Der Siebenjährige Krieg (1756-1763): ein europäischer Weltkrieg im Zeitalter der Aufklärung 3050043105, 9783050043104

1756 befahl Friedrich der Grosse die Besetzung des Kurfurstentums Sachsen. Der damit ausgeloste Siebenjahrige Krieg fest

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Der Siebenjährige Krieg (1756-1763): ein europäischer Weltkrieg im Zeitalter der Aufklärung
 3050043105, 9783050043104

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung: Der Siebenjährige Krieg - ein europäischer Weltkrieg im Zeitalter der Aufklärung
Sven Externbrink
Α. INTERNATIONALE BEZIEHUNGEN UND STAATENSYSTEM – GLOBALE DIMENSIONEN, AKTEURE UND INTERESSEN
Die Globalisierung Europas und die Konflikte der Moderne – Dynamiken und Widersprüche in der Theorie und Praxis der internationalen Beziehungen in der Frühen Neuzeit
Olaf Asbach
Zweierlei Reich. Die britische Politik im Spannungsfeld zwischen Amerika und Europa im Schatten der „Diplomatischen Revolution“
Brendan Simms
La politique extérieure de la France au milieu du XVIIIе siècle
Lucien Bely
Der ungeliebte Krieg: Compagnie des Indes und East India Company als Kombattanten in einem globalen Konflikt, 1742–1763
Michael Mann
Nordamerikanische Indianer und britische Kolonisten im Siebenjährigen Krieg
Ulrike Kirchberger
В. KRIEGSWAHRNEHMUNGEN UND NACHWIRKUNGEN: POLITIK, LITERATUR UND KUNST
Voltaire zwischen Candide und Roi philosophe
Sven Externbrink
Wirkungsgeschichte der „Diplomatischen Revolution“. Die Beurteilung des renversement des alliances und des Bündnisses mit Österreich in der französischen Öffentlichkeit und Politik (1756–1800)
Friedrich der Große und der Siebenjährige Krieg: Der „Mythos“ des großen Feldherrn in der Strategie-Literatur (18.–20. Jahrhundert)
Beatrice Heuser
Krieg und Querelle. Zum Wandel des militärischen Ereignisbildes seit 1756
Joachim Rees
С. DER SIEBENJÄHRIGE KRIEG UND DER ALLTAG DES KRIEGES IM ZEITALTER DER AUFKLÄRUNG
Les aspects humains de la mobilisation navale française au temps de la guerre de Sept Ans
Sylviane Llinares
Die Kultur der Niederlage – Wahrnehmung und Repräsentation einer Schlacht des Siebenjährigen Krieges am Beispiel von Hochkirch 1758
Marian Füssel
Der delegitimierte Gegner. Kriegführung als Argument im Siebenjährigen Krieg
Ralf Pröve
D. ANHANG
Chronologie
Autorenverzeichnis
Register

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Der Siebenjährige Krieg (1756-1763)

Herausgegeben von Sven Externbrink

Der Siebenjährige Krieg (1756-1763) Ein europäischer Weltkrieg im Zeitalter der Aufklärung Herausgegeben von Sven Externbrink

Akademie Verlag

Gedruckt mit Hilfe der Deutsch-Französischen Kulturstiftung in Mainz sowie mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Exzellenzclusters 270/1 „Asia and Europe in a Global Context" der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Abbildung auf dem Einband: Benjamin West: General Johnson rettet einen verwundeten französischen Offizier vor dem Tomahawk eines nordamerikanischen Indianers, Ölgemälde, ca. 1764-1768, Derby Museum and Art Gallery, © Wikimedia Commons.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-05-004310-4 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2011 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden.

Lektorat: Mischka Dammaschke Einbandgestaltung: Ingo Scheffler, Berlin Satz: Sven Externbrink, Lahntal Druck: MB Medienhaus Berlin Bindung: Buchconcept, Calbe Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Vorwort

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Sven Externbrink Einleitung: Der Siebenjährige Krieg - ein europäischer Weltkrieg im Zeitalter der Aufklärung

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A . INTERNATIONALE BEZIEHUNGEN UND STAATENSYSTEM GLOBALE DIMENSIONEN, AKTEURE UND INTERESSEN

OlafAsbach Die Globalisierung Europas und die Konflikte der Moderne Dynamiken und Widersprüche in der Theorie und Praxis der internationalen Beziehungen in der frühen Neuzeit

27

Brendan Simms Zweierlei Reich. Die britische Politik im Spannungsfeld zwischen Amerika und Europa im Schatten der „Diplomatischen Revolution"

65

Luden Bely La politique exterieure de la France au milieu du XVIIIе siecle

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Michael Mann Der ungeliebte Krieg: Compagnie des Indes und East India Company als Kombattanten in einem globalen Konflikt, 1742-1763

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INHALT

Ulrike Kirchberger Nordamerikanische Indianer und britische Kolonisten im Siebenjährigen Krieg

127

B . KRIEGSWAHRNEHMUNGEN UND NACHWIRKUNGEN: POLITIK, LITERATUR UND KUNST

Sven Externbrink Voltaire zwischen Candide und Roi philosophe

143

Jörg Ulbert Die Wirkungsgeschichte der „Diplomatischen Revolution". Die Beurteilung des renversement des alliances und des Bündnisses mit Österreich in der französischen Öffentlichkeit und Politik

159

Beatrice Heuser Friedrich der Große und der Siebenjährige Krieg. Der „Mythos" des großen Feldherrn in der Strategie-Literatur (18.-20. Jahrhundert)

181

Joachim Rees Krieg und Querelle. Zum Wandel des militärischen Ereignisbildes seit 1756

197

C . DER SIEBENJÄHRIGE KRIEG UND DER ALLTAG DES KRIEGES IM ZEITALTER DER AUFKLÄRUNG

Slyvaine Llinares Les aspects humains de la mobilisation navale fran9aise au temps de la guerre de Sept Ans

247

Marian Füssel Die Kultur der Niederlage - Wahrnehmung und Repräsentation einer Schlacht des Siebenjährigen Krieges am Beispiel Hochkirch 1758

261

Ralf Pröve Der delegitimierte Gegner. Kriegführung als Argument im Siebenjährigen Krieg

275

D . ANHANG

Chronologie

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Autorenverzeichnis

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Register

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Vorwort

Die in diesem Band versammelten Beiträge dokumentieren eine internationale Tagung, die vom 6. bis 8. September 2007 im mittlerweile aufgelösten Forschungszentrum für Europäische Aufklärung in Potsdam stattgefunden hat. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat durch ihre großzügige Förderung ihr Zustandekommen ermöglicht Dafür sei ihr an dieser Stelle herzlich auch im Nahmen der Teilnehmer gedankt Ein herzlicher Dank sei noch einmal dem Forschungszentrum für Europäische Aufklärung und seinem Direktor, Prof. Dr. Günther Lottes und seiner Stellvertreterin Prof. Dr. Brundhilde Wehinger ausgesprochen, die die Idee dieser Tagung von Beginn an unterstützten und bei ihrer Organisation immer hilfreich zur Seite standen. Mit eingeschlossen seien auch die Mitarbeiter des Instituts, Frau Kluck, Frau Frank und Frau Moldenhauer für ihre Unterstützung bei der Vor- und Nachbereitung. Die Publikation der Vorträge hat sich durch vielerlei Umstände immer wieder verzögert. Dies fällt auf den Herausgeber zurück, der sich hierfür bei den Autoren entschuldigt und sich bei ihnen zugleich für ihre Geduld bedankt Danken möchte ich auch den studentischen Hilfskräften in Heidelberg im Winter- und Sommersemester 2009-2010, Jasper Bittner und Stephan Westermann sowie Johann Lange M.A. für ihre Hilfe bei den Korrekturen und der Erstellung der Druckvorlage. Dr. Mischka Dammaschke vom Akademie-Verlag danke ich ebenfalls für die Ermöglichung der äußerst günstigen Rahmenbedingungen für die Publikation. Für die Übernahme der Druckkosten danke ich sehr herzlich der Deutsch-Französischen Kulturstiftung und ihrem Präsidenten, Staatssekretär a. D. Dr. Jürgen Hartmann, sowie Prof. Dr. Dr. Peter C. Hartmann, München, und dem Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context" der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, stellvertretend genannt seien Prof. Dr. Madeleine Herren-Oesch und Prof. Dr. Thomas Maissen. Sven Externbrink, Lahntal, September 2010

SVEN EXTERNBRINK

Einleitung: Der Siebenjährige Krieg - ein europäischer Weltkrieg im Zeitalter der Aufklärung

I. Der Dialog zwischen historischer Spezialforschung und interessierter Öffentlichkeit lebt in großem Maße von historischen „Jubiläen", d.h. der Erinnerung an die Wiederkehr eines Ereignisses, Geburts- oder Todestags. Dies gilt in Deutschland, mehr noch als im übrigen Europa, besonders für alle Epochen vor der Katastrophe der beiden Weltkriege und des Nationalsozialismus. Bedingt durch die Dominanz der Geschichte des Nationalsozialismus - deren Bedeutung nicht in Frage gestellt werden soll - im öffentlichen Geschichtsdiskurs und -bewußtsein führt die Geschichte der Frühen Neuzeit außerhalb der historischen Institute der Universitäten und einiger weniger außeruniversitärer Forschungseinrichtungen nur ein Schattendasein. Großereignisse wie die mit Brüsseler Geldern geforderte Ausstellung zur Erinnerung an die 350. Wiederkehr des Westfälischen Friedens wirken langfristig nur wie ein kurz aufflackerndes Strohfeuer in der Dunkelheit. Auch die derzeit sich häufenden Jahrestage von Ereignissen aus dem Zeitalter Napoleons (Auflösung des Alten Reiches, preußische Reformen, Königreich Westphalen) und die damit verbundenen Veranstaltungen hinterlassen - so hat es den Anschein - keinen dauerhaften Eindruck. Daher verwundert es nicht, daß im August 2006 die 250. Wiederkehr der Auslösung des Siebenjährigen Krieges am 29. August 1756 weitgehend unbemerkt vorüber ging. Abgesehen von Artikeln in der ZEIT, in der Stuttgarter Zeitung und im Berliner Tagesspiegel gab es kaum Hinweise in überregionalen Medien. Dem anonymen Kommentator auf der Internet Seite „Napoleon-Forum" ist daher nur zuzustimmen, wenn er anläßlich des 250. Jahrestags der Schlacht von Hastenbeck (am 26. Juli 1757) feststellte, der Sie-

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benjährige Krieg sei „für die ,Medien' vollkommen uninteressant".1 Initiativen zu Erinnerung an den Krieg gehen aus der Landesgeschichte hervor: Im Frühjahr und Sommer 2009 wurde der 250. Jahrestag der Schlacht von Minden (1. August 1759) mit einer Vortragsreihe, Ausstellungen und „Events" als europäisches Fest begangen.2 Aber nicht nur in der nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit, sondern auch in der deutschen Frühneuzeitforschung der letzten Jahrzehnte hat der Krieg kaum Aufmerksamkeit gefunden. Angesichts der Bandbreite methodischer Zugangsweisen, die die deutsche und europäische Forschung zur Frühen Neuzeit seit 1945 entwickelt hat, gibt es kaum neuere Studien, die diese auf Probleme des Siebenjährigen Krieges anwenden. In Deutschland haben vor allen Johannes Kunisch3 und seine Schüler in ihren Studien, in deren Mittelpunkt der österreichisch-preußische Dualismus steht, sich mit militärgeschichtlichen4 und politischen5 Fragen des Krieges auseinandergesetzt. Fand das Thema im Rahmen der Beschäftigung mit der deutschen und vor allem der preußischen Geschichte immer wieder einmal Beachtung6, so gilt dies kaum für die europäischen und weltpolitischen Aspekte des Siebenjährigen Krieges. Nachdem Max Braubach in seiner 1950 erschienenen Studie den Vorstadien der „diplomatischen Revolution" nachgegangen war, folgte erst 1985 mit Johannes Burkhardts Habilitationsschrift über die päpstliche Diplomatie eine weitere Arbeit, die sich den europäischen Verwicklungen der Epoche widmete. Burkhardt verdanken wir auch eine anregende Studie zu den ideengeschichtlichen Voraussetzungen des renversement des alliances? 1

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Vgl.: http://napoleum-forum.de/index.php?s=0d31f49fb066a218f46a8eba921c8a8&showtopic=945 0&st=0&#entry9450, Zugriff am 25. August 2007. Vgl. http://www.schlacht-bei-minden.com. Ζ. B. Johannes Kunisch, Das Mirakel des Hauses Brandenburg. Studien zum Verhältnis von Kabinettspolitik und Kriegführung im Zeitalter des Siebenjährigen Krieges, München 1978; einzelne Studien zum Thema in: Ders., Fürst, Gesellschaft, Krieg. Zur bellizistischen Disposition des absolutistischen Fürstenstaates, Köln 1992. Thomas Lindner, Die Peripetie des Siebenjährigen Krieges. Der Herbstfeldzug 1760 in Sachsen und der Winterfeldzug in Hessen, Berlin 1993; Michael Sikora, Dizisplin und Desertion. Strukturprobleme militärischer Organisation im 18. Jahrhundert, Berlin 1996; Silvia Mazura, Die preußische und österreichische Kriegspropaganda im Ersten und zweiten schlesischen Krieg, Berlin 1996; siehe auch: Johannes Kunisch, Der Ideine Krieg. Studien zum Heerwesen des Absolutismus, Wiesbaden 1973; vgl. auch: Walter G. Rödel, Eine geheime französische Initiative als Auslöser des renversement des alliances?, in: Johannes Kunisch (Hg.), Expansion und Gleichgewicht. Studien zur europäischen Mächtepolitik des Ancien Regime, Berlin 1986, 97-112. Lothar Schilling, Kaunitz und das renversement des alliances. Studien zur außenpolitischen Konzeption Wenzel Anton von Kaunitz, Berlin 1994; ders., Wie revolutionär war das renversement des alliances? Überlegungen zum Zäsurcharakter des Bündniswechsels von 1756, in: Forschungen zur Brandenburgisch-Preußischen Geschichte N. F. 6 (1996), 163-202. Sichtbar vor allem in den Arbeiten Kunischs und seiner Schüler, vgl. auch dessen Quellenedition: Johannes Kunisch (Hg.), Aufklärung und Kriegserfahrung. Klassische Zeitzeugen zum Siebenjährigen Krieg, Frankfurt 1996. Johannes Burkhardt, Abschied vom Religionskrieg. Der Siebenjährige Krieg und die päpstliche Diplomatie, Tübingen 1985; ders., Geschichte als Argument in der habsburgisch-französischen Dip-

EINLEITUNG

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Eine historiographische „Tradition" der Beschäftigung mit dem Siebenjährigen Krieg, die vergleichbar mit der kontinuierlichen Erforschung des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Krieges seit 1945 wäre und an die jüngere Forscher anknüpfen könnten, existiert in Deutschland nicht bzw. nicht mehr. Will man sich in den Konflikt einarbeiteten, so ist man vielfach gezwungen auf Forschungen zurückzugreifen, die vor 1945 und früher erschienen ist, und dies gilt nicht nur für deutschsprachige Titel. Nur langsam wendet man sich in Deutschland wieder der Thematik des Siebenjährigen Krieges zu. Seit 2005 erschienen in Deutschland, außer Eberhards Kessels in den 1930er Jahren verfasste Darstellung der letzten Kriegsjahre, eine Reihe von Studien8, die Fragestellungen aus dem Feld der Internationalen Beziehungen9 und der „neuen" Militär- bzw. Kulturgeschichte10 behandeln. Einen ähnlichen Bruch der historischen Forschung zum Siebenjährigen Krieg kann man auch für Frankreich konstatieren, wo man gezwungen ist, noch immer auf Richard Waddingtons Forschungen vom Anfang des 20. Jahrhundert zurückzugreifen. Neben den Problemen, die „Diplomatiegeschichte" dort lange hatte, ist diese Vernachlässigung sicher auch auf das allgemeine Desinteresse an der Epoche Ludwigs XV. zurückzufuh-

lomatie. Der Wandel des frühneuzeitlichen Geschichtsbewußtseins in seiner Bedeutung flir die Diplomatische Revolution von 1756, in: Rainer Babel (Hg.), Frankreich im Staatensystem der Frühen Neuzeit, Sigmaringen 1995, 191-217; ders., Vom Debakel zum Mirakel. Zur friedensgeschichtlichen Einordnung des Siebenjährigen Krieges, in: Helmut Neuhaus, Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.), Menschen und Strukturen in der Geschichte Alteuropas. FS Johannes Kunisch, Berlin 2002,299-318. Im Rahmen der Neubearbeitung des Gebhardtschen Handbuch hat Burkhardt jetzt auch eine Gesamtdarstellung des Krieges vorgelegt: Ders., Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches 1648-1763, Stuttgart 2006, hier: 396-442. 8

Eberhard Kessel, Das Ende des Siebenjährigen Krieges 1760-1763. Torgau und Bunzelwitz, Schweidnitz und Freiberg, hg. v. Thomas Lindner, 2 Bde., Paderborn, München, Wien, Zürich 2007. Das Manuskript des Buches (ursprünglich geplant als Abschlussband im Rahmen der vom Preußischen Generalstab herausgegebenen Darstellung der Kriege Friedrichs des Großen) glaubte Kessel in den Wirren des Kriegsendes 1945 in Berlin zerstört. Es wurde jedoch in den 1990er Jahren in Potsdam wieder aufgefunden und konnte als Kessels Darstellung identifiziert werden.

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Sven Externbrink, Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2006; ders., Rene Hanke, Brühl und das renversement des alliances. Die antipreußische Außenpolitik des Dresdner Hofes 1744-1756, Münster 2006; Manfred Schort, Politik und Propaganda. Der Siebenjährige Krieg in den zeitgenössischen Flugschriften, Frankfurt u.a. 2006; siehe auch ders., Die Publizistik des Siebenjährigen Krieges, in: Mitteilungen des Instituts für Europäische Kulturgeschichte, Sonderheft, Augsburg 2003, 329-348; zu diesem Komplex jetzt auch: Wolfgang Adam, Holger Dainat, Ute Pott (Hg.), „Krieg ist mein Lied". Der Siebenjährige Krieg in den zeitgenössischen Medien, Göttingen 2007. Vgl. auch den dem Siebenjährigen Krieg gewidmeten Aufsatzteil in den Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft 18 (2005), S. 1-133.

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Ewa Anklam, Wissen nach Augenmaß. Militärische Beobachtung und Berichterstattung im Siebenjährigen Krieg, Münster etc. 2008; Marcus von Salisch, Treue Deserteure. Das kursächsische Militär und der Siebenjährige Krieg, München 2009. Vgl. auch die Literaturhinweise im Beitrag von Marian Füssel.

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ren, dessen Regentschaft erst in den letzten Jahren wieder stärker ins Blickfeld der Forschung rückte.11 Ganz anders sieht die Beschäftigung mit der Geschichte des Siebenjährigen Krieges hingegen in der englischsprachigen Forschung aus. Für amerikanische und auch britische Historiker kann man konstatieren, daß für diese - im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich - eine historiographische Tradition der Erforschung des Siebenjährigen Krieges existiert. In den letzten fünf Jahren erschienen sowohl zahlreiche Einzelstudien 12 als auch zum Teil umfangreiche Gesamtdarstellungen dieses ersten Weltkrieges, von denen die von Fred Anderson (Crucible of War, 2000) und Jonathan Dull (unter dem etwas irreführenden Titel The French Navy and the Seven Years' War, 2005) besonders hervorzuheben sind. 13 Weitere Überblicksdarstellungen renommierter Spezia-

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Große Verdienste um die Erforschung der Epoche hat sich Michel Antoine erworben: Michel Antoine, Le Conseil du roi sous le regne de Louis XV, Genf 1970; ders., Le Gouvernement et I'administration sous Louis XV. Dictionnaire biographique, Paris 1978; ders., Louis XV, Paris 1989, 21993; Edmond Dziembowski, Un nouveau patriotisme frangais: 1750-1770. La France face a la puissance anglaise ä l'epoque de la guerre de Sept Ans, Oxford 1998; Bernard Hours, Louis XV et sa cour. Le roi, l'etiquette et le courtisan, Paris 2002; Hours hat jetzt eine bedeutende Biographie Ludwigs XV. vorgelegt: Louis XV. Un portrait, Paris 2009; Yves Combeau, Le Comte d'Argenson. Ministre de Louis XV, Paris 1999; Amaud de Maurepas, Antoine Boulant, Les Ministres et les Ministeres du siecle des Lumieres (1715-1789). Etude et dictionnaire, Paris 1996; Eine neuere Synthese legte vor: Andre Zysberg, La Monarchie des Lumieres. 1715-1789, Paris 2002; Eine konsequent sozialgeschichtlich angelegte Gesamtdarstellung legte Daniel Roche vor: Daniel Roche, La France des Lumieres, Paris 1993; ein Beitrag aus Deutschland: Jens Ivo Engels, Königsbilder. Sprechen, Singen und Schreiben über den französischen König in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Bonn 2000; Wichtige Beiträge zur Zeit Ludwigs XV. kamen in den letzten Jahren aus der angelsächsischen Forschung, ζ. B: William Doyle, Venality: The Sale of Offices in the 18,h Century France, Oxford 1996; ders., Officers, Nobles and Revolutionnaries. Essays on EighteenthCentury France, London, Rio Grande 1995; Peter Campbell, Power and Politics in Old Regime France 1720-1745, London, New York 1996; zur Geschichte der Parlements: John Rogister, Louis XV and the Parlement of Paris 1737-1755, Cambridge 1995, 21997 und Julian Swann, Politics and the Parlement of Paris under Louis XV, 1754-1774, Cambridge 1995; Philippe Payen, Les Arrets de reglement du Parlement de Paris au XVIIIе siecle, Paris 1997. Diese Auswahl zeigt aber auch, daß die Außenpolitik Ludwigs XV. jedoch noch kein weiteres Interesse gefunden hat. Z. В.: Stephen Brumwell, Redcoats. The British Soldier and War in the Americas 1755-1763, Cambridge 2001, 22006; John M. Cardwell, Arts and Arms. Literature, Politics and Patriotism during the Seven Years' War, Manchester 2004; Markus Eder, Crime and Punishment in the Royal Navy of the Seven Years' War 1755-1763, Aldershot 2004; Matthew C. Ward, Breaking the Backcountry. The Seven Years' War in Virginia and Pennsylvania 1754-1765, Pittsburgh 2003; Carol Watts, The Cultural Work of Empire: The Seven Years' War and the Imagining of the Shandean State, Edinburgh 2007; David Syrett, Shipping and Military Power in the Seven Years' War. The Sails of Victory, Exeter 2008. Fred Anderson, Crucible of War. The Seven Years' War and the Fate of Empire in British North America 1754-1766, New York 2000. Jonathan R. Dull, The French Navy and the Seven Year's War, Lincoln, London 2005. William Fowler, Empires at War: The Seven Years' War and the Struggle for North America, New York 2005.

EINLEITUNG

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listen sind im anglo-amerikanischen Buchhandel angekündigt.14 Demnach ist der Siebenjährige Krieg jenseits der deutschen und französischen Landesgrenzen ein aktuelles und reizvolles Thema der Forschung. Ein Ziel dieses Bandes und der ihr vorausgehenden Tagung soll und sollte daher auch sein, in der wissenschaftlichen und vielleicht auch in der nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit Interesse an diesem „ersten Weltkrieg" zu wecken.15

II. Mag die die weitgehende Vernachlässigung des Themas ein Argument für den vorliegenden Band sein16, so verlangt die weltgeschichtliche Bedeutung des Siebenjährigen Krieges nicht zuletzt angesichts der derzeitigen Blüte globalgeschichtlicher Themen nach seiner intensiven Erforschung. Die Konsequenzen dieses letzten großen Krieges des Ancien Regime sind allgemein bekannt und bedürfen - auf den ersten Blick - keiner weiteren Kommentierung. Frankreich verlor sein Kolonialreich in Amerika sowie in Indien und konnte nur wenige Besitzungen in der Karibik und in Afrika halten. Hingegen legte England den Grundstein zu seinem Empire des 19. Jahrhunderts, indem durch die Vertreibung der Franzosen die Voraussetzung für die spätere Unterwerfung des indischen Subkontinents gelegt wurde. Die demütigende Niederlage Frankreichs beschädigte erheblich das Ansehen der Monarchie und des Monarchen, der im Inneren zeitgleich in einen erbitterten Konflikt mit den Parlements verwickelt war. Frankreichs Stellung als Großmacht war 1763 nachhaltig erschüttert, erst Napoleon würde Frankreich wieder zur europäischen Hegemonialmacht erheben. In Deutschland besiegelte das Überleben Friedrichs des Großen den sich seit den 1740er Jahren abzeichnenden deutschen Dualismus, der erst 1866 und 1870/71 endgültig zugunsten Preußens gelöst werden sollte. Preußen rückte in den Kreis der europäischen Großmächte auf, zwar als die kleinste, doch es sollte die deutsche Geschichte der folgenden hundert Jahren mehr als alle anderen deutschen Staaten prägen. 14

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Franz A. Szabo, The Seven Years' War in Europe, London, New York 2008; Daniel A. Baugh, The Anglo-French Seven Years' War ist angekündigt für 2010; Matt Schumann, Mercantilism, Communications and the Early Prehistory of the Seven Years' War, 1749-1754, in: Nuova Rivista Storica 89 (2005), 83-104; Matt Schumann, The Seven Years' War. A Transatlantic History, London 2007. Das Interesse der Öffentlichkeit an der Potsdamer Tagung war in der Tat groß. Die Referate wurden vor zahlreichem Publikum vorgetragen und intensiv diskutiert. Eine Besprechung der Tagung von Andreas Kilb erschien am 12. September 2007 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Nr. 212, Seite N 3 unter dem Titel So schnell wie die Preußen schießen Indianer allemal. Die Potsdamer Tagung war bislang die einzige Tagung zum Siebenjährigen Krieg in Deutschland. An die 250. Wiederkehr des Abschlusses der Versailler Vertrages, der das renversement des alliances besiegelte, erinnerte im Mai 2006 eine deutsch-österreichische Tagung in Wien.

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Dies sind die „klassischen" Ergebnisse, die immer wieder genannt werden, wenn die Rede auf den Siebenjährigen Krieg kommt. Sie seien nun durch einige Beobachtungen ergänzt, die in erster Linie die Veränderungen in der internationalen Politik betreffen, daneben aber auch die „Kultur des Krieges" sowie seine Wahrnehmung und Wirkung in den Blick nehmen. Der Siebenjährige Krieg wird - nicht zu unrecht - als „Erster Weltkrieg" bezeichnet. In ihrem Kern europäische Konflikte - ein Ringen um die Gestalt und Dominanz der europäischen Staatenordnung, die sich seit 1648 herausgebildet hatte und das begann, auch auf die außereuropäische Welt überzugreifen - , wurden zugleich in Europa und unter Einbeziehung lokaler Akteure (die amerikanischen Indianerstämme und die indischen Teilstaaten) in Übersee ausgetragen und vermischten sich mit den politischen Ordnungen und Gemengelagen vor Ort. Dieser Entgrenzung der Konfliktzonen einerseits, dem weltumspannenden Charakter des Siebenjährigen Krieges mit Kämpfen in Nordamerika, der Karibik, Indien, Afrika, Südasien (Eroberung der Philippinen durch ein britisches Expeditionskorps 1762), steht andererseits die teilweise Begrenzung des Konfliktes in Europa entgegen. Die traditionellen Schlachtfelder der europäischen Kriege der Frühen Neuzeit - die Niederlande, insbesondere die unter habsburgischer Herrschaft stehenden Territorien, Norditalien (Piemont, die Poebene, die Lombardei), der Oberrhein, die linksrheinischen Territorien und Süddeutschland - blieben von den Schrecken des Krieges verschont. Auf diese Konsequenz der Veränderung in der Bündniskonstellation im Vorfeld des Krieges wird nur selten hingewiesen. Dort wo der Krieg wütete, hatte er „natürlich" nicht von seiner Grausamkeit und Zerstörungskraft verloren. Verglichen mit dem Österreichischen Erbfolgekrieg aber war der Siebenjährige Krieg in Europa eine kontrollierte Auseinandersetzung, die auf „relativ" begrenztem Raum (Teile West-, Nord- und Mitteldeutschlands, Böhmen und Mähren) ausgetragen wurde. Der Ent- bzw. Begrenzung des Konfliktes entsprechen die Ergebnisse. Außerhalb Europas gab es gravierende Veränderungen von langfristigen Konsequenzen. Die Kontrolle fast des gesamten (bis dahin bekannten) nordamerikanischen Kontinents, abgesehen von Louisiana, das an Spanien fiel, durch England brachte seinen Bewohnern, sowohl den Kolonisten als auch den Indianern, keinen Frieden. Denn mit dem Rückzug der Franzosen verloren letztere ihren Akteursstatus, der ihnen bislang eine eigenständige, auf die Sicherung ihrer Existenz abzielende „Außenpolitik" ermöglicht hatte. Für die Kolonisten waren sie nur noch „Wilde", die keinen Anspruch auf das Land hatten, über das die Europäer ohne Rücksicht auf indianische Belange und Bedürfnisse verfugten, als sei es unbewohnt und warte nur auf die Kultivierung durch die Kolonisten, die damit zugleich einen göttlichem Auftrag ausführten. In einer Folge von erbitterten Kriegen verschwanden die Stämme des amerikanischen Ostens, daran änderten auch zeitweise Grenzziehungen zwischen Kolonien und Indianerland nichts.17 Bereits rund 17

Zusammenfassend: Hermann Wellenreuther, Ausbildung und Neubildung. Die Geschichte Nordamerikas vom Ausgang des 17. Jahrhunderts bis zum Ausbruch der Amerikanischen Revolution 1775, Hamburg, Münster 2001, 352-382; ders., Der Vertrag zu Paris (1763) in der atlantischen

EINLEITUNG

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60 Jahre nach Ende des Krieges wies James Fenimore Cooper in seiner LederstrumpfErzählung Der letzte Mohikaner, die die französische Eroberung des Forts William Henry im Sommer 1757 zum Hintergrund hatte, daraufhin, daß die Wildnis der Waldlandschaft im Osten des Staates New York zwar noch erhalten sei, „obgleich die Rothäute ganz aus ihr gewichen sind. Von allen hier genannten Stämmen sind dort nur noch wenige Oneidas auf dem ihnen in New York vorbehaltenen Landstriche zu treffen". 18 Obwohl der Sieg über Frankreich in Amerika in einer gemeinsamen Anstrengung von Mutterland und Kolonien errungen wurde, entwickelten sich die amerikanischen Kolonien nicht zu einem Grundpfeiler eines britischen Weltreiches. Der Streit um die nachträgliche Finanzierung des Krieges führte schließlich in den offenen Konflikt und die Unabhängigkeit der englischen Kolonien. 19 Zum Fundament des britischen Empire des 19. Jahrhunderts entwickelte sich hingegen Indien, von wo man ebenfalls die Franzosen vertrieb, ohne jedoch eine ähnliche Dominanz zu entwickeln. Wie für Nordamerika markiert dieser Krieg auch für den indischen Subkontinent eine entscheidende Zäsur. Die britische Ostindische Handelskompanie schickte sich seit den 1760er Jahren an, ihre Handelskontore in die Keimzellen eines wachsenden Territorialbesitzes zu verwandeln. Der Übergang von Handel zu 20

Herrschaft in Indien zog sich über Jahrzehnte hin, und er soll hier nicht weiter geschildert werden, eine der Initialzündungen aber war der englisch-französische Konflikt. Briten und Franzosen waren bis dahin eher zweitrangige Akteure in der innerindischen Staatenpolitik, die bis dahin vom Machtverlust der Mogulherrscher geprägt wurde. Der europäische Konflikt bewirkte eine Dynamisierung der indischen Politik, da sowohl Briten als auch Franzosen indische Fürsten als Bündnispartner benötigten. Am Ende des Krieges waren die Briten zu einem mächtigen Akteur in der indischen Politik geworden, der nicht mehr nur durch Handel, sondern durch Steuererhebung auf die Ressourcen und Erzeugnisse des Landes zugriff. 21 Diesen z.T. dramatischen Veränderungen in Übersee, überall dort, wo Europäer über mehr oder weniger große Brückenköpfe verfugten während und in Folge des Siebenjährigen Krieges, steht ein relativer Stillstand in Europa gegenüber. Zerbrach in Indien das Mogulreich, so begründete die Umgestaltung der traditionellen Allianzformationen eine

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Geschichte, in: Niedersächsisches Jahrbuch flir Landesgeschichte 71 (1999), 81-110; siehe auch: Richard White, The Middle Ground. Indians, Empires, and Republics in the Great Lakes Region 1650-1815, Cambrigde 1991. James Fenimore Cooper, Der letzte Mohikaner. Ein Bericht über das Jahr 1757, Zürich 1989, 12. Vgl. jetzt Brendan Simms, Three Victories and a Defeat. The Rise and Fall of the first British Empire 1714-1783, London 2007. Vgl. Peter J. Marshall, The British in Asia: Trade to Dominion 1700-1765, in: Ders. (Hg.), The Oxford History of the British Empire, Bd. 2: The Eighteenth Century, Oxford, N e w York 1998, 487-507. Vgl. Michael Mann, Bengalen im Umbruch. Die Herausbildung des britischen Kolonialstaates 1754-1793, Stuttgart 2000.

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bis dahin in Europa kaum gekannte Stabilität. Bis zum Ausbruch der Revolutionskriege erlebten insbesondere Italien und die Rheinlande eine zuvor kaum gekannte Blüte. Den Preis für die Stabilität des europäischen Staatensystems zwischen dem Frieden von Hubertusburg mußte Polen zahlen. Das zum innenpolitischen Anarchismus und zur Unreformierbarkeit neigende Königreich befriedigte die Expansionsgelüste Preußens, Österreichs und Rußland, ohne daß darüber ein Krieg ausbrach. Auch die Krisen im Westen Europas konnten eingedämmt werden. Der Bayerische Erb folgekrieg von 1777 bis 1779 verdient den Namen Krieg kaum. Er ist ein Beispiel dafür, daß die „klassische" Kriegsursache der Frühen Neuzeit, der Sukzessionskonflikt, nicht mehr automatisch in einen europäischen Flächenbrand münden mußte. Selbst die „Revolutionen" in 22 den Niederlanden in den 1780er Jahren lösten keine gesamteuropäischen Krisen aus. Dies gilt auch für den über 1763 hinaus fortdauernden Gegensatz zwischen Frankreich und dem Vereinigten Königreich, der vor der Revolution keinen Krieg mehr in Europa hervorrief. Der englisch-französische Krieg im Rahmen des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges wurde in Übersee und nicht auf europäischem Boden ausgefochten. Die Eingrenzung des Konfliktes auf Übersee, an der sowohl Frankreich als auch England 1755/1756 interessiert waren, gelang zwanzig Jahre später. Aber auch andere Perspektiven auf den Siebenjährigen Krieg als die des Internationalen Systems lohnen. Der Krieg selbst wurde einerseits geprägt von einer doch beachtenswerten Höflichkeit und Ritterlichkeit im Umgang der gegnerischen Offizierskorps. So schickten die Franzosen nach der Schlacht von Vellinghausen 1761 - um nur ein Beispiel zu nennen - wie selbstverständlich ihre besten Ärzte ins gegnerische Lager, um dem schwer verletzten Neffen Ferdinands von Braunschweig zu versorgen.23 Andererseits wurde gerade auf den Schlachtfeldern im Osten Deutschlands mit einer für die Zeitgenossen unerhörten Grausamkeit gekämpft, hingewiesen sei nur auf die Schlacht von Zorndorf, bei der die Soldaten wie die „tollwütigen" gegeneinander kämpften, so ein Zeitgenosse.24 Auf die langfristige Wirkung des Siebenjährigen Krieges im kollektiven Gedächtnis Europas und vor allem Deutschlands sei abschließend nur kurz eingegangen. Das glückliche Überleben Preußens sollte Ausgangspunkt des Preußen- und Friedrichsmythos 22

23

24

Vgl. Sven Extembrink, La „Rivolution diplomatique" et la pacification de I 'Europe 1756/17631789/1792, in: Guido Braun, Stefanie Buchenau (Hg.), Assecuratio Pads. Les conceptions frangaises de la sürete et de la garantie de la paix de 1648 ä 1815 (discussions 4 [2010]) (http://www.perspectivia.net/content/publikati Jean Lemoine (Hg.), Sous Louis le bien-aime: Correspondance amoureuse et militaire d'un officier pendant la guerre de Sept Ans (1757-1765), Paris 1905,327: „Le prince Ferdinand envoie demander au prince de Soubise les deux plus habiles chirurgiens franfais pour son neveu, le prince Henri, qui a re?u un coup de feu ä travers la poitrine dans l'attaque d'hier soir. MM. Guörin et Bagieu sont envoyes". Sven Extembrink, „ Que l'homme est cruel et michant!". Wahrnehmung von Krieg und Gewalt durch französische Offiziere im Siebenjährigen Krieg, in: Historische Mitteilungen der RankeGesellschaft 18 (2005), 44-57, hier 52.

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werden. Der Friede wurde und wird weniger als durch Erschöpfung aller Parteien herbeigeführtes Patt betrachtet, als vielmehr ein Sieg Preußens über Österreich. Friedrich der Große, der schon die publizistische Auseinandersetzung während des Krieges für sich hatte entscheiden können25, wurde als Opfer einer Verschwörung stilisiert, der er in einem Akt der Selbstverteidigung durch den kühnen Angriff auf Sachsen zuvorkam. In der nicht zuletzt von Preußen gesteuerten antifranzösischen Propaganda, die sich des durch Ludwig XIV. geprägten Feindbildes bediente, gründet der Keim der Konstruktion eines aggressiven, frankophoben Nationalismus, dessen Folgen wir nur allzugut kennen.26 Der eindeutige und entscheidende militärische Sieg, den Preußen während des gesamten Krieges nicht erringen konnte, fiel ihm und dem preußischen Staate auf lange Sicht zu. Der „alte Fritz" dominierte die Erinnerung an den Siebenjährigen Krieg bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts - Ansätze, sein Handeln einer kritischen Prüfung zu unterziehen, konnten sich nicht durchsetzen. Mit dem Ende Preußens, der Gleichsetzung Friedrichs mit dem preußischen Militarismus des 19. Jahrhunderts, verlor man von Ausnahmen abgesehen - das Interesse an der Person des Königs und vor allem am Siebenjährigen Krieg, in dem - wie angedeutet wurde - weit mehr auf dem Spiel stand, als nur die Existenz Preußens.

III. Der vorliegende Band gliedert sich in drei Kapitel. Begonnen wird mit einer ausführlichen Einordnung des Siebenjährigen Krieges in den Prozeß der Genese der modernen Welt. Olaf Asbach sieht den Krieg als einen „Knotenpunkt", in dem „langfristige und tiefgreifende Umbruchsprozesse zur Geltung" gebracht, „neu angetrieben werden", sich „kreuzen und in spezifischer Weise fortgebildet und gebrochen werden". In der Mitte des 18. Jahrhunderts war die Epoche der Herausbildung des modernen Staates und der sie begleitenden Staatsbildungskriege zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. Ein System von „Staaten als Einheiten der Organisation politischer und sozioökonomischer Integrations- und Konkurrenzprozesse auf gesellschaftlicher und internationaler Ebene" hatte sich herausgebildet, das sich nicht mehr nur auf Europa, sondern auf die ganze Welt bezog. Dies zeigt sich in der Betrachtung der Konfliktebenen des Siebenjährigen Krieges, am deutlichsten im vielzitierten Diktum William Pitts, man habe Kanada in 25 26

Vgl. Schort, Politik und Propaganda (wie Anm. 8). Vgl. Hans-Martin Blitz, Frühe Konstruktionen eines deutschen Vaterlandes: Tradition und Bedeutung antifranzösischer Feindbilder im Siebenjährigen Krieg, in: Thomas Höpel (Hg.), Deutschlandbilder - Frankreichbilder 1700-1840. Rezeption und Abgrenzung zweier Kulturen, Leipzig 2001, 139-151, und ausführlich: Oers., Aus Liebe zum Vaterland. Die deutsche Nation im 18. Jahrhundert, Hamburg 2000; zur Ausbildung eines deutschen Nationalbewusstseins im 18. Jahrhundert jetzt ausführlich Georg Schmidt, Wandel durch Vernunft. Deutsche Geschichte im 18. Jahrhundert, München 2009.

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Deutschland erobert. Andererseits wirken die außereuropäischen Entwicklungen auf Europa zurück, so ζ. B. wenn lokale Konflikte in Übersee (Streit um Grenzen im OhioTal, Konkurrenz englischer und französischer Ostindienkompanien) eine eigene, Europa mitreißende Dynamik entwickeln. Auch für die Entwicklung spezifisch-neuzeitlicher Kategorien der Welterfahrung und -deutung (Säkularisierung, Rationalität, Vernunft als Maßstab von Entscheidungen) wirkt der Siebenjährige Krieg, der in die Blüte der europäischen Aufklärung fällt, als Knotenpunkt. Die rationalen und auf Vernunftprinzipien gründenden Handlungsweisen der Akteure wie auch die säkulare Ordnung des Staatensystems nach dem Prinzip des Gleichgewichts, das Statik und Dynamik zugleich erlaubt, begründeten jedoch keine Friedensordnung. Auf die strukturelle Konfliktanfälligkeit des Gleichgewichts, die durch die Konkurrenzen innerhalb des sich parallel dazu entwickelnden und mit dem Staatensystem vielfach verflochtenen „Welthandelssystem" verstärkt wurde, wiesen bereits Rousseau und Mably hin. An dieser Ausgangslage, die im Siebenjährigen Krieg erstmals zur Ausbildung kommt, hat sich - so das desillusionierende Fazit Asbachs - bis in unsere Gegenwart nichts wesentlich geändert. Mit Brendan Simms Skizze über die Leitmotive englischer Außenpolitik in den 1740er und 1750er Jahren beginnt das Kapitel „Internationale Beziehungen und Staatensystem - Globale Dimensionen, Akteure und Interessen". Simms betont den Eurozentrismus der Engländer, sichtbar schon daran, daß für die Zeitgenossen „Empire" nicht das Kolonialreich meinte, sondern das Alte Reich. Die Sorge um die Sicherheit des Kurfürstentums Hannover, des Stammlandes der Dynastie, und der Insel vor möglichen Invasionen ließ die englischen Außenpolitiker jene Schritte unternehmen, die schließlich in der Westminsterkonvention mündeten. Letztere sollte Hannover vor französischen Angriffen schützen, die Österreichischen Niederlande, Sprungbrett zu einer möglichen Invasion der britischen Insel, glaubte man durch das Bündnis mit Wien zu kontrollieren. Doch statt eine Sicherheitsarchitektur errichtet zu haben, stand man im Sommer 1756 völlig isoliert da - nur mit einem Partner mit schlechtem Leumund. Doch es war paradoxerweise Friedrich der Große, der die Briten aus ihrer Isolation befreite: Sein Angriff auf Sachsen zwang Frankreich in einen Zwei-Fronten-Krieg, in dem England in Europa ein Weltreich gewann - nicht zuletzt durch die Erfolge Friedrichs des Großen und des Herzogs von Braunschweig. Simms Skizze ist Lucien Belys Synthese der französischen Außenpolitik an die Seite gestellt. Bely räumt alte Vorurteile über eine vorgeblich „chaotische" und „unlogische" Außenpolitik Frankreichs unter Ludwig XV. aus dem Weg.27 Zu beobachten ist im 18.

27

So noch Eckhard Buddruss, Die französische Deutschlandpolitik 1756-1789, Mainz 1995, 82. Zum Entscheidungsprozeß in Versailles und zur Bedeutung Ludwigs XV. vgl. jetzt Sven Externbrink, Ludwig XV. als Außenpolitiker. Zum politischen „Stil" des Monarchen (am Beispiel des renversement des alliances), in: Klaus Malettke, Christoph Kampmann (Hg.), Französisch-Deutsche Beziehungen in der neueren Geschichte. Festschrift für Jean Laurent Meyer zum 80. Geburtstag, Münster 2007, 221-240; Hours, Louis XV (wie Anm. 11), 529-567; zur Rolle der Madame de

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Jahrhundert die partielle Ablösung von „liebgewonnenen" Feindbildern wie dem einer Umzingelung Frankreichs durch die Habsburger. Dies und der Wechsel der Dynastie zu Gunsten der Bourbonen in Spanien und Italien (Neapel-Sizilien, Parma) reduzierten die Fixierung auf die Feindschaft zu den österreichischen Habsburgern. Dieser Wandel der Wahrnehmung zumindest bei einigen Protagonisten, und insbesondere beim König, ebnete den Weg zum Bündnis von 1756, das keineswegs die Eroberung Schlesiens zum Ziel hatte (was die Intention Kaunitz' war), sondern - wie auch die Westminsterkonvention - den Kontinent neutralisieren und befrieden sollte. Noch im August betonte der Abbe Bernis, der im Namen des Königs verhandelte, daß das „neue System" nicht auf Eroberungen ausgerichtet sei, sondern vielmehr auf den Bestimmungen des Friedens von Aachen gründe (und damit auch die Garantie des Besitzes von Schlesiens für Preußen beinhaltete). Die maßgeblich von Ludwig XV. geleitete und überwachte Außenpolitik war in großem Maße von dynastischem Denken geprägt, dem Wunsch, eine Allianz der großen bourbonischen Linien zu begründen, was 1761 mit dem Familienpakt {pacte de famille) gelang. Dieser brachte kurzfristig - im Siebenjährigen Krieg keine Ergebnisse, auch Spanien mußte eine Reihe von Niederlagen hinnehmen. Langfristig brachte er aber Erfolge: Im Verbund mit Spanien gelang der Sieg über England im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Komplementär dazu entwickelte sich die ungeliebte, aber von Ludwig XV. betriebene Allianz mit Wien: im Siebenjährigen Krieg ohne Erfolg, sicherte sie seit 1763 die Neutralisierung des Kontinents. Der Perspektive der beiden wichtigsten europäischen und global interessierten Akteure stehen mit den Beiträgen von Michael Mann und Ulrike Kirchberger die der außereuropäischen gegenüber. Michael Mann ordnet den Siebenjährigen Krieg in die indische Geschichte ein: Der Konflikt kennzeichnet einen Wendepunkt der Geschichte des Subkontinents. Die europäischen Handelskompanien wurden seit den 1740er Jahren in innerindische Konflikte der Staatsbildung hineingezogen bzw. ließen sich beteiligen. Engländer und Franzosen agierten als Verbündete im Machtkampf indischer Territorialherren, die innerhalb des Mogulreichs ihre Herrschaft über Teilreiche ausbauen bzw. vergrößern wollten. Brennpunkte dieser Entwicklung waren der südindische Karnatak und Bengalen, genau dort, wo die Europäer ihre Handelskontore hatten. Die Inder wollten vor allem vom militärischen Wissen der Europäer profitieren und „zahlten" mit der Erweiterung bzw. der Verleihung von Privilegien. Am Ende des Krieges war die britische East India Company in das indische politische System als Territorialherr integriert - Ausgangspunkt der Eroberung und Unterwerfung Indiens durch die Engländer im 19. Jahrhundert. Steht der Siebenjährige Krieg in Indien am Beginn einer Entwicklung, die langfristig auf die Vernichtung gewachsener politischer Strukturen und ihre Ersetzung durch ein europäisches Herrschaftssystem hinauslief, so markiert der Siebenjährige Krieg in Nordamerika ebenfalls den Anfang vom Ende der politischen Eigenständigkeit der inPompadour in der französischen Außenpolitik jetzt die wichtige Studie von Eva Kathrin Dade, Madame de Pomapdour. Die Mätresse und die Diplomatie, Köln, Weimar, Wien 2010.

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digenen Bevölkerung. Auch in Amerika ist der Krieg ein „Knotenpunkt" vielfältiger Entwicklungen - Ausschaltung der Indianer als Akteure im Konflikt Englands und Frankreichs um die Kontrolle des Kontinents, Beginn der Entfremdung von Kolonien und Mutterland nach 1763 in der Frage der Refinanzierung der Kriegskosten. Ulrike Kirchberger zeigt am Beispiel der Wahrnehmung der Indianer durch die Kolonisten, daß der Siebenjährige Krieg jedoch keine so scharfe Zäsur im Hinblick auf das Zusammenleben zwischen Kolonisten und Indianern darstellt. Im Konfliktfall wurden die Indianer zu Bestien, denen alle menschlichen Attribute abgesprochen wurden, nach der Rückkehr zum Frieden zeigten sich Kolonisten durchaus am friedlichen Nebeneinander und vor allem an der Etablierung eines intensiven Handels interessiert. Das Kapitel „Kriegswahmehmungen und Nachwirkungen: Politik, Literatur und Kunst" setzt ein mit der Analyse der Wahrnehmung und Kommentierung des Krieges durch einen prominenten Zeitgenossen: Voltaire. Der Philosoph von Ferney, so kann Sven Externbrink zeigen, nahm an den Ereignissen intensiv Anteil, er erkannte die Tragweite der Ereignisse und ließ sie auch in seine Schriften mit einfließen - Voltaires Meisterwerk Candide und Artikel des Dictionnaire philosophique enthalten zahlreiche Anspielungen auf den Krieg. Als Historiker stellt Voltaire in seinem Precis du siecle de Louis XV die globalen Aspekte des Krieges in den Vordergrund. Der Beurteilung und Wahrnehmung der „Diplomatischen Revolution" in der französischen Öffentlichkeit und in politischen Zirkeln in Frankreich geht Jörg Ulbert nach. Er zeigt, wie die Systemrationalität der französischen Außenpolitik, die mit dem Bündnis mit Wien durchaus traditionelle Ziele verfolgte (Sicherung des Reiches gegen eine Hegemonie und Umwandlung in einen Einheitsstaat), in der Öffentlichkeit und z.T. auch in politischen Kreisen nicht wahrgenommen wurde, nicht wahrgenommen werden wollte, aber auch von Seiten des Königs Gestalt keine Anstalten unternommen wurden, für das „neue System" zu werben, d.h. der gewandelten Rolle der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen. So konnte es dazu kommen, daß auch unter der Beteiligung „aufgeklärter" Autoren die französische Allianz zu einem negativen Symbol der absoluten Monarchie wurde. Beatrice Heuser spürt den Ursprüngen der Konstruktion des Friedrichs-Mythos in der Strategieliteratur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nach. Ausgangspunkt sind die Schriften französischer Bewunderer Friedrichs des Großen - in erster Linie Guibert gefolgt von der luziden Analyse der friederizianischen Kriegführung und Strategie bei Clausewitz und Delbrück sowie deren nationalistische Verkürzung bis 1945. Deutlich wird dabei aber auch die fortwährende Aktualität strategischer Konzeptionen und Denkweisen (ermüdungs- versus Niederwerfungsstrategie), die aus der Betrachtung der Kriegführung und der Schriften Friedrichs des Großen entwickelt wurden. Der umfangreiche Beitrag von Joachim Rees ersetzt eine eigenständige Sektion zur Kunstgeschichte des Siebenjährigen Krieges. Er zeigt wie sich in Auseinanderssetzung mit den Ereignissen des Krieges, bildliche Muster wandeln - so setzt nicht mehr die Antike den Rahmen, an dem ein Bild beurteilt wird, sondern die „diskutierende Öffent-

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lichkeit", die Benjamin Wests Tod des Generals Wolfe zu der Ikone des Siebenjährigen Krieges macht. Rees beschreibt die Aufgabe der seit Ludwig XIV. gepflegten Schlachtenmalerei in Frankreich und weist auf die Mäßstäbe setzende Neuinterpretation des militärischen Ereignisbildes durch West hin: Der Held ist einfacher bürgerlicher Herkunft - Siege erringen nicht mehr die Könige, sondern die durch sie entsandten Soldaten. Ein anderes Bild von West transportiert die Problematik des Zusammentreffen der verschiedenen „Kulturen der Kriegführung" auf dem amerikanischen Kontinent: Das indianische Ritual des Skalpieren des Gegners trifft auf die Praxis der Ritterlichkeit der Angehörigen der aus Adeligen gebildeten Offizierskorps, die sich einem europäischen, grenzüberschreitenden Verhaltenskodex verpflichtet fühlen. Wests auf dem amerikanischen Kriegsschauplatz angesiedelte Bilder finden ihre Entsprechung in der Darstellung einer Episode aus dem preußisch-russischen Kämpfen (Tod des Major von Kleist) durch Johann Heinrich Wilhelm Tischbein und in der aus den Kriegsfolgen entwickelten neuen Form der Stadtraumdarstellung eines Bernardo Bellotto, der das durch Artilleriebeschuß zerstörte Dresden porträtiert. Die Beiträge des letzten Kapitels „Der Siebenjährige Krieg und die Wirklichkeit des Krieges im Zeitalter der Aufklärung" widmen sich der unmittelbaren Erfahrung von Krieg und Gewalt. Slyvaine Llinares fuhrt ein in die Problematik des Seekrieges. Am französischen Beispiel analysiert sie das Rekrutierungssystem der königlichen Marine, die Vor- und Nachteile des in Frankreich unter Colbert etablierten „systeme des classes", eines dem preußischen Kantonssystem vergleichbaren Konskriptionssystems. Der hohe Bedarf an „Menschenmaterial" der Marine sollte dadurch gedeckt werden, indem alle Seeleute der Küstenregionen für den Dienst auf den Kriegsschiffen erfaßt wurden und dann bei Bedarf einberufen werden konnten. Eindringlich geschildert werden die von den Seeleuten zu erduldenden Strapazen und Qualen: In Kriegszeiten kamen neben der harten körperlichen Arbeit die lebensgefährlichen Kämpfe, Epidemien und das Risiko einer Gefangenschaft unter unmenschlichen Bedingungen hinzu. Die französische Marine scheiterte im Siebenjährigen Krieg nicht zuletzt daran, daß ihr Konskriptionssystem die von den Engländern zugefugten Verluste nicht kompensieren konnte. Die britische Form der Zwangsrekrutierung, das „Pressen" und erst darauf erfolgende Ausbildung an Bord der Schiffe, erwies sich angesichts des hohen Personalbedarfs für die Schlachtschiffe als erheblich effizienter. Indem die Royal Navy systematisch noch vor Kriegsausbruch französische Handelsschiffe kaperte und deren Besatzungen internierte, verschärfte sie die ohnehin prekäre Personalnot der französischen Marine weiter. Marian Füssel untersucht, ausgehend von Augenzeugenberichten der Schlacht von Hochkirch (14. Oktober 1758), wie eine der größten militärischen Katastrophen des Preußenkönigs im Rückblick beinahe zu einem Sieg umgedeutet wird. Nicht mehr die Fehler Friedrichs des Großen im Vorfeld und während der Schlacht werden thematisiert, sondern die „preußischen Tugenden" wie die „Disziplin" (Archenholtz) der Soldaten. Diese dominierende Betrachtungsweise der Schlacht als Zeugnis preußischen Heldentum versperrt den Blick auf eine unbefangene Analyse der Ereignisse.

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Im abschließenden Beitrag skizziert Ralf Pröve wie im Siebenjährigen Krieg eine neue Form der Delegitimation des Gegners zu den bereits existierenden Kategorien der Legitimation bzw. Delegitimation der Kriegführung (auctoritas princeps, intentio recta, iusta causa) hinzutritt. Es handelt sich hierbei um die Delegitimation des Gegners durch die Anklage seiner Kriegführungspraxis, die in vier Kriterien unterteilt werden kann (1. Diffamierung und Ethnisierung der Kombattanten, 2. Anklage der Kriegführung im Rahmen des ,kleinen Krieges", 3. Übergriffe auf die Bevölkerung, 4. ökonomische Schäden). Im Aufkommen dieser neuen Kategorie der Delegitimation spiegelt sich, so die Vermutung Proves, auch das wachsende Gewicht einer politischen Öffentlichkeit und eines erstarkenden, sich seiner wirtschaftlichen Potenz bewussten Bürgertums, daß auf Distanz zu klassischen Kriegslegitimationen der absoluten Monarchen ging, auf das die absoluten Monarchen aber zur Finanzierung von Kriegen angewiesen war.

IV. Weder die Tagung noch der aus ihr hervorgehende Bandes beanspruchen, eine vollständige Bestandsaufnahme aktueller und vergangener Forschung zum Siebenjährigen 28

Krieg zu präsentieren. Der Lücken ist sich der Herausgeber nur allzu bewußt. Eine Reduzierung der Erforschung des Krieges nur auf Fragen der politisch-militärischen Geschichte sollte durch die gewählten Themenschwerpunkte vermieden werden. In ihrer Gesamtheit ermöglichen die Beiträge die Skizzierung zukünftiger Forschungsperspektiven: Erstens, „Aufklärung und Krieg" - der Siebenjährige Krieg fällt zusammen mit dem Höhepunkt der europäischen Aufklärung (die Hauptwerke Rousseaus erscheinen in den 1750er und 1760er Jahren). Näher zu bestimmen ist die Reaktion der Protagonisten der Aufklärung zum Krieg, der ja, wie das Beispiel Voltaire zeigt, manch Konzeption der Denker in Frage stellt. Es überrascht die politische Voreingenommenheit mancher Denker, die nicht in der Lage waren, einerseits Feindbilder und Vorurteile zu erkennen und als solche zu behandeln sowie andererseits die Rationalität außenpolitischer Entscheidungen wahrzunehmen (besonders deutlich im Falle der französischen Politik)29. Zweitens stellt die „Globalgeschichte" des Krieges eine der Herausforderungen für die Historiker dar. Gefunden werden muß ein Weg, den europäischen und globalen Konflikt gleichgewichtig darzustellen. Eine getrennte Darstellung des Krieges leuchtet aus pragmatischen Gründen ein, ist methodisch aber nicht überzeugend. Obsolet dürfte eine rein preußische oder österreichische oder auch europäische Perspektive sein, die 28

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Es fehlen Beiträge zu Österreich, Russland, zu anderen deutschen Territorien, über den Krieg in Afrika, in der Karibik oder in Asien, um nur die offensichtlichen Lücken zu nennen. Vgl. die im Beitrag von Jörg Ulbert, 165, Anm. 19 zitierte Bemerkung d'Alemberts über die Österreicher, die Frankreich hassen.

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nur einzelne Aspekte des Konfliktes beleuchtet. So verhinderte die Fixierung auf die Person Friedrichs des Großen und den österreichisch-preußischen Dualismus bis in die Gegenwart eine Wahrnehmung der globalen Perspektiven des Krieges, die den Zeitgenossen - z.B. Voltaire - sehr wohl bewußt war. Deutlich wird in allen Beiträgen, daß die von Olaf Asbach vorgeschlagene Betrachtung des Krieges als Knotenpunkt zu Ende gehender und einsetzender Entwicklungen auf fast alle Themen anwendbar ist, beispielsweise für die Entwicklung des europäischen Staatensystems, in dem von nun an traditionelle, eurozentristische mit den durch globale Interessen entstehenden Handlungslogiken verbunden werden mussten. Drittens ist auch der Bereich der außenpolitischen Entscheidungsprozessanalyse noch nicht umfassend untersucht. Es fehlen politische Biographen bedeutender Akteure, besonders in Frankreich, und des Weiteren Analysen zur Wahrnehmung und Beurteilung des Krieges von den Mächten bzw. Akteuren des internationalen Systems, die nicht an den Kämpfen beteiligt waren, traditionellerweise aber immer an den Konflikten innerhalb des europäischen Staatensystems teilgenommen hatten, wie etwa SavoyenSardinien, aber auch den anderen italienischen Staaten wie dem Großherzogtum Toskana, Venedig oder Neapel-Sizilien. Viertens gilt es den Krieg zu thematisieren und die Ansätze Ralf Proves und Marian Füssels aufzugreifen. Krieg und Gewalt sind zentrale Themen der Kulturgeschichte. Für dieses Fragen bietet der Siebenjährige Krieg viel Anschauungsmaterial - so wurde etwa auf der Tagung intensiv darüber diskutiert, ob im Siebenjährigen Krieg eine Entgrenzung von Gewalt zu beobachten sei, sichtbar etwa in der Vertreibung der Acadiens aus Neu-Braunschweig/Acadie und in der Brutalität und Grausamkeit der Schlachten zwischen Preußen und Russen. Ob diese Gewaltausbrüche der „Normalität" frühneuzeitlicher Kriege entsprachen, darüber konnte keine Einigkeit erzielt werden. Abschließend soll der Wunsch geäußert werden, daß vom vorliegenden Band Impulse ausgehen mögen, die dazu beitragen, die Erforschung des Siebenjährigen Krieges auch in Deutschland, wie es der amerikanischen Historiker Matt Schumann für die englischsprachige Forschung konstatierte, zu einem „Hafen für anspruchsvolle und inter30 disziplinare Gelehrsamkeit" werden zu lassen.

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Siehe die Besprechung von Matt Schuman über Jon Parmenter und Mark P. Robinson (The Perils and Possibilities of Wartime Neutrality on the Edges of Empire: Iroquois and Acadians between the French and British in North America, in: Diplomatic History 31 [2007], 167-206), in: http://www.h-net.org/~diplo/reviews/PDF/Schumann-Parmenter-Robison.pdf, abgerufen am 10. Juni 2010. Eine knappe Skizze des Siebenjährigen Krieges aus globaler Perspektive hat jetzt Marian Füssel vorgelegt: Der Siebenjährige Krieg. Ein Weltkrieg im 18. Jahrhundert (C.H. Beck Wissen 2704), München 2010.

Α. Internationale Beziehungen und Staatensystem Globale Dimensionen, Akteure und Interessen

OLAF ASBACH

Die Globalisierung Europas und die Konflikte der Moderne - Dynamiken und Widersprüche in der Theorie und Praxis der internationalen Beziehungen in der Frühen Neuzeit

I. Die Dialektik von Ereignis und Struktur in der Frühen Neuzeit. Das Beispiel des Siebenjährige Krieges Bereits in den Jahrzehnten vor dem spektakulären Bruch, den die Französische Revolution für Europa signalisiert und damit den endgültigen Abschied vom Ancien Regime eingeläutet hat, manifestierten sich jene Macht-, Interessen- und Konfliktlagen, in denen das politische und soziale Denken und Handeln gänzlich neu bestimmt und politische, ökonomische und soziokulturelle Strukturen dominant wurden, die das Gesicht Europas und der Welt bis heute prägen. Diese Zeit bildet eine jener „Sattelzeiten, die den freien Blick auf das Alte ermöglichen und zugleich das Neue erkennen lassen",1 und dies in all den Ambivalenzen der sich hier ankündigenden Welt. Hierfür können die Ereignisse, die Zeit und die Hintergründe des Siebenjährigen Krieges in besonders eindringlicher Weise stehen, der 1756 mit dem Überfall Preußens auf Sachsen begann und bis 1763 währte. Blickt man in die neuere Forschungsliteratur zum Siebenjährigen Krieg und fragt, in welchem Sinne er auch nach dem Ende der borussischen Mythenbildung um den großen Preußenkönig2 und den definitiven Eintritt Preußens in die Geschichte von Interesse und Bedeutung sein kann, so stößt man auf ganz unterschiedliche Antworten. Auf der einen Seite wird er gleichsam als Abschluß von Entwicklungen gesehen, in denen die

Wolfgang Schieder, Säkularisierung und Sakralisierung der religiösen Kultur in der europäischen Neuzeit. Versuch einer Bilanz, in: Hartmut Lehmann (Hg.), Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Göttingen 1997, 311; zum Begriff „Sattelzeit" s. u., Anm. 14. Zum borussischen und national(istisch)en Blick auf Friedrich II. und den Siebenjährigen Krieg vgl. Peter-Michael Hahn, Friedrich der Große und die deutsche Nation. Geschichte als Argument, Stuttgart 2007.

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OLAF ASBACH

seit dem Beginn der Frühen Neuzeit angestoßenen Prozesse eine letzte Aktualisierung und Erscheinungsform erfahren. So ist er als „letzter Staatenbildungskrieg" verstanden worden, 3 als „letzter Kabinettskrieg" 4 oder als letztes Aufflammen des Zeitalters der Religionskriege. 5 D e m stehen Interpretationen gegenüber, die auf das Neuartige, auf Entwicklungen nach dem Ende des Äncien

Regime,

teilweise auf das 19. und 20. Jahr-

hundert vorausweisende Elemente abheben. In der Art und Weise der Kriegs fuhrung, der Ausbildung und Mobilisierung v o n Mustern nationaler Energien und Identifikationsstrategien gilt der Siebenjährige Krieg dann etwa als Beginn der gemeinhin erst mit der Revolutionszeit verbundenen Epoche v o n Nationalismus und Nationalstaaten mit all ihren produktiven und verheerenden Resultaten. 6 Oder der Siebenjährige Krieg wird als erster Weltkrieg verstanden, insofern hier von den Anlässen und Schauplätzen über die politischen und ökonomischen Dynamiken bis hin zu den Formen ihrer Wahrnehmung und Beurteilung der europäische Horizont in einer neuartigen W e i s e transzendiert zu werden scheint. 7 Schließlich könnte man Originalität und Bedeutung des Siebenjährigen

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Vgl. Johannes Burkhardt, Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches 1648-1763, Stuttgart 2006, 434; Ders., Vom Debakel zum Mirakel. Zur friedensgeschichtlichen Einordnung des Siebenjährigen Krieges, in: Helmut Neuhaus, Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.), Menschen und Strukturen in der Geschichte Alteuropas, Berlin 2002, 299-318, 314 ff.; zum Begriff des „Staatenbildungskrieges" vgl. Ders., Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt a. M. 1992, 22-24, sowie, entfaltet als Theorie frühneuzeitlicher Bellizität, Ders., Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: Zeitschrift jür Historische Forschung 24 (1997), 509-574. Nach Johannes Klinisch, Das Mirakel des Hauses Brandenburg. Studien zum Verhältnis von Kabinettspolitik und Kriegsführung im Zeitalter des Siebenjährigen Krieges, München 1978, 9, handelte es sich um einen „typischen und zugleich in vielfältiger Hinsicht einzigartigen Kabinettskrieg". Hierfür spreche, daß er noch wesentlich durch Faktoren der rational-kalkulierenden, von persönlichen Motiven bestimmten Entscheidungen geprägt sei, getroffen „in der Heimlichkeit des Kabinetts", so daß „unerwartete Wendungen wie Koalitionswechsel, Bündnisbruch, Sonderfriedensschluß zum anerkannten und häufig gebrauchten Arsenal der Außenpolitik" gehörten. Christoph Dipper, Deutsche Geschichte 1648-1789, Frankfurt/M. 1992, 296. Johannes Burkhardt, Abschied vom Religionskrieg. Der Siebenjährige Krieg und die päpstliche Diplomatie, Tübingen 1985, wobei Burkhardt freilich, wie der Titel des Buches zeigt, „ n i c h t mehr von genuinem Religionskriegsdenken" sprechen will (S. 6). Demnach gehört der Siebenjährige Krieg „bereits einem neuen, erst in der Zukunft sich voll entfaltenden Typus an, dem Nationalkrieg". Dipper, Deutsche Geschichte (wie Anm. 4), 295, der sich bereits mit dem Kampf um öffentliche Meinung und nationale Identifikation verband (ebd., 305 ff.; Rudolf Vierhaus, Deutschland im Zeitalter des Absolutismus, 1648-1763, Göttingen 2 1984, 185). Anders Michael Salewski, Deutschland. Eine politische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 1, München 1993, 218, der gegen die borussischen Konstruktionen bemerkt, es gehöre „zu den fatalsten Geschichtsklitterungen des deutschen Chauvinismus, im Siebenjährigen Krieg schon einen ideologischen Nationalkrieg zu sehen", während tatsächlich „die Allianzen nicht ideologisch geprägt" gewesen seien (ebd., 219; Hervorh. O.A.). Vgl. Christopher J. Duffy, Die Dynamik eines Weltkrieges im 18. Jahrhundert, in: Manfred Rauchensteiner, Erwin A. Schmidl (Hg.), Formen des Krieges. Vom Mittelalter zum „Low-IntensityConflict", Graz, Wien, Köln 1991, 71-88.

DIE GLOBALISIERUNG EUROPAS UND DIE KONFLIKTE DER MODERNE

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Krieges aber vielleicht auch insgesamt in Frage stellen. Denn schließt er wirklich etwas ab - sei es die politisch-theologische oder ideologische Dynamik der Religionskriege oder das Zeitalter der Staatenbildung - , was nicht de facto schon längst entschieden Q

war? Und beginnt das Neue tatsächlich bereits 1763 und nicht erst mit später einsetzenden sozioökonomischen und politischen Entwicklungen auf europäischer und globaler Ebene? Denn war nicht die vermeintliche Durchsetzung des englischen Weltreichs 1763 nur ein Pyrrhussieg, da die gewonnenen Kolonien kurz darauf im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg schon wieder verlorengingen?9 Baute nicht das britische Empire des 19. Jahrhunderts weniger auf dem Erfolg im Siebenjährigen Krieg als vielmehr vor allem auf jenen Grundlagen auf, die erst durch die industrielle Revolution gelegt wurden, in deren Gefolge die Kolonien in gänzlich neuartiger Weise unterworfen und durchdrungen und in ein globales Wirtschafts- und Machtsystem integriert wurden? 10 Und läßt sich nicht erst nach den demokratischen Revolutionen in den USA und in Frankreich sinnvoll vom Beginn der neuzeitlichen Identifizierung von Bürgern (und Soldaten) und Staat sprechen, da hier erst die sozialen und politischen Bedingungen fur nationale Identifikationsmuster geschaffen wurden, die sie in der Folgezeit so machtvoll und wirksam gemacht haben? Bedenkt man diese Problematik der angemessenen historischen Einordnung genauer, wird schnell deutlich, daß sich diese oberflächlich gesehen so heterogen erscheinenden Interpretationen und Bewertungen durchaus nicht notwendig ausschließen. Die verwirrende Ausgangslage kann deshalb zum Anlaß genommen werden, sich an ein Grundproblem methodisch reflektierter Erkenntnis historischer Entwicklungen zu erinnern. Der Umstand nämlich, daß der Siebenjährige Krieg derartig vielgestaltig ist, daß er so unterschiedliche Dimensionen und Prozesse zum Ausdruck bringt und in so gegensätzlicher Weise interpretierbar ist, sollte weniger als Problem denn als Hinweis darauf gesehen werden, daß man es hier mit einem Gegenstand zu tun hat, anhand dessen sich viel über die Komplexität der Faktoren, Elemente und Dynamiken der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Frühen Neuzeit erfahren läßt. Dies ist wenig überraschend, denn es wäre nichts weniger als naiv, würde man davon ausgehen, es gäbe im historischen Prozeß und Zusammenhang klare, ein-eindeutige Kausalitäten, Grenzen und Bedeutungen von und zwischen Epochen und Ereignissen, Phänomenen und Ent-

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Vgl. Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700-1785, Paderborn 1997, 61, für den der Versuch, den Siebenjährigen Krieg als Religionskrieg darzustellen, „nur noch eine propagandistische Stilisierung war; die Konfession war im 18. Jahrhundert als konstitutiver Faktor aus dem Staatenleben verschwunden". Ironischerweise war auch dies eine indirekte Folge des Siebenjährigen Krieges, da der Versuch der britischen Krone, die amerikanischen Kolonisten zur Beteiligung an den enormen Kosten des Krieges zu beteiligen, nicht wenig zum Ausbruch des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges beitrug. So sieht Bayly etwa die Jahre ab 1780 mit der industriellen und den politischen Revolutionen als Beginn des langen 19. Jahrhunderts als einer von Europa ausgehenden ,„Achsenzeit' für die Weltgeschichte"; vgl. Christopher Bayly, Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 17801914, Frankfurt a. M. 2006,107.

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Wicklungen, gar so etwas wie historische ,Stunden Null', an denen etwas Altes endet und etwas Neues als absolut Unbestimmtes beginnt. Jedes Ereignis, jede Um- und Neuprägung gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse und Institutionen, aber auch von politischen und sozialen Begriffen, Weltbildern und Normensystemen sind stets vielfaltig und auf komplexe Weise Bedingtes und Bedingendes, Resultat und Ausgangspunkt. Alles Neue bezieht sich in je spezifischer Weise auf Bestehendes, Gewordenes und Werdendes und wird von ihm geprägt. Und wo sich Neues in einem geschichtsmächtigen Sinne durchsetzt, dort wird auch das Vergangene jeweils neu bestimmt: dasjenige, was ,an sich' viele Optionen und Entwicklungsmöglichkeiten in sich bergen mochte, wird durch konkret vollzogene Entscheidungen und Entwicklungen gleichsam umgeformt und wird zu dieser Vergangenheit dieser Entwicklungen. Dadurch wird ihrer Betrachtung und Bewertung wiederum eine spezifische Ausrichtung verliehen; wie in einem Magnetfeld dieselben einzelnen Elemente eine neue Ausrichtung erhalten und damit auch ein neues Gesamtbild ergeben, so wird das, was historische Ereignisse, Handlungen, Entwicklungen und Strukturen bedeuten und bewirken, erst durch das Magnetfeld der von ihnen mitgeprägten Entwicklungen wirklich und dann auch erkennbar, ohne darauf reduziert werden zu können.11 Es ist also nicht notwendig das Problem unzureichender Informationen oder unklarer Begriffsbildung, wenn spezifische historische Phänomene und Entwicklungen hinsichtlich der Interpretation ihrer Bedingungen und Bedeutungen vielfältig schillernd und umstritten sind, nicht nur bei den zeitgenössischen Akteuren und Beobachtern, sondern auch bei den Nachgeborenen und wissenschaftlichen Interpreten. Dies gilt natürlich vor allem auch für solche Entwicklungen, Phänomene und Ereignisse, in denen sich wie in Knotenpunkten langfristige und tiefgreifende Umbruchsprozesse zur Geltung bringen bzw. durch sie neu angetrieben werden. Es spricht einiges dafür, daß es sich beim Siebenjährigen Krieg um einen solchen Knotenpunkt handelt, bei dem sich das Verständnis der übergreifenden historischen Faktoren und Entwicklungen und des konkreten Ereignisses in seinen unterschiedlichen Dimensionen wechselseitig bedingen. Mithin erfordert das Verständnis des Siebenjährigen Krieges die Kenntnis und Interpretation dieser hier zusammentreffenden und sich .verknotenden' Faktoren und Entwicklungen; und ebenso können letztere in ihrer Existenz und Besonderheit erst durch die Analyse jener konkreten Vermittlungsformen sichtbar und plausibel gemacht werden. Nicht das geringste Indiz für einen solchen Status des Siebenjährigen Krieges ist eben die Vielzahl und Heterogenität der Versuche, dessen Ursachen, Erscheinungsformen und Wirkungen im Gesamtprozeß der Frühneuzeitgeschichte zu In diesem Sinne ist auch die oftmals teleologisch und deterministisch verstandene methodologische Aussage von Marx, daß das historische und systematische Verständnis der Gegenwart „den Schlüssel für das Verständnis der Vergangenheit" bildet, zu interpretieren. Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (Rohentv/urf) 1857-1858, Berlin 1974, 365. Denn die wissenschaftlich erforderliche Rekonstruktion der „Determinanten" des real Gewordenen und Existierenden ist nicht mit der Behauptung ihrer Alternativlosigkeit und Notwendigkeit gleichzusetzen.

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verorten, wie er in den eingangs erwähnten Interpretationsvarianten mit Stichworten wie denen der Staatenbildung, der Entstehung des modernen Europa und seiner ökonomischen und politisch-militärischen Expansion oder der damit zusammenhängenden Form von Theorie und Praxis der internationalen Beziehungen, des Krieges und des Völkerrechts verbunden werden können. Die Einschätzung der unterschiedlichen Weisen, den Siebenjährigen Krieg zu beschreiben und historisch zu bewerten, setzt also einerseits die Reflexion auf diese übergreifenden Entwicklungen, der Konzepte ihrer Wahrnehmung und Beschreibung voraus, andererseits die Reflexion auf seine konkrete Vermittlung mit ihnen. In den folgenden Ausführungen soll deshalb der Siebenjährige Krieg als ein solcher Knotenpunkt in den Blick genommen werden. Der Krieg wird dabei weniger als ein Ereignis denn als eine spezifische Konstellation von Akteuren, Strukturen und Tendenzen im raum-zeitlichen Kontinuum der Frühen Neuzeit einschließlich der Wandlungen in Weltbildern und Repräsentationsweisen verstanden. Es sind in systematischer Perspektive zumindest drei Achsen, anhand derer eine solche Verortung des Siebenjährigen Krieges erfolgen muß: -

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die Achse des zeitlichen Verlaufs im frühneuzeitlichen Europa, insofern dieser Krieg und die in ihm wirkenden Akteure, Interessen und sonstigen materiellen und institutionellen Faktoren als spezifische Vermittlung und Knotenpunkt im genannten Sinne zwischen Vergangenheit und Zukunft, Gewordenem und Bestehendem einerseits und Werdendem und Herzustellendem andererseits verstanden werden können; die Achse der theoretischen und praktischen Phänomene und Entwicklungen, wie sie in dieser Zeit, aber natürlich in jedem Moment der zuerst genannten Zeitachse bestehen und, will man ,Ereignis' und Gesamtentwicklung verstehen, in der Spezifik ihrer Beziehung aufeinander und ihrer Bedeutung füreinander erfaßt werden müssen; die Achse der Beziehung zwischen , Europa' - oder genauer: dem in diesem Pro12

zeß als Europa konstituierten theoretischen und praktischen Zusammenhang und der nicht- oder außereuropäischen Welt, wobei diese Achse wiederum erst unter Einbeziehung der beiden erstgenannten in ihrer historischen und mentalen Genese und Bedeutung kenntlich wird. Auf dieser Grundlage sollen im folgenden Beitrag einige jener Linien und Problemkomplexe skizziert werden, die sich im Siebenjährigen Krieg erkennen lassen, kreuzen und in spezifischer Weise fortgebildet oder gebrochen werden. Zunächst wird nach den basalen Konfliktstrukturen gefragt, wie sie im frühneuzeitlichen Europa aufgrund der politisch-staatlichen und sozioökonomischen Umbruchsprozesse seit dem 15. und 16. Denn erst in der Frühen Neuzeit bildet sich jener politische und soziokulturelle Zusammenhang heraus, der seitdem als „Europa" wahrgenommen, beschrieben und in spezifischer Weise politisch und normativ aufgeladen wird; vgl. Olaf Asbach, Europa - Vom Mythos zur „Imagined Community"? Zur historischen Semantik „Europas" von der Antike bis ins 17. Jahrhundert, Berlin 2010 Kap. III und IV.

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Jahrhundert entstanden sind (II), anschließend nach der Spezifik der theoretischen und praktischen Formen und Kategorien der Wahrnehmung, Beurteilung und des Umgangs mit dieser neuzeitlichen Welt, der hier entwickelten Rationalitäten, ihrer Schranken und Widersprüche (III). Sodann werden einige jener Konzeptionen diskutiert, mittels derer im 18. Jahrhundert den Strukturen und Dynamiken des internationalen Systems zu begegnen versucht wurde (IV). Ihre Probleme und Schranken verweisen jedoch auf Konfliktdynamiken, die in den Ereignissen, Entwicklungen und Vorstellungswelten zur Zeit des Siebenjährigen Krieges, aber auch bis in die Gegenwart der modernen europäischen und globalisierten Welt hinein erkennbar und wirksam sind (V).

II. Der Siebenjährige Krieg als Knotenpunkt im Prozeß der Globalisierung der europäischen Konfliktstrukturen Wenn der Siebenjährige Krieg als erster Weltkrieg angesehen wird, so gründet sich diese Bewertung nicht nur auf die Schauplätze und die Handelnden - die Staaten, Kolonialmächte und anderen beteiligten Akteure - , sondern auch auf ihre Einsätze und Ziele territoriale und ökonomische Machtgewinne und Positionierungen - , die den europäischen Kontinent transzendierten und mit Amerika, Afrika und Asien auch alle anderen der damals bekannten Kontinente einbezogen.13 Damit sind jedoch Faktoren und Dynamiken benannt, die zumindest auf den ersten Blick keine genuinen Produkte und Phänomene des dritten Viertels des 18. Jahrhunderts, sondern Teil eines lange vorher einsetzenden Entwicklungsprozesses sind. Worin also besteht hier das Spezifische, Neuartige und historisch Bedeutsame dieser Zeit und Ereignisse? Wie fugen sich die hier entstehenden, von Konkurrenz, Konflikt und Krieg geprägten Verhältnisse und des theoretischen und praktischen Umgangs mit ihnen in die übergreifenden, die Neuzeit prägenden Entwicklungen ein, und inwieweit beeinflussen sie die weiteren Entwicklungen oder nehmen sie bereits vorweg? In der um 1750 einsetzenden europäischen „Sattelzeit"14 etablieren und entfalten sich sozioökonomische und politische Verhältnisse und damit verbundene Konflikte, die 13

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Jeremy Black, Pitt the Elder, Cambridge 1992, 167, spricht von einem „umbrella conflict: between the single title lay a number of different conflicts"; Heinz Schilling, Die neue Zeit. Vom Christenheitseuropa zum Europa der Staaten 1250-1750, Berlin 1999,449, von einem Krieg, „der zugleich ein deutscher, ein europäischer und ein Weltkrieg war". Der von Reinhart Koselleck geprägte Begriff der „Sattelzeit" verweist auf die epochalen Veränderungen in der politischen und sozialen Terminologie etwa zwischen 1750 und 1850, als „distinctively modern political and social concepts were shaped in forms which both registered and shaped the rapid but persisting transformations of governmental, social, and economic structures". Melvin Richter, „Begriffsgeschichte" and the History of Ideas, in: Journal of the History of Ideas 48

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sich seit mehreren Jahrhunderten, vor allem seit dem 15. und 16. Jahrhundert, vorbereitet und sukzessive einen systemischen Zusammenhang generiert haben, der verselbständigten Imperativen des Funktionierens und der Weiterentwicklung unterliegt. Zwei Prozesse sind dabei grundlegend. Auf der einen Seite vollzieht sich die Herausbildung des modernen Staates: die zunächst meist in dynastischer Form ablaufende Verselbständigung und Institutionalisierung einer Staatsgewalt, die mit dem Monopol der Setzung und Durchsetzung von Recht und der legitimen Anwendung von Gewalt über eine Bevölkerung innerhalb eines spezifischen territorialen Rahmens verbunden ist.15 Auf der anderen Seite vollzieht sich die Herausbildung und Verallgemeinerung neuer sozialer und ökonomischer Strukturen gesellschaftlicher Produktion und Verteilung. Wird die von privaten Unternehmersubjekten forcierte Produktion für den Austausch auf überregionalen Märkten zwecks Verwertung und Steigerung eingesetzten Kapitals dominant und generalisiert, fuhrt dies zur Umwälzung der Gesamtheit der gesellschaftlichen Beziehungen, Selbst- und Weltbilder, der Strukturen und Normen sozialer Organisation und gesellschaftlichen Handelns. Beide Prozesse sind von Anfang an miteinander verbunden, ergänzen und verstärken einander und gehen gleichsam eine Symbiose ein, die sie zu Elementen einer neuartigen Gesellschaftsformation macht. Auf phänomenaler Ebene läßt sich vor allem seit dem 16. und 17. Jahrhundert verfolgen, wie Institutionen und Funktionen moderner Staatlichkeit und bürgerlich-kapitalistischer Formen von Produktion, Handel und sozialer Organisationsformen einander bedingen und wechselseitig verstärken.16 In der historischen Konsequenz rechtfertigt sich der Staat aus seiner Leistung, die allgemeinen Bedingungen der Organisation und Integration eines funktional ausdifferenzierten Handlungszusammenhangs - der Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft in ihrem seit Hegel gültigen Verständnis17 - zu garantieren und zu reproduzieren. Und dazu ist er nur in der Lage, wenn er es erfolgreich versteht, die dafür erforderlichen materiellen, finanziellen und personellen Ressourcen einschließlich des unabdingbaren 18 Grades an Zustimmung und Loyalität zu erhalten. Was in dieser systemisch-funktionalen Perspektive vom ,Ende der Geschichte' her gesehen so klar, gleichsam als ein mechanischer und entsprechend gut geölter Funkti-

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(1987), 252. Zu diesem Konzept auch Kari Palonen, Die Entzauberung der Begriffe. Das Umschreiben der politischen Begriffe bei Quentin Skinner und Reinhart Koselleck, Münster, Hamburg, London 2 0 0 4 , 2 4 6 ff. Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfangen bis zur Gegenwart, München 2 2000. Vgl. als Synthese der politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Dimensionen dieses Prozesses Leonhard Bauer, Herbert Matis, Geburt der Neuzeit. Vom Feudalsystem zur Marktgesellschaft, München 1988, v.a. Teil 2, 189 ff. Vgl. historisch und systematisch hierzu Hermann Heller, Staatslehre (1934), Tübingen 6 1983, 1 2 4 140. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, in: Ders., Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt a. M. 1991, 215 ff.

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onszusammenhang erscheint, war es tatsächlich nicht - weder historisch noch systematisch. Von Anfang an sind diese in Europa entstandenen Prozesse nämlich einerseits mit der Möglichkeit und der Wirklichkeit von Konflikt, Gewalt und Krieg verbunden, zum anderen mit der Beziehung auf,anderes', d.h. auf jeweils andere soziale, politische und ökonomische Akteure generell wie auch auf die außer-europäische Welt im besonderen. Der Grund, warum sich die Prozesse der Staatsbildung gleichsam als eine einzige Abfolge von Konflikten und Kriegen im Inneren und nach außen vollziehen, die mit den Mitteln von Zwang, Gewalt und Krieg mit unterschiedlichsten Begründungen und Erscheinungsformen ausgetragen werden, ist evident: Es handelt sich hierbei um epochale, alle inner- und zwischengesellschaftlichen Ebenen und Sphären gesellschaftlicher Organisation und Denkens transformierende Umwälzungen, die eine neue Zeit und Welt im umfassendsten Sinne des Wortes erzeugen.19 Und als solche muß der Staat als 20

„organisierte Entscheidungs- und Wirkungseinheit" gegen Altes und Alternatives durchgesetzt werden. In gesellschaftstheoretischer Perspektive bildet der Prozeß der Staatsbildung den Kampfplatz, auf dem und mittels dessen alte und neu entstehende, politische, religiöse und soziale Akteure und Interessen um die Grundlagen und Bestimmungen der sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse und Zielsetzungen und ihre je eigene Stellung darin streiten. Wenn in den europäischen Territorien über Jahrhunderte hinweg darum gekämpft wird - meist mit der Feder und mit dem Schwert - , ob und wer wie und mittels welcher Instrumente und Institutionen zu welchem Zweck und in welchem Umfang so etwas wie allgemeine Staatsgewalt ausüben darf, geht es schließlich notwendig zugleich um die Entscheidung über Machtpositionen und eine spezifische Struktur des gesellschaftlichen Lebenszusammenhangs und ihre Durchsetzung nach innen und außen. Diese historischen Andeutungen zeigen in systematisch-institutioneller Perspektive, daß der frühneuzeitliche Prozeß der Staatsbildung mit Funktionen und Erscheinungsformen verbunden ist, bei denen sich Ordnungs- und Einheitsstiftung einerseits, Konflikte und Krieg andererseits auf den unterschiedlichsten Ebenen bedingen und provozieren.21 Dies gilt im Hinblick auf die innerstaatliche Dimension, d.h. die

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„Staat" bedeutet also nicht die Einrichtung einer sozialen Institution neben anderen in einem additiven Sinne, sondern er ist Ausdruck, Resultat und Faktor einer spezifischen Organisationsform des gesellschaftlichen Zusammenhangs, die in einer spezifischen - in ihren historischen Erscheinungsformen freilich sehr heterogenen - Weise alle Elemente und Beziehungen des sozialen Lebens einschließlich ihrer Repräsentations- und Denkformen organisiert und konditioniert. Aus diesem Grund ist „Staat" als gesellschaftliches Verhältnis ein spezifisch modernes Produkt, das erst in der Neuzeit konstituiert wurde und auch erst konstruiert werden konnte. Heller, Staatslehre (wie Anm. 17), 259 ff. Es ist also wichtig, sich den Umstand - und seine Bedeutung - bewußtzumachen, daß staatliche Herrschaft in ihrer Entstehung und ihrem Funktionieren zugleich Medium des Kampfes und Feld von Auseinandersetzungen und der Ordnungs- und Friedensstiftung zur Garantie des Ganzen unter Ausschaltung innerer und äußerer Widerstände bedeutet, wobei die Formen dieser Auseinandersetzung und Interessen historisch stark differieren. Deshalb entfallen, wie zu zeigen sein wird, die

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herrschaftliche Durchdringung und Organisation der sozialen Verhältnisse, der Prägung und Stabilisierung der gesellschaftlichen Institutionen und Orientierungsformen als Fundament der politischen, ökonomischen, finanziellen und militärischen Stärke und Lebensfähigkeit der als politische Körperschaften verfaßten Gesellschaften. Die außerordentliche Bedeutung, die hierbei - sei es zur Ausschaltung konkurrierender Gewalten, zur Finanzierung oder zur sozialdisziplinierenden Formierung des Gesellschaftszusammenhangs - der organisierten Gewaltausübung zukommt, prägt auch die komplementäre Seite dieses Prozesses: die hierbei generierte internationale Dimension als die eines Systems von gegeneinander abgeschlossenen, miteinander um politische, ökonomische und territoriale Macht konkurrierenden Staaten. Das 16. und 17. Jahrhundert sind durchzogen von jenen Staatenbildungskriegen, die in ihren eigentümlich destruktiven und produktiven Strukturen und Resultaten erst die inneren und äußeren Voraussetzungen für die globale Dominanz der europäischen Staaten generieren, die am Ende dieses Prozesses bestand. Dabei ist in der politischen und ökonomischen, rechtlichen und militärischen Ausbildung des europäischen Staatensystems die globale Dimension von Anfang an präsent. Man muß nicht die modernen Staaten nachgerade als ,Effekt' der Herausbildung des ökonomischen Weltsystems ansehen,22 um die konstitutive Bedeutung zu erkennen, die in diesem Prozeß die militärischen und ökonomischen Ansprüche der aufstrebenden europäischen Mächte auf die anderen Kontinente und die Beherrschung der Meere gehabt haben. Die Suche nach dem östlichen und westlichen Seeweg nach Indien durch Portugiesen und Spanier, der Aufbau der kolonialen Reiche in Amerika, die Stützpunkte und Handelsverbindungen in Asien und Afrika bildeten seit dem 16. Jahrhundert entscheidende Faktoren im Prozeß des politischen und ökonomischen Aus-

Strukturen und Logiken der Konflikte nicht mit der erfolgreichen Etablierung staatlicher - oder völkerrechtlicher - Institutionen und Ordnungen. Sie sind ihnen eingeschrieben' - was aber nicht als pseudo-kritische fagon de parier genommen und gleichsam diesen Institutionen und Strukturen nach Art eines moralischen Vorwurfs entgegengehalten werden darf. Es bezeichnet dies demgegenüber erst einmal nichts als die tatsächliche gesellschaftliche Funktion dieser Institutionen in der modernen, ausdifferenzierten, von konkurrierenden Akteuren, Interessen und Ansprüchen geprägten Gesellschaft angesichts der daraus resultierenden Konflikte und Entscheidungsnotwendigkeiten: den gesellschaftlichen und internationalen „Naturzustand" als prinzipiell konflikthafter und widersprüchlicher Beziehungen zwischen den einander als Freie und Gleiche gegenüberstehenden, die je eigenen Handlungssphären damit notwendig beschränkenden Akteure in einer Weise zu organisieren und zu regulieren, daß sie nach dem Gleichheits- und Reziprozitätsprinzip funktionieren. Der strukturelle Konkurrenzzustand wird also nur institutionell und rechtlich eingebunden und in Bahnen gelenkt, die die Erhaltung der Einzelnen gegen Übergriffe anderer und die freie und deshalb konflikterzeugende Interessenverfolgung zugleich sichert. So klingt es zuweilen bei Immanuel Wallerstein, Das moderne Weltsystem. Die Anfänge kapitalistischer Landwirtschaft und die europäische Weltökonomie im 16. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1986, 537 f. o. 520, wo er Staaten „sowohl als Mechanismen [bestimmt], um innerhalb des Weltsystems entstandene Disparitäten zu schützen, als auch als ideologische Markierung und Rechtfertigung für die Aufrechterhaltung dieser Disparitäten"; kritisch hierzu Heide Gerstenberger, Die subjektlose Gewalt. Theorie der Entstehung bürgerlicher Staatsgewalt, Münster 2 2005, 18-21.

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baus und der relativen Macht der entstehenden staatlichen Herrschaftsgebilde im europäischen Kontext. 23 Die Beherrschung der Weltmeere, die Eroberung von Kolonien, Rohstoffen und neuen Märkten, die Beteiligung am Übersee- und insbesondere am Sklavenhandel, die Einspeisung der geraubten Gold-, Silber- und anderen Schätze aus den überseeischen Gebieten in den Wirtschaftskreislauf bildeten seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert dann auch für die neu aufstrebenden Mächte - so vor allem für die Niederlande, England und Frankreich - unverzichtbare Fundamente der Entwicklung. 24 Staatsbildung, Ausbildung eines europäischen Staatensystems und überseeische Expansion stellen nur unterschiedliche Seiten eines und desselben Prozesses dar, der das Europa der Frühen Neuzeit durchzieht und prägt. 25 Die hier einsetzenden, das 16. bis 18. Jahrhundert durchziehenden, europäische und globale Verhältnisse umfassenden und sie gleichermaßen neu prägenden politischen und sozioökonomischen Entwicklungen erreichten nach der Mitte des 18. Jahrhunderts eine in Qualität und Quantität neue Dimension. Nunmehr kommt der Prozeß der Bildung des europäischen Mächtesystems zu seinem Abschluß, und damit endet auch die Phase der europäischen Staatenbildungskriege. Mit der endgültigen Aufnahme Preußens und Rußlands in den Kreis der europäischen Großmächte ist am Ende des Siebenjährigen Krieges jene Pentarchie etabliert, die ungeachtet aller politischen, sozialen, ökonomischen und territorialen Veränderungen und Verschiebungen im weiteren 18. und 19. bis ins 20. Jahrhundert hinein die Geschicke Europas bestimmt hat. 26 Die globale Dimension dieses europäischen politisch-ökonomischen Systems nimmt eine neue Qualität an, und es beginnt „eine Periode beispielloser globaler Kräfteverschiebungen und

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Zu Bedingungen und ökonomischer und politischer Bedeutung der portugiesischen und spanischen Expansion vgl. Rolf Walter, Geschichte der Weltwirtschaft. Eine Einfiihrung, Köln, Weimar, Wien 2006, Kap. V u. VI. Knapp Ernst Schulin, Der Ausgriff Europas nach Übersee. Eine universalhistorische Skizze des Kolonialzeitalters, in: Saeculum 35 (1984), 73-85, v.a. 81 f.; Hermann Kellenbenz, Die Wiege der Moderne. Wirtschaft und Gesellschaft Europas 1350-1650, Stuttgart, 1991, 86 ff. Vgl. Jonathan Israel, Dutch Primacy in World Trade, 1585-1740, Oxford 1991; Nicholas Canny, The Origins of Empire: British Overseas Enterprise to the Close of the Seventeenth Century, Oxford 1998; Immanuel Wallerstein, Das moderne Weltsystem II: Der Merkantilismus, Europa zwischen 1600 und 1750, Wien 1998, 81 ff. und 283 ff.; zum Zusammenhang von Expansion, ökonomischer und politischer Machtsteigerung sowie europäischem System vgl. Philippe Haudrere, Les Compagnies des Indes orientales. Trois siecles de rencontre entre Orientaux et Occidentaux (1600-1858), Paris 2006, 227 ff. „Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingebomen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmoment der ursprünglichen Akkumulation." Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Band 1 (Werke 23), Berlin 1983, 779. Vgl. Hamish Scott, The Birth of a Great Power System, 1740-1815, London 2005.

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Strukturwandlungen".

Nunmehr scheint jener ,point o f no return' erreicht, der die

Dauerhaftigkeit und Irreversibilität der v o n Europa ausgehenden politisch-institutionellen und sozioökonomischen Entwicklungstendenzen, Interessenlagen und Dynami28 ken bedeutet.

Der Horizont des Agierens im politischen und internationalen System

nimmt seit der Mitte des 18. Jahrhundert trotz und vermittels des dabei entstehenden Eurozentrismus einen globalen Charakter an, insofern die Welt in konstitutiver Weise Bestandteil und Element des Denkens und Handelns europäischer Mächte wird. 2 9 Nunmehr entstehen „weltweite Konfliktsyndrome", 3 0 die Europa übergreifenden systemischen Dynamiken und Handlungszusammenhängen subsumieren. 3 1 Dessen waren sich schon die Zeitgenossen bewußt. Vor allem in England bildete w e niger Europa als die Welt im Sinne der globalen politisch-ökonomischen Basen, Vernetzungen und Mächteverhältnisse das Koordinatensystem der politischen und wirtschaftlichen Orientierung, Handlungsziele und -entscheidungen. Besonders klar wird dies bei William Pitt, der als Führer der expansionistischen und kolonialistischen Interessen der „city" vor und während des Siebenjährigen Krieges die aggressive Interes32

senpolitik Englands gegen die französische Handels- und Kolonialmacht vertrat.

Seine

berühmt gewordene Erklärung, Amerika sei in Europa zu erobern, bringt lediglich eine

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Jürgen Osterhammel, Kolonialismus. Geschichte - Formen - Folgen, München 1995, 37. Jürgen Osterhammel, Niels P. Petersson, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen - Prozesse Epochen, München 2003, 42 f., sehen um 1500 den „Anfang einer im Prinzip weltweiten Vernetzung", die aber erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts als dauerhaft erkennbar sei und die Polyzentrität der Welt ablöse. Auch wenn sich die Erklärungen und Analysen dieser Umbrüche und neuen Entwicklungsphasen im einzelnen deutlich voneinander unterscheiden: „Die meisten [Interpreten] sehen [...] im 18. Jahrhundert einen Umschwung in der Qualität der Beziehungen. Im Gegensatz zu den früheren Formen des Austausche, der die betroffenen Gesellschaften zwar prägte, die Beziehungen aber nicht in ein Abhängigkeitsverhältnis verwandelte, ging es nun um deren Eingliederung in die Arbeitsteilung der europäisch dominierten Weltwirtschaft". Andrea Komlosy, Chinesische Seide, indische Kalikos, Maschinengarn aus Manchester. „ Industrielle Revolution" aus globalhistorischer Perspektive, in: Margarete Grandner, Andrea Komlosy (Hg.), Vom Weltgeist beseelt. Globalgeschichte 1700-1815, Wien 2004, 102-134, 120 f. Bayly, Geburt der modernen Welt (wie Anm. 10), 59 ff. spricht von der „Vorgeschichte" zur bzw. von einer „archaischen", „frühmodernen" bzw. „protokapitalistischen" Globalisierung", die sich nach dem Siebenjährigen Krieg beschleunigte und zur „modernen internationalen Weltordnung" führte (ebd., 63 u. 113); Immanuel Wallerstein, Die große Expansion. Das moderne Weltsystem III: Die Konsolidierung der Weltwirtschaft im langen 18. Jahrhundert, Wien 2004, 184 ff. Heinz Schilling, Höfe und Allianzen. Deutschland 1648-1763, Berlin 1994,46. Christopher Bayly bezeichnet denn auch diese Zeit als The First Age of Global Imperialism, 17601830, in: Journal of Imperial and Commonwealth History 26.2 (1998), 28-47. Sie bildet für ihn die wichtigste der drei Phasen des europäischen Imperialismus der Neuzeit (28 f.), was ihn ironisch gegenüber dem Mainstream der Imperialismustheorien einschließlich Lenin und Schumpeter erklären läßt, daß man ihnen weitgehend folgen könne - wenn sie sich nicht gleichsam um ein Jahrhundert geirrt hätten, als sie fälschlich die Zeit um 1900 „the great age of imperialism" nannten (43). Vgl. Black, Pitt the Elder (wie Anm. 13); Ders., America or Europe? British Foreign Policy 17391763, London 1998,146 ff.

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in der politischen Öffentlichkeit bereits weit verbreitete Orientierung an global ausgerichteten kolonialistischen oder imperialistischen Interessen zum Ausdruck. 33 Wenn sich England am Ende des Siebenjährigen Krieges also als „Globalisierungsvormacht" 34 gegen den langjährigen französischen Konkurrenten durchgesetzt hat und als „global state and military power" 35 in der Folge „die Basis und das Zentrum einer ganzen Welt36

Wirtschaft" wird, sind die nationalen, europäischen und globalen Entwicklungen, Problemlagen und Interessen untrennbar miteinander verschränkt. Wesentlicher Ausdruck und Faktor hierfür ist das neue Stadium der ökonomischen Durchdringung und37 Vemetzung der Kolonien und Handelsstützpunkte in Amerika, Afrika und Asien. Indem nunmehr die Voraussetzungen für die seit der Industriellen Revolution dann systematisch erfolgende Unterwerfung, Umstrukturierung und Neuformierung der außereuropäischen Gesellschaften und ihre Integration in eine europäisch dominierte Weltwirtschaft erfolgt, wird der politische, kulturelle und sozioökonomische Polyzentrismus der Welt definitiv aufgehoben. Was am Ende dieses Prozesses noch ,draußen' und ,anders' ist, ist entweder nur noch draußen oder bloß deshalb, weil es funktional nicht erforderlich oder überflüssig ist, sogar noch zu unwichtig, um erobert, ausgebeutet und integriert zu werden. Der Siebenjährige Krieg bringt dabei jedoch eine Ambivalenz des in statu nascendi befindlichen globalen Vernetzungs- und Verflechtungszusammenhangs zum Ausdruck, die in seiner Handlungs- und Organisationsstruktur bereits deutlich erkennbar angelegt ist. Auf der einen Seite dokumentiert dieser erste Weltkrieg, daß und in welchem Maße die gesamte Welt nunmehr zum Spiel- und Schlachtfeld der Konkurrenz europäischer Mächte um Kolonien, Märkte und Handelsinteressen geworden ist. Auf der anderen Seite kündigt sich mit ihm jedoch schon an, daß diese von Europa ausgehenden Entwicklungen so auf es zurückwirken, daß es nun selbst zum Spielball und Schlachtfeld von politischen und ökonomischen Interessen und Zielen wird, die außerhalb seiner selbst liegen. Im renversement des alliances von 1756 und dem sich daran anschließenden Krieg spiegelt sich diese Ambivalenz des entstehenden „europäischen WeltsysZu diesen öffentlichen Forderungen und Debatten vgl. Robert Mandrou, Staatsraison und Vernunft 1649-1775, Frankfurt a. M„ Berlin, Wien 1981, 322 f., 353 ff. u. 360; M. John Cardwell, Art and Arms. Literature, Politics and Patriotism during the Seven Years' War, Manchester 2004 (dort S. 246 der erwähnte Ausspruch Pitts). Osterhamniel, Petersson, Globalisierung (wie Anm. 28), 49. Black, America or Europe? (wie Anm. 32), 184. Eric Hobsbawm, Industrie und Empire. Britische Wirtschaftsgeschichte, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1969, 11. Es beginnt hier eine neue Phase der politischen und ökonomischen Durchdringung außereuropäischen Welt und ihrer Integration in ein von europäischen Mächten und Interessen dominiertes, globalisiertes System von Austausch und internationaler Arbeitsteilung, die den Übergang vom „informellen" zum „formellen Imperialismus" bedeuten; vgl. Schulin, Der Ausgriff Europas (wie Anm. 23), 79 f.; Bayly, The First Age (wie Anm. 31); Dietmar Rothermund, Seehandel und Kolonialherrschaft, in: Grandner, Komlosy, Vom Weltgeist beseelt (wie Anm. 28), 2 5 - 4 4 .

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tems". Ein kontinentaleuropäischer, vom preußisch-habsburgischen Konflikt ausgehender Blick wird hier die endogenen, dem europäischen Staatensystem innewohnenden Interessen und Dynamiken stark machen, die zum Wechsel der Allianzen, zu Planung und Eröffnung des Krieges gefuhrt haben. Von hier aus erscheint der Konflikt in den Kolonien und um die Handelswege und -Zentren in Amerika, der Karibik und Asien entweder als Verlängerung der europäischen politischen und ökonomischen Konfliktlagen oder einer parallelen, weitgehend eigenständigen Logik zu folgen. Demnach handelt es sich beim Siebenjährigen um eine Art von ,Doppelkrieg', in dem aber beide Kriege voneinander unabhängige Ursachen, Abläufe und Resultate aufweisen.38 Anders verhält es sich, wenn man die Perspektive der beiden großen, am Krieg beteiligten Kolonial· und Handelsmächte Frankreich und England einnimmt. Dann ist die Entscheidung für den Krieg Teil eines weltumspannenden Konflikts, der de facto bereits spätestens seit dem Spanischen Erbfolgekrieg in immer neuen Etappen abläuft 39 und in dem sich die Differenz zwischen europäischen und außereuropäischen, voneinander unabhängigen Dimensionen der Konflikte immer weniger aufrechterhalten läßt. Das renversement des alliances muß aus dieser Perspektive folglich als exogen bestimmt bewertet werden, vor allem angesichts der von britischer Seite verfolgten Politik, französische Truppen so zu binden, daß sie weder in Europa noch in Amerika oder Asien der Sicherung und Ausdehnung der englischen Kolonialinteressen gefährlich werden konnten.40 Der Einsatz und das Ziel dieser Auseinandersetzungen, um die hier in Europa - und zwar ebenso sehr auf politisch-diplomatischem Parkett wie mit Waffen auf den Schlachtfeldern - gekämpft wurde, waren in dieser Perspektive ganz wesentlich die zukunftsweisenden überseeischen kolonialen, wirtschaftlichen und Handelsinteressen.41

Vgl. Heinz Duchhardt, Gleichgewicht der Kräfte, Convenance, Europäisches Konzert. Friedenskongresse und Friedensschlüsse vom Zeitalter Ludwigs XIV. bis zum Wiener Kongreß, Darmstadt 1975, 91 f.; Salewski, Deutschland (wie Anm. 6), 213; Vierhaus, Deutschland (wie Anm. 6), 183; Jean Berenger, Jean Meyer, La France dans le monde au XVIIIе siecle, Parisl993,203 f. Vgl. Kees van der Pijl, Vordenker der Weltpolitik. Einfiihrung in die internationale Politik aus ideengeschichtlicher Perspektive, Opladen 1996, 61 f.; Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000, Frankfurt a. M. 1987, 164 ff. u. 173 ff. Wallerstein sieht 1763 als „den endgültigen Triumph Englands am Ende des [...] zweiten Hundertjährigen Krieges", der seit 1689 angedauert habe, Wallerstein, Das moderne Weltsystem II (wie Anm. 24), 284. , 3 s ist die sich wieder verschärfende Spannung zwischen Frankreich und England, der Zusammenstoß ihrer Handels- und Expansionsinteressen in Nordamerika und Indien gewesen, der den neuen Krieg zwischen Österreich und Preußen ausgelöst hat", Vierhaus, Deutschland (wie Anm. 6), 182. Und dies war, wie bereits bemerkt, Akteuren und Publikum vor allem in England vollauf bewußt: „Most of the political literature was imperialist, navalist, and anti-European in orientation, seeing Britain's destiny in terms of overseas colonial and commercial expansion to the detriment of France and Spain", so Brendan Simms, The Connections between Foreign Policy and Domestic Politics in Eighteenth-Century Britain, in: The Historical Journal 49 (2006), 605-624, 615. Aus der Sicht von „a global state and military power" dominiert die Perspektive von „ B r i t a i n ' s present and future as an imperial power that was a trading, trans-oceanic, maritime polity. Power was increasingly seen

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Die allgemeine Tendenz und den historischen Umschlagspunkt, die man also am Siebenjährigen Krieg ablesen kann und die ihn gleichsam als Knotenpunkt der Bündelung und Neuausrichtung frühneuzeitlicher Entwicklungstendenzen qualifizieren, könnte man, abstrakter und generalisierter gefaßt, wie folgt formulieren: Er bildet den Auftakt zu jenem historischen Zeitraum, in dem die in Europa generierten politischen und sozioökonomischen Strukturen und Dynamiken in globaler Perspektive dominant werden, d.h. einen globalen Handlungs- und Interaktionsraum generieren, der von europäischen Interessen, Akteuren und Konflikten geprägt wird. Zugleich ist hier aber auch schon zu erkennen, daß diese Globalisierung bereits in dem Moment, in dem die europäischen Mächte ihre politisch-ökonomische Weltherrschaft durchsetzen, Europa hinter sich läßt und zu einem von vielen Kampfplätzen im globalen Netzwerk von Strukturen und Dynamiken politischer und ökonomischer Interessenkämpfe und Machtprozesse wird, d.h. zu einem Kontinent, dessen Schicksal - politisch, ökonomisch, militärisch, später auch ökologisch - von übergreifenden, teils selbst produzierten, teils exogen bedingten Faktoren abhängt.

III. Genesis und Funktion von Vernunft und Aufklärung in einer Welt struktureller Pluralität Die skizzierten frühneuzeitlichen politischen, sozialen und ökonomischen Umbrüche und Dynamiken sind nicht unter Abstraktion von der Ausbildung neuer Formen sozialer Orientierung und sozialen Handeln zu verstehen, die mit ihnen einhergehen. Sie sind Resultat des Handelns individueller und kollektiver Akteure mit je spezifischen Formen der Wahrnehmung, Verarbeitung und Beurteilung der gegebenen Situation und je spezifischen Interessenlagen und Zwecksetzungen mitsamt der nicht-intendierten und nicht überschaubaren Vermittlungen, Verschränkungen und Verselbständigungen solcher Handlungen. Die Bedeutung solcher mentalen, diskursiven und ideologischen Dimensionen, Vernetzungen und Konsequenzen erhöht sich zusätzlich innerhalb politischer und sozialer Zusammenhänge, die, wie es in der entstehenden Moderne der Fall ist, in neuartiger Weise reflexiv geworden sind. Wo im Prozeß der Auflösung der traditionellen sozioökonomisch und religiös vorgeprägten Handlungsmuster und Ordnungsvorstellungen die Auseinandersetzungen über heterogene Welt- und Ordnungskonzepte gleichsam die Grundlagen der politisch-sozialen Ordnung bilden, wird diese zum Gegenstand permanenter sozialer Diskurse und Kämpfe. Dies verleiht ihr in den politisch-sozialen Binnenverhältnissen wie auch nach außen geradezu notwendig einen dynamischen (und vielleicht auch expansiven) Charakter. Wenn also nach der Bedeutung des Siebenjähri-

as a function and cause of wealth, maritime strength and colonial possession", Black, America Europe? (wie Anm. 32), 184 u. 149.

or

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gen Krieges in den Entwicklungsprozessen der modernen Welt gefragt wird, so muß auch die Spezifik der Rationalität in den Blick genommen werden, die sich hier herausbildet und in Theorie und Praxis zur Geltung bringt.

