Der Streit der Fakultäten 9783787320677, 9783787314508

In den drei kurzen Abhandlungen der 1798 erschienenen Schrift "Der Streit der Fakultäten" erörtert Kant (1724–

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Der Streit der Fakultäten
 9783787320677, 9783787314508

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IMMANUEL KANT

Der Streit der Fakultäten

Mit Einleitung, Bibliographie und Anmerkungen von

piero giordanetti herausgegeben von

horst d. brandt und

piero giordanetti

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 522

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VI

Inhalt

Anmerkungen des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . .

133

Verzeichnis der Vorarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

177

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

181

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

197

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199

EINLEITUNG

Die Einleitung macht zunächst mit der EntstehungsgeDie Einleitung zunächst mit der derFakultäten Entstehungsgeschichte des 1798macht publizierten Streit sowie schichte des 1798 publizierten Streit der Fakultäten sowie mit den Umständen seiner Drucklegung vertraut. Sodann mit seiner Drucklegung vertraut. Sodann wirdden ein Umständen Überblick über seinen Argumentationsgang gegewird seinen Argumentationsgang ben. ein AufÜberblick Angaben über zu historischen Vorläufern dergegedrei ben. Auf Angaben historischen Vorläufern der drei Hauptteile der Schriftzusowie auf unmittelbare Vorlagen und Hauptteile derdie Schrift auf unmittelbare Vorlagen und Anregungen, Kantsowie erfahren hat, wurde aus UmfangsAnregungen, die Kant erfahrenDie hat,dem wurde aus Umfangsgründen weitgehend verzichtet. Editionstext nachgründen verzichtet. Diediese dem Lücke Editionstext nachgestelltenweitgehend Anmerkungen schließen insofern, als gestellten Anmerkungen schließen diese Lückenachgewiesen insofern, als in ihnen Zitate und versteckte Anspielungen in ihnen Zitate und versteckte Anspielungen nachgewiesen werden. werden. I. Zur Entstehungsgeschichte I. Zur Entstehungsgeschichte 1. Der einteilige Streit 1. Der einteilige Streit Das Verhältnis zwischen den Fakultäten innerhalb der UniDas Verhältnis zwischen denabFakultäten innerhalb der Universität wird von Kant erst 1792 behandelt. In einer Anversität wird erst Ueber ab 1792das behandelt. einer merkung zu von demKant Aufsatz radikaleInBöse inAnder 1 werden merkung zu dem Aufsatz Ueber das radikale Böse in der menschlichen Natur die Vorstellungen des Bösen, 1 menschlichen Natur die Vorstellungen des Bösen, welche von den »dreiwerden sogenannten obern Facultäten (auf welche von den »drei sogenannten Facultäten hohen Schulen)« entwickelt werden, obern dargestellt. Unter (auf den hohen Schulen)«sind entwickelt werden, dargestellt. den drei Fakultäten »die medicinische Facultät«,Unter die »Juridrei Fakultäten sind medicinische Facultät«, die »Juristenfacultät« und die»die »theologische Facultät« gemeint. Der stenfacultät« und Interesses die »theologische Facultät« gemeint. Der Ursprung seines an dem Thema läßt sich bereits Ursprung seinesausweisen. InteressesKant an dem Themader läßt sich bereits in einem Brief versucht, theologischen in einem Brief ausweisen.»drey Kant philosophische versucht, der theologischen Fakultät zu Königsberg AbhandlunFakultät zu Königsberg »dreyMonatsschrift philosophische gen, die mit der in der Berl. einAbhandlunGanzes [sc. gen, mitDie derReligion in der Berl. Monatsschrift ein Ganzes [sc. Das die Buch innerhalb der Grenzen der bloßen Das Buch ausmachen Die Religionsollen, innerhalb Grenzen bloßen Vernunft] nicht der so wohl zur der Censur als Vernunft] ausmachen sollen, nicht so wohl zur Censur als 1 1

In: »Berlinische Monatsschrift« 19 (April) 1792, S. 323–385. In: »Berlinische Monatsschrift« 19 (April) 1792, S. 323–385.

VIII

Piero Giordanetti

vielmehr zur Beurtheilung, ob die theologische Fakultät sich die Censur derselben anmaße, zu überreichen, damit die philosophische ihr Recht über dieselbe gemäß dem Titel, den diese Schrift führt, unbedenklich ausüben könne.«2 Das Verhältnis zwischen der philosophischen, »unteren« und der theologischen Fakultät ist Thema der »Vorrede« zu der ersten Auflage der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793) und wird in die »Vorrede« zu der zweiten Auflage von 1794 übernommen. Auch der Briefwechsel Kants zeugt von seiner intensiven Beschäftigung mit diesem Problem.3 Die erste Bezugnahme auf eine Schrift, welche den ›Streit der Facultäten‹ innerhalb der Universität behandelt, ist in dem Brief vom 13. Dezember 1793 an Kiesewetter niedergelegt. Kant wendet sich gegen die 1791 von dem König Friedrich Wilhelm II. eingerichtete »Immediat-ExaminationsKommission«, und vor allem gegen ihre Mitglieder Hermes und Hillmer. Hermes wird vorgeworfen, als »biblischer Theolog die Schranken seiner Vollmacht gerne« zu überschreiten und sie »auch über blos philosophische Schriften« auszudehnen, »die doch dem philosophischen Censor«, nämlich Hillmer, zukommt. Hillmer ist seinerseits daran schuld, sich »dieser Anmaßung« nicht zu widersetzen, »sondern sich darüber mit« Hermes einzuverstehen. Hermes und Hillmer stellen eine gefährliche Coalition dar – schreibt Kant – über diejenige »es doch einmal zur Sprache kommen muß.« Was sollte eine Schrift enthalten, welche sich dieser schädlichen Allianz widersetzen möchte? Sie hätte die Aufgabe, zu klären, »daß ein Buch censuriren und ein Exercitium corrigiren zwey ganz verschiedene Geschäfte sind, die ganz unterschiedene Befugnisse voraussetzen.« Theologie und Philosophie stellen also zwei autonome Disziplinen dar. Philosophische Schriften sollten weder von biblischen Theologen noch von einer Koalition zwischen 2 3

AA XI 344; vgl. XIII 325–328. Vgl. AA XI 318, 358–359, 429–430.

Einleitung

IX

Theologen und Philosophen beurteilt werden. Kant ist sich jedoch bewußt, daß es »zum Ton der Zeit« Lärm zu blasen, »wo lauter Ruhe und Friede ist«, gehört und entscheidet, zu »gedulden, dem Gesetz genaue Folge« zu leisten und »die Mißbräuche der litterärischen Polizeyverwaltung zu rügen auf ruhigere Zeiten« auszusetzen.4 Obwohl weder von Fakultäten noch von einem Streit innerhalb der Universität die Rede ist, wird hier zum ersten Mal in Kants philosophischer Entwicklung die Absicht formuliert, gegen die gefährliche Koalition von Theologie und Philosophie »zur Sprache zu kommen«, und dem Thema eine besondere Schrift zu widmen. Das erste Dokument, welches davon zeugt, daß die Schrift tatsächlich angefangen wurde, ist das Lose Blatt ›Hagen 23‹. Nach der Datierung von Erich Adickes5 sind die Überlegungen Kants auf diesem Blatt zwischen Februar und Mai 1794 niedergeschrieben worden. Auf den Streit beziehen sich eine Randnotiz auf der Rückseite unten rechts und eine Marginalie des linken oberen Randes der Vorderseite. Die Randnotiz auf der Rückseite unten rechts steht, besonders in ihrem zweiten Teil, der 1798 publizierten Fassung noch sehr fern. Allerdings weist sie Ähnlichkeiten mit dem letzten Absatz des vierten Abschnitts der 1798 publizierten »Einleitung« auf.6 In der Marginalie des linken, oberen Randes der Vorderseite sind nahezu wörtliche Anklänge an den Text der »Allgemeinen Anmerkung. Von Religionssecten«7 niedergelegt. Außerdem ist uns auch eine am 7. Mai 1794 geschriebene Vorarbeit zu dem Streit erhalten: es handelt sich um die Vorarbeit ›G 11‹.8 Ihr Inhalt ist eine frühere Fassung der »Allgemeinen Anmerkung. Von Religionssekten«.9 4 5 6 7 8 9

Vgl. AA XI 476–477. Vgl. AA XIV 516,16–27 und 520,13–41. Vgl. AA VII 35. Vgl. AA VII 53–56. Vgl. AA XXIII 438,24–442,11. Vgl. AA VII 48–60.

X

Piero Giordanetti

Am 14. Juni 1794 lädt Stäudlin Kant ein, einen Aufsatz für sein geplantes »Journal für die Religionswissenschaft und ihre Geschichte«10 zu verfassen. »Wäre es nicht zu kühn, Sie zu bitten, zuweilen einen Aufsaz dazu zu geben? Wir würden uns dadurch sehr geehrt finden und unser Iournal würde dadurch im höchsten Grade gewinnen. Es wird dabei die uneingeschränkteste Preßfreiheit Statt finden.«11 Am 12. Oktober 1794 bekommt Kant das Reskript, in welchem der König Kant vorwirft, seine Philosophie »zu Entstellung und Herabwürdigung mancher Haupt- und Grundlehren der heiligen Schrift und des Christenthums mißbraucht« zu haben und die »gewissenhafteste Verantwortung« verlangt.12 Reskript und Antwortschreiben werden von Kant selber erst 1798 in der »Vorrede« zu dem Streit der Fakultäten öffentlich gemacht. In einem Entwurf zu der wird ausdrücklich von dem ›Streit‹ gesprochen: »Ein Streit der Facultäten namlich der biblisch-theologischen und philos. Facult: deren jede behauptet daß ihre Grundlehren wesentlich sind die andern nur ausserwesentlich zur Religion gehören.«13 Das Reskript wird in der Antwort vom 4. Dezember 1794 an Stäudlin nicht erwähnt. Kant bezeichnet Stäudlins »Antrag, in einem, von Ihnen herauszugebenden theologischen Iournal, auch Stücke von mir aufzunehmen, wobei ich auf die uneingeschränkteste Preßfreiheit rechnen könne«, als »rühmlich«, und fügt hinzu, daß er »auch erwünscht« kam. Obwohl Kant »diese Freiheit in ihrem ganzen Umfange nicht einmal zu benutzen Sinnes war«, zeigt er sich jedoch damit zufrieden, daß »das Ansehen einer unter dem orthodoxen Georg III, mit dem eben so rechtgläubigen Friedr. 10

Das Journal war die »Göttingische Bibliothek der neuesten theologischen Litteratur«, hrsg. v. Johann Friedrich Schleußner und Carl Friedrich Stäudlin, Göttingen 1794–1801, 5 Bde. 11 AA XI 508. »Göttingische Bibliothek der neuesten theologischen Litteratur«, hrsg. v. Johann Friedrich Schleußner und Christian Friedrich Stäudlin, Göttingen 1794–1801, 5 Bände. 12 AA VII 6. 13 AA XIII

Einleitung

XI

Wilh. II, als befreundeten desselben, stehenden Universität, mir, meiner Meinung nach, zum Schilde dienen könnte, die Verunglimpfungen der Hyperorthodoxen (welche mit Gefahr verbunden) unseres Orts zurückzuhalten.« Aus dem Brief erhellt, daß am 4. Dezember 1794 »eine in dieser Idee abgefaßte Abhandlung unter dem Titel Der Streit der Facultäten schon seit einiger Zeit fertig bei« Kant liegt und daß er die Absicht hat, sie Stäudlin zuzuschicken. Die brieflichen Äußerungen informieren auch über den Inhalt der Schrift. Kant erörtert folgende Themen: das Verhältnis zwischen dem »Gelehrtenstand«, der theologischen Fakultät und den »Landesherren« in »Sachen der Landesreligion«; das Problem der Beurteilung anderer »frommen Gesellschaften, die nur der Sittlichkeit nicht Abbruch thun«, nämlich der Sekten. Kant sagt, diese Abhandlung« sei »eigentlich bloß publicistisch und nicht theologisch […] (de iure principis circa religionem et ecclesiam).« Er habe trotzdem »nöthig gefunden«, »Beispiele anzuführen, die vielleicht die einzige sind, welche die Unfähigkeit einer Secte Landesreligion zu werden, ihrer Ursache sowohl als Beschaffenheit nach, begreiflich machen.« Diese Beispiele zielen darauf, »diejenige Glaubenslehre, die ihrer innern Beschaffenheit wegen nie Landesreligion, sondern nur Secte abgeben und von der Landesherrschaft nicht sanctionirt werden kann, deutlich zu bezeichnen.« Er fürchtet jedoch, daß »nicht bloß um dieser, sondern auch anderer Anführungen von Beispielen willen – die jetzt unseres Orts in großer Macht stehende Censur Verschiedenes davon auf sich deuten und verschreyen möchte« und beschliesst, »diese Abhandlung, in der Hoffnung daß ein naher Frieden vielleicht auch auf dieser Seite mehr Freyheit unschuldiger Urtheile herbeiführen dürfte, noch zurück zu halten; nach diesen aber sie Ihnen, allenfalls auch nur zur Beurtheilung, ob sie wirklich als theologisch oder als bloß statistisch anzusehen sey, mitzutheilen.«14 In dem Brief an Tieftrunk vom 5. April 14

AA XI 532–534.

XII

Piero Giordanetti

1798 schreibt Kant: »Ich hatte vor einigen Jahren ein Werk vor unter dem Titel: Der Streit der Facultäten von I. Kant aber sie fiel unter Hermes und Hillmers Censur durch u[nd] mußte liegen bleiben.«15 Die Schrift, auf die sich Kant bezieht, deren Manuskript nicht erhalten ist, war allem Anschein nach im Dezember 1794 fertiggestellt. Der Brief an Stäudlin vom 4. Dezember 1794 und die zwei Vorarbeiten sind die einzigen uns zugänglichen, sicher datierten Texte, welche über den Inhalt dieser ersten Fassung informieren können. 2. Die Jahre 1795–1797. Die Idee des dreiteiligen Streits Die Idee eines Streits innerhalb der Universität, welches das Verhältnis der unteren Fakultät, nämlich der philosophischen, nicht nur mit der oberen theologischen Fakultät, sondern auch mit der oberen juristischen und der oberen medizinischen Fakultät betrifft, ist zum ersten Mal in einer Replik zu Sömmerings Schrift Über das Organ der Seele16 niedergelegt. Zur Frage über den Sitz der Seele werde »Responsum gesucht, über das zwey Facultäten wegen ihrer Gerichtsbarkeit (das forum competens) in Streit gerathen können, die medicinische, in ihrem anatomisch = physiologischen, mit der philosophischen, in ihrem psychologisch = metaphysischen Fache […].«17 Kurz darauf werden all-

15

AA XII 240. Die Replik zu der ersten Auflage von Soemmerings Schrift (Königsberg 1795) wurde als Anhang der 2. Auflage von Soemmerings Schrift (Königsberg 1796) gedruckt. In der AA wurde sie irrtümlich als Beilage zu dem am 10. August 1795 von Kant an Sömmering gerichteten Schreiben gedruckt. Sie gehört mit den Vorarbeiten (AA XIII 398–414) jedoch nicht in die II. Abteilung (Briefe), sondern in die III. (AA XX, S. XIV; AA XXI, S. XXVI– XXVIII). 17 AA XII 300. 16

Einleitung

XIII

gemeinere Überlegungen über die Baschaffenheit dieses ›Streits der Facultäten‹ präsentiert. Der Streit betreffe sowohl die medicinische Facultät in ihrem anatomischphysiologischen Fach als auch die philosophische Facultät in ihrem psychologisch-metaphysischen Fach. Es handele sich darum, eine Koalition zwischen den empirischen und den apriorischen Prinzipien zu etablieren. Der Streit zwischen denjenigen, welche sich auf empirische und denjenigen, welche sich auf apriorische Prinzipien gründen, betreffe jedoch auch die anderen zwei Facultäten, die Juristische und die Theologische. Auch hier werde eine Koalition zwischen reiner Rechtslehre und empirischer Politik, und zwischen reiner Religionslehre und offenbarter, empirischer Religionslehre gesucht, welche ebenfalls zu einem Streit führe. Kant entdeckt den Ursprung und die Ursache des Streits eben in den »Coalitionsversuchen, zwischen denen die auf empirische Principien alles gründen wollen, und denen welche zu oberst Gründe a priori« und gelangt zu dem Schluß, daß daraus »Unannehmlichkeiten entspringen, die lediglich auf den Streit der Facultäten beruhen, für welche die Frage gehöre, wenn bey einer Universität (als alle Weisheit befassender Anstalt) um ein Responsum angesucht wird.«18 Die zweite Auflage der Schrift Zum ewigen Frieden von 1796 erweitert den Text um einen Zusatz (»Geheimer Artikel zum ewigen Frieden«) in welchem sich Kant über das Verhältnis zwischen Philosophen und Juristen ausspricht und das Wort ›Fakultät‹ auch hinsichtlich der Theologie benutzt.19

18

Siehe auch die zwei Vorarbeiten zu diesem Aufsatz: G 22,4 (AA XIII 412,20–413,14), Datierung 30.8.1794 (Stark, S. 286); Scheffner (AA XIII 398–412), Datierung 6.7.1795 (Stark, S. 286). 19 Siehe I. Kant, Zum ewigen Frieden, 82–83. Der neue Zusatz wird auch in einer französischen Übersetzung der Schrift publiziert. Siehe Zum ewigen Frieden, XLVI–XLVII.

XIV

Piero Giordanetti

In der Publikation von Heinrich Borkowski, Die Bibel Immanuel Kants,20 ist ein Blatt mit Notizen enthalten, die, wie Borkowski richtig angab, eine Vorarbeit zu einer der längeren Anmerkungen zu dem »Friedens-Abschluß und Beilegung des Streits der Facultäten« in dem ersten Abschnitt der Schrift von 179821 darstellen. Nach dem 22. Mai 1796, dem Datum des Briefs Nr. 705, schreibt Kant die Notizen auf dem Blatt ›E 23‹22, in welchem eine frühere Fassung dieser Anmerkung enthalten ist. Die zwei Befunde rechtfertigen den Schluß, daß sich Kant mit dem Thema der Anmerkung zu dem »Friedens-Abschluß« erst nach Fertigstellung seines noch einteiligen Streits (Dezember 1794) beschäftigt.23 Die Anmerkung gehört nicht zu der ursprünglichen Fassung, sondern ist wahrscheinlich nach dem 22. Mai 1796 entstanden. Das Jahr 1797 ist entscheidend für die Genese der Idee des dritten Teils. Am 12. Dezember 1796 schickt Christoph Wilhelm Hufeland seine Schrift über Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern Kant zu. In dem Begleitschreiben bezeichnet er Kant als einen Mann, »dem die Kenntniß des Menschen, die wahre Anthropologie so viel verdankt, und der sich um die Medizin selbst dadurch so viel Verdienst erworben hat und gewiß noch mehr in der Zukunft erwerben wird«. Das Buch, sagt Hufeland, enthält das »Bestreben, das Physische im Menschen moralisch zu behandeln, den ganzen, auch physischen, Menschen als ein auf Moralität berechnetes Wesen darzustellen, und die moralische Kultur als unentbehrlich zur physischen Vollendung der überall nur in der Anlage vorhandenen Menschennatur zu zeigen«.24 Kant bekommt Schreiben und Buch »allererst in der Mitte des Märzes« 1797 und antwortet nach dem 15. März 1797. Er 20 21 22 23 24

Königsberg 1737, 7–10. Abgedruckt in Stark 1993, 255–259. VII 62. Abgedruckt in Stark 1993, 250–251. Vgl. Stark 1993, 256. AA XII 136–137.

Einleitung

XV

bedankt sich für das »angenehme Geschenk« und wird von der »kühne(n) aber zugleich seelenerhebende(n) Idee« beeindrückt, »von der selbst den physischen Menschen belebenden Kraft der moralischen Anlage in ihm.« Er will »sie auch für die Anthropologie« benutzen. Er kündigt zugleich folgendes an: »von meinen Beobachtungen, die ich hierüber an mir selbst zu diesem Behuf in Absicht auf die Diät gemacht habe, werde ich Ihnen vielleicht in kurzem öffentlich Nachricht zu geben mir die Ehre nehmen.«25 An Hufeland wendet sich Kant noch am 19. April 1797: »Mir ist der Gedanke in den Kopf gekommen: eine Diätetik zu entwerfen und solche an Sie zu adressiren, die blos ›die Macht des Gemüths über seine krankhafte körperliche Empfindungen‹ aus eigener Erfahrung vorstellig machen soll; welche ein, wie ich glaube, nicht zu verachtendes Experiment, ohne ein Anderes, als psychologisches Arzneymittel, doch in die Lehre der Medicin aufgenommen zu werden verdiente […] – Doch muß ich dieses, wegen anderweitiger Beschäftigung, jetzt noch aussetzen.«26 Die Idee des Aufsatzes ist mit Sicherheit zwischen März und April 1797 entstanden. Hufeland schreibt an Kant am 30. September 1797. »Ew. Wohlgeboren haben mich mit der angenehmen Hofnung sehr erfreut, daß Sie geneigt wären, einen medizinischen Gegenstand zu bearbeiten, und zwar den so intereßanten von der Macht des Gemüths über seine krankhaften körperlichen Empfindungen. Wäre es Ihnen doch bald gefällig und wegen andrer Geschäfte möglich! Denn eben in diesen psychologisch = medizinischen Gegenständen hat es noch so sehr an philosophischer Behandlung gefehlt, und wie viel würde sich nicht unsre Kunst noch nebenbey fruchtbare Bemerkungen und Aufschlüße versprechen können! Ich widerhole also nochmals im Nahmen des ganzen medizinischen Publikums, das Sie sich dadurch verpflichten würden,

25 26

AA XII 148–149. AA XII 157–158.

XVI

Piero Giordanetti

die Bitte, dieser schönen Idee bald einige Stunden zu widmen, und füge noch den Wunsch bey, daß Sie dann die Güte haben, und den Aufsatz mir für das Iournal der pract. Heilkunde überlaßen möchten, wo er am schnellsten im mediz. Publikum bekannt werden, und zugleich diesem Iournal zur großen Zierde gereichen würde.«27 Im September – Oktober 1797 bekommt Kant Wilmans Dissertatio philosophica de similitudine inter mystizismum purum et Kantianam religionis doctrinam. Der Schrift legt Wilmans einen Brief bei, welcher dann Kant als Anhang zu dem ersten Abschnitt des Streits drucken lassen wird. Am 13. Oktober 1797 schreibt Kant an Tieftrunk: »Es könnte wohl sein daß mich der Tod während dieser Anstalten überraschte. In diesem Falle würde unser Herr Professor Gensichen zwei Abhandlungen in meiner Commode antreffen, deren eine ganz, die andere beinahe ganz fertig liegt (und zwar seit mehr als zwei Iahren) über deren Gebrauch er alsdann Ihnen Nachricht geben würde doch bleibt dieses unter uns; denn vielleicht gebe ich sie noch bei meinem Leben heraus.«28 Der Brief redet von zwei Abhandlungen; die eine sei »ganz fertig«, die andere »beinahe ganz fertig«. Um welche Abhandlungen handelt es sich? Die Frage ist umstritten und läßt sich anhand des Briefes und anderer Dokumente nicht eindeutig auflösen. Sicher ist es, daß Kant am 17. October 1797 an Tieftrunk schreibt, er habe an dem 13. October neben drei anderen Briefen29 auch ein »Couvert an Biestern, und zwar unter grosser Eile der Abfertigung auf die Post, abgeschickt.«30 Am 23. October 1797 reicht Biester, Redacteur der »Berlinischen Monatsschrift« und ihrer Fortsetzung, der »Berliner Blätter«, bei der Berliner Censurbehörde den Aufsatz Erneuerte Frage: Ob das menschli-

27 28 29 30

AA XII 203–204. AA XII 208. Vgl. AA XII, Briefe Nr. 743–745. Vgl. AA XII 207.

Einleitung

XVII

che Geschlecht im beständigen Fortschreiten zum Besseren sei? ein.31 Kant wird davon erst am 28. Februar 1798 erfahren. Auf die Zeit zwischen dem 26. Oktober 1795 und dem Herbst 1797 gehen fünf Vorarbeiten zu diesem Aufsatz zurück. Es handelt sich um die Blätter ›F1‹, ›de Barenton‹, ›Kullmann‹, ›Krakau‹ und ›Königsberg‹. Der terminus a quo kann mit Sicherheit etabliert werden, weil in dem Losen Blatt ›Königsberg‹ von dem »Directorium« der »Republik Frankreich« geredet wird.32 Auf den 12. November 1797 geht das Lose Blatt ›G 3,1–2‹ zurück.33 Der Text ist eine Vorarbeit zu dem ersten Abschnitt und enthält folgende Notiz: »Von Abrahams Opfer«. Die »Mythe von dem Opfer« wird 1798 in einer Anmerkung zu dem »Friedens-Abschluß und Beilegung des Streits der Fakultäten« erörtert, so daß sich die Vermutung nahe legt, daß ›G 3‹ Überlegungen entwickelt, welche diesem Textstück zugrundeliegen werden. Von der »Opfer« redet auch das Blatt ›G 10,1‹34, welches auf den 29. Juli 1797 zurückgeht. Am 16. November 1797 stirbt Friedrich Wilhelm II. Wie der Prediger Lüdeke am 30. Dezember 1797 meldet, hat »unter dem 27ten Dec. das Ober-Consistorium alle ihm geraubten rechte der Examination, Censur etc. wieder bekommen.«35 3. Das Jahr 1798. Der zwei- und dreiteilige Streit Über die letzte Phase der Entstehung der Schrift sind uns zahlreiche Informationen zugänglich. Im Februar 1798 erwidert Kant Lüdeke, er habe die Ansicht, »einige meiner

31 32 33 34 35

Vgl. AA XII 240. Vgl. AA XIX 606. Stark 1993, S. 249. AA XXIII 124. AA XII 227.

XVIII

Piero Giordanetti

Arbeiten, die bisher unter dem Interdict waren oder der Vollendung bedürfen, wiederum vorzunehmen.«36 Gemeint sind die 1794 abgefaßte und später ergänzte und revidierte Schrift Der Streit der Facultäten und die Erneuerte Frage. Kant erfährt am 28. Februar 1798 von Biester, daß der Stadtpräsident Eisenberg dem Aufstaz über den Fortschritt das »Imprimatur« abgeschlagen hat. Am 5. April 1798 schreibt er an Tieftrunk, er hätte »vor einigen Iahren«, nämlich 1794, die Absicht, die Schrift Der Streit der Facultäten von I. Kant zu publizieren. Dem Werk wurde von den Zensoren Hermes und Hillmer kein Imprimatur gegeben. Es besteht kein Zweifel daran, daß das Werk »unter dem Titel« Der Streit der Facultäten, welches »unter Hermes und Hillmers Censur« durchfiel, die im Dezember 1794 fertiggestellte Fassung ist. Wann dies geschehen ist, ist schwer zu etablieren. Obwohl nun dieser Schrift, welche Kant inzwischen mit aller Sicherheit nach geändert und erarbeitet hat, »der Ausflug offen« sei, erfahren wir nun, daß Kant »eine neuere Schrift unter dem Titel Erneuerte Frage, ob das menschliche Geschlecht im beständigen Fortschreiten zum Bessern sey Biester für seine Berlinische Blätter« zugeschickt hat, und daß diese zweite Schrift, »weis nicht wie, dem Stadtpräsidenten Eisenberg zur Censur eingereicht wurde u. zwar den 23ten Octobr. 1797«, also noch zu Lebzeiten des König Friedrich Wilhelm II. u. ihm das imprimatur abgeschlagen wurde.« Kant ist »es unbegreiflich«, »wie es möglich war daß ihn mir Hr. Biester allererst den 28ten Febr. 1798 meldete.« Da die Erneuerte Frage das ›Imprimatur‹ von Eisenberg in Berlin nicht bekommen hat, holt Kant vorher juristischen Rat ein und entscheidet, die Druckerlaubnis in Halle nachzusuchen, weil er nicht noch einmal die nämliche Arbeit der Berliner Zensur einreichen will oder kann. Er fügt hinzu, jedermann sei bekannt, »wie sorgfältig ich mich mit meiner Schriftstellerei in den Schranken der Gesetze halte: ich aber auch nicht mühsame Arbeit um Nichts u.wieder nichts weggeworfen 36

AA XII 231.

Einleitung

XIX

haben mag.« Kant zeigt sich davon überzeugt, daß die Philosophische Fakultät zu Halle, seiner neuen Schrift das ›Imprimatur‹ – wie es dann auch geschehen ist – nicht verweigern wird. Über den Verlauf der Angelegenheit sind wir durch Paul Menzer informiert. Aus den Akten der philosophischen Fakultät zu Halle ergibt sich, daß die von Tieftrunk eingereichte Kantische Schrift verschiedentlich beurteilt wurde. Der Historiker Matthias Christian Sprengel erklärt sie für nicht überzeugend. Zweifelnd ist auch das Urteil von Johann Ludwig Schulze, Professor für orientalische Sprachen. Der Philosoph Johann August Eberhard, der Geograph Johann Reinhold Forster, der Philologe Friedrich August Wolf, und noch Johann Christoph Rüdiger, Ökonomist, der Philosoph Ludwig Heinrich Jakob, der Historiker Johann Christoph Krause und Tieftrunk sind hingegen positiv orientiert. Selbst Kants Gegner, der Mathematiker Georg Simon Klügel, Mitarbeiter des »Philosophischen Magazins« von Eberhard sagt: »ich glaube, daß wir einen Mann, wie Kant, seine Äusserungen unbedingt verantworten lassen können. Seine Schriften gehören nur für das gebildete Publikum, daher selbst die freymüthigsten und dreisesten Sätze bey ihm nicht gefährlich seyn würden.«37 Das ›Imprimatur‹ wird nach kurzer schriftlicher Verhandlung erteilt. Erst kurz vor dem 5. April 1798 entsteht in Kant die Idee, aus den zwei Stücken ein einzelnes Buch zu machen, welches er »einleiten« möchte: »[…] werde es so einzuleiten suchen, daß beide Stücke, als zu einem Ganzen gehörend Ein Buch ausmachen sollen.« Er schlägt Tieftrunk vor, den Aufsatz über den Fortschritt der Menschheit, auch in der von Tieftrunk selbst geplanten Sammlung Kantischer Kleiner Schriften gesondert zu publizieren.38 Am 6. Februar 1798 ist auch der Aufsatz Von der Macht des Gemüts fertig, welchen Kant Hufeland zusendet. Seinem 37 38

Vgl. AA XIII 479–481. AA XII 240–241.

XX

Piero Giordanetti

»Freund« räumt der Autor die Freiheit ein, den Aufsatz entweder in seine Zeitschrift oder separat, mit Vorrede oder Anmerkungen Hufelands begleitet, herauszugeben.39

II. Zur Drucklegung Die Entstehung des Planes einer dreiteiligen Schrift ist durch einen Brief dokumentiert, welcher zugleich die einzige uns erhaltene Anweisung des Autors an Verleger, Setzer und Korrektor des Drucks darstellt. Der Streit wird bei Nicolovius gedruckt. ›Bogen‹, Abschreiber, Setzer und Korrektor der Schrift sind uns unbekannt. Relevant ist jedoch, daß uns das Antwortschreiben40 von dem 9. Mai 1798 an Friedrich Nicolovius erhalten ist. Der Brief gilt als Zeugnis dafür, daß Kant erst kurz vor diesem Datum auf die Idee gekommen ist, ein dreiteiliges Werk unter dem Titel Der Streit der Fakultäten zu publizieren. Er habe Hufeland »die Freyheit« gewährt, den dritten Abschnitt in seiner Zeitschrift zu veröffentlichen oder als Separatdruck herauszugeben. Der Grund liege darin, daß er »damals noch nicht den Plan in Gedanken hatte«, das Buch »Der Streit der Facultäten« in drei Abteilungen auszufertigen und es »in einem System darzustellen«. Er bittet zugleich seinen Korrespondent, ihn bei Hufeland, »wegen der Einrückung des Ihm eigentlich gewidmeten Stücks in jenes Werk, aus der angeführten Ursache zu entschuldigen«.41 Der Titel für die dreiteilige Schrift solle nun folgendermaßen lauten: »Sie schreiben mir daß Ihnen noch der Titel des ganzen Werks: Der Streit der Facultäten mangle. Meines Wissens habe ich ihn schon gegeben. Er heißt / Der Streit der Facultäten / drey Abschnitten / Immanuel Kant«. Was 39

AA XII 232. Der Brief vom 2.5.1798 von Friedrich Nicolovius ist nicht erhalten. 41 AA XII 243–244. 40

Einleitung

XXI

soll nach der Absicht des Autors nach dem Titel kommen? »Alsdann kommen die Titelblätter für jeden dieser drey Abschnitte, z. B. Erster Abschnitt der Streit der philosophischen Facultät mit der theologischen: Zweytens der Streit der philos. mit der Iurist. Fac: u. s. w.« Was die Schreibweise betrifft, so bittet Kant Nicolovius, »den Setzer und den Corrector dahin anzuweisen, daß, da ich wohl hin und wieder das c mit dem k abgewechselt haben mocht z. B. practisch mit praktisch er hierin eine Gleichförmigkeit beobachten möchte und sich nach der Schreibart richten möge die er auf den ersteren Blättern antreffen wird; imgleichen daß ich die Drukfehler frühzeitig zugeschickt erhalte.« Endlich macht er auf die Notwendigkeit einer Abänderung des Textes an einer bestimmten Stelle aufmerksam: »Gegen Ende dieses Buchs [gemeint ist jedoch der erste Abschnitt, P. G.] werden sie über einem Abschnitt den Titel finden: »casuistische Fragen« den Sie so abzuändern bitte: »Biblisch = historische Fragen.«42 III. Aufbau und Inhalt Vorrede. Trotz der Behauptung Kants, daß die drei Abhandlungen »zur systematischen Einheit ihrer Verbindung in einem Werk geeignet sind«, und »daß sie als der Streit der unteren mit den drei oberen (um der Zerstreuung vorzubeugen) schicklich in Einem Bande sich zusammen finden können« sind die »verschiedenen Absichten« der drei Abhandlungen und »die verschiedenen Zeiten«, zu denen sie verfaßt wurden, evident und schwerwiegend. Während der erste Aufsatz tatsächlich in Ansehung einer Schrift über das Thema ›Streit der Fakultäten‹ verfaßt wurde, werden die anderen zwei Aufsätze mit dem Thema erst post festum verbunden. Die Einheit der Schrift ist lediglich a posteriori gestiftet worden, und nämlich, wie Kant selber ausdrücklich erklärt, »um der Zerstreuung vorzubeugen«. 42

Vgl. AA XII 243–244.

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Nichtsdestoweniger, fordert der Autor den Leser auf, die Schrift als ein Ganzes zu interpretieren. Worin liegt die Idee, welche dem Ganzen zugrunde liegt? Sind die drei Teile wirklich heteronome Stücke, die in keinem Zusammenhang stehen oder läßt sich eine Idee aufweisen, welche sie vereingt? Die »Vorrede« enthält eine einzige, tautologische Antwort auf diese Fragen. Die drei Teile betreffen den Streit der unteren Fakultät mit den drei oberen. In der »Vorrede« beschäftigt sich der Autor jedoch nicht mit dem Einheitsproblem der Schrift. Er publiziert das von ihm bekommene Königliche Reskript vom 1. Oktober 1794 und seinen eigenen Brief an Friedrich Wilhelm II. Die »Vorrede« hängt lediglich mit dem ersten Abschnitt zusammen. Der König klagt Kant an, sowohl in seinen Schriften als auch in seinem akademischen Unterricht »manche« »Hauptund Grundlehren« der Bibel und des Christentums entstellt und herabgewürdigt zu haben. Er verlangt außerdem Kants »gewissenhafteste Verantwortung«, daß er sein »Ansehen« und seine »Talente« dazu anwenden wird, daß »Unsere landesväterliche Intention je mehr und mehr erreicht werde«. Kant antwortet, er sei – erstens – in akademischen Vorlesungen über die Grenzen der Philosophie als Wissenschaft nicht ausgeschweift und habe sich niemals mit der Beurteilung der Bibel und der geoffenbarten Religion beschäftigt. Er habe – zweitens – als Volkslehrer nicht der öffentlichen Landesreligion Abbruch getan, weil sein Buch für das Publikum »unverständlich« und »verschlossen« sei. Er drückt jedoch auch den sodann in dem ersten Abschnitt als Leitidee zu entfaltenden Gedanken aus, daß die theologische und die philosophische Fakultät innerhalb der Universität frei bleiben, nach ihrem Wissen und Gewissen öffentlich zu urteilen und das Resultat ihrer Untersuchungen der Regierung zukommen zu lassen, während nur die von der Regierung eingesetzten Volkslehrer an die öffentliche Landesreligion gebunden sind. Der dritte Punkt erklärt, daß Kants Schriften weder eine Würdigung noch eine Abwürdigung des Christentums als

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geoffenbarter, statutarischer Religion, sondern lediglich eine Würdigung der natürlichen Religion enthalten. Letztere beruhe nicht auf der spekulativen, sondern auf der moralischen Vernunft. Sie antwortet nämlich nicht durch historische Beweisgründe auf die Frage ›Was kann ich wissen?‹, sondern durch Vorschriften auf die Frage ›Was darf ich hoffen?‹ 43 Aus ihr gehe nicht das »Außerwesentliche« einer zufälligen Offenbarung, sondern das »Wesentliche einer Religion überhaupt« hervor, nämlich Allgemeinheit, Einheit und Notwendigkeit ihrer Glaubenslehren. Die Offenbarung habe jedoch den Verdienst und die Aufgabe, den theoretischen Mangel der natürlichen Religion zu ergänzen und das Bedürfnis der Vernunft zu befriedigen. Es erhellt daraus, daß die Religion nicht nur die Vernunft, sondern auch ihr Bedürfnis, welches sich dann ein Gefühl erweist, angeht. Viertens behauptet der Autor, seine Hochachtung für das Christentum dadurch bewiesen zu haben, daß er die Bibel in moralischer Hinsicht als das beste Leitmittel zur Gründung und Erhaltung einer Landesreligion angepriesen habe, welche er als »wahrhaftig seelenbessernd« betrachtet habe. Die größte Achtungsbezeigung sei jedoch der Beweis der Zusammenstimmung des Christentums mit dem reinsten 43

So heißt es in dem Brief an Carl Friedrich Stäudlin vom 4. Mai 1793: »Mein schon seit geraumer Zeit gemachter Plan der mir obliegenden Bearbeitung des Feldes der reinen Philosophie ging auf die Auflösung der drei Aufgaben: 1) Was kann ich wissen? (Metaphysik) 2) Was soll ich thun? (Moral) 3) Was darf ich hoffen? (Religion); welcher zuletzt die vierte folgen sollte: Was ist der Mensch? (Anthropologie; über die ich schon seit mehr als 20 Iahren jährlich ein Collegium gelesen habe). – Mit beikommender Schrift: Religion innerhalb der Grenzen etc. habe die dritte Abtheilung meines Plans zu vollführen gesucht, in welcher Arbeit mich Gewissenhaftigkeit und wahre Hochachtung für die christliche Religion, dabei aber auch der Grundsatz einer geziemenden Freimüthigkeit geleitet hat, nichts zu verheimlichen, sondern, wie ich die mögliche Vereinigung der letzteren mit der reinsten praktischen Vernunft einzusehen glaube, offen darzulegen.« (AA XI 429)

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moralischen Vernunftglaube. Der Vernunftglaube umfaßt also außer der reinen praktischen Vernunft, nicht nur das Gefühl des Bedürfnisses, sondern auch das Gefühl der Achtung und die Besserung der Seele bzw. des Herzens. Es werden fünftens die Begriffe des »Richters in mir selbst« und des »Weltrichters als Herzenskündiger« als Komplementäre und grundlegende Elemente des Philosophierens auf allen Gebieten eingeführt. Kant behauptet, er sei bei der Abfassung seiner Schriften der Gewissenhaftigkeit stets treugeblieben, welche als »Richter« in ihm selbst, ihm empfohlen habe, »nicht mehr davon vorzugeben und anderen als Glaubensartikel aufzudringen, als sie selbst davon gewiß sind«. Außerdem steige in ihm als 71jähriger (die Antwort wird 1794 verfasst) der Gedanke leicht auf, einem »Weltrichter als Herzenskündiger« Rechenschaft geben zu müssen. Dem Gewissen als in dem Menschen angesiedelten Richter korrespondiert Gott als außer uns existierender Herzenskündiger. Einleitung. Die Universität ist »eine Art von gelehrtem gemeinen Wesen«, das aus verschiedenen Fakultäten besteht, die den verschiedenen Fächern der Wissenschaften korrespondieren. Über Gelehrte können nur Gelehrte urteilen; die Universität ist frei und autonom. Literaten, Studierte, Geschäftsleute oder Werkkundige der Regierung sind hingegen Geistliche, Justizbeamte und Ärzte. Sie sind Instrumente der Regierung, die in ihrer Praxis gemäß der empirischen Kenntnis der Statuten vorgehen. Sie sind nicht frei, sondern müssen ihre Gelehrsamkeit nur unter der Zensur der Fakultäten öffentlich gebrauchen, weil sie sich unmittelbar an das Volk wenden, auf welches die Regierung wirken will. Die Einteilung der Fakultäten. Die sich hier bereits ankündigende Spannung zwischen Literaten und Professoren wird klarer ausgeführt, sobald man zu dem Thema der inneren Einteilung der Fakultäten in die drei oberen (Theologie, Jurisprudenz und Medizin) und die untere (Philosophie) gelangt. Diese Einteilung hängt nicht von den Gelehrten, son-

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dern direkt von der Regierung ab, welche das Ziel verfolgt, das Volk zu ihren eigenen Zwecken zu beeinflüßen und zu beherrschen. Die Universität wird jedoch als eine »öffentliche Anstalt« aufgefaßt, welche zwei Aspekte aufweist. Ihre Einrichtung wird sowohl von der Regierung als auch von einer Vernunftidee bestimmt. Die Regierung selbst ist in einer Idee der Vernunft gegründet. Kant bestreitet, daß es nach dem Prinzip der Vernunft berechtigt sei, die Philosophie als die untere Fakultät zu bezeichnen. Er trifft die Ursache dieses Gebrauchs in der Natur des Menschen an: »der, welcher befehlen kann, ob er gleich ein demütiger Diener eines andern ist, sich doch vornehmer dünkt als ein anderer, der zwar frei ist, aber niemandem zu befehlen hat«. Die Ziffer I »Vom Verhältnis der Fakultäten« ist in vier Abschnitte unterteilt, welche die oberen Fakultäten, die untere Fakultät, den gesetzwidrigen Streit und den gesetzmäßigen Streit behandeln. Die oberen Fakultäten (Erster Abschnitt). Die Organisation der drei oberen Fakultäten, welche Kant historisch vorschwebt – die »gewöhnlich angenommene Rangordnung« – weist der Theologie den ersten Platz von oben zu, sodann kommen Jurisprudenz und Medizin. Diese Rangordnung wird als von dem Vernunftprinzip abhängend beurteilt. Sie läßt sich nicht auf »bloß zufällige Aufsammlung und willkürliche Zusammenstellung vorkommender Fälle« zurückführen, sondern verdankt sich einem apriorischen Prinzip: dem von der Regierung gefühlten Bedürfnis, durch die drei oberen Fakultäten auf das Volk zu wirken. Das Gefühl des Bedürfnisses, welches in der Vorrede als Grundlage der Religion auftaucht, wird hier mit der rechtlichen Idee der Regierung eng verbunden. Daß Kant keine negative Stellung zu dieser Einteilung nimmt, hängt nicht nur damit zusammen, daß sie dem apriorischen Bedürfnis der Regierung korrespondiert. Er hebt hingegen auch hervor, daß sie mit der auf der Vernunft gegründeten Ordnung der Triebfedern zusammenstimmt, welche die Regierung benutzen kann. Diese Triebfedern

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können sich entweder auf die Vernunft oder auf den Instinkt gründen. Kant stellt die These auf, daß die erste und wichtigste Triebfeder der Vernunft des einzelnen Individuums das ewige Wohl ist; sodann zielt das Individuum auf das bürgerliche und erst in letzter Instanz auf das Leibeswohl ab. Der Naturinstinkt umkehrt hingegen die Ordnung: er begehrt zuerst das Leben, sodann das Eigentum und nur zuletzt die Seligkeit nach dem Tode, welche für ihn erst in den letzten Stunden seines Lebens Bedeutung zu haben scheint. Es soll hervorgehoben werden, daß die gerade angeführten Betrachtungen mit dem fünften Punkt der Vorrede völlig kohärent sind. Die Idee der Existenz Gottes als eines Weltrichters, welchem der Mensch nach seinem Tode Rechenschaft über seine Gewissenhaftigkeit in diesem Leben geben soll, deckt sich nun mit der These, daß die Vernunft als objektives Vermögen von der Triebfeder bewogen wird, nach dem ewigen Wohl als Seligkeit in dem künftigen Leben zu streben. Es kann in diesem Rahmen nur daran erinnert werden, daß das Interesse Kants für die Unsterblichkeit sich bereits früh zeigt und bleibt, wie der Streit beweist, bis zum Ende seines Lebens erhalten. In den Träumen eines Geistersehers von 1764 heißt es: »Die Verstandeswage ist doch nicht ganz unparteiisch, und ein Arm derselben, der die Aufschrift führt: Hoffnung der Zukunft, hat einen mechanischen Vortheil, welcher macht, daß auch leichte Gründe, welche in die ihm angehörige Schale fallen, die Speculationen von an sich größerem Gewichte auf der andern Seite in die Höhe ziehen. Dieses ist die einzige Unrichtigkeit, die ich nicht wohl heben kann, und die ich in der That auch niemals heben will.«44 Die philosophische Fakultät (Zweiter Abschnitt). Sowohl in der »Vorrede« als auch in den soeben analysierten Teilen der »Einleitung« erweist sich die Vernunft als das Fundament der Argumentation. Was ist jedoch die Vernunft? Ihre Definition wird nun aufgestellt: sie ist das Vermögen, nach 44

AA II 350.

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der Autonomie, frei, gemäß den Prinzipien des Denkens überhaupt zu urteilen. Die philosophische Fakultät gehorcht nicht der Gesetzgebung der Regierung, sondern derjenigen der Vernunft. Die untere Fakultät zerfällt in die historische Erkenntnis, zu welcher Geschichte, Erdbeschreibung, gelehrte Sprachkenntnis, Humanistik, empirische Erkenntnis der Naturkunde zu zählen sind, und in die reine Vernunfterkenntis, welche in reine Mathematik und reine Philosophie aufgegliedert ist. Die reine Philosophie enthält Metaphysik der Natur und Metaphysik der Sitten. Obwohl sie sich auch auf die oberen Fakultäten erstreckt, koinzidiert der Inhalt der philosophischen Fakultät nicht mit dem Inhalt der anderen Fakultäten; Theologie, Jurisprudenz und Medizin werden zum Gegenstand der philosophischen Prüfung und Kritik. Das Kriterium, gemäß welchem die untere Fakultät die drei oberen Fakultäten beurteilt, ist der Vorteil der Wissenschaft, nämlich die Wahrheit, nicht ihre Nützlichkeit für die Regierung. Als Konsequenz der Freiheit der philosophischen Fakultät ergibt sich, daß die oberen Fakultäten ihre Beamte »immer mehr in das Gleis der Wahrheit bringen«. Die Philosophie ist Aufklärung der Pflicht der Beamten, welche ein besseres Verständnis der Lehren der drei oberen Fakultäten leistet. Der gesetzwidrige Streit (Dritter Abschnitt). Ein gesetzwidriger Streit entsteht dadurch, daß die aus der Neigung und dem Instikt resultierenden natürlichen Zwecken des Volks von der Regierung sanktioniert werden. Da Neigung und Instinkt sich auf keine Gesetze zurückführen lassen, sondern auf der Privatabsicht beruhen, sind sie besonders gefährlich für Vernunft und Freiheit und können die philosophische Fakultät vernichten. Der gesetzmäßige Streit (Vierter Abschnitt) Ziel der Kantischen Ausführungen zu den Fakultäten und ihrem Verhältnis ist es, eine wirkliche ›Revolution‹ zu unternehmen: die untere Fakultät soll die obere werden. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Philosophen den Staat regieren, sondern

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daß sie die Regierung beraten sollen. Es ist nämlich die Freiheit der philosophischen Fakultät, welche ihr gewährleistet, die Mittel zur Erreichung der politischen Zwecke durch ihre bessere Einsicht anzutreffen.

1. Der Streit zwischen der theologischen und der philosophischen Fakultät Die Ziffer II »Anhang einer Erläuterung …« zerfällt in drei weitere Ziffern, eine »Allgemeine Anmerkung«, einen »Abschluß« und zwei »Anhänge«. Die erste Ziffer behandelt die Materie des Streits (I). Der Streit zwischen der oberen und der unteren Fakultät entsteht aus den Schwierigkeiten der Auslegung der Bibel, der »Schriftgelehrsamkeit des Christentums«. Die Theologie ist theoretische, biblische, historische Erkenntnis, welche alle Lehren der heiligen Schrift als Offenbarungslehren buchstäblich annimmt. Die Philosophie setzt sich hingegen Moral und Religion zum Ziel, sucht die Wahrheit und beruht auf der Vernunft. Der biblische Theologe wird als der Schriftgelehrte für den Kirchenglauben definiert. Der Kirchenglaube gründet sich auf aus der Willkür eines Anderen ausfließende Statuten oder Gesetze. Die Theologie beinhaltet Lehren, welche als göttliche Offenbarungen Gegenstand des Kirchenglaubens sind. Der Philosoph behauptet hingegen, daß die Religion nicht auf »Satzungen« zurückgeführt werden darf, daß sie sich nicht auf »gewisse Lehren als göttliche Offenbarungen« reduzieren läßt. Religion ist ihm in objektiver Hinsicht der »Inbegriff aller unserer Pflichten überhaupt als göttlicher Gebote.« In subjektiver Hinsicht ist sie die Maxime, welche befiehlt, unsere Pflichten als göttliche Gebote zu befolgen. Aus dieser Definition erhellt, daß das Verhältnis zwischen Religion und Moral sehr eng ist. Es wird also Aufgabe des Autors sein, Analogien und Differenzen zwischen beiden herauszuarbeiten. Wenn wir sie nach ihrem Gegenstand,

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nach ihrer Materie betrachten, entdecken wir, daß sowohl die Religion als auch die Moral den Begriff der »Pflichten überhaupt« verwenden. In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied zwischen beiden. Im Hinblick auf die Form kommt jedoch der Religion als Gesetzgebung der Vernunft die Aufgabe zu, den Einfluß der Moral auf den menschlichen Willen zu gewährleisten, damit der letztere alle seine Pflichten erfüllt. Zu diesem Zweck bedient sich die Religion der Gottesidee. Der Streit beharrt darauf, daß die Idee Gottes aus der reinen praktischen Vernunft erzeugt wird. Was dies bedeutet, wird durch den weiteren Verlauf der Argumentation klarer werden. Die philosophische Auslegung der Bibel (II–III). Das Prinzip, auf welchem die philosophische Schriftauslegung beruht, ist die strikte Trennung zwischen der Frage des übernatürlichen Ursprungs der Bibel und ihrer Auswertung als »Vehikel zur Religion«. Da sie für den Philosophen ein Mittel der Einführung der Religion unter den Menschen ist, soll die Bibel die »öffentliche Ausbreitung« und die »innigliche Belebung« der moralischen Vorschriften der Vernunft befördern. Wenn diese Definition zutrifft, kann die Bibel philosophisch als Vehikel der Religion und zugleich als übernatürliche Offenbarung angesehen werden. In dieser Hinsicht ist sie »ein übernatürliches Mittel« der Einführung der Religion und sogar der Stiftung einer Kirche, deren Ziel darin besteht, die Religion öffentlich zu lehren und zu bekennen. Es soll hervorgehoben werden, daß Kant die Offenbarung einräumt und keine bloß »naturalistische«, sondern eine »natürliche« Religion entwickelt. Es ist entscheidend, daß das Christentum auf der Vernunft gegründet ist, indem es als »Idee der Religion« aufgefaßt wird. Wenn die Bibel nicht »praktisch leer«, nämlich ohne Einfluß auf das Herz, oder sogar nicht dem Guten nachteilig sein will, muß jede Auslegung das Kriterium der Sittlichkeit beobachten, welche den Zweck der Offenbarung bildet. Eine Auslegung darf erst dann als authentisch bezeichnet werden, wenn sie nach dem moralischen Prinzip geführt

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wird. Eine Auslegung ist authentisch, wenn »der Gott in uns« selbst der Ausleger ist. Welche Bedeutung kommt dem Begriff des Gotts in uns zu? Weder Gott noch die Göttlichkeit seiner Lehre dürfen mit unserer eigenen Vernunft identifiziert werden. Der Ausdruck »der Gott in uns« darf nicht so interpretiert werden, als würde er einen Prozeß der Vergöttlichung der Menschheit bezeichnen. Es ist nicht Kants Ziel, den Menschen als Gott zu bewundern und zu verehren und ihn als Fundament einer naturalistischen Religion zu stellen, welche sich innerhalb des Kreises der Menschheit bewegen würde. Im Gegenteil dazu, stellt Kant wiederholt den Gedanken auf, daß die Göttlichkeit und der Gott der heiligen Schrift resp. Idee und Ideal einer natürlichen Religion sind. Was er bekräftigen will, ist der Gedanke, daß wir den außer uns existierenden Gott erst dann verstehen können, wenn er mit uns durch unseren eigenen Verstand und durch unsere eigene Vernunft redet. Wir können die Göttlichkeit seiner Lehre lediglich durch rein-moralische und untrügliche Begriffe unserer eigenen Vernunft erkennen. Diese Interpretation wird durch die von Kant angeführten Beispiele bestätigt. Die Beispiele sind nach vier Ziffern geordnet, welche folgende Schriftstellen erörtern: I theoretische, II und III moralische, IV religiöse. Die Stellen antworten auf die drei Fragen: »was kann ich wissen?, was soll ich tun?, was darf ich hoffen?« Gemäß der philosopischen Auslegung bedeutet die Lehre der Menschwerdung Christi, daß Christus »die Idee der Menschheit« darstellt. Dies heißt jedoch nicht, daß Christus seiner Göttlichkeit entkleidet und auf die bloße Menschlichkeit reduziert wird. Es wird vielmehr hervorgehoben, daß Christus als Idee »in Gott von Ewigkeit her« gegründet ist, daß er die moralische Vollkommenheit darstellt, welche Gott wohlgefällt. Gemäß der Auferstehungslehre haben wir Ursache zu glauben, daß Christus noch lebt; unser Glaube wäre eitel, wenn er, als Ideal der moralischen Vollkommenheit, nicht nach dem Tode leben sollte. Dies gilt auch für die Lehre der Gnade (Ziffer II und III), auf welche Kant nicht verzichtet. Philosophisch

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ausgelegt behauptet sie keine »blos passive Ergebung an eine äußere in uns Heiligkeit wirkende Macht«, sondern daß die moralische Anlage in uns die Göttlichkeit eines der theoretischen Nachforschung der Vernunft höheren Ursprungs beweist, dessen Besitz kein Verdienst, sondern Gnade ist. Dem Menschen kommt die Aufgabe zu, an der Entwicklung dieser göttlichen Anlage zu arbeiten, um seiner Bestimmung gemäß dem heiligen Gesetz angemessen zu sein. Aus diesem Sollen läßt sich wie in der Moral ein Können, nämlich die Freiheit ableiten. Wenn jedoch seine eigenen natürlichen Kräfte dazu nicht hinreichend sind, so darf der Mensch hoffen, daß dies durch äußere göttliche Mitwirkung geschehen werde. Dieser Vernunftglaube an die Gnade wird als »seligmachend« aufgefaßt. Die Sekten (Allgemeine Anmerkung). Es wird die Frage aufgeworfen, ob die Regierung eine Sekte als Kirche sanktionieren kann. Die Regierung kann weder einen Kirchenglauben ohne Bibel (Naturalismus), noch den Mystizismus (der Glaube, welcher sich auf Inspiration gründet), sondern nur den biblischen Orthodoxismus sanktionieren, nämlich lediglich die Meinung von der Hinlänglichkeit des Kirchenglaubens zur Religion. Religionssekten wie der Pietismus und der Moravianismus können nicht zu dem Rang eines öffentlichen Kirchenglaubens erhoben werden und entziehen sich gänzlich dem Einfluß der Regierung. Kant gelangt zu dieser Auflösung, nachdem er zuerst zwei andere Themen diskutiert hat. Die erste Frage – »was ist Christentum?« – darf nicht durch eine Aufzählung von Sekten beantwortet werden. Der Sektenunterschied betrifft eigentlich nicht die Religion, deren Grund die Moral ist, sondern den statutarischen Kirchenglauben. Die Verschiedenheit der Religionssekten ist der Einheit und Allgemeinheit der Religion, nämlich der »unsichtbaren Kirche«, zuwider. Für die Zukunft glaubt er folgendes vorhersehen zu können: Alle alten Satzungslehren werden verlassen werden und die Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten, Judentum und Christentum werden verschwinden. Zu

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diesem allmählichen Prozeß, welcher »den Beschluß des großen Drama des Religionswechsels auf Erden […] wenigstens im Geiste« herbeiführen soll, wird auch die Regierung beitragen. Die zweite Frage lautet: wie kann der Religionsglaube den Menschen in moralischer Hinsicht verbessern? Kant analysiert nun zwei Sekten, welche einen identischen Zweck, wenn auch mit verschiedenen Mitteln, verfolgen: Pietismus und Moravianismus. Beide identifizieren das Übersinnliche mit dem Übernatürlichen. Die von Kant gestellte Frage wird von diesen beiden Sekten neuformuliert: »wie ist die Wiedergeburt (als Folge der Bekehrung, wodurch jemand ein anderer, neuer Mensch wird) durch göttlichen unmittelbaren Einfluß möglich, und was hat der Mensch zu tun, um diesen herbeizuziehen«? Beide Sekten erarbeiten die Idee einer lediglich durch übernatürlichen Einfluß – die Gnade Gottes – möglichen, moralischen Metamorphose des Menschen. Wie bereits in der Moral ist nach Kant auch in der Religion eine Revolution nötig. Der Geist Christi stellt eine Idee, ein Ideal dar, welcher in der ursprünglichen moralischen Anlage des Menschen liegt. Er erhebt die Menschheit zu einer Würde, welche an dem Menschen als Gegenstand der Erfahrung nicht sichtbar wird. Dank ihm besitzen wir das Vermögen dazu, »der Moral mit unserer sinnlichen Natur so große Opfer zu bringen, daß wir das auch können, wovon wir ganz leicht und klar begreifen, daß wir es sollen«. Der Geist Christi gewährleistet den Übergang von dem leichten und klaren Begriff des Sollens zu demjenigen des Könnens. Er fügt sich also nicht als ein heterogenes Element von außen hinzu, sondern bedeutet die Überlegenheit des übersinnlichen Menschen über den sinnlichen. Die Aufgabe der Religion besteht darin, den Geist Christi, »so wie er in Lehre und Beispiel bewies zu dem unsrigen zu machen«, oder besser, »ihm nur Raum zu verschaffen«. Friedens-Abschluß und Beilegung des Streits. Theologische und Philosophische Fakultät können erst dann in Frie-

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den koexistieren, wenn die Theologen die Pflicht und die Befugnis haben, den Bibelglauben aufrechtzuerhalten und den Philosophen die Freiheit eingeräumt wird, den Bibelglauben der Kritik der Vernunft zu unterwerfen. Es wird noch einmal betont, daß die Bibel zwar einen moralischen Inhalt hat. Moralisch heißt jedoch nicht bloß menschlich, sondern göttlich. Anhang biblisch-historischer Fragen. Die »paränetische« wird der »paraphrastischen« Behandlung der Bibel entgegengesetzt. Die erstere ist der praktischen, öffentlichen Benutzung in Predigten vorteilhaft, weil sie die Besserung der Menschen und ihre moralischen Triebfedern befördert. Die Predigt soll auf die Erbauung der Herzen der Zuhörer und auf die Belehrung ihrer natürlichen moralischen Anlage zielen, welche auch in dem »unbelehrtesten« Menschen präsent ist. Die Zeugnisse der Schrift sollen Beispiele der Anwendung der Prinzipien der praktischen Vernunft auf Fakta der Geschichte bieten, um sie anschaulicher zu machen. Die paraphrastiche Exegese der Bibel besteht hingegen in der Schriftgelehrtheit, in philologischen Kenntnissen. Sie versucht, die Lehren durch historische Beweisgründe, durch Zeugnisse zu bestätigen, welchen oft nur den Wert von Konjekturen zugesprochen werden kann, indem sie nicht durch die empirische Erkenntnis bewiesen werden können. Der »Anhang. Von einer reinen Mystik in der Religion« stammt nicht von Kant, sondern enthält den von Wilmans seiner Dissertatio philosophica de similitudine inter mystizismum purum et Kantianam religionis doctrinam beigefügten Brief an Kant.

