird in der Motivation, an Netzwerkbildungsprozessen teilzunehmen, gesehen. Wie im Folgenden ausgeführt, wird diese Motivation durch das Konzept der Zukunftserwartung erfasst. Das Netzwerkkonzept der ANT besitzt im Gegensatz zu dem Konzept des sozialen Netzwerkes und dem formalen Netzwerkkonzept drei 108

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

entscheidende Unterschiede. Der erste Unterschied (1) besteht in der bereits erwähnten Heterogenität der Elemente. Die Entitäten eines Netzwerkes können als materielle, diskursive und soziale erscheinen bzw. als Quasi-Objekte all diese Eigenschaften zugleich erfüllen. Weiterhin (2) sind die Knoten in einem Netzwerk in der ANT nicht gleichrangig. Jeder Akteur ist zugleich auch als ein Netzwerk aufzufassen, das sich nicht auf der gleichen Ebene befindet, wie die Beziehungen, die der Akteur eingeht. Und zuletzt (3) verdeutlicht das Netzwerkkonzept weniger ein Beziehungsgeflecht, als eine bestimmte Raumvorstellung, die sich von dem euklidischen Raum oder dem Containerraum unterscheidet (vgl. Law 1999: 6f.; Latour 1999: 15). Es verdeutlicht, dass Orte, die nahe beieinanderliegen, dennoch voneinander entfernt sein können, da es zwischen ihnen keine Beziehung gibt (vgl. Latour 2005: 131ff.). In der Diskussion im vorangegangenen Kapitel sind insbesondere drei Leerstellen offensichtlich geworden. Diese betreffen den Aspekt der Materialität, den Aspekt der Macht und die Stellung des Interesses. Der Aspekt der Materialität wird dadurch deutlich, dass nach der ANT die »Gesellschaft« durch die Integration materieller Dinge gefestigt wird. Der Gesellschaftsbegriff wird jedoch abgelehnt und das Soziale im Ziehen von Verbindungen bestimmt, die durch die Zirkulation von QuasiObjekten beständig aufrecht erhalten wird.73 Die Aussage, der Festigung der Gesellschaft durch Dinge, würde nur Sinn machen, wenn den QuasiObjekten oder Entitäten eine eigenständige Existenz zugesprochen werden würde, jenseits der Notwendigkeit, sie beständig aufrecht erhalten zu müssen. Dies legt die Vermutung nahe, dass die ANT zwar die Unterscheidung zwischen Natur und Gesellschaft ablehnt, dafür aber eine neue einführt: die Unterscheidung zwischen Sozialem und Materiellem. Es stellt sich jedoch die Frage, ob Eigenständigkeit mit dem Materiellen verstanden als physische Realität gleichgesetzt werden kann. Folgt man der Logik des Symmetrieprinzips, müsste Eigenständigkeit und Abhängigkeit als Eigenschaft konzeptuell gleich verteilt sein. Das Materielle bezieht sich damit auf jene Eigenständigkeit von Entitäten, die durch Sozialbeziehungen nicht permanent aufrecht erhalten werden muss. Diese Eigenständigkeit ist in dem framing, also der Vorstrukturierung von Entitäten zu suchen und ermöglicht damit erst das Potential, (Sozial-)Beziehungen einzugehen.

73 Vgl. Latour 1999a. Das Soziale ist ein bestimmter Typ der Zirkulation, die niemals das Mikrolevel trifft, da es keine Interaktion ohne framing gebe; und niemals auf das Makrolevel, da es nur lokale Aufsummierungen (summing up) gebe. Die Auffassung von Gesellschaft als zirkulierende Einheit ist eine der wichtigsten Beiträge der ANT. 109

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

In der Konzeption des Quasi-Objektes bei Latour – einem weiteren Begriff für Elemente eines Netzwerkes – ist jede Entität zu einem Stück weit unabhängig von menschlicher Kontrolle (materieller Aspekt), ordnet soziales Verhalten (sozialer Aspekt) und gibt Individuen Bedeutungen mit (diskursiver Aspekt) (vgl. Latour 1998: 71ff.). Auch wenn diese Eigenschaften konzeptuell jeder Entität zugestanden werden, können diese Eigenschaften empirisch ungleich verteilt sein. Diese Ungleichverteilungen entstehen aus der Etablierung von Asymmetrien. Jedoch bestehen diese Asymmetrien nicht in einem entweder/oder, sondern aus graduellen Unterschieden, die aber dennoch beträchtlich sein können. Durch die Wiedereinführung der Unterscheidung zwischen Menschen und Nichtmenschen in die Vorannahmen, kann die Unterscheidung zwischen Materiellem und Sozialem expliziter bestimmt werden. Das Soziale wird dann in dem Konstruktionsprozess verortet, das Materielle hingegen in den vorstrukturierten Entitäten bzw. Quasi-Objekten. Der Begriff der »Selbstrepräsentation« erscheint dabei als geeignetes theorieimmanentes Konzept, sowohl die Vorteile des erweiterten Symmetrieprinzips zu bewahren als auch den konzeptionellen Gedanken der heterogenen Netzwerke nicht zu torpedieren. Unter Selbstrepräsentation kann zunächst verstanden werden, dass der Repräsentierende selbst Teil des Netzwerkes ist, das er repräsentiert. Der Begriff kennzeichnet somit das reflexive Element und gilt als Abgrenzungskriterium zwischen Menschen und Nichtmenschen. Beide können repräsentieren und damit agieren, jedoch soll, so die Vorannahme, es nur Menschen vorbehalten bleiben, dass sie zur Selbstrepräsentation fähig sind. Mit dieser Konzeption kann auch auf die methodologische Kritik reagiert werden, dass es keinen direkten Zugang zur »Agency der Dinge« geben kann. Dies ist innerhalb einer sozialwissenschaftlichen Analyse nur über sprachliche Repräsentationen möglich. Aus diesem Grund werden in der folgenden empirischen Studie auch nicht ethnomethodologische Beobachtungsmethoden gewählt, sondern eine Textanalyse. Da das Materielle durch die Eigenständigkeit der Entitäten begründet ist, heißt dies, dass die Aufrechterhaltung einiger Entitäten weit mehr Arbeit erfordert als andere. Übertragen auf den Begriff der Repräsentation heißt dies, dass es unterschiedliche Materialisierungsgrade von Repräsentationen geben kann. Der Aspekt der Macht zeigt sich insbesondere in der Etablierung einer Asymmetrie durch die Stabilisierung von Netzwerken. Die Ausrichtung auf Machtkonstellationen und die Konzentration auf stabile Netzwerke in der klassischen ANT wurden insbesondere von den Post-ANTAnsätzen kritisiert, da keine Kooperationsprozesse jenseits stabilisierter Netzwerke beschrieben werden könnten (vgl. Star 1991; Mol/Law 110

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

1994). Lee/Brown (1994) verorten dieses Defizit in der Konzeption der ANT selbst. Mit ihrem Anspruch, sich prinzipiell auf alle Verbindungen beziehen und sie damit repräsentieren zu können, könne gerade das, was sich der Repräsentation entzieht, das Nichtassimilierbare, nicht mehr gedacht werden. Dem kann entgegen gehalten werden, dass das Nichtassimilierbare in der Netzwerkkonzeption implizit enthalten ist. Eine Kontroverse kann immer wieder eröffnet, eine Black Box nie vollständig geschlossen werden. Die Entitäten werden nicht restlos bestimmt. Sie behalten ein Stück weit Autonomie in ihrer Kennzeichnung als Aktanten, dem Bewegungsraum, innerhalb dessen sie sich der Repräsentation entziehen können. Gerade dieser Gedanke ist in der klassischen ANT nur ungenügend ausgearbeitet. Mit ihrer Konzentration auf Stabilisierungsprozesse gelingt es ihr nicht, die Möglichkeit des Widerstandes gegen Netzwerkbildungsprozesse konzeptuell zu fassen. Auf der anderen Seite vermag die Post-ANT mit ihrer Konzentration auf Transformationsprozesse das Problem nicht zu lösen, dass jeder Anschluss an ein bereits gefestigtes Netzwerk als Teil dieses Netzwerk gedacht werden muss. In diesem Gedankengang ist die einzige Möglichkeit, sich der Ausbreitung von Netzwerken entgegenzustellen, die Kette zu unterbrechen und die angebotene Repräsentation zu ignorieren. Kritik und Widerstand ist in dieser Sichtweise immer kontraproduktiv. Eine wesentliche Fragestellung in der empirischen Untersuchung werden diese Techniken des Widerstandes sein. Hierbei ist eine stärkere Unterscheidung zwischen Produktion und Ausbreitung von Netzwerken bedeutsam, da sie die Setzung einer Asymmetrie zu verdeutlichen hilft, die als Kern des Machtbegriffs der ANT aufgefasst werden kann. Der Aspekt des Interesses zeigt sich bei der Konzeptualisierung der Netzwerkkonstruktion. Wie bereits erörtert, verschwindet in der Theorieentwicklung die Position des Sprechers. Asymmetrien werden in einem diffusen Feld der Macht aufgelöst. Damit bleibt aber die Frage bestehen: Wer baut das Netzwerk? Gibt es einen Konstrukteur, der das Netzwerk nach seinen Ideen und Interessen gestaltet (wie in den Anfängen der ANT)? Oder bildet es sich im Zusammenspiel unterschiedlicher Interessen, unterschiedlicher Aktanten (wie in der parallelen Weiterentwicklung der ANT)? Oder baut es sich (wie die Post-ANT-Ansätze zu implizieren scheinen) von selbst, in einem evolutionären Prozess? Diese Fragen stellen sich parallel zu der Frage nach der Richtung der Netzwerkbildungsprozesse. Für die Analyse von Asymmetrien ist die konzeptuelle Einbindung der Richtung von Netzwerkbildungsprozessen bedeutsam: Denn wer (oder was) die Richtung des Netzwerkbildungsprozesses bestimmt, übt Macht aus, setzt Asymmetrien. An dieser Stelle ist das Konzept der Zukunftserwartung bedeutsam. Dieses Konzept stellt als empirische Fra111

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

ge, was als Motivation besteht, sich an Netzwerkbildungsprozessen zu beteiligen. Einen Hinweis gibt folgender Gedanke: Die Konzeption von Repräsentationen wurde zwar in Bezug auf wissenschaftliche Repräsentationen entwickelt, in der ANT ist aber bereits eine Ausweitung auch auf andere Repräsentationsformen enthalten. Wissenschaftliches Wissen tritt mit dem Anspruch auf, wahr zu sein. Wahrheit aber ist ein Wert, der durch andere ersetzt werden könnte. Demnach besteht die Vermutung, dass die Repräsentationen in Technikkonflikten eine ebensolche innere Wertausrichtung besitzen. In der folgenden Diskussion sollen die wesentlichen Aspekte des Netzwerkkonzeptes zusammenfassend diskutiert werden, wobei die Rolle der Repräsentationen, der Entitäten (als Boundary Objects und Ereignisse) und der Charakter des verschachtelten Netzwerkes offensichtlich werden. Zunächst wird die Netzwerkdynamik diskutiert, die vor allem auf Ereignisse, die im Raum zwischen Vorstrukturierung und Zukunftserwartung auftauchen, zurückgeführt wird. Anschließend wird im Rückgriff auf ein verallgemeinertes Konzept der Verfassung das Konzept des verschachtelten Netzwerkes diskutiert, wobei die Unterscheidung zwischen Produktion und Ausbreitung von Netzwerken mit zwei unterschiedlichen Beziehungs- und Repräsentationstypen verbunden wird. Zuletzt werden die Bedingungen von Kooperation und Konflikt sowie der Begriff der Macht und der Machtasymmetrien diskutiert.

3.2.1 Netzwerkdynamik: Ereignisse Was geschieht, wenn zwei Akteur-Netzwerke aufeinandertreffen? Eine Verbindung zwischen zwei Elementen wird innerhalb der ANT zunächst als eine Übersetzung charakterisiert. Eine Übersetzung beinhaltet, dass dem jeweils Anderen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben und damit repräsentiert werden, wobei dann, wenn der so Repräsentierte die ihm zugeschriebene Rolle annimmt, dieser wiederum den Repräsentierenden repräsentiert. Jedoch impliziert der Begriff der Übersetzung, dass es einen maßgeblichen Akteur gibt, der die Verbindung zieht, es also einen Akteur gibt, der die Beziehung hält. Darum wurde in späteren Texten innerhalb der ANT darauf hingewiesen, dass eine Übersetzung ein Ereignis darstellt, das beide Seiten einer Beziehung zugleich transformiert.74 74 Vgl. Stengers 1997. Sie definiert ein Ereignis als eine Differenzsetzung, die einen Raum eröffnet, an den unterschiedliche Interpretationen anknüpfen können, ohne dass eine von ihnen einen bevorzugten Wahrheitsbezug beanspruchen kann. Vgl. Stengers 1997: 105ff. Ebenso wurde von Latour (1998) das Quasi-Objekt zunächst als ein Ereignis gefasst. Vgl. Latour 1998: 181. 112

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

An dieser Stelle stellt sich die Frage, in welcher Weise beide Seiten transformiert werden und worin diese Transformation besteht. Die Entitäten können als Netzwerke aufgefasst werden, welche ihre Identität nur durch ihre Netzwerkeinbindung erhalten, das heißt, indem ihnen durch Andere bestimmte Eigenschaften oder Rollen zugeschrieben wurden, die sie bereits vorgeformt, vorstrukturiert haben. Mit anderen Worten: Sie stellen schon ein stabilisiertes Netzwerk dar. Dieser Umstand wird in der ANT mit dem Begriff des summing up beschrieben, um zu verdeutlichen, dass unterschiedliche Netzwerkprozesse und die mit ihnen verbundenen Übersetzungsleitungen sich in der Identität des Akteur-Netzwerkes aufsummiert, ihn in vielfältiger Weise geformt haben. Die Abhängigkeit der Entität von ihrem Netzwerk ist jedoch nicht vollständig, sie besitzt eine gewisse Selbstständigkeit. Dieser Umstand wird in der ANT durch den Begriff des framing beschrieben. Die Netzwerkeinbindung der Entität setzt nur einen Rahmen, innerhalb dessen weitere Bewegung möglich ist. Demnach hat sie, in dem hier gemeinten Sinne, das Potential zu einer Transformation. Wie kann man sich nun dieses Potential oder diese Offenheit für Veränderungen vorstellen, wenn ein Aktant zugleich auch als ein Netzwerk gedacht werden kann? Hierbei hilft der Gedanke der Unterscheidung zwischen schwachen und starken Verbindungen.75 Das Potential eines Akteurs kann als schwache Netzwerkeinbindung aufgefasst werden, als Beziehungen zu Entitäten, die sich leicht substituieren lassen, seine Vorstrukturierung hingegen als starke Verbindungen, die besonderen Einfluss auf seine Identität besitzen. Die Transformation einer Entität besteht also darin, dass sie eine neue (Netzwerk-)Verbindung eingeht und damit ihre eigene Netzwerkstruktur verändert. Das Potential oder die Offenheit dazu erhält sie jedoch daraus, dass sie schwache Verbindungen innerhalb ihres Netzwerkes, das sie kennzeichnet, besitzt. In einer allgemeineren Interpretation in Bezug auf Ereignisse bedeutet dies, dass je größer das Potential oder die Offenheit eines Akteurs ist, desto eher auch unerwartete Ereignisse wahrgenommen werden können und auf sie reagiert werden kann. Und weiterhin bedeutet dies, dass das Potential oder die Offenheit eines Akteurs nur durch seine Vorstrukturierung ermöglicht wird und durch sie überhaupt erst entsteht. 75 Dieser Gedanke ist auch in der sozialen Netzwerkforschung enthalten. Vgl. Granovetter 1973. Vergleichbar ist die Unterscheidung ebenso mit der Unterscheidung zwischen starken und festen Kopplungen bei Charles Perrow (1988). Mark Granovetter (1973) konzeptualisierte starke Verbindungen in Rückgriff auf das Konzept von Primärbeziehungen aus der Gruppensoziologie. Perrow hingegen entwickelte sein Konzept der Kopplungen in Bezug auf technische Systeme, wobei starke Kopplungen einen direkten Effekt haben, schwache eher zeitlich und räumlich einen Spielraum lassen. 113

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Was sind nun Ereignisse? Ereignisse können ganz allgemein in ihrer Vorform als Spuren beschrieben werden, als kurze aufflackernde Strukturen – Beziehungen, Vernetzungen – in dem Raum, in dem sich die Netzwerke bewegen und die, wenn sie nicht stabilisiert werden, bald wieder zerfallen. Ereignisse werden aber erst dann zu Ereignissen, wenn in der Folge auf diese Spuren Bezug genommen wird. Das heißt zum Beispiel, wenn sich unterschiedliche Interpretationen und Bedeutungszuschreibungen an das Ereignis anlagern und durch diese Bedeutungszuschreibungen von unterschiedlichen Akteuren dieses selbst in ein Netzwerk eingebettet wird und damit um sich ein Netzwerk bildet. Allgemein gesprochen wird erst durch die Netzwerkeinbindung ein Ereignis zum Ereignis und diese Netzwerkeinbindung heißt, dieses Ereignis zu stabilisieren. Ereignisse finden nie losgelöst von Netzwerken statt, ihr Auftreten kann aktiv herbeigeführt werden, durch die Konstruktion eines AkteurNetzwerkes, das durch ein bestimmtes Potential bzw. Offenheit gekennzeichnet ist, also sowohl schwache als auch starke Verbindungen enthält. Demnach kann ein Ereignis unter dem Gedanken des Netzwerkes unter zwei Gesichtspunkten gefasst werden: zum einen wird es erst durch ein Akteur-Netzwerk ermöglicht, zum anderen bietet es selbst einen Anlass zur Netzwerkbildung. In Bezug auf die Ausgangsfrage (Was geschieht, wenn zwei Akteur-Netzwerke aufeinandertreffen?) heißt das, dass Ereignisse im Schnittpunkt zweier Kontexte, zweier Akteur-Netzwerke stattfinden und den Beginn einer Verbindung zwischen diesen Akteur-Netzwerken darstellen. Durch die gegenseitige Netzwerkeinbindung des Ereignisses und die durch das Ereignis provozierte Netzwerkbildung, wird das Ereignis selbst zu einem Akteur-Netzwerk, einem Boundary Object, das als vermittelndes Drittes zwischen die beiden Akteur-Netzwerke tritt. Auf dieses Boundary Object können sich wiederum auch andere Akteur-Netzwerke beziehen, so dass es nicht nur in zwei Netzwerke eingebunden wird, sondern in mehrere unterschiedliche Akteur-Netzwerke. Betrachtet man nun das Gesamtnetzwerk, in dem die Akteur-Netzwerke nur als Knoten, also als Aktanten oder Quasi-Objekte aufgefasst werden, bedeutet dies, dass das Boundary Object in das Netzwerk mehrfach eingebunden ist und durch diese Mehrfacheinbindung als ein multi-dimensionales Objekt aufgefasst werden kann, da es in den unterschiedlichen Kontexten der Akteur-Netzwerke auch unterschiedliche Bedeutungen besitzt bzw. unterschiedliche Rollen zu übernehmen hat. An diesem Punkt soll der Konflikt zwischen unterschiedlichen Akteuren in der Kontroverse um die Agrar-Gentechnik verortet werden.

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DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

Ereignisse bilden demnach in diesem Konzept den Grundmechanismus für die Dynamik in einem Netzwerk. Jedoch, auch wenn sie aktiv herbeigeführt werden können, heißt dies nicht, dass ihr Auftreten vollständig kontrolliert werden könnte. Sie sind zu einem Teil unbestimmt. Alles, was ein Akteur tun kann, ist, die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens durch eine Netzwerkkonstruktion zu erhöhen und je mehr dies gelingt, desto eher kann man auch von Kontrolle sprechen. Dabei kann es unterschiedliche Möglichkeiten geben, Ereignisse in Netzwerke einzubinden. So könnte zwischen einer diskursiven Stabilisierung (z.B. bei geschichtlichen Ereignissen) und einer materiellen Stabilisierung (z. B. bei Technik oder bei Experimenten) unterschieden werden. Wichtig bleibt zu betonen, dass Ereignisse nur immer innerhalb von Netzwerken auftreten. Ereignisse brechen nicht einfach herein, sondern verschieben die Bedeutungen bzw. die Netzwerkstrukturen. Kontrolle ist dabei nicht immer, wie zum Beispiel beim Experiment, auf Wiederholung ausgerichtet, sondern auf eine Zukunftserwartung. Die Zukunftserwartung wird als das gekennzeichnet, »was sein soll«, als angestrebter Netzwerkzustand, auf den die Netzwerkbildungsprozesse ausgerichtet sind und sie motiviert sowie anhand dessen Erfolg und Nichterfolg bewertet werden können. Inwiefern diese Zukunftserwartung als rational bzw. irrational aufgefasst werden kann, im Sinne ihrer Erreichbarkeit oder der Wahrscheinlichkeit des Eintretens von Ereignissen, und inwiefern sie als eine mehr oder weniger elaborierte Repräsentation bzw., ob sie überhaupt als Repräsentation aufgefasst werden kann, muss als empirische Frage gestellt werden. Das Konzept der Zukunftserwartung richtet sich gegen die Vorstellung eines Trial-and-Error-Prozesses oder auch gegen die Figur des Bastlers. Sie beinhaltet, dass die Materialien, die angesammelt werden, um eine Repräsentation zu erarbeiten, unter einem bestimmten Gesichtspunkt (in rationalisierter Form: als Plan), zusammengetragen werden. Damit emergiert das Objekt nicht einfach aus ungerichteten Praktiken, sondern aus unterschiedlichen Strategien. Da diese Strategien unterschiedlich ausgerichtet sind, können Konflikte entstehen. Die Figur des Bastlers kann durch den des Handwerkers ersetzt werden: Der Handwerker legt sich alle notwendigen Materialien zurecht, und es ist das Ziel, diese Materialien auch aufzubrauchen. Ein Handwerker geht planvoll vor, auch wenn das Produkt letztendlich von diesem Plan unterschieden werden kann, und wie bei der Schaffung eines Kunstwerkes etwas völlig Unerwartetes entsteht. Menschliche und nichtmenschliche Akteure unterscheiden sich dadurch, dass menschliche Akteure ihre Netzwerkeinbindung beeinflussen können. Aktivität kann also dort verortet werden, wo starke Verbindun115

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

gen geschwächt und schwache Verbindungen gestärkt werden, um so das Eintreten und den Effekt von Ereignissen steuern zu können. Diese Fähigkeit liegt in der Fähigkeit des Menschen zur Selbstrepräsentation. Selbstrepräsentation bedeutet, dass die eigene Netzwerkeinbindung repräsentiert werden kann und damit die Einbindungen kontingent gesetzt und damit gelockert werden können. Hier ist eine größere Offenheit möglich, als dies bei Entitäten der Fall ist, die nicht zur Selbstrepräsentation fähig sind. Damit kann unterschieden werden zwischen der Offenheit menschlicher Akteure und dem Potential nichtmenschlicher Akteure. Offenheit wird durch die Selbstrepräsentation generiert, Potential stellt sich als gleichsam zufällig schwache Netzwerkverbindungen dar.

3.2.2 Netzwerkbegriff: Das verschachtelte Netzwerk In der Konzeption des Akteur-Netzwerkes ist jeder Akteur zugleich ein Netzwerk. Das bedeutet, dass die Grenzen eines Akteurs nicht durch seine physischen Grenzen bestimmt wird, sondern durch seine Beziehung zur Umwelt. Hier lassen sich, der Unterscheidung zwischen Produktion und Ausbreitung von Netzwerken folgend, zwei unterschiedliche Beziehungstypen identifizieren: Ein Beziehungstyp, der stärker durch den Verhandlungscharakter geprägt ist und zu der Produktion einer Repräsentation führt, und ein Beziehungstyp, der eine bereits vorhandene Repräsentation nur übersetzt und umsetzt. Die erste Beziehungsform baut auf dem Verhandlungscharakter der Arbeit der Vermittlung auf. Formal gesehen wird innerhalb des Aushandlungsprozesses die Repräsentation dem Anderen als Frage übermittelt.76 Die gemeinsame Repräsentation stabilisiert sich durch einen Dialog, in dem beide Seiten ihre und die Identität des jeweils Anderen konstruieren, sich aufeinander ausrichten und damit eine Verbindung zwischen sich ziehen. Hier handelt es sich um eine »unmittelbare« Beziehung, das heißt, diese Beziehung vollzieht sich nicht über ein Drittes. Auch kann diese Beziehung nicht als »stabil« im eigentlichen Sinne bezeichnet werden, denn sie besteht nur, solange der Dialog anhält, die gemeinsame Repräsentation zwischen beiden Seiten der Beziehung zirkuliert. Man kann auch sagen, dass hier der Andere als Ereignis auftritt. Diese Form der Repräsentation bezieht sich demnach auf ein Kollektiv,

76 Zur Diskussion der unterschiedlichen Beziehungstypen wurde nur eine zweipolige Beziehung betrachtet. Jedoch ist zu beachten, dass im Gegensatz zu sozialen Netzwerken selten nur eine Verbindung gesetzt wird, sondern ein gesamtes Beziehungsset. Vgl. die Beschreibung der Konzeption des Übersetzungsprozesses in Abschnitt 3.1.1 und Abschnitt 3.1.2.2. 116

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

wobei sich das Kollektiv durch die Repräsentationen selbst repräsentiert.77 Das vermittelnde Dritte erscheint erst, wenn die Repräsentation des Anderen nicht mehr für ihn bestimmt ist, sondern dazu gedacht, ihn an einer anderen Stelle zu vertreten, das heißt, in seinem Namen zu sprechen. Es wird demnach eine Beziehung zu Kontexten etabliert, die nicht an der Produktion der Repräsentation beteiligt waren. Die Funktion dieser Repräsentation kann auch darin bestehen, dem Akteur zu verdeutlichen, welchen Bedingungen er unterliegt, in welches Netzwerk er eingebettet ist. Die Repräsentation bezieht sich dann auf ein Kollektiv, an dessen Konstitution der Akteur selbst nicht beteiligt war. Dennoch ist sie aber ein Mittel zur Selbstrepräsentation, da sie die Abhängigkeiten verdeutlicht, in denen ein Akteur sich befindet. Diese Form der Repräsentation kann allgemein als »Muster Nichtanwesender« bezeichnet werden, da in dieser Form der Repräsentation die Kennzeichnung der Subjektposition offengelassen wird. In der Repräsentation braucht die eigene Akteursposition nicht mit enthalten sein. Dies ist zum Beispiel bei wissenschaftlichen Repräsentationen der Fall. Sie können von jedem als Instrument benutzt werden, sich je nach Situation bestimmter Abhängigkeiten zu verdeutlichen. Den verschiedenen Beziehungstypen sind demnach unterschiedliche Repräsentationstypen zugeordnet. In der Beziehungsform des Dialoges besteht die Repräsentation eher in Form der Selbstrepräsentation eines Kollektivs, dessen Inhalt offen und verhandelbar bleibt. In der Beziehungsform zu Nichtanwesenden besteht die Repräsentationsform eher in der distanzierten Repräsentation als Muster Nichtanwesender. Beide Repräsentationsformen aber können zur Selbstrepräsentation benutzt werden. Wie bereits erwähnt, besitzt die moderne Verfassung bei Latour im Wesentlichen zwei Funktionen: die Funktion der Kritik und die Funktion der Bereitstellung von Vorannahmen zur beschleunigten Produktion von Repräsentationen. Nun wird deutlich, dass diese Beschleunigung vor allem bei der zweiten Repräsentationsform, der Repräsentation als »Muster Nichtanwesender« von Bedeutung ist. Die Verfassung kann als ein Mittel zur beschleunigten Herstellung von Mustern Nichtanwesender angesehen werden, denn sie enthält Vorannahmen über dessen Elemente: über die Eigenschaften der zu repräsentierenden Entitäten und über deren Zusammenhang. Das Konzept der modernen Verfassung soll nun verallgemeinert werden, um sie für eine Untersuchung der Verfassungen 77 Zu diesem Repräsentations- und Beziehungstyp vergleiche den Begriff der Artikulation, wie er zum Beispiel bei Haraway 1992 auftaucht. Vgl. insbesondere Haraway 1992: 311ff. 117

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

der gesellschaftlichen Akteure nutzbar zu machen. Es fragt sich somit zunächst, (1) welche unterschiedlichen Repräsentationsbereiche angenommen und daran anschließend, welche Entitäten ihnen zugeordnet und welche Eigenschaften ihnen zugeschrieben werden. Hierbei ist von besonderem Interesse, welches Potential ihnen zugesprochen wird, da dies für die Möglichkeit der Kontrolle von Netzwerkdynamiken von Bedeutung ist. Weiterhin (2) fragt sich, welche Vermittlungsinstanz für die jeweiligen Bereiche angeführt, also auf was die Beziehung der Entitäten untereinander zurückgeführt wird. Ebenso (3) stellt sich die Frage, wer als der legitime Sprecher gekennzeichnet wird. Dieser Punkt verweist auf bestimmte Diskriminierungsstrategien innerhalb der jeweiligen Verfassung. Nicht jeder ist berechtigt, Repräsentationen als Muster Nichtanwesender zu produzieren, auch er (oder sie) muss bestimmte Eigenschaften besitzen. Und letztendlich (4) stellt sich die Frage nach der Zuschreibung von Reversibilität und Irreversibilität. Parallel zu den Naturalisierungs- und Entnaturalisierungsprozessen in der modernen Verfassung bedeutet die Zuschreibung von Reversibilität, die Zuschreibung von Aktivität an eine Entität (je nach Situation an sich oder den Anderen) und die Zuschreibung von Irreversibilität das Absprechen von Aktivitätspotential. In welchen Situationen und für welche Akteure diese Zuschreibung erfolgt, soll als empirische Frage gestellt werden. Das Analysekonzept für die Verfassungen wird in der Tabelle 3 dargestellt. Tabelle 3: Analysekonzept für die Verfassung

Konzept der Elemente, die repräsentiert werden sollen: •

Abgrenzungskriterium der einzelnen Bereiche



Zuschreibung von Eigenschaften:



Welche Aktivität wird den Entitäten zugesprochen?

Vermittlungsinstanz: •

Auf was wird die Beziehung der Elemente untereinander zurückgeführt?

Definition des legitimen Sprechers: •

Bezug auf Diskriminierungsstrategien

Reversibilisierungs- bzw. Irreversibilisierungsstrategien •

Wann und für wen gilt die Zuschreibung von Potential?

Das Netzwerkkonzept der ANT kann als ein verschachteltes Netzwerk aufgefasst werden, dass sich aus der Konzeption der Akteur-Netzwerke 118

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

ergibt. Die Knoten des Netzwerkes sind nicht auf einer Ebene angesiedelt, da die Elemente des Netzwerkes, die einen Akteur als einheitlich handelnden Akteur erscheinen lassen, wiederum als Akteur-Netzwerke aufgefasst werden können usw. Die Grenzen innerhalb des Netzwerkes sind durch drei qualitative Unterscheidungen gekennzeichnet. Die erste Unterscheidung ist die zwischen Produktion und Ausbreitung von Netzwerken, die mit der Unterscheidung zwischen den zwei Beziehungs- und Repräsentationstypen zusammenhängt. Die zweite Unterscheidung ist die zwischen Potential und Offenheit, die sich auf die Repräsentationsfähigkeit des Menschen als Selbstrepräsentation im Gegensatz zu nichtmenschlichen Akteuren bezieht. Damit ist das, was die ANT als Repräsentation durch nichtmenschliche Dinge bezeichnet, keine Selbstrepräsentation und liegt nicht in dem hier verfolgten Forschungsinteresse. Die dritte Unterscheidung ist die zwischen der Zukunftserwartung, die stärker auf Verhandlung ausgerichtet ist sowie auf die Errichtung eines Gesamtnetzwerkes, und der Verfassung, die eher auf die Disziplinierung einzelner Entitäten und Kontexte zielt.

3.2.3 Asymmetrien: Kooperation und Konflikt Wieso sollten Akteure bestimmte Repräsentationen übernehmen? An dieser Stelle muss zwischen demjenigen, der die Repräsentation übernimmt, und demjenigen, der sie produziert, unterschieden werden. Der Akteur, der die Repräsentation hält, wirbt für eine Übernahme seiner Repräsentation des Netzwerkes, er will »Verbündete« gewinnen oder »Verbündete anwerben«. Seine Verbündeten sollen auf die Zukunftserwartung hinarbeiten, auf die das Netzwerk ausgerichtet ist. Da nun aber anzunehmen ist, dass bei unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren auch unterschiedliche Zukunftserwartungen vorherrschen, stellt er die Ausrichtung des Netzwerkes als eine Problematisierung dar, die sich nicht auf einen Gesamtraum der möglichen Veränderungen bezieht, wie die Zukunftserwartung, sondern auf eine Teillösung eines Problems. Dadurch können sich auf diese Problematisierung Akteure mit ganz unterschiedlichen Zukunftserwartungen beziehen und damit kooperatives Handeln ermöglichen. Die Anwerbung von Verbündeten gelingt also dadurch, dass die Problematisierung, auf die das Netzwerk ausgerichtet ist, als relevante Problematisierung im Lichte der jeweilig anderen Zukunftserwartung dargestellt wird. Eine Problematisierung ist sowohl eine negative als auch eine positive Kennzeichnung der Richtung der Netzwerkbildung. Bei der Agrar-Gentechnik bezieht sich der Begriff somit sowohl auf die Chancen als auch auf die Risiken der Agrar-Gentechnik. In der ANT wurde derselbe Mechanismus als interessement beschrieben, 119

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

um damit auszudrücken, dass nun der Verbündete selbst ein Interesse damit verbindet, die Ausbreitung des jeweiligen Netzwerkes zu unterstützen. Hier wurde nun der Begriff des »Interesses« durch den Begriff der »Zukunftserwartung« ersetzt. An dieser Stelle kann die konzeptionelle Abgrenzung eines Akteurs präzisiert werden. Die gemeinsame Konstruktion einer Ausrichtung auf eine Zukunftserwartung, wie sie im ersten Beziehungstyp vorliegt, lässt erkennen, dass die Grenze eines gesellschaftlichen Akteurs durch eine gemeinsam geteilte Zukunftserwartung gekennzeichnet ist. Eine zeitweilige Kooperation zwischen gesellschaftlichen Akteuren unterschiedlicher Zukunftserwartungen ist über die Problematisierung möglich. Die mühsame Anwerbung von Verbündeten und die Ausrichtungen der Netzwerkkonstruktion auf eine praktikable, das heißt, mehrfach integrierbare Problematisierung, entfällt mit der Ausbreitung der Netzwerke. Die Repräsentation gewinnt eine solche Deutungsmacht und wird durch heterogene Netzwerke in solch massiver Weise unterstützt, dass es für den jeweiligen Akteur keine Alternative mehr gibt, als die Repräsentation für seine eigene Netzwerkbildung undeformiert zu übernehmen. Die Repräsentation ist zu einem obligatory point of passage (OPP) geworden. Die Wahrscheinlichkeit einer Übernahme von Repräsentationen steigt somit mit der Ausbreitung der Netzwerke. Mit der Ausbreitung der Netzwerke und der Übernahme der Repräsentationen schwinden aber auch die Aushandlungsprozesse über die Konstruktion der Repräsentation. Dieser Vorgang wird in der Wissenschaftsforschung als »Schließung einer Kontroverse« bezeichnet. Sowohl innerhalb eines Akteur-Netzwerkes, in dem in langwierigen Aushandlungsprozessen im Verein mit den Verbündeten eine gesellschaftsfähige Repräsentation geschaffen wurde, als auch bei seinen Verbündeten, die nicht dieselbe Zukunftserwartung teilen, wird die Repräsentation als unhintergehbarer Fakt, als Black Box übernommen. In Bezug auf die unterschiedlichen Repräsentations- und Beziehungsformen bedeutet dies, dass die unvermittelte Beziehung verschwindet und sich die Beziehungsform über das Dritte – die stabilisierte Repräsentation – durchsetzt. Aushandlungsprozesse werden dezimiert und die Mittler, die Boundary Objects, breiten sich aus. Damit kann die Ausbreitung von Netzwerken auf zwei Wegen begünstigt werden: zum einen über eine gemeinsam geteilte Zukunftserwartung und zum anderen über die Reduktion von Möglichkeiten durch die Setzung eines obligatory point of passage (OPP). In der ANT wird jedoch der Prozess des Blackboxings mit der Etablierung eines OPPs teilweise gleichgesetzt. Zwischen beiden muss aber unterschieden werden: Etwas als einen einheitlich handelnden Akteur anzusehen, bedeutet noch nicht, dass er als alternativlos erscheint. Dies wird deutlich, wenn 120

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

die unterschiedlichen Formen des gemeinsamen Bezuges von Akteuren auf ein Objekt betrachtet wird. So vollzieht sich eine Beziehung bei Akteuren mit unterschiedlicher Zukunftserwartung über ein Boundary Object bzw. mehrfach eingebundenes Objekt. Auf dieses können sich mehrere Akteure beziehen. Es sind drei Konsequenzen dieses gemeinsamen Bezuges vorstellbar: (1) Konflikt, (2) Kooperation und (3) »friedliche Koexistenz«. Ein friedliches Nebeneinander der unterschiedlichen Zukunftserwartungen scheint durch die Mehrfacheinbindung der Boundary Objects möglich. Da sie in der Repräsentation als Muster Nichtanwesender nur zu einem Teil in ihrem Potential repräsentiert und damit nur zu einem Teil »diszipliniert« werden, vollzieht sich die Mehrfacheinbindung zunächst nicht in einem Konflikt. Hier können unterschiedliche Repräsentationen sich auf dasselbe Quasi-Objekt beziehen. Konflikte können an drei Punkten ausbrechen: (1) über divergierende Zukunftserwartungen, (2) über divergierende Disziplinierungsversuche von Entitäten und (3) über die Ausbreitung der Netzwerke. Divergierende Zukunftserwartungen führen zu einem unterschiedlichen Umgang mit bereits vorhandenen stabilisierten Netzwerken. Durch die Übernahme einer Repräsentation als Black Box können Konstruktionen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen übernommen werden, ohne die Konstruktionsbedingungen nachvollziehen zu müssen und ohne die mit der in der Black Box eingeschlossenen Ausrichtung des Netzwerkes verbundenen Zukunftserwartung zu übernehmen. Nur wenn die Repräsentation des Netzwerkes in seiner Gesamtheit nachvollzogen wird, also nur, wenn die Black Box geöffnet wird, kann sie ihre disziplinierende Wirkung entfalten. Erst dann können die Rollen, die in der Repräsentation eines Netzwerkes festgeschrieben sind, erkannt und es kann sich danach ausgerichtet werden. Somit vollzieht sich die Ausbreitung der Netzwerke nicht allein nur durch eine Übernahme der Black Box. Entscheidend ist die Art und Weise, wie sie für die eigene Netzwerkbildung gebraucht wird. Für einen Konflikt ist es somit notwendig, dass die Black Box geöffnet wird, also ihr Netzwerkcharakter und weiterhin ihr konstruktiver Charakter erkannt wird sowie zusätzlich eine gewisse Vorstellung über Zukunftserwartungen (Ziele, Interessen, Problematisierungen) vorhanden ist, um überhaupt eine Divergenz zwischen ihnen feststellen zu können. Konflikte brechen weiterhin auch aus, wenn der Bezug auf das Quasi-Objekt Potentiale beansprucht, die dem Zugriff eines anderen Akteurs unterliegen. Hier wird der Konflikt durch die unterschiedliche Zuschreibung von Potential an das Quasi-Objekt generiert. Die Disziplinierungsversuche des einen Akteurs geraten mit denen eines anderen in Widerspruch: Sie richten sich auf dasselbe Potential. An dieser Stelle wird die 121

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Ausgestaltung der Verfassung bedeutsam, da sie diese Zuschreibung von Potential in der Repräsentation des Quasi-Objektes als Vorannahme enthält. Konflikte brechen als dritte Möglichkeit ebenso durch die Ausbreitung von Netzwerken aus, da hierdurch Alternativen eingeschränkt werden. Durch die Ausbreitung eines Netzwerkes werden Asymmetrien gesetzt, die Verhandlungen über die Repräsentation (unabhängig von ihrem Typ) auf der Seite des Rezipienten ausschließen. Dieser Ausschluss von Verhandlungen und die nichtdiskutierte Ausbreitung von Netzwerken kann zu Protesten führen. Dies ist vor allem bei Technikkonflikten der Fall. Die unterschiedlichen Möglichkeiten, die zu Konflikten führen können, verdeutlichen auch unterschiedliche Formen der Macht, also in in den Begriffen der ANT der Etablierung einer Asymmetrie. Die Mechanismen, die bei der Etablierung einer Asymmetrie eine Rolle spielen, sind durch die Konzeption der Black Box und der Repräsentation angegeben. Die erstere beschreibt die Kontrollmöglichkeiten, die zweitere die Fähigkeit, Eigenschaften und Rollen zu definieren. Kontrolle wird durch den Anschluss an bereits gefestigte Netzwerke erreicht. In ihnen wird die Regelmäßigkeit von Ereignissen sichergestellt. Die Definition von Eigenschaften und Rollen hingegen wird durch die Repräsentation ermöglicht. Durch die Überschneidung der Netzwerke in einem Akteur, durch seine Mehrfacheinbindung in unterschiedliche, stabilisierte Netzwerke, kann selektiv Handlungspotential aktiviert werden. Die übernommenen Repräsentationen beschreiben nur einen Teil der Wirklichkeit und werden nur in bestimmten Situationen wirksam, das heißt, sie verlangen nur in bestimmten Situationen die Übernahme der in der Repräsentation enthaltenen Rollen. So verlangen zum Beispiel Verbote nur in den Bereichen Aufmerksamkeit, für die sie gelten (das Verbot, einen Rasen zu betreten, wird nur für den Spaziergänger bedeutsam) und die Rolle besteht darin, es nicht zu überschreiten, da der Sinn und Zweck dieses Verbotes anerkannt wurde (das Grün des Rasens nicht zu beschädigen). Der Akteur hat aber durch seine Mehrfacheinbindung die Wahl zwischen unterschiedlichen Repräsentationen: Er kann das Verbot achten und anerkennen, er kann aber auch die Repräsentation anerkennen, nicht zu spät zu einem Termin zu gelangen und deswegen den Weg über den Rasen abzukürzen. Bei einem Akteur, der zur Selbstrepräsentation fähig ist, bedeutet dies aber, dass er nicht unmittelbar mit den Elementen eines Netzwerkes verbunden ist, sondern die Repräsentationen als Repräsentationen anerkennen und damit wahlweise substituieren kann.

122

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

Macht eines Netzwerkes bedeutet in diesem Zusammenhang die Verbreitung von stabilen Repräsentationen und sie ist umso größer, (1) je konkurrenzloser sie ist und (2) je mehr sie die Selbstrepräsentationsfähigkeit der Verbündeten unterschreitet und als inkorporierte Fähigkeit auftritt. Machtchancen bedeutet die Möglichkeit, stabile Repräsentationen herzustellen. Diese Chancen steigen, (1) je weiter die Netzwerke ausgebreitet sind, die als Vorannahmen dieser Repräsentationen gelten können, das heißt, je weiter die jeweilige Verfassung verbreitet ist und die Übernahme der auf sie aufbauenden Repräsentation begünstigt. Und sie steigen, (2) je mehr in der Repräsentation eine Problematisierung enthalten ist, die mit der Zukunftserwartung möglichst vieler Akteure kompatibel ist. Die Konstruktion von Machtchancen ist dabei, die aktive Herbeiführung der Möglichkeit, stabile Repräsentationen herzustellen, also eine Verfassung zu verbreiten.

3 . 3 Ak t e u r - N e t z w er k - T h e o r i e u n d Tex t a n a l ys e Die empirische Studie stellt eine mittels der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) theoretisch fundierte Diskursanalyse dar, die methodisch bei der Interpretation und Auswahl der Diskursbeiträge an das formale Netzwerkkonzept anschließt. Untersucht wurden Darstellungen der AgrarGentechnik von 20 Organisationen. Die Analysen beziehen sich auf den Stand der Debatte im Frühjahr 2005. Das Forschungsinteresse bestand darin, unterschiedliche Diskurspositionen miteinander zu vergleichen und das heterogene Netzwerk um die Agrar-Gentechnik herauszuarbeiten. Dieses heterogene Netzwerk stellt nicht das Netzwerk der Produktion, sondern der Ausbreitung der Agrar-Gentechnik dar und betrifft damit die Auswirkungen der Agrar-Gentechnik in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. Aus diesem Grund wurde bei der Erstellung des Textsamples vor allem auf die Unterschiedlichkeit der untersuchten Positionen geachtet. Diese Darstellungen wurden als Repräsentationen der Agrar-Gentechnik aufgefasst. Die in diesen Repräsentationen auftauchenden Verbindungen wurden als Verweise auf die heterogene Netzwerkstruktur der Agrar-Gentechnik gewertet. Wie die Diskussion zeigte, stellen sich der ANT unterschiedliche methodische Probleme, die sich aus ihrem moralischem Anspruch der Theoriebildung, den Marginalisierten eine Stimme zu geben, resultieren. Da es ihr Anspruch ist, einen Ansatz zu konzipieren, der nicht disziplinierend repräsentiert, wird sie unkritisch gegenüber ihren eigenen disziplinierenden Repräsentationsansprüchen. Die hauptsächliche methodische Kritik besteht darin, dass es ihr nicht gelingt, eine nichtrepräsentie123

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

rende Repräsentationstechnik zu entwickeln. Auch in dieser Arbeit wird davon ausgegangen – und dieser Ausgangspunkt ist durch die vorangegangenen Überlegungen gestützt –, dass es eine nichtreduktionistische und nichtrepräsentierende Repräsentationstechnik nicht geben kann.78 Der methodische Anspruch der ANT, die Akteure selbst zu Wort kommen zu lassen, führt, wie weiter oben ausgeführt, zu zwei Problemen. Zum einen kann nicht zwischen Fakt und Fiktion unterschieden werden, zum anderen kann der Raum der Vorstrukturierung der Elemente, innerhalb dessen sich Netzwerkbildungsprozesse abspielen, nicht erfasst werden. Der für die empirische Studie gewählte Ansatz reagiert auf diese zwei Problemstellungen. Erstens wird nicht die Konstruktion von Netzwerkbildungsprozessen beobachtet, sondern bereits verfestigte Netzwerkstrukturen, die Produkte eines Konstruktionsprozesses sind: Dies sind die Positionspapiere von Organisationen bzw. kollektiven Akteuren. Dabei interessieren nicht die heterogenen Netzwerkstrukturen, die zur Produktion der Agrar-Gentechnik führen, sondern vielmehr die Netzwerke, durch die sie verbreitet wird bzw. die ihre Verbreitung behindern. Damit wird davon ausgegangen, dass die in den Positionspapieren dargestellten Wirklichkeitsbeschreibungen, für die Welten, in deren Namen beansprucht wird zu sprechen, Fakten darstellen, auch wenn sie für Außenstehende als Fiktion erscheinen. Zweitens wurde eine Textanalyse als methodischer Zugriffspunkt gewählt, da vorwiegend nur Menschen als Sprecher für nichtmenschliche Wesen oder für Menschen, die sich selbst nicht zu artikulieren vermögen, auftreten. Die Textanalyse ist dabei durch netzwerkanalytische Methoden angeleitet.79 Es wird sich damit auf sprachliche Repräsentationen bezogen, die sich, ähnlich einer wissenschaftlichen Repräsentation, auf die Repräsentation einer Wirklichkeit beziehen. Da diese Repräsentatio78 Vgl. Peuker (2006) zu einer ausführlicheren Diskussion der These, dass die ANT die Notwendigkeit reduktionistischer Darstellungen leugnet und damit ihren konstruktiven Charakter nicht reflektieren kann. Vgl. hierzu ebenso Gill 2008; Schüttpelz 2008. Zu einem Vorschlag wie eine dennoch offene und partizipatorische Repräsentationsstrategie erreicht werden könne siehe Neyland 2006. 79 Auch in der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung gibt es Ansätze, welche die Netzwerkstruktur von Texten untersuchen. Vgl. zu einer Textanalyse mittels netzwerkanalytischer Methoden Carley 1993; Carley/Kaufer 1993; Carley 1994; Franzosi 1994; Franzosi 1998; Bearman/Stovel 2000; Franzosi 2004; Diesner/Carley 2005. Zu einer Anwendung netzwerkanalytischer Methoden auf Diskurse siehe Mohr/Duquenne 1997; Mische/White 1998; Mohr 1998; Mohr/Lee 2000. Auch hier können als Knoten eines Netzwerkes neben sozialen Akteuren Konzepte, also nichtmenschliche Akteure, auftauchen. 124

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

nen auf bereits verfestigten Netzwerkstrukturen beruhen, die zu ihrer Produktion führten, können sie in ihren jeweiligen Netzwerken, in denen sie zirkulieren, Gültigkeit beanspruchen. Diese Repräsentationen – hier der negativen bzw. positiven Auswirkungen der Agrar-Gentechnik (Pround Contra-Argumente) – sind in ihrer inneren Struktur reduktionistisch und verweisen auf eine Asymmetrie. Die Positionen zur Agrar-Gentechnik wurden als unterschiedliche Praxisfelder aufgefasst, deren Sprecher die Organisationen sind. Die Repräsentationen der Organisationen geben Hinweise auf diese Praxisfelder und den Konflikten, die bei einer Einbindung der Agrar-Gentechnik entstehen. Durch eine Übereinanderlagerung der Wissensformen der untersuchten Akteure zur Agrar-Gentechnik lässt sich die Reichweite der Netzwerke bestimmen, innerhalb derer bestimmte Argumente zirkulieren. Dies ist in der hier vorliegenden empirischen Untersuchung nur als Bestimmung des Konsens unter den 20 Organisationen möglich. Unabhängig davon, ob der Leser bestimmte Aussagen als Fakt oder Fiktion auffasst, ist der Status eines Faktes, insbesondere da disparate Organisationen untersucht wurden, anhand der Bestimmung des Konsens möglich (vgl. Carley 1994: 294f.; Diesner/Carley 2005). Die Vorstrukturierung des Raumes, innerhalb dessen diese Netzwerkstrukturen nachgezeichnet werden, wird durch das erweiterte Konzept der Verfassung erfasst. Wie bereits erörtert bezeichnet die Verfassung Vorstellungen von Natur und Gesellschaft, die den gesellschaftlichen Praktiken zu Grunde liegen. Dabei wird von der These ausgegangen, dass es bestimmte Modifikationen der Verfassung in der derzeitigen Situation bei unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren gibt. Die Darstellung der Debatte um die Agrar-Gentechnik, wie sie in den folgenden Kapiteln vorgenommen wird, verfolgt nicht den Anspruch, nichtrepräsentierend zu wirken. Ansatzpunkt der Kodierungsund Auswertungsstrategie war, die Einbindung der Agrar-Gentechnik in unterschiedliche gesellschaftliche Praktiken zu erfassen und zu repräsentieren. Diese unterschiedlichen Einbindungen wurden als heterogene Netzwerke aufgefasst. Dabei war die Grundthese, dass die Netzwerke auch unterschiedlich stabil sind und damit eine unterschiedliche Diskursmacht besitzen. Diese Diskursmacht kann, den beiden Machtkonzepten innerhalb der ANT folgend, auf zwei Wegen untersucht werden. So ist erstens Diskursmacht gegeben, wenn eine Repräsentation undeformiert übernommen wird, da Zukunftserwartung bzw. Problematisierung übereinstimmen. Als ein Indiz für die Stabilität von Netzwerken wurde somit die deformierende und undeformierende Übernahme von Argumenten gewertet. Da aber nicht der Zeitverlauf der Debatte, sondern die Debatte zu einem bestimmten Zeitpunkt betrachtet wurde, wurde die 125

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Netzwerkabgrenzung in der Zuschreibung von Eigenschaften an Entitäten und Verbindungen verortet. So wurde die Verteilung von Aktivität beobachtet und die Zuschreibung von negativen und positiven Auswirkungen. Divergierende Eigenschaftszuschreibungen deuten darauf hin, dass etablierte Verbindungen modifiziert wurden, demnach eine deformierte Übernahme stattgefunden hat. Weiterhin wurde als zweites Indiz die Mobilisierung von Entitäten beobachtet, um die Einschränkung der Mehrfacheinbindung beobachten und bemessen zu können. Die Probleme und Schwierigkeiten, die bei einer solchen Vorgehensweise auftauchten, werden in den folgenden Kapiteln ausführlicher diskutiert. Auch wenn es nicht vordergründiges Ziel der empirischen Untersuchung gewesen ist, die Diskursmacht auch quantitativ zu bestimmen, werden Wege aufgezeigt diese mittels netzwerkanalytischer Methoden zu erfassen. In den beiden folgenden Abschnitten geht es zunächst um die methodische Diskussion, wie von einer Repräsentation auf das heterogene Netzwerk geschlossen werden kann. Der zweite Abschnitt erörtert die Vorgehensweise bei der Kodierung und Auswertung sowie die praktischen Probleme, die sich der empirischen Umsetzung dieses Programmes stellten.

3.3.1 Repräsentation und heterogenes Netzwerk Wie kann über eine (sprachliche) Repräsentation auf das heterogene Netzwerk geschlossen werden? Wie weiter oben ausgeführt, stellen bei dem Netzwerkkonzept der ANT, wenn es mittels der formalen Netzwerkanalyse reinterpretiert wird, die Elemente oder Knoten multidimensionale Objekte (oder Boundary Objects) dar, da sie in unterschiedlichen Praktiken eingebunden sind. Gleichzeitig können diese multidimensionalen Objekte auch als Akteur-Netzwerke aufgefasst werden, die eine innere Struktur besitzen. Die Verbindungen bestehen aus den in den Übersetzungsprozessen hergestellten Repräsentationen. Wie in den vorangegangenen Abschnitten dargestellt, müssen Repräsentationen nicht unbedingt sprachliche Repräsentationen sein. Aber nur letztere interessieren in dem hier angesprochenen Zusammenhang. Zunächst müssen an dieser Stelle noch einige Bemerkungen zu dem Verhältnis von Repräsentation und heterogenem Netzwerk erfolgen, die sich aus den vorangegangenen Diskussionen ergeben und für die empirische Untersuchung von Bedeutung sind. Die empirische Untersuchung geht von der mit der ANT begründeten Annahme aus, dass in einem gefestigten Netzwerk die Repräsentation Gültigkeit erlangt. Nach den Erörterungen in Abschnitt 3.1 ist eine solche Korrespondenz nicht voraus126

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

setzungslos gegeben. Die Struktur einer Repräsentation besteht in der vereinfachten Repräsentation eines heterogenen Netzwerkes, wobei die darin repräsentierten Verbindungen ebenso als Rollenzuschreibungen aufgefasst werden können. Sie trägt damit sowohl deskriptiven als auch normativen Charakter. Jedoch enthält die Repräsentation nicht alle Elemente, die im Übersetzungsprozess zur Herstellung der Repräsentation geführt haben. So ist (1) das Netzwerk, auf das eine Repräsentation verweist, konzeptuell zu unterscheiden von den heterogenen Netzwerken, die sie hervorbringen und in denen sie zirkuliert. Hier muss darüber hinaus unterschieden werden zwischen den Netzwerken der Produktion einer Repräsentation und den Netzwerken der Ausbreitung. Weiterhin (2) sind für die Produktion einer Repräsentation die Praktiken der Reinigung notwendig. Eine Repräsentation ist immer reduktionistisch. Aus diesen beiden Punkten folgt, dass (3) in der Repräsentation verallgemeinerte Begriffe enthalten sind, die sich nicht nur auf das Netzwerk der Referenz beziehen, sondern auch die Koordination der Ausbreitung angeben. Damit sind (4) die in einer Repräsentation enthaltenen Wirklichkeitsbeschreibungen nicht allein nur auf die eigene Praxis im Sinne einer Selbstrepräsentation bezogen, sondern auch auf die Repräsentation Nichtanwesender, und damit als Fremdzuschreibung an andere Akteure bzw. Akteur-Netzwerke aufzufassen. Die Organisationen sprechen damit nicht nur im Namen derjenigen, deren Interessen sie zu vertreten beanspruchen, sondern auch im Namen derjenigen, die diesen Interessen entgegenstehen. Zwischen Fremd- und Selbstzuschreibung muss demnach unterschieden werden. Die empirische Untersuchung wird zeigen, dass dies nur analytisch, nicht aber empirisch möglich ist. Damit konnte empirisch nicht zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung getrennt werden. Dies hatte dann – wie die folgenden Erörterungen noch weiter verdeutlichen werden – die Auswirkung, dass die Netzwerke der Produktion der Repräsentation der Agrar-Gentechnik, damit die unterschiedlichen Praxisfelder, nicht voneinander abgegrenzt werden konnten. Die einzige Grenze, die diskursiv eingeführt wurde, war die zwischen Befürwortern und Gegnern. Diese vier Aspekte verdeutlichen, dass eine sprachliche Repräsentation zwar Verbindungen angibt, die mit der Wirklichkeit korrespondieren können, insbesondere da sie in bereits verfestigten Netzwerken zirkulieren. Jedoch kann über eine Analyse der textlichen Darstellungen (hier Repräsentationen der Agrar-Gentechnik) nicht auf das Ausmaß oder die Länge der Netzwerke geschlossen werden. Das Ausmaß der Netzwerke kann nicht quantitativ bestimmt werden, sondern nur qualitativ, als Existenz. Dadurch, dass jedoch nur Texte von Organisationen beachtet wurden, die eine zentrale Stellung im Diskurs einnehmen, wird davon aus127

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

gegangen, dass die singuläre Existenz eine Existenz bereits verfestigter Netzwerke ist und damit ebenso global von Bedeutung ist. Das räumliche Ausmaß kann aber durch den gewählten Ansatz nicht näher bestimmt werden. Weiterhin ist zu beachten, dass in einer Repräsentation unterschiedliche Aussagengruppen vorhanden sind, die auch in unterschiedlichem Verhältnis zu den Repräsentierten stehen. So verdeutlichten die Diskussionen zu dem Verhältnis der Arbeit der Reinigung und der Vermittlung, dass die Arbeit der Vermittlung – neben der Repräsentation eines Wirklichkeitszusammenhanges – repräsentiert wird. Die Repräsentation der Vermittlung besteht mithin sowohl bezüglich der Erkenntnisproblematik als auch im Hinblick auf den Zusammenhang der repräsentierten Entitäten. So enthält eine wissenschaftliche Repräsentation zwei Aussagengruppen, die voneinander unterschieden werden müssen. Zum einen die Vermittlung zwischen Subjekt und Objekt und die Bestimmung ihrer Eigenschaften und Beziehungen – dies sind die methodischen und methodologischen Annahmen. Zum anderen die Repräsentation des Netzwerkes, die ebenso Annahmen über Entitäten und ihre Beziehung untereinander bestimmt. Diese zweifache Trennung der Vermittlung ist vergleichbar mit der modernen Verfassung: Auf der Ebene der Reinigung besteht die Konzeption des Gegenstandes, der von Latour pauschal als Trennung zwischen Natur und Gesellschaft bezeichnet wird. Auf der Ebene der Vermittlung steht die Subjekt-Objekt-Problematik. Diese gibt die Regeln der Produktion einer Repräsentation an. Beide Aussagengruppen sind jedoch miteinander vermittelt: Aus der Gegenstandskonzeption lassen sich Regeln ihrer Beobachtbarkeit ableiten. In ähnlicher Weise lässt sich danach fragen, ob auch bei politischen Repräsentationen eine solche Zweiteilung der Aussagengruppen beobachtet werden kann. So lässt sich vermuten (oder so wurde zu Beginn der empirischen Untersuchung vermutet), dass sich zumindest drei Aussagengruppen feststellen lassen: (1) praktisches Wissen und Handlungsanweisungen (Selbstzuschreibung), (2) Weltbeschreibungen (wozu aber auch Erwartungen über ihren weiteren Verlauf gehören) und (3) normative Forderungen (bezogen auf das Allgemeinwohl). In der empirischen Untersuchung wurde bei der Kodierung zwischen diesen verschiedenen Aussagengruppen unterschieden. So wurden Argumente oder Verweise auf die Selbstrepräsentation und normative Argumente von Argumenten unterschieden, die sich auf das Netzwerk der Verbreitung der Agrar-Gentechnik bezogen. Hier tauchten praktische Probleme auf, die verschiedenen Aussagengruppen voneinander zu unterscheiden, bzw. die normativen Aussagen und die Aussagen zur Selbstrepräsentation wurden nur marginal geäußert. Vielmehr standen in den Positionspapieren Argumente der 128

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

Wirklichkeitsbeschreibung im Zentrum. Aus diesem Grund lohnte sich eine getrennte Analyse kaum. Es zeigte sich aber, dass die Wirklichkeitsbeschreibungen normativ auf eine Zukunftserwartung ausgerichtet sind, während die Selbstrepräsentation sich eher in den Formulierungen wiederfand, in denen über Strategien diskutiert wurde, die eigene Position zu festigen (zum Beispiel Strategien des Protestes, der Kennzeichnung, des Lobbying). Ein weiteres Strukturmerkmal von Repräsentationen betrifft den Unterschied zwischen Eigenschaftszuschreibung und Rollenzuschreibung. In der Diskussion zu der modernen Verfassung und der Subjekt-ObjektVermittlungsposition wurde deutlich, dass sowohl die Entitäten, ihre Eigenschaften als auch die Verbindungen in der gereinigten Fassung angegeben werden. Beide Mechanismen also, Eigenschaftszuschreibung und Verbindungssetzung, werden repräsentiert. Die Eigenschaftszuschreibung erfolgt über die Verfassung und ist dichotom verteilt. Dies lässt sich mit der Beobachtung von Differenzsetzungen in einigen diskursanalytischen Ansätzen vergleichen. Die Eigenschaftszuschreibung bezieht sich direkt auf die Vorannahmen über das Potential der Entitäten. Durch die Dichotomie dieser Unterscheidung ist eine Bewertung verbunden. Die Rollenzuschreibung bezieht sich im Gegensatz zur Eigenschaftszuschreibung darauf, welche Position ein Akteur einnimmt, um eine Verbindung in einem heterogenen Netzwerk zu erhalten oder zu verhindern. Diese Rollenzuschreibung kann explizit oder implizit (wie bei einem Verbot) erfolgen. Sie besteht darin, dass der Akteur selbst ein Interesse daran hat, eine Verbindung aufrecht zu erhalten. Damit ist die Rollenzuschreibung in der Repräsentation immer zugleich auch eine Selbstrepräsentation bzw. kann zu dieser benutzt werden. In der empirischen Untersuchung wurde zwischen beiden Formen der Zuschreibung getrennt. Die Beobachtung der Eigenschaftszuschreibung erfolgte durch die Untersuchung der Zuschreibung von Aktivität und Passivität. Die Zentralität dieses Eigenschaftspaares wurde theoretisch durch dessen zentrale Stellung in der Konzeption der modernen Verfassung bei Latour begründet. Die Beobachtung der Rollenzuschreibung erfolgte hingegen über die Argumente, die sich auf die positiven bzw. negativen Auswirkungen der Agrar-Gentechnik in unterschiedlichen Wirklichkeitsbereichen bezogen. Das Verhältnis von Eigenschaftszuschreibung und Rollenzuschreibung in einer Repräsentation zeigt sich auch in der besonderen Charakteristik der durch eine Repräsentation gesetzten Beziehung. Im Übersetzungsprozess wird nicht nur eine einzelne Verbindung gesetzt, sondern ein gesamtes Verbindungsset etabliert. Die in der empirischen Studie untersuchten Argumente wurden als eine solche Repräsentation und damit als eine Black Box dieses Verbindungssets aufgefasst. Jedoch ist diese 129

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Black Box nicht vollständig geschlossen. Einige Verbindungen dieses Verbindungssets werden in den Texten als Begründung und Stärkung der allgemeineren Repräsentation erneut repräsentiert. Zum Beispiel wird die Aussage: »Die Agrar-Gentechnik hat negative Auswirkungen auf die Umwelt« durch das spezifischere Argument: »Die Agrar-Gentechnik hat negative Auswirkungen auf die Biodiversität« gestützt. Die durch die Verfassung regulierte Verteilung von Eigenschaften wurde als ein Instrument des Blackboxings eingeführt. Da ein Akteur ein Akteur-Netzwerk ist, wurde die Verbindungssetzung über das Netzwerk der Argumente beobachtet, ihr Blackboxing über die Zuschreibung von dichotom strukturierten Eigenschaften. Aus der Beobachtung der Dichotomien (neben der Verteilung von Aktivität und Passivität tauchten noch weitere auf) wurde damit auf das Blackboxing geschlossen und auf die Struktur der Verfassung. Eine Zuschreibung von Eigenschaften ist demnach der Kern einer weiteren Netzwerkbildung und damit ein Ereignis. Es besteht damit ein Unterschied zwischen der Differenzsetzung (als Abgrenzung des Netzwerkes) und der Verbindungssetzung (zum Beispiel als Kausalitätszuschreibung). Wegen der Verschachtelung des Netzwerkes und seiner Repräsentation ergibt sich das Problem der Entitätenabgrenzung in der Analyse der Texte. Die Abgrenzung der Entitäten kann auf zwei Wegen erfolgen. Zum einen kann die Abgrenzung der Entitäten durch den Analysten vorgenommen werden. Als theoretisches Hilfsmittel steht ihm hier das Konzept der Zukunftserwartung zur Verfügung. Eine gemeinsame Netzwerkausrichtung von Entitäten bedeutet, dass sie auf ein gemeinsames Handeln ausgerichtet und damit als ein Akteur aufgefasst werden können. Zum anderen kann die Entitätenabgrenzung durch den Analysierten angegeben werden, indem er selbst in seiner Repräsentation auf Entitäten und ihre Verbindungen verweist. In der empirischen Untersuchung wurde zunächst die letztere Herangehensweise gewählt. Die Kodierung erfolgte dabei in Hinblick auf ein fokales Objekt, die Agrar-Gentechnik, worüber die Struktur der Entitätenanordnung im Text erfasst werden konnte. Eine Abgrenzung der Entitäten über die Zukunftserwartung wurde erst in einem darauffolgenden Schritt unternommen (der aber scheiterte). Aus diesen Vorüberlegungen über die innere Struktur von Repräsentationen ergaben sich mehrere Probleme, die praktisch durch die Kodierungs- und Auswertungsstrategie zu lösen waren. Erstens das Problem der Differenzierung in unterschiedliche Aussagengruppen, zweitens die getrennte Untersuchung von Eigenschaftszuschreibung und Verbindungssetzung und drittens die Entitätenabgrenzung. In der folgenden

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DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

Beschreibung der Vorgehensweise bei der Kodierung und Auswertung des empirischen Materials werden diese Probleme genauer erörtert.

3.3.2 Kodierungs- und Auswertungsstrategie Die empirische Untersuchung teilte sich in mehrere Schritte. In einem ersten Schritt wurden die Organisationen ausgewählt, die in die Untersuchung eingehen sollten. In einem zweiten Schritt wurde von den ausgewählten Organisationen das Informationsmaterial gesichtet, welches sie auf ihren Internetpräsentationen zur Agrar-Gentechnik anbieten, und daraufhin wurden die Positionspapiere bestimmt, die einer Textanalyse zugeführt werden sollten. In einem dritten Schritt wurden die in den Positionspapieren auftauchenden Argumente untersucht. Daraufhin erfolgte in einem vierten Schritt die Untersuchung der Argumentationsnetzwerke. Hierbei wurden dann ebenso Ableitungen zur gesellschaftlichen Praxis, in welcher die unterschiedlichen Auswirkungen der Agrar-Gentechnik eingebettet sind, sowie zur Zukunftserwartung und zur Verfassung der verschiedenen Positionen getroffen. Zur Erstellung des Textsamples wurde als Auswahlkriterium das Konzept der Interessengruppe gewählt, das der Konzeption des Sprechers in der ANT folgt. Einer Interessengruppe zugehörig kann damit jede Person, Gruppierung oder Organisation gelten, die im Namen Anderer spricht. Diese »Anderen« können sowohl menschliche als auch nichtmenschliche Akteure darstellen, wie zum Beispiel die »Natur« bei den Umwelt- und Naturschutzverbänden. Die Aufgabe bestand zunächst darin, die unterschiedlichen Interessengruppen zu identifizieren, die sich (im deutschsprachigen Diskurs) zur Agrar-Gentechnik positionieren. Innerhalb dieser Interessengruppen sollten die Organisationen ausgewählt werden, die eine zentrale Stellung einnehmen.80 Es wurden 20 Organisationen aus den Bereichen Wissenschaft, Politik, Unternehmen, Agrarwirtschaft, NGOs, Verbraucher und Kirchen ausgewählt. Von den ausgewählten Organisationen wurde das von ihnen auf ihren Internetpräsentationen angebotene Material zur Agrar-Gentechnik zu einem bestimmten Zeitpunkt (Frühjahr 2005) erhoben und einer ersten Sichtung unterzogen.81 Damit beziehen sich die Analysen auf den damaligen Stand der Debatte. Dynamische Netzwerkeffekte bzw. Diskursverläufe konnten auf dieser Beobachtungsebene nicht erfasst werden. Aus dem von den Organisationen erhobenen Material wurden 80 Zu einer näheren Erläuterung der Vorgehensweise bei der Auswahl der Organisationen siehe Anhang. 81 Die Erhebung der Internetpräsentationen erfolgte im Zeitraum vom 23.6. 2005-4.7.2005. 131

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Schlüsseltexte, die in komprimierter Form die Position zur Agrar-Gentechnik verdeutlichten, für die endgültige Analyse ausgewählt. Dabei handelte es sich zumeist um Informationsbroschüren und zum Teil auch um längere Studien und Workshop-Berichte. Von den Organisationen, die mit solchen geschlossenen Texten nicht aufwarten konnten, wurde die Internetpräsentation mit Informationen zur Agrar-Gentechnik analysiert. Die ausgewählten Textsorten sind demnach hinsichtlich der Textgattungen unterschiedlich.82 In dem hier verfolgten Ansatz richtet sich die Aufmerksamkeit bei der Analyse des ausgewählten Textmaterials weniger auf den Argumentationsgang innerhalb eines Textes und auch nicht auf dessen Gesamtaussage.83 Die Texte wurden vielmehr als Räume begriffen, in denen bestimmte Entitäten, Argumente und Konzepte in Erscheinung treten können.84 Diese Vorgehensweise kann begründet werden: So wies Franzosi (1998) darauf hin, dass jede Aussage ohne Zeitbezug problemlos im Text verschoben werden könne, ohne ihre Bedeutung zu ändern (vgl. Franzosi 1998: 521f.). In gleicher Weise gingen Mohr/Lee (2000) von einzelnen Argumenten und nicht von dem gesamten Textzusammenhang aus. Ähnlich wie bei anderen Ansätzen der Netzwerkanalyse von Texten ergibt sich die Netzwerkstruktur eines Textes daraus, dass in den Argumenten unterschiedliche Entitäten miteinander in Verbindung gebracht werden (vgl. Carley 1993; Franzosi 1994). Eine Vergleichbarkeit unterschiedlicher Texte von den verschiedenen Organisationen ergibt sich daraus, dass in den Repräsentationen auf gleiche Entitäten verwiesen wird und diese wiederum durch die Argumente mit anderen Entitäten in Verbindung gebracht werden. Damit richtete sich die Analyse auf die Argumente und Aussagen, die in den Texten auftauchten und auf die Entitäten, die in diesen Argumenten und Aussagen miteinander in Verbindung gebracht werden. Als Argument wurde jede Aussage betrachtet, die mindestens zwei Entitäten miteinander in Verbindung bringt. Unterschiede zu anderen Ansätzen der Netzwerkanalyse von Texten ergeben sich aus den bereits erwähnten Unterschieden des Netzwerkkonzeptes der ANT in Absetzung zu dem formalen Netzwerkkonzept. So 82 Von einigen Organisationen wurden mehrere Positionspapiere in die Analyse einbezogen, wenn keine umfassendere Darstellung der Agrar-Gentechnik aufzufinden war. Zu einer Übersicht der ausgewählten Organisationen und der von ihnen erhobenen Positionspapiere siehe Anhang. 83 Dies ist bei einigen Ansätzen der Netzwerkanalyse der Fall. Vgl. als Beispiel Bearman/Stovel 2000. 84 Informationen zum Autor, zum Publikum, an das sich der Text richtet, sowie der Textgattung – die ebenso erhoben wurden – erwiesen sich für die Auswertung als irrelevant. 132

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

sind zum einen im Vergleich zum formalen Netzwerkkonzept die Knoten in dem ANT-gestützten Netzwerkkonzept nicht gleichrangig. Durch die Konzeption der Akteur-Netzwerke ist das Netzwerk in der ANT in unterschiedliche Ebenen verschachtelt. Es wurden zunächst nicht alle in dem Text auftauchenden Verbindungen kodiert, sondern nur diejenigen, die auf die Agrar-Gentechnik ausgerichtet waren. Damit erfolgte die Kodierung in Bezug auf ein fokales Konzept. Zum anderen ist im Gegensatz zum formalen Netzwerkkonzept die Identität der Entitäten nicht festgelegt. Die Heterogenität der Elemente, in der modernen Situation als diskursiv, sozial und materiell beschreibbar, wurden, wie die theoretische Argumentation zeigte, als Mehrdimensionalität der Entitäten gefasst. Unterschiedliche Positionen binden die Entitäten in ihre Praktiken unterschiedlich ein. Beide Besonderheiten des ANT gestützten Netzwerkkonzeptes schlugen sich auf die Kodierungsstrategie nieder. So lag die Hauptaufmerksamkeit zunächst auf den Pro- und ContraArgumenten, an der sich diese Vorgehensweise am einfachsten verdeutlichen lässt. Pro- und Contra-Argumente schreiben auf einer allgemeinen Ebene der Agrar-Gentechnik eine Eigenschaft zu oder sprechen ihr diese ab. So lässt sich sagen, dass sich die Pro- und Contra-Argumentation zu den einzelnen Bereichen grob betrachtet auf die einfache Haltung »Wir wollen keine Gentechnik, sie ist Gift« und auf die Haltung »gentechnisch veränderte Kulturpflanzen sind Pflanzen wie jede andere und nützen mehr, als das sie schaden« zurückführen lassen. Aus dieser Haltung folgt dann eine verstärkte Aufmerksamkeit auf Aspekte und Bereiche, die diese Haltungen stützen. Die Entitäten, welche in den Argumenten auftauchen, die solche Allgemeinaussagen stützen, wurden Risikoentitäten genannt werden. Damit wurde bei der Identifikation der Risikoentitäten folgendermaßen vorgegangen: In den Positionspapieren wurden alle Argumente kodiert, welche entweder einen Nutzen oder ein Risiko begründeten. Diese wurden dann zu Gruppen zusammengefasst, die einer Allgemeinaussage mit der Struktur »Die Agrar-Gentechnik schadet X« bzw. »Die AgrarGentechnik nützt Y« zugeordnet werden konnten. X bzw. Y steht hier für die jeweilige Risikoentität. Diese Risikoentitäten werden nun, ebenso wie die Agrar-Gentechnik, in unterschiedlicher Weise konstruiert. Sie sind selbst wieder Mittelpunkt eines Netzwerkes. Dies deckt sich mit dem Konzept der AkteurNetzwerke der ANT. Die Argumente, welche die Risikoentitäten konstituieren, verweisen wiederum auf Entitäten, die in ihrer Netzwerkstruktur betrachtet werden könnten. Theoretisch könnte damit die Analyse ad infinitum fortgesetzt werden, praktisch ist dieser Vorgehensweise durch den Text selbst eine Grenze gesetzt. Die Argumentation wird an den 133

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Rändern zunehmend unscharf. Deswegen wurde neben der Kodierung der Pro- und Contra-Argumente der argumentative Raum in seiner Gesamtheit betrachtet. Es wurden damit all die Argumente, die zwei Entitäten miteinander in Verbindung bringen, kodiert.85 Bei dem Netzwerk, das als Grundlage der Analyse diente, stellten demnach die Knoten Entitäten dar, bei denen die Verbindung über die Argumente angegeben wurde. Hieraus wurde eine Gesamtnetzwerk konstruiert, welches es ermöglichte, das Wissen der Akteure miteinander zu vergleichen sowie Konflikte in divergierenden Wirklichkeitsbe- und Eigenschaftszuschreibungen zu identifizieren. Das Grundnetzwerk ist das Resultat einer Übereinanderlagerung der einzelnen Repräsentationen der analysierten Organisationen. Dies kann dadurch geschehen, dass in den Positionspapieren gleiche Argumente auftauchten und auf dieselben Entitäten verwiesen wurde. Doch die Vergleichbarkeit der Entitäten und Argumente wirft ein Problem auf. Das Problem besteht darin, dass die Entitäten in den Positionspapieren in unterschiedlicher Weise konstruiert werden. Gerade die Unterschiedlichkeit der Konstruktionsweise sollte nachvollzogen werden. Unterschiede können darin bestehen, dass dieselben Begriffen unterschiedliche Sachverhalte bezeichnen können oder derselbe Sachverhalt mittels unterschiedlicher Begriffe vermittelt werden kann. Dieses Problem der Ambiguität der Sprache ist auch aus anderen Ansätzen der Netzwerkanalyse von Texten bekannt (vgl. Mohr/Lee 2000: 68; Roberts 2000: 269; Popping 2003: 93f.). Im folgenden Kapitel wird dies am Beispiel der Agrar-Gentechnik verdeutlicht, die auch als »Grüne Gentechnik« oder transgene Pflanze auftreten kann. Unterschiedliche Positionen mobilisieren unterschiedliche Bezeichnungen für den Sachverhalt der Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft, andererseits aber zählen sie auch unterschiedliche Entitäten zu diesem Sachverhalt hinzu. Die gemeinsame Schnittmenge besteht in der Anwendung gentechnischer Methoden in der Pflanzenzucht. Genau diese Schnittmenge bezeichnet den Punkt, von dem aus der Vergleich der unterschiedlichen Positionen stattfinden kann. Die Entitäten des Grundnetzwerkes sind demnach analytisch festgelegte Sachverhalte, deren Konstruktion im Einzelnen bei den untersuchten Positionen variieren kann. Mit der analytischen Festlegung des Kerns einer Entität wurde aber die Übertragung in eine gemeinsame Datenmatrix möglich, wodurch die zentralen Entitäten des Diskurses bestimmt werden konnten, auf die sich die qualitative Analyse dann konzentrierte. Die Quantifizierung sollte also die qualitative Analyse auch auf Grund der Daten- und Materialfülle einschränken helfen. Trotz dieser für 85 Auf dieser untersten Ebene der Analyse konnten 402 Entitäten und 437 Argumente aufgefunden und in einer Datenbank erfasst werden. 134

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

die Übertragung in die Netzwerkdatenmatrix erforderliche Reduktion wurde die akteursspezifische Entitätenkonstruktion in einem vorgelagerten Schritt in qualitativer Hinsicht analysiert. Das Netzwerkkonzept ermöglichte erst die Interpretationsarbeit. Die Quantifizierung ist dieser Arbeit aber nachgelagert. Das Netzwerkkonzept gibt damit ein heuristisches Instrument in die Hand, die Interpretationsarbeit bezüglich der Konstruktion der Entitäten zu erleichtern. Gleichzeitig ermöglicht es ebenso eine Quantifizierung der Ergebnisse. Die Auswertung erfolgte in zwei Stufen: Zunächst wurden die Risikoentitäten und danach das gesamtargumentative Feld untersucht. Dabei wurde das Grundnetzwerk jeweils zu Clustern vereinfacht, um die Interpretation und Auswertung zu erleichtern. Die Analyse der Risikoentitäten baut auf der Identifikation der Pro- und Contra-Argumente auf. Die Argumente, die sich auf dieselbe Entität bezogen, wurden zu Clustern zusammengefasst. Diese Cluster entsprachen der Entität, mit welcher die Agrar-Gentechnik in Verbindung gebracht wurde. Anhand der hier versammelten Argumente konnte die Konstruktion der Risikoentitäten nachvollzogen werden. Aus den genannten Gründen der Unschärfe der Argumentation konnte diese Analyse nur qualitativ und nicht mittels netzwerkanalytischer Methoden erfolgen. Jedoch konnte die Positionierung der Organisationen im diskursiven Feld durch die Analyse der Verteilung der Pro- und Contra-Argumente überprüft werden. Die Analyse des gesamtargumentativen Feldes erfolgte anhand des Konzeptes der »argumentativen Cluster«. Bildeten bei der Diskussion der Pro- und Contra-Argumente die Risikoentitäten den Bezugspunkt, nach dem eine Zusammenfassung erfolgte, waren es bei den argumentativen Clustern Problematisierungen. So konnten im gesamtargumentativen Feld Hauptproblemstellungen identifiziert werden, die wie die Pround Contra-Argumente eine Verbindung problematisierten. Bei der Auskreuzung besteht die Problematisierung zum Beispiel darin, ob in Bezug auf die Agrar-Gentechnik die Auskreuzung problematisch ist oder nicht. Bei dem Cluster »Interessen der Biotechnologieunternehmen« wird die Frage problematisiert, ob die Interessen, welche die Biotechnologieunternehmen mit der Agrar-Gentechnik verbinden, eigennützige Interessen seien und/oder dem Allgemeinwohl förderlich sind. Den Kern der argumentativen Cluster bildeten somit Problematisierungen. Diese Problematisierungen bildeten sich um zentrale Entitäten wie zum Beispiel die Auskreuzung. Als Kern von argumentativen Clustern wurden die Entitäten gewählt, welche in der Debatte zentral erschienen. Diese Zentralität wurde abgeglichen mit der Zentralität der jeweiligen Entitäten im Grundnetzwerk und der Zentralität der Argumente, die dieser Problematisierung zugeordnet werden konnten. Die Zentralität wurde über den 135

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Degree bestimmt. Ziel der Untersuchung des gesamtargumentativen Feldes war es, Argumentationsschwerpunkte ausfindig zu machen, sowohl in der Gesamtdebatte als auch für die jeweiligen Diskursposition. Aus diesen Argumentationsschwerpunkten wurde auf die Auswirkungen der Agrar-Gentechnik in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und damit auf die präferierten Praktiken geschlossen. Neben dem Grundnetzwerk, das als Grundlage für die Analyse der Risikoentitäten und der argumentativen Cluster diente, wurde weiterhin ein gerichtetes Netzwerk konstruiert. Im Grundnetzwerk sind die Entitäten ungerichtet miteinander verbunden, das heißt, es wurde nicht bestimmt, welche Ordnung zwischen den Entitäten durch das Argument etabliert wird.86 Das gerichtete Netzwerk wurde konstruiert, um die Konfliktlinien und die Eigenschaftszuschreibungen genauer zu bestimmen. Die Konstruktion baute auf einer inhaltlichen Analyse der zentralen Entitäten auf, die sich in den vorangegangenen Analyseschritten als zentral erwiesen hatten. Die Verbindungen zwischen diesen Entitäten wurden dabei – auf Grundlage der modernen Verfassung bei Latour – über die Zuschreibung von Aktivität erfasst. So wurde festgestellt, dass die Zuschreibung von Aktivität nicht pauschal erfolgt, sondern immer in Bezug auf eine andere Entität. Diese Beziehung wurde zumeist als positive (fördernde) oder negative (behindernde) gekennzeichnet. Eine Entität kann einer anderen Entität bei ihrer Ausbreitung und Entwicklung behilflich sein (positiver Einfluss) oder die Ausbreitung und Entwicklung behindern (negativer Einfluss). Diese Zusammenhänge wurden durch die Betrachtung der Konstruktionsweise der Entitäten herausgearbeitet. Dabei waren die vorangegangenen Analyseschritte behilflich, wurden hier doch schon die Verbindungen betrachtet, ebenso wie die Konstruktionsweise der Entitäten. Diese Analyseergebnisse wurden unter dem Gesichtspunkt der Zuschreibung von Aktivität reinterpretiert und durch einen Rückgang in den Text abermals abgeglichen. Die Zeitaufwändigkeit dieser Analysearbeit erforderte eine Reduktion der Entitäten des Grundnetzwerkes. Diese Reduktion lässt sich aber auch mit dem bereits erwähnten Umstand begründen, dass die Argumentation und Darstellung an peripheren Debattenpunkten ungenauer wird, was eine Analyse der zugeschriebenen Aktivität wegen mangelnder Informationslage erschwert hätte. Aus diesen beiden Gründen wurden nur die Entitäten, die sich bereits als zentral erwiesen hatten, in die Analyse 86 Dies ist jedoch bei der semantic grammar von Franzosi möglich. Dabei wird der Text nach dem Konzept der semantischen Dreiergruppe SubjektHandlung-Objekt semantic triplet kodiert. Die Verbindung geht dann vom Subjekt aus und trifft beim Objekt ein. Vgl. Franzosi 1994; Franzosi 2004. 136

DIE AKTEUR-NETZWERK-THEORIE

einbezogen. Dies waren neben den Risikoentitäten die Kernentitäten der argumentativen Cluster als auch die zentralen sozialen Akteure. Letztere ergaben sich aus der inhaltlichen Interpretation der wesentlichen sozialen Akteure in der Technikentwicklung unter Abgleich mit einer einfachen Häufigkeitsauszählung im Grundnetzwerk. Die Ableitungen zu den drei analyseleitenden Konzepten – Verfassung, Zukunftserwartung und Selbstrepräsentation – wurden auf allen bereits erwähnten Analysestufen getroffen. Bei der Untersuchung der Auffassungen über das Verhältnis von Natur und Gesellschaft (Verfassung) sollten zunächst keine Vorannahmen hinsichtlich der Auffassungen von Natur und Gesellschaft getroffen werden. Die Verfassungen wurden über zwei Wege herausgearbeitet. Zum einen über die Art des Blackboxings, also der Konstruktion der Entitäten. Zum anderen über die Verteilung der Eigenschaften, wobei insbesondere die Zuschreibung von Aktivität und Passivität untersucht wurde sowie von Handlungsfähigkeit im Spannungsfeld von Kontrolle und Eigenverantwortlichkeit. Bei der Analyse der Zukunftserwartung sollten keine Vorannahmen darüber getroffen werden, wie detailliert oder realistisch diese sei. Die Zukunftserwartung wurde dabei über die Problematisierungen zur AgrarGentechnik, die sich den einzelnen Positionen stellten, herausgearbeitet. Hier waren Zukunftsvorstellungen darüber zu erkennen, in welcher Weise der behauptete Nutzen oder die behauptete Schädlichkeit der AgrarGentechnik begründet wurde. Diese Begründungen waren meist in explizite Verweise über die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung, so wie sie befürchtet oder favorisiert wurde, eingebettet. Die Selbstrepräsentation erwies sich in den Positionspapieren als weniger strukturiert. Sie wurde, neben den raren expliziten Verweisen, über die Aktionsvorschläge untersucht.

