Der Präsident in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, in Frankreich und im Deutschen Reiche [Reprint 2022 ed.]
 9783112661048, 9783112661031

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Der Begriff des republikanischen Staatshauptes
2. Berfassungsgeschichtliche Grundlagen der Präsidentenstellung
1. Abschnitt. Erlangung und Beendigung der Präsidentschaft
3. Wahl
4. Wählbarkeit
5. Eidesleistung
6. Verlust der Abgeordneteneigenschaft (Inkompatibilität)
7. Amtsdauer
8. Wiederwahl
9. Beendigung des Amtes und Vertretung
2. Abschnitt. Die persönliche Rechtsstellung des Präsidenten
10. Persönliche Rechte
11. Die Verantwortlichkeit des Präsidenten
12. Der Einfluß der Ministerverantwortlichkeit auf die Rechtsstellung des Präsidenten
3. Abschnitt. Die Regierungsrechte des Präsidenten
13. Völkerrechtliche Vertretung
14. Ernennung und Entlassung der Beamten
15. Der Oberbefehl über die Wehrmacht
16. Die Reichsexekution
17. Die Anordnung des Ausnahmezustandes
18. Das Begnadigungsrecht
4. Abschnitt. Präsident und Kabinett
19. Die Bildung des Kabinetts
20. Das Zusammenwirken von Präsident und Kabinett
5. Abschnitt. Präsident und Parlament
21. Berufung, Vertagung und Schließung des Parlaments
22. Der Verkehr des Präsidenten mit dem Parlament
23. Gesetzesvorschlag und Feststellung des Gesetzcsinhalts
24. Gesetzesbefehl, Ausfertigung und Verkündung der Gesetze
25. Das Verordnungsrecht
26. Einspruch, Gesetzesneuberatung, Volksentscheid
27. Die Auflösung des Parlaments
Zusammenfassung
Schriftenverzeichnis
Sachverzeichnis

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Der Präsident in den Bereinigten Staaten non Nordamerika, in Frankreich nnd im deutschen Reiche. Von

Dr. jur. Hermann WandersleS.

Berlin und Leipzig 1 922. Vereinigung wissenschaftlicher Verleger. Walter de Gruyter & Co. vormals G. I. Goschen'sche Berlagshandlilng — I. Guttentag, Verlagsbuchhandlung

Georg Reimer — Karl I. Trubner — Veit & Conrp.

Prof. Dr. Gerhard Anschütz in dankbarer Perehrung

gewidmet.

Vorwort. Die vorliegende Schrift macht keinen Anspruch darauf, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln, sie will ledig­ lich auf Grund der geltenden Verfassungsbestimmungen ein Bild von der Stellung des deutschen Reichspräsidenten im Vergleich mit dem nordamerikanischen und dem französischen Präsidenten geben und den Leser anregen, einzelnen dabei berührten staats­ rechtlichen Fragen selbständig weiter nachzugehen. Nach Abschluß der Arbeit wurden leider aus Raumrück­ sichten erhebliche Kürzungen nötig, so daß insbesondere die Aus­ einandersetzungen über eine Reihe von Streitfragen und zahl­ reiche Anmerkungen gestrichen werden mußten. Wenn auch der wissenschaftliche Charakter der Schrift dadurch gelitten haben mag, so hoffe ich doch, daß der innere Zusammenhang und die Ver­ ständlichkeit der Darstellung nicht beeinträchtigt worden ist. In möglichst vollem Umfange sind bei den Ausführungen über die Stellung des deutschen Reichspräsidenten die Hinweise auf die Vcrfassüngsberatungen beibehalten worden. Mit dem Nahen der Präsidentenwahl gewinnt die Frage, welche Rechte und Pflichten mit dem höchsten Amt im Deutschen Reiche verbunden sind und wer dieses Amt in den nächsten schweren Jahren bekleiden soll, steigende Bedeutung. Der Zweck der vorliegenden Schrift ist erfüllt, wenn sie zu ihrem kleinen Teile hilft, diese Fragen nach sachlichen Gesichts­ punkten zu beurteilen und damit den allgemeinpolitischen Hori­ zont ein wenig zu erweitern und zu erhellen.

E i s l e b e n, den 14. Februar 1922. Hermann Wandersleb.

Inhaltsverzeichnis Einleitung.

Seite

1. Der Begriff des republikanischen Staatshauptes ... 1. 2. Verfassungsgeschichtliche Grundlagen der Präsidenten­ stellung ................................................................................. 2

I. Erlangung und Beendigung der Präsidentschaft. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Wahl ........................................................................................... 8 Wählbarkeit ........................................................................... 12 Eidesleistung ........................................................................... 13 Verlust der Abgeordneteneigenschaft..................................... 14 Amtsdauer ................................................................................15 Wiederwahl................................................................................Iß Beendigung des Amtes und Vertretung..................................Iß

II. Die persönliche Rechtsstellung des Präsidenten. 10. Persönliche Rechte ................................................................. 20 11. Die Verantwortlichkeit desPräsidenten...............................21 12. Der Einfluß der Ministerverantwortlichkeit auf die Rechtsstellung des Präsidenten..................................... 27

III. Die Regierungsrechte des Präsidenten. 13. 14. 15. 16. 17. 18.

Völkerrechtliche Vertretung................................................... 31 Ernennung und Entlassung der Beamten............................36 Der Oberbefehl über die Wehrmacht..................................... 41 Die Reichsexekution ............................................................. 43 Die Anordnung des Ausnahmezustandes............................ 45 Das Begnadigungsrecht ........................................................ 52

IV. Präsident und Kabinett. 19. Die Bildung des Kabinetts................................................... 56 20. Das Zusammenwirken von Präsident und Kabinett . . 62

V. Präsident und Parlament. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.

Berufung, Vertagung und Schließung des Parlaments 67 Der Verkehr des Präsidenten mit dem Parlament ... 69 Gesetzesvorschlag und Gesetzesinhalt ....................... . 70 Gesetzesbefehl, Ausfertigung und Verkündung der Gesetze 73 Das Verordnungsrecht ........................................................ 77 Einspruch, Gesetzesneuberatung,Volksentscheid .... 82 Die Auflösung des Parlaments ................................. 90

Zusammenfassung.......................................................... 99

Einleitung 1. Der Begriff des republikanischen Staatshauptes. Staatlicher Wille kann wie der Wille jedes Verbandes nur durch menschliche Einzelwesen gebildet, erklärt und vollzogen werden. Die Personen, deren Wollen und Handeln in be­ stimmtem Umfange als Wollen und Handeln des Staates gilt, sind die Staatsorgane. Sic verkörpern, „repräsentieren"' die Staatspersönlichkeit selbst. Ein Staatsorgan ist daher auch die Person oder Personenverbindung, welche den Staat voll reprä­ sentiert, das Recht besitzt, die Staatsgewalt in ihrem Gesamt­ umfange auszuüben: der „Träger" der Staatsgewalt. Je nachdem dieses höchste Organ eine Einzelperson oder eine Mehrheit von Personen ist, wird zwischen Monarchie und Republik geschieden. Die Republik ist eine aristokratische, wenn die Staatsgewalt bei einer eng begrenzten Zahl von Personen oder einer einzelnen Volksklasse liegt, eine demokratische, wenn die Staatsgewalt von allen stimmberechtigten Staatsangehörigen, der „Aktivbürgerschaft"]), getragen wird. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika, in Frankreich und im Deutschen Reich steht die Ausübung der Staatsgewalt als Ganzes der gesamten Aktivbürgerschaft zu, die Verfassungsform dieser drei Staaten ist übereinstimmend die demokratische Republik. Die Handhabung der Staatsgewalt in ihren einzelnen Betätigungsformen erfolgt im Regelfälle nicht durch das ur­ sprüngliche, primäre, Staatsorgan, das Volk, sondern durch be­ sondere weitere, sekundäre, Staatsorgane. Diese stehen zu dem ursprünglichen Willensträger selbst in einem Organverhältnis, ihr Wille gilt aber unmittelbar als Wille des primären Organes. Solche sekundären Staatsorgane sind auch die Persön­ lichkeiten, denen die Staatsleitung demokratischer Republiken obliegt: die republikanischen Staats Häupte r?) Sie werden Staatsorgane erst mit der Bestellung durch die stimm­ berechtigte Bürgerschaft. Ihre Tätigkeit bestimmt sich jedoch C. Walther, Das Staatshaupt in den Republiken. 1907, S. 74 f. 2) Ob es richtig ist, für ein sekundäres Staatsorgan die Be­ zeichnung Staatshaüpt zu gebrauchen, wie es allgemein geschieht, erscheint zweifelhaft.

2 nicht nach Aufträgen oder irgendwelchen einzelnen Anweisungen. Tas Volk ist nicht ihr Dienstherr, vielmehr üben ste im Rahmen der Verfassung selbst höchste, unabhängige Gewalt aus: sie sind sekundäre, aber unmittelbare Staatsorgane. Als sekundäre Staatsorgane unterscheiden sich die republi­ kanischen Staatshäupter von den Monarchen, ihre Eigenschaft als unmittelbare Staatsorgane trennt sie von den Beamten. 2. Berfassungsgeschichtliche Grundlagen der Präsidentenstellung. In den Vereinigten Staaten von Norda m e r i k a sind die Rechte und Pflichten des Staatshauptes in der Verfassung vom 17. September 1 7 8 7 be­ stimmt. Als Vorbild für die Gestaltung der Bundes­ regierung diente den Schöpfern der Unionsverfassung das englische Königtum jener Zeit und die Stellung des Gouver­ neurs in den Einzelstaaten. Da dem starken außenpolitischen Einfluß der englischen Krone die Hauptschuld an der Notwendig­ keit der Losreißung vom Mutterlande zugeschrieben wurde, wünschte man keine übermächtige Stellung der leitenden und vollziehenden Gewalt. Es wurden Stimmen laut, die an die Spitze des Staates keine Einzelperson, sondern ein Kollegium wünschten. Andererseits sprachen die trüben Erfahrungen, die man in den Jahren des Freiheitskampfes mit der Erweiterung des Machtkreises der gesetzgebenden Körperschaften auf Kosten der früheren Befugnisse des Gouverneurs in den Einzelstaaten gemacht hatte, für die Schaffung einer einheitlichen und vom Parlament unabhängigen Exekutive?) Dazu kam, daß die Mit­ glieder der Verfassungskonvention in ihrem Vorsitzenden George Washington den Mann vor sich sahen, dem Volk und Staaten Nordamerikas mit -Ltolz und ohne Sorge die Leitung ihres jungen Bundesstaates in die Hand geben konnten. So war das Ergebnis der Beratungen die Einsetzung eines „Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika", in dem man ein vergrößertes Abbild t>es Gouverneurs der Einzelstaatcn oder auch ein ver­ kleinertes und verbessertes Abbild des englischen Königs am Aus­ gange des 18. Jahrhunderts sehen kann?) Der von der Vcrfassungskonvention einmütig angenommene uni) von allen Mitgliedern unterzeichnete Entwurf wurde den einzelnen Staaten vorgelegt und sollte Gesetz werden, wenn die Konventionen von neun Staaten ihn ratifizierten. Am 13. Sep-

1) Vgl. The Föderalist, A commentary on the Constitution of the United States von Alexander Hamilton, James Madison und John Jay. Herausgegeben von Paul Leicestersford. 1898, Nr. 69, S. 466 ff. 2) I. Bryce, The American Common wealth. 3. Aufl. 1903. Vd. T, S. 39.

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tember 1788 wurde dann mit Rücksicht darauf, daß die Rati­ fizierung in genügendem Umfange erfolgt war, beschlossen, daß am ersten Mittwoch im nächsten Jahre die Staaten, welche bis zu diesem Zeitpunkte die Ratifikation ausgesprochen hatten, Wahl­ männer bestimmen müßten. Diese Wahlmänner sollten dann am ersten Mittwoch im Februar in ihren Staaten zusammen­ treten und die Stimmen für die Wahl des Präsidenten abgeben. Einmütig wurde zum Präsidenten George Washington gewählt. Die Schöpfer der Unionsverfassung selbst hatten daran ge­ zweifelt, daß ihr Werk von langer Dauer sein würde, Franklin fand die Verfassung zu monarchisch, Washington hielt sie für übermäßig demokratisch?) Die Verfassung vom Jahre 1787 hat aber eine außerordentliche Lebenskraft gezeigt, sie ist mit nur ge­ ringfügigen Änderungen . und Ergänzungen noch heute in Geltung. Während der langen Geltungsdauer der Unionsverfassung vom Jahre 1787 hat Frankreich seine Verfassung mehr als zehnmal gewechselt. Bei jeder Neuordnung wurde die Staats­ leitung durchgreifend umgestaltet. Die Schöpfer der französischen Verfassung vom 3./13. September 1791 beachteten bei den Er­ wägungen über die Stellung des Staatshauptes wie bei dem ganzen Verfassungswerke die' geschichtliche Vergangenheit Frank­ reichs nur wenig. Sie übernahmen einige Verfassungsgedanken aus England und Amerika, die Hauptstücke aber aus den Lehren von John Locke und Jean Jaques Rousseau auf der einen und von Blackstone, de Lolme und Montesquieu auf der anderen Seite. Noch zwei Jahre blieb ein Schattenkönigtum, bis 1793 Frankreich „für immer" zur Republik erklärt wurde. Zunächst übten Ausschüsse und Räte die vollziehende Gewalt aus, dann folgten die fünf Mitglieder des Direktoriums, die drei Konsuln und schließlich Napoleon Bonaparte. Ohne die Konsularver­ fassung aufzuheben, regierte Napoleon wie ein absoluter Herr­ scher, sein Wille war Staatsgrundgesetz. Nach seiner ersten Ab­ dankung wechselte noch je zweimal Kaiserreich, Königtum und Republik. Der gegenwärtigen, dritten Republik ging das parlamen­ tarische Kaisertum voraus, das durch die Verfassung vom 21. Mai 1870 geschaffen war und schon am 4. September des gleichen Jahres endete. Nach Ausrufung der Republik wurde eine vorläufige Regierung der nationalen Verteidigung durch die Abgeordneten von Paris gebildet. Am 13. Februar trat die Nationalversammlung zusammen und bestimmte schon vier

*) Laboulaye in der Sitzung der französischen Nationalversamm­ lung vom 22. Juni 1875, Annales de l’Assemblee Nationale, Bd. 39, S. 87. Zit, bei A. Esmein, Elements de Droit constitutionel francais et comparö. 3. Ausl. 1903. S. 455.

4 Tage später Thiers, der in 27 Bezirken zum Abgeordneten ge> wählt war, zum „Oberhaupt der vollziehenden Gewalt", am 31. August 1871 erhielt er den Titel des Präsidenten der Republik. Er sollte diese Stellung bis zur Auflösung der Nationalversammlung innehaben. Für seine Amtstätigkeit war er der Nationalversammlung verantwortlich (Gesetz vom 31. August 1871, § 3). Als Thiers auf die Begründung eines festen republikanischen Staatswesens hinarbeitete, geriet er in Widerstreit mit der monarchisch gesinnten Mehrheit der National­ versammlung und legte am 24. Mai 1873 sein Amt nieder. Zum Präsidenten wurde am gleichen Tage Marschall Mac Mahon, Herzog von Magenta, gewählt. Nach Thiers' Sturz bemühten sich die monarchistischen Gruppen um die Wiederherstellung des Königtums zugunsten des Grafen von Chambord. Dieser Plan scheiterte vor allem an der Weigerung des Grafen, auf die weiße Fahne zu verzichten und der dreifarbigen Nationalflagge zuzu­ stimmen (Brief vom 27. Oktober 1873). Durch das Gesetz vom 20. November 1873 wurde darauf dem Marschall Mac Mahon die vollziehende Gewalt für sieben Jahre ohne Verantwortlichkeit vor den gesetzgebenden Körperschaften übertragen. Wieder wurden die Arbeiten an der endgültigen Verfassung in der Hoff­ nung auf die Wiederherstellung der Monarchie verzögert. Am 23. Juni 1874 wurde ein Antrag Casimir Parier auf end­ gültige Anerkennung der Republik mit 374 gegen 333 Stimmen abgelehnt und am 29. Januar 1875 ein ähnlicher Antrag von Laboulaye mit 359 gegen 336 Stimmen. Am nächsten Tage ge­ langte aber ein Antrag Ballon, der die Wahl des Präsidenten der Republik durch Senat und Deputicrtenkammcr, vereint zur Nationalversammlung, auf sieben Jahre mit der Möglichkeit der Wiederwahl vorsah, mit 353 gegen 352 Stimmen zur Annahme. Dieser Antrag wurde neben anderen Vorschlägen Ballons dem Gesetzentwurf über die Organisation der öffentlichen Gewalten als § 2 eingcfügt und der ge­ samte Entwurf am 2 5. F c b r u a r 1 8 7 5 mit 425 gegen 254 Stimmen angenommen. Dieses Gesetz bildet zusammen mit dem Gesetz über die Organisation des Senats vom 24. Februar 1875 und dem Gesetz über die Beziehungen der öffentlichen Gewalten vom 16. Juli 1 87 5 die geltende Verfassung Frankreichs. So hatte die Nationalver­ sammlung in Mac Mahon zunächst einen Platzhalter für einen kommenden Monarchen bestellt, sich aber schließlich doch zur Ein­ richtung der Republik entschließen müssen. Aus dieser Entwicklung erklärt cs sich, daß die Befugnisse des Präsidenten, soweit sie aus den ursprünglichen Entwürfen in die Verfassungsgesetze ausgenommen würden, meist der Stellung eines konstitutionellen Monarchen angepaßt sind.

5 Das neue Deutsche Reich wurde vor einem halben Jahrhundert als Kaiserreich begründet, doch nicht der Kaiser war Träger der Reichsgewalt, sondern die Gesamtheit der Bundes­ staaten. Der Kaiser war beschränkt auf die Führung des Bundes­ präsidiums, die Verfassung vom 16. April 1871 wies ihm ledig­ lich bestimmte Funktionen auf dem Gebiete der vollziehenden Gewalt zu (Art. 11 ff.). Von den zahlreichen Änderungen der Verfassung vom Jahre 1871 berührte nur die letzte, das zweite der beiden Reformgesetzc vom 28. Oktober 1918?) die Rechtsstellung des Kaisers, sie bedeutete die Einführung eines parlamentarischen Kaisertums. Die kurz darauf folgende Staatsumwälzung führte zur Räterepublik. Die politische Macht lag in den Händen der Arbeiter- und Soldatenräte. Die vollziehende wie auch die ge­ setzgebende Gewalt wurde von dem sechsköpfigen Rat der Volks­ beauftragten ausgeübt. Eine Neuordnung im Sinne einer demo­ kratischen Republik brachte das von der Nationalversammlung beschlossene Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt vom 10. Februar 1919?) Über die Vollzugsgewalt bestimmte es, daß ein Reichspräsident die Geschäfte des Reiches durch ein von ihm berufenes und der Nationalversammlung verantwort­ liches Ministerium führen solle, und zählte die einzelnen Amtsbefugnisse des Reichspräsidenten auf. Die Wahl des Reichspräsidenten sollte durch die Nationalversammlung erfolgen und sein Amt bis zum Amtsantritt des neuen Reichspräsidenten dauern, der nach den Vorschriften der neuen Reichsverfassung ge­ wählt werden sollte. Zum einstweiligen Reichspräsidenten wurde auf Grund dieser Regelung am 11. Februar 1919 der bisherige Volksbeauftragte Ebert mit 277 von 328 gültigen Stimmen gewählt?) Schon diese gesetzlichen Bestimmungen über einen vor­ läufigen Reichspräsidenten und die Vornahme der Präsidenten­ wahl selbst wiesen darauf hin, daß die Mehrheit der National­ versammlung eine Republik mit einer Einzelperson an der Spitze wünschte. Die dauernde Einrichtung einer Präsidentschaft war auch bereits in dem mehrere Wochen vor Zusammentritt der Nationalversammlung im Reichsanzeiger vom 20. Januar 1919 veröffentlichten „Entwurf des allgemeinen Teils der künftigen Reichsverfassung" vorgesehen. (Nach seinem Schöpfer Entwurf

9 Reichsgesetzblatt (im folgenden RGBl, abgekürzt) 1918. S. 1273, 1274. 2) RGBl. 1919. S. 169. 3) Abgegeben wurden 379 Stimmzettel. Davon waren ungültig, weiß 51. Von den nicht für Ebert abgegebenen 51 gültigen Stimmen erhielt Graf von Posadowsky 49, Schcidemann 1, Erzberger 1. Sten. Ber. der N.V. S. 40.

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Preuß genannt.) Hinsichtlich des allgemeinen Aufbaues der Reichsorgane knüpfte dieser Entwurf in mehreren Punkten an die niemals in Kraft getretene Frankfurter Verfassung von 1849 an. Über die Gestaltung der Regierungs- und Vollzugs­ gewalt war in der Denkschrift zum Entwurf ausgeführt, daß die Bestellung eines von der Volksvertretung gewählten Kolle­ giums nach dem Muster der Schweiz für einen Großstaat un­ zweckmäßig sei und besonders erschwert werde durch die im Deutschen Reich dabei nötigen Rücksichten auf die landsmann­ schaftliche Zugehörigkeit zu den Einzelstaaten, auf die Vielheit der politischen Parteien und die konfessionellen Unterschiede. Ohne ganz der amerikanischen oder der französischen Form der Präsidentschaft zu folgen, hatte der Entwurf von beiden Systemeii einzelne Einrichtungen entlehnt und sie mit einzelnen Rechtssätzen über das Bundesprästdium aus der Verfassung von 1871 und einer Reihe neuer Gedanken zu einem einheitlichen Ganzen zu verschmelzen versucht. Fast unverändert gingen die Bestimnlungen des Entwurfs Preuß über den Reichspräsidenten in den „Regierungsentwurf" über, der am 21. Februar der Nationalversammlung vorgelegt wurde. Bei der Beratung der Präsidentschaftsfragen im Verfassungsausschuß *) zeigten sich verschiedene Strömungen. Eine Gruppe suchte die Präsidenten­ stellung möglichst zu stärken, eine zweite wünschte weitgehende Abhängigkeit des Reichspräsidenten wie der gesamten Regierung vom Parlament, und eine dritte Gruppe verwarf überhaupt die Einrichtung der Präsidentschaft und erstrebte die Einführung einer Dircktorial-Regierung nach schweizerischem Vorbild. Im Endergebnis begnügte sich der Ausschuß mit einer Reihe von Er­ gänzungen und Änderungen des Regierungsentwurfs. Die Nationalversammlung stellte sich bei der zweiten und dritten Lesung des Verfassungsentwurfs hinsichtlich der Bestimmungen über die Präsidentschaft im wesentlichen auf den Boden der Be­ schlüsse des Verfassungsausschusses. Die Untersuchung der rechtlichen Stellung des Staats­ hauptes hat danach in den Vereinigten Staaten von den Rechts­ sätzen der Unionsverfassung vom 17. September 1787 aus­ zugehen. Außerdem sind die gerade in Nordamerika ohne äußere Änderung der Verfassung erfolgten Verfassungswandlungen in die Betrachtung einzubcziehen. Der Kreis der Befugnisse des französischen Präsidenten der Republik ist im wesentlichen in den beiden Verfassungsgesetzen vom 25. Februar und vom 16. Juli

ü Bericht und Protokolle des 8. Ausschusses über den Entwurf einer Verfassung des Deutschen Reiches, 1920. Berichterstatter über Abschnitt Reichspräsident Abgeordneter Ablaß, Mitberichterstatter Fischer sBerlins. 1. Lesung: 22. und 26. Sitzung, Prot. S. 231 ff.; 2. Lesung: 39. Sitzung, Prot. S. 458 ff.

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1875 umschrieben. Daneben bedarf es in Frankreich der Berück­ sichtigung bestimmter geschichtlicher Ereignisse, die den Inhalt und die Bedeutung einzelner Verfassungsvorschriften wesentlich ver­ ändert haben. Die Rechte und Pflichten des deutschen Reichs­ präsidenten sind in der Verfassung vom 11. August 19 19 festgelegt. Eine bestimmte persönliche Ausprägung hat das Amt des deutschen Reichspräsidenten noch nicht erhalten. Die staatsrechtliche Praxis ist auf diesem Gebiet bisher noch gering und kann nur bedingt berücksichtigt werden, da das Deutsche Reich noch keinen nach den Vorschriften der Verfassung gewählten Reichspräsidenten besitzt. Zum Verständnis der einzelnen Rechts­ sätze über die Präsidentschaft im Deutschen Reich wird daher zum Teil auf die frühere Verfassung und besonders auch auf die Vcrfassungsberatungen der Nationalversammlung, in erster Linie auf die Verhandlungen im Verfassungsausschuß, zurückgegangen werden müssen, und sich danach gerade durch den Vergleich mit dem nordamerikanischen und dem französischen Präsidenten die Stellung des deutschen Reichspräsidenten in der Reihe der republikanischen Staatshäupter näher bestimmen lassen.

1. Abschnitt.

Erlangung und Beendigung der Präsidentschaft. 3? Wahl. Die rechtmäßige Begründung der Stellung der republi­ kanischen Staatshäupter erfolgt allgemein durch Wahl. Es gibt keine republikanische Verfassung, die eine Erblichkeit der Prä­ sidentschaft vorsieht?) Für die Art der Wahl bietet sich die Mög­ lichkeit der Bestimmung durch besondere zahlenmäßig eng be­ grenzte Wahlkörperschaften oder durch alle zu politischen Wahlen überhaupt stimmberechtigten Bürger. In den VereinigtenStaaten von Nordamerika sind die Grundsätze wie auch die Einzelheiten der Präsidenten­ wahl in der Verfassung selbst geregelt (Art. II, Abschn. 1, §§ 2 bis 4). Danach sind von jedem Staate ebensoviele Wahlmänner zu stellen, als ihm Sitze in den gesetzgebenden Körperschaften der Union, im Repräsentantenhaus und im Senat, zustehen. Die Ernennung der Wahlmänner erfolgt jetzt allgemein durch gleich­ zeitige, unmittelbare, allgemeine Volkswahl in allen Einzelstaaten der Union. Durch Bundesgesetz ist für die Erwählung der Wahl­ männer dauernd der Dienstag nach dem ersten Montag im November des Jahres, das dem Ende der Präsidentschaft voraus­ geht, bestimmt. Die Wahlmänner geben ihre Stimmen in einer Versammlung am zweiten Montag im Januar nach ihrer Wahl in den Staatshauptstädten ab. Die Zählung der von ihnen ab­ gegebenen Stimmen erfolgt dann in gemeinsamer Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus am zweiten Mittwoch des folgenden Februar in Washington und die Inauguration des Präsidenten am 4. März. Zur Wahl verlangt die Verfassung absolute Mehrheit der Stimmen der Wahlmänner. Wird sie nicht erreicht, so erfolgt die Wahl durch das Repräsentantenhaus. Es werden dabei die drei Kandidaten, für welche die meisten Stimmen der Wahlmänner abgegeben wurden, zur Wahl gestellt. Bei dieser Wahl hat jeder Staat eine Stimme. Der Fall einer Wahl des Präsidenten durch das Repräsentantenhaus ist bis jetzt nur ein einziges Mal im Jahre 1825 eingetrcten. Kommt bis zum 4. März keine diesen Bedingungen entsprechende Wahl zu­ stande, so tritt der Vizepräsident an die Stelle des Präsidenten. Bisher ist das Eintreten des Vizepräsidenten in einem solchen Falle noch nicht nötig geworden. Der Grundgedanke der Bestimmungen über die Prä­ sidentenwahl war, dem Leiter der Exekutive völlige Unabhängig*) C. Walther am (auf S. 1, Anm. 1) angegebenen Orte (im felgenden a. a. O. abgeknrztj. S. 79.

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leit vom Parlament zu sichern. Deshalb entschloß man sich grundsätzlich für die Wahl durch das Volk. Man mißtraute aber dem politischen Verständnis der breiten Volksmasse und bestimmte daher mittelbare Wahl durch einsichtige Wahlmänner, die ihre Stimmen nach freiem Ermessen dem geeignetsten Kandidaten geben sollten?) Innerhalb weniger Jahrzehnte haben sich aber die Verhältnisse dahin entwickelt, daß mehrere Monate vor der Wahl auf den Konventen der beiden großen Parteien, der Republikaner und der Demokraten, die Aufstellung der Prä­ sidentenschaftskandidaten erfolgt?) Auf Grund dieser Nomi­ nation werden dann die Wahlmänner durch Varteikonvente in den einzelnen Staaten ausgestellt. Entscheidend ist, von welcher Partei im November die meisten Wahlmänner gewählt werden, da diese bei der Wahl im Januar ihre Stimmen sämtlich dem Beschluß des Parteikonventes entsprechend abgeben. Als der große Tag der Präsidentenwahl, dem ein monatelanger wüster Wahlfeldzug vorangeht, wird daher allgemein der Termin der Erwählung der Wahlmänner angesehen. Die wichtigsten Teile des Wahlapparates sind daher in Wirklichkeit die Parteikonvente, von denen die Verfassung nichts weiß?) Da auch der kleinste Staat ohne Rücksicht auf seine Bevölkcrungsziffer wenigstens drei Wahlmänner zu stellen hat und jeder Staat ohne Rücksicht auf die mehr oder weniger große Minderheit nur Wahlmänner der siegreichen Mehrheitspartei entsendet, ist es möglich und bei der Wahl des Präsidenten Hayes (1876) und Harrison (1888) praktisch geworden, daß für den erwählten Präsidenten weniger Volksstimmen abgegeben werden als für seinen unterlegenen Gegner. Trotz dieser undemokratischen Bestimmungen und der Diktatur der Parteikonvente hat doch das amerikanische Volk das Bewußtsein, den Mann seiner Mehrheit erwählt zu sehen. In scharfem Gegensatz zu den allgemeinen Präsidentschafts­ wahlen in den Vereinigten Staaten steht die Art der W a h l d e s französischenStaatsoberhauptes. Sie ist in Art. 2 des französischen Verfassungsgesetzes vom 25. Februar 1875 ge­ regelt. Der Präsident wird danach durch die absolute Mehrheit der Stimmen der gesetzgebenden Körperschaften, des Senats und der 9 Vgl. Cooley, Thomas M., The general Principles of Constitutional Law in the United States of America. 1880. S. 142 und The Federalist, Nr. 69. S. 425 f. 2) W. M. Sloane, Die Parteiherrschaft in den Vereinigten Staaten von Amerika, ihre Entwicklung und ihr Stand. 1918. S. 118 ff. 3) W. Wilson, Der Staat. Autor, übers, v. G. Thomas. 1913. S. 408. 4) Vgl. F. Luckwaldt, Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. 1920. Bd. TT, S. 136, 166.

10 Deputiertenkammer, vereint zur Nationalversammlung, zu seinem Amte bestellt. Beide Kammern treten zur Wahl auf Berufung des Präsidenten spätestens einen Monat oder, falls keine Be­ rufung erfolgt, selbständig am 15. Tage vor Ablauf der Prä­ sidentschaft in Versailles zusammen. Die Nationalversammlung tagt dann lediglich als Wahlkollegium. Sie hat nur die eine Aufgabe, die Wahl zu erledigen und auch diese ohne jede Aus­ sprache über die Kandidaturen. Die Deputiertenkammer ist dem Senat bei der Wahl insofern überlegen, als von ihr beinah? doppelt so viele Stimmen abgegeben werden als vom Senat. So ist der Präsident der französischen Republik ein Ge­ schöpf des Parlaments. Diese Herkunft drückt seiner ganzen Stellung den Stempel auf, wie in der weiteren Untersuchung zu zeigen sein wird. Nach der französischen Verfassung vom 4. November 1848 ging der Präsident aus allgemeinen, un­ mittelbaren und geheimen Volkswahlen hervor. Wenige Jahre später hatte der Präsident Louis Napoleon gerade unter Be­ rufung auf das Ergebnis der Volksabstimmung die Republik wieder in ein Kaiserreich verwandelt. Bei den Verfassungs­ beratungen im Jahre 1875 wurde auf Grund dieser Erfahrungen die Wahl des Präsidenten durch das Volk fast einstimmig abgclehnt.H Wie sehr sich das französische Parlament scheut, „starken Männern" die Präsidentenwürde anzuvertrauen, hat sich erst im Jahre 1920 gezeigt, als die Nationalversammlung nicht Clömenceau, sondern mit wenig Glück Deschanel erwählte. In letzter Zeit haben sich die Stimmen gemehrt, die eine Ände­ rung der Vorschriften über die Präsidentenwahl wünschen. So hat gerade Präsident Millerand etwa ein Jahr vor seiner Wahl in einer Rede erklärt, wohl rieten von der Volkswahl traurige Erfahrungen und gewichtige allgemeine Gründe ab, es sei aber ein Mittelweg in der Form möglich, daß die Vertreter der Generalräte, der Regionalräte und der großen Körperschaften zur Wahl zugezogen und die Wahlen zum Senat auf eine viel breitere Grundlage gestellt würden. Die Verfassung des Deutschen Reiches bestimmt in Art. 41, daß der Reichspräsident vom ganzen Volke ge­ wählt wird. Die näheren Bestimmungen gibt das Gesetz über die Wahl des Reichspräsidenten vom 4. Mai 1 920 (RGBl. 1920, S. 849). Der Wählerkreis ist danach der gleiche wie zu den Reichstagswahlen. Die Wahl ist gleichfalls wie die Wahl zum Reichstag unmittel­ bar und geheim (§ 1). Der Wahltag ist nicht wie in den Vereinigten Staaten festgesetzt, sondern wird von Fall zu Fall durch den Reichstag bestimmt, es muß ein Sonntag oder

si Vgl. Barthelemy, Le rdle du pouvoir exticutif dans les Bepubliques modernes. 1907. S. 658, 681.

11 öffentlicher Ruhetag sein (§ 2). Zur Wahl ist die Vereinigung der Mehrheit aller gültigen Stimmen auf eine Person erforder­ lich. Wird eine solche Mehrheit im ersten Wahlgang nicht er­ reicht, so entscheidet in einem zweiten Wahlgang einfache Mehrheit, bei Stimmengleichheit das vom Reichswahlleiter gezogene Los (8 4). Die Wahl des deutschen Reichspräsi­ denten durch das ganze Volk war schon im Ent­ wurf Preuß und danach in allen weiteren Entwürfen gleichlautend vorgesehen. Eine Wahl durch das Parlament wurde im Hinblick auf die Verhältnisse in Frankreich ab­ gelehnt als unvereinbar mit einer unabhängigen Stellung des Reichspräsidenten gegenüber dem Reichstag. Mit Rücksicht auf die Erfahrungen in den Vereinigten Staaten wurde auch das Wahlmännerverfahren ausgeschaltet und auf die unmittelbare Wahl zurückgegriffen. Die' Frage, welche Stimmenmehrheit zur Wahl erforderlich sein sollte, hatte der Entwurf Preuß (§ 58) und damit wörtlich übereinstimmend der Regierungsentwurf (Art. 61) dahin beantwortet, daß bei nur einfacher Mehrheit im ersten Wahlgange eine Stichwahl stattfinden solle. Die Mehr­ heit des Verfassungsausschusses hielt jedoch eine Stichwahl beim Kampfe um die höchste Stelle im Reiche für bedenklich. Nach Ablehnung des als Ausweg vorgeschlagenen sog. Zweitstimmen­ systems i) entschied sich der Verfassungsausschuß schließlich da­ für, daß gewählt sein sollte, wer die meisten Stimmen erhielte?) Diese Bestimmung wurde in der zweiten Lesung der Verfassung im Plenum der Nationalversammlung gestrichen?) D a s G e s e tz vom 4. Mai 1 9204* )2 *hat dann endgültig sestgele gt, daß in einem 2. Wahlgang einfache Stimmen­ mehrheit entscheidet, wenn im ersten kein Be­ werber die volle Mehrheit aller abgegebenen Stimmen erreicht. Nach dem Ergebnis des ersten Wahl­ ganges soll eine Verständigung zwischen den verschiedenen Gruppen erstrebt werden, unter Umständen auch auf eine Per­ sönlichkeit, die vorher noch gar nicht als Bewerber aufgetreten war. Diese Regelung macht bei der Parteizcrsplitterung im Deutschen Reiche einen zweiten Wahlgang sehr wahrscheinlich und schließt nicht aus, daß der dann Erwählte nur die Stimmen *) Antrag Ablaß, Nr. 296. Bericht und Protokolle des 8. Aus­ schusses S. 458. 2) Antrag Koch, Protokolle des 8. Ausschusses. S. 459. ’j Antrag Haas, Nr. 469. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der Deutschen Nationalversammlung. S. 1307, 1327. 4) Die Ausführungsbestimmunaen zu diesem Gesetz enthält bte Verordnung über die Wahl des Reichspräsidenten vom 25. Oktober 1920 sRGBl. S. 17891.

12 einer Minderheit der Wähler auf sich vereinigt. In diesem Falle wäre dem neuen Präsidenten von vornherein die stärkste Stütze seiner Stellung genommen. 4. Wählbarkeit. Über die Wählbarkeit zum Präsidenten bestimmt die Ver­ fassung der Vereinigten Staaten, daß die Bewerber eingeborene Bürger der Union, mindestens 35 Jahre alt und 14 Jahre lang Bewohner der Vereinigten Staaten sein müssen (Art. II, Abschn. 1, § 5). Die Bedingungen sind für die Wählbarkeit zum Präsidenten danach strenger als für die Wahl zu den gesetz­ gebenden Körperschaften. Es kann nämlich in den Senat jeder gewählt werden, der ein Alter von 30 Jahren, neunjähriges Bürgerrecht der Vereinigten Staaten und zur Zeit der Wahl eine Wohnung in dem Staate besitzt, in dem er als Bewerber auftritt. Für die Wahl zum Mitglied des Repräsentantenhauses wird ein Alter von 25 Jahren, siebenjähriges Bürgerrecht und Wohnsitz im Wahlbezirk verlangt. Die französischen Verfassungsgesetze vom Jahre 1875 entbalten keinerlei Bestimmungen über die Wählbarkeit zum Präsi­ denten der Republik. Demnach ist grundsätzlich jeder Franzose wählbar, der über 21 Jahre alt und im Besitz der bürgerlichen und politischen Rechte ist. Da das Gesetz vom 16. Juli 1889 in § 3 ausspricht, daß der naturalisierte Ausländer alle dem französischen Bürger zukommenden bürgerlichen und politischen Rechte genießt, ist also auch ein naturalisierter Franzose wähl­ bar. Die Wählbarkeit zu den gesetzgebenden Kammern wird nach dem angeführten Gesetz allerdings erst 10 Jahre nach dem Naturalisationsdekret erlangt, aber auch diese Einschränkung wird man nicht auf die Wählbarkeit zum Präsidenten übertragen können. Nicht wählbar sind Mitglieder von Familien, welche früher in Frankreich geherrscht haben. Das verfassungsergän­ zende Gesetz vom 4. August 1884 schließt sie ganz allgemein von sämtlichen öffentlichen Ämtern und Wahlmandaten aus. Zum deutschen Reichspräsidenten ist nach Art. 41, Abs. 2 der Reichsverfassung jeder Deutsche wählbar, der das 35. Lebens­ jahr vollendet hat. Das Wort „deutsch" bezieht sich hier auf die Staatsangehörigkeit, nicht auf die Stammeszugehörigkeit?) Im Verfassungsausschuß war vorgeschlagen worden, es sollte wählbar nur sein, wer als Deutscher geboren wäre?) Von der Einführung dieser Bestimmung wurde aber abgesehen, da sie un­ gerechtfertigte Härten gegen die Ausländsdeutschen, besonders gegen Deutsche in den durch den Friedensvertrag verlorenen Gebieten, hätte bringen können.

*) Preuß, Kahl. Protokolle des 8. Ausschusses. S. 279. 2) Antrag Ablaß, Nr. 124, Ziff. 1. Protokolle des 8. Ausschusses. S. 232, 278.

13 Aus der männlichen Form: „jeder" darf im Hinblick auf Art. 109, Abs. 2, und Art. 128, wonach Männer und Frauen grundsätzlich dieselben bürgerlichen Rechte und Zugang zu den öffentlichen Ämtern haben, nicht der Ausschluß der Frauen von der Präsidentschaft gefolgert werden?) Hart umkämpft wurde bei den Verfassungsberatungen ein Antrag, in den Wahlartikel aufzunehmen, daß die Mitglieder der früheren landesherrlichen Familien der jetzt zum Reiche ge­ hörigen Länder nicht wählbar sein sollten?) Von feiten der Antragsteller wurde geltend gemacht, die landesherrlichen Fa­ milien bildeten eine Gefahr für die Demokratie, ein fürstlicher Präsident würde bald an der Spitze gegenrevolutionärer Be­ strebungen stehen. Es wurde dabei besonders auf die Erfah­ rungen in Frankreich hingcwicsen, die dort zu dem oben (S. 12) erwähnten, noch weit schärferen Gesetz Veranlassung gegeben hatten. Von der Gegenseite wurde der Antrag als undemo­ kratische Ausnahmebestimmung verworfen. Schließlich einigte sich die Mehrheit darauf, in den Übergangsbestimmungen einen Artikel aufzunehmen, nach dem in den nächsten 15 Jahren Mit­ glieder der im Jahre 1918 in Deutschland regierenden landes­ herrlichen Familien nicht zum Reichspräsidenten wählbar sein sollten.3) Erst in dritter Lesung im Plenum fiel auch diese Übergangsbestimmung?) Die Abweichungen in den Vorschriften über die Wählbar­ keit zum Präsidenten in der Union, in Frankreich und im Deutschen Reiche beschränken sich demnach auf unwesentliche äußere Unterschiede.

5. Eidesleistung Die Würde der Präsidentschaft wird sofort mit der Wahl erworben, falls der Gewählte nicht auf die Wahl verzichtet, wozu ihm das Recht nicht nbgesprochen werden kann.

0 Vgl. den Hinweis auf die ebenso umfassende Bedeutung des Wortes „Jeder" in Art. 112, 115. 118, 121, 132 der Verfassung bei G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches. 1921. S. 99 f. Anm. 3 zu Art. 41. Ebenso F. Giese, Tie Verfassung des Deutschen Reiches. 4. Ausl. 1921. Anm. 6 zu Art. 41. S. 134. Anderer Ansicht Spahn. Sten. Bericht der N.V. S. 382. E. Hubrich, Das demokratische Verfassungsrccht des Teutschen Reiches. 1921. S. 92 f. A. Meuschel, Tic Regierungsbildung im Deutschen Reiche und seinen Ländern nach den Vorschriften der gegenwärtig gültigen Verfassungen. Arch. d. öffentl. Rechts, Bd. 41, 1921. S. 22. 2) Antrag Quarck, Nr. 163. Protokolle des 8. Ausschusses. S. 278 ff,, 285 f., 541 f. 3) Antrag Ablaß, Nr. 179. Protokolle des 8. Ausschusses. S. 285 f., 542. Entwurf einer Verfassung des Teutschen Reiches nach den Beschlüssen des Verfassungsausschusses Art. 164. 0 Antrag Heinze, Nr. 679, Zifs. 9 und Antrag Arnstadt, Nr. 688, Biff. 13. Stenographische Berichte der N.V. S. 2191. Abst. 198 :141. S. 2197 f.