2. Philosophie und Jurisprudenz Der zweite Abschnitt erörtert dem Titel nach den »Streit der philosophischen Fakultät mit der juristischen«. Als Untertitel trägt er jedoch die Schrift: Erneuerte Frage: Ob das menschliche Geschlecht im beständigen Fortschreiten

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zum Besseren sei. Der Abschnitt zerfällt in 10 Ziffern und einen »Beschluß«. Ziffer 1. stellt die Frage: »Was will man hier wissen?« Die Antwort lautet: Gegenstand der Abhandlung wird nicht die Naturgeschichte des Menschen sein. Es wird nicht gefragt, ob künftig neue Rassen entstehen werden, sondern es wird die Sittengeschichte der Gesellschaften und Völker erörtert. Laut Ziffer 2. will Kant eine »wahrsagende«, »natürliche« Geschichsterzählung liefern, nämlich eine a priori mögliche Darstellung der künftigen Ereignisse. Wie unten geklärt werden wird, ist dem Menschen keine »weissagende«, »übernatürliche« Geschichte möglich. Eine Geschichte a priori ist erst dann möglich, wenn der Wahrsager die Begebenheiten selber »macht und veranstaltet«. Ziffer 3. diskutiert die drei Möglichkeiten, die künftige Geschichte zu wahrsagen: Terrorismus, Eudämonismus und Chiliasmus, Abderitismus, welchen folgende drei Thesen entsprechen: der kontinuierliche Rückgang zum Ärgeren, der beständige Fortgang zum Besseren, der ewige Stillstand auf der jetzigen Stufe, oder die ewige Umdrehung im Kreise um denselben Punkt. In Ziffer 4. fordert der Autor die Philosophen auf, die richtige Wahl des Standpunkts zu treffen, von welchem aus der Lauf der Dinge angesehen werden soll. Der Geschichtsphilosophie schwebt das Muster der Astronomie vor: nach der Kopernikanischen Hypothese sollen wir den Standpunkt von der Sonne aus einnehmen, um zu sehen, daß die Planeten einen regelmäßigen Gang beständig fortgehen. Was dem Astronomen möglich ist, ist jedoch dem Geschichtsphilosophen nicht erlaubt. Wir können uns in der Geschichte nicht in diesen Standpunkt versetzen. Die Frage, ob das menschliche Geschlecht im beständigen Fortschritt zum Guten sei, kann weder durch die Erfahrung noch durch den Rekurs auf den Standpunkt der Vorsehung beantwortet werden. Die Vorsehung wird jedoch – wie der Gott des ersten Abschnitts – anerkannt, und zwar hier als ein über alle menschliche Weisheit hinausliegendes göttliches Auge, der die freie Handlungen des Menschen mit Gewißheit zugleich

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sehen und vorhersehen kann. Das Motiv, welches uns dazu nötigt, sowohl die Erfahrung als auch den Rekurs auf Gott auszuschließen, liegt darin begründet, daß die Frage des Fortschritts von freihandelnden Wesen gestellt wird und freihandelnde Wesen betrifft. Dem Menschen darf man einen angeborenen und unveränderlich-guten Willen nicht beilegen. Die Anlage der Menschheit ist durch eine Mischung des Bösen mit dem Guten gekennzeichnet. Ziffer 5 betont noch einmal, daß das Menschliche Geschlecht nicht nach den Individuen betrachtet werden muß. Wenn man diese Methode wählen würde, könnte man bloß zu einer Aufzählung und Berechnung gelangen, welcher kein Ende gestellt werden könnte. Der Fortschritt betrifft Völker und Staaten. Wenn man dies im Auge behält und wenn feststeht, daß der Standpunkt der Vorsehung nicht eingenommen werden darf, dann bleibt nur die Möglichkeit offen, aufgrund einer besonderen Erfahrung und ihrer Ursache eine »Tendenz« der Menschheit anzunehmen. Die Erfahrung, welche hier gesucht wird, soll nicht die Ursache der Tendenz zum Besseren sein. Sie soll ein »Geschichtszeichen« sein, sie soll »nur als hindeutend« angesehen werden. Was dies bedeutet, wird folgendermaßen erklärt: die nachgesuchte Erfahrung oder Begebenheit weist auf die Beschaffenheit und auf das Vermögen des Menschengeschlechts hin, Ursache und Urheber des Fortschritts zum Besseren zu sein. Der nächste Schritt (Ziffer 6.) der Argumentation koinzidiert mit der Einführung der französischen Revolution als Geschichtszeichen, als Begebenheit und Erfahrung, welches beweist, daß in der Menschheit eine moralische Grundanlage präsent ist. Welche Bedeutung soll dem Rekurs auf diese »Begebenheit« beigemessen werden? Ist Kant ein eifriger Anhänger der französischen Revolution? Daß dieser historische Prozeß »mit Elend und Greueltaten dermaßen angefüllt« ist, »daß ein wohldenkender Mensch sie, wenn er sie zum zweitenmale unternehmend glücklich auszuführen hoffen könnte, doch das Experiment auf solche Kosten zu

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machen nie beschließen würde« wird mit Klarheit anerkannt. Es wird auch betont, daß im allgemeinen wichtige, von Menschen verrichtete Taten oder Untaten, durch welche alte, glänzende Staatsgebäude (die Monarchie in Frankreich) verschwinden »und andere an deren Statt wie aus den Tiefen der Erde hervorkommen« nicht das nachgesuchte Geschichtszeichen bilden. Das Gelingen oder Mißlingen einer Revolution beweisen die Tendenz der Menschheit weder zum Besseren noch zum Schlechteren. Die historischen Begebenheiten stellen an sich keinen Beweis einer moralischen Tendenz des Menschengeschlechts dar. Noch in anderer Hinsicht ist Kant kein Anhänger der Französischen Revolution. Das Volk hat nicht das Recht, die Staatsverfassung abzuändern. Die Mittel zur Ausführung der Idee des Rechts sollen mit der Moralität zusammenstimmen. Das Volk darf diese Bedingung nicht überschreiten. Wenn wir sie gemäß dem Rechtsbegriff beurteilen, ist jede Revolution an sich jederzeit ungerecht. Der wahre Grund, welcher den Beweis gewährleistet, liegt nicht in einer geschichtlichen Begebenheit, sondern in der »Denkungsart« der Nationen, welche an diesem Ereignis beteiligt sind. Es soll nun geklärt werden, was Kant mit dem Begriff der »Denkungsart« meint. Die hier intendierte Denkungsart ist der Affekt des Enthusiasmus. Der Rekurs auf eine Modifikation des Gefühls, eben den Affekt, verdient die Aufmerksamkeit des Lesers. Der Affekt, auf welchen sich der Autor bezieht, ist der Enthusiasmus, welcher sich durch zwei unterschiedliche Aspekte kennzeichnet. Als Affekt ist er »nicht ganz zu billigen«, »weil aller Affekt als ein solcher Tadel verdient«. Diese kritische Beurteilung wird von Kant bereits seit den frühen siebziger Jahren zu Wort gebracht und kommt noch in der Kritik der Urteilskraft und in der Metaphysik der Sitten vor. Sie basiert darauf, daß der Affekt die moralische Freiheit, obwohl nur momentan, hemmt und aufhebt. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, daß der wahre Enthusiasmus, welcher Affekt ist, »nur immer aufs Idealische und zwar rein Mora-

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lische geht«. Dieser besondere Affekt koinzidiert also nicht mit dem Eigennutz, sondern steht in enger Verbindung mit dem Rechtsbegriff. Enthusiasmus ist »Eifer und Seelengröße«, »Exaltation«, welche lediglich von dem apriorischen Rechtsbegriff hervorgebracht werden darf. Wer sind nun die »Enthusiasten«? Einerseits sind es die Revolutionierenden, andererseits sind es »das äußere, zuschauende Publikum«, welches mit den Revolutionierenden »ohne die mindeste Absicht der Mitwirkung« sympathisiert. Es wird mit Klarheit hervorgehoben, daß der Enthusiasmus keine bloß rhetorische und für den Gesamtduktus der Argumentation äußerliche Bedeutung hat. Genuß der Lebensannehmlichkeit, Wohlfahrt, Wohlbefinden, Preis und Nützlichkeit sind das Materiale des Willens, welches empirisch ist und keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. Der Enthusiasmus ist das Bewußtsein der freien Willkür, der Überlegenheit des Menschen vor den Tieren, des formalen, als ein »erhabenes Heiligtum« definierten, Prinzips des Rechts. Der Enthusiasmus kann lediglich von einer Idee hervorgebracht werden. Die Definition der besonderen Erfahrung, der Begebenheit, welche als Geschichtszeichen angesehen werden soll wird in Ziffer 7. vertieft. Der Begriff der Revolution wird ersetzt durch denjenigen der Evolution. »Diese Begebenheit ist das Phänomen nicht einer Revolution, sondern […] der Evolution.« An welche Evolution denkt der Autor? Es handelt sich um die Evolution einer auf dem Naturrecht gegründeten Verfassung, um das Hinstreben zu der republikanischen Verfassung. Obwohl diese Evolution sich durch Kriege vollzieht, wird ihr Ziel erst mit dem Ende aller Kriege erreicht. Eine Verfassung kann republikanisch entweder nach der Staatsform oder nach der Regierungsart sein. Der Staat kann auch von einem Monarchen verwaltet werden, wenn er den Gesetzen folgt, »die sich ein Volk nach allgemeinen Rechtsprincipien geben würde.« Kann man prognostiziren, daß das Menschengeschlecht den Zweck einer republikanischen Verfassung erreichen wird? Kants Antwort ist auch in diesem Fall positiv. Wie in

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Ziffer 6, gleitet er von der Begebenheit einer historischen Evolution zu dem »Interesse der Menschheit«, zu den »Gemütern«, welche das Phänomen des Enthusiasmus für die Idee des Rechts und für eine republikanische Verfassung nicht mehr vergessen werden. Die Begründung des Begriffs der Evolution wird folgendermaßen formuliert: »Denn ein solches Phänomen in der Menschengeschichte vergisst sich nicht mehr, weil es eine Anlage und ein Vermögen in der menschlichen Natur zum Besseren aufgedeckt hat […]« Und kurz darauf: »Denn jene Begebenheit ist zu groß, zu sehr mit dem Interesse der Menschheit verwebt […]« Die Ziffer 8 erarbeitet zuerst den Begriff der Volksaufklärung als öffentliche Belehrung des Volks über seine Pflichten und Rechten in Ansehung des Staats. Nicht die Staatsbeamten, sondern die Philosophen sind die eigentlichen Aufklärer; sie verkündigen natürliche und aus dem Menschenverstand hervorgehende Rechte, weil sie frei sind. Sie wenden sich jedoch nicht an das Volk, sondern »ehrerbietig« an den Staat; sie bitten den Staat, sein eigenes rechtliches Bedürfnis zu beherzigen. Die Aufklärer können dies tun, lediglich durch den Weg der Publizität, nämlich in Schriften. Was verkünden die Philosophen? Sie erarbeiten die Idee »einer mit dem natürlichen Rechte des Menschen zusammenstimmenden Konstitution, welche allen Staatsformen zugrundeliegt und durch Vernunftbegriffe gedacht wird.« Die reine Rechtsidee basiert nicht nur auf den Enthusiasmus als Affekt, sondern auch auf die Vernunft. Sie findet erst dann statt, wenn Affekt und Vernunft zusammenstimmen. Dieser Idee entspricht wie in der Religion ein Ideal als »ewige Norm« oder respublica noumenon für alle bürgerliche Verfassung (respublica phaenomenon). Es ist Pflicht des Monarchen, republikanisch (nicht demokratisch), d. i. nach Rechtsprinzipien, zu regieren. Die Volksaufklärung und mit ihr der Fortschritt können in doppelter Hinsicht gehindert werden; erstens durch das Verbot der Publizität, die Zensur; zweitens durch die Ver-

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heimlichung der wahren Beschaffenheit der Konstitution des Volks, wie es in »Großbritannien« der Fall ist. Die englische Monarchie ist nämlich keine eingeschränkte, sondern eine absolute Monarchie, weil sie der Idee des Rechts als ewiger Norm nicht gemäß und nicht republikanisch (nicht demokratisch) angelegt ist. Ziffer 9 definiert den Begriff des Fortschritts. Es soll zuerst in negativo betont werden, daß dieser Begriff kein innerhalb der Grenzen der Moral zu behandelndes Problem darstellt. Der Fortschritt wird nicht als ein immer wachsendes Quantum der Moralität in der Gesinnung aufgefaßt, er geht nicht die sittliche Beschaffenheit des Menschengeschlechts an, er betrifft nicht die moralische Ursache unserer Handlungen. Der Fortschritt darf also weder mit dem reinen, apriorischen Pflichtbegriff noch mit der Vergrößerung der moralischen Grundanlage im Menschengeschlecht koinzidieren. Die Basis der Vorhersagung sind empirische Data, Erfahrungen, die sich näher umschreiben lassen als die physische Ursache unserer Handlungen, insofern sie Erscheinungen sind und empirisch geschehen. In positivo läßt sich der Fortschritt folgendermaßen bestimmen: als das allmähliche Abnehmen der Gewalttätigkeit der Mächtigen, des Zanks in Prozessen, welchem das Zunehmen der Legalität in Pflichtmäßigen Handlungen, in den guten Taten, in der Wohltätigkeit, in der Zuverlässigkeit im Worthalten korrespondiert. Dies betrifft sowohl die einzelnen Völker als auch ihr äußeres Verhältnis. Der Fortschritt führt endlich zur weltbürgerlichen Gesellschaft. Ziffer 10. Obwohl er das Ziel verfolgt, zu bestimmen, welchen Beitrag das Menschengeschlecht zu seinem eigenen Fortschritt leisten kann, behauptet Kant, daß nur eine Weisheit von oben herab, nämlich die uns unsichtbare Vorsehung, den Progressus ermöglichen kann. Bei der Gebrechlichkeit der menschlichen Natur hängt der Fortschritt zuerst von der Vorsehung als positiver Bedingung ab. Auf sie ist der Rechtsbegriff der Vernunft zurückzuführen. Die Erziehung zum Guten von unten herab, durch Bildung der

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Jugend in der Familie und in den Schulen, durch die auf Moral und Religion gegründete Kultur kann nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen. Wenn wir jedoch von der Vorsehung absehen und fragen, was die Menschen tun sollen, so entdecken wir, daß sie über die negative Weisheit verfügen; sie sollen den Krieg menschlicher, seltener machen, als Angriffskrieg verschwinden lassen und eine auf echte Rechtsprinzipien basierende Verfassung wählen. Diese negative Weisheit ist eine Aufgabe der Staatsmacht, welche sich selbst reformieren und die Revolution durch die Evolution ersetzen soll. 3. Philosophie und Medizin Die Struktur des dritten Abschnitts läßt sich folgendermaßen darstellen und erklären. In dem »Antwortschreiben an Herrn Hofrath und Professor Hufeland« wird das apriorische, moralisch-praktische Prinzip der Medizin als Diätetik aufgestellt. Die Erörterung des »Grundsatz(es) der Diätetik«, die darauffolgenden 6 Ziffern (»Von der Hypochondrie«, »Vom Schlafe«, »Vom Essen und Trinken«, »Von dem Krankhaften Gefühl aus der Unzeit im Denken«, »Von der Hebung und Verhütung krankhafter Zufälle durch den Vorsatz im Atemziehen«, »Von den Folgen dieser Angewohnheit des Atemziehens mit geschlossenen Lippen«), der »Beschluß« und die »Nachschrift« exponieren hingegen das Resultat der Kantischen inneren Erfahrung und Selbstbeobachtung, welche er als Beispiel und Ergänzung seines philosophischen Prinzips interpretiert. Das Antwortschreiben an Hufeland. Es fällt zunächst auf, daß Kant Hufeland nicht als Künstler, sondern als Philosoph betrachtet. Der Arzt betreibt Universalmedizin, deren Ursprung in der moralisch-praktischen Philosophie liegt. Er ist kein Vernunftkünstler und rekurriert weder auf bloße Erfahrung noch auf bloße Geschicklichkeit. Insofern Hufeland Arzt als Gesetzgeber der reinen Vernunft ist, versöhnt er in sich Geschicklichkeit und Weisheit. Der empirisch-

Einleitung

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praktische Begriff der Medizin als Hilfe wird durch den moralisch-praktischen Begriff derselben als Pflicht ergänzt, nicht ersetzt. Der nächste Argumentationsschritt vollzieht sich durch die Gleichsetzung von Universalmedizin und Diätetik, und ihre Unterscheidung von der Therapeutik. Obwohl sie nur negativ als Kunst wirkt, Krankheiten abzuhalten, setzt sie ein Vermögen voraus, welches lediglich aus dem Geist der Philosophie entspringen kann. Dieses Vermögen wird als die Macht des menschlichen Gemüts, über seine krankhaften Gefühle durch den bloßen Vorsatz Meister zu sein, präsentiert. Wenn auf diese Weise die Medizin ein apriorisches, philosophisches, moralisch-praktisches Prinzip aufweist, soll jedoch nicht vergessen werden, daß sie Beispiele braucht, welche den philosophischen Geist der Diätetik durch die Erfahrung bestätigen können. Um welche Erfahrung handelt es sich? Der Arzt als Philosoph macht von der Erfahrung oder Beobachtung anderer Gebrauch. Kant kann sich als Philosoph, der kein Arzt ist, nur auf die innere Erfahrung berufen. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf sich selbst und auf die innere, aus der Selbstbeobachtung resultierende Wahrnehmung. In dem »Antwortschreiben« wird die apriorische, philosophische Begriffsbestimmung der Diätetik aufgestellt. Sie ist die Kunst, das Leben zu verlängern. Diese Definition zerfällt nun in zwei Aspekte: die Diätetik gründet sich zuerst auf den Wunsch, lange zu leben und sodann auf den Wunsch, gesund zu sein. Lediglich der erstere kann zugleich als Pflicht, oder – was denselben Begriff ausspricht – als Gegenstand der Achtung und Verehrung betrachtet werden, weil sie »die stärkere Triebfeder, selbst im Urtheile der Vernunft, nämlich als Pflicht, deren Beobachtung zugleich verdienstlich ist« enthält. Die Begründung dieser aus der moralisch-praktischen Vernunft herrührenden Triebfeder wird von Kant durch die Anbindung derselben an die Unsterblichkeit geleistet. Es ist unbedingte Pflicht, lange zu leben, oder – was dasselbe bedeutet – das Alter verdient

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Piero Giordanetti

Achtung und Verehrung nur unter der Bedingung, daß der alte Mensch von keinem Laster befleckt wurde. Wenn er sich lebend und zugleich moralisch rein erhalten hat, dann hat er der Sterblichkeit ausweichen und gleichsam der Unsterblichkeit abgewinnen können und ist somit zu einem Beispiel der Sittlichkeit geworden. Es ist zu bemerken, daß auch hier, wie in den ersten zwei Abschnitten der Schrift, die von der Vernunft gebotene Pflicht und das Gefühl der Achtung und Verehrung Hand in Hand gehen. Der Grundsatz der Diätetik. Er kann nicht mit der »Gemächlichkeit« koinzidieren. Die Gemächlichkeit ist Schonung seiner Kräfte und Gefühle, Verzärtelung, welche zu Schwäche und Kraftlosigkeit führt. Sie verursacht ein allmähliches Erlöschen der Lebenskraft aus Mangel der Übung und eine Erschöpfung derselben durch den zu häufigen und starken Gebrauch. Wärme, Schlaf, Pflege des nicht Kranken sind Verwöhnungen der Gemächlichkeit. Die Beschreibung dieser Verwöhnungen gehört nicht in die moralisch-praktische Philosophie, sondern entfaltet anthropologische Beobachtungen. Der Gemächlichkeit ist der Stoizism entgegengesetzt. Der Stoizism als Prinzip bestimmt die Lebensweise durch die Macht der Vernunft, die sinnlichen Gefühle durch einen von dem Menschen selbst herrührenden Grundsatz zu beherrschen. Auf dem Stoizism als Grundsatz gründet sich die Heilkunde als praktische Philosophie. In dem »Beschluß« wird die These dargestellt, daß nicht alle krankhafte Zufälle von der spastischen, krampfhaften Art durch den stoischen Grundsatz der Diätetik gehemmt oder sogar gehoben werden können. Im Gegenteil wird der von einigen spastischen Zufällen verursachte Leiden von den Versuchen, sie der Kraft des festen Vorsatzes zu unterwerfen, noch verstärkt. Das ist der Fall des Fehlers der Geistesgegenwart in dem Verknüpfen, welcher in dem Unvermögen besteht, »bei dem Wechsel der auf einander folgenden Vorstellungen die Einheit des Bewusstseins derselben zu erhalten«. Die »Nachschrift« beschäftigt sich mit dem Schutz der Augen bei der Lektüre.

Einleitung

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IV. Editorische Hinweise Die im Erstdruck und nach ihm in allen späteren Ausgaben vorgenommene Gliederung und Abfolge stimmt mit der inneren Struktur des Buchs nicht überein. Der Sache nach sollte die Schrift in »Vorrede«, »Inhaltsverzeichnis«, eine »Einleitung« und drei „Abschnitte“ zerfallen: Die in der »Einleitung« entwickelte Universitätstheorie bildet die Grundlage des institutionalisierten Streits aller drei oberen Fakultäten mit der unteren Fakultät, der erste Abschnitt sollte dann von dem Streit der philosophischen Fakultät mit der theologischen, der zweite von dem Streit der philosophischen Fakultät mit der juristischen und der dritte von dem Streit der philosophischen mit der medizinischen Fakultät handeln. Die Sachgliederung sollte also folgendermaßen aussehen: »Vorrede«, »Einleitung«, »Inhalt«, »Erster Abschnitt«, »Zweiter Abschnitt«, »Dritter Abschnitt«. Der Erstdruck von 1798 wirkt dagegen auf den Leser zunächst eher verwirrend: Auf die »Vorrede« folgen die Inhaltstafel und der »Erste Abschnitt«, innerhalb dessen sich die »Einleitung« befindet. Der Streit zwischen Theologie und Philosophie (der inhaltlich eigentlich den ersten Abschnitt der ganzen Schrift ausmacht) wird als »Anhang« zu der »Einleitung« wiedergegeben. Der Teilabschnitt »Friedens-Abschluß und Beilegung des Streits der Fakultäten« bezieht sich nicht auf den ganzen Streit, sondern nur auf den ersten Abschnitt. Die »Allgemeine Anmerkung. Von Religionssekten« hat mit der Frage des Streits von Theologie und Philosophie nichts zu tun. Der »Allgemeine Litterarische Anzeiger« vom 11. Dezember 1798 bringt in der Beilage zu Nr. CXCVI, Spalte 2040 folgende anonyme Buchhändleranzeige, die zwar mit der System-Intention Kants und der Logik der Schrift übereinstimmt, jedoch nicht überall mit ihrem Inhalt: »Bei Friedrich Nicolovius in K ö n i g s b e r g ist erschienen: Immanuel Kant, d e r S t r e i t d e r F a k u l t ä t e n. In 3 Abschnitten. gr. 8. Auf Holländisch Papier 1 Rthlr. 8. Gr. Auf Druck Pa-

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Piero Giordanetti

pier 16. Gr. Vo r r e d e. GeschichtsErzählung der Ursachen von der bisherigen Unterdrückung dieser Schrift. Reskript des Ministers Wöllner an den Verfasser im Jahr 1794 wegen seiner Schrift ›Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft‹. Antwort des Verfassers auf dieses Reskript. E i n l e i t u n g. Beurtheilung der Fakultäten überhaupt. Verhältnisse der Fakultäten. E r s t e r A b s c h n i t t. Streit der p h i l o s o p h i s c h e n Fakultät mit der t h e o l o g i s c h e n . Philosophische Grundsätze der SchriftAuslegung zur Beilegung des Streits. Z w e i t e r A b s c h n i t t . Streit der p h i l o s o p h i s c h e n Fakultät mit der j u r i s t i s c h e n . Erneuerte Frage, ob das menschliche Geschlecht in beständigen Fortschritten zum Besseren sei? D r i t t e r A b s c h n i t t . Der Streit der p h i l o s o p h i s c h e n Fakultät mit der m e d i c i n i s c h e n . Von der Macht des Gemüths, durch den bloßen Vorsatz, seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein.« Worin liegt der Grund für die verwirrende äußere Gliederung der Schrift, die mit der sachlich gebotenen nicht übereinstimmt? Ist sie durch ein Mißverständis oder ein Versehen beim Druck, also vom Verleger, oder durch Kant selber verursacht worden? Genauere Recherchen zur Klärung dieser Frage haben ergeben, daß Nicolovius in der Tat die ihm von Kant mitgeteilten Anweisungen zur Anordnung der einzelnen Teile der Schrift nur unzulänglich verstanden und daher nicht ganz korrekt ausgeführt hat (vgl. besonders: Reinhard Brandt, Zum Streit der Fakultäten, in: Kant-Forschungen, Band 1, Hamburg 1987). Dies spräche dafür, die Anordnung der Textabschnitte des Erstdrucks als verderbt einzustufen und sie in dieser Edition nach Maßgabe der sachlich gebotenen Struktur zu revidieren. Dagegen spricht allerdings, daß Kant selbst sich in der Erstausgabe der vorliegenden Schrift ausdrücklich dazu bekannte, daß es sich hier um die bloße Zusammenfügung zunächst separat niedergeschriebener Texte handelt. Am Ende der »Vorrede« heißt es: »Unter dem

INHALT

Einleitung. Von Piero Giordanetti . . . . . . . . . . . . . . . . I. II. III. IV.

VII

Zur Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Zur Drucklegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XX Aufbau und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI Editorische Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLIII

Zu dieser Ausgabe. Von Horst D. Brandt . . . . . . . . . .

XLVI

IMMANUEL KANT Der Streit der Fakultäten in drei Abschnitten Vorrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Erster Abschnitt Der Streit der philosophischen Fakultät mit der theologischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

Zweiter Abschnitt Der Streit der philosophischen Fakultät mit der juristischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dritter Abschnitt Der Streit der philosophischen Fakultät mit der medizinischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109

Einleitung

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allgemeinen Titel „Der Streit der Facultäten“ erscheinen hier drei, in verschiedener Absicht, auch zu verschiedenen Zeiten, von mir abgefaßte, gleichwohl aber doch zur systematischen Einheit ihrer Verbindung in einem Werk geeignete Abhandlungen, von denen ich nur späterhin inne ward, daß sie, als der Streit der u n t e r e n mit den drei o b e r e n (um der Zerstreuung vorzubeugen), schicklich in Einem Bande sich zusammen finden können.« Kant äußert sich zur Genese und zur Struktur seiner Schrift: Die drei Abhandlungen, aus welchen das Buch besteht, wurden zunächst sowohl »in verschiedener Absicht« als auch »zu verschiedenen Zeiten« abgefaßt. Die dann vorgenommene Montage zu einem Buch liegt nach Kant darin begründet, daß alle drei Teile den Streit der unteren, der philosophischen, mit den drei oberen Fakultäten, nämlich Theologie, Jurisprudenz und Medizin, behandeln. Kant scheint sich bewußt zu sein, daß die äußere Gliederung der Schrift dem Leser Probleme bereiten kann und erklärt, um „der Zerstreuung vorzubeugen“, daß die drei Teile genauso gedruckt werden, wie sie ursprünglich konzipiert wurden. Das ist wahrscheinlich der Grund, aus welchem die äußere Gliederung des Erstdrucks von 1798 mit der sachlich geforderten nicht übereinstimmt. In der vorliegenden Edition wird daher, trotz des oben beschriebenen Sachverhalts, die Anordnung der Teilabschnitte der Schrift nach den Vorgaben des Erstdrucks beibehalten. Für wertvolle Hinweise und Diskussionen bin ich Davide Bigalli, Elio Franzini, Giambattista Gori, Giorgio Lanaro, Renato Pettoello (alle Milano) und Riccardo Pozzo (Verona) dankbar. Für seine Hilfe bei der Klärung editorischer Probleme danke ich Werner Stark (Marburg). Milano, im August 2004

Piero Giordanetti

ZU DIESER AUSGABE

Von der Schrift Der Streit der Fakultäten wurde nach Auskunft von Werner Stark (Marburg) bislang weder eine Handschrift Kants, noch eine andere Druckvorlage aufgefunden. Der Wiedergabe des Textes liegt daher die Originalausgabe von 1798 (A) zugrunde. Zur Konstitution des Textes wurde ein Exemplar der Universitätsbibliothek Augsburg (Sign. 221/CF 5004 S915) herangezogen. Orthographie und Interpunktion wurden zwar behutsam den heutigen Normen angeglichen, halten sich aber grundsätzlich strikt an das Kantische Original. Der Lautstand wird bewahrt, Schreibungen des Originals (z. B. bei der Pluralbildung, bei der Getrennt- oder Zusammenschreibung oder bei der Groß- und Kleinschreibung) werden in der Regel auch dort beibehalten, wo der Gebrauch bei Kant schwankend ist. Stillschweigend angepaßt werden lediglich veraltete Schreibungen, deren Beibehaltung keinen Sinn ergäbe (z. B. »tun« statt »thun«), und offensichtliche Fehler (z. B. in der Groß- bzw. Kleinschreibung nach dem Doppelpunkt). Gleiches gilt für die Bewahrung der Interpunktion des Originals, die neben den syntaktisch gebotenen Zeichen auch eine zusätzliche, den Argumentationsgang pointierende Verwendung von Kommata und Semikola aufweist, die den Duktus der Kantischen Gedankenführung plastisch hervortreten läßt; in die Interpunktion des Originals wird daher nur dort eingegriffen, wo sie offensichtlich fehlerhaft ist. Hervorhebungen im Original werden einheitlich durch Sperrung wiedergegeben. Korrekturen am Text, die von früheren Herausgebern (insbesondere der Akademie-Ausgabe) und den Herausgebern dieser Ausgabe vorgenommen wurden, werden jeweils unter der Seite durch Angabe der korrigierten Passage und

Zu dieser Ausgabe

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des ursprünglichen Wortlauts in der Originalausgabe (A) angezeigt. Auf eine Sachanmerkung des Herausgebers wird seitlich der Textkolumne mit einem Asterisk * hingewiesen. Am Außenrand sind die Paginierungen der Originalausgabe und in eckigen Klammern die der Akademie-Ausgabe (Bd. VII) des Streits wiedergegeben. Der jeweilige Seitenumbruch ist dabei mit einem geschlossenen Trennstrich | für die Originalausgabe, einem unterbrochenen Trennstrich ¦ für die AkademieAusgabe gekennzeichnet. Hamburg, im August 2004

Horst D. Brandt

IMMANUEL KANT Der Streit der Fakultäten

Der Streit der Fakultäten in drei Abschnitten von Immanuel Kant. Königsberg, bei Friedrich Nicolovius. 1798.

III [3]

¦ | dem herrn carl friedrich stäudlin doktor und professor in göttingen zugeeignet von dem verfasser

*

5

¦ | VORREDE

* Gegenwärtige Blätter, denen eine aufgeklärte, den menschlichen Geist seiner Fesseln entschlagende, und, eben durch diese Freiheit im Denken, desto bereitwilligern Gehorsam * zu bewirken geeignete Regierung jetzt den Ausflug verstat5 tet, mögen auch zugleich die Freiheit verantworten, die der Verfasser sich nimmt, von dem, was bei ¦ diesem Wechsel der Dinge ihn selbst angeht, eine kurze Geschichtserzählung voran zu schicken. K ö n i g F r i e d r i c h Wi l h e l m I I . , ein tapferer, redli* cher, menschenliebender, und – von gewissen Temperamentseigenschaften abgesehen – durchaus vortrefflicher Herr, der auch mich persönlich kannte, und von Zeit zu Zeit Äußerungen seiner Gnade an mich gelangen ließ, hatte auf * Anregung eines Geistlichen, nachmals zum Minister im geistlichen Departement erhobenen Mannes, dem man billigerweise auch keine andere, als auf seine innere Überzeugung sich gründende gut gemeinte Absichten unterzulegen Ursache hat, im Jahr 1788 ein R e l i g i o n s e d i k t , bald nach20 her ein die Schriftstellerei überhaupt sehr einschränkendes, mithin auch jenes ¦ mit schärfendes Zensuredikt ergehen lassen. Man kann nicht in Abrede ziehen, daß gewisse Vorzeichen, die der Explosion, welche nachher erfolgte, vorhergingen, der Regierung die Notwendigkeit einer Reform in 25 jenem Fache anrätig machen mußten, welches auf dem stillen Wege des akademischen Unterrichts künftiger öffentlicher Volkslehrer zu erreichen war: denn diese hatten, als junge Geistliche, ihren Kanzelvortrag auf solchen Ton gestimmt, daß, wer Scherz versteht, sich durch s o l c h e Lehrer 30 eben nicht wird bekehren lassen. Indessen daß nun das Religionsedikt auf einheimische sowohl als auswärtige Schriftsteller lebhaften Einfluß hatte,

V [5]

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VIII [6]

IX

Vorrede

kam auch meine Abhandlung unter dem Titel »Religion innerhalb ¦ der Grenzen der bloßen | Vernunft« heraus,1 * und, da ich, um keiner Schleichwege beschuldigt zu werden, allen meinen Schriften meinen Namen vorsetze, so erging an mich im Jahr 1794 folgendes Königl. Reskript; von welchem 5 es merkwürdig ist, daß es, da ich nur meinem vertrautesten Freunde die Existenz desselben be ¦ kannt machte, es auch * nicht eher als jetzt öffentlich bekannt wurde. Vo n G o t t e s G n a d e n F r i e d r i c h Wi l h e l m , König von Preußen etc. etc.

X

10

Unsern gnädigen Gruß zuvor. Würdiger und Hochgelahrter, lieber Getreuer! Unsere höchste Person hat schon seit geraumer Zeit mit großem Mißfallen ersehen: wie Ihr Eure Philosophie zu Entstellung und Herabwürdigung mancher Haupt- und Grundlehren der heiligen Schrift und des Chri- 15 stentums mißbraucht; wie Ihr dieses namentlich in Eurem Buch: »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Ver- ¦ nunft«, desgleichen in anderen kleineren Abhandlungen ge- * tan habt. Wir haben Uns zu Euch eines Besseren versehen; da Ihr selbst einsehen müsset, wie unverantwortlich Ihr da- 20 durch gegen Eure Pflicht, als Lehrer der Jugend, und gegen Unsere, Euch sehr wohl bekannte, landesväterliche Absichten handelt. Wir verlangen des ehsten Eure gewissenhafteste Verantwortung, und gewärtigen Uns von Euch, bei Vermeidung Unserer höchsten Ungnade, daß Ihr Euch künftighin 25

1

Diese Betitelung war absichtlich so gestellt; damit man jene Abhandlung nicht dahin deutete: als sollte sie die Religion a u s bloßer Vernunft (ohne Offenbarung) bedeuten. Denn das wäre zu viel Anmaßung gewesen; weil es doch sein konnte, daß die Lehren derselben von übernatürlich inspirierten Männern herrührten; sondern 30 daß ich nur dasjenige, was im Text der für geoffenbart geglaubten Religion, der Bibel, a u c h d u r c h b l o ß e Ve r n u n f t erkannt werden kann, hier in einem Zusammenhange vorstellig machen wollte.

Vorrede

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7

nichts dergleichen werdet zu Schulden kommen lassen, sondern vielmehr, Eurer Pflicht gemäß, Euer Ansehen und Eure Talente dazu anwenden, daß Unsere landesväterliche Intention je mehr und mehr erreicht werde; widrigenfalls Ihr Euch, bei fortgesetzter Renitenz, unfehl ¦ bar unangenehmer Verfügungen zu gewärtigen habt. Sind Euch mit Gnade gewogen.

XI

Berlin, den 1. Oktober 1794. 10

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Auf Seiner Königl. Majestät allergnädigsten Spezialbefehl. W ö l l n e r. | ab extra – Dem würdigen und hochgelahrten Unserem Professor auch lieben getreuen Kant zu Königsberg in Preußen. praesentat. d. 12. Okt. 1794.

*

¦ Worauf meiner Seits folgende alleruntertänigste Antwort abgestattet wurde.

20

Allergnädigster etc. etc. Ew. Königl. Maj. allerhöchster, den 1sten Oktober c. an mich ergangener und den 12ten eiusd. mir gewordener Befehl legt es mir zur devotesten Pflicht auf: E r s t l i c h »wegen des Mißbrauchs meiner Philosophie, in Entstellung und Herabwürdigung mancher Haupt- und Grundlehren der heil. Schrift und des Christentums, namentlich in meinem Buch: »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft«, desgleichen in anderen kleineren Abhandlungen und der hiedurch auf mich fallenden Schuld der Übertretung meiner Pflicht, als Lehrer der Ju ¦ gend, und gegen die höchste, mir sehr wohl bekannte landesväterliche Absichten, eine gewissenhafte Verantwortung beizubringen«. Z w e i t e n s auch, »nichts dergleichen künftighin mir zu Schulden kommen zu lassen«. – In Ansehung beider Stücke ermangle nicht

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XVI

Vorrede

den Beweis meines alleruntertänigsten Gehorsams Ew. Königl. Maj. in folgender Erklärung zu Füßen zu legen: Was das E r s t e , nämlich die gegen mich erhobene Anklage betrifft, so ist meine gewissenhafte Verantwortung folgende: 5 Daß ich als L e h r e r d e r J u g e n d , d. i., wie ich es verstehe, in akademischen Vorlesungen, niemals Beurteilung der heil. Schrift und des Christentums eingemischt habe, noch habe ein ¦ mischen können, würden schon die von mir zum Grunde gelegte Handbücher B a u m g a r t e n s , als wel- * che allein einige Beziehung auf einen solchen Vortrag haben dürften, beweisen; weil in diesen nicht einmal ein Titel von Bibel und Christentum enthalten ist, und als bloßer Philosophie auch nicht enthalten sein kann; der Fehler aber, über die Grenzen einer vorhabenden Wissenschaft auszuschwei- 15 fen, oder sie in einander laufen zu lassen, mir, der ich ihn jederzeit gerügt und dawider gewarnt habe, am wenigsten wird vorgeworfen werden können. Daß ich auch nicht etwa als Vo l k s l e h r e r, in Schriften, namentlich | nicht im Buche »Religion innerhalb der Gren- 20 zen, u. s. w.«, mich gegen die allerhöchste, mir bekannte l a n¦ d e s v ä t e r l i c h e Absichten vergangen, d. i., der öffentlichen L a n d e s r e l i g i o n Abbruch getan habe; welches schon daraus erhellet, daß jenes Buch dazu gar nicht geeignet, vielmehr für das Publikum ein unverständliches, verschlossenes * Buch, und nur eine Verhandlung zwischen Fakultätsgelehrten vorstellt, wovon das Volk keine Notiz nimmt; in Ansehung deren aber die Fakultäten selbst frei bleiben, nach ihrem besten Wissen und Gewissen öffentlich zu urteilen, und nur die eingesetzte Volkslehrer (in Schulen und auf Kan- 30 zeln) an dasjenige Resultat jener Verhandlungen, was die Landesherrschaft zum öffentlichen Vortrage für diese sanktioniert, gebunden werden, und zwar darum, weil die letztere sich ihren eigenen Religionsglauben auch nicht s e l b s t ¦ ausgedacht, sondern ihn nur auf demselben Wege, nämlich 35 der Prüfung und Berichtigung durch dazu sich qualifizierende Fakultäten (die theologische und philosophische), hat

Vorrede

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überkommen können, mithin die Landesherrschaft diese nicht allein zuzulassen, sondern auch von ihnen zu fordern berechtigt ist, alles, was sie einer öffentlichen Landesreligion zuträglich finden, durch ihre Schriften zur Kenntnis 5 der Regierung gelangen zu lassen. Daß ich in dem genannten Buche, weil es gar keine W ü r d i g u n g des Christentums enthält, mir auch keine A b w ü r d i g u n g desselben habe zu Schulden kommen lassen: Denn eigentlich enthält es nur die Würdigung der natürlichen Re10 ligion. Die Anführung einiger biblischer ¦ Schriftstellen, zur Bestätigung gewisser reiner Vernunftlehren der Religion, kann allein zu diesem Mißverstande Veranlassung gegeben * haben. Aber der sel. M i c h a e l i s , der in seiner philosophischen Moral eben so verfuhr, erklärte sich schon hierüber 15 dahin, daß er dadurch weder etwas Biblisches in die Philosophie hinein, noch etwas Philosophisches aus der Bibel heraus zu bringen gemeint habe, sondern nur seinen Vernunftsätzen, durch wahre oder vermeinte Einstimmung mit anderer (vielleicht Dichter und Redner) Urteile, Licht und 20 Bestätigung gäbe. – Wenn aber die Vernunft hiebei so spricht, als ob sie für sich selbst hinlänglich, die Offenbarungslehre also überflüssig wäre (welches, wenn es objektiv so verstanden werden sollte, wirklich für Abwür ¦ digung des Christentums gehalten werden müßte), so ist dieses 25 wohl nichts, als der Ausdruck der Würdigung ihrer selbst; nicht nach ihrem theoretischen Vermögen, sondern nach dem, was sie als zu tun vorschreibt, sofern aus ihr allein A l l g e m e i n h e i t , E i n h e i t und N o t w e n d i g k e i t der Glaubenslehren hervorgeht, die das Wesentliche einer Reli30 gion überhaupt ausmachen, | welches im Moralisch-Praktischen (dem, was wir tun s o l l e n ) besteht, wogegen das, was wir auf historische Beweisgründe zu glauben Ursache haben (denn hiebei gilt kein S o l l e n ), d. i., die Offenbarung, als an 17 gemeint habe] A: gemeint sei 26 ihrem theoretischen Vermögen, sondern nach] A: ihrem Vermögen nach

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Vorrede

sich zufällige Glaubenslehre, für außerwesentlich, darum aber doch nicht für unnötig und überflüssig angesehen wird; weil sie den t h e o r e t i s c h e n Mangel des reinen Vernunft- ¦ glaubens, den dieser nicht ableugnet, z. B. in den Fragen über den Ursprung des Bösen, den Übergang von diesem zum Guten, die Gewißheit des Menschen, im letzteren Zustande zu sein, u. dgl., zu ergänzen dienlich, und als Befriedigung eines Vernunftbedürfnisses dazu nach Verschiedenheit der Zeitumstände und der Personen mehr oder weniger beizutragen behülflich ist. Daß ich ferner meine große Hochachtung für die biblische Glaubenslehre im Christentum unter anderen auch durch die Erklärung, in demselben obbenannten Buche, bewiesen habe, daß die Bibel, als das beste vorhandene, zur Gründung und Erhaltung einer wahrhaftig seelenbessernden Landesreligion auf unabsehliche Zeiten taugliche, Leitmittel der öffentlichen Religionsun ¦ terweisung darin von mir angepriesen, und daher auch die Unbescheidenheit gegen die theoretische, Geheimnis enthaltende, Lehren derselben, in Schulen oder auf Kanzeln, oder in Volksschriften (denn in Fakultäten muß es erlaubt sein), Einwürfe und Zweifel dagegen zu erregen, von mir getadelt und für Unfug erklärt worden; welches aber noch nicht die größte Achtungsbezeigung für das Christentum ist. Denn die hier aufgeführte Zusammenstimmung desselben mit dem reinsten moralischen Vernunftglauben ist die beste und dauerhafteste Lobrede desselben; weil eben dadurch, nicht durch historische Gelehrsamkeit, das so oft entartete Christentum immer wieder hergestellt worden ist, und ferner bei ähnlichen Schicksalen, die auch künftig nicht ausbleiben ¦ | werden, allein wiederum hergestellt werden kann. Daß ich endlich, so wie ich anderen Glaubensbekennern jederzeit und vorzüglich gewissenhafte Aufrichtigkeit, nicht mehr davon vorzugeben und anderen als Glaubensartikel aufzudringen, als sie selbst davon gewiß sind, empfohlen, ich auch diesen Richter in mir selbst bei Abfassung meiner Schriften jederzeit als mir zur Seite stehend vorgestellt habe,

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Vorrede

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um mich von jedem, nicht allein seelenverderblichen Irrtum, sondern selbst jeder Anstoß erregenden Unbehutsamkeit im Ausdruck entfernt zu halten; weshalb ich auch jetzt in meinem 71sten Lebensjahre, wo der Gedanke leicht aufsteigt, es 5 könne wohl sein, daß ich für alles dieses in kurzem einem * Weltrichter ¦ als Herzenskündiger Rechenschaft geben müsse, die gegenwärtige, mir wegen meiner Lehre abgeforderte, Verantwortung, als mit völliger G e w i s s e n h a f t i g k e i t abgefaßt freimütig einreichen kann. Wa s d e n z w e i t e n P u n k t b e t r i f f t : mir keine derglei10 chen (angeschuldigte) Entstellung und Herabwürdigung des Christentums künftighin zu Schulden kommen zu lassen: so halte ich, um auch dem mindesten Verdachte darüber vorzubeugen, für das Sicherste, hiemit, als E w. K ö n i g l . M a j . 15 g e t r e u e s t e r U n t e r t a n 2 , ¦ feierlichst zu erklären: daß ich mich fernerhin aller öffentlichen Vorträge, die Religion betreffend, es sei die natürliche oder geoffenbarte, sowohl in Vorlesungen als in Schriften, gänzlich enthalten werde. In tiefster Devotion ersterbe ich u. s. w. Die weitere Geschichte des fortwährenden Treibens zu 20 einem sich immer mehr von der Vernunft entfernenden Glauben ist bekannt. Die Prüfung der Kandidaten zu geistlichen Ämtern ward * nun einer G l a u b e n s k o m m i s s i o n anvertraut, der ein * Schema Examinationis, nach pietistischem Zuschnitte, zum Grunde lag, welche gewissenhafte Kandidaten der Theologie zu Scharen von geistlichen Ämtern verscheuchte, ¦ und die Juristenfakultät übervölkerte; eine Art von Aus-wanderung, die zufälligerweise nebenbei auch ihren Nutzen ge30 habt haben mag. – Um einen kleinen Begriff vom Geiste dieser Kommission zu geben: so ward, nach der Forderung einer vor der Begnadigung notwendig vorhergehenden Zerknirschung, noch ein tiefer reuiger G r a m (maeror animi) 2

Auch diesen Ausdruck wählte ich vorsichtig, damit ich nicht 35 der Freiheit meines Urteils in diesem Religionsprozeß a u f i m m e r, sondern nur, solange Se. Maj. am Leben wäre, entsagte.

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erfordert, und von diesem nun gefragt: ob ihn der Mensch sich auch selbst geben könne? Quod negandum ac pernegandum, war die Antwort; der reuvolle Sünder muß sich diese Reue besonders vom Himmel erbitten. – Nun fällt ja in die Augen: daß den, welcher um R e u e (über seine Übertretung) noch bitten muß, seine Tat wirklich nicht reuet; welches eben so widersprechend aussieht, als, wenn ¦ es vom G e b e t heißt: es müsse, wenn es erhörlich sein soll, im Glauben geschehen. Denn, wenn der Beter den Glauben hat, so braucht er nicht darum zu bitten; hat er ihn aber nicht, so kann er nicht erhörlich bitten.

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Diesem Unwesen ist nunmehro gesteuret. Denn nicht allein * zum bürgerlichen Wohl des gemeinen Wesens überhaupt, dem Religion | ein höchstwichtiges Staatsbedürfnis ist, sondern besonders zum Vorteil der Wissenschaften, vermittelst 15 eines diesen zu befördern eingesetzten Oberschulkolle- * giums, hat sich neuerdings das glückliche Eräugnis zugetragen, daß die Wahl einer weisen Landesregierung einen erleuchteten Staats ¦ mann getroffen hat, welcher, nicht durch * einseitige Vorliebe für ein besonderes Fach derselben (die 20 Theologie), sondern in Hinsicht auf das ausgebreitete Interesse des ganzen Lehrstandes, zur Beförderung desselben Beruf, Talent und Willen hat, und so das Fortschreiten der Kultur im Felde der Wissenschaften wider alle neue Eingriffe der Obskuranten sichern wird. 25 Unter dem allgemeinen Titel »Der Streit der Fakultäten« erscheinen hier drei, in verschiedener Absicht, auch zu verschiedenen Zeiten, von mir abgefaßte, gleichwohl aber doch zur systematischen Einheit ihrer Verbindung in einem ¦ Werk geeignete Abhandlungen; von denen ich nur späterhin inne ward, daß sie, als der Streit der u n t e r e n mit den drei o b e r e n , (um der Zerstreuung vorzubeugen) schicklich in Einem Bande sich zusammen finden können.

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¦ | INHALT

XXVIII [13]

Erster Abschnitt Der Streit der philosophischen Fakultät mit der theologischen 5

Einleitung Einteilung der Fakultäten überhaupt I Vom Verhältnisse der Fakultäten Erster Abschnitt

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Begriff und Einteilung der oberen Fakultäten Eigentümlichkeit der theologischen Fakultät Eigentümlichkeit der Juristenfakultät Eigentümlichkeit der medizinischen Fakultät Zweiter Abschnitt Begriff und Einteilung der unteren Fakultät

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¦ Dritter Abschnitt Vom gesetzwidrigen Streit der oberen Fakultäten mit der unteren Vierter Abschnitt

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Vom gesetzmäßigen Streit der oberen Fakultäten mit der unteren Resultat

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Inhalt

II Anhang einer Erläuterung des Streits der Fakultäten durch das Beispiel desjenigen zwischen der theologischen und philosophischen

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XXX

I. Materie des Streits II. Philosophische Grundsätze der Schriftauslegung zur Beilegung des Streits | III. Einwürfe und Beantwortung derselben, die Grund sätze der Schriftauslegung betreffend Allgemeine Anmerkung. Von Religionssekten Friedens-Abschluß und Beilegung des Streits der Fakultäten Anhang biblisch-historischer Fragen, über die praktische Benutzung und mutmaßliche Zeit der Fortdauer dieses heiligen Buchs Anhang von einer reinen Mystik in der Religion

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¦ Zweiter Abschnitt Der Streit der philosophischen Fakultät mit der juristischen Erneuerte Frage: Ob das menschliche Geschlecht im beständigen Fortschreiten zum Besseren sei Beschluß

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Dritter Abschnitt Der Streit der philosophischen Fakultät mit der medizinischen Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein. – Ein Antwortschreiben an Hrn. Hofr. und Prof. Hufeland Grundsätze der Diätetik Beschluß Nachschrift

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¦ | ERSTER ABSCHNITT

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Der Streit der philosophischen Fakultät mit der theologischen

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Es war kein übeler Einfall desjenigen, der zuerst den Gedanken faßte, und ihn zur öffentlichen Ausführung vorschlug, den ganzen Inbegriff der Gelehrsamkeit (eigentlich die derselben gewidmeten Köpfe) gleichsam f a b r i k e n m ä ß i g , durch Verteilung der Arbeiten, zu behandeln, wo, so viel es Fächer der Wissenschaften gibt, so viel öffentliche Lehrer, P r o f e s s o r e n , als Depositeure derselben, angestellt würden, die zusammen eine Art von gelehrtem gemeinen Wesen, U n i v e r s i t ä t (auch hohe Schule) genannt, ausmachten, die ihre Autonomie hätte (denn über Gelehrte, als solche, können nur Gelehrte urteilen); die daher vermittelst ihrer F a k u l t ä t e n 3 (kleiner, nach Ver ¦ schiedenheit der Hauptfächer der Gelehrsamkeit, in welche sich die Universitätsgelehrte teilen, verschiedener Gesellschaften) teils die aus niedern Schulen zu ihr aufstrebende Lehrlinge aufzunehmen, teils auch freie (keine Glieder derselben ausmachende) Lehrer, D o k t o r e n genannt, nach vorhergehender Prüfung, aus eigner Macht, mit einem von jedermann

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Deren jede ihren D e k a n als Regenten der Fakultät hat. Dieser aus der Astrologie entlehnte Titel, der ¦ ursprünglich einen der 3 4 25 Astralgeister bedeutete, welche einem Zeichen des Tierkreises (von 30°) vorstehen, deren jeder 10 Grade anführt, ist von den Gestirnen zuerst auf die Feldläger (ab astris ad castra. vid. Salmasius de annis * climacteriis pag. 561) und zuletzt gar auf die Universitäten gezogen worden; ohne doch hiebei eben auf die Zahl 10 (der Professoren) zu 30 sehen. Man wird es den Gelehrten nicht verdenken, daß sie, von denen fast alle Ehrentitel, mit denen sich jetzt Staatsleute ausschmükken, zuerst ausgedacht sind, sich selbst nicht vergessen haben.

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anerkannten Rang zu versehen (ihnen einen Grad zu erteilen), d. i. sie zu k r e i e r e n , berechtigt wäre. | Außer diesen z ü n f t i g e n kann es noch z u n f t f r e i e Gelehrte geben, die nicht zur U n i v e r s i t ä t gehören, sondern, indem sie bloß einen Teil des großen Inbegriffs der Gelehrsamkeit bearbeiten, ent ¦ weder gewisse freie Korporationen ( A k a d e m i e n , auch S o z i e t ä t e n der Wi s s e n s c h a f t e n genannt) als so viel Werkstätten ausmachen, oder gleichsam im Naturzustande der Gelehrsamkeit leben und jeder für sich, ohne öffentliche Vorschrift und Regel, sich mit Erweiterung oder Verbreitung derselben als L i e b h a b e r beschäftigen. Von den eigentlichen Gelehrten sind noch die L i t e r a t e n (Studierte) zu unterscheiden, die, als Instrumente der Regierung, von dieser zu ihrem eigenen Zweck (nicht eben zum Besten der Wissenschaften) mit einem Amte bekleidet, zwar auf der Universität ihre Schule gemacht haben müssen, allenfalls aber vieles davon (was die Theorie betrifft) auch können vergessen haben, wenn sie nur so viel, als zu Führung eines bürgerlichen Amts, das, seinen Grundlehren nach, nur von Gelehrten ausgehen kann, erforderlich ist, nämlich empirische Kenntnis der Statuten ihres Amts (was also die Praxis angeht) übrig behalten haben; die man also G e s c h ä f t s l e u t e oder Werkkundige der Gelehrsamkeit nennen kann. Diese, weil sie als Werkzeuge der Regierung (Geistliche, Justizbeamte und Ärzte) aufs Publikum gesetzlichen ¦ Einfluß haben, und eine besondere Klasse von Literaten ausmachen, die nicht frei sind, aus eigener Weisheit, sondern nur unter der Zensur der Fakultäten, von der Gelehrsamkeit öffentlichen Gebrauch zu machen, müssen, weil sie sich unmittelbar ans Volk wenden, welches aus Idioten besteht (wie etwa der Klerus an die Laien), in ihrem Fache aber zwar nicht die gesetzgebende doch zum Teil 11 Verbreitung] A: Verbreitrung 19 sie] A: ihnen 32 Laien] A: Laiker

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Einteilung der Fakultäten überhaupt

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die ausübende Gewalt haben, von der Regierung sehr in Ordnung gehalten werden, damit sie sich nicht über die richtende, welche den Fakultäten zukommt, [hin]-wegsetzen. 5

Einteilung der Fakultäten überhaupt

* Nach dem eingeführten Gebrauch werden sie in zwei Klassen, die der d r e i o b e r n F a k u l t ä t e n und die einer u n t e r n eingeteilt. Man sieht wohl, daß bei dieser Einteilung und Benennung nicht der Gelehrtenstand, sondern die Re10 gierung befragt worden ist. Denn zu den obern werden nur diejenigen gezählt, [bei] deren Lehren es die Regierung selbst interessiert, ob sie so oder anders beschaffen sein, oder öffentlich vorgetragen werden sollen, dahingegen diejenige, ¦ welche nur das Interesse der | Wissenschaft zu be15 sorgen hat, die untere genannt wird, weil diese es mit ihren Sätzen halten mag, wie sie es gut findet. Die Regierung aber interessiert das am allermeisten, wodurch sie sich den stärksten und daurendsten Einfluß aufs Volk verschafft, und dergleichen sind die Gegenstände der oberen Fakultäten. 20 Daher behält sie sich das Recht vor, die Lehren der oberen selbst zu s a n k t i o n i e r e n ; die der untern überläßt sie der eigenen Vernunft des gelehrten Volks. – Wenn sie aber gleich Lehren sanktioniert, so l e h r t sie (die Regierung) doch nicht selbst; sondern will nur, daß gewisse Lehren von den 25 respektiven Fakultäten in ihren ö f f e n t l i c h e n Vo r t r a g aufgenommen und die ihnen entgegengesetzte davon ausgeschlossen werden sollen. Denn sie lehrt nicht, sondern befehligt nur die, welche lehren (mit der Wahrheit mag es bewandt sein, wie es wolle), weil sie sich bei Antretung ihres

11 [bei] deren Lehren es die Regierung selbst interessiert, ob … sollen;] A: deren Lehren, ob … sollen, es die Regierung selbst interessiert 13 dahingegen] A: da hingegen

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Amts4 durch einen Vertrag mit ¦ der Regierung dazu verstanden haben. – Eine Regierung, die sich mit den Lehren, also auch mit der Erweiterung oder Verbesserung der Wissenschaften befaßte, mithin selbst, in höchster Person, den Gelehrten spielen wollte, würde sich durch diese Pedanterie nur um die ihr schuldige Achtung bringen, und es ist unter ihrer Würde, sich mit dem Volk (dem Gelehrtenstande desselben) gemein zu machen, welches keinen Scherz versteht und alle, die sich mit Wissenschaften bemengen, über einen Kamm schiert. Es muß zum gelehrten gemeinen Wesen durchaus auf der Universität noch eine Fakultät geben, die, in ¦ Ansehung ihrer Lehren vom Befehle der Regierung unabhängig,5 keine

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Man muß es gestehen, daß der Grundsatz des großbritannischen Parlaments: Die Rede ihres Königes vom Thron sei als ein Werk seines Ministers anzusehen (da es der Würde eines Monarchen 9 zuwider sein würde, ¦ sich Irrtum, Unwissenheit oder Unwahrheit vorrücken zu lassen, gleichwohl aber das Haus über ihren Inhalt zu urteilen, ihn zu prüfen und anzufechten berechtigt sein muß), daß, sage ich, dieser Grundsatz sehr fein und richtig ausgedacht sei. Eben so muß auch die Auswahl gewisser Lehren, welche die Regierung zum öffentlichen Vortrage ausschließlich sanktioniert, der Prüfung der Gelehrten ausgesetzt bleiben, weil sie nicht als das Produkt des Monarchen, sondern eines dazu befehligten Staatsbeamten, von dem man annimmt, er könne auch wohl den Willen seines Herrn nicht recht verstanden oder auch verdreht haben, angesehen werden müsse. 5 Ein französischer Minister berief einige der angesehenste Kaufleute zu sich und verlangte von ihnen Vorschläge, wie dem Handel aufzuhelfen sei: gleich als ob er darunter die beste zu wählen verstände. Nachdem einer dies, der andere das, in Vorschlag gebracht hatte, [20] sagte ein alter Kaufmann, der so lange geschwiegen | hatte: Schafft gute Wege, schlagt gut Geld, gebt ein promptes Wechselrecht u. d. gl., übrigens aber »laßt uns machen«. Dies wäre ungefähr die Antwort, welche die philosophische Fakultät zu geben hätte, wenn die Regierung sie um die Lehren befrüge, die sie den Gelehrten überhaupt vorzuschreiben habe: den Fortschritt der Einsichten und Wissenschaften nur nicht zu hindern. 34 Fakultät zu geben hätte, wenn] A: Fakultät, wenn

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Befehle zu geben, aber doch alle | zu beurteilen, die Freiheit habe, die mit dem wissenschaftlichen Interesse, d. i. mit dem der Wahrheit, zu tun hat, wo die Vernunft öffentlich zu sprechen berechtigt sein muß; weil ohne eine solche die Wahrheit (zum Schaden der Regierung selbst) nicht an den Tag kommen würde, die Vernunft aber ihrer Natur nach frei ist, und keine Befehle, etwas für wahr zu halten (kein crede sondern nur ein freies credo), annimmt. – Daß aber eine solche Fakultät, unerachtet dieses großen ¦ Vorzugs (der Freiheit) dennoch die untere genannt wird, davon ist die Ursache in der Natur des Menschen anzutreffen: daß nämlich der, welcher befehlen kann, ob er gleich ein demütiger Diener eines andern ist, sich doch vornehmer dünkt, als ein anderer, der zwar frei ist, aber niemanden zu befehlen hat.

¦ | I. Vom Verhältnisse der Fakultäten

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erster abschnitt Begriff und Einteilung der oberen Fakultäten

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Man kann annehmen, daß alle künstliche Einrichtungen, welche eine Vernunftidee (wie die von einer Regierung ist) zum Grunde haben, die sich an einem Gegenstande der Erfahrung (dergleichen das ganze gegenwärtige Feld der Gelehrsamkeit) praktisch beweisen soll, nicht durch bloß zufällige Aufsammlung und willkürliche Zusammenstellung vorkommender Fälle, sondern nach irgend einem in der Vernunft, wenn gleich nur dunkel, liegenden Prinzip und darauf gegründetem Plan versucht worden sind, der eine gewisse Art der Einteilung notwendig macht. Aus diesem Grunde kann man annehmen, daß die Organisation einer Universität in Ansehung ihrer Klassen und Fakultäten nicht so ganz vom Zufall abgehan ¦ gen habe, sondern daß die Regierung, ohne deshalb eben ihr frühe Weisheit und Gelehrsamkeit anzudichten, schon durch ihr eignes gefühltes

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Bedürfnis (vermittelst gewisser Lehren aufs Volk zu wirken) a priori auf ein Prinzip der Einteilung, was sonst empirischen Ursprungs zu sein scheint, habe kommen können, das mit dem jetzt angenommenen glücklich zusammentrifft; wiewohl ich ihr darum, als ob sie fehlerfrei sei, nicht das Wort reden will. Nach der Vernunft (d. h. objektiv) würden die Triebfedern, welche die Regierung zu ihrem Zweck (auf das Volk Einfluß zu haben) benutzen kann, in folgender Ordnung stehen: zuerst eines jeden ewiges Wohl, dann das b ü r g e r l i c h e als Glied der Gesellschaft, endlich das L e i b e s w o h l (lange leben und gesund sein). Durch die öffentlichen Lehren in Ansehung des e r s t e n kann die Regierung selbst auf das Innere der Ge | danken und die verschlossensten Willensmeinungen der Untertanen, jene zu entdecken, diese zu lenken, den größten Einfluß haben; durch die, so sich aufs z w e i t e beziehen, ihr äußeres Verhalten unter dem Zügel öffentlicher Gesetze halten; durch die d r i t t e sich die Existenz eines starken und zahlreichen Volks ¦ sichern, welches sie zu ihren Absichten brauchbar findet. – – Nach der Ve r n u n f t würde also wohl die gewöhnlich angenommene Rangordnung unter den oberen Fakultäten Statt finden; nämlich zuerst die t h e o l o g i s c h e , darauf die der J u r i s t e n und zuletzt die m e d i z i n i s c h e F a k u l t ä t . Nach dem N a t u r i n s t i n k t hingegen würde dem Menschen der Arzt der wichtigste Mann sein, weil dieser ihm sein L e b e n fristet, darauf allererst der Rechtserfahrne, der ihm das zufällige S e i n e zu erhalten verspricht, und nur zuletzt (fast nur wenn es zum Sterben kommt), ob es zwar um die Seligkeit zu tun ist, der Geistliche gesucht werden; weil auch dieser selbst, so sehr er auch die Glückseligkeit der künftigen Welt preiset, doch, da er nichts von ihr vor sich sieht, sehnlich wünscht, von dem Arzt in diesem Jammertal immer noch einige Zeit erhalten zu werden. Alle drei obere Fakultäten gründen die ihnen von der Regierung anvertraute Lehren auf S c h r i f t , welches im Zustande eines durch Gelehrsamkeit geleiteten Volks auch

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nicht anders sein kann, weil ohne ¦ diese es keine beständige, für jedermann zugängliche Norm, darnach es sich richten könnte, geben würde. Daß eine solche Schrift (oder Buch) S t a t u t e , d. i. von der Willkür eines Obern ausgehende (für 5 sich selbst nicht aus der Vernunft entspringende) Lehren enthalten müsse, versteht sich von selbst; weil diese sonst nicht, als von der Regierung sanktioniert, schlechthin Gehorsam fordern könnte, und dieses gilt auch von dem Gesetzbuche, selbst in Ansehung derjenigen öffentlich 10 vorzutragenden Lehren, die zugleich aus der Ve r n u n f t abgeleitet werden könnten, auf deren Ansehen aber jenes keine Rücksicht nimmt, sondern den Befehl eines äußeren Gesetzgebers zum Grunde legt. – Von dem Gesetzbuch, als dem Kanon, sind diejenigen Bücher, welche als (vermeint15 lich) vollständiger Auszug des Geistes des Gesetzbuchs zum faßlichern Begriff und sichererm Gebrauch des gemeinen Wesens (der Gelehrten und Ungelehrten) von den Fakul* täten abgefaßt werden, wie etwa die s y m b o l i s c h e n B ü 20 c h e r, gänzlich unterschieden. Sie können nur verlangen, als O r g a n o n , um den Zugang zu jenem zu | erleichtern, angesehen zu werden und haben gar keine Auktorität; selbst dadurch nicht, daß sich etwa die vor ¦ nehmsten Gelehrten von einem gewissen Fache darüber geeinigt haben, ein solches 25 Buch statt Norm für ihre Fakultät gelten zu lassen, wozu sie gar nicht befugt sind, sondern sie einstweilen als Lehrmethode einzuführen, die aber nach Zeitumständen veränderlich bleibt, und überhaupt auch nur das Formale des Vortrags betreffen kann, im Materialen der Gesetzgebung aber 30 schlechterdings nichts ausmacht. Daher schöpft der biblische Theolog (als zur obern Fakultät gehörig) seine Lehren nicht aus der Vernunft, sondern aus der B i b e l , der Rechtslehrer nicht aus dem Natur* recht, sondern aus dem L a n d r e c h t , der Arzneigelehrte se i 35 n e i n s P u b l i k u m g e h e n d e H e i l m e t h o d e nicht aus der Physik des menschlichen Körpers, sondern aus der M e d i z i n a l o r d n u n g . – So bald eine dieser Fakultäten etwas als aus der Vernunft Entlehntes einzumischen wagt: so verletzt

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sie die Auktorität der durch sie gebietenden Regierung und kommt ins Gehege der philosophischen, die ihr alle glänzende, von jener geborgte Federn ohne Verschonen abzieht, und mit ihr nach dem Fuß der Gleichheit und Freiheit verfährt. – Daher müssen die obern Fakultäten am meisten darauf bedacht sein, sich mit der ¦ untern ja nicht in Mißheirat einzulassen, sondern sie fein weit in ehrerbietiger Entfernung von sich abzuhalten, damit das Ansehen ihrer Statute nicht durch die freien Vernünfteleien der letzteren Abbruch leide.

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A. Eigentümlichkeit der theologischen Fakultät

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Daß ein Gott sei, beweiset der biblische Theolog daraus, daß er in der Bibel geredet hat, worin diese auch von seiner Natur (selbst bis dahin, wo die Vernunft mit der Schrift nicht Schritt halten kann, z. B. vom unerreichbaren Geheimnis seiner dreifachen Persönlichkeit) spricht. Daß aber Gott selbst durch die Bibel geredet habe, kann und darf, weil es eine Geschichtssache ist, der biblische Theolog, als ein solcher nicht beweisen; denn das gehört zur philosophischen Fakultät. Er wird es also als Glaubenssache auf ein gewisses (freilich nicht erweisliches oder erklärliches) G e f ü h l der Göttlichkeit derselben, selbst für den Gelehrten, gründen, die Frage aber wegen dieser Göttlichkeit (im buchstäblichen Sinne genommen) des Ursprungs derselben im öffentlichen Vortrage ans Volk gar nicht auf | werfen müssen; weil dieses sich darauf als ¦ eine Sache der Gelehrsamkeit doch gar nicht versteht und hiedurch nur in vorwitzige Grübeleien und Zweifel verwickelt werden würde; da man hingegen hierin weit sicherer auf das Zutrauen rechnen kann, was das Volk in seine Lehrer setzt. – Den Sprüchen der Schrift einen mit dem Ausdruck nicht genau zusammentreffenden, sondern etwa moralischen Sinn unterzulegen, kann er auch nicht befugt sein, und, da es keinen von Gott autorisierten menschlichen Schriftausleger gibt, muß der

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biblische Theolog eher auf übernatürliche Eröffnung des Verständnisses durch einen in alle Wahrheit leitenden Geist rechnen, als zugeben, daß die Vernunft sich darin menge und ihre (aller höheren Autorität ermangelnde) Auslegung geltend mache. – Endlich was die Vollziehung der göttlichen Gebote an unserem Willen betrifft, so muß der biblische Theolog ja nicht auf die Natur, d. i. das eigne moralische Vermögen des Menschen (die Tugend), sondern auf die Gnade (eine übernatürliche, dennoch zugleich moralische Einwirkung) rechnen, deren aber der Mensch auch nicht anders, als vermittelst eines inniglich das Herz umwandelnden Glaubens teilhaftig werden, diesen Glauben selbst aber doch wiederum von der Gnade ¦ erwarten kann. – Bemengt der biblische Theolog sich in Ansehung irgend eines dieser Sätze mit der Vernunft, gesetzt, daß diese auch mit der größten Aufrichtigkeit und dem größten Ernst auf dasselbe Ziel hinstrebete, so überspringt er (wie der Bruder des Romulus) die Mauer des allein seligmachenden Kirchenglaubens, und verläuft sich in das offene freie Feld der eigenen Beurteilung und Philosophie, wo er, der geistlichen Regierung entlaufen, allen Gefahren der Anarchie ausgesetzt ist. – Man muß aber wohl merken, daß ich hier vom r e i n e n (purus, putus) biblischen Theologen rede, der von dem verschrienen Freiheitsgeist der Vernunft und Philosophie noch nicht angesteckt ist. Denn, so bald wir zwei Geschäfte von verschiedener Art vermengen und in einander laufen lassen, können wir uns von der Eigentümlichkeit jedes einzelnen derselben keinen bestimmten Begriff machen.

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B. Eigentümlichkeit der juristischen Fakultät 30

Der schriftgelehrte J u r i s t sucht die Gesetze der Sicherung des M e i n und D e i n (wenn er, wie er ¦ soll, als Beamter der Regierung verfährt) nicht in seiner Vernunft, sondern im öffentlich gegebenen und höchsten | Orts sanktionierten Gesetzbuch. Den Beweis der Wahrheit und Rechtmäßigkeit

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derselben, ingleichen die Verteidigung wider die dagegen gemachte Einwendung der Vernunft, kann man billigerweise von ihm nicht fordern. Denn die Verordnungen machen allererst, daß etwas recht ist, und nun nachzufragen, ob auch die Verordnungen selbst recht sein mögen, muß von den Ju- 5 risten als ungereimt gerade zu abgewiesen werden. Es wäre lächerlich, sich dem Gehorsam gegen einen äußern und obersten Willen, darum, weil dieser, angeblich, nicht mit der Vernunft übereinstimmt, entziehen zu wollen. Denn darin besteht eben das Ansehen der Regierung, daß sie den Unter- 10 tanen nicht die Freiheit läßt, nach ihren eigenen Begriffen, sondern nach Vorschrift der gesetzgebenden Gewalt über Recht und Unrecht zu urteilen. In einem Stücke aber ist es mit der Juristenfakultät für die Praxis doch besser bestellt, als mit der theologischen; daß 15 nämlich jene einen sichtbaren Ausleger der Gesetze hat, nämlich entweder an einem Richter, oder, in der Appellation von ihm, an einer ¦ Gesetzkommission und (in der höchsten) am Gesetzgeber selbst, welches, in Ansehung der auszulegenden Sprüche eines heiligen Buchs, der theologischen Fa- 20 kultät nicht so gut wird. Doch wird dieser Vorzug andererseits durch einen nicht geringeren Nachteil aufgewogen, nämlich, daß die weltlichen Gesetzbücher der Veränderung unterworfen bleiben müssen, nachdem die Erfahrung mehr oder bessere Einsichten gewährt, dahingegen das heilige 25 Buch keine Veränderung (Verminderung oder Vermehrung) statuiert, und für immer geschlossen zu sein behauptet. Auch findet die Klage der Juristen, daß es beinah vergeblich sei, eine genau bestimmte Norm der Rechtspflege (ius cer- * tum) zu hoffen, beim biblischen Theologen nicht statt. 30 Denn dieser läßt sich den Anspruch nicht nehmen, daß seine Dogmatik nicht eine solche klare und auf alle Fälle bestimmte Norm enthalte. Wenn überdem die juristischen Praktiker (Advokaten oder Justizkommissarien), die dem Klienten schlecht geraten und ihn dadurch in Schaden ver- 35 setzt haben, darüber doch nicht verantwortlich sein wollen (ob consilium nemo tenetur), so nehmen es doch die theolo-

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gischen Geschäftsmänner (Prediger und Seelsorger) ohne Be ¦ denken auf sich und stehen dafür, nämlich dem Tone nach, daß alles so auch in der künftigen Welt werde abgeurteilt werden, als sie es in dieser abgeschlossen haben; obgleich, wenn sie aufgefordert würden, sich förmlich zu erklären, ob sie für die Wahrheit alles dessen, was sie auf biblische Autorität geglaubet wissen wollen, mit ihrer Seele Gewähr zu leisten sich ge | traueten, sie wahrscheinlicher Weise sich entschuldigen würden. Gleichwohl liegt es doch in der Natur der Grundsätze dieser Volkslehrer, die Richtigkeit ihrer Versicherung keinesweges bezweifeln zu lassen, welches sie freilich um desto sicherer tun können, weil sie in diesem Leben keine Widerlegung derselben durch Erfahrung befürchten dürfen.

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C. Eigentümlichkeit der medizinischen Fakultät Der Arzt ist ein Künstler, der doch, weil seine Kunst von der Natur unmittelbar entlehnt und um deswillen von einer Wissenschaft der Natur abgeleitet werden muß, als Gelehrter irgend einer Fakultät untergeordnet ist, bei der er seine Schule gemacht haben und deren Beurteilung er unterworfen bleiben muß. – Weil aber die Regierung an der Art, wie ¦ er die Gesundheit des Volks behandelt, notwendig großes Interesse nimmt: so ist sie berechtigt, durch eine Versammlung ausgewählter Geschäftsleute dieser Fakultät (praktischer Ärzte) über das öffentliche Verfahren der Ärzte durch ein O b e r s a n i t ä t s k o l l e g i u m und Medizinalverordnungen Aufsicht zu haben. Die letzteren aber bestehen, wegen der besondern Beschaffenheit dieser Fakultät, daß sie nämlich ihre Verhaltungsregeln nicht, wie die vorigen zwei obern, von Befehlen eines Oberen, sondern aus der Natur der Dinge selbst hernehmen muß – weshalb ihre Lehren auch ursprünglich der philosophischen Fakultät, im weitesten Verstande genommen, angehören müßten –, nicht so wohl in dem, was die Ärzte tun, als was sie unterlassen sol-

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len: nämlich e r s t l i c h , daß es fürs Publikum überhaupt Ärzte, z w e i t e n s , daß es keine Afterärzte gebe (kein ius impune occidendi, nach dem Grundsatz: fiat experimentum in corpore vili). Da nun die Regierung nach dem ersten Prinzip für die ö f f e n t l i c h e B e q u e m l i c h k e i t , nach dem zweiten für die ö f f e n t l i c h e S i c h e r h e i t (in der Gesundheitsangelegenheit des Volks) sorgt, diese zwei Stücke aber eine P o l i z e i ausmachen, so ¦ wird alle Medizinalordnung eigentlich nur die m e d i z i n i s c h e P o l i z e i betreffen. Diese Fakultät ist also viel freier als die beiden ersten unter den obern, und der philosophischen sehr nahe verwandt; ja was die Lehren derselben betrifft, wodurch Ärzte g e b i l d e t werden, gänzlich frei, weil es für sie keine durch höchste Autorität sanktionierte, sondern nur aus der Natur geschöpfte Bücher geben kann, auch keine eigentlichen Gesetze (wenn man darunter | den unveränderlichen Willen des Gesetzgebers versteht), sondern nur Verordnungen ( E d i k t e ) , welche zu kennen nicht Gelehrsamkeit ist, als zu der ein systematischer Inbegriff von Lehren erfordert wird, den zwar die Fakultät besitzt, welchen aber (als in keinem G e s e t z b u c h enthalten) die Regierung zu sanktionieren nicht Befugnis hat, sondern jener überlassen muß, indessen sie, durch Dispensatorien und Lazarettanstalten, den Geschäftsleuten derselben ihre Praxis im öffentlichen Gebrauch nur zu befördern bedacht ist. – Diese Geschäftsmänner (die Ärzte) aber bleiben in Fällen, welche, als die medizinische Polizei betreffend, die Regierung interessieren, dem Urteile ihrer Fakultät unterworfen.