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4 D I E A G R A R -G E N T E C H N I K

ALS

A K T E U R -N E T Z W E R K

Auf den ersten Blick erscheint die Agrar-Gentechnik als Hybrid, der sich weder eindeutig der Natur noch der Gesellschaft zuordnen lässt. Ein gentechnisch veränderter Organismus ist sowohl natürlich als auch gesellschaftlich. Natürlich ist er, weil er durch einen natürlichen Evolutionsprozess hervorgebracht wurde. Gesellschaftlich ist er, da er vom Menschen verändert wurde. Der gentechnisch veränderte Organismus ist damit ein Hybrid, ein Mischwesen zwischen zwei Welten. Nach der ANT tritt der hybride Charakter dann zu Tage, wenn ein heterogenes Netzwerk, das ein Objekt erst in Erscheinung treten lässt, in eine Black Box eingeschlossen wird. Das heterogene Netzwerk, welches die Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft ermöglicht, reicht von der Forschung an privaten und öffentlichen Forschungseinrichtungen, den Zulieferbetrieben für die Arbeit in den Laboren, dem Antrag und der Genehmigung von Freisetzungsexperimenten, der Zulassung und dem Anbau gentechnisch veränderter Kulturpflanzen, bis zur Weiterverarbeitung und dem Endprodukt, mit dem sich der Konsument, ob Verbraucher oder Landwirt, konfrontiert sieht – oder noch weiter? Die Risikodiskussion verweist auf Zusammenhänge, die außerhalb des stabilisierten Netzwerkes stehen, welches die Agrar-Gentechnik erst hervorbringt. Diese Zusammenhänge lassen sich ebenfalls als ein heterogenes Netzwerk beschreiben. Über sie geben die Stimmen von Akteuren aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen Auskunft, die über die Positionspapiere der ausgewählten Organisationen untersucht wurden. Die Grundthese bei der Untersuchung der Positionen war, dass der 139

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Aufbau heterogener Netzwerke auf die Zukunftserwartung ausgerichtet ist. Aus diesem Grund wurden diejenigen sozialen Akteure, die sich auf die gleiche Zukunftserwartung ausrichten, als gesellschaftliche Akteure definiert. Die Organisationen sind aber mehr als Sprecher heterogener Netzwerkzusammenhänge, die auch ohne die Agrar-Gentechnik existieren. Sie sind auf Grund ihrer Positionierung auch an Netzwerken beteiligt, welche das Ziel haben, die Agrar-Gentechnik in ihrer Ausbreitung entweder zu befördern oder zu behindern – oder aber auch zu modifizieren. Die gesellschaftlichen Akteure lassen sich nicht pauschal in Befürworter und Gegner unterteilen, jedoch ihre Praktiken der Positionierung, wie sie sich in den Pro- und Contra-Argumenten zeigen. Demzufolge wird in diesem Zusammenhang zwischen drei Arten heterogener Netzwerken unterschieden: das Netzwerk der Produktion der Agrar-Gentechnik, das Netzwerk der Ausbreitung der Agrar-Gentechnik und die Netzwerke des Widerstandes gegen bzw. der Förderung der Agrar-Gentechnik. Wie im dritten Kapitel dargestellt, ist ein heterogenes Netzwerk ein Praxiszusammenhang, der als ein Zusammenspiel zwischen sozialen Akteuren, materiellen Dingen und diskursiven Konzepten charakterisiert werden kann. Die Kennzeichnung »heterogen« bezieht sich damit auf die Unterschiedlichkeit der Materialien, die in einem Netzwerk zusammengezogen und repräsentiert werden. Eine Repräsentation ist damit eine gesellschaftliche Wissensform, die gilt, insofern die Wirklichkeit ihr angeglichen wird. Hier sind die Repräsentationen die Pro- und ContraArgumente zur Agrar-Gentechnik. Sie beziehen sich auf die heterogenen Netzwerke als gesellschaftliche Praxisbereiche, die mit der Agrar-Gentechnik konfrontiert werden. Der Aufbau heterogener Netzwerkstrukturen richtet sich nach der Anordnung und den Eigenschaften der Entitäten, die in dieses einbezogen werden. Weiterhin ist die Auffassung darüber, welche Entitäten als Ressource für die Stärkung der eigenen Position aufgefasst werden, abhängig von der Zukunftserwartung und von spezifischen Auffassungen über das Verhältnis von Natur und Gesellschaft (die hier als »Verfassungen« bezeichnet werden, vgl. die Ausführungen in Abschnitt 3.1.3). Für die Verwirklichung des eigenen Handlungspotentials ist ebenso entscheidend, ob eher starke oder schwache Verbindungen gesetzt werden bzw. inwiefern die Möglichkeit besteht, bestehende Verbindungen zu schwächen. Die Chancen des Aufbaus heterogener Netzwerkstrukturen richten sich nach (1.) der Anzahl der Entitäten, (2.) der Anordnung der Entitäten, (3.) der Vorannahmen über die Entitäten (Verfassungen) und der (4.) Art der Beziehung (reversibel/irreversibel). Diese vier Aspekte finden

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DIE AGRAR-GENTECHNIK ALS AKTEUR-NETZWERK

sich in den vier Analyseschritten wieder, denen der Aufbau der folgenden Kapitel entspricht. So wird in diesem vierten Kapitel die Objektkonstruktion der AgrarGentechnik bei unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren nachvollzogen. Die Analysen sollen verdeutlichen, dass es kein einheitliches Objekt Agrar-Gentechnik gibt, und dass die unterschiedlichen Auffassungen darüber, welche Praktiken und Entitäten zu ihr gerechnet werden, abhängig ist von der Zukunftserwartung: Diese besteht entweder in der Hoffnung, dass sich die Agrar-Gentechnik durchsetzt, oder aber, dass eine Landwirtschaft auch ohne Gentechnik möglich bleiben wird. Im darauffolgenden fünften Kapitel wird die Black Box der Agrar-Gentechnik weiter geöffnet und danach gefragt, welche Risiken- und Nutzenerwartungen mit ihr verbunden werden. In den Pro- und Contra-Argumenten wird die Agrar-Gentechnik mit anderen Entitäten in Verbindung gebracht und diese Beziehungen werden problematisiert. Damit können Konfliktpunkte identifiziert werden, die auf konfligierende Netzwerkbildungsprozesse verweisen. Dabei wird gezeigt, dass die unterschiedliche Netzwerkeinbindung der Entitäten zu einer scheinbaren Kommunikationssperre zwischen beiden Lagern führt, dass sich die Wirklichkeitsbeschreibungen selbst aber nicht widersprechen. Das vierte und fünfte Kapitel widmen sich demnach dem ersten Analyseschritt. Hier wird deutlich, dass – wie in der Konzeption des Boundary Objects – die Grenzen der Agrar-Gentechnik nicht fest umrissen sind, aber dennoch ein gemeinsamer Kern, die Pflanzenzucht, festgestellt werden kann. Im sechsten Kapitel werden die Auswirkungen der Agrar-Gentechnik in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen betrachtet. Dies geschieht durch eine Untersuchung des gesamtargumentativen Feldes, womit sich ebenso auf die Anordnung der Entitäten also dem zweiten Analyseschritt bezogen wird. Die Analyse der Vorannahmen und der Art der Beziehung – demnach der dritte und vierte Analyseschritt – erfolgt neben einer Analyse der Zukunftserwartungen im siebenten Kapitel. Das heterogene Netzwerk um die Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft wird von den untersuchten Organisationen in ganz unterschiedlicher Weise in ihren Repräsentationen in eine Black Box eingeschlossen, um es als Objekt zu konstituieren, dem Eigenschaften zu oder abgesprochen werden können. Dieses Objekt wird mit verschiedenen Namen versehen: Grüne Bio- bzw. Gentechnologie, Agrogentechnik, transgene Pflanzen oder gentechnisch veränderte Kulturpflanzen. Um seine unterschiedliche Konstruktion nachvollziehen zu können, soll dieses Objekt in dieser Studie als Agrar-Gentechnik betitelt werden. Als Objekt einer Risikokontroverse werden der Agrar-Gentechnik unterschiedliche Eigenschaften zu- oder abgesprochen. So wird auf der 141

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

einen Seite behauptet, sie würde einen Nutzen besitzen. Auf der anderen Seite wird hingegen davon ausgegangen, dass mit ihr Risiken verbunden seien. Der Agrar-Gentechnik wird damit positive oder negative Aktivität als Eigenschaft zugesprochen. Sammeln sich Nutzenbehauptungen in den Äußerungen eines Akteurs, wird er zumeist als ein Befürworter der Technologie angesehen, sammeln sich hingegen Risikobehauptungen, dann eher als ein Kritiker oder Gegner. Im Folgenden ist von Befürwortern und Kritikern die Rede, feinere Differenzen zwischen den Positionen werden damit blackboxt. Im nächsten, fünften Kapitel wird sich über eine Beobachtung der Praxis der Positionierung zeigen, dass eine solche pauschale Betrachtung auch in eine differenzierte Sichtweise aufgelöst werden kann. Doch was ist das für ein Objekt, auf das sich in befürwortenden und kritischen Positionen bezogen wird, wenn es um den Zusammenhang zwischen Gentechnik und Landwirtschaft geht?

4 . 1 D i e K o n s t r u k t i o n de r Ag r a r - G e n t e c h n i k Was ist eigentlich Gentechnik? Nicht jeder Akteur beantwortet diese Frage in einem wissenschaftlich-technischen Sinne. In dem »Basisreader der Moderation zum Diskurs Grüne Gentechnik« vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) steht das Folgende:1 »Unter dem Begriff Gentechnik oder Gentechnologie versteht man zum einen sämtliche Verfahren, in denen unter künstlichen Bedingungen aufbereitetes, extrazelluläres Erbgut (Nucleinsäuren, unverändert oder neukombiniert) entweder direkt (Mikroinjektion, Mikroprojektil-Beschuss) oder über Vektoren (Viren, bakterielle Plasmide) in Organismen eingebracht werden. Zum anderen werden auch analytische Methoden, die auf der Isolierung und Charakterisierung von Teilen des Erbgutes basieren, zur Gentechnik gezählt.« (BMVEL: 3)

Es können demnach sowohl Anwendungen, die zu einer Veränderung des Erbgutes eines Organismus eingesetzt werden, als auch analytische Verfahren, die dies nicht zur Folge haben, dazu gezählt werden. Grundsätzlich sind die Verfahren auf jeden Organismus anwendbar, wie sich in der folgenden Formulierung, die im »Kompendium Gentechnik« auftaucht, zeigt:

1

Die Zitation der Positionspapiere richtet sich nach der in Tabelle 13 im Anhang gegebenen Zitationskürzel.

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DIE AGRAR-GENTECHNIK ALS AKTEUR-NETZWERK

»Mittels gentechnischer Methoden ist es möglich, gezielt einzelne vorteilhafte Eigenschaften in einen Organismus einzubauen oder eine unerwünschte Eigenschaft daraus zu entfernen. Der Unterschied zur traditionellen Züchtung liegt darin, dass die Änderungen rascher und effizienter herbeigeführt werden können. Zudem können mit Hilfe dieser modernen Züchtungsmethode Erbeigenschaften artübergreifend kombiniert werden.« (Monsanto: 6)

Das »Kompendium Gentechnik« wurde von den drei Agrochemieunternehmen Monsanto, Aventis und Novartis – die auf den ersten Blick als ausgewiesenen Gentechnikbefürwortern erscheinen – und dem Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) herausgegeben. Ähnlich stellt dies die Broschüre »Informationen für Bäuerinnen und Bauern« des Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) dar, eine der Agrar-Gentechnik gegenüber offensichtlich kritisch eingestellten Organisation. »Die neue Qualität der Gentechnik besteht im Vergleich zu klassischen Züchtungsverfahren darin, dass einzelne Gene isoliert, artübergreifend miteinander kombiniert und in Empfängerorganismen eingebaut werden können. Das ist möglich, weil das Erbmaterial bei allen Lebenswesen [sic!] – bei Menschen, Tieren, Pflanzen oder Mikroorganismen – nach dem gleichen Muster (›Code‹) aufgebaut ist.« (BUND (InfB): 5)

Es besteht damit zwischen diversen Positionen Konsens darüber, dass die Besonderheit der Gentechnik in der artübergreifenden Kreuzung gesehen und ihre prinzipielle Anwendbarkeit auf alle Lebewesen behauptet wird. Dennoch gibt es Unterschiede hinsichtlich (1.) derjenigen Anwendungsbereiche der Gentechnik, die zu der Agrar-Gentechnik gezählt werden, (2.) der Anbausituation, (3.) der zweiten Generation gentechnisch veränderter Kulturpflanzen und (4.) der Stellung der Agrar-Gentechnik im Vergleich zu herkömmlichen biotechnologischen Verfahren. Diese vier Aspekte werden im Folgenden betrachtet.

4.1.1 Anwendungsbereiche Die Bandbreite möglicher Anwendungen gentechnischer Methoden wird danach unterteilt, ob sich die Forschungen auf pflanzliche (»Grüne Gentechnik«), tierische- oder menschliche Organismen (»Rote Gentechnik«) oder auf Mikroorganismen (»Graue-« oder »Weiße Gentechnik«) beziehen.2 Wenn die Anwendung gentechnischer Methoden in der Landwirtschaft betrachtet werden soll, bildet der Kern der Objektkonstruktion 2

Daneben wird teilweise auch von »Blauer Gentechnik« gesprochen, wenn die Forschungen auf Meeresorganismen zielen. 143

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

demnach zunächst die Pflanzenzucht. Der Begriff der »Agro-Gentechnik«3 impliziert aber, dass darunter auch teilweise, wie in der Tierzucht, Anwendungen der »Roten Gentechnik« begriffen werden könnten. Es stellt sich demnach die Frage, welche Anwendungsbereiche unter dem Fokus »Pflanzenzucht« (noch) versammelt werden. Zunächst gibt es Positionen, die unter der Agrar-Gentechnik nur die gentechnisch veränderte Kulturpflanze (GVK) verstehen. Die Anwendung gentechnischer Methoden, wie zur Analyse und der Gendiagnostik, deren Ergebnisse ebenso als Grundlage konventioneller Züchtungen gebraucht werden könnten, werden bei diesen Positionen nicht mit betrachtet (vgl. Tabelle 4). Diese Methoden werden aber von den staatlichen Akteuren und den Verbänden aus Industrie und Landwirtschaft, aber auch von solchen Organisationen, die auf den Zusammenhang zwischen Gentechnik und Patenten hinweisen möchten, mit zu der Agrar-Gentechnik gezählt. Eine weitere Ausweitung erfährt der Begriff, wenn die Anwendung der Gentechnik in der Lebensmittelherstellung, also der Einsatz von gentechnisch veränderten (Mikro-)Organismen (GVO) zur Herstellung von Enzymen und Zusatzstoffen, hinzu gerechnet wird.4 Das Objekt Agrar-Gentechnik wird damit bei einigen Positionen enger und bei anderen weiter gefasst. Mit diesen unterschiedlichen Objektkonstruktionen lassen sich divergierende Ansichten über die Verbreitung der Agrar-Gentechnik begründen. So stehen sich die beiden Behauptungen: »Die Gentechnik ist weit verbreitet« und: »Die Gentechnik ist nur sehr wenig verbreitet« auf den ersten Blick unversöhnlich gegenüber. Sieht man diese Aussagen jedoch in Zusammenhang mit der unterschiedlichen Objektkonstruktion, können beide gleichzeitig ihre Gültigkeit behalten.

3

4

Der Begriff der »Agro-Gentechnik« ist weit häufiger in gentechnikkritischen Schriften anzutreffen als in befürwortenden. Höchstwahrscheinlich wurde er eingeführt, um sich von der mit positiven Assoziationen verbundenen Farbzuschreibung »grün« im Begriff der »Grünen Gentechnik« abzusetzen (vgl. EED: 5, FN 1). Die Unterteilung in »Grün« (Anwendung auf pflanzliche Organismen) und »Rot« (Anwendung auf Mensch und Tier) soll es laut »Gentechnik-Reader« des BMVEL in der biomedizinischen Forschung auch schon vor der Einführung gentechnischer Methoden gegeben haben. Vgl. BMVEL: 3. Ein Beispiel: »als ›Grüne Gentechnik‹ werden vor allem gentechnologische Anwendungen im Bereich von Landwirtschaft und Ernährung verstanden. Dazu gehören beispielsweise die Produktion von Pflanzen für Lebens- und Futtermittel, die Erzeugung nachwachsender Rohstoffe, der Einsatz gentechnisch veränderter Mikroorganismen für die Herstellung von Zusatzstoffen und die Anwendung gendiagnostischer Verfahren im Rahmen des Pflanzenbaus und der Tierzucht.« LR Bayern: 3.

144

DIE AGRAR-GENTECHNIK ALS AKTEUR-NETZWERK

Tabelle 4: Objektkonstruktionen bei den unterschiedlichen Organisationen GVK

Methoden

BÖLW BUND

x x

EED

x

FiBL

x

Greenpeace

x

aid

x

BUKO

x

x

DIB

x

x

DLG

x

x

Mikroorganismen

x

Misereor

x

x

MPG

x

x

Bioland

x

x

vzbv

x

BLL

x

x

x

x

BMBF

x

x

x

BMVEL

x

x

x

DBV

x

x

x

LR Bayern

x

x

x

Monsanto

x

x

x

Verbr.Ini.

x

x

x

So ist die Anwendung gentechnischer Methoden in der Lebensmittelherstellung weiter verbreitet als der Anbau gentechnisch veränderter Kulturpflanzen. Werden beide Anwendungsbereiche zu einem Objekt zusammengefasst, lässt sich die weite Verbreitung der Agrar-Gentechnik begründen. Die Einengung der Agrar-Gentechnik auf das schon fertige Produkt – die gentechnisch veränderte Kulturpflanze – unterstützt hingegen das Argument einer nur marginalen Bedeutung der Agrar-Gentechnik, da Forschungen vernachlässigt und gendiagnostische Methoden innerhalb der konventionellen Pflanzenzüchtung nicht zu der Agrar-Gentechnik gezählt werden. Der Zusammenhang zwischen Objektkonstruktion und der Zuschreibung von Wirklichkeit an die Agrar-Gentechnik wird ebenso deutlich, wenn zum einen Angaben über die Verbreitung des Anbaus von gentech145

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

nisch veränderten Kulturpflanzen und zum anderen Aussagen zur Realität von Pflanzen der zweiten Generation betrachtet werden. Auch hier kann ein Grundkonsens zwischen den verschiedenen Positionen festgestellt werden, bei Divergenzen in der Gesamtaussage.

4.1.2 Anbausituation In Bezug auf die Anbausituation herrscht weitgehend Übereinstimmung darüber, was, wie und wo angebaut wird. So werden weltweit weniger als 100 Millionen Hektar mit gentechnisch veränderten Kulturpflanzen bestellt, wobei vor allem Soja, Mais, Baumwolle und Raps angebaut werden. Die Hauptanbauländer sind die USA, Argentinien und Kanada. Jedoch werden diese Fakten unterschiedlich interpretiert und dargestellt.5 So ist allgemein zwar ein Anstieg des Anbaus von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen in den letzten Jahren zu verzeichnen, jedoch werden einige Kulturpflanzen weit häufiger angebaut als andere und ist der Anbau in einigen Ländern weitaus verbreiteter als in anderen. Gentechnikkritische Positionen kennzeichnen diese ungleiche Verteilung als eine Beschränkung des Anbaus auf bestimmte Länder und Kultursorten. Dies ist für sie Ausdruck des Versagens der Technologie. Befürwortende Positionen verweisen eher auf den globalen Anstieg des Anbaus von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen und der Vielfalt der angebauten, gentechnisch veränderten Kulturpflanzen. Dies ist für sie ein Zeichen des anhaltenden Siegeszuges der Agrar-Gentechnik. Ein Beispiel hierfür geben die Graphiken in Abbildung 1. Die beiden oberen Graphiken stammen aus BUND (InfB). Sie stellen dar, dass der Anbau auf wenige Kulturpflanzensorten und auf wenige Anbauländer beschränkt ist. Die untere Graphik ist von dem International Service for the Acquisition of Agri-Biotech Applications (ISAAA) erstellt. Bemerkenswert hierbei ist, dass in der Darstellung des ISAAA Deutschland als ein Anbauland markiert wird, obwohl es bis zum Jahr 2005 keinen kommerziellen Anbau im eigentlichen Sinne gegeben hat. Es gab jedoch einen sogenannten Versuchsanbau, der ab 1998 auf circa 50-300 Hektar erfolgte und auf einer Sondergenehmigung des Bundessortenamtes beruhte. 5

In Bezug auf die quantitative Erfassung des globalen Anbaus von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen gibt es auch nur eine Quelle, die der ISAAA bereitstellt. Diese Organisation wird von Kritikern als eine Lobbygruppe der Biotechnologie-Unternehmen gekennzeichnet, weswegen ihre Angaben mit Vorsicht genossen werden sollten. Vgl. BUND (InfB): 4, FN 1.

146

DIE AGRAR-GENTECHNIK ALS AKTEUR-NETZWERK

Wie können diese unterschiedlichen Aussagen getroffen werden? Die Hektarzahlen lassen sich quantitativ der Kulturpflanze und dem Anbauland zuordnen. Die lange Reihe der Länder, in denen gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut wird, und die lange Reihe von Kulturpflanzen, die bereits verändert wurden, wird von den eher kritisch gestimmten Positionen vorher »abgeschnitten«. Durch eine Quantifizierung erhalten sie eine »Datenreduktion«. Auch befürwortende Positionen nehmen eine solche »Datenreduktion« vor, wenn sie allein nur auf die Existenz eines Anbaus bestimmter Kulturpflanzenarten in bestimmten Ländern verweisen. Dabei nehmen sie jedoch keine nationalstaatsspezifische Quantifizierung vor, sondern betrachten den globalen Anstieg im Zeitverlauf. Abbildung 1: Unterschiedliche Darstellungen der Anbausituation

Quellen: BUND(infB) und ISAAA Die detaillierten Anbauzahlen werden demnach von kritischen und befürwortenden Positionen in ihrer Repräsentation unterschiedlich blackboxt. Die einfachste Art einer Black Box ist die Behauptung der Existenz der Agrar-Gentechnik, die sich differenzierter auf bestimmte Kulturpflanzen und Länder beziehen kann. Aber auch die Darstellung des globalen Anbaus in quantifizierter Form in einem Graphen stellt eine Form des Blackboxings dar. Unterschiede zwischen einzelnen Ländern und Kulturpflanzenarten werden dann nicht mehr deutlich. 147

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

4.1.3 Die zweite Generation Alle untersuchten Organisationen stimmen darin überein, dass die angebauten Pflanzen vor allem zwei Eigenschaften besitzen: (1) Herbizidresistenz6, (2) Insektenresistenz7 und (3) eine Kombination aus Herbizidund Insektenresistenz. Sie stimmen aber nicht über die Realität der Pflanzen überein, die sich noch in der Entwicklung befinden. Diese werden im Diskurs als Pflanzen der zweiten und dritten Generation bezeichnet.8 Für die eher kritischen Positionen ist die zweite Generation eine Illusion, welche niemals verwirklicht werden kann.9 Für die eher befürwortenden Positionen ist die zweite Generation bereits existent, zum Beispiel in den vielfältigen Forschungsprojekten, in denen bereits erfolgreich an Pflanzen mit veränderten Inhaltsstoffen und Resistenzen gegen Dürre und Salz geforscht wird (um nur einige Eigenschaften zu nennen). Es gibt einige Zwischenpositionen, welche den Zeitpunkt, wann die zweite Generation zu erwarten sei, in weitere oder nähere Zukunft verschieben. Diese Positionen verweisen auf laufende Forschungsprojekte und Freisetzungsexperimente, auf beantragte Zulassungen oder gar auf den Anbau in anderen Ländern. Insbesondere die staatlichen Akteure machen auf einige Schwierigkeiten in der Umsetzung der gewünschten Eigenschaften aufmerksam.10 Die Verwirklichung von Pflanzen mit Eigenschaften der zweiten Generation scheint jedoch auch bei ihnen nur eine Frage der Zeit zu sein, die durch intensivierte Forschungsanstrengungen verkürzt werden könnte. Dieser Verweis auf die noch notwendi6

Die entsprechende Kulturpflanze wurde so verändert, dass sie gegen ein bestimmtes Breitbandherbizid resistent ist. 7 Die entsprechende Kulturpflanze wurde so verändert, dass sie selbst ein spezifisches Insektengift produziert. Da dies vor allem durch das Einbringen eines Gens aus dem Bodenbakterium bacillus thuringensis (Bt) erreicht wird, werden diese Pflanzen auch »Bt-Pflanzen« genannt. So wird in Deutschland seit 1998 Bt-Mais der Firma Monsanto (MON810) angebaut, der ein Insektengift gegen den Maiszünsler produziert. 2008 wurde der Anbau gemäß einer Schutzklausel in der EU-Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EG) in Deutschland verboten. Ein gegen dieses Verbot von Monsanto angestrengte Gerichtsverfahren ruht derzeit (Stand April 2010). 8 Laut dem Bericht »Verschobene Marktreife«, ist die Einteilung in unterschiedliche Generationen willkürlich (vgl. Potthof/Vogel 2003: 5f.). Hier und im Folgenden wird auf den Begriff der dritten Generation verzichtet und als zweite Generation all die gentechnischen Veränderungen bezeichnet, die nicht die Herbizid- und Insektenresistenz betreffen. 9 Als Illusion wird sie gekennzeichnet durch den EED, dem BUND, der vzbv und die BUKO. 10 Diese Sichtweise wird von dem BMBF, dem BMVEL, der DLG und dem aid vertreten. 148

DIE AGRAR-GENTECHNIK ALS AKTEUR-NETZWERK

gen Forschungsbemühungen werden beim DIB, Monsanto und der MPG kaum noch gegeben. Gentechnisch veränderte Pflanzen der zweiten Generation werden so dargestellt, als wären sie schon vorhanden. Gemeinsam ist diesen Positionen, dass sie allein aus der Forschung darauf schließen, dass die gewünschten Eigenschaften sich auch tatsächlich mittels gentechnischer Methoden herstellen lassen. Dieser Auffassung stehen die Positionen aller anderen Organisationen gegenüber, welche dies bestreiten. Sie sehen in der zweiten Generation keinen Fakt, sondern eine Fiktion. Zwar gebe es Forschungen zur Entwicklung von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen der zweiten Generation und auch schon Freilandexperimente, dies sei aber noch keine Garantie dafür, dass die Forschung in Zukunft auch zu stabilen Ergebnissen gelangen würde. Dabei wird darauf verwiesen, dass schon seit zwanzig Jahren mit der Entwicklung dieser Eigenschaften in naher Zukunft gerechnet werde, diese aber bis jetzt immer noch nicht realisiert worden seien. »Gentechnik-Unternehmen kündigen seit Mitte der neunziger Jahre Pflanzen an, die das Verbraucherinteresse wecken sollen. Sogenannte ›funktionale Lebensmittel‹ sollen mehr Vitamine oder gesundheitsfördernde Stoffe enthalten. Auch der Industrie werden maßgeschneiderte Rohstoffe versprochen. Etwa eine Kartoffel, die amylosefreie Stärke enthält und sich somit besser für die industrielle Verwertung eignet, z.B. als Grundstoff für Folien, Kleister und Verpackungen. Doch die Realität sieht anders aus: Auch in Zukunft wird der Schwerpunkt weiterhin auf herbizid- und insektenresistenten Pflanzen liegen. Denn dies sind relativ einfache gentechnische Veränderungen, bei denen in der Regel nur ein Gen in die Pflanze eingeführt werden muss. Eingriffe in die elementaren Stoffwechselzusammenhänge der Pflanze mit dem Ziel, die Inhaltsstoffe zu verändern, sind weitaus schwieriger. Häufig führen sie zu unvorhersehbaren Nebenwirkungen. Auf Grund dieser Unsicherheiten sind solche Pflanzen noch weit von einer Marktreife entfernt.« (BUND (InfB): 10)

Viele gentechnikkritische Positionen ignorieren die zweite Generation in ihren Positionspapieren auch völlig. Demnach besitzt die zweite Generation in der einen Sichtweise mehr Wirklichkeit als in der anderen, in der sie überhaupt keine besitzt.

4.1.4 Verhältnis zur Biotechnologie Bei den unterschiedlichen Positionen herrscht nicht nur über die Objektkonstruktion Uneinigkeit. Divergenz besteht vor allem auch darüber, welchen Stellenwert die Agrar-Gentechnik innerhalb des allgemeinen Technikentwicklungsprozesses einnimmt. Hier kann zum einen der Weg zurückgegangen werden bis zur neolithischen Revolution (Monsanto: 149

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

15ff.) und zu der Zeit der Hochkulturen in Mesopotamien, wo bereits vor 6000 Jahren Mikroorganismen für das Brauen von Bier gebraucht wurde (BMBF: 7f.). Seitdem haben sich die Techniken in Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion beständig weiterentwickelt. In Hinblick auf die Pflanzenzüchtung stellt in diesem Sinne die Gentechnik eine Technik unter anderen Techniken, die das Ziel haben, Kulturpflanzen hervorzubringen, die dem Menschen nützlich sind. Die Besonderheit der Gentechnik sei darüber hinaus, dass sie die Möglichkeiten der Veränderung des Erbgutes erweitert. »Seit Jahrtausenden ist es ein Ziel des Menschen, ertragreiche und robuste, gegen Krankheiten und Schädlinge widerstandsfähige Pflanzen zu züchten. Die Gentechnologie liefert neue Methoden, um diese altbekannten Ziele effizienter zu erreichen.« (Monsanto: 13)

Doch nicht alle Akteure gehen diesen weiten Weg zurück. Für sie ist die Gentechnik ein vollständig neues Objekt. Diese Neuartigkeit wird damit begründet, dass nun eine artübergreifende Vermischung genetischen Materials möglich ist. Diese Auffassung vertritt der BUND, der vzbv, der EED, Greenpeace sowie die ABL. So ist in der Broschüre »Gen-Mais in Deutschland« folgende Formulierung vorzufinden: »Gentechnik ist nicht Züchtung. Gene aus Bakterien und Viren werden in Pflanzen eingebaut, um diese unempfindlich gegen Spritzmittel oder Insekten zu machen. Anders als bei Züchtungen werden im Gentechnik-Labor Artgrenzen ignoriert. Es findet eine Vermischung zwischen Arten statt, die es sonst nicht geben würde. Die langfristigen Folgen sind bislang unerforscht.« (Greenpeace: 7)

Die Tatsache, dass Gentechnik die artübergreifende Vermischung genetischen Materials ermöglicht, wird von denjenigen, welche die Gentechnik in die Tradition der Biotechnologie stellen, auch nicht in Abrede gestellt. Jedoch wird dies als Chance für die Pflanzenzüchtung angesehen, womit sich gerade der Nutzen der Agrar-Gentechnik begründen ließe. Gentechnik könne zwar von anderen Biotechnologien unterschieden werden, sie stelle aber nur eine von vielen Techniken in der Biotechnologie dar. Gentechnikkritische Positionen setzen die Agrar-Gentechnik stärker von der Biotechnologie ab, als befürwortende Positionen. Nur so lässt sich ein besonderes Risiko der Gentechnik begründen. Gentechnikbefürwortende Positionen hingegen tendieren dazu, die Gentechnik in die Tradition der Biotechnologie zu stellen. Nur so lässt sich zum einen ihr be-

150

DIE AGRAR-GENTECHNIK ALS AKTEUR-NETZWERK

sonderer Nutzen (für bereits gesellschaftlich anerkannte Zuchtziele) als auch ihre Sicherheit begründen, da auf bereits gesammelte Erfahrungen im Umgang mit dieser Technologie verwiesen werden kann – wobei sich dann auf die Biotechnologie im Gesamten bezogen wird. Eine andere Form der Abgrenzung der Gentechnik als Objekt bezieht sich nicht auf die Biotechnologie, sondern auf ihren Bezug zur landwirtschaftlichen Praxis. Für die Anbauverbände stellt die Agrar-Gentechnik eine Anbaumethode dar, die sich von anderen unterscheidet. Dies korrespondiert mit der Objektkonstruktion der Agrar-Gentechnik, die allein nur die gentechnisch veränderte Kulturpflanze betrachtet. Für die eher auf die Entwicklungszusammenarbeit ausgerichteten Organisationen ist die Agrar-Gentechnik eine Technik, welche die sich bereits vollziehende Entwicklung der Industrialisierung der Landwirtschaft weiter forttreibt. Tabelle 5: Traditionskonstruktionen bei den unterschiedlichen Organisationen Neu BUND FiBL

x x

Greenpeace

x

vzbv

x

Verbr.Ini.

x

LR Bayern

x

BMBF

x

EED

x

aid

Biotechnologie

Landwirtschaft

x

BLL

x

BMVEL

x

DBV

x

DIB

x

DLG

x

Monsanto

x

MPG

x

Bioland

x

BÖLW

x

BUKO

x

Misereor

x

151

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

4.2 Objektkonstruktion und gesellschaftliche Praxis Die bislang betrachtete Objektkonstruktion findet auf einer diskursiven Ebene statt, auf der empirische Phänomene zusammengefasst und in eine Black Box eingeschlossen werden. Die Erörterungen in den vorangegangenen Abschnitten sollen nun zusammenfassend diskutiert werden. Befürwortende Positionen versammeln unter dem Label »Grüne Gentechnik« weit mehr Entitäten als die Kritiker. Sie betrachten nicht nur die Anwendung gentechnischer Methoden in der Landwirtschaft differenzierter, sondern zählen zur Agrar-Gentechnik auch die Forschung und Bereiche der Lebensmittelproduktion. Kritische Positionen beziehen sich hingegen allein nur auf den kommerziellen Anbau und ignorieren Forschungsanstrengungen, wenn sie diese nicht gar in den Bereich der Fiktion verschieben. Dadurch können befürwortende Positionen der Agrar-Gentechnik weit mehr Wirklichkeit zuschreiben als die Kritiker. Jedoch baut die Zuschreibung von Wirklichkeit nicht nur auf der Anzahl der zu ihr gerechneten Entitäten auf, sondern auch auf der Art und Weise, wie diese Entitäten in eine Black Box eingeschlossen werden. Dies verdeutlicht die unterschiedliche Repräsentation der Anbausituation. Hier können die quantifizierten Daten graphisch so dargestellt werden, dass sich entweder eine globale Verbreitung der Agrar-Gentechnik oder eine nur auf bestimmte Länder und Kulturpflanzen begrenzte Anwendung ergibt. Befürwortende Positionen verweisen auf die weite Verbreitung der Gentechnik. Für sie stellt die Gentechnik in den Worten der ANT ein bereits sozialisiertes, fest in die Gesellschaft eingebundenes Objekt dar.11 Durch die Zuschreibung von gesellschaftlicher Realität, scheint jede Abkehr von der Nutzung der Agrar-Gentechnik undenkbar. Für kritische Positionen hingegen stellt die Agrar-Gentechnik ein noch nicht sozialisiertes Objekt dar. Mit dem Verweis auf mögliche Risiken der AgrarGentechnik deuten sie auf die Bedenklichkeit ihrer Einbindung in die Gesellschaft hin, die sich ihrer Meinung nach noch nicht vollzogen hat. Die Analysen zeigen, dass die Agrar-Gentechnik mit einem Boundary Object zu vergleichen ist. Ihre Grenzen sind nicht fest umrissen, dennoch besitzen die unterschiedlichen Objektkonstruktionen einen gemeinsamen Kern: die Pflanzenzucht. Die unterschiedliche Objektkonstruktion geht damit einher, dass das Objekt der Agrar-Gentechnik hoch umstritten ist. Weiterhin zeigte sich, dass die Objektkonstruktion mit ei11 So zum Beispiel die Verbraucher Initiative: »Die kommerzielle Nutzung der Grünen Gentechnik ist weltweit eine ökonomische Realität.« Verbr.Ini. (Kenn): 3. 152

DIE AGRAR-GENTECHNIK ALS AKTEUR-NETZWERK

ner Zuschreibung von Eigenschaften verbunden ist. So wird durch die Verbindung der Agrar-Gentechnik mit den Aussagen »hat einen Nutzen« bzw. »besitzt ein Risiko« dieser die Eigenschaften einer positiven bzw. negativen Aktivität zugeschrieben. Wie gezeigt fördert eine Einbeziehung der zweiten Generation in die Objektkonstruktion eine Zuschreibung von Nutzen, während eine Betonung der Neuartigkeit der AgrarGentechnik eine Zuschreibung von Risiko begünstigt. Im anschließenden fünften Kapitel wird deutlich, dass auch der Status der Risikoentitäten – also der Entitäten, die mit der Agrar-Gentechnik in Verbindung gebracht werden – umstritten ist. Bei der Untersuchung der Pro- und Contra-Argumente wird weiterhin deutlich, womit die pauschalen Aussagen über Risiko und Nutzen begründet werden. Dabei wird sich ebenso herausstellen, dass die Positionierung der Organisationen im Feld der Pround Contra-Argumentation differenzierter und vieldeutiger ausfällt, dennoch aber eindeutige Pro- und Contra-Positionierungen zu erkennen sind. Die Objektkonstruktion der Agrar-Gentechnik ist demnach abhängig davon, ob man dieses Objekt in die Gesellschaft integrieren möchte oder nicht. Sie hängt von dem angestrebten Netzwerkzustand, der Zukunftserwartung ab. Kritische Positionen zielen darauf, die Sozialisation der Gentechnik zu verhindern. Diese Hoffnung lässt sich nur begründen, wenn auf die marginale Bedeutung der Agrar-Gentechnik verwiesen wird. Demgegenüber behaupten befürwortende Positionen eine weite Verbreitung der Agrar-Gentechnik, um damit ihre Zukunftserwartung einer Durchsetzung der Agrar-Gentechnik zu nähren. Darüber hinaus zeichnet sich außerdem noch eine dritte Position ab, die zwischen der Pro- und Contra-Position angesiedelt ist. Diese Position wendet sich nicht pauschal gegen eine Einbindung der Agrar-Gentechnik in die Gesellschaft, sondern wünscht eine bestimmte Richtung der Technikentwicklung. Sie zielt darauf ab, dass sich die Einbindung der Gentechnik in die Gesellschaft nicht in dem Maße vollzieht, wie es sich derzeit abzeichnet. Damit ist die Zuschreibung von Wirklichkeit an ein Objekt sowohl abhängig von der Objektkonstruktion als auch von der Zukunftserwartung. Mit anderen Worten: Die Erwartung an eine bestimmte Entwicklung macht schon das wirklich, dessen Verwirklichung erst erwartet wird. Auch wenn die Objektkonstruktion auf der diskursiven Ebene noch nichts über die Praktiken aussagt, in denen die Agrar-Gentechnik eingebunden ist, ermöglicht die strategische Repräsentation der Wirklichkeit die Anwerbung von Verbündeten, welche die Ausbreitung der eigenen Position stützen. Die Objektkonstruktion ist für den Aufbau heterogener Netzwerkstrukturen, welche die eigene Zukunftserwartung wirklich wer153

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

den lassen sollen, funktional. Nur durch die Betonung einer marginalen Rolle der Agrar-Gentechnik in der Gesellschaft lässt sich gegen die Einführung der Agrar-Gentechnik mobilisieren, da nur so die Vorstellung genährt werden kann, dass die Durchsetzung verhindert werden könne. Dagegen lässt sich durch einen Verweis auf die weite Verbreitung der Agrar-Gentechnik, diese als unhintergehbarer Fakt darstellen. Damit kann die Akzeptanz der Agrar-Gentechnik erzwungen werden, so dass es auch den Konsumenten nichts mehr ausmacht, gentechnisch veränderte Lebensmittel zu kaufen, da ohnehin »überall Gentechnik drin ist«. Die Art des Blackboxings in der Objektkonstruktion kann, wie im Folgenden gezeigt werden soll, auf eine Trennung zwischen präferierter und ignorierter Praxis zurückgeführt werden. Wie gezeigt, ist die Zuschreibung von Wirklichkeit abhängig von der Objektkonstruktion. Darüber hinaus gibt es aber auch unterschiedliche Auffassungen darüber, was unter der Wirklichkeit eines Objektes verstanden werden kann. Kritische Positionen verorten die Wirklichkeit der Agrar-Gentechnik nur im kommerziellen Anbau und den Freisetzungsexperimenten: Forschungsprojekte und die zweite Generation haben für sie keinen faktischen, sondern nur einen fiktionalen Charakter. Demgegenüber nehmen befürwortende Positionen auf die Vielfalt der Forschungsprojekte und Biotechnologieunternehmen Bezug, die gentechnische Methoden benutzen. Damit besitzen die dort vorgenommenen Anstrengungen den Status eines Faktes. Dass es eine gentechnische Veränderung gibt, dass sie als Fakt existiert, ist nicht abhängig von ihrer Verbreitung, sondern von der Funktionstüchtigkeit, die bereits im Labor beginnt und sich – durch einige Modifikationen hindurch – im Freiland fortsetzt. Wirklichkeit besteht in der einen Sichtweise in der Bereitstellung von Möglichkeiten, in der anderen bezieht sie sich auf die realen Folgen, die mit der Nutzung dieser Möglichkeiten verbunden sind. So zielen befürwortende Positionen auf die Bereitstellung eines Instrumentes, das zum Erreichen gesellschaftlich legitimierter Ziele gebraucht werden kann oder auch nicht. In der Bereitstellung einer Möglichkeit wird bereits Wirklichkeit verortet. Für befürwortende Positionen ist die Wirklichkeit in einem individuellen Möglichkeitsraum begründet. Nur wer diese Möglichkeiten ausprobiert, kann den versprochenen Nutzen nachprüfen. Aber auch wenn fast niemand diese Instrumente ausprobieren würde, wären sie dennoch wirklich, so lange sie funktionstüchtig sind. Kritische Positionen sind vor allem an den möglichen Folgen interessiert, welche die schon fertigen Produkte – die gentechnisch veränderten Organismen – bei der Integration in unterschiedliche gesellschaftliche Zusammenhänge mit sich bringen könnten. An der Produktion dieser Organismen sind sie weniger interessiert, weshalb sie den Nutzen, der als 154

DIE AGRAR-GENTECHNIK ALS AKTEUR-NETZWERK

Legitimation dieser Produktion dient, in den Bereich der Fiktion verschieben. Befürwortende Positionen zeigen demgegenüber Interesse an der Produktion dieser Organismen. Die Auswirkungen der Integration dieser Produkte in gesellschaftliche Zusammenhänge interessieren sie weniger, weshalb sie die Risiken in den Bereich der Fiktion verschieben. So wie kritische Positionen den Nutzen als Fiktion entlarven, da sie die Forschung ignorieren, entlarven befürwortende Positionen die Risiken als Fiktion, da sie die Folgen der Integration der Agrar-Gentechnik in bereits bestehende gesellschaftliche Praktiken – den Latour’schen Kollektiven – ignorieren. Beide aber operieren mit einer Globalisierung ihrer Erwartungen. Kritische Positionen beziehen die Risikoerwartungen auf ein Gesamtkollektiv, zu dem sie auch die Befürworter zählen. Befürwortende Positionen beziehen ihre Nutzenerwartungen ebenso auf ein Gesamtkollektiv. Immer und überall wird das Instrument seinen Nutzen unter Beweis stellen können, so ihre Behauptung. Auf dieser Folie eines imaginierten Gesamtkollektivs können sich Kritiker und Befürworter gegenseitig Vernunft und Moral absprechen und ignorieren dabei alternative gesellschaftliche Praktiken, die durchaus real sind bzw. real werden könnten. Globalisierte Nutzenerwartungen ignorieren die Kollektive, in denen die Agrar-Gentechnik zur Anwendung kommt. Globalisierte Risikoerwartungen hingegen ignorieren die weit verzweigten Netze der Technikkonstruktion. Was jeweils missachtet wird, ist die Arbeit, die notwendig ist, zum einen gentechnisch veränderte Organismen herzustellen – dies ignorieren kritische Positionen – und zum anderen, den gentechnisch veränderten Organismus regional zur Anwendung zu bringen – dies ignorieren befürwortende Positionen. So ist zum einen die Entwicklung transgener Pflanzen sowohl zeit- als auch kostenaufwändig.12 Zum anderen bedarf es bei einem großflächigen Anbau von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen nicht nur der landwirtschaftlichen, sondern auch der gesellschaftlichen Reorganisation. Damit wird das jeweils Ausgeschlossene blackboxed, nicht geteilte gesellschaftliche Praktiken ignoriert und als Fiktion kritisiert. Dies ist laut der Konzeption der modernen Verfassung bei Latour ein erster Schritt, Netzwerkbildungsprozesse zu stützen. Die Verbindungen der ignorierten Seite werden schwächer und reversibel dargestellt, die Verbindungen, die der eigenen Netzwerkbildung dienlich sind, hingegen stärker und irreversibel. 12 »Im Bereich der Biotechnologie sind die Entwicklungskosten bis zur Markteinführung eines Produkts besonders hoch. Sie werden für eine transgene Pflanzensorte auf 20 Mio. Euro geschätzt.« LR Bayern: 17. 155

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Die Unterscheidung zwischen der Wirklichkeit in der Möglichkeit und der Wirklichkeit in den Folgen lässt sich mit der Unterscheidung bei Daele (1993) zwischen Kontingenzerhöhung und Fundamentalisierung vergleichen.13 So ist die Zuschreibung von Wirklichkeit als Möglichkeit mit der Kultur der Kontingenzerhöhung – das ist die Vervielfältigung von Handlungsmöglichkeiten – vergleichbar, die auch bei ihm eher bei befürwortenden Positionen angesiedelt ist. Als das von dieser Festlegung Ausgeschlossene erscheint nun der individualisierte Verbraucher – derjenige, welcher die angebotenen Optionen wahrnimmt bzw. eben nicht wahrnimmt. Die Kultur der Fundamentalisierung – die Herleitung eine substantialistischen Moral aus den postulierten Grenzen der Natur – ist eher mit der Zuschreibung von Wirklichkeit in den Folgen vergleichbar. Die »hypothetischen realen Folgen« könnten als ein Oxymoron aufgefasst werden, deuten aber eher auf die gesellschaftliche Dimension einer Technikanwendung hin, welche die Perspektive befürwortender Positionen einer nur begrenzten, individualisierten Technikanwendung überschreitet. Demnach haben auch Konsumentenentscheidungen weitere soziale Auswirkungen. Der Technikeinsatz ist nicht nur rein instrumentell zu begreifen, sondern er vollzieht sich in einem sozialen Umfeld, das durch die Technikinnovation verändert wird. Die beiden Perspektiven von Wirklichkeit in der Möglichkeit und Wirklichkeit in den Folgen sind dabei keine unterschiedlichen Logiken, sondern richten sich danach, auf welcher Seite man steht, das heißt, von welchen gesellschaftlichen Praktiken aus gedacht wird. Trotz der unterschiedlichen Entitätenkonstruktion gibt es bei befürwortenden und kritischen Positionen einen gemeinsam geteilten Kern der Übereinstimmung: die prinzipielle Anwendbarkeit gentechnischer Methoden auf alles Lebendige. Ausgehend von diesem Kern können nun beide Perspektiven zusammen betrachtet werden, wodurch die eingangs postulierte Hybridität der Agrar-Gentechnik in einem anderen Licht erscheint. Die AgrarGentechnik erscheint damit im Folgenden als mehrdimensionales Objekt. Der Befund der allseitigen Anwendbarkeit der Gentechnik bezieht sich auf die Konzeption des genetischen Codes. Diese Konzeption ist Teil der Genetik – ein Ansatz der Zellbiologie und die theoretische Grundlage der Gentechnik – und ist durch die Informationsmetapher angeleitet (vgl. Fox Keller 1998; Kay 2001; Weber 2003). Die Informationsmetapher selbst stammt aus der Kybernetik (Steuerungstheorie), die in Bezug auf die modernen Waffensysteme in der Folge des II. Weltkrieges entwickelt wurde (vgl. Weber 2003) und darauf zielte, Selbststeuerungsmechanismen in technischen Artefakten zu etablieren. Allgemein 13 Vgl. ebenso die Ausführungen in Abschnitt 2.2.2.1. 156

DIE AGRAR-GENTECHNIK ALS AKTEUR-NETZWERK

beschäftigt sich die Kybernetik mit hochkomplexen Systemen und ihrer Koordination (vgl. Fox Keller 1998: 108ff.). In der Genetik nimmt das Gen die Rolle des »unbewegten Bewegers« ein, das unabhängig von der Zellumgebung die Entwicklung des Organismus zu steuern vermag, als ein Kontrollzentrum, das selbst nicht kontrolliert wird. Ebenso wie der Computer als formale Struktur beschrieben wird, dessen Aufgabe die Umwandlung von Informationen ist, wird Leben als eine Ordnungsfunktion beschrieben, die gleich bleibt, obwohl sich die Materie verändert (vgl. Weber 2003: 160ff.). Indem Leben als Selbstorganisation aufgefasst wird, tritt die materielle Verfasstheit der Entitäten in den Hintergrund.14 Gleichzeitig ermöglicht die Vorstellung einer genetischen Information nicht nur eine Anwendbarkeit dieser Konzeption auf alles Lebendige, sondern auch die Substituierbarkeit aller lebenden Bausteine. Amann (1994) sieht in dem immer tieferen Eindringen gentechnischer Methoden in die Biologie ihre Transformation zu einer vereinheitlichten Technowissenschaft begründet.15 Die gentechnisch veränderte Labormaus fungiere als Modellorganismus und damit als »epistemisches Wissensobjekt« auch für alle anderen Lebewesen. Als standardisiertes, im Kontext des Labors konstituiertes Wissensobjekt, das industriell erzeugt und damit abhängig von der technischen Infrastruktur sei, ermöglicht es die Gentechnik, Wissen aus der technischen Kontrollierbarkeit zu erzeugen.16 Allgemein sei es Kennzeichen der Technowissenschaften, so die kritischen Stimmen (neben Sohn 1994 vgl. Görg 2003; Weber 2003), die Grenze zwischen Natur und Gesellschaft konzeptionell einzuebnen und den Pool des Wirklichen in kleinste Einzelteile zu zerlegen, so dass sie als Ressourcen für eine technische Neukonstitution dienen könnten. Die Gentechnik wurde eingangs als ein Hybrid gekennzeichnet, da sich der gentechnisch veränderte Organismus nicht eindeutig der Natur oder der Gesellschaft zuordnen lässt. Nun erscheint das Hybride an der Gentechnik in ihrer Zwischenstellung von Möglichkeit und Wirklichkeit. Die Gentechnik lässt sich prinzipiell als beschreibende Methode auf alle lebenden Organismen anwenden. Damit ist der technische Zugriff – zu14 Vgl. Weber 2003: 196ff.; Thacker 2005: xvff. Zu einer engen Verflechtung von Informationstechnologie und moderner Biotechnologie siehe ebenso Rifkin 1998. 15 In gleicher Weise argumentiert Dolata (1996), dass sich mit der neuen Biotechnologie – zu der er nicht nur gentechnische Methoden rechnet – die Biologie, wie schon andere Disziplinen vor ihr, von einer grundlagenorientierten Disziplin zu einer Ingenieurswissenschaft gewandelt habe. Nicht mehr Entdeckungen zählten, sondern Erfindungen. Vgl. Dolata 1996: 19. 16 Vgl. Amann 1994. Sein Befund stützt sich auf eine Studie, die an den Laborstudienansätzen angelehnt ist. Zu ihrer näheren Beschreibung siehe Abschnitt 3.1.1. 157

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

mindest was lebende Organismen betrifft – als Möglichkeit globalisiert. Andererseits basiert die Möglichkeit dieses technischen Zugriffs auf einer sozio-technischen Infrastruktur, die immer schon gentechnisch veränderte Organismen herstellt. Der Zugang zur sozio-technischen Infrastruktur ist aber nicht allen Menschen gleichermaßen gegeben. Zu den centers of calculation haben nicht Alle Zutritt (vgl. Abschnitt 3.1.1). Die prinzipiell allseitige Anwendbarkeit gentechnischer Methoden potenziert diese Asymmetrie. Der Gedanke, dass die Gentechnik sich auf alle lebenden Organismen anwenden lässt, beflügelt Hoffnungen und Ängste. Sie treibt gesellschaftliche Praktiken voran, welche sich einen Nutzen aus der Anwendung der Gentechnik versprechen. Sie fordert aber auch Abwehrreaktionen heraus, die sich gegen eine Verwirklichung dieses Zugriffs wenden. So lassen sich nicht nur Risikoerwartungen als hypothetisch kennzeichnen, auch die mit der Agrar-Gentechnik in Verbindung gebrachten Nutzenerwartungen können als hypothetische Nutzenerwartungen bezeichnet werden.17 Damit werden Risiko- und Nutzenerwartungen nicht nur in Bezug auf ein Gesamtkollektiv globalisiert, sondern auch in Bezug auf eine Zukunft. Diese Globalisierung der Zukunftserwartung wurde zumeist als »Mythos moderner Technologien« bezeichnet. Sowohl auf Seiten der Kritiker als auch auf Seiten der Befürworter moderner Technologien bestehen überzogene Erwartungen hinsichtlich der Möglichkeiten der Technikanwendung. Sie führen entweder zu berauschenden Zukunftsvisionen oder zu Horrorszenarien.18 Damit wird unterstellt, dass sowohl Risiko- als auch Nutzenerwartungen zum Teil irrationale Aspekte an sich tragen. Hinter den Erwartungen verbergen sich aber nicht nur bloße Übertreibungen bezüglich der Möglichkeiten einer Technik, sondern Hinweise auf eine ungleiche Verteilung des Zugangs zu Produktionsstrukturen, die durchaus real sind. Diese Asymmetrie wird dadurch verstärkt, dass das Netzwerk der Produktion der Agrar-Gentechnik monopolisiert wird und gleichzeitig das Netzwerk der Ausbreitung der Agrar-Gentechnik universalisiert wird. Die Ausbreitung der Agrar-Gentechnik erfolgt dabei aber nicht über Zwang, sondern über Verhandlungen hinsichtlich ihres Nutzens und ihres Risikos. Die Univer17 Mayntz (2000) verweist darauf, dass in der Frühphase einer Technikentwicklung weniger die Nachfrage entscheidend sei, sondern vielmehr Nutzenvorstellungen mit meist utopischen Charakter. Vgl. Mayntz 2000: 11f. 18 So weist Radkau (1988) darauf hin, dass sowohl die Kerntechnik als auch die Gentechnik Omnipotenz suggerieren, wobei sich Fakten und Zukunftsträume vermischen. Vgl. Radkau 1988: 351. Ebenso sieht Weber (2003) in der Gentechnik eine Methode, die durch ihre allseitige Anwendbarkeit, große Erwartungen hervorruft, ohne dass sie erfüllt zu werden brauchen. Sie verdächtigt alle Technologien der technoscience, dass sie einem Mythos der Technik unterliegen. Vgl. Weber 2003: 142ff. u. 214f. 158

DIE AGRAR-GENTECHNIK ALS AKTEUR-NETZWERK

salisierung provoziert demnach den Diskurs und damit auch den Widerstand.

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5 DISKURS: RISIKO

UND

NUTZEN

Das Objekt Agrar-Gentechnik wird von unterschiedlichen Positionen aus verschieden konstruiert und mit Eigenschaften versehen. Eine dieser Eigenschaftsdimension ist die Zuschreibung von negativer bzw. positiver Aktivität so wie sie in den Risiko- und Nutzenerwartungen enthalten ist. Im Folgenden stellt sich die Frage, durch was die Zuschreibung dieser Eigenschaften begründet wird. Die Argumente für und wider der Gentechnik werden auf unterschiedlichen Ebenen eingeführt. Auf einer sehr allgemeinen Ebene sind die Argumente »die Agrar-Gentechnik hat einen Nutzen« und »die Agrar-Gentechnik hat Risiken« vorzufinden. Pauschale Risiko- und Nutzenargumente sprechen der Agrar-Gentechnik ohne weitere Begründung entweder ein Risiko oder einen Nutzen zu. Die folgenden zwei Zitate stellen jeweils ein Beispiel für ein pauschalisierendes Risiko- und ein pauschalisierendes Nutzenargument dar. »Die Produktion mit gentechnisch veränderten Pflanzen birgt Risiken, die zurzeit heruntergeredet werden. Eine Freisetzung von transgenen Pflanzen in die Umwelt kann zum Bumerang werden, wenn es zu unerwünschten Nebenerscheinungen wie Allergien o. ä. kommen sollte. Denn dieser Weg der Freisetzung ist eine Einbahnstraße die zur Sackgasse werden kann, es gibt dann kein zurück mehr.« (BUND (InfB): 36)

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DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

»Die Chancen der Grünen Gentechnik für eine nachhaltige, dauerhaft umweltgerechte Wirtschaftsweise sowie zur Sicherstellung der Ernährung in der Dritten Welt müssen wahrgenommen werden.« (LR Bayern: 5)

Bereits auf der pauschalen Ebene werden differenziertere Argumentationen deutlich, welche zwischen Risiko und Nutzen abwägen bzw. eine solche Abwägung verlangen, was durch die folgenden zwei Zitate deutlich wird. »Wie auch immer etwaige Risiken bewertet werden und so hypothetisch die Bewertung der Chancen der Anwendung zum heutigen Zeitpunkt und somit auch in diesem Reader nur sein kann, bei Entscheidungen bezüglich Forschungsförderung sollte immer auch berücksichtigt werden, dass die Unterlassung von Förderung (im Bereich der Landwirtschaft ist es nicht nur die Gentechnik, die einen innovativen Beitrag leisten kann) langfristig ebenfalls erhebliche Kosten und Nachteile mit sich bringen könnte.« (BMVEL: 92) »In diesem Rahmen muss das Potential der Gentechnik verantwortlich beurteilt werden, damit Chancen genutzt und Risiken minimiert werden.« (aid: 51)

Die Agrar-Gentechnik wird, um die unterschiedlichen Erwartungen zu begründen, mit verschiedenen Entitäten in Verbindung gebracht wird. Des Weiteren werden die pauschalisierenden Argumente auch dazu benutzt, die eigene Positionierung in der Debatte implizit zu markieren. So werden die pauschalisierenden Risiko- und Nutzenargumente in einem zweiten Schritt durch spezifischere Argumente begründet.1 Diese spezifischeren Argumente werden im ersten Abschnitt dieses Kapitels untersucht. Auf der eher allgemeineren Ebene lässt sich der strategische Umgang mit Risiko- und Nutzenerwartungen nachzeichnen. Hier wird versucht, die jeweils gegnerischen Argumente dadurch zu entkräften, dass sie entweder durch den Verweis auf die Irrationalität bzw. Unmoralität der Position, von der aus jene geäußert wurden, diskreditiert wird oder indem die Argumente in den Bereich der Fiktion verschoben wird. Dieser strategische Umgang mit Risiko- und Nutzenerwartungen betrifft die aktive Konstruktion der Gentechnikdebatte, auf die im zweiten Abschnitt dieses Kapitels näher eingegangen wird. Trotz dieser strategischen Setzung von Argumenten im Diskurs, enthalten diese doch Wirklichkeitsbeschreibungen, die auf Auswirkungen der Agrar-Gentechnik in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen verweisen. Dies geschieht auf der spezifischeren Ebene, auf der die allgemeineren Risiko- und Nutzenbehauptungen durch differenzierte Argu1

Zu der methodischen Vorgehensweise bei der Analyse vgl. Abschnitt 3.3.

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DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

mentationen begründet werden. So wird in Bezug auf unterschiedliche Gegenstände und Situationen das erwartete Risiko bzw. der erwartete Nutzen ausgeführt. Auf den ersten Blick scheinen sich dabei die einzelnen Aussagen zu widersprechen, so dass der Anschein entsteht, dass Befürworter und Gegner in unterschiedlichen Welten leben und die Wirklichkeit in ganz unterschiedlicher Weise beschreiben. Die genauere Untersuchung der Konstruktionsweise dieser Argumente – wie im Folgenden ausgeführt – offenbart aber ganz anderes: Die Divergenz in den Wirklichkeitsbeschreibungen der Akteure entsteht aus unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und widerspricht sich kaum. Es werden nur bestimmte Aspekte betont und andere vernachlässigt. Begreift man die Agrar-Gentechnik als ein Netzwerk sowohl ihrer Produktion als auch ihrer Ausbreitung, so problematisieren unterschiedliche Interessengruppen die Agrar-Gentechnik in unterschiedlicher Weise, da sie ihre Auswirkungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen betrachten. Sie fokussieren ihre Ausführungen auf nur einen Teilaspekt des Gesamtnetzwerkes um die Agrar-Gentechnik. Diese Schwerpunktsetzungen verweisen auf unterschiedliche Auswirkungen der Agrar-Gentechnik in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. Diese Auswirkungen schlagen sich in den Risiko- und Nutzenargumenten nieder, die Diskussion dieser Auswirkungen aber weist über die Risiko- und Nutzen-Debatte hinaus und deutet damit auf ein breiteres soziales Problemfeld hin. Ebenso wie die Agrar-Gentechnik sind auch die Risikoentitäten in ihrem Status hoch umstritten. Sie können als Boundary Objects aufgefasst werden, da sich unterschiedliche Perspektiven auf sie beziehen. Jedoch führt in diesem Fall dieser gemeinsame Bezug nicht immer zu einer Kooperation, sondern auch zu Konflikt. Risikoentitäten als Boundary Objects sind wie diskursive Konzepte, die unterschiedliche Realisierungsgrade (Materialisierungen) besitzen. Während aber die Agrar-Gentechnik und die Risikoentitäten als Boundary Objects erscheinen, treten die Entitäten, mittels denen wiederum die Risikoentitäten gestützt werden, als Black Boxes bzw. als Fakten auf. Im ersten Abschnitt wird untersucht mittels welcher Risikoentitäten die pauschalisierenden Risiko- und Nutzenerwartungen begründet werden. Der zweite Abschnitt behandelt die Frage, wie sich die Akteure in der Debatte positionieren und wie dadurch die Unterscheidung zwischen Befürwortern und Gegnern konstruiert wird.

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DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

5.1 Konstruktion der Risiko- und N ut z e n - Ve r b i n d u n g e n Zur Begründung der allgemein gehaltenen Risiko- und Nutzenbehauptungen, so wie sie im vorangegangenen Abschnitt betrachtet wurden, wird auf spezifische Sachverhalte verwiesen. Diese Sachverhalte werden im Folgenden als Risikoentitäten bezeichnet. Auf dieser Ebene stehen sich Argument und Gegenargument gegenüber. Tabelle 6 gibt einen Überblick über die Risiko- und Nutzenargumente, die im Diskurs identifiziert werden konnten und sich auf eine Risikoentität beziehen. Dass zu jedem Argument ein Gegenargument mobilisiert werden kann, deutet darauf hin, dass die Konfliktparteien schon eine lange Geschichte der Auseinandersetzung und gegenseitigen Abgrenzung hinter sich haben. Allein nur das Pro-Argument »Effizienzsteigerung durch die Agrar-Gentechnik« findet keinen Gegenpart. Für die Fundierung der einzelnen Behauptungen können sowohl kritische als auch befürwortende Positionen wissenschaftliche Studien und Expertenmeinungen mobilisieren. Damit könnte man davon ausgehen, dass es sich bei den Darstellungen der Argumente der Befürworter und Gegner um konkurrierende Wirklichkeitsbeschreibungen handelt. Eine nähere Betrachtung der Argumente aber zeigt, dass diese nicht auf konkurrierende Wirklichkeitsbeschreibungen aufbauen. Auch die spezifischeren Risiko- und Nutzenargumente stellen jeweils eine Black Box dar, die ihre Herkunft und ihre Bezüge verdunkelt. Im Folgenden geht es darum, diese Black Box zu öffnen, und zu beobachten, wie die verschiedenen Diskursparteien zu den Risiko- oder Nutzenaussagen gelangen. Damit wird die Richtung der Beobachtung geändert: Nicht die Konkurrenz schon fertiger Aussagen, so wie sie im Bereich der Massenmedien erscheinen, wird beobachtet, sondern was die unterschiedlichen Argumente problematisieren und auf welche heterogenen Netzwerke sie verweisen. Massenmedien und die Öffentlichkeit sowie Experten aus wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Bereichen sind nichts weiter als Verbündete für die eigene Position. Die Strategien ihrer Anwerbung sind nicht Gegenstand der folgenden Betrachtung, sondern die in den Argumenten verborgen liegenden Problematisierungen, die Hinweise darauf geben, welche Auswirkungen die Agrar-Gentechnik in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen hat. Wird die Konstruktion der Risikoentitäten betrachtet, so kann die Divergenz in den Argumenten zunächst (1) darauf zurückgeführt werden, dass sie – ähnlich wie bei Agrar-Gentechnik – unterschiedlich konstruiert werden. Sie besitzen zwar einen gemeinsamen Kern, aber zu diesem werden unterschiedliche Bereiche gezählt. 164

DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

Tabelle 6: Risikoentitäten und ihre Pro- und Contra-Bewertung Entität Agrarmarkt Allergien

Pro-Argument Absatzmärkte werden erschlossen Allergien können durch Gentechnik verhindert werden

AntibiotikaResistenz

Übertragung der AntibiotikaResistenz ist unwahrscheinlich Arbeitsmarkt Arbeitsplätze werden geschaffen Artenvielfalt Gentechnik steigert die Artenvielfalt Auskreuzung Auskreuzung ist unproblematisch Bodenqualität Bodenqualität wird verbessert Effizienzsteigerung Entwicklungsländer Ernteerträge

Contra-Argument Absatzmärkte gehen verloren Allergien werden durch Gentechnik ausgelöst Gesundheitliche Risiken durch die Übertragung der Antibiotika-Resistenz Arbeitsplätze gehen verloren Gentechnik bedroht die Artenvielfalt Auskreuzung auch auf artverwandte Wildformen Bodenqualität verschlechtert sich ***

Effizienzsteigerung durch Gentechnik Entwicklungsländer profitie- Risiken für die Entwicklungsren von der Agrar-Gentechnik länder durch die Agrar-Gentechnik Ernteerträge sind höher Ernteerträge sind nicht höher

Futtermittel

Höhere Qualität der Futtermittel bei GVO Kontaminati- Vermischungen können veron mieden werden Landwirte ökonomischer Nutzen für die Landwirte Lebensmittel Gentechnisch veränderte Lebensmittel sind sicher

Keine höhere Qualität der Futtermittel Vermischungen können nicht vermieden werden ökonomische Risiken für die Landwirte Gentechnisch veränderte Lebensmittel sind ungenügend geprüft

Einschränkung der bäuerlichen Unabhängigkeit durch Patente Gentechnik ist sicherer und Unsicherheit liegt bereits in Pflanzeneffizienter den Methoden züchtung ResistenzResistenzentwicklungen kön- Resistenzentwicklungen fühentwicklung nen vermieden werden ren zu Problemen Mittel der Schädlings- und Schädlingstel der Schädlings- und Unund Unkraut- krautbekämpfung und führen Unkrautbekämpfung und fühbekämpfung zu einer Reduzierung des Pes- ren zu einem Anstieg des Pestizidverbrauches tizidverbrauches Patente

Patente als Investitionsanreiz für die Pflanzenzüchtung

Wald

Gentechnik verhindert Abholzung Gentechnik zur Sicherung der Welternährung und Linderung der Mangelernährung

Welternährung

Einsatz der Gentechnik führt zur Abholzung Zur Sicherstellung der Welternährung und zur Linderung der Mangelernährung bringt die Gentechnik keinen Nutzen 165

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Bei anderen Risikoentitäten (2) hingegen gibt es diesen gemeinsamen Kern nicht. Hier werden die Risikoentitäten mit ganz anderen Objekten in Verbindung gebracht, in ganz unterschiedliche Netzwerke eingebettet. Weiterhin (3) ist eine Gruppe von Risikoentitäten auszumachen, bei der zwar die Wirklichkeitsbeschreibungen übereinstimmen, aber hinsichtlich der Aktivität, also der beobachtbaren positiven oder negativen Folgen, Unstimmigkeit besteht. Wird die Black Box geöffnet, wird deutlich, dass die Wirklichkeitsbeschreibungen, auf welche die Argumente aufbauen, sich nicht widersprechen, sondern wie ein Puzzle aneinander gefügt werden können. Eine Gesamtbetrachtung befürwortender und kritischer Perspektiven aber findet zumeist nicht statt, auch in den Positionspapieren nicht, die beanspruchen, beide Seiten symmetrisch zu betrachten.

5.1.1 Unterschiedliche Aktivität Bei den im Folgenden betrachteten Risikoentitäten wird zu unterschiedlichen Aussagen über ihren Zusammenhang mit der Agrar-Gentechnik dadurch gelangt, dass die Beziehung zwischen Risikoentität und AgrarGentechnik unterschiedlich bewertet wird. Diese unterschiedliche Bewertung kann dabei nicht (bzw. nur marginal) auf divergierende Wirklichkeitsbeschreibungen zurückgeführt werden, sondern größtenteils darauf, dass unterschiedliche Vergleichsgrößen herangezogen werden. Von befürwortenden Positionen werden Risikoerwartungen gegenüber der Agrar-Gentechnik mit Risiken, die aus anderen Technologien herrühren, verglichen. Von kritischen Positionen werden Nutzenerwartungen gegenüber der Agrar-Gentechnik mit alternativen Techniken und Praktiken kontrastiert. Im Folgenden wird die Konstruktion der Antibiotika-Resistenz, Ernteerträge, Futtermittel, Lebensmittel, Pflanzenzüchtung, Resistenzentwicklung und Kontamination – die zu dieser Kategorie gezählt werden können – betrachtet.

5.1.1.1 Antibiotika-Resistenz Antibiotika-Resistenz wird bei vielen gentechnischen Veränderungen als Marker-Gen verwandt.2 Hier besteht die Befürchtung, dass sie sich 2

Marker-Gene sind notwendig, um die Zellen, bei denen eine erfolgreiche Übertragung stattgefunden hat, von denen zu trennen, bei denen diese Übertragung nicht erfolgreich gewesen ist. Diese sind dann auch nicht gegen Antibiotika resistent und werden durch dieses abgetötet. Laut Freisetzungsrichtlinie der EU (2001/18/EG) soll die Verwendung von Antibiotika-Resistenzmarkern stärker geprüft werden, was einige Akteure als Verbot interpretieren.

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DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

durch Gentransfer in der Umwelt verbreitet, indem sie durch Mikroorganismen im Boden oder im menschlichen Verdauungstrakt aufgenommen wird und damit die in der Humanmedizin benutzten Antibiotika unbrauchbar werden. Diese Risikobehauptung provoziert mehrere Gegenargumente, die aber diese Befürchtung nur abmildern und nicht leugnen. So sei diese Übertragung zwar möglich, aber extrem unwahrscheinlich. Selbst wenn eine solche Übertragung stattfinden würde, würden sich keine gesundheitlichen Bedenken ergeben, da die Entwicklung der Antibiotika in der Humanmedizin fortgeschritten sei und andere Substanzen benutzt werden würden. Darüber hinaus sei allgemein das Problem einer Verbreitung von Antibiotika in der Umwelt vorhanden. Es würde durch die Anwendung von Antibiotika-Resistenzen in der Gentechnik nicht sonderlich verschärft werden. Dennoch aber werde an der Entwicklung von alternativen Markertechniken gearbeitet bzw. existierten schon. Hier wird demnach die Existenz des Risikos anerkannt, aber in den Bereich des Unwahrscheinlichen verschoben. Weiterhin wird versucht, die besondere Verbindung der Übertragung der Antibiotika-Resistenz auf den Menschen und der Gentechnik aufzulösen, in dem die Problematik als allgemeine, von der Gentechnik unabhängige Problematik dargestellt wird.

5.1.1.2 Ernteerträge Die Nutzenerwartung, dass durch die Agrar-Gentechnik mit einer Steigerung der Ernteerträge zu rechnen sei, wird von kritischen Positionen bestritten. Vielmehr sei mit einer Verringerung der Ernteerträge zu rechnen. Beide Argumente werden mittels unterschiedlicher Studien und Statistiken zu begründen versucht. Der Gegensatz beider Behauptungen lässt sich demnach nicht auflösen und in diesem Fall ließe sich von einem Expertendilemma sprechen.3 Es wird jedoch an einer Stelle darauf verwiesen, dass die unterschiedliche Einschätzung auf unterschiedliche Bewertungen der konventionellen Landwirtschaft als Vergleichsgröße beruhen könnte. Die höheren Erträge durch den Einsatz der Agrar-Gentechnik werden auf eine Unterbewertung der konventionellen Landwirtschaft zurückgeführt. Da3

Der BUND (InfB) bezieht sich beispielsweise auf Daten aus dem USLandwirtschaftsministerium (vgl. BUND (InfB): 22), der EED auf eine Studie von Aaron de Grassl vom Institute of Development Studies in Sussex (vgl. EED: 22f.), der DIB hingegen auf eine Studie des US-amerikanischen Council for Agricultural Science and Technology (CAST) und auf eine Studie des US-amerikanischen National Center for Food and Agricultural Policy (NCFAP). Vgl. DIB: 5f. u. 7. 167

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

mit ist in diesem Fall die Zuschreibung von Aktivität von einem Vergleich unterschiedlicher Techniken abhängig.