14 Mit der Annahme der Wahl übernimmt der Präsident in den Vereinigten Staaten wie im Deutschen Reiche die Verpflich­ tung zur Eidesleistung auf die Verfassung. Die Bestimmung darüber lautet in der Union: Ehe er (der Präsident) die Aus­ übung seines Amtes übernimmt, soll er einen Eid leisten oder eine Erklärung abgcben, wie folgt: Ich schwöre (oder erkläre), daß ich das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten ge­ treulich ausüben und die Verfassung der Vereinigten Staaten nach besten Kräften erhalten, schützen und verteidigen will (Art. II, Abschn. 1, § 8). Die Eidesleistung erfolgt in der Weise, daß der Präsident sich nach der Wahl zur Ostseite des Kapitols be­ gibt, wo ihm, in Gegenwart des Volkes, von dem Oberrichter des Oberbundesgerichts der Eid abgenommen wird. In Frankreich ist die Ablegung eines Verfassungseides nicht vorgesehen. Der neue Präsident gibt dort lediglich eine Erklärung über die Annahme der Wahl vor der Nationalver­ sammlung ab. Die deutsche Reichsverfassung verlangt vom Reichspräsi­ denten bei der Übernahme seines Amtes die Ableistung des Berfassungseides in der in Art. 42 der Verfassung angegebenen Form vor dem Reichstag. Die endgültige Fassung wurde der Eidesformel erst bei der dritten Beratung des Entwurfes in der Nationalversammlung gegeben?)

6. Verlust der Abgeordneteneigenschaft (Inkompatibilität). Mit der Annahme der Präsidentschaft geht eine etwaige Mitgliedschaft zur Volksvertretung verloren. Der Präsident, selbst Staatsorgan, kann nicht außerdem Teil eines anderen Staatsorgans sein, dessen Funktionen mit einem großen Teil der Rechte und Pflichten des Präsidenten nicht vereinbar sind. Auch ein bloßes Beibehalten des Mandats der Form nach ist ausgeschlossen. Die Stellung des Präsidenten soll weit über die Parteien hinausgehoben sein.

In der Unionsverfassung ist der Satz, daß der Präsident nicht zugleich Mitglied der gesetzgebenden Körperschaft sein kann, nicht, wie in Art. 44 der deutschen Reichsverfassung für den deutschen Reichspräsidenten, ausdrücklich festgelegt. Er ergibt sich aber aus der Bestimmung des Art. I, Abschn. 6, § 2, wonach niemand Mitglied des Senats oder des Repräsentantenhauses sein kann, der ein Amt der Vereinigten Staaten bekleidet. Die Vorschriften über die Dienstentschädigung für den Präsi­ denten in Art. II, Abschn. 7 und für die Mitglieder der gesetz­ gebenden Körperschaften in Art. I, Abschn. 6, § 1 der Verfassung *) Antrag Beyerle, Koch (Cassels, Waldstein, Katzenstein, Gröber. Sten. Berichte der N.V. S. 2111.

15 schließen gleichfalls eine solche Doppelstellung des Präsi­ denten aus. Auch in Frankreich erfolgt regelmäßig Niederlegung des Aügeordnetenmandats nach der Wahl zum Präsidenten.

7. Amtsdauer. Einer der Hauptunterschiede zwischen Monarchen und republikanischen Staatshäuptern besteht darin, daß der Monarch seine Stellung grundsätzlich lebenslänglich bekleidet, während die Präsidenten der Republiken regelmäßig nur auf bestimmte Zeit gewählt werden. Die Amtszeit des Präsidenten der Vereinigten Staaten beträgt vier Jahre. Bei den Verfassungsberatungen im Jahre 1787 wurde vorgeschlagen, an Stelle der Amtsdauer von vier Jahren und der Möglichkeit der Wiederwahl die Amtszeit auf sieben Jahre festzusetzen und eine Wiederwahl auszuschließen?) In neuerer Zeit sind ähnliche Vorschläge wieder aufgetaucht?) Auch die jetzige vierjährige Amtszeit des Präsidenten währt immerhin doppelt so lange wie das Amt der Mitglieder des Repräsentantenhauses, während die Senatoren für sechs Jahre gewählt werden. Der Präsident der französischen Republik hat sein Amt sieben Jahre lang inne (§ 2 des Verfassungsgesetzes vom 25. Februar 1875). Den Grund zur Festsetzung der sieben­ jährigen Amtszeit gab bei der Schaffung der Verfassung die Erwiderung Mae Mahons auf die Anfragen über seine Stellung­ nahme zu dem Plan, ihm die Präsidentschaft für zehn Jahre zu übertragen. Er gab damals (1873) der Meinung Ausdruck, daß eine siebenjährige Präsidentschaft den Forderungen des All­ gemeinwohles genügend Rechnung trage und mehr als ein Zeit­ raum von zehn Jahren im Verhältnis zu den Kräften stehe, die er dem Lande noch widmen könne?) Der siebenjährigen Amts­ dauer des Präsidenten steht in Frankreich eine vierjährige der Abgeordneten der Deputiertenkammer und eine neunjährige der Senatoren gegenüber. In allen Entwürfen der deutschen Reichsverfassung war eine siebenjährige Amtszeit des Präsidenten vorgesehen. Der in beiden Lesungen im Verfassungsausschuß gestellte Antrag, die Amtsdaucr auf nur fünf Jahre festzusetzen, wurde abgelehnt?) *) Elliots, Debates on the federal Constitution. 5 Bde. 6. Aufl. 1901. Bd. I. S. 157. Bd. V. S. 380. 3) Vgl. E. Freund, Das öffentliche Recht der Vereinigten Staaten von Nordamerika. 1911. S. 124. 3) Journal officiel vom 18. November 1873. S. 7020. Zit. bei Esmein a. a. O. S. 456. 4) Antrag Fischer, Nr. 175, Ziff. 3. Prot. d. 8. Ausschusses. S. 292. Antrag Katzenstein. Prot. d. 8. Ausschusses. S. 460.

16 ebenso ein Antrag, den ersten Reichspräsidenten nur auf drei Jahre zu wählen?) Für den Reichstag war unter Ablehnung von Anträgen auf zwei- und auf fünfjährige Dauer in den drei Entwürfen eine dreijährige Wahlperiode festgesetzt, die schließlich im Plenum in dritter Lesung in eine vierjährige umgewandelt wurde?) Es wechseln danach während der verfassungsmäßigen Amtszeit des Präsidenten das nordamerikanische Repräsentanten­ haus zweimal, die französische Deputiertenkammer und der deutsche Reichstag, von Auflösungen abgesehen, zwei- bis drei­ mal ihre Zusammensetzung. Der Senat erneuert sich während­ dem in Nordamerika zu zwei Dritteln, in Frankreich zu zwei Dritteln oder ganz. 8. Wiederwahl.

Eine Wiederwahl ist in der amerikanischen Verfassung nicht ausgeschlossen:i), in Art. 2 des französischen Verfassungsgesetzes vom 25. Februar 1875 und in Art. 43, Abs. 1, Satz 2 der deut­ schen Reichsverfassung ausdrücklich gestattet. In Amerika wurden bisher von 29 Präsidenten 10 wieder­ gewählt. Eine zweite Wiederwahl lehnte der erste Präsident, George Washington, im Jahre 1797 ab. Jefferson tat das gleiche im Jahre 1809. Seitdem ist cs zur Regel geworden, kein drittes Mal als Bewerber aufzutreten. In Frankreich war der Ausschluß der Wiederwahl in der Verfassung von 1848 als einer der Gründe zum Staatsstreich Louis Napoleons angesehen worden. In der geltenden Ver­ fassung wurde daher die Wiederwahl gestattet. In der deutschen Reichsvcrfassung wurde die Bestimmung über die Möglichkeit einer unbeschränkten Wiederwahl des Prä­ sidenten entsprechend der ursprünglichen Fassung ini Entwurf Preuß ausgenommen. Ein im Verfassungsausschuß gestellter Antrag, nur einmalige Wiederwahl zu gestatten, wurde ab­ gelehnt?) 9. Beendigung des Amtes und Vertretung. Außer durch Zeitablauf und durch Amtsentsetzung, von der bei der Frage der Verantwortlichkeit der Präsidenten zu *1 Antrag v. Delbrück, Nr. 133, Ziff. 3. Prot. d. 8. Ausschusses. S. 292 f. 2) Antrag Erkelenz. Sten. Berichte der N.V. S. 2105. 3j Bei den Verfassungsberatungen im Jahre 1787 wurde es zunächst mit 8 :1 abgelehnt, eine Wiederwahl des Präsidenten zu­ zulassen. Elliots Debates, Bd. I. S. 158. Vgl. Federalist a. a. O., Nr. 72. S. 481 ff. ") Antrag Fischer Nr. 175, Ziff. 5. Prot. d. 8. Aussch. S. 292.

17 sprechen sein wird, kann eine Beendigung der Prästdentschaft vorzeitig durch freiwilligen Abschied, Tod, schwere Krankheit oder aridere dauernde Behinderung eintreten. Die amerikanische Verfassung sieht für diese Fälle in Art. II, Abschn. 6 Übergang der Präsidentschaft auf einen Vize­ präsidenten vor. Der Vizepräsident wird zu gleicher Zeit und in gleicher Form wie der Präsident alle vier Jahre gewählt. Solange der Präsident sein Amt ausüben kann, ist der Vize­ präsident lediglich auf die Führung des Vorsitzes im Senat beschränkt und nou jeder Regicrungstätigkeit ausgeschaltet. Der Vizepräsident ist nicht stellvertretender Präsident, er handelt nicht im Namen des Vertretenen, sondern nimmt völlig die Stclluirg des Präsidenten ein, wenn dieser sein Amt nicht'mehr ausüben kann. Seine Amtszeit endet in jedem Falle mit dem Ablauf der vierjährigen Amtszeit des früheren Präsidenten. Scheidet auch der Vizepräsident aus, so treten nach dem Gesetz vom 19. Januar 1886 die Inhaber der Staatssekretariate in einer bestimmten Reihenfolge bis zur Neuwahl oder Behebung der Unfähigkeit des Präsidenten dessen Amt an. Der Übergang der Präsidentschaft auf den Vizepräsidenten ist seit Bestehen der Unionsverfassung fünfmal erfolgt. In Frankreich wird in den genannten Fällen gemäß Art. 3 des Verfassungsgcsetzes vonr 16. Juli 1875 sofort zur Wahl eines neuen Präsidenten geschritten, dessen Amtszeit dann volle sieben Jahre läuft, nicht wie die Präsidentenwürde des nordamerilanischen Vizepräsidenten mit dem Ende der Amtszeit des Vorgängers aufhört. Die Mehrzahl der französischen Präsi­ denten der jetzigen (dritten) Republik ist durch Tod (Carnot und Felix Faure), Krankheit (Deschanel) oder erzwungenen Rücktritt (Grövy und Casimir Parier) vorzeitig aus dem Amte geschieden. Während einer Unterbrechung der Präsidentschaft geht die vollziehende Gewalt auf den Ministerrat über. Die deutsche Reichsvcrfassung spricht in Art. 51, Abs. 2 allgemein von dem Fall einer vorzeitigen Erledigung der Prä­ sidentschaft und bestimmt, daß dann bis zur Durchführung einer neuen Wahl der Reichskanzler den Reichspräsidenten vertritt. Hier handelt cs sich um eine tatsächliche vorübergehende Stell­ vertretung, die auch sonst bei Verhinderung des Reichspräsidenten gemäß Art. 51, Abs. 1 „zunächst" vom Reichskanzler ausgeübt wird. Einen Vizepräsidenten kennt die deutsche Reichsverfassung nicht. Es wurde absichtlich auf einen „republikanischen Kron­ prinzen" verzichtet, der nichts anderes zu tun hätte, als auf das Verschwinden des Präsidenten zu warten.J) Bei Verhinderung von „voraussichtlich längerer Zeit" soll die Vertretung durch ein noch nicht erschienenes 'Reichsgesetz gesi Preuß, Sten. Berichte d. N.V. S. 291.

18 regelt werden. Neben schwerer Erkrankung und Ähnlichem dürfte hierher auch Anklage vor dem Staatsgerichtshof (Art. 59), Absetzungsantrag des Reichstags (Art. 43, Abs. 2) und Ein­ leitung einer strafrechtlichen Verfolgung zu rechnen sein. Das Reichsgesetz über die Vertretung des Präsidenten könnte auch festlegen, welcher Zeitraum allgemein als längere Zeit anzu­ sehen ist. Für den Fall einer gleichzeitigen Vakanz von Reichs­ präsident und Reichskanzler ist keine Vorsorge getroffen. Die Anschauung, daß der Reichstag auf Grund seiner präsumptiven Zuständigkeit in analoger Anwendung des Art. 53 einen „pro­ visorischen Reichskanzler" bestellen oder „das einen Vize­ präsidenten ernennende Reichsgesetz" erlassen und durch den Reichstagspräsidenten unterschreiben und verkünden lassen dürfe1), erscheint bedenklich. Die Zubilligung des Rechtes, einen vorläufigen Reichskanzler oder einen Vizepräsidenten zu be­ stimmen, würde besonders in dem nicht unwahrscheinlichen Falle eines gleichzeitigen Rücktritts des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers infolge von Meinungsverschiedenheiten mit dern Reichstag zur Alleinherrschaft des Parlaments führen können. Als Vorbild für eine Regelung in dem verheißenen Reichsgesetz könnten die Bestimmungen über die Vertretung des Vizepräsi­ denten in der Union durch die Inhaber der einzelnen Staats­ sekretariate dienen (s. S. 17). An erster Stelle würde wohl der Minister einzutreten haben, den die Geschäftsordnung der Reichsregierung allgemein zum Vertreter des Reichs­ kanzlers bestimmt. Sollten außer dem Reichspräsidenten und dem Reichskanzler plötzlich sämtliche Minister oder alle bis.auf einen ausfallen, so würde allerdings der Reichstag eine Regelung treffen müssen. Seine erste Aufgabe würde dann aber nicht in der Bestellung eines Vizepräsidenten, sondern im Ausschreiben der Wahl eines neuen Reichspräsidenten zu liegen haben. Funktionen des Präsidenten wie Ausfertigung und Ver­ kündung von Gesetzen, könnten wohl vorübergehend vom Reichs­ tagspräsidenten ausgeübt werden?) Die Verfassungsbestimmungen der drei Reiche über Er­ langung und Beendigung der Präsidentschaft zeigen demnach wesentliche Unterschiede nur hinsichtlich der Wahl, der Amtsdauer und der Vertretung der Präsidenten. Der deutsche Reichspräsident geht aus unmittelbaren, der nordamerikanischc Präsident aus mittelbaren Volkswahlen und

J) Schwarz, (Sine Lücke in der Neichsverfassung, Deutsche Juristenzeitung 1920, Sp. 291 ff. Bal. den ähnlichen Fall bei der Ausfertigung des Gesetzes über die vorläufige Reichsgewalt vom 10. Februar 1919. (RGBl. 1919. S. 169.)

19

der französische Präsident aus Wahlen der von Senat und Depu­ tiertenkammer gebildeten Nationalversammlung hervor. Die stärkste verfassungsrechtliche Wurzel besitzt danach die Stellung des deutschen Reichspräsidenten. Die längere siebenjährige Amtszeit des deutschen und französischen Präsidenten gegenüber der vierjährigen des nord­ amerikanischen bedingt keine grundsätzliche Verschiedenheit in der staatsrechtlichen Stellung der einzelnen Präsidenten, da das Ver­ hältnis zwischen Amtsdauer des Präsidenten und der gesetz­ gebenden Körperschaften in den drei Staaten ganz ähnlich ist. Durch die Einrichtung der Vizepräsidentschaft, die Bereit­ stellung eines Ersatzpräsidenten für eine bestimmte Person und eine bestimmte Zeit, ist cs in den Vereinigten Staaten möglich,, die Amtsdauer des Präsidenten zeitlich genau festzulegen und mit dem Tagungsbcginn eines jeden zweiten Kongresses in Über­ einstimmung zu halten. Die Grundlagen der Präsidentschaft werden durch die verschiedenen Formen der Vertretung nicht berührt.

2. A bschnit t.

Die persönliche Rechtsstellung des Präsidenten. 10. Persönliche Rechte. Die Amtsbezeichnung des Staatshauptes lautet gleichmäßig in den Vereinigten Staaten wie in Frankreich und Deutsch­ land „Präsident". Die amerikanische Verfassung spricht von einem „Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika" (Art. 11, Abschn. 1, § 1), das französische Vcrsassungsgcsetz vom 25. Februar 1875 von dem „Präsi­ denten "der Republik" (Art. 2) und die deutsche Reichsverfassung von dem „Reichspräsidenten" (Art. 41). Im Verfassungsausschuß und im Plenum der Nationalversammlung wurden zur Vermeidung des Fremd­ wortes Präsident deutsche Bezeichnungen, wie Reichsverweser (Antrag Ablaß Nr. 124, Ziff. 4), Reichswart (Antrag von Schulze-Gaevernitz), Neichswalt (Antrag Beyerle Nr. 130), Reichsführer, Reichsobmann, Reichshaupt, Reichshochmeister und ähnl. vorgeschlagen, fanden aber nicht die Zustimmung der Mehrheit?) Besondere Ehrenrechte sind weder dem Präsidenten der Union noch dem deutschen Reichspräsidenten durch die Verfassung oder durch Einzelgesetze zugebilligt. In Frankreich bestimmt das Verfassungsgesetz vom 25. Februar 1875 in Art. 3, daß der Prä­ sident der Republik den Vorsitz bei nationalen Feierlichkeiten führt. Als Staatshaupt ist der französische Präsident Großmeister des einzigen französischen Ordens, der Ehrenlegion. Der deutsche Reichspräsident besitzt das Recht zur Führung einer besonderen Standarte. Sie besteht aus einem gleichseitigen, rotgerändcrten, goldgelben Rechteck, darin der ' Reichsadler, schwebend, nach der Stange gewendet?) Der Anspruch des Präsidenten auf eine Entschädigung für seine Dienste ist nur in den Vereinigten Staaten verfassungs­ rechtlich festgelegt (Art. IT, Abschn. 1, § 7). Die Unionsverfassnng hebt hervor, daß während der Amtszeit eines Präsidenten eine Erhöhung oder Verringerung seiner Dienstentschädigung nicht erfolgen darf. Damit soll die Unabhängigkeit des Prä­ sidenten vom Kongreß gesichert werden. Irgend einen anderen Vermögensvortcil darf der Präsident weder von der Union noch von einem ihrer Einzelstaaten erhalten. Das Gehalt des Prä-

si Prot. d. 8. Aussch. S. 234, 235, 278, 458. Sten. Berichte der N.V. S. 1326. 2) Verordnung über die deutschen Flaggen vom 11 .April 1921 I, Zff. 7, RGBl. S. 483.

21 fibentert war ursprünglich gesetzlich auf 25 000 Dollar jährlich festgesetzt, durch Gesetz vom 3. März 1873 wurde es auf 50 000 Dollar erhöht und beträgt gegenwärtig 75 000 Dollar. Freie Amtswohnung besitzt der Präsident im „Exekutive Mansiou", dem sogenannten „Weißen Hause", in Washington. In Frankreich und im Deutschen Reiche findet sich in der Verfassung feine Bestimmung über das Gehalt des Präsidenten. Ein Gesetz vom 16. September 1871 bestimmt als Höhe der Be­ züge des französischen Präsidenten 600 000 Franks. Dazu kommt seit 1873 ein Betrag für Repräsentationskosten, der im Jahre 1920 auf 700 000 Franks festgesetzt war, und seit 1876 ein weiterer Betrag für Reiseaufwand, int Jahre 1920 700 000 Franks, zusammen also 2 000 000 Franks. Als Amtssitz dient dem Präsidenten der Republik das Palais des Elysöes, ferner stehen ihm die Schlösser und Jagden von Marly und Rambouillet zu. Anders als in den Vereinigten Staaten können in Frank­ reich die Kammern diese persönlichen Rechte des Präsidenten jederzeit ändern oder aufheben. Das Gehalt des deutschen Reichspräsidenten wird bisher int alljährlichen Reichshaushaltplan festgesetzt. Ursprünglich waren ihm 100 000 di Gehalt, 150 000 dl Aufwandsent­ schädigung und 100 000 dl zu freier Verfügung zugebilligt. Im Dezember 1921 ist mit Wirküng vom 1. April 1921 eine Er­ höhung des Gehaltes auf 300 000 dl und der Aufwandsgelder auf 400 000 dl erfolgt?) Die gleichen Summen, zusammen demnach 800 000 dl, sind in den Reichshaushaltsplan für 1922 eingestellt. Der Reichspräsident hat ferner Anspruch auf freie Dienstwohnung mit Geräteausstattung. Als Wohnung ist ihm das frühere Ministerium des königlichen Hauses in Berlin zur Verfügung gestellt worden. Danach hat der deutsche Reichstag ähnlich wie die Kammern in Frankreich im Gegensatz zu dem Kongreß der Union die Möglichkeit, die Bezüge des Reichs­ präsidenten alljährlich zu ändern. Ein besonderer Rechtsschutz wird den republikanischen Staatshäuptern meist nicht zugestanden. In Frankreich stellt § 26 des Preßgesetzes vom 19. Juli 1881 Verleumdungen, Beleidigungen und Beschimpfungen des Präsidenten unter vesonders schwere Strafen. Einen ähnlichen Schutz des deutschen Reichspräsidenten wird das Gesetz zum Schutz der Republik bringen. Verschärfte Strafbestimmungen bei Attentaten auf den Präsidenten finden sich weder in der Union, noch in Frankreich und im Deutschen Reiche. *) Anlage 1 .tu Drucksache dir. 3071 des Reichstaas I Wahlvcriade .1921, RGBl. 1922 S. 16 und S. 2 der Anlage I zmn Reichsdaushaltsplan für 1922.

22 11. Die Verantwortlichkeit des Präsidenten.

Als mittelbare Staatsorgane sind die republikanischen Staatshäupter grundsätzlich für ihre Handlungen dem Träger der Staatsgewalt, dem Volke, verantwortlich. Ihrer politischen Stellung wegen ist allerdings in den einzelnen Verfassungen die Verantwortlichkeit der Präsidenten eingeschränkt?) Von z i v i l r e ch t l i ch e r V e r a n t w o r t l i ch k eit sind die Präsidenten cher Union, Frankreichs und des Deutschen Reichs nicht frei. Auch der st r a f r e ch t l i ch'e n Verantwort­ lichkeit sind sie grundsätzlich nicht entzogen. Für den Prä­ sidenten der Vereinigten Staaten wird im Hinblick auf den ver­ fassungsmäßigen Schutz der Senatoren und Abgeordneten vor Verhaftungen während der Ausübung ihres Amtes (Art. I, Abschn. 6, § 1 der Unionsverfassung) eine strafrechtliche Verfolg­ barkeit des Präsidenten allerdings lediglich im Anschluß an eine Verurteilung im Staatsanklageverfahren zugegeben. Der französische Präsident kann nach Art. 12 dcs Verfassungs­ gesetzes vom 16. Juli 1875 nur vom Senat auf Antrag der Dcputicrtenkammcr gerichtet werden. Ein bestimmter Schutz vor­ der Verfolgung durch den Strafrichter während seiner Amtszeit ist dem deutschen Reichspräsidenten zugebilligt. Er kann nach Art. 43, Abs. 3 der Reichsverfassung nur mit Zustimmung des Im Verfassungs­ Reichstages strafrechtlich verfolgt werden. ausschuß war beantragt worden, zu setzen: Der Reichsvräsident ist während seiner Amtsführung strafrechtlich nicht verfolgbar?) Dieser Antrag wurde als Ausnahmebestimmung scharf bekämpft, andererseits wurde darauf verwiesen, daß man den Reichspräsi­ denten hinsichtlich der strafrechtlichen Verfolgbarkeit nicht schlechter stellen dürfe als die Reichstagsabgeordneten, und die jetzige Fassung beschlossen.-ft Von besonderer Bedeutung ist die st a a t s r e ch t l i ch e Verantwortlichkeit der Präsidenten. Es haben sich hierfür in den einzelnen Staaten verschiedene Formen heraus­ gebildet. Die Verfassung der Vereinigten Staaten hat in Art. IT, § 4, Ziff. 1 die Einrichtung der Staatsanklage (Impeach­ ment) gegen den Präsidenten, Vizepräsidenten und alle Beamten der Vereinigten Staaten wegen Verrats, Bestechung und „anderer großer Verbrechen und Vergehen" getroffen. Bei Schuldig­ sprechung erfolgt Entfernung aus dem Amte. Das Repräsen­ tantenhaus erhebt und vertritt die Anklage, den Gerichtshof

ft Vol. Walther, a. a. O. S. 160. Walther verweist auch auf das ähnliche Beispiel der Richter. ft Antrag v. Delbrück Nr. 133, Ziff. 4, Prot. d. 8. Aussch. S. 293. ft Antrag Koch Nr. 177, Ziff. 2, Prot. d. 8. Aussch. S. 294.

23 bildet der Senat. Dieser tagt im Falle der Anklage des Prä­ sidenten unter Vorsitz des Oberbundesgerichtspräsidenten, nicht des Vizepräsidenten, da dieser im Falle der Schuldigsprechung des Präsidenten die Präsidentschaft anzutreten hat, also am Aus­ gange des Verfahrens beteiligt ist. Zur Verurteilung ist Zwei­ drittelmehrheit der anwesenden Senatoren erforderlich (Art. I, Abschn. 3, § 6). Neben Entfernung aus dem Amte kann der Verurteilte auch für unfähig zur Bekleidung eines Bundesamtes erklärt werden. Daß die Staatsanklage nicht als strafrechtliche Maßnahme anzusehen ist, läßt schon die Beschränkung auf diese Strafen erkennen, vor allem geht cs aber aus der Verfassungs­ bestimmung in Art. I, Abschn. 3, § 7 hervor, wonach der im Impeachment Verurteilte außerdem der gerichtlichen Anklage, dem Prozeß, der Verurteilung und der Bestrafung nach dem Gesetz unterworfen sein soll. Ob unter den „andern großen Verbrechen und Vergehen", welche neben Verrat und Bestechung als Anklagegründe in der Verfassung genannt werden, nur Hand­ lungen zu verstehen sind, die nach den Gesetzen oder dem gemeinen Recht strafbar sind, oder keine kriminell strafbaren Handlungen vorzuliegen brauchen, ist bestritten. Da der gemeinrechtliche Vergehensbegriff auch grobe Amtsmißführung und Gefährdung des öffentlichen Wohles durch Willkürakte oder Pflichtvernach­ lässigung umfaßt, wird man nicht über ihn hinauszugehen brauchen. In der Praxis sind die Staatsanklagen in den Ver­ einigten Staaten bisher fast nur wegen Gesetzesverletzung oder Rechtsbeugung erhoben worden. Diese Frage ist in der Union von besonderer Wichtigkeit, weil der Kongreß außer dem Im­ peachment keine Möglichkeit besitzt, von der Exekutive Rechen­ schaft zu fordern.

Gegen einen Präsidenten ist die Staatsanklage bisher in einem einzigen Falle erhoben worden, im Jahre 1868 gegen den Präsidenten Johnson. Von den elf Anklageartikeln gründeten sich neun Artikel auf angebliche Verletzungen bestimmter Gesetze, zwei auf Reden des Präsidenten, in denen er sich in gehässiger Weise über den Kongreß geäußert hatte. Das Verfahren endete mit Freisprechung, da 35 Senatoren für Verurteilung, 19 da­ gegen stimmten, die nötige Zweidrittelmehrheit also nicht erreicht war. Das Vorgehen des Kongresses in diesem Falle wurde von der Öffentlichkeit wenig günstig beurteilt und hat dazu bei­ getragen, dem Impeachment die Tauglichkeit als Waffe im poli­ tischen Kampfe zu nehmen?)2)

1) E. Freund, a. a. O. S. 168 ff. 2) Vgl. B. Harrison, The Constitution and administration of the United States of America, 1897. S. 115 ff.

24 Der französische Präsident ist nach Art. 6 des Verfassungsgesetzes vom 25. Februar 1875 nur im Falle des Hochverrates verantwortlich. Ähnlich wie in den Vereinigten Staaten wird in diesem Falle gemäß Art. 12 des Verfassungs­ gesetzes vom 16. Juli 1875 die Anklage von der Deputierten­ kammer erhoben und die Entscheidung vom Senat als oberstem Gerichtshöfe gefällt. Das im gleichen Artikel verheißene Ausführungsgesetz ist nicht erlassen worden. Im Januar 1878 brachte der Abge­ ordnete Duprat in der Deputiertenkammcr einen Gesetzentwurf über die Verantwortlichkeit des Präsidenten der Republik ein, der den Tatbestand des Hochverrats festlegte und bestimmte Strafen vorsah. Der Entwurf gelangte am 24. Mai 1879 zur Beratung, wurde aber nicht Gesetz?) Esmein") führt zu dieser Frage aus, daß es sich hier mehr nm eine politische als juristische Verantwortlichkeit handele, denn allgemein strafrechtlich sei der Präsident ohne Weiteres? verantwortlich. Die Verfassung habe in diesem besonders hervorgehobenen Falle der Deputierten­ kammer und dem Senat als Richter Rechte zugebilligt, die über die einfache Anwendung der Strafgesetze hinaüsgingen. Daher brauche die Anklage fid) nicht notwendig auf einen bestimmten gesetzlichen Tatbestand zu gründen und es könne ohne besondere Bestimmung auf Amtsentlassung erkannt werden. Esmein be­ zieht sich dabei ausdrücklich auf das Verfahren des Impeachment in den Vereinigten Staaten. Demgegenüber verweist Duguit3* )2 mit aller Schärfe darauf, daß diese Anschauung unvereinbar ist mit dem Grundsatz mdla poena sine lege (keine Strafe ohne gesetzliche Grundlage), der für das französische Recht in Art. 8 der Erklärung der Menschenrechte von 1789 und in Art. 5 des Code penal ausgesprochen ist. Zu weit dürfte er mit der Behauptung gehen, daß der französische Prä­ sident im Gegensatz zu dem amerikanischen staatsrechtlich völlig unverantwortlich sei. Es wird festgestellt werden müssen, daß außer der allgemeinen strafrechtlichen Verantwortlichkeit eine be­ sondere staatsrechtliche Verantwortlichkeit des Präsidenten im Falle des Hochverrats in der Verfassung vorgesehen ist, daß diese Verfassungsvorfchrift aber nicht angewendet werden kann, so­ lange keine nähere Bestimmung über Tatbestand und Strafe ge­ troffen ist. Praktisch geworden ist die Frage einer Anklage des Präsidenten wegen Hochverrats bisher noch nicht. Die staatsrechtliche Verantwortlichkeit des deutschen Reichspräsidenten ist besonders weit

1879.

*) Text des Entwurfs im Journal officiel, doc. pari., Chambre S. 502. Zit. bei Duguit II. S. 483. 2) A. a. D. S. 596 ff. . . 3) A. a. O., II. S. 408 f., 482 f.

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ausgebaut. Ähnlich dem nordamerikanischen Impeachment-Ver­ fahren ist in Art. 59 der Reichsverfassung eine Anklage des Reichspräsidenten, des Reichskanzlers und der Reichsminister vor d e m S t a a t s g e r i ch t s h o f für das Deutsche Reich vorgesehen für den Fall, daß sie schuldhaft die Reichsverfassung oder ein Reichsgesetz verletzt baden. Zur Anklage berechtigt ist allein der Reichstag. Der Antrag auf Erhebung der Anklage muß von mindestens hundert Reichstagsmitgliedern unterzeichnet sein und der Beschluß darüber bei Anwesenheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliedcrzahl mit einer Zweidrittelmehrheit der Anwesenden gefaßt werden. Trotz dieser Erschwerungen reichen danach schon die (Stimmen von 4/n der Reichstagsmitglieder zur Erhebung der Anklage aus. Das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof ist im Einzelnen durch das Gesetz über den Staatsgerichtshof vom 9. Juli 192! (RGBl. S. 905) geregelt?) Durch die Fassung des § 2 dieses Gesetzes wird die nach dem Wortlaut des Art. 59 der Reichs­ verfassung offene Frage bejaht, ob auch gegen einen nicht mehr im Amte befindlichen Reichspräsidenten Anklage vor dem Staatsgerichtshof erhoben werden kann. Während Art. 59 nämlich von dem Recht des Reichstags spricht, „den Reichs­ präsidenten, den Reichskanzler und d i e Reichsminister vor dem Staatsgerichtshof anzuklagen", legt § 2 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof allgemein dessen Zuständigkeit „zur Verhandlung und Enscheidnng über Anklagen des Reichstags gegen Reichspräsidenten, Reichskanzler und Reichsminister" fest?) Nach § 3 des Gesetzes setzt sich der Staatsgerichtshof bei Anklagen gegen den Reichspräsidenten zusammen aus dem Prä­ sidenten des Reichsgerichts als Vorsitzenden und je einem Mitgliede des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, des Bayerischen obersten Landesgerichts und des Hanseatischen Oberlandes­ gerichts, einem deutschen Rechtsantvalte und zehn weiteren Bei­ sitzern, die nebst Stellvertretern je zur Hälfte vom Reichstag und vom Reichsrat gewählt werden?) Zu Beisitzern sind nach § 4 Deutsche wählbar, die das 30. Lebensjahr vollendet haben und nicht Mitglieder der Reichsregierung, des Reichstags, des Reichsrats, des Reichswirtschaftsrats, einer Landesregierung, eines Landtags oder Staatsrats sind. In dem Urteil des Staatsgerichtshofs wird ausgesprochen, ob der Angeklagte schuld­ haft eine bestimmte Vorschrift der Reichsverfassung oder ein Reichsgesetz verletzt hat oder ob er von der Anklage freizusprechen ist (§ 12, Abs. 1). Zu einem Schuldigspruch ist ZweidrittelmehrÖ Vgl. dazu auch die Geschäftsordnung des Staatsgerichtshofs. sRGBl. 1921. S. 1535 ff.). 2) Vgl. H. H. Lammers, Das Gesetz über den Staatsgerichtshof. Berlin 1921. Anm. 4b zu § 2. S. 20. 3) Vgl. Sten. Ber. des Reichstags I. 1920/21. S. 4065 ff., 4123.

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heit erforderlich. Wenn der Schuldige sich noch im Amte be­ findet, kann ihn der Staatsgerichtshof seines Amtes verlustig erklären (§ 12, Abs. 2). Nach § 28 des Gesetzes findet gegen die Entscheidung des Staatsgerichtshofs weder ein Rechtsmittel noch die Wiederaufnahme des Verfahrens statt. Die Aburteilung durch den Strafrichter soll mit dem Verfahren vor dem Staats­ gerichtshof nicht ausgeschlossen werden (vgl. Art. 105 der Reichs­ verfassung). Ist ein Strafverfahren wegen einer Handlung, die mit dem Verfahren vor dem Staatsgerichtshof zusammenhängt, bereits eingeleitet, so kann der Staatsgerichtshof durch Beschluß entscheiden, ob er das strafrichterliche Urteil abwarten oder das Strafverfahren zurückstellen will (§ 10). Hiernach sind Zweifel über den Gegenstand der Anklage, wie sie bei der Regelung in der Union und in Frankreich auf­ tauchten, nicht möglich. ' Die Anklage muß sich in allen Fällen aus Rechtsverletzung gründen. Die Folgen des Schuldigspruchs sind die gleichen wie im Impeachment-Verfahren. Die Scheide­ linie zwischen strafrechtlicher Verfolgung und dem Verfahren vor dem Staatsgerichtshof tritt klar hervor. Außer der Anklage beim Staatsgerichtshof im Falle schuldhafter Verfassungs- oder Gesetzesverletzung sieht die deutsche Reichsverfassung in Art. 43, Abs. 2 noch den Fall der Ab­ setzung des Reichspräsidenten durch Volksabstim­ mung auf Antrag des Reichstags vor (vgl. Gesetz über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921 — RGBl. S. 790 —, § 2). Die Begründung des Absetzungsantrages des Reichstags wird einmal ein Tatbestand bilden können, der ein Verfahren vor dem Lckaatsgerichtshof ermöglichen würde, eine Rechtsvcrletzung, ferner aber auch der Vorwurf, unzweckmäßige politische Maßnahmen getroffen zu haben. Voraussetzung für die Volks­ abstimmung ist lediglich ein Reichstagsantrag mit Zweidrittel­ mehrheit. Da eine nähere Bestimmung darüber fehlt, ob hier die Zustimmung von zwei Drittel der anwesenden Mitglieder oder zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl nötig ist, muß das erste als die allgemeine Regel angenommen werden?) Sobald der Reichstagsbeschluß gefaßt ist, kann der Reichspräsident sein Amt nicht weiter ausüben. Fällt die Volksabstimmung gemäß dem Reichstagsantrag aus, so verliert der Reichspräsident sein Amt, lehnt das Volk die Absetzung ab, so bedeutet das Auflösung des Reichstags und neue Wahl des Präsidenten. Mit dieser neuen Wahl beginnt also wieder eine volle siebenjährige Amtszeit. Preuß begründet diese Bestimmung in seiner Denkschrift zum Verfassungsentwurf lediglich mit dem Wunsche, „eine allzu große Häufung solcher Aktionen zu vermeiden". Immerhin erscheint es 9 Vgl. Art. 32 und Art. 76 der Reichsverfassung.



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bedenklich, eine Nichtabsetzung des Reichspräsidenten als Wieder­ wahl, die dann ohne unmittelbare Aufstellung von Gegen­ kandidaten erfolgt, gelten zu lassen. Das Volk kann sehr wohl wünschen, einen vielleicht schon sechs Jahre amtierenden Reichs­ präsidenten — unter Umständen auf Antrag eines neugewählten Reichstags — nicht abzusetzen, sondern ihm eine ehrenvolle Be­ endigung seiner Präsidentschaft zu ermöglichen, aber durchaus nicht gewillt sein, den gleichen Präsidenten weitere sieben Jahre im Amte und in einem etwa ähnlich langen Zwiespalt mit dem Parlament zu sehen. Vor allenl aber verstärkt diese Vorschrift die Möglichkeit, daß cs sich bei der Abstimmung über den Ab­ setzungsantrag nicht darum handelt, den Reichspräsidenten in einem bestimmten Falle vom Volke schuldig oder frei sprechen zu lassen, sondern um einen politischen Kampf, um eine Macht­ probe zwischen Reichstag und Reichspräsidenten?) Nach den eigenen Worten der Denkschrift von Preuß sollte durch Art. 43, Abs. 2 dem Reichstage die Befugnis gegeben werden, in be­ sonders schweren politischen Konfliktfällen das Volk zu einem Urteile über die politische Haltung des Präsidenten anzurufen. Eine entsprechende allgemeine Möglichkeit der Amtsent­ hebung des Präsidenten findet sich weder in den Vereinigten Staaten noch in Frankreich. Es wurde erwähnt, daß in der Union Staatsanklagen in der Regel auf Grund bestimmter Ver­ gehen erhoben werden, und für Frankreich die Auffassung Esmeins abgelehnt, nach der die verfassungsmäßige Verantwort­ lichkeit des Präsidenten im Fall des Hochverrats eine allgemeine politische sein sollte. 12. Der Einfluß der Ministerverantwortlichkeit auf die Rechtsstellung des Präsidenten. Um ein Gesamtbild der Verantwortlichkeit des nordamcrikanischen, französischen und deutschen Reichspräsidenten zu erholten, ist noch die Rückwirkung der Verantwortlichkeit der Minister auf die Stellung des Präsidenten zu untersuchen. Es handelt sich hierbei nicht um die Staatsanklagen gegen die Minister, die sich in der Union und im Deutschen Reiche in den gleichen Formen wie die Anklage gegen den Präsidenten selbst vollzieht und ganz ähnlich in Frankreich auf Anklage der Deputiertenkammer vor dem Senat als Gerichtshof, sondern um die sogenannte „politische Verantwortlichkeit der Minister". Sic äußert sich darin, daß die Minister vor den gesetzgebendeil Körperschaften Rechenschaft über ihre Maßnahmen als Regicrungsvertreter abzulegen haben. Es ist von Anschütz2) als unsi Bgl. L. Wittmayer, Kritische Vorbetrachtungeu zur neuen Reichsverfassung im Archiv des öffentl. Rechtes, Bd. 39, 1920. S. 410. -’) Enzyklopädie. S. 112, 113, 127.

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richtig festgestellt worden, diese Verantwortlichkeit eine „nur politische" im Gegensatz zu rechtlicher Verantwortlichkeit zu nennen. Es handelt sich um eine verfassungsmäßig festgelegtc Rechtspflicht der Minister, dem Parlament Rechenschaft 311 geben?) Inhaltlich geht sie insofern weiter wie die Verant­ wortlichkeit, für welche das Verfahren der Staatsanklage vor­ gesehen ist, als sic sich nicht nur auf die Gesetzmäßigkeit, sondern auch auf die Zweckmäßigkeit der Regierungshandlungen er­ streckt?) Man könnte von ihr als „parlamentarischer Verantwortlichkeir" sprechen, da sie von den gesetzgebenden Körper­ schaften geltend gemacht wird. In den Vereinigten Staaten gibt cs keine solche parlamentarische Verantwortlichkeit der obersten Verwaltungs­ beamten. Die „Sekretäre" an der Spitze der einzelnen Verwal­ tungszweige sind in der Union nicht Minister im Sinne unseres Staatsrechts, sondern Gehilfen des Präsidenten und nur diesem verantwortlich. Der Präsident braucht sie nicht zu entlassen, wenn sie das Vertrauen der gesetzgebenden Körperschaften nicht mehr haben, er allein bestimmt über ihr Verbleiben im Amte. Nicht die Sekretäre decken den Präsidenten mit ihrer Verantwortlichkeit, sondern der Präsident trägt die Verantwortung für die Tätigkeit seiner Mitarbeiter. In scharfem Gegensatz dazu ist in Frankreich die Ver­ antwortlichkeit der Minister verfassungsmäßig festgelegt und bildet die Ergänzung zu der grundsätzlichen Unverantwortlichkeit des Präsidenten. Das Vcrfässungsgesetz vom 25. Februar 1875 be­ stimmt in Art. 6, daß die Minister den Kammern gegenüber eine solidarische Verantwortung für die allgemeine Politik der Regie­ rung tragen und eine individuelle für ihre persönlichen Amts­ handlungen. Die Minister sind hier verantwortlich an Stelle des nichtverantwortlichen Präsidenten. Die Übernahme der Verantwortung erfolgt durch die Gegenzeichnung, die für die Gültigkeit, d. h. Vollziehbarkeit, aller Regierungshandlungen des Präsidenten erforderlich ist. Die Verantwortlichkeit der Minister wird in der Form praktisch, daß sie nur so lange ihr Amt ausüben können, als das Parlament ihre Tätigkeit billigt. Die Regierungspolitik wird also entscheidend vom Parlament beeinflußt. Der Präsident selbst ist zwar den Kammern für seine Tätigkeit grundsätzlich nicht verantwortlich, aber die Organe, durch die er handelt, stehen in völliger Abhängigkeit vom Parla­ ment, es herrscht das parlamentarische Regierungssystem.

') Vgl. französisches Verfassungsgesetz vom 25. Februar 1875, Art. 6, Deutsche Reichsverfassung Art. 56. ") Vgl. H. Rehm, Allgemeine Staatslehre. 1899. S. 333 ff., 337. 339, 433. Anderer Ansicht G. Meyer, Staatsrecht. S. 799. Be­ richtigt durch Anschütz in Anni. 2 zu § 184.