¦ zweiter abschnitt Begriff und Einteilung der untern Fakultät Man kann die untere Fakultät diejenige Klasse der Universität nennen, die oder so fern sie sich nur mit Lehren beschäftigt, welche nicht auf den Befehl eines Oberen zur Richtschnur angenommen werden. Nun kann es zwar ge-

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schehen, daß man eine praktische Lehre aus Gehorsam be* folgt, sie aber darum, weil es befohlen ist (de par le Roi), für wahr anzunehmen, ist nicht allein objektiv (als ein Urteil, das nicht sein s o l l t e ) , sondern auch subjektiv (als ein sol5 ches, welches kein Mensch fällen k a n n ) schlechterdings unmöglich. Denn der irren will, wie er sagt, irrt wirklich nicht, und nimmt das falsche Urteil nicht in der Tat für wahr an, sondern gibt nur ein Fürwahrhalten fälschlich vor, das in ihm doch nicht anzutreffen ist. – Wenn also von der Wa h r 10 h e i t gewisser Lehren, die in öffentlichen Vortrag gebracht werden sollen, die Rede ist, so kann sich der Lehrer desfalls nicht auf höchsten Befehl berufen, noch der ¦ Lehrling vorgeben, sie auf Befehl geglaubt zu haben, sondern nur, wenn vom Tu n geredet wird. Alsdenn aber muß er doch, daß ein 15 solcher Befehl wirklich ergangen, imgleichen, daß er ihm zu gehorchen verpflichtet oder wenigstens befugt sei, durch ein f r e i e s Urteil erkennen, widrigenfalls seine Annahme ein leeres Vorgeben und Lüge ist. – Nun nennt man das Vermögen, nach der Autonomie, d. i. frei (Prinzipien des Den20 kens überhaupt gemäß) zu urteilen, die Vernunft. Also wird die philosophische Fakultät, darum, weil sie für die Wa h r h e i t der Lehren, die sie aufnehmen, oder auch nur einräumen soll, stehen muß, in so fern als frei und nur unter der Gesetzgebung der Vernunft, nicht der der Regierung ste25 hend gedacht werden müssen. | Auf einer Universität muß aber auch ein solches Departement gestiftet, d. i. es muß eine philosophische Fakultät sein. In Ansehung der drei obern dient sie dazu, sie zu kontrollieren und ihnen eben dadurch nützlich zu werden, 30 weil auf Wa h r h e i t ([als] der wesentlichen und ersten Bedingung der Gelehrsamkeit überhaupt) alles ankommt, die N ü t z l i c h k e i t aber, welche die oberen Fakultäten zum Behuf der Regierung ¦ versprechen, nur ein Moment vom zweiten Range ist. – Auch kann man allenfalls der theologi30 der wesentlichen und ersten Bedingung] AA: die wesentliche und erste Bedingung

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schen Fakultät den stolzen Anspruch, daß die philosophische ihre Magd sei, einräumen (wobei doch noch immer die Frage bleibt: ob diese ihrer gnädigen Frau die F a c k e l v o r - * t r ä g t oder die S c h l e p p e n a c h t r ä g t ) ; wenn man sie nur nicht verjagt, oder ihr den Mund zubindet; denn eben diese 5 Anspruchlosigkeit, bloß frei zu sein, aber auch frei zu lassen, bloß die Wahrheit, zum Vorteil jeder Wissenschaft, auszumitteln und sie zum beliebigen Gebrauch der oberen Fakultäten hinzustellen, muß sie der Regierung selbst als unverdächtig, ja als unentbehrlich empfehlen. 10 Die philosophische Fakultät enthält nun zwei Departemente: das eine der h i s t o r i s c h e n E r k e n n t n i s (wozu Geschichte, Erdbeschreibung, gelehrte Sprachkenntnis, Humanistik mit allem gehört, was die Naturkunde von empirischem Erkenntnis darbietet), das andere der r e i n e n Ve r - 15 n u n f t e r k e n n t n i s s e (reinen Mathematik und der reinen Philosophie, Metaphysik der Natur und der Sitten) und beide Teile der Gelehrsamkeit in ihrer wechselseitigen Beziehung auf einander. Sie erstreckt sich eben darum auf alle Teile ¦ des menschlichen Wissens (mithin auch historisch 20 über die obern Fakultäten), nur daß sie nicht alle (nämlich die eigentümlichen Lehren oder Gebote der obern) zum Inhalte, sondern zum Gegenstande ihrer Prüfung und Kritik in Absicht auf den Vorteil der Wissenschaften macht. Die philosophische Fakultät kann also alle Lehren in An- 25 spruch nehmen, um ihre Wahrheit der Prüfung zu unterwerfen. Sie kann von der Regierung, ohne daß diese ihrer eigentlichen, wesentlichen Absicht zuwider handle, nicht mit einem Interdikt belegt werden, und die obern Fakultäten müssen sich ihre Einwürfe und Zweifel, die sie öffentlich 30 vorbringt, gefallen lassen, welches jene zwar allerdings lästig finden dürften, weil sie ohne solche Kritiker in ihrem, unter welchem Titel es auch sei, einmal inne habenden Besitz ungestört ruhen und dabei noch despotisch hätten befehlen können. – Nur den Geschäftsleuten jener oberen Fakultäten 35 (den Geistlichen, Rechtsbeamten und Ärzten) kann es allerdings verwehrt werden, daß sie den | ihnen in Führung ihres

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respektiven Amts von der Regierung zum Vortrage anvertrauten Lehren nicht öffentlich widersprechen, und den Philosophen zu spie ¦ len sich erkühnen; denn das kann nur den Fakultäten, nicht den von der Regierung bestellten Beamten erlaubt sein; weil diese ihr Wissen nur von jenen her haben. Die letztern nämlich, z. B. Prediger und Rechtsbeamte, wenn sie ihre Einwendungen und Zweifel gegen die geistliche oder weltliche Gesetzgebung ans Volk zu richten sich gelüsten ließen, würden es dadurch gegen die Regierung aufwiegeln; dagegen die Fakultäten sie nur gegen einander, als Gelehrte, richten, wovon das Volk praktischerweise keine Notiz nimmt, selbst wenn sie auch zu seiner Kenntnis gelangen, weil es sich selbst bescheidet, daß Vernünfteln nicht seine Sache sei, und sich daher verbunden fühlt, sich nur an dem zu halten, was ihm durch die dazu bestellte Beamte der Regierung verkündigt wird. – Diese Freiheit aber, die der untern Fakultät nicht geschmälert werden darf, hat den Erfolg, daß die obern Fakultäten (selbst besser belehrt) die Beamte immer mehr in das Gleis der Wahrheit bringen, welche dann, ihrerseits, auch über ihre Pflicht besser aufgeklärt, in der Abänderung des Vortrags keinen Anstoß finden werden; da er nur ein besseres Verständnis der Mittel zu eben demselben Zweck ist, welches, ohne ¦ polemische und nur Unruhe erregende Angriffe auf bisher bestandene Lehrweisen, mit völliger Beibehaltung des Materialen derselben gar wohl geschehen kann.

dritter abschnitt Vom gesetzwidrigen Streit der oberen Fakultäten mit der unteren 30

G e s e t z w i d r i g ist ein öffentlicher Streit der Meinungen, mithin ein gelehrter Streit, entweder der M a t e r i e wegen, wenn es gar nicht erlaubt wäre, über einen öffentlichen Satz zu s t r e i t e n , weil es gar nicht erlaubt ist, über ihn und seinen Gegensatz öffentlich zu urteilen; oder bloß der F o r m

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wegen, wenn die Art, wie er geführt wird, nicht in objektiven Gründen, die auf die Vernunft des Gegners gerichtet sind, sondern in subjektiven, sein Urteil durch N e i g u n g bestimmenden Bewegursachen besteht, um ihn durch List (wozu auch Bestechung gehört) oder Gewalt (Drohung) zur Einwilligung zu bringen. Nun wird der Streit der Fakultäten um den Einfluß aufs Volk ge | führt, und diesen Einfluß können sie ¦ nur bekommen, so fern jede derselben das Volk glauben machen kann, daß sie das Heil desselben am besten zu befördern verstehe, dabei aber doch in der Art, wie sie dieses auszurichten gedenken, einander gerade entgegengesetzt sind. Das Volk aber setzt sein Heil zu oberst nicht in der Freiheit, sondern in seinen natürlichen Zwecken, also in diesen drei Stücken: nach dem Tode s e l i g , im Leben unter andern Mitmenschen des S e i n e n durch öffentliche Gesetze gesichert, endlich des physischen Genusses des L e b e n s an sich selbst (d. i. der Gesundheit und langen Lebens) gewärtig zu sein. Die philosophische Fakultät aber, die sich auf alle diese Wünsche nur durch Vorschriften, die sie aus der Vernunft entlehnt, einlassen kann, mithin dem Prinzip der Freiheit anhänglich ist, hält sich nur an das, was der Mensch selbst hinzutun kann und soll: r e c h t s c h a f f e n zu leben, keinem U n r e c h t zu tun, sich m ä ß i g im Genusse und duldend in Krankheiten und dabei vornehmlich auf die Selbsthülfe der Natur rechnend zu verhalten; zu welchem allem es freilich nicht eben großer Gelehrsamkeit bedarf, wobei man dieser aber auch größtenteils entbehren kann, wenn ¦ man nur seine Neigungen bändigen und seiner Vernunft das Regiment anvertrauen wollte, was aber, als Selbstbemühung, dem Volk gar nicht gelegen ist. Die drei obern Fakultäten werden nun vom Volk (das in obigen Lehren für seine Neigung zu g e n i e ß e n und Abneigung, sich darum zu b e a r b e i t e n , schlechten Ersatz findet) 35 Ersatz] A: Ernst

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aufgefordert, ihrerseits Propositionen zu tun, die annehmlicher sind: und da lauten die Ansprüche an die Gelehrten wie folgt: Was ihr P h i l o s o p h e n da schwatzet, wußte ich längst von selbst; ich will aber von euch als Gelehrten wissen: wie, wenn ich auch r u c h l o s gelebt hätte, ich dennoch kurz vor dem Torschlusse mir ein Einlaßbillett ins Himmelreich verschaffen, wie, wenn ich auch U n r e c h t habe, ich doch meinen Prozeß gewinnen, und wie, wenn ich auch meine körperlichen Kräfte nach Herzenslust benutzt und m i ß b r a u c h t hätte, ich doch gesund bleiben und lange leben könne. Dafür habt ihr ja studiert, daß ihr mehr wissen müßt als unser einer (von euch Idioten genannt), der auf nichts weiter, als auf gesunden Verstand Anspruch macht. – Es ist aber hier, als ob das Volk zu dem Gelehrten, wie zum Wahrsager und Zauberer ginge, der mit ¦ übernatürlichen Dingen Bescheid weiß; denn der Ungelehrte macht sich von einem Gelehrten, dem er etwas zumutet, gern übergroße Begriffe. Daher ist es natürlicherweise vorauszusehen, daß, wenn sich jemand für einen solchen Wundermann auszugeben nur dreust genug ist, | ihm das Volk zufallen und die Seite der philosophischen Fakultät mit Verachtung verlassen werde. Die Geschäftsleute der drei oberen Fakultäten sind aber jederzeit solche Wundermänner, wenn der philosophischen nicht erlaubt wird, ihnen öffentlich entgegen zu arbeiten, nicht um ihre Lehren zu stürzen, sondern nur [um] der magischen Kraft, die ihnen und den damit verbundenen Observanzen das Publikum abergläubisch beilegt, zu widersprechen, als wenn es bei einer passiven Übergebung an solche kunstreiche Führer alles Selbsttuns überhoben und mit großer Gemächlichkeit durch sie zu Erreichung jener angelegenen Zwecke schon werde geleitet werde. Wenn die obern Fakultäten solche Grundsätze annehmen 29 wenn es] A: wenn sie 30 Führer alles] A: Führer sich alles 32 werde.] A: werden.

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(welches freilich ihre Bestimmung nicht ist), so sind und bleiben sie ewig im Streit mit der unteren; dieser Streit aber ist auch g e s e t z w i d r i g , weil ¦ sie die Übertretung der Gesetze nicht allein als kein Hindernis, sondern wohl gar als erwünschte Veranlassung ansehen, ihre große Kunst und Geschicklichkeit zu zeigen, alles wieder gut, ja noch besser zu machen, als es ohne dieselbe geschehen würde. Das Volk will g e l e i t e t , d. i. (in der Sprache der Demagogen) es will b e t r o g e n sein. Es will aber nicht von den Fakultätsgelehrten (denn deren Weisheit ist ihm zu hoch), sondern von den Geschäftsmännern derselben, die das Machwerk (savoir faire) verstehen, von den Geistlichen, Justizbeamten, Ärzten geleitet sein, die, als Praktiker, die vorteilhafteste Vermutung für sich haben; dadurch dann die Regierung, die nur durch sie aufs Volk wirken kann, selbst v e r l e i t e t wird, den Fakultäten eine Theorie aufzudringen, die nicht aus der reinen Einsicht der Gelehrten derselben entsprungen, sondern auf den Einfluß berechnet ist, den ihre Geschäftsmänner dadurch aufs Volk haben können, weil dieses natürlicherweise dem am meisten anhängt, wobei es am wenigsten nötig hat, sich selbst zu bemühen und sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen, und wo am besten die Pflichten mit den Neigungen in Verträg ¦ lichkeit gebracht werden können; z. B. im theologischen Fache, daß buchstäblich »glauben«, ohne zu untersuchen (selbst ohne einmal recht zu verstehen), was geglaubt werden soll, für sich heilbringend sei und daß durch Begehung gewisser vorschriftmäßiger Formalien unmittelbar Verbrechen können abgewaschen werden; oder im juristischen, daß die Befolgung des Gesetzes nach den Buchstaben der Untersuchung des Sinnes des Gesetzgebers überhebe. Hier ist nun ein wesentlicher, nie beizulegender gesetzwidriger Streit | zwischen den obern und der untern Fakultät, weil das Prinzip der Gesetzgebung für die erstere, welches man der Regierung unterlegt, eine von ihr autorisierte Gesetzlosigkeit selbst sein würde. – Denn, da N e i g u n g und überhaupt das, was jemand seiner P r i v a t a b s i c h t

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zuträglich findet, sich schlechterdings nicht zu einem Gesetze qualifiziert, mithin auch nicht, als ein solches, von den obern Fakultäten vorgetragen werden kann, so würde eine Regierung, welche dergleichen sanktionierte, indem sie wider die Vernunft selbst verstößt, jene obere Fakultäten mit der philosophischen in einen Streit versetzen, der gar nicht geduldet werden kann, ¦ indem er diese gänzlich vernichtet, welches freilich das kürzeste, aber auch (nach dem Ausdruck der Ärzte) ein in Todesgefahr bringendes h e r o i s c h e s Mittel ist, einen Streit zu Ende zu bringen.

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vierter abschnitt Vom gesetzmäßigen Streit der oberen Fakultäten mit der unteren

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Welcherlei Inhalts auch die Lehren immer sein mögen, deren öffentlichen Vortrag die Regierung durch ihre Sanktion den obern Fakultäten aufzulegen befugt sein mag, so können sie doch nur als Statute, die von ihrer Willkür ausgehen, und als menschliche Weisheit, die nicht unfehlbar ist, angenommen und verehrt werden. Weil indessen die Wahrheit derselben ihr durchaus nicht gleichgültig sein darf, in Ansehung welcher sie der Vernunft (deren Interesse die philosophische Fakultät zu besorgen hat) unterworfen bleiben müssen, dieses aber nur durch Verstattung völliger Freiheit einer öffentlichen Prüfung derselben möglich ist, so wird, weil willkür ¦ liche, ob zwar höchsten Orts sanktionierte, Satzungen mit den durch die Vernunft als notwendig behaupteten Lehren nicht so von selbst immer zusammenstimmen dürften, erstlich zwischen den obern Fakultäten und der untern der Streit unvermeidlich, zweitens aber auch g e s e t z m ä ß i g sein, und dieses nicht bloß als Befugnis, sondern auch als Pflicht der letzteren, wenn gleich nicht die g a n z e Wahrheit öffentlich zu sagen, doch darauf bedacht zu sein, daß a l l e s , was, so gesagt, als Grundsatz aufgestellt wird, wahr sei.

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Wenn die Quelle gewisser sanktionierter Lehren h i s t o r i s c h ist, so mögen diese auch noch so sehr als heilig dem unbedenklichen Gehorsam des Glaubens anempfohlen werden: die philosophische Fakultät ist berechtigt, | ja verbunden, diesem Ursprunge mit kritischer Bedenklichkeit nachzuspüren. Ist sie r a t i o n a l , ob sie gleich im Tone einer historischen Erkenntnis (als Offenbarung) aufgestellt worden, so kann ihr (der untern Fakultät) nicht gewehrt werden, die Vernunftgründe der Gesetzgebung aus dem historischen Vortrage herauszusuchen, und überdem, ob sie technisch- oder moralisch-praktisch sind, zu würdigen. Wäre endlich der Quell der sich als ¦ Gesetz ankündigenden Lehre gar nur ä s t h e t i s c h , d. i. auf ein mit einer Lehre verbundenes Gefühl gegründet (welches, da es kein objektives Prinzip abgibt, nur als subjektiv gültig, ein allgemeines Gesetz daraus zu machen untauglich, etwa frommes Gefühl eines übernatürlichen Einflusses sein würde), so muß es der philosophischen Fakultät frei stehen, den Ursprung und Gehalt eines solchen angeblichen Belehrungsgrundes mit kalter Vernunft öffentlich zu prüfen und zu würdigen, ungeschreckt durch die Heiligkeit des Gegenstandes, den man zu fühlen vorgibt, und entschlossen, dieses vermeinte Gefühl auf [den] Begriff zu bringen. – Folgendes enthält die formale Grundsätze der Führung eines solchen Streits und die sich daraus ergebende Folgen. 1) Dieser Streit kann und soll nicht durch friedliche Übereinkunft (amicabilis compositio) beigelegt werden, sondern bedarf (als Prozeß) einer S e n t e n z , d. i. des rechtskräftigen Spruchs eines Richters (der Vernunft); denn es könnte nur durch Unlauterkeit, Verheimlichung der Ursachen des Zwistes und Beredung geschehen, daß er beigelegt würde, dergleichen Maxime aber dem Geiste einer p h i l o s o p h i ¦ s c h e n Fakultät, als der auf öffentliche Darstellung der Wahrheit geht, ganz zuwider ist. 2) Er kann nie aufhören, und die philosophische Fakultät ist diejenige, die dazu jederzeit gerüstet sein muß. Denn statutarische Vorschriften der Regierung in Ansehung der öf-

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fentlich vorzutragenden Lehren werden immer sein müssen, weil die unbeschränkte Freiheit, alle seine Meinungen ins Publikum zu schreien, teils der Regierung, teils aber auch diesem Publikum selbst gefährlich werden müßte. Alle Satzungen der Regierung aber, weil sie von Menschen ausgehen, wenigstens von diesen sanktioniert werden, bleiben jederzeit der Gefahr des Irrtums oder der Zweckwidrigkeit unterworfen; mithin sind sie es auch in Ansehung der Sanktionen der Regierung, womit diese die obere Fakultäten versieht. Folglich kann die philosophische Fakultät ihre Rüstung gegen die Gefahr, womit die Wahrheit, deren Schutz ihr aufgetragen ist, bedrohet wird, nie ablegen, weil die obere Fakultäten ihre Begierde zu herrschen nie ablegen werden. | 3) Dieser Streit kann dem Ansehen der Regierung nie Abbruch tun. Denn er ist nicht ein Streit ¦ der Fakultäten mit der Regierung, sondern einer Fakultät mit der andern, dem die Regierung ruhig zusehen kann; weil, ob sie zwar gewisse Sätze der obern in ihren besondern Schutz genommen hat, so fern sie solche der letzteren ihren Geschäftsleuten zum öffentlichen Vortrage vorschreibt, so hat sie doch nicht die Fakultäten, als gelehrte Gesellschaften, wegen der Wahrheit dieser ihrer öffentlich vorzutragenden Lehren, Meinungen und Behauptungen, sondern nur wegen ihres (der Regierung) eigenen Vorteils in Schutz genommen, weil es ihrer Würde nicht gemäß sein würde, über den innern Wahrheitsgehalt derselben zu entscheiden, und so selbst den Gelehrten zu spielen. – Die obere Fakultäten sind nämlich der Regierung für nichts weiter verantwortlich, als für die Instruktion und Belehrung, die sie ihren G e s c h ä f t s l e u t e n zum öffentlichen Vortrage geben; denn die laufen ins Publikum, als b ü r g e r l i c h e s gemeines Wesen, und sind daher, weil sie dem Einfluß der Regierung auf dieses Abbruch tun könnten, dieser ihrer Sanktion unterworfen. Dagegen gehen die Lehren und Meinungen, welche die Fakultäten unter dem Namen der Theoretiker unter einander ¦ abzumachen haben, in eine andere Art von Publikum, nämlich in

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das eines gelehrten gemeinen Wesens, welches sich mit Wissenschaften beschäftigt; wovon das Volk sich selbst bescheidet, daß es nichts davon versteht, die Regierung aber mit gelehrten Händeln sich zu befassen für sich nicht anständig findet.6 ¦ | Die Klasse der obern Fakultäten (als die rechte Seite des Parlaments der Gelahrtheit) verteidigt die Statute der Regierung, indessen daß es, in einer so freien Verfassung, als die sein muß, wo es um Wahrheit zu tun ist, auch eine Oppositionspartei (die linke Seite) geben muß, welche die Bank der philosophischen Fakultät ist, weil ohne deren strenge Prüfung und Einwürfe die Regierung von dem, was ihr selbst ersprießlich oder nachteilig sein dürfte, nicht hinreichend belehrt werden würde. – Wenn aber die Geschäftsleute der Fakultäten in Ansehung der für den öffentlichen Vortrag gegebenen Verordnung für ihren Kopf Änderungen

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Dagegen, wenn der Streit vor dem bürgerlichen gemeinen Wesen (öffentlich, z. B. auf Kanzeln) geführt würde, wie es die Geschäftsleute (unter dem Namen der Praktiker) gern versuchen, so wird er unbefugterweise für den Richterstuhl des Volks (dem in Sachen der Gelehrsamkeit gar kein Urteil zusteht) gezogen und hört auf, ein gelehrter Streit zu sein; da dann jener Zustand des gesetzwidrigen Streits, wovon oben Erwähnung geschehen, eintritt, wo Lehren den Neigungen des Volks angemessen vorgetragen werden und der Same des Aufruhrs und der Faktionen ausgestreut, die Regierung aber dadurch in Gefahr gebracht wird. Diese eigenmächtig sich selbst dazu aufwerfende Volkstribunen treten so fern aus dem Gelehrtenstande, greifen in die Rechte der bürgerlichen Verfassung (Welthändel) ein und sind eigentlich die N e o l o g e n , deren mit Recht verhaßter Name aber sehr mißverstanden wird, wenn er jede Urheber einer Neuigkeit in Lehren und Lehrformen trifft. (Denn warum sollte das Alte eben immer das Bessere sein.) Dagegen dieje42 nige eigent ¦ lich damit gebrandmarkt zu werden verdienen, welche eine ganz andere Regierungsform oder vielmehr eine Regierungslosigkeit (Anarchie) einführen, indem sie das, was eine Sache der Gelehrsamkeit ist, der Stimme des Volks zur Entscheidung übergeben, dessen Urteil sie durch Einfluß auf seine Gewohnheiten, Ge[35] fühle und | Neigungen nach Belieben lenken und so einer gesetzmäßigen Regierung den Einfluß abgewinnen können.

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machen wollten, so kann die Aufsicht der Regierung diese als N e u e r e r, welche ihr gefährlich werden könnten, in Anspruch ¦ nehmen und doch gleichwohl über sie nicht unmittelbar, sondern nur nach dem von der obern Fakultät eingezogenen alleruntertänigsten Gutachten absprechen, weil diese Geschäftsleute nur d u r c h d i e F a k u l t ä t von der Regierung zu dem Vortrage gewisser Lehren haben angewiesen werden können. 4) Dieser Streit kann sehr wohl mit der Eintracht des gelehrten und bürgerlichen gemeinen Wesens in Maximen zusammen bestehen, deren Befolgung einen beständigen Fortschritt beider Klassen von Fakultäten zu größerer Vollkommenheit bewirken muß, und endlich zur Entlassung von allen Einschränkungen der Freiheit des öffentlichen Urteils durch die Willkür der Regierung vorbereitet. Auf diese Weise könnte es wohl dereinst dahin kommen, daß die Letzten die Ersten (die untere Fakultät die obere) würden, zwar nicht in der Machthabung, aber doch in Beratung des Machthabenden (der Regierung), als welche in der Freiheit der philosophischen Fakultät und der ihr daraus erwachsenden Einsicht, besser als in ihrer eigenen absoluten Autorität, Mittel zu Erreichung ihrer Zwecke antreffen würde. ¦ resultat

Dieser Antagonism, d. i. S t r e i t zweier mit einander zu einem gemeinschaftlichen Endzweck vereinigter Parteien * (concordia discors, discordia concors), ist also kein K r i e g , d. i. keine Zwietracht aus der Entgegensetzung der Endabsichten in Ansehung des gelehrten M e i n und D e i n , | wel30 ches, so wie das politische, aus F r e i h e i t und E i g e n t u m besteht, wo jene, als Bedingung, notwendig vor diesem vorhergehen muß; folglich den oberen Fakultäten kein Recht verstattet werden kann, ohne daß es der unteren zugleich erlaubt bleibe, ihre Bedenklichkeit über dasselbe an das ge35 lehrte Publikum zu bringen.

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¦ Anhang einer Erläuterung des Streits der Fakultäten durch das Beispiel desjenigen zwischen der theologischen und philosophischen I. Materie des Streits

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Der biblische Theolog ist eigentlich der S c h r i f t g e l e h r t e für den K i r c h e n g l a u b e n , der auf Statuten, d. i. auf Gesetzen beruht, die aus der Willkür eines andern ausfließen, dagegen ist der rationale der Ve r n u n f t g e l e h r t e für den R e l i g i o n s g l a u b e n , folglich denjenigen, der auf innern Gesetzen beruht, die sich aus jedes Menschen eigener Vernunft entwickeln lassen. Daß dieses so sei, d. i. daß Religion nie auf Satzungen (so hohen Ursprungs sie immer sein mögen) gegründet werden könne, erhellet selbst aus dem Begriffe der Religion. Nicht der Inbegriff gewisser Lehren als göttlicher Offenbarungen (denn der heißt Theologie), sondern der aller unserer ¦ Pflichten überhaupt als göttlicher G e b o t e (und subjektiv der Maxime, sie als solche zu befolgen) ist Religion. Religion unterscheidet sich nicht der Materie, d. i. dem Objekt nach in irgend einem Stücke von der Moral, denn sie geht auf Pflichten überhaupt, sondern ihr Unterschied von dieser ist bloß formal, d. i. eine Gesetzgebung der Vernunft, um der Moral durch die aus dieser selbst erzeugten Idee von Gott auf den menschlichen Willen zu Erfüllung aller seiner Pflichten Einfluß zu geben. Darum ist sie aber auch nur eine einzige, und es gibt nicht verschiedene Religionen, aber wohl verschiedene Glaubensarten an göttliche Offenbarung und deren statutarische Lehren, die nicht aus der Vernunft entspringen können, d. i. verschiedene Formen der sinnlichen Vorstellungsart des göttlichen Willens, um ihm Einfluß auf die Gemüter zu verschaffen, unter denen das Christentum, so viel wir wissen, die schicklichste Form ist. Dies findet sich nun in der Bibel aus zwei ungleichartigen Stücken zusammengesetzt, dem einen, | welches den Kanon, dem andern, was das Organon oder Vehikel der Religion enthält, wovon der erste der reine R e l i -

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g i o n s g l a u b e (ohne Statuten auf bloßer Vernunft gegründet), der ¦ andere der K i r c h e n g l a u b e , der ganz auf Statuten beruht, genannt werden kann, die einer Offenbarung bedurften, wenn sie für heilige Lehre und Lebensvorschriften 5 gelten sollten. – Da aber auch dieses Leitzeug zu jenem Zweck zu gebrauchen Pflicht ist, wenn es für göttliche Offenbarung angenommen werden darf, so läßt sich daraus erklären, warum der sich auf Schrift gründende Kirchenglaube bei Nennung des Religionsglaubens gemeiniglich 10 mitverstanden wird. Der biblische Theolog sagt: Suchet in der Schrift, wo ihr * meinet, das ewige Leben zu finden. Dieses aber, weil die Bedingung desselben keine andere als die moralische Besserung des Menschen ist, kann kein Mensch in irgend einer Schrift 15 finden, als wenn er sie hineinlegt, weil die dazu erforderlichen Begriffe und Grundsätze eigentlich nicht von irgend einem andern gelernt, sondern nur bei Veranlassung eines Vortrages aus der eigenen Vernunft des Lehrers entwickelt werden müssen. Die Schrift aber enthält noch mehr, als was 20 an sich selbst zum ewigen Leben erforderlich ist, was nämlich zum Geschichtsglauben gehört und in Ansehung des Religionsglaubens als bloßes sinnliches Vehikel zwar (für diese oder jene Person, für ¦ dieses oder jenes Zeitalter) zuträglich sein kann, aber nicht notwendig dazu gehöret. Die biblisch25 theologische Fakultät dringt nun darauf als göttliche Offenbarung in gleichem Maße, als wenn der Glaube desselben zur Religion gehörte. Die philosophische aber widerstreitet jener in Ansehung dieser Vermengung und dessen, was jene über die eigentliche Religion Wahres in sich enthält. Zu diesem Vehikel (d. i. dem, was über die Religionslehre 30 noch hinzukommt) gehört auch noch die L e h r m e t h o d e , die man als den Aposteln selbst überlassen, und nicht als göttliche Offenbarung betrachten darf, sondern beziehungsweise auf die Denkungsart der damaligen Zeiten (κατ 35 ¥νθρυπον ) und nicht als Lehrstücke an sich selbst Zeiten (κατ ¢λ θειαν ) geltend annehmen kann, und zwar entweder negativ als bloße Zulassung gewisser damals herrschen-

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der an sich irriger Meinungen, um nicht gegen einen herrschenden, doch im wesentlichen gegen die Religion nicht streitenden damaligen Wahn zu verstoßen (z. B. das von den Besessenen), oder auch positiv, um sich der Vorliebe eines * Volks für ihren alten Kirchenglauben, der jetzt ein Ende ha- 5 ben sollte, zu bedienen, um den neuen ¦ zu introduzieren. (Z. B. die Deutung der Geschichte des alten Bundes als Vorbilder von | dem, was im neuen geschah, welche als Judaism, wenn sie irrigerweise in die Glaubenslehre als ein Stück derselben aufgenommen wird, uns wohl den Seufzer ablocken 10 kann: nunc istae reliquiae nos exercent. C i c e r o . ) * Um deswillen ist eine Schriftgelehrsamkeit des Christentums manchen Schwierigkeiten der Auslegungskunst unterworfen, über die und deren Prinzip die obere Fakultät (der biblische Theolog) mit der unteren in Streit geraten muß, in- 15 dem die erstere, als für die theoretische biblische Erkenntnis vorzüglich besorgt, die letztere in Verdacht zieht, alle Lehren, die als eigentliche Offenbarungslehren und also buchstäblich angenommen werden müßten, wegzuphilosophieren und ihnen einen beliebigen Sinn unterzuschieben, diese aber, 20 als mehr aufs Praktische, d. i. mehr auf Religion als auf Kirchenglauben sehend, umgekehrt jene beschuldigt, durch solche Mittel den Endzweck, der als innere Religion moralisch sein muß und auf der Vernunft beruht, ganz aus den Augen zu bringen. Daher die letztere, welche die Wahrheit zum Zweck 25 hat, mithin die Philosophie, im Falle des Streits über den Sinn ¦ einer Schriftstelle sich das Vorrecht anmaßt, ihn zu bestimmen. Folgendes sind die philosophischen Grundsätze der Schriftauslegerei, wodurch nicht verstanden werden will, daß die Auslegung philosophisch (zur Erweiterung der Philosophie 30 abzielt), sondern daß bloß die G r u n d s ä t z e der Auslegung so beschaffen sein müssen; weil alle Grundsätze, sie mögen nun eine historisch- oder grammatisch-kritische Auslegung betreffen, jederzeit, hier aber besonders, weil, was aus Schrift34 weil, was … auch] AA: weil, was aus Schriftstellen für die Religion auszumitteln sei, bloß ein Gegenstand der Vernunft sein kann, auch

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stellen für die R e l i g i o n (die bloß ein Gegenstand der Vernunft sein kann) auszumitteln sei, auch von der Vernunft diktiert werden müssen.

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II. Philosophische Grundsätze der Schriftauslegung zu Beilegung des Streits

I. Schriftstellen, welche gewisse t h e o r e t i s c h e , für heilig angekündigte, aber allen (selbst den moralischen) Vernunftbegriff ü b e r s t e i g e n d e Lehren enthalten, d ü r f e n , diejenige aber, welche der praktischen Vernunft widersprechende 10 Sätze enthalten, m ü s s e n zum ¦ Vorteil der letzteren ausgelegt werden. – Folgendes enthält hiezu einige Beispiele. a) Aus der Dreieinigkeitslehre, nach den Buchstaben genommen, läßt sich schlechterdings n i c h t s f ü r s P r a k t i s c h e m a c h e n , wenn man sie gleich zu verstehen glaubte, 15 noch weniger aber, wenn man inne wird, daß | sie gar alle unsere Begriffe übersteigt. – Ob wir in der Gottheit drei oder zehn Personen zu verehren haben, wird der Lehrling mit gleicher Leichtigkeit aufs Wort annehmen, weil er von einem Gott in mehreren Personen (Hypostasen) gar keinen 20 Begriff hat, noch mehr aber, weil er aus dieser Verschiedenheit für seinen Lebenswandel gar keine verschiedene Regeln ziehen kann. Dagegen wenn man in Glaubenssätzen einen moralischen Sinn hereinträgt (wie ich es : R e l i g i o n i n n e r h a l b d e n G r e n z e n etc. versucht habe), er nicht einen 25 folgeleeren, sondern auf unsere moralische Bestimmung bezogenen verständlichen Glauben enthalten würde. Eben so ist es mit der Lehre der Menschwerdung einer Person der Gottheit bewandt. Denn wenn dieser Gottmensch nicht als * die in Gott von Ewigkeit her liegende Idee der Menschheit 30 in ihrer ganzen ihm wohlgefälligen mora ¦ lischen Vollkom* menheit7 (ebendaselbst S. 73 f.), sondern als die in einem *

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Die Schwärmerei des P o s t e l l u s in Venedig über diesen Punkt im 16ten Jahrhundert ist von so originaler Art, und dient so gut zum

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wirklichen Menschen »leibhaftig wohnende« und als zweite Natur in ihm wirkende Gottheit vorgestellt wird: so ist aus diesem Geheimnisse gar nichts Praktisches für uns zu machen, weil wir ¦ doch von uns nicht verlangen können, daß wir es einem Gotte gleich tun sollen, er also in so fern kein 5 Beispiel für uns werden kann, ohne noch die Schwierigkeit in Anregung zu bringen, warum, wenn solche Vereinigung einmal möglich ist, die Gottheit nicht alle Menschen derselben hat teilhaftig werden lassen, welche alsdenn unausbleiblich ihm alle wohlgefällig geworden wären. – Ein Ähnliches 10 kann von der Auferstehungs- und Himmelfahrtsgeschichte eben desselben gesagt werden. | Ob wir künftig bloß der Seele nach leben, oder ob dieselbe Materie, daraus unser Körper hier bestand, zur Identität unserer Person in der andern Welt erforderlich, die See- 15 le also keine besondere Substanz sei, unser Körper selbst müsse auferweckt werden, das kann uns in praktischer Absicht ganz gleichgültig sein; denn wem ist wohl sein Körper so lieb, daß er ihn gern in Ewigkeit mit sich schleppen möchte, wenn er seiner entübrigt sein kann. Des Apostels 20 Schluß also: »Ist Christus nicht auferstanden (dem Körper *

Beispiel, in welche Verirrungen, und zwar mit Ve r n u n f t zu rasen, man geraten kann, wenn man die Versinnlichung einer reinen Vernunftidee in die Vorstellung eines Gegenstandes der Sinne verwandelt. Denn, wenn unter jener Idee nicht das Abstraktum der 25 Menschheit, sondern ein Mensch verstanden wird, so muß dieser von irgend einem Geschlecht sein. Ist dieser von Gott gezeugte männlichen Geschlechts (ein Sohn), hat die Schwachheit der Menschen getragen und ihre Schuld auf sich genommen, so sind die Schwachheiten so wohl als die Übertretungen des anderen Ge- 30 schlechts doch von denen des männlichen spezifisch unterschieden, und man wird, nicht ohne Grund, versucht anzunehmen, daß dieses auch seine besondere Stellvertreterin (gleichsam eine göttliche Tochter) als Versöhnerin werde bekommen haben; und diese glaubte Postell in der Person einer frommen Jungfrau in Venedig gefunden 35 zu haben.

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nach lebendig geworden), so werden wir auch nicht auferstehen (nach dem Tode gar nicht mehr leben)«, ist nicht bündig. Er mag es aber auch nicht sein ¦ (denn dem Argumentieren wird man doch nicht auch eine Inspiration zum 5 Grunde legen), so hat er doch hiemit nur sagen wollen, daß wir Ursache haben zu glauben, Christus lebe noch, und unser Glaube sei eitel, wenn selbst ein so vollkommner Mensch nicht nach dem (leiblichen) Tode leben sollte, welcher Glaube, den ihm (wie allen Menschen) die Vernunft 10 eingab, ihn zum historischen Glauben an eine öffentliche Sache bewog, die er treuherzig für wahr annahm und sie zum Beweisgrunde eines moralischen Glaubens des künftigen Lebens brauchte, ohne inne zu werden, daß er selbst dieser Sage ohne den letzteren schwerlich würde Glauben 15 beigemessen haben. Die moralische Absicht wurde hiebei erreicht, wenn gleich die Vorstellungsart das Merkmal der Schulbegriffe an sich trug, in denen er war erzogen worden. – Übrigens stehen jener Sache wichtige Einwürfe entgegen: die Einsetzung des Abendmahls (einer traurigen Unterhal20 tung), zum Andenken an ihn, sieht einem förmlichen Abschied (nicht bloß aufs baldige Wiedersehen) ähnlich. Die * klagende Worte am Kreuz drücken eine fehlgeschlagene Absicht aus (die Juden noch bei seinem Leben zur wahren Religion zu bringen), da doch ¦ eher das Frohsein über eine 25 vollzogne Absicht hätte erwartet werden sollen. Endlich der * Ausdruck der Jünger bei dem Lukas: »Wir dachten, er solle Israel erlösen« läßt auch nicht abnehmen, daß sie auf ein in drei Tagen erwartetes Wiedersehen vorbereitet waren, noch weniger, daß ihnen von seiner Auferstehung etwas zu Oh30 ren gekommen sei. – Aber warum sollten wir wegen einer Geschichtserzählung, die wir immer an ihren Ort (unter die Adiaphora) gestellt sein lassen sollen, uns in so viel gelehrte Untersuchungen und Streitigkeiten verflechten, wenn es um Religion zu tun ist, zu welcher der Glaube in praktischer 18 Einwürfe entgegen:] A: Einwürfe: 27 auf] A: an

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Beziehung, den die Vernunft uns einflößt, schon für sich hinreichend ist. b) In der Auslegung der Schriftstellen, in welchen der Ausdruck un | serm Vernunftbegriff von der göttlichen Natur und seinem Willen widerstreitet, haben biblische Theo- 5 logen sich längst zur Regel gemacht, daß, was menschlicherweise (¢νθρυποπαθς ) ausgedruckt ist, nach einem gottwürdigen Sinne (θεοπρεπς ) müsse a u s g e l e g t werden; wodurch sie dann ganz deutlich das Bekenntnis ablegten, die Vernunft sei in Religionssachen die oberste Auslege- 10 rin der Schrift. – ¦ Daß aber selbst, wenn man dem heil. Schriftsteller keinen andern Sinn, den er wirklich mit seinen Ausdrücken verband, unterlegen kann, als einen solchen, der mit unserer Vernunft gar in Widerspruche steht, die Vernunft sich doch berechtigt fühle, seine Schriftstelle so aus- 15 zulegen, wie sie es ihren Grundsätzen gemäß findet, und nicht dem Buchstaben nach auslegen solle, wenn sie jenen nicht gar eines Irrtums beschuldigen will, das scheint ganz und gar wider die oberste Regeln der Interpretation zu verstoßen, und gleichwohl ist es noch immer mit Beifall von 20 den belobtesten Gottesgelehrten geschehen. – So ist es mit St. Paulus’ Lehre von der Gnadenwahl gegangen, aus wel- * cher aufs deutlichste erhellet, daß seine Privatmeinung die Prädestination im strengsten Sinne des Worts gewesen sein muß, welche darum auch von einer großen protestantischen * Kirche in ihren Glauben aufgenommen worden, in der Folge aber von einem großen Teil derselben wieder verlassen, * oder so gut, wie man konnte, anders gedeutet worden ist, weil die Vernunft sie mit der Lehre von der Freiheit, der Zurechnung der Handlungen und so mit der ganzen Moral un- 30 vereinbar findet. – Auch wo der Schriftglaube in ¦ keinen Verstoß gewisser Lehren wider sittliche Grundsätze, sondern nur wider die Vernunftmaxime in Beurteilung physischer Erscheinungen gerät, haben Schriftausleger mit fast allgemeinem Beifall manche biblische Geschichtserzählun- 35 gen, z. B. von den Besessenen (dämonischen Leuten), ob sie zwar in demselben historischen Tone, wie die übrige heil.

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Geschichte in der Schrift vorgetragen worden und fast nicht zu zweifeln ist, daß ihre Schriftsteller sie buchstäblich für wahr gehalten haben, doch so ausgelegt, daß die Vernunft dabei bestehen könnte (um nicht allem Aberglauben und Betrug freien Eingang zu verschaffen), ohne daß man ihnen diese Befugnis bestritten hat. II. Der Glaube an Schriftlehren, die eigentlich haben offenbart werden müssen, wenn sie haben gekannt werden sollen, hat an sich kein Ve r d i e n s t , und der Mangel desselben, ja so gar der ihm entgegenstehende Zweifel ist an sich keine Ve r s c h u l d u n g , sondern alles kommt in der Religion aufs Tu n an, und diese Endabsicht, mithin auch ein | dieser gemäßer Sinn, muß allen biblischen Glaubenslehren untergelegt werden. ¦ Unter Glaubenssätzen versteht man nicht, was geglaubt werden soll (denn das Glauben verstattet keinen Imperativ), sondern das, was in praktischer (moralischer) Absicht anzunehmen möglich und zweckmäßig, obgleich nicht eben erweislich ist, mithin nur geglaubt werden kann. Nehme ich das Glauben ohne diese moralische Rücksicht bloß in der Bedeutung eines theoretischen Fürwahrhaltens, z. B. dessen, was sich auf das Zeugnis anderer geschichtmäßig gründet, oder auch, weil ich mir gewisse gegebene Erscheinungen nicht anders als unter dieser oder jener Voraussetzung erklären kann, zu einem Prinzip an, so ist ein solcher Glaube, weil er weder einen besseren Menschen macht noch einen solchen beweiset, gar kein Stück der R e l i g i o n ; ward er aber nur als durch Furcht und Hoffnung aufgedrungen in der Seele erkünstelt, so ist er der Aufrichtigkeit, mithin auch der Religion zuwider. – Lauten also Spruchstellen so, als ob sie das Glauben einer Offenbarungslehre nicht allein als an sich verdienstlich ansähen, sondern wohl gar über moralisch-gute Werke erhöben, so müssen sie so ausgelegt werden, als ob nur der moralische die Seele durch Vernunft bessernde und erhebende Glaube dadurch gemeint sei; ¦ gesetzt 22 das] A: dem

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auch der buchstäbliche Sinn, z. B. wer da glaubet und getaufet wird, wird selig etc., lautete dieser Auslegung zuwider. Der Zweifel über jene statutarische Dogmen und ihre Authentizität kann also eine moralische, wohlgesinnte Seele nicht beunruhigen. – Eben dieselben Sätze können gleichwohl als wesentliche Erfordernisse zum Vo r t r a g eines gewissen K i r c h e n g l a u b e n s angesehen werden, der aber, weil er nur Vehikel des Religionsglaubens, mithin an sich veränderlich ist und einer allmählichen Reinigung bis zur Kongruenz mit dem letzteren fähig bleiben muß, nicht zum Glaubensartikel selbst gemacht, ob zwar doch auch in Kirchen nicht öffentlich angegriffen oder auch mit trockenem Fuß übergangen werden darf, weil er unter der Gewahrsame der Regierung steht, die für öffentliche Eintracht und Frieden Sorge trägt, indessen daß es des Lehrers Sache ist, davor zu warnen, ihm nicht eine für sich bestehende Heiligkeit beizulegen, sondern ohne Verzug zu dem dadurch eingeleiteten Religionsglauben überzugehen. III. Das Tun muß als aus des Menschen eigenem Gebrauch seiner moralischen Kräfte entspringend, und nicht als Wirkung vom Einfluß einer äußeren ¦ höheren wirkenden Ursache, in Ansehung deren der Mensch | sich leidend verhielte, vorgestellt werden; die Auslegung der Schriftstellen, welche buchstäblich das letztere zu enthalten scheinen, muß also auf die Übereinstimmung mit dem ersteren Grundsatze absichtlich gerichtet werden. Wenn unter Natur das im Menschen herrschende Prinzip der Beförderung seiner G l ü c k s e l i g k e i t , unter Gnade aber die in uns liegende unbegreifliche moralische Anlage, d. i. das Prinzip der r e i n e n S i t t l i c h k e i t verstanden wird, so sind Natur und Gnade nicht allein von einander unterschieden, sondern auch oft gegen einander in Widerstreit. Wird aber unter Natur (in praktischer Bedeutung) das Vermögen, aus eigenen Kräften überhaupt gewisse Zwecke auszurichten, verstanden, so ist Gnade nichts anders als Natur des Menschen, so fern er durch sein eigenes inneres, aber übersinnliches Prinzip (die Vorstellung seiner Pflicht) zu

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Handlungen bestimmt wird, welches, weil wir uns es erklären wollen, gleichwohl aber weiter keinen Grund davon wissen, von uns als von der Gottheit in uns gewirkter Antrieb zum Guten, dazu wir die Anlage in uns nicht ¦ selbst 5 gegründet haben, mithin als Gnade vorgestellt wird. – Die Sünde nämlich (die Bösartigkeit in der menschlichen Natur) hat das Strafgesetz (gleich als für Knechte) notwendig gemacht, die Gnade aber (d. i. die durch den Glauben an die ursprüngliche Anlage zum Guten in uns und die durch das 10 Beispiel der Gott wohlgefälligen Menschheit an dem Sohne Gottes lebendig werdende Hoffnung der Entwickelung dieses Guten) kann und soll in uns (als Freien) noch mächtiger werden, wenn wir sie nur in uns wirken, d. h. die Gesinnungen eines jenem heil. Beispiel ähnlichen Lebenswandels tätig 15 werden lassen. – Die Schriftstellen also, die eine bloß passive Ergebung an eine äußere in uns Heiligkeit wirkende Macht zu enthalten scheinen, müssen so ausgelegt werden, * daß daraus erhelle, wir müssen an der Entwickelung jener moralischen Anlage in uns s e l b s t a r b e i t e n , ob sie zwar 20 selber eine Göttlichkeit eines Ursprungs beweiset, der höher ist als alle Vernunft (in der theoretischen Nachforschung der Ursache), und daher, sie besitzen, nicht Verdienst sondern Gnade ist. IV. Wo das eigene Tun zur Rechtfertigung des Menschen 25 vor seinem eigenen (strenge richtenden) ¦ Gewissen nicht zulangt, da ist die Vernunft befugt, allenfalls eine übernatürliche Ergänzung seiner mangelhaften Gerechtigkeit (auch ohne daß sie bestimmen darf, worin sie bestehe) gläubig anzunehmen. Diese Befugnis ist für sich selbst klar; denn was der 30 Mensch nach seiner Bestimmung sein soll (nämlich dem heil. Gesetz angemessen), das | muß er auch werden können, und ist es nicht durch eigene Kräfte natürlicherweise möglich, so darf er hoffen, daß es durch äußere göttliche Mitwir35 kung (auf welche Art es auch sei) geschehen werde. – Man kann noch hinzusetzen, daß der Glaube an diese Ergänzung seligmachend sei, weil er dadurch allein zum gottwohlgefäl-

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ligen Lebenswandel (als der einzigen Bedingung der Hoffnung der Seligkeit) Mut und feste Gesinnung fassen kann, daß er am Gelingen seiner Endabsicht (Gott wohlgefällig zu werden) nicht verzweifelt. – Daß er aber wissen und bestimmt müsse angeben können, w o r i n das Mittel dieses Ersatzes (welches am Ende doch überschwenglich, und bei allem, was uns Gott darüber selbst sagen möchte, für uns unbegreiflich ist) bestehe, das ist eben nicht notwendig, ja, auf diese Kenntnis auch nur Anspruch zu machen, Ver- ¦ messenheit. – Die Schriftstellen also, die eine solche spezifische Offenbarung zu enthalten scheinen, müssen so ausgelegt werden, daß sie nur das Vehikel jenes moralischen Glaubens für ein Volk nach dessen bisher bei ihm im Schwang gewesenen Glaubenslehren betreffen und nicht Religionsglauben (für alle Menschen), mithin bloß den Kirchenglauben (z. B. für Judenchristen) angehen, welcher historischer Beweise bedarf, deren nicht jedermann teilhaftig werden kann; statt dessen Religion (als auf moralische Begriffe gegründet) für sich vollständig und zweifelsfrei sein muß.

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Aber selbst wider die Idee einer philosophischen Schriftauslegung höre ich die vereinigte Stimme der biblischen Theo- * logen sich erheben: sie hat, sagt man, erstlich eine naturalistische Religion und nicht Christentum zur Absicht. A n t w o r t : Das Christentum ist die Idee von der Religion, die überhaupt 25 auf Vernunft gegründet, und so fern natürlich sein muß. Es enthält aber ein Mittel der Einführung derselben unter Menschen, die Bibel; deren Ursprung für übernatürlich gehalten wird, die (ihr Ursprung mag sein welcher ¦ er wolle), so fern sie den moralischen Vorschriften der Vernunft in Ansehung ihrer 30 öffentlichen Ausbreitung und inniglicher Belebung beförderlich ist, als Vehikel zur Religion gezählt werden kann, und als ein solches auch für übernatürliche Offenbarung angenommen werden mag. Nun kann man eine Religion nur n a t u r a l i s t i s c h nennen, wenn sie es zum Grundsatze macht, keine sol- 35 che Offenbarung einzuräumen. Also ist das Christentum da-

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rum nicht eine natu | ralistische Religion, obgleich es bloß eine natürliche ist, weil es nicht in Abrede ist, daß die Bibel nicht ein über-natürliches Mittel der Introduktion der letzteren und der Stiftung einer sie öffentlich lehrenden und bekennenden Kirche sein möge, sondern nur auf diesen Ursprung, wenn es auf Religionslehre ankommt, nicht Rücksicht nimmt.

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III. Einwürfe und Beantwortung derselben, die Grundsätze der Schriftauslegung betreffend

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Wider diese Auslegungsregeln höre ich ausrufen: E r s t l i c h : Das sind ja insgesamt Urteile der philo ¦ sophischen Fakultät, welche sich also in das Geschäft des biblischen Theologen Eingriffe erlaubt. – A n t w o r t : Zum Kirchenglauben wird historische Gelehrsamkeit, zum Religionsglauben bloß Vernunft erfordert. Jenen als Vehikel des letzteren auszulegen ist freilich eine Forderung der Vernunft, aber wo ist eine solche rechtmäßiger, als wo etwas nur als Mittel zu etwas anderem als Endzweck (dergleichen die Religion ist) einen Wert hat, und gibt es überall wohl ein höheres Prinzip der Entscheidung, wenn über Wahrheit gestritten wird, als die Vernunft? Es tut auch der theologischen Fakultät keinesweges Abbruch, wenn die philosophische sich der Statuten derselben bedient, ihre eigene Lehre durch Einstimmung mit derselben zu bestärken; man sollte vielmehr denken, daß jener dadurch eine Ehre widerfahre. Soll aber doch, was die Schriftauslegung betrifft, durchaus Streit zwischen beiden sein, so weiß ich keinen andern Vergleich als diesen: We n n der biblische Theolog aufhören wird, sich der Ve r n u n f t z u s e i n e m B e h u f z u b e d i e n e n , s o w i r d der philosophische auch aufhören, zu Bestätig u n g s e i n e r S ä t z e d i e B i b e l z u g e b r a u c h e n . Ich zweifle ¦ aber sehr, daß der erstere sich auf diesen Vertrag einlassen dürfte. – Z w e i t e n s : Jene Auslegungen sind allegorisch-mystisch, mithin weder biblisch noch philosophisch. A n t w o r t : Es ist gerade das Gegenteil, nämlich,

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daß, wenn der biblische Theolog die Hülle der Religion für die Religion selbst nimmt, er z. B. das ganze alte Testament für eine fortgehende A l l e g o r i e (von Vorbildern und symbolischen Vorstellungen) des noch kommenden Religionszustandes erklären muß, wenn er nicht annehmen will, das 5 wäre damals schon wahre Religion gewesen (die doch nicht noch wahrer als wahr sein kann), wodurch dann das neue entbehrlich | gemacht würde. Was aber die vorgebliche Mystik der Vernunftauslegungen betrifft, wenn die Philosophie in Schriftstellen einen moralischen Sinn aufgespähet, ja gar 10 ihn dem Texte aufdringt, so ist diese gerade das einzige Mittel, die Mystik (z. B. eines S w e d e n b o r g s ) abzuhalten. * Denn die Phantasie verläuft sich bei Religionsdingen unvermeidlich ins Überschwengliche, wenn sie das Übersinnliche (was in allem, was Religion heißt, gedacht werden muß) 15 nicht an bestimmte Begriffe der Vernunft, dergleichen die moralische sind, knüpft, und führt zu einem Illuminatism innerer ¦ Offenbarungen, deren ein jeder alsdenn seine eigene hat und kein öffentlicher Probierstein der Wahrheit mehr Statt findet. 20 Es gibt aber noch Einwürfe, die die Vernunft ihr selbst gegen die Vernunftauslegung der Bibel macht, die wir nach der Reihe oben angeführter Auslegungsregeln kürzlich bemerken und zu heben suchen wollen. a) E i n w u r f : Als Offenbarung muß die Bibel aus sich selbst und nicht durch die 25 Vernunft gedeutet werden; denn der Erkenntnisquell selbst liegt anderswo als in der Vernunft. A n t w o r t : Eben darum, weil jenes Buch als göttliche Offenbarung angenommen wird, muß sie nicht bloß nach Grundsätzen der Geschichtslehren (mit sich selbst zusammen zu stimmen) theoretisch, 30 sondern nach Vernunftbegriffen praktisch ausgelegt werden; denn, daß eine Offenbarung göttlich sei, kann nie durch Kennzeichen, welche die Erfahrung an die Hand gibt, einge8 gewesen (die doch … kann), wodurch dann das neue entbehrlich] A: gewesen, wodurch dann das Neue (die doch … kann) entbehrlich

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sehen werden. Ihr Charakter (wenigstens als conditio sine qua non) ist immer die Übereinstimmung mit dem, was die Vernunft für Gott anständig erklärt. – b) E i n w u r f : Vor allem Praktischen muß doch immer eine Theorie vorher5 gehen, ¦ und, da diese als Offenbarungslehre vielleicht Absichten des Willens Gottes, die wir nicht durchdringen können, für uns aber verbindend sein dürften, sie zu befördern, enthalten könnten, so scheint das Glauben an dergleichen theoretische Sätze für sich selbst eine Verbindlichkeit, 10 mithin das Bezweifeln derselben eine Schuld zu enthalten. A n t w o r t : Man kann dieses einräumen, wenn vom Kirchenglauben die Rede ist, bei dem es auf keine andere Praxis als die der angeordneten Gebräuche abgesehen ist, wo die, so sich zu einer Kirche bekennen, zum Fürwahrnehmen 15 nichts mehr, als daß die Lehre nicht unmöglich sei, bedürfen; dagegen zum Religionsglauben Ü b e r z e u g u n g von der Wahrheit erforderlich ist, welche aber durch Statute (daß sie göttliche Sprüche sind) nicht beurkundigt werden kann, weil, daß sie es sind, nur immer wiederum durch Ge20 schichte bewiesen werden müßte, die s i c h s e l b s t für göttliche Offenbarung auszugeben nicht | befugt ist. Daher bei diesem, der gänzlich auf Moralität des Lebenswandels, aufs Tun, gerichtet ist, das Fürwahrhalten historischer, obschon biblischer Lehren an sich keinen moralischen Wert oder Un25 wert hat, und unter die Adiaphora gehört. – c) E i n w u r f : Wie kann man ¦ einem geistlich Toten das »Stehe auf und * wandle« zurufen, wenn diesen Zuruf nicht zugleich eine übernatürliche Macht begleitet, die Leben in ihn hineinbringt? A n t w o r t : Der Zuruf geschieht an den Menschen 30 durch seine eigene Vernunft, sofern sie das übersinnliche Prinzip des moralischen Lebens in sich selbst hat. Durch dieses kann der Mensch zwar vielleicht nicht sofort zum Leben und zum von selbst aufzustehen, aber doch sich zu regen und zur Bestrebung eines guten Lebenswandels erweckt 35 werden (wie einer, bei dem die Kräfte nur schlafen, aber da33 zum] A: um

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rum nicht erloschen sind), und das ist schon ein Tun, welches keines äußeren Einflusses bedarf, und, fortgesetzt, den beabsichtigten Wandel bewirken kann. – d) E i n w u r f : Der Glaube an eine uns unbekannte Ergänzungsart des Mangels unserer eigenen Gerechtigkeit, mithin als Wohltat eines an- 5 deren, ist eine umsonst angenommene Ursache (petitio principii) zu Befriedigung des uns gefühlten Bedürfnisses. Denn was wir von der Gnade eines Oberen erwarten, davon können wir nicht, als ob es sich von selbst verstünde, annehmen, daß es uns zuteil werden müsse, sondern nur, wenn es uns 10 wirklich versprochen worden, und daher nur durch Akzeptation eines ¦ uns geschehenen bestimmten Versprechens, wie durch einen förmlichen Vertrag. Also können wir, wie es scheint, jene Ergänzung nur, sofern sie durch göttliche O f f e n b a r u n g wirklich zugesagt worden, und nicht auf 15 gut Glück hin, hoffen und voraussetzen. A n t w o r t : Eine unmittelbare göttliche Offenbarung, in dem tröstenden Ausspruch: »Dir sind deine Sünden vergeben«, wäre eine * übersinnliche Erfahrung, welche unmöglich ist. Aber diese ist auch in Ansehung dessen, was (wie die Religion) auf mo- 20 ralischen Vernunftgründen beruht, und dadurch a priori, wenigstens in praktischer Absicht gewiß ist, nicht nötig. Von einem heiligen und gütigen Gesetzgeber kann man sich die Dekrete in Ansehung gebrechlicher, aber alles, was sie für Pflicht erkennen, nach ihrem ganzen Vermögen zu be- 25 folgen strebender Geschöpfe nicht anders denken, und selbst der Vernunftglaube und das Vertrauen auf eine solche Ergänzung, ohne daß eine bestimmte empirisch erteilte Zusage dazu kommen darf, beweiset mehr die echte moralische Gesinnung, und hiemit die Empfänglichkeit für jene ge- 30 hoffte Gnadenbezeigung, als es ein empirischer Glaube tun kann. ¦ | Auf solche Weise müssen alle Schriftauslegungen, s o f e r n s i e d i e R e l i g i o n b e t r e f f e n , nach dem Prinzip der * in der Offenbarung abgezweckten Sittlichkeit gemacht wer- 35 den, und sind ohne das entweder praktisch leer oder gar

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Hindernisse des Guten. – Auch sind sie alsdann nur eigentlich a u t h e n t i s c h , d. i. der Gott in uns ist selbst der Ausleger, weil wir niemand verstehen, als den, der durch unsern eigenen Verstand und unsere eigene Vernunft mit uns redet, die Göttlichkeit einer an uns ergangenen Lehre also durch nichts, als durch Begriffe u n s e r e r Vernunft, so ferne sie rein-moralisch und hiemit untrüglich sind, erkannt werden kann.

Allgemeine Anmerkung. Von Religionssekten 10

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In dem, was eigentlich Religion genannt zu werden verdient, kann es keine Sektenverschiedenheit geben (denn sie ist einig, allgemein und notwendig, mithin unveränderlich), wohl aber in dem, was den Kirchenglauben betrifft, er mag nun bloß auf die Bibel, oder auch auf ¦ Tradition gegründet sein: so fern der Glaube an das, was bloß Vehikel der Religion ist, für Artikel derselben gehalten wird. Es wäre herkulische und dabei undankbare Arbeit, nur bloß die Sekten des C h r i s t e n t u m s , wenn man unter ihm den m e s s i a n i s c h e n Glauben versteht, alle aufzuzählen; denn da ist jenes bloß eine Sekte8 des letztern, so, daß es dem J u d e n t u m in engerer Bedeutung (in dem letzten Zeitpunkt seiner ungeteilten Herrschaft über das Volk) entge8

Es ist eine Sonderbarkeit des deutschen Sprachgebrauchs (oder Mißbrauchs), daß sich die Anhänger unserer Religion C h r i s t e n nennen; gleich als ob es mehr als einen Christus gebe und jeder 25 Gläubige ein Christus wäre. Sie müßten sich C h r i s t i a n e r nennen. – Aber dieser Name würde sofort wie ein Sektenname angesehen * werden, von Leuten, denen man (wie im Peregrinus Proteus geschieht) viel Übels nachsagen kann: welches in Ansehung des Christen nicht Statt findet. – So verlangte ein Rezensent in der Hal30 lischen gel. Zeitung, daß der Name Jehovah durch J a h w o h ausgesprochen werden sollte. Aber diese Veränderung würde eine bloße Nationalgottheit, nicht den Herrn der Welt, zu bezeichnen scheinen.

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gengesetzt wird, wo die Frage ist: »Bist du es, der da kommen soll, oder sollen | wir eines anderen warten?«, wofür es * auch anfänglich ¦ die Römer nahmen. In dieser Bedeutung aber würde das Christentum ein gewisser, auf Satzungen und Schrift gegründeter, Volksglaube sein, von dem man 5 nicht wissen könnte, ob er gerade für alle Menschen gültig oder der letzte Offenbarungsglaube sein dürfte, bei dem es forthin bleiben müßte, oder ob nicht künftig andere göttliche Statuten, die dem Zweck noch näher träten, zu erwarten wären. 10 Um also ein bestimmtes Schema der Einteilung einer Glaubenslehre in Sekten zu haben, können wir nicht von empirischen Datis, sondern wir müssen von Verschiedenheiten anfangen, die sich a priori durch die Vernunft denken lassen, um in der Stufenreihe der Unterschiede der Denkungsart in 15 Glaubenssachen die Stufe auszumachen, in der die Verschiedenheit zuerst einen Sektenunterschied begründen würde. In Glaubenssachen ist das Prinzip der Einteilung, nach der a n g e n o m m e n e n Denkungsart, entweder R e l i g i o n oder H e i d e n t u m (die einander wie A und non A entgegen 20 sind). Die Bekenner der ersteren werden gewöhnlich G l ä u b i g e , die des zweiten U n g l ä u b i g e genannt. Religion ist derjenige Glaube, der das We s e n t l i c h e aller Verehrung ¦ Gottes in der Moralität des Menschen setzt; Heidentum, der es nicht darin setzt; entweder, weil es ihm gar an dem Be- 25 griffe eines übernatürlichen und moralischen Wesens mangelt (ethnicismus brutus), oder weil er etwas anderes, als die Gesinnung eines sittlich wohlgeführten Lebenswandels, also das Nichtwesentliche der Religion, zum Religionsstück macht (ethnicismus speciosus). 30 Glaubenssätze, welche zugleich als göttliche Gebote gedacht werden sollen, sind nun entweder bloß s t a t u t a r i s c h , mithin für uns zufällig und Offenbarungslehren, oder m o r a l i s c h , mithin mit dem Bewußtsein ihrer Not20 Religion oder Heidentum] A: Religion oder Superstition oder Heidentum

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wendigkeit verbunden und a priori erkennbar, d. i. Ve r n u n f t l e h r e n des Glaubens. Der Inbegriff der ersteren Lehren macht den K i r c h e n - , der anderen aber den reinen R e l i g i o n s g l a u b e n aus.9 5 A l l g e m e i n h e i t für einen Kirchenglauben zu fordern (catholicismus hierarchicus), ist ein Widerspruch, weil unbedingte Allgemeinheit Notwendigkeit voraus setzt, die nur da Statt findet, wo die Vernunft ¦ selbst die Glaubenssätze hinreichend begründet, mithin diese nicht bloße Statute | 10 sind. Dagegen hat der reine Religionsglaube rechtmäßigen Anspruch auf Allgemeingültigkeit (catholicismus rationalis). Die Sektiererei in Glaubenssachen wird also bei dem letztern nie Statt finden, und, wo sie angetroffen wird, da entspringt sie immer aus einem Fehler des Kirchenglaubens: * seine Statute (selbst göttliche Offenbarungen) für wesentliche Stücke der Religion zu halten, mithin den Empirism in Glaubenssachen dem Rationalism unterzuschieben, und so das bloß Zufällige für an sich notwendig auszugeben. Da nun in zufälligen Lehren es vielerlei einander widerstrei20 tende, teils Satzungen, teils Auslegung von Satzungen, geben kann: so ist leicht einzusehen, daß der bloße Kirchenglaube, ohne durch den reinen Religionsglauben geläutert zu sein, eine reiche Quelle unendlich vieler Sekten in Glaubenssachen sein werde. Um diese Läuterung, worin sie bestehe, bestimmt anzu25 geben, scheint mir der zum Gebrauch schicklichste Probierstein der Satz zu sein: Ein jeder Kirchenglaube, so fern er bloß statutarische Glaubenslehren für wesentliche Religionslehren ausgibt, hat eine gewisse B e i m i s c h u n g v o n 30 H e i d e n t u m ; denn dieses besteht ¦ darin, das Äußerliche (Außerwesentliche) der Religion für wesentlich auszugeben. Diese Beimischung kann gradweise so weit gehen, daß die ganze Religion darüber in einen bloßen Kirchenglauben, 9

Diese Einteilung, welche ich nicht für präzis, und dem gewöhn35 lichen Redegebrauch angemessen ausgebe, mag einstweilen hier gelten

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Gebräuche für Gesetze auszugeben, übergeht, und alsdann bares Heidentum wird,10 wider welchen Schimpfnamen es nichts verschlägt zu sagen, daß jene Lehren doch göttliche Offenbarungen seien; denn nicht jene statutarische Lehren und Kirchenpflichten selbst, sondern der unbedingte ihnen beigelegte Wert (nicht etwa bloß Vehikel, sondern selbst Religionsstücke zu sein, ob sie zwar keinen inneren moralischen Gehalt bei sich führen, also nicht die Materie der Offenbarung, sondern die Form ihrer Aufnahme in seine praktische Gesinnung) ist das, was auf eine solche Glaubensweise den Namen des Heidentums mit Recht fallen läßt. Die kirchliche Autorität, nach ¦ einem solchen Glauben selig zu sprechen oder zu verdammen, würde das Pfaffentum genannt werden, von welchem Ehrennamen sich so nennende Protestanten nicht auszuschließen sind, wenn sie das Wesent | liche ihrer Glaubenslehre in Glauben an Sätze und Observanzen, von denen ihnen die Vernunft nichts sagt, und welche zu bekennen und zu beobachten der schlechteste nichtswürdigste Mensch in eben demselben Grade tauglich ist als der beste, zu setzen bedacht sind: sie mögen auch einen noch so großen Nachtrab von Tugenden, als die aus der wundervollen Kraft der ersteren entsprängen (mithin ihre eigene Wurzel nicht haben), anhängen, als sie immer wollen. Von dem Punkte also, wo der Kirchenglaube anfängt, für sich selbst mit Autorität zu sprechen, ohne auf seine Rektifikation durch den reinen R e l i g i o n s g l a u b e n zu achten, hebt auch die Sektiererei an; denn da dieser (als praktischer Vernunftglaube) seinen Einfluß auf die menschliche Seele 10

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H e i d e n t u m (paganismus) ist, der Worterklärung nach, der religiöse Aberglaube des Volks in Wäldern (Heiden), d. i. einer Men- 30 ge, deren Religionsglaube noch ohne alle kirchliche Verfassung, mithin ohne öffentliches Gesetz ist. Juden aber, Mohammedaner und Indier halten das für kein Gesetz, was nicht das ihrige ist, und benennen andere Völker, die nicht eben dieselbe kirchliche Observanzen haben, mit dem Titel der Verwerfung (Goi, Dschaur, u.s.w.), 35 nämlich der Ungläubigen.

