Der Schutz des Einfältigen durch den Betrugstatbestand [1 ed.] 9783428552894, 9783428152896

Es gibt Sachverhaltskonstellationen, in denen die Anwendung des Betrugstatbestands fragwürdig erscheint, weil das Opfer

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Der Schutz des Einfältigen durch den Betrugstatbestand [1 ed.]
 9783428552894, 9783428152896

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Schriften zum Strafrecht Band 314

Der Schutz des Einfältigen durch den Betrugstatbestand

Von

Mathias Greupner

Duncker & Humblot · Berlin

MATHIAS GREUPNER

Der Schutz des Einfältigen durch den Betrugstatbestand

Schriften zum Strafrecht Band 314

Der Schutz des Einfältigen durch den Betrugstatbestand

Von

Mathias Greupner

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D29 Alle Rechte vorbehalten © 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15289-6 (Print) ISBN 978-3-428-55289-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-85289-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2016 / 2017 vom Fach­ bereich Rechtswissenschaft der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Disser­ tation angenommen. Sie entstand zu großen Teilen während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Lehrstühlen von Herrn Prof. Dr. Christian Jäger und Frau Prof. Dr. Nina Nestler an der Universität Bayreuth. Ganz herzlich bedanken möchte ich mich zunächst bei meinem Doktorva­ ter, Herrn Prof.  Dr.  Christian Jäger, für die hervorragende und engagierte Betreuung sowie für die zügige Korrektur der Arbeit. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Hans Kudlich für die schnelle Erstellung des Zweitgutach­ tens. Danken möchte ich auch Herrn Dr.  Christoph Zehetgruber für die ertrag­ reichen fachlichen Diskussionen und das sorgfältige Korrekturlesen der Ar­ beit. Besonders bedanken möchte ich mich bei meinen Eltern, die mich wäh­ rend meiner gesamten Ausbildung und auch während der Entstehung der Dissertation immer uneingeschränkt unterstützt haben. Meiner Freundin Anna Fitze danke ich für ihr großes Verständnis und die mannigfaltige Un­ terstützung, die sie mir in der Entstehungsphase dieser Arbeit hat zukommen lassen. München, im Juli 2017

Mathias Greupner

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Kapitel 1

Der Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung 

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A. Die Abgrenzung der erlaubten Geschäftstüchtigkeit vom strafbaren Betrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Keine Auswirkungen mitwirkenden Opferverhaltens  . . . . . . . . . . . . . . . . 17 C. Phänotypik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Betrug durch Behauptung wahrer Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1. Behindertenwerkstatt-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Schuldenregulierungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Betrug durch rechnungsähnliche Angebotsschreiben  . . . . . . . . . . . . . 26 a) Behandlung rechnungsähnlicher Angebotsschreiben in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 aa) BGH Beschl. v. 27.02.1979 – 5 StR 805 / 78 . . . . . . . . . . . . . 30 bb) OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 17.08.1994 – 2 Ws 129 / 94.   31 cc) LG Frankfurt a. M. Beschl. v. 1.10.1999 – 5 / 29 Qs 19 / 99  . 32 dd) BGH Urt. v. 26.04.2001 – 4 StR 439 / 00 . . . . . . . . . . . . . . . . 33 ee) BGH Urt. v. 04.12.2003 – 5 StR 308 / 03  . . . . . . . . . . . . . . . 35 ff) Auswertung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Die Behandlung rechnungsähnlicher Angebotsschreiben in der Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 aa) Faktisches Täuschungsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 bb) Unterscheidung nach der Geschäftserfahrenheit der Empfän­ ger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 cc) Normatives Täuschungsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (1) Inanspruchnahme besonderen Vertrauens  . . . . . . . . . . . . 49 (2) Enttäuschung von Kontinuitätserwartungen . . . . . . . . . . . 51 4. Betrug durch Kosten- und Abofallen im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Einführung in die Problematik   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 b) LG Frankfurt a. M. Beschl. v. 5.3.2009 – 5 / 27 Kls 3330 Js 212484 / 07 KLs – 12 / 08 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 c) OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 17.12.2010 – 1 Ws 29 / 09  . . . . . 61

8

Inhaltsverzeichnis

d) BGH Urt. v. 05.03.2014 – 2 StR 616 / 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ping-Anrufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konkludente Täuschung über ein inhaltliches Kommunikations­ verlangen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Planmäßiges Ausnutzen einer inhaltlich wahren Erklärung . . . . . . c) Täuschung über die Herkunft des Anrufs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Täuschung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Täuschung über die Höhe der Rückrufkosten . . . . . . . . . . . . . . . . f) Täuschung über einen erfolglosen Anrufversuch . . . . . . . . . . . . . . II. Übertreibende Anpreisungen und marktschreierische Reklame  . . . . . . . . III. Fälle aus dem Bereich des Aberglaubens und des Okkultismus  . . . . . . . 1. Sirius-Fall (BGHSt 32, 38) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Teufelsaustreibungsfall (LG Mannheim NJW 1993, 1488) . . . . . . . . . 3. Auswertung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65 66 67 69 71 73 74 76 76 84 84 86 87

D. Berücksichtigung der Mitverantwortung des Opfers auf der Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 E. Der Schutz des Einfältigen im Zusammenhang mit den Täuschungsformen des Betruges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 I. Der Schutz des Einfältigen im Zusammenhang mit ausdrücklichen Täuschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 II. Der Schutz des Einfältigen im Zusammenhang mit konkludenten Täuschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 III. Der Schutz des Einfältigen im Zusammenhang mit der Täuschung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Kapitel 2 Viktimodogmatik 

97

A. Restriktion des Täuschungsmerkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 I. Erhöhte Anforderungen an die Qualität des Täuschungsmittels   . . . . . . . 99 II. Der Missbrauch berechtigten Vertrauens   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 III. Einschränkung durch das Kriterium der objektiven Täuschungseignung . 103 IV. Einschränkung durch die Abgrenzung von Verantwortungsbereichen anhand von Solidaritätspflichten des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 V. Eingrenzung des Täuschungsmerkmals anhand des Tatsachenbegriffs   . 107 B. Tatbestandliche Restriktionen über das Irrtumsmerkmal  . . . . . . . . . . . . I. Irrtum bei Zweifeln des Verfügenden  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abschichtung nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . III. Verneinung des Irrtums bei konkreten Zweifeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ausschluss des Irrtums bei mitwirkendem Opferverschulden . . . . . . . . . .

109 110 111 112 114

C. Einschränkungen durch den Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116



Inhaltsverzeichnis9

D. Einschränkungen über die objektive Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I. Schutzzweck der Norm  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Eigenverantwortliche Selbstgefährdung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 E. Viktimodogmatische Einschränkungen des Schadensmerkmals . . . . . . . . 123 I. Ausschluss des Schadens aufgrund Opfermitverschuldens . . . . . . . . . . . . 123 II. Verkauf von Illusionen   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 F. Lösungsansätze außerhalb des Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Kapitel 3

Der Schutz des Einfältigen vor dem Hintergrund unionsrechtlicher Vorgaben 

130

A. Der Einfluss des Europarechts auf das nationale Strafrecht . . . . . . . . . . . 131 I. Rechtsquellen des Unionsrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 II. Verhältnis des nationalen Strafrechts zum Recht der Europäischen Union 133 B. Der Einfluss des Europarechts auf den Betrugstatbestand . . . . . . . . . . . . I. Einflussmöglichkeiten primärrechtlicher Vorschriften des Unionsrechts auf den Betrugstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 ff., 34 ff. AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dienstleistungsfreiheit, Art. 57 ff. AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einflussmöglichkeiten sekundärrechtlicher Vorschriften des Unions­ rechts auf den Betrugstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. RL 2006 / 114 / EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. RL 2005 / 29 / EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vollharmonisierende Wirkung der RL 2005 / 29 / EG . . . . . . . . . . . b) Anwendungsbereich der RL 2005 / 29 / EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137 137 138 140 142 142 142 144 145

C. Das unionsrechtliche Verbraucherleitbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I. Die Entwicklung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1. Die Entscheidungen „Cassis de Dijon“, „Rau“ und „Bocksbeutel“ . 147 2. Die Entscheidung „Pall / Dahlhausen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. Die Entscheidung „GB-Inno-BM“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 4. Die Entscheidung „Clinique“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 5. Die Entscheidung „Mars“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 6. Die Entscheidung „Gut Springenheide“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 7. Die Entscheidung „Sektkellerei Kessler“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 8. Die Entscheidung „d’arbo naturrein“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 9. Weitere Präzisierung des Verbraucherleitbilds in den Entschei­ dungen „Lidl / Vierzon“ und „Konsumentenombudsmannen / Ving Sverige“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 10. Einschränkungen des Leitbilds vom durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher . . . . . . . . 154

10

Inhaltsverzeichnis

a) Die Entscheidung „Lloyd“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Entscheidung „Lifting Creme“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Entscheidungen „Buet“ und „Graffione“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Verbraucherleitbild der RL 2005 / 29 / EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

154 155 156 157 158

D. Rezeption des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und in der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 E. Die Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Keine Verpflichtung zur Übernahme des unionsrechtlichen Verbraucher­ leitbilds aus Gründen des Rechtsgüterschutzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 II. BGH Urt. v. 05.03.2014 – 2 StR 616 / 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 III. Keine Verpflichtung zur Übernahme des unionsrechtlichen Verbraucher­ leitbilds wegen überwiegender Rechte der betroffenen Personenkreise  . 176 IV. Kein Erfordernis zur generellen Übernahme des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds wegen fehlender praktischer Auswirkungen . . . . . . . 178 F. Implementierung der unionsrechtlichen Vorgaben in den Betrugstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 I. Nichtanwendung des Betrugstatbestands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Normative Auslegung des Täuschungs- bzw. Irrtumsmerkmals  . . . . . . . . 185 1. Normative Auslegung des Täuschungsmerkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Normative Auslegung des Irrtumsmerkmals  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 III. Unionsrechtliche Grundfreiheiten als Rechtfertigungsgründe  . . . . . . . . . 187 IV. Implementierung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds über beste­ hende normative Elemente des Betrugstatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 1. Implementierung unionsrechtlicher Vorgaben im Bereich konklu­ denter Täuschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Implementierung der unionsrechtlichen Vorgaben im Bereich ausdrücklicher Täuschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 a) Die Figur der objektiven Erfolgszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Die objektive Zurechnung beim Betrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Der Ausschluss der Zurechenbarkeit zwischen Täuschung und Irrtum bei unionsrechtlicher Gestattung der fraglichen Verhal­ tensweisen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 G. Zersplitterung des Täuschungsschutzstandards  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sektorale Differenzierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einführung einer betrugsstrafrechtlichen Sonderdogmatik für den Bereich der Publikumswerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einheitliche Auslegung des Betrugstatbestands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198 200 203 207



Inhaltsverzeichnis11

Kapitel 4

Anwendung einer unionsrechtskonformen Auslegung auf die genannten Fallgruppen 

A. Konkludente Täuschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Täuschung durch Behauptung wahrer Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechnungsähnliche Angebotsschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abofallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ping-Anrufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

209 210 210 211 214 216

B. Ausdrückliche Täuschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 I. Übertreibende Werbeaussagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 II. Aberglauben und Okkultismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

Einleitung Die Kontroverse über den Schutz des Einfältigen durch den § 263 StGB reicht bis an die Ursprünge des Betrugstatbestands zurück und beschäftigt die Strafrechtswissenschaft schon seit Langem.1 Berichten zufolge soll sich bereits der damalige Gesetzgeber bei der Einführung des preußischen Straf­ gesetzbuches bewusst gegen die Einführung eines Arglistmerkmals und damit für den Schutz der Einfältigen und Leichtgläubigen entschieden haben.2 Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren jedoch die Bestimmtheit des Betrugstatbestands betreffende gesetzestechnische Erwägungen und nicht die Überzeugung von der Schutzbedürftigkeit der Betrugsopfer.3 Man ging da­ mals davon aus, besonders leichtgläubige Personen nur dann aus dem Schutzbereich des Betruges ausklammern zu können, wenn man ein Mittel zur Hand hätte, besonders plumpe Täuschungen aus dem Tatbestand auszu­ scheiden.4 Für eine Abgrenzung zwischen arglistigen und besonders plumpen Täuschungen sah man sich jedoch nicht imstande, weil hierfür keine geeig­ neten Abgrenzungskriterien vorhanden waren.5 Die Formulierungen des PrStGB wurden später weitestgehend ohne Änderungen in das Reichsstrafge­ setzbuch und anschließend in das heutige StGB übernommen.6 Trotz verein­ zelten Widerspruchs besteht daher innerhalb der h. M. noch heute Einigkeit, dass das Betrugsstrafrecht auch den „exquisit Dummen“7 schützt und dass eine mitwirkende Opferverantwortung nicht in der Lage ist, Einfluss auf das Strafbarkeitsurteil zu nehmen.8 1  Hennings,

S. 218; Soyka, wistra 2007, 130. S. 538, 544 f.; vgl. auch Amelung, GA 1977, 9; Gaede, FS Roxin II, S. 975; Grau, S. 181; Hennings, S. 218; LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 36. 3  Amelung, GA 1977, 9; Heim, S. 140; Kurth, S. 23. 4  Hennings, S. 219. 5  Goltdammer, S. 538; Hennings, S. 218. 6  Amelung, GA 1977, 9; Soyka, wistra 2007, 131; Heim, S. 140. 7  Samson, JA 1978, 472 f. 8  BGHSt 34, 199 (201), BGH NJW 2003, 1199; 2004, 3577; Amelung, GA 1977, 9; Bosch, FS Samson, S. 241; Eisele, BT II, Rn. 549; Peters, S. 165; BeckOK-Beukelmann, § 263 Rn. 28; Blei, BT, S. 227; HKGS-Duttge, § 263 Rn. 25; Erb, ZIS 2011, 374; Fischer, § 263 Rn. 55a; Garbe, NJW 1999, 2869; Spindler / Schuster / Gercke, § 263 StGB Rn. 6; v. Heintschel-Heinegg, JA 2014, 791; Hillenkamp, FS Schreiber, S. 144; Hofmann, NJW 2015, 533; HWSt-Kölbel, V Rn. 63 f.; Schönke / Schröder /  Perron, § 263 Rn. 32a; SK-Hoyer, § 263 Rn. 22; Jäger, BT, Rn. 330; Jaguttis /  Parameswaran, NJW 2003, 2279; Mahnkopf / Sonnberg, NStZ 1997, 187; Majer / 2  Goltdammer,

14

Einleitung

Angesichts der fortschreitenden Europäisierung des Rechts stellt sich aller­ dings die Frage, inwieweit sich das Dogma vom Schutz des extrem leicht­ gläubigen Betrugsopfers noch aufrechterhalten lässt. Im Gegensatz zum Kernstrafrecht hat sich im Wettbewerbsrecht und damit auch in den Straftat­ beständen des UWG in den vergangenen Jahren aufgrund europarechtlicher Vorgaben ein grundlegender Wandel vollzogen. Früher noch den an der „Grenze zu Debilität verharrenden, unmündigen, einer umfassenden Betreu­ ung bedürftigen, hilflosen Verbraucher“9 schützend, wird im Wettbewerbs­ recht mittlerweile auf einen „normal informierten, angemessen aufmerksa­ men und verständigen Durchschnittsverbraucher“10 abgestellt.11 Nicht nur im Sinne der Rechtseinheit könnte es daher angezeigt sein, den weitreichenden Schutz des Betrugsstrafrechts zu überdenken. Vielmehr könnte sogar ein aus dem Europarecht herrührender Zwang bestehen, die althergebrachte Auffas­ sung, nach der auch der Einfältige durch § 263 StGB geschützt ist, aufzuge­ ben.12

Buchmann, NJW 2014, 3342; Otto, BT, § 51 Rn. 23; ders., JZ 1993, 654; Rönnau / Becker, JuS 2014, 506; LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 37 f.; Wessels / Hillenkamp, BT 2, Rn. 512. 9  So die Charakterisierung der früheren wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch Emmerich, FS Gernhuber, S. 870. 10  Vgl. nur EuGH Rs C-210 / 96, Slg. 1998, I-4657 – Gut Springenheide; EuGH Rs C-303 / 97, Slg. 1999, I-513  – Sektkellerei Kessler; EuGH Rs C-220 / 98, Slg. 2000, I-117 – Lifting Creme; EuGH Rs C-465 / 98, Slg. 2000, I-2297 – d’arbo naturrein. 11  Hierzu Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 569 f. 12  Vgl. hierzu nur Dannecker, ZStW 117 (2005), 711 ff.; Gaede, FS Roxin II, S. 979; HWSt-Janssen, 3. Aufl., V  1 Rn. 66; Rengier, BT  I, § 13 Rn. 52a; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 583; Scheinfeld, wistra 2008, 172 f.; Soyka, wistra 2007, 127; a. A. Vergho, wistra 2010, 92; ders., Verbrauchererwartung, S. 317 f.; einschränkend Wessels / Hillenkamp, BT 2, Rn. 488.

Kapitel 1

Der Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung A. Die Abgrenzung der erlaubten Geschäftstüchtigkeit vom strafbaren Betrug Beschäftigt man sich mit der Einbeziehung des Einfältigen in den Schutzbe­ reich des Betrugstatbestands, stellt sich unweigerlich auch die Frage nach der Legitimation einer solchen Untersuchung. Schließlich ist beim Betrug die Mitwirkung des Opfers denknotwendig mitinbegriffen.13 Denn der Betrug setzt in seinem objektiven Tatbestand neben der Täuschungshandlung des Tä­ ters auch einen Irrtum beim Opfer sowie eine von diesem vorgenommene Ver­ mögensverfügung voraus, welche schlussendlich in einen Schaden münden muss.14 Es ist also gerade das Charakteristikum des Betruges, dass sich das Opfer vom Täter täuschen lässt und in der Folge eine negative Disposition über sein Vermögen trifft und sich den Schaden damit letzten Endes selbst zufügt.15 Die Selbstschädigung kann jedoch nur gelingen, wenn das Opfer den Behauptungen des Täters Glauben schenkt, weil es zumindest in einer sehr schwach ausgeprägten Form zu vertrauensselig, zu leichtgläubig oder für ei­ nen kurzen Moment zu unkritisch ist. Dem Opfer fällt daher stets eine gewisse Form von Naivität, Leichtgläubigkeit oder mitwirkender Fahrlässigkeit zur Last, weil es auf die Integrität des Täters vertraut, vorhandene Informations­ möglichkeiten ungenutzt lässt oder weil es versäumt, rechtzeitig Expertenrat einzuholen. Hinzu kommt, dass unsere heutige Informationsgesellschaft eine Fülle von Möglichkeiten bietet, die es dem Einzelnen erlauben, sich in nahezu jedem Gebiet fortzubilden und sich ein solides Laienwissen anzueignen. Mit einer gewissen Anstrengung kann sich daher annähernd jedes Betrugsopfer in die Lage versetzen, die Täuschungen des Täters zu durchschauen. Würde jede 13  Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf, § 20 Rn. 4; Becker / Ulbrich / Voß, MMR 2007, 152; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 27; Hennings, S. 184; Thomma, S. 222; LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 38. 14  Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf, § 20 Rn. 28; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 718. 15  Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf, § 20 Rn. 28; Merz, S. 160 f.; Ranft, JA 1984, 731.

16 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

noch so geringe Opfermitverantwortung zum Ausschluss der Strafbarkeit füh­ ren, käme dies einer vollkommenen Abschaffung des Betrugsschutzes gleich. Es erscheint daher zunächst befremdlich, den Schutz der Leichtfertigen und Einfältigen überhaupt infrage zu stellen. Und so wäre es auch nicht zu bean­ standen, dass die bisher h. M.16 – zumindest vordergründig – von der Irrele­ vanz eines mitwirkenden Opferverschuldens ausgeht. Der durch die h. M. gewährte umfassende Betrugsschutz erscheint auf den ersten Blick konsequent, da dem Betrug unter anderem die Aufgabe zu­ kommt, das Funktionieren des Wirtschaftslebens zu sichern. Denn unser all­ tägliches Wirtschaftsleben kann nur funktionieren, wenn Waren und Dienst­ leistungen reibungslos ausgetauscht werden können, ohne dass sich der Ein­ zelne vor dem Abschluss eines Geschäfts umfassend über Produkt und Ge­ schäftspartner informieren muss.17 Insbesondere wird eine Gesellschaft, die von Skepsis und gegenseitigem Misstrauen geprägt ist, keinen Bestand haben. Der Vermögensschutz gegen Irreführungen, wie er in § 263 StGB normiert ist, fungiert daher als fundamentaler Grundpfeiler eines funktionierenden Wirtschaftslebens und unserer Gesellschaft im Gesamten. Durch den Schutz einer vertrauensvollen Kommunikation bewirkt der Tatbestand des § 263 StGB, dass der Einzelne seine wirtschaftlichen Freiheiten wahrnehmen kann, ohne mit überzogenen Prüfungspflichten belastet zu sein.18 Dem Käufer ei­ nes als „unfallfrei“ verkauften Unfallwagens, kann man deshalb schwerlich vorwerfen, er habe seinen Vermögenschaden selbst zu verantworten, weil er sich vor dem Abschluss des Geschäfts nicht über auffällige Merkmale von Unfallfahrzeugen informiert, keinen Gutachter hinzugezogen oder  – wenn sich die Unfallfreiheit nicht eindeutig feststellen lässt – gar von einem Kauf abgesehen hat. Gleiches gilt für den geprellten Gastwirt, der den Zechpreller im Vertrauen auf seine Zahlungswilligkeit und Zahlungsfähigkeit bedient und ihn nicht um Vorkasse oder die Hinterlegung anderer Sicherheiten bittet. Jedoch darf auch nicht übersehen werden, dass der Betrug neben dem Schutz der vertrauensvollen Kommunikation noch eine weitere bedeutende Aufgabe erfüllen muss, nämlich die Abgrenzung kriminellen Unrechts von der wünschenswerten, erlaubten Geschäftstüchtigkeit.19 Hierbei spielt der Schutzumfang des Betruges naturgemäß eine entscheidende Rolle. Würde man versuchen, den Schutz des Einfältigen besonders hoch zu hängen, und vom Erklärenden stets eine unbedingte Offenheit verlangen, wäre ein ge­ 16  Siehe

Kapitel 1 B. hierzu Arzt, FS Tiedemann, S. 598. 18  AnwK-Gaede, § 263 Rn. 21; ders., FS Roxin II, S. 978. 19  Grau, S. 38; Graul, JZ 1995, 600; Hoffmann, GA 2003, 610; Rönnau / Becker, JuS 2014, 504; Samson, JA 1978, 470; SSW-Satzger, § 263 Rn. 11; LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 35; ausführlich Kühne, S. 7 ff.; Ackermann, FS Roxin II, S. 952 f. 17  Vgl.



B. Keine Auswirkungen mitwirkenden Opferverhaltens 

17

winnbringendes Wirtschaften in vielen Fällen nicht mehr möglich. Es darf nicht vergessen werden, dass es gerade dem Wesen unserer marktwirtschaft­ lichen Gesellschaftsordnung entspricht, sich durch ein legitimes, wirtschaft­ lich geschicktes Verhalten einen Vermögensvorteil zu verschaffen, was im Einzelfall auch die Ausnutzung von Informationsvorsprüngen beinhaltet.20 Aufgabe des Betrugstatbestands muss es daher sein, die Geschäftstüchtigkeit einerseits nicht über Gebühr zu beschränken und andererseits einen angemes­ senen Schutz vor unlauteren, täuschungsbedingten Vermögensverfügungen zu schaffen. Dies wiederum kann nur gelingen, wenn man dem einzelnen Wirtschaftssubjekt auch ein gewisses Maß an Vernunft und Selbstverantwort­ lichkeit zubilligt.21 Eine vollkommene Nichtberücksichtigung leichtfertigen Opferverhaltens auf der Tatbestands- wie auf der Rechtsfolgenseite des Be­ truges ist jedenfalls nicht angemessen und wird daher – wie noch zu zeigen sein wird  – auch von den Vertretern der h. M. nicht mit letzter Konsequenz verfolgt.22 Im Folgenden wird daher aufzuzeigen sein, wie der Schutz einfäl­ tiger und leichtfertiger Personen durch den Tatbestand des § 263 StGB aus­ gestaltet ist und inwieweit er sich mit der Dogmatik des Betruges und den Vorgaben des Unionsrechts vereinbaren lässt.

B. Keine Auswirkungen mitwirkenden Opferverhaltens Eine Beschränkung des Betrugstatbestandes infolge einer mitwirkenden Opferverantwortung wird von der deutschen Rechtsprechung ausdrücklich abgelehnt.23 Auch in der herrschenden rechtswissenschaftlichen Literatur hat sich über die Jahre die Auffassung gefestigt, dass weder eine besondere Sorglosigkeit des Opfers im Umgang mit den eigenen Angelegenheiten noch dessen Einfältigkeit oder Leichtgläubigkeit in der Lage sein sollen, den Be­ trug auf der Tatbestandsebene einzuschränken.24 Für eine Strafbarkeit nach 20  Hatz, JA 2012, 186; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 26; Grau, S. 38; Joecks, StuKo, § 263 Rn. 16; Samson, JA 1978, 470; Kühne, S. 7 f.; SSW-Satzger, § 263 Rn. 11; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 17c; LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 35. 21  Frank / Leu, StraFO 2014, 198. 22  Frank / Leu, StraFO 2014, 198; eingehend zur latenten Berücksichtigung der Opfermitverantwortung durch die h. M. Hennings, S. 88 ff.; Hilgendorf, Tatsachenaus­ sagen, S. 66, 110; Schwarz, S. 60 ff.; Thomma, S. 256 ff. 23  Vgl. nur BGHSt 34, 199 (201); BGH NJW 2014, 2596; NJW 2012, 1382; NJW 2004, 3577; NJW 2003, 1199; BGH wistra 1992, 97; OLG Frankfurt a. M. NJW 2011, 401; OLG Hamburg NJW  1956, 392; a. A. jedoch KG StV 2006, 584, das je­ denfalls bei einem ausgesprochen leichtfertigen, grob achtlosen Opferverhalten das Vorliegen eines Irrtums verneinen will. 24  Achenbach, Jura 1984, 603; Amelung, GA 1977, 9 f.; BeckOK-Beukelmann, § 263 Rn. 28; Blei, BT, S. 227; HKGS-Duttge, § 263 Rn. 25; Eisele, BT  II, Rn. 549; Erb, ZIS 2011, 374; Fischer, § 263 Rn. 55a; Garbe, NJW 1999, 2869; Spind­

18 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

§ 263 StGB soll es nach der h. M. genügen, wenn der Täter den Irrtum durch seine Täuschungshandlung gemäß den Bedingungen der Äquivalenztheorie zumindest mitverursacht hat.25 Selbst besonders plumpe Irreführungen, de­ nen eigentlich niemand Glauben schenken würde, sollen eine Strafbarkeit wegen Betruges begründen können. Auch wenn das Opfer den Irrtum bei hinreichend sorgfältiger Prüfung leicht hätte erkennen können, soll eine Ent­ lastung des Täters nicht möglich sein.26 Und sogar gegenüber zweifelnden Opfern wird eine Betrugsstrafbarkeit angenommen, solange der Getäuschte die Wahrheit der behaupteten Tatsache für möglich hält und sich hierdurch zu einer Verfügung über sein Vermögen motivieren lässt.27 Vorschläge seitens der rechtswissenschaftlichen Literatur, das sehr weite deutsche Betrugsverständnis zurückzubauen und den Gedanken der Opfer­ mitverantwortung für eine restriktivere Tatbestandsauslegung fruchtbar zu machen, lehnt die h. M. seit jeher ab. Neben dogmatischen Vorbehalten gegen diese sog. viktimodogmatischen Theorien werden vor allem kriminalpoliti­ sche Argumente für eine Beibehaltung des Status quo ins Feld geführt. Ins­ besondere wird befürchtet, eine an der Opfermitverantwortung orientierte Interpretation des § 263 StGB würde gerade die Hilfsbedürftigen und Schwa­ chen schutzlos stellen und sie der Ausbeutung durch kriminelle Geschäfte­ macher preisgeben.28 Bei einer Einschränkung des Schutzes zu Lasten der Einfältigen sei zu erwarten, dass sich die Täter gezielt auf die Übervorteilung der Einfältigen und Leichtsinnigen spezialisierten, um sich dann vom Straf­ recht unbehelligt auf deren Kosten bereichern zu können.29 Der staatliche Schutzauftrag gebiete es aber, eine Auslegung zu wählen, die gerade den ler / Schuster / Gercke, § 263 StGB Rn. 6; Haft / Hilgendorf, BT I, S. 88; v. HeintschelHeinegg, JA 2014, 791; Hillenkamp, FS Schreiber, S. 144; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 32a; SK-Hoyer, § 263 Rn. 22; Jaguttis / Parameswaran, NJW 2003, 2279; Majer / Buchmann, NJW 2014, 3342; Mahnkopf / Sonnberg, NStZ 1997, 187; Otto, BT, § 51 Rn. 23; ders., JZ 1993, 654; Rönnau / Becker, JuS 2014, 506; LK-Tiedemann, Vor  § 263 Rn. 37 f.; Wessels / Hillenkamp, BT  2, Rn. 512; Zieschang, JA 2008, 193. 25  OLG Hamburg NJW 1956, 392; Blei, BT, S. 227; SK-Hoyer, § 263 Rn. 81; Müller-Christmann, JuS 1988, 110 f.; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 105; LKTiedemann, § 263 Rn. 93; Wessels / Hillenkamp, BT 2, Rn. 513. 26  BGH NJW 2014, 2596; Wessels / Hillenkamp, BT 2, Rn. 513. 27  Vgl. BGH NJW 2003, 1198 f.; Rengier, FS Roxin I, S. 821; Rönnau / Becker, JuS 2014, 506; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 40; Jäger, BT, Rn. 330; Joecks, § 263 Rn.  75; Lackner / Kühl, § 263 Rn. 18; a. A. Giehring, GA 1973, 1 ff.; Amelung, GA 1977, 1 ff.; Herzberg, GA 1977, 289 ff.; zum Streitstand SK-Hoyer, § 263 Rn. 68 ff. 28  Krack / Loos, JuS 1995, 208. 29  Brammsen, MSchrKrim 69 (1986), 377; SK-Hoyer, § 263 Rn. 73; Tröndle, JR 1974, 224; Krack, List, S. 70.



C. Phänotypik19

Einfältigen und Sorglosen einen umfassenden Schutz gewährt. Allein mit den Methoden des Zivilrechts sei ein solcher nicht zu erreichen, da die Betroffe­ nen häufig nicht in der Lage seien, die ihnen zustehenden Rechte angemes­ sen wahrzunehmen.30 Zudem bewirkten zivilrechtliche Regelungen nicht die gleichen Effekte wie eine kriminalstrafrechtliche Sanktion. Vor allem die generalpräventiven Wirkungen, die mit den Mitteln staatlichen Strafens er­ reicht werden können, seien durch ein rein zivilrechtliches Vorgehen oder durch schlichte Aufklärungsmaßnahmen nicht erreichbar.31 Es besteht somit nahezu Einigkeit darüber, dass es aus kriminalpolitischer Sicht unabdingbar sei, auch leicht zu durchschauende Täuschungen im Anwendungsbereich des Betruges zu belassen.32

C. Phänotypik Die Fallkonstellationen, in denen die Erstreckung des Schutzumfangs des Betruges auf einfältige Personen Bedeutung erlangt, sind variantenreich und vielfältig. Besonders deutlich tritt die Problematik bei sog. Täuschungen durch die Behauptung wahrer Tatsachen, bei übertreibenden Werbeaussagen sowie im Bereich des Aberglaubens zu Tage. Aber auch bei irrationalen Er­ wartungen im Bereich der Geldanlage,33 beim Antiquitäten-, Heirats-, und Geltungsschwindel sowie im Zusammenhang mit sog. Kaffeefahrten34 kann die Frage, wie weit der Schutzumfang des Betrugsstrafrechts reichen soll, eine entscheidende Rolle spielen. Im Folgenden soll daher anhand einiger Beispiele aus Rechtsprechung und Literatur aufgezeigt werden, ob und in­ wieweit ein Schutz des einfältigen und sorglosen Betrugsopfers tatsächlich gegeben ist. Insbesondere wird anhand der Beispiele aufzuzeigen sein, dass das fast schon gebetsmühlenartig wiederholte Dogma von der Einbeziehung des Einfältigen in den Schutzbereich des § 263 StGB nicht so weit reicht, wie es von der h. M. postuliert wird. Zudem wird anhand der Fallkonstella­ tionen zu erörtern sein, dass insbesondere im Zusammenhang mit konkluden­ ten Täuschungen und im Bereich der Täuschungen durch Unterlassen aus betrugsdogmatischer Sicht nicht unerhebliche Einwände gegen einen unein­ geschränkten Schutz des Einfältigen bestehen.

30  Erb,

ZIS 2011, 374; Majer / Buchmann, NJW 2014, 3342. § 20 Rn. 4 Fn. 8; Erb, ZIS 2011, 374; Krack, List, S. 39; Kurth, S. 143 f.; Krack / Loos, JuS 1995, 208. 32  Krack / Loos, JuS 1995, 208. 33  Ausführlich hierzu Harbort, S. 25; Hennings, S. 194 ff.; Schwarz, S. 23 ff. 34  Vgl. hierzu Göbel, S. 77 ff; Eick, S. 25; Schwarz, S. 28 f.; Heim, S. 171 ff. 31  Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf,

20 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

I. Betrug durch Behauptung wahrer Tatsachen Die Problematik der Einbeziehung des Einfältigen in den Schutzbereich des Betrugstatbestands wird insbesondere bei der Frage diskutiert, ob und inwieweit eine Täuschung auch durch die Behauptung wahrer Tatsachen be­ gangen werden kann.35 Da der Tatbestand des Betruges grundsätzlich die Vorspiegelung falscher Tatsachen verlangt,36 erscheint es zunächst fernlie­ gend, das Vorliegen einer Täuschung auch dann anzunehmen, wenn der Tä­ ter  – rein objektiv gesehen  – die Wahrheit sagt.37 Vor allem wird man eine Täuschung nicht bereits dann annehmen können, wenn der Erklärungsemp­ fänger die Angabe missversteht und die im Raum stehende Tatsachenbehaup­ tung mit einer unzutreffenden Bedeutung belegt.38 Das Täuschungsverbot beinhaltet jedenfalls nicht die uneingeschränkte Pflicht, andere stets vor Irr­ tümern zu bewahren.39 Die vereinzelt vorzufindende Annahme, aus der blo­ ßen Existenz eines Irrtums auch das Vorliegen einer Täuschung ableiten zu können, geht daher fehl.40 Führt man sich die Problematik jedoch anhand einiger Fallbeispiele vor Augen, wird deutlich, dass die Antwort auf die Frage nach der Strafbarkeit des Betruges durch wahre Tatsachen nicht so eindeutig ist, wie man auf den ersten Blick vermuten mag. Begeht nun ein Kassierer einen Betrug, wenn er einem Kunden eine gefälschte Banknote mit den Worten übergibt „Diesen 100er habe ich soeben frisch für Sie gedruckt“? Ist ein mittelloser Kreditwer­ ber strafrechtlich zu belangen, wenn er einem Bankangestellten im Rahmen eines gewöhnlichen Kreditgesprächs freundlich lächelnd mitteilt, dass er „siebenstellig in den roten Zahlen“ stehe?41 Bereits diese kleinen Fälle ma­ chen deutlich, dass es durchaus Konstellationen gibt, in denen der Täter für 35  Siehe hierzu Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf, § 20 Rn. 39; H.-W. Mayer, Jura 1992, 240 ff.; Göbel, S. 27 ff.; Hoffmann, GA 2003, 610 ff.; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 194 f.; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 105 ff.; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 103 ff.; Mitsch, BT 2, S. 262; Schumann, JZ 1979, 588 ff.; grundlegend Schröder, FS Peters, S. 153 ff. 36  Der Wortlaut des § 263 StGB wird von Seiten der Literatur zu Recht als miss­ lungen bezeichnet, vgl. hierzu Hecker, Produktwerbung, S. 219; Schumann, JZ 1979, 588; Haft / Hilgendorf, BT I, S. 83; Otto, BT, § 51 Rn. 7. 37  Eisele, BT II, Rn. 525 f.; Geisler, NStZ 2002, 87; H.-W. Mayer, Jura 1992, 240; Schumann, JZ 1979, 588; Schröder, FS Peters, S. 153. 38  Geisler, NStZ 2002, 87; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 25; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 103; Schumann, JZ 1979, 588. 39  NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 103; Schröder, FS Peters, S. 156. 40  So Mahnkopf / Sonnberg, NStZ 1997,  187; hiergegen BGHSt 47, 1 (5); 3, 99 (103); 47, 1 (11); BGH NJW 2014, 2596; Baier, JA 2002, 366; Kempf / Schilling, wistra 2007, 46; Martin, JuS 2001, 1032; Ackermann, FS Roxin II, S. 951; Hoffmann, GA 2003, 610; SSW-Satzger, § 263 Rn. 38; SK-Hoyer, § 263 Rn. 23.



C. Phänotypik21

sich genommen die Wahrheit spricht, sich aber dennoch eine von ihm her­ vorgerufene Fehlvorstellung des Opfers zunutze macht und für seine Täu­ schung missbraucht. So wird der Kunde in dem oben genannten Beispiel mit Recht davon ausgehen können, dass es sich um eine Scherzerklärung handelt und auch der Bankangestellte aus dem zweiten Beispielsfall wird annehmen dürfen, dass der Kreditwerber nicht kurz vor der Insolvenz steht. Es fragt sich daher, ob sich der Täter in diesen Fällen auf den Standpunkt berufen kann, die Wahrheit gesagt und sein Opfer damit nicht getäuscht zu haben, oder ob man ihm doch zur Last legen kann, dass er erkannt oder gar be­ zweckt hat, dass seine Erklärung falsch verstanden und vom Empfänger in einer anderen Weise gedeutet wird.42 Schröder hat mit seinem Festschriftbeitrag aus dem Jahre 1974 die Fall­ gruppe der Täuschung mit wahren Tatsachenbehauptungen maßgeblich mit­ geprägt. Er hält es für erforderlich, den Inhalt einer Erklärung nicht aus­ schließlich nach rein objektiven Maßstäben zu bestimmen.43 Da menschliche Erklärungen nicht isoliert von der Umwelt abgegeben werden, sei es uner­ lässlich, auch deren effektive Wirkung in den Kreis der Betrachtungen mit­ einzubeziehen. Es sei daher zu kurz gegriffen, nur darauf abzustellen, wie ein objektiver Empfänger die Erklärung zu verstehen habe. Vielmehr müsse in die Betrachtung miteinbezogen werden, was der Täter aussagen wollte und wie diese Worte vom Empfänger letztendlich verstanden wurden. Den Grund für diese stark subjektiv geprägte Interpretation des Betrugstatbestandes sieht Schröder in kriminalpolitischen Erfordernissen: Vor allem in der Werbung seien Fälle festzustellen, in denen sich „Schwindler, die […] Tatsache zu­ nutze machen, dass der Unverstand ihrer Partner diese zu falschen Vorstel­ lungen gelangen lässt, obwohl ein verständiger Betrachter der Erklärung diese richtig verstanden hätte“ und dementsprechend auch keinem Irrtum unterlegen wäre. Schröder leitet hieraus ein Bedürfnis ab, mit den Mitteln des Strafrechts auch solche Erklärungen zu sanktionieren, welche zwar grundsätzlich der Wahrheit entsprechen, die aber dennoch geeignet sind, bei ihren Empfängern einen Irrtum hervorzurufen. Dem Täter solle es nicht zum Vorteil gereichen, wenn er über eine besondere Formulierungskunst verfügt oder Fremdwörter gebraucht, deren Bedeutung den Empfängern nicht geläu­ fig ist. Deshalb begehe auch derjenige eine strafrechtlich relevante Täu­ schung, der ein „frugales Mahl“ zu einem überhöhten Preis anbietet und da­ bei davon ausgeht, seine Gäste würden dieses Angebot in Ermangelung er­ weiterter Sprachkenntnisse als opulentes Essen deuten. Auf eine Kurzformel 41  Vgl. zu diesen Beispielen Grau, S. 36, sowie Hecker, Produktwerbung, S. 257; vgl. auch NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 104. 42  Rose, wistra 2002, 14; Schröder, FS Peters, S. 153. 43  Schröder, FS Peters, S. 154.

22 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

gebracht sei es in diesen Fällen entscheidend, dass „der Täter die Eignung der inhaltlich richtigen Erklärung planmäßig einsetze und damit unter dem Anschein äußerlich verkehrsgerechten Verhaltens gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt, die Irrtumserregung also nicht bloße Folge, sondern Zweck der Handlung ist.“44 Sofern diese Voraussetzungen erfüllt sind, soll nach Schröders Betrugskonzept eine Vorspiegelung falscher Tatsachen und damit eine tatbestandsmäßige Täuschung vorliegen.45 Obwohl der Lösungsvorschlag Schröders vielfach Kritik erfahren hat,46 hat ihn ein Teil  der Rechtsprechung und Literatur für die Fälle sich selbst berichtigender Erklärungen adaptiert.47 Andere sind dagegen bemüht, die Täuschung durch wahre Tatsachen auf herkömmliche Weise über die Figur der konkludenten Täuschung zu erklären.48 In diesem Fall wird der durch die jeweiligen Umstände hervorgerufene unzutreffende Gesamteindruck in den Vordergrund gestellt und zum maßgebenden Kriterium erhoben. Dass es sich bei der Täuschung durch wahre Tatsachenbehauptungen nicht nur um akade­ mische Gedankenspiele, sondern um eine enorm praxisrelevante Fallgruppe handelt, zeigen zahlreiche Fälle aus der Rechtsprechung sowie die Diskus­ sion um die Strafbarkeit sich selbst berichtigender Erklärungen, die in der gerichtlichen Praxis in vielfältiger Gestalt in Erscheinung treten. 1. Behindertenwerkstatt-Fall Eine anschauliche Variante des Betrugs mit wahren Tatsachen markiert der Behindertenwerkstatt-Fall des LG Osnabrück.49 Nach dem zugrundeliegen­ den Sachverhalt hatte der Angeklagte von staatlich anerkannten Behinderten­ werkstätten Haushaltsartikel bezogen, die er anschließend über freie Mitar­ 44  Schröder,

FS Peters, S. 159. FS Peters, S. 159. 46  Baier, JA 2002, 366; Bosch, JK 6 / 11 StGB § 263 / 90; Fröhlich / Primaczenko, ZWH 2014, 141; Heim, S. 114; Hoffmann, GA 2003, 616 f.; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 105; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 195; Krack, JZ 2002, 613; Schumann, JZ 1979, 589 ff.; Geisler, NStZ 2002, 87 f.; Wessels / Hillenkamp, BT 2, Rn. 499; Joecks, StuKo, § 263 Rn. 53; Pawlik, StV  2003, 297 ff.; Rose, wistra 2002, 16; Schneider, StV 2004, 538; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT  1, § 41 Rn. 41, SK-Hoyer, § 263 Rn. 47 ff.; Paschke, S. 144 ff.; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 54; Zustimmung hat die subjektivierende Auffassung dagegen von Tröndle, JR 1974, 224; Loos, JR 2002, 77 ff.; H.-W. Mayer, Jura 1992, 241 und Otto, Jura 2002, 607 erfahren. 47  Siehe hierzu Kapitel 1 C. I. 48  Wessels / Hillenkamp, BT  2, Rn. 499; Heim, S. 176; Paschke, S. 204; Joecks, StuKo, § 263 Rn. 54; Garbe, NJW 1999, 2870; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 196; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 104; LPK-Kindhäuser, § 263 Rn. 62; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 25; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 25; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 54. 49  LG Osnabrück MDR 1991, 468 mit Anm. H.-W. Mayer, Jura 1992, 238 ff. 45  Schröder,



C. Phänotypik23

beiter im Rahmen von Haustürgeschäften vertrieb. Die Waren hatte er im Paket zu einem durchschnittlichen Preis von etwa 3  DM pro Einheit einge­ kauft. An den Endkunden wurden sie sodann zu einem Preis von 19,95 DM verkauft. Im Einzelhandel waren entsprechende Produkte für etwa 3 bis 5  DM zu erhalten. Seine Vertreter erhielten für den Verkauf einer Einheit eine Erfolgsprovision von 5 DM und weitere 7 DM, wenn sie in einer Woche mehr als hundert Einheiten verkauften. Kolonnenführer wurden mit je ­einer  DM pro verkaufter Einheit am Erfolg beteiligt. Seine freien Vertriebs­ mitarbeiter hatte der Angeklagte jeweils mit einem Lichtbildausweis ausge­ stattet, auf dem der Firmenname „VTH Vertrieb Toiletten- und Haushalts­ artikel“ vermerkt war, und der auch eine Bestätigung über die Herkunft der Waren aus einer Behindertenwerkstatt enthielt. Der Angeklagte erhoffte sich, dass seine Kunden angesichts des besonders hohen Preises und der Angaben der Verkäufer davon ausgingen, dass ein erheblicher Teil  seiner Einnahmen an die Behinderteneinrichtungen ausgekehrt würde. Dies war aber tatsächlich nicht der Fall, da die Werkstätten nur das erhielten, was sie von dem Ange­ klagten zuvor für die Waren verlangt hatten. Seine Mitarbeiter wies der An­ geklagte an, unter keinen Umständen zu behaupten, dass sie von einer Behin­ dertenwerkstatt kämen oder die Waren in deren Namen veräußerten. Der Umstand, dass ein Gros der Kunden annahm, die Einnahmen kämen über­ wiegend den Behinderteneinrichtungen zugute, resultierte allein aus deren Vorstellung. Der Angeklagte wurde zunächst vom Amtsgericht wegen vollendeten Be­ trugs verurteilt und seine gegen dieses Urteil eingelegte Berufung vom LG Osnabrück verworfen.50 Die Kammer begründete ihre Entscheidung damit, dass der Angeklagte durch seine Vorgehensweise bei den Kunden den unzu­ treffenden Eindruck erweckte, der Erlös würde zu einem großen Teil den ihn beliefernden Behindertenwerkstätten zugutekommen.51 Dass eigentlich keine falschen Angaben gemacht wurden, sah die Kammer nicht als entlastend an. Stattdessen stellte sie darauf ab, dass die Käufer aufgrund des Missverhält­ nisses von Leistung und Gegenleistung den unzutreffenden Gesamteindruck gewinnen mussten, die Behinderteneinrichtungen würden an den Verkaufser­ lösen erheblich beteiligt.52 Da der von den Kunden erwartete soziale Zweck nicht erfüllt wurde, sei bei diesen ein entsprechender Vermögensschaden eingetreten. Auch die für den Betrug erforderliche Bereicherungsabsicht war nach Auffassung der Kammer zu bejahen, weil der Angeklagte keinen An­ 50  Die

Revision vor dem OLG Oldenburg hatte ebenfalls keinen Erfolg. Osnabrück MDR 1991, 469; der BGH zog in einem vergleichbaren Fall, in dem es um die betrugsstrafrechtliche Beurteilung einer kommerziellen Mitgliederwer­ bung für eine als gemeinnützig anerkannte Organisation ging, das Vorliegen eines Irrtums dagegen in Zweifel, BGH NJW 1995, 539. 52  LG Osnabrück MDR 1991, 469. 51  LG

24 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

spruch auf den überhöhten Verkaufserlös hatte, da er ihn entgegen des von ihm hervorgerufenen Eindrucks nicht den Behinderteneinrichtungen zukom­ men ließ.53 Die Entscheidung des LG Osnabrück ist insbesondere deshalb bemerkens­ wert, weil sie einen Bruch mit der Dogmatik zum sog. Preisgestaltungsbetrug enthält. Unter diesem Stichwort wird darüber diskutiert, ob und inwieweit ein strafbarer Betrug gegeben ist, wenn jemand für eine Ware einen Preis verlangt, der den üblichen Marktpreis übersteigt.54 Problematisch ist dies vor allem vor dem Hintergrund der konkludenten Täuschung. Schließlich könnte man annehmen, dass derjenige, der eine Ware zu einem bestimmten Preis anbietet, zugleich auch schlüssig miterklärt, dass der von ihm geforderte Preis angemessen und marktüblich ist. Die ganz h. M. lehnt einen solchen Rückschluss jedoch zu Recht ab.55 In einer marktwirtschaftlichen Grundord­ nung, in der Preisgestaltungsfreiheit herrscht, können die Preise zwischen den einzelnen Vertragsparteien frei ausgehandelt werden.56 Das Risiko, einen Vertrag zu ungünstigen Bedingungen abzuschließen, trägt dabei bis zur Grenze des Wuchers jede Partei grundsätzlich selbst.57 Im Behindertenwerk­ statt-Fall werden diese Maximen indes nicht befolgt. Denn bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass der Behindertenwerksatt-Fall nichts anderes ist als ein gewöhnlicher Fall des Preisgestaltungsbetrugs. Der „unzutreffende Gesamteindruck“ einer Wohltätigkeitsaktion beruhte nämlich in erster Linie auf dem überhöhten Preis, der erheblich über den Marktpreisen für vergleich­ bare Produkte lag. Weitere Täuschungshandlungen traten nicht hinzu. Viel­ mehr wurde sogar durch den Firmennamen „VTH Vertrieb Toiletten- und 53  LG

Osnabrück MDR 1991, 469. Graul, JZ 1995, 596 ff. 55  RGSt 42, 147 (150); BGH NStZ 2010, 89; BGH wistra 2011, 336 f.; BayObLG NJW 1994, 1079; OLG Stuttgart NStZ 1985, 503 m. Anm. Lackner / Werle; Achenbach, NStZ 1988, 98; BeckOK-Beukelmann, § 263 Rn. 12; AnwK-Gaede, § 263 Rn. 34; Eisele, BT II, Rn. 532; ders., NStZ 2010, 194; Fischer, § 263 Rn. 36; Jäger, BT, Rn. 318; LPK-Kindhäuser, § 263 Rn. 79; Lackner / Kühl, § 263 Rn. 10; LK-Tiedemann, § 263  Rn. 35; Rengier, BT  I, § 13 Rn. 16; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 17c; SSW-Satzger, § 263 Rn. 70; Wessels / Hillenkamp, BT  2, Rn. 499; Park /  Zieschang, § 263 Rn. 31. Ausnahmen gelten indes bei besonderen Vertrauensverhält­ nissen oder wenn eine gewisse Beratung über den Marktwert Vertragsbestandteil ist, vgl. hierzu Graul, JZ 1995, 596. Auch bei festgelegten Tax- oder Listenpreisen kann eine konkludente Täuschung über den Preis gegeben sein, hierzu NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 130 sowie MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 153. 56  BeckOK-Beukelmann, § 263 Rn. 12; Graul, JZ 1995, 596; Schönke / Schrö­ der / Perron, § 263 Rn. 17c; Haft / Hilgendorf, BT I, S. 86; Paschke, S. 117; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 130; Rengier, BT I, § 13 Rn. 16. 57  Brammsen / Apel, WRP 2011, 1255; Eisele, NStZ 2010, 194; Geisler, NStZ 2002, 87; LK-Tiedmann, § 263 Rn. 35; SSW-Satzger, § 263 Rn. 70; Fischer, § 263 Rn. 36; Krack, JZ 2002, 614; Paschke, S. 117. 54  Vgl.



C. Phänotypik25

Haushaltsartikel“ darauf hingewiesen, dass der Verkauf nicht im Wege des Direktvertriebs durch die Behindertenwerkstätten, sondern im Wege des Zwi­ schenhandels erfolgte.58 Zudem waren die Mitarbeiter angewiesen, Behaup­ tungen zu unterlassen, dass sie die Waren im Namen einer Behindertenwerk­ statt verkauften. Nimmt man die Grundsätze zum Preisgestaltungsbetrug ernst, ließe sich im Behindertenwerkstatt-Fall das Vorliegen einer Täuschung allenfalls mit dem subjektiven Täuschungsbegriff Schröders begründen, da es bei diesem allein darauf ankommt, ob unter dem Anschein eines äußerlich verkehrsge­ rechten Verhaltens, der Adressat planmäßig und gezielt geschädigt werden sollte.59 Schröders Betrugsverständnis ist aber  – wie noch zu zeigen sein wird  – aus dogmatischen Gründen abzulehnen. Der BehindertenwerkstattFall macht damit deutlich, dass der weite Schutzumfang des Betruges im Einzelfall dazu führen kann, dass das Täuschungsmerkmal nahezu völlig aufgegeben wird und dem Interesse nach strafrechtlicher Ahndung uner­ wünschter Verhaltensweisen weichen muss. 2. Schuldenregulierungsfall Auch der BGH hatte bereits mehrfach über die Strafbarkeit der Täuschung durch wahre Tatsachen zu befinden.60 Exemplarisch hierfür ist eine Entschei­ dung aus dem Jahr 2001, in der der 4.  Strafsenat zwei Angeklagte wegen vollendeten Betruges verurteilte, die gewerblich eine besondere Form der „Schuldenregulierung“ betrieben.61 Ihr Geschäftsmodell war so strukturiert, dass sie in Zeitungsannoncen und in der anschließenden Korrespondenz bei nur oberflächlicher Betrachtung den unzutreffenden Eindruck erweckten, sie würden den Betroffenen einen Kredit verschaffen. Bei genauerer Analyse der Zeitungsannoncen und des daran anschließenden geschäftlichen Kontakts wäre jedoch erkennbar gewesen, dass weder die Gewährung noch die Ver­ mittlung eines Kredits in Aussicht gestellt wurden. Dennoch ließen sich zahlreiche Personen dazu motivieren, eine von den Angeklagten verschickte Nachnahmesendung anzunehmen, da sie davon ausgingen, die Sendung ent­ halte einen Kreditvertrag und der per Nachnahme erhobene Betrag sei als Kreditvermittlungsgebühr fällig. Tatsächlich war in dem von dem Postboten übergebenen Umschlag jedoch weder der erhoffte Kreditvertrag enthalten, noch waren die Angeklagten bereit, irgendeine andere Leistung von Vermö­ 58  H.-W.

Mayer, Jura 1992, 239. wohl H.-W. Mayer, Jura 1992, 241. 60  Vgl. nur BGHSt 47, 1 ff.; BGH NJW 2014, 2595 ff.; BGH NStZ-RR 2004, 110 ff.; BGH wistra 2001, 386 ff; BGH NStZ 1997, 186. 61  BGH wistra 2001, 386. 59  So

26 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

genswert zu erbringen. Insgesamt erwirtschafteten die Angeklagten mit ihrem Vorgehen mindestens 550 000 DM. Der Senat stellte in diesem Zusammenhang explizit fest, dass eine Täu­ schungshandlung auch dann möglich sei, wenn sich der Täter einer Tat­ sachenbehauptung bedient, die bei isolierter Betrachtung wahr ist.62 In diesen Fällen werde ein Verhalten dann zur Täuschung, wenn der Täter „die Eignung der  – inhaltlich richtigen  – Erklärung, einen Irrtum hervorzurufen, planmäßig einsetzt und damit unter dem Anschein ‚äußerlich verkehrsgerechten Verhaltens‘ gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt, wenn also die Irrtums­ erregung nicht die bloße Folge, sondern der Zweck der Handlung ist.“63

Diese Voraussetzungen sah der Senat im Schuldenregulierungsfall als er­ füllt an. Das Vorgehen der Angeklagten sei gerade darauf angelegt gewesen, die Interessenten durch das Vortäuschen einer Kreditvermittlung zur Zahlung des Nachnahmebetrags zu veranlassen. Der Umstand, dass die Interessenten bei sorgfältiger Prüfung der telefonisch erteilten Auskünfte sowie der schrift­ lichen Korrespondenz hätten erkennen können, dass tatsächlich gar keine Kreditvermittlung zugesichert wurde, sah der BGH unter den gegebenen Umständen als unerheblich an. Dies war nach seiner Auffassung nicht dazu geeignet, das Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Täuschungshandlung zu beseitigen.64 3. Betrug durch rechnungsähnliche Angebotsschreiben Eine ähnliche Spielart der Täuschung durch wahre Tatsachen stellen rech­ nungsähnliche Angebotsschreiben und Kosten- bzw. Abofallen im Internet dar. Wie auch beim Schuldenregulierungsfall ist das Besondere an diesen Varianten des Betruges, dass bei den Betroffenen durch gewisse Umstände ein unzutreffender Gesamteindruck hervorgerufen wird, den der Täter vom Opfer unbemerkt an versteckter Stelle widerruft. Hoyer hat für diese Fall­ gruppen den treffenden Begriff der „sich selbst dementierende[en] Erklärung[en]“ geschaffen, welcher die in ihnen liegende Problematik an­ schaulich umschreibt.65 Besondere Aufmerksamkeit haben in Rechtsprechung und Literatur die rechnungsähnlichen Angebotsschreiben erlangt.66 Dabei handelt es sich um 62  BGH 63  BGH

wistra 2001, 387. wistra 2001, 387; so bereits BGHSt 47, 1 (3) und Schröder, FS Peters,

S. 159. 64  BGH wistra 2001, 387. 65  SK-Hoyer, § 263 Rn. 45. 66  Vgl. nur BGH NStZ-RR 2004, 110 ff.; BGH NJW 2001, 2187 ff.; BGH NStZ 1997, 186 f.; OLG Frankfurt NStZ 1997, 187 ff.; OLG Frankfurt NJW 2003, 3215 ff.;



C. Phänotypik

27

Schreiben, die bei ihren Empfängern durch eine besonders geschickte sprach­ liche und grafische Gestaltung den unzutreffenden Eindruck vermitteln sol­ len, es handele sich bei ihnen um eine Rechnung für eine bereits in Anspruch genommene Leistung. Tatsächlich enthalten die Schreiben jedoch nur ein werbendes Angebot. Da der Angebotscharakter allerdings durch einige ver­ schleiernde Maßnahmen in den Hintergrund gedrängt wird, wird dies nur für diejenigen Adressaten ersichtlich, die den Inhalt der Schreiben eingehend und vollständig zur Kenntnis nehmen. Da mit den Schreiben regelmäßig eine Eintragung in Adressbücher, private Register oder Datenbanken beworben wird, hat sich für diese Variante des Betruges auch die Bezeichnung „Adress­ buchschwindel“ bzw. „Insertionsoffertenbetrug“ durchgesetzt.67 Obwohl die rechnungsähnlichen Angebotsschreiben im Detail höchst ver­ schieden sind, teilen sie sich einige grundlegende Gemeinsamkeiten.68 Ty­ pisch für sie ist, dass der vermeintliche Rechnungscharakter stets durch eine möglichst große Zahl „klassischer Rechnungsmerkmale“ hervorgehoben und der wahre Inhalt der Schreiben mit aller Kraft verschleiert wird. Zu den ver­ wendeten Rechnungsmerkmalen zählen u. a. das Fehlen einer individuellen Anrede und einer Grußformel, die Nennung einer Auftragsnummer, die Auf­ schlüsselung des zu zahlenden Betrags in eine Brutto- und eine Nettosumme, die Angabe einer Bankverbindung sowie die Bestimmung eines Zahlungs­ ziels.69 In aller Regel ist den Schreiben auch ein vorausgefüllter Überwei­ sungsträger beigelegt.70 Zuweilen wird der Anschein einer seriösen Rechnung auch dadurch unterstrichen, dass sich die Versender mit ihrem Briefkopf an Markenzeichen bekannter Unternehmen anlehnen und zudem Farben und LG Frankfurt WRP 2005, 642 ff.; LG Frankfurt NStZ-RR 2000, 7 ff.; LG Hamburg, Urt. v. 14.01.2011  – 309 S 66 / 10; Arzt, FS Tiedemann, S. 595 ff.; Baier, JA 2002, 364; Eisele, BT  II, Rn. 525 f.; Fröhlich / Primaczenko, ZWH 2014, 140 ff.; Erb, ZIS 2011, 368 ff.; Fischer, § 263 Rn. 28; Garbe, NJW 1999, 2868 ff.; Geisler, NStZ 2002, 88 ff.; Göbel, S. 102 ff.; Grau, S. 7 ff.; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 109 ff.; Harbort, S. 176 ff.; Heim, S. 175 ff.; SK-Hoyer, § 263 Rn. 45 ff.; Jäger, BT, Rn. 319; Joecks, StuKo, § 263 Rn. 51 ff.; Krack, JZ 2002, 610 ff.; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 195 f.; Loch, S. 1 ff.; Loos, JR 2002, 75 ff.; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 41 Rn. 41; Otto, GRUR 1979, 90 ff.; Paschke, S. 1 ff.; Pawlik, StV 2003, 297 ff.; Peters, S. 7 ff.; Rose, wistra 2002, 13 ff.; SSW-Satzger, § 263 Rn. 66; Schneider, StV 2004, 535 ff.; Solf, WRP 2000, 325 ff.; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 25; Wabnitz / JanovskySolf, XIV Rn. 81 ff.; Wessels / Hillenkamp, BT 2, Rn. 499. 67  Eingehend zu den Begrifflichkeiten Paschke, S. 9 f. 68  Loch, S. 7. 69  Eisele, BT  II, Rn. 525; Jäger, BT, Rn. 319; Mahnkopf / Sonnberg, NStZ 1997, 187; Ohly / Sosnitza, § 5a UWG Rn. 148; Paschke, S. 19; Peters, S. 7; Garbe, NJW 1999, 2870; Wabnitz / Janovsky-Solf, XIV Rn. 82. 70  Fröhlich / Primaczenko, ZWH 2014, 140; Garbe, NJW 1999, 2868; Mahnkopf / Sonnberg, NStZ 1997, 187; Solf, WRP 2000, 325; Wabnitz / Janovsky-Solf, XIV Rn. 82.

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Schriftarten verwenden, die von der Bevölkerung mit bestimmten Unterneh­ men assoziiert werden.71 Auch die Firmennamen der Versender lassen häufig den unzutreffenden Schluss zu, dass der Versender mit einem bekannten Anbieter entsprechender Dienstleistungen in Verbindung steht.72 Die Illusion einer ordnungsgemäßen Rechnung erreicht mitunter eine ungeahnte Perfek­ tion, während die wahre Natur der Schreiben – die Offerte über die angebo­ tene Leistung  – deutlich in den Hintergrund tritt.73 Hinweise auf den Ange­ botscharakter finden sich erst im Kleingedruckten oder in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die auf der Rückseite des Schreibens abgedruckt sind oder sich sogar auf einem gesonderten Blatt befinden.74 Häufig werden hier­ bei auch Druckfarben gewählt, die sich vom Seitenhintergrund kaum abhe­ ben, sodass den Empfängern das Lesen zusätzlich erschwert wird.75 Auch sprachlich wird die Angebotskomponente bewusst so gehalten, dass sie sich geschäftlich weniger gewandten Lesern nicht unbedingt erschließt. Regelmä­ ßig sehen sich die Empfänger daher mit verklausulierten Angaben oder mit weniger geläufigen Fremdwörtern, wie „Insertionsofferte“, konfrontiert.76 Eine besonders trickreiche Variante des Insertionsoffertenbetruges sind solche Angebotsschreiben, die an Gebührenrechnungen für Eintragungen in amtliche Register erinnern. Opfer dieser Vorgehensweise sind in aller Regel Unternehmer, die kurz zuvor eine Anmeldung in ein ebensolches Register vorgenommen haben, und die dementsprechend den Eingang einer amtlichen Gebührenrechnung erwarteten.77 Auch in diesen Fällen bemühen sich die Täter darum, den Rechnungscharakter sowohl sprachlich als auch grafisch hervorzuheben. So finden neben einer möglichst amtlich klingenden Behör­ densprache meist auch amtlich wirkende Symbole Verwendung.78 Ergänzt wird dies noch dadurch, dass die Schreiben Bezeichnungen wie „Amtsge­ richt“, „Eintragungsdatum“ und „Handelsregisternummer“ enthalten, die häufig drucktechnisch durch Fett- oder Kursivdruck besonders hervorgeho­ ben werden.79 Zudem sind die Täter bemüht, ihren Opfern die Angebots­ schreiben möglichst zeitnah zu der Registereintragung zuzusenden. Neben der zeitlichen Nähe zur Registereintragung wird der Anschein einer amtli­ chen Gebührenrechnung noch dadurch verstärkt, dass die Täter auf Angaben 71  Ernst,

MMR 2004, 243; Loch, S. 9; Solf, WRP 2000, 325. zur urheber- und markenrechtlichen Bedeutung des Versands rech­ nungsähnlicher Angebotsschreiben Loch, S. 267 ff. 73  s. nur die beispielhaften Abbildungen bei Loch, S. 339 ff. und Paschke, S. 273 ff. 74  LK-Tiedemann, § 263 Rn. 25. 75  Peters, S. 7. 76  Paschke, S. 19; Solf, WRP 2000, 326; Wabnitz / Janovsky-Solf, XIV Rn. 82. 77  Fröhlich / Primaczenko, ZWH 2014, 140; Solf, WRP 2000, 325. 78  Fröhlich / Primaczenko, ZWH 2014, 140. 79  Loch, S. 12. 72  Ausführlich



C. Phänotypik29

zurückgreifen, die mit dem tatsächlichen Eintrag im Register übereinstim­ men. Die hierfür erforderlichen Daten sind für die Täter problemlos zu be­ schaffen, da sie sich aus entsprechenden öffentlichen Bekanntmachungen entnehmen lassen.80 Obwohl mittlerweile mehrere Amtsgerichte, die Medien und auch der Bundesanzeiger-Verlag durch Informationsschreiben vor sol­ chen fingierten Rechnungen warnen, erweist sich dieses Vorgehen nach wie vor als recht erfolgreich. In zahlreichen Fällen veranlassen die Empfänger tatsächlich eine Zahlung. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Zahlungsan­ weisung typischerweise von Angestellten in der Buchhaltungsabteilung vor­ genommen wird, die den Schreiben keine größere Aufmerksamkeit schenken und die mit dem Vorgang der Registereintragung nicht befasst waren.81 Auch ist die Höhe des vermeintlichen Rechnungsbetrages bewusst so gewählt, dass die Zahlung regelmäßig routinemäßig und ohne eingehende Prüfung veran­ lasst wird. Meist ist der Betrag in einer Höhe zwischen 500 und 1000 € an­ gesiedelt.82 Insbesondere bei gewerblichen Empfängern bleibt er damit unter einer Schwelle, bei der eingehendere Nachprüfungen durchgeführt werden. Gehen die Empfänger den Versendern „auf den Leim“ und zahlen den gefor­ derten Rechnungsbetrag, erhalten sie  – wenn sie überhaupt eine Gegenleis­ tung bekommen – nur eine solche, die der gezahlten Summe nicht annähernd entspricht.83 Meist erscheint nur eine Annonce in einer regional sehr be­ grenzten Publikation oder in einer solchen, die sich keiner größeren Bekannt­ heit erfreut. Vielfach werden die Inserate auch nur in völlig unbekannten Internetregistern geschaltet. Werbemäßig sind sie allesamt unbrauchbar und damit aus Sicht des Inserenten weitestgehend wertlos.84 Im Gegensatz zum Täuschungs- bzw. Irrtumsmerkmal bereiten damit die Annahme eines Scha­ dens und der weiteren Tatbestandsmerkmale des Betruges keine besonderen Probleme.85 Im Hinblick auf die hier zu erörternde Fragestellung sind die rechnungs­ ähnlichen Angebotsschreiben insbesondere deshalb interessant, weil ein auf­ merksamer Empfänger, der den Text der Schreiben aufmerksam zur Kenntnis nimmt, keinem Irrtum unterliegen würde. Der Angebotscharakter der Schrei­ ben ist bei eingehender Lektüre des gesamten Textes ohne weiteres erkenn­ 80  Baier,

JA 2002, 364. MMR 2004, 243; Wabnitz / Janovsky-Solf, XIV Rn. 83. 82  Loch, S. 9. 83  Paschke, S. 20; Loch, S. 11; Rose, wistra 2002, 13. 84  Baier, JA 2002, 366; Garbe, NJW 1999, 2870; Erb, ZIS 2011, 370; Geisler, NStZ 2002, 89; Loch, S. 12; Otto, GRUR 1979, 102; Solf, WRP 2000, 326; Wab­ nitz / Janovsky-Solf, XIV Rn. 92. 85  Garbe, NJW 1999, 2870; eingehend zum Vermögensschaden in den Fällen fin­ gierter Rechnungen Fröhlich / Primaczenko, ZWH 2014, 142; Wabnitz / Janovsky-Solf, XIV Rn. 92; Erb, ZIS 2011, 370. 81  Ernst,

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bar. Denn es befindet sich stets  – wenn auch nur an versteckter Stelle  – ein Dementi, das den unzutreffenden Gesamteindruck einer Rechnung revidiert. Ein Irrtum und demzufolge auch eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung sind für die Empfänger der Schreiben bei Anwendung einer gewissen Sorg­ falt damit durchaus vermeidbar. Wohl deshalb war es für die Rechtsprechung zunächst schwer, eine einheitliche Linie zu finden. Bis in die 1990er-Jahre hinein war sie eher kasuistisch geprägt.86 Auch wenn die Gerichte heutzutage überwiegend von einer Strafbarkeit des Versands rechnungsähnlicher Ange­ botsschreiben ausgehen, lassen die Urteilsbegründungen immer noch eine einheitliche Linie vermissen. Im Folgenden soll die Entwicklung der Recht­ sprechung dargestellt und analysiert werden. Dabei wird sich zeigen, dass es den Gerichten bislang nicht gelungen ist, klare Kriterien für die Strafbarkeit rechnungsähnlicher Angebotsschreiben herauszubilden und dass die Frage nach einer dogmatisch verlässlichen Begründung noch weiterer Klärung be­ darf. a) Behandlung rechnungsähnlicher Angebotsschreiben in der Rechtsprechung aa) BGH Beschl. v. 27.02.1979  – 5 StR 805 / 78 Der BGH hatte sich in einer Entscheidung aus dem Jahr 1979 erstmals mit der Frage der Strafbarkeit des Versands rechnungsähnlicher Angebotsschrei­ ben auseinanderzusetzen.87 In dem zu beurteilenden Fall ging es um ein rechnungsähnlich aufgebautes Schreiben, das sich vorwiegend an Geschäfts­ leute richtete und mit dem die Aufnahme in ein vom Angeklagten geplantes „Branchen-Telefonverzeichnis“ beworben wurde. Während die Vorinstanz noch davon ausgegangen war, dass der Angeklagte den Empfängern durch die Versendung der Schreiben in betrügerischer Weise das Bestehen eines vorher erteilten Auftrages vortäuscht und diesen dabei vorgespiegelt habe, dass das Inserat in den Gelben Seiten oder in einem gleichwertigen Druck­ werk erscheinen werde, lehnte der BGH das Vorliegen einer Täuschungs­ handlung ab.88 Nach der damaligen Auffassung des 5. Strafsenats sei ein Betrug jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn sich aus dem betreffenden An­ 86  Für eine Strafbarkeit sprachen sich u. a. aus: LG Mainz wistra 2002, 74; LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 12.3.1998 – 5 / 12 Qs 12 / 98; LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 3.9.1992 – 5 / 4 Qs 22 / 92; gegen eine Strafbarkeit LG Passau Beschl. v. 8.10.1997 – 1  Qs 174 / 97; OLG Hamburg, Beschl. v. 14.11.1997  – 3 Ws 238 / 97; vgl. hierzu Mahnkopf / Sonnberg, NStZ 1997, 187; Garbe, NJW 1999, 2869; Geisler, NStZ 2002, 86; Grau, S. 81. 87  BGH NStZ 1997, 186. 88  BGH NStZ 1997, 186.



C. Phänotypik31

gebotstext eindeutig ergebe, dass der Vertrag erst durch die Bezahlung des geforderten Betrags zustande kommt. Da dies nach dem zu beurteilenden Sachverhalt der Fall war, sprachen sich die Richter gegen eine Betrugsstraf­ barkeit aus. Daneben hob der Senat hervor, dass die Verwendung des Wortes „Rechnungsbetrag“ für sich genommen nicht dazu führe, dass die Empfänger auch zwingend davon ausgehen mussten, es sei zuvor eine Bestellung er­ folgt.89 Allein aus dem Umstand, dass die Empfänger den Angebotstext missverstanden hatten und der Täter sich dies planmäßig zunutze machte, wollten die Richter die Erfüllung des Täuschungsmerkmals damals jedenfalls noch nicht ableiten.90 bb) OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 17.08.1994  – 2 Ws 129 / 94 Auch das OLG Frankfurt ging einige Jahre später in einer viel beachteten Entscheidung von der betrugsstrafrechtlichen Irrelevanz des Versands rech­ nungsähnlicher Angebotsschreiben aus.91 In der Sache ging es um eine als Rechnung gekennzeichnete Anzeigenofferte, mit der die Aufnahme in ein privates Telefaxverzeichnis beworben wurde. Versendet wurde die Offerte überwiegend an Geschäftsleute. Wie bereits der BGH in seiner Entscheidung vom 27.02.1979 lehnte auch das OLG Frankfurt a. M. das Vorliegen einer tatbestandlichen Täuschung ab, da sich aus den rückseitig abgedruckten All­ gemeinen Geschäftsbedingungen eindeutig ergeben hatte, dass ein Auftrag erst durch die Bezahlung des ausgewiesenen Rechnungsbetrages zustande kommen sollte.92 Nach dem Senat konnten auch die auf der Vorderseite des Schreibens stehenden Begrifflichkeiten „Rechnung“ sowie „zahlbar sofort ohne Abzug“ keine andere Bewertung rechtfertigen. Vor allem die Tatsache, dass sich das Angebot an Personen richtete, die im geschäftlichen Verkehr nicht unerfahren waren, sprach nach der Auffassung des Senats gegen die Annahme einer Täuschung. Von geschäftserfahrenen Adressaten sei zu er­ warten gewesen, dass sie die auf der Rückseite des Schreibens angebrachten Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Kenntnis nehmen und in der Folge den Angebotscharakter des Schreibens erkennen würden.93

89  BGH

NStZ 1997, 186. NStZ 1997, 186. 91  OLG Frankfurt NStZ 1997, 187. 92  OLG Frankfurt NStZ 1997, 187. 93  OLG Frankfurt NStZ 1997, 187; ähnlich auch LG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2000, 7. 90  BGH

32 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

cc) LG Frankfurt a. M. Beschl. v. 1.10.1999  – 5 / 29 Qs 19 / 99 Wenige Jahre später bediente sich auch das LG Frankfurt a. M.94 einer ähnlichen Argumentation. Die Kammer hatte über einen Fall zu befinden, in dem die damalige Beschuldigte mehrere Einzelfirmen betrieb, deren Namen sich aus einer Buchstabenkombination und den Begriffen „Gebrauchsmuster­ register“, „Geschmacksmusterregister“, „Markenregister“, „Patentregister“, et al. zusammensetzten. Unter diesen Firmennamen versandte sie Vertragsof­ ferten an mehrere Gewerbetreibende, die kurz zuvor Gebrauchs- und Ge­ schmacksmuster, Marken und Patente zur Anmeldung gebracht hatten. Die Anzeigen sollten entsprechend dem Plan der Beschuldigten in einer privaten Datenbank erscheinen. Alle Schreiben wiesen dabei wesentliche Merkmale einer Rechnung auf. Ein Großteil der angeschriebenen Unternehmen bezahlte den von der Beschuldigten verlangten Betrag, da sie davon ausgingen, dass es sich um die Rechnung für die Eintragung in das entsprechende amtliche Register handelte. Wie zuvor der BGH und das OLG Frankfurt lehnte auch das LG Frank­ furt a. M. eine tatbestandsrelevante Täuschung ab. Dabei setzte sich das Landgericht besonders intensiv mit der Frage auseinander, ob die Versen­ dung eines rechnungsähnlichen Angebotsschreibens als konkludente Täu­ schung zu werten sei.95 Die Kammer verneinte dies mit dem Hinweis, dass der Erklärungswille des Täuschenden und die Vorstellungen des Empfängers für das Vorliegen einer konkludenten Täuschung nicht entscheidend seien.96 Vielmehr komme es darauf an, ob die relevante Tatsache nach der Verkehrs­ anschauung als miterklärt anzusehen sei. Im Falle der rechnungsähnlichen Angebotsschreiben sei eine betrugsrelevante Täuschung folglich nur dann denkbar, wenn durch das Schreiben nach der Verkehrsanschauung miterklärt werde, dass es sich dabei um eine Rechnung für eine bereits erfolgte Eintra­ gung in das jeweilige amtliche Register bzw. um eine Rechnung für einen bereits erteilten Auftrag zur Aufnahme in die von dem Versender betriebene private Datenbank handelt. Diese Voraussetzungen sah die Kammer in dem zugrunde liegenden Fall jedoch nicht als erfüllt an, da der Angebotscharak­ ter aus dem Formulartext und aus den rückseitig aufgeführten Allgemeinen Geschäftsbedingungen eindeutig hervorging.97 Zudem hätten sich die Schrei­ ben ausschließlich an geschäftserfahrene Personen gerichtet, von denen die Lektüre der rückseitig abgedruckten Angaben erwartet werden könne.98 Dies 94  LG

Frankfurt Frankfurt 96  LG Frankfurt 97  LG Frankfurt 98  LG Frankfurt 95  LG

a. M. a. M. a. M. a. M. a. M.

NStZ-RR NStZ-RR NStZ-RR NStZ-RR NStZ-RR

2000, 2000, 2000, 2000, 2000,

7 ff. 7 f. 8. 8. 8.



C. Phänotypik33

gelte nach der Auffassung der Kammer umso mehr, wenn die Betroffenen durch entsprechende Hinweisschreiben der amtlichen Register, welche die Anmelder vor solchen Praktiken ausdrücklich warnten, sensibilisiert worden waren. dd) BGH Urt. v. 26.04.2001  – 4 StR 439 / 00 In einer etwas jüngeren Entscheidung hatte der 4. Strafsenat des BGH über einen Sachverhalt zu entscheiden, in dem der Angeklagte Inhaber einer Firma war, die sich die Veröffentlichung von Geschäfts-, Familien- und Todesanzei­ gen im Internet zum Geschäftszweck gemacht hatte.99 Auf Betreiben des Angeklagten wurden insgesamt 240 Tageszeitungen systematisch auf dort veröffentlichte Familien- und Traueranzeigen ausgewertet. Zwei bis drei Tage nach dem Erscheinen des Inserats ließ er den dort genannten Angehöri­ gen ein als „Insertionsofferte“ bezeichnetes Schreiben zukommen, welches Merkmale aufwies, die für Rechnungen für erbrachte Leistungen typisch sind. Es fehlten eine Anrede und eine Grußformel sowie eine nähere Darstel­ lung der angebotenen Leistung. Zudem war der zu zahlende Betrag in eine Netto- und eine Bruttosumme aufgeschlüsselt und es wurde eine durch Fett­ druck hervorgehobene Zahlungsfrist benannt. Dem Schreiben lag auch ein bereits vorausgefüllter Überweisungsträger bei. Auf der Rückseite des Schreibens waren indes die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Ange­ klagten abgedruckt, in denen sich auch ein kleingedruckter Hinweis auf den bloßen Angebotscharakter des Schreibens befand. Auf Veranlassung des An­ geklagten wurden mindestens 125.000 Schreiben dieser Art verschickt. In zahlreichen Fällen gingen die Empfänger, wie vom Angeklagten vorhergese­ hen, davon aus, dass es sich um die Rechnung des Zeitungsverlages über die von ihnen geschaltete Traueranzeige handelte. Nur wenige erkannten, dass sich dahinter lediglich ein Angebot für eine erneute Veröffentlichung der Traueranzeige im Internet verbarg. Die meisten Empfänger wiesen jedoch den geforderten Betrag zur Zahlung an. Da einige Banken die Zusammenar­ beit mit der Firma des Angeklagten verweigerten, erhielt der Angeklagte nur einen Teil der angewiesenen Beträge. In den Fällen, in denen dem Angeklag­ ten das Geld gutgeschrieben wurde, stellte er den Anzeigentext auf der von ihm betriebenen Internetseite „www.online-familienanzeigen.de“ ein. Ein Interesse seiner „Kunden“ an einer solchen erneuten Veröffentlichung be­ stand jedoch zu keinem Zeitpunkt. Im Gegensatz zum 5. Strafsenat, der in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1979 noch die Strafbarkeit einer solchen Verhaltensweise im kaufmännischen 99  BGHSt

47, 1 m. Anm. Martin, JuS 2001, 1031 ff.