29 Im Deutschen Rciche trifft eine nach allen Richtungen ansgebaute Verantwortlichkeit des Präsidenten mit einer in der Verfassung genau bestimmten Ministerverantwortlichkeit zu­ sammen. Art. 50 der deutschen Reichsverfassung spricht aus, daß alle Anordungen und Verfügungen des Reichspräsidenten, auch solche auf dem Gebiete der Wehrmacht, zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler oder den zuständigen Rcichsminister bedürfen, und fügt an diese Bestimmung den Satz, daß durch die Gegenzeichnung die Verantwortung übernommen wird. Der Reichskanzler trägt dem Reichstag gegenüber die Verantwortung für die Richtlinien der Politik und jeder Reichsminister für den ihm anvertrauten Geschäftskreis (Art. 56). Das Parlament ist jederzeit in der Lage, Rechenschaft von den Mini­ stern zu fordern, da gemäß Art. 33, Abs. 1 der Reichsverfassung Reichstag und Reichstagsausschüsse die Anwesenheit des Reichs­ kanzlers und jedes Reichsministers verlangen können. Dazu treten noch besondere Prüfungs- und Aufsichtsrechte der Volks­ vertretung?) Auch die Folge der parlamentarischen Minister­ verantwortlichkeit ist in der deutschen Reichsverfassung ausdrück­ lich festgelcgt. Nach Art. 54 bedürfen Reichskanzler und Reichs­ minister zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstags, uild jeder von ihnen muß sein Amt nicderlegen, wenn der Reichs­ tag ihm das Vertrauen ausdrücklich entzieht. Neben der parlamentarischen Verantwortlichkeit besteht auch für die Reichsministcr die Möglichkeit einer Anklage vor dem Staatsgerichtshof wegen Verfassungs- und Gesetzesver­ letzungen. Es wird nunmehr zu prüfen sein, wie diese weit­ gehende Ministerverantworilichkeit mit der persönlichen Ver­ antwortlichkeit des Reichspräsidenten in Einklang zu bringen ist. Art. 50 sagt, daß jede Regierungshandlung des Reichspräsidenten bcr Gegenzeichnung bedarf und damit die Verantwortung übcrnommen Ivird. Wenn daneben noch Raum für die persönliche Verantwortlichkeit des Reichspräsidenten bleiben soll, muß Art. 50 in erster Linie auf die Verantwortung gegenüber dem Parlament bezogen werden. Bei Verfassungs- und Gesetzesverletzungen droht dem Reichspräsidenten wie den Rcichsministcrn die Anklage vor dem Staatsgerichtshof. Es kann dabei der Fall eintretcn, daß Reichspräsident und Reichsministcr der gleichen Regierungs­ handlung wegen angeklagt werden, wobei der eine die Vornahme des Aktes, der andere die Zustimmung zu vertreten hat?) 0 Vgl. E. Kaufmann, Die Reichsregierung, im Handbuch der Politik. 3. Bd., 1921. S. 46 ff. *') H. Nawiasky, Die Grundgedanken der Reichsverfassung. 1920. S. 83. Vgl. auch C. Binding, Zum Werden und Leben der Staaten. 1920. S. 216.

30 Die Anklage gegen einen Minister auf Grund einer Maß­ nahme, die auch die Unterschrift des Reichspräsidenten trägt, wird danach in der Regel gleichzeitig einen Hieb gegen den Reichspräsidenten bedeuten, selbst dann, wenn von einer Anklage gegen den Reichspräsidenten abgesehen wird. Auch der Grund­ satz, daß durch die Gegenzeichnung der Minister der Reichs­ präsident wenigstens gegenüber dem Parlament von der Ver­ antwortung befreit ist, erleidet eine Erschütterung durch die all­ gemeine Absetzungsmöglichkeit, in der oben (S. 26 f.) ein poli­ tisches Kampfmittel des Reichstags gegen den Reichspräsidenten festgestellt wurde. Es findet sich danach in der deutschen Reichsverfassung eine Häufung der verschiedenen Formen der Verantwortlichkeit. Dabei sind die einzelnen Arten zwar rechtlich nebeneinander möglich, ob sie aber staatsrechtliche Notwendigkeiten bedeuten, wird in Zweifel gezogen werden können. Schon das Erforder­ nis der ministeriellen Gegenzeichnung jeder Amtshandlung des Reichspräsidenten in Verbindung mit dem Grundsatz der Ministerverantwortlichkeit vor dem Parlament und dem Staats­ gerichtshof gibt die Möglichkeit, jeder rechts- oder zweckwidrigen Regierungsmaßnahme zu begegnen. Die Verantwortlichkeit der obersten Magistrate in einem Staate mit parlamentarischem Regierungssystem dürfte auch dann lückenlos sein, wenn die Verantwortlichkeit des Staatshauptes auf bestimmte, von der ministeriellen Gegenzeichnung ausgenommene Regierungshand­ lungen beschränkt wäre.

3. Abschnit t.

Die Regierungsrechte des Präsidenten. 13. Völkerrechtliche Vertretung.

Die Staaten Pflegen untereinander nicht durch ihre Parlainentc, auch nicht durch regierende Kollegien, sondern durch die den Staat nach außen repräsentierenden Einzelpersönlichkeiten, die Staatshäuptcr und deren Beauftragte, zu verkehren. Ob die Staatsgewalt einem Monarchen oder dem Monarchen und dem Volke oder dem Volke allein zusteht, ist völkerrechtlich gleich­ gültig. Von Bedeutung ist lediglich der Umfang der Ver­ tretungsbefugnis, der sich nach den Vorschriften der einzelnen Staatsvcrfassungen bestimmt. In den Vereinigten Staaten wie in Frankreich und im Deutschen Reiche empfängt der Präsident selbständig die Vertreter der fremden Staaten (Art. II, Abschn. 3 der Unionsverfassung; französisches Verfassungsgesetz vom 25. Fe­ bruar 1875, Art. 3; deutsche Reichsverfassung, Art. 45, Abs. 1, Satz 3). Dieses Recht hat insofern eine besondere Bedeutung, als die Regierungen sich vor Entsendung ihres Vertreters zu versichern Pflegen, ob dieser dem Empfangsstaat genehm ist. Mit dem Recht des Botschafter- und Gesandtenempfangs haben die Verfassungen die Entscheidung über diese Frage in die Hand des Präsidenten gelegt. Die Ernennung der eigenen Gesandten er­ folgt gleichfalls in den drei Republiken durch die Staatshäupter im Rahmen ihres allgemeinen Beamtenernennungsrechts, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika untär Mitwirkung des Senats. Bei völkerrechtlichen Verträgen steht dem Präsidenten regelmäßig zumindest die Anregung und Vorbe­ reitung, die Initiative, und die Vollziehung, die Ratifikation, zu. Nach der Unionsverfassung bedarf es zur Vertrag­ schließung allgemein des Beirats und der Zustimmung des Senats mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder (Art. II, Abschn. 2, § 2). In der Praxis werden die Verträge fast immer vom Präsidenten und seinen Sekretären im Einzelnen vorbereitet und dann dem Senat zugestellt. Der Senat hat das Recht, sie zu billigen oder zu verwerfen oder auch abzuändern.

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Nur in seltenen Fällen haben sich Präsidenten (z. B. Washington und Adams) vor Vertragsabschluß in aller Form an den Senat gewandt, um sich seiner Zustimmung von vornherein zu ver­ sichern. Dieses Verfahren entspricht sicher mehr dem Wortlaut der Verfassung als es die jetzige Übung tut. Bestritten ist die Frage, inwieweit dem Repräsentantenhaus Einfluß auf den Ab­ schluß und die Durchführung von Staatsverträgen zuzustehen ist. Es ist behauptet worden, daß ein Staatsvertrag, der den Cha­ rakter eines Gesetzes trage oder zu dessen Durchführung der Er­ laß besonderer Gesetze notwendig sei, nur dann Gültigkeit be­ sitze, wenn das Repräsentantenhaus seine Zustimmung gäbe.')2) Dieser Anschauung steht jedoch die Verfassungsbestimmuna in Art. VI, Abschn. 2 entgegen, wo es heißt: Diese Verfassung und bic gemäß derselben erlassenen Gesetze der Vereinigten Staaten und alle im Namen der Vereinigten Staaten geschlossenen oder zu schließenden Verträge sollen das oberste Recht des Landes sein. Nach der Verfassung aber steht das Recht zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge dem Präsidenten in Verbindung mir dem Senat zu. Die so abgeschlossenen Verträge sind also oberstes Gesetz. So weit es in dieser Frage zu Konflikten ge­ kommen ist3), ist auch regelmäßig dem Präsidenten schließlich die Gefolgschaft nicht versagt worden, wenn auch von feiten des Repräsentantenhauses mehrfach geltend gemacht wurde, daß es in den auswärtigen Angelegenheiten nicht übergangen werden dürfe. Unverkennbar liegt' eine unausgeglichene Schwierigkeit darin, daß die eine der gesetzgebenden Körperschaften beim Ab­ schluß von Staatsvcrirügen ausgeschaltct ist. Obwohl sich die Exekutive hier auf die Verfassung stützen kann, wird der Ausgang eines Konfliktes immerhin zweifelhaft sein, wenn es darüber zu einer ernstlichen Machtprobe kommt. Irr Frankreich bestimmt Art. 8 des Gesetzes vom 16. Juli 1875: Der Präsident der Republik verhandelt über Verträge und schließt dieselben ab. Er gibt den Kammern davon Kennt­ nis, sobald die Interessen und die Sicherheit des Staates cs ge­ statten. Friedensverträgc, Handelsverträge, Verträge, welche die Finanzen des Staates verpflichten, sowie solche, welche sich aus die persönlichen Rechtsverhältnisse und das Eigentum der Franzosen im Auslande beziehen, werden erst rechtskräftig, wem: sie G. A. Krusch, Die rechtliche Stellung des Präsidenten der Republik in den Vereinigten Staaten, Frankreich und der Schweiz. 1907. S. 40. 2) Über die Konstruktion des Vertragsrechtes in auswärtigen Angelegenheiten der Union als einer „gemischten Gewalt", vgl. E. Kaufmann, Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt in den Ver­ einigten Staaten von Amerika. 1908. S. 35 ff. S. 67 ff. 3) E. Rüttimann, Das nordamerikanische Bundesstaatsrecht ver­ glichen mit den Politischen Einrichtungen der Schweiz. 2 Bde. Zürich 1867—1876. S. 296 ff.

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von den Kammern angenommen sind. Beim Abschluß von rein politischen Verträgen hat der Präsident demnach, soweit die Staatsfinanzen nicht getroffen werden — unter Gegenzeichnung seines Ministers — freie Hand. Bei anderen Verträgen führt zwar auch der Präsident selbst oder durch seine Beauftragten die Verhandlungen, die Kammern entscheiden dann aber über An­ nahme oder Ablehnung. Das Recht, Abänderungen vorzu­ nehmen, wie es in den Vereinigten Staaten der Senat tun kann, ist den Kammern nicht cingeräumt, dagegen nimmt der Präsident Wünsche der Kammern betreffs Berücksichtigung bestimmter Punkte bei dem Abschluß des Vertrages entgegen. Bündnis­ verträge werden zu den politischen Verträgen gerechnet, zu deren Abschluß der Präsident der Zustimmung der Kammern nicht be­ darf, falls dem Staat keine finanziellen Lasten daraus er­ wachsen. In der Tat sind Bündnisverträge häufig vom Prä­ sidenten abgeschlossen und geheim gehalten worden. Der frühere Präsident der Republik und augenblickliche Ministerpräsident Poincarö sagt darüber: „Erfordert es das Interesse und die Sicher­ heit des Staates, so kann er (der Präsident) diese Verträge (mit dem Ausland) geheim halten und die Kammer nicht eher davon in Kenntnis setzen, als bis er den richtigen Zeitpunkt für ge­ kommen hält. Unsere Abmachungen mit Rußland sind niemals veröffentlicht worden. Zweifellos würde die russische Regierung ihre Zustimmung zu einer Bckanntniachung verweigert haben, und ebenso glaubte die unsere, daß eine vorzeitige Enthüllung unserer Diplomatie schaden könnte." 2) Es wird zugcstanden werden müssen, daß die Regelung des Vcrtragsrechtes des Präsidenten in der französischen Verfassung Konflikten besser vorbeugt, als cs nach der Unionsverfassung in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Sobald unmittelbare Rückwirkungen auf das innere Staatsleben durch die Staatsver­ träge zu erwarten sind, ist Genehmigung durch die Kammern er­ forderlich, bei den übrigen diplomatischen Verträgen ist die Handlungsfreiheit des Präsidenten gewahrt. Besonders belncrkenswert ist sein Recht zum selbständigen Abschluß von Bündnisverträgen, zumal hier z. B. bei Geheimverträgen die Bindung an die ministerielle Gegenzeichnung keine Gewähr für eine wirksame Kontrolle des Parlaments bildet, vor allem des­ halb nicht, weil die Minister in Frankreich recht häufig wechseln. Allerdings hat sich während des Krieges der Kammerausschuß für auswärtige Angelegenheiten einen starken Einfluß verschafft. Dennoch wird der Präsident in der Außenpolitik richtunggebend einwirken können, wenn er den zuständigen Minister für seine Pläne auf diesem Gebiete gewinnt.

*) Wie Frankreich regiert wird. 1913. S. 96 f.

34 Die deutsche Reichsverfassung hat den Grundsatz des Art. 45, Abs. 1, S. 2, daß der Reichspräsident im Namen des Reichs Bündnisse und andere Verträge mit auswärtigen Mächten schließt, aus der Reichsverfassung vom 16. April 1871 über­ nommen, in Abs. 3 aber als starke Einschränkung hinzugefügt, daß Bündnisse und Verträge, die sich auf Gegenstände der Reichs­ gesetzgebung beziehen, der Zustimmung des Reichstags bedürfen. Im Verfassungsausschuß wurde bei der Beratung dieses Artikels betont, daß der Ausdruck „Gegenstände der Reichsgesetzgebung" hier nicht zur Unterscheidung von Gegenständen der Landesgesetz­ gebung gebraucht sei, sondern im Gegensatz zu Angelegenheiten, die durch Verordnungen zu regeln wären, z. B. kleinere wirtschaft­ liche Abkommen, Vereinbarungen über Grenzverkehr u. dgl. Die Bestimmung, daß auch zu Bündnisverträgen die Zustimmung des Reichstags erforderlich sein sollte, fand sich im Entwurf Preuß und im Regierungsentwurf nicht. Sie wurde erst im Ver­ fassungsausschuß eingefügt?) Der Reichsrat hat danach bei diesen Angelegenheiten nicht mitzusprechen. Die Verhandlungen werden vom Reichspräsidenten geführt, die Gültigkeit der Ver­ träge hängt dann von der Genehmigung des Reichstags ab. Es wurde ausdrücklich hervorgehoben, daß nicht nur die staatsrecht­ liche, sondern auch die völkerrechtliche Gültigkeit von der Ge­ nehmigung des Reichstags abhänge, daß also überhaupt kein gültiger Vertrag bestehe, solange er nicht vom Reichstag ge­ nehmigt sei?) Die Entscheidung über Krieg und Frieden sicht regelmäßig nicht dem Präsidenten allein zu. In den Ver­ einigten Staaten ist die Befugnis, Krieg zu erklären, in Art. I, Abschn. 8, § 10 der Unionsvcrfassung dem Kongreß Vorbehalten. Es ist aber möglich, daß durch das Vorgehen des Präsidenten eine Lage geschaffen wird, die den Kongreß zur Kriegserklärung zwingt. Sy führte Präsident Tyler unmittelbar vor Ablauf seiner Amtszeit gegen den Willen des Kongresses und seines Nachfolgers den Krieg mit Mexiko herbei. Jin Weltkriege beauftragte Wilson nach der Ankündigung des uneingeschränkten 17-Bootkriegcs durch die deutsche Regierung vom 31. Januar 1917 selbständig den Staatssekretär, den deutschen Botschafter zu benachrichtigen, daß alle diplomatischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Deut­ schen Reich abgebrochen seien, ließ ihm die Pässe aushändigen und setzte dann erst' den Kongreß in einer Ansprache am 3. Februar 1917 von diesem Schritt in Kenntnis. Am

'1 Prot. d. 8. Aussch. =) Prot. d. 8. Aussch.

2. 283 f. S. 282.

35 2. August 1917 rief er dann den Kongreß zu einer außerordent­ lichen Sitzung zusammen und ersuchte ihn um Beschluß zur Erklärung des Kriegszustandes mit Deutschland?) In Frankreich wird die Kriegserklärung zwar vom Prä­ sidenten ausgesprochen, darf aber gemäß Art. 9 des Verfassungs­ gesetzes vom 16. Juli 1875 erst nach vorheriger Einwilligung der Kammern erfolgen. Trotzdem hat die französische Regierung z. B. gegen Tunis, Tonkin, Dahomey und Madagaskar Kriegs­ akte unternommen, ohne die Kammern vorher zu befragen. Eine ausdrückliche Kriegserklärung war in diesen Fällen nicht er­ folgt, aber wohl nur deshalb nicht, weil cs sich um unzivilisterte Völkerschaften handelte. Lebon3* )2 *5 konstruiert hier eine Unter­ scheidung zwischen Kriegserklärung und Kriegszustand und steht vor allem in der Bewilligung der Geldmittel für die bereits be­ gonnenen Militäroperationen die Erklärung des Einverständ­ nisses seitens der Kammern. Wenn Lebon diese Ansicht als nicht in Widerspruch mit dem strengen Recht stehend bezeichnet3), wird man ihm nicht folgen können, da die Verfassung keine Handhabe zu einer verschiedenen Beurteilung der Eröffnung der Feind­ seligkeiten als Angreifer gegen zivilisierte oder unzivilisterte Völkerschaften gibt, vor allem aber ausdrücklich von vor­ heriger Zustimmung spricht. Für das Deutsche Reich bestimmt die Reichsverfassung in Art. 45, Abs. 2, daß die Kriegserklärung durch Reichsgesetz zu erfolgen hat. Entsprechend der Bestimmung in Art. 11, Abs. 2 der Verfassung von 1871 war im Verfassungsausschuß beantragt worden, für den Fall, daß ein Angriff auf das Reichsgebiet oder seine Küsten erfolge, dem Reichspräsidenten das Recht der Kriegs­ erklärung zu geben?) Der Antrag verfiel der Ablehnung. Die Mehrheit des Ausschusses sah in ihm einen Rückschritt gegenüber der Verfassungsänderung vom 28. Oktober 1918, welche zur Er­ klärung des Krieges im Namen des Reiches die Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags vorschrieb. Es wurde aber ausdrücklich hervorgchoben, daß der Reichspräsident auch bei der jetzigen Regelung die konkrete Abwehr eines Angriffes selb­ ständig anordnen könne.3) Friedensverträge werden in den Vereinigten Staaten wie alle anderen Staatsverträge lediglich unter Mit­ wirkung des Senats abgeschlossen. Dem Repräsentantenhaus, das zusammen mit dem Senat den Krieg erklärt, ist also in der

*) Reden. 2) 3) ’) 5)

Wilson, Das staatsmännische Werk des Präsidenten in seinen Herausgegeben von G. Ahrens. 1919. S. 157. Das Berfassungsrecht der französischen Republik. 1909. S. 55. Das Staatsrecht der französischen Republik. 1889. S. 47. Prot. d. 8. Aussch. S. 280. Antrag v. Delbrück. Nr. 153. Prot. d. 8. Aussch. S. 281.

36 Verfassung kein maßgebender Einfluß auf die Beendigung der Feindseligkeiten eingeräumt. In Frankreich gehören nach Art. 8 des Verfassungsgesetzes vom 16. Juli 1875 die Friedensvcrträge zu den Verträgen, die erst nach Annahme durch die Kammern rechtskräftig werden. Nach Art. 45, Abs. 2 der deutschen Reichsverfassung erfolgt der Friedensschluß wie die Kriegserklärung durch Reichsgesetz. Der Friedensvertrag wird demnach anders behandelt als die übrigen Staatsverträge, bei denen eine Willensübereinstimmung zwischen Präsident und Reichstag herbeigeführt werden muß, während der Reichsrat daran ganz unbeteiligt ist. Bei Friedens­ verträgen steht dem Reichsrat sein allgemeines Einspruchsrecht gemäß Art. 74, Abs. 1 zu, während der Präsident dabei nur das Recht und die Pflicht zur Ausfertigung, Verkündung und etwaigen Herbeiführung eines Volksentscheides hat?) 14. Ernennung und Entlassung der Beamten.

Als den Leitern der Exekutive sind den Präsidenten regel­ mäßig weitgehende Rechte in der Besetzung der Ämter ein­ geräumt. Nach der Unionsverfassung bringt der Präsident die Bot­ schafter, andere diplomatische Beamte und Konsuln, die Richter der höchsten Gerichtshöfe und alle anderen Beamten der Ver­ einigten Staaten in Vorschlag und ernennt sie unter Beirat und mit Zustimmung des Senats, soweit ihre Ämter durch Gesetz geschaffen werden und die Verfassung über ihre Anstellung nichts anderes bestimmt. Es kann aber der Kongreß, soweit er es für zweckmäßig hält, das Recht, die unteren Beamten (inferior officers) zu ernennen, durch Gesetz dem Präsidenten allein oder den Gerichtshöfen oder den leitenden Beamten der Abteilungen übertragen (Art. JT, Abschn. 2, § 2 der Unionsverfassung). Nach der gegenwärtigen Gesetzgebung werden dementsprechend die meisten Bundcsbeamten von den Leitern der einzelnen Vcrwaltungszweige ernannt, so z. B. ein großer Teil vom Gencralpostmeister, nur wenige vom Präsidenten oder von den Gerichten allein, und die übrigen, darunter alle wichtigeren Beamten, vom Präsidenten in Verbindung mit dem Senat. Die Zahl der vom Präsidenten mit Zustimmung des Senats angestellten Beamten betrug z. B. im Jahre 1904 — ausgenommen die diplomati­ schen Beamten und die Konsuln — 6500. Davon waren nur etwa 100 auf Lebenszeit, etwa 300 auf beliebige Entlassung und alle übrigen 6100 auf eine bestimmte Zeit, meist vier Jahre,

0 Vgl. Art. 70, 72, 73, 74 der Reichsverfassunq und unten ' S. 76 f., 86 ff.



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angestellt?) Es handelt sich hier immer nur um die Bundes­ beamten, nicht um die Beamten der einzelnen Staaten, deren Ernennung und Entlassung sich nach den verschiedenen Einzel­ staatsgesetzen regelt. _ Die Anstellung der vom Präsidenten mit Zustimmung des Senats ernannten Beamten geht so vor sich, daß der Präsident dieser Körperschaft eine Vorschlagsliste übersendet, über die dann in geheimer Senatssitzung beraten wird. Die Benennung er­ folgt also durch den Präsidenten, der Senat beschränkt sich auf Bestätigung oder Ablehnung. Ein Vorschlagsrecht steht nach dem Wortlaut der Verfassung dem Senat nicht zu. Trotzdem übt er sehr starken Einfluß durch die sog. „senatorielle Höflich­ keit (Courtesy of the Sonate) aus. Der Senator des ein­ zelnen Staates bringt nämlich ihm genehme Kandidaten in Vor­ schlag, und der Präsident verhandelt dann mit den einzelnen Senatoren, bevor er seine Vorschlagsliste dem Senat einreicht, um dort nicht auf Widerstand zu stoßen?) Das Bedenkliche dieses Verfahrens liegt darin, daß das Recht von den Senatoren der Partei ausgeübt wird, die jeweilig die Mehrheit im Senat besitzt. Bei einer Verweigerung der Bestätigung kann der Prä­ sident die Benennung wiederholen, wird aber bei gleicher Be­ setzung des Senats in der Regel auf neue Ablehnung stoßen?) Andererseits steht es dem Präsidenten frei, nach der Bestätigung durch den Senat die Ernennung nicht auszusprechen, wenn er nachträglich die Nomination für ungeeignet hält. Wem das Recht der Beamtenentlassung in den Vereinigten Staaten zusteht, ist in der Verfassung nicht bestimmt. Dieses Recht ist in der Union von ganz besonderer Bedeutung, da nur die Richter auf Lebenszeit angestellt sind und kein Beamter An­ spruch auf Ruhegehalt besitzt. Bereits im Jahre 1789, noch während seiner ersten Session, befaßte sich der Kongreß eingehend mit dieser Frage. Besonders im Senat erhoben sich zahlreiche Stimmen dafür, diese Körperschaft, wie bei der Wahl bestimmter Beamten, so auch bei der Entlassung mitwirken zu lassen. Dem­ gegenüber wurde geltend gemacht, daß der Exekutive das Recht der Entlassung zur selbständigen Ausübung verbleiben müsse, da sie die alleinige Verantwortung für die Ausführung der Gesetze trage und deshalb auch dazu ungeeignete Personen entfernen können solle. Diese Meinung trug den Sieg davon, im Reprä­ sentantenhaus mit 34 gegen 20 Stimmen, im Senat bei Stimmengleichheit durch die Stimme des Vizepräsidenten. Das 0 Vgl. Freund a. a. O. S. 139. I. T. Boung, Ter Staatsdienst in Deutschland, der Schweiz und den Vereinigten Staaten als Bundesstaaten. 1896. S. 13 s. "j Val. die Darstellung des Falles Tyler-Cushing bei Rnttimann a. a. O. I. S. 277.

38 Recht der Executive wurde in späteren Jahren noch weiter da­ durch betont, daß man ihr das Recht zugestand, Beamte, die für eine bestimmte Zahl von Jahren angestellt waren, vorher zu entlassen.

Jahrzehntelang wurden die Entlassungen reibungslos voll­ zogen, bis Präsident Jackson (1829—1837) es unternahm, nach seinem Amtsantritt alle Parteigegner aus ihren Stellen zu ent­ fernen und deren Ämter als Siegesbeute (the spoils of victory) nach Parteizugehörigkeit und persönlicher Gunst zu verteilen. Seitdem erblühte das „Beutesystem" in verderblichem Umfange. Im Gegensatz zu der Verfassungsauslegung im Jahre 1789 er­ ließ dann der Kongreß 1867 die „tenure of offiee acts" (modi­ fiziert 1869), nach welcher der Präsident zu Amtsentlassungen der Zustimmung des Senats bedurfte. Das Veto des Präsi­ denten Johnson, der sich mit dem Kongreß in schwerem Konflikt befand, wurde überstimmt. Zu einer gerichtlichen Entscheidung über die verfassungsrechtliche Möglichkeit der „tenure of offiee acts" ist es nicht gekommen, 1887 wurde sie wieder aufgehoben. Der allgemeine Beamtenwechsel bei Antritt der Präsidentschaft durch den Kandidaten der Gegenpartei des früheren Präsidenten ist, besonders in den oberen Beamtenstellen, bis heute geblieben. Für die untere Beamtenschaft ist die politische Stellen­ besetzung durch die Zivildienstreform von 1883, die bestimmte Konkurrenzprüfungen für die einzelnen Verwaltungszweige ein­ führte, und durch spätere ergänzende Bestimmungen eingeschränkt worden. Man ist bemüht, auf diesem Wege der „Entpolitiierung" der Beamtenschaft weiter zu gehen. Eine völlige Bceitigung des Beutesystems, des dunkelsten Punktes im Staats­ geben Nordamerikas, erscheint aber ausgeschlossen, solange das gegenwärtige Parteisystem herrscht. Der Präsident, dessen höchstes Ziel die Sicherung unparteiischer Verwaltung des Landes sein sollte, ist selbst am stärksten an der Ämtcrpatronage beteiligt. Der Wahlkampf wird von Tausenden von Ämter­ sägern geführt, die dann ihren Anteil am Siege beanspruchen. Stützt der Präsident seine Partei nicht, so besteht die Wahr­ scheinlichkeit, daß diese bei den Neuwahlen zum Repräsentanten­ hause unterliegt. Dann kann der Präsident in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit einer Kongreßmehrheit der Gegenpartei gegenüber stehen, wodurch seine Tätigkeit äußerst erschwert, ja völlig gelähmt werden kann. Außerdem verliert er dann jede Aussicht auf Wiederwahl. So gibt das Beamten-Ernennungsund Entlassungsrecht dem amerikanischen Präsidenten einerseits eine außerordentliche Macht, zeigt ihn aber zugleich mehr im Dienste einer Partei als in der erhabenen Stellung eines über­ parteilichen Staatslenkers.

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In Frankreich bestimmt das Verfassungsgesetz vom 25. Februar 1875 in Art. 3, daß alle bürgerlichen und militäri­ schen Beamten der Republik vom Präsidenten ernannt werden. Er erscheint danach weit selbständiger als der amerikanische Prä­ sident. Dazu kommt, daß in Frankreich der Unterschied von Bundesbeamten und Beamten der Einzelstaaten wegfällt. Tat­ sächlich aber ist der französische Präsident in der selbständigen Ausübung des Ernennungsrechtes sehr beschränkt. Zunächst ist er an die zahlreichen Spezialgesetze und Dekrete, die für die einzelnen Verwaltungszweige die Vorbedingungen für die Er­ langung der verschiedenen Ämter festsetzen, gebunden. Außerdem hat' er das Ernennungsrecht zum größten Teile den Ministern, Präfekten usw. übertragen. Unmittelbar übt er es nur bei einem Teil der höheren Beamten aus und in diesen Fällen unter ministerieller Gegenzeichnung. Die Auswahl wird auch hier in der Regel durch die Minister erfolgen, während der Präsident sich mit der Unterzeichnung begnügen muß. Das Parlament kann jederzeit von den Ministern Rechenschaft über die Er­ nennung fordern. Die Einmischung des Parlaments bei der Besetzung der Verwaltungs- und Gerichtsstellen ist auch in Frankreich nichts Seltenes. Ihr wird dadurch Vorschub geleistet, daß nach allgemeiner Anschauung der Deputierte die örtlichen Interessen der Wähler seines engeren Bezirks zu vertreten hat, und in vielen Fällen die Gemeinden zur Vornahme bestimmter Verwaltungsakte der Ermächtigung durch ein Gesetz bedürfen. Dann ist oft der betreffende Deputierte neben dem Bericht­ erstatter der einzige am Gesetz sachlich interessierte Abgeordnete und setzt mit Hilfe von Parteifreunden seinen Willen durch. In neuerer Zeit versucht man als Gegenmaßregel das freie Erncnnungsrecht der Regierung einzuschränken. Ein Gegengewicht gegen die Einmischung der berufsmäßigen „politiciens" in die Verwaltung ist auch damit geschaffen, daß der Staatsrat den Berufsvereinen der Staatsbeamten das Recht zugestanden hat, ungesetzliche Ernennungen auf verwaltungsgerichtlichem Wege anzufechten.*) Besondere Vorschriften gibt die Verfassung über die Ernennung der Staatsräte (conseillers d’Etat en service ordinaire). Der Präsident ernennt ste, je nachdem die be­ treffenden Ämter frei werden, im Einverständnis mit dem Ministerrat (Gesetz vom 25. Februar 1875, Art. 4). Diese Bestimmung ähnelt dem Mitwirkungsrecht des Senats in den Vereinigten Staaten. Die Abberufung der Beamten ist in Frankreich unbestritten dem Präsidenten zuerkannt. Eine Einschränkung erleidet dieses Recht dadurch, daß auch hier die Richter, ausgenommen die

') F. kleiner, 'Tic Ttaatsaussassunci der Franzosen. 1915. S. 16.

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Friedensrichter und die Verwaltungsgerichtsmitglieder, unabsetz­ bar sind und auch die Universitätsprofessoren und die Offiziere einer besonderen Disziplinargerichtsbarkeit unterstehen. Immer­ hin könnten danach die weitaus meisten Beamten jederzeit ent­ lassen werden. Tatsächlich erfolgt aber bei den nicht rein poli­ tischen Beamten eine Entlassung in der Regel nur bei besonderem Verschulden der Beamten. Für die Staatsräte besteht auch be­ treffs der Entlassung die besondere Vorschrift, daß sie nur durch ein im Ministerrat erlassenes Dekret des Präsidenten ihres Amtes enthoben werden können. Für das Deutsche Reich bestimmt die Reichsverfassung in Art. 46: Der Reichspräsident ernennt und entläßt die Reichs­ beamten und die Offiziere, soweit nicht durch Gesetz ein anderes bestimmt ist. Er kann das Ernennungs- und Entlassungsrecht durch andere Behörden ausüben lassen. In der Praxis erfolgt die Ernennung ähnlich wie in Frankreich in den bei weitem meisten Fällen durch die einzelnen Verwaltungsbehörden. Gegenwärtig ernennt der Reichspräsident unmittelbar nur die Reichsbeamten von Gehaltsgruppe X an aufwärts?) Die große Zahl der Landesbeamten wird von den Regierungen der einzelnen Länder ernannt. Im übrigen gelten auch jetzt noch die Bestimmungen des Reichsbeamtengesetzes in der Fassung vom 13. Mai 1907 (RGBl. 1907, S. 245). Danach ist Reichsbeamter jeder Beamte, der entweder vom Kaiser angestellt oder nach Vorschrift der Reichsverfassung den Anord­ nungen des Kaisers Folge zu leisten verpflichtet ist (§ 1). An Stelle des Kaisers ist jetzt der Reichspräsident getreten. Die Anstellung der Beamten erfolgt nach Art. 129, Abs. 1 der Reichs­ verfassung auf Lebenszeit, soweit nicht durch Gesetz ein anderes bestimmt ist (vgl. auch Art. 104). Dem Recht des Reichspräsidenten, die Beamten zu ent­ lassen, sind im Deutschen Reiche dadurch enge Schranken gesetzt, daß nach Art. 129, Abs. 2 der Rcichsverfassung die Beamten nur unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen und Formen vorläufig ihres Amtes enthoben, einstweilig oder endgültig in den Ruhestand oder in ein anderes Amt mit geringerem Gehalt versetzt werden können. In: Entwurf Preuß (§ 61) und im Regierungsentwurf (Art. 66) war ein Entlassungsrecht des Reichspräsidenten überhaupt nicht vorgesehen, gerade' unter dem Gesichtspunkte, daß die Entlassung sich nach dem Beamten- und Difziplinargesetz richte und der Reichspräsident nicht nach eigenem Ermessen einen Beamten entlassen könne?) Jni Verfassungs­ ausschuß wurde dann hinter dem Worte „ernennt" in Art. 46

9 O. Meißner, Das neue Staatsrecht des Reichs und seiner Länder. 1921. S. 80. -1 Preuß. Prot. d. 8. Aussch. S. 236.

41 eingefügt „und entläßt"1), lediglich um den Artikel zu vervoll­ ständigen. Die Aufnahme der Klausel schien unbedenklich, da Verfassung und Gesetz unbedingten Schutz gegen willkürliche Ent­ lassung gewähren. Es wird als eine wichtige Aufgabe des Reichspräsidenten anzusehen sein, unsachliche Machenschaften der Parteien bei Ämterbesetzungen nicht mit seiner Unterschrift zu decken, sondern gerade im Hinblick auf die schweren Mängel in Nordamerika und auch in Frankreich unser im Kern anerkannt tüchtiges Berufs­ beamtentum zu erhalten.

15. Der Oberbefehl über die Wehrmacht. In den Vereinigten Staaten wie in Frankreich und im Deutschen Reiche ist der Oberbefehl über die Streitkräfte zu Wasser und zu Lande dcni Präsidenten zuerkannt. Die Verfassung der Vereinigten Staaten bestimmt in Art. II, Abschn. 2, § 1: Der Präsident soll Oberbefehlshaber der Marine und der Flotte der Vereinigten Staaten sein und der Miliz der-Einzelstaaten, wenn sic in den Dienst der Vereinigten Staaten gestellt ist. Die Militärgesetzgcbung ist allerdings dem Kongreß Vor­ behalten. Er hat die Armee und eine Marine zu schaffen und zu erhalten (Art. I, Abschn. 8, § 12 u. 13 der Unionsverfassung). Ebenso hat er nach der Verfassung über die Leitung und Ver­ waltung der Land- und Seemacht zu bestimmen (Art. I. Abschn? 8, § 14). Diese Verfassungsvorschrift gibt dem Kon­ greß aber lediglich das Recht zum Erlaß von Reglements und zu allgemeinen Anordnungen, etwa über Ausrüstung der Truppen und Anlage von Befestigungen. Dagegen hat der Prä­ sident kraft seines Oberbefehls die Anordnungen über Statio­ nierung und Bewegung der einzelnen Truppenteile, Verteilung von Waffen und Munition und dgl. zu treffen. Vom Prä­ sidenten erhält die Armee ihre Befehle, der Kongreß darf seine Kommandogewalt nicht beschränken. Daher handelte der Kon­ greß verfassungswidrig, als er im Jahre 1867 während seines Konfliktes mit dem Präsidenten Johnson der Armeebudgetbill die Klausel anhängtc, daß alle Armeebefehle des Präsidenten durch Vermittlung des aktiven Generals der Armee erlassen wer­ den sollten und dieser ohne vorherige Zustimmung des Senats keinen anderen Sitz seines Kommandos angewiesen erhalten dürfte als den Sitz der Regierung in Washington. Der Präsident unterzeichnete damals das Budgetgesetz unter Protest gegen die Klausel, die dann später wieder aufgehoben wurde. Eine besondere Stellung nimmt in der Union die Miliz der einzelnen Staaten ein. Sie setzt sich aus der Gesamtheit der U Antraci Ablaß Nr. 124.

Prot. d. 8. Aussch.

S. 233, 286 f.

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waffentragenden Bürger zusammen. Auf welche Kreise sich die Verpflichtung zum Waffendienst erstreckt, wird selbständig von den einzelnen Staaten bestimmt. Die Gouverneure der ein­ zelnen Staaten sind die Befehlshaber und ernennen auch die Offi­ ziere. Nur wenn die Miliz zur Dienstleistung für die Ver­ einigten Staaten cinberufen ist, untersteht sie dem Oberbefehl des Präsidenten. Diese Einberufung darf gemäß Art. I, Abschn. 8, § 15 der Unionsverfassung nur erfolgen, um die Ge­ setze der Union zu vollstrecken, Aufruhr zu unterdrücken und An­ griffe zurückzuweisen. Alle Vorkehrungen zu treffen, welche die Einberufung der Miliz ermöglichen (to provide for calling forth the militia), steht dem Kongreß zu. Nicht beizutreten ist JungJ) in der Ansicht, der Kongreß habe durch das Gesetz vom 29. Juli 1869 „diese Befugnis dem Präsidenten delegiert". Das genannte Gesetz stellt dem Präsidenten nur die Entscheidung über den Zeitpunkt der Einberufung anheim. Es ist daher ledig­ lich eine der Vorkehrungen, die der Kongreß nach der Verfassung zu treffen hat. In Frankreich bestimmt das Verfassungsgesetz vom 25. Februar 1875 mit kurzen Worten: Le President dispose de la foree armee. Die militärischen Anordnungen des Präsidenten bedürfen jedoch wie alle seine anderen Regierungshandlungen der Gegenzeichnung des Ministers. Die Militärgesetzgebung steht wie in den Vereinigten Staaten dem Parlament zu. Mit der Befehlsgewalt über das aktive Heer ist im Frieden regelmäßig der Kriegsminister beauftragt, im Kriege pflegt der Präsident einen Oberbefehlshaber zu' ernennen. Die Verfassungen des Jahres TU und von 1848 versagten dem Präsidenten ausdrück­ lich das Recht der persönlichen Truppenführung. Auch 1875 wurde ein dahingehender Abändemngsantrag zur Verfassung ge­ stellt. Als Präsident Mac Mahon jedoch für den Fall der An­ nahme des Antrages mit der sofortigen Niederlegung seines Amtes drohte, unterblieb die Einfügung einer solchen Vorschrift in die Verfassung?) Im Deutschen Reiche hat der Reichspräsident nach Art. 47 der Rcichsverfassung den Oberbefehl über die gesamte Wehr­ macht des Reiches. Bei den Beratungen im Verfassungsausschuß wurde beantragt, man solle sagen: „Der Reichspräsident ernennt den Oberbefehlshaber", da dieser doch ein Militär sein müsse?) Eine solche Fassung wurde jedoch als zu eng gerade auch von militärischer Seite zurückgcwiesen?) Dagegen wurde es als 9 Wahl und rechtliche Stellung des Präsidenten der Republik in Frankreich, der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Nord­ amerika. 1907. S. 73. 9 Erklärung des Generals Chabaud-Latour, Annales de l’assemblee nationale, Bd. 36. S. 386. Zit. bei Esmein. S. 539 9 Antrag Heinze. Prot. d. 8. Aussch. S. 238. 9 Waip. Prot. d. 8. Aussch. S. 284.

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selbstverständlich bezeichnet, daß der Reichspräsident nicht persön­ lich die Truppen führe, sondern die Ausübung der Truppen­ führung einem oder mehreren Militärs überlasse. Durch Ver­ ordnung vom 20. August 1919 (RGBl. 1919, S. 1475) hat der vorläufige Reichspräsident die Ausübung des ihm zustehenden Oberbefehls, soweit er nicht selbst unmittelbare Befehle erteilt, dem Reichswehrminister übertragen. In der Reichsverfassung von 1871 waren nähere Bestimmungen über die Rechte des Kaisers als Oberbefehlshaber des Heeres getroffen, besonders über das Verhältnis zwischen dem Oberbefehl des Kaisers und der Kontingentsherrlichkeit der verschiedenen Landesfürsten und Senate. Jetzt besitzt das Reich eine einheitliche Reichswehr. Entsprechend Art. 160 und 183 des Ententediktates von Ver­ sailles (RGBl. 1919, S. 687) ist in §§ 2, 5 des Wehrgesetzes vom 23. März 1921 (RGBl. S. 329) die Höchstzahl der Sol­ daten auf nur 100 000 Mann im Reichsheer und 15 000 in der Reichsmarine festgesetzt. In den Ländern werden nach § 12 des Wehrgesetzcs auf Verlangen Landeskommandanten be­ stellt, die der Reichspräsident auf Vorschlag der Landesregie­ rungen ernennt?) Nach Art. 6, Ziff. 4 und Art. 79 der Reichs­ verfassung ist die Wehrvcrfassung Sache der Reichsgcsetzgebung. Das militärische Verordnungsrecht wird nach § 11 des Wehr­ gesetzes vom Reichspräsidenten ausgeübt. Besonders erwähnt ist in Art. 50 der Verfassung, daß auch auf dem Gebiete der Wehrmacht alle Anordnungen und Ver­ fügungen des Reichspräsidenten zu ihrer Gültigkeit der Gegen­ zeichnung des Reichskanzlers oder des zuständigen Reichs­ ministers bedürfen?)

16. Die Reichsexekution. Eine Exekution des Gesamtstaates gegen seine Einzel­ glieder ist nur in der deutschen Reichsverfassung vorgesehen. Die Unionsverfassung gibt der Regierung der Vereinigten Staaten nur ein schwaches'Aufsichtsrecht über die Einzelstaaten. Die Union kann danach noch nicht einmal ein Veto gegen ein verfassungswidriges Gesetz eines Einzelstaates einlegen, noch weniger darf sic mit Zwangsmitteln in der Form einer militä­ rischen Bundesexkution gegen die Staaten vorgehen. Es kann *1 Vgl. Weimarer Vereinbarung. Anlage 1 zum Entwurf eines Reichswehrgesetzes, Entwürfe des deutschen Reichstags, 1921, Nr. 2, Drucksache Nr. 1330. Antrag Haußmann Nr. 666, Ziff. 10, Sten. Ber. der N.V. S. 2113. Vgl. I. Marschall von Bieberstein, Verantwortlichkeit und Gegenzeichnung bei Anordnungen des obersten Kriegsherrn, 1911. S. 371 ff. Mcycr-Anschnt', a. a. O. S. 526. Anm. 1 r zu § 135.