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nicht verlieren kann, der mit dem Bewußtsein der Freiheit verbunden ist, indessen daß der Kirchenglaube über die Gewissen Gewalt ausübt: so sucht ein jeder etwas für seine eigene Mei ¦ nung in den Kirchenglauben hinein oder aus ihm heraus zu bringen. Diese Gewalt veranlaßt entweder bloße Absonderung von der Kirche (Separatism), d. i. Enthaltung von der öffentlichen Gemeinschaft mit ihr, oder öffentliche Spaltung der in Ansehung der kirchlichen Form Andersdenkenden, ob sie zwar der Materie nach sich zu eben derselben bekennen (Schismatiker), oder Zusammentretung der Dissidenten in Ansehung gewisser Glaubenslehren in besondere, nicht immer geheime, aber doch vom Staat nicht sanktionierte Gesellschaften (Sektierer), deren einige noch besondere, nicht fürs große Publikum gehörende, geheime Lehren aus eben demselben Schatz her holen (gleichsam Klubbisten der Frömmigkeit), endlich auch falsche Friedensstifter, die durch die Zusammenschmelzung verschiedener Glaubensarten allen genug zu tun meinen (Synkretisten); die dann noch schlimmer sind als Sektierer, weil Gleichgültigkeit in Ansehung der Religion überhaupt zum Grunde liegt, und, weil einmal doch ein Kirchenglaube im Volk sein müsse, einer so gut wie der andere sei, wenn er sich nur durch die Regierung zu ihren Zwecken gut handhaben läßt; ein Grundsatz, der im Munde des Regenten, als eines solchen, zwar ganz rich ¦ tig, auch so gar weise ist, im Urteile des Untertanen selbst aber, der diese Sache aus seinem eigenen und zwar moralischen Interesse zu erwägen hat, die äußerste Geringschätzung der Religion verraten würde; indem, wie selbst das Vehikel der Religion beschaffen sei, was jemand in seinen Kirchenglauben aufnimmt, für die Religion keine gleichgültige Sache ist. In Ansehung- der Sektiererei (welche auch wohl ihr Haupt bis zur | Vermannigfaltigung der Kirchen erhebt, wie es bei den Protestanten geschehen ist) pflegt man zwar zu sagen: es ist gut, daß es vielerlei Religionen (eigentlich kirchliche Glaubensarten in einem Staate) gibt, und so fern ist dieses auch richtig, als es ein gutes Zeichen ist: nämlich

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daß Glaubensfreiheit dem Volke gelassen worden; aber das ist eigentlich nur ein Lob für die Regierung. An sich aber ist ein solcher öffentlicher Religionszustand doch nicht gut, dessen Prinzip so beschaffen ist, daß es nicht, wie es doch der Begriff einer Religion erfordert, Allgemeinheit und Einheit der wesentlichen Glaubensmaximen bei sich führt und den Streit, der von dem Außerwesentlichen herrührt, nicht von jenem unterscheidet. Der Unterschied der Meinungen, in Ansehung der größeren oder minderen Schicklichkeit oder ¦ Unschicklichkeit des Vehikels der Religion zu dieser als Endabsicht selbst (nämlich die Menschen moralisch zu bessern), mag also allenfalls Verschiedenheit der Kirchensekten, darf aber darum nicht Verschiedenheit der Religionssekten bewirken, welche der Einheit und Allgemeinheit der Religion (also der unsichtbaren Kirche) gerade zuwider ist. Aufgeklärte Katholiken und Protestanten werden also einander als Glaubensbrüder ansehen können, ohne sich doch zu vermengen, beide in der Erwartung (und Bearbeitung zu diesem Zweck): daß die Zeit, unter Begünstigung der Regierung, nach und nach die Förmlichkeiten des Glaubens (der freilich alsdann nicht ein Glaube sein muß, Gott sich durch etwas anders, als durch reine moralische Gesinnung günstig zu machen oder zu versöhnen) der Würde ihres Zwecks, nämlich der Religion selbst, näher bringen werde. – Selbst in Ansehung der Juden ist dieses, ohne die Träumerei einer allgemeinen Judenbekehrung11 (zum Chri-

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Moses Mendelssohn wies dieses Ansinnen auf eine Art ab, die * seiner K l u g h e i t Ehre macht (durch eine argumentatio ad hominem). So lange (sagt er), als nicht Gott vom Berge Sinai eben so feierlich unser Gesetz aufhebt, als er es (unter Donner und Blitz) gegeben, | d. i. bis zum Nimmertag, sind wir daran gebunden; womit er 30 wahrscheinlicher Weise sagen wollte: Christen, schafft ihr erst das Judentum aus e u r e m eigenen Glauben weg: so werden wir auch das unsrige verlassen. – Daß er aber seinen eignen Glaubensgenossen durch diese harte Forderung die Hoffnung zur mindesten Erleichterung der sie drückenden Lasten abschnitt, ob er zwar wahr- 35

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stentum ¦ als einem m e s s i a n i s c h e n Glauben) möglich, wenn unter ihnen, wie jetzt geschieht, geläuterte Religionsbegriffe erwachen, und das Kleid des nunmehro zu nichts dienenden, vielmehr | alle wahre Religionsgesinnung ver5 drängenden, alten Kultus abwerfen. Da sie nun so lange das K l e i d o h n e M a n n (Kirche ohne Religion) gehabt haben, gleichwohl aber der M a n n o h n e K l e i d (Religion ohne Kirche) auch nicht gut verwahrt ist, sie also gewisse Förmlichkeiten einer Kirche, die dem Endzweck in ihrer jetzigen 10 Lage am angemessensten wäre, bedürfen: so kann man den * Gedanken eines sehr guten Kopfs dieser Nation, B e n d a v i d s , die Religion J e s u (vermutlich mit ihrem Vehikel, dem E v a n g e l i u m ) öffentlich anzunehmen, nicht allein für sehr glücklich, sondern auch für den einzigen Vorschlag 15 halten, dessen Ausführung dieses Volk, auch ohne sich mit andern in ¦ Glaubenssachen zu vermischen, bald als ein gelehrtes, wohlgesittetes, und aller Rechte des bürgerlichen Zustandes fähiges Volk, dessen Glaube auch von der Regierung sank-tioniert werden könnte, bemerklich machen wür20 de; wobei freilich ihr die Schriftauslegung (der Thora und des Evangeliums) frei gelassen werden müßte, um die Art, wie Jesus, als Jude zu Juden, von der Art, wie er als moralischer Lehrer zu Menschen überhaupt redete, zu unterscheiden. – Die Eu-thanasie des Judentums ist die reine morali25 sche Religion, mit Verlassung aller alten Satzungslehren, deren einige doch im Christentum (als messianischen Glauben) noch zurück behalten bleiben müssen: welcher Sektenunterschied endlich doch auch verschwinden muß, und so das, was man als den Beschluß des großen Drama des Reli30 gionswechsels auf Erden nennt (die Wiederbringung aller * Dinge), wenigstens im Geiste herbeiführt, da nur ein Hirt und eine Herde Statt findet.

scheinlich die wenigsten derselben für wesentlich seinem Glauben angehörig hielt, ob das seinem guten Wi l l e n Ehre mache, mögen 35 diese selbst entscheiden.

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Wenn aber gefragt wird: nicht bloß was Christentum sei, sondern wie es der Lehrer desselben anzufangen habe, damit ein solches in den Herzen der Menschen wirklich angetroffen werde (welches mit der Auf ¦ gabe einerlei ist: was ist zu tun, damit der Religionsglaube zugleich bessere Menschen 5 mache?), so ist der Zweck zwar einerlei, und kann keinen Sektenunterschied veranlassen, aber die Wahl des Mittels zu demselben kann diesen doch herbei führen, weil zu einer und derselben Wirkung sich mehr wie e i n e Ursache denken läßt, und sofern also Verschiedenheit und Streit der 10 Meinungen, ob das eine oder das andere demselben angemessen und göttlich sei, mithin eine Trennung in Prinzipien bewirken kann, die selbst | das Wesentliche (in subjektiver Bedeutung) der Religion überhaupt angehen. Da die Mittel zu diesem Zwecke nicht empirisch sein 15 können – weil diese allenfalls wohl auf die Tat, aber nicht auf die Gesinnung hinwirken – so muß für den, der alles Ü b e r s i n n l i c h e zugleich für ü b e r n a t ü r l i c h hält, die obige Aufgabe sich in die Frage verwandeln: Wie ist die Wiedergeburt (als die Folge der Bekehrung, wodurch je- 20 mand ein anderer, neuer Mensch wird) durch göttlichen un- * mittelbaren Einfluß möglich, und was hat der Mensch zu tun, um diesen herbei zu ziehen? Ich behaupte, daß, ohne die Geschichte zu Rate zu ziehen (als welche zwar Meinungen, aber nicht die Notwendigkeit derselben vorstellig ma- 25 chen ¦ kann), man a priori einen unausbleiblichen Sektenunterschied, den bloß diese Aufgabe bei denen bewirkt, welchen es eine Kleinigkeit ist, zu einer natürlichen Wirkung übernatürliche Ursachen herbei zu rufen, vorher sagen kann, ja daß diese Spaltung auch die einzige sei, welche zur 30 Benennung zweier verschiedener Religionssekten berechtigt; denn die anderen, welche man fälschlich so benennt, sind nur Kirchensekten, und gehen das Innere der Religion nicht an. – Ein jedes Problem aber besteht erstlich aus der Q u ä s t i o n [oder] der Aufgabe, zweitens der A u f l ö s u n g , 35 30 vorhersagen kann] A: vorher zu sagen

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und drittens dem B e w e i s , daß das Verlangte durch die letztere geleistet werde. Also: 1) Die Aufgabe (die der wackere S p e n e r mit Eifer allen Lehrern der Kirche zurief) ist: der Religionsvortrag muß zum Zweck haben, aus uns a n d e r e , nicht bloß bessere Menschen (gleich als ob wir so schon gute, aber nur dem Grade nach vernachlässigte wären) zu machen. Dieser Satz ward den O r t h o d o x i s t e n (ein nicht übel ausgedachter Name) in den Weg geworfen, welche in dem Glauben an die reine Offenbarungslehre und der von der Kirche vorgeschriebenen Observanzen (dem Beten, dem Kirchengehen und den Sakramenten) neben dem ehrbaren (zwar mit Über¦ tretungen untermengten, durch jene aber immer wieder gutzumachenden) Lebenswandel die Art setzten, Gott wohlgefällig zu werden. – Die Aufgabe ist also ganz in der Vernunft gegründet. 2) Die Auflösung aber ist völlig m y s t i s c h ausgefallen: so wie man es vom Supernaturalism in Prinzipien der Religion erwarten konnte, der, weil der Mensch von Natur in Sünden tot sei, keine Besserung aus eigenen Kräften hoffen lasse, selbst nicht aus der ursprünglichen unverfälschbaren moralischen Anlage in seiner Natur, die, ob sie gleich ü b e r s i n n l i c h ist, dennoch Fleisch genannt wird, darum weil ihre Wirkung nicht zugleich | ü b e r n a t ü r l i c h ist, als in welchem Falle die unmittelbare Ursache derselben allein der Geist (Gottes) sein würde. – Die mystische Auflösung jener Aufgabe teilt nun die Gläubigen in zwei Sekten des G e f ü h l s übernatürlicher Einflüsse: die eine, wo das Gefühl als von h e r z z e r m a l m e n d e r (zerknirschender), die andere, wo es von h e r z z e r s c h m e l z e n d e r (in die selige Gemeinschaft mit Gott sich auflösender) Art sein müsse, so, daß die Auflösung des Problems (aus bösen Menschen gute zu machen) von zwei entgegengesetzten Standpunkten ausgeht (»wo das Wollen zwar gut ist, aber das Vollbringen man ¦ gelt«). In der einen Sekte kommt es nämlich nur darauf an, von der Herr35 an, von] A: an, um von

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schaft des Bösen in sich l o s z u k o m m e n , worauf dann das gute Prinzip sich von selbst einfinden würde; in der andern, das gute Prinzip in seine Gesinnung aufzunehmen, worauf vermittelst eines übernatürlichen Einflusses das Böse für sich keinen Platz mehr finden, und das Gute allein 5 herrschend sein würde. Die Idee von einer moralischen, aber nur durch übernatürlichen Einfluß möglichen, Metamorphose des Menschen mag wohl schon längst in den Köpfen der Gläubigen r u m o r t haben: sie ist aber in neueren Zeiten allererst recht 10 zur Sprache gekommen, und hat den S p e n e r- F r a n c k i s c h e n und M ä h r i s c h - Z i n z e n d o r f s c h e n Sektenunterschied (den Pietism und Moravianism) in der Bekehrungs- * lehre hervorgebracht. Nach der e r s t e r e n Hypothese geschieht die Scheidung 15 des Guten vom Bösen (womit die menschliche Natur amalgamiert ist) durch eine übernatürliche Operation, die Zerknirschung und Zermalmung des Herzens in der B u ß e , als einem nahe an Verzweiflung grenzenden, aber doch auch nur durch den Einfluß eines himmlischen Geistes in seinem 20 nötigen Grade erreichbaren ¦ Gram (maeror animi), um welchen der Mensch selbst bitten müsse, indem er sich selbst darüber grämt, daß er sich nicht genug grämen (mithin das Leidsein ihm doch nicht so ganz von Herzen gehen) kann. Diese »Höllenfahrt des Selbsterkenntnisses bahnt nun, wie 25 der selige Hamann sagt, den Weg zur Vergötterung«. Näm- * lich, nachdem diese Glut der Buße ihre größte Höhe erreicht hat, geschehe der D u r c h b r u c h , und der Regulus des Wi e d e r g e b o r n e n glänze unter den Schlacken, die ihn zwar umgeben, aber nicht verunreinigen, tüchtig zu dem 30 Gott wohlgefälligen Gebrauch in einem guten Lebenswandel. – Diese radikale Veränderung fängt also mit einem Wu n d e r an, und endigt mit dem, was man sonst als natürlich anzusehen pflegt, weil es die Ve r n u n f t vorschreibt, nämlich mit dem moralisch-guten Lebenswandel. Weil man 35 aber, selbst | beim höchsten Fluge einer mystisch-gestimmten Einbildungskraft, den Menschen doch nicht von allem

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Selbsttun lossprechen kann, ohne ihn gänzlich zur Maschine zu machen, so ist das anhaltende inbrünstige G e b e t das, was ihm noch zu tun obliegt (wofern man es überhaupt für ein Tun will gelten lassen) und wovon er sich jene übernatürliche Wirkung allein versprechen kann; wobei doch auch der Skrupel eintritt: daß, da ¦ das Gebet, wie es heißt, nur sofern erhörlich ist, als es im Glauben geschieht, dieser selbst aber eine Gnadenwirkung ist, d. i. etwas, wozu der Mensch aus eigenen Kräften nicht gelangen kann, er mit seinen Gnadenmitteln im Zirkel geführt wird, und am Ende eigentlich nicht weiß, wie er das Ding angreifen solle. Nach der z w e i t e n Sekte Meinung geschieht der erste Schritt, den der sich seiner sündigen Beschaffenheit bewußt werdende Mensch zum Besseren tut, ganz natürlich, durch die Ve r n u n f t , die, indem sie ihm im moralischen Gesetz den Spiegel vorhält, worin er seine Verwerflichkeit erblickt, die moralische Anlage zum Guten benutzt, um ihn zur Entschließung zu bringen, es fortmehro zu seiner Maxime zu machen: Aber die Ausführung dieses Vorsatzes ist ein Wu n d e r. Er wendet sich nämlich von der Fahne des bösen Geistes ab, und begibt sich unter die des Guten, welches eine leichte Sache ist. Aber nun bei dieser zu beharren, nicht wieder ins Böse zurück zu fallen, vielmehr im Guten immer mehr fortzuschreiten, das ist die Sache, wozu er natürlicher Weise unvermögend sei, vielmehr nichts Geringeres als Gefühl einer übernatürlichen Gemeinschaft, und sogar das Bewußtsein eines kontinuierlichen Umganges mit einem himmlischen Geiste, erfor ¦ dert werde; wobei es zwischen ihm und dem letzteren zwar auf einer Seite nicht an Verweisen, auf der andern nicht an Abbitten fehlen kann; doch ohne daß eine Entzweiung oder Rückfall (aus der Gnade) zu besorgen ist: wenn er nur darauf Bedacht nimmt, diesen Umgang, der selbst ein kontinuierliches Gebet ist, ununterbrochen zu kultivieren. Hier ist nun eine zwiefache mystische Gefühlstheorie zum Schlüssel der Aufgabe: ein neuer Mensch zu werden, vorgelegt, wo es nicht um das O b j e k t und den Zweck aller

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Religion (den Gott gefälligen Lebenswandel, denn darüber stimmen beide Teile überein), sondern um die s u b j e k t i v e Bedingungen zu tun ist, unter denen wir allein Kraft dazu bekommen, jene Theorie in uns zur Ausführung zu bringen; wobei dann von Tugend (die ein leerer Name sei) nicht die Rede sein kann, sondern nur von der G n a d e , weil beide Parteien darüber einig sind, daß es hiemit | nicht natürlich zugehen könne, sich aber wieder darin von einander trennen, daß der eine Teil den f ü r c h t e r l i c h e n Kampf mit dem bösen Geiste, um von dessen Gewalt los zu kommen, bestehen muß, der andere aber dieses gar nicht nötig, ja als Werkheiligkeit verwerflich findet, sondern geradezu mit dem guten Geiste Allianz ¦ schließt, weil die vorige mit dem Bösen (als pactum turpe) gar keinen Einspruch dagegen verursachen kann; da dann die Wiedergeburt, als einmal für allemal vorgehende übernatürliche und radikale Revolution im Seelenzustande auch wohl äußerlich einen Sektenunterschied, aus so sehr gegen einander abstechenden Gefühlen beider Parteien, kennbar machen dürfte.12 ¦ 3) Der B e w e i s : daß, wenn, was Nr. 2 verlangt worden, geschehen, die Aufgabe Nr. 1 dadurch aufgelöset sein wer12

Welche Nationalphysiognomie möchte wohl ein ganzes Volk, welches (wenn dergleichen möglich wäre) in einer dieser Sekten erzogen wäre, haben? Denn, daß ein solcher sich zeigen würde, ist wohl nicht zu zweifeln: weil oft wiederholte, vornehmlich widernatürliche, Eindrücke aufs Gemüt sich in Gebärdung und Ton der Sprache äußeren, und Mienen endlich stehende Gesichtszüge werden. B e a t e , oder, wie sie Hr. Nikolai nennt, g e b e n e d e i e t e Gesichter würden es von anderen gesitteten und aufgeweckten Völkern (eben nicht zu seinem Vorteil) unterscheiden; denn es ist Zeichnung der Frömmigkeit in Karikatur. Aber nicht die Verachtung der Frömmigkeit ist es, was den Namen der Pietisten zum Sektennamen gemacht hat (mit dem immer eine gewisse Verachtung verbunden ist), sondern die phantastische, und, bei allem Schein der Demut, stolze Anmaßung, sich als übernatürlich-begünstigte Kinder des Himmels auszuzeichnen, wenn gleich ihr Wandel, so viel man sehen kann, vor dem der von ihnen so benannten Weltkinder, in der Moralität nicht den mindesten Vorzug zeigt.

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de. – Dieser Beweis ist unmöglich. Denn der Mensch müßte beweisen, daß in ihm eine übernatürliche Erfahrung, die an sich selbst ein Widerspruch ist, vorgegangen sei. Es könnte allenfalls eingeräumt werden, daß der Mensch in sich eine Erfahrung (z. B. von neuen und besseren Willensbestimmungen) gemacht hätte, von einer Veränderung, die er sich nicht anders als durch ein Wunder zu erklären weiß, also von etwas Übernatürlichen. Aber eine Erfahrung, von der er sich so gar nicht einmal, daß sie in der Tat Erfahrung sei, überführen kann, weil sie (als übernatürlich) auf keine Regel der Natur unseres Verstandes zurückgeführt, und dadurch bewährt werden kann, ist eine Ausdeutung gewisser Empfindungen, von denen man nicht weiß, was man aus ihnen machen soll, ob sie als zum Erkenntnis gehörig einen wirklichen Gegenstand haben, oder bloße Träumereien sein mögen. Den | unmittelbaren Einfluß der Gottheit als einer solchen f ü h l e n wollen ist, weil die Idee von dieser bloß in der Vernunft liegt, eine sich selbst widersprechende Anmaßung. – Also ist hier eine Aufgabe samt ihrer Auflösung ohne irgend einen möglichen ¦ Beweis; woraus denn auch nie etwas Vernünftiges gemacht werden wird. Es kommt nun noch darauf an, nachzusuchen, ob die Bibel nicht noch ein anderes Prinzip der Auflösung jenes Spenerischen Problems, als die zwei angeführte sektenmäßige enthalte, welches die Unfruchtbarkeit des kirchlichen Grundsatzes der bloßen Orthodoxie ersetzen könne. In der Tat ist nicht allein in die Augen fallend, daß ein solches in der Bibel anzutreffen sei, sondern auch überzeugend gewiß, daß nur durch dasselbe und das in diesem Prinzip enthaltene Christentum dieses Buch seinen so weit ausgebreiteten Wirkungskreis und dauernden Einfluß auf die Welt hat erwerben können, eine Wirkung, die keine Offenbarungslehre (als solche), kein Glaube an Wunder, keine vereinigte Stimme vieler Bekenner je hervorgebracht hätte, weil sie nicht

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aus der Seele des Menschen selbst geschöpft gewesen wäre, und ihm also immer hätte fremd bleiben müssen. Es ist nämlich etwas in uns, was zu bewundern wir niemals aufhören können, wenn wir es einmal ins Auge gefaßt haben, und dieses ist zugleich dasjenige, was die M e n s c h h e i t in der Idee zu einer Würde erhebt, die man am M e n s c h e n , als Gegenstande der ¦ Erfahrung, nicht vermuten sollte. Daß wir den moralischen Gesetzen unterworfene und zu deren Beobachtung selbst mit Aufopferung aller ihnen widerstreitenden Lebensannehmlichkeiten durch unsere Vernunft bestimmte Wesen sind, darüber wundert man sich nicht, weil es objektiv in der natürlichen Ordnung der Dinge als Objekte der reinen Vernunft liegt, jenen Gesetzen zu gehorchen: ohne daß es dem gemeinen und gesunden Verstande nur einmal einfällt, zu fragen, woher uns jene Gesetze kommen mögen, um vielleicht, bis wir ihren Ursprung wissen, die Befolgung derselben aufzuschieben, oder wohl gar ihre Wahrheit zu bezweifeln. – Aber daß wir auch das Ve r m ö g e n dazu haben, der Moral mit unserer sinnlichen Natur so große Opfer zu bringen, daß wir das auch k ö n n e n , wovon wir ganz leicht und klar begreifen, daß wir es s o l l e n , diese Überlegenheit des ü b e r s i n n l i c h e n M e n s c h e n in uns über den s i n n l i c h e n , desjenigen, gegen den der letztere (wenn es zum Widerstreit kommt) n i c h t s ist, ob dieser zwar in seinen eigenen Augen a l l e s ist, diese moralische, von der Menschheit unzertrennliche Anlage in uns ist ein Gegenstand der höchsten B e w u n d e r u n g , | die, je länger man dieses wahre (nicht erdachte) Ideal ansieht, nur immer desto höher steigt: so daß ¦ diejenigen wohl zu entschuldigen sind, welche, durch die Unbegreiflichkeit desselben verleitet, dieses Ü b e r s i n n l i c h e in uns, weil es doch praktisch ist, für ü b e r n a t ü r l i c h , d. i. für etwas, was gar nicht in unserer Macht steht, und uns als eigen zugehört, sondern vielmehr für den Einfluß von einem andern und höheren Geiste halten; worin sie aber sehr fehlen, weil die Wirkung dieses Vermögens alsdann nicht unsere Tat sein, mithin uns auch nicht zugerechnet werden könnte, das Ver-

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mögen dazu also nicht das unsrige sein würde. – Die Benutzung der Idee dieses uns unbegreiflicher Weise beiwohnenden Vermögens und die Ansherzlegung derselben, von der frühesten Jugend an und fernerhin im öffentlichen Vortrage, enthält nun die echte Auflösung jenes Problems (vom neuen Menschen), und selbst die Bibel scheint nichts anders vor Augen gehabt zu haben, nämlich nicht auf übernatürliche Erfahrungen und schwärmerische Gefühle hin zu weisen, die, statt der Vernunft, diese Revolution bewirken sollten: sondern auf den Geist Christi, um ihn, so wie er ihn in Lehre und Beispiel bewies, zu dem unsrigen zu machen, oder vielmehr, da er mit der ursprünglichen moralischen Anlage schon in uns liegt, ihm nur Raum zu verschaffen. Und so ist, zwischen dem seelenlosen ¦ O r t h o d o x i s m und dem vernunfttötenden M y s t i z i s m , die biblische Glaubenslehre, so wie sie vermittelst der Vernunft aus uns selbst entwickelt werden kann, die mit göttlicher Kraft auf aller Menschen Herzen zur gründlichen Besserung hinwirkende und sie in einer allgemeinen (obzwar unsichtbaren) Kirche vereinigende, auf dem K r i t i z i s m der praktischen Vernunft gegründete wahre Religionslehre. Das aber, worauf es in dieser Anmerkung eigentlich ankommt, ist die Beantwortung der Frage: ob die Regierung wohl einer Sekte des Gefühlglaubens die Sanktion einer Kirche könne angedeihen lassen; oder ob sie eine solche zwar dulden und schützen, mit jenem Prärogativ aber nicht beehren könne, ohne ihrer eigenen Absicht zuwider zu handeln. Wenn man annehmen darf (wie man es denn mit Grunde tun kann), daß es der Regierung Sache gar nicht sei, für die künftige Seligkeit der Untertanen Sorge zu tragen, und ihnen den Weg dazu anzuweisen (denn das muß sie wohl diesen selbst überlassen, wie denn auch der Regent selbst | seine eigene Religion gewöhnlicher Weise vom Volk und dessen Lehrern her hat): ¦ so kann ihre Absicht nur sein, auch durch dieses Mittel (den Kirchenglauben) lenksame und moralisch-gute Untertanen zu haben.

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Zu dem Ende wird sie erstlich keinen N a t u r a l i s m (Kir- * chenglauben ohne Bibel) sanktionieren, weil es bei dem gar keine dem Einfluß der Regierung unterworfene kirchliche Form geben würde, welches der Voraussetzung widerspricht. – Die biblische Orthodoxie würde also das sein, 5 woran sie die öffentliche Volkslehrer bände, in Ansehung deren diese wiederum unter der Beurteilung der Fakultäten stehen würden, die es angeht, weil sonst ein Pfaffentum, d. i. eine Herrschaft der Werkleute des Kirchenglaubens entstehen würde, das Volk nach ihren Absichten zu beherrschen. 10 Aber den O r t h o d o x i s m , d. i. die Meinung von der Hinlänglichkeit des Kirchenglaubens zur Religion würde sie durch ihre Autorität nicht bestätigen; weil diese die natürliche Grundsätze der Sittlichkeit zur Nebensache macht, da sie vielmehr die Hauptstütze ist, worauf die Regierung muß 15 rechnen können, wenn sie in ihr Volk Vertrauen setzen soll.13 Endlich kann sie ¦ am wenigsten den Mystizism als 13

Was den Staat in Religionsdingen allein interessieren darf, ist:

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Bürger, gute Soldaten, und überhaupt getreue Untertanen habe. Wenn er nun dazu die Einschärfung der Rechtgläubigkeit in statutarischen Glaubenslehren und eben solcher Gnadenmittel wählt, so kann er hiebei sehr übel fahren. Denn da das Annehmen dieser Statute eine leichte und dem schlechtdenkendsten Menschen weit leichtere Sache ist, als dem guten, dagegen die moralische Besserung der Gesinnung viel und lange Mühe macht, er aber von der ersteren hauptsächlich seine Seligkeit zu hoffen gelehrt worden ist, so darf er sich eben kein groß Bedenken machen, seine Pflicht (doch behutsam) zu übertreten, weil er ein unfehlbares Mittel bei der Hand hat, der göttlichen Strafgerechtigkeit (nur daß er sich nicht verspäten muß), durch seinen rechten Glauben an alle Geheimnisse und inständige Benutzung der Gnadenmittel, zu entgehen; dagegen, wenn jene Lehre der Kirche geradezu auf die Moralität gerichtet sein würde, das Urteil seines Gewissens ganz anders lauten würde: nämlich daß, so viel er von dem Bösen, was er tat, nicht ersetzen kann, dafür müsse er einem künftigen Richter antworten, und dieses Schicksal abzuwenden vermöge kein kirchliches Mittel, kein durch Angst herausgedrängter Glaube, noch ein solches Gebet (desine fata deum

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Meinung des Volks, übernatürlicher Inspiration selbst teilhaftig werden zu können, zum Rang eines öffentlichen Kirchenglaubens ¦ erheben, weil er gar nichts Öffentliches ist, und sich also dem Einfluß der Regierung gänzlich entzieht.

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| Friedens-Abschluß und Beilegung des Streits der Fakultäten In Streitigkeiten, welche bloß die reine, aber praktische, Vernunft angehen, hat die philosophische Fakultät ohne Widerrede das Vorrecht, den Vortrag zu tun, und, was das Formale betrifft, den Prozeß zu i n s t r u i e r e n ; was aber das Materiale anlangt, so ist die theologische im Besitz, den Lehnstuhl, der den Vorrang bezeichnet, einzunehmen, nicht weil sie etwa in Sachen der Vernunft auf mehr Einsicht Anspruch machen kann, als die übrigen, sondern weil es die wichtigste menschliche Angelegenheit betrifft, und führt daher den Titel der o b e r s t e n Fakultät (doch nur als prima inter pares). – Sie spricht aber nicht nach Gesetzen der reinen und a priori erkennbaren Vernunftreligion (denn da würde sie sich erniedrigen, und auf die philo ¦ sophische Bank herabsetzen), sondern nach s t a t u t a r i s c h e n , in einem Buche, vorzugsweise B i b e l genannt, enthaltenen Glaubensvorschriften, d. i. in einem Kodex der Offenbarung eines vor viel hundert Jahren geschlossenen alten und neuen Bundes der Menschen mit Gott, dessen Authentizität, als eines Geschichtsglaubens (nicht eben des moralischen; denn der würde auch aus der Philosophie gezogen werden können), doch mehr von der Wirkung, welche die Lesung der Bibel auf das Herz der Menschen tun mag, als von mit kritischer Prüfung der darin enthaltenen Lehren und Erzählungen aufgestellten Beweisen erwartet werden darf, dessen A u s l e g u n g auch nicht der natürlichen Vernunft der flecti sperare precando). – Bei welchem Glauben ist nun der Staat sicherer?

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Laien, sondern nur der Scharfsinnigkeit der Schriftgelehrten überlassen wird.14 ¦ | Der biblische Glaube ist ein m e s s i a n i s c h e r Geschichtsglaube, dem ein Buch des Bundes Gottes mit Abraham zum Grunde liegt, und besteht aus einem m o s a i s c h messianischen und einem e v a n g e l i s c h - messianischen Kirchenglauben, der den Ursprung und die Schicksale des Volks Gottes so vollständig erzählt, daß er, von dem, was in der Weltgeschichte überhaupt das oberste ist, und wobei kein Mensch zugegen war, nämlich dem Weltanfang (in der Genesis) anhebend, sie bis zum Ende aller Dinge (in der Apokalypsis) verfolgt – welches freilich von keinem andern, als einem göttlich-inspirierten Verfasser erwartet werden darf; – wobei sich doch eine bedenkliche Zahlen-Kabbala, in Ansehung der wichtigsten Epochen der heiligen ¦ Chronologie darbietet, welche den Glauben an die Authentizität dieser biblischen G e s c h i c h t s e r z ä h l u n g etwas schwächen dürfte.15

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Im römisch-katholischen System des Kirchenglaubens ist, diesen Punkt (das Bibellesen) betreffend, mehr Konsequenz als im protestantischen. – Der reformierte Prediger L a C o s t e sagt zu seinen Glaubensgenossen: »Schöpft das göttliche Wort aus der Quelle (der Bibel) selbst, wo ihr es dann lauter und unverfälscht einnehmen könnt; aber ihr müßt ja nichts anders in der Bibel finden, als was wir darin finden. – Nun, liebe Freunde, sagt uns lieber, was ihr in der Bibel | findet, damit wir nicht unnötiger Weise darin selbst suchen, und am Ende, was wir darin gefunden zu haben vermeinten, von euch für unrichtige Auslegung derselben erklärt werde.« – Auch spricht die katholische Kirche in dem Satze: »Außer der Kirche (der katholischen) ist kein Heil«, konsequenter als die protestantische, wenn diese sagt: daß man auch als Katholik selig werden könne. Denn wenn das ist (sagt B o s s u e t ), so wählt man ja am sichersten, sich zur ersteren zu schlagen. Denn noch seliger als selig kann doch kein Mensch zu werden verlangen. 15 70 apokalyptische Monate (deren es in diesem Zyklus 4 gibt), jeden zu 29½ Jahren, geben 2065 Jahr. Davon jedes 49ste Jahr, als das große Ruhejahr (deren in diesem Zeitlaufe 42 sind), abgezogen: bleiben gerade 2023, als das Jahr, da Abraham aus dem Lande Kanaan,

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¦ | Ein Gesetzbuch des nicht aus der menschlichen Vernunft gezogenen, aber doch mit ihr, als moralisch-praktischer Vernunft, dem Endzwecke nach vollkommen einstimmigen s t a t u t a r i s c h e n (mithin aus einer Offenbarung

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5 das ihm Gott geschenkt hatte, nach Ägypten ging. – Von da an bis

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zur Einnahme jenes Landes durch die Kinder Israel, 70 apokalyptische Wochen (= 490 Jahr) – und so 4mal solcher Jahrwochen zusammengezählt (= 1960) und mit 2023 addiert, geben, nach P. P e t a u Rechnung, das Jahr der Geburt Christi (=3983) so genau, daß auch nicht ein Jahr daran fehlt. – Siebzig Jahre hernach die Zerstörung Jerusalems (auch eine mystische Epoche). – Aber B e n g e l , in ordine temporum, pag. 9. it. p. 218 seqq., bringt 3939, als die Zahl der Geburt Christi, heraus? Aber das ändert nichts an der Heiligkeit des numerus septenarius. Denn die Zahl der Jahre vom Rufe Gottes an Abraham, bis zur Geburt Christi, ist 1960, welches 4 apokalyptische Perioden austrägt, jeden zu 490, oder auch 40 apok. Perioden, jeden zu 7 mal 7 = 49 Jahr. Zieht man nun von jedem neunundvierzigsten das g r o ß e Ruhejahr und von jedem g r ö ß t e n Ruhejahr, welches das 490ste ist, eines ab (zusammen 44), so bleibt gerade 3939. – Also sind die Jahrzahlen 3983 und 3939, als das verschieden angegebene Jahr ¦ der Geburt Christi, nur darin unterschieden: 101 daß die letztere entspringt, wenn in der Zeit der ersteren das, was zur Zeit der 4 großen Epochen gehört, um die Zahl der Ruhejahre vermindert wird. Nach B e n g e l n würde die Tafel der heil. Geschichte so aussehen: 2023: Verheißung an Abraham, das Land Kanaan zu besitzen; 2502: Besitzerlangung desselben; 2981: Einweihung des ersten Tempels; 3460: Gegebener Befehl zur Erbauung des zweiten Tempels; 3939: Geburt Christi. Auch das Jahr der Sündflut läßt sich so a priori ausrechnen. Nämlich 4 Epochen zu 490 (= 70 x 7) Jahr machen 1960. Davon jedes 7te (= 280) abgezogen, | bleiben 1680. Von diesen 1680 jedes darin ent- [63] haltene 70ste Jahr abgezogen (= 24), bleiben 1656, als das Jahr der Sündflut. – Auch von dieser bis zum R. G. an Abraham sind 366 volle Jahre, davon eines ein Schaltjahr ist. Was soll man nun hiezu sagen? Haben die heilige Zahlen etwa den Weltlauf bestimmt? F r a n k s Cyclus iobilaeus dreht sich ebenfalls um diesen Mittelpunkt der mystischen Chronologie herum.

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hervorgehenden) göttlichen Willens, die Bibel, ¦ würde nun das kräftigste Organ der Leitung des Menschen und des Bürgers zum zeitlichen und ewigen Wohl sein, wenn sie nur als Gottes Wort beglaubigt und ihre Authentizität dokumentiert werden könnte. – Diesem Umstande aber stehen viele Schwierigkeiten entgegen. Denn wenn Gott zum Menschen wirklich spräche, so kann dieser doch niemals w i s s e n , daß es Gott sei, der zu ihm spricht. Es ist schlechterdings unmöglich, daß der Mensch durch seine Sinne den Unendlichen fassen, ihn von Sinnenwesen unterscheiden, und ihn woran k e n n e n solle. – Daß es aber n i c h t Gott sein könne, dessen Stimme er zu hören glaubt, davon kann er sich wohl in einigen Fällen überzeugen; denn, wenn das, was ihm durch sie geboten wird, dem moralischen Gesetz zuwider ist, so mag die Erscheinung ihm noch so majestätisch, und die ganze Natur überschreitend dünken: er muß sie doch für Täuschung halten.16 ¦ Die Beglaubigung der Bibel nun, als eines in Lehre und Beispiel zur Norm dienenden evangelisch-messianischen Glaubens, kann nicht aus der Gottesgelahrtheit ihrer Verfasser (denn der war immer ein dem möglichen Irrtum ausgesetzter Mensch), sondern muß aus der Wirkung ihres Inhalts auf die Moralität des Volks, von Lehrern aus diesem Volk selbst, als Idioten (im Wissenschaftlichen), an sich, mithin als aus dem reinen Quell der allgemeinen, jedem gemeinen Menschen beiwohnenden Vernunftreligion geschöpft, betrachtet werden, die, eben durch diese Einfalt, 16

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Zum Beispiel kann die Mythe von dem Opfer dienen, das Ab- * raham, auf göttlichen Befehl, durch Abschlachtung und Verbren- 30 nung seines einzigen Sohnes – (das arme Kind trug unwissend noch das Holz hinzu) – bringen wollte. Abraham hätte auf diese vermeinte göttliche Stimme antworten müssen: »Daß ich meinen guten Sohn 103 nicht töten solle, ist ganz gewiß; daß aber du, ¦ der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht gewiß, und kann es auch nicht werden, 35 wenn sie auch vom (sichtbaren) Himmel herabschallte«.

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auf die | Herzen desselben den ausgebreitetsten und kräftigsten Einfluß haben mußte. – Die Bibel war das Vehikel derselben, vermittelst gewisser statutarischer Vorschriften, welche der Ausübung der Religion in der bürgerlichen Gesellschaft eine F o r m als einer Regierung gab, und die Authentizität dieses Gesetzbuchs, als eines göttlichen (des Inbegriffs aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote) beglaubigt also und dokumentiert sich selbst, was den Geist desselben (das Moralische) betrifft; was ¦ aber den Buchstaben (das Statutarische) desselben anlangt, so bedürfen die Satzungen in diesem Buche keiner Beglaubigung, weil sie nicht zum Wesentlichen (principale), sondern nur zum Beigeselleten (accessorium) desselben gehören. – Den Ursprung aber dieses Buchs auf Inspiration seiner Verfasser (deus ex machina) zu gründen, um auch die unwesentliche Statute desselben zu heiligen, muß eher das Zutrauen zu seinem moralischen Wert schwächen, als es stärken. Die Beurkundung einer solchen Schrift, als einer göttlichen, kann von keiner Geschichtserzählung, sondern nur von der erprobten Kraft derselben, Religion in menschlichen Herzen zu gründen, und, wenn sie durch mancherlei (alte oder neue) Satzungen verunartet wäre, sie durch ihre Einfalt selbst wieder in ihre Reinigkeit herzustellen, abgeleitet werden, welches Werk darum nicht aufhört, Wirkung der N a t u r und Erfolg der fortschreitenden moralischen Kultur in dem allgemeinen Gange der Vo r s e h u n g zu sein, und als eine solche erklärt zu werden bedarf, damit die Existenz dieses Buchs nicht u n g l ä u b i s c h dem bloßen Zufall, oder a b e r g l ä u b i s c h einem Wu n d e r zugeschrieben ¦ werde, und die Vernunft in beiden Fällen auf den Strand gerate. Der Schluß hieraus ist nun dieser: Die Bibel enthält in sich selbst einen, in praktischer Absicht hinreichenden, Beglaubigungsgrund ihrer (moralischen) Göttlichkeit, durch den Einfluß, den sie, als Text einer systematischen Glaubenslehre, von jeher, sowohl in katechetischem als homiletischem Vortrage auf das Herz der

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Menschen ausgeübt hat, um sie als Organ, nicht allein der allgemeinen und inneren Vernunftreligion, sondern auch als Vermächtnis (Neues Testament) einer statutarischen, auf unabsehliche Zeiten zum Leitfaden dienenden Glaubenslehre, aufzubehalten: es mag ihr auch in theoretischer Rücksicht für Gelehrte, die ihren Ursprung theoretisch und historisch nachsuchen, und für die kritische Behandlung ihrer Geschichte an Beweistümern viel oder wenig abgehen. – Die G ö t t l i c h k e i t ihres moralischen Inhalts ent | schädigt die Vernunft hinreichend wegen der Menschlichkeit der Geschichtserzählung, die, gleich einem alten Pergamente hin und wieder unleserlich, durch Akkomodationen und Konjekturen im Zusammenhange mit dem Ganzen müssen verständlich gemacht werden, und berechtigt dabei ¦ doch zu dem Satz: daß die Bibel, g l e i c h a l s o b s i e e i n e g ö t t l i c h e O f f e n b a r u n g w ä r e , aufbewahrt, moralisch benutzt, und der Religion, als ihr Leitmittel, untergelegt zu werden verdiene. Die Keckheit der Kraftgenies, welche diesem Leitbande des Kirchenglaubens sich jetzt schon entwachsen zu sein wähnen, sie mögen nun, als Theophilanthropen, in öffentlichen, dazu errichteten Kirchen, oder, als Mystiker, bei der Lampe innerer Offenbarungen schwärmen, würde die Regierung bald ihre Nachsicht bedauren machen, jenes große Stiftungs- und Leitungsmittel der bürgerlichen Ordnung und Ruhe vernachlässigt, und leichtsinnigen Händen überlassen zu haben. – Auch ist nicht zu erwarten, daß, wenn die Bibel, die wir haben, außer Kredit kommen sollte, eine andere an ihrer Stelle emporkommen würde; denn öffentliche Wunder machen sich nicht zum zweitenmale in derselben Sache: weil das Fehlschlagen des vorigen, in Absicht auf die Dauer, dem folgenden allen Glauben benimmt; – wiewohl doch auch andererseits auf das Geschrei der A l a r m i s t e n (das Reich ist in Gefahr) nicht zu achten ist, wenn in gewissen Statuten der Bibel, welche mehr die Förmlichkeiten, als den inneren ¦ Glaubensgehalt der Schrift betreffen, selbst an den Verfassern derselben einiges gerügt werden sollte: weil

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das Verbot der Prüfung einer Lehre der Glaubensfreiheit zuwider ist. – Daß aber ein Geschichtsglaube Pflicht sei, und zur Seligkeit gehöre, ist Aberglaube.17 ¦ | Von der biblischen A u s l e g u n g s k u n s t (hermeneutica sacra), da sie nicht den Laien überlassen werden kann (denn 17

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A b e r g l a u b e ist der Hang, in das, was als nicht natürlicher Weise zugehend vermeint wird, ein größeres Vertrauen zu setzen, als was sich nach Naturgesetzen erklären läßt – es sei im Physischen oder Moralischen. – Man kann also die Frage aufwerfen: ob der Bibelglaube (als empirischer), oder ob umgekehrt die Moral (als reiner Vernunft- und Religionsglaube) dem Lehrer zum Leitfaden dienen solle; mit anderen Worten: ist die Lehre von Gott, weil sie in der Bibel steht, oder steht sie in der Bibel, weil sie von Gott ist ? – Der erstere Satz ist augenscheinlich inkonsequent; weil das göttliche Ansehen des Buchs hier vorausgesetzt werden muß, um die Göttlichkeit der Lehre desselben zu beweisen. Also kann nur der zweite Satz Statt finden, der aber schlechterdings keines Beweises fähig ist (supernaturalium non datur s c i e n t i a ). – Hievon ein Beispiel. – Die Jünger des mosaisch-messianischen Glaubens sahen ihre Hoffnung aus dem Bunde Gottes mit Abraham nach Jesu Tode ganz sinken (wir hofften, er würde | Israel erlösen); denn nur den Kindern Abra- [66] hams war in ihrer Bibel das Heil verheißen. Nun trug es sich zu, daß, da am P f i n g s t f e s t e die Jünger ¦ versammelt waren, einer derselben 108 auf den glücklichen, der subtilen jüdischen Auslegungskunst angemessenen Einfall geriet, daß auch die Heiden (Griechen und Römer) als in diesen Bund aufgenommen betrachtet werden könnten: wenn sie an das Opfer, welches Abraham Gotte mit seinem einzigen Sohne bringen wollte (als dem Sinnbilde des einigen Opfers des Weltheilandes), glaubeten; denn da wären sie Kinder Abrahams im Glauben (zuerst unter, dann aber auch ohne die Beschneidung). – Es ist kein Wunder, daß diese Entdeckung, die in einer großen Volksversammlung eine so unermeßliche Aussicht eröffnete, mit dem größten Jubel, und als ob sie unmittelbare Wirkung des heiligen Geistes gewesen wäre, aufgenommen und für ein Wunder gehalten wurde, und als ein solches in biblische (Apostel-) Geschichte kam, bei der es aber gar nicht zur Religion gehört, sie als Faktum zu glauben, und diesen Glauben der natürlichen Menschenvernunft aufzudringen. Der durch Furcht abgenötigte Gehorsam in Ansehung eines solchen Kirchenglaubens, als zur Seligkeit erforderlich, ist also Aberglaube.

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sie betrifft ein wissenschaftliches System), darf nun, lediglich, in Ansehung dessen, was in der Religion statutarisch ist, verlangt werden: daß der Ausleger sich erkläre, ob sein Ausspruch als a u t h e n t i s c h , oder als d o k t r i n a l verstanden werden ¦ solle. – Im ersteren Falle muß die Auslegung dem Sinne des Verfassers buchstäblich (philologisch) angemessen sein; im zweiten aber hat der Schriftsteller die Freiheit, der Schriftstelle (philosophisch) denjenigen Sinn unterzulegen, den sie in moralisch-praktischer Absicht (zur Erbauung des Lehrlings) in der Exegese annimmt; denn der Glaube an einen bloßen Geschichtssatz ist tot an ihm selber. – Nun mag wohl die erstere für den Schriftgelehrten, und indirekt auch für das Volk in gewisser pragmatischen Absicht wichtig genug sein, aber der eigentliche Zweck der Religionslehre, moralisch bessere Menschen zu bilden, kann auch dabei nicht allein verfehlt, sondern wohl gar verhindert werden. – Denn die heilige Schriftsteller können als Menschen auch geirret haben (wenn man nicht ein durch die Bibel beständig fortlaufendes Wunder annimmt), wie z. B. der heilige P a u l mit seiner Gnadenwahl, welche er aus der mosaisch-messianischen Schriftlehre in die evangelische treuherzig überträgt, ob er zwar über die Unbegreiflichkeit der Verwerfung gewisser Menschen, ehe sie noch geboren waren, sich in großer Verlegenheit befindet, und so, wenn man die Hermeneutik der Schriftgelehrten als kontinuierlich dem | Ausleger zu Teil ¦ gewordene Offenbarung annimmt, der Göttlichkeit der Religion beständig Abbruch tun muß. – Also ist nur die d o k t r i n a l e Auslegung, welche nicht (empirisch) zu wissen verlangt, was der heilige Verfasser mit seinen Worten für einen Sinn verbunden haben mag, sondern was die Vernunft (a priori) in moralischer Rücksicht bei Veranlassung einer Spruchstelle als Text der Bibel für eine Lehre unterlegen kann, die einzige evangelisch-biblische Methode der Belehrung des Volks in der wahren inneren und allgemeinen Religion, die von dem partikulären Kirchenglauben als Geschichtsglauben – unterschieden ist; wobei dann alles mit Ehrlichkeit und Offenheit, ohne Täu-

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schung zugeht, da hingegen das Volk, mit einem Geschichtsglauben, den keiner desselben sich zu beweisen vermag, statt des moralischen (allein seligmachenden), den ein jeder faßt, in seiner Absicht (die es haben muß) g e t ä u s c h t , seinen Lehrer anklagen kann. In Absicht auf die Religion eines Volks, das eine heilige Schrift zu verehren gelehrt worden ist, ist nun die doktrinale Auslegung derselben, welche sich auf sein (des Volks) moralisches Interesse – der Erbauung, sittlichen Besserung und so der Seligwerdung – be ¦ zieht, zugleich die authentische: d. i. so will Gott seinen in der Bibel geoffenbarten Willen verstanden wissen. Denn es ist hier nicht von einer bürgerlichen, das Volk unter Disziplin haltenden (politischen), sondern einer auf das Innere der moralischen Gesinnung abzweckenden (mithin göttlichen) Regierung die Rede. Der Gott, der durch unsere eigene (moralisch-praktische) Vernunft spricht, ist ein untrüglicher allgemein verständlicher Ausleger dieses seines Worts, und es kann auch schlechterdings keinen anderen (etwa auf historische Art) beglaubigten Ausleger seines Worts geben; weil Religion eine reine Vernunftsache ist.

Und so haben die Theologen der Fakultät die Pflicht auf sich, mithin auch die Befugnis, den Bibelglauben aufrecht zu erhalten: doch unbeschadet der Freiheit der Philosophen, 25 ihn jederzeit der Kritik der Vernunft zu unterwerfen, welche im Falle einer Diktatur (des Religionsedikts), die jener oberen etwa auf kurze Zeit eingeräumt werden dürfte, sich * durch die solenne Formel bestens verwahren: Provideant consules, ne quid Respublica detrimenti capiat.

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¦ | Anhang biblisch-historischer Fragen, über die praktische Benutzung und mutmaßliche Zeit der Fortdauer dieses heiligen Buchs Daß es, bei allem Wechsel der Meinungen, noch lange Zeit im Ansehen bleiben werde, dafür bürgt die Weisheit der Regierung, als deren Interesse, in Ansehung der Eintracht und Ruhe des Volks in einem Staat, hiemit in enger Verbindung steht. Aber ihm die Ewigkeit zu verbürgen, oder auch es, chiliastisch, in ein neues Reich Gottes auf Erden übergehen zu lassen, das übersteigt unser ganzes Vermögen der Wahrsagung. – Was würde also geschehen, wenn der Kirchenglaube dieses große Mittel der Volksleitung einmal entbehren müßte? Wer ist der Redakteur der biblischen Bücher (alten und neuen Testaments), und zu welcher Zeit ist der Kanon zu Stande gekommen? Werden philologisch-antiquarische Kenntnisse immer zur Erhaltung der einmal angenommenen Glau ¦ bensnorm nötig sein, oder wird die Vernunft den Gebrauch derselben zur Religion dereinst von selbst und mit allgemeiner Einstimmung anzuordnen im Stande sein? Hat man hinreichende Dokumente der Authentizität der Bibel nach den sogenannten 70 Dolmetschern, und von welcher Zeit kann man sie mit Sicherheit datieren? u.s.w. Die praktische, vornehmlich öffentliche, Benutzung dieses Buchs in Predigten ist ohne Zweifel diejenige, welche zur Besserung der Menschen und Belebung ihrer moralischen Triebfedern (zur Erbauung) beiträgt. Alle andere Absicht muß ihr nachstehen, wenn sie hiemit in Kollision kommt. – Man muß sich daher wundern: daß diese Maxime noch hat bezweifelt werden können, und eine p a r a p h r a s t i s c h e Behandlung eines Texts der p a r ä n e t i s c h e n , wenn gleich nicht vorgezogen, doch durch die erstere wenigstens hat in Schatten gestellt werden sollen. – Nicht die Schriftgelahrtheit, und was man vermittelst ihrer aus der Bibel, durch

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philologische Kenntnisse, die oft nur verunglückte Konjekturen ¦ sind, h e r a u s z i e h t , sondern was man mit moralischer Denkungsart (also nach dem Geiste Gottes) in sie h i n e i n t r ä g t , und Lehren, die nie trügen, auch nie ohne heilsame Wirkung sein können, das muß diesem Vortrage ans Volk die | Leitung geben: nämlich den Text n u r (wenigstens h a u p t s ä c h l i c h ) als Veranlassung zu allem Sittenbessernden, was sich dabei denken läßt, zu behandeln, ohne, was die heiligen Schriftsteller dabei selbst im Sinne gehabt haben möchten, nachforschen zu dürfen. – Eine auf Erbauung, als Endzweck, gerichtete Predigt (wie denn das eine jede sein soll) muß die Belehrung aus den H e r z e n der Zuhörer, nämlich der natürlichen moralischen Anlage, selbst des unbelehrtesten Menschen, entwickeln, wenn die dadurch zu bewirkende Gesinnung lauter sein soll. Die damit verbundene Z e u g n i s s e der Schrift sollen auch nicht die Wahrheit dieser Lehren b e s t ä t i g e n d e historische Beweisgründe sein (denn deren bedarf die sittlich-tätige Vernunft hiebei nicht, und das empirische Erkenntnis vermag es auch nicht), sondern bloß Beispiele der Anwendung der praktischen Vernunftprinzipien auf Facta der heiligen Geschichte, um ihre Wahrheit anschaulicher zu machen; welches aber auch ein sehr ¦ schätzbarer Vorteil für Volk und Staat auf der ganzen Erde ist.

Anhang von einer reinen Mystik in der Religion18 Ich habe aus der Kritik der reinen Vernunft gelernet, daß Philosophie nicht etwa eine Wissenschaft der Vorstellungen, Begriffe und Ideen, oder eine Wissenschaft aller Wissenschaften, oder sonst etwas Ähnliches sei; sondern eine Wis18

In einem seiner Dissertation: De similitudine inter Mysticis* mum purum et Kantianam religionis doctrinam. Auctore Carol. Arnold. Wi l l m a n s , Bielefelda-Guestphalo, Halis Saxonum 1799 beigefügten Briefe, welchen ich, mit seiner Erlaubnis, und mit Weg-

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senschaft des Menschen, seines Vorstel ¦ lens, Denkens und Handelns; sie soll den Menschen nach allen seinen Bestandteilen darstellen, wie er ist und sein soll, d. h., sowohl nach seinen Naturbestimmungen, als auch nach seinem Moralitäts- und Freiheitsverhältnis. Hier wies nun die alte Philosophie dem Menschen einen ganz unrichtigen Standpunkt in der Welt an, indem sie ihn in dieser zu einer Maschine machte, die, als solche, gänzlich von der Welt, oder von den Außendingen und Umständen, abhängig sein mußte; sie machte also den Menschen zu einem bei | nahe bloß p a s s i v e n Teile der Welt. – Jetzt erschien die Kritik der Vernunft, und bestimmte dem Menschen in der Welt eine durchaus a k t i v e Existenz. Der Mensch selbst ist ursprünglich Schöpfer aller seiner Vorstellungen und Begriffe, und soll einziger Urheber aller seiner Handlungen sein. Jenes » i s t « , und dieses » s o l l « , führt auf zwei ganz verschiedene Bestimmungen am Menschen. Wir bemerken daher auch im Menschen zweierlei ganz verschiedenartige Teile, nämlich auf der einen Seite Sinnlichkeit und Verstand, und auf der andern Vernunft und freien Willen, die sich sehr wesentlich von einander unterscheiden. In der Natur i s t alles; es ist von keinem S o l l in ihr die Rede; Sinnlichkeit und Verstand gehen aber nur immer ¦ darauf aus, zu bestimmen, was, und wie es i s t ; sie müssen also für die Natur, für diese Erdenwelt, bestimmt sein, und mithin zu ihr gehören. Die Vernunft will beständig ins Übersinnliche, wie es wohl über die sinnliche Natur hinaus beschaffen s e i n m ö c h t e : sie scheint also, obzwar ein theoretisches Vermögen, dennoch gar nicht für diese Sinnlichkeit bestimmt zu sein; der freie Wille aber besteht ja in einer Unabhängigkeit von den

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lassung der Einleitungs- und Schlußhöflichkeitsstellen, hiemit liefere, und welcher diesen jetzt der Arzneiwissenschaft sich widmenden jungen Mann als einen solchen bezeichnet, von dem sich auch in anderen Fächern der Wissenschaft viel erwarten läßt. Wobei ich gleichwohl jene Ähnlichkeit meiner Vorstellungsart mit der seinigen un- 35 bedingt einzugestehen nicht gemeint bin.

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Außendingen; diese sollen nicht Triebfedern des Handlens für den Menschen sein; er kann also noch weniger zur Natur gehören. Aber wohin denn? Der Mensch muß für zwei ganz verschiedene Welten bestimmt sein, einmal für das Reich der Sinne und des Verstandes, also für diese Erdenwelt; dann aber auch noch für eine andere Welt, die wir nicht kennen, für ein Reich der Sitten. Was den Verstand betrifft, so ist dieser schon für sich durch seine Form auf diese Erdenwelt eingeschränkt; denn er besteht bloß aus Kategorien, d. h., Äußerungsarten, die bloß auf sinnliche Dinge sich beziehen können. Seine Grenzen sind ihm also scharf gesteckt. Wo die Kategorien aufhören, da hört auch der Verstand auf; weil sie ihn erst bilden und zusammensetzen. (Ein Beweis für die bloß irdische, oder Naturbestim ¦ mung des Verstandes scheint mir auch dieses zu sein, daß wir in Rücksicht der Verstandeskräfte eine Stufenleiter in der Natur finden, vom klügsten Menschen bis zum dümmsten Tiere (indem wir doch den Instinkt auch als eine Art von Verstand ansehen können, in sofern zum bloßen Verstande der freie Wille nicht gehört).) Aber nicht so in Rücksicht der Moralität, die da aufhört, wo die Menschheit aufhört, und die in allen Menschen ursprünglich dasselbe Ding ist. Der Verstand muß also bloß zur Natur gehören, und, wenn der Mensch bloß Verstand hätte, ohne Vernunft, und freien Willen, oder ohne Moralität, so würde er sich in nichts von den Tieren unterscheiden, und | vielleicht bloß an der Spitze ihrer Stufenleiter stehen, da er hingegen jetzt, im Besitz der Moralität, als freies Wesen, durchaus und wesentlich von den Tieren verschieden ist, auch von dem klügsten (dessen Instinkt oft deutlicher und bestimmter wirkt, als der Verstand der Menschen). – Dieser Verstand aber ist ein gänzlich aktives Vermögen des Menschen; alle seine Vorstellungen und Begriffe sind bloß s e i n e Geschöpfe, der Mensch denkt mit seinem Verstande ursprünglich, und er schafft sich also s e i n e Welt. Die Außendinge sind nur Gelegenheitsursachen der Wirkung des Verstandes, sie reizen ¦ ihn zur Aktion, und

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das Produkt dieser Aktion sind Vorstellungen und Begriffe. Die Dinge also, worauf sich diese Vorstellungen und Begriffe beziehen, können nicht das sein, was unser Verstand vorstellt; denn der Verstand kann nur Vorstellungen und seine Gegenstände, nicht aber wirkliche Dinge schaffen, d. h., die Dinge können unmöglich durch diese Vorstellungen und Begriffe vom Verstande als solche, wie sie an sich sein mögen, erkannt werden; die Dinge, die unsere Sinne und unsern Verstand` darstellen, sind vielmehr an sich nur Erscheinungen, d. i., Gegenstände unserer Sinne und unseres Verstandes, die das Produkt aus dem Zusammentreffen der Gelegenheitsursachen und der Wirkung des Verstandes sind, die aber deswegen doch nicht Schein sind, sondern die wir im praktischen Leben für uns als wirkliche Dinge und Gegenstände unserer Vorstellungen ansehen können; eben weil wir die wirklichen Dinge als jene Gelegenheitsursachen supponieren müssen. Ein Beispiel gibt die Naturwissenschaft. Außendinge wirken auf einen aktionsfähigen Körper und reizen diesen dadurch zur Aktion; das Produkt hievon ist Leben. – Was ist aber Leben? Physisches Anerkennen seiner Existenz in der Welt, und seines Verhältnisses zu den Außendingen; der Körper lebt dadurch, daß er auf die ¦ Außendinge reagiert, sie als seine Welt ansieht, und sie zu seinem Zweck gebraucht, ohne sich weiter um ihr Wesen zu bekümmern. Ohne Außendinge wäre dieser Körper kein lebender Körper, und ohne Aktionsfähigkeit des Körpers wären die Außendinge nicht seine Welt. Eben so mit dem Verstande. Erst durch sein Zusammentreffen mit den Außendingen entsteht diese seine Welt; ohne Außendinge wäre er tot – ohne Verstand aber wären keine Vorstellungen, ohne Vorstellungen keine Gegenstände, und ohne diese nicht diese seine Welt; so wie mit einem anderen Verstande auch eine andere Welt da sein würde, welches durch das Beispiel von Wahnsinnigen klar wird. Also der Verstand ist Schöpfer seiner Gegenstände und der Welt, die aus ihnen besteht; aber so, daß wirkliche | Dinge die Gelegenheitsursachen seiner Aktion und also der Vorstellungen sind.

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Dadurch unterscheiden sich nun diese Naturkräfte des Menschen wesentlich von der Vernunft und dem freien Willen. Beide machen zwar auch aktive Vermögen aus, aber die Gelegenheitsursachen ihrer Aktion sollen nicht aus dieser Sinnenwelt genommen sein. Die Vernunft, als theoretisches Vermögen, kann also hier gar keine Gegenstände haben, ihre Wirkungen können ¦ nur Ideen sein, d. h., Vorstellungen der Vernunft, denen keine Gegenstände entsprechen, weil nicht wirkliche Dinge, sondern etwa nur Spiele des Verstandes die Gelegenheitsursachen ihrer Aktion sind. Also kann die Vernunft, als theoretisches spekulatives Vermögen, hier in dieser Sinnenwelt gar nicht gebraucht werden (und muß folglich, weil sie doch einmal als solches da ist, für eine andere Welt bestimmt sein), sondern nur als praktisches Vermögen, zum Behuf des freien Willens. Dieser nun ist bloß und allein praktisch; das Wesentliche desselben besteht darin, daß seine Aktion nicht Reaktion, sondern eine reine objektive Handlung sein soll, oder daß die Triebfedern seiner Aktion nicht mit den Gegenständen derselben zusammenfallen sollen; daß er also unabhängig von den Vorstellungen des Verstandes, weil dieses eine verkehrte und verderbte Wirkungsart derselben veranlassen würde, als auch unabhängig von den Ideen der spekulativen Vernunft handeln soll, weil diese, da ihnen nichts Wirkliches entspricht, leicht eine falsche und grundlose Willensbestimmung verursachen könnten. Also muß die Triebfeder der Aktion des freien Willens etwas sein, was im innern Wesen des Menschen selbst gegründet und von der Freiheit des Willens selbst unzertrennlich ist. Dieses ist nun das moralische ¦ Gesetz, welches uns durchaus so aus der Natur herausreißt, und über sie erhebt, daß wir, als moralische Wesen, die Naturdinge weder zu Ursachen und Triebfedern der Aktion des Willens bedürfen, noch sie als Gegenstände unseres Wollens ansehen können, in deren Stelle vielmehr nur die moralische Person der Menschheit tritt. Jenes Gesetz sichert uns also eine bloß dem Menschen eigentümliche und ihn von allen übrigen Naturteilen unterscheidende Eigenschaft, die Moralität, ver-

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möge welcher wir unabhängige und freie Wesen sind, und die selbst wieder durch diese Freiheit begründet ist. – Diese Moralität, und nicht der Verstand, ist es also, was den Menschen erst zum Menschen macht. So sehr auch der Verstand ein völlig aktives und in sofern selbständiges Vermögen ist, so bedarf er doch zu seiner Aktion der Außendinge, und ist auch zugleich auf sie | eingeschränkt; da hingegen der freie Wille völlig unabhängig ist, und einzig durch das innere Gesetz bestimmet werden soll: d. h. der Mensch bloß durch sich selbst, sofern er sich nur zu seiner ursprünglichen Würde und Unabhängigkeit von allem, was nicht das Gesetz ist, erhoben hat. Wenn also dieser unser Verstand ohne diese seine Außendinge nichts, wenigstens nicht d i e s e r Verstand sein würde, so bleiben Vernunft ¦ und freier Wille dieselben, ihr Wirkungskreis sei, welcher er wolle. (Sollte hier der freilich hyperphysische Schluß wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit gemacht werden können: »daß mit dem Tode des Menschenkörpers auch dieser sein Verstand stirbt und verloren geht, mit allen seinen irdischen Vorstellungen, Begriffen und Kenntnissen; weil doch dieser Verstand immer nur für irdische, sinnliche Dinge brauchbar ist, und, sobald der Mensch ins Übersinnliche sich versteigen will, hier sogleich aller Verstandesgebrauch aufhört, und der Vernunftgebrauch dagegen eintritt«? Es ist dieses eine Idee, die ich nachher auch bei den Mystikern, aber nur dunkel gedacht, nicht behauptet, gefunden habe, und die gewiß zur Beruhigung und vielleicht auch moralischen Verbesserung vieler Menschen beitragen würde. Der Verstand hängt so wenig, wie der Körper, vom Menschen selbst ab. Bei einem fehlerhaften Körperbau beruhigt man sich, weil man weiß, er ist nichts Wesentliches – ein gutgebaueter Körper hat nur hier auf der Erde seine Vorzüge. Gesetzt, die Idee würde allgemein, daß es mit dem Verstande eben so wäre, sollte das nicht für die Moralität der Menschen ersprießlich sein? Die neuere Naturlehre des Menschen harmoniert sehr mit dieser Idee, indem sie den Verstand ¦ bloß als etwas vom Körper Abhängiges und als ein Produkt der Gehirnwirkung ansieht.

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* Siehe R e i l s physiologische Schriften. Auch die ältern Meinungen von der Materialität der Seele ließen sich hierdurch auf etwas Reales zurückbringen.) – Der fernere Verlauf der kritischen Untersuchung der 5 menschlichen Seelenvermögen stellte die natürliche Frage auf: hat die unvermeidliche und nicht zu unterdrückende Idee der Vernunft von einem Urheber des Weltalls, und also unserer selbst und des moralischen Gesetzes auch wohl einen gültigen Grund, da jeder theoretische Grund seiner Na10 tur nach untauglich zur Befestigung und Sicherstellung jener Idee ist? Hieraus entstand der so schöne moralische Beweis für das Dasein Gottes, der jedem, auch wenn er nicht wollte, doch insgeheim auch deutlich und hinlänglich beweisend sein muß. Aus der durch ihn nun begründeten 15 Idee von einem Weltschöpfer aber ging endlich die praktische Idee hervor, von einem all | gemeinen moralischen Gesetzgeber für alle unsere Pflichten, als Urheber des uns inwohnenden moralischen Gesetzes. Diese Idee bietet dem Menschen eine ganz neue Welt dar. Er fühlt sich für ein an20 deres Reich geschaffen, als für das Reich der Sinne und des Verstandes – nämlich für ein moralisches Reich, für ein ¦ Reich Gottes. Er erkennt nun seine Pflichten zugleich als göttliche Gebote, und es entsteht in ihm ein neues Erkenntnis, ein neues Gefühl, nämlich Religion. – So weit, ehrwür25 diger Vater, war ich in dem Studio Ihrer Schriften gekommen, als ich eine Klasse von Menschen kennen lernte, die man Separatisten nennt, die aber sich selbst M y s t i k e r nennen, bei welchen ich fast buchstäblich Ihre Lehre in Ausübung gebracht fand. Es hielt freilich anfangs schwer, diese 30 in der mystischen Sprache dieser Leute wieder zu finden; aber es gelang mir nach anhaltendem Suchen. Es fiel mir auf, daß diese Menschen ganz ohne Gottesdienst lebten; alles verwarfen, was G o t t e s d i e n s t heißt, und nicht in Erfüllung seiner Pflichten besteht; daß sie sich für religiöse Men35 schen, ja für Christen hielten, und doch die Bibel nicht als ihr Gesetzbuch ansahen, sondern nur von einem inneren, von Ewigkeit her in uns einwohnenden, Christentum spra-

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chen. – Ich forschte nach dem Lebenswandel dieser Leute, und fand (räudige Schafe ausgenommen, die man in jeder Herde, ihres Eigennutzes wegen, findet) bei ihnen reine moralische Gesinnungen und eine beinahe stoische Konsequenz in ihren Handlungen. Ich untersuchte ihre Lehre und ihre Grundsätze, und fand im wesentlichen ganz Ihre Moral und Re ¦ ligionslehre wieder, jedoch immer mit dem Unterschiede, daß sie das innere Gesetz, wie sie es nennen, für eine innere Offenbarung, und also bestimmt Gott für den Urheber desselben halten. Es ist wahr, sie halten die Bibel für ein Buch, welches auf irgend eine Art, worauf sie sich nicht weiter einlassen, göttlichen Ursprungs ist; aber, wenn man genauer forscht, so findet man, daß sie diesen Ursprung der Bibel erst aus der Übereinstimmung der Bibel, der in ihr enthaltenen Lehren, mit ihrem inneren Gesetze schließen: denn wenn man sie z. B. fragt, warum? so ist ihre Antwort: sie legitimiert sich in meinem Inneren, und ihr werdet es eben so finden, wenn ihr der Weisung eures inneren Gesetzes oder den Lehren der Bibel Folge leistet. Eben deswegen halten sie sie auch nicht für ihr Gesetzbuch, sondern nur für eine historische Bestätigung, worin sie das, was in ihnen selbst ursprünglich gegründet ist, wiederfinden. Mit einem Worte, diese Leute würden (verzeihen Sie mir den Ausdruck) wahre Kantianer sein, wenn sie Philosophen wären. Aber | sie sind größtenteils aus der Klasse der Kaufleute, Handwerker und Landbauern; doch habe ich hin und wieder auch in höheren Ständen und unter den Gelehrten einige gefunden; aber nie einen Theologen, denen diese Leute ¦ ein wahrer Dorn im Auge sind, weil sie ihren Gottesdienst nicht von ihnen unterstützt sehen, und ihnen doch, wegen ihres exemplarischen Lebenswandels und Unterwerfung in jede bürgerliche Ordnung, durchaus nichts anhaben können. Von den Quäkern unterscheiden sich diese Separatisten nicht in ihren Religionsg r u n d s ä t z e n , aber wohl in der Anwendung derselben aufs gemeine Leben. Denn sie kleiden sich z. B., wie es gerade Sitte ist, und bezahlen alle sowohl Staats- als kirchliche Abgaben. Bei dem gebildeten

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Teile derselben habe ich nie Schwärmerei gefunden, sondern freies vorurteilloses Räsonnement und Urteil über religiöse Gegenstände.

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Der Streit der philosophischen Fakultät mit der juristischen

¦ | Erneuerte Frage: Ob das menschliche Geschlecht im beständigen Fortschreiten zum Besseren sei?

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1. Was w i l l man hier wissen?