34 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

Geschäftsverkehr verneinte, bejahte der 4. Strafsenat hier das Vorliegen einer Täuschungshandlung.100 Zur Begründung zog der Senat die Figur der kon­ kludenten Täuschung heran. Nach der h. M. ist von einer solchen auszugehen, wenn der Täter die Unwahrheit zwar nicht expressis verbis zum Ausdruck bringt, sie aber nach Auffassung der maßgeblichen Verkehrskreise durch sein Verhalten miterklärt.101 Diese Voraussetzungen sah der Senat in der Trauer­ anzeigenentscheidung als erfüllt an. Nach der Verkehrsanschauung sei es als miterklärt anzusehen, dass es sich bei der rechnungsähnlichen Vertragsofferte um eine Rechnung für eine bereits veröffentlichte Todesanzeige handelt. Der Täter habe bei den von ihm versendeten Anschreiben typische Rechnungs­ merkmale verwendet, die den Gesamteindruck so sehr prägten, dass die in dem Schreiben gleichermaßen enthaltenen Hinweise auf den Angebotscha­ rakter vollkommen in den Hintergrund traten. Nach der objektiven Verkehrs­ anschauung liege hierin eine konkludente Täuschung über das Bestehen einer Zahlungspflicht. Nachdem der Senat die Erfüllung des Täuschungsmerkmals damit eigent­ lich schon bejaht hatte, fuhr er mit dem Hinweis fort, dass es „nicht zum vom Betrugstatbestand geschützten Rechtsgut [gehöre], sorglose Menschen gegen die Folgen ihrer eigenen Sorglosigkeit zu schützen.“102 Zudem sei nicht aus jedem Missverständnis eines Angebots auf eine Täuschung von Seiten des Versenders zu schließen. Insbesondere verbiete es sich, die Täu­ schungshandlung auf die bloße Missverständlichkeit des Angebotsschreibens zu stützen. Das Täuschungsmerkmal lasse sich insbesondere nicht aus der bloßen Existenz eines Irrtums ableiten.103 Vielmehr setze das Merkmal der Täuschung voraus, dass eine Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines an­ deren erfolge. Das Verhalten müsse daher subjektiv dazu bestimmt und ob­ jektiv dazu geeignet sein, beim Empfänger eine Fehlvorstellung über Tatsa­ chen hervorzurufen.104 In der sich hieran anschließenden „Schlüsselpassage“105 der Entscheidungsbegründung, die fortan die Linie der Rechtsprechung auch in anderen Fallgruppen des Betruges durch die Behauptung wahrer Tatsachen 100  BGHSt

47, 1 (3). 47, 1 (3); 51, 165 (170); vgl. auch OLG Frankfurt a. M. NJW 2003, 3215; LG Frankfurt a. M. MMR 2009, 422; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 14 / 15; Park / Zieschang, § 263 Rn. 36. 102  BGHSt 47, 1 (4), so bereits schon BGHSt 3, 99 (103). 103  So aber Mahnkopf / Sonnberg, NStZ 1997, 187, „Wo ein Irrtum ist, ist auch eine Täuschung“; hiergegen BGHSt 47, 1 (5); 3, 99 (103); BGH NJW 2014, 2596; Cornelius, NStZ 2015, 312; Kempf / Schilling, wistra 2007, 46; Ackermann, FS Roxin II, S. 951; Hoffmann, GA 2003, 610; SSW-Satzger, § 263 Rn. 38; SK-Hoyer, § 263 Rn. 23. 104  BGHSt 47, 1 (5). 105  Geisler, NStZ 2002, 87. 101  BGHSt



C. Phänotypik35

maßgeblich beeinflussen sollte, führt der BGH sodann in Anlehnung an Schröder106 aus: „Zur tatbestandlichen Täuschung wird ein Verhalten dann, wenn der Täter die Eig­ nung der – inhaltlich richtigen – Erklärung, einen Irrtum hervorzurufen, planmäßig einsetzt und damit unter dem Anschein ‚äußerlich verkehrsgerechten Verhaltens‘ gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt, wenn also die Irrtumserregung nicht die bloße Folge, sondern der Zweck der Handlung ist.“107

Hierbei sei zu verlangen, dass die Irrtumserregung zumindest mit dolus directus gewollt war. Ein bedingter Vorsatz sei dagegen nicht geeignet, eine Täuschungshandlung nach diesem Täuschungsverständnis zu begründen.108 Im vorliegenden Fall erkannte der BGH jedoch auf das Vorliegen eines di­ rekten Vorsatzes, weshalb er eine Täuschung bejahte. Obwohl der 5. Strafsenat im Jahr 1979 noch betonte, dass sich allein aus dem Umstand, dass die Empfänger den Angebotstext missverstanden hatten und der Täter sich diesen Umstand „planmäßig zu Nutze gemacht“ habe, die Erfüllung des Täuschungsmerkmals nicht ableiten ließe,109 begründete der 4. Strafsenat 2001 das Vorliegen einer Täuschung unter Anwendung ebendieser Kriterien mit Hilfe des von Schröder geschaffenen subjektiven Täuschungs­ begriffs. Dennoch vermochte er eine Divergenz zu der damaligen Rechtspre­ chung des 5. Strafsenats nicht zu erkennen und verneinte eine solche aus­ drücklich unter Hinweis auf die dort besonders hervorgehobenen Umstände des Einzelfalls.110 Zudem sei damals entscheidungserheblich gewesen, dass sich das Angebot ausschließlich an geschäftserfahrene Adressaten gerichtet habe, was in der Traueranzeigenentscheidung nicht der Fall war.111 ee) BGH Urt. v. 04.12.2003  – 5 StR 308 / 03 Nur wenige Jahre später dehnte der 5. Strafsenat des BGH diese Recht­ sprechung auch auf geschäftserfahrene Opfer aus.112 Dem Urteil lag dabei ein Sachverhalt zugrunde, nach dem der Angeklagte Alleingesellschafter und Geschäftsführer einer Gesellschaft war, deren Zweck aus der Einrichtung, dem Betrieb und der Pflege von Datenbanken sowie der Installation eines Abruf- und Abfragesystems bestand. Das System sollte Unternehmen bun­ desweit die Möglichkeit eröffnen, unternehmenseigene Daten und Informati­ 106  Schröder,

FS Peters, S. 159. 47, 1 (5). 108  BGHSt 47, 1 (5). 109  BGH NStZ 1997, 186. 110  BGHSt 47, 1 (7). 111  BGHSt 47, 1 (7). 112  BGH NStZ-RR 2004, 110 ff. 107  BGHSt

36 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

onen zu speichern, welche dann wiederum von deren Kunden per Fax über eine Servicenummer abgerufen werden konnten. Zum Zwecke der Kunden­ werbung entwarf der Angeklagte ein rechnungsähnliches Angebotsschreiben, das an eine amtliche Rechnung erinnerte. Dabei orientierte er sich an vorhan­ denen Mustern anderer Anbieter, sodass auch seine Angebotsschreiben eine Vielzahl typischer Rechnungsmerkmale aufwiesen. Zudem war den Schrei­ ben auch ein vorausgefüllter Überweisungsträger beigefügt. Die von ihm angebotene Leistung war dagegen nur aus den rückseitig abgedruckten „Ein­ tragungsbedingungen“ ersichtlich, die zudem nur in kleiner Schrift und in hellgrauer Farbe auf weißem Grund dargestellt waren. Auf der Vorderseite des Schreibens war indes kein Hinweis auf die Leistung und auf deren Um­ fang enthalten. Es wurde allerdings darauf hingewiesen, dass die Zahlung des Betrages nur „bei Annahme“ zu leisten sei und dass die auf der Rückseite vermerkten „Rechtshinweise und Eintragungsbedingungen“ Geltung besäßen. Ferner war in dem vermeintlichen Rechnungstext mehrfach der Wortteil „Of­ ferte“ vermerkt. Die so gestalteten Schreiben wurden vom Angeklagten in großem Stil an neu gegründete oder frisch umbenannte Unternehmen ver­ schickt. Die Adressen entnahm er dem Bundesanzeiger oder anderweitigen Veröffentlichungen. Insgesamt zahlten über 350 der angeschriebenen Unter­ nehmen den Rechnungsbetrag, da sie davon ausgingen, dass es sich um eine amtliche Rechnung für die vorausgegangene Registereintragung handelte. Zur Errichtung der geplanten Datenbank kam es dagegen nie, weil keines der angeschriebenen Unternehmen mit dem Angeklagten zum Zwecke der Da­ tenübermittlung in Kontakt trat. Im Gegensatz zur Vorinstanz, die in Übereinstimmung mit der früheren Rechtsprechung des BGH von der Straflosigkeit des infrage stehenden Ver­ haltens ausgegangen war, nahm der 5. Strafsenat nun eine tatbestandsrele­ vante Täuschung an.113 Der BGH hob in seiner Entscheidung ausdrücklich hervor, dass der Versand von Angebotsschreiben, in denen durch die Verwen­ dung typischer Rechnungsmerkmale der Eindruck einer Zahlungspflicht er­ weckt wird, in der Lage ist, eine Täuschung im Sinne des § 263 StGB zu begründen.114 Insbesondere sei die Täuschungseignung der Schreiben nicht deshalb ausgeschlossen, weil deren Empfänger bei genauerem Hinsehen hät­ ten erkennen können, dass es sich um ein werbendes Angebot und nicht um eine amtliche Rechnung handelte. Ebenso könne die Ungeeignetheit der Täuschung auch nicht daraus abgeleitet werden, dass von geschäftlich erfah­ renen Adressaten zu erwarten sei, dass sie die Rückseite ihnen zugesandter Schreiben zur Kenntnis nehmen.115 Hierzu stellte der 5. Strafsenat noch ein­ 113  BGH

NStZ-RR 2004, 110. NStZ-RR 2004, 110. 115  BGH NStZ-RR 2004, 111. 114  BGH



C. Phänotypik

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mal ausdrücklich fest, dass „Leichtgläubigkeit oder Erkennbarkeit der Täu­ schung bei hinreichend sorgfältiger Prüfung […] die Schutzbedürftigkeit des potentiellen Opfers und damit […] eine Täuschung nicht aus[schlössen].“116 Deshalb könne eine konkludente Täuschung auch dadurch erfolgen, dass der Täter eine Tatsachenbehauptung aufstellt, die bei einer isolierten Betrachtung nicht unwahr ist. Wie auch im Traueranzeigenfall sah der 5. Strafsenat vor allem die subjektive Komponente als tragendes Element für das Vorliegen einer Täuschung an. Entscheidend sei danach der planmäßige, zweckgerich­ tete Einsatz der irreführungsgeeigneten, aber inhaltlich richtigen Erklärung unter dem Anschein äußerlich verkehrsgerechten Verhaltens, welcher im zu­ grundeliegenden Fall nach der Auffassung des Senats gegeben war.117 Der Umstand, dass sich die Schreiben an geschäftserfahrene Empfänger richteten, soll nach neuer Auffassung des BGH keine andere Bewertung rechtfertigen können. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Schreiben  – wie hier  – gezielt an Personen gerichtet waren, die unmittelbar zuvor eine Handelsregistereintragung vorgenommen hatten. Denn in diesen Fällen liege es nahe, dass diese Empfänger in Erwartung einer amtlichen Rechnung ei­ nem auf Unaufmerksamkeit beruhenden Routineirrtum unterliegen. Die Ge­ schäftserfahrung ändere hieran nichts, vor allem weil auch eine Bearbeitung des Schreibens durch Büroangestellte zu erwarten sei.118 Gleichwohl stellte der BGH klar, dass eine Abweichung zu seiner Entscheidung aus dem Jahr 1979, in der er gegenüber geschäftserfahrenen Empfängern noch eine Täu­ schung verneint hatte,119 nicht gegeben sei. Sein damaliger Beschluss dürfe „nicht dahingehend missverstanden werden, dass eine vorsätzliche Täuschung von Kaufleuten in Fällen vergleichbarer Art regelmäßig zu verneinen wäre.“120 ff) Auswertung und Kritik Betrachtet man die gerichtlichen Entscheidungen, die zu den rechnungs­ ähnlichen Angebotsschreiben ergangen sind, so wird deutlich, dass die Rechtsprechung die Reichweite der Betrugsstrafbarkeit im Laufe der Jahre erheblich erweitert hat. Während der BGH in seinem Beschluss aus dem Jahr 1979 der Strafbarkeit des in Frage stehenden Verhaltens noch entschie­ 116  BGH  NStZ-RR 2004, 111, vgl. auch BGHSt 34, 199 (201); BGH NStZ 2003, 314 sowie Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 32a m. w. N. 117  BGH NStZ-RR 2004, 111. 118  BGH NStZ-RR 2004, 111. 119  NStZ 1997, 186. 120  BGH NStZ-RR 2004, 111; a. A. Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 16c; Wessels / Hillenkamp, BT 2, Rn. 499; AnwK-Gaede, § 263 Rn. 13.

38 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

den entgegentrat und den Tatrichter sogar bezichtigte, „die Grenzen des Be­ trugstatbestands nicht zutreffend beurteilt“121 zu haben, wird man heutzutage wohl davon ausgehen müssen, dass der Versand rechnungsähnlicher Ange­ botsschreiben nach der h. M. regelmäßig strafbar ist.122 Auslöser für diese Strafbarkeitsausdehnung war vermutlich der Umstand, dass sich diese Ma­ sche in den 1990er Jahren einer wachsenden Beliebtheit erfreute, was sich vor allem in einem spürbaren Anstieg der Fallzahlen niederschlug.123 Diesem erhöhten Aufkommen war mit den Möglichkeiten des Zivilrechts124 und durch eine gezielte Präventionsarbeit der Behörden sowie von Schutzverbän­ den125 kaum Herr zu werden. Es wurde daher seitens der Rechtsprechung offenbar ein gesteigertes Bedürfnis gesehen, die vorhandenen Bemühungen mit den Mitteln des Strafrechts zu flankieren.126 Insofern verwundert es nicht, dass auch der BGH seine anfänglichen Vorbehalte gegen eine Krimina­ lisierung rechnungsähnlicher Angebotsschreiben in seiner Entscheidung vom 04.12.2003 endgültig ablegte und sich schlussendlich auch im Verhältnis von Unternehmern untereinander für eine Strafbarkeit aussprach.127 Auch wenn die Strafbarkeit rechnungsähnlicher Angebotsschreiben damit weitestgehend feststeht, ist es bedenklich, dass sich der BGH ausdrücklich nicht von seiner früheren Rechtsprechung distanzieren will. Damit bleibt insbesondere die Strafbarkeit bei geschäftserfahrenen Empfängern unklar, da der BGH betont, dass seine frühere Rechtsprechung nicht dahingehend inter­ pretiert werden dürfe, dass ihnen gegenüber eine vorsätzliche Täuschung regelmäßig zu verneinen ist.128 Klare Kriterien an denen das Strafbarkeitsurteil ausgerichtet werden soll, lässt der BGH jedenfalls vermissen. Auch aus den Sachverhalten, die sich trotz bestehender Unterschiede in allen wesentlichen Punkten gleichen, lassen sich keine zuverlässigen Rückschlüsse ziehen.129 Insgesamt drängt sich daher der Eindruck auf, dass die Rechtsprechung zu den rechnungsähnlichen Angebotsschreiben eher ein Konglomerat von Ein­ zelfallentscheidungen ist, als dass sie einer stringenten und konsequenten Dogmatik folgt.

121  BGH

NStZ 1997, 186. Peters, S. 22; Grau, S. 95. 123  Vgl. hierzu die Untersuchung bei Grau, S. 1 ff., 28 ff. 124  Hierzu Paschke, S. 44 ff.; vgl. auch Garbe, NJW 1999, 2868. 125  Zur Präventionsarbeit des Deutschen Schutzverbands gegen Wirtschaftskrimi­ nalität vgl. Solf, WRP 2000, 327. 126  Loch, S. 75; Mahnkopf / Sonnberg, NStZ 1997, 187; Loos, JR 2002, 77. 127  BGH NStZ-RR 2004, 110 f. 128  BGH NStZ-RR 2004, 111. 129  A. A. BGHSt 47, 1 (7). 122  Ebenso



C. Phänotypik39

Im Hinblick auf die hiesige Untersuchung ist die Rechtsprechung zu den rechnungsähnlichen Angebotsschreiben insbesondere deshalb interessant, weil die Gerichte die Strafbarkeit lange von einer mitwirkenden Opferfahr­ lässigkeit abhängig machten und damit trotz entgegenstehender Bekundun­ gen einer viktimodogmatischen Argumentationslinie folgten.130 Indem sie die Strafbarkeit bis in die 1990er-Jahre am Adressatenkreis der Schreiben aus­ richteten und bei der Verletzung kaufmännischer Sorgfaltspflichten eine Strafbarkeit verneinten, erhoben sie das Mitverschulden des Opfers zu dem maßgeblichen Kriterium für das Vorliegen einer Täuschung bzw. eines Irr­ tums. Der einfältige bzw. fahrlässige Kaufmann ist bzw. war damit – zumin­ dest nach der früheren Rechtsprechung – nicht vollumfänglich geschützt. Dass die Rechtsprechung keine klare Linie verfolgt, wird auch dadurch deutlich, dass sie im Zusammenhang mit rechnungsähnlichen Angebots­ schreiben häufig darauf hinweist, dass „der Betrugstatbestand […] nicht dazu [diene], die Sorglosen vor den Folgen ihrer eigenen Sorglosigkeit zu beschüt­ zen“ und trotz dieses Hinweises von einer Strafbarkeit ausgeht.131 Schließlich ist die Zahlung auf ein rechnungsähnliches Angebotsschreiben nichts anderes als das Ergebnis einer nachvollziehbaren routinemäßigen Sorglosigkeit. Ins­ besondere ist die Aussage, dass der Betrug nicht vor den Folgen der Sorglo­ sigkeit schützen soll, mit dem ebenso häufig vorzufindenden Hinweis, dass die „Leichtgläubigkeit oder Erkennbarkeit der Täuschung bei hinreichend sorgfältiger Prüfung, die Schutzbedürftigkeit des potentiellen Opfers und damit […] eine Täuschung nicht ausschließen“132 könnten, kaum in Einklang zu bringen. Vor allem wird man nicht davon ausgehen können, dass die Rechtsprechung mit einzelnen viktimodogmatischen Stimmen aus der Litera­ tur133 nur den Sorglosen, nicht aber den Einfältigen vom Schutz durch den § 263  StGB ausnehmen will.134 Denn die Rechtsprechung spricht sich an anderer Stelle entschieden gegen jedwede Berücksichtigung einer Opfermit­ Schneider, StV 2004, 537. 3, 99 (103); 47, 1 (4); BGH NJW 2014, 2595; zustimmend Kempf / Schilling, wistra 2007, 46; krit. hierzu Arzt, FS Tiedemann, S. 603; Pawlik, StV 2003, 298; während BGHSt 3, 99 diese Einschränkung noch im Zusammenhang mit dem Scha­ densmerkmal erwähnte, wendet die heutige Rechtsprechung diese Formel auch im Zusammenhang mit den anderen Tatbestandsmerkmalen des Betruges an. 132  BGH NStZ-RR 2004, 110; vgl. auch BGHSt 34, 199 (201); NStZ-RR 2004, 110; BGH NStZ 2003, 314; Lackner / Kühl, 263 Rn. 18; BeckOK-Beukelmann, § 263 Rn. 28; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 32a. 133  So z. B. Hilgendorf, Tatsachenaussagen, S. 202. 134  Wenn man überhaupt eine trennscharfe Differenzierung zwischen einfältigem und fahrlässigem Mitverschulden anerkennt, wird man die Zahlung auf ein rech­ nungsähnliches Angebotsschreiben eher als Ausdruck besonderer Fahrlässigkeit anse­ hen müssen. Die Zahlung wird in aller Regel nicht etwa deshalb veranlasst, weil die Empfänger nicht über die nötige Intelligenz verfügen, um das Schreiben als bloße 130  Vgl.

131  BGHSt

40 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

verantwortung aus.135 Damit kann auch eine fahrlässige Opfermitverantwor­ tung nicht die Verneinung einer Betrugsstrafbarkeit zur Folge haben. Trotz alledem zeigen die von der Rechtsprechung angestellten Erwägun­ gen, dass auch sie grundsätzlich darum bemüht ist, das Risiko eines Missver­ ständnisses nicht allein dem Erklärenden anzulasten.136 Um einen gerechten Ausgleich zwischen den Beteiligten vorzunehmen, bemüht sie heute in erster Linie den subjektiven Täuschungsbegriff, nach dem es für die Begründung einer (konkludenten) Täuschung vor allem auf die Absichten des Täters an­ kommt. Diese Auffassung ist jedoch zu Recht nicht ohne Kritik geblieben.137 Insbesondere muss befürchtet werden, dass das Täuschungsmerkmal bei ei­ ner solchen Auslegung seine strafbarkeitsbegrenzende Funktion nicht mehr erfüllen kann. Ein rechnungsähnliches Angebotsschreiben kann nämlich überhaupt keinem anderen Zweck dienen, als bei seinem Empfänger einen Irrtum zu erregen.138 In der Folge wird man bei Anlegung des subjektiven Täuschungsbegriffs immer zum Vorliegen einer Täuschung gelangen und zwar auch dann, wenn der Angebotscharakter zumindest für durchschnittlich aufmerksame Empfänger ohne weiteres erkennbar ist.139 Gegen eine Versub­ jektivierung des Täuschungsmerkmals spricht zudem, dass sie die übliche Unterteilung in einen objektiven und subjektiven Tatbestand aufweicht.140 Offerte zu identifizieren, sondern weil sie schlicht eine eingehende Lektüre des ge­ samten Textes unterlassen haben. Vgl. hierzu auch Erb, ZIS 2011, 372. 135  Vgl. nur BGH NJW 2003, 1198 „die viktimologisch motivierten Ansätze zur Einschränkung des Betrugstatbestands wegen geringerer Schutzbedürftigkeit des […] Tatopfers finden im Wortlaut des § 263 StGB keine Stütze und nehmen den straf­ rechtlichen Schutz vor Angriffen auf das Vermögen durch Täuschung unangemessen weit zurück“. 136  Loos, JR 2002, 78. 137  Vgl. hierzu nur Fröhlich / Primaczenko, ZWH 2014, 141; Baier, JA 2002, 366; Erb, ZIS 2011, 377; Hoffmann, GA 2003, 616 f.; HWSt-Kölbel, V Rn. 46; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 105; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 195; Krack, JZ 2002, 613; Schumann, JZ 1979, 588; Geisler, NStZ 2002, 87 f.; Wessels / Hillenkamp, BT  2, Rn. 499; Heim, S. 114; Joecks, StuKo, § 263 Rn. 53; Pawlik, StV 2003, 297 ff.; Schneider, StV 2004, 538; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT  1, § 41 Rn. 41, SKHoyer, § 263 Rn. 47 ff.; Paschke, S. 144 ff.; Peters, S. 87; Bosch, JK 6 / 11 StGB § 263 / 90; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 54; Zustimmung hat die subjektivie­ rende Auffassung dagegen bei Tröndle, JR 1974, 224; Loos, JR 2002, 77 ff. und H.-W. Mayer, Jura 1992, 241 erfahren. Auch Otto, Jura 2002, 607 hält diese Ansicht für „sachgerecht“. 138  Loch, S. 116 f.; Scheinfeld, wistra 2008, 169; Eisele, NStZ 2010, 194. 139  Hiergegen wird teilweise eingewandt, dass eine Straflosigkeit des Versands rechnungsähnlicher Angebotsschreiben auch nicht gewollt sei, Loos, JR 2002, 78. Allerdings wird man ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal nicht allein wegen eines kriminalpolitisch wünschenswert erscheinenden Ergebnisses der vollkommenen Be­ deutungslosigkeit preisgeben können. 140  Fröhlich / Primaczenko, ZWH 2014, 141; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 58.



C. Phänotypik

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Die Täuschungshandlung ist ein Merkmal des objektiven Tatbestandes, wel­ ches als solches grundsätzlich auch vollkommen unvorsätzlich vollendet werden kann.141 Die Absichten des Täters werden dagegen erst bei der Prü­ fung des subjektiven Tatbestands relevant und sollten auch nicht zur Ausfül­ lung objektiver Tatbestandsmerkmale verwendet werden. Zu Recht wird dem BGH daher vorgeworfen, er habe mit seiner subjektivierenden Auslegung „den Boden des objektiven Tatbestands verlassen“.142 Die Verwirklichung eines objektiven Tatbestandsmerkmals, welches seinerseits Gegenstand der Zurechnung zum Vorsatz ist, kann und darf nicht vom Vorsatz abhängen.143 Würde man dies anders sehen, ergäbe sich eine Art Zirkelschluss, da das Vorliegen einer Täuschung mit der Begründung bejaht werden würde, der Täter habe sein Opfer täuschen wollen.144 Problematisch ist weiterhin, dass die Rechtsprechung dem subjektiven Täuschungsbegriff nur im Zusammenhang mit der Fallgruppe des Betrugs durch wahre Tatsachen zur Anwendung bringt, während sie das Täuschungs­ merkmal in allen anderen Fällen herkömmlich interpretiert und auf den Er­ klärungswert abstellt, der dem Gesamtverhalten des Täters nach der Ver­ kehrsanschauung unter Berücksichtigung des konkret in Frage stehenden Geschäftstyps zukommt.145 Dies hat zur Folge, dass die Rechtsprechung das Täuschungsmerkmal in Abhängigkeit von der jeweiligen Fallgruppe unter­ schiedlich auslegt, was insbesondere deshalb fragwürdig ist, weil sich die einzelnen Sachverhalte nicht immer eindeutig einer bestimmten Fallgruppe zuordnen lassen. Die unterschiedliche Interpretation ein und desselben Tatbe­ standsmerkmals ist deshalb abzulehnen. Hinzu kommt, dass sich die Rechtsprechung mit der Behandlung der Täu­ schung durch wahre Tatsachenbehauptungen in Widerspruch zu den Fällen des Preisgestaltungsbetrugs setzt, bei denen sie das Vorliegen einer konklu­ denten Täuschung verneint.146 Wie nah diese beiden Fallgruppen beieinander liegen, zeigt bereits das von Schröder gebildete Frugalbeispiel, das eigentlich ein Fall des Preisgestaltungsbetrugs ist: Der Anbieter der einfachen Mahlzeit täuscht bei Lichte besehen weniger über die Qualität bzw. das Ausmaß des Essens, sondern vielmehr über die Angemessenheit des hierfür verlangten Preises. Auslöser für die irrtümliche Annahme der Gäste, dass es sich um 141  Maurach / Schroeder / Maiwald,

BT I, § 41 Rn. 41. StuKo, § 263 Rn. 53. 143  Fröhlich / Primaczenko, ZWH 2014, 141; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 105; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 195. 144  Baier, JA 2002, 366. 145  SK-Hoyer, § 263 Rn. 45. 146  Krack, JZ 2002, 613; Hoffmann, GA 2003, 617; Paschke, S. 155 f.; Loch, S. 116; Eisele, NStZ 2010, 194; Peters, S. 24. 142  Joecks,

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eine opulente Mahlzeit handelt, ist in erster Linie nicht die Verwendung des Wortes „frugal“, sondern vielmehr der Umstand, dass für das Essen ein statt­ licher Preis verlangt wird. Würde stattdessen ein geringerer Preis aufgerufen, der dem Leistungsumfang angemessen ist, würde die Erklärung auch nicht missverstanden werden. In den Fällen des Preisgestaltungsbetrugs geht die Rechtsprechung aber eigentlich davon aus, dass das Verlangen eines (über­ höhten) Preises nicht die konkludente Erklärung über dessen Angemessen­ heit  oder Üblichkeit beinhaltet.147 Allein deshalb müsste die Behandlung der  rechnungsähnlichen Angebotsschreiben und des Preisgestaltungsbetrugs gleichgeschaltet werden. Zudem müsste die Rechtsprechung bei einer konse­ quenten Anwendung des subjektiven Täuschungsbegriffs auch beim Verlan­ gen überhöhter Preise regelmäßig zu einer Betrugsstrafbarkeit gelangen.148 Denn auch hier wird der Verkäufer den überhöhten Preis meist in der Absicht aufrufen, seine Kunden über die Marktüblichkeit desselben zu täuschen. b) Die Behandlung rechnungsähnlicher Angebotsschreiben in der Literatur Auch wenn die Rechtsprechungspraxis angesichts der vorstehenden dog­ matischen Bedenken gegen die subjektive Interpretation des Täuschungs­ merkmals auf breite Ablehnung gestoßen ist, hat die Kriminalisierung des Versands rechnungsähnlicher Angebotsschreiben in der Literatur überwie­ gend Zuspruch erfahren.149 Nur vereinzelt wird vorgebracht, dass die An­ nahme eines Betruges durch Behauptung objektiv wahrer Tatsachen mit dem Wortlaut des § 263 StGB nicht vereinbar sei und gegen Art. 103 Abs. 2  GG verstoße.150 Überwiegend wird jedoch versucht, die Strafbarkeit des infrage stehenden Verhaltens auf ein tragfähigeres dogmatisches Fundament zu stel­ len. Dabei besteht nahezu Einigkeit darüber, dass man im Falle einer Täu­ schung durch wahre Tatsachen nicht von einer ausdrücklichen Täuschung 147  Vgl. nur BGH StV 2011, 728; BGH NStZ 2010, 88; BGH JZ 1989, 760; BayObLG NJW 1994, 1079; OLG Stuttgart NStZ 1985, 503; OLG München wistra 2010, 37. Etwas anderes gilt jedoch, wenn gesetzlich vorgeschriebene Tax- oder Lis­ tenpreise vorliegen, vgl. hierzu Harbort, S. 181; Jäger, BT, Rn. 318; LPK-Kindhäuser, § 263 Rn. 79 jeweils m. w. N. 148  Krack, JZ 2002, 613; Hoffmann, GA 2003, 617; Eisele, NStZ 2010, 194. 149  Vgl. nur Fröhlich / Primaczenko, ZWH 2014, 140 ff.; Pawlik, StV 2003, 299; Krack, JZ 2002, 613; Wessels / Hillenkamp, BT  2, Rn. 499; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 105; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 195; Baier, JA 2002, 364; Geisler, NStZ 2002, 86; Joecks, StuKo, § 263 Rn. 53; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT  1, § 41 Rn. 41. 150  Schumann, JZ 1979, 589; hiergegen Grau, S. 188 ff.; Eisele, NStZ 2010, 194.



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ausgehen kann.151 Dies folgt daraus, dass die ausdrückliche Täuschung eine explizit unwahre Behauptung voraussetzt.152 Eine Erklärung kann aber im­ mer nur dann unwahr sein, wenn ihr Erklärungsinhalt mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt.153 Unter Anwendung der allgemeinen Auslegungskrite­ rien, insbesondere unter Berücksichtigung der objektiven Verkehrsanschau­ ung und des Empfängerhorizonts, ist dabei der Sinngehalt der jeweiligen Erklärung zu ermitteln.154 Da aber zumindest an versteckter Stelle der unzu­ treffende Gesamteindruck wieder richtig gestellt wird, kann man bei Berück­ sichtigung dieser Grundsätze nicht davon ausgehen, dass die Angebotsschrei­ ben die (unzutreffende) ausdrückliche Erklärung beinhalten, dass es sich um eine Rechnung für eine erbrachte Leistung handelt.155 Zieht man den voll­ ständigen Text heran und legt bei der Betrachtung ein adäquates Verständnis des Empfängers zugrunde, liegt daher gerade keine Rechnung, sondern nur ein werbendes Angebot vor.156 Zutreffend geht die Literatur nahezu einhellig davon aus, dass sich die Strafbarkeit rechnungsähnlicher Angebotsschreiben auch nicht über eine Un­ terlassungstäterschaft begründen lässt.157 Zum einen liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit im Versand der irreführenden Schreiben bzw. in deren Gestaltung, also in einem positiven Tun. Zum anderen fehlt es zumindest in den meisten Fällen an der nach § 13 StGB erforderlichen Garanten- bzw. Aufklärungspflicht. Diese wird man insbesondere nicht aus dem Gesichts­ punkt der Ingerenz herleiten können, da es nach der h. M. für eine solche Garantenstellung gerade nicht ausreicht, wenn das Vorverhalten lediglich die Gefahr eines Erfolgseintritts herbeigeführt hat.158 Stattdessen wird verlangt, dass auch das Vorverhalten selbst pflichtwidrig war.159 Da man das Aufstel­ len einer objektiv wahren Behauptung jedoch schwerlich als rechtswidriges Verhalten qualifizieren kann, muss eine Täuschung durch Unterlassen  – so­ fern die Garantenstellung sich nicht ausnahmsweise aus anderen Aspekten des einzelnen Falles ergibt – ausscheiden.160 151  Vgl. nur Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 195 f.; Loos, JR 2002, 77; Paschke, S. 109; Loch, S. 88; Pawlik, StV 2003, 299. 152  Vgl. hierzu Paschke, S. 99; SK-Hoyer, § 263 Rn. 28; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 195. 153  Paschke, S. 100. 154  Fröhlich / Primaczenko, ZWH 2014, 140; Paschke, S. 100. 155  Pawlik, StV 2003, 299. 156  Paschke, S. 101. 157  Vgl. nur Schumann, JZ 1979, 590. 158  Ebenso Schumann, JZ 1979, 590; H.-W. Mayer, Jura 1992, 240. 159  BGH NStZ 2000, 414; NStZ 1998, 93; BGH NJW 1998, 1573; NJW 1999, 71; BeckOK-Heuchemer, § 13 Rn. 56; vgl. zum Ganzen Jäger, AT, Rn. 356. 160  Schumann, JZ 1979, 590.

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Da sich in den Fällen des Betruges durch Behauptung wahrer Tatsachen eine Täuschung weder über eine ausdrückliche Erklärung noch unter dem Gesichtspunkt einer Unterlassungstäterschaft begründen lässt, konzentrieren sich die Bemühungen der Literatur vor allem darauf, die Strafbarkeit rech­ nungsähnlicher Angebotsschreiben über die Figur der konkludenten Täu­ schung zu erklären. Hierbei stellt sich jedoch das Problem, dass die Fall­ gruppe der konkludenten Täuschung bislang nur in Fällen zum Einsatz kam, in denen es gerade an einer ausdrücklichen Erklärung mangelte oder in denen neben eine vorhandene ausdrückliche Erklärung noch eine weitere schlüssige Erklärung hinzutrat.161 Bei der sich selbst dementierenden Erklärung und damit auch bei den rechnungsähnlichen Angebotsschreiben ist die Situation dagegen eine völlig andere. Denn bei diesen ist stets eine ausdrückliche (wahre) Erklärung vorhanden, die nicht neben, sondern entgegen einem an­ derslautenden konkludenten Erklärungswert besteht und diesem ausdrücklich widerspricht.162 Die Schwierigkeit besteht also darin, eine Erklärung dafür zu finden, warum es in den Fällen der Täuschung durch wahre Behauptungen ausnahmsweise auf den konkludent erklärten Inhalt und nicht auf die ebenso vorhandene ausdrückliche Erklärung ankommen soll.163 Die hierzu in der Literatur vertretenen Lösungsansätze lassen sich im Wesentlichen in zwei unterschiedliche Lager unterteilen, was jedoch in erster Linie durch ein un­ terschiedliches dogmatisches Verständnis der konkludenten Täuschung be­ gründet ist.164 aa) Faktisches Täuschungsverständnis Der wohl überwiegende Teil des Schrifttums versucht, das Vorliegen einer konkludenten Täuschung in den Fällen der Täuschung mit objektiv wahren Tatsachenbehauptungen über die Anwendung des herrschenden Verständnis­ ses von der konkludenten Täuschung zu begründen.165 Nach diesem soll es für die Ermittlung des schlüssig Miterklärten entscheidend darauf ankom­ men, welchen Erklärungswert das Verhalten des Täters nach der Verkehrsan­ schauung hat.166 Maßgeblich sollen hierbei vor allem der objektive Empfän­ hierzu Loos, JR 2002, 78; Schneider, StV 2004, 537. S. 164; Hoffmann, GA 2003, 615; Loos, JR 2002, 78; Schneider, StV 2004, 537; Paschke, S. 127. 163  Loos, JR 2002, 78; Paschke, S. 182; Grau, S. 165; Schneider, StV 2004, 537. 164  Eingehend zu den unterschiedlichen Ansätzen Paschke, S. 110 ff.; Peters, S. 72 ff.; SK-Hoyer, § 263 Rn. 29 ff.; AnwK-Gaede, § 263 Rn. 27 f. 165  Vgl. hierzu SK-Hoyer, § 263 Rn. 30 ff.; Peters, S. 74. 166  BGHSt 47, 1 (3); Jäger, BT, Rn. 318; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 14 / 15; Garbe, NJW 1999, 2869; Wessels / Hillenkamp, BT  2, Rn. 496; Rengier, 161  Vgl.

162  Grau,



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gerhorizont sowie die Gesamtumstände der konkreten Situation sein.167 Da in diesem Zusammenhang auf die tatsächlichen Erwartungen der jeweiligen Verkehrskreise abzustellen ist, spielen trotz einer grundsätzlich eher fakti­ schen Herangehensweise auch normative Aspekte eine nicht zu unterschät­ zende Rolle.168 Schließlich ergeben sich die Erwartungen der jeweiligen Verkehrskreise auch durch eine aus Gesetz oder Vertrag zu folgernde Risiko­ verteilung zwischen den beteiligten Vertragspartnern. Auch dem jeweiligen Geschäftstyp kommt dabei eine nicht zu verachtende Bedeutung zu.169 Da nach dieser Auffassung bei der Ermittlung des Erklärungswertes sowohl fak­ tische als auch normative Aspekte eine Rolle spielen und ihr jeweiliges Ge­ wicht vom konkreten Einzelfall oder bestimmten Fallgruppen abhängt,170 scheint die in diesem Zusammenhang vorzufindende Bezeichnung „faktischer Täuschungsbegriff“ eher unglücklich gewählt.171 Stattdessen ist es vorzugs­ würdig von einem faktisch-normativen Täuschungsbegriff zu sprechen, da eine solche Bezeichnung dem tatsächlichen Inhalt dieses Täuschungsver­ ständnisses eher Rechnung trägt. Unter Zugrundelegung dieses faktisch-normativen Täuschungsverständnis­ ses kommt ein überwiegender Teil der Literatur in den Fällen der rechnungs­ ähnlichen Angebotsschreiben zur Annahme einer konkludenten Täuschung.172 Hinsichtlich der konkreten Begründung bestehen jedoch erhebliche Unter­ schiede, da die Schwerpunkte der Argumentation unterschiedlich gesetzt werden. Von einigen Autoren wird eher das von den Schreiben vermittelte Gesamtbild in den Vordergrund gestellt. Demnach soll eine an sich wahre Erklärung auch dann falsch sein können, wenn ihr in der konkreten Situation oder nach einem verbreiteten Sprachgebrauch ein anderer Sinngehalt beizu­ messen ist.173 Bei rechnungsähnlichen Angebotsschreiben soll dies jedenfalls dann der Fall sein, wenn der eigentliche Offertencharakter gegenüber den verwendeten Rechnungsmerkmalen deutlich in den Hintergrund tritt und ein BT  I, § 13 Rn. 11; Samson, JA 1978, 472; SSW-Satzger, § 263 Rn. 38; krit. zum Konzept des Erklärungswertes Becker, JuS 2014, 308 f. 167  Geisler, NStZ 2002, 88; SSW-Satzger, § 263 Rn. 38. 168  SSW-Satzger, § 263 Rn. 38; Wessels / Hillenkamp, BT  2, Rn. 496; Paschke, S. 181. 169  Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 14 / 15; Garbe, NJW 1999, 2869; Bosch, FS Samson, S. 245; ders., JK 6 / 11, StGB § 263 / 90; ders., JK 11 / 14 StGB § 263 / 106. 170  Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 14 / 15. 171  So aber SK-Hoyer, § 263 Rn. 30. 172  Wessels / Hillenkamp, BT  2, Rn. 499; Heim, S. 176; Paschke, S. 204; Garbe, NJW 1999, 2870; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 196; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 103; LPK-Kindhäuser, § 263 Rn. 62; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 25; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 25; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 54. 173  LK-Tiedemann, § 263 Rn. 25.

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durchschnittlicher Erklärungsempfänger aufgrund der Gesamtumstände das Schreiben ungeachtet der entgegenstehenden Klarstellung mit einem anderen Inhalt belegen durfte.174 Inwieweit eine solche Einordnung als Rechnung angemessen ist, sei durch den Tatrichter im jeweiligen Einzelfall festzustel­ len. Der Verwendung typischer Rechnungsmerkmale wie die Beifügung eines vorausgefüllten Überweisungsträgers, die Angabe einer Bankverbindung, die Aufschlüsselung des zu zahlenden Preises, die Angabe einer Auftragsnum­ mer, das Fehlen von Anrede und Grußformel und die fehlende Darstellung der angebotenen Leistung komme bei der tatrichterlichen Bewertung aber eine besondere Indizwirkung zu.175 Insbesondere in Fällen, in denen gleich mehrere typische Rechnungsmerkmale vorhanden sind und in denen sich daher aus der Sicht eines durchschnittlichen Erklärungsempfängers der unzu­ treffende Gesamteindruck einer Rechnung förmlich aufdrängt, müsse regel­ mäßig von einer konkludenten Täuschung über das Bestehen und die Inha­ berschaft einer berechtigten Forderung ausgegangen werden.176 Vereinzelt wird dieses Ergebnis auch durch die Heranziehung des zivilrechtlichen Grundsatzes „protestatio facto contrario non valet“ gestützt.177 Andere Vertreter des faktisch-normativen Täuschungsverständnisses stel­ len zwar ebenfalls auf die Vermittlung eines unzutreffenden Gesamtbildes ab, rücken aber den Gedanken der Risikoverteilung etwas mehr in den Vorder­ grund.178 Besondere Bedeutung sollen hierbei insbesondere die Vorschriften des AGB-Rechts erhalten,179 da diese nicht unberücksichtigt bleiben dürften, wenn sich die Begründung der konkludenten Täuschung vor allem nach der allgemeinen Verkehrsanschauung und den vorherrschenden Anschauungen über Risikoverteilungen richten soll.180 Vor allem aus der Vorschrift des § 305c BGB, nach der Allgemeine Geschäftsbedingungen, die nach den Um­ ständen so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders nicht mit ihnen zu rechnen brauchte, kein Vertragsbestandteil werden, lasse sich ableiten, dass es im Geschäftsverkehr keine Regel gebe, nach der ein Adres­ 174  Geisler, NStZ 2002, 87; Rengier, BT I, § 13 Rn. 13; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 196; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 103; LPK-Kindhäuser, § 263 Rn. 62; Paschke, S. 209 ff.; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 25; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 54; dabei ausdrücklich auf den Durchschnittsempfänger abstellend Baier, JA 2002, 336. 175  So die Präzisierung bei Garbe, NJW 1999, 2870, der dabei ausdrücklich auf die Rechtsprechung des 1. Zivilsenats des BGH Bezug nimmt. 176  SSW-Satzger, § 263 Rn. 66; ähnlich auch Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 54; Kindhäuser, BT II, § 27 Rn. 10. 177  Paschke, S. 204; ähnlich auch Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 196. 178  So z. B. Garbe, NJW 1999, 2870; Joecks, StuKo, § 263 Rn. 54; Kudlich / Oğlakcioğlu, § 7 Rn. 214; Wessels / Hillenkamp, BT  2, Rn. 499; Geisler, NStZ 2002, 88. 179  Wessels / Hillenkamp, BT 2, Rn. 499; ähnlich auch Joecks, StuKo, § 263 Rn. 54. 180  Geisler, NStZ 2002, 88; Garbe, NJW 1999, 2869.



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sat verpflichtet sei, ihm ausgehändigte Schriftstücke sorgfältig zu lesen.181 Diese Wertung müsse entsprechend auf das Strafrecht übertragen werden, sodass ein an versteckter Stelle gegebener Hinweis auf den Offertencharakter den Versender eines rechnungsähnlichen Angebotsschreibens nicht entlasten könne.182 bb) Unterscheidung nach der Geschäftserfahrenheit der Empfänger Häufig wird vorgeschlagen, bei der Bestimmung der Täuschungsgeeignet­ heit entsprechend der früheren Rechtsprechung zwischen geschäftserfahrenen und geschäftsunerfahrenen Empfängern zu differenzieren.183 In aller Regel fußt dies auf der Überlegung, dass von geschäftserfahrenen Adressaten er­ wartet werden könne, zugesandte Schreiben nicht nur flüchtig zu überfliegen, sondern in ihrer Gänze zur Kenntnis zu nehmen. Bei Privatpersonen sei da­ gegen ein niedrigerer Maßstab anzulegen, mit der Konsequenz, dass nur ge­ genüber geschäftlich unerfahrenen Empfängern eine Täuschung durch die Versendung rechnungsähnlicher Angebotsschreiben möglich sein soll. Gegen eine solche Differenzierung wird häufig eingewandt, dass aufgrund innerbetrieblicher Abläufe Zahlungsanweisungen nicht nur von der Ge­ schäftsleitung, sondern mitunter auch von Angestellten der Buchhaltungsab­ teilung vorgenommen werden.184 Dementsprechend dürften keine anderen Anforderungen gestellt werden als an geschäftlich unerfahrene Privatperso­ nen. Überzeugend ist dies freilich nicht. Zwar ist die Erledigung eingehender Rechnungen durch Angestellte in einem arbeitsteilig organisierten Unterneh­ men der Regelfall, hieraus folgt aber nicht, dass allein deshalb dieselben Maßstäbe anzulegen sind wie bei Privatpersonen. Vielmehr ist es so, dass die Angestellten in ihrem Bereich über eine spezielle Ausbildung verfügen oder zumindest eine gewisse Erfahrung im Umgang mit den ihnen übertragenen Geschäften haben. Dies gilt umso mehr, wenn sie in einer Buchhaltungsab­ teilung eingesetzt sind und die Erledigung von Rechnungen und Zahlungsan­ weisungen zu ihren Hauptaufgaben gehört. Hinzu kommt, dass ein ordentlich wirtschaftender Kaufmann gewisse Handlungsanweisungen ausgeben wird, wie mit eingehenden Rechnungen zu verfahren ist. Die Differenzierung nach 181  Fröhlich / Primaczenko,

ZWH 2014, 141. ZWH 2014, 141; Garbe, NJW 1999, 2869. 183  Haft / Hilgendorf, BT I, S. 86; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 16c; Wes­ sels / Hillenkamp, BT  2, Rn. 499; AnwK-Gaede, § 263 Rn. 12; hiergegen Fröhlich / Primaczenko, ZWH 2014, 141 f.; Garbe, NJW 1999, 2869 f.; Geisler, NStZ 2002, 89; Grau, S. 176 f.; Ernst, MMR 2004, 243. 184  Bosch, JK 6 / 11 StGB § 263 / 90; Ernst, MMR 2004, 243; Mahnkopf / Sonnberg, NStZ 1997, 186; SSW-Satzger, § 263 Rn. 33; Schneider, StV 2004, 539. 182  Fröhlich / Primaczenko,

48 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

Empfängerkreisen allein deshalb abzulehnen, weil nicht jedes Schreiben vom Geschäftsführer höchstpersönlich erledigt wird, verfängt daher nicht.185 Gleichwohl muss aber beachtet werden, dass sich die Verkehrsanschauung nach der h. M. nach der Verkehrssitte in Bezug auf den konkreten Geschäfts­ typ bestimmt.186 Dies hat zur Folge, dass eine unterschiedliche geschäftliche Erfahrung eine abweichende Behandlung unterschiedlicher Adressatenkreise zwar grundsätzlich rechtfertigen kann, aber auch nicht muss. Denn auch im geschäftlichen Verkehr können sich Situationen ergeben, in denen üblicher­ weise auf eine gründliche Prüfung eingegangener Rechnungen verzichtet wird.187 Vor allem geschäftlich erfahrene Personen werden verhältnismäßig geringe Rechnungsbeträge ohne eingehende Prüfung zur Zahlung anweisen, da eine andere Behandlung mit unverhältnismäßig hohem Aufwand und da­ mit auch mit höheren Kosten verbunden wäre.188 Dies gilt umso mehr, wenn aufgrund einer zuvor erfolgten Registereintragung mit dem Eingang einer Rechnung zu rechnen war. Gründe, weshalb bei geschäftserfahrenen Adres­ saten ein strengerer Maßstab anzulegen ist, sind daher kaum ersichtlich. Die Unterscheidung nach der Geschäftserfahrenheit geht daher fehl. cc) Normatives Täuschungsverständnis Eine andere Strömung in der rechtswissenschaftlichen Literatur versucht die konkludente Täuschung in den Fällen der sich selbst dementierenden Erklärung anhand des von Lackner189 entwickelten normativen Täuschungs­ verständnisses herzuleiten.190 Nach diesem soll nicht der durch Auslegung zu ermittelnde fiktive Erklärungswert eines Verhaltens, sondern allein der nor­ mative Gesichtspunkt der Verteilung des Irrtumsrisikos ausschlaggebend sein.191 Bei der Bestimmung der konkludenten Täuschung ist demnach nach normativen Kriterien zu ermitteln, welcher der beiden Geschäftspartner für die Beschaffung von Informationen und die Vermeidung von Irrtümern ver­ antwortlich ist. Ausgehend von der Überlegung, dass grundsätzlich jeder Vertragspartner selbst die Verantwortung dafür zu tragen hat, sich mit den für ihn relevanten Informationen zu versorgen, soll eine konkludente Täuschung 185  Schneider, wistra 2004, 539 spricht sich deshalb in diesem Zusammenhang für eine Anwendung der zivilrechtlichen Zuordnungsregeln aus. 186  BGH NStZ 2007, 151; OLG München NJW 2009, 1288; Schönke / Schröder /  Perron, § 263 Rn. 14 / 15; Rengier, BT I, § 13 Rn. 11. 187  Eisele, NStZ 2010, 197. 188  Ähnlich auch Paschke, S. 159 f. sowie Peters, S. 27. 189  LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 29. 190  Krack, JZ 2002, 614; Pawlik, StV 2003, 299; Hoffmann, GA 2003, 619 ff. 191  LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 29; Hoffmann, GA 2003, 619.



C. Phänotypik

49

nur dann in Betracht kommen können, wenn dem Täter eine besondere Ver­ meidepflicht obliegt und das Irrtums- und Informationsrisiko in der Folge auf ihn übergegangen ist.192 Worin genau die Anknüpfungspunkte für die täu­ schungsbegründende Zuordnung des Irrtums- und Informationsrisikos liegen sollen, wird von den jeweiligen Autoren unterschiedlich beurteilt. Dabei fin­ den sich Untersuchungen, die in den Fällen der rechnungsähnlichen Ange­ botsschreiben und den anderen Fallgruppen der sich selbst dementierenden Erklärung die Zuordnung der Informationslast daran vornehmen wollen, ob der Täter für sich ein besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt193 bzw. eine „Konsistenz- und Kontinuitätserwartung“194 des Opfers enttäuscht. (1) Inanspruchnahme besonderen Vertrauens Hoffmann sieht den Grund, weshalb in den Fällen der sich selbst dementie­ renden Erklärung allein auf den unzutreffenden Gesamteindruck und nicht auf die ebenso vorhandene widersprechende ausdrückliche Erklärung abzustellen ist, in der Inanspruchnahme eines besonderen Vertrauens.195 Dabei geht er von der Grundannahme aus, dass sich das Vorliegen einer konkludenten Täu­ schung aus der Verteilung der Informationspflichten ergibt.196 Da es grund­ sätzlich in den Pflichtenkreis des Vermögensinhabers falle, sich einen ausrei­ chenden Kenntnisstand für seine Vermögensdispositionen zu verschaffen, trage dieser grundsätzlich auch in den Fällen der Täuschung durch wahre Tat­ sachen das Informationsrisiko.197 Jedoch könne es Fälle geben, in denen be­ sondere Gründe dafür streiten, das Informationsrisiko auf die Seite des Erklä­ renden zu schlagen und dessen Geschäftspartner zu entlasten. Ein solcher be­ sonderer Grund, der die Annahme einer Täuschung trotz einer widersprechen­ den Aussage rechtfertigen könne, sei insbesondere die „Inanspruchnahme von besonderem und konkretem Vertrauen“.198 Ein besonderes Vertrauen könne sich insbesondere daraus ergeben, dass auf ein bestehendes Schuldverhältnis verwiesen wird. Denn ein solches sei grundsätzlich geeignet, Rücksichtnah­ mepflichten auf fremde Rechte, Rechtsgüter und Interessen zu begründen, §§ 280 Abs. 1, 311, 241 Abs. 2 BGB.199 Hiermit sei eine konkludente Täu­ 192  LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 29; Hoffmann, GA 2003, 619; vgl. auch Eisele, NStZ 2010, 195. 193  Hoffmann, GA 2003, 619 ff. 194  Pawlik, StV 2003, 299. 195  Hoffmann, GA 2003, 619 ff. 196  Hoffmann, GA 2003, 619; vgl. auch LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 29. 197  Hoffmann, GA 2003, 619. 198  Hoffmann, GA 2003, 619. 199  Hoffmann, GA 2003, 619 f.

50 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

schung insbesondere in den Fällen zu erklären, in denen jemand seinem Ge­ schäftspartner einen Vertrag vorlegt, dessen Inhalt von den zuvor erzielten Verhandlungsergebnissen abweicht. Durch die Bezugnahme auf den vorange­ gangenen geschäftlichen Kontakt sei hier ein besonderes Vertrauensverhältnis gegeben, das das Informationsrisiko dem Täuschenden zuweist, obwohl der Getäuschte sich durch schlichtes Nachforschen die notwendigen Informatio­ nen hätte beschaffen können.200 Der Getäuschte könne in diesem Fall darauf vertrauen, dass der sich aufdrängende Gesamteindruck richtig ist und die Er­ klärung dem bisherigen geschäftlichen Kontakt entspricht. Voraussetzung sei aber, dass das in Anspruch genommene Vertrauen über das üblicherweise im Geschäftsverkehr vorherrschende allgemeine Vertrauen hinausgeht, sodass das Vertrauensverhältnis stets eine konkrete Geschäftsbe­ ziehung betreffen müsse.201 In den Fällen der rechnungsähnlichen Angebots­ schreiben komme es daher darauf an, dass der geschäftliche Kontakt, auf den vermeintlich Bezug genommen wird, noch aktuell ist. Anderenfalls fehle es an einer hinreichend konkreten Geschäftsbeziehung, sodass es nicht mehr gerechtfertigt sei, wenn der Empfänger allein auf den Gesamteindruck des Schreibens vertraue.202 In dem Fall des LG Frankfurt a. M.,203 in dem die Registereintragungen bereits über ein Jahr zurücklagen, liege deshalb wegen fehlender Aktualität keine tatbestandliche Täuschungshandlung vor. Dagegen dürfen in der Todesanzeigenentscheidung, in der die Insertionsofferten be­ reits wenige Tage nach dem Erscheinen des Inserats zugingen, die Angehöri­ gen wegen der Bezugnahme auf eine hinreichend konkrete Geschäftsbezie­ hung von der Richtigkeit des Gesamteindrucks ausgehen. Hier sei der ge­ schäftliche Kontakt noch aktuell genug und die Offerte durch die zeitliche Nähe speziell auf die Opfer zugeschnitten gewesen.204 Auch wenn dieser Ansatz durchaus in der Lage ist, die konkludente Täu­ schung in den Fällen der abweichenden Vertragsvorlage zu beschreiben, kann er vor dem Hintergrund der Problematik um die strafrechtliche Bewertung der sich selbst dementierenden Erklärung nicht überzeugen.205 Bereits bei den rechnungsähnlichen Angebotsschreiben gerät diese Lehre an ihre Gren­ zen. Denn sie übersieht, dass die zeitliche Nähe nur eines von vielen Krite­ rien ist, aus denen sich ein vom tatsächlichen Inhalt abweichender Gesamt­ eindruck ergeben kann. So mag es Fälle geben, in denen es zwar an einem 200  Hoffmann,

GA 2003, 620. GA 2003, 620. 202  Hoffmann, GA 2003, 620. 203  LG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2000, 7 ff. 204  Hoffmann, GA 2003, 621; ähnlich auch Krack, JZ 2002, 614. 205  Krit. auch Majer / Buchmann, NJW 2014, 3342, die das Vertrauenskriterium für zu vage halten, um daraus konkrete Folgerungen zu ziehen. 201  Hoffmann,



C. Phänotypik51

unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang fehlt, die Insertionsofferte sich aber als besonders gute Imitation einer Originalrechnung erweist, beispielweise, weil Schriftarten, Farben oder Symbole des eigentlichen Vertragspartners nachgeahmt werden. Umgekehrt ist es denkbar, dass zwar eine zeitliche Nähe gegeben ist, die Aufmachung der Insertionsofferte aber nicht unbedingt den eindeutigen Schluss zulässt, dass es sich um eine Rechnung für eine bereits erbrachte Leistung handelt. In diesen Fällen wäre es verfehlt, von ei­ nem „Vertrauensverhältnis“ aufgrund der Bezugnahme auf einen vorange­ gangenen geschäftlichen Kontakt zu sprechen. Hinzu kommt, dass Hoffmanns Ansatz neuere Varianten des Betruges durch wahre Tatsachenbehauptungen nicht erklären kann. Insbesondere bei der Fallgruppe der Abofallen im Inter­ net206 fehlt es an der Bezugnahme auf ein bestehendes Geschäftsverhältnis, sodass bei diesen eine konkludente Täuschung mangels entsprechender Ver­ trauensstellung nicht konstruierbar wäre.207 Warum die Abofallen, die den Insertionsofferten sehr ähnlich sind, eine abweichende Behandlung erfahren sollen, ist nicht nachvollziehbar. (2) Enttäuschung von Kontinuitätserwartungen Pawlik hält eine strikte Zuweisung des Informationsrisikos an den Erklä­ rungsempfänger ebenfalls für unbillig, da ein solcher Standpunkt den Um­ stand missachte, dass sich der Leser einem Text stets mit gewissen Erwar­ tungen nähere, die im Verlauf der Lektüre bestätigt, modifiziert oder gänz­ lich enttäuscht werden können.208 Es ginge daher zu weit, wenn man den Leser dafür verantwortlich machen wollte, einen Text nicht vollständig und mit voller Aufmerksamkeit gelesen zu haben. Denn der Leser verbinde mit der Textlektüre immer auch eine gewisse „Konsistenz oder Kontinuitäts­ erwartung“.209 Der Leser müsse daher nur damit rechnen, dass sich im Ver­ lauf manches, aber nicht alles ändert. Jeder Text sei von einer Sinneinheit geprägt und es sei vorausgesetzt, dass er deshalb eine gewisse Folgerichtig­ keit aufweise.210 Positive Anerkennung habe diese Konsistenz- und Kontinu­ itätserwartung insbesondere in § 661a BGB erfahren, nach dem ein Verbrau­ cher, der von einem Unternehmer eine Gewinnmitteilung erhalten hat, einen Anspruch auf Leistung des Preises hat.211 Auch aus § 305c Abs. 1 BGB er­ 206  Hierzu

Kapitel 1 C. I. 4. NStZ 2010, 195. 208  Pawlik, StV 2003, 299. 209  Pawlik, StV 2003, 299. 210  Pawlik, StV 2003, 299. 211  Pawlik, StV 2003, 299; ähnlich auch Wessels / Hillenkamp, BT  2, Rn. 499; Joecks, StuKo, § 263 Rn. 54. 207  Eisele,

52 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

gebe sich, dass Vertragsklauseln, die so ungewöhnlich sind, dass der Ver­ tragspartner nicht mit ihnen zu rechnen brauche, nicht Vertragsbestandteil werden. Bei rechnungsähnlichen Angebotsschreiben erfolge der Bruch einer sol­ chen Konsistenz- und Kontinuitätserwartung auf eine ganz besondere Weise: Hier deklariere der Täter seine gesamte Inszenierung vollkommen um, sodass „aus dem Schauspiel ‚Rechnung‘ […] das Schauspiel ‚Angebot‘ “ werde.212 Daher sei es grundsätzlich auch gerechtfertigt, sie mit den üblichen Fällen der konkludenten Täuschung gleichzusetzen. Allerdings könne ein relevanter Kontinuitätsbruch nicht bereits dann angenommen werden, wenn die Ver­ wechslung des Angebotsschreibens mit einer Rechnung aufgrund des Ge­ samtbilds als möglich erscheint.213 Stattdessen müsse gefordert werden, dass ein mit den typischen Erscheinungsbildern von Rechnungen und Angebots­ schreiben gleichermaßen vertrauter Adressat keinen verständlichen Anlass dazu haben durfte, am Vorliegen einer Rechnung für eine bestimmte, kürzlich erbrachte Leistung zu zweifeln.214 Es müsse ihm unabhängig von der ge­ nauen Lektüre des Schreibens klar sein, dass es sich um eine Rechnung handele. Hierfür reiche es nicht, wenn ein rechnungsähnliches Angebots­ schreiben lediglich mehrere typische Merkmale einer Rechnung aufweist. Vielmehr müsse danach gefragt werden, ob der Adressat davon ausgehen durfte, dass es sich um eine von ihm erwartete Rechnung für eine konkrete Leistung handelt. Hierbei könne eine hinzutretende zeitliche Nähe zu der eigentlichen Leistung ein gewichtiges Indiz darstellen. Andererseits dürfe auch keine „zweifelhafte Identität zwischen der Erbringerin der vermeintlich in Rechnung gestellten Leistung und dem Ersteller der mutmaßlichen Rech­ nung“ bestehen.215 Sei dies der Fall, fehle es an einer hinreichend verfestig­ ten Kontinuitätserwartung, sodass eine konkludente Täuschung nicht ange­ nommen werden könne. Auch wenn Pawlik mit dem Merkmal des Kontinuitätsbruchs eine schlüs­ sige Begründung für das Überwiegen der durch den Gesamteindruck vermit­ telten Erklärung liefert, kann diese Auffassung nicht vollends überzeugen. Insbesondere beschreibt sie letztlich nur das ohnehin schon Bekannte mit anderen Worten. Hinter dem Kontinuitäts- und Konsistenzmerkmal, dessen Bruch einen Übergang des Informationsrisikos rechtfertigen soll, verbirgt sich bei genauerer Betrachtung nichts anderes als die herkömmliche Ver­ kehrsanschauung, nach der bei Vorliegen mehrerer Rechnungsmerkmale und bei einer gewissen zeitlichen Nähe zur Leistung ebenfalls auf das Vorliegen 212  Pawlik,

StV StV 214  Pawlik, StV 215  Pawlik, StV 213  Pawlik,

2003, 2003, 2003, 2003,

299. 300. 300. 300; krit. hierzu Eisele, NStZ 2010, 195.



C. Phänotypik53

einer Rechnung zu schließen ist. Etwas zu streng formuliert Pawlik zudem die Voraussetzungen für einen relevanten Kontinuitätsbruch: Insbesondere die Forderung nach einer unzweifelhaften Identität zwischen dem Rech­ nungsersteller und dem tatsächlichen Vertragspartner des Empfängers führt dazu, dass sich jedenfalls für den absoluten Regelfall eines rechnungsähn­ lichen Angebotsschreibens keine Strafbarkeit nach § 263 StGB ergibt.216 Es entspricht gerade dem Konzept der Versender, unter einer größtmöglichen Verschleierung der Tatsachen letztlich nichts Unwahres auszusagen. Deshalb weisen die Rechnungen meist den zutreffenden Firmennamen des Versenders aus, der an die Firma des vermeintlich Leistenden lediglich angelehnt ist. Hinzu kommt, dass Pawliks Identitätskriterium an den Realitäten des arbeits­ teiligen Wirtschaftslebens vorbeigeht. Es ist zumindest keine Seltenheit, dass Rechnungen durch ein anderes Unternehmen gestellt werden, beispielsweise weil der Leistungserbringer das Inkasso an ein externes Unternehmen über­ tragen hat oder weil der Leistungserbringer Teil  eines Konzerns ist und die Rechnungsstellung unter der Firma der Konzerntochter oder -mutter erfolgt. Insoweit ist es verfehlt, die Zweifelhaftigkeit der Identität zu einem K.-o.Kriterium zu erklären. Sachgerechter ist es, mit der h. M. auf das Verständnis der maßgeblichen Verkehrskreise abzustellen und zu ermitteln, wie diese das Schreiben unter Zugrundelegung sämtlicher Umstände verstehen mussten. Dabei sind – wie noch zu zeigen sein wird – auch die Wertungen des Rechts der Europäischen Union zu berücksichtigen, sodass auf den Verständnishori­ zont eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist.217 4. Betrug durch Kosten- und Abofallen im Internet a) Einführung in die Problematik Eine ebenfalls weit verbreitete Variante des Betruges durch Behauptung wahrer Tatsachen stellen sog. Kosten- bzw. Abofallen218 im Internet dar. Dabei handelt es sich um Internetseiten, die so geschickt gestaltet sind, dass deren Besucher bei einer nur flüchtigen Betrachtung nicht bemerken, dass 216  Nach Pawlik soll selbst in der Todesanzeigenentscheidung des BGH (BGHSt 47, 1) keine tatbestandsrelevante Täuschung gegeben sein, da dort eine „offenkundig zweifelhafte Identität“ zwischen der Tageszeitung als Leistungserbringerin und der Firma der Angeklagten („Inter Media Verlag L“) bestand, StV 2003, 300. 217  Siehe hierzu Kapitel 3. 218  Der Begriff „Abofalle“ bezeichnet dabei eine Internetkostenfalle, bei der sich die Zahlungsverpflichtung des Internetnutzers nicht in einer Einmalzahlung erschöpft, sondern mit mehreren wiederkehrenden Zahlungen im Rahmen eines längerfristigen Abonnements einhergeht, vgl. hierzu Alexander, NJW 2012, 1985.

54 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

die Inanspruchnahme des dort bereitgestellten Angebots entgegen eines sich aufdrängenden Gesamteindrucks kostenpflichtig ist.219 Die Betreiber machen sich dabei den Umstand zunutze, dass Internetnutzer es gewohnt sind, ge­ wisse Dienstleistungen im Netz gratis zu erhalten. Daher werden auf ihren Seiten fast ausschließlich Dienstleistungen angeboten, die bei anderen Anbie­ tern üblicherweise unentgeltlich verfügbar sind. Auf den Seiten der Abofal­ lenbetreiber finden sich daher meist Routenplaner, Gedicht-, Grußkarten-, Tattoo- oder Grafikarchive, Kochrezepte, Rätsel, Hausaufgabenhilfen, Pro­ gramm-Downloads, Gehaltsrechner, Namens- oder Ahnenforschungen und ähnliche Inhalte.220 Es sind auch Fälle bekannt, in denen sich die „Dienstleis­ tung“ des Abofallenbetreibers auf eine reine Weiterleitung auf das kostenfreie Angebot eines einschlägig bekannten Unternehmens beschränkt.221 Um an die persönlichen Daten der Nutzer zu gelangen, werden die Ange­ bote regelmäßig mit Gewinnspielen verbunden, um so den Verbraucher zur Preisgabe der abrechnungsrelevanten Informationen zu bewegen, ohne dabei den Verdacht zu erwecken, dass die Inanspruchnahme der Leistung zu einem Vertragsschluss und damit einhergehenden Kosten führt. Denn für die Abo­ fallen-Betreiber stellt sich das Problem, dass sie erst an die persönlichen Daten der Nutzer gelangen müssen, um ihre Leistungen abrechnen zu kön­ nen. Durch die Verknüpfung mit der Gewinnspielteilnahme ist die Angabe des Namens und der Postadresse für die Betroffenen durchaus plausibel.222 Sobald die Daten einmal eingegeben sind, werden die Nutzer kurz darauf mit einer Zahlungsaufforderung des Seitenbetreibers konfrontiert. Hierin schließt sich regelmäßig der Aufbau einer Drohkulisse an, die von einfachen Mah­ nungen über die Einschaltung eines Inkassobüros bis hin zur Androhung von Schufa-Einträgen und der Ankündigung strafrechtlicher Konsequenzen reicht.223 Da sich viele Opfer durch dieses Vorgehen einschüchtern lassen und die verlangten Beträge verhältnismäßig gering sind,224 werden häufig Zahlungen geleistet, obwohl ein durchsetzungsfähiger zivilrechtlicher An­ spruch der Betreiber in aller Regel nicht besteht.225 219  Eingehend zum Phänomen der Kostenfallen im Internet Bosch, JK 6 / 11 StGB § 263 / 90; Hatz, JA 2012, 186 ff.; Eisele, NStZ 2010, 193 ff.; Brammsen / Apel, WRP 2011, 1254 ff.; Ellbogen / Saerbeck, CR 2009, 131 ff.; Heim, S. 179 f.; vgl. auch Jäger, BT, Rn. 330. 220  Hövel, GRUR 2011, 253; Eisele, NStZ 2010, 193; Alexander, NJW 2012, 1985. 221  Hierzu Hatz, JA 2012, 186; Ellbogen / Saerbeck, CR 2009, 134. 222  Buchmann / Majer / Hertfelder / Vögelein, NJW 2009, 3190. 223  Buchmann / Majer / Hertfelder / Vögelein, NJW 2009, 3189; Ellbogen / Saerbeck, CR 2009, 131; Hövel, GRUR 2011, 249; Müller, K&R 2012, 791. 224  In der Regel bewegen sich die eingeforderten Beträge zwischen 50  € und 100 €, vgl. hierzu Eisele, NStZ 2010, 193.



C. Phänotypik55

Internetkostenfallen weisen im Hinblick auf ihre Konzeption zahlreiche Parallelen zu rechnungsähnlichen Angebotsschreiben auf.226 Denn auch bei diesen handelt es sich um sog. sich selbst dementierende Erklärungen. Durch die Schaltung eines üblicherweise kostenlos zu erhaltenden Angebots wird von den Betreibern zunächst der Anschein der Unentgeltlichkeit erweckt, der dann an anderer Stelle durch einen verborgenen Hinweis widerrufen wird. Auch bei Internetkostenfallen besteht der Clou folglich darin, dass die Nut­ zer den wahren Charakter der Internetseiten bei eingehender Betrachtung des vollständigen Seiteninhalts ohne Weiteres hätten erkennen können, was sie jedoch aus einer gewissen Bequemlichkeit oder Gutgläubigkeit heraus unter­ lassen haben. Die Betreiber geben dabei ihr Bestes, um die Illusion eines vermeintlichen Gratisangebots aufzubauen und auf der anderen Seite den Umstand der Kostenpflichtigkeit zu verschleiern. Aufgrund der technischen Möglichkeiten im Netz sind die angewandten Verschleierungsmethoden viel­ fältig. Besonders häufig werden die Preisinformationen an einer Stelle ange­ bracht, die bei Verwendung eines handelsüblichen Computermonitors nur sichtbar wird, wenn der Nutzer die Internetseite in seinem Browser vollstän­ dig nach unten scrollt, wofür nach der Aufmachung der Seite kein wirklicher Anlass besteht. Üblich ist es auch, die Preisangabe hinter einem unauffälligen Sternchenhinweis zu verbergen, wobei der Hinweistext häufig noch in einer Farbe abgebildet wird, die sich vom Seitenhintergrund kaum abhebt.227 Mit­ unter werden die Preisangaben erst in den Allgemeinen Geschäftsbedingun­ gen aufgeführt, welche wiederum nicht auf der Startseite selbst angebracht sind, sondern nur über einen Link erreicht werden können.228 Häufig wird in diesen Fällen verlangt, dass der Nutzer durch das Setzten eines Akzeptanz­ häkchens bestätigt, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Kenntnis ge­ nommen zu haben. Dagegen sind im unmittelbar sichtbaren Bereich der Startseite eindeutige Angaben so gut wie nie zu finden. Internetkostenfallen haben aus Tätersicht den Vorteil, dass mit einem ver­ gleichsweise geringen Aufwand ein großer Adressatenkreis erreicht werden kann. Insofern verwundert es nicht, dass ihnen in den letzten Jahren zahlrei­ che Internetnutzer zum Opfer gefallen sind. Die Schäden, die durch diese „Geschäftsmethode“ entstehen, sind durchaus beträchtlich. Allein auf das Konto einer für einen Betreiber einer Internetkostenfalle tätigen Rechtsan­ wältin sollen in einem Zeitraum von nur sechs Monaten rund 2,2  Mio  € 225  Hierzu Härting, K&R 2009, 352; Buchmann / Majer / Hertfelder / Vögelein, NJW  2009, 3190 ff.; Kredig / Uffmann, ZRP 2011, 36 ff.; Ellbogen / Saerbeck, CR 2009, 132 ff.; Müller, K&R 2012, 792. 226  Becker, JuS 2014, 309; Eiden, Jura 2011, 864 Fn. 12; Hecker, JuS 2014, 1046; a. A. LG Frankfurt a. M. MMR 2009, 423. 227  Eisele, NStZ 2010, 193; Kredig / Uffmann, ZRP 2011, 36. 228  Hatz, JA 2012, 186.

56 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

durch annähernd 25.000 Einzelüberweisungen eingegangen sein.229 Daher ist es nur wenig überraschend, dass sich auch der Gesetzgeber zum Handeln gezwungen sah und das Bürgerlichen Gesetzbuch durch das am 01.08.2012 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches zum besseren Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Kostenfallen im elektronischen Geschäftsverkehr und zur Änderung des Wohnungseigen­ tumsgesetzes230 um einige verbraucherschützende Neuregelungen ergänzt hat.231 Nach § 312j Abs. 3 BGB232 muss der Unternehmer nunmehr bei ei­ nem Vertrag, der im Wege des elektronischen Geschäftsverkehrs zustande kommen soll, die Bestellsituation so gestalten, dass der Verbraucher mit sei­ ner Bestellung die Zahlungspflicht ausdrücklich bestätigt. Sofern dabei die Bestellung über eine Schaltfläche erfolgen soll, ist diese Pflicht nur dann erfüllt, wenn die Schaltfläche gut sichtbar mit den Wörtern „zahlungspflich­ tig bestellen“ oder einer vergleichbaren eindeutigen Formulierung beschriftet ist. Der Gesetzgeber hat sich damit für die von Seiten der Literatur geforderte „Button-Lösung“ entschieden, die als probates Mittel gegen Internetkosten­ fallen gehandelt wurde.233 Für die strafrechtliche Bewertung des in Frage stehenden Verhaltens zeitigt diese Neuregelung jedoch kaum Auswirkungen. Allenfalls den Vertretern des normativen Täuschungsverständnisses wird damit ein weiteres Argument an die Hand gegeben, um eine Risikoverteilung zu Lasten des Seitenbetreibers zu begründen. Da sich dieses Ergebnis aber auch schon zuvor auf vorhan­ dene Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, des UWG und der PAngV stützen ließ,234 ist die Neuregelung in § 312j BGB – jedenfalls aus strafrecht­ licher Sicht – ohne größere Bedeutung.235 Auch sonst ist davon auszugehen, dass diese verbraucherschützende Norm das Phänomen der Internetkostenfal­ len jedenfalls nicht vollständig beseitigen können wird.236 Denn auch bisher haben sich deren Betreiber über verbraucherschutzrechtliche Regelungen schlicht hinweggesetzt.237 Zudem wird mittlerweile über Methoden berichtet, 229  LG

München I, Urt. v. 12.05.2009 – 28 O 398 / 09, BeckRS 2010, 07536. I 2012, 1084. 231  Ausführlich zu den zivilrechtlichen Neuregelungen zum Schutz vor Internet­ kostenfallen Alexander, NJW 2012, 1985; Kredig / Uffmann, ZRP 2011, 36 ff.; Spindler / Thorun / Blom, MMR 2015, 3 ff. 232  Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes v. 20.9.2013 (BGBl. I S. 3642): § 312g Abs. 3 BGB. 233  Krit. hierzu Kredig / Uffmann, ZRP 2011, 36 ff. 234  Vgl. hierzu Eisele, MMR 2011, 274. 235  A. A. Wabnitz / Janovsky-Wimmer, VII Rn. 11. 236  Skeptisch auch Kudlich, ZWH 2011, 39; Seidl, jurisPR-ITR 2 / 2011 Anm. 6 und Hatz, JA 2012, 186. 237  Härting, K&R 2009, 351. 230  BGBl



C. Phänotypik

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die das Ziel verfolgen, die Button-Lösung auszuhebeln oder den Nutzer, der mit einer Zahlungsaufforderung konfrontiert wird, durch die Ausnutzung vermeintlicher Graubereiche zu verunsichern.238 Zumindest ein Teil  der be­ troffenen Internetnutzer wird sich deshalb nach wie vor durch die aufgebaute Drohkulisse beeindrucken lassen und die geforderten Beträge zahlen, um so vermeintlich größerem Ärger und einer juristischen Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Auch wenn sich durch die Einführung der Neuregelun­ gen im BGB und das damit einhergehende mediale Echo das Bewusstsein der Verbraucher etwas geschärft hat, kann es für die Täter deshalb immer noch finanziell lukrativ sein, unter Missachtung des § 312j Abs. 3 BGB an diesem Geschäftsmodell festzuhalten.239 Obwohl die Zahl der Geschädigten relativ groß ist, hatten sich zumindest die Strafgerichte bislang eher selten mit dem Phänomen der Internetkosten­ fallen zu befassen.240 Oftmals lag dies daran, dass die Praxis der Staats­ anwaltschaften eher dahin ging, Ermittlungsverfahren einzustellen, wenn sich auf der fraglichen Internetseite irgendwo, und sei es auch nur an ver­ steckter Stelle, eine Preisangabe befand.241 Bekannt geworden ist dagegen ein Fall, der zunächst das Landgericht Frankfurt a. M.242 und anschließend das OLG Frankfurt243 beschäftigte. Auch der BGH hat in einer jüngeren Entscheidung zur Strafbarkeit von Abofallenbetreibern Stellung genommen. Vor dem Hintergrund der hier zu erörternden Problematik ist jedoch die ­Entscheidung des LG Frankfurt a. M. vom 5.3.2009 besonders beachtens­ wert. b) LG Frankfurt a. M. Beschl. v. 5.3.2009 – 5 / 27 Kls 3330 Js 212484 / 07 KLs  – 12 / 08 In dem der Entscheidung des LG Frankfurt a. M. zugrunde liegenden Sach­ verhalt hatten die Angeschuldigten mehrere Webseiten betrieben, die durch ihre äußere Gestaltung bei den Nutzern den Eindruck erweckten, es werde eine kostenlose Leistung angeboten. Tatsächlich ging die Nutzung jedoch mit dem Abschluss drei- bis sechsmonatiger Abonnements zu Preisen von bis zu Müller, K&R 2012, 792 ff. Hatz, JA 2012, 186; Kredig / Uffmann, ZRP 2011, 38 f. 240  Die Zahl zivil- und wettbewerbsrechtlicher Entscheidungen ist dagegen durch­ aus beachtlich, vgl. nur LG Berlin MMR 2012, 95; OLG Frankfurt a. M. K&R 2009, 197; AG München, Urt. v. 04.12.2008 – 6 U 186 / 07. 241  Hansen, NJW 2011, 404; Hatz, JA 2012, 186; Haag, K&R 2011, 210; Erb, ZIS 2011, 378; Eisele, NStZ 2010, 193. 242  MMR 2009, 421 ff. 243  OLG Frankfurt NJW 2011, 398 m. Anm. Hansen. 238  Ausführlich 239  Ebenso

58 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

59,95  € einher.244 Hinweise auf die Kostenpflichtigkeit und den Abonne­ mentabschluss waren unter anderem in den Allgemeinen Geschäftsbedingun­ gen enthalten, die über einen entsprechenden Link abrufbar waren. Zudem war auf den Startseiten jeweils eine Bildlaufleiste angebracht, mit deren Hilfe man auch den unteren Teil  der Seiten sichtbar machen konnte. Dort befand sich dann ein mit einem Sternchenhinweis versehener mehrzeiliger Text, der sich zunächst mit der Dateneingabe und der Gewinnspielteilnahme befasste und an dessen Ende in Fettdruck eine Preisangabe aufgeführt war. Bei Aufruf der Website erschien zunächst eine Seite, auf der sich ein But­ ton mit Hinweisen zum Leistungsangebot sowie zu einem Gewinnspiel be­ fand. Zudem enthielt die Startseite eine mit den Worten „Bitte füllen Sie alle Felder vollständig aus!*“ überschriebene Anmeldemaske, über die persönli­ che Daten wie E-Mail-Adresse, Anschrift, Land und Geburtsdatum einzutra­ gen waren. Weiterhin wurde dort darauf hingewiesen, dass die auf der Web­ site angebotenen Leistungen nach Anmeldung in Anspruch genommen wer­ den könnten und dass darüber hinaus auch die Möglichkeit einer Gewinn­ spielteilnahme bestehe. Unter der Anmeldemaske befand sich ferner ein Anklickfeld mit einem Akeptanzhäkchen, mit dem die Nutzer bestätigen mussten, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen gelesen zu haben. Mit ei­ nem weiteren Anklickfeld, sollte der Wunsch zur Teilnahme an dem Gewinn­ spiel erklärt werden. Zugang zu den Leistungen erhielten nur solche Nutzer, welche die Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufgerufen und das entspre­ chende Akzeptanzhäkchen gesetzt hatten. Das Landgericht Frankfurt a. M. kam zu dem Schluss, dass eine tatbe­ standsrelevante Täuschungshandlung nicht gegeben war.245 In der Folge lehnte es die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Die Kammer stütze ihre Entscheidung darauf, dass zumindest an versteckter Stelle auf die Preisanga­ ben und das Abonnement hingewiesen wurde. Auch sei in dem Betreiben der Seiten keine Täuschung mit wahren Angaben gegeben, sodass auch nicht auf den prägenden Gesamteindruck bzw. den Gesamterklärungswert der Seiten abgestellt werden könne. Denn aus dem Umstand, dass die Kostenpflichtig­ keit nicht auf den ersten Blick erkennbar war, sei noch keine tatbestandsmä­ ßige Täuschung ableitbar. Es gebe insbesondere keinen allgemeinen Grund­ satz, dass die Kostenpflichtigkeit eines Angebots auf den ersten Blick er­ kennbar sein müsse. Es sei keineswegs unüblich, dass Preisangaben erst bei genauerem Lesen eines Angebots in Erscheinung treten.246 Da die Preisanga­ 244  LG

Frankfurt a. M. MMR 2009, 421. Frankfurt a. M. MMR 2009, 421; krit. hierzu Bosch, FS Samson, S. 244 ff.; Hatz, JA 2012, 187; Härting, K&R 2009, 351 f.; Seidl, jurisPR-ITR 24 / 2009 Anm. 3; Johne, GB 2009, 187; Buchmann / Majer / Hertfelder / Vögelein, NJW 2009, 3193. 246  LG Frankfurt a. M. MMR 2009, 422. 245  LG



C. Phänotypik59

ben im Fall optisch durch Fettdruck hervorgehoben und durch ihre Stellung am Satzende eines ohnehin nur wenigen Zeilen langen Hinweistextes ange­ bracht waren, seien die Internetnutzer hinreichend über die Entgeltpflichtig­ keit des Angebots informiert worden.247 Auch der Umstand, dass der Hin­ weistext bei herkömmlichen Computerbildschirmen nur durch Scrollen der Seite sichtbar gemacht werden konnte, rechtfertige keine andere Bewertung. Wegen der deutlich erkennbaren Bildlaufleiste am rechten Seitenrand hätten die Nutzer bemerken können, dass auf der Seite noch weitere Informationen enthalten waren. Zudem hätten die Nutzer aufgrund der Aufforderung zur Eingabe der persönlichen Daten besonders wachsam sein müssen.248 Zu die­ ser erhöhten Wachsamkeit gehöre es auch, im Vorfeld zu prüfen, ob sich nicht im unteren Bereich der Website noch weitere relevante Informationen befinden. Es gebe auch keinen besonderen Vertrauensschutz, nach dem Infor­ mationen im Internet regelmäßig kostenlos zu erhalten seien.249 Dies gelte auch dann, wenn ähnliche oder gleichartige Leistungen bei anderen Anbie­ tern unentgeltlich angeboten werden. Denn es gebe im Internet zahlreiche kostenpflichtige Dienstleistungen, zu denen ebenfalls kostenlose Alternativen existieren. Die Rechtsprechung des BGH zu rechnungsähnlichen Angebotsschreiben wollte die Kammer ausdrücklich nicht anwenden, da sie der Auffassung war, dass die Grundsituation und die Grundhaltung der Konsumenten zu verschie­ den wären. Denn während der Empfänger eines Angebotsschreibens grund­ sätzlich kein Interesse an der angebotenen Leistung hat, will der AbofallenNutzer die Leistung ja gerade in Anspruch nehmen. Nach der Auffassung der Kammer fehle es daher an einer hinreichenden Vergleichbarkeit der beiden Fallgruppen, sodass die konkludente Täuschung nicht mithilfe der Grund­ sätze aus der Insertionsoffertenentscheidung und dem subjektiven Täu­ schungsbegriff begründet werden könne.250 Die Entscheidung des LG Frankfurt a. M. ist in zweierlei Hinsicht bedeut­ sam. Zum einen fällt auf, dass die Kammer trotz der offensichtlichen Ver­ wandtschaft der Internetkostenfallen mit den rechnungsähnlichen Angebots­ schreiben eine Vergleichbarkeit der beiden Fallgruppen in Abrede stellt und die vom BGH bevorzugte subjektivierte Täuschungsauslegung für unan­ wendbar erklärt.251 Sowohl bei den rechnungsähnlichen Angebotsschreiben als auch bei den Abofallen im Internet bedienen sich die Täter des Mittels 247  LG

Frankfurt a. M. MMR 2009, 422. Frankfurt a. M. MMR 2009, 423. 249  LG Frankfurt a. M. MMR 2009, 423. 250  LG Frankfurt a. M. MMR 2009, 423. 251  Ebenso Seidl, jurisPR-ITR 24 / 2009 Anm. 3. 248  LG

60 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

der sich selbst dementierenden Erklärung,252 da sie in beiden Fällen den wahren Charakter der Erklärung verbergen und so ein Missverständnis erre­ gen, welches an versteckter Stelle wieder richtig gestellt wird. Hier wie dort machen sich die Täter den Umstand zunutze, dass die Opfer sich nicht die Zeit für eine eingehende Lektüre des gesamten Inhalts eines Schreibens bzw. einer Internetseite nehmen können oder wollen. In der Literatur wird daher zu Recht von der Vergleichbarkeit der beiden Fallgruppen ausgegangen.253 Eine unterschiedliche Behandlung derselben ist daher nicht angezeigt. Wenig überzeugend ist es, wenn die Kammer die fehlende Vergleichbarkeit damit begründen will, dass die Internetnutzer ein Interesse an der Inanspruchnahme der Leistung haben.254 Dies mag in der Sache zwar zutreffen, jedoch handelt es sich dabei um einen Aspekt, der sich – wenn überhaupt – nur im Rahmen der Schadensfeststellung auswirken kann und der für die Beurteilung der Täuschungsqualität belanglos ist. Zum anderen ist beachtlich, dass das Landgericht, wie bereits schon der BGH in seiner früheren Rechtsprechung zu rechnungsähnlichen Angebots­ schreiben, in eine viktimodogmatische Argumentationsweise verfällt und sich für ein Ergebnis entscheidet, das einfältige bzw. fahrlässige Opfer vom Schutz durch den Betrugstatbestand ausnimmt. Indem die Kammer eine Täu­ schung verneint und darauf abstellt, dass die Internetnutzer trotz gewichtiger Warnzeichen keine Kenntnis vom vollständigen Inhalt der Website nahmen, begründet sie die Ablehnung des Täuschungsmerkmals letzten Endes mit ei­ ner mitwirkenden Opferfahrlässigkeit. Insbesondere der Vorwurf, die Nutzer hätten es unterlassen, die Seite trotz Vorhandensein einer Bildlaufleise nach unten zu scrollen, stellt nichts anderes als die Beschreibung eines opferseitig begangenen Sorgfaltspflichtverstoßes dar. Gleiches gilt für die Behauptung, die Nutzer hätten aufgrund der Aufforderung zur Eingabe ihrer personenbe­ zogenen Daten wachsamer sein müssen, da eine solche Aufforderung als In­ diz für eine Kostenpflichtigkeit zu werten sei. Auch die von der Kammer geäußerte These, „spätestens bei der Eingabe […] der persönlichen Daten ist auch aus Sicht eines durchschnittlichen Internetnutzers eine sorgfältige Be­ fassung mit den Inhalten der jeweiligen Website angezeigt“, macht deutlich, dass die Kammer in ihrer Entscheidungsbegründung ausdrücklich auf die Sichtweise eines durchschnittlichen Nutzers abstellt und nicht danach fragt, welche Wirkung die Websites auf einfältige oder weniger erfahrene Nutzer haben konnten. Genau dies wäre aber erforderlich gewesen, wenn man mit der h. M. auch den Einfältigen und Sorglosen unter den Schutz des Be­

252  Rengier,

BT I, § 13 Rn. 13 ff.; Eisele, NStZ 2010, 193 f. nur Becker, JuS 2014, 309. 254  LG Frankfurt a. M. MMR 2009, 423. 253  Vgl.



