Der politische Widerstand gegen Rom in Griechenland 217-86 v.Chr [Reprint 2012 ed.] 9783110834918, 9783110016055

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Der politische Widerstand gegen Rom in Griechenland 217-86 v.Chr [Reprint 2012 ed.]
 9783110834918, 9783110016055

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Deininger Der politische Widerstand gegen Rom in Griechenland 217—86 v. Chr.

W DE G

Jürgen Deininger

Der politische Widerstand gegen Rom in Griechenland 2 1 7 - 8 6 v. Chr.

Walter de Gruyter · Berlin · New York

1971

ISBN 3 11 001605 2

© 1971 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp., Berlin 30 Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanisehen Wiedergabe» der Übersetzung, der Herstellung von Mikrofilmen und Photokopien, auch auszugsweise, vorbehalten. Printed in Germany. Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Umschlaggestaltung: Rudolf Hübler, Berlin

Vorwort In den hier vorgelegten Studien wird der Versuch unternommen, den noch immer nicht genügend erforschten politischen Widerstand gegen die römische Expansion im griechischen Mutterland schärfer und systematischer als bisher zu erfassen. Es geht also — um dies von vornherein klarzustellen •— nicht um die Motive und Absichten der römischen Politik gegenüber Hellas, auch nicht etwa um den .geistigen' Widerstand (im Sinne von H. Fuchs) gegen Rom in Griechenland. Den eigentlichen Ausgangspunkt bildete auch nicht die naheliegende Frage nach den Ursachen des schließlichen Scheiterns dieses Widerstandes, die überhaupt nur in größerem Zusammenhang einigermaßen beantwortbar sein dürfte, sondern die konkrete Frage: Wer war in Griechenland „gegen Rom", wer hat, in welcher Weise und mit welchem Erfolg, gegen die allmähliche Einbeziehung des griechischen Mutterlandes in den römischen Machtbereich im Laufe des zweiten Jahrhunderts v. Chr. politischen Widerstand geleistet? Das Ziel war gleichsam eine Art prosopographischer „Anatomie" des politischen Widerstandes gegen Rom in Griechenland (einschließlich Rhodos'). Dabei konnte von der Erkenntnis ausgegangen werden, daß das Griechenland des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts trotz der äußeren Vielfalt seiner Staatenwelt tatsächlich mehr als ein geographischer Begriff war, daß es bei aller folgenschweren Zersplitterung gegenüber der römischen Expansion doch einen in sich weitgehend geschlossenen „Widerstandsraum" bildete, dessen innere Einheit etwa im Vergleich zu dem benachbarten Makedonien und zur Welt der hellenistischen Monarchien nicht zuletzt darauf beruhte, daß die politische Willensbildung, die anderswo beim Monarchen (bzw. seinem Ratgeberkreis) monopolisiert war, im griechischen Mutterland fast überall durch frei konkurrierende politische Gruppen erfolgte. Im Verlauf der Untersuchung zeigte sich freilich oft genug, daß das vorhandene Quellenmaterial nur eine sehr grobe Vorstellung von der historischen Realität des antirömischen Widerstandes vermitteln kann, der als solcher ja auch von der antiken Begrifflichkeit gar nicht erfaßt worden ist; und der Versuch, von der Haltung der einzelnen Politiker ausgehend einen Schlüssel zum Gesamtkomplex des griechischen Wider-

VI

Vorwort

standes zu gewinnen, endet in mancher Hinsicht wenig befriedigend. So bleiben, von einer Anzahl achaiischer und, in geringerem Maße, aitolischer Politiker abgesehen, die Gestalten der Männer, die auf griechischer Seite die wesentlichen politischen Entscheidungen im zweiten Jahrhundert v. Chr. fällten, ihre Gedanken, politischen Überlegungen und Motive immer wieder blaß und schemenhaft und ohne rechte Individualität. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn man auf die knappen Angaben des an den innergriechischen Verhältnissen nur begrenzt interessierten Livius angewiesen ist, wie überhaupt die eingehende Behandlung des griechischen Widerstandes noch zusätzlich dadurch erschwert wird, daß nur Trümmer des ursprünglichen polybianischen Werkes erhalten sind. Die Inschriften schließlich erhellen die literarische Überlieferung nur sporadisch. Bei all dem konnte es sich dennoch naturgemäß nicht nur um die möglichst genaue und vollständige Ermittlung der, polybianisch gesprochen, αϊρεσις bzw. προαίρεση von wenig mehr als hundertfünfzig namentlich überlieferten griechischen Politikern des zweiten Jahrhunderts v. Chr. handeln, sondern es tauchte unvermeidlich auch die weitere Frage auf, welche tieferen Kräfte in der Opposition gegen Rom wirksam waren und ob sich über die vielen politisch handelnden Einzelnen hinaus bestimmte allgemeinere Strukturen und Verlaufsformen des antirömischen Widerstandes in Griechenland auffinden lassen. Notwendigerweise lag hier ein zweiter Schwerpunkt der Untersuchung, der es nicht so sehr um die in einem derartigen Forschungsgebiet ohnehin nicht besonders erfolgverheißende Eruierung neuer Einzel, ,fakten" als um die Aufdekkung und Erhellung einiger, wie die vorhandene Literatur zeigt, noch nicht geklärter größerer Zusammenhänge, ζ. B. zwischen Widerstand und Sozialstruktur, geht. Glücklicherweise treten bei aller Spärlichkeit der Quellen die großen Umrisse des antirömischen Widerstandes in Griechenland soweit hervor, daß sich zumindest einige vorläufige Einsichten in die Grundstrukturen des langen und für die Griechen am Ende vergeblichen Kampfes gegen die neue Macht gewinnen lassen. So zeichnet sich mit einer gewissen Klarheit das Bild ab, wie sich im griechischen Mutterland seit dem ausgehenden dritten Jahrhundert v. Chr. gegen den wachsenden Druck Roms der politische Widerstand der Griechen formierte. Deutlich ist zu erkennen, wie sich dessen Situation und Ausdrucksformen bis hin zur unwiderruflichen Niederlage in ganz Griechenland in einem zusammenhängenden historischen Prozeß in charakteristischer Weise mehrfach veränderten und eine ganze Reihe verschiedener Stadien durchHefen.

Vorwort

VII

Die nähere Untersuchung enthüllt, welch endloser und zermürbender politischer Kämpfe es bedurfte, wie unzählige individuelle Tragödien sich vollzogen, bis der „ewig gegen seine Fesseln knirschende Freiheitssinn", den Wilhelm von Humboldt bei einem Philopoimen ebenso wie bei der letzten Schar der Verteidiger Athens gegen Sulla wahrnehmen zu können glaubte1, besiegt war und sich die römische politische Ordnung über das griechische Mutterland gelegt hatte. Ein wesentliches Ergebnis dieser genaueren Analyse gegenüber der älteren Forschung besteht aber wohl auch darin, daß die politischen Fronten keineswegs so einfach waren, daß die Romfreunde in Griechenland mit „den Reichen" oder den „Oligarchen" und umgekehrt die Gegner Roms mit den „Demokraten" identifiziert werden könnten. Diese bis auf Fustel de Coulanges zurückgehende, irrige Anschauung sollte nunmehr überwunden sein. Zugleich legt die Untersuchung in mancher Hinsicht eine Distanzierung von der Sicht der Hauptquelle, also des Polybios, nahe, des Historikers, der sein Leben lang persönlich tief in die Auseinandersetzungen über die politische Haltung der Griechen gegenüber Rom verstrickt war; er nimmt seinerseits einen ziemlich klar bestimmbaren Platz im Gesamtprozeß des Widerstandes in Griechenland ein, und an diese Position sind bis zu einem gewissen Grade auch seine oftmals sehr dezidierten politischen Urteile gebunden, welche unreflektiert die ganze jüngere Überlieferung beherrschen. * #

*

Die Arbeit ist im wesentlichen in den Jahren 1964—1968 an der Universität des Saarlandes und der Universität Freiburg i. B. entstanden und hat im Wintersemester 1968/69 der damaligen Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. B. als Habilitationsschrift vorgelegen. Sie wird hier mit geringen Änderungen und Ergänzungen, die sich aus der Einarbeitung inzwischen erschienener Forschungsliteratur ergeben haben, veröffentlicht. Leider konnte u. a. das Buch von K.-E. Petzold, Studien zur Methode des Polybios und zu ihrer historischen Auswertung (München 1969), nicht mehr im einzelnen berücksichtigt werden. Der besondere persönliche Dank des Verfassers an dieser Stelle richtet sich an Professor Dr. Dr. Walter Schmitthenner (Freiburg i. Br.), der 1

W. v. Humboldt, Geschichte des Verfalls und Unterganges der griechischen Freistaaten (1807), Werke in fünf Bänden II (1961), 74 (vgl. unten S. 6, Anm. 18).