5.1.1.3 Futtermittel Die Behauptung, dass aus gentechnisch veränderten Pflanzen Futtermittel mit einer höheren Qualität produziert werden könnten, wird ohne weitere Begründung von kritischen Positionen einfach bestritten. Nach Ansicht befürwortender Positionen resultiert die höhere Qualität der Futtermittel daraus, dass bei mit Maiszünsler befallenem Mais auch in der Regel ein höherer Pilzbefall nachgewiesen werden könnte. Diese hinterlassen in der Pflanzen Pilzgifte (mycotoxine). Da der zünslerresistente Bt-Mais einen Zünslerbefall verhindere, sei demnach das daraus produzierte Futtermittel weniger durch Pilzgifte belastet und damit von höherer Qualität. Eine ähnliche Argumentation findet sich dann auch in Bezug auf Lebensmittel, obwohl sie in den Diskussionen um die Lebensmittelqualität nicht diesen zentralen Stellenwert einnimmt, da der BtMais, der gegen den Maiszünsler resistent ist, in Deutschland vor allem als Futtermittel eingesetzt wird. Im Zusammenhang mit den zuvor diskutierten Vorteil höherer Ernteerträge durch gentechnisch veränderte Pflanzen, ist demnach bei befürwortenden Positionen der erwartete Vorteil bei Bt-Mais weiter gefasst und betrifft nicht nur die Höhe der Ernteerträge, sondern auch deren Qualität. Damit ist ein Nutzen der Bt-Pflanzen nicht nur dann gegeben, wenn der Befall zu Ernteausfällen führt, sondern auch dann, wenn es sich nur um einen geringen Zünslerbefall handelt. Kritische Positionen gehen auf die Problematik des Pilzbefalls gar nicht ein. Sie ignorieren diese Argumentation.

5.1.1.4 Lebensmittel Die Diskussionen um die Anwendung gentechnischer Methoden in der Lebensmittelproduktion drehen sich sowohl um einen erwarteten Nutzen als auch um erwartete Risiken. So wird von befürwortenden Positionen zunächst behauptet, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel weitaus besser geprüft und damit sicherer seien als herkömmliche Lebensmittel, da sie im Gegensatz zu diesen insbesondere im Zuge ihres Zulassungsverfahrens zahlreichen Tests unterworfen werden. Nur gentechnisch veränderte Organismen (GVO), welche die mehrstufige Sicherheitsprüfung bestehen, werden zugelassen. Dem wird von kritischen Positionen das Argument gegenübergestellt, dass vielmehr die Lebensmittel am sichersten seien, welche die Menschen schon seit Generationen verzehrten. 168

DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

Anders als bei dem Verhältnis von Gentechnik zur Biotechnologie antworten auf eine Innovation nun also die Kritiker mit dem Verweis auf die Tradition, der jahrhundertealten Erfahrung im Umgang mit Lebensmitteln. Die Befürworter hingegen begründen ihr Argument ebenfalls mit einer Erfahrung, die aber nicht auf der Alltagserfahrung beruht, sondern eher als wissenschaftlich-technische Erfahrung gekennzeichnet werden muss, so wie sie in den Testergebnissen der Zulassungsprüfung zum Ausdruck kommt. Eine andere Form, die Sicherheit gentechnisch veränderter Lebensmittel zu begründen, besteht darin, dass darauf hingewiesen wird, dass deren Inhaltsstoffe vollkommen identisch mit denen herkömmlicher Lebensmittel seien. So werde zum einen bei der Prüfung der Sicherheit von GVO diese anhand des Prinzips der »substantiellen Äquivalenz« überprüft. Dabei werden die Risiken gentechnisch veränderter Lebensmittel mit denen vergleichbarer konventioneller Lebensmittel verglichen. Zum anderen würden die durch die eingebrachten Gene produzierten Eiweiße schon immer vom Menschen mit der Nahrung aufgenommen. Demgegenüber werden bei kritischen Positionen gentechnisch veränderte Lebensmittel mit »Gift« in Lebensmitteln gleichgesetzt und damit eine vollständige Ablehnung des Einsatzes von Gentechnik in der Lebensmittelproduktion begründet. Aus der einen Perspektive ist demnach das Produkt mit konventionellen vergleichbar, es werden nur andere Techniken eingesetzt, um es herzustellen. Aus der anderen Perspektive begründet gerade die Neuartigkeit der Technik auch die Andersartigkeit des Produktes, womit seine besondere Gefährlichkeit offensichtlich werde. So wird in Bezug auf die Risiken behauptet, dass Unwissenheit darüber herrsche, was für gesundheitliche Auswirkungen gentechnisch veränderte Lebensmittel haben könnten. Es gebe keine systematischen wissenschaftlichen Studien über die gesundheitlichen Risiken. Dieser Befürchtung steht das Argument gegenüber, dass wir täglich mit unserer Nahrung immer schon eine gewisse Menge an DNA zu uns nehmen. DNA an sich sei kein Gift, sondern natürlicher Bestandteil unserer Lebensmittel. Speziell auf gentechnisch veränderte Lebensmittel bezogen, wird auf die US-Amerikaner verwiesen, die bereits über einen etwas längeren Zeitraum mit GVO in ihren Lebensmitteln konfrontiert worden seien und bei denen noch keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen festgestellt werden konnten. Allgemein aber entsteht auf Kritikerseite das Bild, dass die Bevölkerung als Versuchskaninchen missbraucht werden würde. Demnach steht der Verweis auf die Sicherheit gentechnisch veränderter Lebensmittel dem Vorwurf ihrer ungenügenden Prüfung gegenüber und dieser Gegensatz lässt sich auch nicht auflösen. 169

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Neben dem Streit um die Sicherheit und dem Risiko wird auch ein gesundheitlicher Nutzen von der Agrar-Gentechnik erwartet. So zählen zu den Eigenschaften der zweiten Generation auch sogenannte ernährungsphysiologische Eigenschaften, die den Nährwert, wie zum Beispiel durch die Anreicherung des Vitamin- und Eisengehaltes, verbessern sollen. Der Nutzen und die Umsetzbarkeit solcher Pflanzen in der Zukunft wird von kritischen Positionen bestritten. Konventionelle Verfahren der Lebensmittelherstellung hätten bereits vor Einführung der Gentechnik zu einer Verwirklichung dieser Ziele beigetragen.4 Abgesehen davon sei die Steigerung sogenannter ernährungsphysiologischer Eigenschaften in Lebensmitteln (auch Functional Food) ohnehin bedenklich, da die Dosis der angereicherten Inhaltsstoffe nicht kontrolliert werden könne und damit aus einem vermeintlich gesundheitlichen Nutzen leicht ein Gesundheitsrisiko entstehen könnte. Neben der Infragestellung der technischen Mittel wird demnach ebenso das Züchtungsziel in Frage gestellt. Darüber hinaus wird eine andere Form der landwirtschaftlichen Produktion und des Konsums von Lebensmitteln angemahnt: nicht um Masse (Steigerung der Ernteerträge und Schnelligkeit der Speisezubereitung), sondern um Qualität solle es gehen. Das bedeutet, so wenig Technik wie möglich in der Landwirtschaft und der Zubereitung von Lebensmitteln zu gebrauchen. Gentechnik wird hier unter dem Blickwinkel der Massenproduktion gesehen, unter welcher die Qualität leide. In dieser Forderung ist die Forderung nach einer Selbstbestimmung der Verbraucher und auch der Landwirte enthalten. Diese und nicht die Experten sollen soviel wie möglich selbst kontrollieren in Bezug auf das, was wie gegessen wird. Selbstbestimmung ist aber ebenso in den befürwortenden Argumenten enthalten. Sie machen nur ein Angebot, dem jeder selbstbestimmt folgen kann oder auch nicht. Sie förderten die Selbstbestimmung durch ihr Technikangebot, da sie den Möglichkeitsraum der Wahl erweitern. Somit herrscht Übereinstimmung über den Wert »Selbstbestimmung« nicht aber darüber, was er genau bedeute und wie er verwirklicht werden könne.

5.1.1.5 Resistenzentwicklung Resistenzen können bei Wildkräutern gegen das eingesetzte Herbizid entstehen, aber auch Schädlinge können gegen Insektizide Resistenzen ausbilden. In beiden Fällen verliert das eingesetzte Pestizid seine Wirk4

Somit kann dieses Argument auch als ein Gegenargument dazu gewertet werden, dass die gentechnisch veränderten Lebensmittel die am besten geprüften seien. So werden bei konventionelle Lebensmittel weniger strenge Sicherheitsprüfungen durchgeführt.

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DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

samkeit. Gentechnisch veränderte Pflanzen der ersten Generation sind direkt mit dem Einsatz von Pestiziden verbunden. Bei herbizidresistenten Pflanzen kommen sogenannte Breitbandherbizide, die jede Pflanze außer der Kulturpflanze vernichten, zum Einsatz. Bei insektenresistenten Pflanzen produziert die Pflanze selbst das entsprechende Insektizid. Es braucht demnach nicht erst bei Schädlingsbefall auf den Feldern ausgebracht zu werden. In Bezug auf herbizidresistente Pflanzen bringen kritische Positionen die Befürchtung zum Ausdruck, dass die Herbizidresistenz auf Wildkräuter übertragen und damit der Herbizideinsatz unwirksam werden könnte. Sogenannte »Superunkräuter« könnten nur mit hochgiftigen Herbiziden bekämpft werden. Es werden zwei unterschiedliche Wege der Resistenzbildung genannt: zum einen die Auskreuzung, zum anderen mangelnder Fruchtwechsel, welcher die resistenten Wildkräuter heranzüchte. Das Gegenargument in Bezug auf die Auskreuzung besteht darin, dass ein ähnlich gelagertes Problem auch bei konventionell gezüchteten Resistenzen bestünde. Zwar wären sogenannte »Superunkräuter« aufgefunden worden, jedoch ließen sich die Resistenzen auf die Auskreuzung konventioneller Sorten und nur zum Teil auf GVO zurückführen. Die Problematik der Resistenzentwicklung sei seit langem bekannt und eine der Hauptmotoren dafür, dass die Pflanzenzüchtung und die Entwicklung von Pestiziden immer weiter vorangetrieben werden müsse. Die Auskreuzung von Resistenz-Genen sei also kein gentechnik-spezifisches Problem (ebenso wie die Probleme, die eine mangelnde Fruchtwechselfolge nach sich bringe). Ein weiteres Gegenargument behauptet, dass die Entwicklung von Resistenzen bei Anbausystemen mit gentechnisch veränderten Pflanzen kaum beobachtet werden konnte, und wenn, dann würden sie sich sogar langsamer im Vergleich zu konventionellen Anbausystemen entwickeln. Bei insektenresistenten Pflanzen – so kritische Positionen – entwickelten die Schadinsekten, auf welche das von der Pflanze produzierte Gift ausgerichtet sei, eine Resistenz. Dies geschehe schneller als bei nicht gentechnischen Anbausystemen, da bei Bt-Pflanzen das Insektengift von der Pflanze die gesamte Wachstumsperiode hindurch produziert werde. Auch hier besteht das Gegenargument darin, dass die Entstehung von Resistenzen beim Einsatz von Insektiziden ein allgemeines und nicht gentechnik-spezifisches Problem sei. Kritischen Positionen behaupten hingegen, dass die Agrar-Gentechnik diese Problematik weiter verschärfe. Ein weiteres Gegenargument behauptet, dass in wissenschaftlichen Studien keine Resistenzentwicklung bei Zielorganismen im Zusammenhang mit dem Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen festgestellt werden konnte. 171

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Als Lösung für die Probleme der Resistenzentwicklung wird in Bezug auf gentechnisch veränderte Pflanzen vorgeschlagen, ein Resistenzmanagement einzurichten. Zur Vermeidung von Insektenresistenzen wird empfohlen, einen Teil des Feldes mit nicht insektenresistenten Kulturpflanzen als Rückzugsfläche zu bestellen, um die Resistenzentwicklung zu verlangsamen. Diese Vorgehensweise werde beim Anbau von Bt-Pflanzen in den USA und Kanada bereits gesetzlich vorgeschrieben. Als eine andere Strategie wird die Züchtung von Pflanzen mit Mehrfachresistenzen angeregt. Hier würde die Resistenzentwicklung bei Schadinsekten dadurch verhindert, dass, wenn sie eine Resistenz gegen das eine Insektengift entwickelten, sie durch die weiteren abgetötet werden würden und so keine Chance für eine Weitervererbung der Resistenz mehr hätten. Für die Entwicklung solcher mehrfachresistenten Pflanzen könnte ebenso die Gentechnik hilfreich sein. Die Effektivität des Resistenzmanagements wird von Kritikerseite aus bezweifelt. Dieses sei darüber hinaus sowohl arbeitsaufwändig als auch kostenintensiv. Ebenso würden sich Landwirte häufig nicht an die Auflagen des Resistenzmanagements halten. Durch das Resistenzmanagement würde die Entwicklung von Resistenzen nur hinausgezögert, nicht aber verhindert. Bei den Diskussionen um die Resistenzentwicklung ist zu beobachten, dass sowohl bei herbizidresistenten Pflanzen als auch bei insektenresistenten Pflanzen von befürwortenden Positionen zunächst versucht wird, die Problematik als gentechnik-unspezifisch darzustellen und die Problematik als solche weitgehend ganz zu bestreiten. Von kritischer Seite wird die Nützlichkeit des Instrumentes, dass dem Problem Abhilfe schaffen soll – das Resistenzmanagement – in Frage gestellt. Risikound Nutzenbehauptungen stehen einander gegenüber. Während kritische Positionen versuchen, eine Spezifität der Problematik der Resistenzentwicklung bei Unkräutern und Insekten herauszustellen, wird die damit verbundene Risikoerwartung durch die Einführung des Resistenzmanagements bei Bt-Pflanzen von befürwortenden Positionen bereits nichtdiskursiv gestützt. Womit sie ihre Behauptung einer Nichtexistenz dieses Risikos ad absurdum führen.

5.1.1.6 Schädlings- und Unkrautbekämpfung Die Frage nach der Stellung der Agrar-Gentechnik zur Schädlings- und Unkrautbekämpfung wird sowohl in Bezug auf herbizid- als auch insektenresistenten Pflanzen betrachtet. Insbesondere auf der Befürworterseite wird hier der ökologische, ökonomische und gesundheitliche Nutzen hervorgehoben und gesundheitliche Risiken bestritten. So seien die verwendeten Pestizide sowohl bei insektenresistenten als auch bei herbizid172

DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

resistenten gentechnisch veränderten Pflanzen selbst gesundheitlich und ökologisch unbedenklich. Bei Bt-Pflanzen wird die Unbedenklichkeit damit begründet, dass Bt-Präperate auch in der ökologischen Landwirtschaft als Insektizid eingesetzt werden, ohne das bislang negative Auswirkungen bekannt geworden seien. Eine Entlastung der Umwelt entstünde bei herbizidresistenten Pflanzen dadurch, dass die mit ihnen zum Einsatz kommenden Herbizide – wie Glyphosat im Breitbandherbizid Roundup, Glufosinat im Breitbandherbizid Liberty – umweltverträglicher als herkömmliche Herbizide seien, da sie schneller biologisch abbaubar wären. Bei Bt-Pflanzen würde ein Umweltnutzen durch die Einsparung von Insektiziden erreicht, und dadurch, dass durch das weniger häufige Spritzen der Arbeits- und Ressourceneinsatz reduziert werden würde.5 Ob durch die Agrar-Gentechnik Pestizide eingespart werden könnten, ist ein zentraler Streitpunkt zwischen Befürwortern und Gegnern. Befürwortende Positionen behaupten, dass sowohl bei insektenresistenten als auch bei herbizidresistenten gentechnisch veränderten Pflanzen eine Reduktion im Pestizidverbrauch möglich wäre bzw. bereits beobachtet worden sei. Damit wäre sowohl ein ökonomischer Nutzen für die Landwirte als auch ein ökologischer Nutzen für die Umwelt verbunden. Kritische Positionen hingegen verweisen auf einen Anstieg im Pestizidverbrauch, der insbesondere durch die Resistenzentwicklung zustande käme. Ein Anstieg des Pestizidverbrauches sei (auch unabhängig davon, ob dies auf die Resistenzentwicklung zurückgeführt wird) bereits beobachtet worden. Damit wäre der behauptete Umweltnutzen hinfällig. Einige Positionen weisen darauf hin, dass sowohl Studien als auch Anbauerfahrungen keine endgültigen Schlüsse über den Pestizidverbrauch bei der Agrar-Gentechnik zulassen und der Pestizidverbrauch ebenso von unterschiedlichen Faktoren, wie lokale klimatische Verhältnisse und der jeweiligen Kulturpflanzenart abhängig sei. Einen weiteren Aspekt der Diskussion um die Schädlings- und Unkrautbekämpfung betrifft alternative Techniken zu den Bt-Anbausystemen. Zunächst wird angeführt, dass die Anwendung von Bt-Präperaten in der ökologischen Landwirtschaft unwirksam werden würden, wenn Insekten eine Resistenz gegen Bt durch den Anbau gentechnisch veränderter Kulturpflanzen entwickelten. Das erhöhte Risiko einer Resistenzentwicklung sei dadurch gegeben, dass Bt-Pflanzen dieses Gift die gesamte Wachstumsperiode hindurch produzieren. Doch gerade dieser 5

Interessant ist, dass an dieser Stelle die geringere Toxizität auch mit einem potentiellen Nutzen für die Entwicklungsländer in Verbindung gebracht wird. Die schlechter geschützten Plantagenarbeiter könnten daraus einen gesundheitlichen Nutzen ziehen. 173

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Umstand ist für befürwortende Positionen ein Grund für die erhöhte Wirksamkeit von Bt-Pflanzen bei der Schädlingsbekämpfung. Die in der ökologischen Landwirtschaft ausgebrachten Bt-Pflanzenschutzmittel würden nur kurzfristig wirken. Ebenso würden – bezogen auf den BtMais, der in Deutschland angebaut wird und eine Resistenz gegen den Maiszünsler in sich trägt – nicht die Larven des Maiszünslers getötet, die sich bereits in der Maispflanze befinden. In Bezug auf den Bt-Mais verweisen hingegen kritische Positionen darauf, dass dieser nicht vor allen Schädlingen (zum Beispiel nicht vor dem Maiswurzelbohrer oder der Fritfliege) schütze. Weiterhin gebe es andere Techniken der Schädlingsbekämpfung. Insbesondere tiefes Pflügen und ein entsprechender Fruchtwechsel werden als Alternativen angeführt. Ebenso könne mittels Nützlingen, wie der Schlupfwespe Trichogramma – einem Parasiten des Maiszünslers – gearbeitet werden. Dem halten befürwortende Positionen insbesondere in Bezug auf die Schlupfwespe Trichogramma entgegen, dass diese alternativen Techniken nicht so effektiv wären wie der Bt-Mais. Hier besteht das Gegenargument befürwortender Positionen also nur in der Infragestellung alternativer Techniken der Schädlingsbekämpfung, die von kritischen Positionen vorgebracht werden. Die anderen Alternativen – wie ein angemessener Fruchtwechsel – werden durch befürwortende Positionen ignoriert. Sowohl befürwortende als auch kritische Positionen stimmen darin überein, dass der Nutzen von Bt-Mais mit der Stärke des Zünslerbefalls steige. Jedoch wird dieser Umstand unterschiedlich bewertet. Herrscht für die Befürworter immer ein Nutzen vor, also auch bei nur geringem Befall, so lohne es sich nur, so die kritischen Stimmen, Bt-Mais bei sehr starkem Befall einzusetzen. Bei geringerem Befall wäre das ihrer Meinung nach eher ein Verlustgeschäft. Hier ist demnach die Bewertung des gleichen Sachverhaltes abhängig von der Festlegung einer Quantität, ab der sich erst ein Nutzen bezahlt mache. Insgesamt wird in Bezug auf die Schädlings- und Unkrautbekämpfung die Wirksamkeit des Instrumentes durch kritische Positionen bestritten, während die Befürworter auf einen vielfältigen Nutzen verweisen.

5.1.1.7 Kontamination Kontamination bzw. die Vermischung von gentechnikfreien Produkten mit GVO, steht in engem Zusammenhang mit der Auskreuzungsproblematik. Sie umfasst aber noch andere Wege der Verunreinigung. Entlang der gesamten agrarwirtschaftlichen Produktionskette, von der Saatgutherstellung, über Anbau, Lagerung, Transport und Weiterverarbeitung, können Vermischungen auftreten – darüber sind sich befürwortende und 174

DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

kritische Positionen einig. Doch über das Ausmaß und die Vermeidbarkeit sind sie sich uneinig. Insbesondere durch befürwortende Positionen wird betont, dass sich das Problem der Vermischung bei unterschiedlichen Anbaumethoden nicht nur bei gentechnikgebrauchender und gentechnikfreier Landwirtschaft stellen würde. Es sei demnach kein spezifisches, nur bei der Agrar-Gentechnik auftretendes Problem. Befürwortende Positionen gehen davon aus, dass sich das Ausmaß der Vermischung begrenzen lasse und dies sowohl im technischen als auch im rechtlichen Sinne. Als technisch-praktische Lösung werden Maßnahmen der Guten fachlichen Praxis (GfP) vorgeschlagen, die unter anderem folgende Punkte umfassen sollen: die Einhaltung von Mindestabständen zu umliegenden Feldern, Mantelsaat, Fruchtfolgeplanung, um Durchwuchs zu vermeiden, und die sorgfältige Reinigung der Säund Erntemaschinen. In rechtlicher Hinsicht soll insbesondere durch die Einführung von Schwellenwerten das Nebeneinander unterschiedlicher Anbauweisen – ihre Koexistenz – gewährleistet werden. Schwellenwerte ermöglichen es, bei gentechnikfreier Produktion geringe Verunreinigungsgrade zuzulassen. Erst über einen definierten Schwellenwert müssten die entsprechenden Produkte mit dem Label »enthält GVO« gekennzeichnet werden. Durch diese Kennzeichnungspraxis soll es möglich werden der Agrar-Gentechnik ein Gegenüber – die gentechnikfreie Produktion – zu schaffen. Bei kritischen Positionen herrscht die Auffassung, dass die Koexistenz der unterschiedlichen Anbausysteme nicht möglich sei. An allen Punkten der agrarwirtschaftlichen Produktionskette kann es zu Vermischungen kommen, womit die gentechnikfreie Produktion bei steigendem Anbau gentechnisch veränderter Kulturpflanzen unmöglich gemacht werde. Dabei wird betont, dass nicht nur durch die Auskreuzung, sondern auch durch den Durchwuchs von gentechnisch veränderten Pflanzen auf Feldern, auf denen diese zuvor angebaut wurden, Vermischungen entstehen könnten. Die oben genannten Strategien der Guten fachlichen Praxis werden als unzulänglich und nicht wirksam genug betrachtet. Schwellenwerte werden abgelehnt, da gentechnikfreie Produktion auch »wirklich Gentechnikfreiheit« bedeuten soll. In beiden Argumentationszusammenhängen – den befürwortenden ebenso wie den kritischen – wird angenommen, dass bei steigendem Anbau auch die Kontaminationserscheinungen zunehmen werden. Jedoch wäre dies für die Befürworterseite nur ein Grund, die Schwellenwerte erneut zu überdenken. Für die Kritiker hingegen würde dies das Aus der gentechnikfreien, insbesondere der ökologischen Landwirtschaft bedeuten. Ebenso wird von beiden Seiten angenommen, dass die Koexistenzmaßnahmen, also die Trennung der Warenströme, enorme Kosten verur175

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

sacht. Dies ist für die Befürworter ein Grund dafür, möglichst auf weniger kostenintensive, praktikable Schwellenwerte zu drängen. Die Kritiker hingegen ziehen den Schluss, dass diese Kosten damit vermieden werden könnten, die Agrar-Gentechnik gar nicht erst zuzulassen. Hier ist demnach erneut ein Hinweis darauf gegeben, dass trotz Übereinstimmung über die Faktenlage, dennoch Uneinigkeit über die Bewertung herrschen kann. Diese Uneinigkeit ist zum einen darauf zurückzuführen, dass die Befürworter Vermischungserscheinungen nicht in dem Ausmaß anerkennen wie die Kritiker und sie damit kontrollierbar erscheinen. Zum anderen geht für sie von den GVO auch keine Gefahr aus, womit sie geringfügige Verunreinigungen für akzeptabel halten. Die Kritiker hingegen fordern rein gentechnikfreie Produkte und den Schutz der gentechnikfreien, vor allem der ökologischen Landwirtschaft. Gentechnisch veränderte Kulturpflanzen sollen gar nicht erst zum Anbau zugelassen werden, da dies der Türöffner für einen großflächigen Anbau mit all seinen Folgen wäre. Damit ist die unterschiedliche Interpretation der Fakten auf eine unterschiedliche Zukunftserwartung als positiv gesetzte Zielstellung zurückzuführen.

5.1.1.8 Pflanzenzüchtung Die Anwendung gentechnischer Methoden in der Pflanzenzucht soll – so die Nutzenerwartung – sicherer und effizienter als andere Züchtungsmethoden sein. Dem entgegnen die Kritiker, dass die Gentechnik schon in ihren Methoden Risiken in sich berge. Womit werden diese unterschiedlichen Argumente begründet? Die Sicherheit und Effizienz der Gentechnik in der Pflanzenzüchtung wird in Absetzung zu den konventionellen Züchtungsmethoden bewertet. Bereits vor der Einführung der Gentechnik wurde versucht, durch technische Mittel das Erbgut der Pflanzen zu verändern, wie zum Beispiel durch radioaktive Bestrahlung und durch Chemikalien. In Vergleich dazu ermögliche die Gentechnik eine zielgerichtetere Veränderung des Erbgutes. Dadurch sei auch eine Beschleunigung der Pflanzenzucht möglich. Doch nicht nur durch den zielgerichteteren Einbau von Fremd-Genen, sondern ebenso durch die von der Gentechnik ermöglichten Analysemethoden, wie der Gendiagnostik und den Daten die durch die Genomforschung den Züchtern bereit gestellt werden, könne die Pflanzenzucht effizienter gestaltet werden. Kritische Positionen beziehen sich hingegen auf die Risiken, die in der Gentechnik als Methode auftreten. Die Risiken der Gentechnik werden damit begründet, dass nicht kontrolliert werden könne, an welcher Stelle in der DNA sich das in den Zellkern eingebrachte Fremd-Gen ein176

DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

lagere. Die Gentechnik sei also nicht so zielgenau wie behauptet. Darüber hinaus würden Gene mehrere Funktionen ausüben und in einen komplexen Wirkzusammenhang mit der Zellumgebung stehen. Dadurch, dass diese Wechselwirkungen zwischen Gen und Zellumgebung nicht vollständig erforscht seien und nicht kontrolliert werden könne, an welchem Ort sich das Fremd-Gen einlagere, könne es zu unerwarteten Effekten (auch Positionseffekte) kommen. Solche unerwarteten Effekte seien aber einigen befürwortenden Positionen zufolge auch bei konventionellen Züchtungsmethoden anzutreffen und stellten damit kein gentechnik-spezifisches Problem dar. Gentechnik könnte vielmehr zu einer erhöhten Kontrolle dieser Effekte beitragen. Kritische Positionen hingegen verweisen darauf, dass die durch die Zuchtziele bestimmten Merkmale und Eigenschaften auch durch alternative Züchtungsmethoden, wie Zell- und Gewebekulturtechniken, erreicht werden könnten. Zu bemerken ist, das die unterschiedliche Einschätzung des Nutzens der Gentechnik in der Pflanzenzüchtung auf eine unterschiedliche Referenz zu »anderen Züchtungsmethoden« beruht. Auch hier ist also, wie auch bei den vorangegangenen Beispielen für die Bewertung der Agrar-Gentechnik die Vergleichsgröße von Bedeutung. Am Beispiel der Risiken und des Nutzens gentechnischer Methoden in der Pflanzenzüchtung werden ebenso die unterschiedlichen und doch vergleichbaren Argumentationsstrategien kritischer und befürwortender Positionen deutlich. Während befürwortende Positionen, wenn sie Risiken anerkennen, diese in ein allgemeines Feld auflösen und das jeweilige Risiko als nicht gentechnik-spezifisch darstellen, lösen kritische Positionen den spezifischen Nutzen in ein weiteres Feld auf. Das entsprechende Ziel, hier das Zuchtziel, könne auch mittels anderer Methoden erreicht werden. Während auf der einen Seite Gentechnik distinkt in Relation zu ihrem Nutzen konzeptualisiert wird, sie aber keine Spezifität hinsichtlich ihres Risikos besitzt, besitzt sie auf der anderen Seite zwar eine Sonderrolle in Bezug auf die Risiken, nicht aber in Bezug auf den Nutzen.

5.1.1.9 Effizienzsteigerung Von befürwortenden Positionen wird durch den Einsatz gentechnischer Methoden eine Effizienzsteigerung und Rohstoffschonung sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Lebensmittelproduktion erwartet. Auf diese Argumentationen beziehen sich keine kritischen Positionen. In der Lebensmittelproduktion sei eine Effizienzsteigerung bereits durch den Einsatz von gentechnisch veränderten Mikroorganismen bei der Herstellung von Enzymen und anderen Zusatzstoffen erreicht wor177

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

den. Hierdurch konnten aufwändige und umweltbelastende chemische Prozesse ersetzt werden. Doch nicht nur Mikroorganismen, sondern auch Kulturpflanzen sollen in Zukunft – also durch gentechnisch veränderte Pflanzen mit Eigenschaften der zweiten Generation – für die Herstellung von Industrierohstoffen benutzt werden. So könnten zum Beispiel Kartoffeln mit höherem Stärkegehalt für die Herstellung von Bioplastik genutzt werden. Aber auch für die Herstellung von Pharmazeutika ließen sich Pflanzen einsetzen (sogenanntes molecular pharming) und dies in einer effektiveren Weise als bei herkömmlichen Produktionsmethoden. Jedoch zeigten bereits gentechnisch veränderte Pflanzen der ersten Generation Anzeichen einer Effektivitätssteigerung in der Landwirtschaft durch die Einsparung von Dünger, Pestiziden und durch die Arbeitserleichterung. Dies könnte auch zu einer effektiveren und damit kostengünstigeren Lebensmittelproduktion führen.

5.1.2 Unterschiedliche Netzwerkeinbettung Die unterschiedlichen, divergierenden Aussagen befürwortender und kritischer Positionen können auch auf eine unterschiedliche Netzwerkeinbettung der Risikoentitäten zurückgeführt werden. Es werden unterschiedliche Aspekte eines Phänomens betrachtet und erst in den Allgemeinaussagen wird ein (dadurch nicht zulässiger) Vergleich von Argument und Gegenargument gestattet. Dies ist bei den im Folgenden betrachteten Risikoentitäten der Fall: Allergien, Artenvielfalt, Bodenqualität und Abholzung.

5.1.2.1 Allergien Einer der Gründe, wieso mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln gesundheitliche Risiken verbunden werden, ist die Befürchtung, dass das Allergierisiko steige. Dem steht die Erwartung gegenüber, dass gerade durch die Gentechnik Allergien vermieden werden könnten. Risiko- und Nutzenerwartung stehen einander gegenüber und beide Behauptungen werden durch die Gegenseite in ihrer Gültigkeit bestritten. So wird auf der einen Seite behauptet, dass das Allergierisiko durch die Anwendung der Gentechnik nicht steige und auf der anderen, dass das Allergierisiko durch die Agrar-Gentechnik nicht gemindert werden könne. Zunächst zu den Risikoerwartungen: Allergien in Lebensmitteln können, so die kritischen Stimmen, dadurch entstehen, dass zum einen durch die gentechnische Veränderung vollständig neue Proteine entstehen, gegen die der Mensch Allergien entwickeln könnte. Zum anderen bestehe das Allergierisiko dahingehend, dass in einen Organismus Gene 178

DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

aus einem anderen Organismus eingebracht werden, gegen die der Mensch bereits Allergien entwickelt habe. Der ersten Befürchtung wird von befürwortenden Positionen damit begegnet, dass, wenn es denn dieses Risiko gebe, es zumindest nicht gentechnik-spezifisch sei, da der Mensch auch bei anderen neuartigen Lebensmitteln mit neuen Proteinen in Kontakt gebracht werde. Der zweiten Befürchtung wird entgegnet, dass durch eine entsprechende Kennzeichnung Allergiker sich darüber informieren könnten, ob bei der gentechnischen Veränderung bei Lebensmitteln Gene aus Organismen eingeflossen seien, gegen die er eine Allergie besitzt. Darüber hinaus wird darauf verwiesen, dass die Lebensmittel vor ihrer Zulassung einer umfassenden Allergieprüfung unterzogen werden würden, um solche Problematiken schon im Vorhinein auszuschließen. Damit werden die von kritischen Positionen geäußerten Befürchtungen über mögliche Risiken als beherrschbar, sowohl im technischen als auch im rechtlichen Sinne – wie durch eine Kennzeichnungsregelung – dargestellt, ohne deren Existenz zu leugnen. Hinsichtlich der Nutzenerwartung gibt es unterschiedliche Aspekte, wie durch Agrar-Gentechnik Allergien verhindert werden könnten: Zum einen sollen Allergien durch die Entwicklung gentechnisch veränderter Pflanzen gemindert werden, wie zum Beispiel durch die Entwicklung allergiefreier Gräser, die Heuschnupfen lindern könnten. Zum anderen aber könne die Gentechnik helfen, Aufklärung über die Funktionsweise allergischer Reaktionen zu geben. Das Argument, dass diese Nutzenerwartungen bestreitet, betrifft weniger die Allergieforschung, sondern die technische Möglichkeit, Allergene unschädlich zu machen. Wie generell bei allen Pflanzen mit Eigenschaften der zweiten Generation wird bei kritischen Positionen auf die Komplexität eines solchen Eingriffs verwiesen, der die Machbarkeit in den Bereich der Illusion verschiebt. Der Allergieforschung mittels gentechnischer Methoden wird hingegen keine Beachtung geschenkt, sie wird ignoriert. Da aber die Forschung von kritischen Positionen nicht zur Agrar-Gentechnik gezählt wird, ist dies auch nicht weiter verwunderlich. Am Beispiel der Allergien ist zu erkennen, dass sich Nutzen- und Risikoerwartungen auf zwei völlig unterschiedliche Bereiche beziehen, obwohl sie den gleichen Gegenstand betreffen. Beide Argumente könnten zugleich wahr sein: die gentechnische Veränderung, die eine Allergie reduziert, könnte gleichzeitig neue hervorbringen, wobei dieser prinzipiellen Möglichkeit der Entstehung neuer Allergien durch einer entsprechenden Risikoforschung begegnet werden könnte.

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DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

5.1.2.2 Artenvielfalt In der Diskussion um die Artenvielfalt stehen sich Argumente, die darauf verweisen, dass die Agrar-Gentechnik zu deren Bereicherung beitrage und Argumente, dass die Agrar-Gentechnik eine Gefährdung derselben darstelle, einander gegenüber. Auf ein erwartetes Risiko wird damit auch hier, wie schon bei den Allergien, mit einem erwarteten Nutzen geantwortet. Die Erhöhung der Artenvielfalt durch die Agrar-Gentechnik wird damit begründet, dass insbesondere bei herbizidresistenten Pflanzen ein späterer Pestizideinsatz erfolgen kann, dann erst, wenn das Unkraut bereits aufgelaufen sei. In der dichten Pflanzendecke könnten sich zahlreiche Insekten ansiedeln und Wildkräuter gedeihen, bis es zum gezielten Pestizideinsatz komme. Eine andere Argumentation folgt dem Gedanken, dass durch die Agrar-Gentechnik eine effizientere Landwirtschaft möglich sei, wodurch die Erschließung neuer landwirtschaftlicher Nutzflächen vermieden werden könnte. So könnte zum Beispiel der Wald und die in ihm enthaltene Artenvielfalt geschützt werden. Eine Gefährdung der Artenvielfalt wird unterschiedlich begründet. Zum einen soll sie durch die mit der Agrar-Gentechnik verbundenen landwirtschaftlichen Praxis, wie zum Beispiel durch die umweltschädigende Wirkung der hier eingesetzten Pestizide, beeinträchtigt werden. Zum anderen würden durch Auskreuzung Wildformen verdrängt. Wissenschaftliche Studien belegten eine Schädigung und nicht eine Steigerung der Artenvielfalt. Die Diskussion um Bt-Pflanzen verdeutlichen einen weiteren Aspekt. Durch die Insektengiftigkeit sollen auch Nichtzielorganismen – also nicht nur der Schädling, vor dem die Kulturpflanze geschützt werden soll – geschädigt werden. So würden zwar Bt-Präperate auch in der ökologischen Landwirtschaft zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt, bei Bt-Pflanzen hingegen würde das Insektengift die gesamte Wachstumsperiode hindurch produziert. Diesem Argument wird entgegnet, dass zwar in Laboruntersuchungen die Schädigung sogenannter Nichtzielorganismen festgestellt werden konnten, dies aber unter Freilandbedingungen nicht der Fall sei. Bei der umstrittenen Studie handelt es sich vor allem um die sogenannte Monarchfalter-Studie (vgl. DIB: 9). Eine etwas ausgewogenere Darstellung verweist dementsprechend auch darauf, dass es bislang unklar sei, ob die Agrar-Gentechnik negative bzw. positive Auswirkungen auf die Artenvielfalt habe. Es gebe mehrere, sich teilweise widersprechende Studien (vgl. aid: 22). Die von befürwortenden und kritischen Positionen angeführten Argumente über die Auswirkungen der Agrar-Gentechnik auf die Arten180

DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

vielfalt stehen in direkter Konkurrenz zueinander, obwohl sie auf unterschiedliche Entitäten – Befürworter auf herbizidresistente, Kritiker auf Bt-Pflanzen – verweisen, da sie ihre Argumentationen bereits auf gesamtbilanzierende Studien gründen. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die Referenzgröße nicht aufgeführt wird (in Vergleich zu welchem Zustand eine Steigerung oder Verminderung der Artenvielfalt angenommen wird) und kein Vergleich der Artenvielfalt in unterschiedlichen landwirtschaftlichen Systemen stattfindet. Auch in Bezug auf die Agrobiodiversität – der Vielfalt der Kulturpflanzensorten – stehen sich Nutzen- und Risikoerwartungen gegenüber. Die Annahme einer Steigerung der Agrobiodiversität durch die AgrarGentechnik beruht auf dem Gedanken, dass durch den Einsatz gentechnischer Methoden in der Pflanzenzüchtung neue Sorten entwickelt und mithin die Vielfalt der Kulturpflanzensorten gesteigert werden würde. Demgegenüber wird behauptet, dass der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen sich nur für die industrialisierte Landwirtschaft eigne. Deren großflächigen Monokulturen führten eher zu einer Abnahme der Agrobiodiversität. Hinzu käme die Vereinheitlichung des Saatgutangebotes durch Patentierung und Konzentrationsprozessen unter den Saatgutkonzernen. Sortenvielfalt könne nur dadurch gewährleistet werden, dass Bauern im Nachbau ihr Saatgut selbst züchteten. Dies schließe aber das Verbot von Nachbau als auch die Patentierung von Saatgut aus. Auch in Hinblick auf die Agrobiodiversität fehlt eine Gesamtkalkulation zwischen Risiko und Nutzen, denn es wäre eine interessante Frage, inwiefern die Steigerung der Agrobiodiversität durch die Agrar-Gentechnik durch deren gleichzeitige Gefährdung wieder ausgeglichen wird.

5.1.2.3 Wald Die Abholzung des Waldes soll auf der einen Seite durch die Agrar-Gentechnik verhindert werden, auf der anderen Seite soll sie gerade dafür verantwortlich sein, dass die Abholzung vorangetrieben wird: ökologischer Nutzen und ökologisches Risiko stehen sich gegenüber. Wie kommen diese unterschiedlichen Auffassungen zustande? Die Abholzung wird laut befürwortenden Positionen dadurch vermieden, dass durch den Einsatz der Agrar-Gentechnik eine Effizienzsteigerung in der Landwirtschaft erreicht werden könne. Durch die gesteigerte Produktivität brauche zur Befriedigung des Nahrungsmittelbedarfs keine neue landwirtschaftliche Nutzfläche erschlossen werden. Die Auffassung, dass der Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft eine weitere Abholzung des Waldes nach sich ziehe, ist hingegen spezifischer auf den Soja-Anbau in Südamerika bezogen. Hier wird größtenteils gentech181

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

nisch verändertes Soja angebaut und als Futtermittel in die EU exportiert. Durch den steigenden Fleischkonsum steige auch der Bedarf an Soja, weswegen die Soja-Anbaufläche beständig ausgeweitet werden müsse. Insbesondere in Südamerika führe dies zu weiteren Abholzungen, was bereits beobachtet werden könne. Dieses kritische Argument hat demnach zunächst nur empirisch etwas mit der Agrar-Gentechnik zu tun. Es könnte auch gelten, wenn nicht gentechnisch verändertes Soja, sondern konventionelles Soja angebaut werden würde. Die Position hingegen, welche eine Vermeidung der Abholzung postuliert, ist an die behauptete Effizienzsteigerung durch die Agrar-Gentechnik zurückgekoppelt. Es wird aber offensichtlich, dass kritische und befürwortende Positionen über ganz andere Dinge sprechen, wenn sie sich auf den Zusammenhang zwischen Abholzung und Agrar-Gentechnik beziehen.

5.1.2.4 Bodenqualität Auch hinsichtlich der Bodenqualität werden in Bezug auf die AgrarGentechnik sowohl Nutzen- als auch Risikoerwartungen gehegt. So soll sich durch die Agrar-Gentechnik die Bodenqualität einerseits verbessern, andererseits verschlechtern. Die Verbesserung der Bodenqualität wird darauf zurückgeführt, dass mit der Agrar-Gentechnik pfluglose Anbauverfahren möglich werden würden bzw. nur eine minimale Bodenbearbeitung notwendig sei. Dies würde die Bodenerosion vermindern helfen.6 Eine andere Begründung für eine Verbesserung der Bodenqualität durch die Verhinderung von Bodenerosion bezieht sich auf den späteren Pestizideinsatz bei herbizidresistenten Anbausystemen. Wie schon in Bezug auf die Artenvielfalt angemerkt, kann dadurch eine dichte Pflanzendecke entstehen, in der sich nicht nur Arten ansiedeln können, sondern die gleichzeitig vor Bodenerosion schützt. Das Argument kritischer Positionen, dass sich durch die Agrar-Gentechnik die Bodenqualität verschlechtere, zielt hingegen nicht auf die Bodenerosion, sondern auf die Verringerung der Möglichkeit von gentechnikfreier Produktion auf den Flächen, auf denen zuvor gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut worden waren. Die Samen von gentechnisch veränderten Pflanzen würden bei bestimmten Kulturpflanzen (insbesondere Raps) noch in den nächsten Anbauperioden (insbesondere in 6

In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass tiefes Pflügen von kritischen Positionen als eine alternative Schädlingsbekämpfungstechnik insbesondere bei der Bekämpfung des Maiszünslers angeführt wird.

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DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

warmen Wintern) keimfähig sein und zu Durchwuchs führen. Gentechnikfreie Produktion wäre auf diesen Flächen auf Jahre unmöglich gemacht. Einen anderen Aspekt betreffen die Auswirkungen von Bt-Pflanzen auf die Bodenqualität. Von einigen Kritikern wird behauptet, dass das von den Pflanzen produzierte Gift in den Boden abgegeben werden würde und dort noch lange nachweisbar sei. Dies hätte negative Auswirkungen auf die Bodenmikroorganismen. Jedoch weisen sowohl kritische als auch befürwortende Positionen darauf hin, dass über diesen Zusammenhang kaum Erkenntnisse vorhanden seien. In den Pro- und Contra-Argumenten zur Bodenqualität wird diese demnach auf Befürworterseite mit ganz anderen »Entitäten« in Verbindung gebracht als auf Kritikerseite. Auch in dieser Argumentation schließen sich bei näherer Betrachtung die Argumente nicht gegenseitig aus. Es kann sowohl Vorteile als auch Nachteile für die Bodenbeschaffenheit geben. Diese Vor- und Nachteile werden aber nicht gegeneinander abgewogen.

5.1.3 Unterschiedliche Objektkonstruktion Eine unterschiedliche Objektkonstruktion kann dort bemerkt werden, wo im Kern die Wirklichkeitsbeschreibungen übereinstimmen, aber – ähnlich wie bei der Konstruktion der Agrar-Gentechnik – zu der Risikoentität unterschiedliche Entitäten hinzugezählt werden. Hier wird also anders als im vorangegangenen Punkt die Risikoentität nicht nur in ein anderes Netzwerk eingebettet, sondern sie ist selbst in ihren Grenzen und in ihrer Aktivität umstritten. Dies ist ein Hinweis darauf, dass es sich hier um sensible Zonen der Risikodebatte handelt, bei denen Deutungskämpfe stattfinden. Im Folgenden werden die Risikoentitäten Auskreuzung, Arbeitsmarkt, Agrarmärkte, Entwicklungsländer, Landwirte, Welternährung und Patente näher betrachtet. Dabei werden unterschiedliche Aspekte deutlich, die auf die zu Grunde liegenden Konfliktpotentiale verweisen. So bedroht die Agrar-Gentechnik nicht nur bereits etablierte Wirtschaftsweisen, wie zum Beispiel die ökologische und kleinbäuerliche Land- und Lebensmittelwirtschaft, sondern auch bestehende gesellschaftliche Praktiken alternativer Technikanwendungen. Während befürwortende Positionen die Agrar-Gentechnik als ein Instrument begreifen, dass dem individuellen Gebrauch unterliegt, sehen kritische Positionen die Agrar-Gentechnik als Objekt mit weitreichenden sozio-ökonomischen Folgen.

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5.1.3.1 Auskreuzung Die Auskreuzung besitzt in der Debatte einen hohen symbolischen Stellenwert, ist sie doch eine der wesentlichen Mechanismen, durch die eine unkontrollierte Ausbreitung von GVO in die Umwelt und damit das besondere Risiko der Agrar-Gentechnik begründet wird. Die oben beschriebene Problematik der Kontamination bzw. der Vermischung von gentechnisch erzeugten und gentechnikfreien Produkten bezog sich hingegen auf die soziale Organisation der Trennung der Warenströme. Hier tritt nun die besondere agency von GVO unabhängig von menschlicher Aktivität auf. Diese zeigt sich ebenso in den Aspekten der Auswilderung und des Durchwuchses. Auskreuzung, so der Konsens, kann sowohl auf artverwandte Wildformen der Kulturpflanzen als auch auf andere Kulturpflanzen derselben Art stattfinden. Diese prinzipielle Möglichkeit wird aber bei befürwortenden Positionen wieder eingeschränkt. So wird darauf verwiesen, dass es Auskreuzung auch bei anderen Kulturpflanzen schon seit Beginn des Pflanzenbaus gebe, bislang aber keine negativen Auswirkungen beobachtet werden konnten. Begründet wird dies damit, dass zwar Auskreuzung zwischen Kulturpflanzen und artverwandten Wildformen stattfinde, sich die Nachkommen aber nicht in Wildhabitaten durchsetzen könnten. Wenn es ein Problem mit der Auskreuzung bei gentechnisch veränderten Pflanzen gebe, so würde es sich nicht um ein gentechnik-spezifisches Problem handeln. Eine ähnliche Argumentation wird bei der Auswilderung verfolgt. Auch hier wird darauf verwiesen, dass, je hochgezüchteter eine Kulturpflanzensorte sei, diese ihre Fähigkeit verliere, unabhängig vom Menschen zu existieren. Auch wenn einzelne Gene auf Wildpflanzen auskreuzten und dort überdauerten, schade dies weder der Pflanzengemeinschaft noch dem Ökosystem. Ebenso sei die Auskreuzungswahrscheinlichkeit bei den Kulturpflanzen unterschiedlich. So besitzen viele Kulturpflanzen – wie Kartoffeln, Mais und Tomaten im Gegensatz zu Raps und Zuckerrübe – keine artverwandten Wildformen in Europa. Mit dieser Argumentationsstrategie wird die der Auskreuzung zugeschriebenen Aktivität durch eine differenzierte Betrachtung begrenzt. Kritische Positionen hingegen diskutieren nicht nur die Möglichkeit einer Auskreuzung auf artverwandte Wildformen – so wichtig dieser Aspekt in ihrer Argumentation auch sein mag, um eine unkontrollierte Ausbreitung und Nichtrückholbarkeit der Agrar-Gentechnik zu begründen. Sie problematisieren darüber hinaus auch die Auskreuzung auf andere Kulturpflanzen. So wird von den Kritikern auf die Anbauerfahrungen in den USA verwiesen. Hier führten Auskreuzung und Verunreini184

DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

gung zu erheblichen Problemen für die Sicherstellung der gentechnikfreien Landwirtschaft. In Europa mit seiner verhältnismäßig kleinteiligeren Landwirtschaft würde sich dieses Risiko bei verbreiteteren Anbau in verschärftem Maße stellen. Von befürwortenden Positionen wird die Auskreuzung überwiegend nur unter dem Aspekt der Auskreuzung auf Wildpflanzen betrachtet, die Auskreuzung auf andere Kulturpflanzen spielt eine nur nachgeordnete Rolle. Damit zählen sie zu der Problematik der Auskreuzung weniger Entitäten als kritische Positionen. Ebenso gelingt es befürwortenden Positionen die Aktivität von GVO durch eine differenziertere Betrachtung einzuschränken.7 Demnach lässt sich die Problematik der Auskreuzung enger und weiter fassen. Das in einem engeren Fokus stehende Argument der Auskreuzung auf artverwandte Wildformen ist für beide Seiten gleichermaßen von Interesse. Dass sie stattfindet, wird nicht bestritten, nur ob dies ein Problem darstellt oder nicht. In einem weiteren Fokus verweisen kritische Positionen darüber hinaus auf die Auskreuzung auf konventionelle Kulturpflanzen, die bei den eher befürwortenden Positionen weniger Beachtung findet. Dies deutet darauf hin, dass für kritische Positionen weniger die Ökologieproblematik von Bedeutung ist, als die Auswirkungen auf die gentechnikfreie Landwirtschaft und damit weniger die Natur als die gesellschaftlichen Praktiken thematisiert werden, auf welche die Agrar-Gentechnik negative Auswirkungen hat.

5.1.3.2 Agrarmarkt In der Risikokontroverse steht auf der einen Seite die Behauptung, dass durch die Agrar-Gentechnik Absatzmärkte erschlossen werden und auf der anderen Seite, dass Absatzmärkte gerade durch die Agrar-Gentechnik verloren gingen. Der Verweis darauf, dass die Agrar-Gentechnik Absatzmärkte erschließe, ist sowohl bei kritischen als auch bei befürwortenden Positionen anzutreffen. Bei kritischen Positionen soll mittels dieses Argumentes darauf hingewiesen werden, dass hinter der Technikentwicklung privatwirtschaftliche und nicht allgemeingesellschaftliche In7

Über diese allgemeine Problematik hinaus, wird das Problem der Auskreuzung bei sogenannten Pharma-Crops von allen Positionen, die dieses Problem thematisieren, als äußerst ernst zu nehmendes Problem anerkannt. Pharma-Crops sind Pflanzen, die einen medizinischen Wirkstoff produzieren. Sie sind nicht als Nahrungsmittel, sondern zur Produktion von Industrierohstoffen gedacht. Das Problem besteht dabei darin, dass hier der Wirkstoff in hochkonzentrierter Form vorliegt. Es würden schon geringe Verunreinigungsgrade reichen, um die Lebensmittelsicherheit zu gefährden. Anzumerken ist, dass sich solche Pflanzen noch kaum im Anbau befinden, jedoch könnte dieses Problem auch bei anderen nachwachsenden Rohstoffen virulent werden. 185

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

teressen im Mittelpunkt stehen. Worauf dies hinausläuft, zeigt ein anderes Argument, das darauf verweist, dass es auf dem Weltagrarmarkt zu viele unverkäufliche Überschüsse gebe und deswegen eine weitere Produktionssteigerung durch die Agrar-Gentechnik nicht wünschenswert sei. Demnach wird der technische Nutzen der Agrar-Gentechnik (Produktionssteigerung) anerkannt, ihr gesamtgesellschaftlicher Nutzen aber angezweifelt. Bei befürwortenden Positionen hingegen wird die Erschließung neuer Absatzmärkte als ein gesamtgesellschaftlicher Nutzen dargestellt. Insbesondere Europa und damit auch Deutschland sollen die Marktpotentiale der Gentechnik anzapfen, um ebenso wie andere Länder von der Technikentwicklung profitieren zu können. Der Verlust von Absatzmärkten durch die Agrar-Gentechnik wird auf die mangelnde Technikakzeptanz zurückgeführt. Lebensmittelunternehmen verlangten gentechnikfreie Ware, um so auf die anhaltend schlechte Verbraucherstimmung reagieren zu können und ihren Absatz sicherzustellen. Ebenso wird darauf hingewiesen, dass die USA landwirtschaftliche Produkte aus dem GVO-Anbau kaum mehr in Europa absetzen könne, da sie in Europa nicht zugelassen seien. Hinzu kommt ebenso die Befürchtung, dass Biobauern bei Verunreinigungen ihre Zertifizierung verlieren könnten, wie dies bereits in Kanada geschehen sei. Dies ginge ebenso mit Absatzeinbußen einher. Das Argument, dass Absatzmärkte durch die Gentechnik verloren gehen, zielt damit auf die gentechnikfreie Produktion und gipfelt in der Behauptung, dass nur Gentechnikfreiheit Absatzmärkte sicherstellen würde. Eine gentechnikfreie Produktion bringt also nach dieser Logik gerade dann einen wirtschaftlichen Vorteil, wenn der Rest der Welt mit den Schwierigkeiten des Anbaus gentechnisch veränderter Kulturpflanzen zu kämpfen hat. So gesehen müssten also die Vertreter dieses Argumentes die Durchsetzung der Agrar-Gentechnik in allen anderen Regionen befürworten, um den Wert der eigenen regionalen gentechnikfreien Produktion zu steigern. An dem Argumentationsgegensatz hinsichtlich der Absatzmärkte ist demnach zu erkennen, dass unterschiedliche wirtschaftliche Interessen formuliert werden: den einen geht es um die Absatzmärkte, die durch die Agrar-Gentechnik entstehen könnten. Die Ausweitung dieser Absatzmärkte bedroht aber die Absatzmöglichkeiten anderer Wirtschaftsakteure, die eher auf Gentechnikfreiheit zielen. Diese eigennützigen wirtschaftlichen Interessen werden von beiden Seiten als die Interessen einer Gesamtgesellschaft dargestellt.

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DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

5.1.3.3 Arbeitsmarkt Schafft die Agrar-Gentechnik Arbeitsplätze oder gehen sie vielmehr durch diese verloren? Auch hier stehen sich Argument und Gegenargument gegenüber. Die Divergenz rührt daher, dass die Kritiker eine etwas eingeengtere Sichtweise auf den direkten Einfluss der modernen Biotechnologie auf die Arbeitsmarktentwicklung haben, die Befürworter hingegen eine etwas weitere Perspektive besitzen. Die direkten Arbeitsmarktauswirkungen beziehen sich auf die Forschung und Entwicklung in der modernen Biotechnologie. Hier würden – darin sind sich befürwortende und kritische Positionen einig – Arbeitsplätze in hochqualifizierten Bereichen entstehen. Gleichzeitig jedoch – so die kritischen Positionen – würden durch die Rationalisierung im Bereich Landwirtschaft und Lebensmittel, Arbeitsplätze wegfallen, so dass in der Bilanz mit einer negativen Arbeitsmarktentwicklung durch den Einsatz der Agrar-Gentechnik zu rechnen sei. Vor allem in den Entwicklungsländern hätte eine weitere Industrialisierung der Landwirtschaft verheerende Auswirkungen, da hier noch ein Großteil der Bevölkerung auf und von dem Land lebe. Diese würde durch eine Rationalisierung ihre Ernährungsgrundlage verlieren. Demgegenüber steht bei befürwortenden Positionen die Auffassung, dass die Agrar-Gentechnik eine Schlüsseltechnologie sei, die zu positiven Auswirkungen auch in anderen, nicht direkt mit ihr in Zusammenhang stehenden Wirtschaftszweigen führe. Sie induziere einen allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung und habe damit auch positive Arbeitsmarkteffekte zur Folge. Kritische Positionen zählen zu den Arbeitsmarktauswirkungen weit weniger Entitäten als befürwortende Positionen. Hingegen schenken befürwortende Positionen der spezifischen Situation in den Entwicklungsländern in Bezug auf den Arbeitsmarkt weniger Aufmerksamkeit. Mag man sich in den Industrieländern, in denen die Landwirtschaft schon weitgehend industrialisiert ist und nur wenige Teile der Bevölkerung von der Landwirtschaft leben, darüber streiten, ob der allgemeine Wirtschaftsaufschwung mehr Arbeitsplätze sichert, als durch die Rationalisierungsmaßnahmen wegfallen, dürfte die Begründung einer positiven Arbeitsmarktentwicklung in Bezug auf die Entwicklungsländern schwieriger sein.8

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Deswegen lautet auch eine etwas differenzierte Sichtweise auf den Zusammenhang zwischen Agrar-Gentechnik und Arbeitsmarktentwicklung, dass die Frage, ob eine positive Arbeitsmarktentwicklung zu erwarten sei, von regionalen Bedingungen und einer Vielzahl anderer Faktoren, insbesondere der rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, abhängig sei. 187

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Die unterschiedlichen Argumentationen verweisen darauf, dass von kritischen Positionen auf Folgen in Bereichen der Lebensmittelproduktion und Landwirtschaft verwiesen wird, welche befürwortende Positionen ignorieren. Dabei geht es kritischen Positionen weniger um den allgemeinen Wohlstand, der durch eine Technikinnovation erreicht werden könnte, sondern um bestimmte Weisen der Produktion, die durch den Einsatz der Agrar-Gentechnik bedroht werden.

5.1.3.4 Entwicklungsländer Der Behauptung, dass auch Entwicklungsländer einen Nutzen aus der Agrar-Gentechnik ziehen können, stehen die Behauptungen gegenüber, dass Entwicklungsländer sowohl ökonomische als auch verschärfte ökologische Risiken zu erwarten haben. Dass die Agrar-Gentechnik einen Nutzen auch für die Entwicklungsländer habe, zeige – so die befürwortenden Positionen – die steigenden Anbauzahlen. Damit sei der Anbau gentechnisch veränderter Kulturpflanzen auch für die dort lebenden Kleinbauern profitabel und nicht nur für die Agrarbetriebe in den Industrieländern. Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass auch Entwicklungsländer in die Agrar-Gentechnik investierten und eigene Forschungsstrukturen aufbauen würden.9 Ein weiterer wichtiger Vorteil der Agrar-Gentechnik für die Entwicklungsländer wird damit begründet, dass diese einen Beitrag zur Linderung der Mangelernährung in den Ländern des Südens leisten könne. Kritische Positionen verweisen hingegen auf die Auswirkungen einer durch den Einsatz der Agrar-Gentechnik fortgetriebenen Industrialisierung der Landwirtschaft. Wie schon bei der Diskussion um den Arbeitsmarkt angeklungen, würde dies in den noch weitgehend agrarisch strukturierten Entwicklungsländern zu einer erhöhten Arbeitslosigkeit führen. Kleinbauern würden von ihrem Land vertrieben und mit dem Verschwinden der kleinbäuerlichen Strukturen, die Bevölkerung der Möglichkeit beraubt, ihre eigene Ernährungsgrundlage zu sichern. So würde der freie Zugang zu Saatgut erschwert, da gentechnisch verändertes Saatgut patentiert sei. Weiterhin würde durch die Agrar-Gentechnik die bestehende Asymmetrie zwischen Industrie- und Entwicklungsländern weiter verschärft. Die Entwicklungsländer besäßen weder die technischen noch rechtlichen 9

Wobei nicht immer sauber zwischen Schwellen- und Entwicklungsländer unterschieden wird. Namentlich genannt wird vor allem China, Indien und Ghana, aber auch »andere Schwellenländer in Asien, Afrika und Lateinamerika setzen heute schon stark auf gentechnologische Methoden.« Monsanto: 13.

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Strukturen, um die Agrar-Gentechnik nutzbringend anwenden zu können. Käme es zu einer Öffnung des europäischen Marktes für GVO, könnten die Entwicklungsländer mit den Industrieländern nicht mithalten. Darüber hinaus würden die hohen Anforderungen in der EU an Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von landwirtschaftlichen Produkten als zusätzliche Handelsbarrieren wirken und das Ungleichgewicht auf den Agrarmärkten zu Gunsten der Industrieländer stärken.10 In den unterschiedlichen Argumentationsweisen ist zu erkennen, dass befürwortende Positionen eher auf den individuellen Nutzen aus der Agrar-Gentechnik verweisen, während kritische Positionen sich auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge und den vielfältigen globalen wirtschaftlichen Verflechtungen beziehen. Insbesondere an der Diskussion um die Entwicklungsländer werden die sozio-ökonomischen Folgen deutlich, welche die Agrar-Gentechnik als sozio-technisches System besitzt.

5.1.3.5 Landwirte Können Landwirte einen wirtschaftlichen Nutzen aus der Anwendung der Gentechnik ziehen? Der ökonomische Vorteil wird behauptet und bestritten. Ein Vorteil für die Landwirte soll sich aus einer Einsparung von Ressourcen – Zeit und Energie, aber vor allem Pestizide – und einer Steigerung der Ernteerträge ergeben. Dies würde die erhöhten Kosten für gentechnisch verändertes Saatgut bei weitem ausgleichen.11 Kritische Positionen gehen von der gleichen Formel aus. Da sie aber sowohl die Steigerung der Ernteerträge als auch die Ersparnis von Pestiziden bestreiten, ergibt sich in ihrer Bilanz ein ökonomisches Risiko für die Landwirte. Als zusätzliche Kostenfaktoren treten hier ebenso die Kosten für Koexistenzmaßnahmen und das Resistenzmanagement auf. Nicht die Landwirte trügen einen Nutzen, sondern die Unternehmen, die Produkte im Zusammenhang mit dem GVO-Anbau verkaufen wollen.12 10 Neben diesen Argumentationen wird ebenso auf die verschärften gesundheitlichen und ökologischen Risiken in den Entwicklungsländern hingewiesen. So könnte es infolge der besonderen klimatischen Bedingungen zu einer schnelleren Resistenzbildung kommen. Einen weiteren Aspekt liefert die Diskussion um die Nahrungsmittelhilfen, die GVO enthalten bzw. aus diesen bestehen. Dadurch würden GVO anders als in den Industrieländern, in denen diese nur indirekt über tierische Produkte, zu deren Herstellung GVO als Futtermittel benutzt wurde, oder nur durch geringe Beimischungen in Lebensmitteln enthalten seien, direkt verzehrt werden, womit sich potentielle Gesundheitsrisiken in besonderem Maße stellten. 11 Darüber, dass das Saatgut bei gentechnisch veränderten Kulturpflanzen teurer ist, sind sich beide Positionen einig. 189

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In der Berechnung der ökonomischen Kosten für die Landwirte werden demnach nur teilweise dieselben Variablen betrachtet (Pestizide, Ernteerträge, Saatgut). Bei befürwortenden Positionen werden die Kosten für Koexistenzmaßnahmen und des Resistenzmanagements nicht mit betrachtet. Bei kritischen Positionen hingegen nicht die Ersparnis von Energie und Zeit.13 Diese Ignoranz auf beiden Seiten mag ihren Grund darin haben, dass sich auf der einen Seite die Ersparnis von Zeit und Energie durch pfluglose Anbauverfahren ergibt (ebenso aber auch durch das weniger Spritzen von Pestiziden, was aber bei einem erhöhten Pestizidverbrauch wieder hinfällig werden würde), Pflügen aber für die Kritiker ein wesentlicher Aspekt der Schädlingsvorsorge darstellt. Koexistenz und Resistenzmanagement hingegen stellen für die Befürworter keine ernst zu nehmende Größen dar, da diese nur daraus entstehen, dass der Gentechnik ein besonderes Risiko zugeschrieben wird. Die Zuschreibung eines besonderen Risikos wird von ihnen aber gerade abgelehnt. Über diese Kostenkalkulation hinaus verweisen befürwortende Positionen darauf, dass ein wesentlicher Vorteil für die Landwirte in den flexibleren Anwendungsmöglichkeiten der Technik läge. Kritische Positionen führen hingegen den ökonomischen Schaden an, der den Landwirten durch Absatzschwierigkeiten entstehen würde. In diesem Zusammenhang wird von kritischen Positionen auf die ökonomischen Risiken bei Landwirten, die keine gentechnisch veränderten Pflanzen anbauen, hingewiesen. Dieser Aspekt wird von befürwortenden Positionen vollständig ignoriert. Gerade wegen der mangelnden Verbraucherakzeptanz – so die kritischen Positionen – lasse sich gentechnisch verunreinigte Ware kaum absetzen, womit nicht nur für die ökologisch wirtschaftenden Landwirte, sondern auch für konventionelle Bauern ein Risiko entstehe. Vor allem ökologisch wirtschaftende Landwirte könnten bei Verunreinigungen ihre Öko-Zertifizierung verlieren. Inwiefern Schadensersatzklagen, die sowohl nachteilig für den »Genbauern« als auch für seine Nachbarn ausfallen könnten, diese finanziellen Verluste auszugleichen in der Lage sind, ist nicht sicher. Dies können nur durch eine Haftungsklage geklärt werden. Darüber hinaus schädigten solche Klagen das Beziehungsgefüge in der bäuerlichen Nachbarschaft.14 12 Vgl. Abschnitt 6.3.1, FN 33. Wegen der unterschiedlichen Konstruktionsweise dieser Unternehmen wird im Folgenden allgemein von Biotechnologieunternehmen gesprochen und nur bei expliziter Nennung in den Positionspapieren von Agrochemieunternehmen oder Saatgutunternehmen. 13 Eine ausführlichere Diskussion dieser Entscheidungsformel findet sich in Abschnitt 6.1.5. 14 Zur Diskussion um die Haftungsfrage und die derzeitige Rechtslage vgl. Abschnitt 6.4.2. 190

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Kritische Positionen führen darüber hinaus die Imker als Betroffenengruppe an. So bestehe die Gefahr der Verunreinigung des Honigs mit Pollen von gentechnisch veränderten Pflanzen, woraus wiederum wegen der geringen Verbraucherakzeptanz Absatzschwierigkeiten entstünden. Dies könne im Endeffekt zu einer insgesamt rückläufigen Bienenhaltung führen, was wiederum der Landwirtschaft im Allgemeinen schade. Einige Kulturpflanzen sind auf Bestäubung angewiesen, mit Ertragseinbußen wäre zu rechnen. Ein weiterer Aspekt besteht in der Frage, ob die Agrar-Gentechnik ihren Nutzen nur in der industrialisierten Landwirtschaft oder ebenso in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft entfalten könnte oder mit anderen Worten: nützt die Agrar-Gentechnik nur großen Agrarbetrieben oder auch Kleinbauern und damit den Entwicklungsländern? Während kritische Positionen die Agrar-Gentechnik in engem Zusammenhang mit der industrialisierten Landwirtschaft sehen und ihren Nutzen für Kleinbauern bestreiten, verweisen befürwortende Positionen darauf, dass der Anbau von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen ebenso in den kleinbäuerlich strukturierten Entwicklungsländern stattfinde und schlussfolgern daraus, dass demnach diese auch einen Nutzen aus diesen Anbau ziehen, da sie sich ansonsten nicht dafür entschieden hätten. Demgegenüber behaupten kritische Positionen, dass die Agrar-Gentechnik eine Antwort auf die Probleme der industrialisierten Landwirtschaft sei und sich nur bei großflächigen Monokulturen lohnen würde. Demzufolge würden auch eher die großen Agrarbetriebe und weniger die Kleinbauern profitieren. Kritische Positionen sehen eine verstärkte Abhängigkeit der Landwirte darin, dass mit dem GVO-Anbau eine Verunreinigung gentechnikfreier Landwirtschaft einhergehe und damit die Wahlmöglichkeit für eine gentechnikfreie Produktion nicht mehr zur Verfügung stünde. Weiterhin werde durch Marktkonzentrationen die Vielfalt des angebotenen Saatgutes eingeschränkt, womit der Landwirt in Abhängigkeit zu den großen Saatgutkonzernen gerate.15 Einen anderen Aspekt betrifft das sogenannte »Doppelpack«-Argument und damit die herbizidresistenten gentechnisch veränderte Pflanzen. Die Kritiker behaupten, dass eine verstärkte Abhängigkeit der Landwirte zu den Saatgutfirmen die Folge wäre, da das Saatgut nur im Zusammenhang mit dem entsprechenden Herbizid eingesetzt werden könne. Herbizid und Saatgut müssten im »Doppelpack« gekauft werden. Dies bestreiten befürwortende Positionen: Im Zusammenhang mit herbizidresistenten Pflanzen könnten eben15 Eine weitere Einschränkung der bäuerlichen Unabhängigkeit durch Patente wird ebenso angesprochen. Dies wird unter dem Stichpunkt »Patente« näher diskutiert werden. 191

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so konventionelle Herbizide eingesetzt werden. Ebenso sei es nicht immer dieselbe Firma, die das Saatgut und das Herbizid bereitstelle.16 Demgegenüber sehen befürwortende Positionen gerade auch in den gentechnikfreien Regionen (womit sie sich aber nicht auf die Einrichtung gentechnikfreien Zonen, die auf Selbstverpflichtungserklärungen beruhen, beziehen) eine Einschränkung der bäuerlichen Unabhängigkeit: Jeder Landwirt soll die Wahl haben, welches Saatgut er einsetzt. Gentechnisch verändertes Saatgut dürfe – auch regional begrenzt – nicht verboten werden. Die widerläufigen Diskussionen um den Nutzen und Nachteil der Agrar-Gentechnik für die Landwirte, sei es in Bezug auf die damit verbundenen Kosten oder die bäuerliche Unabhängigkeit, verdeutlichen die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Verhältnis von Technik und Gesellschaft. Für die Befürworter besitzt der Landwirt immer eine freie Entscheidung. Für die Kritiker wird diese freie Entscheidung durch die landwirtschaftliche Praxis, in der sie eingebettet ist, präformiert. Bei befürwortenden Positionen haben die Landwirte immer die freie Wahl, sich für oder gegen den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen zu entscheiden. Bei kritischen Positionen wird diese freie Wahl aber dadurch eingeschränkt, dass ihm die notwendigen Ressourcen, um sie zu treffen, genommen werden. Der individuelle Technikgebrauch bei befürwortenden Positionen hat keinerlei Auswirkungen auf ihr Umfeld, was sich, wie schon bei der Diskussion der Auskreuzung zeigte, in der vollständigen Ignoranz der gentechnikfreien Landwirtschaft niederschlägt.

5.1.3.6 Patente In der Diskussion um die Auswirkungen von Patenten, die auf gentechnisch verändertes Saatgut erhoben werden, wird sich vor allem auf die Unabhängigkeit bzw. Abhängigkeit der Landwirte bezogen. Neben der Kritik, dass Patente auf lebende Organismen auch aus einem ethischmoralischem Blickwinkel problematisch seien, wird von kritischen Positionen darauf verwiesen, dass im Gegensatz zum Sortenschutz mit Patenten weitreichendere Rechtsansprüche verbunden seien. Diese betreffen zum einen (1) eine weitere Einschränkung des Nachbaurechts (Landwirteprivileg) und zum anderen (2) die Reichweite eines einzelnen Patents im Vergleich zum Sortenschutz. Unter dem Landwirteprivileg wird das Recht des Bauern verstanden, einen Teil der Ernte zurückzubehalten und als Saatgut für die nächste 16 Zu beachten ist hierbei, dass die kleinbäuerliche Produktionsweise meist keine Pestizide einsetzt, der Markt für Agrochemikalien demnach noch nicht vollkommen erschlossen ist. 192

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Anbauperiode zu nutzen. Dadurch war es den Bauern bislang möglich, ihr eigenes, standortgerechtes Saatgut zu züchten. Ebenso war es den Bauern erlaubt, Saatgut untereinander auszutauschen. Der Sortenschutz verlangt auf sortengeschütztes Saatgut Gebühren beim Nachbau und verbietet gleichzeitig den Handel mit nicht sortengeschützten Saatgut. Bedeutete schon der Sortenschutz eine Einschränkung des Landwirteprivilegs beim Nachbau, wird diese Tendenz durch den Patentschutz noch weiter verschärft. Dies betrifft auch Lizenzansprüche, die bei Verunreinigungen erhoben werden können. Ein Beispiel hierfür ist der kanadische Bauer Percy Schmeiser, auf den von kritischen Positionen oft verwiesen wird. Seine Felder wurden durch gentechnisch veränderten Raps verunreinigt, auf den die Firma Monsanto ein Patent hielt. Daraufhin wurde er aufgefordert, Lizenzgebühren zu entrichten.17 Von der Gegenseite wurde demgegenüber behauptet, dass Percy Schmeiser das entsprechende Saatgut mit Absicht angebaut habe und dieses in der hohen Konzentration, wie es auf seinen Feldern aufgefunden wurde, nicht durch unbeabsichtigte Verunreinigungen auf seine Felder gekommen sein könne. Dennoch gilt für kritische Positionen der Fall Percy Schmeiser als nur ein Beispiel von vielen betroffenen Landwirten in den USA und Kanada. Eine größere Reichweite des Patentschutz zum Sortenschutz besteht in zweierlei Hinsicht. Zum einen wird durch Patente nicht nur eine Sorte, sondern alle Varietäten, die das patentgeschützte Genkonstrukt enthalten, geschützt. Zum anderen können durch Patente Rechtsansprüche auf Anbauweise, Weiterverarbeitung und Vermarktung erhoben werden. Unter dem Schlagwort »Biopiraterie« wird nicht nur darauf hingewiesen, dass mit der Patentierung von Saatgut sich eines jahrtausendealten Kulturgutes bemächtigt wird, sondern auch darauf, dass durch die Patentierung von Heilpflanzen in den Zentren der Biodiversität auf der Südhalbkugel das traditionelle Wissen der dort lebenden indigenen Bevölkerung angeeignet und sie ihrer althergebrachten Gesundheitsversorgung beraubt werden würden. Damit werden Patente zu einem Instrument bislang öffentliche Güter zu privatisieren und Zugangsrechte zu monopolisieren. Doch nicht nur in rechtlicher Hinsicht ist mit einer verstärkten 17 Der Rechtsstreit, der daraufhin entbrannte, wurde 2004 vor dem Supreme Court zum einen zu Gunsten von Monsanto entschieden – es wurde entschieden, dass Monsantos Patentansprüche rechtmäßig seien –, zum anderen aber auch zu Gunsten von Percy Schmeiser – er braucht die Lizenzgebühren nicht zu bezahlen, da er, weil er das entsprechende Herbizid (Roundup Ready) nicht einsetzte, keinen Nutzen aus dem herbizidresistenten Raps zog. Auf der persönlichen Homepage von Percy Schmeiser (http://www.percyschmeiser.com) kann sich über den aktuellen Stand des anhaltenden Rechtsstreites informiert werden. 193

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Abhängigkeit zu rechnen. Auch durch die verstärkte Konzentration auf den Saatgutmärkten, die durch die Patentpraxis unterstützt werden würde, und der damit einhergehenden Einschränkung der Sortenvielfalt, würden die Landwirte in größere Abhängigkeit zu den Saatgutunternehmen getrieben. Die negativen Auswirkungen auf die Bauern haben dann auch negative Auswirkungen auf die Entwicklungsländer, in denen, im Gegensatz zu den Industrieländern, noch ein Großteil der Bauern Nachbau betreibe. Die mit der Patentpraxis einhergehenden Konzentrationsprozesse auf dem Saatgutmarkt hätten ebenso Auswirkungen auf die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und die öffentliche Forschung. Diese könnten sich die teuren Lizenzgebühren oftmals nicht leisten. Aber auch die Forschung im Allgemeinen werde in ihrer Freiheit durch Patente behindert. Den Argumenten bezüglich einer verstärkten Abhängigkeit durch Patente, steht bei befürwortenden Positionen die Behauptung gegenüber, dass Patente keineswegs die Abhängigkeit stärkten, da der Landwirt immer die Wahl hätte zwischen patentierten und konventionellem Saatgut, je nachdem wovon er sich einen höheren wirtschaftlichen Profit verspreche. Ebenso seien nicht alle Sorten sortenrechtlich erfasst. Eigenzüchtungen wären immer noch möglich, jedoch seien diese für kleine und mittlere Unternehmen zu kostspielig. In der Diskussion um Patente, geht es demnach um die Verteilung von Ressourcen für die Züchtung ebenso wie für die Nutzung von Heilpflanzen. Während die einen Patente wegen der dann fälligen Lizenzgebühren als Haupthindernis begreifen, eigene Züchtungsforschung zu gewährleisten, verweisen die anderen auf die notwendigen Ressourcen, die für Eigenzüchtungen notwendig sein dürften. Patente würden die Forschung auch nicht behindern, sondern, ganz im Gegenteil, die Forschung befördern, da sie Investitionssicherheiten für die Unternehmen lieferten, die insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen von großer Bedeutung seien. Nur durch einen Patentschutz sei es den Unternehmen möglich, die hohen Entwicklungskosten ihrer Produkte wieder hereinzuholen, da andere Unternehmen dadurch von deren Verwertung ausgeschlossen werden.