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trugstatbestands stellen und sich gegen die Berücksichtigung eines mitwir­ kenden Opferverschuldens aussprechen wollte. c) OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 17.12.2010  – 1 Ws 29 / 09 Insofern ist es wenig überraschend, dass das OLG Frankfurt den Nichter­ öffungsbeschluss des LG Frankfurt a. M. auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin aufgehoben hat.255 Der Senat stimmte mit dem LG Frankfurt a. M. zwar noch insoweit überein, dass eine ausdrückliche Täu­ schung aufgrund des enthaltenen Hinweises auf die Kostenpflichtigkeit nicht in Betracht komme. Entgegen der Kammer nahm er jedoch eine konkludente Täuschung durch den prägenden Gesamteindruck bzw. des Gesamterklä­ rungswertes der Websites an.256 Der Senat stützte seine Entscheidung unter anderem darauf, dass die Be­ treiber der Websites nach der zur Tatzeit gültigen Fassung des § 1 PAngV verpflichtet waren, die Endpreise für ihre Leistungen anzugeben und diese Preise eindeutig dem Angebot zuzuordnen und leicht erkennbar oder sonst gut wahrnehmbar zu machen.257 Diese Verpflichtung hätten die Betreiber ignoriert, indem sie den Hinweis auf die Kostenpflichtigkeit auf einen Teil  der Seite platzierten, der jedenfalls bei Verwendung eines handelsübli­ chen 19-Zoll-Monitors mit der Standardauflösung 1280  x  1024 Pixel nicht dargestellt wird. Da sich die Nutzer nur dadurch Kenntnis von der Kosten­ pflicht verschaffen konnten, indem sie entweder dem Sternchenhinweis über der Anmeldemaske nachgingen oder die Allgemeinen Geschäftsbedingungen lasen, sah der Senat das Merkmal der leichten Erkennbarkeit der Preisangabe als nicht erfüllt an.258 Ferner müsse auch berücksichtigt werden, dass ein „durchschnittlich informierter und verständiger Verbraucher als Nutzer der […] gegenständlichen Websites“ nicht erwarten musste, dass die in Anspruch genommenen Leistungen kostenpflichtig waren, da diese im Internet in glei­ cher oder ähnlicher Weise auch kostenlos bezogen werden konnten.259 Der „Durchschnittsverbraucher“ sei es durchaus gewohnt, im Internet zahlreiche kostenlose Dienstleistungsangebote anzutreffen, ohne dabei den Grund für deren Unentgeltlichkeit zu erfahren.260 Deshalb könnten die Nutzer erwarten, 255  OLG

Frankfurt a. M. NJW 2011, 398 ff. Frankfurt a. M. NJW 2011, 399 f. 257  Eingehend zu den betrugsstrafrechtlichen Auswirkungen eines Verstoßes gegen die Vorschriften der PAngV Buchmann / Majer / Hertfelder / Vögelein, NJW 2009, 3190. 258  OLG Frankfurt a. M. NJW 2011, 400. 259  OLG Frankfurt a. M. NJW 2011, 400. 260  OLG Frankfurt a. M. NJW 2011, 400. 256  OLG

62 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

dass ihnen bereits bei Aufruf der Seite die substantielle Information der Kos­ tenpflichtigkeit an hervorgehobener Stelle mitgeteilt wird und sie nicht erst danach suchen müssen. Dies gelte in Anbetracht der Tatsache, dass die situ­ ationsadäquate Aufmerksamkeit eines im Internet surfenden Durchschnitts­ verbrauchers eher gering ist, umso mehr.261 Unbeachtlich sei deshalb auch, dass die Benutzer der Seiten bei sorgfältiger Prüfung ohne Weiteres hätten erkennen können, dass sich im nicht unmittelbar wahrnehmbaren Teil  der Websites noch weitere erhebliche Informationen befanden. Im Gegensatz zum LG Frankfurt a. M. ging der Senat im Rahmen seiner Entscheidungsbegründung auch von einer Vergleichbarkeit des Sachverhalts mit der Fallgruppe des Insertionsoffertenbetruges aus und zog die diesbezüg­ liche Rechtsprechung des BGH262 einschließlich des subjektiven Täuschungs­ begriffs heran:263 „[…] nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes schließt Leichtgläubigkeit oder Erkennbarkeit der Täuschung bei hinreichend sorgfältiger Prüfung die Schutz­ bedürftigkeit des potentiellen Opfers und damit eine Täuschung nicht aus. Eine Täuschung kann grundsätzlich auch dann gegeben sein, wenn der Erklärungsemp­ fänger bei sorgfältiger Prüfung den wahren Charakter der Erklärung hätte erkennen können. Zur tatbestandlichen Täuschung wird das Verhalten hierbei, wenn der Täter die Eignung der  – isoliert betrachtet  – inhaltlich richtigen Erklärung, einen Irrtum hervorzurufen, planmäßig einsetzt und damit unter dem Anschein äußerlich ver­ kehrsgerechten Verhaltens gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt wird, wenn also die Irrtumserregung nicht nur die bloße Folge, sondern der Zweck der Handlung ist.“

Diese Voraussetzungen sah der Senat hier erfüllt. Insbesondere ging er davon aus, dass eine planvolle Vorgehensweise der Seitenbetreiber gegeben war, weil die Internetseiten ihrer Gestaltung nach darauf angelegt gewesen seien, den Umstand der Kostenpflichtigkeit zu verschleiern. Dies ergebe sich daraus, dass die Preisangabe in einem versteckten Text enthalten war, den man nur entdecken konnte, wenn man dem eigentlich unnötigen Sternchen­ hinweis über der Anmeldemaske nachging. Der Sternchenhinweis und auch der Seitenbalken seien darüber hinaus derart unauffällig gestaltet gewesen, dass sich die Webseitenbetreiber berechtigterweise erhoffen konnten, dass diese Details von der Mehrheit der Nutzer überhaupt nicht wahrgenommen werden würden.264 Auch hätten die Nutzer aufgrund der Position des Stern­ chenhinweises und des Inhalts der ersten Textzeilen nicht davon ausgehen müssen, dass der Hinweistext auch Angaben über essentielle Bestandteile der 261  OLG 262  Vgl.

Frankfurt a. M. NJW 2011, 400; zustimmend Haag, K&R 2011, 210. nur BGHSt 47, 1 (3) m. Anm. Martin, JuS 2001, 1031 ff.; BGH wistra

2001, 387. 263  OLG Frankfurt a. M. NJW 2011, 401. 264  OLG Frankfurt a. M. NJW 2011, 401.



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angebotenen Leistung und zu deren Preis enthält. Für die Nutzer hätte des­ halb kein Anlass bestanden, dem Sternchenhinweis zu folgen. Selbst wenn man dem Sternchenhinweis nachgegangen wäre, hätte einem die Entgeltlich­ keit der Nutzung nicht zwangsläufig auffallen müssen, da sich der zugehö­ rige Text zunächst mit den Voraussetzungen der Gewinnspielteilnahme be­ schäftigte und erst am Ende auf die Zahlungspflicht einging.265 Die gesamte Gestaltung der Website sei daher auf eine Verschleierung der Entgeltlich­ keitsinformation ausgerichtet gewesen. Dem könne auch nicht entgegenge­ halten werden, dass die Verbraucher wegen der Pflicht zur Eingabe der per­ sönlichen Daten gewarnt sein mussten. Dies gelte umso mehr, wenn die aus der Datenabfrage resultierende grundsätzliche Sensibilisierung der Verbrau­ cher dadurch ausgehebelt wird, dass man sie durch die Teilnahmemöglichkeit an einem Gewinnspiel plausibel macht. Schließlich stelle eine Gewinnspiel­ teilnahme aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers eine hinreichende Erklärung für die Notwendigkeit der Abfrage persönlicher Daten dar.266 Da­ bei könne auch die Nennung des Preises innerhalb der Allgemeinen Ge­ schäftsbedingungen keine andere Beurteilung rechtfertigen. Die Seite sei so gestaltet gewesen, dass zwischen dem Aufruf der Seite und der Information über die Kostenpflicht unnötige Zwischenschritte in Form des Aufrufes der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und der Lektüre des längeren Textes la­ gen. Für die Nutzer habe auch nach dem erforderlichen Aufruf der Allgemei­ nen Geschäftsbedingungen kein vernünftiger Anreiz bestanden, sich mit de­ ren Inhalt näher zu befassen, da sie nicht damit rechnen mussten, dort we­ sentliche Informationen über das Zustandekommen eines Vertragsverhältnis­ ses zu finden. Die Nutzer hätten vielmehr davon ausgehen dürfen, dass ihnen die wesentliche Information der Kostenpflichtigkeit gleich zu Beginn der Nutzung mitgeteilt wird.267 Zudem liege es nahe, dass sich ein Nutzer vor einer einmaligen Inanspruchnahme einer Dienstleistung im Internet nicht mit einem längeren Klauselwerk befassen, sondern möglichst schnell zu der von ihm gewünschten Leistung gelangen will.268 Ferner trat der Senat auch der Auffassung des LG Frankfurt entgegen, wonach es beim Abschluss von Abonnements üblich sei, dass vertragsrele­ vante Informationen erst im Kleingedruckten offenbart werden. Denn in diesen Fällen seien sich die Interessenten darüber bewusst, dass sie sich in einer Vertragsanbahnungssituation befinden. Den Nutzern von Abofallen fehle dieses Bewusstsein aber gerade.269 Der Senat kam daher zu dem Ergeb­ bereits Seidl, jurisPR-ITR 24 / 2009 Anm. 3. Frankfurt a. M. NJW 2011, 402. 267  OLG Frankfurt a. M. NJW 2011, 402. 268  OLG Frankfurt a. M. NJW 2011, 402. 269  OLG Frankfurt a. M. NJW 2011, 402. 265  Ähnlich 266  OLG

64 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

nis, dass die Gestaltung des Internetauftritts nur damit zu erklären sei, dass die Betreiber beabsichtigten, die Verbraucher über die Entgeltlichkeit ihres Angebots zu täuschen.270 Da es mithin das Ziel des Internetauftritts war, die Verbraucher über die Vergütungspflichtigkeit der Nutzung in die Irre zu füh­ ren und diesen Irrtum wirtschaftlich auszunutzen, sei eine Täuschung i. S. d. § 263 Abs. 1 StGB gegeben.271 Unterzieht man die Argumentation des OLG Frankfurt einer näheren Be­ trachtung, so wird deutlich, dass auch der Senat seine Entscheidung zunächst auf eine eher viktimodogmatisch geprägte Begründung stützt. Dies muss den Leser insbesondere deshalb verwundern, weil er an anderer Stelle explizit klarstellt, dass Leichtgläubigkeit und Erkennbarkeit der Täuschung bei hin­ reichend sorgfältiger Prüfung die Schutzbedürftigkeit des potentiellen Opfers und damit eine Täuschung nicht ausschlössen.272 Der Senat stellt jedoch an mehreren Stellen der Urteilsbegründung darauf ab, welche Wirkung die In­ ternetseiten auf „durchschnittlich informierte und aufmerksame Internetnut­ zer“ haben.273 Vor dem Hintergrund des faktisch-normativen Verständnisses der konkludenten Täuschung ist dies nur konsequent, da sich die Aussage­ kraft eines schlüssigen Verhaltens nach dem Verständnis der maßgeblichen Verkehrskreise bemisst. Nähme man jedoch das Bekenntnis zum Schutze des Leichtgläubigen beim Wort, würde es sich verbieten, das Verständnis eines durchschnittlichen Nutzers zugrunde zu legen und danach zu fragen, inwie­ weit der durchschnittliche Nutzer Anlass zu einer eingehenden Lektüre des gesamten Seiteninhalts hatte. Auch wenn sich das OLG Frankfurt mit seiner Entscheidung im Ergebnis auf einer Linie mit den neueren Entscheidungen des BGH in den Fällen rechnungsähnlicher Angebotsschreiben bewegt,274 wird erneut deutlich, dass die Rechtsprechung das Dogma vom Schutz des Einfältigen zumindest in ihren Entscheidungsbegründungen nicht konsequent verfolgt. Würde man den Einfältigen umfassend und bedingungslos schützen wollen, dürften die Wirkungen auf den durchschnittlich informierten, auf­ merksamen und verständigen Verbraucher keine Relevanz besitzen. Vielmehr müsste in konsequenter Anwendung des Maßstabes der h. M., nach dem auch der Einfältige durch den Tatbestand geschützt sein soll, allein entscheidend Hansen, NJW 2011, 404; Seidl, jurisPR-ITR 2 / 2011 Anm. 6. Frankfurt a. M. NJW 2011, 402. 272  Gegen eine Berücksichtigung der Opfermitverantwortung bereits BGHSt 34, 199 (201); BGH NJW 2003, 1199; 2004, 3577; Amelung, GA 1977, 9; Jaguttis / Parameswaran, NJW 2003, 2279; Mahnkopf / Sonnberg, NStZ 1997, 187; Otto, JZ 1993, 654. 273  Zustimmend Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 55; Hecker, JuS 2011, 471 f., erkennt in dem Abstellen auf den Durchschnittnutzer eine Anwendung des europäischen Verbraucherleitbilds. 274  BGHSt 47, 1 ff.; BGH NStZ-RR 2004, 110 ff. 270  Zustimmend 271  OLG



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sein, inwieweit die Websites nach ihrem Gesamtbild geeignet waren, irgend­ einen Verbraucher  – und damit auch die einfältigen und leichtfertigen Nut­ zer – in die Irre zu führen. Letztlich wird hierdurch deutlich, dass sich der Grundsatz vom Schutze des Leichtgläubigen kaum mit der herkömmlichen Interpretation der konklu­ denten Täuschung in Einklang bringen lässt.275 Denn wenn man auf das Verständnis der maßgeblichen Verkehrskreise abstellt, bleiben denknotwen­ dig immer solche Personen zurück, die hinsichtlich ihrer kognitiven Fähig­ keiten negativ von der Referenzgruppe abweichen. Gleiches gilt, wenn man mit einigen Stimmen in der Literatur auf ein normatives Verständnis der konkludenten Täuschung abhebt,276 da ein umfassender Schutz der Einfälti­ gen und Leichtgläubigen bei Zugrundelegung einer solchen Auslegung nur zu erreichen wäre, wenn die Risikoverteilung stets zugunsten des Irrenden ausfiele. Dies würde indes eine Prüfung der Verteilung der Verantwortungs­ bereiche und damit auch das Täuschungsmerkmal als solches überflüssig machen. Der Argumentationsansatz des OLG Frankfurt muss daher immer dann an seine Grenzen geraten, wenn die Gestaltung der Websites so gewählt ist, dass nach dem Verständnis der maßgeblichen Verkehrskreise gerade kein Gesamteindruck eines kostenlosen Angebots vorliegt und einzelne (einfäl­ tige) Nutzer dennoch von der Kostenfreiheit ausgehen. Vor dem Hintergrund eines möglichst umfassenden Schutzes einfältiger Personen erscheint es zu­ mindest konsequent, wenn der Senat das Vorliegen einer konkludenten Täu­ schung noch zusätzlich mithilfe des subjektiven Täuschungsverständnisses untermauert. Denn mit diesem lässt sich das Vorliegen einer Täuschung ab­ weichend von der jeweiligen Verkehrsauffassung begründen. Allerdings steht gerade dieser subjektivierende Ansatz berechtigterweise in der Kritik, da er sich nur schwer in die Betrugsdogmatik einfügt und zu erheblichen Friktio­ nen mit dem Tatstrafrecht führt.277 d) BGH Urt. v. 05.03.2014  – 2 StR 616 / 12 Auch der BGH hat im Jahr 2014 zur Frage der Strafbarkeit von Internet­ kostenfallen Stellung bezogen.278 Der Senat ging dabei davon aus, dass in dem Betreiben einer Abofalle eine konkludente Täuschung liegen kann.279 275  Ähnlich

auch Bosch, JK 11 / 14 StGB § 263 / 106.

276  So bspw. LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 29; vgl. auch Peters, S. 78 ff. m. w. N. 277  Eisele,

MMR 2011, 274. NJW 2014, 2595 m. Anm. v. Heintschel-Heinegg, JA 2014, 790 ff. 279  Da die Vorinstanz nicht feststellen konnte, inwieweit tatsächlich auch Nutzer der Seite getäuscht wurden, ging der BGH im Rahmen der Revisionsentscheidung nur auf einen versuchten Betrug ein. 278  BGH

66 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

Entscheidend sei dabei, dass der Betreiber durch den Aufbau der Internetseite die Kostenpflichtigkeit der Nutzung verschleiert, indem er auf das anfallende Nutzungsentgelt nur an einer Stelle hinweist, an der mit einem solchen Hin­ weis nicht zu rechnen war. Zudem hob der BGH hervor, dass Verstöße gegen die PAngV indizielle Wirkung für das Vorliegen einer Täuschung haben können.280 Interessant ist die Entscheidung vor allem, weil der BGH im Rah­ men der Entscheidungsbegründung auch auf die Auswirkungen der RL 2005 / 29 / EG und des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds auf die Aus­ legung des Betrugstatbestands eingeht. Hierauf wird an späterer Stelle noch einmal zurückzukommen sein.281 5. Ping-Anrufe Ebenfalls unter die Variante der Täuschung durch Behauptung wahrer Tat­ sachen werden sog. Ping-Anrufe subsumiert.282 Bei diesen handelt es sich um automatisch generierte Telefonanrufe, bei denen die Verbindung bereits nach einem einmaligen Anklingeln, dem sog. „Anpingen“, wieder getrennt wird.283 Die Initiatoren machen sich dabei den Umstand zunutze, dass ein solcher Vorgang bei nahezu allen Festnetz- und Mobiltelefonen als „Anruf in Abwesenheit“ erfasst und als solcher unter Angabe einer Telefonnummer im Telefondisplay des Angerufenen dargestellt wird.284 So genannte „Call-IDSpoofing-Verfahren“ erlauben es, hierbei beliebige Telefonnummern zu hin­ terlassen.285 Daher ist es auch möglich, eine Telefonnummer zu hinterlassen, die sich von der eigentlichen Anschlussnummer des Anrufers unterscheidet. Somit lassen sich auf dem Display auch sog. Mehrwertdienstnummern wie­ dergeben, deren Rückruf für den Anrufer mit hohen Telefonkosten verbunden ist. Um den Angerufenen die Identifizierung der Mehrwertdienstnummern zu erschweren, werden ihnen meist diverse Präfixe, wie die Ländervorwahl „+49“ vorangestellt. Verbreitet ist auch die Verwendung von Mehrwertdienst­ nummern, deren Vorwahl sich kaum von herkömmlichen Mobilfunk- oder Ortsvorwahlen unterscheidet.286 NJW 2014, 2596; ebenso Eisele, NStZ 2010, 196 f. hierzu Kapitel 3 E. II. 282  So ausdrücklich Rengier, BT I, § 13 Rn. 14b; zum Phänomen der Ping-Anrufe vgl. Mayer Lux / Schumann, ZWH 2013, 10 ff.; Bosch, JK 6 / 11 StGB § 263 / 90; Eiden, Jura 2011, 863 ff.; Ellbogen / Erfurth, CR 2008, 635 ff.; Kölbel, JuS 2013, 193; Ogorek, myops 2011, 23 ff.; Brand / Reschke, NStZ 2011, 379; Lackner / Kühl, § 263 Rn. 9; BeckTKG-Komm / Ditscheid / Rudloff, Vor §§ 66a ff. Rn. 39 ff.; Schönke / Schröder /  Perron, § 263 Rn. 16f; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 119. 283  Becker, WRP 2011, 809; Mayer Lux / Schumann, ZWH 2013, 11. 284  Ellbogen / Erfurth, CR 2008, 635. 285  Kölbel, JuS 2013, 193; Becker, WRP 2011, 809. 280  BGH

281  Siehe



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Aus Sicht der Initiatoren stellt eine Ping-Anruf-Serie eine relativ einträg­ liche Einnahmequelle dar, auch wenn sich die Schäden für das einzelne Op­ fer meist im Rahmen halten und sich lediglich im einstelligen Euro-Bereich bewegen.287 Denn die Rückrufquote ist bei Ping-Anrufen verhältnismäßig hoch. Ein nicht unerheblicher Teil der Angerufenen sieht sich aus geschäftli­ chen Gründen, aus Höflichkeit oder schlicht aus Neugier dazu veranlasst, einen Rückruf vorzunehmen.288 Das automatisierte Wählverfahren macht es zudem möglich, ganze Rufnummernblöcke durchzutelefonieren und damit einen nahezu unendlich großen Personenkreis anzusprechen. Die Ping-Anru­ fer können damit selbst dann erhebliche finanzielle Gewinne generieren, wenn sich nur ein geringer Prozentsatz der Angerufenen zu einem Rückruf verleiten lässt. Nimmt der Angerufene wie von den Tätern geplant einen Rückruf vor, ist dieser in aller Regel wertlos. Meist führen die hinterlassenen Telefonnummern nur zu einer inhaltsleeren Bandansage, einem unzutreffen­ den Freizeichen oder einem beliebigen Dienstleistungsangebot. a) Konkludente Täuschung über ein inhaltliches Kommunikationsverlangen Im Ergebnis zutreffend geht die h. M. von der Strafbarkeit des Ping-Anru­ fes aus.289 Die maßgebliche Täuschungshandlung sieht sie in einer konklu­ denten Erklärung eines Wunsches nach „inhaltlich ernstgemeinter Kom­ munikation“.290 Teilweise geäußerte Einwände, dass ein ernsthaftes Kommu­ 286  Besonders beliebt ist dabei die Mehrwertdienstvorwahl „0137“, die bei flüchti­ ger Betrachtung an die Vorwahl des Vodafone-Netzes („0173“) oder die Ortsvorwahl der Stadt Chemnitz („0371“) erinnert. 287  Kölbel, JuS 2013, 193. Die Telefongebühren werden über den jeweiligen Tele­ fonanbieter mit der Telefonrechnung eingezogen und nach Abzug der Kosten der Netzbetreiber und der Miete für die Mehrwertdienstnummer an den Initiator ausge­ kehrt; eingehend zu den Abrechungsverhältnissen Brand / Reschke, NStZ 2011, 380 f. 288  Becker, WRP 2011, 809; Ogorek, myops 2011, 24. Vorwiegend werden PingAnrufe in der Weihnachtszeit oder an anderen großen Festtagen durchgeführt, sodass die Betroffenen davon ausgehen, dass ihnen jemand Festtagsgrüße übermitteln will; hierzu Brand / Reschke, NStZ 2011, 380. 289  A. A. Ladiges, JuS 2012, 54 f.; unklar Becker, JuS 2014, 311 f. der das Vorlie­ gen einer konkludenten Täuschung mit dem Argument verneint, dass es an einem für den Betrug erforderlichen kommunikativen Akt fehle. Seiner Auffassung nach sei das Hervorrufen der Benachrichtigung auf dem Telefondisplay nur ein rein technischer Vorgang ohne Täuschungsqualität. 290  BGH NJW 2014, 2055; OLG Oldenburg wistra 2010, 454; LG Osnabrück CR 2013, 581; LG Hildesheim MMR 2005, 131; Jäger, JA 2014, 631; Kölbel, JuS 2013, 196; Brand / Reschke, NStZ 2011, 381; Bosch, JK 11 / 14 StGB § 263 / 106; Ogorek, myops 2011, 26; Seidl, jurisPR-ITR 20 / 2010 Anm. 3; Ellbogen / Erfurth, CR 2008, 635; Jahn, JuS 2014, 849; Lackner / Kühl, § 263 Rn. 9; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 16 f.; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 55; a. A. Ladiges, JuS 2012,

68 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

nikationsverlangen nur dann gegeben sei, wenn der Anrufer das Telefon mehr als nur einmal klingeln lasse,291 teilt die h. M. nicht. Insbesondere geht sie davon aus, dass der Abbruch der Anrufbemühungen nicht als Dementi des zuvor geäußerten Kommunikationsanliegens aufgefasst werden könne, da für den Angerufenen nicht erkennbar sei, weshalb das Telefon nur einmal geläutet habe.292 Schließlich kämen als Ursachen für ein einmaliges Läuten auch ein Abbruch der Verbindung oder technische Defekte in Betracht. Zu­ dem seien Fälle denkbar, in denen der Angerufene gar nicht in der Lage war, das Anrufsignal wahrzunehmen, beispielsweise weil er sein Telefon stumm­ geschaltet hatte oder es sich nicht in seiner Nähe befand.293 Aus seiner Sicht liege bei einem Ping-Anruf daher stets die Äußerung eines Begehrens nach „ernsthafter inhaltlicher Kommunikation“ vor. Dem könne auch nicht entge­ gengehalten werden, dass sich ein Ping-Anruf rein äußerlich nicht von einem schlichten Verwählen, bei dem ebenfalls keine inhaltliche Kommunikation angestrebt wird, unterscheidet.294 Die Annahme einer Täuschung scheitere im Fall des Verwählens letztlich nur daran, dass der Verwählende kein Ver­ langen nach ernsthafter inhaltlicher Kommunikation erklären wollte. Die von der h. M. getätigte Annahme, in einem Ping-Anruf liege eine kon­ kludente Erklärung über ein tatsächlich nicht bestehendes Verlangen nach ernsthafter inhaltlicher Kommunikation, überzeugt nicht. Denn ein Telekom­ munikationsteilnehmer, der auf seinem Display eine ihm vollkommen unbe­ kannte Nummer wiederfindet, wird für gewöhnlich nicht davon ausgehen, dass der Anrufer mit ihm inhaltlich und ernsthaft kommunizieren wollte.295 Vielmehr wird er auch solche Situationen erwägen, in denen überhaupt keine Kommunikation stattfinden sollte, wie ein schlichtes Verwählen oder ein unbemerkt abgesetzter Anruf infolge einer nicht aktivierten Telefontasten­ sperre. Zwar unterscheiden sich diese Fälle aus der Sicht des Angerufenen rein äußerlich nicht von einem ernstgemeinten Anrufversuch,296 sie sind aber auch nicht so selten, dass nach dem Verständnis der maßgeblichen Verkehrs­ kreise vom Vorliegen eines Verlangens nach ernsthafter inhaltlicher Kommu­ nikation ausgegangen werden kann. Vielmehr wird ein nicht unerheblicher 54 f.; Mayer Lux / Schumann, ZWH 2013, 14; Jahn, JuS 2010, 1120 sowie Becker, JuS 2014, 312. Zweifelnd auch AnwK-Gaede, § 263 Rn. 32; MüKo-Graf, § 202a Rn. 95 Fn. 365 sowie Cornelius, NJW 2014, 2057. 291  Vgl. die Entscheidung der GenStA Celle v. 24.8.2009 – 2 Js 1607 / 09. 292  OLG Oldenburg wistra 2010, 454; LG Osnabrück CR 2013, 581; Kölbel, JuS 2013, 196. 293  OLG Oldenburg wistra 2010, 454; Eiden, Jura 2011, 866. 294  BGH NJW 2014, 2055; OLG Oldenburg wistra 2010, 454; Jäger, JA 2014, 631. 295  Ebenso Mayer Lux / Schumann, ZWH 2013, 14; Ladiges, JuS 2012, 54. 296  OLG Oldenburg wistra 2010, 453.



C. Phänotypik69

Teil der Angerufenen den Rückruf nur tätigen, um sich zu vergewissern, in­ wieweit überhaupt ein Kommunikationsanliegen bestand und nicht, um einen vermeintlichen Wunsch nach inhaltlicher Kommunikation zu entsprechen. Hinzu kommt, dass die Argumentation der h. M. nur in Konstellationen trägt, in denen der Ping-Anrufer auch tatsächlich kein Interesse an inhaltli­ cher Kommunikation hatte. Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen der Ping-Anrufer den Rückruf zur Gesprächsführung verwenden will, beispiels­ weise um ein Produkt oder eine Dienstleistung zu bewerben. In diesem Fall wäre ein durch den Ping-Anruf vermitteltes „Verlangen nach inhaltlicher Kommunikation“ nicht mehr unwahr und die Annahme einer Täuschung nicht mehr möglich.297 Würde man mit der h. M. auf die Äußerung eines ernsthaften Kommunikationsverlangens abstellen, müsste man in solchen Sachverhaltskonstellationen zur Straflosigkeit des Verhaltens gelangen. Dies ist jedoch nicht angemessen, denn über die Strafbarkeit darf nicht entschei­ den, ob der überteuerte Rückruf noch zusätzlich für Werbemaßnahmen oder sonstige Kommunikationszwecke missbraucht wird.298 Dass dieses Problem nicht nur theoretischer Natur ist, zeigen Berichte aus dem wettbewerbsrecht­ lichen Schrifttum, die eine neue Variante von Ping-Anrufen beschreiben, bei denen die Anrufe als Mittel der Kontaktaufnahme für spätere Werbezwecke oder den Abschluss von Fernabsatzverträgen eingesetzt werden.299 Weshalb ein solches Verhalten im Gegensatz zur üblichen Form des Ping-Anrufes straflos bleiben sein soll, ist nicht nachvollziehbar. b) Planmäßiges Ausnutzen einer inhaltlich wahren Erklärung Wohl deshalb untermauern einzelne Autoren und Teile der Rechtsprechung die Annahme einer Täuschung noch zusätzlich mithilfe des subjektiven Täu­ schungsbegriffs aus der Todesanzeigen-Entscheidung300 des BGH.301 Nach diesem Täuschungsverständnis soll der Einsatz einer objektiv wahren Erklä­ rung, welche geeignet ist, einen Irrtum hervorzurufen, dann zur Täuschung werden, wenn dieser planmäßig erfolgt und unter dem Anschein eines äußer­ lich verkehrsgerechten Verhaltens gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt wird.302 Bei Ping-Anrufen soll dies der Fall sein, da es sich die Ini­ auch BeckTKG-Komm / Ditscheid / Rudloff, Vor §§ 66a ff. Rn. 40. Zimmermann, FD-StrafR 2010, 308037. 299  Becker, WRP 2011, 811. 300  BGHSt 47, 1 ff. 301  OLG Oldenburg wistra 2010, 454; Ogorek, myops 2011, 28. 302  BGHSt 47,1 (5); BGH wistra 2001, 386; BGH NStZ-RR 2004, 110; OLG Frankfurt a. M. NJW 2011, 401; vgl. hierzu auch Fischer, § 263 Rn. 28a; Otto, Jura 2002, 607. 297  Ähnlich 298  Ebenso

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tiatoren gezielt zunutze machten, dass die Adressaten aufgrund der situati­ onsbedingt geringen Aufmerksamkeit für Irrtümer besonders anfällig sind.303 In besonderer Weise stelle sich dieses Problem, wenn die Ping-Anrufe zur Weihnachtszeit oder um den Jahreswechsel herum durchgeführt werden.304 Die Anwendung des ohnehin schon sehr streitigen subjektiven Täuschungs­ begriffs ist im Zusammenhang mit Ping-Anrufen nicht unproblematisch. Denn es muss beachtet werden, dass der subjektive Täuschungsbegriff bis­ lang nur im Zusammenspiel mit Sachverhalten Anwendung fand, in denen an einer versteckten Stelle ein eindeutiges Dementi eines zuvor vermittelten unzutreffenden Gesamteindrucks gegeben war.305 Sowohl bei den Abofallen im Internet als auch bei den rechnungsähnlichen Angebotsschreiben waren entweder im Text selbst oder in den beigefügten Allgemeinen Geschäftsbe­ dingungen eindeutige Hinweise auf die Kostenpflichtigkeit des jeweiligen Internetdienstes bzw. auf den Angebotscharakter der zugesandten Schreiben enthalten.306 Auch im Schuldenregulierungsfall ergab sich aus der vorange­ gangenen telefonischen Korrespondenz, dass eine Kreditvermittlung in Wirk­ lichkeit nicht erfolgen sollte. Bei Ping-Anrufen ist die Situation jedoch eine andere: Zumindest wenn man mit der h. M. auf die Täuschung über ein tat­ sächlich nicht bestehendes inhaltliches Kommunikationsverlangen abstellt, wird man ein unmittelbares und eindeutiges Dementi eines zuvor vermittel­ ten Gesamteindrucks nicht ohne Weiteres annehmen können.307 Bei den Ping-Anrufen fehlt es gerade an einem versteckt angebrachten eindeutigen Hinweis auf das fehlende Verlangen nach ernsthafter inhaltlicher Kommuni­ kation und damit an der Klarstellung eines unzutreffenden Gesamteindrucks. Im Gegensatz zu den bekannten Konstellationen der Täuschung durch wahre Tatsachenbehauptungen müssen die Angerufenen diesen Umstand deshalb erst mühsam aus der hinterlassenen Rufnummer und ihren – möglicherweise gar nicht vorhandenen  – Kenntnissen über Mehrwertdienstvorwahlen und deren Gebührenstrukturen ableiten. Die Initiatoren der Ping-Anrufe brauchen daher nicht nur darauf zu hoffen, dass die Angerufenen den Rückruf ohne 303  OLG Oldenburg wistra 2010, 454; krit. hierzu Jahn, JuS 2010, 1120 sowie Mayer Lux / Schumann, ZWH 2013, 13. 304  OLG Oldenburg wistra 2010, 454. 305  SK-Hoyer, § 263 Rn. 45. 306  Auch bei der den Ping-Anrufen grundsätzlich sehr nahestehenden Konstella­ tion der vermeintlichen Liebeserklärungen per SMS, die den Empfänger zum Anruf bei einer kostenintensiven Mehrwertdienstnummer animieren sollen, wird an einer nicht unmittelbar sichtbaren Stelle noch in der SMS auf die anfallenden Verbindungs­ kosten hingewiesen. Eingehend zu dieser Vorgehensweise Jaguttis / Parameswaran, NJW 2003, 2277 ff.; vgl. auch GenStA Frankfurt a. M. MMR 2003, 269 m. Anm. Breyer. 307  Vgl. hierzu auch Ladiges, JuS 2012, 54 f. und Jahn, JuS 2010, 1120.



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Ansehen der Nummer veranlassen, sondern sie können auch darauf spekulie­ ren, dass ein Teil  der Angerufenen die Mehrwertdienstvorwahl gar nicht kennt und daher selbst nach eingehender Betrachtung der vollständigen Ruf­ nummer einen Rückruf tätigt, ohne sich dabei über die höheren Kosten be­ wusst zu sein.308 Die Ping-Anrufe unterscheiden sich damit kaum von ge­ wöhnlichen Betrugskonstellationen, bei denen die Täuschung mit einiger Anstrengung in der Regel ebenfalls erkennbar ist. Beispielsweise hätte ein Gebrauchtwagenkäufer die Möglichkeit einen unzutreffend angegebenen Ki­ lometerstand anhand der Abnutzung der Pedalkappen oder an anderen sicht­ baren Verschleißerscheinungen auszumachen. Allein wegen der abstrakten Erkennbarkeit der Täuschung von einer „Täuschung durch wahre Tatsachen“ zu sprechen, geht daher fehl. Die Anwendung des subjektiven Täuschungsbegriffs sollte daher erst recht unterbleiben, wenn die zugrunde liegenden Sachverhaltskonstellationen nicht vergleichbar sind.309 Dies gilt umso mehr, solange keine verlässlichen Ab­ grenzungskriterien existieren, mit denen die Täuschung durch wahre Tatsa­ chen von den anderen Varianten des Betruges unterschieden werden kann. c) Täuschung über die Herkunft des Anrufs Einige Stimmen in Rechtsprechung und Literatur sehen die Täuschung zudem in einer konkludenten Erklärung über die wahre Herkunft des Anrufs, da die Ping-Anrufer statt ihrer tatsächlichen Rufnummer eine Mehrwert­ dienstnummer hinterlassen und so die unzutreffende Botschaft kommunizier­ ten, der Anruf sei vom Anschluss mit der übertragenen Nummer ausgegan­ gen.310 Jedoch überzeugt auch diese Auffassung nicht. Denn das Vorliegen einer konkludenten Täuschung setzt nach ganz h. M. voraus, dass das Ge­ samtverhalten nach der Verkehrsanschauung als stillschweigende Erklärung über eine bestimmte Tatsache zu verstehen ist.311 Die Übermittlung einer 308  Eiden,

Jura 2011, 867; Zimmermann, FD-StrafR 2010, 308037. hier Ladiges, JuS 2012, 54 f.; ähnlich auch Jahn, JuS 2010, 1120. Im Zu­ sammenhang mit Ping-Anrufen kann man allenfalls dann von einer Täuschung durch wahre Tatsachen sprechen, wenn man in ihnen aufgrund der normativen Vorstruktu­ rierung des Erklärungsgehalts eine Täuschung über die Höhe der Rückrufkosten sieht. Denn in diesem Fall erschließt sich einem kundigen Telefonnutzer aus der Rufnum­ mernstruktur und der verwendeten Mehrwertdienstvorwahl, dass ein Rückruf nicht zu den gewöhnlichen Telefongebühren durchgeführt werden kann. 310  LG Osnabrück CR 2013, 582; Cornelius, NJW 2014, 2057; Kölbel, JuS 2013, 196; Ellbogen / Erfurth, CR 2008, 635; Seidl, JurisPR-ITR 20 / 2010 Anm. 3; a. A. BGH NJW 2014, 2055. 311  BGHSt 47, 1 (3); BGH NJW 2014, 2055; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 14 / 15; v. Heintschel-Heinegg, JA 2014, 790; Jäger, BT, Rn. 318 m. w. N. 309  Wie

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Rufnummer müsste folglich aus der Sicht eines Telefonnutzers stets auch die Erklärung beinhalten, dass der Anruf von einem Telefonanschluss stammt, dem auch diese konkrete Rufnummer zugeordnet ist. Dies kann man aller­ dings mit guten Gründen in Zweifel ziehen. Zumindest bei gewerblichen Anrufern ist es nicht unüblich, statt der konkreten Durchwahl nur die Num­ mer einer Telefonzentrale oder eines Call-Centers zu übermitteln. Daher ist die Annahme, dass eine hinterlassene Nummer nach dem Verständnis der maßgeblichen Verkehrskreise mit der Anschlussnummer des eigentlichen Anrufers gleichzusetzen sei, zu weitgehend. Naheliegend ist vielmehr, dass die Angerufenen  – falls sie überhaupt Überlegungen zum technischen Ur­ sprung des Telefonanrufs anstellen  – beim Vorfinden einer ihnen unbekann­ ten Nummer auch die Möglichkeit miteinbeziehen, dass der Rückruf nicht zu dem Anschluss führt, von dem der ursprüngliche Anruf abgesetzt wurde. Aber selbst wenn man mit einigen Stimmen in Rechtsprechung und Lite­ ratur in dem Hinterlassen der unzutreffenden Nummer die maßgebliche Täuschungshandlung sehen würde, stellte sich das Problem, dass der Betrug neben dem Vorliegen der objektiven Tatbestandsmerkmale auch deren jewei­ lige kausale Verknüpfung voraussetzt.312 Das heißt, dass unter anderem auch der Irrtum kausal für die Vermögensfügung sein muss. Vor diesem Hinter­ grund ist es jedoch problematisch, wenn man im Rahmen der Täuschung auf die fehlende Identität von Anschlussnummer und hinterlassener Rufnummer rekurriert. Denn der Irrtum über die technische Herkunft des Anrufs ist für die Vermögensverfügung in Gestalt des Rückrufs nicht kausal.313 Ein Ur­ sächlichkeitszusammenhang bestünde nämlich nur dann, wenn die Betroffe­ nen die Nummer deshalb zurückriefen, weil sie sich in einem Irrtum darüber befinden, dass der Anruf von der angezeigten Mehrwertdienstnummer abge­ setzt worden ist. Die Betroffenen müssten also, in anderen Worten ausge­ drückt, den Rückruf deshalb tätigen, weil sie irrtümlicherweise davon ausge­ hen, dass sie von einem Mehrwertdienstanschluss und nicht von einem ge­ wöhnlichen Telefonanschluss aus angerufen wurden. Dies ist jedoch fernlie­ gend. Denn niemand wird einen Rückruf durchführen, weil er der Fehlvorstellung unterliegt, von einer kostenintensiven 0900er-Nummer ange­ rufen worden zu sein. In der Rufnummernabweichung die maßgebliche Täu­ schungshandlung zu sehen, geht daher fehl. Letztlich ist der Umstand, dass nicht die richtige Anschlussnummer übertragen wird, nur der Tatsache ge­ schuldet, dass es technisch nicht möglich ist, von einem Mehrwertdienstan­ schluss Anrufe zu initiieren. Betrugsqualität hat dies jedoch nicht. Kudlich / Oğlakcioğlu, § 7 Rn. 207. auch BGH NJW 2014, 2055, der eine konkludente Täuschung über die Rufnummernidentität ebenfalls ablehnt, da die „rein technische Herkunft des Anrufs für die Angerufenen ohne Bedeutung [sei]“. 312  Hierzu

313  Ähnlich



C. Phänotypik

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d) Täuschung durch Unterlassen Da sich bei Ping-Anrufen die Täuschung nicht über eine (konkludente) Täuschung über die Herkunft des Anrufs, ein Kommunikationsverlangen oder den subjektiven Täuschungsbegriff begründen lässt, wird vereinzelt an­ genommen, dass Ping-Anrufe nur über eine Unterlassungstäterschaft zu er­ klären seien.314 Die maßgebliche Täuschungshandlung ist nach diesem Kon­ zept in der unterlassenen Aufklärung über die anfallenden Gebühren zu se­ hen.315 Die nach § 13 StGB zu fordernde Aufklärungspflicht soll sich dabei aus dem Telekommunikationsgesetz (TKG) ergeben, welches in seinen §§ 66a ff. Aufklärungs- und Ansagepflichten für bestimmte Mehrwertdienste statuiert.316 Nach diesen Vorschriften hat ein Anbieter, der gegenüber End­ nutzern Premium-, Auskunfts-, Massenverkehrs-, Service-, Kurzwahl- oder sog. Neuartige Dienste anbietet oder dafür wirbt, den für die Inanspruch­ nahme des Dienstes zu zahlenden Preis anzugeben.317 Da im Falle eines Ping-Anrufs eine solche Preisangabe nicht möglich ist, weil der Anrufende den Inhalt der vom Telefon des Endnutzers generierten Benachrichtigung nicht beeinflussen kann, sollen für Ping-Anrufe vornehmlich die in § 66b TKG enthaltenen Regelungen relevant sein.318 Nach dieser Vorschrift ist ein Anbieter der vorgenannten Dienste verpflichtetet, vor Beginn der Entgelt­ pflichtigkeit den für die Inanspruchnahme des Dienstes zu zahlenden Preis anzusagen, wobei die Preisansage spätestens drei Sekunden vor Beginn der Entgeltpflichtigkeit unter Hinweis auf den Zeitpunkt des Beginns derselben abzuschließen ist. Allerdings ist zu beachten, dass nach § 66b Abs. 1 S. 4 TKG eine solche Verpflichtung für bestimmte Formen von Mehrwertdiensten, namentlich sprachgestützte Auskunftsdienste sowie Kurzwahlsprachdienste i. S.d §§ 3 Nr. 2a, 3 Nr. 11c TKG, nur besteht, wenn das Entgelt einen Betrag von 2  € pro Minute oder pro Inanspruchnahme im Falle einer zeitunabhängigen Tari­ fierung übersteigt. Es stellt sich somit die Frage, ob sich aus diesen Vor­ schriften auch dann eine Garantenpflicht ergeben soll, wenn sich der Täter dieser speziellen Art der Mehrwertdienste bedient und dabei die Preisschwelle von 2  € pro Abrechnungseinheit nicht überschreitet.319 Der Begründungsan­ 314  Zimmermann,

15.

315  Mayer

FD-StrafR 2010, 308037; Mayer Lux / Schumann, ZWH 2013,

Lux / Schumann, ZWH 2013, 14. FD-StrafR 2010, 308037; Mayer Lux / Schumann, ZWH 2013,

316  Zimmermann,

15.

hierzu Spindler / Schuster / Sodtalbers, § 66a TKG Rn. 1 ff. Eiden, Jura 2011, 866; Mayer Lux / Schumann, ZWH 2013, 16. 319  Für eine solche Verengung der Betrugsstrafbarkeit Mayer Lux / Schumann, ZWH 2013, 16. 317  Eingehend 318  Vgl.

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satz über eine Unterlassungstäterschaft führt somit zu erheblichen praktischen Problemen und ggf. auch zu Strafbarkeitslücken. Auch in dogmatischer Hin­ sicht ist er nur von beschränkter Überzeugungskraft, da eine Aufklärungs­ pflicht aus Gesetz nach ganz h. M. weit mehr voraussetzt als einen bloßen Verstoß gegen eine außerstrafrechtliche Norm, selbst wenn diese Anzeige-, Mitteilungs- oder Offenbarungspflichten statuiert.320 Vielmehr muss die ver­ letzte gesetzliche Bestimmung auch vermögensrelevant sein.321 Inwieweit den §§ 66a und  b TKG eine solche Vermögensrelevanz zukommt, ist aller­ dings zweifelhaft.322 Hinzu kommt, dass ein Betrug durch Unterlassen nur dann in Betracht kommt, wenn keine ausdrückliche oder konkludente Täu­ schung vorliegt.323 Sofern aber ein aktives Verhalten des Täters gegeben ist, dem ein irreführungsgeeigneter Erklärungswert zukommt, scheidet ein Be­ trug durch Unterlassen aus.324 Dementsprechend muss zunächst danach ge­ fragt werden, ob eine Täuschung nicht doch auf anderem Wege begründet werden kann. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf den Aspekt der Täuschung über die Höhe der Rückrufkosten und der Täuschung über einen erfolglosen Anrufversuch einzugehen. e) Täuschung über die Höhe der Rückrufkosten Richtigerweise wird man mit einer jüngeren Entscheidung des BGH im Hinterlassen der Mehrwertdienstnummer eine Täuschung darüber erblicken müssen, dass der Rückruf zu gewöhnlichen Telefonkosten durchgeführt wer­ den kann.325 Jedoch wird man dies nicht allein darauf stützen können, dass die Initiatoren den Mehrwertdienstnummern Präfixe vorschalten oder die „0137“ Mehrwertdienstvorwahl verwenden, die herkömmlichen Orts- oder Mobilfunkvorwahlen gleicht. Denn bei den Rufnummern mit der Vorwahl „0137“ handelt es sich um Rufnummern, die die Bundesnetzagentur eigens für sog. Massenverkehrsdienste zu bestimmten Zeiten (MABEZ) zur Verfü­ gung gestellt und für die sie nach § 67 Abs. 2 TKG den Preis im Festnetz festgelegt hat.326 Da es sich also um eine Rufnummernvorwahl handelt, die speziell für eine bestimmte Form eines Mehrwertdienstes vorgesehen ist, 320  Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 21; Eiden, Jura 2011, 866; SSW-Satzger, § 263 Rn. 85. 321  MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 162. 322  Ebenso Eiden, Jura 2011, 866. 323  BGH NJW 2007, 785; SSW-Satzger, § 263 Rn. 80; Wessels / Hillenkamp, BT 2, Rn. 504. 324  SSW-Satzger, § 263 Rn. 80; AnwK-Gaede, § 263 Rn. 37. 325  BGH NJW 2014, 2055; Bosch, JK 11 / 14 StGB § 263 / 106; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 119; ähnlich auch Kölbel, JuS 2013, 196. 326  BeckTKG-Komm / Ditscheid, § 3 Rn. 38.



C. Phänotypik

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wird man allein aus ihrer Verwendung noch keine Täuschung ableiten kön­ nen. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die zum Einsatz kommende MABEZ-Vorwahl gewisse Ähnlichkeiten zu bestimmten Mobilfunk- oder Ortsvorwahlen aufweist. Denn die Bundesnetzagentur hatte eine solche Vor­ wahl offensichtlich nicht als irreführungsgeeignet angesehen. Vergleichbares gilt auch hinsichtlich der Voranstellung der üblichen Länderkennung „+49“ für Anrufe aus deutschen Telefonnetzen. Der BGH hat allerdings vor wenigen Jahren zutreffend festgestellt, dass bei der Ermittlung des Aussagegehalts einer stillschweigenden Erklärung auch die normative Vorstrukturierung des Erklärungsinhalts zu berücksichti­ gen ist, wenn einer schlüssigen Erklärung aufgrund eines Gesetzes oder einer Vereinbarung ein bestimmter Gehalt zugewiesen wird.327 Da es nach heutiger Rechtslage nach § 66k TKG unzulässig ist, deutsche Rufnummern für Aus­ kunftsdienste, Massenverkehrsdienste, Neuartige Dienste oder Premium­ dienste sowie Nummern für Kurzwahlsprachdienste als Anrufernummer zu übermitteln, ergibt sich beim Ping-Anruf der schlüssige Erklärungsinhalt, dass mit einem Rückruf keine erhöhten Telefonkosten verbunden sind.328 In Altfällen, wie jenem Fall, den der BGH konkret zu entscheiden hatte, hilft dies jedoch nicht weiter. Denn die Regelung in § 66k TKG ist erst mit dem Gesetz zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften329 zum 1.9.2007 in Kraft getreten. Bedenklich ist es jedenfalls, wenn der BGH in diesen Fällen die normative Vorstrukturierung des Erklärungsgehalts aus ei­ ner vertraglichen Regelung zwischen den Ping-Initiatoren und den Telekom­ munikationsunternehmen ableiten will, nach der eine Selbstverpflichtung der Telekommunikationsunternehmen, welche Ping-Anrufe für unzulässig erklärt, zum Vertragsgegenstand gemacht wird.330 Im Gegensatz zu einer gesetzli­ chen Regelung, die für jedermann einsehbar ist, ist eine im Verborgenen ge­ haltene vertragliche Vereinbarung nämlich nicht in der Lage, das Verständnis der maßgeblichen Verkehrskreise  – in diesem Fall die Auffassung der ange­ rufenen Personen – zu beeinflussen.331 327  BGH NJW 2014, 2055; ebenso Jäger, JA 2014, 631; krit. dagegen  Jahn, JuS 2014, 849. 328  BGH NJW 2014, 2055. 329  BGBl. I 2007, 106. Das Gesetz sollte insbesondere dazu dienen, Ping-Anrufe wirksamer zu unterbinden, s. hierzu BT-DrS. 16 / 2581, 32 f. 330  So aber BGH NJW 2014, 2055; Jäger, JA 2014, 631 schlägt deshalb vor, die Definition der konkludenten Täuschung von Kindhäuser (NK, § 263 Rn. 110) zu­ grunde zu legen, nach der immer Bestandteil des konkludent Miterklärten ist, dass alles, was in einem „logischen, empirischen oder normativen Widerspruch“ zum Er­ klärungsinhalt steht, nicht vorliegt. Bestandteil der Verursachung einer Rufnummern­ anzeige sei daher stets, dass es sich nicht um eine Mehrwertdienstnummer handelt, da von einer solchen keine Anrufe getätigt werden können. 331  Ähnlich auch Jäger, JA 2014, 631.

76 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

f) Täuschung über einen erfolglosen Anrufversuch Insbesondere in Altfällen, die sich vor dem Inkrafttreten des § 66k TKG in seiner heutigen Form ereigneten, wird man daher nach weiteren Lösungen für die Begründung einer Täuschungshandlung suchen müssen. Hierbei ist es am überzeugendsten, in dem Ping-Anruf eine konkludente Täuschung über einen erfolglosen Anrufversuch zu sehen.332 Durch das Anpingen erklärt der Ping-Anrufer nach der maßgeblichen Verkehrsanschauung, den Aufbau einer Telefonverbindung versucht zu haben. Diese konkludente Erklärung ist auch unwahr, da die Ping-Anrufer nie am Aufbau einer Telefonverbindung interes­ siert waren. Dieser Anknüpfungspunkt bietet im Vergleich zu der Auffassung, die in dem Ping-Anruf eine Erklärung über das Vorliegen eines inhaltlichen Kommunikationsverlangens erblickt, den Vorteil, dass sie den Bedeutungsge­ halt des Hervorrufens einer Benachrichtigung über einen entgangenen Anruf nicht überdehnt. Diese Sichtweise entspricht auch mehr der Lebenswirklich­ keit und den Vorstellungen der Angerufenen, die beim Vorfinden einer ihnen vollkommen unbekannten Nummer gerade nicht davon ausgehen werden, dass jemand mit ihnen ernsthaft und inhaltlich kommunizieren wollte. Zu­ dem ist die Strafbarkeit in diesem Fall nicht davon abhängig, inwieweit der Rückruf lediglich zu einer Bandansage führt oder von einem Menschen be­ antwortet wird. Somit können die Ping-Anrufer einer Strafbarkeit nicht mehr dadurch entgehen, dass sie den ohnehin schon überteuerten Rückruf noch zu Werbezwecken einsetzen.

II. Übertreibende Anpreisungen und marktschreierische Reklame Die Frage nach der Einbeziehung des Einfältigen in den Schutzbereich des § 263 StGB stellt sich neben den Fällen der Täuschung durch wahre Tatsachen vor allem auch im Zusammenhang mit übertreibenden Werbeanpreisungen und marktschreierischer Reklame. Rechtspolitisch ist dies deshalb von beson­ derer Bedeutung, weil sich die Förderung des Absatzes von Waren und Dienst­ leistungen heute weitestgehend nur noch über Werbemaßnahmen erzielen lässt.333 Daher sehen wir uns in unserem Alltag fast täglich mit ihnen konfron­ tiert. Die Töne, die hierbei angeschlagen werden, sind nicht immer leise und bescheiden, sondern mitunter laut und aggressiv. Insbesondere übertreibende Behauptungen nehmen in der Werbung seit jeher eine zentrale Stellung ein.334 332  A. A. Mayer Lux / Schumann, ZWH 2013, 14, die hierin lediglich eine straflose Vorbereitungshandlung sehen. 333  Kilian, S. 13; Eick, S. 11. 334  SSW-Satzger, § 263 Rn. 23; Müller-Christmann, JuS 1988, 110.



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Und so werden bei der Anpreisung von Waren wahre Wunder versprochen, welche sich im besten Falle als schlichte Übertreibung der tatsächlichen Pro­ dukteigenschaften entpuppen, schlechtesten Falles aber dreiste Lügen sind.335 Im Fernsehen und auf Jahrmärkten werden Messer angepriesen, die angeblich mit Leichtigkeit Gefrorenes schneiden können und sogar in der Lage sein sol­ len, Hammerstahl zu zersägen. Autopflegeprodukte werden mit der Behaup­ tung beworben, dass sie den Fahrzeuglack nicht nur gegen Schmutz und Vo­ gelkot, sondern auch gegen Feuer und die Einwirkung hochprozentiger Säure schützen. Die Grenzen der Physik scheinen dabei mühelos überwindbar. Ein durchschnittlicher Zuseher, der Werbung durchaus kritisch begegnet, wird den Inhalt dieser Verkaufsshows als unglaubwürdigen Nonsens abtun und ihm keine größere Bedeutung beimessen. Es mag aber auch Fälle geben, in denen besonders leichtgläubige oder einfältige Menschen diese Art der marktschrei­ erischen Reklame nicht als Übertreibung durchschauen und sie deshalb allzu wörtlich nehmen. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob der Werbende einen Betrug begeht, sobald nur ein Verbraucher, der den abenteuerlichen Anprei­ sungen Glauben schenkt, das Produkt erwirbt. Da nach der h. M. auch die Leichtgläubigen und Einfältigen unter dem Schutz des § 263 StGB stehen sollen,336 müsste die Antwort eigentlich auf der Hand liegen. Nähme man die­ sen Grundsatz beim Wort, wäre in einer übertreibenden oder marktschreieri­ schen Reklame eine tatbestandsrelevante Täuschung zu sehen, sofern sie auch nur von einem einzigen Verbraucher für bare Münze genommen wird. Als Korrektiv würde demnach einzig das Schadensmerkmal verbleiben, welches diese Rolle aufgrund seiner zunehmend extensiven Interpretation jedoch nur bedingt ausfüllen kann.337 Eine umfassende Kriminalisierung übertreibender Anpreisungen und marktschreierischer Reklame hätte jedoch die unangenehme Konsequenz, dass die Werbung, die in einer freien und auf wirtschaftliche Expansion aus­ gelegten Marktwirtschaft unverzichtbar ist, faktisch unmöglich gemacht werden würde.338 Schließlich ist das Mittel der Übertreibung und die Ver­ wendung von Superlativen der Werbung geradezu immanent.339 Selbst große und angesehene Unternehmen bewerben ihre Produkte mit Aussagen wie 335  Thomma,

S. 273. hierzu Kapitel 1 B. 337  Vgl. nur den Melkmaschinenfall, BGHSt 16, 321. Die im Melkmaschinenfall entwickelte Rechtsfigur des persönlichen Schadenseinschlags wird nicht zuletzt vor dem Hintergund der BVerfG-Rechtsprechung zur Berücksichtigung normativer As­ pekte bei der Schadensbewertung mittlerweile auch vom BGH problematisch gese­ hen. Eine abschließende Stellungnahme des BGH steht jedoch noch aus, vgl. BGH JA 2014, 875 mit Anm. Jäger. 338  Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 22; Göbel, S. 117. 339  SSW-Satzger, § 263 Rn. 23; Müller-Christmann, JuS 1988, 110. 336  Vgl.

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„das beste Waschmittel der Welt“ oder „die meistgelesene Illustrierte“,340 obwohl es mitunter wirksamere Waschmittel geben mag oder andere Zeit­ schriften auf einen größeren Leserkreis blicken können. Insofern verwundert es nicht, dass im Ergebnis nahezu Einigkeit darüber besteht, dass die über­ treibende und marktschreierische Reklame aus dem Betrugstatbestand auszu­ scheiden ist.341 Nach herkömmlicher Auffassung soll die Ausscheidung sozialüblicher re­ klamehafter Anpreisungen in erster Linie durch den Tatsachenbegriff bewerk­ stelligt werden.342 Unter dem Begriff der Tatsache versteht man nach gängiger Definition „alle konkreten vergangenen oder gegenwärtigen Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt und des menschlichen Innenlebens […], die sinnlich wahrnehmbar oder zumindest empirisch überprüfbar und damit dem Beweis grundsätzlich zugänglich sind“.343 Der Betrug verlangt nach dem Ge­ setzeswortlaut, dass der Täter durch Vorspiegelung falscher oder durch Ent­ stellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt. Auch wenn der Gesetzeswortlaut insoweit zu Recht als missglückt bezeichnet wird, weil eine Tatsache als solche weder falsch noch unwahr sein kann,344 kann eine Werbebotschaft nur dann in den Anwendungsbereich des § 263 StGB fal­ len, wenn sie eine falsche Behauptung über Tatsachen enthält.345 Bei markt­ schreierischer Reklame und übertreibenden Anpreisungen soll es sich nach h. M. indes regelmäßig nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern nur um die Kundgabe von Werturteilen handeln.346 Dennoch wird es grundsätzlich für möglich erachtet, dass auch Werbeaussagen ­Betrugsrelevanz erlangen können. Namentlich soll dies dann der Fall sein, wenn sie einen greifbaren und rele­ vanten Tatsachenkern enthalten oder den Produkten wahrheitswidrig eine be­

340  Zu diesen Beispielen SK-Hoyer, § 263 Rn. 18; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 14; Wessels / Hillenkamp, BT 2, Rn. 495; Hennings, S. 90. 341  Hecker, Produktwerbung, S. 221; Thomma, S. 278; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 22 jeweils m. w. N. 342  BGH JR 2005, 35; Sonnen, JA 1987, 213; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 22; Eisele, BT II, Rn. 522; Fischer, § 263 Rn. 10; krit. hierzu Ellmer, S. 90; Hecker, Produktwerbung, S. 220 ff.; Hennings, S. 91 f.; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 194. Hilgendorf, Tatsachenaussagen, S. 192 ff., möchte übertreibende Werbeaussagen ebenfalls über den Tatsachenbegriff aus dem Anwendungsbereich des § 263 StGB herausnehmen. Jedoch spricht er sich dafür aus, den Begriffen „Tatsachenbehaup­ tung“, „Werturteil“ und „Meinungsäußerung“ einen anderen Inhalt zu geben, um so die bestehenden dogmatischen Inkonsistenzen der h. M. zu bereinigen. 343  Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 8. 344  Hecker, Produktwerbung, S. 219; Heim, S. 105; Haft / Hilgendorf, BT  I, S. 83; Geisler, NStZ 2002, 88. 345  Hecker, Produktwerbung, S. 218. 346  Kudlich / Oğlakcioğlu, § 7 Rn. 211; Heghmanns, BT, Rn. 1193.



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sondere Eigenschaft zugesprochen wird.347 Die Grenzen sind dabei durchaus fließend und eine klare Abschichtung gestaltet sich als schwierig.348 Maßgeb­ lich für die Einordnung sollen vor allem der Grad der Bestimmtheit, die Form der Äußerung und die Eigenart der jeweiligen Rechtsbeziehung sein.349 Auch die jeweilige Verkehrsanschauung, die freilich einem stetigen Wandel unter­ liegt, soll für die Frage, ob die jeweilige Werbeaussage noch einen greifbaren, dem Beweis zugänglichen Tatsachenkern besitzt, entscheidende Bedeutung haben.350 Teils wird Werbeanpreisungen die Tatsacheneigenschaft auch mit dem Argument abgesprochen, dass diese nicht ernstgemeint seien bzw. dass die Verkehrsanschauung sie nicht als ernsthafte Behauptungen begreife.351 Letztlich ist die Abgrenzung von Tatsachenaussagen und Werturteilen im Be­ reich der Werbung aber von einer kaum noch zu überblickenden Kasuistik geprägt.352 Slogans wie „die meistgekaufte Rasierklinge der Welt“, das „beste Waschmittel der Welt“, „die meistgelesene Illustrierte“ sollen mangels Vor­ handenseins eines Tatsachenkerns keine Tatsachenbehauptungen darstellen.353 Gleiches gelte für die Behauptung eines Marktschreiers, seine Apfelsinen seien „nicht nur die billigsten im ganzen Land, sondern verliehen auch ewige Jugend und Schönheit“.354 Dagegen sollen die wahrheitswidrige Behauptung, ein Produkt sei aufgrund seiner Eigenschaften „konkurrenzlos“ oder die Aus­ sage, ein zum Verkauf stehendes Unternehmen habe „dokumentiert Aufträge in einem erheblichen Umfang“ erhalten, durchaus als tatbestandsrelevante Tatsachenbehauptungen einzuordnen sein, da ihnen ein greifbarer Tatsachen­

347  Müller-Christmann, JuS 1988, 109; Kindhäuser, BT II, § 27 Rn. 8; Sonnen, JA 1987, 213; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 9; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 22; SSW-Satzger, § 263 Rn. 24; Eisele, BT II, Rn. 522; SK-Hoyer, § 263 Rn. 18; Kudlich / Oğlakcioğlu, § 7 Rn. 211. 348  Hennings, S. 91; Vergho, Verbrauchererwartung, S. 306; Thomma, S. 278; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 9; Müller-Christmann, JuS 1988, 109; Vergho, Verbrauchererwartung, S. 304. 349  Maurach / Schroeder / Maiwald, § 41 Rn. 33; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 22. 350  MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 80; Vergho, Verbrauchererwartung, S. 306; Müller-Christmann, JuS 1988, 110; Otto, BT, § 51 Rn. 10. 351  BGH wistra 1992, 256; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 88; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 9; SSW-Satzger, § 263 Rn. 23; Müller-Christmann, JuS 1988, 110; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 88; LPK-Kindhäuser, § 263 Rn. 60; krit. Ellmer, S. 91, der in dem Kriterium der Ernsthaftigkeit zu Recht ein reines Scheinargument sieht, da dem Werbetreibenden die angestrebte Beeinflussung potentieller Käuferschichten im­ mer nur dann gelingen kann, wenn seine Werbeaussagen auch ernstgenommen wer­ den. 352  Vgl. auch HWSt-Janssen, 3. Aufl., V 1 Rn. 21. 353  Vgl. auch die ausführliche Kritik bei Ellmer, S. 91. 354  Samson, JA 1978, 471.

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kern innewohne bzw. ihnen wahrheitswidrig eine besondere Eigenschaft zuge­ sprochen worden sei.355 Besondere Beachtung hat in diesem Zusammenhang insbesondere eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1986 erlangt, die es als „HaarverdickerFall“356 zu einiger Berühmtheit gebracht hat.357 Nach dem dort festgestellten Sachverhalt warb der Angeklagte für Verjüngungs- und Abmagerungsmittel sowie für „Haarverdicker“ und „Nichtraucherpillen“ und organisierte deren Vertrieb. Die Produkte verkaufte er zu Preisen zwischen 46,50  DM bis 76,00 DM „ohne jedes Risiko“ per Nachnahme zuzüglich der Versandkosten. Zudem räumte er seinen Kunden ein „Rückgaberecht innerhalb von 14 Tagen mit voller Geldzurückgarantie“ ein. Dabei ging er von einer relativ geringen Retourenquote aus, die letztendlich tatsächlich bei nur etwa 10 % aller Be­ stellungen lag. Mit seinen Werbemaßnahmen wendete sich der Angeklagte gezielt an bildungsfernere Personen mit einem verhältnismäßig geringen Haushaltseinkommen. Dabei sprach er seinen Produkten allesamt Wirkungen zu, die sie in Wahrheit gar nicht hatten. Seine Anpreisungen waren dabei zum Teil so abenteuerlich, dass er es selbst nicht für möglich gehalten hatte, dass jemand darauf hereinfallen würde. So sollte ein „Hollywood-LiftingBad“, das angeblich aus „taufrischem Frischzellenextrakt“ bestand, in nur zwölf Anwendungen schlank, straff und jung formen und das „mit 100 %iger Figurgarantie“. Er gab an, dass einige Testpersonen sogar festgestellt hätten, „um herrliche zehn, fünfzehn oder mehr Jahre verjüngt“ und zur Figur eines Filmstars geliftet worden zu sein. Eine „Schlank-Pille M-E-D 300“ pries er damit an, dass man sogar reichlich essen müsse, um „damit die ungeheure Fettabschmelzkraft“ durch die Zufuhr von Nahrungsmitteln wieder auszu­ gleichen. Ein weitgehend wirkungsloses Haartonikum namens „Haarverdi­ cker-Doppelhaar“ sollte nach seiner Reklame das Haar binnen zehn Minuten verdoppeln und dabei auch Schuppen, Flechten, fettiges oder zu trockenes Haar mit 100 %iger Garantie beseitigen. Auch andere von ihm angebotene Produkte bewarb der Angeklagte in dieser reißerischen Form. Der BGH vertrat im Haarverdicker-Fall die Auffassung, dass der Ange­ klagte trotz marktschreierischer Reklame nicht lediglich ein persönliches Werturteil abgegeben, sondern durch seine Werbeanzeigen über nachprüfbare Tatsachen getäuscht habe.358 Durch die Täuschung über die Wirksamkeit der 355  OLG

Frankfurt a. M. wistra 1986, 34. 34, 199 ff. 357  Bottke, JR 1987, 428, spricht sogar von einem der „leading cases“ strafrechtli­ cher Betrugsdogmatik. 358  BGHSt 34, 199 (201); ebenso Zieschang, JA 2008, 193; krit. jedoch Hilgendorf, Tatsachenaussagen, S. 194, der Fälle dieser Art aus dem Tatbestand des § 263 StGB herausnehmen möchte. 356  BGHSt



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zwar harmlosen, aber auch wirkungslosen Präparate sei bei den Bestellern ein entsprechender Irrtum erregt worden. Es sei anzunehmen, dass die Kun­ den den Werbeanzeigen des Angeklagten Glauben schenkten und im Kern davon ausgingen, die Präparate würden die versprochenen – wenn auch über­ trieben geschilderten – Wirkungen zeitigen.359 Dies gelte umso mehr, als ein wissenschaftlicher oder fachmännischer Hintergrund behauptet, eine erfolg­ reiche Benutzung des Mittels durch Testpersonen vorgespiegelt und zudem eine „100 %ige Garantie“ gegeben wurden. Auch seien die Täuschung und der darauf beruhende Irrtum durch das Rückgaberecht mit der Geldzurückga­ rantie noch verstärkt worden, weil die Besteller hierdurch in den Glauben versetzt wurden, dass sich der Aufwand für den Verkäufer nur lohne, wenn das Mittel wenigstens im Normalfall wirke und die Retourenquote entspre­ chend gering sei.360 Auch auf die Frage der Erkennbarkeit der Täuschung bei hinreichend sorgfältiger Prüfung sowie die Leichtgläubigkeit der Konsumen­ ten ging der BGH ein, verneinte aber deren Relevanz für den Betrugstatbe­ stand.361 Diese spielten nach seiner Auffassung für die Irrtumserregung ebenso wenig eine Rolle, wie das vom Angeklagten eingeräumte Rücktritts­ recht.362 Einen vergleichbaren Fall hatte einige Jahre zuvor das OLG Köln zu ent­ scheiden.363 In diesem hatte der Angeklagte nach dem bekannten Muster in Zeitschrifteninseraten unter abenteuerlichsten Behauptungen Werbung für diverse Produkte gemacht, die er über eine von ihm betriebene Versandfirma vertrieb. So sollte u. a. ein von ihm angebotenes Massagegerät überflüssiges Fett bereits durch einfache Berührung innerhalb weniger Minuten verschwin­ den lassen. Seinen Kunden machte der Angeklagte weis, dass der Blutkreis­ lauf durch den Gebrauch des Geräts derart stark in Erregung gebracht werde, dass die Fettpolster hierdurch verbraucht und verbrannt würden. Wie auch der BGH ging das OLG Köln davon aus, dass die getätigten Werbeaussagen nicht als bloße reklamehafte Anpreisungen, sondern als Tatsachenaussagen oder zumindest als Beurteilungen mit einem greifbaren Tatsachenkern zu qualifizieren seien. Vom Angeklagten sei die Tatsache unterdrückt worden, dass es sich bei dem Gerät des Namens „Sport-Reducer“ nicht um einen „verblüffenden amerikanischen Apparat“, sondern lediglich um eine einfache Massagebürste handelte. Demgemäß habe der Angeklagte bei seinen Kunden einen entsprechenden Irrtum erregt. Eine Strafbarkeit wegen Betruges lehnte 359  BGHSt

34, 199 (201). 34, 199 (201). 361  BGHSt 34, 199 (201); zustimmend Hillenkamp, FS Schreiber, S. 144. 362  Eingehend zur Frage der Schadenskompensation bei bestehenden Rücktritts­ rechten Jäger, JuS 2010, 764 f. 363  OLG Köln, OLGSt § 263 StGB, S. 126 ff. 360  BGHSt

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das OLG Köln allein deshalb ab, weil der Angeklagte seinen Kunden ein befristetes, im übrigen aber bedingungsloses Rückgaberecht eingeräumt hatte, welches die entstandene Vermögensminderung nach der Auffassung des Senates wirtschaftlich ausglich. Führt man sich die Rechtsprechung zur betrugsstrafrechtlichen Relevanz übertreibender Werbeaussagen und marktschreierischer Reklame vor Augen, so zeigt sich, dass sie für die Werbetreibenden mit einer extremen Rechtsun­ sicherheit verbunden ist.364 Insbesondere die Kriterien, anhand derer im Rahmen der Reklame die Abgrenzung der Tatsachenaussage vom bloßen Werturteil vorgenommen werden sollen, erweisen sich als ungenau. Und so zeigt sich immer wieder, dass eine trennscharfe Differenzierung der beiden Begriffe nicht immer getroffen werden kann, zumal ein breiter Konsens da­ rüber besteht, dass die Grenze zwischen Tatsachen und Werturteilen fließend ist.365 In der Folge gelangt die h. M. nicht immer zu überzeugenden Ergeb­ nissen. Es ist kaum nachvollziehbar, weshalb die wahrheitswidrige Behaup­ tung, dass die angebotenen Apfelsinen nicht nur die billigsten im Lande seien, sondern auch ewige Jugend und Schönheit versprächen, ein Wertur­ teil, die Anpreisung eines Produktes als konkurrenzlos dagegen eine Tatsa­ chenbehauptung sein soll.366 Die herkömmlichen Kriterien für die Unter­ scheidung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen tragen dieses Er­ gebnis jedenfalls nicht. Insbesondere das Merkmal des „Tatsachenkerns“ ist der Bestimmtheit des Tatbestands nicht unbedingt dienlich, da ein solcher vielfach auch bei übertreibenden Werbeaussagen angenommen werden kann.367 Würde man jedenfalls die Werbung für Kosmetikprodukte bekann­ ter Konsumgüterhersteller an den Vorgaben des Haarverdicker-Falles mes­ sen, müsste sich wohl regelmäßig eine Strafbarkeit wegen Betruges oder zumindest eine tatbestandsrelevante Täuschung ergeben.368 Auch in weiteren Fällen, in denen nur ein bloßes Werturteil gegeben sein soll, kommt den gegenständlichen Behauptungen durchaus Tatsachenqualität zu.369 So ist die Behauptung, es handele sich um die „meistgekaufte Rasierklinge der Welt“, dem Beweis ohne Weiteres zugänglich und sie enthält auch den Tatsachen­ kern, dass weltweit von keiner anderen Rasierklinge mehr Stückzahlen ab­ 364  Ebenso Eick, S. 45; Hecker, Produktwerbung, S. 227 und HWSt-Janssen, 3. Aufl., V 1 Rn. 21; Thomma, S. 286. 365  Hennings, S. 91. 366  Vgl. HWSt-Janssen, 3. Aufl., V  1 Rn. 21; Hennings, S. 91; Hecker, Produkt­ werbung, S. 222 ff. 367  Vgl. Kudlich / Oğlakcioğlu, § 7 Rn. 211. 368  Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf, § 20 Rn. 8, 32 Fn. 73, erkennen hierin die „fatale Tendenz, die Kleinen zu hängen und die Großen laufen zu lassen“. 369  Ellmer, S. 90; Hecker, Produktwerbung, S. 223; Hennings, S. 91; Schwarz, S. 72 f.



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gesetzt werden.370 Ebenso verhält es sich mit der Aussage, dass ein Wasch­ mittel das Beste auf der Welt sei, was sich durch vergleichende Produkttests ohne Weiteres belegen lässt.371 Insgesamt macht die fast schon willkürlich anmutende Zuweisung von Werbeaussagen zur der einen oder anderen Kate­ gorie deutlich, dass seitens der h. M. ein nachvollziehbares Bestreben be­ steht, als sozialadäquat befundene Formen der Werbung von der Betrugs­ strafbarkeit auszunehmen.372 Schließlich würde niemand auf die Idee kom­ men, den Marktschreier, der seine Apfelsinen auf besonders amüsante und kreative Art an den Mann bringen will, eines Betruges zu bezichtigen und ihn vor den Strafrichter zu zerren.373 Und auch sonst wird ein durchschnitt­ lich informierter, aufmerksamer und verständiger Verbraucher übertreiben­ den Werbeaussagen keine größere Bedeutung beimessen, sodass eine Krimi­ nalisierung dieser üblichen Formen der Werbung in keinem Verhältnis steht.374 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Tatsachenbegriff allein in der Lage ist, ein taugliches Ausscheidungskriterium für sozialübli­ che Werbemaßnahmen zu bilden. Vor allem muss gesehen werden, dass sich die Ausscheidung der übertreibenden Reklame über den Tatsachenbegriff nicht mit dem Ziel, auch den Einfältigen durch den Betrugstatbestand schüt­ zen zu wollen, vereinbaren lässt.375 Denn die Abgrenzung soll bei Werbe­ maßnahmen nach dem Grad der Bestimmtheit, der Form der Äußerung und der Eigenart der jeweiligen Rechtsbeziehung auf Basis der Verkehrsanschau­ ung erfolgen. Wenn es jedoch maßgeblich auf das Verständnis der jeweiligen Verkehrskreise ankommen soll, ist für die Vorstellungen des Einfältigen denknotwendig kein Raum. Denn der Einfältige wird eine Behauptung regel­ mäßig abweichend von der Verkehrsanschauung bewerten und ihr auch dann Glauben schenken, wenn ein durchschnittlich informierter und aufmerksamer Verbraucher dies nicht mehr tun würde. Gleiches gilt freilich auch, wenn 370  Vergho,

Verbrauchererwartung, S. 304. Schwarz, S. 72 f.; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 14, der deshalb mit Hilgendorf, Tatsachenaussagen, S. 192 ff., dafür plädiert, das normative Kriterium des verminderten Geltungs- und Wahrheitsanspruchs anzuwenden; krit. zu diesem Ansatz MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 81. 372  Hennings, S. 91. 373  Ähnlich auch Müller-Christmann, JuS 1988, 110. 374  Hecker, Produktwerbung, S. 227; HWSt-Janssen, 3. Aufl., V 1 Rn. 17, stellt die Notwendigkeit der Anwendung des Betrugstatbestands auf werbende Anpreisun­ gen sogar generell infrage, weil die Regelungen des Wettbewerbsrechts, einschließ­ lich des Straftatbestands der strafbaren irreführenden Werbung, § 16 Abs. 1 UWG, nach seiner Auffassung ein wesentlich differenzierteres und effizienteres Schutzsys­ tem bereithielten. 375  Ebenso SSW-Satzger, § 263 Rn. 25; Heim, S. 130; Mühlbauer, NStZ 2003, 652. 371  Ebenso

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man die Ernsthaftigkeit der Behauptungen als maßgebliches Kriterium zur Grenzziehung zwischen Tatsachenaussagen und Werturteilen erhebt. Dieser Widerspruch zwischen der Entkriminalisierung sozialüblicher Werbemaßnah­ men über das Tatsachenmerkmal und einem möglichst umfassenden Straf­ rechtschutz einfältiger und leichtgläubiger Personen wird auch von den Ver­ tretern der h. M. erkannt. Folgerichtig wird dafür plädiert, zumindest im Be­ reich der Werbung den hohen Schutzstandard zu dispensieren und die Leichtgläubigen ausnahmsweise einer strafbarkeitsausschließenden Mitver­ antwortung zu unterwerfen.376 Eine solche Ausnahmeregelung sieht sich ­jedoch dem Vorwurf ausgesetzt, dass die Tatbestandsmerkmale möglichst einheitlich ausgelegt werden sollten. Daher ist es auch im Rahmen der über­ treibenden Werbeanpreisungen und der marktschreierischen Reklame er­ wägenswert, die notwendigen Einschränkungen über die Anlegung eines ­unionsrechtlich beeinflussten Betrugsverständnisses zu erreichen.377

III. Fälle aus dem Bereich des Aberglaubens und des Okkultismus Ebenso relevant ist die Frage nach der Einbeziehung des Einfältigen in den Schutzbereich des Betruges bei Sachverhalten, die sich in einer Welt des Aberglaubens und des Mystizismus abspielen.378 Freilich handelt es sich bei den Opfern nicht notwendigerweise um besonders einfältige oder leichtgläu­ bige Personen, da der Glaube an Okkultismus und schwarze Magie in allen Bevölkerungskreisen vertreten ist. Dennoch sind Leichtgläubige und Einfäl­ tige für okkulte Täuschungen besonders anfällig, weil sie häufig nicht in der Lage sind, die Behauptungen der Täter kritisch zu hinterfragen. 1. Sirius-Fall (BGHSt 32, 38) Exemplarisch für die Auffassung der h. M. ist eine Entscheidung des LG Baden-Baden, welche nach der Revisionsinstanz insbesondere wegen der dort behandelten Fragen zur mittelbaren Täterschaft als sog. „Sirius-Fall des BGH“379 Berühmtheit erlangte. Das Landgericht hatte den Angeklagten je­ doch unter anderem auch wegen vollendeten Betruges verurteilt,380 da er eine Lehramtsstudentin glaubend gemacht hatte, dass er ein Bewohner des 376  BeckOK-Beukelmann, § 263 Rn. 7; Fischer, § 263 Rn. 10; SSW-Satzger, § 263 Rn. 25. 377  Siehe hierzu Kapitel 3. 378  Hierzu Schwarz, S. 22 f.; Eisele, BT II, Rn. 523; Kudlich, JZ 2004, 77 ff.; SKHoyer, § 263 Rn. 22; Thomma, S. 141 ff. 379  BGHSt 32, 38.



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Planeten Sirius sei, der einige wertvolle Menschen nach dem Zerfall ihrer Körper auf seinen Heimatplaneten oder einen anderen Himmelskörper ver­ bringen wolle, wo ihre Seelen weiterleben sollten. Die Fähigkeit, nach dem Tod ein Leben außerhalb der Erde führen zu können, sollte das Opfer da­ durch erlangen, dass sich ein Mönch namens Uliko für einige Zeit in den Zustand totaler Meditation versetze. Dies wiederum würde erfordern, dass das Opfer an das Kloster des Uliko 30  000  DM zahle. Das Opfer glaubte dem Angeklagten und händigte ihm einen Scheck in entsprechender Höhe aus. Anstatt das Geld an das Kloster weiterzureichen, behielt er das Geld jedoch für sich und verbrauchte es für seine Zwecke. Dem Opfer machte er dagegen weis, das Vorhaben sei wegen des von ihrem Körper ausgehenden Widerstandes gescheitert und der Widerstand könne nur mit der Vernichtung des alten und der Beschaffung eines neuen Körpers gebrochen werden. Er erläuterte seinem Opfer, dass in einem Raum am Genfer See ein neuer Kör­ per bereit stehe, in dem es sich als Künstlerin wiederfinden werde, sobald sie sich von ihrem alten Körper getrennt habe. Um ihr neues Leben finan­ zieren zu können, riet er ihr, eine Lebensversicherung abzuschließen und ihn als Bezugsberechtigten einzusetzen, damit er ihr das Geld anschließend übergeben könne. Er schlug ihr vor, durch einen vorgetäuschten Unfall aus dem Leben zu scheiden. Entsprechend den Anweisungen des Angeklagten ließ das Opfer wenig später einen Föhn in ihre mit Wasser gefüllte Bade­ wanne fallen, mit dem Ziel, ihr jetziges Leben dadurch zu beenden und so­ fort in dem neuen Körper zu erwachen. Der tödliche Stromstoß blieb jedoch aus. Im Hinblick auf die Verurteilung wegen Betruges sah das Landgericht die maßgebliche Täuschungshandlung in der Vorspiegelung der Existenz eines Mönches namens Uliko, der für das Opfer meditieren sollte. Da es diesen nicht gegeben habe, sein Vorhandensein jedoch ein konkret möglicher Zu­ stand war, habe der Angeklagte über eine Tatsache getäuscht.381 Aufgrund dieser Täuschung sei das Opfer auch einem Irrtum unterlegen, der es zu einer Vermögensverfügung veranlasst habe. Da es hierfür keine Gegenleistung er­ hielt, habe das Opfer auch einen entsprechenden Vermögensschaden erlitten, den der Angeklagte auch herbeiführen wollte. In der Vorspiegelung, die zu erwartende Summe aus der Lebensversicherung sei erforderlich, um das neue Leben in einem anderen Körper finanzieren zu können, sah die Kammer in­ des keine tatbestandsrelevante Täuschungshandlung, da dies lediglich eine 380  LG Baden-Baden, Urt. v. 31.11.1982 – Ks 3 / 82 (unveröffentlicht); da die Re­ vision in der Revisionshauptverhandlung wirksam auf die Verurteilung wegen ver­ suchten Mordes beschränkt war, hatte der BGH zur Frage des Betruges keine Stellung zu beziehen, s. hierzu BGHSt 32, 38. 381  LG Baden-Baden, Urt. v. 31.11.1982 – Ks 3 / 82.

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Täuschung über künftige, nicht vorausberechenbare Ereignisse sei, welche als solche nicht dem Tatsachenbegriff unterfällt.382 2. Teufelsaustreibungsfall (LG Mannheim NJW 1993, 1488) Auch das LG Mannheim kam in einem von Okkultismus geprägten Fall zu einer Strafbarkeit wegen Betruges.383 Nach dem zugrunde liegenden Sach­ verhalt hatte die Täterin, die gegen Bezahlung Karten legte und Hände las, gegenüber einer Kundin vorgegeben, dass auf dieser möglicherweise ein Fluch laste, was jedoch unter Zuhilfenahme eines Tests mit einem rohen Ei weiter verifiziert werden müsse. Nachdem der Täterin von dem Opfer ein frisches Ei übergeben worden war, wickelte sie dieses in ein Handtuch, mur­ melte einige Beschwörungsformeln darüber und drückte es zusammen, so­ dass das Ei zerbrach. Den entstandenen Brei zeigte sie sodann dem Opfer und verwies auf eine schwärzliche Stelle im Dotter, welche sie als den Teufel identifizierte, der nachts kommen könne und deshalb unbedingt ausgetrieben werden müsse. Auf die Frage des Opfers hin, wie dieser Teufel auszutreiben sei, erwiderte die Täterin, dass sie dazu 5000 DM oder Geschirr, Bettwäsche oder Schmuck in diesem Wert benötige. Sie spiegelte vor, diese Gegenstände bzw. das Geld um Mitternacht zusammen mit dem „Wesen im Ei“ begraben zu wollen. Zu der Auszahlung des Geldes kam es jedoch nicht, da das Opfer den Betrag zunächst nicht verfügbar hatte und später Bedenken bekam. Die Kammer ging davon aus, dass die Täterin durch die mit dem „Ei-Be­ weis“ untermauerte falsche Behauptung, auf dem Opfer liege ein Teufels­ fluch, der von ihr mit Hilfe von 5000 DM oder Gegenständen in diesem Wert ausgetrieben werden könne,384 das Opfer in den Irrtum versetzt habe, dass dies der Wahrheit entspreche.385 Da sie mittels dieser Täuschung die Zeugin dazu bewegen wollte, ihr 5000 DM auszuzahlen und sie um diesen Betrag zu schädigen, liege in dem Verhalten ein versuchter Betrug.386 Auch das zuvor 382  LG

Baden-Baden, Urt. v. 31.11.1982 – Ks 3 / 82. Mannheim NJW 1993, 1488 f. 384  Zur zutreffenden Kritik an dieser Entscheidung vgl. AnwK-Gaede, § 263 Rn. 14, der an der Tatsachenqualität der Behauptung zweifelt. 385  LG Mannheim NJW 1993, 1489; Krack / Loos, JuS 1995, 204 ff., sehen in die­ sem Verhalten gleich zwei verschiedene Täuschungen. Zum einen sollte das Opfer irrig annehmen, dass es vom Teufel besessen sei und dass die Angeklagte in der Lage sei, diesen durch Vergraben eines Geldbetrages oder Gegenständen in dessen Wert wieder auszutreiben. Zum anderen sei auch eine Täuschung über die beabsichtigte Verwendung des Geldes gegeben, da dieses nach dem Plan der Angeklagten nicht mit dem Teufel vergraben, sondern für eigene Zwecke Verwendung finden sollte. Auch Rengier, BT I, § 13 Rn. 6, sieht die maßgebende Täuschungshadlung in der fehlenden Bereitschaft, das Geld zu vergraben. 383  LG



C. Phänotypik

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erfolgte Kartenlegen und Handlesen hätte grundsätzliche Betrugsrelevanz. Jedoch sei im Allgemeinen anzunehmen, dass die Täter aufgrund der meist eher geringen Honorare in der Regel selbst davon ausgingen, dass ihre Kun­ den keine echten Leistungen erwarteten, sondern vielmehr nur jahrmarktähn­ liche Unterhaltung kaufen wollten.387 Es liege daher in aller Regel keine Täuschungsabsicht vor. Auf die viel beachtete Frage, inwieweit sich der Umstand, dass sich das Opfer extrem leichtgläubig verhalten hatte, auf den Tatbestand des Betruges auswirkt, ging die Kammer nicht näher ein. Ledig­ lich im Rahmen der Strafzumessung erörterte sie die Frage des Opfermitver­ schuldens und wertete es als strafmildernd, „dass die übergroße Leichtgläu­ bigkeit des Opfers die Angekl. in Versuchung geführt haben mag, in diesem Fall mühelos einen größeren Coup zu landen“.388 3. Auswertung Wenn man die vorangestellten Beispiele näher betrachtet, zeigt sich, dass ein Schutz des Einfältigen im Bereich von Okkulthandlungen nach der Rechtsprechung nicht uneingeschränkt gegeben ist. Zwar nahmen das LG Mannheim wie auch das LG Baden-Baden im Teufelsaustreibungs- bzw. im Sirius-Fall eine Betrugsstrafbarkeit an, jedoch macht die Urteilsbegründung des LG Mannheim deutlich, dass seitens der Rechtsprechung ein Bedürfnis besteht, zumindest sozialübliche Gaukeleien nicht unter den Tatbestand des Betruges zu fassen. Obwohl eine Betrugsstrafbarkeit wegen des Kartenlegens und des Handlesens nicht Gegenstand der Anklage waren, stellte die Kam­ mer hierzu beiläufig fest, dass diese Handlungen zwar grundsätzlich Betrugs­ relevanz besäßen, aber „bei den insoweit üblichen sehr geringen ‚Honoraren‘ schon die ‚Täter‘ selbst davon ausgehen, dass die Kunden hier keine echten Leistungen erwarten, [sondern] vielmehr – jedenfalls vorwiegend – nur jahr­ marktähnliche Unterhaltung kaufen wollen, so dass schon die notwendige Täuschungsabsicht entfällt.“389 Die Kammer spricht sich damit dafür aus, jedenfalls im Bereich des Kartenlegens und des Handlesens eine Betrugs­ strafbarkeit über den subjektiven Tatbestand auszuscheiden. Sie bewegt sich damit auf einer Linie mit der rechtswissenschaftlichen Literatur, die im Zu­ sammenhang mit Fällen des Aberglaubens und des Okkultismus grundsätz­ lich von einer Strafbarkeit ausgeht390 und eine Ausscheidung bestimmter Mannheim NJW 1993, 1488; zustimmend Rengier, BT I, § 13 Rn. 52. auch Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 13. 388  LG Mannheim NJW 1993, 1489. 389  LG Mannheim NJW 1993, 1489; ebenso Hillenkamp, FS Schreiber, S. 142. 390  Vgl. nur Rengier, BT I, § 13 Rn. 6, 52; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 12, 20; krit. NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 78 sowie AnwK-Gaede, § 263 Rn. 14. 386  LG 387  So

88 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

(sozialadäquater) Verhaltensweisen über den subjektiven Tatbestand andeu­ tet.391 Unbemerkt treten Rechtsprechung und herrschende Lehre damit gleichsam für eine Beschränkung des Einfältigenschutzes ein, da es durchaus Fälle gibt, in denen die Kunden an die übersinnlichen Fähigkeiten des Kar­ tenlegers bzw. Handlesers glauben und dementsprechend eine echte Leistung erwarten. Sofern die Täter dies erkennen, ist auch die Lösung über den sub­ jektiven Tatbestand verwehrt, so dass Kartenlegen und Handlesen nach der h. M. strafrechtlich zu ahnden wären.