VIII

Vorwort

sich selbst in mehreren Veröffentlichungen mit Problemen des Widerstandes in verschiedenen Geschichtsbereichen befaßt hat. Er regte die vorhegende Untersuchung mit an und hat ihr Werden und ihren Abschluß mit förderndem Interesse und unermüdlichen Hinweisen, Ratschlägen und Verbesserungen begleitet; ihm verdankt der Verfasser wesentliche Einsichten. Nachdem die (von Joseph Vogt vorgeschlagene) Arbeit über die sog. „Provinziallandtage" des 1.—3. Jahrhunderts n. Chr. sich mit Teilen der provinzialen Oberschicht beschäftigt hatte, die in der Prinzipatszeit loyal im Dienste des Imperium Romanum standen, versucht diese Abhandlung nun, für das griechische Mutterland den langwierigen Prozeß zu erfassen, wie vor allem die führenden Schichten der hellenistischen Welt nach vergeblichem Widerstand politisch auf die Seite Roms gebracht wurden. Hinzuzufügen ist, daß auch ein längerer, durch ein Reisestipendium der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik ermöglichter Aufenthalt in Griechenland im Jahre 1962 mit zu den Voraussetzungen für die hier angestrebte Sicht der mutterländischen griechischen Geschichte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. gehört. Schließlich gebührt der Dank des Verfassers dem Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin, für sein Entgegenkommen und seine Geduld während der Drucklegung. Berlin, Dezember 1970

PARENTIBUS SORORI HELGAEQUE UXORI OPTIMAE

Inhalt

Vorwort Literatur- und Abkürzungsverzeichnis

Einleitung: Vorfragen bei der Untersuchung des antirömischen Widerstandes in Griechenland

V XV

1

1. Zur bisherigen Forschung 2. „Aristokraten", „Oligarchien", „Demokraten" und die Romfeindschaft in Griechenland 3. „Principes" und οΐ πολλοί als Träger des Widerstandes gegen Rom

10 15

Erster Teil: Der Widerstand in der Oberschicht (bis 168 v. Chr.) .

21

I. Die Römer als „Barbaren": Ansätze zu einem panhellenisch gefärbten Widerstand (217—199 v. Chr.) 1. Die Rede des Aitolers Agelaos (217 v. Chr.) 2. Die Rede des Akarnanen Lykiskos (211/0 v. Chr.) und der Vermittlungsversuch von 209 v. Chr 3. Die Rede des Rhodiers Thrasykrates (207 v. Chr.) . . . . 4. Das Verschwinden des panhellenisch bestimmten Widerstandes (205—199 v. Chr.) II. Die Richtungskämpfe innerhalb der einzelnen Staatswesen I : Entstehung, Erfolge und Rückschläge der antirömischen Gruppen (etwa 198—180 v. Chr.) 1. Die ersten Auseinandersetzungen (198—197 v. Chr.) . . . a) Achaia: Der Kampf um das Zusammengehen mit Rom (198 v. Chr.) Der Anschluß des Koinon an Rom unter Aristainos (42) -— Der promakedonische Umsturz in Argos (46) b) Akarnanien: Sieg der Romgegner Androkles und Echedamos (Frühjahr 197 v. Chr.) c) Boiotien: Die Überrumpelung der promakedonischen Richtung durch Zeuxippos und Peisistratos (197 v. Chr.).

1

23 25 29 32 34

38 39 40

47 49

XII

Inhalt

2. Der Widerstand gegen Rom zwischen dem II. Makedonischen und dem Syrischen Krieg (197—194 v. Chr.) a) Boiotien: Die Ermordung des Brachyllas und die antirömischen Ausschreitungen in Boiotien (197/6 v. Chr.) . b) Aitolien: Die Entstehung der antirömischen Bewegung in Aitolien (197—194 v. Chr.) 3. Die Aitoler, Antiochos III. und der Widerstand gegen Rom in Griechenland (193—189 v. Chr.) a) Aitolien: Die antirömische Gruppe um Thoas und Dikaiarchos und die aitolische Politik bis zum Ausbruch des Antiochoskrieges (193—192 v. Chr.) b) Demetrias: Triumph und Niederlage der Romfeinde um Eurylochos (192—191 v. Chr.) c) Chalkis: Die Gruppe um Euthymides, Eubulides und Philon gegen die Romfreunde um Mikythion und Xenokleides (192—191 v. Chr.) d) Antiochos III. und der Widerstand gegen Rom im übrigen Griechenland (192—191 v. Chr.) Boiotien: Die Romfeinde an der Macht (192—191 v. Chr.) (88) — Athen: Romfeindschaft in der Unterschicht (192 v. Chr.) (89) — Epeiros: Charops d. Ä. zwischen Rom und Antiochos (191 v. Chr.) (90) —Thessalien: Pausanias von Pherai und die prorömische Oberschicht (191 v. Chr.) (91) — Akarnanien: Antiochos und die Romfeinde Mnasilochos und Klytos (191 v. Chr.) (94) e) Aitolien: Der Gegensatz zwischen radikalen und gemäßigten Romfeinden in der Endphase des Krieges (191—189 v. Chr.) Die Niederlage Antiochos' III. und der Fall von Herakleia (Frühjahr—Sommer 191 v. Chr.) (96) — Der Vermittlungsversuch bei M\ Acilius Glabrio (Sommer 191 v.Chr.) (98) — Der Vermittlungsversuch bei Flamininus in Naupaktos (Herbst 191 v. Chr.) (102) — Der Vermittlungsversuch bei den Scipionen (190 v. Chr.) (103) — Aitolien bis zur Kapitulation und zum Foedus mit Rom (105) 4. Der „Friedliche Widerstand" in Achaia: Philopoimen und die Politik des άυτερείδειν gegen Rom (193—182 v. Chr.) a) Philopoimen und Aristainos b) Die Politik des άντερείδειν gegen Rom c) Der „Begrenzte Widerstand" und der Gegensatz zwischen dem Koinon und Sparta d) Philopoimen und der antirömische Widerstand in Griechenland

54 54 58 66 68 76 80 86

96

108 109 115 119 125

5. Die ältere Phase der Richtungskämpfe und der Widerstand gegen Rom 128

Inhalt

XIII

III. Die Richtungskämpfe innerhalb der einzelnen Staatswesen II: Radikalisierung und Sieg der prorömischen Gruppen (etwa 180 bis 168 v. Chr.) 135 1. Die Verschärfung der inneren Gegensätze bis zum Ausbruch des III. Makedonischen Krieges (180—172 v. Chr.) . . . . a) Achaia: Der „Friedliche Widerstand" und die Anfänge der radikal prorömischen Richtung des Kallikrates (180 bis 172 v. Chr.) Kallikrates in Rom (180 v. Chr.) (136) — Der Zusammenstoß zwischen Archon und Kallikrates (174 v. Chr.) (143) b) Aitolien: Pro- und antirömische Strömungen in den inneren Wirren vor dem Perseuskrieg (178—172 v. Chr.) . . c) Boiotien: Das Bündnis mit Perseus und das Ende der antirömischen Gruppe im Koinon um Neon und Ismenias (174—171 v. Chr.) 2. Der Widerstand gegen Rom während des III. Makedonischen Krieges (171—168 v. Chr.) a) Boiotien: Isolierter Widerstand gegen Rom (171—170 v.Chr.) b) Aitolien: Die radikal prorömische Politik des Lykiskos und seine Gegner (171—169 v. Chr.) c) Epeiros: Kephalos und Antinoos gegen die prorömische Politik Charops' d. J. (171—170 v. Chr.) d) Akarnanien: Diogenes gegen die prorömische Gruppe um Chremas (170 v. Chr.) e) Achaia: Die Kämpfe zwischen den Gruppen um Kallikrates und Lykortas während des Perseuskrieges (170—168 v.Chr.) f) Rhodos: Die ,,ύγιαίνοντεξ" um Philophron und Theaidetos gegen die antirömische Gruppe um Deinon und Polyaratos (172—168 v. Chr.) 3. Die „Große Säuberung" in Griechenland: Der Zusammenbruch des antirömischen Widerstandes in der Oberschicht (168—167 v. Chr.) a) Die „Große Säuberung" (168—167 v. Chr.) b) Achaia: Kallikrates und die Deportation der tausend Achaier (167 v. Chr.) c) Epeiros: Das Ende der Romgegner Antinoos, Theodotos und Kephalos und die Strafexpedition des Aemilius Paullus (168—167 v. Chr.) d) Rhodos: Das Ende der romfeindlichen Gruppe um Deinon und Polyaratos und die Bestrafung der Insel (168—164 v.Chr.)