44 jedoch auch in der Union eine Art Bundesexekution erfolgen, da die Nichterfüllung der Bundespflichten seitens eines Einzelstaates Empörung einzelner gegen die Union bedeuten kann (Art. I, Abschn. 8, Nr. 15 der Unionsverfassung). In diesem Falle darf der Präsident einschreiten und, wenn es nottut, den Aufstand mit bewaffneter Hand unterdrücken. Die Exekution richtet sich dann aber immerhin nicht gegen den Einzelstaat, sondern gegen die aufrührerischen Gruppen. Trotzdem hat die Union im Sezessionskriege zur Zeit der Rekonstruktion schließlich doch eine Bundesexekution mit Waffengewalt gegen die Rebellenstaaten als solche durchgeführt (Gesetze vom 28. März und 19. Juli 1867). In Frankreich kommt eine Reichs- oder Bundesexekution nicht in Frage, da es keinen bundesstaatlichen Charakter besitzt. Für das Deutsche Reich erklärt sich die Aufnahme von Ver­ fassungsbestimmungen über eine Reichsexekution schon aus der Geschichte, die durch Jahrhunderte hindurch vom Gegensatz zwischen Reichs- und Territorialgewalt beherrscht ist. Die jetzige Fassung der Bestimmung in Art. 45, Abs. 1, daß der Reichs­ präsident mit Hilfe der bewaffneten Macht ein widerspenstiges Land zur Erfüllung der Pflichten anhalten kann, die ihm die Rcichsvcrfassung und die Reichsgesetze auferlegen, gibt dem Reichspräsidenten eine stärkere Stellung, als sie der Kaiser in diesem Punkte nach Art. 19 der Reichsverfassung vom 16. April 1871 besaß. Danach hatte der Bundesrat zu entscheiden, ob eine Rcichscxckution erfolgen sollte, dem Kaiser lag lediglich die Vollstreckung dieses Beschlusses ob. Die Verfassung des Nord­ deutschen Bundes vom 26. Juli 1867 (RGBl. 1867, S. 1) gab in Art. 19 „in betreff militärischer Leistungen, wenn Gefahr im Verzüge", dem Bundesfeldherrn selbst das Recht zur Anordnung und zum Vollzug der Exekution. Während Baden und Hessen sowie Württemberg eine Änderung dieser Bestimmung nach den Protokollen vom 15. November 18702) nicht forderten, ver­ langte Bayern in dem Vertrag vom 23. November 1870 2) die dann in die Reichsverfassung von 1871 aufgenommene Fassung. Hier wie in allen Hauptstücken der Aufsicht des Reichs über die Bundesstaaten war danach dem Bundesrat der Hauptteil der Bcaufsichtigungsgewalt gegeben, was mit Recht als Grund­ fehler in der Organisation der Reichsaufsicht festgestellt wurde, *) Protokoll betr. die Vereinbarung zwischen dem Norddeutschen Bunde, Baden und Hessen über Gründung des deutschen Bundes und Annahme der Bundesverfassung vom 15.11. 1870 (BGBl. 1870, S. 650) und Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bunde, Baden und Hessen einerseits nnd Württemberg andererseits betr. den Beitritt Württem­ bergs zur Verfassung des deutschen Bundes vom 25. Nov. 1870 (BGBl. 1870, S. 456). 2) Vertrag betr. den Beitritt Bayerns zur Verfassung des deut­ schen Bundes vom 23. 11. 1870 (BGBl. 1871, S. 12).

45 „denn es bleibt immer ein gewagtes Unternehmen, jemanden zum Wächter über sich selbst zu bestimmen"?) Preuß hab es als einen bedeutsamen Erfolg hervor, daß bei der Verfassungsberatung der Staatenausschriß der neuen Regelung zugestimmt habe, wonach die Entscheidung über die Exekution allein dem Präsidenten überlassen wird?) Nach der jetzigen Fassung des Art. 48, Abs. 1 bedarf der Reichspräsident zur Anordnung der Exekution keiner Ermächtigung seitens des Reichstags oder des Reichsrats. Allerdings handel) der Reichs­

präsident auch hier wie bei jeder anderen Regierungshandlung infolge der Notwendigkeit der Gegenzeichnung gemäß Art. 50 unter der rechtlichen und politischen Verantwortlichkeit der Regie­ rung. Im Verfassungsausschuß war beantragt worden, dem Reichstag ein Zustimmungsrccht zu sichern, da cs bedenklich sei, den» Präsidenten in diesem wichtigen Punkte eine größere Macht­ fülle zu geben, als dem früheren Kaiser?) Die Analogie mit der Kriegserklärung 4* )2 wurde 3 mit Recht zurückgewiesen 5), da die Reichserclütion nicht als Krieg im Sinne des Völkerrechts ange­ sehen werden kann/') Es handelt sich dabei vielmehr lediglich um die Vollstreckung der Reichsgesctze, um eine Art Verwaltungs­ zwang unter Anwendung militärischer Gewalt. Als ein besonderes Recht des deutschen Reichspräsidenten erwähnt die Reichsvcrfassung in Art. 19, Abs. 2 die Vollstreckung der Urteile des Staatsgerichtshofs bei Vcrfassungsstreitigkeiten innerhalb eirres Landes und bei Streitigkeiten nicht privatrechtlichcr Art zwischen verschiedenen Ländern und zwischen dem Reiche und einem Lande. Der Staatsgerichtshof tritt hier nur auf Antrag eines der streitenden Teile in Tätigkeit. 17.

Die Anordnung des Ausnahmezustandes.

Tie Wahrung des Friedens im Lande gehört zu den vor­ nehmsten Aufgaben der Exekutive jeden Staates, die erforder­ lichen Maßnahmen hat das Staatshaupt als die Spitze der Exe­ kutive durchzuführen. Auf die Entscheidung über die Not­ wendigkeit der Anordnung oder, wenn diese erfolgt ist, über die Berechtigung und die Dauer eines Ausnahmezustandes haben sich die Volksvertretungen meist einen weitgehenden Einfluß gesichert. Die Unionsverfassung bezeichnet es in Art. IV, Abschn. 4 als Verpflichtung der Vereinigten Staaten, jeden Einzel-

9 H. Triepel, Tie Reichsaufsicht, 1917. S. 496 ff. 2) Prot. d. 8. Aussch. S. 287. 3) Antrag Fischer Nr. 175. Prot. d. 8. Aussch. S. 287. Katzenstein. Prot. d. 8. Aussch. S. 288. 5) Preuß, Koch. Prot. d. 8. Aussch. S. 288. ”) Meyer-Anschütz, a. a. O. S. 937, Anm. 17 a gu § 212.

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[lernt gegen feindlichen Einfall sowie auf Verlangen der gesetz­ gebenden Körperschaften oder, wenn diese nicht tagen und auch nicht versammelt werden können, auf Wunsch der Regierung gegen innere Unruhen (domcstie violence) zu schützen. Sache des Kon­ gresses ist es nach Art. I, Abschn. 8, Ziff. 14 der Verfassung, Vorkehrungen für das Aufgebot der Miliz zur Vollziehung der Gesetze und zur Unterdrückung von Aufruhr und Invasion zu treffen. Der Mangel einer 'Verfassungsbestimmung über die Form der Durchführung der erforderlichen Maßnahmen machte eine Reihe von Gesetzen nötig, die aber die wichtige Frage, wem die Befugnis zum Erlaß des Aufgebots der Truppen zustehe, offen ließen. Der Gouverneur des Staates Massachusetts erklärte in einem Falle ein Aufgebot des Präsidenten für unge­ rechtfertigt, das Oberbundesgericht entschied aber für den Prä­ sidenten. Durch das Gesetz vom 20. April 1871 wurde dann endgültig festgelcgt, daß in allen den Fällen, in welchen Aufruhr, Gewalttätigkeiten im Innern oder ungesetzliche Vereinigungen oder Verschwörungen den Gesetzen der Vereinigten Staaten oder deren Durchführung im Wege stehen, der Präsident befugt und verpflichtet sein soll, durch Verwendung der Miliz oder der Landund Seemacht der Vereinigten Staaten oder durch sonstige Mittel die Maßregeln zu treffen, die er für nötig erachtet. Eine Beschränkung erfährt dieses Recht allerdings dadurch, daß der Präsident als Leiter der Exekutive der Union nur dann tätig werden darf, wenn die Behörden des Einzelstaates zum Schutze der Bevölkerung unfähig sind oder den Schutz unterlassen oder verweigern. Die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung im Einzelstaat unter Verwendung der Staatsmiliz zu diesem Zweck steht also in erster Linie dem Einzelstaat selbst zu. Besonders erwähnt als außerordentliche Notmaßnahme ist in der Verfassung der Union die Suspension der Habeas­ korpusakte, nach der kein Bürger der Vereinigten Staaten ohne gerichtliche Untersuchung in Haft gehalten werden darf. Dazu soll nur geschritten werden, wenn die öffentliche Sicherheit im Falle eines Aufstandes oder feindlichen Ein­ falles es erfordert. Ob der Kongreß oder der Präsident die Suspension vornehmen kann, ist in der Verfassung nicht ange­ geben. Während Präsident Jefferson im Falle Aaron Burr sich an den Kongreß wandte, um von diesem eine Suspension zu erwirken, die übrigens nicht bewilligt wurde, ordnete Präsident Lincoln gleich zu Beginn des Bürgerkrieges in verschiedenen Schreiben an die Oberbefehlshaber aus eigener Machtvollkommen­ heit die Suspension an. Lincolns Schritt wurde zwei Jahre später durch das Gesetz vom 15. September 1863 sanktioniert. Der Präsident wurde darin zur Suspension der Habeaskorpus­ akte „während des jetzigen Aufstandes" (during the existing

47 rebelliern) ermächtigt. Es wurde ihm also nicht allgemein für alle Zeit das Recht zur Entscheidung über die Suspension zuge­ sprochen?) In Meinungsstreit über die Verfassungsmäßigkeit der Suspension durch den Präsidenten wird entsprechend dem Verhalten des Kongresses im Jahre 1863 davon auszugehen sein, daß der Präsident die Suspension aussprechen kann, die Genehmigung aber sobald als möglich vom Kongreß einholen und gegebenenfalls auf dessen Weisung die Suspension außer Kraft setzen muß. In Frankreich sind die Formen des Belagerungs­ zustandes im Wesentlichen durch das Gesetz vom 3. April 1878 geregelt. Seine einzelnen Wirkungen bestimmen sich größten­ teils nach dem Gesetz vom 9. August 1849. Nur im Falle einer durch Krieg oder bewaffneten Auf­ stand drohenden unmittelbaren Gefahr darf der Belagerungs­ zustand erklärt werden. Die Anordnung muß durch Gesetz er­ folgen. Dabei müssen die Gemeinden, Bezirke und Departe­ ments, in denen er eingeführt wird, angegeben sein und eine ge­ naue Geltungsdauer bestimmt werden, nach deren Ablauf der Belagerungszustand aufgehoben ist, wenn nicht durch ein neues Gesetz unterdessen seine Verlängerung angeordnet wird (Gesetz vom 3. April 1878, § 1). Der Präsident kann nur im Falle der Vertagung der Kammern den Belagerungszustand durch ein im Ministerrat erlassenes Dekret erklären. Die Kammern ver­ sammeln sich aber in diesem Falle binnen zwei Tagen ohne be­ sondere Berufung durch den Präsidenten und beschließen über Aufhebung oder Beibehaltung des Ausnahmezustandes. Sind die Kammern aufgelöst, so steht dem Präsidenten vor voll­ ständiger Beendigung der Neuwahl noch nicht einmal das Recht der vorläufigen Erklärung des Belagerungszustandes zu, ausge­ nommen im Kriegsfalle an den vom Feinde bedrohten Orten. Dann muß der Präsident aber binnen kürzester Frist das Wahl­ kollegium berufen und die Kammern zusammentreten lassen. Für Festungen und militärische Standquartiere sind noch die Be­ stimmungen des Gesetzes vom 9. August 1849 in Kraft.

Die Hauptwirkungen der Verhängung des Belagerungs­ zustandes sind in Frankreich: Übergang aller Polizeigewalt von den Zivil- auf die Militärbehörden, Zuständigkeit der Militär­ gerichte bei Verfahren wegen Verbrechen und Vergehen gegen die Sicherheit der Republik, gegen die Verfassung und gegen den öffentlichen Frieden, Recht der Militärgewalt zu Haussuchungen, zur Ausweisung von Vorbestraften und nicht ortsansässigen Per­ sonen, zur Fahndung und Konfiskation von Waffen und zum Verbote von Veröffentlichungen und Versammlungen.

Ü Das übersieht Jung a. a. O.

S. 75.

48 Gegenüber der Regelung in den Vereinigten Staaten finden wir demnach in Frankreich eingehende Bestimmungen über einen förmlichen Belagerungszustand. Die Fälle, in denen er verhängt werden kann, sind aber hier eng umgrenzt und die Rechte des französischen Präsidenten in diesem Punkte sehr be­ schränkt. Andererseits kommt eine primäre Zuständigkeit der Einzelstaaten, wie sie in der Union besteht, in Frankreich nicht in Betracht, da es ein Einheitsstaat ist. Im Vergleich zu dem französischen Präsidenten ist dem deutschen Reichspräsidenten hinsichtlich der Anord­ nung des Ausnahmezustandes eine stärkere Stellung gegeben. Die Bestimmung über die Machtbefugnis des Reichspräsi­ denten in Art. 48, Abs. 2 der Reichsverfassung geht auf Art. 68 der Verfassung vom 16. April 1871 zurück. Danach konnte der Kaiser bei Bedrohung der öffentlichen Sicherheit jeden Teil des Bundesgebietes in Kriegszustand erklären. Voraussetzungen, Form und Wirkung der Verkündung sollten reichsgcsctzlich ge­ regelt werden und bis zum Erlaß dieses Reichsgesetzes dafür die Vorschriften des preußischen Gesetzes über den Belagerungs­ zustand vom 4. Juli 1851 (Pr. GS. 1851, S. 451) gelten?) Das Reichsgesetz ist während des Bestehens der Verfassung von 1871 nicht ergangen. Das preußische Gesetz nennt als Voraus­ setzung für die Verhängung des Belagerungszustandes Krieg oder dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Falle eines 'Aufruhrs, als Wirkungen vor allem — ähnlich wie das französische Belagcrungsgesctz vom 9. August 1849 — Übergang der vollziehenden Gewalt an die Militärbefehlshaber, Zulässig­ keit der Einsetzung von Militärgerichten, Möglichkeit der Auf­ hebung des verfassungsmäßigen Schutzes gegen Verhaftung, Haussuchung, Ausnahmegerichte, Beschränkung der Preßfreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts und' die Befugnis, die bewaffnete Macht zur Unterdrückung von Unruhen' zu ver­ wenden?) Über die Einzelfragen, insbesondere über die Zuständigkeit zur Anordnung des Belagerungszustandes und über das Ver­ hältnis des preußischen Belagcrungsgesetzes zu Art. 68, Satz 1 der Verfassung von 1871 und zu den entsprechenden Gesetzen der einzelnen Bundesstaaten herrschte bisher.lebhafter Streit.") Für

*) Auf Bayern fanden diese Vorschriften keine Anwendung. S. Vertrag betr. den Beitritt Bayerns zur Verfassung des deutschen Bundes vom 23. November 1870, III, § 5 sB.G.Bl. 1871, S. 9). 2) Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851, § 1, 2, 4, 5, 10—14 und ergänzende Bestimmungen. 3) Vgl. Laband, Staatsrecht, Bd. 4, S. 46 ff. Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, S. 619. Fleischmann, a. a. O., S. 402, dort auch weitere Literatur.

49 unsere Untersuchung ist wesentlich nur, daß nach der herrschenden Meinung die Anordnung, außer für bayerisches Gebiet, lediglich vom Reich durch den Kaiser erfolgen durfte. Dieser allein hatte darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Ver­ kündung Vorlagen, und dann die Erklärung durch Kaiserliche Verordnung auszusprechen?) Über die Erklärung mußte nach § 17 des Preußischen Belagerungszustandsgesctzcs den Kammern sofort, wenn sie nicht versammelt waren, bei ihrem nächsten Zusammentreten, Rechenschaft gegeben werden. Diese besaßen aber kein nach­ trägliches Genehmigungs- oder gar Aufhebungsrecht, sondern konnten lediglich ihre Billigung oder Mißbilligung aussprechen, ohne daß sich daran Rechtsfolgen knüpften. Den Landesherren war nach Art. 66, Abs. 2 das Recht zugebilligt, zu polizeilichen Zwecken ihre eigenen wie auch alle anderen Truppenteile des Reichsheercs in ihrem Lande zu benutzen. Gegen innere Un­ ruhen in den Grenzen ihres Staates konnten sie demnach selbst einschreiten, ihre Befugnisse im Einzelfalle richteten sich dann nach Landesrecht?)3) Der Belagerungszustand ist jederzeit als ein Übel, von vielen Seiten als ein'nicht notwendiges Übel bezeichnet und an­ gegriffen worden. Die Aufhebung des Belagerungszustandes gehörte nach Ausbruch der Revolution zu den ersten Anord­ nungen der Volksbeauftragten?) Die Ereignisse in den ersten Monaten nach dem Umsturz zeigten jedoch, daß ohne außer­ ordentliche Maßnahmen, insbesondere ohne militärische Gewalt, Ruhe und Ordnung im Staate nicht aufrecht erhalten werden kann und daß schneller und einheitlicher Willensentschluß zur wirksamen Durchführung der nötigen Schritte erforderlich ist. Daher war auch schon im ersten Entwurf die Befugnis des Reichspräsidenten vorgesehen, bei Störungen oder Gefähr­ dung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mit bewaffneter Macht einzuschreiten und bestimmte Grundrechte außer Kraft zu setzen. Von Anfang an war aber auch die Bestimmung bei­ gegeben, daß der Reichspräsident den Reichstag unverzüglich von seinen Maßnahmen unterrichten und sie auf Verlangen des Reichstags außer Kraft setzen müsse. Den in der Tat nicht treffenden und nur geschichtlich 5) erklärbaren Ausdruck „Belage­ rungszustand" meidet die Verfassung, in den Verhandlungen st Vgl. die Verordnung betr. die Erklärung des Kriegszustandes vom 31. Juli 1914 lR.G.Bl. 1914, S. 263). st Art. 66 galt nicht in Bayern. st Pr. Ges. über den Belagerungszustand, § 16 (sog. kleiner Be­ lagerungszustand). st Proklamation vom 12. November 1918 lR.G.Bl. 1918, S. 1303). st Vgl. Pr. Ges. über den Belagerungszustand, § 1.

50 und in den Drucksachen wird in der Regel von „Ausnahme­ zustand" gesprochen?) Im Verfassungsausschuß wurde beantragt, das Vorgehen des Reichspräsidenten von der Zustimmung der Reichsregierung abhängig zu machen. Eine entsprechende Klausel wurde in den Artikel eingefügt?) In der zweiten Lesung im Plenum des Reichstags wurde von den Anhängern des Direktorialsystems vorgeschlagen, sämtliche in Art. 48, Abs. 2 (damals Art. 49) vorgesehenen Befugnisse an Stelle des Reichspräsidenten der Rcichsregierung zuzuerkennen oder, was die Antragsteller zu­ nächst wünschten, die ganze Bestimmung zu streichen. Dieser Antrag wurde ebenso abgelchnt wie ein anderer, der dahin ging, in der Klausel: „Maßnahmen zur Wiederherstellung der öffent­ lichen Sicherheit und Ordnung" die Worte „und Ordnung", die einigen Abgeordneten zu weitgehend erschienen, zu streichen?) Dagegen wurde dem Antrag des Berichterstatters4) zugestimmt, die beiden Sätze: „mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten und die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlichen Maßnahmen treffen" umzustellen und durch das Wort „erforderlichenfalls" zu verbinden, um klar zum Ausdruck zu bringen, daß zu militärischen Maßnahmen erst dann gegriffen werden sollte, wenn alle anderen Mittel erschöpft wären oder von vornherein keinen Erfolg versprächen/') Ferner wurde nach Hinweis auf die früheren Rechte der Bundesstaaten (s. oben S. 49) die Bestimmung eingefügt, daß bei Gefahr im Verzüge die Landesregierungen für ihr Gebiet einstweilige Maßnahmen treffen können, die allerdings auf Ver­ langen des Reichspräsidenten oder des Reichstags außer Kraft zu setzen sind?) Die Verfassungsbestimmungen, die zum Zweck der Wieder­ herstellung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vorüber­ gehend außer Kraft gesetzt werden können, sind die ähnlichen wie die im französischen und im preußischen Gesetz über den Be­ lagerungszustand angeführten: Freiheit der Person, Unverletz­ lichkeit der Wohnung, Brief- und Telegraphengeheimnis, Recht der freien Meinungsäußerung, Vereins- und Versammlungsfrei­ heit und Unverletzlichkeit des Eigentumsrechtes. Neu ist hier vor allem die Möglichkeit eines Eingriffs in das Eigentums­ recht '), wogegen auch besondere Bedenken geltend gemacht

B Vgl. Einteilung der Verfassung des Deutschen Reiches, Prot. d. 8. Aussch. S. 17. 2) Antrag Fischer Nr. 175, Biff. 2, Prot. d. 8. Aussch. S. 288 f. 3) Antrag Katzenstein, Sten. Ber. d. N.V. S. 1338. *j Antrag v. Delbrück Nr. 442, Sten. Ber. d. N.V. S. 1303,1322. 5 Vgl. Cohn, Die Reichsaufsicht über die Länder, 1921. S. 58. •) Antrag Beyerle, Sten. Ber. d. N.V. S. 1328, 1338. 7) Vgl. Art. 153 der Reichsverfassung.

51 wurden. Der Antrag auf Streichung der Bezugnahme auf Art. 153 (damals Art. 150)*) wurde aber abgelehnt, nachdem zur Begründung dieser Bestimmung angeführt war, daß hierbei in erster Linie an Beschlagnahme von Waffen gedacht sei2)3) oder an Eingriffe des Inhabers der vollziehenden Gewalt in wirtschaftliche Dinge, wie Verkäufe von Lebensmitteln zu be­ stimmten Preisen und bergt4) Die näheren Bestiminungen sollen durch ein Reichsgesetz, das noch nicht ergangen ist, getroffen werden. Es wurde aus­ drücklich hervorgehoben, daß bis zum Erlaß des Gesetzes die Befugnisse des Reichspräsidenten nicht etwa ruhen, sondern daß er vielmehr bis dahin unbeschränkte Rechte im Rahmen des Art. 48, Abs. 2 besitzt, insbesondere auch zum Erlaß von Straf­ vorschriften und zur Einsetzung außerordentlicher Kriegsgerichte berechtigt ist. Tatsächlich hat der Reichspräsident von den Be­ fugnissen gemäß Art. 48, Abs. 2 bereits ziemlich oft Gebrauch machen müssen?) In dritter Lesung wurde die im Verfassungsausschuß ein­ gefügte Beschränkung, daß der Reichspräsident den Ausnahme­ zustand nur unter Verantwortlichkeit des gesamten Ministeriums erklären könne, wieder beseitigt?) So besitzt der Reichspräsident in Art. 48, Abs. 2 ein wirksames Mittel zur Wahrung des Rechtszustandes im Reiche, ist aber bei allen seinen Maßnahmen auch in diesem Punkte

an die Gegenzeichnung des Ministers gebunden und muß sich fügen, wenn der Reichstag die Maßnahmen des Präsidenten außer Kraft gesetzt sehen will. Im Verhältnis zum französischen Präsidenten ist danach dem deutschen Reichspräsidenten eine freiere Handhabung des wichtigen Rechtes, einen Ausnahmezustand anzuordnen, ge­ stattet. In ihren Grundzügen gleicht aber die Regelung, die der Ausnahmezustand in der deutschen Reichsverfassung gefunden hat, mehr dem französischen als dem nordamerikanischen Rechte. Es macht Pch auch hier die Wirkung der Schranken geltend, die ') Antrag Graf Dohna Nr. 470, Sten. Ber. d. N.V., S. 1328, dazu Cohn, S. 1330; Preuß, S, 1332; Graf Dohna, S. 1332; Katzen­ stein, S. 1334; b. Delbrück, S. 1335; Heine, S. 1336; Cohn, S. 1337; Abstimmung 1338. 2) Vgl. dazu die Bestimmung in Frankreich oben S. 47. 3) Preuß, Sten. Ber. d. N.V. S. 1332. 4) Heine, Sten. Ber. d. N.V. S. 1336. 5) Vgl. RGBl. 1920, S. 41, 195, 207, 357, 467, 477, 479, 558, 887, 985, 1147, 1211, 1333, 1334, 1477, 1865. 1921, S. 253, 254, 343, 371, 456 (ao. Gerichte), 502, 689 (ao. Gerichte), 711 (Verbot militärischer Verbände), 734, 769, 1239 (Verbot von Druckschriften, Versammlungen, Vereinigungen, Aufzügen und Kundgebungen), 1249 fs., 1251 (Uniform­ beiordnung). 1256, 1271 f., 1287, 1349, 1664. 1922, S. 187 (Bahn­ beamtenstreik), 205. •) Antrag Haas Nr. 703, Sten. Ber. d. N.V. S. 2111 f. 4*

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dem französischen wie dem deutschen Reichspräsidenten im Gegen­ satz zu dem nordamerikanischen Präsidenten gesetzt sind: die Notwendigkeit einer Gegenzeichnung der Anordnungen des Prä­ sidenten durch den verantwortlichen Minister und die gesetzlich genau festgelegte Prüfung der Maßnahmen durch die Parlamente. 18. Das Begnadigungsrecht.

In den Vereinigten Staaten wie in Frankreich und im Deutschen Reiche ist dem Präsidenten kraft ausdrücklicher Be­ stimmung der Verfassungen das Begnadigungsrecht zuerkannt. Der Umfang dieses Rechtes ist aber in allen drei Staaten ver­ schieden. Nach Art. II, Abschn. 2, § 1 der Unionsverfassung hat der Präsident die Befugnis, außer in Fällen der Staatsanklage, Strafaufschub und Begnadigung für Vergehen gegen die Ver­ einigten Staaten (offenses against the Ünited States) zu be­ willigen. Das Recht des Präsidenten ist also beschränkt auf die Verstöße gegen die Unionsgesetze, für Vergehen gegen die Einzelstaaten steht den Gouverneuren das Begnadigungsrecht nach Maßgabe der Staatenverfassungen zu. Andererseits sind dem Präsidenten auf Grund der angeführten Verfassungsbestim­ mungen in der Praxis außerordentlich weitgehende Eingriffe in die Strafverfolgung und Strafvollstreckung zugestanden worden. Da nach Entscheidung des Oberbundcsgerichts für den Begriff der Begnadigung (pardon) maßgebend ist, was zur Zeit der Verfassungsannahme im englischen Recht darunter verstanden wurde, hat der Präsident die Befugnis zur Begnadigung auch, bevor ein Verfahren eingeleitet ist. Den: Präsidenten der Union ist in diesem Punkte ein Spielraum gelassen, der mit unseren strengen Begriffen von der Rechtspflege in stärkstem Widerspruch steht. So hat ein Oberstaatsanwalt des Bundes der Meinung Ausdruck gegeben, der Präsident könne gegebenenfalls sein Ent­ lassungsrecht, das er gegenüber den Staatsanwälten jederzeit aus­ üben kann, dazu verwenden, die Einleitung eines Strafverfahrens zu verhindern?) Ein einmal eingeleitetes Verfahren kann der Präsident allerdings nicht niederschlagen. Auch allgemeine Begnadigungen, Amnestien, kann der Präsident selbständig erlassen. Ausdrücklich ausgenommen von dem Begnadigungsrecht ist nur der Fall des Impeachment, dessen Folgen nicht aufgehoben werden können. Irgend ein Aufsichts­ recht des Kongresses über die Handhabung des Begnadigungs­ rechtes durch den Präsidenten besteht nicht.

S. 162.

2 Opinions of Attorneys General 482, zit. bei Freund a. a. O.

53 Die französische Verfassung gibt in Art. 3 des Verfassungs­ gesetzes vom 25. Februar 1875 dem Präsidenten das Recht zu begnadigen (faire de gräces). Da ein einzelstaatliches Be­ gnadigungsrecht in Frankreich nicht in Frage kommt, erstreckt sich das Recht des Präsidenten hier auf alle Urteile. Der Ausschluß des Begnadigungsrechtes bei Urteilen im Staatsanklageverfahren, den die amerikanische Verfassung festsctzt, findet sich in Frank reich nicht. Der Präsident könnte daher auch vor den Kammern angeklagte Minister und Vorgänger im Präsidentenamt be­ gnadigen, wenn ihm sein Minister die auch bei Begnadigungen erforderliche Gegenzeichnung gibt?) Weit enger als das Begnadigungsrecht des amerikanischen Präsidenten ist das des französischen Staatshauptes aber inso­ fern, als nach Art. 3 des Verfassungsgesctzes vom 25. Februar 1875 Amnestien nur auf Grund eines Gesetzes gewährt werden können. Krusch2) weist allerdings darauf hin, daß dieser Grund­ satz in der Praxis nicht streng eingehalten worden sei, wenn z. B. das Amnestiegesetz vom 3. März 1879 festsetzte, die Begnadigung solle sich nur auf die Personen erstrecken, die durch speziellen Gnadenerlaß des Präsidenten dazu bestimmt würden. In diesem Falle hat die Gesetzgebung das Recht des Präsidenten tat­ sächlich fast zur Amnestiebefugnis selbst gemacht. Die Einleitung eines Strafverfahrens zu verhindern,' steht dem französischen Präsidenten nicht zu. Der deutsche Reichspräsident übt nach Art. 49 der Reichs­ verfassung das Begnadigungsrecht „für das Reich" aus. In der Reichsvcrfassung von 1871 war ein Begnadigungsrecht des Kaisers nicht erwähnt, in einzelnen Reichsgesetzen war aber Straferlaß oder Strafmilderung vorgesehen und die Ausübung dieses Rechtes dem Kaiser übertragen. Der Übergang des kaiser­ lichen Begnadigungsrechtes in diesem Umfange auf den Reichs­ präsidenten ergibt sich bereits aus § 4 des Übergangsgesetzes vom 4. März 1920 (RGBl. 1920, S. 285) in Verbindung mit Art. 179 der Reichsverfassung. Es steht danach dem Reichs­ präsidenten ein Begnadigungsrecht insbesondere zu: 1. in Strafsachen, in denen das Reichsgericht in erster Instanz erkannt hat (§ 484 der Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich vom 1. Februar 1877). In diesen Fällen ist auch die Vollstreckung eines Todesurteils erst dann zulässig, wenn die Entschließung des Reichspräsidenten eingegangen ist, von dem Begnadigungsrechte keinen Gebrauch machen zu wollen (§ 485 der Strafprozeßordnung); *) Esmein, S. 537 f. Über die Frage der Ministerverantwortlich­ keit vgl. die Darstellung des Falles Durand bei Duguit a. a. O., Bd. 2. S. 433 f. =) A. a. O. S. 76 f.

54 2. in Strafsachen, in denen der Konsul oder das Kon­ sulargericht in erster Instanz erkannt hat (Gesetz über die Kon­ sulargerichtsbarkeit § 72 vom 7. April 1900 sRGBl. 1900, S. 213]); 3. in Strafsachen, in denen ein Schutzgebietsgericht in erster Instanz erkannt hat (Schutzgebietsgesetz vom 25. Juli 1900 § 3 sRGBl. 1900, S. 809], in Verbindung mit § 70 des Ge­ setzes über die Konsulargerichtsbarkeit); 4. bei Strafurteilen der Marine- und Feldgerichte (Mili­ tärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898 sRGBl. 1189] §§ 424 ff.); 5. in Sachen der Prisengerichtsbarkcit (Verordnung vom 15. Februar 1889 sRGBl. 1889, S. 5] § 27 und Prisenord­ nung vom 30. September 1899 sRGBl. 1904, S. 275]); 6. in Disziplinarsachen der Reichsbeamten (Reichsbeamten­ gesetz vom 18. März 1907 sRGBl. 1907, S. 245] § 118); 7. bei Urteilen von außerordentlichen Gerichten, die auf Grund des Art. 48, Abs. 2 eingesetzt werden können (vgl. RGBl. 1921, S. 371); 8. bei Urteilen des Staatsgerichtshofs mit Zustimmung des Reichstags (§ 13 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof vom 9. Juli 1921 sRGBl. S. 905]). Die Bedeutung der allgemeinen Bestimmung des Art. 49 der Reichsverfassung liegt darin, daß künftig in allen Fällen, in denen ein Begnadigungsrecht des Reiches gesetzlich bestimmt wird, ohne nähere Bestimmung dem Reichspräsidenten die Ausübung dieses Rechtes zusteht. Im Jahre 1920 hat der Reichspräsident über 4113 Fälle aus dem Geschäftsbereich des Reichswehrmini­ steriums entschieden, in 2526 Fällen durch Gnadenerweis, in 1587 Fällen durch Ablehnung, ferner über 1977 Fälle aus dem Geschäftsbereich des Reichsjustizministeriums, und zwar in 984 Fällen durch Gnadenerweis, in 694 Fällen auf Grund des Ge­ setzes über die Gewährung von Straffreiheit vom 4. August 1920 (RGBl. S. 1487) und in 301 Fällen durch Ablehnung?) Danach findet sich auf dem Gebiete des Begnadigungs­ rechtes übereinstimmend bei dem nordamerikanischen und bei dem deutschen Präsidenten die Beschränkung durch das einzelstaatliche Begnadigungsrecht, die Gattung der Vergehen, bei denen dem Präsidenten das Recht, Gnade zu üben, zusteht, ist in den beiden Staaten verschieden. Der französische Präsident besitzt das um­ fassendste Begnadigungsrecht. Gleich dem deutschen Reichs­ präsidenten ist aber der französische Präsident bei der Ausübung des Begnadigungsrechtes an die ministerielle Gegenzeichnung ge­ bunden, während der Präsident der Union völlig selbständig

9 Drucksachen des Reichstags 1920/1921, Nr. 2805.

55 handeln kann. Dieser allein besitzt auch das Recht, eine Amnestie zu erlassen und die Einleitung eines Strafverfahrens überhaupt zu verhindern. Es treten also bei dem Begnadigungsrechte die ähnlichen Unterschiede hervor wie bei den übrigen Regierungsrechten der Präsidenten. Formell besitzt zumeist der französische Präsident den weitestgehenden Rechtstitel. Dazu kommt, daß in Frankreich die Rechte der Zentralgewalt nicht durch Sondcrbefugnisse der Einzelstaaten beschränkt sind. Auf der anderen Seite muß der nordamerikanische Prä­ sident wohl die einzelstaatlichen Rechte berücksichtigen, bedarf aber zur Ausübung seiner Rechte nicht der Gegenzeichnung eines Ministers. Er ist frei in seiner Entscheidung und trägt allein die Verantwortung für seine Handlungen. Dem deutschen Reichspräsidenten sind in der Handhabung seiner einzelnen Regierungsbefugnisse insofern die engsten Schranken gesetzt, als auf vielen Gebieten auch nach der neuen Reichsverfassung die Zuständigkeit der Länder weiter besteht und außerdem alle Anordnungen und Verfügungen des Reichs­ präsidenten durch einen der Volksvertretung verantwortlichen Minister gegengezeichnet sein müssen.

4. Abschnitt.

Präsident und Kabinett 19. Die Bildung des Kabinetts. Bei der Feststellung, daß der nordamerikanische Präsident nicht wie der französische' und der deutsche Präsident in seinen Regierungshandlungen an die ministerielle Gegenzeichnung ge­ bunden ist, wurde bereits der grundsätzliche Unterschied im Ver­ hältnis von Staatshaupt und Kabinett in der Union auf der einen und in Frankreich und dem Deutschen Reich auf der anderen Seite berührt. In vollem Umfange tritt dieser Gegensatz hervor bei der Frage der Kabinettsbildung und in den verschiedenen Formen des Zusammenwirkens von Präsident und Kabinett. In der Unionsverfassung ist von Ministern und einem Gesamtministerium im Sinne der meisten europäischen Ver­ fassungen nicht die Rede. Es wird nur in Art. II, Abschn. 2, § 1 gesagt, daß der Präsident das schriftliche Gutachten der obersten Beamten in jeder der Exekutivabteilungen (principal officer in each of the executive departenicnts) über irgend einen ihre Pflichten betreffenden Gegenstand verlangen kann. An anderer Stelle, wo von der Möglichkeit der Übertragung des Beamtenernennungsrechtes die Rede ist, findet sich die Be­ zeichnung: Leiter der Verwaltungszwcigc (heads of departements). In den einzelnen Gesetzen, durch die später der Auf­ gabenkreis der „Sekretäre" (sccretarys), wie sie dort genannt werden, bestimmt wurde, kommt regelmäßig zum Ausdruck, daß sie den Anweisungen des Präsidenten Folge zu leisten haben. Die Schöpfer der Verfassung von 1787 mögen den obersten Ver­ waltungsbeamten eine selbständigere Stellung zugedacht haben. Sie hatten zunächst erwogen, einen Staatsrat in der damals in den amerikanischen Kolonien üblichen Form zu schaffen, ein Kollegium, dessen Zustimmung der Leiter der Exekutive zu wichtigen Regierungshandlungen einholen mußte. Ein Beirat außer dem Senat wurde aber schließlich als unzweckmäßig ange­ sehen und als ein gewisser Ersatz dem Senat das Mitwirkungs­ recht bei Vertragsabschlüssen und wichtigen Beamtenernennungen gegeben. Die obersten Verwaltungsbeamten erhielten keine be­ sonderen verfassungsmäßigen Rechte zugebilligt, doch deutet die in der Verfassung ausdrücklich angeführte Pflicht zur Abgabe von Gutachten darauf hin, daß sie nicht bloße Vollzugsbeamte, son-

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dern auch Berater des Präsidenten sein sollten. Washington pflegte in den ersten Jahren seiner Präsidentschaft ihren Rat in der vorgesehenen schriftlichen Form einzuholen, später rief er sic regelmäßig zu gemeinsamer Beratung zusammen. Damit wurde er zum Schöpfer des „Kabinetts". Die Bezeichnung „Kabinett" wurde Kollektivname für die höchsten und dem Präsidenten ani nächsten stehenden Verwaltungsbeamten und ging schließlich auch in die Sprache der Gesetzgebung über?)*2) Die ersten Prä­ sidenten, besonders Washington, Madison und Monroe umgaben sich mit bedeutenden Staatsmännern, Grant warf man später vor, er habe nur persönliche Freunde als Sekretäre berufen. Seitdem sind die Fälle immer häufiger geworden, in denen der Präsident zu Sekretären Personen ernennt, die seiner Partei und damit auch ihm mittelbar oder unmittelbar, vor allem bei der Wahl, hervorragende Dienste geleistet haben oder ihm sonst nahestehen. Berufliche Vorbildung wird, außer zum Generalanwalt nicht gefordert, Ressortbeamte werden nur selten zu Sekretären berufen. Bei der Ernennung ist der Präsident ebenso wie bei der Ernennung der meisten anderen höheren Be­ amten an die Zustimmung des Senats gebunden. Es ist aber Sitte, den Vorschlägen des Präsidenten bei der Auswahl der Sekretäre zu folgen. Eine Behinderung oder Bevormundung des Präsidenten in diesem Punkte erscheint in der Tat unverein­ bar mit dem Grundsatz, daß der Präsident für die Handlungen seiner Sekretäre verantwortlich ist. Das gleiche muß in noch höherem Maße für die Abberufung der Sekretäre gelten. Der Präsident würde seiner Handlungs­ freiheit beraubt werden und seine verfassungsmäßigen Pflichten nicht ausüben können, wenn man ihn zwingen wollte, Männer an der Spitze der Verwaltungszweige zu lassen, mit denen er aus persönlichen oder sachlichen Gründen nicht zusammenarbeiten kann. Beim Konflikt mit dem Präsidenten Johnson übte der Kongreß einen solchen Zwang aus. Durch die „tenm-e of office acts" vom 2. März 1867 wurde der Präsident an der Entlassung von Sekretären gehindert, die ebenso wie die Kon­ greßmehrheit erbitterte Gegner der Politik Johnsons waren. 1869 wurden die betreffenden Bestimmungen aufgehoben. Nur für die Amtsentlassung des Generalpostmeisters ist nach einem Gesetz aus jener Zeit noch jetzt die Zustimmung des Senats erforderlich.

In Frankreich finden sich Minister als selbständige Leiter einzelner Verwaltungszweige mit eigener Verantwortung schon *) Vgl. £). B. Lcarncd, The Presidents’ Cabinet, 1912. S. 9 ff. 21 Über das Tätigkeitsgebiet der einzelnen Sekretäre vgl. Treund, a. o. O. S. 136 f.

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in den ersten Revolutionsverfassungen. Diese wie auch die kaiser­ lichen Verfassungen betrachten allerdings immer nur den einzelnen Minister in seiner Beziehung zum Staatshaupt, erst die par­ lamentarischen Verfassungen kennen auch das Gesamtministerium und den Ministerrat. Zur Notwendigkeit wurden diese Ein­ richtungen dann dadurch, daß das Verfassungsgesetz vom 25. Februar 1875 in Art. 6 den Grundsatz der solidarischen Ver­ antwortlichkeit der Minister einführte. Die Ernennung und Entlassung der Minister erfolgt in Frankreich durch den Präsidenten auf Grund seines allgemeinen Veamtenernennungsrechtes, der Zustimmung des Senats, wie sie in den Vereinigten Staaten nach der Verfassung nötig ist, bedarf es dabei nicht. In der Handhabung des Minister­ ernennungsrechtes beschränkt sich der französische Präsident aber darauf, den Ministerpräsidenten zu bestimmen. Diesen beauf­ tragt er dann mit der Bildung des Kabinetts und spricht die Er­ nennung der übrigen Minister auf Grund der vom Minister­ präsidenten ausgestellten Vorschlagsliste aus. Auch in der Ausivahl der Person des Ministerpräsidenten ist der Präsident der Republik durch die Rücksicht auf die Stärke und den Einfluß der Parteien im Parlament gebunden. Sind die Mehrheitsverhältnissc klar und besitzt diese Mehrheit einen anerkannten Führer, so kann ihn der Präsident nicht übergehen, sondern muß ihn zum Ministerpräsidenten ernennen. In diesem Falle ist das Er­ nennungsrecht des Präsidenten tatsächlich nur ein formelles. Da jedoch in Frankreich nicht, wie in England und Amerika, nur zwei große, fest organisierte Parteien um die politische Macht kämpfen, sondern zahlreiche Parteigruppen, um bestimmte Per­ sönlichkeiten geschart, sich jeweils zu einer oft ganz plötzlich wechselnden Mehrheit zusammenfinden, ist dem Präsidenten meist nicht die Ernennung einer bestimmten Person vorgezeichnet, und sein Ernennungsrecht gewinnt an Schwierigkeit und Be­ deutung, je zerfahrener die Parteiverhältnisse sind. Von der Gegenzeichnung war die Ministerernennung in Art. 64 der französischen Verfassung vom 4. November 1848 besonders ausgenommen. Das ist nach den geltenden Verfassungsgcsetzen von 1875 nicht mehr der Fall. Es taucht daher beim Rücktritt des gesamten Ministeriums die Frage auf, wer die Ernennung des neuen Ministerpräsidenten gegenzeichnen soll. In Frankreich pflegt der abtretende Ministerpräsident oder der Juskizminister die Ernennung des neuen Ministerpräsidenten mit der Gegenzeichnung zu versehen, und dieser zeichnet dann verantwortlich für die Ernennung der übrigen Minister?) Wenn ein neugewählter Präsident sein Amt antritt, pflegen ihm sämt*) Duguit, a. a. O. II.