5.1.3.7 Welternährung Der erwartete Nutzen, die Sicherung der Welternährung durch die AgrarGentechnik, wird von Kritikerseite bestritten. Befürwortende Positionen verweisen darauf, dass infolge des Bevölkerungswachstums und der Begrenztheit und der Abnahme verfügbarer ackerbaulicher Nutzflächen die Sicherung des globalen Nahrungsmittelbedarfs gefährdet sei. Dadurch, 194

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dass mit dem Einsatz der Agrar-Gentechnik eine Effizienzsteigerung der Landwirtschaft und höhere Ernteerträge zu erwarten wären, könnte die Agrar-Gentechnik einen wertvollen Beitrag dafür leisten, zukünftige Hungerkrisen zu vermeiden bzw. sie könne schon jetzt helfen, die prekäre Ernährungssituation in den Entwicklungsländern zu lindern. Zukünftig sei die Agrar-Gentechnik aber auch für die Versorgungssicherheit in den Industrieländern von zentraler Bedeutung. Einige kritische Positionen verweisen demgegenüber darauf, dass sowohl momentan als auch in näherer Zukunft global gesehen ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung stünden, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Eine Welternährungskrise sei nicht in Sicht. Hunger sei vielmehr durch soziale und ökonomische Ursachen bestimmt; insbesondere werden hierbei genannt: Kriege, Armut, fehlender Zugang zu Boden, Wasser und Saatgut. Das Hungerproblem sei vor allem ein Verteilungsproblem.18 Dem stimmen auch einige befürwortende Positionen zu, jedoch bleiben sie bei ihrer Einschätzung, dass die Agrar-Gentechnik zur Lösung des Problems zumindest einen Beitrag leisten könnte. Die AgrarGentechnik wird aus Befürwortersicht als ein Instrument unter vielen Instrumenten angesehen, die möglicherweise zum Einsatz kommen könnten. Es wird keineswegs ein Alleinlösungsanspruch für die Agrar-Gentechnik behauptet. Andere kritische Positionen verweisen hingegen darauf, dass tatsächlich eine Welternährungskrise durch die Verschlechterung der Böden und Wassermangel zu erwarten sei. Diese Situation würde aber durch die industrialisierte Landwirtschaft, zu der auch die Agrar-Gentechnik gehöre, keineswegs verbessert, sondern noch weiter verschärft. Ebenso werde die (Agro-)Biodiversität beeinträchtigt, die für die Sicherstellung der Ernährung von großer Bedeutung sei, da nur sie es der Pflanzenzüchtung ermögliche, genügend Auswahl für zukünftige Umweltanpassung der Sorten bereitzustellen. Einen anderen Aspekt der Welthungerproblematik betrifft die Mangelernährung. Hier steht die Behauptung, die Agrar-Gentechnik könne diese lindern, als eine Nutzenerwartung, dem Argument gegenüber, dass sie dies nicht könne. Aus Befürwortersicht soll der Mangelernährung durch eine Aufwertung ernährungsphysiologischer Eigenschaften, wie zum Beispiel durch die Erhöhung des Nährwertes oder die Anreicherung gesundheitsfördernder Stoffe, Abhilfe geschaffen werden. Eines der bekanntesten Projekte ist das des »Goldenen Reises«. Mit diesem soll dem

18 In diesem Zusammenhang wird auch auf den steigenden Fleischkonsum verwiesen und darauf, dass eine verstärkte vegetarische Ernährungsweise ebenso helfe, das Hungerproblem zu lösen. 195

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Vitamin-A-Mangel, der vor allem in den südasiatischen Ländern anzutreffen ist und zu Erblindungen führen kann, begegnet werden. Von Kritikerseite wird nun ins Feld geführt, dass zum einen Mangelernährungen auf soziale Faktoren zurückzuführen seien, wie zum Beispiel die mangelnde Aufklärung über eine vollwertige Ernährung. So wären vitaminreiche Nahrungsmittel auch in jenen Ländern vorhanden, in denen der Vitamin-A-Mangel auftrete. Zum anderen wird behauptet, dass der »Goldene Reis«, wie so viele andere Projekte der zweiten Generation, nur sehr schwer oder gar nicht zu realisieren sei. Insbesondere das Projekt des »Goldenen Reises« sei eher ein Prestige-Projekt zur Akzeptanzbeschaffung und noch nirgendwo erhältlich. Diesem Argument, das ebenso in Zusammenhang mit dem Vorwurf der verschärften Abhängigkeiten durch die Agrar-Gentechnik steht, begegnen befürwortende Positionen damit, dass das Projekt »Goldener Reis« als ein humanitäres Projekt verstanden werden müsse, da auf Lizenzgebühren verzichtet, die Entwicklungsländer am Forschungsprojekt beteiligt und das Saatgut kostenlos den Bauern zu Verfügung gestellt werden würde. Erst ab einer bestimmten Betriebsgröße würden die beteiligten Firmen das alleinige Vermarktungsrecht beanspruchen. Zusammenfassen lässt sich, dass befürwortende Positionen in der Agrar-Gentechnik ein Instrument sehen, dessen Nutzen von Kritikerseite dadurch in Frage gestellt wird, dass die Anwendung anderer Techniken oder Maßnahmen notwendig sei, um das bestehende Problem zu lösen. Doch wird nicht nur auf alternative Problemlösungsinstrumente hingewiesen, sondern auch darauf, dass das Instrument, welches ein bestimmtes Problem lösen soll, in diesem Fall die Agrar-Gentechnik die Welthungerproblematik, genau das Gegenteil zur Folge habe: Eine Verschlechterung der Welternährungssituation. Weiterhin sind zweierlei Dinge erkennbar: Befürworter gehen von einer bereits bestehenden gesellschaftlichen Situation aus, die durch gewisse Asymmetrien, wie gesellschaftlicher Ungleichheiten und Armut gekennzeichnet ist und Probleme – wie zum Beispiel Mangelernährung – hervorruft, für welche die Agrar-Gentechnik ein Problemlösungsinstrument darstellt oder darstellen könnte. Kritiker hingegen wollen an der gesellschaftlichen Situation selbst etwas ändern und verweisen auf ein ganzes, nur politisch durchsetzbares Maßnahmenpaket. Zum zweiten wird hier deutlich, dass die Kritiker den Instrumentcharakter der AgrarGentechnik nicht anerkennen. Infolge der unkontrollierten Ausbreitung werde ohne gesellschaftliche Einspruchnahme ein landwirtschaftliches System implementiert, dass ebenso Auswirkungen auf die Gesellschaft in den Entwicklungsländern habe.

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5.2 Grenzarbeit: Die Konstruktion der Gentechnikdebatte Die Unterscheidung zwischen Befürwortern und Gegnern wird durch die Diskursparteien aktiv konstruiert. Für die Konstruktion von Befürwortern und Gegnern gibt es zwei Wege: Zum einen über eine explizite Positionierung und zum anderen über eine implizite Positionierung, die sich in der Argumentation zeigt. Bei der expliziten Positionierung wird die gegnerische Position, von der aus die Argumente geäußert werden, diskreditiert. Dies geschieht, indem ihr Moral und Vernunft abgesprochen wird. Der eigenen Position wird hingegen Moral und Vernunft zugesprochen. Bei der impliziten Positionierung werden die Argumente selbst in ihrer Rationalität in Frage gestellt und relativiert.19 Damit ist eine diskursive Dimension angesprochen, die von der ANT weniger beachtet wurde. Diese diskursive Dimension lässt sich aber nur auf einer allgemeinen und pauschalisierenden Ebene feststellen. Die differenziertere Argumentation, welche die pauschale Argumentation stützt, enthält hingegen Aussagen über die Wirklichkeit. Damit lässt sich zwischen unterschiedlichen Argumenten unterscheiden: strategisch gesetzte, pauschalisierende Argumente und differenziertere Argumente, die auf eine Wirklichkeit verweisen. Wie die folgenden Erörterungen zeigen, werden pauschalisierende Argumente vor allem von der Gegenseite eingeführt. Dies hat, wie zuletzt gezeigt, Auswirkungen auf die Sichtweise über das Verhältnis von Natur und Gesellschaft.

5.2.1 Explizite Positionierung: Moral und Vernunft Die Debatte um die Agrar-Gentechnik wird selbst zum Gegenstand der Reflexionen der beteiligten Diskursparteien. Damit sind sie sich bewusst, dass es bezüglich der Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft sowohl befürwortende als auch kritische Argumente gibt und diese Argumente sich bei bestimmten sozialen Akteuren zu gentechnikkritischen Positionen und befürwortenden Positionen verdichten können. Einige Organisationen positionieren sich explizit als Gentechnikbefürworter und Gentechnikgegner. So positionieren sich Bioland, der BÖLW und Greenpeace als explizite Gentechnikgegner, als Gentechnikbefürworter hingegen die Landesregierung Bayern, der BLL, die DIB, das BMBF, die DLG, Monsanto und das MPG. Anliegen der restlichen Or19 Die Bedeutung der Zuschreibung von Moral und Vernunft in Risikokontroversen wurde auch in anderen sozialwissenschaftlichen Studien festgestellt. Dies wird unter dem Stichwort Moralisierung und Verwissenschaftlichung von Risikokontroversen diskutiert. Vgl. Bonß/Hartmann 1985; Renn 1991; Renn/Zwick 1997; Günther 1998. Vgl. ebenso Abschnitt 2.3.3. 197

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

ganisationen ist es eher, entweder zu einer Aufklärung eines bestimmten Sachverhaltes (zum Beispiel der Situation in den Entwicklungsländern) oder einer bestimmten Position (zum Beispiel der Problematik aus der Sichtweise der Verbraucher) beizutragen.20 Aus Sichtweise dieser Positionierungen heraus wird die Gentechnikdebatte in unterschiedlicher Weise konstruiert. Eine Form der Konzeptualisierung der Gentechnikdebatte, wie sie vor allem bei befürwortenden Positionen vorzufinden ist, besteht darin, sie als Akzeptanzproblem der Verbraucher aufzufassen (so bei der DLG, MPG (BroGen), LR Bayern, DBV, Verbr.Ini.). Die mangelnde Technikakzeptanz wird dabei auf irrationale Ängste und Emotionen zurückgeführt, die durch eine verstärkte Aufklärung mittels rationaler, wissenschaftlich abgesicherter Information ausgeräumt werden könnten. Ängste und Emotionen gelten als irrational und werden negativ bewertet. Informationen gelten hingegen als rational, werden wissenschaftlich begründet und positiv bewertet. Die eigene, meist befürwortende Position wird dabei der wissenschaftlich-rationalen, positiv bewerteten Seite zugeordnet. Dadurch wird die Position der (technikkritischen) Verbraucher implizit abgewertet, da sie als unbegründet und irrational aufgefasst wird. Die negative Verbraucherstimmung wird von einigen Positionen aber auch darauf zurückgeführt, dass Gentechnikkritiker die Verbraucher mit Falschinformationen beliefern und dadurch die Ängste erst schüren (so bei der BLL, MPG (LanzGen), Monsanto und dem DIB). Vom DIB werden die Gentechnikkritiker weniger als Argumentationspartner denn als böswillige Feldzerstörer dargestellt (vgl. DIB: 18). In dieser Sichtweise besteht die Entgegensetzung in der Gentechnikdebatte demnach nicht zwischen irrationalen Ängsten und rationaler Information, sondern zwischen bewusster (böswilliger) Falschinformation und »richtiger« Information. Gentechnikkritiker erscheinen hier als unmoralisch, da sie den Fortschritt von Wissenschaft und Technik behindern. Die Entgegensetzung ist hier demnach: moralisch vs. unmoralisch. Eine andere Form der Konzeptualisierung der Gentechnikdebatte ist vor allem bei den staatlichen Akteuren wie dem BMBF und dem BMVEL aufzufinden.21 Hier wird die Debatte als eine Auseinandersetzung konstruiert, bei der beide Seiten, Befürworter wie Gegner, durch wertbehaftete und damit subjektiv verzerrte, irrationale Sichtweisen geprägt 20 Folgendes Beispiel erhellt diesen Unterschied: Die Verbraucherzentrale spricht nicht explizit im Namen der Verbraucher und ihrer Interessen. Es soll eher aus der Sichtweise der Verbraucherinnen und Verbraucher über den Sachverhalt Agrar-Gentechnik aufgeklärt werden. Womit unterstellt wird, dass die verbreiteten Informationen den Status eines auch für andere Interessengruppen gültigen Faktes haben. 21 Ebenso wenn auch wenig ausgeführt beim FiBL. 198

DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

sind. Auf Grundlage wissenschaftlicher bzw. sachlicher Information wird erwartet, dass sich beide Parteien, wenn schon die Erlangung eines Konsens nicht möglich sein sollte, sich dennoch soweit annähern, dass sie in »Koexistenz« nebeneinander existieren können. Auch bei den staatlichen Akteuren besteht die Entgegensetzung demnach zwischen irrationaler Position und rationaler Information, jedoch mit dem Unterschied, dass sowohl befürwortende Positionen als auch kritische Positionen als irrational konzeptualisiert werden, die erst durch einen rationalen (und politisch moderierten) Risikodiskurs zu einer »Koexistenz« gelangen können. Die Entgegensetzung besteht damit eher in einer Entgegensetzung zwischen subjektiver Position und objektiver Information. »Koexistenz« ist möglich, wenn sich die subjektiven Positionen auf die Grundlage abgesicherter Information begeben und von dort aus ihr Nebeneinander koordinieren. Von kritischen Positionen wird die Gentechnikdebatte hingegen so konzeptualisiert, dass auf der einen Seite als Befürworter nur die Technikentwickler, also die Biotechnologieunternehmen, erscheinen, die dem Rest der gesellschaftlichen Akteure ihren Willen aufzwingen (so bei BUKO, BUND, EED, Greenpeace, Misereor und vzbv). Insbesondere bei Greenpeace wird die Konzeption einer Vielzahl von gesellschaftlichen Akteuren deutlich, dem einzig nur das Biotechnologieunternehmen Monsanto gegenübersteht. Hier sind es die Biotechnologieunternehmen die Falschinformationen über die Agrar-Gentechnik verbreiten. Damit steht in dieser Konzeption die auf ihr Eigeninteresse ausgerichtete Biotechnologieunternehmen den anderen gesellschaftlichen Akteuren, die eher das Allgemeinwohl repräsentieren, gegenüber. Aber auch bei kritischen Positionen gibt es eine modifizierte Form, welche die Gentechnikdebatte als eine Auseinandersetzung zwischen Gentechnikbefürwortern und Gentechnikgegnern konzeptualisiert (so bei aid, Bioland und dem BÖLW). Wird sich in dieser Auseinandersetzung positioniert – wie dies bei Bioland und der BÖLW geschieht –, so werden die Argumente der Gegenseite als ernst zu nehmende Hypothesen behandelt, die freilich als widerlegt gelten. Insbesondere beim BÖLW wird deutlich, dass Landwirte irrational handeln, wenn sie sich, auf Grundlage der Faktenlage, für die Agrar-Gentechnik entscheiden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl auf der Befürworterseite als auch auf der Kritikerseite versucht wird, den Gegenakteur möglichst schwach und vereinzelt darzustellen. Auf der Befürworterseite ist dies der Verbraucher. Er ist irrational und auf Grund von mangelnder Information durch Ängste und Emotionen gepeinigt. Auf der Kritikerseite wird ein ganz anderer Akteur vereinzelt: die Biotechnologieunternehmen resp. Monsanto. Er ist machtbesessen und eigennützig. Dies deutet 199

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

darauf hin, dass Befürworter vor allem die Wissenschaft mobilisieren können und entlang der Unterscheidung Befürworter vs. Gegner vor allem Vernunft verteilen. Kritiker hingegen mobilisieren eher die Moral, indem sie die Biotechnologieunternehmen als unmoralisch kennzeichnen, die das Allgemeinwohl bedrohen. Jedoch zeigt die Kennzeichnung der Gentechnikkritiker als böswillige Feldzerstörer und als Behinderung des Fortschrittes, dass auch befürwortende Positionen versuchen, die Ressource Moral zu mobilisieren und Kritiker als gegen das Allgemeinwohl agierend darstellen. Ebenso behandeln kritische Positionen Befürworter als irrational, da diese an bereits widerlegten Hypothesen festhalten. In der Konstruktion der Gentechnikdebatte ist festzustellen, dass auf der einen Seite ein »Wir« konstruiert wird, der auf der anderen Seite ein politischer Gegner gegenübersteht, der vereinzelt und all seiner Verbündeter beraubt auftritt. Die Konstruktion eines »Wir« mit positiven Eigenschaftszuschreibungen trägt zu einer politischen Subjektbildung bei bzw. begünstigt die Entwicklung einer solchen. Die konstruierte Dichotomie zwischen Befürwortern und Gegnern wird dabei dazu benutzt Eigenschaften wie Moral und Vernunft zu verteilen. Der Gegner ist nicht nur einsam, er ist auch unwissend und/oder unmoralisch.

5.2.2 Implizite Positionierung: Argumente zwischen Fakt und Fiktion Aus den im vorangegangenen Abschnitt diskutierten Argumentationsstrategien lassen sich implizite Positionierungen ableiten. Nicht alle Organisationen positionieren sich explizit entlang der Unterscheidung zwischen Befürwortern und Gegnern. So ist es Anspruch einiger untersuchter Organisationen, zu einer Rationalisierung der Debatte beizutragen oder die Argumente beider Seiten gleichberechtigt zu betrachten.22 Einige Organisationen hegen diesen Anspruch trotz einer Positionierung entlang der Befürworter-Gegner-Differenz (so der aid, das BMVEL und das BMBF). Über die Betrachtung der Verteilung der Risiko- und Nutzenargumente lässt sich dennoch eine Tendenz in die eine oder andere Richtung feststellen. Dazu wurde die Verteilung der Argumente untersucht. Tabelle 7 verdeutlicht, dass der harte Kern der Befürworter keinerlei Risiken anerkennt, die nicht kontrollierbar wären. Hingegen sind für den harten Kern der Kritiker generell alle Risiken unkontrollierbar. Dennoch gibt es Akteure, wie der BLL, der DIB und der DBV, die einige Risiken anerken22 So lässt sich bei dem aid, BMVEL, FiBL und der Verbr.Ini. keine Positionierung in der Selbstrepräsentation ausmachen. 200

DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

nen, obwohl sie ihren Schwerpunkt auf Nutzenerwartungen setzen, so wie es einige Akteure gibt, wie der aid und das BMVEL, die einige Nutzenargumente anerkennen, obwohl sie ihren Schwerpunkt auf Risiken setzen.23 Neben einseitigen Befürwortern und Kritikern gibt es demnach in der Debatte differenzierende Zwischenpositionen, dennoch ist die Debatte von einer aktiven Konstruktion der Diskurslinie zwischen Befürwortern und Gegnern geprägt, die sich nicht nur auf die Positionierung, sondern auch auf die Mobilisierung (pauschalisierender) Argumente niederschlägt. Werden die Argumente der Gegenseite als ernst zu nehmende Argumente wahrgenommen und nicht von vornherein als unmoralisch oder irrational diskreditiert, werden unterschiedliche Strategien mobilisiert, um diese nicht als Fakt, sondern als Fiktion erscheinen zu lassen. Ein erster Schritt besteht darin, den zugeschriebenen Nutzen bzw. das zugeschriebene Risiko in Frage zu stellen. Hierzu gibt es jeweils unterschiedliche Strategien. Die Nutzenerwartungen von Seiten der Befürworter, die sowohl in Hinsicht auf ökonomische, soziale und ökologische Folgen bestehen, werden von den kritischen Positionen als illusionär dargestellt, die auf falschen Versprechungen der Gentechnikbefürworter beruhten. So wird der Nutzenerwartung einer Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft, so wie er sich bei der ersten Generation bereits in der Ertragssteigerung und der Verringerung des Pestizidverbrauches niederschlage und bei der zweiten Generation durch vielfältige Eigenschaften erst noch erwartet wird, entgegengehalten, dass dieser Nutzen bei der ersten Generation gar nicht vorhanden sei und bei der zweiten Generation auf leeren Versprechungen beruhe, sich diese nutzbringenden Eigenschaften gar nicht verwirklichen ließen, der Nutzen also eine Fiktion sei. Ebenso wird darauf hingewiesen, dass es alternative Techniken gebe, die zu den gleichen Ergebnissen führten. Gegen den versprochenen Umweltnutzen wird angeführt, dass mit dem Einsatz der Agrar-Gentechnik (irreversible) Umweltschäden verbunden seien. Der Nutzen der Gentechnik läge nur im Bereich der industrialisierten Landwirtschaft, während die Landwirte, die sich gegen den Anbau entscheiden, die Lasten des GVO-Anbaus trügen. Gegen den erwarteten bzw. behaupteten wirtschaftlichen Nutzen wird auf die weniger zentrale und wirtschaftliche Position der Biotechnologieunternehmen und Agrochemie-Konzerne verwiesen (niedrige Umsätze und Gewinne). 23 In Ansätzen so auch der BLL und der BUND. Beim BLL beziehen sich die Risiken auf die Auskreuzung und die Koexistenzproblematik, beim BUND die Nutzenerwartungen auf die Entstehung neuer Märkte durch die AgrarGentechnik. 201

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Es wird demnach nicht auf die allgemeinwirtschaftliche Bedeutung der Agrar-Gentechnik Bezug genommen, sondern allein nur auf die Bilanzen einiger weniger Unternehmen. Die Befürworter zielen hingegen auf einen allgemeinen Technikentwicklungsprozess und einer allgemeinen Problemlösungsfähigkeit der Agrar-Gentechnik die eher auf einen allgemeinen ökonomischen Wohlstand ausgerichtet ist und nicht nur auf die Unternehmen begrenzt zu sein scheint. Risikoerwartungen wird von anderer Seite die durch wissenschaftliche Studien und durch das Zulassungsverfahren erwiesene Sicherheit gegenübergestellt. So bewiesen wissenschaftliche Studien sowohl die Sicherheit als auch den Nutzen der Agrar-Gentechnik. In einer anderen Sichtweise, die sehr wohl auch mögliche Risiken anerkennt, wird darauf verwiesen, dass nur solche GVO zugelassen würden, die eine umfangreiche Sicherheitsprüfung durchlaufen hätten. Ebenso seien GVO sicher, da sie vollkommen identisch seien mit den Inhaltsstoffen herkömmlicher Produkte im Bereich Landwirtschaft und Lebensmittel. Ob aber Risiken bestehen, müsse im jeweiligen Einzelfall entschieden werden. In einer ähnlichen, etwas differenzierteren Sichtweise, wird darauf verwiesen, dass in der Sicherheitsforschung an komplexeren Analyseverfahren gearbeitet wird, um zukünftigen komplexeren Eingriffen zum Beispiel bei GVO der zweiten Generation, gerecht zu werden. Ebenso wird darauf hingedeutet, dass sich Sicherheit niemals vollständig beweisen lasse, Technik prinzipiell immer risikobehaftet sei und überzogene Sicherheitsanforderungen die Technikentwicklung behindern würden. Dieser propagierten Sicherheit wird entgegengehalten, dass kritische Studien, welche das Risiko von GVO nachweisen könnten, unterdrückt bzw. die Sicherheitsprüfungen, welche im Vorfeld der Zulassung von GVO unternommen werden, von den Herstellern dieser Produkte selbst durchgeführt werden würden, was die Aussagekraft solcher Prüfungen stark einschränke. Der Nachweis der Sicherheit von GVO, der auf der einen Seite Allgemeingültigkeit beansprucht, wird demnach auf der anderen Seite in den Bereich der interessengebundenen Forschung und damit in den Bereich der Fiktion überführt. Eine andere Form, Risikoerwartungen zu begegnen, ist die einfache Behauptung, dass diese Risiken nicht existieren (also ohne auf die erwiesene Sicherheit zu verweisen). Aus den bisherigen Erfahrungen im Anbau, die in einigen Ländern schon seit einigen Jahren gesammelt worden seien, wären keine Risiken bekannt geworden. Die steigenden Anbauzahlen verdeutlichten, dass die Agrar-Gentechnik einen Nutzen besitze, da sich ansonsten die Landwirte nicht für den Anbau entscheiden würden. Dem wird von kritischen Positionen entgegnet, dass gerade die Anbauerfahrungen den Nutzen der Agrar-Gentechnik, wie höhere Ern202

DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

teerträge und verringerter Pestizidverbrauch, widerlegten. Die Anbauerfahrungen verdeutlichten die Risiken der Agrar-Gentechnik. Allgemein seien die Risiken der Gentechnik unzureichend untersucht, so dass über die Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt kein Wissen vorhanden sei. So würden in Freisetzungsexperimenten kaum ökologische Fragestellungen eingehen. Während die Befürworter demnach auf eine Fallzu-Fall-Bewertung zielen, möchten die Kritiker umfassende Untersuchungen einklagen. Von befürwortender Seite wird stellenweise zugegeben, dass Risiken aus der Anwendung gentechnischer Methoden in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion entstehen könnten. Sie führen aber an, dass diese kontrollierbar und beherrschbar seien. Beispielsweise könnte dem Allergieproblem durch eine entsprechende Kennzeichnung begegnet werden, durch die Allergiker Informationen darüber erhielten, ob in das Lebensmittel Gene aus Organismen eingebracht wurden, gegen die sie allergisch sind. Ein anderer Umgang mit Risikoerwartungen besteht darin, die der Agrar-Gentechnik zugeschriebenen Risiken nicht als gentechnik-spezifische Risiken aufzufassen. Damit werden zwar die Risiken anerkannt, sie aber nicht als spezifische Eigenschaft der Gentechnik angesehen, so dass eine Sonderbehandlung in Bezug auf der Anwendung gentechnischer Methoden in Landwirtschaft und Lebensmittel entfallen könnte. Beispielsweise würde die Problematik der Antibiotika-Resistenz ein allgemeines Problem darstellen, das durch die weite Verbreitung von Antibiotika-Resistenzen in der Umwelt schon vor der Einführung gentechnisch veränderter Lebensmittel und Pflanzen bestanden hätte und die anhaltende Problematik durch diese auch nicht gesteigert werden würde. Durch diese Argumentationsstrategie werden die Risiken zwar als ein Fakt anerkannt, der aber durch einen Vergleich mit ähnlichen aus anderen Techniken resultierenden Risiken die Bewertung der Agrar-Gentechnik nach ihrem Nutzen nicht beeinträchtigt. Zusammenfassend ist zu bemerken: Während die Befürworter bei Nutzenerwartungen weit globaler argumentieren und die Kritiker differenziertere Beobachtungen anführen, um diese zu entkräften, argumentieren die Kritiker bei den Risiken weit globaler, während hier die Befürworter eher auf eine spezifischere Beurteilung drängen. Die Zukunftserwartungen der jeweiligen Gegenseite wird damit als Faktenaussage dargestellt, die Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt und womit sie dann durch regionalisierte Gegenbeispiele in den Bereich der Fiktion verschoben werden können. Auch diese Gegenbeispiele treten als Fakten auf. Dieser Strategie bedienen sich sowohl befürwortende als auch kritische Positionen. Während es also bei der Konstruktion der Gentechnikdebatte darum ging, den Gegner als Subjekt möglichst vereinzelt darzu203

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

stellen, wird bei der Entkräftung von Argumenten eher darauf gezielt, die Erwartungen der Gegenseite als Allaussagen darzustellen, um sie mittels Einzelbeispielen widerlegen zu können. Tabelle 7: Verteilung der Risiko- und Nutzenargumente sowie der Contra-Argumente gegen die jeweilige Behauptung

BMBF DLG LR Bayern Monsanto MPG aid BLL DIB BMVEL DBV Verbr.Ini. Bioland BÖLW BUKO BUND EED Greenpeace vzbv Misereor FiBL

Risiko Risi- nicht konko gen- troltech- liernik- bar spezifisch 2 2

19 5 2 12 2 3 19 21 18 39 23 13 10 12 2

3 5 2 2 10 2 5 1 5

5 5 1 3 8 1 2 4

Sicherheit Nutzen kein Sikeine Nut- Kein Risi- cher- Sizen Nutko heit cherzen heit

3 2 7 1

9 12 2

9 2 2 1 4

17 7 6 4 6

18 7 29 35 19 9 51 35 5 15 15

3

2

1 4 1 1

3 2 8 18 11 2 10 4

Angegeben ist die Anzahl der Argumente, in welchen die jeweilige Organisation den entsprechenden Sachverhalt behauptet. Es sind sowohl die pauschalisierenden als auch die differenzierteren Pro- und Contra-Argumente erfasst. Mehrfachnennungen wurden ausgeschlossen.

204

DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

Im oberen Teil von Tabelle 7 sind all die Organisationen aufgeführt, welche keine Risikoargumente, dafür aber Nutzenargumente anerkennen. Diese können demnach als Befürworter gekennzeichnet werden. Im unteren Teil der Tabelle sind all die Organisationen aufgeführt, die keine Nutzen- dafür aber Risikoargumente anerkennen. Sie können als Kritiker gekennzeichnet werden.24 Im mittleren Teil der Tabelle sind all die Organisationen aufgeführt, die sowohl Risiko- als auch Nutzenargumente anführen. Vergleicht man die explizite und die implizite Positionierung miteinander so wird deutlich, dass einige Organisationen, die sich explizit auf der Befürworterseite verorten, wie der BLL und der DIB, wenn die Argumente im Einzelnen betrachtet werden, eine mehrdeutige Position bzw. Mittelposition einnehmen. Sie erkennen wenn auch nur marginal einige Risiken an. Weiterhin wird deutlich, dass viele Positionen sich nicht explizit als Gentechnikgegner präsentieren, aus ihrer Argumentation aber ersichtlich wird, dass sie dieser Seite zuzuordnen sind (dies ist beim BUND, vzbv, EED, Misereor, FiBL und der BUKO der Fall).

5.2.3 Pauschalisierende Naturbilder In einer stereotypen Betrachtungsweise werden die in der Gentechnikdebatte konstruierten Positionen von Gentechnikbefürwortern und Gentechnikgegnern zumeist mit bestimmten Interessen in Verbindung gebracht. Demnach sollen Befürworter vor allem ökonomische Interessen verfolgen, während Kritiker sich eher für die Belange der Natur und für die vor allem an gesundheitlichen Aspekten interessierten Verbraucher einsetzten.25 Demzufolge müssten kritische Positionen durch einen Schwerpunkt auf ökologische Risiken und Befürworter durch einen Schwerpunkt auf ökonomische Risiken gekennzeichnet sein. Die Darstellung in Tabelle 8 lässt erkennen, dass bei keiner der untersuchten Organisationen Argumente, welche den Bereich der Ökologie problematisieren – sei dies hinsichtlich eines Risikos oder eines Nutzens – eine zentrale Rolle spielen.26 Weit mehr von Bedeutung sind Argumen24 Der BUND ist hier eine Ausnahme, da er zwei Nutzenargumente anführt, welche das Zugeständnis betreffen, dass die Agrar-Gentechnik und die Terminatortechnologie hilft, neue Absatzmärkte zu erschließen. 25 Auch in der sozialwissenschaftlichen Untersuchung von Risikokontroversen wird die unterschiedliche Thematisierung von Risiko und Nutzen teilweise auf unterschiedliche Weltbilder zurückgeführt (vgl. Abschnitt 2.2.3). Kritiker sollen demnach ein Weltbild besitzen, dass der Natur einen zentralen Stellenwert einräumt. Der Ausgangspunkt der Befürworter sei hingegen eher die Ökonomie. 26 Die einzelnen Risiko- und Nutzenargumente wurden – soweit dies möglich war – in drei Dimensionen kategorisiert: Ökologie, Ökonomie und 205

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

te, die den Bereich der Ökonomie betreffen. Nur bei den Verbraucherorganisationen überwiegen Argumente aus dem Bereich Gesundheit. Dies verweist darauf, dass die Variable »Natur« bei kritischen Positionen weit weniger die zentrale Rolle spielt wie bislang angenommen und bestätigt die These, dass es bei der Auseinandersetzung um die Agrar-Gentechnik eher um ihre Auswirkungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen geht. Tabelle 8: Verteilung der Risiko- und Nutzenargumente nach den Bereichen Ökonomie, Ökologie und Gesundheit

BLL BMBF DIB DLG LR Bayern Monsanto MPG aid BMVEL DBV Verbr.Ini. Bioland BÖLW BUKO BUND EED FiBL Greenpeace Misereor vzbv

Ökologie 15 2 8 7 10 4 5 4 4 5 1 5 1 7 5

Gesundheit 16 5 5 1 5 12 4 10 5 2 10 3 1 5 1

5 1

9

Ökonomie 19 2 11 11 12 5 11 10 5 3 12 12 9 27 11 2 5 8 4

Angegeben ist die Anzahl der Argumente, in welchen die jeweilige Organisation den entsprechenden Sachverhalt thematisiert, unabhängig davon, ob dieser behauptet oder bestritten wird. Mehrfachnennungen wurden ausgeschlossen. Gesundheit. Neben diesen drei Dimensionen konnten noch die Dimension der sozialen Risiko- und Nutzenerwartungen und die Dimension, welche die Risiken bzw. den Nutzen der Technik selbst betreffen, ausgemacht werden. Diese zwei Dimensionen wurden jedoch weniger stark thematisiert. 206

DISKURS: RISIKO UND NUTZEN

Weiterhin ist zu erkennen, dass auch die Befürworter Thematiken aus dem Umweltschutz und der Gesundheit übernommen haben. Bereits die Diskussion um die Risikoentitäten zeigte, dass die pauschale Aussage, dass die Agrar-Gentechnik der Umwelt von Nutzen sei, durch eine Vielzahl von Argumenten gestärkt wird.27 Bei der Assoziation Kritiker mit Natur und Befürworter mit Ökonomie werden pauschalisierende Identitäten hervorgebracht, die beiden Seiten strategisch von Nutzen sein kann. So soll auch in der folgenden Betrachtung des gesamtargumentativen Feldes gezeigt werden, dass die Befürworter die Verbindung zwischen Kritiker als Sprecher der Natur dazu benutzen, um die Position der Kritiker auf ihre Rolle als Sprecher im Namen der Natur zu begrenzen. Damit ist ihnen zweierlei möglich, zum einen die Argumente der Kritiker, insofern sie sich auf Aussagen über der Natur beziehen, auf der wissenschaftlichen Ebene widerlegen zu können und zum anderen die Argumente der Kritiker bezüglich der sozialen Folgen zu ignorieren. Würde aber bei einer Beachtung der Sozialdimension soziale Benachteiligungen sichtbar werden, ließe sich die Frage stellen, wie politisch darüber entscheiden werden müsste.28 Kritische Argumente müssten dann als das anerkannt werden, was sie sind, nämlich politische Positionen von sozialen Akteuren, die eben nicht von der Agrar-Gentechnik profitieren. Jedoch ist die Verbindung zwischen Kritikern als Sprachrohr der Natur für die Kritiker selbst auch funktional, obwohl sie ihre Position nicht allein auf diese Rolle beschränkt wissen wollen. So wird in den folgenden Kapiteln ebenso deutlich, dass sie diese Position nur übernehmen, um hierüber die Interessen der Gesellschaft neu bestimmen zu können. Weiterhin ist ebenso die Verbindung zwischen Befürwortern und ökonomischen Interessen für beide Parteien funktional. Durch die Zuschreibung dieser pauschalisierenden Identität an die Befürworter wird es den Kritikern ermöglicht, die potentiellen Möglichkeiten des technischen Umweltschutzes ignorieren zu können. Damit können sie die Argumente der Befürworter auf eigennützige und ökonomische Interessen zurückführen. Auch die befürwortenden Positionen nehmen eine solche Zuschreibung an, da sie, wie ebenfalls in den folgenden Ausführungen deutlich wird, die ökonomischen Interessen als das Interesse der gesamten Gesellschaft setzen wollen. 27 Als Beispiel folgendes Zitat: »Grüne Gentechnik trägt schon heute zur Versorgungssicherheit, aber auch zum Umweltschutz bei: Denn je widerstandsfähiger eine Pflanze ist, desto weniger bedarf es des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln und anderen Ressourcen.« DBV: 4. 28 Eine andere Sache wäre es, wenn die Sozialwissenschaften eine Form der Universalisierung erfinden würden, die auch hier die Ersetzung der Politik durch die Wissenschaft möglich machten. 207

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Ein pauschalisierendes Naturbild zu haben heißt, dass im Diskurs die Meinung besteht, die Natur wäre eine einheitliche Größe, die einen Sprecher braucht. Damit entsteht der Eindruck es gebe eine einheitliche Natur und nicht unterschiedliche Natur-Kulturen.29 Die Betrachtung der Konstruktion der Risiko- und Nutzenargumente zeigte, dass es einen Unterschied gibt zwischen pauschalisierenden und differenzierteren Argumenten. Die Behauptung über die Existenz einer Eigenschaftszuschreibung (negative bzw. positive Aktivität) wird demnach mit dem Verweis auf reale Zusammenhänge differenzierter begründet. Dies lässt sich mit der bereits diskutierten Unterscheidung zwischen Rollen- und Eigenschaftszuschreibung in Repräsentationen vergleichen. Die Eigenschaften bestimmen die Grenzen und das Potential eines Akteur-Netzwerkes in einer Repräsentation, die Rollenzuschreibung hingegen, die spezifische Funktion, welche die Entität innerhalb des Gesamtzusammenhangs der Darstellung ausübt bzw. ausüben könnte. Die Eigenschaften, die sich auf die Grenzen und das Potential von Akteur-Netzwerken beziehen, sind demnach notwendig pauschalisierend. Sie rufen eine Entität erst in die Existenz um sie dann in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Ähnlich vollzieht sich nun auch die Positionierung in der Gentechnikdebatte. Die pauschalisierenden Identitäten der Befürworter und Gegner strukturieren die Ausrichtung ihrer Argumentation, dennoch liegt den Organisationen eine spezifisch politische Zielstellung zu Grunde, die innerhalb der Gruppe der Befürworter und der Gruppe der Gegner divergieren kann.30

29 Zu einer Kritik an dem pauschalisierenden auf die globale Repräsentationsfähigkeit ausgerichteten Naturbegriff siehe die Beiträge in Jasanoff/ Long Martello 2004. 30 Zu beachten ist, dass die Relation zwischen Rollen- und Eigenschaftszuschreibung, die hier mit der Unterscheidung zwischen pauschalisierender und differenzierender Argumentation in Zusammenhang gebracht wird, weniger in Zusammenhang steht mit der Unterscheidung der Übersetzung und der Inversion der Übersetzung. Der Übersetzungsprozess ist die Produktion einer Repräsentation, die in der Inversion der Übersetzung ein Netzwerk aus Entitäten darstellen kann, das pauschalisierende und differenzierende Argumentationen enthält. 208

6 A G R A R -G E N T E C H N I K

UND

GESELL SCH AFT

Die Agrar-Gentechnik besitzt in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen unterschiedliche Auswirkungen. Das ist die Grundthese der Studie. In diesem Kapitel wird die Risiko-Nutzen-Debatte in unterschiedlichen Praxisfeldern verortet. Dabei werden die diskursiven Verbindungen, so wie sie im vorangegangenen Kapitel betrachtet wurden, im Hinblick auf die Problematisierungen betrachtet, die sie kennzeichnen. Die Diskussion um das für und wider der Agrar-Gentechnik ist in ein weiteres argumentatives Feld eingebettet. Im vorangegangenen Kapitel wurde deutlich, dass die Konstruktion der Risikoentitäten in den Positionspapieren nicht in aller Ausführlichkeit erfolgt und dass die Argumentation an den Rändern unschärfer wird. Die Konstruktion der Risikoentitäten ist jedoch nicht nur durch die Versammlung von Entitäten und ihrer strukturierten Anordnung bestimmt, sondern ebenso durch die Einordnung des Akteur-Netzwerkes in den gesamtargumentativen Zusammenhang. Wie bereits in vierten Kapitel erwähnt, wurden die Argumente des gesamtargumentativen Feldes – das nicht nur die Pro- und Contra-Argumente, sondern alle Argumente umfasst, die zwei Entitäten miteinander in Verbindung bringen – zu argumentativen Clustern zusammengefasst. Im Mittelpunkt dieser Cluster stand weniger eine Schlüsselentität, sondern Problematisierungen. Ein weiteres Ziel, dass mit der Untersuchung des gesamtargumentativen Feldes verfolgt wird, ist, den gesellschaftlichen Auswirkungen der Agrar-Gentechnik nachzugehen. Dazu wurden problematische gesellschaftliche Praktiken, die mit der Agrar-Gentechnik in Zusammenhang 209

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

stehen, aus dem gesamtargumentativen Feld herausgearbeitet. Wie die Graphik in Abbildung 2 verdeutlicht, hängen diese Problematisierungen zusammen. Sie bilden den Rahmen, in denen die Risikoentitäten auftauchen und konstituiert werden. Bei der Betrachtung des gesamtargumentativen Feldes rückten bislang unbeachtet gebliebene Problematisierungen stärker in den Mittelpunkt, wohingegen nur einige der Risikoentitäten auch im gesamtargumentativen Feld ihre Zentralität behielten. So tauchten einige Problematiken bereits bei der Diskussion um die Risikoentitäten auf. Dies ist zunächst die Problematik der Auskreuzung, also die Diskussion darüber, ob die Auskreuzung von GVO problematisch ist oder nicht, und weiterhin die Diskussionen darüber, ob die Agrar-Gentechnik den Landwirten bzw. den Entwicklungsländern einen ökonomischen Vorteil bringt. Ebenso blieb die Diskussion um die Resistenzentwicklung, also ob die Resistenzentwicklung ein Problem ist, auch im gesamtargumentativen Feld zentral. Abbildung 2: Übersicht über das gesamtargumentative Feld

Die Verbindungen zwischen den Debattenfeldern geben an, inwiefern bei den Diskussionen in den argumentativen Clustern auf dieses verwiesen wurde. In der Darstellung wurde zwischen größeren und kleineren Debattenfeldern unterschieden, die sich an der Anzahl der Argumente bemisst, die in den jeweiligen Clustern versammelt sind.

210

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

In Bezug auf die Schädlingsbekämpfung, die ebenso bereits unter den Risikoentitäten diskutiert wurde, rückte die Problematik um die Pestizide in den Mittelpunkt, insbesondere die Frage, ob der Pestizidverbrauch steigt oder sinkt. Die Diskussion um die Agrarmärkte ging hingegen in der Diskussion um die Bedeutung von Absatzmärkten im Allgemeinen (der Diskussion darüber, ob Absatzmärkte durch die Gentechnik erschlossen werden oder durch sie verloren gehen) auf. Neue Diskussionslinien zeichneten sich zunächst insbesondere in Bezug auf die politische Regulierung der Agrar-Gentechnik ab, die in engem Zusammenhang mit der Diskussion um die Wahlfreiheit, Haftung und Koexistenz steht. Hier wird das Problem behandelt, ob die Regulierungsinstrumente auf das Vorsorgeprinzip ausgerichtet sein sollten oder eher auf die Sicherstellung einer Rechtsbasis für die Anwendung der Agrar-Gentechnik. Zum Thema Haftung beziehen sich die Diskussionen darauf, ob eine gesonderte Regulierung der Haftungsfrage überhaupt notwendig ist, und in Bezug auf die Koexistenz, ob eine Koexistenz unterschiedlicher landwirtschaftlicher Systeme möglich ist oder nicht. Hinsichtlich der Wahlfreiheit wird diskutiert, welchen Stellenwert dieses Konzept überhaupt besitzen sollte. Des Weiteren beziehen sich die Diskussionen auf die Interessen der Biotechnologieunternehmen und die Verflechtung von Industrie und Politik in der Standortdebatte. Hier steht zur Debatte, ob die Interessen der Biotechnologieunternehmen mit dem Allgemeinwohl vereinbar sind. In Bezug auf die Standortdebatte besteht der Streitpunkt darin, inwiefern eine Vereinbarung zwischen Förderung und Regulierung der Gentechnik möglich ist. Ebenso wird die Frage der Abgrenzung und des Miteinanders unterschiedlicher landwirtschaftlicher Systeme behandelt. Hier wird die Frage erörtert, inwiefern der Anbau gentechnisch veränderte Kulturpflanzen mit anderen Anbauweisen vereinbar ist und inwiefern nicht. Ebenso wird der Einfluss der Verbraucher und der Gentechnikdebatte auf die Technikentwicklung diskutiert. Die im Cluster der Verbraucher zusammengefassten Argumente beziehen sich auf die Technikakzeptanz der Verbraucher: ob eher mit einem wachsenden Widerstand oder mit einer Trendwende in der Technikakzeptanz gerechnet werden kann. Im Cluster Gentechnikdebatte hingegen beziehen sich die Diskussionen auf die Aktivität der Debatte selbst zum Beispiel bezüglich ihres Einflusses auf die politische Regulierung und der Technikakzeptanz bei Verbrauchern und Landwirten. Folgendes Beispiel kann verdeutlichen, wie die Risiko- und NutzenArgumente in das weitere Netzwerk von Problematisierungen eingebunden sind. So wird der Zusammenhang zwischen Landwirten und AgrarGentechnik dadurch beeinflusst, ob eine Resistenzentwicklung zu einem 211

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

höheren Pestizidverbrauch führt oder nicht. Dieser Argumentationsgang verbindet drei Cluster, innerhalb dessen auch andere Thematiken diskutiert werden, die auf diese Verbindung Einfluss haben können. So wird im Cluster Pestizide ebenso diskutiert, ob die angewendeten Pestizide umweltverträglicher sind als herkömmliche Pestizide. Das Argument, welches das Cluster Auskreuzung mit dem Cluster Resistenzentwicklung verbindet, erwies sich hingegen als relativ schwach. Es wird nur durch ein Argument, der Entstehung von sogenannten Superunkräutern, gezogen, das ebenso nur selten in den Positionspapieren auftaucht. Abbildung 3: Argumentationsschwerpunkte der Pro-Positionen

Abbildung 4: Argumentationsschwerpunkte der Contra-Positionen

212

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

Bereits bei der im fünften Kapitel vorgenommenen Analyse der Konstruktion von Risikoentitäten ließ sich feststellen, dass es neben erklärten Befürwortern und Gegnern der Gentechnik auch Positionen gibt, die behaupten, eine differenzierte und vermittelnde Position einzunehmen und rational Risiken gegen Nutzenerwartungen abzuwägen. Wie die Analyse der Konstruktion der Risikoentitäten zeigte, ist aber in allen Argumentationen eine Tendenz in die eine oder andere Richtung zu beobachten. Eine rationale Risiko-Nutzen-Abwägung bzw. eine Würdigung aller Aspekte einer Problematik findet nicht statt.1 Weiterhin konnte im vorangegangenen fünften Kapitel gezeigt werden, dass sich die Wirklichkeitsbeschreibungen befürwortender und kritischer Positionen nicht widersprechen. Die Wirklichkeitsbeschreibungen behaupten in ihren Seinsaussagen keineswegs etwas Falsches, sondern sie blenden Sachverhalte, die auf andere gesellschaftliche Praktiken verweisen und einer anderen Zukunftserwartung entsprechen, aus. Erst als Black Box geäußert führen sie zu unterschiedlichen Seinsaussagen und zur diagnostizierten Kommunikationssperre. Diese unterschiedliche Schwerpunktsetzung lässt sich auch bei der Betrachtung des gesamtargumentativen Feldes beobachten. Die Graphiken in Abbildung 3 und 4 verdeutlichen den Wechsel der Schwerpunktsetzung nach der Pro- und Contra-Positionierung.2 Zu erkennen ist die eindeutige Schwerpunktsetzung befürwortender Positionen auf die Risiko-Nutzen-Debatte und die breiter gefächerte Argumentation bei kritischen Positionen. Die starke Vernetzung bei den kritischen Positionen kann, der Darstellung bei Schurman/Munro (2006) folgend, 1

2

Vgl. zu einem parallelen Befund Kress/Potthast 2000: 63f. Informationsweitergabe und Aufklärung wird mit der Durchsetzung der eigenen Position verwechselt. Auch bei einigen sozialwissenschaftlichen Arbeiten ist dieser Effekt zu beobachten. Es entsteht der Eindruck, als würden auch hier, wie in den Positionspapieren, Argumente aus der gesellschaftlichen Wissensproduktion mobilisiert und als wissenschaftliche Aussagen reintegriert. Vgl. zu einem ähnlichen Befund Bandelow 1999: 85. Beispielhaft für einige Studien, bei denen ein solcher bias zu erkennen ist: Aretz 1999; Bernauer 2003. Die Verbindungen zwischen den Debattenfeldern werden durch Argumente gebildet, die zwei oder mehr Debattenfelder miteinander verbinden. Die Stärke der Verbindungen und die Größe der Knotenpunkte richtet sich nach der Anzahl der Organisationen, die auf die jeweiligen Argumente zugreifen. Für die Befürworterseite wurden die Argumentationsstrukturen von BLL, BMBF, DBV, DIB, DLG, LR Bayern, Monsanto, MPG zusammengefasst, für die Kritikerseite die Argumentationen von Bioland, BÖLW, BUND, BUKO, EED, Greenpeace, Misereor, vzbv. Zu einer genaueren Darstellung der Vorgehensweise vgl. Abschnitt 3.3.2. Diese und alle folgenden Netzwerkdarstellungen wurden mit dem Netzwerkprogramm pajek erstellt. Vgl. Batagelj/Mrvar o.J. 213

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

auch darauf zurückgeführt werden, dass es kritischen Intellektuellen gelungen ist, Organisationen, die bereits an anderen gesellschaftlichen Problemstellungen arbeiteten, zu einer gentechnikkritischen Haltung und zu einem Engagement gegen die Gentechnik zu bewegen. Aus diesem Grund berühren Argumente gegen die Gentechnik viele Bereiche, die bereits länger kritisch begleitet werden, wie zum Beispiel die Nord-SüdProblematik oder Probleme, die aus der Industrialisierung der Landwirtschaft resultieren. Diese Unterschiede in der Argumentation werden im Folgenden näher diskutiert, um damit der Frage nachzugehen, welche gesellschaftlichen Praktiken eher durch befürwortende Positionen und welche eher durch kritische Positionen favorisiert werden sowie an welchen Stellen und unter welchen Bedingungen sich differenziertere Positionen ausfindig machen lassen. Zur besseren Übersicht werden die Diskussionen der Problematisierungen in den argumentativen Clustern zu vier Diskussionslinien zusammengefasst. Im ersten Abschnitt werden die Faktoren für die Ausbreitung der Agrar-Gentechnik diskutiert, die von den verschiedenen Positionen als wesentlich erachtet werden. Hier spielen vor allem die Landwirte und Verbraucher aber auch die Gentechnikdebatte selbst eine zentrale Rolle. Im zweiten Abschnitt werden die Auswirkungen der Agrar-Gentechnik auf die landwirtschaftliche Praxis untersucht. Dabei geht es nicht nur um die Abgrenzung der gentechnikfreien Landwirtschaft von der Agrar-Gentechnik, sondern auch um unterschiedliche Konzeptualisierungen der kleinbäuerlichen Landwirtschaft – wie sie in den Entwicklungsländern vorherrschend ist – und der ökologischen Landwirtschaft – wie sie in den Industrieländern präsent ist – als Gegenmodell zur industrialisierter Landwirtschaft. Im dritten Abschnitt werden im Zusammenhang mit der Thematisierung der Interessen der Biotechnologieunternehmen und ihren Verflechtungen mit staatlichen Interessen Fragen der Technikentwicklung diskutiert. Hierbei wird ebenso das Verhältnis von öffentlicher und privater Forschung angesprochen. Im vierten Abschnitt werden die politische Regulierung der Agrar-Gentechnik und allgemeinere Fragen politischer Repräsentation problematisiert.3

3

In der folgenden Diskussion wird jeweils untersucht, (1.) welche Entitäten mobilisiert, (2.) diese je nach diskursiver Positionierung konstruiert und (3.) welche Eigenschaften ihnen zugeschrieben werden. Hierbei spielt insbesondere die Zuschreibung von Aktivität eine Rolle. In diesem Zusammenhang werden ebenso Hinweise auf die analyseleitenden Konzepte der Zukunftserwartung und Verfassung diskutiert.

214

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

6 . 1 F a k t o r e n d e r Au s b r e i t u n g Netzwerke breiten sich aus, wenn sie in andere Kontexte übertragen werden. Die Agrar-Gentechnik breitet sich nicht nur durch die Ausweitung der wissenschaftlich-technischen Netzwerke aus, innerhalb derer sie produziert wird, sondern ebenso durch den Anbau und den Konsum. Im Folgenden wird diskutiert, welche Aktivitäten die einzelnen Entitäten auf die Ausbreitung der Agrar-Gentechnik haben. Sowohl von befürwortenden als auch von kritischen Positionen wird der Einfluss sozialer und nichtsozialer Akteure auf die Ausbreitung der Agrar-Gentechnik problematisiert. Jedoch steht bei den Diskussionen hierum nicht die Forschung und die Forschungsförderung im Mittelpunkt – auch nicht bei befürwortenden Positionen, welche auch hier die Wirklichkeit der Agrar-Gentechnik verorten (vgl. Abschnitt 4.1) –, sondern vielmehr die Verbraucher und Landwirte als potentielle Abnehmer agrar-gentechnisch veränderter Produkte. Neben den sozialen Akteuren und Konzepten, wie insbesondere rechtlichen Regulierungsinstrumenten, ist noch ein anderer, nichtsozialer Akteur entscheidend: die Agrar-Gentechnik selbst. Die Aktivität der Agrar-Gentechnik zeigt sich – wie bereits erörtert – paradigmatisch in der Auskreuzung. Daneben gibt es aber auch – wie dies die Diskussion zur Kontaminationsproblematik zeigte – auf Grund der materiellen Beschaffenheit von GVO im Bereich der Landwirtschaft, Schwierigkeiten, die Agrar-Gentechnik als Objekt zusammenzuhalten und von nicht gentechnisch veränderten Organismen zu trennen. Die Ausbreitung der Agrar-Gentechnik soll sich damit – vor allem nach den Vorstellungen befürwortender Positionen – kontrolliert vollziehen und eine unkontrollierte Ausbreitung sowohl mittels technischer als auch rechtlicher Mittel unterbunden werden. Mit dem Wechselverhältnis von Aktivitätspotential der Agrar-Gentechnik und ihrer technischen Beherrschbarkeit beginnt der Streifzug durch dieses Problemfeld.

6.1.1 Auskreuzung und Kontamination Die Auskreuzung besitzt eine hohe suggestive Kraft, wenn es darum geht, die Unkontrollierbarkeit der Ausbreitung von GVO zu verdeutlichen. Andere Formen, die zu einer Vermischung von GVO mit konventionellen Produkten führen können, wie Durchwuchs und horizontaler Gentransfer,4 aber auch die Kontamination als Vermischung entlang der Warenkette besitzen in der Debatte nicht eine solche hohe Zentralität. 4

Im Gegensatz zum vertikalen Gentransfer – der Auskreuzung – bezieht sich der horizontale Gentransfer auf die Übertragung genetischer Eigenschaften außerhalb der Fortpflanzung. 215

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Durch die Auskreuzung wird der Natur und der Technik Aktivität zugeschrieben, die sie, nach der modernen Verfassung, eigentlich nicht haben dürften. Damit verdeutlicht das Phänomen der Auskreuzung das Verhältnis von Technik und Natur und für kritische Positionen die Besonderheit und Neuheit der Gentechnik als eine Technik, die sich verselbstständigen kann. Wie bereits erwähnt, steht die Auskreuzung auf Wildpflanzen zwar im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, für kritische Positionen ist aber die Auskreuzung auf Kulturpflanzen weit mehr von Bedeutung als für befürwortende Positionen, die sich nur darauf beschränken, das Risiko der Auskreuzung auf Wildpflanzen zu nivellieren (vgl. Abschnitt 5.1.3.1). So begrenzen vor allem befürwortende Positionen die Auskreuzungsproblematik allein nur auf die Auskreuzung auf Wildpflanzen, und können damit das Argument begründen, dass Auskreuzung unproblematisch sei, da die Nachkommen sich in Wildhabitaten nicht durchsetzen könnten (so bei BLL, BMVEL, LR Bayern, Monsanto, MPG, Verbr.Ini.). Eine ähnliche Argumentation wird in Bezug auf die Auswilderung geführt. Die Auskreuzung wird hier vor allem in Zusammenhang mit den Phänomenen des Durchwuchses und des horizontalen Gentransfers – die beide als gleich unwahrscheinlich erachtet werden – betrachtet, um das Argument eines nichtbestehenden Risikos zu begründen (so bei BLL, BMVEL, BMBF). Die Problematik der unkontrollierten Ausbreitung wird hier demnach entlang der Unterscheidung Kulturpflanzen vs. Wildhabitate betrachtet. Kultur und Natur werden stark getrennt. Kultur kann die Natur nicht beeinflussen, da kulturelle Produkte der Aufrechterhaltung durch den Menschen bedürfen. Bei kritischen Positionen hingegen steht vor allem die Auskreuzung auf andere Kulturpflanzen im Mittelpunkt (aid, BUND (InfB, genstr), EED, Greenpeace). Bei diesen Organisationen steht die Auskreuzungsproblematik in engem Zusammenhang mit der Koexistenzproblematik, dem Nebeneinander unterschiedlicher Anbausysteme. Die Problematik der Auskreuzung wird von einigen Organisationen noch weiter ausgeweitet, und in den Kontext gesamter möglicher Vermischungserscheinungen gestellt, bei denen die Auskreuzung nur einen Aspekt bildet – so bei Bioland, BUKO (biopir, biopoly) und BÖLW. Bei diesen Organisationen tritt die Auskreuzung nur als eine Black Box auf, die in ein weiteres Netzwerk eingebettet ist, als nur ein Faktor, der zur Vermischung mit GVO. Bei kritischen Positionen stellen »natürliche« Dynamiken nur einen Teil einer gesellschaftlichen Problematik dar. Natur und Gesellschaft erscheinen miteinander verquickt. Mit der Kontaminationsproblematik ist ein weiterer Aspekt angesprochen, der sich nicht mehr nur auf die Aktivität, die Verselbstständi216

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

gung einer Technik, die zugleich Natur ist, bezieht, sondern auf die Schwierigkeiten, das Objekt »Agrar-Gentechnik« zusammenzuhalten und von anderen Objekten zu trennen. Dies verweist eher auf menschliches Versagen im Umgang mit der Technik und nicht auf eine Verselbstständigung der Technik durch »natürliche« Mechanismen. Dieses Versagen selbst ist aber wiederum nur Resultat des Anspruches oder der Forderung, die Warenströme zu trennen, und damit die Agrar-Gentechnik als Objekt zu konstituieren, das von anderen gentechnikfreien Objekten getrennt werden kann und soll. Würde dieser Anspruch nicht bestehen, würde auch das Versagen im Umgang mit der Technik nicht existieren. Das Problem der unkontrollierten Ausbreitung taucht demnach nur in Bezug auf eine bestimmte Zukunftserwartung auf: der Sicherstellung gentechnikfreier Produktion.

6.1.2 Kontrollierbarkeit Die Schwierigkeiten, das Objekt Agrar-Gentechnik zusammenzuhalten und seine Ausfaserung zu vermeiden, wird durch den Verweis auf Entitäten begründet, die diese Kontrollierbarkeit stören könnten, wie Wind und Bienen bzw. Insekten bei der Auskreuzung und Transportmittel bei der Kontamination. Um auf die Schwierigkeit der Objektkonstitution zu verweisen, wird sowohl von kritischen als auch von befürwortenden Positionen darauf verwiesen, dass Bienen oder allgemein Insekten, Pflanzen und GVO an den von den Menschen gesetzten Grenzen (um Felder oder Staaten) nicht »Halt machten«.5 Problematischer wird dies, je mehr solcher Grenzen existieren, wie in der kleinteiligen Landwirtschaft Europas. Allgemein gesehen wird nicht von einer pauschalen Kontrollierbarkeit bzw. Unkontrollierbarkeit der Technik ausgegangen. Insbesondere für kritische Positionen ist es von Bedeutung, zumindest in einigen Bereichen eine differenziertere Sichtweise einzunehmen und auf Kontrollpotentiale zu verweisen, um politische Regularien einklagen zu können. So hält Greenpeace die Kontamination entlang der Verarbeitungskette für kontrollierbar, nicht aber die Auskreuzung. Wie bereits erwähnt vertreten einige Positionen eine differenzierte Sichtweise auf die Auskreuzungsproblematik, indem sie für jede Kulturpflanze die Auskreuzungswahrscheinlichkeit angeben. Da es für viele in Europa angebauten Kulturpflanzen keine artverwandten Wildformen gibt, wie bei Mais oder bei Kartoffeln, reduziere sich hier das Risiko der Auskreuzung (so bei BUND, LR Bayern, Monsanto, Verbr.Ini.). Durch 5

Diese Argumentationsfigur ist mit unterschiedlichen Ableitungen bei Bioland, BMVEL, BUND, Greenpeace und dem DBV anzutreffen. 217

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

diese differenzierte Betrachtung wird die Black Box der Auskreuzung geöffnet. Anders als Positionen, die pauschal feststellen, dass Auskreuzung existiert, oder diese in ein weiteres Feld von Vermischungserscheinungen einbetten, ist es hier möglich, spezifische Kontrollmöglichkeiten zu bestimmen. Kontrolle wird damit nicht nur durch eine differenziertere Sichtweise, sondern ebenso durch eine Spezifizierung einzelner zu kontrollierender Aspekte, die die Beachtung anderer (wie zum Beispiel der Vermischungserscheinungen entlang der Produktionskette) ausschließt, möglich. In Bezug auf die unterschiedlichen Punkte, an denen Vermischungen auftreten können (Kontamination, Gentransfer, Durchwuchs, Auskreuzung), ergeben sich unterschiedliche Auffassungen darüber, was kontrollierbar ist und was nicht, und welche Techniken eingesetzt werden sollten, um eine Kontrolle zu erzielen. Dabei kann im Wesentlichen zwischen technischen und rechtlichen Kontrollmöglichkeiten unterschieden werden. Technischen Möglichkeiten für eine Kontrolle der Agrar-Gentechnik im Hinblick auf die Auskreuzung werden vor allem von befürwortenden Positionen erwähnt. Als Techniken zur Kontrolle der Auskreuzung im Allgemeinen, werden zwei neue Entwicklungen vorgestellt: die Chloroplastentransformation (aid, BLL) und die sogenannte »Terminatortechnologie« (BLL). Bei der Chloroplastentransformation wird die gentechnische Veränderung an dem Genom der Chloroplasten vorgenommen und kann demnach nicht den Pollen übertragen werden. Der (kritische) Begriff »Terminatortechnologie« (eine Form der Genetic Use Restriction Technology (GURT)) bezieht sich vor allem auf solche gentechnischen Veränderungen, bei der die Keime einer Kulturpflanze abgetötet werden, wodurch der Samen nicht mehr keimfähig ist und nicht mehr als Saatgut verwendet werden kann. Es wird demnach versucht, durch Technik die Risiken der Technik zu kontrollieren.6 Als rechtliches Instrument der Kontrolle der Agrar-Gentechnik tritt das Leitbild oder politische Konzept der »Koexistenz« auf, das im nächsten Abschnitt näher diskutiert werden soll.

6

Wobei kritische Positionen anmerken, dass mit technischen Verbesserungen wiederum andere Risiken (wie zum Beispiel auch bei der Terminatortechnologie) auftauchen. Der Gedanke, technische Risiken wiederum mit Technik zu begegnen, erinnert an den Gedanken des technological fix, der sich aber auch auf die Lösung sozialer Probleme bezieht.

218

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

6.1.3 Koexistenz Koexistenz ist ein politisches Konzept und betrifft die Sicherstellung des Nebeneinanders unterschiedlicher landwirtschaftlicher Systeme, vor allem der Gentechnik anwendenden und der gentechnikfreien Landwirtschaft. Das Konzept der Koexistenz drängt auf Technikvielfalt: Keine der vorhandenen Züchtungsmethoden soll eine andere verdrängen oder ersetzen (BMBF). Bereits die Diskussion zur Risikoentität »Kontamination« zeigte, dass die praktische Herstellung der Koexistenz (durch eine Gute fachliche Praxis (GfP)) und ihre rechtliche Kontrolle (durch Schwellenwerte) insbesondere von den Vermischungserscheinungen (Auskreuzung, Gentransfer, Durchwuchs und Kontamination) in Frage gestellt wird. Weiterhin wurde darauf verwiesen, dass das Ausmaß der Vermischung mit steigendem GVO-Anbau und steigender GVO-Zulassung zunimmt. Der Unterschied zwischen befürwortenden und kritischen Positionen wurde dabei insbesondere daran festgemacht, dass (1) das Ausmaß von Vermischungserscheinungen unterschiedlich eingeschätzt wird und (2) Unterschiede hinsichtlich der Akzeptanz von Verunreinigungen bestehen. Während befürwortende Positionen diese als unproblematisch erachten, da die Agrar-Gentechnik für sie kein Risiko in sich birgt, drängen kritische Positionen auf vollständige Gentechnikfreiheit. Tabelle 9 stellt dar, wie sich die Organisationen, die das Konzept der Koexistenz erwähnen, in diesem Feld positionieren und welche Instrumente sie zur Aufrechterhaltung der Grenze zwischen der Agrar-Gentechnik und Gentechnikfreiheit vorschlagen. Insbesondere kritische Positionen weisen auf die Möglichkeit der Errichtung gentechnikfreier Zonen bzw. gentechnikfreier Regionen (GfR) hin.7 Die Tabelle 9 verdeutlicht, dass nur der EED Koexistenz für nicht herstellbar erachtet. Auch wenn Koexistenz prinzipiell als unmöglich angesehen wird, werden bei den anderen Organisationen dennoch technische und rechtliche Regulierungen der Koexistenzsicherung angemahnt. Auf der kritischen Seite wird so zum Beispiel bei Bioland darauf verwiesen, dass zwar Koexistenz generell unmöglich sei, dennoch aber werden Techniken und Strategien diskutiert, um die unkontrollierte Ausbreitung einzudämmen. 7

In der Kodierung wurde versucht, zwischen gentechnikfreien Zonen, die auf freiwilligen Selbstverpflichtungserklärungen der beteiligten Landwirte beruhen, und gentechnikfreien Regionen, bei denen die Gentechnikfreiheit (ohne, dass dies bislang möglich ist) gesetzlich verankert werden soll, zu unterscheiden. Leider war aus den Texten nicht immer ersichtlich, welche Vorgehensweise letztendlich mit den Begriffen gentechnikfreie Zone bzw. Region gemeint war. Im Folgenden ist demnach zuweilen eine Ambiguität hinsichtlich des Gebrauchs dieser Begrifflichkeiten gewahrt. 219

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Diese Inkonsistenz in der Argumentation zwischen der Behauptung, dass Koexistenz nicht möglich sei und dem gleichzeitigen Einklagen rechtlicher und technischer Maßnahme zur Herstellung von Koexistenz, kann so aufgelöst werden, dass von prinzipiellen Aussagen über die Existenz einer Entität (ist möglich vs. ist nicht möglich) zu einer Abstufung unterschiedliche Verunreinigungsgrade gelangt wird. Die Black Box der Koexistenz wird geöffnet, womit die Kontamination noch lange nicht vollständig kontrollierbar wird, aber spezifische Maßnahmen diskutiert werden können, die dann auch Auswirkungen auf die gesellschaftliche und landwirtschaftliche Praxis haben.8 Tabelle 9: Gewährleistung von Koexistenz bei den Organisationen Koexistenz Koexistenz ist nicht ist möglich möglich Kontrolle durch ... EED

x

aid

x

GfR

BÖLW

x

GfR

BUND (InfB)

x

GfR

BUND (genstr)

x

GfR

Bioland

x

GfR und Abstandsregeln

x

Trennung der Warenströme

FiBL

x

Greenpeace Monsanto

x

GfR, GfP, Abstandsregeln Trennung der Warenströme

Verbr.Ini.

x

Trennung der Warenströme

DIB

x

Schwellenwerte

LR Bayern

x

Schwellenwerte

DBV

x

Schwellenwerte

BLL

Schwellenwerte

GfR = Gentechnikfreie Regionen, GfP = Gute fachliche Praxis. Das Konzept wird nicht erwähnt von BMBF, BMVEL, BUKO, DLG, Misereor, MPG, vzbv.

8

Das FiBL ist in gewisser Weise ein Ausreißer. Die gesamte Studie behandelt die Frage, durch welche Rechtsinstrumente Koexistenz sicher gestellt werden könnte. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass differenziertere Sichtweisen vom Oberflächendiskurs abweichen können.

220

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

Die gentechnikfreie Landwirtschaft soll insbesondere durch gentechnikfreie Zonen gesichert werden. Diese sollen es ermöglichen Gentechnikfreiheit, die »auch wirklich gentechnikfrei« ist, durch einen wie auch immer hergestellten Verzicht des Anbaus in bestimmten Regionen – ob durch Verbot oder Selbstverpflichtung der Landwirte – sicherzustellen. Damit wird versucht, durch eine Form rechtlicher Regulierung auf die gesellschaftliche Praxis Einfluss zu nehmen. Gentechnikfreie Zonen erscheinen bei Bioland darüber hinaus nicht nur als Sicherstellung der gentechnikfreien Produktion, sondern ebenso als öffentliches, politisches Zeichen. Die von kritischen Positionen geforderte staatliche Anordnung gentechnikfreier Regionen wird hingegen von der LR Bayern als rechtlich unzulässig bezeichnet, insbesondere auch deswegen, da hierdurch die bäuerliche Unabhängigkeit und Wahlfreiheit eingeschränkt werden würde. Einer Initiative für eine auch staatliche Anerkennung gentechnikfreier Regionen in Europa verweigerte die EU-Kommission die rechtliche Anerkennung, so dass es nun allein nur möglich ist, über freiwillige Selbstverpflichtungserklärungen gentechnikfreie Zonen zu etablieren (Bioland).9 Von befürwortenden Positionen wird demgegenüber versucht, die Koexistenzproblematik durch die Einführung von Schwellenwerten von der Existenz der Vermischungserscheinungen abzukoppeln. Schwellenwerte geben prozentual akzeptable Verunreinigungsgrade bei nicht beabsichtigter Verunreinigung an, ab der eine Kennzeichnung als »gentechnisch verändert« erfolgen muss. Der Schwellenwert macht den GVOGehalt für den Verbraucher erst ab einer definierten Grenze sichtbar und damit für einige Positionen auch erst existent. So ist für den DBV und die LR Bayern die Etablierung praktikabler Schwellenwerte unabdingbar für eine Lösung der Koexistenzproblematik. Die Nulltoleranz bzw. ein Schwellenwert an der Nachweisgrenze von 0,1 % wird vor allem wegen der zu erwartenden Verunreinigungen bei einem großflächigen GVO-Anbau als nicht praktikabel angesehen (LR Bayern). Der DIB und die LR Bayern geben an, dass der derzeit festgelegte Schwellenwert von 0,9 % bei Lebens- und Futtermittel eingehalten werden könnte. In der Diskussion um die Schwellenwerte würde aber weniger nach wissenschaftlichen (LR Bayern) noch nach ökonomischen (BLL) Gesichtspunkten entschieden; Schwellenwerte seien rein politisch begründet. Damit wird implizit darauf verwiesen, dass die Etablierung von Schwellen9

Derzeit gibt es in der Bundesrepublik über 194 gentechnikfreie Zonen. Unter http://www.gentechnikfreie-regionen.de kann sich über den aktuellsten Stand informiert werden. Es gibt bislang weiterhin keine Möglichkeit der staatlichen Einrichtung gentechnikfreier Regionen, hingegen aber die Möglichkeit nationaler Anbauverbote für bestimmte GVO-Linien, wenn Risiken wissenschaftlich nachgewiesen sind. 221

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

werten auf die Gentechnikdebatte zurückzuführen sei. Aus dieser Sichtweise antworten demnach befürwortende Positionen auf eine von kritischen Positionen angemahnte »natürliche« Problematik mit einem »gesellschaftlichen« Konzept. An den Punkten, an denen die Technik versagt, greifen rechtliche Instrumente.10 Mittels Schwellenwerte wird demnach versucht, durch die Setzung einer durch Quantifizierung ermöglichten Grenze, die Diffusion von GVO in die Umwelt so zu repräsentieren, dass zwischen einer gentechnikfreien und einer gentechnischen Landwirtschaft unterschieden werden kann. Diese Form der Repräsentation der Wirklichkeit der AgrarGentechnik ist insbesondere für kritische Positionen äußerst problematisch, da sie eine »Grundverunreinigung« zu verdunkeln hilft, die es gerade zu vermeiden gilt. Ebenso wird auf eine vollständige Information über die tatsächliche Verbreitung von GVO gedrängt. Neben den Gentechnikfreien Zonen und den Schwellenwerten, werden noch eine Vielzahl weiterer Maßnahmen diskutiert, die, wenn Verunreinigungen auch nicht ganz vermieden werden könnten, diese zumindest reduzierten. Insbesondere bedeutsam sind hier die Abstandsregeln und Maßnahmen der Guten fachlichen Praxis (GfP), die zum damaligen Stand der Diskussion zum Zeitpunkt der empirischen Erhebung rechtlich noch nicht festgelegt waren.11 Ähnlich wie bei den Schwellenwerten geht es bei der Diskussion um die Abstandsregelung um eine Quantifizierung. Bei der Diskussion um die Abstandsregeln wird versucht, die notwendige Entfernung zwischen Feldern mit GVO und Feldern mit gentechnikfreier Landwirtschaft quantitativ abzuschätzen und rechtlich festzuschreiben, um Auskreuzungserscheinungen möglichst gering zu halten. Auch die Abstände können kulturpflanzenspezifisch betrachtet werden und sollten, so Bioland, auch in dieser Weise gesetzlich verankert werden. In der Debatte wird das Konzept der Koexistenz vor allem als ein politisches Konzept behandelt. Auf der einen Seite wird das Konzept auf 10 Ein gesondertes Diskussionsfeld betrifft die Etablierung von Schwellenwerten bei Saatgut. In Hinblick auf die Koexistenz – so insbesondere kritische Positionen – sollte vor allem bei Saatgut Gentechnikfreiheit sichergestellt sein. Hier wird für einen Schwellenwert an der Nachweisgrenze (also von 0,1 %) plädiert, um eine Grundverunreinigung in der Landwirtschaft zu vermeiden (BUND (InfB), Bioland). Diese Nulltoleranz bei Saatgut würde auch den Saatgutfirmen einen wirtschaftlichen Vorteil bringen, da garantiert gentechnikfreies Saatgut hergestellt werden könne (BUND (InfB)). Eine entsprechende Regulierung ist bislang noch nicht erfolgt (Stand: April 2010). 11 Wobei die Abstandsregeln bereits zur Guten fachlichen Praxis gezählt werden können. Sie werden im Gentechnikgesetz geklärt. Vgl. Fußnote 49 in diesem Kapitel. 222

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

die Gentechnikdebatte und die negative Verbraucherstimmung zurückgeführt, die eine Trennung der Warenströme erfordere (so bei Monsanto und der LR Bayern). Auf der anderen Seite wird dieses Konzept als strategisches Konzept der Befürworter aufgefasst, um eine schleichende Verunreinigung durchsetzen zu können und damit Fakten zu schaffen (so der EED und BUND (InfB, genstr)). Damit wird das Konzept der Koexistenz durch beide Seiten in den Bereich der Fiktion verschoben, wobei aber dennoch Auswirkungen auf die gesellschaftliche Praxis behauptet werden. Für befürwortende Positionen soll Koexistenz nur deshalb sichergestellt werden, da die Verbraucher gentechnikfreie Ware wünschten, obwohl dieser Wunsch auf irrationalen Befürchtungen hinsichtlich der Risiken der Gentechnik gründet. Für kritische Positionen ist das Konzept der Koexistenz im Gegensatz nur dazu da, den Anbau zu ermöglichen und damit zu einer großflächigen Verunreinigung der Landwirtschaft beizutragen. Hilfreich für diese »Unter-der-Hand«-Strategie ist dabei das Aktivitätspotential der Agrar-Gentechnik, das nicht nur in der Auskreuzung besteht, sondern, wie sich in der Kontaminationsproblematik zeigt, auch in den Schwierigkeiten, sie als Objekt zusammenzuhalten.

6.1.4 Wahlfreiheit Wahlfreiheit wird vor allem im Zusammenhang mit den Verbrauchern und Landwirten thematisiert, obwohl auch teilweise die Unternehmen angesprochen werden. Als politisches Konzept steht es in engem Zusammenhang mit dem Konzept der Koexistenz. Es soll den Verbrauchern und Landwirten ermöglichen, zwischen gentechnisch veränderten Produkten und Produktionsweisen und gentechnikfreien Produkten und Produktionsweisen wählen zu können. So ist aus der Sichtweise einiger Positionen nur durch die Sicherstellung der Koexistenz Wahlfreiheit möglich (DBV, DIB, EED, FiBL, LR Bayern). Als Mechanismen, Wahlfreiheit herzustellen, werden die bereits diskutierten Schwellenwerte angeführt (DBV, LR Bayern, Verbr.Ini.) und – eng damit zusammenhängend – die Kennzeichnung der Produkte (DBV, BMVEL, LR Bayern). Da kritische Positionen Koexistenz generell für nicht möglich erachten, wird auch die Wahlfreiheit bei einem GVO-Anbau eingeschränkt gesehen und darauf gedrängt, zur Sicherstellung der Wahlfreiheit auf einen Anbau ganz zu verzichten (so bei Bioland, BÖLW, BUND (genstr, InfB)). Befürwortende Positionen verwenden das Konzept der Wahlfreiheit hingegen, um auf eine Ermöglichung des Anbaus zu drängen. Wahlfreiheit bedeutet für sie gerade auch die Möglichkeit, sich für die Agrar-Gentechnik entscheiden zu können (so beim 223

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

DBV, BLL, DIB, FiBL). Der BUND (genstr) sieht darüber hinaus die Wahlfreiheit durch die anhaltenden Konzentrationsprozesse der Unternehmen aus der Agrar- und Lebensmittelbranche eingeschränkt. Damit wird die Bedrohung der Wahlfreiheit nicht nur auf den GVO-Anbau, sondern auch auf eine Reduktion der Vielfalt der Wirtschaftsakteure (Unternehmen) zurückgeführt. Nicht von allen Organisationen wird Wahlfreiheit explizit als politisches Konzept eingeführt, sondern es wird sich eher auf die Entscheidungsfreiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung im Allgemeinen bezogen (so beim aid, BMVEL, BUND (genstr, InfB), Monsanto). Bei Monsanto liegt diese Entscheidungsfähigkeit bei Landwirten und Verbrauchern in einer Kosten-Nutzen-Abschätzung, die rational nur durch abgesicherte Informationen erfolgen kann. Mangelnde Informationen, wie sie meist in Bezug auf die Agrar-Gentechnik anzutreffen seien, führten zu irrationalen Entscheidungen. Beim BUND (InfB) hingegen wird Wahlfreiheit als Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Alternativen konzeptualisiert, die erst durch eine Bereitstellung der entsprechenden Ressourcen verwirklicht werden kann, wie zum Beispiel durch die Bereitstellung gentechnikfreier Futtermittel. Eine andere Konzeption der Wahlfreiheit besteht darin, diese als die Fähigkeit zu konzeptualisieren, sich selbst seine eigenen Ziele zu setzen. So besteht für den aid Wahlfreiheit eher in der Sicherstellung bzw. Herstellung der bäuerlichen Unabhängigkeit. Für das BMVEL soll Wahlfreiheit nicht nur aus Gründen des Verbraucherschutzes hergestellt werden, sondern sie soll vor allem die Verwirklichung unterschiedlicher Lebensstile zu gewährleisten. Wahlfreiheit wird als Selbstbestimmung der Verbraucher gedacht, sie ist eine ethische Größe.12 Demnach wird Wahlfreiheit zum einen als Wahl zwischen unterschiedlichen, vorgegebenen Möglichkeiten begriffen – hier der Wahl zwischen gentechnisch veränderten oder nicht gentechnisch veränderten Produkten. Dabei kann unterschieden werden zwischen der Absicherung dieser Wahlmöglichkeiten durch die Etablierung von Schwellenwerten und der Sicherstellung auch »wirklich gentechnikfreier« Ware. Zum anderen wird Wahlfreiheit als Entscheidungsfreiheit konzeptualisiert, als Fähigkeit zur Selbstbestimmung, die auch erst hergestellt werden muss, wie zum Beispiel durch die Bereitstellung der entsprechenden Ressourcen und der geeigneten rechtlichen Rahmenbedingungen. Damit wird das, was eine Entscheidung ausmacht unterschiedlich konzeptualisiert. Dies zeigen auch – wie im Folgenden dargestellt – die Diskussionen zu

12 Keine Erwähnung findet das Konzept beim BMBF, BUKO, DLG, Greenpeace, Misereor, MPG, vzbv. 224

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

der Rolle, die Landwirte und Verbraucher für die Ausbreitung der AgrarGentechnik spielen.