136

136

146 153 159 164 168 173 175 177 184

191 191 197 197 204

XIV

Inhalt

4. Griechenland nach der „Großen Säuberung": Der Beginn der Alleinherrschaft der prorömischen „principes" 208 a) Epeiros: Das Regime Charops' d. J. und seiner Anhänger (168—159 v. Chr.) 209 b) Achaia: Das Regime des Kallikrates und seiner Gruppe und die Bemühungen um die Rückkehr der Deportierten (167—150 v. Chr.) 211 Zweiter Teil: Der Widerstand in den unteren Schichten (bis 86v.Chr.) 215 I. Der Achaiische Krieg: Die πολλοί und die Katastrophe des achaiischen Koinon (147—146 v. Chr.) 1. Die Herausforderung des Koinon durch die römische Politik (147 v.Chr.) 2. Kritolaos, die πολλοί und die Ereignisse bis zum Ausbruch des Krieges (147—146 v. Chr.) 3. Die Führer der πολλοί, Kritolaos und Diaios, und der Zusammenbruch des achaiischen Koinon (146 v. Chr.) . . . . 4. Der Widerstand und die römische Neuordnung Griechenlands nach dem Ende des Achaiischen Krieges (146—145 v. Chr.) . II. Das Ende des antirömischen Widerstandes in Griechenland. . 1. Zur Situation in Griechenland zwischen 146 und 88 v. Chr. . 2. Die Entstehung der antirömischen Bewegung in Athen . . 3. Die Erhebung Athens und anderer Gebiete Griechenlands im I. Mithridatischen Krieg (88—86 v. Chr.) a) Athenion in Athen (88 v. Chr.) b) Aristion und die Ausbreitung der letzten Widerstandsbewegung in Griechenland (88—87 v. Chr.) c) Belagerung und Fall Athens: Das Ende des Widerstandes (87—86 v. Chr.)

220 223 228 232 238 242 242 245 248 248 255 259

Schluß: Der Widerstand gegen Rom in Griechenland als historischer Prozeß 262 1. Zusammenfassung: Struktur und Verlauf des Widerstandes 217—86 v. Chr 263 2. Zu den Ursachen der Erfolglosigkeit des Widerstandes. . . 267 3. Polybios und der antirömische Widerstand in Griechenland 270 Register: I. Personenregister II. Wichtige Begriffe

274 279

Literatur- und Abkürzungsverzeichnis

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— fitudes

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XVIII

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La Gr&ce £tait redoutable par sa situation, sa force, la multitude de ses villes, le nombre de ses soldats, sa police, ses mceurs, ses lois: eile aimait la guerre, eile en connaissait l'axt; et eile aurait έίέ invincible, si eile avait έΐέ unie. Montesquieu, Considirations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur decadence (1734), Kap. 6. Aber Griechenland ward, nach seiner Besiegung, den kommenden Nationen zum warnenden Beispiel, wie es ihnen ein aufmunterndes und belehrendes in der Beharrlichkeit sein kann, mit der es den ungleichsten und ungünstigsten aller Freiheitskämpfe immer aufs neue begann. W. v. Humboldt, Geschichte des Verfalls und Unterganges der griechischen Freistaaten (1807), Werke in fünf Bänden I I (1961), 76.

EINLEITUNG:

Vorfragen bei der Untersuchung des antirömischen Widerstandes in Griechenland

1. Zur Der

Kampf

um

bisherigen

Forschung

die politische Unabhängigkeit

der S t a a t e n

des

griechischen Mutterlandes h a t bekanntlich schon lange vor ihrer akuten Bedrohung durch die römische E x p a n s i o n begonnen. Bereits in der zweiten Hälfte

des

4. J a h r h u n d e r t s

v. Chr.

hatte

Griechenland

die

E r r i c h t u n g der makedonischen Suprematie hinnehmen müssen, die sich zwar auf die Dauer nicht zu einer eigentlichen makedonischen H e r r schaft

verfestigte 1 ,

aber

doch

eine ständige

Beeinträchtigung

Gefährdung der politischen Autonomie der griechischen

1

1

und

Staatswesen

F. Gschnitzer, Vom Ende der griechischen Gemeindefreiheit, Welt als Gesch. 20, 1960, 71—86, hier S. 75. Deininger, Widerstand

2

Einleitung

bildete. Nach den Wirren, welche der Tod Alexanders des Großen auslöste, vermochte Makedonien im Laufe des 3. Jahrhunderts ungeachtet mannigfacher Rückschläge seinen Einfluß im griechischen Mutterland immer mehr zu verstärken, und trotz allen antimakedonischen Widerstandes, dessen Hauptzentren meist das aitolische und das achaiische Koinon waren, glückte schließlich im Jahre 224 v. Chr. Antigonos Doson die Bildung einer hellenischen Symmachie, die unter makedonischer Führung alle bedeutenden Staatswesen des Mutterlandes gegen Sparta und Aitolien Zusammenschloß. Wie die politische Entwicklung in Griechenland damals ohne das Auftreten Roms weiterverlaufen wäre, bleibt ungewiß; mit guten Gründen ist jedenfalls neuerdings wieder die ungebrochene Lebensfähigkeit der Koina des Mutterlandes im späten 3. Jahrhundert v. Chr. betont worden2. Doch auf die Dauer vermochte auch das griechische Mutterland dem übermächtigen Druck der römischen Expansion nicht standzuhalten, den es seit dem ausgehenden 3. Jahrhundert v. Chr. zu spüren bekam und dem es schließlich, anders als dem makedonischen Gegner, vollkommen erlag. Dabei fehlte es in Griechenland so wenig wie anderswo an Reaktion, an Widerstand gegen die römische Expansion, wenn man unter diesem Begriff die Summe der politischen Anstrengungen der Griechen zusammenfassen kann, deren Ziel die Verhinderung der Beherrschung Griechenlands durch Rom war. Die beschwörenden Warnungen vor Rom seit 217 v. Chr., die romfeindlichen Richtungen in einer Reihe von Staatswesen während des II. römisch-makedonischen Krieges (200 bis 197 v. Chr.), die sich radikalisierende Opposition gegen Rom in Aitolien, die schließlich den „Syrischen" Krieg (192—189 v. Chr.) auslöste, die innenpolitischen Auseinandersetzungen in ganz Griechenland, die ihren Höhepunkt während und am Ende des I I I . Makedonischen Krieges (171—168 v. Chr.) erreichten, endlich der Achaiische Krieg (146 v. Chr.) und noch mehr als ein halbes Jahrhundert später der Aufstand Athens und einer Anzahl von Gebieten Mittelgriechenlands im I. Mithridatischen Krieg (88—86 v. Chr.) — das alles waren nur die äußeren Hauptphänomene des langen, zähen, immer wieder erneuerten Widerstandes, den ein beträchtlicher Teil der Griechen der scheinbar unaufhaltsam wachsenden Unterwerfung des Landes durch Rom entgegengesetzt hat. Um so merkwürdiger mag es daher zunächst anmuten, daß dieser nachhaltige, wenn auch am Ende erfolglose Widerstand gegen die 2

Gschnitzer a. O. 77f.; vgl. bereits Rostovtzeff 1, 55.