S. 488.

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liche Minister ihre Ämter zur Neubesetzung zur Verfügung zu stellen. Bei der Abberufung der Minister ist der französische Prä­ sident noch weniger frei als bei ihrer Ernennung, da nach Art. 6 des Verfassungsgesetzes vom 25. Februar 1875 die Minister den Kammern solidarisch für die allgemeine Politik der Regierung und individuell für die persönlichen Amtshandlungen verantwort­ lich sind. Dieser Grundsatz der Ministerverantwortlichkeit wird praktisch dadurch zur Geltung gebracht, daß die Regierung in einer bestimmten Frage eine Tagesordnung im Parlament vorschlägt, bei deren Nichtgenehmigung die Minister ihren Abschied nachzu­ suchen pflegen. Für das Verbleiben der Minister im Amte ist also nicht das Vertrauen des Präsidenten, sondern das der Parlamentsmchrheit entscheidend. Um gegen den Willen des Par­ laments ein Ministerium zu halten oder zu entlassen und ein neues einzusetzen, müßte der Präsident daher zur Parlaments­ auflösung schreiten. Der Erfolg seines Vorgehens wäre dann vom Ausfall der Wahlen abhängig. Dieser Fall ist nach der Verfassung möglich, da der Präsident zwar nicht den Senat, aber die Dcputiertenkammer, von deren Urteil die Stellung der Minister abhängig zu sein Pflegt, nach Art. 5 des Verfassungs­ gesetzes vom 25. Februar 1875 auflösen kann. Aus allgemeinen verfassungsrechtlichen, politischen und historischen Gründen hat diese Möglichkeit aber in Frankreich ihre praktische Bedeutung verloren, wie an späterer Stelle zu zeigen sein wird (s. S. 91 ff.). Die deutschen Bundesstaaten besaßen im 19. Jahrhundert allgemein Minister als leitende Vollzugsbeamte der Staats­ häupter. Die Reichsversassung vom 16. April 1871 kannte nur einen verantwortlichen Minister, den Reichskanzler, die Staats­ sekretäre waren rechtlich seine Gehilfen in der Art der Sekre­ täre des Präsidenten in den Vereinigten Staaten. Die Rege­ lung, die das Verhältnis von Präsident und Kabinett in der Reichsverfassung vom 11. August 1919 gefunden hat, stellt den deutschen Reichspräsidenten dicht neben den französischen und in Gegensatz zu dem nordamerikanischen Präsidenten. Die in Frank­ reich in diesem Punkte durch den allgemeinen Aufbau der Ver­ fassung bedingten und in der Praxis allmählich herausgebildeten Beschränkungen sind in der deutschen Reichsversassung meist aus­ drücklich im Einzelnen festgelegt. Das Recht der Ministererncnnung ist neben dem allge­ meinen Beamtenernennungsrecht in Art. 53 besonders angc führt. Danach ernennt der Reichspräsident den Reichskanzler und auf dessen Vorschlag die Reichsminister. Diese Regelung hatte schon der Entwurf Prcuß (§ 69) vorgesehen. Der Staaten­ ausschuß hatte die Worte „auf dessen Vorschlag" gestrichen mit

60 der Begründung, der Reichspräsident hätte schon in dem ganzen Entwurf eine so bescheidene Stellung, daß man sie ihm nicht noch darin weiter verkürzen wolle?) Im Verfassungsausschuß wurde, um die Stellung des Reichskanzlers zu heben, die Wieder­ einsetzung dieser Worte beantragt und beschlossen?) Der Reichs­ präsident ist danach nicht gezwungen, dem Vorschläge des Reichs­ kanzlers zu folgen, er kann aber keine Personen ernennen, die nicht in einem der Vorschläge des Reichskanzlers aufgeführt sind. Über die Bedeutung des Kanzler- und Ministerernennungsrechtes gilt für den deutschen Reichspräsidenten das gleiche wie für den französischen Präsidenten. Besonders hervorzüheben ist, daß auch das Deutsche Reich nicht, wie die Vereinigten Staaten, nur zwei große politische Parteien, sondern mehr als ein Halbdutzend davon besitzt und daher auf eine „Koalitionsregierung" angewiesen ist, unter Umständen auf eine Minderheitsregierung. Unter solchen Verhältnissen gilt es für den Präsidenten, mit staatsmännischem Geschick den Mann zu finden, der die zersplitterten Kräfte ein­ heitlich zusammenfaßt. Daß der Reichspräsident nur Minister aus dem Kreise der Reichstagsabgeordneten ernennen dürfe, schreibt die Verfassung nicht vor. Dagegen wird er sich im Hinblick auf Art. 54, Satz i vergewissern müssen, ob die für Ministerstellen in Aussicht ge­ nommenen Personen das Vertrauen der Reichstagsmehrheit ge­ nießen. Nach der Regelung in Art. 52—58 der Reichsverfassung steht an der Spitze der Reichsregierung im engeren Sinne der Reichskanzler, der die Richtlinien der Politik bestimmt. Unter ihm leiten die Reichsminister unter eigener Verantwortung ihre Ressorts ftn allgemeinen selbständig, über bestimmte Angelegen­ heiten beschließt die Reichsregierung als Kollegium. Hinsichtlich der Gegenzeichnung bei einem Kabinettswechsel war im Verfassungsausschuß beantragt worden, in die Verfasiung aufzunehmen, daß Ernennung und Entlastung des Reichskanzlers der Gegenzeichnung nicht bedürfe?) Demgegenüber wurde be­ merkt, diese Frage habe „eine ganze staatsrechtliche Literatur mit einer Fülle von hübschen Doktorfragen erzeugt", aber man solle das „ruhig der Praxis überlasten"?) Der Antrag, den Reichspräsidenten bei der Kanzlerernennung und Entlassung von der Gegenzeichnung zu befreien, wurde darauf abgelehnt. In der Literatur ist bereits für das frühere Verfassungsrecht überwiegend die Anschauung vertreten worden, daß der zum Kanzler Be-

*) 2j S. 296, 3) S. 233, 's

Preuß, Prot. d. 8. Aussch. S. 301. Antrag von Delbrnck Nr. 97, Zjff. 1. Prot. d. 8. Aussch. 301 f. Antrag Ablas; Nr. 124, Ziff. 3. Prot. d. 8. Anssch. 290 f. Preus;, Prot. d. 8. Aussch. S. 236.

61 stimmte seine eigene Ernennung gegenzeichnen dürfe?) Aller­ dings könnte man diesem entgegenhalten, er sei zur Vornahme einer Gegenzeichnung gar nicht berechtigt, da er noch nicht Minister fei.2) v. Marschall 3) sieht nach seiner Theorie, daß Regierungshandlungen des Staatshauptes ohne Gegenzeichnung nicht schlechthin ungültig, sondern nur unrechtmäßig sind, bereits mit der Ernennung des Kanzlers durch das Staatshaupt, auch wenn die Ernennung vielleicht nur mündlich erfolgte, das Organ­ verhältnis als rechtswirksam begründet an. Dann könnte der Ncuernannte die Gegenzeichnung vornehmen, und die Gültig­ keit, d. h. Vollziehbarkeit der Ernennung sichern. Um einen nicht rechtmäßigen Regierungsakt des Präsidenten handelt es sich aber immerhin auch danach in jedem Falle, wenn die Er­ nennung ohne Gegenzeichnung erfolgt. Die Schwierigkeit wäre beseitigt worden, wenn man sich bei der Beratung der Ver­ fassung dazu entschlossen hätte, für die Ernennung und Ent­ lassung des Reichskanzlers keine ministerielle Gegenzeichnung zu fordern. Bereits in den vorrevolutionären Verfassungen einiger deutscher Bundesstaaten — Oldenburg, Waldeck und Schaumburg-Lippe 4) — fand sich eine entsprechende Bestimmung. Ihre Berechtigung könnte man dort anfechten, wo das Staatshaupt durch die Verfassung jeder Verantwortlichkeit entzogen ist. Diese Bedenken bestehen aber nach der neuen Reichsverfassung nicht, da diese eine staatsrechtliche Verantwortlichkeit des Reichspräsi­ denten ausdrücklich fcftlcgt?) Die Erwähnung des Präsidentenrechtes, den Reichskanzler und auf dessen Vorschlag die Minister zu entlassen, geht auf einen Antrag im Verfassungsausschuß zurück?) Dieses Recht läßt deut­ lich die dienstliche Überordnung des Reichspräsidenten über die Minister erkennen?) In der Regel wird der Reichspräsident aller­ dings von dieser Befugnis nur dann Gebrauch machen, wenn ein Minister selbst freiwillig oder durch eine Mißtrauenskundgebung des Parlaments gezwungen seine Entlassung nachsucht. Hat der Reichstag einem Minister ausdrücklich das Vertrauen entzogen, ü Vgl. v. Marschall a. a. O., S. 510, Anm. 2043. 2) Vgl. v. Frisch, Tie Verantwortlichkeit der Monarchen und höchsten Magistrate, Berlin 1904. S. 340. 3) A. a. £., S. 537; gegen v. .Marschall: C. Binding a. a. O., Die Gegenzeichnung und ihre Folgen, S. 403, vgl. auch S. 368, 376. 4) Vgl. v. Frisch a. a. O., S. 343. 5) Vgl. auch die Regelung in Art. 30 der Griechischen Verfassung, wonach für den Fall, daß keiner der entlassenen Minister zu der Ent­ lassung des alten und Ernennung des neuen Ministeriums seine Zu­ stimmung gibt, der Präsident des neuen Ministeriums, nachdem er seine Ernennung vom König erhalten und den Eid geleistet hat, diese Ver­ fügung signiert, also subsidiär die Ernennung eines Ministers ohne Gegenzeichnung als zulässig anerkannt ist; v. Frisch a. a. £)., S. 344. 6) Antrag v. Delbrück Nr. 97, Ziff. 1, Prot. d. 8. Aussch., S. 290. 7) Anschütz, Komm. S. 112, Anm. 3 zu Art. 53.

62 so wird das Entlassungsrecht des Reichspräsidenten zur Ent­ lassungspflicht (Art. 54, Satz 2). Die Frage, ob der Reichs­ präsident mittels einer Reichstagsauflösung mit einem dem Reichstag nicht genehmen Ministerium die Regierung führen kann, wird bei der Behandlung des Auflösungsrechtes des Prä­ sidenten zu untersuchen sein. 20. Das Zusammenwirken von Präsident und Kabinett.

Über den amtlichen Verkehr des Präsidenten mit den ein­ zelnen Ministern und mit dem Kabinett als Ganzem geben die Verfassungen selbst nur wenige Bestimmungen, es haben sich aber in allmählicher geschichtlicher Entwicklung in den einzelnen Staaten bestimmte Formen dafür herausgebildet. Dem nordamerikanischen Präsidenten steht von den ein­ zelnen Sekretären am nächsten der Staatssekretär, dessen Amts­ tätigkeit vor allem die Pflege der auswärtigen Angelegenheiten, Paßwesen und Aufbewahrung der Gesetze umfaßt. Im Ver­ hältnis zu den übrigen Sekretären kann er als eine Art Minister­ präsident angesehen werden. In den ersten Jahrzehnten des Bestehens der Union pflegte das Staatssekretariat die Vorstufe zur Präsidentschaft zu bilden. Fünf von den acht Präsidenten in der Zeit von 1789 bis 1837 erhielten die Präsidentenwürde, nachdem sie sich als Staatssekretäre bewährt hatten. Aus den ersten Beratern des Präsidenten wurden einzelne Staatssekretäre bisweilen schon in dieser Stellung zu den eigentlichen Lenkern der Politik, wie cs auch den Inhabern anderer Sekretariate ver­ einzelt gelang, sich im gesetzmäßigen Rahmen ihrer Befugnisse einen bedeutenden Einfluß auf die gesamte Führung der Staats­ geschäfte zu sichern. So ist es trotz der verfassungsmäßig durch­ aus überragenden Stellung des Präsidenten vorgekommen, daß einzelne von ihnen an politischer Bedeutung hinter ihren Sekre­ tären zurücktraten. W. Wilson sagt darüber in seinem Jugend­ werke „Congressional Government", daß man wohl an Lincoln eher dächte als an seine Sekretäre bei einem Rückblick auf die Politik der Zeit des Sezessionskrieges, aber eher an den Sekretär Hamilton als an den Präsidenten Washington, wenn man auf die Politik der ersten Verwaltung zurückschaue. Der Sekretär Daniel Webster sei größer gewesen als Präsident Fillmore, da­ gegen Präsident Jackson größer als sein Sekretär van Buren?) Es dürfte zu weit gehen, wenn Wilson allgemein ausspricht, die Präsidenten seien die Exekutive in der Theorie, die Staats­ sekretäre die Exekutive in der Tat?) man wird ihm aber darin beistimmen, daß es zum größten Teil von der Persönlichkeit,

9 A. a. O. S. 259. 2) A. a. O. S. 45.

63 den Fähigkeiten und der Schulung des Präsidenten und der Sekretäre abhängt, ob diese oder der Präsident die bestimmenden Faktoren in der Verwaltung sind?) Festzuhalten ist aber in jedem Falle, daß es nach der Unionsverfassung schließlich doch ganz von der Entscheidung des Präsidenten abhängt, ob und inwieweit er einem selbständigen Handeln seiner Sekretäre Raum geben will. Auch etwaige Beschlüsse des gesamten Kabi­ netts sind für den Präsidenten nicht maßgebend?) Präsident Hayes erzählte, daß er in einem Falle, in dem er wußte, daß seine Sekretäre anderer Meinung waren als er selbst, sie ab­ sichtlich nicht befragt, sondern nur nachträglich von seinen Maß­ nahmen in Kenntnis gesetzt habe?) Verfassungsmäßig ist der Präsident zu einem solchen Vorgehen durchaus berechtigt, da er allein die Verantwortung für alle Regierungshandlungen zu tragen hat.

In Frankreich bildet die Grundlage des Zusammenwirkens von Präsident und Kabinett das Verhältnis des Präsidenten der Republik zum Ministerpräsidenten. Es ist denkbar, daß der Präsident zum leitenden Minister einen Mann beruft, den er als sein politisches Werkzeug benutzen kann. Der Regelfall ist aber, daß der Präsident infolge seiner Unverantwortlichkeit zwar den politischen Tageskämpfen entrückt ist, damit aber auch von einem entscheidenden Eingreifen ferngehalten wird. Hier kommt der Unterschied zwischen dem nordamerika­ nischen und französischen Präsidenten besonders klar zum Aus­ druck. Der Präsident der Vereinigten Staaten i st sein eigener Ministerpräsident. Er allein ist der verantwortliche Leiter der gesamten inneren und äußeren Politik. Der nordamcrikanischc Präsident ist mehr als ein parla­ mentarisch verantwortlicher Minister, seine Sekretäre sind weniger als das?) In Frankreich ist der verantwortliche Leiter der Politik der Ministerpräsident, der Präsident der Republik nur das unverantwortliche Staats­ haupt. So viele Befugnisse dem französischen Präsidenten auch zustehen, in Wirklichkeit handeln die Minister in seinem Namen und für seine Rechnung unter der Leitung des Ministerpräsi­ denten. Wenn cs auch in den Vereinigten Staaten möglich ist, daß ein Sekretär als maßgebende Persönlichkeit in der Politik hervortritt, vielleicht sogar stärker als der Präsident selbst, so sind

A. a. O. S. 259. 2) F. Fairlie, The National Administration of the United of States Amerika. 1905. S. 59 f. 3) Nach W. B. Lawrence, Notes of conversation of de Author vvith President Hayes. Zit. bei Barthelemy, a. a. O. S. 131. 4) Anschütz, Parlament und Regierung im Deutschen Reich. 1918. S. 11.

64 solche Fälle dort ebensolche Ausnahmen wie in Frankreich poli­ tisch führende Präsidenten der Republik und gefügige Minister­ präsidenten. Zur Erledigung laufender Geschäfte und zur Aussprache über die nächsten allgemeinen politischen Aufgaben versammeln sich die Minister in Frankreich regelmäßig zum „Conseil de cabinet" unter Vorsitz des Ministerpräsidenten. Verschieden von dem Kabinettsrat ist der Ministerrat, „Conseil des ministres". Dieser findet in der Regel zweimal wöchentlich unter Vorsitz des Präsidenten der Republik statt. Hier wird über die im Conseil de cabinet vorbereiteten Entwürfe und Maßnahmen endgültig beschlossen. Im allgemeinen werden im Kabincttsrat die laufenden Fragen der inneren Politik behandelt, während im Ministerrat über die besonders wichtigen Angelegenheiten entschieden wird?) Für einige wenige Fälle ist Beratung und Dekret des Ministerrates von der Verfassung oder in einzelnen Gesetzen ausdrücklich vorgeschrieben. Es heißt dann in der Ein­ gangsformel des betreffenden Dekrets: „Nach eingeholtcm Rar des Conseil des ministres." Tritt durch vorzeitige Beendigung der Präsidentschaft eine Unterbrechung ein, so übt der Ministerrat unter Vorsitz des Ministerpräsidenten die vollziehende Gewalt aus, bis von der dann ohne besondere Berufung zusammen­ tretenden Nationalversammlung ein neuer Präsident gewählt ist. Dem Verhältnis des französischen Präsidenten der Republik zum Ministerpräsidenten entspricht im Deutschen Reich das Verhältnis des Reichspräsidenten zum Reichskanzler. Wie weit der deutsche Reichspräsident in der Zusammenarbeit mit dem Reichskanzler auf seine Berufung durch das Volk und seine selb­ ständige staatsrechtliche Verantwortlichkeit zurückgreifen will oder muß, wird als rechtlich nicht wägbare Macht- und Personenfrage anzusehen sein. Bei den Beratungen im Verfassungsausschuß wurde ausgeführt, daß der Reichspräsident nicht Vorgesetzter des Reichskanzlers und der Minister in dem Sinne sei, daß er dem Reichskanzler oder einem Minister etwas befehlen könne. An­ dererseits wurde das Recht des Reichspräsidenten hervorgehoben, sich sowohl vom Kanzler wie von den einzelnen Ministern Bericht erstatten zu lassen.'31) 2 Über die Frage der Zulässigkeit des un­ mittelbaren Verkehrs zwischen dem Staatshaupt und den einzelnen Ministern ohne Vorwissen des Ministerpräsidenten, die im Früh­ jahr 1890 bei Bismarcks Entlassung eine bedeutende Rolle spielte3), wurde auf den Hinweis, daß in England der Vortrag 1) Poincare, a. a. O. S. 101. 2) Preuß, Prot. d. 8. Aussch. S. 237 f. 3) O. v. Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. S. 83, 87 f., 90, 95 ff., 164 f.

Bd. 3.

1919.

65 der Minister beim König nur in Gegenwart des Premierministers stattfinde'), von dem damaligen Reichsminister des Innern Preuß als Regierungsvertreter erklärt, eine Mediatisierung der Minister durch den Reichskanzler gegenüber dem Präsidenten solle nicht stattfinden, nur müsse der Reichskanzler einen Allgemeinen Überblick über den Verkehr zwischen dem Reichspräsidenten und den Ressortministern haben?) Tatsächlich sind Vorträge der Minister, insbesondere des Ministers für auswärtige Angelegen­ heiten bei dem jetzigen Reichspräsidenten, auch ohne Anwesenheit des Reichskanzlers, keine Seltenheit. Während wir in der Unionsverfassung nichts über eine Zusammenfassung der obersten Verwaltungsbeamten zu einem Kollegium finden und die französischen Verfassungsgesetze von 1875 nur mittelbar auf ein Gesamtministerium durch das Auf­ stellen des Grundsatzes der solidarischen Ministerverantwortlich­ keit Hinweisen, hat die deutsche Reichsverfassung in den Artikeln 55—58 eingehende Bestimmungen über die Reichsregierung als Kollegium getroffen. Zahlreiche Angelegenheiten, vor allem alle Gesetzentwürfe, müssen danach der Reichsregierung zur Beratung und Beschlußfassung unterbreitet werden?) Der Reichspräsident ist nicht Mitglied der Regierung im engeren Sinne, er kann je­ doch an ihren Sitzungen teilnehmen und führt dann den Vorsitz. Stimmrecht besitzt der Reichspräsident bei diesen Sitzungen nicht?) Eine generelle Scheidung zwischen Sitzungen des Gesamtministeriums mit oder ohne Teilnahme des Präsidenten, wie in Frankreich zwischen „Conseil de cabinet" und „Con­ seil des minist res", kennt die deutsche Reichsverfassung nicht, ebensowenig ist die Anwesenheit des Reichspräsidenten für die Entscheidung über bestimmte Fragen vorgeschrieben. Die Stellung des deutschen Präsidenten gegenüber dem französischen kann aber deshalb in diesem Punkte nicht als schwächer bezeichnet werden. Das allgemeine Recht zur Teilnahme und zum Vorsitz bei allen Beratungen der Regierung wird als inhaltlich nicht minder bedeutungsvoll anzusehen sein, wie die Befugnis des französischen Präsidenten der Republik, in den beschließenden Sitzungen des Ministerrats zu präsidieren, während die Ver­ handlungen über die laufenden Angelegenheiten und bisweilen auch die eingehenden Beratungen über Gegenstände, die der end­ gültigen Entscheidung durch den Ministerrat unterliegen, ohne seine Anwesenheit vorher im Kabinettsrat erfolgen.

*) Zöphcl, Prot. d. 8. Aussch. S. 301. 2) Preuß, Prot. d. 8. Aussch. S. 301. 3j Vgl. H. Triepel, Ter Weg der Ceiehgcbung nach der neuen Reichsverfassung, Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 38. 1920. S. 482 f. *) Preuß, Prot. d. 8. Aussch. S. 237. Vgl. Poetzsch a. a. O. S. 109, Anm. 1 zu Art. 58.

66 Aus der Reihe der zahlreichen einzelnen Verschiedenheiten dürfte danach zusammenfassend als Hauptgegensatz zwischen der Stellung des amerikanischen Präsidenten auf der einen, und des französischen und des deutschen auf der anderen Seite im Ver­ hältnis zum Kabinett hervorzuheben sein, daß jener der selb­ ständige Leiter „seines" Kabinetts ist, für dessen Tätigkeit sein und nicht des Parlamentes Vertrauen erforderlich und ausreichend ist, während diese selbständig, und auch da beschränkt durch Rück­ sicht auf die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse, nur den leitenden Minister berufen, der dann „sein" Kabinett bildet. Dieser muß ivohl in Übereinstimmung mit dem Präsidenten arbeiten, in erster Linie ist er aber mit seinen Ministern vom Vertrauen des Parlaments, nicht von dem des Präsidenten abhängig. Bei einer Gegenüberstellung des deutschen und französischen Prä­ sidenten ist zu beachtens daß in Frankreich das Kabinett sich der Einwirkung des Präsidenten immer mehr entzogen hat, aber in desto größere Abhängigkeit vom Parlament geraten ist, wäh­ rend dem deutschen Reichspräsidenten nach dem Willen der Schöpfer der Verfassung die Wahl durch das Volk bei der Kabinettsbildung die Möglichkeit selbständiger Entscheidung geben und ihm im Verhältnis zum Reichskanzler und den Ministern eine überragende Stellung sichern soll?)

*) Vgl. Preuß, Sten. Ber. d. N.V. S. 1311.

S. 291. Ablaß, Sten. Ber.

5. Abschnitt.

Präsident und Parlament. 21. Berufung, Vertagung und Schließung des Parlaments.

Der Kongreß der Konföderation bildete nach dem Bundes­ artikeln der 13 vereinigten Staaten vom Jahre 1778 ein einziges Haus, die Verfassung der Union nahm dann das Zweikammer­ system auf. Im Senat, dessen Mitglieder auf sechs Jahre ge­ wählt werden, und sich alle zwei Jahre zu je einem Drittel er­ neuern, sind sämtliche Staaten ohne Rücksicht auf ihre ver­ schiedene Bevölkerungszahl gleich stark mit zwei Mitgliedern vertreten, so daß diese Körperschaft gegenwärtig 96 Mitglieder zählt. Im Repräsentantenhaus vertritt jeder der gleichzeitig für zwei Jahre gewählten, etwa 4V2 Hundert Abgeordneten die gleiche Zahl von Wählern. Beide Häuser bilden zusammen als Kongreß das Gesetzgebungsorgan der Union. Sie tagen ge­ sondert. Ohne Zutun des Präsidenten treten Senat und Reprä­ sentantenhaus einmal im Jahre zusammen und zwar, wenn nicht gesetzlich ein anderer Tag bestimmt wird, am ersten Montag im Dezember. Nur bei außerordentlichen Gelegenheiten kann der Präsident nach Art. IT, Abschn. 3 der Verfassung beide Häuser oder eins derselben einberufen. Das Recht der Vertagung steht dem Präsidenten nach der gleichen Verfassungsstelle dann zu,' wenn sich Senat und Repräsentantenhaus nicht über die Zeit der Ver­ tagung einigen können. Der Ablauf jedes zweiten Kongresses fällt mit dem Ablauf des Amtstermines des Präsidenten zu­ sammen.

In Frankreich wird nach Art. 1 des Gesetzes vom 25. Februar 1875 die gesetzgebende Gewalt durch zwei Ver­ sammlungen, die Abgeordnetenkammer und den Senat, ausgeübt. Ein- und Zweikammersystem hatten bis dahin mehrfach ge­ wechselt. Die rund 600 Abgeordneten gehen aus unmittelbaren Wahlen hervor und üben ihr Mandat vier Jahre lang aus. Die etwa 300 Senatsmitglieder werden von besonderen Wahlkörper­ schaften für neun Jahre gewählt, alle drei Jahre scheidet ein Drittel von ihnen aus dem Amte.

68 Das Recht, die Kammern einzuberufen, steht gemäß Art. 1 des Gesetzes vom 16. Juli 1875 dem Präsidenten der Republik zu. Als einen bestimmten Termin zum Zusammentritt schreibt die Verfassung den zweiten Dienstag im Januar jedes Jahres vor. Nach Art. 2 des gleichen Gesetzes hat der Präsident auch die Tagung der Kammern zu schließen, doch muß die Sitzungs­ periode mindestens fünf Monate gedauert haben. Gleich dem Präsidenten in den Vereinigten Staaten hat der französische Prä­ sident auch das Recht, die Kammern zu außerordentlichen Sitzungen einzubcrufen und zu vertagen. Er kann jedoch immer nur beide Kammern zusammen cinberufen, da sie gleichzeitig tagen müssen. Auf Verlangen der Mehrheit beider Kammern muß der Präsident sie zu einer außerordentlichen Tagung ein­ berufen. Die Vertagung der Kammern kann der Präsident jederzeit verfügen, jedoch höchstens zweimal während der gleichen Sitzungsperiode und nicht länger als für die Dauer eines Monats. Daß die Kammern sich von selbst versammeln, wenn die Präsidentschaft vakant geworden ist oder der Präsident den Belagerungszustand verhängt hat, wurde bereits erwähnt (vgl. oben S. 10, 17, 47).

Im Deutschen Reiche ist nach der Verfassung vom 11. August 1919 ordentliches Organ der Legislative — abge­ sehen von den Fällen des Volksentscheids — der auf vier Jahre gewählte Reichstag mit jetzt 469 aus allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Verhältniswahlen hervorgcgangenen Ab­ geordneten. Der Vertretung der Länder, dem Reichsrat, steht nur ein Einspruchsrecht gegen die vorn Reichstag beschlossenen Gesetze zu (Art. 74, Abs. 1), der Reichsregierung neben dem Reichstag allgemein das Einbringen der Gesetzesvorlagen (Art. 68, Abs. 1) und dem Reichswirtschaftsrat die Begut­ achtung sozialpolitischer und wirtschaftspolitischer Gesetzentwürfe der Rcichsrcgicrung und das Recht zum selbständigen Einbringen solcher Gesetzesvorlagen (Art. 165, Abs. 4). Den äußeren Gang seiner Tätigkeit regelt der Reichstag im allgemeinen selb­ ständig. Für einen ncngcwähltcn Reichstag setzt die Verfassung in Art. 23, Abs. 2 als spätesten Zeitpunkt zum Zusanimentritt den 20. Tag nach der Wahl fest. Wie die Unionsverfassung und das französische Vcrfassungsgcsctz vom 16. Juli 1875 schreibt auch die deutsche Reichsverfassung in Art. 24, Abs. 1, Satz 1 einen be­ stimmten Tag zum regelmäßigen Zusammentritt vor, und zwar den ersten Mittwoch im November. Frühere Einberufungen erfolgen durch den Reichstagspräsidenten. Der Reichspräsident besitzt in keinem Falle ein Einberusungsrccht. Der Befugnis des nordamerikanischen und des französischen Präsidenten entspricht aber das Recht aus Art. 24,

69 Abs. 1, Satz 2, wonach auf Verlangen des Reichspräsidenten der Reichstagspräsident den Reichstag vor dem gesetzlichen Ter­ min einberufen muß. Auf Vertagung und Schließung des Reichstags hat der Reichspräsident keinen Einfluß. Als ein besonderes Recht des deutschen Reichspräsidenten ist in Art. 31, Abs. 2 der Reichsverfassung angeführt, daß er die Mitglieder des Reichsverwaltungsgerichts, die zusammen mit Ncichstagsmitgliedcrn das Wahlprüfungsgcricht für den Reichs­ tag bilden, auf Vorschlag des Präsidiums des Reichsverwaltungsaenchts zu bestellen hat, ferner den Reichsbeauftragten ernennt, der außerhalb der Verhandlungen vor dem Wahlprüfungsgerichte das Verfahren führt. Danach ergibt sich, daß der Zeitpunkt der Tagungen der gesetzgebenden Körperschaften in den Vereinigten Staaten um­ fassend durch Gesetz geregelt ist und der Präsident dabei nur in

Ausnahmefällen tätig wird, während in Frankreich dem Prä­ sidenten eine größere Zahl formeller Rechte ohne besondere praktische Bedeutung zustehen, und der deutsche Reichstag ein weitgehendes Selbstversammlungsrecht besitzt, das der Einwirkung des Reichspräsidenten so gut wie vollständig entzogen ist. Die wichtige Frage, ob und unter welchen Umständen der Präsident zur Auflösung der gesetzgebenden Körperschaften schreiten kann, wird erst an späterer Stelle in weiterem Zu­ sammenhang zu untersuchen sein. 22. Der Verkehr des Präsidenten mit dem Parlament. Daß der Präsident nicht Mitglied der gesetzgebenden Körperschaften sein kann, wurde bereits dargelegt ’), doch auch in seiner Eigenschaft als Präsident pflegt er im allgemeinen nicht vor den Kammern zu erscheinen?) Der erste Präsident der Ver­ einigten Staaten, George Washington, blieb noch in persönlicher Verbindung mit dem Kongreß. Gleich dem englischen Könige (Georg ITT.), nach dessen Vorbild seine verfassungsmäßige Stellung geschaffen war, fuhr er im sechsspännigen Wagen zur Eröffnung des Kongresses und verlas persönlich seine Bot­ schaften. Doch schon Jefferson (1801—1809), der ein schlechter Redner war, begnügte sich mit schriftlichen Botschaften an den Kongreß?) Erst Wilson ist während des Krieges wieder per­ sönlich vor dem Senat und dem Rcpräsentantenhause aufge­ treten. Präsident Harding erschien entgegen allem Herkommen gleich nach seinem Amtsantritt vor dem Senat, um ihm die Liste der neu zu ernennenden Sekretäre vorzulegen.

9 S. oben S. 14 f. 2) Ausnahme bei Erklärung der Annahme der Wahl oder bei der Eidesleistung: vgl. S. 13 f. ’) Bryce, a. a. O. I. S. 57 f.

70

Der französische Präsident verkehrt in ähnlicher Weise mit dem Parlament nur durch feierliche Kundgebungen, die nach Art. 6 und 7 des Verfassungsgesetzes vom 16. Juli 1875 den Kammern im Namen des Präsidenten von einem Minister von der Tribüne herab vorgelesen werden. Diese Äußerungen sind jedoch weit weniger häufig und inhaltsreich als die Botschaften des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Das Bedürfnis zu solchen Kundgebungen des Präsidenten, die wie alle seine Rcgierungshandlungen gegengezeichnet sein müssen, liegt ja in Frankreich auch nicht in dem Maße vor wie in der Union, da die Exekutive hier in Wirklichkeit von den Ministern gehandhabt wird, die in dauernder persönlicher Verbindung mit den Kammern stehen, während in den Vereinigten Staaten die Sekretäre weder Mitglieder des Kongresses noch Teilnehmer an dessen Plenar­ sitzungen sein können. Die deutsche Rcichsverfassung kennt keine Botschaften des Präsidenten an den Neichstag. Ein dahin zielender Antrag wurde im Verfassungsausschuß wie im Plenum der National­ versammlung abgelehnt. Es sind hier die für die französischen Verhältnisse angeführten Umstände in gleichem Maße zu berück­ sichtigen. Ein regelmäßiger Bericht des Reichspräsidenten ist mit den notwendigen Programmreden des Reichskanzlers schwer zu vereinbaren, wenn man keine „Thronrede" wünscht. Da­ gegen wird der Präsident bei besonderen Gelegenheiten Bot­ schaften an das Parlament wie an das Volk richten können. Die dauernde Verbindung von Exekutive und Legislative wird im Deutschen Reiche wie in Frankreich durch die Minister hergestellt. Von besonderer Bedeutung wird die Verbindung von Präsident und Parlament bei der Gcsctzgebungsarbeit selbst.

23. Gesetzesvorschlag und Feststellung des Gesetzcsinhalts. Die Verfassung der Vereinigten Staaten kennt in strenger Durchführung ihres Grundsatzes der Gewaltentrennung kein Recht des Präsidenten zum Einbringen von Gesetz­ entwürfen. Sic bestirnmt in Art. IT, Abschn. 3 nur, daß der Präsident von Zeit zu Zeit dem Kongreß Bericht über den Zustand der Union erteilen und ihm Maßnahmen zur Beratung empfehlen soll, die er für notwendig oder nützlich erachtet. Die Bedeutung dieser Berichte für die Gesetzgebung wird sehr verschieden beurteilt. Auf der einen Seite wird die Botschaft als „ein Schuß in die Luft ohne praktisches Ergebnis" be­ zeichnet?) auf der anderen auf Grund der Botschaften und der beim Amtsantritt üblichen Programmredc „ein nicht unwesent-

*) Bryce, a. a. O. I. S. 58.

71 licher Einfluß des Präsidenten auf den Gang der Gesetzgebung" festgestellt?) Da der Kongreß in keiner Weise gezwungen ist, auf die Anregungen des Präsidenten cinzugehen, wird von einer unmittelbaren Einwirkung des Präsidenten auf die Gesetzgebung durch die Botschaften nicht gesprochen werden können, immerhin aber bringen sie zum Ausdruck, welche Maßnahmen die Exekutive für nötig hält, und in der Regel wird der Kongreß seiner Arbeit dieses Programm zugrunde legen. Den Kongreß zur Beratung bestimmter Maßnahmen anzuhalten, ist der Präsident auf ver­ fassungsmäßigem Wege überhaupt außerstande. Selbst wenn er ihn zur Beratung bestimmter Angelegenheiten zu einer außer­ ordentlichen Sitzung gemäß Art. II, Abschn. 3 der Verfassung einberuft, kann der Kongreß ohne Rücksicht auf den Wunsch des Präsidenten beliebige' andere Fragen zum Gegenstand der Verhandlungen machen. Nur auf Antrag eines seiner Mit­ glieder tritt der Kongreß in die Beratung einer Angelegen­ heit ein. Die scharfe Trennung von Exekutive und Legislative könnte hier verhängnisvoll werden, da der Kongreß die Bedürf­ nisse der Exekutive oft nicht anerkennen, vielleicht gar nicht kennen wird oder den nötigen gesetzlichen Bestimmungen nicht die zweckmäßige Form zu geben vermag. Andererseits könnten vom Kongreß Gesetze beschlossen werden, die der Präsident nicht durchführen kann oder will. Man hat nun in der Praxis zu dem Hilfsmittel gegriffen, daß Mitglieder der Regierung zu den Verhandlungen der Ausschüsse * (Committees) zugezogen werden, dort ihre Anschauungen darlcgen und häufig auch den Abgeordneten ihrer Partei ausgearbeitete Gesetzentwürfe zum Einbringen im Kongreß übergeben.

In Frankreich ist dem Präsidenten gleich den Mitgliedern der Kammern das Recht der Gesetzesinitiative in Art. 3 des Verfassungsgesetzes vom 25. Februar 1875 zugebilligt. Die Minister reichen die Vorschläge im Namen des Präsidenten ent­ weder an das Büro der Deputiertenkammer oder beim Senat ein. Die Entwürfe sind vom Präsidenten der Republik unter­ schrieben und von einem Minister gegengezeichnct. Das Vcrfassungsgesetz vom 24. Februar 1875 betr. die Organisation des Senats bestimmt in Art. 8, daß Finanzvorlagen zuerst der Deputiertenkammer vorgelegt werden. Die im Namen des Präsidenten eingereichten Vorschläge unterliegen nicht dem Ur­ teil der Kommission zur Begutachtung der Gesetzentwürfe (Com­ mission d’initiative) wie die Anträge der Kammermitglieder. Sic müssen in jedem Falle geprüft und zur Diskussion gestellt werden. ') Walther, a. a. O.

S. 126.

Im Deutschen Reiche steht nach Art. 68, Abs. 1 der Reichs­ verfassung in erster Linie der Reichsregierung und den Reichs­ tagsmitgliedern das Recht zum Einbringen von Gesetzesvorlagen zu. Die sachliche Initiative kann ferner auch vom Reichsrat ausgehen (Art. 69, Abs. 2), bei sozialpolitischen und wirtschafts­ politischen Gesetzen vom Rcichswirtschaftsrat (Art. 165, Abs. 4) und schließlich auch vom Volke selbst (Art. 73, Abs. 3). Das Einbringen der Entwürfe bei dem Reichstag erfolgt jedoch auch in diesen besonderen Fällen immer durch die Reichsregierung. Dem Reichspräsidenten ist eine unmittelbare Beteiligung an der Gesetzesinitiative nicht zugebilligt. Während also in Frankreich jede nicht aus den Reihen der Kammermitglieder eingebrachte Gesetzesvorlage als „arte presickntiel" gilt, handelt es sich im Deutschen Reiche dabei in der Regel um „Regierungsentwürfe". Die Bedeutung dieses Unterschiedes darf aber nicht überschätzt werden. Die Aus­ arbeitung des Entwurfes liegt in beiden Staaten ganz in der Hand der zuständigen Minister. Auch die von Krusch') als besonders wichtig hervorgehobene Möglichkeit, daß der Entwurf durch den Namen des Präsidenten von einem Kabinett zuni nächsten hinüber gerettet werden kann, besitzt in der Praxis keine besondere Wirksamkeit, da die Wiedervorlage doch nur dann erfolgen wird, wenn das neue Kabinett sie von sich aus vor den Kammern zu verteidigen und durchzusetzen gedenkt. In diesem Falle wird auch im Deutschen Reiche ein früherer Ent­ wurf von der neuen Regierung eingebracht werden.

An der Beratung der Gesetze hat der Präsident regelmäßig keinen Anteil. Die Regierungsvertreter können allerdings den Gang der Verhandlungen sehr erheblich beein­ flussen, in Frankreich und im Deutschen Reiche unmittelbar, in den Vereinigten Staaten mittelbar.

Entsprechend dem Verhältnis des Präsidenten zu seinem Kabinett kann es sich dabei in der Union häufiger um Ver­ tretung eigener gesetzgeberischer Wünsche des Präsidenten handeln als bei den europäischen Republiken. Dementsprechend wird auch von Walther") im Gegensatz zu den Verhältnissen in anderen Republiken gerade bei der Exekutive in Nordamerika die Einwirkung auf den Lauf der Gesetzgebung ganz besonders betont. Wenn dabei hervorgehoben wird, daß zwar nach der Verfassung der Präsident keinerlei Einwirkungsmöglichkeit auf die Gesetzgebungsarbeit des Kongresses besitze, sie sich aber ge­ wohnheitsrechtlich durch Entsendung der Staatssekretäre er-

73 worben habe, so darf aber nicht übergangen werden, daß sich bei der Gesetzgebung in der Union neben dem Willen des Prä­ sidenten und seiner Sekretäre die Macht der herrschenden Partei und ihrer Führer im Kongreß, besonders des Sprechers im Repräsentantenhaus, geltend macht. Das Schicksal der Gesetz­ entwürfe entscheidet sich in der Union in noch höherem Maße als in Frankreich und im Deutschen Reiche in den ständigen Ausschüssen des Parlaments, von denen das Repräsentantenhaus etwa 60, der Senat über 50 besitzt. Für sämtliche Ausschüsse stellt die herrschende Partei die Mehrheit der Mitglieder und die im Senat vom Plenum, im Repräsentantenhaus vom Sprecher allein ernannten Vorsitzenden Jede Vorlage geht nach der ersten Lesung ohne Aussprache an einen der Ausschüsse, die danu darüber gut oder ungünstig oder überhaupt nicht im Plenum berichten, wann und an welcher Stelle ihnen der L-prechcr zum Bericht für sämtliche ihnen zugewiesenen Entwürfe einige wenige Stunden gibt. Nach Bryce werden schon ,9/20 aller Vorlagen im Ausschuß „getötet", der Bericht über zahlreiche weitere durch das parteipolitische Eingreifen des Sprechers gehindert?)

24. Gesetzesbefehl, Ausfertigung und Verkündung der Gesetze. Die Erteilung des Gesetzcsbefehls, die Sanktion, die den angenommenen Entwurf überhaupt erst zum Gesetz macht2), steht republikanischen Staatshäuptern nur ganz vereinzelt zu?) Da­ gegen ist die formelle Erklärung des Gesetzgebungswillens, die Ausfertigung und die Verkündigung, in der Regel Recht und Pflicht der' republikanischen Präsidenten wie der Monarchen. Die Ausfertigung der Gesetze bekundet, daß die tatsächlichen Voraussetzungen, welche das Verfassungsrecht für die formelle Gesetzeskraft erfordert, im gegebenen Falle vorliegen. Sic stellt fest, daß das Gesetz verfassungsmäßig beraten, beschlossen und sanktioniert ist, die Publikation macht es verbindlich für jeden, den es angeht. Die Unionsverfassung hat keine Bestimmungen über die Ausfertigung und Verkündung von Gesetzen getroffen. Sic verlangt in Art. T, daß jeder' Gesetzesvorschlag (bill), der im Repräsentantenhaus und im Senat angenommen ist, ehe er Gesetz wird, dem Präsidenten vorgelegt werden muß. Gesetzes­ kraft erlangt die Bill dann entweder mit der Unterzeichnung des Präsidenten (if he approves ho sliall sign it), oder, wenn der

si A. a. O. S. 157 f. Vgl. R. Soiibner, Die Staatsform der Republik. 1920. S. 133 f., 138 ff. 2) Vgl. Laband, a. a. O., II. S. 29 ff. Meyer-Anschütz, a, a. O. S. 662. 3) Walther, a. a. O. S. 127 f.

74

Präsident sie mißbilligt und dem Kongreß zurücksendet *), mit nochmaliger Annahme mit Zweidrittelmehrheit im Kongreß, oder drittens, salls der Präsident sie weder unterzeichnet noch zurücksendet, nach Ablauf von zehn Tagen, nachdem sie dem Präsidenten unterbreitet ist, es sei denn, daß der Kongreß durch Ver­ tagung die Wiederzustellung verhindert, in welchem Falle die Bill nicht Gesetz wird. Die Unterschrift des Präsidenten ist also nicht nötig, um einer Bill Gesetzeskraft zu geben. Auch bei Billigung eines Gesetzcsvorschlages durch den Präsidenten wird er nicht durch, sondern ni i t dessen Unterzeichnung Gesetz und in den anderen Fällen erlangt er überhaupt ohne Unterzeichnung durch den Präsidenten Gesetzeskraft. Ebensowenig wie als Sanktion kann die Unterschrift des Präsidenten als Ausfertigung des Gesetzes angesehen werden. Sie ist lediglich die ausdrückliche Erklärung seines Einverständ­ nisses mit "dem Gesetzcsinhalt. Gerade das Bestreben, diese

Fälle gegenüber den übrigen klar zu kennzeichnen, wird die Veranlassung dazu gegeben haben, daß durch Gesetz nicht dem Präsidenten,' sondern dem Staatssekretär die Ausfertigung und Verkündung übertragen worden ist. Betreffs der Ausfertigung ist dabei die Einschränkung zu machen, daß die Beurkundung des verfassungsmäßigen Zustandekommens jedes Gesetzes im Senat und Repräsentantenhaus durch die Vorsitzenden dieser Häuser erfolgt. Der Staatssekretär hat also nur bei den vom Präsidenten unterzeichneten Bills dessen Unterschrift zu be­ urkunden und bei den übrigen fcstzustellen, daß sie trotz des Einspruchs des Präsidenten beschlossen oder nicht binnen zehn Tagen'während der Tagung des Kongresses zurückgesandt worden sind. Für die Veröffentlichung war bis zum Jahre 1874 Bekannt­ gabe in drei Blättern vorgeschricben, jetzt ist der Staatssekretär zur Veröffentlichung der Gesetze in Buch- oder Broschürenform nach Schluß jeder Session verpflichtet. Wenn auch das Gesetz den Staatssekretär hierin unabhängig vom Befehl des Präsi­ denten stellt, so wird doch daran festgehalten werden müssen, daß der Staatssekretär auch diese Befugnisse unter der Ver­ antwortlichkeit des Präsidenten ausübt. Der Präsident allein ist Inhaber der unteilbaren Exekutivgewalt, auch wenn einzelne Gesetze den Sekretären bestimmte Aufgaben zuweisen. Die Einaangsformel jedes Gesetzes lautet: Be it enacted by the Senate and House of Representations of the United States in Kongress assembled. Der Präsident ist darin also nicht er­ wähnt. Hat der Präsident das Gesetz gebilligt und unterzeichnet,

’) Vgl. unten S. 82 ff.