6.1.5 Landwirte Die Landwirte tauchen – neben den Verbrauchern – als die wesentlichen Akteure auf, welche zur Durchsetzung der Agrar-Gentechnik beitragen bzw. die für das Ausmaß des GVO-Anbaus verantwortlich zu machen sind. Wie in Abschnitt 4.1 zur Konstruktion der Agrar-Gentechnik gezeigt, sind die Hektarzahlen wichtig für die Begründung der Argumente zur Wirklichkeit der Agrar-Gentechnik. Die Landwirte sind diejenigen Akteure, die sich für oder gegen den Anbau entscheiden, sie sind die Konsumenten des von den Agrochemieunternehmen angebotenen gentechnisch veränderten Saatgutes bzw. Abnehmer gentechnisch veränderter Futtermittel. Jedoch wird darauf verwiesen, dass sie – ebenso wie die Verbraucher – die Agrar-Gentechnik größtenteils ablehnten (BÖLW, BUND (InfB), EED, LR Bayern). Im Mittelpunkt steht damit zunächst die Frage, welche Faktoren die Entscheidung des Landwirtes für oder gegen die Agrar-Gentechnik beeinflussen könnte. Wie bereits bei der Risikoentität »Landwirte« erörtert (vgl. Abschnitt 5.1.3.5) gehen sowohl kritische als auch befürwortende Positionen von einer Entscheidungsformel aus, in der unterschiedliche Größen, wie die Kosten für Saatgut, Futtermittel und Dünger, die Höhe und Qualität der Ernteerträge und des Pestizidverbrauches, der Aufwand von Zeit und Energie sowie die Kosten für Koexistenzmaßnahmen und das Resistenzmanagement einfließen. Diese möglichen Komponenten der Entscheidungsformel werden von kritischen und befürwortenden Positionen beliebig aktiviert und in ihrer Größe bestimmt, so dass die präferierte Entscheidung als rational nahegelegt wird. Die Entscheidungsformel bezieht sich demnach auf die Zuschreibung von Aktivität an die Landwirte aus unterschiedlichen Perspektiven. In der Argumentation werden die einzelnen Größen nicht einfach nur benannt, sondern ihre Ausprägung auch argumentativ zu begründen versucht. Die Graphik in Abbildung 5 soll verdeutlichen, in welcher Weise kritische und befürwortende Positionen die Entscheidungsformel sehen und welche Einflussgrößen sie für besonders bedeutsam halten. Wie bereits ausgeführt, ignorieren kritische Positionen die Einsparung von Zeit und Energie, während befürwortende Positionen die Kosten für Koexistenzmaßnahmen und das Resistenzmanagement vernachlässigen. Übereinstimmung herrscht bezüglich der höheren Saatgutkosten, während in Bezug auf die Höhe des Pestizidverbrauches und die Ernteerträge die

225

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Meinungen auseinandergehen. Insbesondere um die Rolle der Pestizide entspinnt sich ein weitergehender Konflikt. Von Seiten kritischer Positionen wird eine Zunahme des Pestizidverbrauches durch eine Stärkung des Argumentes der Resistenzentwicklung begründet. Resistenzentwicklungen, die eine Erhöhung des Pestizideinsatzes erfordern würden, finden aber nicht nur bei herbizidresistenten Pflanzen, sondern ebenso bei Bt-Pflanzen statt. Hier hat die Resistenzentwicklung nichts mit der Auskreuzungsproblematik zu tun. Das Brückenargument der »Resistenz« bildet demnach ein eigenständiges argumentatives Cluster, das Auskreuzung und Pestizidverbrauch miteinander verbindet. Dass Auskreuzung zu einer Resistenzentwicklung führt, wird durch das Argument der Entstehung von sogenannten »Superunkräutern« begründet (aid, BUND (InfB, genstr), Misereor, BMVEL – hier aber als nicht gentechnik-spezifisches Problem). Ein daraus folgender Anstieg des Pestizidverbrauches hingegen wird nur beim BUND (InfB, genstr) und der vzbv erwähnt. Die Vernetzung der beiden Debattenfelder von Auskreuzung und Pestiziden über die Diskussion der Resistenzentwicklung wird demnach nicht in dem Maße vollzogen, wie es zunächst naheliegen würde. Abbildung 5: Kosten-Nutzen-Formel der Landwirte

Bei befürwortenden Positionen hingegen ist die Reduzierung des Pestizidverbrauches schon deswegen eine zentrale Größe, da hier ihr intendierter technischer Nutzen liegt: Wie bereits erwähnt ist der Großteil 226

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gentechnisch veränderter Kulturpflanzen mit einer Herbizid- bzw. Insektenresistenz versehen. Die Einsparung von Pestiziden führe gleichzeitig auch zu einer Einsparung von Zeit und Energie, da Schädlings- und Unkrautbekämpfungsmittel nicht mehr so häufig auf den Feldern ausgebracht werden müssen. Ebenso würde die Agrar-Gentechnik pfluglose Anbauverfahren ermöglichen, was zu einer Einsparung von Zeit und Energie führe. Als weitere, weniger kalkulierbare, Größe wird die Haftungsfrage angeführt, welche die Landwirte wegen möglicher finanzieller Risiken davon abhalte, sich für den Anbau von GVO zu entscheiden. In engem Zusammenhang damit wird die Regelung der Koexistenzproblematik als wesentliches Kriterium dafür benannt, ob sich Landwirte in Zukunft für einen Anbau entscheiden (LR Bayern, EED). Dass die Kosten für Koexistenzmaßnahmen nicht zu vernachlässigen seien, darüber sind sich insbesondere die Akteure aus der Agrarwirtschaft einig (Bioland, DBV, BÖLW, aber auch der EED und FiBL). Der aid erhebt die Forderung, dass die Kosten der Verursacher des Anbaus zu tragen habe. Damit steht mit der Erfordernis, bei Schadensfällen zu einem finanziellen Ausgleich zu gelangen, die Koexistenzproblematik mit der Diskussion der Haftungsfrage in Zusammenhang. Entschädigungszahlungen richten sich dabei nach dem Schwellenwert für unbeabsichtigte Verunreinigungen aus, auch wenn es einige Ausnahmeregelungen zum Beispiel für die ökologisch wirtschaftenden Betriebe geben soll (BUND (InfB)).13 Sowohl für befürwortende Positionen als auch für kritische Positionen wird der Landwirt zum passiv Ausführenden einer abstrakten Formel, insofern er aus ihrer Sichtweise rational entscheidet. In dieser Konzeption kann von Selbstbestimmung im eigentlichen Sinne nicht die Rede sein. Auch kritische Positionen stellen die Entscheidung des Landwirtes als irrational dar, wenn er sich für einen Anbau entscheiden (so insbesondere beim BUND und EED). Der vermeintliche Nutzen beruhe nur auf leeren Versprechungen der Agrochemieunternehmen, die ihre Produkte absetzen wollen. Somit wird die Entscheidung des Landwirtes so dargestellt, als würde er unabhängig von den sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen entscheiden, in die sein Handeln eingebettet ist. Einige Hinweise auf diese Rahmenbedingungen werden gegeben: Neben den Absatzmärkten, welche nicht nur durch die Akzeptanz bei den Verbrauchern, sondern auch durch globale ökonomische Verflechtungen vorstrukturiert sind, ist hier ebenso die GVO-Zulassung zu nennen. So wird als Grund für den marginalen Anbau in Europa die verschleppte Sortenzulassung bereits 13 Zu einer näheren Diskussion der Haftungsfrage vgl. Abschnitt 6.4.2. 227

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zugelassener GVO-Linien14 und das EU-Moratorium über Neuzulassungen15 angeführt (aid, BÖLW, BUND (InfB), Verbr.Ini.). Einige kritische Positionen weisen hingegen darauf hin, dass wenngleich der Anbau in Europa bislang sei, sich dies in Zukunft nach dem Fall des Moratoriums ändern könne (BÖLW, BUND (genstr), EED). Noch aber könne der Anbau in Europa durch einen Widerstand der Bevölkerung verhindert werden (BUND (InfB)). Auf die Entscheidung des Landwirtes über den Anbau von GVO hat weiterhin die Haltung der Verbraucher oder der Öffentlichkeit Einfluss. Diese wird im nächsten Abschnitt näher betrachtet.

6.1.6 Verbraucher Den Verbrauchern wird eine große Aktivität hinsichtlich der Durchsetzung der Agrar-Gentechnik zugesprochen. So wird die Durchsetzung der Agrar-Gentechnik in Abhängigkeit zum zukünftigen Verhalten der Verbraucher gesetzt (Bioland, BÖLW, BUND (genstr), EED, Greenpeace, LR Bayern). Eine Technikentwicklung zum »Wohle von Mensch und Umwelt« (MPG (BroGen): 27) sei, so die befürwortenden Positionen, nur durch eine Verbraucherakzeptanz möglich (BLL, MPG (BroGen)). Für die kritischen Positionen hingegen ist die ablehnende Verbraucherhaltung einer der wichtigsten Verbündeten hinsichtlich ihrer gentechnikkritischen Haltung (so bei Bioland, BÖLW, BUND, EED, Greenpeace, vzbz). Dass die Mehrheit der Verbraucher zur Zeit Gentechnik in Lebensmittel und Landwirtschaft ablehnt, ist allgemein anerkannt (Bioland, BMVEL, BÖLW, BUND (InfB), BUKO (biopir), Greenpeace, EED, 14 Es besteht ein Unterschied zwischen der Zulassung von GVO-Linien nach der EU-Freisetzungsrichtlinie und der Sortenzulassung, die vom Bundessortenamt erfolgt. In Deutschland war bis 2005 noch keine von der EU für den Anbau zugelassenen Sorte in das nationale Sortenregister eingetragen gewesen, die auch für den Anbau in Deutschland geeignet gewesen wäre. Der kommerzielle Anbau bis 2005 erfolgte auf Grundlage einer Sondergenehmigung durch das Bundessortenamt. 15 Die EU-Agrarminister einigten sich 1998 darauf, keine neuen GVO zuzulassen. Dieses de-facto-Moratorium wurde 2004 mit der erneuten Zulassung einer GVO-Linie, der Zulassung von Bt-Mais (Bt11) der Schweizer Firma Syngenta, aufgehoben. Grund für das Moratorium war die als ungenügend angesehene Rechtsbasis für die Regulierung der Agrar-Gentechnik, die mit dem Inkrafttreten der Nahrungs- und Futtermittelverordnung (EU-Verordnung Nr. 1829/ 2003) und der Verordnung zur Rückverfolgbarkeit und zur Kennzeichnung (EU-Verordnung Nr. 1830/ 2003) geschaffen werden sollte. Der EED weist darauf hin, dass eigentlich das Moratorium weiter bestehen müsste, da nicht alle Regulierungsfragen, insbesondere die Haftungsfrage, entschieden worden seien. 228

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vzbv). Jedoch glauben befürwortende Positionen eine Trendwende in der Technikakzeptanz und ein größeres Vertrauen in die Agrar-Gentechnik erkennen zu können (DBV, BLL, LR Bayern). Als ein Grund für die Verschlechterung der Verbraucherstimmung wird – neben anderen Lebensmittelkrisen – die BSE-Krise genannt. Skandale in Bereichen, die nicht in Zusammenhang mit der Gentechnik stünden, hätten auf die Akzeptanz der Agrar-Gentechnik Einfluss gehabt (BLL).16 Die Bedeutung der Verbraucher zeige sich vor allem darin, dass sich alle anderen Akteure, insbesondere die Lebensmittelunternehmen, auf die mangelnde Technikakzeptanz einstellen würden und ihre Produktion bereits so umgestellt hätten, dass nur nichtgekennzeichnete Ware in die Lebensmittelregale gelange (BLL, BÖLW, BUND (InfB), EED, Greenpeace, Monsanto, vzbz). Aber schon vor Beginn der allgemeinen Kennzeichnungspflicht, mussten bereits zugelassene Produkte – wie zum Beispiel die »Anti-Matsch-Tomate«, eine Tomate mit verzögerter Reifung, aus der Tomatenpüree hergestellt wurde – wegen mangelnder Nachfrage wieder vom Markt genommen werden (BUND (InfB), Monsanto). Die mangelnde Technikakzeptanz habe aber auch Auswirkungen auf die Entscheidung der Landwirte. So werden die rückgehenden Anbauzahlen in den USA auf die mangelnde Technikakzeptanz in der europäischen Öffentlichkeit zurückgeführt (Monsanto). Infolge der enormen Bedeutung, welche der Verbrauchermacht zugeschrieben wird, werden – ähnlich wie bei den Landwirten – sowohl von kritischen als auch befürwortenden Positionen Faktoren diskutiert, wie die Verbraucherentscheidung für oder gegen die Gentechnik beeinflusst werden könnte (vgl. die Graphik in Abbildung 6). Zunächst wird dabei vermutet, dass die mangelnde Akzeptanz unter den Verbrauchern auf den mangelnden Nutzen, der gentechnisch veränderte Lebensmittel für den Verbraucher bislang habe, zurückgeführt werden könne (BUKO (biopir), EED, LR Bayern, Monsanto, MPG (BroGen)). Damit besteht für befürwortende Positionen im Umkehrschluss die Hoffnung, die Technikakzeptanz durch die Entwicklung von GVO mit einem (höheren) Verbrauchernutzen –- wie zum Beispiel durch eine Verbesserung der ernährungsphysiologischen Eigenschaften –- steigern zu können (aid, BLL, LR Bayern, Monsanto). Ein Nutzen für die Verbraucher sei aber auch jetzt schon vorhanden, wie zum Beispiel durch die geringere Belastung durch Pilzgifte (mycotoxine) (aid, BLL). Indi16 In der Diskussion von BSE und Agrar-Gentechnik verbinden sich zwei Diskurse. So zogen auch die Befragten der Studie Uncertain World Parallelen zur BSE-Krise und zu Chemie in Lebensmitteln. Vgl. Grove-White/Macnaghten/Mayer 1997: 6f. Die BSE-Krise gilt auch als eine Initialzündung für eine stärkere Gentechnikkritik. Vgl. Ehrke 2001. 229

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rekt sei ein größerer Verbrauchernutzen durch die größere Umweltfreundlichkeit von GVO gegeben (BLL). Zukünftig könnten sich Verbraucher ebenso für gentechnisch veränderte Lebensmittel entscheiden, da sie billiger wären als herkömmliche Produkte (BLL, BMVEL). Marginaler erfolgt der Hinweis in den Positionspapieren, dass die mangelnde Verbraucherakzeptanz auf mangelnde Partizipationschancen zurückzuführen sei. So sieht das BMBF die mangelnde Technikakzeptanz nicht durch eine allgemeine Technikfeindlichkeit begründet, sondern durch den Wunsch in der Bevölkerung, stärker in den Technikentwicklungsprozess einbezogen zu werden.17 Abbildung 6: Kosten-Nutzen-Formel der Verbraucher

Auch hier wird die Entscheidung als rationale Kosten-Nutzen-Kalkulation aufgeführt. Jedoch erscheinen die Verbraucher weit mehr noch als die Landwirte durch irrationale Ängste, Falschinformationen und romantisierenden Vorstellungen von der Lebensmittelproduktion und der Land17 Damit wird von den untersuchten Positionen auf alle relevanten Faktoren hingewiesen – wie Partizipation und den mit einer Technik verbundenen Nutzen –, die ebenfalls in Studien zu Risikowahrnehmung bedeutsam erschienen. Vgl. Abschnitt 2.1.1. Weiterhin hatten die Befragten in der Studie Uncertain World Skepsis gegenüber der eigenen Kaufentscheidung geäußert, sollten gentechnisch veränderte Lebensmittel billiger sein als konventionelle. Trotz Ablehnung von GVO könnten sie sich für sie entscheiden, da billige Produkte bevorzugt gekauft werden würden. Vgl. GroveWhite/Macnaghten/Mayer 1997: 12. 230

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wirtschaft geplagt, so dass die rationale Abwägung bei ihren Kaufentscheidungen verwirrt werden könnte. Von dem hohen Technisierungsgrad der Lebensmittelherstellung und der Landwirtschaft, hätte die Allgemeinheit meist keine Ahnung (BLL). Die Irrationalität in der allgemeinen Öffentlichkeit und damit auch bei den Verbrauchern soll vor allem durch Informationskampagnen abgebaut werden. Befürwortende Positionen versprechen sich dadurch vor allem eine Steigerung der Technikakzeptanz (BLL, BMVEL, DBV, LR Bayern, Monsanto, MPG (BroGen)). Neben einer Aufklärung über den Gegenstand müsse auch auf die Bedeutung von Enzymen und Zusatzstoffen in der Lebensmittelherstellung verwiesen werden (BMBF). Darüber hinaus müssten der Öffentlichkeit auch ökonomische Argumente, zum Beispiel bezüglich der Risiken einer Nichtanwendung der Gentechnik im Bereich Landwirtschaft und Lebensmitteln, zugänglich gemacht werden (BLL). Dieses Bild vom falsch informierten Verbraucher ist aber nicht nur bei befürwortenden Positionen, sondern auch bei kritischen Positionen aufzufinden. So argumentiert der BUND (InfB, genstr), dass die Entscheidung der Verbraucher für die Gentechnik nur infolge einer Irreführung durch die leeren Versprechungen der Gentechnik-Protagonisten erfolgen könne. Auch kritische Positionen mobilisieren Informationskampagnen und vor allem auch öffentliche Proteste, um ihre Botschaft und Wirklichkeitsdefinition einer allgemeinen Öffentlichkeit zu vermitteln und damit die Verbraucherentscheidung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Auch wenn die Verbraucherhaltung durch befürwortende Positionen als irrational gekennzeichnet wird, soll sie dennoch ernst genommen werden (BLL, BMBF, BMVEL, DBV, LR Bayern), da so auch die Technikakzeptanz gesteigert werden könne. Ein Mittel, um die Ängste und Befürchtungen ernst zu nehmen, besteht in der Sicherstellung der Wahlfreiheit durch die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel (LR Bayern). Durch eine transparente Verbraucherinformation soll den unterschiedlichen Werthaltungen bei den Verbrauchern Rechnung getragen werden, auch aus dem Grund, dass mit unterschiedlichen Lebensstilen unterschiedlichen Ernährungsweisen – wie zum Beispiel Vegetarismus – verbunden seien (BMVEL, FiBL).18 18 Bei einigen befürwortenden Positionen scheint das Ernstnehmen der Befürchtungen in der Öffentlichkeit durch eine transparente Kennzeichnung nicht ganz ernst gemeint zu sein. So wird auf die Möglichkeit einer vollständigen Kennzeichnung verwiesen. Vgl. die Position des BLL: »Warum um alles in der Welt tun sich eigentlich nicht die fünf, sechs Puddinghersteller zusammen und sagen sich: Ja, bei uns ist Gen-Soja drin, und wir kennzeichnen es; denn dann sind alle Puddingpulver gekennzeichnet. Und dann gibt es auch keinen Boykott, es sei denn, man isst kein Puddingpul231

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In dieser Sichtweise wird der Verbraucher nicht stellvertretend für die öffentliche Meinung, sondern als mündiger Verbraucher konzeptualisiert. Mündig wird der Verbraucher durch ausreichende Information, die nicht nur das Wissen über die Chancen und Risiken der Agrar-Gentechnik allgemein umfasst, sondern auch Informationen über die zum Kauf angebotenen Produkte durch das Kennzeichnungssystem.19 Insbesondere für kritische Positionen ist die Kennzeichnung bedeutsam, da nur durch sie Verbraucherboykotte organisiert werden können. Es geht damit eher um eine politische Kaufentscheidung, als um eine individuell vollzogene Kosten-Nutzen-Kalkulation. Damit sind zwei unterschiedliche Konzeptualisierungen der Verbraucher auszumachen. Auf der einen Seite wird der Verbraucher mit der Öffentlichkeit gleichgesetzt. Auf der anderen Seite tritt er als individualisierter, mündiger Verbraucher auf. Während der Verbraucher als mit rationaler Entscheidungsmacht ausgestattet begriffen wird, wird die Öffentlichkeit bzw. Bevölkerung durch irrationale Ängste gekennzeichnet. Wie bei den Landwirten, gibt es auch bei den Verbrauchern Hinweise darauf, dass die als Idealvorstellung eingebrachte rationale Verbrauchermacht in einen weiteren sozio-ökonomischen Kontext eingebunden ist, der diese wieder einschränkt. So gibt es in der derzeitigen Regelung eine Kennzeichnungslücke, da Futtermittel und tierische Produkte nicht gekennzeichnet werden müssen (vgl. Fußnote 52 in diesem Kapitel). Ein Großteil der gentechnisch veränderten Ernte wird aber als Futtermittel gebraucht, womit der Verbraucher durch seine Kaufentscheidung keineswegs Einfluss auf den GVO-Anbau gewinnt. Deswegen wird von kritischen Positionen die Forderung nach einer Kennzeichnung auch tierischer Produkte gestellt (Greenpeace, vzbv). Solange sie politisch noch nicht durchgesetzt sei, könne dies durch eine freiwillige Kennzeichnung ver mehr.« BLL: 83. Ähnlich wurde dies bei der Kennzeichnung von Futtermitteln in die Tat umgesetzt. »Der US-Konzern Bunge ist der größte Anbieter von Soja-Mehl in Europa und der weltweit größte Verarbeiter von Ölsaaten. Seine Ölmühle in Mannheim hat er ganz auf die Produktion von gentechnikfreiem Sojaöl umgestellt. Das Nebenprodukt Sojaschrot wird dennoch zu drei Viertel als gentechnisch verändert gekennzeichnet. Das bestätigte ein Konzernsprecher am 12.7.2004. Der Grund: Die Nachfrage nach gentechnikfreier Ware sei zu gering. Ansonsten sei es nicht verboten, Gentechnik auf die Verpackung zu schreiben, auch wenn keine Gentechnik drin ist. Hinter dieser bewussten und vorsätzlichen Falschdeklaration steht ein Machtkampf in der Futtermittelbranche. Offenbar gibt es Absprachen, einen Markt für gentechnikfreie Futtermittel gar nicht erst entstehen zu lassen. Die Verlierer dieser Markteinführungsstrategie wären die Bauern: Sie würden gezwungen, die gentechnikfreie Fütterung ihrer Tiere aufzugeben.« BUND (InfB): 32. 19 Die Konzeption eines mündigen Verbrauchers findet sich beim BMVEL, FiBL, Greenpeace, LR Bayern, vzbv. 232

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übernommen werden (Bioland, Greenpeace, BUND (InfB)).20 Eine andere Einschränkung der Verbrauchermacht erfährt nach Aussagen des BUND (genstr) die Wahlfreiheit durch die anhaltenden Konzentrationsprozesse unter den Agrochemieunternehmen und den Unternehmen der Lebensmittelbranche.21

6.1.7 Gentechnikdebatte Wie die vorangegangenen Diskussionen zeigten, kann sowohl aus der Sichtweise befürwortender als auch kritischer Positionen die Entscheidungsmacht von Landwirten und Verbrauchern durch Falschinformationen verwirrt werden. Diese Falschinformationen werden meist in den Argumenten der Gegenseite verortet, so wie sie in öffentlich geführten Auseinandersetzungen geäußert werden. Damit wird der Gentechnikdebatte selbst Aktivität zugesprochen.22 So kann es der Gentechnikdebatte gelingen, Politik und Wirtschaft zu beeinträchtigen (so beim DIB), indem sie zum Beispiel eine restriktivere Regulierung verursache (Monsanto, BLL) und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft beeinträchtige (DLG). Weiterhin behindere die Gentechnikdebatte eine stärker auf die Bedürfnisse der Entwicklungsländer ausgerichtete Technikentwicklung (LR Bayern, BLL). Sie vermag es ebenso, die Entwicklungsländer zu verunsichern und sie dazu zu bringen, Nahrungsmittelhilfen, die GVO enthalten könnten, abzulehnen (LR Bayern). Befürwortende Positionen schreiben der Gentechnikdebatte vor allem negative Auswirkungen auf die Technikakzeptanz bei den Verbrau20 Vgl. zu einer weitergehenden Interpretation Abschnitt 6.4.4. 21 Die zunehmende Konzeptualisierung des Bürgers als Verbraucher wird in der sozialwissenschaftlichen Literatur kritisch betrachtet. Er werde nicht mehr als politisches, sondern als Wirtschaftssubjekt aufgefasst. Damit würden zwar weitere Dimensionen in die rationale Entscheidung einbezogen, aber die Bürger nicht mehr als Teil eines politischen Prozesses begriffen. Nur über den Umweg der Kaufentscheidung und nicht direkt durch Beteiligungsverfahren könnten sie partizipieren. Vgl. Dolata 1996: 196ff.; Grove-White/Macnaghten/Wynne 2000: 32f. Ebenso ist die Frage, ob Verbraucher mit ihrer Entscheidung Einfluss ausüben können, umstritten. Gill (2003b) verweist auf den Erfolg von Verbraucherboykotten (vgl. Gill 2003b: 380ff.), hingegen betonen Klintmann (2002) und Ehrke (2001), dass gerade durch die Kennzeichnung die Mündigkeit der Verbraucher beschnitten und ihre Wahlfreiheit nur in bestimmte Bahnen gelenkt werde. Vgl. Klintmann 2002: 84f.; Ehrke 2001. 22 Dabei besteht ein Unterschied, ob die Falschinformationen der jeweils anderen Diskurspartei nur auf unterschiedliche Werthaltungen zurückgeführt werden, durch welche objektive Informationen subjektiv verzerrt darstellt würden, oder auf bewusst gegebene Falschinformationen. 233

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chern und in der allgemeinen Öffentlichkeit zu. Bei einigen kritischen Positionen wird der Zusammenhang zwischen Gentechnikdebatte und Verbraucher bzw. Öffentlichkeit entkoppelt, indem sie die Debatte als Ausdruck des Widerstandes sozialer Akteure gegen eine nicht gewollte Technikentwicklung begreifen (so beim BUND (InfB), Greenpeace, BUKO (biopir)).23 So wachse der Widerstand gegen den GVO-Anbau in Europa (Greenpeace). Auch in den USA würden Gentechnikkritiker an Rückenwind gewinnen und könnten bereits Erfolge hinsichtlich einer restriktiveren Regulierung verzeichnen (BUND (InfB)). Ebenso sei es schon mehrfach vorgekommen, dass Produkte wegen öffentlicher Proteste zurückgenommen, Technikentwicklungsprojekte eingestellt und Firmen ihre Engagement in bestimmten Regionen aufgeben mussten (zu diesen Beispielen vgl. BUND (InfB), Monsanto). Damit ist die Gentechnikdebatte nicht nur auf die Verbraucherakzeptanz allein zurückzuführen, sondern ebenso auf den Protest sozialer Akteure. Neben einer Gleichsetzung der Gentechnikdebatte mit der als irrational gekennzeichneten Verbraucherhaltung wird von einigen Positionen die Gentechnikdebatte auch allgemein von der Verbraucherakzeptanz getrennt und auf spezifische soziale Akteure zurückgeführt (so bei aid, BLL, BMVEL, BUKO (biopir), BUND (InfB), EED, Monsanto). Während aus der einen Perspektive die mangelnde Verbraucherakzeptanz bzw. die Sichtweise auf die Gentechnik in der Öffentlichkeit durch irrationale Ängste und Befürchtungen gekennzeichnet ist, sind aus dieser Perspektive die sozialen Akteure, welche die Gentechnikdebatte tragen, strategische Akteure, die gezielt versuchen, die Öffentlichkeit zu beeinflussen.

6.1.8 Zusammenfassung In der materiellen Beschaffenheit der Agrar-Gentechnik liegt auch ihre besondere Fähigkeit, sich unkontrolliert in der Umwelt zu verbreiten. Sowohl ihr hybrider Status als technisches Objekt und lebender Organismus als auch als landwirtschaftliches Betriebsmittel und Grundrohstoff der Lebensmittel- und Industrieproduktion, führen zu den Schwierigkeiten, die Agrar-Gentechnik als ein Objekt distinkt von anderen Objekten zu halten. Jedoch erst durch die Forderung, zwischen Agrar-Gentechnik und Gentechnikfreiheit zu unterscheiden, entstehen Kontrollschwierigkeiten bezüglich einer Trennung der Warenströme. Diese werden sowohl technisch – durch Koexistenzmaßnahmen oder durch die Gentechnik selbst – als auch rechtlich – durch die Etablierung von Schwellenwerten 23 Greenpeace bezieht sich nur auf den Widerstand und besitzt keine Außenbetrachtung der Gentechnikdebatte selbst. 234

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– durchzusetzen versucht. Verlangt wird demnach von befürwortenden Positionen eine kontrollierte Ausbreitung. Die Forderung nach einer Trennung der Warenströme bezieht sich aber auch darauf, für Verbraucher und Landwirte eine Entscheidungsalternative zu etablieren: die Entscheidung für oder gegen die Agrar-Gentechnik. Dabei wird die Entscheidungsgewalt der Verbraucher und Landwirte zunächst als eine rationale Wahl dargestellt, die auf einer Kosten-Nutzen-Kalkulation aufbaut, die jeder für sich allein vollziehen muss. Die Rationalität der Entscheidung ist dabei schon festgelegt, indem die Größen in der Entscheidungsformel vorgegeben werden. Sie stellt sich bei befürwortenden und kritischen Positionen nur anders dar. Der Landwirt und der Verbraucher erscheinen damit nur als passiv Ausführende einer vorherbestimmten Rationalität. Die Freiheit der individuellen Entscheidung ist damit ein Konstrukt mit vorgegebenen Ergebnis. Die Einschränkungen dieser Entscheidungsmacht werden gleichzeitig mitgegeben wie ökonomische Zwänge, rechtliche Gegebenheiten und Falschinformationen. Dabei erscheinen in den Darstellungen sowohl befürwortender als auch kritischer Positionen die Verbraucher und die allgemeine Öffentlichkeit weit mehr anfällig gegenüber der »Propaganda« der jeweiligen Gegenposition als die Landwirte, die eher als rational handelnde Wirtschaftsakteure dargestellt werden. Dies ist auch daran erkennbar, dass der Nutzen für die Verbraucher weiter gefasst wird als der Vorteil für die Landwirte. Verbrauchern wird unterstellt, nicht nur für ihren Haushalt das ökonomisch günstigste Produkt zu wählen, sondern gleichzeitig auf die ökologischen, politischen und sozialen Konsequenzen ihrer Kaufentscheidung zu achten.24 Demgegenüber klingt eine andere Form der Entscheidungsfreiheit an, die sich nicht allein nur auf eine vorgegebene Alternative bezieht. Entscheidungsfreiheit hieße dann, selbst die Alternativen und die Komponenten der Nutzen-Kosten-Kalkulation bestimmen zu können. Auch darauf gibt es Hinweise bei den analysierten Positionen, beispielsweise wenn auf die Selbstbestimmung eines mündigen Verbrauchers verwiesen wird, oder auf die Gentechnikdebatte als eine Form sozialen Protestes. Entscheidungsfreiheit als Selbstbestimmung vollzieht sich in einem kulturellen und sozialen Kontext, in dem gesellschaftliche Praktiken bereits existieren, und bei denen die Entscheidungspräferenzen nicht von außen vorgegeben werden können. Jedoch findet Technikentwicklung und Technikinnovation jenseits dieser regionalen Praktiken statt und stellt 24 Auch in der Literatur zur Risikowahrnehmung wird sich vielmehr auf die Entscheidung der Verbraucher, denn auf die Entscheidung der Landwirte bezogen. Vgl. die Diskussion zu Studien zur Risikowahrnehmung in Abschnitt 2.1. 235

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sich den Akteuren als ein Phänomen, mit dem sie unabhängig von ihrer individuelle Entscheidungsmacht umzugehen haben. Bei den Verbrauchern wird Selbstbestimmung über das Wissen darüber hergestellt, wie die Lebensmittel, die er konsumiert, produziert werden. Dieses darf nicht nur allein durch Verbraucherinformationen über das Produkt vermittelt, sondern nur durch Aufklärungsarbeit den Verbrauchern näher gebracht werden könne. Die Studien Uncertain World und Wising Up haben bereits darauf verwiesen, dass die Kennzeichnung ein Problem in sich birgt: Auch bei der Verbraucherinformation wird von Experten gewählt, welche Informationen weitergeleitet werden und welche nicht (vgl. Grove-White/Macnaghten/Mayer 1997: 30f.; Grove-White/Macnaghten/Wynne 2000: 14ff.). Verbraucher verlangten aber nach weitergehendem Kontextwissen. Doch dieses Wissen wird durch die Diskursparteien ebenso kontrolliert. Was bei diesen Studien nicht beachtet wird, ist der Umstand, dass mit Informationen und Wissen eigenverantwortlich umgegangen werden kann. Die Kennzeichnung ist für kritische Positionen gerade auch deswegen wichtig, da hier zu einer bereits existierenden Einstellung Zusatzinformationen gegeben werden, mit denen eigenverantwortlich verfahren werden kann. Die Einbettung des Landwirtes in seine Lebenswelt zeigt sich in der von ihm präferierten landwirtschaftlichen Produktionsweise, deren Unterschiedlichkeit im Folgenden betrachtet werden soll.

6 . 2 Au s w i r k un g e n a u f d i e ( l a n d w i r t sc h a f t l i c he ) P r a x i s Die Entscheidung des Landwirtes ist eingebettet in unterschiedliche landwirtschaftliche Produktionsformen. Der Hinweis kritischer Positionen, dass sowohl die kleinbäuerliche als auch die gentechnikfreie Produktionsweise durch die Agrar-Gentechnik bedroht seien, verdeutlicht, dass die Entscheidung des Landwirtes nicht nur von einer einfachen Kosten-Nutzen-Kalkulation abhängig ist, sondern diese Entscheidung in den Kontext der Konkurrenz unterschiedlicher landwirtschaftlicher Systeme eingebettet ist. Entscheidungsfreiheit als Selbstbestimmung bedeutet, die Art und Weise zu bestimmen, in welcher Form Landwirtschaft betrieben und welcher Mittel sich dabei bedient wird. Im Folgenden geht es also vor allem um die Objektkonstitution »Landwirtschaft« in ihrer für die Agrar-Gentechnik bedeutsamen Vielfalt. Aktivität liegt dann nicht in einer einzelnen Entscheidung, sondern in der Ausrichtung der (landwirtschaftlichen) Praktiken.

236

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Die Thematisierung unterschiedlicher landwirtschaftlicher Praktiken folgt hauptsächlich zwei Diskussionslinien. Zum einen ist entscheidend, welche Auswirkungen die Agrar-Gentechnik auf landwirtschaftliche Bereiche hat, deren Akteure sich bereits gegen ihre Anwendung entschieden haben. So zeigte schon die Diskussion zu den Vor- und Nachteilen der Agrar-Gentechnik für die Landwirte (vgl. Abschnitt 5.1.3.5), dass insbesondere befürwortende Positionen die Auswirkungen auf diejenigen Landwirte, die bereits sich gegen den Anbau bereits entschieden haben und gentechnikfrei wirtschaften wollen – wie dies insbesondere bei der ökologischen Landwirtschaft der Fall ist –, kaum oder gar nicht thematisieren. Zum anderen wird insbesondere bei der Unterscheidung zwischen industrialisierter und kleinbäuerlicher Landwirtschaft – wie sie insbesondere in Bezug auf das Verhältnis von Industrie- und Entwicklungsländern diskutiert wird – deutlich, dass landwirtschaftliche Praktiken in soziale Beziehungsgefüge eingebettet sind, die durch eine Einführung der Agrar-Gentechnik eine Umgestaltung erfahren würden und sich damit ihre Auswirkungen nicht nur allein auf die (positive oder negativ bestimmte) wirtschaftliche Profitabilität beziehen.

6.2.1 Agrar-Gentechnik und gentechnikfreie Landwirtschaft Die gentechnikfreie Landwirtschaft wird von befürwortenden Positionen kaum thematisiert (vgl. die Abschnitte 5.1.3.1 und 5.1.3.5). Demgegenüber wird vor allem von kritischen Positionen auf den wirtschaftlichen Schaden hingewiesen, der Landwirten entsteht, die sich bereits gegen den Anbau von GVO entschieden haben (aid, Bioland, BÖLW, BUKO, BUND (InfB), EED, Greenpeace). In der Diskussion steht hier insbesondere die ökologische Landwirtschaft. Zunächst wird darauf verwiesen, dass die ökologische Landwirtschaft bzw. die ökologische Lebensmittelproduktion und die Anwendung der Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmitteln sich gegenseitig ausschließen (BUND (genstr), vzbv). Dies wird zum einen durch die unterschiedlichen Weltanschauungen hinter den beiden landwirtschaftlichen Praktiken begründet: »Was haben Ökolandbau und Gentechnik miteinander zu tun? Nichts, befindet die Internationale Vereinigung der Ökolandbau-Bewegung (IFOAM): ›Bei Ökolandbau und Gentechnik handelt es sich um zwei diametral entgegengesetzte Weltanschauungen, zwei verschiedene Philosophien, die zwei entscheidenden Optionen für die Zukunft‹.« (BUND (genstr): 14) 237

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Die Ablehnung der Agrar-Gentechnik aus ökologischer Perspektive ist zum anderen auch rechtlich festgeschrieben, nicht nur in den eigenen Richtlinien, sondern auch in nationalen und internationalen Gesetzeswerken.25 Ebenso ist die Anwendung gentechnischer Methoden in der EU-Ökoverordnung nicht erlaubt (BUND (genstr), EED). »Damit wird klar, dass der Nichteinsatz der Gentechnik dem weltweiten Selbstverständnis der Bio-Bauern und den Erwartungen der nationalen Gesetzgeber an die ökologische Landwirtschaft entspricht.« (FiBL: 18)

Ganz anders interpretiert die LR Bayern die EU-Ökoverordnung. Verboten sei nur der direkte Einsatz der Gentechnik, nicht aber zufällige Verunreinigungen. Die Forderung ökologischer Anbauverbände nach absoluter Gentechnikfreiheit sei insbesondere wegen der Auskreuzungsproblematik unrealistisch. Die Position der ökologischen Anbauverbände nach einer »absoluten Freiheit« (LR Bayern: 21) ökologisch erzeugter Produkte von GVO ist für befürwortende Positionen unverständlich. So besteht für den DBV grundsätzlich kein Gegensatz zwischen der ökologischen Landwirtschaft und der Agrar-Gentechnik. Die Agrar-Gentechnik könnte auch in der ökologischen Lebensmittel- und Landwirtschaft zur Anwendung kommen, um eine umweltschonendere Produktionsweise sicherzustellen, die ja das Ziel der ökologischen Landwirtschaft sei. »Völlig falsch wäre es, die einzelnen Anbauverfahren gegeneinander auszuspielen. Stattdessen sollte nach Ergänzungspotenzialen gesucht werden. So wäre beispielsweise der Einsatz von ökologisch bedenklichen Kupferspritzmitteln zur Bekämpfung der Kraut- und Knollenfäule im biologisch orientierten Kartoffelanbau verzichtbar, wenn auf Kartoffelsorten zurückgegriffen würde, die infolge gentechnischer Veränderung gegen diese Pilzkrankheit resistent sind.« (DBV: 9)

Allgemein hätten alle landwirtschaftlichen Produktionsweisen ein gemeinsames Ziel, das es zu verfolgen gebe: eine ressourcen- und umweltschonende Produktionsweise (aid, BLL, DBV). Bei diesen Positionen wird demnach versucht, unter der Definition eines gemeinsamen Zieles, die landwirtschaftlichen Praktiken zu subsumieren, zu vereinheitlichen und zu disziplinieren.

25 Wie zum Beispiel im Codex Alimentarius, einem Gremium der Food and Agriculture Organisation (FAO) und der World Health Organisation (WHO) der Vereinten Nationen, die für alle Teilnehmerstaaten gültige Lebensmittelstandards erarbeitet, die als Grundlage für die nationale Gesetzgebung dienen. Vgl. auch FiBL: 18. 238

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Ebenso wird durch befürwortende Positionen in Zweifel gezogen, dass ökologisch produzierte Lebensmittel in Bezug auf Gesundheit, Umwelt und Effektivität tatsächlich besser seien als gentechnisch veränderte Lebensmittel (DIB, BLL). Studien hätten sogar erwiesen, dass die Pilzbelastung bei Öko-Lebensmitteln höher liege als bei herkömmlichen Lebensmittel. Die Öffentlichkeit habe noch immer viel zu romantische Vorstellungen von der Lebensmittelherstellung und übertrage diese Vorstellungen auf die ökologische Landwirtschaft (BLL). »Bei uns, ich glaube in Deutschland ganz besonders, leidet man immer noch unter den Nachwirkungen romantischer Vorstellungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, was ja nun erheblich weiter fortgesetzt wurde in dem ganzen Bereich der Ökolandwirtschaft, wo eher an die Nostalgie anstelle von Wissenschaft geglaubt wird als an eine rationale Herangehensweise.« (BLL: 91.)

Darum stellt auch der BLL die (negativ bewertete) ökologische Landwirtschaft der industrialisierten Landwirtschaft gegenüber. Der Vorteil der ökologischen Landwirtschaft wird hingegen von der vzbv und dem BMVEL darauf zurückgeführt, dass hier weniger Pestizide gebraucht werden. Insbesondere die vzbv vergleicht Gentechnik in Lebensmitteln mit »Gift«.26 Ökologische Lebensmittel seien gesünder, da natürlicher. Hinsichtlich der Gesundheitsrisiken stehen sich demnach Pilzbelastung und Pestizidbelastung gegenüber. Aus kritischer Perspektive entstehen bei Verunreinigungen ökonomische Risiken für die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft, und zwar sowohl wegen des gesetzlich festgeschriebenen Verzichtes auf Gentechnik als auch wegen der Erwartung der Verbraucher nach Gentechnikfreiheit bei ökologischen Produkten. So liefen Öko-Landwirte bei Verunreinigungen Gefahr, ihre Öko-Zertifizierung zu verlieren (aid, Bioland, BUND (genstr, InfB)). Des Weiteren würden über die rechtliche Regulierung hinaus Absatzschwierigkeiten für Öko-Produkte entstehen, wenn sie, entsprechend der Kennzeichnungsvorschrift ab einer zufälligen Verunreinigung von 0,9 %, als »gentechnisch verändert« gekennzeichnet werden müssen (Bioland, EED, FiBL). Verbraucher würden von Öko-Produkten erwarten, dass sie gentechnikfrei sind. »Nach derzeitiger Einschätzung bleiben sie [die Bioprodukte, B.P] Bioprodukte, auch wenn sich in ihnen gentechnische Veränderungen als Folge des Eintrags der fremden Pollen zeigen. Diese Veränderungen sind aber mit Überschreiten der 0,9-Prozent-Grenze kennzeichnungspflichtig. Ein Bioprodukt mit 26 So schreibt die vzbv auf ihrer Internetpräsentation: »Der Einsatz der Gentechnik ist die Festschreibung einer überkommenen Strategie: der Einsatz von ›Gift‹ bei der Erzeugung von Lebensmitteln.« 239

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

einem Gentechnikhinweis findet mit großer Wahrscheinlichkeit keinen Biokäufer.« (Bioland: 8)

Trotz dieser präsenten Auseinandersetzung zwischen ökologischer Landwirtschaft und Agrar-Gentechnik wird von der Mehrzahl kritischer Positionen versucht, den Unterschied zwischen konventioneller und ökologischer Landwirtschaft in der gemeinsamen Kennzeichnung als gentechnikfreie Landwirtschaft, die der Agrar-Gentechnik entgegengesetzt wird, aufzulösen (BUND, EED, Greenpeace, BÖLW, Bioland). Damit wird darauf verwiesen, dass sich eben nicht nur ökologisch wirtschaftende Landwirte, sondern auch konventionell wirtschaftende Landwirte gegen die Agrar-Gentechnik entscheiden können und das nicht immer nur aus nutzenmaximierenden Gründen. Allgemein wird in Bezug auf die gentechnikfreie Landwirtschaft darauf aufmerksam gemacht, dass die Risiken des GVO-Anbaus vor allem die Landwirte zu tragen hätten, die sich gegen den Anbau entscheiden (Bioland). So würden nicht nur ökologisch wirtschaftenden Landwirten Absatzschwierigkeiten bei Verunreinigungen entstehen, sondern auch konventionellen, wenn sie ihren Abnehmern Gentechnikfreiheit vertraglich zugesichert haben (BÖLW, EED, Greenpeace) oder auch bereits dann, wenn der Landwirt gezwungen ist, seine Ware zu kennzeichnen (Verbr.Ini.). Eine weitere Problematik für die gentechnikfreie Landwirtschaft stellt die Sicherstellung gentechnikfreier Betriebsmittel – wie gentechnikfreies Saatgut und Futtermittel – dar. Insbesondere der BUND (InfB) beschäftigt sich mit der Verfügbarkeit gentechnikfreier Futtermittel. So würde der größte Teil des weltweiten GVO-Anbaus als Futtermittel verwendet (Greenpeace, LR Bayern). Die Nachfrage sei durch die BSEKrise gestiegen, als deren Folge die Verfütterung von Tiermehl verboten worden war. Die dadurch entstandene »Eiweißlücke« werde durch den Import von Soja gedeckt, das größtenteils gentechnisch verändert sei (LR Bayern, BUND (InfB)). Europa sei vom Soja-Import abhängig. Gentechnisch verändertes Soja würde konventionelles verdrängen, womit es für die Landwirte kaum noch Alternativen für gentechnikfreie Futtermittel gebe. Die Unternehmen aus der Futtermittelbranche würden entweder nicht genügend gentechnikfreie Futtermittel bereitstellen oder pauschal ihre gesamte Ware als gentechnisch verändert kennzeichnen, auch wenn diese keine GVO enthielten (vgl. Fußnote 18 in diesem Kapitel). Entgegen anderslautenden Behauptungen gebe es aber auf dem Markt noch gentechnikfreie Futtermittel. Mit dieser Diskussion ist ein Hinweis darauf gegeben, dass für die Entscheidung der Landwirte für oder gegen die Agrar-Gentechnik auch 240

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

Ressourcen bereit gestellt werden müssen, so dass sie ihre Entscheidung auch umsetzen können.

6.2.2 Industrialisierte und kleinbäuerliche Landwirtschaft Die Agrar-Gentechnik wird von einigen Positionen als Ausdruck der industrialisierten Landwirtschaft angesehen. Sie ist ein weiterer Schritt in der Technisierung der Landwirtschaft, die insbesondere für die Entwicklungsländer negative Auswirkungen habe, aber auch der bäuerlichen Landwirtschaft in den Industrieländern schade. Die Agrar-Gentechnik sei – so einige kritische Positionen – speziell auf die Problematiken der industrialisierten Landwirtschaft ausgerichtet (BUND (genstr, InfB), BMVEL) und bringe nur den großen Agrarbetrieben einen Vorteil (BUND (genstr, InfB), aid). Die kleinbäuerliche Landwirtschaft wird dabei vor allem in den Entwicklungsländern verortet. Die Entwicklungsländer werden nicht immer als solche tituliert. Insbesondere Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, wie der EED, BUKO und Misereor bezeichnen die Länder, die unter diesen Begriff fallen könnten, auch als »Länder des Südens«, um damit anzudeuten, dass die Entwicklung dieser Länder nicht unbedingt auf eine Industrialisierung nach westlichem Vorbild hinauslaufen muss. Die Industrieländer werden dabei in paralleler Weise als »Ländern des Nordens« bezeichnet (BUKO (biopir, biopoly), EED, Misereor). Entwicklungsländer werden aus der Sichtweise einiger Positionen mit der kleinbäuerlichen Landwirtschaft gleichgesetzt.27 Damit verbindet sich die Diskussion um die Entwicklungsländer mit der Diskussion um die kleinbäuerliche Bewirtschaftungsweise, wobei die Probleme von Kleinbauern stellvertretend für die Probleme von Landwirten im Allgemeinen stehen.28 Die Behauptung kritischer Positionen, dass die Agrar-Gentechnik die Abhängigkeit der Landwirte stärke, bezieht sich vor allem auf die Kleinbauern, die noch Nachbau betreiben. Dies wird insbesondere bei der BUKO (biopir, biopoly) deutlich.

27 Diese Gleichsetzung bzw. enge Verbindung zwischen den Entwicklungsländern und der kleinbäuerlichen Landwirtschaft ist bei der BUKO (biopir, biopoly), dem DBV, der LR Bayern, dem BUND (InfB) und der MPG (LanzGen) aufzufinden. 28 Eine Gleichsetzung von Kleinbauern mit Landwirten ist bei der BUKO (biopoly, biopir), Bioland, dem EED, der MPG (LanzGen) festzustellen. Hingegen wird beim aid, BLL und BUND (InfB) explizit zwischen Kleinbauern und Agrarbetrieben bzw. Landwirten der industrialisierten Landwirtschaft getrennt. 241

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

»Seit Beginn der Landwirtschaft legen BäuerInnen Jahr für Jahr aus den Ernteerträgen einen Saatgutvorrat für das nächste Jahr an. Sie wählen die besten Ähren oder Kartoffeln aus, tauschen untereinander und entwickeln für die jeweiligen Standorte die dort am besten wachsenden Pflanzen. Eine immense Vielfalt an landwirtschaftlichen Kulturpflanzen ist so entstanden. Seit Mitte des letzten Jahrhunderts wird den BäuerInnen ihr wichtigstes Produktionsmittel, das Saatgut, jedoch immer mehr genommen und kommerzielle Pflanzenzüchter drängen auf verbindlichen Eigentumsschutz auf die von ihnen weiterentwickelten Sorten.« (BUKO (biopir): 12)

Aus dieser Perspektive ist die Gentechnik eine Methode, um sich vormals öffentlicher Güter zu bemächtigen. Dabei ist sie nur eine technische Weiterentwicklung eines schon gesetzlich festgeschriebenen Rechtes: dem Sortenschutz. Dieses verlangt, dass bei Nachbau, also der Wiederaussaat eines Teils der Ernte, an den Saatgutzüchter eine sogenannte Nachbaugebühr entrichtet wird.29 Mit patentiertem Saatgut wird dieses Recht noch weiter gestärkt. Hier sind es die Lizenzgebühren, die bei einer Aussaat bezahlt werden müssen. Patente auf Saatgut sind vor allem (aber nicht nur) durch Gentechnik zu erlangen. Eine weitere Steigerung der Nachbaupflicht wird in der sogenannten Terminatortechnologie gesehen, welche eine Sterilität der Samen erzeugt, so dass die Landwirte nicht mehr nur rein rechtlich, sondern auch technisch dazu gezwungen werden, das Saatgut jedes Jahr neu zu kaufen (BUKO (biopoly)) (vgl. ebenso die Ausführungen in Abschnitt 6.1.2). Von kritischen Positionen wird darauf verwiesen, dass das Recht auf Gebühren auch aktiv von den entsprechenden Unternehmen eingefordert wird; dies sowohl in Bezug auf sortengeschütztes als auch patentiertes und gentechnisch verändertes Saatgut. »Die Agrarchemiekonzerne betrachten die von ihnen entwickelten GentechPflanzen als ihr geistiges Eigentum und melden deshalb Patente darauf an. 29 Der Sortenschutz steht im Zusammenhang mit dem Schutz geistigen Eigentums und ist in der Internationalen Vereinigung zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) – der auch die Bundesrepublik angehört – geregelt. Das 1961 erstmals unterzeichnete und danach vielfach überarbeitete Abkommen setzt sowohl ein Züchterprivileg fest – es schreibt den Züchtern das alleinige Nutzungsrecht zu – als auch ein Landwirteprivileg – das Recht auf Nachbau. Letzteres wurde in der Folge immer weiter eingeschränkt, so dass der Landwirt bei Nachbau eine Gebühr zu entrichten hat, die etwas niedriger ausfallen sollte als die Gebühr, welche der Züchter beim Verkauf von zertifiziertem Saatgut erhält. Das Eintreiben der Nachbaugebühren übernimmt in Deutschland die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH (STV). Ein Teil der Betroffenen hat sich in der Interessengemeinschaft gegen die Nachbaugebühren und Nachbaugesetze (IGN) organisiert. Vgl. Lambke/Janssen/Schievelbein 2003: 70ff. 242

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

Beim Kauf von Saatgut, auf das Monsanto ein Patent hält, müssen Landwirte in Nordamerika sogenannte Technologieverträge unterschreiben. Darin verpflichten sie sich, keinesfalls Nachbau zu betreiben, ihr Saatgut jedes Jahr neu bei Monsanto zu kaufen, ausschließlich Roundup-Herbizide von Monsanto einzusetzen und eine zusätzliche Technologiegebühr zu bezahlen. Außerdem müssen sich die Farmer von der Firma überprüfen lassen. In Kanada und den USA setzte der Konzern sogar Privatdetektive ein, um die Einhaltung der Verträge zu überprüfen. In Radios und Zeitungsartikeln rief Monsanto öffentlich dazu auf, ,verdächtige' Nachbarn an eine eigens dafür eingerichtete TelefonHotline zu melden. Monsanto klagte in über tausend Verfahren gegen Farmer, die nach Ansicht der Firma unrechtmäßig gentechnisch verändertes Saatgut ausgebracht haben sollen. Die verhängten Bußgelder in Höhe von mehreren Zehntausend Dollar bedeuteten in manchen Fällen das wirtschaftliche Ende der verurteilten Farmerfamilien.« (BUND (InfB): 8)

Als Symbolfigur für diese Verfolgungen auch bei zufälligen Verunreinigungen tritt hierbei der kanadische Farmer Percy Schmeiser auf (vgl. Abschnitt 5.1.3.1). Befürwortende Positionen sehen diese Praxis als gerechtfertigt an und verweisen darauf, dass nur bei absichtlichem Anbau Lizenzgebühren bezahlt werden müssten und Percy Schmeiser absichtlich die Sorte von Monsanto angebaut hätte und es sich nicht um zufällige Verunreinigungen handeln würde. »Der kanadische Rapsbauer Percy Schmeiser wurde im März 2001 von einem kanadischen Gericht verurteilt, weil er sich weigerte, für den Anbau von gentechnisch verändertem RoundupReady Raps die damit verbundenen Lizenzgebühren zu zahlen. Seitdem wird Percy Schmeiser immer wieder als Opfer einer ›unkontrollierten Ausbreitung‹ gentechnisch veränderter Pflanzen sowie angeblich ungerechtfertigter Lizenzansprüche des Saatgutherstellers Monsanto dargestellt. Bewertung: Das Gericht stellte in seiner Urteilsbegründung fest, dass der auf Schmeisers Feldern gefundene RoundupReady Raps nicht allein durch Pollenflug von benachbarten Feldern oder von vorbeifahrenden Lastwagen dorthin gelangt sein konnte, wie er ursprünglich behauptet hatte. Auf einigen von Percy Schmeisers Rapsfeldern wurde ein RoundupReady Anteil von 95 bis 98 % festgestellt. Dieser hohe Reinheitsgrad ist nur durch absichtlichen Anbau zu erklären.« (DIB: 10)

Damit geht es in der Auseinandersetzung um Eigentums- und Zugangsrechte nicht nur allein um die Aneignung öffentlicher Güter einer noch kleinbäuerlich strukturierten Landwirtschaft in den Ländern des Südens. Sie wird ebenso in Bezug auf Wirtschaftsakteure in den westlichen und kapitalistischen Industrieländern geführt, die sich bereits öffentliche Güter angeeignet haben.

243

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Wenn auch nicht immer klar zwischen den Kleinbauern in den Entwicklungsländern und den Klein- und Mittelbauern in den Industrieländern unterschieden wird, so wird doch stellenweise darauf hingewiesen, dass die Wertesysteme kleinbäuerlicher Gemeinschaften in den Entwicklungsländern von den westlichen zu unterscheiden seien. Damit ist die Agrar-Gentechnik nicht nur einer bestimmten landwirtschaftlichen Produktionsweise, sondern einer bestimmten gesellschaftlich-kulturellen Organisationsweise entgegengesetzt. »Bei der Forderung nach kommerziellen Besitzansprüchen auf Pflanzen, Tiere oder dem Wissen über ihre Verwendung prallen zwei völlig gegensätzliche Wertesysteme des Südens und des Nordens aufeinander: Die Vorstellung vieler indigener Völker und Kleinbauern in den Ländern des Südens von Besitz ist völlig anders als die nördliche Eigentumskonzeption. Indigene sehen sich als Teil der biologischen Vielfalt, als ihr Hüter und nicht ihr Besitzer. Dieses indigene und kleinbäuerliche Weltbild des kollektiven Eigentums im Süden ist eng verbunden mit der Anerkennung ihrer Rechte an Land bzw. Territorium und kultureller Identität. Die Vorstellung eines privatwirtschaftlichen Besitzrechtes in Form von Patenten oder ähnlichen Systemen ist nicht vereinbar mit ihrem kulturellen Wertesystem.« (BUKO (biopoly): 8)

Die kleinbäuerliche Produktionsweise steht ebenso für eine nachhaltige Landwirtschaft, die zu einer Steigerung der Agrobiodiversität führe. Innerhalb einer landwirtschaftlichen Praxis, die noch Nachbau betreibt, könnten die Bauern selbst ihr jeweils regional angepasstes Saatgut entwickeln (BUKO (biopir, biopoly), Misereor). Damit könnten Risiken aus veränderten Umweltbedingungen und Schädlingsbefall ausgeglichen werden. »Der Anbau vieler unterschiedlicher Sorten und einer großen Artenvielfalt in den Gärten und auf den Feldern der Kleinbauern ist Teil ihrer erprobten Risikominderungsstrategie. Der Anbau von Sortengemischen mindert das Risiko eines totalen Ernteverlustes, weil Dürre, Schädlinge oder Krankheiten nicht alle Sorten gleichermaßen gefährden. Arbeitsspitzen bei der Ernte und Trocknung werden durch verschiedene Reifezeiten vermindert. Der Anbau unterschiedlicher Arten verbessert die Gesundheit der Familien und hat ökologische Vorteile: z.B. Bodendeckung, Nährstoffversorgung, Schädlingsvorbeugung.« (BUKO (biopoly): 4)

Die Agrobiodiversität ist durch den Anbau nur weniger Kulturpflanzensorten bedroht. So ist bereits durch die industrialisierte Landwirtschaft ein Großteil der bislang genutzten Kulturpflanzensorten und Nutztierar-

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AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

ten verschwunden (BUKO (biopir, biopoly), EED, Misereor).30 Dieser Rückgang der Vielfalt der Kulturpflanzensorten werde durch den Einsatz der Agrar-Gentechnik noch weiter fortgetrieben (BUND (genstr, InfB), Misereor). Dadurch werde auch die Pflanzenzüchtung in den Industrieländern beeinträchtigt, da genetische Ressourcen eine wichtige Grundlage für die Züchtung neuer Sorten darstellen. Auch die Industrieländer hätten diese Problematik erkannt und konservierten alte Sorten in Saatgutbanken.31 Die Vielfalt der Kulturpflanzenarten trägt damit nicht nur zur Ernährungssicherheit in den Entwicklungsländern, sondern auch in den Industrieländern bei. Aus dieser Sichtweise ist nicht die industrialisierte Landwirtschaft und mit ihr die Agrar-Gentechnik die Lösung der Welternährungsproblematik, sondern die kleinbäuerliche Produktionsweise in den Entwicklungsländern, wie sie als Modell auch für die landwirtschaftliche Praxis in den Industrieländern stehen könnte.

6.2.3 Zusammenfassung Die interne Abgrenzung und Differenzierung unterschiedlicher landwirtschaftlicher Systeme spielt bei den untersuchten Organisationen eine große Rolle. Die Diskussion um unterschiedliche landwirtschaftliche Praktiken werden dazu benutzt, unterschiedliche Vor- und Nachteile der Agrar-Gentechnik zu begründen. Dabei gibt es zwei hauptsächliche Gegenüberstellungen: Zum einen die Unterteilung in gentechnische, konventionelle und ökologische Landwirtschaft, die auch in die Gegenüberstellung von gentechnikfreier und gentechnischer Landwirtschaft zusammengefasst werden kann. Zum anderen wird die kleinbäuerliche der in-

30 Es wird darauf verwiesen, dass 75 % der Nutzpflanzensorten bereits verschwunden sind. Vgl. EED: 45; Misereor. Ebenso weist Misereor in seiner Internetpräsentation darauf hin, dass nach Angaben der FAO »weltweit nur noch 150 von etwa 10 000 Nahrungspflanzen für die menschliche Ernährung angebaut« werden. 31 Die zentrale Saatgutbank in der Bundesrepublik befindet sich in Gatersleben. Hier gab es 2006 Auseinandersetzungen darüber, ob in unmittelbarer Nähe Versuche mit gentechnisch veränderten Weizen durchgeführt werden dürften, da dadurch die Gefahr einer Verunreinigung der alten Sorten gegeben sei. Der Versuch wurde 2008 von Gentechnikkritikern zerstört. Vgl. http://www.ipk-gatersleben.de/Internet/Infrastruktur/Oeffentlichkeitsarbeit /Pressemitteilungen/2008/02. Ebenso ist eine Saatgutbank auf Spitzbergen seit 2008 in Betrieb. Sie wird unter anderem von der norwegischen Regierung, der Monsanto Corporation und der Syngenta-Stiftung finanziert und soll die Pflanzensamen der weltweit wichtigsten Kulturpflanzen konservieren, um zukünftigen Nahrungsmittelkrisen durch die Sicherstellung der Pflanzenzüchtung begegnen zu können. Vgl. FAZ 2007; http://www.spieg el.de/wissenschaft/natur/0,1518,537907,00.html. 245

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

dustrialisierten Landwirtschaft bzw. den großen Agrarbetrieben gegenübergestellt.32 Tabelle 10: Unterteilung der landwirtschaftliche Systeme bei den Organisationen konökolog. genventio- LW technelle nikLW freie LW

genindustechni- trielle sche LW LW

kleinbäuerliche LW

aid

x

x

BUKO (biopir)

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

BUKO (biopoly)

x

Misereor BUND (genstr)

x

BUND (InfB)

x

x

EED

x

x

Greenpeace

x

x

Verbr.Ini.

x

x

x

x

Bioland

x

x

BÖLW

x

x

x

FiBL

x

x

vzbv

x

x

DBV

x

x

x

DIB

x

x

x

LR Bayern

x

x

x

BMVEL

x

x

Monsanto

x

BLL

x x

x

x

Keine Betrachtung landwirtschaftlicher Systeme bei der DLG, dem BMBF, der MPG.

32 Als weitere Formen treten stellenweise noch die integrierte Landwirtschaft, die traditionelle Landwirtschaft und die nachhaltige Landwirtschaft auf. 246

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

Die Landwirte nehmen eine zentrale Stellung innerhalb der Nutzenerwartungen an die Agrar-Gentechnik ein. Von einigen Organisationen, wie dem BMBF, dem BMVEL, der LR Bayern und dem DBV, wird der erwartete Nutzen für die Landwirte in ein weiteres Feld gesamtgesellschaftlicher Nutzenerwartungen eingebettet und neben der zu erwartenden Effizienzsteigerung ebenso auf die Vorteile für die Umwelt und die Entwicklungsländer verwiesen. Bei diesen Organisationen treten die Landwirte nur als eine einfache Größe auf, als eine Gruppe unter vielen, die von der Agrar-Gentechnik profitieren. Insbesondere beim BMBF werden die Landwirte gar nicht mehr benannt, da sich bereits aus den technischen Möglichkeiten durch die Agrar-Gentechnik ein evidenter Nutzen für sie ergebe. Einen uneingeschränkt positiven Nutzen für Landwirte – auch für die Kleinbauern – stellen Monsanto, die MPG, BLL und der DIB heraus. Dieser folge nicht nur aus der Kostenreduktion, die mit einer Einsparung von Ressourcen (Zeit, Geld, Pestiziden) gegeben sei, sondern ebenso aus höheren Ernteerträgen bei gleichfalls besserer Qualität. Den undifferenzierten Nutzenerwartungen befürwortender Positionen wird durch kritische Positionen eine differenziertere Betrachtung der Landwirte gegenübergestellt. Kleinbauern und Landwirte, die sich gegen den Anbau von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen entschieden haben, sowie Imker werden als neue Akteure eingeführt. Damit wird der Nutzen der Agrar-Gentechnik für die Landwirte nur auf die großen Agrarbetriebe beschränkt. Die Differenzierung der ökonomischen Risiken für Landwirte, die gentechnisch veränderte Kulturpflanzen anbauen und denen, die gentechnikfrei wirtschaften, erweitert hingegen die Risikoperspektive. Es wird nicht mehr nur nach der Kostenkalkulation der Landwirte gefragt, die sich möglicherweise für einen Anbau entscheiden könnten, sondern ebenso nach dem potentiellen Schaden für diejenigen Landwirte, die sich bereits gegen einen Anbau entschieden haben. Während diese Unterscheidung sowie die Rolle der Imker durch befürwortende Positionen weitgehend ignoriert wird, wird die Unterscheidung zwischen Kleinbauern und Agrarbetrieben von ihnen größtenteils übernommen, um den gesamtgesellschaftlichen Nutzen der Agrar-Gentechnik auch für die Kleinbauern und die Entwicklungsländer herausstellen zu können. Tabelle 10 fasst die Unterteilung landwirtschaftlicher Systeme durch die Organisationen zusammen. Die Konstruktion der landwirtschaftlichen Systeme durch die Organisationen zeigt, dass der Gegenübersetzung von gentechnikfreier und gentechnischer Landwirtschaft eine zweite Unterscheidung, nämlich die zwischen industrialisierter Landwirtschaft und kleinbäuerlicher Landwirtschaft zu Grunde liegt. Letztere wird insbesondere von gentechnik247

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

kritischen Positionen eingeführt. Zwar wird hier versucht, den Gegensatz zwischen konventioneller und ökologischer Landwirtschaft in der Auseinandersetzung um die Agrar-Gentechnik aufzuheben, um mehr Verbündete gewinnen zu können. In die Bewertung fließt aber die Idealvorstellung einer kleinbäuerlichen, die konventionellen Techniken ablehnenden Landwirtschaft mit ein. Die Betonung der negativen Auswirkungen der Agrar-Gentechnik auf die Landwirtschaft im Allgemeinen verweist darauf, dass die Agrar-Gentechnik nicht zur Landwirtschaft gerechnet wird. Ebenso wird deutlich, dass die negativen Auswirkungen der Agrar-Gentechnik eher auf die mit den unterschiedlichen landwirtschaftlichen Praktiken verbundenen Personengruppen bezogen werden. Vor allem in Bezug auf die Kleinbauern wird die konkurrierende Zuschreibung eines Nutzens bzw. eines Schadens durch die Agrar-Gentechnik deutlich. Damit ist der Konflikt zwischen Landwirten, die gentechnisch veränderte Kulturpflanzen anbauen, und Landwirten, die diese nicht anbauen, weniger entscheidend als vielmehr die Frage, ob die Agrar-Gentechnik auch bei kleinräumigem Anbau oder für den ökologischen Landbau sinnvoll sein kann. Diese Frage beantworten befürwortende Positionen positiv. Hinter den Nutzenerwartungen befürwortender Positionen vermuten die Kritiker jedoch Eigeninteressen. Die Profitabilität der Agrar-Gentechnik sei, so der BUND, nur für die Agrochemieunternehmen gegeben. Der Vorteil für die Landwirte sei nur ein Vorwand und Nebeneffekt des hauptsächlichen Interesses, der darin bestehe, die eigenen Lizenzeinnahmen sicherzustellen. Der angebliche Nutzen der Agrar-Gentechnik für die Landwirte beruhe auf einer Unterbewertung anderer landwirtschaftlicher Systeme. Des Weiteren wird der von befürwortenden Positionen erwartete Nutzen allein nur auf die großen Agrarbetriebe beschränkt. Die Landwirtschaft im Allgemeinen wird der Agrar-Gentechnik gegenübergestellt, die für jene eine Bedrohung darstelle (EED, BUND, Greenpeace, Bioland, BÖLW). Mehr noch, es läge gerade im Interesse der Unternehmen (hier wird insbesondere Monsanto benannt), die gentechnikfreie Landwirtschaft zu zerstören, um mittels Patenten die Kontrolle über die gesamte landwirtschaftliche Produktionskette zu erlangen (Greenpeace, BUND (genstr, InfB), BUKO (biopir)). Mit der differenzierten Betrachtung landwirtschaftlicher Systeme wird von kritischen Positionen auf Alternativformen zur industrialisierten Landwirtschaft wie zum Beispiel der ökologischen und kleinbäuerlichen Landwirtschaft verwiesen. Mit der Gegenüberstellung von gentechnischer zur gentechnikfreien Landwirtschaft ist hingegen ein Hinweis auf die Eigeninteressen der Biotechnologieunternehmen verbunden. Befürwortende Positionen befinden sich in diesen Diskussionen in der De248

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

fensive, da sie von einem allgemeinen Nutzen der Agrar-Gentechnik für alle Landwirte ausgehen müssen, dabei jedoch durch die in den Diskurs eingebrachten Unterscheidungen in Begründungsnot geraten. Die einzige Unterscheidung, die ihnen etwas nützt, ist die zwischen der AgrarGentechnik und der konventionellen Landwirtschaft, da hiermit ein Vorteil der Agrar-Gentechnik begründet werden kann.

6.3 Politische und ökonomische Interessen i n d e r Te c h n i k e n t w i c k lu n g Die zwei vorangegangenen Punkte bezogen sich auf die Frage, wodurch die Agrar-Gentechnik Verbreitung findet und welche Auswirkungen sie auf landwirtschaftliche Praktiken haben kann. Im Mittelpunkt standen demnach die Anwender und nicht die Produzenten der Agrar-Gentechnik. Diese werden in dem nun folgenden Abschnitt in den Mittelpunkt gerückt. So wird zunächst auf die Konstruktion der Biotechnologieunternehmen eingegangen. Mit der unterschiedlichen Objektkonstruktion bei den verschiednen Positionen sind ebenso spezifische Formen der Zuschreibung von Aktivität verbunden. Dabei tauchen neue Konfliktlinien auf, die sich mit den bereits genannten Konflikten zwischen Gentechnikfreiheit vs. Gentechnikgebrauch in der Landwirtschaft einerseits und zwischen Industrie- und Entwicklungsländern andererseits teilweise überschneiden.

6.3.1 Die Konstruktion der Biotechnologieunternehmen Die Agrar-Gentechnik wird von zwei voneinander zu unterscheidenden Unternehmenstypen vorangetrieben. Zum einen von kleineren, meist neugegründeten Biotechnologiefirmen und zum anderen von bereits etablierten Großunternehmen aus den Bereichen der chemisch-pharmazeutischen Industrie und der Agrochemie (vgl. Dolata 1999: 250ff.). Wird von den untersuchten Positionen auf die Unternehmen, die als Technikentwickler auftreten, verwiesen, dann werden diese zuweilen als Biotechnologieunternehmen, als Saatgutunternehmen oder als Agrochemieunternehmen bezeichnet, zuweilen ist auch nur von Industrie und Wirtschaft die Rede.33 Befürwortende Positionen machen vor allem den Unterschied zwischen den großen Konzernen und den kleinen und mittleren Unterneh33 Im Folgenden wird demnach allgemein von Biotechnologieunternehmen die Rede sein, nur bei expliziten Bezug der betrachteten Argumentation von Agrochemieunternehmen oder Saatgutunternehmen. 249

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

men (KMU) stark und setzen beide konflikthaft gegenüber (DBV, BMVEL, LR Bayern). Die KMU würden durch die großen Konzerne in ihrer Entwicklung behindert. Die Gründe hierfür liegen in den anhaltenden Konzentrationsprozessen, dem Konkurrenzdruck sowie der ungleichen Verteilung von Patenten. Weiterhin behindere eine zu restriktive Regulierung die Entwicklung der KMU. Sie hätten Schwierigkeiten, sich auf den Absatzmärkten zu etablieren, und an der Weiterentwicklung der Agrar-Gentechnik zu partizipieren. Infolgedessen wird die Forderung erhoben, dass sie von der Bundesregierung gefördert werden sollten (LR Bayern). Eine weniger differenzierte Sichtweise auf die Vielfalt der Unternehmenstypen besitzen kritische Positionen. Sie setzen die Unternehmen, die an der Durchsetzung der Agrar-Gentechnik beteiligt sind, im Allgemeinen in einen Gegensatz zu den Landwirten (BUND (InfB), BUKO (biopir, biopoly), Misereor). Gerade die Landwirte hätten unter einer Durchsetzung der Agrar-Gentechnik zu leiden und würden durch die Agrar-Gentechnik in eine größere Abhängigkeit zu den Unternehmen gedrängt. Dabei konzeptualisiert die BUKO die Landwirte vor allem als Kleinbauern in den Entwicklungsländern, die den Konzernen aus den Industrieländern gegenüberstehen. Damit verbindet sich der Gegensatz zwischen Landwirten und Biotechnologieunternehmen mit der Entgegensetzung von Entwicklungsländern und Industrieländern. Bei einigen Positionen wird durch die Charakterisierung der Biotechnologieunternehmen eine Konfliktlinie zwischen den USA und Europa aufgebaut. So verbindet die LR Bayern, indem sie auf die starke Bedeutung der US-amerikanischen Firmen verweist, die großen Konzerne mit der USA und die KMU mit Deutschland. Auch beim BUND wird, indem er die USA teilweise als Synonym für die großen Agrochemieunternehmen gebraucht, diese Konfliktlinie unterstützt.34 Darüber hinaus wird hinsichtlich der Verquickung von politischen und unternehmerischen Interessen in BUND (genstr) behauptet, dass die Agrar-Gentechnik durchgesetzt werden soll, um politische Hegemonie zu erlangen. Dieses Argument wird an der Konfliktlinie USA und Europa festgemacht: die USA wolle ihre politische Hegemonie erhalten. Die Konstruktion einer Konfliktlinie zwischen den USA und Europa hinsichtlich der Verteilung der Agrochemieunternehmen nach ihrer nationalen Herkunft ist auf die zentrale Rolle der in der USA ansässigen Firma Monsanto zurückzuführen, die 90 % des Marktes für transgenes Saatgut kontrollieren soll (Greenpeace, BUND (genstr, InfB)). 34 Diese Sichtweise ist vor allem beim BUND (genstr) vorhanden, während der BUND (InfB) differenzierter argumentiert und ebenso auf die bedeutsame Rolle deutscher Unternehmen verweist. 250

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

Die Konzentrationsprozesse auf dem Markt für Agrochemikalien und transgene Saaten stehen vor allem bei kritischen Positionen im Mittelpunkt ihrer Betrachtung. So wird darauf verwiesen, dass nur wenige Konzerne den weltweiten Agrarmarkt und damit auch den Markt für gentechnisch veränderte Kulturpflanzen dominieren (aid, BMVEL, BUND (genstr, InfB), BUKO (biopoly), EED, Misereor). Genannt werden hier insbesondere sechs Unternehmen: Monsanto (USA), DuPont Pioneer (USA), Dow Elanco (USA), Syngenta (Schweiz), Bayer Crop Science (Deutschland) und BASF (Deutschland). Die Konstruktion einer Konfliktlinie zwischen den USA und Europa basiert demnach auf der Verbindung von Unternehmen mit dem Nationalstaat. Sie regionalisiert die weltweit agierenden Unternehmen, um deren Aktivität als feindliche oder behindernde Aktivität in der eigenen, nationalstaatlichen Region herauszustellen. Wie gezeigt wurde, ist diese Konstruktion sowohl bei befürwortenden als auch bei kritischen Positionen aufzufinden. In paralleler Weise wird die Konzentration von Patenten im Bereich Biotechnologie hervorgehoben. Auch hier wird der »Ort«, an dem sie sich konzentrieren, nach der Nation charakterisiert (»Die USA halten die meisten Patente«, LR Bayern). Es zeigt sich aber auch, dass eine regionalisierende Zuschreibung ebenso im Hinblick auf Asymmetrie zwischen Industrie- und Entwicklungsländer möglich ist (»Die Industrieländer halten die meisten Patente«, BUKO (biopoly), Misereor). Auch hier wird der Verweis darauf, dass die Industrieländer mehr Patente als die Entwicklungsländer hielten, dazu gebraucht, den Einfluss der Industrieländer auf die Entwicklungsländer als einen negativen zu kennzeichnen.35 Der Konflikt zwischen Unternehmen und Landwirten, vornehmlich der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, wird demnach (national-)staatlich gerahmt, sei es in der Entgegensetzung zwischen den USA und Europa, oder zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern. Der Konflikt zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessengruppen wird an den Interessen einer imaginierten Gesamtgesellschaft festgebunden, sei es in Bezug auf eine Nation – wie die LR Bayer und der BUND (genstr) – oder einer Weltgesellschaft – wie in der Konfliktlinie zwischen Nord und Süd. Der Konflikt zwischen der Definition der gesellschaftlichen Gesamtinteressen zeigt sich in einer weiteren Konfliktlinie: der zwischen Konzernen vs. Allgemeinbevölkerung, bei der den eigen-

35 In der Darstellung überwiegen aber differenziertere Sichtweisen, welche die Konzentrationsprozesse unter namentlicher Nennung der oben genannten Konzerne betrachten (aid, BÖLW, BUND (InfB)). 251

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

nützigen Interessen der Unternehmen das Allgemeinwohl gegenübergestellt wird.

6.3.2 Die Interessen der Biotechnologieunternehmen und das Allgemeinwohl Insbesondere Greenpeace und der BUND stellen die Interessen der Biotechnologieunternehmen in den Mittelpunkt ihrer Analyse.36 Von befürwortenden Positionen hingegen werden diese Interessen, insofern sie überhaupt thematisiert werden, entweder mit allgemeinen Interesse an der Forschung (LR Bayern, DIB) oder mit allgemeinwirtschaftlichen Interessen (BMVEL) verbunden. Diese Beobachtung könnte so interpretiert werden, dass befürwortenden Positionen die Aktivität sozialer Akteure und damit den Einfluss eigennütziger Interessen auf die Technikentwicklung verdunkeln. Kritische Positionen wollen hingegen gerade durch die Rückführung der Technikentwicklung auf die eigennützigen und damit kontingenten Interessen sozialer Akteure diese der Kritik zuführen. Diese Strategie ist bereits aus der ANT im Hinblick auf die Kontextualisierung von (wissenschaftlichen) Wissensansprüchen bekannt (vgl. Abschnitt 3.1.1). Jedoch wird die Behauptung, dass Unternehmen als Wirtschaftsakteure eigennützige Interessen verfolgen, auch von befürwortenden Positionen nicht bestritten. Als Hauptinteresse der Unternehmen wird hierbei die Erwirtschaftung eines Gewinns gesehen. Kritische Positionen verweisen darauf, dass Agrochemieunternehmen den hauptsächlichen Gewinn nicht durch den Verkauf des gentechnisch veränderten Saatgutes erzielen, sondern mit den dazugehörigen Agrochemikalien (aid, Bioland, BÖLW, BUND (genstr, InfB), EED). Die gentechnisch veränderte Pflanze ist hier nur ein Vehikel, um einerseits den Absatz von Agrochemikalien zu steigern und auf die landwirtschaftlichen Bereiche auszudehnen, in denen bislang keine Agrochemikalien verwendet wurden, sowie andererseits Landwirte an ein bestimmtes Produkt zu binden.37 Befürwortende Positionen hingegen verweisen auf das positive Potential der Agrar-Gentechnik für die Unternehmen, das sie bereits jetzt habe, da sie bisherige Geschäftsfelder ergänze (LR Bayern) und auch zukünftig haben könnte, wobei hier Gewinne vor allem bei der Produktion von Industrierohstof36 Greenpeace bezieht sich, im Gegensatz zum BUND, der sich auf die gesamte Agrochemiebranche bezieht, explizit auf Monsanto, als eines der weltweit führenden Agrochemieunternehmen. 37 Das »Doppelpack-Argument«, das damit eine Einschränkung der bäuerlichen Unabhängigkeit vermutet, wurde schon bei der Diskussion des Risikoclusters »Landwirte« erörtert. Vgl. Abschnitt 5.1.3.5. 252

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

fen und dem Bereich des Functional Food erwartet werden (BLL, BMVEL, LR Bayern).38 Eine Divergenz zwischen befürwortenden und kritischen Positionen besteht in der Frage, ob die Interessen der Unternehmen mit den gesellschaftlichen Interessen als deckungsgleich oder ob sie diesen gerade entgegengesetzt angesehen werden. Demnach ist der Nachweis, dass an der Technikentwicklung soziale Akteure mit ihren eigennützigen Interessen beteiligt sind und sich der Technikentwicklungsprozess nicht quasi-natürlich vollzieht, keineswegs die wirkungsvollste kritische Strategie. Viel schlagkräftiger ist es, die Interessen der Biotechnologieunternehmen als eine anderen Interessen widersprechend darzustellen. Dabei beziehen sich die untersuchten Positionen nicht auf das eigene, persönliche Interesse, sondern auf die Interessen einer Gesamtgesellschaft. Die Gesellschaft ist damit eine Verbündete, auf die sich berufen wird, wenn es um die Formulierung von Interessen geht. Dabei wird sowohl von befürwortenden als auch von kritischen Positionen unterstellt, die Interessen der Gesellschaft zu kennen und in ihrem Namen sprechen zu können. In der Kritik an den Interessen der Biotechnologieunternehmen können zwei Argumentationslinien unterschieden werden, die zum einen an der Diskussion der Patentproblematik und zum anderen an der Diskussion um die Ausrichtung der Technikentwicklung deutlich werden. Das Interesse der Agrochemieunternehmen an der Erwirtschaftung von Gewinnen wird von einigen kritischen Positionen mit der Patentierbarkeit gentechnisch veränderten Saatgutes in Verbindung gebracht (BUND (genstr, InfB), BUKO (biopir, biopoly), Misereor). Patente werden in diesem Zusammenhang als Instrument der Aneignung begriffen, als Mittel, um Kontrolle über die gesamte Agrarwirtschaft zu erlangen (BUND (genstr, InfB), BUKO (biopir), Greenpeace). Vor dem Hintergrund der Behauptung, dass die wirtschaftliche Lage der Agrochemieunternehmen bislang keine hohen Gewinne erlaube (BUND (genstr, InfB)), ergeben sich damit in dieser Sichtweise Umsätze vor allem perspektivisch. Um den Absatz auch zukünftig zu sichern, so wird von Greenpeace unterstellt, wollten die Agrochemieunternehmen die gentechnikfreie Landwirtschaft zerstören, um damit den Markt für transgenes Saatgut zu erweitern. In dieser Argumentationslinie ist die Agrar-Gentechnik ein Instrument der Agrochemieunternehmen, die in der Verfolgung ihrer eigennützigen Interessen Abhängigkeiten schaffen. Die Interessen der Un38 Stand in der damaligen Diskussion – zum Zeitpunkt der empirischen Erhebung 2005 – noch die Produktion von pharmazeutisch nutzbaren Stoffen durch Nutzpflanzen, dem molecular pharming, im Mittelpunkt der Betrachtung, werden nun Energiepflanzen präferiert. Vgl. Moldenhauer/Mertens/Volling 2006. 253

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

ternehmen stehen im krassen Gegensatz zu den gesellschaftlichen Interessen. Eine andere Argumentation verfolgen Bioland und der EED. Hier wird der Schwerpunkt darauf gelegt, dass die Technikentwicklung der Agrar-Gentechnik schrittweise und im Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure vorangetrieben wird und nicht nur durch einen mächtigen Akteur allein, wie in der zuvor beschriebenen Sichtweise. Insbesondere durch die schleichende Verunreinigung würden Fakten jenseits demokratischer Einspruchnahme geschaffen (Bioland, BUND (InfB), EED). Dies käme natürlich auch den Profiten der Agrochemieunternehmen zu Gute, jedoch ist dadurch, dass nicht nur die Unternehmen an der Technikentwicklung beteiligt sind, implizit die Möglichkeit einer Regulierung und Steuerung der Agrar-Gentechnik auf eine sozialverträgliche Technikgestaltung hin gegeben. Die eigennützigen Interessen der Unternehmen lassen sich in dieser Sichtweise zähmen und der Widerspruch zu gesellschaftlichen Interessen mildern. Stehen also in der ersten kritischen Argumentationslinie die Interessen der Biotechnologieunternehmen per se den Allgemeininteressen entgegen, wird in der zweiten Argumentationslinie zumindest die Möglichkeit einer Vereinigung privatwirtschaftlicher Interessen mit den Interessen des Allgemeinwohls für möglich erachtet. Diese Diskussion setzt sich in der Diskussion um öffentliche und private Forschung fort.