Zur bisherigen Forschung

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römische Expansion bisher kaum als eigener historischer Prozeß betrachtet und systematisch nach Umfang, Verlauf und Struktur analysiert worden ist, obwohl man sich damit offenkundig vor einer der großen Fragen der griechischen Geschichte des 2. Jahrhunderts v. Chr. befindet. Gewiß: Die Ereignisse des 2. Jahrhunderts v. Chr. in Griechenland — auch die mit dem Widerstand gegen Rom zusammenhängenden — sind in der modernen Forschung oft und ausführlich behandelt worden, und zwar nicht nur im Rahmen von Gesamtdarstellungen bezeichnenderweise eher der römischen als der griechischen Geschichte, wie bei Mommsen3 und G. de Sanctis 4 , sondern auch in zahlreichen spezielleren Arbeiten. Hier wären von den Älteren in erster Linie G. F. Hertzberg6, B. Niese® und G. Colin7, von den Neueren vor allem M. Holleaux8, Η. E. Stier 9 , Ed. Will 1 0 sowie jüngst R. M. Errington zu nennen 11 . Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Griechenland des 2. JahrTh. Mommsen, Römische Geschichte I—II, 2. Aufl. Berlin 1856—1857 (im folgenden zitiert nach der 13. Aufl., Berlin 1923—1925). 4 G. de Sanctis, Storia dei Romani IV l 2 (Florenz 1969); IV 3 (Florenz 1964). 6 G. F. Hertzberg, Geschichte Griechenlands unter der Herrschaft der Römer, 3 Bde., Halle 1866—1875 (davon Bd. I im folgenden zitiert als ,,Hertzberg"). — Von noch älteren Darstellungen, die aber allesamt dem spezifischen Aspekt des Widerstandes keinen oder nur wenig Raum geben, seien genannt B. G. Niebuhr, Vorträge über alte Geschichte, hrsg. v. M. Niebuhr, II 3, Berlin 1851; W. Schorn, Geschichte Griechenlands von der Entstehung des ätolischen und achäischen Bundes bis auf die Zerstörung Korinths, Bonn 1833; L. Flathe, Geschichte Macedoniens und der Reiche, welche von macedonischen Königen beherrscht wurden, 2 Bde., Leipzig 1832—1834; F. A. Brandstäter, Die Geschichten des Aetolischen Landes, Volkes und Bundes, Berlin 1844; F. Kortüm, Geschichte Griechenlands von der Urzeit bis zum Untergang des Achäischen Bundes, Bd. 3, Heidelberg 1854. β Β. Niese, Geschichte der griechischen und makedonischen Staaten seit der Schlacht bei Chaeronea, 3 Bde., Gotha 1883—1903. 7 G. Colin, Rome et la Grece de 200 k 146 av. J.-C., Paris 1905. 8 M. Holleaux, in: Cambridge Ancient History VIII (1930), 116—240 = ders., Rome, Philippe de Macedoine et Antiochos, in: Etudes 5, 295—432 (danach im folg. zitiert). 9 Η. E. Stier, Roms Aufstieg zur Weltmacht und die griechische Welt, KölnOpladen 1957. 10 E. Will, Histoire politique du monde heUenistique (323—30 av. J.-C.), 2 Bde., Nancy 1966—1967. 11 R. M. Errington, Philopoemen, Oxford 1969. — Einiges über die Auseinandersetzungen zwischen dem griechischen Mutterland und Rom auch bei C. Schneider, Kulturgeschichte des Hellenismus, 2 Bde., München 1967—1969. 3

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Einleitung

hunderts ν. Chr. sind von J . Α. O. Larsen 12 und M. Rostovtzeff 13 eingehend analysiert worden. Weitere Forschungsschwerpunkte haben sich um die Institutionen der griechischen Bundesstaaten und das Geschichtswerk des Polybios als der wichtigsten erzählenden Quelle für das 2. Jahrhundert gebildet; hier ragen vor allem die Untersuchungen von A. Aymard 14 , J . A. 0 . Larsen 15 , F. W. Walbank 1 « und M. Geizer17 hervor. Doch bei aller unbezweifelbaren Fruchtbarkeit dieser und anderer Forschungen für das Verständnis des 2. Jahrhunderts v. Chr. pflegen die griechischen Staatswesen in ihrem Verhältnis zu Rom immer wieder als bloße Objekte der überlegenen römischen Politik behandelt zu werden, und diese im Grunde ex eventu gewonnene, einseitige und — wenigstens was Griechenland anbetrifft — eher unpolitische Betrachtungsweise ist offenbar schuld daran, daß die genuin griechische Position, d. h. die griechische Politik als gleichberechtigtes „Subjekt" neben der römischen, kaum zur Geltung kommt und damit auch der Aspekt des Widerstandes gegen Rom als ein zentrales Thema der griechischen Geschichte des 2. Jahrhunderts v. Chr. kein tieferes Interesse in der Forschung findet. So ist, von ganz vereinzelten Ansätzen abgesehen, nie eine systematische Untersuchung über die Politik der Staaten des 12

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J . A. O. Larsen, Roman Greece, in: T. Frank (Hrsg.), An Economic Survey of Ancient Rome I V (1938), bes. 261—435. Μ. Rostovtzeff, The Social and Economic History of the Hellenistic World, 3 Bde., Oxford 1941 (im folgenden zitiert nach der dt. Übers., Stuttgart [und Darmstadt] 1955—1956). A. Aymard, Les assemblies de la confederation achaienne: Etude critique d e s t i tutions et d'histoire, Bordeaux 1938; ders., Les premiers rapports de Rome et de la confederation achaienne (198—189 av. J.-C.), Bordeaux 1938; vgl. neuerdings auch Α. M. Castellani, Le relazioni fra Roma e la confederazione achea da T. Quinzio Flaminino a L. Emilio Paolo, Mailand 1963. Vor Aymard hatte sich besonders G. Niccolini mit dem achaiischen Koinon befaßt, vgl. ders., L a confederazione achea, Pavia 1914. Von den noch älteren Arbeiten sei diejenige von M. Dubois, Les ligues etolienne et acheenne: Leur histoire et leurs institutions, nature et duree de leur antagonisme (Paris 1885), hervorgehoben. J . A. O. Larsen, Greek Federal States (Oxford 1968); vgl. ders., Representative Government in Greek and Roman History (Berkeley-Los Angeles 1955). Eine „klassische" ältere Darstellung war E. A. Freeman, History of Federal Government in Greece and Italy (1863), 2. Aufl. hrsg. v. J . B. Bury, London 1893. F. W. Walbank, A Historical Commentary on Polybius I — I I (Oxford 1957—1967) (der für die vorliegende Untersuchung wichtigste 3. Band steht noch aus). M. Geizer, Die Achaica im Geschichtswerk des Polybios (1940) = Kl. Sehr. 3, 123—154; ders., Uber die Arbeitsweise des Polybios (1956) = ebda. 161—190. — Zu der Untersuchung von G. A. Lehmann vgl. unten Anm. 40.

Zur bisherigen Forschung

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griechischen Mutterlandes gegenüber der römischen Expansion in Angriff genommen worden, ja der ganze Komplex des politischen Widerstandes gegen Rom in Griechenland: Charakter und Abfolge der einzelnen antirömischen Bewegungen, ihre Träger, deren Motive, das wichtige Problem der Beziehungen zwischen Romfeindschaft und Sozialgefüge — dies alles harrt noch immer der näheren, zusammenhängenden Untersuchung18. Die Gründe für diese gegenwärtige Lage der Forschung sind vielfältig und können hier nur in Umrissen angedeutet werden. Sie liegen 18

Hier wäre des Werkes eines „Außenseiters" aus der Zeit der Anfänge der modernen kritischen Geschichtswissenschaft zu gedenken. Gemeint ist Wilhelm von Humboldt, der — von der Lektüre des Demosthenes ausgehend — 1807 in Rom eine „Geschichte des Verfalls und Unterganges der griechischen Freistaaten" in Angriff nahm; vgl. A. Leitzmann, Sechs ungedruckte Aufsätze über das klassische Altertum von W. v. Humboldt, Leipzig 1896, 154—208, dazu ib. p. XLVI—LI; jetzt in: W. v. Humboldt, Werke, hrsg. v. A. Flitner u. K. Giel, II, Darmstadt 1961, 73—124. Geplant waren zwei große Teile, von denen der erste den politischen Niedergang Griechenlands von Philipp II. bis zur Eroberung Athens durch Sulla, der zweite dagegen den Siegeszug der griechischen Kultur in der römischen Zeit sowie der ganzen neueren Geschichte behandeln sollte, a. O. 171 f. Wie Humboldt in einem Brief an J. G. Schweighäuser, den Sohn des berühmten Herausgebers des Polybios, schrieb, verstand er dieses Unternehmen geradezu als eine Lebensaufgabe (a. O. X L I X ; vgl. A. Leitzmann, Wilhelm von Humboldts Briefe an J. G. Schweighäuser, Jena 1934, 42 [4. XI. 1807]). Dahinter stand, wie aus dem gleichen Brief hervorgeht, das Erlebnis der preußischen Niederlage gegen Napoleon und die Hoffnung auf eine Erneuerung des gesamten Staates vom Geistigen her. Bereits 1808 kehrte Humboldt dann nach Preußen zurück. Er ist später nicht mehr auf diese Arbeit zurückgekommen, von der lediglich eine Art Vorwort sowie das erste Kapitel der Einleitung („Von dem griechischen Charakter überhaupt und der idealischen Ansicht desselben insbesondere") existieren, die aber von A. Leitzmann nicht ohne Berechtigung als Humboldts „reifste Arbeit über das klassische Altertum" und „eine seiner allerbedeutendsten schriftstellerischen Leistungen" bezeichnet wurden (a. O. LI). Die Wirkung der Schrift, wäre sie ausgearbeitet und publiziert worden, läßt sich nicht leicht abschätzen. Es muß allerdings festgestellt werden, daß einige spätere Untersuchungen, die ebenfalls mit den Kategorien des „Verfalls", des „Untergangs" und der „Auflösung" arbeiten, sich für die hier angewandte Fragestellung als durchaus unergiebig erwiesen haben, so W. Drumann, Versuch einer Geschichte des Verfalls der griechischen Staaten, Berlin 1820; C. Barbagallo, II tramonto di una civiltä ο la fine della Grecia antica, 2 Bde., Florenz 1923—1924; A. Ferrabino, La dissoluzione della libertä. nella Grecia antica, Padua 1929 (zu Rom vgl. ib. 88—91). Vgl. ferner die kurze Skizze von F. Münzer, Die politische Vernichtung des Griechentums, Leipzig 1925.