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Man verlangt ein Stück von der Menschengeschichte, und zwar nicht das von der vergangenen, sondern der künftigen Zeit, mithin eine v o r h e r s a g e n d e , welche, wenn sie nicht nach bekannten Naturgesetzen (wie Sonnen- und Mondfinsternisse) geführt wird, w a h r s a g e n d und doch natürlich, kann sie aber nicht anders, als durch übernatürliche Mitteilung und Erweiterung der Aussicht in die künftige Zeit erworben werden, w e i s s a g e n d (prophetisch) genannt wird.19 – Ü ¦ brigens ist es hier auch nicht um die Naturgeschichte des Menschen (ob etwa künftig neue Rassen derselben entstehen möchten), sondern um die S i t t e n g e s c h i c h t e , und zwar nicht nach dem G a t t u n g s b e g r i f f (singulorum), sondern dem G a n z e n der gesellschaftlich auf Erden vereinigten, in Völkerschaften verteilten Menschen (universorum) zu tun, wenn gefragt wird: ob das menschliche G e s c h l e c h t (im großen) zum Besseren beständig fortschreite.

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Wer ins Wahrsagen pfuschert (es ohne Kenntnis oder Ehrlichkeit tut), von dem heißt es: er w a h r s a g e r t ; von der Pythia an bis zur Zigeunerin.

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2. Wie kann man es wissen?

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Als wahrsagende Geschichtserzählung des Bevorstehenden in der künftigen Zeit: mithin als eine a priori mögliche Darstellung der Begebenheiten, die da kommen sollen. – Wie ist aber eine Geschichte a priori | möglich? – Antwort: wenn 5 der Wahrsager die Begebenheiten selber m a c h t und veranstaltet, die er zum voraus verkündigt. Jüdische Propheten hatten gut weissagen, daß über kurz oder lang nicht bloß Verfall, sondern gänzliche Auflösung ihrem Staat bevorstehe; denn sie waren selbst die Urheber 10 dieses ihres Schicksals. – Sie hatten, ¦ als Volksleiter, ihre Verfassung mit so viel kirchlichen und daraus abfließenden bürgerlichen Lasten beschwert, daß ihr Staat völlig untauglich wurde, für sich selbst, vornehmlich mit benachbarten Völkern zusammen, zu bestehen, und die Jeremiaden ihrer 15 Priester mußten daher natürlicher Weise vergeblich in der Luft verhallen; weil diese hartnäckicht auf ihrem Vorsatz einer unhaltbaren, von ihnen selbst gemachten, Verfassung beharreten, und so von ihnen selbst der Ausgang mit Unfehlbarkeit vorausgesehen werden konnte. 20 Unsere Politiker machen, so weit ihr Einfluß reicht, es * eben so, und sind auch im Wahrsagen eben so glücklich. – Man muß, sagen sie, die Menschen nehmen, wie sie sind, nicht wie der Welt unkundige Pedanten oder gutmütige Phantasten träumen, daß sie sein sollten. Das w i e s i e s i n d 25 aber sollte heißen: wozu wir sie durch ungerechten Zwang, durch verräterische, der Regierung an die Hand gegebene, Anschläge g e m a c h t h a b e n , nämlich halsstarrig und zur Empörung geneigt; wo dann freilich, wenn sie ihre Zügel ein wenig sinken läßt, sich traurige Folgen eräugnen, welche 30 die Prophezeiung jener vermeintlich-klugen Staatsmänner wahrmachen. ¦ Auch Geistliche weissagen gelegentlich den gänzlichen Verfall der Religion, und die nahe Erscheinung des Antichrists; während dessen sie gerade das tun, was erforderlich 35 ist, ihn einzuführen, indem sie nämlich ihrer Gemeine nicht

Das menschl. Geschlecht im Fortschritt zum Besseren

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sittliche Grundsätze ans Herz zu legen bedacht sind, die geradezu aufs Bessern führen, sondern Observanzen und historischen Glauben zur wesentlichen Pflicht machen, die es indirekt bewirken sollen; woraus zwar mechanische Einhelligkeit, als in einer bürgerlichen Verfassung, aber keine in der moralischen Gesinnung erwachsen kann: alsdenn aber über Irreligiosität klagen, welche sie selber gemacht haben; die sie also, auch ohne besondere Wahrsagergabe, vorherverkündigen konnten.

| 3. Einteilung des Begriffs von dem, was man für die Zukunft vorherwissen will Der Fälle, die eine Vorhersagung enthalten können, sind drei. Das menschliche Geschlecht ist entweder im kontinuierlichen R ü c k g a n g e zum Ärgeren, oder im beständigen F o r t g a n g e zum Besseren in seiner moralischen Bestimmung, oder im ewigen S t i l l s t a n d e ¦ auf der jetzigen Stufe seines sittlichen Werts unter den Gliedern der Schöpfung (mit welchem die ewige Umdrehung im Kreise um denselben Punkt einerlei ist). Die e r s t e Behauptung kann man den moralischen Te r r o r i s m u s , die z w e i t e den E u d ä m o n i s m u s (der, das Ziel des Fortschreitens im weiten Prospekt gesehen, auch C h i l i a s m u s genannt werden würde), die d r i t t e aber den A b d e r i t i s m u s nennen; weil, da ein wahrer Stillstand im Moralischen nicht möglich ist, ein beständig wechselndes Steigen, und eben so öfteres und tiefes Zurückfallen (gleichsam ein ewiges Schwanken) nichts mehr austrägt, als ob das Subjekt auf derselben Stelle und im Stillstande geblieben wäre.

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a. Von der terroristischen Vorstellungsart der Menschengeschichte

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Der Verfall ins Ärgere kann im menschlichen Geschlechte nicht beständig fortwährend sein; denn bei einem gewissen Grade desselben würde es sich selbst aufreiben. Daher beim Anwachs großer, wie Berge sich ¦ auftürmenden Greueltaten und ihnen angemessenen Übel gesagt wird: nun kann es nicht mehr ärger werden, der jüngste Tag ist vor der Tür, und der fromme Schwärmer träumt nun schon von der Wiederbringung aller Dinge, und einer erneuerten Welt, nachdem diese im Feuer untergegangen ist.

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b.Von der eudämonistischen Vorstellungsart der Menschengeschichte

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Daß die Masse des unserer Natur angearteten Guten und Bösen in der Anlage immer dieselbe bleibe, und in demselben Individuum weder | vermehrt noch vermindert werden könne, mag immer eingeräumt werden; – und wie sollte sich auch dieses Quantum des Guten in der Anlage vermehren lassen, da es durch die Freiheit des Subjekts geschehen müßte, wozu dieses aber wiederum eines größeren Fonds des Guten bedürfen würde, als es einmal hat? – Die Wirkungen können das Vermögen der wirkenden Ursache nicht übersteigen; und so kann das Quantum des mit dem Bösen im Menschen vermischten Guten ein gewisses Maß des letzteren nicht überschreiten, über welches er sich ¦ emporarbeiten, und so auch immer zum noch Besseren fortschreiten könnte. Der Eudämonism, mit seinen sanguinischen Hoffnungen, scheint also unhaltbar zu sein, und zu Gunsten einer weissagenden Menschengeschichte, in Ansehung des immerwährenden weitern Fortschreitens auf der Bahn des Guten, wenig zu versprechen.

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c. Von der Hypothese des Abderitisms des Menschengeschlechts zur Vorherbestimmung seiner Geschichte Diese Meinung möchte wohl die Mehrheit der Stimmen auf ihrer Seite haben. Geschäftige Torheit ist der Charakter un5 serer Gattung: In die Bahn des Guten schnell einzutreten, aber darauf nicht zu beharren, sondern, um ja nicht an einen einzigen Zweck gebunden zu sein, wenn es auch nur der Abwechselung wegen geschähe, den Plan des Fortschritts umzukehren, zu bauen, um niederreißen zu können, und 10 sich selbst die hoffnungslose Bemühung aufzulegen, den * Stein des Sisyphus bergan zu wälzen, um ihn wieder zurückrollen zu lassen. – Das Prinzip des Bösen in der Naturanlage des menschlichen Geschlechts scheint also hier- ¦ mit dem des Guten nicht sowohl amalgamiert (verschmol15 zen), als vielmehr eines durchs andere neutralisiert zu sein; welches Tatlosigkeit zur Folge haben würde (die hier der Stillstand heißt): eine leere Geschäftigkeit, das Gute mit dem Bösen durch vorwärts und rückwärts gehen so abwechseln zu lassen, daß das ganze Spiel des Verkehrs unserer 20 Gattung mit sich selbst auf diesem Globus als ein bloßes Possenspiel angesehen werden müßte, was ihr keinen größeren Wert in den Augen der Vernunft verschaffen kann, als den die andere Tiergeschlechter haben, die dieses Spiel mit weniger Kosten und ohne Verstandesaufwand treiben.

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| 4. Durch Erfahrung unmittelbar ist die Aufgabe des Fortschreitens nicht aufzulösen Wenn das menschliche Geschlecht, im ganzen betrachtet, eine noch so lange Zeit vorwärts gehend und im Fortschreiten begriffen gewesen zu sein befunden würde, so kann doch niemand dafür stehen, daß nun nicht gerade jetzt, vermöge der physischen Anlage unserer Gattung, die Epoche seines Rückganges eintrete; und umgekehrt, wenn es rücklings, und, mit beschleunigtem ¦ Falle, zum Ärgeren geht, so

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darf man nicht verzagen, daß nicht eben da der Umwendungspunkt (punctum flexus contrarii) anzutreffen wäre, wo, vermöge der moralischen Anlage in unserem Geschlecht, der Gang desselben sich wiederum zum Besseren wendete. Denn wir haben es mit freihandelnden Wesen zu tun, denen sich zwar vorher d i k t i e r e n läßt, was sie tun s o l l e n , aber nicht v o r h e r s a g e n läßt, was sie tun w e r d e n , und die aus dem Gefühl der Übel, die sie sich selbst zufügten, wenn es recht böse wird, eine verstärkte Triebfeder zu nehmen wissen, es nun doch besser zu machen, als es vor jenem Zustande war. – Aber »arme Sterbliche (sagt der Abt C o y e r ) , unter euch ist nichts beständig, als die Unbeständigkeit!« Vielleicht liegt es auch an unserer unrecht genommenen Wahl des Standpunkts, aus dem wir den Lauf menschlicher Dinge ansehen, daß dieser uns so widersinnisch scheint. Die Planeten, von der Erde aus gesehen, sind bald rückgängig, bald stillstehend, bald fortgängig. Den Standpunkt aber von der Sonne aus genommen, welches nur die Vernunft tun kann, gehen sie nach der Kopernikanischen Hypothese beständig ihren regelmäßigen Gang fort. Es gefällt aber einigen, sonst ¦ nicht unweisen, steif auf ihrer Erklärungsart der Erscheinungen und dem Standpunkte zu beharren, den sie einmal genommen haben: sollten sie sich darüber auch in Tychonische Zyklen und Epizyklen bis zur Ungereimtheit verwickeln. – Aber das ist eben das Unglück, daß wir uns in diesen Standpunkt, wenn es die Vorhersagung freier Handlungen angeht, zu versetzen nicht vermögend sind. Denn das wäre der Standpunkt der Vo r s e h u n g , der über alle menschliche Weisheit hinausliegt, welche sich auch auf f r e i e Handlungen des Menschen erstreckt, die von diesem zwar g e s e h e n , aber mit Gewißheit nicht v o r h e r g e s e h e n werden können (für das göttliche Auge | ist hier kein Unterschied), weil er zu dem letzteren den Zusammenhang nach Naturgesetzen bedarf, in Ansehung der künftigen f r e i e n Handlungen aber dieser Leitung, oder Hinweisung, entbehren muß.

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Wenn man dem Menschen einen angebornen und unveränderlich-guten, obzwar eingeschränkten Willen beilegen dürfte, so würde er dieses Fortschreiten seiner Gattung zum Besseren mit Sicherheit vorhersagen können; weil es eine Begebenheit träfe, die er selbst machen kann. Bei der Mischung des Bösen aber mit dem ¦ Guten in der Anlage, deren Maß er nicht kennt, weiß er selbst nicht, welcher Wirkung er sich davon gewärtigen könne.

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5. An irgend eine Erfahrung muß doch die wahrsagende Geschichte des Menschengeschlechts angeknüpft werden

Es muß irgend eine Erfahrung im Menschengeschlechte vorkommen, die, als Begebenheit, auf eine Beschaffenheit und ein Vermögen desselben hinweiset, U r s a c h e von dem 15 Fortrücken desselben zum Besseren, und (da dieses die Tat eines mit Freiheit begabten Wesens sein soll) U r h e b e r desselben zu sein; aus einer gegebenen Ursache aber läßt sich eine Begebenheit als Wirkung vorhersagen, wenn sich die Umstände eräugnen, welche dazu mitwirkend sind. Daß 20 diese letztere sich aber irgend einmal eräugnen müssen, kann, wie beim Kalkul der Wahrscheinlichkeit im Spiel, wohl im allgemeinen vorhergesagt, aber nicht bestimmt werden, ob es sich in meinem Leben zutragen und ich die Erfahrung davon haben werde, die jene Vorhersagung bestä25 tigte. – Also muß eine Begebenheit nachgesucht werden, welche auf das Dasein einer solchen Ursache ¦ und auch auf den Akt ihrer Kausalität im Menschengeschlechte unbestimmt in Ansehung der Zeit hinweise, und die auf das Fortschreiten zum Besseren, als unausbleibliche Folge, schließen 30 ließe, welcher Schluß dann auch auf die Geschichte der vergangenen Zeit (daß es immer im Fortschritt gewesen sei) ausgedehnt werden könnte, doch so, daß jene Begebenheit nicht selbst als Ursache des letzteren, sondern nur als hin* deutend, als G e s c h i c h t s z e i c h e n (signum rememorati-

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vum, demonstrativum, prognosticon) angesehen werden müsse, und so die Te n d e n z des menschlichen Geschlechts im g a n z e n , d. i., nicht nach den Individuen betrachtet (denn das würde eine nicht zu beendigende Aufzählung und Berechnung abgeben), sondern, wie es in Völkerschaften und Staaten geteilt auf Erden angetroffen wird, beweisen könnte.

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| 6. Von einer Begebenheit unserer Zeit, welche diese moralische Tendenz des Menschengeschlechts beweiset Diese Begebenheit besteht nicht etwa in wichtigen, von 10 Menschen verrichteten Taten oder Untaten, wodurch, was groß war, unter Menschen klein, oder, ¦ was klein war, groß gemacht wird, und wie, gleich als durch Zauberei, alte glänzende Staatsgebäude verschwinden, und andere an deren Statt, wie aus den Tiefen der Erde, hervorkommen. Nein: 15 nichts von allem dem. Es ist bloß die Denkungsart der Zuschauer, welche sich bei diesem Spiele großer Umwandlungen ö f f e n t l i c h verrät, und eine so allgemeine und doch uneigennützige Teilnehmung der Spielenden auf einer Seite, gegen die auf der andern, selbst mit Gefahr, diese Parteilich- 20 keit könne ihnen sehr nachteilig werden, dennoch laut werden läßt, so aber (der Allgemeinheit wegen) einen Charakter des Menschengeschlechts im ganzen, und zugleich (der Uneigennützigkeit wegen) einen moralischen Charakter desselben, wenigstens in der Anlage, beweiset, der das Fort- 25 schreiten zum Besseren nicht allein hoffen läßt, sondern selbst schon ein solches ist, so weit das Vermögen desselben für jetzt zureicht. Die Revolution eines geistreichen Volks, die wir in unse- * ren Tagen haben vor sich gehen sehen, mag gelingen oder 30 scheitern; sie mag mit Elend und Greueltaten dermaßen angefüllt sein, daß ein wohldenkender Mensch sie, wenn er sie, zum zweitenmale unterneh ¦ mend, glücklich auszuführen hoffen könnte, doch das Experiment auf solche Kosten zu

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machen nie beschließen würde – diese Revolution, sage ich, findet doch in den Gemütern aller Zuschauer (die nicht selbst in diesem Spiele mit verwickelt sind) eine Te i l n e h m u n g dem Wunsche nach, die nahe an Enthusiasm grenzt, und deren Äußerung selbst mit Gefahr verbunden war, die also keine andere, als eine moralische Anlage im Menschengeschlecht zur Ursache haben kann. Diese moralische einfließende Ursache ist zwiefach: Erstens die des R e c h t s , daß ein Volk von anderen Mächten nicht gehindert werden müsse, sich eine bürgerliche Verfassung zu geben, wie sie ihm selbst gut zu sein dünkt; zweitens die des Z w e c k s (der zugleich Pflicht ist), daß diejenige Verfassung eines Volks allein an sich r e c h t l i c h und moralisch-gut sei, welche ihrer Natur nach so beschaffen ist, den Angriffskrieg nach Grundsätzen zu meiden, welche keine andere, als die republikanische Verfassung, | wenigstens der Idee nach, sein kann,20 mithin in die Bedingung einzutreten, ¦ wodurch der Krieg (der Quell aller Übel und Verderbnis der Sitten) abgehalten, und so dem Menschenge-

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Es ist aber hiemit nicht gemeint, daß ein Volk, welches eine monarchische Konstitution hat, sich damit das ¦ Recht anmaße, ja 145 auch nur in sich geheim den Wunsch hege, sie abgeändert zu wissen; denn seine vielleicht sehr verbreitete Lage in Europa kann ihm jene Verfassung als die einzige anempfehlen, bei der es sich zwischen 25 mächtigen Nachbaren erhalten kann. Auch ist das Murren der Untertanen, nicht des Innern der Regierung halber, sondern wegen des Benehmens derselben gegen Auswärtige, wenn sie diese etwa am Republikanisieren hinderte, gar kein Beweis der Unzufriedenheit des Volks mit seiner eigenen Verfassung, sondern vielmehr der Lie30 be für dieselbe, weil es wider eigene Gefahr desto mehr gesichert ist, je mehr sich andere Völker republikanisieren. – Dennoch haben verleumderische Sykophanten, um sich wichtig zu machen, diese unschuldige Kannegießerei für Neuerungssucht, Jakobinerei und Rottierung, die dem Staat Gefahr drohe, auszugeben gesucht: indessen 35 daß auch nicht der mindeste Grund zu diesem Vorgeben da war, vornehmlich nicht in einem Lande, was vom Schauplatz der Revolution mehr als hundert Meilen entfernt war.

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schlechte, bei aller seiner Gebrechlichkeit, der Fortschritt zum Besseren negativ gesichert wird, im Fortschreiten wenigstens nicht gestört zu werden. Dies also und die Teilnehmung am Guten mit A f f e k t , * der E n t h u s i a s m , ob er zwar, weil aller ¦ Affekt, als ein 5 solcher, Tadel verdient, nicht ganz zu billigen ist, gibt doch vermittelst dieser Geschichte zu der für die Anthropologie wichtigen Bemerkung Anlaß: daß wahrer Enthusiasm nur immer aufs I d e a l i s c h e und zwar rein Moralische geht, dergleichen der Rechtsbegriff ist, und nicht auf den Eigen- 10 nutz gepfropft werden kann. Durch Geldbelohnungen konnten die Gegner der Revolutionierenden zu dem Eifer und der Seelengröße nicht gespannt werden, den der bloße Rechtsbegriff in ihnen hervorbrachte, und selbst der Ehrbegriff des alten kriegerischen Adels (ein Analogon des Enthu- 15 siasm) verschwand vor den Waffen derer, welche das Recht des Volks, wozu sie gehörten, ins Auge gefaßt hatten,21 und 21

Von einem solchen Enthusiasm der Rechtsbehauptung für das menschliche Geschlecht kann man sagen: postquam ad arma Vulcania ventum est, – mortalis mucro glacies ceu futilis ictu dissiluit. – Warum hat es noch nie ein Herrscher gewagt, frei herauszusagen, daß er gar kein R e c h t des Volks gegen ihn anerkenne; daß dieses seine Glückseligkeit bloß der Wo h l t ä t i g k e i t einer Regierung, die diese ihm angedeihen läßt, verdanke, und alle Anmaßung des Untertans zu einem Recht gegen dieselbe (weil dieses den Begriff eines er147 [87] laubten Widerstands in sich | enthält) ungereimt, ja gar ¦ strafbar sei? – Die Ursache ist: weil eine solche öffentliche Erklärung alle Untertanen gegen ihn empören würde; ob sie gleich, wie folgsame Schafe, von einem gütigen und verständigen Herren geleitet, wohlgefüttert und kräftig beschützt, über nichts, was ihrer Wohlfahrt abginge, zu klagen hätten. – Denn mit Freiheit begabten Wesen gnügt nicht der Genuß der Lebensannehmlichkeit, die ihm auch von anderen (und hier von der Regierung) zu Teil werden kann; sondern auf das P r i n z i p kommt es an, nach welchem es sich solche verschafft. Wohlfahrt aber hat kein Prinzip, weder für den, der sie empfängt, noch der sie austeilt (der eine setzt sie hierin, der andere darin); weil es dabei auf das M a t e r i a l e des Willens ankommt, welches empirisch, und so der Allgemeinheit einer Regel unfähig ist. Ein mit Freiheit begabtes

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sich als Beschützer desselben dach ¦ ten; mit welcher | Exaltation das äußere zuschauende Publikum dann, ohne die mindeste Absicht der Mitwirkung, sympathisierte.

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7. Wahrsagende Geschichte der Menschheit Es muß etwas M o r a l i s c h e s im Grundsatze sein, welches die Vernunft als rein, zugleich aber auch, wegen des großen und Epoche machenden Einflusses, als etwas, das die dazu anerkannte Pflicht der Seele des ¦ Menschen vor Augen stellt, und das menschliche Geschlecht im Ganzen seiner 10 Vereinigung (non singulorum sed universorum) angeht, dessen verhofftem Gelingen und den Versuchen zu demselben es mit so allgemeiner und uneigennütziger Teilnehmung zujauchzt. – Diese Begebenheit ist das Phänomen nicht einer * Revolution, sondern (wie es Hr. E r h a r d ausdrückt) der 15 E v o l u t i o n einer n a t u r r e c h t l i c h e n ¦ Verfassung, die zwar nur unter wilden Kämpfen noch nicht selbst errungen wird – indem der | Krieg von innen und außen alle bisher bestandene s t a t u t a r i s c h e zerstört –, die aber doch da5

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Wesen kann und soll also, ¦ im Bewußtsein dieses seines Vorzuges 148 20 vor dem vernunftlosen Tier, nach dem f o r m a l e n Prinzip seiner Willkür keine andere Regierung für das Volk, wozu es gehört, verlangen, als eine solche, in welcher dieses mit gesetzgebend ist: d.i. das Recht der Menschen, welche gehorchen sollen, muß notwendig vor aller Rücksicht auf Wohlbefinden vorhergehen, und dieses ist 25 ein Heiligtum, das über allen Preis (der Nützlichkeit) erhaben ist, und welches keine Regierung, so wohltätig sie auch immer sein mag, antasten darf. – Aber dieses Recht ist doch immer nur eine Idee, deren Ausführung auf die Bedingung der Zusammenstimmung ihrer M i t t e l mit der Moralität eingeschränkt ist, welche das Volk nicht 30 überschreiten darf; welches nicht durch Revolution, die jederzeit ungerecht ist, geschehen darf. – Autokratisch h e r r s c h e n , und dabei doch republikanisch, d.h., im Geiste des Republikanism und nach einer Analogie mit demselben, r e g i e r e n , ist das, was ein Volk mit seiner Verfassung zufrieden macht.

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hin führt, zu einer Verfassung hinzustreben, welche nicht kriegssüchtig sein kann, nämlich der republikanischen; die es entweder selbst der S t a a t s f o r m nach sein mag, oder auch nur nach der R e g i e r u n g s a r t , bei der Einheit des Oberhaupts (des Monarchen) den Gesetzen analogisch, die sich ein Volk selbst nach allgemeinen Rechtsprinzipien geben würde, den Staat verwalten zu lassen. Nun behaupte ich, dem Menschengeschlechte, nach den Aspekten und Vorzeichen unserer Tage, die Erreichung dieses Zwecks und hiemit zugleich das von da an nicht mehr gänzlich rückgängig werdende Fortschreiten desselben zum Besseren, auch ohne Sehergeist, vorhersagen zu können. Denn ein solches Phänomen in der Menschengeschichte v e r g i ß t s i c h n i c h t m e h r, weil es eine Anlage und ein Vermögen in der menschlichen Natur zum Besseren aufgedeckt hat, dergleichen kein Politiker aus dem bisherigen Laufe der Dinge herausgeklügelt hätte, und welches allein Natur und Freiheit, nach inneren Rechtsprinzipien im Menschengeschlechte vereinigt, aber, was die Zeit betrifft, nur als ¦ unbestimmt und Begebenheit aus Zufall verheißen konnte. Aber, wenn der bei dieser Begebenheit beabsichtigte Zweck auch jetzt nicht erreicht würde, wenn die Revolution, oder Reform, der Verfassung eines Volks gegen das Ende doch fehlschlüge, oder, nachdem diese einige Zeit gewähret hätte, doch wiederum alles ins vorige Gleis zurückgebracht würde (wie Politiker jetzt wahrsagern), so verliert jene philosophische Vorhersagung doch nichts von ihrer Kraft. – Denn jene Begebenheit ist zu groß, zu sehr mit dem Interesse der Menschheit verwebt, und, ihrem Einflusse nach, auf die Welt in allen ihren Teilen zu ausgebreitet, als daß sie nicht den Völkern, bei irgend einer Veranlassung günstiger Umstände, in Erinnerung gebracht und zu Wiederholung neuer Versuche dieser Art erweckt werden sollte; da dann, bei einer für das Menschengeschlecht so wichtigen Angelegenheit, endlich doch zu irgend einer Zeit die beabsichtigte Verfassung diejenige Festigkeit erreichen

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muß, welche die Belehrung durch öftere Erfahrung in den Gemütern aller zu bewirken nicht ermangeln würde. Es ist also ein nicht bloß gutgemeinter und in praktischer Absicht empfehlungswürdiger, sondern allen ¦ Ungläubigen 5 zum Trotz auch für die strengste Theorie haltbarer Satz: daß das menschliche Geschlecht im Fortschreiten zum Besseren immer gewesen sei, und so fernerhin fortgehen werde, | welches, wenn man nicht bloß auf das sieht, was in irgend einem Volk geschehen kann, sondern auch auf die Verbreitung 10 über alle Völker der Erde, die nach und nach daran Teil nehmen dürften, die Aussicht in eine unabsehliche Zeit eröffnet; wofern nicht etwa auf die erste Epoche einer Naturre* volution, die (nach C a m p e r und B l u m e n b a c h ) bloß das Tier- und Pflanzenreich, ehe noch Menschen waren, ver15 grub, noch eine zweite folgt, welche auch dem Menschengeschlechte eben so mitspielt, um andere Geschöpfe auf diese Bühne treten zu lassen, u. s. w. Denn für die Allgewalt der Natur, oder vielmehr ihrer uns unerreichbaren obersten Ursache, ist der Mensch wiederum nur eine Kleinigkeit. Daß 20 ihn aber auch die Herrscher von seiner eigenen Gattung dafür nehmen, und als eine solche behandeln, indem sie ihn teils tierisch, als bloßes Werkzeug ihrer Absichten, belasten, teils in ihren Streitigkeiten gegen einander aufstellen, um sie schlachten zu lassen – das ist keine Kleinigkeit, sondern 25 Umkehrung des E n d z w e c k s der Schöpfung selbst.

¦ 8. Von der Schwierigkeit der auf das Fortschreiten zum Weltbesten angelegten Maximen, in Ansehung ihrer Publizität

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Vo l k s a u f k l ä r u n g ist die öffentliche Belehrung des Volks von seinen Pflichten und Rechten in Ansehung des Staats, dem es angehöret. Weil es hier nur natürliche und aus dem gemeinen Menschenverstande hervorgehende Rechte betrifft, so sind die natürlichen Verkündiger und Ausleger derselben im Volk nicht die vom Staat bestellete amtsmäßige,

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sondern freie Rechtslehrer, d. i. die Philosophen, welche eben um dieser Freiheit willen, die sie sich erlauben, dem Staate, der immer nur herrschen will, anstößig sind, und werden unter dem Namen A u f k l ä r e r, als für den Staat * gefährliche Leute verschrien; obzwar ihre Stimme nicht 5 v e r t r a u l i c h ans Vo l k (als welches davon und von ihren Schriften wenig oder gar keine Notiz nimmt), sondern e h r e r b i e t i g an den Staat gerichtet, und dieser jenes sein rechtliches Bedürfnis zu beherzigen angeflehet wird; welches durch keinen andern Weg, als den der Publizität geschehen 10 kann, wenn ein ganzes Volk seine Beschwerde (gravamen) vortragen will. So verhindert das Ve r b o t der Publizität den Fortschritt ¦ eines Volks zum Besseren, selbst in dem, was das mindeste seiner Forderung, nämlich bloß sein natürliches Recht angeht. 15 | Eine andere, obzwar leicht zu durchschauende, aber doch gesetzmäßig einem Volk befohlene Verheimlichung ist die von der wahren Beschaffenheit seiner Konstitution. Es wäre Verletzung der Majestät des großbritannischen Volks, * von ihm zu sagen, es sei eine u n b e s c h r ä n k t e M o n a r - 20 c h i e : sondern man will, es soll eine durch die zwei Häuser des Parlaments, als Volksrepräsentanten, den Willen des Monarchen e i n s c h r ä n k e n d e Verfassung sein, und doch weiß ein jeder sehr gut, daß der Einfluß desselben auf diese Repräsentanten so groß und so unfehlbar ist, daß von ge- 25 dachten Häusern nichts anderes beschlossen wird, als was Er will und durch seinen Minister anträgt; der dann auch wohl einmal auf Beschlüsse anträgt, bei denen er weiß, und es auch macht, daß ihm werde widersprochen werden (z. B. wegen des Negerhandels), um von der Freiheit des Parla- 30 ments einen scheinbaren Beweis zu geben. – Diese Vorstellung der Beschaffenheit der Sache hat das Trügliche an sich, daß die wahre, zu Recht beständige Verfassung gar nicht mehr gesucht ¦ wird; weil man sie in einem schon vorhandenen Beispiel gefunden zu haben vermeint, und eine lügen- 35 16 zu durchschauende] A: durchzuschauende

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hafte Publizität das Volk mit Vorspiegelung einer durch das von ihm ausgehende Gesetz e i n g e s c h r ä n k t e n M o n a r c h i e 22 täuscht, indessen daß seine Stellvertreter, durch Bestechung gewonnen, es insgeheim einem a b s o l u t e n M o n a r c h e n unterwarfen.

Die Idee einer mit dem natürlichen Rechte der Menschen zusammenstimmenden Konstitution: daß nämlich die dem Gesetz Gehorchenden auch | zugleich, vereinigt, gesetzgebend sein sollen, liegt bei allen Staatsformen zum Grunde, 10 und das gemeine Wesen, welches, ihr gemäß, durch reine * Vernunftbegriffe gedacht, ¦ ein platonisches I d e a l heißt (respublica noumenon), ist nicht ein leeres Hirngespinst, sondern die ewige Norm für alle bürgerliche Verfassung überhaupt, und entfernet allen Krieg. Eine dieser gemäß or15 ganisierte bürgerliche Gesellschaft ist die Darstellung derselben nach Freiheitsgesetzen durch ein Beispiel in der Erfahrung (respublica phaenomenon), und kann nur nach mannigfaltigen Befehdungen und Kriegen mühsam erwor-

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Eine Ursache, deren Beschaffenheit man nicht unmittelbar ein-

20 sieht, entdeckt sich durch die Wirkung, die ihr unausbleiblich an-

hängt. – Was ist ein a b s o l u t e r Monarch? Es ist derjenige, auf dessen Befehl, wenn er sagt: es soll Krieg sein, sofort Krieg ist. – Was ist dagegen ein e i n g e s c h r ä n k t e r Monarch? Der, welcher vorher das Volk befragen muß, ob Krieg sein solle oder nicht, und sagt das 25 Volk, es soll nicht Krieg sein, so ist kein Krieg. – Denn Krieg ist ein Zustand, in welchem dem Staatsoberhaupte a l l e Staatskräfte zu Ge- 155 ¦ bot stehen müssen. Nun hat der großbritannische Monarch recht viel Kriege geführt, ohne dazu jene Einwilligung zu suchen. Also ist dieser König ein absoluter Monarch, der er zwar der Konstitution 30 nach nicht sein sollte; an der er aber immer vorbei gehen kann, weil er eben durch jene Staatskräfte, nämlich daß er alle Ämter und Würden zu vergeben in seiner Macht hat, sich der Beistimmung der Volksrepräsentanten versichert halten kann. Dieses Bestechungssystem muß aber freilich nicht Publizität haben, um zu gelingen. Es 35 bleibt daher unter dem sehr durchsichtigen Schleier des Geheimnisses.

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ben werden; ihre Verfassung aber, wenn sie im großen einmal errungen worden, qualifiziert sich zur besten unter allen, um den Krieg, den Zerstörer alles Guten, entfernt zu halten; mithin ist es Pflicht, in eine solche einzutreten, vorläufig aber (weil jenes ¦ nicht so bald zu Stande kommt) 5 Pflicht der Monarchen, ob sie gleich a u t o k r a t i s c h herr- * schen, dennoch r e p u b l i k a n i s c h (nicht demokratisch) zu regieren, d. i. das Volk nach Prinzipien zu behandeln, die dem Geist der Freiheitsgesetze (wie ein Volk mit reifer Vernunft sie sich selbst vorschreiben würde) gemäß sind, wenn 10 gleich dem Buchstaben nach es um seine Einwilligung nicht befragt würde.

9. Welchen Ertrag wird der Fortschritt zum Besseren dem Menschengeschlecht abwerfen?

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Nicht ein immer wachsendes Quantum der M o r a l i t ä t in der Gesinnung, sondern Vermehrung der Produkte ihrer L e g a l i t ä t in pflichtmäßigen Handlungen, durch welche Triebfeder sie auch veranlaßt sein mögen; d. i. in den guten Ta t e n der Menschen, die immer zahlreicher und besser ausfallen werden, also in den Phänomenen der sittlichen Beschaffenheit des Menschengeschlechts, wird der Ertrag (das Resultat) der Bearbeitung desselben zum Besseren allein gesetzt werden können. – Denn wir haben nur e m p i r i s c h e Data ¦ (Erfahrungen), worauf wir diese Vorhersagung gründen: nämlich auf die physische Ursache unserer Handlungen, in sofern sie geschehen, die also selbst Erscheinungen sind, nicht die moralische, welche den Pflichtbegriff von dem enthält, was geschehen sollte, und der allein rein, a priori, aufgestellt werden kann. Allmählich wird der Gewalttätigkeit von Seiten der Mächtigen weniger, der Folgsamkeit in Ansehung der Gesetze mehr werden. Es wird etwa mehr Wohltätigkeit, weniger Zank in Prozessen, mehr Zuverlässig | keit im Worthalten u. s. w. teils aus Ehrliebe, teils aus wohlverstandenem eigenen

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Vorteil im gemeinen Wesen entspringen, und sich endlich dies auch auf die Völker im äußeren Verhältnis gegen einan* der bis zur weltbürgerlichen Gesellschaft erstrecken, ohne daß dabei die moralische Grundanlage im Menschenge5 schlechte im mindesten vergrößert werden darf; als wozu auch eine Art von neuer Schöpfung (übernatürlicher Einfluß) erforderlich sein würde. – Denn wir müssen uns von Menschen in ihren Fortschritten zum Besseren auch nicht zu viel versprechen, um nicht in den Spott des Politikers mit 10 Grunde zu verfallen, der die Hoffnung des ¦ ersteren gerne für Träumerei eines überspannten Kopfs halten möchte.23

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10. In welcher Ordnung allein kann der Fortschritt zum Besseren erwartet werden?

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Die Antwort ist: nicht durch den Gang der Dinge v o n u n t e n h i n a u f , sondern den v o n o b e n h e r a b . – Zu erwarten, daß durch Bildung der Jugend in häuslicher Unterweisung und weiterhin in Schulen, von den niedrigen an bis 23

Es ist doch s ü ß , sich Staatsverfassungen auszudenken, die den Forderungen der Vernunft (vornehmlich in rechtlicher Absicht) ent20 sprechen; aber v e r m e s s e n , sie vorzuschlagen, und s t r a f b a r, das Volk zur Abschaffung der jetzt bestehenden aufzuwiegeln. P l a t o s Atlantica, M o r u s ’ Utopia, H a r r i n g t o n s Oceana und A l l a i s ’ Severambia sind nach und nach auf die Bühne gebracht, aber nie (C r o m w e l l s verunglückte Mißgeburt einer despotischen 25 Republik ausgenommen) auch nur versucht worden. – Es ist mit ¦ diesen Staatsschöpfungen wie mit der Weltschöpfung zugegangen: kein Mensch war dabei zugegen, noch konnte er bei einer solchen 159 gegenwärtig sein, weil er sonst sein eigener Schöpfer hätte sein müssen. Ein Staatsprodukt, wie man es hier denkt, als dereinst, so spät es 30 auch sei, als vollendet zu hoffen, ist ein süßer Traum; aber sich ihm immer zu näheren, nicht allein d e n k b a r, sondern, so weit es mit dem moralischen Gesetze zusammen bestehen kann, P f l i c h t , nicht der Staatsbürger, sondern des Staatsoberhaupts.

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zu den höchsten, in Geistes- und moralischer, durch Religionslehre verstärkter Kultur, es endlich dahin kommen werde, nicht bloß gute Staatsbürger, sondern zum Guten, was immer ¦ weiter fortschreiten und sich erhalten kann, zu erziehen, ist ein Plan, der den erwünschten Erfolg schwer- 5 lich hoffen läßt. Denn nicht allein, daß das Volk dafür hält, daß die Kosten der Erziehung seiner Jugend nicht ihm, sondern dem | Staate zu Lasten kommen müssen, der Staat aber dagegen seinerseits zu Besoldung tüchtiger und mit Lust ihrem Amte obliegender Lehrer kein Geld übrig hat (wie B ü - * s c h i n g klagt), weil er alles zum Kriege braucht: sondern das ganze Maschinenwesen dieser Bildung hat keinen Zusammenhang, wenn es nicht nach einem überlegten Plane der obersten Staatsmacht, und nach dieser ihrer Absicht entworfen, ins Spiel gesetzt, und darin auch immer gleichför- 15 mig erhalten wird; wozu wohl gehören möchte, daß der ¦ Staat sich von Zeit zu Zeit auch selbst reformiere, und, statt Revolution, Evolution versuchend, zum Besseren beständig fortschreite. Da es aber doch auch M e n s c h e n sind, welche diese Erziehung bewirken sollen, mithin solche, die dazu 20 selbst haben erzogen werden müssen: so ist, bei dieser Gebrechlichkeit der menschlichen Natur, und der Zufälligkeit der Umstände, die einen solchen Effekt begünstigen, die Hoffnung ihres Fortschreitens nur in einer Weisheit von oben herab (welche, wenn sie uns unsichtbar ist, Vorsehung 25 heißt) als positiver Bedingung, für das aber, was hierin von M e n s c h e n erwartet und gefordert werden kann, bloß negative Weisheit zur Beförderung dieses Zwecks zu erwarten, nämlich daß sie das größte Hindernis des moralischen Fortschritts, nämlich den K r i e g , der diesen immer rückgängig 30 macht, erstlich nach und nach menschlicher, darauf seltener, endlich, als Angriffskrieg, ganz schwinden zu lassen sich genötigt sehen werden, um eine Verfassung einzuschlagen, die, ihrer Natur nach, ohne sich zu schwächen, auf echte Rechts22 und] A: unter 29 moralischen Fortschritts] A: Moralischen

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prinzipien gegründet, beharrlich zum Bessern fortschreiten kann. ¦ Beschluß Ein Patient, den sein Arzt von Tag zu Tag auf baldige Gene5 sung vertröstete: den einen, daß der Puls besser schlüge; den anderen, daß der Auswurf, den dritten, daß der Schweiß Besserung verspräche, u. s. w., bekam einen Besuch von einem seiner Freunde. Wie geht’s, Freund, mit eurer Krankheit? war die erste Frage. Wie wird’s gehen? I c h s t e r b e 10 f ü r l a u t e r B e s s e r u n g ! – Ich verdenke es keinem, wenn er in Ansehung der Staatsübel an dem Heil des Menschengeschlechts und dem Fortschreiten desselben zum Besseren zu verzagen anhebt; allein, ich verlasse mich auf * das heroische Arzneimittel, welches H u m e anführt, und 15 eine schnelle Kur bewirken dürfte: »Wenn ich jetzt (sagt er) die Nationen im Kriege gegen einander begriffen sehe, so ist es, als ob ich zwei besoffene | Kerle sähe, die sich in einem Porzellanladen mit Prügeln herumschlagen. Denn nicht genug, daß sie an den Beulen, die sie sich wechselseitig geben, 20 lange zu heilen haben, so müssen sie hinterher noch allen ¦ den Schaden bezahlen, den sie anrichteten.« Sero sapiunt * Phryges. Die Nachwehen des gegenwärtigen Krieges aber können dem politischen Wahrsager das Geständnis einer nahe bevorstehenden Wendung des menschlichen Geschlechts zum Besseren abnötigen, das schon jetzt im Prospekt ist.

4 Ein Patient, den sein Arzt] A: Ein Arzt, der seinen Patienten

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¦ | DRITTER ABSCHNITT

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¦ | Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein

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Ein Antwortschreiben an Herrn Hofrat und Professor H u f e l a n d * Daß meine Danksagung für das den 12ten Dez. 1796 an mich bestellte Geschenk Ihres lehrreichen und angenehmen 10 Buchs » v o n d e r K u n s t , d a s m e n s c h l i c h e L e b e n z u v e r l ä n g e r n « selbst auf ein langes Leben berechnet gewesen sein dürfte, möchten Sie vielleicht aus dem Datum dieser meiner Antwort vom Januar d i e s e s Jahres zu schließen Ursache haben; wenn das Altgewordensein nicht schon 15 die öftere Ve r t a g u n g (procrastinatio) wichtiger Beschlüsse bei sich führete, dergleichen doch wohl der des Todes ist, wel ¦ cher sich immer zu früh für uns anmeldet, und den man warten zu lassen an Ausreden unerschöpflich ist. Sie verlangen von mir »ein Urteil über Ihr Bestreben, das 20 Physische im Menschen moralisch zu behandeln; den ganzen, auch physischen, Menschen als ein auf Moralität berechnetes Wesen darzustellen, und die moralische Kultur als unentbehrlich zur physischen Vollendung der überall nur in der Anlage vorhandenen Menschennatur zu zeigen«, und 25 setzen hinzu: »Wenigstens kann ich versichern, daß es keine vorgefaßte Meinungen waren, sondern ich durch die Arbeit und Untersuchung selbst unwiderstehlich in diese Behandlungsart hinein gezogen wurde«. – Eine solche Ansicht der Sache verrät den Philosophen, nicht den bloßen Vernunft30 künstler; einen Mann, der nicht allein, gleich einem der Direktoren des französischen Konvents, die von der Vernunft

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verordneten M i t t e l der Ausführung (technisch), wie sie die Erfahrung darbietet, zu seiner Heilkunde mit Geschicklichkeit, sondern, als gesetzgebendes Glied im Korps der Ärzte, aus der reinen Vernunft hernimmt, welche zu dem, was h i l f t , mit | Geschicklichkeit, auch das, was zugleich an sich P f l i c h t ist, mit Weisheit zu verordnen weiß: so, daß moralisch-praktische Philosophie ¦ zugleich eine Universalmedizin abgibt, die zwar nicht allen für alles hilft, aber doch in keinem Rezepte mangeln kann. Dieses Universalmittel betrifft aber nur die D i ä t e t i k , d. i., es wirkt nur n e g a t i v, als Kunst, Krankheiten a b z u h a l t e n . Dergleichen Kunst aber setzt ein Vermögen voraus, das nur Philosophie, oder der Geist derselben, den man schlechthin voraussetzen muß, geben kann. Auf diesen bezieht sich die oberste diätetische Aufgabe, welche in dem Thema enthalten ist: Vo n d e r M a c h t d e s G e m ü t s d e s M e n s c h e n , ü b e r seine krankhafte Gefühle durch den bloßen fes t e n Vo r s a t z M e i s t e r z u s e i n . Die die Möglichkeit dieses Ausspruchs bestätigenden Beispiele kann ich nicht von der Erfahrung a n d e r e r hernehmen, sondern zuerst nur von der an mir selbst angestellten; weil sie aus dem Selbstbewußtsein hervorgeht, und sich nachher allererst andere fragen läßt: ob es nicht auch sie eben so in sich wahrnehmen. – Ich sehe mich also genötigt, mein I c h l a u t werden zu lassen; was im dogmatischen Vortrage24 Unbeschei ¦ denheit verrät, aber Verzeihung verdient, wenn es nicht gemeine Erfahrung, sondern ein inneres Experiment oder Beobachtung betrifft, welche ich zuerst an mir selbst angestellt haben muß, um etwas, was nicht jeder24

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Im dogmatisch-praktischen Vortrage, z. B. derjenigen ¦ Beobachtung seiner selbst, die auf Pflichten abzweckt, die jedermann angehen, spricht der Kanzelredner nicht durch Ich, sondern Wir. In dem erzählenden aber, der Privatempfindung (der Beichte, welche der Patient seinem Arzte ablegt), oder eigener Erfahrung an sich 35 selbst, muß er durch Ich reden.

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mann von selbst, und ohne darauf geführt zu sein, beifällt, zu seiner Beurteilung vorzulegen. – Es würde tadelhafte Anmaßung sein, andere mit der inneren Geschichte meines Gedankenspiels unterhalten zu wollen, welche zwar subjek5 tive Wichtigkeit (für mich), aber keine objektive (für jedermann geltende) enthielten. Wenn aber dieses Aufmerken auf sich selbst und die daraus hervorgehende Wahrnehmung nicht so gemein ist, sondern, daß jeder dazu aufgefordert werde, eine Sache ist, die es bedarf und verdient, so kann 10 dieser Übelstand, mit seinen Privatempfindungen andere zu unterhalten, wenigstens verziehen werden. Ehe ich nun mit dem Resultat meiner, in Absicht auf Diätetik ange | stellten, Selbstbeobachtung aufzutreten ¦ wage, muß ich noch etwas über die Art bemerken, wie Herr H u 15 f e l a n d die Aufgabe der D i ä t e t i k , d. i. der Kunst stellt, Krankheiten v o r z u b e u g e n , im Gegensatz mit der T h e r a p e u t i k , sie zu h e i l e n . Sie heißt ihm »die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern «. Er nimmt seine Benennung von demjenigen her, was die 20 Menschen am sehnsüchtigsten wünschen, ob es gleich vielleicht weniger wünschenswert sein dürfte. Sie möchten zwar gern zwei Wünsche zugleich tun: nämlich l a n g e z u l e b e n und d a b e i g e s u n d z u s e i n ; aber der erstere Wunsch hat 25 den letzteren nicht zur notwendigen Bedingung: sondern er ist unbedingt. Laßt den Hospitalkranken Jahre lang auf seinem Lager leiden und darben, und ihn oft wünschen hören, daß ihn der Tod je eher je lieber von dieser Plage erlösen möge; glaubt ihm nicht, es ist nicht sein Ernst. Seine Ver30 nunft sagt es ihm zwar vor, aber der Naturinstinkt will es * anders. Wenn er dem Tode, als seinem Befreier (Jovi liberatori) winkt, so verlangt er doch immer noch eine kleine Frist, und hat immer irgend einen Vorwand zur Ve r t a g u n g (procrastinatio) seines peremtorischen Dekrets. Der in wil35 der Entrüstung gefaßte Entschluß des Selbstmörders, seinem Leben ein ¦ Ende zu machen, macht hievon keine Ausnahme: denn er ist die Wirkung eines bis zum Wahnsinn

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exaltierten Affekts. – Unter den zwei Verheißungen für die Befolgung der Kindespflicht (»auf daß dir es wohlgehe, und du lange lebest auf Erden«) enthält die letztere die stärkere Triebfeder, selbst im Urteile der Vernunft, nämlich als Pflicht, deren Beobachtung zugleich v e r d i e n s t l i c h ist. 5 Die Pflicht, das A l t e r z u e h r e n , gründet sich nämlich eigentlich nicht auf die billige Schonung, die man den Jüngeren gegen die Schwachheit der Alten zumutet: denn die ist kein Grund zu einer ihnen schuldigen A c h t u n g . Das Alter will also noch für etwas Ve r d i e n s t l i c h e s angesehen wer- 10 den, weil ihm eine Ve r e h r u n g zugestanden wird. Also, nicht etwa weil Nestorjahre zugleich durch viele und lange Erfahrung erworbene We i s h e i t, zu Leitung der jüngeren Welt, bei sich führen, sondern bloß weil, wenn nur keine Schande dasselbe befleckt hat, der Mann, welcher sich so 15 lange erhalten hat, d. i. der Sterblichkeit, als dem demütigendsten Ausspruch, der über ein vernünftiges Wesen nur gefällt werden kann (»du bist Erde und sollst zur Erde wer- * den «), so lange hat ausweichen und ¦ gleichsam der Unsterblichkeit hat abgewinnen können, weil, sage ich, ein sol- 20 cher Mann sich so lange lebend erhalten und zum Beispiel aufgestellt hat. | Mit der Gesundheit, als dem zweiten natürlichen Wunsche, ist es dagegen nur mißlich bewandt. Man kann sich gesund f ü h l e n (aus dem behaglichen Gefühl seines Lebens 25 urteilen), nie aber w i s s e n , daß man gesund sei. – Jede Ursache des natürlichen Todes ist Krankheit: man mag sie fühlen oder nicht. – Es gibt viele, von denen, ohne sie eben verspotten zu wollen, man sagt, daß sie für immer k r ä n k e l n , nie k r a n k werden können; deren Diät ein immer wechseln- 30 des Abschweifen und wieder Einbeugen ihrer Lebensweise ist, und die es im Leben, wenn gleich nicht den Kraftäußerungen, doch der Länge nach, weit bringen. Wie viel aber meiner Freunde oder Bekannten habe ich nicht überlebt, die sich bei einer einmal angenommenen ordentlichen Lebens- 35 art einer völligen Gesundheit rühmten: indessen daß der Keim des Todes (die Krankheit), der Entwickelung nahe,

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unbemerkt in ihnen lag, und der, welcher sich gesund f ü h l t e , nicht w u ß t e , daß er krank war; denn die U r s a c h e eines natürlichen Todes kann man doch nicht anders als Krankheit nennen. Die ¦ K a u s a l i t ä t aber kann man nicht fühlen, dazu gehört Verstand, dessen Urteil irrig sein kann; indessen daß das Gefühl untrüglich ist, aber nur dann, wenn man sich krankhaft f ü h l t , diesen Namen führt; f ü h l t man sich aber so auch nicht, doch gleichwohl in dem Menschen verborgenerweise und zur baldigen Entwickelung bereit liegen kann; daher der Mangel dieses Gefühls keinen andern Ausdruck des Menschen für sein Wohlbefinden verstattet, als daß er s c h e i n b a r l i c h gesund sei. Das lange Leben also, wenn man dahin zurücksieht, kann nur die g e n o s s e n e Gesundheit bezeugen, und die Diätetik wird vor allem in der Kunst, das Leben zu v e r l ä n g e r n (nicht es zu g e n i e ß e n ) , ihre Geschicklichkeit oder Wissenschaft zu beweisen haben: wie es auch Herr H u f e l a n d so ausgedruckt haben will.

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Grundsatz der Diätetik Auf G e m ä c h l i c h k e i t muß die Diätetik nicht berechnet werden; denn diese Schonung seiner Kräfte und Gefühle ist Verzärtelung, d. i. sie hat Schwäche und Kraftlosigkeit zur * Folge, und ein allmähliches Erlöschen der Lebenskraft, aus Mangel der Übung; so wie eine Erschöpfung derselben 25 durch zu häufigen und starken ¦ Gebrauch derselben. Der * S t o i z i s m , als Prinzip der Diätetik (sustine et abstine), gehört also nicht bloß zur praktischen P h i l o s o p h i e , als Tu g e n d l e h r e , sondern auch zu ihr als H e i l k u n d e . – Diese ist alsdann p h i l o s o p h i s c h , wenn bloß die Macht 30 der | Vernunft im Menschen, über seine sinnliche Gefühle durch einen sich selbst gegebenen Grundsatz Meister zu sein, die Lebensweise bestimmt. Dagegen, wenn sie diese Empfindungen zu erregen oder abzuwehren die Hülfe a u ß e r s i c h in körperlichen Mitteln (der Apotheke, oder der 35 Chirurgie) sucht, sie bloß empirisch und mechanisch ist. 20

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Die W ä r m e , der S c h l a f , die sorgfältige P f l e g e des nicht Kranken sind solche Verwöhnungen der Gemächlichkeit. 1) Ich kann, der Erfahrung an mir selbst gemäß, der Vorschrift nicht beistimmen: »Man soll Kopf und Füße warm halten«. Ich finde es dagegen geratener, beide kalt zu halten (wozu die Russen auch die Brust zählen); gerade der Sorgfalt wegen, u m m i c h n i c h t z u v e r k ä l t e n . – Es ist freilich gemächlicher, im laulichen Wasser sich die Füße zu waschen, als es zur Winterszeit mit beinahe eiskaltem zu tun; ¦ dafür aber entgeht man dem Übel der Erschlaffung der Blutgefäße in so weit vom Herzen entlegenen Teilen; welches im Alter oft eine nicht mehr zu hebende Krankheit der Füße nach sich zieht. – Den Bauch, vornehmlich bei kalter Witterung, warm zu halten, möchte eher zur diätetischen Vorschrift, statt der Gemächlichkeit gehören; weil er Gedärme in sich schließt, die einen langen Gang hindurch einen nicht-flüssigen Stoff forttreiben sollen; wozu der sogenannte Schmachtriemen (ein breites den Unterleib haltendes und die Muskeln desselben unterstützendes Band) bei Alten, aber eigentlich nicht der Wärme wegen, gehört. 2) L a n g e oder (wiederholentlich, durch Mittagsruhe) v i e l s c h l a f e n ist freilich eben so viel Ersparnis am Ungemache, was überhaupt das Leben im Wachen unvermeidlich bei sich führt, und es ist wunderlich genug, sich ein langes Leben zu wünschen, um es größtenteils zu verschlafen. Aber das, worauf es hier eigentlich ankömmt, dieses vermeinte Mittel des langen Lebens, die Gemächlichkeit, widerspricht sich in seiner Absicht selbst. Denn das wechselnde Erwachen und wieder Einschlummern, in langen Winternächten, ist für das ganze Nervensystem lähmend, zermalmend ¦ und in täuschender Ruhe krafterschöpfend: mithin die Gemächlichkeit hier eine Ursache der Verkürzung des Lebens. – Das Bett ist das Nest einer Menge von Krankheiten. 3) Im Alter sich zu p f l e g e n oder pflegen zu lassen, bloß um seine Kräfte, durch die Vermeidung der Ungemächlich-

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keit (z. B. des Ausgehens in schlimmen Wetter) oder überhaupt die Übertragung der Arbeit an andere, die man selbst verrichten könnte, zu s c h o n e n , so aber das Leben | zu verlängern, diese Sorgfalt bewirkt gerade das Widerspiel, nämlich das frühe Altwerden und Verkürzung des Lebens. – Auch daß sehr alt Gewordene m e h r e n t e i l s v e r e h e l i c h t e Personen gewesen wären, möchte schwer zu beweisen sein. – In einigen Familien ist das Altwerden erblich, und die Paarung in einer solchen kann wohl einen Familienschlag dieser Art begründen. Es ist auch kein übles politisches Prinzip zu Beförderung der Ehen, das gepaarte Leben als ein langes Leben anzupreisen; obgleich die Erfahrung immer verhältnisweise nur wenig Beispiele davon an die Hand gibt, von solchen, die neben einander vorzüglich alt geworden sind; aber die Frage ist hier nur vom physiologischen ¦ Grunde des Altwerdens – wie es die Natur verfügt, nicht vom politischen, wie die Konvenienz des Staats die öffentliche Meinung seiner Absicht gemäß gestimmt zu sein verlangt. – Übrigens ist das P h i l o s o p h i e r e n , ohne darum eben Philosoph zu sein, auch ein Mittel der Abwehrung mancher unangenehmer Gefühle und doch zugleich A g i t a t i o n des Gemüts, welches in seine Beschäftigung ein Interesse bringt, das von äußern Zufälligkeiten unabhängig, und eben darum, obgleich nur als Spiel, dennoch kräftig und inniglich ist, und die Lebenskraft nicht stocken läßt. Dagegen P h i l o s o p h i e , die ihr Interesse am Ganzen des Endzwecks der Vernunft (der eine absolute Einheit ist) hat, ein Gefühl der Kraft bei sich führt, welches die körperliche Schwächen des Alters in gewissem Maße durch vernünftige Schätzung des Werts des Lebens wohl vergüten kann. – Aber neu sich eröffnende Aussichten zu Erweiterung seiner Erkenntnisse, wenn sie auch gerade nicht zur Philosophie gehörten, leisten doch auch eben dasselbe, oder etwas dem Ähnliches, und sofern der Mathematiker hieran ein u n m i t t e l b a r e s Interesse (nicht als an einem Werkzeuge zu anderer Absicht) nimmt, so ist er in sofern auch Philosoph, und genießt die Wohltätigkeit einer solchen Erregungs ¦ art seiner Kräfte

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in einem verjüngten und ohne Erschöpfung verlängerten Leben. Aber auch bloße Tändeleien in einem sorgenfreien Zustande leisten, als Surrogate, bei eingeschränkten Köpfen fast eben dasselbe, und, die mit Nichtstun immer vollauf zu tun haben, werden gemeiniglich auch alt. – Ein sehr bejahrter Mann fand dabei ein großes Interesse, daß die vielen Stutzuhren in seinem Zimmer immer nach einander, keine mit der andern zugleich, schlagen mußten; welches ihn und den Uhrmacher den Tag über genug beschäftigte, und dem letztern zu verdienen gab. Ein anderer fand in der Abfütterung und Kur seiner Sangvögel hinreichende Beschäftigung, | um die Zeit zwischen seiner eigenen Abfütterung und dem Schlaf auszufüllen. Eine alte begüterte Frau fand diese Ausfüllung am Spinnrade, unter dabei eingemischten unbedeutenden Gesprächen, und klagte daher in ihrem sehr hohen Alter, gleich als über den Verlust einer guten Gesellschaft, daß, da sie nunmehr den Faden zwischen den Fingern nicht mehr fühlen könnte, sie für langer Weile zu sterben Gefahr liefe. Doch, damit mein Diskurs über das lange Leben ¦ Ihnen nicht auch lange Weile mache, und eben dadurch gefährlich werde, will ich der Sprachseligkeit, die man als einen Fehler des Alters zu belächlen, wenn gleich nicht zu schelten pflegt, hiemit Grenzen setzen.

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1. Von der Hypochondrie Die Schwäche, sich seinen krankhaften Gefühlen überhaupt, ohne ein bestimmtes Objekt, mutlos zu überlassen (mithin ohne den Versuch zu machen, über sie durch die Vernunft Meister zu werden) – die G r i l l e n k r a n k h e i t (hypochondria vaga)25, welche gar keinen bestimmten Sitz im Körper hat, und ein Geschöpf der Einbildungskraft ist, und daher 25

Unterschiede von der t o p i s c h e n (hypochondria intestinalis).

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auch die d i c h t e n d e heißen könnte – wo der Patient alle Krankheiten, von denen er in Büchern liest, an sich zu bemerken glaubt, ist das gerade Widerspiel jenes Vermögens des Gemüts, über seine krankhafte Gefühle Meister zu 5 sein, nämlich Verzagtheit, über Übel, welche Menschen zustoßen k ö n n t e n , zu brüten, ohne, wenn sie kämen, ihnen widerstehen zu können; eine ¦ Art von Wahnsinn, welchem freilich wohl irgend ein Krankheitsstoff (Blähung oder Verstopfung) zum Grunde liegen mag, der aber nicht unmit10 telbar, wie er den Sinn affiziert, gefühlt, sondern als bevorstehendes Übel von der dichtenden Einbildungskraft vorge* spiegelt wird; wo dann der Selbstquäler (heautontimorumenos), statt sich selbst zu ermannen, vergeblich die Hülfe des Arztes aufruft; weil nur er selbst, durch die Diätetik sei15 nes Gedankenspiels, belästigende Vorstellungen, die sich unwillkürlich einfinden, und zwar von Übeln, wider die sich doch nichts veranstalten ließe, wenn sie sich wirklich einstellten, aufheben kann. – Von dem, der mit dieser Krankheit behaftet, und so lange er es ist, kann man nicht 20 verlangen, er solle seiner krankhaften Gefühle durch den bloßen Vorsatz Meister werden. Denn, | wenn er dieses könnte, so wäre er nicht hypochondrisch. Ein vernünftiger Mensch s t a t u i e r t keine solche Hypochondrie: sondern, wenn ihn Beängstigungen anwandeln, die in Grillen, d. i., 25 selbst ausgedachte Übel ausschlagen wollen, so fragt er sich, ob ein Objekt derselben da sei. Findet er keines, welches gegründete Ursache zu dieser Beängstigung abgeben kann, oder sieht er ein, daß, wenn auch gleich ein ¦ solches wirklich wäre, doch dabei nichts zu tun möglich sei, um seine 30 Wirkung abzuwenden, so geht er mit diesem Anspruche seines inneren Gefühls zur Tagesordnung, d. i. er läßt seine Beklommenheit (welche alsdann bloß topisch ist) an ihrer Stelle liegen (als ob sie ihm nichts anginge) und richtet seine Aufmerksamkeit auf die Geschäfte, mit denen er zu tun hat. Ich habe wegen meiner flachen und engen Brust, die für 35 die Bewegung des Herzens und der Lunge wenig Spielraum läßt, eine natürliche Anlage zur Hypochondrie, welche in

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früheren Jahren bis an den Überdruß des Lebens grenzte. Aber die Überlegung, daß die Ursache dieser Herzbeklemmung vielleicht bloß mechanisch und nicht zu heben sei, brachte es bald dahin, daß ich mich an sie gar nicht kehrte, und während dessen, daß ich mich in der Brust beklommen fühlte, im Kopf doch Ruhe und Heiterkeit herrschte, die sich auch in der Gesellschaft, nicht nach abwechselnden Launen (wie Hypochondrische pflegen), sondern absichtlich und natürlich mitzuteilen nicht ermangelte. Und da man des Lebens mehr froh wird durch das, was man im freien Gebrauch desselben t u t , als was man g e n i e ß t , so können Geistesarbeiten eine andere Art von ¦ befördertem Lebensgefühl den Hemmungen entgegen setzen, welche bloß den Körper angehen. Die Beklemmung ist mir geblieben; denn ihre Ursache liegt in meinem körperlichen Bau. Aber über ihren Einfluß auf meine Gedanken und Handlungen bin ich Meister geworden, durch Abkehrung der Aufmerksamkeit von diesem Gefühle, als ob es mich gar nicht anginge.

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Was die Türken, nach ihren Grundsätzen der Prädestination, über die Mäßigkeit sagen: daß nämlich im Anfange der Welt jedem Menschen die Portion zugemessen worden, wie viel er im Leben zu essen haben werde, und, wenn er seinen beschiedenen Teil in großen Portionen verzehrt, er auf eine desto kürzere Zeit zu e s s e n , mithin zu s e i n sich Rechnung machen | könne: das kann in einer Diätetik, als K i n d e r l e h r e (denn im Genießen müssen auch Männer von Ärzten oft als Kinder behandelt werden), auch zur Regel dienen: nämlich daß jedem Menschen von Anbeginn her vom Verhängnisse seine Portion S c h l a f zugemessen worden, und der, welcher von seiner Lebenszeit in ¦ Mannsjahren zu viel (über das Dritteil) dem Schlafen eingeräumt hat, sich nicht eine lange Zeit zu schlafen, d. i. zu leben und alt

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zu werden versprechen darf. – Wer dem Schlaf als süßen Genuß im Schlummern (der S i e s t a der Spanier) oder als Zeitkürzung (in langen Winternächten) viel mehr als ein Dritteil seiner Lebenszeit einräumt, oder ihn sich auch teilweise (mit Absätzen), nicht in einem Stück für jeden Tag, zumißt, verrechnet sich sehr in Ansehung seines L e b e n s q u a n t u m , teils dem Grade, teils der Länge nach. – Da nun schwerlich ein Mensch wünschen wird, daß der Schlaf überhaupt gar nicht Bedürfnis für ihn wäre (woraus doch wohl erhellet, daß er das lange Leben als eine lange Plage fühlt, von dem, so viel er verschlafen, eben so viel Mühseligkeit zu tragen er sich ersparet hat), so ist es geratener, fürs Gefühl sowohl als für die Vernunft, dieses genuß- und tatleere Drittel ganz auf eine Seite zu bringen, und es der unentbehrlichen Naturrestauration zu überlassen: doch mit einer genauen Abgemessenheit der Zeit, von wo an und wie lange sie dauern soll. ¦ Es gehört unter die krankhaften Gefühle, zu der bestimmten und gewohnten Zeit nicht schlafen, oder auch sich nicht wach halten zu können; vornehmlich aber das erstere: in dieser Absicht sich zu Bette zu legen und doch schlaflos zu liegen. – Sich alle G e d a n k e n aus dem Kopf zu schlagen, ist zwar der gewöhnliche Rat, den der Arzt gibt: aber sie, oder andere an ihre Stelle, kommen wieder und erhalten wach. Es ist kein anderer diätetischer Rat, als, beim inneren Wahrnehmen oder Bewußtwerden irgend eines sich regenden Gedanken, die Aufmerksamkeit davon so fort abzuwenden (gleich als ob man mit geschlossenen Augen diese auf eine andere Seite kehrte): wo dann durch das Abbrechen jedes Gedanken, den man inne wird, allmählich eine Verwirrung der Vorstellungen entspringt, dadurch das Bewußtsein seiner körperlichen (äußeren) Lage aufgehoben wird, und eine ganz verschiedene Ordnung, nämlich ein unwillkürliches Spiel der Einbildungskraft (das im gesunden Zustande der Tr a u m ist) eintritt, in welchem, durch ein bewundernswürdiges Kunststück der tierischen Or | ganisation, der Körper für die animalischen Bewegungen a b g e s p a n n t , für die

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Vitalbewegung aber innigst a g i t i e r t ¦ wird, und zwar durch Tr ä u m e , die, wenn wir uns gleich derselben im Erwachen nicht erinnern, gleichwohl nicht haben ausbleiben können: weil sonst bei gänzlicher Ermangelung derselben, wenn die Nervenkraft, die vom Gehirn, dem Sitze der Vorstellungen, ausgeht, nicht mit der Muskelkraft der Eingeweide vereinigt wirkte, das Leben sich nicht einen Augenblick erhalten könnte. Daher träumen vermutlich alle Tiere, wenn sie schlafen. Jedermann aber, der sich zu Bette und in Bereitschaft zu schlafen gelegt hat, wird bisweilen, bei aller obgedachten Ablenkung seiner Gedanken, doch nicht zum Einschlafen kommen können. In diesem Fall wird er im Gehirn etwas S p a s t i s c h e s (Krampfartiges) fühlen, welches auch mit der Beobachtung gut zusammenhängt: daß ein Mensch gleich nach dem Erwachen etwa ½ Zoll länger sei, als wenn er sogar im Bette geblieben und dabei nur gewacht hätte. – Da Schlaflosigkeit ein Fehler des schwächlichen Alters, und die linke Seite, überhaupt genommen, die schwächere ist,26 so fühlte ich seit etwa einem Jahre diese ¦ krampfichte An-

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Es ist ein ganz unrichtiges Vorgeben, daß, was die ¦ Stärke im Gebrauch seiner äußern Gliedmaßen betrifft, es bloß auf die Übung, und wie man frühe gewöhnt worden, ankomme, welche von beiden Seiten des Körpers die stärkere oder schwächere sein solle; ob im Gefechte mit dem rechten oder linken Arm der Säbel geführt, ob sich der Reiter im Steigbügel stehend von der rechten zur linken oder umgekehrt aufs Pferd schwinge, u. dgl. Die Erfahrung lehrt aber, daß, wer sich am linken Fuße Maß für seine Schuhe nehmen läßt, wenn der Schuh dem linken genau anpaßt, er für den rechten zu enge sei, ohne daß man die Schuld davon den Eltern geben kann, die ihre Kinder nicht besser belehrt hätten; so wie der Vorzug der rechten Seite vor der linken auch daran zu sehen ist, daß der, welcher über einen etwas tiefen Graben schreiten will, den linken Fuß ansetzt, und mit dem rechten überschreitet, widrigenfalls er in den Graben zu fallen Gefahr läuft. Daß der preußische Infanterist geübt wird, mit dem linken Fuße a n z u t r e t e n , widerlegt jenen Satz nicht, sondern bestätigt ihn vielmehr; denn er setzt diesen voran, gleich als auf ein Hypomochlium, um mit der rechten Seite den

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wandelungen und sehr empfindliche Reize dieser Art (ob zwar nicht wirkliche und sichtbare Bewegungen der darauf affizierten Gliedmaßen als Krämpfe), die ich nach der Be* schreibung anderer für g i c h t i s c h e Zufälle halten und da5 für einen Arzt suchen mußte. ¦ Nun aber, aus Ungeduld, am Schlafen mich gehindert zu fühlen, griff ich bald zu meinem stoischen Mittel, meinen Gedanken mit | Anstrengung auf irgend ein von mir gewähltes gleichgültiges Objekt, was es auch sei (z. B. auf den viel Nebenvorstellungen enthaltenden 10 Namen Cicero) zu heften: mithin die Aufmerksamkeit von jener Empfindung abzulenken; dadurch diese dann, und zwar schleunig, stumpf wurde, und so die Schläfrigkeit sie überwog, und dieses kann ich jederzeit, bei wiederkommenden Anfällen dieser Art in den kleinen Unterbrechun15 gen des Nachtschlafs, mit gleich gutem Erfolg wiederholen. Daß aber dieses nicht etwa bloß eingebildete Schmerzen waren, davon konnte mich die des andern Morgens früh sich zeigende glühende Röte der Zehen des linken Fußes überzeugen. – Ich bin gewiß, daß viele g i c h t i s c h e Zufälle, 20 wenn nur die Diät des Genusses nicht gar zu sehr dawider ist, ja K r ä m p f e und selbst e p i l e p t i s c h e Zufälle (nur nicht bei Weibern und Kindern, als die dergleichen Kraft des Vorsatzes nicht haben), auch wohl das für unheilbar verschriene P o d a g r a bei jeder neuen Anwandlung desselben 25 durch diese Festigkeit des Vorsatzes (seine Aufmerksamkeit von einem solchen Leiden ab ¦ zuwenden) abgehalten, und nach und nach gar gehoben werden könnte.