III. 1 Die Entstehung der modernen Welt und der Rationalität aufgeklärter Theorie und Praxis Wie wurde in der politischen und sozialen Theorie und Praxis der Frühen Neuzeit versucht, die durch die neu entstehenden politischen, ökonomischen und institutionellen Dynamiken generierten Verhältnisse auf gesellschaftlicher Ebene wie in der Sphäre der internationalen Beziehungen auf den Begriff zu bringen bzw. in den Griff zu bekommen, zu klären und zu organisieren? Diese Fragen sind von grundsätzlichem Interesse. Insofern Strukturen und Prozesse von Wahrnehmung und Reflexion Teil der gegenstands- bzw. wirklichkeitskonstitutiven sozialen und politischen Praxis sind, ist ihre Erkenntnis notwendige Voraussetzung für Verständnis und Bewertung der historischen Bedeutung dieses historischen Gegenstandes. Und insofern diese theoretischen und praktischen Kategorien in umgekehrter Perspektive auch von den politisch-sozialen Verhältnissen abhängig sind, ist auch zu ihrem Verständnis die Beziehung auf die ,realgeschichtlichen' Entwicklungen unverzichtbar. Es ist aufgrund dieser Zusammenhänge zwischen theoretischen und praktischen Entwicklungen zu vermuten, daß, wenn der Siebenjährige Krieg als Knotenpunkt langfristiger Prozesse mit historischer und globaler Bedeutung verstanden werden kann, dies auch für die in dieser Zeit entwickelten politisch-sozialen Begriffe und Konzeptionen gilt, mittels derer die Grundlagen und Bestimmungsfaktoren der internationalen Beziehungen beschrieben und beurteilt wurden: auch sie werden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in ihren Potentialen, Ambivalenzen und Widersprüchen entfaltet, praktisch sichtbar und wirksam; auch sie sind durch die hier einsetzenden Dynamiken in gewisser Weise irreversibel geworden; denn auch sie sind mit politischen und sozioökonomischen Entwicklungen generalisiert, globalisiert und auf Dauer gestellt worden. Der Siebenjährige Krieg findet auf dem Höhepunkt des Zeitalters der Aufklärung statt. Diese heute geläufige Bezeichnung für diese Periode leitet sich aus den publizistischen und sonstigen Aktivitäten in europäischen Ländern in den Jahren um und nach 1750 ab, die in der Retrospektive mit der Berufung auf das kritische Vermögen aufklärerischer, vernünftiger Subjektivität in Verbindung gebracht werden, Vorurteile und irrationale, überkommene Verhältnisse in allen Bereichen von Gesellschaft und Staat aufzudecken und zu überwinden.42 Dabei handelt es sich nicht um eine rein geistig42

Hierfür spricht zum einen der Umstand, daß in diesen Jahren eine große Zahl von grundlegenden Schriften aufklärerischer Autoren erschien - von Montesquieus Esprit des lois (1748) über Rousseaus Diskurse (1750/1755) bis zu Diderots und d'Alemberts Encyclopidie (ab 1751), die zur „machine de guerre" der Aufklärungsbewegung wurde. Zum anderen und vor allem aber ist hier von

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literarische, weltfremde oder prinzipiell institutionenfeindliche und herrschaftskritische Bewegung. 43 Die europäische Aufklärung steht für soziale Strömungen und Praxen, die die Sphäre kleiner intellektueller Zirkel weit übersteigen. Ihr Denken und Handeln war Produkt und Faktor im Rahmen der zeitgenössischen Modernisierungs- und Rationalisierungstendenzen in Staat, Gesellschaft und Kirche,44 und ihre Vertreter fanden sich auch in den höchsten Kreisen politischer und sozialer Macht.45 Die Aufklärungsbewegung war gleichsam das Ergebnis der sukzessiven Herausbildung einer neuen Form eines praktisch-kritischen und aktivistischen, in spezifischer Weise aufgeklärt-rationalen und subjektzentrierten Weltverhältnisses, dessen Anfänge jedoch bereits sehr viel früher anzusetzen sind; sie finden sich seit dem Spätmittelalter und der Renaissance und durchziehen die gesamte Frühe Neuzeit. Hierbei handelt es sich nicht um ein abstraktes, im engen Sinne geistes- oder kulturgeschichtlich beschränktes Phänomen, sondern um ein grundlegendes Merkmal der Umbruchsprozesse im Zuge der Ausbildung der neuzeitlichen Welt. Auch wenn die Begriffe, Intentionen und Erscheinungsformen zunächst oftmals ganz anders ausgerichtet waren, sind Phänomene subjektiver Vernunft und aktiver Weltgestaltung durch individuelles Tun spätestens seit dem 15. und 16. Jahrhundert klar identifizierbare Faktoren und Resultate des Aufbrechens traditionaler Ordnungen, die aufgrund der Orientierung an religiös-transzendenten und historisch überkommenen Seins- und Orientierungsschemata einen strukturell statischen, prinzipiell Neues ausschließenden Charakter hatten.46 Bedeutung, daß sich das aufklärerische Denken quantitativ wie qualitativ ausbreitete und die Weltsicht und das Handeln immer weiterer sozialer Schichten und Akteursgruppen zu dominieren begann. Vgl. Barbara Stollberg-Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufldärung, Stuttgart 2000. Vgl. knapp hierzu Olaf Asbach, Die Konstitution politischer Freiheit. Grundlagen, Probleme und Aktualität der politischen Theorie der Außclärung, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2004, Berlin 2004, 77-105, v.a. 87 ff. Vgl. Fred E. Schräder, Soziabilitätsgeschichte der Aufldärung. Zu einem europäischen Forschungsproblem, in: Francia 19/2 (1992), 177-194. Die prominentesten Beispiele sind natürlich jene Herrscher, die aufklärerische Reformvorstellungen vertraten und sie „von oben" durchzusetzen suchten; der exemplarische Fall für solche Akteure und ihre Ambivalenzen war der preußische König Friedrich II., der Initiator der Schlesischen Kriege und des Siebenjährigen Krieges, der zugleich schriftstellerisch - etwa mit seinem AntiMachiavel - wie auch durch seinen Umgang mit Voltaire und seine aufklärerisch gesonnenen Freunde und Zirkel am Potsdamer Hof Aufklärung, Macht und Krieg in einzigartiger Weise vereint hat. Diese neue Relevanz von Subjektivität und Aktivität zeigt sich mithin nicht allein dort, wo sich - in Abwendung vom christlichen Weltbild - die moderne, weltbeherrschende Subjektivität zur Geltung bringt (eindringlich konstatiert von Jacob Burkhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, München 1987, 87 ff.). Sie zeigt sich auch, wo, wie in den reformatorischen Bewegungen, ein paradoxer .antiindividualistischer Individualismus' am Werke ist, der die ,wahre' Religion als subjektiv für wahr erkannte in der politisch-sozialen Auseinandersetzung durchfechten will. Denn auch wer in der Entgegensetzung gegen Pluralität und vermeintlichen Subjektivismus der Moderne mit fundamentalistischer Verve die eigene, Individualismus und säkulare Weltorientierung negierende Religion unter dem Label der .einzig wahren' auf den Ideenmarkt trägt, wie sie durch das subjektive

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In der Neuzeit entstehen und fungieren Konzepte subjektiver Vernunft und Aktivität demgegenüber gleichsam als Medien einer neuen Zeit und Welt, die durch das neuartige Faktum der Pluralität47 geprägt und charakterisiert ist. Die Auflösung bzw., bildhafter ausgedrückt, Aufsplitterung der christlich-mittelalterlichen Welt fuhrt in den Sphären des Politischen, des Sozialen, des Kulturellen und Religiös-Ideologischen zu einer Vielzahl von einander ausschließenden Interessen, Ansprüchen, Orientierungen, Institutionen und Akteuren. Sie alle streben gleichsam ihren je eigenen - subjektiven' - Antrieben und Logiken gemäß nach Anerkennung und Verwirklichung ihrer Existenz, Interessen und Zwecke. Man hat es deshalb mit einer intrinsisch spannungs- und konfliktreichen Konstellation sozialer Beziehungen zu tun, die zu einer Transformation der Formen theoretischer und praktischer Weltbezüge der Akteure führt. Es sind vor allem drei Dimensionen, aufgrund derer besonders deutlich wird, in welchem Sinne in der Neuzeit die Prinzipien von aufgeklärter Subjektivität und Vernunft zunehmend ins Zentrum politisch-sozialen Denkens und Handelns treten. -

Erstens bedeuten und befördern sie den Prozeß der Säkularisierung des politischsozialen Denkens und Handelns. Säkularisierung ist hierbei jedoch durchaus nicht notwendig mit der inhaltlichen Abwendung von theologischen oder anderen metaphysisch-transzendenten Anschauungen und Handlungsorientierungen gleichzusetzen.48 Säkulares, aufgeklärt-rationales Denken und Handeln ergibt sich vielmehr generell als Resultat des in der Neuzeit unhintergehbar werdenden Umstandes, daß eine Pluralität konkurrierender Interessen und Akteure besteht, die im Prozeß der jeweils eigenen Zweckverfolgung und Interessendurchsetzung als solche erkannt, eingerechnet und zum Gegenstand strategischen Planens und Handelns gemacht werden muß 49 Gewissen verbürgt sei (in protestantischer Gestalt etwa als ,,Hier stehe ich, ich kann nicht anders!"), bestätigt damit eben jene Struktur subjektiv vermittelter Wahrheit und Weltsicht, die er zu bekämpfen strebt. Religiöser oder politischer Fundamentalismus entzieht sich freilich der Verpflichtung, den eigenen Wahrheitsanspruch jenseits subjektiven Meinens und Glaubens zu begründen.

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Dies meint also keine sozialontologische Hypostasierung des Pluralitätskonzepts (so etwa bei Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 1996, 17), sondern begreift ihn als historisch-gesellschaftlich konkret zu verortenden Begriff; vgl. Michael Th. Greven, Die politische Gesellschaft. Kontingenz und Dezision als Probleme des Regierens und der Demokratie, Opladen 1999, 19 ff. Vgl. Schilling, Die neue Zeit (wie Anm. 13), 458 ff. - Zur Beziehung zwischen Säkularisierung und Konfessionalisierung vgl. Michael Stolleis, „Konfessionalisierung" oder „Säkularisierung" bei der Entstehung des frühmodemen Staates, in: Jus Commune. Zeitschrift fiir Europäische Rechtsgeschichte 20 (1993), 1-23. In diesem Sinne antwortet die Säkularisierung des politisch-sozialen Denkens und Handelns im Sinne der „Ablösung der politischen Ordnung als solcher von ihrer geistlich-religiösen Bestimmung und Durchformung", so Ernst-Wolfgang Böckenforde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Ders., Recht, Staat, Freiheit (wie Anm. 18), 92-114, 93, auf Phänomene der Pluralisierung - Konfessionalisierung, Privatisierung, Individualisierung bzw. Partikulari-

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Damit ist die subjektorientierte Vernunft zweitens zunächst einmal wesentlich als eine solche bestimmt, die der Aufklärung über ,die Verhältnisse, wie sie wirklich sind', bedarf. Dies ergibt sich aus dem instrumentell-kalkulatorischen Charakter neuzeitlicher Rationalität, wie sie aus der Struktur prinzipieller Pluralität folgt: Nur wenn die klare Einsicht in gegebene Bedingungen und erfolgversprechende Handlungsoptionen nicht durch unangemessene Vorurteile, institutionelle oder normativtheologische Vorentscheidungen und Gegebenheiten verdunkelt oder ausgeblendet werden, sind sachlich adäquate Erkenntnis und erfolgreiches Handeln möglich.50 Drittens schließt diese säkular-instrumentelle Dimension aufgeklärter Vernunft jedoch die Reflexion über Handlungszwecke und -ziele und ihre normative Bewertungsmaßstäbe nicht aus, stellt sie aber in einen gänzlich neuen Begründungs- und Funktionszusammenhang. Denn ist einmal der Zusammenbruch unhinterfragt geltender, geglaubter und befolgter normativer Ordnungs- und Handlungssysteme seien sie traditional als „gute alte Ordnung", seien sie theologisch als göttlich legitimierte Heils- und Seinsordnung oder seien sie natürlich-kosmologisch als Rekurs auf eine ewige Naturordnung begründet - faktisch erfolgt, bleibt keine Instanz jenseits der über sich selbst und ihre theoretischen und praktischen Entstehungs-, Funktions- und Verwirklichungsbedingungen aufgeklärten Vernunft mehr, die entscheiden könnte, welches der pluralen Deutungs- und Orientierungsangebote bzw. welche ihrer jeweiligen Institutionen oder Sprecher denn nun vernünftig, normativ angemessen und verpflichtend sind.

III.2 Politisches Denken zwischen Staatsraison und Gleichgewicht Diese Strukturen der spezifisch neuzeitlichen Rationalität prägen die theoretischen und praktischen Formen, mittels derer die Akteure die Strukturen und Dynamiken des internationalen Systems in der Frühen Neuzeit zu erfassen und sich zu ihnen zu verhalten suchen. Mit dem Aufstieg des modernen, nach innen und außen mit dem Anspruch auf souveräne Letztentscheidungskompetenz auftretenden Staates und der Generierung eines auf solchen Entitäten basierenden internationalen Systems als eines von Staaten

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sierung - religiöser Wert- und Glaubenssysteme in den sich modernisierenden und ausdifferenzierenden Gesellschaften der Neuzeit; vgl. Winfried Schulze, Pluralisierung als Bedrohung - Toleranz als Lösung, in: Heinz Duchhardt (Hg.), Der Westfälische Friede: Diplomatie - politische Zäsur - kulturelles Umfeld - Rezeptionsgeschichte, München 1998, 115-140. Historisch und mit Blick auf systematische Lerneffekte vgl. Dieter Senghaas, Zum irdischen Frieden, Frankfurt a. M. 2004,283 ff. u. 28 ff. Aus diesem Grund wird politisches und soziales Handeln seit der Neuzeit erstmals vollständig auf die Einsicht in reale, d.h. gesetzmäßig erkannte, reproduzier- und beherrschbare Funktions- und Wirkungszusammenhänge ausgerichtet und gegründet, mithin abgelöst von theologischen, mythischen oder anderen Handlungskriterien. Diese mögen als Zwecke weiterhin eine Rolle spielen, negieren aber nicht mehr die Rationalität der Erkenntnis der Mittel und Bedingungen ihrer Verfolgung.

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wird das politische Denken und Handeln systematisch und konzeptionell neu begründet und strukturiert; es wird gleichsam autonom und selbstbegründend, insofern es seine Kriterien und Erfolgsbedingungen nicht mehr von einer außerhalb der Sphäre des Politischen liegenden Instanz und Ordnung ableitet. Dies setzt die im Zuge der Modernisierungs- und Pluralisierungsprozesse der Neuzeit erfolgte Auflösung der politisch-theologisch sanktionierten Ordnung der Institutionen der respublica christiana als verbindlichem Leitsystem der Organisation und Legitimation politischer und sozialer Herrschaft voraus. Sie ist Bedingung und Produkt der säkularen und säkularisierenden Logik eines politisch-sozialen Denkens und Handelns, das auf Selbsterhaltung, Interessenverfolgung und Zweckverwirklichung in einem System pluraler, miteinander konkurrierender Mächte und Akteure ausgeht und ausgehen muß. Damit stellt sich die Frage von politischer, rechtlicher und sozialer Organisation und Regulierung in radikal neuer Weise. Mittels welcher Konzepte oder kategorialer Schemata wurde in Theorie und Praxis auf die in der frühen Neuzeit entwickelten Strukturen und Dynamiken sozialer und politischer Beziehungen auf inter- und transnationaler Ebene reagiert - und in ihnen agiert? Es ist Grund für das Aufsehen und die - meist scheinheilige - Empörung, die Machiavelli seit dem 16. Jahrhundert vielfach hervorgerufen hat, wie auch für die bleibende Bedeutung des Florentiners als einem der scharfsichtigsten Theoretiker von Politik, Staat und internationalen Beziehungen in der Frühen Neuzeit, daß er auf der Grundlage der Erfahrungen in den norditalienischen Stadtstaaten der Renaissance wesentlichen Aspekten der sich hier ankündigenden neuen Logik des Politischen in der Moderne auf staatlicher und internationaler Ebene Ausdruck verliehen hat. Dies ist kein Zufall, war er doch Politiker, Diplomat und Theoretiker in einem politischen Gemeinwesen, das auf Handels- und Bankenkapital, frühkapitalistischen Produktionsformen, europäischen und außereuropäischen Handelsverbindungen und damit verbundenen sozialen, politischen und kulturellen Transformations- und Krisenprozessen beruhte. 51 Dies ermöglichte ihm, ein klares Bewußtsein jener Strukturen politischer Theorie und Praxis zu entwickeln, die sich dann zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert in zahllosen Konflikten und Erscheinungsformen in Europa und, von hier aus, sukzessive auch in globalem Maßstab durchsetzen sollten. Die zentralen Stichworte sind hierfür erstens ein säkulares, ganz auf praktisches Handeln und Erfolg gerichtetes Politik- und Geschichtsverständnis. Aufgeklärtes, von Vorurteilen, Illusionen und Irrtümern gereinigtes Denken erfordert das rationale Kalkül von Verhältnissen und Bedingungen erfolgsorientierten Handelns unter Abstraktion von normativen Erwägungen jeder Art, sofern sie handlungsrestringierend sind und dadurch den Erfolg des Erreichens der Handlungsziele gefährden. 52 Damit also rückt zweitens Zu diesen Zusammenhängen von politischen, militärischen und ökonomischen Aspekten vgl. Herfried Münkler, Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz, Frankfurt a. M. 2004, 196 ff. Der Erfolg politischen Handelns setzt voraus, „der Wirklichkeit der Dinge nachzugehen statt den bloßen Vorstellungen über sie [...]; denn es liegt eine so große Entfernung zwischen dem Leben,

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die Staatsraison ins Zentrum des politischen Denkens und Handelns.53 Diese Ausrichtung des politischen Denkens einzig an Erhaltung und Stärke des Staates bedeutet zwar die Relativierung und Hintanstellung aller normativen oder theologischen Zwecke, doch erfüllt gerade diese Verselbständigung spezifische politische und gesellschaftliche Zwecke und Funktionsbestimmungen. Interesse und Raison des modernen Staates ist schließlich - der Staat. Und dieser Staat wiederum stellt die Erhaltungs- und Funktionsbedingung jener Verfolgung und Realisierung sozialer und ökonomischer Interessen und Zwecke dar, auf deren Resultaten er selbst - in Gestalt von abschöpfbaren Steuerund Wirtschaftsleistungen, organisatorischen und persönlichen Ressourcen und Loyalitäten - seine Existenz gründet. Der Erhaltung und Stärkung des politischen Körpers im Inneren korrespondiert drittens im Außenverhältnis diejenige gegenüber anderen, strukturell gleichartigen und gleichgerichteten Staaten.54 Die traditionelle, dynastische, religiöse und andere Schranken überschreitenden Bündnis- und Vertragssysteme der Frühen Neuzeit sind das Resultat der hier wirksamen, strukturell säkularen Handlungslogik innerhalb eines Systems von staatlich verfaßten politischen Körpern. Denn nunmehr geht es in den internationalen Beziehungen nicht mehr primär um die Realisierung von Werten und Zielen, die - als solche von Religion, Moral, Dynastie oder Tradition - die Sphäre und Logik des Politischen prinzipiell transzendieren würden. Die Sphäre der internationalen Beziehungen nimmt vielmehr einen eigenständigen Systemcharakter an, der von der Struktur und den Beziehungen zwischen staatlichen Einheiten bestimmt wird, welche ihre Existenz und Entwicklung im Mächte- und Kräftespiel von Akteuren zu sichern haben, die um territoriale, ökonomische, politische und andere Ressourcen konkurrieren.

wie es ist, und dem Leben, wie es sein sollte, daß derjenige, welcher das, was geschieht, unbeachtet läßt zugunsten dessen, was geschehen sollte, dadurch eher seinen Untergang als seine Erhaltung betreibt". Niccolö Machiavelli, Der Fürst/Ii Principe, Stuttgart 1986, Kap. XV, 119 (Korr. u. Hervorhebung O.A.). 53

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Zu diesem von Machiavelli geprägten, aber noch nicht so bezeichneten Konzept vgl. Herfried Münkler, Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1 9 8 7 , 1 1 0 - 1 2 6 u. 165 ff. Historisch ist die Herausbildung dieses Systems von Staaten das Resultat eines langen, sich seit dem 15. und 16. Jahrhundert beschleunigenden und in kontingenten Formen ablaufenden Prozesses. Doch zeigt die Umstellung auf die säkulare Logik des Politischen in Gestalt der Institutionen und Strukturen moderner Staatsgewalt, daß das System von Staaten damit bereits in seinen Grundzügen ,gesetzt' ist. Auf dieser Grundlage ist nämlich ein Organisations- und Rationalisierungsvorsprung politischer und ökonomischer Macht erreicht, dem nur durch die Etablierung ebensolcher zentralisierter und rational organisierter politischer Körperschaften auf Dauer etwas entgegengesetzt werden kann; diese Dynamik hat Rousseau bereits in den Jahren des Siebenjährigen Krieges bezeichnet; vgl. Jean-Jacques Rousseau, Que l'etat de guerre nait de l'etat social, in: Ders., (Euvres completes, Bd. 3, Paris 1964, 603. Prägnant Klaus Roth, Genealogie des Staates. Prämissen des neuzeitlichen Politikdenkens, Berlin 2003, 31: „Der Staat entstand als ein System von Staaten. Er kann nur im Plural erscheinen."

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Schon zwischen den italienischen Republiken und Fürstentümern konnte Machiavelli in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts jenes Prinzip der politischen Organisation eines Systems selbständiger Staaten beobachten und in seinen theoretischen und praktischen Mechanismen analysieren,55 welches von der Mitte des 17. Jahrhunderts an dann auf europäischer Ebene etabliert wurde. Der strukturell säkulare Charakter dieses Systems kommt im Mechanismus des Gleichgewichtsmodells zum Ausdruck, mit dem es in den zeitgenössischen politischen, diplomatischen und völkerrechtlichen Diskursen gedacht und praktisch organisiert wurde.56 Die aufgeklärte Vernunft staatlichen Handelns gebietet demnach das Kalkül von Interessen und Machtpotentialen der Akteure im internationalen System und ein Handeln, das der Erhaltung und Sicherung der je eigenen Existenz und Interessen dem Resultat dieser nüchtern abwägenden Berechnung zufolge am ehesten dienlich ist. Das Gleichgewichtssystem, wie es seit 1648 als Ideal der „Europäischen Balance" die Vorstellungswelt in Theorie und Praxis der internationalen Beziehungen und des Völkerrechts immer stärker beherrscht und seit 1713 auch zum expliziten Bestandteil europäischer Friedensverträge und „allgegenwärtiges Interpretament" wird,57 erweist sich als eine der neuartigen Pluralität der entstehenden modernen Welt gemäße Verbindung von Statik und Dynamik: das Ganze besteht hier in nichts anderem mehr als in dem funktionalen Beziehungsgeflecht von rein quantitativ be58

stimmten, beschreib- und berechenbaren Körpern im Sinne von Machtquanten, verbunden zu einem von allen substantiellen Qualitäten theologisch-metaphysischer Art freien Zusammenhang, der keinen - etwa heilsgeschichtlichen - Zweck mehr außerhalb seiner selbst besitzt und eben deshalb geeignet ist, heterogene und gegensätzliche Akteure, Institutionen und Dynamiken zu vermitteln. Mit Blick auf das bis 1494 bestehende Gleichgewicht zwischen den italienischen Mächten spricht Machiavelli, Der Fürst (wie Anm. 52), 167, von Jener Zeit, als Italien in einem gewissen Gleichgewicht war". Für Italien kommt Machiavelli zwar in der Konsequenz zu einer negativen Bewertung dieses Systems, da es, bloß im Kleinen verwirklicht, die Erhaltung der italienischen Republiken gegen die intervenierenden europäischen Mächte nicht sichern konnte (vgl. Herfried Münkler, Niccolo Machiavelli. Gedanken zu den zwischenstaatlichen Beziehungen, in: Jürgen Bellers (Hg.), Außenpolitisches Denken von Aristoteles bis heute, Darmstadt 1996, 43 ff.), doch analysiert und bekräftigt er trotzdem und eben damit die hier wirkende Logik politischen Handelns. Vgl. Otto Mayr, Uhrwerk und Waage. Autorität, Freiheit und technische Systeme in der frühen Neuzeit, München 1987. Duchhardt, Balance (wie Anm. 8), 11 ff. Vgl. Ders., Gleichgewicht (wie Anm. 38), 68 ff.; Ernst Reibstein, Völkerrecht. Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis, Bd. 1, Freiburg, München 1957, 453 ff.; Wolf D. Gruner, Deutschland und das Europäische Gleichgewicht seit dem 18. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.), Gleichgewicht in Geschichte und Gegenwart, Hamburg 1989, 73 ff.; Kleinschmidt gliedert die gesamte Periode von 1500 bis 1800 systemgeschichtlich in Phasen des „Kampfes um", der „Festigung" und der „Erhaltung des Gleichgewichts", vgl. Harald Kleinschmidt, Geschichte der internationalen Beziehungen. Ein systemgeschichtlicher Abriß, Stuttgart 1998, 84 ff., 127 ff. u. 171 ff. Vgl. Harm Klueting, Die Lehre von der Macht der Staaten. Das außenpolitische Machtproblem der „politischen Wissenschaft" und in der praktischen Politik im 18. Jahrhundert, Berlin 1986.

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IV. Gleichgewicht, Handel und Frieden - Ansätze und Illusionen globalen „Konfliktmanagements" in der Neuzeit Die Zeit des Siebenjährigen Krieges, inmitten der Blütezeit der europäischen Aufklärung und des aufklärerischen Denkens, bildet, so lautete die These, den Knotenpunkt der vorstehend umrissenen politischen, ökonomischen und geistigen Entwicklungen in ihren europäischen und globalen Dimensionen und Tendenzen. Es ist dies die Zeit, in der die lange Inkubationsphase eines neuen, von europäischen Mächten, Institutionen und Interessen geprägten internationalen oder Weltsystems endet, das in seinen ökonomischen, politischen und institutionellen Grundstrukturen und Antriebskräften von nun an den Ausgangspunkt und Horizont des Denkens und Handelns der politischen und sozialen Akteure bilden sollte. Zugleich beginnen hier aber auch schon seine prinzipiellen Probleme und Schranken spürbar und erkennbar zu werden. Die Jahre und Jahrzehnte von der Mitte des 18. Jahrhunderts an bilden mithin gleichsam einen zentralen Kristallisationspunkt und Prüfstein der theoretischen und praktischen Konsequenzen, die sich aus dieser Neustrukturierung der politischen und sozialen Ordnungen und Beziehungen ergeben. Unverkennbar wird insbesondere, daß mit der erfolgreichen Durchsetzung der ökonomischen Strukturen von Handels- und Konkurrenzkapitalismus mitsamt seiner sozialen und kulturellen Konsequenzen und der politisch-rechtlichen Strukturen von souveräner Staatlichkeit und internationalem Staatensystem auf europäischer und zunehmend auch auf globaler Ebene neue Strukturen der Ungleichheit, des Konflikts und der Gewalt etabliert werden. Für diese Prozesse, Einsichten und Handlungsformen kann der Siebenjährige Krieg als Menetekel oder, weniger metaphorisch gesprochen, als eine ihrer Erscheinungsformen und Katalysatoren gelten. Dies soll im Hinblick auf die angesprochenen ökonomischen (IV. 1) und politisch-rechtlichen Entwicklungen (IV.2) angedeutet werden.

IV. 1 Die Logik und Dynamik des Konflikts von Handel und ökonomischem Weltsystem In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hat sich das seit dem 15. und 16. Jahrhundert entstehende System der auf dem Einsatz von Handels- und Finanzkapital basierenden Formen von arbeitsteiliger Produktion und Distribution so weit entwickelt, daß sie zu Grundlage und Motor von gesellschaftlicher und politischer Macht und der Entwicklungen auf nationaler, europäischer und globaler Ebene werden. Regionen und Herrschaften, die dem noch nicht entsprechen, werden über kurz oder lang in sie einbezogen und direkt oder indirekt integriert, sei es durch Unterwerfung und zwangsweise Eingliederung, sei es durch die Schaffung der politischen, ökonomischen und sozialen Voraussetzungen, um selbst zum Akteur in diesem neuen, sich globalisierenden politischen und ökonomischen Zusammenhang zu werden. Diese Entwicklungen bilden den Horizont des Denkens und Handelns der politischen und gesellschaftlichen Akteure des 18.

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Jahrhunderts, insbesondere all jener, die den verschiedenen Strömungen der europäischen Aufklärungsbewegungen in den je ganz unterschiedlichen politischen und soziokulturellen Positionen, Institutionen und Zusammenhängen angehören. Mit ihren in je spezifischer Weise erhobenen und begründeten Forderungen - um ein Diktum des jungen Marx abzuwandeln alle Verhältnisse umzustürzen und aufzuheben, in denen der freie Eigentümer und das private Unternehmersubjekt ein erniedrigtes, in der Verfolgung seines Gewinnstrebens beschränktes Wesen ist,59 stehen sie zumeist in einer Linie mit den zeitgenössischen Kräften und Tendenzen, die auf die Freisetzung der Marktkräfte, die Expansion des Handels und nationaler und internationaler arbeitsteiliger Strukturen in Produktion und Verteilung abzielen. Der auch und gerade seit dem Siebenjährigen Krieg enorm wachsende, auf Sklavenhandel und Plantagenwirtschaft basierende Dreieckshandel zwischen Afrika, Amerika und Europa als zentraler Pfeiler der globalen Dominanz europäischer Mächte im 18. und 19. Jahrhundert ist nur ein besonders sprechendes Beispiel dafür, wie sich mit der Expansion und Globalisierung ökonomischer Rationalität und Arbeitsteilung neue Formen von Herrschaft und Ausbeutung verbinden. Die politischen, ökonomischen und kulturellen Vorstellungen und Erwartungen, die die Zeitgenossen über ihre je konkreten Interessenlagen hinaus mit diesen Entwicklungen verbanden, verkoppeln hingegen oftmals die rationale Erkenntnis und bewußte Fortbildung und Durchsetzung dieser sozioökonomischen Strukturen und Dynamiken gegen innere und äußere Widerstände und „Vorurteile" mit der Hoffnung auf Etablierung von Verhältnissen, die Natur und Vernunft gleichermaßen entsprechen sollen. Dies gilt auch und gerade fur führende Vertreter und Strömungen der europäischen Aufklärung.60 Wenn Montesquieu von „le doux commerce" spricht, so stellt er zwischen der Etablierung des Handels, der Beseitigung störender Vorurteile, der Entfaltung „sanfter Sitten" und politisch-kultureller Zivilisations- und Freiheitsgewinne einen wechselseitig Denn ebenso wie die Vertreter der Aufklärung auf den ökonomisch und soziokulturell fuhrenden britischen Inseln - wie David Hume oder Adam Smith - setzen auch die Physiokraten in Frankreich auf die Fortschritt und Wohlstand generierenden Kräfte, die die naturgemäßen, von feudalen, merkantilistischen und anderen Beschränkungen befreiten gesellschaftlichen Verhältnisse freisetzen sollen, denn: „Dem natürlichsten Lauf der Dinge entsprechend steigern Gewerbe, Künste und Handel die Macht des Souveräns ebenso wie das Glück der Untertanen". David Hume, Über Handel, in: Ders., Politische und ökonomische Essays, Hamburg 1988, Bd. 2, 182. 60

Sie formulieren keine der Kritik am Ancien Regime vergleichbare „scharfe Kritik an der Handelsgesellschaft, für die Privateigentum und individuelle Interessen unantastbar waren. Die neue Aufklärungshymne an den „Fortschritt" stellte sich auf vielerlei Art taub für die neuen eklatanten Ungleichheiten und Unterdrückungen der neuen wirtschaftlichen und industriellen Ordnung (es wurde doch alles besser, oder?)". Roy Porter, Kleine Geschichte der Aufklärung, Berlin 1991, 35. Exemplarisch hierfür kann das in Raynals und Diderots Histoire des deux Indes übernommene Tableau de I 'Europe von Alexandre Deleyre (Maastricht 1774) gelten, das dem Leser versichert, daß „la liberie du commerce ameneroit insensiblement [ä la] paix perpetuelle", da mit dem ökonomischen Wohlstand einer Nation keinerlei „interet l'excite ä declarer la guerre ä d'autres nations industrieuses" (86 u. 84).

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konstitutiven Zusammenhang her. 61 Und auch Kant teilt jenes v o n Montesquieu vorgetragene Vertrauen in den Handelsgeist, der die Völker dadurch, daß er sie in einen Zustand wechselseitiger Abhängigkeit versetze, z u m Frieden geneigt mache und Kriege über kurz oder lang abschaffe. 6 2 Sehr viel näher kommt den diesen Beziehungen innewohnenden Ambivalenzen Voltaire in seinen Briefen

aus England,

mit denen er nicht

wenig zur Hochschätzung der politischen und ökonomischen Verhältnisse auf der Insel in der kontinentaleuropäischen Aufklärung beigetragen hat. Hier betont er ausdrücklich, Englands Größe zeige sich in dem auf Handel beruhenden Reichtum, seiner politischen Freiheit und seiner finanziellen und militärischen Macht, wie sie vor allem in der Stärke ihrer Seestreitkräfte und ihrem Vermögen, „drei Flotten auf einmal an drei Enden der Welt" zu schicken, zum Ausdruck komme. 6 3 Damit bezeichnet Voltaire prägnant den internen Zusammenhang, der zwischen den als vernunftgemäß angesehenen politischen und soziokulturellen Verhältnissen Englands und seiner Fähigkeit besteht, sie mit finanziellen, militärischen und anderen Maßnahmen auf allen Meeren und Kontinenten durchzusetzen. 6 4

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Vgl. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, Tübingen 1992, Bd. 2, 2 (XX.l). - Vgl. hierzu Reinhard Brandt, „Quem fata поп ducunt, trahunt": der Staat, die Staaten und der friedliche Handel, in: Transactions of the Ninth International Congress of Enlightenment, Münster 1995 (SVEC 346), Oxford 1996, Bd. 1,79-108. Vgl. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (wie Anm. 61), Bd. 2, 3 (XX.2): Der „Geist des Handels [eint] die Völker", denn: „Die natürliche Wirkung des Handels besteht darin, zum Frieden geneigt zu machen." Bei Kant heißt es: „Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann, und der früher oder später sich jedes Volks bemächtigt. Weil nämlich unter allen der Staatsmacht untergeordneten Mächten (Mitteln) die Geldmacht wohl die zuverlässigste sein möchte, so sehen sich Staaten (freilich wohl nicht eben durch Triebfedern der Moralität) gedrungen, den edlen Frieden zu befördern". Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf (1795), in: Kants gesammelte Schriften, Bd. 8, Berlin 1923, 368. - Generell zur „Verniedlichung des Handels" vgl. Bauer, Matis, Geburt der Neuzeit (wie Anm. 16), 232 ff.; zur moralischen Umwertung von Markt und Handel vgl. Albert O. Hirschman, Leidenschaften und Interessen. Politische Begründung des Kapitalismus vor seinem Sieg, Frankfurt a. M. 1984. Voltaire, Briefe aus England (zuerst 1734), Zürich 1994, 53 (10. Brief: „Über den Handel"). Voltaire spricht hier konkret von einer 1723 bestehenden Konstellation, also lange vor dem Siebenjährigen Krieg. Dies bestätigt die heutige Forschung, der zufolge England bereits lange vor der industriellen Revolution „durch den Aufbau eines ,fiskalisch-militärischen Staates' [...] zu weltweiter militärischer Intervention befähigt worden" war. Osterhammel, Kolonialismus (wie Anm. 27), 37. „Der Schritt zur Industriellen Revolution, der am Ende des 18. Jahrhunderts die Vormachtstellung Englands weiter stärkte und eine neue Periode des Weltsystems einleitete, wurde unter günstigen Bedingungen getan: Viele Märkte waren schon hergestellt" (Hans-Heinrich Nolte, Radikalisierung von Macht und Gegenmacht. Staatswerdung und Rivalitäten, in: Grandner, Komlosy, Vom Weltgeist beseelt [wie Anm. 28], 65). Mit Blick auf die enorme Expansion des Kolonialhandels mit ihren die Produktions- und Lebensweise in England und auf dem Kontinent gleichermaßen verändernden Konsequenzen bestätigt Hobsbawm, Industrie (wie Anm. 36), Bd. 1, 53, gleichsam Voltaires Aussagen: „Es waren die Briten, die - durch ihre gewalttätige Politik wie durch ihren Unternehmergeist und ihre Geschicklichkeit - diese Märkte eroberten." Denn sowohl der politisch-militärische wie auch der ökonomische

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Zugleich gab es immerhin vereinzelte Stimmen, die belegen, daß schon in dieser Zeit die nicht friedens-, sondern konfliktgenerierenden Widersprüche von Struktur und Dynamik dieses neu entstehenden politischen und ökonomischen Systems auf europäischer und globaler Ebene erkennbar waren und zum Gegenstand kritischer Reflexion gemacht werden konnten. Am eindringlichsten und nachhaltigsten war dies bei Autoren wie Mably und Rousseau der Fall.65 Insbesondere Rousseau hat mit seiner scharfen Analyse und Kritik der gerade erst im Entstehen begriffenen bürgerlichen Gesellschaft und Kultur daraufhingewiesen, daß die Generalisierung von Verhältnissen von Privateigentum, Warenproduktion, Arbeitsteilung und Handel zu einem System von allgemeiner Abhängigkeit, Konkurrenz und Ungleichheit führt, das mit zunehmender Dichte und Vernetzung auch das Entstehen permanenter Interessenkonflikte innerhalb und zwischen den staatlich verfaßten Gesellschaften nach sich zieht. Die „idees de commerce et d'argent", so schreibt er in den Jahren des Siebenjährigen Krieges, führen mithin nicht zu Kooperation, Milderung der Sitten und dauerhaftem Frieden, sondern umgekehrt zur Verabsolutierung der Konkurrenz und zur Permanenz von Konflikten und Krieg.66 In solchen, erst seit den siebziger und achtziger Jahren dann - etwa mit Raynals und Diderots Histoire des deux Indes oder den Schriften Linguets - verstärkt zu registrierenden Texten wird die Oberfläche der auf wechselseitige Interessen, gleichem Tausch und ausgleichend-pazifizierenden Formen von Kooperation und Arbeitsteilung auf die Strukturen von Gewalt, Ungleichheit und Ausbeutung hin durchsichtig gemacht, die Aufstieg Großbritanniens basierte nicht zuletzt auf seiner „Konzentration auf die kolonialen und unterentwickelten' Märkte in Übersee", der mit militärischen und politischen Mitteln „erfolgreich gekämpfite[n] Schlacht, die allen anderen Ländern den Zugang zu den Quellen versperrte". Vgl. zur herausragenden Bedeutung von Wirtschafts- und Handelsfragen Duchhardt, Gleichgewicht (wie Anm. 38), 108 f. u. 120 ff. Zu Mably und der .Ambivalenz des Modernisierungsprozesses [...], der von Anfang an nicht nur Fortschritt, sondern in der zeitgenössischen Wahrnehmung auch Herausforderung und Verlust bedeutete und der als Gegenbewegung zu den liberal-kapitalistischen Modellentwürfen zumindest bei einigen Gesellschaftstheoretikern [...] die Akzentuierung der .sozialen Frage' und die Ausbildung einer .economie sociale' provozierte", vgl. Hans-Ulrich Thamer, Mably und die Anti-Physiokraten. Zur Ambivalenz der Modernisierung, in: Frank-Lothar Kroll (Hg.), Neue Wege der Ideengeschichte, Paderborn u.a. 1996,199-215 (Zitat 201). Jean-Jacques Rousseau, Extrait du Projet de paix perpetuelle de Monsieur l'abbe de Saint-Pierre, in: Ders., CEuvres completes, Bd. 3, Paris 1964, 572. - Ebenso liest Mably gerade am Beispiel Großbritanniens ab, daß „Г esprit de commerce" expansionistisch ist und „ne manque pas de provoquer la guerre commerciale, puis la guerre tout court. [...] Се n'est pas ,1'ambition des monarques' ou ,1a folie guerriere des hommes' qui produisent la guerre, les conquetes et le prejuge national, c'est une .politique к argent' qui regarde l'or comme l'objet de la plus profonde politique', c'est l'autonomie de Гёсопогше par rapport ä la politique et ä la morale". Marc Belissa, Fraternite universelle et interet national. Les cosmopolitiques du droit des gens, Paris 1998, 64. - Die unterschiedlichen Positionen französischer und englischer Aufklärer zur kapitalistischen Dynamik analysiert vor dem Hintergrund der jeweiligen politischen, sozialen und ökonomischen Strukturen Ellen Meiksins Wood, Capitalism or Enlightenment?, in: History of Political Thought 21 (2000), 405—426.

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ihnen zugrunde liegen und durch sie reproduziert werden.67 Aufgeklärte Vernunft erhält hier eine weitergehende, kritisch-reflexive Funktion: Die Aufklärung über die Bedingungen der Herstellung einer vernünftigen, Gewalt und Krieg strukturell überwindenden Organisation der gesellschaftlichen und internationalen Verhältnisse kann sich nicht mehr auf die möglichst rationale Anpassung an die Erfordernisse von Individuen und Gesellschaft an die Imperative politischer und ökonomischer Konkurrenz und Verwertungsbedingungen erschöpfen, wenn dies, vollständig verwirklicht und entfesselt, deren Grundlagen in radikaler Weise destruiert. Dies belegen die Verflechtungen, die im Siebenjährigen Krieg zwischen europäischen und globalen, privaten und staatlichen Ebenen, Interessen und Akteuren bestehen und zu einem weltumspannenden Krieg fuhren, durch den die Ausgangsbedingungen des politischen und ökonomischen Weltsystems bis ins 19. und 20. Jahrhundert hinein mitgeschaffen wurden. Die Globalisierung der ökonomischen Konkurrenz, der von privaten und staatlichen Akteuren getragene und beförderte, mit politischen, diplomatischen, militärischen, ökonomischen, finanziellen und anderen Mitteln ausgetragene Kampf um Märkte und Stützpunkte, Handelsrouten und Einflußsphären, um die Ausbeutung und Verwertung menschlicher und natürlicher Ressourcen, um die ökonomisch und politisch einträglichen Plätze an der Sonne - all dies zeigt: weit davon entfernt, eine Welt von .sanftem', zivilisatorischem Handel und arbeitsteiliger Kooperation zwischen Gleichen zu sein, verbinden sich hiermit unterschiedlichste Formen von Gewaltausübung und Kriegführung.

IV.2 Die Logik von Konflikt und Krieg zwischen Staaten im System des internationalen Gleichgewichts Eine strukturell analoge Ambivalenz besteht auf der Ebene der politischen und staatlichen Akteure und Beziehungen in und seit der Frühen Neuzeit. Hier stellt das System des Gleichgewichts autonomer, rechtlich gegeneinander unabhängiger Staaten die dominierende Handlungs- und Vermittlungsform der dynamischen Interaktionsbeziehungen konkurrierender, strukturell expansiv gerichteter politischer und ökonomischer Akteure und Interessen dar. Man kann an dieser sich seit dem 17. Jahrhundert durchsetzenden, bis heute so einflußreichen Gleichgewichtskonzeption den Zusammenhang von formalen, theoretischen und realgeschichtlichen Faktoren und Verhältnissen geradezu exemplarisch nachvollziehen. Die Struktur, Dynamik und Konfliktlogik des neu entstehenden internationalen Systems als eines des Gleichgewichts reflektieren und reproduzieren gleichsam in ihrer gedanklichen wie realen Existenz die Struktur, Dynamik 1

Zu Mably und Linguet vgl. Thamer, Mably und die Anti-Physiokraten (wie Anm. 65), 205 ff.; Ders., Revolution und Reaktion in der französischen Sozialkritik des 18. Jahrhunderts. Linguet, Mably, Babeuf, Frankfurt/M. 1973; zu Helvetius und anderen vgl. Günther Mensching, Totalität und Autonomie. Untersuchungen zur philosophischen Gesellschaftstheorie des französischen Materialismus, Frankfurt/M. 1971, 223 ff.; zu Raynal vgl. Hans Wölpe, Raynal et sa machine de guerre. L 'histoire des deux Indes et sesperfectionnements, Paris 1956, 58-62.

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und Konfliktlogik des neuen sozioökonomischen Bezugs- und Handlungssystems freier, miteinander konkurrierender Akteure, und zwar einschließlich der Illusionen, die über sie im Umlauf waren - und es zum Teil bis heute sind. Die erfolgreiche Etablierung des modernen Staatensystems bedeutet wohl das Ende der Dynamik der Staatenbildungskriege.68 Doch daraus in bezug auf das europäische Staatensystem im vorrevolutionären Europa insgesamt zu folgern, man könne, wenn nicht der preußische Nachzügler seine nachholenden Staatenbildungskriege vom Zaum gebrochen hätte, von einem „von der reinen Staatsvernunft fast schon abgeschaffte[n] Gewaltproblem" sprechen,69 ist wohl nur unter systematischer Ausblendung der sozioökonomischen Gehalte, Strukturen und Dynamiken möglich. Eine solche Einschätzung reproduziert gleichsam die im Falle von Zeitgenossen vielleicht noch nachvollziehbare Illusion eines global-harmonischen Zusammenspiels ökonomischer Interessen und Tauschprozesse als Illusion eines strukturell friedlichen, stabilen Systems vermittels des Ausbalancierens der Mächte im internationalen System.70 Tatsächlich jedoch ist dies aus historisch-empirischen wie auch aus systematischen Gründen gleichermaßen zweifelhaft. Wenn sich im 17. und 18. Jahrhundert die Idee des Gleichgewichts als jenes Deutungs- und Handlungsmuster durchsetzt, mittels dessen die Bedingungen der Erhaltung und Interessenverfolgung souveräner Staaten gedacht und organisiert werden, so liegt dieser Form innerer und äußerer Ordnung und Stabilität gerade nicht die Etablierung von Verhältnissen gesicherten Friedens, der Ausschluß oder gar die prinzipielle Ablehnung und Abschaffung des Krieges als Telos zugrunde. Das Gleichgewichtsprinzip ist kein normatives Prinzip, das der Wirklichkeit und dem Handeln der Akteure gleichsam apriorisch vorgegeben wäre, sondern eine Maxime, mittels derer man sich in dieser gegebenen Ordnung bewegen und erhalten können soll.71 Das Modell des Gleichgewichts

Dies gilt in dem Sinne, daß der Konstitutionsprozeß einer durch Staaten geprägten Ordnung als solcher abgeschlossen und ein selbsttragendes Staatensystem entstanden ist. Dies schließt nicht aus, daß nicht weiterhin permanent neue Kriege ausbrechen können, in denen sich Staaten um- oder neu bilden. Wollte man - wozu Johannes Burkhardt offenbar tendiert (vgl. die folgenden Bemerkungen und Nachweise) - diese Kriege und die hierbei auftretende Gewalt dann immer als solche der - ggf. nachholenden - Staatenbildungsphase bezeichnen, die endet, wenn diese Geburtswehen gänzlich überwunden sind, würde die Argumentation zirkulär und das Problem nicht geklärt. Es hieße letztlich, das Problem begrifflich aus der Welt zu schaffen suchen, indem die zu erklärenden Phänomene von Staaten(um)bildung und Gewaltanwendung gleichsam zu ErklärungsgrUnden gemacht werden. 69 70

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Burkhardt, Vom Debakel (wie Anm. 3), 318. So verweist Burkhardt, ebd., 299 u. 318, auf die Hoffnungen eines deutschen Aufklärers, der 1792 „unter bürgerlich-friedlichen Vorzeichen [...] die Abschaffimg des Krieges auf dem zivilisationsgeschichtlichen Programm" stehen sah und dabei ,nur' noch nicht gesehen habe, daß dieses „Gewaltproblem" mit der Französischen Revolution „wiederkehrte und alles noch einmal abgearbeitet werden mußte". Vgl. exemplarisch David Hume, Über das Mächtegleichgewicht, in: Ders., Essays (wie Anm. 58), Bd. 2, 255 ff., der „die Maxime der Erhaltung des Mächtegleichgewichts" als Produkt der rational

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folgt systematisch wie auch in der politischen und diplomatischen Praxis prinzipiell der Logik der Selbsterhaltung von konkurrierenden Staaten und der Abwägung ihres relativen Gewichts und ihrer Balance, um auf dieser Grundlage die Notwendigkeit spezifischer Handlungen abzuleiten und sie folglich dadurch begründen und rechtfertigen zu können. Die Möglichkeit, Notwendigkeit und Legitimität von direkter oder indirekter Gewaltausübung und Krieg wird damit nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr in einen neuen, säkular-mechanischen Begründungszusammenhang gebracht. Der Krieg wird dabei zwar aus transzendent-religiösen oder normativen Bezügen herausgelöst, gerade dadurch aber zu einem rational einsetzbaren Element des staatlichen Handelns, wie es noch in jener Clausewitzschen Formel vom Krieg als Fortfuhrung der Politik mit anderen Mitteln zum Ausdruck kommt.72 Sofern die politischen und sozioökonomischen Entstehungs- und Erhaltungsbedingungen des Staates als jener Instanz, deren Legitimität sich von der erfolgreichen Garantie der freien Interessenverfolgung der gesellschaftlichen Akteure herleitet, seit seinen Anfangen stets schon den Bezug auf die transnationale - europäische und außereuropäische - Welt impliziert hat, ist dieser Logik zufolge der Rückgriff auf Gewalt und Krieg - und sei es unter steter Betonung als des ,letzten Mittels' - damit nicht nur für die Phase der Bildung, sondern auch der Erhaltung der Staaten auf Dauer möglich und gerechtfertigt.73 Die Berufung auf das Prinzip des Gleichgewichts ist insofern seit dem 17. Jahrhundert ein Verfahren, das zur allfälligen Rechtfertigung von Macht- und Gewaltausübung Anwendung findet. Dies gilt für das politische und völkerrechtliche Denken, in dem Ruhe, Stabilität und friedlicher Zusammenklang der vielen Staaten zu einem harmonischen Ganzen in einem solchen Maße vertreten wird, daß damit mühelos Krieg als Reaktion auf die eingetretene oder drohende Gefahrdung desselben gerechtfertigt werden kann.74 Und das gilt ebenso für die Praxis der internationalen Beziehungen, in der man sich bei den Entschlüssen zum Krieg wie bei den Friedensschlüssen, mit denen sie enden, gleichermaßen auf das Gleichgewichtsprinzip berufen konnte.75 Und dies gilt, wie

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aufgeklärten Staatsvernunft bezeichnet, die sich aus „gesundem Menschenverstand und eindeutiger Argumentation" bei der Reflexion auf die Sphäre der Mächtebeziehungen ergebe (261). Vgl. Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Bonn 1 9 1991,210. Zum Zusammenhang von entstehender kapitalistischer Konkurrenzgesellschaft und der Organisation von inneren und äußeren Gewalt durch den Staat vgl. Bauer, Matis, Geburt der Neuzeit (wie Anm. 16), 239 ff. Vgl. etwa Johann Jacob Moser, Grund-Sätze des jetzt-üblichen Europäischen Völker-Rechts in Kriegs-Zeiten, Tübingen 1752, für den Kriege rechtmäßig sind, sofern sie zur Erhaltung des Gleichgewichts erforderlich sind. Ausdrücklich dann beim wohl einflußreichsten Völkerrechtler des Aufklärungsjahrhunderts, Emer de Vattel, Le Droit des Gens ou Principes de la loi naturelle, Appliques ä la conduite & aux affaires des Nations & des Souverains, London 1758. Vattel zufolge verleiht die Befürchtung, ein Nachbar innerhalb der „societe des nations" könne ein Übergewicht erlangen, das Recht „[de] prevenir ses desseins par la force des armes" (III.3, § 44, Bd. 2, 35). Die Häufigkeit und Relevanz des Gleichgewichtsprinzip als Argument wie auch als Form der theoretischen und praktischen Orientierung besonders auch im Siebenjährigen Krieg betont Klein-

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der Siebenjährige Krieg zeigt, stets für alle Seiten. Wie die Habsburger das renversement des alliances und den Krieg gegen Preußen nicht zuletzt mit der Herstellung des notwendigen Gegengewichts gegen das preußische Machtstreben begründeten und als Ziel angaben, verhindern zu wollen, daß „die Haltung des Gleichgewichts in Europa" von England auf Preußen übergehe, 76 so rechtfertigte Friedrich II. den Überfall auf Sachsen mit seinem berühmten Wort „besser praevenire als praeveniri" als notwendigen Präventivkrieg, um die von Wien angestrebte Umwälzung des europäischen Gleichgewichts abzuwenden. 77 Diese grundlegenden Strukturen und Probleme des neuzeitlichen Staatensystems und der Form ihrer politischen und rechtlichen Organisation sind bereits zur Zeit ihrer definitiven Durchsetzung in der Mitte des 17. Jahrhunderts erfaßt und analysiert worden. Thomas Hobbes hat das konzeptionelle Instrumentarium zu Beschreibung und Verständnis des Problemhorizonts entwickelt, innerhalb dessen sich die Theorie und Praxis von internationalen Beziehungen und Völkerrecht in der Folge und bis heute weitgehend bewegt. Konflikthaft ist das System der internationalen Beziehungen demnach nicht aus historisch-empirisch zufälligen und vorübergehenden Bedingungen oder gar wie ein beliebtes Mißverständnis es will - aufgrund der anthropologisch gegebenen Triebstruktur menschlicher Wesen. Die Konfliktdynamik ergibt sich vielmehr aus der Logik der Handlungs- und Rechtsstruktur rechtlich freier und gleicher Akteure in einer Systemkonstellation, in der keine übergeordnete, allgemein verbindliche Rechtszwangsgewalt existiert.78 Wie Individuen im Naturzustand „extra societatem civilem" 79 , sind Staaten als Akteure, die ohne übergreifende Rechts- und Zwangsinstitutionen ihre Selbsterhaltung und eine nach eigenem Urteil angemessene Ordnung zu erhalten streben, notwendig je für sich Richter über die Mittel und Maßnahmen, die hierzu erforderlich und damit legitim sind. Den Ausgangspunkt und Grund allen Rechts und aller rechtmäßigen Handlungen bildet in einem solchen Zustand folglich allein die subjektive, über sich selbst und die Bedingungen ihrer Selbsterhaltung aufgeklärte Vernunft. Hobbes legt wie nur wenige vor und nach ihm darüber Rechenschaft ab, daß die Poten-

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schmidt, Geschichte (wie Anm. 56), 185, 191-194 oder 189: „Der Siebenjährige Krieg war also in Europa ein Gleichgewichtskrieg." Staatsbetrachtungen über den gegenwärtigen preußischen Krieg in Teutschland, Wien 1761, 53, zit. n. Hans Fenske, Gleichgewicht, Balance, in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, Stuttgart 1975, 959-996, 980. Beispiele hierfür vom Schlesischen bis zum Siebenjährigen Krieg ebd., 979 f. - Mit seinem Präventivkriegs-Argument nimmt Friedrich II. gleichsam Vattels in Anm. 74 zitiertes Argument um zwei Jahre vorweg. Systematisch zur Naturzustandstheorie Dieter Hüning, Freiheit und Herrschaft in der Rechtsphilosophie des Thomas Hobbes, Berlin 1998, v.a. 69-88. So der Titel des ersten Kapitels von Hobbes' De cive, womit nicht der Zustand isolierter Individuen, sondern gerade jener der im „geselligen Verkehr", aber unter Abstraktion von allgemeinen Institutionen der Rechtssetzung und -durchsetzung befindlichen Individuen bezeichnet wird, um deren Notwendigkeit zu demonstrieren.

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tialität von Konflikt und Krieg deshalb keine Frage des guten oder bösen Willens ist, 80 sondern eine der Strukturbedingungen dieses Handlungssystems selbst. Obgleich die Vernunft aufgrund des Strebens nach Selbsterhaltung die Friedenssuche als oberstes 81

Handlungsgebot und Gesetz der Natur erkennen kann und muß, ist es praktisch vernünftig und notwendig, mit der Möglichkeit des Krieges zu rechnen, für ihn zu rüsten und ihn ggf. auch präventiv zu führen. Denn die Verpflichtung auf die richtige Gesinnung - den Willen zum Frieden - darf nicht die rationale Erkenntnis und Anwendung jener Mittel verhindern, die der angestrebte Zweck - die Erhaltung der Existenz und der freien Interessenverfolgung - unter Bedingungen erfordert, unter denen das friedliche und rechtskonforme Verhalten aller Handelnden nicht durch übergreifende Instanzen gesichert ist.82 Folglich bilden nicht unbilliges Machtstreben oder anthropologische Herrschsucht und Aggressivität, also prä- und irrationale Motive, den Grund für die Unaufhebbarkeit der Konflikte zwischen freien Akteuren, sondern umgekehrt gerade die Vernunft: die Notwendigkeit der vernünftigen Reflexion auf die jeweiligen Handlungsbedingungen und Konstellationen im System allseitiger subjektiver Freiheit und der daraus resultierenden Kontingenz und Ungewißheit über Handlungsmotive, -zwecke und -potentiale aller anderen Akteure. Die Hoffnung, ein Zustand des Gleichgewichts zwischen solcherart freien politischen Körpern könne der Dynamik der Konflikte dauerhaft Einhalt gebieten und das Beziehungssystem, das als natürlicher Zustand notwendig schon einen Zustand des Krieges bildet, dauerhaft pazifizieren, muß deshalb illusorisch bleiben. Solange die Akteure keine andere Gewißheit über die Verwirklichung ihrer eigenen Erhaltung und Zwecksetzungen besitzen als ihre eigene faktische Stärke bzw. die relative Schwäche aller anderen, ist jedes Handeln, das nicht die ggf. gewaltsame Durchsetzung dieser Bedingungen ins Arsenal der eigenen Handlungsoptionen aufnimmt, irrational und führt über kurz oder lang zum Untergang im internationalen Naturzustand.83 80

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Vgl. Olaf Asbach, Dieter Hüning, Naturzustand und Rechtsbegründung. Der Abbi de Saint-Pierre zwischen Hobbes und Rousseau, in: Archiv fiir Rechts- und Sozialphilosophie 84 (1998), 309 f.; Dieter Hüning, „Inter arma silent leges" - Naturrecht, Staat und Völkerrecht bei Thomas Hobbes, in: Rüdiger Voigt (Hg.), Der Leviathan, Baden-Baden 2000, 129-163. Vgl. Thomas Hobbes, Leviathan, or The Matter, Forme, & Power of a Common-wealth ecclesiastical and civil!, London 1968, Kap. XIV, 190. Da im Naturzustand - sei es zwischen Individuen oder zwischen Staaten - jeder „das Recht [hat], alles zu tun und in Besitz zu nehmen, was er selbst zu seiner Erhaltung für nötig hält" (Thomas Hobbes, Vom Bürger, in: Ders., Vom Menschen/Vom Bürger, Hamburg 1977,1.10, Anm. 81) und dadurch logisch notwendig mit - möglichen oder realen - Rechtsansprüchen anderer kollidiert, ist der Naturzustand ebenso notwendig jener Kriegszustand (ebd., 1.12, 83 f.), der auf internationaler Ebene das Konkurrenzsystem zwischen Staaten charakterisiert und von Hobbes deshalb zur empirischen Illustration der hypothetischen Rechtsfigur des Naturzustands herangezogen werden kann; vgl. Hobbes, Leviathan (wie Anm. 81), Kap. XIII, 187 f. „For he that should be modest, and tractable, and performe all he promises, in such time, and place, where no man els should do so, should but make himselfe a prey to others, and procure his own

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Nur wenige Autoren zogen bereits im 18. Jahrhundert die Konsequenz dieser Hobbesschen Strukturanalyse und kommen auf deren Grundlage zu einer fundamentalen Kritik der Idee des Gleichgewichts der Mächte und seiner vermeintlich pazifizierenden Konsequenzen. Immerhin mußte man aber nicht bis 1793 warten, bis Kant die systemische Instabilität des Gleichgewichtssystems in das berühmte Bild jenes Swiftschen Hauses faßte, „welches von einem Baumeister so vollkommen nach allen Gesetzen des Gleichgewichts erbauet war, daß, als sich ein Sperling darauf setzte, es sofort einfiel". 84 Denn bereits 1713, also in eben jenem Jahr, in dem in Utrecht das Gleichgewichtsprinzip zum ersten Mal in einem europäischen Friedensvertrag als Leitidee der offiziellen Politik der europäischen Mächte formuliert wurde, machte der Abbe de Saint-Pierre darauf aufmerksam, daß das Gleichgewichtssystem strukturell unsicher und anfällig ist, da es von kontingenten Faktoren und subjektiven Ab- und Einschätzungen abhängig sei, also nur scheinbar mit objektiv meß- und berechenbaren Größen und Verhältnisbe85

Stimmungen operiert. Für Saint-Pierre ist das „System des Gleichgewichts" in Europa ein System, das strukturelle Unsicherheit impliziert und folglich jederzeit wieder in den offenen Kriegszustand umschlagen kann. Diese Einschätzung findet sich inmitten des Siebenjährigen Krieges auch bei Autoren wie Justi 86 oder Rousseau. Nur ironisch spricht der letztere von „cet equilibre si vante" zwischen den europäischen Staaten, die einen naturwüchsigen systemischen Zusammenhang zu bilden schienen, der aus sich selbst heraus bestehe. 87 Zugleich aber ist es schimärisch, von ihm dauerhaften Frieden zu erhoffen: Es ist ein Gleichgewicht des Schreckens, der Unruhe, des gewaltsamen Austarierens der Kräfteverhältnisse, also das Gegenteil stabiler und friedlicher Verhältnisse:

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certain ruine, contrary to the ground of all Lawes of Nature, which tend to Natures preservation". Hobbes, Leviathan (wie Anm. 81), Kap. XV, 215. Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nichtfiir die Praxis (1793), in: Kants gesammelte Schriften, Bd. 8, Berlin 1923, 312. „Das Gleichgewicht ist seinem Wesen nach eine Situation, in der alles, was sich in der Balance befindet, sehr leicht in Bewegung versetzt und darin gehalten werden kann; die geringste innere oder äußere Ursache genügt, um ihr eine neue Bewegung zu verleihen oder jene fortzusetzen, die sie schon besaß.". Charles-Irenee Castel abbe de Saint-Pierre, Projet pour rendre la paix perpetu eile en Europe, 3 Bde., Utrecht 1713/1717, Bd. 1, 37 (eigene Übers.); ausführlich zu Saint-Pierres Anschluß an Hobbes' Analyse der Rechtslogik der modernen Staatenwelt vgl. Olaf Asbach, Die Zähmung der Leviathane. Die Idee einer Rechtsordnung zwischen Staaten bei АЬЪё de Saint-Pierre und Jean-Jacques Rousseau, Berlin 2002, 103 ff., v.a. 109-122. - Kleinschmidt, Geschichte (wie Anm. 56), 157, stellt also den Sachverhalt auf den Kopf, wenn er schreibt, Saint-Pierre lege seiner Friedenskonzeption und Theorie internationaler Beziehungen das völkerrechtlich verankerte Gleichgewichtsprinzip zugrunde. Vgl. Johann Heinrich Gottlob von Justi, Die Chimäre des Gleichgewichts von Europa [...], Altona 1758, 9 f., 116; zit. in: Fenske, Gleichgewicht (wie Anm. 76), 981 f. Vgl. Rousseau, Extrait (wie Anm. 65), 570 (Übersetzung nach: Jean-Jacques Rousseau, Kulturkritische und politische Schriften, Berlin 1989, Bd. 2, 15).

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„Mag aber das gegenwärtige Gefüge auch unerschütterlich sein, so neigt es darum nur um so mehr zu Ungewittern; denn zwischen den europäischen Staaten ist ein Spiel und Gegenspiel im Gange, das sie in ständiger Unruhe hält, ohne sie doch gänzlich aus ihrer Ordnung zu werfen. Ihre Anstrengungen werden stets vereitelt und stets wiedergeboren, wie die Wellen des Meeres, die seine Oberfläche unablässig aufwühlen, ohne doch je seinen Spiegel zu heben oder zu senken. Solchermaßen werden die Völker unentwegt von Trübsal heimgesucht, ohne daß den Herrschern ein merklicher Gewinn daraus erwüchse." 88

V. Glanz und Elend der Aufklärung und die Paradoxien der Vernunft in den internationalen Beziehungen Die weit überwiegende Mehrheit deijenigen, die sich im 18. Jahrhundert - und weit darüber hinaus - in Theorie und Praxis mit der Struktur der internationalen Beziehungen befaßten, war an solchen prinzipiellen Erwägungen und Einwänden gegen das Gleichgewichtsprinzip nicht interessiert. Dies ist angesichts der Tendenzen der Zeit, die sie reflektieren, repräsentieren und aktiv befördern, durchaus konsequent. Denn insofern im Laufe des 18. Jahrhunderts eine auf Privateigentum und Kapitalverwertung basierende, marktvermittelte Produktions- und Gesellschaftsformation auf nationaler, europäischer und globaler Ebene dominant wird, bilden diese Ordnung und die mit ihr verbundenen Probleme den Gegenstand und Bezugsrahmen des politischen Denkens und Handelns. Es ist also nur folgerichtig, daß nationale und internationale Ordnungs-, Rechts- und Regulierungssysteme in ihrer Bedeutung nicht abstrakt spezifischen universalen Werten und Prinzipien wie jenen des Friedens oder Rechts verpflichtet sind und ihnen in kategorischer Absolutheit unterworfen wären. Wie die völkerrechtlichen, politischen und philosophischen Legitimationsstrategien zeigen, kommen solche normativen Kategorien des Denkens und Urteilens vielmehr in eben jenem Maße und in jenen Interpretations- und Verwendungsweisen ins Spiel, wie sich diese Werte und Systeme funktional und legitimatorisch auf die Erhaltung und Entwicklung jener sozialen Ordnung beziehen. Frieden, Stabilität, Recht und sonstige Prinzipien und Konzepte, die in

Rousseau, Schriften (wie Anm. 87), 17. Ausfuhrlich hierzu Asbach, Zähmung (wie Anm. 85), 228 ff. - Vgl. auch die nur wenige Jahre nach Rousseaus Kritik des Gleichgewichtsprinzips die des Physiokraten Pierre-Paul Le Mercier de la Riviere, L 'ordre naturel et essentiel des societes politiques, London, Paris 1767, Bd. 2, Kap. 35, 220 ff., v.a. 228 f.: „La politique, science dont l'obscurite fait la profondeur, & dont les contradictions n'osent se montrer au grand jour, a invente dans notre continent, le systeme de la balance de 1'Europe, terme enigmatique dont le vrai sens me paroit impossible ä definir. [...] les effets de ce systeme en demontrent evidemment les inconsequences: certainement il est peu propre ä prevenir les guerres parmi les Puissances de l'Europe; il semble plutot servir d'occasion, ou de pretexte; car tous les jours ils se font la guerre pour maintenir la balance; les peuples ainsi s'entr'egorgent, armes les uns contre les autres par un systeme imagine pour les empecher de s'entr'egorger."

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der Frühen Neuzeit in ihrer spezifisch modernen Form begründet und als praktische Forderungen vorgetragen, nach und nach erkämpft und institutionalisiert worden sind, bewahren und reproduzieren deshalb gleichsam bis in ihre logischen Strukturen, Bestimmungen und Zusammenhänge hinein auch den Charakter der Gewalt und des Zwangs, der Herrschaft und der Ungleichheit, die mit der Etablierung, Stabilisierung und Ausrichtung der modernen Gesellschaftsordnung verbunden sind. Solange die hier entstehende aufgeklärte Vernunft nicht diese gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen und Dynamiken zum Gegenstand der Analyse und Kritik macht, verdeckt das naive, auch von Kritikern des Gleichgewichtsprinzips wie Saint-Pierre oder Kant geteilte Vertrauen in die Friedens- und Stabilitätstendenz des in der Frühen Neuzeit entstehenden Gesellschafts-, Wirtschafts- und Staatensystems nur das in ihr enthaltende Potential an Gewalt und Expansion, Unterdrückung und Ausbeutung. Konsequenter und realistischer ist in diesem Sinne die Mehrheit der Theoretiker und Praktiker der internationalen Beziehungen und des Völkerrechts, auch wenn sie die logisch inkonsequentere und sachlich unrealistischere Auffassung vertritt - zumindest sofern sie die Durchsetzung und dauerhafte Stabilisierung einer friedens- und rechtsgestützten internationalen Ordnung unter Bedingungen erstrebt, die diese in ihrer abstrakten Absolutheit systematisch ausschließen.89 Die Aufklärung über die Grundlagen der modernen, auf der rechtlich unbeschränkten Freiheit der Subjekte basierenden sozialen und internationalen Ordnung, über ihre Erhaltungs- und Funktionsbedingungen wie auch über die der Erhaltung der individuellen und kollektiven Akteure in diesem System, - all dies bedeutet die Entfaltung jener instrumentellen, immanent bleibenden Vernunft, die die allgemeinen Bedingungen dieser Ordnung, ihrer Erhaltung und Entwicklung begründet und zum Maßstab der Orientierung und des Handelns macht.90 Solange die Pluralität der freien Subjekte, d.h. vor allem der politischen, ökonomischen und staatlichen Akteure, in ihrer Zwecksetzung und Interessenverfolgung nur organisiert und reguliert, aber nicht einer übergreifenden, d.h. einer allgemeinen, gesetzgebenden Vernunft entspringenden und durchsetzbaren Ordnung unterworfen werden (soll),91 bleiben die Widersprüche mitsamt ihrer gewaltformigen Erscheinungsformen

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Dieser Illusion gaben sich freilich - anders als die genannten „Idealisten" oder „Utopisten" - auch nur wenige der realistisch orientierten Vertreter des „Mainstreams" des zeitgenössischen, auf politische und sozioökonomische Modernisierung und Rationalisierung zielenden aufgeklärten politischen Denkens und Handelns hin. So betont auch Kleinschmidt, Geschichte (wie Anm. 56), 166 f., daß das am Modell des Gleichgewichtssystems orientierte, nicht mit historischen, legitimistischen oder religiösen, sondern mit Vernunftgründen gerechtfertigte Denken trotz dieser nicht-empirischen Rationalitätsbasis „weder wertnoch ideologiefrei" war, denn als vernünftig erscheint nur dasjenige, „was innerhalb der mechanistischen Systemwahrnehmung zur Stabilisierung des Systems beitrug" (Hervorh. O.A.). Es kann an dieser Stelle nicht um die Frage der theoretischen und praktischen Möglichkeit einer solchen Rekonfiguration und ihre Bedingungen gehen, sondern nur um die Klärung der strukturellen Problematik, wie sie - politisch, ökonomisch, sozial usw. - in der historischen Praxis besteht und theoretisch reflektiert wird. Daß die erforderliche Neubestimmung der Beziehung zwischen In-

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immanenter Bestandteil der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit: Das Streben nach Freiheit und Selbsterhaltung führt unter diesen Bedingungen zu Ungleichheit und Ausbeutung; das zur Stabilisierung des Zusammenhangs freier Akteure generierte System des Gleichgewichts impliziert die Permanenz des Konflikts und - auch gewaltsamer - Maßnahmen zur Selbsterhaltung; der Wille zur Setzung und Durchsetzung von Recht in der Sphäre der internationalen Beziehungen generiert den Widerstreit pluraler Rechtssubjekte und -urteile, der immer wieder erst in (mit oder ohne Krieg) erzwungenem Rechtsverzicht seine faktische Auflösung findet, da es keine allgemeinen Institutionen des Rechts gibt. Im Rahmen der in der Frühen Neuzeit entstehenden politischen, sozioökonomischen und geistigen Ordnungen und Dynamiken ist die Suche nach den Bedingungen, Institutionen und Verwirklichungsformen eines Systems allgemeiner Freiheit, Gleichheit und gesicherten Rechtsfriedens mithin ebenso ,natürlich' und rational wie die Suche nach geeigneten Formen der Konkurrenz, Machtsteigerung, Interessenverfolgung und -durchsetzung auch mit Mitteln der Gewalt und des Krieges. Beide gehören hier untrennbar zusammen, bedingen einander in derselben Weise, wie sie ein92

ander widersprechen. Wenn der Siebenjährige Krieg in der Mitte des 18. Jahrhunderts ausbricht und die modernen Weltkriege erstmals in ihrer realen Möglichkeit und ihren Dimensionen zu erkennen gibt, ist er deshalb für den erreichten Stand und die Perspektiven der frühneuzeitlichen Real- und Ideengeschichte außerordentlich signifikant und lehrreich. Hier wird gleichsam empirisch sichtbar, daß die säkularen Tendenzen der frühneuzeitlichen aufgeklärten Welt - Ausbreitung des Handels, wachsende globale Arbeitsteilung und Vernetzung, der Abschluß der Staatenbildungsprozesse und -kriege, die Herausbildung internationaler, von politisch-diplomatischen Mechanismen und Prinzipien des Gleichgewichts und des Völkerrechts auf das Rationalste geordneten Verhältnisse und die damit einhergehende Steigerung der Modernisierung und Rationalisierung von der Beherrschung und Gestaltung von politischen, sozialen und natürlichen Verhältnissen - durchdividuum und Allgemeinheit, von partikularem Interesse und Streben - sei es das individueller, kollektiver oder nationaler Akteure - einerseits, allgemeinem Interesse, Instanzen und Mechanismen der Vermittlung andererseits in einer Form vollzogen werden muß, die beide Seiten versöhnt, also das Recht der Partikularität weder verabsolutiert noch aufhebt, zeigt, daß man heute noch vor denselben theoretischen und praktischen Problemen steht, mit denen das moderne politische und soziale Denken seit dem 17. und 18. Jahrhundert befaßt ist. Es handelt sich hier wohlgemerkt nicht um das wohlfeile Vermerken vermeintlicher Paradoxien, sondern um fundamentale Widersprüche der modernen Gesellschaft und ihrer politischen und sozialen Organisationsstrukturen (vgl. Olaf Asbach, Dynamics of Conflict and Illusions of Law: Making War and Thinking Peace in the Modern International System, in: Olaf Asbach, Peter Schröder (Hg.), War, the State and International Law in Seventeenth-Century Europe, Farnham, Burlington 2010, 249-265). Die subjektive Existenz und Zweckverfolgung - sei es in komplexen Gesellschaften, auf dem Warenmarkt oder im internationalen System - erfordert zu ihrer Verwirklichung in eben jener von Hobbes erstmals in seiner Widerspruchslogik analysierten Weise Frieden und Rechtsverhältnisse, wie sie sie zugleich damit permanent negiert, da sie gemäß der Prinzipien der Konkurrenz und Durchsetzung, Ausschließung und Verdrängung funktioniert und organisiert ist.

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aus keine von Frieden, Freiheit und Recht geprägte Welt hervorbringen, sondern gleichermaßen neuartige Formen der Theorie und Praxis gesellschaftlicher und internationaler Beziehungen, Konflikte und Optionen ihrer Regelung. Diese widersprüchlich scheinenden Entwicklungen der Moderne werden an unterschiedlichen Dimensionen und Erscheinungsformen im Siebenjährigen Krieg in besonders prägnanter Weise sichtbar und rechtfertigen es, diese Zeit und dieses Ereignis tatsächlich als Knotenpunkt auf dem Weg der Durchsetzung der modernen politischen und sozialen Ordnung auf europäischer und globaler Ebene zu markieren. Der Siebenjährige Krieg führt erstens zu der Etablierung eines Systems von Großmächten, das in den folgenden Jahrzehnten über alle Veränderungen im einzelnen hinweg auf europäischer und globaler Ebene ein dauerhaftes Mächtesystem bildet.93 Die Vollendung der neuzeitlichen Staatenbildung und -Ordnung hebt Gewaltursachen und Konfliktdynamiken aber nicht auf, sondern konstituiert eine neuartige Ordnung des Denkens und Handelns, mittels derer sie strukturiert, organisiert und reguliert werden. Temporäre Stabilität und Gleichgewichtsbeziehungen innerhalb dieses Systems sind deshalb auch nur die Erscheinungs- und Verlaufsform tiefgreifender Dynamiken und Wandlungen der jeweiligen sozialen, ökonomischen und politischen Interessenlagen und der daraus entspringenden Konflikte - einschließlich der Option des kriegerischen Konfliktaustrags.94 Daß zweitens die Ausbildung symmetrischer Gleichgewichtsstrukturen die Durchsetzung struktureller Asymmetrien politischer und ökonomischer Macht nicht nur nicht ausschließt, sondern geradezu institutionalisiert, ist an diesem Mächtesystem gleich in mehrfacher Hinsicht erkennbar. Die neue Pentarchie europäischer Großmächte verlängert einerseits das bestehende Ungleichgewicht zwischen den See- und Kontinentalmächten mitsamt der zunehmend hegemonialen Stellung Englands,95 andererseits bedeutet sie den Auf- und Ausbau und die Vertiefung eines globalen Wirtschafts- und politischen Systems, das auf der strukturellen Ungleichheit der Akteure, Mächte und Regionen basiert.96 Indem die förmliche Durchsetzung des Prinzips der convenance die 93

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Vgl. Schilling, Die neue Zeit (wie Anm. 13), 449; Sven Externbrink, Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2006, 20. Daß zwei Jahrhunderte später solche Effekte in Europa aufgehoben scheinen, widerspricht dem nicht. Zum einen macht dies nicht die bisherigen Konflikte und Kriege mitsamt ihrer Opfer ungeschehen, zum anderen werden die Konkurrenz-, Macht- und Konfliktstrukturen nur mehr auf eine neue, „höhere" Ebene verschoben, insofern sie nun primär auf globaler Ebene rekonfiguriert werden. Wenn die „Friedensmacht" Europa in Gestalt der EU zu einem neuen politisch, ökonomisch und militärisch involvierten Akteur innerhalb eines globalen Systemzusammenhangs wird, folgt und unterliegt sie denselben Mechanismen - Hegemoniebildung, Gleichgewichtsstreben, völkerrechtliche Regulierungsversuche usw. die sich seit der Frühen Neuzeit zunächst auf einzelstaatlicher und europäischer Ebene herausgebildet haben. „England und Frankreich, sehr bald auch Rußland, wurden zu imperialen Weltmächten, Österreich und Preußen zu europäischen Kontinentalmächten". Salewski, Deutschland (wie Anm. 6), 210. Vgl. Bayly, The First Age (wie Anm. 31), 32 ff.

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Ungleichheit der Teilnehmer am Mächtespiel faktisch schon auf europäischer Ebene institutionalisiert, 97 wird deutlich, daß das moderne System souveräner Staaten auf der Basis rechtlicher Freiheit und Gleichheit v o n Anfang an die Organisations- und Erscheinungsform j e spezifischer politisch-ökonomischer Interessenlagen und Machtbeziehungen darstellt, die aufgrund der Ungleichheit politischer, territorialer und ökonomischer Potentiale gegeben ist. D i e vermeintliche Unterminierung v o n innerer und äußerer Souveränität durch politisch-ökonomische Abhängigkeiten, Ungleichheiten und Einflußnahmen, sei es durch hegemoniale Staaten oder durch private oder semi-private Akteure 98 , ist also keine Erfindung der jüngsten Globalisierungsschübe; 9 9 und folglich sind diese auch kein Bruch mit der Logik und Dynamik der in der Frühen Neuzeit entstehenden .westfälischen' Staaten- und Mächteordnung 1 0 0 : Sie sind dieser Ordnung vielmehr v o n Anfang an eingeschrieben und bilden in gewisser - und nur scheinbar parad o x e r - W e i s e sogar letztlich deren raison

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d'etre.101

Es ist insofern ein Euphemismus, wenn Schilling, Höfe und Allianzen (wie Anm. 30), 40, das Konvergenzsystem als eines beschreibt, bei dem der internationale Naturzustand durch das vernünftige Übereinkommen von über ihre Interessen aufgeklärten Akteuren gebändigt werde. Tatsächlich handelt es sich um die Etablierung eines Kartells von Großmächten, die untereinander und in ihrem Interesse festlegten, „was als Gemeinwohl Europas zu gelten habe", so Dipper, Deutsche Geschichte (wie Anm. 4), 297. Dies hat schon der erste Theoretiker dieses Konzepts, Jean Rousset, präzise erkannt; er sah es 1737 als ein Prinzip, das „die Mode in Europa" befördert habe, „das Antlitz der Staaten gemäß der convenance der Mächtigsten zu verändern, was sie in kurzer Zeit in den Stand setzen könnte, die Schwächeren zu verschlucken" (zit. n. Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsraison in der neueren Geschichte, München/Wien 4 1976, 305). Man denke etwa an die Rolle der großen west- und ostindischen Handelskompanien, die bereits im 17. und 18. Jahrhundert wichtige Akteure und integrativer Bestandteil der europäischen Macht- und Expansionspolitik waren, wobei sich die Beziehungen und Machtverhältnisse zwischen Politik und Ökonomie bzw. Staat und Handelsgesellschaften in den verschiedenen Ländern und zu den verschiedenen Zeiten gravierend voneinander unterschieden; vgl. Duchhardt, Balance (wie Anm. 8), 93, 111 f. u. 114 f.; Nicholas P. Canny (Hg.), The Origins of Empire. British Overseas Enterprise to the Close Seventeenth Century, Oxford 2001; Leonard Blusse, Femme S. Gaastra (Hg.), Companies and Trade, Leiden 1981 (hier v.a. die Beiträge in Teil II); Haudrere, Compagnies des Indes (wie Anm. 24), 228 f.: „Sous des formes variees l'Etat est [...] toujours en relation avec les Compagnies des Indes [...]. Toutes les Compagnies des Indes ont [...] des liens etroits avec chacun des Etats dans lesquels elles sont etablies; aux Provinces-Unies et au Royaume-Uni ces liens moins etroits ne sont pas moins forts." Zu einer kritischen Bestandsaufnahme solcher Positionen vgl. Stefan Lange, Diagnosen der Entstaatlichung. Eine Ortsbestimmung der aktuellen politischen Zeitdiagnostik, in: Leviathan 30 (2002), 455—481, v.a. 457 ff. Vgl. Ulrich Menzel, Die postwestfalische Konstellation, das Elend der Nationen und das Kreuz von Globalisierung und Fragmentierung, in: Ders. (Hg.), Vom Ewigen Frieden und vom Wohlstand der Nationen, Frankfurt a. M. 2000, 158-187; Martin van Creveld, The Fate of the State Revisited, in: Global Crime 7 (2006), 329-350. Denn als Organisations- und Verlaufsform privater Interessen an Gewinn und Sicherung sozialer Macht, Positionen und Ressourcen ist die Differenz von Staat und Gesellschaft und die funktionale, gewaltgestützte Überordnung des ersteren über letztere schließlich immer Kampfplatz und Medium

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Von nicht geringerer Paradoxic, aber ebensolcher Konsequenz sind drittens die strukturellen Ambivalenzen von Mechanismen wie jenem des Gleichgewichts oder des Völkerrechts, wie sie am Siebenjährigen Krieg erkennbar sind. Die Ideen eines stabilen Gleichgewichts und einer völkerrechtlich gesicherten Ordnung bilden auf machtpolitischer wie auf rechtlicher Ebene den Bezugs-, Denk- und Organisationsrahmen der prätendierten Stabilität und Friedensfähigkeit des internationalen Systems; gleichzeitig bilden sie aber auch die Instanzen der Legitimation der Notwendigkeit und Rechtlichkeit der Machtsteigerung, Allianzbildung bis hin zur Kriegsfuhrung.102 Dies ist jedoch nicht unstatthafter Instrumentalisierung, Verkennung oder Verfälschung dieser Ordnungen und ihrer politischen und normativen Prinzipien geschuldet, sondern entspricht der Struktur und Konsequenz dieser Modelle politischer und rechtlicher Organisation und Diskurse. Insofern und solange nämlich im internationalen System die Struktur prinzipieller Pluralität dynamischer, konkurrierender Akteure um politische, finanzielle, ökonomische und andere Ressourcen mitsamt der Subjektivität des Urteils über die dafür notwendigen Akte fortbesteht, so lange bleiben Akkumulation und Anwendung von Gewalt rationale Optionen politischen Handelns. Dies aber ist nicht durch die Reorganisation der politischen und rechtlichen Institutionen und Prinzipien allein - also etwa durch Etablierung globaler Institutionen und Rechtsstrukturen - zu ändern: ohne die Veränderung der grundlegenden, Ungleichheit und Konflikte allererst generierenden sozialen und ökonomischen Strukturen werden sie diese nur perpetuieren und ihnen lediglich eine rechtlich-allgemeine Form verleihen, die deshalb auch diese allgemeinen Institutionen noch normativ desavouiert und faktisch immer wieder negiert und sprengt.103 Viertens und letztens schließlich bildet der Siebenjährige Krieg zumindest den Vorschein der widersprüchlichen Konsequenzen des seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in neuartiger Weise entstehenden, von europäischen Mächten vorangetriebenen und durchgesetzten politischen und sozioökonomischen Weltsystems. Obwohl zunächst noch ganz von europäischen Staaten und Akteuren geprägt und in deren Interesse fungierend, sind die Aus- und Rückwirkungen dieser Globalisierungsprozesse doch schon hier spür- und erkennbar.104 Schon im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts sind Krisen und

der Organisation gesellschaftlicher Interessen- und Machtverhältnisse; vgl. hierzu Olaf Asbach, Sovereignty between Effectiveness and Legitimacy - Dimensions and Actual Relevance of Sovereignty in Bodin, Hobbes and Rousseau, in: Eurostudia 2 (2006) (http://www.cceae.umontreal.ca/revueEurostudia), 1-32, 11 ff. 102

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Auch diese Verfahren, in den internationalen Beziehungen Sanktionen, Interventionen und Kriege mit Verweis auf drohende Machtverschiebungen oder völkerrechtswidrige Akte zu rechtfertigen, leben im 21. Jahrhundert unverändert fort. Von hier aus erklären sich die Konflikte, die sich häufig an Institutionen, Prinzipien, Entscheidungen und Handlungen entzünden, die von den einen als universal und unparteiisch bezeichnet und empfunden werden, von den anderen als partikularen und heteronomen Interessen und Zwecken dienend. Schon seit der Mitte des 18. Jahrhunderts fürchteten Akteure des britischen Imperiums „the effects that imperial crisis might have upon the metropolis. They acknowledged, for example, that the mili-

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Konflikte in Europa teilweise bereits die Folge von Interessengegensätzen und Auseinandersetzungen, deren Einsätze und Auslöser auf globale Faktoren, Kraft- und Machtbeziehungen zurückgehen, so daß die europäischen Akteure nicht nur Triebkräfte, sondern auch Getriebene sind.105 In qualitativ neuer Weise gilt dies, seit sich vor allem im 19. und 20. Jahrhundert das moderne System politisch-ökonomischer Produktions-, Handels-, Konkurrenz- und Machtbeziehungen mitsamt der politischen und rechtlichen Vermittlungsformen und -Institutionen endgültig herausgebildet und durchgesetzt hat. Indem sich hier die einstmals ,europäischen' Logiken und Widersprüche ökonomischer und politischer Machtkonkurrenz und völkerrechtlicher Strukturen auf globaler Ebene entfalten und reproduzieren, werden die europäischen Mächte zu Akteuren in dynamischen Systemzusammenhängen, die sie schon zu der Zeit, in der sie sich noch als Herren der Welt wähnten, nicht mehr zu beherrschen und zu lenken vermochten. Das Band, das die Verhältnisse des 21. Jahrhunderts mit den Entwicklungen der Frühen Neuzeit verbindet, zeigt sich daran, daß diese Paradoxie der Gleichzeitigkeit von Macht und Ohnmacht in der vollends globalisierten Welt, 250 Jahre nach dem Beginn des Siebenjährigen Krieges, nur mehr auf die Spitze getrieben scheint. Der Theorie und Praxis einer Aufklärung, für die Vernunft mehr wäre als der Versuch, sich zumindest temporär unter den Bedingungen eines verselbständigten, prinzipiell konflikthaften politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Weltsystems zu erhalten, scheinen wir auch heute nicht wesentlich näher gekommen zu sein.

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tary and naval situation at different far-distant peripheries had a considerable influence upon the balance of power in Europe. Action and developments in all parts of the world could now bear directly upon British interests in the widest sense". H.V. Bowen, British Conceptions of Global Empire, 1756-1783, in: Journal oflmperial and Commonwealth History 26, Nr. 3 (1998), 1 - 2 7 , 1 3 . Dies zeigt sich auf militärisch-mächtepolitischer, ökonomischer und anderen Ebenen. Was in einer - ob positiv oder negativ gewerteten - eurozentrischen Perspektive gerne übersehen wird, ist nämlich der Umstand, daß der Ausbau der europäischen Weltwirtschaft zu einem wahrhaft globalen Weltsystem nicht einfach die einseitige Unterwerfung der außereuropäischen Welt unter die europäische Dominanz bedeutet, sondern die vormals europäische economie-monde wird in eben diesem Prozeß selbst transformiert und dadurch ebenfalls zum Teil eines globalen Weltsystems, und als solche ist sie über kurz oder lang deren Dynamiken und Zwängen ebenso unterworfen wie jene im Zuge dieser Ausbreitung der europäischen Expansion zu Peripherie oder Semi-Peripherie herabgestuften außereuropäischen Gesellschaften und Wirtschaften. Auch - in Wallersteinscher Terminologie gesprochen - das die Peripherie dominierende und ausbeutende Zentrum ist im Rahmen eines Weltsystems nur abhängiger Teil eines Ganzen und von Zuständen und Handeln der anderen Systemakteure abhängig. - Zur Terminologie economie-monde vgl. Fernand Braudel, Aufbruch zur Weltwirtschaft. Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts, Bd. 3, München 1990 (v.a. Kap. 1).

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Zweierlei Reich. Die britische Politik im Spannungsfeld zwischen Amerika und Europa im Schatten der „Diplomatischen Revolution"

Das strategische Denken der britischen Führung im Vorfeld des Siebenjährigen Krieges war von der Sorge um das „Empire" geprägt.1 Der Herzog von Newcastle, die leitende Figur der Londoner Außenpolitik, dachte an wenig anderes. König Georg II. von England befasste sich auch tagtäglich mit dem „Empire". Es war ein Gemeinplatz der britischen Strategie, daß ohne eine kohärente Politik gegenüber dem „Empire" die Sicherheit des Inselreiches nicht zu gewährleisten sei. Es war nicht zuletzt der Zusammenbruch der traditionellen „Empire"-Politik, die London bewogen hat, das „alte System" einer Österreichischen Verbindung zunächst aufzugeben, und Allianz-Verhandlungen mit Preußen aufzunehmen.2 Das „Empire", um das es sich handelt, war aber nicht das, was wir heute unter dem „Britischen Empire" verstehen: die koloniale Besitzungen in Afrika, Indien, der Karibik 1

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Dieser Ausfsatz basiert auf Forschungen im British Museum (BM), im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (HHStA) und im Niedersächsischen Hautstaatsarchiv, Hannover (NStAH). Die hier vertretenen Thesen werden in Brendan Simms, Three Victories and a Defeat. The Rise and Fall of the First British Empire, 1714-1783, London 2007, auf das ganze 18. Jahrhundert ausgebreitet; siehe auch Brendan Simms, Ministers of Europe: British Strategie Culture, 1714-1760, in: Hamish Scott, Brendan Simms (Hg.), Cultures of Power in Europe during the Long Eighteenth Century, Cambridge 2007,110-132. Horn, David В., The Duke of Newcastle and the Origins of the Diplomatic Revolution, in: John H. Elliott, Helmut G. Koenigsberger (Hg.), The Diversity of History: Essays in Honor of Sir Herbert Butterfield, London 1970, 245-68; zum „alten System" siehe Hamish Μ. Scott, The True Principles of the Revolution. The Duke of Newcastle and the Idea of the Old System, in: Black, Jeremy (Hg.), Knights Errant and True Englishmen: British Foreign Policy, 1660-1800, Edinburgh 1989,55-91.

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und vor allem in Nordamerika. Darum ging es damals natürlich auch und aus diesem Grund schrieben Historiker wie Lawrence Gipson vom „Great War for the Empire".3 Aber wenn Briten des 18. Jahrhunderts in diplomatischen Depeschen, im Parlament oder in Pamphleten vom „Empire" sprachen, so meinten sie in der Regel das Alte Reich, das Heilige Römische Reich deutscher Nation.4 Und wenn das Wort „Electorate" fiel, so war die Rede vom „Electorate of Hanover", jenem Kurfürstentum, aus dem die englische Königsfamilie stammte, nicht von den wenigen, denen das Recht an Parlamentswahlen zustand. Diese eurozentrische Sprach- und Sichtweise kam nicht von Ungefähr, denn die eigentliche Bedrohung lag nicht in Kanada oder dem bereits heiß umkämpften Ohio-Tal, sondern im Alten Reich und in den Niederlanden. Genauer gesagt, ging es um die Österreichischen Niederlanden, wo eine frühere Generation die Barrierefestungen aufgebaut hatte, um dem Feind - hier handelte es sich in erster Linie um Frankreich - einen Absprungpunkt für die Invasion des Inselreiches vorzuenthalten. Britische Sicherheits- und Europapolitik war damit zwangsläufig Deutschland- oder Reichspolitik. Die Österreichischen Niederlande lagen nämlich im westlichsten Reichskreis und waren - wenn überhaupt - nur im Einvernehmen mit den Kaisern des Hauses Habsburg zu verteidigen. Die östliche Flanke der Barriere lag noch tiefer innerhalb des Reiches und war ebenfalls auch nur durch Allianzen mit deutschen Fürsten zu decken. Es darf also nicht überraschen, daß schon seit Elisabeths Zeiten die englische und später die britische Strategie darauf abzielte, im Reich Verbündete zu finden. In den 1620er Jahren zum Beispiel setzte man auf den Pfalzer „Winterkönig", der den Spaniern in Flandern den Nachschub abschneiden sollte, und 1689 schloss man sich mit diversen Reichsständen gegen Ludwig XIV. zusammen. Nach 1714 wurde diese Stoßrichtung durch die Personalunion mit Hannover bestätigt. Von jetzt ab war das Kurfürstentum und die Barriere Teil eines zusammenhängenden Sicherheitssystems in Europa.5 Kein Wunder, daß London 1748 das teuer erkämpfte kanadische Louisburg herausrückte, um im Tausch die Franzosen zum Abzug aus den Niederlanden zu bewegen. Deutlicher kann man den Primat Europas, und besonders der Barriere, in der britischen Politik Mitte des 18. Jahrhunderts nicht beweisen.6 Doch ab 1750 sah sich diese Strategie einer tiefen Krise ausgesetzt. Die Doppelpfeiler, auf die sich das ganze Barrieresystem stützte, zerfielen. Zum einen waren die Holländer, die die Garnisonen der Festungen unterhielten, zunehmend unsichere Kanto3

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So Lawrence H. Gipson, The American Revolution as an Aftermath of the Great War for the Empire, 1754-1763, in: Political Science Quarterly 65 (1950), 86-104; siehe auch ders., The British Empire before the American Revolution, 15 Bde., N e w York 1936-1970. So Jeremy Black, Parliament and Foreign Policy in the Eighteenth Century, Cambridge 2004, 86. Hierzu ausführlich jetzt Simms, Three Victories and a Defeat (wie Anm. 1), 9 - 7 6 . Siehe hierzu Manfred Mimler, Der Einfluß kolonialer Interessen in Nordamerika auf die Strategie und Diplomatie Großbritanniens während des österreichischen Erbfolgekrieges 1744-1748: Ein Beitrag zur Identitätsbestimmung des britischen Empire um die Mitte des 18. Jahrhunderts, Hildesheim, Zürich, New York 1983, passim und Jack M. Sosin, Louisburg and the Peace of Aix la Chapelle, 1748, in: William and Mary Quarterly 14 (1957), 516-35.

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nisten. Am Österreichischen Erbfolgekrieg hatten sie nur sehr spät und zögerlich teilgenommen. Ihre militärischen Leistungen darin waren so kläglich, daß binnen zwei Jahren, die Franzosen nicht nur die gesamten Österreichischen Niederlande, sondern auch große Teile des Südens der Vereinigten Provinzen überrannt hatten. Die Sorge um die Brüchigkeit der Barriere trieb Strategen in London auch nach dem Krieg um. „Till what is called the Barrier is restored to some condition of defence", bemerkte der britische Lord Chancellor und Intimus des Premierministers Newcastle, der Earl of Hardwicke im August 1749, „it is really no barrier. If they remain in this state, this will be one of the greatest temptations to that power [Frankreich, B.S.] to begin a new war, when she is ripe for it; for she may immediately, with little trouble or expense, march two armies into Holland".7 Aber es kam noch schlimmer: Die Habsburger hatten wegen der Niederlagen im Polnischen Erb folgekrieg bereits einiges an Macht und Ansehen eingebüßt. 1740 ging ihnen durch den Verlust von Schlesien an Preußen noch mehr an Gewicht verloren. Das hatte für die britische Strategie zwei schwerwiegende Folgen. Erstens büßten die Österreicher jetzt einiges an Glaubwürdigkeit als Gegengewicht zu Frankreich ein; vielleicht waren die Habsburger sogar zu schwach, die Barriere zu halten. Zweitens waren sie fortab vielmehr an einer Revanche gegen Friedrich den Großen interessiert, als gegen Frankreich im Reich und Europa insgesamt die Waage zu halten. Wien hatte die Vendetta gegen die Bourbonen aufgegeben.8 Damit aber wurde die traditionelle britische Barriere- und Europapolitik über den Haufen geworfen. In der Tat ging es in London Mitte der 1750 Jahre darum, eine neue Ordnung im „Empire" - das heißt im Alten Reich - herzustellen. Dies bedeutete nicht, daß der Krieg in Übersee völlig nebensächlich war. Im Gegenteil, die kolonialen und europäischen Sphären standen in der britischen Strategie in einer engen Wechselwirkung. Zum einen, weil man in London immer mehr überzeugt war, daß die Ressourcen der Kolonien in der Konkurrenz der Großmächte ausschlaggebend sein würden. Deshalb sei es nötig, dieses Potential für sich in Anspruch zu nehmen oder es zumindest den Franzosen vorzuenthalten. Der Kampf in Nordamerika war somit auch ein Kampf um die Vorherrschaft in Europa. Zum zweiten und vor allem, weil eine aktive Europa- und Reichspolitik als Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der britischen Überlegenheit zur See angesehen wurde. Wenn nämlich die Franzosen durch einen „Festlandsdegen"

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Hardwicke an Newcastle, 30. August 1749, in: P. C. Yorke (Hg.), The Life and Correspondence of Philip Yorke, Earl of Hardwicke, Lord High Chancellor of Great Britain, 3 Bde., Cambridge 1913, Bd. 1,21. Zum Wiener Standpunkt siehe „Projet de memoire instructif pour le Comte de Richecourt", 12. November 1751, Wien HHStA Staatenabteilung, England Korrespondenz, Berichte Karton 100, fol. 23; zum Gesamtkomplex der sich verschlechternden britisch-österreichischen Beziehungen siehe Lothar Schilling, Kaunitz und das Renversement des alliances: Studien zur außenpolitischen Konzeption Wenzel Anton von Kaunitz, Berlin 1994, 52-98, bes. 53-54.

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in Schach gehalten werden konnten, würden sie nicht mehr in der Lage sein, alle Ihre Ressourcen zur See einzusetzen. Im Herbst 1749 brachte der Herzog von Newcastle diese Auffassung auf den Punkt mit der inzwischen berühmt gewordenen folgenden Aussage: „A naval force [...] unsupported with even the appearance of a force upon the continent will be of little use [...] France will outdo us at sea, when they have nothing to fear by land. I have always maintained that our marine should protect our alliances upon the continent; and they, by diverting the expense of France, enable us to maintain our superiority at sea".9

Auch aus einem dritten Grund standen die kolonialen und europäischen Schauplätze im engen Verhältnis zueinander. Gerade weil es der Londoner Regierung in erster Linie um das Gleichgewicht der Mächte in Europa ging, hätte sie bei einem Friedenschluß die kolonialen Eroberungen wieder herausgeben müssen, wenn sie es den Franzosen gestattet hätten, in Europa dominant zu werden. Gerade das war ja mit dem Tausch von Louisbourg 1748 geschehen. Es sei zwecklos, so der erfahrene britische Diplomat Sir Charles Hanbury Williams im Oktober 1749, einen reinen Seekrieg gegen Frankreich zu fuhren. Selbst im Falle eines Erfolges „we could neither keep them nor push them to that degree which in other circumstances w e might do, because being unprovided with sufficient strength upon the continent, France would not fail to revenge her losses in America upon those forces in Europe which England could never see destroyed". 10

II. Es stellte sich relativ schnell heraus, daß der Friede von Aachen, der den Österreichischen Erbfolgekrieg 1748 beendete, die französische Gefahr keineswegs gebannt hatte. Der französische Handel erholte sich schnell.11 Auf den französischen Zucker-Inseln in der Karibik boomte es: der Import von Sklaven nahm rasch zu. In Nordamerika wurden die französischen Siedler im britischen Akadien immer rebellischer. Im Ohio-Tal und in weiten Strecken des Landesinneren wuchs der Druck mit jedem neuen französischen Fort. Am meisten Besorgnis aber erregte die Tatsache, daß die Franzosen immer mehr in die Flotte investierten. Ihr Ziel, mutmaßte der Herzog von Newcastle, sei „[to] establish a marine [...] to restore their trade and encroach upon ours [and] to extend their limits in America". Die Franzosen, so der Lord Chancellor und Newcastle Intimus the 9

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Newcastle an Hardwicke, Claremont, 2. September 1749, in: Yorke, Hardwicke (wie Anm. 7), Bd. 2, 23. Zitiert nach David В. Horn, Sir Charles Hanbury Williams and European Diplomacy, 1747-1758, London 1930, 50. N.A.M. Rodger, The Command of the Ocean: a Naval History of Britain, 1649-1815, London 2004,261.

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Earl of Hardwicke im August 1749, hatten offensichtlich „[the] design of restoring and raising their marine".12 Er fugte sogar hinzu, er sei überzeugt, daß „one principal view of France in making the peace [...] was to give time to restore and raise their naval power". 13 So darf es nicht überraschen, daß London auf diese koloniale und maritime Herausforderung mit einer europäischen Strategie reagierte. Der Herzog von Newcastle meinte dies sei „the time to form such an alliance & party in Europe [to] discourage France [...] from [...] giving us disturbance without running the risk of a general war. If they go on in buying up all the powers upon the continent [they] run no risk of engaging themselves in a new war. Whereas, if we had a tolerable system, and force upon the continent, tho' by no means equal to France and Prussia, the experience of the last war shews us, that France would not wantonly engage in a new war".

Kurzum, Frankreich sollte durch britisches Engagement in Europa davon abgehalten werden ihre Offensive in Nordamerika fortzusetzen. Dreh- und Angelpunkt dieser Londoner Politik der frühen 1750er Jahre war eben das Alte Reich. Sie zielte darauf ab, die niederländische Barriere zu erneuern und die Stellung der Habsburger im Reich zu festigen. Wien sollte damit in den Stand gesetzt werden, seiner Verpflichtung, die Franzosen aus den Niederlanden fernzuhalten, nachzukommen. Nur eine gelungene britische Reichspolitik also könnte das britische Imperium in Übersee sichern. Denn die strategische Lektion des Österreichischen Erbfolgekrieges stand in der Londoner Regierung nicht zur Debatte. Man war sich einig über die fast fatalen Folgen der Entfremdung der Kaiserkrone von den Habsburgern nach dem Tode Karls VI. 1740. Aus sich heraus, so meinten die Briten, wäre Habsburg nicht stark genug gewesen, die ihm zugewiesene Rolle im Gleichgewicht zu bestreiten: Dies war nur im Einvernehmen mit dem Reichsverband, inklusive der mittleren und kleineren Reichsstände möglich: „This substantial work for the House of Austria", schrieb Newcastle im Juni 1750, „cannot be done without those inferior princes. Neither is the House of Austria, alone, of that weight and use for preventing a war, than it is, when supported and joined with the princes of the • u 14 empire .

Die Lösung, so Newcastle, lag darin, die Kaiserwürde im Reich effektiv im Hause Habsburg erblich zu machen. Deshalb suchte er Anfang der 1750er Jahre die deutschen Kurfürsten dazu zu bewegen den ältesten Sohn Maria Theresas, Erzherzog Joseph, zum

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Hardwicke an Newcastle, Wimpole, 30. August 1749, in: Yorke, Hardwicke (wie Anm. 7), Bd. 2, 17. Hardwicke an Newcastle, Wimpole, 30. August 1749, ibid. 21. Zitiert nach Mitchell Dale Allen, The Anglo-Hanoverian Connection: 1727-1760, Diss. Universität Boston 2000, 209.

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„Römischen König" und somit zum Nachfolger seines Vaters, zu wählen.15 Damit sollte die Gefahr eines Interregnum vorgebeugt und die Franzosen davon abgehalten werden, einen eigenen Kandidaten einzuschleusen, wie es ihnen zwischen 1742 und 1745 kurz gelang.16 Um dieses Ziel zu realisieren, investierte London nicht nur massiv Subsidien und diplomatisches Engagement, sondern es spannte auch die zunächst widerwilligen hannoverschen Diener des Königs ein.17 So arbeiteten der Herzog von Newcastle und der leitende Minister im Kurfürstentum, Gerlach Adolf von Münchhausen, in dieser Sache eng zusammen. Ja, der Herzog, der höchst ungern reiste, besuchte 1750 und 1752 Hannover und er betrieb von dort aus im Einvernehmen mit dem König und seinen Hannoveranern, eine aktive Reichspolitik, die nach und nach die Kurfürsten von Köln, Bayern, Sachsen und andere für die Wahl Josephs gewann beziehungsweise bestach. Newcastle berichtete Münchausen, „Je desire fort, que Votre excellence et son Excellence Monsieur de Steinberg fussent informes de tout се qui s'est passe [...] Vous verrez par les papiers ci-joints, les differents demarches, qui ont ete faites". 18

Dieser Plan scheiterte an vielen Gründen: an der Gier und Unzuverlässigkeit der Kurfürsten, an der Opposition Friedrich des Großen und der Franzosen sowie nicht zuletzt an der lauwarmen Unterstützung des Wiener Hofes. Das Parlamentsmitglied Richard Rigby schrieb sarkastisch: „unless the Germanic body will give themselves the rouble to adjourn to the House of Lords, and hear the necessity of their own welfare explained to them there, I do not see that w e are likely to succeed in that truly British measure". 19

Spöttisch bemerkte der jüngere Horace Walpole, Sohn des verstorbenen Robert Walpoles, daß jetzt wohl ein König der Juden wahrscheinlicher sei als ein König der Römer. Als sein Plan scheiterte, geriet Newcastle in Wut und ließ ihr gegenüber Münchhausen freien Lauf: „Je ne pourrais que regretter, que tous les soins genereux du Roy pour l'etablissement d'un systeme solide pour la tranquilite de l'Empire et de l'Europe soit encore exposee au plus grand danger, par la faute seule de la puissance la plus interessee ä l'avoir prevenu". 20

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Siehe David B. Horn, The Origins of the Proposed Election of a King of the Romans, 1748-1750, in: English Historical Review 42 (1927), 361-70; Reed Browning, The Duke of Newcastle and the imperial election plan, 1749-1754, in: Journal of British Studies 1 (1967-68), 28-47; und Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich, 1648-1806, 3 Bde., Stuttgart 1993-1997, Bd. 3,45—48. Newcastle an Pitt, Hannover, 4./15. Juli 1750, in: W. S. Taylor, J. H. Pringle (Hg.), Correspondence of William Pitt, Earl of Chatham, 4 Bde., London 1838-1840, Bd. 1, 39. Siehe Uriel Dann, Hanover and Great Britain, 1740-1760, Leicester, London 1991,81-83. Newcastle an Münchhausen, 15. August 1749, Newcastle House, in NStAH Hann 91 von Münchhausen I, Nr. 19, fol. 9; siehe auch: Holdernesse an Münchhausen, 29. August 1749, The Hague, fol. 8; Stone an Münchhausen, Whitehall, 12. September 1749, fol. 14. Rigby an Bedford, 5. Oktober 1752, in: Lord John Russell (Hg.), Correspondence of Bedford, 3 Bde., London 1842-46, Bd. 2, 117-118.

of John, 4th Duke

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Bezeichnend bei der Angelegenheit aber war, daß sich der leitende Minister Großbritanniens Anfang der 1750 Jahre nicht in erster Linie direkt mit der französischen Gefahr in Nordamerika und zur See befasste, sondern mit der Situation im Alten Reich. Er tat dies zum einen, weil Europa für ihn deutlich Vorrang hatte, aber auch weil er durch dieses Engagement die Franzosen in den Kolonien und auf dem Meer in Schach zu halten hoffte. So begründete er die Subsidienverträge mit den deutschen Fürsten als eine notwendige Maßnahme, um die britische Seeherrschaft zu erhalten. Dies war der Kontext, in dem berühmte, bereits zitierte Bemerkung vom September 1749 entstand: „How will it sound in our annals that an elector of Cologne [a] bishop of Munster [and the bishops of] Paderborn [were] lost.. .for a pension of £20 000 sterling per annum for four years? [...] A naval force [...] unsupported with even the appearance of a force upon the continent will be of little use [...] France will outdo us at sea, when they have nothing to fear by land [...] I have always maintained that our marine should protect our alliances upon the continent; and they, by diverting the expense of France, enable us to maintain our superiority at sea".21

Doch Mitte der 1750er Jahre wurde immer deutlicher, daß die Barriere nicht mehr mit den herkömmlichen Mittlen zu halten war und das die Habsburger Allianz in einer tiefen Krise steckte. „I see the great system upon the point of being dissolved", schrieb Newcastle im Dezember 1754, „the Court of Vienna is driving the [Dutch] Republick & with her this country from them, as fast as they can". Die Franzosen ließen sich auch nicht in Nordamerika einschüchtern. Im Gegenteil, sie setzten ihre Offensive vor allem im Ohio-Tal fort.22 „If they go on in the project they have in view", prophezeite der alte Horatio Walpole, einer der erfahrendsten britischen Diplomaten im Juli 1754, „they will encompass all our northern colonies in the back by a chain of communication between the rivers Canada, and Mississippi, and come masters of all the Indians, and the trade on that continent".23 „They are building forts", warnte Newcastle, „taking possession of uninhabited countries, and endeavouring, a la sourdine, to confine our great valuable and extensive dominions in north America to a bare liziere of country towards the sea".24

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Newcastle an Münchhausen und Steinberg, 21. September 1752, NStAH Cal. Br. 11 Nr. 2282, fol. 296-297. Newcastle an Hardwicke, Claremont, 2. September 1749, in: Yorke, Hardwicke (wie Anm. 7), Bd. 2,53. Siehe Т. R. Clayton, The Duke of Newcastle, the Earl of Halifax, and the Anglo-Russian Commercial Treaty of 1766, in: Historical Journal 24 (1981), 571-603; Patrice Higonnet, The Origins of the Seven Years War, in: Journal of Modern History 40 (1968), 57-90; Fred Anderson, Crucible of War: The Seven Years War and the Fate of Empire in British North America, 17541766, New York 2000; Matthew C. Ward, Breaking the Backcountry: the Seven Years War in Virginia and Pennsylvania, 1754-1765, Pittsburgh 2003. Zitiert nach Jeremy Black, America or Europe? British Foreign Policy, 1739-63, London 1997, 72. Newcastle to Keene, Newcastle House, 24. Januar 1754, Add Mss 32848, fol. 147. Siehe auch Newcastle to Colonel Yorke, Newcastle House, 15. Januar 1754, Add Mss 32848, fol. 86.

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Darauf reagierte London mit einem neuen Kurs, im Reich wie auch in Nordamerika.

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Von jetzt ab visierte die britische Reichspolitik eine Annäherung mit Preußen an. Diese war aber nicht als Abkehr vom „alten System" mit Wien konzipiert. Vielmehr sollte Friedrich der Grosse in dieses System mit eingespannt werden. Britische Strategen hatten schon lange gemeint, Preußen sollte Österreich in der Aufgabe stützen, die Franzosen aus dem Reich und vor allem aus den Österreichischen Niederlanden fernzuhalten. Henry Pelham, der britische Schatzmeister und Bruder von Newcastle schrieb bereits November 1748: „The generality of mankind will say the only way to preserve the old system, or to recover it, in case it is now so broke to pieces that one 26 can scarce give it a name, is to renew our alliances with the House of Brandenburg". Noch 1748 wurde Henry Legge als Botschafter nach Berlin geschickt; es folgte Charles Hanbury Williams 1750 bis 1751. Doch die Ouvertüren scheiterten. Die Atmosphäre war von vornherein vergiftet, weil sich Friedrich immer wieder mit den Briten wegen der „Emden Company", den Jakobiten und der schlesischen Anleihe zerstritt.27 Friedrich wollte vor allem möglichst vermeiden, daß er durch die französisch-britische Rivalität in einen See- und Kolonialkrieg mit hineingerissen würde. Er sah in einer britischen Allianz nur eine Pointe gegen Wien, doch gerade das wollte London auf keinen Fall liefern. „To be sure", schrieb Newcastle im Juli 1748, „it is to be wished to gain the King of Prussia; but we must not gain him and lose all our other allies, and that is what I am afraid the King of Prussia means to drive us to do". Die ersten Anläufe seitens London rieben sich nicht zuletzt auch am Misstrauen des Preußenkönigs. Hanbury Williams bemerkte spöttisch, er würde „rather be a monkey in the island of Borneo than 28 a subject of his Prussian majesty". Es war also nicht zu erwarten, daß Preußen schnell in die Rolle des britischen Festlanddegens schlüpfen würde. Das bewegte die Briten dazu sich zwischen 1754 und 1755 vorübergehend auf eine rein maritime Politik zu konzentrieren. Von jetzt an sollte der Kontinent so weit wie möglich neutralisiert werden. Das war für eingefleischte Eurozentriker in London eine strategische Neuerung, aus der Not heraus, nicht aus freier Wahl.29 Der österreichische Staatskanzler Kaunitz meinte dazu verbittert,

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Siehe Manfred Schlenke, England und das friderizianische Preußen, 1740-1763. Ein Beitrag zum Verhältnis von Politik und öffentlicher Meinung im England des 18. Jahrhunderts, Freiburg, München 1963, 198-209. Henry Pelham an Hardwicke, Esher Palace,14. November 1748, in: Yorke, Hardwicke (wie Anm. 7), Bd. 2 , 1 2 . Diese Spannungen werden in Schlenke, England und das friderizianische Preußen (wie Anm. 25), detailliert beschrieben, z.B. 303-312; siehe auch Ernest Μ. Satow, The Silesian Loan and Frederick the Great, Oxford 1915, 24-35; Florian Schui, Prussia 's „ Trans-Oceanic Moment". The Creation of the Prussian Asiatic Trade Company in 1750, in: Historical Journal 49 (2006), 143-160. Zitiert nach David В. Horn, Britain and Europe in the Eighteenth Century, Oxford 1967, 169; siehe auch Horn, Hanbury Williams (wie Am. 10), 61. Siehe hierzu Reed Browning, The Duke of Newcastle, N e w Haven/London 1975, 218.

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„Englische Rücksicht [sei] fast einzig und allein auf die Seemacht gerichtet, auf das Continent wird kaum gedacht, und uns will man gegen alle Proportion, gegen die bisherige Beispiele und gegen den klaren Inhalt der Tractaten den grössten teil der last aufbürden, ohne daß wir dagegen den mindesten Vortheil anzuhoffen hätten".30

Doch diese Politik brachte keine Abkehr vom Alten Reich und vom europäischen Festland. Ein völliger Rückzug vom Kontinent war schon deshalb nicht denkbar, weil die Sicherheit des Hannoverschen Kurfürstentums immer noch gewährleistet werden mußte, jetzt mehr denn je. 31 So kam es, daß die Briten am Vorabend des Siebenjährigen Krieges trotz der Wendung zu einer See- und Kolonialstrategie, eine intensive Reichspolitik betreiben mussten. Die Sorge um das Alte Reich war also in London in dieser Zeit weiterhin nicht weniger präsent als die um das britische Weltreich. Rasch wurde mit Hessen-Kassel einen Vertrag abgeschlossen, um Hannover gegen Frankreich - oder Preußen - in Schutz zu nehmen. Doch wirkliche Abschreckung konnte nur die Allianz mit einer Großmacht erzielen. So wurde im April 1755 Charles Hanbury Williams nach St. Petersburg geschickt. Dort schloß er Dezember 1755 einen Subsidienvertrag ab, mit Hilfe dessen die Preußen durch einen russischen Aufmarsch an ihrer Ostgrenze eingeschüchtert werden sollten. Wohlgemerkt, diese Allianz war kein Versuch, die Russen in eine Koalition gegen Frankreich einzuspannen - das wäre aussichtslos gewesen - , sondern der Ausfluß einer Reichspolitik, die darauf abzielte Hannover zu decken. Die Nachricht der Konvention mit Russland schlug bekanntlich bei Friedrich dem Großen wie eine Bombe ein. Er bot an, seinerseits für die Sicherheit des Kurfürstentums zu sorgen, als Gegenleistung für britische Subsidien. Das Resultat war die WestminsterKonvention von Januar 1756.32 Beide Partner dachten nicht im Geringsten daran, nun eine Schicksalsgemeinschaft auf dem europäischen Kriegsschauplatz einzugehen. Friedrich wußte, daß die Franzosen einen Seekrieg wollten und nicht einen Angriff gegen Hannover planten. Er hatte die Barriere von seiner Garantie ausdrücklich ausgenommen, die Möglichkeit London durch einen Angriff dort unter Druck zu setzen bestand also noch. Deshalb erwartete der Preußenkönig nicht, daß sein Verhalten in Versailles größeren Unwillen erzeugen würde. Die Briten sahen auch keinen Widerspruch in ihrem Versuch, St. Petersburg, Preußen und Wien zugleich dafür zu gewinnen, Hannover zu decken. London hatte also keineswegs für Friedrich optiert, sondern versuchte Preußen für seine Reichspolitik zu kooptieren.