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einmal in der faktischen Disparatheit des griechischen Widerstandes selbst, die seine Erfassung als einheitlichen historischen Prozeß nicht gerade nahelegt, zum andern aber auch in der Natur der antiken Überlieferung und schließlich, wie es scheint, in gewissen, ihrerseits historisch erklärbaren Grundpositionen der modernen Geschichtsforschung. Zweifellos hat schon die Quellenlage die Entstehung der heutigen Vorstellungen vom Wesen der griechischen Geschichte des 2. Jahrhunderts v. Chr. entscheidend gefördert. Was sich damals in Griechenland abspielte, wird nämlich nicht nur bei Livius ganz aus römischer Sicht und überhaupt nur insoweit dargestellt, als es für die römische Politik von Belang war. Auch der bedeutendste Historiker jener Zeit, der Grieche Polybios, hat die Geschichte der Auseinandersetzung zwischen Rom und den Staatswesen des griechischen Mutterlandes nicht vom griechischen Standpunkt, sondern von der Warte des Beobachters in Rom aus geschrieben. Nicht der vergebliche Widerstand der Griechen war sein Thema, sondern der Aufstieg Roms. Er hat Rom ins Zentrum seiner Darstellung gerückt und, da nahezu die gesamte erhaltene literarische Uberlieferung über die entscheidenden Vorgänge bis 146 v. Chr. auf seinem Werk fußt, dieser ausgesprochen römischen Perspektive der Geschichte Griechenlands im 2. Jahrhundert v. Chr. schon in der Antike zur Vorherrschaft verholfen19. Polybios hat freilich in seiner weitgespannten Geschichtsdarstellung der innergriechischen und zumal der achaiischen Politik doch auch soviel Raum gewährt, daß M. Geizer im Jahre 1940 geradezu eine achaiische Geschichte als Kern der Historien postulieren konnte 20 . Diese These ist zwar auf vielfachen Widerspruch gestoßen21; nicht zu bezweifeln ist aber, daß sich aus dem Werk des Polybios trotz dessen eindeutig „römischer" Sicht bei entsprechender Fragestellung genügend Aufschlüsse über Wesen und Geschichte des griechischen Widerstandes gegen die römische Expansion gewinnen lassen. 19

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Darauf, daß die Konzeption des Polybios tatsächlich römisch und nicht, wie meist behauptet, im eigentlichen Sinn „universalhistorisch" ist, hat zuletzt hingewiesen M. Gigante, La crisi di Polibio, in: La Parola del Passato 16,1951,35. M. Geizer, Die Achaica . . . (oben Anm. 17); vgl. ders., Gnomon 29,1957,406 (Bespr. v. Walbank, Comm. I) = Kl. Sehr. a. O. 208. Zustimmung zur These Geizers bei M. Treu, Historia 3, 1954—55,222; 224; Ziegler 1476; ablehnend dagegen E. Badian, J R S 57,1967,222; D. Musti, La Parola del Passato 20,1965,386f.; Pedech 530 (vgl. ders., Gnomon 30,1958,64f.); Walbank, Comm. 1,215; vgl. auch H. Bengtson, Griech. Gesch. (4. Aufl. 1969), 366.

Zur bisherigen Forschung

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Daß Polybios — und Livius — dennoch so gut wie nie systematisch unter diesem Gesichtspunkt geprüft wurden, dürfte daher auch mit einigen weit verbreiteten modernen Grundüberzeugungen vom Wesen der griechischen Geschichte zusammenhängen, die im Griechenland des 2. Jahrhunderts v. Chr. nichts als Verfall und Niedergang erblicken, ja ihm eine eigenständige Geschichte überhaupt absprechen. Tatsächlich enden fast alle großen, „klassischen" Darstellungen der Geschichte Griechenlands ζ. T. lange vor dem 2. Jahrhundert und überlassen dieses damit zwangsläufig dem — von Polybios und Livius vorgezeichneten — Zusammenhang der römischen Geschichte. Das gilt für E. Curtius, der mit vielen anderen die Geschichte Griechenlands schon mit der Schlacht von Chaironeia im Jahre 338 v. Chr. beendet wissen wollte22, nicht weniger als für G. Grote, der seine Griechische Geschichte nur bis zur ersten Generation nach Alexander, bis etwa 300 v. Chr., herabgeführt hat 23 . Mit der späteren Zeit, dem „Griechenland des Polybios", wollte sich Grote nicht mehr befassen, da es, wie er feststellte, „keine eigene Geschichte für sich" habe 24 : „Hellas' Freiheit, das Leben und die Seele dieser Geschichte von ihrem Beginn an, verschwand vollständig während der ersten Jahre von Alexandras' Regierung" 26 . Droysens „Geschichte des Hellenismus" führte dann wenigstens bis zur Schlacht von Sellasia (222 v. Chr.) 26 ; ähnlich ging Belochs Griechische Geschichte bis zum Frieden von Naupaktos (217 v. Chr.)27, wobei immerhin Beloch selbst in anderem Zusammenhang das Fehlen eines Schlußbandes, der dann bis in die Zeit Sullas reichen sollte, ausdrücklich bedauerte 28 . In all diesen einflußreichen Konzeptionen aber war für eine eigenständige griechische Politik im 2. Jahrhundert v. Chr. und folglich für den Widerstand der Griechen gegen Rom als Teil der griechischen Geschichte kein Platz. Eine wesentliche Rolle haben hier gewiß auch die 22

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E. Curtius, Griechische Geschichte I—III, 1. Aufl. Berlin 1857—1867; der 3. Band (Berlin 1867) trägt den Untertitel: „Bis zum Ende der Selbständigkeit Griechenlands''. G. Grote, A History of Greece, 12 Bde., London 1846—1856; dt. „Geschichte Griechenlands", übers, v. N. N. W. Meißner—E. Höpfner, 6 Bde., 2. Aufl. Leipzig 1880 (danach im folgenden zit.). Grote a. O. 6,659. Grote a. O. J. G. Droysen, Geschichte des Hellenismus, 2. Aufl. in 3 Teilen, Gotha 1877—1878. K. J. Beloch, Griechische Geschichte IV 1—2, 2. Aufl. Berlin 1925—1927. Ders., in: S. Steinberg (Hrsg.), Die Geschichtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen II (Leipzig 1926), 27.

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offenkundige Erfolglosigkeit dieses Widerstandes und im Zusammenhang damit grundsätzliche Anschauungen von „Sinn", „Vernunft" und „Fortschritt" in der Geschichte gespielt, die es geboten erscheinen ließen, statt des am Ende feststehenden politischen Scheiterns der griechischen Welt den zukunftsweisenden Aufstieg Roms gleichsam als positiven Aspekt desselben Vorgangs ins Auge zu fassen. Von der (gewöhnlich freilich unausgesprochenen) Prämisse, daß die Unterwerfung Griechenlands durch Rom insgesamt als historischer „Fortschritt" gewertet werden müsse29, führt begreiflicherweise kaum ein Weg zu einer Erhellung und Würdigung der Auflehnung der Griechen gegen den Verlust ihrer politischen Unabhängigkeit durch Rom. Die ganz einseitige Abwertung und Verächtlichmachung des griechischen Widerstandes, wie sie ein Mommsen in seiner Römischen Geschichte mit Vehemenz vertrat, konnte dennoch lange in der Wissenschaft als überwunden gelten. Mommsen hat — aus seiner „römischen" Perspektive -— die Freiheit Griechenlands im 2. Jahrhundert v. Chr. geradezu als „schädlich" bezeichnet 30 und etwa die von der Gruppe um Philopoimen und später Lykortas zwischen 193 und 168 v. Chr. verfolgte achaiische Selbständigkeitspolitik gegenüber Rom als „wahre historische Fratze" abgetan 31 . Die „Scheinsouveränität" der griechischen Koina seit der römischen Intervention war für ihn ein „unklarer und verderblicher Schwindel" 32 ; ja, die ganze Opposition der Griechen gegen Rom erschien ihm schlechthin „kindisch" 33 . Mommsen hatte damit freilich nach den Worten Belochs „nichts als eine Karikatur" geliefert34, und die spätere Geschichtsschreibung ist fast durchweg zu einer verständnisvolleren Wertung der griechischen Haltung gelangt. Das gilt für G. F. Hertzberg (1866) 36 ebenso wie etwa für W. Ihne, der in seiner Römischen Geschichte (1872) den inneren 29