D. Berücksichtigung der Mitverantwortung des Opfers auf der Rechtsfolgenseite Obwohl eine Berücksichtigung der besonderen Einfältigkeit des Opfers auf der Tatbestandsseite des Betruges von der ganz h. M. abgelehnt wird, misst sie ihr im Rahmen der Strafzumessung durchaus Bedeutung zu.392 Ein­ gangstor für diese Überlegungen ist dabei die Vorschrift des § 46 StGB, welche die Strafzumessung i. e. S. betrifft.393 Diese bezeichnet den Akt, mit dem der Tatrichter die Normübertretung gewichtet und sie anschließend in ein konkretes Strafmaß umsetzt.394 Grundlage hierfür bilden insbesondere die Schwere der Tat, deren Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung sowie die persönliche Schuld des Täters.395 Während innerhalb der h. M. ein breiter Konsens darüber besteht, dass die Einfältigkeit des Opfers bzw. dessen Mitverantwortung an der Entstehung des Vermögensschadens die Schuld des Täters und damit auch die Strafzumessung beeinflussen können, herrscht Uneinigkeit darüber, ob diese Faktoren die Strafe letztendlich schärfen oder mildern sollen. Teilweise wird angenommen, dass das Ausnutzen einer besonderen „Dummheit“ des Opfers die Schuld des Täters eher erhöhe. Die Einfältigkeit des Opfers wirke daher nicht strafmil­ dernd, sondern müsse eher strafschärfend berücksichtigt werden.396 Allerdings 391  So Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 151, unter dem Hinweis, dass ein Betrug mangels Vorsatz nicht in Betracht komme, wenn der Täter selbst an den „Ho­ kuspokus“ glaube. Ähnlich auch Hillenkamp, FS Schreiber, S. 142. 392  Vgl. zum Ganzen Frank / Leu, StraFO 2014, 198 ff.; Petropoulos, S. 171 ff.; Kurth, S. 198 ff.; Schwarz, S. 47 ff.; Hennings, S. 78; Hillenkamp, Opferverhalten, S. 211 ff. 393  LPK-Kindhäuser, § 46 Rn. 1. 394  SK-Horn, § 46 Rn. 2. 395  BGH NStZ 1981, 389; BeckOK-v. Heintschel-Heinegg, § 46 Rn. 1; LPKKindhäuser, § 46 Rn. 1. 396  Schüler-Springorum, FS Honig, S. 212; ähnlich auch Müller-Christmann, JuS 1988, 111, der es ebenfalls als strafschärfendes Moment ansieht, wenn der Täter eine intellektuell unterlegene Position seines Opfers ausnutzt.



D. Berücksichtigung der Mitverantwortung des Opfers auf Rechtsfolgenseite

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soll dies wiederum nur für Fälle gelten, in denen die Mitverantwortung des Opfers in einer gutgläubigen Bereitschaft, sich täuschen zu lassen, besteht. Ist diese nicht gegeben, sei eine Strafschärfung auch nicht angezeigt. Der überwiegende Teil  der Rechtsprechung und der Literatur spricht sich indes dafür aus, das Mitverschulden des Opfers, bzw. seine besondere Naivi­ tät generell strafmildernd zu berücksichtigen.397 Die strafmildernde Wirkung wird auf die häufig anzutreffende Annahme gestützt, das Opfer habe dem Betrüger die Tat allzu „leicht gemacht“ und durch seine Sorglosigkeit, Leichtgläubigkeit, Torheit, Bequemlichkeit oder Gedankenlosigkeit, Gewinn­ sucht, übertriebene Neugier, Selbstüberheblichkeit, Ängstlichkeit, seinen Aberglauben oder Ehrgeiz den Betrug erst ermöglicht.398 Der Täter kann deshalb darauf hoffen, dass das Strafverfahren bei einem mitwirkenden Op­ ferverschulden nach den §§ 153, 153a StPO eingestellt wird oder das Gericht eine niedrigere Freiheitsstrafe verhängt, eine Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzt oder statt einer Freiheitsstrafe nur eine Geldstrafe ausspricht.399 Eine Ausnahme von der strafmilderden Wirkung der Opfermitverantwortung wird allerdings in Fällen gemacht, in denen der Täter die Leichtgläubigkeit des Opfers im Rahmen eines besonderen Vertrauensverhältnisses missbraucht. Dies soll insbesondere dann der Fall sein, wenn täterseits eine besondere Hilfsbedürftigkeit vorgespiegelt oder amtliche Befugnisse behauptet werden. Gleiches soll auch in Fällen gelten, in denen eine langjährige solide Ge­ schäftsbeziehung besteht oder der Täter sich als Geistlicher oder Bote eines nahen Angehörigen ausgibt.400 Hillenkamp hat in seiner Monographie „Vorsatztat und Opferverhalten“ die Auswirkungen eines mitwirkenden Opferverhaltens auf die Rechtsfolgen­ seite näher untersucht.401 Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass eine Mit­ verantwortung des Opfers entgegen einiger viktimodogmatischen Stimmen im Schrifttum nicht auf der Ebene des Tatbestands, sondern nur im Wege der Strafzumessung zu berücksichtigen sei. Den Vorteil dieser Strafzumessungs­ lösung sieht Hillenkamp vor allem darin, dass sie im Gegensatz zu den am Tatbestand anknüpfenden Lösungsvorschlägen der Literatur wesentlich flexi­ bler ist und nicht in eine „Alles-oder-Nichts-Entscheidung“ mündet, die der Bedeutung des Opferverhaltens nicht immer gerecht werde.402 Andererseits 397  BGH StV 1983, 326; LG Mannheim NJW 1993, 1489; OLG Düsseldorf StV 1993, 76; LG Bad Kreuznach, Urt. v. 04.12.2012 – 1025 Js 18093 / Ns, BeckRS 2013, 05628; Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 592. 398  Krey / Hellmann / Heinrich, BT 2, Rn. 543; Maeck, S. 9 f. m. w. N. 399  Hierzu Naucke, FS Peters, S. 113. 400  Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 638. 401  Hillenkamp, Opferverhalten, S. 211 ff. 402  Hillenkamp, Opferverhalten, S. 215.

90 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

sei es ein „Postulat der Gerechtigkeit und [aus der Sicht des Täters auch] eine Voraussetzung für die Annehmbarkeit des Urteils“, dass die Mitverant­ wortung des Opfers auf der Strafzumessungsebene strafmildernde Wirkungen entfalte.403 Durch die Strafmilderung könne zudem eine „Verbrechenspräven­ tion durch Opfererziehung“ erreicht werden, weil das Opfer seitens des Ge­ richts eine Belehrung erhalte, aber durch die Verurteilung des Täters nicht bloßgestellt werde. Dies führe dazu, dass das Opfer „die Bereitschaft erhält, durch Einsicht in den eigenen Tatbeitrag viktimogenes Verhalten in Zukunft zu vermeiden“.404 In der Folge plädiert Hillenkamp sogar dafür, das „Verhal­ ten des Verletzten der Tat“ als weiteren Strafzumessungsgrund in den Kata­ log des § 46 Abs. 2 StGB aufzunehmen.405 Die von Schünemann geäußerten Bedenken, gegen eine alleinige Lösung auf der Rechtsfolgenseite als „Do­ mäne richterlicher Willkür“406 hält Hillenkamp für unberechtigt.407 Durch § 46 StGB und die diesen flankierenden dogmatischen und kriminologischen Forschungen sei mittlerweile vieles getan worden, um das „Strafzumessungs­ dunkel“ ausreichend zu erhellen.408 Befürchtungen, die Angeklagten seien der Willkür des Strafrichters ausgesetzt, seien daher unberechtigt. Auch wenn zuzugestehen ist, dass die Opfermitverantwortung grundsätz­ lich Einfluss auf die Strafzumessung nehmen kann, muss gesehen werden, dass eine Lösung, welche für eine generelle Straferhöhung bzw. Strafmilde­ rung plädiert, den bestehenden Anforderungen nicht gerecht werden kann. Denn die Strafzumessung ist immer auch eine Frage des einzelnen Falles, die vom Tatrichter im Wege einer Ermessensentscheidung getroffen werden muss. So mag es Fälle geben, in denen das Ausnutzen einer besonderen Leichtgläubigkeit die Schuld des Täters eher herabsetzt, z. B. weil der Täter selbst nicht daran glaubt, dass jemand auf seine besonders plumpe Masche hereinfallen wird. Es sind aber auch Konstellationen denkbar, in denen die Ausnutzung der Leichtgläubigkeit zu einer Strafschärfung führen kann,409 beispielsweise wenn sich der Täter gezielt an schwächere, alte oder ge­ schäftsunerfahrene Personen wendet. Zu denken ist hier u. a. an den „Enkel­ trick“, bei dem sich die Täter gegenüber älteren Personen als nahe Verwandte 403  Hillenkamp,

Opferverhalten, S. 211. Opferverhalten, S. 212. 405  Hillenkamp, Opferverhalten, S. 316. 406  Schünemann, Bemerkungen, S. 411. 407  Hillenkamp, Opferverhalten, S. 213; vgl. auch Petropoulos, S. 171 f. 408  Ähnlich auch Petropoulos, S. 172; Frank / Leu, StraFO 2014, 200. 409  Zutreffend spricht Tiedemann insoweit von der Ambivalenz des bewussten Ausnutzens eines besonders leichtsinnigen Opfers, da der Täter hier einerseits weni­ ger kriminelle Energie aufwenden muss, er aber zugleich besonders verwerflich han­ delt, indem er das entgegengebrachte Vertrauen missbraucht, LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 38. 404  Hillenkamp,



E. Schutz des Einfältigen91

ausgeben, um unter Vorspiegelung falscher Tatsachen an Bargeld zu gelan­ gen.410 Eine starre Lösung, nach der die Leichtgläubigkeit des Opfers stets zu einer Milderung oder Erhöhung der Strafe führen soll, kann daher nicht überzeugen. Auch das einschränkende Erfordernis des „besonderen Vertrau­ ensverhältnisses“, welches ausnahmsweise eine Strafschärfung rechtfertigen soll,411 ist insgesamt zu unflexibel und konturenlos, um diesen Mangel zu beseitigen. Dies wird insbesondere dann sichtbar, wenn man sich verdeut­ licht, wann ein solches Vertrauensverhältnis vorliegen soll. Angenommen wird ein solches bereits bei einer „soliden“ Geschäftsbeziehung oder beim Vortäuschen amtlicher Befugnisse. Ob es aber zwingend strafschärfend ist, wenn der Täter seinem Opfer in einer offensichtlichen Fantasieuniform ge­ genübertritt und das Opfer hierauf hereinfällt, ist zweifelhaft. Ebenso ist fraglich, ab wann eine Geschäftsbeziehung als derart gefestigt zu bezeichnen ist, dass die Ausbeutung des hierauf gründenden Vertrauens strafschärfende Wirkungen entfalten soll. Die Verbannung der Leichtgläubigkeit auf die Ebene der Strafzumessung führt zudem zu dem Problem, dass es durchaus Fälle gibt, in denen die Mitverantwortung ein solches Ausmaß annimmt, dass strafrechtliche Konsequenzen nicht mehr gerechtfertigt erscheinen.412 Zu denken ist hier insbesondere an den Apfelsinen-Händler, der seine Ware übertrieben anpreist. Denn es muss beachtet werden, dass eine Lösung über die Strafzumessung immer nur so weit reichen kann, wie es das Gesetz im Hinblick auf das Mindeststrafmaß und etwaige Milderungsgründe vorsieht. Vieles spricht daher dafür, eine besondere Mitverantwortung des Opfers sowohl auf der Tatbestands- als auch auf der Rechtsfolgenseite zu berück­ sichtigen. Auf der Rechtsfolgenseite kann sie freilich nur dann Wirkungen entfalten kann, wenn sie nicht bereits zu einem Tatbestandsausschluss geführt hat. Ob die Mitverantwortung des Opfers die Strafe mildert oder schärft, ist dabei eine Frage des jeweiligen Einzelfalls, die dem Tatrichter überlassen bleiben sollte. Aufgrund der Verschiedenheit der Fälle ist hier jeder Versuch einer Kategorisierung zum Scheitern verurteilt.

E. Der Schutz des Einfältigen im Zusammenhang mit den Täuschungsformen des Betruges Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die h. M. ihr Postulat vom betrugsstrafrechtlichen Schutz besonders einfältiger und leichtfertiger 410  Siehe hierzu OLG Hamm, Beschl. v. 17.01.2012  – III-3 Ws 14 / 12, 3 Ws 14 / 12; VG Braunschweig, Beschl. v. 19.10.2006 – 5 B 284 / 06. 411  Schäfer / Sander / van Gemmeren, Rn. 1687. 412  Beckemper, S. 212.

92 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

Personen nicht immer konsequent verfolgt. Auch wenn die h. M. überwie­ gend von einer Strafbarkeit des Täters ausgeht, muss dennoch festgestellt werden, dass der Einfältige häufig jeweils nur im Ergebnis geschützt ist. Betrachtet man wiederum die strafrechtsdogmatischen Wege, mit denen diese Ergebnisse begründet werden, wird deutlich, dass auch nach der h. M. der Schutz des Einfältigen nicht uneingeschränkt besteht.

I. Der Schutz des Einfältigen im Zusammenhang mit ausdrücklichen Täuschungen Keine größeren dogmatischen Probleme bereitet die Einbeziehung des Einfältigen in den Schutzbereich des § 263 StGB im Zusammenhang mit ausdrücklichen Täuschungen, also mit ausdrücklichen Erklärungen der Un­ wahrheit über Tatsachen. Zwar sind auch ausdrückliche Erklärungen nach der Verkehrsanschauung auszulegen, gleichwohl ist der Auslegungsspielraum aber sehr begrenzt.413 Eine unwahre ausdrückliche Erklärung wird deshalb häufig nur in einer bestimmten Weise zu deuten sein. Die Besonderheiten, die bei extrem leichtgläubigen oder einfältigen Personen auftreten, können sich daher auf das Vorliegen einer Täuschung nicht besonders auswirken. Dementsprechend entstehen jedenfalls keine begründungstheoretischen Frik­ tionen, wenn die h. M. im Kontext mit ausdrücklichen aktiven Täuschungen den Schutz des Einfältigen explizit hervorhebt. Obwohl die bedingungslose Einbeziehung des Einfältigen in den Schutz­ bereich des § 263 StGB bei ausdrücklichen Täuschungen ohne größere dog­ matische Brüche möglich wäre, versucht die h. M.  – und dies ist wiederum wenig konsequent – unerwünschte Ergebnisse mithilfe des Tatsachenbegriffs aus dem objektiven Tatbestand des § 263 StGB auszuscheiden. Dies zeigt, dass auch nach der h. M. ein Bedürfnis besteht, gesellschaftlich akzeptierte Irreführungen nicht unter den Tatbestand des § 263 StGB zu fassen. Es fragt sich daher, ob es nicht vorzugswürdig ist, das Festhalten an dem offenkundi­ gen Lippenbekenntnis des Schutzes selbst besonders einfältiger Personen ein für allemal aufzugeben und eine dogmatisch überzeugende, tragfähige Lö­ sung zu entwickeln, die sowohl dem Opferschutz als auch wirtschaftlichen Interessen hinreichend Rechnung trägt.

413  Soyka,

wistra 2007, 133.



E. Schutz des Einfältigen93

II. Der Schutz des Einfältigen im Zusammenhang mit konkludenten Täuschungen Dass ein solches Lösungskonzept dringend erforderlich ist, zeigt vor allem das Institut der konkludenten Täuschung, deren Vereinbarkeit mit dem Schutz des Einfältigen, zumindest nach ihrer gängigen Interpretation, höchst fraglich ist. Denn bei der Bestimmung der konkludenten Täuschung kommt es nach dem wohl herrschenden Täuschungsverständnis maßgeblich darauf an, ob das schlüssige Verhalten den Erklärungswert einer Täuschung hat. Hierfür soll wiederum entscheidend sein, wie die allgemeine Verkehrsauffassung das Verhalten unter den konkreten Verhältnissen und unter Berücksichtigung des jeweiligen Geschäftstyps objektiv versteht.414 Nach der h. M. erlangt damit die Auffassung der maßgeblichen Verkehrs­ kreise für die Ermittlung der konkludenten Täuschungshandlung eine heraus­ gehobene Bedeutung.415 Daraus folgt aber zugleich, dass der Einfältige kei­ nen unbedingten Schutz vor Irreführungen genießen kann. Denn ein Abstellen auf die Auffassung der maßgeblichen Verkehrskreise beinhaltet denknotwe­ nig, dass Personen, die ein Verhalten in Abweichung von der Verkehrsauffas­ sung mit einem anderen Erklärungsinhalt belegen, aus dem Schutzbereich des Betruges herausfallen.416 Geht man also mit der h. M. von einem konklu­ denten Täuschungsverständnis aus, das sowohl faktische als auch normative Elemente enthält, kann sich der Schutz des Einfältigen jedenfalls im Bereich konkludenter Täuschungen nicht uneingeschränkt behaupten.417 Wollte man zu einem anderen Ergebnis gelangen, müsste man bei der Bestimmung der maßgeblichen Verkehrsauffassung entweder stets auf das Verständnis einfäl­ tiger Personen rekurrieren oder statt der objektiven Sichtweise auf das sub­ jektive Verständnis des einzelnen Betroffenen abstellen. Dabei muss aber gesehen werden, dass beides einer faktischen Abschaffung des Täuschungs­ merkmals gleichkäme, da dann bei jedem Irrtum auch eine Täuschung vor­ läge. Ein solcher Rückschluss wird jedoch von der weit überwiegenden Meinung zu Recht abgelehnt.418 414  Garbe, NJW 1999, 2869; Bosch, FS Samson, S. 245; ders., JK 11 / 14 StGB § 263 / 106. 415  BGHSt 51, 165 (170); BGH NStZ 2007, 151; Jäger, BT, Rn. 318; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 14 / 15; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 28. 416  Ähnlich auch Bosch, JK 11 / 14 StGB § 263 / 106, der in Zusammenhang mit konkludenten Täuschungen ein „leichtgläubiges bzw. vermeidbar irrendes Opfer […] nur dann [für] geschützt [hält], wenn die normativ vorgegebene Risikoverteilung ei­ nen solchen Schutz auch vorsieht“. 417  Hennings, S. 99. 418  BGHSt 47, 1 (5); 3, 99 (103); BGH NJW 2014, 2596; Baier, JA 2002, 366; Kempf / Schilling, wistra 2007, 46; Martin, JuS 2001, 1032; Ackermann, FS Roxin II,

94 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

Auch die Mindermeinung, die der konkludenten Täuschung ein normatives Verständnis zugrunde legt, lässt sich nicht ohne Weiteres mit dem Dogma vom Schutz des Einfältigen in Einklang bringen. Nach dieser Konzeption ist bei der Ermittlung der konkludenten Täuschung nicht auf den durch Ausle­ gung zu ermittelnden Erklärungswert abzustellen, sondern es soll vielmehr auf den normativen Aspekt der Verteilung des Irrtumsrisikos ankommen. Würde man das Bekenntnis zu einem umfassenden Schutz des Einfältigen beim Wort nehmen, bedeutete dies, dass die Risikoverteilung stets zu Guns­ ten des (möglicherweise leichtgläubigen) Empfängers vorzunehmen ist. An­ derenfalls ließe sich der Schutz auch besonders leichtgläubiger und einfälti­ ger Personen nicht immer erreichen. Aber auch hier stellt sich das Problem, dass dies einer Abschaffung des Täuschungsmerkmals gleichkäme. Dieses Problem wird offenbar auch von den Vertretern der h. M. gesehen, da sich einige von ihnen dafür aussprechen, dass im Zusammenhang mit der Ermittlung der konkludenten Täuschung „das Minimum an Redlichkeit im Geschäftsverkehr verbürgt bleiben“ müsse, da nur auf solche Weise in der Ausnutzung unerfahrener, besonders naiver oder sorgloser Adressaten eine Täuschungshandlung gesehen werden könne.419 Dies zeigt, dass sich nach der h. M. erhebliche Abgrenzungsprobleme ergeben, wenn man einerseits ein allumfassendes Schutzniveau des § 263 StGB fordert und auf der anderen Seite vor der Aufgabe steht, erlaubte Verhaltensweisen, die das Ergebnis ei­ ner besonderen Geschäftstüchtigkeit sind, vom strafbaren Betrug zu unter­ scheiden. Jedenfalls wird man dies nicht mit der Floskel des „Minimums an Redlichkeit im Geschäftsverkehr“ erklären können, welche letztlich auch nur ein verhältnismäßig konturenloses Kriterium zur Zurücknahme strafrechtli­ chen Schutzes gegenüber einfältigen Personen ist. Im Zusammenhang mit konkludenten Täuschungen muss jedenfalls gese­ hen werden, dass zumindest die gängigen Täuschungskonzeptionen mit dem Schutze des Einfältigen nicht kompatibel sind. Gegenteiliges gilt nur für den subjektiven Täuschungsbegriff der Rechtsprechung, den diese im Zusam­ menhang mit der Täuschung durch wahre Tatsachen verwendet. Da für das Vorliegen einer Täuschung danach allein entscheidend ist, dass der Täter die Eignung der Erklärung, einen Irrtum hervorzurufen, planmäßig einsetzt und damit gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt und die Irrtumserre­ gung nicht nur die bloße Folge, sondern der Zweck der Handlung ist, ergibt sich hieraus durchaus eine Vereinbarkeit mit dem propagierten weiten Be­ trugsverständnis. Vereinbar ist der subjektive Täuschungsbegriff mit dem S. 951; Hoffmann, GA 2003, 610; SSW-Satzger, § 263 Rn. 38; SK-Hoyer, § 263 Rn. 23. 419  BGHSt 54, 69 (121); 51, 165 (171); Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 14 / 15.



E. Schutz des Einfältigen95

Schutz des Einfältigen aber allein deshalb, weil er bei genauerem Hinsehen nichts anderes ist als eine einfache Ableitung der Täuschung aus dem Irr­ tumsmerkmal, die um eine subjektive, eigentlich dem Vorsatz zuzuschla­ gende, Komponente angereichert wird. Auch sonst sieht sich der subjektive Täuschungsansatz erheblichen dogmatischen Bedenken ausgesetzt,420 sodass dessen Verwendung unterbleiben sollte. Alles in allem ist daher zu konstatieren, dass sich der Schutz des Einfälti­ gen nur schwer mit der besonderen Täuschungsform der konkludenten Täu­ schung in Einklang bringen lässt. Daher ist auch im Zusammenhang mit der konkludenten Täuschung zu fordern, die Bemühungen zu einer sinnvollen Abgrenzung erlaubter und strafbewährter Verhaltensweisen im Anwendungs­ feld des Betruges voranzutreiben.

III. Der Schutz des Einfältigen im Zusammenhang mit der Täuschung durch Unterlassen Ebenso können im Hinblick auf den Schutz des Einfältigen Probleme im Zusammenhang mit der Täuschung durch Unterlassen auftreten. Die Mög­ lichkeit, eine Täuschung im Sinne des § 263 StGB auch durch Unterlassen zu begehen, ist in Rechtsprechung und Literatur fast einhellig anerkannt.421 Allerdings setzt eine Täuschung durch Unterlassen nach § 13 StGB beim Täter eine Garantenstellung voraus, welche sich zunächst aus den herkömm­ lichen Entstehungsgründen herleiten lässt. Dementsprechend ist als Ingerenz­ garant zur Aufklärung verpflichtet, wer durch fahrlässige Falschangaben eine Gefahr irrtumsbedingter Vermögensverfügungen schafft und anschließend seinen Fehler erkennt. Auch die aus Gesetz abgeleiteten Aufklärungspflich­ ten, beispielsweise §§ 19 Abs. 1, 23 Abs. 2, Abs. 3 VVG, haben bei der Täuschung durch Unterlassen eine herausgehobene Bedeutung. Daneben, und dieser Umstand ist für die hier vorgenommene Untersuchung von beson­ derer Brisanz, ist ferner anerkannt, dass sich eine Garantenstellung auch aus besonderen Vertrauensverhältnissen ergeben kann. Solche Vertrauensverhält­ nisse können insbesondere aus Vertrag oder aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB, abgeleitet werden. Dabei ist zu verlangen, dass für das Vermögen des anderen eine begründete Einstandspflicht besteht. Der Unter­ lassende muss gerade deshalb zur Aufklärung verpflichtet sein, weil der Ge­ schäftspartner nach den Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs die Verant­ 420  Vgl.

hierzu Kapitel 1 C. I. 3. a) ff. nur BGH NStZ 2010, 502; BayObLG NJW 1987, 1654; Jäger, BT, Rn. 322; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 160; Fischer, § 263 Rn. 38; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 144; Wessels / Hillenkamp, BT  2, Rn. 503; Lackner / Kühl, § 263 Rn. 12; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 18. 421  Vgl.

96 Kap. 1: Schutzumfang des Betrugstatbestands nach der herrschenden Meinung

wortlichkeit für das Unwissenheitsrisiko nicht alleine tragen soll. Es muss demnach eine Situation bestehen, in der der andere darauf angewiesen ist, dass ihm alle entscheidungserheblichen Tatsachen ungefragt mitgeteilt wer­ den. Dementsprechend wird beispielsweise dann eine Betrugsstrafbarkeit angenommen, wenn ein Gebrauchtwagenverkäufer seinem Kunden nicht of­ fenbart, dass das von ihm verkaufte Auto einen schweren Unfallschaden hat. Eine Täuschung durch Unterlassen soll dagegen aber nicht vorliegen, wenn ein Versandbuchhändler eine Sonderausgabe eines Sachbuchs zum Preis von 68  € verkauft, der zwar dem früheren Preis für die inzwischen vergriffene Originalausgabe entspricht, jedoch den üblichen Preis für die von ihm ange­ botene Sonderausgabe erheblich übersteigt.422 Der Versandbuchhändler-Fall veranschaulicht in besonderer Weise, dass das Dogma vom umfassenden Schutz besonders einfältiger und leichtgläubi­ ger Personen auch im Zusammenhang mit der Täuschung durch Unterlassen auf tönernen Füßen steht. Denn die Kunden des Buchhändlers gingen alle davon aus, dass die von ihnen gekauften Bücher der Preisbindung unterlägen und dass es sich dabei um den üblichen Preis für diese Bücher handelte. Sie vertrauten mithin allzu leichtgläubig darauf, dass der Buchhändler keinen Preis verlangen würde, der von dem üblichen Buchpreis abweicht. Freilich stimmt dieses Ergebnis mit der Verkehrsanschauung überein, da das Preisri­ siko – von wenigen Ausnahmen abgesehen – stets beim Käufer liegt, der sich vor dem Kauf darüber informieren muss, ob er die angebotene Ware nicht an anderer Stelle günstiger erhalten kann. Dennoch wird deutlich, dass sich der Schutz einfältiger und leichtgläubiger Personen jedenfalls auch bei der Täu­ schung durch Unterlassen nicht ohne Weiteres realisieren lässt. Die Garan­ tenstellung aus einem vorhandenen besonderen Vertrauensverhältnis stellt ebenso wie die konkludente Täuschung auf normative Aspekte der Verkehrs­ anschauung bzw. der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs ab. Daraus folgt aber zugleich, dass nicht für jede Einfältigkeit oder Leichtgläubigkeit Raum bleibt, sondern dass bestimmte Opfertypen auch nach der Konzeption der h. M. aus dem Schutzbereich des Betruges herausfallen. Die Einbezie­ hung der Opfermitverantwortung erfolgt in diesen Fällen allerdings nicht ausdrücklich, sondern versteckt durch die Verneinung einer Aufklärungs­ pflicht.423

422  BGH

NJW 1990, 2005; hierzu Rengier, BT I, § 13 Rn. 15. S. 105.

423  Hennings,

Kapitel 2

Viktimodogmatik Während die h. M. einem Mitverschulden des Opfers zumindest vorder­ gründig keine größere Bedeutung beimisst, versuchen einige Autoren das Opfermitverschulden für eine Begrenzung des Betrugstatbestands fruchtbar zu machen. Grundlage hierfür bildet meist die strafrechtsdogmatische Dis­ kussion um die Anerkennung eines sog. viktimologischen Prinzips.424 Jenes geht auf die verhältnismäßig junge Wissenschaft der Viktimologie zurück, die sich als Unterdisziplin der Kriminologie versteht425 und die sich mit dem Prozess des Opferwerdens und den hierauf folgenden Reaktionsmechanismen befasst.426 Einen ihrer wesentlichen Untersuchungsgegenstände bildet die Frage, welche Rolle das spätere Opfer bei der Verbrechensentstehung hatte und inwieweit es durch sein Verhalten die Begehung der Tat beeinflusst hat.427 Ziel ist es, durch die Anwendung wissenschaftlicher Methoden die Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten der Opfer herauszukristallisieren und die unterschiedlichen Opfergruppen zu typisieren, um auf diese Art und Weise die Entwicklung gezielter Selbstschutzpraktiken zu ermöglichen.428 Seit Beginn der 1970er Jahre sind in der Strafrechtsliteratur vermehrt Stimmen laut geworden, die eine Übertragung der viktimologischen Erkennt­ nisse in die Dogmatik des materiellen Strafrechts fordern und die danach fragen, inwieweit die Mitverantwortung des Opfers zu einem Ausschluss des Tatbestands oder der Rechtswidrigkeit führen kann.429 Kernaussage dieser als „Viktimodogmatik“430 bezeichneten Lehre ist es, dass das scharfe Schwert hierzu Schünemann, ZStW 90 (1978), 32; ders., FS Bockelmann, S. 130. Hillenkamp, JuS 1987, 941; Zipf, MSchKrim 53 (1970), 1; v. Hentig, Jour­ nal of Criminal Law 31 (1940 / 41), 303 ff.; a. A. Mendelsohn, S. 60 ff., der die Vikti­ mologie als autonome interdisziplinäre Opferwissenschaft betrachtet. 426  Eingehend zur Viktimologie Kropp, JuS 2005, 686 ff.; Kühne / Ammer, JuS 1986, 388 ff.; Zipf, MSchKrim 53 (1970), 1 ff. 427  Kropp, JuS 2005, 686; Zipf, MSchKrim 53 (1970), 2; Amelunxen, S. 34. 428  Amelunxen, S. 35. 429  Grundlegend hierzu Schünemann, NStZ 1986, 439 ff.; Arzt, MSchKrim 67 (1984), 107 ff.; Schüler-Springorum, FS Honig, S. 201 ff.; vgl. auch Roxin, AT I, § 14 Rn. 15 ff. 430  Zur Begriffsfindung vgl. Schünemann, NStZ 1986, 439; krit. zum Begriff „Vik­ timodogmatik“ Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 372. 424  Vgl. 425  So

98

Kap. 2: Viktimodogmatik

des Strafrechts unter dem Gesichtspunkt des Ultima-ratio-Axioms nur dann zur Anwendung gelangen soll, wenn die Rechtsgüter des Opfers nicht ebenso gut durch mildere, außerstrafrechtliche Mittel geschützt werden können.431 Zu diesen außerstrafrechtlichen Mitteln sollen nach der viktimodogmatischen Lehre insbesondere auch die Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers zählen. Demnach sollen Opfer, die sich selbst in zumutbarer Weise vor der Rechts­ gutsbeeinträchtigung hätten bewahren können, nicht mehr in den Genuss strafrechtlichen Schutzes kommen.432 Nach ihren Befürwortern soll sich die Viktimodogmatik nicht bloß auf die Deliktsgruppe der Selbstschädigungsdelikte beschränken, sondern einen all­ gemeinen Grundsatz für die Berücksichtigung des Opferverhaltens schaf­ fen.433 Dennoch stellt vor allem der Tatbestand des § 263 StGB das „Prüfund Exerzierfeld“ für die Leistungsfähigkeit und die Leistungsgrenzen dieser Lehre dar.434 In erster Linie konzentrieren sich die Untersuchungen dabei auf die umstrittene Frage, inwieweit vorhandene Zweifel des Verfügenden das Vorliegen eines Irrtums ausschließen können.435 Vielfach wird aber auch versucht, das Opfermitverschulden an anderer Stelle zu aktivieren, um be­ sonders einfach gestrickte oder plumpe Täuschungen aus dem Tatbestand herauszunehmen.436 Die dogmatischen Mittel und Wege, mit denen versucht wird, dieses Ziel zu erreichen, sind höchst unterschiedlich und reichen von einer einschränkenden Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale bis hin zu einer teleologischen Reduktion des gesamten Betrugstatbestands.

A. Restriktion des Täuschungsmerkmals Der objektive Tatbestand des Betruges setzt an erster Stelle eine Täu­ schungshandlung voraus, die das Gesetz als Vorspiegelung falscher bzw. als Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen umschreibt. Nach gängi­ ger Definition ist hierin die Einwirkung auf das intellektuelle Vorstellungs­ bild eines anderen mit dem Ziel der Irreführung über Tatsachen zu verste­ 431  Schünemann, NStZ 1986, 439; ders., Strafrechtssystem, S. 62; ders., ZStW 90 (1978), 32; Mühlbauer, NStZ 2003, 652; Ellmer, S. 232 ff.; Harbort, S. 57 f.; Hörnle, GA 2009, 628; Müller, NZWiSt 2014, 397; krit. hierzu Pawlik, Unerlaubtes Verhal­ ten, S. 50. 432  Vgl. Jung, MschKrim 67 (1984), 132; Beckemper, S. 213; Mühlbauer, NStZ 2003, 652. 433  Schünemann, FS Faller, S. 357 ff.; vgl. auch Beckemper, S. 213. 434  Beckemper, S. 223; Hassemer, S. 99; Schünemann, Strafrechtssystem, S. 80; vgl. auch Vergho, Verbrauchererwartung, S. 149. 435  So Giehring, GA 1973, 1 ff.; Amelung, GA 1977, 7; Hillenkamp, Opferverhal­ ten, S. 24 ff.; weitere Nachweise bei Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 40. 436  Hennings, S. 131.



A. Restriktion des Täuschungsmerkmals99

hen.437 Vereinzelt sind Ansätze vorzufinden, die dieses Merkmal viktimodog­ matisch interpretieren wollen.

I. Erhöhte Anforderungen an die Qualität des Täuschungsmittels Beispielsweise hält es Arzt für naheliegend, eine Abschichtung besonders einfach zu durchschauender Täuschungen mithilfe des Täuschungsmerkmals vorzunehmen.438 Für das Vorliegen eines Betruges möchte er daher nicht bereits jede denkbare Täuschungshandlung ausreichen lassen. Vielmehr sei ein Täuschungsmittel von einer bestimmten Qualität zu verlangen.439 Zu fordern sei daher, dass nicht jede Täuschung, sondern nur besonders schwer zu durchschauende oder besonders listige Täuschungen geeignet sein sollen, den Betrugstatbestand zu erfüllen.440 Gegen die von Arzt vorgeschlagene Anknüpfung am Täuschungsmerkmal spricht bereits, dass die Täuschung nur die vom Täter vorzunehmende Tat­ handlung zum Ausdruck bringt. Man muss sich jedoch die Frage stellen, weshalb ausgerechnet dasjenige Betrugsmerkmal, das die Täterseite des Be­ truges markiert,441 Verwendung finden soll, um ein Mitverschulden des Op­ fers zu berücksichtigen.442 Hinzu kommt, dass die vorgeschlagene Unter­ scheidung zwischen besonders listigen und weniger listigen Täuschungen vor allem im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz problematisch erscheint.443 Denn der Bestimmtheitsgrundsatz verlangt, dass jeder in verlässlicher Weise vorhersehen können muss, welches Verhalten mit Strafe bedroht ist und wel­ ches nicht, damit er sein Handeln daran entsprechend ausrichten kann.444 437  BGHSt 47, 1 (3); Wessels / Hillenkamp, BT 2, Rn. 490; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 6; Eisele, BT II, Rn. 521; Fischer, § 263 Rn. 14. 438  Arzt, MschrKrim 67 (1984), 112. 439  Arzt, MschrKrim 67 (1984), 112. 440  Arzt, MschrKrim 67 (1984), 112, unter Verweis auf die Gesetzeslage in der Schweiz und auf eine Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichts, das denjeni­ gen nicht für berechtigt hält, den Strafrichter anzurufen, der „allzu leichtgläubig auf eine Lüge hereinfällt, wo er sich mit einem Mindestmaß an Aufmerksamkeit durch Überprüfung der falschen Angaben selbst hätte schützen können“, BGE 32 72 IV, 126. Eingehend zur schweizerischen Rechtslage Eick, S. 84 ff.; Hennings, S. 84 f. so­ wie Ackermann, FS Roxin II, S. 949 ff. 441  Kurth, S. 105; Harbort, S. 29; die übrigen Betrugsvoraussetzungen betreffen dagegen allein die Opferseite, vgl. hierzu Eisele, BT II, Rn. 536. 442  Kurth, S. 105; Harbort, S. 29; Loch, S. 137. 443  Vgl. hierzu Kurth, S. 104. 444  BVerfGE 92, 12; BVerfG NJW 2009, 2371; BGHSt 23, 171; BGHSt 34, 171 (178); Jäger, AT, Rn. 10; NK-Hassemer / Kargl, § 1 Rn. 14; BeckOK-v. HeintschelHeinegg, § 1 Rn. 10.

100

Kap. 2: Viktimodogmatik

Mangels tauglicher Kriterien wird es aber kaum möglich sein, die „besondere Qualität“ eines Täuschungsmittels festzustellen, ohne dabei willkürlich vor­ zugehen.445 Für den Einzelnen ist damit die Strafbarkeit seines Verhaltens nicht mehr eindeutig bestimmbar. Letztlich war dies einer der Gründe, wes­ halb der Gesetzgeber seinerzeit von einer Einführung des Arglistmerkmals in den Betrugstatbestand Abstand genommen hatte, obwohl dies bereits damals Gegenstand rechtswissenschaftlicher Diskussion war.446

II. Der Missbrauch berechtigten Vertrauens Ein weiterer Vorschlag findet sich bei Ellmer, der sich ebenfalls für eine viktimodogmatische Einschränkung des Täuschungsmerkmals stark macht. In dogmatischer Hinsicht möchte er diese im Wege einer teleologischen Re­ duktion erreichen.447 Geleitet von der Prämisse, dass § 263 StGB eine durch einen Vertrauensmissbrauch herbeigeführte Vermögensschädigung bestrafe,448 möchte er eine tatbestandsmäßige Täuschung nur in Handlungen erblicken, die einen bestimmten Grad an konkreter Gefährlichkeit aufweisen.449 Dieser Gefahrengrad soll aber nur dann erfüllt sein, wenn der durch die Täuschung hervorgerufene Irrtum nicht auf einem grob fahrlässigen Mitverschulden des Opfers beruht.450 Nach Ellmer seien demnach nur solche Täuschungen geeig­ net, den Betrugstatbestand zu erfüllen, welche auch von einem sorgfältig oder lediglich (einfach) fahrlässig handelnden Opfer nicht hätten vermieden werden können.451 Den Grund für diese Form der Beschränkung sieht Ellmer in der Rolle, die das Vertrauen für den Tatbestand des Betruges spielt. Zwar erkennt auch er an, dass das Vermögen grundsätzlich das alleinige Schutzgut des § 263 StGB ist, er ist jedoch der Überzeugung, dass sich zumindest das Handlungsun­ recht des Betruges aus einem Zusammenspiel zwischen dem täterbezogenen Begriff der Lüge und dem opferbezogenen Begriff des Vertrauens ergebe. Eine Lüge könne deshalb nur dann zur Täuschung aufsteigen, wenn das Op­ fer auch auf die Wahrheit der Behauptung vertraut habe und dieses Vertrauen Kurth, S. 104. hierzu Eick, S. 74; Hennings, S. 75. 447  Ellmer, S. 287 ff. 448  Ellmer, S. 271. 449  Ellmer, S. 287. 450  Ellmer, S. 287. 451  Ellmer, S. 287. Den Verschuldensmaßstab der groben Fahrlässigkeit leitet Ellmer aus dem Zivilrecht ab, wo ein leicht fahrlässiger Umgang mit eigenen Gütern regelmäßig gestattet, ein grob fahrlässiger Umgang dagegen nicht toleriert werde; Opfermitverantwortung, S. 284. 445  Ebenso

446  Eingehend



A. Restriktion des Täuschungsmerkmals101

darüber hinaus auch schutzwürdig ist.452 Schutzwürdig könne nach Ellmer aber immer nur ein „berechtigtes Vertrauen“ sein. Für ein solches Vertrauen sei wiederum Voraussetzung, dass der Vertrauende seine „Obliegenheit zu Aufmerksamkeit und Kontrolle“ nicht grob fahrlässig verletzt und damit durch sein Mitverschulden zur Vertrauensläsion beigetragen habe.453 Um zu verhindern, dass der Schutz durch den Betrugstatbestand denjenigen verwehrt wird, die diesen aufgrund ihrer geistigen Defizite besonders bedürften, sei bei der Beurteilung des Mitverschuldens ein subjektiv zu bestimmender Ver­ schuldensmaßstab anzulegen.454 Ein vorhandenes Opfermitverschulden soll daher nur dann tatbestandsausschließend sein, wenn das Opfer unter Berück­ sichtigung seiner individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten den Irrtum hätte vermeiden können. Ist dies nicht der Fall, liege ein Betrug vor.455 Neben grundsätzlichen Vorbehalten, die gegen eine Lozierung des Gedan­ kens des Opfermitverschuldens beim Tatbestandsmerkmal der Täuschung sprechen,456 sieht sich Ellmers Auffassung nicht nur praktischen, sondern auch erheblichen dogmatischen Bedenken ausgesetzt. Indem er den Fokus auf den Gesichtspunkt des Vertrauens in die Wahrheit der Aussage legt, wird der Schwerpunkt der tatbestandlichen Schutzrichtung vom Vermögensschutz abgelenkt und hin zu einem Vertrauens- bzw. Wahrheitsschutz verlagert. Zwar bekennt sich auch Ellmer zur h. M., nach der § 263 StGB allein dem Vermögensschutz dient,457 jedoch wird dem Vertrauensschutz durch eine Nichtanwendung des Betrugstatbestands in Fällen, in denen ihm das Ver­ trauen nicht schutzwürdig erscheint, über die Hintertür eine übermäßige Be­ deutung zugemessen und das Dogma vom Vermögen als alleinigem Schutz­ gut des Betruges aufgeweicht. Zudem führt Ellmers Konzept zu einer Ver­ schleifung des Täuschungs- mit dem Irrtumsmerkmal.458 Indem Ellmer be­ reits bei der Täuschung prüft, ob das Opfer der Lüge geglaubt, bzw. auf deren Wahrheit vertraut habe, werden die Tatbestandsmerkmale der Täu­ schung und des Irrtums in unzulässiger Weise miteinander vermengt und eine 452  Ellmer,

S. 272 f. S. 281. 454  Ellmer, S. 283. 455  Ellmer, S. 283. 456  Da die Täuschung im Gegensatz zu den übrigen Tatbestandsmerkmalen des Betruges ausschließlich täterbezogene Aspekte in den Blick nimmt, bietet sie für die Diskussion des Opfermitverschuldens nur wenig Raum, vgl. hierzu Eick, S. 126; Ellmer, S. 212 ff.; Harbort, S. 29; Jänicke, S. 278; Kurth, S. 105. 457  BGHSt 16, 220 (221); 16, 321 (325); BGH wistra 1995, 28; Schönke / Schrö­ der / Perron, § 263 Rn. 1 / 2; Fischer, § 263 Rn. 3; Lackner / Kühl, § 263 Rn. 2; Mitsch, BT  2, S. 255; Otto, BT, § 51 Rn. 2; Eisele, BT  II, Rn. 517; a. A. Heghmanns, BT, Rn. 1187, 1230. 458  Harbort, S. 29; Wittig, S. 240. 453  Ellmer,

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Kap. 2: Viktimodogmatik

Unterscheidung beider Tatbestandsmerkmale aufgegeben.459 Dies wider­ spricht jedoch dem vom BVerfG ausgesprochenen Verschleifungsverbot, nach dem bei der Auslegung weit gefasster Tatbestandsmerkmale durch eine präzisierende Auslegung darauf geachtet werden muss, dass die Tatbestands­ merkmale ihre eigenständige Bedeutung behalten und nicht in anderen Tatbe­ standsmerkmalen aufgehen.460 Neben den bereits erwähnten dogmatischen Problemen treten auch erheb­ liche praktische Schwierigkeiten auf, die vor allem durch die von Ellmer befürwortete „rein subjektive Bestimmung“ des Verschuldensmaßstabs her­ vorgerufen werden. Wenn ein tatbestandsausschließendes Mitverschulden nur dann vorliegen soll, wenn das Opfer unter „Berücksichtigung seiner indivi­ duellen Kenntnisse und Fähigkeiten“ den Irrtum nicht hätte vermeiden kön­ nen, muss in jedem konkreten Einzelfall die geistige Konstitution des Opfers eingehend untersucht werden.461 Dies ist jedoch, wie Ellmer selbst zugesteht,462 wegen des hohen Verfahrensaufwands kaum durchführbar und würde darüber hinaus für die Betroffenen eine erhebliche Belastung bedeu­ ten.463 Zudem stellt sich das Problem, dass die jeweiligen Opferfähigkeiten für den Täter regelmäßig nur erkennbar sind, wenn die Täuschung in einem unmittelbaren persönlichen Kontakt erfolgt und sich der Täter ein Bild von seinem jeweiligen Opfer machen kann. Da ein nicht unbedeutender Teil  der Betrugstaten über das Internet und andere Medien der Massenkommunika­ tion begangen wird, wird der Täter dagegen mangels eines unmittelbaren persönlichen Kontaktes regelmäßig gar keine Vorstellung von den intellektu­ ellen Fertigkeiten seiner Opfer haben.464 Dem Täter dürfte in diesen Fällen ein Vorsatz daher nur schwer nachzuweisen sein. Spätestens hier stößt der subjektive, an der individuellen Opferperspektive orientierte Ansatz an seine Grenzen.

459  Wittig,

S. 240. NJW 2012, 916; NJW 2010, 3215; vgl. auch SSW-Satzger, § 263 Rn. 3 m. w. N. 461  Maiwald, ZStW 103 (1991), 701. 462  Ellmer, S. 283. 463  Ähnlich auch Erb, ZIS 2011, 373. Ellmer, S. 283, sieht diesen Einwand jedoch dadurch entkräftet, dass die Opfer in der mehrheitlichen Anzahl der Fälle über eine durchschnittliche Intelligenz verfügen würden, sodass ein objektiver Maßstab, der auf die durchschnittlichen Fähigkeiten abstellt, genüge. Allerdings läuft dies faktisch auf die Aufgabe des von Ellmer propagierten subjektiven Ansatzes hinaus, vgl. hierzu Schwarz, S. 103. 464  Vgl. hierzu LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 3. 460  BVerfG



A. Restriktion des Täuschungsmerkmals103

III. Einschränkung durch das Kriterium der objektiven Täuschungseignung Ein weiterer Ansatz, der sich für eine Berücksichtigung der Opfermitver­ antwortung im Rahmen des Täuschungsmerkmals einsetzt, findet sich bei Gaede.465 Gaede ist der Auffassung, dass das Bedürfnis nach dem Schutz der Kommunikation nicht dazu führen dürfe, dass „das Lügeverbot der Moral unter dem Deckmantel der vertrauensvollen Kommunikation als Selbst­ zweck“ über den Betrug geschützt werde.466 Zahlreiche strafbarkeitsausdeh­ nende normative Interpretationsansätze führten heute dazu, dass eine die wirtschaftlichen Freiheiten wahrnehmende Kommunikation unangemessen erschwert würde. Auch der Gesetzgeber habe durch das Erfordernis der Täu­ schung über Tatsachen zum Ausdruck gebracht, dass eine Kriminalstrafe nicht bei jeder beliebigen vorsätzlichen Vermögensschädigung angemessen sei. Die Reichweite dieser Tatbestandsbegrenzung sei jedoch mit dem Wort­ laut nicht zutreffend bzw. abschließend beschrieben.467 In der Folge plädiert Gaede dafür, nur solche Täuschungen dem Betrugs­ strafrecht zu unterwerfen, die eine „objektive Täuschungseignung“ besitzen. Eine solche soll nach seinem Konzept immer dann vorliegen, wenn die Irre­ führungen nicht nur faktisch, sondern auch im Rahmen einer objektiven Be­ wertung täuschungsgeeignet erscheinen. Dabei sei davon auszugehen, dass falsche Tatsachenbehauptungen mit Vermögensbezug in aller Regel auch eine objektive Täuschungseignung aufweisen. Im Zuge einer rechtlichen Bewer­ tung sei diese aber wiederum zu verneinen, wenn das Recht vom Empfänger der potentiell irreführenden Aussage erwarten könne, dass dieser auf die irre­ führende Kommunikation keine Vermögensverfügungen stützt. Für diese Bewertung könnten die Kriterien herangezogenen werden, die für die objek­ tive Zurechnungslehre entwickelt wurden, sodass es beispielsweise bei einem mangelnden rationalen Erklärungsgehalt oder bei verkehrsüblichen und durch Rechtsnormen vorgenommenen Risikozuweisungen zur Person des Erklä­ rungsempfängers an einer objektiven Täuschungseignung und damit an einer Täuschung i. S. d. § 263 StGB fehle. Auch die europarechtlichen Wertungen und das unionsrechtliche Leitbild vom durchschnittlich informierten, auf­ merksamen und verständigen Verbraucher könnten auf diese Weise Einfluss auf die Auslegung des Betrugstatbestandes nehmen.468 Gleiches gelte für die arbeitsrechtliche Problematik um das eingeschränkte Fragerecht, welche auf

465  AnwK-Gaede,

§ 263 Rn. 21 ff. FS Roxin II, S. 978. 467  AnwK-Gaede, § 263 Rn. 22 f. 468  AnwK-Gaede, § 263 Rn. 23. 466  Gaede,

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Kap. 2: Viktimodogmatik

anderem Wege ebenfalls nicht sinnvoll in die Betrugsdogmatik integriert werden könne.469 Auch Gaede muss sich den Vorwurf gefallen lassen, mit dem Täuschungs­ merkmal an dem Tatbestandsmerkmal des Betruges anzuknüpfen, das für eine Einbeziehung eines mitwirkenden Opferverschuldens am ungeeignetsten ist. Zudem ist es vorzugswürdig, die Zurechnungslehre nicht zur einschrän­ kenden Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale heranzuziehen, sondern sie als wertungsmäßige Korrektur zwischen der Gefahrbegründung und dem eingetretenen Erfolg einzusetzen. Hierauf wird an späterer Stelle noch ein­ mal zurückzukommen sein.

IV. Einschränkung durch die Abgrenzung von Verantwortungsbereichen anhand von Solidaritätspflichten des Täters Ein weiterer Ansatz, der am Täuschungsmerkmal des Betruges anknüpft, findet sich bei Schwarz, der das Tatbestandsmerkmal der Täuschung im Wege einer Abgrenzung von Verantwortungsbereichen einschränken will. Ausgangspunkt für diese Überlegung bildet seine Annahme, dass der Täu­ schungsbegriff nicht faktisch, sondern normativ zu interpretieren sei.470 Ent­ scheidend für das Vorliegen einer Täuschung soll damit nicht mehr der Er­ klärungswert sein, der dem Gesamtverhalten des Täters nach der Verkehrsan­ schauung zukommt, sondern die Frage, inwieweit der Täter für vorhandene Informationsdefizite des Opfers verantwortlich zeichnet.471 Da nach Schwarz im Rahmen der Betrugsstrafbarkeit von einem durchschnittlich sorgfältig handelnden Opfer mit gewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten auszugehen sei,472 dürfe der Täter grundsätzlich voraussetzen, dass er sich in einem „Ver­ hältnis unter Gleichen“ befinde, sodass er sein Handeln auch danach ausrich­ ten könne.473 Außergewöhnliche Schwächelagen, die beim Opfer vorliegen und die zu einer Unterschreitung des vorgenannten Maßstabs führen, seien deshalb von der Regelzuständigkeit des Betrugstäters grundsätzlich nicht er­ 469  AnwK-Gaede,

§ 263 Rn. 23. S. 134; ebenso Frisch, FS Jakobs, S. 122; ähnlich auch Wittig, S. 330. 471  Schwarz, S. 133 ff.; eingehend zur Bestimmung der Täuschungshandlung sowie zum diesbezüglichen Meinungsstand MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 55 ff.; SK-Hoyer, § 263 Rn. 29 ff.; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 5a jeweils m. w. N. 472  Schwarz, S. 134, 136. 473  Schwarz, S. 142. Diesen Umstand leitet Schwarz aus dem von Kant entwickel­ ten Prinzip absoluter Gleichheit und Selbstständigkeit der Rechtssubjekte ab, welches Strafrechtsschutz gewähre, ohne individuelle Fähigkeiten des Opfers zu berücksichti­ gen, S. 137. 470  Schwarz,



A. Restriktion des Täuschungsmerkmals105

fasst.474 Erst wenn eine besondere Verantwortlichkeit des Täters in Form ei­ ner „Solidaritätspflicht“ hinzutrete, komme in Fällen der Opfermitverantwor­ tung eine Verlagerung der Zuständigkeiten auf den Täter und damit eine strafrechtlich relevante Täuschung in Betracht.475 In allen anderen Konstella­ tionen wirke sich ein Mitverschulden des Opfers dagegen tatbestandsaus­ schließend aus.476 Kernstück seiner Untersuchung ist die Bestimmung der zurechnungs- und damit täuschungsbegründenden Solidaritätspflicht, welche Schwarz mithilfe des Wuchertatbestands und dessen Konkurrenzverhältnis zu § 263 StGB be­ stimmen will. Schwarz ist der Auffassung, dass der Gesetzgeber im Wucher­ verbot „Bestehen und Umfang an Solidaritätspflichten in Vermögensangele­ genheiten monopolisiert“ und darin abschließend geregelt habe.477 Daher müsse der Tatbestand des Wuchers auch für die Betrugsstrafbarkeit den Maßstab und die Wertungen vorgeben, unter welchen Bedingungen das Aus­ nutzen einer vom Täter nicht herbeigeführten Schwächesituation als strafbare Handlung anzusehen ist.478 Da die strafbare Ausnutzung besonderer Schwä­ chelagen durch § 291 StGB erfasst sei, dürfe sie grundsätzlich auch nur mithilfe des Wucherverbots sanktioniert werden. Lediglich in besonderen Ausnahmefällen sei es gestattet, den Betrugstatbestand „hilfsweise“ heranzu­ ziehen. Deshalb verbiete es sich in Fällen, in denen sowohl der Wucher- als auch der Betrugstatbestand dem Anschein nach erfüllt sind, eine betrugsrele­ vante Täuschung anzunehmen. In diesen Fällen, ergebe sich die Sonderzu­ ständigkeit des Täters unmittelbar aus § 291 StGB, mit der Konsequenz, dass die Opfermitverantwortung schon über das Wucherverbot hinreichend Be­ rücksichtigung findet.479 Ein Bedürfnis, das Opfer darüber hinaus noch über den Betrugstatbestand zu schützen, bestehe in diesen Konstellationen nicht.480 Um dieses Ergebnis dogmatisch herbeizuführen, sei der Täuschungsbegriff als „deliktssystematischer Ort der Umsetzung“ zu reduzieren. Dies bringe laut Schwarz den Vorteil mit sich, dass das Spannungsverhältnis zwischen § 263  StGB und § 291 StGB bereits auf der Tatbestandsebene bereinigt würde und nicht über die Konkurrenzen gelöst werden müsse.481 Anders sei nach Schwarz hingegen zu verfahren, wenn lediglich der Be­ trugstatbestand, nicht aber der Tatbestand des Wuchers erfüllt ist. In diesen 474  Schwarz, 475  Schwarz, 476  Schwarz, 477  Schwarz, 478  Schwarz, 479  Schwarz, 480  Schwarz, 481  Schwarz,

S. 114. S. 142. S. 114. S. 150. S. 150. S. 164. S. 164. S. 163.

106

Kap. 2: Viktimodogmatik

Fällen sei danach zu differenzieren, ob eine Strafbarkeit wegen Wuchers an einer fehlenden Schwächelage oder an einem nicht vorhandenen auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Vermögensvorteil scheitert.482 Ist Ers­ teres der Fall, sei infolge der Wertungen des Gesetzgebers, der nur den Miss­ brauch bestimmter Opferschwächen unter Strafe stellen wollte, eine Solidari­ tätspflicht und damit auch eine betrugsrelevante Täuschung zu verneinen.483 Die hierbei entstehenden Strafbarkeitslücken müssten als Folge dieser ge­ setzgeberischen Wertentscheidung akzeptiert werden.484 Damit lägen insbe­ sondere bei spekulativen Geschäften, bei zweifelnden Opfern, bei irrealen Erwartungen im Bereich der Geldanlage sowie im sog. Haarverdicker-Fall keine betrugsrelevanten Täuschungen vor. Denn diese Fälle seien allesamt nicht Folge einer Schwächelage vom Gewicht des § 291 StGB, sondern nur Ausdruck eines Gewinnstrebens bzw. einer vom Wuchertatbestand nicht ge­ schützten groben Fahrlässigkeit.485 Der Täter könne ihretwegen daher nicht haftbar gemacht werden. Lediglich bei abergläubischen Behauptungen möchte Schwarz eine Betrugsstrafbarkeit anerkennen, da die an den Einfluss übersinnlicher Kräfte glaubenden Opfer zumindest über ein partielles intel­ lektuelles Defizit verfügten und damit eine prinzipielle kognitive Inkompe­ tenz besäßen.486 In den Fällen, in denen eine Strafbarkeit wegen Wuchers dagegen lediglich an einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung scheitert, möchte Schwarz im Rahmen des Betrugstatbe­ stands eine Kompensation durch vergleichbare Kriterien, namentlich der „(Vor-)Inszenierung des geschäftlichen Kontakts“, zulassen.487 Allerdings sei dann der Strafrahmen des § 291 StGB zur Anwendung zu bringen, sodass gegen den Täter im Grundfall maximal eine dreijährige Freiheitsstrafe ver­ hängt werden kann.488 Die von Schwarz vorgeschlagene Konzeption begegnet bereits insoweit grundlegenden Bedenken, als sie zu einer unzulässigen Vermengung der Tat­ bestandsmerkmale des Betruges führt. Indem Schwarz das (Nicht-)Vorliegen des Täuschungsmerkmals vom Vorhandensein des Wuchers und damit auch von einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Vermögensvor­ teil abhängig macht, bezieht er in die Bestimmung der Täuschungshandlung auch Umstände mit ein, die an sich erst bei der Feststellung des Vermögens­ schadens relevant werden. Zudem ist sein Ansatz nicht frei von logischen 482  Schwarz, 483  Schwarz, 484  Schwarz, 485  Schwarz, 486  Schwarz, 487  Schwarz, 488  Schwarz,

S. 154. S. 166. S. 164. S. 154 ff. S. 157. S. 174. S. 177.



A. Restriktion des Täuschungsmerkmals

107

Brüchen: Wenn für das Bestehen einer Solidaritätspflicht das Vorliegen einer Opferschwäche vom Gewicht des § 291 StGB entscheidend sein soll, ist es kaum begründbar, einen Betrug nicht auch in den Fällen anzunehmen, in denen sämtliche Voraussetzungen des § 291 StGB erfüllt sind. Dies gilt umso mehr, wenn an anderer Stelle eine Betrugsstrafbarkeit mit dem Argument verneint wird, dass eine Solidaritätspflicht wegen einer fehlenden Schwäche­ lage vom Gewicht des § 291 StGB nicht gegeben sei. Auch ergibt sich die Notwendigkeit einer am Wuchertatbestand orientier­ ten einschränkenden Betrugsauslegung nicht aus dem Konkurrenzverhältnis zwischen § 263 StGB und § 291 StGB.489 Abgrenzungsprobleme dürften re­ gelmäßig nur im Rahmen des sog. Preisgestaltungsbetrugs auftreten. Denn bei diesem besteht tatsächlich die Gefahr, dass die vom Gesetzgeber vorge­ nommenen Wertungen  – insb. auf der Rechtsfolgenseite  – unterlaufen wür­ den, wenn man neben dem Wucher auch den Betrugstatbestand durchdringen ließe. Diese Fälle lassen sich aber auf Konkurrenzebene durchaus befriedi­ gend lösen,490 sodass es der von Schwarz vorgeschlagenen tatbestandlichen Beschränkung des § 263 StGB nicht bedarf.

V. Eingrenzung des Täuschungsmerkmals anhand des Tatsachenbegriffs Wie die vorgenannten Autoren setzt sich auch Hilgendorf dafür ein, ein etwaiges Opfermitverschulden im Rahmen der Täuschung über Tatsachen zu berücksichtigen. Allerdings setzt er hierbei nicht bei der Täuschungshand­ lung als solcher, sondern beim Tatsachenbegriff an.491 Nach seinem Konzept ist der Gedanke der Opfermitverantwortung bei der Abgrenzung zwischen (betrugsrelevanten) Tatsachenaussagen und (betrugsirrelevanten) Meinungs­ äußerungen miteinzubeziehen.492 Da Rechtsprechung und h. L. diesen Ge­ danken  – jedenfalls im Bereich der Werbung  – zwar im Ansatz ebenfalls berücksichtigen, hierbei jedoch nicht immer zu konsistenten Lösungen kom­ men, möchte Hilgendorf den Begriffen, „Tatsachenbehauptung“, „Werturteil“ und „Meinungsäußerung“ ein neues inhaltliches Gepräge geben, um auf diese Weise die bestehenden Widersprüchlichkeiten zu beseitigen.493 Unter aber Schwarz, S. 145 ff. eingehend Lackner / Werle, NStZ 1985, 504. 491  Hilgendorf, Tatsachenaussagen, S. 192 ff. Dabei handelt es sich um eine Wei­ terführung des Gedankens von Samson, der durch den Tatsachenbegriff solche Fälle aus dem Betrugstatbestand herausnehmen will, in denen sich das Opfer extrem leicht­ fertig verhält, vgl. dazu SK-Samson, § 263 Rn. 18 f. 492  Hilgendorf, Tatsachenaussagen, S. 110 f. 493  Hilgendorf, Tatsachenaussagen, S. 111. 489  So

490  Hierzu

108

Kap. 2: Viktimodogmatik

den Begriff der Meinungsäußerung möchte er sämtliche Äußerungen fassen, die nur einen herabgesetzten Geltungsanspruch besitzen und die deshalb nicht Gegenstand eines Betruges sein könnten.494 Werturteile sowie „parasi­ täre“ und hochgradig unsubstantiierte Tatsachenaussagen seien deshalb dem Begriff der Meinungsäußerung zuzuschlagen. Maßstab für die von ihm pro­ pagierte Eingrenzung soll die Einschätzung eines durchschnittlich gebildeten und geschäftserfahrenen Bürgers sein.495 Sofern nach dessen Urteil die Wahr­ heit einer Aussage offenkundig zweifelhaft erscheint, sei von einer betrugs­ irrelevanten Meinungsäußerung auszugehen.496 Allerdings möchte Hilgendorf diesen Maßstab dispensieren, wenn es um den Schutz alter oder geistig schwacher Personen geht. Er ist der Auffassung, dass es das Sozialstaatsprinzip gebiete, nicht diejenigen aus dem Schutzbe­ reich des § 263 StGB herauszunehmen, die diesen Schutz in besonderer Weise bedürften. Daher müsse bei besonders schutzwürdigen Personenkreisen auf die konkrete Gefährlichkeit der täuschenden Aussage abgestellt werden, wel­ che in ausdrücklicher Anlehnung an Ellmer anhand des individuellen Ver­ schuldensmaßstabs des Opfers zu ermitteln sei. Ein Betrug müsse demnach immer dann abgelehnt werden, wenn der Irrtum des Opfers auf dessen grober Fahrlässigkeit beruhe. Eine generelle Adaption von Ellmers Ansatz, auf die individuelle Opferperspektive zu rekurrieren, lehnt Hilgendorf jedoch ab, da er eine hierin eine unnötige Gefährdung der Rechtssicherheit erkennt.497 Hilgendorf sieht die Vorteile der von ihm vorgeschlagenen Neuordnung der Begrifflichkeiten vor allem im Zusammenhang mit der Strafbarkeit der Publikumswerbung und der marktschreierischen Reklame. Denn nach seiner Konzeption wäre übertreibenden Anpreisungen künftig nicht mehr der Tat­ sachencharakter abzusprechen, sondern sie wären wegen ihres verminderten Geltungsanspruchs generell nur noch als bloße Meinungsäußerungen einzu­ stufen, welche als solche nicht dem Betrugstatbestand unterfallen.498 Hilgen­ dorf verspricht sich hierdurch, den vorherrschenden Widerspruch zu beseiti­ gen, dass bei übertreibender Reklame häufig Tatsachenaussagen vorliegen, die allein wegen eines fehlenden Strafbedürfnisses zu Werturteilen umquali­ fiziert werden.499 In Abweichung von der h. M. sei der Täter daher im Haar­ verdicker-Fall500 nicht wegen Betruges strafbar.501 494  Hilgendorf,

Tatsachenaussagen, S. 203. Tatsachenaussagen, S. 199. 496  Hilgendorf,  Tatsachenaussagen, S. 200. Darüber hinaus soll auch der Täter selbst den Geltungsanspruch seiner Aussage vermindern können, indem er sie mit einschränkenden Formulierungen, wie „ich vermute“ anreichert, vgl. hierzu Hilgendorf, Tatsachenaussagen, S. 199 f. 497  Hilgendorf, Tatsachenaussagen, S. 200 Fn. 60. 498  Hilgendorf, Tatsachenaussagen, S. 192 ff. 499  Hilgendorf, Tatsachenaussagen, S. 192 f. 495  Hilgendorf,



B. Tatbestandliche Restriktionen über das Irrtumsmerkmal 109

Zuzugestehen ist Hilgendorf, dass Rechtsprechung und h. L. vor allem im Bereich der übertreibenden Werbeaussagen widersprüchlich und nicht immer konsequent vorgehen. Tatsächlich erscheint es fragwürdig, weshalb die Be­ hauptung, eine Rasierklinge sei die meistverkaufte der Welt, lediglich ein Werturteil sein soll, wohingegen der Vertrieb von Schönheitsprodukten unter abenteuerlichen Behauptungen zu einer Strafbarkeit wegen Betruges führt.502 Die Kritik an der zuweilen zu willkürlichen Ergebnissen führenden Recht­ sprechung ist daher durchaus berechtigt. Ebenso ist beachtlich, dass Hilgen­ dorf bei der Bestimmung des Maßstabs auf die Sichtweise eines durch­ schnittlichen Verbrauchers abstellt und sich damit im Einklang mit dem Wettbewerbsrecht und den europarechtlichen Vorgaben bewegt.503 Problema­ tisch ist jedoch, dass er diesen Maßstab wechseln will, sofern von der Täu­ schung alte oder einfältige Personen betroffen sind. Denn die besondere Einfältigkeit des Erklärungsempfängers ist für den Täter im Vornhinein nicht immer erkennbar.504 Hinzu kommt, dass für das Opfer mit der Feststellung, dass ihm entgegen der Majorität der Bevölkerung nur deshalb ein Schutz durch den Betrugstatbestand zukommt, weil es besonders „dumm“ ist, ein vernichtendes Urteil verbunden einhergeht.505 Allein deshalb ist die Einfüh­ rung einer betrugsstrafrechtlichen Sonderdogmatik für besonders einfältige Opfer abzulehnen. Hilgendorf muss sich darüber hinaus, wie auch die von ihm kritisierte h. M., den Vorwurf gefallen lassen, dass Behauptungen, die eigentlich als Tatsachenaussagen anzusehen wären, aufgrund von Strafwürdigkeitserwä­ gungen zu Meinungsäußerungen bzw. zu Werturteilen umgemünzt werden. Insbesondere widerspricht es dem allgemeinen Sprachgefühl, dass die grund­ sätzlich dem Beweis zugängliche Behauptung, ein Schlankheitspräparat ma­ che in nur zehn Tagen rank und schlank, lediglich die Äußerung einer „Mei­ nung“ sein soll.

B. Tatbestandliche Restriktionen über das Irrtumsmerkmal Da keine der Auffassungen, die sich für eine Beschränkung des Täu­ schungsmerkmals aussprechen, frei von Bedenken ist, spricht vieles dafür, den Gedanken der Opfermitverantwortung bei den anderen Tatbestandsmerk­ 500  BGHSt 34, 199; in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle gelangt Hilgendorf jedoch zu denselben Ergebnissen wie die h. M. 501  Hilgendorf, Tatsachenaussagen, S. 194. 502  BGHSt 34, 199. 503  Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 3. 504  Ebenso Erb, ZIS 2011, 373; Harbort, S. 33 f. 505  Hillenkamp, Opferverhalten, S. 199.

110

Kap. 2: Viktimodogmatik

malen des Betruges oder bei den Erscheinungsformen des Allgemeinen Teils zu verorten und auf diese Weise zu einer überzeugenderen und dogmatisch sauberen Lösung zu gelangen. Zahlreiche Autoren versuchen dabei das Irr­ tumsmerkmal zum Gegenstand viktimodogmatischer Restriktionen zu ma­ chen. In erster Linie konzentrieren sich die Bemühungen auf die umstrittene Frage, inwieweit eine Betrugsstrafbarkeit in Betracht kommt, wenn das Opfer an der Wahrheit der behaupteten Tatsache zweifelt und trotzdem über sein Vermögen verfügt.506 Daneben finden sich aber auch Bestrebungen, das Irr­ tumsmerkmal weitergehenden Beschränkungen zu unterwerfen und auch an­ dere Formen der Opfermitverantwortung zu einer Ablehnung eines eigentlich vorhandenen Irrtums führen zu lassen.507

I. Irrtum bei Zweifeln des Verfügenden Die Auswirkungen von Opferzweifeln auf das Irrtumsmerkmal des Betru­ ges sind schon seit längerem Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion. Praktische Bedeutung erlangt diese Frage vor allem bei Käufen an der Hausund Wohnungstür, Almosengaben an Bettler sowie bei Risiko- und Spekula­ tionsgeschäften, bei denen die Ungewissheit des Opfers durch das Inaus­ sichtstellen entsprechend hoher Renditen kompensiert wird.508 Aber auch beim Prozessbetrug im Rahmen bestimmter zivilrechtlicher Verfahren, bei denen der Richter nach der Zivilprozessordnung lediglich eine Schlüssig­ keitsprüfung vorzunehmen hat und die Behauptung einer Partei solange als wahr unterstellen muss, wie sie nicht offensichtlich unwahr ist, besitzt die Problematik besondere Relevanz.509 Die wohl überwiegende Auffassung geht in all diesen Fällen davon aus, dass eine Skepsis des Opfers den Irrtum nicht zu beseitigen vermag. Dem­ entsprechend soll auch bei Opfern ein Irrtum vorliegen können, die an der Wahrheit der vorgespiegelten Tatsache zweifeln, sofern sie die Wahrheit zu­ mindest für möglich halten und durch diese Möglichkeitsvorstellung zu einer Vermögensverfügung motiviert werden.510 Begründet wird diese Haltung in erster Linie mit dem Wortlaut des § 263 StGB, der auf den ersten Blick kei­ 506  Amelung, GA 1977, 1 ff.; Giehring, GA 1973, 1 ff.; Hassemer, S. 131 ff.; Herzberg, GA 1977, 289 ff.; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 77. 507  Eick, S. 165. 508  SK-Hoyer, § 263 Rn. 68; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 85. 509  LK-Tiedemann, § 263 Rn. 85. 510  BGH NStZ 2003, 314 mit krit. Anm. Beckemper / Wegner; Achenbach, Jura 1984, 602 f.; Eisele, BT  II, Rn. 548; Jäger, BT, Rn. 330; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 40; Wessels / Hillenkamp, BT  2, Rn. 510; Haft / Hilgendorf, BT  I, S. 88; Park / Zieschang, § 263 Rn. 45.



B. Tatbestandliche Restriktionen über das Irrtumsmerkmal 111

nerlei Beschränkungen des Tatbestands wegen einer verminderten Schutzbe­ dürftigkeit eines zweifelnden Opfers nahelegt.511 Zudem werden Bedenken angeführt, dass bei einer restriktiveren Auslegung des Irrtumsmerkmals, der strafrechtliche Schutz zulasten der Opfer unangemessen weit zurückgenom­ men wird. Die Rechtsprechung hat sich  – in Abkehr der Auffassung des Reichsge­ richts, das zunächst noch von einem engeren Irrtumsbegriff ausgegangen war  – der herrschenden Literatur weitestgehend angeschlossen.512 Auch sie geht mittlerweile davon aus, dass ein Irrtum trotz vorhandener Zweifel beste­ hen kann, wenn das Opfer die Wahrheit der behaupteten Tatsache für möglich hält und deshalb über sein Vermögen verfügt. Ein etwaiges Mitverschulden des Opfers, das seinen Zweifeln nicht nachgeht, hält sie ebenfalls für uner­ heblich und für das Vorliegen eines Irrtums nicht von Belang. Die Rechtspre­ chung stellt sich damit auch im Zusammenhang mit der Problematik um zweifelnde Betrugsopfer ausdrücklich auf den Standpunkt, dass selbst leicht­ fertig handelnde Opfer strafrechtlichen Schutz verdienten. Allein in Fällen, in denen sich nicht entkräften lässt, dass das Opfer nur gehandelt hat, weil es der Auffassung war, eine für unwahr gehaltene Behauptung nicht widerlegen zu können, soll nach der Rechtsprechung eine Betrugsstrafbarkeit nicht in Betracht kommen.513

II. Abschichtung nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit Während Rechtsprechung und herrschende Lehre Zweifeln des Opfers im Rahmen der Irrtumsprüfung keine Bedeutung beimessen wollen, sind die von Seiten der Literatur vorgeschlagenen Lösungsansätze wesentlich differenzier­ ter. So möchte Giehring einen Irrtum nur dann annehmen, wenn aus der Sicht des Opfers eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ für die Wahrheit der behaupteten Tatsache bestand.514 Eine solche überwiegende Wahrschein­ lichkeit soll dann gegeben sein, wenn das Opfer die Wahrheit der Aussage für wahrscheinlicher hält als ihre Unwahrheit. Den Grund für eine solche Abschichtung sieht Giehring im Zweck des Betrugstatbestandes, der nach seiner Auffassung im Schutz des Vermögens vor der besonderen Angriffsart der Überlistung zu finden sei.515 Das vom Täter eingesetzte Angriffsmittel der List verliere aber an Gefährlichkeit, wenn das Opfer an der Wahrheit der 511  BGH

NStZ 2003, 314. 20, 392; 63, 391; vgl. hierzu auch SK-Hoyer, § 263 Rn. 63 m. w. N. 513  BGH wistra 2007, 184; vgl. auch AnwK-Gaede, § 263 Rn. 57. 514  Giehring, GA 1973, 21 ff. 515  Giehring, GA 1973, 17. 512  RGSt

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Kap. 2: Viktimodogmatik

behaupteten Tatsache zweifle, sodass das Opfer in diesen Fällen den Schutz nicht in gleicher Weise verdiente. In Anlehnung an die Überlegungen Giehrings spricht sich auch Krey für eine Restriktion des Irrtumsmerkmals über das Wahrscheinlichkeitskriterium aus.516 Allerdings setzt er sich hierbei für eine abgeschwächte Variante dieses Ansatzes ein. Im Gegensatz zu Giehring, der für das Vorliegen eines Betru­ ges voraussetzt, dass der Getäuschte die behauptete Tatsache für „überwie­ gend wahrscheinlich“ hält, soll nach Krey bereits eine bloße „Wahrschein­ lichkeit“ genügen. Krey begründet die von ihm vorgeschlagene Einschrän­ kung des Irrtumsmerkmals ebenfalls mit Schutzwürdigkeitserwägungen.517 Der Getäuschte ist nach seiner Auffassung nur dann schutzwürdig, wenn er die Wahrheit der behaupteten Tatsachen zumindest für wahrscheinlich hält und auf der Basis dieser Einschätzung eine Vermögensverfügung trifft. Hält er die behaupteten Tatsachen dagegen für falsch, sei kein Grund ersichtlich, den Verfügenden unter den Schutz des Strafrechts zu stellen.

III. Verneinung des Irrtums bei konkreten Zweifeln Auch Amelung sieht eine Notwendigkeit für die Beschränkung des Irr­ tumsmerkmals.518 Allerdings möchte er die vorzunehmende Grenzziehung nicht allein von der inneren Einstellung des Getäuschten abhängig machen. Vielmehr möchte er bei jeglichen Zweifeln, die auf konkreten Anhaltspunk­ ten beruhen, einen Irrtum verneinen. Wie die vorgenannten Autoren ist auch Amelung der Auffassung, dass ein zweifelndes Opfer weniger schutzbedürf­ tig ist als ein Opfer, das dem Täter uneingeschränkt Glauben schenkt. Das zweifelnde Opfer habe nämlich die Möglichkeit, sich durch die Überprüfung der zweifelbehafteten Behauptungen selbst zu schützen und so einer Schädi­ gung seines Vermögens zu entgehen.519 Für den Fall, dass eine solche Über­ prüfung nur unter größeren Schwierigkeiten möglich sei, habe der Zweifelnde immer noch die Möglichkeit, sich vom Täter Sicherheiten gewähren zu las­ sen oder vom Abschluss des beabsichtigten Geschäfts abzusehen. Da das zweifelnde Opfer somit weit weniger gravierende Schutzmöglichkeiten zur Verfügung habe, müsse das scharfe Schwert des Strafrechts unangewendet bleiben und „dem Prinzip der Subsidiarität des strafrechtlichen Rechtsgüter­ schutzes“ dadurch zur Geltung verholfen werden, indem man den Zweifeln des Opfers restriktive Relevanz innerhalb des Irrtumsmerkmals beimisst.520 516  Krey,

BT 2, Rn. 373. BT 2, Rn. 373. 518  Amelung, GA 1977, 4 ff. 519  Amelung, GA 1977, 6. 520  Amelung, GA 1977, 6. 517  Krey,



B. Tatbestandliche Restriktionen über das Irrtumsmerkmal 113

Dies soll allerdings nicht uneingeschränkt gelten. Vielmehr soll es auch eine Form des Zweifels geben, die nicht zum Ausschluss der Tatbestandsmäßig­ keit führt. Namentlich sei dies der Fall, wenn der Zweifel lediglich in einer allgemeinen, vagen Unsicherheit zum Ausdruck komme und nicht auf einem konkreten Anhaltspunkt beruhe.521 Ein solcher Anhaltspunkt sei beispiels­ weise gegeben, wenn die behaupteten Tatsachen unwahrscheinlich, wider­ sprüchlich oder mit anderen dem Getäuschten zur Verfügung stehenden In­ formationen nicht in Einklang zu bringen sind. Zudem könnten sich auch aus äußeren Umständen des Geschäfts, wie der Person des Vertragspartners, entsprechende Anhaltspunkte ergeben. Durch die Beschränkung auf hinrei­ chend konkrete Zweifel möchte Amelung erreichen, dass das Opfer nur in einem Bereich, in dem weitergehende Erkundigungen sinnvoll erscheinen, auf Selbstschutzmaßnahmen verwiesen wird. Damit soll auch die Funktions­ fähigkeit des Wirtschaftsverkehrs sichergestellt werden, der gerade auf dem Vertrauen in die Behauptungen der anderen Akteure basiert. Aufbauend auf dem Ansatz von Amelung spricht sich auch Hassemer da­ für aus, den Betrugstatbestand aufgrund von Subsidiaritätserwägungen ein­ zuschränken. Wegen seiner einschneidenden Wirkungen möchte Hassemer das Strafrecht generell nur dort zur Anwendung gelangen lassen, wo ein Rechtsgüterschutz nicht durch mildere, außerstrafrechtliche Mittel erreicht werden kann.522 Eine Strafbarkeit soll dementsprechend immer dann entfal­ len, wenn der Rechtsgutsträger die Rechtgutsverletzung durch ihm zumut­ bare Maßnahmen selbst hätte verhindern können.523 Erst wenn eine be­ stimmte Gefahrintensität in Erscheinung tritt, die nach Hassemer anhand der jeweiligen Gefahr für das Rechtsgut und durch die Selbstschutzmöglichkei­ ten des Opfers zu bestimmen sei, bestehe ein Raum für die Anwendung des Strafrechts.524 Im Rahmen des Betrugstatbestands möchte Hassemer dem Subsidiaritätsgrundsatz dadurch zur Geltung verhelfen, dass er „Handlungs­ situationen mit mangelnder Gefahrintensität“, also solche Situationen, bei denen ein Selbstschutz des Opfers möglich ist, über das Irrtumsmerkmal ausgliedern will.525 Bei Zweifeln des Opfers sieht Hassemer eine solche Ge­ fahrenlage nicht immer als gegeben an. Wie auch Amelung spricht sich Has­ semer dafür aus, einen Irrtum in Fällen zu verneinen, in denen das Opfer konkrete Zweifel hinsichtlich der Wahrheit der Tatsachenaussage hat. In Ab­ grenzung zu der Konzeption Amelungs stellt er bei der Bestimmung der Konkretheit allerdings nicht auf objektive Anhaltspunkte ab, sondern zieht 521  Amelung,

GA 1977, 6 ff. S. 51. 523  Hassemer, S. 25. 524  Hassemer, S. 51. 525  Hassemer, S. 126. 522  Hassemer,

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Kap. 2: Viktimodogmatik

die subjektiv-kognitive Situation des verfügenden Rechtsgutsträgers her­ an.526 Dies sei nach seiner Auffassung vorzugswürdig, da sich die Schutzbe­ dürftigkeit des Opfers nicht nach objektiven Gesichtspunkten, sondern allein anhand seines subjektiven Standpunkts entscheiden dürfe. Laut Hassemer sei deshalb zwischen sog. „diffusen“ und einen Irrtum ausschließenden „kon­ kreten“ Zweifeln zu differenzieren.527 Erstere lägen immer dann vor, wenn sich das Opfer in einer bewusst erlebten Unsicherheit befinde, wenn es also darum weiß, dass es auf die Lauterkeit seines Gegenübers angewiesen ist, weil ihm bekannt ist, dass es nur über beschränkte Möglichkeiten verfügt, die Wahrheit der Aussagen zu überprüfen.528 Ein konkreter Zweifel sei dem­ gegenüber gegeben, wenn der Rechtsgutsträger „in einer spezifischen Form an der Wahrheit einer ganz bestimmten relevanten Tatsache“ zweifle und nicht mehr nur um die bloße Unvollkommenheit seiner Informationsbasis weiß.529 Als Beispiel für diese Differenzierung führt Hassemer den Kauf ei­ nes Gebrauchtwagens an. Bei diesem sei es evident, dass er einen, wie Has­ semer formuliert, „idealen Nährboden für Täuschungsmanöver“ biete.530 Dem Gebrauchtwageninteressenten sei daher bewusst, dass er den Angaben des Verkäufers mit einem angemessenen Misstrauen begegnen müsse und diese nicht unreflektiert hinnehmen dürfe. Solange sich die vorhandenen Zweifel jedoch noch nicht konkretisiert haben, sei ein Betrug grundsätzlich noch möglich. Bemerke der Käufer aber beispielsweise leichte Farbabwei­ chungen an den verschiedenen Karosserieteilen, so wandelten die allgemei­ nen „diffusen“ Zweifel an der Unfallfreiheit ihren Charakter und würden zu einem konkreten Zweifel, der einen Ausschluss des Irrtumsmerkmals zur Folge hat.