6.3.3 Öffentliche und private Forschung Von kritischen Positionen wird darauf verwiesen, dass die Technikentwicklung nicht an den Bedürfnissen der Kleinbauern (aid, BUND (genstr, InfB)), Entwicklungsländer (aid, BMVEL, BUND (genstr, InfB)) und Verbraucher (aid) orientiert sei. Vielmehr stünden Landwirte großer Agrarbetriebe in den Industrieländern im Blickpunkt der Technikentwicklung. Technikentwicklung finde vor allem im privaten Sektor statt und sei dementsprechend auf die dort angesiedelten Interessen ausgerichtet (aid). Dies impliziert den Gedanken, dass eine Ausrichtung der Technikentwicklung auf andere gesellschaftliche Interessen ebenso möglich sei. Dieser Weg würde aber nicht verfolgt, da öffentliche Forschungseinrichtungen finanziell nicht so gut ausgestattet seien, um sich erfolgreich an der Technikentwicklung beteiligen zu können. Damit ist die Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Forschung angesprochen (so bei aid, Misereor). Die Industrie nehme verstärkt Einfluss auf die Forschung in öffentlichen Forschungseinrichtungen (aid, EED). Damit sei nun auch hier eine Orientierung an den Interessen des Allgemeinwohlinteressen gegeben. In diesem Sinne wird 254

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

auch verlangt, dass die Politik eine unabhängige Forschung zur AgrarGentechnik unterstützen sollte (aid, Misereor). Allgemein sollten die politischen Akteure darauf zielen, das Allgemeinwohl gegenüber Privatinteressen zu stärken (aid). Unter Allgemeinwohl wird hierbei die Ernährungssicherung, der Umweltschutz und die Risikominimierung – in Bezug auf ökonomische, ökologische, gesundheitliche und soziale Risiken – verstanden, aber auch die Ausrichtung der Technikentwicklung auf die Interessen marginalisierter Akteure, wie Kleinbauern und Entwicklungsländer (aid, Misereor). Damit wird von einigen kritischen Positionen eine Ausrichtung der Entwicklung der Agrar-Gentechnik auf das Allgemeinwohl für möglich erachtet.

6.3.4 Die Konstruktion von Absatzmärkten Die Interessen der Biotechnologieunternehmen an Gewinnen verweist auf bereits vorhandene oder zukünftige Absatzmärkte, auf welchen die Agrar-Gentechnik einen Vorteil bieten könnte. Uneinigkeit herrscht bei den verschiedenen Positionen insbesondere über die Frage des Vorteils auf bereits vorhandenen Absatzmärkten.39 Absatzmärkte werden nicht einfach durch die Agrar-Gentechnik erschlossen, so wie eine Tür mittels eines Schlüssels aufgeschlossen wird. Insbesondere in Hinblick auf die hohen Entwicklungskosten transgener Kulturpflanzen wird deutlich, dass Absatzmärkte erst mühsam erschlossen werden müssen. So muss nicht nur in technischer Hinsicht die Produktfähigkeit der Pflanze hergestellt und Unternehmen daran interessiert werden, in die Produktentwicklung zu investieren, ebenso muss auch die Zulassung erlangt werden und vor allem die Akzeptanz der Verbraucher gewährleistet sein. Die formelle Zulassung von GVO scheint jedoch nicht den entscheidenden Einfluss auf Vermarktungschancen zu besitzen. Auch in der EU zugelassene GVO könnten von den Unternehmen nicht vermarktet werden, da es – so der BUND (InfB) – an Verbraucherakzeptanz mangele oder – so Monsanto in Bezug auf Landwirte in den USA und Kanada – eine Im39 Vgl. die Diskussion zur Risikoentität »Agrarmarkt« in Abschnitt 5.1.3.2. Auch die Absatzmärkte werden von den Organisationen unterschiedlich konzeptualisiert. Für einige ist es der Markt für Saatgut und Agrochemikalien (BMVEL, Greenpeace) oder der Agrarmarkt im Allgemeinen (BLL, BÖLW, BUKO (biopoly), EED, DBV, vzbv), für andere der Markt für gentechnisch veränderte Produkte im Speziellen (BUND (InfB), LR Bayern). Der BUND (genstr) betrachtet ebenso den Markt differenziert nach dem Absatzmarkt für transgene Saaten und dem Agrarmarkt. Ebenso wird bei einigen Positionen zwischen dem EU-Markt und anderen regionalen Märkten unterschieden. Dieser Unterschied wird vor allem in Bezug auf die Diskussionen um den WTO-Streitfall deutlich. Vgl. Abschnitt 6.4.3. 255

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

portgenehmigung in die EU fehle und die Landwirte ihre Exportmärkte nicht verlieren wollen. Ebenso ist die Chance, an den Absatzmärkten zu partizipieren, unterschiedlich verteilt – insbesondere für die Entwicklungsländer und den kleinen und mittleren Unternehmen ergeben sich Schwierigkeiten. Dies ergibt sich aus der Struktur der Märkte selbst. So wird vielfach angeführt, dass der Agrarmarkt durch anhaltende Konzentrationsprozesse gekennzeichnet sei (BUND (genstr, InfB), LR Bayern, EED, BMVEL, BUKO (biopoly), aid), was negative Auswirkungen auf die Verbraucher (BUND (genstr)), die kleinen und mittleren Unternehmen (LR Bayern), die Kleinbauern und die Entwicklungsländer (EED) hätte. Diese Konzentrationsprozesse würden durch die Patentierbarkeit von GVO noch weiter unterstützt (so bei BMVEL, EED, BUND (InfB)), da hierdurch die Marktkontrolle erweitert werden könne. Die Zugangschancen zu dem Markt, der durch die Agrar-Gentechnik entstehen soll, müssen bei den kleinen und mittleren Unternehmen durch staatliche Förderung erst hergestellt werden (LR Bayern; mit Bezug auf den Gegensatz zwischen Deutschland und den USA). Ebenso haben die Entwicklungsländer Schwierigkeiten an den Absatzmärkten zu partizipieren. Die bereits bestehenden Asymmetrien zwischen Entwicklungsund Industrieländern auf den Agrarmärkten würden durch die AgrarGentechnik noch weiter verstärkt. Die hohen Sicherheitsstandards in der EU, wie Maßnahmen zur Koexistenz, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung, könnten Entwicklungsländer wegen mangelnder technischer und rechtlicher Infrastruktur nicht einhalten; damit wären sie vom europäischen Markt ausgeschlossen (aid, BLL, EED). Da Absatzmärkte erst mühsam hergestellt werden müssen, schließt die Konstruktion dieser Märkte andere ökonomische Akteure wie Kleinbauern und Entwicklungsländer aus, die Schwierigkeiten haben, an den unterschiedlichen Märkten zu partizipieren. Einige Organisationen sprechen im Namen dieser Akteure: der EED im Namen der Entwicklungsländer, die LR Bayern im Namen der KMU.

6.3.5 Die Herstellung der Aktivität der Unternehmen Bislang wurde unterstellt, dass Unternehmen von sich aus daran interessiert seien, die Agrar-Gentechnik voranzutreiben. Von befürwortenden Positionen wird aber darauf verwiesen, dass die Voraussetzungen, dass sich Unternehmen überhaupt für die Entwicklung der Agrar-Gentechnik engagieren, erst geschaffen werden müssten. So seien die Entwicklungskosten von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen sehr hoch (BUKO (biopir), LR Bayern). Die Bereitschaft für 256

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

Investitionen in die Entwicklung der Agrar-Gentechnik sei auf Grund der Rechtsunsicherheit (DBV) und der mangelnden Verbraucherakzeptanz gering (LR Bayern). Darüber hinaus würde eine zu restriktive Regulierung zur Abwanderung von Unternehmen und Forschung führen (DBV). Damit wird deutlich, dass unternehmerische Tätigkeit einen gewissen Rechtsrahmen benötigt, um einerseits Investitionen langfristig abzusichern, und andererseits diese Investitionen lukrativ erscheinen zu lassen. Ein besonders hervorzuhebender Anreiz für Investitionen stellt nach Ansicht befürwortender Positionen die Patentierbarkeit dar. Nur so könnten die Entwicklungen vor der kommerziellen Nutzung durch Konkurrenten geschützt werden (LR Bayern, Monsanto). Die LR Bayern verweist darauf, dass kleine und mittlere Unternehmen nur durch eine Patentierbarkeit eine Chance hätten, sich gegen die großen Konzerne durchzusetzen.40 Hierbei sei aber ebenso das Engagement staatlicher Forschungsinstitute bei der Entwicklung patentierbarer Produkte von Bedeutung, um den kleinen und mittleren den Rücken zu stärken. So könnten staatliche Entwicklungen über eine Lizenzgebühr diesen Unternehmen überlassen werden. Alles in allem geht es der LR Bayer darum, dass in Europa und damit auch in Deutschland Patente gesammelt werden, um zum einen den Vorsprung der USA in diesem Bereich zu verringern und zum anderen von den Lizenzeinnahmen zu profitieren. Sind also die Biotechnologieunternehmen aus der Sichtweise kritischer Positionen von sich aus daran interessiert, die Agrar-Gentechnik voranzutreiben, müssen sie aus der Sichtweise befürwortender Positionen erst mit Hilfe staatlicher Unterstützung an der Entwicklung der Agrar-Gentechnik interessiert werden. In der ersten Sichtweise ist die Agrar-Gentechnik ein Instrument eigennütziger Interessen, in der zweiten Sichtweise ein Mittel für die Steigerung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstandes, für deren Entwicklung die privatwirtschaftlichen Interessen erst als ein Verbündeter gewonnen werden müssen.

6.3.6 Politische und ökonomische Interessen Die Produktion der Aktivität der Biotechnologieunternehmen durch politische Vorgaben deutet auf die Verflechtung von politischen und wirt40 Dabei drängt sie auf die Umsetzung der Biopatentrichtlinie (Richtlinie Nr. 98/44/EG). Kritische Positionen befürchten hier die Patentierbarkeit von Pflanzensorten und eine weitere Einschränkung des Landwirteprivilegs. Die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht erfolgte 2005. Vgl. http://www.bmj.bund.de/enid/Patente/Kein_Patent_auf_Leben_-_Rechtssi cherheit_7h.html. Zu aktuellen Entwicklungen im Patentrecht vgl. http://www.keinpatent.de. 257

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

schaftlichen Interessen in Bezug auf die politische Einheit eines Staates hin, so wie er in dem Cluster »Standort Deutschland« diskutiert wird. Die Agrar-Gentechnik soll aus Sichtweise befürwortender Positionen in Deutschland als eine Schlüsseltechnologie gefördert werden (BMBF, DBV, DLG, LR Bayern, Monsanto), um zu vermeiden, dass sich Europa und damit auch Deutschland aus dem globalen Technikentwicklungstrend ausklinken (BLL, DBV, DIB, LR Bayern). Bezüglich des europäischen Wirtschaftsraumes sind vor allem zwei Faktoren von besonderer Bedeutung: die Wettbewerbsfähigkeit und der Arbeitsmarkt. Diese sollen im Folgenden näher betrachtet werden. Allgemein stelle die Gentechnik einen bedeutsamen Wirtschaftsfaktor dar, der die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Betriebe (im Bereich Pflanzenzucht und Landwirtschaft) sicherstelle (BLL, DBV, DLG, LR Bayern). Mit diesem Argument ist die Befürchtung verbunden, dass Europa und damit auch Deutschland den Anschluss an die Technikentwicklung verlieren könnte (BLL, DBV, DIB, LR Bayern). Gerade im Zusammenhang mit der Lissabon-Strategie der EU, die eine wissensbasierte Wirtschaft für den europäischen Wirtschaftsraum anstrebt und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum sicherstellen soll, sei die Förderung der Biotechnologie von herausragender Bedeutung (DIB, LR Bayern). Gerade wegen seiner Rohstoffarmut sei Deutschland auf neue Technologien angewiesen (LR Bayern). Damit sei eine gezielte Förderung der Agrar-Gentechnik auch in Deutschland notwendig (DBV, BLL, LR Bayern). Bei der LR Bayern erhält diese Forderung im Hinblick auf die Konkurrenzsituation zwischen den USA und Deutschland eine besondere Dringlichkeit: Gestärkt werden sollen nicht nur deutsche Unternehmen gegenüber US-amerikanischen Unternehmen, sondern kleine deutsche Unternehmen stehen den großen, international tätigen US-Konzernen gegenüber. Die Agrar-Gentechnik soll gefördert werden, um die kleineren deutschen Unternehmen gegen das US-amerikanische Übergewicht zu stärken. Dazu sei es notwendig, die rechtlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass nicht nur wenige große Konzerne einen Nutzen aus der Agrar-Gentechnik ziehen (BMVEL, BLL). Eine Förderung der Biotechnologie ist nach Meinung des BMBF auch deshalb von Interesse, da hierdurch die Sicherheit der Agrar-Gentechnik gewährleistet (Sicherheitsforschung) und zu einer nachhaltigen Entwicklung (die Umweltschutz mit Ressourcenschonung gleichsetzt) beigetragen werden könne. Damit werden staatliche Interessen, wie oben als Interessen des Allgemeinwohls beschrieben, mit privatwirtschaftlichen Interessen verbunden.41 41 Auf die Verflechtung von politischen und ökonomischen Interessen, die nicht immer gelingt, verweist auch Dolata 1996. Demnach habe das poli258

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

Das BMBF, der DBV und die LR Bayern ziehen vor allem eine Verbindung zwischen den Umsätzen und Gewinnen der Biotechnologiekonzerne und der Arbeitsmarktentwicklung. Das durch die Agrar-Gentechnik ausgelöste Wirtschaftswachstum würde zu positiven Arbeitsmarkteffekten führen, auch wenn durch die stärkere Rationalisierung in der Landwirtschaft gleichzeitig Arbeitsplätze verloren gingen (BMVEL, BLL). Der BLL weist darauf hin, dass gerade wegen der starken Konzentrationsprozesse auf den Agrarmärkten und wegen des Abbaus von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft eine Anwendung der Agrar-Gentechnik notwendig sei. Das BMVEL gibt hingegen zu bedenken, dass Arbeitsmarkteffekte auch von den forschungspolitischen und rechtlichen Regulierungen abhängig seien. Die Gentechnik ist aus dieser Sichtweise eine Schlüsseltechnologie, die zu einem allgemeinen Wirtschaftswachstum und damit auch zu einer positiven Arbeitsmarktentwicklung führt – trotz der von ihr hervorgerufenen Rationalisierungen vor allem im landwirtschaftlichen Bereich führt. Sie gilt damit als Grundvoraussetzung für eine stabile (deutsche) Gesellschaft. Aber die Verbindung zwischen politischen und wirtschaftlichen Interessen ist nicht voraussetzungslos gegeben. Dies zeigt sich ebenso an der Diskussion um die Förderung vs. Regulierung der AgrarGentechnik. So besteht einer der Hauptkritikpunkte befürwortender Positionen an der Politik darin, dass sie zwar auf der einen Seite die Gentechnik fördere auf der anderen Seite aber rechtliche Regulierungen erlasse, die eine Technikentwicklung in Europa und Deutschland erschwerten. Die politische Regulierung dürfe nicht zu restriktiv sein. Wie bereits angesprochen, soll Rechtssicherheit für Investitionen geschaffen werden (DBV), so zum Beispiel durch ein geeignetes Patentrecht (LR Bayern). Eine zu restriktive Regulierung hingegen führe zu Abwanderung sowohl der Forschung als auch der Unternehmen (DBV). Hinzu komme nun, dass bereits eine Abnahme der Anzahl der Freisetzungsexperimente in Deutschland und Europa zu beobachten sei, was als Anzeichen einer zu restriktiven Regulierung gedeutet wird (BLL, DBV, LR Bayern). Daher sei gerade auch für die Technikentwicklung die Freisetzung zu erleichtern, da nur so Erfahrungen im Umgang mit der Technologie gewonnen werden könnten (BLL, DBV, DIB, LR Bayern, MPG (BroGen)). tisch-administrative System in der Bundesrepublik das vorrangige Ziel, durch den Ausbau des eigenen Standortes gesellschaftliche Stabilität und politischen Einfluss auf internationaler Ebene zu erlangen. Nicht alternative Technologien würden gefördert, sondern die öffentliche Forschung werde als Ergänzung der industriellen Forschung zur Produktentwicklung eingesetzt. Vgl. Dolata 1996: 65ff. u. 190f. 259

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Insbesondere zwei politische Akteure im Konfliktfeld zwischen Förderung und Regulierung werden benannt: die Bundesregierung und die EU-Kommission. Vor allem die Bundesregierung sei in dem Zwiespalt zwischen Förderung (der Forschung) und (restriktiver) Regulierung gefangen.42 Die EU-Kommission tritt hingegen nur als einseitiger Förderer auf (besonders wertgeschätzt vom DIB und von der LR Bayern), wobei insbesondere ihre Rolle bei der Aufhebung des EU-Moratoriums hervorgehoben wird. Hinter dieser Aufhebung vermutet der BUND (genstr) hingegen eine Verbündung mit US-amerikanischen Konzernen. Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang, dass sowohl der BUND (genstr) als auch die LR Bayern sich gegen die US-amerikanischen Konzerne wenden, dabei aber zu einer ganz unterschiedlichen Bewertung des EUMoratoriums gelangen. Während für die einen eine Aufhebung des Moratoriums eine Stärkung US-amerikanischer Interessen bedeuten würde, ist für die anderen die Aufhebung des Moratoriums notwendig, um die Position US-amerikanischer Unternehmen zu schwächen, da dann auch in Europa eine Technikentwicklung eingeleitet werden könne, die es ermöglichen würde, ein Gegengewicht zu diesen auszubilden. Die Position des BUND (genstr) verweist darauf, dass auch kritische Positionen Bezug auf die Standortdebatte nehmen und sich um Einfluss auf die Ausgestaltung des europäischen und deutschen Rechtsrahmen bemühen. So wird als bedeutender Standortvorteil Europas seine noch weitgehende Gentechnikfreiheit angeführt. Diese habe ebenso Vorbildcharakter für die Entwicklungsländer (EED). Gerade wegen der negativen Verbraucherakzeptanz bietet Gentechnikfreiheit einen Standortvorteil. »Der jetzige Wettbewerbsvorteil im EU-Binnenmarkt gegenüber Anbietern anderer Märkte in Asien und den USA darf nicht verspielt werden. Wichtige Export-Absatzmärkte, in denen die Verbraucher keine Gentechnik wollen, sind den amerikanischen Landwirten verloren gegangen – jährlicher Einnahmeverlust 300 Millionen US-Dollar. Über 70 Prozent der Verbraucher in Europa lehnen Gentechnik im Essen ab. Dies bietet Marktchancen sowohl für konventionell als auch ökologisch wirtschaftende Betriebe.« (Bioland: 3)

Der Verweis auf den Standort Deutschland beinhaltet bei befürwortenden Positionen zum einen die Hoffnung auf eine Verbindung zwischen Wirtschaftswachstum und positiver Arbeitsmarktentwicklung, zum anderen aber auch die Furcht einer Stagnation der Entwicklung technischer 42 So die Kritik beim BLL, DBV, DIB und der LR Bayern. Ebenso wird dieser Gegensatz vom aid erwähnt, aber eher in Hinblick auf ein stärkeres Engagement des Staates. In das Kreuzfeuer der Kritik geraten die Schwellenwerte (LR Bayern) und die Zulassungspraxis (DBV). 260

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Infrastruktur. Der Unterschied zwischen befürwortenden und (einigen) kritischen Positionen besteht grob gesprochen in der Antwort auf die Frage, ob nun die Weiterentwicklung oder der Verzicht auf die AgrarGentechnik als positives Standortmerkmal gewertet werden sollte. Die Ziele sind somit ähnlich (eine positive Wirtschaftsentwicklung), nur die Wege, um diese Ziele zu verwirklichen, sind unterschiedlich. Von Bedeutung ist, dass sowohl von einigen befürwortenden als auch von einigen kritischen Positionen eine Konfliktlinie zwischen Europa und den USA aufgebaut wird (insbesondere bei der LR Bayern und dem BUND (genstr)). Jedoch erscheint diese Konkurrenzsituation bei befürwortenden Positionen dringlicher, da sie die Förderung der AgrarGentechnik geradezu herausfordert. Bei kritischen Positionen erscheinen US-amerikanische Aktivitäten eher als störendes Agens, das Ansätze positiv bewerteter Entwicklungen in Europa zunichtemacht.

6.3.7 Zusammenfassung Wie im zweiten Kapitel gezeigt wurde, wird in einigen sozialwissenschaftlichen Studien die mangelnde Technikakzeptanz bei den Verbrauchern darauf zurückgeführt, dass sich die Technikentwicklung in Bereichen vollzieht, die nicht der gesellschaftlichen oder demokratischen Einspruchnahme unterliegen. In der ANT wird dies dann mit der Setzung gesellschaftlicher Machtasymmetrien durch die Eindämmung von Widerspruch in Verbindung gebracht. Diese Form der Kritik taucht auch bei einigen der analysierten kritischen Positionen auf. Eine kritische Strategie besteht darin, den Technikentwicklungsprozess nicht als einen sich eigenlogisch vollziehenden Prozess darzustellen, sondern seine soziale Konstruktivität zu betonen. Bei befürwortenden Positionen wird die Technikentwicklung weniger durch soziale Akteure getragen. Hier ist noch die Vorstellung präsent, dass sich die Technikentwicklung eigenlogisch vollziehe. Dennoch konnte gezeigt werden, dass auch von befürwortenden Positionen die Aktivität der Unternehmen und ihre eigennützigen Interessen an Profitmaximierung thematisiert und problematisiert werden. Sowohl das Interesse der Unternehmen an der Technikentwicklung als auch der Zugang zu Absatzmärkten müssen erst konstruiert werden. Durch die Betrachtung der Unternehmen im Konfliktfeld taucht aber noch ein weiterer Bezug auf: der regionale Bezug der Unternehmen und ihr Verhältnis zu der politischen Einheit des Staates. Damit können die Unternehmen nicht per se als die Technikentwickler gelten. Es gibt Unterschiede hinsichtlich ihrer Größe und ihrer regionalen Bezüge. Hierbei sind die Konflikt-

261

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

linien zwischen kleineren Unternehmen und Großkonzernen sowie zwischen den USA und Europa bedeutsam. Kritische Positionen zielen darauf, das bei politischen und ökonomischen Akteuren teilweise noch herzustellende Interesse als nicht mit dem Allgemeinwohl vereinbar darzustellen. Dieser Aspekt verfügt über ein stärkeres Kritikpotential als allein nur der Hinweis darauf, dass hinter dem Technikentwicklungsprozess soziale, eigennützig handelnde Akteure stehen. Für befürwortende Positionen ist der Verweis auf die Eigenlogik des Technikentwicklungsprozesses weniger deswegen von Bedeutung, da hinter der Technikentwicklung eigennützige Interessen entdeckt werden könnten. Vielmehr ist durch den Gedanken der Eigenlogik die Frage nach der Übereinstimmung von unternehmerischen Interessen und Allgemeinwohl der Diskussion entzogen. Gerade diese Verbindung müsste aber Gegenstand demokratischer Abstimmungsprozesse sein. Die Agrar-Gentechnik ist damit eine Technik, für die unterschiedliche Akteure erst interessiert werden müssen: nicht nur die Verbraucher und Landwirte oder die allgemeine Öffentlichkeit als Gesellschaft oder Staatsvolk und nicht nur die politischen Akteure, sondern die Unternehmen selbst. Damit wird um die Form der Sozialisation der Agrar-Gentechnik in eine Gesellschaft gerungen, die teilweise als nationale, teilweise als europäische und regionale oder als Weltgesellschaft konzeptualisiert wird. Die Deutungskämpfe – so wie sie sich in der Risiko- und Nutzen-Debatte zeigen – beziehen sich darauf, das von allen gemeinsam geteilte Interesse zu definieren und die Mittel und Wege für ihre Durchsetzung zu bestimmen. Damit bezieht sich die Diskussion um die AgrarGentechnik um die Herstellung eines einheitlichen politischen Körpers, mit all den Disziplinierungsversuchen, die dafür erforderlich sind. Jedoch – dies soll noch im Laufe des Kapitels deutlich werden – beteiligen sich hieran nicht alle Positionen.

6.4 Politische Repräsentation Während in der Agrar-Gentechnikdebatte viele Stimmen versuchen, die Interessen der Gesellschaft zu bestimmen, wird ebenso der Staat zur Verantwortung gezogen, um diesen unterschiedlichen Positionen gerecht zu werden und in einen einheitlichen Rechtsrahmen zu übersetzen. Auf die Ausgestaltung dieses Rechtsrahmens versuchen sowohl kritische als auch befürwortende Positionen Einfluss zu nehmen. Von einigen Positionen wird die Etablierung eines einheitlichen Rechtsrahmens gefordert, um die Anwendung der Agrar-Gentechnik auch angesichts der mit ihr verbundenen Problemlagen zu ermöglichen 262

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

(aid, BLL, DBV, LR Bayern). Jedoch solle die Ausgestaltung des Rechtsrahmens nicht zu restriktiv sein, um die Forschung nicht zu behindern. Ansonsten würden Forschung und Unternehmen abwandern (aid, DBV). So ist es für den DBV wichtig, dass Rechtssicherheit geschaffen werde, um langfristig Planungssicherheit (für Unternehmen und Landwirte) zu ermöglichen und ökonomische Risiken zu vermeiden. Auch kritische Positionen fordern eine Regulierung der Agrar-Gentechnik, jedoch kann ihnen diese Regulierung nicht restriktiv genug sein. So bedeutet für den EED und den BUND eine weniger restriktive Regulierung eine Beförderung des GVO-Anbaus und damit eine Bedrohung der gentechnikfreien Landwirtschaft. Gleichzeitig weisen sie darauf hin, dass jede Regulierung nicht eine Verhinderung des Anbaus zum Ziel habe, sondern vielmehr dessen Ermöglichung (BUND (genstr, InfB), EED). Diese Positionen könnten bereits als Reaktionen auf die Gentechnikdebatte gewertet werden. Zu Beginn der Debatte Mitte der 70er wurde bei befürwortenden Positionen keine oder nur eine marginale rechtliche Regulierung die präferiert. Da – so der Gedanke – die Gentechnik eine Technik wie jede andere sei, würde sie auch keiner besonderen Regulierung bedürfen.43 Von kritischen Positionen hingegen wurde eine rechtliche Regulierung abgelehnt, da sie immer eine Ermöglichung der Anwendung impliziere. Ihre präferierte Lösung zu Beginn der Debatte in den 80er Jahren in Deutschland war ein Gesamtverbot der Gentechnik in all ihren Anwendungsbereichen.44 Bezugnehmend auf die Anfänge der Debatte wird teilweise auch bei den analysierten Positionen die Etablierung der rechtlichen Regulierung der Agrar-Gentechnik auf die kontroverse Diskussion in der Öffentlichkeit zurückgeführt (BMVEL, Monsanto). Auch wenn befürwortende Positionen letztendlich die Etablierung eines 43 Die Forderung nach einer Regulierung durch die Wissenschaftler in den 70er Jahren in den USA bezog sich nur auf eine freiwillige Selbstbeschränkung der Wissenschaftler anhand von Mindeststandards und sollte nur staatlichen Regulierungsmaßnahmen zuvorkommen. Vgl. Rücker 2000: 73f. Nach Dolata (1996) war in der Bundesrepublik bei der Industrie die Forderung nach einem einheitlichen rechtlichen Rahmen Ende der 80er Jahre vor allem durch zwei Ereignisse induziert. Zum einen trat 1988 das Bundesemissionsschutzgesetz in Kraft, das eine Genehmigungspflicht unter Beteiligung der Öffentlichkeit bei nicht für Forschungszwecke bestimmten Anlagen festlegte. Man wollte ausschließen, das die Gentechnik unter dieses Gesetz fiel. Zum anderen wurde 1989 durch einen Verwaltungsgerichtshof ein Anlagenbau von Hoechst mit der Begründung einer unzureichenden rechtlichen Regulierung gestoppt. Vgl. Dolata 1996: 164ff. 44 Vgl. Steindor 1999: 385f. zur Position der GRÜNEN Ende der 80er zum Gentechnikgesetz. 263

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einheitlichen Rechtsrahmens als notwendig akzeptierten, hält sich im Diskurs dennoch die Position, dass auf Grund der inzwischen gesammelten Erfahrungen mit der Technologie, die Regulierungsbemühungen weiter gelockert werden könnten.45 Diese allgemeineren Positionen zur rechtlichen Regulierung der Agrar-Gentechnik spiegeln sich in der Diskussion um die Ausgestaltung einzelner Rechtsinstrumente, die im Folgenden näher erörtert werden sollen, wider. Diese Rechtsinstrumente können auch als Entitäten aufgefasst werden, die Aktivität durch ihre Rahmensetzung entfalten. Damit haben sie Auswirkungen auf die Ausformung der Agrar-Gentechnik und zwar sowohl auf die Netzwerke ihrer Produktion als auch auf die Netzwerke ihrer Ausbreitung.

6.4.1 Die Regulierung der Agrar-Gentechnik In vielen Positionspapieren erfolgt eine ausführliche Darstellung und Bewertung der bestehenden Rechtslage zur Agrar-Gentechnik. Als eine Hauptaufgabe der Politik wird die Regulierung der Koexistenzproblematik angesehen. Insbesondere die Anbauverbände fordern von der Politik, geeignete Maßnahmen zur Sicherstellung der Koexistenz zu ergreifen (aid, Bioland, DBV, FiBL). Nur durch rechtliche Regulierung sei die Sicherstellung der Koexistenz (BUND (genstr), Bioland) und damit der Wahlfreiheit (EED) möglich, da nur so Verunreinigungen eingeschränkt werden könnten.46 Gleichzeitig wird eine Durchsetzung der Agrar-Gentechnik und eine Ausweitung des Anbaus von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen von der Sicherstellung der Koexistenz abhängig gemacht.47 45 So die LR Bayern und der BLL. Die LR Bayern meint dazu: »Die Grüne Gentechnik ist wie jede Technologie nicht frei von Risiken, das vorhandene rechtliche und materielle Instrumentarium erlaubt jedoch nach derzeitigem Kenntnisstand einen sicheren Umgang mit GVO. Die Risiken der Grünen Gentechnik müssen hierbei gegen Risiken anderer Formen der Landbewirtschaftung und Lebensmittelerzeugung abgewogen werden, so dass insgesamt, auch angesichts der gewonnenen Erfahrungen auf dem Gebiet der Gentechnik, erwogen werden könnte, das besondere Technologiefolgen unterstellende Gentechnikrecht in ein allgemeines Biostoffrecht zu überführen.« LR Bayern: 5. 46 Auch wenn die Koexistenz als prinzipiell unmöglich erachtet wird, werden koexistenzsichernde Maßnahmen von einigen Organisationen gefordert. Vgl. die Diskussion zur Koexistenzproblematik in Abschnitt 6.1.3. 47 So der EED und die LR Bayern. »Koexistenz und [...] Haftung sind möglicherweise die beiden entscheidenden Aspekte bei der Frage, ob, und wenn ja, in wie weit sich die Gentechnologie in der Landwirtschaft und der Lebensmittelverarbeitung etablieren kann.« EED: 46. »Von der Regelung der Koexistenzproblematik wird es abhängen, inwieweit bei einer Beendigung 264

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Als Vorschlag für die Lösung der Koexistenzproblematik stellte der EU-Kommissar Franz Fischler 2003 die EU-Leitlinien zur Koexistenz vor. Diese zielen auf eine Gleichberechtigung aller Anbausysteme und auf die Festlegung von Maßnahmen zur Vermeidung von Verunreinigungen. Da diese Maßnahmen aber nach regionalen landwirtschaftlichen Gegebenheiten bestimmte werden sollen, wird die Ausgestaltung der Leitlinie den Mitgliedsstaaten überlassen. Diese Vorgehensweise wird insbesondere vom DIB begrüßt. So wird auch allgemein gefordert, regionale Erfahrungen im Anbau von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen in die Regulierung mit einzubeziehen (aid, DIB). Aus diesem Grund sollte auch ein Anbau in Deutschland erfolgen, um Erfahrungen sammeln zu können (BLL, DBV, DIB, LR Bayern, MPG). Dies verweist darauf, dass zwar ein einheitlicher übernationaler Rechtsrahmen gefordert wird, dieser aber so allgemein wie möglich gehalten und im Einzelnen regional ausgestaltet werden sollte. Auf bundesdeutscher Ebene nimmt das Gentechnikgesetz eine Schlüsselposition ein. In den Diskussionen wird sich auf das Gentechnikgesetz von 2005 bezogen, das von den Umweltverbänden größtenteils begrüßt wird. Das Gesetz biete einen Schutz für die gentechnikfreie Landwirtschaft (BUND (infB), Greenpeace) und stelle eine gute Lösung für Biobetriebe dar (Bioland). In der Bundesrepublik gibt es bereits seit 1990 ein Gentechnikgesetz.48 Das 2005 von der rot-grünen Regierung verabschiedete Gesetz sollte vor allem die EU-Freisetzungsrichtlinie in nationales Recht umsetzen. Die Vorgaben der EU-Freisetzungsrichtlinie schreiben unter anderem die Einrichtung eines öffentlichen Standortregisters, die Festlegung von Regeln der Guten fachlichen Praxis (GfP) sowie die Erstellung Monitoring-Plänen vor. Auf diese Punkte beziehen sich auch die Diskussionen in den analysierten Positionspapieren.49 des Zulassungsstopps für GVP [gentechnisch veränderte Pflanzen, B.P.] in der EU der Anbau von gentechnisch veränderten Sorten zur normalen Option für konventionell wirtschaftende Betriebe werden wird.« LR Bayern: 22. 48 Zur Entwicklung des Gentechnikgesetzes vgl. Dolata 1996: 164ff.; Bandelow 1999: 88ff. 49 Die Freisetzungsrichtlinie der EU (2001/18/EG) hätte bereits bis Oktober 2002 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Die EU-Kommission hatte wegen fehlender Umsetzung von elf Staaten vor den Europäischen Gerichtshof Klage erhoben, darunter auch gegen Deutschland. Das Gentechnikgesetz von 2005 setzte nur einige Vorgaben um – wie die Einrichtung eines öffentlichen Standortregisters –, da es wegen Blockaden im Bundesrat in zwei Teile aufgesplittet worden war. Mit dem Regierungswechsel wurde das gesamte Gesetz noch einmal überarbeitet und trat nach der Klärung der strittigen Punkte, an denen das rot-grüne Gesetz gescheitert war – wie die Bestimmung der Abstandsregeln und Monitoring-Pläne –, im April 2008 in Kraft. Weitere Bestimmungen zur Guten fachlichen 265

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

In Bezug auf das Standortregister gehen die Meinungen darüber auseinander, wie detailliert die Angaben im Standortregister zu sein haben (ob flurstückgenau oder nicht), und wer Zugang zu den dort verzeichneten Angaben haben sollte (die allgemeine Öffentlichkeit oder nur Landwirte und Imker, die von dem Anbau betroffen sein könnten). Die LR Bayern will zum Beispiel den Datenschutz nicht gefährdet wissen und die Angaben im Standortregister so weit wie möglich einschränken. Für kritische Positionen hingegen ist ein öffentliches Standortregister elementar, um Transparenz über die Verbreitung der Agrar-Gentechnik zu gewährleisten. Alle Anrainer, ob unmittelbar betroffen oder nicht, sollten wissen, was in ihrer Nachbarschaft angebaut wird.50 Die Regeln der Guten fachlichen Praxis sollen festlegen, welche Maßnahmen ein Landwirt ergreifen muss, um Verunreinigungen, wenn sie schon nicht zu vermeiden sind, zumindest zu minimieren. Mögliche Maßnahmen können hierbei eine Fruchtfolgeplanung, Vermeidung von Durchwuchs, Reinigung von Sä- und Erntemaschinen, Vermeidung von Erntevermischungen sein. Die Abstandsregeln, die ebenso zur Guten fachlichen Praxis gezählt werden, waren 2005 noch ungeklärt.51 In der Diskussion steht ebenso die rechtliche Regulierung der Kennzeichnung von GVO. Allgemein wird eine Kennzeichnung auch dann als wichtige Verbraucherinformation angesehen, wenn keine unmittelbaren gesundheitlichen Risiken gegeben sind, da sie Transparenz sicherstelle (vzbv, Verbr.Ini.). Das BMVEL begründet die Notwendigkeit einer Kennzeichnung jenseits der Regulierung der Agrar-Gentechnik mittels Praxis werden in der Gentechnikpflanzen-Erzeugungsverordnung, die am 1. Oktober 2008 in Kraft getreten ist, geklärt. 50 Anders als von einigen kritischen Positionen befürchtet (BUND (InfB), Greenpeace), gab es bei der Überarbeitung des Gentechnikgesetzes keine Einschränkungen beim Standortregister. Seit 2005 sind die Angaben über den Anbau flurstückgenau beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) unter http://www.bvl.bund.de/standortregister erfahrbar. Die Landwirte unterliegen hier einer Meldepflicht, drei Monate vor dem Anbau die entsprechenden Flächen bekannt zu geben. Für die genauere Identifizierung der Lage sind aber darüber hinaus Flurstückkarten notwendig, welche meist kostenpflichtig beim zuständigen Katasteramt erhältlich sind. Verschiedene Umweltverbände und Einzelinitiativen haben deswegen ihre Recherchearbeit ebenfalls ins Internet gestellt. Siehe hierzu http://www.greenpeace.de/themen/gentechnik/anbau_genpflanzen/artikel/a nbaukarte_gen_pflanzen. Damit werden rechtliche Regulierungen durch Eigeninitiative ergänzt. Siehe ebenfalls die Ausführungen der Zusammenfassung in Abschnitt 6.4.4. 51 In der Gentechnikpflanzen-Erzeugungsverordnung von 2008 ist ein Abstand von 150 Metern zu konventionellem Anbau und ein Abstand von 300 Metern zu ökologisch bewirtschafteten Flächen zu halten. Die neue Regelung gilt nur für Mais, Ergänzungen zu anderen Kulturpflanzenarten sollen folgen. 266

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unterschiedlicher Wert- und Moralvorstellungen in der Bevölkerung. Als Beispiel und Parallele zu der Kennzeichnung von GVO werden vom BMVEL dabei die Vegetarier genannt. Sie sollen davor geschützt werden, unwissentlich tierische Produkte zu sich zu nehmen. Die Kennzeichnung von Lebensmitteln kann damit als eine wichtige Vorraussetzung dafür angesehen werden, die Eigeninitiative der Verbraucher zu befördern (zum Beispiel ihre Ablehnung der Agrar-Gentechnik durch ihre Kaufentscheidung zum Ausdruck zu bringen). In diesem Zusammenhang wird auch eine rechtliche Absicherung der Kennzeichnung von tierischen Produkten, bei deren Herstellung GVO eingesetzt wurde, gefordert (Greenpeace, vzbv). Auch der DBV, die LR Bayer und der BLL halten die Kennzeichnung als Mittel der Verbraucherinformation für sehr bedeutsam. Jedoch fordern sie praktikable Kennzeichnungsvorschriften ein. Die LR Bayern hält die Kennzeichnung tierischer Produkte für nicht praktikabel und das BLL eine Kennzeichnung von Produkten, bei denen GVO selbst nicht nachweisbar sind. Das Konzept der Rückverfolgbarkeit sei eine Verbrauchertäuschung.52 Der BLL sieht hier insbesondere Risiken bei denjenigen Lebensmittelherstellern, die gentechnikfrei produzieren wollen, da

52 Die Positionspapiere der LR Bayern und des BLL stammen aus den Jahren 2003 und 2002. Die EU-Kennzeichnungsregelung trat am 18. April 2004 mit der Nahrungs- und Futtermittelverordnung (EU-Verordnung Nr. 1829/ 2003) und der Verordnung zur Rückverfolgbarkeit und zur Kennzeichnung (EU-Verordnung Nr. 1830/ 2003) in Kraft. Dieser Bereich wurde bis dahin von der Novel-Food-Verordnung von 1997 geregelt, die weiterhin für andere neuartige Lebensmittel in Kraft bleibt. An die Stelle der Nachweisbarkeit im Endprodukt nach der Novel-Food-Verordnung tritt nun ein Rückverfolgbarkeitssystem: GVO müssen sich über die ganze Produktions- und Vertriebskette zurückverfolgen lassen; die Dokumentation muss fünf Jahre aufgehoben werden. Dazu sollen spezifische Erkennungsmarker zum Einsatz kommen (unique identifiers), die bei der Genehmigung von der Behörde zugewiesen und international gehandhabt werden. Zu kennzeichnen sind demnach Lebens- und Futtermittel sowie Zutaten, wenn sie selbst gentechnisch verändert sind (zum Beispiel die gentechnisch veränderte Tomate), wenn sie GVO enthalten (zum Beispiel Joghurt mit gentechnisch veränderten Milchsäurebakterien) oder wenn sie aus GVO hergestellt sind (zum Beispiel Ketchup, Stärke, Öl aus gentechnisch veränderten Sojabohnen etc.). Zusatzstoffe und Aromen, müssen gekennzeichnet werden, wenn sie aus GVO hergestellt sind. Nicht darunter fallen Zusatzstoffe, die durch gentechnisch veränderte Mikroorganismen hergestellt wurden (zum Beispiel Glutamat, Enzyme) sowie tierische Produkte (Fleisch, Milch, Eier), die von Tieren stammen, die mit GVO gefüttert wurden. Generell ausgenommen von dieser Kennzeichnungspflicht sind »zufällige und unvermeidbare« Verunreinigungen, die den Schwellenwert von 0,9 % GVO-Anteil pro Zutat nicht überschreiten. Vgl. DNR 2003. 267

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sie im Einzelnen nachweisen müssten, dass eben keine gentechnisch verunreinigten Rohstoffe in die Produktion eingeflossen seien. Allgemein befürchten der DIB und die LR Bayern bei der Umsetzung durch die Bundesregierung in nationales Recht eine restriktivere, über die EU-Richtlinien hinausgehende Regulierung und eine damit einhergehende Behinderung der Anwendung der Agrar-Gentechnik in Deutschland. Ebenso sieht der BLL in den (damals neuen) Verordnungen bzw. Richtlinien zur EU-Freisetzungsregelung und zur EU-Kennzeichnungspflicht eine Behinderung der Agrar-Gentechnik durch eine restriktivere Regulierung. Gerade die Rechtsinstrumente, welche eine Transparenz für die Verbraucher (Kennzeichnungsregelung) und für die Öffentlichkeit (Standortregister) schaffen sollen, werden allgemein als Restriktion bezüglich der Technikanwendung angesehen. Weiterhin wird der Anbau von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen durch Regeln der Guten fachlichen Praxis reglementiert, der Landwirte mit Auflagen konfrontiert, die den Anbau erschweren könnten. Damit sind zwei Aspekte der politischen Regulierung benannt: Sie betreffen zum einen Eingriffe in die landwirtschaftliche Praxis (Gute fachliche Praxis) und zum anderen die Repräsentation der Wirklichkeit der Verbreitung von GVO in Lebensmitteln (Kennzeichnung) und in der Landwirtschaft (Standortregister). Die Agrar-Gentechnik wird damit nicht nur medial (im Sinne einer Kommunikation über die Massenmedien), sondern auch rechtlich repräsentiert und – für den interessierten Bürger – sichtbar gemacht. Damit herrscht bei den verschiedenen Positionen Konsens darüber, dass die politische Regulierung die Grundlage für einen Anbau gentechnisch veränderter Kulturpflanzen legt. Sie kann aber auch dazu führen, diesen zu behindern.

6.4.2 Haftung Die Haftungsfrage klärt, wer für den Schaden, der aus dem Anbau von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen entstehen könnte, aufzukommen haben. Sie findet vor allem bei befürwortenden Positionen (BLL, BMBF, DBV, DLG, Monsanto, MPG, Verbr.Ini.) keine Erwähnung bzw. wird kaum beachtet (LR Bayern).53 Der DIB bringt zum Ausdruck, dass er die Haftung für überflüssig hält. Da GVO nicht schädlich und das Risiko der Auskreuzung gering seien, sei die Haftung nur ein Konzept, dass den Anbau von GVO verhindern solle. Vom EED wird jedoch gerade darauf verwiesen, dass erst die Klärung der Haftungsfrage (neben der 53 Ebenso findet sie bei der BUKO, Misereor und der vzbv keine Erwähnung. 268

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Klärung der Frage zur Koexistenz) die Technikakzeptanz steigern könnte. Vielmehr Bedeutung und Relevanz findet die Haftungsfrage bei den kritischen Positionen, die sich mit der Lage der Bauern bzw. Landwirte beschäftigen, und wird hier auch ausführlich behandelt (aid, Bioland, BMVEL, BUND (InfB), EED, Greenpeace, Misereor). Die Haftung erscheint insbesondere deswegen notwendig, da bei Verunreinigungen Absatzverluste drohen und dies nicht nur bei der ökologischen, sondern auch bei der konventionellen Landwirtschaft (Bioland, Greenpeace), insofern Landwirte ihren Abnehmern vertraglich Gentechnikfreiheit zugesichert haben. So verlangten die Lebensmittelunternehmen wegen mangelnder Verbraucherakzeptanz gentechnikfreie landwirtschaftliche Rohstoffe, um bei ihren eigenen Erzeugnissen unter den Schwellwerten bleiben zu können und ihre Produkte nicht kennzeichnen zu müssen (BUND (InfB), BLL, BÖLW, EED, Greenpeace, Monsanto, vzbv). Die Klärung der Haftungsfrage ist für einige Organisationen die wichtigste zu klärende Rechtsfrage. Der BMVEL und aid erörtern ausführlich die nationalen und internationalen Aspekte der Haftungsregelung und drängen auf eine Vereinheitlichung der Haftungsregeln im internationalen Maßstab, um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden. Für den aid steht die Klärung der Haftungsfrage auch im internationalen Rahmen in engem Zusammenhang mit der bäuerlichen Unabhängigkeit, gerade wegen der Sicherstellung von Schadensersatz im Schadensfall. Die ungenügende Klärung der Haftungsfrage im Gentechnikgesetz (Bioland) ist dabei auch ein Grund dafür, die Aufrechterhaltung des EU-Moratoriums zu fordern, da die Haftungsfrage einer der Gründe gewesen wäre, wieso es überhaupt vereinbart worden sei (EED). Ebenso sei die Klärung der Haftungsfrage schwierig. Dies wird dadurch deutlich, dass keine Versicherungen bereit sei, den Schaden, der aus den Anbau von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen resultieren könnte, zu versichern (Bioland, BÖLW, BUND (InfB), EED). »Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft hat am 2. Juli 2004 nochmals betont, keine Landwirte zu versichern, die gentechnisch verändertes Saatgut verwenden. Auch ausländische Versicherer seien vermutlich nicht an dem Geschäft interessiert. Vertreter der Saatgutfirmen haben ebenfalls klargestellt, dass sie nicht bereit sind, Landwirte von der Haftung freizustellen.« (BUND (InfB): 19)

Die Haftungsproblematik besteht darin, dass vereinbart werden muss, wer bei einem Schaden zu haften habe. Dabei besteht die Forderung, dass dies der Verursacher sein müsse. Bei Verunreinigungen kann aber 269

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nicht immer zweifelsfrei festgestellt werden, woher diese stamme und wer dafür verantwortlich zu machen sei. An der Haftungsproblematik wird demnach deutlich, dass das Problem der Zurechnung einer Folge (die Verunreinigung) auf einen Handelnden, zu Unsicherheit bezüglich der Verteilung der Kosten führt. An dem Beispiel der Haftung zeigen sich somit deutlich die Verteilungskämpfe in der Risikogesellschaft (vgl. Abschnitt 2.2.1). Befürwortende Positionen ignorieren das ökonomische Risiko mit dem Verweis auf die Sicherheit von GVO und missachten dabei die Risikodefinitionen der Verbraucher, was wiederum bei den Landwirten zu ökonomischen Risiken führt.54 Die Haftungsproblematik verweist darüber hinaus auf die Schwierigkeiten der Einbettung der Agrar-Gentechnik in den sozialen Kontext, insbesondere in den Kontext der landwirtschaftlichen Praxis. So wird befürchtet, dass die Rechtsstreitigkeiten, die aus Schadensersatzklagen folgen könnten, Unfrieden in der bäuerlichen Nachbarschaft stiften würden (Bioland, BÖLW). Auch Greenpeace verweist darauf, dass das Einklagen der Haftung für alle Beteiligten mit einem gewissen Aufwand verbunden sei und empfiehlt nachbarschaftliche Regelungen zu treffen. Damit wird an den Diskussionen um die Haftungsfrage – wie schon bei der Kennzeichnung – deutlich, dass jenseits staatlicher Regulierungen auf Eigenverantwortung und privatrechtliche Instrumente zurückgegriffen wird.55

6.4.3 Vorsorgeprinzip und Risikoprinzip Die Diskussionen um die Ausgestaltung des Rechtsrahmens verweisen darauf, dass dieser abhängig ist von internationalen Regulierungswerken und teilweise in Konflikt mit diesen steht. Bedeutsam ist hierbei die Unterscheidung zweier Regulierungsregime: die Orientierung am Vorsorge54 Eine Bemerkung zur weiteren Entwicklung rechtlicher Regulierung: Im Gentechnikgesetz von 2008 ist eine gemeinschaftliche verschuldensunabhängige Haftung, bei gegebenenfalls monetären Schaden, geregelt. Ob ein Schadensersatz erfolgt, muss im jeweiligen Fall vor Gericht geklärt werden. 55 Aber auch Befürworter greifen auf Lösungen jenseits staatlicher Regulierung zurück, wie es das sogenannte »Märka-Modell« verdeutlicht. Nach diesem Modell – benannt nach dem Futtermittelwerk Märka in Eberswalde (Brandenburg) – wurde den benachbarten Landwirten der Aufkauf ihrer Ernte zu marktüblichen Preisen unabhängig vom Verunreinigungsgrad zugesichert, insofern es sich um Körnermais und nicht Mais zur Herstellung von Silage handelte. Mit dem Verkauf an die Verbio AG konzentrierte sich das Unternehmen auf den Handel mit Getreide für die Bioethanolproduktion und stieg aus dem Modell aus, welches aber durch den Raiffeisenverband fortgeführt wird. Vgl. Volling/Feilmeier 2007: 150f. 270

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prinzip, an dem sich vor allem in Europa ausgerichtet wird, und der Risikoansatz, der vor allem von den USA verfolgt wird. Das Vorsorgeprinzip fordert Maßnahmen zur Risikovorsorge auch bei ungenügender wissenschaftlicher Begründung von Risiken zu ergreifen. Im Risikoansatz hingegen muss ein Risiko erst wissenschaftlich nachgewiesen sein, um entsprechende Regulierungsmaßnahmen einzusetzen. Das Vorsorgeprinzip gründet auf der ethischen Überzeugung, dass die Verpflichtung besteht, die Wahrscheinlichkeit von Risiken – insbesondere wenn sie mit irreversiblen Schäden verbunden sind – schon im Vorhinein zu minimieren (BMVEL: 22f.).56 Beide Regulierungsregime liegen insbesondere in Bezug auf die Agrar-Gentechnik in Konflikt miteinander. So erhoben 2003 die USA unter anderem zusammen mit Argentinien, Kanada und Ägypten vor der Welthandelsorganisation (WTO) Klage gegen die EU. Die Klage richtete sich gegen das EU-Moratorium über Neuzulassungen und die nationalen Einfuhrverbote, die beide als Behinderung des Handels angesehen wurden.57 Auch von einigen befürwortenden Positionen wird das EU-Moratorium als rechtswidrig angesehen (DBV, DIB, LR Bayern). Importbeschränkungen seien nach WTO-Regeln nur dann zulässig, wenn wissenschaftliche Evidenz über die gesundheitliche Beeinträchtigung von 56 Vgl. Ammann/Vogel 2002: 27: »Während der Risikoansatz eine enge Beurteilung des Risikos durch Experten gemäß dem Stand des Wissens darstellt, stellt das Vorsorgeprinzip ein breiteres Instrument der wissenschaftlichen Beurteilung dar, indem es in seine Maßnahmen auch den Stand des Nichtwissens einbezieht.« Damit reagiert das Vorsorgeprinzip auf den Charakter der neuen Risiken als »hypothetische Risiken«, die wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden können, da keine langen Schadensreihen vorliegen und ein Schadensfall wegen möglicher irreversibler und katastrophaler Schäden auch nicht wünschenswert ist. Dieser Politikwechsel soll vor allem in Bezug auf die Regulierung der Gentechnik erfolgt sein: »Zum ersten Mal wurde eine wissenschaftliche Methode und die daraus resultierende Technologie schon auf bloßen Risikoverdacht hin unter Beobachtung gestellt.« Gill/Bizer/Roller 1998: 18. Zur Entstehung der beiden Regulierungsregime aus politikwissenschaftlicher Sicht vgl. Bernauer 2003. Bei letzterem handelt es sich aber um eine wissenschaftliche Studie mit eindeutiger Tendenz zu befürwortenden Argumenten. Vgl. Fußnote 1 in diesem Kapitel. Zu einer eingehenderen Diskussion der Argumente für und wider das Vorsorgeprinzip vgl. Levidow 2001. Les Levidow stellt dabei die These auf, dass die Risikodebatte in unterschiedliche Herangehensweisen zur Umsetzung des Vorsorgeprinzips übersetzt worden sei. 57 Obwohl es seit 2004 wieder zu Neuzulassungen kam, wurde die Klage bis zu Ende durchgefochten und das Urteil am 29. September 2006 veröffentlicht. Darin wurde das Moratorium und die nationalen Einfuhrverbote einiger EU-Mitgliedsstaaten als mit dem WTO-Recht nicht vereinbar angesehen. Zum EU-Moratorium vgl. ebenso Fußnote 15 in diesem Kapitel. 271

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Mensch und Tier vorliege (LR Bayern: 15). Als Verbündeter für diese Position wird die EU-Kommission angeführt, welche die gleiche Meinung vertrete. Das Moratorium ist hier wesentlicher Indikator für eine technologiefeindliche Politik. Bei kritischen Positionen wird am WTO-Streitfall der von einigen Akteuren konstruierte Gegensatz zwischen Bundesrepublik/Europa und den USA am deutlichsten. Der BUND (genstr, InfB) und der EED behaupten, dass die USA mit der Klage vor der WTO eine Öffnung des europäischen Marktes erzwingen wollten. So würden den USA durch das EU-Moratorium nach eigenen Angaben 300 $ verloren gehen (BUND (genstr), EED). Der BUND (genstr) unterstellt ebenso, dass mit der WTO-Klage ein Exempel für den Rest der Welt statuiert werden sollte, ebenfalls keine Protektionsmaßnahmen hinsichtlich des Handels und Verkehrs von GVO einzurichten. Auf Druck der USA sei daraufhin, so der BUND (InfB) und der EED, das EU-Moratorium aufgehoben worden, so dass es seit 2004 wieder zu Neuzulassungen komme. Mit einem Wort: Hauptsächlich wird die Aufhebung des Moratoriums auf die Klage vor der WTO zurückgeführt. Die LR Bayern weist darauf hin, dass der Klage Verhandlungen vorausgegangen seien, die aber ergebnislos geblieben wären. Nur eine kleine Minderheit in der EU sei an der Aufrechterhaltung, die EU-Kommission hingegen an einer Aufhebung des Moratoriums interessiert gewesen. Eine andere Interpretation des WTO-Streitfalls liefert weiterhin der BUND (genstr), der darauf verweist, dass die USA mit der WTO-Klage das Cartagena-Protokoll aushebeln wollten. Das Cartagena-Protokoll regelt den grenzüberschreitenden Handel und die Nutzung von GVO, um negative Effekte auf die biologische Vielfalt auszuschließen (EED: 33, aid: 35).58 Es orientiert sich im Gegensatz zur WTO am Vorsorgeprinzip.59 Damit sei das Regulierungsregime Europas – auch wenn die USA 58 Das Cartagena Protokoll – auch Biosafety-Protokoll oder Protokoll zur biologischen Sicherheit genannt – wurde 1999 in Cartagena ausgehandelt und 2000 in Montreal verabschiedet. Es ist ein Zusatzprotokoll der Konvention über biologische Vielfalt (CBD), die 1992 in Rio unterzeichnet wurde. 2003 trat das Protokoll in Kraft und muss nun von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Zu einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung und Bewertung des Cartagena-Protokolls und der CBD vgl. Görg 2003: In seiner Argumentation wurde innerhalb der CBD das Modell einer nationalen Souveränität über genetische Ressourcen entwickelt, die dadurch erst zu Eigentum und damit austauschfähig gemacht wurden. Die CBD, die eigentlich dem Schutz genetischer Ressourcen dienen sollte, ermöglichte somit erst deren Kommerzialisierung und damit Ausbeutung. Für aktuelle Informationen: http://www.cbd.int. 59 Die WTO orientiert sich an den SPS-Standards (Sanitary and Phyto Sanitary Standards), denen zufolge der Import von GVO nur bei wissenschaft272

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selbst das Protokoll ablehnen und es nicht unterzeichnet haben – durch den Cartagena-Verhandlungsprozess gestärkt worden. Durch das Cartagena-Protokoll seien Kennzeichnungsregelungen und die Haftung nicht mehr so leicht vor der WTO als Handelshemmnis anzuklagen (EED). Insbesondere der EED weist darauf hin, dass die Entwicklungsländer sich in der Ausgestaltung ihrer Rechtsinstrumente an der EU oder den USA ausrichten würden. Demnach ginge es in Zukunft darum, welcher der beiden Regulierungsansätze »gewinne«. Die Abhängigkeit der Entwicklungsländer sei dadurch begründet, dass die EU und die USA zu den Agrarsupermächten gehörten und die Entwicklungsländer in ihren Importen und Exporten von diesen abhängig seien. Dies begründe dann auch die spezifische Verantwortung Europas in der Ausgestaltung seines Rechtsrahmens. Der Meinung, dass die Regulierung der Agrar-Gentechnik in Europa den Entwicklungsländern gerecht werden müsse, schließen sich auch die MPG und der BLL an, die damit aber einen ganz anderen Rechtsrahmen meinen als das EED. Die MPG und der BLL wollen den Entwicklungsländern mittels der Gentechnik helfen, ihre wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu lösen. Das EED hingegen will die Entwicklungsländer vor den Auswirkungen dieser Technikanwendung bewahren (und tritt aus diesem Grund auch für eine Aufrechterhaltung des EU-Moratoriums ein). Beide Seiten stimmen also in der Forderung, dass die rechtliche Regulierung den Entwicklungsländern gerecht werden müsse, überein, kommen aber auf Grund der unterschiedlichen Bewertung der Technologie und ihrer Folgen als auch infolge der unterschiedlichen Definitionen der Interessen der Entwicklungsländer zu ganz anderen Empfehlungen.

6.4.4 Zusammenfassung Die Diskussion zu den nationalen und internationalen Regulierungswerken verdeutlicht unterschiedliche Prinzipien der Politikgestaltung. Diese Prinzipien lassen sich grob gesprochen auf die Grundlegung der Politik mittels der Wissenschaft und auf eine Organisation der Politik nach partizipatorischen Kriterien unterscheiden. So begründen politische Akteure ihren Regulierungsanspruch mit dem Verweis auf die Risiken der Agrar-Gentechnik. Eine verantwortungsvolle Technikentwicklung sei nur durch einen Regulierungsrahmen, in dem die Erkenntnisse aus der Risikoforschung aufgenommen werden, möglich (BMBF). Die politische Handlungsfähigkeit gegenüber der Technikentwicklung müsse gewahrt bleiben. Die LR Bayer und das lich nachgewiesenen Gesundheitsrisiken beschränkt werden darf. LR Bayern: 15; aid: 35. 273

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BMBF sind der Meinung, dass gerade dadurch, dass eine Technik prinzipiell immer mit Risiken behaftet sei, ihr ein geeigneter rechtlicher Rahmen geboten werden müsse, um die Sicherheit der Technik zu erhöhen. Als eine wesentliche Aufgabe des Staates wird dabei die Sicherheitsforschung angesehen, welche die Grundlage dieser Regulierung liefern soll (aid, BLL, BMBF). Damit ist eine der Hauptforderungen ausgesprochen: Politische Regulierung soll auf Grundlage wissenschaftlicher Informationen erfolgen (BLL, BMBF, DBV, DIB, LR Bayern, Monsanto). In ähnlicher Weise können die oben genannten Ausführungen zu den beiden Regulierungsregimes interpretiert werden: Während der Risikoansatz von wissenschaftlicher Sicherheit ausgeht, bezieht sich der Vorsorgeansatz auf das Nichtwissen. Darüber hinaus impliziert das Vorsorgeprinzip sowohl eine Ausweitung der Schaddimensionen auf soziale und ökologische Risiken als auch partizipatorische Elemente. So besteht eine andere Sichtweise auf Politik darin, dass Politik zwischen unterschiedlichen Positionen vermitteln und den unterschiedlichen Standpunkten in der Gesellschaft gerecht werden soll. Aus diesem Grund ist ein Einbezug der Öffentlichkeit in die Diskussion wünschenswert (BMVEL). Von mehreren Positionen wird dabei herausgestellt, dass nur ein offener Dialog, in der sowohl die vorhandenen Fakten kommuniziert als auch die vorhandenen Befürchtungen ernst genommen werden, die Grundlage für politische Entscheidungen legen könne (BLL, BMBF, BMVEL, MPG). Entscheidungen sollten daraufhin demokratisch getroffen werden. Das BMBF argumentiert, dass keine allgemeine Technikfeindlichkeit in Deutschland vorhanden sei, sondern dass die Bürger vielmehr nach einer Beteiligung an der Technikgestaltung verlangten. Somit soll sich die politische Entscheidungsfindung nicht nur auf wissenschaftlich abgesicherte Informationen stützen, sondern auch auf die Ansichten in der Bevölkerung (BLL, BMBF, BMVEL, DBV, LR Bayern). In dieser Argumentation wird also versucht, in die Konzeptualisierung der politischen Regulierung sowohl Expertenrationalität als auch Laienrationalität einfließen zu lassen. Gerade abgesicherte Informationen sollen zu einer Rationalisierung des Risikodiskurses beitragen. Es geht in erster Linie nicht um die Berücksichtigung individueller Risikowahrnehmungen oder gar um Demokratisierungsprozesse, sondern um ihre Rückbindung an den Stand der Wissenschaft. Damit kann dann auch gemeint sein, Ansichten in der Bevölkerung – also die Laienrationalität – wissenschaftlich zu erfassen. An dieser Stelle wird die These Latours über die starke Verbindung zwischen Wissenschaft und Politik gestützt. Öffentliche Diskussionen werden durch ihre Rückbindung an den Stand der Wissenschaften »geerdet« und damit abgekürzt. Der Verweis auf die 274

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notwendige Einbindung partizipatorischer Elemente in die politische Entscheidungsfindung deutet jedoch auch auf eine Verschiebung in der Konzeption der modernen Verfassung hin. Doch neben diesem Bezug auf die staatliche politische Regulierung wird insbesondere von kritischen Positionen noch eine andere Form von Politik angesprochen,60 die sich eher auf die privatrechtlichen Möglichkeiten wie auch auf andere Formen von Eigeninitiative bezieht. So können innerhalb des gesetzten rechtlichen Rahmens eigene Gestaltungsspielräume entdeckt werden, wie zum Beispiel die Gründung gentechnikfreier Zonen auf Grundlage von Selbstverpflichtungserklärungen der beteiligten Landwirte (BUND (genstr, InfB), BÖLW) oder die eigenständige Kennzeichnung tierischer Produkte, die mittels der Agrar-Gentechnik hergestellt worden sind, um die Kennzeichnungslücke zu schließen (Bioland, BUND (InfB)). Für letzteres ist der Einkaufsratgeber von Greenpeace ein Beispiel, der die Lebensmittelunternehmen auflistet, welche sich gegen die Verwendung der Agrar-Gentechnik ausgesprochen haben.61 Stehen also auf der einen Seite Forderungen an die staatliche Politik – Vorschläge für die Ausgestaltung der allgemeinen Rechtsrahmen und für die Mechanismen der politischen Entscheidungsfindung – wird auf der anderen Seite die rechtliche Rahmensetzung in Abhängigkeit zu dem Eigenengagement der Bürger gesetzt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Rechtslage in ihrer Aktivität auf bestimmte Rechtsgegenstände unterschiedlich konstruiert werden kann, je nachdem welche Einflussmöglichkeiten gesehen werden. So werden, wo dies möglich ist, Forderungen an die Politik gestellt und Vorschläge für ihre Ausgestaltung vorgetragen. Hier erscheint die rechtliche Regulierung als veränderbar und von politischen Akteuren getragen. In den Punkten aber, in denen auf die Eigeninitiative verwiesen wird, erscheint die Rechtslage als ein Fakt, als Quasi-Natur, die den Rahmen für individuelle Aktivität setzt. Diese unterschiedlichen Auffassungen sind nicht abhängig von der Organisation, sondern sie tauchen in den Positionspapieren meist gleichzeitig aber in unterschiedlichen Zusammenhängen auf. Tendenziell sind es aber die NGOs, die auf das Eigenengagement und die Eigeninitiative im Gegensatz zur staatlichen Politik verweisen und damit die Rechtslage als »Zweite Natur« darstellen. Hier können Hinweise auf eine andere Verfassung gesehen werden, die 60 So bei Greenpeace, dem BUND (InfB), Bioland, BÖLW aber auch in einigen Punkten die vzbv. 61 Vor dem Erscheinen des Einkaufsratgebers waren die entsprechenden Informationen im Internet veröffentlicht (Bioland, Greenpeace). Als Eigenkennzeichnung kann ebenso die Veröffentlichung der Standorte der Felder mit gentechnisch veränderten Kulturpflanzen gelten. Vgl. Fußnote 50 in diesem Kapitel. 275

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keine Verbindung zwischen Wissenschaft und Politik zieht, sondern den Gesetzen aus Natur und Politik eine weitere Aktivität entgegensetzt, die auf der Eigeninitiative und Selbstorganisation beruht.