3. Vom Essen und Trinken

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Im gesunden Zustande und der Jugend ist es das Geratenste in Ansehung des Genusses, der Zeit und Menge nach, bloß den A p p e t i t (Hunger und Durst) zu befragen; aber bei Schwung des Angriffs zu machen, welchen er mit der rechten gegen die linke verrichtet.

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den mit dem Alter sich einfindenden Schwächen ist eine gewisse A n g e w o h n h e i t einer geprüften und heilsam gefundenen Lebensart, nämlich wie man es einen Tag gehalten hat, es eben so alle Tage zu halten, ein diätetischer Grundsatz, welcher dem langen Leben am günstigsten ist; doch unter der Bedingung, daß diese Abfütterung für den sich weigernden Appetit die gehörige Ausnahmen mache. – Dieser nämlich weigert im Alter die Quantität des Flüssigen (Suppen oder viel Wasser zu trinken) vornehmlich dem männlichen Geschlecht: verlangt dagegen derbere Kost und anreizenderes Getränke (z. B. Wein), sowohl um die w u r m f ö r m i g e Bewegung der Gedärme (die unter allen Eingeweiden am meisten von der vita propria zu haben scheinen, weil sie, wenn sie noch warm aus dem Tier gerissen und zerhauen ¦ werden, als Würmer kriechen, deren Arbeit man nicht bloß fühlen, sondern sogar hören kann) zu befördern und zugleich solche Teile in den Blutumlauf zu | bringen, die durch ihren Reiz das Geräder zur Blutbewegung im Umlauf zu erhalten beförderlich sind. Das Wasser braucht aber bei alten Leuten längere Zeit, um, ins Blut aufgenommen, den langen Gang seiner Absonderung von der Blutmasse durch die Nieren zur Harnblase zu machen, wenn es nicht dem Blute assimilierte Teile (dergleichen der Wein ist), die einen Reiz der Blutgefäße zum Fortschaffen bei sich führen, in sich enthält; welcher letztere aber alsdann als Medizin gebraucht wird, dessen künstlicher Gebrauch eben darum eigentlich nicht zur Diätetik gehört. Der Anwandelung des Appetits zum Wassertrinken (dem Durst), welche großenteils nur Angewohnheit ist, nicht sofort nachzugeben, und ein hierüber genommener f e s t e r Vo r s a t z bringt diesen Reiz in das Maß des natürlichen Bedürfnisses des den festen Speisen beizugebenden Flüssigen, dessen Genuß in Menge im Alter selbst durch den Naturinstinkt geweigert wird. Man schläft auch nicht gut,

24 ist), die] A: ist) und die

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wenigstens nicht tief bei dieser Wasserschwelgerei, weil die Blutwärme dadurch vermindert wird. ¦ Es ist oft gefragt worden: ob, gleich wie in 24 Stunden nur ein Schlaf, so auch in eben so viel Stunden nur eine Mahlzeit nach diätetischer Regel verwilligt werden könne, oder ob es nicht b e s s e r (gesunder) sei, dem Appetit am Mittagstische etwas abzubrechen, um dafür auch zu Nacht essen zu können. Zeitkürzender ist freilich das letztere. – Das erstere halte ich auch in den sogenannten besten Lebensjahren (dem Mittelalter) für zuträglicher; das letztere aber im späteren Alter. Denn, da das Stadium für die Operation der Gedärme zum Behuf der Verdauung im Alter ohne Zweifel langsamer abläuft, als in jüngeren Jahren, so kann man glauben, daß ein neues Pensum (in einer Abendmahlzeit) der Natur aufzugeben, indessen daß das erstere Stadium der Verdauung noch nicht abgelaufen ist, der Gesundheit nachteilig werden müsse. – Auf solche Weise kann man den Anreiz zum Abendessen, nach einer hinreichenden Sättigung des Mittags, für ein k r a n k h a f t e s Gefühl halten, dessen man durch einen festen Vorsatz so Meister werden kann, daß auch die Anwandelung desselben nach gerade nicht mehr verspürt wird.

¦ | 4. Von dem krankhaften Gefühl aus der Unzeit im Denken 25

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Einem Gelehrten ist das D e n k e n ein Nahrungsmittel, ohne welches, wenn e r w a c h u n d a l l e i n i s t , er nicht leben kann; jenes mag nun im L e r n e n (Bücherlesen) oder im A u s d e n k e n (Nachsinnen und Erfinden) bestehen. Aber beim Essen oder Gehen sich zugleich angestrengt mit einem bestimmten Gedanken beschäftigen, Kopf und Magen, oder Kopf und Füße mit zwei Arbeiten zugleich belästigen, davon bringt das eine Hypochondrie, das andere Schwindel hervor. Um also dieses krankhaften Zustandes durch Diätetik Meister zu sein, wird nichts weiter erfordert, als die

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mechanische Beschäftigung des Magens, oder der Füße, mit der geistigen des Denkens wechseln zu lassen, und während dieser (der Restauration gewidmeten) Zeit das absichtliche Denken zu hemmen und dem (dem mechanischen ähnlichen) freien Spiele der Einbildungskraft den Lauf zu las- 5 sen; wozu aber bei einem Studierenden ein allgemein gefaßter und fester Vorsatz der D i ä t im Denken erfordert wird. Es finden sich krankhafte Gefühle ein, wenn man in einer Mahlzeit ohne Gesellschaft sich zugleich mit ¦ Bücherlesen oder Nachdenken beschäftigt, weil die Lebenskraft durch 10 Kopfarbeit von dem Magen, den man belästigt, abgeleitet wird. Eben so, wenn dieses Nachdenken mit der krafterschöpfenden Arbeit der Füße (im Promenieren)27 verbunden wird. (Man kann das L u k u b r i e r e n noch hinzufügen, wenn es ungewöhnlich ist.) Indessen sind die krankhaften 15 Gefühle aus diesen unzeitig (invita Minerva) vorgenomme- * nen Geistesarbeiten doch nicht von der Art, daß sie sich unmittelbar durch den bloßen Vorsatz augenblicklich, sondern allein durch Entwöhnung, vermöge eines entgegengesetzten Prinzips, ¦ nach und nach heben lassen, und von den erste- 20 ren soll hier nur geredet werden.

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Studierende können es schwerlich unterlassen, in einsamen Spaziergängen sich mit Nachdenken selbst und allein zu unterhalten. Ich habe es aber an mir gefunden und auch von andern, die ich darum befrug, gehört: daß das angestrengte Denken im G e h e n ge- 25 schwinde matt macht; dagegen, wenn man sich dem freien Spiel der Einbildungskraft überläßt, die Motion restaurierend ist. Noch mehr geschieht dieses, wenn bei dieser mit Nachdenken verbundenen Bewegung zugleich Unterredung mit einem andern gehalten wird, so, daß man sich bald genötigt sieht, das Spiel seiner Gedanken sitzend 30 fortzusetzen. – Das Spazieren im Freien hat gerade die Absicht, durch den Wechsel der Gegenstände seine Aufmerksamkeit auf jeden einzelnen a b z u s p a n n e n .

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| 5. Von der Hebung und Verhütung krankhafter Zufälle durch den Vorsatz im Atemziehen

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Ich war vor wenigen Jahren noch dann und wann vom Schnupfen und Husten heimgesucht, welche beide Zufälle mir desto ungelegener waren, als sie sich bisweilen beim Schlafengehen zutrugen. Gleichsam entrüstet über diese Störung des Nachtschlafs entschloß ich mich, was den ersteren Zufall betrifft, mit fest geschlossenen Lippen durchaus die Luft durch die Nase zu ziehen: welches mir anfangs nur mit einen schwachen Pfeifen, und, da ich nicht absetzte, oder nachließ, immer mit stärkeren, zuletzt mit vollen und freien Luftzuge gelang, es durch die Nase zu Stande zu bringen, darüber ich dann sofort einschlief. – Was dies gleichsam konvulsivische und mit dazwischen vorfallenden Einatmen (nicht wie beim Lachen ein kontinuiertes) stoßweise erschallendes Ausatmen, den H u s t e n betrifft, vornehmlich den, welchen der gemeine Mann in England den Altmannshusten (im Bette liegend) nennt, so war er mir um so mehr ungelegen, da er sich bis ¦ weilen bald nach der Erwärmung im Bette einstellte und das Einschlafen verzögerte. Dieses Husten, welches durch den Reiz der mit offenen Munde eingeatmeten Luft auf den Luftröhrenkopf erregt wird,28 | nun zu hemmen, bedurfte es einer nicht mechani28

Sollte auch nicht die atmosphärische Luft, wenn sie durch die 25 Eustachische Röhre (also bei geschlossenen Lippen) zirkuliert, dadurch, daß sie auf diesem dem Gehirn nahe liegenden Umwege Sauerstoff absetzt, das erquickende Gefühl gestärkter Lebensorgane bewirken, welches dem ähnlich ist, als ob man Luft t r i n k e ; wobei diese, ob sie zwar keinen Geruch hat, doch die Geruchsnerven und 30 die denselben nahe liegende einsaugende Gefäße stärkt? Bei manchem Wetter findet sich dieses Erquickliche des Genusses der Luft nicht; bei anderem ist es eine wahre Annehmlichkeit, sie auf seiner Wanderung mit langen Zügen zu trinken: welches das Einatmen mit offenem Munde nicht gewährt. – Das ist aber von der größten diäte35 tischen Wichtigkeit, den Atemzug durch die Nase bei geschlossenen Lippen sich so zur G e w o h n h e i t zu machen, daß er selbst im tief-

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schen (pharmazeutischen), sondern nur unmittelbaren Gemütsope ¦ ration: nämlich die A u f m e r k s a m k e i t auf diesen Reiz dadurch ganz abzulenken, daß sie mit Anstrengung auf irgend ein Objekt (wie oben bei krampfhaften Zufällen)

sten Schlaf nicht anders verrichtet wird, und man sogleich aufwacht, sobald er mit offenem Munde geschieht, und dadurch gleichsam aufgeschreckt wird; wie ich das anfänglich, ehe es mir zur Gewohnheit wurde, auf solche Weise zu atmen, bisweilen erfuhr. – Wenn man ge194 nötigt ist, stark oder bergan zu schreiten, so gehört größere Stärke ¦ des Vorsatzes dazu, von jener Regel nicht abzuweichen, und eher seine Schritte zu mäßigen, als von ihr eine Ausnahme zu machen; ingleichen, wenn es um starke Motion zu tun ist, die etwa ein Erzieher seinen Zöglingen geben will, daß dieser sie ihre Bewegung lieber stumm, als mit öfterer Einatmung durch den Mund ma[111] chen lasse. | Meine jungen Freunde (ehemalige Zuhörer) haben diese diätetische Maxime als probat und heilsam gepriesen, und sie nicht unter die Kleinigkeiten gezählt, weil sie bloßes Hausmittel ist, das den Arzt entbehrlich macht. – Merkwürdig ist noch: daß, da es scheint, beim lange fortgesetzten S p r e c h e n geschehe das E i n a t m e n auch durch den so oft geöffneten Lund, mithin jene Regel werde da doch ohne Schaden überschritten, es sich wirklich nicht so verhält. Denn es geschieht doch auch durch die N a s e . Denn wäre diese zu der Zeit verstopft, so würde man von dem Redner sagen, er [112] spreche durch die Nase (ein sehr widriger | Laut), indem er wirklich nicht durch die Nase spräche, und umgekehrt, er spreche nicht durch die Nase, indem er wirklich durch die Nase spricht: wie es Hr. Hofr. L i c h t e n b e r g launicht und richtig bemerkt. – Das ist auch der Grund, warum der, welcher lange und laut spricht (Vorleser oder Prediger), es ohne Rauhigkeit der Kehle eine Stunde lang wohl aushalten kann; weil nämlich sein Atemziehen eigentlich durch die Nase, nicht durch den Mund, geschieht, als durch welchen nur das A u s a t m e n verrichtet wird. – Ein Nebenvorteil dieser Angewohnheit des Atemzuges mit beständig geschlossenen Lippen, wenn man für sich allein wenigstens nicht im Diskurs begriffen ist, ist der: daß die sich immer absondernde und den Schlund befeuchtende S a l i v a hiebei zugleich als Verdauungsmittel (stomachale), vielleicht auch (verschluckt) als Abfüh | rungsmittel wirkt; wenn man fest genug entschlossen ist, sie nicht durch üble Angewohnheit zu verschwenden.

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gerichtet, und dadurch das Ausstoßen der Luft gehemmet wurde, welches mir, wie ich es deutlich fühlete, das Blut ins Gesicht trieb, wobei aber der durch denselben Reiz erregte flüssige Speichel (saliva) die Wirkung dieses Reizes, nämlich die Ausstoßung der Luft, verhinderte, und ein Herunterschlucken ¦ dieser Feuchtigkeit bewirkte. – Eine Gemütsoperation, zu der ein recht großer Grad des festen Vorsatzes erforderlich, der aber darum auch desto wohltätiger ist.

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6. Von den Folgen dieser Angewohnheit des Atemziehens mit geschlossenen Lippen Die u n m i t t e l b a r e Folge davon ist, daß sie auch im Schlafe fortwährt, und ich sogleich aus dem ¦ Schlafe aufgeschreckt werde, wenn ich zufälligerweise die Lippen öffne und ein Atemzug durch den Mund geschieht; woraus man sieht, daß der Schlaf, und mit ihm der Traum, nicht | eine so gänzliche Abwesenheit von dem Zustande des Wachenden ist, daß sich nicht auch eine Aufmerksamkeit auf seine Lage in jenem Zustande mit einmische: wie man denn dieses auch daraus abnehmen kann, daß die, welche sich des Abends vorher vorgenommen haben, früher als gewöhnlich (etwa zu einer Spazierfahrt) aufzustehen, auch früher e r w a c h e n ; indem sie vermutlich durch die Stadtuhren aufgeweckt worden, die sie also auch mitten im Schlaf haben hören und darauf Acht geben müssen. – Die m i t t e l b a r e Folge dieser löblichen Angewöhnung ist: daß das unwillkürliche abgenötigte Husten (nicht das A u f h u s t e n eines Schleims als beabsichtigter Auswurf) in beiderlei Zustande verhütet und so durch die bloße Macht des Vorsatzes eine Krankheit verhütet wird. – Ich habe sogar gefunden, daß, da mich nach ausgelöschtem Licht (und eben zu Bette gelegt) auf einmal ein starker Durst an ¦ wandelte, den mit Wassertrinken zu löschen ich im Finstern hätte in eine andere Stube gehen und durch Herumtappen das Wassergeschirr suchen müssen, ich darauf fiel, verschiedene und starke Atemzüge mit Erhe-

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bung der Brust zu tun, und gleichsam Luft durch die Nase zu t r i n k e n ; wodurch der Durst in wenig Sekunden völlig gelöscht war. Es war ein krankhafter Reiz, der durch einen Gegenreiz gehoben ward.

Beschluß

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Krankhafte Zufälle, in Ansehung deren das Gemüt das Vermögen besitzt, des Gefühls derselben durch den bloßen standhaften Willen des Menschen, als einer Obermacht des vernünftigen Tieres, Meister werden zu können, sind alle von der spastischen (krampfhaften) Art: man kann aber nicht umgekehrt sagen, daß alle von dieser Art durch den bloßen festen Vorsatz gehemmet oder gehoben werden können. – Denn einige derselben sind von der Beschaffenheit, daß die Versuche, sie der Kraft des Vorsatzes zu unterwerfen, das krampf ¦ hafte Leiden vielmehr noch verstärken: wie es der Fall mit mir selber ist, da diejenige Krankheit, welche vor etwa einem Jahr in der Kopenhagener Zeitung als »epidemischer, mit K o p f b e d r ü c k u n g verbundener Katarrh« beschrieben wurde29 (bei mir aber wohl ein Jahr älter, aber doch von ähnlicher Empfindung ist), mich für eigene Kopfarbeiten gleichsam desorganisiert, wenigstens geschwächt und stumpf gemacht hat, und, da sich diese Bedrückung auf die natürliche Schwäche | des Alters geworfen hat, wohl nicht anders als mit dem Leben zugleich aufhören wird. Die krankhafte Beschaffenheit des Patienten, die das Denken, in sofern es ein Festhalten eines Begriffs (der Einheit des Bewußtseins verbundener Vorstellungen) ist, begleitet und erschwert, bringt das Gefühl eines spastischen Zustandes des Organs des Denkens (des Gehirns) als eines Drucks hervor, der zwar das Denken und Nachdenken selbst, ingleichen das Gedächtnis in Ansehung des ehedem 29

Ich halte sie für eine Gicht, die sich zum Teil aufs Gehirn geworfen hat.

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Gedachten, eigentlich nicht schwächt, aber im Vortrage (dem mündlichen oder schriftlichen) das feste Zusammenhalten der Vorstellungen ¦ in ihrer Zeitfolge wider Zerstreuung sicheren soll, bewirkt selbst einen unwillkürlichen spastischen Zustand des Gehirns, als ein Unvermögen, bei dem Wechsel der auf einander folgenden Vorstellungen die Einheit des Bewußtseins derselben zu erhalten. Daher begegnet es mir: daß, wenn ich, wie es in jeder Rede jederzeit geschieht, zuerst zu dem, was ich sagen will, (den Hörer oder Leser) vorbereite, ihm den Gegenstand, w o h i n ich gehen will, in der Aussicht, dann ihn auch auf das, w o v o n ich ausgegangen bin, zurückgewiesen habe (ohne welche zwei Hinweisungen kein Zusammenhang der Rede Statt findet) und ich nun das letztere mit dem ersteren verknüpfen soll, ich auf einmal meinen Zuhörer (oder stillschweigend mich selbst) fragen muß: Wo war ich doch? Wovon ging ich aus? welcher Fehler nicht sowohl ein Fehler des Geistes, noch nicht des Gedächtnisses allein, sondern der G e i s t e s g e g e n w a r t (im Verknüpfen), d. i., unwillkürliche Z e r s t r e u u n g und ein sehr peinigender Fehler ist; dem man zwar in Schriften (zumal den philosophischen; weil man da nicht immer so leicht zurücksehen kann, von wo man ausging) mühsam vorbeugen, ob zwar mit aller Mühe nie völlig verhüten kann. ¦ Mit dem Mathematiker, der seine Begriffe, oder die Stellvertreter derselben (Größen- und Zahlenzeichen), in der Anschauung vor sich hinstellen, und daß, so weit er gegangen ist, alles richtig sei, versichert sein kann, ist es anders bewandt, als mit dem Arbeiter im Fache der, vornehmlich reinen, Philosophie (Logik und Metaphysik), der seinen Gegenstand in der Luft vor sich schwebend erhalten muß, und ihn nicht bloß teilweise, sondern jederzeit zugleich in einem Ganzen des Systems (d. r. V.) sich darstellen und prüfen muß. Daher es eben nicht zu verwundern ist, wenn ein Metaphysiker eher i n v a l i d wird, als der Studierende in einem anderen Fache, ingleichen als Geschäftsphilosophen; indessen daß es doch einige | derer geben muß, die sich je-

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nem ganz widmen, weil ohne Metaphysik überhaupt es gar keine Philosophie geben könnte. Hieraus ist auch zu erklären, wie jemand f ü r s e i n A l t e r gesund zu sein sich rühmen kann, ob er zwar in Ansehung gewisser ihm obliegenden Geschäfte sich in die 5 Krankenliste mußte einschreiben lassen. Denn weil das U n v e r m ö g e n zugleich den Gebrauch und mit diesem auch den Verbrauch und die Erschöpfung der Lebenskraft abhält, und er gleichsam nur in einer ¦ niedrigeren Stufe (als vegetierendes Wesen) zu leben gesteht, nämlich essen, gehen und 10 schlafen zu können, was für seine animalische Existenz gesund, für die bürgerliche (zu öffentlichen Geschäften verpflichteten Existenz aber krank, d. i. invalid, heißt: so widerspricht sich dieser Kandidat des Todes hiemit gar nicht. Dahin führt die Kunst, das menschliche Leben zu ver- 15 längern: daß man endlich unter den Lebenden nur so geduldet wird, welches eben nicht die ergötzlichste Lage ist. Hieran aber habe ich selber Schuld. Denn warum will ich auch der hinanstrebenden jüngeren Welt nicht Platz ma- 20 chen, und, um zu leben, mir den gewöhnten Genuß des Lebens schmälern: warum ein schwächliches Leben durch Entsagungen in ungewöhnliche Länge ziehen, die Sterbelisten, * in denen doch auf den Zuschnitt der von Natur Schwächeren, und ihre mutmaßliche Lebensdauer mit gerechnet ist, 25 durch mein Beispiel in Verwirrung bringen, und das alles, was man sonst Schicksal nannte (dem man sich demütig und andächtig unterwarf), dem eigenen festen Vorsatze unterwerfen; welcher doch schwerlich zur allgemeinen diätetischen Re ¦ gel, nach welcher die Vernunft unmittelbar 30 Heilkraft ausübt, aufgenommen werden, und die therapeutische Formeln der Offizin jemals verdrängen wird?

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Nachschrift Den Verfasser der Kunst, das menschliche (auch besonders das literarische) Leben zu verlängern, darf ich also dazu wohl auffordern, daß er wohlwollend auch darauf bedacht 5 sei, die A u g e n der Leser (vornehmlich der jetzt großen Zahl der Leserinnen, die den Übelstand der Brille noch härter fühlen dürften) in Schutz zu nehmen: auf welche jetzt aus elender Ziererei der Buchdrucker (denn Buchstaben haben doch als Malerei schlechterdings nichts Schönes an sich) 10 von allen Seiten Jagd gemacht wird; damit nicht, so wie in Marokko, durch weiße Übertünchung aller Häuser ein großer | Teil der Einwohner der Stadt blind ist, dieses Übel aus ähnlicher Ursache auch bei uns einreiße, vielmehr die Buchdrucker desfalls unter Polizeigesetze ¦ gebracht werden. – 15 Die jetzige M o d e will es dagegen anders; nämlich: 1) Nicht mit schwarzer, sondern g r a u e r Tinte (weil es sanfter und lieblicher auf schönem weißen Papier absteche) zu drucken. 2) Mit D i d o t s c h e n Lettern, von schmalen Füßen, nicht * 20 mit Breitkopfschen, die ihrem Namen B u c h s t a b e n (gleichsam bücherner Stäbe zum Feststehen) besser entsprechen würden. 3) Mit l a t e i n i s c h e r (wohl gar Kursiv-) Schrift ein Werk deutschen Inhalts, von welcher Breitkopf mit Grunde sagte: 25 daß niemand das Lesen derselben für seine Augen so lange aushalte, als mit der deutschen. 4) Mit so kleiner Schrift, als nur möglich, damit für die unten etwa beizufügende Noten noch kleinere (dem Auge noch knapper angemessene) leserlich bleibe. Diesem Unwesen zu steuren, schlage ich vor: den Druck 30 der Berliner Monatsschrift (nach Text und Noten) zum Mu30

Unter den k r a n k h a f t e n Z u f ä l l e n d e r A u g e n (nicht eigentlichen Augenkrankheiten) habe ich die Erfahrung von einem, der mir zuerst in meinen Vierzigerjahren einmal, späterhin, mit Zwi35 schenräumen von einigen Jahren, dann und wann, jetzt aber in

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ster zu nehmen; denn, man mag, wel ¦ ches Stück man will, in die Hand nehmen, so wird man die durch obige Leserei angegriffene Augen durch Ansicht des letzteren merklich gestärkt fühlen.30 I. Kant.

einem Jahre etlichemal begegnet ist, gemacht; wo das Phänomen darin besteht: daß auf dem Blatt, welches ich lese, auf einmal alle Buchstaben verwirrt und durch eine gewisse über dasselbe verbreitete Helligkeit vermischt und ganz unleserlich werden: ein Zustand, der nicht über 6 Minuten dauert, der einem Prediger, welcher seine Predigt vom Blatte zu lesen gewohnt ist, sehr gefährlich sein dürfte, von mir aber in meinem Auditorium der Logik oder Metaphysik, wo nach gehöriger Vorbereitung im freien Vortrage (aus dem Kopfe) geredet werden kann, nichts als die Besorgnis entsprang, es möchte dieser Zufall der Vorbote vom Erblinden sein; worüber ich gleichwohl jetzt beruhigt bin: da ich bei diesem jetzt öfterer als sonst sich ereignenden Zufalle an meinem einen gesunden Auge (denn das linke hat das Sehen seit etwa 5 Jahren verloren) nicht den mindesten Abgang an Klarheit verspüre. – Zufälligerweise kam ich darauf, wenn sich jenes Phänomen ereignete, meine Augen zu schließen, ja um noch besser das äußere Licht abzuhalten, meine Hand darüber zu legen, und dann sahe ich eine hellweiße, wie mit Phosphor im 205 Finstern auf einem Blatt verzeichnete Figur, ähnlich ¦ der, wie das letzte Viertel im Kalender vorgestellt wird, doch mit einem auf der [116] konvexen Seite ausgezackten | Rande, welche allmählich an Helligkeit verlor und in obbenannter Zeit verschwand. – Ich möchte wohl wissen: ob diese Beobachtung auch von andern gemacht, und wie diese Erscheinung, die wohl eigentlich nicht in den Augen – als bei deren Bewegung dies Bild nicht zugleich mit bewegt, sondern immer an derselben Stelle gesehen wird – sondern im sensorium commune ihren Sitz haben dürfte, zu erklären sei. Zugleich ist es seltsam, daß man ein Auge (innerhalb einer Zeit, die ich etwa auf 3 Jahre schätze) e i n b ü ß e n kann, ohne es zu v e r m i s s e n .

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ANMERKUNGEN DES HERAUSGEBERS

4,2 Widmung an Carl Friedrich Stäudlin] In einem Brief an Carl Friedrich Stäudlin (1761–1826) schreibt Kant, er habe ihm »vor einigen Iahren« versprochen, den Streit der Fakultäten in seinem »theologischen Journal« zu publizieren. Das Versprechen konnte jedoch »veränderter Umstände wegen« nicht gehalten werden. Das Buch wird nämlich zwar »mit der Michaelismesse« 1798 veröffentlicht, aber nicht in der Zeitschrift von Stäudlin, sondern als eigenständige Publikation. Das neue Buch eignet sich nicht – erklärt Kant – für eine theologische Zeitschrift, »weil es mit fremdartigen Materien verbunden jetzt ans Licht treten muß.« Um sein Versprechen jedoch zu halten, widmet Kant Stäudlin die »Zueignungsschrift vor der Vorrede« (vgl. AA XII 248). Die von Kant erwähnte Zeitschrift ist die »Göttingische Bibliothek der neuesten theologischen Litteratur«, hrsg. v. Johann Friedrich Schleußner und Carl Friedrich Stäudlin, Göttingen 1794– 1801, 5 Bde. Stäudlin antwortet am 9. Dezember 1798: »Empfangen Sie, aller Liebe und Verehrung würdiger Mann, meinen aufrichtigsten Dank für die ehrenvolle Zueignung Ihres Streits der Facultäten an mich, wodurch Sie noch mehr gethan haben, als Sie mir vor einigen Iahren versprochen haben. Schon vor einiger Zeit hatte mir ein Brief, den mir Herr Lehmann überbracht hat, diese Freude angekündigt und mich von Ihrem fortdauernden Wohlwollen gegen mich versichert, aber erst vor einigen Tagen ist mir das Exemplar Ihrer Schrift zu Handen gekommen, welches ich aus Ihren Händen zu besitzen das Glück habe. Ich werde nicht aufhören, Ihre Schriften zu studiren, aus ihnen zu lernen und an ihnen die Kraft des Selbstdenkens zu üben […].« (AA XII 270) 5,1 Gegenwärtige Blätter] Gemeint kann lediglich der erste Abschnitt sein, auf welchen sich die ganze Vorrede – mit Ausnahme der letzten 8 Zeilen – bezieht. 5,4 aufgeklärte […] Regierung] Die Regierung von Friedrich Wilhelm III (1770–1840). Sie folgte auf den Tod (16. November 1797) Friedrich Wilhelms II. Darüber schreibt Johann Ernst Lüdeke an Kant am 30 Dezember 1797: »Unser lieber junger König erhebt unser Herz mit herrlichen Hoffnungen, die um so weniger werden unerfüllt

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bleiben können, da der Iüngling Genz ihn so väterlich belehret hat. Ich mögte zur Übung im Griechischen und aus Vaterlandes Liebe Isokratis Rede an den Nicocles übersetzen und sie dem Könige allerunterthänigst doch im strengsten incognito überreichen. Es würde doch dünkt mich schicklicher seyn daß ein alter Grieche den König belehrte: als ein junger sehr berlinischer Berliner. – Fast aller Herzen singen ›Auf Triumph‹ bey dem krachenden Sturz der Eiche, unter welcher so Viele sich gemästet hatten. Man lieset das F. W. R. nunmehr Friedrich – wahrer Regent.« (AA XII 227–229) 5,10 König Friedrich Wilhelm II] Die Regierung von Friedrich Wilhelm II. (1744–1797) folgte auf die Regierung von Friedrich dem Großen in der Nacht zwischen dem 16. und dem 17. August 1786 [vgl. über Friedrich Wilhelm II. AA X 457, XI 116, 265]. Kant und der König treffen sich zum ersten Mal am 20. und 21. September 1786 (Besuch des Königs an der Albertus Universität Königsberg). Kant ist Rektor und nimmt an dem Feier für den Geburtstag des Königs (25. September 1786) teil. Die »Gnade« des Königs äußert sich mit einem Reskript vom 3. März 1789, in welchem der König Kant eine »jahrliche Gehaltszulage von 220 Rthr« zukommen läßt. Kant antwortet am 27 März 1789: »Allerdurchlauchtigster Grosmächtigster König Allergnädigster König und Herr! Die unverdiente Gnade, welche Ew: Königl. Majestät mir, durch das d. 3. Mart. ergangene und den 23 sten eiusd. an mich gelangte Rescript, in einer jahrlichen Gehaltszulage von 220 Rthr haben an gedeyen lassen, erregt mein ganzes Gefühl der innigsten und devotesten Dankbarkeit, für eine so gnädige Vorsorge, die meinem zunehmenden Alter, bey dessen zugleich vermehrten Bedürfnissen, eine so wichtige Unterstützung verschafft. So wie ich in meinen bisher in Ew: Königl. Majestät Diensten angewandten Bemühungen mir nichts weiter bewust bin, als meine schuldige Pflicht beobachtet zu haben, so soll die mir jetzt erzeigte Königl. Gnade mir zur Triebfeder dienen, meine letzte Lebenszeit nach allem Vermögen zu demselben Zwecke eifrigst anzuwenden. In der tiefsten Devotion ersterbe ich als Ew: Königl. Majestät allerunterthänigster Knecht Königsberg Immanuel Kant den 27 sten Mart. Professor Logices 1789.« (AA XI 12) Am 9. Dezember 1786 wird Kant zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Berlin ernannt (siehe den Brief an Kant von Johann Heinrich Samuel Formey, Sekretär der Akademie, vom 9. Dezember 1786, in AA X 472). 5,15 Geistlichen] Johann Christoph Woellner (1786 geadelt) (1732– 1800) studiert Theologie in Halle. Am 3. Juli 1788 wird er zum Minister des »Geistlichen- und Unterrichtswesens« ernannt und erhält zu-

Anmerkungen des Herausgebers

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gleich das geistliche und Schuldepartement sowie das ›Ober-Curatorium‹ der Universitäten. In dieser Funktion setzt er am 9. Juli 1788 das Edict, die Religions-Verfassung in den Preußischen Staaten betreffend und am 19 Dezember 1788 das Erneuerte Censur-Edict für die Preußischen Staate. Nach dem Tod seines Königs 1797 wird Woellner am 12 März 1798 abgesetzt. In einem Brief an Kant vom 19. November 1789 schreibt Johann Gottfried Karl Christian Kiesewetter (1766–1819), Anhänger von Kant: »Den Minister v. Wöllner habe ich auf eine Viertelstunde gesprochen. Er gedachte Ihrer mit großer Achtung und versicherte mich, daß es ihn gefreut habe, durch die Bewilligung der Zulage Ihnen einen kleinen Dienst erweisen zu können. Seinem Rathe gemäß, mußte ich sogleich an den König schreiben, ihm meine Ankunft in Berlin melden, nochmals danken und ihm notificiren, daß ich diesen Winter Vorlesungen halten wollte. Übrigens gab er mir große Versicherungen seiner Gnade, auf die ich, wie er sagte, fest bauen könnte, auf die ich aber wenig oder nichts bauen werde.« (AA XI 107) Über das Echo des »Rescripts« siehe Wielands Brief an Carl Leonhard Reinhold vom 19. Mai 1794: »Seit mehr als 8 Tagen trägt man sich hier mit einem von Berlin gekommenen Gerüchte: Wöllner habe eine Art von Inquisizion gegen Kant verhängt; Kant, hieß es schon, sey sogar aus allen Preußischen Staaten verbannt, u. befinde sich wirk. zu Kiel.« (zitiert nach AA XIII 368, Erläuterung zu AA XI 512,18) 6,2 »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft«] Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Vorgestellt von Immanuel Kant (Königsberg 1793); Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Vorgestellt von Immanuel Kant. Zweyte vermehrte Auflage (Königsberg 1794). 6,7 Freunde] Gewiß ist nur, daß Johann Erich Biester (1749–1816) die »Verteidigung« Kants gegen das Reskript gelesen hat. Am 17. Dezember 1794 schreibt er: »Ich habe Gelegenheit gehabt, Ihre Vertheidigung an das Geistliche Departem. über die Beschuldigung wegen Ihrer Schrift: die Rel. innerhalb der Gränzen der Vern., zu lesen. Sie ist edel, männlich, würdig, gründlich. – Nur muß es wohl Ieder bedauren, daß Sie ad 2) das Versprechen freiwillig ablegen: über Religion (sowohl positiv, als natürliche) nichts mehr zu sagen. Sie bereiten dadurch den Feinden der Aufklärung einen großen Triumph, u. der guten Sache einen empfindlichen Verlust. Auch, dünkt mich, hätten Sie dies nicht nöthig gehabt. Sie konnten auf eben die philosophische u. anständige Weise, ohne welche Sie überhaupt nichts schreiben, u. welche Sie so vortreflich rechtfertigen, noch immer fortfahren, über

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die nehmlichen Gegenstände zu reden; wobei Sie freilich vielleicht wieder über einzelne Fälle Sich zu vertheidigen würden gehabt haben. Oder Sie konnten auch künftig bei Ihren Lebzeiten schweigen; ohne jedoch den Menschen die Freude zu machen, sie von der Furcht vor Ihrem Reden zu entbinden. Ich sage: bei Ihrem Leben; denn daß sie demungeachtet fortfahren werden, an dem großen von Ihnen so glücklich begonnenen Werke der philosophischen u. theologischen Aufklärung zu arbeiten, in Hofnung daß wenigstens einst die Nachwelt (und in der That, vielleicht eine sehr bald eintretende Zeit der Nachwelt) diese Arbeiten wird lesen u. benutzen dürfen: davon sind wir Alle, aus Liebe zur Vernunft u. Sittlichkeit, überzeugt. Leben Sie wohl, vortreflicher Mann; und sein uns noch lange ein Beispiel, wie ein weiser und edler Mann auch unter den Stürmen welche der Vernunft drohen, sich in Gleichmuth u. innerer Zufriedenheit erhalten kann.« (AA XI 535–536) 6,18 Abhandlungen] Vgl. I. Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht füt die Praxis (Hamburg 1992), 36–39; I. Kant, Das Ende aller Dinge (AA VIII 515, 519–520). Vielleicht ist selbst die ursprüngliche Fassung des Streits der Faculäten von 1794 gemeint. 7,18 folgende [….] Antwort] Siehe die vier Entwürfe zu dieser Antwort in AA XI 527–530; XIII 372–387. 8,10 Handbücher Baumgartens] Kant benutzte folgende Lehrbücher: für die seit 1772/73 gehaltenen Vorlesungen über Anthropologie Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–1762): Metaphysica, pars III, Psychologia empirica (Halle 1757). Für die seit 1756 gehaltenen Vorlesungen über Metaphysik Alexander Gottlieb Baumgarten: Metaphysica (Halle 1757). Für die in den Jahren 1774, 1783/84, 1785/86, 1787/88 gehaltenen Vorlesungen über Rationaltheologie Alexander Gottlieb Baumgarten: Metaphysica (Halle 1757). Für die seit 1756/57 gehaltenen Vorlesungen über Moral Alexander Gottlieb Baumgarten: Ethica philosophica (Halle 1751) und (später) Alexander Gottlieb Baumgarten: Initia philosophiae practicae primae acroamatice (Halle 1760). Kant benutzte jedoch auch andere Lehrbücher außer denjenigen von Baumgarten. 8,25 für das Publikum] In den »Neueste(n) Critische(n) Nachrichten«, 1793, 225–229 (nachgedruckt in AA XXIII 520–523) erscheint eine Rezension zu der ersten Auflage der Religion (1793), deren Inhalt Kant in der Vorrede zu der zweiten Auflage jener Schrift folgendermaßen resümiert. Die Religionsschrift sei »Beantwortung der mir von mir selbst vorgelegten Frage: Wie ist das kirchliche System der

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Dogmatik in seinen Begriffen und Lehrsätzen nach reiner (theor. und prakt.) Vernunft möglich? – Dieser Versuch gehe also überall diejenige nicht an, die sein (K. s) System so wenig kennen und verstehen, als sie dieses zu können verlangen und für sie also als nicht existierend anzusehen sei.« (AA VI 13–14) Kant antwortet: »Es bedarf, um diese Schrift ihrem wesentlichen Inhalte nach zu verstehen, nur der gemeinen Moral, ohne sich auf die Kritik der p. vernunft, noch weniger aber der theoretischen einzulassen, und wenn z. B. die Tugend als Fertigkeit in pflichtmäßigen Handlungen (ihrer Legalität nach) virtus phaenomenon, dieselbe aber als standhafte Gesinnung solcher Handlungen aus Pflicht (ihrer Moralität wegen) virtus noumenon genannt wird, so sind diese Ausdrücke nur der Schule wegen gebraucht, die Sache selbst aber in der populärsten Kinderunterweisung oder Predigt, wenn gleich mit anderen Worten enthalten und leicht verständlich. Wenn man das letztere nur von den zur Religionslehre gezählten Geheimnissen von der göttlichen Natur rühmen könnte, die, als ob sie ganz populär wären, in die Katechismen gebracht werden, späterhin aber allererst in moralische Begriffe verwandelt werden müssen, wenn sie für jedermann verständlich werden sollen!« (AA VI 14) In der Vorarbeit ›E 73‹ wird der Streit nicht als »Populärtheologie« aufgefaßt: »Meine Schrift ist nicht populär.« (AA XXIII 423) »Mein Buch soll nicht populär seyn. C. R. und Prof. Niemeyers Populärtheologie.« (AA XXIII 424) Anspielung auf A.H. Niemeyers, Populäre und praktische Theologie der Methodik und Materialien des christlichen Volksunterrichts (4. Aufl. Halle 1799). Niemeyers stellt der »gelehrten, wissenschaftlichen« die »populäre und praktische Theologie« gegenüber. Diese ist der Inbegriff aller populären und praktischen Religionskenntniß (S. 5). In der Vorrede zu der 4. Auflage verwahrt sich der Verfasser gegen das Philosophieren auf der Kanzel, »gleichviel ob nach Wolfs oder Kants Theorie.« (S. XI) Er will dem künftigen Lehrer eine »Anweisung geben, wie er […] das bloß Theoretische oder Spekulative von dem Praktischen zu scheiden, und das Gelehrte und Schulmäßige populär, d. i. gemeinverständlich vorzutragen habe.« (S. XXIV). Auch Niemeyer wurde von dem Religionsedikt betroffen, insofern der Gebrauch seines Buches bei seinen Vorlesungen untersagt worden war (S. III, bezieht sich auf die 3. Auflage). 9,13 Michaelis] Johann David Michaëlis (1717–1791), Professor für Philosophie in Göttingen: Moral (Göttingen 1792), Bd. 1, S. 4: »Denn da, die theologische Moral im Neuen Testament gar keine willkührliche Gesetze vorschreibt, und die von einigen angegebenen leges posi-

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tivae divinae universales entweder erdichtet, oder im Neuen Testament nicht mehr gültig oder wirklich hypothetische Gebote der philosophischen Moral sind: so hat die theologische Moral keine Pflicht vor der philosophischen zum voraus«; S. 5: »Ich kann hier keinen Beweiß aus der Bibel führen; und, wenn ich sie anführen wollte, so müßte es nur illustrationis causa, oder so wie ein anderes menschliches, juristisches, moralisches oder historisches Buch citirt wird, geschehen.« Siehe auch S. 5–11 [AA XXIII 94]. In der Religionsschrift diskutiert Kant folgende Worte von Michäelis, Moral, S. 202: »Die Psalmisten sind inspirirt; wird in diesen um Strafe gebeten, so kann es nicht unrecht sein, und wir sollen keine heiligere Moral haben als die Bibel.« Kant fragt »ob die Moral nach der Bibel, oder die Bibel vielmehr nach der Moral ausgelegt werden müsse« (AA VI 110 Anmerkung). Kant besitzt von Michaëlis auch die Einleitung in die Göttlichen Schriften des neuen Bundes (Göttingen 1750) [AA X 160]. 11,6 Herzenskündiger] Biblia das ist die gantze Heilige Schrift, Alten und Neuen Testaments. Nach der teutschen Uebersetzung Luthers […]. Samt einer Vorrede von Hieronymo Burckhardt (Basel 1751), Apg 1,24: »HERR, aller Herzen Kündiger […]«; siehe auch Apg 15,8: »Und Gott, der Herzenskündiger« [AA VI 67, 99, 189]. 11,24 Glaubenskommission] Am 14. 5. 1791 wird eine besondere Kommission (die Immediate Examinations-Commission) durch Kabinettsorder an Minister von Woellner eingesetzt. Diese Kabinettsorder bestimmt zunächst, daß das Oberkonsistorium um drei Räte erweitert werden soll. Der König wählt den Oberkonsistorialrat Hermann Daniel Hermes (1731–1807) aus Breslau, den Hofrat Gottlob Friedrich Hillmer (1756–1835) ebenfalls aus Breslau und den Prediger Theodor Carl Georg Woltersdorff (1727–1806) aus Berlin aus. Die Kabinettsorder ordnet weiterhin an, daß an allen Konsistorien eine besondere »Commission« eingerichtet werden soll, die aus drei geistlichen Räten besteht. Die Kommission soll alle Kandidaten, die ein Pfarr- oder Schulamt erhalten sollen, auf ihr Glaubensbekenntnis hin prüfen, ob sie »nicht von den schädlichen Irrthümern der jezzigen Neologen und sogenannten Aufklärer angesteckt« sind. Erst wer diese Prüfung bestanden hat, kann sich zum weiteren Examen beim Konsistorium melden. In Berlin soll die Kommission aus den drei geistlichen Räten Silberschlag, Hermes und Woltersdorff bestehen. Diese drei Oberkonsistorialräte sollen für jedes Konsistorium im preußischen Lande drei »orthodoxe« Männer für eine entsprechende Kommission vorschlagen. »Orthodox« ist in dieser Kabinettsorder durch den Gegensatz zu den »schädlichen Irrthümern der jezzigen

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Neologen und sogenannten Aufklärer« bestimmt. Diese orthodoxen Männer müssen nicht Mitglieder eines Konsistoriums sein, sie können einfache Dorfpfarrer sein. Der Entwurf einer Instruktion für die Kommissionen wird am 5. 9.1791 von Silberschlag, Hermes, Woltersdorff und Hillmer vorgelegt. Die Kommissionen werden jedoch erst am 3.2.1793 eingesetzt (vgl. U. Krolzik: Das Wöllnerische Religionsedikt. Habilschrift. Hamburg Oktober 1998; WEB-Veröffentlichung: http://fachpublikation.de, copyright 1999). 11,25 Schema Examinationis] Gemeint ist das Schema Examinis Candidatorum S. S. Ministerii rite instituendi (Berlin 1791). 12,12 Unwesen] Ironische, wörtliche, polemische Anspielung auf das Religionsedikt (Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium Praecipue Marchicarum (NCC) / Bd. 8, 1788, S. 2175– 2184) § 7: »Diesem Unwesen wollen Wir nun in Unsern Landen schlechterdings um so mehr gesteueret wissen […].« 12,16 Oberschulkollegiums] Gemeint ist die Wiedereinsetzung des OberSchulkollegiums in Preussen und damit die Rücknahme der von Woellner erlassenen Restriktionen (27. Dezember 1797). Johann Ernst Lüdeke schreibt am 30 dezember 1797 an Kant: »Unter dem 27ten Dec. hat das Ober Consistorium alle ihm geraubten Rechte der Examination, Censur etc. wieder bekommen und mithin wird wohl die Glaubens Comißion wie die Tabaksfirma aufgehoben seyn. Ach es wird einem so wohl wenn der Nebel gefallen ist und die Sonne sichtbar und wirksam wird. Nun wird auch wohl selbst die Religion innerhalb der Grenzen der Vernunft durch die Censur kommen können; und das Conrektormäßige corrigiren oder richtiger corrumpiren der besten Gedanken wird ein Ende haben. Die wieder eingesezten Censoren werden gewiß nach der Norm einhergehen, die Sie mit solcher Genauigkeit und Wahrheit den Censoren vorgeschrieben haben.« (AA XII 227–229) 12,19 einen erleuchteten Staatsmann] Gemeint ist Julius Eberhard Wilhelm Ernst von Massow (1750–1816), welcher am 2. April 1798 zum wirklich. Geh. Staats- und Justizminister wurde und zugleich das geistliche und Schuldepartement sowie das Ober-Curatorium der Universitäten erhielt [vgl. AA XII 189–190; XIII 457]. 15,27 Salmasius] Claudius Salmasius (Claude de Saumaise, 1588– 1653): De annis climacteriis et de antiqua astrologia diatribae (Leyden 1648), S. 561. Zu dem Begriff des annus climacterius vgl. Onomatologia medica completa hrsg. v. J. P. Eberhard (Ulm/Franckfurt/Leipzig 1772), Sp. 96–97: »Annus climacterius, ein Stufenjahr, man rechnet darunter hauptsächlich das 63. und 81ste, und hält sie vor besonders

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wichtige und gefährliche Perioden des menschlichen Lebens, man fängt an 9 mit 7 und hernach mit 9 zu multipliciren.« [AA VII 194, 361; XII 362–363; XXV 1031, 1295] 17,6 Nach dem eingeführten Gebrauch] Diese Einteilung der Interessensphäre der Fakultäten entspricht der von Hrabanus Maurus vorgenommenen Einteilung der artes liberales. In einer Randnotiz der Vorlesungsnachschrift Logik-Dohna-Wundlacken heißt es nämlich: »Diese Einteilung machte Hrabanus Maurus (zur Zeit Karl des Großen) zum Behuf der Theologie. – Man teilte damals alle Wissenschaften in a) ober Facultäten 1. Erhaltung der Seligkeit, 2. Der Freiheit und des Eigentums, 3. Leben und Gesundheit, überhaupt da esse; b) melius esse, die untere Facultät.« (AA XXIV 699) Siehe aber auch Johann Georg Walch: Philosophisches Lexikon (Leipzig 1726), Artikel ›Facultät‹: die Fakultäten »müssen nach der Beschaffenheit ihrer Objectorum, und der daher dependirenden Nutzen gesetzt werden, und weil die Philosophie allgemeine Wahrheiten fürträgt, so könte man die wahre Gelehrsamkeit, so directe unsere Glückseligkeit befördert, eintheilen in eine allgemeine, so die Philosophie, und in eine besondere, welche die Theologie, Rechts-Gelehrsamkeit und Medicin unter sich faste. Diese haben billig folgenden Rang unter sich. Oben steht die Theologie, weil sie den Weg zur ewigen Glückseligkeit zeiget, wiewohl man nicht die scholastiche; sondern die wahre Theologie verstehen muß […]. Hierauf folget die Medicin, welche sich um die Gesundheit des Leibes bekümmert, und weil unter den zeitlichen Gütern das Wohlseyn des Leibes billig das vornehmste, so solte sie gleich nach der Theologie folgen, und denn machte die Rechtsgelehrsamkeit den Beschluß. Dieses ist die natürliche Ordnung. Doch wird es wohl bei dem, was bisher üblich gewesen, bleiben.« Siehe auch Johann Georg Heinrich Zedler, Großes Vollständiges Universal-Lexikon, Bd. 9 (Halle und Leipzig 1735), Spalte 68–69. 18,27 Ein französischer Minister] Der Kaufmann Legendre antwortet (1680) dem Wirtschafts- und Finanzminister des Königs Ludwig XIV. von Frankreich, Jean-Baptiste Colbert (1619–1683), der nach den besten Mitteln der Wirtschaftsförderung fragt: »Laissez-nous faire«; später »Laissez-faire, laisser-passer (le monde va de lui-même)« (vgl. A. Oncken, Geschichte der Nationalökonomie, 1. Die Zeit vor Adam Smith. Leipzig 1902, S. 148). Die Formel »laßt uns machen« geht auf Jean-Claude-Marie-Vincent de Gournay (1712–1759), französischer Ökonomist, zurück. François Quesnay (1694–1774), Professor der Chirurgie, Hauptvertreter des Physiokratismus, hat das Prinzip übernommen und verteidigt.

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21,19 die symbolischen Bücher] Vgl. Religionsedikt, § 7: »Wir halten es für eine der ersten Pflichten unserer Regenten […], in seinen Staaten die christliche Religion, deren Vorzug und Vortrefflichkeit längst erwiesen und außer Zweifel gesetzt ist, bei ihrer ganzen hohen Würde und in ihrer ursprünglichen Reinigkeit, so wie sie in der Bibel gelehrt wird, und nach der Überzeugung eines jeden Confession der christlichen Kirche in ihren jedesmaligen symbolischen Büchern einmal festgesetzt ist, gegen alle Verfälschung zu schützen und aufrecht zu erhalten, damit die arme Volksmenge nicht den Vorspielungen der Modelehrer preisgegeben und dadurch den Millionen Unserer guten Unterthanen die Ruhe ihres Lebens und der Trost auf dem Sterbebette nicht geraubet und sie also unglücklich gemacht werden.« Die symbolischen Bücher sind für den protestantischen Glauben: die beiden Katechismen Luthers, die Augsburger Konfession samt Apologie, die Schmalkaldischen Artikel und die Konkordienformel, für die Lutherische Konfession den sogenannten Heidelberger Katechismus. 21,34 Landrecht] 1794 tritt das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) in Kraft. Obwohl Friedrich Wilhelm I. bereits Versuche, in einer Kodifikation das gesamte geltende Recht aufzeichnen zu lassen, unternimmt, kommt die entscheidende Initiative von Friedrich II. Nach Diskussion und Überarbeitung des Entwurfs wird das ALR von 1783–1788 in 6 Bänden veröffentlicht; aus der Überarbeitung geht wiederum das Allgemeine Gesetzbuch für die Preußischen Staaten (AGB) hervor, das 1791 publiziert – und 1792, wenige Wochen bevor es in Kraft treten soll, von Friedrich Wilhelm II. per Verfügung suspendiert wird. Nach erneuten Veränderungen kann es unter dem ursprünglichen Titel Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) veröffentlicht werden und am 1. Juni 1794 in Kraft treten. Obwohl die Statuar- und Provinzial-Rechte erhalten bleiben, wird das ALR bald in allen preußischen Provinzen angewandt; in seinem bürgerlich-rechtlichen Teil bleibt es mit wenigen Ausnahmen (Rheinland, das nach 1815 französisches Recht behält) bis zur Ablösung durch das BGB im Jahre 1900 in Kraft. 24,29 ius certum] Josef Nikolaus Graf von Windisch-Graetz (1744– 1802), Politiker und Philosoph, legt 1785 die Preisfrage vor, wie keiner doppelten Auslegung fähige Kontraktformeln zu entwerfen seien, damit ein künftiger Rechtsstreit über Eigentumsveränderungen vermieden werden könne. Zu der Frage werden keine Lösungen eingereicht und die von Windisch-Graetz ausgesetzten und durch die Pariser, die Edinburgher und eine Deutsche Akademie zuzuerkennenden

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Preise werden nicht verteilt. [I. Kant, Zum ewigen Frieden, S. 58 Anmerkung] 27,2 de par le Roi] Siehe E 77 (AA XXIII 461): »›De par le Roi defense a Dieu / De faire miracles en ce lieu‹. So lautete di Aufschrift eines Schalks in Paris als das Thor zu dem Kirchhof auf Königlichen Befehl vermauert wurde wo die Bekenner der Wunder des Abts Paris bis dahin auf seinem Grabe getanzt hatten da sie vorher lahm gewesen«. Siehe auch AA XXI 4 und Erläuterung dazu (AA XXII 792). 28,3 Fackel] Das Bild der Philosophie als einer Magd der Theologie entstammt der mittelalterlichen Tradition. Siehe Christian Wolff, Ausführliche Nachricht Cap. 13, in ders. Gesammelte Werke (Hildesheim / New York 1968 ff.), I 9, S. 536: »Derowegen hat man längst, wiewohl mit einer etwas hochmüthigen Redens-Art, gesaget, die Welt-Weißheit sey die Magd der höheren Facultäten, indem sie durch ihre Begriffe Licht hinein bringet, damit alles verständlich wird, […]. Daher pflege ich im Schertze zu sagen: die Welt-Weißheit sey in soweit die Magd der höheren Facultäten, in so weit die Frau im finstern tappen müste und öffters fallen würde, wenn ihr die Magd nicht leuchtete.« 36,28 Neologen] Johann Joachim Spalding (1714–1804): Betrachtungen über die Bestimmung des Menschen (Greifswald 1748); Gedanken über den Werth der Gefühle in dem Christenthum (Leipzig 1761); Predigten, größtentheils bey außerordentlichen Fällen gehalten, nebst einigen kleinen Erbauungsschriften, (Frankfurt a. O. / Leipzig 1775); Neue Festpredigten. Von J. J. Spalding, W. A. Teller und F. S. G. Sack (Halle 1792); Religion, eine Angelegenheit des Menschen (Leipzig 1797). Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709–1789): Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion an Se. Durchlaucht den Erbprinzen von Braunschweig und Lüneburg. Zwei Teile (Braunschweig 1780). Zu Jerusalem siehe auch den Brief von Daniel Ienisch an Kant vom 14. Mai 1787: »Der ein und achzigjährige Ierusalem selbst sagte neulich zu mir: ›ich bin zu alt, um Kanten nach-zuspeculiren: aber sein Aufsaz in der Berliner Monatschrift über das Orientiren ist das Echo meines Glaubensbekentnißes; die Mendelsohnschen Beweise a priori sind nur Nekkereyen des gesunden Menschenverstandes, der durch die Kantsche Philosophie sich gerächt sieht.‹« (AA X 485) Johann Salomo Semler (1725–1791): Zur Revision der kirchlichen Hermeneutik und Dogmatik (Halle 1788). In der Vorrede bezeichnet er Vernunft und Offenbarung als die »beiden Prätendenten« [AA VI 113]; derselben, Beantwortung der Fragmente eines Ungenannten insbesondere zum Zweck Jesu und seiner Jünger (Halle

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1780), S. 16 [AA VI 166]; derselben, Abfertigung der neuen Geister und alten Irrtümer in der Lohmannischen Begeisterung zu Kemberg, nebst theologischem Unterricht von dem Ungrunde der gemeinen Meinung von leiblichen Besitzungen des Teufels und Bezauberung der Christen (Halle 1759) [AA XXVIII 1388]. Am 12. 4.1794 erläßt Friedrich Wilhelm II. eine Kabinettsorder zum schärferen Vorgehen gegen die neologischen Prediger und ein Verfahren für ihre Cassation. Der Übersendung dieser Order an Woellner fügt er eine strenge Ermahnung bei, nicht so nachlässig vorzugehen und bei Abstimmung im Oberkonsistorium über die Kassation neologischer Prediger die »Consistorial-Räthe Teller, Zoellner und Gedike bekannte Neologen und sogenannte Aufklärer«, die er ohnehin nur »auf eine kurtze Zeit noch dulden werde« auszuschließen. 37,27 concordia discors, discordia concors] Quintus Horatius Flaccus (Horaz) (65–8 v. Chr.), Epistulae, I, XII, 19: »rerum concordia discors«; Horazens Briefe aus dem Lateinischen übersetzt und mit historischen Einleitungen und anderen nötigen Erläuterungen versehen von C. M. Wieland (Dessau 1782): »Warum des Mondes Scheibe wechselsweise bald ab- bald zunimmt? Kurz, den ganzen Plan der zwietrachtvollen Eintracht der Natur, und ob Empedokles, ob der spitzfindige Stertinius – nicht wisse, was er will?«; Publius Ovidius Naso (Ovid) (43 v. Chr. – 17 n. Chr.), Metam. I, 433: »Quippe ubi temperiem sumpsere umorque calorque, concipiunt, et ab his oriuntur cuncta duobus; cumque sit ignis aquae pugnax, vapor umidus omnes res creat, et discors concordia fetibus apta est.« 39,11 Suchet in der Schrift] Joh 5,39–40: »Suchet in der Schrift; denn ihr meinet, ihr habet das ewige Leben darin; und sie ist’s, die von mir zeugt; und ihr wollt nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben haben möchtet« [AA VI 112] 40,4 Besessenen] Mt. 8. 40,11 nunc istae reliquiae nos exercent. Cicero] Marcus Tullius Cicero, Epistulae ad familiares XII, 4, 1: »Vellem idibus Martiis me ad cenam invitasses: reliquiarum nihil fuisset. Nunc me reliquiae vestrae exercent.« [AA XXIII 105] 41,29 in Gott von Ewigkeit her] Biblia, Eph 3,8–9: »Mir, dem allergeringsten unter allen Heiligen, ist die Gnade gegeben worden, den Heiden zu verkündigen den unausforschlichen Reichtum Christi und für alle ans Licht zu bringen, wie Gott seinen geheimen Ratschluß ausführt, der verborgen war in ihm von Ewigkeit her, der alles geschaffen hat […]« 41,31 ebendaselbst] AA VI 60f.

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41,32 Postellus] Guilleaume Postel (1510–1581): Le prime nove del altro mondo: cioè… La Vergine Venetiana (1555). Siehe Zedler, Universal-Lexikon, Bd. 28, Spalte 1796: »Hierauf kam er nach Venedig, und wurde mit einer gewissen Weibs-Person bekannt, welche einige, wiewol ohne sattsamen Grund, vor eine Maitresse ausgeben. Von dieser nun machte er viel Wesens, und soll sie in einem Buch, welches er von ihr unter dem Titul la Vergine Venetiana geschrieben, nicht nur vor eine grosse Prophetin, sondern auch so gar vor eine Erlöserin des weiblichen Geschlechts ausgegeben zu haben. Er ward auch deswegen angeklagt, wiewohl ihn die Inquisitores mehr vor einen, der im Kopf verrückt, als vor einen wahrhaftigen Ketzer erklärten, und ihn deswegen bald wieder in vollkommene Freyheit setzten.« [AA XXIII 436] 42,21 Des Apostels Schluß] Bibel, 1 Korinther 15,12–19: »Wenn aber Christus gepredigt wird, daß er von den Toten auferstanden ist, wie sagen dann einige unter euch: Es gibt keine Auferstehung der Toten? Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferstanden. Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich. Wir würden dann auch als falsche Zeugen Gottes befunden, weil wir gegen Gott bezeugt hätten, er habe Christus auferweckt, den er nicht auferweckt hätte, wenn doch die Toten nicht auferstehen. Denn wenn die Toten nicht auferstehen, so ist Christus auch nicht auferstanden. Ist Christus aber nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden; so sind auch die, die in Christus entschlafen sind, verloren. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.« (Zitat nach: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1985) 43,22 die klagende Worte am Kreuz] Biblia, Mt 27,46: »Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut und sprach: Eli, Eli, lama asabthani? das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Karl Friedrich Bahrdt (1741–1792): System der moralischen Religion zur endgültigen Beruhigung der Zweifler […] (Berlin 1787), Kap. IX, X, 64: »Wahrlich, so frei hat noch niemand sein Schicksal gewählt, so absichtlich hat kein Märtyrer der Wahrheit seine Hinrichtung veranstaltet […].« Bahrdt schickt Kant im Dezember 1786 ein Exemplar seines Buches zu (vgl. AA X 476). 43,26 Bei dem Lukas] Bibel, Lk. 24,13–24,24: »Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa zwei Wegstunden entfernt; dessen Name ist Emmaus. Und sie

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redeten miteinander von allen diesen Geschichten. Und es geschah, als sie so redeten und sich miteinander besprachen, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. Aber ihre Augen wurden gehalten, daß sie ihn nicht erkannten. Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist? Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, daß dies geschehen ist. Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. Und einige von uns gingen hin zum Grab und fanden’s so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.« (Zitat nach: Die Bibel) Hermann Samuel Reimarus (1694– 1768) interpretiert die Stelle folgendermaßen: »Es war […] sein Zweck nicht gewesen, daß er leiden und sterben wollte; sondern, daß er ein weltlich Reich aufrichtete, und die Juden von ihrer Gefangenschaft erlösete: und darin war ihm seine Hoffnung fehlgeschlagen.« (Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger. Noch ein Fragment des Wolfenbüttelschen Ungenannten, hrsg. v. G. E. Lessing, 1778) 44,22 St. Paulus Lehre von der Gnadenwahl] Bibel, Röm 8,29–30: »Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, daß sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.«; Biblia, Röm 9,18: »So erbarmt er sich nun, welches er will, und verstockt, welchen er will.« (in Kants Bibel markiert) [AA 121] 44,25 großen protestantischen Kirche] Verweis auf Johannes Calvin (1509–1564): Institutio Christianae Religionis (1563) III,21,5: »Unter Vorsehung verstehen wir Gottes ewige Anordnung, vermöge deren er bei sich beschloss, was nach seinem Willen aus jedem einzelnen Menschen werden sollte! Denn die Menschen werden nicht alle mit der gleichen Bestimmung erschaffen, sondern den einen wird das ewige Leben, den anderen die ewige Verdammnis vorher zugeordnet.«

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44,27 einem großen Teil] Verweis auf die Lehre von Jacobus Arminius (Jacob Harmensz), Kalvinist, Stifter der Arminianer oder Remonstranten (1560–1609). Als Gegner der Prädestinationslehre vertritt Arminius die mildere Ansicht, daß das Heil allen geboten werde, weil Gott auch alle retten wolle (1. Tim. 2, 4), und verficht somit den Universalismus der Gnade. 1618–1619 verurteilt die Dordrechter Synode die Lehre der Arminianer. Die Beschlüsse der Synode werden 1675 durch die ›Formula Consensus‹ bestätigt, und sind während des ganzen 17. Jh. Richtschnur des theologischen und kirchlichen Lebens. 47,18 wir müssen] Hinter dieser moralischen Interpretation der Gnadenlehre stecken folgende Stellen aus der Bibel: Biblia, Mt. 25,29: »Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben.« [AA VI 160; XXVIII 1318]; Biblia, Mt. 5,48: »Darum sollt ihr vollkommen (in Kants Bible markiert) sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.« [AA VI 159] 48,22 die vereinigte Stimme der biblischen Theologen] Gemeint sind Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827): Vier Briefe, die biblische Exegese betreffend, in »Allgemeine Bibliothek der biblischen Litteratur«, 5 (1793), 203–298. Der erste Brief setzt die Versuche einer »Deutung des A.T. und N.T. zu einem Sinn, der mit den allgemeinen practischen Regeln der reinen Vernunft-Religion zusammenstimme, wenn ihm gleich der Buchstabe widerspräche« (S. 204) mit der alten allegorischen Auslegung gleich. Mit ihrer Hilfe würde man sich bemühen, einen Schein von Freundschaft mit den biblischen Schriftstellern zu erhalten. Die kritische Philosophie Kants versuche z. B. »mit der biblischen Theologie in schwesterliche Verträglichkeit zu kommen.« (S. 216) Eichhorn, welcher sich auf AA VI 110ff. bezieht, verteidigt die historische Methode. Johann Philipp Gabler (1753–1826), Theologe, behandelt in der von ihm herausgegebenen Urgeschichte von Eichhorn (Altdorf und Nürnberg 1790–1795, 5 Teile; hier: 2. Teil 1. Band, 424–445) die verschiedenen Auslegungsarten der ältesten Urkunde (Gen. 2,4–3,24). Kants Schrift Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte wird als Exempel einer allegorischen Erklärungsart herangezogen. Gabler schreibt S. 444–445: »Die wahre Erklärung der Urgeschichte hat demnach durch die Kantische Darstellung sicher nicht gewonnen; und als Auslegung der Mosaischen Urkunde hat sie sehr geringes Verdienst, das noch überdies durch manche erkünstelte Deutung nicht wenig geschwächt und verdunkelt wird. Aber als philosophische Entwickelung der successiven Fortschritte der menschlichen Vernunft hat sie unläugbar großen Wert; und in Verbindung mit der mythischen Auslegung der Mosaischen Urgeschichte liefert sie ein

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herrliches Ganzes.« Siehe auch die Polemik gegen Kant von Johann Georg Rosenmüller (1736–1815), Theologe: Einige Bemerkungen das Studium der Theologie betreffend: nebst einer Abhandlung über einige Aeusserungen des Herrn Prof. Kants die Auslegung der Bibel betreffend; eine Abschiedsvorlesung in Erlang im Jahr 1783 gehalten. 2. verm. Aufl. Nebst einer Abhandlung über einige Aeusserungen des Hrn. Imm. Kant, die Auslegung der Bibel betreffend (Erlangen 1794). Christoph Friedrich von Ammon (1766–1850), welcher für die Kantische Methode plädiert, schreibt am 8. März 1794 an Kant: »Der sel. Döderlein in Iena fieng kurze Zeit vor seinem Tode ein Theologisches Iournal an, das ich mit anderen Gottesgelehrten fortzu setzen veranlaßt wurde. In den ersten Stücken dieser Zeitschrift findet sich ein Auszug der vortrefflichen Schrift Euer Wolgeborn, die Religion i. d. G. d. V., wo ich meine große Freude zu erkennen gab, daß mein Lieblingsgedanke über historischen und allgemeinen Sinn der heiligen Bücher durch Ihre Aüsserungen, verehrungswürdigster Lehrer – denn das sind Sie mir durch Ihre Schriften in reichem Maaße geworden – bestätiget würden. Zu derselben Zeit traten Eichhorn, Gabler, Rosenmüller gegen diese moralische Schriftauslegung mit großem Eifer auf. Sie behaupteten, daß dieser moral. Sinn kein anderer sei, als der längst verlachte allegorische der Kirchenväter, besonders des Origenes; daß bei dieser Art der Exegese alle dogmatische Sicherheit verloren gehe (woran sie wohl nicht ganz Unrecht haben mogten); und daß eine neue Barbarei den Beschluß dieser Interpretation machen werde. In der Ueberzeugung, daß sich alle diese Gährungen unter der Macht der Wahrheit zulezt von selbst verlieren werden, hielt ich mich in der Anzeige einer der neuesten Schriften hierüber, die ich beizulegen mir die Ehre gebe, an die Sache selbst. Urtheilen Sie selbst, verehrungswürdigster Lehrer, ob ich den Grundsaz der moralischen Schriftauslegung gehörig gefaßt habe? oder ob ich Ihrer Schrift einen falschen Sinn unterlege, und ob der mir von einem Gegner gemachte Vorwurf einer blinden Kantiolatrie gegründet ist? Ich weiß es nur zu sehr, wie kostbar ieder Ihrer Augenblicke für die Wissenschaften und für die Nachwelt ist; aber dennoch habe ich Muth genug, von der Herzensgüte eines Weisen, dessen Tage die Vorsicht zum Segen für die Wahrheit fristen wird, eine, sei es auch nur kurze, Antwort zu hoffen.« (AA XI 493–494) [AA XXIII 329–330] Johann Christoph Doederlein (1780–1792) war Herausgeber der »Auserlesenen theologischen Bibliothek, darinnen von den wichtigsten theologischen in- und ausländischen Büchern und Schriften Nachricht gegeben wird«. Das »Theologische Journal« erschien bei Monath und Kußler in Jena erst