75 so schließt es mit dem Zeichen: approved (Datum) Unterschrift des Präsidenten. In Frankreich „promuliert" (promulgue) der Präsident nach Art. 3 des Verfassungsgesetzes vom 25. Februar 1875 die Gesetze, nachdem sie von beiden Kammern angenommen sind. Promulgation umfaßt hier Ausfertigung und Verkündung. Gerade im französischen Verfassungsrecht hat sich der Begriff der Gesetzesausfertigung herausgebildct, wie er dann von Laband rnaßgeblich klargestcllt worden ist. Das Verfassungsgesetz.vom 16. Juli 1875 bestimmt darüber in Art. 7 im Einzelnen, daß der Präsident die Promulgation der Gesetze innerhalb dcs Monats vorzunchmen hat, der auf die Übermittlung des end­ gültig angenommenen Gesetzes an die Regierung folgt. Ist durch ausdrücklichen Beschluß der einen oder anderen Kammer das Gesetz für dringlich erklärt worden, so muß der Präsident die Promulgation binnen drei Tagen vornehmen. Die Frist­ bestimmungen bringen schon zum Ausdruck, daß cs sich hier weniger um ein Recht handelt, dessen Ausübung in das freie Ermessen dcs Präsidenten gestellt ist, als vielmehr um eilte ver­ fassungsmäßige Pflicht, welcher der Präsident nachkommen muß. Für den Fall, daß der Präsident die Ausfertigung nicht in der vorgeschriebenen Zeit vornähme, hatte die Verfassung vom Jahre 1848 in § 59 vorgesehen, daß sie dann durch den Präsi­ denten der Nationalversammlung erfolge. Eine entsprechende Bestimmung findet sich in den Verfassungsgesetzen von 1875 nicht. Demnach wären bei einer solchen Unterlassung in erster Linie die für die Gegenzeichnung zuständigen Minister zur Rechenschaft zu ziehen. Esmein behauptet sogar, daß sich der Präsident durch die Verweigerung der Promulgation dcs Hoch­ verrats schuldig machen könne und dann gemäß'Art. 6 des Verfassungsgesetzcs vom 25. Februar 1875 persönlich verantwort­ lich sei?) Die Veröffentlichung der Gesetze erfolgt in Frankreich im Journal offidel. Es genügt aber auch die Bekanntmachung im Bulletin des Bois, um das betreffende Gesetz in Kraft treten zu lassen. Die Eingangsformel der Gesetze lautet: Der Senat und die Deputiertcnkammer haben angenommen — der Präsi­ dent der Republik promulgiert das Gesetz, dessen Wortlaut folgt — (Text des Gesetzes) — obiges Gesetz, durch den Senat und die Deputiertenkammer beraten und angenommen, soll als Staatsgesetz befolgt werden. Erlassen am Unterschrift des Präsidenten und Gegenzeichnung?)

9 a. a. O. S. 506. 2) Verordnung vom 6. April 1876, S 1, zit. bei Lebon, Ver­ fassungsrecht, S. 50.

76 Ebensowenig wie der nordamerikanische und der franzö­ sische Präsident hat der deutsche Reichspräsident die Befugnis zum Erlaß des Gesetzesbefehls. Während nach der Verfassung von 1871 Bundesrat und Reichstag gemeinsam den Gesetztste).! bestimmten und die Sanktion dem Bundesrat, nicht bcm Kaiser, Vorbehalten war, sind nach der neuen Reichsverfassung Fest­ stellung des Gesetzestcrtes und Erteilung des Gesetzesbefehls Rechte des Reichstags, der allein die Gesetze „beschließt". Die Verfassung spricht das zwar nicht besonders aus, legt es aber dadurch fest, daß sie in Art. 68, Abs. 2 bestimmt: Die Reichs­ gesetze werden vom Reichstag beschlossen, und dann als nächsten Akt erst die Ausfertigung erwähnt?) Ausfertigung und Verkündung sind in der neuen Reichs­ verfassung als zwei besondere Handlungen aufgeführt und dem Reichspräsidenten übertragen. Nach Art. 70 hat dieser „die verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetze auszufertigen und binnen Monatsfrist im Reichsgesetzblatt zu verkünden". Schon der Wortlaut des Artikels bringt zum Ausdruck, daß auch hier Ausfertigung und Verkündung der Gesetze in erster Linie als Pflicht des Reichspräsidenten angesehen werden?) Bei der Unterlassung der Verkündung könnte der deutsche Reichspräsident durch Anklage vor dem Staatsgcrichtshof persönlich zur Rechen­ schaft gezogen werden. Ebenso könnte er dafür verantwortlich gemacht werden, wenn er ein Gesetz ausfertigen würde, das nicht nach den Vorschriften der Verfassung über das Verfahren bei der Gesetzgebung zustande gekommen ist. Die Ausfertigung erfolgt allgemein durch Namensunterschrift und gibt dem Gesetz das Datum. Die Fristbestimmung in Art. 70 ist redaktionell unglück­ lich eingcfügt. Nach der Fassung des Satzes könnte die Meinung auftauchen, daß der Reichspräsident mit der Ausfertigung be­ liebig lange warten könne und nur der Zeitraum zwischen Aus­ fertigung und Verkündung auf einen Monat festgesetzt sei. Der Gesetzgeber wird aber die Verkündung innerhalb eines Monats und) der Verabschiedung im Reichstag gewünscht haben, da sonst der Reichspräsident die ganze Gesetzgebungsarbeit des Reichstags unwirksam machen könnte. Sinngemäß müßte der Wortlaut von Art. 70 klar aussprechen, daß der Reichspräsident die Ge­ setze nach der Verabschiedung durch den Reichstag (oder einem 0 Mißverständlich Arndt, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 2. Anfl. 1921. S. 127, Anm. 3 zu Art. 70: „Eine Sanktion der Reichsgesetze im Sinne Art. 7. Abs. 3 der früheren Reichsverfassung besteht nicht mehr etwa durch den Reichsrat oder den Reichspräsidenten". 2) In § 6, Abs. 5 des Gesetzes über die vorläufige Reichsgewalt vom 10. Februar 1919 (RGBl. 1919, S. 1691 hieß es: Der Reichspräsi­ dent ist verpflichtet, die. . . beschlossenen Reichsgesetze ... zu verkünden.

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anderen Zeitpunkte, z. B. Übersendung an den Reichspräsidenten) binnen Monatsfrist auszufertigen und zu verkünden hat?) Die ungenaue Fassung des Artikels mag sich daraus erklären, daß der Entwurf Preuß nur von dem Recht des Reichspräsidenten zur Verkündung der vom Reichstag beschlossenen Gesetze binnen Monatsfrist sprach (§ 60, Abs. 1) und die Worte über die Aus­ fertigung dann im Regicrunasentwurf (Art. 64, Abs. 1) ohne Umstellung des Fristvermcrks eingeschaltet wurden. Da nach Art. 74 der Reichsrat innerhalb zwei Wochen Einspruch gegen die vom Reichstag beschlossenen Gesetze erheben kann, wird der Reichspräsident mit der Ausfertigung regelmäßig bis zum Ablauf dieser Frist warten müssen. Die Verkündung eines Reichsgesetzes muß der Reichs­ präsident nach Art. 72 um zwei Monate aussetzen, wenn es ein Drittel des Reichstags verlangt. Wenn Reichstag und Reichs­ rat dieses Gesetz für dringlich erklären, ist es in das freie Er­ messen des Reichspräsidenten gestellt, ob er trotz des Wunsches der Minderheit des Reichstages das Gesetz verkünden will oder nicht. Die Eingangsformel der Reichsgesetze lautet in der Regel: Der Reichstag hat folgendes Gesetz beschlossen, das mit Zu­ stimmung des Reichsrats verkündet wird — Text — Datum — Unterschrift des Präsidenten und des gegenzeichnenden Ministers?) 25. Das Verordnnngsrecht. Während bei der Untersuchung der Anteilnahme der Prä­ sidenten an der Schaffung von Gesetzen im formellen Sinne, den von der Legislative ausgehenden Staatswillensakten;i), die Verbindungslinien zwischen den verschiedenen Verfassungen an­ nähernd gleichmäßig verliefen, ist die Beteiligung des PrästVgl. die oben S. 75 angeführte Bestimmung in Art. 7 des französischen Vcrfassungsgesetzes vom 16. Juli 1875: innerhalb des Monats, der ans die Übermittelung an die Regierung folgt. "I Tie Klausel „mit Zustimmung des Ncichsrals" ist unrichtig, da dem Rcichsrat kein Ablchnnngsrccht. sondern nur eine Einspruchs­ befugnis gemäß Art. 74 zusteht. Ter Rcichsrat kann daher keine Zu­ stimmung erklären, sondern nur aus die Ausübung seines Einspruchs­ rechtes verzichten. Vgl. dazu Lobe, Gesetzesvcrkündungen im neuen Reich. Teutsche Juristenzeitung 1920, Sp. 898 f. Lobe führt hier andererseits auch den Fall einer Veröffentlichnng an (Gesetz, bctr. die Verlängerung der Kündignngsbefchränknng zugunsten Schwerbeschädigter, veröffentlicht 22. r. ktobcr 1920, RGBl. 1920, S. 1787), in dem fälschlich die notwendige Feststellung, daß es vom Reichstag be­ schlossen worden ist, fehlt. — Vgl. die seit 15. Juli 1921 (Preußische Gesetzsammlung S. 441) in Preußen übliche Fom der Gesetzes­ verkündung: „Tas vorstehende Gesetz wird hiermit verkündet, nachdem der Staatsrat von seinem verfassungsmäßigen Rechte des Einspruchs keinen Gebrauch gemacht hat." 3) Anschütz, Enzyklopädie. S. 153. Literatur bei Meyer-Anschütz, S. 736 ff.

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beuten an der Handhabung des Verordnungsrechtes in Nord­ amerika, Frankreich und im Deutschen Reiche ganz verschieden. Neben den Rechtsverordnungen werden hier des Zusammen­ hanges wegen gleichzeitig die Verwaltungsverordnungen zu ertvähuen sein, obwohl sie das Verhältnis des Präsidenten zur Legislative nicht unmittelbar berühren. In den Vereinigten Staaten ist man in dem Bestreben, ausschließlich der Legislative alle gesetzgeberischen Maßnahmen anzuvertrauen, so weit gegangen, daß dort selbst der Erlaß all­ gemeiner Ausführungsbestimmungen Sache des Kongresses, nicht der Exekutive ist. Hier ergibt sich anscheinend ein Widerspruch mit dem im deutschen Staatsrecht herrschenden Begriff von Verordnungen als'den allgemeinen Vorschriften, welche von dem Träger oder den Organen der vollziehenden Gewalt ausgehen?) Die nähere Betrachtung ergibt jedoch, daß es sich bei diesen „Ausführungsverordnungen" um Bestimmungen handelt, die unseren Ausführungsgesetzen entsprechen oder ganz allgemeine Richtlinien enthalten. Nach Freund 2) sind die Fälle, bei denen in der Bundesgesetzgebung Ausführungsakte des Präsidenten vorgesehen sind, ungemein zahlreich und bei wichtigen Gesetzen die Regel. Damit ist tatsächlich das Recht zum Erlaß von Ausführungsbestimmungen in weitem Umfange der Exekutive überlassen?) Ein Notverordnungsrecht ist in den Vereinigten Staaten unbekannt. Im Erlaß von Verwaltungsverordnungen ist der Präsident nicht beschränkt. Erwähnt sei hier die unserem Recht befremdliche Erscheinung, daß der Kongreß auch die sog. Private Bill Legislation erledigt, also über Angelegenheiten, die materiell reine Verwaltungsakte sind, im Wege der Gesetz­ gebung entscheidet, z. B. über Pensionsgewährungen, Konzessionserteilungen und ähnliches.') In Frankreich wird aus der Verfassung selbst- eine be­ sondere Verordnungsgewalt („Pouvoir reglementaire“) des Präsidenten hergeleitet. Es bestimmte die Verfassung des Jahres VIII in Art. 44: Le gonvc nein ent propose les I.ois et fait les regleinents necessaires pour assurer leur execution. Diese Bestimmung wurde in ähnlicher Form in alle folgenden Verfassungen ausgenommen. Die Verfassung von 1848 faßte sie kurz zusammen in den Worten: 11 (le president) surveille et assure l’execution des lois, und so ist sie dann auch in Art. 3 des Verfassungsgesetzes vom 25. Februar 1875 übernommen *) Anschütz, Enzyklopädie. S. 161. Meyer-Anschütz, a. a. O., S. 668. Laband, a. a. O. II, S. 83. G. Jellinek, Gesetz und Ver­ ordnung 1887, S. 336 ff. 2) a. a. O. S. 90. ”) E. Kaufmann, Auswärtige Gewalt in den Vereinigten Staaten. S. 69 f. ') R. Hübner, a. a. O. S. 137.

79 worden. Die Reglcmentierungsbefugnis übt der Präsident durch den Erlaß von Verordnungen, den decrets generaux, aus. Es handelt sich bei den decrets generaux um Ausführungsvorsihriften in der Form von Rechtsverordnungen. Der eodc penal bedroht in § 471, Nr. 15 ihre Übertretung mit Geldbuße. Die decrets generaux werden decrets portant reglements d'administration publiquc genannt, wenn sie nach eingeholtem Gutachten des versammelten Staatsrates erlassen werden. Diesen Rat kann der Präsident zu jedem Dekret einholen, ist jedoch in einem Gesetz gesagt, daß bestimmte Abschnitte durch ein regiern ent, d’administration pupliquc geregelt werden sollen, so muß der Präsident den Staatsrat befragen. An das vom Staatsrat er­ teilte Gutachten ist der Präsident aber in keinem Falle gebunden. Von diesen allgemeinen oder Ausführungsdekreten werden unter­ schieden die speziellen oder individuellen Dekrete. Von ihnen gehört die eine Gruppe, die der Regierungsdekrete (decrets gouvcrnement a ux), nicht zu den Verordnungen in unserem Sinne, sondern umfaßt allgemeine Regierungshandlungen, wie Gesetzespromulgationen, Einberufung und Vertagung der Kam­ mern und dergl. Dagegen deckt sich die andere Gruppe, die der Vcrwaltungsdckrete (decrets administratifs), völlig mit den Verwaltungsverordnungen im Sinne unseres Staatsrechts. Zum Teil dürfen auch diese Verordnungen erst nach cingeholtcm Gutachten des Staatsrats erlassen werden. Für das Deutsche Reich ist nach eingehenden und lebhaften Verhandlungen im Staatenausschuß wie im Verfassungsaus­ schuß und im Plenum der Nationalversammlung über die Frage der Beteiligung der Länder am Vcrordnungsrccht und über den Unterschied' von Rechts- und Vcrwaltungsvcrordnungen sowie über den Träger des Vcrordnungsrcchtcs schließlich die Regelung in dem Sinne erfolgt, daß der' Exekutive eine allgemeine Be­ fugnis zum Erlaß von Rechtsverordnungen, von denen hier Ausführungsverordnungen und Notverordnungen in Frage kommen, nicht gegeben ist. Ausführungsvorschriften im Sinne von Rechtsverord­ nungen können von der Exekutive nur erlassen werden, wenn und soweit ihr das Recht dazu jeweils durch Gesetz übertragen worden ist.1) Eine Ermächtigung zum Erlaß von Rcchtsvcrordnungen findet sich in der Verfassung selbst in Art. 91. Da­ nach erläßt die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichs­ rats die Verordnungen, die den Bau, den Betrieb und den Versi Preuß, Prot. d. 8. Aussch., S. 427 f.; Wachenfeld, Prot. d. 8. Aussch., S. 470; Koch (Kassels, Sten. Ber. d. N. 83., S. 1346; und Zweigcrt, Prot. d. 8. Aussch., S. 326. Vgl. E. Jacobi, Das Verord­ nungsrecht im Reiche seit dem November 1918, Archiv des öffent­ lichen Rechts, Bd. 39, 1920, S. 332 f.

80 IW der Eisenbahnen regeln. In diesem Falle kann cs sich um Rechts- wie um Vcrwaltungsverordnungen handeln?) In den seit Inkrafttreten der Reichsverfassung erlassenen Gesetzen ist in der Regel die Reichsregierung*2)3 4oder 5 6 7 der 8 zuständige Minister, meist unter der Bedingung der Zustimmung des Reichsrats?) mit dem Erlaß der Ausführungsbestimmungen beauftragt worden, seltener der Reichspräsident?) Ein generelles Notverordnungsrecht ist von den Schöpfern der Verfassung absichtlich nicht in die Reichsverfassung ausge­ nommen worden?) Einen gewissen Ersatz für das fehlende Notvcrordnungsrecht bildet die Bestimmung des Art. 48, Abs. 2?) Hier ist dem Reichspräsidenten mit der Befugnis, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen zu treffen, ein außerordentlich weitgehendes und vom vorläufigen Reichspräsidenten bereits häufig gebrauchtes Verordnungsrecht gegeben?) Die Gegenzeichnung erfolgt bei diesen Verordnungen in der Regel durch den Reichskanzler und den Reichsminister des Innern. Das Recht zum Erlaß von „allgemeinen Verwaltungsvor­ schriften", die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlich sind, ist in Art. 77 der Verfassung der Reichsregierung übertragen, soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen. Wenn die Aus­ führung der Reichsgesetze den Landesbehörden zusteht, bedarf die Rcichsregicrung zum Erlaß der Zustimmung des Reichsrats. Unter den Ausführungsverordnungen, zu deren Erlaß die Zu­ stimmung des Reichsrats erforderlich sein sollte, wollte die Regie­ rung zunächst ausdrücklich nur Rcchtsverordnungen verstanden haben?) In genauem Gegensatz dazu ist im Verfassungsausschuß schließlich ausdrücklich festgelegt worden, daß es sich bei den all­ gemeinen Verwaltungsvorschriften im Sinne des Art. 77 (ur-

*) Zweigcrt, Prot. d. 8. Aussch. S. 325 f. 2) z. B. Ausfuhrungsgesetz zum Friedeusvertragc vom 31. August 1919, RGBl. S. 1530, § 28. 3) z. V. Steuergesetze, vol. Erbschaftssteuergesetz vom 10. Sept. 1919, § 73 lRGBl. 1919, S. 1543). 4) Vgl. z. 93. in § 6 und § 38 des Reichswahlgesetzes vom 27. April 1920 sRGBl. 1920, S. 627) die Ermächtigung, den Tag der Hauptwahl zum Reichstag festzusetzen, und in § 3 des Gesetzes betr. die Vereinigung Koburgs mit Bayern vom 30. April 1920 lRGBl. 1920, S. 842) die Ermächtigung, im Einvernehmen mit der bayerischen Regierung den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes zu bestimmen. 5) Preuß, Prot. des 8. Aussch. S. 42. 6) Preuß, Prot. d. 8. Aussch. S. 288. 7) Siehe oben Seite 51. 8) Prot. d. 8. Aussch. S. 469 ff.

81 sprünglich Art. 13) nicht um Rechts-, sondern Verwaltungs­ verordnungen handele?) Dem Reichspräsidenten ist danach kein generelles Ver­ ordnungsrecht gegeben. Es wurde bei den Beratungen im Ver­ fassungsausschuß die Frage aufgeworfen, ob nicht gesagt werden solle: Träger des Verordnungsrechtes ist der Reichspräsident, um diesen gegenüber dem Volke als Träger der obersten Regie­ rung stärker hervortreten zu lassen?) Gleichzeitig wurde aber darauf hingewiesen, daß durch eine solche Bestimmung materiell nichts geändert würde, da die Verordnungen auch dann von den Ministern ausgearbeitet und gegengezeichnet würden und es nicht wünschenswert sei, ein formales und äußerliches Moment zu sehr hervorzuheben. Die Möglichkeit, den Reichspräsidenten im Einzelfalle mit dem Erlaß von Verordnungen zu betrauen, ist auch in Art. 77 offen gelassen. Die Verfassung selbst bestimmt in Art. 176, daß die Verordnung über den Verfassungseid aller öffentlichen Beamten und Angehörigen der Wehrmacht vom Reichspräsidenten erlassen werden solle?) Soweit nach einzel­ gesetzlichen Bestimmungen bisher dem Kaiser das Verordnungs­ recht zustand, so besonders im Heerwesen, ferner im Paß-, Post-, Bankwesen usw., ist der Reichspräsident gemäß Art. 179 in Verbindung mit § 4 des Ubergangsgesetzcs vom 4. März 1919 sein Rechtsnachfolger geworden, falls nicht die Verfassung bei einzelnen Gebieten eine andere Regelung getroffen hat. Auch das Recht zur selbständigen Organisation der Reichsbehörden, das sich unter der früheren Verfassung zu einem kaiserlichen Ge­ wohnheitsrecht entwickelt hatte4), hat der vorläufige Reichs­ präsident weiter ausgcübt. Die rechtliche Handhabe dafür gab § 8 des Gesetzes über die vorläufige Reichsgewalt vom 10. Februar 1919 (RGBl. 1919, S. 169)'. Danach'war es Auf­ gabe des Reichspräsidenten, für die Führung der Reichsregierung ein Reichsministcrium zu berufen, dem sämtliche Reichsbehörden und die oberste Heeresleitung unterstehen sollten. Am 21. März 1919 (RGBl. 1919, S. 327) erging der entsprechende Erlaß über *) Anderer Ansicht Arndt, a. a. £D„ S. 141. Anm. 3 zu Art. 77 entsprechend seinem Standpunkt in dem früher lebhaften Streit über das Verordnungsrecht der Regierung. Gegenüber den klaren Worten des Berichterstatters über Art. 77 im Plenum sKoch, Cassel, Sten. Ber. d. N.V., S. 13461 sich weiterhin auf eine in ganz anderem Zusammen­ hang gefallene Äußerung Spahns (Sten. Ber. d. N.V., S. 1463) zu stützen, dürfte nach dem Erscheinen der Protokolle hes 8. Ausschusses nicht mehr angängig sein. Vgl. dort S. 167, 169, 427 f. 2) Vreuß, Prot. d. 8. Äussch. S. 42. ’) Antrag Loebe-, Hoch-, Gröber-Spahn Nr. 740. Sten. Ber. d. N.V. S. 2192 f. Die entsprechende Verordnung ist am 14. August 1919 (RGBl. 1919, S. 1419) erlassen worden. *) Meyer-Anschütz, a. a. O. S. 705 f, Anm. 9 zu 8 165.

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die Errichtung und Bezeichnung der obersten Reichsbehörden. Nach Inkrafttreten der Reichsverfassung hat dann der vorläufige Reichspräsident nicht nur mehrfach Bestimmungen über die Zu­ ständigkeit der einzelnen Ministerien getroffen T), sondern auch Ministerien neu errichtet, wie das Reichsministerium für Wieder­ aufbau 2) und das Reichsministerium für Ernährung und Land­ wirtschaft 3) und andere aufgehoben, wie das Reichskolonialministcrium?) Hinsichtlich des Verordnungsrechts sind danach in den Ver­ einigten Staaten erhebliche Beschränkungen der Exekutive zu­ gunsten der Legislative festzustcllen. Im übrigen zeigt sich aber auch hier wieder der Präsident als der selbständige Leiter der Exe­ kutive, während der französische und der deutsche Reichspräsident an die ministerielle Gegenzeichnung gebunden sind. In Frank­ reich findet sich ein sehr umfangreiches Verordnungsrecht des Präsidenten, das aber zum größten Teile ein nur formelles Recht ist, da der Präsident in die Einzelgebiete keinen Einblick haben kann. Dem deutschen Reichspräsidenten sind auf dem Gebiete des Verordnungsrechts die engsten Schranken gezogen. L>ein Vcrordnungsrecht ist auf einzelne Fälle beschränkt und erstreckt sich infolge der in der Reichsverfassung durchgeführten Trennung von Reichspräsident und Reichsregicrung im engeren Sinne auf keinerlei Ressort- und innere Vcrwaltungsangelegenheiten. In den Fällen aber, in denen dem Reichspräsidenten das Verordnungsrecht zusteht, zeigt es ihn in seiner Stellung als obersten Leiter der Exekutive. 26. Einspruch, Gesetzesneuberatung, Volksentscheid.

Eine ganz verschiedene Ausprägung hat das Verhältnis von Präsident und Legislative in den drei Republiken für den Fall erhalten, daß der Präsident mit einer bestimmten Gesetzgcbungshandlung des Parlaments oder seiner allgemeinen Tätig­ keit nicht einverstanden ist. Trotzdem die Schöpfer der Unionsverfassung ihr Werk bewußt nach der Lehre van der Trennung der drei Gewalten ausbauten, gaben sie doch dem Leiter der Exekutive, dem Prä­ sidenten, ein starkes Kontrollrecht über die Tätigkeit der Legis­ lative. Nach Art. I, Abschn. 7, § 2 soll der Präsident jedes f) Vgl. z. B. Erlaß betr. Zuständigkeit des Rcichsschatzministeriums vom 17. Oktober 1919 (RGBl. 1919, S. 1801) und Erlaß betr. den Übergang der Verwaltung des Äaiscr Wilhelm-Kanals auf den Reiehsverkchrsmiuister vom 31. März 1920 lRGBl. 1920, S. 429). -) Erlaß vom 7. November 1919 lRGBl. 1919, S. 1875). ') Erlaß vom 30. März 1920 lRGBl. 1920, S. 379). 4j Erlaß vom 29. März 1920 lRGBl. 1920, S. 380).

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Gesetz, das er nicht guthcißt, dem Hause, von dem es ausging, mit seinen Einwendungen zurückschicken. Das Haus soll dann die Einwendungen vollständig in sein „Journal" eintragen und die Bill nochmals einer Beratung unterziehen. Wenn nach einer solchen zweiten Beratung die Bill eine Zweidrittelmehr­ heit im Hause findet, soll sie mit den Einwendungen des Prä­ sidenten dem anderen Hause zugestellt werden. Dieses soll die Bill gleichfalls einer neuen Beratung unterziehen, und wenn sich dann auch in diesem Hause eine Zweidrittelmehrheit für die Bill ergibt, so soll sic Gesetzeskraft erhalten. Diese Be­ fugnis des Präsidenten zur Zurücksendung einer von ihm be­ anstandeten Bill wird im Sprachgebrauch als „Vetorecht" des Präsidenten bezeichnet. Die Gesetzessprache kennt den Ausdruck „Veto" nicht, v. Holstx) nennt diese Bezeichnung einen Miß­ brauch. In der Tat handelt es sich nicht um ein Verbot des Gesetzes durch den Präsidenten, sondern um ein Einspruchsrecht, wie es ähnlich dem Rcichsrat im Deutschen Reiche nach Art. 74 der Reichsverfassung zusteht (vgl. bes. Art. 74, Abs. 2, Satz 4). Ebensowenig wie der Reichsrat im Deutschen Reiche wird der Präsident durch diese Befugnis zu einem Gesetzgebungsorgan. Praktisch ausgeübt haben die Präsidenten das „Veto­ recht" bis 1911 etwa 500 mal. Schon George Washington machte von dem verfassungsmäßigen Einspruchsrecht Gebrauch, allerdings nur in zwei Fällen. Auch Washingtons Nachfolger waren sparsam in der Ausübung dieses Rechtes1 2), erst Präsident Jackson (1829—1837) wandte es häufiger an (12 mal) und später ganz besonders Präsident Cleveland, der allein während seiner ersten Präsidentschaft 301 Bills beanstandete. Auffallend ist, daß von diesen bei der Neuberatung nur zwei eine Zwei­ drittelmehrheit im Kongreß fanden und so gegen den Willen des Präsidenten Gesetz wurden. Überhaupt sind die Fälle der Überstimmung des Ein­ spruchs verhältnismäßig selten. Von den 433 Bills, die in den ersten hundert Jahren seit Inkrafttreten der Unionsverfassung vom März 1789 bis zum März 1889 von den einzelnen Präsidenten an den Kongreß zurückgesandt wurden, sind nur 29 durch Überstimmung des „Veto" Gesetz geworden?) Zudem geht von diesen Fällen mehr als die Hälfte auf die Präsident­ schaft Johnsons zurück, der in stetem Kampf mit dem Kongreß lag. Diese gebieterische Wirkung des Präfidentencinspruchs mag sich in den meisten Fällen aus der Natur der beanstandeten

1) Staatsrecht. 1885. S. 62. 2) über die einzelnen Fälle siehe E. C. Mason, The Veto power, 1891, S. 141 ff. ’) Vgl. die Zusammenstellung bei Mason, a. a. O., S. 214. 6*

84 Gesetze erklären. So bezogen sich die Einsprüche des Präsi­ denten Cleveland meist auf Penstonsbills, die er an den Kongreß zurücksandte, wenn er sich überzeugt hatte, daß es sich in dem vorliegenden Falle um ungerechtfertigte Bevorzugung handelte. Es ist in der Literatur die Ansicht vertreten worden, die „Veto­ gewalt" sei dem Präsidenten nur zum Schutze der Verfassung gegeben.') Eine solche Einschränkung findet sich weder in der Verfassung noch in einem Gesetz. Tatsächlich haben bereits die ersten Präsidenten das Einspruchsrecht auch dann gebraucht, wenn sic nicht die Vcrfassungs- oder Rechtmäßigkeit, sondern die Zweckmäßigkeit der betreffenden Bills angriffen. Der Fall, daß ein Präsident nach Schluß der Tagung des Kongresses ein Gesetz ununterschrieben zehn Tage liegen läßr und dieses dadurch keine Gültigkeit erlangt, wird als still­ schweigendes oder „Taschen"-Veto (pocket veto) bezeichnet. Allein Präsident Grant bediente sich dieses stillen Einspruchs in weit über 100 Fällen. Falls bei einem Gesetz der Einspruch des Präsidenten von vornherein zu erwarten stand, hat der Kongreß häufig zu dem Mittel gegriffen, diese Bill als „Reiter" mit einer anderen Bill, z. B. der Budgetbill, zu verbinden. Um die Verwaltung des Landes weiter führen zu können, mußte sich dann der Präsident zur Unterzeichnung der ganzen Bill entschließen. Trotzdem bildet das Einspruchsrecht eine mächtige Waffe in der Hand eines Präsidenten, der sic geschickt, besonders unter Berücksichti­ gung der öffentlichen Meinung, zu handhaben weiß. In neuerer Zeit hat der Kongreß bei einem Einspruch des Präsidenten in Abweichung von dem früheren Brauch und trotz der verfassungsmäßigen Pflicht oft gar keine erneute Abstimmung vorgenommen, also kampflos darauf verzichtet, die Bill durchzusctzen?) Gerade der Grundsatz der Gewaltenteilung in Verbindung mit dem Gedanken, keine der Gewalten übermächtig werden zu lassen, hat demnach in der Union dazu geführt, dem Präsidenten in dem Einspruchsrecht ein außerordentlich starlcs Hemmungs­ mittel gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften zu geben, ja, Woodrow Wilson sagt: Der Präsident ist nicht größer als sein Vorrecht des Veto (prerogative of veto) ihn macht; mit anderen Worten, er ist mächtiger als ein Zweig der Legislatur (braneli of tho. legislatnre) denn als das Titularhaupt (titulare liead) der Exekutive?)

’) Kent, Sherman, zit. bei Hershey, über Hemmungsmittel gegen­ über den gesetzgebenden Körpern in den Bereinigten Staaten von Nordamerika, 1894, S. 13 f. 2| Vgl. Freund a. a. £., S. 111.

3) W. Wilson, The congressinal government. S. 260. Die Bezeichnung als Zweig der Legislatur ist nicht zutreffend. Vgl. S. 83.

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Ein Vetorecht der Exekutive ist dem französischen Ver­ fassungsrecht nicht fremd. Die Konstituante gestand Ludwig XVI. ein Vetorecht zu, das dem König und der Königin die Spitz­ namen von „Monsieur und Madame Veto" eintrug?) In der geltenden französischen Verfassung ist dem Präsidenten durch Art. 7 des Versassungsgesetzcs vom 16. Juli 1875 eine Befugnis gegeben, die äußerlich dem Einspruchsrecht des nordamerika­ nischen Präsidenten in manchen Zügen gleicht. Vor Ablauf der für die Veröffentlichung der Gesetze bestimmten Frist kann der Präsident durch eine mit Gründen versehene Botschaft (message motive) eine neue Beratung des Gesetzes von den Kammern verlangen. Das Parlament darf über das Gesuch nicht zur Tagesordnung übergehen, sondern muß in eine zweite Beratung eintreten. Bleiben aber die Kammern bei ihrem Beschluß, so muß der Präsident das Gesetz in der bestimmten Frist bekanntgeben.

Abgesehen davon, daß demnach nur die gleiche Mehrheit, die sich ursprünglich für das Gesetz ausgesprochen hat, noch ein­ mal diesen Willen kundzugeben braucht, also keine besondere, qualifizierte, Mehrheit zur endgültigen Abstimmung erforderlich ist, wird diesem Recht die Wirksamkeit noch dadurch genommen, daß der Präsident auch zur Zurücksendung der Botschaft der Gegenzeichnung des zuständigen Ministers bedarf. Das Mini­ sterium aber ist selbst der Erekutivausschuß des Parlaments. In der Regel wird es die Ansicht des Parlaments teilen. Wenn es Bedenken gegen einen Entwurf hat, so ist ihm Gelegenheit zur Äußerung in allen Lesungen im Parlament gegeben. Ist ein Entwurf trotz seines Widerspruchs zum Gesetz erhoben worden, so wird es meist vorziehen, seine Entlassung zu er­ bitten, anstatt sich eine neue Schlappe von der gleichen feind­ lichen Parlamentsmehrheit zu holen. Ein neues Ministerium aber würde, solange die Kammern in der gleichen Zusammen­ setzung bestehen, gerade aus der Kammermehrheit, die das Gesetz beschloß, hervorgehen und hätte daher keine Veranlassung, zu einer Gesetzesbeanstandung die Hand zu bieten. Wechselt aber die Parlamentsmehrheit, so wird es zur Änderung eines Ge­ setzes nicht einer besonderen Maßnahme des Präsidenten be­ dürfen. Die neue Mehrheit würde im Gegenteil ein solches Vorgehen des Präsidenten jedenfalls als Eingriff in ihr Gesetz­ gebungsrecht ansehen. Tatsächlich hat noch kein französischer Präsident seit Be­ stehen der Verfassung von 1875 von dem Recht, die Neuberatung eines Gesetzes zu verlangen, Gebrauch gemacht. ) Poincars a. a. O.

S. 94.

86 Die deutsche Reichsverfassung gibt dem Reichspräsidenten kein unmittelbares Einspruchsrecht gegen die vom Reichstag be­ schlossenen Gesetze?) Gemäß Art. 73, Abs. 1 kann der Reichs­ präsident aber jedes Gesetz vor seiner Verkündung innerhalb eines Monats nach der Verabschiedung im Reichstag zum Volks­ entscheid bringen (vgl. § 1, Ziff. 1 des Gesetzes über den Volks­ entscheid vom 27. Juni 1921, RGBl. S. 790). Diese Be­ stimmung ist erst bei den Beratungen im Verfassungsausschuß eingefügt worden?) Es sollte dem Reichspräsidenten damit die Möglichkeit gegeben sein, in jedem Falle den Willen des Volkes gegenüber der Beschlußfassung des Reichstages einwandfrei fest­ zustellen."') Dieser Gedanke hätte voll verwirklicht werden können, wenn man bei der Anordnung des Volksentscheids von dem Erfordernis der Gegenzeichnung eines Ministers abgesehen hätte. Dahin zielende Anträge wurden im Laufe der Verhand­ lungen im Verfassungsausschuß mehrfach gestellt4* ), 2 5 *aber schließlich abgelchnt. Der Vertreter der Regierung, Reichsminister Preuß, dem sich die Mehrheit anschloß, führte aus, daß bei Einverständnis zwischen Präsident und Ministerium über die Anordnung des Volks­ entscheids das Ministerium auch die Verantwortung übernehmen könne und solle, wenn aber der Reichspräsident gegen den Willen des Ministeriums einen Volksentscheid anordnen wolle, so müsse er sich ein Ministerium suchen, das zur Gegenzeichnung bereit sei. Kein parlamentarisches Ministerium könne im Amte bleiben, wenn der Präsident über seinen Kopf hinweg eine so wichtige politische Maßnahme vornähme. Außerdem sei die Gegenzeichnung schon aus dem Grunde notwendig, weil die An­ ordnung des Volksentscheids an gewisse verfassungsrechtliche Voraussetzungen gebunden sei, für deren Verletzung eine Ver­ antwortung übernommen werden müsse?) Dieser letzte Grund dürfte schon deshalb nicht durchschlagen, weil der deutsche Reichs­ präsident persönlich verantwortlich gemacht werden kann (s. oben S. 24ff.). Andererseits wird nicht, wie Giese es tut6), an­ genommen werden dürfen, daß sich die ministerielle Verantwort-

0 Arndt, a. a. O., S. 108 in Anm. 3 zu Art. 70 spricht allerdings von einem Einspruchsrecht des Reichspräsidenten, meint aber Wohl das Recht zur Herbeiführung eines Volksentscheids. 2) Antrag Ablaß, Haußmann, Koch (Kassel). Naumann, Zöphel, Nr. 169. Prot. d. 8. Aussch., S. 307. ’) Koch (Kassel), Prot. d. 8. Aussch., S. 308. Sten. Bericht der Nationalversammlung S. 1346. 4) Antrag Ablaß Nr. 76, Prot. d. 8. Ausich., S. 162 f., 166; An­ trag v. Delbrück Nr. 103, Prot. d. 8. Aussch., S. 233, 291; Antrag Ab­ laß Nr. 124 Ziff. 3, Prot. d. 8. Aussch.,' S. 290, 291; v. Delbrück, Sten. Bericht der Nationalversammlung S. 1302. 5) Koch (Kassel), Prot. d. 8. Aussch., S. 163; Preuß, Prot. d. 8. Aussch., S. 236 f. °) A. a. £>., S. 190, Anm. 6 zu Art. 73.

87 lichkeit im Falle des Art. 73 nur darauf beziehe, daß die ver­ fassungsmäßigen Voraussetzungen für die Anordnung des Volks­ entscheids vorhanden seien. Der Sinn der Gegenzeichnung ist Billigung der Handlung des Reichspräsidenten, und da es sich bei Anordnung des Volksentscheids nicht um eine Beurkundung wie bei der Gesetzesausfertigung, sondern um eine Willenskund­ gebung von großer Wichtigkeit handelt, müssen die Unterzeichner hier übereinstimmend zum Ausdruck bringen, daß der Inhalt der Anordnung ihr Wille ist. In der Regel wird die Gegen­ zeichnung durch den Reichskanzler zu erfolgen haben. Trotz der Notwendigkeit der ministeriellen Gegenzeichnung wird aber die Ermächtigung des deutschen Reichspräsidenten zur Anordnung des Volksentscheids nicht als ähnlich bedeutungslos angesehen werden dürfen, wie das Recht des französischen Prä­ sidenten, eine zweite Gesetzesbcratung zu verlangen. Es ergeben sich wesentliche Verschiedenheiten der beiden Befugnisse daraus, daß der deutsche Reichspräsident der Vertrauensmann des Volkes und nicht wie der französische Präsident ein Erwählter des Par­ laments ist, und daß im Deritschen Reiche das Volk und nicht das Parlament zur endgültigen Entscheidung aufgerufen wird. Zunächst ist es denkbar, daß der Reichstag selbst nicht abgeneigt ist, in grundlegenden Fragen eine Bekräftigung oder auch Änderung seiner Beschlüsse durch den Willen des Volkes herbeigeführt zu sehen. Die Anordnung des Volksentscheids braucht nicht immer Kampf gegen das Parlament zu bedeuten. Diese Möglichkeit kommt hier aber weniger in Betracht als der Fall, daß die Reichstagsmehrheit behauptet, den Volkswillen in dem von ihr beschlossenen Gesetz ausgesprochen zu haben, der Reichspräsident aber daran zweifelt. Es kann sich dabei einmal um Beschlüsse des Reichstags handeln, die den Wünschen des Ministeriums nicht entsprechen oder auch dort Zweifeln begegnen, ob das Volk sie billigen wird. Dann wird das Ministerium selbst den Reichspräsidenten um die Anordnung des Volksentscheids bitten. Das parlamentarische System bedingt durchaus nicht den Rücktritt des Kanzlers und der Minister bei Meinungsverschiedenheiten, die über Einzel­ fragen zwischen Parlament und Regierung auftreten können. Es ist wohl möglich, daß der Reichstag einen Regierungsentwurf ablehnt oder ein der Regierung unerwünschtes Gesetz beschließt, ohne daß Reichskanzler und Ministerium darin ein Mißtrauens­ votum im Sinne des Art. 54, Satz 2 zu sehen hätten. Wenn es sich dabei um weniger wichtige Angelegenheiten handelt, wird in der Zusammenarbeit von Regierung und Parlament keine Stockung cintrcten, sind jedoch grundsätzliche Fragen strittig, so muß eine Entscheidung zwischen Reichstags- und Regierungs­ politik herbeigeführt werden. Es wird dann wesentlich von der

88 Beurteilung der Lage durch den Reichspräsidenten abhängen, ob er es für geboten hält, die Minister zu entlassen oder das Volk zu befragen. Zur Auflösung des Reichstags wird dabei nur zu schreiten sein, wenn die allgemeine Richtung der Regierungs­ politik betroffen ist, in anderen Fällen wird der Zwiespalt durch Volksentscheid über das bestimmte einzelne Gesetz gelöst werden können. ■ Außerdem wird es bisweilen deshalb zweckmäßiger sein, einen Volksentscheid anzuordnen, als den Reichstag auf­ zulösen, weil durch eine Volksabstimmung über einen Gesetzes­ beschluß des Reichstags unmittelbar und endgültig entschieden wird, während bei einer Auflösung des Reichstags das etwa beanstandete Gesetz zunächst in Kraft tritt?) Ein Grund zur Anordnung des Volksentscheids kann auch darin liegen, daß ein Gesetz zwar nicht gegen den Willen der Regierung, aber vielleicht mit knapper Mehrheit oder bei schlecht besuchtem Hause beschlossen wurde. Dann wird das Reichs­ ministerium Bedenken des Reichspräsidenten gegen die Aus­ fertigung teilen und der Anordnung des Volksentscheides seine Gegenzeichnung geben. In solchen Fällen wird allerdings der Reichstag oft schon im Hinblick auf die Möglichkeit eines für ihn ungünstigen Volksentscheids selbst in eine Ncubcratung cintreten. Aber auch dann, wenn das Ministerium insgesamt oder zum Teil gegenüber dem regierungsfeindlichen Beschlusse einer vielleicht bedeutenden Mehrheit eines vollen Hauses zurücktritt, ist dem Reichspräsidenten die Möglichkeit, einen Volksentscheid herbeizuführen, nicht genommen. Im Sinne der (S. 86) an­ geführten ausdrücklichen Erklärung von Prcuß als Regierungs­ vertreter im Verfassungsausschuß *2) muß dem Reichspräsidenten das Recht zugebilligt werden, nach freiem Ermessen Minister zu berufen, welche die Anschauung der Reichstagsmehrheit nicht teilen, ja sogar ein Ministerium zu entlassen 3), wenn es bei der Verabschiedung eines nach Meinung des Reichspräsidenten un­ zweckmäßigen Gesetzes mit dem Reichstag zusammengewirkt hat, und durch ein Minderheitsministerium die Gegenzeichnung zur Anordnung eines Volksentscheids über das betreffende Gesetz vornehmen zu lassen.4) Von dem Ergebnis der Volks­ abstimmung wird es dann abhängen, ob sich dieses Ministerium behauptet. Vorher wird es der Reichstag nicht zu stürzen wagen. Einen zweiten Fall des Volksentscheids sieht die Ver­ fassung in Art. 73, Abs. 2 vor, wenn ein Drittel des Reichs*) Vgl. die Fristen in Art. 70, 71 und 75. 2) Preuß, Prot. d. 8. Aussch. S. 236 f. 3) Vgl. I. Lulas, Crctanifatorifdie (Grundgedanken der neuen Reichsverfassung, 1920. S. 37. ’) Poetzsch, a. n. £?-., Anm. 2 zu Art. 50. S. 102.