IV. Ausschluss des Irrtums bei mitwirkendem Opferverschulden Ein weitergehender Ansatz findet sich bei Eick, die eine restriktivere Inter­ pretation des Irrtumsmerkmals aus Gründen des „augenscheinlich […] in Vergessenheit geratenen“ Subsidiaritätsprinzips für erforderlich hält.531 Durch eine restriktivere Auslegung des Betrugstatbestands sei dem Trend entgegen­ zuwirken, dass dessen Anwendungsbereich zu weit in den Bereich des Zivil­ rechts verlagert werde, was zu einer Verwischung der Grenzen zwischen er­ 526  Hassemer,

S. 152 f. S. 131 ff. 528  Hassemer, S. 132. 529  Hassemer, S. 134. 530  Hassemer, S. 134. 531  Eick, S. 164. 527  Hassemer,



B. Tatbestandliche Restriktionen über das Irrtumsmerkmal 115

laubtem und strafrechtlich relevantem Verhalten führe.532 Eick sieht die la­ tente Gefahr, dass der Betrug zu einer Norm avanciert, die nicht mehr allein dem Vermögensschutz dient, sondern auch die Lauterkeit im geschäftlichen Verkehr beschützt. Für eine restriktive Auslegung des Betruges spreche zu­ dem, dass es sich nicht um ein reines Fremdschädigungsdelikt, sondern um ein Selbstschädigungsdelikt handele, bei welchem die Strafwürdigkeit der tatbestandlichen Handlung weniger ausgeprägt sei.533 Um hier den Einsatz des Strafrechts als ultima ratio rechtfertigen zu können, bedürfe es einer be­ sonderen Überprüfung, inwieweit ein solch gravierendes Mittel überhaupt erforderlich ist. Diese Erforderlichkeit sei aber nicht gegeben, wenn sich das Opfer durch einfache Überprüfungsmaßnahmen selbst hätte schützen können. Dem Opfer müsse daher zumindest abverlangt werden, dass es ihm unter­ breitete Angebote auf ihre Plausibilität hin überprüft. Unterlässt es eine sol­ che Überprüfung, dürfe ihm der Schutz des Betrugstatbestands nicht zuteil werden, da die Vermögensverfügung in diesem Fall allein in seinen Verant­ wortungsbereich fällt.534 Nach Eick empfiehlt sich das Irrtumsmerkmal als systematischer Ort für eine Tatbestandsrestriktion, da sich das Täuschungsmerkmal bzw. das „sehr weiche Kriterium der objektiven Zurechnung“ als ungeeignet erwiesen hät­ ten.535 Nach ihrem Konzept soll deshalb ein Irrtum im Sinne des § 263 StGB nur dann vorliegen, wenn das Opfer die Täuschung nicht hätte erkennen können. Die Erkennbarkeit der Täuschung sei nach objektiven Maßstäben zu ermitteln. In Anlehnung an das Wettbewerbsrecht müsse deshalb danach ge­ fragt werden, ob und inwieweit auch ein durchschnittlicher Erklärungsemp­ fänger den Äußerungen des Täters Glauben geschenkt hätte.536 Betrugsrele­ vant seien daher immer nur solche Irrtümer, denen auch ein Durchschnitts­ verbraucher erlegen wäre.537 Gegen die von Eick vorgeschlagene Lösung über das Irrtumsmerkmal des Betruges spricht indes, dass es sich beim Irrtum um ein psychologisches Tatbestandsmerkmal handelt, das normativen Erwägungen nicht zugänglich ist.538 Für normative Einschränkungen bietet sich vielmehr an, die Rechtsfi­ 532  Eick,

S. 164 f. S. 164. 534  Eick, S. 165. 535  Eick, S. 165. 536  Den Vorteil einer am wettbewerbsrechtlichen Verbraucherbegriff orientierten Betrugsauslegung sieht Eick insbesondere darin, dass hierdurch eine Vereinheitli­ chung des deutschen Täuschungsstrafrechts erreicht werde. Zudem könne hierdurch den Vorgaben des Europarechts hinreichend Rechnung getragen werden, S. 166 f. 537  Eick, S. 167. 538  BGH NJW 2014, 2598; Eisele, BT II, Rn. 547; ders., NStZ 2010, 195; AnwKGaede, § 263 Rn. 52; Vergho, Verbrauchererwartung, S. 315. 533  Eick,

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Kap. 2: Viktimodogmatik

gur der objektiven Zurechnung fruchtbar machen.539 Hinzu kommt, dass Einschränkungen über das Irrtumsmerkmal mit dem Wortlaut des § 263 StGB kaum zu vereinbaren sind.540

C. Einschränkungen durch den Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum Als weiterer Ansatzpunkt für eine tatbestandliche Beschränkung der Be­ trugsstrafbarkeit wird der Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum gesehen.541 Während Rechtsprechung und h. L. zur Bestimmung des Ursachenzusammenhangs (wie auch sonst) die Äquivalenztheorie heran­ ziehen,542 plädiert Naucke dafür, im Rahmen von § 263 StGB einen adäqua­ ten Zusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum zu fordern.543 In der Anwendung der Äquivalenzformel durch die h. M. sieht Naucke den Aus­ druck einer „Neigung, intellektuelle Hilflosigkeit und mangelnde Unterrich­ tung über einfache wirtschaftliche Sachverhalte als unveränderlich hinzuneh­ men und die lästigen Konsequenzen […] über das Strafrecht auszugleichen“.544 Er ist der Auffassung, dass der Staat durch das Strafrecht einen „luxusartigen Dienst“ gewähre und die Vermögensinhaber aus ihrer Verantwortung für den Schutz ihres Vermögens entlasse, obwohl es dies bei leicht erkennbaren Täu­ schungen bzw. bei leicht vermeidbaren Irrtümern gar nicht bedürfte.545 Um der „Anhänglichkeit“ und „Bequemlichkeit“ keinen Vorschub zu leisten, sei es deshalb geboten, diese Fallgruppen aus der Betrugsstrafbarkeit auszu­ scheiden und dadurch die Eigenzuständigkeit für den Vermögensschutz gegen offensichtliche Täuschungen zu betonen.546 Es müsse eine Schwelle festge­ legt werden, ab der der Betroffene für die vermögensschädigenden Folgen 539  s. hierzu Eisele, BT  II, Rn. 547 m. w. N., ähnlich auch Beckemper, S. 225 ff. und Beckemper / Wegner, NStZ 2003, 316. 540  Eingehend hierzu Beckemper, S. 223 f. 541  Naucke, FS Peters, S. 109 ff. Grundlegend bereits Sauer, System des Straf­ rechts, BT, § 7 II 2a, der einer Handlung die generelle Eignung zur Irrtumserregung wegen der fehlenden adäquaten Kausalität zwischen Täuschung und Irrtum in Abrede stellt, wenn das Opfer grob leichtsinnig gehandelt hat. Auch Seelmann, JuS 1982, 270 hält in Fällen extremer Leichtgläubigkeit einen Ausschluss des adäquaten Zusammen­ hangs zwischen Täuschung und Irrtum für erwägenswert. 542  OLG Hamburg NJW 1956, 392; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 276; SK-Hoyer, § 263 Rn. 81; Krack / Loos, JuS 1995, 207; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 182; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 93. 543  Naucke, FS Peters, S. 109 ff. 544  Naucke, FS Peters, S. 115. 545  Naucke, FS Peters, S. 114 f. 546  Naucke, FS Peters, S. 116.



C. Einschränkungen durch Kausalzusammenhang zw. Täuschung und Irrtum 117

„mangelnder Übung, Torheit usw.“ selbst einzustehen habe.547 Als Anknüp­ fungspunkt für diese Grenzziehung sei das Kausalitätserfordernis zwischen Täuschung und Irrtum zu wählen, da dieses nicht isoliert auf den Täuschen­ den bzw. den Getäuschten abhebt, sondern beide Akteure sowie die Situation, in der sich beide befinden, in den Blick nimmt.548 Naucke möchte den Kau­ salzusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum deshalb dahingehend in­ terpretiert wissen, dass nur noch adäquate Zusammenhänge für dessen Be­ gründung ausreichend sind.549 Eine Betrugsstrafbarkeit soll daher nur noch dann in Frage kommen, wenn die Täuschung auch allgemein dazu geeignet ist, einen Irrtum hervorzurufen.550 Diese allgemeine Eignung sei im Wege eines normativen Verfahrens festzustellen, in das sowohl die Intensität der Täuschung als auch die Ursachen für die Täuschungsanfälligkeit des Opfers miteinzubeziehen seien.551 Dementsprechend besäßen nur solche Täuschun­ gen strafrechtliche Relevanz, die aus der Sicht des Opfers schwer zu erken­ nen waren. Sofern der Getäuschte aber nach einem objektiven Maßstab die Täuschung hätte bemerken können, scheide eine Betrugsstrafbarkeit aus.552 Nauckes Vorschlag, den Kausalzusammenhang beim Betrug nach Ad­ äquanzgesichtspunkten zu bestimmen, ist nicht ohne Kritik geblieben.553 Neben grundsätzlichen Bedenken, die sich gegen eine viktimodogmatische Einschränkung des Betrugstatbestands richten,554 wird auch die Vorgehens­ weise kritisiert, spezifische Probleme des Betrugsstrafrechts mithilfe der Ins­ titute des Allgemeinen Teils lösen zu wollen.555 Dieser Einwand geht aller­ dings fehl. Denn es ist gerade das Wesen der Erscheinungsformen des Allge­ meinen Teils, dass sie für das gesamte Strafrecht Geltung besitzen. Auch bei anderen Tatbeständen ist eine Lösung tatbestandsspezifischer Probleme unter Zuhilfenahme allgemeinstrafrechtlicher Institute anerkannt und unbestritten. Weshalb für das Betrugsstrafrecht etwas anderes gelten soll, ist kaum erklär­ bar und auch nicht mit dem Charakter des Betruges als Selbstschädigungsde­ 547  Naucke,

FS Peters, S. 116. FS Peters, S. 118. 549  Naucke, FS Peters, S. 118. 550  Naucke, FS Peters, S. 118. 551  Naucke, FS Peters, S. 118. 552  Naucke, FS Peters, S. 119. 553  Vgl. Ellmer, S. 157 f.; Harbort, S. 35 ff.; Heim, S. 136 f.; Jänicke, S. 209 ff.; Kindhäuser, ZStW 103 (1991), 405; Krack, List, S. 64 ff.; Krack / Loos, JuS 1995, 207; Hillenkamp, Opferverhalten, S. 85 ff.; ders., FS Schreiber, S. 137 f.; Kurth, S. 160 ff.; Petropoulos, S. 113 ff.; Tröndle, JR 1974, 224; Wittig, S. 304 ff. 554  Krack / Loos, JuS 1995, 207. 555  Ellmer, S. 164; ebenso Hennings, S. 161, der davon ausgeht, dass die Proble­ matik nur durch eine präzise Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB zu lösen ist. Zweifelnd auch Heim, S. 139. 548  Naucke,

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Kap. 2: Viktimodogmatik

likt zu begründen.556 Jedoch ist es gerade dieses verteidigende Argument, das Nauckes Ansatz auch zum Nachteil gereicht. Denn Naucke möchte die Ad­ äquanztheorie nur im Rahmen des Betruges anwenden, während er bei allen übrigen Tatbeständen des Besonderen Teils den Kausalzusammenhang wei­ terhin mit der Äquivalenztheorie bestimmen will. Dies widerspricht jedoch der Idee, die hinter den Instituten des Allgemeinen Teils steht. Diese sollen gerade nicht bei den einzelnen Tatbeständen in einer unterschiedlichen Weise interpretiert werden, sondern vielmehr einheitliche Geltung besitzen und auch einheitlich angewendet werden.557 Eine unterschiedliche Auslegung nach dem jeweiligen „kriminalpolitischen Gusto“558 ist daher abzulehnen.559 Verschärft wird dieses Problem auch noch dadurch, dass Naucke die Ad­ äquanztheorie in einer Weise bestimmt, die von ihrer üblichen Interpretation abweicht. Anstatt danach zu fragen, ob das in Frage stehende Verhalten die Möglichkeit des Erfolgseintritts nach allgemeiner Lebenserfahrung in nicht unerheblicher Weise erhöht hat,560 möchte Naucke den Kausalzusammenhang danach bestimmen, ob ein geschäftlich erfahrener Idealbürger der Täuschung ebenfalls unterlegen wäre. Damit erweisen sich zwar die teilweise vorzufin­ denden Vorwürfe, dass Naucke verkenne, dass auch besonders durchsichtige Täuschungen nach allgemeiner Lebenserfahrung zu Irrtümern führen könnten und demzufolge nicht inadäquat seien,561 als unberechtigt; jedoch führt dies zu einer weiteren Zersetzung des an sich einheitlich auszulegenden Kausali­ tätsmerkmals. Selbst wenn man die Bedenken hinsichtlich einer deliktsspezifischen Zer­ splitterung des Kausalitätsbegriffs beiseiteließe, würde man über eine ad­ äquate Bestimmung des Kausalzusammenhangs kaum zu einer dogmatisch überzeugenden Lösung gelangen. Eine solche wäre nämlich denselben Ein­ wänden ausgesetzt, die auch sonst gegen die Adäquanztheorie sprechen – und zwar unabhängig davon, ob man sie wie von Naucke vorgeschlagen oder auf herkömmliche Weise interpretiert.562 Denn die Ädaquanztheorie ist nur be­ dingt geeignet, die Ursächlichkeit eines Verhaltens für den Erfolgseintritt festzustellen, da sie die Ursächlichkeit bereits voraussetzt und nur wertungs­ mäßig begrenzt.563 Sie vermengt die Frage nach der Erfolgsverursachung mit aber Heim, S. 139. ZStW 103 (1991), 405. 558  Ellmer, S. 158. 559  Ebenso Kindhäuser, ZStW 103 (1991), 405; Ellmer, S. 158; Harbort, S. 35; Heim, S. 139; Jänicke, S. 210. 560  Vgl. MüKo-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 348; Jescheck / Weigend, AT, S. 284; Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 14 Rn. 54 ff. 561  Hennings, S. 157; Hillenkamp, Opferverhalten, S. 87. 562  Harbort, S. 35. 563  MüKo-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 348. 556  So

557  Kindhäuser,



D. Einschränkungen über die objektive Zurechnung119

der Frage der Erfolgszurechnung.564 Mittlerweile ist daher weitgehend aner­ kannt, dass die Kausalität allein mithilfe der Äquivalenztheorie zu bestimmen ist und eine wertungsmäßige Auswahl strafrechtlich relevanter Erfolgsursa­ chen auf der Ebene der Kausalität zu unterbleiben hat. Hierfür ist die objek­ tive Zurechnung der richtige Ort.

D. Einschränkungen über die objektive Zurechnung I. Schutzzweck der Norm Zunehmend finden sich auch Versuche, das Opfermitverschulden über das Institut der objektiven Zurechnung fruchtbar zu machen.565 Kurth566 möchte hierfür den Gedanken der Lehre vom Schutzzweck der Norm bemühen, nach der dem Täter ein Erfolg nur dann objektiv zuzurechnen ist, wenn hierdurch eine im Rahmen des Schutzzwecks der Norm liegende Gefahr verwirklicht wird.567 Kurth spricht sich dafür aus, nicht jede beliebige vorsätzliche Ver­ mögensverletzung unter Strafe zu stellen, da der Schutz durch das Strafrecht stets nur ein fragmentarischer sei.568 Die Aufgabe eines umfangreichen Ver­ mögensschutzes falle daher in erster Linie dem Privatrecht und dem Vollstre­ ckungsrecht zu.569 Durch geeignete Maßnahmen sei zu verhindern, dass das Strafrecht durch eine extensive Auslegung als Druckmittel für eine „rein zi­ vilrechtliche Schuldeintreibung“ missbraucht werde.570 Deshalb müsse der strafrechtliche Schutz immer dann zurücktreten, wenn dem Opfer hinrei­ chende Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die es in die Lage versetzen, den Schutz seiner Vermögensinteressen selbst zu besorgen.571 Um aber be­ sonders schutzwürdige Personenkreise wie Minderjährige, Alte, Geistes­ kranke und sonstige in ihrer Kritikfähigkeit eingeschränkte Personen nicht 564  Harbort,

S. 35. nur die Ansätze von Kurth, S. 169 ff. und Harbort, S. 52 ff. Nach der h. M. soll dagegen ein leichtgläubiges Opferverhalten nicht zu einem Zurechnungsaus­ schluss führen können; SK-Hoyer, § 263 Rn. 81. 566  Kurth, S. 169 ff. 567  Ausführlich zur Lehre vom Schutzzweck der Norm NK-Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 226 ff. 568  Kurth, S. 177; zum fragmentarischen Charakter des Strafrechts Jescheck / Weigend, S. 52 f.; Maiwald, FS Maurach, S. 9 ff.; MüKo-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 32; Kudlich, JZ 2004, 77. 569  Kurth, S. 177. 570  Kurth, S. 178; ähnlich auch Hennings, S. 170 und Ackermann, FS Roxin II, S. 953, der betont, dass es „grundsätzlich nicht die Aufgabe des Strafrechts ist, zivil­ rechtliche Regeln zu verstärken“. 571  Kurth, S. 179. 565  Vgl.

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Kap. 2: Viktimodogmatik

schutzlos zu stellen, dürfe der Strafrechtsschutz bei einem mitwirkenden Opferverhalten auch nicht generell versagt werden. Daher seien Fallgruppen zu bilden, in denen die Opfermitverantwortung typischerweise einen Aus­ schluss der objektiven Zurechenbarkeit zur Folge habe.572 Unter diese – nicht abschließenden  – Fallgruppen seien insbesondere Spekulationsgeschäfte, Kreditbetrugsfälle, der Kauf falscher Titel und Orden sowie der Scheck- und Kreditkartenmissbrauch einzuordnen.573 Aber auch bei einem Mitverschul­ den von Kaufleuten im Rahmen von Handelsgeschäften und in Fällen, in denen das Betrugsopfer aus Bequemlichkeit oder Trägheit die Möglichkeit zur Aufklärung unterlässt, müsse eine Anwendung des § 263 StGB unterblei­ ben.574 Grundsätzlich ist Kurths Ansatz, die Problematik des Opfermitverschul­ dens über das Instrument der objektiven Zurechnung zu lösen, begrüßens­ wert.575 Denn die objektive Zurechnung bietet den Vorteil, dass sie eine umfassende Anschauung aller Beteiligten und der Gesamtsituation erlaubt und nicht nur den Täter- bzw. den Opferbeitrag isoliert in den Blick nimmt. Zudem ist der objektiven Zurechnung im Gegensatz zur Kausalität eine wer­ tende Betrachtung nicht fremd. Damit unterscheidet sie sich wesentlich von der Kausalität, bei der nur ein Bedingungszusammenhang zwischen Hand­ lung und Erfolg als naturwissenschaftliche Mindestvoraussetzung festgestellt wird. Obwohl der Ausgangspunkt über die Zurechnung für sich genommen durchaus seinen Reiz hat, kann das Kurths Konzept nicht vollumfänglich überzeugen. Insbesondere der Vorschlag einer Fallgruppenbildung ist für eine tragfähige Lösung nicht geeignet. Denn die Ausscheidung bestimmter Be­ trugsvarianten über die Bildung von Fallgruppen ist im Ergebnis viel zu starr, um die mannigfaltigen Formen der mitwirkenden Opferverantwortung zutreffend erfassen zu können. Anspruch einer tauglichen Lösung muss es vielmehr sein, allgemeingültige Grundsätze zu statuieren, die sich auch auf bislang unbekannte Varianten problemlos anwenden lassen und die allen Beteiligten eine mögliche Strafbarkeit ihres Verhaltens bereits im Vorfeld hinreichend deutlich vor Augen führen. Die von Kurth vorgesehene Möglich­ keit, sein Konzept bei Bedarf auch auf weitere, derzeit noch nicht bekannte Fallgruppen auszudehnen, ist insbesondere aus dem letztgenannten Gesichts­ punkt höchst problematisch und im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG kritisch 572  Kurth,

S. 180. S. 183 ff. 574  Kurth, S. 190 ff. 575  Dennoch ist sein Vorstoß von Seiten der Literatur mit Kritik überhäuft worden, vgl. nur Krack, List, S. 67 f.; Ellmer, S. 162; Hennings, S. 161; Heim, S. 137 ff.; Wittig, S. 309 ff. 573  Kurth,



D. Einschränkungen über die objektive Zurechnung121

zu sehen. Hinzu kommt, dass das von Kurth ins Auge gefasste Ziel, beson­ ders schutzwürdige Personenkreise nicht schutzlos zu stellen, durch die Ein­ schränkung des Betrugstatbestands mithilfe der Fallgruppentechnik nicht uneingeschränkt erreichbar ist. Konkret stellt sich das Problem, wenn beson­ ders schutzwürdige Personenkreise Opfer einer Betrugsmasche werden, die unter eine der von Kurth gebildeten Fallgruppen zu subsumieren ist. Bei­ spielsweise wenn sich der Täter mit einer Zeitungsannonce gezielt an Ältere oder Minderjährige wendet, um diese dazu zu bewegen, über eine Chiffre einen Vorschuss auf eine später zu erbringende Leistung zu zahlen. Dies würde nach Kurth – sofern nicht ein Schaden von mehr als 300 DM entstan­ den ist  – unter die Fallgruppe der Spekulationsgeschäfte fallen, sodass die Straflosigkeit des Verhaltens die notwendige Konsequenz wäre. Auch im Zusammenhang mit unseriösen Geldanlagegeschäften, bei denen unter unre­ alistischen Behauptungen extrem hohe Renditen versprochen werden, wären alte und geistig schwache Personen schutzlos gestellt, da diese Fallgruppe ebenfalls nicht vom Schutzzweck des Betrugstatbestandes erfasst sein soll. Hinzu kommt, dass Kurth mit dem Schutzzweck der Norm einen fragwür­ digen Anknüpfungspunkt für einen Zurechnungsausschluss in Folge mitwir­ kenden Opferverhaltens gewählt hat. Nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm sollen solche Verhaltensweisen nicht mehr zurechenbar sein, die zwar an sich pflichtwidrig sind, jedoch einen Verstoß gegen eine Norm beinhalten, die ganz andere Erfolge verhindern will, als denjenigen, der im konkreten Fall eingetreten ist.576 Es muss also immer um den Schutzzweck einer Ver­ haltensnorm gehen, die das erlaubte Risiko begrenzt, und nicht um den Schutzzweck des jeweiligen Straftatbestands selbst.577 Kurth beschreibt viel­ mehr die Problematik um die Reichweite des Tatbestands, da bei dieser der Frage nachgegangen wird, inwieweit bestimmte Verhaltensformen von der jeweiligen Strafnorm erfasst werden.578 Zudem ist es angesichts der Vorga­ ben des Unionsrechts überlegenswert, in bestimmten Fällen eines Opfermit­ verschuldens von der Verwirklichung einer erlaubten Gefahr auszugehen, sodass es bereits an der Schaffung eines rechtlich relevanten Risikos und nicht erst an dem Zusammenhang zwischen Gefahrschaffung und Erfolg fehlt.

576  Heinrich,

AT, Rn. 250. I, § 11 Rn. 87. Der Schutzzweck der Norm wird daher in erster Linie bei Fahrlässigkeitsdelikten relevant, vgl. hierzu Heinrich, AT, Rn. 250, 1046; Stratenwerth / Kuhlen, AT, § 8 Rn. 40. 578  Vgl. hierzu Roxin, AT I, § 11 Rn. 87, der sich entschieden gegen eine Vermen­ gung dieser beiden Fallgruppen ausspricht. 577  Roxin, AT

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Kap. 2: Viktimodogmatik

II. Eigenverantwortliche Selbstgefährdung Ein weiterer Ansatz, Fallgestaltungen mit mitwirkender Opferverantwor­ tung aus dem Betrugstatbestand auszuscheiden, findet sich bei Harbort, der ebenfalls die Figur der objektiven Zurechnung für eine Begrenzung des Be­ trugstatbestands nutzbar machen will.579 In Abweichung zu Kurth sieht er die Lösung jedoch nicht im Schutzzweck der Norm, sondern in der Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung.580 Dementsprechend möchte Harbort die objektive Zurechenbarkeit beim Betrug immer dann entfallen lassen, wenn das Opfer objektiv wenigstens leichtfertig gehandelt hat und es subjektiv das erforderliche Bewusstsein für das von ihm eingegangene Ri­ siko besaß.581 Vorteil dieser zweistufigen Prüfung sei es, dass das Erfordernis des objektiv leichtfertigen Opferhandelns den Ablauf des Geschäftsverkehrs nicht unnötig hemme, da die Nachforschungspflichten des Opfers entspre­ chend begrenzt sind.582 Weiterhin ermögliche das Eigenverantwortlichkeits­ kriterium, nur solche Fälle aus dem Tatbestand auszuscheiden, in denen das Opfer die Risiken auch überschauen kann und demzufolge in der Lage ist, entsprechende Schutzvorkehrungen zu treffen.583 Praktische Auswirkungen zeitige dies insbesondere in Fällen, in denen das Opfer Geld oder Waren herausgibt, ohne zuvor eine Liquiditätsprüfung vorgenommen zu haben. In diesen Fällen realisiere sich ein Risiko, das von dem Verfügenden zu einem gewissen Prozentsatz einkalkuliert werde, was auch die Einrichtung von Mahn- oder Rechtsabteilungen belege. Somit sei aufgrund eigenverantwortli­ cher Selbstgefährdung des Opfers keine Betrugsstrafbarkeit gegeben. Diffe­ renzierter sei dagegen der Kauf an der Wohnungstür zu sehen, bei dem sich das Opfer zum Erwerb wertloser Gegenstände überreden lässt. Hier sei im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, inwieweit das Opfer das nötige Gefahrenbe­ wusstsein hatte.584 Stets ausgeschlossen sei eine Begrenzung der Betrugs­ strafbarkeit dagegen in den Fällen des Aberglaubens oder des Okkultismus, da der Aberglauben bei den betroffenen Personen zu einem völligen Entfall der Kritikfähigkeit führe, sodass den Opfern das Fehlen einer Gegenleistung verborgen bliebe. Die von Harbort vorgeschlagene Einbeziehung des mitwirkenden Opfer­ verschuldens über die Figur der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung kann bereits aus dogmatischen Gründen nicht überzeugen. Denn eine eigen­ 579  Harbort, 580  Harbort, 581  Harbort, 582  Harbort, 583  Harbort, 584  Harbort,

S. 52 ff. S. 59 ff.; ähnlich auch Mühlbauer, NStZ 2003, 652 f. S. 67. S. 68. S. 68. S. 65.



E. Viktimodogmatische Einschränkungen des Schadensmerkmals123

verantwortliche Selbstgefährdung ist immer dann ausgeschlossen, wenn das Opfer das Risiko nicht in demselben Maße überblicken kann wie der Täter.585 Entscheidend ist damit, ob der Täter im Vergleich zu seinem Opfer über ein überlegenes Sachwissen verfügt.586 Wendet man diese Grundsätze auf den Betrugstatbestand an, folgt daraus, dass eine Kreditvergabe ohne vorherige Bonitätsprüfung entgegen Harbort nicht als eigenverantwortliche Selbstge­ fährdung angesehen werden kann.587 Zwar wird dem Opfer auch hier regel­ mäßig bekannt sein, dass es sich beim Unterlassen einer Bonitätsabfrage ei­ nem gewissen Risiko aussetzt, jedoch hat letztlich nur der Täter sichere Kenntnis darüber, dass er den Kredit nicht zurückzahlen können wird. Auf­ grund seines überlegenen Sachwissens kann von einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers nicht die Rede sein. Gleiches gilt für sämtliche Fälle einer mitwirkenden Opferverantwortung, da bei diesen stets eine erheb­ liche Wissensdifferenz gegeben ist, die einem Zurechnungsausschluss über die Figur der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung entgegensteht.

E. Viktimodogmatische Einschränkungen des Schadensmerkmals Vereinzelt finden sich in der Literatur auch Ansätze, die sich dafür aus­ sprechen, den Gedanken der Opfermitverantwortung im Rahmen des Scha­ densmerkmals zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang sind insbeson­ dere die Konzeptionen von Beulke und Arzt zu nennen.

I. Ausschluss des Schadens aufgrund Opfermitverschuldens Beulke hat sich im Zuge einer Besprechung des Urteils des LG Mann­ heim v.  07.10.1976  – 2 Ns 98 / 76 mit den Auswirkungen eines mitwirken­ den Opferverschuldens auf das Schadensmerkmal des Betruges auseinander­ gesetzt. Dabei gelangt er zu der These, dass ein strafbarer Betrug nicht vor­ liegen kann, wenn ein Vertragspartner einem Hauseigentümer eine Mietbe­ werberin nicht offen als Prostituierte vorstellt, sondern wahrheitswidrig behauptet, dass er den Raum für seine Sekretärin zu Wohnzwecken anmieten wolle.588 In diesem Fall fehle es zumindest an einer konkreten schadensglei­ chen Vermögensgefährdung, da eine mit der Rufschädigung des Hauses ein­ 585  Hoffmann-Holland, AT, Rn. 135; Otto, AT, § 6 Rn. 63; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 271. 586  BGHSt 36, 1 (17); Otto, AT, § 3 Rn. 63; Kühl, AT, Rn. 92. 587  Vgl. auch die Kritik bei Ackermann, FS Roxin II, S. 964 ff. 588  Beulke, NJW 1977, 1073.

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Kap. 2: Viktimodogmatik

hergehende eingeschränkte Vermietbarkeit der übrigen Wohnungen voraus­ setze, dass Mitmieter oder Außenstehende die illegale Nutzung tatsächlich bemerken.589 Bei einer ordentlich geführten Hausverwaltung würde der Ver­ mieter jedoch umgehend von der vertragswidrigen Nutzung erfahren, sodass er durch die Ausübung seines Kündigungsrechts nach § 535 BGB verhin­ dern könne, dass sein Haus in Verruf gerät.590 Die Gefahr, dass sich der Vermögensschaden realisiere, bestehe daher nur, wenn der Vermieter die Nutzung der Wohnung zur Prostitutionsausübung dulde oder wenn er seine Hausverwaltung schlecht organisiert habe.591 Die Anwendung des § 263 StGB sei aber verfehlt, wenn das Opfer genügend Möglichkeiten zu hem­ menden Selbstschutzmaßnahmen habe und deshalb nicht schutzbedürftig sei.592 Der Gedanke zumutbaren Selbstschutzes sei aber nicht nur beim Irr­ tumsmerkmal zu aktivieren, sondern müsse sich „auch im Rahmen des Schadensbegriffes  – und zwar insbesondere bei der Vermögensgefährdung“ entfalten.593 Da der Vermieter in dem geschilderten Fall die Möglichkeit ge­ habt habe, den Schaden ohne größere Schwierigkeiten selbst abzuwenden, könne die Rufschädigung auch keinen Vermögensschaden begründen.594 Eine schadensgleiche Vermögensgefährdung ergebe sich auch nicht aus dem mit einem zivilrechtlichen Verfahren verbundenen Prozessrisiko. Denn ein solches sei bei einer so eindeutigen Sachlage verschwindend gering und das Risiko, irgendeinen Prozess führen zu müssen, genüge für die Annahme ei­ nes Schadens gerade nicht.595 Die von Beulke vorgeschlagene Anknüpfung beim Schadensmerkmal ist nicht frei von Bedenken.596 Insbesondere ist unklar, wie das Unterlassen hemmender Selbstschutzmaßnahmen letztlich dazu führen soll, das Vorliegen eines Vermögensschadens zu beseitigen. Entscheidend für die Ermittlung des Schadens ist allein, ob ein Vergleich der Vermögenspositionen vor und nach der Vermögensverfügung zu einem negativen Saldo führt.597 Das Schadens­ merkmal bietet damit kaum Raum für normative Einschränkungen aufgrund einer mitwirkenden Opferfahrlässigkeit.598 Dies gilt umso mehr, wenn man den Vermögensbegriff mit der h. M. rein wirtschaftlich und damit faktisch 589  Beulke,

NJW 1977, 1073. NJW 1977, 1073. 591  Beulke, NJW 1977, 1073. 592  Beulke, NJW 1977, 1073. 593  Beulke, NJW 1977, 1073. 594  Beulke, NJW 1977, 1073. 595  Beulke, NJW 1977, 1073. 596  Vgl. nur die Kritik bei Hillenkamp, Opferverhalten, S. 36 ff.; Ellmer, S. 160; Schwarz, S. 99; Thomma, S. 247. 597  Vgl. Jäger, BT, Rn. 358 m. w. N. 598  Thomma, S. 247. 590  Beulke,



E. Viktimodogmatische Einschränkungen des Schadensmerkmals125

bestimmt.599 Da der Betrugstatbestand ausschließlich das Vermögen und nicht die Dispositionsfreiheit oder die Redlichkeit des Geschäftsverkehrs schützt,600 kann es einzig auf die Erhaltung des wertmäßigen Bestandes an­ kommen.601 Die Diskussion um die Berücksichtigung eines mitwirkenden Opferverschuldens ist damit im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerk­ mal Vermögensschaden ein Fremdkörper. Auch sonst spricht Vieles dafür, den Gedanken der Opfermitverantwortung an anderer Stelle zu verorten. Denn würde man einen Vermögensschaden infolge eines mitwirkenden Op­ fermitverschuldens verneinen, führte dies zu einer Art Zirkelschluss, da das Vorliegen eines Schadens mit dem Argument verneint werden würde, dass das Opfer den eingetretenen Schaden nicht abgewendet hat.602 Zudem ist es nicht haltbar, das Opfer auf bestehende Kündigungsrechte zu verweisen. Denn nach zutreffender h. M. sind zivilrechtliche Gegenrechte bei der Prü­ fung des Vermögensschadens unbeachtlich, da der maßgebliche Zeitpunkt in der Vermögensverfügung liegt und der Vergleich der Vermögenspositionen unmittelbar vor und nach der Verfügung vorgenommen werden muss.603 Ent­ wicklungen, die erst später eintreten, wie die erfolgreiche Geltendmachung eines Kündigungs- oder Anfechtungsrechts, sind daher allenfalls für die Strafzumessung relevant.604 Zudem zeigt der von Beulke besprochene Fall, dass eine Lösung über das Schadensmerkmal nicht zu zutreffenden Lösungen führen kann. Denn die Rufschädigung wird in dem Zeitpunkt, in dem der Vermieter von der vertragswidrigen Nutzung der Räumlichkeiten erfährt, re­ gelmäßig schon eingetreten sein. Schließlich wird der Vermieter selbst bei einer „ordentlich geführten Hausverwaltung“ erst dann von der Prostitutions­ ausübung erfahren, wenn sie bereits der Nachbarschaft oder Außenstehenden bekannt ist. Dann ist es für „hemmende Selbstschutzmaßnahmen“ aber be­ reits zu spät.

II. Verkauf von Illusionen Ein weiterer Vorschlag, der an das Schadensmerkmal anknüpft, findet sich bei Arzt. Arzt spricht sich dafür aus, jedenfalls in den Fällen der übertreiben­ 599  Ellmer,

S. 160; Thomma, S. 247. nur BGHSt 3, 99 (102); 16, 220 (221); BGH StV 1995, 254, Schönke /  Schröder / Perron, § 263 Rn. 1 / 2; Lackner / Kühl, § 263 Rn. 2; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 1; a. A. Kindhäuser, ZStW 103 (1991), 198 f. 601  Eisele, BT II, Rn. 574. 602  Ähnlich auch Ellmer, S. 160. 603  BGHSt 34, 199; BGH NJW 2011, 2675; BGH NStZ 1999, 353; BeckOKBeukelmann, § 263 Rn. 56 ff.; Lackner / Kühl, § 263 Rn. 36a; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 141; Jäger, JuS 2010, 765. 604  Wessels / Hillenkamp, BT 2, Rn. 538. 600  Vgl.

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Kap. 2: Viktimodogmatik

den Werbung einen Vermögensschaden dann abzulehnen, wenn das Betrugs­ opfer durch die Täuschung eine ihm willkommene Illusion erwirbt und damit einen Gegenwert für das hingegebene Vermögen erhält.605 Geleitet wird dies von der Überzeugung, dass es Fälle geben kann, in denen das Opfer ein In­ teresse daran hat, dass die erkaufte Illusion nicht aufgedeckt wird.606 In die­ sen Fällen soll dem Opfer durch die Strafverfolgungsbehörden kein Schutz aufgenötigt werden, der von diesem eigentlich nicht gewollt und ihm unter Umständen sogar höchst unlieb ist. So könne es zweckmäßig sein, bei einem austherapierten Krebspatienten, dem durch eine schulmedizinische Behand­ lung nicht mehr geholfen werden kann, die Hoffnung in ein wirkungsloses Krebsmittel bis zum Eintritt des Todes aufrechtzuerhalten.607 Vergleichbares gelte für den Vertrieb diverser Schönheitsmittel, Frischzellenkuren und Haar­ verdickern, die nach Arzt nur ein menschliches Bedürfnis nach Illusion und nach dem Konsum um seiner selbst willen befriedigten.608 Nach Arzt sei es daher gerechtfertigt, zumindest die gesamte Kosmetik-, Schönheits- und Wellnessindustrie aus dem Betrugsbereich herauszunehmen, da diese von diesem Phänomen in besonderer Weise betroffen sei.609 Dogmatisch möchte er diese Überlegungen über das Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens fruchtbar machen. Denn das Opfer erhalte in all diesen Fällen für sein Geld als Gegenwert eine Illusion.610 Allerdings soll dies nur insoweit gelten, wie es um die Befriedigung immaterieller Bedürfnisse geht und auch nur solange keine besseren realen Alternativen bestehen. Bei der Befriedigung materieller oder rein wirtschaftlicher Bedürfnisse soll eine solche Beschränkung der Betrugsstrafbarkeit dagegen ausgeschlossen sein.611 Deshalb seien der Ver­ kauf eines unwirksamen Fischköders oder eines wirkungslosen Unkrautver­ nichtungsmittels im Gegensatz zu dem Verkauf von Liebestränken und Haarwuchsmitteln, deren versprochene Wirkungen auf realem Wege uner­ reichbar seien und die keinen wirtschaftlichen Zwecken dienten, betrugs­ strafrechtlich zu erfassen.612 Gegen die von Arzt vorgeschlagene Lösung spricht bereits, dass eine trennscharfe Differenzierung zwischen (schutzbedürftigen) materiellen Inter­ essen und immateriellen Interessen, die nach seinem Konzept nicht geschützt sein sollen, nicht möglich ist. So kann ein Fischköder sowohl wirtschaft­ 605  Arzt, 606  Arzt, 607  Arzt, 608  Arzt, 609  Arzt, 610  Arzt, 611  Arzt,

612  Arzt,

FS FS FS FS FS FS FS FS

Hirsch, Hirsch, Hirsch, Hirsch, Hirsch, Hirsch, Hirsch, Hirsch,

S. 431 ff.; ders., FS Tiedemann, S. 599. S. 439 f. S. 439 f. S. 446. S. 446. S. 447. S. 437. S. 437.



F. Lösungsansätze außerhalb des Tatbestands

127

lichen als auch immateriellen Interessen dienen, je nachdem, ob er von einem Sportangler oder von einem Berufsfischer eingesetzt wird. Gleiches gilt für ein Unkrautvernichtungsmittel in den Händen eines Hobby- bzw. Profigärt­ ners. Umgekehrt können dagegen selbst Haarverdicker und Schlankheitsprä­ parate auch wirtschaftliche Zwecke bedienen, wenn sie von einem Schau­ spieler oder einem Fotomodell erworben werden. Auch die Einschränkung, dass der gewünschte Erfolg nicht durch reale Alternativen erreichbar sein darf, wirft für die Praxis nicht unerhebliche Probleme auf. Angesichts der Masse verschiedener Medizin- und Schönheitsprodukte wird niemand zuver­ lässig beurteilen können, ob es eventuell nicht doch irgendein Präparat gibt, dass die versprochenen Wirkungen tatsächlich aufweist. Für die Verkäufer solcher Produkte ist es daher im Vorhinein unabsehbar, inwieweit ihrem Ver­ halten strafrechtliche Relevanz zukommt. Zudem wären selbst einfachste Betrugsprozesse nur noch mit enormen Aufwand und unter Hinzuziehung pharmakologischer Gutachter durchführbar. Wenig überzeugend ist auch die Grundannahme, dass der Käufer eines Schönheitspräparates das Mittel nur erwerbe, um sich der Illusion seiner Wirksamkeit hinzugeben. Denn das Op­ fer wird sich meist nicht nur eine bloße Illusion, sondern eine tatsächliche Linderung seiner Leiden erkaufen wollen. Der Kauf eines Haarwuchsmittels erfolgt in aller Regel, weil sich der Käufer davon verspricht, dass sein Haar­ ausfall gestoppt und das Haarwachstum angeregt wird und nicht etwa, weil sich der Käufer das bloße Gefühl erkaufen will, etwas gegen seinen Haaraus­ fall zu unternehmen.613 Dies belegt bereits die Tatsache, dass in der Werbung für Kosmetikprodukte häufig ein (durch wissenschaftliche Studien belegter) Wirksamkeitsnachweis gegeben wird. Nur wenige Verbraucher würden ein Haarwuchsmittel erstehen, wenn es damit beworben werden würde, dass das Produkt dem Anwender wirksam vorgaukele, dass seine Haare wieder sprös­ sen. Auch die Argumentation, dass viele Opfer gar kein Interesse an der Aufklärung der Tat hätten, verfängt nicht. Zwar ist nicht abzustreiten, dass es für das Betrugsopfer im Zweifel angenehmer sein mag, wenn eine Illusion weitestgehend aufrechterhalten wird, da ihm dann das unangenehme Gefühl erspart bleibt, betrogen worden zu sein. Dies gilt aber nicht nur für den Be­ reich des Opfermitverschuldens, sondern für nahezu alle Fälle des Betruges und kann daher nicht ernsthaft als Argument gegen eine Strafwürdigkeit be­ trügerischer Verhaltensweisen ins Feld geführt werden.

F. Lösungsansätze außerhalb des Tatbestands Neben den Vorschlägen, die einer Berücksichtigung des Opfermitverschul­ dens über die einzelnen Tatbestandsmerkmale des Betruges zum Durchbruch 613  Ähnlich

auch Krey / Hellmann / Heinrich, BT 2, Rn. 544.

128

Kap. 2: Viktimodogmatik

verhelfen wollen, gibt es auch vereinzelte Ansätze, die sich außerhalb des objektiven Tatbestandes bewegen. In diesem Zusammenhang ist die Untersuchung von Hennings zu nennen, der ebenfalls eine Notwendigkeit sieht, bestimmte Fallkonstellationen von einer Betrugsstrafbarkeit auszunehmen.614 Auch er tritt dafür ein, den Straf­ rechtsschutz auf Sachlagen zu konzentrieren, in denen hierfür auch ein Be­ dürfnis besteht. Über das viktimologische Prinzip hinaus werde eine Einbe­ ziehung einer mitwirkenden Opferverantwortung erst durch eine Verknüpfung des Selbstverantwortungsprinzips mit dem auf der allgemeinen Verbrechens­ lehre aufbauenden Verbrechensbegriff ermöglicht. Da die Beziehung zwi­ schen dem Betrugstäter und dem Betrugsopfer typischerweise von einer be­ sonderen Qualität geprägt sei, müsse das Verhalten des Opfers dem Täter grundsätzlich zugerechnet werden. Im Zuge einer Abgrenzung der unter­ schiedlichen Verantwortungsbereiche könne es das Opfermitverschulden je­ doch notwendig machen, eine Betrugsstrafbarkeit aufgrund des Selbstverant­ wortungsgedankens zu verneinen, und zwar auch dann, wenn der Tatbestand des § 263 StGB dem Wortlaut nach erfüllt ist.615 Dies gelte jedoch nur, wenn dem Opfer vor der Vornahme der schädigenden Vermögensverfügung auch zumutbare Überprüfungsmöglichkeiten im Hinblick auf das eingesetzte Ver­ trauen zur Verfügung standen und es diese trotz eines vorhandenen Kontrol­ limpulses nicht genutzt hat. Auch müsse das Opferverhalten eine bewusste Vernachlässigung der wirtschaftlichen Eigenverantwortung des Opfers sein und es dürfe nicht als schutzbedürftig angesehen werden, um auch kriminal­ politische Bedenken gegen eine solche Beschränkung zuverlässig auszu­ schließen. Daher seien insbesondere Fälle des Kapitalanlagebetruges und des Kreditbetruges als typische Risikogeschäfte von einer Betrugsstrafbarkeit auszunehmen.616 Denn für diese Betrugsvarianten sei es charakteristisch, dass die Opfer regelmäßig bewusst gegen ihre eigenen Interessen handelten und auch sonst nicht als schutzbedürftig anzusehen seien. In diesen Fällen sei es daher legitim, den Opferschutz auf andere Straftatbestände oder gar auf die Möglichkeiten des Zivilrechts zu verweisen. Da die an den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des Betruges anknüpfen­ den viktimodogmatischen Theorien zu keinen dogmatisch und kriminalpoli­ tisch überzeugenden Lösungen führten, schlägt Hennings vor, den Gesetzes­ wortlaut des § 263 StGB neu zu formulieren und um einen weiteren Absatz folgenden Wortlauts zu ergänzen: „Wegen Betrugs wird nicht bestraft, wenn der Verletzte bewußt gegen seine eigenen Interessen gehandelt hat und au­

614  Hennings,

S. 169 ff. S. 181 ff. 616  Hennings, S. 193 ff. 615  Hennings,



F. Lösungsansätze außerhalb des Tatbestands129

ßerdem nicht als schutzwürdig anzusehen ist“.617 Bis zu einer etwaigen Neu­ fassung des Betrugstatbestands sei die Vorschrift entsprechend teleologisch zu reduzieren.618 Gegen den Ansatz von Hennings spricht indes, dass das Mittel der teleolo­ gischen Reduktion nur dann herangezogen werden sollte, wenn eine Ein­ schränkung des Tatbestands nicht durch eine restriktivere Auslegung der Betrugsmerkmale erreicht werden kann.619 Eine durch das Europarecht gebo­ tene restriktivere Auslegung lässt sich jedoch  – wie noch zu zeigen sein wird  – über die vorhandenen normativen Strukturen des Betruges mühelos erreichen. Aus diesen Gründen ist auch eine Neuformulierung des Tatbe­ stands bzw. eine Erweiterung des Tatbestands um einen weiteren Absatz nicht angezeigt.

617  Hennings,

S. 191 Fn. 92. S. 192. 619  Harbort, S. 30. 618  Hennings,

Kapitel 3

Der Schutz des Einfältigen vor dem Hintergrund unionsrechtlicher Vorgaben Die Tendenzen, den Betrugstatbestand aufgrund einer besonderen Mitver­ antwortung des Opfers zu limitieren, sind – abgesehen von vereinzelt vorzu­ findenden neueren Untersuchungen  – etwas aus der Mode gekommen und die einst hitzig geführte Diskussion hat sich mittlerweile merklich abge­ kühlt.620 Angesichts der erhobenen kriminalpolitischen Bedenken, dass eine restriktivere Auslegung des § 263 StGB insbesondere die Alten und Schwa­ chen der Ausbeutung preisgeben würde, hat sich letztendlich keine der vikti­ modogmatischen Konzeptionen durchsetzen können, zumal sich die meisten von ihnen auch berechtigten dogmatischen Vorbehalten ausgesetzt sehen. Allerdings könnte trotz der – überwiegend berechtigten – Kritik an den vik­ timodogmatischen Lehren aufgrund europarechtlicher Implikationen ein Überdenken der hergebrachten Betrugsauslegung, nach der auch der Einfäl­ tige in den Schutzbereich des § 263 StGB fällt, erforderlich sein. Denn das deutsche Strafrecht und die Strafrechtssyteme der anderen EU-Mitgliedsstaa­ ten befinden sich derzeit, wie Hecker zutreffend formuliert, in einem „regel­ rechten Europäisierungssog“.621 Und so mehren sich im Schrifttum bereits die Stimmen, die angesichts der europarechtlichen Entwicklungen die Einbe­ ziehung auch besonders einfältiger Personen zunehmend kritisch betrach­ ten.622 Bevor jedoch hierauf näher eingegangen wird, ist in einem ersten 620  Loos, JR 2002, 77; Beckemper führt dies darauf zurück, dass es gerade in Be­ zug auf den Betrugstatbestand als klassischem Prüffeld der Viktimodogmatik nicht gelungen ist, sachgerechte und dogmatisch überzeugende Lösungsansätze herauszuar­ beiten, S. 212. 621  Hecker, Europäisches Strafrecht, § 1 Rn. 1. 622  Ambos, Internationales Strafrecht, § 11 Rn. 39; Dannecker, ZStW 117 (2005), 711; ders., Jura 2006, 174; ders., Täuschungsschutz, S. 372; Eick, S. 155 ff.; Erb, ZIS 2011, 375; Esser, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 26; AnwK-Gaede, § 263 Rn. 23; ders., FS Roxin II, S. 979; Sieber / Satzger / v. Heintschel-Heinegg / Hecker, § 27 Rn. 20; ders., Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 105; ders., Strafbare Produktwerbung, S. 282 ff.; ders., JuS 2011, 471 f.; Jahn, JuS 2010, 1119; HWSt-Janssen, 3. Aufl., V 1 Rn. 65 ff.; Joecks, StuKo, § 263 Rn. 24; Müller, NZWiSt 2014, 393 ff.; Pohl, ZIS 2006, 213; Rönnau / Wegner, GA 2013, 564 ff.; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 576 ff.; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 6, 109; SSW-Satzger, § 263 Rn. 66 ff.; ders., Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 105; Scheinfeld, wistra 2008, 172; Soyka, wistra



A. Der Einfluss des Europarechts auf das nationale Strafrecht131

Schritt darzulegen, welche Rechtsquellen das Unionsrecht kennt und in wel­ chem Verhältnis diese zum nationalen Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland stehen. Sodann wird zu erörtern sein, welche Rechtssätze kon­ kret in der Lage sind, die Auslegung des § 263 StGB zu beeinflussen.

A. Der Einfluss des Europarechts auf das nationale Strafrecht Bevor die Einflussmöglichkeiten des Unionsrechts auf das Strafrecht im Allgemeinen und den Betrugstatbestand im Speziellen eingegangen wird, sollen zum besseren Verständnis die unterschiedlichen Rechtsquellen des Unionsrechts dargestellt werden. Denn der Einfluss des Unionsrechts auf die Auslegung mitgliedstaatlicher Rechtsnormen richtet sich insbesondere da­ nach, welche Rechtsquelle man in den Blick nimmt.623

I. Rechtsquellen des Unionsrechts Das Recht der Europäischen Union untergliedert sich in das sog. primäre und das sog. sekundäre Unionsrecht.624 Das primäre Unionsrecht, welches an der Spitze der Normenpyramide steht, umfasst dabei den Vertrag über die Europäische Union (EUV), den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäi­ schen Union (AEUV) und deren Anlagen und Protokolle.625 Über die Einbe­ ziehung durch Art. 6 EUV ist auch die Charta der Grundrechte der Europäi­ schen Union (GRCh) dem Primärrecht zuzurechnen.626 Das primäre Unions­ recht hat seinen Ursprung in völkerrechtlichen Verträgen zwischen den Mit­ gliedsstaaten und wird auch durch solche fortgebildet. Ergänzt wird das geschriebene Primärrecht durch ungeschriebenes Primärrecht in Form von 2007, 127 ff.; ders., HRRS 2008, 422; a. A. BGH NJW 2014, 2597 f.; Brammsen / Apel, WRP 2011, 404; Vergho, wistra 2013, 87 ff.; einschränkend MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 48 ff.; LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 40 und Wessels / Hillenkamp, BT 2, Rn. 488. 623  Rönnau / Wegner, GA 2013, 562. 624  Sieber / Satzger / v. Heintschel-Heinegg / Satzger, § 1 Rn. 43; ders., Europäisches Strafrecht, § 7 Rn. 4; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 4 Rn. 45; Heim, S. 91; Streinz, Europarecht, Rn. 2. 625  Ambos, Internationales Strafrecht, § 9  Rn. 19; Bieber / Epiney / Haag / Haag, § 6 Rn. 8; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 4 Rn. 46; Herrmann, Europarecht, Rn. 21; Herdegen, Europarecht, § 8 Rn. 4; Hobe, Europarecht, Rn. 368; Sieber / Satz­ ger / v.  Heintschel-Heinegg / Satzger, § 1 Rn. 44; ders., Europäisches Strafrecht, § 7 Rn. 4; Streinz, Europarecht, Rn. 3; NK-Hassemer / Kargl, § 1 Rn. 111; Kreis, S. 22; Kugler, S. 27. 626  Krey / Esser, AT, § 4 Rn. 117; Streinz, Europarecht, Rn. 2; Herrmann, Europa­ recht, Rn. 21.

132

Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Existenz sich aus Art. 340 Abs. 2 AEUV ableiten lässt und die sowohl für Behörden als auch für Gerichte bindenden Rechtscharakter haben.627 Hierzu zählen u. a. die Grundsätze des Vertrauensschutzes oder der Rechtssicherheit. Im Gegensatz hierzu umfasst der Begriff des Sekundärrechts all diejenigen Rechtsnormen, die von den Organen der Europäischen Union auf der Grund­ lage des Primärrechts erlassen wurden.628 Nach Art. 288 AEUV wird hierbei zwischen Verordnungen, Richtlinien, Beschlüssen629, Empfehlungen und Stellungnahmen unterschieden, wobei die Verordnung und die Richtlinie die wichtigsten Handlungsinstrumente der Europäischen Union sind.630 Verord­ nungen haben gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV allgemeine Geltung. Sie sind in all ihren Teilen rechtlich verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mit­ gliedsstaat.631 Dabei regeln sie generell und abstrakt eine unbestimmte Viel­ zahl von Sachverhalten und besitzen damit Rechtssatzqualität.632 Durch diese grenzen sie sich von den Beschlüssen ab, welche auch an einen konkret indi­ viduellen Adressaten gerichtet sein können. Jeder, der von einer Verordnung tatbestandsmäßig betroffen ist, muss deren Regelungen befolgen. Dabei ist jede einzelne Regelung der Verordnung als geltendes Recht zu beachten. Verordnungen gelten ausweislich des Wortlauts des Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar. Sie sind daher nach ihrem Inkrafttreten von den Gerichten und Behörden direkt anzuwenden, ohne dass es zuvor eines Umsetzungsaktes durch den nationalen Gesetzgeber bedarf. Richtlinien müssen im Gegensatz hierzu erst durch die angesprochenen Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden, weshalb man inso­ weit auch von einem zweistufigen Rechtssetzungsverfahren spricht.633 Dabei benennt die Richtlinie nur die zu erreichenden Ziele und bestimmt eine Frist, innerhalb derer diese Zielsetzungen umzusetzen sind. Dem Erlass der Richt­ linie auf der ersten Stufe folgt auf der zweiten Stufe regelmäßig ein Umset­ 627  Bieber / Epiney / Haag / Haag, § 6 Rn. 16 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 4 Rn. 46. 628  NK-Hassemer / Kargl, § 1 Rn. 111; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 4 Rn. 50; Heim, S. 82; Hobe, Europarecht, Rn. 381; Krey / Esser, AT, § 4 Rn. 118. 629  Bis 31.11.2009 „Entscheidungen“. 630  NK-Hassemer / Kargl, § 1 Rn. 111. 631  Ambos, Internationales Strafrecht, § 9 Rn. 20; Bieber / Epiney / Haag / Haag, § 6 Rn. 27; Esser, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 12; NK-Hassemer / Kargl, § 1 Rn. 111; Heim, S. 82; Hobe, Europarecht, Rn. 388; Rönnau / Wegner, GA 2013, 561; Sieber /  Satzger / v. Heintschel-Heinegg / Satzger, § 1 Rn. 52. 632  Ambos, Internationales Strafrecht, § 9 Rn. 20; Sieber / Satzger / v.  HeintschelHeinegg / Satzger, § 1 Rn. 52. 633  Bieber / Epiney / Haag / Haag, § 6 Rn. 29; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 4 Rn. 52.



A. Der Einfluss des Europarechts auf das nationale Strafrecht133

zungsrechtsakt durch die betreffenden Mitgliedsstaaten, wobei die Auswahl der Mittel und der Form den Mitgliedsstaaten selbst überlassen bleibt.634 Verbindlich sind Richtlinien nur für die angesprochenen Mitgliedsstaaten und auch nur hinsichtlich des bezeichneten Ziels.635 Aus dieser Verbindlichkeit folgt jedoch, dass die Mitgliedsstaaten die Richtlinie genau und fristgemäß in nationales Recht umzusetzen haben.

II. Verhältnis des nationalen Strafrechts zum Recht der Europäischen Union Obwohl die Europäische Union im Bereich des Strafrechts kaum Rechts­ setzungskompetenzen besitzt,636 können sich durch das Unionsrecht gewich­ tige Auswirkungen auf das deutsche Strafrechtssystem ergeben.637 Denn aus der fehlenden Kompetenz zur Rechtssetzung folgt lediglich, dass die Europä­ ische Union keine Straftatbestände schaffen darf, die einheitlich in allen Mitgliedsstaaten gelten und die an die Stelle der vorhandenen nationalen Strafnormen treten.638 Das deutsche Strafrecht ist aber trotz der fehlenden Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Union keine „unionsrechtliche Tabuzone“.639 Denn auch wenn die Europäische Union nicht dazu berechtigt ist, neue kriminalstrafrechtliche Tatbestände zu schaffen, kann das nationale Strafrecht in seiner Ausgestaltung und Anwendung maßgeblich durch primäroder sekundärrechtliche Regelungen des Unionsrechts beeinflusst werden.640 Anderenfalls hätten die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, Vorgaben und Ziele des Unionsrechts durch strafrechtliche Regelungen regelrecht auszu­ höhlen und zu unterwandern.641 Es darf daher nicht möglich sein, dass die 634  Herrmann,

Europarecht, Rn. 24. § 6 Rn. 29; Hobe, Europarecht, Rn. 390; Sieber /  Satzger / v. Heintschel-Heinegg / Satzger, § 1 Rn. 53. 636  Eingehend zur strafrechtlichen Rechtssetzungskompetenz der Europäischen Union Kugler, S. 19 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 11 Rn. 1 ff.; Eick, S. 150 ff.; Esser, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 116 ff.; Hecker, Europäisches Straf­ recht, § 4 Rn. 57 ff.; Vergho, Verbrauchererwartung, S. 102 ff. 637  Ambos, Internationales Strafrecht, § 11 Rn. 14; Bieber / Epiney / Haag / Bieber, § 16 Rn. 4; Schönke / Schröder / Eser / Hecker, Vor § 1 Rn. 28; Kreis, S. 35; Pohl, ZIS 2006, 213; Ruhs, Strafbare Werbung, S. 90 ff.; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 1; Tiedemann, NJW 1993, 23 ff.; LK-Weigend, Einl. Rn. 84 ff. 638  Satzger, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 1. 639  Pohl, ZIS 2006, 213; Rönnau / Wegner, GA 2013, 561; Sieber / Satzger / v. Heint­ schel-Heinegg / Satzger, § 9 Rn. 8; ders., Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 2, 5; Soyka, wistra 2007, 127. 640  Kugler, S. 26; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 1. 641  Sieber / Satzger / v.  Heintschel-Heinegg / Satzger, § 9 Rn. 7; ders., Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 5. 635  Bieber / Epiney / Haag / Haag,

134

Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

Warenverkehrsfreiheit durch ein mit einer Kriminalstrafe bewährtes Verbot des Imports bestimmter Waren, die in einem anderen Land der Europäischen Union zugelassen sind, ausgehebelt wird.642 Das Strafrecht kann damit für sich keine Sonderrolle beanspruchen.643 Es ist damit wie jedes andere natio­ nale Recht dem Einfluss des Unionsrechts ausgesetzt.644 Gesetzgeber, Ge­ richte und Staatsanwaltschaften sind deshalb gehalten, dem Europarecht bei der Anwendung nationaler Strafnormen hinreichend Rechnung zu tragen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass den unmittelbar anwend­ baren Vorschriften des Unionsrechts im Falle einer Kollision mit dem Recht eines Mitgliedsstaates ein Anwendungsvorrang zukommt, der im Einzelfall sogar zur Unanwendbarkeit einer Strafnorm führen kann.645 Denn nach der Rechtsprechung des EuGH kommt dem Unionsrecht stets ein Vorrang vor jedwedem nationalen Recht zu, und zwar unabhängig von dessen Rangstu­ fe.646 Dies führt dazu, dass im Falle einer Kollision zwischen unionsrechtli­ chen Rechtsvorschriften und nationalem Recht das nationale Recht außer Anwendung zu bleiben hat.647 Die sich hieraus ergebende Verwerfungsbefug­ nis für nationale Rechtsvorschriften, die mit dem Unionsrecht nicht in Ein­ klang zu bringen sind, steht nach dem EuGH sämtlichen mitgliedsstaatlichen Gerichten zu, mit der Konsequenz, dass auch der Amtsrichter von der An­ wendung eines Strafgesetzes absehen muss, wenn dieses unmittelbar an­ wendbaren primären oder sekundärem Unionsrecht widerspricht. Ebenfalls zur Normverwerfung berufen sind alle Behörden,648 sodass auch die Staats­ anwaltschaften im Falle einer Kollision der anzuwendenden Strafnorm mit unmittelbar anwendbaren unionsrechtlichen Bestimmungen von einer Ankla­ geerhebung absehen müssen. Das BVerfG hat den Vorrang des Unionsrechts 642  NK-Hassemer / Kargl,

§ 1 Rn. 111a; Kreis, S. 35 f. Strafbare Werbung, S. 92. 644  Vergho, Verbrauchererwartung, S. 121; ders., wistra 2010, 90; Satzger, Europä­ isches Strafrecht, § 9 Rn. 6; HWSt-Janssen, 3. Aufl., V 1 Rn. 65. 645  Ambos, Internationales Strafrecht, § 11 Rn. 37; Dannecker, Jura 2006, 173; Heim, S. 85 f.; Krey / Esser, AT, § 4 Rn. 119; Müller, NZWiSt 2014, 397; Ruhs, Straf­ bare Werbung, S. 92; Sieber / Satzger / v. Heintschel-Heinegg / Satzger, § 9 Rn. 39. 646  EuGH Rs C-11 / 70, Slg. 1970, 1125  – Internationale Handelsgesellschaft; EuGH Rs C-106 / 77, Slg. 1978, 629  – Simmenthal II; NK-Hassemer / Kargl, § 1 Rn. 111d. Ausführlich zum Vorrang des Unionsrechts vor dem Strafrecht der Bundes­ republik Deutschland: Ambos, Internationales Strafrecht, § 11 Rn. 37 ff.; Esser, Euro­ päisches Strafrecht, § 2 Rn. 7 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 1 ff.; Kreis, S. 13 ff.; Sieber / Satzger / v. Heintschel-Heinegg / Satzger, § 9 Rn. 39 ff.; ders., Europä­ isches Strafrecht, § 9 Rn. 78 ff.; Soyka, wistra 2007, 128. 647  Cornelius, NStZ 2015, 313; Krey / Esser, AT, § 4 Rn. 119. 648  Die Verwerfungsbefugnis nationaler Behörden ist umstritten, wird von der vor­ herrschenden Ansicht jedoch befürwortet, vgl. zum Ganzen Rengeling / Middeke / Gel­ lermann / Gärditz, § 35 Rn. 13. 643  Ruhs,



A. Der Einfluss des Europarechts auf das nationale Strafrecht135

als Folge der Übertragung von Hoheitsrechten an die Europäische Union explizit gebilligt, ihn aber insoweit eingeschränkt, als dieser nur anerkannt werde, wenn die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen durch die Rechtsakte der Europäischen Union respektiert würden.649 Es hat aber gleichfalls festgestellt, dass der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union deutschen Standards im Wesentlichen Rechnung trage, sodass der Vorrang des Unionsrechts heute nicht mehr bestritten wird.650 Am Anwendungsvorrang des Unionsrechts nimmt nicht das gesamte Recht der Europäischen Union teil, sondern nur solche Rechtssätze, die unmittelbar anwendbar sind.651 Hierzu zählen in erster Linie das gesamte Primärrecht sowie Verordnungen und Beschlüsse. Richtlinien, die nach Art. 288 Abs. 3 AEUV von den Mitgliedsstaaten erst in nationales Recht umgesetzt werden müssen, sind dagegen im Grundsatz nicht unmittelbar anwendbar. Allerdings können einzelne Bestimmungen einer Richtlinie nach der Rechtsprechung des EuGH ausnahmsweise dann unmittelbar anwendbar sein, wenn sie noch nicht durch die Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt wurden. Vo­ raussetzung ist aber, dass die Umsetzungsfrist abgelaufen ist, die Richtlinie nicht oder nur unzureichend umgesetzt wurde und dass die Bestimmungen der Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sind.652 Liegen diese Umstände vor, sind die nationalen Gerichte und Behörden verpflichtet, die betreffenden Richtlinienbestimmungen als geltendes Recht zu behandeln. Der Grund hierfür liegt zum einen im Effizienzgebot, dem „effet utile“, und zum anderen darin, dass sich ein Mitgliedsstaat nicht durch Verstreichenlas­ sen der Umsetzungsfrist seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen entziehen können soll.653 Ferner soll die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinien­ bestimmungen auch dem Schutz der Rechte dienen, die dem Einzelnen durch das Unionsrecht verliehen werden. Aus dem oben Gesagten folgt, dass die Strafnormen des StGB immer dann zurücktreten müssen, wenn sie im Widerspruch zu unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Unionsrechts stehen, wenn also ein sog. echter Kollisions­ fall gegeben ist.654 Die Nichtigkeit einer Strafnorm folgt daraus aber nicht, da der Konflikt zwischen dem Unionsrecht und nationalem Recht nicht im 102, 147; vgl. auch NK-Hassemer / Kargl, § 1 Rn. 111d. § 1 Rn. 111d. 651  Esser, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 12; Kreis, S. 36 f.; Sieber / Satzger / v. Heintschel-Heinegg / Satzger, § 9 Rn. 39 f. 652  EuGH Rs C-8 / 81, Slg. 1982, 53  – Becker; Grabitz / Hilf / Nettesheim / Nettesheim, Art. 288 Rn. 145 ff.; Cornelius, NStZ 2015, 313; Hecker, Europäisches Straf­ recht, § 4 Rn. 53; Hobe, Europarecht, Rn. 392; Heim, S. 87; Kühling, JuS 2014, 482. 653  Hobe, Europarecht, Rn. 392; Soyka, wistra 2007, 128. 654  BGH NJW 2006, 3591. 649  BVerfGE

650  NK-Hassemer / Kargl,

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

Wege eines Geltungsvorrangs aufzulösen ist.655 Vielmehr führt der Anwen­ dungsvorrang unionsrechtlicher Bestimmungen lediglich dazu, dass konträre nationale Bestimmungen schlicht außer Anwendung zu bleiben haben. Das nationale Recht behält aber dennoch weiterhin seine Gültigkeit. Auch darüber hinaus kann das Recht der Europäischen Union die Ausle­ gung des nationalen Strafrechts beeinflussen. Denn nach Art. 4 Abs. 3 AEUV sind die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, alle Maßnahmen zu treffen, um die Erfüllung ihrer Pflichten aus dem Unionsrecht zu gewährleisten. Daraus ergibt sich unter anderem die Verpflichtung zur Konformauslegung nationa­ len Rechts, wobei entsprechend der Unterteilung in Primär- und Sekundär­ recht zwischen einer unionsrechtskonformen und einer richtlinienkonformen Auslegung zu differenzieren ist.656 Das Gebot der unionsrechtskonformen Auslegung hält die nationalen Gerichte dazu an, das nationale Recht unter Ausnutzung aller gebotenen Interpretationsspielräume dahingehend auszule­ gen, dass eine Konformität mit den unionsrechtlichen Vorgaben hergestellt wird. Ist dies nicht möglich, greift der Vorrang des Unionsrechts und das entgegenstehende nationale Recht ist unangewendet zu lassen bzw. das Uni­ onsrecht unmittelbar anzuwenden.657 Ähnliches gilt für die richtlinienkon­ forme Auslegung des mitgliedstaatlichen Rechts. Auch im Hinblick auf die grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbaren Richtlinien folgt nach der Rechtsprechung des EuGH aus Art. 4 Abs. 3 AEUV und aus der sich aus Art. 288 Abs. 3 AEUV ergebenden Umsetzungsverpflichtung ein Gebot, nach dem „das nationale Gericht bei der Anwendung des nationalen Rechts […] dieses nationale Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtli­ nie auszulegen hat, um das in Artikel 189 Absatz 3 [EWGV]658 genannte Ziel zu erreichen“.659 Diese Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung erfasst dabei nicht nur solche Rechtsvorschriften, die zur Umsetzung der betreffen­ den Richtlinie ergangen sind, sondern das gesamte nationale Recht, soweit es vom Wirkungsbereich der Richtlinie erfasst wird.660 Betroffen sind danach 655  Heim, S. 85; Esser, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 9; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 8. 656  NK-Hassemer / Kargl, § 1 Rn. 111a. 657  Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 117. 658  Gegenwärtig Art. 288 Abs. 3 AEUV. 659  EuGH Rs C-14 / 83, Slg. 1984, 1891  – von Colson und Kamann; vgl. auch Dannecker, Jura 2006, 175; ders., FS  BGH, S. 365; Kühling, JuS 2014, 482; Sie­ ber / Satzger / v. Heintschel-Heinegg / Satzger, § 9 Rn. 52. 660  Rönnau / Wegner, GA 2013, 564. Der EuGH hat in seiner Entscheidung „Kolpinghuis Nijmegen“ ausdrücklich klargestellt, dass die Verpflichtung zur richtlinien­ konformen Auslegung auch im Strafrecht zu beachten ist, EuGH Rs C-80 / 86, Slg. 1987, 3969. Auch der BGH erkennt eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des deutschen Strafrechts ausdrücklich an, BGH NJW 2014, 2597.



B. Der Einfluss des Europarechts auf den Betrugstatbestand

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sogar Normen, die älter sind als die jeweils einschlägige Richtlinie selbst,661 was auf die Vorschriften des StGB regelmäßig zutrifft. Wie auch das Gebot der unionsrechtskonformen Auslegung findet die Ver­ pflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung ihre Grenzen in der Ausle­ gungsfähigkeit des nationalen Rechts und damit in erster Linie im Wortlaut und Zweck der jeweiligen Norm.662 Anderenfalls würden die Grenzen rich­ terlicher Rechtsfortbildung überschritten, da der Richter sonst rechtsschöpfe­ risch tätig werden und in den Zuständigkeitsbereich des Gesetzgebers ein­ greifen würde. Ebenfalls zu beachten sind die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts, insbesondere der Grundsatz der Rechtssicherheit sowie das Rückwirkungsverbot. Diese Beschränkungen des Gebots der richtlinienkon­ formen Auslegung zeitigen ihre Wirkungen insbesondere auf dem Gebiet des Strafrechts, wo sie verhindern, dass die Strafbarkeit einer Person unter Rück­ griff auf eine nicht umgesetzte Richtlinie begründet oder verschärft wird.663

B. Der Einfluss des Europarechts auf den Betrugstatbestand Einflüsse auf die Auslegung des Tatbestands des § 263 StGB können sich sowohl aufgrund primärrechtlicher als auch durch sekundärrechtliche Be­ stimmungen des Unionsrechts ergeben.

I. Einflussmöglichkeiten primärrechtlicher Vorschriften des Unionsrechts auf den Betrugstatbestand Im Bereich des Primärrechts sind vor allem die europäischen Grundfrei­ heiten für die Auslegung des Betrugstatbestands oder dessen Anwendbarkeit bedeutsam.664 Die europäischen Grundfreiheiten bilden das Rückgrat des Europäischen Binnenmarktes und dienen dazu, die Bedingungen von Markt­ freiheit und Marktgleichheit herzustellen und zu sichern.665 Sie sollen ge­ währleisten, dass im innergemeinschaftlichen Verkehr Produkte und Wirt­ schaftssubjekte frei von Hindernissen bleiben, die Grenzübertritte verhindern 661  EuGH Rs C-106 / 89, Slg. 1990, I-4135 – Marleasing; vgl. hierzu auch Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 11; Rönnau / Wegner, GA 2013, 564. 662  Eingehend zu den Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung Dannecker, FS BGH, S. 368 ff.; Kühling, JuS 2014, 483 ff.; Ruhs, Strafbare Werbung, S. 99. 663  Herrmann, Europarecht, Rn. 76 m. w. N. 664  AnwK-Gaede, § 263 Rn.6; Heim, S. 91; LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 40; Joecks, StuKo, § 263 Rn. 24; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 575. 665  Hobe, Europarecht, Rn. 615; Vergho, Verbrauchererwartung, S. 42.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

oder erschweren.666 Die Grundfreiheiten stellen unmittelbar anwendbares Recht dar und sie begründen subjektive Rechte für Individuen und Unterneh­ men.667 Alle Grundfreiheiten genießen Anwendungsvorrang vor nationalem Recht, sodass ihnen widersprechendes nationales Recht außer Anwendung zu bleiben hat. 1. Warenverkehrsfreiheit, Art.  28 ff., 34 ff. AEUV Die Warenverkehrsfreiheit stellt dabei eine der wichtigsten Grundfreihei­ ten im europäischen Binnenmarkt dar. Sie dient dem Zweck, staatliche Hin­ dernisse mit Bezug zum freien Warenverkehr auszuschalten und den freien Wettbewerb im Binnenmarkt zu sichern.668 Unter den Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit fallen dabei sämtliche „Waren“, die aus einem Mit­ gliedsstaat der EU stammen oder die sich zumindest innerhalb der Union im freien Verkehr befinden.669 Vom Begriff der Ware sind dabei alle Gegen­ stände umfasst, die einen Geldwert haben und die daher Gegenstand von Handelsgeschäften sein können.670 Verboten sind nach Art. 28, 29 AEUV zunächst Zölle sowie Abgaben gleicher Wirkung. Daneben verbieten die Art. 34, 35 AEUV mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie Maßnah­ men gleicher Wirkung. Insbesondere letztgenannte Kategorie ist nach der Rechtsprechung des EuGH relativ weit zu fassen.671 Seit seiner Entscheidung im Fall Dassonville672 versteht der EuGH unter einer Maßnahme gleicher Wirkung „jede Handelsregelung der Mitgliedsstaaten, die geeignet ist, den innergemein­ schaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behin­ dern“.

Die verhältnismäßig weit gefasste Dassonville-Formel hat der EuGH in seiner Keck-Entscheidung673 etwas relativiert und bestimmte Verkaufsmoda­ litäten von dem Verbot ausgenommen, sofern diese inländische wie ausländi­ sche Waren gleichermaßen betreffen und für alle Wirtschaftsteilnehmer un­ 666  Hobe,

Europarecht, Rn. 615. Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 12; Herrmann, Europarecht, Rn. 144. 668  Hobe, Europarecht, Rn. 667. 669  Bieber / Epiney / Haag / Epiney, § 11 Rn. 6; Grabitz / Hilf / Nettesheim / Herrmann, Art. 28 AEUV Rn. 39. 670  EuGH Rs C-7 / 68, Slg. 1968, 642  – Kunstschätze I; EuGH Rs C-1 / 77, Slg. 1977, 1433  – Bosch; Hobe, Europarecht, Rn. 671; Jochum, Europarecht, Rn. 818; Kreis, S. 44 f.; Bieber / Epiney / Haag / Epiney, § 11 Rn. 6; Grabitz / Hilf / Nettesheim /  Herrmann, Art. 28 AEUV Rn. 40. 671  Kreis, S. 45. 672  EuGH Rs C-8 / 74, Slg. 1974, 837 – Dassonville. 673  EuGH C-267 / 91 und C-268 / 91, Slg. 1993, I-6097 – Keck / Mithouard. 667  Esser,



B. Der Einfluss des Europarechts auf den Betrugstatbestand139

terschiedslos gelten.674 Produktbezogene Regelungen sollen dagegen weiter­ hin unzulässig sein. Weitere Beschränkungen hat der Anwendungsbereich des Art. 34  AEUV durch die Cassis-Entscheidung675 des EuGH erfahren. Nach dieser sind den innergemeinschaftlichen Handel betreffende Hemm­ nisse, die sich aus Unterschieden der nationalen Regelungen ergeben, grund­ sätzlich hinzunehmen, wenn die betreffenden Bestimmungen notwendig sind, um „zwingenden Erfordernissen“ gerecht zu werden. Zu diesen zwingenden Erfordernissen zählt der EuGH vor allem eine wirksame steuerliche Kont­ rolle, den Schutz der öffentlichen Gesundheit, die Lauterkeit des Handelsver­ kehrs sowie den Verbraucherschutz.676 Zudem besteht die Möglichkeit einer Rechtfertigung nach Maßgabe des Art. 36 AEUV.677 Vor dem Hintergrund des Schutzumfangs des Betrugstatbestands ist vor allem das von Art. 34 AEUV statuierte und vom EuGH weiter präzisierte Verbot handelsbeschränkender Regelungen von besonderer Relevanz. Man braucht nur an die Haarverdicker-Entscheidung678 zu denken, in der der BGH einen Anbieter diverser Wundermittel wegen vollendeten Betruges bestraft hatte, weil dieser seine weitestgehend wirkungslosen Produkte unter abenteu­ erlichen Behauptungen anpries. In dem Fall spielte das Europarecht zwar keine Rolle, da es sich um einen rein nationalen Sachverhalt ohne Bezug zum innergemeinschaftlichen Handel handelte. Wäre der Vertrieb der Wun­ dermittel aber nicht von Deutschland aus, sondern von einem anderen Mit­ gliedsstaat der Europäischen Union heraus organisiert worden, läge in der Strafbarkeit eines solchen Verhaltens eine „Maßnahme gleicher Wirkung“, die wie eine mengenmäßige Beschränkung i. S. d. Art. 34, 35 AEUV zu be­ handeln ist.679 Entsprechend den Grundsätzen aus der Cassis-Rechtsprechung ist eine solche Maßnahme nur hinzunehmen, wenn sie „zwingenden Erfor­ dernissen des Allgemeinwohls“ dient. Zu diesen immanenten Schranken zählen grundsätzlich auch der Verbraucherschutz sowie die Lauterkeit des Wettbewerbs, sodass eine Pönalisierung des Verhaltens auch im innergemein­ 674  Vgl. hierzu Bieber / Epiney / Haag / Epiney, § 11 Rn. 40 ff.; Herdegen, § 15 Rn. 10; Hobe, Europarecht, Rn. 682 ff.; Jochum, Europarecht, Rn. 864 ff.; Kugler, S. 29. 675  EuGH Rs C-120 / 78, Slg. 1979, 649 – Cassis de Dijon. 676  EuGH Rs C-120 / 78, Slg. 1979, 649 – Cassis de Dijon. 677  Herdegen, Europarecht, § 15 Rn. 15. 678  BGHSt 34, 199 ff. 679  Hecker, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 34; ders., Strafbare Produktwerbung, S. 304 f.; Kreis, S. 69 f.; Esser, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 26; Sieber / Satz­ ger / v.  Heintschel-Heinegg / Satzger, § 9 Rn. 45; ders., Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 104; vgl. auch AnwK-Gaede, § 263 Rn. 6, 23; Joecks, StuKo, § 263 Rn. 24; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 109; SSW-Satzger, § 263 Rn. 66; sowie Dannecker, Jura 2006, 175.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

schaftlichen Handel hinzunehmen wäre, sofern sie aus Gründen des Verbrau­ cherschutzes oder im Hinblick auf die Lauterkeit des Wettbewerbs erforder­ lich ist.680 Allerdings gilt dies nur, soweit das europäische Recht und allen voran auch der EuGH im Bereich des Verbraucherschutzes und des Lauter­ keitsrechts einen vergleichbaren Schutzstandard anlegt, da dieser die Deu­ tungshoheit darüber hat, in welchem Umfang die Verbraucher zu Lasten des freien Warenverkehrs geschützt werden dürfen.681 Letzteres ist jedoch nicht der Fall, da der EuGH bei der Beurteilung der Täuschungs- bzw. Irrefüh­ rungsgefahr einer Handlung auf das Leitbild eines „aufmerksamen und ver­ ständigen Verbrauchers“ abstellt, der sowohl willens als auch in der Lage ist, Informationen zur Kenntnis zu nehmen.682 Demzufolge käme eine Anwen­ dung des Betrugstatbestands bei innergemeinschaftlichen Sachverhalten nur dann zum Tragen, wenn die fragliche Handlung auch nach dem deutlich libe­ raleren europäischen Verständnis als irreführungsgeeignet anzusehen ist.683 Ist dies nicht der Fall, stellt die Bestrafung nach § 263 Abs. 1 StGB eine nicht zu rechtfertigende Beschränkung primären Unionsrechts dar, die auf­ grund Anwendungsvorrangs unionsrechtlicher Vorschriften zur Unanwend­ barkeit des Betrugstatbestands führt oder zumindest zu dessen unionsrechts­ konformer Interpretation zwingt.684 2. Dienstleistungsfreiheit, Art. 57 ff. AEUV Vergleichbare Probleme ergeben sich im Zusammenhang mit der Dienst­ leistungsfreiheit, die ebenfalls ein Teil des unionsrechtlichen Primärrechts ist. Unter die Dienstleistungsfreiheit fallen gemäß Art. 57 Abs. 1 AEUV Leistun­ gen, die gegen ein Entgelt erbracht werden und die keiner anderen Grund­ freiheit, insbesondere nicht der Warenverkehrsfreiheit, unterliegen. Bedeu­ tung für die hier zu beurteilende Problematik kann die Dienstleistungsfreiheit insbesondere im Bereich der Abofallen im Internet sowie der rechnungsähn­ lichen Angebotsschreiben erlangen. Denn bei den dort angebotenen Leistun­ gen handelt es sich um Dienstleistungen im Sinne der Definition. Freilich ist 680  Sieber / Satzger / v.  Heintschel-Heinegg / Hecker, § 27 Rn. 2; Tiedemann, FS BGH, S. 555 SSW-Satzger, § 263 Rn. 66; ders., Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 105. 681  Dannecker, Täuschungsschutz, S. 364. 682  EuGH Rs C-210 / 96, Slg. 1998, I-4657  – Gut Springenheide; EuGH Rs C-303 / 97, Slg. 1999, I-513  – Sektkellerei Kessler; EuGH Rs C-220 / 98, Slg. 2000, I-117 – Lifting Creme; EuGH Rs C-465 / 98, Slg. 2000, I-2297 – d’arbo naturrein. 683  AnwK-Gaede, § 263 Rn. 6; ders., FS Roxin II, S. 979; Hecker, Produktwer­ bung, S. 285; ders., Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 34; vgl. auch Vergho, Verbrau­ chererwartung, S. 44. 684  Hecker, Produktwerbung, S. 285; SSW-Satzger, § 263 Rn. 66; a. A. Vergho, Verbrauchererwartung, S. 297.



B. Der Einfluss des Europarechts auf den Betrugstatbestand

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auch die Dienstleistungsfreiheit nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbar.685 Sie entfaltet daher keine Auswirkungen, solange die Tat kei­ nen Auslandsbezug aufweist. Soweit sich aber der Erbringer bzw. der Emp­ fänger für die Leistung ins europäische Ausland begibt oder eine sog. Korre­ spondenzdienstleistung vorliegt, also nur die Leistung die Landesgrenzen überschreitet und sowohl der Leistungserbringer als auch der Leistungsemp­ fänger in ihrem jeweiligen Heimatstaat verbleiben, ist der Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit eröffnet.686 Für die genannten Fälle bedeutet dies, dass immer dann, wenn etwa der Abofallen-Betreiber oder derjenige, der mit einer Insertionsofferte für die Aufnahme in eine Datenbank wirbt, vom Aus­ land aus agiert, die Maßgaben des Unionsrechts zu beachten sind. Die Dienstleistungsfreiheit enthält in Art. 56 AEUV über das in Art. 57 Abs. 3 AEUV enthaltene Diskriminierungsverbot hinaus ein umfassendes Beschränkungsverbot.687 Erfasst sind damit alle unterschiedslosen Beschrän­ kungen, die geeignet sind, die Tätigkeit des Dienstleistenden, der in einem Mitgliedsstaat ansässig ist und dort rechtmäßig Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.688 Dies ist mit der Bestrafung der genannten Verhaltensweisen über den Straftatbestand des § 263 StGB zweifelsohne der Fall, sodass in deren Verbot ein Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit zu sehen ist, sofern das Angebot einer solchen Dienst­ leistung nach dem Recht des Heimatlandes legal ist. Gleichgerichtet mit der Cassis-Entscheidung hat der EuGH auch für die Dienstleistungsfreiheit aner­ kannt, dass die Mitgliedsstaaten die Regelung des Art. 56 AEUV aufgrund zwingender Interessen des Allgemeinwohls beschränken dürfen, sofern kein widersprechendes Sekundärrecht besteht.689 Demzufolge gilt das oben zur Warenverkehrsfreiheit Gesagte: Verhaltensweisen, die nach herkömmlicher Betrugsauslegung strafbar sind und die unter den Schutzbereich der Dienst­ leistungsfreiheit fallen, können nur dann unter Strafe gestellt werden, wenn nach dem liberaleren europäischen Verbraucherleitbild ebenfalls eine Täu­ schung vorläge. In allen anderen Fällen hat der Betrugstatbestand außer An­ wendung zu bleiben. Es gilt dann der Vorrang des Unionsrechts. Der hohe deutsche Schutzstandard, nach dem auch der leichtgläubige und unaufmerk­ same Verbraucher geschützt ist, müsste demzufolge in grenzüberschreitenden Sachverhalten dispensiert werden.

Jochum, Europarecht, Rn. 1049; Herdegen, Europarecht, § 17 Rn. 1. zum Gegenstand der Dienstleistungsfreiheit Bieber / Epiney / Haag /  Haag, § 11 Rn. 122; Jochum, Europarecht, Rn. 1049 ff. 687  Herdegen, Europarecht, § 17 Rn. 2. 688  EuGH Rs C-76 / 90, Slg. 1991, I-4221 – Säger. 689  Vgl. nur EuGH Rs C-203 / 08, Slg. 2010, I-4695 – Sporting Exchange. 685  Vgl.