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im Jahr 1792. Die Zeitschrift wurde fortgesetzt unter dem Namen »Neues Theologisches Journal«. 50,12 Swedenborgs] Emanuel Swedenborg (1688–1772), Schwedischer Naturforscher und Theosoph. Seine Schrift Arcana Coelestia, quae in Scriptura Sacra, seu verbo domini sunt, detecta (London 1749–1756) wird von Kant bereits in den Träumen eines Geistersehers erläutert durch Träume der Metaphysik von 1766 diskutiert [AA II 315–373; X 43; XXV 284, 1059; XXVIII 298, 593, 689, 897]. Kant denkt jedoch auch an Jacob Böhme (1575–1624), Deutscher Schuster und Philosoph [AA XXV 109, 331, 1257]; Johann Caspar Lavater (1741–1801), Schweizer Pfarrer und Physiognom: Aussichten in die Ewigkeit, 2. Aufl., 3. Bde. (Zürich 1770–1773); derselben, Geheimes Tagebuch. Von einem Beobachter Seiner Selbst (Leipzig 1771); derselben: Unveränderte Fragmente aus dem Tagebuch eines Beobachters seiner Selbst; oder des Tagebuches Zweyter Theil […] (Leipzig 1773). Andere von ihm zitierten Mystiker sind: Jeanne Marie Bouvier de la Mothe Guyon (1648–1717) [AA XXV 1288], Antoinette de Bourignon (1616–1680) [AA VII 133, 162; XXV 1288]; Louis Claude Marquis de Saint-Martin (anonym): Irrthümer und Wahrheit, oder Rückweiß für die Menschen auf das allgemeine Principium aller Erkenntniß […] (Breslau 1782); ders. (anonym) Tableau Naturel des Rapports qui exsistent entre Dieu, l’Homme et l’Univers (Edinburg 1782) [AA XXV 1288, 1305] und die Quäker [AA VII 132; XV 664; XXIV 822; XXVII 24, 118; XXVIII 555]. 51,27 Stehe auf und wandle] Biblia, Joh 5,8; Mt 9,5–6; Lk 5,23–24; Mk 2,9–11 52,18 Dir sind deine Sünden vergeben] Biblia, Joh 5,8; Mt 9,5–6; Lk 5,23–24; Mk 2,9–11 52,34 nach dem Prinzip] Siehe Bibel, 1 Tim 3,4–5: »Wie ich dich ermahnt habe, daß sie […] auch nicht acht hätten auf die Fabeln und Geschlechtsregister, die kein Ende haben und Fragen aufbringen mehr denn Besserung zu Gott im Glauben; denn die Hauptsumme des Gebotes ist Liebe von reinem Herzen und von gutem Gewissen und von ungefärbtem Glauben« [AA XXIII 424]; Biblia, 2 Tim 3,16: »alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung« [AA VI 112]; Biblia, Joh 16,13: »der Geist der Wahrheit kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten« [AA VI 112]; Biblia, Spr 13,14: »Die Lehre des Weisen ist eine Quelle des Lebens, zu meiden die Stricke des Todes« [AA VI 112]; Biblia, Joh 7,17: »Jesus antwortet ihnen und sprach: Meine Lehre ist nicht mein, sondern des, der mich gesandt hat. So jemand will des Willen tun, der wird

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innewerden (in Kants Bibel markiert) ob diese Lehre von Gott sei, oder ich von mir selbst rede« [AA VI 113]. 53,28 Peregrinus Proteus] Peregrinus Proteus (? – 167 n. Chr), Kyniker. Hauptquelle für sein Leben ist die biographische Skizze von Lukian v. Samosata (ca. 120 – nach 180). Geboren wurde Peregrinus wahrscheinlich in Armenien, er wurde (von Lukian) des Vatermords verdächtigt, mußte daher aus seiner Heimat fliehen, trat zum Christentum über, wo er wegen seiner abenteuerlichen Lebensweise es zu einigem Ansehen brachte, überwarf sich jedoch mit seinen Anhängern, lebte in Ägypten, später in Rom (wurde aus der Stadt wegen Lästerungen gegen das Kaiserhaus verwiesen) und zog schließlich nach Griechenland, woselbst er anläßlich der olympischen Spiele seinen Selbstmord ankündigte. Lukian behauptet, der Selbstmord sei nur durch die ungeheure Eitelkeit und Ruhmsucht des Peregrinus motiviert. Nachdem er seine eigene Leichenrede gehalten, stürzt Proteus sich in die Flammen, worauf sofort die Legendenbildung einsetzt: seine Anhänger berichten von der Himmelfahrt ihres Meisters, man habe ihn in weißem Gewande mit einem Olivenkranz auf der Stirn gesehen. Christoph Martin Wieland verfasst in der Geheime(n) Geschichte des Philosophen Peregrinus Proteus (Leipzig 1791) einen Auszug aus Lucians Nachrichten vom Tode des Peregrinus. 54,2 Bist du es, der da kommen soll] Biblia, Mt 11,3. 58,27 Moses Mendelssohn] Anspielung auf den 1769 entbrannten Streit zwischen Johann Caspar Lavater und Moses Mendelssohn (1729–1786). Johann Caspar Lavater fordert in der Zueignung seiner Übersetzung von Bonnets Palingenesie (Herrn C. Bonnets Philosophische Palingenesie, oder Gedanken über den vergangenen und künftigen Zustand der lebenden Wesen: als ein Anhang zu den letztern Schriften des Verfassers; und welcher insonderheit das Wesentliche seiner Untersuchungen über das Christenthum enthält. Aus dem Französichen von Johann Caspar Lavater. Zürich 1769) Mendelssohn auf, die Schrift Bonnets »öffentlich zu widerlegen, wofern Sie die wesentlichen Argumentationen, womit die Thatsachen des Christenthums unterstützt sind, nicht richtig finden: Dafern Sie aber dieselben richtig finden, zu thun, was Klugheit, Wahrheitsliebe, Redlichkeit Sie thun heissen; – was Socrates getan hätte, wenn er diese Schrift gelesen, und unwiderleglich gefunden hätte.« (Zitat nach: M. Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe (JA), Berlin 1929ff., Nachdruck u. Fortsetzung, Stuttgart 1971 ff., Bd. VII, S. 5). Mendelssohn antwortet in seinem Schreiben an Lavater (1769) (JA, Bd. VII, S. 8): »Die Pflicht, meine Meinungen und Handlungen zu prüfen, habe ich

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gar frühzeitig erkannt, und wenn ich, von früher Jugend an, meine Ruh- und Erholungsstunden der Weltweisheit und den schönen Wissenschaften gewiedmet habe; so ist es einzig und allein in der Absicht geschehen, mich zu dieser so nöthigen Prüfung vorzubereiten. […] Wäre nach diesem vieljährigen Forschen die Entscheidung nicht völlig zum Vortheile meiner Religion ausgefallen; so hätte sie nothwendig durch eine öffentliche Handlung bekannt werden müssen. Ich begreife nicht, was mich an eine, dem Ansehen nach so überstrenge, so allgemein verachtete Religion fesseln könnte, wenn ich nicht im Herzen von ihrer Wahrheit überzeugt wäre.« S. 10: »Dieser Geist der Bekehrung, dessen Ursprung einige so gern der jüdischen Religion aufbürden möchten, ist derselben […] schnurstracks zuwider.« S. 11: Nach rabbinischer Auffassung seien »die schriftlichen und mündlichen Gesetze, in welchen unsere geoffenbarte Religion bestehet« nur für die »Gemeinde Jacob« verbindlich: »Alle übrigen Völker der Erde, glauben wir, seyen von Gott angewiesen worden, sich an das Gesetz der Natur und an die Religion der Patriarchen zu halten.« Für sie genüge die Einhaltung der sieben noachidischen Gebote, »welche ungefähr die wesentlichen Gesetze des Naturrechts in sich fassen«, um der ewigen Seligkeit teilhaftig zu werden. S. 13: »Ich habe das Glück, so manchen vortreflichen Mann, der nicht meines Glaubens ist, zum Freunde zu haben. […] Niemals hat mir mein Herz heimlich zugerufen: Schade für die schöne Seele! Wer da glaubet, dass außerhalb seiner Kirche keine Seeligkeit zu finden sey, dem müssen dergleichen Seufzer gar oft in der Brust aufsteigen.« Kant bezieht sich jedoch auf Moses Mendelssohn: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum (Berlin 1783) [Neudruck in: JA, Bd. 8, 99–204]: »Wenn es wahr ist, daß die Steine meines Hauses austreten, und das Gebäude anzustürzen drohet, ist es wohlgethan, wenn ich meine Habseligkeit aus dem untersten Stokwerke in das oberste rette? Bin ich da sicherer? Nun ist das Christentum, wie sie wissen, auf dem Judenthum gebauet, und muß nothwendig, wenn dieses fällt, mit ihm über einen Hauffen stürzen. Sie sagen, meine Schlussfolge untergrabe den Grund des Judenthums, und bieten mir die Sicherheit Ihres oberen Stokwerks an; muß ich nicht glauben, dass sie meiner spotten?«; S. 127ff. »Es ist uns erlaubt, über das Gesetz nachzudenken, seinen Geist zu erforschen, hier und da, wo der Gesetzgeber keinen Grund angegeben, einen Grund zu vermuten, der vielleicht an Zeit und Ort und Umstände gebunden gewesen, vielleicht mit Zeit und Ort und Umständen verändert werden kann – wenn es dem allerhöchsten Gesetzgeber gefallen wird, uns seinen Willen darüber zu erkennen zu geben; so laut,

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so öffentlich, so über alle Zweifel und Bedenklichkeit hinweg zu erkennen zu geben, als Er das Gesetz selbst gegeben hat. So lange Dieses nicht geschieht, so lange wir keine so authentische Befreyung vom Gesetze aufzuweisen haben, kann unsere Vernünftelei nicht von dem strengen Gehorsam befreyen, dem wir dem Gesetze schuldig sind«. Kant scheint hiermit die Stelle S. 48f. zu verbinden, an der Mendelssohn von der »Stimme die sich an jenem großen Tage auf Sinai hören ließ« spricht. Vgl. auch S. 127: »In der That sehe ich nicht, wie diejenigen, die in dem Hause Jakobs geboren sind, sich auf irgendeine gewissenhafte Weise, vom Gesetze entledigen können«; S. 129ff.: »Wenn auch einer von uns zur christlichen Religion übergehet; so begreife ich nicht, wie er dadurch sein Gewissen zu befreyen, und sich von dem Joche des Gesetzes zu entledigen glauben kann? […] Jesus von Nazareth hat selbst nicht nur das Gesetz Moses; sondern auch die Satzungen der Rabbinen beobachtet […]. Haben seine in spätern Zeiten anders gedacht, und auch die Juden, die ihre Lehre entbinden zu können geglaubt; so ist es sicherlich ohne seine Autorität geschehen.« [AA VI 166; X 347; XXIII 90, 114, 439]. Mit dem Thema der Judenbekehrung beschäftigen sich verschiedene Autoren: siehe z. B. Johann Ernst Schubert: Gedanken von der allgemeinen Juden-Bekehrung und dem tausendjährigen Reich (Jena 1742); Des Herrn Emanuel Swedenborg lezten Worte und Prophezeyung von dem Schicksal der Christen, Vertilgung der Heyden und schnellen Bekehrung der Juden und darauf stracks folgenden Ende der elementarischen Welt (Altona 1789). 59,11 Bendavids] Lazarus Bendavid (1762–1832): Etwas zur Charackteristick der Juden (Leipzig 1793), S. 33: »Mendelssohn erschien! Dieser Mann, den man zur Annahme der christlichen Religion bereden wollte und ihm dadurch das schmeichelhafteste Zeugniß seines innern Werths ablegte […] zog die Aufmerksamkeit seiner Brüder in der Beschneidung, wenn auch nicht im Glauben, stark auf sich. Durch seine schlichte Ablehnung des ihm gethanen Antrages, durch die Achtung, die sie ihm von Christen ertheilen sahn, fingen sie an, wie bey schwacher Dämmerung, zu merken, daß doch wohl Judenthum mit christlicher Gelehrsamkeit bestehen könne, daß es doch etwas gar Schönes sey, sich so um die Richtung der Christen verdient zu machen, weil sie einem sehr – nützlich seyn kann.« S. 64: »Der Staat will euch wohl, will euer Bestes, und ihr zeugt euch seiner Güte würdig; ihr schaffet alles sinnlose Ceremonialgesetz ab, sagt euren Kindern, was ihr alle sehr wohl wißt, daß es nur als Zaun um den eigentlichen Garten eingesetzt worden sey; daß das, was für den Sklavensinn vori-

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ger Jahrhunderte ein gar bequemes Mittel zur Schönung des Innern gewesen, jetzt nicht mehr passe, noch sich ausüben lasse; daß ihr den Zaun aufgeben wollt, wenn das Innere unangetastet bleibt, und gestehet ihnen, daß die reine Lehre Mosis, die Lehre der natürlichen Religion, das Fußgestell eures Glaubens sey. Hütet das Innere der Religion durch Besserung des Innern im Menschen. Lehret eure Kinder Menschenliebe, flößt ihnen die, nach dem Ausspruche Hillels, größte Lehre unserer Religion, den Grundsatz: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, mit der Muttermilch ein; zeigt euch der Welt, wie der Allvater euch haben wollte, als genügsame und friedfertige Menschen, als Glaubensgenossen eines einzigen, gütigen, ewigen Wesens, das alle Menschen erschaffen hat, alle erhält, in alle das Gefühl gelegt hat, es zu erkennen, und in seine herrliche Welt den Zauber gelegt hat, der uns zur Anbetung hinreißt.« [AA XI 306, XII 294, XIII 609, XXIII 423, 443] 59,31 ein Hirt und eine Herde] Siehe Biblia, 1 Kor 15,28: »Auf daß Gott sei alles in allem« (in Kants Bibel markiert) [AA VI 121] 60,21 ein anderer, neuer Mensch] Implizite Bezugnahme auf Biblia, Eph 4,22–24: »So legt nun von euch ab nach dem vorigen Wandel den alten Menschen, der durch Lüste im Irrtum sich verderbt. Erneuert euch aber im Geist eures Gemüts und ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit.« Biblia, Kol 3,9–10: »Lüget nicht untereinander; zieht den alten Menschen mit seinen Werken aus und ziehet den neuen an, der da erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Ebenbilde.« [AA 48] 62,13 Pietism] Begründer des lutherischen Pietismus ist der evangelische Theologe Philipp Jacob Spener (1635–1705). Kant studiert in der Schule seine Catechismus-Tabellen. Darinnen der gantze Catechismus D. Martin Luthers deutlich und gründlich erkläret aber auch zugleich Der Kern der Gottes-Gelehrtheit erbaulich vorgestellt wird: Aus dem Lateinischen ins Teutsche übersetzet, und mit einigen EinleitungsTabellen vermehret von Io. Geoergio Pritio (Frankfurt a. Main 1734). Hermann August Francke (1663–1727) gründet ab 1695 in Halle eine Stiftung, welche aus einer Armenschule, einer Lateinschule, einem Lehrseminar, einem Internat, einem Waisenhaus, einer Buchdruckerei, einer Buchhandlung, einem Krankenhaus, und einer Apotheke besteht. Darüber publiziert er: Ordnung und Lehrart, wie selbige in dem Pädagogio zu Glaucha an Halle eingeführet ist […] (Halle 1702). Kant ist auch mit den Ideen von Samuel Collenbusch (1724–1803), Biblizist, Pietist, vertraut. Von ihm bekommt er Briefe am 23. Januar

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1795 (AA XII 2–3), am 30 März 1795 (AA XII 12–14) und am 30. März 1796 (AA XII 67–68). 62,13 Moravianism] Auch als Brüder-Unität, Unitas fratrum, Böhmische oder Mährische Brüder bekannt. Er entsteht 1727 aus einer Gemeinschaft mährischer Glaubensflüchtlinge, die sich auf den böhmischen Reformator Jan Hus berufen und von Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700–1760) bei Görlitz (Kursachsen) angesiedelt worden sind. Die Siedlung erhält den Namen ›Herrnhut‹ und entwickelt eine eigene Glaubensordnung, welche die urchristliche Brüderlichkeit ins Zentrum stellt. Über Friedrich von Wattenwyl tritt Zinzendorf mit schweizerischen Pietisten in Verbindung. Zinzendorf, Ortsgründer von Herrnhut in der Oberlausitz (zwischen Löbau und Zittau gelegen) in Dresden, ist Erfinder der Herrnhuter Losungen, einem evangelischen Andachtsbüchlein, das seit 1731 jährlich ohne Unterbrechung und heute in ca. 40 Sprachen erscheint. 62,26 Hamann] Johann Georg Hamann (1730–1788), Abälardus Virbius an den Verfasser der fünf Briefe die neue Heloise betreffend. In: »Briefe, die Neueste Litteratur betreffend« (1759–66), 1761, 2, S. 194–209, hier S. 206–207: »Hat nicht Young schon in seinem Schwanengesang auf die septem sine flumine valles gewiesen; doch alle ästhetische Thaumaturgie reicht nicht zu, ein unmittelbares Gefühl zu ersetzen, und nichts als die Höllenfahrt der Selbsterkenntnis bahnt uns den Weg zur Vergötterung« [AA VI 441; XXIII 342; XXV 7]. 64,22 Nationalphysiognomie] In den Vorlesungen über Anthropologie werden die Stellungen von Lichtenberg und Lavater folgendermaßen referiert: »Lichtenberg glaubt die Gesichtszüge kommen von den Mienen her indem durch die Erziehung und Gewohnheit erst die Gesichtszüge vestgestellt werden. Lavater behauptet dass die Gesichtszüge von der Natur herkämen und nicht habituelle Mienen wären.« (AA XXV 1380) Johann Caspar Lavater: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe, 4 Bde. (Leipzig / Winterthur 1775–1778), Bd. 4, S. 417: »Stimme, Gang, Stellung, Gebärdung, Kleidung, – alles an dem Menschen ist physiognomisch – alles, was der Mensch berührt, und was durch seine Hände geht, was in seinen Kreis tritt – nimmt etwas von ihm an. In allem erspiegelt er sich, drückt er sich ab, vervielfältigt er sein Bild […].« Georg Christoph Lichtenberg (1744–1799), Deutscher Physiker und Schriftsteller: Über Physiognomik wider die Physiognomen. Zur Beförderung der Menschenliebe und der Menschenkenntniß. Zweyte vermehrte Auflage (Göttingen 1778), in derselben, Schriften

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und Briefe, 3. Aufl., 6 Bde., hrsg. v. Wolfgang Promies (Frankfurt a. M. 1994), Bd. 3, S. 282: »Ich meine: Nachäffung und Bestreben, seine Oberfläche der Oberfläche berühmter, bewunderter und beliebter Menschen ähnlich zu machen, ihre Fehler und lächerliche, ja böse Angewohnheiten nachzuahmen, bringt erstaunliche Revolutionen auf dem Gesicht hervor, die sich gar nicht bis in das Herz oder den Kopf erstrecken.« [AA XXV 1380] 64,28 Nicolai] Christoph Friedrich Nicolai (1733–1811), Aufklärer und Verleger in Berlin: Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781. Nebst Bemerkungen über Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten, 12 Bde. (Berlin–Stettin 1783– 1796), Bd. 3 (1784), S. 191: »Wer in Wien ist, darf nur auf die vielen benedeyten Gesichter, auf die vielen wohlbeleibten Jünglinge, auf die vielen hangenden Backen, bey Leuten von mittlerm Alter Achtung geben, um sich zu überzeugen, wie sehr sich da der größte Theil zur Repletion und zum Welken nach der Repletion neigt.« [AA VII 302; XXV 1549]. 68,1 Naturalism] Gemeint sind Anonym [Hermann Samuel Reimarus]: Zwey Fragmente eines Ungenannten aus Herrn Lessings Beyträgen zur Litteratur abgedruckt mit Betrachtungen darüber. Nebst einigen Landkarten (Nürnberg 1778); Karl Friedrich Bahrdt (1741–1792): System der moralischen Religion zur endlichen Beruhigung für Zweifler und Denker. Allen Christen und Nichtchristen lesbar, Bd. 1 (Berlin 1787). In Berlin 1790 und Riga 1792 erschienen der zweite und dritte Band. Karl Friedrich Bahrdt an Kant den 29. Dezember 1786: »Erlauben Sie mir, sehr schäzbarer Mann, daß ich Ihnen mein System des reinen Naturalismus, welches ich zugleich für reines Christenthum halte, überreiche und um Ihr offenherziges und strenges Urtheil bitte. Sollte es mit Ihrer Ueberzeugung bestehen können, wenn Sie dieß Buch durch Ihr Ansehen begünstigten und es empfählen, so würde ich, aus Liebe für meine Wahrheit, mich sehr darüber freuen. Ich versichere Sie, daß ich wenige Menschen so hoch schäze wie Sie, und daß ich stolz seyn würde, wenn ich Sie meinen Freund nennen dürfte.« (AA 472–473) 1791 publiziert Bahrdt in Halle Würdigung der natürlichen Religion und des Naturalismus in Beziehung auf Staat und Menschenrechte. Aus nicht naturalistischer Perspektive veröffentlicht Gottlob Benjamin Jäsche (1762–1842, Philosoph und evangelischer Theologe) 1789 in dem »Berliner Journal für Aufklärung« den Versuch einer Untersuchung der Frage: Kann reiner Naturalismus Volksreligion werden? (Bd. 1, S. 201–240; Bd. 3, S. 27–60). 1790 erscheint in Berlin seine Schrift Über reinen Naturalismus und positive, insonder-

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heit christliche Religion. Jäsche weist die Berechtigung der Aufklärungskritik an einem positivistischen Verständnis des christlichen Offenbarungsglaubens nach. Dennoch votiert er für die kirchlich vermittelte Offenbarungsfrömmigkeit. Mit dieser Entscheidung sieht er sich im Einklang mit den Grundsätzen und Postulaten der praktischen Vernunft, wie Kant sie zwei Jahre zuvor in seiner Kritik der praktischen Vernunft formuliert hat. 68,38 desine fata deum flecti sperare praecando] Publius Vergilius Maro (70–19 v. Chr.), römischer Dichter: Aeneis, VI 376: »desine fata deum flecti sperare precando, sed cape dicta memor, duri solacia casus.« Vergils Äneide, übersetzt von Johann Heinrich Voß (1799. Neuhrsg. Leipzig 1875): »Ende den Wahn, daß Göttergeschick sich wende dem Anflehn! / Aber vernimm, was ich rede, den Trost der harten Begegnis.« 70,21 La Coste] Pierre Coste (1697–1757): Predigten. Vorrede von Joh. Fr. W. Jerusalem. Aus dem Französischen Übersetzt von M. Johann Traugott Schulze und Christian Gottlieb Köllner (Leipzig 1755–1756), Kap. XXXIII, S. 538 ff.: »Von dem Lesen des Wortes Gottes«. Originalausgaben: Sermons (Halle 1753); Sermons où les vérités dogmatiques et morales de la religion ont été traitées de suite et dans un ordre naturel (Dresden 1755) [AA XXIII 97, 266, 357]. 70,32 Bossuet] Kant besaß in seiner Bibliothek Jacques Bènigne Bossuet (1627–1704): Einleitung in die Geschichte der Welt, und der Religion. Übersetzung von Johann Andreas Cramer (Leipzig 1775). 71,8 Petau] Denis Petau (1583–1652), französischer Theologe und Chronologe: Opus de doctrina temporum (Paris 1627–1630). 71,11 Bengel] Johann Albrecht Bengel (1687–1752), württembergischer Theologe: Ordo Temporum A Principio Per Periodos Oeconomiae Divinae Historicas Atqve Propheticas Ad Finem Vsqve Ita Dedvctvs (Tübingen 1741), S. 9, S. 218 ff. 71,38 Franks] Johann Georg Frank (1705–1784), lutherischer Theologe: Praelusio chronologicae fundamentalis, qua omnes anni ad solis et lunae cursum accurate describi, et novilunia a primordio mundi ad nostra usque tempora et amplius ope epactarum designiari possunt: in cyclo Jobeleo biblico detecta et ad chronologiam tam sacram quam profanam applicatae (Göttingen 1774). Zu der Mystik der Zahl sieben vgl. auch Kant an Johann Georg Hamann, 6. April 1774 (AA X 153–156). 72,29 Zum Beispiel] Biblia, Gen 22,1–22,2: »Nach diesen Geschichten versuchte (in Kants Bibel markiert) Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. Und er sprach:

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Nimm Isaak, deinen einyigen Sohn, den du lieb hast, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn daselbst yum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.« [AA VI 87, 187] 75,18 supernaturalium non datur scientia] »es ist keine Wissenschaft des Übernatürlichen möglich« 75,23 am Pfingstfeste] Bibel, Apg 2,1–2,13: »Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden. Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.« 77,28 Provideant] Marcus Tullius Cicero (106–43 vor Chr.), römischer Politiker und Schriftsteller: Oratio I in Catilinam,4: »Decrevit quondam senatus, ut L. Opimius consul videret, ne quid res publica detrimenti caperet.« (Einst beschloß der Senat, daß der Konsul Lucius Opimius dafür sorgen sollte, daß der Staat keinen Schaden erleide) 79,31 Willmans] Karl Arnold Wilmans (1772–1848), Arzt und Philosoph: Dissertatio philosophica de similitudine inter mysticismum purum et Kantianam religionis doctrinam (Halle 1797) [AA XII 204, 208, 232, 261, 279–281] Bereits Christoph Friedrich Ammon behandelt das von Wilmans berührte Thema in dem Buch Ueber die Aehnlichkeit des inneren Wortes einiger neueren Mystiker mit dem moralischen Worte der Kantischen Schriftauslegung (Göttingen 1796) [AA XIX 648]. Er schreibt S. 11: »Die Mystiker wollen nicht nur das äußere Wort sondern auch die ganze Theologie und Religion, auf das

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innere, himmlische Wort in dem Menschen zurückführen und mit demselben vereinigen. Kant, der das Moralgestz als Quelle aller Religion und Theologie betrachtet, dringt auf eine druchgängige Deutung der äußeren Offenbarung zu einem Sinne, der mit den allgemeinen Vorschriften der reinmoralischen Religion zusammenstimmt.« 1800 publiziert Reinhold Bernhard Jachmann bei Nicolovius in Königsberg die Prüfung der Kantischen Religionsphilosophie in Hinsicht auf die ihr beygelegte Aehnlichkeit mit dem reinen Mystizisms. Mit einer Einleitung von Immanuel Kant. Jachmann unterscheidet gegen Ammon und Wilmans die auf der Vernunft gegründete Kantische Philosophie von dem auf der Offenbarung oder auf innere Erleuchtungen basierenden Mystizismus (vgl. Kants Prospectus zum inliegenden Werk in AA VIII 450). 85,1 Reils] Johann Christian Reil (1759–1813), Arzt: Schreiben des Herrn Prof. Reil an den Herausgeber über die sogenannte thierische Elektrizität, »Journal der Physik«, 6 (1792), 3, S. 411–414; derselben: Von der Lebenskraft, »Archiv für Physiologie«, 1 (1795), S. 8–162. 89,4 Erneuerte Frage] Im dritten Abschnitt des Gemeinspruchs: das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793) wird die Frage bereits aufgeworfen: »Sind in der menschlichen Natur Anlagen, aus welchen man abnhemen kann, die Gattung werde immer zum Bessern fortschreiten […]?« (AA VIII 307) 90,21 Unsere Politiker] Gemeint sind die Politik von Friedrich Wilhelm II und die Theorien seiner Anhänger. Friedrich von Gentz (1764–1832): Nachtrag zu dem Räsonnement des Hrn. Professor Kant über das Verhältniß zwischen Theorie und Praxis, in »Berlinische Monatsschrift«, 1793, Bd. 2, S. 518–554, hier S. 552: »Das Resultat von allem diesen ist folgendes: Die Theorie des Staatsrechts, welche auf dem bloßen Pflichtbegriffe beruht, ist für die Praxis des Staatsrechts unzureichend; und der praktische Staatsgelehrte (der von dem eigentlich praktisirenden Staatsmann noch zu unterscheiden ist) kann, ohne sich deshalb den Vorwurf der Klügelei und des Weisheitsdünkels zuzuziehen, auf den bloßen Theoretiker den alten Gemeinspruch mit einer sehr leichten Abänderung anwenden, indem er ihm sagt: das, was du lehrst, ist zwar in der Theorie richtig, taugt aber noch nicht für die Praxis.« [AA XI 490] August Wilhelm Rehberg (1757–1836): Über das Verhältniß der Theorie zur Praxis, in »Berlinische Monatsschrift«, 1794, Bd. 1., S. 114–142, hier S. 136: »So ist also das ganze System einer bürgerlichen Gesellschaft, welches auf Prinzipien a priori beruhet, eine Idee, die nur in einer Welt angewendet werden könnte, deren Mitglieder vollkommen (metaphysisch) freie Wesen, und deren jedes

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der Schöpfer seines eignen Wirkungskreises, wären. Rousseau (mit dessen Grundsätzen Hrn Kants Theorie im wesentlichen so vollkommen übereinstimmt, dass man nur die Terminologie aus dem Contrat social an gehörigen Orten einzuschieben braucht) bemerkt auch selbst, dass sein System nur für eine Republik von Göttern passe, welche denn aber gar keiner bürgerlichen Verfassung bedürftig sein würden. Diese bürgerliche Verfassung unter Wesen, welche der Vernunft zwar theilhaftig, aber keinesweges durchaus rein vernünftig sind, beruhet im Gegentheile auf Bedingungen, die nicht in der Nothwendigkeit, sondern in dem Urtheile über das Zuträgliche gegründet sind […]« [AA XI 491] Siehe auch Edmund Burke (1729–1797): Betrachtungen über die französische Revolution. Übersetzer: Friedrich Gentz (Berlin 1793, 21794; neuediert in Edmund Burke/Friedrich Gentz, Über die Französische Revolution. Betrachtungen und Abhandlungen, Berlin 1991, 13–400 (hier: 131)), S. 78–79 der zweiten Auflage, Erste Abtheilung: »Der Tadel dieser speculativen Köpfe, der immer bereit ist, wenn die Staaten nicht nach ihren Theorien gebaut sind, trift eine alte wohlthätige Regierung eben so gut, als die schreyendste Tyranney, oder die frischeste Usurpation. Sie liegen im beständigen Kriege mit allen Regierungen, nicht um Mißbräuche anzugreifen, sondern blos, um die Frage nach Befugniß und Vollmacht zur Herrschaft abzuhandeln. Ich sage nichts gegen die schwerfällige Feinheit ihrer politischen Metaphysik. Mögen sie sich doch damit in ihren Schulen belustigen« [I. Kant, Gemeinspruch, S. 6]. 91,20 Terrorismus] Der Terrorismus wird in der Religion folgendermaßen geschildert: »Daß die Welt im Argen liege, ist eine Klage, die so alt ist, als die Geschichte, selbst als die noch ältere Dichtkunst, ja gleich alt mit der ältesten unter allen Dichtungen, der Priesterreligion. Alle lassen gleichwohl die Welt vom Guten anfangen: vom goldenen Zeitalter, vom Leben im Paradiese, oder von einem noch glücklichern in Gemeinschaft mit himmlischen Wesen. Aber dieses Glück lassen sie bald wie einen Traum verschwinden und nun den Verfall ins Böse (das Moralische, mit welchem das Physische immer zu gleichen Paaren ging) zum Ärgern mit accelerirtem Falle eilen: so daß wir jetzt (dieses Jetzt aber ist so alt, als die Geschichte) in der letzten Zeit leben, der jüngste Tag und der Welt Untergang vor der Thür ist, und in einigen Gegenden von Hindostan der Weltrichter und Zerstörer Ruttren (sonst auch Siba oder Siwen genannt) schon als der jetzt machthabende Gott verehrt wird, nachdem der Welterhalter Wischnu, seines Amts, das er vom Weltschöpfer Brahma übernahm, müde, es schon seit Jahrhunderten niedergelegt hat.« (AA VI 19) Kant zitiert

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als Beispiel einer allgemein verbreiteten Auffassung aus Horaz, Oden III.6: »Aetas parentum peior avis tulit / Nos nequiores, mox daturos / Progeniem vitiosiorem«. In der Logik-Blomberg heißt es: »Horaz sagt: ›Unsere Nachkommenschaft wird noch ärgere Bruth hervorbringen, als wir sind‹.« (AA XXIV 180); Horaz, Saturae I, 3, 68: »Vitiis nemo sine nascitur.« Horazens Satyren aus dem Lateinischen übersetzt und mit Einleitungen und erläuternden Anmerkungen versehen von C. M. Wieland (Lepizig 1786): »Denn wer von uns wird fehlerlos geboren?« 91,21 Eudämonismus] Gemeint ist die »heroische Meinung, die wohl allein unter Philosophen und in unsern Zeiten vornehmlich unter Pädagogen Platz gefunden hat.« Kant denkt an die »Moralisten von Seneca bis zu Rousseau« (AA VI 19–20). Siehe Lucius Anneus Seneca (4 v. Chr. – 65 n. Chr.), De ira, II, 13,1: »Sanabilibus aegrotamus malis, nosque in rectum genitos natura, si sanari velimus, adiuvat« [AA VI 20]. Jean-Jacques Rousseau (1712–1778): Abhandlung welche bei der Akademie zu Dijon im Jahre 1750 den Preis über folgende von der Akademie vorgelegte Frage davongetragen hat: Ob die Wiederherstellung der Wissenschaften und Künste etwas zur Läuterung der Sitten beygetragen hat? Übersetzt von Daniel [Titius] Tietze (Leipzig, 1752); derselben: Abhandlung von dem Ursprunge der Ungleichheit unter den Menschen, und worauf sie sich gründe; ins Deutsche übersetzt mit einem Schreiben an den Herrn Magister Leßing und einem Briefe Voltairens an den Verfasser vermehret. Übersetzt von Moses Mendelssohn (Berlin 1756); derselben: Aemil, oder von der Erziehung (Berlin 1762); derselben, Der gesellschaftliche Vertrag, oder die Grundregeln des allgemeinen Staatsrechts […]. Übersetzt von Chr. Fr. Geiger (Marburg 1763) [AA VI 20, VII 326–327]. Johann Bernhard Basedow (1724–1790): Das in Dessau errichtete Philanthropinum, Eine Schule der Menschenfreundschaft und guter Kenntnisse für Lernende und junge Lehrer, arme und reiche (Leipzig 1774); derselben: Für Cosmopoliten Etwas zu lesen, zu denken und zu thun. In Ansehung eines in Anhalt-Dessau errichteten Philanthropins oder Pädagogischen Seminars von ganz neuer Art, die schon alt sein sollte. Ein Antrag an Eltern, an Studirende, an solche, welche die Notwendigkeit guter Werke practisch glauben, an Wohlthäter armer zur Pädagogie geschickter Genies, und an Staatsmänner, die ihren Monarchen von etwas Anders als von Finanzen und Miliz Vorstellungen thun dürfen. Mindestens zum Anlasse einiger Discurse aufgesetzt oder wiederholt (Leipzig 1775); derselben: Das Methodenbuch für Väter und Mütter der Familien und Völker (Altona 1770–1771); derselben: Das Dessau-

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ische Educationsinstitut, Anzeige einer Monatsschrift von pädagogischem Inhalte, welche mit dem nächsten Osterquartal ihren Anfang nehmen soll, in »Königsbergische Gelehrte und politische Zeitungen«, 21. Stück, 13. März 1777. Johann Bernhard Basedow, Joachim Heinrich Campe (1748–1818) (Hrsg.): »Pädagogische Unterhandlungen«, Dessau 1777–1779 [AA II 447–450; IX 448; X 194–197, 234; XXV 723–724; XXVII 471]. Joachim Heinrich Campe: Robinson der Jüngere. Ein Lesebuch für Kinder (Hamburg 1779) [vgl. AA XXV 1144]. 91,23 Chiliasmus] (griech. chilioi ›tausend‹), der Glaube an ein tausendjähriges Reich Christi vor dem Jüngsten Gericht. Der Chiliasmus stützt sich auf die Offenbarung des Johannes, Kap. 4; seine Anhänger im Frühchristentum und Mittelalter gingen von einer baldigen Wiederkunft Christi aus (siehe Bibel, Off. 20,4f.). In der Religionsschrift (1793/1794) unterscheidet Kant einen theologischen und einen philosophischen »Chiliasm«. Der theologische »Chiliasm« harrt »auf des ganzen Menschengeschlechts vollendete moralische Besserung« (AA VI 34) und wird von der jüdischen und der christlichen Religion behauptet [AA VI 136–137 und Anmerkung], sowie auch von Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781): Die Erziehung des Menschengeschlechts (Berlin 1780). Lessing spricht Kant die »Hypothese von einer göttlichen Erziehung des Menschengeschlechts« zu [I. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 41–42]. Der philosophische Chiliasmus hofft »auf den Zustand eines ewigen, auf einen Völkerbund als Weltrepublik gegründeten Friedens« (AA VI 34). Er wird von dem Abt von St. Pierre, von J. J. Rousseau und von Kant selber vertreten. Siehe Charles-Irénée Castel de Saint-Pierre (1658–1743): Projet pour rendre la Paix perpétuelle en Europe (Utrecht 1713). Jean Jacques Rousseau: Extrait du projet de paix perpétuelle de Monsieur l’Abbé de SaintPierre (1761), in: ders.: Oeuvres complètes, Bd. III (Paris 1964) [AA VIII 24; I. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 47–48; AA XII 117; XV 210, 591–592, 705–706; XXV 764, 1005–1007, 1411–1412, XXVII 740; I. Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 357]. 91,24 Abderitismus] Moses Mendelssohn: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum [Neudruck in: Gesammelte Schriften, Bd. 8] zweiter Abschnitt, S. 44–47. Gegen Lessings Hypothese einer göttlichen Erziehung des Menschengeschlechts behauptet Mendelssohn es sei Hirngespinst, »daß das Ganze, die Menschheit hienieden, in der Folge der Zeiten immer vorwärts rücken und sich vervollkommnen solle.« »Wir sehen das Menschengeschlecht im ganzen kleine Schwingungen machen; und es tat nie einige Schritte vorwärts,

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ohne bald nachher mit gedoppelter Geschwindigkeit in seinen vorigen Zustand zurückzugleiten.« »Der Mensch geht weiter; aber die Menschheit schwankt beständig zwischen festgesetzten Schranken auf und nieder; behält aber, im ganzen betrachtet, in allen Perioden der Zeit ungefähr dieselbe Stufe der Sittlichkeit, dasselbe Maß von Religion und Irreligion, von Tugend und Laster, von Glückseligkeit (?) und Elend.« S. 46: »Ihr wollt erraten, was für Absichten die Vorsehung mit der Menschheit habe? Schmiedet keine Hypothesen; schauet nur umher auf das, was von jeher geschehen ist. Dieses ist Tatsache; dieses muß zur Absicht gehört haben, muß in dem Plane der Weisheit genehmigt oder wenigstens mit aufgenommen worden sein.« Kant äußert sich in einem Schreiben an Mendelssohn vom 16. August 1783 lobend über die Schrift (AA X 344–347, hier: 344 und 347). In dem dritten Abschnitt der Schrift Über den Gemeinspruch, welches der Auseinandersetzung mit Mendelssohns These gewidmet ist, äußert sich hingegen Kant sehr kritisch (I. Kant, Über den Gemeinspruch, S. 41–48). Die Identifizierung von Mendelssohn als Theoriker des Abderitismus wird auch durch die explizite Erwähnung seines Namens auf Seite 1 der Vorarbeit Krakau möglich. Der Terminus »Abderitismus« bezieht sich auf die Theorie von Demokrit aus Abdera, welche sich auf den Begriff des Zufalls gründet. Seine These wird von Epikur übernommen. In der Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht heißt es: »Ob man es nun von einem epikurischen Zusammenlauf wirkender Ursachen erwarten solle, daß die Staaten, so wie die kleinen Stäubchen der Materie durch ihren ungefähren Zusammenstoß allerlei Bildungen versuchen, die durch neuen Anstoß wieder zerstört werden, bis endlich einmal von ungefähr eine solche Bildung gelingt, die sich in ihrer Form erhalten kann (ein Glücksfall, der sich wohl schwerlich jemals zutragen wird!) […]« [AA I 226–227; II 123–148; 368; III 552:9; IV 533; V 391] 93,11 Stein des Sisyphus] Nach Homer (Odyssee XI, 593–600) wurde der legendäre König von Korinth für seine Vergehen damit bestraft, im Hades beständig einen schweren Stein auf die Spitze eines Berges zu bringen, der sofort wieder herunterrollte [Gemeinspruch, S. 42]. Siehe den Ausdruck »fatum Sysypheum« in Christian Jacob Kraus: Aufzeichnungen über das Fortrücken des Menschengeschlechts (Rektoratsrede 1792). In: Vermischte Schriften über staastwirthschaftliche, philosophische und andere wissenschaftliche Gegenstände (Königsberg 1809), IV. Teil, 57; vgl. 318. 94,12 Coyer] Gabriel François Coyer (1707–1782), Moralische Klei-

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nigkeiten. Aus dem Französischen übersetzt (Leipzig 17551; Berlin / Stettin / Leipzig 17622) [A VIII 336]. 94,20 Kopernikanischen Hypothese] Kant sagt von Aristarchos von Samos (ca. 310–230 v. Chr.): »So soll Aristarch schon das Kopernikanische System gehabt haben« (AA XXIV 643). Von Philolaos (5. Jh. v. Chr., Mitte) sagt er ebenfalls: »Das Welt System des Copernicus sollte schon Philolaus gehabt haben« (AA XXIV 878, 952). In Kants Bibliothek befand sich Pierre Gassendi: Institvtio astronomica iuxta hypotheseis tam vetervm, qvam Copernici, et Tychonis. Eivsdem oratio inauguralis iteratio edita (Paris 1647). Die Schrift des polnischen Astronomen Nikolaus Koppernigk (1473–1543) ist: De revolutionibus orbium coelestium: libri VI (Norimbergae 1543). Die Behauptung, daß die Planeten »beständig ihren regelmäßigen Gang fort« gehen, impliziert die Bezugnahme auf die Entdeckungen von Galileo Galilei, Johannes Kepler und vor allem Isaak Newton, welche die Hypothese von Kopernikus in apodiktische Gewißheit verwandeln [AA III 14 Anm.**]. Kant besitzt von Newton: Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (London 1687); Optick or a Treatise of the Reflexions, Refractions, Inflexions and Colours of Light (London 1704, II Auflage 1717). 94,25 Tychonische Cyklen und Epicyklen] Tycho Brahe (1546–1601) Tyge (Letein, Thycho) Brahe, danischer Astronom: De mundi aetherei recentioribus phaenomenis liber secundus (Uraniburgi [Hven] 1588). Kant sagt: »je mehr Folgen aus einer Hypothese fließen desto wahrscheinlicher ist sie, je weniger, desto unwahrscheinlicher z. E. Tycho de Brahes Hypothese: daß sich die Sonne, Planeten und Fixsterne um die Erde bewegten reichte zu vielen Erscheinungen nicht zu, er muste also immer mehrere annehmen« (AA XXIV 559) [AA XVI 464; XXIV 440, 887, 889, 85]. 94,29 Vorsehung] Im Juliheft des Jahrgangs 1796 der Zeitschrift »Deutschland« erscheint der Versuch über den Begriff des Republikanismus, veranlaßt durch die Kantische Schrift zum ewigen Frieden von Friedrich Schlegel. Er bespricht den Ersten Zusatz. Von der Garantie des ewigen Friedens von Kants Schrift (1795) folgendermaßen: »›Das was diese Gewähr leistet, ist nichts Geringeres als die große Künstlerin Natur‹ sagt Kant. So geistreich die Ausführung dieses trefflichen Gedankens ist, so will ich doch freimütig gestehn, was ich daran vermisse. Es ist nicht genug, daß die Mittel der Möglichkeit, die äußern Veranlassungen des Schicksals zur wirklichen allmählichen Herbeiführung des ewigen Friedens gezeigt werden. Man erwartet eine Antwort auf die Frage: Ob die innere Entwicklung der Menscheit

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dahin führe? Die (gedachte) Zweckmäßigkeit der Natur (so schön, ja notwendig diese Ansicht in andrer Beziehung sein mag) ist hier völlig gleichgültig: nur die wirklichen notwendigen Gesetze der Erfahrung können für einen künftigen Erfolg Gewähr leisten. Die Gesetze der politischen Geschichte und die Prinzipien der politischen Bildung sind die einzigen Data, aus denen sich erweisen läßt, daß der ewige Friede keine leere Idee sei, sondern eine Aufgabe, die nach und nach aufgelöst, ihrem Ziel beständig näher kommt; nach denen sich die künftige Wirklichkeit desselben [sc. des ewigen Friedens, P. G.] und sogar die Art der Annäherung, zwar nicht weissagen (S. 65) – theoretisch und nach allen Umständen der Zeit und des Orts- aber doch vielleicht theoretisch (wenngleich nur hypothetisch) mit Sicherheit vorherbestimmen lassen würde. – Kant macht zwar hier sonst (wie sich erwarten läßt) keinen transzendenten Gebrauch von dem teleologischen Prinzip in der Geschichte der Menschheit (welches sogar kritische Philosophen sich erlaubt haben): jedoch in einem Stücke scheint mir der praktische Begriff der unbedingten Willensfreiheit mit Unrecht in das theoretische Gebiet der Geschichte der Menschheit herübergezogen zu sein. – Wenn die Moraltheologie die Frage aufwerfen kann und muß: Welches der intelligible Grund der Immoralität sei?– ob sie es kann und muß, lasse ich hier an seinen Ort gestellt sein – so weiß ich auch keine andre Antwort, als die Erbsünde im Kantischen Sinne. Aber die Geschichte der Menschheit hat es nur mit den empirischen Ursachen des Phänomens der Immoralität zu tun: der intelligible Begriff der ursprünglichen Bösartigkeit ist im Gebiete der Erfahrung leer und ohne allen Sinn.« (Zitat nach: Deutschland. Eine Zeitschrift. Hrsg. von J. F. Reichardt, Berlin 1796. Auswahl. Hrsg. von G. Henrich, Leipzig 1989, S. 168–185, hier: S. 182). Auf einer der beiden Seiten des Losen Blatts ›E 26‹ (Reicke II 107; AA XVIII R. 6340) notiert sich Kant Erscheinungsort und Titel dieser Abhandlung. 95,34 Geschichtszeichen] Die Aufzählung geht auf Baumgarten: Metaphysica, § 348 zurück: »Signatum actuale, § 347, vel praesens est, tunc signum dicitur demonstrativum; vel praeteritum, tunc signum dicitur mnemonicum, vel futurum, § 298, tunc dicitur prognosticon.« 96,29 geistreichen Volks] Geimeint ist die französische Revolution, nicht jedoch die Ereignisse von 1789, sondern der Revolutionsprozeß der neunziger Jahre, in denen der erste Koalitionsgrieg stattfindet. Im 1. Koalitionskrieg (1792–97) sind Österreich, Preußen (1795 ausgeschieden), England, Holland, Spanien und Sardinien beteiligt. Mit dem Sonderfrieden von Basel (1795) verzichtet Preußen auf die linksrheinischen Gebiete. Napoleon entscheidet 1797 den Krieg durch

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einen Vormarsch bis in die Steiermark (Frieden von Campoformio). Mit dem Frieden (1797) verzichtet Österreich u. a. auf Lombardei und österreichische Niederländer, erhält jedoch Venetien und durch einen geheimen Zusatzartikel tritt die linksrheinischen Gebiete ab. Vgl. Refl. 8077 – AA XIX 604: »Was ist es, was die bloße Zuschauer (der Revolution) eines vorher absolut beherrschten, jetzt sich unter den größten inneren und äußeren Bedrängnissen republicanisirenden Volks mit so lebhafter Theilnehmung und Wunsch zum Gelingen ihrer Unternehmung erfüllt […].« Kant ist u.A. mit folgenden Urteilen seiner Zeitgenossen vertraut. Johann Wilhelm Linde: Irenäus über das Kriegsübel, zur Beruhigung an seinen Freund (Königsberg 1797), »Vorerinnerung«, S. III–IV: »Der jetzt so merkwürdige Krieg, welcher ganz Europa angeht, weil an demselben nicht nur die meisten Staaten unmittelbaren Anteil nehmen, sondern auch andere mittelbar durch ihn das wunderbarste Schicksal erfuhren, ist wohl von allen Menschen ohne Ausnahme für das Nachdenken auf eine gewisse Art benutzt worden […]. Mit der gespanntesten Aufmerksamkeit warfen sie sich auf ihn hin, und es war nicht bloße Neugier, die die Nachrichten der Begebenheiten mit brennendem Durste verschlang, sondern auch die Überzeugung, dass es diesmal mehr als sonst die Sache der Menschheit sei, für welche gestritten würde. Das bloße Geschichtsstudium verwandelte sich augenblicklich zur Rechtswissenschaft, und es konnte dem Beobachter menschlicher Grundsätze und Leidenschaften nicht gleichgültig sein, oft ungelehrte, halb kultivierte Bürger in den hitzigsten Streit über ihre Parteien geraten zu sehen, weil sich jeder zu derjenigen schlug, die, seiner Meinung nach, das größere Recht hatte.« 1795 fertigt Karl Friedrich Reinhard eine (Teil-) Übertragung von Kants Zum ewigen Frieden für Sieyès an (abgedruckt in A. Ruiz: A l’aube du kantisme en France. Sieyès, Karl Friedrich Reinhard et le traité »Vers la paix perpétuelle« (Hiver 1795–1796). Avec le texte inédit de l’adaptation française du traité par Reinhard. In: »Cahiers d’études germaniques« 4 (1980), S. 147–193 und 5 (1981), S. 119–153). Ludwig Ferdinand Huber schreibt am 3. Januar 1795 im Moniteur: »Der berühmte Kant, der in Deutschland eine geistige Revolution zustande gebracht hat, die derjenigen gleicht, die die Gebrechen des Ancien régime mußten geschehen lassen, dieser Mann hat sich mit dem Gewicht seines Namens der Sache der republikanischen Verfassung angenommen.« (zitiert nach der Übersetzung in I. Kant, Zum ewigen Frieden: ein philosophischer Entwurf. Hrsg. von M. Buhr und S. Dietzsch. Leipzig 1984). Der Schweizer Jacques Mallet du Pan (1749–1800), Herausgeber des »Mercure de France«, schreibt in dem

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Buch Über die französische Revolution und die Ursachen ihrer Dauer. Übersetzt von Friedrich Gentz (Berlin 1794), S. 205f.: »Man kan sich leicht vorstellen, daß die Revolution diesen Glauben nicht wankend gemacht hat: und da sie uns überdies offenbarte, daß verderbte Völker noch tausendmal schlimmer sind, als Tyrannen, so werde ich in das fürchterliche Denkmal ihrer Gräuel eine Maxime graben, die mich seit fünfzehn Jahren geleitet, und die uns ein Englischer Dichter in zwey Versen vorgetragen hat: ›For forms…‹« Kant übersetzt: »Laß über die beste Regierung Narren streiten; die bestgeführte ist die beste.« [vgl. Zum ewigen Frieden, S. 63] Johann Erich Biester schreibt am 5. Oktober 1793 an Kant: »Um ganz unverhohlen zu reden, hat er mir vielleicht darum um desto mehr gefallen, weil er mir das (von Anfang an mir unwahrscheinliche) Gerücht zu widerlegen scheint, als hätten Sie Sich sehr günstig über die mir immer ekelhafter werdende französische Revolution erklärt, worin doch die eigentliche Freiheit der Vernunft u. die Moralität u. alle weise Staatskunst u. Gesetzgebung auf das schändlichste mit den Füßen getreten werden, – und welche selbst, wie ich aus Ihrer itzigen Abhandlung lerne, das allgemeine Staatsrecht u. den Begrif einer bürgerlichen Verfassung aufs das gröbste verletzet u. aufhebt. Freilich ist das Kopfabschneiden (vornehmlich wenn man es durch Andere thun lässt) leichter, als die starkmüthige Auseinandersetzung der Vernunft= und Rechtsgründe gegen einen Despoten, sei er ein Sultan oder ein despotischer Pöbel; bis itzt sehe ich aber bei den Franzosen nur jene leichteren Operazionen der blutigen Hände, nicht der prüfenden Vernunft.« (AA XI 456) Samuel Collenbusch schreibt am 30. März 1796 an Kant: »[…] da sie doch als ein vernünftiger Mensch aus der Francösischen Revolutions Geschichte es wissen können das die furcht für der Guillotine die freiheit vieller Tausend Francosen nicht wenig eingeschrencket hat.« (AA XII 67) Siehe auch die oben zitierte Passage aus Edmund Burkes Schrift. 97,20 Es ist aber] In dem Gemeinspruch setzt sich Kant über das hier berührte Thema des Widerstandsrechts des Volks mit Achenwall und Hobbes auseinander. Siehe Gottfried Achenwall (1719–1772): Iuris naturalis pars posterior complectens ius familiae, ius publicum et ius gentium in usum auditorum. Editio quinta emendatior (Göttingen 1763) (abgedruckt in AA XIX 325–442), §§ 203–205: »Wenn die Gefahr, die dem gemeinen Wesen aus längerer Duldung der Ungerechtigkeit des Oberhauptes droht, größer ist, als von Ergreifung der Waffen gegen ihn besorgt werden kann: alsdann könne das Volk jenem widerstehen, zum Behuf dieses Rechts von seinem Unterwerfungsvertrag abgehen und ihn als Tyrannen entthronen.« »Es kehre das

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Volk auf solche Art (beziehungsweise auf seinen vorigen Oberherrn) in den Naturzustand zurück.« Achenwall war Professor der Philosophie, später auch der Rechtsgelehrsamkeit an der Universität Göttingen. Kant legte Achenwalls Schrift seinen Vorlesungen über Naturrecht als Lehrbuch zugrunde. Die einzige uns erhaltene studentische Nachschrift Feyerabend ist abgedruckt in AA XXVII 2,2, S. 1317– 1394. Kants handschriftliche Bemerkungen in seinem eigenem (seit dem Kriegende verschollenem) Exemplar von Achenwalls Buch sind AA XIX 325–442 abgedruckt [vgl. Gemeinspruch, S. 34]. Siehe auch Thomas Hobbes (1588–1679): De Cive (1642) (bzw. 1647), Kap. 7, § 14: »Es ist bereits gezeigt worden, daß die Inhaber der höchsten Gewalt im Staate niemandem durch Vertrag verpflichtet sind, und daraus folgt, daß sie keinem Bürger Unrecht tun können. Denn das Unrecht ist […] nur eine Verletzung von Verträgen: wo also solche Verträge nicht vorausgehen, da kann auch kein Unrecht geschehen« (Zitiert nach der Ausgabe von G. Gawlick (Hamburg 1966), S. 155) [vgl. Gemeinspruch, S. 37]. Kant schätzt die Rebellion, welche mit der Revolution zusammenhängt, nicht. Bereits in der Schrift von 1793 Über den Gemeinspruch verweist er polemisch auf Georges Jacques Danton (1759–1794): »Der Souverän will das Volk nach seinen Begriffen glücklich machen und wird Despot; das Volk will sich den allgemeinen menschlichen Anspruch auf eigene Glückseligkeit nicht nehmen lassen und wird Rebell. Wenn man zu allererst gefragt hätte, was Rechtens ist (wo die Prinzipien a priori feststehen, und kein Empiriker darin pfuschen kann): so würde die Idee des Sozialkontrakts in ihrem unbestreitbaren Ansehen bleiben; aber nicht als Faktum (wie Danton will, ohne welches er alle in der wirklich existierenden bürgerlichen Verfassung befindlichen Rechte und alles Eigentum für null und nichtig erklärt), sondern nur als Vernunftprinzip der Beurteilung aller öffentlichen rechtlichen Verfassung überhaupt.« 98,4 Affekt, der Enthusiasm] Affekt ist keine Leidenschaft. Kant übernimmt diesen Unterschied von Francis Hutcheson: Abhandlung über die Natur und Beherrschung der Leidenschaften und Neigungen und über das moralische Gefühl insonderheit (Leipzig 1760), S. 33: »Wenn das Wort Leidenschaft etwas von dem Affecte verschiedenes andeuten soll […].« S. 66: »Wenn heftigere verwirrte Empfindungen zugleich mit dem Affecte entstehen, die von Bewegungen im Körper begleitet, und dadurch verlängert werden, so fassen wir dieses unter der Benennung Leidenschaft zusammen […].« S. 68: »Ausser diesen Affecten aber, welche aus einer vernünftigen Betrachtung des Guten oder Bösen nothwendiger Weise zu entstehen scheinen, giebt es noch

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in unsrer Natur heftige verwirrte Empfindungen, die mit körperlichen Bewegungen begleitet sind, von welchen unsre Affecten Leidenschaften genannt werden.« S. 94: »In wie weit unsre verschiednen Affecten und Leidenschaften unsrer Gewalt unterworfen sind […].« S. 235: »Alle möglichen Gründe müssen entweder Neigungen voraussetzen, wenn sie aufmunternd, oder ein moralisches Gefühl, wenn sie rechtfertigend sind.« S. 351: »Ja, diejenige Gemüthsart muß wirklich einen großen Mangel an Güte haben, welche stets nöthig hat, sich den gedanken eines göttlichen Befehls, oder göttlicher Gesetze vorzuhalten, ehe sie zu einigen besondern liebreichen Handlungen bewogen werde kann.« [AA XXV 589] Über den Enthusiasmus siehe Anthony Lord of Shaftesbury: Ein Brief über den Enthusiasmus, 6. Abschnitt, in: ders., Philosophische Werke, 3 Bde. (Leipzig, 1776–1779), Bd. I, S. 67: »Kein Dichter, wie ich schon anfänglich behauptete, kann etwas Großes in seiner Kunst hervorbringen, ohne sich die Gegenwart einer Gottheit einzubilden, wodurch er sich zu einem Grade dieser Leidenschaft erhebt, wovon wir reden.« Siehe auch den 7. Abschnitt, Bd. I, S. 69: »Denn die Eingebung ist ein wirkliches, und der Enthusiasmus ein falsches Gefühl von der göttlichen Gegenwart.« [Kritik der Urteilskraft, S. 143]. 98,19 postquam] Vergil, Aeneis XII, 738–741: »idque diu, dum terga dabant palantia Teucri, suffecit; postquam arma dei ad Volcania ventum est, mortalis mucro glacies ceu futtilis ictu dissiluit, fulva resplendent fragmina harena.« »Lang’ auch, während den Rücken zersprengt / ihm boten die Teucrer, / G’nügte ihm der: jetzt kam’s zu des Gottes /vulkanischer Rüstung; / Sieh, und die sterbliche Klinge, wie nichtiges Eis, in dem Anschwung / Sprang sie entzwei; hell blinken im gelblichen Sande die Trümmer.« (Vergils Äneide). 99,14 Erhard] Johann Benjamin Erhard (1766–1827), deutscher Anhänger der Französischen Revolution, unterstützt als Vertreter des deutschen Jakobinismus die jakobinische Diktatur des Wohlfahrtsausschusses 1793/94 und plant mit anderen deutschen Jakobinern die Gründung einer Republik in Süddeutschland. Kant bezieht sich auf Über das Recht des Volks zu einer Revolution (Jena und Leipzig 1795), S. 185: »Insoferne iedes Volk unaufhaltsam seiner Mündigkeit entgegen geht, insoferne bereiten sich alle Völker zu einer Revolution vor. Es ist aber möglich, daß sich die Verfassungen den verschiedenen Graden von Mündigkeit anpassen, und dadurch eine eigentliche Revolution verhüten, so daß alles nach und nach geschieht, und unvermerkt die Verfassung ihre richtige moralische Form erhält. So wie man von dem Volke sagen kann, daß es seine Unmündigkeit verschul-

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det habe, so kann man auch von der Regierung sagen, daß sie iede Revolution verschuldet habe, weil sie sich nicht der Mündigkeit anpaßte, oder die Menschenrechte in dem Grade respectirte, als sie das Volk kennen lernte« S. 188–189: »Glücklich ist der Staat, wo die Vornehmen bey gleichem Fortschritt der Aufklärung mit dem Volke beständig so gerecht sind, um das Volk im Verhältnis seiner Aufklärung, die sie selbst befördern, zu behandeln. In einem solchen Staate geschieht das, was in andern durch Revolutionen geschieht, durch eine von der Weisheit bewirkte Evolution.« S. 192: »Die Aufklärung hat nicht den Zweck ein Volk glücklich, sondern es gerecht zu machen. Die Staatsverfassung soll nicht Glückseligkeit, sondern Gerechtigkeit hervorbringen Erhards Buch wurde schon im selben Jahr in Leipzig, München und Wien verboten.« 101,13 Camper und Blumenbach] Petrus Camper (1722–1789), niederländischer Mediziner: Complementa varia acad. Imper. Scient. Petropolitanae communicanda, ad clar. Ac celeb. Pallas, in: Nova acta academiae scientiarum imperialis Petropolitanae, Bd. 2, 1788, S. 250 ff., hier S. 251: »Convictus cum maxime sum, orbem nostrum variis illis, ac horrendis catastrophis fuisse expositum aliquot seculis, antequam homo fuit creatus: numquam enim hucusque, nec in ullo museo, videre mihi contigit verum os humanum petrifactum, aut fossile, etiamsi Mammonteorum, Elephantorum, Rhinocerotum, Bubalorum, Equorum, Draconum, seu Pseudoursorum, Leonum, Canum, Ursorum, aliorumque perplura viderim ossa, et eorum omnium haud pauca specimina in Museo meo conservem!« [AA XIV 619; XXI 214–215; Kritik der Urteilskraft, S. 351] Johann Friedrich Blumenbach (1752–1840), Anatom und vergleichender Zoologe: Handbuch der Naturgeschichte (Göttingen 1779), S. 44 und 474ff. 102,4 Aufklärer] Siehe das Religionsedikt § 7: »Man entblödet sich nicht, die elenden, längst widerlegten Irrtümer der Socinianer, Deisten, Naturalisten und anderen Secten mehr wiederum aufzuwärmen und solche mit vieler Dreistigkeit und Unverschämtheit durch den äusserst gemissbrauchten Namen Aufklärung unter das Volk auszubreiten.« 102,19 großbritannischen Volks] Großbritannien wandelt sich zu einer konstitutionellen Monarchie in der ›Glorious Revolution‹ von 1688/89. Nach der Landung Wilhelms III. von Oranien und der Flucht Jakobs II. nach Frankreich, besteigt Maria, die älteste, protestantisch gebliebene Tochter Jakobs den Thron. Das neueinberufene Parlament (Konvention) erklärt sich in einem souveränen Akt zum regulären Parlament und setzt die protestantische Erbfolge fest.