6 . 5 R e s ü m e e : D i e Ag r a r - G e n t e c h n i k in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen Die Agrar-Gentechnik wird in unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche verschieden integriert. Die sozialen Akteure der beteiligten Interessengruppen versuchen diese Integration in ihrem Sinne zu gestalten, wobei sie sich entlang der Unterscheidung von Befürwortern und Gegnern diskursiv positionieren. Es zeigte sich jedoch auch, dass sich innerhalb des befürwortenden und innerhalb des kritischen Lagers Unterschiede in den Positionen identifizieren lassen. So konnte insbesondere an der Konstruktion der Biotechnologieunternehmen verdeutlicht werden, dass befürwortende Positionen sich danach unterteilen lassen, ob sie eher auf den Nationalstaat oder eher allgemein auf ein globales Wirtschaftswachstum ausgerichtet sind. Parallel dazu stehen nicht alle kritischen Positionen der Agrar-Gentechnik vollständig ablehnend gegenüber. Wie sich bei der Diskussion zur Forschungsförderung herausstellte, halten einige von ihnen eine sozial- und umweltverträgliche Technikgestaltung für möglich. Die Positionen zur Agrar-Gentechnik verweisen nicht nur darauf, wie die Agrar-Gentechnik in unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche integriert wird, sondern auch darauf, welches Potential für eine solche Integration vorhanden ist. Von den verschiedenen Interessengruppen wird dabei durch die Disziplinierung der potentiell Verbündeten – wie insbesondere Landwirte und Verbraucher – versucht, dieses Potential entweder zu vergrößern oder zu verringern. Das Potential der AgrarGentechnik zur Integration in unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche wird im Folgenden zusammenfassend betrachtet. Die gentechnisch veränderte Pflanze für sich, so wie sie auf dem Feld steht, kann als ein technisches Artefakt begriffen werden, die soziotechnischen Strukturen aber, durch welche sie hervorgebracht wurde, sind als ein großtechnisches System beschreibbar. Die Technikgeneseforschung stellt die Beteiligung unterschiedlicher Akteure an der Technikentwicklung heraus (vgl. Abschnitt 2.2.2). Die Konzeption Großer technischer Systeme (GTS) verweist nun darauf, dass dadurch, dass gesellschaftliche Akteure an der Aufrechterhaltung technischer Strukturen beteiligt sind, diese auch als Bestandteil des technischen Systems ange276

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sehen werden können.62 Auch die Gentechnik könnte als ein Großes technisches System aufgefasst werden. So weist Maranta (2000) darauf hin, dass die Gentechnologie Akteure systemübergreifend in einem Netzwerk verbindet und nicht von einem System oder einem Akteur koordiniert werden kann. Ein Netzwerk von Zulieferindustrien, Datenbanken und ausgebildeten Fachkräften ist notwendig, damit Gentechnik überhaupt stattfinden kann.63 Jedoch können zu dem Netzwerk um die Agrar-Gentechnik nicht nur jene Akteure gezählt werden, die sich an der Herstellung gentechnisch veränderter Kulturpflanzen beteiligen. Für die Verbreitung und Aufrechterhaltung der sozio-technischen Strukturen, welche die Agrar-Gentechnik produzieren, sind ebenso solche Akteure notwendig, die bislang dem »Kontext« eines technischen Systems zugerechnet wurden. So müssen für die Agrar-Gentechnik nicht nur Landwirte und Verbraucher interessiert werden, sondern auch politische Akteure und die Unternehmen und neben den sozialen Akteuren auch nichtsoziale Akteure, wie rechtliche Regulierungsinstrumente oder die Ernteerträge. Es wurde bereits darauf verwiesen, dass zwischen dem Netzwerk der Produktion und dem Netzwerk der Ausbreitung der Agrar-Gentechnik unterschieden werden muss. Das Potential zur Integration ergibt sich aus der Vorstrukturierung der Agrar-Gentechnik. Diese Vorstrukturierung liegt vor allem im Netzwerk der Produktion, das überwiegend durch privatwirtschaftliche Interessen bestimmt ist. Das Netzwerk der Ausbreitung hingegen wird durch die Disziplinierung der Verbündeten erreicht, die durch das rechtliche Regime und durch die Kontrollstruktur zur Einhaltung der rechtlichen Regulierung bestimmt wird. Damit ist auch die Ausbreitung der Netzwerke und die Disziplinierung der Verbündeten vorstrukturiert. Die Konzeption von der Ausbreitung und Produktion von Repräsentationen kann auf die Agrar-Gentechnik übertragen werden. In dem Fall kann die kommerzialisierte gentechnisch veränderte Pflanze als Repräsentation aufgefasst werden. 62 Vgl. zum Konzept des GTS Mayntz/Hughes 1988; Joerges 1992; Mayntz 1993. Das Konzept des Großen technischen Systems wurde insbesondere in Bezug auf Infrastruktursysteme entwickelt, dann aber auch auf andere technische Strukturen übertragen. Ihre spezifische Charakteristika ist die Vernetzung und Integration von materiellen und sozialen Komponenten über räumliche und zeitliche Distanz hinweg. Vgl. Hughes 1987: 51f.; Joerges 1992: 56f. 63 Vgl. ebenso Albrecht 2000: 89, FN 9. Albrecht weist darauf hin, dass die einzig expansive Branche im Bereich der Biotechnologie die Zuliefererbetriebe darstellen. Die Biotechnologiemobile, mit denen die Gentechnik der Bevölkerung handgreiflich gemacht werden soll, vermittelt hingegen den verfälschenden Eindruck, als ob mittels einfacher Materialien, die aus jeder Küche stammen könnten, Gentechnik betrieben werden könne. 277

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Das argumentative Netzwerk, das untersucht wurde, bietet Hinweise auf die Netzwerke der Produktion und die Netzwerke der Ausbreitung der Agrar-Gentechnik. Beide stellen heterogene Netzwerke dar. Die Argumente für und wider die Agrar-Gentechnik entstehen an der Schnittfläche der Netzwerke der Produktion der Agrar-Gentechnik und der Netzwerke, die auf andere Repräsentationen ausgerichtet sind, wie vor allem die Verbraucher, die Landwirtschaft und das Gemeinwesen. Diese, erst zu disziplinierenden Netzwerke können die Ausbreitung der AgrarGentechnik entweder stören oder befördern. Hier geht es zunächst darum, die Argumentationen nicht nur als diskursive Strategien, sondern als Anwerbung von Verbündeten aufzufassen. Diese Verbündeten werden mobilisiert, um die Agrar-Gentechnik entweder zu befördern oder zu behindern. Aus diesem Grund wurde die Zuschreibung von Aktivität betrachtet. Unabhängig von den unterschiedlichen Strategien, die Interessengruppen mobilisieren, um Verbündete anzuwerben, kann zunächst danach gefragt werden, inwiefern es gelingt, Netzwerke aufzubauen, welche die Ausbreitung der Agrar-Gentechnik befördern oder behindern. Die beiden Graphiken in den Abbildungen 7 und 8 zeigen das positive Netzwerk und das negative Netzwerk um die Agrar-Gentechnik. Die Darstellung basiert auf der Zuschreibung von Aktivität, die in den Argumenten des gesamtargumentativen Feldes enthalten sind. Die Zuschreibung positiver Aktivität, bezieht sich auf den fördernden Charakter, die Zuschreibung negativer Aktivität auf den behindernden Charakter der Beziehung der Entitäten untereinander. Die Bewertung der Beziehung wurde dabei nicht beachtet. So wurde zum Beispiel die Behinderung von Allergien durch die Agrar-Gentechnik als negative Aktivität kodiert, obwohl diese Art der Beziehung allgemein positiv bewertet wird. Die Darstellung resultiert aus einer Übereinanderlagerung der Perspektiven aller untersuchten Organisationen.64 In der Graphik in Abbildung 7 ist dargestellt, in welchem Netzwerk die Agrar-Gentechnik zirkuliert. Die hier auftauchenden Entitäten geben der Agrar-Gentechnik Raum, weil sie diszipliniert wurden und sie stützen. Die sozialen und nichtsozialen Akteure müssen aktiviert werden, 64 Bei den Graphiken in Abbildung 7 und 8 wurde jeweils das egozentrierte Netzwerk auf die Agrar-Gentechnik getrennt nach der Zuschreibung von positiver und negativer Aktivität betrachtet. Vgl. zur näheren Beschreibung der Vorgehensweise Abschnitt 3.3.2. Nur die Verbindungen werden angegeben, die von mindestens drei Organisationen thematisiert wurden. Die Richtung der Verbindung fand dabei keine Beachtung, da ein positiver Bezug egal in welche Richtung immer eine Stärkung des Netzwerkes impliziert. Somit verdeutlicht die Darstellung dann den Raum, innerhalb dessen die Agrar-Gentechnik entweder befördert oder behindert wird. 278

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

um den Kontext für die Anwendung der Agrar-Gentechnik zu schaffen. Damit könnten Akteure, die bislang als außerhalb eines technischen Systems stehend angesehen wurden, als Teil des technischen Systems begriffen werden. Dadurch werden die Folgen in das technische System inkorporiert und diszipliniert. Dass dieser Gedanke auch im Diskurs auftaucht, zeigt sich darin, dass insbesondere befürwortende Positionen auf die gesundheitlichen und ökologischen Aspekte der Technikinnovation verweisen und nicht nur technische Nutzenerwartungen anführen. Dabei ist aber zu bemerken, dass sich die Ausweitung der Nutzenerwartungen vor allem auf die Verbraucher, nicht aber auf die Landwirte bezieht, was sich an den unterschiedlichen Entscheidungsformeln zeigt. Landwirten wird als Wirtschaftsakteuren kein weiteres Interesse an Ökologie und sozialer Umwelt unterstellt. Es geht den Befürwortern nur um eine soziale Einbettung der Technik, aber nicht um eine Änderung der Logik der Technikentwicklung. In der Graphik in Abbildung 8 ist dagegen dargestellt, welche behindernden Faktoren um die Agrar-Gentechnik auftauchen. Einige dieser Faktoren, wie zum Beispiel die Verbindung zu Allergien, sind Argumenten von befürwortenden Positionen zuzurechnen, andere wiederum, wie zum Beispiel Verbraucher und Landwirte, sind resultieren aus kritischen Argumenten. So wird von kritischen Positionen versucht, soziale Akteure an der Agrar-Gentechnik zu desinteressieren. Sie sollen aktiv dazu beitragen, sich gegen die Gentechnik zu stellen. Zu bemerken ist, dass das negative Netzwerk weit weniger verzweigt ist als das positive, was im Gegensatz zu der erfolgreichen Vernetzung der Debattenfelder bei kritischen Positionen steht (vgl. Abbildung 4). Dies verweist darauf, dass kritische Positionen, zwar diskursiv stark sind, dass sie jedoch weniger erfolgreich in der Mobilisierung von Verbündeten sind. Die beiden Netzwerke geben ebenso einen Hinweis darauf, welche Verbündeten Befürworter und Gegner mobilisieren konnten, um die Ausbreitung der Agrar-Gentechnik entweder zu befördern oder zu behindern. Wie die Erörterungen im dritten Kapitel zur ANT zeigten, können Kooperationsbeziehungen aus dem gemeinsamen Bezug auf eine Repräsentation oder einem Boundary Object entstehen. Hier sind die untersuchten Organisationen in ihrem Bezug zur Agrar-Gentechnik miteinander verbunden. Nur bei einer gemeinsamen Ablehnung oder Befürwortung entsteht jedoch Potential zur Kooperation. Dabei beziehen sich fast alle untersuchten Positionen auf das Allgemeinwohl, um entweder herauszustellen, dass die Agrar-Gentechnik auch gesellschaftlich eingebunden werden soll, oder, um diese Einbindung in Frage zu stellen. Nur in dieser Bewegung zum Allgemeinwohl tauchen die Entitäten und Akteure wie Verbraucher oder Landwirte, welche der Ausbreitung der Agrar279

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Gentechnik förderlich oder hinderlich sein können, auf. Sie werden erst als distinkte Einheiten in Bezug auf die Agrar-Gentechnik konstituiert. Die Kontroverse besteht dann darin, welcher Status und welche Eigenschaften ihnen zugeschrieben werden sollen. Wie gezeigt wurde, beteiligen sich an dieser Zuschreibung sowohl Kritiker als auch Befürworter. Abbildung 7: Das positive Netzwerk um die Agrar-Gentechnik

Abbildung 8: Das negative Netzwerk um die Agrar-Gentechnik

Auch wenn Akteure, die bislang dem Kontext eines technischen Systems zugerechnet worden waren, nun als Teil eines technischen Systems angesehen werden, wird ihnen aller Disziplinierungsversuche zum Trotz ein gewisses Aktivitätspotential zugestanden. Dies zeigt sich in der Konzeption der Wahlfreiheit, die selten als Selbstbestimmung, sondern vielmehr als Wahlrationalität konzeptualisiert wird, wobei sowohl befürwor280

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

tende als auch kritische Positionen versuchen, zu bestimmen, worin diese Rationalität besteht. Gefragt ist nicht ihr reibungsloses Funktionieren, sondern, dass sich Verbraucher und Landwirte aktiv für die Kontextualisierung einer Technik einsetzen bzw. sich ihr aktiv entgegenstellen. Ihnen wird Eigeninitiative nur insofern zugestanden, wie sie sich auf ein gemeinsam geteiltes Ziel bzw. Interesse bezieht. Hier ist die Kreativität von Verbrauchern und Landwirten gefragt. Dies weist auf ein gewandeltes Verständnis der modernen Verfassung hin, denn eine ebensolche Kreativität in bestimmten (regionalisierten) Grenzen wird auch der Natur zugestanden (vgl. Weber 2003: 230ff.). Natur wird nicht mehr nur als rein passiv betrachtet, Bürger nicht mehr nur allein der freien Willensbestimmung mächtig. Die potentiell Verbündeten besitzen jedoch eigene Interessen und somit ein eigenes Aktivitätspotential, um dessen Disziplinierung befürwortende und kritische Positionen ringen. Diese Interessen sind in Konfliktstrukturen eingebettet, welche die Thematik der Agrar-Gentechnik überschreiten. Nach den Erörterungen im dritten Kapitel brechen Konflikte dann aus, wenn versucht wird, dieselben Entitäten zu mobilisieren und damit zu disziplinieren. Diese unterschiedlichen Disziplinierungsversuche sind bereits in der unterschiedlichen Objektkonstruktion, wie sie anhand der Konstruktion der Risikoentitäten verdeutlicht wurde, sichtbar geworden. Jede der Konfliktparteien versucht Verbündete für ihre Position zu gewinnen: entweder für oder gegen die Agrar-Gentechnik. Als Verbündete umkämpft sind insbesondere die Landwirte, Entwicklungsländer und Verbraucher. Jenseits der Mobilisierung für oder gegen die Gentechnik weisen die Positionen auch auf andere Problematisierungen hin. Diese treten zu Tage, da sie ihr eigenes Interesse, mit denen der potentiell Verbündeten verbinden. Hieran lassen sich unterschiedliche Konfliktpunkte identifizieren, für die in der sozialwissenschaftlichen Literatur Anhaltspunkte gibt. So besteht ein erster Konfliktpunkt in der Disziplinierung der Landwirtschaft. Die Kritik an der Agrar-Gentechnik erfolgt auf der Grundlage einer generellen Kritik an der industrialisierten Landwirtschaft.65 Levidow/Boschert (2008) führen den Konflikt um die Agrar-Gentechnik vor allem auf einen Konflikt zwischen den unterschiedlichen landwirtschaftlichen Systemen der ökologischen Landwirtschaft und der Agrar-Gentechnik zurück. Aus dieser Sichtweise geht es demnach vor allem darum, welche Form die Landwirtschaft annehmen soll: industrialisiert und mit 65 Vgl. ebenso die Publikationen aus dem Bereich der Gentechnikkritik, die gerade diesen Aspekt betonen: Bailey/Lappé 2002; Paul/Steinbrecher 2003; aber auch aus sozialwissenschaftlicher Sicht: Hogg 2000. 281

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

der Agrar-Gentechnik oder kleinbäuerlich und eher auf die ökologische Landwirtschaft ausgerichtet. Ein zweiter Konfliktpunkt besteht in der Aneignung genetischer Ressourcen. Diese Problematik konnte an den Diskussionen um die Patente verdeutlicht werden und wird bei den analysierten Positionen vor allem in Hinblick auf die Entwicklungsländer thematisiert. Görg (2003) verweist darauf, dass über die Gentechnik bislang öffentliche Güter durch Patente privatisiert werden. Dies stehe ebenso in Zusammenhang mit einer neoliberalen Umstrukturierung der Weltwirtschaft. Aus dieser Sichtweise stellt sich der Konflikt um die Agrar-Gentechnik als eine Auseinandersetzung um den Erhalt öffentlicher Güter dar. Ein dritter Konfliktpunkt tritt im Zusammenhang mit den Verbrauchern auf. Hier geht es um die Art und Weise der Lebensmittelproduktion: nicht mehr Masse, sondern Qualität steht im Vordergrund. So weisen Behrens/Simonis/Droz 2000 auf einen Wandel im Qualitätsbegriff der Verbraucher gegenüber Lebensmittel hin. Nicht mehr nur die Eigenschaften des Endprodukts seien von Bedeutung, sondern auch die Qualität der Anbau- und Verarbeitungsformen. Dies führe zu einer Politisierung der Kaufentscheidung. Lebensmittel müssten nicht nur ökologisch, sondern auch fair gehandelt sein. Aus dieser Sichtweise besteht der Konflikt darin, dass sich die Lebensmittelindustrie und mit ihr die Politik noch nicht auf das gewandelte Verbraucherinteresse eingestellt haben. Bereits im vierten Kapitel wurde festgestellt, dass durch die AgrarGentechnik eine Asymmetrie gesetzt wird. Diese Asymmetrie verläuft quer zur Unterscheidung von System und Umwelt und der konflikthaften Einbindung der Agrar-Gentechnik in unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche. So ist auf den ersten Blick nicht erkennbar – für den Laien ebenso wenig wie für den Experten –, ob ein Organismus gentechnisch verändert worden ist oder nicht. Hierin zeigt sich die Besonderheit der Gentechnik, deren technischer Kern erst sichtbar bzw. sinnlich erfahrbar gemacht werden muss. Demnach ist mit dem Verweis auf die sinnliche Nichtwahrnehmbarkeit der Risiken der Gentechnik nicht eigentlich die Nichterfahrbarkeit ihrer (negativen) Folgen gemeint. Was sinnlich nicht erfahrbar ist, ist vielmehr die Technik selbst.66 Die Gentechnik ist eine Black Box, die sich nicht mehr öffnen lässt. Ob ein Organismus gentechnisch verändert wurde, muss erst nachgewiesen werden. Hierfür sind spezielle Nachweisverfahren notwendig, die aber nur entwickelt werden können, wenn bekannt ist, nach welcher gentechnischen Veränderung gesucht wird.67 Aus diesem Grund muss bei Antrag auf Zulassung eines gentechnisch veränderten Organismus bei 66 Mit sinnlich ist hier vor allem der Sehsinn gemeint. Vgl. zur Kennzeichnung der Nichtwahrnehmbarkeit neuer Risiken Abschnitt 2.1.1. 282

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

der EU ein entsprechendes Nachweisverfahren mitgeliefert werden. Dies ist notwendig, damit die staatlichen Kontrollbehörden eine Grundlage für die Kontrolle der Lebensmittelsicherheit haben. Weiterhin benötigen freie Analyselabore diese Materialien als Arbeitsgrundlage, um Anfragen von Landwirten, die ihre Ernte auf Verunreinigung prüfen lassen wollen, bearbeiten zu können. Die Verunreinigungsskandale aus den Jahren 2005 und 2006 – bei denen nicht zugelassener gentechnisch veränderter Mais der Firmen Syngenta und Bayer CropScience in konventioneller Ware auftauchten – zeigten jedoch, dass diese Kontrollsysteme versagen, wenn es zu Verunreinigungen mit nicht zugelassenen GVO kommt.68 Für die Sichtbarkeit der Agrar-Gentechnik ist damit nicht nur eine technische Infrastruktur, der Zugang zu einem Analyselabor und allgemeines Wissen über die Gentechnik notwendig, sondern spezifischeres Wissen über die Art der vorgenommenen Veränderung. Ebenso wie die Produktionsstrukturen zur Herstellung von gentechnisch veränderten Organismen sind auch die Kontrollmöglichkeiten nicht allen Menschen gleichermaßen zugänglich.69 Selbst Experten müssen wissen, wonach sie suchen sollen. Damit wird durch die Gentechnik nicht nur durch das Wissen eine Differenz zwischen Laien und Experten eingeführt, sondern auch durch den Zugriff auf die (Nachweis-)Techniken. Weiterhin ist die durch die Gentechnik eingeführte Asymmetrie mit der Differenz zwischen Laien und Experten nicht deckungsgleich, da auch Experten keinen Zugang zu den Nachweistechniken besitzen können. Die (staatlichen) Kontrolllabore werden für die Sichtbarmachung von Gentechnik in Lebensmitteln zum obligatory point of passage 67 Es gibt dabei zwei mögliche Nachweisverfahren: Auf immunchemischen Weg kann nachgewiesen werden, ob bestimmte Proteine (wie zum Beispiel das Bt-Protein) auf eine gentechnische Veränderung zurückgeführt werden können. Spezifischer können molekularbiologische Nachweismethoden eingesetzt werden, die auf der Polymerase Chain Reaction (PCR) aufbauen. Hierfür muss nicht nur die gesuchte DNA-Sequenz bekannt, sondern auch entsprechendes Referenzmaterial vorhanden sein. Vgl. Scheierling 2006: 16f.; Mertens 2006. 68 Zwischen 2001 und 2004 war von Syngenta die weltweit nicht zugelassene Bt-Maislinie Bt10 als (zugelassene) Bt11 in Verkehr gebracht worden; auch die EU war davon betroffen. Vgl. Potthof 2005. 2006 tauchte die ebenfalls selbst in der USA nicht zugelassene herbizidresistente Reissorte LLRice 601 in mehreren Ländern in konventionellem Reis auf. Der Grund für die Verunreinigung mit dieser Reissorte, mit der lediglich vier bis fünf Jahre zuvor Freisetzungsexperimente in den USA durchgeführt worden waren, ist umstritten. Vgl. Lorch 2006. 69 Der Zugang zu den privaten Kontrolllaboren ist zwar prinzipiell möglich, aber kostenpflichtig und teilweise muss der Antragssteller bestimmte Vorraussetzungen erfüllen. 283

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

(OPP). Ohne Kontrollen können sowohl Verfehlungen hinsichtlich der Einhaltung des Kennzeichnungssystems als auch Verunreinigungen nicht erkannt werden. Nicht nur für den einzelnen Bürger – ob Experte oder Laie –, auch für Länder und Staaten, die keine Kontrolllaborinfrastruktur aufbauen können (Entwicklungsländer, Länder des Südens, weniger industrialisierte Länder) oder denen es an einer starken politischen Exekutive fehlt, um Kontrollen durchzusetzen, entstehen dadurch Probleme. Die durch die Agrar-Gentechnik gesetzte Asymmetrie wird demnach nicht nur zwischen Experten und Laien etabliert, sondern ebenso zwischen Staaten und zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessengruppen innerhalb dieser Staaten. Das Problem ist nun weniger, dass der Laie seines lebensweltlichen Wissens (über die Herkunft der Lebensmittel) beraubt wird (vgl. zum Beispiel bei Maranta 2000). Auch geht es weniger darum, dass sich die Technikentwicklung jenseits gesellschaftlicher Einspruchnahme vollzieht (vgl. allgemein auf den technischen Fortschritt Sohn 1994; Müller/Nievergelt 1996 und in Bezug auf die Biotechnologie Dolata 1996: 196ff.; Albrecht 2000: 147f.; Martinsen 2000: 66). Die Problematik besteht vielmehr in einem Verlust der prinzipiellen Möglichkeit einer individuellen Nachkontrolle, ob ein Organismus verändert wurde oder nicht. Der Verbraucher muss sich auf die Kennzeichnung verlassen. Fehlleistungen kann er nur als Politikum in Anschlag bringen. Er muss den Umweg über die Politik gehen. Die Politik aber wird wiederum abhängig von den technischen Möglichkeiten des Nachweises. Damit wird die Entscheidung über eine Technikinnovation erst durch die Entmündigung des Bürgers – bzw. desjenigen, der nicht über den Zugang zu den entsprechenden Nachweistechniken verfügt – zu einer politischen Entscheidung. Erst hierdurch werden die modernen Institutionen in Frage gestellt, da individuelle Entscheidungen kaum noch als individuelle Entscheidungen konzeptualisiert werden können. Erst dadurch wird die Problematik offenbar, dass sich die Technikentwicklung in gesellschaftlichen Bereichen vollzieht, die nicht der gesellschaftlichen Einspruchnahme unterliegen. Mit Rückblick auf die Netzwerke der Produktion der Agrar-Gentechnik sind dies die Bereiche der Ökonomie und der Wissenschaft. Doch die Problematik besteht nicht nur in einer Entmündigung der Bürger. Sie bezieht sich, wie die Diskussion um das Patentrecht und »Patente auf Leben« zeigt, auf die Verteilung von Eigentum. Das Patentrecht ist gleichzeitig ein Eigentumsrecht. Die Diskussionen um die Biopiraterie zeigen, dass auch ohne eine gentechnische Veränderung und durch die bloße Beschreibung des Zusammenhangs zwischen einer Gensequenz und einer Eigenschaft Patentansprüche erhoben werden können. 284

AGRAR-GENTECHNIK UND GESELLSCHAFT

Speziell in Bezug auf die Agrar-Gentechnik – insbesondere an den Streitigkeiten um die Monsanto-Klagen – zeigt sich aber, dass auch das Unternehmen, das Eigentumsansprüche erhebt, erst nachweisen muss, dass ihm das, was ihm rechtlich zusteht, auch tatsächlich gehört. Aus diesem Blickwinkel ist es vollkommen uninteressant, ob eine Technik funktioniert oder nicht – wie gezeigt, gehen hier die Meinungen teilweise auseinander – hier interessiert die Gentechnik nur in dem Sinne, dass sie als eine Nachweisinstanz zählt, die Eigentumsansprüche sichtbar zu machen hilft. Damit wird eine Verbindung geschaffen zwischen den Zugriffsrechten auf das Materielle, die nicht auf der Herstellung eines gentechnisch veränderten Organismus gründen müssen, und der Herstellung gentechnisch veränderter Organismen als etwas Materiellem, bei dem die Zugriffsmöglichkeiten bereits technisch abgesichert sind. Die Möglichkeit des Zugriffs ist durch gesellschaftliche Institutionen, wie das Patentrecht, flankiert; sie ist gesellschaftlich existent. Die materielle Wirklichkeit der Gentechnik besteht im veränderten Organismus; er ist materiell existent. Beide Existenzformen – die gesellschaftliche ebenso wie die materielle – hängen aber zusammen. Nur dadurch, dass es gentechnisch veränderte Organismen gibt, kann verdeutlicht werden, dass darauf auch ein besonderer Eigentumsanspruch erhoben werden kann. Auch wenn es möglich ist, die (Agrar-)Gentechnik differenziert nach ihren Methoden und Anwendungsbereichen zu betrachten, so tritt sie als Objekt als eine Black Box in Erscheinung, die von ihren Anwendern nicht (nach-)kontrolliert werden kann. Die Black Box ist geschlossen und kann nur schwer wieder geöffnet werden. In diesem Sinne kann von einem qualitativen Bruch zu anderen Techniken gesprochen werden, da die prinzipielle Möglichkeit der Nachkontrolle selbst für Experten nicht mehr gegeben ist. Damit wird eine Asymmetrie gesetzt, die aus einem Verbund von Technik, Politik und Recht gestützt wird. So wird auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur darauf verwiesen, dass seit dem 20. Jahrhundert die Grenze zwischen Wissenschaft und Technik immer weiter verschwimme. Dies wird auf eine stärkere Anwendungsorientierung in der Wissenschaft zurückgeführt sowie auf stärkere institutionelle Verflechtungen von Universitäten, Staat und Industrie (vgl. Felt 1995: 183ff.). Kennzeichen hierfür sei die zunehmende Verwissenschaftlichung der Gesellschaft, die sich in der zentralen Rolle von Experten zeige. Weingart (2003) führt dies auf eine engere Kopplung zwischen politischem System und Wissenschaftssystem zurück. So seien nach dem II.WK umfassende Beratungssysteme, zuerst in den Regierungsapparaten, dann in unabhängigen Beratungsorganisationen (think thanks) oder in Gestalt 285

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

von NGOs und ihren Expertenstäben entstanden (vgl. Weingart 2003: 89ff.). Damit einher gehe eine stärkere Politisierung der Wissenschaften, was sich in der Konkurrenz von Experten unterschiedlicher politischer Ausrichtung zeige (vgl. Abschnitt 2.3.3). Wie die vorangegangenen Überlegungen zeigten, wächst die Bedeutung von Experten aber nicht wegen ihres Wissens, sondern wegen der Ressourcen, in einem rechtlich abgesicherten Rahmen, Zugriffsrechte zu legitimieren. Die Gegenexperten sind nur Ausdruck eines Kampfes um diese Zugangsrechte. Mit der zunehmenden Reichweite der Folgen – Risiken wie Nutzen – werden die Grenzen der Technik unscharf. Dies kann als eine sich real vollziehende Einebnung der Grenze von Natur und Gesellschaft beschrieben werden. Jedoch besteht weiterhin ein Unterschied zwischen den Netzwerken der Produktion und den Netzwerken der Ausbreitung der Agrar-Gentechnik, die beide als heterogen bezeichnet werden können. Durch die nun auch institutionelle Stützung des Zusammenhangs zwischen den Netzwerken der Produktion und der Ausbreitung wird deutlich, was Latour als Hybride bezeichnete: durch die spezifische Form der Produktion wird die Ausbreitung vorstrukturiert.

286

7 C H AN CEN

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NET ZWERK AU FB AU S

Die Auswirkungen der Agrar-Gentechnik in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wurden im vorangegangenen Kapitel als Netzwerk dargestellt. Diese Auswirkungen können auch als Störung alternativer Netzwerkprozesse begriffen werden, die auf eine Zukunftserwartung ausgerichtet sind, bei der die Ablehnung oder Zustimmung der Agrar-Gentechnik nur ein Teil ist, je nachdem ob die Agrar-Gentechnik als diesen Netzwerkbildungsprozessen förderlich oder hinderlich angesehen wird. Aus diesem Grund verweisen die unterschiedlichen Positionen in ihren Wirklichkeitsbeschreibungen auf unterschiedliche gesellschaftliche Praktiken, da sie die Welt aus dem Blickwinkel einer bestimmten Zukunftserwartung beschreiben, die differenzierter ausfällt als die einfache Befürwortung oder Ablehnung der Agrar-Gentechnik. Damit sprechen einige Organisationen nicht ohne Grund im Namen der Entwicklungsländer, im Namen von Umweltinteressen oder im Namen der Landwirte. Doch welche weiteren Zukunftserwartungen stecken hinter der Zustimmung oder Ablehnung der Agrar-Gentechnik? Die Akteure, welche die alternativen Netzwerkbildungsprozesse vorantreiben, werden nach der jeweiligen Zukunftserwartung zusammengefasst als gesellschaftliche Akteure bezeichnet, um darauf zu verweisen, dass eher die Ausrichtung und nicht der Organisierungsgrad entscheidend ist.1 1

Der Zugang zu der Sichtweise der unorganisierten Akteure wurde hier jedoch über die Sichtweise der organisierten Akteure gewählt. 287

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Die Chancen, Netzwerke zu etablieren, sind – so zeigten die theoretischen Diskussionen – zum einen davon abhängig, auf welche Ressourcen zurückgegriffen werden kann oder in anderen Worten, sie sind von bereits verfestigten Netzwerkstrukturen abhängig. Zum anderen sind sie davon abhängig, welche Ressourcen als solche erkannt, wie sie durch Annahmen über das Verhältnis von Natur und Gesellschaft (den Verfassungen), »geframt« werden. Ebenso soll danach gefragt werden, inwiefern bestimmte Vorstellungen von Natur und Gesellschaft – die unterschiedlichen Verfassungen – bestimmte Netzwerkbildungsprozesse begünstigen und welche Chance sie bieten, stabile Netzwerke bilden zu können.

7.1 Zukunftserwartung Risiko- und Nutzenerwartungen, so wie sie in den vorangegangenen Kapiteln betrachtet wurden, können als Zukunftserwartungen aufgefasst werden. Es wird entweder ein zukünftiger Nutzen oder ein zukünftiges Risiko mit der Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft erwartet. Ebenso kann die Positionierung nach der Pro-Contra-Unterscheidung als Ausdruck einer Zukunftserwartung angesehen werden: Einer Zukunftserwartung, die auf Gentechnikfreiheit drängt und einer Zukunftserwartung, die auf eine Anwendung der Agrar-Gentechnik zielt. Doch diese Erwartung in Bezug auf die Agrar-Gentechnik ist mit Erwartungen über die Zukunft der Gesellschaft verbunden, die über die Agrar-Gentechnik hinausgehen. In den Erwartungen bezüglich der Agrar-Gentechnik sind weitere Zukunftserwartungen verborgen, die auf die Zukunftserwartung eines gesellschaftlichen Akteurs verweisen. So können Risiko- und Nutzenerwartungen als Problematisierungen gelten, unter der unterschiedliche Zukunftserwartungen sich vereinen und Allianzen bilden können (vgl. Abschnitt 3.2.3). Dabei wird deutlich, dass, bei einigen Organisationen expliziter bei anderen weniger, jeweils zwei Zukunftserwartungen transportiert werden: eine positive, erstrebenswerte und eine negative, zu vermeidende. So wird von kritischen Positionen die negative Erwartung einer vollständigen Durchdringung der Landwirtschaft mit GVO gehegt, die der positiven Erwartung einer Bewahrung gentechnikfreier Landwirtschaft im Allgemeinen und der ökologischen Landwirtschaft im Besonderen gegenübergestellt wird. Von befürwortenden Positionen wird die Erwartung einer allgemeinen Wohlstandssteigerung der eines wirtschaftlichen Niederganges gegenübergestellt. Die Konstruktion zweier Zukünfte stellt das momentane Handeln unter Zugzwang, womit andere Akteure 288

CHANCEN DES NETZWERKAUFBAUS

(wie zum Beispiel Verbraucher oder politische Akteure) zum Handeln aufgerufen werden, damit sie die negative Zukunftserwartung zu vermeiden helfen. Weiterhin zeigt sich an den Schwerpunktsetzungen in der Argumentation bei den verschiedenen Positionen, dass mit der Agrar-Gentechnik unterschiedliche Hoffnungen und Befürchtungen verbunden sind. Allgemein lassen sich vier Zukunftserwartungen voneinander abgegrenzt werden. Es kann gezeigt werden, inwiefern die Agrar-Gentechnik in Bezug auf diese allgemeineren Zukunftserwartungen zum Problem werden könnte. Zunächst (1) findet sich die Zukunftserwartung einer Effizienzsteigerung des landwirtschaftlichen und industriellen Produktionsprozesses. Diese Zukunftserwartung wird dann mit der Agrar-Gentechnik verbunden (so bei DIB, DLG, Monsanto, Verbr.Ini.). Im Mittelpunkt der Zukunftserwartung steht ökonomische Prosperität in nationalem wie auch globalem Rahmen. Durch wirtschaftlichen Wohlstand könnten auch umfassendere gesellschaftliche Probleme gelöst werden. Infolgedessen wird hier von der Agrar-Gentechnik nicht nur eine Effizienzsteigerung erwartet, sondern neben oder durch die Effizienzsteigerung auch positive Folgen für das Sozialgefüge und die natürliche Umwelt. So besteht die negative Zukunftserwartung in der Befürchtung, dass die EU und damit auch Deutschland den Anschluss an die Technikentwicklung verlieren. Damit würde auch der Wohlstand und die Stabilität der Gesellschaft und der globale Führungsanspruch Europas in Mitleidenschaft gezogen. Eine positive Erwartung besteht demgegenüber darin, dass die EU und damit auch Deutschland den technologischen Vorsprung, den sich die USA im Bereich der Entwicklung der Agrar-Gentechnik bereits erarbeiten konnte, durch verstärkte Forschungsanstrengungen wieder gutmachen kann (BLL, DBV, DIB, LR Bayern). Wesentliches Merkmal dieser Zukunftserwartung ist das Primat der Ökonomie. Die Agrar-Gentechnik ist ein Produktionsmittel, das individuellen Nutzen in diversen Bereichen auch für Gesellschaft und Umwelt hat. Weiterhin (2) wird ein stabiler Staat bzw. eine stabile Gesellschaft als positive Zukunftserwartung angeführt. Hier steht der Interessenausgleich und die Berücksichtigung unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessen im Vordergrund. Unter dieser Zukunftserwartung können sich sowohl befürwortende als auch kritische Positionen versammeln (so findet sich diese Zukunftserwartung bei: aid, BLL, BMBF, BMVEL, DBV, FiBL, LR Bayern, MPG). Es wird nur die aktuelle Ausrichtung der Entwicklung der Agrar-Gentechnik kritisiert, nicht aber das technische Prinzip selbst. So besteht die Hoffnung, die Technikentwicklung auf eine gesellschaftlich sinnvolle Anwendung hinlenken zu können. Für diese Zu289

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

kunftserwartung ist die gesellschaftliche Stabilität von zentraler Bedeutung. Unter Einbezug aller Bevölkerungsschichten soll die Technikentwicklung erfolgen. Dabei soll vermieden werden, dass ein sozialer Akteur Dominanz über eher marginalisierte soziale Akteure gewinnt. Der Staat soll die Oberhand über die Technikentwicklung behalten. Die Gefahr besteht, dass wegen mangelnder Kompromissbereitschaft in der weiteren Bevölkerung soziale Konflikte ausbrechen, welche die Handlungsfähigkeit des Staates vor allem in Bezug auf eine solch wichtige Ressource, wie es die Technikentwicklung ist, beschränken, so dass er seiner eigentlichen Aufgabe, dem Schutz Marginalisierter und der Befriedung gesellschaftlicher Interessengegensätze, nicht mehr nachkommen kann. Hier besteht die Vermutung, dass eine Technikentwicklung nur unter Akzeptanz bzw. Partizipation der Bevölkerung stattfinden kann. Dadurch erst – so die positive Zukunftserwartung – wird es möglich, gesellschaftlich anerkannte Probleme zu lösen und die Technikentwicklung auf das Allgemeinwohl hin auszurichten. Die Gefahr besteht nun, dass die Möglichkeiten, die in der Anwendung des technischen Prinzips liegen, nicht voll ausgeschöpft werden können, da die Verbraucherakzeptanz nicht hergestellt werden kann (BLL, BMBF, BMVEL, MPG). Bei dieser Zukunftserwartung steht der Primat des Staates und der staatlichen Politik im Mittelpunkt. Vor allem partizipative Verfahren und der Verbraucherschutz werden hoch geschätzt. Eine weitere (3) Zukunftserwartung geht von der Vielfalt landwirtschaftlicher Praktiken aus, die durch die Agrar-Gentechnik bedroht wird. Im Gegenzug soll die Unabhängigkeit von Landwirten und Verbrauchern erhalten bleiben. Ziel ist hier der Schutz demokratischer Willensbildung sowie die Aufrechterhaltung freier Märkte, die nicht durch Konzentrationsprozesse gekennzeichnet sind. Diese Zukunftserwartung beinhaltet ebenso die Sicherstellung gesunder Nahrungsmittel (wie auch immer sie erzeugt werden) und einer lebenswerten natürlichen Umwelt (so bei BUND, EED, Greenpeace, vzbv). Der Schwerpunkt dieser Zukunftserwartung liegt auf dem Modell einer regionalen meist ökologisch gedachten Landwirtschaft. Sie dient als Modell für gesellschaftliche Praktiken, die in engem Kontakt mit den regionalen gesellschaftlichen und natürlichen Gegebenheiten stehen. Auf Grundlage dieser Praktiken können sich auch überregionale Strukturen ausbilden. Wichtig ist, dass diese nicht von außen aufgezwungen werden. Nur so ist auch ein gesundes Leben innerhalb eines intakten Ökosystems möglich. Hier besteht die Befürchtung, dass mit dem großflächigen Anbau die gentechnikfreie Produktion unmöglich gemacht wird. Mit der Durchsetzung der Agrar-Gentechnik würde eine Oligarchie über die Kontrolle von Landwirtschaft und Ernährung gesetzt werden. Die positive Erwartung besteht in einer regio290

CHANCEN DES NETZWERKAUFBAUS

nalen gentechnikfreien Produktion, deren Idealbild meist die ökologische Landwirtschaft ist (BUND (genstr), Bioland, BÖLW, FiBL, vzbv). Im Zentrum dieser Zukunftserwartung steht eine gesunde Lebensweise, die durch die ökologische Landwirtschaft gestützt wird. Von Bedeutung ist darüber hinaus die Problematik des Wechselverhältnisses bzw. der wechselseitigen Übersetzung der Aktivität regionaler Akteure und der Aktivität überregional agierenden Akteure. Hiervon ist eine weitere (4) Zukunftserwartung zu unterscheiden, die eine Form der Landwirtschaft favorisiert, die Techniken gebraucht, die der Technikanwender selbst kontrollieren kann. Diese Zukunftserwartung ist durch einen begrenzten Anbau gentechnisch veränderter Kulturpflanzen in einigen Regionen nicht bedroht, solange es Regionen gibt, die von der Anwendung der Agrar-Gentechnik vollständig verschont bleiben (so bei Bioland, BÖLW, BUKO, Misereor). Diese Zukunftserwartung ist geprägt von einer tiefen Skepsis gegenüber allem, was der situierten Interaktion lokaler Gemeinschaften mit ihrer nichtmenschlichen Umwelt schaden könnte. Aus diesem Grund wird sich gegen jede überregionale Regulierung gewandt. Von Bedeutung ist vor allem der achtungsvolle Umgang der Menschen untereinander und gegenüber der Natur. Die Kreativität und Freiheit jedes Einzelnen, ob menschlich oder nichtmenschlich, soll bewahrt werden. Der Mensch gewinnt seine Würde nur aus der Anerkennung des Anderen. Ebenso taucht die negative Zukunftserwartung einer verstärkten Abhängigkeit und Entmündigung des Menschen auf, die der positiven Zukunftserwartung eines achtungsvollen und respektvollen Umgangs der Menschen untereinander und gegenüber nichtmenschlichen Wesen – wie der Natur – gegenübergestellt wird. In dieser Sichtweise verstärkt die Agrar-Gentechnik eine sich bereits vollziehende Entwicklung, die auf eine immer weiter fortgetriebene Abhängigkeit der Menschen und eine Aneignung öffentlicher Güter zielt. Die Entmündigung des Menschen geht dabei mit einer Zerstörung der natürlichen Vielfalt einher. Nur mündige Menschen können Vielfalt produzieren (BUKO, Misereor). Bei dieser Zukunftserwartung stehen vor allem Emanzipation und Kapitalismuskritik im Mittelpunkt.

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DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Abbildung 9: Zukunftserwartung (1): Primat Ökonomie

Zugeordnet wurden folgende Organisationen: DBV, LR Bayern, Monsanto, DLG, Verbr.Ini., DIB. Abbildung 10: Zukunftserwartung (2): Primat staatliche Politik

Zugeordnet wurden folgende Organisationen: aid, BLL, BMBF, BMVEL, MPG, FiBL, BUND.

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CHANCEN DES NETZWERKAUFBAUS

Abbildung 11: Zukunftserwartung (3): Gesundheit und Ökologie

Zugeordnet wurden folgende Organisationen: Greenpeace, vzbv, Bioland, BÖLW. Abbildung 12: Zukunftserwartung (4): Emanzipation

Zugeordnet wurden folgende Organisationen: BUKO, Misereor, EED.

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Die Unterschiede in den vier beschriebenen Zukunftserwartungen können auch darüber verdeutlicht werden, welche Entitäten mobilisiert werden, um die jeweilige Position zu begründen. Die Graphiken in den Abbildungen neun bis zwölf verdeutlichen, welche Entitäten für die jeweiligen Zukunftserwartungen von Bedeutung sind und welche Aktivität ihnen zugeschrieben wird.2 Die Zuschreibung von Aktivität und Passivität muss an dieser Stelle noch eingehender erörtert werden. Aktivität und Passivität sind die wesentlichen Eigenschaften, die in der modernen Verfassung verteilt werden. Sie werden an die unterschiedlich konzipierten Entitäten, seien sie groß- oder kleinstrukturell, global oder lokal verteilt. Wie die Erörterungen im dritten Kapitel zeigten, entsteht der Eindruck von Passivität, wenn sich die Aktivitäten angleichen. Die Aufrechterhaltung von Netzwerkstrukturen ist meist nicht sichtbar, obwohl hierzu auch Arbeit und damit Aktivität notwendig ist. Aktivität wird meist nicht pauschal einer Entität zugeschrieben. Die Zuschreibung erfolgte vielmehr in Hinblick auf eine andere Entität. Zum Beispiel sind Biotechnologieunternehmen nicht allgemein aktiv, sie sind es in Bezug auf die Entwicklung der Agrar-Gentechnik. Die Auskreuzung ist nicht allgemein aktiv, sie ist es insbesondere in Bezug auf die Resistenzentwicklung und die Kontamination. Passivität hingegen wird kaum explizit zugeschrieben. Sie resultiert eher daraus, dass einer Entität keine oder nur wenig Aktivität zugeschrieben wird. Mit der Zuschreibung von Aktivität wird eine Beziehung zwischen zwei Entitäten gesetzt, die gerichtet ist. Allgemein kann diese Beziehung danach unterschieden werden, ob sie eher einen ermöglichenden oder einen behindernden Charakter hat, ob eine Entität eine andere in ihrer Bewegung einschränkt, oder ob sie sie in ihrer Entwicklung bestärkt. Damit lässt sich die Zuschreibung von Aktivität auch unter dem Gesichtspunkt einer Bewertung dieser Aktivität erfassen. Diese Bewertung hat aber zunächst nichts mit der Zuschreibung von Risiko und Nutzen zu tun, die auch als positive oder negative Auswirkung gefasst werden könnte. So kann durch kritische Positionen eine positive, da fördernde Aktivität den Biotechnologieunternehmen auf die Agrar-Gentechnik zugeschrieben wer-

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Grundlage der Darstellung ist wiederum das gerichtete Netzwerk, welches darstellt, welche positive und negative Auswirkungen vorhanden sind. Bei der Darstellung wurden nur die Entitäten und Verbindungen berücksichtigt, bei den mindestens zwei Organisationen, die dieser Richtung zuzuordnen sind, diese Verbindung favorisieren. Die Zuordnung der Organisationen zu einer der vier Zukunftserwartungen erfolgte auf Grundlage der Begründung ihrer Pro- und Contra-Argumente als auch infolge von expliziten Verweisen bezüglich der befürchteten oder favorisierten zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklung.

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den, da aber die Agrar-Gentechnik als Entität negativ beurteilt wird, ist diese positive Zuschreibung aus ihrer Sichtweise negativ zu bewerten. Die Bewertung der Beziehung ist abhängig von den eigenen Interessen und damit von der Zukunftserwartung. Dies zeigt sich auch darin, ob die einer Entität zugeschriebene Aktivität als ein ihr eigenes Potential aufgefasst oder ob diese Aktivität ursprünglich auf eine andere Entität zurückgeführt wird. Am Beispiel der Pestizide kann dieser Gedanke verdeutlicht werden. Pestizide können zum einen als ein Instrument dargestellt werden, das Schädlinge oder Unkraut bekämpft. Zum anderen können sie aber auch so erscheinen, als würden sie selbst eine Aktivität besitzen, zum Beispiel, wenn sie, wie bei Insektiziden, auch Nichtzielorganismen treffen. Als Instrument der Schädlingsbekämpfung eingesetzt, besitzen Pestizide keine eigenständige Aktivität. Jedoch wird ihnen Aktivität zugeschrieben, wenn zum Beispiel auf die unkontrollierbaren Auswirkungen auf Nützlinge und Bodenorganismen verwiesen wird, womit sie von dem intendierten Ziel der kontrollierten Schädlingsbekämpfung abweichen. Pestizide sind demnach passiv, wenn sie als ein Instrument gebraucht werden, das vollständig kontrolliert werden kann. Sie sind hingegen aktiv, wenn sie von dem intendierten Ziel, für das sie konstruiert wurden, abweichen. Dieser Unterschied in der Zuschreibung und der Bewertung von Aktivität kann mittels der Unterscheidung von mediators und intermediaries bei Latour interpretiert werden (vgl. Latour 2005: 37ff.). In dem einen Fall, ist die Entität selbst fähig, Wirkungen zu erzielen, in dem anderen Fall, führt sie nur aus, was eine andere Entität in sie hineingelegt hat. Allgemein, vom Blickpunkt des Gesamtnetzwerkes aus, könnte jede Entität als ein mediator erscheinen, denn erst wenn die ihr zugeschriebene Aktivität ursprünglich auf einen anderen Akteur zurückgeführt wird, kann sie als ein intermediarie angesehen werden. Der Instrumentcharakter einer Entität (Die Zuschreibung als intermediarie) resultiert gerade aus der Fremdzuschreibung: Die Risiken der Agrar-Gentechnik ergeben sich daraus, dass diese Wirkungen entfaltet, die über die Konzeption des Akteurs, für den sie nur ein Instrument ist, hinausgehen. Diese Wirkungen stehen im Konflikt mit den Interessen und Intentionen anderer Akteure. Mit der Zuschreibung von Aktivität wird damit eine Verbindung eine Beziehung zwischen zwei Entitäten behauptet, die aus unterschiedlichen Sichtweisen unterschiedlich bewertet werden kann. Bei einer gleichzeitigen Betrachtung der Bewertung kann aber stellenweise in der Beziehung sowohl eine bedingende als auch eine behindernde Wirkung erkannt werden. So eröffnet die Agrar-Gentechnik einerseits der Pflanzenzüch295

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tung neue Möglichkeiten, andererseits reduziert sie ihre Möglichkeiten durch ihren negativen Einfluss auf die (Agro-)Biodiversität. Ebenso können einerseits Landwirte überhaupt ihre Produkte verkaufen, da es Verbraucher gibt und die Landwirte über den Lebensmittelmarkt und den auf diesem aktiven Lebensmittelunternehmen mit jenen verbunden sind. Andererseits sind die Landwirte von den Wünschen der Verbraucher abhängig. Der Gedanke der Einschränkung der Freiheit der Landwirte entsteht erst dann, wenn sie ein gegenteiliges Interesse der Verbraucher imaginieren, wenn sie mit den Interessen der Biotechnologieunternehmen und denen der Verbraucher zugleich konfrontiert werden, die beide sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, welche Produkte produziert und welche Rollen anderen sozialen Akteuren, wie den Landwirten, zugeschrieben werden sollten. Demzufolge kann Passivität auf eine Angleichung zurückgeführt werden, Aktivität hingegen auf die Richtungsweisung der Angleichung. Die Zuschreibung von Aktivität und Passivität divergiert in den unterschiedlichen Positionen. In den Positionen, in denen auf staatliche Regulierung und Technikinnovation gedrängt wird, haben die Akteure, die mit diesen Bereichen in Zusammenhang stehen (politische Akteure bzw. Forschungsinstitute und ökonomische Akteure als Technikentwickler) die höchste Aktivität, denen die Aktivität aller anderen sozialen Akteure nachgeordnet ist. Sie gleichen ihre Aktivität an und erscheinen damit passiv. Legitimiert wird die Aktivität politischer und ökonomischer Akteure mit dem Verweis auf nichtmenschliche Aktivität: die des technischen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses. Bei kritischen Positionen hingegen, erscheinen dessen Produkte (Technik und politische Regulierung) nicht als Ausfluss nichtmenschlicher Aktivität, sondern als konstruierte Artefakte fremder Interessen. Sie könnten passiv und unveränderlich erscheinen, würden sie nicht das eigene Aktionspotential begrenzen oder behindern. Die Zuschreibung von Aktivität kann demnach zunächst unter dem Aspekt betrachtet werden, ob eine Entität auf eine andere einen fördernden oder behindernden Einfluss hat. Aus der Sichtweise unterschiedlicher Zukunftserwartungen heraus aber wird diese Aktivität entweder positiv oder negativ danach bewertet, ob sie mit den eigenen Interessen deckungsgleich ist oder nicht. Für die Zukunftserwartung mit dem Primat auf die Ökonomie sind vor allem die verschiedenen Vorzüge der Agrar-Gentechnik selbst zentral. Diese Vorzüge erscheinen aber eher als Facetten eines individualisierten Gegenstandes. Die Zukunftserwartung mit dem Primat auf staatliche Politik hingegen zeigt deutlich die Zentralität politischer Regulierung, welche erst die Nützlichkeit der Agrar-Gentechnik gesellschaftlich 296

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einbettet. Die politische Regulierung ist hingegen bei der Zukunftserwartung mit dem Primat auf Gesundheit und Ökologie nachrangig. Zentraler sind hier die Landwirte und die Landwirtschaft sowie die Verbraucher, wobei als Gegenspieler die Biotechnologieunternehmen auftauchen. Die Agrar-Gentechnik rückt bei der Zukunftserwartung, die auf Emanzipation ausgerichtet ist, noch weiter aus dem Zentrum. Vielmehr steht die Artenvielfalt und die durch Patente angeeignete Agrobiodiversität im Mittelpunkt. Parallel zu den beiden Zukunftserwartungen mit dem Primat auf Ökonomie und dem Primat auf staatliche Politik taucht hier die Problematik der Welternährung auf, die aber nicht durch die AgrarGentechnik, sondern durch eine bäuerliche Landwirtschaft gelindert werden soll. Werden die Organisationen, die den einzelnen Zukunftserwartungen zugeordnet werden konnten, genauer betrachtet, zeigt sich eine Kongruenz zwischen der Interessengruppe und der Zukunftserwartung. Vor allem ökonomische Akteure definieren die Interessen der Gesamtgesellschaft als Interesse an einem allgemeinen ökonomischen Wohlstand. Wirtschaftlicher Erfolg von Privatunternehmen ist ein Erfolg der Gesamtgesellschaft, da auch sie von diesem profitiert. Die Agrar-Gentechnik ist im Hinblick dessen ein Mittel der Effizienzsteigerung, wodurch Betriebsmittel eingespart und Preise gesenkt werden können. Staatliche Akteure zielen auf einen Ausgleich der unterschiedlichen Interessengruppen. Dieser Ausgleich wird dabei aber nicht nur durch die politische Regulierung erreicht. Auch die Technik – wie in diesem Fall die AgrarGentechnik – leistet hierzu einen Beitrag, indem sie sowohl zu ökonomischen Erfolg führt, der allen Bürgern zu Gute kommt, als auch die Stabilität der gesamten Gesellschaft durch ihre allgemeine Problemlösungsfähigkeit festigt (zum Beispiel indem die Versorgung sichergestellt wird). Für Verbände des Natur- und Umweltschutzes, die Gesundheit und Ökologie in den Mittelpunkt rücken, bestehen die Interessen der Gesellschaft hingegen in einer harmonischen Beziehung zur Natur, in der bestimmte Grenzen nicht überschritten werden dürfen. Die Agrar-Gentechnik ist in dieser Sichtweise zu verurteilen, da sie das friedliche Verhältnis von Natur und Gesellschaft stört. Akteure der Entwicklungszusammenarbeit thematisieren hingegen eher die Patentproblematik und die Artenvielfalt im Zusammenhang mit der bäuerlichen Landwirtschaft, die vor allem in den Entwicklungsländern vorherrschend ist. Für sie bestehen die Interessen der Gesellschaft in einer weitgehenden gesellschaftlichen Gleichheit, bei der kein Akteur so mächtig wird, dass er andere Akteure beeinträchtigen könnte. In dieser Sichtweise ist die Agrar-Gentechnik zu verurteilen, da sie soziale Ungleichheits- und Machtstrukturen weiter verschärft. Die der Gesellschaft zugeschriebenen Interessen hängen damit mit der 297

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eigenen Zukunftserwartung zusammen. Diese wird auf das Interesse der gesamten Gesellschaft übertragen. Nach den Zukunftserwartungen richten sich, so die im folgenden Abschnitt diskutierte These, auch die Konzeptionen von Natur und Gesellschaft, Wissenschaft und Politik sowie Ökonomie und Gesellschaft.

7 . 2 Ve r f a s s u n g Die Zukunftserwartung eines gesellschaftlichen Akteurs ist beeinflusst durch die gesellschaftlichen Praktiken, in deren Namen er spricht. Die mit diesen Praktiken verbundenen Interessen werden dabei als die Interessen der gesamten Gesellschaft gesetzt und damit egoistische Eigeninteressen als Interessen des Allgemeinwohls ausgegeben. Im Folgenden soll nachgewiesen werden, dass die Konzeption der Verfassungsbereiche auf die Zukunftserwartung zielt bzw. sich nach dieser richtet. Die empirische Untersuchung ist von der These ausgegangen, dass infolge der gesellschaftlichen Entwicklung neue Verfassungsentwürfe im Entstehen begriffen sind. Die Analyse zeigte jedoch, dass auch weiterhin von einer Trennung zwischen Natur und Gesellschaft ausgegangen wird und Wissenschaft und Politik weiterhin als legitime Repräsentanten anerkannt werden. Die Bereiche und ihr Verhältnis zueinander wird hingegen von den gesellschaftlichen Akteuren unterschiedlich konzeptualisiert. Diese unterschiedlichen Konzeptionen sind unter anderem auf unterschiedliche Eigenschaftszuschreibungen zurückzuführen. Neben der Zuschreibung von Aktivität und Passivität, die nach Latour in der der modernen Verfassung zentral gewesen war, erwiesen sich die Zuschreibungen der Eigenschaften lokal versus global und klein- versus großstrukturell sowie die Zuschreibung von Vernunft und Moral als bedeutsam. Weiterhin tauchte bei der Analyse ein weiterer Verfassungsbereich auf, der in der Konzeption der modernen Verfassung nicht vorkommt: der Bereich der Ökonomie. Die Konzeptionen von Natur und Gesellschaft, Wissenschaft und Politik sowie Ökonomie richten sich – so soll im Folgenden gezeigt werden – auf die Zukunftserwartung aus. Dabei liefert der Verweis auf die Natur und der Verweis auf die Gesellschaft insbesondere in ihrem Verhältnis zur Ökonomie eine kritische Ressource, so wie sie bereits Latour im Zusammenhang mit der modernen Verfassung diskutiert hat.

7.2.1 Natur und Gesellschaft In seiner Konzeption der modernen Verfassung führte Latour zwei Ressourcen der Kritik ein, mittels denen Aussagen in Frage gestellt werden 298

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können. Die Kritik der ersten Aufklärung bezog sich auf die kritische Ressource der Natur und wurde dazu benutzt, gängige Vorstellungen als Illusion bzw. Fiktion zu entzaubern. Die Kritik der zweiten Aufklärung bezog sich auf die kritische Ressource der Gesellschaft und wurde dazu benutzt, Aussagen über die Natur als gesellschaftliche Ideologie zu entlarven.3 Als Begründung für die negativen Folgen der Agrar-Gentechnik wurde von kritischen Positionen zum einen die Unkontrollierbarkeit in ihrer Ausbreitung angegeben und zum anderen die Risiken, die sich aus einer Überschreitung der von der Natur gesetzten Grenzen ergeben. Damit sind zwei Aspekte von Naturvorstellungen angesprochen, die für den hier interessierenden Zusammenhang von Bedeutung sind: zum einen die vermutete Aktivität der Natur und zum anderen der Charakter der von der Natur gesetzten Grenzen. Bei kritischen Positionen wird die Aktivität der Natur in der Auskreuzung deutlich. Dies ist aber auch bei befürwortenden Positionen der Fall, wie folgendes Zitat von Monsanto verdeutlicht: »Wenn man z.B. an die ›Staubwolke‹ von Pollen über einem blühenden Roggenfeld denkt, so wird schnell klar, dass Genaustausch zwischen Millionen von Pflanzen ein wichtiger Teil lebender Systeme ist. Natur ist dynamisch und auch die Genetik ist nicht stabil, sondern evolutionär. Vor diesem Hintergrund ist der gigantisch große Gentransfer im Sommer eine wichtige Überlebensstrategie aller lebenden Organismen.« (Monsanto: 114)

Sowohl befürwortende als auch kritische Positionen gehen von natürlichen Dynamiken aus, was der Konzeption einer Passivität der Natur in der modernen Verfassung bei Latour widerspricht. Unterschiede zwischen den Positionen bestehen vielmehr darin, inwiefern sich die natürlichen Dynamiken kontrollieren lassen. Im Gegensatz zu kritischen Positionen halten befürwortende Positionen sie für kontrollierbar. Zum einen herrscht die Auffassung, dass die Unsicherheiten, die sich in der Natur stellen, durch die technische Transformation beseitigt werden. Die potentiellen Risiken einer Technik werden im Technikentwicklungsprozess selbst ausgemerzt.4 Teilweise wird hier auch Technik als Verbesserung der Natur verstanden. Zum anderen sind die verbliebenen Restrisiken auch rechtlich kontrollierbar.5 3 4

Zu einer eingehenderen Diskussion der kritische Ressourcen bei Latour vgl. Abschnitt 3.1.3 Folgendes Zitat verdeutlicht dies: »Und ich denke, hier ist es ganz wichtig, sich ins Gedächtnis zurückzurufen, dass die Rohstoffe, die die Natur uns zur Verfügung stellt, nicht von Natur aus sicher sind.« BLL: 48. 299

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Trotzdem die Natur technisch umgeformt und ihre Eigenaktivität kontrolliert werden kann, setzt sie auch bei befürwortenden Positionen Grenzen. Diese Grenzen werden als materielle Restriktionen begriffen, die durch die Wissenschaft repräsentiert werden. Sie geben der Aktivität des Menschen einen Rahmen vor, der für ihn unhintergehbar ist (so bei BMBF, BMVEL, DBV, DIB, LR Bayern, MPG, Verbr.Ini.). Bei kritischen Positionen werden die Grenzen der Natur hingegen nicht als materielle Grenzen, sondern als moralische Grenzen eingeführt. So können die von der Natur gesetzten Grenzen überschritten werden, was jedoch zu negativen Folgewirkungen führt. Der Mensch ist demnach nur moralisch verpflichtet, diese Grenzen nicht zu überschreiten, was aber nicht bedeutet, dass er diese Grenzen nicht zu überschreiten vermag (so bei BMVEL, BUKO, BUND, vzbv). Jedoch nicht alle kritischen Positionen betonen die moralischen Grenzen der Natur. Auch hier werden die zwei Linien der Kritik deutlich. Während die Umwelt- und Naturschutzverbände eher auf die moralischen Grenzen der Natur verweisen, ist dies für die Verbände aus der Entwicklungszusammenarbeit weniger bedeutsam. Für sie steht Natur eher für öffentliche Güter. Beide kritischen Konzeptionen werden verständlicher, wenn das Verhältnis von Natur und Gesellschaft genauer betrachtet wird. Das Verhältnis von Natur zur Gesellschaft tritt bei einigen Organisationen in ihrer regionalisierten Sichtweise auf menschliche und nichtmenschliche Prozesse zu Tage. Natur und Gesellschaft sind hier regional miteinander verflochten und bilden eine Gemeinschaft, die ihre Aktivitäten miteinander abstimmen, ähnlich, wie sich Latour dies in seinem Konzept des Kollektivs vorstellt (so bei aid, BMVEL, BÖLW, BUKO, BUND, EED, vzbv, Misereor).6 Die Natur in ihrem Eigenwert zu betrachten, wird als ein gesellschaftliches Interesse definiert. Dass dies nicht unbedingt nur »religiös« gedeutet werden muss, zeigt der Hinweis von BUKO, dem EED und Misereor, klingt aber implizit auch bei anderen kritischen Positionen an. Hier besteht die Vorstellung oder Zuschreibung, dass es sich bei Natur um öffentliche Güter handelt, die allgemein zugänglich sein sollten und nicht privatisiert werden dürften. In diesem Sinne stellt die Agrar-Gentechnik ein Instrument dar, dass die Aneignung öffentlicher Güter ermöglicht: das der genetischen Ressourcen. »In den letzten Jahren vollziehen sich fundamentale Veränderungen in der Art und Weise des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die oft als Übergang vom 5 6

Vgl. zu einer ausführlicheren Diskussion der Kontrollmöglichkeiten Abschnitt 6.1.2. Zum Konzept des Kollektivs bei Latour vgl. Abschnitt 3.1.3.

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›modernen‹ zum ›postmodernen‹ Kapitalismus beschrieben werden. Im modernen Kapitalismus wird ›Natur‹ als externe, materielle Ressource ausgebeutet. Damit ist die Ausbeutung klassischer Rohstoffe wie Öl, Erze, Kohle gemeint, aber auch die der menschlichen Arbeitskraft. Eine extensive Zerstörung von Mensch und Natur war und ist die Folge. Im postmodernen Kapitalismus findet nun eine neue Form von Aneignung und Ausbeutung statt. Ermöglicht durch Gen- und Biotechnologie, werden Ressourcen entdeckt, die vormals nicht zur Verfügung standen.« (BUKO (biopir): 18)

Durch die Umdefinition des Eigenwertes der Natur als ein gesellschaftliches Interesse ist ebenso ein Hinweis darauf gegeben, dass bei diesen Positionen die Grenze zwischen Natur und Gesellschaft nicht in dem Maße vollzogen wird, wie in der modernen Verfassung. Natur und Gesellschaft sind miteinander verwoben in eng verschränkten Mikroprozessen. Eine zu großstrukturelle Technik zerstört diesen Beziehungszusammenhang, mit negativen Folgen sowohl für die natürlichen als auch für die gesellschaftlichen Elemente (so bei aid, BÖLW, BUKO, EED, Misereor). Damit ist der Verweis auf die Gefährdung der Natur als Gesellschaftskritik zu interpretieren. Der Befund der Risikosoziologie, dass der Begriff des Risikos nur zweckentfremdet werden würde, um alternative Vorstellungen von Natur und Gesellschaft zu thematisieren, geht damit an der Hauptproblematik vorbei: Es wird sich zwar sehr wohl auf ökologische Risiken bezogen, doch dieser Bezug ist nicht nur Makulatur bzw. wird nicht strategisch gesetzt. Da die Natur als Teil der Gesellschaft begriffen wird, zielt der Hinweis auf ökologische Risiken direkt auf eine Gesellschaftskritik. Dies deckt sich mit dem hier bereits vorgetragenen Befund (vgl. Abschnitt 5.2.3), dass für kritische Positionen weit stärker die sozialen Auswirkungen der Gentechnik und weniger ihre ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen im Mittelpunkt stehen, denn jede ökologische Auswirkung ist zugleich auch eine soziale Auswirkung. Der Unterschied bei beiden Kritiklinien besteht darin, dass Positionen des Umwelt- und Naturschutzes großskaligere Verflechtungen annehmen oder thematisieren als Positionen aus der Entwicklungszusammenarbeit. Bei letzteren hat es eher den Anschein, als ob die indigenen Gemeinschaften als Idealvorstellung von einer naturverbundenen Lebensweise angeführt werden. Die Positionen des Umwelt- und Naturschutzes sind offen für Umweltmanagementprozesse, die aus der anderen Sichtweise, welche kleinskalige Selbstorganisationsprozesse favorisiert, als herrschaftsbeladen abgelehnt werden. Auch bei befürwortenden Positionen gibt es in Bezug auf das Verhältnis von Natur und Gesellschaft zwei voneinander zu unterscheidende 301

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Auffassungen. In der einen Betrachtungsweise wird rigoros von einer technischen Kontrolle der Aktivität der Natur ausgegangen, die ihre Grenzen nur in materieller Hinsicht setzt. In der anderen Sichtweise wird ebenso eine enge Verflechtung zwischen Natur und Gesellschaft angenommen. Dabei wird darauf verwiesen, dass beide – Natur und Gesellschaft – zu kontrollieren wären. Was für die Kritiker die Natur ist, ist für die Befürworter die Technik. Dies zeigt sich in der Eigenschaftszuschreibung von lokal versus global an die Bereiche von Natur, Gesellschaft und Technik. In den Positionspapieren taucht vielfach die Forderung auf, Technikentwicklung in Zusammenhang mit den lokalen Umweltbedingungen und lokalen sozialen Verhältnissen zu vollziehen. Gleichzeitig wurde auf globale Technikentwicklungstrends und allgemeine gesellschaftliche Entwicklungstendenzen verwiesen. So argumentieren befürwortende Positionen, dass die Pflanzenzüchtung an die regionalen landwirtschaftlichen Bedingungen angepasst sein müsse, obwohl sich aus ihrer Sichtweise die Gentechnik als solche schon global durchgesetzt habe. Die Kritiker hingegen argumentieren, dass die Gentechnik sich nur über den Anbau oder den Kauf von gentechnisch veränderten Lebensmitteln an lokalen Punkten durchsetze, dass sie aber schon in der Methode prinzipielle Grenzen der Natur überschreite. Für befürwortende Positionen ist das technische Prinzip global. Es gibt keine Natur als eigenständige Größe, sondern nur lokale Umweltbedingungen, die das Grundprinzip der Technik in sich aufnehmen und verwirklichen, ohne dieses selbst verändern zu können. Für die Kritiker hingegen ist die Natur als eigenständige und unabhängige Größe global, wobei das globale Ökosystem durch die Anwendung von ihren Prinzipien widersprechenden Techniken auf lokaler Ebene gestört werden kann. Gesellschaft ist demnach in beiden Fällen lokal gebunden (Umsetzung der Gentechnik) nur das globale Prinzip ist ein anderes: In dem einen Fall die historisch verortbare aber evolutionär-fortschrittlich konzipierte Technikentwicklung, in dem anderen Fall die Grenzen der Natur, die nicht als materielle Restriktionen menschlicher Handlungen auftreten, sondern als moralische Grenzen, die überschritten werden können, wenn auch mit fatalen Folgen. Doch es gibt bei kritischen und befürwortenden Positionen noch ein anderes Bild von Technik und Natur: das der Vielfalt. So wird auf der einen Seite unter Natur meist die Artenvielfalt (oder auch Biodiversität) verstanden. Aus der Sichtweise kritischer Positionen wird in diesem Zusammenhang weniger darauf verwiesen, dass die Gentechnik die Grenzen der Natur überschreite, indem sie die artübergreifende Kreuzung zulasse, sondern die Agrar-Gentechnik ist ein Instrument der Umweltzerstörung, die als eine Reduktion der Vielfalt der Arten begriffen wird. 302

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Eine naturnahe Lebensweise oder die Natur selbst aber bringen Vielfalt hervor. Aus der Sichtweise befürwortender Positionen hingegen wird eine Vielfalt von Technik angemahnt. Dies verdeutlicht zum Beispiel der Titel des Positionspapiers des Bauernverbandes »Vielfalt fördern – Innovationspotential wahren« in anschaulicher Weise. Sowohl bei befürwortenden als auch bei kritischen Positionen wird Vielfalt als ein positiver Wert angesehen. Damit gibt es ein globales Prinzip (Grenzen der Natur oder technisches Prinzip), das unter lokalen Bedingungen Vielfalt erzeugt. Dass sich diese Prinzipien widersprechen können, darauf verweist die von der BUKO eingeführte Unterscheidung zwischen Information und Materie. »Im postmodernen Kapitalismus findet nun eine neue Form von Aneignung und Ausbeutung statt. Ermöglicht durch Gen- und Biotechnologie, werden Ressourcen entdeckt, die vormals nicht zur Verfügung standen. Solche Ressourcen, wie die Gene, haben eine neue Qualität: Sie sind nicht mehr extern, denn zum einen haben wir alle unser persönliches Genom, das potentiell interessant für die Wirtschaft (den Staat) ist. Und sie sind immateriell: Sind die Gene erst identifiziert und isoliert, ist der Organismus selbst nicht mehr von Interesse. Die Gewinnung weiterer Genabschnitte erfolgt nicht mehr aus der Pflanze selbst, sondern beliebig oft wiederholbar im Labor. Solange allerdings noch nicht alle potentiell vermarktungsfähigen Gensequenzen analysiert wurden, muss die Natur geschützt werden, der Verlust der biologischen Vielfalt käme sonst einem Verlust an potentiellen Geldquellen gleich.« (BUKO (biopir): 18)

Hier wird ein technisches Prinzip – die Informatisierung des Lebens durch die Gentechnik – zur Gefahr für vielfältige, regionale Prozesse innerhalb derer natürliche und soziale Vielfalt hervorgebracht wird. Vielfalt steht hier also für Freiheit und Unabhängigkeit, die durch ein globales technisches Prinzip, das in asymmetrischen Herrschaftsstrukturen eingebettet ist, eingeschränkt und vereinheitlicht werden kann. Werden die Konzeptionen von Globalität und Lokalität bei befürwortenden und kritischen Positionen zusammenbetrachtet, kann demnach das Globale zum einen ein vermittelndes Prinzip sein, das lokal umgesetzt werden muss und dadurch Vielfalt erzeugt, zum anderen kann es aber auch lokale Prozesse, die im Zusammenspiel heterogener Kräfte ebenfalls Vielfalt hervorbringen, einschränken, behindern oder zerstören. Die wechselnden Zuschreibungen von globalem Prinzip und lokaler Umsetzung können auch als unterschiedliche Irreversibilisierungs- und Reversibilisierungsstrategien interpretiert werden. Etwas zu einem globalen, allseitig anwendbaren Prinzip zu erheben, uniformiert Umsetzungen auf lokaler Ebene. Das Prinzip selbst ist nicht mehr reversibel, es ist 303

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unangreifbar und harrt nur seiner Implementierung. Zwischen befürwortenden und kritischen Positionen ist hierbei eine Schieflage zu erkennen. So erkennen kritische Positionen die allgemeine Durchsetzungsfähigkeit der Agrar-Gentechnik sowohl auf der Ebene ihrer methodischen Anwendung als auch auf der Ebene des technischen Artefaktes an. Befürwortende Positionen hingegen erkennen nur lokale Umweltbedingungen nicht aber prinzipielle Grenzen der Natur an. Weiterhin haben befürwortende Positionen einen Vorteil hinsichtlich der Festigkeit ihrer Position: als wertvollen Verbündeten können sie transgene Pflanzen vorweisen. Kritische Positionen hingegen sehen sich in dem Zwang, die von ihnen postulierten Grenzen der Natur zu vergegenständlichen. Dies kann ihnen nur gelingen, wenn sie auf Schäden hinweisen, die aber wiederum nur wissenschaftlich nachzuweisen wären. Dennoch gelingt es kritischen Positionen, das technische Prinzip in seiner Universalität in Frage zu stellen und kontingent zu setzen, indem sie seine Entwicklung auf einen sozialen Akteur zurückführen. Dies geschieht, indem sie verstärkt auf die Interessen der Biotechnologieunternehmen verweisen und die Wirklichkeit der Agrar-Gentechnik nur auf den tatsächlich stattfindenden Anbau zurückführen.

7.2.2 Ökonomie, Wissenschaft und Politik Bei der Analyse der Positionen zur Agrar-Gentechnik tauchte neben der Natur noch eine weitere kritische Ressource in der Debatte auf, die bei Latour nicht vorkommt: die Ökonomie. Mit Bezug darauf, dass die Technikentwicklung sich vor allem in den Händen privatwirtschaftlicher Interessen befindet, wird darauf verwiesen, dass die Agrar-Gentechnik auch nur diesen Interessen nützt. Mehr noch aber als der Nachweis der sozialen Konstruktion von Technik, birgt die Aussage kritische Sprengkraft, dass die privaten und egoistischen Interessen den Interessen des Allgemeinwohls entgegengesetzt sind. Die eigennützigen Interessen hinter der Technikentwicklung werden als ökonomische Interessen gekennzeichnet. Jedoch gibt es – wie bereits angedeutet7 – zwei unterschiedliche Linien der Argumentation. So werden ökonomische Akteure teilweise als nur ein Akteur unter vielen Akteuren, die an der Technikentwicklung beteiligt sind, dargestellt. Damit wäre es denkbar, den Technikentwicklungsprozess von den ökonomischen Interessen zu befreien und wieder den öffentlichen Interessen unterzuordnen. Eine andere Konzeption unterstellt, dass die Technik ein spezifisches Instrument der Interessen ökonomischer Akteure ist. Die 7

Vgl. die Ausführungen zu den Interessen der Biotechnologieunternehmen in Abschnitt 6.3.2.

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Technik selbst ist dann schon herrschaftsförmig und muss aus diesem Grund auch vollständig abgelehnt werden.8 Vollständig abgelehnt werden muss eine Technik ebenso, wenn bereits in ihrem technischen Prinzip eine Gefahr des Missbrauchs liegt. Ökonomische Akteure sind aus dieser Sichtweise vor allem deswegen als Technikentwickler konzeptualisiert, da hierdurch ihre Kontrollgewalt über die Technik besser zum Ausdruck kommt und stärker auf ihre eigennützigen Interessen verwiesen werden kann. Mit der Kritik an der Nichtübereinstimmung von ökonomischen Interessen mit dem Allgemeinwohl, ist die Forderung eines Mitspracherechts auf ökonomische Aktivitäten insbesondere hinsichtlich der Technikentwicklung verbunden. Dies verweist auf den Befund sozialwissenschaftlicher Studien, dass ein wichtiger Grund für die mangelnde Technikakzeptanz die mangelnde demokratische Kontrolle des Technikentwicklungsprozesses ist (vgl. Abschnitt 2.1.1). Von befürwortenden Positionen hingegen – dies zeigte ihre Definition der Interessen der Gesellschaft – wird die Gleichsetzung von ökonomischen Interessen mit dem Allgemeinwohl unhinterfragt postuliert. Die Verbindung wird blackboxt, ebenso wie die Verbindung zwischen technischer Entwicklung und Allgemeinwohl nicht in Frage gestellt wird. Institutionell ist diese Verbindung durch die Verflechtungen von Wissenschaft und Ökonomie gestützt, bei der sich öffentliche und private Forschung verbinden. Sowohl die Technikentwicklung als auch die ökonomischen Aktivitäten unterliegen nicht der gesellschaftlichen Einspruchnahme. Damit kann die Zuschreibung von Vernunft und Moral, so wie sie in der Gentechnikdebatte deutlich wurde, als Mechanismus gewertet werden, die eigenen Interessen auf die Gesamtgesellschaft auszuweiten. Dies geschieht, indem die eigene Position als rational und moralisch dargestellt wird, die Gegenposition(en) hingegen als irrational und unmoralisch (vgl. Abschnitt 5.2). Die Zuschreibung von Irrationalität und Unmoralität an andere Interessen setzt die eigene Position absolut, als einzig richtige und moralische Position. Fremdinteressen brauchen dann nicht mehr beachtet oder anerkannt, divergierende Wirklichkeitsbeschreibungen nicht mehr wahrgenommen zu werden. Die Unterscheidung zwischen Vernunft und Moralität ist damit weiterhin bedeutsam. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Institutionen Wissenschaft und Politik als ihre legitimen Repräsentanten weiterhin Bestand haben. Damit sind Wissenschaft und Politik nicht, wie gezeigt wurde, in erster Linie Repräsentanten von Natur und Gesellschaft. Diese 8

Die These, dass in die Technik bereits Herrschaftsaspekte einfließen, geht auf Herbert Marcuse zurück. Vgl. Marcuse 1987. Aus feministischer Sichtweise (parallel: in die Technik sind patriarchale Machtverhältnisse eingeschrieben) vgl. Wajcman 1994. 305

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Repräsentationsfunktionen zeigen sich in den unterschiedlichen Verständnissen von Wissenschaft und Politik, so wie sie bei den untersuchten Organisationen auftauchten. Die Wissenschaft tritt vor allem als Repräsentant auf, jedoch weniger als Repräsentant versammelter Entitäten, sondern als Repräsentant von Gesetzmäßigkeiten und dies nicht nur der Natur, sondern auch der Gesellschaft.9 Hierin unterscheiden sich die Positionen nicht, jedoch besteht ein Unterschied darin, für wen diese Repräsentationspflichten als bedeutsam herausgestellt werden. Eine Auffassung, die vor allem bei befürwortenden Positionen vorherrschend ist, besagt, dass wissenschaftliche Repräsentationen zunächst (1) für politische Akteure bedeutsam werden, die ihre Entscheidungen und die von ihnen entwickelten Regulierungsvorschriften an den von der Wissenschaft repräsentierten Fakten ausrichten (so bei aid, BLL, BMBF, BMVEL, DBV, DIB, FiBL, Monsanto). Einige Positionen gehen hier weiter und fassen Wissenschaft nicht nur als Repräsentant gesellschaftlicher und natürlicher Gesetzmäßigkeiten auf, sondern (2) vielmehr als eine Institution, die wesentlich als Technikentwickler auftritt (BLL, DIB, DLG, LR Bayern, Monsanto). Diese Sichtweise überschneidet sich teilweise mit der ersteren. So ist beim BLL, beim DIB und bei Monsanto – also bei Organisationen aus dem Bereich der Industrieinteressen – die Vorstellung präsent, dass die Wissenschaft sowohl Technikentwickler ist als auch Informationen für die politischen Akteure liefern soll, damit diese ihre Regulierungs- und Förderungsbemühungen darauf ausrichten. Damit tritt in dieser Konzeption die Doppelzüngigkeit der Wissenschaft zu Tage (wenn man sie als eine Einheit betrachten würde): Sie produziert eine Technik und liefert zugleich die Grundlage für ihre Regulierung. In einer anderen Sichtweise, die vor allem bei kritischen Positionen vorhanden ist, (3) werden die von der Wissenschaft repräsentierten Bedingungen für eine Öffentlichkeit bedeutsam. Wissenschaftliche Fakten helfen nicht nur den politischen Akteuren sich ihrer Bedingungen zu vergegenwärtigen, um darauf ihre Entscheidungen zu gründen, sondern liefern ebenso jedem einzelnen Bürger die erforderlichen Informationen, die er für ein selbstbestimmtes Handeln und Entscheiden benötigt (so bei BMBF, BÖLW, BUND, Misereor, MPG, vzbv). Politik tritt weniger einheitlich als ein Repräsentant der Gesellschaft auf, wie in der Konzeption der modernen Verfassung, ihr werden vielmehr unterschiedliche Aufgaben zugesprochen. Der Konzeption von Politik bei Latour näher kommt (1) die Auffassung, dass die Rolle der Politik darin besteht, gesellschaftliche Interessengegensätze auszusöhnen (so 9

Vgl. ebenso die Diskussion im dritten Kapitel in Abschnitt 3.1.3.

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bei BLL, BMBF, BMVEL, DIB, FiBL, LR Bayern). Dies verdeutlicht ebenso folgendes Zitat vom BMVEL. »Angesichts der Komplexität und Kontroversität des Problems ist der Gesetzgeber aufgerufen, das normative System so zu gestalten, dass es einerseits der Eigenart der geregelten Materie, andererseits auch weitest möglich den verschiedenen Interessen der beteiligten Gruppierungen Rechnung trägt.« (BMVEL: 54)

Politik wird dabei vor allem als Vermittler zwischen Bevölkerung und Wissenschaft angesehen. So setzen einige Positionen der Wissenschaft die Bevölkerung gegenüber (BLL, BMBF, BMVEL, LR Bayern, Monsanto, Verbr.Ini.), so als wäre die Bevölkerung den Erkenntnissen und Entwicklungen aus dem Bereich der Wissenschaft wenig aufgeschlossen und müsse erst durch die Politik auf deren Errungenschaften vorbereitet werden. Eng mit dieser ersten Auffassung von Politik verbunden ist (2) die Vorstellung von Politik als diejenige Institution, welche das Ziel der Technikentwicklung vorgibt (so bei aid, BMBF, BMVEL, Monsanto). Politik übernimmt damit die Aufgabe, die Technikentwicklung auf Ziele des Allgemeinwohls zu lenken. Die Konzeptualisierung von Politik als Zielsetzung des Technikentwicklungsprozesses verweist auf die vorherige Auffassung von Politik, welche die unterschiedlichen Interessen in einer Gesellschaft vereinheitlicht und eine gemeinsame Zukunftserwartung definiert. Politik stellt durch eine Aussöhnung der Interessengegensätze einen einheitlichen politischen Körper erst her, der durch ein definierbares Interesse gekennzeichnet ist, auf das die Technikentwicklung ausgerichtet werden kann. Mit diesen ersten beiden Auffassungen von Politik ist die Vorstellung, dass Wissenschaft der Politik Fakten vorgibt, anhand derer sie ihre Regulierungsbemühungen ausrichtet, fest verbunden. Damit wird eine Arbeitsteilung zwischen Politik und Wissenschaft etabliert: Wissenschaft ist für den technischen und sozialen Fortschritt verantwortlich, während die Politik die Aufgabe hat, diesen Prozess flankierend abzusichern und die Akzeptanz der Technik in der Bevölkerung vorzubereiten. Diese Auffassung korrespondiert ebenso mit einer Trennung zwischen Fakten und Werten, wie sie als Bestandteil der modernen Verfassung angesehen wurde. Dies verdeutlicht folgendes Zitat von Monsanto: »Ethik ist ein durch Zeit, Kultur, Religion und Gesellschaft geprägter und daher wandelbarer Begriff. Was ethisch ist und was nicht, steht nicht ein für allemal fest. Angesichts neuer Entwicklungen werden bestehende Weltbilder und Orientierungen immer wieder neu überdacht. Die Gentechnik darf nicht allein

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aus ihrer spezifischen Natur heraus als unethisch bewertet werden, die Technologie als solche ist wertfrei. Entscheidend ist, wie und in welchem Zusammenhang ihre vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten eingesetzt werden. Diese müssen im Hinblick auf ethische Werte von Fall zu Fall geprüft werden. Genauso wie es unethisch sein kann zu handeln, kann es unethisch sein, nicht zu handeln.« (Monsanto: 142)

Von einigen Positionen wird ebenso (3) die Auffassung vertreten, dass es eine der Aufgaben der Politik ist, den Technikentwicklungsprozess abzusichern (so bei DIB, Monsanto, MPG, Verbr.Ini.). Sie ist damit verantwortlich dafür, durch Sicherheitsforschung und durch entsprechende Regulierungsmaßnahmen die Sicherheit der Technikentwicklung und -anwendung sicherzustellen. Es fällt auf, dass diese Forderung fast nur durch die Organisationen gestellt wird, die selbst am Technikentwicklungsprozess beteiligt sind. Die Vorstellung, Wissenschaft liefere die Faktengrundlage für politische Regulierungsbemühungen, korrespondiert weiterhin mit einer (4) Auffassung von Politik, die einen ganz anderen Schwerpunkt setzt und sich weniger auf die Technikentwicklung bezieht, als auf den Schutz der Bürger. Politik hat hier die Aufgabe bzw. es wird an sie die moralische Forderung gestellt, das Handlungspotential abzusichern. Damit etabliert sie sich als ein Anwalt der Schwachen und Marginalisierten (aid, Bioland, BMBF, BMVEL, DBV, FiBL, Verbr.Ini., vzbv). Hierunter kann auch verstanden werden, dass es Aufgabe der Politik ist, Informationen weiterzuleiten oder zu generieren (wie zum Beispiel durch die Kennzeichnung). Bei den Positionen, die diese Sichtweise von Politik verfolgen, wird der Mensch auch zumeist als ein Individuum angesehen, dessen Handlungspotential nicht voraussetzungslos gegeben ist, sondern erst hergestellt werden muss, durch Informationen oder eben durch eine rechtliche Absicherung. Aus dieser Sichtweise ist demnach der Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Politik als ein aufklärerischer bestimmt und auf das Individuum bezogen: Wissenschaft klärt die Politik auf und die Politik richtet sich darauf aus, die Bürgerrechte zu wahren und diese Informationen in die Sprache der Öffentlichkeit zu übersetzen. Diese Auffassung kann demnach dann auch eher als eine paternalistische Haltung gekennzeichnet werden.10 Vor allem kritische Positionen haben kein spezifisches Bild von der Wissenschaft. Vereinzelt ist hier die Auffassung von Wissenschaft als 10 Bei der Auffassung von Wissenschaft als Repräsentant für die Öffentlichkeit wird der direkte Weg an die Öffentlichkeit genommen. Mit dieser Auffassung von Wissenschaft korrespondiert aber keine bestimmte Politikauffassung. Jedoch ist hier vor allem die Ansicht vertreten, dass der Mensch ein eigenverantwortliches Individuum sei. 308

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Repräsentant für die Öffentlichkeit erwähnt. Die meisten Organisationen enthalten sich aber einer genaueren Bestimmung ihrer Rolle. Damit wird auch kein besonderes Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik bestimmt. Dafür wird der Bereich der Politik differenzierter betrachtet, womit eine (5) fünfte mögliche Auffassung von Politik angesprochen ist. In dieser Sichtweise wird die Frage problematisiert, inwiefern auf die politische Regulierung durch individuelle oder durch kollektive Akteure Einfluss genommen werden könne. Politik erscheint hierbei zunächst als ein Fakt, als eine bestimmte Form der Regulierung, mittels welcher der Aktivität sozialer Akteure Grenzen gesetzt werden und mit der – in welcher Form auch immer – umgegangen werden muss (so bei aid, Bioland, BÖLW, BUKO, BUND, EED, Greenpeace, Misereor). Dennoch aber wird hier zumeist darauf verwiesen, dass auf die Gestaltung des Rechtsrahmens durch bestimmte Protestformen oder Anspruchsformulierungen, wie zum Beispiel durch Lobbyarbeit, Einfluss genommen werden könne. Weiterhin wird auf Formen privatrechtlicher Regulierung verwiesen (wie zum Beispiel durch die Gründung gentechnikfreier Zonen, die auf Selbstverpflichtungserklärungen beruhen) oder auf Formen der Selbstorganisation alternativer Wirtschaftsweisen. Damit wird zwischen der staatlichen Regulierung und dem politischen Engagement jedes Einzelnen unterschieden.11 Aus dieser Sichtweise wird die Bedeutung staatlicher Politik anerkannt, aber es kann entweder versucht werden, auf sie Einfluss zu nehmen, oder es kann versucht werden, die von ihr aufgestellten Restriktionen zu umgehen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Konzeption des Verhältnisses von Politik und Wissenschaft vor allem bei befürwortenden Positionen vorhanden ist, wobei es hierbei zwei Strömungen gibt: die erste öffnet sich der Technikentwicklung, die andere widmet sich dem Schutz der Marginalisierten und Schwachen. Auch wenn Wissenschaft als Institution bei kritischen Positionen weniger auskonzeptualisiert ist, so ignorieren sie sie dennoch nicht ganz. So beziehen sich auch kritische Positionen in der Begründung ihrer Position auf wissenschaftliche Studien. Damit erscheint sowohl bei befürwortenden als auch bei kritischen Positionen die Wissenschaft bzw. die Wissenschaftlichkeit als legitimer Sprecher der Aktivität sozialer wie auch nichtsozialer Akteure. Jedoch wird nicht von allen, vor allem nicht von kritischen Positionen, die Rolle der Politik in der Herstellung eines politischen Körpers angesehen, wie auch bei befürwortenden Positionen durch die Politik nicht

11 Außer bei der BUKO kann diese Unterscheidung bei allen oben genannten Organisationen nachgewiesen werden. Für die BUKO ist Politik allein nur ein Fakt, der das Eigenengagement des Einzelnen begrenzt. 309

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nur allein soziale Akteure unter das einigende Band des Staates gefasst werden sollen, sondern auch nichtsoziale Akteure, wie die Technik. Die Frage, wieso die Konzeptualisierung von Wissenschaft und Politik bei kritischen Positionen weniger vorhanden ist, kann anhand der Unterscheidung zwischen großstrukturell und kleinstrukturell diskutiert werden. Wie bereits erörtert, führt die Betrachtung lokaler Prozesse zu einer anderen Sichtweise auf die Unterscheidung von global und lokal. Bei einigen Positionspapieren (wie beim DBV, EED, Greenpeace) wurde deutlich, dass aus lokalen Prozessen Entwicklungstendenzen entstehen können, die auf das freie Spiel lokaler Kräfte begrenzend zurückwirken. Es kann damit unterschieden werden zwischen lokalen, eher kleinräumigeren Strukturen und großräumigeren, diese Strukturen überschreitende, Entwicklungstendenzen. Hier geht es also um einen Größenunterschied gesellschaftlicher und technischer Organisationsstrukturen. Die Unterscheidung zwischen großstrukturell und kleinstrukturell stellt damit ein Spezialfall der Unterscheidung zwischen global und lokal dar. Aus lokalen Prozessen entstehen größere Strukturzusammenhänge, die aber zu unterscheiden sind von einem globalen Prinzip, das sich »prinzipiell überall« anwenden lässt. Die Unterscheidung bezieht sich also auf Strukturen und ihr Verhältnis zu einem individuellen Aktivitätspotential. Bezüglich dieses Verhältnisses gibt es zwei Positionen, welche die Bedeutung der Unterscheidung zwischen großstrukturell und kleinstrukturell verdeutlichen. So verweisen (1.) einige Positionen darauf, dass das Aktionspotential des Einzelnen erst hergestellt werden müsse und es darum notwendig sei, großstrukturelle, meist staatliche Regulierungen zu etablieren, um den Einzelnen in seinem Aktionsraum zu schützen. Andere Positionen legen hingegen (2.) ihren Schwerpunkt auf das bereits vorhandene Aktionspotential, dass durch großstrukturelle Organisationen – meist technische Artefakte aber auch rechtliche Regulierungen (zum Beispiel Patenten) – nicht eingeschränkt werden dürfe. In der ersten Position wird versucht, einen politischen Körper zu konstruieren, der unterschiedliche Interessen vereint und gleichzeitig ermöglichen will. Die Problematik, die es hier zu lösen gilt, besteht dann darin, inwiefern staatliche oder politische Regulierungen einschränken dürfen, ohne zu behindern. Diese Diskussion kommt bei befürwortenden Positionen in der Kritik an der bundesdeutschen Politik, die sich ihrer Meinung nach zwischen Förderung und (restriktiver) Regulierung bewegt, deutlich zum Ausdruck. Einschränkungen sind notwendig, um Aktionspotential zu schützen. In der zweiten Position besteht das Problem in der Bedrohung kleinräumiger Strukturen durch großstrukturelle Aktivitäten. Die Aktivität so310

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zialer Akteure wird anderen sozialen Akteuren solange nicht gefährlich, wie sie in kleinem Rahmen verbleibt und reversibel gestaltet wird. In dieser Sichtweise wird demnach der Gedanke, dass Aktivitätspotential durch eine großstrukturelle Rahmensetzung erst hergestellt werden müsse, abgelehnt. Dies kann als Ignoranz der Erkenntnis gegenüber gedeutet werden, dass Menschen erst zum Handeln befähigt werden müssen und Subjektivität nicht voraussetzungslos gegeben ist. Es ist aber auch eine andere Interpretation möglich: Die Unterscheidung von groß- und kleinstrukturell ermöglicht es erst überindividuelle Regulierungen als von fremden Interessen gegebenen Fakt zu begreifen. Würde demgegenüber die Notwendigkeit der Herstellung und des Schutzes durch einen politischen Körper (Staat) oder technische Strukturen anerkannt, dann müssten seine Maßnahmen zum Schutz des Einzelnen als Eigeninteresse interpretiert werden. Mit der Unterscheidung von groß- vs. kleinstrukturell wird demnach nicht von einem allgemeinen und universalen Prinzip ausgegangen, sondern der gegebene Fakt, mit dem auch in der eigenen Strategiebildung gerechnet werden muss, als Ausfluss einer sozialen Aktivität begriffen, die der eigenen entgegengesetzt ist. Diese fremde Aktivität tritt als »zweite Natur« auf, obwohl ihr konstruktiver und damit kontingenter Charakter erhalten bleibt. Nur so scheint es möglich für die eigene Aktivität einen Freiraum zu schaffen. Die Unterscheidung zwischen groß- und kleinstrukturell ist demnach eine Übersetzung der Unterscheidung zwischen Eigen- und Fremdinteressen, wobei in ihr implizit die Vermutung enthalten ist, dass bei kleinstruktureller Organisationsweise Eigen- und Fremdinteressen nicht miteinander in Konflikt geraten. Problematisch ist dies ebenso, da eine Tendenz besteht, kleinstrukturelle Lösungen als Gemeinschaft zu interpretieren, denen sich das einzelne Individuum bruchlos einordnet. Darauf verweist der häufige Bezug auf »lokale Gemeinschaften« bei den Organisationen, welche sich auf die Unterscheidung zwischen großstrukturell und kleinstrukturell beziehen (dies sind aid, BÖLW, BUKO, EED, Misereor). Damit ist auch die Bewertung in dieser Unterscheidung klar erkennbar: kleinstrukturelle Lösungen sind großstrukturellen Lösungen vorzuziehen.12 Mit der Unterscheidung zwischen großstrukturell versus kleinstrukturell wird demnach nicht von einem einheitlichen politischen Körper ausgegangen, auf den die eigenen Interessen übertragen werden, 12 Generell wird die Technikkritik der neuen sozialen Bewegungen auf den Slogan »small is beautiful« bezogen, der ebenso Versuche einer alternativen Technikentwicklung beinhaltet. Vgl. Müller/Nievergelt 1996: 70f. Praktisch wurde/wird dies in ökologisch-anarchistischen Landkommunen umzusetzen versucht. Vgl. Hermand 1991: 150ff. Große Artefakte stehen demnach dem Prinzip der Selbstorganisation entgegen. Vgl. Spehr 1996. 311

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sondern es werden fremde Interessen, meist des Staates, als fremde Interessen anerkannt.