686  Eingehend

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

II. Einflussmöglichkeiten sekundärrechtlicher Vorschriften des Unionsrechts auf den Betrugstatbestand Neben den unionsrechtlichen Grundfreiheiten können auch sekundärrecht­ liche Bestimmungen des Unionsrechts Einfluss auf die Auslegung bzw. die Anwendbarkeit des Betrugstatbestands nehmen.690 Hierbei sind vor allem die RL  2006 / 114 / EG über irreführende und vergleichende Werbung sowie die RL 2005 / 29 / EG zu nennen. 1. RL  2006 / 114 / EG Die RL  2006 / 114 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung hat die ihr zeitlich vorgehende RL 84 / 450 / EWG über irreführende Werbung in der Fas­ sung der Änderungsrichtlinie 97 / 55 / EG ohne wesentliche Änderungen abge­ löst. Während die RL 2006 / 114 / EG im Hinblick auf die vergleichende Wer­ bung gleichzeitig sowohl Mindest- als auch Höchststandards vorgibt, also eine Vollharmonisierung erreicht, führen die in ihr enthaltenen Regelungen hin­ sichtlich der irreführenden Werbung nach ganz h. M. nur einen Mindeststan­ dard herbei.691 Die Mitgliedsstaaten sind demnach nicht daran gehindert, diese von der Richtlinie gesetzten Mindestanforderungen zu überschreiten.692 Rege­ lungen, die einen weiterreichenden Schutz der Verbraucher vorsehen, können daher ungeachtet der Richtlinie beibehalten oder neu erlassen werden. Auf die spezielle Frage nach der Einbeziehung des Einfältigen in den Schutzbereich des § 263 StGB hat die Richtlinie daher kaum Auswirkungen. 2. RL  2005 / 29 / EG Weit größere Relevanz für die Auslegung und Anwendung des Betrugstat­ bestandes besitzt dagegen die RL 2005 / 29 / EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im bin­ nenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrau­ chern.693 Ihr Zweck ist es, durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungs­ 690  Krey / Esser,

AT, § 4 Rn. 118. Heintschel-Heinegg / Hecker, § 27 Rn. 6 ff.; Kugler, S. 33; Dannecker, Täuschungsschutz, S. 357; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 574; Vergho, Verbrauchererwartung, S. 46 f.; eingehend zur Reichweite des Harmonisierungseffekts bei der WerbeRL, Hecker, Produktwerbung, S. 299 ff. 692  LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 40; Kugler, Strafbare Werbung, S. 33; Vergho, Verbrauchererwartung, S. 46 f.; Dannecker, Täuschungsschutz, S. 357. 693  LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 40; a. A. BGH NJW 2014, 2597 f. 691  Sieber / Satzger / v.



B. Der Einfluss des Europarechts auf den Betrugstatbestand

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vorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und zu einem hohen Verbrau­ cherschutzniveau beizutragen, Art. 1 RL  2005 / 29 / EG. Um dieses Ziel zu erreichen, sind nach Art. 5 Abs. 1 RL 2005 / 29 / EG unlautere Geschäftsprak­ tiken im Sinne der Richtlinie von den Mitgliedsstaaten zu verbieten. Der Begriff der unlauteren Geschäftspraktik ist dabei relativ weit gefasst und schließt nach der Begriffsbestimmung in Art. 2 lit. e RL  2005 / 29 / EG jede unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder Lieferung an Ver­ braucher zusammenhängende Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden mit ein. Unlauter ist die Geschäftspraxis nach Art. 5 Abs. 2 RL  2005 / 29 / EG, wenn sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht und das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsver­ brauchers wesentlich beeinflusst oder zu einer solchen Beeinflussung in der Lage ist. Dabei sollen Geschäftspraktiken, die voraussichtlich in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die aufgrund von geistigen oder kör­ perlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese Praktiken oder die ihnen zugrunde liegenden Produkte besonders schutzbe­ dürftig sind, gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 1 RL  2005 / 29 / EG aus der Perspektive eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe beurteilt werden. Allerdings soll „die übliche und rechtmäßige Werbepraxis, übertriebene Behauptungen oder nicht wörtlich zu nehmende Behauptungen aufzustellen, hiervon unbe­ rührt bleiben“, Art. 5 Abs. 3 S. 2 RL 2005 / 29 / EG. Darüber hinaus enthält die RL  2005 / 29 / EG beispielhafte Anführungen unlauterer Geschäftspraktiken, zu denen insbesondere irreführende oder ag­ gressive Geschäftspraktiken zählen.694 Als irreführend gilt nach Art. 6 Abs. 1 RL 2005 / 29 / EG eine Geschäftspraxis, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtli­ cher Umstände ihrer Präsentation, selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der in Art. 6 Abs. 1 lit. a bis g aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftli­ chen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Ergänzt wird die Aufzählung unlauterer Geschäftspraktiken durch den Anhang I RL  2005 / 29 / EG, der Geschäftspraktiken aufzählt, die gem. Art. 5 Abs. 5 RL 2005 / 29 / EG „unter allen Umständen“ als unlauter anzusehen sind. Dabei handelt es sich um echte per se-Verbote, bei denen die Unlauterkeit feststeht

694  Kugler,

S. 36.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

und bei denen nach der Vorstellung des Richtliniengebers keine Einzelfall­ prüfung stattzufinden hat.695 a) Vollharmonisierende Wirkung der RL  2005 / 29 / EG Obwohl die RL  2005 / 29 / EG in erster Linie eine Vereinheitlichung der Standards im Bereich des Lauterkeitsrechts zum Ziel hat, zeitigt sie auch gravierende Auswirkungen auf den Tatbestand des § 263 StGB. Der Grund hierfür liegt insbesondere in der Tatsache, dass es den Mitgliedsstaaten un­ tersagt ist, von den in der Richtlinie getroffenen Regelungen abzuweichen. Die RL  2005 / 29 / EG führt damit auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts im Verhältnis von Unternehmern und Verbrauchern eine Vollharmonisierung herbei, mit der Folge, dass der von der Richtlinie gesetzte Schutzstandard von den Mitgliedsstaaten weder über- noch unterschritten werden darf und zwar unabhängig davon, ob es sich bei den fraglichen Verhaltensweisen um rein innerstaatliche oder grenzüberschreitende Geschäftspraktiken handelt.696 Auch wenn die RL 2005 / 29 / EG rein abstrakt gesehen eine grenzüberschrei­ tende Problematik beschreibt, ist sie damit ebenso auf rein nationale Sach­ verhalte anzuwenden.697 Hieraus ergibt sich, dass alle Geschäftspraktiken, die im Sinne der Generalklausel des Art. 5 Abs. 1 RL  2005 / 29 / EG nicht unlauter sind, nicht durch mitgliedsstaatliches Recht verboten werden dür­ fen.698 Konsequenzen ergeben sich damit vorrangig für das gesamte Lauter­ keitsrecht sowie für den Straftatbestand der strafbaren irreführenden Wer­ bung, § 16 Abs. 1 UWG, welcher im Vorfeld des Betruges Schutz gegen geschäftliche Handlungen gewährt, die auf eine unredliche Übervorteilung angelegt sind.699 Die vollharmonisierende Wirkweise der RL  2005 / 29 / EG macht jedoch auch vor dem Kernstrafrecht nicht Halt, sodass der Betrugstat­ bestand ebenfalls von ihr betroffen ist.700 Denn die Richtlinie kann ihr Ziel der unionsweiten Vereinheitlichung lauterkeitsrechtlicher Standards nicht er­ 695  EGr. 17 RL  2005 / 29 / EG; ausführlich hierzu Harte-Bavendamm / Henning-Bo­ dewig / Glöckner, B IV Rn. 360 ff.; Kugler, S. 36; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 573. 696  Sieber / Satzger / v.  Heintschel-Heinegg / Hecker, § 27 Rn. 10; ders., JuS 2014, 1045; MüKo-UWG / Heermann, § 4 Nr. 2 Rn. 4; HWSt-Janssen, 3. Aufl., V 1 Rn. 66; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 572; Rönnau / Wegner, GA 2013, 564; Matt / Renzikow­ ski-Saliger, § 263 Rn. 6; Soyka, wistra 2007, 129. 697  Rönnau / Wegner, GA 2013, 564. 698  Soyka, wistra 2007, 129; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 578; Apostolopoulos, WRP 2005, 156. 699  BGH GRUR 2008, 818; Ohly / Sosnitza, § 16 UWG Rn. 4; Kempf / Schilling, wistra 2007, 47; zum Konkurrenzverhältnis des § 16 UWG zu § 263 StGB vgl. Kilian, S. 116. 700  Ambos, Internationales Strafrecht, § 11 Rn. 39; HWSt-Janssen, 3. Aufl., V 1 Rn. 66 f; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 578 f.



B. Der Einfluss des Europarechts auf den Betrugstatbestand

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reichen, wenn eine nach unionsrechtlichen Maßstäben zulässige Geschäfts­ praktik den Tatbestand des § 263 StGB erfüllen und damit über den Umweg der Betrugsstrafbarkeit verboten werden könnte.701 In der Folge hat die An­ wendung des Betrugstatbestands zu unterbleiben, wenn das in Frage ste­ hende Verhalten in den Anwendungsbereich der RL  2005 / 29 / EG fällt und es nach Maßgabe der Richtlinie nicht als unlautere Geschäftspraktik einzu­ ordnen ist.702 Für die Frage der Einbeziehung des Einfältigen in den Schutzbereich des Betruges hat dies enorme Auswirkungen, da die RL  2005 / 29 / EG bei der Bestimmung der Unlauterkeit auf die Maßstabsfigur des durchschnittlich aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abstellt.703 Dies entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH, der bei der Feststellung der Irreführungsrelevanz ebenfalls den Maßstab eines verständigen und durch­ schnittlich aufmerksamen Verbrauchers heranzieht.704 Aufgrund des Vorrangs der Unionsrechts ist es deshalb im gesamten Anwendungsbereich der Richt­ linie nicht mehr möglich, den vergleichsweise hohen deutschen Schutzstan­ dard, nach dem auch der Leichtgläubige geschützt und die Erkennbarkeit der Täuschung für das Vorliegen eines Irrtums irrelevant sein soll, durchgehend anzuwenden.705 Vielmehr gibt das Unionsrecht mit dem „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher“ ei­ nen neuen Maßstab vor, an dem sich auch der Betrugstatbestand messen lassen muss. Obwohl die Richtlinie das Erreichen eines einheitlich „hohen Verbraucherschutzniveaus“ bezweckt, führt sie aus deutscher Sicht zu einer deutlichen Absenkung des Verbraucherschutzes durch den Tatbestand des § 263 StGB.706 b) Anwendungsbereich der RL  2005 / 29 / EG Um den Einfluss der Richtlinie auf den Tatbestand des § 263 StGB näher zu bestimmen, ist ihr persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich zu ermitteln, da dieser mitunter die Reichweite der unionsrechtlichen Beschrän­ kung des Betrugstatbestands festlegt. In persönlicher Hinsicht entfaltet die 701  Ambos, Internationales Strafrecht, § 11 Rn. 39; Heim, S. 83; Peters, S. 165; a. A. BGH NJW 2014, 2597 f. 702  Hecker, JuS 2014, 1045; Gaede, FS Roxin II, S. 979; Soyka, wistra 2007, 129. 703  Müller, NZWiSt 2014, 397; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 578 ff.; Soyka, wis­ tra 2007, 129. 704  EuGH Rs C-210 / 96, Slg. 1998, I-4657  – Gut Springenheide; EuGH Rs C-303 / 97, Slg. 1999, I-513  – Sektkellerei Kessler; EuGH Rs C-220 / 98, Slg. 2000, I-117 – Lifting Creme; EuGH Rs C-465 / 98, Slg. 2000, I-2297 – d’arbo naturrein. 705  Soyka, wistra 2007, 129; a. A. LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 40. 706  A. A. BGH NJW 2014, 2597 f.

146

Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

RL 2005 / 29 / EG lediglich Auswirkungen im Bereich „Business to Consumer (B2C)“, also im Verhältnis zwischen Unternehmern und Verbrauchern.707 Der sachliche Anwendungsbereich ist dagegen etwas weiter und erfasst jede mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung zusammenhängende Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mit­ teilung, einschließlich der Werbung und des Marketing. Betroffen ist damit in erster Linie der Bereich der Publikumswerbung, aber auch auf individuelle Täuschungen, die mit dem Absatz von Waren oder Dienstleistungen zusam­ menhängen, findet die RL  2005 / 29 / EG Anwendung. Dagegen könnte bei sämtlichen Handlungen und Unterlassungen, die nicht dem Absatz von Wa­ ren oder Dienstleistungen dienen, grundsätzlich an dem bestehenden hohen deutschen Schutzstandard festgehalten werden. Gleiches gilt für Verhaltens­ weisen, die nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, die sich also außerhalb des B2C-Bereichs bewegen. Da sich der Richtliniengeber entgegen seiner ersten Entwürfe dazu entschieden hat, das Verhältnis der übrigen Marktteilnehmer ungeregelt zu lassen, bleibt für den Bereich der Unternehmer untereinander (B2B) die RL  2006 / 114 / EG über irreführende und vergleichende Werbung maßgebend.708 Jene erreicht aber nur hinsichtlich der vergleichenden Werbung eine Vollharmonisierung und gibt im Hinblick auf die irreführende Werbung nach der ganz h. M. nur einen Mindeststandard vor, der von den Mitgliedsstaaten auch überschritten wer­ den darf.709 Demzufolge kann im B2B-Bereich an einem strengeren straf­ rechtlichen Schutzniveau festgehalten werden, ohne mit den genannten Be­ stimmungen des sekundären Unionsrechts in Konflikt zu geraten. Auch im Verhältnis der Verbraucher untereinander (C2C) ist die Aufrechterhaltung des gewohnt hohen Schutzniveaus möglich.710 Auf die Frage, inwieweit dieses Ergebnis rechtspolitisch sinnvoll erscheint, wird an späterer Stelle zurückzu­ kommen sein.

707  Rönnau / Wegner,

S. 48.

GA 2013, 565; Kugler, S. 37; Vergho, Verbrauchererwartung,

708  Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 574; Rönnau / Wegner, GA 2013, 561; Kugler, S. 37; Henning-Bodewig, GRUR Int 2005, 629. 709  Dannecker, Täuschungsschutz, S. 356 f.; Hecker, Produktwerbung, S. 307; Rönnau / Wegner, GA 2013, 565; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 574. 710  Heim, S. 62.



C. Das unionsrechtliche Verbraucherleitbild

147

C. Das unionsrechtliche Verbraucherleitbild I. Die Entwicklung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds durch den EuGH Wesentlichen Einfluss auf die Auslegung des Betrugstatbestands erlangt damit das vom EuGH entwickelte Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers. Um die Auswir­ kungen auf den Schutzumfang des Betruges näher eingrenzen zu können, soll im Folgenden die Entwicklung des unionsrechtlichen Verbraucherleit­ bilds näher untersucht werden. 1. Die Entscheidungen „Cassis de Dijon“, „Rau“ und „Bocksbeutel“ Die Präferenz des EuGH, sein Verbraucherleitbild am Maßstab eines kriti­ schen und verständigen Verbrauchers auszurichten, trat schon frühzeitig durch seine sog. Etikettierungs-Rechtsprechung zum Vorschein.711 Bereits aus dieser lässt sich ableiten, dass der EuGH stets von einem Verbraucher ausging, der sowohl willens als auch in der Lage ist, ihm gegebene Informa­ tionen zur Kenntnis zu nehmen und dann auf der Basis dieser Information eine Entscheidung zu fällen.712 Den Ursprung dieser Rechtsprechungspraxis bildet die Entscheidung im Fall „Cassis de Dijon“713, in der der EuGH fest­ stellte, dass ein Verkaufsverbot wegen irreführender Produktangaben mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist, sofern eine hinreichende Informa­ tion der Verbraucher durch eine aussagekräftige Etikettierung gewährleistet werden kann. Der EuGH hat damit deutlich gemacht, dass er der Verbrauche­ rinformation grundsätzlich Vorrang vor Verkaufsverboten einräumt. Auch wenn er damit in erster Linie die Abschaffung von Handelshemmnissen im Blick hatte, zeigt dies, dass er auch den Verbraucher in der Pflicht sieht, Verpackungsangaben und vergleichbare Informationen vollständig wahrzu­ nehmen und diese bei seiner Kaufentscheidung entsprechend zu berücksich­ tigen. Das Verbraucherverständnis des EuGH entspricht damit nicht nur ei­ nem Verbraucher, der ein Recht hat, bestimmte Informationen zu bekommen, sondern auch einem Verbraucher, den eine gewisse Informationsbeschaf­ fungslast trifft.714 Die mit der Cassis-de-Dijon-Entscheidung begründete Etikettierungsrecht­ sprechung fand ihre Fortsetzung in der Entscheidung „Rau“ aus dem Jahr Diekmann, S. 10. Jura 2006, 174 m. w. N. 713  EuGH Rs C-120 / 78, Slg. 1979, 649 – Cassis de Dijon. 714  Meyer, S. 129; Meyer / Streinz-Meyer, § 11 LFGB Rn. 40. 711  Hierzu

712  Dannecker,

148

Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

1982.715 Dort hatte sich der EuGH mit der Unionsrechtswidrigkeit einer belgischen Verpackungsvorschrift zu befassen, die für die Einfuhr und den Verkauf von Margarine eine Verpackung in Würfelform vorschrieb. Auch hier kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass der Verbraucherschutz ebenso gut durch eine angemessene Etikettierung erreicht werden kann und dass die Verbraucherinformation durch Etikettierung Vorrang vor Verkaufsverboten besitzt. In der Entscheidung „Bocksbeutel“ sprach sich der EuGH wenig später ebenfalls dafür aus, einer bestehenden Verwechslungsgefahr vorzugsweise durch eine angemessene Etikettierung vorzubeugen.716 Deshalb sah er eine deutsche Regelung, nach der die Benutzung einer bestimmten Flaschenform ausschließlich Frankenweinen vorbehalten sein sollte, als unionsrechtswidrig an. Die Bocksbeutel-Entscheidung fügt sich damit nahtlos in die übrige Rechtsprechungslinie des EuGH ein, der Versuchen, bestimmte nationale Produkte über das Irreführungsverbot zu monopolisieren, stets entgegenge­ treten ist.717 2. Die Entscheidung „Pall / Dahlhausen“ Die Tatsache, dass der EuGH den Verbrauchern mitunter erhebliche Infor­ mationspflichten auferlegt, lässt sich insbesondere seiner Entscheidung im Fall „Pall / Dahlhausen“718 entnehmen.719 Dort hatte das Unternehmen Pall das Unternehmen Dahlhausen auf Unterlassung in Anspruch genommen, da diese für die Produktbezeichnung „Miropore“, das für „Registered Trade Mark“ stehende „®-Symbol“, das im angloamerikanischen Rechtskreis eine registrierte Warenmarke oder Dienstleistungsmarke kennzeichnet, verwen­ dete, obwohl das Zeichen „Miropore“ in Deutschland markenrechtlich nicht geschützt war. Der EuGH sah in der Verwendung eines solchen Symbols je­ doch keine verbotene irreführende Werbung, da er der Auffassung war, dass sich umsichtige Wirtschaftsteilnehmer, die erfahren möchten, ob ein vom Unternehmer verwendetes Warenzeichen in einem Mitgliedsstaat der europä­ ischen Union geschützt ist, durch die Einsichtnahme in öffentliche Register hinreichend informieren können.

Rs C-621 / 81, Slg. 1982, 3961 – Rau. Rs C-16 / 83, Slg. 1984, 1299 – Bocksbeutel. 717  MüKo-UWG / Ruess, § 5 Rn. 71. 718  EuGH Rs C-238 / 89, Slg. 1990, I-4827 – Pall / Dahlhausen. 719  Kugler, S. 59; Meyer, S. 129; Ruhs, Strafbare Werbung, S. 34. 715  EuGH 716  EuGH



C. Das unionsrechtliche Verbraucherleitbild

149

3. Die Entscheidung „GB-Inno-BM“ In seiner Entscheidung „GB-Inno-BM“720 übertrug der EuGH das bis dato auf Fragen der Etikettierung und Ausstattung bezogene Verbraucherleitbild erstmals auf die Beurteilung von Werbeverboten.721 In der Sache ging es um die Frage, ob das in Luxemburg geltende Verbot der Preisgegenüberstellung auch für eingeführte Werbematerialien anwendbar ist. Die in Belgien ansäs­ sige GB-Inno-BM, die u. a. auch Supermärkte nahe der luxemburgischen Grenze betrieb, hatte in Luxemburg Werbeprospekte verteilen lassen, die Hinweise auf zeitlich beschränkte Preisnachlässe und Ankündigungen künfti­ ger Preisreduktionen enthielten. Dabei wurde auch auf die früheren Preise hingewiesen, was damals gegen die luxemburgischen Wettbewerbsgesetze verstieß. In Belgien war eine solche Werbung indes zulässig. Der EuGH hielt das luxemburgische Werbeverbot mit dem heutigen Art. 34 AEUV für unver­ einbar, soweit es auch auf eingeführte Werbematerialien Anwendung finden sollte. Die angemessene Information sei eines der fundamentalen Rechte der Verbraucher, sodass eine Regelung, die den Zugang der Verbraucher zu ge­ wissen Informationen beschneidet, nicht durch das zwingende Erfordernis des Verbraucherschutzes gerechtfertigt werden könne. 4. Die Entscheidung „Clinique“ Aus der Betrachtung der vorstehenden Entscheidungen folgt, dass der EuGH schon früh vom Leitbild eines kritischen und aufmerksamen Verbrau­ chers ausging.722 Noch deutlicher wird dies, wenn man die Entscheidung „Clinique“ in den Blick nimmt, in der der EuGH die Anforderungen an den Verbraucher im Hinblick auf dessen Aufmerksamkeit und Informiertheit wei­ ter konkretisierte.723 Inhaltlich ging es um die Verwendung der Bezeichnung „Clinique“ im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Kosmetikprodukten. Das französischstämmige Unternehmen Clinique Laboratoires SNC und ihre deutsche Tochter, die Estée Lauder Cosmetics GmbH, hatten beschlossen, ihre Erzeugnisse in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Markenna­ men „Clinique“ zu vertreiben. Zuvor hatte sie für diese Produkte die Marke „Linique“ verwendet, obwohl die Produkte in anderen Ländern bereits unter der Bezeichnung „Clinique“ vertrieben wurden. Durch die Vereinheitlichung des Markennamens sollten insbesondere Kosten für Verpackung und Wer­ bung eingespart werden. Der Verband Sozialer Wettbewerb e. V. wandte sich Rs C-18 / 88, Slg. 1991, I-5941 – GB-Inno-BM. § 5 Rn. 77. 722  Meyer, S. 129. 723  EuGH Rs C-315 / 92, Slg. 1994, I-317 – Clinique. 720  EuGH

721  MüKo-UWG / Ruess,

150

Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

jedoch gegen diese Vereinheitlichung der Produktbezeichnung. Das mit der Sache befasste LG Berlin hielt eine Irreführung nicht für ausgeschlossen, da es die Gefahr sah, die angesprochenen Verkehrskreise könnten den Produkten aufgrund einer Assoziation mit den Begriffen „klinisch“ oder „medizinisch“ eine therapeutische Wirkung zuschreiben. Da es das Landgericht aber eben­ falls für möglich hielt, dass der Erlass einer Unterlassungsverfügung nach europäischem Recht eine Maßnahme gleicher Wirkung sei, legte es die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH stellte daraufhin fest, dass das mit dem damaligen § 3 UWG begründete Verbot, in der Bundesrepublik Deutschland kosmetische Mittel unter der Bezeichnung „Clinique“ in den Verkehr zu bringen, eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels ist. Denn das betroffene Unternehmen war durch dieses Verbot gezwungen, seine Waren in diesem Mitgliedstaat unter einer anderen Bezeichnung zu vertreiben, was zusätzliche Kosten für Verpackung und Werbung verursachte. Zudem ging der EuGH davon aus, dass ein solches Vertriebsverbot auch nicht durch zwingende Erfordernisse des Allgemeinwohls  – namentlich des Verbraucherschutzes  – zu rechtfertigen sei, da die klinische oder medizini­ sche Konnotation des Begriffs „Clinique“ allein nicht ausreiche, um den Verbraucher in die Irre zu führen. 5. Die Entscheidung „Mars“ Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang die Entscheidung „Mars“724, in welcher der EuGH sein Verbraucherverständnis weiter präzi­ sierte und sich ausdrücklich zum Leitbild eines „verständigen Verbrauchers“ bekannte.725 Die Mars GmbH, vermarktete aus Frankreich importierte Eis­ kremeriegel der Marken Mars, Snickers, Bounty und Milky Way, die im Rahmen einer europaweiten Werbeaktion mit einem um 10 % erhöhten Ver­ packungsinhalt verkauft werden sollten. Auf den größeren Verpackungsinhalt wurde unter anderem durch einen unmittelbar auf der Verpackung ange­ brachten Aufdruck „10 % mehr“ hingewiesen. Zudem war ein Teil der Verpa­ ckung farblich besonders markiert. Allerdings machte der markierte Teil mehr als 10 % der Gesamtverpackungsgröße aus. Die Mars GmbH wurde daraufhin vom Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe Köln e. V. auf Unterlas­ sung in Anspruch genommen, da dieser in der Abweichung von der gekenn­ zeichneten Fläche zum Mehrinhalt eine Irreführung der Verbraucher sah. Der EuGH teilte diese Einschätzung nicht und kam letztlich zu dem Ergebnis, dass

724  EuGH

Rs C-470 / 93, Slg. 1995, I-1923 – Mars. Jura 2006, 174; Vergho, Verbrauchererwartung, S. 60.

725  Dannecker,



C. Das unionsrechtliche Verbraucherleitbild151

„von verständigen Verbrauchern […] erwartet werden [könne], daß sie wissen, daß zwischen der Größe von Werbeaufdrucken, die auf eine Erhöhung der Menge des Erzeugnisses hinweisen, und dem Ausmaß dieser Erhöhung nicht notwendig ein Zusammenhang besteht.“726

Damit führte der EuGH erstmals ausdrücklich das Leitbild eines „verstän­ digen Verbrauchers“ ein, an dem sich die Irreführungseignung von Werbe­ aussagen fortan messen lassen musste.727 Zugleich macht die Entscheidung deutlich, dass der EuGH dem Verbraucher stets ein bestimmtes Maß an Aufmerksamkeit, Abgeklärtheit und gesunder Skepsis abverlangt.728 6. Die Entscheidung „Gut Springenheide“ Wenig später hat der EuGH in der Entscheidung „Gut Springenheide“729 sein Verbraucherleitbild noch weiter konkretisiert und dabei die Formel ge­ schaffen, die seither bei der Auslegung sämtlicher Irreführungsverbote ange­ legt wird.730 Die Entscheidung erging auf einen Vorlagebeschluss des Bundes­ verwaltungsgerichts, das den EuGH unter anderem um eine Stellungnahme zu der Frage ersuchte, ob bei der Bestimmung der Verbrauchererwartung die Auf­ fassung des aufgeklärten Durchschnittsverbrauchers oder die eines flüchtigen Verbrauchers maßgeblich ist. Gegenstand des Verfahrens war die Beurteilung der Irreführungseignung der Angabe „6-Korn  – frische Eier“ auf einer Eier­ verpackung, der zudem ein Einlegezettel beigefügt war, mit dem die Qualität der Eier, die sich aus dieser besonderen Futterzusammenstellung ergeben sollte, besonders hervorgehoben wurde. Das zuständige Amt für Lebensmittel­ überwachung hatte diese Reklame zunächst für irreführend gehalten, da die sechs Getreidearten insgesamt nur 60 % der Futtermischung ausmachten. Im Hinblick auf die Irreführungseignung nach Art. 10 Abs. 2 lit. e der EWG-EierVermarktungsnormenverordnung731 stellte der EuGH aber fest, „… daß das nationale Gericht bei der Beurteilung, ob eine Angabe zur Förderung des Verkaufs von Eiern geeignet ist, den Käufer […] irrezuführen, darauf abzustel­ len hat, wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher diese Angabe wahrscheinlich auffassen wird.“732 Rs C-470 / 93, Slg. 1995, I-1923 – Mars. Verbrauchererwartung, S. 60. 728  MüKo-UWG / Ruess, § 5 Rn. 85. 729  EuGH Rs C-210 / 96, Slg. 1998, I-4657 – Gut Springenheide. 730  Vgl. nur EuGH Rs C-303 / 97, Slg. 1999, I-513  – Sektkellerei Kessler; EuGH Rs C-220 / 98, Slg. 2000, I-117  – Lifting Creme; EuGH Rs C-465 / 98, Slg. 2000, I-2297 – d’arbo naturrein. 731  Verordnung (EWG) Nr. 1907 / 90 des Rates vom 26. Juni 1990 über bestimmte Vermarktungsnormen für Eier. 732  EuGH Rs C-210 / 96, Slg. 1998, I-4657 – Gut Springenheide. 726  EuGH

727  Vergho,

152

Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

Weiterhin kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass das nationale Gericht die Irreführungsgefahr grundsätzlich nach eigener Sachkunde beurteilen kann. Durch das Unionsrecht sei es aber nicht verboten, die Frage nach der Irrefüh­ rungsgefahr nach Maßgabe des nationalen Rechts durch ein Sachverständi­ gengutachten oder eine Verbraucherbefragung zu klären, sofern es besondere Schwierigkeiten bei der Feststellung der Irreführungseignung hat. 7. Die Entscheidung „Sektkellerei Kessler“ Wenig später hat der EuGH in der Entscheidung „Sektkellerei Kessler“733 das in der „Gut Springenheide Entscheidung“ formulierte Leitbild vom durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durch­ schnittsverbraucher noch einmal wörtlich wiederholt. Bei dieser Gelegenheit wurde auch klargestellt, dass die Einholung von Sachverständigengutachten oder die Durchführung demoskopischer Befragungen nur dann in Betracht zu ziehen sind, wenn das nationale Gericht besondere Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Irreführungseignung hat.734 8. Die Entscheidung „d’arbo naturrein“ In einer weiteren Entscheidung, in der es um einen Fruchtaufstrich ging, der mit der Marke „d’arbo naturrein“ beworben wurde, bekräftigte der EuGH erneut das von ihm entwickelte Verbraucherleitbild.735 Streitig war die Frage, ob der Hersteller eine Konfitüre als „naturrein“ bezeichnen durfte, obwohl ihm bekannt war, dass diese neben dem Geliermittel Pektin auch Spuren oder Rückstände von Blei, Cadmium und Pestiziden enthielt, deren Konzentration aber weit unterhalb der gesetzlichen Schwellenwerte lag. Unter Heranzie­ hung seines Leitbilds vom durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher lehnte der EuGH eine Irreführungs­ eignung ab. Im Hinblick auf die Verwendung des Geliermittels stellte er im Einklang mit seiner bisherigen Etikettierungs-Rechtsprechung fest, dass die Angabe „naturrein“ auf dem Verpackungsetikett nicht geeignet ist, einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durch­ schnittsverbraucher hinsichtlich des Umstandes irrezuführen, dass der Fruchtaufstrich Pektin enthält, wenn das Zutatenverzeichnis auf dessen Vor­ handensein ordnungsgemäß hinweist. Verbraucher, die sich in ihrer Kaufent­ scheidung nach den Inhaltsstoffen der Erzeugnisse richten, könnten in diesem Fall das Zutatenverzeichnis heranziehen und würden dies erfahrungsgemäß Rs C-303 / 97, Slg. 1999, I-513 – Sektkellerei Kessler. Rs C-303 / 97, Slg. 1999, I-513 – Sektkellerei Kessler. 735  EuGH Rs C-465 / 98, Slg. 2000, I-2297 – d’arbo naturrein. 733  EuGH

734  EuGH



C. Das unionsrechtliche Verbraucherleitbild153

auch tun.736 Bezüglich der Schadstoffbelastung des Lebensmittels schloss der EuGH ebenfalls eine Irreführung durch die Bezeichnung „naturrein“ aus, da einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durch­ schnittsverbraucher bekannt sei, dass als Folge der allgemeinen Luft- und Gewässerverschmutzung Rückstände von Schwermetallen in der natürlichen Umwelt vorhanden seien und dass Früchte, die in einer natürlichen Umge­ bung angebaut werden, diesen Stoffen denknotwendig ausgesetzt sind. Die Gefahr einer Irreführung sei demnach gering, selbst wenn einzelne Verbrau­ cher diese Tatsache nicht beachteten und somit tatsächlich in die Irre geführt würden. Ein Hemmnis für den freien Warenverkehr sei damit aber nicht zu rechtfertigen. Gleiches gelte auch im Hinblick auf das Vorhandensein von Pestizidspuren oder -rückständen in dem als „naturrein“ beworbenen Brot­ aufstrich. 9. Weitere Präzisierung des Verbraucherleitbilds in den Entscheidungen „Lidl / Vierzon“ und „Konsumentenombudsmannen / Ving Sverige“ Die Auslegung des vom EuGH formulierten Verbraucherleitbilds ist seit jeher umstritten. Gegenstand der Diskussion ist vor allem die Frage, ob sich das Adverb „durchschnittlich“ nur auf das Adjektiv „informiert“ bezieht oder ob es auch die Adjektive „aufmerksam“ und „verständig“ umfasst.737 Zieht man jedoch die in gleicher Weise verbindlichen Urteilsfassungen in den an­ deren Amtssprachen der Europäischen Union und hierbei insbesondere die englische und französische Version heran, spricht viel für die zweitgenannte Auffassung. Schließlich ist in der französischen Fassung von dem „consom­ mateur moyen, normalement informé et raisonnabblement attentif et avisé“ die Rede und auch die englische Fassung spricht von einem „average consu­ mer who ist reasonably observant and circumspect“. Gemeint sein dürfte damit ein umsichtiger Durchschnittsverbraucher, der normal informiert und angemessen aufmerksam ist.738 Mittlerweile spricht auch der EuGH in seinen neueren Entscheidungen vom „normal informierten und angemessen auf­ merksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher“739, sodass der Streit um die Auslegung der vom EuGH geprägten Formulierung nunmehr zuguns­ ten einer Einbeziehung der anderen beiden Adjektive geklärt sein dürfte.740 hierzu MüKo-UWG / Ruess, § 5 Rn. 96. hierzu Vergho, Verbrauchererwartung, S. 62 f. m. w. N. 738  Helm, FS Tilmann, S. 142; vgl. auch Köhler / Bornkamm, § 1 UWG Rn. 22. 739  EuGH Rs C-159 / 09, Slg. 2010, I-11761  – Lidl / Vierzon; EuGH Rs C-122 / 10, Slg. 2011, I-3903 – Ving Sverige; zum Markenrecht vgl. auch EuGH Rs C-329 / 01 P, Slg. 2004, I-8317 – Sat.2; EuGH Rs C-48 / 05; Slg. 2007, I-1017 – Opel / Autec. 740  Köhler / Bornkamm, § 5 UWG Rn. 1.48. 736  Krit. 737  Vgl.

154

Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

10. Einschränkungen des Leitbilds vom durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher Das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verstän­ digen Durchschnittsverbrauchers gilt jedoch nicht grenzenlos. Vielmehr hat es durch die Rechtsprechung des EuGH diverse Einschränkungen erfahren.741 Diese ergeben sich vor allem dann, wenn es um die unterschiedlichen Auf­ merksamkeitsgrade beim Konsum bestimmter Waren geht oder der Gesund­ heitsschutz betroffen ist. In diesen Fällen hält es der EuGH für angezeigt, einen strengeren Maßstab anzulegen. In gleicher Weise soll das Konzept des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers gewissen Einschränkungen unterliegen, wenn dies durch besondere soziale, kulturelle oder sprachliche Merkmale der jeweils angesprochenen Verkehrs­ kreise geboten ist.742 a) Die Entscheidung „Lloyd“ Dass der Maßstab, der an einen Durchschnittsverbraucher zu richten ist, u. a. auch von der Art der Waren bestimmt wird, hat der EuGH in der Ent­ scheidung „Lloyd“ klargestellt.743 In dieser hatte er über die Verwechslungs­ gefahr der für Schuhwaren verwendeten Marken „Lloyd“ und „Loint’s“ zu befinden. Der EuGH stellte hierzu fest, dass es für die Beurteilung der Ver­ wechslungsgefahr darauf ankomme, wie die Marke auf den Durchschnitts­ verbraucher dieser Art von Waren oder Dienstleistungen wirke und dass da­ bei auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der betreffenden Warenart abzustellen sei. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, „dass die Aufmerksamkeit des Durch­ schnittsverbrauchers je nach Art der betreffenden Waren oder Dienstleistun­ gen unterschiedlich hoch sein kann.“ Hieraus kann sich im Einzelfall ein geringerer aber auch ein höherer Schutzmaßstab ergeben. Grundsätzlich kann dem Verbraucher deshalb bei höherwertigen Gütern tendenziell ein hö­ heres Maß an Informiertheit, Aufmerksamkeit und Verständigkeit abverlangt werden.744 Allerdings ist wegen der Etikettierungsrechtsprechung der Um­ kehrschluss nicht zwingend.745 Denn aus der Etikettierungsrechtsprechung folgt, dass der Verbraucher ihm zugänglich gemachte Informationen grund­ 741  Vgl. nur EuGH Rs C-342 / 97, Slg. 1999, I-3819  – Lloyd Schuhfabrik Meyer; EuGH Rs C-220 / 98, Slg.  2000, I-117  – Lifting Creme; EuGH Rs C-313 / 94; Slg. 1996, I-6039 – Graffione; EuGH Rs C-382 / 87; Slg. 1989, 1235 – Buet. 742  MüKo-UWG / Micklitz, EG-D, Art. 5 Rn. 55. 743  EuGH Rs C-342 / 97, Slg. 1999, I-3819 – Lloyd Schuhfabrik Meyer. 744  MüKo-UWG / Ruess, § 5 UWG, Rn. 102. 745  MüKo-UWG / Ruess, § 5 UWG, Rn. 102.



C. Das unionsrechtliche Verbraucherleitbild155

sätzlich wahrzunehmen hat, sodass Irreführungspotentiale, die sich aus der Ignorierung dieser Informationen ergeben, grundsätzlich zu seinen Lasten gehen.746 b) Die Entscheidung „Lifting Creme“ Durch die Lifting-Creme-Entscheidung nahm der EuGH weitere Ein­ schränkungen seines Verbraucherleitbilds vor.747 Inhaltlich ging es um die Irreführungseignung eines kosmetischen Produkts, das in Deutschland und in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union unter der Bezeichnung „Monteil Firming Action Lifting Extreme Creme“ vertrieben wurde. Streitig war dabei insbesondere die Frage, inwieweit die Bezeichnung „Lifting“ irre­ führend sei, da sie geeignet sein könnte, beim Käufer den unzutreffenden Eindruck zu erwecken, dass die Creme im Hinblick auf ihre Wirkungsdauer Resultate hervorrufe, die mit denen eines plastischen chirurgischen Eingriffs vergleichbar sind. Auch hier erkannte der EuGH darauf, dass es bei der Irre­ führungseignung einer Marke, Bezeichnung oder Werbeaussage auf die mut­ maßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers ankomme. Zugleich stellte er aber fest, dass bei der Anwendung dieses Leitbilds auch zu prüfen sei, inwieweit „soziale, kulturelle oder sprachliche Eigenheiten es rechtfertigen können, dass das für eine Hautstraffungscreme verwendete Wort ‚Lifting‘ von den deutschen Verbrauchern anders verstanden wird als von den Verbrauchern in anderen Mitgliedstaaten, oder ob schon die Angaben zur Anwendung des Produktes dafür sprechen, dass dessen Wirkungen nur vorübergehender Na­ tur sind, und damit jede gegenteilige Schlussfolgerung entkräften, die aus dem Wort ‚Lifting‘ gezogen werden könnte.“ Bedeutsam ist auch, dass der EuGH bei dieser Gelegenheit betonte, dass die „Umstände des Einzelfalls“ bei dieser Prüfung ebenfalls eine Rolle spielen. Der Lifting-Creme-Entscheidung lässt sich ferner entnehmen, dass der EuGH sein vergleichsweise liberales Verbraucherleitbild eingeschränkt wis­ sen möchte, wenn es um den Gesundheitsschutz der betroffenen Verbraucher geht. Der EuGH stellt hierzu ausdrücklich fest, dass das auf dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beruhende Leitbild des durchschnittlich informier­ ten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers auch im Bereich des Vertriebs kosmetischer Mittel gelten soll, sofern „ein Irrtum über die Eigenschaften des Produktes […] die Gesundheit nicht beeinträchtigen kann“. Daraus kann der Umkehrschluss abgeleitet werden, dass das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durch­ 746  MüKo-UWG / Ruess, 747  EuGH

§ 5 UWG, Rn. 102. Rs C-220 / 98, Slg. 2000, I-117 – Lifting Creme.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

schnittsverbrauchers bei zu erwartenden Gesundheitsbeeinträchtigungen ein­ geschränkt werden muss.748 c) Die Entscheidungen „Buet“ und „Graffione“ Weitere Einschränkungen des Verbraucherleitbilds soll nach der Auffas­ sung des EuGH die besondere Schutzbedürftigkeit bestimmter Personengrup­ pen mit sich bringen. So entschied er in der Rechtssache „Buet“, dass das französische Verbot von Haustürwerbung für den Vertrieb pädagogischen Materials aus Gründen des Verbraucherschutzes selbst dann gerechtfertigt sein kann, wenn mit einem auf Haustürgeschäfte bezogenen Rücktrittsrecht grundsätzlich ein milderes Mittel in Betracht käme.749 Nach der Auffassung des EuGH sei die Gefahr eines unüberlegten Kaufs an der Haustür besonders ausgeprägt, wenn sich die Haustürwerbung auf den Abschluss von Unter­ richtsverträgen oder den Kauf pädagogischen Materials bezieht. In diesem Fall gehörten die „potentielle[n] Kunde[n] […] nämlich häufig zu einer Ka­ tegorie von Personen, die aus dem einen oder anderen Grund einen Bildungs­ rückstand haben, den sie aufholen wollen“, was sie gegenüber Verkäufern von pädagogischem Material besonders schutzlos mache. Auch in der Ent­ scheidung „Graffione“ stellte der EuGH beiläufig fest, dass bei der Beurtei­ lung der Irreführungsgefahr mitunter die betroffene Verbrauchergruppe in den Blick zu nehmen sei.750 Sowohl die Entscheidung im Fall „Buet“ als auch die Entscheidung im Fall „Graffione“ belegen, dass der EuGH die an den Durchschnittsverbrau­ cher zu stellenden Anforderungen nicht nur an der Art der beworbenen Waren bzw. Dienstleistungen ausrichtet, sondern auch den betroffenen Adressaten­ kreis der jeweiligen Werbemaßnahme in den Blick nimmt.751 Daher sind bei Werbemaßnahmen, die sich an Kinder, Jugendliche, alte oder geschäftlich unerfahrene Personen wenden, an das Verbraucherverständnis regelmäßig geringere Anforderungen zu stellen als bei Werbemaßnahmen, die an die Allgemeinheit der Verbraucher gerichtet sind.752 Freilich gilt dies nur, sofern sich eine Werbemaßnahme auch gezielt an eine besonders schutzwürdige Personengruppe richtet. Bei Werbemaßnahmen, die an die Allgemeinheit gerichtet sind, bleibt dagegen der Maßstab eines durchschnittlichen infor­ 748  Vergho,

Verbrauchererwartung, S. 71. Rs C-382 / 87, Slg. 1989, 1235 – Buet. 750  EuGH Rs C-313 / 94; Slg. 1996, I-6039 – Graffione. 751  Heim, S. 39; Ruhs, Strafbare Werbung, S. 43 f.; Köhler / Bornkamm, § 1 UWG Rn. 25. 752  Ruhs, Strafbare Werbung, S. 44. 749  EuGH



C. Das unionsrechtliche Verbraucherleitbild

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mierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers ent­ scheidend.753 11. Zusammenfassung Betrachtet man die Entwicklung der Judikatur des EuGH, so zeigt sich, dass der Gerichtshof in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung vom Leitbild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durch­ schnittsverbrauchers ausgeht. Irreführungen, die den unionsrechtlich beein­ flussten Bereich betreffen, sind daher an diesem Verständnis zu messen. Dies darf aber nicht dahingehend missverstanden werden, dass unterdurchschnitt­ lich informierte, unaufmerksame und unverständige Verbraucher überhaupt nicht mehr am Schutz unionsrechtlich beeinflusster Rechtssätze partizipie­ ren.754 Vielmehr ist, wenn sich eine Werbemaßnahme an eine besondere Verbrauchergruppe richtet, das Verständnis eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppierung zugrunde zu legen. So wird verhindert, dass besonders schutzwürdige Personenkreise schutzlos gestellt oder der Ausbeutung preis­ gegeben werden. Allein wenn sich eine Werbung an die Allgemeinheit der Verbraucher richtet, bleibt der Maßstab des durchschnittlichen allgemeinen Verbrauchertypus entscheidend, sodass Personen, die hinter diesen Anforde­ rungen zurückbleiben, nicht mehr geschützt sind. Angesichts nur schwer vorhersehbarer „spill-over-Effekte“755 ist diese Differenzierung jedoch ange­ messen. Denn ein Unternehmer wird regelmäßig nur schwer vorhersehen können, inwieweit eine ausschließlich an Erwachsene gerichtete Werbung möglicherweise auch Kinder erreicht und diese in ihrer Konsumentscheidung beeinflusst. Auch die Art der beworbenen Waren oder Dienstleistungen kann auf die an den Verbraucher zu stellenden Anforderungen Einfluss nehmen, zum Beispiel, wenn es sich um Produkte des alltäglichen Bedarfs handelt, bei deren Konsum der Verbraucher erfahrungsgemäß eher unaufmerksam ist. Im Übrigen sind auch die Umstände des einzelnen Falles zu berücksichtigen, zu denen neben sozialen auch kulturelle oder sprachliche Eigenheiten zählen. Weiterhin muss gesehen werden, dass das Verbraucherleitbild des EuGH – entgegen der im deutschen Strafrecht weit verbreiteten Annahme  – keine allzu hohen Anforderungen an die betroffenen Verbraucher stellt. Maßgeblich ist immer ein angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsver­ braucher. Dieser muss folglich nur durchschnittlichen Anforderungen genü­ gen und damit weder besonders intelligent noch besonders aufmerksam oder

753  Köhler / Bornkamm,

§ 1 UWG Rn. 25; Ruhs, Strafbare Werbung, S. 44. § 1 UWG Rn. 25. 755  Hierzu MüKo-UWG / Micklitz, EG-D, Art. 5 Rn. 64. 754  Köhler / Bornkamm,

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

besonders gut informiert sein.756 Erst recht ist der Begriff des Durchschnitts­ verbrauchers nicht als Synonym für den homo oeconomicus zu verstehen, der sich im Marktgeschehen stets richtig verhält und immer souverän und abwägend entscheidet.757 Die Anforderungen an den durchschnittlich infor­ mierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher sind da­ her nicht allzu hoch anzusiedeln.

II. Das Verbraucherleitbild der RL  2005 / 29 / EG Das Verbraucherleitbild des EuGH wurde vom Richtliniengeber in der RL  2005 / 29 / EG weitestgehend als Kontrollmaßstab der Unlauterkeit adap­ tiert.758 Das Leitbild wurde zwar nicht explizit in den Richtlinientext aufge­ nommen, es findet sich aber im 18.  Erwägungsgrund die Angabe, dass als Maßstab ein Durchschnittsverbraucher dienen soll, der „angemessen gut un­ terrichtet und aufmerksam und kritisch“ ist. Obwohl diese Formulierung vom „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher“ leicht abweicht, ist damit nach zutreffender Auffassung keine inhaltliche Änderung des Verbraucherleitbilds verbunden.759 Vielmehr wird man davon ausgehen können, dass es sich lediglich um eine neuere deutsche Überset­ zung des bekannten Verbraucherleitbilds handelt, was auch dadurch belegt wird, dass sich sowohl der englische als auch der französische Richtlinien­ text mit dem herkömmlichen Verbraucherleitbild des EuGH decken.760 Insbe­ sondere der sprachliche Unterschied zwischen den Worten „kritisch“ und „verständig“ ist damit ohne weitergehende Bedeutung.761 Auch im Geltungsbereich der Richtlinie soll das Standardmodell des ange­ messen gut unterrichteten und aufmerksamen und kritischen Verbrauchers nur dann uneingeschränkte Anwendung finden, soweit sich die zu beurtei­ lende Geschäftspraktik an die Allgemeinheit der Verbraucher richtet. Sofern hingegen eine besondere Gruppe von Verbrauchern betroffen ist, soll aus­ weislich des 18. Erwägungsgrundes das Verständnis eines durchschnittlichen Mitglieds der jeweiligen Gruppe maßgeblich sein. Die Messlatte kann daher im Einzelfall niedriger, aber durchaus auch höher liegen. Letzteres gilt insbe­ 756  BGH NJW 2014, 2598; Müller, NZWiSt 2014, 395; Vergho, Verbrauchererwar­ tung, S. 70. 757  Vergho, Verbrauchererwartung, S. 70. 758  Köhler / Bornkamm, § 5 UWG Rn. 1.54.; MüKo-UWG / Ruess, § 5 Rn. 107, 113. 759  Henning-Bodewig, GRUR Int 2005, 631; Scherer, WRP 2008, 567; Nordemann, WettbewerbsR, Rn. 124. 760  Böhler, ZLR 2014, 33; Kugler, S. 54; Nordemann, WettbewerbsR, Rn. 124; Henning-Bodewig, GRUR Int 2005, 631 f. 761  Kügel / Hahn / Delewski, § 4 NemV Rn. 199; Köhler / Bornkamm, § 1 UWG Rn. 23; a. A. Helm, WRP 2013, 714 f.



C. Das unionsrechtliche Verbraucherleitbild159

sondere dann, wenn sich eine Geschäftspraktik an Fachkreise wendet.762 Für besonders schutzwürdige Personengruppen wurde die Korrektur des Maß­ stabs sogar ausdrücklich im Richtlinientext festgelegt. Nach Art. 5 Abs. 3 der RL  2005 / 29 / EG müssen Geschäftspraktiken, die in einer vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeu­ tig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern, die aufgrund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese Praktiken oder die ihnen zugrunde liegenden Produkte besonders schutzbedürftig sind, wesentlich beeinflussen, aus der Perspektive eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe beurteilt werden. Art. 5 Abs. 3 der RL 2005 / 29 / EG bestimmt allerdings auch, dass die übliche und rechtmä­ ßige Werbepraxis, übertriebene Behauptungen oder nicht wörtlich zu neh­ mende Behauptungen aufzustellen, von dieser Einschränkung unberührt bleiben soll. Das Mittel der Übertreibung gehört damit zum unangreifbaren Kern der Werbung und zwar unabhängig davon, an welchen Adressatenkreis sie sich richtet.763 Durch das differenzierte Verbraucherleitbild der RL 2005 / 29 / EG trägt der Richtliniengeber dem Umstand Rechnung, dass Verbrauchergruppierungen existieren, deren Kenntnisse, Erfahrungen und Urteilsfähigkeiten hinter de­ nen eines Durchschnittsverbrauchers zurückstehen und die daher besonders schutzwürdig sind. Diese besonderen Verbrauchergruppen genießen jedoch nicht per se einen höheren Schutz. Vielmehr wird ihnen ein solcher nur zu­ teil, wenn es um Geschäftspraktiken oder Produkte geht, für die sie beson­ ders empfänglich sind. Bedeutung erlangt Art. 5 Abs. 3 S. 1 RL 2005 / 29 / EG daher eher als Ausnahmeregel. In allen übrigen Fällen bleibt es bei dem Grundsatz, dass bei einer an die Allgemeinheit gerichteten Werbemaßnahme das Verständnis eines durchschnittlich informierten, verständigen Verbrau­ chers zugrunde zu legen ist, selbst wenn die Werbung auch Teile der Bevöl­ kerung betrifft, die hinter diesem Maßstab zurückbleiben.764 Die RL 2005 / 29 / EG bewegt sich damit im Einklang mit der Judikatur des EuGH, die für eine adressatenbezogene Anwendung des europäischen Verbraucher­ leitbilds einen Spielraum lässt. Demnach ist das Leitbild des angemessen gut unterrichteten und aufmerksamen und kritischen Verbrauchers entsprechend anzupassen, wenn eine Werbemaßnahme Personen eines gewissen Alters, Leichtgläubige oder Menschen mit geistigen oder körperlichen Gebrechen anspricht.

762  Kilian,

S. 62.

763  MüKo-UWG / Micklitz,

EG-D, Art. 5, Rn. 57. MüKo-UWG / Micklitz, EG-D, Art. 5 Rn. 57; Müko-UWG / Heermann, § 4 Nr. 2 Rn. 29. 764  Vgl.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

Der Begriff des „Alters“ in Art. 5 Abs. 3 RL 2005 / 29 / EG ist dabei nicht nur im Sinne eines besonders hohen Lebensalters zu verstehen. Vielmehr umfasst er sämtliche Personengruppen, die altersbedingt vom unionsrechtli­ chen Idealbild des Durchschnittsverbrauchers abweichen. Primär dürfte der Richtliniengeber damit neben der Gruppe der Senioren vor allem Kinder und Jugendliche im Blick gehabt haben. Bei Senioren ist jedoch zu beachten, dass diese nicht per se als schutzbedürftig gelten, sondern nur insoweit, als sie nicht über die Kenntnisse und Fähigkeiten eines Durchschnittsverbrau­ chers verfügen und demzufolge für bestimmte Geschäftspraktiken besonders anfällig sind.765 Die besondere Schutzbedürftigkeit ergibt sich hier meist da­ raus, dass ältere Menschen ihr Einkaufs- und Konsumverhalten zu Zeiten erlernt haben, in denen andere Wirtschafts- und Geschäftsbedingungen gege­ ben waren.766 Zudem nehmen mit einem fortschreitenden Lebensalter kör­ perliche und geistige Einschränkungen zu, die sich negativ auf die Urteilsfä­ higkeit auswirken können.767 Regelmäßig lassen sich diese Umstände aber unter das Merkmal der „körperlichen oder geistigen Gebrechen“ subsumie­ ren.768 Bei Kindern und Jugendlichen ergibt sich die Notwendigkeit eines höheren Schutzes aus ihrer besonderen Empfänglichkeit für Suggestionen. Zudem verfügen sie aufgrund ihres Alters nur über geringe geschäftliche Erfahrung und reagieren häufig impulsiver und emotionaler als Erwachse­ ne.769 Vor allem jüngeren Kindern fällt es schwer, die wahren Zwecke der Werbung zu durchschauen, was sich mitunter darin äußert, dass sie Werbung nicht als verkaufsfördernde Maßnahme, sondern als Form der Unterhaltung verstehen.770 Bei Werbemaßnahmen, die sich für den Unternehmer vorher­ sehbar an eine eindeutig identifizierbare Gruppe von Kindern bzw. Jugendli­ chen richten, ist daher auf das Verständnis eines durchschnittlichen Angehö­ rigen der jeweiligen Altersgruppe abzustellen. Dabei bietet insbesondere das verwendete Medium Anhaltspunkte für eine zielgruppenorientierte Werbung in diesem Sinne. So liegt bei einer Werbung in Jugendzeitschriften oder im Kinderprogramm nahe, dass sie eine entsprechende Altersgruppe ansprechen wird. Ebenso kann die Art des Produkts bei der Beurteilung der Zielgruppen­ orientierung eine entscheidende Rolle spielen. Beispielsweise kann man bei einer Reklame für Spielzeuge nicht auf das Verständnis eines erwachsenen Durchschnittsverbrauchers abstellen. In gleicher Weise lässt eine Werbung 765  Ohly / Sosnitza, § 4a UWG Rn. 162; Köhler / Bornkamm, § 3 UWG Rn. 5.24; Scherer, WRP 2008, 568. 766  Beater, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 1650. 767  Ohly / Sosnitza, § 4a UWG Rn. 162. 768  Ohly / Sosnitza, § 4a UWG Rn. 162; Beater, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 1650. 769  Harte-Bavendamm / Henning-Bodewig / Picht, § 4a UWG Rn. 134. 770  Beater,  Unlauterer Wettbewerb, Rn. 1655; Harte-Bavendamm / Henning-Bo­ dewig / Picht, § 4a UWG Rn. 134.



C. Das unionsrechtliche Verbraucherleitbild161

mit Zugaben, Gewinnen oder sonstigen Vergünstigungen, die speziell auf ein jüngeres Publikum zugeschnitten sind, auf eine entsprechende Zielgruppen­ orientierung schließen. Zweifelhaft erscheint es dagegen, aus der Anrede in der Duzform auf einen minderjährigen Adressatenkreis zu schließen, da die­ ses Stilmittel auch in der Erwachsenenwerbung vermehrt eingesetzt wird und auch eine generelle Veränderung der gesellschaftlichen Umgangsformen festzustellen ist.771 Bei einer an Leichtgläubige gerichtete Reklame ist nach Art. 5 Abs. 3 RL  2005 / 29 / EG ebenfalls auf das Verständnis eines Durchschnittsverbrau­ chers des angesprochenen Verkehrskreises und nicht auf das Leitbild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers abzustellen. Was genau unter dem Merkmal der Leichtgläubigkeit zu verste­ hen ist, ist unklar. Insbesondere ist eine genauere Definition dieses Begriffes der insoweit maßgeblichen Judikatur des EuGH bislang noch nicht zu ent­ nehmen. Allerdings sind bei der Begriffsfindung die im 18. und 19.  Erwä­ gungsgrund der RL  2005 / 29 / EG enthaltenen Vorgaben angemessen zu be­ rücksichtigen.772 Konsequenz der Leichtgläubigkeit muss es daher sein, dass die betroffenen Verbraucher für eine bestimmte Geschäftspraxis oder ein bestimmtes Produkt besonders anfällig sind, weil ihre Fähigkeit, informierte Entscheidungen zu treffen, gegenüber dem Durchschnittsverbraucher erkenn­ bar herabgesetzt ist.773 Ein Verbraucher wird daher jedenfalls dann als leicht­ gläubig anzusehen sein, wenn er die Angaben des Werbenden ohne Weiteres hinnimmt und aufdrängenden Fragen nicht auf den Grund geht, weil er arglos auf die Richtigkeit der ihm gegenüber gemachten Erklärungen vertraut. Be­ ruht die Leichtgläubigkeit dagegen allein auf einer Nachlässigkeit, Bequem­ lichkeit oder auf mangelndem Interesse, verbleibt es bei dem ursprünglichen Maßstab, weil es dann an einer besonderen Schutzbedürftigkeit fehlt.774 Ebenso soll nach Art. 5 Abs. 3 RL  2005 / 29 / EG das Verbraucherleitbild angepasst werden, wenn sich die geschäftliche Handlung an eine Gruppe von Verbrauchern richtet, die unter geistigen oder körperlichen Gebrechen leidet. Auch hier ist entsprechend dem 18.  Erwägungsgrund der RL  2005 / 29 / EG Voraussetzung, dass die Fähigkeit der Betroffenen, informierte geschäftliche Entscheidungen im Hinblick auf die betreffende geschäftliche Handlung oder 771  Ähnlich auch Schmits, NJW 2003, 3035; a. A. Zagouras, GRUR 2006, 734; Mankowski, GRUR 2007, 1015, der aber zugesteht, dass die Duzform auch bei der Erwachsenenwerbung  – insb. im Erotikbereich  – weit verbreitet ist. Offenlassend dagegen OLG Frankfurt GRUR 2005, 1065. 772  Müko-UWG / Heermann, § 4 Nr. 2 Rn. 47; Köhler / Bornkamm, § 1 UWG Rn. 23. 773  Müko-UWG / Heermann, § 4 Nr. 2 Rn. 47; Scherer, WRP 2008, 568. 774  Heim, S. 58; Scherer, WRP 2008, 568 f.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

das ihr zugrunde liegende Produkt zu treffen, hinter der eines angemessen gut unterrichteten, aufmerksamen und kritischen Durchschnittsverbrauchers deutlich zurückbleibt und die Verbrauchergruppe deshalb für bestimmte un­ lautere geschäftliche Handlungen besonders anfällig sein muss.775 Zu den körperlichen Gebrechen zählen insbesondere erhebliche Einschränkungen des Seh- oder Hörvermögens bis hin zur Blind- oder Taubheit, aber auch Lähmungen, die zu körperlichen Beeinträchtigungen wie einer Schreib- oder Bewegungsunfähigkeit führen.776 Mit den geistigen Gebrechen sind neben auffälligen Intelligenzdefekten, wie Schwachsinn oder Demenz, auch psychi­ sche Störungen gemeint, die auch Beeinträchtigungen, die aus einer Medika­ menten-, Alkohol-, Drogen- oder Spielsucht herrühren, umfassen.777 Die er­ hebliche Willensschwäche im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB wird ebenfalls unter den Begriff der geistigen Schwächen gefasst.778 Eine trennscharfe Ab­ grenzung zwischen geistigen und körperlichen Gebrechen ist indes nicht er­ forderlich. Eine solche ist in den meisten Fällen auch nicht möglich.779 Un­ beachtlich ist dagegen eine fehlende Geschäftsfähigkeit oder die Anordnung der gesetzlichen Betreuung i. S. d. §§ 1896 ff. BGB. Jedoch kann dem Vorlie­ gen von Geschäftsunfähigkeit oder dem Umstand, dass für jemanden ein Betreuer bestellt wurde, Indizwirkung für das Vorliegen eines geistigen oder körperlichen Gebrechens zukommen.780 Die Aufzählung der besonders schutzbedürftigen Verbrauchergruppierun­ gen in Art. 5 Abs. 3 S. 1 RL  2005 / 29 / EG ist nicht abschließend und hat le­ diglich beispielhaften Charakter.781 Dies ergibt sich unter anderem aus dem 19.  Erwägungsgrund, in dem von bestimmten „Eigenschaften wie Alter, geistige oder körperliche Gebrechen oder Leichtgläubigkeit […]“ die Rede ist.782 Grundsätzlich sind die in Art. 5 Abs. 3 RL  2005 / 29 / EG genannten Gründe daher noch erweiterbar. Allerdings dürfte es kaum Fälle geben, in denen sich eine besondere Schutzbedürftigkeit einer Verbrauchergruppe nicht aus den verhältnismäßig weit gefassten Konstellationen des Art. 5 Abs. 3 RL 2005 / 29 / EG ableiten lässt. Für die Anwendung eines vom Durchschnittsverbraucher abweichenden Maßstabs ist  – wie bereits erwähnt  – nur Raum, wenn sich die Geschäfts­ 775  Köhler / Bornkamm, § 1 UWG Rn. 25; Müko-UWG / Heermann, § 4 Nr. 2 UWG, Rn. 36. 776  Müko-UWG / Heermann, § 4 Nr. 2 UWG Rn. 36. 777  Köhler / Bornkamm, § 3 UWG Rn. 5.21. 778  Müko-UWG / Heermann, § 4 Nr. 2 UWG Rn. 36. 779  Köhler / Bornkamm, § 3 UWG Rn. 5.21. 780  Köhler / Bornkamm, § 3 UWG Rn. 5.21. 781  Harte-Bavendamm / Henning-Bodewig / Dreyer, UWG B. § 5 Abs. 1 Rn. 32. 782  Harte-Bavendamm / Henning-Bodewig / Dreyer, UWG B. § 5 Abs. 1 Rn. 32.



D. Rezeption des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds im UWG163

praktik an eine besonders schutzwürdige Verbrauchergruppe richtet. Die Feststellung dieser Zielgerichtetheit ist aber in vielen Fällen nicht unproble­ matisch. Schwierigkeiten bereiten insbesondere sog. Übertragungs- oder Spill-over-Effekte, also Maßnahmen, die sich nicht nur auf besonders schutz­ würdige, sondern auch auf andere Verbrauchergruppen auswirken. Schließ­ lich muss für den Unternehmer hinreichend erkennbar sein, inwieweit es zu der Anwendung von Sondermaßstäben kommt. Insbesondere muss er nach Art. 5 Abs. 3 RL  2005 / 29 / EG vernünftigerweise vorhersehen können, dass seine Geschäftspraktik das wirtschaftliche Verhalten nur einer bestimmten Gruppe besonders schutzwürdiger Verbraucher wesentlich beeinflussen kann. Da der Wortlaut des Richtlinientextes vorsieht, dass „nur“ eine bestimmte Gruppierung von Verbrauchern betroffen sein darf, ist es erforderlich, dass sich die Geschäftspraktik zum einen objektiv an diese schutzwürdige Ver­ brauchergruppe wendet und sich zum anderen auch auf diesen Adressaten­ kreis beschränkt.783 Maßnahmen, die sowohl durchschnittliche Normalver­ braucher als auch besonders schutzwürdige Verbraucher erreichen, werden dagegen von diesen Vorgaben nicht erfasst. Bei diesen bleibt es beim Maß­ stab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Ver­ brauchers.

D. Rezeption des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und in der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung des BGH Im Zuge der UWG-Reform 2004 wurde das unionsrechtliche Verbraucher­ leitbild in das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb übernommen784 und mit der UWG-Novelle 2008 sogar ausdrücklich in § 3 Abs. 2 a. F. veran­ kert.785 Seither ist bei der lauterkeitsrechtlichen Bewertung einer geschäftli­ chen Handlung auf einen Durchschnittsverbraucher oder, wenn sich die ge­ schäftliche Handlung an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, auf ein durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen. Die Sonder­ maßstäbe, die nach Art. 5 Abs. 3 RL  2005 / 29 / EG bei besonders schutzbe­ dürftigen Verbrauchergruppen anzulegen sind, haben ebenfalls Eingang in das UWG gefunden. Daher ist auf die Sicht eines durchschnittlichen Mit­ glieds einer auf Grund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit besonders schutzbedürftigen und eindeutig identifi­ 783  Beater,

Unlauterer Wettbewerb, Rn. 1663; MüKo-UWG / Sosnitza, § 3 Rn. 119. 15 / 1487, S. 19. 785  Mittlerweile findet sich die Regelung in § 3 Abs. 4 UWG. 784  BT-Drucks.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

zierbaren Gruppe von Verbrauchern abzustellen, wenn für den Unternehmer vorhersehbar ist, dass seine geschäftliche Handlung nur diese Gruppe betrifft, § 3 Abs. 4 UWG. Auch der BGH hat sich mit seiner wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung dem unionsrechtlichen Verbraucherleitbild weitestgehend angenähert.786 Zu­ vor ging er bis in die 1990er Jahre in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es bei der Ermittlung der Verkehrsauffassung auf das tatsächliche Ver­ ständnis des Werbeadressaten ankomme, der Werbeaussagen ungezwungen und flüchtig gegenübertritt.787 Diese Rechtsprechung, die mit ihrem Leitbild von einem „flüchtigen“ bzw. „unkritischen“ Verbraucher ein vergleichsweise hohes Schutzniveau zur Folge hatte, sah sich durch das wettbewerbsrechtli­ che Schrifttum erheblicher, teils polemischer Kritik ausgesetzt.788 Emmerich warf dem BGH sogar vor, dass er auf den Verständnishorizont eines „an der Grenze zur Debilität verharrenden, unmündigen, einer umfassenden Betreu­ ung bedürftigen Verbrauchers, der auch noch gegen die kleinste Gefahr einer Irreführung durch Werbung geschützt werden muss“ abstelle und verknüpfte dies mit der Forderung, „endlich Abschied [zu] nehmen von dem ebenso tö­ richten wie nutzlosen Versuch, praktisch noch den letzten Trottel gegen die Gefahr einer Irreführung durch die Werbung schützen zu wollen“.789 Im Laufe der 1990er Jahre wandte sich die Rechtsprechung von ihrem recht strengen Verbraucherleitbild zunehmend ab. Sie übernahm letztlich das uni­ onsrechtliche Verbraucherleitbild, und zwar nicht nur in den unionsrechtlich beeinflussten Bereichen des Lauterkeitsrechts, sondern auch in den autono­ men und nicht harmonisierten Bereichen. Seit der „Orient-TeppichmusterEntscheidung“790 orientiert sich auch der BGH an einem durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher, der Werbeaussagen eine situati­ onsadäquate Aufmerksamkeit entgegenbringt.791

786  Vgl. nur BGH GRUR 2012, 1053  – Marktführer Sport; GRUR 2010, 161  – Gib mal Zeitung; GRUR 2006, 776  – Werbung für Klingeltöne; GRUR 2005, 879  – Werbung mit Testergebnis; GRUR 2002, 183  – Das Beste jeden Morgen; GRUR 2000, 621 – Orient-Teppichmuster; GRUR 2000, 821 – Space Fidelity Peep-Show. 787  BGH GRUR 1992, 452 – Beitragsrechnung; GRUR 1982, 566 – Elsässer Nudeln; GRUR 1959, 366  – Englisch Lavendel; vgl. zum Ganzen Ohly / Sosnitza, § 2 UWG Rn. 117. 788  Ausführlich zur Kritik an der früheren deutschen Rechtsprechung Vergho, Ver­ brauchererwartung, S. 54 ff. 789  Emmerich, FS Gernhuber, S. 870; vgl. Vergho, Verbrauchererwartung, S. 54 f. 790  BGH NJW-RR 2000, 1490 – Orient-Teppichmuster. 791  Vgl. nur BGH GRUR 2010, 161 – Gib mal Zeitung; GRUR 2006, 776 – Werbung für Klingeltöne; GRUR 2005, 879  – Werbung mit Testergebnis; GRUR 2002, 183 – Das Beste jeden Morgen; GRUR 2000, 621 – Orient-Teppichmuster.



E. Die Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur165

E. Die Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur Obwohl sich in der strafrechtswissenschaftlichen Literatur mittlerweile die Auffassung, dass das unionsrechtliche Verbraucherleitbild auch Ausstrahlwir­ kung auf die Interpretation des Betrugstatbestandes hat, mehr und mehr durchsetzt, finden sich im Schrifttum Stimmen, die eine Beeinflussung des § 263 StGB durch unionsrechtliche Vorgaben in Abrede stellen.792 Auch der BGH793 hat sich dahingehend geäußert, dass sich zumindest aus der RL  2005 / 29 / EG keine Auswirkungen für die Auslegung des Betrugstatbe­ stands ergeben sollen. Angesichts der dargestellten Einflüsse der unionsrecht­ lichen Vorgaben auf den Tatbestand des § 263 StGB dürften diese Auffassun­ gen jedoch kaum zu halten sein. Im Folgenden sollen deshalb die Gründe und Argumente, die gegen eine unionsrechtliche Beeinflussung des Be­ trugstatbestands angeführt werden, dargestellt und einer kritischen Würdi­ gung unterzogen werden.

I. Keine Verpflichtung zur Übernahme des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds aus Gründen des Rechtsgüterschutzes An erster Stelle ist in diesem Zusammenhang die Untersuchung von Vergho zu nennen, der sich eingehend mit den unionsrechtlichen Einflüssen auf den Maßstab der Verbrauchererwartung im Strafrecht beschäftigt hat.794 Vergho kommt dabei zu dem Ergebnis, dass im Strafrecht aus spezifisch strafrechtlichen und verfassungsrechtlichen Aspekten keine Pflicht zur Über­ nahme des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds bestehe. Unter anderem hält er das unionsrechtliche Verbraucherleitbild mit der strafrechtlichen Rechtsgutslehre für unvereinbar, da es nicht zur Präzisierung strafrechtlicher Rechtsgüter, allen voran des Rechtsgutes „Vermögen“, geeignet sei.795 Diese Unvereinbarkeit folge aus der Tatsache, dass das unionsrechtliche Leitbild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durch­ schnittsverbrauchers Minderheiten, die hinter diesen Standards zurückblei­ ben, vom Rechtsgüterschutz ausnehme.796 Eine Vernachlässigung des Min­ derheitenschutzes sei dem Rechtsgüterschutzprinzip jedoch fremd und müsse 792  Rönnau / Becker, JuS 2014, 506; Eisele, NStZ 2010, 196; Bosch, FS Samson, S. 243 Fn. 12; Frank / Leu, StraFO 2014, 199; Majer / Buchmann, NJW 2014, 3343; Vergho, Verbrauchererwartung, S. 122 ff.; Brammsen / Apel, WRP 2011, 404; Apel, K&R 2014, 585. 793  BGH NJW 2014, 2595. 794  Vergho, Verbrauchererwartung, S. 122 ff. 795  Vergho, Verbrauchererwartung, S. 123 ff.; ähnlich auch MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 50. 796  Vergho, Verbrauchererwartung, S. 126; ders., wistra 2010, 88.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

unterbleiben, da Rechtsgüter jedem Bürger in gleicher Weise zustünden und nicht distributiv seien. Zudem sieht Vergho in einer Adaption des unions­ rechtlichen Verbraucherleitbilds einen Verstoß gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Gleichheitsgrundsatz, da einzelne Rechtgutsträger von einem strafrechtlichen Rechtsgüterschutz ausgeschlossen würden.797 Darüber hinaus sei das unionsrechtliche Verbraucherleitbild vor dem Hintergrund des straf­ rechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes kritisch zu sehen. Eine Adaptierung desselben hält er daher mit dem aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Grundsatz „nulla poena sine lege“ für unvereinbar.798 Vergho ist der Auffassung, dass es weder die deutsche noch die europäische Rechtsprechung bislang geschafft hätten, eine einigermaßen verlässliche Anwendung des Leitbildes eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durch­ schnittsverbrauchers zu gewährleisten. Insbesondere sei der Judikatur nicht zu entnehmen, wie informiert und wie verständig ein Durchschnittsverbrau­ cher letztlich sein muss. Vergho hält das unionsrechtliche Verbraucherleitbild damit nur für eine „Worthülse und Projektionsfläche, die jede beliebige Be­ urteilung der Irreführungsgefahr legitimieren kann“.799 Insbesondere, wenn man die Irreführungseignung im Verbraucherschutzstrafrecht rein normativ bestimmte, wäre der Angeklagte dem Richter förmlich ausgeliefert, dem da­ mit eine viel zu große Entscheidungsmacht zukäme.800 Trotz dieser Bedenken erkennt auch Vergho an, dass im Strafrecht eine grundsätzliche Verpflichtung zur Beachtung unionsrechtlicher Vorgaben be­ steht und dass es aufgrund der Wirkungen der RL  2005 / 29 / EG erforderlich sei, „sich auch im Strafrecht mit dem Leitbild des verständigen Durch­ schnittsverbrauchers auseinanderzusetzen“.801 Allerdings kommt er zu dem Schluss, dass das unionsrechtliche Verbraucherleitbild im Strafrecht jeden­ falls dann keine Auswirkungen haben könne, wenn den betreffenden Straftat­ beständen „spezifisch strafrechtliche Rechtsgüter“ zugrunde lägen.802 Dies ergebe sich vor allem daraus, dass das Strafrecht dem Rechtsgüterschutz 797  Vergho,

Verbrauchererwartung, S. 126; ders., wistra 2010, 88. wistra 2010, 88 f. 799  Vergho, Verbrauchererwartung, S. 138. 800  Vergho, Verbrauchererwartung, S. 142. 801  Vergho, Verbrauchererwartung, S. 297. 802  Insbesondere im Bereich des Wettbewerbs- und Lebensmittelrechts sei das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrau­ chers dagegen zu begrüßen, da es dort eine tatbestandsbegrenzende Wirkung entfalte und eine uferlose Ausweitung der jeweiligen Tatbestände eindämme. Da die Tatbe­ stände des Lebensmittel-, und Wettbewerbsstrafrechts jeweils nur die Dispositions­ freiheit schützen, welche laut Vergho kein „strafrechtliches Rechtsgut“ ist, seien diese Tatbestände ohnehin kriminalpolitisch illegitim und müssten deshalb de lege ferenda überdacht werden, sofern sie nicht auf ein hinreichend bestimmtes Rechtsgut fokus­ siert werden können, Verbrauchererwartung, S. 321. 798  Vergho,



E. Die Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur

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verpflichtet sei und das Verbraucherleitbild einem „strafrechtsfremden Rechtsbereich“ entstamme.803 Das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers diene allein dazu, Handelshemmnisse zu unterbinden, die aus Wettbewerbsverboten her­ vorgehen. Es sei aber nicht dazu entwickelt worden, solche Geschäftsprakti­ ken ausdrücklich zu gestatten, die geeignet sind, Rechtsgüter der Verbraucher zu verletzen.804 Es bestehe auch kein Bedürfnis, betrügerische Werbung zu legitimieren, wenn unterdurchschnittlich informierte, unterdurchschnittlich aufmerksame oder unterdurchschnittlich verständige Verbraucher auf sie ­hereinfallen. Zudem sei zu beachten, dass Irrführungsgefahren von einigem Gewicht nach den unionsrechtlichen Vorgaben durchaus in der Lage seien, Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit zu rechtfertigen.805 Ein solches Gewicht liege bei rechtsgüterverletzenden Geschäftspraktiken unzweifelhaft vor. Ferner sei die Implementierung des unionsrechtlichen Verbraucherleit­ bilds in den Betrugstatbestand aus kriminalpolitischen Gründen abzulehnen, da anderenfalls besonders dreist formulierte und übertriebene Werbeaussagen strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden könnten. In der Folge wäre ein Dammbrucheffekt zu befürchten, der „Nepper, Schlepper und Bauernfänger“ geradezu dazu animiere, besonders schutzwürdige Personenkreise gezielt auszubeuten.806 Vergho ist deshalb der Auffassung, dass der BGH in der Haarverdicker-Entscheidung zu Recht von einer Strafbarkeit wegen Betrugs ausgegangen sei. Denn im Zusammenhang mit abenteuerlichen Werbeanprei­ sungen könne es nicht auf das Durchschnittsverständnis eines verständigen Verbrauchers ankommen, sondern es sei auf das einzelne Opfer abzustellen, welches tatsächlich einem Irrtum unterliegt und dessen Vermögen vorsätzlich geschädigt wurde.807 Da das Strafrecht nicht dem Verständigen, sondern dem Rechtsgut verpflichtet sei, könne der Umstand, dass ein Durchschnittsver­ braucher, den Anpreisungen keinen Glauben geschenkt hätte, den Täter nicht entlasten. Die von Vergho vorgetragenen Argumente gegen eine Übernahme des Leitbilds eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständi­ gen Durchschnittsverbrauchers können im Ergebnis nicht überzeugen. Insbe­ sondere wird die Bedeutung der Rechtsgutslehre bei weitem überdehnt, wenn man aus ihr eine Verpflichtung zur strafrechtlichen Sanktionierung bestimm­ ter Verhaltensweisen ableiten will. Die Rechtsgutstheorie hat vielmehr nur 803  Vergho,

Verbrauchererwartung, S. 297. wistra 2010, 90; ebenso Apel, K&R 2014, 585; Majer / Buchmann, NJW 2014, 3343. 805  Vergho, wistra 2010, 91. 806  Vergho, wistra 2010, 91. 807  Vergho, Verbrauchererwartung, S. 299. 804  Vergho,

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

eine strafbarkeitslimitierende Funktion, nämlich dahingehend, dass Verhal­ tensweisen, die das geschützte Rechtsgut nicht beeinträchtigen, auch nicht unter Strafe gestellt werden dürfen.808 Fehlinterpretiert wird sie aber, wenn man aus ihr eine Pflicht des Gesetzgebers und des Rechtsanwenders konstru­ ieren möchte, neue Strafnormen zu schaffen oder bestehende Strafnormen entgegen verpflichtender unionsrechtlicher Vorgaben möglichst extensiv an­ zuwenden, um auf diesem Wege einen größtmöglichen strafrechtlichen Schutz eines Rechtsgutes zu erreichen. Ein umfassender Rechtsgüterschutz kann durch das Strafrecht nicht erreicht werden; vielmehr bietet das Straf­ recht regelmäßig nur fragmentarischen Schutz.809 Dies folgt nicht zuletzt aus Verhältnismäßigkeitserwägungen, weil der strafrechtliche Rechtsgüterschutz als schärfstes Schwert gesetzgeberischer Betätigung nach dem Ultima-ratioAxiom immer nur dort eingreifen darf, wo der Staat nicht auf mildere Weise gleichwertige Ergebnisse erzielen kann. Es ist daher unzulässig, jedwede Rechtsgutsbeeinträchtigung mit strafrechtlichen Mitteln zu bekämpfen. Un­ richtig ist es auch, wenn man dem unionsrechtlichen Verbraucherleitbild die Aufgabe zuerkennt, das Rechtsgut „Vermögen“ weiter zu präzisieren und ihm dann wegen der fehlenden Eignung zu einer solchen Präzisierung die Geltung abspricht. Primäre Aufgabe des unionsrechtlichen Verbraucherleit­ bilds ist es, einen gerechten Ausgleich zwischen den unionsrechtlichen Frei­ heitsrechten und den Belangen des Verbraucherschutzes zu schaffen, nicht aber die nähere Ausgestaltung eines Rechtsgutes zu regeln. Aus der Rechts­ gutslehre wird man daher nicht die Legitimation ableiten können, höherran­ giges Unionsrecht außer Anwendung zu lassen. Anderenfalls würde der auch im Strafrecht geltende Vorrang des Unionsrechts ad absurdum geführt. Denn das Strafrecht ist stets dem Rechtsgüterschutz verpflichtet, sodass sich das Unionsrecht bei einer solchen Auslegung niemals durchsetzen könnte. Ebenso wenig lässt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG die Pflicht zur Nichtanwen­ dung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds ableiten. Denn der Vorrang des Unionsrechts gilt grundsätzlich für nationales Recht jeder Rangstufe und er schließt damit nicht nur die Bestimmungen des Strafrechts, sondern sogar die des Grundgesetzes mit ein.810 Freilich ist nach der Rechtsprechung des BVerfG von dem uneingeschränkten Vorrang des Gemeinschafts- bzw. des Unionsrechts eine Ausnahme zu machen, wenn dessen Vereinbarkeit mit dem deutschen Verfassungsrecht in Frage steht.811 In seinem „Solange-I808  Heim,

S. 93 m. w. N. S. 52 f.; Maiwald, FS Maurach, S. 9 ff.; MüKo-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 32; Kudlich, JZ 2004, 77. 810  Ambos, Internationales Strafrecht, § 11 Rn. 37; Hecker, Europäisches Straf­ recht, § 9 Rn. 3; Krey / Esser, AT, § 4 Rn. 119. 811  BVerfGE 31, 173; 52, 187; 75, 240; für die Weitergeltung dieses Grundsatzes auch im Verhältnis zum Unionsrecht ausdrücklich BVerfG NJW 2009, 2284 ff. 809  Jescheck / Weigend,



E. Die Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur169

Beschluss“812 hat das BVerfG festgestellt, dass unmittelbar geltendes Ge­ meinschaftsrecht am Maßstab der deutschen Grundrechte verfassungsgericht­ lich solange überprüfbar ist, wie der Integrationsprozess der Gemeinschaft nicht so weit fortgeschritten ist, dass das Gemeinschaftsrecht einen vom Parlament beschlossenen, in Geltung stehenden Katalog von Grundrechten enthält, der dem des Grundgesetzes adäquat ist. Allerdings hat das BVerfG seine Formel aus der „Solange-I-Entscheidung“ in seiner „Solange-II-Ent­ scheidung“813 wieder umgekehrt und deren Voraussetzungen erheblich abge­ schwächt.814 Das BVerfG geht seither davon aus, dass in Fällen, in denen der verfassungsrechtliche Rechtschutz hinsichtlich der Hoheitsgewalt einer zwi­ schenstaatlichen Einrichtung entfallen soll, eine Grundrechtsgestaltung ge­ währleistet sein muss, die in Inhalt und Wirkungen dem grundgesetzlichen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleichkommt.815 Da diese Voraussetzun­ gen nach der Auffassung des BVerfG auf europäischer Ebene gegeben sind, hat es erklärt, dass es seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von ab­ geleitetem Gemeinschaftsrecht solange nicht mehr ausüben und dieses Recht nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des deutschen Grundgesetzes über­ prüfen will, wie die Europäischen Gemeinschaften und die Rechtsprechung des EuGH einen wirksamen Grundrechtsschutz gewährleisten. Das BVerfG tritt damit in ein „Kooperationsverhältnis“ mit dem EuGH ein, wobei diesem die Aufgabe zufällt, den Grundrechtsschutz für die gesamte Union zu garan­ tieren.816 Das BVerfG hat seine Überprüfungskompetenzen damit weitestge­ hend an den EuGH abgetreten, sodass ein nationaler Grundrechtsschutz nur dann erforderlich ist, wenn die Rechtsprechung des EuGH in einem wichti­ gen Grundrechtssektor dramatisch von dem unabdingbaren deutschen Grund­ rechtsschutz abweicht.817 Ein solcher Ausnahmefall dürfte indes im Falle des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds nicht gegeben sein, weshalb der Vor­ rang des Unionsrechts auch hier zum Durchgriff kommt. Auch sonst wird man in der Anwendung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG feststellen können. Denn dieser verbietet es, wesentlich Gleiches ungleich oder wesent­ lich Ungleiches gleich zu behandeln.818 Es wäre also erforderlich, dass einige Personengruppen einen deutlich abgeschwächten Schutz gegenüber bestimm­ ten Handlungen besäßen. Der Vermögensschutz gilt jedoch bei einer Anwen­ dung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds für alle Betroffenen in einem 812  BVerfGE

37, 271. 73, 339. 814  Vgl. hierzu Hecker, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 6. 815  BVerfGE 89, 155; 102, 147. 816  Hecker, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 7; Rönnau / Wegner, GA 2013, 578. 817  Hecker, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 7. 818  BVerfGE 49, 165; 98, 385. 813  BVerfGE

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

identischen Umfang. Auch wenn in der Literatur zuweilen etwas überspitzt formuliert wird, dass das unionsrechtlich geprägte Verbraucherleitbild den Einfältigen aus dem Schutzbereich des § 263 StGB ausnehme, so ist damit nur gemeint, dass das Vermögen unterhalb einer bestimmten Schwelle keinen unbedingten Schutz vor Täuschungen genießt. Es bedeutet aber nicht, dass für unterdurchschnittlich intelligente Personen ein anderer Maßstab gilt. Vielmehr werden durch das unionsrechtliche Verbrauchleitbild Täuschungs­ handlungen ausgenommen, denen typischerweise besonders einfältige oder unaufmerksame Personen unterliegen. Jedoch darf dies nicht darüber hin­ wegtäuschen, dass nach unionsrechtlichen Maßstäben auch durchschnittlich oder gar überdurchschnittlich intelligente Personen nicht geschützt sind, wenn sie Behauptungen auf den Leim gehen, denen ein „durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Verbraucher“ keinen Glauben geschenkt hätte. Der von Vergho geäußerte Einwand, dass das unionsrechtli­ che Verbraucherleitbild einzelnen Rechtsgutsträgern in gleichheitssatzwidri­ ger Weise die Teilhabe am betrugsstrafrechtlichen Vermögensschutz ver­ wehre, verfängt daher nicht. Ebenfalls sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass eine Anwendung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbildes mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar ist.819 Denn das Bestimmtheitsgebot kennt weder einen allgemeingültigen Bestimmtheitsgrad noch schließt es die Verwendung von Begriffen aus, wel­ che einer wertenden Deutung durch den Richter bedürfen.820 Entscheidend ist vielmehr, dass die Handhabung des Strafgesetzes voraussehbar ist.821 Der Einzelne muss in verlässlicher Weise vorhersehen können, welches Verhalten erlaubt und welches strafbar ist, damit er sein Handeln entsprechend dieser Richtlinie ausrichten kann.822 Diese Vorhersehbarkeit ist aber auch bei der Anlegung eines Maßstabs gegeben, der sich am unionsrechtlichen Verbrau­ cherleitbild orientiert. Über die Jahre hinweg hat das unionsrechtliche Ver­ braucherleitbild durch unionsrechtliche Sekundärrechtsakte sowie durch die Rechtsprechung des EuGH und auch durch die nationale Rechtsprechung eine umfassende Ausgestaltung erhalten, die sich gerade nicht in einer un­ übersehbaren Kasuistik erschöpft, sondern elementare Leitlinien erkennen lässt. Für den Rechtsunterworfenen sind die Folgen seines Verhaltens damit ohne Weiteres absehbar und der Bestimmtheitsgrundsatz damit nicht verletzt. Freilich kann es in absoluten Grenzfällen immer zu Unsicherheiten kommen. Dieses Problem ist aber der Auslegung juristischer Tatbestände immanent aber Vergho, Verbrauchererwartung, S. 139; wie hier auch Heim, S. 211 ff. AT, Rn. 10. 821  Jäger, AT, Rn. 10. 822  Vgl. BVerfG NJW 1978, 1423; BVerfG NJW 1995, 1141; allg. zum Inhalt des Bestimmtheitsgrundsatzes Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 64; Jäger, AT, Rn. 10. 819  So

820  Jäger,



E. Die Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur

171

und stellt sich auch bei Merkmalen, die nicht normativ geprägt sind. Aus diesem Grund kann man im unionsrechtlichen Verbraucherbegriff auch keine „Worthülse und Projektionsfläche“ sehen, die „jede beliebige Beurteilung “ legitimiert. Zudem ist es der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung sehr wohl gelungen, die Anforderungen an die Informiertheit und die Ver­ ständigkeit des Verbrauchers näher zu präzisieren.823 Der von Vergho erho­ bene Vorwurf, der Maßstab eines durchschnittlich informierten, aufmerksa­ men und verständigen Durchschnittsverbrauchers trüge zur Unbestimmtheit des Tatbestandes und zur Rechtsunsicherheit bei, kann deshalb nicht auf­ rechterhalten werden. Man kann sogar sagen, dass eine Orientierung am unionsrechtlichen Verbraucherleitbild der Bestimmtheit des Betrugstatbestan­ des Vorschub leistet. Insbesondere im Bereich der marktschreierischen Re­ klame und der übertreibenden Publikumswerbung ist für den Werbenden die Strafbarkeit seiner Behauptungen nach derzeitiger Rechtsauslegung gerade nicht absehbar, sondern hängt vielmehr von Zufälligkeiten ab. Zwar werden diese Werbeformen überwiegend toleriert, indem man übertreibenden Aussa­ gen und marktschreierischer Reklame die Tatsachenqualität abspricht. Die Haarverdicker-Entscheidung des BGH zeigt aber, dass eine solche Bewertung durchaus auch anders ausfallen kann. Bei der Anwendung der unionsrecht­ lichen Maßfigur des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und ver­ ständigen Durchschnittsverbrauchers ist das Ergebnis dagegen nicht nur ein­ deutiger, sondern auch besser nachzuvollziehen. Auch die kriminalpolitischen Erwägungen können nicht dazu führen, dass das unionsrechtliche Verbraucherleitbild im Strafrecht wirkungslos bleibt. Wie bereits erwähnt erfüllt das Verbraucherleitbild den Zweck, die europäi­ schen Grundfreiheiten mit dem Verbraucherschutz und damit mit den Rechts­ gütern des Einzelnen in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Damit ist aber in gewisser Weise auch eine kriminalpolitische Wertentscheidung getroffen, da eine Bestrafung von harmloseren Verhaltensweisen, die allenfalls geeignet sind, bestimmte Personen in die Irre zu führen, verhindert wird. Diese Ent­ scheidung zugunsten der Warenverkehrs- bzw. Dienstleistungsfreiheit ist durch allgemein gehaltene kriminalpolitische Erwägungen nicht außer Kraft zu setzen. Zudem sind die kriminalpolitischen Folgen weit weniger gravie­ rend als dies gemeinhin behauptet wird, da auch nach unionsrechtlichem Verständnis das Verbraucherleitbild entsprechend anzupassen ist, wenn sich eine Werbemaßnahme an eine schutzbedürftige Verbrauchergruppe richtet. Insbesondere wird der befürchtete Dammbrucheffekt ausbleiben, da „Nepper, Schlepper und Bauernfänger“ sich gerade nicht gezielt auf die Ausbeutung der Schwachen stürzen können, ohne Gefahr zu laufen, sich wegen Betruges strafbar zu machen. Lediglich bei Geschäftspraktiken, die an die Allgemein­ 823  Siehe

hierzu insb. Beater, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 31 ff.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

heit gerichtet sind sowie im Zusammenhang mit der „übliche[n] und rechtmäßige[n] Werbepraxis, übertriebene Behauptungen oder nicht wörtlich zu nehmende Behauptungen aufzustellen“, ist eine Schutzlosstellung be­ stimmter Verbraucherkreise denkbar. Ob hier die Sanktionierung durch ein mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bzw. mit Geldstrafe bewehr­ tes Verbot erforderlich, geschweige denn verhältnismäßig ist, ist jedoch zweifelhaft. Ebenso geht der Versuch fehl, aus den unionsrechtlichen Bestimmungen selbst eine Legitimation für die Aufrechterhaltung des hohen deutschen Schutzstandards abzuleiten.824 Zwar ist es zutreffend, dass der 19.  Erwä­ gungsgrund zur RL  2005 / 29 / EG bei einer Betroffenheit schutzbedürftiger Personenkreise eine Anpassung des Maßstabs verlangt, dies gilt aber nur für den Fall, dass eine Geschäftspraxis für den Unternehmer vorhersehbar nur an diese spezielle Gruppe gerichtet ist. In allen anderen Fällen bleibt dagegen der Durchschnittsverbraucher das Maß aller Dinge. Ebenso wird man eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit, die mit der herkömmlichen Be­ trugsauslegung einhergehen kann, nicht ohne Weiteres über den Verbraucher­ schutz rechtfertigen können. Zwar sind Beschränkungen der Warenverkehrs­ freiheit grundsätzlich hinzunehmen, wenn sie wichtigen Belangen der Allge­ meinheit, zu denen auch der Verbrauchschutz zählt, dienen, jedoch wird der Verbraucherschutz durch das Verbraucherleitbild näher konkretisiert. Eine „Irreführungsgefahr von einigem Gewicht“ wird man daher jedenfalls bei Verhaltensweisen, die den Durchschnittsverbraucher nicht in die Irre führen, nicht annehmen können, selbst wenn sie möglicherweise das Rechtsgut „Ver­ mögen“ einzelner Verbraucher betreffen. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass das unionsrechtliche Verbraucherleitbild einem „strafrechtsfrem­ den Rechtsbereich“ entstammt. Denn aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts zeitigt es auch Wirkungen in allen Rechtsbereichen, die das Ziel des gemeinsamen Binnenmarktes beeinträchtigen können. Dies ist, wie bereits dargelegt, mit dem Strafrecht der Fall.