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Diese Anschauung begegnet — im Grunde seit Polybios — vielfach auch schon in der Antike, vgl. K. Thraede, Reallex. f. Ant. u. Christent., 57. Lief. (Stuttgart 1963), 148f., Art. Fortschritt. Mommsen a. O. 1,721. Mommsen a. O. 1,749. Mommsen a. O. 2,49. Mommsen a. O. 1,778. Beloch a. O. Vgl. Hertzberg 1,141. Zuvor schon hatte ζ. B. C. Peters, Studien zur römischen Geschichte: Ein Beitrag zur Kritik von Th. Mommsen's römischer Geschichte (Halle 1863), 163ff., Mommsens Darstellung der griechischen Verhältnisse heftig kritisiert.

Zur bisherigen Forschung

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Vorgängen in Griechenland verhältnismäßig breiten Raum gewährte und sich um Gerechtigkeit auch gegenüber den Unterlegenen bemühte36. Auch hat A. Holm in seiner Griechischen Geschichte (1894) ζ. B. der Politik des Philopoimen seine Anerkennung nicht versagt 37 . Im X X . Jahrhundert ist — um von der als Materialsammlung zwar unübertroffenen, in der Beurteilung der politischen Zusammenhänge aber eher unselbständigen Darstellung Nieses hier abzusehen — vor allem G. de Sanctis in seiner großangelegten „Storia dei Romani" ausführlich auf die innenpolitischen Verhältnisse im Griechenland des 2. Jahrhunderts v. Chr. eingegangen und hat die ungerechten Urteile Mommsens wiederholt mit Entschiedenheit zurückgewiesen38. Zu einem wirklichen Versuch, den griechischen Widerstand gegen Rom als eigenen historischen Prozeß zu erfassen, ist es aber dennoch nicht gekommen, ja manche Tendenzen in der gegenwärtigen Forschung scheinen fast eher wieder nach rückwärts zu weisen. So hat Η. E. Stier zwar die Notwendigkeit einer Überwindung der üblichen „unpolitischen" Betrachtungsweise erkannt39, dies aber sogleich mit einer höchst einseitigen Parteinahme für den schließlichen Sieger verbunden. Stier erklärt den Widerstand der Griechen gegen Rom für weithin verfehlt, wobei er sich namentlich auf das Urteil des Polybios über die wichtigsten Gegner Roms in Griechenland —• in erster Linie Aitolien, Boiotien und die makedonische Monarchie — beruft, ohne freilich seinerseits die politische Bedingtheit der Einstellung des achaiischen Historikers einer näheren Prüfung zu unterziehen40. Stiers Absicht ist — darin derjenigen des Polybios verwandt —, den Sieger ,,zu verstehen und ihm gerecht zu werden"41. So stempelt er etwa den Versuch der Aitoler, das römische Protektorat über Griechenland abzuschütteln, als „leichtfertig und M 37

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W. Ihne, Römische Geschichte III (Leipzig 1872), vgl. ζ. B. 270. Vgl. etwa A. Holm, Griechische Geschichte von ihrem Ursprünge bis zum Untergange der Selbständigkeit des griechischen Volkes IV (Berlin 1872), 446. Vgl. ζ. B. De Sanctis IV 3,158, Anm. 190. — Band IV 1 (202—168 v. Chr.) trägt die Widmung: ,,A quei pochissimi che hanno parimente a sdegno d'essere oppressi e di farsi oppressori". Vgl. Stier a. O. 5. Nachträglich hat allerdings G. A. Lehmann den Versuch unternommen, die politischen Urteile des Polybios quasi in toto als „richtig" und verbindlich zu erweisen: G. A. Lehmann, Untersuchungen zur historischen Glaubwürdigkeit des Polybios, Münster 1967. Vgl. dazu jedoch J. Deininger, Gnomon 42, 1970, 65—72. Stier a. O. 11.

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verbrecherisch" ab42, und wenn H. Berve in diesem elementaren Aufbegehren gegen die Unterwerfung durch das übermächtige Rom einen „Lichtstrahl im einbrechenden Dunkel" erkennen wollte43, so glaubt Stier kategorisch feststellen zu können, diese Auffassung sei völlig antiquiert 44 . Dahinter aber steht eingestandenermaßen die auf das XIX. Jahrhundert zurückweisende Vorstellung von der Weltgeschichte als dem Weltgericht: „Was einer wert war, lehrt sein Erfolg", behauptet Stier46, und: „Wir haben dank der modernen historischen Forschung die Weltgeschichte gut genug kennengelernt, um feststellen zu müssen, daß in ihr wirklich nur diejenigen sich auf die Dauer durchgesetzt haben, die es letzten Endes auch verdienten, Sieger zu sein" 46 . Abgesehen davon, daß es sich hierbei um „meta"historische Fragen handelt, zu deren Beantwortung die Mittel der „modernen historischen Forschung" gerade nicht ausreichen, ist nur allzu offenkundig, daß von einer solchen Verabsolutierung des Erfolgs, wo das Mißlingen gar in die Nähe des „Verbrecherischen" verwiesen wird, kein Weg zur Erfassung des griechischen Widerstandes gegen Rom als eines eigenen historischen Prozesses führt 47 .

2. „Aristokraten",

„Oligarchien", ,,Demokraten" und die schaft in Griechenland

Romfeind-

Doch nicht nur die von den Quellen vorgezeichnete und von der modernen Forschung aus mancherlei Gründen übernommene, vorwiegend „römische" Perspektive der Geschichte Griechenlands im 2. Jahrhundert v. Chr. hat die Aufmerksamkeit vom Phänomen des griechischen Widerstandes abgelenkt. Eine nicht geringere Rolle spielte der eigentümliche Charakter des Widerstandes selbst: Existierte denn überhaupt — so ließe sich fragen — „der" Widerstand der Griechen als einheitliches, greifbares historisches Phänomen ? Bestand er nicht vielmehr aus zahlreichen, über einen langen Zeitraum verteilten Einzelaktionen 42 43 44 46 4e 47

Stier a. O. 167. H. Berve, Griechische Geschichte II, 2. Aufl. Freiburg 1953, 341. Stier a. O. Stier a. O. 182. Stier a. O. 11 f. Vgl. in dieser Hinsicht auch die — allerdings zu scharfe — Kritik von J. H. Thiel an der Darstellung der rhodischen Politik bei Η. H. Schmitt, Rom und Rhodos (München 1957), in: Forum der Letteren 1, 1960, 27.

„Aristokraten", „Oligarchen", „Demokraten"