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Zitiert nach Hermann Wellenreuther, Die Bedeutung des Siebenjährigen Krieges für die englischhannoveranischen Beziehungen, in: Adolf Birke/Kurt Kluxen (Hg.), England und Hannover: England and Hannover, München/London 1986, 145-175, 151; zur Wendung in der britischen Strategie siehe Daniel A. Baugh, Withdrawing from Europe: Anglo-French Maritime Geopolitics, 17501800, in: International History Review 20 (1998), 1-32. Siehe Dann, Hanover and Great Britain (wie Anm. 17), 93-96. Siehe Patrick Francis Doran, Andrew Mitchell and Anglo-Prussian Diplomatic Relations during the Seven Years War, New York, London 1986, 17-33; Karl W. Schweizer, England, Prussia and the Seven Years' War: Studies in Alliance Policies and Diplomacy, Lewiston/NY 1989.

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Doch bekanntlich löste die Westminister-Konvention nicht nur Empörung in Wien aus - wo sie als Verrat am „alten System" aufgefaßt wurde - , sondern auch in Versailles, wo es als Schlag ins Gesicht von Seiten des alten preußischen Verbündeten betrachtet wurde. Sehr schnell fanden sich beide Höfe zum Vertrag von Versailles Anfang Mai 1756. Den Franzosen ging es zu diesem Zeitpunkt nicht darum Hannover anzugreifen, viel weniger sich mit Friedrich anzulegen.33 Frankreich wollte sich ganz auf den Kolonialkrieg in Amerika konzentrieren. Aber von Versailles konnte der Preußenkönig keine Unterstützung mehr erwarten, wie er sie in den 1740er Jahren genossen hatte. Für London aber bedeutete dies die völlige Isolation, wie man sie seit Ende der 1730er Jahre nicht mehr gekannt hatte. Es stand fast ganz ohne Verbündete dar und es war zweifelhaft, inwieweit das sehr begrenzte Versprechen des Preußenkönigs, Hannover zu schützen, überhaupt eingelöst werden konnte, war er doch jetzt von drei Seiten durch feindliche Großmächte eingekesselt. Zur selben Zeit häuften sich aus den Kolonien und zur See die Hiobsbotschaften. Am 9. Juli 1755 wurde General Braddock am Monongahela von Franzosen und Indianern vernichtend geschlagen. Immer mehr französische Schiffe schlüpften durch die britische Blockade Richtung Amerika durch. Im Juni 1756 wurde Menorca, Eckpfeiler der britischen Position im westlichen Mittelmeer, von den Franzosen überrannt. Die Briten wurden von Friedrich dem Großen gerettet. Die Westminster-Konvention hatte den Ring der Umklammerung nicht gesprengt, sondern noch fester gezogen. Versailles und Wien waren enger zusammengerückt; die Russen marschierten auf seiner Ostgrenze auf. Die Sachsen schienen dabei, sich dieser Verschwörung gegen Preußen anzuschließen. Friedrich entschloß sich zum einem Präventivkrieg. In August 1756 fiel er ohne Warnung in Sachsen ein. Somit zog er die Wut der Österreicher und Russen auf sich. Viel wichtiger für London aber war die französische Reaktion. Versailles wandte sich gegen Preußen und griff Hannover an. Somit begann ein Zweifrontenkrieg, der für die Franzosen in Amerika und zur See bekanntlich verheerende Folgen haben würde. Die Aufgabe, die sich dem neuen britischen Premierminister William Pitt jetzt stellte, war nicht mehr, Amerika in Europa zu schützen, sondern durch eine geschickte Strategie im deutschen Reich, dem britischen Weltreich seinen größten Glanz zu verschaffen. 34

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Hierzu Eckhard Buddruss, Die Französische Deutschlandpolitik, 1756-1789, Mainz 1995, 79 ff. Zu Pitt's Strategie siehe Richard Middleton, The Bells of Victory: the Pitt-Newcastle Ministry and the Conduct of the Seven Years War, 1757-1762, Cambridge 1985, und jüngst: Brendan Simms, Pitt and Hanover, in: Brendan Simms, Torsten Riotte (Hg.), The Hanoverian Dimension in British History, 1714-1837, Cambridge 2007, 28-57.

LUCIEN BELY

La politique exterieure de la France au milieu du XVIIIе siecle

La diplomatic franchise semble dominee, depuis le XVIе siecle, par la grande opposition entre la Maison de Bourbon et celle de Habsbourg. La succession d'Espagne, en pla^ant un Bourbon sur le tröne de Madrid, transforme cet affrontement. 1 Un element de changement apparait avec l'avenement de Philippe V ä Madrid, puis celle des Bourbons a Parme et ä Naples. La presence d'un Bourbon en Espagne met un terme ä l'encerclement (reel ou imaginaire) de la France par la construction politique autour des Habsbourg. Les deux branches des Bourbons installees en Italie contrebalancent aussi le poids de l'Autriche dans la peninsule. Cette presence des Bourbons2 suscite une nouvelle politique maritime, en partie mediterraneenne. L'Espagne a besoin de la France pour retrouver Minorque et surtout Gibraltar, la France a besoin de l'aide espagnole pour tenter de tenir tete a la puissance navale anglaise. La solidarite entre les Bourbons s'incarne ä travers les traites signes ä deux reprises en 1733 et 1743, mais ce lien demeure intermittent et fragile. L'affirmation brutale de la puissance militaire prussienne en 1740 montre aussi que la tutelle autrichienne sur l'Empire sera de plus en plus difficile et qu'un rival s'impose dans le monde allemand. Le rapprochement entre la cour de Versailles et celle de Vienne s'opere dans ce contexte.

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Max Braubach, Versailles und Wien von Ludwig XIV. bis Kaunitz. Die Vorstadien der diplomatischen Revolution im 18. Jahrhundert, Bonn 1952. Lucien Bely (ed.), La Presence des Bourbons en Europe, XVF-ΧΧΓ siecle, Paris 2003.

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I. Une difference historiographique Ce « renversement des alliances »3 a έίέ decrit comme une peripetie diplomatique dans l'historiographie fran^aise. Chez les historiens allemands au contraire, surtout depuis Max Braubach, mais aussi chez les auteurs anglais et americains4, cette alliance a ete presentee comme une rupture et cette solution de continuite a engendri la notion de « revolution diplomatique ». Les historiens franfais insistent plutöt, eux, sur la « diplomatic secrete », le « secret du roi », cette politique personnelle de Louis XV qui vise ä susciter un bloc favorable a la France, avec la Suede, la Pologne et l'Empire ottoman.5 Et c'est un moyen de s'opposer aux puissances de l'Europe centrale et Orientale : Prusse, Autriche et Russie. Cette diplomatic secrete n'a que peu de resultats tangibles; eile affaiblit ou obscurcit parfois l'attitude fran9aise. Nöanmoins, eile maintient la presence franfaise ä Test. Tout se passe comme si le renversement des alliances n'etait qu'une parenthese dans une continuite politique qui a vu la France s'opposer а Γ Autriche jugee toute catholique et conservatrice, en s'appuyant sur les princes protestants du nord de l'Europe. Cette interpretation ne s'inscrit-elle pas dans une vision laique et progressiste qui impregne la culture franfaise ? Ce changement d'alliance accompagne en tout cas une autre grande metamorphose de la diplomatie, la mondialisation des relations internationales. Une mutation de la diplomatie : d'un conflit en Amerique ä un conflit en Europe Des le XVIIе siecle, les autorites europeennes ont imagine des negotiations avec les Indiens d'Amerique du nord, comme le revele la paix de Montreal de 1701.6 Dejä, la guerre de succession d'Espagne rend compte du poids des interets economiques et coloniaux dans les decisions politiques, mais les affrontements continentaux l'ont alors empörte.7 Dans les annees 1750, les interets economiques et coloniaux occupent desormais la premiere place. La paix d'Aix-la-Chapelle n'apparait que comme une treve. L'affrontement entre la France et l'Angleterre en Amerique du nord et en Inde prec6de la guerre sur le continent europeen, qui commence en 1756. Ces affaires semblent longtemps trop lointaines pour declencher une vöritable guerre. Pourtant, l'importance economique, 3 4

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Richard Waddington, Louis XV et le renversement des alliances, Paris 1896. Parmi les syndeses recentes, voir Hamish M. Scott, The Birth of a Great Power System, 17401815, Harlow 2006. Michel Antoine, Didier Ozanam, Correspondance secrete du comte de Broglie avec Louis XV (1756-1774), Paris 1956 ; Michel Antoine, Louis XV, Paris 1989. La description de la politique etrangere est integree dans la biographie du roi et aborde en detail sa diplomatie secrete. Gilles Havard, La grande paix de Montrial de 1701. Les voies de la diplomatie amirindienne, Montreal 1992. Erik W. Dahlgren, Les Relations commerciales et maritimes entre la France et les cotes de I Ocean Paciflque, vol. 1 : Le commerce de la mer du Sud jusqu'ä la paix d'Utrecht, Paris 1909 ; Lucien B61y, Espions et ambassadeurs au temps de Louis XIV, Paris 1990.

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mais aussi politique, des colonies est desormais si grande que les gouvernements europeens sont prets ä mettre des moyens importants pour vider ces querelles. Pour la France, cela suppose d'avoir une marine de guerre capable de maintenir les liens avec les terres lointaines. Le royaume de France n'a pas les moyens et probablement le desir de l'entretenir et, face aux forces anglaises, eile a besoin d'une aide qui ne peut venir que de l'Espagne, la Hollande s'inscrivant depuis longtemps dans le sillage de Londres. Les tensions concernent aussi les relations entre l'Espagne et l'Angleterre, car la contrebande entre les lies anglaises et les colonies espagnoles continue. Pourtant la vigilance espagnole se maintient. Les marchands fran9ais passent par Pintermediaire des marchands de Cadiz et ils augmentent ainsi leur part dans le commerce espagnol. Ainsi, la paix europeenne de 1748 n'a pas calme les rivalites territoriales et commerciales en Amerique. Ces dernieres ont aigri les relations entre l'Angleterre et la France, la metropole prenant fait et cause pour les colonies, surtout en Angleterre. Le decalage parait significatif entre les deux empires, la Nouvelle-France, ayant une organisation presque militaire, mais restant peu реир1ёе, face aux colonies anglaises, tres diverses, souffrant de la presence f r a n 9 a i s e . Le conflit futur se joue done aussi dans les relations sans doute differentes entre metropole et colonies. Le Canada n'a pas une importance dconomique essentielle pour le royaume de France qui tente neanmoins, par tous les moyens, de defendre cette Nouvelle-France. En revanche, les iles des Caraibes, qui fournissent des produits coloniaux, sont vitales pour la prosperite des ports franfais, comme les colonies de l'Angleterre en Amerique le sont pour l'economie britannique. Le changement important dans les relations internationales tient dans le fait qu'un conflit lointain a un effet d'entrainement et que les tensions outre-mer troublent la pacification en Europe, alors que, dans les guerres precedentes, un conflit en Europe avait de simples prolongements dans le monde. L'Angleterre, forte de sa puissance maritime, a la volonte de s'engager rapidement dans l'affrontement, alors que la France, n'etant pas prete, cherche ä temporiser.

II. Des negotiations paralleles ä la signification indecise Les crises successives en Amörique comme en Inde n'empechent pas les negociations. Depuis novembre 1749 jusqu'en juillet 1755, une commission speciale se reunit ä Paris pour regier les problemes americains. Shirley, gouverneur du Massachusetts, у represente pour un temps l'Angleterre, La Galissonniere et Silhouette etant les delegues franе 9 a i s . 8 Ces nögociations rappellent les negociations aux limites, traditionnelles au XVII 8

Dans les nögociations ä Londres et ä Paris, trois zones de litiges apparaissaient : la frontiere sur l'Ohio, les forts construits au sud de Montreal, les frontieres de l'Acadie. Les Anglais reclament l'Ohio comme frontiere, alors que les Fran9ais veulent pour eux-memes les territoires arrosös par

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siecle apres chaque traite de paix, mais elles deviennent comme un paravent pour des preparatifs belliqueux. II faut noter aussi que les querelies sur l'Amerique sont souvent envenimees par la mediocrite et les contradictions des cartes. La perspective d'une guerre prochaine, « annoncee », oblige ä transformer le systeme des alliances sur le continent. Je n'entrerai pas dans le detail de la negotiation qui conduit au traite de Versailles, mais je noterai quelques points interessants.

III. Un projet politique : le changement du systeme d'alliances Le rapprochement avec la France apparait bien comme une idöe politique audacieuse, proposee par Kaunitz9, en reponse aux demandes de Marie-Th0rese. Kaunitz, ancien plenipotentiaire ä Aix-la-Chapelle et nouveau membre de la conference secrete, presente son plan ä Marie-Therese. II part de l'idee que la reconquete de la Silesie est vitale pour l'Autriche. II faut rompre l'alliance franco-prussienne, en demontrant que la Prusse est un allie peu fiable, comme l'a montre la guerre. Pour attirer Louis XV, il est possible de favoriser son gendre, don Philippe, le souverain de Parme, en lui donnant la Savoie ou le Luxembourg, ces deux territoires pouvant revenir plus tard ä la France. Notons que le projet propose en 1749 ne se realise qu'en 1756. Le temps apparait comme une condition necessaire ä de tels glissements diplomatiques. Kaunitz, devenu ambassadeur ä Paris, observe la cour de Versailles, mais n'a guere d'estime ä l'egard des ministres. En revanche, vivant dans le milieu des financiers, il remarque le poids nouveau, dans les affaires d'Etat, de la marquise de Pompadour, en qui Louis XV a confiance, et il sait utiliser le concours de la favorite dans le rapprochement franco-autrichien. II serait sans doute interessant de voir comment les reseaux de Kaunitz en France ont accompagne le rapprochement franco-autrichien et, plus tard, l'alliance surtout, dans une France peu enthousiaste. Le gouvernement franfais doit tenir compte aussi de la neutralite espagnole. D'une part, l'Espagne se dit mecontente de l'attitude franfaise pendant la derniere guerre, et de la paix d'Aix-la-Chapelle, d'autre part Ferdinand VI, influence par sa femme portugaise, regarde plutot vers Londres. Pour les colonies, un compromis est prepare avec

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les rivieres se jetant dans le Saint-Laurent ou les Grands Lacs, done les Monts Allegheny comme limite. Les Anglais veulent aussi la destruction de ces nouveaux forts sur le Lac Champlain ou le Lac Ontario qui menacent la riviere de l'Hudson. En Acadie, Louis X V demande la rive nord de la baie de Fundy, ne laissant aux Anglais que la Nouvelle-Ecosse, ce que les Anglais ne peuvent accepter. Lothar Schilling, Kaunitz und das Renversement des alliances. Studien zur außenpolitischen Konzeption Wenzel Antons von Kaunitz, Berlin 1994. Grete Klingenstein, Franz A.J. Szabo (eds), Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz-Rietbergen 1711-1794: Neue Perspektiven zu Politik und Kultur der europäischen Aufklärung, Graz 1996.

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l'Angleterre, avec le retrait des redoutables guarda-costas et le rachat des droits de la South Sea Company pour le commerce des esclaves, avec des concessions commerciales accordees aux marchands anglais en Espagne meme. Le gouvernement anglais dispose ä Madrid d'un appui en la personne du general Wall, qui devint le principal ministre espagnol. Le roi d'Espagne refuse done de soutenir Louis XV dans son conflit avec l'Angleterre et demeure neutre. Le gouvernement fran^ais temporise. Tres souvent, les divisions parmi les dirigeants franfais expliquent ces delais. II faut tenir compte des preparatifs militaires, mais aussi des negotiations diplomatiques. La France doit repliquer par une attaque contre les lies Britanniques, toujours delicate, ou plus sürement contre le Hanovre. Ainsi aux hesitations fran^aises, repondent, dans les faits, les luttes politiques anglaises. La France se prepare ä la guerre, en rassemblant des troupes sur la frontiere des Pays-Bas. En effet, la superiorite maritime de l'Angleterre etant evidente, il faut affaiblir cette puissance sur le continent: d'une part, attaquer le Hanovre, ou se tenir pret ä le faire, avec des troupes ä Aix-la-Chapelle, d'autre part occuper les Pays-Bas, voire des territoires hollandais, pour immobiliser la Cour de Vienne et les Provinces-Unies. On songe ä lancer la Porte ottomane, contre l'Autriche, ä utiliser le Pretendant Stuart dans le but d'un debarquement en Angleterre, ä renforcer les liens avec Frederic de Prusse. La politique de Louis XV a souvent ete jugee severement. L'influence de la marquise de Pompadour aurait ete essentielle dans le choix des ministres. Depuis la mort de Saint-Contest en 1754, Rouille a le departement des Affaires etrangeres, mais trop confiant dans les bonnes intentions anglaises, il espere toujours un arrangement. Rouille, le comte d'Argenson, ministre de la Guerre, et le marechal de Belle-Isle, auquel le roi demande son avis, sont favorables ä une vigoureuse action aux Pays-Bas et sur le Rhin. Machault, Garde des Sceaux et ministre de la Marine, est plus favorable ä une action sur mer. Le refiis de la France d'engager tout de suite des represailles tient peutetre ä la volonte de terminer les preparatifs militaires et diplomatiques, alors que Londres, ayant la superiorite maritime, veut agir immediatement. L'effort frangais porte sur les fortifications de Dunkerque, sur l'etablissement de camps sur le littoral et sur le Rhin, sur les arsenaux, avec bientot 70 ou 80 vaisseaux de ligne et 60 fregates, face aux 100 vaisseaux anglais. II faut aussi tenir compte de toutes les tentatives de la diplomatic secrete, en particulier celle du comte de Broglie, ä la Cour de Dresde surtout. La negotiation anglaise avec la Prusse ne s'engage que lentement, par Γ intermediate du due de Brunswick, beau-frere de Frederic II. Elle n'est pas la cause de la rupture avec l'Autriche, mais eile la suppose. En effet, longtemps les relations de l'Angleterre avec la Prusse ne sont pas bonnes, d'autant que l'Angleterre a favorise le traite des deux imperatrices - Elisabeth 10 et Marie-Therese - de 1746, qui etait d'abord dirige contre la 10

Sur cette souveraine, voir Francine-Dominique Liechtenhan, La Russie entre en Europe. Elisabeth Ire et la Succession d'Autriche (1740-1750), Paris 1997; idem (ed.), En Russie au temps d'Elisabeth. Mimoire sur la Russie en 1759par le chevalier d'Eon, Paris 2006 ; idem, Elisabeth fe de Russie, Paris 2007.

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Prusse. L'Angleterre prolonge ce systeme en envoyant Sir Charles Hanbury Williams negocier une convention de subsides, signee le 30 septembre 1755. Parallelement, les relations entre Londres et Vienne se deteriorent en l'absence d'accord sur une politique commune. Le roi de Prusse se voit encercle : il sait la puissance militaire prussienne redoutee. Tous ses voisins veulent sa perte, voire le demembrement de son territoire. Meme si son reseau diplomatique est mediocre et mal informe, Frederic soupfonne « quelque chipotage secret», selon ses mots, entre Versailles et Vienne.11 Newcastle en vient ä penser qu'une coalition contre la France est impossible et qu'il faut envisager de toute urgence la neutralisation de PAllemagne. La convention de Westminster (ou de Whitehall) du 16 janvier 1756 permet ä Frederic II de s'accorder avec l'Angleterre. Simplement, il demande d'exclure les Pays-Bas de cette neutralisation, pour laisser ä la France la possibilite d'y intervenir. L'expression « Allemagne » remplace celle d' « Empire germanique », ce qui ecarte la Belgique. La convention stipule que les deux puissances ne s'attaqueront pas l'une l'autre - la Prusse n'attaquera pas le Hanovre - , et qu'elles s'uniront pour repousser 1'entree de troupes etrangeres en Allemagne - Londres ne laissera pas les Russes se lancer contre Frederic. La diplomatic anglaise imagine un arrangement possible qui ecarterait la guerre du continent. En revanche, l'Angleterre redoute un projet de debarquement. Cet accord diplomatique precipite le rapprochement entre la France et l'Autriche. Le contraste est frappant entre la lenteur de la negociation franco-autrichienne et la promptitude brutale de la decision politique pour Frederic II.

IV. La negociation Bernis-Starhemberg : un nouveau secret du roi En aoüt 1755, Kaunitz presente ä la conference secrete la situation generale de l'Europe et propose un nouveau systeme diplomatique : il prone de s'entendre avec le roi de France pour tenter la reconquete de la Silesie. Pour renforcer la frontiere franfaise du nord-est, la maison d'Autriche proposera le Luxembourg pour don Philippe, qui rendra les duches italiens. On appuiera la candidature du prince de Conti au tröne de Pologne c'est le but de la diplomatic secrete, le « secret du roi». On travaillera ä etablir une alliance entre la France, l'Autriche, l'Espagne, Naples et la Russie; on aidera les proteges de la France, la Suede, le Palatinat, la Saxe; on offrira, en cas de guerre, l'occupation de ports beiges. Les domaines de Frederic II seront reduits ä l'Electorat de Brandebourg, comme avant la guerre de Trente ans. Le projet comporte des inconnues :

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Sur les deux protagonistes, voir les biographies rdcentes de Jean-Paul Bled, d'Autriche, Paris 2001; idem, Frederic le Grand, Paris 2004.

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се changement diplomatique entrainera-il une rupture avec l'Angleterre? La France estelle disposee ä rompre avec la Prusse? La negociation contourne et meprise un peu les voies officielles de la diplomatie. Le comte de Starhemberg, successeur de Kaunitz en France, est charge de faire parvenir une lettre personnelle de Marie-Therese au roi Louis XV, soit par la marquise de Pompadour, soit par le prince de Conti: en effet, on redoute a Vienne les sentiments antiautrichiens des ministres. II s'agit bien d'interesser d'abord le roi de France. Ainsi, les diplomatics europeennes sont conscientes que Louis XV mene, dans le secret, une politique parallele ä celle de son gouvernement. L'ambassadeur choisit Madame de Pompadour qui transmet la lettre : Marie-Therese designe Starhemberg pour faire des ouvertures, demande au roi de choisir une personne de confiance pour discuter et promet le secret absolu. Louis XV designe l'abbe de Bemis. C'est chez la marquise de Pompadour, ä Bellevue, que Bernis rencontre la premiere fois l'ambassadeur autrichien et a connaissance du projet de Kaunitz. Louis XV instaure ainsi un nouveau secret du roi qui s'ajoute ä la diplomatie parallele qu'il suit depuis longtemps. Selon Louis XV, qui a sonde discretement ses ministres, il s'agit d'öcouter les propositions. Mais le roi est plutot favorable ä un rapprochement avec Marie-Therese : en effet le roi de Prusse Г a trahi ä deux reprises en 1742 et 1745, il est Protestant et n'est finalement que margrave de Brandebourg, un nouveau venu dans la famille des rois. Mais le traite avec la Prusse n'expire que le 5 juin 1756 et Louis XV veut etre fidele a ses engagements. Bemis re?oit done pour instruction d'etre sourd ä toute insinuation contre Frederic.

V. Un risque majeur : la rupture des alliances historiques J'ai examine pour cela les papiers du Quai d'Orsay, surtout le volume acquis il у a quelques decennies, qui regroupe les textes originaux elabores par Bernis. 12 La teneur de ces papiers se retrouve grace aux rapports que Starhemberg, apres avoir ecrit sous la dictee de Bernis, communique ä la Cour de Vienne. 13 Neanmoins, ces differents textes montrent aussi le souci d'associer assez vite les autres ministres ä ce saut perilleux accompli par la monarchic fran?aise. En effet, cette sphere etroite dans laquelle se negocie le renversement des alliances peut susciter des dangers. D'une part le changement de politique signifie une rupture trop grande pour que la responsabilite en retombe sur le seul abbe de Bernis, et derriere lui sur le roi sans le concours du departement des Affaires etrangeres ; d'autre part la brutalite de la decision et le secret peuvent compromettre le succes de cette entreprise si les ministres restent fideles aux idees anciennes, en parti12

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Paris, Archives du Ministere des Affaires etrangeres (= ААЕ), Memoires et Documents (= MD), Autriche vol. 42. Alfred von Arneth, Geschichte Maria-Theresias, 10 vols, Vienne 1863-1879.

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culier ä l'alliance avec la Prusse, et s'opposent ensuite aux nouvelles perspectives. La negotiation avec Vienne s'accompagne ainsi d'une negotiation au sein meme de la cour de France. Bernis l'avoue lui-meme: « Je dirai, en passant, que j'ai toujours eu beaucoup plus de peine ä negocier avec ma cour qu'avec les cours etrangeres. Je m'etonne comment en cette circonstance ma sante a pu у suffire ».14 Le risque couru par Louis XV dans cette affaire apparait d'autant mieux lorsque Ton considere que Taction diplomatique se nourrit de principes etablis sur la longue duree et cela rencontre l'idee des maximes d'Etat dont Andrew Lossky a montre la force structurante. J'en cite deux comme exemples d'alliances naturelles : la vieille alliance avec l'Ecosse depuis le Moyen Age et l'alliance objective avec le Grand Seigneur depuis le XVIе siecle. Or, ä partir du XVIе siecle, la France se heurte ä la maison de Habsbourg, presente ä la fois en Espagne et dans l'Empire, done l'alliance avec les princes allemands, meme protestants, contre la puissance imperiale s'impose comme un axe fondateur de la diplomatic fran^aise depuis le XVIе siecle. Pourtant, tout diplomatic se nourrit d'ambigui'tes et plusieurs nuances doivent etre apportees ä cette vision simple: d'un cote l'alliance avec les princes allemands a suscite bien des reticences, d'un autre cote, l'hostilite ä la maison d'Autriche a connu des intermittences.15 Face ä l'empereur et ä la puissance autrichienne, la France cultive aussi traditionnellement les alliances de revers, avec la Suede, avec la Pologne (mais la Russie, nouvelle grande puissance depuis Pierre le Grand, la surveille16 et nul ne peut etre roi de Pologne sans son accord), avec I'empire ottoman, mais il entre dans une phase de repli face ä la reconquete menee depuis Vienne. Louis XV parait ainsi avoir tente de concilier l'inconciliable et en entretenant deux secrets ä la fois, il joue avec le feu. Louis XV a appris de l'exemple de Louis XIV, des lemons habituelles que Ton donne aux princes et de son experience dejä longue que la politique exterieure, les affaires etrangeres et les relations avec les autres Etats font partie de sa prerogative, que Dieu donne ä lui seul I'inspiration et les lumieres pour les choix essentiels, que son bouclier face aux influences nefastes reside dans le secret - la dissimulation faisant partie des qualites d'un grand roi - , sans doute aussi qu'une grande puissance ne doit pas se laisser enfermer dans des idees simplistes - il a done une diplomatic officielle et deux diplomatics secretes.17 14 15

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17

Franfois-Joachim, cardinal de Bernis, Memoires, Paris 1980, 264. Sur la vision que la diplomatie franfaise elabore ä propos des puissances de l'Empire, nous disposons de l'importante etude de Sven Externbrink, Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2006. Lawrence J. Oliva, Misalliance : α Study of French Policy in Russia during the Seven Years' War, New York 1964; Herbert H. Kaplan, Russia and the Outbreak of the Seven Years' War, Berkeley 1968. Relativisons la singularite de la revolution diplomatique. II n'y a rien de tres etonnant dans ces voies secretes : au temps de Louis XIV, Torcy, le ministre des affaires etrangeres, voit Chamillart, responsable de la Guerre, mener des negotiations paralleles et, en 1711, Г abbe Gaultier, simple pretre dem eure en Angleterre, est charge de faire ä Colbert de Torcy des propositions de la part des

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A la nouvelle de l'attentat de Boscawen en juin 1755, Marie-Therese fait connaitre sa surprise et ses craintes : la guerre est probable et une alliance secrete se prepare entre la Prusse et PAngleterre. Louis XV demande des preuves de се rapprochement, cherchant a transformer les propositions autrichiennes en garanties pour la paix. Bernis, effraye de ses responsabilites, demande d'associer des ministres au secret : ce « comite secret» (Michel Antoine) commence ä se reunir ä la fin d'octobre 1755, compose de Machault d'Arnouville, Moreau de Sechelles, contröleur general des finances, Rouille et SaintFlorentin. L'abbe de La Ville participe-il ä cette reunion ? La Ville semble avoir domine totalement Rouille qui a peu d'experience en matiere diplomatique. Starhemberg attribue a La Ville la resistance ä un accord avec PAutriche, car il aurait representö la tradition selon laquelle l'alliance prussienne est un « axiome politique ». Mais l'abbe de La Ville est trop ambitieux pour s'opposer ouvertement ä Bernis qu'il sert ensuite. 18

VI. Le retour ä un ideal diplomatique : la negociation directe entre les souverains19 Bernis souligne dans ses Memoires que l'intention de l'imperatrice est de negocier « comme tete ä tete » avec le roi de France. Ce dialogue singulier exige le secret le plus 20

inviolable et cela passe par un serment de Marie-Therese. Dans le « Memoire approuve par le roi le 5 septembre 1755 et lu le 9 septembre au comte Starhemberg par ordre du roi», Bernis fait dire ä celui-ci « qu'ainsi il ne doutait pas que l'imperatrice ne Iui fit part avec une confiance entiere de tout ce qu'elle savait ou apprendrait des pratiques secretes qu'on soup^onne entre les cours de Londres et de

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Anglais en vue de la paix. Et les revirements brutaux ne sont pas rares : en 1711, l'Angleterre se rapproche de la France au grand dam de ses allies et ce rapprochement se revele durable. Didier Ozanam, Le Marquis d'Argenson, l'abbe de la Ville et le renversement des alliances (janvier-octobre 1756), dans : Etudes europeennes. Melanges offerts a Victor-Lucien Tapie, Paris 1973, 429-443. Je me permets de renvoyer ä Lucien Bely, La Societe des princes, Paris 1999 et idem, L 'Art de la paix en Europe ? Naissance de la diplomatic moderne, Paris 2007. Alfred von Arneth, Maria Theresia (note 13), vol. 4, 550, note 481 : « Je promets, foi d'imperatrice et de reine, que tout ce qui sera propose de ma part au roi Τ res Chretien par le comte de Starhemberg, il ne sera jamais rien divulgue, et que le plus profond secret sera garde ä cet egard pour toujours, soit que la negociation reussisse ou ne röussisse point, bien-entendu nöantmoins, que le roi Tres Chretien me donnera une döclaration et promesse pareille ä celle-ci. Fait ä Vienne ce 21 aoüt 1755 ».

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Berlin au prejudice de la Religion Catholique, au desavantage de l'imperatrice et contre les interets de la France ».21 Rouille amorce, de son cote, le rapprochement avec la Russie, grace au chevalier Douglas, comte et baron de Kildin (1713-1765). A la fin de decembre, Louis XV envoie le due de Nivernais comme ambassadeur aupres de Frederic II : le roi de Prusse finit par annoncer au due le traite avec l'Angleterre en indiquant qu'il a dü etre sign6 a Londres quelques jours plus tot. Mais le roi de Prusse en minimise la portee, indiquant qu'il ne contredit pas l'alliance avec la France. Comme l'Angleterre a rejete l'ultimatum fran9ais le 13 janvier, Frederic se propose comme mediateur, mais Louis XV rappelle son ambassadeur.22 La convention de Westminster renverse done la situation : la France se trouve isolee, sans allies, au seuil de la guerre. En apprenant la defection de la Prusse, Starhemberg peut jouer sur la colere fran?aise : Bernis et Rouille sont prets ä discuter le plan original, rejete ä l'automne. Mais la diplomatic franfaise se montre encore tres hesitante. Elle repugne ä s'engager dans une guerre contre la Prusse, car le parti favorable ä Frederic II, avec Belle-Isle, d'Argenson ou Nivernais, a de l'influence. Finalement, le 19 avril 1756, les ministres sont tous mis au courant des tractations et le roi autorise la signature de Facte diplomatique connu comme « traite de Versailles », le I er mai 1756. En röalite il est signe dans le chateau de Rouille, ä Jouy-en-Josas, par Bernis d'un cote, Starhemberg de l'autre. Trois instruments sont signes; les deux premiers sont publics, d'abord une convention de neutrality, par laquelle Marie-Therese declare se desinteresser du conflit entre la France et l'Angleterre, et par laquelle Louis XV s'engage ä ne pas attaquer les possessions de l'impöratrice-reine, ensuite un traite difensif qui garantit les possessions et etats des deux signataires contre toute agression, sauf pour ce qui concerne le conflit franco-anglais. II est fait reference aux traites de Westphalie et, de chaque cöte, 24 000 hommes etaient prevus pour le cas d'une agression. Enfin une convention secrete de cinq articles prevoit neanmoins l'aide autrichienne ä la France, si une puissance, meme ä titre d'auxiliaire du roi d'Angleterre, attaque le territoire fran9ais; la reciproque est vraie. Les deux souverains s'engagent ä continuer l'ceuvre d'Aixla-Chapelle; le traitö peut etre etendu ä d'autres puissances - Espagne, Naples, Parme, le mart de Marie-Therese comme grand due de Toscane. Mais l'Autriche n'obtient pas d'etre soutenue par la France dans une offensive contre la Prusse. Un « Projet de reponse » est approuve a Versailles le 25 avril par tous les ministres du roi, assemble pour la troisieme fois chez le Garde des Sceaux. Dans ce texte, les souverains ont la part belle face ä leurs ministres : « Ces deux actes importants qui assurent la paix entre les 6tats et les sujets respectifs des deux puissances deviendront le plus ferme appui de la tranquillite generale si les deux cours animees d'une egale confiance agissent toujours de bonne foi et de concert. Ce que la politique croyait impossible a 21

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AAE, MD, Autriche 42, « Memoire approuve par le roi le 5 septembre 1755 et lu le 9 septembre au comte Staremberg par ordre de S.M. », fol. 2. Eckhard Buddruss, Die französische Deutschlandpolitik 1756-1789, Mayence 1995.

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conclure par les ministres vient d'etre heureusement execute par les souverains ; ils ont senti que les temps et les circonstances avaient change, et que d'anciens prejugös ne devaient plus dinger leurs conseils, ni servir de regle ä leur conduite ; ils n'ont eu besoin que de se parier eux-memes pour etre d'accord ; et с'est en se communiquant leurs pensees qu'ils ont trouve dans la droiture de leurs intentions et dans la grandeur de leur äme des süretes qu'ils avaient vainement cherchees ailleurs »,23 Cette interpretation royale de la negotiation et cette fiction explicative revelent le souci de demontrer la bonne foi de Louis XV, son souhait d'agir dans la loyaute et la transparence au moment ой il s'apprete ä abandonner un allie. La diplomatic cherche dejä ä donner aux evenements une organisation coherente et digne d'un roi de France qui honore ses engagements et qui tient la parole donnee. Ce discours affiche un refus du cynisme, de la tromperie, du double jeu, indigne des souverains purs et parfaits, face ä Frederic II qui trompe et abandonne ses allies, un souverain sans principes durables, «toujours determine par l'intöret du moment».

VII. Un front des puissances catholiques ? Les tensions au sein du gouvernement fran?ais s'expliquent aussi par la dimension religieuse que peut prendre l'accommodement entre France et Autriche. Des septembre 1755, on evoque « l a ligue qu'il [Frederic II] medite de former entre les puissances protestantes par l'entremise de l'Angleterre ». Mais, dans ses Memoires, Bernis dit avoir mis en garde Louis XV ä propos de « l a frayeur que causerait aux princes protestants l'union des deux plus grandes puissances catholiques ». L'accord franco-autrichien se pare parfois d'une dimension religieuse, ainsi dans un projet de röponse le 10 mai, on lit: « S a Majeste Tres chretienne et Sa Majeste L'imperatrice reine de Hongrie et de Boheme en desirant d'assurer par des traitis l'union et la parfaite intelligence heureusement etablies entre elles ont eu principalement en vue de precautionner contre leurs ennemis et de prevenir tous les cas qui pourraient un jour allumer une guerre generale soit ä la mort des rois d'Espagne et de Pologne soit ä l'occasion des limites des Etats respectifs des cours de France et de Vienne. Le systeme que viennent d'etablir leurs dites Majestes doit etre un jour, s'il est bien suivi, le plus ferme soutien de la vraie religion, de la liberte germanique, de la tranquill y de l'Italie et du repos de l'Europe entiere. » 24

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« Projet de reponse арргоиуё к Versailles le 25 avril par tous les ministres du roi», AAE, MD, Autriche 42, fol. 25. « Projet de reponse du roi communique aux ministres de Sa Majeste et арргоиуё par eile le 10 mai 1755, communique et dicte le 11 mai ä M. le comte de Starhemberg pour etre envoye ä la Cour de Vienne », Ibid., fol. 33.

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Cette defense de la vraie religion, la reconstitution d'un front des puissances catholiques, la dimension confessionnelle du traite trouvent leur limite dans l'article 2 du traite de 1756 qui mentionne le traite de 1648, veritable constitution du monde germanique. La question tarabuste l'abbe de Bernis, puisque dans le grand memoire qu'il redige en aoüt, il ecrit: « A l'egard de la ligue protestante, il n'y a pas de plus sür moyen pour l'empecher de se former que d'executer dans tous ses points le traite de Westphalie et de ne pas donner lieu aux princes protestants de soup?onner soit par des discours imprudents, ou par une conduite partiale que la France et la cour de Vienne ont intention de former contre eux une ligue catholique. Ce point est si essentiel et en meme temps si delicat qu'il est heureux que la balance de si grands interets se trouve aujourd'hui placee dans des mains egalement habiles et equitables ».25 Des travaux, en particulier ceux de Hamish Scott, ont montre comment une forme de convergence s'etablit desormais entre les puissances catholiques ainsi alliees. Notons que paradoxalement l'accord se realisera autour de la lutte contre les jesuites qui commence alors au Portugal et qu'expulses des pays catholiques, les peres trouveront refuge aupres de Frederic II et de Catherine de Russie.26

VIII. Ambition dynastique et ambition territoriale En tout cas, Louis XV met en avant ses cousins dans la negotiation, revelant ainsi la solidarite naturelle entre les Bourbons. Des septembre 1755, lorsque s'esquisse un traite de garantie, on songe aussi dejä ä un second traite « confirmatif et ampliatif» « dans lequel on reglerait, de concert avec l'Espagne, la Cour de Naples et autres princes qu'on jugerait necessaires d'y admettre, l'echange propose des trois duches possedös par l'infant dom Philippe en Italie au moyen d'un equivalent dans les Pays Bas » 2 7 , cette formule remplace l'expression plus brutale « avec les Pays-Bas ». On evoque dejä la Russie et, de plus, « par un article secret ä jamais », l'imperatrice autoriserait des a present 1'entree de troupes franfaises ä Ostende et Nieuport. Le traite du I er mai 1756 comporte un « separe et secret» qui prevoit d'inviter « de concert et non autrement» des princes d'acceder ä l'accord, ä savoir l'empereur comme grand due de Toscane, le roi d'Espagne, le roi de Naples et de Sicile, ainsi que Don Philippe. Et Louis XV fait presenter des arguments pour un echange en faveur de Don Philippe, son gendre : « La tendresse du Roy pour ses enfants n'est pas l'unique source du desir qu'il a de procurer un etablissement plus decent et plus assure au Serenissime infant don Philippe. La crainte qu'il

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« Memoire » de Bernis, approuve le 3 aout 1756, ibid., fol 48 v -105, ici fol. 83. Hamish M. Scott, Religion and Realpolitik: The Due de Choiseul, the Bourbon Family Compact, and the Attack on the Society of Jesus, 1758-1775, dans: The International History Review 25 (2003), 37-62. AAE, MD, Autriche 42, fol. 3.

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ne s'eleve quelque jours des disputes fächeuses entre les deux cours par rapport aux stipulations du dernier traite d'Aix-la-Chapelle qui concernent les etablissements des infants d'Espagne en Italie est le motif qui presse le plus Sa Majeste Tres Chretienne de traiter de Γ echange des etats de Parme, Plaisance et Guastalla, et се sont les premieres propositions faites au mois de septembre par Sa Majeste l'imperatrice qui ont donne au roi l'idee de choisir de preference une portion des Pays-Bas pour parvenir audit echange »,28 Comme Bernis le confirme dans ses Memoires,

cette ambition du roi pour sa maison

rencontre celle de son gouvernement pour le royaume. L'accord entre Versailles et Vienne fait renaitre l'espoir de mettre la main sur les Pays-Bas : « Le recouvrement de la Silesie est un objet si capital pour Sa Majeste l'imperatrice qu'elle ne doit pas balancer ä ceder au roi, ä des conditions raisonnables et acceptables, la totalite des Pays-Bas. C'est par ce seul arrangement que les deux cours parviendront ä egaliser les avantages reciproques qu'elles ont raison d'attendre et qu'elles doivent retirer de leur union intime et de l'etablissement d'un nouveau systeme politique ». 29 Les etats de Philippe seraient cedes ä l'imperatrice e t « entreraient pour leur valeur dans le prix de la vente ou cession des Pays-Bas ». Pour etayer cette revendication, dans son grand memoire approuve en aoüt 1756, Bernis souligne Г indifference manifestee par Vienne ä l'egard des Pays-Bas : « Mais pour ne rien cacher ä la cour de Vienne des pensees du roi on ajoutera ici que tout le monde sait que les Pays-Bas sont entierement ouverts du cote de la France, qu'ils sont separes des autres domaines de l'imperatrice et d'une depense considerable par l'entretien des places et des garnisons, et que les ventes qui s'y font journellement des choses les plus essentielles, ainsi que l'alienation progressive du domaine utile prouvent bien I'indifference de l'imperatrice pour la conservation des dits pays, lesquels ne peuvent etre ni plus utilement, ni plus heureusement echanges qu'avec la Silesie et les etats de l'infant. » 30 Peu ä peu se dessine la solution i d e a l e : les Pays-Bas ä don Philippe, mais quelques places essentielles laissees ä la France. Cette resurrection d'une demande ancienne montre le bouleversement des consciences. En effet, la question des Pays-Bas et l'idee d'un echange ont fait trebucher Mazarin en 1646, ont facilite l'explosion de la Fronde et prolonge de dix ans la guerre franco-espagnole. 3 1 La Ιεςοη a marque la longue memoire 28 29 30 31

Projet du 10 mai 1756, ibid., fol. 33 v -34. Ibid., fol. 36v. Memoire du 3 aoüt 1756, ibid., fol. 54v. Lucien Bely, Les Pays-Bas meridionaux, un horizon pour la France, XVf-XVIIf siecle, dans : Congres de Möns, 2000. Sixieme congres de l'association des cercles francophones d'histoire et d'archiologie de Belgique et LIIF congres de la fideration des cercles d'archeologie et d'histoire de Belgique, 13-31. Voir aussi Lucien Вё1у, Un intendant en pays occupe : Moreau de Sichelles dans les Pays-Bas pendant la guerre de Succession d'Autriche, dans : Bernard Barbiche, YvesMarie Berce (eds), Etudes sur I'ancienne France offertes en hommage ä Michel Antoine, Paris 2003, 47-60 ; idem, L Occupation frangaise dans les Pays-Bas pendant la guerre de Succession d'Autriche, dans : Markus Meumann, Jörg Rogge (eds), Die besetzte res publica. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Berlin 2006, 337-350.

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de la diplomatic. Louis XIV a modere ses appetits malgrö des conquetes faciles et Louis XV lui-meme, lors de la guerre de succession d'Autriche, a rendu ce que Maurice de Saxe lui avait conquis. Brusquement, face ä une Angleterre agressive et une Hollande affaiblie, le roi et les ministres pensent profiter de la reconciliation avec la maison d'Autriche pour realiser un reve impossible. Comment I'Europe pourrait-elle accepter la naissance de cet Etat-lä ? Du cote fran5ais, on sent la difficulte : « On a έίέ dans l'erreur ä Vienne si Ton a suppos6 ä Sa Majeste des vues d'agrandissement capables d'exciter du trouble dans l'Europe ». Pourtant, la demesure qui se trahit dans ces propositions rend compte du renversement des idees qui accompagne celui des alliances.

IX. La difficulte de recreer un nouveau systeme Dans son Grand mömoire, approuve le 3 aoüt 1756, Bernis souligne la nouvelle situation creee en Europe, une Europe qui confoit Γ ordre politique ä travers des systemes d'alliances. Le roi de France affirme : « L'amiti6 plus que la politique a determine le roi ä s'unir ä l'imperatrice par un traite defensif, par lequel S. M. Т. C. ne retire dans le cas de la guerre presente aucuns des secours qu'elle assure ä la cour de Vienne. » 32 II s'agit d'etablir un « systeme » « par lequel les deux cours, si elles se conduisent sagement remettront tous les princes de l'Europe ä la place qu'ils doivent occuper, assureront solidement leur propre consideration et leur influence et n'eviteront la jalousie et la crainte que des seules puissances qui voudraient franchir les bornes de leur etat et de leur rang et inquieter mal ä propos leurs voisins. » 33 Le nouveau systeme d'amitie et d'union n'a pas en vue des conquetes territoriales : « Ce ne sont done pas les agrandissements respectifs qui ont dü etre l'objet principal de l'union des deux cours, puisque leur intelligence et le parfait concert de leurs vues et de leurs demarches leur offrent des avantages bien plus grands que ne ferait l'acquisition de quelques provinces. Le respect des nations, les mönagements de tous les souverains, la confiance ou la deference des puissances voisines leur procureront mieux que des conquetes une augmentation journaliere de credit et de pouvoir. » 3 4

Le discours franfais, tel que Bernis l'elabore, insiste sur l'engagement limite de la France et sur ses consequences pourtant dangereuses : « De tous ces faits il resulte que le roi n'a jamais cru etre oblige ä autre chose qu'ä renoncer ä Γ alliance du roi de Prusse et έ la garantie des etats de ce prince s t i p u l e dans le dernier traite d'Aix-la-Chapelle ; demarche d'autant plus importante et delicate que d'un cote eile renverse de fond en comble l'ancien systeme politique du roi, qu'elle occasionne une guerre considerable en Europe dont il n'est pas aise de prevoir les suites, et qu'elle expose egalement Sa Majest6 au danger de s'attirer pour ennemis les puissances garantes du dernier traitö de paix et au 32 33 34

« Memoire », de Bernis, approuve le 3 aoüt 1756, dans : AAE, MD, Autriche 72, fol. 51. Ibid. Ibid., fol. 5 Γ .

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risque certain de faire juger desavantageusement les motifs qui auraient determind la France a rompre ledit traite de paix dans un point si formel. » 35

X. Les limites d'une revolution D'emblee, apres la signature du traite, la politique franchise redoute les visees autrichiennes. Le traite aurait la paix comme perspective : « La France et l'Europe entiere ont applaudi ä l'union des deux cours, mais par quels motifs, par l'espoir d'une paix plus assuree. Convenons done de bonne foi que ce systeme beni aujourd'hui de tous les peuples leur paraitrait bientot un systeme purement ambitieux si une guerre allumee volontairement en etait le premier fruit », 36 Une defiance ä l'egard des projets de Vienne se fait jour: la reconquete de la Silesie 37 , mais rien au-delä : « que penserait l'Europe quand eile verrait que la ргегшёге dimarche des cours de France et de Vienne reunies par un nouveau syst6me tend ä priver les princes, non seulement des acquisitions qu'ils ont faites, mais des domaines qu'ils ont refus de Dieu et de leurs ancetres. Cette conduite violente ne manquerait pas de produire une sensation gönerale de jalousie, de crainte et de haine capable de reunir contre les deux cours les forts et les faibles, de diviser, de brouiller et d'allumer le feu dans toute l'Europe ». 38

Cette reflexion montre une grande reticence ä demembrer la puissance prussienne, d'autant que la France doit affronter l'Angleterre : « Nous comprenons bien que la cour de Vienne a un grand interet de diminuer essentiellement la puissance du roi de Prusse, mais la France a un intöret egal de reduire l'Angleterre au т ё т е pied. И faut que l'affaiblissement de ces deux puissances marche d'un pas 6gal et que les deux cours у contribuent pour le prösent et pour l'avenir, sans quoi on p6cherait contre le principe de reciprociti, et l'on ne doit pas croire que le conseil du roi puisse commettre la faute de laisser aux successeurs de l'imperatrice un allie puissant avec lequel ils pourraient renouer quand ils le voudraient, tandis que la France aurait contribu6 de tout son pouvoir ä la destruction presque totale de son ancien allie », 39

L'avertissement de Bernis est clair ä l'endroit du conseil du roi, et les menagements ä l'egard de la Prusse reprennent leur droit, comme si la diplomatie secrete de Bernis retrouvait les principes sacres de la diplomatie traditionnelle. Les nouvelles alliances ont pour fin de reconstruire un nouveau systeme еигорёеп : « Enfin les deux cours doivent considerer qu'il leur sera toujours fort aise quand elles le voudront d'ebranler

35 36 37 38 39

Ibid., fol. 57v. Ibid., fol. 61. Michael Hochedlinger, Austria's Wars of Emergence, 1683-1795, Londres 2003. AAE, MD Autriche 72, fol. 62. Ibid., fol. 68 v -69 r .

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l'Europe ; mais combien faudra-t-il de temps ensuite pour en raffermir le systeme ».40 Dans ce dialogue, l'autre secret du roi semble mis en sourdine.

XI. Les autres puissances europeennes La nouvelle de la convention de Westminster provoque aussi la colere ä Moscou. L'ambassadeur autrichien Esterhazy cherche ä faire denoncer la convention anglorusse. Un projet est prepare le 10 avril ou les deux imp0ratrices fourniraient chacune 80 000 hommes pour des operations combinees. Versailles decide d'envoyer le chevalier Douglas ä Saint-Petersbourg : arrive le 21 avril 1756 ä la Cour de Russie, il у demeure jusqu'ä l'arrivee de l'ambassadeur, le marquis de PHöpital, le 2 juillet 1757. La diplomatie considere, ä juste titre, que la convention anglo-prussienne rend caduc le traite anglo-russe. L'ambassadeur d'Autriche obtient de la tsarine l'assurance qu'elle etait disposee desormais ä une triple alliance. Tout le paysage europeen se recompose, par cette « revolution » diplomatique qui a deux aspects : l'alliance anglo-prussienne d'un cöte, le rapprochement entre Louis XV, Marie-Therese et Elisabeth de Russie de l'autre cöte. L'Espagne adopte une politique neutraliste, au grand dam de la France, mais les Hollandais ont choisi eux aussi la neutralite (25 mai 1756), alors qu'ils sont des allies traditionnels de Londres. Suede et Danemark arment une escadre pour proteger leurs bateaux (12 juillet 1756) et la Suede regoit des subsides pour aider Louis XV contre l'Angleterre. La France est liee par un traite defensif avec l'Autriche, et par I'intermediate de cette puissance, avec la Russie, ce qui l'entrame dans le conflit qui eclate sur le continent. Mais eile doit aussi ä combattre l'Angleterre sur mer et dans l'outre-mer.

XII. La fragilite du pouvoir royal en France Apres la signature du traite de Versailles, des discussions apres continuent sur l'engagement de la France contre la Prusse. Machault d'Arnouville defend l'aspect strictement defensif du traite de Versailles, tandis que Belle-Isle, devenu ministre en mai, se montre favorable ä une operation au delä du Rhin, mais contre le Hanovre. L'agression prussienne contre la Saxe change la politique fran?aise : il faut envisager le demembrement de la Prusse qui perturbe l'ordre international et pour cela preparer une offensive franco-autrichienne.

40

Ibid., fol. 69 v .

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La France aborde la guerre avec des finances saines. « Les frais de la guerre ргёсёdente etaient ä peu pres eponges » (Michel Antoine). Le budget ordinaire de 1756 se trouve en excedent. Mais le poids des departements de la Guerre et de la Marine s'est considerablement accru : en 1751, la Marine dispose de credits trois fois superieurs ä ceux de 1740. Pour financer la guerre, le gouvernement promulgue trois declarations royales (7 juillet 1756). L'une etablit un nouveau vingtieme, jusqu'ä trois mois apres la paix, et fixe imprudemment la suppression du premier ä dix ans apres cette date. Се nouveau vingtieme connait les memes limites que le premier, par la pratique des abonnements, et, surtout, il suscite plus encore que le premier l'opposition des parlementaires, et ainsi pese lourd sur la situation interieure du royaume. L'agression de la Prusse contre la Saxe provoque une reaction violente en France. Bernis qui negocie toujours avec Starhemberg peut annoncer que Louis XV propose soit de verser un subside ä l'imperatrice, soit de lui envoyer 24 000 hommes, lä oü eile les demanderait. Mais la Cour de Vienne et Starhemberg constatent qu'une fois la colere passee, l'engagement de la France n'est plus aussi resolu : on desire simplement lancer une attaque contre Cleves, ou proteger les ports beiges des Anglais. Louis XV envoie neanmoins le general comte d'Estrees, lieutenant general, comme plenipotentiaire pour regier les questions militaires ä Vienne. Le 5 janvier 1757, Damiens donne un coup de couteau ä Louis XV. Cet attentat apparait comme la consequence des campagnes hostiles au roi, en particulier dans les milieux parlementaires et jansönistes, mais revele aussi l'affaiblissement de l'autorite royale en France. L'emotion est immense en Europe, et meme le roi d'Angleterre, avec qui Louis XV est en guerre, envoie un message de Sympathie, auquel le roi repond. Le I er fevrier 1757, Louis XV se separe de Machault d'Arnouville et du comte d'Argenson 41 , du premier avec regret, du second avec froideur. La Marine va ä Peyrenc de Moras, qui a dejä les Finances, et la Guerre au marquis de Paulmy, neveu et adjoint de D'Argenson : les deux nouveaux ministres ne sont pas ä la hauteur de leur täche . Bernis entre au Conseil d'en Haut comme Paulmy et Moras. Ainsi, le conseil est purge des personnalites peu favorables au rapprochement franco-autrichien. Mais ces evenements trahissent aussi les faiblesses du gouvernement, ainsi connues ä l'etranger.

XIII. Choiseul et le troisieme trait0 de Versailles Des son arrivee au gouvernement, ä la fin de 1758, le due de Choiseul prepare un nouveau traite avec l'Autriche pour que l'alliance soit moins lourde pour la France : ainsi cette derniere pourrait se degager du conflit continental et se consacrer ä Paffrontement maritime. Ce troisieme traite de Versailles est conclu en mars 1759, mais antidate du 30 decembre 1758. Le roi de France garantit ä l'imperatrice le secours d'un corps expedi41

Yves Combeau, Le Comte d'Argenson, ministre de Louis XV, Paris 1999.

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tionnaire de 24 ООО hommes ou des subsides de 3,5 millions de florins, au lieu de 7 millions. Louis XV fournira de I'argent ä la Suede et ä la Saxe. II entretiendra 100 000 hommes pour la defense du Saint-Empire et fera tout pour procurer la Sitesie a l'imperatrice. Mais il n'est plus question des Pays-Bas ou de 1 Etablissement de don Philippe : la France n'intervient que comme auxiliaire dans la guerre continentale. L'impöratrice ne pourra s'opposer ä des negotiations entre la France et l'Angleterre, mais en sera informee. Choiseul veut engager l'essentiel des forces franfaises contre l'Angleterre, par un debarquement dans les ports anglais et par un soulevement jacobite en Ecosse. Par des succes, Choiseul pense imposer la negotiation ä Londres.

XIV. Les changements politiques en Europe A la mort de Ferdinand VI (10 aoüt 1759), son demi-frere, Charles, le roi de Naples, monte sur le trone. Obstine, energique et audacieux, с'est aussi un bon administrateur. II a souffert ä plusieurs reprises de la hauteur anglaise ä Naples - un capitaine anglais, dix-sept ans plus tot, ne lui a donne qu'une heure, montre en main, pour signer un traite en le mena9ant d'un bombardement. Charles III ne veut pas que l'Espagne soit absente de la scene europeenne. Les döfaites navales de la France le rendent pourtant prudent et il ne se hasarde qu'ä presenter une midiation. Pitt la rejette, mais il accepte de discuter les griefs espagnols sur le commerce et la contrebande americains. Marie-Therese et son Chancelier craignent que Louis XV et Choiseul ne soient tentes par une paix separöe, alors que l'Angleterre continuerait ä soutenir la Prusse. Frederic fait aussi des ouvertures du cote de la France. Mais Pitt refuse de rompre l'alliance avec Fr6d6ric, car, partisan d'une guerre ä outrance, il veut parachever la Suprematie maritime et coloniale de l'Angleterre. Des la fin de 1759, Choiseul juge que l'alliance avec Vienne ne peut etre regardee comme une alliance de famille, qui puisse rester sans variation, permanente. L'imperatrice peut mourir et ses enfants penser differemment d'elle, alors que la maison de Bourbon, selon Choiseul, regnera toujours, en France, en Espagne et ä Naples et que son interet sera de ne jamais se desunir. Le ministre affirme que le roi de France aura pour principe invariable de politique d'etre uni avec la couronne d'Espagne. Le ministre pense qu'il n'y a de « grandeur » dans la maison de France, de vraie « sürete » et de vraie «tranquilly » que si les deux couronnes travaillent ensemble ä leur grandeur selon un veritable « systeme ». En 1760, les defaites franfaises laissent la France, aux dires de Choiseul, sans argent, sans ressources, sans marine, sans soldats, sans göneraux, ni ministres : le ministre veut la paix ä tout prix et dösire engager des discussions avec l'Angleterre. Marie-Th0r£se desespere d'obtenir un avantage decisif face ä Fr6d6ric, et eile redoute un accord entre

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Londres et Paris qui la priverait de sa revanche. Les succes au Canada et aux Indes ont satisfait les Anglais, qui se montrent plus favorables a la paix. Or, le 25 octobre 1760, George II meurt, son petit-fils et successeur est le premier des rois hanovriens qui se sent d'abord anglais et pour qui la Hanovre a moins d'importance. Le roi George III considere la guerre presente comme sanglante et coüteuse, alors que Pitt la juge juste et necessaire. L'Espagne surtout accepte de plus en plus mal la politique anglaise : eile souffre des attaques des corsaires anglais et de la concurrence en Amerique des etablissements anglais au Honduras. Des negotiations franco-anglaises s'engagent: Choiseul propose la conclusion d'une paix separde, puis la reunion d'un congres ä Augsbourg, sur le principe du uti possidetis (conserver ce que chacun possede ä une date donnee). Bussy, commis des affaires etrangeres, se rend a Londres et Stanley vient ä Paris. Dans ces discussions, la France parait prete dejä ä ceder le Canada, mais elle souhaite conserver une presence, pour la peche surtout.

XV. Le pacte de famille Mais, parallelement, Charles III envoie en janvier 1761 le marquis de Grimaldi ä Paris pour evoquer une alliance avec Versailles. 42 L'ambassadeur franfais d'Ossun declare que le moment est venu de donner une consistance inebranlable а I' « union intime » des deux couronnes. 43 Choiseul s'ötonne que Ton ne soit pas parvenu, depuis l'avenement de Philippe V, ä former ime alliance solide entre les deux couronnes: « II serait certainement de la gloire et de l'avantage du roi et du roi Catholique de se Her de la maniere la plus etendue et la plus indissoluble par un traite qui fasse pour toujours la loi de la maison de France en göniral et de chacune de ses branches en particulier, soit en paix, soit en guerre ». Le 6 mai 1761, Choiseul prösente un double projet, avec une participation espagnole ä la guerre contre l'Angleterre » et un « pacte de famille » conclu « ä perp6tuit6 » entre les souverains de la maison de France et « exclusif pour toute autre puissance ». Le conseil de Louis XV essaie longtemps d'introduire les interets espagnols dans la negotiation avec l'Angleterre. Choiseul demande ä Bussy de präsenter les dernieres propositions fran9aises: c'est l'ultimatum fran9ais du 5 aoüt 1761 - des droits de peche, une lie sur le Saint-Laurent, une barriere de tribus neutres entre la Louisiane et le Canada, Sainte-Lucie, Guadeloupe et Marie-Galante pour Louis XV, le retour du S0n6gal a la France. Devant la fermete de Pitt, Versailles decide done un rapprochement avec l'Espagne : le Pacte de famille du 15 aoüt 1761. 42

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Didier Ozanam, Les Origines du troisieme pacte de famille (1761), dans : Revue d'histoire matique 75 (1961), 307-340. Andr6 Soulange-Bodin, La Diplomatie de Louis XV et le pacte de famille, Paris 1894.

diplo-

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Les deux rois signent un traite d'amitie et d'union « sous la denomination de pacte de famille, et dont l'objet principal est de rendre permanents et indissolubles tant pour leurs dites Majestes que pour leurs descendants et successeurs, les devoirs qui sont une suite naturelle de la parente et de l'amitie ». Le traite marque l'intention « de perpetuer dans leur posterite les sentiments de Louis XIV, de glorieuse memoire, leur commun et auguste bisaieul» et « de faire subsister ä jamais un monument solennel de l'interet reciproque qui doit etre la base des desirs de leurs cceurs et de la prosperite de leurs families royales ». L'article 3 integre dans la garantie reciproque le roi des Deux-Siciles et l'lnfant due de Parme. Charles III s'engage ä faire ratifier ä son fils tous les articles du traite «tant pour lui que pour ses descendants ä perpetuite », dans la proportion de ses moyens (article 19). Un principe s'impose « Qui attaque une couronne attaque l'autre », mais le traite prevoit les premiers secours : douze vaisseaux de ligne et six fregates armees trois mois apres la requisition, 18 000 fantassins et 6 000 cavaliers si la France est requise, et si Espagne Test, 10 000 et 2 000. Si la France entre en guerre « en consequence des engagements qu'elle a contractes par les traites de Westphalie, et autres alliances avec les Puissances de l'Allemagne et du Nord », l'Espagne n'a pas ä intervenir, ä moins qu'une puissance maritime ne prenne part au conflit ou que le roi de France se voie attaque « dans son propre pays par terre ». Vaisseaux et troupes agiront ä la volonte de la puissance requerante sans que la puissance requise puisse faire « plus d'une seule et unique representation ». Ce secours correspond ä une entreprise « d'une exöcution immediate » et non ä une Strategie elaboree en commun. La demande doit suffire pour constater le « besoin » d'une part et I' « obligation » d'autre part, sans avoir ä entrer dans des explications. La puissance requise finance le secours qu'elle accorde et eile se tient prete a maintenir le nombre de vaisseaux et d'hommes. И у a bien une « union intime » entre les contractants. Parmi les liens tisses par ce pacte de famille, notons celui qui aura des consequences importantes pour le traite de Paris de 1763 : les deux rois « compenseront les avantages que l'une des deux Puissances pourrait avoir eus avec les pertes que l'autre aurait pu faire » et cet article 18 ajoute « de maniere que sur les conditions de la paix, ainsi que sur les operations de la guerre, les deux Monarchies de France et d'Espagne, dans toute l'etendue de leur domination, seront regardees et agiront comme si Elles ne formaient qu'une seule et meme Puissance. » Les signataires s'engagent a soutenir «la dignitö et les droits de leur Maison, de sorte que chaque Prince qui aura l'honneur d'etre issu du meme sang pourra etre assure en toute occasion de la protection et de l'assistance des trois Couronnes » (article 20). Les peuples s'associent ä ce pacte. Le roi de France abolit le droit d'aubaine pour les Espagnols; les sujets de Tun et l'autre roi seront traites de la meme fa9on « relativement au commerce et aux impositions ». On prevoit meme des regies specifiques en matiere de preseances, cet « objet delicat» etant souvent « un obstacle ä la bonne harmonie et ä l'intime confiance qu'il convient d'entretenir entre les Ministres respectifs de France et d'Espagne ». Dans les « cours de famille » comme Naples et Parme, les Ministres du monarque chef de la

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Maison ont, « comme une suite de l'avantage de la naissance », la preseance ; dans les autres cours, entre ministres de France et d'Espagne, le dernier arrive la laisse au premier. Choiseul peut declarer : qu'il n'a qu'un systeme politique pour la France, qui est son union politique avec l'Espagne, tous les autres systemes etant illusoires. Louis XV se felicite de l'evenement et considere que, de tous les evenements de son regne, il n'y en a aucun qui lui ait cause une plus grande satisfaction. Le traite assure, selon le roi, a perpetuite l'union la plus intime entre les couronnes de France et d'Espagne. II regarde ce pacte de famille comme une « loi fondamentale » de sa maison et de tous les pays soumis ä sa domination. En mai 1762, Choiseul peut encore avancer que le pacte de famille sera un avantage inestimable que la guerre a procure et qui est, selon lui, mille fois plus interessant pour la France que la colonie du Canada. Une convention secrete prevoit que l'Espagne declarera la guerre au ler mai 1762, si la paix n'est pas faite, et d'incorporer les griefs espagnols dans les discussions. Pitt voudrait reagir vivement par une offensive, car il a devine l'Espagne desormais decidee ä entrer dans la guerre Georges III, plus pacifique, craint pour l'Angleterre l'alliance des deux puissances. Pitt quitte done le Cabinet le 5 octobre 1761. Le 2 janvier 1762, la declaration de guerre de l'Espagne cause une grande emotion en Angleterre. II semble ä Londres et ä Lord Bute, l'homme de confiance de George III, que ce nouvel ennemi risque de faire perdre ä l'Angleterre l'acquis de la guerre.

XVI. Conclusion Les tensions internationales en Europe ont conduit a une nouvelle donne diplomatique, un nouveau systeme d'alliances, qui renverse toutes les traditions et toutes les pratiques politiques. Cette revolution sanctionne ä la fois une evolution lente et des decisions brutales. Chacune des puissances concernees doit riinventer son discours public et ses choix strategiques, et cette adaptation demande du temps. Pour la France, le changement pese lourd. Elle a fonde depuis longtemps une partie de son action sur l'alliance avec des princes allemands, dont le roi de Prusse, contre les forces imperiales. D'un cote, elle s'allie avec l'Autriche, d'un autre οδΐέ elle approfondit les liens avec l'Espagne, noues depuis l'avenement d'un Bourbon ä Madrid. Cette recomposition s'opere dans un contexte de lutte pour une presence mondiale des puissances europeennes, alors que l'Angleterre semble imposer toujours plus sa preponderance commerciale et maritime. A premiere vue, ces nouvelles alliances devraient favoriser les operations continentales de la France, dont les colonies semblent incapables de resister aux offensives anglaises. Dans la pratique, il n'en est rien et les defaites s'accumulent. L'Espagne, en entrant en guerre, connait de terribles deboires, par la prise de La Havane et celle de Manille, qui affaiblissent le camp des Bourbons. Au moment de la paix,

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Charles III doit ceder la Floride pour retrouver ses possessions perdues et, pour dedommager son cousin, conformement au pacte de famille, Louis X V lui abandonne la Louisiane. Malgre ces mediocres resultats, le nouveau systeme d'alliances de la France s'enracine et survit, vaille que vaille, apres la paix de 1763. La diplomatic fran?aise l'utilise en le reinterpretant lors de la guerre d'independance americaine.

Zusammenfassung: Französische Außenpolitik in der Mitte des 18. Jahrhunderts Seit dem 16. Jahrhundert schien die französische Diplomatie von dem großen Gegensatz zwischen den Häusern Valois/Bourbon und Habsburg dominiert zu werden. Dies begann sich mit der Thronbesteigung Philipps V. in Madrid und der der Bourbonen in Parma und Neapel zu verändern. Die Regierung eines Bourbonen in Spanien beendete die (tatsächliche oder nur imaginierte) Einkreisung Frankreichs durch die Habsburger. Die Solidarität der Bourbonischen Dynastie manifestierte sich durch die 1733 und 1743 geschlossenen Verträge, aber diese Verbindung blieb befristet und fragil. Die brutale Bestätigung der preußischen Militärmacht im Jahre 1740 belegte zudem, dass die Aufrechterhaltung der österreichischen Vorherrschaft im Alten Reich sich als immer schwieriger erwies und ihr in Deutschland ein Rivale gegenüberstand. Die Annäherung zwischen den Höfen von Versailles und Wien ist daher in diesem Kontext anzusiedeln.

I. Umsturz der Bündnisse (Renversement des alliances) tion?

oder diplomatische Revolu-

Die französische Geschichtsschreibung erweckt den Eindruck, als ob das renversement des alliances nur eine Parenthese innerhalb einer politischen Kontinuität gewesen sei, in der Frankreich als Gegner eines erzkatholischen und erzkonservativen Österreich agierte, und das sich dabei auf die protestantischen Fürsten Nordeuropas stützte. Weit mehr sind die Historiker am secret du roi interessiert, mit dessen Hilfe Ludwig XV. versuchte, Schweden, Polen und das Osmanische Reich zu unterstützen. Aber entspringt diese historische Deutung nicht einer laizistischen und progressiven Vision von der französischen Kultur? Den Wechsel der Allianzen begleitete eine andere große Metamorphose der Diplomatie, die der Globalisierung der internationalen Politik. Eine bedeutende Veränderung innerhalb der internationalen Beziehungen liegt darin begründet, dass ein weit entfernter Konflikt Europa mitreißt, und dass die außereuropäischen Unruhen den europäischen Frieden gefährden. Dagegen hatten in den Kriegen zuvor die Konflikte in Europa nur ihre Fortsetzung in der Welt genommen. Der Ursprung des Siebenjährigen Krieges lag in Amerika. Die österreichisch-französische Annäherung, wie sie vom Staatskanzler Kaunitz auf Anforderung von Maria Theresia vorgeschlagen wurde, erscheint sehr wohl als eine kühne politische Idee. Man muß berücksichtigen, dass das 1749 vorgetragene Projekt sich erst 1756 realisieren ließ. Die französi-

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sehe Regierung musste dabei auch die spanische Neutralität bedenken, denn der spanische König Ferdinand VI. weigerte sich, Ludwig XV. in seinem Konflikt mit England zu unterstützen. Daher spielte die französische Regierung erst einmal auf Zeit. Die Verzögerungen erklären sich sowohl durch die Uneinigkeit unter den französischen Ministern als auch durch die militärischen Vorbereitungen und die diplomatischen Verhandlungen. Die Westminsterkonvention vom 16. Januar 1756 erlaubte Friedrich dem Großen, sich mit England zu verständigen. Dieser Vertrag beschleunigte die Annäherung zwischen Frankreich und Österreich. Es besteht ein beeindruckender Kontrast zwischen den schleppenden französisch-österreichischen Verhandlungen und der scheinbaren schnellen Entscheidung seitens des Preußenkönigs.

II. Das neue Allianzsystem und seine Grenzen Ludwig XV. ging ein großes Risiko ein, denn er brach mit historischen Allianzen und dieses Risiko erscheint um so großer, wenn man bedenkt, dass eine politische Entscheidung auf Prinzipien gründet, die sich über eine lange Zeit entwickelt haben. Man darf aber nicht vergessen, dass alle Diplomatie von der Doppeldeutigkeit lebt: So wurden die Allianzen mit den deutschen Fürsten oft zögerlich eingegangen und die Feindschaft zum Hause Österreich kannte Unterbrechungen. Ludwig XV. versuchte demnach, unvereinbares zu versöhnen, und er spielte mit dem Feuer, indem er zwei Geheimnisse zugleich betrieb. Es gab folglich eine offizielle Diplomatie und zwei geheime. Die Verhandlungen von 1755-1756 brachte darüber hinaus auch die Rückkehr zu einem Ideal der Diplomatie: die direkte Unterhandimg zwischen den Souveränen. Die Spannungen innerhalb der französischen Regierung erklären sich zum Teil auch aus der religiösen Dimension, die die Verständigung zwischen Frankreich und Österreich begleiten könnte. Doch die Verteidigung der „wahren Religion", der Aufbau einer Front der katholischen Mächte, diese konfessionelle Dimension der Allianz grenzte man im Artikel II des Versailler Vertrags von 1756 ein, in dem auf den Westfälischen Frieden, das „Grundgesetz" des Alten Reiches, verwiesen wurde. Dass Ludwig XV. während der Verhandlungen seine Cousins ins Spiel brachte, sogar die Hoffnung aufkommen ließ, seinen Schwiegersohn, den Infanten Don Philippe durch einen Ländertausch in den Besitz der Österreichischen Niederlande kommen zu lassen, belegt sein Denken in dynastischen Kategorien. In seiner großen Denkschrift, die der König am 3. August 1756 guthieß, unterstrich Bernis die neu geschaffene Situation eines Europas, dessen politische Ordnung durch Allianzsysteme begriffen wird. Das neue System der Freundschaft und Verbundenheit strebte keine Eroberungen an. Die französische Sicht, wie sie Bernis ausarbeitete, betonte einerseits das begrenzte Engagement Frankreichs und andererseits möglicherweise gefährliche Konsequenzen.

III. Der Familienpakt Im Jahre 1760, als Frankreich in den Worten Choiseuls ohne Geld, ohne Ressourcen, ohne Marine, ohne Generäle oder Minister ist, schickte Karl ΠΙ. von Spanien den Marquis von Grimaldi nach Paris,

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um eine Allianz mit Versailles vorzuschlagen. Angesichts der unerbittlichen Haltung William Pitts entschied man sich in Versailles für eine Annäherung an Spanien. Die beiden Könige unterzeichneten einen Freundschafts- und Bündnisvertrag, der „Familienpakt" (pacte de famille) genannt wurde und der in der Tat engste Beziehungen zwischen den beiden Staaten etablierte. Unter den Klauseln, die den Familienpakt begründeten, sind vor allem jene erwähnenswert, die von Konsequenzen für den Vertrag von Paris 1763 sein sollten. Beide Mächte verständigten sich darauf, bei einem Friedensschluß wie eine Macht aufzutreten und Gewinne wie Verluste zu teilen. Dieser Artikel 18 ist der Ursprung der Abtretung Louisianas an Spanien, das zuvor Florida an England abtreten musste, um das von den Engländern eroberte Kuba samt Havanna sowie die ebenfalls englisch besetzten Philippinen zurück zu erhalten. Das neue, zwischen 1756 und 1761 ausgearbeitete diplomatische System brachte dem Königreich Frankreich nicht die erwünschte Unterstützung gegen die englisch-preußische Allianz und konnte somit die Niederlage nicht aufhalten. Aus dieser Perspektive betrachtet erscheint das System uneffektiv und sogar schädlich. Es blieb dennoch erhalten durch den Respekt vor dem Familienpakt und in Form einer misstrauisch aufrechterhaltenen Allianz mit Wien. Mit dem Ausbruch des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges ergab sich eine neue Situation: Die spanische Hilfe ermöglichte den Franzosen, die britische Seeherrschaft zu erschüttern, die französisch-österreichische Allianz wandelte sich und ermöglichte die Neutralisierung des Kontinents.

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Der ungeliebte Krieg: Compagnie des Indes und East India Company als Kombattanten in einem globalen Konflikt, 1742-1763

1. Die Voraussetzungen: Südindischer Karnatak und die Globalisierung eines europäischen Konflikts Allgemeine historische Darstellungen zum Siebenjährigen Krieg bezeichnen ihn nicht selten als ersten Weltkrieg. Vor allem in Europa hat es sich eingebürgert, von einem Weltkrieg zu sprechen, um auf diese Art und Weise den global geführten Krieg zwischen Frankreich und England zu charakterisieren. Freilich scheint es, dass viele Historiker dem Diktum des damaligen englischen Premierministers William Pitt (17081778, Prime Minister 1766-68) aufgesessen sind, als er pressewirksam davon sprach, Kanada werde in Schlesien erobert.1 Das war keineswegs der Fall. Vielmehr ist der Siebenjährige Krieg ein Sammelbegriff, unter dem diverse dynastische Auseinandersetzungen subsumiert werden, die primär auf einem zentraleuropäischen Schlachtfeld ausgetragen wurden. Allerdings fanden die Konflikte auch in den überseeischen Besitzungen der westeuropäischen Kolonialmächte statt, so bei den „French and Indian Wars", die nach 1754 auf dem nordamerikanischen Kontinent ausgefochten wurden. An den Küsten des indischen Subkontinents besaßen die Handelsgesellschaften der Franzosen und Briten zahlreiche Niederlassungen, die beide Mächte ebenfalls in ihre militärischen Auseinandersetzungen einbezogen.

Siehe beispielsweise Paul M. Kennedy, The Rise and Fall of the Great Powers. Economic Change and Military Conflict from 1500 to 2000, London 1988, 2 1990, 146-148; John Brewer, The Sinews of Power. War, Money and the English State, 1688-1783, London 1989, 174-175. Zur Pressewirksamkeit William Pitts siehe Jeremy Black, Pitt the Elder, Cambridge 1992, 147-148 und 244-245. Jeremy Black, A System of Ambition? British Foreign Policy 1660-1793, London/New York 1991,150-203.

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Atlantik und Indik waren demnach Weltmeere, deren Anrainerregionen schon während des Österreichischen Erbfolgekrieges (1740-48), vor allem aber während des Siebenjährigen Krieges bei den strategischen Planungen der europäischen Großmächte Frankreich, Spanien und England immer stärker bedacht wurden. Wie nie zuvor verschifften Franzosen und Engländer Kriegsmaterial und Soldaten von Europa nach Nordamerika und Südasien. Die Kriegsflotten der beiden Kontrahenten gingen in der Karibik, im Atlantik und im Indischen Ozean auf Kaperzüge und fügten sich allerorts immensen wirtschaftlichen Schaden zu. Erstmals schien das englische Parlament gewillt, einen global geführten Krieg um das Gleichgewicht der Mächte, wie es mit dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges 1713 in Europa etabliert worden war, zu führen. Eine solche Balance der Macht war Voraussetzung für die angestrebte globale Hegemonialstellung der europäischen Inselmacht, die sich für fähig hielt, hierfür politisch, personell, finanziell und militärisch auch weltweit alle Kräfte anzuspannen. Frankreich hielt sich dazu für nicht minder fähig, doch sollte es sich zeigen, dass es zu einer solch globalen Ressourcenmobilisierung nicht fähig war. Entscheidend für den Ausgang des Krieges war dessen finanzielle Fundierung, die England aufgrund seiner „Financial Revolution" und der darüber möglichen Staatsverschuldung betreiben konnte. Sie lag 1756 bei nahezu 75 Mio. £ und erreichte 1763 fast doppelte 133 Mio. £, bei gleichzeitig jährlich sicheren Steuereinkünften aus der „Tax Revenue" von 8,65 Mio. £3 Um die Höhe der Ausgaben zu rechtfertigen, werden oft die Subsidienzahlungen an Friedrich II. von Preußen genannt, mit denen er Soldaten ausheben konnte. Selten erwähnt werden indes die immensen Kosten, die die Marine und das Militär Großbritanniens verschlangen, ohne deren Einsatz der Krieg außerhalb Europas gar nicht hätte geführt werden können.4 Nicht zu Unrecht wird die finanzlogistische Grundlage des entstehenden britischen Staates zu den wesentlichen Gründen für seinen weltweiten Erfolg im Siebenjährigen Krieg gezählt. Eine solche „moderne" Grundlage besaßen die kontinentaleuropäischen Monarchien mit ihrer fürstlichen Finanzverwaltung nicht, weshalb sie ihre globalen Ambitionen nicht oder nur teilweise realisieren konnten. Der weltweit geführte Siebenjährige Krieg zwingt, nicht nur nach Nordamerika zu schauen, wo zumindest nach bisheriger Geschichtsschreibung das primäre Interesse der europäischen Kolonialmächte lag, sondern auch nach Südasien. Hier sind es die politisch-wirtschaftlichen Entwicklungen, die es der Compagnie des Indes (Cdl) und der 3

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Brewer, The Sinews of Power (wie Anm. 1), Table 2.1: The Logistics of War, 1689-1784, 30. Zum Hintergrund Bruce C. Carruthers, City of Capital. Politics and Markets in the English Financial Revolution, Princeton 1996. Brewer, The Sinews of Power (wie Anm. 1), Table 2.1, The Logistics of War, 1689-1784, 30, siehe die Personalkosten für Marine und Militär, die im Vergleich zum Österreichischen Erbfolgekrieg um ein Drittel stiegen. Insgesamt kostete der Siebenjährige Krieg 82,7 Mio £, das entspricht 71 Prozent der gesamten Staatsausgaben, die damit so hoch waren wie nie zuvor und danach im 18. Jahrhundert, siehe Table 2.2 Military Spending as a Percentage of total Government Spending, ebenda, 41.

DER UNGELIEBTE KRIEG

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East India Company (EIC) gestatteten, über ihre an den Küsten gelegenen Stützpunkte hinaus sich in die inneren Angelegenheiten der sich formierenden indischen Staaten einzumischen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte eine Umstrukturierung des MogulReiches eingesetzt, die weg von einem auf zentrale Verwaltung angelegten Imperium zu einem dezentralen Staatsverband ging, in dem die Gouverneure der ehemaligen Provinzen die dortigen fiskalischen und ökonomischen Ressourcen zur Schaffung des eigenen Staates mobilisierten. Das war besonders in den nordindischen Provinzen Bengalen und Awadh, im zentralindischen Haiderabad und dem süd-indischen Karnatak zu beobachten, wo die Gouverneure bestrebt waren, eigene dynastische Herrschaftsgrundlagen aufzubauen.5 Mit Zollerleichterungen und anderen staatlichen Subventionen schufen im Karnatak, wie auch anderswo in Indien, einige Rajas wirtschaftliche Anreize, die eine kosmopolitische Kaufmannschaft von eurasischen Händlern veranlasste, sich in Hafenstädte entlang der Küste niederzulassen. Bis in die 1740er Jahre war besonders im Textilbereich ein gewisser Aufschwung zu verzeichnen. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts jedoch, als die einsetzenden südindischen Erbfolgekriege an Heftigkeit zunahmen und immer größere Mengen an Material und Menschen beanspruchten, setzte eine Handelsrezession ein. Die Rechnungsbücher der europäischen Handelsgesellschaften belegen zwar nur die eigenen abnehmenden Investitionsvolumen im Karnatak und die rückläufigen Warenexporte nach Europa, deuten jedoch unübersehbar die allgemeine Wirtschaftsmisere an. Schließlich wurde der Handel mit südindischen Textilien, das Hauptexportprodukt der Koromandel-Küste, im Indischen Ozean zunehmend über die Häfen entlang der birmanischen und malayischen Küste abgewickelt.6 Um die die wirtschaftliche Basis ihrer Herrschaft zu fordern, investierten südindische Monarchen in den Ausbau der landwirtschaftlichen Infrastruktur. Neben Straßen und Brücken wurden alte Bewässerungssysteme repariert und neue Kanäle, Staudämme und Teiche angelegt. In einzelnen Sektoren der Landwirtschaft war eine gewisse Kommerzialisierung festzustellen, wenn Kapital in den gezielten Anbau von vermarktungsfähigen Produkten wie Zuckerrohr investiert wurde. Der Ausbau der Handelskontakte zu den europäischen Handelsniederlassungen, über die zusätzliches Handelskapital ins Land floss, forderte ebenfalls die Kommerzialisierung. Freilich war das europäische Kapital nur ein Teil des gesamten ausländischen Handelskapitals, das über arabische, persische, armenische und malayische Händler nach Südindien importiert wurde. Diese ökonomisch prosperierende Situation hatte die europäischen Ostindiengesellschaften veran-

Michael Mann, Re-Orienting the Mughal-Empire, in: Michel Espagne, Matthias Middell, Edoardo Tortarolo (Hg.), The Global Eighteenth Century (erscheint Leipzig 2008). Die deutsche Fassung des Textes wird unter dem Titel: Re-Orientierung des Mogul-Reiches, in: Bernd Hausberger, Jean-Paul Lehners (Hg.), Globalgeschichte 1000-2000. Das 18. Jahrhundert, Wien 2011, erscheinen. Vgl. auch ders., Geschichte Südasiens. 1500 bis heute. Darmstadt 2010, 59-82. Sinnappah Arasaratnam, Merchants, Companies and Commerce on the Coromandel Coast, 1650— 1750. Delhi u.a. 1986, 174, 201-212.

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lasst, von den lokalen Herrschern Privilegien zur Errichtung von Festungen nahe oder -j

Faktoreien in den Hafenstädten des Kamatak zu kaufen. Die Folgen dieser Territorialisierung waren, wie in Europa, auch in Indien zunehmende Rivalitäten um Märkte und Macht, einschließlich der zahllosen Kriege um die Erbfolge innerhalb der neuen Dynastien. Besonders im Nizamtum von Haiderabad und dem Nawabtum von Karnatak waren Mitte des 18. Jahrhunderts die Erbfolgen umstritten, zumal der Nawab von Karnatak dem Nizam nachgeordnet war und von ihm im Amt des Nawab bestätigt werden musste. (Ähnlichkeiten mit den Herrschaftsstrukturen des о „Alten Reiches" samt der anhaltenden Dynastiekriege sind unverkennbar.) Der seit 1743 anhaltende Doppelkonflikt mündete schließlich im Karnatisch-Haiderabadischen Erbfolgekrieg von 1749-53. Nach etablierter Manier stellten die Herrscher gerade Südindiens gerne angemietete oder generell fremde Soldaten zeitweilig ihre Dienste, um so die Kosten eines stehenden Heeres zu minimieren. Dies gab der englischen und französische Ostindiengesellschaft die Möglichkeit, den Throninhabern bzw. den Prätendenten Truppen und Offiziere zu vermieten, um so die Kosten des teuren Unterhalts nach wiederum bester europäisch-absolutistischer Manier zu reduzieren. Dass die Zahl der europäischen Soldaten im Karnatak hat überhaupt anwachsen können, war der militärischen Aufrüstung im Laufe des Österreichischen Erbfolgekrieges geschuldet, als erstmals Truppen aus Europa nach Indien verschifft wurden, um dort die jeweiligen wirtschaftlichen und politischen Interessen zu sichern.9

A. I. Tchitcherov, India. Changing Economic Structure in the Sixteenth to Eighteenth Centuries. Outline History of Crafts and Trade, Delhi 1998, 224-226, 253-261. Für die permanente Kriegsfuhrung in Europa wären zu verzeichnen: 1701-21: Großer Nordischer Krieg; 1700-14: Spanischer Erbfolgekrieg; 1714—18: Venezianisch-Österreichischer Krieg gegen Osmanisches Reich; 1733-35: Polnischer Erbfolgekrieg; 1735-39: Russisch-Österreichischer Krieg gegen Osmanisches Reich; 1740-48: Österreichischer Erb folgekrieg; 1756-63: Siebenjähriger Krieg; 1778-9: Bayrischer Erbfolgekrieg; 1792-97 Revolutionskriege (1. Koalitionskrieg); 1799-1815: Napoleonische Kriege (1799-1801: 2. Koalitionskrieg). In Südasien fanden statt: 1724—32: Nayak-Kriege in Tondaimandalam; 1743-8: 1. Erbfolgekrieg in Haiderabad und Karnatak (Arkot); 1749-53: 2. Erbfolgekriege in Haiderabad und Arkot; 1739: 1. Afghaneninvasion nach Nordindien; 1753: 2. Afghaneninvasion nach Nordindien; 1758-61: 3. Afghaneninvasion nach Nordindien; 1763^4 Mogul-Allianz gegen Briten; 1769-72: Maratha-Maisur Krieg; 1780-4: 1. Haiderabadischer Allianzkrieg gegen Maisur; 1790-92: 2. Haiderabadischer Allianzkrieg gegen Maisur; 1798-9: Britisch-Maisurischer Krieg; 1801-3: 2. Britisch-Marathischer Krieg; 1817-8: 3. Britisch-Marathischer Krieg. Neuere Darstellungen zum Siebenjährigen Krieg in Südasien wie überhaupt zu den Erbfolgekriegen in Indien existieren kaum. Nach wie vor muss für den Siebenjährigen Krieg auf konventionelle Darstellungen wie Henry Dodwell, Clive and Dupleix. The Beginning of Empire (The Cambridge History of India, 5), London 1920, N D Neu Delhi 1989, Kap. VIII, Η. H. Dodwell, The Seven Years War, 157-165 sowie The History and Culture of the Indian People, Bd. 8: Romesh Ch. Majumdar (Hg.), The Maratha Supremacy, Bombay 1977, 2 1991, Kap. IX: С. S. Srinivaschari, The British, the French and Other European Companies in India, (1700-1763), 311-338, zurückgegriffen werden.

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Ohne die südindischen Dynastiekriege in der Mitte des 18. Jahrhunderts wäre es den europäischen Handelsunternehmen, angetrieben und unterstützt von ihren Regierungen, nicht möglich gewesen, einen derartigen Einfluss auf die Geschicke der sich formierenden Staaten Haiderabad, Karnatak und schließlich auch Bengalen zu nehmen. Nur aus rein europäischer Perspektive mag sich dieses Szenario in Kulissen abspielen, in denen der Siebenjährige Krieg auch in Übersee ausgefochten wurde. Aus indischer Perspektive hingegen spielte der Siebenjährige Krieg zunächst eine ferne Rolle, denn die indischen Monarchen suchten europäische Allianzpartner, um ihre dynastischen Ziele durch Ausweitung der wirtschaftlichen und militärischen Ressourcenbasis verfolgen zu können. Umgekehrt suchten die leitenden Angestellten der europäischen Handelsgesellschaften vor Ort ihrerseits politische Bündnispartner, um so den wirtschaftlichen Einfluss auszuweiten und wenn möglich die europäischen Konkurrenten auszuschalten. Das Optimum dieser Strategie war eine eigene territorial basierte Steuerverwaltung dar, die als „unabhängige" Einnahmequelle angesehen wurde. Zu beobachten sind in Südasien wie in Europa folglich regionalspezifische Dynamiken inklusive politisch-wirtschaftlicher Spannungen - hier in Preußen-Österreich und Frankreich-England, dort in Karnatak-Haiderabad und Bengalen - die sich in Dynastiekriegen entluden. Sie sind Ausdruck der neuzeitlichen Staatsformierungen, wie sie offensichtlich zur selben Zeit in zwei unterschiedlichen Weltregionen stattfanden. Diese Konflikte stellen die notwendige Verbindung her, die den Siebenjährigen Krieg globalgeschichtlich gesehen dann tatsächlich zu einem ersten Weltkrieg werden lassen. Es wäre indes ein Trugschluss, allein in der interkontinentalen Vernetzung von Ressourcen, Informationen und Menschen - in der englischen Historiografie spricht man von der „blue water policy" - die Geschichte der Globalisierung zu sehen.10 Vielmehr ist es die Vergleichbarkeit politischer Prozesse in unterschiedlichen Regionen der Welt, die einerseits enger miteinander verbunden werden, aber andererseits, wie im Falle Bengalens und schließlich des indischen Subkontinents insgesamt, in asymmetrischen Beziehungen untergehen. Wer also von Globalisierung spricht und damit nur die Verdichtung von Netzwerken meint, sollte stärker die Löcher im Netz beachten und die zahlreichen Bruchzonen in seine Analyse mit einbeziehen.11

Vgl. die Forschungslage zur Globalisierung und „global history" in Jürgen Osterhammel, Niels P. Petersson, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 2003, 7-24. Ulf Engel, Matthias Middell, Bruchzonen der Globalisierung, globale Krisen und Territorialregimes - Kategorien einer Globalgeschichtsschreibung, in: Comparativ 15,5/6 (2005), 5-38.

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2. Ein europäischer Krieg auf indischem Boden? Der Österreichische Erbfolgekrieg 1744-48 Den Siebenjährigen Krieg in Indien losgelöst von den gesamtpolitischen Zusammenhängen zu betrachten ergäbe so wenig Sinn wie ihn in Europa unabhängig vom Österreichischen Erbfolgekrieg und den im Frieden von Aachen (1748) ungelösten Fragen zu erörtern. In Indien wiederum kann der Karnatak-Haiderabadische Erbfolgekrieg (174853) nicht separat vom Staatsstreich in Bengalen (1757) gesehen werden, denn es war nicht zuletzt der politische Druck, den der Nizam von Haiderabad nach dem Tod Nawab Alivardi Khans 1756 auf Bengalen ausübte, der zu den dann folgenden politischen Umwälzungen beitrug. Um die Ausgangslage von Cdl und EIC zu verstehen muss folglich auf die Konstellation eingegangen werden, wie sie durch den Frieden von Aachen und die gleichzeitige aber unabhängig davon erfolgte Entlassung Chanda Sahibs aus der Gefangenschaft der Maratha12 als Prätendent des haiderabadischen Thrones entstanden war. Abgesehen von der „großen Politik" muss indessen auch bedacht werden, dass die Ostindiengesellschaften keinesfalls bloße Instrumente am verlängerten Arm der jeweiligen Regierungen waren, sondern dass sie durchaus ihre eigenen Interessen verfolgten. In der europäischen Historiografie tritt gewöhnlich in den Hintergrund, dass die globale Kriegsführung der beiden Mächte Frankreich und England bei Cdl und EIC unbeliebt war, verursachte sie doch hohe Kosten an Material und Menschen und abgesehen davon enorme Verluste durch feindliche Kaperung, zwei negative „Bilanzposten", die ein Wirtschaftsunternehmen natürlich schon im 18. Jahrhundert zu vermeiden sucht. Zugleich strebten Cdl und EIC danach, eine eigene territoriale Basis zu besitzen, über deren Steuereinnahmen sie den innerasiatischen Handel finanzieren konnten. Da Indien aufgrund seiner großen Warenvielfalt keine europäischen Güter benötigte, musste sämtliches Investitionskapital aus Europa beschafft werden, was sich nach zeitgenössisch merkantilistischer Auffassung ungünstig auf die heimische Wirtschaft auswirkte. Der erste Versuch der EIC, in den Jahren 1688-90 einen Krieg gegen das Mogul-Reich zu führen, um gegen die übermächtige Konkurrenz der holländischen Verenigden Oostindischen Compagnie (VOC) anzugehen und um sich so eine unab-

Als Maratha wird eine Schicht von Steuereintreibern und DorfVorstehern im westlichen Indien bezeichnet, die unter der Führung von Shivaji Bhonsle nach 1660 eine Herrschaft im „Maratha Desh" (Marathaland) aufbauten, gleichwohl aber Teil des Mogul-Imperiums blieben. Um 1680 hatten sie ihre Herrschaft an der Westküste des indischen Subkontinents von der Narbada bis nach Goa ausgedehnt. Im Karnatak herrschten sie als Rajas über Jinji, Vellur und Tanjavur, siehe allgemein zur Geschichte der Maratha: Steward Gordon, The Marathas, 1600-1818 (The New Cambridge History of India, II, 4), Cambridge 1993.

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hängige Finanzbasis zu verschaffen, endete in einem Desaster, nicht zuletzt weil er als Kabinettskrieg vom Aufsichtsrat in London dilettantisch geplant worden war.13 Nachdem Friedrich II. von Preußen 1740 in Schlesien einmarschiert war und damit den 1. Schlesischen Krieg als Österreichischen Erbfolgekrieg ausgelöst hatte, ging Frankreich nach dem Sonderfrieden von Breslau 1742, der Großbritannien in ein Bündnis mit Österreich brachte und zum Gegner Frankreichs werden ließ, die englische Regierung um ein Neutralitätsabkommen ihrer Ostindiengesellschaften an. Sicher in der Annahme, England werde auf das Angebot eingehen, veranlasste die Unternehmensleitung der Cdl Gouverneur Joseph Dupleix (amt. 1741-54), die Bauarbeiten an den Befestigungsanlagen im südindischen Pondichery, der Hauptniederlassung der Cdl in Indien, einzustellen. Um den Willen zur Neutralität zu unterstreichen, aber auch um die Flotte in den Atlantik zu holen, beorderte die französische Regierung das in Port Louis auf der lie de France (das vormalig niederländische und später britische Mauritius) liegenden Geschwader nach Frankreich zurück. Inzwischen hatte auch der altgediente EIC-Angestellte Henry Lowther inoffizielle Kontakte zur französischen Regierung zwecks Ausarbeitung des Neutralitätsabkommens aufgenommen. 14 Doch mit Ausbruch des 2. Schlesischen Krieges 1744 lehnte die britische Regierung den französischen Vorschlag ab und schickte stattdessen unter dem Kommando von Commodore Curtis Barnett ein Flottengeschwader in den Indischen Ozean. Versehen mit dem Auftrag zur offensiven Kriegsführung, brachte Barnett innerhalb der nächsten Monate den französischen Handel im Indik fast zum Erliegen.15 In Anbetracht des immensen wirtschaftlichen Schadens ergriff Dupleix die Initiative und bot der EIC eine generelle Neutralitätsvereinbarung an. Offensichtlich dachte er an den Präzedenzfall während des vorausgegangenen Spanischen Erbfolgekrieges (1701-13), als die Niederlassungen von Cdl und EIC auf diese Art aus den Kriegshandlungen der europäischen Mächte herausgehalten werden konnten. Zudem existierte ein Abkommen aus dem Jahr 1728, in dem die beiden europäischen Ostindienkompanien vereinbart hatten, dass Kriegshandlungen in Europa keinerlei Auswirkungen auf die Handelsgesellschaften in Asien haben sollten.16 Deutlich zu erkennen ist das Desinteresse der Ostindiengesellschaften, sich in europäische Kriegshändel hineinziehen zu lassen, die für alle Beteiligten im Indischen Ozean größte wirtschaftliche Nachteile mit sich brachten, kurzum: der Krieg war unbe13

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16

William W. Hunter, History of British India, 2 Bde., London 1899, 1900, Bd. 2, 247-269 und Shafat Ahmad Khan, The East India Company's War with Aurangzeb, in: Journal of Indian History 1 (1921/22), 70-91. Dodwell, Clive and Dupleix (wie Anm. 9), 5. J. D. Nichol, The British in India. Α Study in Imperial Expansion into Bengal, Unpubl. PhDiss, University of Cambridge 1976, 15-19. Die Unternehmensleitung suspendierte daraufhin den Handel mit Indien und China und stellte die Dividendenzahlungen für den Verlauf des Krieges ein, siehe Catherine Manning, Fortunes α Faire. The French Trade in Asian Trade, 1719-48, Aldershot 1996, 30. Manning, Fortunes α Faire (wie Anm. 15), 196-197.

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liebt. Doch dies änderte sich nun, denn das seitens der EIC anfanglich bekundete Interesse an Neutralität wich bald einem Zögern und Hinhalten, und schließlich lehnte Governor Morse in Madras das Angebot ab. Vermutlich hatte er entsprechende Anweisungen aus London erhalten.17 Dupleix übermittelte dem französischen Gouverneur der He de France, Bertrand Mahe de la Bourdonnais (amt. 1735-47), die Reaktion der EIC, woraufhin dieser unverzüglich auf den Maskarenen eine neue Flotte von neun Schlacht18 schiffen zu bauen begann und sie mit madegassischen Seeleuten bemannte. Erstmals operierte ein königlich-französischer Gouverneur zum Schutz der Cdl und zur Wahrung der somit bekundeten Interessen Frankreichs. Dazu nutzte er die natürlichen und humanen Ressourcen der französischen Inseln im Indik. Als Nawab Anwar-ud-din Khan (reg. 1743—49) von Karnatak 1745 von britischen Angriffsplänen auf Pondichery erfuhr, wies er die EIC darauf hin, in seinem Territorium und in den Küstengewässern das von ihm verfugte Neutralitätsgebot zu beachten. Inzwischen hatte Dupleix nämlich auch diplomatische Kontakte zum Nawab gesucht und in ihm einen Allianzpartner gefunden. 19 Zwar protestierte der indische Monarch, als La Bourdonnais mit seiner neuen Flotte Madras 1746 im Handstreich einnahm und damit erstmals einen europäischen Konflikt auf indischem Boden ausfocht, gab sich aber nach kurzer militärischer Aktion und der symbolischen Zahlung einer „Entschädigungssumme" vordergründig zufrieden. Tatsächlich aber sorgten der Aufmarsch einer Armee unter Führung Mahfuz Khans, eines Sohnes des Nawab, die erst durch den französischen Kommandeur Paradis aufgehalten werden konnte, für erhebliche Mißstimmung, ebenso wie der daraufhin befohlene Angriff auf Pondichery durch Muhammad Ali Khan, eines weiteren Sohnes des Nawab. 20 Bei sich bald bietender Gelegenheit sollte sich die Cdl schließlich offen von der Walajahi-Dynastie abwenden. Beachtenswert ist freilich der Streit, der unterdessen zwischen La Bourdonnais und Dupleix um das Schicksal der englischen Handelsniederlassung entbrannt war. Während der Gouverneur der Krone den Tauschwert Madras' im Falle eines europäischen Friedensschlusses heraus strich und vorneweg ein Lösegeld von 440.000 £ veranschlagte, betonte der Gouverneur der Handelsgesellschaft die latente Gefahr, die vom Erhalt der Niederlassung gerade auch nach einem Friedensschluss ausgehen werde und plädierte deshalb vehement für die Zerstörung von Stadt und Festung.21 Dies war ein bezeichnendes Vorspiel der Konfliktsituation, wie sie sich auch bei den Briten einstellen sollte, als es zehn Jahre später um das Oberkommando und das Beuterecht von Krone

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20 21

Dodwell, С live and Dupleix (wie Anm. 9), 3 und: History and Culture of the Indian People (wie Anm. 9), Bd. 8, 316-317. Über den Verbleib des britischen Flottengeschwaders gibt es keine Hinweise, es ist jedoch davon auszugehen, dass sie weiterhin im Indik operierten. Dodwell, С live and Dupleix (wie Anm. 9), 10. Siehe zur erfolgreichen französischen Diplomatie an der Koromandel-Küste: Sudipta Das, Myths and Realities of French Imperialism in India, 1763-1783, N e w York etc. 1992,30. Dodwell, С live and Dupleix (wie Anm. 9), 19-22. Ebd., 16-17.

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und Kompanie ging. Überdies ist der Konflikt ein Beleg dafür, dass die koloniale Expansion keineswegs von einem monolithischen und omnipotenten Akteur in Angriff genommen wurde, sondern in der Rückschau oft erheblich „retardierende Momente" enthielt, die zum historischen Zeitpunkt durchaus in der Ausweisung oder Ausschaltung der einen oder anderen Ostindiengesellschaft durch indische Mächte hätte enden können. Als 1747 die Niederlande auf Seiten Großbritanniens in den Krieg traten, stand die VOC-Niederlassung Kapstadt als Operationsbasis zur Verfügung, von wo nun gemeinsam der Angriff auf die Stützpunkte der Cdl aufgenommen wurde. Aus Großbritannien trafen Anfang 1748 sechs neue Schiffe und zwölf Kompanien ein, aus den Niederlanden ebenfalls sechs Schiffe mit 600 Soldaten. Erstmals standen neben den Truppen der EIC nun auch königliche Truppen zum Einsatz bereit, eine Konstellation, die wegen des umstrittenen Oberkommandos in den nächsten Jahrzehnten für viel Unmut in der Unternehmensleitung der EIC in London und in Madras sorgen sollte. Auftrag der Expeditionsflotte war es, die französischen Niederlassungen Mahe an der westindischen Malabar-Küste, Pondichery an der gegenüber liegenden Koromandel-Küste und Chandannagar in unmittelbarer Nähe zu Calcutta in Bengalen einzunehmen und dem Erdboden gleichzumachen. Doch außer der Belagerung eines kleinen Forts nahe Pondicherys kam es auch wegen der militärischen Pattsituation zu keinen Kriegshandlungen mehr, denn im Dezember 1748 trafen die Nachrichten vom europäischen Friedensschluß in Südindien ein.22 Auch wenn der Friede von Aachen zwischen Frankreich und England den Status quo ante bellum herstellte, sollte es nicht zur Demobilisierung und Repatriierung der Truppen in Indien kommen. Die Truppenstärke der Cdl lag bei etwa 1.500-2.000 europäischen Soldaten, die der EIC bei etwa 2500-3000 Mann.23 Aufgerüstet nahmen die beiden Handelsgesellschaften die Chance wahr, sich aufgrund ihrer militärischen Stärke als Bündnispartner beim 1749 beginnenden Karnatak-Haiderabadischen Erbfolgekrieg anzubieten und erhofften, hierüber entsprechenden Einfluss auf die Politik ausüben zu können. Freilich stellte der südindische Erbfolgekrieg überhaupt erst die Situation her, in der solch strategisch-diplomatisches Vorgehen möglich wurde; anders gewendet: Die Politik der Mächte Haiderabad und Karnataka bereitete die politische Bühne, auf der die europäischen Handelsgesellschaften ihre Nebenrolle spielten. Allein die Truppenstärke des Nizam von Haiderabad lässt die Rollenverteilung erahnen, hatte er doch allein 80.000 Kavalleristen und 200.000 Infanteristen unter Waffen. 24 Vordringlich ging es Dupleix bei seiner Politik um die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation, was angesichts seiner Stellung als Gouverneur eines Handelsunternehmens nicht weiter verwundern sollte. Angesichts des drohenden Bankrotts hatte die Ebd., 26-30. History and Culture of the Indian People (wie Anm. 9), Bd. 8, 319. Alfred Martineau, Dupleix, sa Vie et son CEuvre, Paris 1931, 147. Dodwell, Clive and Dupleix (wie Anm. 9), 28. N. S. Ramaswami, The Political History of the Carnatic under the Nawabs, Delhi 1984, 69.

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Unternehmensleitung der Cdl 1744 eine Bilanz der Jahre 1725-43 für den gesamten Asienhandel erstellt, die oberflächlich betrachtet zwar die Profitabilität des Unternehmens belegte, aber mit weniger als fünf Prozent Reingewinn unter den üblichen Zinssätzen der Zeit lag. Obendrein war dieser schmale Gewinn durch die Kosten für Kriege und Verluste durch Kaperungen nahezu getilgt.25 Ein klarer Überblick über das Geschäftsgebaren war aufgrund der damaligen (und nicht ungewöhnlichen) ungenauen und unvollständigen Buchführung ohnehin nicht zu erhalten. So lange jedoch die Dividenden nach dem jährlichen Verkaufserlös ausgeschüttet werden konnten, schienen die Gesellschafter in Frankreich nicht beunruhigt.26 Vor Ort, in Indien, sah dies Dupleix freilich anders. Nachdem die Investitionsbeträge der Cdl Ende der 30er Jahre mit der englischen Konkurrentin gleichgezogen hatten, waren sie nach 1742 auf fast die Hälfte gefallen.27 Hiermit korrelierten auch die Handelsgeschäfte, die bis zu Beginn der 40er Jahre eine generelle Steigerung verzeichneten, danach jedoch dramatisch eingebrochen waren. Für die EIC ergab sich durch die wachsenden Handelsaktivitäten der Cdl eine bedrohliche Lage, denn die Investitionsbeträge der Engländer waren in der zweiten Hälfte der 30er dramatisch eingebrochen, ebenso die Profite. Zudem konkurrierte die Cdl mit der EIC auf genau denselben Märkten, im Unterschied zur VOC, die sich auf den südostasiatischen Handelsraum konzentriert hatte. Erst mit der militärischen Offensive 1744 wendete Commodore Barnett auch das ökonomische Blatt zugunsten der EIC.28 Knappes Kapital und damiederliegende Geschäfte veranlassten Dupleix, nach Alternativen zum Handel zu suchen. Zum einen lagen sie im Ausbau der Steuereinkünfte, wie er sie für die Cdl 1739 vom Raja von Tanjavur mit der Überlassung der Hafenstadt Karaikal gegen Zahlung einer einmaligen Summe erhalten hatte. Proteste der VOC-Vertreter nützten nichts, denn Nawab Chanda Sahib (reg. 1740-41 und 1749— 52), dem der Raja nachgeordnet war, bestätigte 1740 den Vertrag. Im selben Jahr gab die Cdl dem Raja von Tanjavur einen Kredit, zu dessen Tilgung er den Franzosen die Steuereinnahmen von 33 Dörfern um Karaikal auf sechs Jahre überschrieb, die jedoch kurze Zeit später dauerhaft in französischen Territorialbesitz übergingen. Zum anderen waren sie dem Umstand geschuldet, dass sich für die Cdl und Dupleix in Karnataka und Haiderabad durch den Tod des Nizam-ul-Mulk und der Freilassung Chanda Sahibs aus der Gefangenschaft der Maratha, beides geschah im Jahr 1748, neue politische Handlungsoptionen ergaben.

Philippe Haudrere, La Compagnie des Indes Frangaise au XVIIF Steele (1719-1795), 4 Bde., Paris 1989, Bd. 2,445. Manning, Fortunes α Faire (wie Anm. 15), 34—27. Kirti N. Chaudhury, The Trading World of Asia and the East India Company, 1660-1760, Cambridge 1978,177. Vgl. Manning, Fortunes α Faire (wie Anm. 15), Table 6: Profits of the English and French Companies, 1725-43,44.

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3. Der Haiderabad-Karnatische Erbfolgekrieg 1749-52 und die Folgen Chanda Sahib war bei dem Versuch, für den regierenden Nawab und zugleich für seinen Schwiegervater Dost Ali Khan (reg. 1734-40) das Territorium der Maratha von Jinji und Tanjavur zu annektieren, 1741 in Gefangenschaft geraten. Vermutlich ist dies von Dost Alis Sohn und Nachfolger Safdar Ali (reg. 1740-43) durch Verrat erwirkt worden, mit der er sich vor möglichen Thronansprüchen schützen wollte. Unmittelbar nachdem Chanda Sahib sich durch französische Vermittlung hatte freikaufen können, meldete er seinen Anspruch auf das Nawabtum gegen den inzwischen von Nizam-ulMulk Asaf Jah (reg. 1724-48) eingesetzten Nawab Anwar-ud-din Khan (reg. 1743-49) an. Unterdessen formulierte auch Muzaffar Jang, Enkel des verstorbenen Nizam-ulMulk und übergangener Erbe, seinen Anspruch auf die Herrschaft in Haiderabad. In einer „Allianz der Prätendenten" suchten Muzaffar Jang und Chanda Sahib 1749 französische Unterstützung für ihre Pläne, die ihnen willig gegeben wurde. Es war die Gelegenheit, bei der sich die Cdl unter Leitung Joseph Dupleix' den Gegnern der Walaahi29

Familie, den Navaits, anschließen sollte. Suchte Dupleix über den Handel hinausgehende Einnahmequellen für die Cdl, sah die „Allianz der Prätendenten" in den französischen Truppen eine willkommene Gelegenheit, eine gut gerüstete und nach den gerade erst in Europa gewonnenen Erkenntnissen des Drills ausgebildete Armee anzumieten.30 Zur Deckung der Kosten und zum Dank für die militärische Hilfe wollte Chanda Sahib der Cdl Villenur und angrenzende 40 Dörfer dauerhaft überschreiben. Das war eine neue Qualität in den Beziehungen zwischen einer indischen Macht und einer europäischen Handelsgesellschaft, denn letztere war nun zu Territorialbesitz mit eingeschränkten Rechten gekommen. Dass dies eine substanzielle Veränderung der Lage im Vergleich zur befristeten Überlassung der Dörfer in Tanjavur zehn Jahre zuvor bedeutete, registrierte nicht nur der Conseil Superieur in Pondichery und die Unternehmensleitung in Paris, sondern natürlich auch der Madras Council, der mit Argwohn die Entwicklung verfolgte. Schon 1749 zahlte sich die französische Hilfe für Chanda Sahib aus, der in der Schlacht bei Ambur von französisch-indischen Sipahi-Einheiten (sipahi [pers.] = eigentl. indischer Söldner, nun 29 30

Ebenda, 208-209. Für den Drill der Infanterie stehen bekanntlich Friedrich Wilhelm I. von Preußen (reg. 1713-40) und Leopold I. von Anhalt-Dessau (reg. 1698-1747). Siehe dazu auch Bernhard R. Kroener, Fürst Leopold von Anhalt-Dessau und das Kriegswesen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau (1676-1747). „Der Alte Dessauer". Publikation zur Ausstellung zum 250. Todestag, Dessau 1997, 17-25. Siehe zur These der Militärrevolution, die nicht zwischen 1550 und 1660, sondern erst im 18. Jahrhundert stattgefunden habe: Jeremy Black, Α Military Revolution? Military Change and European Society 1700-1800, London 1991, 93-96. In Indien führte Dupleix und De Bussy den Drill der Sipahi ein.

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aber mit europäischem Drill) unterstützt wurde und im Verlauf derer Nawab Anwar-uddin Khan fiel.31 Nachdem Chanda Sahib als Nawab von Karnatak inthronisiert war, schickte die Cdl eine zweite Armee unter dem Kommando von General De Bussy 1751 nach Haiderabad, wo er die Ansprüche MuzafFar Jangs ebenfalls erfolgreich durchsetzte. Nizam Nazir Jang (reg. 1748-51) wurde von drei Pashtun-Generälen ermordet, die im Verlauf der Schlacht den Bündnispartner gewechselt hatten - eine in Südasien durchaus gängige Praxis um neue Mehrheiten zu finden und darüber Herrschaften generell zu stabilisieren.32 Zum Ausbau der militärischen Stärke holte der neue Nizam-ul-Mulk, Muzaffar Jang, De Bussy nach Haiderabad, wo dieser die Infanterie nach neuesten europäischen Standards ausbilden sollte. Doch Muzaffar Jang wurde bereits 1752 ermordet und der Sohn des verstorbenen Nizam Asaf Jah bestieg nun den Thron. An der Politik änderte sich wenig, im Gegenteil, der neue Nizam Salabat Jang weitete die steuerliche Basis der Cdl aus und überschrieb ihnen 1753 vier nördlich der Krishna gelegene Distrikte, deren Steuereinnahmen zur Finanzierung der Truppen dienen und die Überschüsse zur freien Verfugung stehen sollten.33 Chanda Sahib vermochte es jedoch nicht, seine Herrschaft über den Karnatak zu konsolidieren. Walajahi-Sprössling Muhammad Ali Khan hatte sich nach Tiruchirapalli zurückgezogen und organisierte dort mit Hilfe der Briten eine Allianz mit dem Marathen-Raja in Tanjavur und dem Raja von Maisur. Mit einem Husarenstück gelang dem Handelsagenten der EIC, Robert Clive, 1751 die Einnahme der Residenz von Karnatak, Arkot, wo er Chanda Sahib gefangen setzen ließ. Schließlich exekutierten die marathischen Generale von Tanjavur den abgesetzten Nawab im darauffolgenden Jahr. Bis 1753 kämpften der neue Nawab Muhammad Ali und die Briten einerseits sowie die Franzosen und Nizam Muzaffar Jang andererseits um die Vorherrschaft im südlichen Indien. Dabei sollten sich die finanziellen Vorteile, die sich die Cdl durch die Steuereinnahmen aus den vier Distrikten erhoffte, nie materialisieren. Sie mussten die gleichen Erfahrungen machen wie nur wenige Jahre später die Briten in Bengalen, dass nämlich ohne erhebliche militärische Präsenz vor Ort die veranschlagten Steuereinnahmen nicht in die Kassen der Kompanien flössen.34

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33 34

Manning, Fortunes α Faire (wie Anm. 15), 212-213. Vgl. zu diesem Herrschaftsmechanismus das immer noch grundlegende Werk von Andrä Wink, Land and Sovereignty in India. Agrarian Society and Politics under the Eighteenth-century Maratha Svaräjya, Cambridge 1986, 21-34. Hier wird das islamische „fitna" als wechselndes Allianzsystem für die politische Stabilitätsbildung plausibel auf den indischen Subkontinent erweitert. Zu bedenken wäre, ob das überraschende renversement des alliances von 1756 nicht auch unter diese Kategorie fallen und damit nicht unbedingt spezifisch für Südasien sein würde. Vgl. auch die „Entente Cordiale" von 1904 zwischen Frankreich und England, den Erzfeinden seit dem Siebenjährigen Krieg. History and Culture of the Indian People (wie Anm. 9), Bd. 8, 319-329. The Cambridge History of India (wie Anm. 9), Bd. 5,165.