II. BGH Urt. v. 05.03.2014  – 2 StR 616 / 12 In einer Entscheidung aus dem Jahr 2014 hat sich der 2. Strafsenat des BGH ebenfalls zu den Auswirkungen der RL  2005 / 29 / EG auf den Be­ trugstatbestand geäußert.825 Dabei erkennt der Senat an, dass auch im Straf­ 824  So aber BGH NJW 2014, 2597; Vergho, wistra 2010, 91; Majer / Buchmann, NJW 2014, 3344. 825  BGH NJW 2014, 2595 ff. m. Anm. v. Heintschel-Heinegg, JA 2014, 790 ff. und Hecker, JuS 2014, 1043 ff.; vgl. hierzu auch Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 22 ff.



E. Die Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur

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recht eine Verpflichtung zur richtlinienkonformen Interpretation nationaler Rechtsvorschriften besteht. Aus der grundsätzlich anwendbaren RL  2005 /  29 / EG ergebe sich jedoch keine strafbarkeitseinschränkende Auslegung des Betrugstatbestands. Zwar habe sich die innerstaatliche Rechtsanwendung grundsätzlich an den Wertungsvorgaben des Unionsrechts zu orientieren, je­ doch seien der Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung auch Gren­ zen gesetzt. Insbesondere konfligiere eine bedingungslose Pflicht zur richtli­ nienkonformen Auslegung mit den eingeschränkten strafrechtlichen Recht­ setzungskompetenzen der Europäischen Union und dem Grundsatz der möglichst weitgehenden Schonung der mitgliedsstaatlichen Rechtsordnun­ gen.826 Die Vorgaben unionsrechtlicher Richtlinien dürften daher nicht vor­ behaltlos auf das Strafrecht übertragen werden. Zudem äußerte der Senat Zweifel, dass der Richtliniengeber, der mit der Richtlinie primär andere Lebensbereiche regeln wollte, auch die von der Richtlinie ausgehenden Konsequenzen für die nationalen Strafrechtsordnun­ gen im Blick hatte.827 Im Zusammenhang mit der richtlinienkonformen Aus­ legung sei stets zu prüfen, ob und inwieweit der Regelungsinhalt der Richt­ linie nach ihrem Sinn und Zweck auch auf die betroffenen Strafrechtsnormen durchschlägt, was bei der RL 2005 / 29 / EG aber nicht der Fall sei. Das in den Erwägungsgründen der Richtlinie enthaltene Leitbild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers verfolge primär den Zweck, die Dispositionsfreiheit des Verbrauchers zu schützen. Der Verbraucher solle hierdurch generalpräventiv vor unlauteren Beeinflussungen bewahrt werden, die im Zusammenhang mit dem Abschluss von Verträgen stehen. Gewährleistet werden soll damit ein Schutz der wirt­ schaftlichen Entscheidungsfreiheit der betroffenen Verbraucher. Daneben seien mittelbar auch die Mitbewerber und der lautere unverfälschte Wettbe­ werb selbst geschützt. Zudem stelle die RL 2005 / 29 / EG in ihrem Art. 1 klar, dass sie durch die Angleichung der mitgliedstaatlichen Rechts- und Verwal­ tungsvorschriften über unlautere Geschäftspraktiken zu einem funktionieren­ den Binnenmarkt und zum Erreichen eines einheitlich hohen Verbraucher­ schutzniveaus beitragen soll. Jedoch brauche es zur Erreichung ebendieser Ziele keiner Einschränkung des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes. Denn die Richtlinie bezwecke es gerade nicht, Geschäftspraktiken straffrei zu stel­ len, welche Rechtsgüter der Verbraucher verletzen und die auf eine Täu­ schung unterdurchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Verbraucher ausgerichtet sind. Dementsprechend seien Geschäftspraktiken, 826  BGH NJW 2014, 2597; zustimmend Majer / Buchmann, NJW 2014, 3344; ein­ gehend zu Inhalt und Grenzen des strafrechtlichen Schonungsgebotes Pastor Muñoz, GA  2010, 97 f.; Sieber / Satzger / v. Heintschel-Heinegg / Satzger, § 9 Rn. 8 ff.; ders., Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 7 ff.; Vergho, Verbrauchererwartung, S. 115 ff. 827  BGH NJW 2014, 2597; ebenso Apel, K&R 2014, 584.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

die geeignet sind, den Verbraucher in seinem Vermögen durch eine gezielte Täuschung zu beschädigen, vom Schutzzweck der Richtlinie nicht umfasst. Hinzu trete der Umstand, dass ein Ausscheiden von Täuschungen, denen ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Verbrau­ cher keinen Glauben geschenkt hätte, mit dem von § 263 StGB intendierten Rechtsgüterschutz im Widerspruch steht. Schließlich würde der strafrechtli­ che Vermögensschutz damit insbesondere Angehörigen von Bevölkerungs­ gruppen entzogen, die in einem besonderen Maße schutzbedürftig sind. Die richtlinienkonforme Auslegung des Betruges dürfe daher nicht soweit gehen, dass schutzwürdigen Personen nur noch ein eingeschränkter Schutz zukäme. Auch sei zu beachten, dass es dem Richtliniengeber beim Erlass der RL  2005 / 29 / EG gerade darauf angekommen sei, den Verbraucherschutz zu stärken und er den in einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden strafrechtlichen Schutz besonders schutzbedürftiger Personenkreise nicht zum Zwecke der Harmonisierung einebnen wollte. Der BGH sieht sich mit seiner Auffassung erheblichen Bedenken ausge­ setzt. Insbesondere lässt sich aus der beschränkten Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Union nicht ableiten, dass nationale Strafrechtsnormen keiner tiefgreifenden Beeinflussung durch primäres und sekundäres Unions­ recht ausgesetzt sind.828 Für den Tatbestand des Betruges ergibt sich ein solcher Einfluss aus den Grundfreiheiten des AEUV sowie aus der RL 2005 / 29 / EG. Bereits aus dem Sinn und Zweck der Richtlinie ergibt sich, dass ihr Regelungsgehalt auch auf das Strafrecht durchschlagen muss und dort erhebliche Wirkungen entfaltet. Wie der BGH zutreffend feststellt, ver­ folgt die RL  2005 / 29 / EG das Ziel, über eine Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über unlautere Geschäftspraktiken zu einem rei­ bungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen. Zutreffend ist auch, dass die Richtli­ nie damit in erster Linie die Vorschriften des Wettbewerbsrechts in den Blick nimmt. Jedoch verkennt der BGH, dass sich daraus mittelbar auch erhebliche Auswirkungen auf den Betrugstatbestand ergeben, soweit er auf wettbe­ werbsrechtliche Sachverhalte angewendet wird. Anderenfalls würde eines der Hauptziele der Richtlinie, das Funktionieren des Binnenmarktes, durch eine extensive Auslegung des Betrugstatbestands behindert. Ein Verhalten, das nach den Vorgaben der Richtlinie nicht als irreführend zu bewerten ist, kann und darf nicht mit den Mitteln des Kernstrafrechts bekämpft werden.829 Eine grenzüberschreitende Werbemaßnahme, die nach deutschen strafrechtlichen 828  Kugler, S. 26; Rönnau / Wegner, GA 2013, 561; Sieber / Satzger / v.  HeintschelHeinegg / Satzger, § 9 Rn. 8; ders., Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 2, 5; Soyka, wis­ tra 2007, 127. 829  Peters, S. 165; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 578 f.



E. Die Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur

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Standards, nicht jedoch nach unionsrechtlichen oder wettbewerbsrechtlichen Maßstäben als irreführend zu bewerten ist, müsste sonst wegen einer drohen­ den Bestrafung unterbleiben. Dies führte letztlich zu einer klaren Umgehung höherrangigen europäischen Rechts, das durch seine Regelungen ein rei­ bungsloses Funktionieren des Binnenmarktes und die Abschaffung von Han­ delshemmnissen gerade verhindern will. Auch das vom BGH ins Feld ge­ führte strafrechtsspezifische Schonungsgebot kann keine andere Betrachtung rechtfertigen. Denn die Verpflichtung zur Schonung der nationalen Straf­ rechtssysteme verbietet nur übermäßige Eingriffe in die Strafrechtsordnun­ gen der Mitgliedsstaaten.830 Da hier immer eine Abwägungsentscheidung zu treffen ist, muss sogar eine äußerst intensive Europäisierungswirkung hinge­ nommen werden, sofern sie für die Funktionsfähigkeit der Europäischen Union unumgänglich ist und kein Bereich betroffen ist, der für den Mit­ gliedsstaat identitätsbildend ist.831 Das Schonungsgebot kommt daher in ers­ ter Linie im Zusammenhang mit den Regelungen des Allgemeinen Teils zum Tragen und weniger bei den Tatbeständen des Wirtschaftsstrafrechts, bei de­ nen die Europäisierungswirkungen in aller Regel unbedenklich sind.832 Ebenso ist auch der Umstand, dass Art. 1 der RL  2005 / 29 / EG ausdrück­ lich die Erreichung „eines hohen Verbraucherschutzniveaus“ als eines ihrer weiteren Ziele benennt, nicht geeignet, eine Einwirkung des unionsrechtli­ chen Verbraucherleitbilds auf den Tatbestand des Betruges zu verneinen.833 Denn europäischen Richtlinien kommt zuvörderst die Aufgabe zu, die Nor­ men der einzelnen Mitgliedstaaten durch die Einführung einheitlicher Stan­ dards zu harmonisieren. Im Hinblick auf den Schutz des Verbrauchers vor Irreführungen haben der Richtliniengeber und zuvor schon der EuGH den Standard durch die Schaffung des Leitbilds vom europäischen Durchschnitts­ verbraucher definiert und damit ihrerseits ein „hohes Verbraucherschutzni­ veau“ geschaffen, welches nun im gesamten Anwendungsbereich der RL  2005 / 29 / EG in allen Mitgliedstaaten der EU gilt. Zweck der Richtlinie ist nicht die Verwirklichung eines möglichst uneingeschränkten Verbraucher­ schutzes unter Beibehaltung höherer nationaler Standards, sondern die Schaf­ fung eines einheitlichen europaweit geltenden Verbraucherschutzniveaus in dem betroffenen Bereich.834 Im Anwendungsfeld der RL  2005 / 29 / EG wird das unionsrechtliche Verbraucherleitbild damit nicht nur in den Mitgliedstaa­ ten, die bis dato hinter dem Schutzstandard des unionsrechtlichen Verbrau­ Heintschel-Heinegg / Satzger, § 9 Rn. 10. Heintschel-Heinegg / Satzger, § 9 Rn. 10. 832  Sieber / Satzger / v. Heintschel-Heinegg / Satzger, § 9 Rn. 10; ders., Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 7. 833  Ebenso Müller, NZWiSt 2014, 395. 834  Vgl. hierzu Köhler / Bornkamm, § 1 UWG Rn. 28a. 830  Sieber / Satzger / v. 831  Sieber / Satzger / v.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

cherleitbilds zurückstanden, zu einem neuen Maßstab, sondern es sind auch diejenigen Mitgliedsstaaten betroffen, deren Regelungen einen umfassende­ ren Verbraucherschutz vorsahen. Unzutreffend ist daher die Vermutung des BGH, dass der „Europäische Richtliniengeber, der den Verbraucherschutz mit seinen Regelungen stärken wollte, diesen [besonders schutzwürdigen] Personenkreis zum Zwecke der Harmonisierung dem strafrechtlichen Schutz einzelner Mitgliedsländer entziehen wollte.“835 Denn dies ist die notwendige Folge der vom Richtliniengeber angestrebten Vereinheitlichung des Verbrau­ cherschutzniveaus. Nach dem oben Gesagten sind die Ziele der RL 2005 / 29 / EG nur zu errei­ chen, wenn auch der Schutzumfang des Betrugstatbestands und damit auch der Umfang des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes den unionsrechtlichen Vorgaben angepasst werden. In dieser Anpassung liegt – anders als zuweilen angenommen – auch kein Widerspruch zu dem vom Gesetzgeber intendierten Rechtsgüterschutz. Schließlich gilt der strafrechtliche Vermögensschutz be­ reits nach herkömmlicher Auslegung nicht uneingeschränkt. Man muss nur die Rechtsprechung zu übertreibenden Werbeaussagen in den Blick nehmen, um zu sehen, dass besonders schutzwürdige Personenkreise auch nach her­ kömmlicher Auslegung keinen unbegrenzten Schutz vor negativen Vermö­ gensdispositionen genießen. Ferner ist zu beachten, dass das unionsrechtliche Verbraucherleitbild keineswegs dazu führt, dass gerade solche Personenkreise von einem strafrechtlichen Schutz ausgenommen werden, die diesen Schutz in besonderer Weise bedürfen. Denn der Richtliniengeber hat in den Erwä­ gungsgründen 18 und 19 selbst klargestellt, dass der Schutz besonders schutzbedürftiger Verbrauchergruppen durch eine entsprechende Anpassung des Verbraucherleitbilds weitestgehend aufrechterhalten werden soll. Von ei­ ner Schutzlosstellung kann daher keine Rede sein.

III. Keine Verpflichtung zur Übernahme des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds wegen überwiegender Rechte der betroffenen Personenkreise Brammsen und Apel stehen einer Pflicht zur Übernahme des unionsrecht­ lichen Verbraucherleitbilds im Bereich der wettbewerbsrechtlichen Straftat­ bestände und der kernstrafrechtlichen Vermögensdelikte ebenfalls kritisch gegenüber.836 Ihrer Auffassung nach sei der Durchschnittsverbraucher ledig­ 835  BGH

NJW 2014, 2597. WRP 2011, 404; zustimmend Wessels / Hillenkamp, BT  2, Rn. 488, die einer am Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers orientierten Auslegung des Betrugstatbestan­ des „im Rahmen des rechtlich Zulässigen“ entgegentreten wollen. 836  Brammsen / Apel,



E. Die Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur

177

lich eine europarechtlich geprägte Rechtsfigur, deren Übernahme nur für den zivilrechtlichen Teil  des Wettbewerbsrechts, nicht aber für das Strafrecht verpflichtend sei.837 Daher sei es unerfindlich, weshalb der verfassungsrecht­ lich und gemeinschaftsrechtlich gewährleistete Vermögens-, Eigentums- und Diskriminierungsschutz hinter den europäischen Grundfreiheiten zurücktre­ ten solle, sobald einzelne Bürger den an einen Durchschnittsverbraucher ge­ stellten Anforderungen nicht gerecht würden.838 Insgesamt halten sie eine „Wirtschaftsordnung, die eine nicht unbeträchtliche Zahl von ‚unterdurch­ schnittlich aufmerksamen / informierten / verständigen‘ Marktteilnehmern lau­ terkeits- wie vermögensstrafrechtlich nun gleich generell ohne eine Recht­ schutzmöglichkeit von unterschiedslos gesetzten Schutzpflichten quasi ‚auf­ opferungspflichtig‘ ausschließt“, für ein „mehr als nur eigenartig anmutendes Freiheitskonzept“, das schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen ohne sachli­ chen Grund benachteilige.839 Bereits deshalb müsse es bei dem herkömmli­ chen Schutzstandard verbleiben. Die von Brammsen und Apel angenommene Begrenzung des Einflussbe­ reichs des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds auf den „zivilrechtlichen Teil“ des Wettbewerbsrechts kann aus mehreren Gründen nicht überzeugen. Insbesondere wäre es widersinnig, wenn die RL 2005 / 29 / EG für die §§ 1–15 UWG einen Schutzstandard vorgäbe, der anschließend über die Strafnorm des § 16 Abs. 1 UWG, die noch dazu in demselben Gesetz enthalten ist, wieder unterlaufen werden könnte. Vor dem Hintergrund der durch die RL  2005 / 29 / EG gegebenen Vorgaben und ihrer vollharmonisierenden Wir­ kungen kann und darf dies kein zutreffendes Ergebnis sein. Zudem wird man entgegen Brammsen und Apel auch nicht davon sprechen können, dass eine am unionsrechtlichen Verbraucherleitbild orientierte Auslegung verfassungs­ rechtlich garantierte Rechte der einzelnen Bürger missachtet. Denn die fik­ tive Figur des „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständi­ gen Durchschnittsverbrauchers“ dient gerade dem Zweck, einen gerechten Ausgleich zwischen den Rechten der einzelnen Unionsbürger und der Waren­ verkehrs- bzw. der Dienstleistungsfreiheit zu schaffen.840 Aus diesem Grund setzt der EuGH einen Verbraucher voraus, der nur durchschnittlich informiert, aufmerksam und verständig ist. Ein intelligenter, besonders gut informierter oder besonders aufmerksamer Verbraucher wird gerade nicht als Maßstab herangezogen.841 Das Unionsrecht verlangt damit nicht eine Geltung der Grundfreiheiten um jeden Preis, sondern es werden ihnen vielmehr auch 837  Brammsen / Apel,

WRP 2011, 404. WRP 2011, 404, dies., WRP 2011, 1256. 839  Brammsen / Apel, WRP 2011, 404. 840  Heim, S. 65. 841  Vergho, Verbrauchererwartung, S. 70; Helm, FS Tilman, S. 146. 838  Brammsen / Apel,

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

Grenzen gesetzt. Diese finden sie unter anderem im Verbraucherschutz, der sich jedoch wiederum am unionsrechtlichen Verbraucherleitbild orientiert. Zudem wird man angesichts der Tatsache, dass nach unionsrechtlichem Verständnis der Durchschnittsmaßstab angepasst werden muss, wenn sich eine Maßnahme an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern richtet, keines­ falls davon sprechen können, dass eine beträchtliche Zahl von unterdurch­ schnittlich aufmerksamen, informierten oder verständigen Marktteilnehmern schutzlos gestellt würde und sich gewissermaßen „aufopfern“ müsste.842 Ih­ nen wird nämlich nur dann kein strafrechtlicher Schutz zuteil, wenn sich eine Geschäftspraktik an die Allgemeinheit richtet, der Handelnde also gerade nicht absehen kann, inwieweit seine Maßnahme auch Personen betrifft, die durchschnittlichen Standards nicht genügen. Das unionsrechtliche Verbrau­ cherleitbild, wie es in der Rechtsprechung des EuGH und in der RL  2005 / 29 / EG Verwendung findet, ist damit durchaus geeignet, einen ge­ rechten Ausgleich zwischen dem Verbraucher- bzw. Vermögensschutz auf der einen und den Grundfreiheiten des freien Warenverkehrs bzw. der Dienstlei­ tungsfreiheit auf der anderen Seite zu schaffen. Weiterhin darf auch nicht vergessen werden, dass der Schutz des Einzelnen nicht ausschließlich über die Bestimmungen des Strafrechts oder des Wettbewerbsrechts erfolgt. Selbst in Fällen, in denen nach unionsrechtlichen Maßstäben keine Irreführung ge­ geben ist, stehen den nachteilig Betroffenen mitunter zivilrechtliche Anfech­ tungs- Kündigungs- oder Gewährleistungsrechte zu. Eine an den unions­ rechtlichen Vorgaben orientierte Auslegung der §§ 263 StGB, 16  UWG hat somit nur zur Folge, dass in bestimmten Fällen kein strafrechtlicher Schutz mehr gegeben ist. Die Betroffenen können sich aber immer noch durch eine zivilrechtliche Rechtswahrnehmung schadlos halten. Von einer vollkomme­ nen Schutzlosstellung oder gar von einer „Aufopferung“ zugunsten der Wa­ renverkehrsfreiheit auszugehen843, ist daher verfehlt.

IV. Kein Erfordernis zur generellen Übernahme des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds wegen fehlender praktischer Auswirkungen Heim hält eine Neuinterpretation des Betrugstatbestands ebenfalls weder für erforderlich noch für zweckmäßig. Sie erkennt allerdings an, dass auch der Betrugstatbestand unionsrechtskonform ausgelegt werden oder sogar zu­ rücktreten muss, wenn seine herkömmliche Auslegung zu einem unions­ rechtswidrigen Ergebnis führt. Dies leitet Heim aus dem Grundsatz ab, dass 842  Hecker,

JuS 2014, 1045. WRP 2011, 404.

843  Brammsen / Apel,



E. Die Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur

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das Unionsrecht den Rechtsanwender dazu verpflichtet, Kollisionen mit na­ tionalen Rechtsvorschriften durch deren unionsrechtskonforme Auslegung möglichst zu vermeiden. Da das Unionsrecht aber nicht ausdrücklich fest­ lege, über welche Tatbestandsmerkmale die unionsrechtskonforme Interpre­ tation erfolgen soll, sei es jedoch ausreichend, wenn lediglich das Ausle­ gungsergebnis mit unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist.844 Die Art und Weise, wie dieses zustande kommt, sei dagegen irrelevant. Daher werde dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts bereits dann Genüge getan, wenn ein unionsrechtlich zulässiges Verhalten straflos bleibt bzw. wenn ein strafbares Verhalten auch nach unionsrechtlichen Maßstäben unzulässig ist.845 In Anwendung dieser Grundsätze kommt Heim zu dem Ergebnis, dass zwar – rein abstrakt gesehen – ein Einfluss unionsrechtlicher Bestimmungen auf den Betrugstatbestand gegeben ist, der sich aber in der Praxis nicht aus­ wirken soll, da auch das Unionsrecht einen sehr hohen Verbraucherschutz­ standard anlegt, sodass auch nach herkömmlicher Betrugsauslegung Kollisi­ onen mit dem Unionsrecht unwahrscheinlich seien. Insbesondere ließen sich Konflikte, die aus den unterschiedlichen Täuschungsschutzniveaus resultie­ ren, zumeist über das Schadensmerkmal beseitigen. Folge sei ein „zumeist harmonisches Wechselspiel“ zwischen Unionsrecht und Betrugsstrafrecht.846 Echte Kollisionen seien daher nahezu ausgeschlossen. Nur in wenigen Aus­ nahmesituationen könne es dazu kommen, dass ein unionsrechtlich zulässiges Verhalten nach § 263 StGB strafbar sei. In diesen Fällen sei dann der Be­ trugstatbestand außer Anwendung zu lassen oder unionsrechtskonform zu interpretieren. Im Bereich der konkludenten Täuschung sei dies über eine unionsrechtskonforme Auslegung des Täuschungsmerkmals zu bewerkstelli­ gen. Vergleichbares gelte auch für die Täuschung durch Unterlassen, wo das Merkmal der Aufklärungspflicht ein Einfallstor für unionsrechtliche Überle­ gungen bilde.847 Bei ausdrücklichen Täuschungen sieht Heim keine Möglich­ keit einer unionsrechtskonformen Auslegung, sodass den europäischen Vor­ gaben durch die Nichtanwendung des § 263 StGB zum Durchbruch zu ver­ helfen sei.848 Obwohl sie damit die Beeinflussung des Betrugstatbestands durch das unionsrechtliche Verbraucherleitbild grundsätzlich anerkennt, spricht sich Heim dagegen aus, die unionsrechtlichen Grundsätze zum Ver­ braucherschutz uneingeschränkt auf das Betrugsstrafrecht zu übertragen. Dies folgert sie daraus, dass echte Kollisionsfälle nur selten vorkämen und 844  Heim,

S. 101, 147. S. 101. 846  Heim, S. 217. 847  Heim, S. 205 f. 848  Heim, S. 210. 845  Heim,

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

unionsrechtlich überlagerte Sachverhalte mit rein nationalen Sachverhalten nicht vergleichbar seien.849 Auch wenn Heim grundsätzlich darin zuzustimmen ist, dass es bei einer Beibehaltung des herkömmlichen deutschen Schutzstandards verhältnismäßig selten zu Ergebnissen kommt, die von den unionsrechtlichen Vorgaben abwei­ chen, kann ihr Lösungsvorschlag insgesamt nicht überzeugen. Problematisch ist insbesondere, dass eine solch differenzierte Lösung zu einer unnötigen Zer­ splitterung des Betrugstatbestandes führt. Das unionsrechtlich geprägte Leit­ bild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers würde nach diesem Konzept nämlich nur dann zur Anwendung gelangen, wenn zum einen das Unionsrecht grundsätzlich an­ wendbar ist und zum anderen eine Form der Kollision unionsrechtlicher Be­ stimmungen mit nationalen Strafvorschriften vorliegt, bei der nicht nur die Begründung, sondern auch das Ergebnis von den unionsrechtlichen Vorgaben abweicht. In allen anderen Fällen bliebe es dagegen bei der herkömmlichen Interpretation des § 263 StGB, nach der auch der unterdurchschnittlich infor­ mierte, unterdurchschnittlich aufmerksame und unterdurchschnittlich verstän­ dige Verbraucher geschützt ist. Zu welchen Problemen diese differenzierte Lösung führt, zeigt sich vor allem, wenn der Anwendungsbereich der RL  2005 / 29 / EG nicht eröffnet und eine der Grundfreiheiten des AEUV be­ rührt ist. Denn in diesem Fall hinge die Strafbarkeit ein und derselben Hand­ lung einzig und allein davon ab, ob eine Grenzüberschreitung gegeben ist oder nicht.850 Nach Heims Konzept wäre beispielsweise ein deutscher Unterneh­ mer, der von Deutschland aus Lifting-Bäder und Haarwuchsmittel an andere Unternehmer vertreibt, wegen Betrugs zu verurteilen, während sein Kollege, der den Vertrieb in gleicher Weise von einem anderen EU-Mitgliedsstaat aus organisiert, in Deutschland strafrechtlich nicht belangt werden könnte. Für eine solche Differenzierung besteht jedoch weder vernünftiger Grund, noch kann sie mit einer fehlenden Vergleichbarkeit von „rein nationalen“ und „uni­ onsrechtlich überlagerten Sachverhalten“ erklärt werden.851 Ohnehin wird man den Vorrang des Unionsrechts wesentlich weiter fassen müssen als dies nach Heims Vorschlag der Fall ist. Aus der Anerkennung des Vorrangs des Unionsrechts folgt nämlich nicht nur, dass entgegenstehendes nationales Recht im Kollisionsfall nicht angewendet werden darf, sondern es ergibt sich daraus auch der Grundsatz, dass das nationale Recht in Überein­ stimmung mit dem gesamten Unionsrecht auszulegen und in seinem Lichte fortzubilden ist.852 Dogmatisch folgt diese Verpflichtung aus dem Grundsatz 849  Heim,

S. 217. Rönnau / Wegner, GA 2013, 565. 851  So aber Heim, S. 217. 852  Dannecker, Jura 2006, 175 m. w. N. 850  Hierzu



F. Implementierung der unionsrechtlichen Vorgaben in den Betrugstatbestand 181

der Unionstreue, Art. 4 Abs. 3 AEUV, der die Mitgliedsstaaten dazu ver­ pflichtet, den unionsrechtlichen Zielen entsprechend Rechnung zu tragen.853 Insbesondere, wenn den unionsrechtlichen Zielen durch eine Richtlinie zur Geltung verholfen werden soll, besteht eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung, welche aus der im Richtlinientext enthaltenen Umsetzungsver­ pflichtung sowie aus Art. 288 Abs. 3 AEUV abgeleitet wird. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung beschränkt sich dabei nicht nur auf die konkreten Umsetzungsakte, sondern sie schließt auch das gesamte mitglieds­ staatliche Recht mit ein, sofern es in den Regelungsbereich der Richtlinie fällt.854 Irrelevant ist dabei, ob die Vorschriften vor oder nach der Richtlinie erlassen wurden,855 sodass alle im Regelungsbereich der Richtlinie liegenden mitgliedsstaatlichen Normen im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen sind.856 Im Geltungsbereich der RL 2005 / 29 / EG ist es deshalb auch dann fragwürdig, den Einfältigen ausdrücklich in den Schutz­ umfang des Betruges miteinzubeziehen, wenn nach der herkömmlichen Be­ trugsdogmatik im Ergebnis keine Strafbarkeit vorliegt, zum Beispiel weil es im Fall an einem Vermögensschaden fehlt. Anderenfalls würde man bei der Auslegung des objektiven Tatbestandes ein Verbraucherverständnis anwen­ den, das nicht nur eklatant von den Vorgaben der Richtlinie abweicht, son­ dern diesen sogar konträr gegenübersteht. Zumindest im Geltungsbereich der RL  2005 / 29 / EG und bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, bei denen eine Beschränkung des freien Warenverkehrs oder der Dienstleistungsfreiheit im Raum steht, hat sich das herkömmliche Verständnis des Betrugs mit sei­ nem verhältnismäßig weiten Schutzbereich überholt und muss den zwingend zu beachtenden unionsrechtlichen Vorgaben angepasst werden.

F. Implementierung der unionsrechtlichen Vorgaben in den Betrugstatbestand Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass das Strafrecht keine unionsrechtsfreie Enklave ist, sondern sich wie alle anderen Bereiche des deutschen Rechts unionsrechtlichen Einflüssen ausgesetzt sieht. Dies führt letztlich dazu, dass der Betrugstatbestand zumindest in den von dem Unions­ recht beeinflussten Bereichen nicht mehr das hohe Schutzniveau leisten 853  Dannecker,

Jura 2006, 175 m. w. N. Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 10. 855  EuGH Rs C-106 / 89, Slg. 1990, I-4135 – Marleasing; vgl. hierzu auch Hecker, Europäisches Strafrecht, § 10 Rn. 11; Rönnau / Wegner, GA 2013, 564. 856  EuGH Rs C-14 / 83, Slg. 1984, 1891  – von Colson und Kamann; vgl. auch Dannecker, Jura 2006, 175; ders., FS BGH, S. 365; Kühling, JuS 2014, 482; Sieber /  Satzger / v. Heintschel-Heinegg / Satzger, § 9 Rn. 52. 854  Hecker,

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

kann, welches ihm bislang von der h. M. zugedacht wurde. Insbesondere im Bereich der Publikumswerbung sowie bei anderen Geschäftspraktiken, die ein Unternehmer gegenüber einem Verbraucher vornimmt, kann das Dogma vom Schutz des einfältigen und leichtgläubigen Betrugsopfers nicht mehr aufrechterhalten werden, da ihm zwingende unionsrechtliche Vorgaben ent­ gegenstehen. Das Schutzniveau ist daher bei unionsrechtlich überlagerten Sachverhalten dem europäischen Verbraucherleitbild anzupassen, nach dem auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher des jeweils angesprochenen Verkehrskreises abzu­ stellen ist. Zudem bringt eine am Unionsrecht orientierte Interpretation des § 263 StGB den Vorteil mit sich, dass sie einen Gleichlauf mit der Auslegung ver­ wandter Tatbestände, insbesondere des wettbewerbsrechtlichen Straftatbe­ stands der irreführenden Werbung, § 16 Abs. 1 UWG, herstellt.857 Da § 16 Abs. 1 UWG Schutz gegen geschäftliche Handlungen bieten soll, die auf eine unredliche Übervorteilung angelegt sind, wird er zuweilen als „Tatbe­ stand im Vorfeld des § 263 StGB“ bezeichnet858 und auch der Gesetzgeber geht in der Gesetzesbegründung davon aus, dass in vielen Fällen der strafba­ ren irreführenden Werbung zugleich auch ein Betrug nach § 263 StGB gege­ ben ist.859 Aufgrund der Nähe der beiden Tatbestände wird von Teilen des Schrifttums eine Harmonisierung des strafrechtlichen Irreführungsschutzes durch eine möglichst gleichgeschaltete Auslegung der beiden Tatbestände befürwortet.860 Da das Wettbewerbsrecht weitestgehend durch das Unions­ recht harmonisiert ist, ist im Zusammenhang mit dem Straftatbestand der ir­ reführenden Werbung schon seit Längerem das unionsrechtliche Leitbild ei­ nes durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durch­ schnittverbrauchers Takt gebend. Freilich kann dies nur ein vergleichsweise schwaches Argument für die Übernahme des unionsrechtlichen Verbraucher­ leitbilds sein, da sich sowohl die Regelungsziele der beiden Vorschriften als auch die von ihnen geschützten Rechtsgüter stark unterscheiden.861 Dennoch wird man dem Rechtsunterworfenen nur schwer erklären können, weshalb beispielsweise eine Werbemaßnahme, die sich im Einklang mit dem Europa­ recht bewegt und weder wettbewerbsrechtlich zu beanstanden ist noch den 857  Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 576 ff.; Soyka, wistra 2007, 131; a. A. Bosch, FS Samson, S. 243 Fn. 12; Frank / Leu, StraFO 2014, 199. 858  BGH wistra 2008, 387; Arzt, FS Tiedemann, S. 602; Hecker, Produktwerbung, S. 216; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 576 ff.; Ohly / Sosnitza, § 16 UWG Rn. 4. 859  BT-DruckS. 15 / 1487 S. 26. 860  Soyka, wistra 2007, 131; vgl. auch Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 576 ff. 861  Während § 263 StGB dem Vermögensschutz dient, dient § 16 Abs. 1 UWG in erster Linie dem Schutz der Dispositionsfreiheit der Verbraucher, Ruhs, FS Rissingvan Saan, S. 577.



F. Implementierung der unionsrechtlichen Vorgaben in den Betrugstatbestand 183

Straftatbestand der irreführenden Werbung erfüllt, als Betrug strafbar sein soll. Auch wenn nach dem oben Gesagten feststeht, dass das Recht der Europäi­ schen Union den Rechtsanwender dazu zwingt, dem Unionsrecht zur maxi­ malen Wirksamkeit zu verhelfen, ist damit noch nicht die Frage beantwortet, ob und wie sich die unionsrechtlichen Vorgaben und insbesondere auch das unionsrechtliche Verbraucherleitbild dogmatisch verträglich in den Be­ trugstatbestand integrieren lassen. In der Literatur werden diesbezüglich mehrere Lösungsmodelle diskutiert, welche hier zunächst vorgestellt werden sollen, bevor sie einer kritischen Würdigung unterzogen werden.

I. Nichtanwendung des Betrugstatbestands Schon in seiner 2001 erschienenen Untersuchung der strafbaren Werbung stellte Hecker bereits fest, dass das Leitbild des durchschnittlich informier­ ten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers vor allem im Bereich der Publikumswerbung nicht ohne Auswirkungen auf den Tatbestand des § 263 StGB bleiben kann.862 In der Folge sprach er sich dafür aus, bei der Auslegung des Betruges auch die unionsrechtlichen Vorgaben miteinzu­ beziehen. Dabei möchte Hecker zwischen primärrechtlich überlagerten, grenzüberschreitenden Sachverhalten und solchen Sachverhalten differenzie­ ren, die durch sekundäres Unionsrecht harmonisiert wurden. Im Hinblick auf die erstgenannten Sachverhalte hält er die Schaffung unionsrechtlich moti­ vierter Tatbestandsbeschränkungen für entbehrlich. Vielmehr sei es hier die „pragmatischste und einfachste Lösung“, die an sich einschlägige und tatbe­ standlich erfüllte Strafnorm wegen des unionsrechtlichen Anwendungsvor­ rangs schlicht außer Anwendung zu lassen.863 Diese Nichtanwendung des § 263 StGB füge sich nicht nur am besten in die Doktrin über das Verhältnis von Unionsrecht und dem Recht der Mitgliedsstaaten ein, sondern erspare „dem Rechtsanwender auch die Probleme, die mit der Suche nach einer pas­ senden und überzeugenden strafrechtsdogmatischen Lozierung der gemein­ schaftsrechtlichen Wertungsvorgaben verbunden sind“.864 In Bereichen, die vom unionsrechtlichen Sekundärrecht harmonisiert wurden, möchte Hecker dagegen die deutschen Täuschungsschutztatbestände entsprechend den uni­ onsrechtlichen Vorgaben interpretieren, da dort eine Pflicht zur richtlinienoder verordnungskonformen Auslegung bestehe.865 Dementsprechend seien hier das Irrtums- oder das Täuschungsmerkmal fortan normativ auszulegen, 862  Hecker,

Produktwerbung, Produktwerbung, 864  Hecker, Produktwerbung, 865  Hecker, Produktwerbung, 863  Hecker,

S. 282 ff. S. 286. S. 286. S. 286.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

um so einen Gleichlauf mit den unionsrechtlichen Vorgaben herzustellen. Eine genaue Festlegung, über welches der beiden Tatbestandsmerkmale die Konformität mit dem Unionsrecht herzustellen ist, sei nicht erforderlich und könne von einem „pragmatisch arbeitenden Strafrechtsanwender“ auch ge­ trost offengelassen werden, da beide Vorgehensweisen den Vorgaben der je­ weiligen Verordnungen und Richtlinien866 hinreichend Rechnung trügen und im Ergebnis zu gleichen Resultaten führten. Der von Hecker vorgeschlagene Lösungsweg ist nicht von uneingeschränk­ ter Überzeugungskraft. Bedenken bestehen bereits im Hinblick auf seinen Vorschlag, den Konflikt zwischen Unionsrecht und nationalem Strafrecht bei allein primärrechtlich beeinflussten (grenzüberschreitenden) Sachverhalten durch die Nichtanwendung des Betrugstatbestands aufzulösen. Schließlich handelt es sich bei der Nichtanwendung einer Norm um die einschneidendste Methode, um dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts zur Geltung zu verhelfen. Ihr sollte deshalb stets eine Prüfung vorausgehen, inwieweit der Konflikt zwischen dem Unionsrecht und dem mitgliedsstaatlichen Recht nicht durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des mitgliedsstaatlichen Rechts behoben werden kann.867 Erst wenn eine unionsrechtskonforme Aus­ legung nicht in Betracht kommt, kann das unmittelbar anwendbare Unions­ recht das mitgliedstaatliche Recht im Wege des Anwendungsvorrangs ver­ drängen.868 Lassen sich die Widersprüche dagegen bereits im Wege der Auslegung beseitigen, besteht denknotwendig kein Bedürfnis, mitgliedsstaat­ liches Recht unangewendet zu lassen.869 Ferner kann es aus der Sicht des Beschuldigten einen erheblichen Unterschied machen, ob er freigesprochen wird, weil eine an sich verwirklichte Strafnorm aufgrund der unionsrechtli­ chen Überlagerung des Sachverhalts ausnahmsweise nicht zur Anwendung gelangt oder ob der Freispruch erfolgt, weil der unionsrechtlich zu interpre­ tierende Tatbestand nicht erfüllt ist. Hinzu tritt der Umstand, dass Hecker  – jedenfalls für den sekundärrechtlich beeinflussten Rechtsbereich  – die Not­ wendigkeit einer unionsrechtskonformen Auslegung ausdrücklich anerkennt. 866  Da die RL 2005 / 29 / EG damals noch nicht verabschiedet war, beschränkt sich Heckers Untersuchung auf die Beeinflussung des deutschen Täuschungsschutzes durch die Verordnung (EWG) Nr. 2092 / 91 über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmit­ tel, die RL 79 / 112 / EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hier­ für und die RL 84 / 450 / EWG zur Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvor­ schriften der Mitgliedstaaten über irreführende und vergleichende Werbung in der Fassung der RL 97 / 55 / EG zur Änderung der RL 84 / 450 / EG über irreführende Wer­ bung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung. 867  Heim, S. 71; Esser, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 19. 868  Esser, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 19. 869  Esser, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 19.



F. Implementierung der unionsrechtlichen Vorgaben in den Betrugstatbestand 185

In der Folge muss ohnehin eine Befassung mit der Frage erfolgen, auf welche Weise die gemeinschaftsrechtlichen Wertungsvorgaben in den Tatbestand des § 263 StGB integriert werden können. Hierbei wird man im Sinne der Rechtsklarheit nach einer Lösung suchen müssen, welche primärrechtlich und sekundärrechtlich beeinflusste Sachverhalte in gleicher Weise umfasst. Der Vorteil einer „pragmatischen Lösung“, die Hecker bei primärrechtlich überlagerten Sachverhalten in der schlichten Nichtanwendung des Betrugstat­ bestands sieht, existiert damit allenfalls nur vordergründig.

II. Normative Auslegung des Täuschungsbzw. Irrtumsmerkmals 1. Normative Auslegung des Täuschungsmerkmals Von Seiten anderer Autoren wird deshalb versucht, die unionsrechtlichen Vorgaben über das Täuschungsmerkmal in den Betrugstatbestand zu integrie­ ren.870 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang besonders der Ansatz von Soyka, der sich für eine differenzierende Lösung anhand der unter­ schiedlichen Täuschungsformen des Betruges ausspricht. Im Bereich der konkludenten Täuschung sieht er keine besonderen Schwierigkeiten, den unionsrechtlichen Irreführungsmaßstab in das deutsche Betrugsstrafrecht hin­ einzulesen. Bei der ausdrücklichen Täuschung, bei welcher der Auslegungs­ spielraum einer Erklärung im Vergleich zur konkludenten Täuschung verhält­ nismäßig beschränkt ist, will Soyka den unionsrechtlichen Vorgaben dagegen über die Einführung einer normativen Eignungskomponente Rechnung tra­ gen.871 Folge seiner Lösung ist eine grundlegende Neuinterpretation des Täuschungsmerkmals: Statt wie bislang eine Einwirkung auf die intellektu­ elle Vorstellung einer anderen Person, die zu einem Irrtum führen oder diesen unterhalten kann, zu fordern,872 sollen dem Täuschungsbegriff fortan nur noch solche „Einwirkung[en] auf das Vorstellungsbild eines anderen [unter­ fallen], die einen Irrtum hervorzurufen geeignet sind“.873 Den Vorteil dieser Neuinterpretation sieht Soyka darin, dass bei der Ermittlung des Empfänger­ horizonts eine bestimmte Verbrauchererwartung festgelegt werden kann, die auf die unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend eingeht. Ein vergleichbarer Ansatz findet sich bei Ruhs, die sich ebenfalls für eine normative Interpretation des Täuschungsmerkmals einsetzt. Obwohl sie 870  Müller, NZWiSt 2014, 400; Soyka, wistra 2007, 132 f.; SSW-Satzger, § 263 Rn. 112. 871  Soyka, wistra 2007, 133; zustimmend Müller, NZWiSt 2014, 399. 872  Zur Definition des Täuschungsmerkmals vgl. AnwK-Gaede, § 263 Rn. 10 ff. 873  Soyka, wistra 2007, 133.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

grundsätzlich anerkennt, dass dem Täuschungsmerkmal eine normative Inter­ pretation nach der gängigen Dogmatik eigentlich fremd ist,874 möchte sie die Relevanz einer Fehlvorstellung im Betrugsstrafrecht künftig an einer norma­ tiv vorgegebenen Verkehrsauffassung messen. Demnach soll eine Täuschung immer dann ausscheiden, wenn der geäußerten Behauptung die Eignung fehlt, einen nicht unerheblichen Teil  des Verkehrs in die Irre zu führen.875 Diese Feststellung sei vom Tatrichter zu treffen, der dabei stets zu prüfen habe, inwieweit auch ein durchschnittlich informierter, situationsadäquat aufmerksamer und verständiger Verbraucher einer Fehlvorstellung unterlegen wäre. Kommt dieser zu dem Schluss, dass nach vorgenannten Maßstäben eine Irreführungseignung vorliegt, sei das Täuschungsmerkmal des Betruges erfüllt. Sei dies jedoch nicht der Fall, müsse das Vorliegen einer Täuschung abgelehnt werden. 2. Normative Auslegung des Irrtumsmerkmals Während Soyka und Ruhs dem Verbraucherleitbild über das Täuschungs­ merkmal zum Durchbruch verhelfen wollen, möchte Eick den unionsrechtli­ chen Täuschungsschutzstandard über das Irrtumsmerkmal in den Betrugstat­ bestand implementieren. Nach ihrem Konzept ist das Vorliegen eines Irrtums immer dann zu verneinen, wenn das Opfer die Täuschung hätte erkennen können. Bei der Ermittlung dieser Erkennbarkeit will Eick einen objektiven Maßstab anlegen, da nur so gewährleistet sei, dass die notwendige Transpa­ renz der Strafrechtsanwendung erhalten bleibt und damit dem Bestimmtheits­ grundsatz hinreichend Rechnung getragen wird. Bei der Subsumtion unter das Irrtumsmerkmal sei deshalb danach zu fra­ gen, ob auch ein durchschnittlicher Erklärungsempfänger den Angaben des Täters Glauben geschenkt hätte oder ob er, aus der ex-ante-Perspektive be­ trachtet, Anlass zu weiteren Nachforschungen hatte. Liegt nach diesen Maß­ stäben lediglich ein „leichtfertiger Irrtum“ des Opfers vor, sei kein Irrtum im Sinne des Tatbestands gegeben und zwar auch dann nicht, wenn das Opfer im konkreten Einzelfall tatsächlich einem Irrtum unterlegen ist. Betrugsrele­ vant sollen vielmehr nur solche Irrtümer sein, die auch bei einem durch­ schnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsver­ braucher aufgetreten wären.876

874  Ruhs,

FS Rissing-van Saan, S. 579 f. FS Rissing-van Saan, S. 580. 876  Eick, S. 166. 875  Ruhs,



F. Implementierung der unionsrechtlichen Vorgaben in den Betrugstatbestand 187

III. Unionsrechtliche Grundfreiheiten als Rechtfertigungsgründe Vereinzelt sind Lösungsvorschläge vorzufinden, die sich dafür ausspre­ chen, zumindest die Grundfreiheiten des europäischen Primärrechts als Rechtfertigungsgründe zu begreifen und über die Ebene der Rechtfertigung zu einer Straflosigkeit zu gelangen.877 Dies hätte zur Folge, dass der objek­ tive und der subjektive Tatbestand des Betruges grundsätzlich auch dann er­ füllt wären, wenn ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und ver­ ständiger Verbraucher den Behauptungen des Täters nicht geglaubt und folglich auch keinem Irrtum unterlegen wäre. Jedoch könnte die Tat dann über Art. 34 AEUV bzw. Art. 56 AEUV gerechtfertigt sein, wenn eine Be­ strafung des Täters einen unzulässigen Eingriff in die Warenverkehrs- bzw. Dienstleistungsfreiheit bedeutete. Die Befürworter dieser Rechtfertigungslö­ sung halten ein solches Verständnis der unionsrechtlichen Grundfreiheiten vor allem aus Gründen der Bestimmtheit strafrechtlicher Tatbestände für ge­ boten. Die unionsrechtlichen Grundfreiheiten würden nach ihrer Auffassung dem Bestimmtheitsgebot nur sehr bedingt gerecht, weil sie als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips stets eine Abwägungsentscheidung voraussetz­ ten. Dies wiederum führe zu unkalkulierbaren Ergebnissen, sodass für den Einzelnen die Strafbarkeit seines Verhaltens nicht immer vorhersehbar sei.878 Für Rechtfertigungsgründe gelte der Bestimmtheitsgrundsatz dagegen nur eingeschränkt. Verstöße gegen Art. 103 Abs. 2 GG seien daher im Gegensatz zu einer Lösung über den Tatbestand des § 263 StGB nicht zu erwarten. Hinzu komme, dass die europäischen Grundfreiheiten im Hinblick auf ihre Struktur mit anerkannten Rechtfertigungsgründen  – insb. mit § 34 StGB, §§ 228, 904 BGB – artverwandt seien, da diese ebenfalls eine Verhältnismä­ ßigkeitsprüfung oder zumindest die Feststellung der Gebotenheit voraussetz­ ten. Auch die Tatsache, dass Rechtfertigungsgründe über den jeweiligen Straftatbestand hinaus greifen und im ganzen Strafrecht Anwendung finden, spreche für eine Lösung über die Rechtswidrigkeit.879 Gegen die Einordnung der europäischen Grundfreiheiten als Rechtferti­ gungsgründe spricht indes, dass eine solche Lösung den wertungsmäßigen Unterschied verkennt, der zwischen einem Ausschluss der Tatbestandsmäßig­ 877  Kreis, S. 170 ff.; ähnlich auch Weigend, ZStW 105 (1993), 781; krit. hierzu Esser, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 16; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 80. Hecker, Produktwerbung, S. 286 hält diesen Vorschlag zumindest für diskuta­ bel, spricht sich aber am Ende doch gegen eine Einordnung der Grundfreiheiten als strafrechtliche Rechtfertigungsgründe aus. 878  Kreis, S. 177. 879  Kreis, S. 176.

188

Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

keit und einer Rechtfertigung besteht.880 Denn bei einem Tatbestandsaus­ schluss wird  – anders als im Falle der durch einen Erlaubnistatbestand aus­ geschlossenen Rechtswidrigkeit  – gerade keine Tabugrenze überschritten.881 Kollidieren nationale Strafvorschriften mit dem Unionsrecht, folgt aus dessen Anwendungsvorrang, dass der nationale Straftatbestand bei der Bewertung der Tat keine Rolle spielen darf. Die Tabugrenze wird daher durch die uni­ onsrechtlichen Wertungsvorgaben entsprechend verschoben.882 Eine Lösung über einen Erlaubnistatbestand wäre daher unangemessen. Zudem führt eine Berücksichtigung der Grundfreiheiten des AEUV nicht automatisch zur Un­ bestimmtheit des gesetzlichen Straftatbestandes, da sie weder Teil desselben sind, noch zu einem solchen gemacht werden sollen. Vielmehr ist es die Aufgabe des Rechtsanwenders, die unionsrechtlichen Vorgaben durch eine Auslegung, welche ihrerseits den Anforderungen an die Bestimmtheit Rech­ nung tragen muss, zum Durchbruch zu verhelfen. Hierdurch erreichen die unionsrechtlichen Grundfreiheiten jedoch nicht die Qualität eines Straftatbe­ standsmerkmals, sodass Bedenken hinsichtlich der Unbestimmtheit des Tat­ bestands nicht bestehen. Auch wenn man anerkennt, dass der Betrugstatbe­ stand unionsrechtlichen Einflüssen unterliegt, handelt es sich bei diesem noch nicht um ein Blankettstrafgesetz, das von unionsrechtlichem Primärbzw. Sekundärrecht ausgefüllt wird. Vielmehr wird nur die Auslegung der Tatbestandsmerkmale durch das Unionsrecht mitbeeinflusst. Auch die vermeintliche Ähnlichkeit der Grundfreiheiten mit anerkannten Rechtfertigungsgründen kann keine andere Bewertung rechtfertigen. Ohne­ hin ist fraglich, ob die Grundfreiheiten den Rechtfertigungsgründen über­ haupt ähnlich sind, da sich die Gemeinsamkeiten weitestgehend auf das Er­ fordernis einer Interessenabwägung beschränken, welche als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips zahlreichen Bereichen des Rechts immanent ist. Hinzu kommt, dass die unionsrechtlichen Grundfreiheiten in ihrer Struktur weniger mit strafrechtlichen Rechtfertigungsgründen, sondern eher mit den grundgesetzlichen Freiheits- bzw. Gleichheitsrechten verwandt sind. Die Qualität der Grundrechte als unmittelbar geltende strafrechtliche Rechtferti­ gungsgründe ist jedoch sehr umstritten und wird mit überzeugenden Argu­ menten überwiegend verneint.883 Allgemein anerkannt ist jedoch, dass die Grundrechte jedenfalls bei der verfassungskonformen Auslegung von Straf­ gesetzen zu beachten sind.884 Gleiches gilt für die primärrechtlichen europäi­ hierzu Satzger, Europäisierung, S. 508 f. Europäisierung, S. 509 m. w. N. 882  Satzger, Europäisierung, S. 509. 883  Tiedemann, Verfassungsrecht, S. 36; a. A. Valerius, JuS 2007, 1108; vgl. zum Ganzen Kühl, AT, § 9 Rn. 112 ff.; Schönke / Schröder / Lenckner / Sternberg-Lieben, Vor §§ 32 ff. Rn. 65a. 884  Valerius, JuS 2007, 1108. 880  Vgl.

881  Satzger,



F. Implementierung der unionsrechtlichen Vorgaben in den Betrugstatbestand 189

schen Grundfreiheiten, die ebenfalls im Rahmen einer unionsrechtskonfor­ men Auslegung Eingang in die Interpretation strafrechtlicher Tatbestände finden bzw. zu einem Zurücktreten von Straftatbeständen führen müssen, wenn eine Auflösung des Konflikts im Wege der Auslegung nicht erreichbar ist. Schließlich kann man auch aus der straftatbestandsübergreifenden Geltung von Rechtfertigungsgründen kein Argument für die Einordnung der unions­ rechtlichen Grundfreiheiten als Rechtfertigungsgründe ableiten.885 Es besteht keine praktische Notwendigkeit dafür, die Grundfreiheiten im gesamten StGB wirken zu lassen. Das Unionsrecht verfolgt in erster Linie die Herstel­ lung eines gemeinsamen Binnenmarktes sowie die Beseitigung von Handels­ hemmnissen. Es ist daher nicht zu erwarten, dass weite Teile des deutschen Strafrechts unionsrechtlich überlagert werden. Vielmehr sind nur ausgesuchte Straftatbestände, insbesondere solche des Wirtschaftsstrafrechts, von den Regelungen des Unionsrechts betroffen.886 Dementsprechend bedarf es kei­ ner Lösung, die für das ganze Strafrecht Wirkungen entfaltet. Zweckmäßiger ist es, für jeden unionsrechtlich überlagerten Tatbestand Mittel und Wege zu suchen, mit denen die unionsrechtlichen Vorgaben möglichst schonend und wirksam in die bestehende Dogmatik eingefügt werden können. Der Versuch, dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts über die Einordnung der unions­ rechtlichen Regelungen als Rechtfertigungsgründe zur Geltung zu verhelfen, muss dagegen als gescheitert angesehen werden.887 Stattdessen sollte im Strafrecht, wie auch in den anderen Bereichen des nationalen Rechts, dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts möglichst über eine unionsrechtskon­ forme Auslegung Rechnung getragen werden.888

IV. Implementierung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds über bestehende normative Elemente des Betrugstatbestands Vorzugswürdig ist es, das normativ geprägte Leitbild des „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers“ in den Betrugstatbestand einzufügen, ohne die vorhandene Betrugsdogmatik in ihren Grundfesten zu erschüttern. Denn der rechtswissenschaftlichen Lehre ist es gelungen, den missglückten Tatbestand des § 263 StGB weitestgehend gefügig zu machen und ihn praxistauglichen wie auch dogmatisch überwie­ gend überzeugenden Lösungswegen zuzuführen. Auch wenn im Hinblick auf aber Kreis, S. 176. weiteren Anwendungsfällen einer unionsrechtskonformen Auslegung neben § 263 StGB vgl. Satzger, Europäisierung, S. 571 ff. 887  Ebenso Satzger, Europäisierung, S. 509. 888  Satzger, Europäisierung, S. 509 f. 885  So

886  Zu

190

Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

die hier behandelte Problematik das Europarecht zu einer Aufgabe der alther­ gebrachten Auffassung, nach der auch der Einfältige durch das Betrugsstraf­ recht geschützt ist, zwingt, sind die Auswirkungen einer grundlegenden und umfassenden Neuinterpretation einzelner Tatbestandsmerkmale unabsehbar. Deshalb ist vorzuziehen, nach einem Lösungsweg zu suchen, der bestehende Wertungsaspekte aufgreift und damit eine Normativierung der nach bisheri­ gem Verständnis überwiegend faktisch zu interpretierenden objektiven Tatbe­ standsmerkmale des Betruges weitestgehend vermeidet. Vor diesem Hinter­ grund bietet es sich an, entsprechend dem Vorschlag Soykas zwischen den verschiedenen Täuschungsarten zu differenzieren.889 Im Gegensatz zur aus­ drücklichen Täuschung ist bei der konkludenten Täuschung und bei der Täuschung durch Unterlassen eine normative Betrachtungsweise mitenthal­ ten, da in beiden Fällen auf normativ geprägte Verkehrsanschauungen oder auf (regelmäßig normative) Aufklärungs- bzw. Garantenpflichten abzustellen ist.890 1. Implementierung unionsrechtlicher Vorgaben im Bereich konkludenter Täuschungen Eine konkludente Täuschung ist immer dann gegeben, wenn die Unwahr­ heit zwar nicht expressis verbis zum Ausdruck gebracht wird, sie sich aber dennoch aus einem schlüssigen Verhalten des Täters ergibt.891 Die Möglich­ keit einer solchen Täuschung ist allgemein anerkannt, jedoch unterscheiden sich die Begründungsansätze zu deren Herleitung erheblich. Wie bereits dargelegt, legt die wohl h. M. bei der Bestimmung der konkludenten Täu­ schung einen faktisch-normativen Mischansatz zugrunde,892 nach dem vor allem der nach der Verkehrsanschauung zu ermittelnde Erklärungswert einer Äußerung bzw. eines Verhaltens entscheidend sein soll. Daneben spielt nach dieser Auffassung auch der normative Gedanke der Risikoverteilung eine maßgebende, wenngleich aber nicht die alleinstehende Rolle.893 Auf diese Weise vereint der Ansatz der h. M. sowohl faktische als auch normative As­ 889  Soyka,

wistra 2007, 132 f. § 263 Rn. 21. 891  Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 14 / 15; Becker, JuS 2014, 308. 892  In der Literatur ist der Ansatz der h. M. regelmäßig unter der Bezeichnung „faktischer Täuschungsbegriff“ anzutreffen, vgl. nur SK-Hoyer, § 263 Rn. 30 ff. Da die h. M. sowohl faktische als auch normative Aspekte in sich vereint, vgl. hierzu Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 14 / 15; AnwK-Gaede, § 263 Rn. 27; Becker, JuS 2014, 309, sollte eher von einem faktisch-normativen Mischansatz gesprochen werden; ebenso Heim, S. 111, 113. 893  BGH NStZ 2007, 151; NStZ 2002, 144; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 14 / 15; Bosch, JK 11 / 14 StGB § 263 / 106. 890  MüKo-Hefendehl,



F. Implementierung der unionsrechtlichen Vorgaben in den Betrugstatbestand191

pekte.894 Welche dabei letztlich den entscheidenden Ausschlag geben, ist eine Frage des einzelnen Falles bzw. das Ergebnis einer Einordung in bestimmte Fallgruppen.895 Die Gegenansicht verzichtet dagegen auf die „fragwürdige Fiktion“ eines durch Auslegung zu ermittelnden Erklärungswertes.896 Statt­ dessen stellt sie bei der Herleitung der konkludenten Täuschung allein auf normative Gesichtspunkte ab und zieht die Verteilung des Irrtumsrisikos als maßgebliches Kriterium heran. Da auch nach dem Täuschungsverständnis der h. M. normative Aspekte zu berücksichtigen sind und diese auch die maß­ gebliche Verkehrsauffassung entscheidend beeinflussen, sind die praktischen Auswirkungen dieses Theorienstreits eher gering. Die Vertreter des normati­ ven Ansatzes werden regelmäßig kaum zu Ergebnissen gelangen, die von denen der h. M. abweichen. Insoweit ist Tiedemann, der von einem reinen „Streit um Worte“ spricht, durchaus beizupflichten.897 Letztlich ist die Frage nach der korrekten Bestimmung der konkludenten Täuschung hier nicht von Relevanz, da beide Auffassungen durch ihre nor­ mative Prägung ein Einfallstor für die Implementierung des unionsrechtli­ chen Verbraucherleitbilds bieten.898 Im Rahmen einer rein normativen Be­ stimmung der konkludenten Täuschung wird man bei der Festlegung der Risikoverteilung zukünftig die Wertungen des Unionsrechts zu berücksichti­ gen haben, sodass Irreführungen, denen ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Verbraucher keinen Glauben schenkt, nicht mehr strafbar sind. Fällt im Einzelfall ein Erklärungsempfänger auf eine solche Irreführung herein, ist ihm das Irrtumsrisiko anzulasten, sodass nach den Maßgaben des normativen Täuschungsbegriffs eine konkludente Täu­ schung ausscheidet. Geht man dagegen mit der h. M. von einem faktischnormativen Verständnis der konkludenten Täuschung aus, ergeben sich keine abweichenden Ergebnisse. Denn auch hier fließen die Wertungen des Uni­ onsrechts und damit auch das europäische Verbraucherleitbild in die Erwar­ tungen der jeweiligen Verkehrskreise mit ein.899 Dementsprechend kann auch hier von einer konkludenten Täuschung nur gesprochen werden, wenn ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnitts­ verbraucher der Aussage einen vergleichbaren Erklärungswert beigemessen hätte.

§ 263 Rn. 27; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 14 / 15. § 263 Rn. 14 / 15 m. w. N. 896  LK-Lackner, § 263 Rn. 29; vgl. hierzu SK-Hoyer, § 263 Rn. 42 ff. m. w. N. 897  LK-Tiedemann, § 263 Rn. 30; vgl. auch Grau, S. 125. 898  MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 50. 899  Vgl. hierzu SSW-Satzger, § 263 Rn. 39; Soyka, wistra 2007, 133; AnwK-­ Gaede, § 263 Rn. 29. 894  AnwK-Gaede,

895  Schönke / Schröder / Perron,

192

Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

2. Implementierung der unionsrechtlichen Vorgaben im Bereich ausdrücklicher Täuschungen Im Zusammenhang mit konkludenten Täuschungen führt die Einbeziehung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds also dazu, dass bereits die Erfül­ lung des Täuschungsmerkmals abgelehnt werden muss, wenn ein durch­ schnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsver­ braucher die Aussagen oder Handlungen mit einem anderen Erklärungsgehalt belegt hätte. Die Implementierung der unionsrechtlichen Vorgaben ist dem­ nach aufgrund der bestehenden normativen Elemente bei der konkludenten Täuschung vergleichsweise einfach.900 Bei der ausdrücklichen Täuschung gestaltet sich die Integration des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds indes wesentlich schwieriger. Zwar gilt hier ebenfalls der Grundsatz, dass Erklä­ rungen der Auslegung bedürfen, jedoch ist der Auslegungsspielraum bei ausdrücklichen Täuschungen geringer.901 Denn auch ein durchschnittlich in­ formierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher wird eine objektiv unwahre Behauptung regelmäßig nur in einem bestimmten Sinne interpretieren können, selbst wenn er ihr im Einzelfall keinen Glauben schenken mag.902 Im Gegensatz zur konkludenten Täuschung wird man des­ halb bei ausdrücklichen Täuschungen das Vorliegen des Täuschungsmerk­ mals regelmäßig annehmen müssen, sofern man nicht mit einigen Stimmen in der Literatur den gesamten Täuschungsbegriff einer umfassenden Neuin­ terpretation zuführen möchte.903 Letzteres ist jedoch abzulehnen, da eine Einbeziehung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds nur über die Ein­ führung normativer Kriterien erfolgen kann und dem Betrug eine normative Auslegung des Täuschungsmerkmals eher fremd ist.904 Vorzugswürdig ist deshalb eine Lösung, die vorhandene normative Elemente des Tatbestandes aufgreift und für eine Einbeziehung der unionsrechtlichen Vorgaben nutzbar macht. Hierfür ist das Kriterium der objektiven Zurechnung besonders geeig­ net, da sie dem Rechtsanwender die Möglichkeit bietet, den Verursacher ei­ nes tatbestandsmäßigen Erfolges bereits auf der Stufe des objektiven Tatbe­ stands nach wertenden Kriterien aus dem Bereich der Strafbarkeit herauszu­ nehmen.905 900  Heim,

S. 153. wistra 2007, 133. 902  Soyka, wistra 2007, 133. 903  Vgl. hierzu die Vorschläge von Soyka, wistra 2007, 133 und AnwK-Gaede, § 263 Rn. 21 ff. 904  Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 579. 905  Kühl, AT, § 4 Rn. 38; Rengier, AT, § 13 Rn. 38; Heinrich, AT, Rn. 242; Hoffmann-Holland, AT, Rn. 128; Hilgendorf / Valerius, AT, § 4 Rn. 46; krit. hierzu Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 14 Rn. 100; Heim, die derzeit noch keine Notwendigkeit 901  Soyka,



F. Implementierung der unionsrechtlichen Vorgaben in den Betrugstatbestand193

a) Die Figur der objektiven Erfolgszurechnung Während man früher noch davon ausging, dass der objektive Tatbestand mit der Kausalität des Täterverhaltens für den Erfolg erfüllt sei, besteht heute im Schrifttum weitestgehend Einigkeit darüber, dass neben der für die Fest­ stellung der Kausalität maßgeblichen Äquivalenztheorie ein weiteres haf­ tungsbeschränkendes Korrektiv erforderlich ist.906 Schließlich darf für die einschneidenden Wirkungen des Strafrechts nicht allein das Verhältnis von Ursache und Wirkung entscheidend sein. Der Nachweis der Kausalität dient nämlich lediglich der Feststellung, dass zwischen einer Handlung und einem bestimmten tatbestandsmäßigen Erfolg ein faktischer Zusammenhang derge­ stalt besteht, dass bei einem Unterlassen der in Frage stehenden Handlung der Erfolg in seiner konkreten Gestalt nicht eingetreten wäre.907 Die Erkennt­ nis, dass die uferlose Weite der Äquivalenztheorie, nach der selbst der Erzeu­ ger eines Mörders für den Tod des Opfers ursächlich wäre, einer Korrektur bedarf ist, zählt heute zum gesicherten Bestand strafrechtlicher Dogmatik.908 Jedoch gehen die Auffassungen darüber, auf welchem Wege eine Haftungs­ begrenzung zu erreichen ist, weit auseinander.909 Die Rechtsprechung behan­ delt zahlreiche Probleme aus dem Anwendungsfeld der objektiven Zurech­ nung vorwiegend auf subjektiver Ebene, indem sie notwendige Abschichtun­ gen über die Rechtsfigur des „Irrtums über den Kausalverlauf“ vornimmt.910 Daneben verortet sie manche Problemfelder im objektiven Tatbestand „als Kausalität im Rechtssinne“ sowie in einigen Fallgruppen, wie der eigenver­ antwortlichen Selbstgefährdung.911 In der Literatur hat sich indes der Vor­ schlag durchgesetzt, die Haftungsbeschränkung im objektiven Tatbestand jenseits des Kausalitätserfordernisses vorzunehmen.912 Dabei hat sich die Lehre von der objektiven Zurechnung entwickelt, deren Aufgabe darin gese­ hen wird, die strafrechtliche Verantwortung des Täters auf solche Erfolge zu begrenzen, die in einem strafrechtlichen Sinne wertungsmäßig als „Werk des für eine unionsrechtlich beeinflusste Interpretation des § 263 StGB sieht, hält eine Lösung über das Kriterium der objektiven Zurechnung für plausibel, S. 141. 906  Roxin, AT I, § 11 Rn. 44; Heinrich, AT, Rn. 239; Hoffmann-Holland, AT, Rn. 128; Krey / Esser, AT, § 11 Rn. 325; Kühl, AT, § 4 Rn. 36 f.; Rengier, AT, § 13 Rn. 38; Joecks, StuKo, Vor § 13 Rn. 36; Kindhäuser, AT, § 11 Rn. 1; Maurach / Zipf, § 38 Rn. 49; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 248. 907  Kindhäuser, AT, § 11 Rn. 1. 908  Rengier, AT, § 13 Rn. 40; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 248. 909  Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 248. 910  BGHSt 7, 325 (329); 38, 32 (34); vgl. hierzu SSW-Kudlich, Vor § 13 Rn. 49; Rengier, AT, § 13 Rn. 42; Hilgendorf / Valerius, AT, § 4 Rn. 45. 911  SSW-Kudlich, Vor § 13 Rn. 49. 912  Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 249.

194

Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

Täters“ zu betrachten sind.913 Danach entfällt die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens nicht nur in den Fällen, in denen ein im Tatbestand beschriebener Erfolg nicht eintritt, sondern auch dann, wenn es zu einem Erfolgseintritt kommt, der aber dem Täter nicht als sein Werk zugerechnet werden kann.914 Zur Präzisierung hat die Literatur verschiedene, häufig ineinandergreifende Fallgruppen herausgebildet, in denen ein Zurechnungsausschluss gegeben ist.915 Zu nennen sind hier insbesondere die sog. Risikoverringerung, das Fehlen einer pflichtwidrigen bzw. unerlaubten Gefahrschaffung, Erfolge au­ ßerhalb des Schutzzwecks der Norm, rechtmäßiges Alternativverhalten und Fälle der Fremdverantwortung.916 Die unterschiedlichen Fallgruppen münden letztlich in die allgemeine Grundformel der objektiven Zurechenbarkeit, nach der zu fordern ist, dass durch eine Handlung eine rechtlich missbilligte Ge­ fahr für das geschützte Rechtsgut geschaffen wurde, welche sich in dem tat­ bestandsmäßigen und vom Schutzzweck der verletzten Norm erfassten Erfolg realisiert hat.917 Anerkennung hat die Lehre von der objektiven Zurechnung insbesondere bei Fahrlässigkeitsdelikten erfahren. Im Bereich der Vorsatzdelikte ist vieles noch strittig und im Fluss. Insgesamt wird sie von der h. L. aber auch dort anerkannt.918 Grundvoraussetzung ist freilich, dass es sich um ein Erfolgsde­ likt handelt. Bei schlichten Tätigkeitsdelikten kann die Lehre von der objek­ tiven Zurechnung dagegen keine Wirkungen entfalten. Bei diesen ist das re­ levante tatbestandsmäßige Verhalten so genau umschrieben, dass sich die Prüfung darauf beschränken muss, inwieweit jemand in der vom Tatbestand geschilderten Art und Weise tätig geworden ist.919 b) Die objektive Zurechnung beim Betrug Die Rechtsfigur der objektiven Zurechnung kann auch im Bereich des Betrugstatbestands ihre Wirkungen entfalten.920 Denn beim Betrug handelt es 913  Hilgendorf / Valerius, AT, § 4 Rn. 49; SSW-Kudlich, Vor § 13 Rn. 50; Heinrich, AT, Rn. 244; Hoffmann-Holland, AT, Rn. 128; Otto, AT, § 6 Rn. 3; Rengier, AT, § 13 Rn. 38; Maurach / Zipf, § 18 Rn. 49. 914  Jäger, Kategorialprinzipien, S. 4. 915  Jäger, Kategorialprinzipien, S. 4; SSW-Kudlich, Vor § 13 Rn. 51. 916  Vgl. hierzu Jäger, AT, Rn. 31 ff.; ders., Kategorialprinzipien, S. 5 ff. 917  SSW-Kudlich, Vor § 13 Rn. 50 f.; Rengier, AT, § 13 Rn. 46; Jescheck / Weigend, AT, S. 287; Joecks, StuKo, Vor § 13 Rn. 38; Murmann, GK, § 23 Rn. 30; Heinrich, AT, Rn. 243; Hoffmann-Holland, AT, Rn. 128; Hilgendorf / Valerius, AT, § 4 Rn. 46; Maurach / Zipf, § 18 Rn. 49. 918  Vgl. hierzu u. a. Kühl, AT, § 4 Rn. 38. 919  Otto, AT, § 6 Rn. 1 ff.



F. Implementierung der unionsrechtlichen Vorgaben in den Betrugstatbestand195

sich wie auch bei den §§ 212, 222, 223, 229 StGB, bei denen die Zurech­ nungslehre nach der h. L. unstreitig anwendbar ist, um ein Erfolgsdelikt.921 Hieran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Gesetzgeber beim Betrug das zum Erfolg führende Verhalten im gesetzlichen Tatbestand umfassend beschrieben hat und auch Rechtsprechung und Lehre einzelne Begriffe so konkretisiert haben, dass das tatbestandsmäßige Verhalten beson­ ders deutlich zum Ausdruck kommt.922 Denn auch wenn beim Betrug die zur Rechtsgutsverletzung nötigen Zwischenschritte im Vergleich zu schlichten Erfolgsdelikten besonders anschaulich erfasst werden, mag es Fälle geben, in denen sich ein eingetretener (Zwischen-)Erfolg nicht als Werk des Täters erweist. Die Geltung der Lehre von der objektiven Zurechnung im Bereich des Betrugstatbestands wird deshalb von den meisten Autoren nicht in Zwei­ fel gezogen.923 Vorwiegend wird sie dazu eingesetzt, der Konstellation des Dreiecksbetruges ein erweitertes dogmatisches Fundament zu geben,924 sie kann jedoch auch für andere Grundfragen der Betrugsstrafbarkeit fruchtbar gemacht werden.925 Beispielsweise lässt sich die nach allgemeiner Auffas­ sung strafrechtlich nicht relevante Täuschung über Liebhaberinteressen dog­ matisch am überzeugendsten über die objektive Zurechnung aus dem Tatbe­ stand ausscheiden, da es in diesen Fällen an der Schaffung eines unerlaubten Risikos fehlt.926 Auch wenn damit feststeht, dass das Institut der objektiven Zurechnung im Zusammenhang mit dem Tatbestand des Betruges grundsätzlich anwendbar ist, muss dessen konkrete Ausgestaltung geklärt werden. Im Gegensatz zu den meisten Erfolgsdelikten des Besonderen Teils konzentriert sich der Be­ trugstatbestand nämlich nicht nur auf einen einzigen Erfolg, sondern setzt neben dem Vermögensschaden als endgültigem Erfolg gerade mehrere Zwi­

920  Brand, JR 2011, 99; Roxin, AT I, § 11 Rn. 52; Harbort, S. 37 ff.; Rengier, FS Roxin I, S. 820. 921  Roxin, AT I, § 11 Rn. 52; Rengier, FS Roxin I, S. 820. 922  So aber Otto am Beispiel des Diebstahlstatbestands, AT, § 6 Rn. 2; ähnlich auch Merz, S. 161 und Protzen, wistra 2003, 211, der ebenfalls grundsätzliche Beden­ ken gegen die Anwendbarkeit der objektiven Zurechnung auf den Tatbestand des Betruges äußert, da er der Auffassung ist, dass in der Tatbestandsstruktur des § 263 StGB eine „vertypte objektive Zurechnung“ zum Ausdruck komme. 923  Rengier, FS Roxin I, S. 820; ders., BT  I, § 13 Rn. 3; Eisele, BT  II, Rn. 520; ders., ZStW 116 (2004), 22; Roxin, AT I, § 11 Rn. 52; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 749; Jänicke, S. 289; Ebert, Jura 1979, 561; Lackner / Kühl, § 263 Rn. 54a; BeckOK-Beukelmann, § 263 Rn. 71; ausf. Harbort, S. 44 ff. m. w. N. 924  So bspw. Rengier, FS Roxin I, S. 824 ff.; vgl. auch Eisele, ZStW 116 (2004), 22 ff. 925  Harbort, S. 21; zweifelnd dagegen Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 5a. 926  Rengier, FS Roxin I, S. 820; Pawlik, Unerlaubtes Verhalten, S. 94, 98 f.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

schenerfolge voraus.927 Es reicht demnach nicht, wenn die Täuschungshand­ lung des Täters zu einem Vermögensschaden führt, sondern sie muss zunächst einen Irrtum des Opfers bewirken, auf den wiederum eine Vermögensverfü­ gung folgt, die letztendlich den Vermögensschaden zur Folge hat. Damit stellt sich die Frage, ob ein Zurechnungszusammenhang allein zwischen der Täuschung als Tathandlung und dem Vermögensschaden als endgültigem Erfolg bestehen muss oder ob dem Täter auch die jeweiligen Zwischener­ folge objektiv zurechenbar sein müssen.928 Da die Zwischenerfolge des Irr­ tums und der Vermögensverfügung letztlich auch Erfolge sind, die nicht nur kausal aufeinander beruhen müssen, sondern die darüber hinaus auch über die objektive Zurechenbarkeit verbunden sind, ist diese Fragestellung zu­ gunsten der letztgenannten Auslegungsalternative zu entscheiden.929 Insofern muss auch zwischen den Tatbestandsmerkmalen der Täuschung und des Irr­ tums ein Zurechnungszusammenhang bestehen.930 c) Der Ausschluss der Zurechenbarkeit zwischen Täuschung und Irrtum bei unionsrechtlicher Gestattung der fraglichen Verhaltensweisen Es ist anerkannt, dass die objektive Zurechenbarkeit eines Erfolges abzu­ lehnen ist, wenn der Täter keine Gefahr für das geschützte Rechtsgut ge­ schaffen bzw. diese nicht in rechtlich relevanter Weise erhöht hat.931 Daraus folgt, dass die Vornahme einer sozialadäquaten, grundsätzlich ungefährli­ chen Handlung nicht mit den Mitteln des Strafrechts verboten werden darf, selbst wenn sie im Einzelfall zu einer Rechtsgutsverletzung führt.932 Objek­ tiv nicht zurechenbar sind damit sämtliche Verhaltensweisen, die sich im Rahmen eines Lebensrisikos bewegen, das entweder allgemein besteht, oder das von der Gesellschaft toleriert wird.933 An dieser Stelle gewinnen die Wertungen des Rechts der Europäischen Union und in der Folge auch das europäische Verbraucherleitbild Bedeutung. Schließlich kann man ein Ver­ halten, das nach unionsrechtlichen Maßstäben nicht irreführungsgeeignet und damit ausdrücklich erlaubt ist, nach rangniedrigerem nationalem Straf­ recht nicht als ein sozialinadäquates, rechtlich missbilligenswertes Verhalten 927  Gaede, FS Roxin II, S. 973; Rengier, FS Roxin I, S. 820; Scheinfeld, wistra 2008, 167. 928  In diesem Sinne MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 17, BeckOK-Beukelmann, § 263 Rn. 71; Gröseling, NStZ 2001, 517. 929  Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 105. 930  Ebenso Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 105; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 32. 931  Roxin, AT I, § 11 Rn. 55; Eick, S. 138. 932  Roxin, AT I, § 11 Rn. 55. 933  Heinrich, AT, Rn. 245; Kindhäuser, AT, Rn. 10 f.