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103,11 platonisches Ideal] Plato: Politeia 500d–e: »Also wenn die Leute nur gewahr werden, daß wir die Wahrheit von jenem sagen, werden sie dann doch den Philosophen böse sein und uns den Glauben verweigern, wenn wir sagen, daß ein Staat nicht glückselig sein könne, wenn ihn nicht diese des göttlichen Urbildes sich bedienenden Zeichner entworfen haben?« [Zitat nach: AA XXV 98–99 Erläuterung; siehe auch XXV 325]. In den Vorlesungen über Anthropologie heißt es: »Plato sagt, das vornehmste Werck des Philosophen ist die Idee zu entwickeln« (AA XXV 551). Verweis auf Plato: Politeia 534b–d: »Also auch ebenso mit dem Guten, wer nicht imstande ist, die Idee des Guten von allem andern absondernd druch Erklärung zu bestimmen, und wer nicht, wie im Gefecht durch alle Angriffe sich durchschlagend, sie nicht nach dem Schein, sondern nach dem sein zu verfechten suchend, durch dies alles mit einer unüberwindlichen Erklärung durchkommt, von dem wirst du auch weder, daß er das Gute selbst erkenne, behaupten wollen, wenn es sich so mit ihm verhält, noch auch irgendein anderes Gutes; sondern wenn er irgendein Bild davon trifft, daß er durch Meinung, nicht Wissenschaft treffe, und daß er, in diesem Leben träumend und schlummernd, ehe er hier erwacht ist, in die Unterwelt kommt und vollkommen in den tiefsten Schlaf versinkt.« (Zitat nach: AA XXV 551 Erläuterung) 104,6 Pflicht der Monarchen] Zur Entstehung dieses Begriffs siehe die Auseinandersetzung mit folgenden Problemkomplexen: 1. die französische Revolution, 2. die Reform der Gesetzgebung in Preußen 3. die Reform der Gesetzgebung in Österreich. Ad 1. siehe oben Anmerkung zu »geistreichen Volks«. Ad 2. Ernst Ferdinand Klein, Kammergerichtsrat in Berlin und Mitverfasser des Allgemeinen Preußischen Landrechts, schreibt am 15. Juni 1789 an Kant: »Werden Sie in Ihrem nächsten Werke über die praktische Philosophie sich auf die Frage einlassen: Welche Grenzen der Willkür des Gesetzgebers (die Regeln der Klugheit abgerechnet) gesetzt sind?« (AA XI 62) Am 22. Dezember 1789 schreibt er wieder an Kant: »Was seit langen Zeiten gebräuchlich gewesen ist, scheint den Willen des Volkes für sich zu haben. Da ich nun durch Verträge meine Freiheit einschränken darf, so weit ich mir dadurch nicht die Macht benehme, unerläßliche Pflichten zu erfüllen: so läßt sich wohl, wie ich glaube, die Beibehaltung solcher Gebräuche entschuldigen. Ich fühle selbst, daß ich hier nicht füglich das Wort rechtfertigen brauchen kann: aber was ist zu tun? Unsere Gesetze sind voll von solchen willkürlichen Einschränkungen. Ein Gesetzgeber, welcher auf einmal zu große Veränderungen vornehmen wollte, würde nichts gegen die herrschende Meinung

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ausrichten.« (AA XI 116) Am 29. April 1790 sendt er Kant sein Dialog Freiheit und Eigentum, abgehandelt in acht Gesprächen über die Beschlüsse der französischen Nationalversammlung (1790) zu (AA XI 159). Er schreibt: »Daraus folgt auch, daß der Staat das Recht zu erwerben mehr einschränken könne, als das Recht zu besitzen.« (Zitat nach: C. Träger: Die Französische Revolution im Spiegel der deutschen Literatur (Leipzig 1975), S. 849 [vgl. AA XXVII 524]. Ad 3. Josef Nikolaus Graf von Windisch-Graetz: Discours dans lequel on examine les deux questions suivantes: 1. Un Monarque at-il le droit de changer de son chef une Constitution évodemment vicieuse? 2. Est-il prudent à lui, est-il de son intérêt de l’entreprendre? [vgl. AA XI 73]. 105,3 weltbürgerlichen Gesellschaft] Diese Idee entsteht bei Kant durch die Auseinandersetzung mit den Projekten von Saint-Pierre und Rousseau. Vgl. oben Anmerkung zu »Chiliasmus«. 105,18 Es ist doch süß] Zu der »Atlantica« von Plato siehe Zedler, Universal-Lexikon, Bd. 2, Sp. 2045: »Atlantis, eine Insel, die am Munde der Strasse des Atlantischen Meers soll gelegen, und einen grossen Theil von Europa und Africa beherrschet haben, grösser als Asia und Africa zusammen gewesen, und hernach in einem Erdbeben untergegangen seyn. So erzehlt es Plato in Timeo Critia. Strabo II. p. 160. Es halten aber die meisten davor, daß diese Worte verblümt anzunehmen, dass also Plato nichts weniger als eine würkliche dergleichen Insel geglaubet. Plinius Hist. Nat. VI, 31 gedencket auch einer Insel, die dem Berge Atlas gegen über gelegen, und deswegen Atlantis geheissen.« Thomas More (1478–1535): Ordentliche und außführliche Beschreibung der […] Insul Utopia […] beschrieben durch Thomam Morum (Franckfurt am Mayn 1704); P. Mori Beatior Utopia. Oder Entwurff Einer Paradigmatischen Policey: Wodurch Die Hohe Obrigkeit recht mächtig, Die Spaltungen, Gerichts-Zänckereyen, böse Artzeneyen, ungleicher Vortheil im Handel […] gestillet, Gold und Silber fast unnöthig gemacht, der Staat starck, reich vergnügt […] und […] fast ein güldenes Seculum wiedergebracht wird (Cölln [ca.1700]); Des Englischen Canzlers Thomas Morus Utopien. In einer neuen und freyen Uebersetzung von J. B. K. (Franckfurt/Leipzig 1753) [vgl. AA XXV 172, 372, 564]. James Harrington (1611–1677), englischer politischer Philosoph: Oceana (London 1656) [AA VII 219; XXV 1542]. Denis Vairasse d’Allais: Reise nach dem Lande der Sevaramben, oder Geschichte der Staatsverfassung, Sitten und Gebräuche der Severamben. Aus dem Franz. übers. vom Verf. des Siegfried v. Lindenberg [i. e. Johann Gottwerth Müller], (Itzehoe 1683) [AA XXVIII 1231]. Oliver Cromwell (1599–1658), Englischer Staatsmann. Nach der Hinrich-

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tung des Königs und der Aufhebung des »Oberhauses« etabliert sich in England das »Commonwealth« unter der Leitung von Cromwell, dem »Rumpfparlament« und einem Staatsrat, in dem sich das Londoner Großbürgertum durchsetzt. Die Verfassungsvorstellungen orientieren sich an der Holländischen Republik. Doch 1653 jagt Cromwell das Parlament auseinander, verkündet im Namen der Armee das »Instrument of Government« und übernimmt das semi-monarchische Amt eines »Lordprotektors« auf Lebenszeit [AA XXV 823, 876, 1264, 1281]. 106,10 Büsching] Anton Friedrich Büsching (1724–1793), Deutscher Geograph und Pädagoge, Oberconsistorialrath und Direktor des Gymnasiums zum grauen Kloster in Berlin. In den Jahren 1773–1781 ist er Herausgeber der Zeitschrift »Wöchentliche Nachrichten von neuen Landcharten, geographischen, statistischen und historischen Büchern und Schriften.« In dem vierten Jahrgang, Sechszehntes Stück, am 15. April 1776, S. 131 schreibt er: »Da die Regierungen der europäischen Staaten kein Geld für Schulen übrig haben, so ist es allenthalben sehr erfreulich, wenn begüterte Privatpersonen denselben aufhelfen, und dadurch Wohlthäter des menschlichen Geschlechts werden. Gottlob! daß es doch von Zeit zu Zeit, auch hin und wieder, solche wohlthätige Personen giebt.« Am 27. März 1777, in dem Aufsatz über das Dessauische »Philanthropin«, sagt auch Kant: »Denn da, wie Herr O. C. R. Büsching (wöchentlich. Nacht. J. 1776. Stück 16) sagt, die Regierungen jetziger Zeit zu Schulverbesserungen kein Geld zu haben scheinen, so wird es doch endlich, wofern solche nicht gar ungeschehen bleiben soll, auf bemittelte Privatpersonen ankommen, diese so wichtige allgemeine Angelegeheit [sc. die Unterstützung des »Philanthropins« in Dessau, P.G.] durch großmüthigen Beitrag selbst zu befördern.« (AA II 451–452) Auch in der von Rink publizierten Pädagogik Kants heißt es: »Daher kommt es hier denn hauptsächlich auf Privatbemühungen an und nicht sowohl auf das Zuthun der Fürsten, wie Basedow und Andere meinten.« (AA IX 448) In der Nummer vom 25. März 1776 der »Königsbergsche(n) gelehrten und politischen Zeitungen« wird die Schenkung des Fürsten Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau gemeldet, durch diejenige das von Basedow in Dessau gegründete Educationsinstitut, das »Philanthropin«, »wegen seiner Fortdauer versichert worden.« Kant bezeichnet die Schenkung als »eine ansehnliche Beihülfe von hoher Hand.« (AA II 448) 107,14 Hume] Kant zitiert Hume vermutlich aus dem Gedächtnis; er bezieht sich auf einen Abschnitt des Essay Of Public Credit, in den

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Vermischten Schriften (1766) übersetzt unter dem Titel Von öffentlichem Credit, S. 176–177: »Ich muß gestehen, wenn ich Prinzen und Staaten mitten unter ihren Schulden, Fonds und versetzten Einkünften Streiten und fechten sehe, so kömmt es mir eben so vor, als wenn sich ein paar Leute in einem Laden von chinesischem Porcellan mit Prügeln herum schlagen. Wie kann man erwarten, daß Prinzen eine Art von Eigenthum schonen werden, die ihnen und dem Staat schädlich, da sie mit dem Leben und den Gütern der Menschen, die beyden so nützlich sind, so wenig Mitleid haben?« [vgl. AA XX 153] (Hinweis Reinhard Brandt, Marburg). 107, 22 Sero sapiunt Phryges] Desiderius Erasmus, Adagia (Venetia 1508), 1.1.28: »Spät erst werden die Phryger (Die Trojaner) klug«. 109,8 meine Danksagung] Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836), Arzt, Wissenschaftler. Hufeland schreibt am 12. Dezember 1796 an Kant: »Erlauben Sie, Verehrungswürdiger Mann, daß ich Ihnen ein Buch zuschicke, das Ihnen in mehr als einer Rüksicht zugehört, theils als einem der ehrwürdigsten Nestors unsrer Generation, der nicht allein zeigt, daß man auch mit angestrengter Geistesarbeit alt werden, sondern daß man auch noch wirken und nüzlich seyn kann; theils als einem Manne, dem die Kenntniß des Menschen, die wahre Anthropologie so viel verdankt, und der sich um die Medizin selbst dadurch so viel Verdienst erworben hat und gewiß noch mehr in der Zukunft erwerben wird. Zugleich nuzte ich diese Gelegenheit gern, um Ihnen meine innigste Verehrung zu bezeugen, und den Wunsch beyzufügen, daß Sie das neueste Beyspiel des höchsten Menschenalters mit fortwirken der Geisteskraft geben mögen, was bey einem solchen Vorrath und so harmonischer Wirksamkeit dieser Kraft wohl gehofft werden kann. Glüklich würde ich mich schätzen, wenn Ihnen mein Bestreben, das Physische im Menschen moralisch zu behandeln, den ganzen, auch physischen, Menschen als ein auf Moralität berechnetes Wesen darzustellen, und die moralische Kultur als unentbehrlich zur physischen Vollendung der überall nur in der Anlage vorhandenen Menschennatur zu zeigen – nicht mißfallen sollte. Wenigstens kann ich versichren, daß es keine vorgefaßten Meynungen waren, sondern ich durch die Arbeit und Untersuchung selbst unwiderstehlich in diese Behandlungsart hineingezogen wurde. Ich wiederhole nochmals meine besten Wünsche für die noch lange Erhaltung Ihres, jedem denkenden und fühlenden Menschen, so theuren Lebens, und bin mit der aufrichtigsten Verehrung gehorsamster Diener.« (AA XII 136–137) Hufelands Buch trägt den Titel: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern (Jena 1796 bzw. 1797; Faksimile Ausgabe: Ham-

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burg [circa] 1970). Kant antwortet am 15. März und am 19. 4. 1797 (AA XII 157–158). Hufeland schreibt wieder an Kant am 30. 9.1797. Dem Brief vom 6. Februar 1798 an Hufeland legt Kant den Aufsatz Von der Macht des Gemüths bei (AA XII 232). Hufeland beschäftigt sich mit dem Thema bereits in folgenden Aufsätzen: Ueber die Verlängerung des Lebens. In: »Der neue Teutsche Merkur« 1792, 1, S. 242–263; Ueber menschliches Leben, seine physische Natur, seine Hauptmomente, Organe, Ursach seiner langen Dauer, Einfluß der menschlichen Seele und Vernunft auf die Lebensdauer. (Eine Vorlesung.) In: »Der neue Teutsche Merkur« 1795, 1, S. 133–159; Ein Wort über den Angriff der razionellen Medicin im N.T.Merkur. August 1795, bearbeitet von Chr. M. Wieland. In: »Der neue Teutsche Merkur«, 1795, 3, S. 138–155. Der letzte Aufsatz enthält die Antwort auf Johann Benjamin Erhard: Ueber die Medicin. Arkesilas an Ekdemus. In: »Der neue Teutsche Merkur«, 1795, 2, S. 337–378. Johann Benjamin Erhard antwortet auf Hufelans Erwiderung: An Hrn. Rath D. Hufeland in Jena, über dessen Wort im N. T. Merkur 1795 (bearbeitet von Wieland). In: »Der neue Teutsche Merkur«, 1796, 1, S. 76– 94. Hufeland ist auch Autor der Ideen über Pathogenie und Einfluss der Lebenskraft auf Entstehung und Form der Krankheiten: als Einleitung zu pathologischen Vorlesungen (Jena 1795). 111,31 Jovi liberatori] Publius Cornelius Tacitus (55–120[?]), römischer Historiker, Annales, XV,64: »Seneca interim, durante tractu et lentitudine mortis, Statium Annaeum, diu sibi amicitiae fide et arte medicinae probatum, orat provisum pridem venenum, quo d[am]nati publico Atheniensium iudicio exstinguerentur, promeret; adlatumque hausit frustra, frigidus iam artus et cluso corpore adversum vim veneni. postremo stagnum calidae aquae introiit, respergens proximos servorum addita voce libare se liquorem illum Iovi liberatori. exim balneo inlatus et vapore eius exanimatus, sine ullo funeris sollemni crematur. ita codicillis praescripserat, cum etiam tum praedives et praepotens supremis suis consuleret.« 112,18 du bist Erde] Biblia, Gen 3,19: »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.« 113,23 Lebenskraft] Der Begriff der Lebenskraft wird in denselben Jahren von folgenden Autoren behandelt: Johann Christian Reil, Schreiben des Herrn Prof. Reil an den Herausgeber über die sogenannte thierische Elektrizität, »Journal der Physik«, VI, III, (1792), S. 411–414; derselben, Von der Lebenskraft, »Archiv für Physiologie«,

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1 (1795), S. 8–162. Joachim Dietrich Brandis: Versuch über die Lebenskraft (Hannover 1795); Johann Browns Grundsaetze der Arzeneylehre. Aus dem Lateinischen übersetzt von M. A. Weikard (Frankfurt am Main 1795). 113,26 sustine et abstine] Gellius, Noctes Atticae. Hrsg. v. P.K. Marshall (Oxford 1968), XVII 19,6: »Verba haec duo dicebat: ?????? [sustine] et ?????? [abstine].« [vgl. auch Bayerer 1992, S. 199; AA VI 419; IX 486; XV 71; XXV 892, 1078, 1320] 117,12 heautontimorumenos] Publius Terentius Afer (190–160 v. Chr.), Römischer Dichter: Heautontimoroumenos (Der Selbstquäler) [AA II 313, VI 460, XII 35, 415, XV 875, XXIII 98]. 120,38 Hypomochlium] Unterlage eines Hebels. 121,4 gichtische Zufälle] Marcus Tullius Cicero: Tusculanae Disputationes. In Max Pohlenz (Hrsg.): Scripta quae manserunt omnia. Fasc. 44. (Stuttgart 1965), II 25,61: »Zenonem significabat, a quo illum […] ›nihil agis, dolor! quamvis sis molestus, nunquam te esse confitebor malum‹.« In der Schrift Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie. In: »Berlinische Monatsschrift« 28 (1797) (Dezember), S. 485–504 (AA VIII 411–422) referiert Kant diese Passage folgendermaßen: »Ein Beispiel von der Kraft der Philosophie als Aryneimittels gab der stoische Philosoph Posidonius durch ein an seiner eigenen Person gemachtes Experiment in Gegenwart des großen Pompeius (Cicer. tusc. quaest. lib 2, sect. 61): indem er durch lebhafte Bestreitung der epikurischen Schule einen heftigen Anfall der Gicht überwältigte, sie in die Füße herabdemonstrirte, nicht zu Herz und Kopf hingelangen ließ und so von der unmittelbaren physischen Wirkung der Philosophie, welche die Natur durch sie beabsichtigt (die leibliche Gesundheit), den Beweis gab, indem er über den Satz declamirte, daß der Schmerz nichts Böses sei.« (S. 489; AA 414–415) [AA V 60; XXV 16, 736]. Einen Beweis des Vermögens, die Aufmerksamkeit von dem Schmerz abzulenken, liest Kant auch in Edmund Burke: Philosophische Untersuchungen über den Ursprung unsrer Begriffe vom Erhabenen und Schönen. Nach der fünften englischen Ausgabe (Übersetzt von Christian Garve; Riga 1773), S. 216–218: »Spon erzählt uns in seinen Recherches d’Antiquités eine […] sonderbare Geschichte von dem berühmten Phyisiognomist Campanella […]. Dieser Campanella […] hatte es so sehr in seiner Gewalt, seine Aufmerksamkeit von den stärksten körperlichen Leiden abzuwenden, daß er die Tortur selbst ohne viele Schmerzen ertragen konnte. Und von geringern Schmerzen muß es sich jedermann selbst bewußt seyn, daß so oft er seine Aufmerksamkeit auf

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irgend eine andere Sache hefften kann, der Schmerz für eine Zeit lang aufhört.« [AA XXV 38] 124,16 invita Minerva] Horaz, Epistulae, II,3,385: »Tu nihil invita dices faciesve Minerva; id tibi iudicium est, ea mens […]«; Horazens Briefe: »Ich lasse mirs gefallen. Aber du, mein Piso – dies verspricht uns dein Verstand und guter Sinn – du wirst, in deinem Leben, mit Minervens Widerwillen nichts beginnen.« 130,23 Sterbelisten] Siehe Johann Peter Süssmilch: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, aus der Geburt, dem Tode und der Fortpflanzung desselben erwiesen. 2 Teile (Berlin 1761–1762). Siehe auch die in der »Berlinische Monatsschrift« publizierten Sterbelisten. 131,19 Didotschen … Breitkopfschen] Die »Antiqua« setzt sich überall als einzige Druckschrift durch. Die Dichter der deutschen Klassik verlangen für ihre Ausgaben oft nach dieser Schrift. Sie ist mit dem Namen einer Familie verbunden, die den französischen Buchdruck durch zwei Jahrhunderte beherrscht: die Familie Didot. Ihre hervorragendsten Mitglieder sind: François Ambroise Didot (1750– 1804), Pierre, Firmin, Léger. Johann Gottlob Immanuel Breitkopf (1719–1794) betreibt intensive typenhistorische Studien und wird durch die Lektüre der kunsttheoretichen Schriften Albrecht Dürers zum Studium der Fraktur geführt. Breitkopf erneuert die alte Schrift, macht sie für den modernen Gebrauch geeignet. In mehreren Etappen schafft er eine kleine zierliche, von allen überflüssigen Schnörkeln befreite Fraktur. Auch der mit der Druckerei verbundenen Schriftgießerei wendet Breitkopf großes Interesse zu. Durch die Verwendung speziell gehärteter Legierungen sind die Breitkopfschen Typen wegen ihrer Haltbarkeit bei allen Druckern geschätzt und in alle Welt verbreitet. Sie werden als »Jean Paul-Schrift« bekannt, weil sie für die Palingenesien von Johann Paul Richter benutzt werden.

VERZEICHNIS DER VORARBEITEN

A. Vorarbeiten zum ersten Abschnitt 1 Bezeichnung: B 3 Text: AA 23 445,21–446,27 2 Bez.: Bibel Text: Stark 1993, S. 256ff. 3 Bez.: Buck ?? Text: AA 23 463,4–32 4 Bez.: D 23,1–2 Text: AA 15 172,16 – 175,24 5 Bez.: E 2,1 Text: AA 23 448,16–25 Datierung Stark: 179? 6 Bez.: E 10,1–2 Text: AA 23 446,30–448,14 7 Bez.: E 71,1–2 Text: AA 23 435,9–436,34 8 Bez.: E 73, 1–2 Text: AA 23 423,5–425,16 9 Bez.: F 5,1 Text: AA 23 425,26–425,31 10 Bez.: G 1,1–4 Text: AA 23 450,27–454,3 11 Bez.: G 3,1–2

Text: Stark 1993, S. 249 Datierung Stark: 12. November 1797 12 Bez.: G 4 Text: AA 23 454,6–454,14; 454,18–455,17 13 Bez.: G 10, 1 Text: AA 23 124,32–36 Datierung Stark: 29. Juli 1797 14 Bez.: G 11, 1–2 Text: AA 23 438,24–442,11 Datierung Stark: 7. Mai 1794 15 Bez.: G 18,1–2 Text: AA 23 448,28–450,24 16 Bez.: G 19,1–2 Text: AA 23 437,13–438,21 17 Bez.: G 20, 1–2 Text: AA 23 430,27–432,9 18 Bez.: G 23, 1–2 Text: AA 23 432,29–433,21; 434,1–435,6 19 Bez.: G 24,1–2 Text: AA 23 443,3–445,19

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Verzeichnis der Vorarbeiten

20 Bez.: G 25, 1–2 Text: AA 23 442,14–33 21 Bez.: G 26, 1–2 Text: AA 23 426,11–430,24 22 Bez.: Hagen 23,1–2 b Text: Stark 1993, S. 252ff. Datierung Stark: 28. Januar 1794 23 Bez.: K 15 Text: Stark, S. 249f. 24 Bez.: Op–Post 4,1,3 Text: AA 21 344,18–346,33; 347,19–28; 348,26–349,19 25 Bez.: Reicke10b 6,4 Datierung Stark: August 1797 Verschollen 26 Bez.: Reicke 10 b 11 Verschollen 27 Bez.: Reicke 10 b 7, 2 Verschollen

28 Bez.: H Text: Handschriftliches Fragment der Schrift, welches zehn beschriebene Quartseiten umfaßte und der Königlichen Universitäts-Bibliothek zu Königsberg gehörte. Das Fragment ist nun verschollen, wurde aber zuerst von Kehrbach in der »Vorrede« zu seiner Sonderausgabe des Streits bekannt gemacht und sodann von Vorländer in den Lesarten von Band VII der Akademie-Ausgabe herangezogen (AA VII 347–351). »Die Handschrift umfaßt den Text des Streits von den Worten ›Decrete in Ansehung‹ (oben S. 52, Z. 24) bis zu den die Allgemeine Anmerkung. Von Religionssecten beschließenden Worten ›ist nun der Staat sicherer‹? (oben S. 69, Z. 32)« (AA VII 348).

B. Vorarbeiten zum zweiten Abschnitt 1 Bezeichnung: F 1,1 Text: AA 23 459,12–460,3 Datierung Stark: zwischen Herbst 1795 und Herbst 1797.

Text: AA 23 455,21–459,10 Datierung Stark: zwischen Herbst 1795 und Herbst 1797.

2 Bez.: de Barenton, 2 Text: R. 1471a, in AA 15 650,4–651,25 Datierung Stark: zwischen Herbst 1795 und Herbst 1797.

4 Bez.: Opus Postumum 13,1,1–4 Text: AA 22 619–624 Datierung Stark: zwischen Herbst 1795 und Herbst 1797.

3 Bez.: Kullmann

5 Bez.: Reicke 5,1–4

Verzeichnis der Vorarbeiten Text: Reflexion 8077, in AA 19 604,2–612,23 Datierung Stark: zwischen Herbst 1795 und Herbst 1797. 6 Bez.: Krakau Text: Lehmann, Gerhard / Weyand, Klaus: Ein Reinschriftfragment zu Kants ›Streit der Fakultäten‹. In: Kant-Studien 51, 1959–1960, 3–13; Stark, Werner: Krótkie wyjasnienie historyczne

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odnoscie Frag-mentu krakowskiego [Polnisch = Kurze historische Erläuterung zum ›Krakauer Fragment‹]. In: Immanuel Kant: Spór Fakultetów [Polnische Übersetzung des ›Streit der Fakultäten‹, hrsg. und übersetzt von Miroslaw Zelazny]. Torun / Lubicz 2003, 169–186. Datierung Stark: zwischen Herbst 1795 und Herbst 1797.

C. Vorarbeiten zum dritten Abschnitt 1 Bezeichnung: Kuffner 3 AA 23 464,3–17 [F] 2 Bez.: Bayerer 1992 Eine Vorarbeit Kants zum ›Streit der Fakultäten‹ (Abschnitt III: »Von der Macht des Gemüths,

durch den blossen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu werden«: nebst Notizen für seine Stellungnahme zu J. S. Becks ›Standpunktslehre‹. Edition und Kommentar von W. G. Bayerer, Gießen, 1992 (Diss.).

BIBLIOGRAPHIE

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B. Materialien Materialien zum Streit finden sich vor allem in folgenden Bänden der Akademie-Ausgabe (Berlin 1900 ff.): Reflexionen in den Bänden XV (Anthropologie), XVII, XIX, XX (Logik); Vorlesungsmitschriften in den Bänden XXV, XXVII, XXVIII. Der Briefwechsel Kants findet sich in den Bänden X–XIII (mit einem systematischen Register zu Kant in Band XIII). Zum Briefwechsel vergleiche aber auch die folgenden Publikationen: Kant, Immanuel: Briefwechsel. Auswahl, und Anmerkungen von Otto Schöndörffer, bearbeitet von Rudolf Malter. Mit einer Einleitung von R. Malter und J. Kopper. Hamburg 1986 (Leipzig 1924). Malter, Rudolf: Zu Kants Briefwechsel. Verzeichnis der seit Erscheinen des XXIII. Bandes der Akademie-Ausgabe bekannt gewordenen Briefe von und an Kant. In: Editio 2, 1988, 192–-204. Immanuel Kant in Rede und Gespräch. Hg. und eingeleitet von R. Malter. Hamburg 1990 [= Philosophische Bibliothek Bd. 329].

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C. Zur Rezeption 1. Briefe an Kant Johann Gottfried Karl Kiesewetter, 25. November 1798 (AA XII 265–268; Nr. 827) Carl Friedrich Stäudlin, 9. Dezember 1798 (AA XII 270; Nr. 829) Johann Heinrich Immanuel Lehmann, 1.Januar 1799 (AA XII 273–275; Nr. 832) Gotthilf August Kuhn, 5. März 1799 (AA XII 276–279; Nr. 835) Johann Heinrich Tieftrunk, Halle, 12. März 1799 (AA XIII 510–512; Nr. 864)

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3. Andere Publikationen (Anonymus): Über die Universität zu Königsberg. Ein Nachtrag zu Arnoldt und Goldbeck. Königsberg 1804. (Johann Friedrich Flatt): Magazin für christliche Dogmatik und Moral, Nr. 6, Teil 5. Tübingen 1799. Herder, Johann Gottfried: Vernunft und Sprache. Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft. Mit einer Zugabe betreffend ein kritisches Tribunal aller Facultäten, Regierungen und Geschäfte.

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Zweiter Teil. Leipzig 1799. Der Band ist der zweite Teil von: Verstand und Erfahrung. Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft. Erster Teil. Leipzig 1799. Nicolai, Christoph Friedrich: Über meine gelehrte Bildung, über meine Kenntniß der kritischen Philosophie und meine Schriften dieselbe betreffend, und über die Herren Kant, J. E. Erhard, und Fichte. Berlin und Stettin 1799. Rätze, Johann Gottlieb: Herder gegen Kant oder die Metacritik im Streite mit der Critik der reinen Vernunft. Leipzig 1800. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums (1802) (hg. 1803). Schwab, Johann Christoph: Acht Briefe über Widersprüche und Inconsequenzen in Kants neuesten Schriften. Berlin und Stettin 1799. Stäudlin, Carl Friedrich: Über den Werth der kritischen Philosophie vornämlich in moralischer und religiöser Hinsicht, den Gebrauch und Mißbrauch derselben in den theologischen Wissenschaften und den Geist und die Geschichte des Skeptizismus. Fortsetzung und Beschluß. In: Beiträge zur Philosophie und Geschichte der Religion und Sittenlebre überhaupt […] (hrsg. V. C. F. Stäudlin), Bd. 5. Lübeck 1799, 312378. Wildt, J. C. D.: Über die Anzahl und Rangordnung der Fakultäten auf deutscben Universitäten, und den Begriff einer neuen. In Hannoversches Magazin, 23 (Hannover, 21. 3. 1814), Spalte 353– 364, 369382. Nietzsche, Friedrich: Werke. Kritische Gesamtausgabe, 8 Abt. – 1 Bd.: Nachgelassene Fragmente Herbst 1885 bis Herbst 1887 (Hrsg. v. G. Colli / M. Montinari). Berlin-New York 1974.

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Stark, Werner: Krótkie wyjasnienie historyczne odnoscie Fragmentu krakowskiego [Polnisch = Kurze historische Erläuterung zum ›Krakauer Fragment‹]. In: Immanuel Kant: Spór Fakultetów [Polnische Übersetzung des ›Streit der Fakultäten‹, herausgegeben und übersetzt von Miroslaw Zelazny]. Torun / Lubicz 2003, 169–186. Verra, Valerio: La rivoluzione francese nel pensiero tedesco dell’epoca. In: Filosofia 20 (1969), 411–440. Verra, Valerio: Critica e rivoluzione: K. L. Reinhold. In: Intersezioni 9 (1989), 141–150. Vorländer, Karl: Einleitung zu: I. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, hrsg. und mit einer Einleitung sowie einem Personen und Sachregister versehen von K. Vorländer. Leipzig 1919, IX–XCII.

PERSONENREGISTER

Abraham, 70 A, 71 A, 72 A, 75 A Allais, Denis Vairasse d’ (ca. 1630-1672), 105 A Baumgarten, Alexander Gottlieb (1714–1762), 8 Bendavid, Lazarus (1762–1832), 59 Bengel, Johann Albrecht (1687– 1752), 71 A Blumenbach, Johann Friedrich (1752–1840), 101 Bossuet, Jacques Benigne (1627– 1704), 70 A Breitkopf, Johann Gottlob Immanuel (1719–1794), 131 Büsching, Anton Friedrich (1724–1793), 106 Camper, Petrus (1722–1789), 101 Cicero, Marcus Tullius (116–43 v. Chr.), 40, 121 Coyer, Gabriel François (1707– 1782), 94 Coste, Pierre (1697–1757), 70 A Cromwell, Oliver (1599-1658), 105 A Didot (Familie), 131 Erhard, Johann Benjamin (1766–1827), 99

Francke, August Hermann (1663–1727), 62 Frank, Johann Georg (1705– 1784), 71 A Friedrich Wilhelm II. (1744– 1797), 5, 6 Hamann, Johann Georg (1730– 1788), 62 Harrington, James (1611– 1677), 105 A Hufeland, Christoph Martin (1762–1836), 14, 109, 111 Hume, David (1711–1776), 107 La Coste siehe Coste, Pierre Lichtenberg, Georg Christoph (1744–1799), 126 A Lucas, 43 Lukian von Samosata (Verfasser d. Peregrinus Proteus) (ca. 120nach 180), 53 A Mendelssohn, Moses (1729– 1786), 58 A Michaelis, Johann David (1717– 1791), 9 More, Thomas (1478–1535), 105 A Nicolai, Christoph Friedrich (1733–1811), 64 A Paul, Apostel, 44, 76

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Personenregister

Petau, Denis (1583–1652), 71 A Platon (427–348 [?] v. Chr.) 105 A Postel, Guilleaume (1510–1581), 41 A Postellus siehe Postel Reil, Johann Christian (1759–1813), 85 Spener, Philipp Jacob (1635– 1705), 62

Stäudlin, Carl Friedrich (1761– 1826), 4 Swedenborg, Emanuel (1688– 1772), 50 Willmans, Carl Arnold (1772– 1848), 79 A Woellner, Christoph (1732– 1800), 7 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von (1700–1760), 62

SACHREGISTER

Abderitismus 91ff.; Von der Hypothese des A. des Menschengeschlechts zur Vorherbestimmung seiner Geschichte 93 Aberglaube 31, 45, 73, 75 Anm. Absicht, landesväterliche A. des Königs 6ff.; 5, praktische, moralische 42 f., 45, 73, 76, 78, 101; pragmatische 76, rechtliche 105 Anm. Achtung, gegen das Alter 112 Adiaphora 43, 51 Affekt, Enthusiasmus als 98; bis zum Wahnsinn exaltierter 112 Alarmisten 74 Allegorie, das Alte Testament als A. 50 Alter 112, 114, 116, 122, 123 Analogie 99 Anm. Anarchie 23, 36 Anm. Angewohnheit 122, 126 Anm.; Von den Folgen dieser Angewohnheit des Atemziehens mit geschlossenen Lippen 127–128 Angriffskrieg 97, 106 Anlage 92; moralische 47, 61, 63, 66f., 79, 92–97, 100, 109; physische 93; natürliche A. zur Hypochondrie 117 Anthropologie 98 Antichrist 90 Appetit 121f. Ärzte 16, 28, 32, 33; 107, 110

und Anm. 117, 118, 119, 121, 126; im Gegensatz zu den Afterärzten 26; Astrologie 15 Anm. Atemziehen, Von der Hebung und Verhütung krankhafter Zufälle durch den Vorsatz im Atemziehen 125–127; Von den Folgen dieser Angewohnheit des Atemziehens mit geschlossenen Lippen 127–128 Aufklärer 101 Auferstehung 42ff. Auflösung, des Staats 90 Aufmerksamkeit 117ff., 121, 124, 126 f. Augen 131f. und Anm. Auslegung, und Vernunft 23, 44, 69; historich-kritische im Gegensatz zu der grammatischkritischen A. 40; doktrinale A. im Gegensatz zur biblischen Auslegungskunst 76f.; Philosophische Grundsätze der Schriftauslegung zu Beilegung des Streits 41–49; Einwürfe und Beantwortung derselben, die Grundsätze der Schriftauslegung betreffend 49–53 Auslegungskunst 40, biblische 75f.; jüdische 75 Anm. Auslegungsregeln 49f. Autonomie der Universität 15; der Vernunft 27

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Sachregister

Autorität und Fakultäten 21– 26, 37; des Kirchenglaubens 56; der Orthodoxie 68 Bedürfnis der Regierung 20; Befriedigung des uns gefühlten B. 52; rechtliches B. des Staats 102; der Schlaf als 119; natürliches 122 Begebenheit 90, 95f., 99f.; Von einer B. unserer Zeit, welche diese moralische Tendenz des Menschengeschlechts beweiset 96–99 Beispiel, Gott als 42; die Gott wohlgefällige Menschheit als heiliges 47; Lehre und B. Christi 67; der Anwendung der praktischen Vernunftprinzipien 79; respublica Phaenomenon als B. in der Erfahrung 103; das Alter als 112 Bekehrungslehre 60f. Beobachtung, der moralischen Gesetze 66; seiner selbst 110 und Anm., 120; der Pflicht 112 Beratung des Machthabenden (der Regierung) im Gegensatz zur Machthabung 37 Besessene, als dämonische Leute 40, 44 Bessere, das, Fortschreiten zum 89, 91f., 95 f.; Fortrücken zum 95; Fortschritt zum 98; Erneuerte Frage: Ob das menschliche Geschlecht im Beständigen Fortschreiten zum B. sei? 89–107; Durch Erfahrung unmittelbar ist die Aufgabe des Fortschreitens nicht aufzulösen 93–95; Von der Schwierigkeit

der auf das Fortrschreiten zum Weltbesten angelegten Maximen, in Ansehung ihrer Publizität 101ff.; Welchen Ertrag wird der Fortschritts zum B. dem Menschengeschlecht abwerfen? 104f.; In welcher Ordnung allein kann der Fortschritt zum B. erwartet werden 105ff.; Besserung, moralische, sittliche 39, 60f., 67f. und Anm., 77f. Bestimmung, moralische 41, 47, 91 Beweis, historischer 48; der B. einer übernatürlichen Erfahrung ist unmöglich 65; moralischer B. für das Dasein Gottes 85; der Unzufriedenheit des Volks mit seiner eigenen Verfassung 97 Anm. Beweisgrund, historischer 9, 79; eines moralischen Glaubens des künftigen Lebens 43 Bewunderung, die moralische Anlage in uns ist Gegenstand der höchsten B. 66 Bewußtsein, der Notwendigkeit der Glaubenssätze 54f., der Freiheit 57; eines continuierlichen Umganges mit einem himmlischen Geiste 63; eines mit Freiheit begabten Wesens 99 Anm.; der körperlichen Lage 119; Einheit des B. verbundener Vorstellungen 128f. Bibel, als das beste Leitmittel der öffentlichen Religionsunterweisung 10; Bibel und Mystizismus 85f.; im Gegensatz zur Vernunft 21, 38; als Mittel

Sachregister der Einführung der Religion unter Menschen und der Stiftung einer Kirche 48, 49; ihr übernatürlicher Ursprung 48; Wirkung und Einfluß der Bibel als Christentum 65; ihre Autentizität 69ff.; ihre Göttlichkeit 69ff.; ihr Ursprung 69ff.; B. und Weltgeschichte 70; als Buch des Bundes Gottes mit Abraham 70; praktische Benutzung der B. 78f.; paraphrastische Behandlung der B. im Gegensatz zur paränetischen 78; Anhang biblisch-historischer Fragen, über die praktische Benutzung und mutmaßliche Zeit der Fortdauer dieses heiligen Buchs 78f. siehe Kirchenglaube im Gegensatz zu dem Religionsglauben, Schriftauslegung Böse, das, Ursprung des 10; Übergang vom B. zum Guten 10; Auflösung des Problems, aus bösen Menschen gute zu machen (nach Pietismus und Moravianimus) 61ff.; sein Verhältnis zu dem Guten in der moralischen Anlage der Menschen 92ff. Buchstaben, nach den B. genommen 41; dem B. nach 44; im Gegensatz zu Geist 73 Charakter, der Gattung 93; moralischer Ch. des Menschengeschlechts im Ganzen 96 Chiliasmus 91 Chirurgie 113 Christentum, Entstellung und

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Herabwürdigung des Chr. 6f.; Beurteilung des Chr. in Akademischen Vorlesungen 8; kein Titel von Chr. ist in den Handbücher Baumgartens enthalten 8; die Schrift Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft enthält weder eine Würdigung noch eine Abwürdigung des Chr., sondern die These der Zusammenstimmung desselben mit dem reinsten moralischen Vernunftglauben 9; als die schicklichste Form der sinnlichen Vorstellungsart des göttlichen Willens, um ihm Einfluß auf die Gemüter zu verschaffen 38; im Gegensatz zur naturalistichen Religion 48; als die Idee von der Religion, die überhaupt auf Vernunft gegründet, und so fern natürlich sein muß 48; als natürliche Religion 49; was ist Chr.? 53–59; Chr. und Sekten 53–59; Chr. und Heidentum 54–58; Verhältnis der Katholiken und Protestanten zum Chr. 58; Chr. und Judentum 58f. und Anm.; was ist zu tun damit der Religionsglaube zugleich bessere Menschen mache? 60–67; inneres Chr. 85–86 Christus, seine Auferstehung 42 f.; als vollkommener Mensch 43; sein Geist 67; Chr. und Christen 53 Anm.; Chr. und Christianer 53 Anm.; seine Geburt 71f. Anm. Denken, das, Freiheit im D. 5; als Lernen oder Ausdenken

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Sachregister

123; ein Festhalten eines Begriffs (der Einheit des Bewußtseins verbundener Vorstellungen) 128; Von dem krankhaften Gefühl aus der U. im Denken 123–124 Denkungsart, moralische 79; der Zuschauer 96 Diätetik 122; als Kunst, Krankheiten abzuhalten 110, 113; im Gegensatz zu der Therapeutik 111; Grundsatz der 113; Dreieinigkeitslehre 41 Ehrbegriff 98 Eifer 98 Eigennutz 98 Einbildungskraft, mystisch-gestimmte E. 62; dichtende, unwillkürliches Spiel der 116f.; freies Spiel der 124 und Anm.; Empirism, in Glaubenssachen 55 Enthusiasm 97f. und Anm. Epizyklen 94 Erfahrung, Gegenstand der E. und Vernunftidee 19, und heiliges Buch 24f., und Offenbarung 50f.; übersinnliche 52; übernatürliche 65; übernatürliche E. als Ausdeutung gewisser Empfindungen 65; der Mensch als Gegenstand der E. 66; und Mittel der Ausführung (technisch) 110; anderer im Gegensatz zu der an sich selbst angestellten 110; und Selbstbewußtsein 110; gemeine 110; eigene 110 Anm.; an mir selbst 114; Durch Erfahrung unmittelbar ist die Aufgabe des Fort-

schreitens nicht aufzulösen 93–95; An irgend eine Erfahrung muß doch die wahrsagende Geschichte des Menschengeschlechts angeknüpft werden 95f. Erdbeschreibung 28 Ergebung, bloß passive an eine äußere, in uns Heiligkeit wirkende Macht 47 Erkenntnis, empirische, historische im Gegensatz zur Vernunfterkenntis 28, 79; theoretische-biblische 40 Erscheinung, Verstoß des Schriftglaubens wider die Vernunftmaxime in Beurteilung physischer E. 44; E. Gottes als Täuschung 72; als Gegenstände unserer Sinne und unseres Verstandes 82; des Antichrists 90; unsere Handlungen als E. 104 Essen, Vom Essen und Trinken 121–123 Eudämonismus 91f. Evangelium 59f. Evolution im Gegensatz zur Revolution 99, 106 Existenz aktive E. 80; das Leben ist physisches Anerkennen seiner Existenz in der Welt 82; animalische E. im Gegensatz zur bürgerlichen 130 Experiment, der Revolution 96; inneres E. 110 Ewigkeit 41ff. Fakultät, Die F. sind frei nach ihrem besten Wissen und Gewissen zu urteilen 8; die F. qualifizieren sich zur Prüfung und Berichtigung 8; die theologi-

Sachregister sche und philosophische F. 8; die Juristenfakultät 11; Das Werk Der Streit der F. als systematische Einheit 12; Freiheit der philosophischen F. 19, 22, 29f., 33; die philosophische F. als Magd der theologischen 28; die untere F. muss die obere werden 37; Auslegungsregeln als Urteile der unteren, philosophischen F. 49; Begierde zu herrschen der oberen F. 35; Streit der theologischen mit der philosophischen F. über die Schwierigkeiten der Auslegungskunst der Bibel 38 ff.; die theologische F. ist für die theoretische biblische Erkenntnis vorzüglich besorgt 40; die philosophische F. sieht mehr aufs Praktische, d. i. mehr auf Religion als auf Kirchenglauben 40; Der Streit der philosophischen F. mit der theologischen 15–87; Einteilung der F. überhaupt 17–19; Vom Verhältnisse der F. 19–37; Begriff und Einteilung der oberen F. 19–26; Eigentümlichkeit der theologischen F. 22–23; Eigentümlichkeit der juristischen F. 23–25; Eigentümlichkeit der medizinischen F. 25–26; Begriff und Einteilung der unteren F. 26–29; Vom gesetzwidrigen Streit der oberen F. mit der unteren 29–33; Vom gesetzmäßigen Streit der oberen F. mir der unteren 33–37; Anhang einer Erläuterung des Streits der F. durch das Beispiel desjenigen

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zwischen der theologischen und der philosophischen 38–87; Der Streit der philosophischen F. mit der juristischen 89–107; Der Streit der philosophischen F. mit der medizinischen 109–132 Fortschreiten siehe Bessere, das Freiheit, im Denken 5; der philosophischen Fakultät 19, 22, 29f., 33; das Gelehrte Mein und Dein besteht aus F. und Eigentum 37; im Gegensatz zur Natur 80–85; im Gegensatz zu der Gnadenwahl 44; Vernunftglaube und Bewußtsein der F. 56f.; der Auslegung 76f.; des Subjekts 92, mit F. begabte Wesen 95, 98 Anm.; Vereinigung von Natur und F. 100; F. der Philosophen und Staat 101f.; des Parlaments 102; Freiheitsgesetze einer bürgerlichen Gesellschaft 103f. Friedens-Abschluß, und Beilegung des Streits der Fakultäten 69–77 Fürwahrhalten, das, 27, 51; theoretisches F. 45 Ganze, das, im Gegensatz zum Gattungsbegriff 89 Gattung 93, 94; physische Anlage der 93 Gattungsbegriff, im Gegensatz zum Ganzen 89 Gebet und Glauben 12, 63, 68 Anm. Gebote, göttliche 23, 38, 54, 73, 85 Gedächtnis 128f.

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Sachregister

Gefühl der Göttlichkeit 22; frommes G. eines übernatürlichen Einflusses 34; das G. auf Begriffe zu bringen 34; zwei Sekten des G. übernatürlicher Einflüsse 61; G. von herzzermalmender Art 61; G. von herzzerschmelzender Art 61; schwärmerisches G. 67; G. der Übel 94; krankhaftes G. 109f., 116, 119, 123f.; G. des Lebens 112; im Gegensatz zu dem Urteil des Verstandes 113; sinnliches G. 113; G. der Kraft 115; unangenehmes G. 115; inneres G. 117; vgl. auch 113, 118, 119, 125 Anm., 128; Von dem krankhaften Gefühl aus der U. im Denken 123–124 Gefühlglaube, Sekten des 67 Gefühlstheorie, siehe Pietismus und Moravianismus Geheimnis, der dreifachen Persönlichkeit Gottes 22; der Menschenwerdung Christi 42 Geist, menschlicher 5; die symbolischen Bücher als vollständiger Auszug des G. des Gesetzbuches 21; einer philosophischen Fakultät 34; Christi 67; Gottes 61, 79; böser und guter 63f.; heiliger 75 Anm.; des Republikanisms 99 Anm.; der Freiheitsgesetze 104; der Philosophie 110 Geistesgegenwart 129 Geistlicher 5, 16, 28, 32, 90 Gelehrsamkeit 22, 27, 30; Werkkundige der G. 16; historische G. im Gegensatz zur Vernunft 49

Gelehrter 15, 19, 20, 29, 31, 32, 123; Arzneigelehrter 21; historischer G. und Kirchenglaube 49 Gemächlichkeit 31, 113; Verwöhnungen der 114 Gemüt, Von der Macht des Gemüts durch den bloßen Vorsatz über seine krankhaften Gefühle Meister zu sein 109–132 Geschäftsleute 16, 25ff., 31, 35ff.; siehe Gelehrsamkeit, Werkkundige der Geschicklichkeit 110, 113 Geschichte gehört zur historischen Erkenntnis 28; heilige 79; als a priori möglich 90; vorhersagende 89; wahrsagende G. der Menschheit 89, 95, 99ff.; weissagende 89; die innere G. des Gedankenspiels hat keine objektive, sondern nur eine subjektive Wichtigkeit 111; die innere G. als ein Aufmerken auf sich selbst 111; die aus der inneren G. hervorgehende Wahrnehmung 111; die innere G. unterhält andere mit Privatempfindungen des Subjekts 110; Von der Hypothese des Abderitisms des M. zur Vorherbestimmung seiner G. 93; An irgend eine Erfahrung muß doch die wahrsagende Geschichte des Menschengeschlechts angeknüpft werden 95f. Geschichtserzählung und Religion 43f.; Authentizität der biblischen G. 70, 74; wahrsagende G. des Bevorstehenden

Sachregister in der künftigen Zeit 90; als a priori mögliche Darstellung der Begebenheiten,die da kommen sollen 90 Geschichtsglaube 39, 69, 70, 74, 76, 77 Geschichtszeichen 95 Geschlecht menschlicher 89, 91, 92; 96, 99; ihr Fortschreiten zum Besseren 89; Naturanlage des menschlichen 93; Anlage des menschlichen 94 Gesellschaft, bürgerliche 103 ff.; weltbürgerliche 105 Gesetzbuch siehe Bibel Gesetzgebung der Vernunft im Gegensatz zur G. der Regierung 27; geistliche oder weltliche 29; G. der Vernunft als Religion 38 Gesetz, der Sicherung des Mein und Dein 23; im Gegensatz zu Verordnungen (Edikt) 26; G., die aus der Willkür eines andern ausfließen (Statute) im Gegensatz zu den inneren G., die sich aus jeden Menschen eigener Vernunft entwickeln lassen 38; heiliges G. 47; im Gegensatz zu den Gebräuchen 56; Vernunft und moralischer gesetz nach dem Moravianismus 63; der Mensch als den moralischen G. unterworfenes Wesen 66; den moralischen Gesetzen zu gehorchen liegt objektiv in der natürlichen Ordnung der Dinge als Objekte der reinen Vernunft 66; moralische G. und gemeiner, gesunder Verstand 66; G. der reinen und

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a priori erkennbaren Vernunftreligion im Gegensatz zu den statutarischen Glaubensvorschriften 69; moralischer G. und Stimme Gottes 72; vgl. 83ff.; G. nach allgeimeinen Rechtsprinzipien 100; G. einer mit dem natürlichen Rechte der Menschen zusammenstimmenden Konstitution 103 Gesinnung und göttliche Mitwirkung 47f.; moralische, praktische G. 52, 56, 77, 91; und Heidentum 55f., 58; 79; moralische Besserung der G. 68 Anm.; Gesundheit, als Heil des Volks 30; und langes Leben 30; als der zweite natürliche Wunsch des Menschen 112; 113 Gewissen, strenge richtender 47, Urteil des 68 Anm. Gewohnheit 125 Anm. f. Glaube und Vernunft 11, 41, 43f., 54f.; und Gebet 12; und Gnade 23; historischer G. im Gegensatz zum moralischen, praktischen G. 43f., 45, 69; historischer G. im Gegensatz zur wesentlichen Pflicht 91; G. an offenbarte Schriftlehren 45; verstattet keinen Imperativ 45; Verdienst des G. 45; als theoretisches Fürwahrhalten kein Stück der Religion 45; G. aus Furcht und Hoffnung 45; G. an eine uns unbekannte Ergänzungsart der Mangel unserer eigenen Gerechtigkeit 47, 52; empirischer G. 52; messianischer G. 59; G. an Wunder 65;

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Sachregister

G. G. und Staat 68 Anm.; G. und Angst 68 Anm.; G. und Gebet 68 Anm.; der biblischer G. ist ein messianischer Geschichtsglaube 70; dem biblischen G. liegt ein Buch des Bundes Gottes mit Abraham zum Grunde 70; der biblische G. besteht aus einem mosaischmessianischen und einem evangelisch-messianischen Kirchenglauben 70 Glaubensartikel 10, 46 Glaubensarten verschiedene G. 38; kirchliche G. 57; als Formen der sinnlichen Vorstellungsart des göttlichen Willens 38; und Synkretisten 57 Glaubensfreiheit 58, und Verbot der Prüfung 75 Glaubenslehre als das Wesentliche einer Religion 9; im Gegensatz zur Offenbarung als an sich zufaällige G. 10; der Judaism als G. 40; das Tun muß allen biblischen G. untergelegt werden 45; 48; Einteilung einer G. in Sekten 54; staturatische G. im Gegensatz zur wesentlichen R. 55; G. der Protestanten 56; biblische G. und Kritizism 67; statutarische G. 68 Anm.; die Bibel als Text einer systematischen G. 73 Glaubenssachen, auf ein gewisses Gefühl der Göttlichkeit gegründet 22, Empirism im Gegensatz zum Rationalism in G. 54 f., 59 Glaubenssätze, ihr moralischer Sinn 41, in praktischer (morali-

scher Absicht) 45; statutarische G. im Gegensatz zu den moralischen G. 54f. Glaubensvorschriften 69 Glückseligkeit der künftigen Welt 20; Natur als Prinzip der Beförderung der G. im Gegensatz zur reinen Sittlichkeit 46; und Wohltätigkeit der Regierung 98 Anm. Gnade 44ff., 62ff.; im Gegensatz zur Tugend 23; im Gegensatz zum Verdienst 47; als die in uns liegende unbegreifliche moralische Anlage 46; als das Prinzip der reinen Sittlichkeit 46; im Gegensatz zur Natur des Menschen als Glückseligkeit 46; als Natur des Menschen 46f.; eines Oberen 52; Gnadenwahl, Lehre von der 44 siehe Gnade Gott, als Weltrichter 11; als Herzenskündiger 11; als Gesetzgeber 21, 32, 52; in der Theologie 22f.; Gefühl der Göttlichkeit 22; 47; Geheimnis seiner dreifachen Persönlichkeit 22; G. in der Moral und in der Religion 38; in mehreren Personen (Hypostasen) 41; der Gottmensch 41f., 42 Anm., 47; sein Wille 51; der G. in uns selbst als Ausleger 53; G. redet mit uns durch unseren eigenen Verstand und unsere eigene Vernunft 53; die Göttlichkeit einer Lehre kann nur durch reine-moralische und untrügliche Begriffe unserer Vernunft erkannt werden 53; G. und

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Heidentum 54; Mendelssohn über G. 58 Anm. f.; Gott in der Mystik 61ff.; G. und die Authentizität der Bibel 69ff.; Wilmans über G. 84ff. Gottesgelehrte 44 Gram 11, 62 Grillenkrankheit siehe Hypochondrie Grundsätze der naturalistischen Religion 48; G. der Diätetik 113; diätetischer 122; philosophische G. der Schriftauslegerei 40; philosophische G. der Schriftauslegung 41–53; moralische, sittliche G. 44, 91, 97, 99 Gute, das, Übergang vom Bösen zum G. 10; Gewissheit des Menschen im Zustand des G. zu sein 10; Antrieb zum G. 47; Hoffnung der Entwickelung des G. 47; Auflösung des Problems, aus bösen Menschen gute zu machen (nach Pietismus und Moravianimus) 61ff.; sein Verhältnis zu dem Guten in der moralischen Anlage der Menschen 92ff.; Masse des G. 92; Quantum des G. 92; Fond des G. 92; Bahn des G. 92, 93; Teilnehmung am G. 98 siehe Böse, das

steht darin, das Äußerliche (Außerwesentliche) der Religion für wesentlich auszugeben 55 Heilkunde 110, 113 Heilmethode 21 Herz, ein das H. inniglich umwandelndes Glauben 23; Beantwortung der Frage: wie es der Lehrer des Christentums anzufangen habe, damit ein solches in den H. der Menschen wirklich angetroffen werde? 60–67; die Wirkung der Bibel auf das H. und ihre Authentizität 69ff.; und Diätetik 114; und Hypochondrie 117 Himmelsfahrtsgeschichte 42 Hoffnung, der Entwickelung des Guten 47, der Seligkeit 48; sanguinische H. des Eudämonisms 92; H. des Fortschreitens zum Besseren 106 Humanistik 28 Husten 125 Hypochondrie 116, 123 Hypostase 41 Hypothese, des Pietismus 62; Von der H. des Abderitisms des Menschengeschlechts zur Vorherbestimmung seiner Geschichte 93, Kopernikanische 94

Handlungen, Zurechnung der H. und Gnadenwahl 44, 47; Wilmans über H. 80ff.; Vorhersagung freier H. 94 f.; pflichtmäßige H. 104 Heidentum im Gegensatz zur Religion 54ff. und Anm.; be-

Ich, das 110 und Anm.; im Gegensatz zu dem Wir 110 Anm.; Ideal der übersinnliche Mensch als I. 66; die Idee einer mit dem natürlichen Rechte des Menschen zusammenstimmenden

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Konstitution als platonisches Ideal 103 Idee von Gott 38; der Menschheit 41, 42 Anm., 66; einer philosophischen Auslegung 48; der Idee nach 97; das Recht ist nur eine I. 99 Anm. Illuminatism 50 Instinkt 81 Interesse, der Wissenschaft, wissenschaftlich 19, der Vernunft 33, der Philosophie 115 Jakobinerei 97 Anm. Judaism 40 Juden 43, 56 Anm., 58f. Judenbekehrung 58 und Anm. Judenchristen 48 Judentum, und Christentum 53, 58f. Jüngster Tag 92 Kalkul, der Wahrscheinlichkeit 95 Kanon, im Gegensatz zum Organon, oder Vehikel 21, 38, 78 Kausalität 95; kann nicht gefühlt werden 113 Kindespflicht 112 Kirchenglaube 23, beruht auf Statuten 38; im Gegenstaz zum Religionsglauben 39, 49, 51, 54, 56, 57; als Vehikel des Religionsglaubens 46; und historische Gelehrsamkeit 49; es kann in ihm eine Sektenverschiedenheit geben 53; gründet sich auf die Bibel oder auch auf die Tradition 53; als Inbegriff bloß statutarischer Glaubenssätze 54; hat weder Allgemeinheit noch

Notwendigkeit 55; der bloße K. als Quelle unendlich vieler Sekten 55; hat eine gewisse Beimischung von Heidentum 55; und Separatism 57; und Sektierer 57; und Synkretisten 57; und Kirchensekten 58; als Mittel der Regierung 67ff., 78; mosaisch-messianischer 70; evangelisch-messianischer 70; römisch-katholische System des 70 Anm.; protestantischer System des 70 Anm.; Konstitution, monarchische 97 Anm.; 102f. Körper 42, 82, 116 Krankheit 112, als Ursache eines natürlichen Tods 113, 114 Krieg, als Quell aller Übel und Verderbnis der Sitten 97, 103ff. Kritik 28, der reinen Vernunft 79f. Kritizism, der praktischen Vernunft 67; im Gegensatz zum Orthodoxism 67; im Gegensatz zum Mystizism 67; wahre Religionslehre ist auf dem K. der praktischen Vernunft gegründet 67 Kultur, moralische 109 Kunst siehe Diätetik, Therapeutik Landesreligion, öffentliche 8ff. Landesherrschaft, ihr Verhältnis zur Landesreligion und zur Regierung 8ff. Landrecht, im Gegensatz zum Naturrecht 21 Leben, ewiges, künftiges 39, 42 ff.; 82, 95, 109

Sachregister Lebensannehmlichkeit 98 Anm. Lebensgefühl 118 Lebenskraft, erlöschen der L. aus Mangel der Übung 113 Lebensorgane 125 Anm. Lebenswandel, Regeln für das 41; dem heiligen Beispiel ähnlicher 47; guter Lebenswandel 51; Gott wohlgefälliger L. als die einzige Bedingung der Hoffnunf der Seligkeit 48; Wilmans über den L. 86 Legalität 104 Lukubrieren 124 Macht, äußere, in uns Heiligkeit wirkende 47; des Gemüts 109, 110; der Vernunft 113; des Vorsatzes 127 Machthabung im Gegensatz zur Beratung des Machthabenden (der Regierung) 37 Mathematik, reine 28 Mathematiker als Philosoph 115, im Gegensatz zu dem Philosophen 129 Medizin 122 Medizinalordnung im Gegensatz zur Physik des menschlichen Körpers 21; und medizinische Polizei 26 Mensch 42 Anm., der neue M. als Folge der Bekehrung 60, 63; der übersinnliche M. in uns 66; der übersinnliche M. im Gegensatz zu dem sinnlichen 66; der übersinnliche M. als Gegenstand der höchsten Bewunderung 66; Auflösung des Problems des neuen M. 67; der M.

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als Schöpfer 80; 94, 95, 96, 99 und Anm.; seine Bestimmung 47; Naturgeschichte des 89; Sittengeschichte der 89; wie sie sind im Gegesatz zu wie sie sein sollten 90; wohldenkender 96; ganzer, auch physischer 109; die zwei Wünsche des 111 Menschengeschichte der künftigen Zeit 89; vorhersagende im Gegensatz zu wahrsagender und weissangender 89; terroristiche Vorstellungsart der 92; eudämonistische Vorstellungsart der 92; weissagende 92; Von der terroristischen Vorstellungsart der M. 92; Von der eudämonistischen Vorstellungsart der M. 92f.; Von der Hypothese des Abderitisms des M. zur Vorherbestimmung seiner Geschichte 93 Menschengeschlecht 93ff. Charakter des 96; Von der Hypothese des Abderitisms des M. zur Vorherbestimmung seiner Geschichte 93; Welchen Ertrag wird der Fortschritts zum B. dem Menschengeschlecht abwerfen? 104f. Menschenwerdung, einer Person der Gottheit 41 Menschheit, das Abstraktum der 42 Anm.; Gott wohlgefällige 47; Idee der M. im Gegensatz zu dem Menschen als Gegenstand der Erfahrung 66, wahrsagende Geschichte der 99 Metamorphose, moralische M. des Menschen 62; siehe Pietism und Moravianism

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Sachregister

Metaphysik, der Natur und der Sitten 28; und Logik 129; ohne Metaphysik kann es keine Philosophie geben 130 Metaphysiker 129 Monarchie 100, 102ff. Moral 38, 44, 66, 75 Anm., Wilmans über M. 86 Moralische, das, 73, 75 Anm., 91, 98f., 106 Moralität 51, 54, 64 Anm., 68 Anm., 72, 80, 83 f., 99 Anm., 109 Moravianism, im Gegensatz zu dem Pietism 62; nach der Meinung des M. geschieht der erste Schritt zum Besseren durch die Vernunft, seine Ausführung ist jedoch ein Wunder 63; mystische Gefühlstheorie des M. 63 Motion 124 Anm.; 126 Anm. Mystizism, im Gegensatz zu Orthodoxism 61; im Gegensatz zu Orthodoxism und Kritizismus 67; M. und Regierung 68f. Mystik, 50; Anhang von einer reinen M. in der Religion 79–87 Mystiker 74, 85f. Natur, zweite im Menschen 42; göttliche 44; als das im Menschen herrschende Prinzip der Beförderung seiner Glückseligkeit 46; (in praktischer Bedeutung) als das Vermögen, aus eigenen Kräften überhaupt gewisse Zwecke auszurichten 46, siehe Gnade; menschliche 47; als Erdenwelt 80; unsere 92;

der Verfassung eines Volks 97; 115 Naturalism, als Kirchenglauben ohne Bibel 68 Naturanlage 93 Naturgeschichte des Menschen 89 Naturgesetz 89, 94 Naturinstinkt 20, 122; im Gegensatz zur Vernunft 111 Naturkunde 28 Naturrecht, im Gegensatz zum Landrecht 21 Naturrevolution 96 Naturwissenschaft 82 Neigung, im Gegensatz zur Pflicht 30, 32 Neologen (Neuerer) 36 Anm. Nervensystem 114 Nützlichkeit, der oberen Fakultäten im Gegensatz zur Wahrheit der philosophischen Fakultät 27, 99 Anm. Offenbarung, Religion aus bloßer Vernunft (ohne O.) 6 Anm.; als an sich zufällige Glaubenslehre 9f., 48; als historische Erkenntnis 34; göttliche 38f., 48ff., 71ff. Offenbarungslehre 9, 45, 50, 54, 60, 65 Ordnung, In welcher O. allein kann der Fortschritt zum Besseren erwartet werden 105ff.; Organon im Gegensatz zu Kanon 21, 38 Orthodoxie, und Christentum 65; biblische O. im Gegensatz zum Orthodoxism 68 Orthodoxism im Gegensatz

Sachregister zum Supernaturalism 61; im Gegensatz zum Mystizism und Kritizismus 67; O. und Regierung 68; im Gegensatz zur Orthodoxie 68 Paganismus 56 Anm. Pfaffentum 56, 68 Pflege, sorgfältige P. des nicht Kranken 114 Pflicht, Übertretung der 7, 68; als übersinnliches Prinzip 46; wesentliche P. im Gegensatz zum historichen Glauben 91; P., das Alter zu ehren 112; der philosophischen Fakultät 33; im Gegensatz zu den Neigungen 32; in der Moral und in der Religion 38; vgl. 52, 99, 104, 110 und Anm. Philosoph 29, 31, 115; im Gegensatz zu dem Vernunftkünstler 109 Philosophieren 115 Philosophie 6, 9, 50, 115 die Handbücher Baumgartens enthalten bloße Ph. 8; 23, reine 28; 40; keine Wissenschaft der Vorstellungen, Begriffe und Ideen 79; keine Wissenschaft aller Wissenschaften 79; als Wissenschaft des Menschen, seines Vorstellens, Denkens und Handelns 80; sie soll den Menschen sowohl nach seinen Naturbestimmungen, als auch nach seinem Moralitäts- und Freiheitsverhältnis darstellen 80; und moralischer Sinn der Schriftstellen 50; moralisch-praktische 110; Vermögen der 110; Geist

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der 110; praktische 113; reine (Logik und Metaphzysik) 129; ohne Metapysik kann es keine P. geben 130 Physik des menschlichen Körpers im Gegensatz zur Medizinalordnung 21 Pietism, im Gegensatz zu dem Moravianism 62; nach der Hypothese des P. geschieht die Scheidung des Guten vom Bösen durch die Buße 62; mystische Gefühlstheorie des P. 63 Possenspiel 93 Praktische, das 41, 42 Prädestination als Privatmeinung des Paulus 44; als mit der Lehre von der Freiheit, der Zurechnung der Handlungen und so mit der ganzen Moral unvereinbar 44; bei den Türken 118 Publizität Von der Schwierigkeit der auf das Fortrschreiten zum Weltbesten angelegten Maximen, in Ansehung ihrer Publizität 101ff.; Quäker 86 Rationalism in Glaubenssachen 55 Recht 35ff., 59, 96ff. Rechtsbegriff 98 Rechstbehauptung, 98 Anm. Rechtsprinzipien 100 Regierung 5, 9, 16ff., 21ff., 32ff., 56ff., 90, 97f. Regierungsart 100 Regierungsform 36 Reich, Gottes 78, 85; der Sinne

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Sachregister

und des Verstandes 81, 85; der Sitten 81; moralisches R. 85 Religion, aus bloßer Vernunft (ohne Offenbarung) 6 Anm.; Text der R. 6 Anm. siehe Bibel; R. innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft 6ff.; natürliche 9; reine Vernunftlehren der 9; das Wesentliche einer R. 9; als Staatsbedürfnis 12; und Moral 38ff.; und Vernunft 38ff.; und Bibel 38ff.; und Offenbarung 38ff.; eine einzige R. 38; sinnliches Vehikel der R. 39; innere R. 40; naturalistische R. im Gegensatz zum Christentum 48; naturalistische R. im Gegensatz zur übernatürlichen Offenbarung 48; Christentum als natürliche R. 49; ist a priori, wenigstens in praktischer Absicht, gewiß 52; in der R. kann es keine Sektenverschiedenheit geben 53; ist einig, allgemein und notwendig, mithin unveränderlich 53; Artikel der R. 53; Vehikel der R. 53; im Gegensatz zum Heidentum 54; und Moralität 54; als unsichtbare Kirche 58; Objekt und Zweck aller R. 63; als Erkenntnis und Gefühl 85; und philologischantiquarische Kenntnisse 78; Allgemeine Anmerkung. Von Religionssekten 53–69; Anhang von einer reinen Mystik in der R. 79–97 Religionsedikt 5, als Diktatur 77 Religionsglaube 8, im Gegensatz zum Kirchenglaube 38f.,

48f., 51; 54ff.; R. und Sekten 53ff.; was zu tun ist, damit der R. bessere Menschen mache 60ff. Religionslehre 49, 55, 67, 76, 86 Religionssekten, Allgemeine Anmerkung. Von R. 53–69; im Gegensatz zu den Kirchensekten 60; siehe auch Kirchenglaube Republikanisieren, das 97 Anm. Republikanism, 99 Anm. Reskript 6 Reue 12; R. und Zerknirschung 11; R. und Gram 11; Widersprüchlichkeit der R. nach pietistischem Zuschnitte 12; siehe Buße Revolution, die Bekehrung als R. 64, 67; eines Volks 96–97; 97 Anm.; 99 und Anm. Schlaf 114, Vom Schlafe 118–121 Schrift, heilige 6 siehe Bibel Schriftauslegung, philosophische Grundsätze der 41; Einwürfe und Beantwortung derselben, die Grundsätze der S. betreffend 49–53; nach dem Prinzip der Sittlichkeit 52; Schwärmerei 41, 87 Seele, künftiges Leben der 42; moralische, wohlgesinnte 46; vgl. auch 45, 99 Selbstbeobachtung 111 Selbstmord 111 Selbstquäler 117 Seligkeit, Hoffnung der 48

Sachregister sensorium communis 132 Anm. Separatisten siehe Mystiker Sinn, moralischer 22, 40f., 50; gottwürdiger 44; buchstäblicher 45; Sittengeschichte der Menschen 89 Spiel 93, 95ff. Staat 78f.; 90ff. Statute 21, 22, 33, 38, 39, 49 Stillstand 91, 93 Stoizism als Prinzip der Diätetik 113; gehört zur praktischen Philosophie als Tugendlehre und als Heilkunde 113 Streit, Das Werk Der Streit der F. als systematische Einheit 12; 12, 15, 30, 49; gesetzmäßiger S. der oberen Fakultäten mir der unteren 33; gesetzwidriger Streit der oberen Fakultäten mit der unteren 29, 32, 33; der Materie wegen oder der Form wegen 29; nicht durch friedliche Übereinkunft beizulegen 34; kein Krieg 37; der oberen, biblisch-theologischen mit der unteren, philosophischen 40; Beilegung desselben 41; oder Antagonism 37; Anhang einer Erläuterung des S. der Fakultäten durch das Beispiel desjenigen zwischen der theologischen und der philosophischen 38–87; Materie des S. 38–41; Philosophische Grundsätze der Schriftauslegung zu Beilegung des S. 41–49; Einwürfe und Beantwortung derselben, die Grundsätze der Schriftausle-

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gung betreffend 49–53; Friedens-Abschluß und Beilegung des S. der Fakultäten 69–77; Der S. der philosophischen Fakultät mit der juristischen 89–107; Der S. der philosophischen Fakultät mit der medizinischen 109–132 Symbolische Bücher 21 System der reinen Vernunft 129 Substanz 42 Teilnehmung 96 ff. Tendenz 96 Terrorismus, moralischer 91 Testament 50, 74, 78 Theolog biblischer 21ff., 38ff., 44, 48ff. Theologie 11 f., 38 Theophilanthropen 74 Therapeutik im Gegensatz zu der Diätetik 111 Thora 59 Tier 81, 99 Anm., vernünftiges 128 Tochter, göttliche 42 Anm. Tod 43, 109ff., 130 Traum 119, 127 Triebfeder 81, 94, 104, 112 Tugend 23, 64 Tugendlehre 113 Tun, alles kommt in der Religion aufs T. an 45ff., 52 Übel 92, 97, 117; Gefühl der 94 Übersinnliche, das, in uns 66; ist praktisch, nicht übernatürlich 66; vgl. auch 50, 60, 80 siehe Mensch, Menschheit Überwschwengliche, das, 50 Unbeständigkeit 94

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Sachregister

Uneigennützigkeit 96 Universalmedizin, die moralisch-praktische Philosophie gibt eine U. ab 110; ist ein Universalmittel 110 Universität 15ff., 26ff. Unsterblichkeit ÿ112 Unzeit, Von dem krankhaften Gefühl aus der U. im Denken 123–124 Verantwortung, gewissenhafte 6ff. Verdienst im Gegensatz zur Gnade 47 Verfall des Staats 90; der Religion 90; ins Ärgere 92 Verfassung 90, 97 Anm., 99 Anm.; bürgerliche 91, republikanische 97, 100; naturrechltiche 99; nicht kriegssüchtig 100 siehe Konstitution Vermögen, theoretisches 9; moralisches V. als Tugend 23; der Zwecke 46 ; als Können im Verhältnis zum Sollen 66; der Wahrsagung 78; der Ursache 92; des Menschengeschlechts 95f.; der Philosophie 110; des Gemüts über seine krankhrafte Gefühle Meister zu sein 109–132 Vernunft, und Bibel 6 Anm, 21, 48ff., 71ff.; als Vermögen, frei nach Autonomie zu urteilen 27; sich seiner eigenen V. bedienen 32; kalte V. 34; und ewiges Leben 39; und Religion 6f., 38ff., 48ff., 78f.; praktische V. 41, 66ff., 71; mit V. rasen 42 Anm.; und Glaube 43ff.; als

Auslegerin 41ff.; im Gegensatz zur historischen Gelehrsamkeit 49; und Gott 21f., 38, 50ff., 60ff., 71ff.; Wilmans über die V. 80ff.; im Gegensatz zu dem Naturinstinkt 111; und Fortschreiten zum Besseren 93ff.; und Recht 97ff.; und Verfassung 97ff.; und Medizin 109ff. Vernunftbedürfnis, Befriedigung eines 10 Vernunfterkenntis im Gegensatz zur historischen Erkenntnis 28 Vernunftglaube, 10, 52, 56 Vernunftidee 19, 42 Anm. Vernunftkünstler, im Gegensatz zu dem Philosophen 109 Vernunftlehren, 6reine V. der Religion 9; Glaubenssätze als V. des Glaubens 54f. Versinnlichung einer reinen Vernunftidee 42 Anm. Verstand, ÿgesunder 31, gesunder und gemeiner 66; und Gott 53; Wilmans über den V. 80–85; das Urteil des V. kann irrig sein 113 Vertagung 109, 111 Verzärtelung 113 Vollkommenheit, Gott wohlgefällige moralische V. 41 Volk, 8, 16 f. 20, 22, 29, 30 ff., 36 Anm., 48, 78 f., 96 ff.; 36 Anm. Volksaufklärung 102 Vorhersagung 91, 94f. Vorsatz 109–110, 117, 121ff.; Von der Hebung und Verhütung krankhafter Zufälle durch

Sachregister den Vorsatz im Atemziehen 125–127 Vorsehung, und Bibel 73; der Standpunkt der V. 94; als positive Bedingung des Fortschritt zum Besseren 106; und Weisheit von oben herab 106 Vorstellungsart, ÿFormen der sinnlichen V. 38, terroristiche V. der Menschengeschichte 92; eudämonistische V. der Menschengeschichte 92 Vortrag, öffentlicher 8, 17, 18 Anm., 22, 27, 33, 35, 67; katechetischer und omiletischer V. 73; dogmatischer 110; dogmatisch-praktischer im Gegenstz zu dem erzählenden 110 Anm.; mündlicher oder schriftlicher 129 Wahnsinn 111–112, 117 Wahrheit 17, als wissenschaftliches Interesse 19; ist die erste Bedingung der Gelehrsamkeit 27; W. der philosophischen Fakultät im Gegensatz zur Nützlichkeit der oberen Fakultäten 27; die philosophische Fakultät muß der Regierung empfehlen, bloß die W. zum Vorteil jeder Wissenschaft, auszumitteln und sie zum beliebigen Gebrauch der oberen Fakultäten hinzustellen 28; Pflicht der philosophischen Fakultät, wenn gleich nicht die ganze W. öffentlich zu sagen, doch darauf bedacht zu sein, daß alles, was, so gesagt, als Grundsatz aufgestellt wird, wahr sei 33; der Geist einer

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philosophischen Fakultät geht auf öffentliche Darstellung der W. 34; die philosophische Fakultät kann ihre Rüstung gegen die Gefahr, womit die W., deren Schutz ihr aufgetragen ist, bedrohet wird, nie ablegen 35; W. als Zweck der Philosophie 40; Probierstein der 50 Wahrsagen, das, 31, 89 ff. Wärme 114 Weisheit 16, 19, 32f. 94, 106, 110, 112 Wert, moralischer 51,73; sittlicher 91ff.; des Lebens 115 Wesen, freihandelnde 94; mit Freiheit begabtes 95, 98 Anm. – 99 Anm.; auf Moralität berechnetes 109; vegetierendes 130 Widerstand 98 Anm. Wiedergeburt siehe Bekehrungslehre Wille menschlicher 38, 128; der göttlichen Natur 44; Wilmans über den 80–85; angeborner, unveränderlich-guter, obzwar eingeschränkter 95; 98 Willkür 33, 99 Anm. Wissenschaft 17, 28, 113 Wissenschaften 8, 15 f. Wohl, das, bürgerliches, ewiges, Leibeswohl 20 Wohlbefinden 99 Anm., 113 Wohlfahrt 98 Anm. Wohltätigkeit 98 Anm., 115 Wunder 62ff.; die Bibel als öffentlicher W. 74f. Wunsch, 97 Anm.; Teilnehmung dem nach 97; Würde der Menschheit 66, des Menschen 84

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Sachregister

Zensur 16 Zensuredikt 5 Zerstreuung 129 Zufälle, krankhafte Z. von der spastischen (krampfhaften) Art 126, 128; krankhafte Z. der Au-

gen 131f.; Von der Hebung und Verhütung krankhafter Zufälle durch den Vorsatz im Atemziehen 125–127 Zuschauer, der Revolution 96f. Zyklen und Epizyklen 94