89 tags den Antrag auf Aussetzung der Verkündung eines Reichs­ gesetzes gestellt hat und ein Zwanzigstel der Stimmberechtigten Volksentscheid darüber beantragt. Nach Art. 73, Abs. 3 findet ein Volksentscheid auch dann statt, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten das Begehren nach Vorlegung eines Gesetzentwurfs stellt. Hier muß ein Volks­ entscheid hcrbeigeführt werden, wenn nicht der Reichstag den gewünschten Gesetzentwurf unverändert annimmt. Die schwierigen Voraussetzungen des Volksentscheids nach Art. 73, Abs. 2 und Art. 73, Abs. 3 stellen seine praktische An­ wendung hier sehr in Frage. Über den Haushaltsplan, über Abgabengesetze und Besoldungenänderungen kann nach Art. 73, Abs. 4 nur der Reichspräsident einen Volksentscheid veranlassen. Eine noch stärkere Befugnis als in Art. 73 ist dem Reichs­ präsidenten im Falle des Art. 74, Abs. 3 bei Meinungsver­ schiedenheiten zwischen Reichstag und Rcichsrat gegeben. Hat sich trotz eines Einspruchs des Rcichsrats gegen ein vom Reichs­ tag beschlossenes Gesetz mehr als die Hälfte, aber weniger als zwei Drittel der Reichstagsmitgliedcr in nochmaliger Beschluß­ fassung für das beanstandete Gesetz erklärt, so liegt es in der Hand des Reichspräsidenten, das Volk zur Entscheidung aufzu-. rufen oder aber das Gesetz dadurch zunichte zu machen, daß er cs unverkündct liegen läßt. Hier ist der Reichspräsident unmittelbat zum Schiedsrichter zwischen den Vertretern der Länder und den Vertretern des Volkes berufen. Wendet sich der Reichs­ tag mit Zweidrittelmehrheit gegen den Einspruch des Reichs­ rats, so bleibt dem Reichspräsidenten nach Art. 74, Abs. 3, Satz 4 immer noch die Wahl, das Gesetz zu verkünden oder das Volk zu befragen. Verfassungsändernde Reichsgesetze, die entgegen dem Ein­ spruch des Reichsrats vom Reichstag beschlossen worden sind, darf der Reichspräsident nach Art. 76, Abs. 2 nicht verkünden, wenn der Reichsrat binnen zwei Wochen den Volksentscheid verlangt?)

So sind die Präsidentenrechte „negativer Art" bei der Gesetzgebung in Nordamerika, Frankreich und im Deutschen Reiche sehr verschieden gestaltet. Wir finden in allen drei Staaten das Recht des Präsidenten, den ersten Gesetzesbeschluß des Parlaments einer Nachprüfung zu unterziehen. In den Vereinigten Staaten und in Frankreich erfolgt die endgültige Entscheidung durch die gesetzgebenden Körperschaften selbst, im *) Über die einzelnen 7s-ölte des Volksentscheids vgl. 8 1 des Ge­ setzes über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921 sRGBl. S. 790j. Vgl. dazu die Verordnung zur Ausfübrung des Gesetzes über den Volks­ entscheid sReichsabstimmungsordnung) vom 1. Dezember 1921 sRGBl. S. 1505).

90 Deutschen Reiche durch das Volk. In den Vereinigten Staaten bedarf es dabei einer Zweidrittelmehrheit, in Frankreich genügt die gleiche Mehrheit, mit der das Gesetz ursprünglich beschlossen worden war. Der Gegensatz zwischen der Regelung in den Ver­ einigten Staaten auf der einen und Frankreich und dem Deut­ schen Reiche auf der anderen Seite liegt auch hier wieder darin, daß der nordamcrikanifche Präsident völlig frei aus eigener Machtbefugnis handelt, während der französische Präsident und der deutsche Reichspräsident der Gegenzeichnung ihres Ministers bedürfen. Aus der Berufung des deutschen Reichspräsidenten durch das Volk und aus der Bestimmung des Volkes als oberste Instanz in jedem Einzclfalle ergab sich aber ein weiter Abstand zwischen der message niotive des französischen Präsidenten und der Anrufung des Volkes oder der selbständigen Entscheidung durch den deutschen Reichspräsidenten.

27. Die Auflösung des Parlaments. Einspruch, Verlangen einer Gesetzesneuberatung und Volksentscheid über Gesetze sind Mittel zur Lösung von Meinungsverschiedenheiten im Einzelfalle. Kommt es aber zu einem anhaltenden Gegensatz zwischen Exekutive und Legislative, so tritt die Frage auf, ob der Präsident als Spitze der Exekutive vom Volke die Neuwahl des Parlaments fordern kann. Der Weg dazu führt über die Auflösung des Parlaments. Die Verfassung der Vereinigten Staaten wird auch in diesem Punkte von dem Grundsatz der Gewaltentrennung be­ herrscht. Wohl haben die Gesetzgeber der Konvention von Philadelphia im Jahre 1787 die starre Trennung bewußt so weit gemildert, daß sie dem Kongreß die Bewilligung aller Gelder für Verwaltungsausgaben überließen und dem Präsi­ denten ein Einspruchsrecht gegen alle vom Kongreß beschlossenen Gesetze zubilligten, die Befugnis zur Auflösung eines der Häuser oder beider Häuser des Kongresses haben sie dem Präsidenten aber ebensowenig gegeben, wie dem Kongreß ein allgemeines Recht zur Absetzung des Präsidenten. Weder die zweijährige Amtszeit der Repräsentanten und die sechsjährige der Senatoren, noch die vierjährige der Präsidenten und die von seiner Be­ stimmung abhängige der Minister kann ohne Bruch der Ver­ fassung durch Vorgehen eines der unmittelbaren Staatsorgane gegen das andere verkürzt werden. Bei einem grundsätzlichen Zwiespalt zwischen Legislative und Exekutive besteht in der Union tatsächlich keine Lösungsmöglichkeit. Der Kongreß kann durch Erklärungen jede Amtshandlung des Präsidenten und seiner Sekretäre mißbilligen und der Präsident jedes Gesetz be­ anstanden, der Präsident braucht aber das Urteil der Häuser nicht zu beachten und der Kongreß kann jeden Einspruch des

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Präsidenten überstimmen. Die beiden großen Schwungräder der Staatsmaschine laufen dann ohne gegenseitige Verbindung ge­ trennt weiter. Ein Arbeitserfolg kann dann nicht mehr erzielt werden und die dauernde gegenseitige Reibung wird zu immer stärkeren Hemmungen, ja vielleicht zum völligen Stillstand führen. Diese Gefahr wird in der Staatspraxis der Union meist dadurch gebannt, daß in der Regel die Partei, welche den Präsidenten auf den Schild erhoben hat, auch die Herrschaft im Kongreß besitzt. Es ist dann eine Persönlichkeitsfrage, ob der Präsident seine Partei oder die Partei ihn in der Hand hat. Schwierig gestaltet sich die Vage, wenn der Präsident sich mit seiner eigenen Partei überwirft oder die Gegenpartei ans Ruder kommt. Während der vierjährigen Amtszeit des Präsidenten finden zweimal Wahlen zum Repräsentantenhaus statt und zweimal wird während dieser Zeit je ein Drittel der Senats­ mitglieder neu gewählt. Man kann vielleicht gerade im Hinblick auf die kurze zweijährige Amtsdauer des Repräsentantenhauses von einer periodischen Auflösung dieser Körperschaft sprechen. Ergeben die Wahlen während der Amtszeit eines Präsidenten eine ihm feindliche Kongreßmehrheit, so wird der Präsident in der Regel darin eine Mißbilligung seiner Politik durch das Volk zu sehen haben und die Lehre daraus für seine weitere Amts­ zeit ziehen müssen. Von der Auflösung eines „jungen" Par­ laments würde ein „alter" Präsident kein günstiges Ergebnis erwarten können. Aber auch dem „gleichaltrigen" Präsidenten versagt die Verfassung das Auflösungsrecht. Diese letzte starke Waffe haben die Schöpfer der Unionsverfassung der Exekutive vorenthalten, getreu, dem Leitsatz, keine der „drei Staatsgewalten" übermächtig werden zu lassen.

In Frankreich bestimmt das Verfassungsgesetz vom 25. Februar 1875 in Art. 5: Der Präsident der Republik kann mit Genehmigung des Senats die Deputiertenkammer vor der gesetzlichen Beendigung ihres Mandats auflösen. Es sollen in diesem Falle die Wahlkörperschaften für die Neuwahlen binnen drei Monaten zusammengerufen werden. Das Auflösungsrecht hatte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich stets zu den Rechten des Staats­ oberhauptes gehört, erst die Verfassung von 1848 gestand es dem Leiter der Exekutive nicht mehr zu. Sie bestimmte viel­ mehr: Jede Maßregel, durch welche der Präsident der Republik die Assemblee Nationale auflöst, ihre Sessionen vertagt oder ihrer Tätigkeit Hindernisse bereitet, ist Hochverrat. Durch diese Tatsache selbst wird der Präsident seines Amtes enthoben. Ferner war über die sofortige Einleitung eines Gerichtsver­ fahrens in einem solchen Falle Bestimmung getroffen. Trotzdem

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erfolgte die ungesetzliche Auflösung durch den Staatsstreich vom 2. Dezember 1851. Damals durchbrach der Präsident die Schranken der Verfassung und erlangte dadurch die Kaiserkrone. Der erste Präsident, der ein Vierteljahrhundert später von seinem verfassungsmäßigen Auflösungsrecht Gebrauch machte, er­ litt dabei eine so schwere Niederlage, daß keiner seiner Nach­ folger es seitdem erneut anzuwenden versucht hat. Schon von Haus aus birgt das Recht des französischen Präsidenten, die Deputiertenkammer aufzulösen, einen Wider­ spruch in sich. Um die Kammer auflösen zu können, müßte der Präsident ihr gleichstark gegenüber stehen und es dürfte ferner die Wirksamkeit seines Spruches nicht an die Zustimmung des Senates gebunden sein. Tatsächlich kann sich der Präsident aber nicht mit den Kammern messen. Redslob *) nennt als Gründe dafür, daß sich der Präsident in der Abhängigkeit der Kammern befindet: 1. die Wahl des Präsidenten durch die zur National­ versammlung vereinigten Kammern; 2. die Jurisdiktion der Kammern über den Präsidenten', 3. die Ausschaltung des Prä­ sidenten bei Verfassungsänderungen', 4. das Dogma der Volks­ souveränität und 5. die Tendenz der französischen Nation, die Macht der Exekutive zu schmälern. Die Bedeutung des ersten Grundes wurde bereits an früherer Stelle (s. oben S. 10) ge­ würdigt. Von der Wahl her bleibt „ein moralisches Band" zwischen dem Präsidenten und den Kammern. Einen selbst­ bewußten Präsidenten dürfte jedoch dieser Umstand allein nicht von der Auflösung abhalten. Der erste Grund gewinnt an Stärke aber durch die Verbindung mit dem an 4. Stelle genannten, daß nämlich das Volk der aus unmittelbaren Wahlen hervor­ gegangenen Deputiertenkammer höheren Einfluß zugebilligt als dem Präsidenten, der dem Volk schon durch die Art seiner Wahl ferner steht. Dem zweiten Grund legt Redslob selbst kein be­ sonderes Gewicht bei. Daß das Parlament in Frankreich die Ver­ fassung und damit auch die rechtliche Stellung des Präsidenten ohne dessen Mitwirkung beliebig ändern kann, zeigt allerdings, daß die gesetzgebende Gewalt in Frankreich der vollziehenden überlegen' ist. Doch könnte in diesem Zusammenhang streitig werden, ob nicht der Präsident gerade in der Auflösung der Deputiertenkammcr ein Mittel besitzt, einem solchen Vorhaben der Legislative zu begegnen. Der Grund schließlich, daß das Volk eine Beschränkung der Exekutivmacht wünsche, wird in Ver­ bindung mit dem Äuflösungsfall im Jahre 1877 zu würdigen sein. Von den ersten 4 Gründen bleibt also wesentlich zu beachten nur der nicht rechtliche, sondern politische, daß der Präsident vom ') Tie parlamentarische Regierung in ihrer wahren und in ihrer unechten Form. 1918. S. 115 ff;

93 Volke als weniger nahestehend angesehen werde, als die Depu­ tiertenkammer. In der Auflösungsfrage würde es aber schließlich von der Lage des Einzelfalles abhängen, ob das Volk im Prä­ sidenten oder im Parlament den wahren Vertreter seines Willens sieht. Es dürfte sonach aus diesen Gründen hervorgehen, daß die Stellung des Präsidenten schwächer ist als die der Kammern, die Behauptung der Unvollziehbarkeit einer Auflösung der Deputiertenkammer durch den Präsidenten ist aber weder durch die angeführten Einzclgründc, noch durch ihr Gesamtergebnis, die Überlegenheit der Legislative, voll erwiesen. Es wäre denkbar, daß in ruhigen Zeiten der Präsident hinter der Legislative zurück­ tritt, ihm aber doch in kritischer Stunde das Recht zum An­ rufen des Volkes zugebilligt würde. Besonders erschwert wird die Auflösungsmöglichkeit aber durch das Erfordernis der Zustimmung des Senats. Schon bei den Verfassungsbcratungen im Jahre 1875 wurde gegen diese Bedingung geltend gemacht, daß sie den Grundsätzen einer wahren parlamentarischen Regierung widerspreche. Der erste Präsident der dritten Republik, Mac Mahon, sprach aber damals in einer Botschaft an die Nationalversammlung selbst den Wunsch aus, es möge eine solche Bestimmung in die Verfassung ausgenommen werden, da er zögern würde, dieses äußerste Recht (der Auflösung) zu gebrauchen, wenn er sich dabei nicht gestützt fühle durch die Zu­ stimmung einer Assemblee moderatriec.1) In Wirklichkeit ist das Erfordernis der Senatszustimmung jedoch keine Stütze, sondern ein Hemmnis für das Vorgehen des Präsidenten. Ein Ruf des Vertreters der Republik, des Präsidenten, an das Volk könnte selbst dann, wenn es sich gegen die Kammer der Depu­ tierten wendet, Erfolg haben, falls cs dem Präsidenten in bcsonderen Fällen gelänge, die richtigen Saiten der französischen Volksseele anzuschlagen. Einem Vorgehen des Präsidenten im Bunde mit dem selbst erst aus mittelbaren Wahlen hervor­ gegangenen Senate gegen die unmittelbar vom Volk gewählte Deputiertenkammcr wird das Volk aber regelmäßig mit Miß­ trauen begegnen. Dazu kommt, daß die Teilnahme' des Senats als ein „Widerspruch in der Geometrie der parlamentarischen Regierung" bezeichnet werden kann.") Die Auflösung des Par­ laments oder besser des Volkshauscs im engeren Sinn bedeutet, daß eine Streitfrage dem Urteil des Souveräns unterbreitet wird. „Diesen Appell an das Volk von einem vorausgehenden Schiedsurteil einer anderen Instanz abhängig zu machen, ist ein Widerspruch, um so mehr, wenn dieses Schieds-

a. a.

'1 Esmcin, a. a. £. 2.427; aussichrlicber nach Radenac, Redslob, S. 124. 2) Redslob, a. a. O. S. 127.

94 urteil dem einen Zweig der Legislative übertragen wird, während der andere Partei ist."') Immerhin könnte man die Durchschlagskraft dieser systematischen Gründe anzweiseln und den Fall vorzeichncn, daß Prä­ sident und Senat dem Volk bei der Auflösung überzeugend dar­ legen könnten, daß die Deputierten irrten und dem Volkswohl schaden würden, wenn sie weiter im Besitz ihrer Mandate blieben. Der Glaube an eine solche Botschaft ist aber zu schwer erschüttert worden durch den einzigen Präzedenzfall einer Auflösung seit Be­ stehen der Verfassung von 1875, durch Mac Mahons Vorgehen im Jahre 1877. Hier dürften die tiefsten Wurzeln der Unfrucht­ barkeit des Auflösungsrechtes zu suchen sein. Das Ministerium Jules Simon hatte damals entsprechend dem Wunsche der republikanischen Mehrheit der Deputierten­ kammer Maßnahmen gegen die Bewegung für die Wiederher­ stellung des Kirchenstaats ergriffen. Der Präsident, selbst Gegner der republikanischen Partei und bestärkt von den Royalisten, benutzte eine Schlappe des Ministeriums bei einer Abstimmung in der Deputiertenkammer, um Jules Simon zum Rücktritt zu veranlassen und ein Kabinett der Rechten mit dem Herzog von Broglie als Ministerpräsidenten zu berufen. Die Mehrheit der Deputicrtenkammcr hatte ausdrücklich hervorgehoben, nur einem republikanischen Ministerium ihr Vertrauen schenken zu wollen, aber Mac Mahon erklärte, der Weg der Republikaner führe zur Desorganisation und Erniedrigung Frankreichs, er habe daher, Ivie es sein verfassungsmäßiges Recht sei, Ratgeber gewählt, die über diesen Punkt dächten wie et.*2) Zunächst vertagte der Prä­ sident die Deputiertenkammer für einen Monat und verfügte nach Zustimmung des Senats, in dem noch die alten Parteien herrschten, ihre Auflösung. Aus den Neuwahlen ging aber die gleiche republikanische Kammermchrheit hervor, die nun das Ministerium de Broglie durch ihr Mißtrauensvotum zum Rück­ tritt zwang und sich 'weigerte, mit dem darauf von Mac Mahon ernannten,' wiederum antirepublikanischen Ministerium de Rochebouöt in Verbindung zu treten. Das Budget drohte zu scheitern, da schwenkte der Senat um und warnte den Präsidenten vor einem Gewaltstreich, dem der Senat selbst die Garnison von Ver­ sailles entgcgenstellen würde. Da gab Mac Mahon den Kampf auf und veranlaßte die Bildung eines Kabinetts der Linken. So unterlag der erste Präsident der Republik von 1875, obwohl seine Stellung in der Begründung durch die verfassunggebende Nationalversammlung, die sowohl den Präsidenten wie die Kammern in ihr Amt eingesetzt hatte, eine starke Stütze besaß. 9 Redslob a. a. £. S. 127. 2) Zitate nach Chanlaire, bei Redslob a. a. O. S. 129.

95 Seitdem hat man in Frankreich „die Auflösung mit einem Staatsstreich identifiziert, man hat vergessen, daß ste ein gesetz­ liches Werkzeug ist".1) Mac Mahon hatte es zu einem Versuche gebraucht, mit Hilfe des volksfernen Senats seine persönliche Politik zum Siege zu führen und noch, nachdem das Volk gegen ihn entschieden hatte, durch ein gegen den Mehrheitswillen zu­ stande gekommenes Ministerium den Kampf fortgesetzt. Diese Ereignisse des Jahres 1877 haben in Verbindung mit der Tat­ sache der Präsidentenwahl durch die Kammern und der Not­ wendigkeit der Scnatszustimmung zur Auflösung der Depu­ tiertenkammer Mac Mahons Nachfolgern den Gebrauch des Auf­ lösungsrechtes so gut wie unmöglich gemacht. Dem deutschen Reichspräsidenten ist in Artikel 25 der Reichsverfassung das Recht, den Reichstag aufzulösen, zugebilligt. Aus dem gleichen Anlaß darf er es nur einmal tun. Die Neu­ wahl muß spätestens am 60. Tage nach der Auflösung stattfinden. Im Kaiserreich war gemäß Artikel 24, Satz 2 der Verfassung vom 16. April 1871 zur Reichstagsauflösung ein Beschluß des Bundesrats unter Zustimmung des Kaisers erforderlich. Bei den Beratungen im Verfassungsausschuß wurde auf der einen Seite beantragt, den Reichspräsidenten bei der Auflösung von der Zu­ stimmung 2) oder einem Antrag"') des Reichsministeriums ab­ hängig zu machen, auf der anderen wünschte man, den Auflösungs­ erlaß des Reichspräsidenten von dem Erfordernis der Gegen­ zeichnung zu befreien?) Die dahinzielenden Anträge wurden sämtlich abgelehnt5) und die Fassung des Regierungsentwurfs ini Verfassungsausschuß wie im Plenum der Nationalversammlung aufrecht erhalten. Die Entscheidung darüber, ob bei einer wiederholten Auf­ lösung der gleiche oder ein neuer Anlaß vorliegt, wird im Zweifclsfalle vom Staatsgerichtshof auf Anklage des neugcwählten Reichstags gegen den Reichspräsidenten zu entscheiden sein.") Jedenfalls wird der Auflösungserlaß des Reichspräsi­ denten zunächst als rechtswirksam angesehen werden müssen, der alte Reichstag kann nicht eine seiner Ansicht nach verfassungswidrigc Auflösung unberücksichtigt lassen und weiter tagen?)

0 Redslob, a. a. O. S. 132. 2) Antrag Bader u. Gen., Nr. 78. Prot. d. 8. Aussch. S. 251. '"i Antrag Cohn, Nr. 81, Zifs. 5. Prot. d. 8. Aussch. S. 251. 4) Antrag v. Delbrück, Nr. 103. Prot. d. 8. Aussch. S. 233. Antrag Ablaß, Nr. 124. Prot. d. 8. Aussch. S. 233, 290. 5) Prot. d. 8. Aussch. S. 254, 291; ebenso wurde bei der 2. Lesung im Plenum ein Antrag Agnes, Nr. 428, statt „Reichspräsident" in Art. 25 „Reichsregierung" zu setzen, abgelehnt. Sten. Ber. d. N.V. S. 1281. °) Poetzsch, a. a. O. S. 77, Anm. 3 zu Art. 25. 7) Anschütz, Komm. S. 79, Anm. 4 zu Art 25. Anderer An­ sicht. Giese, a. a. O. S. 105, Anm. 4 zu Art. 25.

96 Ähnlich wie bei der Anordnung des Volksentscheids können auch bei der Reichstagsauflösung Fälle vorlicgen, in denen das Ministerium, obwohl es von dem Vertrauen der Reichstagsmehrheit getragen ist, die Auflösung selbst fordert oder den Auflösungsplan des Reichspräsidenten billigt. Hier bietet die Gegenzeichnung bei der Auflösung keine Schwierigkeit. Das Volt hat sich dann bei den Wahlen für die Politik des alten Reichstags oder für die Politik des Reichspräsidenten und seiner Minister zu entscheiden. Stellt sich aber das Ministerium auf die Seite des Reichstags, so entsteht die Frage, von wem der Reichs­ präsident die Gegenzeichnung vornehmen lassen soll. In der Literatur findet sich die Ansicht vertreten, daß dann die Auflösung nicht erfolgen könne. So behauptet Giesex), eine Auflösung des Reichstags sei nur möglich, nachdem der Reichskanzler oder der zuständige Minister bei der Abstimmung im Reichstage in der Minderheit geblieben sei. In ähnlichem Sinne führt An­ schütz 2) aus, daß der Reichspräsident die zur Zeit im Amte be­ findliche Reichsrcgierung, vor allem den Reichskanzler, auf seiner Seite haben müsse, um die Auflösung ausführen zu können. Bei einer Verweigerung der Gegenzeichnung könne er die Minister zwar entlassen, aber gemäß Art. 54 nur ein Mehrheitsministerium berufen, was in der Regel einen Verzicht auf die Auflösung be­ deuten wird. Von derselben Auffassung geht E. Kaufmann 3) aus, wenn er als Grund für die Forderung, den Reichspräsidenten bei der Reichstagsauflösung von der Gegenzeichnung des Ministers unabhängig zu machen, angibt, daß sonst ein aus der Reichstagsmehrheit gebildetes Ministerium durch Verweigerung der Gegenzeichnung den Präsidenten hindern könnte, die Auf­ lösung anzuordnen'. Die Schöpfer der Verfassung haben diese Ansicht nicht ge­ teilt. Der damalige Reichsministcr des Innern, Preuß, hat als Rcgierungsvertreter bei den Verfassungsberatungen mit Bezug auf die vorliegende Frage wiederholt eingehend dargelegt4) und mehrere Mitglieder des Verfassungsausschusses haben ausdrück­ lich daran angeknüpft5), daß nicht die Gegenzeichnung des ur­ sprünglichen Mehrheitsministeriums erforderlich sei, sondern der Reichspräsident ein Ministerium der Minderheit bilden könne und müsse, wenn er die Auflösung für er­ forderlich halte, das bisherige Ministerium aber die Gegen-

9 a. et. £. S. 105, Anm. 3 zu Art. 25. 2) Komm. S. 79, Anm. 3 zu Art. 25. 3) Grundfragen d. künftigen Reichsverf. 1919. S. 22. 4) Prot. d. 8. Aussch. S. 237, 252 f. Vgl. Hubrich, a. a. O. S. 63, Anm. 9 zu Kap. III § 2. 5) Ablaß, Prot. d. 8. Aussch. S. 233. v. Delbrück, Prot. d. 8. Aussch. S. 252.

97 Zeichnung verweigere. Es sollte also die Auflösung durchaus nicht auf die Fälle beschränkt bleiben, wo Reichspräsident und Mehrheitsministerium verbündet dem Reichstag gegenüberstehen. Als Hauptgrund dafür, den Auflösungserlaß nicht von der Gegenzeichnung auszunehmen, machte Preuß geltend, es müsse vermieden werden, daß die Person des Reichspräsidenten in einer Frage von so entscheidender Bedeutung für die Gesamtrichtung der Politik ganz isoliert und ausschließlich einer Volksabstimmung gegenübergestcllt werde. Unternehme der Präsident die Auf­ lösung ohne Verbindung mit einem verantwortlichen Ministe­ rium, so würde gerade bei Krisen die Frage: persönliches Regiment oder verfassungsmäßiges Regiment? aufgerollt. Fielen dann die Neuwahlen im Sinne des Reichstages aus, so wäre der Reichspräsident tatsächlich abgesetzt. Seine Stärke liege aber gerade darin, daß er immer in der Reserve bleibe. Eine Beseitigung der Gegenzeichnung würde also eine Verstärkung der Krise oder eine Schwächung der Stellung des Reichs­ präsidenten bedeuten?) An anderer Stelle führte Preuß aus, daß die Reichstagsauflösung den Versuch des Reichspräsidenten bedeute, durch die Neuwahlen aus der Parlamentsmehrheit eine Minderheit zu machen und aus der bisherigen Minderheit eine Mehrheit. Zu diesem Schritte müsse er daher folgerichtig die verantwortlichen Staatsmänner aus der Minderheit berufen. Der Reichspräsident soll das Volk zum Schiedsrichter anrufen, jedoch nicht zur Entscheidung zwischen seiner persönlichen Politik und der Politik des Reichstags, sondern zwischen dem Ministe­ rium, das die Auflösung ablehnt, und dem Ministerium, das die Verantwortung dafür übernimmt. Die Auflösung selbst ist so gedacht, daß der Reichspräsident zunächst das Mehrheitsministerium entläßt und ein neues Müüsterium beruft. Dieses erscheint vor dem Reichstag und verliest den Auflösungserlaß oder stellt ihn dem Reichstags­ präsidenten schriftlich zu. Von diesem Zeitpunkte an besteht der Reichstag nicht mehr, er kann daher auch dem neuen Ministerium nicht das Mißtrauen aussprechen und seinen Rücktritt erzwingen. Es erscheint fraglich, ob ein solches Vorgehen mit Art. 54 der Reichsverfassung zu vereinbaren ist, der in Satz 1 bestimmt, daß der Reichskanzler und die Reichsminister zu ihrer Amts­ führung des Vertrauens des Reichstages bedürfen?) Danach müssen Reichskanzler und Reichsminister dieses Vertrauen haben, d. h. erwerben und erhalten/') Für die Handhabung dieser Vorschrift ist der zweite Satz des Art. 54 maßgebend, wost Prot. d. 8. Aussch. S. 252. 2) Bejahend Lukas, a. a. O. S. 33, Sinnt. 98. 3) Poetzsch, a. a. O. S. 106, Sinnt. 1 zu Art. 54.

98 nach jeder Minister wie der Reichskanzler selbst zurücktreten muß, wenn ihnen der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß sein 93er-trauen entzieht. Zur Amtsführung der Minister ist also nicht eine besondere Vertrauenserklärung der Reichstagsmehrhcit er­ forderlich, vielmehr kann ein Ministerium auch dann, wenn cs bei einer Abstimmung kein Vertrauensvotum von der Reichstags­ mehrheit zu erwarten hätte, so lange im Amte bleiben, bis es durch ein ausdrückliches Mißtrauensvotum des Reichstags zum Rücktritt gezwungen wird?) Eine solche Mißtrauenserklärung kann dem Auflösungsministerium aber nach dem geschilderten Gang der Auflösung nicht erteilt werden. Es ist also festzuhaltcn, daß die Schöpfer der Verfassung den Reichspräsidenten ausdrücklich nicht an das Einverständnis des alten Mehrheitsministeriums binden wollten und daß der Wortlaut der Verfassung eine Gegenzeichnung des Auflösungs­ erlasses auch durch ein Minderheitsministerium nicht ausschließt?) Wollte man die Auflösung auf die Fälle beschränken, in denen das Mehrheitsministerium sein Einverständnis gibt, so könnte ein Reichstag, der regelmäßig bei einem Zwiespalt mit dem Ministe­ rium schnell genüg mit einem Mißtrauensvotum vorginge, er­ reichen, daß immer nur ein Mehrheitsministerium im Amte sein könnte und damit die Ausübung des Auflösungsrcchtes durch den Reichspräsidenten überhaupt unmöglich würde' Eine Erschwerung der Auflösung durch das Erfordernis der Zustimmung anderer Körperschaften, z. B. des Reichsrats, kennt die Reichsverfassung nicht/') Ebensowenig ist der Reichspräsident durch einen verhängnisvollen Präzedenzfall oder durch Ab­ hängigkeit seiner Stellung von dem Reichstag in der Ausübung seines Rechtes behindert.

Während demnach in den Vereinigten Staaten bei einem Widerstreit der obersten Staatsorgane die Verfassung kein Mittel zum Ausgleich gibt und Frankreichs Präsidenten ihr verfassungs­ mäßiges Auflösungsreeht seit 1877 dem übermächtigen Parlament gegenüber nicht mehr ausüben konnten, ist dem deutschen Reichs­ präsidenten das Recht und die Pflicht gegeben, bei schweren Konflikten „von dem Gewählten an die Wähler zu appellieren"4* )2 3 und vom Volke selbst den Einklang zwischen Legislative und Exekutive wiederherstcllen zu lasten.'

? 2) 3) *)

S. S. 97. Anm. 3, Vgl. Poehsch, a. a. O. ä. 102, Anm. 2 zu Art. 50. Vgl. Preus;, Sten. Ber. d. N. V., S. 450. Preuß, Sten. Ber. d. N. V. S. 291.

Zusammenfassung. Die Betrachtungen über das Verhältnis von Präsident und Parlament lassen uns eine Erscheinung beobachten, die auch dem staatsrechtlichen Gesamtbild der einzelnen Präsidenten seine bestimmte Prägung gibt. Die Verfassungen der nordamerikanischen Union, Frankreichs und Deutschlands geben von den grundlegenden Gedanken der republikanischen StaatsformJ) je einem verschiedenen die Hauptbetonung: die Verfassung der Vereinigten Staaten der Lehre von der Trennung der Gewalten, die französischen Vcrfassungsgcsetze dem Gedanken der Repräsen­ tation, der Vertretung des Volkes durch bestimmte Körperschaften, und die deutsche Reichsverfassung dem Leitsatz von der Volks­ souveränität.

An der Spitze des Art. 1 der Unionsverfassung steht der Satz: Alle in dieser Verfassung verliehenen gesetzgeberischen Ge­ walten sollen einem Kongreß der Vereinigten Staaten anver­ traut werden, Art. 2 wird eingeleitet mit den Worten: Die Exekutivgewalt soll einem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zustehen, und Art. 3 regelt die Gerichtsgewalt. Auf einer — nur dem Namen nach indirekten — Wahl durch das Volk ist die Stellung des nordamerikanischen Präsidenten begründet. Persönliche Vorrechte gegenüber anderen amerikanischen Bürgern sind ihm nicht zugebilligt, das Amt als solches gibt ihm Rang und Macht. Nur bei schweren Vergehen kann er zur Verant­ wortung gezogen werden. Die Unabhängigkeit in der Ausübung der zahlreichen Rcgierungsbefugnisse des Präsidenten ist gesichert durch das Recht der selbständigen Ernennung seiner Minister, die nur ihm Rechenschaft schuldig sind. Getrennt von dem Prä­ sidenten und seinen Ministern verhandelt das Parlament, „ein Rcgierungstisch ist weder im Senat noch im Repräsentanten­ haus".^) Den vom Kongreß geschaffenen Gesetzen kann der Prä­ sident das Bollwerk seines Einspruchs entgegenstellen, der Kon­ greß kann es niederreißen. Ein ständiger Wechselverkehr zwischen Präsident und Kongreß besteht nicht, und so „sind Exekutive und Gesetzgebung von gemeinsamer Mitwirkung und gegenseitigem Vertrauen in einer Weise ausgeschlossen, wie cs in keinem anderen modernen Regierungssystem zu finden ist"?) Die Staats­

ei Vgl. Hübner a. a. O. S. 20 ff. 2) H. Münsterberg, Die Amerikaner. 2 Bde. 1912. Bd. I, S. 145. 3) $8. Wilson, Der Staat. S. 411.

100 gefoulten stehen nebeneinander, jeder sind genau begrenzte Tätigkeitsgebiete zugefoiesen, nur eine gegenseitige Kontrolle ist gesichert. Keine der Gewalten kann von sich behaupten, daß in ihr ausschließlich oder überwiegend der Volkswille verkörpert sei. Auch das Volk selbst kann die verfassungsmäßige Amtszeit der einzelnen Unionsorgane nicht verkürzen. Sein unmittelbarer Einfluß auf die Gesetzgebung und die öffentlichen Angelegenheiten überhaupt beschränkt sich auf die Ausübung des Wahlrechts.

Die Geschichte der Union im 19. und 20. Jahrhundert hat gezeigt, daß dieses auf der Grundlage der Gefoaltentrennung auf­ gebaute „System der Hemmungen und Gleichgewichte" (system t ehecks and balanees) *), bei dem die Gedanken der Repräsentation und der Volkssouveränität zurücktreten, die Bil­ dung und Erhaltung einer festen Exekutive trotz des häufigen Wechsels des Staatsoberhauptes ermöglicht. Wesentlich beige­ tragen hat zur Festigung der Präsidentenstellung, daß die ersten Präsidenten der Union Persönlichkeiten waren, die von ihren verfassungsmäßigen Rechten würdig und geschickt Gebrauch zu machen wußten. Schwere Schäden traten dann auf, als seit etwa 1830 die Präsidentschaft in das Getriebe der Parteimaschine ge­ riet. Seitdem herrscht das Beutesystem, die Ämter „rotieren" je nach dem Ausfall der Präsidentenwahl und für die Präsident­ schaftskandidatur selbst gilt nicht „die natürliche Auslese des par­ lamentarischen Systems", sondern die „künstliche Auslese" durch die Parteikonvente. Darin von allem findet Bryce*2)3 die Ant­ wort für die von ihm gestellte Frage: Warum große Männer nicht zu Präsidenten gewählt werden? Und doch ist die Macht der Präsidenten in dauerndem Steigen. In ihm sieht man „das einheitliche Symbol des gesamten Volkswillens gegenüber der zersplitterten, von Sonderinteressen beeinflußten Kongreßmehr­ heit. Die moralische Macht ist deshalb auf seiner Seite. Er ist der wahre Wille des Volkes, sein Beto ist das Gewissen des Landes"?) In größerem Zusammenhang stellt Kjellön4) die Stellung des amerikanischen Präsidenten: Immer bedeutender, je mehr die soziale Übermacht der Truste eine Überwachung von feiten des Staates hervorgcrufen und ferner die auswärtigen Großmachtsaufgaben ein starkes Bundesorgan gegenüber den Interessen der Einzelstaaten erforderlich gemacht haben (Kali­ fornien gegen Japan). In der Gewalt des Präsidenten besitzt die Union also eine rein monarchische Einrichtung von ständig wachsender Bedeutung als Gegengewicht gegen die zügellose

ü 2) 3) *j

Bgt. Bryce, a. a. £. T. S. 400. a. a. O. I. S. 78 f. Münsterberg, a. a. O. I. S. 145. Die Großmächte und die Weltkrise.

1921.

S. 124.

101

Demokratie und zur Stärkung des öffentlichen Lebens im all­ gemeinen.

Das französische Verfassungsgesetz vom 25. April 1874 sagt im Art. 1: Die gesetzgebende Gewalt wird durch zwei Versamm­ lungen ausgeübt, die Kammer der Deputierten und den Senat. In Art. 2 folgt die Bestimmung über die Präsidentenwahl durch die zur Nationalversammlung vereinten Kammern und daran schließt sich eine Aufzählung der einzelnen Befugnisse des Prä­ sidenten. Die Mitglieder der Kammer als die Vertreter des Willens der Nation stellen den Mann an die Spitze der Republik, dem sie das Vertrauen schenken, daß er die Staatsgeschäfte unter sorgfältiger Beachtung der Grenzen seiner Macht führen wird. Dieser „Geburtsfehler" der französischen Präsidentschaft kann durch die Fülle der Einzelrcchte nicht ausgewogen werden. Mit Ehrenrechten ist der französische Chef de l’Etat reicher bedacht als andere republikanische Staatshäupter, desto beschränkter ist sein Wirkungskreis als Chef dn gouvernement, „il a assez de pouvoii's: C’est le pouvoir qui lui inanque".1) Gerade feine linverantwortlichkeit wird zum Hemmnis für die Freiheit seiner Entschlüsse und seines Handelns. Der Präsident der Republik vertritt Frankreich gegenüber fremden Staaten; er ist Ober­ befehlshaber der Armee und steht über den gesamten Beamten Frankreichs. Er besitzt die Verordnungsgewalt und das von keiner einzelstaatlichen Zuständigkeit beschränkte Recht der Be­ gnadigung. Doch kein einziges dieser Rechte kann der Präsident ausüben ohire das Einverständnis seiner Minister, die nicht er frei erwählt, sondern die das allmächtige Parlament ihm gibt und nimmt. „Unter allen Befugnissen, die ihm zugeteilt scheinen, ist nur ein einziges, das er frei und persönlich ausüben kann, das ist der Vorsitz bei den nationalen Festlichkeiten." 2) Die Ver­ bindung mit den Kammern besteht durch die Minister. Jeder von der Regierung cingebrachte Gesetzentwurf ist ein Acte presidentiel, aber die Kammern entscheiden allein und endgültig über sein Schicksal wie über die Regierung selbst. Die Verfassung gibt dem Präsidenten das Recht des „Veto" und das Recht der Auflösung, doch „sie sind zum toten Buchstaben geworden".") Die Kammern können andererseits jederzeit eine Verfassungs­ änderung beschließen, als souveräne Nationalversammlung zu­ sammentreten und die Stellung des Präsidenten beliebig ver­ ändern, ja sogar die Präsidentschaft überhaupt beseitigen. Es besteht keine starre Gewaltenteilung, aber auch kein Gleich­ öl Barthslemy, a. a. O.

S. 731.

2) Expräsident Casimir Psrier im Temps 22. 5. 05; zit. bei Dnguit a. a. £?. TL S. 450. :1) Dnguit, «. a. C. I. S. 421.

102

gewicht der Gewalten. Vor allem hat die französische Verfassung keine Verbindungslinien zwischen Präsident und Volk gezogen. Das Volk selbst erhebt seine Stimme nur in bestimmten langen Zeitabständen bei den Wahlen zur Deputiertenkammer und begibt sich danach unter die Herrschaft der Kammcrmehrheit?) Die geschichtliche Entwicklung hat in Frankreich die ver­ fassungsrechtlichen Schwächen der Prästdentenstellung nicht aus­ geglichen, sondern immer schärfer hervortreten lassen. Die Mehr­ heit der 1871 zusammengetretenen verfassunggebenden National­ versammlung war monarchistisch gesinnt gewesen und hatte die Stellung des Staatshauptcs nach Möglichkeit auf einen Monarchen zugeschnitten. In der Tat hätte die Einsetzung eines Monarchen das stärkste Hemmnis einer festen Präsidentengewalt, die regelmäßige Wahl durch die Nationalversammlung, beseitigt, und durch das Ansehen einer Krone wäre bei klugem Gebrauch der zahlreichen Einzelrechte die Herstellung des Gleichgewichts zwischen Exekutive und Legislative wohl möglich gewesen. Nach 1877 mußte aber die Hoffnung auf Wiedererrichtung der Mo­ narchie für absehbare Zeit aufgegeben werden. Gleichzeitig ließ das Ungeschick der ersten Präsidenten selbst die verfassungs­ mäßigen Präsidentenrechte verkümmern. Die Kammern er­ schienen als die Hüter der Volksrechte, dagegen wurde jedes Ein­ greifen der Präsidenten als eine Gefahr für den Bestand der Republik betrachtet. Das Parlament machte von seinem Rechte, die Minister zur Verantwortung zu ziehen, im reichsten Maße ungehindert Gebrauch, das verfassungsmäßige Präsidentenrecht der Kammerauflösung aber vermochte kein Präsident nach Mac Mahon mehr praktisch auszuüben. Von den beiden Voraus­ setzungen des parlamentarischen Systems: Abhängigkeit des Ministeriums vom Vertrauen des Parlaments und Möglichkeit der Parlamentsauflösung durch das Staatshaupt, ist danach in Frankreich nur noch die eine wirksam. So ist Frankreich das Musterbeispiel eines Landes mit „Parlamentarismus in seiner unechten Form" geworden?) Das übermächtige Parlament hat schon mehrfach selbst die verfassungs­ mäßige Unverletzlichkeit dcS Präsidenten nicht geachtet und den vorzeitigen Amtsverzicht der Präsidenten Mac Mahon, Grevy und Casimir Pärier erzwungen. „Der Präsident der Republik" sagt Duguit3), „wird in der Tat nicht mehr betrachtet als ein

0 Vgl. Rousseaus, Kampf gegen den Gedanken der Repräsen­ tation. Contra! social, Buch III, Kap. 14. 2) Vgl. Duguit, a; a. O. II. S. 428: „Voilä, Comment nous ne pratiquons qu’un pseudo-regime parlementarire, puisqu’il manque un condition essentielle, l’exercice du droit de dissolution" und Redlobs Buch: Die parlamentarische Regierung in ihrer wahren und in ihrer unechten Form. a. a. O. I. S. 421.