F. Implementierung der unionsrechtlichen Vorgaben in den Betrugstatbestand 197

bewerten.934 Denn diese Verhaltensweisen bewegen sich gerade innerhalb des rechtlich und gesellschaftlich tolerierten Rahmens. Täuschungen, denen ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durch­ schnittsverbraucher nicht aufgesessen wäre, können daher selbst dann nicht als Schaffung eines rechtlich relevanten Risikos angesehen werden, wenn einzelne Personen auf sie hereinfallen und in der Folge einem Irrtum unter­ liegen.935 Denn in diesem Fall verwirklicht sich in der Fehlvorstellung nicht mehr das vom Täter geschaffene Täuschungsrisiko, sondern eine andere Ge­ fahr, für die der Täter nicht verantwortlich ist. Die Schaffung eines unionsrechtlich erlaubten Irreführungsrisikos beseitigt damit den Zurechnungszusammenhang zwischen der Täuschung als Tathand­ lung des Betruges und dem Irrtum als deren ersten (Zwischen-)Erfolg. Unter anderem sind daher die Irreführungsgefahren, die aus übertreibenden Werbe­ aussagen oder aus marktschreierischer Reklame resultieren, einem (unions­ rechtlich) erlaubten Risiko zuzuordnen, für dessen Verwirklichung niemand strafrechtlich haftbar gemacht werden kann. Für die Teilnahme am Wirt­ schafsverkehr ergibt sich insoweit nichts anderes als für die Teilnahme am Straßenverkehr, bei dem ebenfalls die strafrechtliche Haftung für Verletzun­ gen oder tödliche Unfallfolgen, die mit einer verkehrsgerechten Teilhabe an demselben im Zusammenhang stehen, durch das erlaubte Risiko begrenzt sind.936 Entgegenzutreten ist deshalb insbesondere Auffassungen, die auch in leicht durchschaubaren Täuschungen eine rechtlich missbilligte Gefahr sehen, wel­ che nicht geeignet ist, die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges auszu­ schließen.937 Denn als Maßstab für das Werturteil der rechtlichen Missbilli­ gung ist stets die gesamte Rechtsordnung heranzuziehen.938 Da sich die deutsche Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit aber den Einflüssen des Unions­ rechts ausgesetzt sieht, kann ein unionsrechtlich zulässiges Verhalten nicht zur Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr führen. Ebenso ist auch das Wettbewerbsrecht maßgeblich durch das Unionsrecht beeinflusst, sodass sich auch aus diesem rechtliche Wertentscheidungen ergeben, die auf die Beurteilung der Erlaubtheit eines Risikos einwirken können. Insbesondere dem Tatbestand der strafbaren irreführenden Werbung, § 16 Abs. 1 UWG, als 934  Ähnlich auch Gaede, FS Roxin II, S. 984, der jedoch das Täuschungsmerkmal des Betruges nach Zurechnungsgesichtspunkten durch die Schaffung des Erfordernis­ ses einer „objektiven Täuschungseignung“ begrenzen will. 935  Krit. hierzu Eick, S. 139. 936  Vgl. hierzu Kühl, AT, § 4 Rn. 48. 937  So insbesondere Hennings, S. 161; Ellmer, S. 162. 938  Dies erkennen auch die Kritiker einer Einschränkung des Betrugstatbestands über den Gedanken der objektiven Zurechnung an; vgl. hierzu Hennings, S. 191 Fn. 157; Ellmer, S. 162 Fn. 376.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

Vorfeldtatbestand des Betruges kommt dabei eine nicht unerhebliche Bedeu­ tung zu. Die vereinzelt vorzufindende Kritik, nach der eine Lösung deliktsspezifi­ scher Probleme des Besonderen Teils unter Zuhilfenahme der Lehren des Allgemeinen Teils unzulässig sei, kann im Ergebnis nicht durchdringen.939 Denn es ist gerade die Eigenart allgemeiner Lehren, dass sie ihre Wirkungen im gesamten Strafrecht entfalten und nicht auf einige wenige Delikte oder Problemkreise beschränkt sind. Daher kann man auch nicht davon ausgehen, dass die Zurechnungslehre zur Festlegung spezifischer Tatbestandsbereiche nicht imstande ist und ihren Zweck allein in der Formulierung genereller Zurechnungskriterien hat.940 In allen Fällen, in denen nach unionsrechtlichen Maßstäben keine Irreführungsgefahr gegeben ist, hat deshalb mangels objek­ tiver Zurechenbarkeit bereits die objektive Tatbestandsmäßigkeit des Verhal­ tens zu entfallen. Im Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Regelungen ist daher ein Betrug nicht mehr denkbar, wenn die Täuschungshandlung bei einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Ver­ braucher keinen Irrtum erregt hätte.

G. Zersplitterung des Täuschungsschutzstandards Da die Versuche, den Einfluss des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds auf den Betrugstatbestand in Abrede zu stellen, zumindest bei unionsrecht­ lich geprägten Sachverhalten als gescheitert angesehen werden müssen, stellt sich die Frage nach der Reichweite einer unionsrechtlich orientierten Be­ trugsauslegung. Gesichert ist jedenfalls, dass aufgrund des Anwendungsvor­ rangs des Unionsrechts das europäische Verbraucherleitbild immer dann zu beachten ist, wenn Betrügereien im Zusammenhang mit der grenzüberschrei­ tenden Vermarktung von Waren und Dienstleistungen stattfinden.941 Denn nach der Dassonville-Formel des EuGH942 kann die Pönalisierung einer Ver­ haltensweise über den Betrugstatbestand eine „Maßnahme gleicher Wir­ kung“ darstellen, die einer mengenmäßigen Einfuhrbeschränkung i. S. d. Art. 34, 35 AEUV (ex-Art. 28, 29 EGV) gleichsteht.943 Da eine solche nur 939  Hennings,

S. 161. aber Hennings, S. 161. 941  Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 109; SSW-Satzger, § 263 Rn. 66 f.; Dannecker, ZStW 117 (2005), 711; ders., Jura 2006, 175; Joecks, StuKo, § 263 Rn. 24; Eick, S. 156 f.; Pohl, ZIS 2006, 213; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 34; Esser, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 23 ff. 942  EuGH Slg. 1974, 837 – Dassonville. 943  Dannecker, Jura 2006, 175; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 34; ders., Produktwerbung, S. 285; SSW-Satzger, § 263 Rn. 66; Esser, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 23 ff.; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 109. 940  So



G. Zersplitterung des Täuschungsschutzstandards199

durch zwingende Erfordernisse des Allgemeinwohls, zu denen auch der Ver­ braucherschutz zählt, gerechtfertigt werden kann, wird das unionsrechtliche Verbraucherverständnis für den Tatbestand des § 263 StGB relevant.944 Ent­ sprechend der Rechtsprechung des EuGH hat sich dieses am Leitbild des „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durch­ schnittsverbrauchers“ zu orientieren.945 Die bis dato vorherrschende Inter­ pretation des § 263 StGB, nach der auch der Einfältige geschützt sein soll, kann damit nicht mehr aufrechterhalten werden, da der hohe deutsche Schutzstandard mit der Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit nicht zu vereinbaren ist.946 Dementsprechend ist der Tatbestand des Betruges im grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr unionsrechtskon­ form auszulegen.947 Neben dieser Beeinflussung durch das unionsrechtliche Primärrecht ergeben sich auch durch sekundärrechtliche Bestimmungen des Unionsrechts erhebliche Einflüsse auf das deutsche Betrugsstrafrecht.948 Ins­ besondere die RL  2005 / 29 / EG führt mit ihrer vollharmonisierenden Wir­ kung und wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts dazu, dass in dem von ihr betroffenen Bereich der vorgegebene Schutzstandard weder über- noch unterschritten werden darf.949 Geschäftspraktiken, die nach den Maßgaben der RL  2005 / 29 / EG nicht unlauter sind, dürfen daher durch na­ tionales Recht nicht verboten werden.950 Selbst rein nationale Sachverhalte werden von dieser Regelung betroffen und müssen, sofern sie sich im Gel­ tungsbereich der Richtlinie bewegen, nach dem Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers beurteilt wer­ den. Da eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 263 StGB damit immer dann erfolgen muss, wenn ein grenzüberschreitender Sachverhalt gegeben oder der Anwendungsbereich der RL  2005 / 29 / EG eröffnet ist, kann der 944  Pohl, ZIS 2006, 213; SSW-Satzger, § 263 Rn. 66 f.; Esser, Europäisches Straf­ recht, § 2 Rn. 23 ff.; Hecker, Produktwerbung, S. 285. 945  Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 109; Dannecker, Jura 2006, 175. 946  AnwK-Gaede, § 263 Rn. 23; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 109; SSWSatzger, § 263 Rn. 67. 947  SSW-Satzger, § 263 Rn. 67; AnwK-Gaede, § 263 Rn. 6; zu den Grenzen uni­ onsrechtskonformer Auslegung Esser, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 87 ff.; Rönnau / Wegner, GA 2013, 563; Satzger, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 105. 948  AnwK-Gaede, § 263 Rn. 6; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 6; SSWSatzger, § 263 Rn. 67. 949  Hecker, JuS 2014, 1045; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 572; Soyka, wistra 2007, 129; HWSt-Janssen, 3. Aufl., V1 Rn. 66. 950  Hecker, JuS 2014, 1045; Soyka, wistra 2007, 129; a. A. Bosch, FS Samson, S. 243 Fn. 12, der sich dagegen ausspricht, aus der wettbewerbsstrafrechtlichen Zu­ lässigkeit einer Verhaltensweise auf deren vermögensstrafrechtliche Unbedenklichkeit zu schließen.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

Schutz des Einfältigen nur dort bestehen bleiben, wo es sich um rein inländi­ sche Sachverhalte handelt und keine Handlung, Unterlassung, Verhaltens­ weise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung eines Unternehmers gegen­ über einem Verbraucher (B2C) vorliegt, die mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung von Waren oder Dienstleistungen im Zusammen­ hang steht.951 Der unionsrechtlich nicht beeinflusste Bereich ist damit sehr begrenzt. Im Wesentlichen umfasst er nur noch das Verhältnis von Unternehmern bzw. Verbrauchern untereinander (B2B oder C2C) und auch dies nur solange, wie der Anwendungsbereich einer europäischen Grundfreiheit nicht eröffnet ist. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts führt damit zu einer einschnei­ denden Zersplitterung des Täuschungsschutzniveaus im Bereich des Betru­ ges.952 Wie mit dieser Rechtszersplitterung umzugehen ist, ist fraglich und wird vom rechtswissenschaftlichen Schrifttum kontrovers beurteilt. Die Empfehlungen reichen dabei von einer sektoralen Ausrichtung des Be­ trugstatbestands über die Einführung einer betrugsstrafrechtlichen Sonder­ dogmatik für den Bereich der Publikumswerbung953 bis hin zu einer umfas­ senden Neuinterpretation des gesamten Betrugstatbestands.954

I. Sektorale Differenzierung Im Schrifttum finden sich vereinzelte Ansätze, die sich für eine sog. sek­ torale Differenzierung des Täuschungsschutzstandards aussprechen. Nach diesem Modell soll das unionsrechtliche Verbraucherleitbild nur bei Sachver­ halten Anwendung finden, in denen dies durch primäres oder sekundäres Unionsrecht zwingend geboten ist.955 In allen anderen Fällen soll dagegen an der herkömmlichen Betrugsauslegung festgehalten werden, nach der auch die Einfältigen und Sorglosen unbedingten strafrechtlichen Schutz genießen. Vorteil dieses eher restriktiven Modells soll sein, dass der Schutz besonders benachteiligter Bevölkerungsteile so weit wie möglich aufrechterhalten wird. 3. Aufl., V 1 Rn. 68; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 582. NZWiSt 2014, 398; Soyka, wistra 2007, 130; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 6; SSW-Satzger, § 263 Rn. 67; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 582. 953  Hecker, Produktwerbung, S. 322 ff.; Tiedemann, hält diesen Vorschlag zumin­ dest für diskutabel, LK, Vor § 263 Rn. 40. 954  Soyka, wistra 2007, 131 f.; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 582; SSW-Satzger, § 263 Rn. 68; Eick, S. 161, 167; Scheinfeld, wistra 2008, 172; grundsätzliche Zustim­ mung findet dieser Ansatz auch bei Hecker, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 35. Krit. zu einer Anwendung des unionsrechtlichen Maßstabs im nicht vom Unionsrecht über­ lagerten Bereich LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 40. 955  LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 40. 951  HWSt-Janssen, 952  Müller,



G. Zersplitterung des Täuschungsschutzstandards201

Als Argument für diese Aufrechterhaltung wird vorgetragen, dass eine Her­ ausnahme uninformierter, unaufmerksamer und unverständiger Personen aus dem Schutzbereich des § 263 StGB insbesondere unter kriminalpolitischen Aspekten kritisch zu betrachten sei. Insbesondere müsse aus sozialstaatlichen Gesichtspunkten sowie aus Gründen des Opferschutzes durch die weitestge­ hende Aufrechterhaltung des deutschen Schutzstandards verhindert werden, dass sich besonders gewiefte Täter gezielt auf die Ausbeutung bestimmter Opfertypen spezialisieren und diese gezielt ausbeuten. Obwohl aus kriminalpolitischer Sicht eine möglichst weitgehende Auf­ rechterhaltung des hohen deutschen Schutzniveaus auf den ersten Blick er­ strebenswert erscheint, muss gesehen werden, dass gewichtige Gründe ge­ gen eine sektorale Differenzierung des Täuschungsschutzniveaus sprechen. Denn eine sektorale Differenzierung bedeutet, dass das unionsrechtliche Verbraucherleitbild nur in den Bereichen unberücksichtigt bleibt, die nicht vom Unionsrecht überlagert werden. Folge ist, dass bei sämtlichen unions­ rechtlich beeinflussten Sachverhalten das unionsrechtliche Verbraucherleit­ bild den Takt angibt und nur in den restlichen Fällen das höhere deutsche Schutz­niveau bestehen bleibt. Auf den ersten Blick mag dies höchst wün­ schenswert erscheinen, da der Schutz des Einfältigen so zumindest noch in einigen Teilbereichen aufrechterhalten werden kann. Verdeutlicht man sich jedoch die praktischen Folgen der sektoralen Differenzierung, entstehen so­ wohl aus kriminalpolitischer, wie auch aus dogmatischer Sicht, erhebliche Zweifel.956 Maßgebend für das anzuwendende Täuschungsschutzniveau ist bei einer sektoralen Differenzierung der Anwendungsbereich des Unionsrechts. Abge­ sehen von grenzüberschreitenden Sachverhalten, ist damit insbesondere der sachliche und persönliche Anwendungsbereich der RL  2005 / 29 / EG ent­ scheidend. Die RL  2005 / 29 / EG regelt umfassend die Irreführungseignung von Verhaltensweisen, die im Verhältnis von Unternehmern zu Verbrauchern vorgenommen werden, einschließlich Individualtäuschungen, die einem di­ rekten Kontakt entstammen. Üblicherweise werden sich diese zu Recht als besonders sozialschädlich empfundenen Verhaltensweisen genau im Anwen­ dungsbereich der RL  2005 / 29 / EG abspielen, da die Betroffenen in aller Regel Verbraucher sind und ihnen auf der anderen Seite ein Unternehmer gegenübersteht. In einem solchen B2C-Verhältnis verbietet jedoch das Uni­ onsrecht die Anlegung eines Maßstabs, das dem unionsrechtlichen Verbrau­ cherleitbild wiederspricht. Dementsprechend ist, wie bereits festgestellt, das unionsrechtliche Verbraucherleitbild in der überwiegenden Mehrzahl aller Betrugsfälle zwingend zu beachten. Anwendbar bliebe die hergebrachte Be­ 956  Müller,

NZWiSt 2014, 398; Rönnau / Wegner, GA 2013, 566.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

trugsauslegung dagegen nur im Verhältnis von Verbrauchern zu Verbrauchern und von Unternehmern zu Unternehmern, wobei Täuschungen im Verhältnis von zwei Verbrauchern eher Seltenheitscharakter haben dürften. Letztlich fallen deshalb bei einer sektoral differenzierten Anwendung des unionsrecht­ lichen Verbraucherleitbilds im Wesentlichen die landläufig als wenig schutz­ bedürftig erachteten Unternehmer unter den erweiterten Schutzbereich des § 263 StGB, während sich die schutzbedürftigeren Verbraucher zumindest im Kontakt mit den ihnen überlegenen Unternehmern am strengeren Maßstab des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds messen lassen müssten.957 Für eine solche Differenzierung besteht jedoch weder ein sachlicher Grund noch kann sie aus anderen Gründen überzeugen. Die sektorale Differenzierung führt aufgrund der ungerechtfertigten Privi­ legierung von Unternehmern nicht nur zu einem rechtspolitisch höchst frag­ würdigen Ergebnis, sondern sie ist auch für die Rechtsunterworfenen mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden.958 Werbende, die sich mit ihrer Werbung primär an Verbraucher wenden, könnten ihre Absatzförderungs­ maßnahmen bei einer sektoralen Differenzierung des Täuschungsschutzes nur dann anhand der liberaleren Leitlinien des unionsrechtlichen Verbrau­ cherleitbilds ausrichten, wenn sie gleichzeitig durch geeignete Maßnahmen sicherstellen könnten, dass ihre Waren nicht auch von Unternehmern gekauft oder ihre Dienstleistungen nicht von Unternehmern in Anspruch genommen würden. Allerdings wird dies in den meisten Fällen gar nicht möglich sein. Während ein Großhändler seinen Kundenkreis durch Einlasskontrollen auf gewerbliche Wiederverkäufer beschränken kann, ist eine gezielte Heraus­ nahme gewerblicher Kunden aus dem Kundenkreis kaum denkbar. Denn man kann den Kunden kaum ansehen, ob sie ihren Einkauf für sich privat durch­ führen oder in ihrer Eigenschaft als Unternehmer tätig sind. Kann der Anbie­ ter jedoch nicht ausschließen, dass nicht nur Verbraucher, sondern auch Un­ ternehmer seinen Werbeaussagen Glauben schenken und sich in der Folge zu schädigenden Vermögensverfügungen verleiten lassen, läuft er Gefahr, sich wegen Betruges strafbar zu machen, und dies obwohl seine Produktvermark­ tungsstrategie nach unionsrechtlichen Maßstäben eigentlich erlaubt ist. Die Beschränkung des unionsrechtlichen Einflusses im Wege der sektoralen Dif­ ferenzierung führt letztlich dazu, dass dem Einzelnen die Wahrnehmung unionsrechtlich erlaubter Verhaltensweisen erheblich erschwert wird, was insbesondere vor dem Hintergrund des Art. 4 Abs. 3 AEUV nicht überzeugen kann. Vieles spricht also dafür, den Betrugstatbestand einheitlich am europäi­

957  Heger, HRRS 2014, 469; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 582; Soyka, wistra 2007, 131. 958  Vgl. auch Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 582.



G. Zersplitterung des Täuschungsschutzstandards203

schen Verbraucherleitbild auszurichten und auch den B2B- und C2C-Bereich mit einzuschließen.959

II. Einführung einer betrugsstrafrechtlichen Sonderdogmatik für den Bereich der Publikumswerbung Hecker, der die Beeinflussung des Betrugstatbestands durch das Unions­ recht ausdrücklich anerkennt, spricht sich ebenfalls gegen eine umfassende Neuinterpretation des Betrugstatbestands aus, nach der jede unwahre Tatsa­ chenaussage am Maßstab des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds gemes­ sen werden soll.960 Eine Tatbestandsauslegung, nach der Tatsachenbehaup­ tungen nur dann Tatbestandsrelevanz aufweisen sollen, wenn sie geeignet sind, einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher in die Irre zu führen, bewege sich zu nah an den viktimodog­ matischen Konzeptionen, die Hecker insbesondere aus dogmatischen und kriminalpolitischen Erwägungen ablehnt.961 Hecker bewegt sich damit grundsätzlich auf einer Linie mit den Autoren, die sich für eine sektorale Differenzierung des Betrugstatbestands einsetzen und das unionsrechtliche Verbraucherleitbild nur dort zur Anwendung gelangen lassen wollen, wo es aufgrund des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs unumgänglich ist.962 In Abweichung hierzu spricht sich Hecker jedoch dafür aus, für den Bereich der Publikumswerbung eine Ausnahme zu machen. Neben primärrechtlich überlagerten grenzüberschreitenden Sachverhalten und Täuschungen, die in den Geltungsbereich verpflichtenden sekundären Unionsrechts fallen, sei deshalb für den Bereich der Publikumswerbung eine Ausnahme vom hohen deutschen Täuschungsschutzstandard zu machen.963 Die Notwendigkeit für eine besondere Behandlung dieser speziellen Werbeform sieht Hecker in der unkalkulierbaren Verbreitung der Publikumswerbung, die sich stets an einen zahlenmäßig nicht näher bestimmbaren Personenkreis richtet.964 Insbeson­ dere durch Werbung in Funk und Fernsehen, in Printmedien oder auf Pro­ duktverpackungen lässt sich mit Leichtigkeit ein Millionenpublikum errei­ chen. Diesem Umstand trage das Betrugsstrafrecht jedoch bis dato nicht hinreichend Rechnung, da der Tatbestand des § 263 StGB dem Wortlaut nach auch dann erfüllt ist, wenn eine Werbeaussage, die von nahezu allen SSW-Satzger, § 263 Rn. 68; Soyka, wistra 2007, 130. Produktwerbung, S. 329 ff. 961  Hecker, Produktwerbung, S. 265 ff., 322. 962  Ähnlichkeiten weist auch der Ansatz von LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 40, auf. 963  Hecker, Produktwerbung, S. 330 f.; krit. hierzu Heim, S. 72 f. 964  Hecker, Produktwerbung, S. 323. 959  Ebenso

960  Hecker,

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

Verbrauchern zutreffend als unwahr durschaut wird, nur einen einzigen Kon­ sumenten in die Irre führt und diesen zu einer schädigenden Disposition über sein Vermögen veranlasst.965 Die Annahme eines Betruges sei in diesen Fällen insbesondere vor dem Hintergrund abzulehnen, dass die betrugsstraf­ rechtliche Relevanz einer Werbeaussage nicht beurteilt werden dürfe, ohne dabei auch die Wertungen des Wettbewerbsstrafrechts miteinzubeziehen.966 Denn die Publikumswerbung fände ihre strafrechtlichen Grenzen primär im Tatbestand der strafbaren irreführenden Werbung, § 16 Abs. 1 UWG. Im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung wäre es daher widersinnig, wenn für eine wettbewerbsstrafrechtlich unbedenkliche Form der Publi­ kumswerbung über die Anwendung des § 263 StGB ein Werbeverbot statu­ iert werden würde.967 Nach § 16 Abs. 1 UWG liegt jedoch nur dann eine strafrechtlich relevante Handlung vor, wenn die Werbebotschaft unwahr und irreführend ist, wenn sie also bei einem nicht unerheblichen Teil der Werbe­ adressaten eine Fehlvorstellung hervorrufen kann. Hierbei spielt jedoch wie­ derum die Verkehrsauffassung eine maßgebende Rolle. Nur wenn diese Vor­ aussetzungen erfüllt sind, kommt eine Strafbarkeit grundsätzlich in Betracht. In allen anderen Fällen ist die strafrechtliche Erheblichkeitsschwelle dage­ gen nicht überschritten. Hecker plädiert in der Folge dafür, diese wettbe­ werbsrechtlichen Wertungen auch bei der Auslegung des Betrugstatbestands zu berücksichtigen.968 Deshalb spricht er sich dafür aus, für den Bereich der Publikumswerbung eine betrugsstrafrechtliche Sonderdogmatik zu entwi­ ckeln, nach der sich die Tatbestandsrelevanz von Werbebotschaften nicht am Verständnishorizont des einzelnen Täuschungsopfers, sondern an dem Maß­ stab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers ausrichtet.969 Den Vorteil einer solchen Betrugsauslegung sieht Hecker u. a. in der Ver­ meidung von Wertungskonflikten zwischen § 263 StGB und § 16 Abs. 1 UWG, die die h. M. nur dadurch bereinigen kann, dass sie Werbebotschaften mit beschränktem Wahrheitsgehalt die Tatsachenqualität abspricht.970 Die von der h. M. vorgenommene Leugnung der offensichtlich bestehenden Tat­ sachenqualität bestimmter reklamehafter Anpreisungen hält er zu Recht für wenig überzeugend. In der Folge setzt er sich dafür ein, Äußerungen in der Produktwerbung, die vom Verkehr üblicherweise nicht ernstgenommen wer­ den, auf der Basis eines normativen Tatbestandsmodells aus der Betrugsstraf­ 965  Hecker, 966  Hecker, 967  Hecker, 968  Hecker, 969  Hecker, 970  Hecker,

Produktwerbung, Produktwerbung, Produktwerbung, Produktwerbung, Produktwerbung, Produktwerbung,

S. 323. S. 323 f. S. 324. S. 324. S. 322 ff. S. 324.



G. Zersplitterung des Täuschungsschutzstandards205

barkeit auszuscheiden.971 Täuschungsmanöver, die sich in einem individuel­ len Kontakt zwischen Täter und Opfer abspielen, sollen nach Heckers Kon­ zept aber auch weiterhin nach den herkömmlichen betrugsdogmatischen Grundsätzen zu beurteilen sein.972 Denn diese unterfielen nicht dem Tatbe­ stand des § 16 Abs. 1 UWG und führten damit nicht zu den genannten Wer­ tungswidersprüchen. Zudem seien Individualtäuschungen, die sich in einem unmittelbaren Kontakt zwischen Täter und Opfer ereignen, regelmäßig weit gefährlicher als täuschende Angaben in der Publikumswerbung.973 Grund für die erhöhte Gefährlichkeit sei der Umstand, dass es bei diesen nicht möglich sei, unbeeinflusst von einem anwesenden Täter Überlegungen zur Glaubwür­ digkeit der Aussage anzustellen oder bei Dritten Erkundigungen einzuholen. Auch wenn Heckers Vorschlag in der Literatur heute noch auf vereinzelte Zustimmung stößt,974 kann seine Lösung nicht überzeugen. Denn Heckers Untersuchung stammt aus einer Zeit, in der die RL  2005 / 29 / EG noch nicht verabschiedet, geschweige denn in Kraft getreten war. Nach damaligem Stand war der Bereich der Werbung durch die Werbe-RL unionsrechtlich nur partiell geregelt und auch sonst existierten nur wenige sekundäre Rechtsakte, die in der Lage waren, den deutschen Betrugstatbestand zu beeinflussen. Durch die RL 2005 / 29 / EG hat sich diese Situation allerdings massiv gewan­ delt. Denn diese gibt für jede mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung zusammenhängende Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung, einschließlich der Werbung und des Marketing sowohl einen Mindest- als auch einen Höchststandard vor, der von den Mitgliedsstaaten weder über- noch unterschritten werden darf.975 Die RL  2005 / 29 / EG entfaltet deshalb ihre Wirkungen nicht nur im Bereich der Publikumswerbung, sondern auch im Zusammenhang mit sämtlichen In­ dividualtäuschungen, die mit dem Absatz von Waren oder Dienstleistungen in Zusammenhang stehen.976 Im persönlichen Anwendungsbereich der Richt­ linie, also im Verhältnis von Unternehmern zu Verbrauchern, kann die von Hecker vorgeschlagene Lösung, nach der bei sämtlichen Individualtäuschun­ gen am hohen Schutzstandard festzuhalten ist, nicht mehr aufrechterhalten werden.977 Vermutlich dürfte dies Hecker heute genauso sehen, da er sich 971  Hecker,

Produktwerbung, S. 325 ff. Produktwerbung, S. 327. 973  Hecker, Produktwerbung, S. 327. 974  LK-Tiedemann, Vor § 263 Rn. 40, der Heckers Vorschlag einer Täterprivilegie­ rung im Zusammenhang mit der öffentlichen Publikumswerbung „als typisch wettbe­ werblichem Verhalten gegenüber Abnehmern und Verbrauchern […] als zumindest diskutabel“ bezeichnet. 975  Vgl. hierzu nur Soyka, wistra 2007, 129. 976  Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 581. 977  Rönnau / Wegner, GA 2013, 566; Soyka, wistra 2007, 132. 972  Hecker,

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

ausdrücklich dafür ausspricht, in den Bereichen, die durch europäisches Se­ kundärrecht harmonisiert werden, das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen.978 Eine solche Harmonisierung ist mit der RL 2005 / 29 / EG mitt­ lerweile eindeutig gegeben. Hinzu kommt, dass eine auf den Bereich der Massenreklame beschränkte Einbeziehung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds auch aus anderen Gründen nicht vollends überzeugen kann. Zwar ist zuzugestehen, dass die von Hecker ins Feld geführten Wertungswidersprüche zwischen Wettbe­ werbsstrafrecht und Betrugsstrafrecht ausschließlich im Zusammenhang mit der Publikumswerbung entstehen können, da § 16 Abs. 1 UWG nur bei öf­ fentlichen Bekanntmachungen oder bei an einen größeren Personenkreis ge­ richtete Mitteilungen eingreift. Das kriminalpolitische Argument, dass Indivi­ dualtäuschungen per se gefährlicher seien als Täuschungen im Wege der Reklame, verfängt jedoch nicht. Der direkte Kontakt mit dem Täuschenden ermöglicht es dem Erklärungsempfänger, sich ein besseres Bild von seinem Geschäftspartner zu machen, seine Gestik und Mimik zu beobachten und daraus Rückschlüsse auf dessen Vertrauenswürdigkeit zu ziehen. Bei der anonymen Massenreklame sind derartige Möglichkeiten dagegen nicht gege­ ben. Auch ist es nicht immer zutreffend, dass die Publikumswerbung ihren Adressaten eine größere Bedenkzeit einräumt. Bei der Rundfunk- oder Fern­ sehwerbung mag dies zwar grundsätzlich der Fall sein, wenn man aber auf die von Hecker ebenfalls angeführten Verpackungsangaben abstellt, ergibt sich ein anderes Bild. Schließlich besteht bei missverständlichen Werbeanga­ ben auf Produktverpackungen – wenn überhaupt – nur ein marginaler Unter­ schied zu Fällen, in denen sich der Verbraucher die Eigenschaften des Pro­ duktes von einem Verkäufer mündlich vortragen lässt. Weiterhin muss man sich vor Augen führen, dass die Sonderdogmatik für den Bereich der Publi­ kumswerbung zu nicht mehr hinnehmbaren Wertungswidersprüchen führt. Denn nach diesem Konzept wäre ein Marktschreier wegen Betruges strafbar, wenn er seine Produkte unter abenteuerlichen Behauptungen im Zwiege­ spräch mit einer einzigen Person anpreist. Schrie er dagegen dieselben Aus­ sagen auf dem Markt laut heraus, sodass er einen größeren, nicht näher be­ stimmbaren Personenkreis erreicht, bliebe er straflos, obwohl der Erklärungs­ inhalt in beiden Fällen derselbe ist. Vor dem Hintergrund, dass im zweiten Fall sogar mehrere Personen geschädigt werden können, ist dieses Ergebnis nur wenig überzeugend.

978  Hecker,

Produktwerbung, S. 329.



G. Zersplitterung des Täuschungsschutzstandards

207

III. Einheitliche Auslegung des Betrugstatbestands Vieles spricht daher dafür, den Betrugstatbestand einheitlich auszulegen und die Einflüsse des Unionsrechts nicht nur im Wege der sektoralen Diffe­ renzierung auf das Notwendigste zu beschränken.979 In der Folge sollten auch reine Inlandssachverhalte und solche, die nicht dem durch die RL  2005 / 29 / EG harmonisierten Bereich unterliegen, unionsrechtsfreundlich ausgelegt werden.980 Auch bei rein inländischen Betrugssachverhalten zwi­ schen zwei Unternehmen und in Konstellationen, an denen nur Verbraucher beteiligt sind, ist daher der unionsrechtliche Irreführungsstandard zu beach­ ten und nicht mehr auf den strengeren deutschen Maßstab abzustellen. Vorteil dieser Lösung ist, dass Wertungswidersprüche, die bei einer sektoralen Diffe­ renzierung der Täuschungsschutzstandards auftreten, wirksam vermieden werden, da sich der gemeinhin für weniger schutzwürdig erachtete Unterneh­ mer an denselben Maßstäben messen lassen muss wie ein Verbraucher.981 Zum anderen befördert die einheitliche Auslegung die Rechtssicherheit und die Bestimmtheit des Tatbestands, da es für das Strafbarkeitsurteil nicht mehr darauf ankommt, ob das Produkt oder die Dienstleistung von einem Unter­ nehmer oder einem Verbraucher nachgefragt wird.982 Zudem muss gesehen werden, dass die von einigen Autoren befürwortete sektorale Differenzierung eine Diskriminierung von Inländern zur Folge hat. Die sektorale Differenzierung führt dazu, dass das Täuschungsschutzniveau außerhalb des Anwendungsbereichs der RL 2005 / 29 / EG entscheidend davon abhängt, ob ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt oder nicht.983 Während bei einer uneinheitlichen Auslegung des § 263 StGB bei rein inner­ deutschen Sachverhalten zwischen zwei Unternehmern der strengere deut­ sche Täuschungsschutz zur Anwendung käme, müsste bei zwischenstaatli­ chen Sachverhalten auf das europäische Verbraucherleitbild abgestellt wer­ den.984 Demzufolge wären Unternehmer, die allein von Deutschland aus agieren und die ihre Geschäftstätigkeit auf das deutsche Staatsgebiet be­ schränken, gegenüber ihrer ausländischen Konkurrenz erheblich benachtei­ ligt. Eine solche Inländerdiskriminierung widerspricht zwar nicht dem Recht der Europäischen Union, sie kann aber vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 979  Ebenso Gaede, FS Roxin II, S. 979; ders., AnwK, § 263 Rn. 23; Soyka, wistra 2007, 131. 980  Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 582; Soyka, wistra 2007, 131; Dannecker, Jura 2006, 175; ders., ZStW 117 (2005), 712; Rönnau / Wegner, GA 2013, 565. 981  Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 582; Soyka, wistra 2007, 131. 982  Soyka, wistra 2007, 131; Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 582. 983  Vgl. Kugler, S. 57. 984  Dannecker, Jura 2006, 175; Sieber / Satzger / v.  Heintschel-Heinegg / Hecker, § 27 Rn. 20; ders., Strafbare Werbung, S. 287; Rönnau / Wegner, GA 2013, 565.

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Kap. 3: Unionsrechtliche Vorgaben

GG problematisch sein.985 Ferner könnten findige Unternehmer ihr Strafbar­ keitsrisiko dadurch umgehen, dass sie ihre Absatzförderungsmaßnahmen in­ ternationalisieren und von einem anderen Mitgliedsstaat ausführen.986 Zu­ mindest aus rechtspolitischen Gründen ist eine unterschiedliche Lesart ein und desselben Tatbestandes daher im höchsten Maße unbefriedigend und sollte in der Folge auch unterbleiben.987

985  Dannecker, Jura 2006, 175; ders., ZStW 117 (2005), 709, 712; Rönnau / Wegner, GA 2013, 565; Kreis, S. 56 ff.; a. A. VGH Mannheim NVwZ 1996, 203; zum Streitstand Hecker, Produktwerbung, S. 335 f.; Riese / Noll, NVwZ 2007, 520 f. 986  Dannecker, Jura 2006, 175. 987  Rönnau / Wegner, GA 2013, 565; Dannecker, Jura 2006, 175; ders., ZStW 117 (2005), 712.

Kapitel 4

Anwendung einer unionsrechtskonformen Auslegung auf die genannten Fallgruppen Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass eine Übernahme des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds sowohl im Geltungsbereich der RL 2005 / 29 / EG als auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten aufgrund des Anwendungsvorrangs europäischen Rechts unumgänglich ist. Um Wer­ tungswidersprüche und eine Inländerdiskriminierung zu vermeiden, sollte sich eine am unionsrechtlichen Verbraucherleitbild orientierte Auslegung des § 263 StGB auch auf Sachverhalte erstrecken, die nicht durch das Unions­ recht beeinflusst sind. Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass auch bei einer am Unionsrecht orientierten Auslegung des Betrugstatbestandes keine unbilligen Ergebnisse zu erwarten sind. Die Vorbehalte gegen eine Implementierung des unions­ rechtlichen Verbraucherleitbilds in den Tatbestand des Betruges sind weitest­ gehend unbegründet und resultieren im Wesentlichen aus einer zu engen Deutung der Rechtsprechung des EuGH und des Richtlinientextes der RL 2005 / 29 / EG. In der Folge wird das unionsrechtliche Verbraucherleitbild in der Literatur häufig auf die Formel vom „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher“ reduziert und es werden die größten Anstrengungen unternommen, um den Einfluss des Uni­ onsrechts auf das deutsche Strafrecht zu negieren, nur damit das vermeintlich schutzlos gestellte einfältige Opfer nicht findigen Geschäftemachern preisge­ geben wird. Würdigt man jedoch die Rechtsprechung des EuGH und die Erwägungsgründe 18 und 19 der RL  2005 / 29 / EG eines tiefer gehenden Blickes, stellt sich heraus, dass auch das Unionsrecht entgegen einer weit verbreiteten Annahme dem Verbraucherschutz einen sehr hohen Stellenwert beimisst. Durch eine Anpassung der Standards bei einer gezielten Ansprache schutzwürdiger Personengruppen wird die befürchtete Ausbeutung vollstän­ dig verhindert. In der Folge ist allein in Fällen, in denen die Allgemeinheit Adressatin des Täterverhaltens ist, eine negative Betroffenheit besonders schutzwürdiger Gruppen denkbar. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein­ zelne Werbeadressaten einer übertreibenden, an die Allgemeinheit gerichteten Werbeaussage Glauben schenken und über ihr Vermögen verfügen. Jedoch fragt sich in diesen Fällen, ob eine Strafbarkeit vor dem Hintergrund des Abgrenzungsauftrags des Betrugstatbestands, der strafbares Verhalten von

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Kap. 4: Anwendung unionsrechtskonformer Auslegung auf die Fallgruppen

erlaubter Geschäftstüchtigkeit separieren soll, unbedingt die Folge sein muss oder ob es nicht sinnvoller ist, die Betroffenen in diesen Fällen ausnahms­ weise auf die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Rechtewahrnehmung zu verweisen. Auch die h. M. scheint diese Frage zugunsten der letztgenannten Alternative zu beantworten. Schließlich nimmt sie solche Behauptungen re­ gelmäßig über den Tatsachenbegriff von einer Strafbarkeit aus, was aus dogmatischer Sicht allerdings nicht überzeugen kann. Es darf auch nicht vergessen werden, dass es bei der Auslegung des § 263 StGB für den Täter um die Anordnung einer Kriminalstrafe geht, die für ihn als Betroffenen weitreichende Folgen zeitigt.988 Dies gilt umso mehr, da häufig auch das Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB erfüllt sein wird. Ein Schutz des Einfältigen um jeden erdenklichen Preis ist auch aus diesem Grund nicht gerechtfertigt. Legt man mit hiesigem Vorschlag bei der Beurteilung typischer Betrugs­ fälle ein unionsrechtlich beeinflusstes Betrugsverständnis an, zeigt sich, dass sich meist dieselben Ergebnisse einstellen, die sich auch bei der Anlegung des herkömmlichen Betrugsverständnisses ergeben. Jedoch lassen sich diese über eine durch das unionsrechtliche Verbraucherleitbild beeinflusste Be­ trugsauslegung wesentlich sauberer begründen, ohne dabei die einzelnen Tatbestandsmerkmale des Betruges überstrapazieren zu müssen.

A. Konkludente Täuschungen I. Täuschung durch Behauptung wahrer Tatsachen Berücksichtigt man die unionsrechtlichen Maßstäbe im Zusammenhang mit konkludenten Täuschungen, so lässt sich ein Betrug auch nach wie vor auf die Behauptung wahrer Tatsachen stützen. Voraussetzung ist, dass die vom Täter aufgestellte Behauptung in ihrem Gesamtkontext dazu geeignet ist, auch bei einem Durchschnittsverbraucher einen Irrtum hervorzurufen. Auch ist bei einer erkennbaren Beeinflussung des Verhaltens besonders schutzwürdiger Personenkreise eine Betrugsstrafbarkeit denkbar, wenn der Durchschnittsverbraucher sich nicht täuschen ließe. Denn hier erfolgt eine entsprechende Anpassung des Täuschungsniveaus, da dann auf das durch­ schnittliche Verständnis eines Mitglieds dieser Gruppe abzustellen ist. Nach diesen Grundsätzen wird man jedenfalls in den bisher bekannten Fällen einer Täuschung durch Behauptung wahrer Tatsachen vom Vorliegen einer konklu­ denten Täuschung ausgehen können. Auch ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Erklärungsempfänger wird die Übergabe ei­ 988  AnwK-Gaede,

§ 263 Rn. 22; ders., FS Roxin II, S. 978.



A. Konkludente Täuschungen211

ner gefälschten Banknote durch einen Bankkassierer mit der Anmerkung, dass es sich um einen von ihm frisch gedruckten Geldschein handele, allen­ falls als Scherzerklärung auffassen. Ebenso verhält es sich mit der wahrheits­ gemäßen Aussage eines Kreditwerbers, der behauptet siebenstellig in den roten Zahlen zu stehen. Vergleichbares gilt im Schuldenregulierungsfall, da auch ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Ver­ braucher aufgrund der Gesamtumstände das Angebot der Täter so verstehen musste, dass tatsächlich eine Kreditvermittlung stattfinden sollte und die per Nachnahme versandte Postsendung den für sie bestimmten Kreditvertrag enthält. Maßstab des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds ist nämlich nicht der homo oeconomicus oder ein sonstiges hohes Verbraucherideal, sondern immer nur das Verständnis einer durchschnittlichen Person.989 Selbst in Schröders Frugalfall ließe sich unter gewissen Umständen mit­ hilfe eines unionsrechtlich beeinflussten Verbraucherverständnisses das Vor­ liegen einer konkludenten Täuschung erklären. Schließlich handelt es sich bei dem Ausdruck „frugal“ um ein vergleichsweise unbekanntes Fremdwort, dessen Kenntnis zumindest von einem Durchschnittsverbraucher nicht zwin­ gend erwartet werden kann. Wird es in einem Gesamtkontext gebraucht, der nach der Verkehrsauffassung auf das Angebot einer besonders üppigen Mahl­ zeit schließen lässt  – wofür ein deutlich überhöhter Preis ein gewichtiges Indiz darstellt – ist eine Täuschung über den Umfang der Leistung zumindest denkbar. Sicherlich handelt es bei Schröders Frugalbeispiel um einen Grenz­ fall, bei dem man mit guten Gründen auch von einem gegenteiligen Ergebnis ausgehen kann. Insbesondere wenn die Gesamtumstände nicht für ein um­ fangreiches Leistungsangebot sprechen, wird man von einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher erwarten können, dass er sich über den genauen Umfang der Leistung informiert. Letztlich handelt es sich dabei aber immer um eine Frage des einzelnen Falles.

II. Rechnungsähnliche Angebotsschreiben Eindeutiger zu beurteilen ist dagegen der Versand rechnungsähnlicher An­ gebotsschreiben, der von der ganz h. M. zu Recht als strafbares Verhalten gewertet wird. Auch wenn die Begründungsansätze zum Teil  erheblich von­ einander abweichen, besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass das Ver­ halten als konkludente Täuschung zu werten ist. Jenseits dieser Festlegung gehen die Meinungen jedoch weit auseinander. Die Rechtsprechung zieht in jüngerer Zeit zur Begründung der tatbestandsmäßigen Täuschung den sub­ jektiven Täuschungsbegriff heran, nach welchem sich die Täuschungsqualität einer sich selbst dementierenden Erklärung in erster Linie nach den Absich­ 989  BGH

NJW 2014, 2598.

212

Kap. 4: Anwendung unionsrechtskonformer Auslegung auf die Fallgruppen

ten des Täters bemisst.990 Da die Rechtsprechung bei rechnungsähnlichen Angebotsschreiben überwiegend annimmt, dass der Täter bei einer Inserti­ onsofferte die Eignung der inhaltlich an sich richtigen Erklärung planmäßig einsetzt und unter dem Anschein äußerlich verkehrsgerechten Verhaltens den Adressaten gezielt schädigen will, nimmt sie überwiegend auch eine Straf­ barkeit an. Überzeugend ist dieser Ansatz jedoch nicht. Zum einen sieht sich die Rechtsprechung erheblichen Beweisproblemen ausgesetzt, da das subjek­ tive Merkmal des gezielten Schädigungsvorsatzes in der Praxis nur schwer nachweisbar sein dürfte und umständlich aus dem Vorhandensein gewisser Indizien abgeleitet werden muss. Zudem vermengt die Rechtsprechung in unzulässiger Weise objektive und subjektive Tatbestandselemente und hebt damit die Trennung von objektivem und subjektivem Tatbestand nahezu voll­ kommen auf. In der Literatur wird die Täuschungsqualität des Verhaltens daher überwiegend unter Heranziehung des faktisch(-normativen) Verständ­ nisses der konkludenten Täuschung hergeleitet.991 Demnach soll eine konklu­ dente Täuschung gegeben sein, wenn der Täter durch die Verwendung meh­ rerer klassischer Rechnungsmerkmale unter gleichzeitiger Verschleierung des Angebotscharakters den unzutreffenden Eindruck einer Rechnung für er­ brachte Leistungen erweckt.992 Anhänger des normativen Täuschungsbegriffs stellen dagegen auf die Verteilung des Irrtumsrisikos ab und gelangen so ebenfalls überwiegend zu einer Strafbarkeit.993 Aufgrund des fragwürdigen dogmatischen Ansatzpunktes der neueren Rechtsprechung ist dabei den The­ orien der Vorzug zu geben, die das Vorliegen der konkludenten Täuschung über das faktisch-normative bzw. das normative Täuschungsverständnis her­ leiten. Etwas überzeugender erscheint hierbei das faktisch-normative Täu­ schungsverständnis, weil dieses im Gegensatz zu einer rein normativen Her­ leitung nicht vollständig von den getätigten Erklärungen losgelöst ist. Da aber auch das faktische Täuschungsverständnis über das Merkmal der Ver­ kehrsanschauung ebenfalls normative Wertungen enthält, sind die Unter­ schiede nur marginal, sodass eine Entscheidung zugunsten der einen oder der anderen Auffassung unterbleiben kann.994 990  BGHSt 47, 1 (5); BGH wistra 2001, 387; BGH NStZ-RR 2004, 111; OLG Frankfurt a. M. NJW 2011, 400; vgl. auch Schröder, FS Peters, S. 159. 991  Paschke, S. 204; Garbe, NJW 1999, 2870; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 196; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 103; LPK-Kindhäuser, § 263 Rn. 62; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 25; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 25; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 54. 992  Rengier, BT  I, § 13 Rn. 13; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 196; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 103; LPK-Kindhäuser, § 263 Rn. 62; Paschke, S. 209 ff.; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 25; Geisler, NStZ 2002, 87; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 54; dabei ausdrücklich auf den Durchschnittsempfänger abstellend Baier, JA 2002, 336. 993  Hoffmann, GA 2003, 619; Pawlik, StV 2003, 299. 994  Vgl. SSW-Satzger, § 263 Rn. 41.



A. Konkludente Täuschungen213

Jedenfalls sind nach hiesiger Auffassung in Abweichung von der h. M. bei der Ermittlung der konkludenten Täuschung insbesondere auch die Wertun­ gen des Unionsrechts zu berücksichtigen. Dies hat zur Folge, dass entweder bei der Festlegung des Maßstabs für die Verkehrsauffassung auf die Sicht­ weise eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Adressaten abzustellen ist, bzw. das Irrtumsrisiko entsprechend verteilt wer­ den muss. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es nach der Nr. 21 des Anhangs I der RL  2005 / 29 / EG unter allen Umständen als unlauter gilt, wenn „Werbematerialien […] eine Rechnung oder ein ähnliches Dokument mit einer Zahlungsaufforderung beigefügt [wird], die dem Verbraucher den Eindruck vermitteln, dass er das beworbene Produkt bereits bestellt hat, ob­ wohl dies nicht der Fall ist“.995 Allerdings gibt die RL  2005 / 29 / EG damit nur vor, dass eine nach ihren Bestimmungen unzulässige Geschäftspraktik in irgendeiner Weise verboten werden muss. Dies muss nicht unbedingt mit den Mitteln des (Betrugs-)Strafrechts geschehen, sondern die unionsrechtlich ge­ botene Untersagung einer solchen Verhaltensweise kann grundsätzlich auch mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts erfolgen. Aus der Nr. 21 des An­ hangs  I der RL  2005 / 29 / EG ergibt sich damit nicht zwingend die Strafbar­ keit des Versands rechnungsähnlicher Angebotsschreiben. Jedoch folgt aus dieser Bestimmung, dass nach den Wertungen des Unionsrechts der Versand rechnungsähnlicher Angebotsschreiben jedenfalls eine Eignung zur Irrefüh­ rung besitzt. Denn auch ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Verbraucher kann bei einem Überwiegen der Rechnungsmerk­ male bei gleichzeitigem Zurücktreten des wahren Angebotscharakters mit Recht davon ausgehen, dass es sich bei einer Insertionsofferte nicht um ein bloßes Angebot, sondern um eine Rechnung für eine vermeintlich in An­ spruch genommene Leistung handelt. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Angebotsschreiben unmittelbar auf eine vom Empfänger veröffentlichte To­ desanzeige nachfolgt. Nach den Anschauungen der maßgeblichen Verkehrs­ kreise, ist in dem Schreiben daher eine konkludente Täuschung über das Bestehen eines Zahlungsanspruchs aufgrund einer vermeintlich in Anspruch genommenen Leistung zu sehen. Vergleichbares gilt in Bezug auf Empfänger, die nicht Verbraucher, son­ dern Unternehmer sind. Zwar findet die Nr. 21 des Anhangs I in diesem Fall keine Anwendung und wegen der nicht vollständigen Vergleichbarkeit der Situation kann sie auch keine Indizwirkung entfalten,996 allerdings ist ein solches Schreiben auch aus der Sicht eines durchschnittlich informierten, 995  Erb, ZIS 2011, 376; Hecker, JuS 2011, 472; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 109; Peters, S. 164. 996  Zur vergleichbaren Regelung in Nr. 22 des Anhangs zum UWG siehe HarteBavendamm / Henning-Bodewig / Dreyer, Anhang zu § 3 Abs. 3 Nr. 22 Rn. 2 ff.

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Kap. 4: Anwendung unionsrechtskonformer Auslegung auf die Fallgruppen

aufmerksamen und verständigen Durchschnittsunternehmers als Rechnung zu begreifen.997 Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die Schreiben einer amtlichen Rechnung oder der Rechnung anderer Unternehmen zum Ver­ wechseln ähnlich sehen. Zum anderen sehen sich Gewerbetreibende und de­ ren Mitarbeiter regelmäßig einem großen Zeitdruck ausgesetzt, sodass gerin­ gere Rechnungsbeträge nicht zuletzt aus Kostengründen für gewöhnlich ohne eingehende Prüfung zur Zahlung angewiesen werden.998 Auch erreichen die Insertionsofferten die Betroffenen regelmäßig in einem Zeitpunkt, in dem sie mit dem Zugang einer (amtlichen) Rechnung rechnen müssen. In der Folge wird auch ein durchschnittlich aufmerksamer Unternehmer die Scheinrech­ nungen nur auf ihre Plausibilität hin kontrollieren und anschließend beglei­ chen. Im Verhältnis von Unternehmern untereinander ist deshalb ebenfalls vom Vorliegen einer konkludenten Täuschung über das Bestehen einer Zah­ lungspflicht auszugehen, wenn die insoweit maßgeblichen Verkehrskreise das Schreiben als Rechnung für eine in Anspruch genommene Leistung be­ greifen durften. Natürlich kann der Fall aber anders zu beurteilen sein, wenn nur wenige Rechnungsmerkmale aufzufinden sind oder die Angebotsqualität des Schreibens insgesamt präsenter ist. Denn in diesem Fall drängt sich aus der Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständi­ gen Empfängers nicht der Eindruck einer Rechnung auf. Insoweit ergeben sich aber keine Unterschiede zur gegenwärtigen Rechtslage, nach der trotz des Bekenntnisses zum Schutz des Einfältigen keine Strafbarkeit vorliegen soll, wenn der Offertencharakter hinreichend deutlich ist.

III. Abofallen Vergleichbares gilt für Internetkosten- bzw. Abofallen, bei denen es sich ebenfalls um eine Variante des Betruges mittels einer sich selbst dementieren­ den Erklärung handelt. Insofern ist ihre strafrechtliche Behandlung stark an die der rechnungsähnlichen Angebotsschreiben angelehnt. Wegen der dogma­ tischen Bedenken, die gegen eine Anwendung des subjektiven Täuschungsbe­ griffs sprechen, wird man auch im Kontext mit Internetkostenfallen das Vor­ liegen einer konkludenten Täuschung über die Entgeltpflichtigkeit danach bemessen müssen, ob und inwieweit das Internetangebot nach der maßgebli­ chen Verkehrsanschauung als kostenpflichtiges erkennbar war. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dabei das Verständnis eines durchschnittlich infor­ mierten, aufmerksamen und verständigen Internetnutzers entscheidend, wobei aber auch die jeweilige Zielgruppe eine erhebliche Rolle spielt.999 997  Vgl.

BGH GRUR 2012, 184. BGH GRUR 2012, 184. 999  Ähnlich auch Müller, NZWiSt 2014, 399 sowie Bosch, JK 6 / 11 StGB § 263 / 90. 998  Vgl.



A. Konkludente Täuschungen215

Legt man bei der Beurteilung der Abofallen diese Maßstäbe zugrunde, folgt daraus regelmäßig die Strafbarkeit des Verhaltens.1000 Denn ein durch­ schnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Internetnutzer rech­ net nicht ohne Weiteres damit, für Dienstleistungen, die für gewöhnlich im Internet kostenlos erhältlich sind, ein Entgelt entrichten zu müssen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass Internetseiten von einem Durchschnittsver­ braucher gewöhnlich nur überflogen und nicht eingehend durchgelesen wer­ den.1001 Auch in Fällen, in denen die abrechnungsrelevanten Daten des Nut­ zers abgefragt werden und das Lesen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch Setzen eines Akzeptanzhäkchens zu bestätigen ist, ergibt sich keine abweichende Bewertung. Die Notwendigkeit, Angaben zu Namen und Ad­ resse zu machen, um das jeweilige Angebot nutzen zu können, ist für sich alleine genommen kein zuverlässiger Hinweis auf die Entgeltpflichtigkeit,1002 insbesondere wenn sie mit der Teilnahme an einem Gewinnspiel plausibel erklärt wird.1003 Auch Preisangaben, die sich hinter einem Sternchenhinweis verbergen, können den Strafbarkeitsvorwurf nicht ohne Weiteres entkräften, da auch ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Internetnutzer in dem zugehörigen Hinweistext eine Datenschutzerklärung, nähere Informationen zum Gewinnspiel oder zumindest eine Ausfüllanleitung erwartet und nicht davon ausgeht, dort Angaben über die Entgeltlichkeit der Leistung zu finden.1004 Ebenso sind Preisangaben in Allgemeinen Geschäfts­ bedingungen für den Durchschnittsnutzer nicht erkennbar und damit auch nicht ausreichend.1005 Ähnlich sieht dies auch die zivilgerichtliche Recht­ sprechung und die wettbewerbsrechtliche Literatur, die in solchen Fällen von einem Verstoß gegen das Irreführungsverbot des bereits weitestgehend har­ monisierten § 5 UWG ausgeht.1006

Heger, HRRS 2014, 471; a. A. Müller, NZWiSt 2014, 399. Frankfurt a. M. MMR 2009, 341; LG Landshut, Urt. v. 16.08.2011 – 54 O 1465 / 11, BeckRS 2011, 25738; LG Hamburg GRUR-RR 2011, 103; Blasek, GRUR 2010, 398; Majer / Buchmann, NJW 2014, 3344. 1002  LG Hamburg GRUR-RR 2011, 103. 1003  OLG Frankfurt a. M. MMR 2009, 341; Cornelius, NStZ 2015, 316. 1004  OLG Frankfurt a. M. MMR 2009, 341 f.; LG Landshut, Urt. v. 16.08.2011  – 54 O 1465 / 11, BeckRS 2011, 25738; Blasek, GRUR 2010, 400. 1005  OLG Frankfurt a. M. MMR 2009, 342; Blasek, GRUR 2010, 400; nach der Auffassung des LG Hamburg soll dies auch für Verbraucher gelten, die in geschäft­ lichen Dingen bewandert sind und die deshalb wissen, dass es nicht möglich ist, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen wirksam Regelungen zu vereinbaren, die unan­ gemessen oder überraschend sind, GRUR-RR 2011, 103. 1006  OLG Frankfurt a. M. MMR 2009, 341; LG Landshut, Urt. v. 16.08.2011 – 54 O 1465 / 11, BeckRS 2011, 25738; Blasek, GRUR 2010, 399 f. 1000  Ebenso 1001  OLG

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Kap. 4: Anwendung unionsrechtskonformer Auslegung auf die Fallgruppen

Hinzu kommt, dass auch bei Kostenfallen im Internet ein weiteres per-seVerbot des Anhangs I zur RL 2005 / 29 / EG eingreift.1007 Nach dessen Nr. 20 gelten Geschäftspraktiken unter allen Umständen als unlauter, wenn „ein Produkt […] als ‚gratis‘, ‚umsonst‘, ‚kostenfrei‘ oder Ähnliches beschrieben [wird], obwohl der Verbraucher weitere Kosten als die Kosten zu tragen hat, die im Rahmen des Eingehens auf die Geschäftspraktik und für die Abholung oder Lieferung der Ware unvermeidbar sind.“ Vergleichbares ergibt sich auch aus der Nr. 21 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG.1008 Ferner liegen bei Inter­ netkostenfallen auch Übertretungen des § 3a UWG i. V. m. § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 6 S. 2 PAngV vor.1009 Da die Kosten für die Nutzer nur schwer erkenn­ bar sind, verstoßen die Abofallen in aller Regel gegen die Verpflichtung zur Gesamtpreisangabe, § 1 Abs. 1 S. 1 PAngV und gegen die Grundsätze der Preiswahrheit und Preisklarheit, § 1 Abs. 6 PAngV.1010 Nach der Verkehrsauf­ fassung, die unter anderem von dem entsprechenden Geschäftstyp und damit auch von den zugrundeliegenden Regelungen abhängig ist, wird man deshalb in den Internetkostenfallen trotz des versteckten Hinweises auf das anfal­ lende Entgelt kein kostenpflichtiges Angebot erblicken können. Zudem wird man aufgrund der eindeutigen wettbewerbsrechtlichen Regelungen das Irr­ tumsrisiko dem Anbieter des Angebots zuweisen müssen, sodass auch bei einem unionsrechtsrechtlich beeinflussten Verständnis der konkludenten Täuschung der Täuschungscharakter von Internetkostenfallen zu bejahen ist.1011

IV. Ping-Anrufe Ebenso ergibt sich im Zusammenhang mit der Fallgruppe der Ping-Anrufe keine abweichende Bewertung. Dies gilt unabhängig davon, ob man von ei­ ner Täuschung über einen Verbindungsversuch1012 oder mit der h. M. von einer Täuschung über einen Wunsch nach ernsthafter inhaltlicher Kommuni­ kation ausgeht.1013 Denn auch ein durchschnittlich informierter, aufmerksa­ 1007  Heim, S. 180; MüKo-UWG / Alexander, § 3 Abs. 3 Nr. 21 Rn. 21; Ohly / Sosnitza, Anh. zu § 3 Abs. 3 UWG, Rn. 61. 1008  BGH NJW 2014, 2598; Hecker, JuS 2014, 1046; Blasek, GRUR 2010, 399; Heim, S. 180; Majer / Buchmann, NJW 2014, 3344. 1009  OLG Frankfurt a. M. MMR 2009, 341; LG Hamburg GRUR-RR 2011, 103; Eisele, NStZ 2010, 196; Blasek, GRUR 2010, 398. 1010  Eingehend hierzu Blasek, GRUR 2010, 398. 1011  Ebenso Cornelius, NStZ 2015, 316 und Hecker, JuS 2011, 472. 1012  Siehe Kapitel 1 C. I. 5. f. 1013  So BGH NJW 2014, 2055; OLG Oldenburg wistra 2010, 454; LG Osnabrück CR 2013, 581; LG Hildesheim MMR 2005, 131; Jäger, JA 2014, 631; Kölbel, JuS 2013, 196; Brand / Reschke, NStZ 2011, 381; Bosch, JK 11 / 14 StGB § 263 / 106; Ogo-



A. Konkludente Täuschungen

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mer und verständiger Mobilfunkteilnehmer wird mit Recht beim Vorfinden eines Anrufs in Abwesenheit davon ausgehen dürfen, dass jemand mit ihm eine Telefonverbindung aufbauen wollte. Dies wird auch nicht dadurch be­ einträchtigt, dass die hinterlassene Nummer unter Umständen als Mehrwert­ dienstnummer identifizierbar ist. Denn ein Durchschnittsmobilfunkteilnehmer ist nicht mit sämtlichen Vorwahlen von Telefonmehrwertdiensten vertraut. Während die 0900er-Vorwahl in der Bevölkerung einen etwas größeren Be­ kanntheitsgrad genießt, sind die übrigen Mehrwertdienstnummern weitge­ hend unbekannt. Dies zeigt sich allein schon daran, dass das TKG bei Mehr­ wertdiensten Preisangabe und -ansagepflichten vorsieht, was nicht nötig wäre, wenn ein durchschnittlicher Mobilfunkteilnehmer Vorwahlen- und Ge­ bührenstrukturen kennen würde. Hinzukommt, dass wegen der Leichtigkeit des Rückrufs die Aufmerksamkeit des Angerufenen eher gering ist, sodass der Rückruf in der Regel ohne vorherige Überprüfung der Nummernstruktur und der Vorwahl erfolgt. Selbst wenn man mit der wohl h. M. den Täuschungsinhalt in einem ver­ meintlichen „Wunsch nach ernsthafter inhaltlicher Kommunikation“ sieht, gelangt man unter Zugrundelegung des unionsrechtlichen Verbraucherleit­ bilds zu einer Strafbarkeit der Ping-Anrufer. Schließlich wird man kaum unterstellen können, dass ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher allein anhand der hinterlassenen Mehrwertdienstnummer ermitteln kann, dass der Anrufer keinen Kommuni­ kationswunsch hatte. Selbst wenn man die maßgebliche Täuschung in einer Irreführung über die Rückrufkosten sieht,1014 werden sich regelmäßig keine Änderungen ergeben. Wie bereits dargelegt legt selbst ein durchschnittlicher Telekommunikationsteilnehmer situationsbedingt keine besonders hohe Auf­ merksamkeit an den Tag, wenn er einen Anruf in Abwesenheit auf seinem Telefondisplay vorfindet. Vielmehr wird er sich zügig darüber vergewissern wollen, ob ihn tatsächlich jemand erreichen wollte. Da ihm bekannte Perso­ nen in aller Regel in Telefonbuchspeicher des Endgeräts gespeichert sind und dementsprechend angezeigt werden würden, wäre eine eingehende Befassung mit der Rufnummer aus der Sicht des Angerufenen ohnehin wenig auf­ schlussreich. Da eine genauere Betrachtung der Anrufernummer aus diesem Grund wenig zielführend ist, kann sie von einem durchschnittlich aufmerksa­ men Telekommunikationsteilnehmer nicht erwartet werden. Zudem kann ein durchschnittlich informierter Telefonnutzer allein durch die Betrachtung der Rufnummer nicht erkennen, dass ein Rückruf nur zu deutlich erhöhten Tele­ rek, myops 2011, 26; Seidl, jurisPR-ITR 20 / 2010 Anm. 3; Ellbogen / Erfurth, CR 2008, 635; Jahn, JuS 2014, 849; Lackner / Kühl, § 263 Rn. 9; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 16 f.; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 55. 1014  BGH NJW 2014, 2055; Bosch, JK 11 / 14 StGB § 263 / 106; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 119; Kölbel, JuS 2013, 196.

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Kap. 4: Anwendung unionsrechtskonformer Auslegung auf die Fallgruppen

fongebühren möglich ist.1015 Wenn man bedenkt, dass die Ping-Anrufer die Mehrwertdienstnummern noch zusätzlich durch die Voranstellung von Län­ derpräfixen verschleiern oder Mehrwertdienstnummern verwenden, die hin­ sichtlich ihrer Vorwahl gewöhnlichen Ortsvorwahlen gleichen, kann man von einem situationsadäquat aufmerksamen Telefonnutzer erst recht nicht erwar­ ten, dass er bei der naturgemäß eher oberflächlichen Betrachtung der hinter­ lassenen Nummer einen zutreffenden Rückschluss auf die höheren Gebühren tätigt.

B. Ausdrückliche Täuschungen I. Übertreibende Werbeaussagen Die wohl größten Auswirkungen dürfte das unionsrechtliche Verbraucher­ leitbild im Bereich der übertreibenden Publikumswerbung und im Bereich der marktschreierischen Reklame zeitigen. Da die h. M. den Schutz des Ein­ fältigen im Bereich der Werbung jedoch nicht mit letzter Konsequenz ver­ folgt, wird man allerdings auch hier nur selten zu abweichenden Ergebnissen gelangen. Bislang wird von der h. M. den sozialadäquaten Formen der Werbung der Tatsachencharakter abgesprochen, da bei der Einstufung als Werturteil oder Tatsache zu berücksichtigen sei, dass die Verkehrsanschauung übertriebene Anpreisungen und marktschreierische Reklame nicht als ernsthafte Tatsa­ chenbehauptung auffasse.1016 Überzeugend ist dies indes nicht, da der Ver­ kehr dazu neigt, Werbeaussagen durchaus ernst zu nehmen und auch in Übertreibungen zumindest einen Tatsachenkern zu erkennen.1017 Vor allem die Aussagen renommierter Unternehmen werden im Allgemeinen relativ ernst genommen und für glaubwürdig erachtet, insbesondere wenn sie kon­ krete Hinweise auf die Warenbeschaffenheit enthalten.1018 Hinzu kommt, dass die h. M. häufig zu nicht mehr vorhersehbaren Ergebnissen führt und damit vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes kritisch zu be­ trachten ist. So werden zum Teil  offensichtlich dem Beweis zugängliche Behauptungen als Werturteil eingestuft, wohingegen eigentlich als Werturteil zu klassifizierende Aussagen Tatsachencharakter besitzen sollen. Die Ergeb­ auch Bosch, JK 11 / 14 StGB § 263 / 106. § 263 Rn. 88; Sonnen, JA 1987, 213; Matt / Renzikowski-Saliger, § 263 Rn. 22; Eisele, BT  II, Rn. 522; Schönke / Schröder / Perron, § 263 Rn. 8 m. w. N. 1017  BGH GRUR 73, 595  – Skisicherheitsbindung; Ohly / Sosnitza, § 5 UWG Rn. 87. 1018  Ohly / Sosnitza, § 5 UWG Rn. 88. 1015  Ähnlich

1016  NK-Kindhäuser,



B. Ausdrückliche Täuschungen219

nisse, die dabei entstehen, sind mitunter nicht mehr nachvollziehbar und scheinen in einigen Fällen eher einer Einzelfallentscheidung nach nicht näher offengelegten Kriterien zu entsprechen als einer stringenten Anwendung der Betrugsdogmatik.1019 Nicht zu Unrecht wird der h. M. daher vorgeworfen, dass sie bei der Anwendung des § 263 StGB auf Reklamemaßnahmen „die fatale Tendenz [zeige], die Kleinen zu hängen und die Großen laufen zu lassen“.1020 Daher ist es geboten, eine Abschichtung erwünschter Formen der Publi­ kumswerbung aus dem Tatbestand des Betruges nicht länger über eine belie­ bige Anwendung des Tatsachenbegriffs vorzunehmen. Stattdessen sollte da­ nach gefragt werden, ob ein beim Opfer entstandener Irrtum dem Täter auch objektiv zuzurechnen ist. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, inwie­ weit der Täter gemessen an den unionsrechtlichen Wertungen ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen hat. Es ist daher danach zu fragen, ob ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnitts­ verbraucher die Werbeaussage mit demselben Inhalt belegt hätte und dement­ sprechend ebenfalls in die Irre geführt worden wäre. Scheidet dies aus, kommt eine Bestrafung wegen Betruges nicht mehr in Betracht.1021 Bei der Ermittlung der Auffassung des Durchschnittsverbrauchers sind insbesondere Art und Ort der Werbung, die vom Verkehr in Rechnung gestellten Gepflo­ genheiten der jeweiligen Branche sowie das Wettbewerbsverhalten der Mit­ bewerber zu berücksichtigen.1022 In der Folge können bei einer Werbung in einem Kaufhaus andere Maßstäbe gelten als an einem Jahrmarktstand. Insbe­ sondere die Reklame mit Mitteln der Satire, karikaturistischen Übertreibun­ gen oder humoristischen Überzeichnungen, unterliegen regelmäßig einer weniger strengen Beurteilung, da der Verkehr diese Formen der Reklame nicht allzu wörtlich nimmt.1023 Missverständnisse oder Fehlinterpretationen des Opfers gingen demnach nicht mehr zu Lasten des Täters, sondern wür­ den in der Risikosphäre des Opfers verbleiben. Theoretisch sind für den Schutz des Einfältigen die Auswirkungen im Be­ reich der übertreibenden Werbung am gravierendsten, da nach Art. 5 Abs. 3 S. 2 der RL  2005 / 29 / EG „die übliche und rechtmäßige Werbepraxis, über­ triebene Behauptungen oder nicht wörtlich zu nehmende Behauptungen auf­ zustellen“ von der sonst geltenden Verpflichtung, den Maßstab bei beson­ ders schutzwürdigen Adressaten zu korrigieren, ausgenommen ist. Obwohl 1019  Thomma,

S. 286; Hennings, S. 92.

1020  Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf,

§ 20 Rn. 32 Fn. 41. § 263 Rn. 83, möchte die unionsrechtlichen Vorgaben dage­ gen über das Tatsachenmerkmal einfließen lassen. 1022  Ohly / Sosnitza, § 5 UWG Rn. 186. 1023  Ohly / Sosnitza, § 5 UWG Rn. 188. 1021  MüKo-Hefendehl,

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Kap. 4: Anwendung unionsrechtskonformer Auslegung auf die Fallgruppen

damit zumindest im Anwendungsbereich der RL  2005 / 29 / EG eine Anpas­ sung des Schutzstandards nicht mehr möglich ist, sind die praktischen Aus­ wirkungen einer unionsrechtlich orientierten Betrugsauslegung auch im Be­ reich der Werbung geringer als man zunächst vermuten mag. Unwahre über­ treibende Werbeaussagen wie „jeder Fleck gleich weg“, die auch nach her­ kömmlicher Betrugsauslegung nicht strafbar sind,1024 wird auch ein Durchschnittsverbraucher nicht für bare Münze nehmen, sodass auch hier die Straflosigkeit das Ergebnis wäre. Ebenso wird man in Übereinstimmung mit der h. M. von einer Strafbarkeit ausgehen können, wenn die Behauptun­ gen konkreter werden, z. B. wenn eine besondere Reinigungswirkung mit einem – tatsächlich nicht vorhandenen – hohen Salzgehalt plausibel begrün­ det wird.1025 Lediglich im vielzitierten Haarverdicker-Fall ist nach der hier vorgeschlagenen Lösung keine zurechenbare Täuschung gegeben. Da die vom Täter aufgestellten Behauptungen, besonders ausgefallen und unglaub­ würdig waren, sind sie aus der Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers als bloße Über­ treibungen anzusehen, die sich im Rahmen des unionsrechtlich Erlaubten bewegen und damit kein strafrechtlich relevantes Risiko für einen Irrtum darstellen.1026

II. Aberglauben und Okkultismus Selbst im Bereich des Aberglaubens und des Okkultismus schließt die Einbeziehung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds die Annahme eines Betruges nicht aus. Denn auch im unionsrechtlich weitestgehend harmoni­ sierten Wettbewerbsrecht ist unter Anlegung des Maßstabs vom durchschnitt­ lich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher eine Irreführung im Kontext mit Aberglauben, Wahrsagung oder Esoterik grundsätzlich möglich.1027 Relevant ist in diesem Zusammenhang, dass nach den unionsrechtlichen Vorgaben eine Anpassung des Maßstabs vorgeschrie­ ben ist, wenn für den Täter erkennbar eine besonders schutzwürdige Verbrau­ chergruppe angesprochen wird. Bei einer am unionsrechtlichen Verbraucher­ 1024  Eisele,

BT II, Rn. 522. BT II, Rn. 522. 1026  Vgl. auch Ruhs, FS Rissing-van Saan, S. 580; Soyka, wistra 2007, 128 ff.; Dannecker, ZStW 117 (2005), 711; Hecker, Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 34; ders., Produktwerbung, S. 304 f.; Kreis, S. 69 f.; Esser, Europäisches Strafrecht, § 2 Rn. 26; HWSt-Kölbel, V Rn. 66; a. A.  Heim, S. 159 ff. mit Hinweis auf das (wettbe­ werbsrechtliche) Urteil des OLG Jena v. 21.5.2003  – 2 U 967 / 02, welches bei einer Anzeigenwerbung für Schlankheitskapseln unter Zugrundelegung des europäischen Verbraucherleitbilds auf eine wettbewerbswidrige Irreführungseignung erkannte. 1027  OLG Düsseldorf GRUR-RR 2009, 72; Ohly / Sosnitza, § 2 UWG Rn. 126. 1025  Eisele,



B. Ausdrückliche Täuschungen221

leitbild orientierten Betrugsauslegung ergibt sich daher im Sirius-Fall wie auch im Teufelsaustreibungsfall ebenfalls das Ergebnis der Strafbarkeit. Ins­ besondere wird man in diesen Fällen, in denen es sich jeweils um Individu­ altäuschungen handelte, annehmen können, dass sich der Täter gezielt an besonders schutzwürdige Verbraucher wendete, sodass der Maßstab entspre­ chend herabzusetzen wäre.

Zusammenfassung und Fazit Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Betrugsstrafrecht entgegen anderslautender Bekundungen keinen umfassenden Schutz des Einfältigen gewährleistet. Selbst nach der h. M., die sich eigentlich für einen allumfas­ senden Schutz einfältiger und leichtgläubiger Personen ausspricht, ist ein grenzenloser Schutz nicht gegeben. Besonders offensichtlich wird dies im Zusammenhang mit der marktschreierischen Reklame und den übertreiben­ den Werbeaussagen, bei denen kognitiv bedingte Fehlinterpretationen der Werbeadressaten über den Tatsachenbegriff aus dem Betrugstatbestand her­ ausgenommen werden. Ebenso ist die Täuschungsform der konkludenten Täuschung, bei der nach der h. M. auf das Verständnis der maßgeblichen Verkehrskreise abgestellt werden soll, mit dem postulierten Schutzniveau unvereinbar, da Personen, die hinter dem Verständnis der Verkehrskreise zu­ rückbleiben, denknotwendig ausgeklammert werden. Es ist daher evident, dass die in Rechtsprechung und Literatur häufig vorzufindende Aussage, dass der Betrug auch den Leichtgläubigen schützt, nicht mehr als ein reines Lippenbekenntnis ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass aufgrund zwingend zu beachtender unionsrechtlicher Vorgaben der von der Rechtsprechung propa­ gierte bedingungslose betrugsstrafrechtliche Schutz des Einfältigen eigentlich gar nicht mehr zulässig ist. Sehr häufig werden Sachverhalte, die in den Anwendungsbereich des Betrugstatbestands fallen, durch das europäischen Primär- und Sekundärrecht unionsrechtlich beeinflusst. Dies betrifft insbe­ sondere Geschäftspraktiken, die dem Absatz von Waren oder Dienstleistun­ gen dienen bzw. grenzüberschreitenden Bezug aufweisen. Aufgrund des An­ wendungsvorrangs des höherrangigen Unionrechts sind in diesen Fällen die unionrechtlichen Wertungsvorgaben zwingend zu beachten. Vor dem Hinter­ grund, dass nach dem Verständnis des Europäischen Gerichtshofs und des europäischen Gesetzgebers ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher den Maßstab für die Bewertung der Irreführungsgeeignetheit einer Handlung bildet, ist ein Schutz der Perso­ nen, die hinter diesen Standards zurückbleiben, im Anwendungsbereich des Unionsrechts überhaupt nicht möglich. Da insbesondere aufgrund der voll­ harmonisierenden Wirkung der RL  2005 / 29 / EG weite Teile des Anwen­ dungsfelds des § 263 StGB unionsrechtlich beeinflusst sind, ließe sich ein bedingungsloser Schutz des Einfältigen eigentlich nur noch im Verhältnis



Zusammenfassung und Fazit223

von Unternehmern oder Verbrauchern untereinander verwirklichen, und auch dies nur solange kein grenzüberschreitender Bezug gegeben ist. Würde in diesen Fällen an dem hohen deutschen Schutzstandard festgehalten, müsste man sich aber die Frage stellen, ob es wirklich gerechtfertigt ist, die grund­ sätzlich weniger schutzwürdigen Unternehmer bei Geschäftshandlungen im Verhältnis B2B einem besseren Schutz zu unterstellen, als die Verbraucher bei Geschäftshandlungen im Verhältnis B2C. Zudem ist es nur schwer erklär­ bar, weshalb grenzüberschreitende Sachverhalte zwischen Unternehmern eine andere Behandlung finden sollen als solche Sachverhalte, die sich nur innerhalb der deutschen Landesgrenzen abspielen. Aus diesen Gründen ist es ratsam, den Betrugstatbestand insgesamt an dem unionsrechtlichen Verbrau­ cherleitbild auszurichten. Die Vorbehalte, die seitens der Rechtsprechung und von Teilen der Lehre hinsichtlich der Anwendung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds auf den Betrugstatbestand geltend gemacht werden, können allesamt nicht durch­ dringen. Sie finden in der Rechtsdogmatik keine Stütze und auch aus krimi­ nalpolitischen Gründen besteht kein Erfordernis, die Anforderungen des Unionsrechts zu umgehen. Überwiegend beruhen die Bedenken gegen eine unionsrechtskonforme Interpretation des Betrugstatbestands auf einem zu engen Verständnis des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds. Denn dieses hat durch die Rechtsprechung des EuGH Ausprägungen erfahren, die das Bedürfnis nach einer Einbeziehung schutzwürdiger Personenkreise durchaus berücksichtigen. Insbesondere wenn sich Geschäftspraktiken gezielt an Alte, Kinder, geistig Schwache oder anderweitig schutzbedürftige Personengrup­ pen richten, muss auf das Verständnis eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Personengruppe abgestellt werden. Die mitunter gegen eine unions­ rechtskonforme Auslegung des § 263 StGB vorgebrachten kriminalpolitische Bedenken hinsichtlich einer gezielten Ausbeutung der vorgenannten Perso­ nenkreise gehen daher ins Leere. Die dogmatische Integration des normativ geprägten unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds sollte dabei vorzugswürdig über solche Merkmale des Betrugstatbestands erfolgen, die ohnehin schon normative Strukturen aufwei­ sen. Daher verbietet sich die zuweilen vorgeschlagene Anknüpfung am Täu­ schungs- oder Irrtumsmerkmal. Bei konkludenten Täuschungen sollte das Verständnis der maßgeblichen Verkehrskreise am Leitbild des durchschnitt­ lich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers ausgerichtet werden. Bei ausdrücklichen Täuschungen ist dagegen die Rechtsfigur der objektiven Zurechnung heranzuziehen, sodass bei Täuschun­ gen, denen ein durchschnittlich informierter, verständiger und aufmerksamer Durchschnittsverbraucher keinen Glauben geschenkt hätte, der Zurechnungs­ zusammenhang zwischen der Täuschungshandlung und dem Irrtum als ers­

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Zusammenfassung und Fazit

tem Zwischenerfolg des Betruges zu verneinen ist. Bei einer Unterlassenstä­ terschaft ist die Frage nach dem Bestehen einer Aufklärungspflicht ebenfalls an diesen Maßstäben auszurichten. Die hier befürwortete unionsrechtlich beeinflusste Auslegung des § 263 StGB bringt auch den Vorteil mit sich, dass bestehende Rechtsunsicherhei­ ten, die nach der herkömmlichen Betrugsauslegung bestehen, zuverlässig behoben werden. Denn die herkömmliche Auslegung führt dazu, das die einzelnen Wirtschaftsakteure nur schwer absehen können, inwieweit ihr Ver­ halten eine Strafbarkeit nach § 263 StGB nach sich zieht, da es hierfür schon ausreichen kann, wenn eine Aussage nur von einer einzigen Person missver­ standen wird und diese Person hierdurch einen Vermögensschaden erleidet. Insbesondere im Zusammenhang mit der Publikumswerbung ist dies eine nur schwer ertragbare Konsequenz. Bei einer Anwendung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds, das den Verständnisstandard der Adressaten verobjekti­ viert, lassen sich solche Unsicherheiten zuverlässig vermeiden. Denn der Erklärende muss hierbei nur noch das Verständnis des Durchschnittsverbrau­ chers im Blick behalten und nicht auch mögliche Fehlinterpretationen be­ rücksichtigen. Es kann daher konstatiert werden, dass eine Abkehr vom ho­ hen deutschen Schutzniveau begrüßenswert ist und der Rechtssicherheit Vorschub leistet. Bedenken gegen eine Anwendung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbilds auf den Betrugstatbestand bestehen dagegen nicht.

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Stichwortverzeichnis Abofalle  51, 53, 70, 140, 214 Abonnement  58 Adäquanztheorie  118 Adressbuchschwindel  27 Anrufversuch  68, 74, 76 Anwendungsvorrang  134, 138, 172, 179, 198, 200 Äquivalenztheorie  18, 116, 193 Aufklärungspflicht  43, 73, 96, 179, 224 Aufopferung  178 Auskunftsdienst  73, 75 Behindertenwerkstatt-Fall  22, 24, 25 Bundesnetzagentur  74 Button-Lösung  56 Call-Center  72 Call-ID-Spoofing  66 Cassis-Entscheidung  139, 147 Dassonville-Formel  138, 198 Dienstleistungsfreiheit  140, 171, 177, 181, 187 Effet Utile  135, 136, 181, 202 eigenverantwortliche Selbstgefährdung  122, 123 Enkeltrick  90 Europäische Grundfreiheiten  137, 171, 177, 187 Frugalfall  41, 211 Garantenstellung  43, 95, 96 Geldanlage  19, 106 Geldzurückgarantie  80 Geltungsschwindel  19 Gewinnspiel  58, 63, 215

Haarverdicker-Fall  80, 82, 106, 127, 139, 167, 171, 220 Handelsgeschäfte  120, 138 Handelsregistereintragung  37 Handelsregisternummer  28 Handlesen  87, 88 Heiratsschwindel  19 Hollywood-Lifting-Bad  80 Inländerdiskriminierung  207 Insertionsofferte  28, 33, 51, 141, 212 Insolvenz  21 Irreführende Werbung  142, 146, 148 Irrtumsmerkmal  29, 95, 101, 109, 124, 186, 223 Jahrmarktähnliche Unterhaltung  87 Jugendliche  156, 160 Kaffeefahrten  19 Kartenlegen  87, 88 Kaufleute  37, 120 Kausalität  119, 193 Keck-Entscheidung  138 Kommunikationsverlangen  67, 68, 70, 73 Kontinuitätserwartung  49, 51, 52 Kosmetikprodukte  82, 127, 149 Kreditbetrug  120, 128 Kreditkartenmissbrauch  120 Kreditvermittlung  25, 26, 70, 211 Kurzwahlsprachdienst  73, 75 MABEZ-Vorwahl  75 Marktschreierische Reklame  76, 108, 171, 197, 218, 222 Massenverkehrsdienste  73



Stichwortverzeichnis239

Mehrwertdienst  74, 217 Mehrwertdienstnummer  66, 71, 74, 217 Meinungsäußerung  107 Mobilfunkvorwahl  74 Mystizismus  84 Nachnahmesendung  25, 80, 211 Neuartige Dienste  73, 75 Normative Auslegung –– des Irrtumsmerkmals  186 –– des Täuschungsmerkmals  185 Normativer Täuschungsbegriff  191, 212 Objektive Täuschungseignung  103 Objektive Zurechnung  119, 193, 195, 223 Okkultismus  84, 122, 220 Ping-Anrufe  66, 216 Preisangabeverordnung  56, 61, 66, 216 Preisgestaltungsbetrug  24, 41, 107 Premiumdienst  73, 75 Produktverpackung  203, 206 Publikumswerbung  108, 146, 171, 182, 183, 200, 203, 218, 224 Rechnungsähnliche Angebotsschreiben  26, 55, 59, 64, 70, 140, 211, 213 Rechtfertigungslösung  187 Rechtsetzungskompetenz  133, 174 Rechtsgüterschutz  112, 165 Richtlinienkonforme Auslegung  136, 137, 173, 174, 181 Rückgaberecht  80 Rufnummer  70, 217 Schadensmerkmal  77, 123, 125, 179 Scheckkartenmissbrauch  120 Schuldenregulierungsfall  25, 70, 211 Schutzzweck der Norm  119, 194 Schwarze Magie  84 Selbstschädigungsdelikt  98, 115, 118 Senioren  160

Sirius-Fall  84, 87, 221 Solange-I  168 Solange-II  169 Solidaritätspflicht  104 Spekulationsgeschäfte  110, 120 Sternchenhinweis  55, 61, 215 Strafbare Werbung  144, 177, 182, 197 Strafzumessung  88, 125 Subjektiver Täuschungsbegriff  25, 40, 41, 59, 62, 69, 70, 71, 73, 94, 211, 214 Tarif  73 Tatsachenaussage  79, 81, 107 Tatsachenkern  78, 218 Täuschung –– ausdrückliche  42, 61, 74, 92, 179, 185, 192, 218 –– durch Unterlassen  19, 43, 73, 95, 179, 190 –– konkludente  19, 22, 24, 32, 44, 48, 65, 67, 76, 93, 179, 185, 190, 210 Täuschungsverständnis –– faktisches  44 –– normatives  48 Telefonnummer  66 Telefonzentrale  72 Teleologische Reduktion  98, 100, 129 Teufelsaustreibungsfall  86 Todesanzeige  33, 50, 69, 213 Übertreibende Werbeaussagen  19, 76, 108, 126, 171, 176, 197, 209, 218 Überweisungsträger  27, 33, 36 Unfallwagen  16, 96 unionsrechtskonforme Auslegung  136, 137, 178, 184, 189, 199, 206, 209, 223 Unterlassenstäterschaft  224 Vergleichende Werbung  142, 146 Versandbuchhändler-Fall  96 Vertrauensmissbrauch  100 Viktimodogmatik  18, 39, 60, 64, 89, 97

240

Stichwortverzeichnis

Viktimologie  97 Vollharmonisierung  142, 144, 146

Werturteil  78, 80, 82, 107, 197, 218

Wahre Tatsachen  20, 25, 26, 34, 41, 49, 53, 66, 71, 76, 210 Wahrscheinlichkeitsgrad  111 Warenverkehrsfreiheit  134, 138, 167, 172, 178, 199

Zechpreller  16

Wucher  24, 105

Zeitungsannonce  25, 121 Zersplitterung  180, 198, 200 Zweifel des Opfers  110