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Auf Drängen der Direktoren beider Ostindiengesellschaften vereinbarten die Regierungen 1754 einen Waffenstillstand. Er bedeuteten für Joseph Dupleix das abrupte Ende seiner Karriere, denn im selben Jahr noch wurde er abberufen. Nach den beiderseitigen Vereinbarungen, die 1755 aufgesetzt wurden, sollten alle leitenden Angestellten in Indien ihre indischen Ämter und Würden niederlegen und sich künftig nicht mehr in die inneren Angelegenheiten indischer Mächte einmischen. Allerdings ist der Vertrag nie ratifiziert worden. Nicht zuletzt die Entsendung Admiral Charles Watsons mit einer Flotteneinheit der Royal Navy von sechs Schiffen, bestückt mit 59 Kanonen und 400 Mann königlicher Truppen unter dem Kommando Colonel Adlercrons sowie 200 Rekruten für den Dienst in Einheiten der EIC nach Madras, ließ den Waffenstillstand von vornherein zur Farce werden.35 Wenige Jahre zuvor hatte ein britischer Zeitgenosse die Ereignisse recht treffend kommentiert, als er davon sprach, aus dem „struggle for the balance of power" sei ein bloßer „struggle for power" geworden.36 Angeregt wurde die Aufrüstung in Indien durch eine pressure group im Madras Council, die sich für eine deutlich aggressivere Gangart gegenüber der Cdl und den indischen Mächten stark machte. Robert Clive, der inzwischen nach England zurückgekehrt war, fand in London beim Aufsichtsrat der EIC mit seinem Anliegen Gehör, der schlechte Ausbildungsstand und der mangelhafte Ausrüstungsgrad der EIC-Truppen müsse dringend behoben werden, wolle man der französischen und marathischen Bedrohung im Ernstfall begegnen können. Er empfahl die Entsendung zweier Regimenter und eines Artilleriezuges. 1755 kehrte Clive im Rang eines Lieutenant-Colonel in königlichen Diensten zusammen mit Watson und Adlercron nach Indien zurück. Verbunden mit der Truppenentsendung war ein Plan, wonach inm Bündnis mit den Maratha die Franzosen aus Haiderabad vertrieben werden sollten. Aufgrund der schlechten Kommunikation und des Zögerns der EIC-Leitung in Bombay, von wo die militärische Aktion hätte durchgeführt werden sollen, blieb der Plan bloßes Papier.37 Stattdessen bekämpften die koordinierten britischen See- und Landstreitkräfte 1756 erfolgreich die Piraten an der Konkan-Küste südlich von Bombay, womit die Briten die Effizienz einer solch konzertierten Militäroperation demonstrierten. Gleichzeitig zeigte sich bei den Briten die Kluft zwischen den Verbänden der Krone und der Kompanie, nachdem die Piratenfeste Gheria eingenommen worden war. Hier entbrannte nämlich ein heftiger Streit um die Beute, auf deren Recht General Watson im Namen der Krone bestand, während die EIC auf ihr exklusives Monopol für den Asienhandel beharrte, das ihr durch königliches Privileg verbrieft war und sich ihrer Ansicht nach auf alle Güter bezog, gleich welchen Ursprungs. Sowohl die koordinierte Militäroperation als auch der Streit um das Beuterecht stellten das Vorspiel zum Hauptstück in Bengalen im Jahre

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Bruce P. Lenman, Philipp Lawson, Robert Clive and the „Black Jagir", and British Politics, in: Historical Journal 26 (1983), 801-829, hier 806. Anonymous [John Campbell], The Present State of Europe, London 1750, 24-25. The Cambridge History of India (wie Anm. 9), Bd. 5, 157.

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1757 dar, als weitaus schärfer um das Recht der Beute gestritten wurde und die 38

Intervention des englischen Parlamentes auslösen sollte. Handelspolitisch war Bengalen inzwischen ebenso umkämpft wie Karnatak. Ähnlich wie an der Koromandel-Küste hatten sich wegen der begehrten Seidentextilien auch in Bengalen die europäischen Handelsgesellschaften in eigenen Siedlungen oder in bengalischen Häfen niedergelassen, die wie Perlen an der Schnur den Hugli entlang, einem Seitenarm des Ganges, aufgereiht waren. Auch diese „Handelswelt" war höchst kosmopolitisch. Vor allem die Armenier mit ihrem Land und See gestützten Handelsnetz, das von Europa bis nach China reichte, nahmen eine prominente Stellung im damals so genannten sona bangla, dem „Goldenen Bengalen" ein.39 Hier war es der Cdl gelungen, in Dhaka 1750 ein Handelskontor zu eröffnen, das mit Erfolg Textilien einkaufte. Zwischen 1751 und 1754 überholte die Cdl die EIC an Schiffstonnage für den europäischen Export. Aufgrund fehlender Kreditangebote brachen die Investitionen der EIC in Bengalen um 60 Prozent ein, was sich schnell in der Ausfuhr von Seidenprodukten widerspiegelte und den Aufsichtsrat 1755 veranlasste, die Dividenden von acht auf sechs Prozent zu senken.40 Abgesehen davon engagierten sich die Franzosen verstärkt im Privathandel, was den Angestellten der EIC die Möglichkeiten zum eigenen Geschäft beschnitt.41 Zur Konkurrenz der VOC war in Bengalen nun die der Cdl getreten, die nicht nur Handelsrivalin, sondern obendrein noch verlängerter Arm französischen Hegemoniaistrebens war. Geschickt wussten das die altgedienten Angestellten der EIC in ihrer Korrespondenz mit der Unternehmensleitung in London zu instrumentalisieren, wenn sie ein kommerzielles und politisches Schreckensszenario ausmalten und hierüber in Großbritannien eine Franzosenphobie zu schüren begannen, mit dem Zweck, die öffentliche Bereitschaft zu erhöhen, Geld und Militär nach Indien zu schicken. Berichte solcher Art fielen im ohnehin publizistisch aufgeheizten England auf fruchtbaren Boden und ließen die Bereitschaft zur weiteren Staatsverschuldung wachsen, mit der dem französischen

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James P. Lawford, Britain 's Army in India. From its Origin to the Conquest of Bengal, London 1978,178-179. Mesrovb J. Seth, Armenians in India. From the Earliest Times to the Present Day, Calcutta 1937, N D New Delhi 1992. M. Aghassian, K. Kevonian, The Armenian Merchant Network: Overall Autonomy and Local Integration, in: Sushil Chaudhuri, Martin Morineau (Hg.), Merchants, Companies and Trade. Europe and Asia in the Early Modern Era, Cambridge 1999, 74-94. Despatches to Bengal, Bd. 1 (1753-1759), Draught Company's General Letter to Bengal, London 11. Feb. 1756, para. 101. Oriental and India Office Collection, British Library [OIOC, BL], Die folgende Darstellung folgt in Teilen meiner Habilitationschrift: Michael Mann, Bengalen im Umbruch. Die Herausbildung des britischen Kolonialstaates 1754-1793, Stuttgart 2000, Kap. 1.1-2: „Staatskrise in Bengalen", 33-66. Chaudhury, Sushil, From Prosperity to Decline. Bengal in the Eighteeth Century, N e w Delhi 1995, 92-131. Brijen K. Gupta, Sirajuddaullah and the East India Company, 1756-1757. Background to the Foundation of British Power in India, Leiden 1966, 34.

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Streben nach Hegemonie Einhalt geboten und zugleich die neuen britischen Imperialinteressen verfolgt werden sollten. Im selben Jahr, in dem die Franzosen Madras eingenommen hatten (1746), entwarf in Calcutta James Mill den kühn anmutenden Plan, mittels 2.000 europäischer Soldaten einen Staatsstreich in Bengalen zu wagen und darüber an die reichen Steuereinnahmen einer ganzen Provinz des Mogul-Reiches zu kommen sowie die Cdl aus dem Land zu vertreiben.42 Aus dem Plan wurde vorerst nichts. In einer nahezu identischen Version tauchte er jedoch 1753 unvermittelt wieder auf, als Colonel С. F. Scott dem Calcutta Council ein „Scheme or Project for the Conquering of the Province of Bengal" vorlegte, das die Absetzung des Thronfolgers von Alivardi Khan, dem gegenwärtigen Nawab von Bengalen (reg. 1739-56), erwog und stattdessen die Einsetzung eines Marionetten-Nawab vorsah. Zu erreichen sei dies durch die Kollaboration mit einer anscheinend schon konspirierenden Elite, die die Thronbesteigung Siraj-ud-daulas verhindern wolle. Notwendig seien dazu 2.000 Soldaten, deren Unterhalt zwar jährlich 56.000 £ kosten würde, was aber aus den zu erwartenden Steuereinnahmen Bengalens in Höhe von 13,75 Mio. £ leicht zu finanzieren wäre.43 Mitte der 50er Jahre liefen in Indien wie in England Vorbereitungen für eine global angelegte Offensive. Im November des Jahres 1754 waren bekanntlich 1.000 Soldaten in die nordamerikanischen Kolonien verlegt worden. Obendrein konnte William Pitt beim englischen König Georg II. (reg. 1740-1820) durchzusetzen, dass die Truppen, die der Monarch zum Schutz seines Kurfürstentums in Hannover stationiert wissen wollte, nun nach Indien geschickt wurden.44 Gleichzeitig erhielt der Calcutta Council die Anweisung, so viel Salpeter wie möglich nach London zu schicken.45 Globales Strategiedenken gewann im englischen Parlament und bei der Regierung deutlich an Raum. Englische Interessen auf dem Kontinent und vor allem im „Empire", gemeint war bis etwa zu dieser Zeit allein das Heilige Römische Reich deutscher Nation, sollten nicht mehr allein über das militärische Engagement in West- und Zentraleuropa, sondern weltweit verfolgt werden. Die Gegner dieser Sicherheitsinteressen, seien es die französischen und spanischen Bourbonen, oder sei es das habsburgische Österreich, 42

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Copy of Colonel James Mill's Scheme for an Expedition, under the Imperial Flag, for the Dethroning of the Nabab of Bengal. Drawn upon his hearing of the Loss of Madras in the Year 1746, in: William Bolts, Considerations on Indian Affairs, 3 Bde., London 1772, Bd. 3, Teil 2, 16-19. Colonel Caroline Frederick Scott, Chief engineer, Letter from Scott to Robert Orme, Orme MSS, O.V.XII, S. 135-158 (OIOC, BL). Siehe auch: Extracts from a Letter from Charles F. Noble to the Select Committee, Fort Saint George, dated 22 September, 1756, in: Stephen C. Hill, Bengal in 1756-1757. A Selection of Public and Private Papers dealing with the Affairs of the British in Bengal during the Reign of Siraj-ud-daula, 3 Bde., London 1905, N D New York 1968, Bd. 3, 328. Black, Pitt the Elder (wie Anm. 1), 194. Von 1754 auf 1755 verdoppelten sich daraufhin die Salpeterimporte nach Calcutta, siehe Chaudhury, The Trading World of Asia (wie Anm. 27), 337.

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waren nunmehr überall zu stellen und gegebenenfalls zu vernichten. Der Siebenjährige Krieg sollte den Auftakt für diese globalen Strategien bilden.

4. Der Staatsstreich in Bengalen 1757 und die Folgen des Kriegsausbruchs in Europa Nachdem 1756 Nawab Alivardi Khan gestorben war, trat Siraj-ud-daula seine Nachfolge an. Obwohl es im Vorfeld Überlegungen zu einem anderen Thronkandidaten gegeben hatte, ging die dynastische Sukzession nahezu geräuschlos vonstatten. Auch die Franzosen in Chandanagar, der Niederlassung der Cdl am Hugli nicht weit von Calcutta, zeigten sich überrascht vom friedlich verlaufenden Übergang der Herrschaft.46 Doch während die Thronfolge sicher schien, drohten bald große Spannungen mit der EIC auszubrechen. Wegen der knappen Kassen und der steigenden Preise für das angeforderte Salpeter47 hatte sie sich geweigert, dem neuen Herrscher die gewohnheitsmäßig erwarteten Geschenkgelder (nazr) zu geben, im Gegensatz zu Franzosen, Holländern und Dänen, die bereitwillig gezahlt hatten. Außerdem hatte die EIC begonnen, Fort William in Calcutta, das in einem lamentablen Zustand war, auszubessern. Wegen der begehrten Salpeterressourcen griff die EIC-Leitung zu illegalen Mitteln und entführte dabei unter anderem den bengalischen Monopolisten Dipchand nach Calcutta. Zwar erkannten die leitenden Angestellten der EIC die Gefahr, die von ihrem Verhalten ausging, doch unternahmen sie nichts, außer die Niederländer und Franzosen in den nahe gelegenen Niederlassungen Hugli und Chandannagar um Hilfe zu bitten, was jedoch die Räte beider Unternehmen kühl aber höflich ablehnten.48 Nawab Sirajud-daula war um eine friedliche Beilegung des Konflikts bemüht und unterließ offensichtlich keine Möglichkeit, mit den Briten in Calcutta Kontakt aufzunehmen. Erst als die Briten nicht einlenkten, besetzte er im Juli 1756 Calcutta und Fort William. Auch jetzt noch war Siraj-ud-daula an einer diplomatischen Lösung der verfahrenen Situation gelegen, doch in Calcutta, allen voran Gouverneur Roger Drake, reagierten die Briten nicht auf das Verhandlungsangebot, obgleich es in William Watts eine Stimme gab, die vor einer weiteren Eskalation warnte.49 Allerdings war es auch 46

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Translation of an Extract from a Letter of the French Council, dated 26 April 1756, in: Hill, Bengal in 1756-1757 (wie Anm. 43), Bd. 1, Nr. 1, 1. Zwar wird Salpeter in vielen Regionen der Welt gefunden, aber nur das westliche Russland und Bengalen waren die einzigen Orte mit großen und daher billig abbaubaren Vorkommen. Translation of a Letter from the Dutch Director and Council, Hugli, to Council, Fort William, 8 June 1756; Translation of a Letter from the French Council, Chandernagore, to M. de la Bretesche at Patna, 9 June 1756; Letter from the Council, Fort William, to the Dutch Director and Council, Hugli, 13 June 1756, in: Hill, Bengal in 1756-1757 (wie Anm. 43), Bd. 1, Nr. 18, 1 9 , 2 1 , 1 4 - 1 8 . Subhas Ch. Mukhopadhyay, British Residents at the Darbar of Bengal Nawabs of Murshidabad (1757-1772), Delhi, o.J., 5 4 - 5 5 und 57. Siehe auch William Watts, Memoirs of the Revolution in

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William Watts, der trotz der Entsendung von zwei Unterhändlern seitens des Nawab noch im selben Jahr betonte, aus der Unzufriedenheit einiger lokaler Rajas müsse die EIC gegebenenfalls politischen Nutzen ziehen.50 In der zweiten Jahreshälfte setzte der Madras Council alles daran, mit sämtlichen militärischen Mitteln die Rückeroberung Calcuttas zu organisieren. Dazu wurden zunächst alle verfügbaren Truppen in Madras konzentriert und die königlichen Truppenverbände, die gerade von der Konkan-Küste eingetroffen waren, dem Oberkommando der EIC unterstellt. Der Corpsgeist der EIC-Truppen in Madras hatte im selben Jahr entscheidenden Auftrieb erhalten. Gouverneur Lord Pigot machte aus der Not, britisches „broadcloth" schlecht oder gar nicht in Indien absetzten zu können, eine Tugend, verpasste den sipahi unter Kürzung des Solds rote Soldatenröcke und stellte sie damit zumindest äußerlich den uniformierten englischen Truppeneinheiten gleich.51 Dass auch eine Uniform noch lange nicht gleich machte, zeigte sich unter anderem daran, dass die königlichen Truppen auf ihrem separaten Kommando bestanden. Unterdessen entbrannte zwischen den Kommandeuren der Kompanie und der Krone, aber auch innerhalb der Kompanie, eine heftige Kontroverse über die Planungen zur Rückgewinnung Calcuttas. Zum offenen Konflikt sollte es, wie nicht anders zu erwarten, über die Frage des Oberkommandos kommen. Die EIC-Leitung in Madras bestand auf der umgehenden Rückkehr der Soldaten nach den militärischen Operationen in Bengalen und beanspruchte daher das Oberkommando, während Colonel Adlercron insistierte, die gesamte Operation leiten und sich keinesfalls dem Oberkommando einer Handelsgesellschaft unterstellen zu wollen. Nach langen Auseinandersetzungen ernannte schließlich der Madras Council den bereits militärisch bewährten und nun auch mit einem königlichen Offizierspatent ausgestatteten Robert Clive zum Kommandeur aller Truppen.52 Colonel Adlercron reagierte empört auf diese Entscheidung und weigerte sich, seine Einheiten dem Kommando Clives zu unterstellen. Obendrein bestand er darauf, dass alles Kriegsgerät von den Schiffen geladen werden sollte, dem sich der Madras Council beugen musste. Schließlich fuhren doch drei königliche Regimenter mit nach Bengalen, die zu

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Bengal Anno Dom. 1757, London 1760, hg. ν. В. K. Ghosh, Calcutta/New York 1988, 5-7. Brief des nawab an Council of Fort St. George, 30 June 1756, in: Hill, Bengal in 1756-1757 (wie Anm. 43), Bd. 1, Nr. 35, 196, bzw. Fort St. George Public Consultations, 17 August 1756, ebenda, Nr. 74,196: A copy of a parwana or letter from Nabob [...] to the Gomasta of the English. Select Committee Proceedings, 22nd August 1756 (National Archives of India, New Delhi [NAI]) Mukhopadhyay, British Residents at the Darbar (wie Anm. 49), 43-48. Zu den Machenschaften W. Watts siehe Watt's Letter to Court, 30 Jan. 1757, Fort William - India House Correspondence [FWIHC], Bd. 2 (New Delhi 1959), 182-183. Siehe James P. Lawson, Britain's Army in India. From its Origins to the Conquest of Bengal, London 1978, 172. Robert Clive erhielt den Titel des Commander-in-Chief. Mitte des 18. Jahrhunderts war dies lediglich ein Ehrenamt, da ihm weder ein administrativer Apparat noch Kommunikationsmittel zur Verfügung standen, um sämtliche Streitkräfte tatsächlich effektiv kontrollieren zu können, siehe Raymond Callahan, The East India Company and Army Reform, 1783-1798, Cambridge (Mass.) 1972, 7-8.

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den Marineeinheiten gehörten und als solche auch bei der Expedition gelten sollten. Und bei Calcutta herrschte im provisorischen Calcutta Council inzwischen ebenfalls Uneinigkeit, wollten sich doch die Mitglieder des Militärs nicht einfachen Zivilisten unterordnen.53 Im Jahr zuvor, bei den erwähnten Piratenaktionen, war aufgrund der dualen Militärstruktur bereits Streit über das Beuterecht ausgebrochen. Daraufhin verabschiedete das englische Parlament 1757 eilig ein Gesetz, dass die Verfügung über militärische Beute freies Recht der Krone sei und zunächst bei den Offizieren, Mannschaften und Marineeinheiten der königlichen Armee liegt. Aufsichtsrat und Regierung bestellten zur eindeutigen Klärung der Rechtslage ein Rechtsgutachten, das von Anwälten und dem Generalstaatsanwalt ausgearbeitet wurde. Ihrer Auffassung nach lag das Recht an der Beute zunächst bei der EIC, sofern sie allein durch ihre Truppen gemacht worden war. Die Frage nach dem Verbleib von Festungen und anderen territorialen Besitzungen blieb vorerst ausgespart. Unterschieden wurde lediglich zwischen militärischen Eroberungen, die der Krone zustanden, und vertraglichen Zugewinnen, die dem Verfügungsrecht der EIC unterliegen sollten. Quelle allen Rechts, und das war unmissverständlich formuliert, war allein die Krone, die sich künftige Regulierungen vorbehielt.54 Unmissverständlich war damit auch formuliert worden, dass aller künftiger Gebietserwerb der parlamentarischen Kontrolle unterstand, womit das „British Empire", wenn nicht dem Namen so doch dem Konzept nach hier folglich erstmals Konturen zeigte. Zurück nach Bengalen. Hier war die militärische Operation zunächst auf die Rückeroberung Calcuttas und die Restitution der verbrieften Rechte ausgerichtet. Darüber hinausgehende militärische Aktionen waren nur als ultima ratio gedacht. Allerdings wurde mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass es von Vorteil sei, Einfluss auf den Nawab auszuüben und darüber hinaus auch Kontakt zu unzufriedenen Gruppen im Umkreis Siraj-ud-daulas einschließlich eines möglichen Prätendenten aufzunehmen. Erst nach Prüfung der Lage vor Ort war zu entscheiden, ob auch Chandannagar angegriffen werden konnte, was nur im Einvernehmen zwischen Clive und Admiral Watson geschehen sollte. Was sich bei der Piratenbekämpfung als taktischer Vorteil erwiesen hatte, wurde nun zum Hindernis, denn Clive und Watson wollten sich nicht abstimmen, so dass die Land- und Seestreitkräfte getrennt operierten.55 Die Rückeroberung 53

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Gupta, Sirajuddaullah (wie Anm. 41), 87-88. Nirad C. Chaudhuri, Clive of India. A Political and Psychological Essay, London 1975, 147. 29 Geo. II, c. xxxiv (British Statute Acts). House of Commons Sessional Papers of the Eighteenth Century (ed. Sheila Lambert, Washington, 1976, Bd. 26, 3054, Copy of a Report from His Majesty's Advocate, Attorney, and Solicitor-General, 16th August 1757, 1-5 und Copy of the Attorney and Solicitor Generals Report, on the Petition of the East India Company, December 24 th , 1757, 6-8. De Barun, The Colonialist Premise in the British Occupation of Bengal: Contributions by Clive and Pitt, the Elder, during 1757-59, in: Centre for Studies in Social Sciences, Calcutta, Occasional Paper No. 20 (1978), 10-14. Orme MSS, Bd. 170, f. 99; Records of Fort St. George, Diary and Consultation Books, 1756, 33, zitiert in: Gupta, Sirajuddaullah (wie Anm. 41), 129. Robert Clive hielt in einem Dankschreiben

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Calcuttas gelang dann am 2. Januar 1757 einvernehmlich und ohne Schwierigkeiten, nachdem der Nawab zuvor aus der Stadt abgezogen war. Hingegen entbrannte heftiger Streit über die juristische Inbesitznahme des Ortes. Bestand Watson darauf, Calcutta im Namen der Krone in Besitz genommen zu haben, hielt Clive das Recht der Kompanie hoch. Erst nach einigem Tauziehen konnte der Disput beigelegt werden.56 Siraj-ud-daula und dem Calcutta Council waren nun an einem schnellen Friedensvertrag gelegen, doch Admiral Watson entschied sich jetzt für eine Vorwärtsstrategie gegen den Nawab, nachdem seit etwa vier Wochen (Anfang Dezember 1756) auch in Bengalen bekannt war, dass in Europa Krieg herrschte.57 Der spätere Unterhändler Siraj-ud-daulas, der Großkaufmann und Bankier der bengalischen Nawabe, Jagath Seth, fasste die Lage treffend zusammen: „My business is that of a merchant, and probably what I may recommend that way he [der Nawab] may give ear to. You have acted the very reverse part, and possessed yourself of Calcutta by force, after which you have taken and destroyed the city of Hughley, and by all appearances you seem to have no design but that of fighting. In what manner then can I introduce an application for accommodating matters between the Nabob and you? What your intentions are it is impossible to find out by these acts of hostility. Put a stop to this conduct and let me know what your demands are. You may then depend upon it I will use my interest with the Nabob to finish these troubles. How can you expect that the Nabob will pass by or overlook your conduct in pretending to take up arms against the Prince or Subah of the country. Weigh this within yourself.

Nach einem kurzen Gefecht und der Vermittlung von Holländern, Franzosen und Bengalen wurde in Alinagar, in das Calcutta inzwischen umbenannt worden war, ein Abkommen unterzeichnet, das die EIC in ihre alten Rechte einsetzte und ihr darüber hinaus das Privileg der Münzprägung gab. Zusätzlich wurde vereinbart, dass William Watts als wakil, eine Art ständiger Vertreter, in der Residenz des Nawab in Murshidabad bleiben sollte. 59 Dort erkannte der Brite schnell, dass sich gegen Siraj-ud-daula

über den Oberbefehl an das Secret Committee in London vom 11. Oktober 1756 fest, es würde ihm schmeicheln, wenn er mehr als nur die Eroberung Calcuttas zuwege brächte, und er hoffe, die Franzosen aus Chandannagar vertreiben und Calcutta in einem Verteidigungszustand hinterlassen zu können, siehe Michael Edwardes, The Battle of Plassey and the Conquest of Bengal, London 1963,76-77. Tony A. Heathcote, The Military in British India. The Development of British Land Forces in South Asia 1600-1947, Manchester 1995, 32-33. The Cambridge History of India (wie Anm. 9), Bd. 5, 158. In Madras war die Nachricht bereits im November eingetroffen. Jagat Seth to Colonel Clive, 14 Jan. 1757, in: Hill, Bengal in 1756-1757 (wie Anm. 43), Bd. 2, Nr. 160,104. Charles U. Aitchison, A Collection of Treaties, Engagements and Sanads relating to India and Neighbouring Countries, ND Delhi 1983, Bd. 2, 197-198, Treaty and Agreement with Serajah Dowlah, 1757. Sanjay Garg, The Establishment of the Calcutta Mint 1757, in: Proceedings of the Indian History Congress, 51s' Session, Calcutta 1990, 383-391. Zur Umbenennung Calcuttas siehe Rajat K. Ray, Calcutta or Alinagar: Contenting Conceptions in the Mughal-English

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eine Verschwörung bildete und setzte alles daran, die EIC zu positionieren. Zugleich beobachtete Watts misstrauisch die Kontakte, die Jagath Seth mit de Bussy in Haiderabad unterhielt.60 Die Cdl hatte nämlich bei bekannt werden des Kriegsausbruchs in Europa der EIC wiederum die Neutralität angeboten, die Admiral Watson und die Leitung der EIC in Calcutta der Prüfung unterzogen. Wochenlang schienen die Briten paralysiert, unfähig oder Unwillens, eine Entscheidung für das weitere Vorgehen zu treffen. Gegen ein forsches Auftreten sprach die insgesamt unsichere Lage der Konspiratoren; dafür, dass die notwendigen Truppen, zumindest nach den alten Plänen von Mill und Scott, nun im Lande standen.61 Siraj-ud-daula bestand unterdessen auf der militärischen Neutralität von Franzosen und Briten, weshalb er die Cdl mit den gleichen Privilegien für Bengalen ausstattete, wie sie die EIC besaß.62 Das empfanden die meisten leitenden Angestellten der EIC in Calcutta als Affront, zumal Watts, nachdem er den Sekretär des Nawab bestochen hatte, von der geheimen Korrespondenz Siraj-du-daulas mit den Franzosen in Haiderabad und Chandannagar erfuhr.63 Andererseits gab es mit Richard Becher unter den Verantwortlichen in Calcutta auch noch eine Stimme, die für ein Neutralitätsabkommen mit den Franzosen plädierte. Nach wie vor war der Krieg nicht beliebt, zumindest nicht bei allen. Da Admiral Watson sich nicht für ein Neutralitätsabkommen aussprach, beschied Roger Drake, ,,[t]hat as the Admiral does not consent to a neutrality it is out of our power to conclude one."64 Watsons Verhandlungstaktik, mit der er das unterschriftsreife Neutralitätsabkommen blockierte, um Zeit für die angekündigte Truppenverstärkung aus Bombay zu gewinnen, war zwar nicht aufgegangen, aber er hatte nun die fast geschlossenen Reihen der EIC hinter sich.65 Unverzüglich begann der Vormarsch auf Chandannagar, das nach einer kurzen Aktion der nun kombiniert und koordiniert agierenden See- und Landstreitkräfte am 23. März 1757 eingenommen wurde. Damit hatten Watson und Clive Fakten geschaffen, die für die Verschwörer nur noch die Briten als Kooperationspartner in Frage kommen ließen. Ab April liefen schließlich konkrete Gespräche über eine Absetzung Siraj-uddaulas zwischen William Watts, Jagat Seth und Amirchand, dem Bruder des erwähnten

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Confrontation of 1756-1757, in: Indu Banga (Hg.), Ports and Their Hinterlands in India 17001950, Delhi 1992,45-62. Mukhopadhyay, British Residents at the Darbar of Bengal Nawabs (wie Anm. 49), 85. Select Committee Proceedings, Fort William, 2 March 1757 und 4 March 1757 (N.A.I.). Letter from the Nabob to Colonel Clive dated the 4 th March, 1757. Fort William 6. March 1757, ebd., 21 February 1756. Letter from the Nawab to Coja Wajid, dated Muxadavad, 1 June 1756, in: Hill, Bengal in 17561757 (wie Anm. 43), Bd. 1, Nr. 6, 5 und Translation of a Letter from M. Le Conte to M. Courtin at Dacca, dated Chandernagore, 19 June, 1756, ebenda, Nr. 24, 21. Select Committee Proceedings, Fort William 6. March 1757 (N.A.I.). Charles Watson. To the President and Members of the Select Committee of Fort William 7. March 1757, Fort William 12 March 1757 und dto. an dto. Fort William 12 March 1757, ibid.. Mark Bence-Jones, Clive of India, London 1974, 111 und 114.

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Dipchand. Watts kam damals zu dem Schluss, der Staatsstreich hätte in jedem Fall stattgefunden, auch ohne die Briten. Folglich waren sie willige und gierige Teilhaber, die ihre kleine Armee den Verschwörern zur Verfügung stellten, um sich in eine vorteilhafte Position zu manövrieren. Doch noch zauderte Robert Clive, der einen juristischen Anlass wie Vertragsbruch zum Abkommen von Alinagar suchte. Admiral Watson und William Watts setzten hingegen alles daran, Clive vom korrupten Charakter Siraj-uddaulas und der latenten Gefahr zu überzeugen, die von ihm nicht zuletzt für die gerade erst errungene Position der Briten in Bengalen ausging. Ende April waren die beiden schließlich erfolgreich, denn die EIC in Calcutta beschloss unisono, sich am coup d'etat zu beteiligen. 66 Die Verschwörer einigten sich auf Mir Jafar, Schwiegersohn Alivardi Khans und Zahlmeister der Armee (bakhshi) als neuen Nawab. 67 Nun stellten die Briten ihre Bedingungen für die Unterstützung des Staatsstreichs, die weit über die Vereinbarungen des Vertrags von Alinagar hinausgingen. So musste Mir Jafar ein-willigen, die Franzosen aus Bengalen zu vertreiben. Aus dem bisherigen gegenseitigen Bündnis zur Verteidigung wurde ein Angriffspakt, der letztlich nur den expansionistischen Interessen der Briten diente. Abgesehen davon war es dem Nawab künftig untersagt, südlich von Calcutta eigene Befestigungsanlagen zu errichten. Zur Finanzierung der Truppenpräsenz, die auch zum Schutz des Nawab sei, sollten der EIC drei Steuerdistrikte überschrieben werden. 68 Unübersehbar ist das koloniale Muster, das Joseph Dupleix und de Bussy nur wenige Jahre zuvor entworfen hatten und das die Briten nun erfolgreich zu kopieren versuchten. Am 23. Juni fand schließlich die denkwürdige Schlacht von Palashi statt, die die Voraussetzung für die imperiale Territorialherrschaft der Briten in Bengalen lieferte. Die „Kanonade von Plassey" war eigentlich nur eine militärische Großdemonstration, mit dem Zweck, die Stabilität der sich gegenüber stehenden Allianzen zu testen. Robert Clive zeigte sich keinesfalls als der brillante Stratege, als den ihn die britische Historiografie zu Indien gerne ausgibt, woran sein Handelspartner und späterer erster Geschichtsschreiber der EIC, Robert Orme (1728-1801), maßgeblichen Anteil hatte.69 Auch William Pitt sprach im englischen Parlament von Clive als dem „heaven-born general", was beim britischen Generalstab Hohn und Spott auslöste, Clives Fähigkeiten 66

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Select Committee Proceedings, Fort William 23 April 1757 (N.A.I.). Bence-Jones, Clive of India (wieAnm. 65), 112, 122 und 124-125. Siehe auch Hill, Bengal in 1756-1757 {wie Anm. 43), Bd. 2, Nr. 375, 370-371. Die EIC favorisierte zunächst Yar Latif Khan, konnte sich aber nicht gegen die Jagat Seths durchsetzen, deren Kandidat Mir Jafar war. Robert Orme, Robert Clive und Jean Law beurteilten die Macht der Seths gleichermaßen, vgl. Gupta, Sirajuddaullah (wie Anm. 41), 123. Letter to Court, 14 July 1757, in: FWIHC, Bd. II, S. 225-226. Zum endgültigen Vertrag zwischen der EIC und Mir Jafar siehe Aitchison, A Collection of Treaties (wie Anm. 59), Bd. 1, Nr. LXIII, 185-186. Robert Orme, A History of the Military Transactions of the British Nation in Indostan from the Year MDCCXLV, 3 Bde, London 1778 (ND N e w Delhi 1985), Bd. 2 , 1 7 2 - 1 7 8 .

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als Feldherr ironisch mit denen Friedrichs II. von Preußen vergleichend.70 Vielmehr erwies sich der Kommandierende des Heeres im Vorfeld und im Verlauf der Schlacht erneut als Zauderer, der den Abend herbei sehnte. Noch wenige Tage vor Palashi hatte Clive beim Calcutta Council nachgefragt, was denn im Falle des Auseinanderbrechens der eigenen Allianz zu tun sei.71 Auf eine direkte militärische Konfrontation hätten sich die Briten mit ihren 3.000 Soldaten ohnehin nicht einlassen können, betrug doch die Zahl des gegnerischen Heeres etwa 10.000 Mann.72 Der Sieg der konspirativen Koalitionäre machte für die Briten den Weg frei, im Rahmen des Siebenjährigen Krieges und in Verfolgung der unternehmerischen Interessen gegen die Franzosen in Indien vorzugehen. Zwar wollten das Calcutta Council und Clive die Truppen weiter in Bengalen stationiert wissen, weil sie die Lage als zu instabil erachteten, doch Admiral Watson bestand auf der Verlegung nach Südindien. Hier konnten die Franzosen nach Eintreffen einer Flotteneinheit und einem Bataillon des regiment de Lorraine im September 1757 die Lage bis ins darauf folgende Jahr stabilisieren.73 Nachdem Admiral Watson Ende des Jahres gestorben war, übernahm Admiral Pocock das Kommando über das Geschwader der Royal Navy, das aus sieben Schiffen bestand. Im Frühjahr 1758 war ein weiteres französisches Geschwader von neun Schiffen und de Lally, dem neuen Gouverneur der Cdl samt der Funktion eines königlichen Kommissars, in Pondichery eingetroffen. Das Kommando über die Flotte blieb indes bei Admiral d'Ache. In dieser entscheidenden Phase des Krieges zwischen Franzosen und Briten in Indien erwies sich die mangelnde Kooperationsbereitschaft der französischen See- und Landstreitkräfte als fatal. Nach zwei verlustreichen Gefechten beschlossen d'Ache und seine Offiziere, sich auf die lie de France zurückzuziehen. Nach einem Jahr sollte er nochmals vor der Koromandel-Küste auftauchen, nur um nach einem weiteren verlustreichen Gefecht

Feldherrn-Qualitäten wies Robert Clive generell nicht auf, siehe einzelne Beispiele bei James P. Lawford, Clive. Proconsul of India. A Biography, London 1976; Bence-Jones, Clive of India (wie Ашп. 65), 169-170. Zu Clives Persönlichkeit und Einschätzung als militärischen Führer siehe auch Chaudhuri, Clive of India (wie Anm. 53), 86-87. Die Schilderung des Zeitzeugen Eyre Cootes als Gegenstück zum „heaven born general" ist eine amüsante Lektüre, siehe: Genuine Minutes of the Secret Committee appointed by the House of Commons [...] to enquire into the East India Company Affairs, Jovis 30° die Aprilis 1772, in: First Report from the Committee of Secrecy, appointed to enquire into the State of the East India Company, 7 December 1772, 39—40. Letter from Colonel Clive to Select Committee, Fort William, dated Cutwa, 19 June, 1757, in: Hill, Bengal in 1756-1757 (wie Anm. 43), Bd. 2, Nr. 459,418. Zur Diskussion um die Truppenstärke, die in der traditionellen Historiografie gerne mit 50.000 angegeben wird, aber völlig haltlos ist, siehe Mann, Bengalen im Umbruch (wie Anm. 40), 64, Anm. 191. Wegen des einsetzenden Monsuns und der drehenden Windverhältnisse samt der Gefahr von Stürmen zog sich Chevalier de Soupire mit Flotte und Bataillon jedoch zunächst auf die lie de France zurück, um im darauf folgenden Jahr wieder an die Koromandel-Küste zurückzukehren, siehe The Cambridge History of India (wie Anm. 9), Bd. 5, 158.

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endgültig abziehen zu müssen.74 Besonders gravierend erwiesen sich jetzt die behäbigen Finanzstrukturen der Cdl, die nicht in der Lage waren, die Niederlassungen in Indien mit den dringend benötigten Geldern auszustatten. De Lallys militärische Misserfolge liegen zu einem großen Teil in der mangelhaften Ausrüstung des Militärs und dem ausstehenden Sold begründet. Nachdem er zahlreiche Forts zwischen Pondichery und Madras an der Koromandel-Küste eingenommen hatte, entschloss sich de Lally zur Belagerung von Madras, ohne die dazu notwendige Marineunterstützung zu erhalten. Entsatz für die EIC-Niederlassung traf zu Beginn des Jahres 1759 in Form eines achtschiffigen Geschwaders ein, das Lally veranlasste, die Belagerung aufzuheben. Kurze Zeit darauf gelang es den britischen Truppen, die Hafenstadt Masulipatnam in den französischen Distrikten von Haiderabad einzunehmen. Der Wendepunkt des Krieges war im „annus mirabilis" auch in Indien eingetreten.75 Die Schlacht von Wandiwash im Januar 1760, in der die versammelten britischen und französischen Armeen von je etwa 2.500 Mann aufeinander trafen, brachte die letzte Entscheidung zu Gunsten der Briten. Hernach fielen sämtliche Forts und Niederlassungen entlang der Koromandel-Küste wie Dominosteine. Entscheidend war auch hier wieder der kombinierte Einsatz von See- und Landstreitkräften. Schließlich kapitulierte Pondichery nach mehrmonatiger Belagerung am 16. Januar 1761.76 Aus dynastischer Solidarität trat nun auch das bourbonische Spanien in den Krieg ein. Sobald die Briten in Madras davon erfuhren, arbeitete Governor Draper einen Plan zum Überfall auf das spanische Manila auf den Philippinen aus. Zugleich plante die Admiralität in London, einen Schlag gegen Havanna auf Kuba auszuführen.77 Draper wurde 1762 zum Kommandeur der Militäraktion ernannt, und Manila kapitulierte nach kurzer Belagerung und intensivem Bombardement im Oktober 1762.78 Obwohl am 23. Juli des darauf folgenden Jahres die Nachrichten vom Friedensschluss in Europa auch in Manila eintrafen, hielten die bewaffneten Auseinandersetzungen noch ein weiteres Jahr an.79 74

75 76 77

78

79

Ebenda, S. 160 und S. 163; The History and Culture of the Indian People (wie Anm. 9), Bd. 8, 333-334. The Cambridge History of India (wie Anm. 9), 162-163. Ebenda, S. 164-165 und The History and Culture of the Indian People (wie Anm. 9), Bd. 8, 335. D. Syrett, The Siege and Capture of Havanna, 1762, London 1970. Siehe auch die gute zeitgenössische Beschreibung in An Authentic Account of the Reduction of the Havanna, and the Advantages Arising from that Conquest; with an Historical Description of the Place [...] Also A journal of the Siege, with the Articles of Capitulation, London 1762 (Based on information from English Short Title Catalogue. Eighteenth Century Collections Online. Gale Group. http://galenet.galegroup.com.ubproxy.ub.uni-heidelberg.de/servlet/ECCO). Sir William Draper, A Plain Narrative of the Reduction of Manila and the Phillippine Islands, [o.O.] [1763?]. (The Making of the Modern World. Thomson Gale. 2007. Thomson Gale. UB Heidelberg. 11 October 2007. http://galenet.galegroup.com.ubproxy.ub.uni-heidel-berg.de/ servlet/MOMEaf=RN&ae=U 101215365&srchtp=a&ste= 14.) Nicholas P. Cushner (Hg.), Documents Illustrating the British Conquest of Manila: 1762-1763, London 1971. Nicholas Tracy, Manila Ransomed. The British Assault on Manila in the Seven Years War, Exeter 1995.

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Sowohl die Planung als auch die Durchführung der Aktion belegen die damals aktuellen Schwierigkeiten, die Vorstellungen der Admiralität, königlicher Kommandeure und See- wie Landstreitkräfte der EIC zu koordinieren. Erstaunlich schnell einigte man sich noch auf den Anteil an zu erwartender Beute. Wie ein Husarenstück mutet die „Manila-Expedition" angesichts des katastrophalen Zustands von Material und Menschen an, abgesehen von der nautischen Unkenntnis in der Region. William Draper regierte nach der Besetzung der Stadt in selbstherrlich-autokratischer Weise und ließ sich von britischen Militärs keine Vorschriften machen, nachdem diese aufgrund eigener Einschätzung zu vorschnell die Verwaltung in zivile Hände übergeben hatten. So setzte sich Draper auch gegen den königlichen Flottenkommandeur Samuel Cornish durch, der ein horrendes Lösegeld von 4 Millionen $ für die Freigabe Manilas gefordert hatte, während der Vertreter der Handelsgesellschaft in dieser Ausplünderung der Bevölkerung nicht zu Unrecht die dauerhafte Schädigung von gerade in der Region neu geknüpften Handelsbeziehungen sah.80 Allerdings verfolgte die britische Regierung globalstrategische Interessen und ließ sich dabei von solchen Querelen nicht beeindrucken, wenngleich hier die massiven Probleme, die zu den durchgreifenden Reformen an Haupt und Gliedern der EIC zwischen 1771 und 1784 führen sollten, bereits offen zu Tage traten. Auf die Gründung der französischen Kolonie Port Louis auf den Falkland Inseln durch Louis Antoine de Bougainville reagierten die Briten 1764 mit der präventiven Errichtung von Port Egmont auf West-Falkland. Spanien als unmittelbare koloniale Festlandsmacht in Südamerika protestierte gegen diese Besetzung, doch 1766 entschied William Pitt, die Falkland-Insel als Druckmittel gegen Spanien zur Zahlung des Manila-Lösegeldes besetzt zu halten. Abgesehen davon verfolgte Großbritannien nun das geostrategische Ziel, den Zugang zum südlichen Atlantik und in den Pazifik im Rahmen der räumlichen Neuordnung des Globus, wie er mit dem Pariser Frieden stattgefunden hatte und ganz offensichtlich 81

noch anhielt, als Rechtsanspruch durchzusetzen. In Indien hatte der Pariser Frieden zur Folge, dass die Cdl auf ihre Niederlassungen Mahe, Pondichery und Chandannagar reduziert wurde. Politisch-militärisch spielte sie danach nur noch eine marginale Rolle. Lediglich im Zuge des europäischen Revolutionskrieges/Ersten Koalitionskrieges und der in Südindien von der EIC gegen Tipu Sultan von Maisur geführten Kriege versuchten die Franzosen, sich von der lie de France aus als dessen Bündnispartner nochmals in die militärischen Auseinandersetzungen einzuschalten. Erneut war es die seitens der Briten geschürte Franzosenphobie, die die notwendigen externen Finanz- und Personalmittel zur imperialen Kriegsführung nach Indien fließen ließen.82 Im Hinterland von Madras erhielt die EIC von Nawab 80 81

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Ebd., 57-108 passim. J. Goebel, The Struggle for the Falkland Islands, London 1927; Nicholas Tracy, The Falkland Island Crisis of1770: Use of Naval Force, in: English Historical Review 90 (1975), 40-75. Stig Förster, Die mächtigen Diener der East India Company. Ursachen und Hintergründe der britischen Expansionspolitik in Südasien 1793-1819, Stuttgart 1992.

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Muhammad Ali 1763 einen Distrikt zum Steuereinzug zugeschrieben, während die in Bengalen nach einem erneuten „Personalwechsel" im Amt des Nawab 1760 drei weitere Distrikte im Umkreis von Calcutta zum gleichen Zweck überschrieben bekam.83 Bald jedoch stellten sich hier die gleichen Probleme ein, wie sie die Franzosen bei der Überschreibung der nördlich von Masulipatnam gelegenen Distrikte erfahren hatten. Kolonialherrschaft in Indien war teuer, und bei weiter schlecht gehenden Handelsgeschäften suchten die leitenden Angestellten der EIC in Calcutta nach zusätzlichen Finanzquellen. Die Lösung der Probleme schien nahe, als sich der von den Briten eingesetzte Nawab Mir Qasim 1763 offen gegen die EIC wandte und eine Allianz mit dem benachbarten Nawab von Awadh und dem Mogul Shah Alam II. (reg. 1759-1806) schloss. In der Schlacht bei Baksar wurde deren vereintes Heer von den inzwischen erheblich verstärkten EIC-Truppen 1764 geschlagen. Im darauf folgenden Jahr nahm die EIC das mehrfach geäußerte Angebot Shah Alam II. an, die so genannte diwani für Bengalen auszuüben. Sie beinhaltet das Recht zum Steuereinzug und die Pflicht zur Ziviljustiz einer Provinz des Mogul-Reiches. Wegen Korruption, schlechter Verwaltung und anhaltend schlechter Geschäfte drohte der EIC jedoch schon 1771 die Insolvenz, weshalb das englische Parlament in die Angelegenheiten der Ostindienkompanie eingriff und deren Transformation vom englischen Handelsunternehmen zur imperialen Administrationsagentur einleitete.84

5. Der Siebenjährige Krieg als Weltkrieg Lässt man einmal die indische Perspektive beiseite und richtet den Blick allein auf den Siebenjährigen Krieg als ein Ereignis, das in Europa seinen Ursprung hatte, so fällt zum einen auf, dass dieser Krieg auch in Europa in einen weiteren Zusammenhang politischer, wirtschaftlicher und schließlich militärischer Ereignisse gesetzt werden muss, beginnend mit dem Einmarsch Friedrich II. in Schlesien 1740. Dieser Kriegsausbruch war die Initialzündung für eine Serie global ausgetragener Konflikte zwischen Briten und Franzosen, nicht zu vergessen die Spanier, auch wenn deren Imperium zweifelsohne seinen Zenit überschritten hatte, die im Siebenjährigen Krieg kulminierten. Globalgeschichtlich betrachtet löste in den kriegerischen Jahrzehnten um die Mitte des 18. Jahrhunderts Großbritannien Spanien als weltumspannendes Imperium ab. Gleichzeitig ist unübersehbar, dass das Mogul-Imperium in erheblichem Maße politisch und territorial neu geordnet wurde. So erhielt 1765 mit der EIC nicht nur eine fremde Macht eine administrative Funktion im Osten des Mogul-Reiches, sondern im Westen des Imperiums erklärte im selben Jahr der Raja der Sikhs seine Unabhängigkeit.

84

Siehe zum Hintergrund Mann, Bengalen im Umbruch (wie Anm. 40), 66-78. Ebd., bes. Kap. 3,175-212 und Kap. 7, 337-396.

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Wie nie zuvor mobilisierte England gerade während des Siebenjährigen Krieges seine Ressourcen um nun global seine Interessen, die bis dahin fast ausschließlich in der Sicherheit Europas lagen, zu verfolgen. Mit ähnlichem Impetus, freilich unter schlechteren Voraussetzungen, taten dies auch die Franzosen. Das englische Parlament sah sich gezwungen, im Rahmen dieser globalen Kriegsföhrung in die Dispute von Krone und Kompanie einzugreifen und die Prärogative von Monarch und Parlament sicherzustellen. Großbritannien beschritt von nun an einen, keinesfalls vorgezeichneten, Weg zu einem Imperium, das es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts juristisch und administrativ je nach Lage und Notwendigkeit definierte oder reformierte und den sich ändernden weltpolitischen Lagen anpasste. Ein wesentlicher Baustein war dabei die EIC. Zusehends rückte der Primat der europäischen Sicherheitsinteressen an die Seite der imperialen Interessen. Zur „balance of power" trat die globale Hegemonie, bei der nun nicht mehr die Verteidigung Hannovers, sondern, zumindest seit dem Wiener Friedensschluss 1815, der weltweit freie Seeweg nach Indien im Mittelpunkt der Sicherheitsstrategie stand. Erst vor einem solchen globalen Szenario ergibt es Sinn, von einem Weltkrieg zu sprechen, einem Weltkrieg, bei dem nicht nur Frankreich und Spanien als Verlierer feststehen, sondern auch Bengalen und Kamatak, und, langfristig gesehen, in gewisser Hinsicht auch das Mogul-Imperium. Die Konvergenz militärischer und finanzieller Ressourcenbündelung in Europa wie in Südasien in der Mitte des 18. Jahrhunderts schuf eine Bruchzone, in der nachteilige Fiskalstrukturen zur Mobilisierung von Menschen und Material sich negativ auf den Prozess von Staatsbildung und Herrschaftskonsolidierung auswirkten, die gerade auf dem indischen Subkontinent zum schleichenden Niedergang des Mogul-Imperiums führte, den des spanischen beschleunigte und den französischen Ambitionen auf Imperiumsbildung vorerst Einhalt gebot. Am Ende des Siebenjährigen Krieges dürfte allen Beteiligten klar geworden sein, dass der französisch-britische Konflikt eine neue, globale Qualität erreicht hatte. Um ihn weiter fuhren zu können, musste England seine globale Position konsolidieren, was es mit der Steuergesetzgebung ab 1768 versuchte. Bekanntermaßen scheiterte es damit zumindest bei den amerikanischen Kolonisten, während Frankreich sich finanzpolitisch überhaupt erst reformieren musste, wenn es dauerhaft dem Konflikt gewachsen sein 85

wollte. Von dieser globalen „Positionierung" zweier europäischer Mächte schien in Südasien niemand Kenntnis zu nehmen. Lediglich Tipu Sultan von Maisur (reg. 176299) sah die weltweite Verflechtung, auf die er sich in seinem Kampf gegen die Briten eingelassen hatte. Seine Koalition indischer Mächte und der Versuch, französische Subsidien und Truppen zu erhalten, brachten nicht die gewünschten Ergebnisse - im Gegenteil, die britische Franzosenphobie führte zur präventiven Vernichtung des

Matthias Middell, Revolutionsgeschichte und Globalgeschichte. Transatlantische Interaktion in der zweiten Hälfle des 18. Jahrhunderts, in: Margarete Grandtner, Andrea Komlosy (Hg.), Vom Weltgeist beseelt. Globalgeschichte 1700-1815, Wien 2 0 0 4 , 1 3 5 - 1 6 0 , bes. 142-146.

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Sultanats und dem Tod seines Herrschers sowie letztlich der Durchsetzung der britischen „Paramountcy in India" um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Karte: Indien zur Zeit des Siebenjährigen Krieges. (Quelle: www.imageping.com/out.php/i60092_Indial 760.jpg)

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ULRIKE KIRCHBERGER

Nordamerikanische Indianer und britische Kolonisten im Siebenjährigen Krieg

i. In Nordamerika wurde der Siebenjährige Krieg hauptsächlich zwischen den beiden Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien ausgetragen. Beteiligt war femer eine größere Zahl indianischer Ethnien, die zunächst in wechselnden Allianzen auf französischer und britischer Seite kämpften und gegen Ende des Krieges in großen Aufständen die britische Vorherrschaft zu brechen suchten. Im Vordergrund der Kriegshandlungen in Nordamerika stand die Gewinnung von kolonialen Einflußsphären. to den fünfziger Jahren intensivierten sowohl Großbritannien als auch Frankreich ihre Bestrebungen, im Ohio-Gebiet zu expandieren, das fur beide Seiten wirtschaftlich und strategisch von großer Bedeutung war. Für die indianischen Ethnien, die dort ihre Siedlungsplätze hatten, ging es im Siebenjährigen Krieg um die Rettung ihres Lebensraumes. Zu Beginn des Krieges beschrieb der Seneca-Indianer Tanaghrisson, der in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre einer der wichtigsten Verhandlungspartner der Briten war, vor einer französischen Delegation die indianische Perspektive wie folgt: „Fathers, both you and the English are white, we live in a Country between; therefore the Land belongs to neither one nore t'other But the Great Being above allow'd it to be a Place of Residence for us; [...] I am not afraid to discharge you off this Land."1 Tanaghrisson faßte Franzosen und Briten als Weiße zusammen, von denen er die Indianer („we") abgrenzte. Die Indianer lebten, so Tanaghrisson, in einer Welt zwischen den beiden Machtblöcken. Damit wies er zum einen auf die Zwangslage hin, in der sich die indianischen Ethnien im Ohio-Gebiet befanden, und auf die damit verbundene Gefahr, zwischen den beiden Mächten zerrieben zu werden. Zum anderen umschrieb die Metapher die indianischen Handlungsspielräume und die Möglichkeiten, zwischen den Großmächten zu lavieren, die nach dem 1

Zitiert nach Colin Calloway, The Scratch of a Pen. 1763 and the Transformation of North America, Oxford, New York 2006,49.

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Ende des Krieges nicht mehr gegeben waren. Das Gefühl, in einer „country between" zu leben, prägte die Politik der einzelnen Ethnien während des Siebenjährigen Krieges. Die Entscheidung, ob und auf welcher Seite in den Krieg einzutreten sei, wurde selten von grundsätzlichen Loyalitäten gelenkt Nur wenige Ethnien standen traditionell und konsequent auf britischer oder französischer Seite. Jede indianische Ethnie hatte ihre eigenen, aus den Verhältnissen in der „country between" resultierenden Interessen, die sie dazu bewogen, neutral zu bleiben oder sich für ein Engagement auf britischer oder französischer Seite zu entscheiden. Dabei konnte es um Siedlungsland oder Jagdgebiete gehen, um die Zufuhr wirtschaftlicher Güter zu den Siedlungsplätzen oder auch um Konflikte innerhalb einzelner Ethnien. Solche Gesichtspunkte waren ausschlaggebend für das Bündnisveihalten der indianischen Ethnien während des Krieges. Feiner sprach Tanaghrisson einen Aspekt an, der vielen Konflikten zwischen Indianern und Europäern zugrunde lag und auch im Siebenjährigen Krieg eine zentrale Rolle spielte, nämlich die unterschiedlichen Konzepte von Landbesitz. Das europäische System des Privatbesitzes einzelner Landparzellen war bei den Indianern nicht gebräuchlich. Sie praktizierten eine kollektive Form der Herrschaft über Land mit gemeinschaftlichen Nutzungsrechten. Wenn Sie jemandem erlaubten, das Land zu bebauen, dann bedeutete dies nicht, daß sie es ihm für immer als privaten Besitz überließen. Die Kolonisten dagegen übernahmen das Land als ihr Eigentum, hegten es ein und verweigerten anderen den Zutritt2 Dieses grundlegende Mißverständnis kommt in Tanaghrissons Rede zum Ausdruck, wenn er hervorhebt, daß das Land im OhioGebiet weder den einen noch den anderen gehöre, sondern den Indianern von den Göttern als Aufenthaltsort, als „place of residence" gewährt worden sei. Die religiöse Legitimierung des indianischen Anspruchs auf das Land und der Hinweis, daß die Indianer nicht davor zurückschrecken würden, ihre Rechte auf den ihnen zustehenden Lebensraum zu verteidigen deuten darauf hin, daß der Krieg nicht nur von den Europäern, sondern auch von den indianischen Ethnien mit großer Härte geführt werden würde. Sie begannen bereits in der Frühphase des Krieges, die Siedlungen der Kolonisten zu überfallen, und am Ende des Krieges stand eine erneute Eskalation der Gewalt, als sich die Indianer im Cherokee War und in dem nach einem seiner wichtigsten Protagonisten benannten Pontiac's War gegen den britischen Expansionismus zur Wehr setzten.3

II. In den letzten Jahren erfuhr der Siebenjährige Krieg in der anglo-amerikanischen Forschung eine deutliche Aufwertung. Was traditionell als „French and Indian War" bezeichnet und in

2

3

Nancy Shoemaker, Α Strange Likeness. Becoming Red and White in Eighteenth-Century North America, Oxford 2004, 13-34. John Oliphant, Peace and War on the Anglo-Cherokee Frontier, 1756-63, Baton Rouge 2001; William R. Nester, „Haughty Conquerers". Amherst and the Great Indian Uprising of 1763, Westport/CT, London 2000; Gregory E. Dowd, War under Heaven: Pontiac, the Indian Nations, & the British Empire, Baltimore, London 2002; Calloway, The Scratch of a Pen (wie Anm. 1).

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seiner Bedeutung deutlich hinter dem epochalen Großereignis der Amerikanischen Revolution eingestuft wurde, betrachten die Historiker neuerdings als ersten globalen Krieg und als das wichtigste Ereignis im Nordamerika des 18. Jahrhunderts.4 Das Jahr 1759, in dem Großbritannien die entscheidenden Siege über Frankreich errang, sei, so Frank McLynn, als das wichtigste Jahr in der britischen Geschichte seit 1066 zu interpretieren.5 Auch Pontiac's War erfahrt in diesem Zusammenhang eine Aufwertung. In der älteren Geschichtsschreibung wurde er „Pontiac's Rebellion" genannt und als erfolgloser Aufstand ohne weiterreichende Wirkung eingeordnet. Seit einiger Zeit bezeichnet man ihn nun als Krieg, und in seiner neuesten Arbeit vertritt Colin Calloway die These, Pontiac's War sei der erste Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten gewesen, „the first War of Independence".6 Im Zusammenhang mit der Aufwertung des Siebenjährigen Krieges zur Epochenzäsur wird im Bezug auf die indianisch-britischen Beziehungen ein durch den Krieg verursachter tiefgreifender Wandel diagnostiziert. Neue Untersuchungen stimmen darin überein, daß sich das indianisch-britische Verhältnis durch die Grausamkeit der Kriegshandlungen an der Frontier drastisch und dauerhaft verschlechterte. Die Historikerin Linda Colley untersucht vor allem die transatlantische Komponente dieses vermeintlichen Umschwungs. Sie vertritt die These, daß durch den Siebenjährigen Krieg das Interesse an den Indianern in Großbritannien deutlich angewachsen sei. Vor dem Krieg seien die Briten längst nicht so gut über die Indianer informiert gewesen wie die Kolonisten. Als Folge des Krieges wurde sehr viel über die Indianer und insbesondere über deren Greueltaten publiziert, wobei die Berichte auf britischer Seite zum Teil sehr grundsätzliche Informationen enthielten. Es wurden, so Colley, dem britischen Publikum Dinge erklärt, die für die Kolonisten selbstverständlich waren, zum Beispiel was ein Wigwam oder ein Tomahawk sei.7 Der Siebenjährige Krieg hätte einen gesteigerten Wissensdurst auf britischer Seite nach sich gezogen. Dies hätte zu einer Vereinheitlichung der Wahrnehmung in Großbritannien und Nordamerika geführt. Die romantische Verklärung der Indianer, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Großbritannien weit verbreitet gewesen sei, hätte aufgrund des Schocks über die indianischen Brutalitäten einer kritischnegativen Perzeption Platz gemacht.8 Ähnlich argumentiert Troy Bickham. Auch er vertritt die Meinung, daß der Siebenjährige Krieg bezüglich der Entwicklung des Indianerbildes in Großbritannien eine entscheidende Zäsur darstellte: „the American Indians first emerged unto the public scene in any grand and lasting form, and the images accompanying their emergen-

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Fred Anderson, Crucible of War. The Seven Year's War and the Fate of Empire in British North America, 1754-1766, London 2001, XV; Linda Colley, Captives, New York 2002, 171; Η. V. Bowen, British Conceptions of Global Empire, 1756-83, in: Journal of Imperial and Commonwealth History 26 (1998), 1-27; Calloway, The Scratch of a Pen (wie Anm. 1), XI. Frank McLynn, 1759. The Year Britain Became Master of the World, London 2005. Calloway, The Scratch of a Pen (wie Anm. 1), 66-91; siehe dazu auch Daniel Richter, Facing East from Indian Country. A Native History of Early America, Cambridge/Mass., London 2001,190. Colley, Captives (wie Anm. 4), 176 f. Colley, Captives (wie Anm. 4), 181.

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се were those of brutal savages living in crude, kin based, hunter-gatherer communities that the Scots philosophers found so useful."9 Auch im Hinblick auf die Entwicklung in den nordamerikanischen Kolonien herrscht in der neuesten Forschung die Meinung vor, daß sich als Folge des Krieges die Beziehungen und Wahrnehmungsmuster zwischen Siedlern und Indianern grundlegend veränderten. Jane T. Merritt vertritt in ihrer Studie über Pennsylvania die These, daß vor dem Siebenjährigen Krieg das Verhältnis zwischen Indianern und Siedlern von Kooperation und Toleranz geprägt gewesen sei. Man habe sich um ein friedliches Miteinander bemüht, gemeinsam Handel getrieben, und es hätten auf beiden Seiten Akkulturationsprozesse stattgefunden. Während des Krieges sei das gute Einvernehmen im „Middle Ground" komplett zusammengebrochen. Die Grausamkeiten des Krieges hätten dazu geführt, daß sich Indianer und Siedler immer eindeutiger voneinander abgegrenzten. Die Unterschiedlichkeiten seien zunehmend in biologistischen Kategorien beschrieben worden.10 Diese Einschätzung wird von Daniel Richter und William Pencak bestätigt. Auch sie werten den Siebenjährigen Krieg als Einschnitt, der eine drastische Verschlechterung der ethnischen Beziehungen in Pennsylvania nach sich zog („after midcentury, peacekeeping yielded to full-scale race war").11 Ähnliche Thesen werden im Hinblick auf den Cherokee War vertreten. Die Kolonisten hätten nicht mehr zwischen alliierten und feindlichen Ethnien unterschieden, sondern wahllos alle Indianer niedergemacht, die sich in Reichweite befanden. In vergleichbarer Weise hätten die Cherokee auf ihren Rachefeldzügen willkürlich Siedler massakriert ohne darauf zu achten, aus welcher Kolonie sie stammten. Es habe sich während des Cherokee War nicht nur ein gegenseitiger Haß von nie dagewesener Dimension, sondern auch eine neue Qualität der Intoleranz auf beiden Seiten gezeigt. Die ethnische Zweiteilung zwischen Indianern und Europäern sei zunehmend in den Vordergrund getreten, und die Unterschiede seien immer häufiger über biologische Kriterien definiert worden.12 So wird in einer ganzen Reihe von maßgeblichen Untersuchungen über die indianischbritischen Beziehungen die These vertreten, daß im Siebenjährigen Krieg die gegenseitige Wahrnehmung negativer wurde und sich auch nach dem Krieg nicht wieder zum Positiven wandte. Immer wieder wird ein Umschwung hin zu einem neuartigen biologistischen Definieren des ethnisch Anderen postuliert. Die Indianer seien nicht mehr wie vor dem Krieg über kulturelle Kriterien beschrieben und als Heiden oder als in der zivilisatorischen Entwicklung zurückgeblieben betrachtet worden, sondern sie seien nun aufgrund biologischer Zuschreibungen abgewertet worden. Man habe ihre körperliche Beschaffenheit, ihre Haut9

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Troy Bickham, Savages within the Empire. Representations of American Indians in EighteenthCentury Britain, Oxford 2005,208. Jane T. Merritt, At the Crossroads. Indians and Empires on a Mid-Atlantic Frontier, 1700-1763, Chapel Hill, London 2003. William A. Pencak, Daniel K. Richter (Hg.), Friends and Enemies in Penn 's Woods. Indians, Colonists, and the Racial Construction of Pennsylvania, University Park/Penns. 2004, xviii. Eric Hinderaker, Peter C. Mancall, At the Edge of Empire. The Backcountry in British North America, Baltimore/London 2003, 119; Daniel R. Mandell, Behind the Frontier. Indians in EighteenthCentury Eastern Massachusetts, Lincoln, London 1996, 184—186.

NORDAMERIKANISCHE INDIANER UND BRITISCHE KOLONISTEN

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färbe oder auch die Reinheit ihres Blutes in den Vordergrund der Beschreibung gestellt. Auch in Abhandlungen über die Geschichte des Rassismus wird die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts häufig als Umbruchphase gedeutet, in der die frühneuzeitlich-christliche Wahrnehmung der außereuropäischen Völker den an biologischen Kriterien orientierten Klassifizierungsschemata der Aufklärung wich.13 Das Folgende wird sich mit diesem Forschungskonsens auseinandersetzen. Es sollen die Auswirkungen des Krieges auf die Beziehungen zwischen den indianischen Ethnien und den Siedlern in den britischen Kolonien untersucht werden. Es wird überprüft werden, wie sich die gegenseitige Wahrnehmung zwischen Indianern und Siedlern vor dem Hintergrund des Krieges entwickelte. Die These, daß der Siebenjährige Krieg einen grundlegenden Wandel in der gegenseitigen Perzeption verursachte, soll hinterfragt werden.

III. Wenn man den Siebenjährigen Krieg in einen Zusammenhang mit den militärischen Auseinandersetzungen stellt, die in den davorliegenden Jahrzehnten in Nordamerika stattgefunden hatten, dann zeigt sich, wie wechselhaft die Stereotypisierungen der Indianer waren und wie schnell sich die Bilder und Meinungen ändern konnten. Während all der Kriege der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, von den Feldzügen gegen die Yamasee- und Tuscarora-Indianer in den ersten Dekaden, über den sogenannten Dummer's War der zwanziger Jahre, bis hin zu den amerikanischen Ausläufern des Österreichischen Erbfolgekrieges in den vierziger Jahren wurden die feindlichen Indianer immer wieder mit ausgesprochen negativen Stereotypen belegt, die sich von denen des Siebenjährigen Krieges kaum unterschieden. Sie wurden als blutrünstige Monster, als grausame Wilde, als illoyal und hinterlistig beschrieben. Auch die Einordnung der Indianer ins Tierreich und das Bild vom körperlich schwachen, krankheitsanfälligen Indianer, der dem robusten Europäer Platz zu machen hat, wurde schon in früheren Kriegen immer wieder eingesetzt und läßt sich nicht etwa auf einen aus dem Siebenjährigen Krieg hervorgegangenen biologischen Rassismus neuer Qualität zurückführen. Sobald die Kämpfe beendet waren, ersetzte man die negativen Bilder sehr schnell durch positive Klischees. Die Kontakte in Handel und Mission wurden wieder aufgenommen und aus den blutrünstigen Wilden wurden die bekehrungswilligen Heiden aus Vorkriegszeiten, die den britischen Avancen aufgeschlossen gegenüberstanden. Diese Fluidität der Stereotypen und der schnelle Wechsel zwischen positiven und negativen Bildern läßt sich im Zusammenhang mit allen indianisch-britischen Auseinandersetzungen des 18. Jahrhunderts nachvollziehen.

13

Siehe dazu Ulrike Kirchberg er, Konversion zur Moderne? Die britische Indianermission in der atlantischen Welt des 18. Jahrhunderts, Wiesbaden 2008, 7 u. 130-136.

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Was den Siebenjährigen Krieg anbelangt, so läßt sich für die Anfangsphase schon allein deshalb kein klarer Umschwung in den Stereotypisierungen feststellen, weil sich auf indianischer Seite keine eindeutige Front ausmachen ließ und es aus der Sicht der Zeitgenossen im Ohio-Tal keinen eindeutigen Kriegsbeginn gab. Die berühmte militärische Auseinandersetzung zwischen George Washington und Joseph Coulon de Villiers de Jumonville im Mai 1754, die die Historiker im Bezug auf den nordamerikanischen Schauplatz als Kriegsbeginn werten, wurde von den Beteiligten, die vor Ort zwischen indianischen Ethnien und europäischen Kolonisten agierten, nicht als klare Zäsur oder gar als Beginn eines Krieges von globalen Dimensionen empfunden. Bereits in den davorliegenden Jahren war es immer wieder zu konfliktträchtigen Situationen gekommen. Briten und Franzosen reagierten auf den Bau eines jeden gegnerischen Forts alarmiert und kampfbereit. Die Aktivitäten der Ohio-Company sorgten für weiteres Eskalationspotential. Auch die inner-indianischen Beziehungen waren in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sehr angespannt. Die Irokesenliga hatte sich in diesen Jahrzehnten, nicht zuletzt durch die Aufnahme der Tuscarora als sechster Ethnie des Bundes, zur stärksten indianischen Kraft im Norden entwickelt. Sie dehnte ihr Einflußgebiet immer weiter ins Ohio-Gebiet aus und zwar auf Kosten der Delaware und der Shawnee, die dort ihre Siedlungsplätze hatten, hl den frühen vierziger Jahren hatten die Irokesen den Delaware den diplomatischen Status von „women" zugewiesen. Sie sprachen ihnen damit das Recht ab, direkt und unabhängig von den Irokesen mit den Europäern Verhandlungen aufzunehmen oder ihnen Land zu verkaufen. Dies sorgte für Konfliktstoff unter den Indianern und irritierte die Briten, die nicht genau wussten, mit wem sie über die Belange der Delaware verhandeln sollten.14 Nach dem Schlagabtausch zwischen Washington und Jumonville im Mai 1754 blieb die Lage im Ohio-Gebiet so unübersichtlich wie zuvor. Viele indianische Ethnien bezogen gegenüber den Briten nach wie vor keine klare Position. Britische Kommandierende wie der Gouverneur von Virginia, Robert Dinwiddie, oder dessen Bevollmächtigter, George Washington, konnten sich nie völlig sicher sein, welche Interessen und Ziele einzelne Ethnien, Klans oder Fraktionen verfolgten. Einige indianische Persönlichkeiten, unter ihnen Tanaghrisson, waren den Briten persönlich bekannt und wurden als zuverlässige Verhandlungspartner betrachtet. Bei vielen indianischen Gruppierungen konnten die Briten das Bündnisverhalten jedoch nicht einschätzen. Da die Solidarität indianischer Verbündeter allgemein als wichtiger, wenn nicht gar kriegsentscheidender Faktor gewertet wurde,15 war die britische Seite sowohl in der Zeit vor 1754 als auch in den Jahren danach ständig mit einer kleinteiligen Suche nach indianischen Bündnispartnern beschäftigt und versuchte herauszufinden, wie die vielfach gespaltenen und untereinander uneinigen indianischen Fraktionen einzuordnen waren. 14

15

Siehe dazu Francis Jennings, Empire War in America, N e w York, London Archibald Kennedy, The Importance the British Interest Considered, N e w

of Fortune. Crowns, Colonies, and Tribes in the Seven Years 1988. of Gaining and Preserving the Friendship of the Indians to York 1751.

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George Washington erhielt bis zum Abschluß des Vertrags von Easton im Jahre 1758 immer wieder Anweisungen von Robert Dinwiddie, die Stimmungslagen einzelner Klans und Fraktionen zu erkunden und Verbündete zu gewinnen. Im Januar 1756 wurde er von Robert Dinwiddie beauftragt, einige zuverlässige Indianer zu den Miami zu schicken, um deren bündnispolitische Interessen zu ermitteln („To Sound their Intentions, know their Affection to the English, and how far they are attached to the French").16 Einige Monate später ließ er vor demjenigen Teil der Tuscarora, der nach der Migration der Ethnie zu den Irokesen im Süden verblieben war, eine Rede vortragen, in der er um die aktive Kriegsteilnahme auf britischer Seite warb. Er berief sich dabei auf die „Chain of Friendship", einem komplexen Geflecht von Einzelbeziehungen, in dem indianische Ethnien und britische Siedler sich über die Jahrhunderte hinweg immer wieder gegenseitige Zusagen in wirtschaftlichen, politischen und militärischen Fragen ihres Zusammenlebens gemacht hatten.17 Während George Washington versuchte, die südlichen Ethnien auf die britische Seite zu ziehen, verhandelte im Norden der Indianerbeauftragte der Krone, William Johnson, mit den Shawnee und Delaware, die für die Überfälle auf Siedler in Virginia, Massachusetts und Pennsylvania verantwortlich waren.18 Neben den indianischen Angriffen auf die Siedler an der Frontier stand somit eine rege Verhandlungstätigkeit mit einzelnen Ethnien. Selbst diejenigen Ethnien, die man soeben noch für ihre grausamen Mordtaten gebrandmarkt hatte, wurden nur wenig später als Bündnispartner umworben. Die schnellen Wechsel von Bündnissen und Stimmungen wurden oft durch Kleinigkeiten und Gerüchte verursacht. Als beispielsweise George Washington im Sommer 1754 in einem Indianercamp verbreiten ließ, die Franzosen wollten Tanaghrisson töten, genügte dies, die dort Anwesenden dazu zu bewegen, sich den Truppen Washingtons anzuschließen. Sie beschlossen femer, die Mingo und die Delaware zu benachrichtigen, sobald sich die Nachricht von Tanaghrissons Tod bestätige, damit diese ebenfalls Krieger für die britische Seite bereitstellten.19 Die diffuse Situation im Ohio-Tal verhinderte die Entstehung eines klaren Feindbildes unter den militärischen Befehlshabern vor Ort. Eine eindeutige Negativstereotypisierung existierte lediglich bezüglich der mit den Franzosen verbündeten Ethnien. Diese wurden nie genau beschrieben oder nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit präzise benannt, sondern stets mit der Formel „French & Indians" belegt. Daneben standen die sachlich formulierten Berichte über die Verhandlungen mit einzelnen Ethnien oder Fraktionen und deren Repräsentanten. In diesem Zusammenhang wurde sorgfaltig differenziert. Wenn man in den Korrespondenzen 16

17

18

19

Adam Stephen an George Washington, 31. Januar 1756, in: Theodore J. Crackel (Hrsg.), The Papers of George Washington Digital Edition, Charlottesville 2007, http://rotunda.upress.virginia.edu/pgwde/print-Col02d309 (Stand: 24. Juni 2010). Speech to the Tuscarora, Winchester 1. August 1756, in: Crackel, Papers of George Washington (wie Anm. 16), http://rotunda.upress.virginia.edu/pgwde/search-Col03d269 (Stand: 25. Mai 2008). Robert Dinwiddie an George Washington, 1. Juli 1756, in: Crackel, Papers of George Washington (wie Anm. 16), http://rotunda.upress.virginia.edu/pgwde/search-Col03d216 (Stand: 24. Mai 2008). Narrative, in: Crackel, Papers of George Washington (wie Anm. 16), http://rotunda.upress.virginia.edu/pgwde/search-Dia01ch4m2 (Stand: 25. Mai 2008).

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der maßgeblich am Krieg beteiligten kolonialen Führungsriege nach klaren Feindbildern sucht, dann lassen sich neben den „French & Indians" am ehesten die Quäker ausmachen, deren Aktivitäten eindeutig und uneingeschränkt als subversiv betrachtet wurden und denen man vorwarf, die Indianer der britischen Seite bewusst zu entfremden.20 Im Hinblick auf die Indianer läßt sich ein vergleichbares, eindeutig negatives Feindbild nicht nachvollziehen. Während des gesamten Krieges, wie auch vor und nach dem Krieg, standen stets verschiedene Perzeptionen nebeneinander, die jeweils dehn- und wandelbar, orts- und personenabhängig waren. So waren auf der einen Seite die Berichte über die Greueltaten an der Frontier zu verzeichnen, aus denen das negative Indianerbild resultierte, auf das sich die Forschung beruft. Die Indianer wurden darin als grausame Wilde dargestellt, die furchtbare Mordtaten an den Siedlern vollbrachten. Aus den Kampfzonen in Pennsylvania wurde wie folgt oder ähnlich berichtet: „Our Ears are daily alarmed with the shocking News of fresh Butcheries committed by the Heathen on some of our Friends or Neighbours, Butcheries of the most base kind that Indian barbarity agitated by Heathenish Cruelty can be guilty of'. 2 1 Neben den emotional aufgeheizten Schilderungen über indianische Greueltaten finden sich jedoch die nüchternen Protokolle über die weiterhin stattfindende Verhandlungstätigkeit mit den indianischen Ethnien, die frei von solcher Polemik geschrieben waren. Bei William Johnson, der während des gesamten Krieges indianische Delegationen aus verschiedenen Gegenden des Landes zu Verhandlungen auf seinem Anwesen empfing, war keine Änderung im Indianerbild festzustellen. Auch in den Korrespondenzen von George Washington änderte sich die Perzeption der Indianer nicht grundlegend. Die Verhandlungspartner waren persönlich bekannt und wurden als Individuen wahrgenommen, als Feinde wurden die mit Frankreich verbündeten Ethnien stereotypisiert („French & Indians"). Eine ähnliche Kontinuität in der Wahrnehmung der Indianer zeigt sich bei den Missionaren, die während des Krieges bei den pro-britischen Ethnien tätig waren. Als Beispiel ließe sich der anglikanische Missionar John Ogilvie anführen, der bei den auf der britischen Seite stehenden Mohawk-Indianem missionierte. Ogilvies positive Beurteilungen des Interesses der Mohawk am Christentum rissen während der Kriegsjahre nicht ab. Er schätzte seine Arbeit auch während des Krieges als erfolgreich ein und erwähnte in seinen Tätigkeitsberichten nach London, daß immerhin sechs von den zwölf führenden Mohawk, die an der Schlacht am Lake George beteiligt gewesen waren, regelmäßig an seinen Gottesdiensten teilnahmen. Ogilvie teilte ferner mit, daß die Mohawk ihn gebeten hätten, sie als Geistlicher zu begleiten,

20

21

Siehe zum Beispiel Robert Dinwiddie an George Washington, 1. Juli 1756, Enclosure. William Johnson an William Denny, 25. September 1757, Fußnote 2, in: Crackel, Papers of George Washington (wie Anm. 16), http://rotunda.upress.virginia.edu/pgwde/search-Col03d216 (Stand: 24. Mai 2008), http://rotunda.upress.virginia.edu/pgwde/search-Col05d6 (Stand: 24. Mai 2008). Rhodes House Library, Oxford, Papers of the Society for the Propagation of the Gospel, USPG, В 6, Wm. Thomson an Rev. Daniel Barton, Carlisle, 2. Oktober 1763.

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bevor sie in die Schlacht gezogen seien.22 1757 wurde Ogilvie zum „Chaplain of the Royal American Regiment" ernannt. In dieser Eigenschaft nahm er an der Belagerung von Fort Niagara teil. Er berichtete, daß ungefähr 940 Angehörige des Irokesenbundes auf britischer Seite kämpften. Seine Gottesdienste, die vor allem von Oneida und Mohawk besucht wurden, trügen dazu bei, Ruhe und Ordnung unter ihnen zu bewahren („my Presence with them contributed in some Measure to keep up Decency & Order amongst them"23). Wie die meisten Missionare hielt Ogilvie an seinem althergebrachten, christlichen Indianerbild fest. Die Indianer seien zwar Heiden und auf der niedrigsten Stufe der zivilisatorischen Entwickimg anzusiedeln, aber es sei ihnen das Potential sich zu verbessern mitgegeben. Sie seien christianisier- und zivilisierbar. Vom monogenetischen Weltbild wurde nicht abgewichen. Ein biologistisches Beschreiben der Indianer fand erst lange nach dem Siebenjährigen Krieg Eingang in die Texte der britischen Indianermissionare. Was die Endphase des Krieges anbelangt, so steht im Mittelpunkt des Interesses der Forschung das abwertende Indianerbild von Jeffrey Amherst, dem Commander-in-Chief der britischen Truppen in Nordamerika. Amherst war 1758 nach Nordamerika gekommen und hatte in den folgenden Jahren wichtige Schlachten gewonnen. 1763 wollte er nach erfolgreicher Erledigung seiner Aufgabe in die englische Heimat zurückkehren als Pontiac's War ausbrach und der britische Sieg plötzlich wieder in Frage zu stehen schien. In dieser Situation gingen Amherst und seine Offiziere besonders brutal gegen die Indianer vor. Sie griffen zum Mittel der biologischen Kriegführung und gaben pockeninfizierte Decken an die Indianer 24

aus. Diese Vorgehensweise ging mit einem menschenverachtenden Indianerbild einher. Die Indianer seien, so Amherst „the vilest Race of beings that ever infested the Earth & whose Riddance from it must be esteemed as a meritious Act for the Good of Mankind". Von seinen Soldaten forderte er: „Destroy their huts and plantations, putting to death eveiy one of that Nation that may fall into your hands", ,Д wish to hear of no prisoners".25 Er hielt die komplette Vernichtung der Indianer für gerechtfertigt („their Total Extirpation26is scarce sufficient Attonement for the Bloody and Inhuman Deeds they have Committed"). Auch sein Untergebener, Colonel Henry Bouquet, definierte die Auslöschung der Indianer als Kriegsziel und verlangte, sie mit Hunden zu jagen, da britische Soldaten zum Kampf gegen sie zu schade 22

23 24

25

26

John Ogilvie an die SPG, 25. Dezember 1755, in: Α. H. Young, The Revd. John Ogilvie, D.D., An Army Chaplain at Fort Niagara and Montreal, 1759-60, reprinted from the Ontario Historical Society's „Papers and Records", Volume XXII, 1925, 25. Ders. an die SPG, 1. Februar 1760, in: Young, Revd. John Ogilvie (wie Anm. 22), 28. Siehe dazu Elizabeth Α. Fenn, Biological Warfare in Eighteenth-Century North America: Beyond Jeffrey Amherst, in: Journal of American History 86 (2000), 1552-1580; mit den Auswirkungen der Pockenepidemien auf die indianische Kriegsteilnahme befaßt sich D. Peter MacLeod, Microbes and Muskets: Smallpox and the Participation of the Amerindian Allies of New France in the Seven Years' War, in: Ethnohistory 39 (1992), 42-64. Die Zitate wurden dem Eintrag zu Jeffrey Amherst im Dictionary of National Biography entnommen. Zitiert nach Fenn, Biological Warfare (wie Anm. 24), 1574.

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seien: „As it is a pity to expose good men against them [...] I wish we could [...] hunt them with English Dogs, supported by Rangers, and Some Light Horse, who would I think effectually extirpate or remove that Vermine".27 Die Regeln der Kriegführung, die man gegenüber den „zivilisierten europäischen Nationen" einhielt, fanden gegenüber den Indianern keine Geltung. Für Amherst und Bouquet waren die Indianer Wilde, denen sie den Status europäischer Gegner aberkannten und gegen die sie deshalb mit ungezügelter Grausamkeit vorgin28

gen. Alle Mittel waren erlaubt. Selbst die Forderung nach völliger Ausrottung war legitim. Diese Wahrnehmung der Indianer kann allerdings nicht als repräsentativ für die gesamte britische Seite betrachtet werden. William Johnson kritisierte bereits im Vorfeld des Pontiac's War Amhersts rigoroses Vorgehen gegen die Indianer. Er sah es mit Sorge, daß Amherst die Rückgabe der von den Irokesen gemachten Kriegsgefangenen forderte und das Geben von Geschenken einstellte. Während Johnson die Rolle von Kriegsgefangenen in den irokesischen Gesellschaften und die Bedeutung von Geschenken in der irokesischen Diplomatie kannte, waren Amherst die indianischen Ethnien fremd, und er handelte in Unkenntnis ihrer kulturellen Gepflogenheiten. Gegen die These von der umfassenden und bleibenden Verschlechterung des Indianerbildes spricht ferner, daß Gruppierungen wie Händler und Missionare nach dem Krieg ihre Tätigkeit bei den Indianern wieder aufnehmen wollten. Sie waren an guten Beziehungen interessiert, was sich auch auf die Perzeption und Beschreibung der Indianer niederschlug. So schrieb der nonkonformistische Prediger Eleazar Wheelock, der in Connecticut eine Indianerschule unterhielt, zwar von den Vorurteilen, die die Siedler gegenüber den Indianern aufgebaut hätten, sah dies aber vor allem als Behinderung für den Fortgang seiner Missionstätigkeit, fur die er nach dem gewonnenen Krieg ganz neue Möglichkeiten sah und die er im großen Stil ausbauen wollte. Sein eigenes Indianerbild änderte sich durch den Krieg nicht.29 Die britische Wahrnehmung der Indianer war am Ende des Krieges genauso vielfaltig wie zu Kriegsbeginn. Nach wie vor differenzierten viele Briten, die vor Ort mit den Indianern zu tun hatten, zwischen den einzelnen Ethnien und stellten sie auf unterschiedliche Art und Weise dar. Das Indianerbild der Siedler, die unter den indianischen Überfällen zu leiden hatten, war deutlich negativer als das der Bewohner von Landstrichen, die kaum von den Angriffen der Indianer betroffen gewesen waren. Ein Interesse am ethnologisch akkuraten Beschreiben der indianischen Kulturen war am Ende des 27 28

29

Ibid, 1574 f. Ibid., 1574; für eine Diskussion zum Zusammenhang zwischen solchen Perzeptionen indigener Ethnien und deren tatsächlicher Ausrottung siehe Norbert Finzsch, „It is scarcely possible to conceive that human beings could be so hideous and loathsome": Discources of Genocide in Eighteenth- and Nineteenth-Century America and Australia, in: Patterns of Prejudice 39 (2005), 9 7 115. National Archives of Scotland, Edinburgh, Papers relating to the American Indian Fund, GD 95/12/2, Wheelock an William Hyslop, Lebanon, 1. Dezember 1760; Newberry Library, Chicago, Wheelock Papers (Mikrofilm), Wheelock an Rev. Dr. A. Gifford, Lebanon, 3. Oktober 1763; siehe dazu auch Kirchberger, Konversion (wie Anm. 13), 240.

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Krieges immer noch vorhanden, wie die Memoiren des Lieutenant Henry Timberlake zeigen, der 1763 eine Delegation von Cherokee-Indianern nach London begleitete.30 Nicht zuletzt bemühte sich die britische Regierung in London nach Kriegsende um eine Verbesserung ihrer Beziehungen zu den Indianern, was sich in einer wohlmeinenden, wenn auch erfolglosen Gesetzgebung zur Regulierung des indianisch-britischen Zusammenlebens in den Kolonien niederschlug.31

IV. Neben diesen sehr unterschiedlichen Perzeptionen, die auf britischer Seite während des Krieges vertreten wurden, standen die Klischeebilder, die die Indianer von den Briten entwarfen. Auch auf indianischer Seite ist eine breite Spannbreite unterschiedlicher Wahrnehmungsmuster zu verzeichnen, die sich aus den jeweiligen Interessenlagen einzelner Ethnien und Klans ergaben. Wenn es aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen opportun schien, die Gunst der Briten zu gewinnen, dann bemühten sich die indianischen Vertreter, bestimmten europäischen Vorstellungen zu entsprechen. Sie zeigten beispielsweise Interesse am Christentum und versprachen, die Kinder in Indianerschulen und zu den Gottesdiensten der Missionare zu schicken. Damit einher ging eine positive Stereotypisierung der Briten, die in diplomatischen Reden oder in Gesprächen mit Missionaren als Brüder, Freunde und zuverlässige Partner bezeichnet wurden. Im Gegensatz zu diesen Gruppierungen, die versuchten, durch freundliches Entgegenkommen ihre Existenz zu sichern und sich Handlungsspielräume zu bewahren, verfolgten andere Fraktionen einen wesentlich konfrontativeren Kurs. Zu ihnen gehörten die Nativisten, die eine Rückbesinnung auf tradierte indianische Werte forderten und alles Europäische ablehnten. In den Gesprächen und Verhandlungen mit den Europäern begannen sie, sich als eigenständige, dritte Ethnie neben Afro-Amerikanem und Europäern zu definieren. Letztere wurden mittels bestimmter Perzeptionsmuster und Stereotypisierungen marginalisiert. Als 1764 der Pontiac's War zu Ende ging, dessen Protagonisten sehr vom nativistischen Denken beeinflußt waren,32 hielt ein Seneca-Krieger und Mitstreiter Pontiacs namens Onooghwandekha eine Rede vor einer Ratsversammlung, in der er die nativistischen Positionen vortrug. Der konkrete Anlaß für Onooghwandekhas Ansprache war die Anwesenheit des presbyterianischen Missionars Samuel Kirkland, der von einer anglophilen, den Nativisten 30

31

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Henry Timberlake, The Memoirs of Lieut. Henry Timberlake, (who accompanied three Cherokee Indians to England in the year 1762) containing whatever he observed remarkable, or worthy of public notice [...], London 1765. Siehe dazu Daniel К. Richter, Native Americans, the Plan of1764, and a British Empire that Never Was, in: Robert Olwell, Alan Tully (Hg.), Cultures and Identities in Colonial British America, Baltimore 2006,267-292. Gregory E. Dowd, A Spirited Resistance. The North American Indian Struggle for Unity, 17451815, Baltimore, London 1992.

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entgegengesetzten Fraktion der Seneca als Bruder aufgenommen und adoptiert worden war. Onooghwandekha grenzte Kiikland in seiner Rede wieder aus, indem er ein Weltbild entwarf, das der Vision des Missionars von einem künftigen Miteinander aller Christen diametral entgegenstand. Er teilte die Bewohner Nordamerikas in drei Gruppen ein. Zum einen die britischen Kolonisten, die er als weißhäutige Fremde darstellte, die von weit hergekommen seien und die er vor allem über ihre Schriftkultur und die protestantische Buchreligion charakterisierte. Als weitere Gruppe definierte er die afro-amerikanischen Sklaven, die in Knechtschaft lebten, demütigende Arbeiten verrichten mußten und die er als den Indianern unterlegen darstellte. Als dritte Gruppe benannte er die Indianer, die er über ihre althergebrachte Religion und Lebensweise und über ihr Kriegertum definierte, das ihnen seit alten Zeiten zu Ruhm und Ehre veiholfen hätte. Er forderte dazu auf, die protestantische Buchreligion Kirklands abzulehnen. Er verwies auf die Ethnien an der Ostküste, die ihre eigene Tradition zugunsten des Protestantismus der Europäer aufgegeben hätten und seitdem in wirtschaftlichem Elend lebten. Als Knechte müßten sie nun erniedrigende Arbeiten für die Siedler erledigen. Onooghwandeka zeichnete die Schreckensvision, daß die Indianer wie Sklaven enden würden, wenn sie Kiikland weiter bei sich tolerierten („We shall be sunk so low as to hoe corn & squashes in the field, chop wood & 33

milk cows like negroes among the dutch people"). Indem sie die Menschheit in drei ethnische Gruppen einteilten, lehnten die nativistischen Sprecher die christliche Zweiteilung in Heiden und Christen ab, in deren Zusammenhang die Missionare Indianer und Afro-Amerikaner oft als Heiden zusammenfaßten. Die Nativisten definierten die Indianer als eigenständige dritte Ethnie. Sie konstruierten eine Hierarchie, in der sie die Afro-Amerikaner über negative Stereotypen wie das Sklaventum und die damit verbundenen entwürdigenden Arbeiten auf der niedrigsten Stufe anordneten. Die Indianer beschrieben sie als selbstbewußtes Kriegervolk, das schon immer in Nordamerika gelebt hätte, durch jahrhundertealte Traditionen dort verwurzelt sei und deshalb den alleinigen Anspruch darauf hätte, auf amerikanischem Boden zu leben. Die Europäer wurden als weiß und fremd stereotypisiert. Somit gab es auch auf indianischer Seite politische Richtungen, die das Zusammenleben im „Middle Ground" aufkündigten. Neben den sich im Krieg fortsetzenden Initiativen zur Verständigung mit den Briten stand die Abwertung der britischen Siedler durch die Nativisten. Diese Form der Wahrnehmung entwickelte sich allerdings nicht erst im Siebenjährigen Krieg, obwohl vor dem Hintergrund der Ereignisse der frühen sechziger Jahre der Nativismus breiten Zuspruch fand. Situationen, in denen indianische Sprecher ihr britisches Gegenüber mit Ansprachen konfrontierten, in denen sie über eine ethnische Dreiteilung die eigene indianische Identität definierten, lassen sich auch für die Jahrzehnte vor dem Siebenjährigen Krieg nachweisen. Soweit es sich aus der Überlieferung erschließt, spielten biologische Kriterien bei der Definition der einzelnen Ethnien eine untergeordnete Rolle. Nur die Briten wurden dezidiert über ihre weiße Hautfarbe definiert. Die afrikanischen Sklaven wurden in der englischen Ü33

Die englische Überlieferung der Rede findet sich in Walter Pilkington (Hg.), The Journals of Samuel Kirkland. 18,h-century Missionary to the Iroquois, Government Agent, Father of Hamilton College, Clinton/N. Y. 1980, 24.

NORDAMERIKANISCHE INDIANER UND BRITISCHE KOLONISTEN

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bersetzung als „negroes" bezeichnet, was die Hautfarbe impliziert, sie aber nicht direkt als Attribut benennt. Ansonsten standen Faktoren wie die Reihenfolge der göttlichen Erschaffung oder andere kulturelle Aspekte im Vordergrund bei der Beschreibung der einzelnen Ethnien.34

V. Weder während des Siebenjährigen Krieges noch in den Jahren davor und danach standen sich Indianer und Briten in zwei monolithischen Blöcken gegenüber, die eine jeweils einheitliche Sicht auf das ethnisch Andere eingenommen hätten. Auf beiden Seiten versuchten verschiedene Gruppierungen und Fraktionen auf unterschiedliche, manchmal sogar widersprüchliche Art und Weise ihre Interessen durchzusetzen. Daraus leiteten sich verschiedene Formen der Selbst- und Fremdwahrnehmung ab. So kompliziert und vielschichtig die Interaktionen zwischen Indianern und Briten im Ohio-Gebiet waren, so vielfaltig waren auch die gegenseitigen Wahmehmungsmuster und Stereotypisierungen. Der Siebenjährige Krieg bildete im Hinblick auf die gegenseitige Perception keine umfassende Zäsur, und die These vom völligen und endgültigen Zusammenbruch eines vormals guten Einvernehmens sollte relativiert werde.

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Kirchberger, Konversion (wie Anm. 13), 206-210; für einen Fall aus dem frühen 18. Jahrhundert, in dem sich die Indianer über ihre als „rot" bezeichnete Hautfarbe definierten siehe Shoemaker, A Strange Likeness (wie Anm. 2), 130-134.

В. Kriegswahrnehmungen und Nachwirkungen: Politik, Literatur und Kunst

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Voltaire zwischen Candide und Roi philosophe

I.

„Vous devez savoir ä present vous autres Parisiens que le Salomon du Nord s'est empare de Leipsik. Jene sais si c'est lä un chapitre de Machiavel ou de l'Antimachiavel, si c'est d'accord avec la cour de Dresde ou malgre eile. [...] Je me promene dans des allees de fleurs de mon invention, et je prends peu d'interet aux affaires des Vandales et des Misniens".1 Mit diesen Worten kommentierte Voltaire in einem Brief an seinen alten Freund Nicolas Claude Thieriot den Einmarsch Friedrichs des Großen in Sachsen und damit den Ausbruch des Siebenjährigen Krieges in Europa. Daß sich Voltaire nicht um die Angelegenheiten der „Vandalen" und „Meißener" kümmerte, trifft jedoch so nicht zu: Seit 1755 kam er in seiner Korrespondenz immer wieder auf die aktuellen politischen Ereignisse zu sprechen, sei es auf die Westminster-Konvention, sei es auf den noch unerklärten Krieg zwischen England und Frankreich, oder sei es auf die französisch-österreichische Allianz.2 Auch im weiteren Verlauf des Krieges sollte Voltaire nicht der von den Ereignissen unberührte Einsiedler bzw. das „Murmeltier"3 in der Schweiz sein. Darüber hinaus versuchte sich Voltaire mehrfach als Diplomat, indem er

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Die Briefe Voltaires werden zitiert nach der Zählung in der kritischen Ausgabe Voltaire, Correspondance and Related Documents, hg. v. Theodor Bestermann, Genf 1968ff. (Bde. 85-135 der CEuvres completes Voltaires). Auf Angabe von Band und Seiten wird verzichtet. D 6992, an Thieriot, 10. September 1756. Über Nicolas Claude Thieriot (1697-1772): Raymond Trousson, Jeroom Vercruysse (Hg.), Dictionnaire general de Voltaire, Paris 2003, 1168-1172. Über den Vertag von Westminster: D 4357; über die Konflikte in Übersee: D 4363, D 4379, D 4381, 693; zum renversement des alliances'. D 4506, D 4527, D 4526. „Marmotte", z.B. D 8387, Choiseul an Voltaire, 6. Juli 1759; siehe auch Voltaire, Correspondance (wieAnm. 1), Bd. 20,265.

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sich sowohl der Regierung in Versailles als auch Friedrich dem Großen als Vermittler bzw. „Briefkasten" für Geheimverhandlungen anbot. Die Jahre des Krieges waren für den alternden Voltaire von existentiellen Weichenstellungen geprägt: im Oktober 1758 erwarb er Ferney, einen Adelssitz auf französischem Territorium nahe Genf, der bis zu seinem Tode sein Hauptwohnsitz sein sollte. Zugleich entwickelte Voltaire in den sieben Kriegsjahren eine große schöpferische Energie: Candide, der conte philosophique, sein wohl berühmtestes und bekanntestes Werk wurde im Januar 1759 publiziert und entwickelte sich zu einem großen Erfolg, nicht nur in Paris, sondern auch in Deutschland, als Lektüre der an den schier endlosen Feldzügen teilnehmenden Offiziere. Auch fand Voltaire eine neue Aufgabe, die von nun an seine Schriften prägen sollte: der Kampf gegen „l'Infame", jenen Komplex aus Aberglauben und Fanatismus, der auch heute noch eine so gefährliche Mischung darstellt.4 In die letzten Jahre des Krieges fiel der Beginn der Affäre Calas5 und die Redaktion des Dictionnaire philosophique, der Kampfschrift gegen das Infame. Anhand eines kursorischen Durchgangs durch die Korrespondenz Voltaires sollen nun nicht systematisch seine Auffassungen über Krieg und Frieden rekonstruiert werden - hierzu sei auf die Studie von Henry Meyer, Voltaire on War and Peace aus dem Jahre 1976 verwiesen6 - , sondern es sollen Voltaires Analysen und Kommentare des Siebenjährigen Krieges in den Vordergrund gestellt werden. Wie beurteilte er die epochalen Veränderungen in der europäischen Bündnispolitik, die dem Krieg vorausgingen? Wie reagierte er auf Nachrichten vom Kriegsschauplatz, welchen Ton schlug er gegenüber seinen Korrespondenzpartnern an? Eingegangen wird auch auf Voltaires philosophisch-dichterische Verarbeitung des Siebenjährigen Krieg im Candide und vor allem im Artikel „Guerre" des Dictionnaire philosophique, denn hier lassen sich einige Kerngedanken Voltaires über Krieg und Frieden herausfiltern. Ergänzt wird dies durch die historische Darstellung des Krieges im Precis du siecle de Louis XV.

II. Der heraufziehende Weltkonflikt wurde von Voltaire schon früh zur Sprache gebracht. Bereits im berühmten Brief vom 30. August 1755 an Rousseau anläßlich der Publikation des Discours sur les fondements de l'inegalite parmi les hommes verwies Voltaire auf die Scharmützel in Nordamerika: „Je ne peux non plus m'embarquer pour 4

Definition des „l'Infame" bei Rene Pomeau u.a., Voltaire en son temps, 2 Bde., Oxford, Paris 1995, Bd. 2 , 7 . D10690. Henry Meyer, Voltaire on War and Peace, Oxford 1976; siehe auch Artikel „Guerre, Paix", in: Dictionnaire Voltaire (wie Anm. 1), 559-561. 2

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VOLTAIRE ZWISCHEN CANDIDE UND ROI PHILOSOPHE

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aller trouver les sauvages du Canada, [...] parce que la guerre est portee dans се payslä, et que les exemples de nos nations ont rendu les sauvages presque aussi mdchants que nous".7 Über der scharfen Ironie der Bemerkung, die sich gegen die Idee des bon sauvage richtet und auch Berichte über die grausamen Kriegsrituale der Indianer spiegelt, sollte man nicht übersehen, daß Voltaire schon hier wesentliche Aspekte des Konfliktes in Amerika erfaßt hatte: Zum einen die Tatsache, daß die Indianer Akteure im Ringen Frankreichs und Englands um die Weiten Amerikas waren, und zum anderen, daß es ein Konflikt zwischen zwei europäischen, „zivilisierten" Mächten ist, der außerhalb Europas ausgetragen wird. Von nun an stellte der Konflikt ein immer wiederkehrendes Thema in Voltaires Briefen dar. Das Kräfteverhältnis in den ersten Kriegsjahren in Amerika wußte Voltaire gut einzuschätzen. Der Herzogin von Sachsen-Gotha schrieb er Anfang Februar, die Engländer seien in Amerika in Bedrängnis, und die Franzosen zur See.8 Seit dem Februar 1756 verband Voltaire seine Kommentare zur „Tagespolitik" mit der Kritik am philosophischen Optimismus der „besten aller möglichen Welten", die seit dem Erdbeben von Lissabon seine Schriften prägte und im Candide noch einmal zugespitzt werden sollte. Seine Korrespondenz liest sich dabei wie Vorübungen zu seinem berühmtesten Werk. So bemerkt Voltaire gegenüber Argental, „Le tout est bien me parait ridicule, quand le mal est sur terre et sur mer" 9 , gegenüber Elie Bertrand, „Le mal est sur la terre, et c'est se moquer de moi que de dire que mille infortunes composent le bonheur"10. Der Krieg um Kanada ist mit dem tout est bien nicht vereinbar, geschweige denn mit der Vorstellung, die Menschen und Völker würden die Vernunft zur Grundlage ihrer Handlungen machen. An Thieriot schreibt Voltaire Ende Februar 1756: „Le tableau de sottises du genre humain depuis Charlemagne jusqu'ä nos jours est ce qui m'occupe [...]. Je ne sais s'il у a dans се tableau beaucoup traits plus honteux pour l'humanite que de voir deux nations eclairees se couper la gorge pour quelques arpents de glace et de neige dans rAmerique". 11

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9 10 11

D 6451. Das Bild der friedliebenden Naturvölker wird ganz nebenbei auch im Dictionnaire Philosophique, Art. Gueire konterkariert: „vers le canada homme et guerrier sont sinonimes"; Voltaire, Dictionnaire Philosophique, 2 Bde., hg. v. Christiane Mervaud, Oxford 1994, Bd. 2, 185— 194,185. D 6726, An die Herzogin von Sachsen-Gotha, 10. Februar 1756: „On dit que tout est mal chez les Anglais en Amerique, et chez les Fran?ais sur mer". D 6734, An Argental, 15. Februar 1756. D 6738, An Elie Bertrand, 18. Februar 1756. D 6755, an Thieriot, 29. Februar 1756. Ähnlich auch an J. R. Tronchin, D 6752, „Le commerce souffira beaucoup, les deux nations s'epuiseront en Europe pour quelques arpents de neige en Amerique"; D 6757, „des guerres pour quelques arpents des neiges chez les Algonquins". Voltaire griff die Formulierung im Candide erneut auf: „Vous savez que ce deux nations [Engländer und Franzosen] sont en guerre pour quelques arptents de neige vers le Canada" (Kap. XXIII), Voltaire, Candide, edition critique hg. v. Rene Pomeau, Paris 1989, 191.

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Es verwundert daher nicht, daß auch der Kriegsausbruch im September 1756 zu scharfen Kommentaren herausfordert, die das Gute der Welt in Frage stellen. „Tout est bien, tout est mieux que jamais. Voilä deux ou trois cent mille animaux ä deux pieds qui vont s'egorger pour cinq sous par jour. [...] Le meilleur des mondes est horriblement ridicule. II faudrait voir tout avec des yeux stoi'ques", heißt es in einem Brief vom 17. September an F. L. Allamand. 12 Voltaires Kommentar zur Schlacht von Lobositz, der ersten der vielen blutigen Schlachten des Siebenjährigen Krieges, verweist bereits auf das 3. Kapitel des Candide, in der die Schlacht zwischen Bulgaren und Abaren geschildert wird: „Voilä dejä environ vingt mille hommes morts pour cette querelle, dans laquelle aucun d'eux n'avait la moindre part. C'est encore un des agrements du meilleur des mondes possibles. Quelles miseres! et quelles horreurs!" (an die Herzogin von Sachsen-Gotha). 13 Die Allianzbildung im Staatensystem veranlaßte Voltaire zu einem weiteren verzweifelten Ausruf: „Cette guerre n'a pas mine de finir si t6t. Aurait-on jamais pense que l'Autriche, la France et la Russie marcheraient contre un prince de l'empire! Dieu seul sait ce qui arrivera; le comte d'Estrees et l'intendant de l'armee de France doivent dejä etre ä Vienne. [...] On dit M. de Broglie et M. de Valori retournes ä Paris, et qu'on enverra ä leur place quatre-vingt mille ambassadeurs. Et c'est une querelle du Canada qui ebranle tout I'Europe. Ah, que ce meilleur des mondes est aussi le plus fou!" 14 Im September 1759, nach der Publikation des Candide, schreibt Voltaire an seinen Verleger Cramer: „Si Candide a ete en Saxe, il doit douter plus que jamais du sisteme du docteur Pangloss. Tout ce qu'on apprend de ce malheureux pays tire des larmes". 15 Die Wirklichkeit - hier am Beispiel des von Preußen seit 1756 systematisch ausgeplünderten Kurfürstentums Sachsen - lieferte Voltaire unwiderlegbare Argumente gegen die Idee der „beste der Welten" und das Prinzip des „alles ist gut". Diesen Blick für die Realität des Krieges verlor Voltaire während des gesamten Krieges nicht, immer wieder finden sich in seiner Korrespondenz Bemerkungen wie diese, in einem Brief an die Herzogin von Sachsen-Gotha, deren Territorium unmittelbar vom Krieg und seinen Begleiterscheinungen betroffen war: „Je vois les malheurs du genre humain augmenter sans qu'ils produisent le bien de personne". 16 Der Kontakt mit der Herzogin blieb auch während des Kriegs bestehen. Sie versorgten sich gegenseitig mit Nachrichten und Kommentaren zum Kriegsverlauf. 17 Voltaire zeigte sich immer wieder besorgt darüber, daß das kleine Herzogtum auch zum Kriegsschauplatz werden könnte. Ein kleines Meisterwerk der Ironie und des Humors 12 13 14 15 16 17

D 7001, an J. F. Allamand, 17. September 1756. D 4586, D 7023, an die Herzogin von Sachsen-Gotha, 11. Oktober 1756. D 7051, an die Herzogin von Sachen-Gotha, 9. November 1756. D 8480, an G. Cramer, 15. September 1759. D 8552, an die Herzogin von Sachsen-Gotha, 22 Oktober 1759. Ζ. B. D 7753; D 7897, D 8596. Voltaire hatte die Herzogin nach seiner Abreise von Berlin 1753 während eines Aufenthaltes in Gotha kennengelernt. Pomeau, Voltaire en son temps (wie Anm. 4), Bd. 1, 717-719; Η. A. Stavan, Voltaire et la duchesse de Saxe-Gotha, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 185 (1980), 27-56.

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ist Voltaires Neujahrsgruß zum Jahr 1758 an die Herzogin, dem er eine Tirade gegen die „Kroaten, Panduren und Husaren" voranstellt, die den Brief abfangen könnten, und worin er ihnen, die danach trachten, „die Welt zu greulichsten aller Welten zu machen", die Herzogin als Muster des Geistes und der Höflichkeit entgegenstellt.18 Als nach sieben langen Jahren endlich der Friede nach Europa zurückkehrt, bricht Voltaire nicht in Jubel aus; halb resignierend stellt er fest: „La paix va nous rendre les plaisirs, et ne fera pas tort ä la philosophie. II faut mieux cultiver sa raison que se battre".19 So bringt auch der Frieden nicht die beste aller Welten hervor, denn der Kampf gegen das Übel - in Form des Infamen - geht weiter. Der schriftstellerische und philosophische Ertrag des Siebenjährigen Krieges findet sich verdichtet im zweiten und dritten Kapitel des Candide und im Artikel Guerre des Dictionnaire philosophique portatif. Im Candide schildert Voltaire die Rekrutierungspraxis und die unmenschliche, mit Gewalt hergestellte Disziplin in der bulgarischen, d.h. der preußischen Armee. Der bulgarische König - niemand anderes als Friedrich der Große - errettet Candide, Opfer des Spießrutenlaufens, vor dem sicheren Tode, denn er erkennt in ihm den , jungen Metaphysiker", der von den Dingen der Welt nichts weiß.20 Wie es in der Welt zugeht, erfährt Candide schon bald darauf, als es zur Schlacht zwischen Bulgaren (Preußen) und Abaren (Österreicher) kommt. Diese und damit den Krieg beschreibt Voltaire in einer bis dahin seltenen Eindringlichkeit (vielleicht abgesehen von Grimmelshausens Simplicissimus). Eine Schlacht ist nichts anderes als eine „boucherie hero'ique", bei der in wenigen Augenblicke Tausende von „coquins" aus der besten aller Welten befördert werden und in der Dörfer und ihre Bewohner nach den Regeln des öffentlichen Rechts (d.h. des Völkerrechts) überfallen und massakriert werden. Das ganze wird sanktioniert von der Kirche, die diese Heldentaten mit einem 21

Те deum feiert. Die unselige Verbindung von Kirche und Kriegführung nimmt auch großen Platz im Artikel Guerre des philosophischen Wörterbuches ein. Die Feldherren und Soldaten rufen Gott an, bevor sie ihre Gegner massakrieren bzw. von ihnen massakriert werden. 18 19 20

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D 7554, an die Herzogin von Sachsen-Gotha, 4. Januar 1758. D 10823, an d'Argence, 2. Dezember 1762. Voltaire, Candide (wie Anm. 11), Kap. II, 89-92, 91 f.: „Le roi de Bulgares passe dans се moment, s'informe du crime du patient; & comme се rai avait un grand genie, il comprit par tout ce qu'il apprit de Candide que c'etait un jeune metaphysicien, fort ignorant des choses de ce monde, & il lui accorda sa grace avec une clemence qui sera louee dans tous les journaux & tous les siecles". Zur Identifikation des Königs der Bulgaren mit dem Preußenkönig siehe: Frederic Deloffre, Genese de Candide: etude de la creation des personnages et de I 'elaboration du roman, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 2006/6, 259-263. Wie sehr die preußische Disziplin in Europa bewundert wurde, verdeutlicht Voltaire auch an anderer Stelle im Candide, als dieser zu den Jesuiten fliehen muß: ,Jls [die Jesuiten] seront charmds d'avoir un capitaine qui fasse l'exercise ä la bulgare", sagt Candides Diener Cacambo (ebd., Кар XIII, 207). Voltaire, Candide (wie Anm. 11), Kap. III, 93 f. vgl. auch die Beschreibung des Krieges im Mittelmeer und in Nordafrika Kap. XI und XII, 122-132. Meyer, Voltaire on War and Peace (wie Anm. 6), 72-78.

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War die Schlacht und die Anzahl der Toten groß genug, wird in den Kirchen ein Те Deum

angestimmt, und Geistliche aller Konfessionen preisen die Erfolge in langen

Reden, in denen ein Kampf in der hessischen Wetterau - eine Anspielung auf Operationen der französischen Armee im Siebenjährigen Krieg - mit biblischen Schlachten verglichen wird. 2 2 W i e im Candide

beklagt Voltaire unerbittlich das sinnlose Sterben

der Menschen in Kriegen an 23 , Kriege, die v o n einigen wenigen Personen aus nichtigen Gründen - Voltaire verweist auf die für die Frühe Neuzeit so typischen Kriegsursache Erbfolgekrieg und die damit einhergehenden Koalitionsbildungen - ausgelöst werden. 2 4 D o c h Illusionen gibt sich Voltaire nicht hin: Obwohl der Mensch sich gegenüber den Tieren durch seine Vernunft auszeichnet, bleibt der Krieg neben dem Hunger und der Pest eine der drei großen Geißeln der Menschheit, im Unterschied zu den beiden erstge25

nannten jedoch eine v o m Menschen geschaffene.

Voltaires w e i ß u m die gewalttätige

Natur des Menschen und ihm ist bewußt, daß es immer wieder Kriege geben wird. Sein hier unausgesprochener Appell zielt darauf ab, w e n n der Krieg schon nicht abgeschafft werden kann, wenigstens so w e n i g e Kriege wie möglich zu führen. Der Kampf gegen das Infame, das zur Grausamkeit des Krieges beiträgt, ist somit zugleich ein Kampf für eine friedlichere Welt. 22

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Voltaire, Dictionnaire Philosophique (wie Anm. 7), Art. Guerre, 191: „Tous parlent longtemps; ils citent ce qui s'est fait jadis en Palestine, ä propos d'un combat en Veteravie". Ibid. 194: „Que deviennent et que m'importent l'humanite, la bienfaisance, la modestie, la temperance, la douceur, la sagesse, la piete, tandis qu'une demi-livre de plomb tiree de six cent pas me fracasse le corps, et que je meurs ä vingt ans dans des tourments inexprimables, au milieu de cinq ou six mille mourants, tandis que mes yeux qui s'ouvrent pour la derniere fois voient la ville oü je suis ηέ detruite par le fer et par la flamme. Et que les demiers sons qu'entendent mes oreilles sont les cris des femmes et des enfants expirant sous des mines, öle tout pour les pretendus int6ret d'un homme que nous ne connaissons pas?" Ibid. 187f.: „Un genealogiste prouve ä un prince quil descend en droite ligne d'un comte, dont les parents avaient fait un pacte de famille il у a trois ou quatre cents ans avec une maison dont la memoire т ё т е ne subsiste pas. Cette maison avait des prdtensions öloignees sur une province dont le dernier possesseur est mort d'apoplexie. Le prince et son conseil concluent sans difficulte que cette province qui est ä quelque centaines de Heues de lui, a beau protester que'elle ne le connait pas, qu'elle n'a nulle envie d'etre gouvernee par lui; que pour donner des lois aux gens, il faut au moins avoir leur consentement: ces discours ne parviennent pas seulement aux oreilles du prince, dont le droit est incontestable.". Voltaire hat hier zweifellos das Vorgehen Friedrichs des Großen im Jahre 1740 vor Augen. Der Besetzung Schlesien folgte mit Verspätung ein Manifest in dem Ansprüche geltend gemacht wurden. Die Beschreibimg der Mobilisiemng einer Armee hat ebenfalls die preußische Praxis zum Vorbild: „II [le Prince] trouve incontient im grand nombre d'hommes qui n'ont rien ä perdre; il les habille d'un gros drap bleu ä cent dix sous l'aune, borde leurs chapeaux avec du gros fil blanc, les fait toumer ä droite et gauche, et marche ä la gloire". Siehe auch Voltaire, Precis du Steele de Louis XV, in: Voltaire, (Euves historiques, hg. v. Rene Pomeau, Paris 1987, 1297-1571, 1513: „L'amour-propre de deux ou trois personnes suffit pour desoler toute l'Europe". Voltaire, Dictionnaire Philosophique (wie Anm. 7), Art. Guerre: „Ces deux viennent de la Providence; mais la guerre qui reunit tous ces dons, nous vient de l'imagination de trois ou quatre cets personnes, repandues sur la surface du globe, sous le п о т de princes ou de ministres".