103 Organ, das den nationalen Willen verkörpert gleich dem Parla­ ment, sondern als un simple agent executif, un simple commis du parlement. Wir leben unter einer Art oligarchischer Herrschaft, wo die Allgewalt einer Gruppe von Politikern gehört, die nicht einmal die zahlenmäßige Mehrheit oer Wählerschaft verkörpert." Allerdings ist in Frankreich mehrfach in den Parlamenten, in der Literatur und der Tagespresse die Forderung nach einer Verfassungsänderung im Sinne einer Stärkung der Präsidenten­ gewalt ausgesprochen worden. Im Jahre 1888 forderte Bou­ langer ohne Erfolg die Einführung eines absoluten Veto, in den 90 er Jahren verlangten Gaste und Hubert vergeblich die Volks­ wahl. Eine Mittellinie halten neuere Vorschläge ein, die eine bedeutende Erweiterung des Wahlkörpers bei der Präsidenten­ wahl vorsehen, ferner den Präsidenten bei dem Verlangen einer zweiten Gesetzesberatung von der Gegenzeichnung befreien und ein Überstimmen seines Einspruchs nur durch eine qualifizierte Mehr­ heit zulassen wollen?) In ähnlichem Sinne hat sich der jetzige Präsident Millerand selbst in einer Erklärung, die er unmittelbar vor seiner Wahl abgab, geäußert. Er nahm dabei Bezug auf eine Rede vom 7. November 1919, in der er hervorgehoben hatte, daß das Parlament sich mehr und mehr die Rechte der Exekutivgewalt angeeignet habe. Ihre Verantwortlichkeit ver­ schwinde an dem Tage, an dem sie sich begnüge, das zu tun, was man ihr unter kaum verhüllten Drohungen ins Ohr flüsterte. Mit diesem System müsse schnellstens gebrochen werden. Der Präsident werde heute von den 900 Mitgliedern des Parlaments gewählt. Er sei aber nicht der Syndikus der Parlamentarier, sondern der erste Vertreter der Republik. Deshalb dürften seine Wähler nicht nur im Senat und in der Kammer sitzen. Der Wählerkreis müsse vergrößert werden. Wie weit die Wünsche nach einer Verfassungsänderung in dieser Richtung Wirklichkeit werden, steht noch dahin, da die' Kammern ängstlich über ihre Rechte wachen und weite Kreise befürchten, durch eine starke Präsident­ schaft könnten die Grundlagen des republikanischen Staatswesens erschüttert werden. „Oeuvre" schrieb am 22. 9. 20: „Es ist sicher, daß heute fast alle Republikaner sich darin einig sind, die Ver­ fassungsrevision zu wollen. Aber natürlich, wenn wir eine Revision der monarchischen Verfassung von 1875 beabsichtigen, so tun wir das, um sie demokratischer und nicht, um sie monar­ chischer zu machen."

Den Schöpfern der deutschen Reichsverfassung bot sich für die Gestaltung der obersten Reichsorgane nach Ablehnung des *) Bcnoist, Rvchc, Bompv.rd, vgl. Barthölemy, a. a. O. S. 728 ff.

schweizerischen Direktorialsystems die Wahl zwischen dem ame­ rikanischen und dem französischen Präsidentschaftssystem. Sie prüften die verfassungsrechtlichen Grundlagen und die praktischen Auswirkungen beider Formen. Von der Aufnahme des dua­ listischen Systems Nordamerikas schreckten die dort aufgetretenen Folgen, das Bcutcsystem und die „geistige Verarmung und poli­ tische Verödung der Volksvertretungen" ’) ab. Ein ähnliches System scharfer Gewaltentrennung hatte bis zum 28. Oktober 1918 in Deutschland geherrscht. Der Schöpfer des Verfassungs­ entwurfs der Regierung sah keinen Fortschritt darin, „den alten Dualismus nur mit veränderter Spitze" wieder herzustellen?) So fiel die Entscheidung für das parlamentarische System. Es wurde der Grundsatz der Gegenzeichnung für alle Amtshand­ lungen des Reichspräsidenten durch die zuständigen Minister und die Abhängigkeit dieser Minister von dem Vertrauen des Par­ laments in der Verfassung festgelegt. Da man aber das par­ lamentarische System in seiner echten Form einzuführen wünschte, nicht den „unechten Parlamentarismus" Frankreichs mit einem allmächtigen Parlament, wurde die unmittelbare Wahl des Prä­ sidenten durch das Volk, durch Plebiszit, vorgesehen. Es wurde also das plebiszitäre Moment des amerikanischen mit dem par­ lamentarischen Moment des französischen Systems verbunden und eine Präsidentschaft eingerichtet, die plebiszitär u n d par­ lamentarisch ist. Die in der Union festgestellte scharfe Gewaltentrennung ist vermieden durch die Einsetzung eines vom Vertrauen des Par­ laments abhängigen Ministeriums. Dieses bildet das „bewegliche Bindeglied" T) zwischen den beiden unmittelbaren Staatsorganen: Präsident und Reichstag. Andererseits ist eine einseitige Über­ spannung des Repräsentationsgcdankens zugunsten des Parlanients, wie sic in Frankreich hervortritt, durch die Volkswahl des Präsidenten vermieden worden. Die staatsrechtliche Stellung des deutschen Reichspräsidenten mußte damit schwächer werden als die des nordamerikanischen Präsidenten, gleichzeitig wurden aber auch der Macht des Reichstages engere Schranken gesetzt, als sie für die französischen Kanunern bestehen. Von dem primären Staatsorgane, der Gesamtheit der wahlberechtigten Staatsbürger, werden die beiden höchsten sekundären Staatsorgane eingesetzt und Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen über die Gesamt­ richtung der Politik wie über einzelne Gesetze gleichfalls vom Volke entschieden. Von den Grundgedanken der Republik hat sonach im Deutschen Reiche der Gedanke der Volkssouveränität die stärkste Ausprägung erfahren. 9 Preuß, Denkschrift zum Berfassungsentwurs in der Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Preuß. Staatsanzeiger v. 20. Jan. 1919.

105 Als die Hauptmerkmale der Stellung des deutschen Reichs­ präsidenten treten in diesem verfassungsrechtlichen Rahmen her­ vor: die Wahl durch das Volk, die Notwendigkeit der Zusammen­ arbeit mit einem Politisch selbständig verantwortlichen Ministe­ rium, das Recht und die Pflicht der Volksbefragung bei einem Zwiespalt mit dem Reichstag. Es bleibt zu untersuchen, ob cs auf dieser Grundlage in Verbindung mit den Einzelbestimmungen über die rechtliche Stellung des deutschen Reichspräsidenten ge­ lungen ist, die in der Denkschrift von Preuß, wie später von ver­ schiedenen Seiten bei den Verfassungsberatungen im Ausschuß und im Plenum ausgesprochene Absicht zu verwirklichen: im Reichspräsidenten ein dem Reichstag wesentlich ebenbürtiges höch­ stes Staatsorgan zu schaffen und damit ein Gleichgewicht der Ge­ walten als Voraussetzung eines echten Parlamentarismus herzu­ stellen. Eine Unterlage dafür ist in der Wahl des Reichs­ präsidenten durch das ganze Volk gegeben. Dieses Merkmal der plebiszitären Präsidentschaft betrifft aber zunächst nur die Amts­ besetzung. Wollte man diesem Moment eine während der ganzen Amtszeit fortdauernde Bedeutung sichern, so mußte bei der Auf­ nahme des Merkmals des parlamentarischen Systems, das die Handhabung der Rechte des Präsidenten in ihrem ganzen Um­ fange berührt, darauf geachtet werden, das in der Bestellung beider Organe ursprünglich geschaffene Gleickmcwicht nicht wieder zu verlieren. Eine Unterlassung bedeutet es unter diesem Ge­ sichtspunkt, daß die Verfassung dem Präsidenten nicht grundsätzlich die Exekutivgewalt überträgt. Während die Unionsverfassung eindeutig ausspricht: Die Exekutivgewalt soll einem Präsidenten zustehen, und das französische Verfassungsgesetz vom 25. Februar 1875 in Art. 3 bestimmt: Der Präsident überwacht die Gesetze und sichert die Ausführung, wird die Zuständigkeit des deutschen Reichspräsidenten durch Aufzählung der einzelnen Regierungs­ rechte festgelegt, wie in der Reichsverfassung von 1871 das kaiser­ liche Machtbereich. Dort ließ sich diese Erscheinung'mit der Ent­ wicklung der Verfassung aus einem Abkommen über allgemeine staatliche, wirtschaftliche und militärische Beziehungen souveräner Staaten erklären. Unter der Verfassung von 1871 wuchsen die Einzelstaaten dann zusammen zum Reich, so daß die neue Ver­ fassung zwar die Trennung der Rechtssätze über die Reichsorgane von den Bestimmungen über die Hauptgebietc staatlicher Tätig­ keit beibehielt, in den einzelnen Abschnitten aber zumeist eine all­ gemeinere und umfassendere Regelung treffen konnte, als zur Zeit der Reichsgründung möglich war. Die Verfassung vom 11. August 1919 stellt im ersten Artikel den Satz auf: Die Staatsgewalt geht vom Volke aus, und bestimmt in Art. 5, daß die Staatsgewalt in Reichsangelegen­ heiten durch die Organe des Reiches auf Grund der Reichsver-

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fassung ausgeübt wird. Der 2. Abschnitt (Art. 20 ff.) ist dem Reichstag, der 3. (Art. 41 ff.) dem Reichspräsidenten und der Reichsregierung gewidmet. Die allgemeine Zuständigkeit des Reichstags ist im 5. Abschnitt „Gesetzgebung" in Art. 68, Abs. 2 durch die Worte: Die Reichsgesetze werden vom Reichstag be­ schlossen, zum Ausdruck gebracht. Eine ähnliche allgemeine Be­ stimmung der Zuständigkeit des Reichspräsident findet sich in der Verfasiung nicht. In diesem Punkte steht die von ihr getroffene Regelung auch hinter der Einzclaufzählung der kaiserlichen Be­ fugnisse in der Verfasiung von 1871 zurück. Wenn man dort den Bundespräsidenten auch nicht allgemein als Träger der vollziehen­ den Gewalt bezeichnet hatte, so war ihm doch in den einzelnen Abschnitten regelmäßig die Stellung als Haupt der Exekutive cingeräumt?) Von diesen verstreut aufgeführten.Kaiserrechten ist in die neue Verfassung nur die Bestimmung über den militä­ rischen Oberbefehl und die Erklärung des Ausnahmezustandes ausgenommen worden. Im 3. Abschnitt selbst erweckt die Gegen­ überstellung von Reichspräsident und Reichsregierung sogar den Anschein, als habe der Reichspräsident an der obersten Leitung des Staates, der Regierung, keinen allgemeinen Anteil. Diese Fassung fand sich bereits im Entwurf Preuß und wurde bei den späteren Beratungen regelmäßig beibehalten. Preuß selbst hat im Verfassungsausschuß ausgeführt1 2): 3 Man kann unter Reichs­ regierung im weiteren Sinne verstehen den Präsidenten und das Ministerium, unter Rcichsregierung im engeren Sinne wird man ja nur das Reichsministeriüm verstehen mit dem Präsidenten darüber. Es ist zum mindesten mißverständlich, daß in der Ver­ fassung der engere Begriff festgelegt ist. Dem Begriff der Reichs­ regierung im weiteren Sinne hätte es entsprochen, den 3. Ab­ schnitt : „die Rcichsregierung" zu benennen, als Untertitel „Reichs­ präsident" und „Reichsministerium" amuführen und in den ein­ zelnen Artikeln das Wort „Reichsregierung" durch „Reichs­ ministerium" zu ersetzen?)

1) Vgl. Art. 36, 37, 50, 53, 56, 62, 63, 64, 65, 68 d. Vers, vom 16. 4. 1871, ferner das Einbringen der Gesetze „im Namen des Kaisers". 2) Prot. d. 8. Aussch.

S. 42.

3) Sprachliche Schwierigkeiten durch etwaige Verwechselungen mit den Einzelministerien wären wohl zu überwinden gewesen, z. B. durch Einführung der Bezeichnung: Deutsches Ministerium für auswärtige Angelegenheiten u. n.; vgl. die Bezeichnung: „Staatsministerium" in der preuß. Verf. n. „Gesamtministerium" in der bayer. Verfassung. Vgl. ferner den Hinweis von Poetzsch (a. a. O. S. 104, Anm. 3 zu Art. 52) auf Satz 1 des Erl. v. 21. 3. 1919 (RGBl. S. 327) „Die Ge­ schäfte des Reiches werden durch das Reichsministerium geführt", u. auf Anl. 3 d. Haushaltsplans für 1929: „Haushalt des Reichsministcrimns, des Reichskanzlers n. d. Reichskanzlei".

107 Immerhin wird hierdurch der Inhalt der Präsidentschaft selbst nicht berührt. Eine unmittelbare Gefährdung für die Festigkeit der staatsrechtlichen Stellung des Reichspräsidenten liegt aber darin, daß der „Reichsrcgierung im engeren Sinne" in der Verfassung selbst wichtige Exekutivbefugnisse zur völlig selbständigen Erledigung zugewiesen sind. In der Praxis mag cs keinen Unterschied machen, ob z. B. das Recht der Gesetzes­ initiative oder das Verordnungsrecht dem Präsidenten, wie es in Frankreich der Fall ist, oder dem Ministerium übertragen ist, die Ausarbeitung der Entwürfe wird immer durch die Minister oder ihre Hilfskräfte erfolgen. Für die staatsrechtliche Stellung des Präsidenten ist es aber von großer Bedeutung, daß solche Befug­ nisse zu mindest nicht in der Verfassung anderen Organen über­ wiesen sind. Der französische Präsident wird nicht dadurch im politischen Leben zum Staatslcnker, daß in seinem Namen alle Gesetzentwürfe der Exekutive eingebracht werden und er ver­ fassungsmäßiger Träger der pouvoir reglementaire ist, für den deutschen Reichspräsidenten aber bedeutet es eine Schwächung seiner staatsrechtlichen Stellung, daß man diese Rechte einer „Reichsregierung" übertrug, von der man nach dem Wortlaut der Verfassung nicht einmal klar ersieht, ob sie neben, vor, hinter oder unter dem Reichspräsidenten stehen soll.

Die einzelnen ausdrücklich dem Reichspräsidenten zugebilligtcn Befugnisse zeigten ihn im Besitz der üblichen Rechte republi­ kanischer 'Staatshäupter. Besonders günstig ist er auch in diesem Punkte nicht gestellt, da für seine Einzelzüständigkeit nicht, wie in den Vereinigten Staaten von Nordamerika und in Frankreich, Königsrechte das Vorbild abgaben. Der deutsche Reichspräsident erhielt die meisten seiner Rechte als Erbschaft von keinem Monarchen, sondern von einem Reichspräsidenten, dessen Macht vor allem in der gleichzeitig von ihm getragenen preußischen Königskrone gelegen hatte.' Von dem reichen Nachlaß des Bundesrats, des staatsrechtlich stärksten Organs im Kaiserreiche, ist dem Reichspräsidenten nur wenig zugeteilt worden. Dazu kommt, daß der deutsche Reichspräsident auch von den Rechten des früheren Bundespräsidenten nur einen Teil und diesen in der durch die Verfassungsänderung vom 28. Oktober 1918 bestimmten Form erhielt. Neu dazu getreten, und auch der amerikanischen Verfassung unbekannt, ist die Ermächtigung des Reichspräsidenten zur Anordnung eines Volksentscheides. Bei der Betrachtung dieser Befugnis wie bei der Untersuchung der beiden wichtigsten Rechte des Präsidenten, der Kanzlerernennung und der Reichs­ tagsauflösung, mußte festgestellt werden, daß die Verfassung An­ laß zu Zweifeln darüber gibt, in welchem Umfange ihre selb­ ständige Ausübung durch den Reichspräsidenten möglich ist.

108 Besonders schwach erscheint schließlich die persönliche Rechts­ stellung des Präsidenten. Seine persönlichen Rechte sind sehr gering bemessen, seine Verantwortlichkeit dagegen ist ungleich weiter ausgebaut als es bei dem französischen und dem amerika­ nischen Präsidenten der Fall ist. Der Reichstag hat cs in der Hand, den Reichspräsidenten jederzeit vor dem Staatsgerichts­ hof zu verklagen oder sogar seine Absetzung zu beantragen. Daß ein zwingendes Bedürfnis vorläge, eine Anklagemöglichkcit des Reichspräsidenten für alle Rcgierungshandlungen zu schaffen, mußte im Hinblick auf seine allgemeine rechtliche Stellung und auf die Verantwortlichkeit der Minister verneint werden. Die Möglichkeit einer Absetzung stellte sich als eine Gefahr für die erforderliche Unabhängigkeit des Reichspräsidenten vorn Reichstage dar. Es ist nicht ganz folgerichtig, wenn man bei den Verfassungsberatungen ausführte, die Absetzungsmöglichkeit des Reichspräsidenten sei das notwendige Gegenstück zu dessen Recht der Reichstagsauflösung, für den Äuflösungserlaß dann aber an dem allgemeinen Erfordernis der ministeriellen Gegenzeichnung fcstgchalten wurde mit der ausdrücklichen Begründung, daß es sich dabei nicht um eine Entscheidung zwischen Reichstag und Reichspräsident, sondern zwischen der Politik des Mehrheitsministcriums und des Auflösungskabinetts handele. Es kann danach nicht gesagt werden, daß die Verfassungs­ bestimmungen selbst schon eine sichere Gewähr für eine starke Präsidentschaft böten. Das Bild, das diese Vorschriften von dem deutschen Reichspräsidenten geben, ist an manchen Stellen nicht scbarf umrissen, in einigen Zügen unklar und in anderen über­ haupt verzeichnet. Trotzdem wird die Frage, ob ein Präsident auf dieser rechtlichen Grundlage das Gleichgewicht gegenüber dem Reichstag zu halten und allgemein die Aufgabe des Oberhauptes eines Staatswesens ^mit parlamentarischem' Regierungssystem zu erfüllen vermag, bejaht werden können.

Die Wahl durch das Volk bildet im Deutschen Reich die Grundlage der Präsidentschaft. Von der Festigkeit dieses Unter­ baues hängt die innere Sicherheit der Gesamtstellung des Prä­ sidenten ab. Ein von der großen Mehrheit des ganzen Volkes erwähltes Staatshaupt wird in jeder Lage dem vielköpfigen Parlament gewachsen sein. Gelingt es allerdings der Wähler­ schaft nicht, ihre Stimmen überwiegend auf eine Person zu ver­ einigen, so würde das von vornherein Verzicht auf eine starke Präsidentschaft bedeuten. Die Verfassung kann hier nur eine Möglichkeit geben, das Volk selbst muß zeigen, wieweit es zur freien Wahl seines höchsten Führers gewillt und fähig ist. Daß die Zahl der persönlichen Rechte für die Stärke der Präsidentenstellung ohne besondere Bedeutung ist, zeigte sich im

109 Vergleich zwischen dem amerikanischen und dem französischen Präsidenten. Die Anklage vor dem Staatsgerichtshof, die nur wegen Rechts- und Verfassungsverletzungen erhoben werden kann, wird ein pflichtbewußter Präsident nicht zu befürchten haben. Ein Reichstagsantrag auf Absetzung kann nur dann Erfolg haben, wenn der Reichspräsident in weiten Kreisen seiner Wählerschaft das Vertrauen verloren hat. Da der Reichstag bei einem solchen Antrag sein eigenes Bestehen aufs Spiel setzt, wird er in der Handhabung dieses überhaupt sehr unwirklich gezeichneten Rechtes äußerst zurückhaltend sein. In ihrer Umkehrung kann die Verantwortlichkeit des deutschen Reichspräsidenten sogar zu einer besonderen Stütze für ihn werden. Gerade die selbständige Verantwortlichkeit enthebt ihn der Rolle einer verantwortungsfreien und dementsprechend auch willenlosen Unterschriftsmaschine. Ferner wird ein mit bedeutender Mehr­ heit gewählter Präsident, solange die Volksvertretung ihn nicht oder ohne Erfolg durch einen Absetzungsantrag angreift, mit größerer Sicherheit als ein Monarch behaupten können, daß in seinen Handlungen der Wille der Mehrheit des Volkes zum Aus­ druck kommt. Der Einwand, die Verfassung gebe keinen Raum für ein selbständiges Handeln des Reichspräsidenten, die Präsidenten­ rechte seien nur Scheinbefugnisse, vermag einer näheren Be­ trachtung nicht standzuhaltcn. Die einzelnen Regierungsrechte lassen den Reichspräsidenten nach außen und innen als den ober­ sten Vertreter der Reichsgewalt erscheinen. Dem Reichspräsi­ denten an erster Stelle liegt cs ob, die gegenwärtig gelockerten oder völlig abgerissenen Beziehungen zu den fremden Staaten neu zu knüpfen und zu festigen. Mit dem Beamten- und Offizierscrnennungsrccht ist dem Reichspräsidenten die Erhaltung und Festigung eines in jahrhundertelanger Monarchenarbeit erbauten Grundpfeilers unseres ganzen Staatswesens anvcrtraut. Der militärische Oberbefehl, das Recht zur Anordnung einer Reichsezekution und des Ausnahmezustandes machen cs dem Reichs­ präsidenten zur Pflicht, mit schnellem Entschluß und fester Hand allen Gefahren für die Sicherheit des Reiches zu begegnen. Das Gesetz, das die Einzelregclung über die Formen des Vorgehens bei einem Ausnahmezustand bringen soll, wird an der überragen­ den Stellung des Reichspräsidenten in diesem Punkte nicht rütteln dürfen. Der Schutz des Reiches war immer höchste Herrscher­ pflicht. Ein Gegenstück zu diesen strengen militärischen Befug­ nissen bildet das alte Königsrecht, Gnade zu üben und die Schärfe des Gesetzes, wo es angeht, zu mildern. Wohl darf nicht übersehen werden, daß alle Regierungs­ handlungen des Präsidenten der Gegenzeichnung eines dem

110

Reichstag gegenüber verantwortlichen Ministers bedürfen. Der Reichspräsident wird damit aber nicht zur Einflußlostgkeit ver­ urteilt, da er auf die Zusammensetzung und die Arbeit des Kabi­ netts wesentlich einzuwirken vermag. Die Bildung der Reichs­ regierung konnte als eine besonders wichtige staatsrechtliche Befugnis des Reichspräsidenten bezeichnet werden. Gerade hierbei wird es dem Präsidenten durch seine unmittelbare Erivählung vom Volke und durch die Vielheit der Parteien im Deutschen Reiche ermöglicht, nach freiem Entschluß hervorragende Führerpersönlichkeiten zur Leitung der Staatsgeschäfte zu berufen. Bei der Erfüllung seiner verfassungsmäßigen Pflichten haben dem Präsidenten die Minister als Hilfsorgane zur Seite zu stehen. Zwar kann der Präsident weder dem Kanzler noch den einzelnen Reichsministern seinen Willen durch Befehle aufzwingen, eben­ sowenig darf er selbst aber bei wichtigen Entscheidungen über­ gangen werden. In allen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung wird in erster Linie eine Willensübereinstimmung zwischen Reichspräsident und Reichskanzler herbeigeführt werden müssen, sic können eines der Duumvirate bilden, wie sie in großen Zeiten deutscher Geschichte führend hervorgetreten sind. Bei dem Gesetzgebungsverfahren ist der Reichspräsident an der Vorbereitung des Gesetzesbeschlusses, der Feststellung des Gesetzesinhalts und der Erteilung des Gesetzesbefehls nicht un­ mittelbar Beteiligt, dagegen ist die Ausfertigung und Verkündung der Gesetze sein ausschließliches Recht. Ferner ist der Erlaß von Verordnungen des Reichspräsidenten auf Grund bestimmter ver­ fassungsrechtlicher oder gesetzlicher Ermächtigung möglich. Von besonderer Bedeutung ist das Recht des Reichspräsidenten, jeder­ zeit vom Volke selbst die Entscheidung über ein einzelnes Gesetz wie über die Gesamttätigkeit des Reichstags einzuholen. Mit der Befugnis zur Anordnung des Volksentscheids ist dem Reichs­ präsidenten die dauernde Überwachung der Gesetzgebungstätigkeit des Reichstags anvertraut. In dem Auflösungsrecht besitzt der Reichspräsident das Mittel, bei Spannungen zwischen Reichstag und Reichsregierung den Zwiespalt vom Volke selbst beseitigen zu lassen. Es wurde dargelegt, daß der Präsident bei der Hand­ habung dieser Befugnisse nicht an das vom Vertrauen der jeweiligen Reichstagsmehrheit gehaltenen Ministerium ge­ bunden ist, sondern nötigenfalls durch ein Minderheitsministerium einem feindlichen Reichstag entgegenzutreten vermag. Demnach kann der deutsche Reichspräsident auf Grund seiner verfassungs­ mäßigen Befugnisse sowohl eine Alleinherrschaft des Parlaments wie auch die Entwicklung einer einseitigen „Kabinettsregierung" T) 1) Vgl. die Kritik des Schriften von W. Hasbach.

parlamentarischen Systems

in

den

111 verhindern und dahin wirken, daß die Parlamentarisierung in Deutschland „nicht so weit als möglich, sondern nur so weit als nötig geht" *), nämlich bis zur festen organischen Verbindung zwischen Regierung und Reichstag. Die stärkste Kraftquelle des deutschen Reichspräsidenten bildet aber keines der in der Verfassung festgelegten Einzelrechte, sie liegt vielmehr darin, daß im Amte des Reichspräsidenten die Reichseinheit ihren klarsten Ausdruck findet. Es war eines der größten Werke Bismarckscher Staatskunst, bei der Reichsgründung entgegen allen Widerständen in der Einrichtung des deutschen Kaisertums ein Reichsamt zu schaffen, nicht etwa ein Herrschaftsrecht der Krone Preußens über das außerpreußische Deutschland?) Der Inhalt dieser Reichsorganschaft konnte zum großen Teil in der Form, die sie durch die Verfassungsänderung vom 28. Oktober 1918 erhalten hatte, in d i e Reichspräsidentschaft übergeleitet werden. Infolge des Verzichts der größten deutschen Länder auf einen eigenen Staatspräsidenten kann jetzt der Inhaber des obersten Reichsamts in noch höherem Maße als es früher möglich war, an der Zu­ sammenfassung aller einzclstaatlichen Kräfte arbeiten, ohne den Ländern das verfassungsmäßige Recht zu verkümmern, bei der Bildung des Reichswillens als selbständige Körperschaften auf­ zutreten. In gleich hohem Maße kann der Reichspräsident im Volke selbst einigend wirken. Zur Präsidentenwahl müssen sich in Deutschland notwendig Angehörige verschiedener Parteigruppen und Berufe zusammenfinden. So kommt schon bei der Wahl zum Ausdruck, daß der deutsche Reichspräsident nicht Vertreter einzelner Gruppen, auch nicht nur seiner Wähler, sondern Vertreter des ganzen Volkes ist. Gerade der Umstand, daß im parlamentarisch regierten Staate das Ministerium aus der Parlamentsmehrheit hervorgeht, macht den Reichspräsidenten zum berufenen Schützer der Rechte der Minderheit.

.Überparteilich muß die Wahl, überpar­ teilich die Amtsführung des Reichspräsiden­ ten s e i n. In solcher Erkenntnis seiner hohen nationalen Pflichten kann ein weitblickender Staatsmann als deutscher Reichspräsident im

x) Anschütz, S. 24 f., 31 ff.

Parlament und Regierung.

S. 35.

2) G. Anschütz, Bismarck und die Reichsverfassung.

Vgl. auch 1899.



112



Rahmen seiner verfassungsmäßigen Rechte an er st er Stelle hinwirken auf Vie Erfüllung unserer dringend st en Zukunftsaufgabe: Die Sammlung der zersplitterten und sich jetzt oft gegenseitig zerreibenden Kräfte der ein« zelnenLänder, Volksklassen und Parteien im DeutschenReiche,dieSchaffungeineseinheitlichen deutschen Volks- und Staats Wille ns.

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Sachverzeichnis. [®ie Zahlen geben die Seiten an. Abkürzungen: Pr. — Präsident, KPr. — Reichspräsident, fr. — französisch, na. — nordamerikanisch.) berufung 68; Vertagung 68; Wahl 67, 102; Zusammensetzung 67; Anklage des Pr. 22, 23 f.; Anklage der Minister 27; Mit­ wirkung bei Verhängung des Ausnahmezustandes 47; Kriegs­ erklärung 35; Friedensschluß 36; Verträgen 32f. Dienstentschädigung des Pr. 14, 20 f. Direktorialregierung 6, 104. Disziplinargesetz 40. Disziplinarsachen, Begnadigung in — 54. Ehrenlegion, fr. Pr. als Großrrt.oi meister Kor* der _ — 9ß 20. Eidesleistung des Pr. 13 f., 69. Einkammersystem 67. Einspruch 77, 82, 90, 99, 103. — des Reichsrats 36, 68, 77, 83, 89. — stiller 84. Beamte, Ernennung und Entlassung Einspruchsrecht 36, 83, 84, 85, 86, 90. 31, 36 ff., 56 ff., 109. Elysees, Palais des 21. Beendigung des Amtes des Pr. Executive mansion 21. 16 ff. Feldgerichte, Begnadigung bei Ur­ Begnadigungsrecht des Pr. 52 ff., teilen der — 54. 101, 109. Friedensrichter, Entlassung 39. Belagerungszustand 47 ff., 68. Friedensverträge, Abschluß 32, 35 f. Besoldungsänderungen, Volksent­ 35 f. scheid über 89. Gegenzeichnung, allgemeine Bedeu­ Beutesystem 38, 100, 104. tung 28 ff., 55, 104, 109 f.; bei Botschaften des Pr. 69 ff. Anordnung des Ausnahme­ Botschafter, Empfang 31. zustandes 51 f.; bei Beamten­ — Ernennung 31, 36. ernennungen 39; bei Begnadi­ Bündnisverträge 33 f. gungen 53f.; bei militärischen Bulletin des Lois 75. Anordnungen 42 f.; bei Minister­ Bundesrat 44, 76, 95, 107. ernennungen 58, 60 f.; bei Neu­ Code penal 24, 79. beratung eines beanstandeten Conseil de cabinet 64, 65. Gesetzes 85, 90, 103; bei An­ Conseil des ministres 64, 65. ordnung der Reichsexekution 45; I bei Reichstagsauflösung 95 ff., conseillers d'Etat 39. 108; bei Erlaß von Verord­ nungen 80, 82; bei Verträgen decrets administrativs 79. 33; bei Anordnung des Volks­ decrets gönöraux 78 f. entscheids 86 ff., 90. ddcrets gouvernementaux 79. döcrets portant reglements d'ad- Generalanwalt, Ernennung 57. ministration publique 79. Generalpostmeister, Ernennung 36. Deputiertenkammer, Amtsdauer1, — Ernennung von Beamten durch 15 f.; Auflösung 91 ff.; Ein-, den 36.

Abgabengesetze, Volksentscheid über 89. Absetzung des Präsidenten 26 f., 29, . 90, 108. Aktivbürgerschaft als Träger der Staatsgewalt 1. Amnestien, Erlaß 52, 54. ............des . Pr. ......... Amtsdauer 15,,f., 19, 90, 91. Amtswohnung des Pr.' 21. Anklage des Pr. 22 ff, 29, 108, 109. Auflösung des Parlaments 26, 88,; 90 ff., 110. ; Aufwandsentschädigung des Pr. 21.1 Ausfertigung der Gesetze 73 ff., 88,! H0 1 Ausführungsverordnungen 78 ff. Ausländsdeutsche, Wählbarkeit zum RPr. 12. Ausnahmezustand 45 ff., 106, 109.

118 Gerichte außerordentliche, Ein­ setzung durch den RPr. 51. — Begnadigung bei Urteilen der — 59. Gesamtministerium 56, 106. Gesandten, Empfang 31. Gesetzentwürfe, Einbringen der — 70 ff., 106, 107. Gesetzesausfertigung 73 ff., 87, HO. Gesetzesbefehl 73 ff. Gesetzesberatung 72 f. — zweite 82, 85, 90, 103. Gesetzesbeschluß 76, 88, 106, 110. Gesetzesinhalt, Feststellung 70, 72, 106, 110. Gesetzesinitiative 70 ff., 107. — durch das Volk 89. Gesetzesneuberatung, s. zweite Ge­ setzesberatung. Gesetzespromulgation 75. Gesetzesverkündung 73 ff., 89, 110. Gesetzesvorschlag, s.Gesetzesimtiative. Gesetzgebungsorgane 83, 84, 89. Geschäftsordnung der Reichsregie­ rung 18. Gewalten, Gleichgewicht 101 f., 105. Gewohnheitsrecht kaiserliches, betr. Organisation der Reichsbehör­ den 81. Gouverneure der na. Einzelstaaten 2 42 52. Habeaskorpusakte, Aufhebung 46 f. Handelsverträge, Abschluß 32. Haushaltplan, Volksentscheid über den — 89. Hochverrat, Anklage des Pr. wegen __ 23 f., 27. Impeachment 22 f., 24, 26. Inkompatibilität 14 f. Journal des Repräsentantenhauses 83.

Journal officiel 75.

Justizminister 58. Kabinett, Begriff 57; Bildung 56 ff. Kabinettsrat 64. Kabinettsregierung llu. Kaiser, Rechte des K. nach der Ver­ fassung v. 1871 106; Übergang der Rechte des K. auf den R.-Pr. betr. Beamtenernennung 40; Be­ gnadigung 53; Erklärung' des Kriegszustandes 48 f.; Ober­ befehl 43; Reichsexekution 44 f.; Reichstagsauflösung 95; Ver­ ordnungsrecht 81. Kaisertum, deutsches, als Reichsamt 111; parlamentarisches 5. Kammer, fr., s. .Deputiertenkammer.'

Kammeraussckuß fr. für auswärtige Angelegenheiten 33. Kanzler s. Reichskanzler. Kongreß, na. Einberufung, Schlie­ ßung, Vertagung, Wahl, Zu­ sammensetzung 67; Erlaß allge­ meiner Ausführungsbestimmun­ gen 78; Übertragung des Be­ amtenernennungsrechtes 30; all­ gemeine Befugnisse 99; Bot­ schaften an den — 69, 71; Ein­ spruch gegen Gesetzbeschluß des — 73 f.; Impeachment 23; Kriegs­ erklärung 34; Militärgesetz­ gebung 41; Einberufung der Miliz 42; Abberufung der Se­ kretäre 57. Konsul, Ernennung 36; als Richter 54. Konsulargerichte; Konsulargerichts­ barkeit 54. Konsularverfassung 3. Kontingentsherrlichkeit der Landes­ fürsten 43. Konvention von Philadelphia 2, 90. Kriegserklärung 34 f. Kriegsgerichte, Einsetzung außer­ ordentlicher — 51. Kriegsminister, Befehlsgewalt des fr. K. über das aktive Heer im Frieden 42. Kriegszustand, Erklärung 48 f. Landesbeamte, Ernennung 40. Landesbehörden, Ausführung der Reichsgesetze durch — 80. Landeskommandanten 43. Landesregierungen, Rechte der — gemäß Art. 48 Abs. 2 der R.-V. 50. Marinegerichte, Begnadigung bei Urteilen der — 54. message motivä des fr. Pr. 85, 90. Militärgesetzgebung 41 ff. Miliz der na. Einzelstaaten 41 f.; 46. Minderheitsministerium 88, 96 ff., 110. Minister, Ernennung und Ent­ lassung 56 ff. — Gegenzeichnung s. dort. Ministerien, Zuständigkeit 82. Ministerrat, fr. 17, 39, 40,'47, 64. Ministerverantwortlichkeit 27 ff., 65. Mißtrauensvotum des Reichstags 87, 98. Monarchie, Begriff 1. Nationalversammlung, Deutsche 5 ff., fr. 3 f., 10, 64, 94, 101, 102. Notvcrordnungsrecht 78, 79, 80.

119 Reichsminister, Anklage 25; Er­ nennung u. Entlassung 59 ff.; Oberbefehl, militärischer, des Pr. Gegenzeichnung 28 ff.; Mißtrau­ 41 ff., 101, 106, 109. ensvotum 97 f.; Verantwortlich­ Oberbundesgerichtspräsident, Vor­ keit 28 f. sitz im na. Senat bei Anklage Reichsminister des Innern 80. des Pr. 22. Reichsministerium 106. Reichsministerium für Ernährung Offiziere, Ernennung 40, 109. und Landwirtschaft 82. Parlament, Auflösung 90 ff., 102, i Reichsministerium für Wiederaufbau 82. 108, 110; Berufung, Schließung, I ! Reichsobmann 20. Vertagung 67 ff. Parlamentarismus, echter 104, 105, Reichsrat, Einspruch, 36, 68, 77, 83, 89; Gesetzesvorschlag 72; Zu­ in seiner unechten Form 102, stimmung bei Erlaß von Ver­ 104, siehe auch parlamentarisches ordnungen 80. Regierungssystem. Reichsregierung, Begriff 106; ErParteikonvente 9, 100. I laß von Verordnungen 79 f., 107; Paßwesen 81. Geschäftsordnung 18; Gesetzes­ Pensionsbills 78, 84. vorschlag 68; als Kollegium 60, Postwesen 81. s. auch Kabinett. pouvoir regle mental re 78, 107; Reichsschatzministerium 82. Ausübung des Beamtenernen­ Reichstag, Amtsdauer 16, 18; An­ nungsrechtes durch fr. Pr. 39. klage des R.-Pr. 24 f.; Antrag Prisengerichtsbarkeit, Begnadigung auf Absetzung des R.-Pr. 26 f.; bei Urteilen in Sachen der — 54. Auflösung 62, 88, 95 ff., 107, 108; Ausschüsse 29; Einberufung 68; Rat der Volksbeauftragten 5. Gesetzgebung 68, 72, 76 f., 89, Räterepublik 5. 106; Mißtrauenserklärung 29; Rechtsanwalt als Mitglied des Schließung 69; Selbstversamm­ Staatsgerichtshofes 25. lungsrecht 68 f.; Vertagung 69; Rechtsverordnungen 77, 79 ff. Wahl 68; Wahlprüfungsgericht Regierungssystem, parlamenta­ 69; Zusammensetzung 68; Zu­ risches 28, 30, 87, 93, 100, 102, stimmung zu Bündnisverträgen 104, 108, 110. 34. räglements d’administration pu- Reichstagspräsident 18, 69, 97. blique 79. Reichsverkehrsminister 82. Reichsoeamte 40 f. Reichsverwaltungsgericht 69. Reichsbeauftragter beim Wahl­ Reichsverweser 20. prüfungsgericht 69. Reichswalt 20. Reichsbehörden, Organisation 81 f. Reichswart 20. Reichsexekution 43 ff., 109. Reichswehr 43. Reichsführer 20. Reichswirtschaftsrat 68, 72. Reichsgesetzblatt 76. Reiseaufwand des Pr. 21. Reichsgesetz s. Gesetz. Repräsentantenhaus. Amtsdauer 15, Reichshaupt 20. 67, 91; Anklage des Pr. 22; Aus­ Reichshochmeister 20. schüsse 73; Einberufung 67; Ge­ Reichskanzler, Anklage 25, Ernen­ setzgebung 72 ff.; Mitgliedschaft nung und Entlassung 60 ;f.; 12, 14, 15, 67; Mitwirkung bei Gegenzeichnung 28 ff., 80; Miß­ Verträgen 32, 35 f; Sprecher 73; trauensvotum 29, 87, 97 f.; Be­ Vertagung 67; Wahl 67; Wahl stimmung über Richtlinien der des Pr. 8; Zusammensetzung 67. Politik 60; Verantwortlichkeit Repräsentation, Gedanke der — 99, 28 f.; Verkehr mit dem R.-Pr. 102, 104. 64 f., 110; Vertretung des R.-Pr. Repräsentationskosten des Pr. 21. 17 f.; Vorschlagsrecht bei Mi­ Republik, Begriff 1; aristokratische nisterernennung 59 f. 1; demokratische 1, 5, 99. Reichskolonialministerium 82. Richter, Ernennung 36, 37, 39; Ver­ Reichsmarine 43. antwortlichkeit 21.

120 Sanktion, s. Gesetzesbefehl. I Verfassungseid der Beamten und »örigen der Wehrmacht 14; Sekretäre; na. Aufgaben 31, 56, 74, 90; Ernennung und Entlassung r. 14. 50f., 69; Verantwortlichkeit 28. Verfassungskonvention _ , ,, ...„__________ na. ..... 2. _. Senat, fr. Amtsdauer 16; Anklage Verfassungsstreitigkeiten 45. des Pr. 22 ff., 27; allgemeine Be-i Verfolgung, strafrechtliche des Pr. 18, 22 22. fugnisse 101; Kammerauflösung 1?, 91 ff.; Organisation 4; Wahl 67; Verordnungsrecht 77 f., 101, 107, Wahl des Pr. 9 f., 19, 103; Zu110; militärisches 43. sammensetzung 67. Verträge, völkerrechtliche 31 ff. Senat, na. Amtsdauer 15, 16, 67;' Vertrauenserklärung 29, 98. Anklage des Pr. 22 f.; Ausschüsse ! Vertretung des Pr. 16 ff.; völker73; Beamtenernennung 36 f., 57, rechtliche 31 ff. 69; Einberufung 67; Gesetz- - Verwaltungsbehörden, Beamtengebung 72 ff.; Mitgliedschaft 12,; ernennung durch — 40. 14, 15, 67, 90; Vertagung 67; | Verwaltungsdekrete (decrets adVorsitz durch Vize.-Pr. 17; Wahl! ministratifs) 79. 67; Zusammensetzung 67; Zu- - Verwaltungsgerichtsmitglieder _40. stimmung zu Verträgen 31 s., 35 f. Verwaltungsverordnungen 77 f., 79 ff. Verwaltungsvorschriften, allge­ Schutzgebietsgerichte, Begnadigung meine 80 f. bei Urteilen der — 54. Veto des Pr. 38, 82 ff., 90 f., 100, Staatsanklage (Impeachment) 103. 22 ff., 27, 52. Vizepräsident 9, 17, 18, 19, 22, 37. Staatsgerichtshof 18, 24 ff., 29, 45, Volksabstimmung über Absetzung 54, 76, 95, 108. des Pr. 26. Staatsgewalt, Träger 1. Volksbeauftragte 5. Staatshäupter, republikanische 1. Volksbegehren 89. Staatsorgane, mittelbare, sekun­ Volksentscheid 36, 86 ff., 96,107, 110. däre 1 f., 104, unmittelbare, Volkssouveränität, Grundsatz 92, primäre 1 f, 90, 104. 99, 100, 104. Staatspräsident 111. Staatsrat 25; fr. 39, 79. Wahl des Pr. 3, 5, 8 ff., 105, 108, Staatssekretär na. 34, 62, 74. 111. Staatssekretäre, deutsche 59. Wahlmännerverfahren 8, 11. Staatsverträge 31 ff., 36. Wählbarkeit zum Pr. 12 f. Wehrgesetz 43. tenure of Office acts 38, 57. Wehrmacht, Oberbefehl 41 ff. Truppenführung 42, 43. Wehrverfassung 43. Weißes Haus als Amtswohnung 21. Universitätsprofessoren, fr. Amts­ Wiederwahl des Pr. 16, 26, 38. enthebung 40. Zehntel der Stimmberechtigten 89. Verantwortlichkeit des Pr. 21 ff., Zivildienstreform 38. 108, 109; juristische 24; politische Zwanzigstel der Stimmberechtigten 89. 24, 27; staatsrechtliche 22 ff.; strafrechtliche 22, 24, 25; zivil­ Zweidrittelmehrheit bei Verurtei­ rechtliche 22. lung des Pr. 22, 23, 24, 25, 26; — der Minister 27 ff., 86 f.; parla-1 Vertragsabschluß 31; Einspruch des Pr. 73 f., 83, 89 f.; Einspruch mentarische 28 f.; staatsrecht­ liche 29. ________ 89. .... des. Reichsrats Verfassungsänderungen 35, 92, 101. Zweikammersystem 67. — vom 28. Okt. 1918 5, 35, 107, 111. Zweitstimmensystem 11.