7.2.3 Typisierung der Verfassungen In der Typisierung der Verfassungen spiegeln sich die unterschiedlichen Zukunftserwartungen. In den folgenden vier Verfassungsentwürfen werden die Bereiche von Natur und Gesellschaft, Wissenschaft und Politik sowie Ökonomie und Technik in ihrem Verhältnis zueinander diskutiert. Hierzu wurden zu den genannten Verfassungsbereichen bei allen analysierten Organisationen Ableitungen getroffen und dann zu diesen Typen zusammengefasst. Orientiert wurde sich dabei an einem zuvor erarbeiteten Analyseschema (vgl. Tabelle 3 im dritten Kapitel Abschnitt 3.2.2). Tabelle 11: Typisierung der Verfassungsentwürfe

(1) Welche Entitäten werden versammelt? (Blackboxing)

Verfassung Verfassung Verfassung Verfassung »Bindeglied »Politische »Demokra- »GesellTechnik« Einheit« tie und schaftskriGrenzen tik« der Natur« Natur vs. Natur vs. Natur vs. lokale NaGesellschaft GesellGeselltur-GemeinDichotomie schaft Ver- schaft reschaften hältnis aus- gionales handelbar Gleichgewicht Beide Akti- Kontrolle beide Akti- beide Aktivivitäten kon- durch Aus- vitäten un- täten nur lotrollierbar söhnung kontrollier- kal kontrolvon Gegen- bar lierbar sätzen

(2) Welche Eigenschaften werden ihnen zugeschrieben? (Aktivität vs. Passivität) (3) VermittTechnik lungsinstanz

Politik von Politik von lokale Adapoben unten tionsprozesse (4) Definition WissenWissenWissenlokale Nades legitimen schaft/Öko- schaft vs. schaft vs. tur-GemeinSprechers nomie vs. Politik Politik schaften Politik

Damit spielten folgende Fragen eine Rolle: (1) Welche Entitäten werden versammelt? (2) Welche Eigenschaften werden ihnen zugeschrieben? (3) 312

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Welche Vermittlungsinstanz wird etabliert? (4) Welche Sprecher werden definiert? Eine Übersicht über diese Aspekte findet sich in Tabelle 11. Wie bereits erwähnt, ist die Unterscheidung zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Wesen und damit zwischen Natur und Gesellschaft bei den analysierten Positionen weiterhin präsent. Der Unterschied besteht darin, dass das Verhältnis von Natur und Gesellschaft auf verschieden-skaligen Ebenen konzeptualisiert wird. Weiterhin wird mit der abnehmenden Größe auch die Grenze zwischen den beiden Bereichen von Natur und Gesellschaft durchlässiger gedacht. Zwar wird beiden Bereichen Aktivität zugeschrieben, diese aber in Abhängigkeit zu den Kontrollmöglichkeiten gesetzt. Die Vermittlungsprinzipien variieren trotz aller Gemeinsamkeiten. Als Vermittlungsmechanismen fungieren die Technik, die Politik – sowohl die staatliche Politik als auch Selbstorganisationsprozesse. Ebenso bleibt die Bedeutung von Wissenschaft und Politik als Repräsentationsinstitutionen für die beiden Bereiche von Natur und Gesellschaft erhalten. Der Unterschied zwischen den einzelnen Verfassungsentwürfen besteht nur in dem Ausmaß, in dem lokales Wissen aufgewertet und mit wissenschaftlichem Wissen in Beziehung gesetzt wird. Weiterhin tritt als Sprecher für die Ordnung der menschlichen und nichtmenschlichen Wesen vor allem im ersten Verfassungsentwurf die Ökonomie auf. Im vierten Verfassungsentwurf hingegen sprechen lokale Natur-Gemeinschaften für sich selbst. Der Zusammenhang mit der Zukunftserwartung wird insbesondere durch die Angabe der Vermittlungsinstanz sichtbar. Das unterschiedliche Gewicht von Natur und Gesellschaft auf der einen und von Wissenschaft und Politik auf der anderen Seite verdeutlicht hingegen die unterschiedliche Machtverteilung. Diejenigen, die Einfluss auf die staatliche und die internationale Politik gewinnen können, thematisieren eher diese Ebene als die Ebene der Subpolitik.

7.2.3.1 Verfassungsentwurf »Bindeglied Technik« Die Technikentwicklung vollzieht sich quasi-natürlich. Soziale Akteure können darauf nur behindernd oder fördernd Einfluss nehmen. Wesentliche Förderer der Technikentwicklung sind dabei die Wissenschaft und die Ökonomie. Die Gesellschaft wird meist als eine Black Box dargestellt, als Auffangbecken für den unproblematischen Nutzen der Technik. Hauptkennzeichen ist, dass die Technikentwicklung immer und fast automatisch einen gesellschaftlichen Nutzen nach sich zieht, ist sie doch auf eine Problemlösung ausgerichtet, die zwar gesellschaftlich definiert wird, deren Umsetzung aber innertechnischen Prinzipien folgt. Die 313

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Technikentwicklung erfolgt in Auseinandersetzung mit der Natur. Die Natur wird als mit Aktivität ausgestattet angesehen, die mittels der Technik kontrolliert werden kann. Technikentwicklung erfolgt damit im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Problemstellung und der Aktivität der Natur. Technik schafft erst eine Bindung zwischen beiden Bereichen.13 Die Gesellschaft oder Bevölkerung ist dabei durch irrationale Ängste gekennzeichnet, die aus ihrer Unwissenheit heraus entsteht. Hingegen ist das einzeln handelnde Individuum durchaus zu einer rationalen KostenNutzen-Kalkulation fähig. Die Politik tritt als Vermittler zwischen der Bevölkerung und der Wissenschaft und Ökonomie auf. Ebenso soll sie die in der Gesellschaft bestehenden Interessengegensätze aussöhnen. Eine weitere Aufgabe der Politik besteht in der Definition der Zielsetzung des Technikentwicklungsprozesses. Diese dreifache Aufgabe der Politik verweist darauf, dass ihre Hauptaufgabe in der Konstruktion eines politischen Körpers besteht, der konsistent und konfliktfrei sich entlang der technischen Entwicklungslinie fortbewegt. Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik besteht vor allem in einer Arbeitsteilung. Wissenschaft ist der Technikentwickler und verantwortlich für den sozialen und technischen Fortschritt, Politik hingegen für die Befriedung der Gesellschaft und die Aussöhnung der gesellschaftlichen Interessengegensätze. Wissenschaft und Ökonomie werden dabei parallel gesetzt. Beide sind Technikentwickler. Beide Bereiche sind miteinander verflochten. Hier gibt es also zwei Versammlungen, die der Menschen und die der Nichtmenschen. Beide aber werden als aktiv konzeptualisiert. Die Menschen besitzen eigenes Aktivitätspotential kraft ihrer eigenen Wertvorstellungen, die Natur durch ihre Unberechenbarkeit. Technik hat die Aufgabe eine Verbindung zwischen Natur und Gesellschaft zu etablieren. Wissenschaft ist dabei im Wesentlichen Technikentwickler und nicht Repräsentant der Natur. Politik hat hingegen die Aufgabe, die gesellschaftlichen Interessen zu vereinen und so zu definieren, dass eindeutige Ziele der Technikentwicklung bestimmt werden können. Politik ist demnach legitimer Repräsentant gesellschaftlicher Interessen, wobei sie nicht nur repräsentiert, sondern die Aussöhnung aktiv herstellt. Solange 13 Diese Beobachtung, dass Technik erst die Verbindung zwischen Natur und Gesellschaft herstellt, stützt die Erörterung zu den Auseinandersetzungen um die Auskreuzung: Hier wurde gegen das Risiko der Auskreuzung argumentiert, dass kulturelle Produkte die Natur nicht beeinflussen können, da sie der Aufrechterhaltung durch den Menschen bedürfen. Natur und Kultur scheinen streng voneinander getrennt. Diese Argumentation ist in Bezug auf die Auskreuzung aufgetaucht bei: BLL, BMVEL, BMBF, LR Bayern, Monsanto, MPG. 314

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natürliche Prozesse und menschliche Individuen vereinzelt auftreten, haben sie eigene Aktivität, sie verlieren dieses aber im Technikentwicklungsprozess und in der politischen Entscheidungsfindung.

7.2.3.2 Verfassungsentwurf »Politische Einheit« Gesellschaftliche und natürliche Bedingungen werden regionalisiert betrachtet. Das bedeutet, dass die Verbindungen zwischen Elementen der Natur und der Gesellschaft, als auch zwischen sozialen Elementen untereinander als fragil und in der Kontroverse stehend betrachtet werden. Jedoch bleiben Natur und Gesellschaft als voneinander abgrenzbare Bereiche bestehen. Ebenso stellt sich die Technikentwicklung als ein regionalisierter Prozess dar, der an die jeweilige nichtsoziale Umwelt angepasst werden muss und der von unterschiedlichen sozialen Akteuren getragen wird. Allgemein begrenzen sich soziale und nichtsoziale Elemente gegenseitig und werden in einem wechselseitigen Konstruktionsprozess in Einklang gebracht. Den Rahmen hierfür bietet die Politik. Politik hat die Funktion, das Handlungspotential sozialer Akteure sicherzustellen. Eine wesentliche Aufgabe der Politik besteht damit ebenso im Schutz der Marginalisierten und Schwachen. Bedeutsam ist hier, dass das Handlungspotential der Individuen als prekär und nicht als unproblematisch gegeben angesehen wird. Da auch hier die Politik das Ziel des Technikentwicklungsprozesses bestimmt, muss sie dieses Ziel im Hinblick auf eine Sicherstellung des Handlungspotentials aller sozialer Akteure setzen. Die politische Entscheidungsfindung stützt sich auf wissenschaftliche Informationen. Wissenschaft nimmt damit die wesentliche Rolle eines Repräsentanten für die Politik ein und tritt nicht vorrangig als Technikentwickler auf, da am Technikentwicklungsprozess mehrere, unterschiedliche Akteure beteiligt sind bzw. eine Technikinnovation von diesen unterschiedlichen Akteuren abhängig ist. Das Verhältnis von Politik und Wissenschaft besteht hier also in mehr als in einer bloßen Arbeitsteilung, in welcher die Politik die Ziele der Technikentwicklung definiert und die Wissenschaft sie verwirklicht. Wissenschaft repräsentiert für die Politik und die politischen Akteure richten ihre Entscheidungen nach den wissenschaftlichen Fakten aus. In dieser Verfassung wird das Prinzip der zwei Versammlungen aufgelöst. Vielmehr handelt es sich um regionalisierte Kollektive. Wissenschaft ist dabei legitimer Repräsentant der Begrenzungen sozialer und nichtsozialer Elemente. Politik hingegen repräsentiert nicht, sondern ist aktiv an der Sicherstellung des Handlungspotentials der menschlichen Individuen beteiligt. Sie spricht nicht im Namen anderer, sondern befähigt andere dazu, selbst eine Sprache zu finden. Darum wird auch meist 315

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der Bevölkerung die Wissenschaft gegenübergestellt. Politik nimmt paternalistisch eine Schutzfunktion in diesem Gegensatz ein. Da alle sozialen Akteure – auch die ökonomischen – ihr eigenes Aktionspotential entwickeln, lassen sie sich nicht vollständig kontrollieren. Politik hat damit die andauernde Aufgabe, eine Balance zwischen sozialen und nichtsozialen Akteuren zu finden. Als Vermittlungsinstanz zwischen den einzelnen regionalisierten Bereichen und den sozialen Akteuren übernimmt in dieser Verfassung die Politik.

7.2.3.3 Verfassungsentwurf »Demokratie und Grenzen der Natur« Die (Agrar-Gen)Technik steht im Gegensatz zur Natur und wird größtenteils als ein Herrschaftsinstrument begriffen. Die Technikentwicklung wird dabei vor allem durch ökonomische Akteure vorangetrieben. Gesellschaft und Natur befinden sich solange in einem friedlichen Austausch, bis ein Akteur die Grenzen der Natur überschreitet. Mit der Überschreitung ihrer Grenzen erlangt er gesellschaftliche Macht, produziert aber auch die negativen Folgen, die seine Machtergreifung letztendlich ad-absurdum führen. Es wird auf die Eigenständigkeit und den Eigenwert der Natur verwiesen, den es auch im Eigeninteresse der Menschen zu achten und zu schützen gilt. Dabei ist aber auch eine großstrukturelle Technik denkbar, die nicht zur Herrschaft befähigt, entscheidend ist, dass die Technikentwicklung die Grenzen der Natur nicht überschreitet. Wissenschaft ist der legitime Repräsentant der Natur. Dieser Repräsentation können sich alle mündigen Individuen bedienen. Politik hingegen ist das Zusammenspiel unterschiedlicher gesellschaftlicher Prozesse, die in einem demokratischen Prozess der Willensbekundung zu Regulierungen auf überindividueller Ebene führen, die zwar den Interessen der Gesamtbevölkerung entgegenstehen können, mit denen aber pragmatisch umgegangen werden kann. Durch Eigeninitiative und Selbstorganisation werden in dem verbliebenen Freiraum Prozesse in Gang gesetzt, die wieder auf die staatliche Politik zurückwirken können. Politik als Ausfluss gesellschaftlicher Machtkonstellationen, kann sich über wissenschaftliche Erkenntnisse hinwegsetzen. Legitimer Repräsentant gesellschaftlicher Interessen ist immer noch der Einzelne selbst und er ist dazu aufgerufen diese Interessen und Wertansprüche in den Machtkampf gesellschaftlicher Interessengegensätze auch einzubringen. Auch hier gibt es demnach zwei Versammlungen, wobei aber die Moral sowie die Aktivität zwischen sozialen und nichtsozialen Elementen gleich verteilt ist. Was als unmöglich erscheint, ist die Vereinheitli316

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chung und Kontrolle der unterschiedlichen Aktivitätspotentiale. Vielmehr wird zu Rücksicht und Anerkennung der Ansprüche Einzelner aufgerufen.

7.2.3.4 Verfassungsentwurf »Gesellschaftskritik« Ebenso wie in Verfassungsentwurf zwei sind Natur und Gesellschaft miteinander verflochten. Hier aber wird dieser Zusammenhang stärker regionalisiert, so dass weniger von den zwei großen Bereichen Natur und Gesellschaft ausgegangen wird, sondern von lokaler Gemeinschaft und lokalem Ökosystem, wobei die Gemeinschaft Bestandteil des lokalen Ökosystems ist. Unterschiedliche Komponenten, ob sozial oder nichtsozial, befinden sich in einem Zusammenspiel. Natur bzw. nichtsoziale Elemente werden weniger als ein repräsentierbarer Bereich angesehen, sondern als öffentliches Gut, und damit als Ressource und Vorbedingung für die Handlungsfähigkeit menschlicher Gemeinschaften. Technik wird nicht als Gegensatz zur Natur aufgefasst. Vielmehr gerät nur eine zu großstrukturelle Technik in die Kritik. Kleinere Strukturen, technisch und gesellschaftlich gesehen, stellen sicher, dass Natur und Gemeinschaft sich nicht zu stark voneinander entfernen und die Risiken und die gesellschaftliche Macht produzieren, die für diesen Zusammenhang schädlich sein könnten. Anders als im Verfassungsentwurf drei treten hier die ökonomischen Akteure nicht vorrangig als Technikentwickler auf, die als feindliche Macht identifiziert werden könnten, sondern auch sie sind nur ein Akteur unter vielen. Bedeutsam aber ist, dass mit der Aneignung der Naturgüter den lokalen Gemeinschaften Ressourcen entzogen werden und, da diese lokalen Gemeinschaften selbst Teil der natürlichen Vielfalt sind, die sie aktiv hervorbringen, dadurch zerstört werden. Damit geht mit der Naturzerstörung die Zerstörung sozialer Zusammenhänge einher. Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik wird nicht weiter spezifiziert. Wissenschaftliche Studien oder Informationen werden herangezogen, um die eigene Argumentation zu unterstützen. Sie sind demnach eine mögliche Ressource des Informationsgewinns (unter vielen) und für die Handlungsfähigkeit sozialer Akteure bedeutsam. Politik wird hingegen als eine gesellschaftliche Institution angesehen, welche die lokalen Zusammenhänge der Mensch-Natur-Gemeinschaft überschreitet und deren Regulierungsmaßnahmen als Fakt erscheinen, auf den eigenverantwortliches Engagement nur sehr schwer Einfluss nehmen kann. Politik erscheint als Quasi-Natur einer gesellschaftlichen Organisationsweise, die abgelehnt wird, da sie sich von den Interessen und Bedürfnissen lokaler Mensch-Natur-Gemeinschaften zu stark entfernt hat. 317

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Zwar werden die sozialen Akteure als aktiv beschrieben, jedoch werden sie ebenso durch gesellschaftliche Zusammenhänge in ihrer Aktivität begrenzt, sind sie in einen vielfältigen Wirkzusammenhang aus sozialen und nichtsozialen Elementen verfangen. In diesem Verfassungsentwurf wird die Versammlung zwischen Natur und Gesellschaft aufgebrochen zu Gunsten einer weiteren Zweiteilung: der großstrukturellen Organisationsweise und lokaler Vergemeinschaftungsprozesse. Lokale Gemeinschaften bringen Vielfalt hervor, die durch großstrukturelle Organisationsweisen eingeschränkt wird. Diese Zweiteilung ist demnach eine kritische, die mit einer gesellschaftlichen Utopie verbunden ist: der regionalen Gemeinschaft von sozialen und natürlichen Elementen.

7.3 Selbstrepräsentation Die Selbstrepräsentation ist die Fähigkeit, sich seiner eigenen Netzwerkeinbindung zu vergegenwärtigen, damit die Verbindungen zu schwächen und Handlungspotential zu erlangen (vgl. drittes Kapitel). In der ANT wird die Schwächung von Verbindungen im Wesentlichen auf zwei Mechanismen zurückgeführt: durch das Verschieben von Fakten in den Bereich der Fiktion (Art des Blackboxings) und als die Zuschreibung von Moral und Vernunft (als Zuschreibung dichotomer Eigenschaften.) Um eine Verbindung der Gegenseite zu schwächen, muss sie zunächst explizit gemacht werden. In Bezug auf wissenschaftliche Repräsentationen wurde dies in der ANT als das »Öffnen einer Black Box« bezeichnet, was nichts anderes bedeutete, als eine Aussage auf ihre Entstehungsbedingungen zurückzuführen und sie damit ihres Anspruchs auf Allgemeingültigkeit zu berauben. Eine Aussage als eine Black Box zu betrachten wurde damit gleichgesetzt, sie als einen Fakt anzuerkennen. Eine Aussage zu kontextualisieren, wurde hingegen damit gleichgesetzt, sie als eine Fiktion abzuwerten. Das Öffnen einer Black Box führt jedoch nicht immer zu einer Schwächung von Verbindungen. Die ANT hat den Widerstand gegen die Ausbreitung von Netzwerken nicht beachtet. So zeigten die Analysen unterschiedliche Weisen, wie eine Black Box geöffnet werden kann. Auf der ersten Ebene, kann eine Entität undifferenziert entweder als Fakt oder Fiktion auftreten. So ist zum einen die Konzeptualisierung als gegebener Fakt zu bemerken – wie zum Beispiel die Profitinteressen der Biotechnologieunternehmen oder die Fähigkeit zur Selbstbestimmung bei Verbrauchern und Landwirten. Zum anderen wird die Auffassung vertreten, dass eine bestimmte Entität nur ein gesellschaftliches oder 318

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strategisches Konzept darstellt – wie dies beim Konzept der Koexistenz der Fall ist. Eine andere Form der Konzeptualisierung einer Entität, die eher der Black-Box-Seite zugeordnet werden kann, betrifft die differenzierte Darstellung der inneren Struktur einer Entität. Diese differenzierte Darstellung kann bis zu einem gewissen Grad erfolgen. So werden zum Beispiel die landwirtschaftlichen Systeme vor allem bei kritischen Positionen meist in die gentechnikgebrauchende und die gentechnikfreie Landwirtschaft unterteilt. Differenzierter erfolgt die Darstellung, wenn zwischen gentechnikfreier Landwirtschaft, intensiver Landwirtschaft, kleinbäuerlicher Landwirtschaft, ökologischer Landwirtschaft und gentechnikgebrauchender Landwirtschaft unterschieden wird. Diese differenzierte Darstellung kann wiederum an unterschiedliche lokale Bedingungen zurückgebunden werden. In diesem Fall könnte von einer Öffnung der Black Box gesprochen werden, da die Geltung des Faktes von einem Netzwerk lokaler Bedingungen abhängig gemacht wird. Damit wird aber nicht die Entität als eine Fiktion dargestellt, sondern die Existenz der Entität auf einen eng verflochtenen Wirk- und Kausalitätszusammenhang zurückgeführt. Ein Beispiel hierfür ist die Konzeption der Pestizide beim BMBF. Hier führt die Öffnung der Black Box, die Offenlegung des hintergründigen Netzwerkes, zu einer Bestätigung der behaupteten Aussage (dass der Pestizidverbrauch sinke). So kann dann gesagt werden: Dieser Fakt gilt an unterschiedlichen Orten. Jedoch kann die differenzierte Betrachtung – die Öffnung der Black Box – auch zu einer Auflösung der Entität führen, indem ihre Grenzen zum Verschwimmen gebracht und die Grenzen selbst als eine Fiktion gekennzeichnet werden. Dies geschieht zum Beispiel bei der Darstellung der Risiken der Agrar-Gentechnik als nicht gentechnik-spezifisch. Die einzelnen Risiken werden dabei mit vergleichbaren Risiken anderer landwirtschaftlicher Praktiken verglichen und gleichgesetzt. Zwar besitzen die Risiken der Agrar-Gentechnik dann noch weiter Wirklichkeit, sie können aber nicht mehr als einheitlicher, festumrissener Gegenstand betrachtet werden. Eine andere Weise der Öffnung einer Black Box besteht darin, dass mit der Dekonstruktion einer Black Box – ihrer differenzierten Betrachtung – diese als eine Fiktion entlarvt wird. Diese Strategie verfolgt zum Beispiel der BUND: der differenzierten Betrachtung der ökonomischen Vorteile folgt deren Entlarvung als Fiktion, die dem Fakt eines ökonomischen Nachteils gegenübergestellt wird. In paralleler Weise dekonstruiert der DIB die Risiken der Agrar-Gentechnik durch deren differenzierte Betrachtung, um ihnen den vielfältigen Nutzen von GVO gegenüberzustellen. 319

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Ebenso ist es möglich, dass eine Black Box, die geöffnet wird, ein Netzwerk offenbart, dass wieder zu Teilen in einer Black Box eingeschlossen wird. So kann jede Entität in einem Netzwerk wiederum als ein Netzwerk – als Akteur-Netzwerk – gelten. Die Strategie besteht darin, nur einen Teil des Netzwerkes in den Bereich der Fiktion zu verbannen, während der andere Teil des Netzwerkes als Fakt dargestellt wird. Die Black Box wird also nur geöffnet, um die Unterscheidung zwischen Fakt und Fiktion erneut einzuführen. Dies ist zum Beispiel bei Monsanto und der Betrachtung der politischen Regulierung der Fall. Hier wird ein Teil als allgemeingültig dargestellt, nämlich dann, wenn sich die politische Regulierung an der Wissenschaft ausrichtet, und als Fiktion und damit weniger wirklich, wenn sie sich auf die Gentechnikdebatte zurückführen lässt. Eine solche Vorgehensweise ist im Latour’schen Sinne vergleichbar mit den Strategien der ersten Aufklärung: Eine Behauptung wird als Fiktion entlarvt und durch einen Fakt ersetzt. Die Ausführungen zeigen, dass eine differenzierte Betrachtung nicht damit gleichzusetzen ist, ob eine Entität als Fakt oder als Fiktion anerkannt wird, ob eine Verbindung geschwächt oder gestärkt wird. Ob eine Entität oder eine Verbindung als Fakt oder als Fiktion angesehen wird, ist davon abhängig, welche Eigenschaften ihr zugeschrieben werden. Wie die Diskussion zur Konstruktion der Gentechnikdebatte zeigte (vgl. Abschnitt 5.2), werden Verbindungen dadurch geschwächt, dass die Gegenposition als unmoralisch und irrational dargestellt wird. Gleichzeitig wird die eigene Position als rational und moralisch dargestellt. Auch bei anderen Entitäten konnte festgestellt werden, dass die präferierten Verbindungen mit positiven Eigenschaftszuschreibungen wie aktiv, rational und moralisch versehen werden, die Gegenseite hingegen mit negativen, wie passiv, irrational und unmoralisch.14 Durch die Einführung einer dichotomen Eigenschaftszuschreibung brauchen andere Interessen und Praktiken nicht mehr beachtet zu werden. Eine Verbindung oder Entität als unmoralisch und irrational darzustellen bedeutet nicht, dass damit gesagt wird, dass diese Verbindung nicht existiert, sondern dass sie ignoriert werden kann. Das Öffnen einer Black Box – die differenzierte Betrachtung einer Entität – kann auch dazu führen, sich selbst zu disziplinieren. Wie die vorangegangenen Erörterungen zeigten, kann eine differenzierte Betrachtungsweise sowohl dazu benutzt werden, eine Verbindung zu schwächen als auch zu stärken. In der Repräsentation sind Rollenzuschreibungen, aber vor allem 14 Die Verbindung der Eigenschaftszuschreibungen von aktiv, rational und moralisch mit einer positiven Bewertung wird von den untersuchten Positionen gezogen. Keine der Positionen bewertete die Eigenschaftszuschreibungen passiv, irrational und unmoralisch als positiv. 320

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auch Angaben über Verbindungen von Entitäten enthalten. Dadurch soll das Interesse vermittelt werden, diese Verbindungen zu etablieren oder weiter aufrecht zu erhalten. Eine differenzierte Betrachtung kann jedoch nicht nur zur Disziplinierung, sondern auch zum Widerstand gegen diesen Anspruch führen. Widerstand ist aber nur dann wahrscheinlich, wenn die in einer Repräsentation enthaltenen Verbindungen als Verbindungen erkannt werden, die einer fremden Zukunftserwartung entspringen. Erst die Rückführung auf eine andere Zukunftserwartung ermöglicht es, sich gegen den Anspruch zur Wehr zu setzen. Damit taucht die Frage auf, wie eine Divergenz zur eigenen Zukunftserwartung festgestellt bzw. wie diese Einsicht verhindert werden kann. Diese Einsicht kann dadurch verhindert werden, dass Zukunftserwartungen als Interessen einer Gesamtgesellschaft dargestellt werden. Handlungspotential kann gewonnen werden, wenn die eigenen Interessen distinkt von anderen Interessen betrachtet werden. Von unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen heraus gibt es hierfür unterschiedliche Strategien. So ist bei Positionen, die nicht direkten Einfluss auf die Politik und die Technikentwicklung haben, die Politik als Fakt dargestellt, während die Technikentwicklung auf fremde Interessen zurückgeführt wird. Damit werden die eigenen Interessen als verschieden von den Interessen der Politik und der Ökonomie begriffen. Eine solche Strategie steht in Konflikt dazu, die eigenen Interessen als die einer Gesamtgesellschaft zu begreifen, denn dadurch wird fremden Interessen die Anerkennung verwehrt. Mehr Handlungspotential liegt demnach darin, die Gegenposition anzuerkennen. Dies gilt umso mehr, je weniger Einfluss man auf diese gewinnen kann. Die Strategie der Vereinzelung ist nach der ANT ebenso bedeutsam für die Schwächung von Verbindungen und die Ausbreitung von Netzwerken. In der modernen Verfassung, so wurde bei Latour herausgestellt, wird die Ausbreitung der Netzwerke durch eine Vereinzelung des »einfachen« Menschen erreicht. In der ANT wird dieser Vorgang im Prozess der Übersetzung gekennzeichnet: Bevor eine Entität für den eigenen Netzwerkaufbau interessiert werden kann, muss sie erst aus ihrem angestammten Kontext und den hier vorhandenen Verbindungen herausgelöst werden. Diese Strategie kann auch bei den unterschiedlichen Positionen ausgemacht werden: So ist die Strategie der Vereinzelung des Gegners in der Konstruktion der Gentechnikdebatte sowohl bei befürwortenden als auch bei kritischen Positionen präsent. Die Gegenposition wird als all ihrer Verbündeter beraubt dargestellt, sie wird vereinzelt und marginalisiert, während die eigene kollektive Kraft betont wird.

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DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Mit der Etikettierung sozialer Akteure als unmoralisch und irrational, werden sie darüber hinaus als nicht der Gesellschaft zugehörig dargestellt. Stärker noch als die Kennzeichnung einer Position als unmoralisch und irrational, vereinzelt hingegen, wenn eine ganze Gruppe von Akteuren zwar der Gesellschaft zugehörig, aber dennoch als vereinzelt präsentiert wird. Dies zeigte die Konstruktion der rationalen Entscheidungssituation für Landwirte und Verbraucher, die sowohl bei kritischen als auch bei befürwortenden Positionen aufzufinden ist. Sie werden zwar als ein Element der Gesellschaft eingeführt, nicht aber als gesellschaftlicher Akteur, da jeder Verbraucher und Landwirt für sich allein entscheidet. Während demnach bei einer negativen Kennzeichnung die entsprechende Position aus der Gesellschaft entfernt wird, ist bei dem Einschluss in die Gesellschaft noch lange nicht gesagt, dass das entsprechende Aktivitätspotential auch anerkannt wird. Der Zusammenhang wird ebenso bei der weiteren Erörterung der Frage deutlich, unter welchen Bedingungen das Öffnen einer Black Box bzw. die differenzierte Betrachtung zu einer Zustimmung und Disziplinierung oder Ablehnung und Widerstand führt. Die Einsicht, dass etwas sozial konstruiert ist, führt noch nicht zu einer stärkeren Handlungsmacht, da gesellschaftliche Kategorien sich nicht so einfach wegwünschen lassen. Hacking (1999) weist darauf hin, dass konstruktivistische Ansätze vor allem darauf verweisen, dass Gegenstände und Kategorien von Menschen gemacht sind. Durch den Verweis auf die Konstruktivität von Kategorien, wird damit etwas, was bereits naturalisiert wurde, wieder der Kontrollmöglichkeiten des Menschen zugeführt. Denn was vom Menschen gemacht wurde, kann auch durch ihn verändert werden. Der Konstruktivismus stärkt demnach das Handlungssubjekt. Diese Strategie, so Hacking, lässt sich vor allem im Feminismus beobachten. Hier transportiert der Konstruktivismus einen Machtbegriff: Die Unterdrückten sind an ihrer Lage selbst Schuld, da sie an der Konstruktion der Unterscheidung, die sie zu solchen werden lässt, selbst Anteil haben, weil sie diese Unterscheidung als natürlich gegeben hinnehmen. In einer gewissen Weise ist eine solche Argumentation zynisch, da hier von einem Akteurssubjekt ausgegangen wird, das sich auf einen einzelnen Menschen bezieht. Die ANT hat hingegen darauf verwiesen, dass nur Akteure, die auf die notwendigen Ressourcen zugreifen können, um einen bestimmten Geltungsanspruch in Frage zu stellen, sich in den Kampf um die Deutungsmacht begeben können. Das etwas von dem Menschen gemacht wurde, bedeutet nicht, dass ein Einzelner in der Lage wäre, dies zu ändern. Die (einsame) Erkenntnis der Konstruktivität von Kategorien oder Gegenständen bedeutet noch nicht, dass Handlungsmacht gewonnen wird. Demnach muss zwischen dem Akteursstatus, den 322

CHANCEN DES NETZWERKAUFBAUS

kollektive Akteure haben, und dem Akteursstatus, den der Einzelne haben kann, unterschieden werden. In gewissem Sinne kann dies als eine Kontinuität über die Größe eines Akteurs aufgefasst werden. Der Akteursstatus kann damit nicht allein auf Reflexivität und Bewusstsein zurückgeführt werden. Vielmehr ist von Bedeutung, in welche Position ein individueller Akteur sich zu einem Netzwerk von Akteuren und Aktanten gebracht hat, um gemäß seiner Zukunftserwartung handeln zu können. Demnach besteht die auch von der ANT favorisierte Variante im Aufbau von Netzwerkstrukturen. An dieser Stelle sind die beiden angeführten Machtbegriffe bedeutsam: die Interessenübersetzung und das Konzept des obligatory point of passage (OPP). Die Interessenübersetzung besteht in der Anwerbung von Verbündeten für die eigenen Zielvorstellungen. Diese Anwerbung erfolgt über eine Problematisierung, in der sich die Interessen anderer gesellschaftlicher Akteure wiederfinden können. Verbündete zu mobilisieren heißt auch, sie zu disziplinieren. Sie werden daran interessiert, in Richtung auf die in der Repräsentation enthaltene Problematisierung hinzuarbeiten. Eine Möglichkeit zu disziplinieren besteht, wie bereits angedeutet, darin, einen politischen Körper zu errichten, der durch ein einheitliches Interesse gekennzeichnet ist. So besteht das Kritische an dem Öffnen einer Black Box auch darin, die in ihr enthaltenen Verbindungen wieder dem Dialog zu überführen. Das heißt, die Repräsentation wird nicht als ein Muster Nichtanwesender erkannt (wie in der zweiten Beziehungsform), sondern als Ausdruck eines Kollektivs (also der ersten Beziehungsform).15 Damit wird unterstellt, dass die in Frage stehenden Verbindungen einem gemeinsamen Interesse entspringen oder diesem entgegenstehen. Unterstellt wird, dass es dieses gemeinsame Interesse überhaupt gibt. Damit wird der Diskurs auf der Grundlage der Imagination eines gemeinsamen politischen Körpers eröffnet. Nicht alle analysierten Positionen verfolgen diesen Gedanken, doch bei denen, die das tun, schwankt die Größe des Kollektivs bzw. die Abgrenzung dieser imaginären Gesamtgesellschaft: bei einigen ist es der Nationalstaat, bei anderen Europa oder aber auch eine Weltgesellschaft. Im vorangegangenen Abschnitt wurde darauf verwiesen, dass die differenzierte Betrachtung einer Repräsentation die Vorbedingung für Selbstdisziplinierung und damit dem Aufbau eines stabilen Netzwerkes ist. Widerstand ist nur möglich, wenn die in der Repräsentation enthaltene Problematisierung als einem Fremdinteresse entspringend begriffen wird. Damit muss zu der differenzierten Betrachtung einer Repräsentation, wenn sie disziplinierend wirken soll, noch etwas weiteres hinzutre15 Vgl. hierzu die Erörterungen in Abschnitt 3.2. 323

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

ten: dass diese Divergenz nicht erkannt wird bzw. der Eindruck einer Interessengleichheit vermittelt wird. Wie kann dies geschehen? Nun kann auf die oben gestellte Frage eine Antwort gegeben werden: durch die Definition der Interessen der Gesellschaft. Doch neben dieser diskursiven Strategie der Anwerbung von Verbündeten ist in Bezug auf die Agrar-Gentechnik noch eine weitere nichtdiskursive Strategie weit bedeutsamer: die Verbindungen in eine Black Box einzuschließen, so dass die Beteiligten, wie Verbraucher und Landwirte, sich nicht bewusst werden können, dass sie an der Ausbreitung der Netzwerke teilhaben. Eine Repräsentation setzt sich damit entgegen die Interessen anderer nicht nur dann durch, indem sie konkurrenzlos als obligatory point of passage (OPP) auftritt, sondern auch, wenn sie nicht als Selbstrepräsentation dienen kann, da sie als eine Black Box auftritt bzw. die Selbstrepräsentation unterschreitet und als inkorporierte Fähigkeit auftritt. Ohne die Kennzeichnung würden Verbraucher und Landwirte von allein bei der Ausbreitung der Agrar-Gentechnik helfen. Erst bei möglichen Gesundheitsschäden oder bei gewissen Eigentumsansprüchen würde sie zu Tage treten. Der Aufbau heterogener Netzwerke wirkt auch selbstdisziplinierend. Dies wirft die Frage auf, wie Handlungspotential angesichts bereits verfestigter Netzwerkstrukturen aufrecht erhalten werden kann, auch wenn sie den eigenen Interessen widersprechen. Hier wird der zweite Machtbegriff der ANT bedeutsam: der obligatory point of passage (OPP). Handlungspotential kann vor allem dadurch sichergestellt werden, dass Mehrfacheinbindungen, also der Bezug zu unterschiedlichen Netzwerken, erhalten bleiben. Nur durch die Mehrfacheinbindung ist es einem Akteur möglich, seine Aktivität so zu verteilen, dass die Abhängigkeit zu einem Netzwerk nicht so groß wird, dass dieses zum obligatory point of passage (OPP) der Selbsterhaltung wird. Dieser Überlegung liegt der Gedanke zu Grunde, dass Handlungspotential nur durch Kontextbindung möglich ist: Verbindungen begrenzen und ermöglichen zugleich. Die Mehrfacheinbindung und ihre Bedeutung für die Sicherstellung von Handlungspotential kommt auch darin zum Ausdruck, dass sowohl von kritischen als auch von befürwortenden Positionen auf Vielfalt gedrängt wird.16 Eine Mehrfacheinbindung kann aber auch zu einer größeren Disziplinierung führen, wenn durch die Einbindung in mehrere Netzwerke eine Vielzahl von Rollen und Verpflichtungen übernommen wird. Entscheidender ist vielmehr die Substituierbarkeit von Verbindungen, also die Reversibilität einer einmal gesetzten Beziehung. Damit gibt es zwei Möglichkeiten Handlungspotential zu bewahren. in zwei Richtungen: 16 Wobei Vielfalt zu bewahren oder gar zu ermöglichen auch Anspruch der ANT ist. Vgl. Fußnote 57 im dritten Kapitel. 324

CHANCEN DES NETZWERKAUFBAUS

zum einen fremde Interessen zu erkennen und anzuerkennen und zum anderen sich mehrere Handlungsoptionen offen zu halten. Durch die Agrar-Gentechnik soll nach Meinung kritischer Positionen gerade diese Mehrfacheinbindung reduziert werden, indem sie die Möglichkeiten für Verbraucher und Landwirte einschränkt. Dadurch, dass sich die Agrar-Gentechnik überall hin ausbreiten kann, ist eine Grundverunreinigung gegeben. Damit wird die Mehrfacheinbindung der Landwirtschaft aufgehoben. Ebenso schneidet die Agrar-Gentechnik alternative Technikentwicklungspfade ab. Dadurch setzt sich die Agrar-Gentechnik als ein obligatory point of passage (OPP). Jedoch wurde die AgrarGentechnik auch als eine Black Box eingeführt, die sich nicht mehr öffnen lässt. Damit könnte sie ebenso gut ignoriert werden. Um die AgrarGentechnik als einen obligatory point of passage (OPP) zu setzen, ist demnach noch etwas anderes nötig: das rechtliche Regime, das die mit der Gentechnik verbundenen Rechte stützt, und die Kontrollstrukturen, mittels denen die Einhaltung der Regeln verbunden ist. Dabei ist dieses Recht des Zugriffs, wie bei den Patenten, durch eine Analyse der DNA nur dadurch legitimiert, dass es auch Artefakte gibt, welche die Genetik als legitime Wirklichkeitsbeschreibung unter Beweis stellen. Die gentechnisch veränderte Pflanze ist dazu da, die Genetik zu bestätigen.

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8 SCHLUSS

Die Studie stellt eine mittels der Akteur-Netzwerk-Theorie theoretisch fundierte Diskursanalyse dar, die ebenso Anschlüsse an das formale Netzwerkkonzept aufzeigt. Das Forschungsinteresse bestand darin, über eine Diskursanalyse den Auswirkungen der Agrar-Gentechnik in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen nachzugehen. Im zweiten Kapitel wurden sozialwissenschaftliche Ansätze für die Untersuchung von Risikokontroversen diskutiert. Hierbei wurde auf die Bedeutung einer kritischen Auseinandersetzung über das Verhältnis von diskursiven und nichtdiskursiven Ressourcen für die Untersuchung von Risikokontroversen hingewiesen. Als ein Ansatz, der diese Forderung erfüllt, wurde im dritten Kapitel die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) vorgestellt. Die kritische Rekonstruktion der ANT hatte zum Ziel, die Konzeption wissenschaftlicher Kontroversen und ihrer Schließungsprozesse auf die gesellschaftliche Wissensproduktion zu übertragen. Im Folgenden werden die in den empirischen Kapiteln vier bis sieben präsentierten Befunde zusammengefasst. Risikokontroversen können nicht nur als Auseinandersetzung über Risiken und Nutzen einer Technik begriffen werden, sondern ebenso als Ausdruck der Folgen einer Technik in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. Damit wurde in der Studie nicht eingangs von einem gesellschaftlichen Gesamtkörper ausgegangen, für den objektiv zu bewerten gewesen wäre, ob eine Technik im Endeffekt einen Nutzen habe oder mit Risiken verbunden sei, sondern dass die Agrar-Gentechnik einigen gesellschaftlichen Praktiken förderlich ist andere hingegen behindert 327

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

bzw. dass einige gesellschaftliche Akteure die Agrar-Gentechnik aktiv in ihre Handlungsvollzüge integrieren, andere wiederum versuchen ihre Ausbreitung zu verhindern. Das in der Risiko-Nutzen-Debatte vermittelte Wissen wurde weder als subjektiv verzerrte Sichtweise noch als strategisch gesetzte Argumentation angesehen, sondern als Hinweis auf unterschiedliche gesellschaftliche Praktiken. Damit stellen die Positionen zur Agrar-Gentechnik unterschiedliche Beziehungen zur Agrar-Gentechnik dar. Diese Positionen können nicht so wie in den Einstellungsstudien als eine individuelle Einstellung aufgefasst werden. Sie lassen sich als bestimmte Verhältnisse zur AgrarGentechnik begreifen, als bestimmte gesellschaftliche Praktiken. Erst in einem zweiten Schritt wird dann verständlich, wieso einige gesellschaftliche Akteure eher dazu neigen die Agrar-Gentechnik abzulehnen als andere. Die Analyse zeigte, dass das Streitobjekt »Agrar-Gentechnik« und die Streitobjekte, mittels derer Risiko- und Nutzenerwartungen begründet werden, zwar unterschiedlich konstruiert werden, sie in ihren Wirklichkeitsbeschreibungen aber übereinstimmen. Die unterschiedliche Konstruktionsweise ist nicht Ausdruck sich widersprechender Wirklichkeitsbeschreibungen, sondern Resultat unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen. Nur auf einer pauschalisierenden Ebene scheinen sich die Argumente befürwortender und kritischer Positionen zu widersprechen, da die Argumente durch die jeweilige Gegenseite undifferenziert dargestellt werden, um sie umso leichter widerlegen zu können. Damit reden die Diskursparteien nur ein Stück weit von anderen Dingen. Die unterschiedlichen Sichtweisen sind nicht vollkommen inkommensurabel, aber auch nicht vollständig kompatibel. Erst in der Konstruktion durch die Gegenseite, welche die gegnerische Argumentation pauschalisierend darstellt, um sie abwerten und widerlegen zu können, erscheinen die Argumente als subjektiv verzerrte Fiktionen. Die unterschiedliche Schwerpunktsetzung wird zunächst hinsichtlich der Konstruktion der Agrar-Gentechnik deutlich. Hier werden durch befürwortende Positionen weit mehr Entitäten zur Agrar-Gentechnik gezählt als bei kritischen Positionen, wie zum Beispiel Bereiche der Forschung und Entwicklung und der Einsatz von Gentechnik in der Lebensmittelherstellung. Hierdurch können befürwortende Positionen die Behauptung einer weiten Verbreitung der Agrar-Gentechnik begründen, während kritische Positionen, welche allein nur die kommerzialisierte Pflanze zur Agrar-Gentechnik zählen, durch ihre spezifische Konstruktion der Agrar-Gentechnik die marginale Bedeutung der Agrar-Gentechnik begründeten.

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SCHLUSS

Die unterschiedliche Schwerpunktsetzung zeigt sich zum anderen aber ebenso im gesamten Debattenfeld. Dabei werden jene gesellschaftlichen Praktiken in den Mittelpunkt gestellt, die präferiert werden, in deren Namen man beansprucht zu sprechen oder in denen man selbst engagiert ist. Andere Aspekte hingegen werden ausgeblendet, da sie mit anderen gesellschaftlichen Praktiken verbunden sind, welche die jeweilige Position lieber ignorieren möchte. Diese Schwerpunktsetzungen sind auch in der Konzeptualisierung der Entitäten aufzufinden. Einige Entitäten werden differenzierter dargestellt als andere. Es zeigte sich, dass differenziertere Darstellungen darauf verweisen, dass sie für den jeweiligen Praxisbereich von Bedeutung sind. Die Untersuchung zeigte, dass für den Konflikt weniger unterschiedliche Vorstellungen von Natur und Gesellschaft – oder Weltbilder – verantwortlich zu machen sind, sondern unterschiedliche Zukunftserwartungen, die sowohl natürliche als auch soziale Elemente verbinden können. Es zeigte sich, dass die Positionen entlang der Unterscheidung zwischen Befürwortern und Gegnern differenziert werden können. So konnten zwei befürwortende Argumentationslinien und zwei kritische Argumentationslinien identifiziert werden. Diese Argumentationslinien sind mit unterschiedlich präferierten Praktiken verbunden. Ökonomische Akteure erhoffen einen allgemeinen gesellschaftlichen Wohlstand und versuchen den Bereich der Technikentwicklung, die diesen gewährleisten soll, möglichst frei von politischer und gesellschaftlicher Einspruchnahme zu halten. Staatliche Akteure zielen hingegen auf gesellschaftliche Stabilität, die sowohl Wohlstand als auch die Verwirklichung unterschiedlicher Werthaltungen zu gewährleisten vermag. Ökologisch gesinnte Akteure sind von dieser Zukunftserwartung nicht weit entfernt, jedoch sehen sie weniger im technischen Fortschritt, als in regionalen Austauschprozessen und einer stärkeren Demokratisierung das Fundament gesellschaftlichen Gutes begründet. Gesellschaftskritisch eingestellte Akteure betonen hingegen das Potential zur Selbstorganisation, hoffen auf seine freie Entfaltung und setzen sich gegen jegliche Einmischung von außen zur Wehr. Bezüglich der Vorstellungen von Natur und Gesellschaft konnte festgestellt werden, dass diese Unterscheidung sich keineswegs auflöst. Beide Bereiche werden nur verschieden-skalig konzeptualisiert und das Verhältnis zwischen beiden nur mehr oder weniger durchlässig und aushandelbar gedacht. Ebenso variiert das Vermittlungsprinzip zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Wesen. Ist es für die einen, eher ökonomisch ausgerichteten Akteure die Technik, welche die Ordnung zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Wesen aufrecht erhält, ist es für die anderen die Politik oder eher lokale Adaptionsprozesse. 329

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Weiterhin wird auch das Verhältnis von Wissenschaft und Politik nicht aufgelöst, sondern nur modifiziert. Für alle Positionen ist die Wissenschaft weiterhin die zentrale Autorität, die Fakten bereitstellt, auf die sich politische Ordnungsvorstellungen gründen können. Bei einigen gesellschaftlichen Praktiken ist es wahrscheinlicher bestimmte Zukunftserwartungen und damit Verfassungen vorzufinden, als bei anderen. Dabei ist es nicht entscheidend, ob diese gesellschaftlichen Praktiken diese Auffassungen erzeugen und die sozialen Akteure diesen nachgeordnet sind, oder ob die sozialen Akteure die gesellschaftlichen Praktiken im Hinblick auf ihre eigene Zukunftserwartung etablieren. Entscheidender ist, dass die gesellschaftlichen Praktiken bestimmten individuellen und subjektiven Wertvorstellungen Raum geben. Egal ob sich an diesen beteiligt wird oder nicht, es geht darum, ob man bestimmte Praktiken wertschätzt. Aus diesem Grund zieht sich die Ablehnung oder Befürwortung auch quer zu allen gesellschaftlichen Bereichen. So ist es ebenso vorstellbar, dass gesellschaftliche Praktiken, an denen man selbst partizipiert, verurteilt werden. Aus diesem Grund sind die oben genannten Akteursgruppen auch keine sozialen Akteure mit mehr oder weniger starkem Organisationsgrad, sondern gesellschaftliche Akteure, die unabhängig von ihrem Organisationsgrad durch eine gemeinsam geteilte Zukunftserwartung bestimmt sind. Risikokontroversen können als Auseinandersetzung um die Zusammensetzung eines politischen Körpers begriffen werden. Die in der Risiko- und Nutzen-Debatte auftauchenden Positionen versuchen nicht nur ihrer eigenen Position Geltung zu verschaffen, indem sie den Auswirkungen der Agrar-Gentechnik in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen eine Stimme verleihen und im Namen der betroffenen sozialen und nichtsozialen Akteure sprechen, sondern sie versuchen auch, andere Stimmen zum Schweigen zu bringen. Dies geschieht, da die gesellschaftlichen Akteure versuchen, die Interessen einer imaginierten Gesamtgesellschaft zu bestimmen und einen einheitlichen politischen Körper zu konstruieren. Jede Position versucht, durch die Mobilisierung von Moral und Rationalität, Positionen, die nicht in ihr Konzept einer »guten Gesellschaft« passen, auszuschließen und abzuwerten. Daher rührt die auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur beobachtbare Moralisierung und Verwissenschaftlichung von Risikokontroversen. Die Gegenpositionen werden nicht anerkannt, sondern als unmoralisch oder irrational delegitimiert. Fast alle untersuchten Positionen arbeiten an dem Projekt der Konstruktion eines einheitlichen politischen Körpers, außer die gesellschaftskritischen. Aber alle Positionen stellen ihre Position als rational dar. So kehrt keine der untersuchten Positionen die Bewertung der Zu330

SCHLUSS

schreibung um, zum Beispiel indem sie Irrationalität für besser erachtet als Rationalität. Damit geht keine der untersuchten Positionen von einer Rationalitätskritik aus, die wie die Post-ANT-Ansätze reduktionistische Darstellungen verwirft. Jede Position war durchaus fähig, in reduktionistischer Weise ihre Position zu formulieren und sich damit an der Auseinandersetzung zu beteiligen. Durch die Ausrichtung auf die Konstruktion eines einheitlichen politischen Körpers wird das verhindert, was viele Positionen vorgeblich anstreben: Verständigung. Vielmehr wird Verständigung mit Konsens gleichgesetzt. Eine Vorraussetzung für Verständigung ist aber nicht die Erwartung von Konsens, sondern das Anerkennen der Existenz einer anderen Position. Das Anerkennen fremder Interessen ist ebenso notwendig, um eigene Strategien entwickeln zu können. Die Fähigkeit, sich in einem Feld antagonistischer Kräfte selbst zu verorten, wurde in dem Konzept der Selbstrepräsentation als wesentliches Merkmal menschlicher Aktivität im Unterschied zu nichtmenschlicher Aktivität bei der kritischen Rekonstruktion der ANT eingeführt. Erst durch die Selbstrepräsentation können bestehende Verbindungen gelockert und damit Handlungspotential erlangt werden. Es zeigte sich jedoch, dass nicht nur eine differenzierte Selbstverortung von Bedeutung ist. So wurde als eine Bedingung der Möglichkeit, eigenes Handlungspotential zu entwickeln, die Identifizierung von Fremdinteressen angesehen. Fremdinteressen können erkannt werden, indem sie auf eine andere Zukunftserwartung zurückgeführt werden. Ob diese Erkenntnis dann zu Kooperation oder Konflikt führt, ist eine andere Frage. Eine Übereinstimmung in der Problematisierung – wie zum Beispiel die Gegnerschaft gegen die Agrar-Gentechnik – sollte nicht mit einer Kongruenz in der Zukunftserwartung gleichgesetzt werden. Die diskursive Blindheit gegenüber anderen Positionen ist nur bei denjenigen, die über nichtdiskursive Mittel verfügen, funktional. Wie die Konzeption der modernen Verfassung zeigte, nützt eine solche Blindheit nur denjenigen, die bereits über die Mittel verfügen, die Seinsweise von Entitäten und damit auch die gesellschaftlichen Praktiken in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu bestimmen. Als ein solches Mittel kann die Agrar-Gentechnik angesehen werden. Die Chancen, die eigene Position durchzusetzen, sind auf Grund bereits verfestigter Netzwerkstrukturen ungleich verteilt. Während befürwortende Positionen auf die sozio-technische Infrastruktur zurückgreifen können, haben kritische Positionen außer der wankelmütigen Öffentlichkeit nicht sehr viel in der Hand. Der Diskurs ist, wie von diskursanalytischen Ansätzen verdeutlicht, für diese Positionen eine wichtige Ressource. Neben der zentralen Rolle von Wissenschaft und Medien, Repräsentationen in Umlauf zu setzen, wird aber 331

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noch eine andere Strategie deutlich. Diese bezieht sich darauf, die eigenen Wirklichkeitsdefinitionen – also die eigenen Repräsentationen – direkt an den Orten zu platzieren, wo sie ihre Wirksamkeit erweisen. Nicht so sehr die allgemeine Öffentlichkeit steht im Mittelpunkt, sondern spezifischer die Lobbyarbeit bei Politikern und Unternehmern. Aber auch die Schulen besitzen als Ansatzpunkt für die Verbreitung der eigenen Position eine gewisse Zentralität. Gerade für nichthegemoniale Positionen ist es nur durch die Kennzeichnung von Fremdinteressen möglich, mit bereits verfestigten gesellschaftlichen Strukturen, die auf bestimmten Zukunftserwartungen aufbauen, umzugehen. Dabei ist es von Bedeutung, nicht nur auf die soziale Konstruktivität von Artefakten und Verbindungen zu verweisen, also darauf hinzudeuten, dass sie durch soziale Akteure erst hervorgebracht werden, gesellschaftlich kontingent sind und damit auch anders sein könnten, sondern die Interessen der sozialen Akteure, die an der Konstruktion beteiligt sind, herauszustellen und ihre Interessen von den eigenen zu trennen. Auch wenn etwas sozial konstruiert ist, so haben doch nicht alle sozialen Akteure gleichermaßen an der Konstruktion Anteil gehabt, führt die Einsicht in die soziale Konstruktivität von Strukturen nicht zu einem Verschwinden der Asymmetrien. Aber erst durch den Aufbau heterogener Netzwerkstrukturen und durch die Mobilisierung auch nichtdiskursiver Ressourcen wären kritische Positionen in der Lage, ihre Diskursmacht zu stärken. Die Agrar-Gentechnik kann sich in einzelnen technischen Artefakten zeigen wie der gentechnisch veränderten Kulturpflanze. Sie kann aber auch als eine sozio-technische Infrastruktur angesehen werden, in welcher Forschung und Entwicklung, rechtliche Rahmenbedingungen und Besitzverhältnisse ineinander greifen. Bei den untersuchten Positionen konnten unterschiedliche Sichtweisen auf dieses Verhältnis entdeckt werden: Während Befürworter die sozio-technische Infrastruktur als Produktionsstätte gesellschaftlich nützlicher Werkzeuge, die individuell angewendet werden können, betrachten, sehen kritische Positionen die Agrar-Gentechnik allein nur in der Verbreitung ihrer Artefakte: der Pflanzen, die gentechnisch verändert sind und angebaut werden. Gleichzeitig verweisen sie auf die sozialen Auswirkungen einer Integration der Agrar-Gentechnik in die Gesellschaft. Damit ist bei beiden Positionen die Spannung zwischen Struktur und Artefakt anders gelagert. Befürwortende Positionen beziehen sich eher auf die Produktion eines technischen Artefaktes, kritische Positionen hingegen auf ihre Verbreitung. Allgemein bedeutet von einer sozio-technischen Struktur einer Technik zu sprechen also zweierlei: der Anteil sozialer Akteure, an der Produktion einer Repräsentation (oder Technik) zu arbeiten, oder der Anteil so332

SCHLUSS

zialer Akteure, an der Ausbreitung einer Technik zu arbeiten oder arbeiten zu müssen. Auch in der Diskussion der theoretischen Konzeption der klassischen ANT wurde auf den Unterschied zwischen der Produktion einer Repräsentation oder Technik und ihrer Ausbreitung hingewiesen. Die Produktion einer Repräsentation oder einer Technik vollzieht sich in den hier notwendigen Austauschprozessen offener und gestaltbarer als bei ihrer Ausbreitung, bei der die Asymmetrie bereits gesetzt ist. Die Agrar-Gentechnik als Großes technisches System setzt eine Asymmetrie zwischen denjenigen, welche den Zugang zu den sozioökonomischen Strukturen haben, und denjenigen, die mit den so produzierten Artefakten konfrontiert werden. Die Differenz besteht damit nicht zwischen Risikoentscheidern und Risikobetroffenen, sondern den Technikentwicklern und den von einer Technikinnovation Betroffenen. Nicht die Entscheidung über eine Technikentwicklung setzt die Asymmetrie, sondern die Bestimmung ihrer Gestalt. So wiesen einige kritische Positionen darauf hin, dass die Agrar-Gentechnik durchaus auf gesellschaftlich nützliche Ziele gelenkt werden könne. Die Besonderheit der Agrar-Gentechnik liegt in ihrer Aktivität. So stimmen sowohl befürwortende als auch kritische Positionen darin überein, dass bei einem großflächigen Anbau die Ausbreitung der AgrarGentechnik sich nicht kontrollieren lasse und es zu einer Grundverunreinigung landwirtschaftlicher Produkte kommen wird. Vielmehr noch als die Aktivität der Agrar-Gentechnik in der Auskreuzung spielen dabei die Vermischungserscheinungen entlang der landwirtschaftlichen Produktionskette eine Rolle. In der spezifischen Unkontrollierbarkeit der AgrarGentechnik finden befürwortende Positionen einen weiteren Verbündeten bei der Ausbreitung der Netzwerke, die ihre Zukunftserwartung stützen. Die Artefakte, die sich unkontrolliert ausbreiten, können als Black Boxes, die nicht wieder geöffnet werden können, aufgefasst werden. Nicht nur Wissen, sondern entsprechende Nachweistechniken sind notwendig, um gentechnische Veränderungen sichtbar zu machen und sich zu ihr verhalten zu können, das heißt, sie entweder abzulehnen oder zu befürworten. Die mit der Agrar-Gentechnik gesetzte Asymmetrie besteht nicht vorrangig zwischen Experten und Laien, da selbst Experten über die spezifische gentechnische Veränderung Kenntnis haben müssen, um gentechnisch veränderte Organismen nachweisen zu können. Die Asymmetrie steht jenseits der konflikthaften Einbindung der Agrar-Gentechnik in unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche und unterteilt zwischen denen, welche Zugang zu den Produktions- und Nachweisstrukturen besitzen, und denen, die diesen nicht haben – und den haben die Wenigsten. Dem Bürger bleibt nichts weiter übrig, als den Weg über die Po333

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litik zu gehen und eine Kennzeichnung sowie entsprechende Kontrollen beim Staat einzuklagen. Damit ist die Agrar-Gentechnik ein geeigneter Kandidat, die Gesellschaft zu vereinen und deren Zusammenhalt zu festigen. Eine Technik kann nach der ANT auch als eine Repräsentation begriffen werden, die, um in unterschiedlichen Kontexten zu gelten, versucht, verschiedene Lokalitäten umzugestalten. In der Konzeption des Übersetzungsprozesses wird beschrieben, wie unterschiedliche Interessen miteinander in Deckung gebracht werden, so dass sich die Akteure an der Aufrechterhaltung der Repräsentation oder der Funktionstüchtigkeit der Technik aktiv beteiligen, weil sie daran nun selbst ein Interesse haben. Diese Ausrichtung kann auch als Selbstdisziplinierung beschrieben werden, da alternative Aktivitäten vernachlässigt werden. Eine Repräsentation oder Technik, die als solche nicht erkannt werden kann, diszipliniert ohne vorherige Verhandlung. Ebenso setzt sie sich nicht dem Risiko einer Ablehnung oder einer Transformation aus, der anderen Techniken bei ihren Gebrauch widerfahren kann. Ohne Kennzeichnung ist die Agrar-Gentechnik eine solche Repräsentation, welche die Chance zur Selbstrepräsentation unterschreitet, also verhindert, dass man sich zu ihr verhalten kann, das heißt, dass man entscheiden kann, wie man mit ihr umgehen möchte. Damit ist sie ein immutable mobile und ein perfektes Mittel zur Ausbreitung von Netzwerken, die eine bestimmte Form von Verfassung stützen. Fast zu perfekt, denn mit dem Verlust an Wissen um die genetische Veränderung geht auch dem Experten das Wissen darüber verloren, was verändert wurde und was nicht. Die durch die Agrar-Gentechnik gesetzte Asymmetrie verschärft sich durch das mit ihr verbundene rechtliche Regulierungsregime. Nicht nur die Produktion der Technik auch ihre Anwendung ist rechtlich und technisch durchreguliert. So bedarf es nicht nur einer wissenschaftlich-technischen Infrastruktur, um gentechnisch veränderte Organismen herzustellen, sondern auch, um ihre Ausbreitung zu kontrollieren und nachzuweisen. Dies ist nicht nur mit einer rechtlichen Regulierung verbunden, die auf Risikovorsorge zielt, sondern mit einem Recht, das Eigentum verteilt – dies zeigte die Diskussion um »Patente auf Leben« – und den Zugang zu Absatzmärkten reguliert. Damit werden nicht nur die Akteure, die an der Produktion gentechnisch veränderter Organismen beteiligt sind, diszipliniert, sondern auch diejenige, welche ihre Ausbreitung unterstützen (müssen). Das Problem besteht damit weniger darin, dass sich die Technikentwicklung jenseits der gesellschaftlichen Einspruchnahme vollzieht, das hat sie schon zuvor gemacht, sondern dass die Technikentwicklung nun auf die Entwicklung einer Technik ausgerichtet ist, die darauf zielt, ihren Kontext gleichfalls zu disziplinieren. 334

SCHLUSS

Mit der Durchregulierung der Produktion und Ausbreitung der Agrar-Gentechnik verbinden sich Wissenschaft und Politik auf eine verhängnisvolle Weise. Eine Verbindung, die über die in der sozialwissenschaftlichen Literatur beschriebene Politisierung der Wissenschaft und Verwissenschaftlichung der Politik hinausgeht. So schneidet die AgrarGentechnik nicht nur alternative Technikentwicklungsprozesse ab, sondern beschneidet durch das sie umgebende rechtlich-technische Regime und die zunehmenden Konzentrationsprozesse der in ihrem Umfeld agierenden Unternehmen die soziale Vielfalt. Mit der Reduzierung der sozialen Vielfalt werden die Möglichkeiten der Selbstrepräsentation, neben der Unterschreitung der Selbstrepräsentation durch den Charakter der Agrar-Gentechnik als Black Box, weiter eingeschränkt. So wurde neben der Identifikation von Fremdinteressen als eine wesentliche Vorbedingung für eigenverantwortliches Handeln gesellschaftlicher Subjekte ihre Mehrfacheinbindung in mehrere, substituierbare Beziehungen angesehen. Erst durch die Mehrfacheinbindung kann sich der eigenen Bedingungen vergegenwärtigt und sich von ihnen distanziert werden. Diese Distanzierungsmöglichkeit wurde als ein wesentlicher Unterschied zwischen menschlicher und nichtmenschlicher Aktivität eingeführt. Unter diesem Gesichtspunkt kann davon gesprochen werden, dass die Agrar-Gentechnik entmenschlicht. In der Konzeption der modernen Verfassung bei Latour erschien die Seite der Politik weniger ausgearbeitet, als die der Wissenschaft. Nun können einige Vermutungen geäußert werden, wie die andere Seite der modernen Verfassung aussehen könnte. Latour kennzeichnet die moderne Verfassung auf Grund der in ihr enthaltenen Trennung von Natur und Gesellschaft als sehr erfolgreich im Aufbau stabiler Netzwerke. Nun kann aber noch ein anderer Mechanismus für den Erfolg der modernen Verfassung festgestellt werden. Die moderne Verfassung ermöglicht eine Ausbreitung der Netzwerke nicht nur weil sie Aktivität und Passivität verteilt, sondern weil sie es vermag, einen Mechanismus zu finden, Wissenschaft und Technik und ihre Repräsentationen im Sinne des Allgemeinwohls darzustellen, wobei die Politik den politischen Körper definiert, für den dieses Allgemeinwohl zu gelten hat. So wie in der Wissenschaft die eigene Aktivität unsichtbar gemacht wird, wird in der Politik das eigene Interesse unsichtbar gemacht, indem es unter das Allgemeinwohl gestellt wird. In der kritischen Rekonstruktion der ANT wurde anstelle des Gesellschaftsvertrages bei Latour als (gereinigtes also ideales)1 Vermittlungsprinzip die Zukunftserwartung angenommen. Die Zentralität der Ausein1

Zu der Diskussion der Begriffe der Reinigung und der Vermittlung und ihrer Stellung im Konzept der modernen Verfassung vgl. Abschnitt 3.1.3. 335

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andersetzung um die Interessen der Gesellschaft in der Risikodebatte kann diese Annahme bestätigen. Die Definition der Interessen der Gesellschaft kann als eine Form der Definition ihrer Zukunftserwartung gelten. Als ein dem in der Wissenschaft vergleichbares (vermittelndes also auf die Praxis bezogenes) Vermittlungsprinzip können die Kontrollstrukturen angesehen werden. Ebenso wie in der Wissenschaft ein Netzwerk aus Laboren etc. notwendig ist, damit eine wissenschaftliche Repräsentation hält, ist es im Bereich der Politik notwendig, in einem Netzwerk von Laboren etc. sicherzustellen, dass die aufgestellten Bestimmungen auch eingehalten werden. Politische Akteure und ihre Strategien spielen dann, ebenso wie in der Wissenschaft die Wissenschaftler und ihr geistiges Genie, eine eher untergeordnete Rolle. In der Wissenschaft ist es das Naturgesetz, welches die Bewegung menschlicher und nichtmenschlicher Akteure vorgibt. Um seine Formulierung streiten Wissenschaftler in wissenschaftlichen Kontroversen. In ähnlicher Weise kann auch die Seite der Politik gesehen werden: auch hier steht auf der einen Seite das Gesetz und auf der anderen eine Vielzahl von Interessengruppen, die um einen Einfluss auf die Gesetzgebung ringen. Ähnlich wie in einer wissenschaftlichen Kontroverse gibt es auch hier einen Diskurs, nur dass dieser nicht in einer Teilöffentlichkeit geführt wird, sondern in einer allgemeineren, politischen Öffentlichkeit. In der hier vorliegenden Studie wurde die in der ANT vorfindliche Konzeption der wissenschaftlichen Repräsentation auf die Untersuchung von Risikokontroversen angewendet. Bei den untersuchten Repräsentationen zur Agrar-Gentechnik handelt es sich um politische Repräsentationen. Während wissenschaftliche Repräsentationen auf Wahrheit ausgerichtet sind und sich entlang der Unterscheidung zwischen Fakt und Fiktion positionieren, zeigte die Analyse, dass sich politische Repräsentationen hingegen auf das gesellschaftlich »Gute« beziehen und sich zwischen der Unterscheidung von Allgemeinwohl und Eigennutz positionieren können. Die moderne Verfassung bezieht ihre Kraft weniger daraus, dass sie die zwei Bereiche von Natur und Gesellschaft trennt, sondern, dass sie das Marginalisierte vereinzelt: Auf die eine Seite wird das Eine gesetzt, die wissenschaftlich abgesicherte Information und Technik, die kollektiv und gesamtgesellschaftlich vorangetrieben wird, auf die andere all die vereinzelten Entitäten (menschliche wie nichtmenschliche), deren Entscheidungs- bzw. Reaktionsvermögen sich auf die Unterstützung dieses Gesamtzusammenhanges ausrichten müssen. So unterstellen sowohl befürwortende als auch kritische Positionen Verbrauchern wie Landwirten rationale Entscheidungskalküle, die sich auf Individuen nicht aber auf sozial eingebettete Kollektive beziehen. Während auf der einen (hege336

SCHLUSS

monialen) Seite die Entitäten als stark vernetzt erscheinen, die in ihren Wirkungen auch Einfluss auf alle anderen Entitäten des Netzwerkes entfalten können, erscheinen sie auf der anderen (marginalisierten) Seite vereinzelt. Ihre Wirkungen werden dann anhand eines abstrakten Wertes evaluiert, um sie dann kontrollieren zu können. Aktivitäten, die der eigenen Rationalität zuwiderlaufen, werden als irrational oder unmoralisch dargestellt. So wird in der Gentechnikdebatte die Gegenposition als vereinzelter, nicht zur Gesellschaft zugehöriger Akteur repräsentiert, dem es an Vernunft und Moral mangelt. Nach der ANT gibt es zwei Formen von Macht: zum einen durch die Einschränkung von Eigenpotential durch die Setzung eines obligatory point of passage (OPP), und zum anderen durch die Definition von Interessen, indem die in einer Repräsentation enthaltenen Netzwerkverbindungen als unterstützenswert dargestellt werden. Da die Definition dieser Interessen im Diskurs mit dem Allgemeinwohl verbunden werden, wird damit gleichzeitig eine moralische Forderung erhoben. Im ersten Fall haben die Verbündeten keine Wahl, im letzteren hätten sie die Möglichkeit, sich anders entscheiden zu können, sie wählen aber die sozial erwünschte Alternative, da das Interesse am Allgemeinwohl selbst als ein obligatory point of passage (OPP) gesetzt wurde. Wie gezeigt wurde, können mittels der Agrar-Gentechnik beide Strategien verfolgt werden: Zum einen setzt sie sich durch ihre unkontrollierte Ausbreitung und ihre allseitige Anwendbarkeit als einen obligatory point of passage (OPP), zum anderen kann sie als Instrument benutzt werden, die Moral in der Gesellschaft zu steigern. So ist die Agrar-Gentechnik zwar prinzipiell auf alle lebenden Organismen anwendbar und bei großflächigem Anbau omnipräsent, sie wird aber individuell angebunden und in unterschiedliche gesellschaftliche Praktiken eingebunden. Zum Problem wird diese Einbindung nur, wenn sie dem definierten und rechtlich abgesicherten gesellschaftlichen Allgemeinwohl widerspricht. Damit provoziert sie den gesamtgesellschaftlichen Diskurs um die Definition des Allgemeinwohls.

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A N H AN G : A U SWAHL

DER

P O S I T I O N S PA P I E R E

Zunächst wurden die unterschiedlichen Interessengruppen identifiziert, die sich im deutschsprachigen Diskurs zur Agrar-Gentechnik positionieren. Innerhalb dieser Interessengruppen wurden die Organisationen ausgewählt werden, die eine zentrale Stellung einnehmen. Dazu wurde ein Auswahlnetzwerk erhoben, bei dem die Knoten die Internetseiten darstellen, die sich zur Agrar-Gentechnik positionieren und einer Interessengruppe zugeordnet werden konnten. Als Verbindungen wurden die Verweise (Links) auf diese Internetseiten (Indegree) im Auswahlnetzwerk definiert. Anhand des Indegrees der Internetseiten wurde die Zentralität der Organisationen im Auswahlnetzwerk bestimmt. Zusätzlich wurden Informationen über betreibende Organisationen, Links, Informationsgehalt und die Interessengruppe anhand der Selbstdarstellung erhoben. Die Internetseiten des Auswahlnetzwerkes mussten folgende Merkmale erfüllen: Sie mussten (1.) von Organisationen betrieben werden, die als Interessengruppen aufgefasst werden können, da sie im Namen von Anderen sprechen, (2.) Informationen über die Agrar-Gentechnik anbieten, (3.) deutschsprachig sein. Die Größe des Auswahlnetzwerkes betrug 319 Organisationen, denen 432 Internetpräsenzen zugeordnet werden konnten. Für die Zuordnung zu einer Interessengruppe wurde die Selbstdarstellung der Organisationen gesichtet. Sie waren zumeist auf der Homepage in gesonderten Rubriken wie zum Beispiel »Wir über uns« aufzufinden. In Tabelle 12 sind die kategorisierten Interessengruppen mit dem jeweiligen Indegree aufgeführt. Dieser Indegree ist gewichtet, da einige 339

DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Internetseiten von mehreren Organisationen betrieben wurden bzw. mancher Organisation mehrere Internetseiten zugeordnet werden konnten. Es wurde angestrebt, für jede Interessengruppe mindestens eine Organisation auszuwählen. In der Debatte marginal vertretene Interessengruppen wurden jedoch wegen mangelnden Informationsmaterials in die Untersuchung nicht mit einbezogen. Die Organisationen, die anhand des so erhobenen Netzwerkes ausgewählt wurden, mussten folgende Merkmale besitzen: Sie mussten (1.) in der BRD ansässig sein, (2.) über eine oder mehrere Internetpräsentationen verfügen, die detaillierte Informationen zur Agrar-Gentechnik anbietet, (2.) in ihrer Interessengruppe zentral sein. Tabelle 12 Kategorie Interessengruppe Umwelt- und Naturschutz Regulierung auf (über-)staatlicher Ebene ökologische Landwirtschaft Wissenschaftler Agrarwirtschaft Verbraucherschutz Aufklärung Gentechnikkritik ökologischer Verbraucherschutz Regulierung auf regionaler Ebene Förderung Biotechnologie Gesellschaftskritik Entwicklungshilfe Ernährung Agrochemieunternehmen Lebensmittelwirtschaft Landwirtschaft ökologische Lebensmittelwirtschaft Ganzheitlichkeit Sonstige Technikfolgenabschätzung Tierschutz ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft Menschenrechte 340

gew. Indegree 798,85 366 365,65 320,25 241,75 223 199,72 179,69 175,33 175 155,67 130,33 128,5 84,67 81,75 74,67 61,25 42,05 42 40,88 37 33 28 19

ANHANG: AUSWAHL DER POSITIONSPAPIERE

Tabelle 13: Liste der analysierten Positionspapiere Von Organisation erhoben

Literaturangaben

Kürzel Zitation

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Bioland

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BUKO

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BUKO (biopir)

BUKO

BUKO Agrar Koordination: »BiopolyAusstellung«, o.J.

BUKO (biopoly)

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BÖLW

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DER STREIT UM DIE AGRAR-GENTECHNIK

Von Organisation erhoben

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MPG: »Eine Lanze für die Grüne Gentechnik«, in: Institute aktuell, S. 73, März 2003.

342

MPG (LanzGen)

ANHANG: AUSWAHL DER POSITIONSPAPIERE

Von Organisation erhoben

Literaturangaben

Kürzel Zitation

Misereor

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Misereor

Monsanto

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Verbraucherinitiative

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Verbraucherinitiative

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Verbraucherinitiative

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Verbraucherinitiative

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MPG (BroGen)

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