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III. Voltaires philosophisch-pazifistischen Kommentar des Siebenjährigen Krieges muß durch seinen historisch-politischen Kommentar ergänzt werden. Als einer der führenden Historiker seiner Zeit - das Siecle de Louis XIV publizierte er 1751, den Essai sur les mceurs 1756 - besaß Voltaire nicht nur das nötige Urteilsvermögen, um die Ereignisse der Jahre 1755 bis 1763 einzuschätzen, er hatte darüber auch, dank seiner Bekanntschaft mit Angehörigen der Regierung und des diplomatischen Korps Kontakte zu mittelbar und unmittelbar an Entscheidungsprozessen Beteiligten. Zu diesen zählten Marschall Richelieu, Eroberer Menorcas (1756) und Oberbefehlshaber einer französischen Armeen in Deutschland 1757-1758, der Abbe de Bemis, der im Namen des Königs den ersten Versailler Vertrag aushandelte und 1757 erst zum Staatsminister und dann zum Staatssekretär für die Auswärtigen Angelegenheiten ernannt wurde, des weiteren dessen Nachfolger Etienne-Franfois Graf von Stainville, seit 1758 Herzog von Choiseul und Cesar-Gabriel Graf von Choiseul, 1762 Herzog von Praslin. Mit Stainville-Choiseul stand Voltaire nur über Briefe in Verbindung, sie sind sich nie begegnet. Den späteren Herzog von Praslin (Grafen von Choiseul) und den Abbe Bernis kannte er hingegen seit den 1740er Jahren persönlich. 26 Doch trotz dieser Kontakte und trotz der Tatsache, daß Voltaire zeitweilig als Briefkasten für eine inoffizielle Kommunikation zwischen Friedrich und Versailles diente, erhielt er keinen näheren Einblick in die Entscheidungsprozesse innerhalb der französischen Regierung. Auf Voltaires Versuche, als Akteur ins diplomatische Spiel einzugreifen werden kann an dieser Stelle 27

nicht ausführlich eingegangen werden, sie blieben allesamt erfolglos. Das große Ereignis, das dem Kriegsausbruch in Europa voranging, war das renversement des alliances. Bereits seit September 1755 liefen geheime Verhandlungen zwischen Versailles und Wien, die durch die Westminsterkoalition einen neuen Impuls 26

Ibid., Art. „Choiseul", 203-207. Bernis lernte er im Umfeld der Madame de Pompadour kennen, vgl. Pomeau, Voltaire en son temps (wie Anm. 4), Bd. 1, 457. Über den Herzog von Choiseul siehe: Rohan Butler, Choiseul. Father and Son 1719-1754, Oxford 1980; Guy ChaussinandNogaret, Choiseul. Naissance de la gauche, Paris 1998 sowie Pierre Calmettes, Choiseul et Voltaire, d'apres les lettres inidites du due de Choiseul ä Voltaire, Paris 1902; eine fundierte Biographie zu Bernis fehlt, vgl. Georges Freche, Jean Sudreau, Urt Chancelier gallicane: Daguesseau et un cardinal diplomate: Frangois-Joachim de Pierre de Bernis, Paris 1969; Serge Dahoui, Le cardinal de Bernis ou le royaute du charme, Aubenas 1972; Jean-Paul Desprat, Le Cardinal de Bernis 1715-1794. La belle ambition, Paris 2000; eine biographische Studie über Praslin liegt nicht vor, zu den Stationen seiner Karriere siehe: Sven Externbrink, Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2006, 226, 384, sowie jetzt die Skizze von: Jean-Pierre Bois, Choiseul-Praslin, Cesar-Gabriel, in: Lucien Bely, Laurent Theis, Georges-Henri Soutou, Maurice Vai'sse (Hg.), Dictionnaire des ministres des Affaires itrangeres, Paris 2 0 0 5 , 1 6 6 - 1 7 8 .

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Einzelheiten bei Pomeau, Voltaire en son temps (wie Anm. 4), Bd. 1, 870 ff., 882, 902 ff., Bd. 2, 15f.

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erhielten und schließlich in den ersten Versailler Vertrag vom 1. Mai 1756 mündeten. Während man die Westminsterkonvention als einen für Friedrich II. typischen Alleingang deuten konnte, war der französisch-österreichische Vertrag die Sensation, die ganz Europa erschütterte. Auf die Westminsterkonvention reagierte Voltaire gelassen. Der Preußenkönig schreibe Verse und unterzeichne Verträge28, und er könne dem Vertrag durchaus gutes abgewinnen, denn, so Voltaire in einem Brief an die Herzogin von Sachsen-Gotha, damit werde verhindert, daß sich der Kolonialkonflikt auf Deutschland ausweite.29 Um so größer war auch die Überraschung bei Voltaire, als er vom Versailler Vertrag erfuhr. „II ne faut que vivre pour voire des choses nouvelles", heißt es in einem Brief an die Gräfin Lützelburg, und gegenüber Jean-Robert Tronchin bemerkt er, daß sich Karl V. dies nicht hätte vorstellen können.30 Daß die neue Allianz ein besonderes Ereignis ist, steht für den Historiker Voltaire außer Frage. An seinen ehemaliger Protektor und jetzigen Geschäftspartner, den dem Hofe und insbesondere der Marquise de Pompadour nahestehenden Finanzier Joseph Päris-Duvemey, schreibt er über die möglichen Konsequenzen: „Les evenements presents foumiront probablement une ample matiere aux historiens. L'union des maisons de France et d'Autriche apres deux cent cinquante ans d'inimities, l'Angleterre qui croyait tenir la balance de l'Europe abaisse en six mois de temps, une marine formidable сгёее avec rapidite, la plus grande fermete deployee avec la plus grande moderation: Tout cela forme un bien magnifique tableau. Les etrangers voient avec admiration une vigueur et un esprit de suite dans le ministere que leurs prejuges ne voulaient pas croire".31

Es ist nicht sicher, ob Voltaire mit seinen lobenden Äußerungen über die Wirkung der französisch-österreichischen Allianz nicht auch über Päris-Duverney auf Madame de Pompadour und Ludwig XV. als Adressaten seines Kommentars zielte, in der Hoffnung, deren Gunst wieder zu erlangen und ggf. nach Paris zurückkehren zu können. Die der Allianz seitens Frankreichs zugrundeliegenden Ideen erfaßte er präzise, nimmt man einen Brief hinzu, den er im Oktober an seinen „Freund", den Herzog von Richelieu richtete. England sollte seinen wichtigsten Partner auf dem Kontinent verlieren, was mit der Neutralisierung der Österreichischen Niederlande einher ging, dem klassischen Schlachtfeld zwischen den drei Mächten. Dadurch fehlte den Engländern der klassische Brückenkopf nach Europa. Sie mußten während des Krieges auf die ostfriesischen Häfen zurückgreifen und stellten mit ihren Truppen keine Gefahr für das

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D 6728, an Pierre Pictet, 12. Februar 1756: „Le roi de Prusse fait des traites et des vers. II peut faire tout се qu'il voudra". D 6726, An die Herzogin von Sachsen-Gotha, 10. Februar 1756: „Le roi de Prusse les empeche au moins de se battre en Allemagne, et je crois que son demier traite n'a pas deplu ä votre nation". D 6919, an Lützelburg, 2. Juli 1756; D 6945, an J. R. Tronchin: „on est transporte de joie ä Vienne de cette alliance avec la France don Charles-Quint ne s'etait jamais doute". D 6947, an J. Päris-Duverney, 26. Juli 1756. Über Voltaire und Päris-Duverney: Pomeau, Voltaire en son temps (wie Anm. 4), Bd. 1, 151, 610 f., 837.

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französische Territorium dar. Auch den Nebeneffekt der Allianz zwischen Versailles und Wien, die Kontrolle des umtriebigen Savoyen-Sardinien, entging dem Voltaire nicht. Im Frühjahr und Sommer 1756 konnte man daher in Frankreich optimistisch in die Zukunft sehen, hatte man doch im Mittelmeer mit der Eroberung Menorcas einen Sieg über die scheinbar übermächtige Royal Navy errungen. 32 Voltaires anfängliche Zustimmung zum neuen Bündnis wich mit der Zeit einer immer größeren Skepsis. Sprach er im Frühjahr 1757 noch davon, daß es Frankreich großen Ruhm einbringe, jetzt Österreichs einzige Stütze zu sein, so sah er im Oktober die Gefahr, daß durch die Vernichtung und Aufteilung Preußens Frankreich Österreich eine größere Macht verschaffen würde als es je unter Ferdinand II. besessen hatte. 33 Preußen müßte zweifellos Schlesien herausgeben, doch warum es - wie es der zweite Versailler Vertrag vorsah - völlig vernichten? Dies zu verhindern sei Aufgabe Ludwig XV., der damit ein wahrhaftiger „arbitre des puissances" sein würde. 34 Seine Überlegungen zeigen Voltaire in Übereinstimmung mit der Mehrheit der politisch denkenden Öffentlichkeit, die große Probleme hatte, sich daran zu gewöhnen, daß Versailles und Wien Verbündete waren. Wie die Mehrheit der Franzosen empfand Voltaire die Niederlage von Rossbach als eine Demütigung und sah darin völlig zu Recht einen Wendepunkt des Krieges, denn von einem schnellen Sieg über Friedrich den Großen konnte nun nicht mehr die Rede sein.35 Was sich in Rossbach andeutete, wurde durch den preußischen Sieg bei Leuthen schließlich bestätigt. Hoffnung auf einen schnellen Frieden gab es nicht mehr, zudem nun auch England die Konvention von Kloster Zeven aufkündigte, was Voltaire zu der Bemerkung veranlaßte, das Völkerrecht sei nur noch ein Chimäre und von nun an gelte das Recht des Stärkeren. Das „systeme de 1'Europe", so Voltaire, stehe vor einem fundamentalen Wandel. 36 Verzweiflung über das zu erwartende Blutvergießen machte 32

D 7021, an Richelieu: „Souvenez-vous, mon heros, que dans votre ambassade ä Vienne vous fütes le premier qui assurätes que l'union des maison de France et d'Autriche etait necessaire, et que с'et ait un moyen infaillible de renfermer les Anglais dans leur ile, les Holandais dans leur canaux, le due de Savoie dans ses montagnes, et de tenir enfin la balance d'Europe. L'evenement doit enfin vous justifier. C'est une belle epoque pour un historien que cette union si belle est durable".

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D 7494, an Argental, 2. Dezember 1757, „Qu'en reviendra-t-il ä la France? D e rendre l'Autriche plus puissante que du temps de Ferdinand second et de se ruiner pour l'agrandir? Le cas est embarassant". D 7426, an J. R. Tronchin, 20. Oktober 1757: „Je n'ai jamais pu me persuader qu'on voulüt donner ä la Maison d'Autriche plus de puissance qu'elle n'en a jamais eu en Allemagne sous Ferdinand II, et la mettre en etat de s'unir ä la premiere occasion avec l'Angleterre plus puissament que jamais [...] II faut sans doute que le roi de Prusse perde beaueoup, mais pourquoi le depouiller de tout?" D 7442, an Thieriot, 20. November 1757: „Le Roi de Prusse se croiyat perdu, aneanti sans ressource quinze jours auparavant, le voilä triomphant aujourd'hui. C'est un de ces evenements qui doivent confondre la politique".

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D 7472, an M.E. De Dompierre de Fontaine: „le droit des gens est devenu une chimere; mais le droit du plus fort n'en est point une. Voilä probablement le systeme de l'Europe qui va entierement changer".

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sich breit: „Le sang va couler ä plus grands flots dans l'Allemagne, et il у a grande apparence que toute l'Europe sera en guerre avant la fin de l'annee. Cinq ou six cents personnes у gagneront. Le reste en souffira". 37 Als einzigen Ausweg aus der verfahrenen Situation sah Voltaire nur den Abschluß eines neuen Westfälischen Friedens.38 Gegenstand von Voltaires Briefen war natürlich auch immer wieder Friedrich der Große, mit dem er selbst bis 1760 in unregelmäßigen Kontakt stand.39 Obwohl Voltaire noch dem Preußenkönig wegen der in Frankfurt 1753 erlittenen Demütigung grollte, wie er immer wieder gegenüber Dritten betonte, ist davon in der Korrespondenz der ersten Kriegsjahre nicht viel zu spüren. Beide tauschten Freundlichkeiten aus, philosophierten über den Selbstmord, den Friedrich erwog und dem ihn Voltaire untersagte und kommentierten die Zeitläufe in Versen. Der Tod von Friedrichs Schwester Wilhelmine, die als „Briefkasten" bzw. als „Briefträgerin" fungierte, war eine Zäsur für beide. Die Kommunikation wurde nun unregelmäßiger und schwieriger, zahlreiche Briefe sind verloren gegangen. Der zwischen 1759 und 1760 von Voltaire unternommene Versuch, als Vermittler zwischen Friedrich und Choiseul zu fungieren, war von vornherein zum Scheitern verurteilt.40 Keine Seite war zu diesem Zeitpunkt (insbesondere nach Friedrichs Niederlage am 12. August 1759 in Kunersdorf) zu Kompromissen bereit. Choiseul betrachtete diesen Dialog über Umwege nicht als offizielle Verhandlungen, sondern als Gespräch unter Freunden. Darüber hinaus war er weder bereit noch von Ludwig XV. autorisiert, die österreichische Allianz zu riskieren.41 Auch Friedrich lehnte jeden Frieden, der ihm keinen Ruhm bringen würde, ab.42 War ihre Korrespondenz bis zum Verstummen von einem Ton gegenseitigen Respekts geprägt, so hielt Voltaire gegenüber anderen nicht mit harten Urteilen über das Verhalten des Preußenkönigs zurück, in die sich aber immer auch wieder Bewunderung und Erstaunen über seine Überlebenskünste mischte. Die konsequente Ausplünderung Sachsens durch Preußen veranlaßte Voltaire zur Gleichsetzung Friedrichs mit dem Banditenhauptmann Mandrin, der wenige Jahre zuvor Savoyen und die Dauphine mit 37 38

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D 7130, an Gräfin Lützelburg, 20. Januar 1757. D 7185, am die Herzogin von Sachsen-Gotha, 5. März 1757, Puisse cet агшёе contribuer έ etablir un nouveau traite de Vestphalie qui assure paix et libertö, le plus precieux de tous les biens". D 7426, an J. R. Tronchin, 20. Oktober 1757: Quel beau röle peut jouer Louis XV en se rendant l'arbitre des puissances, en faisant les partages, en renouvelant la celebre epoque de la paix de Westphalie?" Zum Inhalt der Korrespondenz und zum folgenden ausführlich: Christiane Mervaud, Voltaire et Frederic II: une dramaturgie des Lumieres 1736-1778, Oxford 1985, 265-364. Siehe hierzu ibid. 327-349. Pomeau, Voltaire en son temps (wie Anm. 4), Bd. 2, 13-16. Siehe ζ. B. D 8805, Choiseul an Voltaire, 13. März 1760: „Je converse avec vous comme mon ami; je hasarde meme [...] des idees mal digerees qui se presentent ä mon esprit, mais je d6clare bien formellement que je ne suis nullement autorisö έ parier ministeriellement sur les objets de nos lettres, que mon maitre ne les connait pas parce que j'ecris ä mon ami sans montrer mes lettres ä mon maitre". Siehe z. В.: D 8839, Friedrich II. an Voltaire, 3. April 1760, D 9001, Friedrich II. an Voltaire, 21 Juni 1760.

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einer ganzen Räuberarmee verheert hatte. Im selben Brief berichtet Voltaire, daß der Agnostiker Friedrich nicht davor zurückschreckte, sich der jubelnden Dresdner Bevölkerung mit zwei „fetten" lutherischen Pastoren zu zeigen. Man hat den Eindruck, wenn man diese Stelle liest, daß Voltaire über diesen Zynismus des Preußenkönigs, der durchaus erfolgreich die latente konfessionelle Spannung im Reich zur Mobilisierung seiner Anhänger instrumentalisierte, widerwillig bewunderte.43 Friedrich, der „Markgraf von Brandenburg", gegen den sich ganz Europa zusammengeschlossen hat, werde in seinem aussichtslosen Abwehrkampf gegen die größten Mächte Europas nur zweifelhaften Ruhm erlangen, urteilt Voltaire im Sommer 1757, vor der Wende des Krieges durch Rossbach und Leuthen.44 Nach der ersten Schlacht muß Voltaire zähneknirschend dem „Markgrafen von Brandenburg" zu seinem Sieg gratulieren, sein Ruhm jedoch, schränkt Voltaire schon im Dezember 1757 ein, gründet auf Blut.45 Das preußische Durchhaltevermögen setzt Voltaire immer wieder in Verwunderung. Einen Grund dafür weiß er zu nennen, es ist die Qualität der Armee und die Solidität der Finanzen.46 Dennoch grenzte das preußische Überleben an ein Wunder, angesichts der drückenden Überlegenheit seiner Gegner und deren ebenbürtigen Kampfkraft. Metapher für diese militärischen Wunder wird Rossbach. An Tronchin schreibt er im Oktober 1759: „Quoyque Luc ait frotte quelques croates il ne peut se tirer d'affaire que par des miracles, par quelque Rosbac. Mais on ne rosbacque point les Russes. Ces gens lä se croiroient damnez s'il reculaient. Iis se battent par devotion".47 In der Tatsache, daß Friedrich der Große und Preußen sich am Ende doch noch behaupten konnten, sah Voltaire durchaus etwas positives, denn dadurch bleibe in Deutschland auch eine Bastion gegen das Infame erhalten: „Pour Luc quoy que je doive etre tres fäche contre luy, je vous avoue qu'en qualite d'etre pensant, et de fran?ais je suis fort aise qu'une tres devote maison n'ait pas englouti l'Allemagne et que les

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D 7052, an Gräfin Lützelburg, 9. November 1756, „II me parait que Salomon-Mandrin est maitre en Saxe come ä Berlin. [...] Que dites-vous de Salomon, qui 6tant a Dresde, dans le palais du roi de Pologne, se montrit ä la fenetre ayant ä ses cotes deux gros ministres lutheriens? Le peuple criait, vivatl Ah! le saint roi!" D 7313, an Cideville, 15. Juli 1757: „Tous les chasseurs s'assemblent pour faire un sainte Hubert έ ses [F Π] depens. Francis, Suädois, Russes se melent aux Autrichiens. Quand on a tant d'ennemis tant d'effoits ä soutenir, on ne peut succomber qu'avec gloire. C'est une nouveaute dans l'histoire que le plus grandes puissances de l'Europe aient ete obligees de se liguer contre un marquis de Brandebourg. Mais avec cette gloire il aura un grand malheur, c'est qu'il ne sera plaint par personne". Voltaires Reaktion auf Rossbach: D 7469, an Argental, 19. November 1757; D 7475, an Friedrich II., 22. November 1757; siehe auch Mervaud, Voltaire et Frederic / / ( w i e Anm. 39), 284. D 7532, an Elie Bertrand, 24 Dezember 1757: „Je plains le Roi de Prusse d'acquerir tant de gloire aux depens de tant de sang". D 9894, an Choieul, 13. Juli 1761. D 8532, an Tronchin, 12. Oktober 1759.

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jesuittes ne confessent pas ä Berlin. L'infame est bien puissante vers le Danube", schrieb er im November 1762 an d'Alembert. 48 Bereits fünf Jahre nach dem Ende des Krieges legte Voltaire im Rahmen des Precis du siecle de Louis XV eine Geschichte des Siebenjährigen Krieges vor. 49 Ausgehend vom Erdbeben von Lissabon, das in der Rückschau als Menetekel den Siebenjährigen Krieg bereits ankündigt, stellt er die Einzigartigkeit des Krieges heraus. 50 Von allen vorangegangenen Kriegen unterscheide sich dieser durch die ihm vorangegangen „Revolutionen", womit die Verschiebungen der traditionellen Bündnissysteme gemeint sind, durch seine Ausdehnung auf alle Kontinente der Welt, und nicht zuletzt durch das Überleben Friedrichs des Großen, der gegen eine scheinbar übermächtige Koalition kämpfen mußte - und dank der Disziplin seiner Armee und seiner überlegenen Feldherrenkunst der Vernichtung entging.51 Ein „Mirakel des Hauses Brandenburg" gab es für den Historiker und Aufklärer Voltaire auch in der Politik nicht, auch Preußens Überleben ist letztlich rational erklärbar. Sehr genau erfaßte Voltaire den weltpolitischen Kontext des Krieges: Der Streit zwischen England und Frankreich um die Wildnis Amerikas habe die besagten Revolutionen der europäischen Bündnislandschaft ausgelöst, wodurch ein Schwelbrand ent52

standen sei, den wenige Funken in Brand setzen konnten. Diese kamen zum einen aus Übersee, zum anderen durch Friedrichs Einmarsch in Schlesien. Die historische Dimension der Allianz zwischen Bourbonen und Habsburg wird ausdrücklich gewürdigt, doch bleibt Voltaires Erklärung hinter den Überlegungen zurück, die er in den bereits erwähnten Briefen gegenüber Päris-Duverney und Richelieu anstellte. Die ironisch-sarkastische Pointe - „Ce que n'avaient pu tant de traites de paix, tant de mariages, un mecontentement re9u d'un electeur, et Panimosite de quelques personnes alors toutes-puissantes que le roi de Prusse avait blessees par des plaisanteries, le fit en un moment" 53 - versperrt den Blick auf die tatsächlichen Hintergründe des renversement des alliances, nämlich den Wunsch Ludwigs XV. und auch 48 49

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D 10810, an d'Alembert, 28. November 1762. Voltaire, Precis du siecle de Louis XV (wie Anm. 24), 1297-1571. Zur Publikationsgeschichte siehe ibid., 1664; Art. Precis de LouisXV, in: Dictionnaire Voltaire (wie Anm. 1), 9 8 1 - 9 8 5 . Voltaire, Precis du siecle de Louis XV (wie Anm. 24), 1476: „Les malheurs nouveaux de l'Europe semblerent etre annonces par des tremblements de terre qui se firent sentir en plusieurs provinces, mais d'une maniere plus terrible ä Lisbonne qu'ailleurs". Ibid. 1481: „C'est un predige qu'on ne peut attribuer qu'ä la discipline de ses troupes, et ä la superiorite du capitaine. Le hasard peut faire gagner une bataille; mais quand le faible resiste aux forts septs annees dans un pays tout ouvert, et repare les plus grands malheurs, ce ne peut etre l'ouvrage de la fortune. C'est en quoi cette guerre differe de toutes Celles qui ont jamais desole le monde". Ibid. 1477: „Les revolutions que ce meme roi de Prusse et ses ennemis preparaient des lors etaient un feu qui couvrait sous la cendre; ce feu embrasa bientot l'Europe, mais les premieres etincelles vinrent de l'Amerique. Une legere quereile entre la France et l'Angleterre, pour quelques terrains sauvages vers l'Acadie, inspira une nouvelle politique ä tous les souverains d'Europe". Ibid. 1482 f., Zitat 1483.

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der Engländer, den Kolonialkonflikt nicht auf Europa übergreifen zu lassen. Die Provokationen Österreichs, das ja den Konflikt mit Preußen suchte, und die Unruhe Friedrichs führten in diesen furchtbaren Krieg, in dem nicht nur die sächsische Herrscherfamilie, sondern, wie Voltaire zu Recht erwähnt, auch Millionen anderer Familien schlimmstes Leid erdulden mußten.54 Den eigentlichen Kriegsverlauf in Europa verdichtet Voltaire auf wenige Absätze (in konsequenter Umsetzung seiner Maxime als Historiker, sich nicht in endlosen Schlachtbeschreibungen zu verlieren): Niemals seien so viele und so folgenlose Schlachten geschlagen, so viel Blut nutzlos vergossen worden, Deutschland sei der Hauptkriegsschauplatz gewesen und Frankreich sei zwar vom Krieg und dessen Schrecken verschont geblieben, doch habe es viel Geld verloren.55 Dem unentschiedenen Ringen in Europa stellt er die großen Veränderungen in den Kolonien entgegen. Hier konnte der Ausfall von 1200 Mann nicht ohne weiteres ausgeglichen werden, und in einer einzigen Schlacht - auf den Abrahamsfeldem vor Quebec - habe man 1500 Meilen Territorium, davon zwei Drittel Eiswüste, verloren.56 Übergeht Voltaire den Inhalt des Friedens von Hubertusburg und die Bestätigung des Status quo in Europa von 1748 weitgehend, so beschäftigt er sich um so eingehender mit der eigentlichen Niederlage Frankreichs, dem Verlust seines Kolonialreichs. England habe eine nie zuvor gekannte Vormacht zu See errungen, ganz Nordamerika unter seiner Herrschaft vereinigt (was Voltaire als keinen allzu großen Verlust ansieht), die Franzosen aus Indien vertrieben, bis auf Goree die französischen Besitzungen in Afrika übernommen, und sie dominieren den Handel in der Karibik, wo Frankreich bekanntlich die „Zuckerinseln", Martinique, Guadeloupe und St. Domingo behalten konnte. Ein entehrender und doch notwendiger Frieden, der Frankreich vor dem völligen Bankrott rettete, so Voltaires Fazit.57

IV. Voltaires Briefe und Schriften bieten vielfältiges Material, wenn man sich mit der Geschichte der Wahrnehmung des Krieges durch die Zeitgenossen beschäftigen will. Seine eurozentristische Perspektiven überschreitende Geschichtskonzeption gibt seinen politisch-historische Reflexionen über den Siebenjährigen Krieg eine überraschende

54 55 56

57

Ibid. 1485. Ibid. 1492-1494. Ibid. 1506-1514, 1508 „On a perdu ainsi en un seul journee quinze cent lieues de pays. Ces quinze cents lieues, dont les trois quarts sont des deserts glaces, n'etaient peut-etre une perte гёе11е." Über den Weg zum Frieden: Zenab Esmat Rashed, The Peace of Paris 1763, Liverpool 1951. Den Frieden als relativen Erfolg für Frankreich angesichts der demütigenden Niederlage wertet Jonathan R. Dull, The French Navy and the Seven Year's War, Lincoln, London 2005, 228-230.

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SVEN EXTERNBRINK

„Frische".58 Der Siebenjährige Krieg war eben kein rein europäischer Krieg und sein Ausgang bewirkte bekanntlich die größten Veränderungen außerhalb Europas. Aufschlußreich und in Darstellungen zur Geschichte des Krieges kaum beachtet sind seine Kommentare und Wertungen zu den bündnispolitischen Veränderungen im Vorfeld des Krieges. Sie weisen noch einmal auf das von den Zeitgenossen als so revolutionär empfundene renversement des alliances und auf das Aufsehen hin, das die Nachricht vom Abschluß der französisch-österreichischen Allianz hervorrief. In der Beurteilung der Allianz für Frankreich bleibt Voltaire, wie wir gesehen haben, eher skeptisch. Er sah zwar ihre Konsequenzen etwa für die italienische Halbinsel, die bis zum Ausbruch der Revolutionskriege von Krieg verschont bleiben sollte (Brief an Päris-Duverney), blieb aber skeptisch und zum Teil noch in alten Feindbildern gefangen, was die Wirkung der Allianz für Deutschland bzw. das Alte Reich betraf. Hier befürchtete er eine österreichische Vorherrschaft nach dem Vorbild Ferdinands II. während des Dreißigjährigen Krieges und warnte daher vor einer vollständigen Zerschlagung der preußischen Macht. Wie für die französische Diplomatie der Epoche bildete auch für Voltaire der Westfälische Frieden die Grundlage jeder Reflexion über die politische Ordnung Deutschlands.59 Daher wird er mit der Wiederherstellung des Status quo im Reich auf der Grundlage des Westfälischen Friedens einverstanden gewesen sein (Artikel XIX des Hubertusburger Friedens), auch wenn es vom ihm keine diesbezüglichen Äußerungen über die politischen Konsequenzen des Friedens von Hubertusburg gibt. Voltaires Rekonstruktion der Genese der französisch-österreichischen Allianz verweist auf die Grenzen seiner Kenntnisse. Verantwortlich dafür zeichnet bei ihm allein der Abbe Bernis, der das System Richelieus einreißt und ein neues, größeres an dessen Stelle setzt.60 Ludwig XV., neben Kaunitz der eigentliche „Drahtzieher" des Bündnisses, findet keine Erwähnung, was Voltaire jedoch nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, denn schließlich hat man auch in der neueren historischen Forschung lange Zeit kaum auf den Beitrag des Königs beim Zustandekommen des Versailler Vertrags verwiesen.61 58

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60

61

Über Voltaires Auffassungen zur Geschichtsschreibung siehe: Dictionnaire Voltaire (wie Anm. 1), Art. Histoire, 587-593. Pomeau, Voltaire en son temps (wie Anm. 4), Bd. 2, 216-236. Siehe hierzu: Externbrink, Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich (wie Anm. 26) 101-119; Ders., Staatensystem und kulturelles Gedächtnis: Frankreich, das Alte Reich und Europa (17.-18. Jahrhundert), in: Eva Dewes, Sandra Duhem (Hg.), So nah - so fern. Kulturelles Gedächtnis und interkulturelle Rezeption im europäischen Kontext, Berlin 2007, 89-102. Precis du siecle de Louis XV, 1483: „L'abbe de Bernis, depuis cardinal, eut seul l'honneiir de ce fameux traitö, qui detruisait tout Γ edifice du cardinal de Richelieu, et qui semblait en elever un autre plus haut et plus vaste". Siehe hierzu jetzt Sven Externbrink, Ludwig XV. als Außenpolitiker. Zum politischen „Stil" des Monarchen (am Beispiel des renversement des alliances), in: Klaus Malettke, Christoph Kampmann (Hg.), Französisch-Deutsche Beziehungen in der neueren Geschichte. Festschrift für Jean Laurent Meyer zum 80. Geburtstag, Münster 2007, 221-240.

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Doch Voltaires zahlreiche, von den Umständen und Ursachen des Siebenjährigen Krieges abstrahierenden Bemerkungen über den Krieg haben nichts von ihrer Aktualität verloren. Voltaire weiß von der Neigung des Menschen zu Gewalt und Krieg, und er hörte nicht auf, auf die Wirklichkeit des Krieges hinzuweisen: auf Tod und Elend. Darüber darf auch nicht der zivilisierte, von den aufgeklärt-kosmopolitischen Idealen der Epoche geprägte und vergleichsweise ritterliche Umgang zwischen deutschen und französischen Offizierskorps und Kommandeuren während des Krieges hinwegtäuschen. In der Schlacht verschwanden die Standesgrenzen, Musketen- und Kanonenkugeln, Bajonette und Säbel scheren sich nicht um Adelspatente. 62 Daß im Zeitalter der Aufklärung Sukzessionsstreitigkeiten Kriege auslösen, zählte Voltaire zu den schlimmsten „Dummheiten des Menschengeschlechts". Aus dieser Perspektive betrachtet, enthalten seine Briefe, sein Candide und der Artikel „Krieg" des Dictionnaire philosophique zeitlose Kommentare über das Wesen des Krieges, die leider auch in der Gegenwart des 21. Jahrhunderts weder an Eindringlichkeit noch an Aktualität verloren haben.

62

Vgl. hierzu: Sven Externbrink, „Que l'homme est cruel et mechant!". Wahrnehmung von Krieg und Gewalt durch französische Offiziere im Siebenjährigen Krieg, in: Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft 18 (2005), 44-57.

JÖRG ULBERT

Wirkungsgeschichte der „Diplomatischen Revolution". Die Beurteilung des renversement des alliances und des Bündnisses mit Österreich in der französischen Öffentlichkeit Politik

Mit dem Versailler Vertrag vom 1. Mai 1756 unterzeichneten Frankreich und Österreich nicht nur ein Defensivbündnis, sondern beide Dynastien beendeten damit zumindest zeitweise - auch ihren seit zweieinhalb Jahrhunderten währenden, mal offen, mal verdeckt ausgetragenen Konflikt um die Vorherrschaft auf dem europäischen Kontinent. Im gleichen Zuge brach die französische Außenpolitik mit ihrem alten Verbündeten Preußen, der sich bereits einige Monate zuvor Frankreichs Hauptgegner England angenähert hatte. Was auf dieses renversement des alliances wenig später folgte, war der preußische Einfall in Sachsen und damit der Siebenjährige Krieg. Wie es einem politischen Großereignis gebührt, wurde die auch als „diplomatische Revolution" bezeichnete Neuordnung der europäischen Bündnislandschaft allerorts in Europa ausgiebig kommentiert.1 Naturgemäß fielen diese Meinungen nirgendwo einmütig aus, auch in Frankreich nicht. Sie unterschieden, fluktuierten und veränderten sich vielmehr. So divergierte die Interpretation des Ereignisses von einer Interessengruppe zur anderen, verschob sich die Beurteilung seiner Rechtmäßigkeit und Tragweite mit der Entwicklung des tagespolitischen Geschehens und schwächte sich der Wirbel um das Geschehnis - wie nicht anders zu erwarten - mit der Zeit immer weiter ab, ohne jedoch ganz zu verschwinden. Denn trotz einer nicht verstummen wollenden Kritik, die die Allianz immer wieder als einen widernatürlichen Pakt mit dem Erbfeinde anprangerte, war das französischösterreichische Bündnis von erstaunlicher Langlebigkeit. Denn erst die am 20. April

1

Siehe z.B.: Johannes Burkhardt, Abschied vom Religionskrieg. Der Siebenjährige Krieg und die päpstliche Diplomatie, Tübingen 1985, 25-27, 31-55.

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1792 vom revolutionären Frankreich an den „König von Böhmen und Ungarn" ergangene Kriegserklärung kündigte den 36 Jahre zuvor geschlossenen Versailler Vertrag wieder auf. In der Abfolge soll dargestellt werden, wie verschiedene Gruppen der französischen Gesellschaft das Bündnis mit Österreich beurteilten - die breite Öffentlichkeit, der Hof und die direkt an der Gestaltung der Außenpolitik beteiligten Entscheidungsträger und Berufsdiplomaten. Die Darstellung ist in drei chronologisch geordnete Schritte unterteilt: 1. Die Zeit des Siebenjährigen Kriegs; 2. Die Zeit bis zur Aufkündigung der Allianz (1763-1792); 3. Die Rückschau auf die Allianz (1793-1800).

1. Das französisch-österreichische Bündnis bis zum Ende des Siebenjährigen Kriegs (1756-1763)

1.1. Reaktionen der französischen Öffentlichkeit auf das Bekanntwerden des renversement des alliances In Frankreich rief die Unterzeichnung des Versailler Vertrags grundverschiedene Reaktionen hervor. Entgegen der landläufigen Meinung nahm die bereits nach wenigen Tagen von Existenz und Inhalt des Vertrags unterrichtete2 Öffentlichkeit die Nachricht vom renversement des alliances nicht etwa empört sondern weitgehend wohlwollend, ja stellenweise sogar begeistert auf.3 Die Stimmung in Frankreich war bereits ins antifritzische umgeschlagen als dort die Westminsterkonvention, das preußisch-englische Defensivbündnis vom 16. Januar 1756, bekannt geworden war. Obwohl von preußischer Seite keinesfalls als Aufkündigung der bestehenden Allianz mit Frankreich verstanden, wurde sie in Paris doch als Verrat, ja als Überlaufen zum verhassten englischen Rivalen gewertet. Noch höher wogte die Empörung, als man dort am

2

Bereits am 5. Mai 1756 wurde in verschiedenen ausländischen Zeitungen über das Zustandekommen und die wichtigsten Bestandteile des Versailler Abkommens berichtet. Aber erst am 31. Mai wurden die französischen Auslandsvertreter über seine Existenz informiert, um es in ihren Gastländern rechtfertigen zu können. Siehe dazu: Stephan Skalweit, Frankreich und Friedrich der Grosse. Der Aufstieg Preußens in der öffentlichen Meinung des „ancien regime", Bonn 1952, 8 7 88.

3

Siehe z.B. den Bericht des sächsischen Gesandten in Paris: Carl Friedrich Graf Vitzthum von Eckstädt, Die Geheimnisse der Sächsischen Cabinets Ende 1745 bis Ende 1756: archivarische Vorstudien fiir die Geschichte des siebenjährigen Krieges, Bd. 1, Stuttgart 1866, 346; siehe auch: Albert de Broglie, L'Alliance autrichienne, Paris 1897, 378-382; Arno Strohmeyer, Eine „Revolution " zwischen Bündnislabilität und Systemstabilität: Das Renversement des alliances von 1756, in: Historicum 19/2 (1999-2000), 12-19.

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4. September 1756 v o m preußischen Einmarsch in Sachsen (29. August 1756) und vermeintlichen Ausschreitungen der Preußen erfuhr. 4 Dabei war es weniger der Völkerrechtsbruch als die demütigende Behandlung der mit den Bourbonen eng verbundenen Wettiner, die zu heftigen Reaktionen in Frankreich führten. 5 Während v o n den Kanzeln der Pariser Kirchen für das österreichische Bündnis geworben wurde 6 , sang man in den Straßen Schmählieder auf Friedrich. Etwa jenes - wohl zu Unrecht Voltaire zugeschriebene 7 - , das den preußischen König mit dem im Jahr zuvor aufs Rad geflochtenen Schmugglerbandenchef Mandrin verglich. Faire pour ses sujets Un admirable code, Mais suivre en ses projets Toute une autre methode. Voilä d'un Mandrin l'allure. Lever force soldats, Les mener au pillage; Les payer en ducats, Qu'on prend sur son passage. Voila d'un Mandrin l'allure. D'un ton doux et flatteur Dire aux gens que l'on pille Qu'on est leur protecteur, La toumure est gentille. Voilä d'un Mandrin l'allure. Sans droit et sans raison Tenir dans l'esclavage D'une auguste maison Le plus pröcieux gage. Voilä d'un Mandrin l'allure. Ä tout le genre humain Devenir miprisable, Au seul Anglais enfin Se rendre comparable. Voilä d'un Mandrin l'allure. 8 Zeitgleich lief ein weiteres Lied um, hinter d e m man ebenfalls Voltaire vermutete: 4

5 6

7

8

Siehe dazu: Ferdinand Wagner, Friedrichs des Grossen Beziehungen zu Frankreich und der Beginn des Siebenjährigen Krieges, Hamburg 1896,138-139. Skalweit, Frankreich (wie Anm. 2), 90. Sven Extembrink, Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2006, 326. Emmy Allard, Friedrich der Grosse in der Literatur Frankreichs mit einem Ausblick auf Italien und Spanien, Halle/Saale 1913, 37-38. Jean-Baptiste Нопогё Raymond Capefigue, Louis XV et la societe du XVIIF siecle, Bd. 3, Paris 1842,180.

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Roi philosophe et conquerant, Tu pouvais pretendre a la gloire, Qu'assurent aux heros notre amour et l'histoire. Mais le charme est detruit qui te rendit si grand, Infidele ä t a foi, ciel! Qui l'auraitpu croire! De tes amis trompes tu deviens le tyran. Prince ingrat! tu n'es plus, apres cette victoire, Qui fera pour jamais detest er ta memoire Qu'un faux sage et un vrai brigand.9 Während Friedrich verhöhnt und beleidigt wurde, stieg Frankreichs neue Verbündete, Kaiserin Maria-Theresia, zum neuen Idol von ganz Paris auf - so wusste zumindest Voltaire im September 1756 zu berichten. Ja, die Jugend brenne sogar darauf -

so

Voltaire weiter - nach Böhmen zu reisen, um sich dort für sie zu schlagen. 1 0 Erst mit der Veröffentlichung des Expose Memoire

raisonne

12

des motifs11

im September s o w i e des

im Oktober, in denen Friedrich durch die wortwörtliche Wieder-

gabe v o n in Dresden entwendeten sächsischen Staatspapiere versuchte, seine Notwehroder Präventivkriegsthese zu stützen, begannen sich weite Teile der öffentlichen Meinung in Frankreich wieder zu beruhigen. 1 3 Mit zunehmendem militärischem Erfolg wurde Friedrich sogar schnell wieder populär. 1 4 Doch die diplomatische Revolution hatte auch Gegner. Zu ihnen zählte die Mehrheit der aufklärerischen Eliten. Im Gegensatz zu Voltaire, der Mitte 1756 schon lange nicht mehr an seinen Salomon des Nordens glauben mochte, dementsprechend das

renverse-

ment begrüßt hatte 15 und erst nach Veröffentlichung des Expose

Memoire

9

und des

Wilhelm Mangold (Hg.), Voltairiana inedita aus den königliche Archiven zu Berlin, Berlin 1901, 64. Zitiert nach: Allard, Friedrich der Grosse (wie Anm. 7), 38-39. 10 „On dit que Marie Terese est actuellement l'idole de Paris, et que toutte la jeunesse veut actuellement s'aller battre pour eile en Boheme." Voltaire an Charles Augustin Feriol, comte d'Argental, aux Delices, 13. Sept. 1756 [D 6995], F r a n c i s Marie Arouet de Voltaire, Les CEuvres completes de Voltaire, Bd. 101, Banbury 1971, 316. '' Expose des motifs qui ont oblige Sa Majeste le roi de Prusse ä prevenir les desseins de la cour de Vienne, Berlin 1756. Zur Entstehung, Verbreitung und Wirkung des Expose siehe: Manfred Schort, Politik und Propaganda. Der Siebenjährige Krieg in den zeitgenössischen Flugschriften, Frankfurt/M. usw. 2006, 42-58; und Skalweit, Frankreich (wie Anm. 2), 92-94. 12 Memoire raisonne sur la conduite des cours de Vienne et de Saxe, et sur leurs desseins dangereux contre Sa Majesti le roi de Prusse, avec les pieces originales et justiflcatives qui en fournissent les preuves, Berlin 1756. Siehe dazu: Schort, Politik und Propaganda (wie Anm. 11), 58-72. Zum Hintergrund dieser Schrift siehe: Arthur R. Ropes, Frederick the Great "s Invasion of Saxony, and the Prussian ,Memoire raisonne', 1756, in: Transactions of the Royal Historical Society, New Series 5 (1891), 157-175; Schort, Politik und Propaganda (wie Anm. 11), 58-72. 13 Schort, Politik und Propaganda (wie Anm. 11), 47-48. 14 Skalweit, Frankreich (wie Anm. 2), 94—99. Zum Wiederaufleben von Friedrichs Popularität siehe auch: Klaus Malettke, Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zum Einfluß französischer politischer Theorie, Verfassung und Außenpolitik in der Frühen Neuzeit, Marburg 1994, 369-371. 15 Allard, Friedrich der Grosse (wie Anm. 7), 36-38.

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wieder preußenfreundlicher wurde16, sahen die anderen Aufklärer in Friedrich II. noch immer einen weltanschaulich Gleichgesinnten und außenpolitisch Verbündeten. Gespannt verfolgten sie von Beginn des Krieges an seine Feldzüge und wünschten dem Preußenkönig selbst dann noch Glück, wenn er gegen französische Armeen focht.17 Sich pro-preußisch zu geben, scheint dabei weit weniger Aufsehen erregt zu haben, als offen Sympathie fur England - das ja ebenfalls als aufklärungsfreundliches Land galt zu bekunden.18 In den Augen der Aufklärer war der neue Verbündete Frankreichs, die Wiener Hofburg, ein Hort des düstersten Katholizismus und Aberglaubens.19 Für sie blieb Österreich somit der natürliche Feind Frankreichs, den es zu bekämpfen galt.20 Während sich für die Pariser Bevölkerung und unter den Aufklärern klar dominierende Meinungen beobachten lassen - die erste zumindest zu Beginn des Krieges prohabsburgisch, die zweite mehrheitlich österreichfeindlich - war man sich seiner Sache innerhalb der politischen Führungsriege und dem diplomatischen Korps Frankreichs zu keinem Zeitpunkt einig.

1.2. Reaktionen der französischen Regierung und ihrer Diplomatie auf das renversement des alliances Am Versailler Hof und in der französischen Diplomatie gingen die Meinungen über die diplomatische Revolution weit auseinander. Hier standen sich zwei Lager gegenüber. Grob schematisiert lassen sich diese wie folgt unterscheiden: A) Befürwortet wurde die Hinwendung zu Habsburg von der „österreichischen Partei". Deren Haltung erklärte sich weniger durch Sympathie für Österreich als durch die Priorität, die sie der Feindschaft zu England einräumte. Da der Konflikt mit England wohl vornehmlich auf dem Meer ausgetragen werden würde, sollte Frankreich sich 16

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Zu Voltaires Versuch einer Friedensvermittlung siehe: Skalweit, Frankreich (wie Anm. 2), 94-95, 140-144. Ebd., 4 0 - 4 1 . Siehe dazu auch die Korrespondenz zwischen Friedrich II. und d'Argens: Mein lieber Marquis! Friedrich der Große, sein Brießvechsel mit Jean-Baptiste d'Argens während des Siebenjährigen Krieges, hg. v. Hans Schumann, Zürich 1985. Edmond Dziembowski, Un nouveau patriotisme frangais, 1750-1770. La France face ä la puissance anglaise ä l'epoquede la guerre de Sept Ans, Oxford 1998, 111-162. „Ces Autrichiens sont des capucins insolens qui nous ha'fssent et nous meprisent, et que je voudrais voir aneantis avec la superstition qu'ils protegent", so d'Alembert in einem Brief vom 12. Januar 1763 an Voltaire, CEuvres completes de d'Alembert, Bd. 5, Paris 1822, 106. Siehe auch: D'Argenson, Journal et mimoires, Bd. 9, Paris 1861, 186. ,Д1 faudrait que notre ministere eüt senti ä temps [...] qu'il valait mieux faire des vaisseaux que de döpenser nos tresors dans les cabarets de Westphalie et que de porter nos forces en Allemagne pour aider une maison, de tous temps ennemie de la France, ä ecraser notre allie naturel" (vom 15. Oktober 1758), Maurice Tourneux (Hg.), Correspondance litteraire, philosophique et critique par Grimm, Diderot, Raynal, Meister, etc., Bd. 4, Paris 1878, 42. Andere Beispiele zur österreichfeindlichen Haltung der Aufklärer siehe: ebd., Bd. 3, Paris 1 8 7 8 , 2 9 2 , 3 0 9 - 3 1 0 .

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militärisch voll auf den Seekrieg konzentrieren können. Dafür musste eine direkte Verstrickung in einen kostenintensiven Landkrieg vermieden werden, um genügend Mittel zum Bau von Kriegsschiffen freizumachen. Auf Preußen mochte und konnte man sich nach Bekanntwerden der Westminsterkonvention nicht mehr verlassen. Sollte der Frieden auf dem Kontinent nicht gewahrt werden können, so gedachte man, die Führung der terrestrischen Operationen an die mittlerweile für Frankreich vermeintlich ungefährlichen Österreicher zu delegieren. Ihnen sollte es obliegen, durch einen Angriff auf die hannoveranischen Kontinentalbesitzungen englische Truppen zu binden. Hauptvertreter der „österreichischen Partei" waren zunächst der König selbst, dessen Mätresse Madame de Pompadour21, der Architekt des renversement, Abbe Bernis22, aber auch der Geheimdiplomat Charles Francis Comte de Broglie23 und Justiz- und Marineminister Jean-Baptiste Machault d'Arnouville.24 B) Auf der anderen Seite stand die „preußische Partei". Auch für sie war der Krieg gegen England von großer Wichtigkeit. An die nachhaltige Schwächung und damit an die Ungefährlichkeit der Österreicher mochten die Mitglieder der pro-preußischen Partei jedoch nicht glauben. Sie zeigten sich vielmehr davon überzeugt, dass von Habsburg weiterhin eine beachtliche Bedrohung für Frankreichs Stellung auf dem Kontinent ausging, welcher nur durch ein enges Zusammengehen mit Preußen begegnet werden könnte. Wichtigste Vertreter dieser Strömung waren Kronprinz Ludwig und dessen konservativ-bigotte Gefolgschaft, zu der mit dem Premier Commis Jean-Ignace Abbe de la Ville und dessen Mitarbeiter Jean-Louis Favier auch führende Mitarbeiter des Versailler Außenministeriums zählten.25 Dem Abbe de La Ville wurde zudem nachgesagt, einen 26 bestimmenden Einfluß auf Außenminister Rouille zu haben. Weiterhin gehörten der

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Zu ihrer Rolle bei der Entscheidung zum renversement des alliances siehe: Thomas E. Kaiser, Madame de Pompadour and the Theaters of Power, in: French Historical Studies 19 (1996), 1025— 44. Zu ihrer politischen Rolle insgesamt: Pierre de Nolhac, Madame de Pompadour et la politique, Paris 1929. Siehe dazu: Jean-Paul Desprat, Le Cardinal de Bernis, la belle ambition, Paris 2000. Ältere Beurteilungen bei: Richard Waddington, Louis XV et le Renversement des alliances. Preleminaires de la Guerre de Sept Ans 1754-1756, Paris 1896, 366. Zu dessen Position siehe: Didier Ozanam, Michel Antoine, Correspondance secrete du comte de Broglie avec Louis XV(1756-1774), Bd. 1 (1756-1766), Paris 1956,4-5. Über die verschiedenen Urteile der französischen Minister zum renversement siehe zusammenfassend: Wagner, Friedrichs (wie Anm. 4), 145-147. Lothar Schilling, Wie revolutionär war die diplomatische Revolution? Überlegungen zum Zäsurcharakter des Bündniswechsels von 1756, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen GeschichteNF 6 (1996), 163-202 (hier: 183). Anne Μέζϊη, Rouille, in: Lucien Bely, Laurent Theis, Georges-Henri Soutou, Maurice Vai'sse (Hg.), Dictionnaire des ministres des Affaires etrangeres, Paris 2005,158.

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österreichischen Partei an: Kriegsminister Comte d'Argenson 27 , dessen Bruder, der frühere Außenminister Marquis d'Argenson, aber auch der Marschall de Belle-Isle.28 Doch Zielrichtungen und Zusammensetzung der Parteien veränderten sich im Laufe des Jahres 1756. Die Seekriegsbefürworter - allen voran Marineminister Machault die das Neutralitäts- und Defensivabkommen vom 1. Mai 1756 noch maßgeblich gefördert hatten, rückten im Laufe des Sommers, als sich einen französische Beteiligung an einem Landkrieg gegen Preußen abzuzeichnen begann, immer weiter von ihrem ursprünglich pro-österreichischen Kurs ab. Auf der anderen Seite versöhnte das Kontinentalengagement wiederum jene Militärs - etwa Marschall Belle-Isle und Kriegs29

minister d'Argenson - , die von Anfang an für einen Landkrieg plädiert hatten. Sie wurden nun zu Unterstützern der österreichischen Allianz.30 Letztlich ging es jedoch beiden Parteien - in welcher Zusammensetzung auch immer - in erster Linie um Sicherung und Ausbau der französischen Machtposition in der Welt. Sowohl die eine wie die andere suchte Frankreich die beste Ausgangsposition für einen Krieg gegen England zu verschaffen, und beide wollten dafür einen Zweifrontenkrieg vermeiden. Nur über die dafür notwendigen Mittel und Wege war man 31 uneins. Während die österreichische Partei „Kanada in Deutschland verteidigen" wollte, glaubte die preußische Partei, zunächst einmal die französische Vormachtstellung auf dem Kontinent sichern zu müssen, bevor es an die Bekämpfung Englands gehen konnte. Im Zentrum der Überlegungen stand dabei beiderseits letztlich die Frage, wie bedrohlich die österreichische Macht noch für Frankreich war. Seit dem Westfälischen (1648) und dem Pyrenäenfrieden (1659), spätestens aber seit dem Übergang des Madrider Throns auf einen Bourbonen, mit dem die als existenzbedrohend empfundenen Umklammerung durch habsburgische Besitzungen vollends beseitigt wurde, konnte nur noch schwerlich von einer Gefährdung der französischen Großmachtstellung durch Österreich gesprochen werden. Nichtsdestotrotz wurde Wien auch nach 1648 von der französischen Politik als ernst zu nehmender, ja potentiell bedrohlicher Gegner gesehen. Im Vergleich zum 16. und zur ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts verengte sich lediglich der geographische Rahmen, in dem Österreich als Gefahr wahrgenommen wurde. Hatte Frankreich zunächst gegen den Universalanspruch Habsburgs gekämpft, also gegen eine wie auch immer geartete europäische Hegemonialstellung, wenn nicht gar gegen eine sich vermeintlich anbahnende Weltherrschaft, so konzentrierten sich die Ängste seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mehr und mehr auf die österreichischen Planungen im Reich und in Italien. Nun glaubte man hier eine immer wieder unmittelbar bevorstehende Hegemonialstellung Österreichs verhindern zu müssen. Denn aus der habsburgischen Beherrschung 27 28 29 30 31

Zu seiner Gegnerschaft siehe: Broglie, L 'Alliance (wie Anm. 3), 382-383. Ebd, 383-384. Ebd., 382. Zu dieser Verkehrung der Fronten siehe: Schilling, Wie revolutionär (wie Anm. 25), 188-189. Skalweit, Frankreich (wie Anm. 2), 71.

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eines wirtschaftlich so potenten und bevölkerungsreichen Raums wie dem Reich oder Italien wäre Frankreich - so jedenfalls die Überzeugung der französischen Diplomaten 32

- über kurz oder lang wieder eine europaweite Bedrohung erwachsen. Zur Verhinderung etwaiger hegemonialer Ambitionen Österreichs innerhalb Deutschlands, aber auch innerhalb Italiens, bediente sich die französische Außenpolitik traditionell der Hilfe von Verbündeten. Deren Einfluss auf die kleineren Nachbarstaaten sollte die Machtverhältnisse innerhalb der betreffenden geographischen Räume ins Gleichgewicht bringen. In Italien fiel diese Rolle Savoyen, im Reich erst Schweden und dann zunehmend Preußen zu. Doch hatten sich im Vorfeld der diplomatischen Revolution bedeutende Änderungen in diesem hergebrachten System ergeben. Zum einen war Frankreich in England weltund kolonialpolitisch ein neuer Gegner erwachsen, auf dessen Bekämpfung man nun sein Hauptaugenmerk richtete. Zum anderen hatten sich die Machtverhältnisse innerhalb Deutschlands verschoben. Nicht zuletzt durch die Einverleibung und Behauptung Schlesiens war Preußen zur Großmacht aufgestiegen, während Österreich aus demselben Grund an Potential verloren hatte. Stephan Skalweit meinte in seiner, allerdings fast ausschließlich auf den Memoiren einiger Zeitgenossen beruhenden Arbeit zum Friedrichbild in Frankreich, dass die Versailler Diplomatie - zumindest jener Teil, der das renversement unterstützte - zwar den habsburgischen Machtschwund erkannte, das damit verbundene preußische Erstarken jedoch unterschätzte, wenn nicht ganz verkannte.33 Seit dem Erscheinen der vollständig aus Akten gearbeiteten Habilitation Sven Externbrinks ist jedoch bekannt, dass die proösterreichische Partei - allen voran Bernis - den Machtzuwachs nicht nur genau wahrgenommen, sondern ihn sogar als für französische Interesse bedrohlich einstuften. Die in diesem Zuge geäußerten Befürchtungen knüpften nahtlos an jene an, die man fast ein Jahrhundert lang bezüglich Österreich gehegt hatte: Friedrich drohe das im Reich herrschende Gleichgewicht nachhaltig zu seinen Gunsten zu verschieben, würde sich also zum „Diktator Deutschlands" auf32

Siehe dazu vor allem: Jörg Ulbert, Die Angst vor einer habsburgischen Hegemonie im Reich als Leitmotiv der französischen Deutschlandpolitik unter der Regentschaft Philipps von Orleans (1715-1723), in: Thomas Höpel (Hg.), Deutschlandbilder - Frankreichbilder 1700-1850. Rezeption und Abgrenzung zweier Kulturen, Leipzig 2001, 57-74; ders., Die österreichischen Habsburger in bourbonischer Sicht am Vorabend des Spanischen Erbfolgekriegs, in: Christoph Kampmann, Katharina Krause, Eva-Bettina Krems, Anuschka Tischer (Hg.), Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa. Bourbon - Habsburg - Oranien 1700, Köln 2008, 241-254. Zur Langzeitwirkung dieser Doktrin: ders., France and German Dualism (1756-1871), in: Carine Germond, Henning Türk (Hg.), From „ Hereditary Enemies " to Partners - A History of FrancoGerman Relations in Europe, New York 2008, 39-48. Daß diese Angst vor einer Beherrschung ganz Italiens oder Deutschlands in der französischen Diplomatie auch noch nach 1763 umging, weist Eckhard Budruss nach: Die Deutschlandpolitik der Französischen Revolution zwischen Traditionen und Revolutionärem Bruch, in: Karl Otmar Freiherr von Aretin, Karl Härter (Hg.), Revolution und konservatives Beharren. Das Alte Reich und die Französische Revolution, Mainz 1990, 145-154, hier: 148-149.

33

Skalweit, Frankreich (wie Anm. 2), 82-83.

WIRKUNGSGESCHICHTE DER DIPLOMATISCHEN REVOLUTION

167

schwingen und diese Machtbasis dann mittelfristig zur Errichtung einer Hegemonie in Europa nutzen können. 3 4 Mit der Verschiebung des Gleichgewichts in Deutschland geriet also auch die oben erwähnte Doktrin in der französischen Außenpolitik in B e w e g u n g . Denn nicht mehr die Begrenzung einer habsburgischen

Übermacht im Reich, sondern das Erreichen einer

Hegemonialstellung überhaupt - durch w e n auch immer - wurde nun bekämpft. So wurde ein vormals dynastisch bestimmtes Prinzip durch ein rein machtpolitisches ersetzt. Im Kern blieb die Doktrin jedoch unverändert. Weiterhin ging es Frankreich darum zu verhindern, dass sich eine Macht des Gesamtpotentials des Reichs - oder Italiens - bemächtigen könnte, u m es dann gegen Frankreich zu richten. So blieben die Befürworter der Umkehr der Allianzen letztlich den angestammten Prinzipien

französischer

Deutschlandpolitik treu. 35 Dabei darf aber nicht außer Acht

gelassen werden, dass der Entscheidung zum Wechsel des Allianzpartners nicht nur staatspolitische Erwägungen zu Grunde lagen. Gerade für Ludwig X V . scheinen auch ganz persönliche Gründe eine Rolle gespielt zu haben: etwa der Ärger über den hohenzollernschen, zudem protestantischen Parvenu, den er für seine Eigenmächtigkeit bei der Unterzeichnung der Westminsterkonvention abstrafen wollte 3 6 , aber auch der Groll über die ihm hinterbrachten unflätigen Äußerungen Friedrichs über die Zustände in der französischen

34

35

36

Königsfamilie.

Zur Angst vor preussischen Grossmachtplänen siehe: „Sur Γ Idee du Roi de Prusse d'echanger le duche de Meckleb 8 contre ses Etats de Westphalie", M. de [?]amp pere, Schwerin, 21 [?]rier 1760, AAE, MD France 446, Fol. 327-327 v ; „Tableau Politique de la position critique ou se trouve aujourd'huy 1'Europe, avec les observations sur ce qui peut interesser en particulier chaque puissance, relatives ä toutes les combinaisons dont la matiere peut-etre susceptible; principalement sur ce qui concerne les interets de la France, tant pour le present que pour l'avenir", Anonyme, o.O.o.D. (1756 oder 1757), AAE, MD France 581, Fol. 17v. Siehe ebenfalls: Externbrink, Friedrich der Große (wie Anm. 6), 94—95; und zum Topos einer drohenden preußischen Hegemonialstellung im Reich in der österreichischen Propaganda auch: Schort, Politik (wie Anm. 11), 190-191. Dies stützt die Erkenntnisse Lothar Schillings (Wie revolutionär [wie Anm. 25], 202) und Johannes Burkhardts (Geschichte als Argument in der habsburgisch-französischen Diplomatie. Der Wandel des frühneuzeitlichen Geschichtsbewusstsein in seiner Bedeutung für die Diplomatische Revolution von 1756, in: Rainer Babel [Hg.], Frankreich im europäischen Staatensystem der Frühen Neuzeit, Sigmaringen 1995, 191-217), die beide den Zäsurcharakter des renversement stark relativiert haben. Choiseul geht in seinen Memoiren sogar soweit, die persönliche Verärgerung des Königs als Hauptgrund für das renversement anzuführen (Memoires du due de Choiseul, hg. v. Jean-Pierre Guicciardi, Philippe Bonnet, Paris 1983, 158). Siehe auch: Rene Hanke, Brühl und das Renversement des alliances. Die antipreußische Außenpolitik des Dresdener Hofes 1744-1756, Berlin 2006, 300. Zur Beteiligung Ludwigs XV. an außenpolitischen Entscheidungen im Allgemeinen und zu seiner Rolle bei Beteiligung an außenpolitischen Entscheidungen im Besonderen siehe: Sven Externbrink, Ludwig XV. als Außenpolitiker. Zum politischen „Stil" des Monarchen (am Beispiel des renversement des alliances), in: Klaus Malettke, Christoph Kampmann (Hg.), FranzösischDeutsche Beziehungen in der neueren Geschichte. Festschrift für Jean Laurent Meyer (Forschungen zur Geschichte der Neuzeit. Marburger Beiträge 10), Münster 2007, 221-240.

168

JÖRG ULBERT

Natürlich standen die Gegner der österreichischen Allianz ebenfalls in der Tradition französischer Außenpolitik. Denn auch sie befürchteten die Errichtung einer wie auch immer gearteten Monarchie im Reich. Doch konnte diese Gefahr aus Sicht der propreußischen Partei nur von Österreich ausgehen. So bestanden - wenn man von den dynastisch-persönlichen Motiven der einen und aufklärerischen Interessen der anderen einmal absieht - letztlich nur geringe Unterschiede zwischen beiden Lagern. Allenfalls das Ausmaß des österreichischen Machtverlustes und der vom Aufstieg Preußens ausgehenden Gefahr wurden von den Parteien unterschiedlich bewertet. Ein Wechsel von einem zum anderen Lager konnte sich demzufolge recht einfach vollziehen. So erklärt sich auch, dass der zweite Vertrag von Versailles vom Mai 1757, der viel weiter ging als der erste, Frankreich erdrückende Verpflichtungen auferlegte und klar zu Österreichs Gunsten ausfiel, auf viel weniger Widerstand stieß als der erste. Einige hochrangige Kritiker des Sommers 1756 - Justiz- und Marineminister Machault d'Arnouville - waren mittlerweile aus ihren Ämtern entfernt und durch österreichfreudlichere Minister ersetzt worden. Andere waren - wie bereits erwähnt - auf die offizielle Linie eingeschwenkt, oft weil sie sich von der Ausweitung der Allianz ein schnelleres Ende des Krieges versprachen. Doch trotz der Flucht nach vorn, die man mit der Unterzeichnung des zweiten Versailler Vertrags antrat, verlor man das Gleichgewichtsgefüge des Reichs nicht aus den Augen. Das fand nicht zuletzt in der französischen Weigerung seinen Niederschlag, Gebietsverlusten Preußens und dementsprechenden Gewinnen Österreichs über Schlesien hinaus, also größeren Machtverschiebungen innerhalb Deutschlands keinesfalls zuzustimmen. Eine Zusammenstutzung zur drittrangigen Macht oder gar Zerschlagung Preußens schloss Versailles kategorisch aus37. Der Ablauf und Ausgang des Kriegs gab den Kritikern der Allianz schließlich Recht. Denn keine der 1756 gehegten Hoffnungen hatte sich erfüllt, keines der französischen Kriegsziele war erreicht. Dennoch wurde an der Hinwendung zu Österreich festgehalten, und das trotz der offenkundigen Asymmetrie des Versailler Vertrags, der Öster38

reich klar bevorteilte . Jene, die sich nach der Katastrophe von Rossbach für einen zügigen Friedensschluss und eine Aufkündigung des Bündnisses ausgesprochen hatten, waren entweder nicht erhört worden oder, wie etwa Bernis, deshalb in Ungnade gefallen. 37

Siehe dazu z.B.: Eckhard Buddruss, Die französische Deutschlandpolitik 1756-1789, Mainz 1995, 125; Schilling, Wie revolutionär (wie Anm. 25), 185-186. Siehe den einzigen gegenteiligen Vorschlag, der eine Abtretung großer Teile Brandenburgs an Sachsen vorsah, in: Tableau Politique de la position critique ou se trouve aujourd'huy I'Europe, avec les observations sur ce qui peut interesser en particulier chaque puissance, relatives a toutes les combinaisons dont la matiere peut-etre susceptible; principalement sur ce qui concerne les interets de la France, tant pour le present que pour I'avenir, anonym, o.O.o.D. [1756 oder 1757], AAE, MD France 581, Fol. 3 3 v 34 r .

38

Siehe dazu vor allem Buddruss, Deutschlandpolitik

(wie Anm. 37), 122-123

WIRKUNGSGESCHICHTE DER DIPLOMATISCHEN REVOLUTION

169

2. Die österreichische Allianz bis zu ihrer Aufkündigung Hauptmotivation für das Festhalten an der österreichischen Allianz nach Kriegsende war der nach wie vor geltende Primat der maritimen Auseinandersetzung. 39 Weiterhin wollte man sich den Rücken auf dem Kontinent für einen - hauptsächlich auf See auszutragenden - Revanchekrieg gegen England freihalten. 40 Und dies glaubte man am besten bewerkstelligen zu können, indem man dem Gegner die nach Frankreich stärkste Landmacht als Bündnispartner ausspannte. Doch bei aller Gegnerschaft zu England verlor man auch die Deutschlandpolitik nicht aus den Augen. Dass Österreich noch immer eine potentielle Bedrohung darstellte, darüber war man sich innerhalb der französischen

Führungsriege weitgehend einig. 41 Nur wollte man die habsburgischen

Bestrebungen nun nicht mehr frontal bekämpfen, sondern aus dem Inneren einer Allianz heraus kontrollieren. Da auch Österreich ähnliche Ziele verfolgte, lief die französisch-österreichische

Allianz ab 1763 auf ein „wechselseitiges Containment" 4 2

hinaus. Dem ehemaligen Alliierten Preußen kam dabei eine ganz besondere Rolle zu. Es fungierte als Gegengewicht zu Österreich und wurde nach und nach - auch ohne formelles Bündnis - zum „Sachwalter der französischen Interessen" 43 im Reich. Denn die Allianz mit Wien verbot es der 39

40 41

42 43

französischen

Diplomatie weiterhin aktive und

Dazu ausführlich: Buddruss, Deutschlandpolitik (wie Anm. 37), 122-123. Aber auch: Schilling, Wie revolutionär (wie Anm. 25), 200-201. Buddruss, Deutschlandpolitik (wie Anm. 37), 48. Wie groß die Angst vor einem Machtzuwachs Österreichs blieb und wie sehr auch man am Prinzip der Balance innerhalb des Reichs festhielt zeigt folgender Auszug aus einem für den König bestimmten Memorandum Vergennes: „L'autre point de vue a considörer en Prusse est la mort du Roi. Alors, la cour de Berlin ne voudra pas faire la guerre, mais la cour de Vienne la fera certainement pour recouvrer la Silesie. Le parti que prendra Votre Majeste dans cette circonstance merite de grandes röflexions. Se liera-t-elle avec la Maison d'Autriche pour la rendre aussi puissante qu'elle l'ait jamais ete, et par consequent fort dangereuse? Soutiendra-t-elle de ses forces la grandeur de la cour de Vienne et sa preponderance enorme en Allemagne, quand eile aura detruit la puissance prussienne, la seule qui puisse la contrebalancer et l'inquieter? Car la puissance Ottomane est nulle, et deviendra tous les jours plus faible. Sans doute que les Ministres de Votre Majeste lui representeraient, si le cas arrive, que la Maison d'Autriche, n'ayant plus de rivaux ä craindre sur les frontieres allemandes et hongroises, en acquerant de la force, ne perdra pas son ambition, et cette ambition ne pourra avoir d'aliment que contre la France et l'Italie. D'un autre cote, il ne faut pas douter que, si la France refuse a Vienne de l'approuver et de la soutenir dans la guerre contre la Prusse, le ministre autrichien ne se retourne vers l'Angleterre, qui lui tendra les mains pour recuperer un allie puissant en Allemagne en perdant le Roi de Prusse. Le conseil d Votre Majestö pesera sans doute alors tous les inconveniens des deux parties к prendre, qui sont difficiles." Memoire presenti au Roi Louis XV par le Due de Choiseul vers la fin de fevrier 1765, AAE, MD France 581, Fol. 40r. Weiterer Beleg: Memoire secret sur les affaires generates de l'Europe remis au due de Choiseul par Μ Gerard, 1767, AAE, MD France 446, Fol. 346-346 v . Buddruss, Deutschlandpolitik (wie Anm. 37), 140. Ebd., Deutschlandpolitik (wie Anm. 37), 171-172, 233, 277-278. Siehe auch: Malettke, Frankreich, Deutschland und Europa (wie Anm. 14), 371-372.

170

JÖRG ULBERT

insbesondere antihabsburgische Reichspolitik zu betreiben. Subsidienverträge mit Reichsständen, die seit fast zwei Jahrhunderten fester Bestandteil französischer Reichspolitik gewesen waren, wurden - mit Ausnahme der Verlängerung jenes mit Zweibrücken 44 - nach Ende des Siebenjährigen Krieges keine mehr abgeschlossen. Stattdessen verließ man sich auf preußische Schützenhilfe. Zwar wurde Preußens antihabsburgischen Initiativen nicht offen und direkt unterstützt 45 , aber doch - wie etwa bei der Gründung des Fürstenbundes 46 - implizit gebilligt. Diese Politik der Eindämmung habsburgischer Machtambitionen aus dem Inneren einer Allianz heraus stieß in Frankreich jedoch keineswegs nur auf Zustimmung. Am Hof, im diplomatischen Corps und in der öffentlichen Meinung erklang vielmehr immer wieder lautstarke Kritik am österreichischen Bündnis. In Versailles standen sich auch nach Ende des Krieges weiterhin zwei Lager gegenüber: ein pro- und ein antiösterreichisches. Wie schon 1756 waren auch die Nachkriegsskeptiker keine wirkliche Partei, sondern eine heterogene Gruppierung, die sich bei der Verurteilung der Allianz mit Habsburg zwar einig waren, darüber hinaus aber wenig gemeinsam hatten. Schirmherren der Allianzskeptiker waren seit Anfang der 1760er Jahre die Söhne und Töchter Ludwigs XV. Mit ihrer zur Jesuitenpartei oder parti divot formierten Anhängerschaft machten sie Front gegen den seinerseits der Aufklärung nahestehenden clan lorrain um Außenminister Choiseul 47 , der als Garant für den Fortbestand der Allianz galt. 48 Die Mitglieder des parti divot blieben dann auch bis zur Revolution die Haupttriebkraft der Kritik. 49 Ein weiteres Schwergewicht unter den Bündnisgegnern war Graf Charles F r a n c i s de Broglie, der Chef des Secret du Roi, der Geheimdiplomatie Ludwigs XV. Auf ihn ging die Initiative zurück, einen seiner Untergebenen, Jean-Louis Favier 50 , im Frühjahr 1773 dazu anzuhalten, eine für den König bestimmte Bestandsaufnahme der französischen Außenbeziehungen abzufassen. 51

44

45 46 47

48 49

50

51

Hans Ammerich, Landesherr und Landesverwaltung. Beiträge zur Regierung von Pfalz-Zweibrücken am Ende des Alten Reiches, Saarbrücken 1981, 169, 174, 183; Buddruss, Deutschlandpolitik {wie Anm. 37), 191. Buddruss, Deutschlandpolitik (wie Anm. 37), 244. Ebd., 176,284. Michael Hochedlinger, „La cause de tous les maux de la France". Die ,Austrophobie' im revolutionären Frankreich und der Sturz des Königtums 1789-1792, in: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 24/2 (1997), 7 3 - 1 2 0 , hier 76. Schilling, Wie revolutionär (wie Anm. 25), 191. Zum parti devot siehe vor allem: Kaiser, Madame de Pompadour (wie Anm. 21), 1040-1041; Thomas E. Kaiser, Who 's Afraid of Marie-Antoinette? Diplomacy, Austrophobia and the Queen, in: French History 14 (2000), 2 4 1 - 2 7 1 , hier: 2 4 5 - 2 4 8 , 2 7 0 - 2 7 1 . Zu ihm siehe: Jules Flammermont, J.-L. Favier, sa vie et ses ecrits, in: La Revolution franqaise 36 (1899), 1 6 1 - 1 8 4 , 2 5 8 - 2 7 6 , 314-335. Über die Umstände diese Auftrags siehe den Brief Broglies an Ludwig XV. vom 18. März 1773 in: Didier Ozanam, Michel Antoine (Hg.), Correspondance secrete du comte de Broglie avec Louis XV (1756-1774), Bd. 2 : 1 7 6 7 - 1 7 7 4 , Paris 1961, 378.

WIRKUNGSGESCHICHTE DER DIPLOMATISCHEN REVOLUTION

171

Unter dem Eindruck der kurz zuvor erfolgten Teilung Polens zeichnete Favier in seinen noch 1773 fertiggestellten Conjectures France

dans

le sisteme

politique

raisonnees

de I'Europe52

sur la situation

actuelle

de la

das düstere Bild eines entkräfteten

Frankreichs, das nicht mehr in der Lage war, entscheidenden Einfluss auf den Gang der Geschicke Europas zu nehmen. D e n Hauptgrund fur diesen Machtverfall sah Favier im Versailler Vertrag v o n 1756. Dieser habe Österreich nur Vorteile gebracht, Frankreich hingegen die Hände gebunden. Besonders schwer w o g dies seiner Ansicht nach für die französischen

Interessen in Deutschland. Denn dort, w o für Frankreich durch das

enorme militärische Potenzial große Gefahr entstehen könnte 5 3 , sei jeglicher Einfluss verloren gegangen. „1° Que la France depuis l'epoque de 1756 n'a point fait dans l'Empire un pas qui ne tendit а у affaiblir son influence aussi naturelle que legitime. 2° Que par sa negligence, son inaction, sa subordination aux vues, aux desirs de la cour de Vienne, eile a laisse suspendre dans l'Empire l'exercice de tous ses droits de garantie, de protection et d'arbitrage. 3° Que dans Г etat present, c'est-a-dire, depuis la ligue copartageante, il lui serait tres dificile [sic] pour ne pas dire impossible de reprendre l'exercice de ces droits si precieux pour eile, si embarassante [sic] pour la cour de Vienne, et si utile au Corps Germanique. 4° Que par consequent il n'existe plus de l'Empire ä la France le recours du plus faible, ni de la France ä l'Empire le secours du plus fort, ni le concours de tous les deux, ce qui forme le lien de puissance foederative. 5° Que relativement ä l'Empire, la France a done perdu cette branche essentielle de sa puissance d'oü etait derivee une grande partie de son credit, sa consideration, sa dignite, sa preeminence. 6° Qu'enfin pour se mettre en etat de recouvrer ces avantages si glorieux, si solides, meme pour conserver et affermir la paix avec l'Empire et sa propre tranquilite, il ne faut pas moins que de grandes vues et des moyens proportionnes mais surtout combinez et prepares de loin, une refonte g6nerale du sisteme actuel, tant politique que militaire." 54 Favier knüpfte mit dieser Argumentation an seine erste Schrift an, Doutes sur le traite de Versailles

entre le Roi de France

et l'impiratrice

et

questions

reine de Hongrie,

die

er im August 1756 binnen nur 48 Stunden im Auftrag des Kriegsministers d'Argenson verfasst hatte. 55 Sie hatte König Ludwig X V . auf die Gefahren einer Allianz mit Österreich hinweisen sollen, ihr Ziel jedoch verfehlt. Auch w e n n die Doutes 52

53 54 55

et

Conjectures raisonnees sur la situation actuelle de la France dans le sisteme politique de I 'Europe. Et rieiproquement sur la position respective des Puissances de I'Europe ä l'egard de la France. Enfin sur les nouvelles combinaisons qui doivent ou peuvent resulter de ces diffirens rapports, aussi dans le sisteme politique de l'Europe, o.O., 1773, AAE, MD France 581, Fol. 155-297". Siehe auch: Alexander von Hase, Zur Lehre vom Primat der Außenpolitik und von den großen Mächten. Faviers „ Conjectures raisonnees" 1773, in: Saeculum 27 (1976), 77-93. Conjectures raisonnees (wie Anm. 52), Fol. 165v. Ebd., Fol. 296 r -297 r . Gary Savage, Favier's Heirs: The French Revolution and the Secret du Roi, in: The Historical Journal 41 (1998), 225-258, hier: 231-232; Buddruss, Deutschlandpolitik (wie Anm. 37), 123, 152-153.

172 questions

JÖRG ULBERT

- wie später auch die Conjectures

raisonnees

- zunächst nur als handschrift-

56

lichen Kopien kursierten , ist ihre Wirkung nicht zu unterschätzen. So wurden die 57

Doutes

et questions

schon bevor sie 1778 zum ersten Mal verlegt wurden 58

der austrophoben Kreise" . Auch die Conjectures

raisonnes

zur „Bibel

hatten unter der Hand

bereits „Furore gemacht" 5 9 bevor sie ab 1793 auch im Druck erschienen. 6 0 Favier war wohl der meistgelesene und einflussreichste der Allianzkritiker, blieb jedoch mitnichten die einzige Stimme im Außenministerium, die die österreichische Allianz für gefährlich hielt und sie für die Mehrzahl der französischen Probleme verantwortlich machte. Ähnliche Analysen ziehen sich durch die gesamte Geschichte des Bündnisses. Kaum ein internes Memorandum zur französischen Außenpolitik, in dem der Versailler Vertrag nicht gegeißelt und die Gefahr eines zu erwartenden österreichischen

Machtzuwachses

auf Kosten Frankreichs

nicht beschworen

wurde. 6 1

Vorraussetzung und Mittel eines solchen Erstarken Habsburgs blieb die zu befürchtende Übernahme der Kontrolle über den gesamten Reichsverband. So bekam etwa Außenminister Vergennes 1781 folgendes Szenario vorgelegt: „Dans cet etat des choses, la subversion du Corps Germanique est inevitable: l'Allemagne devient le domaine de la nouvelle Maison d'Autriche, dont les immenses possessions s'etendront sans interruption depuis la Manche jusqu'ä la Mer Noire sur une etendue de plus de cinq cens soixante Heues. La France ne sera plus en Europe qu'une puissance de second ordre, ä la merci de la maison d'Autriche, devenue beaucoup plus formidable qu'elle ne le fut sous Charles Quint! [...] Heureux encore si la France ne devient pas simple province d'un

56

57

58 59 60

61

Siehe z.B. die Kopie aus dem Jahre 1781 des Kapitels zum Reich: AAE, MD France 587, Fol. 7 9 90r. Zu den verschiedenen Auflagen des Textes (die erste 1778 mit dem wohl fiktiven Druckort London, die zweite 1789 ohne Angabe des Druckortes und die dritte 1792 in Paris) siehe Hochedlinger, La cause (wie. Anm. 47), 78-79, Anm. 11. Ebd., 78. Ebd. Der Text erschien erstmals 1793 in Paris bei Buisson unter dem Titel: Politique de tous les cabinets de I 'Europe pendant les regnes de de Louis XV et de Louis XVI; contenant des pieces authentiques sur la correspondance secrette du comte de Broglie; ou ouvrage dirige par lui, et execute par Μ. Favier: plusieurs memoires du comte de Vergennes, de M. Turgot etc. etc.: manuscrits trouves dans le cabinet de Louis XVI. Die zweite Auflage erschien 1801 beim selben Verleger, die dritte im Jahr darauf im selben Verlag und die letzte ebenfalls in Paris 1824-1825. 1793-1794 erschien beim Hamburger Verleger Hoffmann bereits eine Übersetzung ins Deutsche unter dem Titel: Geheime Staatspapiere im Königlichen Palast der Thuillerien gefunden. „Si la cour de Versailles veut faire un present ä la cour de Vienne de la supöriorite que la France a toujours conservee en Europe, eile n'a qu'a continuer la guerre autant qu'il plaira ä la Cour de Vienne, et jusqu'ä ce que celle-ci ait la Silesie, ce qui la rendra maitresse de 1'Empire, et plus puissante que la France." Memoire secret sur les affaires generates de I 'Europe. Memoire secret remis au due de Choiseulpar Μ Gerard, ο.Ο. 1767, AAE, MD France 446, Fol. 346r_v. Siehe, u.a., auch: Systeme politique de la France au dehors, anonym, o.O., 1789, AAE, MD France 587, Fol. 229v.

WIRKUNGSGESCHICHTE DER DIPLOMATISCHEN REVOLUTION

173

Empire hors de proportion avec les Etats voisins par ses acquisitions successives et rapides, et dont eile eut arTete les progres en s'y opposant ä tems." 62

Diplomaten, die die Allianz positiv beurteilten, blieben hingegen Ausnahmen. War dies dennoch der Fall, dann wurde das auch noch kurz vor der Revolution mit Hinweis auf den Seekriegsprimat getan.63 Doch ob Gegner oder Befürworter des Versailler Vertrags, alle waren sich darüber einig, dass das Bündnis nur dann sinnvoll sein konnte, wenn Preußen als Gegengewicht zu Österreich erhalten blieb. Einerseits sollte so das vermeintlich drohende Ausgreifen Habsburgs auf den gesamten Reichsverband verhindert und andererseits die Rückkehr Wiens zu einem Bündnis mit England unmöglich gemacht werden. „Es war der Furcht vor Preußen", wie Vergennes 1784 dem König erklärte, „der Frankreich sein Bündnis mit dem Wiener Hof verdankt. Und nur wenn wir diese Bedrohung aufrecht erhalten können, dürfen wir hoffen, die Allianz fortzufuhren." 64 Der Öffentlichkeit war diese subtile Politik der Kontrolle der österreichischen Expansionsgelüste aus dem Inneren einer Allianz heraus und die gleichzeitige Delegierung der aktiven Deutschlandpolitik an Preußen, den Sachwalter der französischen Interessen im Reich, nicht zu vermitteln. Die Stimmung auf der Straße war bereits im Laufe des Siebenjährigen Kriegs ins latent Antiösterreichische umgeschlagen, ohne jedoch zu größeren Unmutsbekundungen zu führen. Die Kritik wurde erst in der zweiten Hälfte der 1780 Jahre lauter, als auch die Öffentlichkeit sich über den drohenden Verlust der französischen Großmachtstellung gewahr wurde. Als Katalysator für die nun immer stärker werdende Austrophobie diente Königin Marie Antoinette.65 Zwar schafften es Vergennes und Ludwig XVI., der dem Bündnis ohnehin weit weniger zugetan war als sein Großvater Ludwig XV.бб, die Königin von außenpolitischen Entscheidungen weitgehend fernzuhalten67, in der Öffentlichkeit war man jedoch zunehmend davon überzeugt, dass Marie-Antoinette als „gardienne odieuse de 62

63

64

65 66 67

Memoire präsente ä Son Excellence Monseigneur le Comte de Vergennes, sur le nouveau systeme politique qui seprepare en Europe, Paris, 1. November 1781, AAE, MD France 587, Fol. 2 8 - 3 4 v , hier: 32r"v. „Cette alliance consideröe en elle-meme est d'autant plus convenable pour la France qu'elle doit la garantir de toute guerre sur le continent, ce qui lui facilite les moyens d'employer une plus grande partie de ses moyens pour l'amelioration de sa marine." Resume. De l'etat actuel des cours et des pays qui sont dans топ dipartement. Par M. de Rayenval, AAE, MD France 587, Februar 1787, Fol. 244-271", hier244r"v. „C'est ä la crainte inspiree par le Roi de Prusse que la France a dü son alliance avec la cour de Vienne. Ce n'est done qu'en conservant la puissance qui est un objet de crainte que la France peut esperer de perpetuer cette meme alliance." Memoire de Politique exterieure generale präsente par Vergennes auRoi, o.O., 29. März 1784, AAE, MD France 587, Fol. 207-225 r , hier: 220 v . Hochedlinger, La cause (wie. Anm. 47), 84. Buddruss, Deutschlandpolitik (wie Anm. 37), 56. Jean Berenger, Le conflit entre les Habsbourg et les Bourbons (1598-1792), in: Revue d'histoire diplomatique 116 (2002), 193-232 hier: 229. Zur politischen Rolle Marie Antoinettes siehe vor allem: Kaiser, Who 's Afraid (wie Anm. 49).

174

JÖRG ULBERT

l'acte diplomatique de 1756"68 und der ihr sehr nahe stehende kaiserliche Botschafter Mercy-Argenteau für das Festhalten an der Allianz69 und damit direkt für den machtpolitischen Abstieg Frankreich verantwortlich waren. In der Königin kreuzten sich alle drei Ebenen des Österreichhasses: „Als Madame Deficit verkörperte sie das verschwenderisch-dekadente Ancien Regime, als Autrichienne war sie das Symbol der Allianz von 1756 und damit der anhaltenden Österreichhörigkeit Frankreichs, als Madame Veto personifizierte Marie-Antoinette die unbekehrbar konterrevolutionäre Gesinnung des Hofes". 70 Der Haß auf die Königin wurde von der immer lauter werdenden Forderung nach einer Rückkehr zu einer traditionellen, gegen Österreich gewandten Außenpolitik begleitet. Neben dem radikalen Journalisten Jean-Louis Carra, der in seinen Annales patriotiques et litteraires immer wieder lautstark gegen Österreich hetzte71, war es vor allem ein ehemaliger französischer Generalkonsul in Smirna, Claude Charles de Peysonnel (1727-1790), der nur wenige Wochen nach dem Sturm auf die Bastille in einer politische Streitschrift zur außenpolitischen Situation Frankreichs die umgehende Aufkündigung der Allianz forderte.72 Als ausdrücklich an König und Nationalversammlung gerichtetes „außenpolitisches Cahier de doleances" (Eckhard Buddruss73) war die Schrift Teil eines revolutionären Gesamtkonzepts74, das nicht nur die Lösung vom ver-

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71

Jean-Louis Soulavie, Memoires historiques et politiques du regne de Louis XVI, Bd. 6, Paris 1801, 19; zitiert nach Hochedlinger, La cause (wie. Anm. 47), 84. Ihre Verheiratung mit dem späteren Ludwig XVI. hatte explizit die Festigung und Förderung der Allianz zum Ziel. Siehe dazu z.B.: Alfred Ritter von Arneth (Hg.), Maria Theresia und Marie Antoinette. Ihr Briefivechsel während der Jahre 1770-1780, Paris/Wien 1865, 63, 86, 113, 233, 235,311. Hochedlinger, La cause (wie. Anm. 47), 91. Zu Marie-Antoinettes Bild in der Öffentlichen Meinung siehe auch: Chantal Thomas, La Reine scilirate. Marie-Antoinette dans les pamphlets, Paris 1989; Vivian R. Gruder, The Question of Marie-Antoinette: The Queen and Public Opinion before the Revolution, in: French History 16 (2002), 2 6 9 - 2 9 8 . Dazu: Savage, Favieir's Heirs (wie Anm. 55), 241; Hochedlinger, La cause (wie Anm. 47), 85. Weiterführend zu Carra: Michael L. Kennedy, The Developementof a Political Radical. Jean-Louis Carra 1742-1787, in: Proceedings of the 3rd Annual Meeting of the Western Society for French History 1975 (1976), 142-164; ders., L Oracle des Jacobins des departements: Jean-Louis Carra et ses „Annales Patriotiques", in: Albert Soboul (Hg.), Actes du colloque Girondins et Montagnands (Sorbonne, 14 decembre 1975), Paris 1 9 8 0 , 2 4 7 - 2 6 8 .

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Claude Charles de Peysonnel, Situation politique de la France, et ses rapports actuels avec toutes les puissances de I 'Europe; Ouvrage dont I 'objet est de demontrer, par les faits historiques et les principes de la saine politique, tous les maux qu'a causis a toutes la France I'alliance Autrichienne, et toutes les fautes que le Ministere Frangois a commises depuis l'epoque des traites de Versailles, de 1756, 57et58,jusqu'änosjours.Adressesauroi, et a l'assemblie nationale, par Μ. de Peyssonnel, ancien Consul-General de France ä Smime, etc., 2 Bde, o.O. 1789. Zu seiner Person siehe: Savage, Favier's Heirs (wie Anm. 55), 2 4 2 - 2 4 4 , 1 4 6 - 1 4 7 .

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Buddruss, Deutschlandpolitik (wie Anm. 37), 152. Hochedlinger, La cause (wie. Anm. 47), 84.

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WIRKUNGSGESCHICHTE DER DIPLOMATISCHEN REVOLUTION

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hassten Bündnispartner sondern ganz allgemein die Wiederherstellung der französischen Großmachtstellung zum Ziel hatte. In seiner Argumentation folgte Peysonnel weitgehend dem „Orakel" Favier 75 , dessen Doutes

et questions

1789 wieder aufgelegt wurden. Das taten auch mehr oder minder

alle Publizisten - und ministeriumsinternen Spezialisten 7 6

die in der Folgezeit gegen

die Allianz anschrieben und dazu beitrugen, die antiösterreichische Stimmung aufzuheizen. 7 7 A b Mitte 1791 heizte sich das Klima durch die Verbreitung einer Verschwörungstheorie noch weiter auf. Diese sah ein v o n der Königin gesteuertes und von den Tuilerien aus operierendes Comite

autrichien

am Werke, dem nicht nur landesver-

räterisch konterrevolutionäre Bestrebungen vorgeworfen wurden, sondern alle Mißstände im französischen Staate angelastet wurden. 7 8 Was folgte, war blanke Hysterie, deren logische Konsequenz dann nur noch die Beendigung der Allianz sein konnte. Der Girondist Pierre Victurien Vergniaud brachte diesen Umstand im Januar 1792 auf die Formel, „dass der Bruch der französisch-österreichischen Allianz genauso notwendig

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„Oracle de la politique! Ö Favier! Ö mon maitre! Permets que, dans un moment qui doit decider du sort de la patrie ä laquelle tu as vecu et es mort si attache, permets que je sois ton echo et ton organe, permets que je repete ä nos Concitoyens ces paroles memorables, ces paroles prophetiques que ta bouche a prononcees si souvent en ma presences, que ta plume a fixees dans tant dMerits, et dont, malheureusement, plusieurs se sont dejä realisees." Peysonnel, Situation politique (wie Anm. 72), 191-192. „La puissance autrichienne a un systeme evident d'agrandissement aux depens de l'Allemagne, de l'Italie, de la Pologne et de la Turquie, qu'elle ne pourroit realiser qu'en privant la France d'une preponderance qu'il lui convient de conserver. [...] La reunion de l'Allemagne et surtout de l'Italie sous la т ё т е puissance entereroit ä la France des sources de richesses qui derivent du commerce qu'elle fait avec ces deux parties de l'Europe ou qu'elle fait de preference ä Elles par l'avantage qu'Elle a d'employer des forces reunies. [...] Je ne puis done sous tous les raports regarder la Monarchie Autrichienne que comme rivale de la France, et je suis penetre de la necessite d'adopter ä son egard une conduite analogue ä cette situation et de se degager d'une alliance qui ne fait que l'embarrasser." Systeme politique de la France au dehors, anonyme, s.l., 1789 AAE, MD France 587, Fol. 229 v -330 r , 231 v -232 r . Zu den anderen antiösterreichischen Schriften, die sich nach Peysonnel noch mehr oder minder an Favier orientierten, siehe: Hochedlinger, La cause (wie. Anm. 47); Savage, Favier's Heirs (wie Anm. 55). „Les factieux inventaient chaque jour de nouveaux moyens de soulever le peuple. Chabot, Basire et Merlin, membres du comite de surveillance, imaginerent la fable d'un comite autrichien existant aux Tuileries, lequel contrariait les dispositions des ministres, etait la cause de nos dösastres et n'avait pour but que le bouleversement de la France et le retablissement du despotisme." Louise Felicite de Croy d'Havre duchesse de Tourzel, Memoires sur la Revolution, Bd. 2: 1791-1795, o.O., 2004, 80. Zum Comite autrichien siehe, neben Hochedlinger, La cause (wie. Anm. 47), vor allem: Thomas Kaiser, From the Austrian Committee to the Foreign Plot: Marie-Antoinette, Austrophobia, and the Terror, in: French Historical Studies 26 (2003), p. 579-617. Zur Rolle von Verschwörungstheorien während der Französischen Revolution siehe zudem: Timothy Tackett, Conspiracy Obsession in a Time of Revolution: French Elites and the Origins of the Terror, 17891792, in: American Historical Review 105 (2000), 691-713.

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sei" wie es der Sturm auf die Bastille gewesen war. 79 Die Aufkündigung erfolgte letztlich in Form einer am 20. April 1792 vom Parlament verabschiedeten Kriegserklärung an Österreich.

3. Das renversement und die Allianz in der Rückschau Zwar waren die französischen Revolutionäre angetreten, alles, was an das Ancien Regime und sein Königtum erinnern konnte, zu beseitigen, doch in ihrer Außenpolitik ganz besonders aber in ihrer Deutschlandpolitik - orientierten sie sich an den althergebrachten Prinzipien der Bourbonen. „Le departement des affaires etrangeres, sous la monarchie", schrieb ein Ministerialbeamter 1794, „etait le seul bien administre. Depuis 80

Henri IV jusqu'en 1756 les Bourbons n'ont commis qu'une seule faute majeure". Und damit meinte er das renversement des alliances. So kehrte die französische Diplomatie mit den Revolutionskriegen - wenn auch unter anderen Vorzeichen - umgehend zu den angestammten, d.h. antihabsburgischen Prinzipien französischer Deutschlandpolitik zurück. Wie vor 1756, galt es von nun an wieder, die vermeintlichen Hegemoniegelüste 81 des „natürlichen Feindes" Österreichs offensiv zu bekämpfen, und Preußen als „natür82 liehen Bündnispartner" wiederzugewinnen. Dementsprechend negativ fiel die nachträgliche Beurteilung der Allianz aus. Als besondere Täuschung innerhalb eines ohne83 hin von Anbeginn an als unausgewogen und „monströs" empfundenen Bündnisses wurde dabei die Polnische Teilung gesehen. 84 Der in der zweiten Sektion des Analyse79 80

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Zitiert nach: Buddruss, Deutschlandpolitik (wie Anm. 37), 297. Zitiert nach: Frederic Masson, Le Departement des Affaires etrangeres pendant la Revolution, 1787-1804, Paris 1877 [ND Genf 1977], 327. Belege dafür in: Quelques idees sur les raports [sie] actuels de la France avec les principales puissances de I 'Europe, soumises aux representants du peuple, membres du comite de salut public, par Ant. Bern. Caillard, o.O.o.D. [1795 oder 1796], AAE MD France 655, Fol. 9 - 1 0 r ; La Republique frangaise doit-elle desirer de conclurre [sie] une paix generale avec les puissances coalisees?, anonym, o.O., 1795, M D France 655, Fol. 75r; Memoire raisonne sur la situation actuelle de la Republique dans ses rapports avec les Puissances etrangeres contenant l'etat actuel des negociations, avec un tableau statistique de chaque puissance, par le Cc" Theremin, April 1796, Entwurf, AAE, M D France 655, Fol. 327 r . Zu diesen Bemühungen siehe vor allem: Jean Tulard, La diplomatie frangaise et l'Allemagne de 1789 ä 1799, in: Jürgen Voss (Hg.), Deutschland und die Französische Revolution, München 1983, 43-48. „La guerre contre la France ä la suite d'une alliance monstrueuse avec l'Autriche, guerre qui fut maladroittement faite, et terminee sans honneur, et presque par necessite, donna une forte secousse ä l'Etat." Memoire sur la Prusse, gez.: Van Odeden, o.O., Juli 1806, Kopie, AAE, M D Prusse 9, Fol. 139 v . „La Cour de Vienne, attach ее ä la France en 1756 par des liens intimes, car c'etoit alors le terme favori des deux cours, lui servoit pour ainsi dire d'avant-garde dans le Nord. La France s'en reposant sur eile qu'il s'y passerait rien de contraire ä ses interets. Qu'en est-il arrive? L'Autriche

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büros des Außenministeriums beschäftigte Gaetan de Raxis de Flassan 8 5 beschrieb die Allianz 1796 seinem Minister folgendermaßen: „Ce traite [...] detruisait en un instant tout се que plusieurs habiles ministres avaient fait depuis trois siecles pour operer l'abbaissement de la maison d'Autriche, et alliait les maisons de Bourbon et d'Autriche, ces immortelles rivales. Ce traite fut appele monstrueux par le parlement d'Angleterre, parce qu'il heurtait de front le premier principe de la politique, qu'il ne peut у avoir d'alliance sincere et solide entre les ennemis naturels, parce qu'il у a des Etats qui par leur position topographique, la nature de leurs productions et l'industrie de leurs sujets, doivent naturellement etre ennemis. Parce que les Etats qui peuvent entamer les possessions de la France, ou envahir son commerce, sont les etemels ennemis que la nature lui a donnee, et que toute alliance avec ces memes Etats ne pourra jamais etre que ruineuse pour eile. Ce traite de 1756 enfin, si mal calcule dans son principe, et devenu si desastreux pour la France et si utile pour l'Autriche, devait au moins nous attirer de la part de cette puissance les egards de la reconnaissance et tous les mönagemens d'une amitie solide. Mais non, l'Autriche a 6te notre ennemi implacable du moment ou elle a cru notre alliance inutile. [...] Elle a acceuilli les intrigues des emigres de Coblentz, prepare notre perte, quoique sans succes, dans le traite de Pilnitz, et essaie par des armemens formidables de nous anöantir par la force, apres nous avoir pendant 30 ans appauvri par la ruse." 86 Diese Beurteilung der Allianz stand noch ganz unter dem Eindruck der Bedrohung, als welche Österreich während der Revolutionskriege ununterbrochen empfunden wurde. Eine nüchternere Analyse des Bündnisses wurde erst möglich, als eben diese Angst gewichen war. Leisere Töne schlug jener anonyme Ministerialbeamte an, der 1828 ein für den internen Gebrauch bestimmtes Memorandum verfasste - das letzte übrigens, das sich ausgiebig mit der Allianz beschäftigt. Jetzt, unter dem Eindruck der wachsenden Feindschaft zum Hohenzollernstaat, wurde das renversement

als solches nicht mehr

kritisiert. Nicht der Umstand, mit dem natürlichen Bündnispartner Preußen gebrochen und sich mit natürlichen Feinde Österreich verbündet zu haben, sondern einzig der viel weiter gehende zweite Vertrag v o n Versailles v o m Mai 1757, der Österreich zu viele Vorteile gebracht und Frankreich zu viele Zugeständnisse abverlangt hatte, wurde nun als folgenreiche Fehlentscheidung gewertet.

85 86

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en parlant toujours des liens intimes, a trompe la France, puisque chargee par elle d'empecher le partage de la Pologne en 1772, elle а т ё т е pris part ä ce partage. Kaunitz et Merci ont en cela complettement aveuglö le Ministere de France. Cette alliance etoit done premierement illusoire, puisque l'Autriche etoit secrettement plus portee pour la Russie que pour la France, et en second lieu dangereuse parcequ'elle servoit ä nous endormir sur nos interets dans le Nord." Memoire, anonym, Paris, 18. November 1795, AAE, MD Autriche 50, Fol. 4Г. Zu Flassans Arbeit im Außenministerium siehe: Masson, Le Departement (wie Anm. 80), 342-343. Cabinet de Vienne [...] par le Cit. Flassan, membre du Bureau d'Analyse des Relat. Exterieures. Au citoien ministre Charles de la Croix, o.O., 24. März 1796 [?], AAE, MD Autriche 50, Fol. 7 6 82r, hier: 76 r -77 r . „Tout a ete dit sur l'alliance de 1756, objet de tant de critiques et de reproches. II est evident que ce n'est point cette alliance d'abord purement defensive, qu'il faut blämer, mais l'extension impolitique autant que funeste que le cabinet de Versailles у donna par le traite de 1757. D'une part, l'Autriche n'etait plus la seule puissance preponderate de l'Allemagne, d'autre part la France

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Damit näherte sich der Analyst des Außenministeriums bereits heutigen Einschätzungen an. Denn von Historikern der jüngeren Zeit ist die österreichische Allianz fast durchgehend negativ beurteilt worden.88 Sie ist - wie schon von Zeitgenossen - für den machtpolitischen Abstieg Frankreichs und damit indirekt für den Autoritätsverlust des Herrscherhauses verantwortlich gemacht worden. Jener bereitete wiederum der Revolu89

tion den Weg. Auch in der Auseinandersetzung mit England konnte die Allianz keine entscheidende Wende bringen. Allenfalls spannte sie den Briten ihren angestammten kontinentalen Bündnispartner aus. Das erste französische Kolonialreich ging trotz allem fast vollständig verloren. Auch die französische Deutschlandpolitik - folgt man Eckhard Buddruss, als wohl bestem Kenner der Frage - stand nach fast vierzig Jahren österreichischer Allianz vor einem „Scherbenhaufen".90 Das Bündnis erfüllte aber auch gute Teile der in sie von französischer Seite gesetzten Erwartungen. So gelang die Kontrolle der österreichischen Expansionsbestrebungen aus der Allianz heraus eher gut. Etwa als sich Österreich bemühte, die Scheidemündung wieder schiffbar zu machen, oder als das Haus Habsburg die österreichischen Niederlande gegen Bayern tauschen wollte, zuletzt auch bei der Forderung, Maastricht zu annektieren. All diese Projekte konnten vereitelt werden.91 An ihre Grenzen stieß diese Politik hingegen während der ersten Polnischen Teilung, die Frankreichs Interessen zutiefst zuwider lief. Sie wusste die französische Diplomatie gegen den geballten Willen Österreichs, Russlands und Preußens nicht zu verhindern. Ob das renversement aber trotz aller seiner Auswirkungen wirklich jenen Zäsurcharakter besaß, den Handbücher und Darstellungen suggerieren, hängt wohl vom avait lieu d'etre mecontente de Roi de Prusse qui l'avait abandonne deux fois dans la guerre de 174[4?], et qui s'alliait alors avec PAngleterre. Le traite de 1756 enlevait ä celle-ci son plus puissant allie sur le continent et laissait la France libre de deployer toutes ses forces dans la guerre qui venait d'eclater entre eile et l'Angleterre. Malheureusement, le cabinet de Versailles se priva lui-meme des avantages de cette position en contractant gratuitement avec l'Autriche des obligations presque illimitees, en se liguant imprudemment avec eile pour ecraser la Prusse dont il devait etre le premier ä desirer la conservation, en mettant ä la disposition de l'Autriche pendant sept ans des tresors et des forces qui n'auraient dü etre employes que contre l'Angleterre." Note sur l'Autriche, anonym, 1828, AAE, MD Autriche 49, Fol. 241 r -242 r . 88

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Befürwortet wurde das renversement nur von der französischen Geschichtswissenschaft der Dritten und Vierten Republik. Unter dem Eindruck der Niederlage von 1870 und den beiden Weltkriegen wurde der Entschluss Ludwigs XV. zur Allianz mit Österreich nun als erster hellsichtiger Versuch gewertet, dem aufstrebenden preußischen Gegner entschlossen entgegenzutreten. Siehe dazu vor allem: Gunhild Maurer, Das Bild Friedrichs d. Gr. Nach seinem Tode in Frankreich, masch. Inaug. Diss. Marburg 1949, 115-119. Als Beispiel für die Interpretation der Diplomatischen Revolution als „intellektualgeschichtlicher Vorgriff auf die Französische Revolution" bei: Burkhardt, Geschichte als Argument (wie Anm. 35), 217. Buddruss, Deutschlandpolitik (wie Anm. 37), 287. Jean-Franfois Labourdette, Vergennes. Ministreprincipal de Louis XVI, Paris 1990, 176-180.

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Blickwinkel des Betrachters und vom berücksichtigten Beobachtungszeitraum ab. Aus österreichischer, englischer oder kolonialgeschichtlicher Sicht ist die Diplomatische Revolution vielleicht ein großer Einschnitt gewesen, aus jener der französischen Deutschlandpolitik stellt das renversement des alliances allenfalls dann eine Zäsur dar, wenn man seinen Betrachtungswinkel auf die Zeit von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn der Revolutionskriege einengt. Dehnt man den Beobachtungszeitraum jedoch auf mehrere Jahrhunderte, ja auf das letzte halbe Jahrtausend aus, so erscheint es nicht mehr als tief einschneidende, epochale Kehrtwende sondern allenfalls als ein Intermezzo. Zwar erstreckte sich dieses auch über den Siebenjährigen Krieg hinaus und währte insgesamt fast dreieinhalb Jahrzehnte, doch auch der zwischenzeitlich im diplomatischen Corps erfolgte Generationenwechsel vermochte die tradierten Grundpositionen französischer Außenpolitik nicht vollends zuzuschütten. Denn auch während das Bündnis noch Bestand hatte, blieb man in Versailles zutiefst davon überzeugt, dass Frankreichs beherrschende Stellung auf dem Kontinent nur dann zu halten war, wenn weder Deutschland noch Italien unter die Kontrolle einer Großmacht und ganz besonders unter jene Österreichs kommen würden. So hat „das berühmte renversement des alliances 1756 [...] zwar den Wechsel der Allianzen hervorgebracht, doch nicht den der Feindschaften."92

92

Ute Daniel, Gerd Krumeich (Koord.), Frankreich und Deutschland im Krieg (18.-20. Jahrhundert): Zur Kulturgeschichte der europäischen „Erbfeindschaft" (chronologische Darstellung). Ein gemeinsames Forschungsprojekt der Historischen Seminare der TU Braunschweig und der HeinrichHeine-Universität Düsseldorf, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (2001-2004), o.O.o.D., 23. [http://rzbl04.biblio.etc.tu-bs.de:8080/docportal/servlets/MCRFile NodeServlet/Doc Portal_derivate_00001699/Darstellung_nach_Kommunikatorengruppen.pdfysessionid=57B53CC6 C03C3678BC51798F79C3FD0C][17. August 2010].

BEATRICE HEUSER

Friedrich der Große und der Siebenjährige Krieg: Der „Mythos" des großen Feldherrn in der Strategie-Literatur (18.-20. Jahrhundert)

I. Einleitung Wenn man sich die Kriege der dokumentierten Menschheitsgeschichte vor Augen fuhrt, ist der Siebenjährige Krieg in Europa kaum ein militärisch-politisch sehr beeindruckender. Es gab viele Schlachten, die nur kumulativ zu einer Entscheidung führten. Und diese Entscheidung war bestenfalls eine negative - hinfort haben die anderen fuhrenden Mächte Europas einige Zeit lang nicht mehr versucht, das Königreich Preußen zu unterdrücken und untereinander aufzuteilen, also eigentlich nur eine Bestätigung des status quo ante. Sogar Curt Jany konnte in seinem 1923 erschienenen Abschlussbericht zum Generalstabswerk zu den Kriegen Friedrichs kein positiveres Resultat vermerken.1 Da der Gebrauch des Begriffs „Mythos" nicht zweifelsfrei geklärt ist - ob alltagssprachlich ubiquitär oder altphilologisch exklusiv - , soll hier zunächst das dieser Arbeit zugrundeliegende Verständnis eines politischen Mythos umrissen werden. Während König Friedrich II. von Preußen bekanntlich die Führung von „kurzen, viven" Kriegen empfahl, währte dieser Krieg sieben Jahre und brachte Preußen an den Rand des wirtschaftlichen Ruins. Alle Seiten hatten Siege zu verzeichnen und Niederlagen zu beklagen; Preußen unter Friedrich war prozentual durchaus nicht so oft erfolgreich wie Napoleon, und zog schon gar nicht von Sieg zu Sieg. Es war also nicht einmal ein Krieg, der wegen seiner Professionalität und Disziplin und der geringen Opfer unter der Zivilbevölkerung gepriesen werden kann, wie es einige Kommentatoren bezüglich dieser angeblichen guerre en dentelle zur Kontrastierung mit den Kriegen der Französischen Revolution und Napoleons getan haben. Während er teilweise für die Zivilbevölkerung schonend gefuhrt wurde, hat er stellenweise zu schrecklichen Verwüstungen des Landes geführt und zu schlimmen Curt Jany, Der Siebenjährige Krieg: Ein Schlußwort zum Generalstabswerk, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 35 (1923), 161-192, hier 161.

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Bevölkerungsverlusten - ein Fünftel der pommerschen Bevölkerung starb an kriegsbedingл

tem Hunger und Krankheiten, in Neumark-Brandenburg gar ein Viertel der Bevölkerung. Friedrich selbst wird von Militärhistorikern heute eher kritisch betrachtet, und die Rolle seiner Generale wird hervorgehoben, besonders zu Zeiten, wo Friedrich selbst versagte, in tiefe Depression verfiel und am Rande des Nervenzusammenbruchs stand (wie im Kriegsjahr 1759), oder für Preußen ungünstige Befehle gab. „Nothing essential to Frederick's way of war was inherently unique to Prussia", urteilt Dennis Showalter. „Armed forces tend to learn from each other, copying and adapting behaviours and techniques to suit their own dynamics". Wenn Friedrich überhaupt etwas an Neuerungen einführte, so wurden sie schnell von seinen Gegnern übernommen.3 Dennoch finden wir diesen Krieg später hochstilisiert zur „ H ö h e z e i t preußischer Geschichte, die hart und schwer auf dem damaligen Geschlecht lastete, aber dem rückschauenden Auge im Glänze des Erfolges verklärt erscheint, hinab in das dunkle Tal der von uns durchlebten Schicksalswende [des Ersten Weltkrieges]". Historiker besangen „das Heldentum eines großen Königs, Staatsmannes und Feldherrn" in diesem Kontext.4 Insbesondere die Schlacht von Rossbach lebte als Mythos weiter. Der Waliser Söldner und Zeitgenosse Henry Lloyd schrieb über diese Schlacht: „In der ganzen Geschichte findet man kein Beispiel, daß eine Schlacht einen so besondern Eindruck gemacht hat als diese".5 Eineinhalb Jahrhunderte nach der Schlacht meinte ein deutscher Biograph Friedrichs II., „Nie in der Welt ist eine so unbedeutende Schlacht von so wichtigen Folgen gewesen".6 Nicht klar allerdings ist, was für wichtige Folgen sie gehabt haben soll. Noch fast 200 Jahre später wurde sie von einem angesehenen britischen Historiker, der keinerlei patriotische Agenda im Sinn hatte, als „the most decisive battle of the Seven Years' War" bezeichnet,7 blanker Unfug, denn die Schlacht entschied keineswegs den Krieg, der noch weitere sechs Jahre dauern würde. Woher kommt also der Mythos des großen Friedrich als herausragendem Feldherr und Sieger im Siebenjährigen Krieg, woher die über die Jahrzehnte zunehmende Herausstellung des Siebenjährigen Krieges als exemplarischem Krieg in der StrategieGeschichtsschreibung und den Strategiedebatten? Ich sehe zwei Motive: Erstens, das Trauma der beschämenden französischen Niederlagen gegen Preußen und seine Verbündeten, besonders hervorgehoben durch einen französischen Bewunderer Friedrichs, der mithalf, den Mythos Friedrich und den Mythos Siebenjähriger 2 3 4 5

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Dennis E. Showalter, The Wars of Frederick the Great, New York 1996, 323. Ebd., 354. Jany, Der Siebenjährige Krieg (wie Ашп. 1), 192. Henry Humphrey Evans Lloyd, Geschichte des siebenjährigen Krieges in Deutschland zwischen dem Könige von Preußen und der Kaiserin Königin mit ihren Alliirten, Teil 1, übers. V. G. F. Tempelhof, Berlin 2 1783,237. Gustav Berthold Volz (Hg.), Friedrich der Große im Spiegel seiner Zeit, 3 Bde., Berlin 1926, Bd. 3, 48, zit. in Thomas Nicklas, Die Schlacht von Rossbach (1757) zwischen Wahrnehmung und Deutung, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preussischen Geschichte N.F. 12 (2002), 35-51,35. Christopher Duffy, Rossbach, in: Cyril Falls (Hg.), Great Military Batties, London 1964, 58.

FRIEDRICH DER GROBE UND DER SIEBENJÄHRIGE KRIEG

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Krieg zu bauen; und zweitens die Rolle Friedrichs als idealtypischem Entscheidungsträger, der Politik und Kriegsfuhrung in seiner Person vereinte, so wie es nach ihm kein deutscher Staatsfuhrer mehr tat, und auch sonst in der Welt nur wenige, allen voran natürlich Napoleon.