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und -bewegungen ohne unmittelbaren historischen Zusammenhang? Zur Bestätigung dieses Eindrucks könnte man wiederum auf die antiken Quellen verweisen, denen ein präziser Begriff für „den" griechischen Widerstand gegen Rom durchaus fremd ist. Wohl verfügt ζ. B. Polybios über ein beträchtliches Arsenal von Ausdrücken zur Bezeichnung einer Widerstandspolitik, von denen er im Hinbück auf Rom vor allem άντπτράττειν zu verwenden pflegt1, daneben aber auch άντερείδειν2, άντιλέγειν3, άυτιττίτττειυ4, άντιτάττεσθαι 5 , άντοφθαλμεϊυ6 und διωθεΐσθαι7. Doch ist es offenkundig, daß weder er noch ein anderer antiker Historiker die politische Gegnerschaft zu Rom auf einen einheitlichen, etwa gar dem prägnanten modernen Terminus „Widerstand" vergleichbaren Begriff gebracht hat8. Eine Hauptursache hierfür hegt zweifellos darin, daß eine geschlossene politische Oppositionsbewegung gegen Rom in Griechenland niemals existiert hat, so wenig wie es je, von einem bemerkenswerten, aber bald verschwundenen Ansatz abgesehen9, eine einheitliche, spezifisch antirömische „Ideologie" in Griechenland gegeben hat. Auch die von H. Fuchs gesammelten Beispiele von „geistigem" Widerstand im Griechenland des 2. Jahrhunderts v. Chr. — etwa die romfeindlichen Historiker, die Rede des Karneades in Rom und die bei Phlegon von Tralleis erhaltenen antirömischen Weissagungen — bleiben voneinander isoliert und ohne näheren historischen Konnex10. Polyb. 24,9,5; 27,4,9; 28,3,5; 28,6,3; 5; 6; 30,6,6. — Der Gegenbegriff dazu ist συμττράττειν (vgl. 28,7,1) bzw. συνεργεΐν, 28,6,3; 30,6,6, außerdem 24,6,4; 24,13,2; 7; 38,13,3. 2 Polyb. 24,13,7; vgl. dazu unten S. 112ff. 8 Polyb. 24,9,8; 24,10,3; vgl. 28,13,10; 29,25,5; 38,10,7. Das Gegenteil lautet συνηγορεΐν, vgl. 24,10,3. 4 Polyb. 24,11,5. — Ausgesprochen abwertend (im Sinne des συνεργεΐν) ist ττροπίτττειν, 28,3,4; ähnlich ττροστρέχειν, 24,10,4; 27,15,12. « Polyb. 38,10,6. « Polyb. 24,12,1; 28,6,5. 7 Polyb. 24,13,7. Vgl. noch -προσαντέχειν, Polyb. 24,13,2. — ΆνΘίστασθαι bei Paus. 8,51,4 (vgl. 7,10,10); bei Polyb. erscheint dieser Terminus nur 9,30,3 (Abwehr der Kelten durch die Aitoler). 8 Wie er etwa auch in neugr. άντ(στασΐ5(άντ(σταση) vorliegt. β Vgl. dazu unten S. 23ff. 10 H. Fuchs, Der geistige Widerstand gegen Rom in der antiken Welt, Berlin 1938 (urspr. Antrittsvorlesung Basel 1933), bes. 2ff., 5ff. Gegen den Versuch von P. Meloni, II valore storico e le fonti del libro macedonico di Appiano (Rom 1955), aus den Fragmenten der Μακεδονικά Appians einen romfeindlichen Historiker des 2. Jahrhunderts v. Chr. zu erschließen (bes. ib. 216ff.), vgl. mit Recht 1

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Und dennoch, trotz aller Zersplitterung der Opposition gegen die römische Expansion in Griechenland, scheint sich bei genauerer Untersuchung nichts weniger als eine Art kontinuierlicher historischer Prozeß des griechischen Widerstandes gegen Rom abzuzeichnen, dessen tieferer Zusammenhang freilich nicht auf dem äußeren Handlungsgeflecht, sondern auf den ihn tragenden politischen Grundkräften beruhte. Daß in den langen Auseinandersetzungen der griechischen Staatswesen mit Rom bis zu ihrer endgültigen Unterwerfung immer wieder ganz bestimmte Kräfte am Werk waren, ist aufgrund einer Anzahl von Hinweisen in den antiken Quellen an sich schon oft ausgesprochen worden. Insbesondere besteht seit langem geradezu eine opinio communis darüber, daß die jeweilige Haltung gegenüber Rom und damit auch der antirömische Widerstand entscheidend durch feste innenpolitische Frontstellungen mitbestimmt wurde. Ob freilich bei der unsystematischen Behandlung, mit der man sich hier bisher zufrieden gegeben hat, das Wesen dieser inneren Gegensätze richtig erkannt wurde, erscheint durchaus fraglich und macht eine eingehendere Prüfung notwendig. Eine bekannte, weitverbreitete Auffassung wollte den Zwiespalt zwischen Gegnern und Anhängern Roms in Griechenland auf den traditionellen Antagonismus zwischen Aristokraten bzw. Oligarchen und Demokraten in den griechischen Staatswesen zurückführen. Hinter dem Widerstand gegen die römische Eroberung hätten nach dieser Erklärung im wesentlichen die „Demokraten" gestanden, da sich die Römer entsprechend ihrer eigenen politischen Ordnung überall auf die „Aristokraten" bzw. „Oligarchen" zu stützen versucht hätten. Am schärfsten und einseitigsten ist diese Theorie bereits im Jahre 1858 von N.-D. Fustel de Coulanges verfochten worden11. Nach ihm stand die ganze Geschichte Griechenlands vom II. Makedonischen Krieg bis 146 v. Chr. im Zeichen der Auseinandersetzung zwischen Aristokratie und Demokratie, wobei die Aristokraten zugleich die „römische Partei", die Demokraten dagegen die makedonische Partei darstellten. Lapidar erklärte er: „D£s que Rome se montra aux Grecs, l'aristocratie fut pur eile"12. Das Jahr

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M. Geizer, Kl. Sehr. 3, 280—285. —• Zu dem fingierten Brief Hannibals an Athen vgl. unten S. 246, Anm. 3. N.-D. Fustel de Coulanges, Polybe ou la Grece conquise par les Romains, Amiens 1858; wiederabgedruckt in: ders.. Questions historiques, hrsg. v. C. Jullian, Paris 1893, 119—211 (danach im folgenden zitiert). Fustel de Coulanges a. O. 158; vgl. 175. — Fustel hat seine These auch in den größeren Rahmen der „Citö antique" eingefügt, vgl. La Cite antique V 2, § 3 CParis ο. J., 439f.).

„Aristokraten", „Oligarchen", „Demokraten."

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146 v. Chr. bedeutete in dieser Sicht nichts anderes als den Endsieg der verbündeten römischen und griechischen Aristokraten 13 über die Demokratie in Griechenland 14 . Wesentliche Teile von Fustel de Coulanges' Auffassung hat dann L. Petit de Julleville (1875) übernommen, vor allem die zweifellos eine richtige Beobachtung enthaltende Grundthese, daß in jener Zeit nicht mehr die Gegensätze zwischen den einzelnen Poleis, sondern über die Städte hinausgehende „Partei"kämpfe das bewegende Element in der griechischen Politik gewesen seien16. Im Gegensatz zu Fustel de Coulanges verlief der Prozeß der Auseinandersetzung zwischen den Griechen und Rom jedoch für Petit de Julleville viel differenzierter. An die Stelle des einfachen, permanenten Bündnisses zwischen den Aristokraten und Rom setzte Petit eine Art Fünf-Phasen-Schema, wonach sich (I) im I. Makedonischen Krieg die Demokraten mit Rom gegen die Aristokraten, (II) im II. Makedonischen Krieg die Demokraten und die Aristokraten mit Rom gegen Makedonien und erst (III) im Aitolischen Krieg die Aristokraten mit den Römern gegen die Demokraten verbündet hätten. Darauf folgte seit etwa 180 v. Chr. die Spaltung der Aristokraten in eine nationale und eine prorömische aristokratische „Partei" (IV) und schließlich (V) die endgültige Niederlage der von der nationalaristokratischen Partei im Stich gelassenen demokratischen Partei gegen Rom im Achaiischen Krieg16. Diese eigenartige Konstruktion, die ohne Einfluß auf die folgende Forschung geblieben ist, hat heute eigentlich nur noch problemgeschichtliches Interesse, da sie auf einem unangemessenen Parteibegriff und vor allem auf der Annahme beruhte, das achaiische Koinon habe die „aristokratische", das aitolische Koinon dagegen die „demokratische" Partei in Griechenland repräsentiert. Auch dies war eine von Fustel de Coulanges begründete Anschauung 17 ; daß sie jedoch in allen wesentlichen Punkten unhaltbar ist, hat spätestens 1885 die Untersuchung von M. Dubois erwiesen18. 13 14

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16 17 18

Vgl. Fustel de Coulanges a. O. 159 f. Fustel a. O. 197—206, Kap. VII: „Derntere lutte de la democratie contre Rome". L. Petit de Julleville, Histoire de la Grece sous la domination romaine, 2. Aufl. Paris 1879 (1. Aufl. ebda. 1875); vgl. ib. 2. Petit de Julleville a. O. 24f. Fustel a. O. 146 f. Vgl. oben S. 4, Anm. 14.