II. Der Schock: Frankreich von Preußen besiegt! Bis zur Französischen Revolution war ein umstrittener Topos in der Strategie-Literatur, unter welchen Umständen man die Schlacht suchen solle. Die Mehrheitsmeinung war, daß man sie tunlichst vermeiden solle, solange es andere Arten und Weisen gebe, auf die man seine Feinde besiegen könne, etwa durch lange Märsche hin und her, sie immer im Ungewissen lassend, ob, wann und wo man sich ihnen zur Schlacht stellen würde. 8 Dieser Meinung war auch und insbesondere Moritz von Sachsen (1696-1750), Marschall von Frankreich unter Ludwig XV.: „Ich bin nicht dafür, daß man viel Schlachten liefert, besonders bey dem Anfang eines Krieges; und ich bin überzeuget, daß ein geschickter General die ganze Zeit seines Lebens Krieg führen kann, ohne ein Treffen zu halten. Durch nichts wird der Feind mehr geschwächet, und durch nichts die eigenen Angelegenheiten in einen bessern Zustand versetzet, als eben durch diese Art den Krieg zu fuhren. Man muß häufige Gefechte veranstalten, und den Feind dadurch nach und nach mürbe machen. Am Ende ist der Feind doch gezwungen sich zu verstecken. Inzwischen will ich damit nicht so viel sagen, daß man den Feind auch alsdenn nicht angreifen sollte, wenn man die Gelegenheit findet, dem Feinde eine gänzliche Niederlage anzuhängen, und daß man von den Fehlern desselben nicht alle mögliche Vortheile ziehen sollte. Meine Meynung geht vielmehr nur dahin, daß man Krieg führen soll, ohne dabey etwas dem Glück und einem ungefehren Zufall zu überlassen; als worinn eben die größte Kunst und Geschicklichkeit eines Generals besteht." 9

Obwohl Friedrich II. von Preußen sich selbst auch zur Schule der Cunctatores bekannte, 10 folgte er diesem von ihm selbst aufgestellten Prinzip des Zögerns im Siebenjährigen Krieg kaum. Im Gegenteil, er überraschte seine Gegner mehrfach mit Schlachten, insbesondere in den frühen Jahren des Krieges, und zumindest anfanglich mit seiner schrägen (obliquen) Schlachtordnung, die insbesondere in der Schlacht von Rossbach im November 1757 zum Erfolg führte. Rossbach war eine jener Jahrhundertschlachten in der Weltgeschichte, die für die siegerische Seite fast zum Scherz wurde, weil die Verluste so extrem asymmetrisch waren: Frankreich und die ihm verbündete ReichsArmee verloren um die 13 000 Mann durch Tod, schwere Verwundung und Gefangen8

9 10

Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst, Bd. 4: Die Neuzeit: Vom Kriegswesen der Renaissance bis zu Napoleon (1920), ND Hamburg 1962/2000, 3 9 6 ^ 0 3 . Zitiert in Carl August von Struensee, Die Kriegskunst des Grafen von Sachsen, Wien 1785, 269f. Friedrich II., Die Generalprinzipien des Krieges und ihre Anwendung auf die Taktik und Disziplin der preussischen Truppen (1748), in: Werner Hahlweg (Hg.), Klassiker der Kriegskunst, Darmstadt 1960,180-182.

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nähme, während Preußen unter 200 Tote zu beklagen hatte. Für die Sieger war diese Schlacht entsprechend kaum mehr als eine „lustige Farce", wie der damals junge preußische Offizier Johann Wilhelm von Archenholz meinte. 11 Die Schlacht wurde entsprechend sehr intensiv von Militärs verschiedener Länder studiert, und in den 100 Jahren nach der Schlacht allein wurden ihr (sowie auch Friedrichs anderem dramatischen Sieg in diesem Krieg, dem von Leuthen) mindestens ein Dutzend Werke vorwiegend kartographischer Art gewidmet. 12 Zu diesem Überraschungsmoment und dieser extremen Asymmetrie kam dann hinzu, daß Friedrich allen Erwartungen zum Trotz Europas Kriegervolk par excellence, Frankreich, schlug. Frankreich sah sich als Kriegervolk mit einer Tradition, die auf Karl Martell und Karl den Großen zurückging; die Meilensteine seiner Geschichte und großen Mythen seiner Identität waren gewonnene Schlachten. Ludwig XIV. hatte auf neue Weise dieses Erbe belebt, als Roi de Guerre. Aber auch international wurde Frankreich als besonders im Kriegswesen begabt angesehen. Auf der steirischen „Völkertafel" von ca. 1720 wird die wichtigste Wissenschaft des „Franzoß" genannt als „Kriegssachen" (wo es beim „Teutschen" die „weltlichen Rechte", beim „Wälischen", d.h. Italiener, die „geistlichen Rechte" sind). 13 Nicht zufallig dominierte die französische Sprache die gesamte Literatur zum Kriegswesen (wie zur Diplomatie) in Ludwigs XIV. Grand Steele und noch weit bis hin ins 19. Jahrhundert. Friedrich II. selbst schrieb über diese Themen vorzugsweise auf Französisch, und wo er auf deutsch schrieb oder seine Werke früh auf deutsch übersetzt wurden, so war das Resultat ein Kauderwelsch mit Franzismen nicht unähnlich dem „Denglisch" des Marxschen Kapitals. Sogar der preußische Nationalist Clausewitz, der alles Französische zutiefst verabscheute, hatte oft große Schwierigkeiten, geeignete deutsche Ausdrücke zur Substitution für die französische militärische Fachsprache der Zeit zu finden. Einer der frühesten und zweifellos wichtigsten Franzosen, die dieses Ereignis für Frankreich deuteten, war Jacques Antoine Hippolyte de Guibert, der insbesondere die Niederlage seiner Seite bei Rossbach selbst kurz vor seinem 14. Geburtstag miterlebt hat. Guibert verfasste sein großes Jugendwerk, sein Essai general de Tactique, kurz nach dem Siebenjährigen Kriege. Sein Ziel in diesem Buch war es, seinem in diesem Kriege so beschämten Vaterlande, dem er das Buch widmete, Militärreformen, Taktik,

12

13

Zitiert in Nicklas, Die Schlacht von Rossbach (wie Anm. 6), 35. Z.B.: Georges-Louis Le Rouge, Plan Combine de la Bataille De Rosbach Sur celui qui a paru ά Berlin et celui qui α paru ά Paris par M.B. du 5 Nov. 1757, Paris 1759; Jacob van der Schley, Plan Of The Battle Of Rosbach Gain 'd by His Prussian Majesty the 5 th of November 1757 over the Combined Imperial & French Army, Amsterdam 1789; Samuel Weibel, Plan de la Bataille de Rosbach en Saxe livree le 5e Novembre 1757 entre les Prussiens & I 'armее Combinee, Paris 1807; F. Biller, Schlacht bei Rossbach am 5. November 1757, Wien 1840; Friedrich Rudolf von Rothenburg: Schlacht bei Rossbach am 5. November 1757, Leipzig 1843. http://de.wikipedia.0rg/wiki/Bild:V%C3%B61kertafel.jpg österreichischen Museum für Volkskunde in Wien.

(Stand: 24. Juni 2010); Original im

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Strategie und Politik vorzugeben, die es aus dieser Erniedrigung herausholen sollten.14 Guibert machte sich in seinem Heimatland viele Feinde, weil er einerseits Reformen empfahl, die an preußischen Usus anknüpften und andererseits einflußreiche Denker angriff, die eine französische Kriegsdoktrin für die französischen Streitkräfte wollten und ausländische Einflüsse als unpatriotisch, aber auch als für den französischen National-Charakter unpassend ablehnten. Guibert argumentierte, daß man sich nicht durch Patriotismus daran selbst hindern sollte, aus den Ursachen des militärischen Erfolgs des Preußenkönigs zu lernen.15 Guibert reiste selbst 1773 ins Reich Friedrichs, um sich in Potsdam und Schlesien Militärübungen anzuschauen; schon zu diesem Zeitpunkt mischten sich in Guibert die kühle intellektuelle Analyse dieser Erlebnisse und seiner persönlich etwas enttäuschenden Treffen mit Friedrich mit Heldenverehrung, als er sich nicht der Versuchung erwehren konnte, zum Abschied doch noch ein Bild von Friedrich zu erstehen. Guibert betonte in allen seinen Schriften, daß „die Epoche des Königs von Preussen rechtens als eine neue Ära in der Militärwissenschaft" angesehen werden müsse, wie er 1779 schrieb.16 Weiter nannte er ihn schon hier den „größten Kriegsmann {komme de guerre) seit Caesar".17 Nach Friedrichs Tod trug Guibert - selbst inzwischen Mitglied der Academie fran^aise, im generösen internationalen Geist des Zeitalters der Aufklärung am Vorabend der Französischen Revolution - in einer öffentlich vorgetragenen und verteilten Eloge auf den Toten zu dessen Glorifizierung zumindest im französischen Sprachraum entscheidend bei. Elogen waren fast ausnahmslos auf die Verherrlichung des oder der Verschiedenen bedacht und Guiberts Eloge bildet keine Ausnahme: Friedrich bezeichnete er hier als „Kriegerkönig",18 als „Kriegsgott"19 und erzählte in leichtem Stil, durchsetzt mit einigen der berühmtesten Anekdoten und Dikta Friedrichs, die Geschichte seiner Herrschaft, seiner Kampagnen, und insbesondere des Siebenjährigen Krieges. Er verglich ihn sogar des Resultats des Siebenjährigen Krieges vorteilhaft mit Ludwig XIV. immens überlegenen Streitkräften: „Welch schönes Resul20

tat, sich allein mit Halb-Europa geschlagen zu haben!" So war es dann auch für die französische Revolutionsarmee ein besonderes Hochgefühl, Preußen so kurz nach Friedrichs Tod in Valmy zu besiegen, was wiederum bei Preußen einen entsprechenden Schock auslöste. Die Schmach Frankreichs aus dem Siebenjährigen Krieg lebte aber in der französischen Erinnerung weiter. Noch zur Zeit Napoleons wirkte sie nach. Napoleon selbst sah seinen Sieg über Preußen in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt bewußt als Wiedergutmachung der Schmach von Rossbach, als „vengeance", die

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Comte de Guibert, Essai general de tactique, in: Strategiques, Paris 1977,127-475 Ders., Defense du systeme de guerre moderne, ou refiitation complette du systeme de M. de M... D..„ Neuchätel 1779. Ebd., 228. Ebd., 74f. Comte de Guibert: Eloge du Roi de Prusse, Londres 1788,62. Ebd, 163. Ebd., 128.

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die Grande Armee „a tiree des desastres de Rossbach".21 Dies minderte aber nicht seinen persönlichen Respekt vor Friedrich: Nach seinem triumphalen Einzug nach Berlin begab er sich selbst nach Potsdam, um das Grab Friedrichs П. zu besuchen und seinen Degen als Trophäe mit nach Paris zu nehmen. In Napoleons Maximen wird Friedrich als „der Große" bezeichnet.22 Friedrich wurde auch von einem Napoleon-Verehrer wie Baron de Jomini 1807-1809 in seiner vergleichenden Analyse der Kriegführung der beiden Fürsten neben Napoleon gestellt.23 In Großbritannien wurden die Siege Friedrichs, insbesondere die von Rossbach und Leuthen, aus demselben Grunde goutiert wie sie Frankreich in Scham versetzten. Es war nicht erst 1781 Henry Lloyd, der diese Geschichte mit seinem Werk über den Siebenjährigen Krieg über den Ärmelkanal zu Friedrichs Verbündeten trug. Wie Thomas Nicklas gezeigt hat, wurde der Sieg der „protestantischen Sache" in Rossbach schon vor Ende des Monats November 1757 in englischen Städten gefeiert und die Fortüne des Preußenkönigs während dieses Krieges wurde auf das Genaueste verfolgt. 24 Hier schon war die Verehrung angelegt, derer Friedrich im darauf folgenden Jahrhundert von britischer Seite teilhaftig werden sollte, wie wir im Folgenden sehen werden.

III. Feldherr und Politiker in einem Noch unter dem Schock von Rossbach schrieb der französische Außenminister, Abbe Bernis, an seinen Botschafter in Wien, den späteren Außen- und Kriegsminister Choiseul: „Wir dürfen nicht vergessen, daß wir es mit einem Fürsten zu tun haben, der sein eigener Feldherr, sein Staatslenker, Armeeintendant und nötigenfalls auch sein Generalprovoss ist. Diese drei Vorteile wiegen mehr als alle unsere schlecht angewandten und schlecht koordinierten Hilfsmittel." 25

Ebenfalls implizit die eigenen Schwächen entschuldigend produzierte das Wiener Kabinett 1761 eine Flugschrift unter dem Titel Staats-Betrachtungen über den gegenwärtigen Preußischen Krieg in Teutschland, der die Vorteile und Nachteile auf Seiten der verschiedenen Kriegsparteien analysierte. Rußland und Österreich hatten Kaiserinnen. Maria Theresia als erste Frau auf dem Habsburger Thron war zwar nominell nur „Consort" an Seite ihres (über die Ehe mit ihr) zum Kaiser gewählten Gemahls und dieser

Zitiert in: Nicklas, Die Schlacht von Rossbach (wie Anm. 6), 43. Major Boie (Hg.), Militärische Schriften von Napoleon, Berlin 1881, 78. Baron de Jomini, Traite des grandes operations militaires contenant l'Histoire critique des Campagnes de Frederic II compares ä celles de l'empereur Napoleon, 1. Auflage 1807-9, hier zitiert nach der 2. Auflage, Paris 1811. Nicklas, Die Schlacht von Rossbach (wie Anm. 6), 46. Zitiert in Johannes Kunisch, Friedrich der Große: der König und seine Zeit, München 2004,434.

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pragmatische Umgang mit ihrem Erbrecht als Mitglied des „Schwachen Geschlechts" hatte sich Friedrich II. bekanntlich gleich zum Vorwand für einen Krieg genommen. Dennoch waren zum Zeitpunkt des Siebenjährigen Krieges sowohl Maria Theresia, als auch Elisabeth in Rußland, unangefochten Herrscher. Das Konzept von Frauen als Herrschern hatte seit dem Mittelalter schon viele Präzedenzfalle gekannt, aber die Rolle des obersten Feldherrn hatte offiziell noch keine Frau innegehabt. Es war im 18. Jahrhundert undenkbar, daß Maria Theresia oder Elisabeth ihre eigenen Heere angeführt hätten, obwohl Elisabeths Nachfolgerin Katharina II. ihre Erhebung zur Kaiserin weitgehend einem Militärputsch verdanken würde. Für Preußen war es ein ungeheurer Vorteil, so schrieb das Wiener Kabinett, daß er als „kriegender Fürst, der Eyfer und Talent zum Kriegführen besitzet, selbst zu Felde liegest und obrister Befehlshaber ist. Der König von Preußen nun besitzet außer der Herrsch- und Ländersucht auch eine große Passion und vieles Talent zum Kriegführen." Friedrich „führet nun nicht allein seinen eigenen Krieg gegen Österreich, Rußland und das Reich par lui meme, sondern er dirigieret auch den Hannöverschen Krieg auf Engeländische Kosten gegen Frankreich und Teutschland mit Genehmhaltung des Königs von Engeland ganz alleine." Niemandem Rechenschaft schuldend, konnte er „Kühnere, verwegenere und gefährlichere Unternehmungen, so aufs Glück ankommen, wagen, die ein commandierender General, der mit von CabinetsBefehlen abhanget, ohne Verantwortung, wenn der Ausschlag unglücklich und zu viel gewagt hieße, sich nicht trauen darf."26

In anderen Worten, Friedrich konnte frei von den Beschränkungen der bürokratischen Politik handeln, die in Kabinetten, aber unendlich viel mehr noch in den Bürokratien, wie sie seit Ende des 19. Jahrhunderts bestehen, die Zugkraft jedes einzelnen Entscheidungsträgers schwächte und ständige Reibungsverluste im Kampf um die Durchsetzung eigener Vorstellungen gegen die von anderen Ministern oder Generalen, als Rivalen und Gegner gesehen, erzeugte. Friedrich wie Napoleon konnten damit von Clausewitz als Akteure angesehen werden, die ihren Gegnern im Kriege ihren Willen aufdrängen wollten. Und da beide nur mit sich selbst ausmachen brauchten, was sie in jeder Situation als nächstes tun würden, hatten sie den großen Vorteil der Überraschung, des schnellen Handelns, der „Virtuosität" auf ihrer Seite, wie Clausewitz feststellte, ja sogar „übertriebene Dreistigkeit" im Falle Friedrichs.27 Dagegen waren „die Feldherren, welche Friedrich dem Großen gegenüberstanden, [...] Männer, die im Auftrag handelten, und eben deswegen Männer, in welchen die Behutsamkeit ein vorherrschender Charakterzug war", wie Clausewitz formulierte.28 Clausewitz würdigte Daun dennoch als „großen Feldherrn" - er war aber, anders als Friedrich, in hohem Maße beschränkt in seiner

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Ebd., 432f. Carl von Clausewitz: Vom Kriege, hg. von Werner Hahlweg, Bonn l s 1991, 410, 852. Ebd., 959, siehe auch 464, und für Dauns „Behutsamkeit", 852. Vgl. hierzu auch Johannes Kunisch, Der Ausgang des Siebenjährigen Krieges: Ein Beitrag zum Verhältnis zwischen Kabinettspolitik und Kriegflihrung im Zeitalter des Absolutismus, in: Zeitschrift fiir Historische Forschung 2(1975), 173-222,211.

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Handlungsfreiheit.29 Friedrich dagegen stand - bei beschränkteren Kriegszielen insge30

samt, denn er suchte nicht die Herrschaft über ganz Europa - fur Clausewitz neben Napoleon, in einer Reihe mit Alexander, Caesar, Gustav Adolf und Karl XII. von Schweden, nicht nur als Kriegsgenie, sondern auch als oberster Stratege, als Inkarnation des (Staats-) Willens, der mal das Szepter in der Hand hielt, mal das Schwert.31 Es waren aber nicht nur Friedrichs Widersacher, die den Nachteil hatten, nicht in Personalunion oberster politischer Entscheidungsträger und gleichzeitig oberster Feldherr zu sein. Diese Union, die von Clausewitz und anderen zum Idealtypos erhoben wurde, war schon seit dem Hochmittelalter die Ausnahme, nicht die Regel. Die Hannoveranischen Monarchen Großbritanniens führten ihre Heere nicht selbst an, auch wenn diese Aufgabe oft jüngeren Söhnen oder Neffen zufiel, ein weit verbreitetes Muster, was wir bis in römische Zeit zurückverfolgen können. Sogar Ludwig XIV. überließ die Campagnen und Schlachten seinen Marschällen und Generalen und so taten es ihm seine Erben, die Zeitgenossen Friedrichs, nach. Friedrich wurde zwar mit Gustav Adolf, Karl XII. und Napoleon zum Idealtypus hochstilisiert, aber alle vier bildeten schon zu ihren eigenen Lebzeiten die Ausnahme, nicht die Regel.

IV. Der Siebenjährige Krieg in der Strategieliteratur des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts Nicht nur auf die geschlagenen Franzosen, sondern auch auf Henry Lloyds Geschichte des Siebenjährigen Krieges geht das Bild von Friedrich als großem militärischstrategischen Innovator zurück. Lloyd schrieb (in Tempelhoffs überarbeiteter Übersetzung), Friedrich habe mitunter Grundsätze befolgt, „die neu, kühn, oder über den Gesichtskreis seiner Vorgänger in der Kriegskunst waren". 32 Die militärischen Innovationen, die Friedrich zugeschrieben worden sind, sind insbesondere die schräge („oblique") Angriffsordnung und sein „strategisches Manövrieren" (Clausewitz33), die schnellen Bewegungen seiner Heere und seine plötzlichen Entscheidungen zur Schlacht. Dietrich Heinrich Freiherr von Bülow mit seiner Vorliebe fur Basen und Operationslinien erhob Friedrich - aber mit ihm auch den Fürsten von Dessau - zum „Urheber" der „Revolution in der Kriegskunst" hinsichtlich des Gebrauch von Basen und der „Vervollkommnung" der Feuerkraft entlang der von ihm so geschätzten schrägen Linien. Für Bülow war der Siebenjährige Krieg die Vollendung der Strategie Friedrichs,

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Clausewitz, Vom Kriege (wie Anm. 27), 970. Ebd., 958. Ebd., 327f., 348, 364, 368, 966, 976,1085. Zitiert bei Klinisch, Friedrich der Große (wie Anm. 25), 435. Clausewitz, Vom Kriege (wie Anm. 27), 853.

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während seine früheren Kriege von Bülow mit Kritik belegt wurden.34 Da die deutschsprachigen Strategie-Kommentatoren die transatlantische Dimension fast vollständig ignorierten, stand Friedrich der Große immer im Zentrum der Ereignisse und der Darstellungen zur Geschichte des Siebenjährigen Krieges. Clausewitz sah Friedrichs Kriegsftihrung komplex. Er schrieb: ,Дш Siebenjährigen Kriege [...] dachte Friedrich der Große, wenigstens in den letzten drei Jahren desselben, nicht an eine Offensive; ja, wir glauben sogar, daß er überhaupt seine Offensive in diesem Kriege nur wie ein besseres Mittel der Verteidigung angesehen hat; seine ganze Lage nötigte ihn dazu, und es ist natürlich, daß ein Feldherr nur dasjenige im Auge hat, was in seiner Lage zunächst begründet ist."

Aber Clausewitz ließ dieser Betrachtung Überlegungen folgen, wie Friedrich zu einer Offensive hätte übergehen können; während er daraus Schloß, daß „die Verteidigung die stärkere Form des Kriegführens" sei,35 konnte dies von seinen Lesern ein halbes Jahrhundert später, im Zeitalter des Glaubens an die Allmacht der Offensive, als Kritik ausgelegt werden. An anderer Stelle nannte Clausewitz allerdings Friedrich „den offensivsten aller Feldherren", zumindest was die Führung der einzelnen Schlacht anging.36 Clausewitz' Interpretation der Kriegsführung Friedrichs aber war, wie wir sehen werden, manch einem seiner Leser zu komplex. Friedrich wurde nach Clausewitz' Tode in einem anderen Licht gesehen, das ihn nur noch als Helden erscheinen lassen konnte.

V. Die Vereinnahmung des Siebenjährigen Krieges für den preußisch-deutschen Patriotismus und Nationalismus Schon zu den eigenen Lebzeiten wurde Friedrich als „der Große" gefeiert und zwar schon vor dem Siebenjährigen Kriege. Als Friedrich nach der Beendigung des Schlesischen Krieges am 28. Dezember 1745 in Berlin einzog, brach eine Gruppe berittener Junger Kaufleute" in „ein dreymaliges Vivat Friedrich der Große!" aus.37 Dennoch scheint sich das Bild des Preußenkönigs über die Jahre gewandelt zu haben. Vor der großen preußischen Niederlage von Jena und Auerstedt 1806 sahen wenige Preußen die Notwendigkeit zur Apotheose Friedrichs II. Bülow z.B. beschreibt Friedrich - den er nie „den Großen" nennt - komplex und kritisch, preist ihn für seine Führung des Sie-

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Dietrich Heinrich Freiherr von Bülow: Geist des neuem Kriegssystems hergeleitet aus dem Grundsatze einer Basis der Operationen, Hamburg 2 1806, 259. Clausewitz, Vom Kriege (wie Anm. 27), 616. Ebd., S. 663, siehe auch 851. Theodor Schieder, Über den Beinamen „der Große" bei Friedrich II. von Preußen, in: Karl Dietrich Erdmann (Hg.), Preußen: seine Wirkung auf die deutsche Geschichte, Stuttgart 1985, 179-199,185.

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benjährigen Krieges so wie er ihn für die Schlesischen Feldzüge kritisiert und stellt verschiedentlich das Verdienst von Friedrichs Generalen gegenüber dem des Königs heraus. 38 Wenn Friedrich zum Mythos hochstilisiert wurde, dann als Philisophenkönig, als „Vorkämpfer [...] fortschrittlicher und freiheitlicher Gesinnung". 39 Diese Tradition geht auf Friedrichs französische Höflinge, d'Alembert und Voltaire zurück. Schon 1746 nannte d'Alembert Friedrich einen roi-philosophe, Voltaire schmeichelte ihm in seinem letzten Brief von 1778 als „Frederic le Grand". 40 Zehn Jahre später, zwei Jahre nach Friedrichs Tod, veröffentlichte in Berlin der Abbe Carlo Denina seinen panegyrischen Essai sur la vie et le regne de Frederic II, der gleich in mehreren Auflagen gedruckt und verkauft wurde. Doch danach trat sogar Friedrich vorerst in den Hades des Vergessens hinab - Theodor Schieder weist darauf hin, daß zwanzig Jahre nach seinem Tode der Tiefpunkt seiner Verehrung erreicht war. 41 Nach 1806 aber, und mit der einsetzenden nationalistischen Reaktion gegen die französische Okkupation und Vorherrschaft, wurde Friedrich II. vom herausragenden Beispiel eines großen Strategen zum übermenschlichen Vorbild Preußens hochstilisiert. Goethe schrieb schon 1811: „Der erste wahre und höhere eigentliche Lebensgehalt kam durch Friedrich den Großen und die Taten des Siebenjährigen Kriegs in die deutsche Poesie. [...] Könige sind darzustellen in Krieg und Gefahr, w o sie eben dadurch als die Ersten erscheinen, weil sie das Schicksal der Allerletzten bestimmen und teilen, und dadurch viel interessanter werden als die Götter selbst, die, wenn sie Schicksale bestimmt haben, sich der Teilnahme derselben entziehen. In diesem Sinne muß jede Nation, wenn sie für irgend etwas gelten will, eine Epopöe besitzen." 42

1815 kann Johann Friedrich Konstantin von Lossau nur andächtig vom „Geist des großen Friedrichs" sprechen.43 Auch Johann Gottfried von Hoyer, der 1829 sein Handbuch für Offiziere veröffentlichte, schrieb in romantischen Floskeln von „Friedrichs großem Geist", der sich in seiner Kriegsführung ausdrückte.44 Kurz danach wurde er in Großbritannien von Lord Dover entdeckt, der ihm 1832 eine zweibändige Biographie widmete, die in zehnjährigen Abständen und auf beiden Seiten des Atlantiks neu gedruckt wurde 45 Nach der Revolution von 1848/49 und insbesondere mit dem aufsteigenden Stern preußischer militärischer Siege verlor der mythische Friedrich mehr und mehr seine liberalen Züge

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Bülow, Geist des neuern Kriegssystems (wie Anm. 34), 248-263. Frank-Lothar Kroll, Friedrich der Große, in: Etienne Francois, Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 3, München 2001, 6 2 0 - 6 3 5 , 625. Schieder, Über den Beinnamen „der Große" bei Friedrich II. (wie Anm. 37), 189. E b d , 191. Johann Wolfgang von Goethe, Aus meinem Leben: Dichtung und Wahrheit, Berlin 1970, 234. Johann Friedrich Konstantin v. Lossau, Der Krieg flir wahre Krieger, Leipzig 1815,181 Fußnote. Johann Gottfried von Hoyer, Handbuch fllr Offiziere, Teil 4: Von der Strategie, Hannover 1829, 4. G. J. W. Α. E. Lord Dover, The Life of Frederick the Second, King of Prussia, 2 Bde., zuerst London 1832, dann N e w York 1843-1844, N D 1854.

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und wurde zunehmend nur noch als großer Feldherr und Staatsmann gesehen.46 Zum Friedrich-Kult beigetragen haben aber auch die britischen Historiker Thomas Babington Macaulay und Thomas Carlisle, die ihn beide den Großen nannten; besonders Carlisle nahm Friedrich in sein Olymp der Heldenverehrung auf.47 Gleichzeitig verweigerte sich etwa der Hannoveraner Historiker Adam Müller durchaus der mythischen Seite Friedrichs, den er für das Schicksal Hannovers für schlecht hielt; im Gegensatz zu Carlisle wetterte Müller gegen die »Abgötterei des Menschen in dem Könige" 48 Kurzum, Preußens Aufstieg aus der Talsohle von 1806 bis zu den Moltke'schen Siegen der 60er Jahre ging einher mit einem Friedrich-Kult, der in der Glorifizierung seiner Kriege, besonders des Siebenjährigen seinen Ausdruck fand. Bernhard Kroener hat die folgende militärgeschichtliche Rezeption zusammengefaßt: „Die preußisch-deutschen Siege über [Frankreich] 1870/71 und die Einigung des Reiches im Angesicht einer vollständigen, ohne alliierte Hilfe erreichten Niederlage Frankreichs wirkte ungemein traditionsstiftend auf die Streitkräfte des jungen deutschen Kaiserreichs. Die militärische Kriegsgeschichtsforschung stilisierte in diesem Zusammenhang Friedrich den Großen in Konkurrenz zu Napoleon, dessen Feldherrngenie das des Königs zeitweise verdunkelt hatte, zu einem .Niederwerfungsstrategen' im Sinne des 19. Jahrhunderts".49

Im Ersten Weltkrieg erschien der Geist des „alten Fritz" deutschen Soldaten im Felde. Bekannter noch ist die Vereinnahmung des Wunders an der Weichsel durch Hitler, der hier eine Wiederkehr der Geschichte sehen wollte: So wie der Tod der russischen Zarin Elisabeth Friedrich im Siebenjährigen Krieg vor der Niederlage rettete, indem es ihren Friedrich verehrenden Neffen auf den Zarenthron brachte, glaubte Hitler, würde der Tod Roosevelts den Zweiten Weltkrieg noch zu seinen Gunsten wenden - doch dies nur als Hintergrund zur letzten großen Strategie-Diskussion über den Siebenjährigen Krieg.

VI. Niederwerfungs- versus Ermüdungsstrategie Es gab trotz dieses Nationalismus-Kultes einen originellen deutschen Analytiker, der sich vom Zeitgeist nicht beeindrucken ließ und statt dessen den komplexen Ansatz Clausewitz' weiterverfolgte: Der deutsche Historiker Hans Delbrück, der mit seinen Studien zur Geschichte der Kriegskunst, kulminierend 1920 in mehreren dicken Bänden, seine eigenen

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Kroll, Friedrich der Große (wie Anm. 39), 625. Thomas Carlyle, History of Friedrich II of Prussia called Frederick the Great, 10 Bde., Leipzig 1858-1865. Schieder, Über den Beinamen „der Große" bei Friedrich II. (wie Anm. 37), 192-195. Bernhard R. Kroener, Friedrich der Große und die Grundzüge der europäischen Kriegßhrung seiner Zeit, in: Wilhelm Treue (Hg.), Preußens großer König. Leben und Werk Friedrichs des Großen, Freiburg 1986, 219-230, 228.

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Definitionen und sein analytisches Instrumentarium entwickelte.50 Delbrücks ursprüngliches Konzept aber geht zurück auf seine Monographie Die Strategie des Perikles erläutert durch die Strategie Friedrichs des Großen.51 Hier stellte er ein bipolares Konzept vor, nämlich das zweier gegensätzlicher Tendenzen, denen theoretische wie praktische Strategen huldigten, die der Ermattungsstrategie im Gegensatz zur Niederwerfungsstrategie. Beim „System der Ermattungsstrategie" definierte er die zentrale Frage, „ob eine taktische Entscheidung, eine Schlacht mit ihren Gefahren und Verlusten angestrebt werden soll oder nicht, ob der in Aussicht stehende Gewinn aus einem Siege den Einsatz lohnt".52 Die „Niederwerfiingsstrategie" hingegen ist „geradewegs darauf aus [...], die feindliche Streitmacht anzugreifen, zu zerstören und dem [sie] Besiegten den [sie] Willen des Siegers zu unterwerfen".53 Für Delbrücks Begriffe spielt „die Schlacht [...] also sowohl in der Niederwerfungs- wie in der Ermattungs-Strategie eine Rolle, der Unterschied aber ist, daß sie in jeder das eine, alles andere überragende, alles andere in sich aufsaugende Mittel ist, in dieser nur als ein Mittel anzusehen ist, das neben anderen zur Wahl steht. Die Möglichkeit, den Feind auch ohne Schlacht so weit zu bringen, daß er die von unserer Seite erstrebten Bedingungen annimmt, fuhrt in ihrer letzten Konsequenz zu einer reinen Manöver-Strategie, die den Krieg fuhren möchte ohne Blutvergießen. Eine solche reine Manöver-Strategie ist jedoch nur eine dialektische Spielerei, keine reale Entscheidung in der Weltgeschichte. Selbst wenn die eine Seite sich wirklich solche Kriegführung vorsetzen sollte, so weiß sie doch nicht, ob die andere Seite ebenso denkt und bei solchen Gedanken bleibt. Die Möglichkeit einer Schlachtentscheidung bleibt daher selbst bei sehr blutscheuen Feldherrn immer im Hintergrunde, und die Ermattungs-Strategie ist also durchaus nicht gleichzusetzen mit einer reinen Manöver-Strategie; sie ist vielmehr als eine mit einem inneren Gegensatz behaftete Kriegführung anzusehen. Ihr Prinzip ist ein polarisches oder doppelpoliges." 54

Ähnlich wie Clausewitz tat sich Delbrück hier schwer mit der Sprache zu einem Zeitpunkt, als es noch kein weit entwickeltes Vokabular zur strategisch-militärischen Dimension der Internationalen Beziehungen gab. Was er mit diesem Passus zu meinen scheint, ist, daß die Ermattungsstrategie auf einem Paradox gebaut ist, nämlich einerseits dem Trachten, die Schlacht (wenigstens unter ungünstigen Bedingungen) zu vermeiden und andererseits der Bereitschaft, die Schlacht zu geben, die vom Widersacher eingefordert werden kann, wie der berühmte „Wechsel" bei Clausewitz. Dieses Paradox versucht Delbrück mit den Vokabeln „polarisch" und „doppelpolig" zu fassen, die er wiederum bei Clausewitz abgeschrieben hat.55 Nebenbei sei hier vermerkt, daß Delbrücks Beschreibung einer „reinen Manöver-Strategie" der Essenz der in sich so wider50

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Zu diesem Thema insgesamt siehe Sven Lange, Hans Delbrück und der „Strategiestreit": Kriegführung und Kriegsgeschichte in der Kontroverse, 1879-1914, Freiburg i. B. 1995. Hans Delbrück, Die Strategie des Perikles erläutert durch die Strategie Friedrichs des Großen, Berlin 1890. Delbrück, Geschichte der Kriegskunst (wie Am. 8), Bd. 4, 375. Ebd., 144. Ebd., 376. Zu Clausewitz' Kampf mit diesen Worten und seinem Konzept der Bipolarität des Krieges siehe Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2004, 3 1 - 5 4 .

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sprüchlichen Abschreckungs-Strategien des 20. Jahrhunderts sehr nahe kommt, einschließlich derer im Kernwaffenzeitalter und damit eine analytische Türe in eine extrem interessante und wichtige Richtung öffnet. Delbrücks Urteil zu Friedrichs Kriegsführung war nun, daß dieser zwischen Niederwerfungsstrategie und Ermattungsstrategie oszillierte. Dieses Urteil mutete dem Leser eine zweite Bipolarität zu und löste entsprechend (ähnlich wie bei der Lektüre von Clausewitz) bei simpleren Gemütern, die nur in schwarz und weiß denken können, Verwirrung und Ablehnung aus. Bei einigen Historiker-Kollegen mag es wirklich eine Frage der historischen Interpretation der friderizianischen Kriegführung gewesen sein, aber daß der „Strategiestreit" um diese solch weites Echo fand, geht darauf zurück, daß Delbrücks These simplifiziert wurde in die Behauptung, Friedrich sei ein Zauderer gewesen und habe, statt die (im späten 19. Jahrhundert so verherrlichte) Entscheidungsschlacht zu suchen, diese gerade vermieden und versucht, den Feind durch Warten, Märsche und Nadelstich-Aktionen zu erschöpfen. Johannes Kromayer schrieb 1925 in der Historischen Zeitschrift: „An der Beurteilung von [Delbrücks These] hat sich der Streit ganz besonders zugespitzt und eine große Schärfe angenommen, weil hier in die rein wissenschaftliche Diskussion ein patriotisches Motiv mit hineinspielte. Unsere Generalstäbler und theoretischen Militärs, welche aus der Moltkeschen Schule hervorgegangen waren und daher den Niederwerfungskrieg, wie er 1864, 66 und 70 mit glänzenden Ergebnissen gefuhrt worden ist, als einzig berechtigte und eines großen Feldherrn würdige Form des großen Krieges ansahen, konnten und wollten nicht zugeben, daß der große Friedrich nicht auch dieser Theorie gehuldigt hat, und hielten eine Zuteilung desselben zu den Ermüdungsstrategen für eine Herabsetzung des großen Mannes. Dabei mischte sich zugleich die Vorstellung ein, daß ein Ermüdungsstratege ein müder Stratege gegenüber dem Niederwerfungsstrategen sein müsse". 56

Delbrücks Urteil wurde durchaus teilweise von diesem oder jenem anderen Historiker geteilt, so von Reinhold Koser. Ein Jahrzehnt vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges sah er Friedrichs Strategie im „alten System" wurzeln, „in welchem die Schlacht nicht das ein für allemal Gegebene, von vornherein Gebotene war, in welchem Schlacht und Manöver als die beiden zur Auswahl gestellten, an sich gleichgeordneten, je nach den Umständen anzuwendenden Entscheidungsmittel galten".57 Auch gab er zu, daß Friedrichs Kriegführung nicht immer zur Schlacht tendierte. Auch verstand Koser, daß das Ziel, den Gegner völlig niederzuwerfen, durchaus ein von der Kultur und Zeit abhängiges war. Die Prinzen und Generale des Ancien Regime wollten zwar gerne die Heere ihrer Gegner niederwerfen, eventuell auch selbst einen Herrscher auf dem Thron ablösen, mitnichten aber das Regime insgesamt, oder die Gesellschaftsordnung überwerfen, wie Napoleon das zum Ziel hatte. Eine gesellschaftliche oder politische Revolution war nicht Teil ihrer Agenda. Mit dem Aufkommen der national(istischen) Staaten des 19. Johannes Kromayer, Waren Hannibal und Friedrich der Große wirklich Ermüdungsstrategen?, in: Historische Zeitschrift 131 (1925), 393-408, hier 393f. Reinhold Koser, Die Kriege Friedrichs des Großen, 1. Theil, Hg. vom Großen Generalstab, Bd. 1, Berlin 1901, 55Iff.; und Reinhold Koser, Die preußische Kriegsftihrung im Siebenjährigen Kriege, in: Historische Zeitschrift 92 (1904), 239-273, 240.

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Jahrhunderts allerdings wurde die gesamte gegnerische Nation als Feind angesehen, den es niederzuwerfen galt. 58 Aber der Zeitgeist konnte auch Koser nicht erlauben, Friedrich ganz und gar als Anhänger einer Ermüdungsstrategie zu beschreiben. 59 Unter Delbrücks Gegnern war es der Berliner Geschichtsprofessor Otto Hintze, der zum anderen Extrem tendierend 1920 die These vertrat, ein „indirekter" Ansatz dazu, den Gegner zu erschöpfen - in dem man seine Streitkräfte durch Manöver und Märsche ermüdete ohne die Schlacht zu erlauben, oder indem man den Krieg hinauszögerte bis dem Gegner das Geld für Sold und Provisionen seiner Soldaten ausging, oder durch anderweitigen Druck auf seine Volkswirtschaft (etwa durch eine Einfuhrblockade), oder durch die Ausnutzung politischer oder gesellschaftlicher Spannungen innerhalb des gegnerischen Volkes (bis hin zu Revolution und Bürgerkrieg) - könne auch in der Strategie von Napoleon oder Moltke d.Ä. in der zweiten Phase des französisch-preußischen Krieges 1871 belegt werden. Strategie, so meinte Hintze, ist eine Mischung dieser Tendenzen, aber eine, die unendliche Variationen in ihrer Gewichtung ermöglicht. Jeder Feldherr, so Hintze, müßte bevorzugen den Gegner in einer Entscheidungsschlacht zu vernichten, aber eine solche Gelegenheit ergebe sich selten und eine einzige Schlacht entscheide selten den Krieg. 60 Johannes Kromayer ging noch einen Schritt weiter und behauptete, daß Clausewitz' Postulat von der einfachen Domination der Strategie durch die Politik unzureichend sei, da Kriegsziele und die Politik selbst und mit ihr die Strategie während eines jeden Krieges sich mit der Fluktuation von Erfolg und Misserfolg der eigenen Operationen ändern müssten. 61 Die Interpretations-Muster Delbrücks überlebten allerdings diese Debatten und wurden vom amerikanischen Historiker Russell Weigley als sehr hilfreich angesehen, der sie Mitte des 20. Jahrhunderts für seinen großen Klassiker The American Way of War übernahm. So meinte Weigley, daß die USA, als schwacher und - was ihre militärische Kraft anging - kleiner Staat am Anfang ihrer Geschichte eine Strategie der Ermüdung und Erschöpfung eines jeglichen Gegners innehaben mußte. Mit dem Anwachsen der Bevölkerung, der wirtschaftlichen und insbesondere industriellen Macht konnten die USA ihre Kriegsführung umwandeln in eine Niederwerfungsstrategie, die die gegnerischen Heere in der Schlacht vernichtete, sehr im Stile Napoleons, einer Strategie, die die USA von 1865 bis 1945 verfolgten und bis heute allen anderen vorziehen. 62 Kritiker von Weighley haben gezeigt, daß dies zwar vielleicht die bevorzugte amerikanische Strategie war, daß schon mehrfach zwischen 1865 und 1941, aber besonders im Kernwaffenzeitalter neue Faktoren (insbesondere die Atombombe) die Amerikaner dazu

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Koser, Die preußische Kriegsflihrung im Siebenjährigen Kriege (wie Anm. 57), 240. Ebd., 242. Otto Hintze, Delbrück, Clausewitz und die Strategie Friedrichs des Großen, in: Forschungen Brandenburgisch-Preußischen Geschichte 33 (1920), 131-177. Kromayer, Waren Hannibal und Friedrich (wie Anm. 56), 401 f. Russell F. Weigley, The American Way of War: A History of United States Military Strategy Policy, New York 1976.

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zwangen, stattdessen die Strategien der Abschreckung und kleiner Kriege mehr im Sinne einer Ermüdungsstrategie einzusetzen. 63 Doch auch diese Kritiker fanden in der Unterscheidung Delbrücks ein hilfreiches analytisches Instrument. Delbrücks anhand der Interpretation des Siebenjährigen Krieges entwickelte Begriffe gehören damit heute zu den international bekannten und mehrheitlich als Maßstab für andere Kriege angenommenen Grundtermini der Strategie-Analyse.

VII. Beispiele für jeden Geschmack? Aber auch in Frankreich wirkte der konstruierte Mythos des Siebenjährigen Krieges weiter. Vom königlichen Parvenu und furchterregenden Strategen (wie er nach seinem Tode zeitweilig gesehen wurde) wurde Friedrich II. mit der Strömung von Germanophilie um Madame de Stael zum roi-philosophe. Nach der erniedrigenden Niederlage Frankreichs gegen die peußisch-geführte Koalition 1870/71 hingegen wurde er wieder zurückgedeutet in den Feldherrn und dann in das Symbol für preußisch-deutschen Militarismus, als lebensgefährliche Bedrohung Frankreichs.64 Dies machte aber französische Strategen nicht blind für eventuelle „Lehren", die man aus Friedrichs Kriegen ziehen konnte. Für Franzosen des Zeitalters der Totalen Kriege war Moral der entscheidende Faktor. Entsprechend sah Admiral Castex, der in den frühen 1930er Jahren schrieb, die preußischen Erfolge im Siebenjährigen Krieg als Konsequenz der hohen Moral Friedrichs des Großen, die allein Preußen ermöglichte, den mächtigeren Feinden standzuhalten.65 So lieferten die Schlachten Friedrichs und seiner Generale im Siebenjährigen Kriege noch lange Vorbilder für den Geschmack verschiedenster Epochen, außerhalb Deutschlands meist jeglichen politischen Kontextes beraubt. Während in der alten Bundesrepublik mit moralischen „Bauchschmerzen" debattiert wurde, ob die DDR Friedrich II. zum Nationalhelden hochstilisieren dürfe, ob sein Reiterstandbild wieder (gen Osten schauend - welch' Symbol!) unter den Linden stehen dürfe und ob der Siebenjährige Krieg überhaupt Thema einer Konferenz für die Militärhistoriker der Bundeswehr sein dürfe („Könnte das nicht als Militarismus missverstanden werden?"), sind Friedrich und der Siebenjährige Krieg andernorts kontinuierlich Thema fruchtbarer Publikationen geblieben, sine ira et studio, was die preußische Strategie und Friedrichs Beiträge zu diesem Krieg angeht. Was nach zweieinhalb Jahrhunderten vielleicht auch in Deutschland möglich sein sollte.

63

64 65

Brian M. Linn, The American Way of War Revisited, in: The Journal of Military History 66 (2002), 501-530. Kroll, Friedrich der Große (wie Anm. 39), 627f. Admiral Raoul Castex: Theories strategiques, Bd. 4, Paris 1934,463.

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Krieg und Querelle. Zum Wandel des militärischen Ereignisbildes seit 1756

Der Siebenjährige Krieg hat unter den beteiligten Staaten schon während seines Verlaufs eine Fülle von Schriften und schon bald nach seinem Ende zahlreiche Überblickswerke hervorgebracht, die um eine Darlegung und Deutung seiner Ereignisgeschichte bemüht waren. Nicht wenige Begebenheiten, Schauplätze und Akteure können bis heute einen festen Platz im kollektiven Gedächtnis der beteiligten Nationen beanspruchen. Aber dieses memoriale Fortleben scheint eher anekdotisch als ikonisch geprägt zu sein.1 Nur wenige Bilder, die in zeitgeschichtlicher Nähe zu den Ereignissen entstanden sind, drängen sich auf, wenn man die Konfliktgeschichte zwischen 1756 und 1763 in ihren beinahe weltumspannenden Öimensionen Revue passieren läßt. Auch in diesem „Krieg der Bilder" scheint Großbritannien den Sieg davongetragen zu haben, schuf doch der aus den nordamerikanischen Kolonien stammende Maler Benjamin West 1770 in London mit dem Gemälde Tod des Generals James Wolfe ein Werk, das als druckgraphische Reproduktion unter den Zeitgenossen weiteste Verbreitung gefunden hat und bis heute - zumindest in der angelsächsischen Welt - als eine Ikone gilt, in welcher der patriotische Tod des Helden und die Geburt des Empire zu einer unauflöslichen Einheit verschmolzen sind (Abb. I). 2 Betritt man indessen heutigen Tages einen zentralen militärischen Erinnerungsort der französischen Nation, nämlich die Galerie des Batailles im Schloss von Versailles, so stellt man eine auffallige Leerstelle hinsichtVgl. Heinrich Walle, Der Siebenjährige Krieg zwischen Anekdote und Klischee, in: Historische Mitteilungen 18 (2005), 101-133. Öl/Leinwand, 151 χ 213,5 cm, signiert und datiert: , 3 West PINXIT. / 1770", Ottawa, National Gallery of Canada, vgl. Helmut von Erffa, Allen Staley, The Paintings of Benjamin West, New Haven 1986,211-213, Kat.-Nr. 93.

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lieh der militärischen Ereignisse des Siebenjähriges Krieges fest: Auf die Schlachtengemälde zum Österreichischen Erbfolgekrieg folgen unvermittelt Bilder zum Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, deren Stellvertreterfunktion für die ausgebliebenen Erfolge zwischen 1756 und 1763 offenkundig erscheint.3 Und mit Blick auf die Situation in Preußen bzw. in den deutschsprachigen Territorien notierte schon Werner Hager in seiner Pionierstudie über das historische Ereignisbild mit unüberhörbarem Bedauern: „Die zeitgenössischen Bilder zu den Kriegen Friedrichs d. Gr. erweisen, daß die deutschen Künstler so gut wie nichts aus diesem großen Gegenstand zu machen verstanden."4 Während somit in Großbritannien die Ereignisgeschichte des Siebenjährigen Krieges geradezu als Katalysator für die Entstehung eines neuen Typs zeitgenössischer Historienmalerei angesehen werden kann, ging im gleichen Zeitraum in Frankreich die Tradition ludovizianischer Schlachtenmalerei unwiderruflich zu Ende, ohne daß schon ein Bildformular für die Darstellung militärischer Ereignisse verfügbar gewesen wäre, das den Ansprüchen eines sozial heterogenen, aber patriotisch erregbaren Publikums hätte genügen können. In Preußen wiederum hätte die ambitionierte Förderung einer die jüngsten Zeitereignisse aufgreifenden „vaterländischen" Geschichtsmalerei nur vom Monarchen selbst ausgehen können. Dessen kulturelle Normen blieben aber, aller militärisch-politischen Rivalität zum Trotz, weiterhin an Frankreich ausgerichtet und der deutschen Malerei vermochte Friedrich II. ebenso wenig abzugewinnen wie der deutschen Literatur. Dieser Befund, der sich durch die Einbeziehung weiterer in den Konflikt verwickelter Staaten, wie Österreich und Rußland, noch verfeinern ließe, verweist auf ein keineswegs kausal wirksames Beziehungsgefüge zwischen militärischer Ereignisgeschichte einerseits und ihren je wirksamen kulturellen Darstellungs- und Deutungsformen, namentlich jenen der visuellen Kultur andererseits.5 So wie für die Repräsentation krie-

Zu der Galerie von Schlachtenbildern in dem seit 1833 eingerichteten, „ä toutes les gloires de la France" gewidmeten Schloßmuseum von Versailles vgl. Thomas W. Gaehtgens, Pierre Lemoine, Versailles als Nationaldenkmal: die Galerie des Batailles im Musee Historique von LouisPhilippe, Berlin 1984, 87-115. Wo immer möglich, griff der Initiator, König Louis-Philippe, auf historische Gemälde zurück, um eine lückenlose Abfolge von bedeutenden Schlachten der französischen Geschichte vom fünften Jahrhundert bis in die Gegenwart zu gewinnen. Für den Siebenjährigen Krieg waren diese nicht verfugbar und es wurde auch nicht versucht, diese Lücke durch Neuanfertigungen zu füllen. So folgt heute auf eine Darstellung der Schlacht von Lawfeld (1747) von Auguste Couder aus dem Jahre 1836 das Gemälde Die Einnahme von Yorktown 1781 von demselben Künstler. Werner Hager, Das geschichtliche Ereignisbild. Beitrag zu einer Typologie des weltlichen Geschichtsbildes bis zur Aufklärung, München 1939,164. Jüngere Überblicksdarstellungen für den hier interessierenden Zeitraum in chronologischer Folge: Das weltliche Ereignisbild in Berlin und Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert, Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, bearb. v. Rainer Michaelis, Berlin (Ost) 1987; Peter Harrington, British Artists and War: The Face of Battle in Paintings and Prints, 1700-1914, London 1993; Gisold Lamm el, Zwischen Legende und Wahrheit - Bilderfolgen zur brandenburgisch-

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gerischen Handelns im höfischen Kontext des 17. Jahrhunderts vielfach eine Tendenz zur bildlich-panegyrischen Überhöhung eines militärischen Ereignisses trotz - oder gerade wegen - seiner geringen strategischen Bedeutung festgestellt worden ist6, so stellt das friderizianische Preußen gleichsam den umgekehrten Fall eines weitgehenden Verzichts auf die bildkünstlerische Thematisierung realer militärischer Erfolge im Gattungsgefuge höfischer Repräsentation dar.7 Vor diesem Hintergrund muß es zu denken geben, daß Wests Gemälde, trotz oder wegen seines enormen Publikumserfolges, am englischen Hof zunächst eine nur sehr reservierte Aufnahme gefunden hat. Der inmitten des Siebenjährigen Krieges inthronisierte König Georg III. soll den Ankauf des Gemäldes zunächst mit dem Argument abgelehnt haben, die Würde des Themas sei herabgemindert worden, da die Protagonisten in Leibröcken, Kniehosen und Dreispitz dargestellt worden seien.8 Daß es sich bei den kritisierten Kleidungsstücken um Uniformteile von Offizieren und Soldaten seiner britischen Majestät handelte, machte den Stilbruch in den Augen des Monarchen offenbar nicht erträglicher. Vordergründig betrachtet, gliedert sich die Kostümkritik des Königs ein in die langanhaltende Kontroverse um die angemessene geschichtliche „Einkleidung" des Helden, in deren Zentrum die Frage stand, ob dieser als Zeitgenosse im nüchternen Habit der Gegenwart oder im antiken Modus des Heroischen darzustellen sei, um so das a-normale seiner Erscheinung und die überzeitliche Gültigkeit seiner Handlungen zum Ausdruck zu bringen.9 Diese als „Kostümstreit" bekannt gewordene Auseinandersetzung sollte noch bis weit in das 19. preußischen Geschichte, Münster 1997; John Bonehill, Geoff Quilley (Hg.), Conflicting Visions: War and Visual Culture in Britain and France с. 1750-1830, Aldershot u. a. 2005. Vgl. Matthias Pfaffenbichler, Das barocke Schlachtenbild - Versuch einer Typologie, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien 91 (1995), 37-110, bes. 39-41. Mit der Realisierung des ambitioniertesten Nachkriegsprojekts Friedrichs II., dem 1764 begonnenen Bau des Neuen Palais bei Potsdam, waren die architektonischen Voraussetzungen für eine breit angelegte bildkünstlerische Thematisierung der Ereignisse des Siebenjährigen Krieges, etwa in Form einer Schlachtengalerie, durchaus gegeben. Der König entschied sich indessen für eine Transponierung dieses Ereigniszusammenhanges in einen antik-allegorisierenden Modus, indem er unweit des Palastes ab 1768 den sog. Antikentempel errichten ließ, dessen skulpturale Ausstattung mit antiken Reliefs und Büsten in einem sehr weit gefaßten Sinne militärische virtus aufruft, vgl. Detlev Kreikenbom, Die Aufstellung antiker Skulpturen in Potsdam-Sanssouci unter Friedrich II., in: Wilhelmine und Friedrich II. und die Antiken, Stendal 1998, 43-98, hier 78: „Der Antikentempel transportiert mit der Anordnung seiner Werke in erstaunlichem Ausmaß noch die Siegesideologie am Ende des Siebenjährigen Krieges." Dies berichtet Benjamin Wests erster Biograph John Galt, The Life and Studies of Benjamin West, Esq., President of the Royal Academy of London, Compiled from Materials Furnished by Himself 2 Bde., London 1816-1820, Bd. 2, 50, vgl. Von Erffa, Staley, The Paintings of Benjamin West (wie Anm. 2), 213. Da Gait seine Biographie in enger Abstimmung mit dem Künstler verfaßt hat und Georg III. zum Zeitpunkt ihrer Publikation noch lebte, ist kaum anzunehmen, daß der Autor den Kommentar des Königs frei erfunden hat. Zum historischen Vorlauf dieser Kontroverse siehe Rainer Hausherr, Convenevolezza. Historische Angemessenheit in der Darstellung von Kostüm und Schauplatz seit der Spätantike bis ins 16. Jahrhundert, Wiesbaden 1984.

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Jahrhundert hinein bei jeder Denkmalenthüllung erneut aufflammen. Ihre ideologischen Wurzeln reichen jedoch mindestens bis in die Querelle des andern et des modernes zurück, jene epochale geschichtsphilosophische Kontroverse am Ende des 17. Jahrhunderts, die, von Frankreich ausgehend, in ganz Europa um das Rangverhältnis zwischen Antike und Neuzeit und die vergleichende Bewertung ihre geschichtlichen Leistungen gefuhrt worden war.10 In dem vorliegenden Beitrag wird die These vertreten, daß erst der Siebenjährige Krieg sowohl durch die geographische Entgrenzung seiner Konfliktherde als auch in seinen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung einer an antiken Mustern orientierten Deutung militärischer Ereignisgeschichte ein unwiderrufliches Ende bereitet hat. Stärker als jeder andere Waffengang des 17. und 18. Jahrhunderts hat dieser Konflikt zu einer Vergesellschaftung des Krieges und zu einem spezifischen Bewußtsein von Zeitgenossenschaft beigetragen, das sich nicht mehr als Parallele zu oder als Ableitung von geschichtlichen oder biblisch überlieferten Konstellationen begreifen ließ. Ein Aspekt dieser Vergesellschaftung des Bellizistischen bestand darin, daß die Deutungshoheit kriegerischen Handelns der höfisch-repräsentativen Öffentlichkeit mit ihren Filiationen in den militärischen und diplomatischen Führungszirkeln ein fur alle Mal entwunden wurde: Ein militärisches Ereignisbild, das derart eindrucksvoll seine Approbation durch die diskutierende Öffentlichkeit erhalten hatte wie Wests Tod des Generals James Wolfe, konnte der König und nominelle Oberbefehlshaber nicht dauerhaft ignorieren und so gab Georg III., ungeachtet seines Unbehagens an der „Modernität" der Darstellung, bei dem Künstler eine Zweitfassung des Gemäldes in Auftrag. 11 Militärisches Handeln, auch wenn es in denkbar größter geographischer Entfernung von den metropolitanen Institutionen einer räsonierenden Öffentlichkeit stattfand, mußte fortan mit einer zwar informellen, aber wirkungsmächtigen öffentlichen Meinung und einem Publikum rechnen, daß per Wort- und Bildberichterstattung an den Kriegsschauplätzen partizipierte. Der Anteil der Bildkünste an dieser Sozialisierung des Militärischen wird am ehesten im Wandel des militärischen Ereignisbildes deutlich, wie er sich im Verlauf und im Gefolge des Siebenjährigen Krieges herausgebildet hat. Drei, im folgenden näher zu erläuternde Merkmale kennzeichnen diesen Wandel: (1) Die Profilierung militärischer Kompetenz, die nicht mehr auf Rang und Stand, sondern auf Leistung und Verdienst gründete, mithin auch das Versprechen einer sozialen Aufwärtsdynamik in sich barg. Jede Thematisierung des Militärischen in den Küns10

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Zu den kunsthistorischen Implikationen dieser Debatte, besonders im Hinblick auf die Vermittlung von zeitgeschichtlichen Ereignissen in der Hofkunst Ludwigs XIV. siehe Thomas Kirchner, Der epische Held. Historienmalerei und Kunstpolitik im Frankreich des 17. Jahrhunderts, München, 2001, hier 333-443. Öl/Leinwand, 153,7 χ 245,1 cm, London, Royal Collection, Buckingham Palace. Die 1771 vollendete Zweitfassung wurde von Georg III. zusammen mit Wests Gemälden Tod des Epaminondas und Tod des Chevalier Bayard erworben; die drei, aus verschiedenen historischen Epochen stammenden Beispiele militärischen Heldentums bildeten seinerzeit in Buckingham House ein Ensemble, vgl. Von Erffa, Staley, The Paintings of Benjamin West (wie Anm. 8), Kat.-Nr. 94.

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ten mußte fortan Identifikationsangebote auch und gerade an das überwiegend nichthöfische und nicht-militärische Publikum machen. Dies konnte dadurch geschehen, daß literarisch oder bildlich ein besonderes, meist anekdotisch strukturiertes Näheverhältnis zu den höchsten militärischen Befehlshabern (den Monarchen eingeschlossen) hergestellt wurde oder - wie im Falle des genannten Werks von Benjamin West - durch die Glorifizierung eines Offiziers, dessen militärische Karriere nicht auf geburtsrechtlichen Privilegien, sondern auf individuellen Leistungen beruht hatte. (2) Die Delegitimierung des militärischen Gegners als Verkörperung des zivilisatorisch „Anderen". Gerade weil der Ausbruch der Kriegshandlungen sowohl auf den überseeischen Schauplätzen als auch auf dem europäischen Kontinent - dort durch die allmähliche Eskalation von Scharmützeln unter irregulären Truppen und piratenhafte Kaperfahrten zur See, hier durch die Invasion Preußens in das „neutrale" Sachsen - dem Bemühen des 18. Jahrhunderts um eine rechtliche Einhegung des casus belli so eklatant zuwiderlief, war auf allen Seiten die Furcht vor einer „Barbarisierung" des Krieges weit verbreitet. Eine ausgezeichnete Projektionsfläche für dieses Unbehagen an einer „Verwilderung des Waffenhandwerks" boten die nun zahlreich eingesetzten ethnisch differenten Hilfstruppen, die ein schwer taxierbares Element von kultureller und zivilisatorischer Fremdheit in das tradierte Freund-Feind-Schema einbrachten. Schottische Hochlandtruppen, erst wenige Jahre zuvor in die britische Armee integriert, erschienen nun ebenso auf den mitteleuropäischen Kriegsschauplätzen wie die Kosaken an der Seite der russischen Armee. Und in Nordamerika und Indien war die Einbindung indigener Krieger in die Auseinandersetzungen der konkurrierenden Kolonialmächte ohnehin üblich. Äußerlich betrachtet, kommt den Gemälden Benjamin Wests zum nordamerikanischen Kolonialkrieg auch darin eine Pionierrolle zu, weil sie für das hauptstädtische Publikum die exotisch-romaneske Seite der überseeischen Kriegsführung effektvoll in Szene setzten und damit ein Bildformular einführten, das erst im Imperialismus des 19. Jahrhunderts seine ganze Faszinationskraft für das europäische Massenpublikum entfalten sollte. Unterschwellig wird in diesen Werken aber auch die Sorge um die dem Martialischen inhärente Tendenz zur moralischen Regression, wenn nicht inneren Bestialisierung, thematisiert, die so schlecht zu der optimistischen Anthropologie der Aufklärung passen wollte. (3) Die Bildwerdung der „Nachkriegszeit" als ein Fortdauern der Kriegsfolgen. Die Integration des militärischen Ereignisbildes in die Domäne der kunsttheoretisch und akademisch privilegierten Historienmalerei konnte nur gelingen, wenn jenes an der Prämisse der Bedeutsamkeit der heroischen Einzelhandlung festhielt. Von dieser personenbezogenen Dramaturgie ist ein Bildtypus zu unterscheiden, der sich durch die Abwesenheit militärischer Akteure auszeichnet und sein Thema allein in den noch sichtbaren Folgen kriegerischen Handelns findet. Ihre eindrücklichste Formulierung fand diese post bellum-Perspektive in den Veduten des kriegszerstörten Dresden von Bernardo Beiotto aus den frühen 1760er Jahren. Sie zeichnen sich gegenüber dem handlungsbezogenen militärischen Ereignisbild durch ein temporales und kausales Nachher aus und verkörpern damit den Übergang vom Kriegsbild zum Kriegsfolgenbild. Damit war ein

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Bildtypus geschaffen, der fortan nicht nur den heroischen Modus des militärischen Ereignisbildes nüchtern konterkarieren, sondern ganz erheblich zu dessen Diskreditierung beitragen sollte.

I. Neue Helden braucht das Land. Abschied vom Kämpfenden König Als am 25. August 1757, dem Patronatsfest des Heiligen Ludwig, im Salon Quarre des Pariser Louvre die Kunstausstellung der Academie royale de peinture et de sculpture eröffnet wurde, war seit dem Einmarsch der preußischen Truppen in Sachsen, mit dem die Kampfhandlungen des nachmals so benannten Siebenjährigen Krieges auch auf dem europäischen Kontinent begonnen hatten, recht genau ein Jahr vergangen. Eines der prominentesten Werke der Ausstellung war auf geradezu paradoxe Weise von den Zeitläufen überholt worden und zugleich in seiner Botschaft nie aktueller gewesen als in jenen Augusttagen des Jahres 1757. Der Akademiedirektor Louis de Silvestre präsentierte die monumentale Komposition „Kaiser Augustus schließt die Pforten des Janustempels" (Abb. 2). Dargestellt ist der römische Herrscher, der salbungsvoll die Personifikationen der Fortuna und der Musen begrüßt, die ihm Apoll zuleitet. Durch die Schließung der Tempelpforten hat er kundgetan, daß im ganzen Reiche, zu Lande und zu Wasser, Frieden herrsche.12 Der Kriegsgott Mars weicht in das Dunkel zurück und muß hilflos mit ansehen, wie Putten Feuer an sein Handwerkszeug, einen aufgeschichteten Waffenhaufen, legen. Obschon das Gemälde in der Folge von der französischen Kunstadministration angekauft wurde, dürfte das großformatige Werk, jüngeren Forschungen zufolge, im Auftrag des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs August (III.) entstanden sein.13 Offenkundig sollte Silvestre, von 1710-1748 Hofmaler in

Das bei Sueton als außergewöhnlich vermerkte Faktum, Octavian Augustus habe während seiner Herrschaft den Tempel des Janus Quirinus dreimal schließen können, entsprach der absolutistischen Auffassung, Kriegs- und Friedenszustand durch zeremoniell bedeutsame Akte zu scheiden, in besonderer Weise, vgl. Reinhold Baumstark, Ikonographische Studien zu Rubens' Krieg- und Friedensallegorien, in: Aachener Kunstblätter 45 (1974), 125-234. Die These, das Gemälde sei nicht von der französischen Krone bestellt worden (wie in der älteren Literatur zu lesen), sondern im Auftrag des sächsischen Hofes entstanden, hat zuerst Harald Marx vertreten und mit überzeugenden Indizien gestützt, ohne indessen eindeutige archivalische Belege anfuhren zu können, vgl. seine beiden Aufsätze: Augustus schließt den Tempel des Janus: zu einem Gemälde von Louis de Silvestre, in: Melanges en hommage ä Pierre Rosenberg: peintures et dessins en France et en Italie XVIF-XVIIF siecles, Paris 2001, 288-298; „Die Zeiten eines Kaysers Augustus wieder zu erleben". Das „augusteische" Dresden im Spiegel eines Gemäldes von Louis de Silvestre, in: Reiner Groß, Uwe John (Hg.), Geschichte der Stadt Dresden, Bd. 2, Stuttgart 2006, 245-250. Das Gemälde konnte im Jahre 2000 für die Dresdner Gemäldesammlung Alte Meister erworben werden.

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Dresden, die Ehre zukommen, mit diesem ambitionierten Werk eine Art Programmbild für die Regentschaft Augusts zu verfertigen. Doch weder der Monarch, noch sein allgewaltiger Erster Minister Graf Heinrich von Brühl, der wohl auch bei dieser Maßnahme der sächsischen Kunstpolitik eine entscheidende Rolle gespielt haben wird, waren in der Lage, das Pariser Auftragswerk nach seiner Vollendung im Empfang zu nehmen. Seines Kurfürstentums und seiner Residenz beraubt, mit stark reduziertem Hofstaat die weitere Entwicklung in Warschau abwartend, verfugte August über keinerlei Mittel für die Bezahlung und den Abtransport des Werkes. Auch werden in dieser existenzbedrohenden Krise seines Staatswesens seine Gedanken kaum vorrangig auf die Beschaffung eines Bildes gerichtet gewesen sein, dessen hochgestimmte politisch-panegyrische Aussage von der Realität auf geradezu höhnische Weise dementiert wurde. Was zu einem prestigeträchtigen Manifest augusteischer Friedenspolitik und Kunstforderung hätte werden sollen, war unversehens zum Relikt einer Vorkriegszeit geworden, die alsbald einer goldenen Verklärung anheimfallen sollte. Ganz anders der König von Preußen: Seine Bildaufträge an die französischen Historienmaler wurden in der Begleitpublikation zur Salon-Ausstellung des Jahres 1757 öffentlichkeitswirksam inseriert.14 Auch noch in diesem, vor den Augen des Pariser Publikums ausgetragenen kunstpolitischen Fernduell schien Friedrich II. die Oberhand zu behalten. Daß sich der für die monarchische Kunstforderung zuständige Oberintendant der königlichen Bauten Marquis de Marigny anstelle des sächsischen Auftraggebers zum Ankauf das Werkes entschloß, ist sicherlich nicht nur als freundliche Geste gegenüber dem Akademiedirektor Louis de Silvestre zu verstehen. Das Thema des Bildes hätte sich kaum besser in die vorherrschenden Tendenzen der französischen Kunstpolitik einfügen können, an deren Schaltstellen seit 1748 Familienangehörige der drei Jahre zuvor zur maitresse en titre aufgestiegenen Marquise de Pompadour agierten. Mit der Übernahme der Oberintendanz durch den Onkel und ab 1752 durch den Bruder der Favoritin, besagter Marquis de Marigny, wurde ein umfängliches kunstakademisches Reformprogramm aufgelegt, das vor allem auf die Förderung der fast vollständig von staatlichen Aufträgen abhängigen Historienmalerei zielte.15 Gerade weil der Aufstieg der bürgerlichen Familie in Hofkreisen und der hauptstädtischen Öffentlichkeit misstrauisch verfolgt wurde, orientierte sich Marignys Kunstpolitik unverkennbar am Vorbild Colberts. Dessen systematische Förderung der königlichen Kunstinstitutionen galt als weithin akzeptiertes Musterbeispiel für ein staatlich organisiertes Mäzenatentum, das den kulturellen

Im Salon von 1757 waren einige der großformatigen Historiengemälde zu sehen, die Friedrich II. für das in Planung befindliche Neue Palais in Potsdam bestimmt hatte, mit dessen Bau kriegsbedingt erst 1764 begonnen werden konnte (vgl. Anm. 7), darunter die Arbeiten Carle van Loos, Die Opferung der Iphigenie und die Schule von Athen. Zu den Werken heißt es in der SalonBroschüre, sie seien „destine pour le Roy de Prusse", vgl. Marx, „Augustus schließt den Tempel des Janus " (wie Anm. 13), 291, Anm. 12. Vgl. Thomas E. Crow, Painters and Public Life in Eighteenth-Century Paris, London, New Haven 1985, 110-113.

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Hegemonieanspruch der französischen Monarchie im In- und Ausland festigen und ausbauen sollte. Als prestigeträchtigstes Medium dieser Kunstpolitik galt die Historienmalerei hohen Stils, deren theoretische Kodifizierung und Ausübung in der königlichen Kunstakademie monopolisiert werden sollte. Von ihrem akademischen Selbstverständnis her zielte die Malerei der grande maniere auf das höchste Register der Bildrhetorik, die allegorisch-mythologische Einkleidung exemplarischer Handlungen. Deren Träger konnte im strengen Sinne nur der Monarch selber sein, so wie die in Sage und Geschichtswerken überlieferten exempla und res gestae der Heroen und Herrscher in privilegierter Weise an ihn adressiert waren, sei es als Motivation oder als Spiegel des eigenen Handelns. Ob - und wenn ja, wie weit - sich dieser, an die höfische Mitund Nachwelt gerichtete hohe Stil gegenüber Ereignisverläufen der Gegenwart und deren konkrete raumzeitliche Einbettung öffnen dürfe, blieb indessen auch in dem politisch sorgfältig überwachten Diskurs der königlichen Kunstinstitutionen nicht unumstritten. Unter Ludwig XIV. war dieser hohe Stil dort im faktographischen Sinne am deutlichsten konkretisiert worden, wo es um die Darstellung der militärischen Kompetenz des Monarchen ging.16 Sie sollte nicht nur in einem allegorischen Triumphalismus herausgestellt werden, dessen Zeichenrepertoire ohnehin von allen europäischen Herrschern, und damit auch von den Gegnern des Sonnenkönigs, genutzt wurde. Vielmehr kam gerade auch an zeremoniell höchst bedeutsamen Orten ein empirisch sorgfaltig recherchiertes Bildregister zur Geltung, das den Monarchen an topographisch identifizierbaren, mit zahllosen Detailverismen angefüllten Schauplätzen seiner Feldzüge in den Reunions- und Devolutionskriegen präsentierte. Dieser im höfischen Repräsentationssystem höchst ungewöhnliche Empirismus, der sich auch auf die akribische Wiedergabe der militärischen Infrastruktur erstreckte, wird von der Forschung als bildliches Äquivalent des von Ludwig XIV. formulierten autokratischen Herrschaftsverständnisses gedeutet, das dem Monarchen mit dezidiert antispekulativem Gestus die Rolle des allseitig informierten, auf Präsenz und persönlicher Urteilsbildung insistierenden homme d'action zuwies.17 Dieser Führungsanspruch schlug sich nicht nur im aktiv wahrgenommenen militärischen Oberkommando des Königs nieder, sondern zog auch eine bis dahin nicht gekannte „Mobilisierung" künstlerischer und literarischer Genera nach sich, bestand der Sonnenkönig doch auf der Begleitung von Malern, Poeten und Historiographen in der Entourage seiner militärischen Kampagnen.18 An der Schnittstel-

Vgl. Thomas Kirchner, Paradigma der Gegenwärtigkeit. Schlachtenmalerei als Gattung ohne Darstellungskonventionen, in: Stefan Germer, Michael F. Zimmermann (Hg.), Bilder der Macht Macht der Bilder: Zeitgeschichte in Darstellungen des 19. Jahrhunderts, München, Berlin 1997, 107-124. Vgl. Wolfgang Brassat, „Les exploits de Louis sans qu 'en rien tu les changes ". Charles Perrault, Charles Le Brun und das Historienbild der „ Modernes ", in: Germer, Zimmermann (Hg.), Bilder der Macht (wie Anm. 16), 125-139, hier 138. Vgl. Marguerite Jallut, Les peintres de batailles des XVIIе et XVIIIе siecles, in: Archives de l'art frangais 22 (1959), 115-128. Zu Schlachtenmalern im Stab von Heerführen des 17. und frühen

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le zwischen höfischer Repräsentation und Operationsgeschichte agierte der peintre ordinaire des Conquetes du Roi, ein Amt, mit dem 1664 erstmals der Flame Adam Frans van der Meulen betraut wurde. Seine Titulatur läßt die langfristig problematischen Aspekte dieser Engführung von zeitgenössischer militärischer Ereignisgeschichte und ihrer bildkünstlerisch ambitionierten Vermittlung in den nicht-militärischen Bereich schon erkennen: Diese Konvergenz wurde schon semantisch unmittelbar an die Person des kommandierenden Monarchen geknüpft wie auch die Grundintention seines militärischen Handelns autoritativ festgelegt wurde: sie bestand in der territorialen Eroberung und mithin in der räumlichen Ausdehnung des Herrschafts- und Einflußbereiches. Ludwig XV. konnte das Leitbild des roi guerrier, das in den letzten Regierungsjahren des Sonnenkönigs merklich an Strahlkraft eingebüßt hatte, im Österreichischen Erbfolgekrieg zunächst glanzvoll restituieren. Die 1744 getroffene Entscheidung des Monarchen, gemeinsam mit dem Thronfolger den Operationen gegen die „Pragmatische Armee" an den oberrheinischen und flandrischen Kriegsschauplätzen selbst beizuwohnen, erregte Aufsehen und stand im merklichen Kontrast zum englischen König Georg II., der in der Schlacht von Dettingen 1743 letztmalig als Oberbefehlshaber seiner Truppen agierte.19 Die Truppenpräsenz des französischen Monarchen aktivierte abermals das bereits unter Ludwig XIV. etablierte Verfahren, die wichtigsten Ereignisse und Schauplätze der Kampagne von einem kleinen Stab von Schlachtenmalern aufzeichnen zu lassen. Das Element ludovizianischer Traditionspflege ist dabei umso weniger zu übersehen, als nicht wenige Kriegsschauplätze in den Österreichischen Niederlanden bereits unter Ludwig XIV. Bedeutung erlangt und eine entsprechende bildliche Kodifizierung erfahren hatten. Verändert hatte sich indessen der Status der peintres de batailles, die nunmehr dem Kriegsministerium unterstellt waren und militärischen Einheiten, 20

in der Regel den Militärgeographen oder -Ingenieuren, zugeordnet wurden. Trotz dieser Ansätze zu einer militärisch-operativen Funktionalisierung der Armeekünstler blieb ihre eigentliche raison d'etre die Truppenpräsenz des Königs. Wenn sie nicht direkt als Mitglied der suite du Roi die Feldzüge in unmittelbarer Nähe zum Monarchen mitverfolgten, waren die Militärkünstler gehalten, nach Beendigung der Kampagne nur jene Kriegstheater erneut zu bereisen und zu dokumentieren, an denen unter den Augen des Königs ein Schlachtensieg oder eine conquete errungen worden war.21

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18. Jahrhunderts siehe Brigitte Kuhn, Der Landschafts- und Schlachtenmaler Francesco Casanova (1727-1803), in: Wiener Jahrbuch fiir Kunstgeschichte 37 (1984), 89-118, hier 97, Anm. 53. Vgl. Hannah Smith, Georgian Monarchy: Politics and Culture 1714-1760, Cambridge 2006, 106, mit dem Hinweis, daß Georg II. 1744 sehr wohl eine Rückkehr auf den Kontinent geplant hatte, daran aber vom Ausbruch der Stuart-Revolte gehindert wurde. Faktisch ging in der englischen Geschichte mit der Schlacht von Dettingen die jahrhundertealte Tradition des aktiv kommandierenden „soldier-king" zu Ende. Jallut, Lespeintres de batailles (wie Anm. 18), 117. Im Schlossmuseum von Versailles befinden sich folgende Arbeiten von Jean-Baptiste Martin d. J. zum Österreichischen Erbfolgekrieg: Die Belagerung von Tournai (April/toi 1745) in zwei Ge-

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Obschon das Korps der königlichen peintres de batailles auch nach dem Friedensschluß von Aachen 1748 fortbestand, stellte sich Mitte der 1750er Jahre heraus, daß personelle Kontinuität alleine nicht ausreichte, um die Bildrhetorik der conquete du roi den neuen Konfliktkonstellationen anzupassen. Die seit Anfang 1754 in immer dichterer Folge in Frankreich eintreffenden Nachrichten über die blutigen Auseinandersetzungen zwischen den britischen und französischen Siedlern in Nordamerika sowie die strategisch betriebene Beschlagnahmung französischer Handelsschiffe durch die Royal Navy war mit der Dramaturgie des an der Spitze seiner Truppen in die Schlacht ziehenden roi guerrier nicht zu vereinbaren. Weder stand eine maritime Variante dieses Leitbildes zur Verfügung, noch gab es Ansätze für einen stellvertretenden Heroismus mit großer Reichweite, der an den französischen Außenposten das ideelle Vakuum des absenten Monarchen hätte füllen können. Erst als der Konflikt auch innerhalb des angestammten Aktionsradius der französischen Krone ausbrach, wurden die tradierten Bildformeln der conquete aktiviert. Die im Mai 1756 gemeinsam von Land- und Seestreitkräften errungene Einnahme von Port Mahon auf Menorca unter dem Oberbefehl des Due de Richelieu wurde bildnerisch als eine solche „Eroberung des Königs" verbucht und nach dem Konzept des terrestrischen Belagerungsbildes gestaltet.22 Vollends zutage trat das panegyrisch-propagandistische Vakuum mit dem Eingreifen der französischen Truppen auf den deutschen Kriegsschauplätzen im Laufe des Jahres 1757. Das Jahr hatte mit einem versuchten Attentat auf Ludwig XV. begonnen. Anders als im Herbst 1744, als der König im Feldlager von Metz von einer lebensbedrohlichen Krankheit heimgesucht worden war, wollten sich landesweite Sympathiekundgebungen für den Monarchen diesmal kaum einstellen. Die Erosion des Mythos von Louis le Bien-Aime, dessen Anfänge mit der maladie de Metz unauflöslich verknüpft sind, war nun in ihre manifeste Phase getreten.23 Innenpolitisch durch die fortdauernden Auseinandersetzungen mit den parlements geschwächt, in seiner Geltung als premier gentilhomme durch den wachsenden Einfluß der Marquise de Pompadour beschädigt, hätte eine Revitalisierung des Leitbildes des roi guerrier dem Ansehen des Monarchen genstücken; Die Belagerung von Oudenarde (Juli 1745); Die Belagerung von Ostende (August 1745); Die Belagerung von Namur (September 1746). Martin stand auf der Soldliste des Bureau des fortifications. Seine sich dem Panorama annähernden breitformatigen Gemälde zeichnen sich vor allem durch eine detaillierte topographische Darstellung von Angriffs- und Verteidigungsstellungen aus; lediglich im Vordergrund sind Truppenbewegungen und Befehlshaber (darunter häufig die Figur des kommandierenden Königs) zu erkennen. 22

23

Vgl. das Jean-Baptiste Martin d. J. zugeschriebene Gemälde Prise de Port Mahon ä Minorque le 20 mai 1756 im Musee National des Chateaux de Versailles et de Trianon, Öl/Leinwand, 86 χ 430 cm, Inv.-Nr. MV 1424, es ist vermutlich erst in den 1760er Jahren entstanden. Eine weitere Darstellung von Jean-Joseph Kapeller im Musee Cantini in Marseille (datiert 1756) trägt den Titel Embarquement du corps expiditionnaire de Minorque au port de Marseille sous les ordres du due de Richelieu, 26 mars 1756, (Öl/Leinwand, 220 χ 143 cm). Vgl. dazu Andreas Köstler, Das Lächeln des Bien-Aime. Zur Zivilisierung des Herrscherbildes unter Ludwig XV., in: Ders., Ernst Seidl (Hg.), Bildnis und Image: das Portrait zwischen Intention und Rezeption, Köln, Weimar, Wien 1998, 197-214, hier 198-200.

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durchaus aufhelfen können. Das patriotische Erregungspotential, als dessen Gravitationszentrum der König hätte dienen können, war durchaus vorhanden, doch ließ es sich nur höchst ungenügend auf die Kriegsschauplätze jenseits des Rheins projizieren. 24 Hier war das Engagement der französischen Truppen durch die aus dem Beistandspakt mit Österreich erwachsenen Verpflichtungen motiviert; eine Konstellation, die, wie das renversement des alliances insgesamt, auf wenig Zustimmung in der französischen Öffentlichkeit rechnen konnte und vielfach als Beweis für den schädlichen Einfluß der königlichen Mätresse auf die Politik der Krone gewertet wurde. Daß der Prinz von Soubise als Oberkommandierender des französischen Expeditionskorps als ein Günstling der Pompadour galt, komplettierte das Bild einer maliziösen Mätressenwirtschaft, die sich nun auch den militärischen Sektor einverleibt habe. Die spätestens nach der Niederlage von Roßbach (5. November 1757) eine neue Radikalitätsstufe erreichende hauptstädtische Pamphletliteratur verdeutlicht, daß die ätzende Spottlust nicht auf den Prinzen von Soubise und die Marquise beschränkt blieb, sondern sich auch auf die Person des Monarchen erstreckte. 25 Während dieser Versailles kaum noch verließ, gingen nun sämtliche Epitheta des kämpfenden Königs auf Friedrich II. über, der in der französischen Hauptstadt zur Lieblingsfigur einer frondierenden und unverkennbar misogyn eingefärbten Prussomanie aufstieg. 26 Im Gegensatz zu allen anderen kriegführenden Staaten verfugte die französische Krone mit dem seit 1751 im biennalen Rhythmus abgehaltenen Salon über ein europaweit beachtetes künstlerisches Forum, das sich für die Selbstdarstellung des Monarchen trefflich hätte nutzen lassen. Doch gerade auf dieser Bühne zeigte sich, je weiter der Siebenjährige Krieg voranschritt, wie sich die verschiedenen Parteien im Umfeld des Monarchen und ihre jeweiligen image-broker wechselseitig konterkarierten. Schon der eingangs erwähnte erste „Kriegs-Salon" des Jahres 1757 kann dies verdeutlichen. Als roi guerrier war Ludwig XV. allenfalls im Tempus der Vergangenheit anwesend: Die in diesem Jahr vollendete Darstellung der Schlacht von Fontenoy von Pierre Lenfant (Abb. 3) 27 mochte noch einmal eine Sternstunde französischer Kriegskunst beschwören, doch mußte die hier glanzvoll in Szene gesetzte Waffenbrüderschaft zwischen dem Monarchen und Moritz von Sachsen unfreiwillig die Frage nach der militärischen Führung im gegenwärtigen Konflikt aufwerfen. Einmal seines höfischen Repräsentationskontexts enthoben, hatte sich dieser Typus des offiziösen militärischen Ereignisbildes im Salon visuell gegen jene andere Spielart der Schlachtenmalerei zu behaupten, die, 24

25

26 27

Vgl. Edmond Dziembowski, Un nouveau patriotisme frangais, 1750-1770. La France face ä la puissance anglaise ä l 'epoque de la guerre de Sept Ans, Oxford 1998,425—434. Vgl. Dziembowski, Un nouveau patriotisme frangais (wie Anm. 24), 427 mit dem Nachweis von Liedern, die im November 1757 in Paris kursierten und deren unbotmäßig-provozierender Tonfall der Autor als Indiz für die zu diesem Zeitpunkt schon weit fortgeschrittene „desacralisation" der französischen Monarchie wertet. Ebd., 428. Öl/Leinwand, 275 χ 250 cm, Musee National des Chateaux de Versailles et de Trianon, Inv.-Nr. MV 188.

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weitgehend losgelöst von historischen Vorgaben, das affektive Potential kriegerischer Konfrontation in einer für Kenner und das breite Publikum attraktiven Weise in Szene 28

setzte. Hingegen eröffnen die bei Lenfant im Vordergrund versammelte Kavalkade der Heerführer und das entfernt in den Mittelgrund verlagerte Schlachtgeschehen weder hier noch dort Identifikation und Teilhabe für ein Publikum jenseits der politischmilitärischen Führungselite. Das topographische Element des Schlachtenbildes hatte aus einer militärischen Binnenperspektive betrachtet - dem taktischen Ideal weiträumiger Truppenbewegungen und einer vorteilhaften Besetzung des Terrains in hervorragender Weise entsprochen. Das breite Publikum erwies sich indessen für dieses Bildschema als wenig empfänglich. Abgesehen von der retrospektiven Wiederholung vergangener Waffengänge, fiel es dem Kriegsministerium zudem immer schwerer, den peintres de batailles aktuelle Aufgaben zuzuweisen: 1758 erwog der amtierende Kriegsminister Marschall von Belle-Isle unverblümt ihre Abschaffung. 29 Mit dem Aufstieg des Marquis de Marigny an die Spitze der königlichen Kunstadministration war der Einfluß der Enzyklopädisten auf kulturpolitische Entscheidungen deutlich gestärkt worden. Dem Sekretär der Kunstakademie, Charles-Nicolas Cochin, einem engen Freund Diderots, kam in dieser Hinsicht eine über die administrativen 30 Belange seines Amtes hinausgehende Bedeutung zu. Cochin war es auch, der fraglos die deutlichste Absage an das Leitbild der roi guerrier formulierte und sich dabei offenkundig von Louis de Silvestres Gemälde anregen ließ.31 Die hier formulierte friedensstiftende Rolle des Herrschers wurde zum Nukleus für einen ambitionierten Programmentwurf, den Cochin für die bildliche Ausstattung des Schlosses von Choisy-leRoi ausarbeitete, mit dessen Realisierung erst nach dem Friedensschluß im Jahre 1763 begonnen werden konnte. Dezidiert sollte hier ein monarchischer Tugendkatalog visualisiert werden, aus dem die Rhetorik der conquete, ja selbst jede Anspielung auf militärische Kompetenz ersatzlos gestrichen worden war.32 Ludwig XV., der sich in der „paZur typologischen Unterscheidung zwischen „historischen Ereignisbild" und einer von faktischen und topographischen Vorgaben weitgehend losgelösten „militärischen Genremalerei" vgl. Pfaffenbichler, Das barocke Schlachtenbild (wie Anm. 6), 86-108. Die letztgenannte Kategorie wurde seit 1757 in Paris sehr erfolgreich von Francesco Casanova, Bruder des berühmten venezianischen Abenteurers, vertreten, dem Diderot in seiner Salon-Kritik von 1767 allerdings unterstellte, nie eine wirkliche Schlacht beobachtet zu haben: „Dites-moi, monsieur Casanove, avez-vous jamais et6 präsent ä une bataille? [...] Suivez les armees, allez, voyez et peignez!" Zitiert nach Kuhn, Francesco Casanova (wie Anm. 18), 97, Anm. 53. 29 30 31

32

Jallut, Les peintres de batailles (wie Anm. 18), 120. Vgl. Christian Michel, Charles-Nicolas Cochin etl'artdes lumieres, Rom 1993, 62-74. Vgl. Jean Locquin, La Peinture d'histoire en France de 1747 ä 1785, Paris 1912 (ND Paris 1978), 23, Anm. 3. Bezeichnenderweise sollten die neuen Gemälde die unvollendet gebliebene Folge von Charles Parrocels Schlachtenbildem des Österreichischen Erbfolgekrieges ersetzen, mit deren Vervollständigung Pierre Lenfant (vgl. Abb. 3) beauftragt worden war. Zum Projekt von Choisy siehe Locquin, La peinture d'histoire (wie Anm. 31), 23-25; Crow, Painters and Public Life (wie Anm. 15), 154—156; Michel, Charles-Nicolas Cochin (wie Anm. 30), 143-145.

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zifistischen" Fleury-Ära in der Rolle des europäischen Friedensstifters hatte darstellen 33

lassen , wäre in der geplanten Galerie der Friedensfürsten nicht präsent gewesen; die exempla für mildtätiges und menschenfreundliches Handeln waren sämtlich der römischen Antike entlehnt. Cochin, der bereits bei der Image-Prägung des „vielgeliebten Ludwig" eine zentrale Rolle gespielt hatte, verstand sich wohl auch bei dieser Initiative zur Zähmung des roi guerrier als Sprachrohr einer räsonierenden Öffentlichkeit, die begonnen hatte, sich ihre eigenen, durchaus miteinander rivalisierenden Herrscherbilder zu entwerfen.34 Es verwundert nicht, daß der König, ungeachtet seiner vorab erteilten Einwilligung, der pädagogisierenden Tendenz dieses pazifistischen Bildprogramms schnell überdrüssig wurde und die Werke schon nach zwei Jahren durch neue Gemälde ersetzen ließ - nicht etwa durch Schlachtenbilder, sondern durch galante Mythologien.35 Zwischen dem Traditionsbruch mit der ludovizianischen Schlachtenmalerei ad majorem rei gloriam und der schieren Negation des roi guerrier eröffnet sich in Frankreich um die Mitte des 18. Jahrhunderts eine Leerstelle in der politischen (Bild-) Rhetorik, die sich als entscheidende Ursache für jene „autocensure malatroite" zu erkennen gibt, die Edmond Dziembowski im Umgang der Franzosen mit den Ereignissen des Siebenjährigen Krieges konstatiert hat. 36 Der König war das Vehikel gewesen, das die diskursiven Festlegungen des Historienbildes als allegorisch-mythologische Universalie aufgebrochen und in einem raumzeitlichen Sinne konkretisiert - und damit auch partikularisiert - hatte. In dem Moment, da dieses Vehikel an Zugkraft einbüßte, verfestigte sich das traditionelle Verständnis erneut, was bis zur Absage an jedweden neuzeitlichen Bildstoff gehen konnte.37

Vgl. das 1729 vollendete Deckengemälde Louis dormant le paix ä I 'Europe von Francois Lemoyne im Salon de la Paix des Schlosses von Versailles. Cochin begründete seine Themenwahl in einem Brief an Marigny vom 14. Oktober 1764: „On a tant cölebre les actions guerrieres qui ne vont qu'ä la destruction du genre humain; n'est-il pas raisonnable de presenter quelquefois les actions genereuses et pleines d'humanite qui chez les bons rois font le bonheur de leur peuple; et quant peut-on mieux developper ce sentiment que sous le meilleur des rois? Retrafons lui, sous Γ emblem e des plus excellents princes qui aient jamais gouνεπιέ, le portrait des sentiments que toute l'Europe reconnait en lui." Wie direkt Cochins Programmentwurf auf die Demontage der tradierten bellizistischen Panegyrik zielte, wird deutlich, wenn er im weiteren Verlauf des Briefes Ludwig XV. nach der Schlacht von Fontenoy mit Kaiser Titus nach der Zerstörung Jerusalems vergleicht, vgl. Locquin, La peinture d'histoire (wie Anm. 31), 23-25, Zitat: 23; Michel, Charles-Nicolas Cochin (wie Anm. 30), 143. Loquin, La peinture d'histoire (wie Anm. 31), 25. Dziembowski, Un nouveaupatriotismefranfais (wie Anm. 24), 215. Signifikant sind in dieser Hinsicht die von dem Comte de Caylus - eine Zentralfigur der 1747 eingeleiteten Akademiereform - verfaßten Sujetkataloge zur thematischen Erweiterung der Historienmalerei (Nouveaux sujets de peinture et de sculpture, Paris 1755; Tableaux tires de l'Iliade, de lOdyssee d'Homere et de lEneide de Virgile [...], Paris 1757; Histoire d'Hercule le Thebain [...], Paris 1758). Die hier zusammengestellten Bildthemen schöpfen ausschließlich aus der antiken Mythologie und formulieren eine deutliche Absage an die neuzeitliche Geschichte und Nationalepen als mögliche Bildquellen.

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In England hingegen waren es nicht so sehr die kunstinstitutionellen Vorgaben, die einer Thematisierung der zeitgenössischen militärischen Ereignisgeschichte in der Gattung des Historienbildes entgegenstanden. Die Royal Academy wurde erst 1768 gegründet und hat weder die künstlerische Theoriebildung noch die öffentliche Kunstrezeption in England so nachhaltig dominieren können, wie dies von ihrem bereits seit 1648 bestehenden Pariser Pendant mit Blick auf Frankreich, wenn nicht Kontinentaleuropa insgesamt, festgestellt werden kann. Indessen mußte sich in England und zumal in der Metropole London die Malerei in einem medialen Umfeld behaupten, das schon von den Zeitgenossen als singulär empfunden worden ist. Aufgrund liberaler Zensurgesetze hatte sich bereits im frühen 18. Jahrhundert eine satirische Bildkultur entwickelt, die weitaus früher und radikaler als in anderen europäischen Ländern Ereignisse und Personen des Zeitgeschehens in karikaturhaften Darstellungen der öffentlichen Kritik, dem 38

Amüsement und der Spottlust preisgab. Das ,Bild als Waffe' im innenpolitischen Meinungskampf hatte insbesondere in Phasen tiefgreifender Kontroversen und Krisen Hochkonjunktur. Von der königlichen Familie abgesehen, die erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts in das Visier der Karikaturisten rückte, war kaum eine Figur des öffentlichen Lebens vor einer satirischen Düpierung gefeit. Dies galt auch für militärische Befehlshaber und die öffentliche Bewertung ihres Handelns. Daß mit dem 1756 offen ausgebrochenen Konflikt in England eine neue Phase der Politisierung und Publizierung der Kriegsführung angebrochen war, verdeutlicht die massive mediale Resonanz auf die gescheiterte Verteidigung von Port-Mahon, des englischen Flottenstützpunkes auf Menorca. Im Gefolge dieser Niederlage wurde Admiral John Byng, der Kommandeur des zur Unterstützung der englischen Garnison auf Menorca entsandten Flottenverbandes, vor ein Kriegsgericht gestellt und im März 1757 hingerichtet. Die militärischen Maßnahmen zur Rettung des strategisch wichtigen Kriegshafens, das Scheitern der Operation und die Rückkehr Byngs wurden von einer beispiellosen Medienkampagne begleitet.39 Der entscheidende Impuls fur diese Kampagne kam aus dem engsten Umfeld des amtierenden Premierministers Newcastle, der im Juni 1756 einen Brief Byngs an den Sekretär der Admiralität John Cleveland in redigierter Form und zum Teil mit sinnentstellenden Kürzungen in einer regierungsamtlichen Zeitung hatte veröffentlichen lassen. Der Admiral hatte am 25. Mai 1756 nach seinem Rückzug nach Gibraltar einen ersten geheimen Lagebericht abgesandt und darin auf die mangelhafte Ausrüstung seiner Flotte und die fehlende Unterstützung durch den dortigen Gouverneur als Hauptgründe für den Abbruch der Operation verwiesen. Diese sowohl für das Ministerium wie die Admiralität kompromittierenden Passagen wurden in der publizierten Fassung des Briefes unterbunden, womit dem Eindruck Vorschub

Vgl. Jürgen Döring, Eine Kunstgeschichte der frühen englischen Karikatur, Hildesheim 1991. Vgl. Murray John Cardwell, Arts and Arms. Literature, Politics and Patriotism during the Seven Years' War, Manchester/New York 2004, 46-72, bes. 68. Der Autor konnte über 80 selbständige Publikationen zur Menorca-Krise aus den Jahren 1756/1757 nachweisen.

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geleistet wurde, Byng habe ohne Not Port-Mahon im Stich gelassen.40 Die ohnehin kursierenden Gerüchte, Byng habe seinen raschen Aufstieg in der Kriegsmarine vor allem seiner Herkunft, aber kaum nachweisbaren Verdiensten zu verdanken, schienen durch die gescheiterte Mittelmeer-Mission trefflich bestätigt. Der in verzerrter Form veröffentlichte Brief an Cleveland lieferte hinreichend Stoff für zahlreiche Parodien, die bisweilen gemeinsam mit satirischen Illustrationen erschienen. Ein noch im Juni 1756 publizierter Druck zeigt eine solche Text-Bild-Kombination (Abb. 4). Das obere Register wird von einer Darstellung eingenommen, die unter dem Titel A Cabin Council als Graphik auch separat vertrieben wurde. Zu sehen ist Admiral Byng im Kreis von vier Offizieren, die sich in der der Kapitänskajüte des Flaggschiffs HMS Ramillies zum Kriegsrat versammelt haben und mit der Abfassung eines Berichts an die Admiralität beschäftigt sind. Die Sprechblasen künden von der Ängstlichkeit und dem Drang der Befehlshaber, so schnell wie möglich nach Gibraltar oder gleich nach England zurückzukehren. Während diese Konstellation den Eindruck untermauert, der Entschluß zum Rückzug sei gemeinschaftlich gefaßt worden, so enthält die Ausstattung der Kabine maliziöse Anspielungen, die Byngs Autorität als militärischen Befehlshaber unterminieren. Über dem Admiral hängt - als Emblem seiner Eitelkeit - sein eigenes Porträt, das ihm vermittels einer nach unten weisenden Hand die Idee zum Abbruch der Operation einzuflößen scheint. Die über dem Bildnis befindliche Banderole trägt die Aufschrift „Porcelain" und verweist auf den Ruf des Admirals als Sammler exquisiten Porzellans.41 Und tatsächlich befinden sich in den Vitrinen zu beiden Seiten des Tisches etliche Objekte aus diesem kostbaren und zerbrechlichen Material. Die fingierte Kabinenausstattung liefert mithin eine ironische Antwort auf die in der Öffentlichkeit heftig diskutierte Frage, warum die Ramillies in das Seegefecht mit den Franzosen überhaupt nicht eingegriffen hatte, während andere Schiffe schwere Schäden und hohe Verluste verzeichnen mußten. Die durch das Bild betriebene Vermischung von privatem Luxus und offizieller Kommandogewalt spricht Byng die mit Härte und Robustheit konnotierte Eignung zum militärischen Befehlshaber ab. Daß die Regierung Newcastle durch gezielte Pressepublikationen ein ganz auf die Person Byngs fixiertes öffentliches Klima der Vorverurteilung provoziert hat, um von eigenen Versäumnissen und Fehleinschätzungen abzulenken, ist heute unstrittig.42 Die Aburteilung des „Anti-Helden" Byng durch das Kriegsgericht mochte die durch den Verlust Menorcas geschürte patriotische Kränkung gerade in der bürgerlichen Mittelschicht gemildert haben, weil hier vielfach die Überzeugung vorherrschte, der Admiral als Angehöriger der upper class werde schon (Geld-) Mittel und Wege finden, eine Verurteilung abzuwenden. Für die beginnende Geschichte eines medial fabrizierten militärischen Heldentums ist die Affäre Byng insofern von konstitutiver Bedeutung, weil sie die unvermeidliche 40 41 42

Ebd., 50. Ebd., 62, mit Nachweis von Spottgedichten auf das Flaggschiff als „a floating porcelain gallery". Ebd., 49: „The ministry [des Duke of Newcastle] managed the release of information in such a way as to convince political opinion of Byng's culpability."

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Kehrseite dieser Entwicklung darstellt. Ab nun wird ein neuer Typus des militärischen Heros vorstellbar, der sich ablöst von tradierten Hierarchien und Laufbahnen. Der Held als Fokus einer erregten kollektiven Phantasie ist von nun an auch immer Galionsfigur politischer Interessen, Ventil einer öffentlichen Affektabiuhr und Produkt einer Kampagne, diese freilich nun nicht mehr verstanden im Sinne der alten Kriegskunst, sondern im Hinblick auf das neue Gewerbe der publizistischen Modellierung von Meinungen. Dieser fabrizierten Zelebrität entspricht spiegelbildlich das erhöhte Risiko bei militärischem Mißerfolg oder Versagen. Wurden die sich daraus ergebenen Folgen und Verantwortlichkeiten bislang durch den militärischen Gruppen- oder Standeskodex reguliert, so drohte dem Erfolglosen nunmehr nicht nur öffentlicher Spott, sondern auch eine radikalisierte Form der Infamie: Bevor überhaupt die Verhandlungen vor dem Kriegsgericht begonnen hatten, wurde Admiral Byng im Sommer 1756 zahllose Male in efflgie verbrannt und damit zum Objekt einer öffentlichen Schändung gemacht, wie sie bis dahin nur Schwerverbrechern oder Hochverrätern widerfahren war.43 Die Affare Byng als öffentlich inszeniertes Schurkenstück erforderte eine Antithese, die mit der kaum für möglich gehaltenen Einnahme Quebecs unter dem Kommando von General James Wolfe im September 1759 gegeben war. William Pitt, der neue starke Mann im Kabinett, hat das propagandistische Potential dieser militärischen Operation durch eine konsequente Personalisierung des Ereignisses optimal zu nutzen verstanden. Mit der von ihm durchgesetzten Ernennung Wolfes zum Oberbefehlshaber des Expeditionskorps war Pitt ein hohes Risiko eingegangen. Unter Mißachtung des Prinzips der Anciennität war dem 32-jährigen, außerhalb der Armee weitgehend unbekannten Wolfe der Vorzug vor kampferprobten älteren Offizieren gegeben worden.44 Dessen bürgerliche Herkunft und seine von keinerlei Protektionsverdacht getrübte militärische Karriere machte ihn zu einer idealen Projektionsfigur von Pitts politischem Credo als eines ohne Standesdünkel agierenden, allein dem Gemeinwohl dienenden Patrioten. Obwohl Wolfe die Chancen fur die Einnahme Quebecs pessimistisch beurteilte, entschloß er sich nach Monaten unergiebiger Geplänkel zur Erstürmung der Stadt durch Bezwingung einer Steilküste, wohl wissend, daß er sich für ein Fehlschlagen der riskanten Operation vor „His Majesty and the public" verantworten müsse.45 Pitt wußte die öffentliche Resonanz auf die Nachricht von der Einnahme Quebecs noch zu steigern, indem er zu einem Zeitpunkt, da er bereits über dieses Ereignis und den Tod Wolfes unterrichtet war, einen

44

45

Ebd., 65; demnach ereigneten sich in über 30 britischen Städten Verbrennungen, darunter auch vor dem Anwesen Byngs in Bamet bei London. Wrotham Park, der Landsitz des Admirals, wurde von aufgebrachten Anwohnern beschädigt. Vgl. Stephen Brumwell, Paths of Glory. The Life and Death of General James Wolfe, London 2006,175-178. Vgl. den bei Christopher Lloyd, The Capture of Quebec, London 1959, 117, zitierten Brief Wolfes an William Pitt vom 12. September 1759: ,Д had the honour to inform you today that it is my duty to attack the French army. To the best of my knowledge and ability, I have fixed upon that spot where we can act with most force and are most likely to succeed. If I am mistaken I am sorry for it and must be answerable to His Majesty and the public for the consequences."

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Brief publizieren ließ, in dem der General die Stadt zwar als uneinnehmbar bezeichnete, zugleich aber ankündigte, er werde den Angriff wagen.46 In dieser Verweigerung gegenüber den tradierten Erfahrungsgehalten der Kriegskunst zeichnet sich ein neuartiger Typus des Kommandeurs als eines offensiven Risikonehmers ab, der entweder als gefeierter Held oder geschmähter Hasadeur enden wird. Die von Pitt maßgeblich vorangetriebene öffentliche Heroisierung des bei dem Kampf tödlich verwundeten Generals trägt Züge einer beschleunigten säkularen Kanonisierung: Die Siegesnachricht wurde am 16. Oktober 1759 in London publik gemacht, ihre transatlantische Übermittlung hatte etwa vier Wochen beansprucht. Am 20. November plädierte Pitt im Unterhaus fur die Errichtung eines Grabmonuments zu Ehren Wolfes in Westminster Abbey auf Kosten der öffentlichen Hand.47 Der dazu notwendige Wettbewerb wurde unverzüglich ausgeschrieben, im März 1760 die Entscheidung verkündet.48 Damit war indessen das durch die Denkmalstiftung generierbare Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit vorerst ausgeschöpft. Der mit der Anfertigung des Monuments beauftragte Bildhauer Joseph Wilton sollte 13 Jahre für dessen Fertigstellung benötigen, die Einweihung erfolgte 1773. Trotz dieser massiven gouvernementalen Einflußnahme war Wolfes Memoria nicht über jeden Zweifel erhaben. Der an der Einnahme Quebecs beteiligte Brigadegeneral George Townshend, der schon während der Operation Kritik an Wolfes Taktik geübt hatte, konterkarierte die Verehrung des Nationalhelden auch nach seiner Rückkehr mit kritischen Bemerkungen und Bildsatiren.49 Attribute des Heroischen ließen sich im öffentlichen Raum zwar weiterhin installieren, aber einhellige Verehrung ließ sich unter den Bedingungen einer räsonierenden Öffentlichkeit nicht mehr verordnen. Jeder politisch gewollte Heldenkult war fortan einem nicht mehr auszuräumenden Motivverdacht ausgesetzt und für den zum nationalen Heros promovierten militärischen Befehlshaber galt allemal: über Helden diskutiert man eben doch.50 Für die Werkgenese von Benjamin Wests Erfolgsbild (Abb. 1) ist es wichtig festzuhalten, daß ihre Anfänge in eine Phase reichen, die eine Mitteldistanz zu den Ereignis46

47 48 49

50

Vgl. Joan Coutu, Legitimating the British Empire: the Monument to General Wolfe in Westminster Abbey, in: Bonehill, Quilley (Hg.), Conflicting Visions (wie Anm. 5), 61-83, hier 63. Ebd., 64 f. Ebd., 66. Zu Townshends Attacken vgl. Ann Uhry Abrams, The Valiant Hero: Benjamin West and GrandStyle History Painting, Washington 1985, 162. Abbildungen der Karikaturen auf Wolfe, die Townshend wohl schon während des Feldzuges in Kanada gezeichnet hat, ebd. Fig. 94—96. Ihm wird auch eine satirische Graphik mit dem Titel A Living Dog Is Better Than a Dead Lion zugeschrieben, die eine despektierliche Gegenüberstellung zwischen Wolfes Sieg und Lord Sackvilles Niederlage bei Minden 1759 betreibt, siehe ebd., 168, Fig. 99. Townshends Kritik an Wolfe, die wohl nicht frei von Konkurrenzneid war, ebbte erst ab, als er von dem Earl of Albemarle zum Duell gefordert worden war. Vgl. Werner Busch, Über Helden diskutiert man nicht. Zum Wandel des Historienbildes im englischen 18. Jahrhundert, in: Ekkehard Mai, Antje Repp-Eckert (Hg.), Historienmalerei in Europa. Paradigmen in Form, Funktion und Ideologie, Mainz 1990, 57-76.

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sen des Jahres 1759 markiert. Ein erster Entwurf läßt sich in das Jahr 1765 datieren51, als durch den zwei Jahre zuvor erfolgten Friedensschluß von Versailles die territorialen Zugewinne Englands in Nordamerika imperialer Besitzstand geworden waren und die Einnahme Quebecs als ein strategischer Wendepunkt des für Großbritannien so vorteilhaft beendeten Krieges außer Zweifel stand. Zu diesem Zeitpunkt war der Tod Wolfes von zwei Künstlern als Thema für ein Gemälde bereits aufgegriffen worden, ohne daß ihnen mehr als durchschnittliche Aufmerksamkeit bei dem Kunstpublikum der Hauptstadt vergönnt gewesen wäre.52 Wests Studie macht deutlich, daß ihm von Anfang an daran gelegen war, das Sujet über die bisher anvisierte Ebene des in enger Übereinstimmung mit den Zeitungsberichten erstellten Reportagebildes hinauszuheben. Er zielte auf das Anspruchsniveau des Historiengemäldes und eben daraus dürften sich auch die Gründe herleiten lassen, das ambitionierte Vorhaben vorerst nicht weiter zu verfolgen. West, aus Pennsylvania stammend, war 1760 in Europa eingetroffen, hatte sich nach einem Studienaufenthalt in Italien in London niedergelassen und dort zielstrebig seine Reputation als eines klassizistisch inspirierten Malers im grande style erarbeitet. Als solcher erlangte er die Förderung bedeutender Mäzene, denen eine Vermengung des Historischen mit dem Zeitgeschichtlichen in den Bildkünsten suspekt erschien. Die um 1769 getroffene Entscheidung, sich dem Thema erneut zuzuwenden, kam daher dem Versuch gleich, sich aus diesem tradierten Patronagesystem zu lösen. Der Zeitpunkt war insofern günstig, als Wolfes Grabmonument, mit dem sich West in einem gattungsübergreifenden Paragone messen wollte, allmählich seiner Vollendung entgegenging.53 Ein modernes Historienbild ist Wests Tod des Generals Wolfe gerade auch durch den konsequenten Einsatz von „modern marketing techniques" geworden.54 Schon während des Entstehungsprozesses war das Gemälde - gegen die Entrichtung von Eintrittsgeld für das interessierte Publikum zu besichtigen.55 Als das Werk 1771 auf der Jahresausstellung der Royal Academy gezeigt wurde, war sein Bekanntheitsgrad schon so gefestigt, daß es die Konkurrenz mit den übrigen dort präsentierten Arbeiten nicht zu scheuen brauchte. Die Tantiemen aus dem seit 1776 vertriebenen Reproduktionsstich 51

52

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Bleistift, Feder, Wasser- und Ölfarben/Papier, 43 χ 61 cm, signiert und datiert: „Benj" West 1765", Ottawa, National Gallery. Von Erffa, Staley, The Paintings of Benjamin West (wie Anm. 2), 215, Kat. Nr. 99, bezeichnen die (nicht eigenhändige) Datierung als „improbably early", Abrams, The Valiant Hero (wie Anm. 49), 174, hält das Datum für authentisch und sieht in der Zeichnung ein Indiz für eine lange Planungsphase für Wests „epic composition". 1763 hat George Romney ein heute nicht mehr nachweisbares Gemälde mit dem Tode Wolfes ausgestellt, Edward Penny legte im Jahr darauf seine Interpretation des Themas vor (Öl/Leinwand, 62 χ 73 cm, Petworth House, Sussex; Zweitfassung in Oxford, Ashmolean Museum), vgl. Von Erffa/Staley, The Paintings of Benjamin West (wie Anm. 2), 213 (mit Abb. des Gemäldes von Penny). Zu dieser Gattungskonkurrenz siehe Coutu, Legitimating the British Empire (wie Anm. 46), 70. Peter Cannon-Brookes, From the „Death of General Wolfe" to the „Death of Lord Nelson": Benjamin West and the Epic Composition, in: Ders. (Hg.), The Painted Word. British History Painting: 1750-1830, London 1991, 15-35, Zitat: 18. Ebd., 17.

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sicherten dem Künstler Einnahmen, die er aus einer noch so lukrativen Veräußerung des Gemäldes an einen Sammler nie hätte erzielen können.56 Diese optimal geknüpfte Wertschöpfungskette machte Wests Tod des Generals Wolfe zu einem international vielfach kopierten Geschäftsmodell. Die Gründe für diesen Erfolg lassen sich zunächst aus dem Werk selbst ableiten: West verdichtet nicht nur das aus dem Schlachtenbild geläufige Schema zwischen der vorderen Kommandantenebene und den kämpfenden Truppen im Mittel- und Hintergrund. Er rückt die Bildhandlung insgesamt näher an den Betrachter heran und senkt den Augenpunkt auf die Höhe der Protagonisten. Auf diese Weise wird die visuelle Schwelle zwischen Bild- und Betrachterraum faktisch eingeebnet. Die zentrale Gruppe um den hingesunkenen General folgt der religiösen Bildformel der Beweinung Christi und bildet gleichsam eine Kapsel der Kontemplation in dem bewegten Geschehen. Die hier Versammelten sind gleichwohl noch empfanglich für die vom Schlachtfeld übermittelte Kunde von der Flucht der Feinde. Von dem gestikulierenden Offizier mit der erbeuteten französischen Fahne am linken Bildrand, über die auf ihn weisenden Personen im Vordergrund, die seine Botschaft schon vernommen haben, bis zu dem sterbenden General, der gerade noch genug Lebenskraft besitzt, um die Mitteilung aufzuneh57

men und zu kommentieren , inszeniert das Bild die Genese einer Siegesmeldung, die von der kolonialen Peripherie bis in die Metropole getragen werden wird. Für die Dramaturgie des Bildes nicht minder bedeutsam ist die Gegenrichtung zu dieser Nachrichtenübermittlung: Sie besteht in der Vorwärtsbewegung der britischen Truppen vom Erklimmen der Klippen rechts bis zum Gefecht links und folgt einer vom Schicksal des Kommandanten unabhängigen Eigendynamik.58 So bleibt festzuhalten, daß Wests Komposition neben und in Konkurrenz zu dem titelgebenden Hauptereignis eine Fülle von auktorialen Hinzufugungen und erzählerischen Supplementen enthält. Dies betrifft nicht zuletzt die Einfügung von Personen, die nachweislich bei dem Ereignis nicht an-

Von Erffa, Staley, The paintings of Benjamin West (wie Anm. 2), 213. Angeblich habe Wolfe mit seinen letzten Worten („Now, God be praised, I will die in peace") noch auf die Siegesmeldung reagieren können. Einem größeren Publikum wurde diese Sentenz durch den Kampagnenbericht von Kapitän John Knox bekannt: An Historical Journal of the Campaigns in North America for the Years 1757, 1758, 1759, and 1760, 2 Bde., London 1769 (ND Toronto 1914—1916, 3 Bde.), hier Bd. 2, 114. Durch diese Fokussierung wird Wests Gemälde zu einem sprechenden Bild, das wie die Anekdote aus einem als authentisch angenommenen prägnanten Ausspruch der Hauptperson entwickelt worden ist. Zur Anekdote als bevorzugte narrative Erinnerungsform in der populären Rezeptionsgeschichte des Siebenjährigen Krieges vgl. Walle, Der Siebenjährige Krieg (wie Anm. 1), 104—112. Dennis Montagna, Benjamin West's The Death of General Wolfe: Α Nationalist Narrative, in: American Art Journal 13/2 (1981), 72-88, erinnert unter Rückgriff auf zeitgenössische Quellen daran, daß Wolfe zu einem Zeitpunkt verstarb, als die Ersteigung der zum Sankt-Lorenz-Strom steil abfallenden Klippen durch das britische Korps bereits seit fünf Stunden abgeschlossen war, ebd., 78.

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wesend waren. 5 9 Auch w e n n man dem im mittleren 19. Jahrhundert aufkommenden Gerücht keinen Glauben schenken will, West habe gegen Bezahlung Personen im Bild verewigt und dadurch die historisch bezeugte Zahl v o n drei Begleitern bei dem sterbenden Kommandeur auf dreizehn erhöht 60 , so bleibt die u m den General versammelte „over-abundance o f witnesses" 6 1 auffällig. Sie erklärt sich, genau wie die im Hintergrund entfaltete Bilderzählung, aus der paradox anmutenden Funktion, die Aufmerksamkeit des Betrachters v o n der Figur des Sterbenden abzuziehen. Bildlich vorzufuhren, daß der Ruhm des James W o l f e mit dem Ende seines Lebens begonnen habe - w i e Horace Walpole es formulierte 6 2 - , war ein gewagtes Unterfangen: Trotz aller religiösen Verbrämung kann sich die behauptete Exemplarik dieses Sterbens nicht gegen die Massenhaftigkeit der vielen anderen Tode im U m f e l d des „Helden" durchsetzen. Gegen jede historische Wahrheit und szenische Wahrscheinlichkeit ist außer W o l f e kein Toter oder Sterbender auf Seiten der Briten zu erkennen. 6 3 D o c h gerade deshalb gilt: D i e

Den Aufzeichnungen von John Rnox zufolge, haben sich drei Personen um den verwundeten General gekümmert, Lieutenant Henry Browne und ein Freiwilliger namens Henderson werden namentlich genannt, vgl. Knox, An Historical Journal (wie Anm. 57) Bd. 2, 114. Browne wurde später in dem Gemälde mit dem hinter dem General stehenden Fahnenträger identifiziert. Wichtigstes Mittel der Identifizierung ist ein 1776 publizierter Stich von William Woollett, der die Köpfe von sechs Bildfiguren namentlich benennt; es handelt sich dabei um fünf Offiziere aus Wolfes Stab und den Leiter des Feldlazaretts, vgl. Abrams, The Valiant Hero (wie Anm. 49), 176, Abb. 106. Es ist zurecht darauf verwiesen worden, daß West bei den übrigen sechs Soldaten wahrscheinlich keine Porträtähnlichkeit intendiert hat, sonst hätte er diese auch in den erläuternden Stich aufnehmen lassen. Doch gerade diese Unbestimmtheit war die Voraussetzung dafür, daß in der Folge immer wieder neue Identifizierungen vorgenommen wurden, nicht selten von Nachfahren der an dem Feldzug beteiligten Offiziere. Daß der Künstler eine ideelle Trauergemeinde um den sterbenden General versammeln wollte, die sich durch unbedingte Loyalität gegenüber dem Helden auszeichnet, wird auch dadurch unterstrichen, daß hochrangige Offiziere, die sich kritisch gegenüber Wolfe geäußert hatten (wie George Townshend), nicht aufgenommen wurden, vgl. Abrams, The Valiant Hero (wie Anm. 49), 178. Der im Vordergrund sitzende Indianer ist gleichfalls eine freie Zutat Wests, an der Schlacht um Quebec nahmen auf britischer Seite keine indigenen Kämpfer teil, vgl. Von Erffa, Staley, The Paintings of Benjamin West (wie Anm. 2), 212. 60

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Vgl. dazu Abrams, The Valiant Hero (wie Anm. 49), 174 f. mit Anm. 19, die diesen kommerziellen Aspekt der Porträtähnlichkeit nicht ausschließen will; Von Erffa/Staley, The Paintings of Benjamin West (wie Anm. 2), 212, halten diese Überlieferung für „not convincing". Montagna, Benjamin West's The Death of General Wolfe (wie Anm. 58), 77, Anm. 10: „West's inclusion of an over-abundance of witnesses to Wolfe's death could not have been due to ignorance of historical fact." „Wolfe's life terminated where his fame began", zitiert nach Coutu, Legitimating the British Empire (wie Anm. 46), 63. John Knox gibt die Zahl der der in der Schlacht vom 13. September 1759 getöteten britischen Soldaten mit 61 an, neun davon im Offiziersrang, darunter Wolfe als einziger Stabsoffizier. 588 Männer seien verwundet worden, darunter 51 Offiziere. Die Gesamtzahl der Getöteten, Verwundeten und Vermißten habe sich seinen Angaben zufolge auf 664 belaufen vgl. „A List of the Killed, Wounded, and Missing, on the 13th of September", in: Knox, An Historical Journal (wie

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Heraushebung des einen Todes macht die Anonymität der vielen anderen erst offenkundig. Der Tod auf dem Schlachtfeld, stets präsent und letztlich zufallsbehaftet, ist noch kein Ausweis des Heroischen, er ereilt Freund und Feind, den Feigen wie den Tapferen.64 Trotz seiner privilegierten Bildposition tritt in Wests Gemälde „der sterbende Held bereits in den Hintergrund, die angemessene Reaktion der anderen wird zum eigentlichen Inhalt der Darstellung. Es geht weniger um seinen Tod, als um die Verpflichtung der Lebenden."65 Dieser appellative Charakter war allerdings zum Zeitpunkt der öffentlichen Präsentation noch dringlicher geboten als im Jahre 1759. Das im Bilde vorgeführte einvernehmliche Miteinander von regulären Truppen, Kolonialmiliz und verbündeten indigenen Kriegern war zu Beginn der 1770er Jahre längst von den sich verschärfenden Auseinandersetzungen zwischen den Kolonisten und der britischen Krone überschattet. Kritische Stimmen, die vor einer Überdehnung des Empire und den schädlichen Folgen des mit ihm einhergehenden Wohlstands im Mutterland warnten, meldeten sich in der Öffentlichkeit zu Wort.66 Drohte in dieser Hinsicht Wests Gemälde unfreiwillig zu einem Zeugnis für den rasch voranschreitenden Kontrollverlust der imperialen Metropole über die koloniale Peripherie zu werden, so blieb der in dem Bild entfaltete Appell zur Einheit in anderer Hinsicht zukunftsweisend: Er zielte auf die in der American Army erstmals vollzogene Vereinigung von Engländern, Iren und Schotten67 ebenso wie auf das gleichberechtigte Nebeneinander von Land- und Seestreitkräf-

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Ашп. 57), Bd. 2, 118; eine namentliche Auflistung der getöteten und verwundeten britischen Offiziere in Bd. 3, 122-134. Die Gesamtverluste der Franzosen beziffert Knox auf annähernd 1500 Personen, mit dem Marquis de Montcalm und seinen Stellvertretern Senesergue und Saint-Ours starben während oder im Gefolge der Schlacht die drei ranghöchsten französischen Offiziere. Die Einsicht, daß die Erfindung des Schießpulvers das Kriegshandwerk „verdorben" habe, weil mit dessen Gebrauch die moralische Valenz des Todes in der Schlacht unwiderruflich entwertet worden sei, formulierte Charles Perrault, im übrigen ein überzeugter Parteigänger der „Modernen" in der Querelle des anciens et des modernes, bereits Ende des 17. Jahrhunderts. Mit modernen Schußwaffen könne jeder jeden töten, ein Rückschluß auf individuelle militärische Tugenden der getöteten oder überlebenden Kombattanten sei nicht mehr möglich: ,Д1 faut pourtant demeurer d'accord que l'invention de la poudre ä canon a gastd le mestier de la guerre; autrefois un brave homme estoit assure de ne perdre la vie que par la main d'un plus brave que luy, aujourd'huy le plus lasche soldat peut tuer d'un coup de fusil de derriere un mur le plus vaillant de tous les capitaines." Charles Perrault, Parallele des anciens et des modernes en се qui regarde les arts et les siences, Bd. 4, Paris 1697,115 f. So Michael F. Zimmermann zu Wests Gemälde, ders., Der Prozeß der Zivilisation und der Ort der Gewalt. Zur Darstellung von Gegenwart und Geschichte seit der Aufklärung, in: Germer/Zimmermann (Hg.), Bilder der Macht (wie Anm. 16), 37-88, Zitat: 56. Zur Koinzidenz zwischen der öffentlichen Präsentation von Wests Gemälde und der sich verschärfenden „imperial crisis" zu Beginn der 1770er Jahre siehe Coutu, Legitimating the British Empire (wie Anm. 46), 72. Diesen Aspekt betont nachhaltig Stephen Brumwell, Redcoats. The British Soldier and War in the Americas 1755-1763, Cambridge 2002, 289 f. Die schottischen Hochlandtruppen werden in Wests Gemälde von dem Offizier am linken Bildrand vertreten, der aufgrund des gut sichtbaren Tartan-Musters seines Kilts als Major Simon Fräser identifiziert worden ist, die neben ihm ste-

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ten; jene effiziente Verbindung von troops and tars, die für die militärische Eroberung und Sicherung des britischen Empire von entscheidender Bedeutung sein sollte.68 In diesem dichten Verweisgefuge darf allerdings eine entscheidende Leerstelle nicht übersehen werden: Sie betrifft die reale oder auch nur symbolische Präsenz des kämpfenden Königs. Wenn West die Wahl und Gestaltung seines Themas mit dem Hinweis rechtfertigte, der Schauplatz der Handlung liege weit außerhalb der geschichtlichen Welt des Altertums69, so war damit zugleich ein Imaginationsraum bezeichnet, in dem die feudal-dynastischen Bindungen des Alten Europa keine prägende Kraft mehr entfalten konnten. Das Unbehagen, das Georg III. gegenüber dem Gemälde gehegt haben soll, war wohl nicht zuletzt Ausdruck einer monarchischen Kränkung: in dem hier inszenierten modernen Heldenepos war auch der König nur ein Zuschauer unter vielen. Auch wenn die Topographie seines weifischen Stammlandes von „Lunenburg" bis „New Brunswick" in die kanadische Kolonie projiziert wurde, so wurde daraus noch längst keine conquete du roi. Der widerwillig vollzogene Erwerb von Wests Komposition für die königliche Sammlung war daher nur konsequent: Aus dem kämpfenden König war endgültig ein Käufer von Bildern weit entfernter Kämpfe geworden.

II. Der wilde und der gezähmte Krieg. Alte und neue Feindbilder Für den Siebenjährigen Krieg ist vielfach festgestellt worden, daß konfessionell geprägte Feindbilder keinen direkten Einfluß mehr auf die zeitgenössische Darstellung und 70

Deutung des Kriegsgeschehens erlangt haben. Je nach Schauplatz und beteiligten Konfliktparteien bedarf diese Einschätzung sicherlich der Differenzierung. In der medialen Flankierung und Legitimation der eigenen Kriegsführung konnte und wollte fast keiner der involvierten Staaten auf das leichthin abrufbare konfessionelle Ressentiment verzichten. Ein unmittelbar nach der Schlacht von Roßbach am 5. November 1757 publiziertes preußisches Flugblatt verweist daher ausdrücklich auf den „Göttlichen Beistand", der den eigenen Truppen unter Führung des „in hoher Person" kommandierenhende Person in der Ranger-Uniform ist mit William Johnson, einem gebürtigen Iren, in Verbindung gebracht worden, auf seinem Pulverhorn findet sich die Inschrift: „Sr. Wm. Johnson / Mohawk River", vgl. Von Erffa, Staley, The Paintings of Benjamin West (wie Anm. 2), 212. Vgl. Montagna, Benjamin West's The Death of General Wolfe (wie Anm. 58), 83. In der Lesart seines Biographen John Galt habe West die Kritik an der Verwendung zeitgenössischer Uniformen mit der Bemerkung zurückgewiesen, daß von ihm dargestellte Ereignis habe stattgefunden „in a region of the world unknown to the Greeks and Romans, and at a period of time when no such nations, nor heroes in their costume, any longer existed." Gait, The Life and Studies of Benjamin West (wie Anm. 8), Bd. 2, 49. Vgl. den programmatischen Titel bei Johannes Burckhardt, Abschied vom Religionskrieg. Der Siebenjährige Krieg und die päpstliche Diplomatie, Tübingen 1985.

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den Königs gegenüber einem zahlenmäßig weit überlegenen Feind den Sieg gebracht 71

habe (Abb. 5). Die Schlachtdarstellung in dem Bildfeld ist gekennzeichnet durch die analog zur Leserichtung des Textes entwickelte Bewegung von Reit- und Fußsoldaten, deren Vorwärtsdrang die Gegner nichts entgegenzusetzen vermögen. Gegenüber der Beischrift, die den errungenen Sieg der preußischen Truppen als Faktum behandelt, zeigt die bildliche Darstellung ein Stadium der Schlacht, in der sich der Ausgang erst abzuzeichnen beginnt. Eine Identifizierung der Truppen ist überhaupt nur durch die mitgeiuhrten Fahnen und Standarten möglich, um die im linken Vordergrund ein mit gezogenen Blankwaffen geführter Kampf begonnen hat. In der Himmelszone erscheint auf Seiten der Preußen der Kriegsgott Mars, dessen erhobenes Schwert die Hauptkampfrichtung zeichenhaft akzentuiert. Auf der illusionistisch eingefügten Papierrolle in den Krallen des preußischen Adlers werden Avers und Revers einer Medaille vorgezeigt, die auf die künftige numismatische Beglaubigung des Sieges verweist.72 In der hybriden Vermengung der Darstellungsebenen und Zeichensysteme werden verschiedene, in unterschiedlichen kulturellen Traditionen wurzelnde Legitimationsinstanzen aufgerufen. So wird die in der Bildlegende enthaltene Referenz auf den biblischchristlichen Gott im Dreiecksymbol mit dem allsehenden Auge auf dem Schild des heidnischen Kriegsgottes aufgegriffen. Die sich wechselseitig stützenden Zeichensysteme verweisen auf die Schwierigkeit, dem in aller Drastik entfalteten Schlachtgeschehen einen metaphysischen Sinn zuzuordnen. Die Hoffnung, daß Gott „ferner Glück zu unsers Königs Waffe" geben möge, bringt der abschließende Vers der Bildbeischrift zwar zum Ausdruck, doch worin die in der Medaillendevise für die preußische Seite reklamierte „bona causa" eigentlich bestehe, bleibt unbestimmt. Daß die Präsenz und Truppenführung des Königs eine entscheidende Prämisse für den preußischen Sieg dargestellt habe, deutet die Beischrift an, im Bild ist der Monarch allenfalls in den heraldischen Symbolen seiner Dynastie präsent. Obschon für Friedrich II. religiös-konfessionelle Aspekte weder in seinem Herrschaftsverständnis noch in seiner Kriegsführung von Bedeutung waren, wird ihm eine an vergangene Glaubenskriege gemahnende konfessionelle Kolorierung der aktuellen Auseinandersetzung in Hinsicht auf die dadurch zu erzielende mobilisierende Wirkung

Zu dem Blatt vgl. Ausst.-Kat. Das weltliche Ereignisbild (wie Anm. 5), 33 f., Kat.-Nr. 1. Dort auch der Hinweis, das in der Beischrift angeführte Zahlenverhältnis („Preußische Armee bestund aus 20000 Mann; Feindliche Armeen sich auf 70000 Mann belaufen") könne als ein - moderates - Beispiel für die gezielte militärische Desinformation betrachtet werden, mit der Friedrich II. die öffentliche Meinung im In- und Ausland zu beeinflussen suchte. Die nach numismatischen Konventionen gestaltete Medaille hat wahrscheinlich fiktiven Charakter. Unter den bei Manfred Olding, Die Medaillen auf Friedrich den Großen von Preußen 1712 bis 1786, Regenstauf 2003, Nr. 606-618 aufgeführten Prägungen zur Schlacht von Roßbach läßt sich dieser Entwurf nicht nachweisen. Auch die Devisen „Amat Victoria Curam" und „Tandem Bona Causa Triumphat" sind nach Olding nicht für Medaillen der friederizianischen Zeit verwendet worden.

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kaum unrecht gewesen sein.73 Gerade weil Flugblätter dieser Art unserem heutigen Verständnis von medialer Breitenwirkung noch am nächsten kommen, ist aufschlußreich, daß die Sinngebung des Konflikts vermittels einer vagen, gleichwohl an Bildungswissen geknüpften Allegorik geleistet wird, die mit dem konkret benannten Schlachtereignis in keinen engeren Zusammenhang tritt und daher weitgehend austauschbar wirkt. Nationale Ressentiments, vor allem ein ausgeprägter Franzosenhaß auf Seiten der preußischen Truppen, wie ihn die borussische Geschichtsschreibung als entscheidenden Faktor der Schlacht von Roßbach später diagnostizieren wollte, werden hier jedenfalls nicht bedient.74 Für die weitere Entwicklung läßt sich eine Verschiebung des religiös-konfessionell geprägten Freund-Feind-Schemas in zwei Richtungen beobachten: Zum einen wurde der vordergründig säkularisierte Krieg auf eine Affektstruktur zurückgeführt, die sich in ihrer Intensität und ihren desaströsen Folgen von dem „alten" religiösen Fanatismus faktisch nicht unterscheidet. Der neue Verblendungszusammenhang sei indessen weniger leicht zu durchschauen, da er sich der „modernen" Attribute der Vernunft und Zivilisation bediene, so Voltaire in seinem satirisch-philosophischen Roman Candide, ou l'optimisme, der im dritten Kriegsjahr 1759 erschien und in den politisch-militärischen Eliten der kriegführenden Staaten durchaus rezipiert wurde.75 Zum anderen, und diese Denkfigur erzielte eine wesentlich größere publizistische Breitenwirkung, ließ sich die nachlassende Attraktivität einer konfessionell bestimmten Kriegssemantik zeitgemäß aktualisieren, indem sie in die asymmetrische Kontrastbildung zwischen zivilisiertgesitteten Nationen und barbarischen Völkern überfuhrt wurde. Diese Kontrastbildung speiste sich aus einer antik-alteuropäischen und einer neuzeitlich-nordamerikanischen Wurzel. Der seit den frühen 1750er Jahren in Frankreich nachweisbare Vergleich der aktuellen hegemonialen Rivalität mit England als Parallele zum Konflikt zwischen Rom und Karthago (mit Großbritannien als neuzeitlichem Nachfolger der punischen Seemacht), suchte den Rivalen imaginativ aus dem Kreis der gesitteten europäischen Nationen zu entfernen und auf den Status eines „afrikanischen", an der Barbaresken-Küste

Zur Forcierung der religiös und konfessionell bestimmten Deutungsdimension der Schlacht, wie sie breitenwirksam vor allem von Predigern im protestantischen Raum betrieben wurde, siehe Thomas Nicklas, Die Schlacht von Roßbach (1757) zwischen Wahrnehmung und Deutung, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte (N. F.) 12 (2002), 35-51, hier 45-48. Vgl. die sorgfältige Dekonstruktion dieses Topos bei Sascha Möbius, „Haß gegen alles, was nur den Namen eines Franzosen fiihret"? Die Schlacht bei Roßbach und nationale Stereotype in der deutschsprachigen Militärliteratur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Jens Häseler, Albert Meier (Hg.), Gallophobie im 18. Jahrhundert, Berlin 2005, 123-158. Vgl. Sven Externbrink, „Que l'homme est cruel et michant!" Wahrnehmung von Krieg und Gewalt durch französische Offiziere im Siebenjährigen Krieg, in: Historische Mitteilungen 18 (2005), 4 4 - 5 8 , dort auch Hinweise zur Rezeption des Candide in französischen Militär- und Diplomatenkreisen. Zur Intervention Voltaires in die Affäre Byng und deren Thematisierung im Candide, vgl. Cardwell, Arts and Arms (wie Anm. 39), 170f.

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lokalisierbaren Aggressors zu reduzieren.76 Angesichts einer nicht zu übersehenden Positivierung des England-Bildes in der literarischen Öffentlichkeit Frankreichs seit der Fleury-Ära, an der die philosophes von Voltaire bis Montesquieu nicht unerheblichen Anteil hatten, muß fraglich bleiben, ob diese antik inspirierte Projizierung eines neuen Barbarentums auf die englische Nation auf allgemeine Akzeptanz gestoßen ist. Ungleich wirksamer war der Re-Import des Barbaren-Verdikts über den Umweg des nordamerikanischen Kriegsschauplatzes.77 Den Auftakt hierzu bildete die so genannte Jumonville-Affäre vom 28. Mai 1754. Der französische Offizier Joseph Coulon de Jumonville war damit beauftragt worden, den britischen Siedlern im oberen Ohiotal eine Erklärung Ludwigs XV. zur Kenntnis zu bringen, in der die territorialen Ansprüche Frankreichs in dieser umstrittenen Region bekräftigt wurden. Unter dem Kommando von George Washington stehende Milizsoldaten hatten Jumonvilles Lager dank indianischer Hilfe aufgespürt, wobei es zu einem kurzen Kampf kam und die Franzosen überwältigt wurden. Der Washington begleitende Indianerhäuptling tötete den verwundeten Jumonville. Der Vorfall erregte in Frankreich landesweites Aufsehen, galt er doch als Beweis fur die von keinem Ehrenkodex oder 78

Kriegsrecht gezügelte Mordgier der britischen Kolonialmiliz. Französische Propagandisten wurden nicht müde zu betonen, daß dieser barbarische Akt nicht als Folge einer schleichenden Verwilderung im rauhen Klima Nordamerikas zu betrachten sei, sondern als Ausdruck einer den Engländern eigentümlichen Brutalität. Selbst die - überwiegend mit den französischen Kolonisten verbündeten - Indianer wären zu dergleichen Grausamkeiten nicht fähig, eine Differenzierung, die in der begrifflichen Unterscheidung zwischen „barbare" und „sauvage" zum Ausdruck kam. 79 Die Reversibilität des Barbaren-Verdikts wurde indessen spätestens mit der im Jahre 1757 erfolgten Übergabe von Fort William Henry an die Franzosen unter Beweis gestellt. An den zuvor nach europäischen Konventionen ausgehandelten ehrenhaften Abzug der Garnison und aller Zivilpersonen fühlten sich die indianischen Verbündeten der französischen Armee nicht

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Vgl. hierzu Dziembowksi, Un nouveau patriotisme frangais (wie Anm. 24), 83-86. Vgl. dazu die mentalitätshistorisch angelegte Studie von Stephen Brumwell, White Devil: a True Story of War, Savagery, and Vengeance in Colonial America, Cambridge (Mass.) 2006. Vgl. David A. Bell, Jumonville's Death: War Propaganda and National Identity in EighteenthCentury France, in: Colin Jones, Dror Wahrman (Hg.), The Age of Cultural Revolutions: Britain and France, 1750-1820, Berkley/Los Angeles 2002, 33-61, hier 33-39, Dziembowksi, Un nouveau patriotisme franqais (wie Anm. 24), 81 f. Dziembowski zitiert aus dem 1759 publizierten Erfolgspoem Jumonville von Antoine-Leonard Thomas, in dem die Milizionäre mit solchen Versen charakterisiert werden: „L'Anglois ivre de sang pousse un cri dans les cieux, / Et sa barbare joie 6tincelle en ses yeux." Vgl. Bell, Jumonville 's Death (wie Anm. 78), 58 f.

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gebunden und griffen die abmarschierenden Briten an. Nun war es an der englischen 80 Presse, „Gallic cruelty" gegen „British humanity" auzuspielen. In jüngeren Studien ist nachdrücklich darauf verwiesen worden, daß diese kontraststeigernden Polarisierungen vor allem halfen, eine erst rudimentär vorhandene nationale Identität in den jeweiligen Monarchien herauszubilden. Dies galt für das innerlich noch keineswegs vereinigte Königreich von Großbritannien ebenso wie für Frankreich, wo die Bevölkerung gleichsam dazu erzogen werden mußte, den Krieg nicht als dynastische Angelegenheit von König und Kabinett, sondern als eine nationale Aufgabe zu betrachten.81 In dieser Konstruktionsphase nationaler Identität wurden einerseits Prozesse der Entdifferenzierung freigesetzt, wie die ideelle Aufhebung der Standesunter82

schiede im citoyen , andererseits wurden Unterscheidungen nationaler oder ethnischer Art dauerhaft essenzialisiert. Es blieb abermals Benjamin West vorbehalten, diese durchaus miteinander konkurrierenden Eigen- und Fremdbilder in einem zeitgenössischen Historiengemälde ikonisch zu verdichtet zu haben. Im Gegensatz zum Tode des Generals Wolfe war diesem Versuch kein Erfolg beschieden. Früh aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit geraten, hat dieses Gemälde 83 erst in jüngster Zeit wieder das Interesse der Forschung auf sich gezogen (Abb. 6). Das nach 1764 vollendete Werk greift einen gut zehn Jahre zuvor stattgefundenen Vorfall aus der Frühphase des French and Indian War auf. Während der Schlacht von Lake George im September 1755 war der Kommandeur der regulären französischen Truppen, Freiherr Johann Erdmann von Dieskau, schwer verwundet wor-

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Zu dem Ereignis und seiner Rezeption unter den Siedlern sowie in Europa siehe die detaillierte Studie von Ian Kenneth Steele, Betrayais: Fort William Henry and the ,MassacreNew York 1990. Vgl. Bell, Jumonville's Death (wie Anm. 78), 52. Die Propagierung des Krieges als nationale Aufgabe wurde in Frankreich maßgeblich von dem im Januar 1761 zum Kriegsminister ernannten Due de Choiseul vorangetrieben, der wenige Monate später auch das Marine-Ministerium übernahm. Seine im Winter 1761/1762 lancierte Aktion „dons des vaisseaux au roi" regte eine bis dahin unbekannte, alle Stände erfassende Spendenfreudigkeit an, die den Bau von 14 neuen Kriegsschiffen ermöglichte; eines davon wurde bezeichnenderweise Citoyen getauft. Choiseul orientierte sich bei diesem Appell an den „patriotischen Opferwillen der Nation" unverkennbar am Vorbild William Pitts, der König fungiert in dieser Kampagne buchstäblich nur noch als Galionsfigur für eine nationale Rüstungsanstrengung, vgl. Dziembowski, Un nouveau patriotisme frangais (wie Anm. 24), 458—472. Eine signifikante Häufung des Begriffs „citoyen" als Kategorie der politischen Rhetorik läßt sich in Frankreich in den frühen 1760er Jahren beobachten, vgl. Dziembowski, Un nouveau patriotisme frangais (wie Anm. 24), 464. Öl/Leinwand, 129,5 χ 106,5 cm, Derby Museum and Art Gallery, vgl. Von Erffa, Staley, The Paintings of Benjamin West (wie Anm. 2), Kat.-Nr. 92. Eine differenzierte Interpretation des Werkes bietet die Studie von Courtney Noble, Rescuing Difference: Ambigous Heroism in Benjamin West's „General Johnson Saving a Wounded French Officer from the Tomahawk of a North American Indian ", in: Immediations. The Research Journal of the Courtauld Institute of Art 1 (2004), 60-75.

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den. Sein Gegenspieler, General William Johnson, konnte verhindern, daß der Baron von den auf britischer Seite kämpfenden Mohawks getötet und skalpiert wurde. In der Folge gelangte von Dieskau als Kriegsgefangener nach England und lebte ab 1760 wieder in Frankreich. Daß West den kriegsversehrten Dieskau persönlich getroffen hat, ist nicht bezeugt. William Johnson hingegen, ein gebürtiger Ire, der seit 1756 das Amt des Superintendent of Indian Affairs in den dreizehn Kolonien innehatte, war dem Maler aus seiner Jugendzeit in Amerika bekannt.85 Wie in einem Probelauf für den Tod des Generals Wolfe liest West ein Ereignis, das ihm aus Zeitungsberichten geläufig war, in ein klassisches Bildformular ein: Die Anordnung der passiven Liegefigur rechts, einer dominierenden Zentralfigur und einer dynamisch-aktiven Figur links greift auf das ikonographische Schema des Herkules am Scheideweg zurück, nicht ohne wesentliche Umbesetzungen vorzunehmen, die die moderne Fassung dieses exemplum virtutis mehrdeutig und komplex erscheinen lassen.86 Johnson, an der Grenze zwischen der hellen Welt der kolonialen Ordnung und dem kreatürlichen Dunkel des Urwaldes agierend, hat die Entscheidung für die Tugend schon in sich hineingenommen, so daß für den Indianer nur noch das äußerliche Attribut des Heroischen, nämlich die Nacktheit des kräftigen Körpers ohne dessen sittliche Veredelung, übrigbleibt. Dieskaus Lage gemahnt an weiblich konnotierte Schwäche und Schutzbedürftigkeit; im Kontext der allegorischen Dramaturgie füllt er die Rolle der Lasterhaftigkeit aus. Der hilflose Kommandeur wird schon rein koloristisch als Fremdkörper stigmatisiert; der redcoat Johnson und die „Rothaut" bilden hingegen einen Farbakkord, der, trotz des momentanen Antagonismus, Koalitionsfahigkeit signalisiert. Johnson, der gegen Bedenken in den Kolonien und seitens der britischen Generalität die Einbindung der zum Stammesverbund der Irokesen zählenden Mohawks in die Kriegsführung durchsetzte87, ist hier mit der Zähmung jener Geister beschäftigt, die er selbst gerufen hatte. Sein bestimmender Gestus verweist den Indigenen in den Wald zurück, wo er seinen Sitten und Gebräuchen (das Skalpieren Inbegriffen) nachgehen könne, nicht aber auf der „Lichtung der Zivilisation". Im Tod des Generals Wolfe wird 84

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Johann Erdmann von Dieskau (28. Februar [?] 1701 - Oktober 1767), stammte aus einem sächsischen Adelsgeschlecht und kam 1720 mit Moritz von Sachsen nach Frankreich. Im Februar 1755 wurde er nach Kanada gesandt, wo sein aktiver Dienst aufgrund der erlittenen Verwundungen und der nachfolgenden Gefangennahme nur wenige Monate dauerte, vgl. James R. Turnbull, Dieskau, Jean-Armand (Johan Herman?), in: Dictionary of Canadian Biography, Bd. 3: 1741-1770, Toronto 1974,185 f. Die dortige Angabe, Dieskau sei mit dem Friedensschluß 1763 nach Frankreich zurückgekehrt, kann nicht zutreffen, da ihn Diderot bereits Anfang November 1760 in der Nähe von Paris getroffen hat, s. u. Zur Beziehung zwischen Johnson und West vgl. Vivien-Green Fryd, Rereading the Indian in Benjamin West's „Death of General Wolfe", in: American Art 9/1 (1995), 72-85, bes. 74-77. Vgl. Noble, Rescuing difference (wie Anm. 83), 63 f. Vgl. Kevin R. Muller, Pelts and Power, Mohawks and Myth: Benjamin West's Portrait of Guy Johnson, in: Winterthur Portfolio. A Journal of American Material Culture 40 (2005), 47-75, bes. 64 f.

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diese Zähmung und moralische Kultivation indianischer „Kriegslust", versinnbildlicht durch den im Vordergrund hockenden Mohawk-Krieger, als vollendet vorgeführt. Johnsons beherzte Intervention kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich aus dem hier in Szene gesetzten clash of war cultures alles andere als eine eindeutige moralische Botschaft destillieren läßt: Der General setzt die Schonung eines potentiellen Opfers durch, indem er dem verbündeten Mohawk andere anweist, mit denen dieser außerhalb der kolonialen Ordnung nach angestammtem Brauch verfahren könne. Die im Mittelgrund befindlichen beiden britischen Infanteriesoldaten bleiben unbeteiligt; weder die beabsichtigte Tötungshandlung des Indianers an dem „französischen" Feind noch deren energische Unterbindung durch ihren militärischen Vorgesetzten kann sie zum Eingreifen bewegen. Gerade diese Indifferenz auf Seiten der gemeinen Soldaten bringt aber erst eigentlich die enge Beziehung zwischen Johnson und Dieskau zum Ausdruck: Sie tragen zwar die Waffenröcke miteinander Krieg führender Armeen, aber zugleich sind sie durch ihren Offiziersrang eng miteinander verbunden. Es ist eben diese Verpflichtung auf einen gemeinsamen Ehrenkodex, die den Iren in britischen Diensten dazu bewegt, den Sachsen in französischen Diensten vor der Verstümmelung und Tötung zu bewahren.88 Die stehenden Heere Europas waren stratifiziert wie die ständische Gesellschaft, die sie hervorgebracht hatte. Daraus ergab sich eine weitgehende soziale Homogenität der jeweiligen Offizierkorps, die sich im Falle militärischer Konfrontation wechselseitig einen über den Begriff der Ehre definierten privilegierten Status zubilligten. Die Beachtung dieser reziprok angelegten Regeln der „Ritterlichkeit" stellte nicht zuletzt eine wichtige Bedingung für eine „leichte Rückkehr zum Frieden" dar.89 Betrachtet man die in der europäischen Öffentlichkeit heftig diskutierten Ereignisse des nordamerikanischen Kriegsschauplatzes - von der Jumonville-Affäre bis zur Attacke auf die abziehende Garnison von Ford William Henry - genauer, so wird erkennbar: Stets handelte es sich dabei um Begebenheiten, in denen Offiziere Opfer „unehrenhafter" Behandlung durch den Feind geworden waren oder als Befehlshaber in eklatanter Weise gegen diesen Ehrenkodex verstoßen, oder diese Verstöße toleriert hatten. Das reziprok verwendete Barbaren-Verdikt gibt sich damit als ein diskursives Ventil zu erkennen, das dieser Bedeutungserosion des Offiziers als wirksame moralische Instanz im kriegerischen Konflikt Ausdruck verlieh.

Für das zeitgenössische Verständnis des Vorgangs ist der Umstand wichtig, daß Dieskau aus dem Kampf ausgeschieden war und sich im Gewahrsam des Gegners befand. Ihn in dieser Lage erneut zu attackieren, widersprach fundamental europäischen Kampfkonventionen. Doch häuften sich auch auf den europäischen Kriegsschauplätzen Verstöße gegen den Grundsatz, das Leben von sich ergebenden Kombattanten zu schonen. Der österreichische Offizier Jacob von Cogniazo (1732-1811) verglich in seinem Rückblick auf den Siebenjährigen Krieg (Geständnisse eines Östreichischen Veterans [...], Teil 3, Breslau 1790, 162) das Töten von sich Ergebenden ausdrücklich mit dem „Scalpiren der Haarschedel der Illinoisen", vgl. dazu Möbius, „Haß gegen alles, was nur den Namen eines Franzosen flihret? " (wie Anm. 74), 135, Anm. 55. Vgl. Externbrink, „ Que l'komme est cruel et mechant" (wie Anm. 75), 55.

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Diese Problematik ließ sich in der räsonierenden Öffentlichkeit Europas sicherlich leichter ideologisch regulieren, wenn man sie in zivilisatorische Grenzbereiche projizierte. West hat mit seinem Gemälde aktiven Anteil daran: Als Offizier und Gentleman wehrt Johnson eine Attacke ab, die in letzter Instanz ihm selber gilt. Die indianische Kriegsführung war nur ein - von der europäischen Öffentlichkeit freilich besonders begierig rezipiertes - Beispiel für die Tatsache, daß die an den militärischen Rang - und damit an den gesellschaftlichen Status - geknüpfte Stratifizierung von gefechtsbedingten Gefährdungen von Leib und Leben dramatisch an Gültigkeit zu verlieren begann. Auch auf den europäischen Kriegschauplätzen wurden - nicht zuletzt durch den vermehrten Einsatz weitreichender und zielgenauer Feuerwaffen - immer häufiger Offiziere verwundet, verstümmelt und getötet.90 Damit aber waren in viel höherem Maße als zuvor gesellschaftliche Schichten direkt und indirekt von physischen Kriegseinwirkungen betroffen, die zugleich aktiven Anteil an der entstehenden literarischen und debattierenden Öffentlichkeit nahmen. In diesen Kreisen mußten die zahlreichen bildnerischen Glorifizierungen von im Gefecht getöteten Offizieren, zu deren Hauptwerken Wests Tod des Generals Wolfe zählt, ein sensibilisiertes Publikum finden.91 Die gesteigerte Verwundungs- und Tötungsenergie des Krieges hatte unwiderruflich die mittleren und oberen Segmente der stratifizierten Gesellschaft erreicht. Diese Erfahrungen standen in einer unübersehbaren Spannung zu dem in diesen Schichten gepflegten Selbstbild als eines überkonfessionellen und bis zu einem gewissen Grade auch übernationalen Trägers kultureller Werte wie politeness und civilisation. Der Versuch, die sich daraus ergebenden Widersprüche durch die Einführung des ethnisch determinierten „Anderen" aufzulösen, wie in Wests Gemälde General Johnson und Baron von Dieskau, erwies sich indessen in hohem Maße als Resultat einer medialen Simplifizierung, die einer näheren Prüfung nicht standhielt. Dies mußte etwa Denis Diderot erfahren, als 90

Die hohen Mortalitätsraten im Offizierskorps sind nicht zuletzt auf den verstärkten Einsatz von zielgenauen Büchsen - im Gegensatz zu den wenig treffsicheren Flinten - bei berittenen Truppen zurückzuführen. So verlangte der französische Oberbefehlshaber Prinz von Soubise nach der Schlacht von Sangerhausen (23. Juli 1758), bei der zahlreiche Offiziere des von dem Due de Broglie kommandierten Armeekorps getötet worden waren, vom Kurfürstentum Hessen-Kassel die Abberufung der mit Büchsen bewaffneten Hessischen Jäger aus dem Heer Ferdinands von Braunschweigs und drohte bei Nichtbefolgung unter anderem damit, die Häuser der Regimentsangehörigen dem Erdboden gleich zu machen, vgl. Jürgen Lüh, Flinte, Büchse, Bajonett. Überlegungen zu einer Kulturgeschichte des Krieges im Zeitalter der Stehende Heere, in: Thomas Fuchs, Sven Trakulhun (Hg.), Das eine Europa und die Vielfalt der Kulturen. Kulturtransfer in Europa 1500-1800, Berlin 2003, 329-338, bes. 334 f.

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Exemplarisch genannt seien folgende Werke aus dem angelsächsischen Raum, die in direkter Nachfolge zum Tod des Generals Wolfe stehen: Tod des Majors Pierson von John Singleton Copley (1784, London, Tate Britain) sowie die drei Werke des amerikanischen Malers John Trumbull: Tod des Generals Warren in der Schlacht von Bunker Hill (1784—1786, New Haven, Yale University, Gallery); Tod des Generals Montgomery bei dem Angriff auf Quebec (1786, New Haven, Yale University, Gallery), Ausfall der Garnison von Gibraltar und Tod des spanischen Offiziers Don Jose de Barboza (1789, New York, Metropolitan Museum of Art).

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er Ende 1760 Baron von Dieskau persönlich kennenlernte und sich von ihm den Vorfall des Jahres 1755 schildern ließ, über den der Franzose bis dahin nur aus Zeitungsberichten informiert gewesen war.92 Die Begegnung veranlaßte Diderot zu einer grundsätzlichen Reflexion über den Stellenwert von oral history in ihrem Verhältnis zur bloßen 93

Lektüre (zeit-) geschichtlicher Ereignisberichte. Zu dieser Begegnung mit Zeitzeugen gehört auch die aufmerksame Registrierung der körperlichen und psychischen Spuren, die das Kampfgeschehen bei dem einstigen Soldaten hinterlassen hatte und die in den zeitgenössischen Kriegsdarstellungen, einerlei ob literarischer oder visueller Art, fast durchgängig euphemistisch behandelt wurden. Seiner Korrespondenzpartnerin Sophie Volland ersparte Diderot die Schilderung von Dieskaus schwerer Unterleibsverletzung nicht. Diese hatte der hilflos auf dem Schlachtfeld zurückgelassene Offizier jedoch nicht durch die Tomahawk-Attacke eines Indianers erlitten - wie Wests späteres Gemälde insinuieren sollte - , sondern durch den Musketenschuß eines französischen Deserteurs.94 Nach der von Diderot notierten Aussage Dieskaus hätten die mit den Briten verbündeten Irokesen an seiner Person Rache nehmen wollen für ihre im Kampf getöteten Anführer, was General Johnson mit knapper Not habe verhindern können. Das grausame Ritual der Skalpierung, dem Dieskau ohne die Intervention des Briten wohl nicht entgangen wäre, klassifiziert Diderot dabei als Indiz für den allenthalben verwerflichen Einfluß des Aberglaubens, da die Krieger hofften, durch die Anzahl der erbeuteten Skalps ihr Ansehen im Jenseits zu vergrößern. Das Bemühen des Aufklärers, trotz erdrückender Gegenbeweise das Dogma von der „bonte naturelle"95 des Menschen zu retten, gewinnt durch den reflexhaften Rückgriff auf Voltaires religionskritischen Impe-

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Die Begegnung fand Anfang November 1760 in dem von der Familie Holbach genutzten Chateau de Grandval südöstlich von Paris statt. Diderot berichtet in zwei Briefen an seine Freundin Sophie Volland darüber, vgl. Denis Diderot, Correspondance, hrsg. v. Georges Roth, Bd. 3, Paris 1957, Nr. 212 (datiert 3. November 1760) und Nr. 214 (datiert zwischen dem 2. und 8. November 1760). Ebd., 229 f. „Je crois vous avoir dejä parle du baron de Diesko. Si vous lisiez les gazettes, vous у auriez trouve son nom avec un eloge. II commandoit, il у a quatre ou cinq ans, aux environs de Quebec et de Montreal, une poign6e de Francois et de sauvages canadiens. II fut attaque par un corps considerable d'Anglois et de sauvages iroquois. L'inegalite du nombre ne l'effraya point. II tint ferme. Tous ses gens furent tallies en piece. II demeura, lui, etendu sur le champ de bataille, balafre en plusieurs endroits et une jambe rompue. II en eüt ete quitte pour cela, mais apres Taction, lorsqu'on depouilloit les morts, un deserteur fran^is qui lui remarqua quelque signe de vie, au lieu de le secourir, lui lächa son mousquet dans le bas ventre. II en eut la vessie crevee, les parties de la göneration endommagees, et il vit avec une jambe trop courte de quatre ä cinq pouces, avec un faux urethre pratique ä la cuisse, par lequel il rend les urines, si vous voulez appeler cela vivre." Ebd., 224. Diderot kleidet das ambivalente Fazit seiner Unterredung mit Baron von Dieskau in die rhetorische Frage: , 3 h bien! me direz-vous, ou est la bonte naturelle?" Ebd., 227.

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rativ Ecrasez l'infame kaum an Überzeugungskraft.96 Hatte 1755 die Erdbebenkatastrophe von Lissabon die alte Theodizee-Debatte erneut angeheizt, so stellte der zeitgleich entbrannte Krieg in Nordamerika die bis dahin größte Herausforderung an die optimistische Anthropologie der Aufklärung dar. Die Einschätzung, daß der 1756 begonnene Krieg sich von früheren Konflikten durch eine neue Intensität unterscheide, und eben darum die Gefahr in sich berge, zu einem regelwidrigen, ja regellosen Waffengang zu werden, ist keine nachträglich an das historische Geschehen herangetragene Beobachtung. Die rasche Abfolge von großen Schlachten, die sich Friedrich II. mit seinen österreichischen, französischen und russischen Gegnern lieferte, ist schon von den Zeitgenossen als außergewöhnlich registriert 97

worden. Auch hier wurden Projektionsfiguren konstruiert, denen das Menetekel des deregulierten Krieges angeheftet werden konnte. Aus preußischer Perspektive galten die Kosaken, die 1758 als Hilfstruppen in der Armee des russischen Generals Fermor auf dem pommerschen Kriegsschauplatz erschienen waren, als Inbegriff barbarischen Kriegertums. Während preußische Offiziere über die regulären russischen Truppen ob ihrer Ausdauer und Tapferkeit durchaus anerkennende Worte fanden98, verkörperten die Kosaken mit ihrer zum Teil asiatischen Physiognomie, ihrer mangelhaften Uniformierung und einer für Außenstehende schwer erkennbaren Kommandostruktur das atavistische Andere des disziplinierten Soldaten im Stehenden Heer. Solange das Zarenreich noch in die anti-preußische Koalition eingebunden war, mußten die multiethnischen Hilfstruppen dem Gegner unmißverständlich das unüberschaubare Potential an Völkerschaften vor Augen fuhren, das Rußland in diesen Krieg würde einbringen können. Für die Analyse der medialen Mechanismen, die im Verlaufe des Siebenjährigen Krieges zur Verbreitung und Verfestigung nationaler und ethnischer Stereotpye beigetragen haben, ist die Frage entscheidend, mit wel-

Vgl. die Analyse der zitierten Briefe Diderots bei Dziembowski, Un nouveau patriotisme frangais (wie Anm. 24) 116 f.; dort auch weitere Hinweise zu dem „relatif desinteret" der französischen Aufklärer, die Ereignisse des Siebenjährigen Krieges öffentlich zu kommentieren. Externbrink, „ Que l'komme est cruel et mechant" (wie Anm. 75), 51. Vgl. Möbius, „Haß gegen alles, was nur den Namen eines Franzosen fähret?" (wie Anm. 74), 142-144. Daß nicht alle russischen oder „moskowitischen" Kombattanten unterschiedslos als Barbaren denunziert wurden, belegt indirekt eine Radierung von Daniel Nikolaus Chodowiecki vom September 1758, die eine Gruppe von russischen Kriegsgefangenen zeigt, der von Berliner Bürgern (darunter der Künstler und seine Gattin) Almosen überreicht werden. Im Gegensatz zu den stattlichen preußischen Grenadieren, die die Gefangenen bewachen, werden die Russen zwar als ausgemergelte Personen in zerrissener Kleidung dargestellt, doch evoziert diese Charakterisierung eher Mitleid als Abscheu. Diese Lesart wird durch eine spätere eigenhändige Notiz des Künstlers zu der Darstellung bestätigt: „Diese abgerissenen Russen waren aus dem abgrebranden Cüstrin nach Berlin gebracht worden um nach Magdeburg geführt zu werden. Sie standen auf dem Schloßplatz halb verhungert und erwarteten die Ordre des Gouverneurs." Zitiert nach Wilhelm Engelmann, Daniel Chodowiecki's sämmtliche Kupferstiche, Leipzig 1857 (ND Hildesheim 1969), 11, Anm. 18.

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chen spezifischen Ereignissen diese Stereotype verkoppelt wurden, um auf diese Weise Einlaß in das kollektive Gedächtnis zu finden. Zur Langzeitwirkung des Verdikts von den barbarischen Kosaken hat wohl kein Ereignis mehr beigetragen als das Schicksal des Majors Ewald Christian von Kleist während und nach der Schlacht von Kunersdorf am 12. August 1759. Kleist war während der Schlacht schwer verwundet worden und in der darauffolgenden Nacht angeblich von Kosaken bis auf die Haut ausgeplündert und in einem Sumpf hilflos zurückgelassen worden. Ein russischer Offizier habe schließlich für den Abtransport des Schwerverletzten nach Frankfurt an der Oder gesorgt, wo Kleist am 24. August 1759 verstorben ist. Einem größeren Publikum wurde dieser Vorfall durch eine 1760 von Friedrich Nicolai verfaßte Gedenkschrift bekannt." Neben seiner militärischen Laufbahn hatte Kleist stets auch dichterische Ambitionen verfolgt und diese selbst während des Krieges fortgesetzt. Die kontraststeigernde Polarisierung zwischen dem verwundeten Dichter-Major und den ebenso mitleidlosen wie ignoranten Kosaken entfaltete ihre ganze affektive Wirkung erst im Empfindsamkeits-Kult des späten 18. Jahrhunderts. Die Dämonisierung der Kosaken erreichte mithin erst in der 1788 erstmals veröffentlichten Geschichte des siebenjährigen Krieges in Deutschland von Johann Wilhelm von Archenholz ihren Höhepunkt, wo die Erzählung von Kleists Schicksal den Autor dazu veranlaßte, die Kosaken auf eine Stufe zwischen Mensch und Tier zu stellen.100 Die Fokussierung der öffentlichen Phantasie auf diese Episode eröffnete nicht nur die Möglichkeit, die strukturelle Brutalität des Krieges als Einbruch ethnisch und kulturell differenter Aggressoren zu kodieren, sondern sie lenkte auch von der Frage ab, warum der Schwerverletzte von der eigenen Truppe schütz- und hilflos auf dem Schlachtfeld zurückgelassen worden war. Dieser bereits von Nicolai mit Stillschweigen bedachte Umstand101 hätte nicht 99

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[Friedrich Nicolai], Ehrengedächtniß Herrn Ewald Christian von Kleist, Berlin 1760. Nicolai, damals noch Buchhändler in Frankfurt/Oder, hat Kleist bis zu seinem Tode Beistand geleistet. Der Bruder, Gottlob Samuel Nicolai, hatte den Schwerverwundeten in sein Haus aufgenommen, vgl. Ingrid Patitz, Ewald von Kleists letzte Tage und sein Grabdenkmal in Frankfurt an der Oder, Frankfurt/Oder 1994, 3. „Die Cosaken, den Menschen an Gestalt ähnlich, in allem übrigen aber den Raubtieren aus Lybiens Wüste gleich, bei denen Rauben, Morden und Brennen gleichsam Instinkt, und Mitleid ein fremdes Gefühl war, fielen über den im Blut schwimmenden Kleist her." Johann Wilhelm von Archenholz, Geschichte des siebenjährigen Krieges in Deutschland von 1756 bis 1763 [erstmals Berlin 1788], in: Johannes Klinisch (Hg.), Aufklärung und Kriegserfahrung. Klassische Zeitzeugen zum Siebenjährigen Krieg, Frankfurt/Main 1996, 9-513, Zitat: 239. Nicolai weiß zu berichten, daß drei Soldaten den Schwerverletzten hinter die Front getragen hätten, wo ein Feldarzt mit dem Säubern der Wunden begonnen hatte, als dieser ebenfalls von einer Kugel getroffen wurde. Nach dieser Mitteilung fährt Nicolai unvermittelt fort: „Bald darauf kamen Cosaken, nahmen ihn [Kleist] alles, so gar Hemde, Hut und Peruque. Sie würden ihm auch getödtet haben, wenn er nicht mit ihnen pohlnisch hätte reden können, da sie ihm dann, in der Meinung, daß er ein Pole von Geburt sey, am Leben Hessen. Sie warfen ihn an einen Sumpf ins Nasse und Hessen ihn Hegen." Nicolai, Ehrengedächtniß (wie Anm. 99), 14 f. Die erzählerische Ellipse übergeht die zwischenzeitlich stattgefundene Flucht der preußischen Truppen.

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diskutiert werden können, ohne die in „panischem Schrecken" vollzogene Massenflucht der preußischen Armee zu erwähnen.102 Verursacht durch eine von Friedrich II. zu verantwortende, schwerwiegende taktische Fehlentscheidung, besiegelte diese, mit dem Odium unehrenhafter Feigheit belastete Flucht nicht nur die desaströse Niederlage der Preußen, sondern verhinderte auch die bei einem geordneten Rückzug übliche Bergung und Versorgung der Verwundeten. Aber auch in einem übertragenen Sinne war Kleist „Opfer" einer königlichen „Fehlentscheidung" geworden. Zählte er doch zu jenen Dichtern, die von Friedrich II. - selbst postum - keinerlei Wertschätzung erhoffen durften. Von „seinem König wegen seiner Deutschheit verkannt" worden zu sein, sei Kleists Schicksal gewesen, so Archenholz, der damit ein Hintergrundmotiv der KleistVerehrung in der literarischen Öffentlichkeit zum Ausdruck brachte: Indem man den Dichter ehrte, kritisierte man das ostentative Desinteresse des Königs an der deutschsprachigen Literatur.103 Der Anekdote verwandt, isoliert die Episode auch eine Begebenheit, die fortan losgelöst von dem übergeordneten Ereigniszusammenhang rezipiert werden kann.104 Sie bündelt Aufmerksamkeit, indem sie die Reflexion über diesen Ereigniszusammenhang im Hintergrund hält. Damit wird die Episode nicht nur zum idealen Medium einer selektiven Wahrnehmung, sondern auch anschlußfähig für Nebenbedeutungen und Subtexte, die sich immer weiter von dem primären Ereigniskontext entfernen können. Anekdote und Episode wurden daher zur bevorzugten Form, die komplexe Ereignisgeschichte des Siebenjährigen Krieges an ein nichtmilitärisches Publikum zu vermitteln. Auf visuellem Gebiet entspricht der Episode die Szene, deren Rezeption wiederum nicht die Kenntnis des übergeordneten realgeschichtlichen Zusammenhangs, wohl aber die der einschlägigen Episoden und Anekdoten voraussetzt. An einem von der Forschung weitgehend unbeachtet gebliebenen Beispiel läßt sich dieser Prozeß der Verselbständigung des Episodischen zum Szenischen nachvollziehen. Wohl um 1784 vollendete der zu dieser Zeit in den Diensten des Fürsten Friedrich Karl von Waldeck-Pyrmont stehende Maler Johann Friedrich August Tischbein eine großformatige Darstellung mit Ewald von Kleist als Opfer der plündernden Kosaken (Abb.

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Archenholz, Geschichte des siebenjährigen Krieges (wie Anm. 100), 236: „Die Schlacht [von Kunersdorf] war nun bald entschieden. Ein panisches Schrecken schien die ganze Preußische Armee zu ergreifen. Die Truppen flohen in den Wald, und nach den Brücken. Alle wollten zugleich herüber." Zur Diskussion des „panischen Schreckens" (bei Archenholz im Neutrum verwendet) in der Militärliteratur des 18. Jahrhunderts vgl. Möbius, „Haß gegen alles, was nur den Namen eines Franzosenßhret? " (wie Anm. 74), 134 f. Archenholz, Geschichte des siebenjährigen Krieges (wie Anm. 100), 239: „Unter den Preussen, die in dieser Schlacht bei Kunersdorf als Opfer des Kriegs-Dämons fielen, befand sich auch der Major Kleist, ein edler Deutscher, verehrungswürdig durch seinen Charakter, unsterblich durch seine Gesänge, von seinem König wegen seiner Deutschheit verkannt, von seinen Zeitgenossen kalt bewundert, aber gewiß von der späten Nachwelt gepriesen." Vgl. Walle, Der Siebenjährige Krieg (wie Anm. 1), 101,131.

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7).105 Hinter dem ambitionierten Vorhaben, diese Begebenheit in das Format eines Historiengemäldes zu überfuhren, wird der Einfluß von Wests Tod des Generals Wolfe spürbar. Fürst Friedrich hatte während eines Aufenthalts in London im Sommer 1775 bei West eine Replik der Zweitfassung des Gemäldes in Auftrag gegeben. 106 Neben einem genuinen Kunstinteresse dürfte dieser Auftrag zusätzlich motiviert gewesen sein von den Verhandlungen über die Gestellung eines Waldeckschen Regiments zur Unterstützung der Briten im Nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg, die Friedrich zu dieser Zeit in London führte. Soldatenhandel und Kunsterwerb konnte der Fürst zu seiner Befriedigung im Folgejahr abschließen. 107 Daß Tischbeins Gemälde als ein Gegenstück zum Tode des Generals Wolfe konzipiert worden ist, läßt bereits die annähernde Maßgleichheit der beiden Bilder vermuten. Durch diese Paarbildung rückten mit der Einnahme Quebecs und der Schlacht von Kunersdorf zwei Ereignisse zusammen, die sich beinahe zeitgleich im Spätsommer 1759 ereignet hatten und gleichwohl durch eine immense geographische Distanz von einander getrennt waren. In seltener Prägnanz wurden so im Schloss zu Arolsen die kontinentüberspannenden Dimensionen des Konflikts anschaulich. Auch in der Bilddramaturgie zeigt sich Tischbeins Werk von dem englischen Vorbild abhängig und geht zugleich noch einen Schritt darüber hinaus: Hatte West die Begebenheit von Wolfes Tod mit „Zeitzeugen" angereichert, die bei dem Ereignis nicht anwesend waren, so verfertigte Tischbein ein visuelles re-enactment, in dem es der Auftraggeber gleich selbst übernahm, die Handlungsrollen mit Personen aus seinem Umfeld zu besetzen. Der Fürst behielt es sich dabei vor, in die Rolle des verwundeten Majors von Kleist zu schlüpfen. Die Tatsache, daß der preußische Offizier in Tischbeins Gemälde auf frappierende Wei-

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Öl/Leinwand, ca. 157 χ 246 cm, Arolsen, Schloß, Kunstsammlung der Fürsten zu WaldeckPyrmont. Umfangreiches Faktenmaterial zu dem Werk, jedoch ohne schlüssigen Interpretationsansatz, bietet Olga Stieglitz, Johann Friedrich August Tischbeins Gemälde „Ewald von Kleist, nach der Schlacht bei Kunersdorf von Kosaken geplündert". Ein Ereignisbild vor dem Hintergrund des Siebenjährigen Krieges, in: Geschichtsblätterfiir Waldeck 82 (1994), 113-227. Öl/Leinwand, 153,7 χ 244,8 cm, signiert und datiert: „Painted by В. West / London 1776", Ann Arbor, University of Michigan, William L. Clements Library. Vgl. Von Erffa,Staley, The paintings of Benjamin West (wie Anm. 2), 214, Kat.-Nr. 95. Das Gemälde befand sich bis etwa 1927 im Besitz des Fürstenhauses Waldeck und ist nach einer Versteigerung an seinen heutigen Standort gelangt. Der Truppenvertrag wurde am 20. April 1776 in Arolsen unterzeichnet, vgl. Bruce E. Burgoyne, Waldeck Soldiers of the American Revolutionary War, Bowie (Md.) 1991, XIII. Der Auftrag des Fürsten an West könnte zusätzlich von der Tatsache motiviert gewesen sein, daß ursprünglich eine Verschickung des Regiments nach Kanada beabsichtigt war, ebd., VII. - Nach Erhalt des Gemäldes ließ der Fürst wiederum West ein höchst ungewöhnliches Gemälde zukommen: Es zeigte den Fürsten, wie er das Bild Tod des Generals Wolfe seinem Hofmaler Tischbein präsentierte. Dieses Gemälde wurde 1829 von Wests Erben unter dem Titel „Portrait of the Prince Waldeck, exhibiting Mr. West's Wolfe, to his principal History Painter" versteigert und ist heute nicht mehr nachweisbar, vgl. Von Erffa/Staley, The Paintings of Benjamin West (wie Anm. 2), 214, Kat.-Nr. 95.

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se Fürst Friedrich ähnelt, ist schon früh bemerkt worden und läßt sich durch ikonographische Vergleiche mit gesicherten Porträts des Fürsten erhärten.108 Darüber hinaus weiß die Arolser Lokalhistorie noch von weiteren Identifizierungen zu berichten. Für die beiden um die Kleidung des Verwundeten streitenden Kosaken sollen die jüdischen Hofagenten des Fürsten, Abraham Marc und Hirsch Stieglitz, als „Modell" gedient haben.109 Die nicht eben zahlreichen kunsthistorischen Untersuchungen zu dem Bild haben diese Überlieferung mit gebotener Skepsis behandelt. Gleichwohl ist das künstlerische Verfahren, historische oder mythologische Bildfiguren mit den Porträtzügen von Zeitgenossen darzustellen, für das 18. Jahrhundert vielfach bezeugt. Gerade im höfischen Kontext erfreute sich das portrait histoire großer Beliebtheit und erhielt durch die Unterhaltungspraxis des „Lebenden Bildes" zusätzliche Nahrung. Doch eben dieser Gedanke, daß die Agonie eines Schwerverwundeten, gut zwanzig Jahre nach Beendigung des Krieges, möglicherweise als Sujet fur eine bildnerische Scharade am Hof zu Arolsen gedient habe, erregt selbst heute, in einer Zeit, die fraglos radikalere Formen der Trivialisierung von kriegerischer Gewalt kennt, ein schwer zu unterdrückendes Unbehagen. Unschwer sind indessen die bildästhetischen Prämissen zu erkennen, die ein szenisches Nachspielen der Episode von Kunersdorf überhaupt denkbar erscheinen lassen: Die Wunden und Verstümmelungen Kleists werden symbolisch von der tiefroten Draperie aufgenommen, um das Inkarnat des Halbentblößten weitgehend unversehrt zeigen zu können. Der rote Stoff, das kostbare Blut des Dichter-Majors, wird in den Händen der Kosaken zu einem banalen Streitobjekt. Sollte Fürst Friedrich tatsächlich ersonnen haben, diese durch seine „Schutzjuden"110 darstellen zu lassen, so wäre dieser Einfall wohl nicht nur von ihren bärtigen Gesichtern angeregt gewesen.111 Tischbeins Gemälde ist durchsetzt von christlichen Symbolen, die im Zusammenspiel

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Vgl. dazu mit Quellenbelegen und Bildbeispielen Stieglitz, Johann Friedrich August Tischbeins Gemälde (wie Anm. 105), 145-152. Ebd., 148 f. mit Hinweisen auf den Ursprung dieses Tradierguts. Die genannten Identifizierungen gehen danach auf den Leibarzt des Fürsten, Thomas Böger (1773-1812), zurück, der freilich bei der Entstehung des Gemäldes noch ein Kind gewesen war. Diese, dem Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts wohl näherstehende Bezeichnung der beiden Personen bei Helmut Nicolai, Arolsen. Lebensbild einer deutschen Residenzstadt, Glücksburg 1954, 154. Dieser zweiten, außerhalb der Kleist-Episode angesiedelten Bedeutungsebene des Rollenspiels der Fürst wird von Juden ausgeplündert - messen die vorliegenden Interpretationen des Werks keine Bedeutung zu. Dabei verrät das hier konstruierte Verhältnis von Täter- und Opferrolle einiges über eine gleitende Skala des Ressentiments, die es ermöglichte, Negativattribute der Alterität („fremdländisches" Äußeres, Mangel an Emphatie, materielle Habsucht) mühelos auf die jeweils zuhandene inferiore Personengruppe zu übertragen. Wie nahe im Stereotypen-Haushalt der Epoche „asiatisches" Barbarenverdikt und antijüdisches Ressentiment beieinander lagen, bringt Tischbeins Gemälde in seltener Prägnanz zum Ausdruck.

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mit den Bildfiguren an die Passion Christi gemahnen. Ob Kosak oder Jude hier, ob Christus oder Ewald Christian von Kleist dort: die Ursachen des Leidens müssen auf einen ethnisch, religiös und kulturell determinierten „Fremdkörper" projiziert werden, um das Aggressions- und Destruktionspotential der eigenen, als zivilisiert und empfindsam konstruierten Kultur nicht manifest werden zu lassen. Der Fürst mag seine KleistInkarnation als eine besonders intensive Form der Einfühlung in das Schicksal des musisch begabten Majors empfunden haben 113 , doch bleibt festzuhalten: Als der „Landesvater" es sich angelegen sein ließ, ein prominentes „Opfer des Kriegs-Dämons" 114 zu mimen, waren 176 Waldecker „Landeskinder" in Nordamerika eben dies, nämlich Kriegsopfer, geworden. 115 Was auf den ersten Blick wie ein bizarres Rollenspiel in der kleinstaatlichen Provinz anmutet, verdeutlicht in Wahrheit den kulturellen Rahmen, innerhalb dessen sich das ausgehende 18. Jahrhundert des Siebenjährigen Krieges am liebsten erinnern wollte: als Sammlung disparater Szenen, die einerseits Einfühlung und patriotische Affekte ermöglichen und andererseits den Schrecken über die in den „aufgeklärten" europäischen Nationen aktivierbare Tötungs- und Zerstörungsenergie auf ein unzivilisiert-barbarisches Draußen ableiten sollten.

III. Trümmerblicke. Zur Ikonographie der Nachkriegszeit Was Louis de Silvestre 1757 im antik-allegorischen Modus zur Darstellung gebracht hatte, die mit der Schließung des Janustempels öffentlich verkündete Rückkehr zum Frieden, war mit den Verträgen von Hubertusburg und Versailles im Februar und März 1763 Realität geworden. Im Gegensatz zu der panegyrischen Botschaft des Gemäldes sah sich dessen mutmaßlicher Auftraggeber, August III. von Sachsen, außer Stande, in symbolträchtigen Gesten seinen Untertanen den Anbruch einer neuen pax augustana zu verkünden. 116 Bereits schwer erkrankt, kehrte er im April 1763 - nach Verlust der pol112

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Zu nennen wäre der wie ein Kreuz gestaltete Wegweiser links mit der Aufschrift „Kunersdorf". Zum Aufgriff der Passionssymbolik siehe auch Stieglitz, Johann Friedrich August Tischbeins Gemälde (wie Anm. 105), 152. So die Deutung der Rollenübernahme ebd., 151 f. Vgl. das in Anm. 103 angeführte Archenholz-Zitat. Diese Zahl basiert auf der Auswertung der bei Burgoyne, Waldeck Soldiers (wie Anm. 107), zusammengestellten Kurzbiographien der 1225 Regimentsmitglieder. Insgesamt verloren 358 Soldaten durch Kampfhandlungen oder in Gefangenschaft ihr Leben, damit hatte das 3. EnglischWaldecksche Regiment von allen nach Nordamerika verschickten deutschen Regimentern im Verhältnis zur Mannschaftsstärke die meisten Verluste zu erleiden, vgl. ebd., IX. - Die zeitliche Koinzidenz zwischen der 1783 erfolgten Rückkehr des stark dezimierten Regiments und der Entstehung von Tischbeins Gemälde ist bisher nicht gesehen worden. Die Dresdner Bürgerschaft hatte bereits am 21. März 1763, in Abwesenheit des Landesherm, ihr großes Friedensdankfest begangen, vgl. Reiner Groß, Vom Dreißigjährigen Krieg zum Siebenjäh-

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nischen Krone - von Warschau nach Dresden zurück, kein halbes Jahr später verstarb der Kurfürst. Graf Brühl überlebte ihn um drei Wochen. Bereits Ende 1761 war Bernardo Bellotto in die Residenzstadt zurückgekehrt, in der er seit 1747 als Vedutenmaler für den kursächsischen Hof tätig gewesen war. Nach Ausbruch des Krieges waren er und seine Familie zunächst in Dresden verblieben, doch infolge mangelnder Aufträge entschloß er sich 1759 nach Wien überzusiedeln. Dort verweilte er auch noch, als ihn im Sommer 1760 die Nachricht ereilte, daß seine Frau und die drei mindeijährigen Töchter die Beschießung der Stadt durch die preußische Armee vom 19. Juli zwar unbeschadet überstanden hatten, aber das Wohn- und Atelierhaus in der Pirnaischen Vorstadt mitsamt den darin befindlichen Druckplatten, das wichtigste Arbeitskapital des Künstlers, in Schutt und Asche gesunken sei. Mit dem schweren Artillerieangriff vom 19. Juli 1760 hatte die militärische Auseinandersetzung um die sächsische Festungs- und Residenzstadt eine neue Eskalationsstufe erreicht. Da die Verfügungsgewalt über Kursachsen mit Dresden als dessen politisch-administrativem Zentrum sowohl von Preußen als auch von Österreich für kriegsentscheidend erachtet wurde, war die Stadt wie keine zweite dem zerstörerischen und ressourcenverschlingenden Wechsel zwischen Besetzung, Belagerung, Kapitulation der Besatzer und erneuter Okkupation ausgesetzt gewesen. Die preußischen Truppen, die Dresden bereits zwei Wochen nach Kriegsausbruch eingenommen hatten, konnten sich dort, trotz phasenweiser österreichischer Umzingelung, bis zu ihrer Kapitulation am 3. September 1759 behaupten. Die nachfolgend unternommenen Versuche Friedrichs II., die Stadt zurückzuerobern, gipfelnd in der Beschießung vom 19. Juli 1760, erwiesen sich allesamt als vergeblich. Wie bereits vor Prag (1757) und Olmütz (1758) konnte der Preußenkönig auch vor Dresden keine durch eine Belagerung erzwungene conquete herbeiführen. Doch im Gegensatz zu den beiden erstgenannten Operationen ist allein die Belagerung Dresdens vom Sommer 1760 zu einem „Medienereignis des 18. Jahrhunderts" geworden. 117 Abermals erweist sich dabei die symbolische Verdichtung eines komplexen Ereigniszusammenhangs in einer Handlung und in einem Objekt als entscheidende Prämisse für die Kanalisierung der öffentlichen Aufmerksamkeit. Dieses Symbol war mit der Kreuzkirche, dem ältesten und ehrwürdigsten Gotteshaus der Stadt, gegeben. Friedrich II. hatte gleich zu Beginn des Krieges den Symbolgehalt des Gebäudes propagandistisch zu nutzen versucht, als er während seines Winterquartiers in Dresden im November und Dezember 1756 gleich mehrfach Gottesdienste in der Kreuzkirche besuchte, darauf vertrauend, daß diese für ihn eher untypische Befolgung der Christenpflicht unter den Protestanten im deutschsprachigen Raum ihre Wirkung nicht

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rigen Krieg - Dresden als Zentrum kursächsischer Herrschaftsausübung, in: Ders., John (Hg.), Geschichte der Stadt Dresden (wie Anm. 13), 54. Vgl. Ulrich Rosseaux, Die Belagerung Dresdens im Jahr 1760 als Medienereignis des 18. Jahrhunderts, in: Dresdner Hefte 68 (2001) [Themenheft Sachsen und Dresden im Siebenjährigen Krieg], 51-56.

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verfehlen werde.118 Da der Monarch die Belagerung der Stadt persönlich befehligte, kann es nicht verwundern, daß die gezielte Beschießung und Inbrandsetzung des Kirchturmes, der die völlige Zerstörung des Kirchenschiffs und benachbarter Gebäude folgte, dem König selbst zu Last gelegt wurde. Über die Frage, ob dieser Beschüß von den Verteidigern durch Bestückung des Turmes mit Geschützen provoziert worden sei, entbrannte eine veritabler Zeitungskrieg, wobei die preußische Seite erkennbar Mühe hatte, diesen Kollateralschaden zu rechtfertigen.119 Auch Bellotto griff auf den Symbolgehalt des zerstörten Kirchengebäudes zurück, als er seine Arbeit als Vedutist an seinem alten Wirkungsort wieder aufnahm. Das 1765 entstandene Gemälde Die Trümmer der ehemaligen Kreuzkirche (Abb. 8) folgte dem zwei Jahre zuvor vollendeten Werk Die Ruinen der Pirnaischen Vorstadt.120 Zusammen etablieren diese Arbeiten einen neuen Typus narrativer Stadtraumdarstellung, den man als urbanes Kriegsfolgenbild bezeichnen könnte. Der zeitliche Abstand zum Zerstörungsakt ist dabei durchaus programmatischer Art. Bellotto hebt sich auf diese Weise zum einen von den zeitgenössischen Bildberichten ab, die, graphisch stark schemati121

siert, den Vorgang der Beschießung selbst zur Darstellung bringen wollten. Zum anderen rückt er auf Distanz zu einer katastrophisch stimulierten Schaulust, die - aus sicherer Entfernung zum Geschehen - im Zeichen des Sublimen die ästhetische Dimension 122von Gewaltentladungen und Zerstörungsakten in den Vordergrund zu rücken suchte. Die Absicht, das von diplomatischen Friedensschlüssen und ihren bildallegorischen Verbrämungen unberührte Fortdauern der Kriegsfolgen zu zeigen, mußte indessen Bellottos Arbeiten zwangsläufig in die Nähe zur zeitgenössischen Ruinenelegik rücken, die sich von der graduellen Verwandlung von Architektur in Natur fasziniert zeigte. Dieser Lesart war insbesondere die Darstellung der zerstörten Pirnaischen Vorstadt unterworfen, da hier der Übergang der Gebäudetrümmer in eine Ruinenlandschaft besonders weit fortgeschritten war. Die Örtlichkeit war bereits im November 1758 auf Befehl des preußischen Generals von Schmettau weitgehend zerstört worden, um ein freies Schußfeld auf die anrückenden Österreicher zu gewinnen. Da während des Krie118

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Vgl. Viktor Heydemann, Staats- und Flugschriften aus dem Anfange des Siebenjährigen Krieges, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 41 (1928), 302—330, hier 322. Vgl. Rosseaux, Die Belagerung Dresdens (wie Anm. 117), 52-54. Das erstgenannte Werk (Öl/Leinwand, 80 χ 110 cm, signiert und datiert: BERNAR: BELOTO DE CANALETTO. FEC. A. MDCCLXV) befindet sich der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden, das Gegenstück (Öl/Leinwand, 80 χ 112 cm) konnte erst 1974 im Musee des Beaux-Arts von Troyes identifiziert werden. Die nach dem letztgenannten Werk geschaffene Radierung enthält in der Widmung noch das sächsisch-polnische Königswappen, sie muß also vor Februar 1763 vollendet gewesen, dies wird man auch für das Gemälde annehmen dürfen, vgl. Fritz Löffler, Dresden im 18. Jahrhundert. Bernardo Bellotto genannt Canaletto, Würzburg 1985, 23. Bildbeispiele aus zeitgenössischen Flugblättern zur Beschießung Dresdens bei Rosseaux, Die Belagerung Dresdens (wie Anm. 117), 53 f. Erinnert sei daran, daß die Programmschrift der Erhabenheitsästhetik, Edmund Burkes Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful 1757 erschienen ist.

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ges keinerlei Sicherungs- oder Wiederaufbaumaßnahmen möglich waren, fand Bellotto seinen einstigen Wohnort bereits von Vegetation überwachsen vor. Damit war eine „Naturalisierung" der ballistisch induzierten Zerstörung eingeleitet, die nachvollziehbar macht, warum das später nach Frankreich gelangte Werk dort für eine Darstellung des erdbebenzerstörten Lissabon gehalten wurde. 123 Diesem Mißverständnis war die Darstellung der weitgehend zerstörten Kreuzkirche nie ausgesetzt gewesen. Hell ausgeleuchtet, erhebt sich über einem Schuttberg die letzte verbliebene Wand des Turmes. Als Spätfolge der Beschießung war am 22. Juni 1765 dessen Ostteil eingestürzt, das Innere des Bauwerks wurde dadurch wie in einer architektonischen Querschnittdarstellung enthüllt. Für den Vedutisten Bellotto, der die intakte Kirche oft dargestellt hatte, muß diese gewaltsame Freilegung verborgener Tiefenschichten eine eigentümliche Erfahrung gewesen sein. 124 Den aufgerissenen Steinkörper mit leeren Fensterhöhlen, Kavernen und geborstenen Mauerverbänden wird man kaum „traurig-schön" nennen wollen, wie dies zeitgenössische Kommentatoren mit Blick auf die Ruinen der Pirnaischen Vorstadt taten. 125 Eher fühlt man sich an eine zeitgleiche Bemerkung Lessings erinnert, die dieser in seine 1766 publizierte Schrift Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie einfließen ließ: Die weite Öffnung eines Körpers, etwa die eines schreienden Mundes, trete in der Malerei als „Fleck" und in der Bildhauerei als „Vertiefung" in Erscheinung, beides verursache beim Betrachter „die widrigste Wirkung von der Welt". Die Öffnung bedinge nicht zuletzt eine Verzerrung und Verschiebung der übrigen Körperformen, was als „gewaltsam und ekel" empfunden werde. 126 Bellotto kam es auf diese „widrigen Wirkungen" der gewaltsamen Öffnung eines Baukörpers an, um die Differenz zwischen Trümmer und Ruine herauszuarbeiten. Das eine muß mühsam beseitigt, das andere darf empfindsam betrachtet werden. Sein

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Das während der Französischen Revolution in öffentlichen Kunstbesitz gelangte Gemälde war im Museum von Troyes lange als ,Ansicht einer zerstörten Stadt nach dem Erdbeben, vielleicht von Lissabon" klassifiziert worden, vgl. Angelo Walther, Bernardo Bellotto genannt Canaletto. Ein Venezianer malte Dresden, Pirna und den Königstein, Dresden/Basel 1995, 91 Angeblich soll der Maler, ungeachtet der damit verbundenen Gefahren, die Turmruine am 5. Juli 1765 bestiegen haben, ebd., 89. So Johann Christian Hasche in seiner Umständlichen Beschreibung Dresdens (1781) zu der nach dem Gemälde entstandenen Radierung Bellottos, zitiert nach Walther, Bernardo Bellotto (wie Anm. 123), 91. Große Teile des Laokoon konzipierte Lessing während seiner Beschäftigung als Sekretär in Diensten des in Breslau stationierten preußischen Generals von Tauentzien in den Jahren 17601765; die Schrift entstand also unter dem unmittelbaren Eindruck der Kriegsereignisse. In der 1766 publizierten Fassung lautet die betreffende Stelle: „Die bloße weite Oefnung des Mundes, bey Seite gesetzt, wie gewaltsam und eckel auch die übrigen Theile des Gesichts dadurch verzerret und verschoben werden, - ist in der Mahlerey ein Fleck und in der Bildhauerey eine Vertiefung, welche die widrigste Wirkung von der Welt thut." Zitiert nach Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften, hrsg. v. Karl Lachmann, Bd. 9, Stuttgart 1893, 17.

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Trümmerberg „ist kein Schauplatz der Melancholie, sondern einer der Artillerie." 127 Er schuf damit einen Bildtypus, dem mit dem Wissen um die nochmals dramatisch gesteigerte Zerstörungskraft des modernen Luftkrieges vielfach eine prognostische Dimension zugeschrieben worden ist. 128 Im historischen Entstehungskontext betrachtet, partizipiert der Künstler mit diesem Werk an der Formulierung einer Zäsurerfahrung, die es verhinderte, den Verlauf und die Wirkungen des 1756 begonnenen Krieges als Wiederholung von Vergangenem zu deuten. Selbst Johann Wilhelm von Archenholz, der in seiner Geschichte des siebenjährigen Krieges nicht genug Vergleiche zwischen der antiken und modernen Feldherrenkunst anstellen kann, versagt sich in seiner Beschreibung der Belagerung Dresdens, die er als 17jähriger Fahnenjunker miterlebte, jeden illustrativen Rückgriff auf die Historie. In seiner Aufzählung, daß allein am 19. Juli 129 1760 „über 1400 Bomben und Kugeln in die Stadt geschleudert" worden seien und während der Belagerung sechs Kirchen, „416 größtenteils hohe schöne Häuser, Paläste und öffentliche Gebäude" völlig zerstört, weitere 115 Häuser beschädigt und eine nicht näher bestimmte Anzahl von Zivilpersonen getötet und verstümmelt worden seien 130 , deutet sich eine Intensivierung und Entgrenzung des militärischen impact an, die sich allenfalls noch statistisch umreißen, aber nicht mehr narrativ entfalten lassen. Und in seinem Fazit, daß die „schröckliche Wirkung dieser 131 unglücklichen Belagerung" selbst „nach dreißig Jahren [...] noch sehr fühlbar" sei , teilt sich die Ahnung mit, daß auch nach künftigen Kriegen die kollektive Bewältigung der Kriegsfolgen die eigentliche Konfliktphase zeitlich um ein Vielfaches übertreffen wird und binnen weniger Stunden willentlich ausgelöscht werden kann, was in einer langen Folge von Generationen aufgebaut worden ist. Vor diesem Erfahrungshintergrund mag der Siebenjährige Krieg 132 zurecht als ein „Laborexperiment der Moderne" bezeichnet werden - modern, weil in diesem „Experiment" der Verbrauch an Probanden enorm, und der Globus selbst zum „Labor" geworden war.

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So Peter Geimer zu Bellottos Kreuzkirchen-Bild, in: Das Capriccio als Kunstprinzip. Zur Vorgeschichte der Moderne von Arcimboldo und Callot bis Tiepolo und Goya, Ausst.-Kat. WallrafRichartz-Museum Köln u. a., Mailand 1996,223 (Kat.-Nr. 31). So stellte Fritz Löffler lapidar zu Bellottos Gemälde der zerstörten Pirnaischen Vorstadt fest: , 3 s ist ein typisches Trümmerbild, wie es die Dresdner aus der Zeit nach 1945 kennen." Ders., Dresden im 18. Jahrhundert (wie Anm. 120), 24. Archenholz, Geschichte des Siebenjährigen Krieges (wie Anm. 100), 303. Ebd., 307. Ebd., 308. Michael Salewski, 1756 und die Folgen. Vor 250 Jahren begann der Siebenjährige Krieg, in: Historische Mitteilungen 18 (2005), 1 - 5 , Zitat: 3.

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Abbildungen

Abb. 1: Benjamin West, Tod des Generals James Wolfe, 1770, Ottawa, National Gallery of Art. (in: Werner Hofmann, Das entzweite Jahrhundert. Kunst zwischen 1750 und 1730, München 1995, Abb. 20).

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Abb. 2: Louis de Silvestre, Augustus schließt die Pforten des Janustempels, 1757, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen - Gemäldegalerie Alte Meister (in: Harald Marx, Augustus schließt den Tempel des Janus: zu einem Gemälde von Louis de Silvestre, in: Melanges en hommage ä Pierre Rosenberg: peintures et dessins en France et en Italie XVIIе - XVIIIе siecles, Paris 2001, Taf. 4).

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Abb. 3: Pierre Lenfant, Die Schlacht von Fontenoy, 1757, Versailles, Musee National des Chateaux de Versailles et de Trianon (in: Thomas W. Gaehtgens/Pierre Lemoine, Versailles als Nationaldenkmal: die Galerie des Batailles im Musee Historique von Louis-Philippe, Berlin 1984, 115).

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Abb. 5: Anonym, Vorstellung des [...] Sieges der Königlichen Preussischen Armee [...] bey Roßbach, November 1757, Gotha, Schloßmuseum Friedenstein, Kupferstichkabinett (in: Das weltliche Ereignisbild in Berlin und Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert, Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, bearb. v. Rainer Michaelis, Berlin (Ost) 1987, Kat.-Nr. 1).

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Abb. 6: Benjamin West, General Johnson rettet Baron von Dieskau vor einem Indianer, um 1766, Derby, Museum and Art Gallery (in: Courtney Noble, Rescuing Difference: Ambigous Heroism in Benjamin West's „General Johnson Saving a Wounded French Officer from the Tomahawk of a North American Indian", in: Immediations. The Research Journal of the Courtauld Institute of Art 1 (2004), 60).

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Abb. 7: Johann Friedrich August Tischbein, Major Ewald von Kleist wird von Kosaken geplündert, 1783/84, Arolsen, Schloß, Kunstsammlung der Fürsten zu Waldeck· Pyrmont (Bildarchiv Foto Marburg).

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Abb. 8: Bernardo Bellotto, Die Trümmer der ehemaligen Kreuzkirche zu Dresden, 1765, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen - Gemäldegalerie Alte Meister (in: Angelo Walther, Bernardo Bellotto genannt Canaletto. Ein Venezianer malt Dresden, Pirna und den Königsstein, Dresden/Basel 1995, 88).

С. Der Siebenjährige Krieg und der Alltag des Krieges im Zeitalter der Aufklärung

SYLVIANE LLINARES

Les aspects humains de la mobilisation navale fran^aise au temps de la guerre de Sept Ans

Introduction Les enjeux de la puissance navale sont nombreux au XVIIIе siecle, assurer la securite des flottes de commerce et proteger les domaines coloniaux, controler les routes des metaux precieux americains et celle des « Naval Stores » de l'Europe du Nord (bois, chanvres, goudrons, fers et cuivre). Les espaces maritimes offrent done une multiplicite de theatres d'operation, dont les plus eloignes au XVIIIе siecle sont ceux de l'Ocean Atiantique et l'Ocean Indien. Cet eloignement et la duree des trajets des escadres determinent les capacites technologiques des flottes de guerre. Le poids economique et fiscal de la guerre maritime est une contrainte pour tous les Etats car le coüt de construction d'un vaisseau de guerre est exorbitant, soit 1 million de livres tournois pour un vaisseau franfais de 74 canons, de plus l'entretien multiplie par deux ou trois la depense initiale. L'affrontement naval entre l'Angleterre et la France au XVIIIе siecle ne peut d'ailleurs se comprendre sans une etude de leurs ressources financieres, les impots et les emprunts, celui qui peut le plus emprunter au taux le plus bas est celui qui peut faire durer la guerre sur mer en armant des escadres. Pour la France, l'entretien d'une armee de terre et d'une marine de guerre avec ses arsenaux impose des choix budgetaires tres difficiles. La marine franfaise connait apres Utrecht une periode de lethargie, les effectifs se reconstituent tres lentement de 1715 a 1740, du moins a-t-on eu le temps de preparer le renouveau technologique avec la mise au point de nouveaux types de vaisseaux et de fregates legeres dont la qualite premiere est la vitesse. Les bases du pouvoir naval sont done ä la fois geographiques, geopolitiques, financieres, techniques et bien sür humaines. Les conditions de la puissance navale au XVIIIе siecle sont plus que jamais tributaires des ressources humaines en premier lieu parce que les effectifs ä bord des navires de

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guerre sont plethoriques. II faut un grand nombre de servants pour chaque piece d'artillerie, 12 hommes pour les pieces de calibre 36 a 28, un vaisseau de 74 canons, fleuron de la flotte de guerre franfaise de la seconde moitie du XVIIIе siecle, embarque un equipage de 752 hommes dont pres de 80% sont employes au service des canons. Les besoins de la marine franfaise, variables selon les periodes et le nombre de vaisseaux et fregates existants, sont d'environ 50 000 a 60 000 marins. La flotte de guerre fran9aise de 1757 est constituee d'une centaine de navires, 62 vaisseaux et 48 fregates. En France, le recrutement des hommes est base sur le « systeme des classes » mis en route au temps de Colbert et formalise par la grande ordonnance de 1689 qui reste en vigueur pendant tout le XVIIIе siecle. II s'agit d'un service militaire maritime de conscription alterne qui s'applique aux populations littorales du royaume. Ces hommes appeles ä servir sur les vaisseaux du roi sont devenus un enjeu strategique lors de la guerre de Sept Ans. La guerre commence avant la guerre. Les marins firanfais sont « rafles » par la marine anglaise avant meme le debut officiel du conflit, en 1755, presque 10 % des effectifs naviguant au commerce et ä la peche sont faits prisonniers. Apres avoir decrit le systeme de recrutement des marins, il est logique de s'interroger sur les formes de resistance au service de la marine du roi. Enfin, il est necessaire d'evaluer le coüt humain de la guerre sur mer par une analyse de la mortalite Нее aux conditions sanitaires a bord des navires, aux combats navals et ä la captivite.1

I. Comment recruter des marins ? II existe au XVIIIе siecle trois voies de recrutement des marins: le volontariat, la contrainte ou « la presse » et la conscription. La France a choisi la conscription en instaurant le « systeme des classes ». Cette mise en ceuvre s'inscrit dans le processus de « royalisation » de la flotte de guerre et de l'accroissement du nombre des vaisseaux qui la compose pendant le regne de Louis XIV, au total ce sont 300 navires de guerre qui ont ete construits. II n'est pas inutile de rappeler brievement les tatonnements qui caracterisent le rodage du systeme franfais ä partir des annees 1670 au temps de Colbert, alors tout puissant ministre de la Marine. Son departement est un vrai ministere de la Mer qui comprend toute la Marine, soit les flottes du Ponant et du Levant (vaisseaux et galeres), les ports et les arsenaux, le commerce et les peches maritimes, les colonies et les fortifications littorales. Nous verrons ensuite comment le systeme fonctionne vers le milieu du XVIIIе siecle.

La communication n'aborde pas la question du commandement, des officiers, de leur recrutement et de leur formation, pour une parfaite connaissance du sujet consulter les ouvrages de Michel Verge Franceschi, Les Officiers generaux de la Marine royale (1715—1774). Origines, conditions, services, Paris 1990.

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Colbert prefere l'instauration d'un service militaire sur les vaisseaux du roi, plutot qu'une extension de la presse qui en France se traduit surtout par la fermeture des ports, un blocus interieur imposö par l'autorite royale, plus personne n'etant autorise ä naviguer. Cette idee n'est pas nouvelle, eile provient des dossiers de Richelieu et d'une ordonnance de 1629 qui present le recensement des gens de mer dont I'execution fut abandonnee. Au depart, Colbert choisit une region pilote, une experimentation entre la Loire et la Gironde. Les cötes de l'Aunis, de la Saintonge et du Poitou offrent une excellente pepiniere de marins, qui plus est la creation de l'arsenal de Rochefort renforce davantage la presence royale dans ces regions de mouvance huguenote. II est constitue dans ces provinces maritimes trois classes, e'est-a-dire que les marins effectuent un an de service sur les vaisseaux du roi pour deux ans sur les navires marchands. En 1668, une ordonnance etend le systeme et prescrit le « denombrement tous les mariniers et matelots dans toutes les villes et communautes des cotes maritimes pour etre ensuite partages en trois classes ».2 Le bon fonctionnement du systeme suppose Pinscription de l'ensemble des hommes de mer sur des registres de controle tenus regulierement ä jour et done l'existence d'une administration et d'une inspection des classes.3 A partir des annees 1725-1730, les registres des classes apparaissent en nombre fixe et suivent partout le meme modele, ces registres sont nommes matricules et existent pour les differentes categories des gens de mer (maitre de navires, officiers mariniers, ouvriers, matelots, novices, mousses et hors service). Ce sont des documents remarquables et inestimables pour l'historien car la vie de plusieurs milliers de gens ordinaires s'y trouve retracee annee par annee, alors que les dossiers des officiers majors ne donnent que de maigres informations. Lors de la phase de mise en route du systeme, la levee des hommes pendant la guerre de Hollande s'effectue avec difficulte et les ports du royaume sont a nouveau fermes. Colbert qui a doute de l'efficacite des classes envisage alors l'entretien de matelots toujours pret ä s'embarquer. Cette idee, reprise jusqu'ä la Revolution franfaise et meme au-delä, d'engager des matelots militaires de metiers afin de constituer des equipages permanents reste la solution alternative au systeme des classes, mais elle est plus chere. Toutefois ce ne sont pas seulement des raisons d'economie qui expliquent la poursuite de I'experimentation des classes, d'autant que les officiers voient leur carriere perennisee par le roi, ils sont commissionnes et sont en quelque sorte les premiers vrais « fonctionnaires » de l'Etat, il n'y eut jamais de venalite des grades dans le Marine contrairement ä l'armee de terre. Une des raison qui explique que Ton se soit obstine a faire fonctionne le systeme des classes en France, e'est que celui-ci est considere comme plus humain que le service sous la contrainte. L'ordonnance du 15 avril 1689 constitue le texte de reference de l'organisation des classes jusqu'ä la fin du XVIIIе siecle. Le Livre VIII de l'ordonnance precise tout ce qui 2 3

Ordonnance du 22 septembre 1668. L'inspection des classes est constitue en 1683, en 1711 est cree le Bureau des classes, qui devient en 1724 le Controle general des classes.

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concerne l'enrolement, la levöe, le paiement et la recompense des « officiers mariniers, matelots et autres gens » servant sur les vaisseaux du roi. L'organisation administrative se constitue en departement avec un commissaire ordinaire, chaque departement est divise en quartiers, subdivises a 1'echelon local (paroisse) en syndicats. Le reseau des classes comprend 67 quartiers en 1730. Un commissaire aux classes connait tous les details de la vie maritime de son quartier, dans un gros quartier il peut suivre entre 2 000 et 4 000 hommes, entre 100 et 200 dans les petits quartiers. II existe d'autres textes qui competent cette reglementation, ceux relatifs aux pensions et ä la gestion de la Caisse des Invalides de la Marine.4 L'autre grande ordonnance de marine de 1681, destinee au commerce et ä la peche, qui formalise les conditions d'acces aux professions maritimes (maitres, pilotes, mousses) interfere avec la qualification des equipages militaires, ces professions sont done tres surveillees et elles ne peuvent pas echapper au service des vaisseaux du roi. Le service demande est alterne d'un an sur quatre dans les provinces de Guyenne, Bretagne, Normandie et Picardie, d'un an sur trois dans celles du Poitou, Aunis, Saintonge, Languedoc et Provence. Cette difference s'explique difficilement, plus que l'aspect quantitatif, e'est surtout la difficulte ä recruter qu'il faut sans doute prendre en compte. Enfm, l'ordonnance concerne en principe le monde maritime cotier stricto sensu, toutefois des la guerre de la Ligue d'Augsbourg, le recrutement s'etend aux gens de riviere, au-delä des estuaires et de la zone d'influence des marees. C'est ainsi que Ton a pu lever un « arriere ban » parmi des communautes qui n'avaient aucun lien avec la mer, voire meme la navigation ä voile. Par exemple, la Dordogne ой Ton controle les mariniers jusqu'ä Bergerac, ou bien encore le Rhone jusqu'ä PontSaint-Esprit. Les guerres de Succession d'Autriche et de Sept Ans ont ассё1еге le recrutement dans ses quartiers que Ton nomme « de l'interieur ». C'est tout le bassin de la Garonne (Perigord, Quercy, Albigeois) que Ton tente de faire basculer dans les classes, les gens de riviere du Lot, du Tarn, de l'Aveyron, qui sont profondement terriens, jusqu'ä Cahors et Saint-Antonin sont classes. II faut imaginer ces migrations terrestres de marins leves parmi lesquels se trouvent aussi les ouvriers de toutes les professions de la construction navale. Sont requisitionnes, les charpentiers, les cordiers, les voiliers, les poulieurs, classes eux aussi, et qui effectuent un service dans les arsenaux du roi durant des periodes tres variables de 15 jours, un mois, voire six mois.5 C'est la encore une remarquable organisation qui permet au niveau des arsenaux de construire et d'armer les vaisseaux du roi grace ä des levees d'ouvriers venant des ports de commerce et de la multitude des petits chantiers cötiers. En fait personne n'echappe vraiment au controle du systeme des classes, toutes

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Edits des annees 1673,1709, 1713 et 1720. La route terrestre pour rallier les port d'embarquement (Brest, Rochefort et Toulon) peut etre longue, le roi verse une indemnite de Ιενέβ ä chaque homme, 4 ä 6 sols par lieue parcourue vers 1780, selon le texte des ordonnances, parfois les levees sont escortees par les cavaliers de la marechaussee pour eviter la debandade.

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les professions maritimes navigantes ou non navigantes se trouvent sous le controle de l'Etat. Le systeme des classes fonctionne-t-il vraiment ? La tentation est grande de repondre : oui, sur le papier et en temps de paix... Ce qui pose reellement probleme, ce n'est pas le service militaire, mais 1'alternance de classes. Les ministres de la Marine depuis Colbert savent qu'ils ne peuvent pas depasser l'armement d'une soixantaine de vaisseaux au debut de chaque conflit. En cas de besoin extreme, le pouvoir royal recourt de toute fa?on ä la presse et ä la fermeture des ports. En 1757, alors que les meilleurs matelots ont ete requis l'annee precedente, d'ou le succes de la Campagne de Minorque, le roi decrete une levee ginirale dans les ports du Midi. A Marseille, les soldats de marine raflent les gens qui leur tombent sous la main, meme des marins etrangers, ä Toulon, les soldats tirent sur les matelots qui quittent les navires en se jetant ä l'eau pour dviter une seconde Campagne. II semble que les levees s'effectuent avec plus de difficultes dans les ports du Levant. II у a quelques exceptions au regime des classes, aux deux extremites des littoraux du Ponant. Au pays Basque, dans la province du Labourd, il n'y ni matricule, ni classes. A l'autre extremite du royaume, ä Dunkerque, achetee au roi d'Angleterre en 1662, les Flamands sont dispenses de service alors que les ötrangers venant des provinces voisines de Picardie, ou du Boulonnais, meme s'ils travaillent sur des navires dunkerquois sont soumis aux classes. Cette exemption dunkerquoise ne se fonde sur aucun texte, le privilege est coutumier et c'est d'autant plus irritant pour le Marine, que Dunkerque est un port de guerre. Les autorites municipales et la chambre de commerce ont defendu l'exemption avec force, c'est encore vrai pendant la guerre de Sept Ans, en 1759, avec l'obtention d'une ordonnance qui exempte de service cette fois tous les matelots de la ville, у compris les etrangers qui viennent s'y etablir et embarquer. Les arguments avancös sont simples, la frontiere territoriale qui peut faciliter ^emigration vers les Pays-Bas autrichiens et surtout la pratique de la course, car Dunkerque se classe au premier rang ou au second rang pour les armements corsaires, ce qui fait d'ailleurs contester cet avantage ä un autre grand port de corsaires, Saint-Malo qui estimait faire autant contre les « ennemis du roi ». Pour les regions non exemptees, les commissaires ont Г art de composer en fonction des recommandations, des situations personnelles, du nombre de Campagne effectuees. И semble probable que sur le terrain, depuis le XVII е siecle, le tour de role existe, c'est ce que preconise Choiseul en 1765. Pour eviter le favoritisme et 1'injustice, le systeme des classes repose done sur l'honnetete, le sens social et la conscience professionnelle du commissaire.

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II. De quelques avantages et des formes de resistance au service des classes Quel est l'interet de servir sur les vaisseaux du roi ? Evoquons d'abord la question des salaires. Au cours du XVIIIе siecle, les soldes ont augmente tout en restant inferieures a Celles qu'offre la navigation pour le commerce ou la peche, soit une difference d'un tiers ä la fin du XVIIе siecle. Les augmentations se situent dans un contexte bien particulier, deux ans apres la fin de la guerre de Sept Ans en 1765 et trois ans apres celle d'Independance americaine, elles sont d'autant plus justifiees que les pertes humaines dues ä chaque conflit sont durement ressenties parmi les gens de mer. L'augmentation du salaire nominal est de 40 % sur le siecle, mais le doublement du coüt de la vie reduit cette amelioration ä presque rien. Quand il est leve pour le roi, un marin peut perdre jusqu' ä la moitie de son revenu, ainsi un matelot au commerce ä Nantes gagne 40 livres tournois par mois, la paie moyenne sur les vaisseaux du roi est de 18 livres. La tentation de se derober au service est certainement plus forte, d'autant que le roi paie souvent en retard. Une avance est versee avant le depart de la levee souvent en presence des epouses qui en conservent une grande partie. Contrairement ä une legende tenace, loin des cliches du marin debauche, tous les gens de mer ne sont pas des ivrognes insouciants qui gaspillent leur argent dans les tavernes. Les archives notariales renseignent sur les dispositions prises par les marins avant leur depart, que ce soit au commerce ou ä la guerre. Outre les instructions testamentaires, il existe de nombreuses procurations donnees aux epouses qui deviennent le chef legal du foyer pendant leur absence, ce qui est assez remarquable ä une epoque ой les femmes ne sont pas emancip6es, cela donne aussi une identite caractdristique aux societes portuaires et littorales. L'avance sur la solde sert en theorie a acheter l'öquipement personnel, bien que les matelots et les officiers mariniers ne portent pas d'uniformes. 6 La encore, les archives peuvent donner des renseignements sur une marine de matelots plutöt en haillons. Les inventaires apres deces rediges ä bord des vaisseaux montrent que les matelots poss£dent peu de hardes, et sürement pas le trousseau prescrit par les reglements. Les mieux habilles sont les marins experimentes, les « Terre-Neuvas » du Grand Banc (Granville, Saint-Malo) qui sont accoutumes au travail dans l'Atlantique Nord. Peu de protection done contre le froid et l'humidite, e'est la une des faiblesse de la marine franfaise, denoncee de maniere recurrente dans de nombreux rapports, le nombre et la röpötition des reglements signifiant aussi qu'ils sont restes lettres mortes jusqu'ä la guerre d'Independance americaine. Les conscrits de la marine royale ont quelques compensations dont le privilege d'exemption du logement des gens de guerre, ils ne peuvent pas etre poursuivis pas d'eventuels creanciers, et ils sont dispenses de servir dans les regiments de garde-cote. Le 6

II n'y a que les gens du canot ä condition que le commandant du vaisseau leur fournisse des tenues identiques.

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seul avantage palpable est celui procure par la Caisse des Invalides de la Marine, instauree pendant la guerre de Hollande, pour secourir les marins et soldats estropies au service du roi. Le principe est celui d'une cotisation prelevee sur le produit du travail des marins. Une retenue des 4 deniers pour livre (1,67 %) s'applique ä la masse salariale de la marine militaire et aussi au produit des prises de la course et aux salaires des armements prives. Quel que soit le mode de remunöration des equipages d'un navire marchand, au mois ou a la part, les capitaines doivent faire une declaration de desarmement avec une copie du role d'equipage aupres du commissaire des classes de leurs quartiere qui determinent le montant ä payer. La Caisse sert ä regier les pensions promises aux gens de mer, pension qui peut etre accordee aux families des marins morts au service. Finalement, le processus aboutit au cours du XVIIIе siecle ä un veritable droit ä la retraite, recherchee par les marins qui comptabilisent soigneusement leurs annees de service sur les vaisseaux du roi au jour pres. La somme versöe, une demie solde le plus souvent, n'est certes pas tres importante, de 80 a 100 livres tournois par an ä la fin de l'Ancien Regime, mais c'est un indeniable progres, maintenu et consolide au XIXе siecle. Imposer durablement un service militaire aux gens de mer au sein d'un societe ou le devoir de combattre pour le roi ne concernait en principe que la noblesse constitue une exception remarquable dans la France d'Ancien Regime. L'armee de terre reste une armee de metier recrutöe sur la base du volontariat et du racolage jusqu'aux levees en masse de la Revolution en 1792, puis au vote de la Loi Jourdan qui etablit le 5 septembre 1798, la conscription. Bien que la milice creee au temps de Louis XIV tende ä instaurer un systeme de recrutement de conscrits par tirage au sort, il ne faut pas la comparer avec le systeme des classes et la question de I'acceptation de cette conscription maritime au XVIIIе siecle doit etre posee. Dans les annees 1670-1680, lors de la mise en route du systeme, Ton assiste ä de nombreuses manifestations, un ensemble de micro revoltes sur tous les littoraux et des attitudes hostiles ä l'intrusion de Γ administration de la marine royale qui derangeait les affaires et rognait les pouvoirs des elites locales. Ainsi, en Bretagne, les cures des paroisses de l'evechö de Saint-Malo promettaient I'excommunication ä tous ceux qui se soumettraient aux commissaires de la Marine. C'est plus la presence et le renforcement de Γ Etat royal sur les littoraux qui expliquent ces reactions et bien entendu la nouveaute d'un systeme qui bouleverse la vie quotidienne des gens de mer. Au XVIIIе siecle, il n'y a plus de revoltes, les reftactaires au service sur les vaisseaux du roi elaborent differentes strategies de fuite ou de tricherie. Les subterfuges sont assez classiques, simuler une maladie, par exemple une hernie, ou une epilepsie, se frotter le visage avec du safran, se piquer les gencives pour cracher le sang, absorber des plantes qui donnent de la fievre, quelques exemples d'automutilation, se couper le pouce de la main droite. Plus рёгйleux, l'on peut s'engager sur un navire corsaire, plus traditionnellement, eviter de rentrer au port, les marins prolongent alors leur embarquement au commerce ou au cabotage en navigant de janvier ä mars. Cependant, une fois que la levee est constituee, l'echappatoire est beaucoup plus difficile. La meilleure cachette reste finalement la

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grande ville portuaire avec le brassage incessant d'hommes originates de toute l'Europe, en attendant un embarquement au commerce. La marine fran9aise craignait, surtout au XVIIе siecle, la fuite ä l'etranger des marins qui est assimile ä un acte de desertion dans l'ordonnance de 1689. Si dans les annees 1670 les matelots bretons, normands et picards gagnaient l'Angleterre, ce n'est plus du tout le cas au XVIIIе siecle. Les bombardements, les tentatives de debarquements, les rafles de la marine anglaise suivies d'une longue et eprouvant captivite ont fait naitre (ou renaitre) la haine et la peur de I'Anglais. II faut aussi preciser que le durcissement de la guerre navale au cours du XVIIIе siecle qui frappe toutes les activites maritimes, la peche et le commerce, fait comprendre la necessite de se battre sur mer pour defendre son port ou son village cotier. Patriotisme et resignation emergent dans la seconde moitie du XVIIIе siecle chez les gens de mer, le littoral est une frontiere. Par contre chez les gens de rivieres, la revoke perdure, pendant la guerre de Sept Ans, des soulevements armes ont lieu ä Cahors et ä Montauban. Qu'en est-il exactement de la desertion ? La comparaison entre la marine franfaise et anglaise s'avere indispensable compte tenu de la difference des systemes de recrutement. Pour la marine anglaise, eile est estimee dans sa version haute a 20 %, pour la France, nous n'avons pas d'etude globale, mais des etudes regionales, qui etablissent un taux de desertion de l'ordre de 5 a 10 % des hommes leves. Ce taux est d'ailleurs identique ä celui observe pour la marine marchande. Quelles sont les sanctions encourues par le marin qui deserte ? En France, en principe, les deserteurs auraient dü etre executes par tirage au sort ou envoyes aux galeres puis aux bagnes (apres 1749). Mais les marins franfais deserteurs ne sont jamais condamnes ä mort pour desertion. Des ordonnances amnistient periodiquement les deserteurs de la Marine ä condition que les marins fugitifs rentrent au quartier et fassent leur soumission devant le commissaire. L'Amiraute anglaise agit aussi avec beaucoup de circonspection, considerant les deserteurs n'ayant pas fait usage de la violence comme des gens qui ont quitte le navire sans permission et qui doivent payer une amende pour regulariser leur situation. Les comportements de refus semblent s'attenuer au cours du XVIIIе siecle, a l'exception des trois annees terribles de la guerre de Sept Ans (1757-1759), l'Etat des Lumieres η'a pas recouru ä la violence pour faire marcher ses marins.

III. Les epreuves de la guerre : epidemies, combats et captivite Les sources provenant de I'administration des classes, les « matricules » evoques plus haut, permettent de faire Γ etude du coüt humain de la mobilisation navale. Toutefois, il n'est possible de raisonner qu'ä partir d'etudes des cas, des exemples de paroisses ou de regions littorales. On ignore les taux de mortalite ä la guerre des marins des grandes

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societes portuaires comme ä Bordeaux ou Nantes faute d'une exploitation methodique de leurs registres des classes. Ce que Ton peut aussi remarquer, c'est que nous n'avons pas de statistiques sur les pertes humaines ä l'issu des conflits alors que la Marine a les moyens de les faire. Les sondages effectues pour la France du Nord-Ouest donnent un resultat global entre 10 et 20 % de pertes de gens de mer, avec de fortes disparites geographiques, le taux est plus έίενέ (18 %) dans les paroisses ou vivent les petites societes de marins paysans, la ou les ressources de la peche, du petit cabotage et de la culture des champs sont combinees, c'est le contraire dans une grand port comme Le Havre (9 %). Plus precisement, si Ton compte cette fois le nombre de morts et disparus par rapport aux hommes effectivement leves, alors le taux de perte passe a 35 %, voire ä plus de 40 % dans les petites paroisses de Normandie. II semble que le sort soit plus funeste aux marins des villages littoraux du Ponant, car le prelevement est plus exigeant. Dans les grands ports, les armateurs obtenaient plus facilement des exemptions, mais il faut aussi envisager comme explication une probable meilleure resistance des matelots des grandes villes portuaires, habitues ä la vie et au travail sur des grands navires et ä naviguer a travers les oceans, peut-etre souffraient-ils moins que les « matelots des champs ». Dans les destinees d'un equipage, et de maniere generale dans celle des gens de mer, la captivite pese egalement tres lourd. Les sources et les etudes disponibles, permettent un changement d'echelle, ä partir de la guerre de Succession d'Autriche, l'analyse est globale et non plus seulement ä l'echelle d'une activite, par exemple la course, ou a l'echelle d'un port comme Saint-Malo. 35 000 prisonniers franfais entre 1744 et 1748 sont detenus dans les geoles et pontons britanniques, mais 15 % de ces prisonniers ont ete pris sur les vaisseaux du roi, les autres, 31 % sont des marins du commerce et 54 % proviennent des navires corsaires. L'on peut veritablement parier d'escalade carcerale au moment de la guerre de Sept Ans. L'Amiraute britannique a parfaitement compris que la faiblesse de l'ennemi tient aussi ä la fragilite de la population maritime, la capture des equipages devient un des leviers majeurs de la Strategie navale. Tous les marins sont rafles, guerre et course, et aussi tous les occupants des navires des commerces. Tout ceci s'apparente ä une gigantesque prise d'otages au beau milieu du siecle de Lumieres et de l'affirmation du droit des gens, des personnes qui ne participent pas au conflit sont done captures (passagers, artisans, domestiques, marchands, femmes et enfants у compris). Le tri se fait apres dans les centres de detention de la Royal Navy, l'objectif etant d'affaiblir la marine Fran9aise par la penurie d'equipages, ceux qui sont entraines et qualifies. La razzia de l'amiral Boscawen en 1755 illustre le commencement de cette politique. Par la suite, l'afflux de prisonniers pose de gros problemes sanitaires, mais la ligne dure de Г Amiraut έ anglaise perdure. En 1758, il у а 20 000 captifs franfais et aueun cartel d'echanges de prisonniers n'est aeeepte, seuls les femmes, les enfants, les passagers, les soldats et les officiers ont fait l'objet de renvois en France. A la meme periode, il у a en France 3 000 prisonniers anglais. Cette politique de retention selective se prolonge jus-

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qu' ä la fin du conflit. Entre 1755 et 1762, 61 500 personnes sont enlevees ä bord des navires fran^ais, il faut compter environ 28 000 marins parmi ces personnes. Sachant que les hommes classes au d6but du conflit sont d'environ 52 000, c'est done la moitie d'entre eux qui ont connu la captivite en Angleterre. Le detail de la ventilation des origines des prisonniers montre revolution de la guerre de Sept Ans, le pourcentage de prisonniers de la marine royale atteint son maximum en 1759, annee des defaites de Lagos et des Cardinaux. La part des equipages corsaires est toujours la plus elevee, proche de la moitie, eile atteint 80 % en 1761. La duree de la detention determine la survie en captivite. Pendant la guerre de Sept Ans, la duree moyenne s'etablit a 3 ans d'enfermement, mais des marins rafles en 1755 ont pu supporter jusqu'a 8 annees de detention, au total la mortalite touche 15 % des captifs, soit plus de 9 000 marins, un gächis humain. L'annee la plus terrible est 1757, lä se conjuguent döfaites, captures et catastrophe sanitaires. 14 000 sujets de Louis XV sont captures en mer, soit 1'equivalent de la population d'une ville moyenne de la France des annees 1750, s'y ajoute le desastre de la perte de Louisbourg au Canada avec une effroyable epidemie de typhus qui decime les equipages au retour. Sur le 11 600 hommes embarques, il у eut 6 700 morts par maladie, dont 4 500 marins7. Au total, pour les marins, la perte seche si Ton additionne les captifs et les morts est de 10 000 hommes, soit 1/5 du potentiel des gens de mer classes. II у a done une veritable crise de la mobilisation navale en 1758 et en 1759, les matelots sont rares et ils fuient le service des vaisseaux du roi. II n'y a plus de gens de mer pour armer une escadre, sauf ä requisitionner des « marins des champs et des rivieres », voire d'authentiques laboureurs, souvent des paysans gardes-cotes que Ton n'a pas eu le temps de former a la manoeuvre et au canon, ceux-ci paient un lourd tribut lors de la bataille des Cardinaux le 21 novembre 1759, defaite qui sonne le glas des operations navales de grande envergure de la France. Peut-on chiffrer les pertes des marins morts en Campagne et en captivite ? Malgre une documentation serielle abondante, les etudes sont rares et surtout difficiles ä faire. Nous savons par exemple que les pertes dans l'espace caraibe sont de 10 % pendant le conflit de la guerre de Sept Ans, il est de 15 a 20 % pendant la guerre de la Succession d'Autriche. Les roles d'equipage du port de Brest montrent ä partir d'un echantillon de 20 vaisseaux armes entre 1755 et 1759, qu'un homme sur quatre est mort en Campagne (2 000 morts sur 8 200 matelots). Les campagnes de la guerre de Sept Ans les moins meurtrieres sont celles des Antilles avec un taux de mortalite de 5 a 8 %, les armements pour les Indes orientales ou les campagnes sont beaucoup plus longues (1460 jours) 7

Le scorbut est une maladie celebre chez les gens de mer, toutefois, Ton meurt rarement du scorbut en mer au XVIII е siecle, les sequelles invalident les matelots avec la perte des dents et l'amputation des doigts. Louisbourg est bien le tombeau des equipages franfais, dejä en 1746, I'expedition du due d'Anville, aristocrate de cour incompötent, mais cousin du ministre de la Marine Maurepas, fut une catastrophe sanitaire, il mit trois mois pour rallier le Canada alors qu'il en fallait un seul, les vivres furent gätees, une epidemie de typhus fit 3000 morts en 99 jours.

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donnent des taux superieurs avec un tiers ä un quart de I'equipage qui decede. Les renforts envoyes vers le Canada ont un taux de mortalite de 8 a 12 % dans les conditions normales de navigation, comme nous l'avons dejä souligne les hommes de l'escadre de Dubois de la Motte ont ete massacres par l'epidemie de typhus en 1756-1757, precisons que les rescapes sont rembarques, ainsi, en 1758, le vaisseau le Palmier a perdu 61,6 % de son equipage, ce qui est un record extreme dans la Marine pour tout le XVIII е siecle. Les cotes d'Afrique restent les plus meurtrieres avec un taux de 20 % pour les campagnes ä la cote de Guinee. Le bilan pour la guerre de Sept Ans est celui d'une mortalite de crises entre 1/5 et la moitie des equipages sont perdus. Lors de campagnes ordinaires, la mortalite varie de 8 ä 15 %, ce qui est ä peu pres ä l'equivalent du taux de mortalite sur les navires marchands, у compris sur ceux de la Compagnies des Indes. II faut aussi preciser que le combat naval tue moins que maladie et autant que la captivite. Le taux de mortalite au combat est de 6 a 8 %, la moitie des blesses decedent plusieurs semaines apres, les climats tropicaux sont redoutables pour les hommes atteints de la gangrene. Pendant la guerre de Sept Ans, un marin du roi de France, s'il avait pu choisir sont embarquement, evitait le pire en navigant vers les Antilles sur une fregate entre 1757 et 1759, il avait 12 % de chance de retrouver sa vie d'avant. La question des mutineries ä bord des vaisseaux de guerre compte tenu de la dure vie de marin du roi en guerre merite attention. Ce sont des evenements extremement rares dans la flotte de guerre franfaise. Entre 1706 et 1788, cinq dossiers ont ete retrouves dont trois concernent des flütes de transports de troupes. Les archives de la Marine sontelles muettes ? Disons que la colere des hommes n'est pas consignee dans les documents du bord. II reste que le marin du roi est un homme soumis ä une rude discipline et a un ordre etabli, il n'a d'autre choix que cette soumission patiente, s'il veut survivre.

Conclusion Le systeme des classes franfais est efficace dans la phase de mobilisation des hommes, mais il est aussi vulnerable car il ne permet pas une reelle augmentation des effectifs de la flotte. La fragilite du systeme de recrutement s'observe particulierement lors de la guerre de Sept Ans lorsque les marins fransais sont « rafles » par la marine anglaise avant meme le debut officiel du conflit. En 1755, 10 % des effectifs naviguant au commerce et ä la peche, sont faits prisonniers. Les captures continuent pendant toute la duree de la guerre, sans que des cartels soient negociables, 28 600 marins (guerre, commerce, course) au total sont faits prisonniers, 15 % d'entre eux decedent en captivite. En France, il existe un seuil, un « stock de marins » estime a 80 000 hommes, cette evaluation haute date de 1787, eile inclut toutes les extensions fluviales possibles, essentiellement les mariniers des bassins de la Loire et de la Garonne. Ce chiffre de 80 000 hommes est indepassable sous l'Ancien Regime, il limite de fait l'armement des

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vaisseaux et Oriente la politique de construction navale. Au-delä de 100 vaisseaux de guerre, les marines de Louis XV et de Louis XVI ne sont plus operationnelles, les vaisseaux restent immobilises dans les ports faute d'equipage. II est toutefois possible de recourir ä d'autres moyens, le volontariat, qui a bien fonctionne pour les armements de la Compagnie fran^aise des Indes car les salaires sont attractifs ou le systeme anglais de la « presse » qui semble donner une plus grande amplitude de recrutement et satisfaire les besoins de la Royal Navy au cours du XVIIIе siecle. La guerre d'Ind6pendance americaine prepare les changements du recrutement des hommes de mer, le ministre de Castries impose en 1781 l'enrolement de novices volontaires, des jeunes hommes non classes de 18 a 25 ans qui s'engagent pour une duree de trois ans. Toutefois, il faut aussi expliquer les resistances ä ce type de recrutement, d'abord celle des officiers, qui ont toujours ete hostiles au hommes qui ne proviennent pas du milieu de la mer, le souvenir des enrolements forces de paysans pendant la guerre de Sept Ans est restö vivace dans la Marine. La reticence s'exprime avec la crainte de гёсирёгег tous les vagabonds et les gens « de mauvaise vie », « fripons », « sans foi ni loi» des villes. Outre les officiers, la maistrance veut aussi de vrais gens de mer qui sont amarines. Les projets ä la fin de l'Ancien Regime, en 1791, prevoient un recrutement de 40 % de marins classös et de 60 % de volontaires terriens au-delä des 20 lieues (84 km) de la cöte. Le systeme des classes fran^ais au XVIIIе siecle entraine pour ainsi dire une mutation culturelle en contraignant des milliers de marins ä servir l'Etat sur toutes les mers du monde et pour des durees de campagnes plus longues que celle du siecle precedent, soit de six mois ä deux ans. Plus globalement, ä l'echelle de l'Europe, chaque Etat a experimente des solutions qui mettent en ceuvre des rapports de force, des compromis, des resistances et aussi des traditions. Quel que soit le systeme de recrutement, le monde des gens de mers a paye un lourd tribut en servant sur les navires des marines militaires.

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Zusammenfassung: Die menschlichen Aspekte der Mobilisierung der französischen Marine zur Zeit des Siebenjährigen Krieges Die Entwicklung von Seemacht im 18. Jahrhundert war abhängig von den menschlichen Ressourcen. Man muß daran erinnern, dass die Mannschaftsstärken an Bord der Schiffe in etwa doppelt so hoch waren wie eigentlich notwendig, denn man benötigte im Durchschnitt zehn Mann zur Bedienung einer großkalibrigen Kanone. So beherbergte ein Linienschiff mit 64 Kanonen eine Mannschaft von wenigstens 600 Mann. Die Rekrutierung der französischen Matrosen gründet auf dem „Klassensystem" (systeme de classes), eingerichtet zur Zeit Colberts und geordnet durch die Marineordonnanz des Jahres 1689. Ende des 17. Jahrhunderts erfassten die „Klassen" etwa 55 000 Marineoffiziere und Matrosen. Es handelte sich um einen alternierende Dienstpflicht in der Marine, beruhend auf der Wehrpflicht, der die Bewohner der Küstenregionen unterlagen. Die „gens de mer" mussten, je nach Region, alle drei oder vier Jahre ein Jahr dienen. In den Pfarreien der Küstengebiete gab es daher drei oder vier ^ l a s s e n " in jeder Gemeinde. Voraussetzung für das gute Funktionieren des Systems war die Einschreibung der Gesamtheit der Seeleute in den Registern und deren regelmäßig kontrollierte Aktualisierung sowie die Existenz einer Administration der „Klassen", die in den Händen eines lokalen Amtsträgers (Kommissar) lag. Die Männer wurden nach den Küstenregionen ausgehoben, der zuständige Kommissar stellte die Liste der zum Dienst fur den König Einberufenen zusammen, und die Ausgehobenen (la levee) mussten sich schnellstmöglich in die Häfen begeben. Die Reisekosten trug die Krone. Das französische System der Klassen erwies sich in der ersten Phase der Mobilisierung der Menschen als effektiv, aber es war auch verwundbar, denn es erlaubte keine Steigerung der Mannschaftsstärke der Flotte während des 17. Jahrhunderts. Das englische System des „pressen" ermöglichte eine größere Bandbreite der Rekrutierung und damit die Befriedigung der Wünsche der Royal Navy. Die Bemannung der Kriegsschiffe wurde insbesondere während des Siebenjährigen Krieges zu einer kriegswichtigen Herausforderung. Zwei Aspekte müssen hervorgehoben werden: Das Problem der Desertion und die menschlichen Kosten des Krieges mit einer Sterblichkeit, die auf die sanitären Zustände an Bord, auf die Kampfhandlungen und die Gefangenschaft zurückzuführen ist. Der Krieg begann schon vor dem Krieg! Französische Seeleute wurden von der englischen Marine schon vor der offiziellen Kriegserklärung „geraubt". Im Jahre 1755 wurden 10 % der Mannschaften, die in Handelsschiffahrt und in der Fischerei tätig waren, gefangen genommen. Diese Gefangennahmen setzten sich über die Dauer des ganzen Krieges fort, ohne dass Gefangenenkartelle ausgehandelt wurden. Insgesamt gerieten 28 600 Seeleute (Marine, Handel, Kaperfahrer) in Gefangenschaft, 15 % von ihnen starben in Kriegsgefangenschaft.

MARIAN FÜSSEL

Die Kultur der Niederlage - Wahrnehmung und Repräsentation einer Schlacht des Siebenjährigen Krieges am Beispiel von Hochkirch 1758

Der Siebenjährige Krieg gilt in der Literatur allgemein als ein „Krieg der Schlachten".1 Zu den rund fünfzehn größeren Schlachten der preußischen Armee unter der Führung Friedrichs II. traten noch einmal etwa ein halbes dutzend Schlachten auf dem westlichen Kriegsschauplatz des Alten Reiches. Zieht man die außereuropäischen Kriegsschauplätze hinzu, erweitert sich schließlich die Anzahl abermals signifikant. Diese Treffen verliefen in vielen Fällen extrem verlustreich, jedoch selten entscheidend. Auch die schwersten Niederlagen des Preußenkönigs führten letztlich nicht zu einer Kapitulation, sondern allenfalls zu einem weiteren Schlagabtausch im gleichzeitig geführten Propagandakrieg in den zeitgenössischen Medien. Eine dieser verheerenden, aber insgesamt wenig nachhaltige Folgen zeitigenden Niederlagen markierte die Schlacht von Hochkirch am 14. Oktober 1758. Auch hinsichtlich ihrer Erforschung ist die Schlacht von Hochkirch in gewisser Weise repräsentativ für die Schlachten des Siebenjährigen Krieges: Einer relativ intensiven Erforschung in der Zeit um 1900 steht eine - abgesehen von wenigen Publikationen eher regionalhistorischen Zuschnitts - fast völlige Nichtbeachtung in der jüngeren Forschung gegenüber.3 Dass es überhaupt zu jener

Vgl. Johannes Burckhardt, Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches 16481763, Stuttgart 2006, 4 1 7 ^ 2 5 . Vgl. Manfred Schort, Politik und Propaganda. Der Siebenjährige Krieg in den zeitgenössischen Flugschriften, Frankfurt a.M. u.a. 2006. Paul Hohenemser, Kritik der Quellen zur Schlacht bei Hochkirch 14. Oktober 1758, Heidelberg Univ. Diss. 1899; Großer Generalstab (Hg.), Die Kriege Friedrich des Großen. Der Siebenjährige Krieg. Bd. 8: Zorndorf und Hochkirch, Berlin 1910; Norbert Robitschek, Hochkirch. Eine Studie, Wien 1905; Karl Ernst Berger, Hochkirch. Schicksalstage in der Oberlausitz während des Sieben-

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Schlacht kam, gilt als einer der schwerwiegendsten militärisch-taktischen Fehler Friedrichs II., handelte der roi-connetable

doch gegen den nachdrücklichen Rat seiner Gene-

rale und riskierte es, seine Truppen in einer extrem riskanten Stellung in der Nähe der Österreicher unter der Führung Dauns lagern zu lassen. 4 Im Folgenden soll es jedoch weniger um die militärische Hybris oder mögliche Wahrnehmungsdefizite des großen Königs gehen als vielmehr darum, den „Überfall v o n Hochkirch" zum Ausgangspunkt einer exemplarischen Analyse von Wahrnehmung und Repräsentation einer Schlacht des Siebenjährigen Krieges zu nehmen. Es soll zunächst danach gefragt werden, w i e die teilnehmenden Soldaten und Augenzeugen die Schlacht erlebten und ihre Erinnerungen darstellten. Daran anknüpfend steht die mediale Repräsentation der Schlacht im Mittelpunkt, die v o n der Nachricht des Ereignisses zur Konstruktion eines Gedächtnisortes fuhrt.

1. Eine „kleine Kirchhofs Bataille" Selbstzeugnisse zählen seit jeher zu den zentralen militärhistorischen Quellen. 5 Speziell den Selbstzeugnissen des Siebenjährigen Krieges ist jedoch erst in jüngerer Zeit verstärkte Aufmerksamkeit unter kulturgeschichtlichen Fragestellungen zu Teil geworden. 6 jährigen Krieges, [s.L] [ca. 1999]; Andreas Bensch, Der Kampf um Hochkirch 1758. Ein militärhistorischer Tatsachenbericht, Bautzen 3 2000; Jean Engelbert due d'Arenberg, Trois batailles Salankemen 1691 -Dettingen 1743 -Hochkirch 1758 et trois dues d'Arenberg, Enghien 2001. Vgl. Georg Friedrich von Tempelhof, Geschichte des Siebenjährigen Krieges in Deutschland zwischen dem Könige von Preußen und der Kaiserin Königin mit ihren Allierten, 6 Bde. Berlin 1783-1801 (ND Osnabrück 1986), Bd. 2, 318-336: „Nie haben wohl zwei Armeen im Lager einander näher gestanden, als bei Ho[c]hkirch, und bei so überwiegenden Vortheilen auf einer Seite, und nachtheiligen Umständen auf der anderen." (ebd., 318). Tempelhof bemüht sich mit allen Mitteln Friedrichs Entscheidung nachzurationalisieren: „Daher sind Fehler, die [Genies] machen oder zu machen scheinen, nur ein Zeichen für den Beobachter, sich auf irgend einen großen und bewundernswürdigen Zug des Genies und der Geistesgrösse gefasst zu machen. Der König kannte allerdings das Nachtheilige seiner Stellung, allein er hielt die Gefahr nicht für dringend genug, um sich zurückzuziehen" (ebd., 319f.). Als jüngere Positionen zur Fehleinschätzung der Lage durch Friedrich vgl. etwa Christopher Duffy, Friedrich der Große. Die Biographie, Düsseldorf 2001, 255; Johannes Kunisch, Friedrich der Grosse. Der König und seine Zeit, München 2004, 394; Stefan Felleckner, Kampf. Ein vernachlässigter Teil der Militärgeschichte. Augenzeugen aus dem Siebenjährigen Krieg (1756-63) und dem Ersten Weltkrieg (1914-18) berichten über Gefechte, Berlin 2004,120-123. Vgl. Michael Epkenhans, Stig Förster, Karen Hagemann (Hg.), Militärische Erinnerungskultur. Soldaten im Spiegel von Biographien, Memoiren und Selbstzeugnissen, Paderborn 2006; als allg. Überblick vgl. auch Yuval Noah Harari, The Ultimate Experience. Battlefield Revelations and the Making of Modern War Culture, 1450-2000, Basingstoke u.a. 2008 . Sascha Möbius, „ Von Jast und Hitze wie vertaumelt". Überlegungen zur Wahrnehmung von Gewalt durch preußische Soldaten im Siebenjährigen Krieg, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 12 (2002), 1-34; Dirk Schleinert, Der Siebenjährige Krieg in Vorpommern in kulturgeschichtlicher Perspektive, in: Mare Balticum (2001), 67-71; Sven Ex-

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Zu den wichtigsten Quellen zur Schlacht v o n Hochkirch zählen vor allem

die

„Bruchstücke" des preußischen Feldpredigers und Kriegspsychologen avant la lettre Carl Daniel Küster, das Tagebuch des preußischen Fahnenjunkers und Offiziers Ernst Friedrich Rudolf von Barsewisch s o w i e auf österreichischer Seite die Geständnisse des Grafen Jacob de Cogniazo. 7 Schon die Ausgangssituation wird in den Augenzeugenberichten zu einem Lob der preußischen Disziplin angesichts eines nächtlichen Überfalls, der die zum Teil entkleideten und schlafenden Truppen unvorbereitet traf. Eine blitzschnelle geordnete Reaktion auf den unerwarteten Angriff wird zum A u s w e i s der eigenen Überlegenheit selbst in einer so deutlich asymmetrisch strukturierten Situation. 8 In aller Deutlichkeit tritt dies später in Archenholz' Geschichte

des Siebenjährigen

Krie-

ges zu Tage: „Hier zeigten sich die Vorteile einer vortrefflichen Disziplin auf die auffallendste Weise. In dieser entsetzlichen Lage, wo Gegenwehr Vermessenheit schien, und der Gedanke an Flucht und Rettung bei allen Soldaten natürlich aufsteigen musste, wäre gänzlicher Untergang das Kriegslos einer jeden anderen Armee irgend eines Volkes gewesen; selbst die besten an Krieg und Sieg gewöhnten Truppen unsers Weltteils hätten hier das Ziel ihrer Taten und das Grab ihres Ruhmes gefunden; denn Mut allein galt hier wenig, Disziplin alles."9

ternbrink, „ Que l'homme est cruel et mechantl" Wahrnehmung von Krieg und Gewalt durch französische Offiziere im Siebenjährigen Krieg, in: Historische Mitteilungen 18 (2005), 44-57. Carl Daniel Küster, Bruchstück seines Campagnelebens im siebenjährigen Krieg, Berlin 2 1791 (ND Braunschweig 1998); Ernst Friedrich Rudolf von Barsewisch, Von Rossbach bis Freiberg 1757-1763. Tagebuchblätter eines friderizianischen Fahnenjunkers und Offiziers. Nach dem wortgetreuen Erstabdruck von 1863, neu hg. v. Jürgen Olmes, Krefeld 1959; Jacob de Cogniazo, Geständnisse eines österreichischen Veterans in politisch-militärischer Hinsicht auf die interessantesten Verhältnisse zwischen Oestreich und Preußen, während der Regierung des Großen Königs der Preußen Friedrichs des Zweyten mit historischen Anmerkungen gewidmet den königlich preußischen Veteranen von dem Verfasser des freymüthigen Beytrags zur Geschichte des östreichischen Militär-Dienstes, Breslau 1788-1791, 4 Bde. (ND Bad Honnef 1982), hier Bd. 3; als eingehendste jüngere Analyse der Kampfhandlungen nach Barsewisch vgl. Felleckner, Kampf (wie Anm. 4), 118-136. , 3 s währte auch nicht zwei Minuten, so hatten wir unsere Leute in Reih und Glied" Barsewisch, Tagebuchblätter (wie Anm. 7), 72. Barsewischs Regiment hatte die Nacht angezogen geschlafen, um besser gesichert zu sein. „Nie befand sich ein Heer braver Truppen in einer schrecklichem Lage, als die unter der Ägide Friedrichs sorglos schlafenden Preussen, die nun auf einmal im Innersten ihres Lagers von einem mächtigen Feinde angegriffen, und durch Feuer und Stahl zum Todesschlaf geweckt wurden. Es war Nacht und die Verwirrung über allen Ausdruck. Welch ein Anblick für diese Krieger, einer nächtlichen Vision ähnlich! Die Österreicher gleichsam wie aus der Erde hervorgestiegen, mitten unter den Fahnen der Preussen, im Heiligtum ihres Lagers! Einige hundert wurden in ihren Zeltern erwürgt, noch ehe sie die Augen öffnen konnten; andre liefen halb nackend zu ihren Waffen. Die wenigsten konnten sich ihrer eigenen bemächtigen. Ein jeder ergriff das Gewehr das ihm zuerst in die Hände fiel, und flog damit in Reih und Glied." Johann Wilhelm von Archenholz, Geschichte des Siebenjährigen Krieges in Deutschland von 1756 bis 1763 (1793), in: Johannes Kunisch (Hg.), Aufklärung und Kriegserfahrung. Klassische Zeitzeugen zum Siebenjährigen Krieg, Frankfurt a. M. 1996,9-513, zu Hochkirch 168-179, hier 171f.

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Die Wahrnehmung der eigentlichen Kampfhandlungen beginnt mit Schussgeräuschen.10 Der Feldprediger Küster leitet seine Beschreibung des Überfalls gleich mit einer ganzen Geräuschkulisse ein: „Indessen bebte die Erde von dem Krachen des schweren Geschützes unserer großen Batterie und der feindlichen Mordschlünde. Die Haubitzgranaten fielen wie Schlossen. Die Luft tönte von sausenden und klappernden Kugeln. Das ungarische Angriffsgeschrey hudry, hudry, hudry, (marsch, marsch) das Kommandiren der preussischen und östreichischen Officiere durcheinander; das Quetschen der treffenden Kugeln und Säbeln sowohl, als die gewöhnlichen Ausrufungen der nicht todt, sondern verwundet fallenden Streiter erfülleten das Ohr."11 Überwiegen hier die akustischen Sinneseindrücke, so schildern fast alle Beschreibungen der Schlacht vor allem die schlechten Sichtverhältnisse in Nebel und Dunkelheit des frühen Morgens, aufgrund derer es auch zu „friendly fire", also dem Feuern auf die eigenen Leute kam. 12 Cogniazo schildert die Unübersichtlichkeit als ein „tumultuarisches Manöver in der Dunkelheit der Nacht, wo man weder Freund noch Feind unterscheiden konnte."13 Die Offiziere kannten das Terrain nicht, die Truppen zerstreuten sich und die Artillerie zielte zu kurz und traf daher zum Teil die eigenen Soldaten. Das Ganze habe mehr einem Bienenschwarm als einer geordneten Schlachtlinie geglichen, so dass man schließlich allein nach „Gefühl" gekämpft hätte. So habe man sich nur „durch wechselseitiges Betasten aus der Verlegenheit reißen" können, „weil man nicht einmal wusste, mit wem man zu thun hatte; unsere Grenadiers griffen nach den Blechkappen, wie sie es nannten, der Preußen, und die preußischen nach den Bärmützen der Österreicher, um sich untereinander zu erkennen, und zu erwürgen. - Der Soldat focht blind und wüthend; schoß, oder hieb mit seinem Säbel um sich herum; stieß mit dem Bajonet, oder schlug mit der Musketenkolbe darein, ohne sich jetzt viel darum zu bekümmern, ob Schuß, Hieb und Stoß dem Feinde oder Freunde gelten würde; jeder suchte nur so gut er konnte, sich seiner Haut zu wehren, und aus dem hässlich Gedränge zu kommen." 14

In den Ausführungen des Fähnrichs Barsewisch kommen die verlustreichen, aber letztlich vergeblichen Versuche der Preußen, die Stellung zu halten und verlorenes Terrain wiederzugewinnen, besonders deutlich zum Ausdruck. So schildert er etwa den Gegenangriff des Regimentes Itzenplitz, das fast vollständig niedergemacht wurde.15 Sein

„[...] so hörten wir um % 4 Uhr auf einmal ein entsetzliches Musqueten Feuer", Barsewisch, Tagebuchblätter (wie Anm. 7), 72. Küster, Bruchstück (wie Anm. 7), 36. Küster berichtet vor allem über Nebel, vgl. Küster, Bruchstück (wie Anm. 7), 56; Barsewisch über die Dunkelheit: „Die Nacht war außerordentlich finster", Barsewisch, Tagebuchblätter (wie Anm.7), 72; Cogniazo, Geständnisse (wie Anm. 7), 36 u. 38f. Cogniazo, Geständnisse (wie Anm. 7) 40. Cogniazo, Geständnisse (wie Anm. 7) 41, die Stelle wird wenig später fast wörtlich von Archenholz übernommen, vgl. Archenholz, Geschichte (wie Anm. 9) 172. „Das Regiment von Itzenplitz, so aus lauter tapferen und versuchten Soldaten bestand, traf geradewegs auf die kaiserlichen Batterien in Hochkirch, welch ein furchtbares Cartetsch Feuer aus allen Canonen gegen dasselbe richteten, ohne dass es sich dagegen, eher es aufmarschiert war,

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eigenes Regiment hatte zwei Kavallerieattacken abzuwehren und verfugte gegen neun Uhr über keine Munition mehr, erhielt jedoch noch rechtzeitig Nachschub und konnte weitere zwei Stunden gegen die ständig neu angreifenden Österreicher kämpfen. „Die Zahl der Toten war ungeheuer, so dass, da der Feind mit immer neuen Bataillons anrückte, an manchen Orten bei 50 Tote wie auf einer Brustwehr aufeinanderlagen. [...] Von 6 Uhr morgens an bis 11 Uhr wurden wir von einer ungeheuren feindlichen Macht unausgesetzt angegriffen. Jeder Soldat hatte 120 Patronen auf demselben Platz verschossen, das überstieg fast alle menschlichen Kräfte." 16 Um elf Uhr wurden zum zweiten Mal die Patronen knapp und die österreichische Kavallerie setzte zu ihrem dritten und diesmal verheerendsten Angriff an, dem Barsewisch und seine Männer nur noch mit dem Bajonett begegnen konnten und dabei „grausam niedergemetzelt" wurden. Seine ganze Sorge galt dabei der Rettung der drei noch vorhandenen Fahnen des Bataillons, die er schließlich, nachdem er sich mit wenigen Männern durchgekämpft hatte, persönlich dem König überbrachte.17 Vor allem der preußische Fähnrich schaltet immer wieder anekdotische geprägte Szenen Friedrichs II. in die Darstellung ein, die wörtliche Rede wiedergebend eine besondere Nähe des Autors zum König suggerieren.18 Die Anwesenheit des Königs wird zum Orientierungspunkt und Motivationsmoment für die Kämpfenden. 19 Ganz im Sinne der zeitgenössischen Ideologie oder besser Beschreibungskultur der „belle retraite" wird schließlich die mm beginnende Flucht der Preußen zu einem geordneten Rückzug stilisiert.20 So legt Barsewisch großen Wert darauf, dass dieser sich in „der größten Ordnung" vollzogen habe.

schützen konnte. So wurde das ganze Regiment bis auf einige hundert Mann niedergeschossen. Das Dorf Hochkirch stand in hellen Flammen. Jetzt erfolgte der Angriff der Garde und des Bataillons von Retzow. Diese Tapferen taten nun zwar dem Feinde großen Schaden, trieben auch im Verein mit den Zerstreuten der übrigen, zurückgeworfenen Bataillons solchen zum Dorfe hinaus. Doch war die Übermacht und der Vorteil des Feindes, der beständig frische Truppen anrücken ließ, zu groß, um sich im Besitz desselben zu halten." Barsewisch, Tagebuchblätter (wie Anm. 7), 74. 16

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Barsewisch, Tagebuchblätter (wie Anm. 7), 77. Das war die doppelte Menge der normalerweise mitgeführten Patronen. Ebd., 79ff. Felleckner interpretiert diesen von Barsewisch ausfuhrlich geschilderten Handlungsstrang als Reaktion aus Verzweiflung angesichts einer gnadenlos vorgetragenen Kavallerieattacke, bei der die Fahnen letztlich nur eine Art Legitimationsmuster bilden, gleichwohl ist gerade von einem Fähnrich ein entsprechender Einsatz für das zentrale symbolische Kapital seiner Einheit durchaus erwartbar, vgl. Felleckner, Kampf (wie Anm. 4), 129ff. Barsewisch, Tagebuchblätter (wie Anm. 7), 73, 76f. „Seiner Majestät Gegenwart trug nicht wenig zu der besonderen Standhaftigkeit und Hingebung unserer Truppen bei." Ebd., 75. Vgl. dazu Ewa Anklam, Wissen nach Augenmaß. Militärische Beobachtung und Berichterstattung im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2007, 35 u. 184; Julie Anne Plax, Gloire Surrenders: Watteau's Military Paintings, in: John Bonehill, Geoff Quilley (Hg.), Conflicting Visions. War and Visual Culture in Britain and France c. 1700-1830, Aldershot, Burlington 2005, 15—40.

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Der am nachhaltigsten erinnerte Teil der Schlacht ist jedoch ohne Zweifel die Verteidigung des Kirchhofs von Hochkirch - für Küster eine „kleine geistliche Vestung" - durch das II. Bataillon des Infanterieregimentes Nr. 19 ,Markgraf Karl' unter Major Simon Moritz von Langen und dem Lieutenant von der Marwitz. Die Episode um die beiden „Helden" wurde von Küster später auch in sein OfficierLesebuch zur Erbauung späterer Soldatengenerationen aufgenommen.21 So hatte den „tapferen Major [...] gerade die Tour getroffen, in dieser schaudervollen Nacht mit dem zweyten Bataillon von Markgraf Karl die Wache auf dem Kirchhofe zu bekommen, der wie gewöhnlich zur Vertheidigung eingerichtet war, so dass man bequem über die Mauer schießen konnte; auch war der Eingang geschlossen und immer stark besetzt."22 Der Angriff der Österreicher begann angeblich mit einer List in Gestalt vorgeschickter Schein-Deserteure. Es folgte „die Unvorsichtigkeit eines Ungenannten", der „wider den Kriegsgebrauch, einer ganzen Anzahl noch mit Seitengewehren versehenen angeblichen Ueberläufer den Eingang auf den Kirchhof verstattet. Schon waren mehrere bewaffnete Oestreicher mit eingedrungen und hatten die Thorwache niedergemacht, als schnell der Major mit einigen Pelotons zum Thore eilte, es wieder eroberte, schließen und verrammeln ließ, und so im Finstern die kleine Kirchhofs-Bataille begann."23 Der Kampf um den Kirchhof erfolgte in mehreren Angriffswellen, die immer wieder zurückgeschlagen wurden, bis schließlich Kanonen eine Bresche in die Mauer schössen, der Major schwer verwundet wurde und die Österreicher den endgültigen Durchbruch schafften. „Anfangs kämpften Mann gegen Mann; bald aber gab der Major Ordre, dass die kleine Besatzung sich mit dem Rücken gegen die Mauer stellte, und so lange rasch feuerte, bis man keinen Verräther mehr spürte. Der Major bekam dabey einige schwere Säbelhiebe, der brave Lieutenant von Marwitz ward schwer verwundet, und mehrere Gemeine verloren ihr Leben; aber der Muth der übrigen ward dadurch im geringsten nicht geschwächt. Man verrammelte den Eingang noch umso mehr, und verstärkte die Wache desselben, auch vertheilte man die Leute auf den Kirchenbänken und den Erhöhungen, die man vorher schon zum bequemen schießen über die Mauer angelegt hatte. Es währte keine Viertelstunde, so fingen die Feinde an den Kirchhof zu stürmen. Man wehrte aber den Sturm tapfer ab; indeß die eigentliche Schlacht um das Dorf vorfiel." 24

Etwa zu diesem Zeitpunkt wurde einer unserer Augenzeugen, der Graf Cogniazo, schwer verwundet und vom Feld gebracht.25 Mit dem massiven Einsatz von Artillerie wendete sich das Blatt alsbald endgültig zugunsten der Österreicher:

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Beispiel außerordentlicher Tapferkeit des Majors v. Lange und des Lieutenant von Marwitz, in Vertheidigung des Kirchhofs bey dem nächtlichen Ueberfall bey Hochkirch, in: Carl Daniel Küster (Hg.), Officier-Lesebuch historisch-militairischen Inhalts, mit untermischten interessanten Anekdoten, Berlin 1793-1797 (ND Starnberg 1988), T. 3, Bd. 2, 117-131. Ebd., 123 f. Ebd., 124. Zur Fiktionalität dieser List vgl. Großer Generalstab, Hochkirch (wie Anm. 3), 492f. Beispiel außerordentlicher Tapferkeit (wie Anm. 21), 125. Cogniazo, Geständnisse (wie Anm. 7), 43.

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„Dieser dem Feinde misslungene Angriff bewürkte einen ziemlich langen Stillstand; dann aber rückte der Feind mit Kanonen an und schoß ein Stück der Mauer ein. Die Besatzung vertheidigt ihre Bresche männlich, und nur nach einem Löwenkampf derselben, als der an der Spitze stehende brave Major nach zwey erhaltenen Säbelhieben niedersank, gelang es den Feinden einzudringen."26 Küsters Darstellung betont nun vor allem das sehr faire und kameradschaftliche Verhalten der österreichischen Sieger den Preußen gegenüber, das ein vollständiges Blutbad verhinderte: „Ein braver östreichischer Officier hemmte die Wuth der Sieger, dass sie den w e n i g e n Ueberrest nicht niederstießen. Edelmüthig rief er: ,Halt! Halt! Sie sind unsere Gefangne; ein braver Krieger muß den andern nicht ohne Noth tödten'." 2 7 Die kleine „Kirchhofs Bataille" erinnerte bereits die Zeitgenossen auffallig an die Kämpfe um den Kirchhof von Leuthen im Jahr zuvor, w o es die Würzburger und Österreicher waren, die lange den Kirchhof hielten. 2 8 D i e Verteidigung entsprechender Orte gegen eine Übermacht von Feinden eignete sich sowohl für die Angreifer als auch für die Verteidiger zur Heroisierung und szenischen Verdichtung des Ereignisses. Die tendenzielle Unüberschaubarkeit der Kampfhandlungen wird so auf einen bestimmten Schlüsselmoment fokussierbar und damit erst darstellbar. Auch Küster bemüht die Bilder der „belle retraite": „Der König hatte auch mitten im Getümmel der Schlacht, wo er nie Bestürzung zeigte, die Gegenwart des Geistes, das Retzowsche Korps auf die Anhöhen marschiren zu lassen, die den Rückzug auf der Ebene vor Bautzen sicherten. Dahin ging er mit dem kleinen Rest seiner Truppen, und General Saldern deckte die Retraite so meisterhaft, dass es im geringsten keiner Flucht, sondern dem Abmarsch von einem Manöverplatz ähnlich war." 29 Für Archenholz realisierten die Preußen gar einen Rückzug, dem nichts als ein zweitausendjähriges Alter fehlte, um von allen Zungen gepriesen zu werden." 30 Die Flucht erscheint fast w i e ein Triumph und so ist es bezeichnend, dass auch Barsewisch den Verlust der Schlacht weitgehend zu relativieren versucht: „Der Feind hat sich dieser Schlacht, wie er sie nannte, niemalen recht gerühmt, indem er über 12.000 Tote auf dem Platz gelassen und über 6.000 Verwundete gehabt, da ihm unsere Cavallerie gleich im Anfang sechs Regimenter völlig zugrunde gerichtet und bei dem zweiten Angriff drei Bataillons gänzlich niedergemacht, ohne dasjenige, was von unserer sechsstündigen Canonade und Kleingewehrfeuer auf der Stelle geblieben. Vom Feinde waren ebenfalls einige

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Beispiel außerordentlicher Tapferkeit (wie Anm. 21), 125f. Ebd., 126. „So vertheidigten auch die Oestreicher in der Schlacht bey Leuthen den Kirchhof heldenmüthig, wodurch ihre größtentheils geschlagene Armee Zeit gewann, sich mit Ordnung zurückzuziehen." Beispiel außerordentlicher Tapferkeit (wie Anm. 21), 127; sowie Cogniazo, Geständnisse (wie Anm. 7), Bd. 3, 42 in der Anmerkung: „Die Oestreicher begingen bey diesem Kirchhof eben den Fehler, den die Preußen bey dem Kirchhof von Leuthen begangen hatten. In beyden Fällen war ohne Noth der Kern von Mannschaft aufgeopfert, da man doch durch Hülfe der Artillerie, woran es gar nicht mangelte, in sehr kurzer Zeit damit fertig werden konnte. " Beispiel außerordentlicher Tapferkeit (wie Anm. 21), 123. Archenholz, Geschichte (wie Anm. 9), 174.

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Generals geblieben und der Feldmarschall Daun blessirt. Der kaiserliche General Vitelleschi nebst 700 Mann gerieten in unsere Gefangenschaft. Andere Gefangene hatten sich während dem Treffen wieder befreit. Unser Regiment hatte 400 Tote auf dem Platz gelassen und 600 Mann, so blessirt, waren in Gefangenschaft geraten, so nachhero im Winter wieder ausgeliefert wurden. Der Feind eroberte 120 Canonen. Da er aber durch die Geistesgegenwart unseres Monarchen seinen Sieg nicht verfolgen konnte, so war unser Verlust gegen den Vorteil, so wir bei Leuthen hatten, unbeträchtlich, und der Feind musste sich mit der Walstatt begnügen." 31 Formulierungen wie „dieser Schlacht, wie er sie nannte" und „der Feind mußte sich mit der Wahlstatt begnügen" zeigen, wie hier versucht wird das zentrale symbolische Kriterium des Sieges - die Besetzung des Schlachtfeldes - durch die gegnerischen Verluste und die nicht erfolgte Vernichtung der eigenen Truppen herunterzuspielen, ja noch nicht einmal v o n einer richtigen Schlacht, sondern eben nur einem „Überfall" die Rede sein konnte. Was die Verlustzahlen angeht, hat der Fähnrich zudem etwas unter- bzw. übertrieben. So verloren die Preußen rund 9 000 Mann und damit circa ein Drittel ihrer hier beteiligten Truppen, während die Österreicher mit rund 7 0 0 0 Mann etwa ein Zehntel ihrer Truppen verloren. 32 Auch viele österreichische Darstellungen unterschieden sich jedoch kaum v o n der Interpretation der preußischen Veteranen, in dem sie die Entscheidung Dauns, Friedrich nicht nachzusetzen, als verpasste Gelegenheit interpretierten. So heißt es in den „Geständnissen" des von Friedrich begeisterten Grafen Cogniazo: „Hätte uns Friedrich in einer solchen Falle gehabt, so würde dieser Tag vielleicht der letzte unsrer Größe gewesen seyn. - Uns trug er nur unfruchtbare Lorbeer. Und wenn man einem dritten Manne ohne Erwähnung des Sieges nur die Folgen davon erzählt [...] so kann man hundert gegen Eins wetten, daß er nicht uns, sondern die Preußen für Sieger der Wirkung nach, das heißt, in Absichten der Folgen erklären will." 33

2. Das Zeremoniell der Information Ein exemplarischer Einblick in die Verbreitungsweise der Nachricht v o m Ausgang der Schlacht soll im Folgenden am Beispiel des wichtigsten österreichischen Nachrichtenorgans der Zeit, dem Wiener Diarium

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gegeben werden. 3 4 Die Nachricht v o m erfolgrei-

Barsewisch, Tagebuchblätter (wie Anm. 7), 84. Bereits kurz vorher schreibt er ähnlich über den Rückzug: „so dass der Feind uns nicht weiter beunruhigte und sich mit dem Besitz der Walstatt in bescheidener Weise begnügte." Ebd., 83. Vgl. Großer Generalstab, Hochkirch (wie Anm. 3), 295. Cogniazo, Geständnisse (wie Anm. 7), 45. Andreas Gestrich, Das Wienerische Diarium in der Zeit des Siebenjährigen Krieges. Ein Projektbericht, in: Daniel Höhrath, Klaus Gerteis (Hg.), Die Kriegskunst im Lichte der Vernunft. Militär und Aufklärung im 18. Jahrhundert, Teil II (Auflclärung 12 [2000], 73-79); ders, Kriegsberichterstattung als Propaganda. Das Beispiel des „ Wienerschen Diarium " im Siebenjährigen Krieg 1756-1763, in: Ute Daniel (Hg.), Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert, Göttingen 2006, 23-39. Der Jahrgang 1758 ist online zugänglich unter http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?apm=0&datum=1758&zoom=2 (Stand: 17. Juni 2010);

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chen Überfall auf das preußische Lager bei Hochkirch am 14. Oktober 1758 erreichte Wien bereits am 15. Oktober. Das Wienerische

Diarium

berichtet über den Ausgang der

Schlacht und die regelmäßig nach einem ähnlichen Muster ablaufende symbolische Kommunikation des Sieges am 18. Oktober. In diesem höfischen „Zeremoniel der Information" wurden militärische Ereignisse nach einer stark ritualisierten Choreographie an die Öffentlichkeit gebracht. 35 Der H o f hielt „großes Apartement", als nach dessen Ende gegen acht Uhr der Flügeladjutant Freiherr v o n Roschitz „ganz unvermutet mit 4. blasenden Postillionen zu Schönbrunn eingeritten, und dem allerhöchsten Kaiserl. Hofe die erfreulichste Nachricht überbracht hat, dass es den 14ten dieses frühe vor 5. Uhr zwischen der Kaiserl. Königl. und der Preußischen Armee zu einem Haupttreffen gekommenn, welche (nachdeme die unselige die Preußen in ihrem Lager annoch vor Tags plötzlich überfallen haben,) bis gegen 11. Uhr Mittags gedauret, worauf die Feinde gezwungen worden, nach einem hartnäckigen Widerstand den Wahl-platz mit Hinterlassung einer sehr beträchtlichen Anzahl Canonen, Standarten, und Fahnen, auch vieler Bagage, und aller Zelten ihres ganzen Lagers deren siegreichen Kaiserl. Königl. Waffen abzutreten, und in äusserster Confusion die Flucht zu ergreifen." Es wird hier deutlich, dass die Vertreibung des Feindes v o n Wahl-Platze zum entscheidenden Siegeskriterium wird und zudem nicht v o n einem geordneten Rückzug, sondern „äußerster Confusion" die Rede ist. 36 N o c h am gleichen Abend werden erste Feierlichkeiten abgehalten und die Nachricht in der Stadt verbreitet. 37 In einem Postscriptum zur gleichen Ausgabe wird von der Eroberung preußischer Feldzeichen berichtet.

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vgl. auch die offiziellen Relationen in: Beyträge zur neuern Staats- und Kriegsgeschichte, 49 u. 50 Stück, Danzig 1758, 615-625, 664f. sowie 59 u. 60 Stück, Danzig 1759, 662-667. Vgl. Michele Fogel, Les Ceremonies de I 'information dans la France du XVf au XVIIF siecle, Paris 1989. Vgl. Marian Füssel, Das Undarstellbare darstellen. Das Bild der Schlacht im 18. Jahrhundert am Beispiel Zorndorf25.8.1758, in: Birgit Emich, Gabriela Signori (Hg.), Kriegsbilder in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin 2009, 317-349. „Uber dieses so unvermutet als zur erwünschten Verherrlichung des besagt allerhöchsten Namens-festes annoch eben zu recht eingetroffene fröhliche Zeitung wurde noch selbigen Abend in der Schlosskapelle zu Schönbrunn vom Sr. Eben alda annoch zu gegen sich befundenen Hochfurstl. Gnaden dem alhiesigen Herrn Erzbischoffen alsogleich mit Zuziehung deren aldasigen Herren Hof-cappelanen, und WW: EE: PP: Capucinern das Те Deum laudamus in Beywohnung allerhöchster Herrschaften und des sammentlichen hohen Adels gehalten. Nach 10. Uhr darauf ist ersagter Herr Baron Rotschitz mit denen 4. blasenden Postillionen, und ihme von Schönbrunn aus zugegebenen 2. Kaiserl. Königl. Reit-knechten mit Wind-lichtern von dannen herein durch die Stadt zu Sr. Excellenz dem Herrn Hof-kriegs-raths-präsidenten Grafen von Harrach geritten, und zugleich in der ganzen Stadt ein ganz ungemeines Frolocken darüber entstanden." (wie Anm. 34) „Heute sodann als Mittwochs' den 18. Octob. Um 11. Uhr Mittags ist (Tit.) Herr Generalmajor Freyherr von Tillier mit vorreitenden 24. blasenden Postillionen, und 5. Post-beamten, auch ihme auf zwey Post-calessen nachgeführten 28. Preußischen Fahnen, und Standarten unter beständigen Frohlocken des häufigen Volkes, durch dieses Stadt nacher Schönbrunn als Currier von der Kaiserl. Königl. Armee eingeritten, und hat selber die von Sr. Excellenz dem commandirenden Herrn General Feld-marschall Grafen von Daun von erwehnt- den 14. dieses wieder den König von

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darin angekündigte Relation erfolgt dann in einem „Extra-blat zu Nro. 84 den 21. October, 1758". Über die eigentlichen Kampfhandlungen wird der Leser kaum unterrichtet, der Schwerpunkt liegt auf der Dokumentation der Siegesfeiern und den Folgen der Schlacht. „Den 15ten, welches eben der glorreicheste Namens-tag Ihre Majestät der Römischen Kaiserin ware, Hesse der commandierende Generalfeldmarschall Graf von Daun das feyerliche Dankfest über den Tags vorhero so herrlich erfochtenen Sieg bey der Armee abhalten. Es wurden zu dem Ende einige Zelten gedachten Feldmarschalls unweit des damaligen Hauptquartiers aufgeschlagen, und unter einem derenselben das Hoch-amt, und nach dessen Endigung das Те Deum unter Anstimmung der anwesenden Feldmusic, dann Trompeten und Paucken-schall abgesungen. Bey sothanen Zeltern paradirten einige Compagnien Carabiniers und Grenadiers, dann befände sich in deren Nähe die erobert- feindliche zahlreiche Artillertie aufgeführet, und die dem Feind abgenommene Fahnen und Standarten aufgestecket. Dies ganze Solennität aber endigte sich des Abends mit dreymaliger Abfeuerung deren eroberten Canonen und durch ein eben so oft von der Armee mit dem kleinen Gewehr gemachtes Lauf-feuer." Die sich anschließenden Berichte über die Versorgung der Toten und Verwundeten dienten nicht nur der Dokumentation einer humanen Vorgehensweise der eigenen Armee, sondern manifestierten noch einmal den unzweifelhaften Anspruch auf den Sieg, denn nur der Sieger konnte sich als Herr des Schlachtfeldes der Sorge um die Toten annehmen. 39 Besondere Aufmerksamkeit galt der von den Österreichern mit allen militärischen Ehren vorgenommen Bestattung des preußischen Generals James F. E. Keith. So ereignete sich diese „mit allen Ehrenbezeugungen nach dem im Leben begleiteten Rang; sintemalen bey der Einsenkung in die Erde 12. Canonen zu 3. malen gelöset, und von der auf dem Wahlplatz verbliebenen Brigade des Generalfeldmarschallleutnants Grafens von Colloredo eben so oft das kleine Gewehr abgefeuert wurde." Sein Tod bei Hochkirch machte Keith zu einem der populärsten Helden des Siebenjährigen Krieges. 40 Einer seiner späteren Biographen, Karl August Varnhagen von Ense, beschreibt die Auffindung des Toten wie folgt:

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Preußen erfochtenen herrlichen Sieg eingeschickte ausführliche Relation mit gebracht, welche man nächstens dem Publico mittheilen wird." In Nr. 84 vom Samstag dem 21. Oktober 1758 bringt das Diarium einen Nachtrag, in dem zu lesen ist, dass Tillier „nebst denen gemeldeten 28. preußischen Fahnen, auch 2. dero Standarten, mithin in allen 30. Stücke solche eroberte Siegeszeichen mit sich gebracht habe." (Ebd.) So habe man „die Vorsorg- und Zusammenbringung sowohl deren diesseitig- als feindlichen Bleßirten keineswegs vergessen, sondern dieselbe aller Orten auf das fleißigste, ohne Unterscheid, zusammen gesuchet, in denen dazu bestimmten Orten bis zur weiteren Transportierung untergebracht, und aldorten denenselben in allen Erfordernussen auf das möglichste beygesprungen. Auf das Schlachtfeld mußten die Regimenter nicht minder eine Anzahl ihrer Mannschaft commandiren, um die aldorten gebliebene Totde durch die Beyhülfe des zugegebenen Land-volkes zu beerdigen." (Ebd.) Carl Friedrich Pauli, Leben grosser Helden des gegenwärtigen Krieges, 4. Theil, Halle 1759, 3 76, hier 68-71.

DIE KULTUR DER NIEDERLAGE

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„Der Leichnam Keith's lag geplündert und nackt, nur von einem Kroatenmantel bedeckt, unter den Schaaren von Todten, welche den Boden um Hochkirch bedeckten, und wurde mit einigen andern in die Dorfkirche gebracht, wo Daun mit mehreren seiner Generale auf einen Augenblick eintrat, und Lascy den Mantel aufhebend, mit Bewegung ausrief: ,Es ist meines Vaters bester Freund, Keith!' Die Kniewunde, welche Keith bei Otschakoff bekommen, trug dazu bei ihn zu erkennen."41

Keiths Begräbnis wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Joseph Erasmus Belling auch in einem Kupferstich verewigt, der die zeremoniellen Ehrenbezeugungen detailliert festhält.42 Ein Jahr später wurde sein Leichnam nach Berlin überfuhrt, wo er 1786 ein Denkmal auf dem Wilhelmsplatz erhielt.43

3. Die „Blutgasse" - Zur Fabrikation eines Gedächtnisortes Als zeitgenössische visuelle Repräsentationen der Schlacht von Hochkirch sind eine ganze Reihe von Kupferstichen und Plänen überliefert, die sich aber meist nach den Darstellungskonventionen der „Schlachtbildberichterstattung" richten, die ikonographisch wenig individualisierende Züge aufweist. 44 Existieren im Gegensatz zu den Stichen insgesamt offenbar nur sehr wenige zeitgenössische Ölgemälde von Schlachten des Siebenjährigen Krieges, so zählt der Überfall von Hochkirch ohne Zweifel zu den beliebtesten Motiven der heute bekannten Gemälde auf österreichischer Seite: Hyacinth de la Pegna (1706-1772) 45 , Franz Paul Findenigg (1726/7-1771 )46 und Johann Christian Brand (1723—1795)47 schufen jeweils Gemälde des brennenden Hochkirch am Tag bzw. am Morgen nach der Schlacht. Auf allen drei Bildern ist die Kirche von Hochkirch zu sehen, um die herum sich die blutigsten Kämpfe abgespielt hatten und deren Uhr angeblich um fünf Uhr morgens das Zeichen zum Angriff gegeben haben soll 48 Alle 41 42

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Karl August Varnhagen von Ense, Leben des Feldmarschalls Jakob Keith, Berlin 1844, 258f. Vgl. Maria Theresia und ihre Zeit. Zur 200 Wiederkehr des Todestages. Ausstellung 13. Mai bis 26. Oktober 1980, Wien, Schloß Schönbrunn, Salzburg/Wien 1980, 160-161; Gerhild M. Komander, Der Wandel des „Sehepuncktes". Die Geschichte Brandenburg-Preußens in der Graphik von 1648-1810, Münster/Hamburg 1995, 222f. Vgl. Friedrich der Große, Gespräche mit Henri de Catt, hg. von Willy Schüssler, München 1981, 313. Vgl. das Verzeichnis bei Komander, Wandel des „Sehepuncktes" (wie Anm. 42), 415—417. Vgl. Johann Christoph Allmayer-Beck, Das heeresgeschichtliche Museum Wien. Saal II: Das 18. Jahrhundert bis 1790, Salzburg 1983,29. Abb. in: Friedrich Benninghoven/Helmut Börsch-Supan/Iselin Gundermann (Hg.), Friedrich der Große. Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1986, 200. Abb. in Maria Theresia und ihre Zeit (wie Anm.42), 159, dort auch ein kurzer Kommentar. Zur Person vgl. Sylvia Hofstätter, Johann Christian Brand (1722-1795), Phil. Diss. Wien 1973. Archenholz, Geschichte (wie Anm. 9), 171. Die Uhr wird in der Friedrich-Literatur geradezu zu einem Symbol der Schlacht, vgl. etwa die Illustration von Menzel bei Franz Kugler, Geschichte Friedrichs des Großen, Leipzig 1856 (ND Dortmund 1997), zu Hochkirch 325-340, hier 325.

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drei Maler - am deutlichsten de la Pegna und Brand - präsentieren im Vordergrund eine militärische Genreszene, gegenüber der die Kampfhandlungen im Zentrum des Ortes eher in den Hintergrund rücken. Bei de la Pegna finden wir in der linken unteren Bildhälfte Plünderungsszenen des preußischen Lagers, während in der rechten unteren Bildhälfte Offiziere zu Pferd die Gesamtsituation beobachten. Bei Brand ist die Kampfszene um die Kirche in die Bildmitte gesetzt, während der Vordergrund von Toten und Verwundeten sowie rechts einer Genreszene um einen Trosswagen dominiert wird. Findeniggs Darstellung positioniert Ort und Kirche ebenfalls in der Bildmitte und bietet einen Blick auf die bereits beendete Schlacht. Brands Gemälde entstand nach 1760 im Auftrag des Wiener Kaiserhauses und bezieht sich angeblich auf eine Skizze des Barons von Beaulieu, einem Augenzeugen der Schlacht.49 Alle drei Gemälde weisen durch die Darstellung der umkämpften Kirche einen eindeutig identifizierbaren Ereignisbezug auf die Geschehnisse von Hochkirch auf. Auf diese Weise arbeiten alle drei am die Erinnerung an das Ereignis dominierenden Gedächtnisort der „Blutgasse" und des Kirchhofs von Hochkirch, der heute noch verschiedene Denkmäler und historische Relikte wie versteinerte Kanonenkugeln und Einschusslöcher in der Kirchtür aufweist. 50 Die Darstellungen, die unser heutiges Bild vom Siebenjährigen Krieg prägen, stammen hingegen nicht aus dem 18. Jahrhundert, sondern aus dem späten 19. und 20. Jahrhundert. So heißt es schon in einer Abhandlung von 1912: „Der hervorragendste Herold friderizianischen Kriegsruhms ist erst im 19. Jahrhundert entstanden, in Menzel".51 Von Adolph von Menzel stammt neben der berühmten Ansprache Friedrichs an seine Generale vor der Schlacht von Leuthen auch ein Bild Friedrichs in der Schlacht von Hochkirch. Das auf 1856 datierte Gemälde wurde von Menzel vermutlich aus eigenem Antrieb gemalt, da es eine Niederlage zum Inhalt habend kaum auf große Verkaufschancen bei Hofe rechnen konnte.52 Der Gegner ist nicht zu sehen, alles deutet auf die Überfallssituation im frühen Morgengrauen hin. Friedrich ist rechts deutlich zu erkennen, doch insgesamt recht klein und noch dazu von seinen Offizieren getrennt dargestellt, so dass bereits alles darauf hindeutet, dass der König „auch trotz guten Willens den Sieg nicht mehr erringen kann".53 Später taucht die Darstellung auch auf Ansichtskarten wieder

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Vgl. Eduard R. V. Engerth, Kunsthistorische Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses. Gemälde. Beschreibendes Verzeichnis, Bd. 3: Deutsche Schulen, Wien 1886, 30f. 1765 gelangte das Gemälde in das kaiserliche Schloss nach Pressburg, 1781 schließlich wieder zurück nach Wien. In Hochkirch selbst wird das Gedächtnis an die Schlacht durch einen „kulturhistorischen Verein" hochgehalten, vgl. http://www.alterfritz-hochkirch.de (Stand: 17. Juni 2010). Alfred Steinitzer, Wilhelm Michel, Der Krieg in Bildern, München 1912, 112; zu HochkirchDarstellungen vor und nach Menzel vgl. auch Benninghoven, Friedrich (wie Anm. 46), 365f. Vgl. Donat de Chapeaurouge, Menzels Friedrichbilder im „Historischen Genre", in: Ekkehard Mai (Hg.), Historienmalerei in Europa. Paradigmen in Form, Funktion und Ideologie, Mainz 1990, 213-227, hier 218ff., zum Einfluss auf andere Gemälde Gisold Lammel, Adolph Menzel. Bildwelt und Bildregie, Dresden / Basel 1993, 32f.; vgl. zuletzt Dieter Radtke, Friedrich und die Seinen - in der Schlacht - bei Hochkirch, in: Zeitschrift für Heereskunde 72/429 (2008), 142-147. de Chapeaurouge, Menzels Friedrichbilder (wie Anm. 52), 220.

DIE KULTUR DER NIEDERLAGE

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auf, wie sie für das späte Kaiserreich von zahlreichen Schlachtenorten überliefert sind. Zusammen mit dem Porträt Friedrichs, der Blutgasse und den Denkmälern für General Keith und Major von Lange ist sie fester Bestandteil des Gedächtnisortes Hochkirch geworden. Ein nächtlicher Überfall ohne entscheidende Folgen, ein schwerer taktischer Fehler Friedrichs und ein zögerndes Vorgehen Dauns - das ist die Kurzformel, auf die die Schlacht von Hochkirch zumeist gebracht wird. Angesichts der Unübersichtlichkeit der Situation fokussiert sich die Erinnerungskultur auf einige entscheidende Schlüsselszenen: die Blutgasse und den Kampf um den Kirchhof sowie den Tod und die ehrenvolle Beisetzung des preußischen Generals Keith.54 Szenen, die auch in den meist in größerem zeitlichem Abstand zum Ereignis abgefassten Selbstzeugnissen stets gegenwärtig sind. Doch die behandelten Quellen eröffnen ebenso einen Zugang zur spezifischen Gewaltdynamik eines nächtlichen Überfalls auf engem Raum. Die auswegslose Straßenkampfsituation - ohnehin Garant für einen hohen Blutzoll - geriet nicht zuletzt angesichts der schlechten Sichtverhältnisse zu einem extrem aufreibenden Gefecht. Gerade die Augenzeugenberichte schaffen eine Kultur der Niederlage, in welcher der Widerstand der eingeschlossenen Preußen zu einer gefeierten Heldentat wird.55 Das zögerliche Nachsetzen der Österreicher ermöglicht einen ehrenvollen Rückzug der Preußen und der Heldentod Keiths wird zum Ausweis der Ritterlichkeit der Kriegführung. So zeigte sich für Archenholz Geist und Fähigkeit Friedrichs nie in einem „glänzenderen Licht, als in dieser Nacht", sein Ruhm sei damit nicht geschwächt, sondern vielmehr „außerordentlich erhöht" worden.56 Die preußischen Truppen hätten sich hier einen Ruhm erworben, den ihnen auch „zehn Siege" nicht hätten verschaffen können.57 Die Hochkircher Schlacht ist schließlich gerade in ihrem Ergebnis typisch für viele Schlachten des Siebenjährigen Krieges. Trotz eines extrem hohen Blutzolls kam es nicht zu einer vollständigen Vernichtung des Gegners, die Schlacht entschied langfristig wenig und der Erinnerungskultur der Niederlage gelang es schließlich sogar, den Verlust umzudeuten in einen heroischen Beweis der preußischen Disziplin.58

Vgl. etwa Carl August Kubitz, Ein Denkmal dem fast vergessenen Helden Siegmund Moritz Wilhelm v. Langen [...], 2. Aufl. Bautzen 1902, sowie als literarische Bearbeitung des Themas Hans Tschirner, Hochkirch. Die Geschichte einer denkwürdigen Schlacht, Hamburg 1963. Vgl. auch Carl Wilhelm von Hülsen, Unter Friedrich dem Großen. Aus den Memoiren des Aeltervaters 1752-1773, hg. von Helene von Hülsen (ND Osnabrück 1974), 95ff. Archenholz, Geschichte (wie Anm. 9), 175f. Auch Cogniazo vertrat die Ansicht, dass die Folgen der Schlacht „mehr zur Ehre der Besiegten als der Sieger" beigetragen habe, Cogniazo, Geständnisse (wie Anm. 7), 54. Für die spätere österreichische Historiographie wurde Daun gar zu einem „Angstmeier", vgl. Robitschek, Hochkirch (wie Anm. 3), 90. Zur Deutungskultur von militärischen Niederlagen vgl. Horst Carl, Hans-Henning Kortüm, Dieter Langewiesche, Friedrich Lenger (Hg.), Kriegsniederlagen. Erfahrungen und Erinnerungen, Berlin 2004.

RALF PROVE

Der delegitimierte Gegner. Kriegführung als Argument im Siebenjährigen Krieg

Die Legitimation eigener kriegerischer Aktionen und damit verbunden die Delegitimierung des militärischen Gegners durchzieht als Topos vom gerechten Krieg die gesamte Neuzeit. 1 Diese Vorstellungen von einem gerechten auf der einen und einem ungerechten Krieg auf der anderen Seite sind letztlich auf Überlegungen Thomas von Aquins zurückzufuhren. Dieser hat vor dem Hintergrund klassischer Naturrechtsvorstellungen und eines positiven Menschenbildes, in denen der Frieden als natürlicher Zustand des Zusammenlebens galt und der Krieg moraltheologisch interpretiert wurde, drei Voraussetzungen für einen gerechten Krieg entwickelt. 2 Erstens mit auctoritas principis die Bin1

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Vgl. dazu auch meine, bezogen auf die gesamte Frühe Neuzeit skizzierten Überlegungen: Ralf Pröve, Vom ius ad bellum zum ius in bello. Legitimation militärischer Gewalt in der Frühen Neuzeit, in: Claudia Ulbrich, Claudia Jarzebowski, Michaela Hohkamp (Hg.), Gewalt in der Frühen Neuzeit, Berlin 2005, 261-270; Von sprachlich-historischer Warte aus hat Georg Braungart, Zur Rhetorik der Polemik in der Frühen Neuzeit, in: Franz Bosbach (Hg.), Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit, Köln 1992, 1-21, entsprechende Grundsätze und Strukturen untersucht. Vgl. im folgenden Fritz Dickmann, Friedensrecht und Friedenssicherung. Studien zum Friedensproblem in der neueren Geschichte, Göttingen 1971; Michael Behnen, Der gerechte und der notwendige Krieg. „ Necessitas " und „ Utilitas reipublicae " in der Kriegstheorie des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Johannes Kunisch (Hg.), Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit, Berlin 1986, 43-106; Jochen Zenz-Kaplan, Das Naturrecht und die Idee des Ewigen Friedens im 18. Jahrhundert, Bochum 1995; Jörg Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag. Eine universalgeschichtliche Studie über Grundlagen und Formelemente des Friedensschlusses, Stuttgart 1979; Wilhelm Jansen, Art. Krieg, in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-

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RALF PRÖVE

dung des Rechts auf Kriegserklärung und Kriegführung an einen souveränen Herrscher, womit allen Fehden und Privatkriegen eine Absage erteilt wurde (eine Voraussetzung, die im Zuge der weiteren Staatsbildung immer wichtiger wurde und zu einer Reduktion der Kriegsberechtigten führte); zweitens mit intentio recta die Wiederherstellung der durch den Aggressor verletzten Rechts- und Friedensordnung als Kriegsziel und schließlich drittens mit iusta causa eine vorliegende Störung des Rechtsfriedens als Voraussetzung für Kriegshandlungen. Selbst als das sogenannte moderne Naturrecht mit seinem negativen Menschenbild im 16. und im 17. Jahrhundert den Krieg als Normalzustand, als bellum omnium in omnes begriff, hatte sich die Doktrin vom gerechten Krieg erhalten. Freilich hatten die Lehren von Jean Bodin und vor allem von Thomas Hobbes den gerechten Krieg endgültig an den Staat gebunden,3 der, nach innen unter seinen Bürgern Frieden garantierend, nach außen als autarker Kriegsakteur auftrat. Neben dieses moderne oder rationale Naturrecht trat das positive Völkerrecht, das spätestens durch Hugo Grotius sein theoretisches Fundament in Alteuropa gefunden hat.4 Staatsbildung, rationales Naturrecht und Völkerrecht bewirkten seit 1650 eine sehr deutliche Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, die sich in neutralen Kongressorten, geregelten Schiedsverfahren oder abgesicherten Wegen der Friedensvermittlung widerspiegelt.5 Zugleich bildete sich ein System der Großmächte heraus, das vom Bild der Balance der Kräfte im Sinne Newtons geprägt war, auf der Vorstellung von einem Gleichgewicht der Kräfte beruhte und somit der Idee einer Universalmonarchie eine Absage erteilte.6 Dieser vor allem im 17. Jahrhundert sich vollziehende Gesamtprozess wird flankiert von einer Verstaatlichung und Verrechtlichung des Militärs.7 Ausdrücklich hatten sich Alteuropas Potentaten die sogenannte gezähmte Bellona als

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sozialen Sprache in Deutschland, 8 Bde., Stuttgart 1972-1997, hier Bd. 3, 567-616; sowie Heinz Duchhardt, Krieg und Frieden im Zeitalter Ludwigs XIV., Düsseldorf 1987. Vgl. etwa Horst Bredekamp, Thomas Hobbes. Der Leviathan. Das Urbild des modernen Staates und seine Gegenbilder 1651-2000, Berlin 2003; oder Matthias Weimayr, Maria Enzersdorf, Bürgerkrieg und Machtzerfall. Thomas Hobbes und die Logik der Macht, in: Der Staat 35 (1996), 167— 187. Vgl. etwa Hugo Grotius, De jure belli ac pads, hg. v. Walter Schätzel, Tübingen 1950. Zur Rezeption von Grotius vgl. Frank Grunert, Von der Morgenröte zum hellen Tag. Zur Rezeption von Hugo Grotius' „De iure belli ac pacis" in der deutschen Frühaufklärung, in: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 25 (2003), 204-221. Vgl. dazu Heinz Duchhardt, Friedenswahrung im 18. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 240 (1985), 2 6 5 - 2 8 2 . Vgl. etwa Heinz Duchhardt, Westfälischer Friede und internationales System im Ancien Regime, in: Historische Zeitschrift 249 (1989), 529-543. Vgl. auch Ronald G. Asch, Wulf Eckhart Voß, Martin Wrede (Hg.), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt, München 2001. Vgl. etwa Ralf Pröve, Dimension und Reichweite der Paradigmen „Sozialdisziplinierung" und „Militarisierung" im Heiligen Römischen Reich, in: Heinz Schilling (Hg.), Institutionen, Instrumente und Akteure sozialer Kontrolle und Disziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, Frankfurt a.M. 1999, 6 5 - 8 5 .

DER DELEGITIMIERTE GEGNER

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Erfolg ihrer Regierungspolitik auf die Fahnen geschrieben und dabei die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges als grellen Kontrast gezeichnet. Die drei benannten Voraussetzungen für einen gerechten Krieg werden in den reichhaltig erschienenen Flugblättern und Deduktionen während des Siebenjährigen Krieges im Duell der Worte regelhaft aufgegriffen. Erstens, in Anlehnung an die auctoritas principis, gelte die eigene Partei als mäßigend und friedliebend, man vertrete nur Recht und Gesetz; demgegenüber sei der Gegner ehrgeizig, arglistig und unfreundlich, verfolge „herrschsüchtige Absichten",8 habe eine „Vergrößerungs-Begierde", sei arglistig, lüge und betrüge. Zweitens werden, gemäß der iusta causa-Formel die politischen und völkerrechtlichen Ursachen des Konflikts thematisiert. Man würde sich lediglich verteidigen, man sei nicht vertragsbrüchig geworden; man handele „in dem Natur- und Völker-Recht vollkommen gegründeten Motiven" 9 texteten die Höfe in Berlin und Dresden zu Beginn des Krieges. Die dritte Argumentationskette bezieht sich auf die Kriegsziele oder eben die intentio recta, die entsprechend defensiv formuliert wurden. „Ordnung und Frieden wieder herzustellen, die Kraft der Gesetze in vorigen Gang zu bringen"10 ließ Friedrich II. proklamieren, und Maria Theresia fordert nichts weiter als die Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts.11 Die Ereignisse des Siebenjährigen Krieges fanden ein breites publizistisches Echo. Neben den Zeitungen mit ihren Meldungen waren vor allem einzelne Flugblätter und Pamphlete weit verbreitet. Geradezu offiziösen Charakter nahmen Manifeste und Kriegsdeduktionen ein. Wie Andreas Gestrich herausgearbeitet hat, waren Kriegsmanifeste und politische Deduktionen zumeist regierungsnahe Auftragsarbeiten, die von 12

einem Minister oder hohen Diplomaten verfasst und vom König redigiert wurden. Zuweilen versuchte man über Mittelsmänner und gezielt lancierte Druckorte der Schrift den Anschein der objektiven Meinung eines Dritten zu verschaffen. Die Autoren bzw. deren Auftraggeber zielten meist auf die Ebene der europäischen Regierungen oder auch der regierenden Fürsten im Reich. Mit Vorliebe wurden diese Schriften in Regensburg, dem Sitz des Reichstages, verteilt oder verkauft oder aber auch gezielt an 8

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Ursachen welche S. kgl. Maj. in Preußen bewogen, sich wider die Absichten des Wienerischen Hofes zu setzen, und deren Ausfiihrung vorzukommen, о. O. 1756. Beantwortung des Gegen-Pro-Memoria des Chur-Brandenburgischen Gesandten Herrn Erich Christoph Freyherrn von Plotho, auf das Chur-Sächsische Pro-Memoria, übergeben 30. Oct. 1756. Anzeige der Ursachen, welche S. königl. Majestät bewogen haben, des Rom. Kaysers Majestät Hülfs-Völcker zuzusenden, о. O. 1744. Vgl. auch: Declaration derjenigen Gründe, welche Sr. Kgl. Majestät in Preußen bewogen, mit dero Armee in Sr. Kgl. Majest. in Pohlen und Churfürstl. Durchl. zu Sachsen Erb-Lande einzurücken, о. O. 1756. Ihro Majestät der Römischen Kayserin, in Germanien, zu Hungern und Böheim Königin etc. Anzeige an das Gesammte Teutsche Reich, den Königl. Preuß.- und Churbrandenb. Einbruch in Böhmen betreffen, о. O. 1756. Vgl. dazu auch Peter Segl, Die Feindbilder in der politischen Propaganda Friedrichs II. und seiner Gegner, in: Bosbach, Feindbilder (wie Anm. 1), 41-71. Vgl. Andreas Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit. Politische Kommunikation zu Beginn des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1994,195.

in Deutschland

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RALF PRÖVE

verschiedenen Höfen verbreitet.13 Doch blieb es nicht bei dieser Öffentlichkeit der Diplomaten, Agenten, Residenten, Minister und Monarchen an Europas Höfen. Gerade in größeren Städten wurden diese Schriften auch über den Buchhandel verkauft, teilweise illegal nachgedruckt und von Wanderhändlern verhökert. Vergegenwärtigt man sich noch, dass die Auflage einzelner Schriften in die Tausende, selten, aber immerhin zuweilen sogar in die Zehntausende ging, dass ein Exemplar in der Regel mehrere Leser hatte und dass auch, etwa in Ratsstuben, Kaffee- oder Wirtshäusern vorgelesen wurde, wird deutlich, dass eine enorm breite Öffentlichkeit (genauer: verschiedene Öffentlichkeiten) erreicht wurde und damit auch Kreise involviert wurden, die die Auftraggeber anfangs nicht im Sinn gehabt hatten14. Diese beachtliche Medialisierung und Motivierung korrespondiert mit einer etwa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzenden quantitativen wie qualitativen Erweiterung der Öffentlichkeit. Zu unterscheiden ist dabei der Quellen- vom Forschungsbegriff. Der Quellenbegriff Öffentlichkeit ist Folge eines breiten politischen Emanzipationsprozesses. In dem Maße, wie Gesellschaft und Staat auseinander traten, und von einer immer breiteren sozialen Schicht Kritik an den herrschenden Zuständen geübt wurde, setzte sich die Vorstellung durch, die Staatsgewalt an einen „öffentlichen Willen" zu binden und diesen zur Voraussetzung legitimer Herrschaft zu erklären. In diesem Sinne wurde Öffentlichkeit einmal als öffentliche, also qualifizierte und aufgeklärte Meinung verstanden, ein anderes Mal aber auch als Bereich der Kontrolle der Staatsorgane durch ein kritisches Publikum von Staatsbürgern. Öffentlichkeit in Staatssachen wurde zu einem politischen, eigentlich verfassungsrechtlichen Qualitätsmerkmal.

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Vgl. Andreas Gestrich, Krieg und Öffentlichkeit in der zweiten Hälfie des 17. Jahrhunderts, in: Angela Giebmeyer, Helga Schnabel-Schüle (Hg.), „Das Wichtigste ist der Mensch ". Festschrift für Klaus Gerteis, Mainz 2000, 21-36, hier 26. Neuere Forschungen haben hier geholfen, mit alten Vorstellungen aufzuräumen. Vgl. dazu im folgenden Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit (wie Anm. 12), 170f. sowie Martin Welke, Zeitung und Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert. Betrachtungen zur Reichweite und Funktion der periodischen deutschen Tagespublizistik, in: Elger Blühm (Hg.), Presse und Geschichte. Beiträge zur historischen Kommunikationsforschung, München 1977, 71-99. Demnach steigerte sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Zahl der Zeitungen von mindestens sechzig auf rund neunzig. Bis zum Ende des Jahrhunderts verdreifachte sich diese Zahl nochmals. In den 1720er Jahren sind durchschnittlich 65 Unternehmen gesichert. Geht man nach einer Schätzung von durchschnittlich 500 bis 600 verkauften Exemplaren pro Zeitung aus, dann kommt man auf etwa 35 000 Exemplare, die mehrmals wöchentlich und zum Teil auch täglich verkauft wurden. Im frühen 18. Jahrhundert konsumierten vor allem Männer als Leser und Hörer Zeitungen; durch den kollektiven Bezug und das übliche Vorlesen kamen auf jedes Zeitungsexemplar etwa zehn Rezipienten, so dass man mit rund 350 000 regelmäßigen Zeitungslesem rechnen kann. Bei einer Gesamtbevölkerung des Alten Reiches von etwa 16 Millionen wird der Anteil der männlichen Bevölkerung knapp acht Millionen betragen haben. Bei dem normalen vorindustriellen Bevölkerungsaufbau war jedoch von diesen acht Millionen kaum die Hälfte über 18 Jahre und somit in einem Alter, in dem sie regelmäßig Zeitungen lesen oder hören konnten bzw. wollten. Das bedeutet, dass etwa zehn Prozent der rezeptionsfähigen männlichen Bevölkerung von der Zeitung erreicht wurden.

DER DELEGITIMIERTE GEGNER

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In seiner sozialen und alltagsgeschichtlichen Dimension fasst der Forschungsbegriff Öffentlichkeit einen definierten Raum, in dem Menschen in einen kommunikativen Bezug treten, der Vorgänge und Handlungen auch in einseitiger, zufalliger oder gewollter Informationsübermittlung sichtbar macht15. Die Partizipienten einer solchen Öffentlichkeit nehmen Sachverhalte wahr und können auch als Handlungsgemeinschaft auftreten. Solche Formen von Öffentlichkeit können temporär (Markt, Gottesdienst, Straßenauflauf) oder dauerhaft (Ganzes Haus, Brunnengemeinschaft, Nachbarschaft) auftreten, sie können sich nach ständischen, sozialen oder berufsbedingten Kriterien konstituieren (Zunft, Lesegesellschaft, Militär), sie können institutionell eingebunden (Behörden, Stadtrat, Landtag) sein und sie können in einem größeren Bezugsrahmen stehen (Kirchgemeinde, Stadt, Dorf, Leser einer Zeitschrift). Solche Öffentlichkeiten können sich überschneiden: ein Individuum kann Teilnehmer mehrerer Öffentlichkeiten • 16 sein . Diese gesellschaftlichen Wandlungen, dieses neue und breit gestreute Interesse an öffentlichen Angelegenheiten und hier an den in der Tat aufsehenerregenden Kriegsereignissen und spektakulären Bündnissen, blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Kriegspamphletistik. War doch mittlerweile für das interessierte Publikum ein anderes Informationsdesign viel wichtiger. Weniger die moraltheologischen Zusammenhänge oder völkerrechtlichen Konsequenzen, sondern vielmehr die unmittelbaren Auswirkungen für Handel und Gewerbe standen im Vordergrund. Der Fabrikant, der Handwerksmeister oder der Kaufmann wollte wissen, ob es Probleme in der eigenen Stadt mit Durchmärschen oder Einquartierungen fremder oder einheimischer Truppen geben würde, ob sich die Soldaten an die verbindlichen Normen halten oder ob sie Schutzgeld erpressen, Äcker verwüsten, Vieh und Manufakturprodukte stehlen würden, ob die Handelswege und die großen Märkte in Europa sicher sein würden. Wenn auch weiterhin auf die drei klassischen Strategien im Sinne Aquins zur Delegitimierung des Kriegsgegners nicht verzichtet wurde, und auch bereits im 17. Jahrhundert auf angeprangerte Praktiken des Feindes eingegangen worden ist, so offenbaren die Flugblätter im Siebenjährigen Krieg doch eine deutliche Hinwendung auf die Kriegführungspraxis. Es bildete sich sozusagen eine vierte Kategorie der Delegitimierung. Es lassen sich dabei vier Kriterien erkennen. Erstens die Diffamierung und Ethnisierung der Kombattanten. 15

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In letzter Zeit wurden, meist inspiriert von einem kommunikativ-räumlichen Zugriff, solche Orte von Begegnung, Kommunikation und Öffentlichkeit untersucht. Vgl. etwa den Sammelband von Susanne Rau, Gerd Schwerhoff (Hg.), Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Köln 2004. Vgl. zur Begriffsgeschichte Peter Uwe Hohendahl (Hg.), Öffentlichkeit. Geschichte eines kritischen Begriffs, Stuttgart 2000; sowie Hans-Wolf Jäger (Hg.), „ Öffentlichkeit" im 18. Jahrhundert, Göttingen 1997. Vgl. etwa auch den begriffsgeschichtlichen Überblick von Lucian Hölscher, Öffentlichkeit, in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 4, Stuttgart 2004, 413— 467.

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Es seien vor allem „Uhlanen, Bosniacken, Tartarn", die in der Neumark Übergriffe verübt hätten 17 . An anderer Stelle heißt es, ungarische Truppen seien die Schlimmsten g e w e s e n oder Kroaten 18 . Ganz „Teutschland" sei mit fremden Kriegs-Völkern überschwemmt, „die ungarischen Kriegs-Völker und unter diesen die allerbarbarischten Völcker, deren N a m e n man sonst kaum gekannt hat, als die Lyceaner, Talpatschen, Waradiner, Panduren etc.", wurde in einem in Köln gedruckten Flugblatt angeprangert. Stets ging es darum, diese Truppen aufgrund ihrer Herkunft (außerhalb des Reiches, außerhalb des bekannten europäischen Kulturraumes stammend) zu delegitimieren. Statt intrakultureller ging es somit um interkulturelle Auseinandersetzungen 1 9 , wodurch die völkerrechtlichen Grundsätze der Kriegffihrung ausgehebelt wurden. Zweitens

die Anprangerung der taktischen und strategischen Kriegführung im Rah20

men des sogenannten kleinen Krieges .

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19

20

Note wegen der von den Königl. Pohlnischen und Chur-Sächsischen irregulairen Truppen in den Königl. Preuß. Landen der Neu-Marck ausgeübten Feindseeligkeiten, o.O. 1757. Beantwortung der unter dem Titul Natürliche Vorstellung der Wahrheit denen Memoirs raisonnis entgegen gesetzten Sächsischen Schrift. In einem Schreiben eines Kaufmanns in Hamburg an einen anderen in Leipzig, Hamburg 1757, bzw. Ursachen welche S. Kgl. Maj. In Preußen bewogen, sich wider die Absichten des Wienerischen Hofes zu setzen, und deren Ausführung vorzukommen, о. O. 1756. Intrakulturelle Kriege zeichnen sich durch eine überwiegend regelorientierte Kriegspraxis aus. Die gemeinsame legitimatorische Basis des ius ad bellum lieferte dabei gleichsam die Voraussetzung einer entsprechenden Kodifizierung des ius in bello. Intrakulturelle Kriege finden zwischen zwei Kulturen oder Subkulturen eines gemeinsamen Kulturraumes statt, deren kriegerische Konventionen und Rituale nicht in Frage gestellt werden, so dass Konfliktbegrenzung und damit die Rückkehr zum Frieden auf der Basis wechselseitiger Anerkennung möglich ist und angestrebt wird. Interkulturelle Kriege hingegen werden zwischen Gegnern mit unterschiedlichen und nicht wechselseitig akzeptierten kulturellen Formen der Kriegffihrung geführt. Dabei werden die Motive und die kulturellen Konventionen der jeweiligen Kriegspraxis entweder nicht verstanden oder bewusst als kulturfremd und daher „barbarisch" abgelehnt. Interkulturelle Kriege finden in der Regel an den kulturellen Grenzsäumen von Gesellschaften statt und lassen sich bei Auseinandersetzungen im Rahmen der europäischen Expansion beobachten. Vgl. hierzu etwa Bernhard R. Kroener, Antichrist, Archenemy, Disturber of the Peace. Forms and Means of Violent Conflict in the Early Modern Ages, in: Hans-Henning Kortüm (Hg.), Transcultural Wars from the Middle Ages to the 21" Century, Berlin 2006, 57-83. Darunter wird der Einsatz leichter Truppen verstanden. Diese Truppen bestanden aus kleineren, locker gegliederten Verbänden mit flacher Befehlskette; die Männer kämpften individuell, nutzten das Gelände im Kampf geschickt zu ihrem Vorteil aus, bewegten sich nicht selten getarnt, kämpften als Partisanen, und schössen selbständig, vor allem schössen sie gezielt. Solche Scharfschützen oder Jäger töteten zum Beispiel ganz gezielt Offiziere des Gegners, was den europäischen Adelskomment verletzte und immer wieder zu scharfen Protesten führte. Diese bewegliche, freiere und nur mit Freiwilligen zu bestreitende sogenannte Tirailleurtaktik brach nicht nur mit den starren Regeln der bisherigen Kriegführung, sondern unterminierte zugleich das ständische Gesellschaftskonzept. Vgl. hierzu Martin Rink, Vom „Partheygänger" zum Partisanen. Die Konzeption des kleinen Kriegs in Preußen 1740-1813, Frankfurt a.M. 1999.

DER DELEGITIMIERTE GEGNER

281

In den Flugblättern wird die Dichotomie von geordneter Kriegführung im Rahmen der Lineartaktik auf der einen Seite, das Schreckensbild des Dreißigjährigen Krieges, nämlich einen ungeregelten Krieg auf der anderen Seite gezeichnet. So wird von „Irregulairen Trouppen" gesprochen, die offen herumstreifen, mitunter nicht zu erkennen sind, sich nicht an das Kriegsrecht halten, Übergriffe verüben, gezielt Offiziere töten. Drittens Übergriffe auf die Bevölkerung. Das Kriegsrecht trennt dabei legitime von illegitimer militärischer Gewalt. Während Gefechte, Belagerungen und Eroberungen nicht weiter thematisiert werden, gilt offene Gewalttätigkeit gegen Zivilisten und deren Bauwerke als zu ahndende Übergriffe 21 . So heißt es in einem Flugblatt über Ereignisse in der Neumark: Es seien Ulanen „zu dem Schultzen zu Berckenwerder [geritten], und als sie derselbe nicht an sich kommen lassen wollte, sondern ihnen eine Heu-Gabel vorhielt, bemächtigten sie sich seiner mit Gewalt, schlugen ihm die Arme entzwey und hieben ihm in die Schulter. Hiernächst attaquirten sie noch einen andern Cossäthen, nahmens Kloppe, versetzten ihm einen Hieb in den Kopf, prügelten auch noch verschiedene andere Unterthanen, deren sie habhafft werden können"22. Über Ereignisse in Berlin wird in einem anderen Flugblatt vermerkt: „Eine große Anzahl Personen sind mit Schlägen, Säbelhieben und sonsten auf das grausamste misshandelt worden, so, dass viele derselben, wegen der empfangenen Wunden, sich noch in Lebensgefahr befinden. Man hat sogar zu Cölln, am Ufer der Spree, eine Weibesperson, nahmens Schäck, todt und von Säbelhieben gantz verunstaltet gefunden." 23 Viertens ökonomische Schäden. „Städte, welche man schon unter Contribution gesetzet, sind gleichwohl geplündert und verheert worden", in Schlesien seien gezielt Städte bombardiert worden, „wie es scheinet um das Vergnügen zu haben, eine Menge Häuser und Gebäude in Flammen zu sehen"24. An anderer Stelle heißt es, in Berlin sei es trotz ordnungsgemäßer Kapitulation durch österreichische Regimenter zu Übergriffen im Quartier gekommen: „wo sie 21

Vgl. zu diesem Problem Ralf Prove, Gewalt und Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Formen und Formenwandel von Gewalt, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47 (1999), 792-806; sowie speziell zum Problem von violentia und potestas ders., Violentia undpotestas. Perzeptionsprobleme von Gewalt in Söldnertagebüchern des 17. Jahrhunderts, in: Markus Meumann, Dirk Niefanger (Hg.), „Ein Schauplatz herber Angst. " Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert, Göttingen 1997, 24—42. Vgl. auch Julius R. Ruff, Violence in Early Modern Europe 15001800, Cambridge 2001; sowie die wichtigen Beiträge in Neithard Bulst, Peter Schuster (Hg.), Gewalt. Ausprägung, Wahrnehmung und Regulierung von Gewalt in der Vormoderne, Paderborn 2004.

22

Note wegen der von den Königl. Pohlnischen und Chur-Sächsischen irregulairen Truppen in den Königl. Preuß. Landen der Neu-Marck ausgeübten Feindseligkeiten, o.O. 1757. Kurzgefasste Nachricht von der ab Seiten der Russisch-Österreichund Sächsischen Troupen auf eine unerhörte Art geschehenen Verheerung der Mark Brandenburg, und von denen Grausamkeiten, welche sie bey der im Monath October 1760 auf die Stadt Berlin gemachten Unternehmung darinnen ausgeübet haben, 1761.

23

24

Ebd.

282

RALF PROVE

sogar auf Discretion gelebet, und, ohne sich mit Speis und Trank zu begnügen, ihre Wirthe genöthiget haben, ihnen Geld, Effecten und alles, was sie nur verlanget, zu geben". Es seien dabei nicht wenige Berliner Bürger, denen die Einquartierung auf diese Weise hundert bis tausend Taler gekostet habe. Eine genaue Untersuchung habe ergeben, dass „282 Bürgers-Häuser aufgeschlagen und geplündert, auch deren Bewohner durch die unerhörtesten Gewaltthaten genöthiget worden, Geld, Uhren, und überhaupt alles, was denen Soldaten anständig gewesen, her zu geben". Überdies könne man sich nicht frei auf der Straße bewegen, „ohne Gefahr ausgeplündert zu werden; und diejenige, welche ihrer Geschäfte halber Abends oder Nachtszeit ausgehen müssen, sind mehrentheils gänzlich ausgezogen worden". Um die angeprangerte Kriegführung des Gegners nachvollziehbar und glaubwürdig darzustellen, wurden immer wieder konkrete Namen und Ereignisse beispielhaft angeführt, eine Stadt, ein Dorf, eine Person, zum Teil ein genaues Datum, teilweise auch die betroffenen Truppenteile oder Kommandanten namentlich benannt. Stets ging es um die Unrechtmäßigkeit der Übergriffe, die anhand einer detaillierten Beschreibung dieser Gewalttaten veranschaulicht wurde. Dabei standen im Vordergrund die im Stadtbürgertum und der Gruppe der Wirtschaftsbürger nur zu gut bekannten Muster: Raub und Tätlichkeit auf der Straße und im Quartier, Behinderung von Handel und Gewerbe. Längst war die von Europas Fürsten beschworene gezähmte Bellona, also die Kriegführung möglichst ohne Beeinträchtigung der Einwohner25, zu einer sich zu eigen gemachten Zielkategorie des Bürgertums geworden, die nun auch gegen die kriegführenden Parteien gerichtet werden konnte. Eine entstehende und sich weiter verstetigende kritische bürgerliche Öffentlichkeit war nicht mehr bereit, Einschränkungen in ihrem Umfeld durch militärische Übergriffe hinzunehmen. Zumal dieser Krieg, und dieser zukunftsweisende Gedanke wird schon sehr bald auftauchen, als Krieg der Herrscherfamilien und also als Kabinettskrieg zu werten sei und somit vom Bürgertum weder initiiert noch getragen wurde. Dieser zunehmenden Kritik hatten die Potentaten und Armeeführungen letztlich wenig entgegen zu setzen; nicht nur, dass sie den Kriegsgegner mit dem Argument einer unbotmäßigen Kriegführung nachhaltiger delegitimieren konnten, zugleich waren sie auch selbst immer mehr gezwungen, auf die Interessen der Wirtschaftsbürger und der Öffentlichkeit stärker einzugehen, wollten sie nicht riskieren, das Steueraufkommen des Landes zu senken.

25

Der Bürger, so König Friedrich II. von Preußen, solle von Kriegshandlungen nicht berührt, die Wirtschaftskraft und damit das Steueraufkommen des Landes nicht geschmälert werden. Vgl. Richard Dietrich (Hg.), Die politischen Testamente der Hohenzollern, Köln 1986, bes. das Politische Testament von 1768 (462-697): „der friedliche Bürger in seiner Behausung ruhig und ungestört bleibt und gar nicht merkt, dass sein Land im Kriege ist, würde er es nicht aus den Kriegsberichten erfahren". Vgl. auch die Bemerkungen des preußischen Königs über die feindliche Kriegführung im Jahre 1758 (Willy Schüßler [Hg.], Friedrich der Große. Gespräche mit Henri de Catt, München 1981, 242f.).

D. Anhang

Chronologie

1754 Mai 28

1754—1755 1755 Juni 1755 Juli 9

1755 August 21

1755 Anfang September Seit 1755 November

1755 November - 1756 Januar 1756 Januar 16 1756 Februar

Der französische Offizier Jumonville stirbt bei einem Überfall durch Milizionäre der Kolonie Virginia mit verbündeten Indianern. Ausbruch von offenen Feindseligkeiten zwischen. England und Frankreich in Nordamerika und in Indien. Kaperung der Alcide und Lys vor Neufundland durch ein Geschwader des Admiral Boscawen. Franzosen vernichten am Monongahela ein britisches Korps unter dem Kommando von General Braddock, das das Fort Duquesne besetzen sollte. Staatskanzler Kaunitz ermächtigt den österreichischen Botschafter in Paris, Starhemberg, zur Aufnahme von Geheimverhandlungen mit Frankreich über eine Annäherung der beiden Kronen. Erstes Zusammentreffen Starhembergs mit dem von Ludwig XV. als Unterhändler bestimmten Abbe de Bernis. Die Staatssekretäre Machault (Marine), Moreau de Söchelles (Finanzen), Saint-Florentin (Inneres) und Rouilli (Außeres) werden von den Verhandlungen in Kenntnis gesetzt, später auch der Herzog von Noailles (Staatsminister ohne Ressort) sowie die premier commis des Staatssekretariat des Äußeren. Schleppender Verlauf der Verhandlungen. Abschluß der Westminster-Konvention zwischen England und Preußen. Abberufung des französischen Sondergesandten Nivernais aus Berlin, Verzicht auf eine Verlängerung des preußisch-

286

1756 Februar - Mai

1756 April 23 1756 Mai - August

1756 Juni 9 1756 August 29 1756 Oktober 1 1757 Mai 1

1757 Mai 6 1757 Juni 18 1757 Juni 23 1757 Juli 26 1757 September 8 1757 August 1757 November 5 1757 Dezember 5 1758 Juni 23 1758 Juli 7-8 1758 Juli 26 1758 August 25 1758 September-November

1758 Oktober 10 1758 Herbst 1759 Januar-Mai 1759 März 1759 April 13 1759 August 1 1759 August 12

CHRONOLOGIE

französischen Bündnisses. Frankreich signalisiert grundsätzliche Bereitschaft zu einem Abkommen mit Österreich. Verhandlungen in Paris. Strittige Fragen: Frankreich lehnt einen Angriff gegen Preußen ab - Einigung auf eine Neutralitätskonvention mit Verpflichtung zur gegenseitigen Unterstützung im Falle eines Angriffs, die am 1. Mai im Landsitz Rouilles unterzeichnet wird. Franzosen erobern Port-Mahon (Menorca). Verhandlungen: Wien drängt auf Abschluß einer Offensivallianz gegen Preußen, die Franzosen sind hierzu nicht bereit. Kriegserklärung Frankreichs an England. Einmarsch Friedrichs des Großen in Sachsen (Beginn des Siebenjährigen Krieges). Preußischer Sieg bei Lobositz über die Österreicher. Abschluß des 2. Versailler Vertrags: Festlegung der Bündnisverpflichtungen, das Kriegsziel ist die Zerschlagung der preußischen Militärmacht. Preußischer Sieg bei Prag über die Österreicher. Preußische Niederlage bei Kolin. Schlacht bei Plassey (Bengalen). Französischer Sieg über die Briten bei Hastenbeck. Konvention von Kloster-Zeven. Französische Truppen unter Kommando des Marquis Montcalm erobern das Fort William Henry am Lake George. Preußischer Sieg bei Rossbach und die Franzosen und die Reichsarmee. Preußischer Sieg bei Leuthen über die Österreicher. Preußischer Sieg bei Krefeld über die Franzosen. Montcalm kann bei Fort Carillon einen Angriff der Engländer abwehren. Eroberung von Louisbourg durch die Engländer, die damit den Eingang zum Sankt-Lorenz Strom kontrollieren. Preußischer Sieg über die Russen bei Zorndorf. Die Franzosen geben Fort Duquesne auf und zerstören es. An seiner Stelle errichten die Engländer Fort Pitt (Pittsburgh). Preußische Niederlage bei Hochkirch gegen die Österreicher. Die Engländer erobern französische Stützpunkte in Westafrika (Gambia, Senegal, Goree). Die Engländer erobern Guadeloupe in der Karibik. 3. Vertrag von Versailles (datiert auf den 30. Dezember 1758). Französischer Sieg bei Bergen über die Preußen. Preußischer Sieg bei Minden über die Franzosen. Preußische Niederlage bei Kunersdorf gegen die Russen und Österreicher.

Chrnologie 1759 September 18

1759 November 20 1759 November 1760 Januar 22 1760 August 14 1760 September 8 1760 Oktober 25 1760 November 3 1761 Januar 16 1761 Juli 13 1761 August 15 1762 Januar 2/15 1762 Januar 5 1762 Januar-Februar 1762 Mai 5 1762 Mai 22 1762 Juni 19 1762 August 1762 September-Oktober 1762 Juli 9 1762 Juli 21. 1762 November 3 1763 Februar 10 1763 Februar 15

287 Eroberung von Quebec, die Kommandeure der englischen und französischen Truppen, Wolfe und Montcalm, fallen in der Schlacht auf den Abrahamsfelder vor den Toren der Stadt. Preußische Niederlage bei Maxen. Britischer Sieg in der Seeschlacht in der Bucht von Quiberon. Schlacht bei Wandiwash (Südindien), der französische Versuch des Entsatzes von Pondicherys scheitert. Preußischer Sieg bei Liegnitz über die Österreicher. Eroberung Montreals - damit ist Kanada vollständig in englischer Hand. Tod Königs Georgs II. von England. Preußischer Sieg bei Torgau über die Österreicher. Kapitulation von Pondichery. Preußischer Sieg bei Vellinghausen über die Franzosen. „Pacte de famille" zwischen Frankreich und Spanien. Spanien tritt in den Siebenjährigen Krieg ein. Tod der Zarin Elisabeth I. Die Engländer erobern Martinique in der Karibik. Preußisch-russischer Friede. Preußisch-schwedischer Friede. Preußisch-russisches Bündnis. Die Briten erobern Havanna auf Kuba. Die Briten erobern Manila auf den Philippinen. Machergreifung der Zarin Katharina II. (die Große), Absetzung und Ermordung Zar Peters III. Preußischer Sieg bei Burkersdorf. Unterzeichnung der englisch-französischen Friedenspräliminarien. Frieden von Paris zwischen Frankreich, Spanien und England. Friede von Hubertusburg zwischen Preußen und Österreich.

Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Olaf ASBACH, Universität Hamburg, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Prof. Lucien BELY, Universite de Paris Sorbonne-Paris IV, Institut de recherche sur les civilisations de l'Occident moderne. apl. Prof. Dr. Sven EXTERNBRINK, Philipps-Universität Marburg/Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Karl Jaspers Centre for Advanced Transcultural Studies. Junior-Prof. Dr. Marian FÜSSEL, Georg-August-Universität Göttingen, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte. Prof. Dr. Beatrice HEUSER, University of Reading, Department of Politics and International Relations. PD Dr. Ulrike KLRCHBERGER, Universität Bamberg, FB Geschichtswissenschaften u. Europäische Ethnologie. Dr. Slyviane LLINARES, maitre de conference en histoire moderne, Universite de Bretagne-Sud, Faculte de lettres, sciences humaines et sociales. Prof. Dr. Michael MANN, Humboldt Universität Berlin, Seminar für Süd-Asien Studien. Prof. Dr. Ralf PRÖVE, Universität Potsdam, Historisches Insitut. PD Dr. Joachim REES, Freie Universität Berlin, Kunsthistorisches Institut. Prof. Dr. Brendan SIMMS,Peterhouse College, University of Cambridge, Centre for International Studies. Dr. Jörg ULBERT, maitre de conförence en Allemand, Universite de Bretagne-Sud, Faculte de lettres, sciences humaines et sociales.

Register Aachen 68 76 88f. 84 87f. 107 206

Awadh 101123

Acadien 77f. Ache, Anne-Antoine d' 120

Baksar 123

Adlercron, John 111 115

Barsewisch, Rudolf von 263ff.

Afrika 13f. 32 38f. 49 65 155 256

Bamett, Curtis 105

Alembert, Jean-Baptiste Le Rond d' 42 154 190

Bautzen 267

Alexander der Große 188

Bayern, Kurfürstentum 71

Alinagar 117 119

Beaulieu Baron 272

Alivardi Khan 103 113f. 119

Becher, Richard 118

Allamand, Francis Louis 146

Belgien 80 251

Allegheny 78

Belle-Isle, Charles Louis Auguste Foucquet, Hg.

Ambur 109

v. 79 8490 175208

Amerika 13 15 19 32 37ff. 49 65 67ff. 71 74f. 77

Belling, Joseph Erasmus 271

87 96 99f. 113 127 129 135 138 144f. 154f. 201

Belloto, Bernardo 21 201 232-235

214 226 285

Вё1у, Luden 18

Amherst, Jeffrey 135f.

Bengalen 19 101 103f. 107 111-116 118f. 124

Amirchand 118

Berckenwerder 281

Anderson, Fred 12

Bergen 286

Antoine, Michel 83 91

Bergerac251

Anwar-ud-dinKhan 106 109f.

Berlin 72 84 154 189 270 277 281 285

Aquin, Thomas v. 275 279

Bemis, Franfois Joachim de Pierre, Abbe u.

Archenholz, Johann Wilhelm v. 21 184 228f. 235

Kardinal 19 81-89 97 149 156 164168 186

263 267 273

Bertrand, Elie 145

Argenson, Pierre Marc de Voyer de Paulmy, Gf.

Bickham, Troy 129

v. 84 91 165 171

Birma 101

Argenson, Rene Louis Voyer, mq. d' 165

Bodin, Jean 276

Argental, Charles Augustin Ferriol, Gf. v. 145

Böhmen 14 160 162

Aikot 110

Bombay 111

Arolsen 230f.

Bordeaux 254

Asaf Jah 109f.

Borneo 72

Asbach, Olaf 17 23

Boscawen, Edward, Admiral 82 255 285

Asien 14 32 36 38f. 103 105 124

Bouquet, Henry 135f.

Atlantik 100 122 247

Bouibon 19 75 86 92 95f. 113 154161 165 176f.

Auerstedt 185 190

Bouidonnais, Bertrand Mahe de la 106

August Ш. ν. Sachsen 202 232

Braddock, Edward, Generalmajor 74 285

Aunis 249

Brand, Johann Christian 271 f. Brandenburg 80 154 182

290

REGISTER

Braubach, Max 10 76

Cochin, Charles-Nicolas 208f.

Braunschweig, Ferdinand von 79

Cogniazo, Jacob de 263f. 266 268

Breslau 105

Colbert, Jean-Baptiste 21 203 248f. 251 260

Brest 256

Colley, Linda 129

Bretagne 253

Cölln 281

Broglie, Charles Francis, Gf. v. 79 146 164 170

Colloredo, Gf. v. 270

Brühl, Heinrich Gf. v. 203 232

Connecticut 136

Buddruss, Eckhard 174178

Conti, Louis Francois de Bourbon, Prinz v. 80f.

Bülow, Dietrich Heinrich Freiherr v. 188f.

Cooper, James Fenimore 14

Burkersdorf 287

Cornish, William 122

Burkhardt, Johannes 10 53

Cramer 146

Bussy, Charles de 110 118f. Bussy, Francis de 93

Damiens, Robert Francis 91

Bute, John Stuart, 3. Graf v. 95

Dänemark 90

Byng, John 21 Off.

Daun, Leopold, Gf. v. 187 262 268 270 273 Dauphine 153

Cadiz 77

Delaware 132f.

Caesar 185 188

Delbrück, Hans 191ff. 195

Cahors 250 254

Denina, Carlo 190

Calas, Jean 144

Dessau, Leopold I., Fürst v. Anhalt-188

Calcutta 107 113-120 123

Dettingen 205

Calloway, Colin 129

Deutschland 9 12 14 16 66 80 94 96 143 149f.

Candide 20 144-148 157221

152f. 155 167f. 172 179 187 196

Cardinaux, Isles (Bretagne) 255f.

Diderot, Denis 40 51 208 225f.

Carillon, Fort 286

Dieskau, Johann Erdmann v. 222-226

Carlisle, Thomas 191

Dinwiddie, Robert 132f.

Сапа, Jean-Louis 174

Dipchand 116 121

Castex, Raoul 195

Donau 154

Castries, Charles Eugene Gabriel de la Croix, Mq.

Dost Ali Khan 109

v. 258

Douglas, Alexandre Pierre Mackenzie-D. 84 90

Champlain See 78

Dover, Lord 190

Chanda Sahib 104 108ff.

Drake Roger 114 118

Chandanagar 114116 118

Draper, William 121f.

Cherokee 128 130 137

Dresden 21 79 143 201f. 232f. 277

China 112

Dull, Jonathan 12

Choiseul, Etienne-Fran^ois de Stainville, Hg. v.

Dünkirchen 251

91ff.95 98 149 152 170186 251

Dupleix, Joseph 105-109 111 119

Choisy-le-Roi 208

Duquesne, Fort 283f.

Clausewitz, Carl v. 18 54 184 187ff. 191-194 Cleveland, John 2 lOf.

Elisabeth, Zarin 79 91 187 191 287

Clive, Robert 110 115-120

Elisabeth 1.66

291

REGISTER

England (Großbritannien) 14 18f. 29 36 38f 50 55

Gambia 286

62 65 68 71 76f. 79ff. 83f. 88fif. 92f. 95 97f. 101

Ganges 112

103 107 111 113 122 125 127 129f. 143 145 154

Garonne 257

159 163 169 173 177 186ff. 197f. 210 214 220

Genf 144

222 247253 255 285 287

Georg П. 65 93 113 205 287

Esterhazy, Nikolaus Gf. 90

Georg Ш. 93 95 199 218

Estrees, Victor Marie, Mq. d. Coeuvres, Hg. v. 91

Gestrich, Andreas 277

146

Gibraltar 75 210

Europa 9 15f. 18 27 31 36-40 45 49 57 65-71 77

Gironde 249

85 88ff. 92 95 96 103 112 114 121 123f. 143 147

Gipson, Lawrence 66

149ff. 155f. 181 184 199 218 247 253 258 276f.

Goree 155 286

279 282

Granville 252

Extembrink, Sven 20166

Grimaldi, Geronimo Mq. de 93 98 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel v. 147

Falkland-Inseln 122

Großbritannien siehe England

Favier, Jean-Louis 164 170ff. 175

Grotius, Hugo 276

Ferdinand П., dt. Kaiser 151 156

Guadeloupe 93 155 286

Ferdinand VI., Kg. von Spanien 78f. 92 97

Guibert, Jacques-Antoine Hippolyte, Comte de 20

Femey 20 144

184185

Findenigg, Franz Paul 271

Guinea 257

Flandern 66

Gustav Adolf 188

Flassan, Gaetan de Raxis de 177

Guyenne 250

Fleuiy, Andre Hercule, Kardinal v. 208 Florida 96 98

Habsburg 18 55 75 82 96 154 164f. 172 178

Fontenoy 207

Hager, Werner 198

Fort William Hemy 14 221 224 286

Haiderabad 101-104 107 109£f. 118

Fort William (in Calcutta) 114

Hanbuiy-Williams, Sir Charles 68 72f. 80

Frankreich 12f. 15 18f. 29 36 39 67 73-82 84-98

Hannover 18 66 70 73f. 79f. 90 93 124 191

100 103 105 107 124 127 129 143 145f. 150f.

Hardwicke, Philipp Yoike, Graf v. 67f.

154ff. 160 163-167 169-174 177ff. 183f. 187 191

Hastenbeck 9

195 198f. 209 210 220 222 234 247f. 254f. 257

Havanna 95 98 121 287

285 287

Heinrich IV. 176

Franz I., Kaiser 71 84 86 187

Hessen-Kassel 73

Friedrich П., der Große 16 18 20 22 27 42 55 67

Heuser, Beatrice 20

72ff. 79f. 84fif. 88f. 92 95 97 100 105 119 123 143

Hintze, Otto 194

147 150f. 153f. 161£F. 166f. 181-195 198 203 207

Hitler, Adolf 191

219 227 228 229 233 262 265 267f. 272f. 276 285

Hobbes, Thomas 55 57 276

Friedrich IV., Kf. von der Pfalz („Winterkönig")

Hochkirch 21 261f. 266 269 271flf. 286

66

Holland siehe Niederlande

Füssel, Marian 21 23

Honduras 93 Hopital, Paul Gallico, Mq. de 1' 90

292

REGISTER

Hoyer, Johann Gottfried 190

Kirchberger, Ulrike 19f.

Hubertusburg 15 155 232287

Kirkland, Samuel 137f.

Hudson 78

Kleist, Ewald Christian v. 227-231

Hugli 112 114

Kloster Zeven 286

Hume, David 54

Koblenz 177 Köln, Kurfürstentum 70f.

be de France (Mauritius) 105f. 120 122

Kolin 286

Indien 13ff. 19 36 65 76 93 99 lOlf. 107f. 108

Koromandel 101 121f.

111 113 122-125 155 201

Koser, Reinhold 193f.

Indik, Indischer Ozean lOOf. 105 247

Krefeld 286

Irokesen 132f.l35f. 223

Kroener, Bernhard 191

Italien 14f. 19 75 85 87 156 165ff. 179 214

Kromayer, Johannes 193 f. Kuba 98 121 287

Jagath Seth 117f.

Kunersdorf 152 227 230f. 286

Jany, Curt 181

Klinisch, Johannes 10

Jena 185 190

Küster, Carl 263f. 267

Johnson, William 133f. 136 222-226 Jomini, Antoine-Henri Baron 186

La Ville, Jean-Ignace, АЬЬё de 83 164

Joseph Π. 70

La Galissionniere, Roland Michel Barrin, Marquis

Jouy-en-Josas 84

de 77

Jumonville, Joseph Coulon de Villiers 132 221

Lagos 255

224 285

Lake George 134 222 286

Justi, Johann Heinrich Gottlob von 57

Lally-Tollendal, Thomas-Arthur 120f. Langen, Simon Moritz v. 264 273

Kanada, Nouvelle-France 66 71 77 93 95 144f.

Languedoc 250

175 256286

Le Havre 255

Kant, Immanuel 50 57 59

Legge, Henry 72

Karaikal 108

Leipzig 143

Karibik 13f. 39 65 68 77 100 287

Lenfant, Pierre 207f.

Karl der Große 145 184

Lessing, Gotthold Ephraim 265

Karlin.92fF.96 98

Leuthen 153 184 186 267 272 286

Karl V. 150 172

Liegnitz 286

Karl VI. 69

Linguet, Simon Nicolas Henri 51

Karl ΧΠ. v. Schweden 188

Lissabon 154226234

Kamatak 19,101-107 110 112 124

Llinares, Sylvaine 21

Katharina Π. die Große, Zarin 86 187 287

Lloyd, Henry 182 186 188

Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton Fürst v. 19 72

Lobositz 146285

78 80f. 97 156 285

Loire 249 257

Keith, James F. E.270f. 273

Lombardei 14

Kessel, Eberhard 11

London 65ff. 70 72ff. 77f. 80 83 92f. 95 106f. 112

Kilb, Andreas 13

137 210 213 214

293

REGISTER

Lossau, Johann Friedrich Konstantin v. 190

Martinique 155 287

Lossky, Andrew 82

Marwitz, Leutnant v. 266

Louisbourg 66 68 256 286

Мак, Karl 30 49

Louisiana 96 98

Massachusetts 77 133

Lowther, Henry 105

Maurice de Saxe 88 183 207

Ludwig, Dauphin, Sohn Ludwigs XV. 164

Maxen 286

Ludwig XIV. 66 82 184f. 188 204f. 248 253

Mazarin, Giulio 87

Ludwig XV. 11 18f. 76 78f. 81-88 90-97 149-

McLynn, Frank 129

152 154 156 167 170f. 173 183 205-209 254f.

Menorca 74 75 149 151 210f. 251 285

285

Menzel, Adolph v. 272

Ludwig XVI. 173 257

Mercy-Argenteau, Florimond Claude 174

LUtzelburg, Marie Ursula v. Klinglin, Gfin. v. 150

Merrit, Jane T. 130

Luxemburg 78 80

Metz 206 Meulen, Adams Frans van der 205

Maastricht 178

Meyer, Henry 144

Mably, Gabriel Bonnot de 18 51

Mill, James 113

Macauly, Thomas Babington 191

Minden 10 286

Machault d'Amouville, Jean-Baptiste de 79 83

Mingo 133

90f. 164f. 168 285

Mir Jafar 119

Machiavelli, Niccolo 45 47 143

MirQuasim 123

Madras 106f. 109111 13 115 121f.

Mississippi 71

Madrid 75 79 95 165

Mogul 101 104 123

Mahe 122

Mohawk 134f. 223

Mähren 14

Moltke,Helmuth Karl Bernard v. 191194

Mahfuz Khan 106

Monogahela 74 285

Mahon 206 2 lOf. 285

Montauban 254

Maisur 110 122 124

Montealm-Gozon de Saint-Veran, Louis Joseph,

Malabar 107

Mq.de 286

Malaya 101

Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron

Mandrin 153 161

de la Frede et de 49f. 221

Manila 95 121f. 287

Montreal 76f. 286

Mann, Michael 19

Moreau de Sechelles, Jean 83

Maratha 104 108 1 lOf.

Morse, Nicholas 106

Marc, Abraham 230

Moskau 90

Maria-Theresia 69 78ff. 83ff. 87 90 92 97 162

Muhammad Ali Khan 106 110 122

186f. 277

Müller, Adam 191

Marie Antoinette 173ff.

Münster71

Marie-Galante 93

Münchhausen, Gerlach Adolf v. 70

Marigny, Francois Poisson, Mq. de 203 208

Muzaffar Jang 108f.

Marseille 251 Martell, Karl 184

Nantes 252 254

294 Napoleon Bonaparte 9 181 183 185-188 193f.

REGISTER

Paulmy d'Argenson, Antoine Rene, Marquis de

Navaits 109

91

Nazir Jang 110

Pazifik 122

Neapel-Sizilien, Kgr. 19 23 75 84 86 92 94 96

Pegna, Hyacinth de la 271 f.

Neumark 182

Pelham, Henry 72

Neu-Schottland 78 82

Pencak, William 130

Newcastle, Thomas Pelham, Herzog, v. 65 67-72

Pennsylvania 130 133f. 214

210f.

Perigord 250

Newton, Isaac 276

Perikles 192

New York 13

Perrault, Charles 217

Niagara, Fort 135

Peter der Große, Zar 82

Nicklas, Thomas 186

Peter ΠΙ., Zar 287

Nicolai, Friedrich 227f.

Peyrenc de Moras, Francis Marie 91

Niederlande 36 66 69 77 79f. 86f. 92 150 249

Peysonnel, Claude Charles de 174

Nieuport 86

Pfalz, Kurfürstentum 80

Nivernais, Louis-Jules Barbon Mancini-Mazarini,

Philipp V. 75 93 96

Hg. v. 84 285

Philipp, don, Infant von Spanien 80 86f. 92 94

Noailles, Adien Maurice, Hg. v. 285

Philippinen 14 98 121 287

Normandie 250 255

Picardie 250 Piemont 14

Ogilvie, John 134f.

Pigot, George Lord 115

Ohio 17 66 68 71 77 127f. 132f. 139 221

Pirna 234f.

Olmiitz 233

Pitt, William d.Ä. 37 74 92f. 95 98f. 119 122

Oneida 135

212f. 286

Onooghwandekha 137f.

Pocok, George 120

Ontario See 78

Poitou 249f.

Oime, Robert 119

Polen 15 76 80 82 96

Osmanisches Reich 76 79 82 96

Pommern 182

Ossun, Pierre Paul, Mq. de 93

Pompadour, Jeanne Antoinette Poisson, dame de

Ostende 86

Normant d'Etiolles, Marquise de 78f. 81 150 164

Österreich 16 72 76 78ff. 82 84f. 97 103 105 113

203 206f.

131 146f. 150f. 155 159f. 163 165f. 168f. 171ff.

Pondichery 105ff. 109 121f. 287

176ff. 186f. 198 285 287

Pontiac 128f. 135ff.

Paderborn 71

Port Louis 105 122

Palashi/Plassey 119f. 286

Potsdam 185f.

Pangloss, Doktor 146

Prag 233 285

Pont-Saint-Esprit 250

Paris 77f. 93f. 144 160 161ff. 186 202 210 285

Praslin, Cesar-Gabriel de Choiseul-Chevigny, Hg.

287

v. 149

Päris-Duvemey, Joseph 69 150 154 156

Preußen 13 15 27 36 55 65 67 72ff. 76 78-84

Parma u. Piacenza, Hgtm. 19 75 84 87 94 96

90£f. 103 105 151£f. 155 159 161 164 168ff. 173

295

REGISTER

176ff. 181 183 186f. 190 195 199 201 264 267f.

Saint-Florentin, Louis Phelypeaux, Hg. v. La

285 287

Vrilliere 85 285

Prove, Ralf 2123

Saint-Pierre, Charles Irenee Castel abbe de 57 59

Provence 250

Sankt-Lorenz Strom 78 93 Salabat Jang 110

Quebec 155 212f. 230 286

Saldern, Friedrich Karl v., General 267

Quercy 250

Santa-Lucia 93

Quiberon 286

Santo-Domingo 155 Sardinien 23 151

Raynal, Guillaume Thomas Francois 51

Savoyen 23 78 151 153 166

Rees, Joachim 20

Schieder, Theodor 190

Reich, Heiliges Römisches dt. Nation 9 18 66f.

Schlesien 67 78 80 87 90 92 99 105 123 166 168

69-73 82 82 92 96 102 113 156 165 168 171f.

185

Rhein 90

Schottland 92

Rhone 250

Schumann, Matt 23

Richelieu, Armand-Jean Du Plessis, Kardinal v.

Schweden 76 80 82 90 92 96 166 188

156248

Scott, C. F. 113

Richelieu, Louis Francis Armand Du Plessis, Hg.

Scott, Hamish 86

v. 149f. 154 206

Seneca 127 137f.

Richter, Daniel 130

Senegal 93

Rigby, Richard 70

Shalh Alam Π. 123

Riviere, Pierre-Paul Le Mercier de la 58

Shawnee 132f.

Rochefort 249

Shirley, Robert 77

Roosevelt, Franklin D. 191

Showalter, Dennis 182

Roschitz (Rotschitz), Freiherr v. 269

Silhouette, Etienne de 77

Rossbach 151 153 182-186207 218 220286

Silvestre, Louis 202 232

Rouille, Antoine Louis, Gf. v. Jouy u. Fontaine-

Simms, Brendan 18

Guerin 79 83f. 164285

Siraj-ud-daulall3f. 116-119

Rousseau, Jean-Jacques 18 22 46 51 57 144

Skalweit, Stephan 166

Rousset, Jean 62

Smrina 174

Rußland 16 36 76 82 146 178 186f. 198

Soubise, Charles de Rohan, Prinz v. 207 South Sea Company 79

Sachsen, Kurfürstentum 17 27 55 70 74 80 90ff.

Spanien 19 75ff. 82 84-87 90 92-96 98 100 121

146 152 161 201

123 f. 287

Sachsen-Gotha, Louise Dorothea von Meiningen,

Spree 281

Hgin. v. 145f. 150

St. Petersburg 73 90

Saint-Antonin 250

Stael, Madame de 195

Saint-Contest, Francois Dominique Barberie de

Stanley, Hans 93

79

Starhemberg, Georg Adam Gf. v. 81 83f. 91 285

Saint-Malo 25 Iff. 255

Stieglitz, Hirrsch 231

Saintonge 249

296

REGISTER

Stuart, Charles Edward Louis Philip Casimir, gen.

Walajahi 106 109

,$onnie Prince Charlie" und „the Young Preten-

Waldeck-Pyrmont, Friedrich Karl v. 229ff.

ded 79

Wall, Riccardo Graf 79 Walpole, Horace 70 216

Tanaghrisson 127f. 133

Walpole, Horatio 71

Tanjavur 108

Walpole, Robert 70

Tempelhoff, Georg Friedrich v. 188

Wandiwash 121 286

Thieriot, Nicolas Claude 143 145

Warschau 233

Timberlake, Henry 137

Washington, George 132ff. 221

Tipu Sultan 122 124

Watson, Charles 111116-120

Tiruchirapalli 110

Watts, William 114f.ll7ff.

Tischbein, Johann Heinrich Wilhelm 21229ff.

Weigley, Rüssel 194

Torgau 287

West, Benjamin 20f. 197 199ff. 213-218 223ff.

Toskana, Großhgtm. 23 84

229f.

Toulon 251

Westminster 73f. 80 84 90 97 143 149 164 213

Townshend, George 213

Wetterau 148

Tronchin, Jean-Robert 150 153

Wettiner 161

Tuscarora 133ff.

Wheelock, Eleazar 136 Wien 18 69 71-75 79-82 85f. 88f. 91f. 96 98 124

Ulbert, Jörg 20

149 151 165 169 171 173 186f.232 268f.285

Ungarn 160

Wilhelmine, Mkgfin. v. Bayreuth 152

USA 29

Wilton, Joseph 213

Utrecht 57 247

Wolfe, James 20 197 200 212-216 222f. 225 229f. 286

Valmy 185 Valori, Charles Guy, Mq. v. 146

Yamasee 131

Vamhagen von Ense, Karl August 270 Vellinghausen 16 287

Zomdorf 16286

Venedig 23

Zweibrücken 170

Vergennes, Charles Gravier, chevalier, später Gf. v. 172f. Vergniaud, Pierre Victorien 175 Versailles 74f. 78 84 87 90f. 93 96 143 149 151 156 159f. 163 166 168 170-173 177f. 197 207 214 232286 Virginia 132f. 285 Vitelleschi, Philipp, Mq. 268 Voltaire 20 22 50 143-157 161f. 190 220f. 226 Volland Sophie 226 Waddington, Richard 11