14

Einleitung

Eine systematische Auseinandersetzung mit den Thesen von Fustel de Coulanges und Petit de Julleville ist nie erfolgt. Nichtsdestoweniger spielten lange Zeit „Aristokraten", „Oligarchen" und „Demokraten" als angeblich bestimmende politische Kräfte im Griechenland auch des 2. Jahrhunderts v. Chr. allenthalben in der Forschung eine Rolle, ohne daß man sich dabei über die Tragfähigkeit dieser Begriffe Gedanken gemacht hätte 19 . Daneben steht freilich auch die Tendenz, diese verfassungspolitischen Begriffe zugunsten eines rein sozialen Gegensatzes zwischen Besitzenden und Besitzlosen verschwinden zu lassen20. Doch der damit immer aufs neue postulierte Zusammenhang zwischen äußerer und innerer Politik: bzw. Außenpolitik und Gesellschaftsstruktur ist trotz seiner offensichtlichen Bedeutung für den Prozeß der politischen Einverleibung Griechenlands in das Imperium Romanum erstaunlicherweise nicht im Detail untersucht worden. Insbesondere ist die von vielen Forschern mehr oder weniger explizit vertretene Grundthese einer Verbindung zwischen Rom und den „Aristokraten" lediglich von zwei Autoren, Passerini und Briscoe, einer begrenzten und jedesmal nicht sehr glücklichen Kritik unterzogen worden; denn beide bleiben in dem traditionellen Kategorienschema befangen. So hat A. Passerini im Jahre 1933 gegen die bisherige Forschung die These aufgestellt, daß Rom bis in die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. hinein nicht etwa die Aristokratie, sondern gerade umgekehrt die „demokratischen", ja „ochlokratischen" Kräfte, repräsentiert durch einzelne „Tyrannen", und damit die Zersetzung des politischen Lebens in Griechenland systematisch gefördert und sich e s t danach, d. h. seit 146 v. Chr., auf die 19

Besonders charakteristisch Hertzberg, der die Repräsentanten der prorömischen Kräfte immer wieder als Aristokraten und Oligarchen (vgl. 108; 157; 173; 175; 189; 211), die Gegner Roms dagegen als Demokraten bezeichnet (vgl. 157f.; 175; 189; 211), ohne eine nähere quellenmäßige Begründung für erforderlich zu halten. Vgl. auch (ζ. B.) Niccolini 177f. sowie Niese 2,687; 719; 3,19; 114 m. Anm. 1. Nicht über die Begriffe und Anschauungen von Fustel, Hertzberg und Colin hinausgekommen ist auch die wenig selbständige Arbeit von J . Valarch^, La Gr6ce de la decadence au:x points de vue economique et social, These (jur.) Paris 1941, bes. 178—201. In Übernahme der römischen Terminologie bei Livius spricht Niese statt von Aristokraten bzw. Oligarchen ζ. T. von „Optimaten" (vgl. 2,668; 3,102; 111). Damit wird jedoch nur zusätzliche begriffliche Unklarheit geschaffen, vgl. unten S. 72f.

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So bereits Fustel a. O. 126; Petit de Julleville a. O. 3; Hertzberg 103; außerdem ζ. B. De Sanctis 4,1,98; W. Tarn—G. T. Griffith, Die Kultur der hellenistischen Welt (3. Aufl. London 1952), dt. Darmstadt 1966, 11; 30.

„Principes" und ol πολλοί

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besitzende Schicht gestützt habe 21 . Kein Geringerer als Rostovtzeff hat dieser Theorie — freilich sehr summarisch und ohne Begründung im einzelnen — zugestimmt 22 , obwohl sich unschwer zeigen läßt, daß sie in mehr als einem Fall auf einer offenkundig falschen Quelleninterpretation beruht. Sie hat denn auch sonst kaum Anklang gefunden 23 . Demgegenüber hat neuerdings (1967) J. Briscoe gleichsam eine vermittelnde Position einzunehmen versucht, derart, daß die natürlichen Sympathien der Römer zwar stets den „Oligarchen" gegolten hätten, sie jedoch, falls es ihren politischen Interessen dienlich war, sich ebensogut auf „Demokraten" und „Tyrannen" gestützt hätten 24 . Doch auch diese jüngste Variante der „klassischen" Theorie erscheint grundsätzlich unbefriedigend.

3. „Principes"

und ol πολλοί als Träger des Widerstandes gegen Rom

Eine nähere Prüfung der Quellen führt nämlich rasch zu dem Ergebnis, daß weder die bis auf Fustel de Coulanges zurückzuverfolgende Auffassung einer Verbindung zwischen den „Aristokraten" bzw. „Oligarchen" und Rom gegen die „Demokraten" noch die umgekehrte These Passerinis von einer Förderung der „Demokraten" und „Ochlokraten" durch Rom, noch auch Briscoes Kompromiß zwischen beidem der historischen Wirklichkeit entspricht. Bei genauerem Zusehen zeigt sich vielmehr alsbald, daß bereits die Kategorien, mit denen die bisher genannten Modelle arbeiten, auf die griechische Geschichte des 2. Jahrhunderts v. Chr. gar nicht anwendbar sind. Schon ein kurzer Blick auf die inneren Verhältnisse der griechischen Staatswesen beweist, daß die Frontlinie zwischen den Anhängern und Gegnern Roms von vornherein 21

22 23

21

A. Passerini, Studi di storia ellenistico-romana, VI: I moti politico-sociali della Grecia e i Romani, Athenaeum 11, 1933, 309—335 (ohne Erwähnung der Arbeiten von Fustel de Coulanges und Petit de Julleville). Rostovtzeff 2,484; 3,1225, Anm. 14. Mit Recht ablehnend ζ. B. A. Giovannini, BCH 93, 1969, 560, Anm. 2; J. Touloumakos, Der Einfluß Roms auf die Staatsform der griechischen Stadtstaaten des Festlandes und der Inseln im ersten und zweiten Jahrhundert v. Chr., Diss. Göttingen 1967, 36; vgl. auch H. Berve, Die Tyrannis bei den Griechen I (München 1967), 412, wo festgestellt wird, daß sich die römische Politik gerade nicht des Systems der Einsetzung von Stadtherren bzw. ,.Tyrannen" bediente. J. Briscoe, Rome and the Class Struggle in the Greek States 200—146 B.C., Past and Present 36, 1967, 3—20.

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Einleitung

anderswo gesucht werden muß als zwischen „Oligarchen" und „Demokraten". Auszugehen ist dabei von dem vielfach zu wenig beachteten Faktum, daß weder Polybios noch irgendeine andere Quelle im 2. Jahrhundert v. Chr. den immer wieder behaupteten Gegensatz zwischen „Aristokraten" bzw. „Ohgarchen" und „Demokraten" in den Städten und Koina Griechenlands kennt. Polybios verwendet zwar die Begriffe αριστοκρατία, αριστοκρατικός, ολιγαρχία und ολιγαρχικός, aber lediglich in den verfassungstheoretischen Erörterungen des sechsten Buches und kaum je zur Charakterisierung innenpolitischer Gegensätze in Griechenland 1 , in keinem Fall jedoch in direktem oder indirektem Zusammenhang mit der Stellungnahme einzelner Politiker oder Gruppen gegenüber Rom. Ebensowenig gebraucht er δημοκρατία, όχλοκρατία, δημοκρατικός oder όχλοκρατικός im Zusammenhang mit der innenpolitischen Richtung von Gegnern oder Anhängern Roms. In der politischen Wirklichkeit des 2. Jahrhunderts v. Chr. gab es für Polybios vielmehr, abgesehen von der makedonischen Monarchie und etwa der „Tyrannis" des Nabis in Sparta (207—192 v. Chr.), in Griechenland lediglich „Demokratien", wobei bekanntlich das achaiische Koinon als eine Art Musterdemokratie einen bevorzugten Platz bei ihm einnahm 2 . Aber auch alle anderen Staatswesen waren für Polybios „Demokratien", und dies entsprach aufs genaueste den herrschenden Anschauungen der Zeit: Demokratie wurde im 2. Jahrhundert in erster Linie nur noch als Gegensatz zur Monarchie begriffen 3 . Der alte Antagonismus zwischen Aristokraten (bzw. Oligarchen) und 1

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Eine vereinzelte Ausnahme bilden die Ereignisse in Messene 220 v. Chr. (Polyb. 4,31,1—4); dazu K.-W. Welwei, Historia 15, 1966, 288, dessen Schluß, Polybios habe auch außerhalb des sechsten Buches Demokratie und Oligarchie „scharf voneinander abgehoben", jedoch unbewiesen bleibt. Polyb. 2, 38, 6: 'Ισηγορίας καΐ τταρρησία; καΐ καθόλου δημοκρατίας άληθιυης σύστημα καΐ ττροαίρεσιυ εϊλικριυεστέραν ούκ δν εύροι Tis τη$ τταρά τοΐ; Άχαιοΐξ ύτταρχούσηζ; vgl. auch 2, 44, 6; 23, 12, 8. Zu dieser oft festgestellten Tatsache vgl. vor allem Musti 155ff.; J. A. O. Larsen, Class.Philol. 40, 1945, 88f. (jeweils mit alt. Lit.); ders., Fed. States 175; 232; Welwei a. O. 284; 287f.; V. Ehrenberg, Der Staat der Griechen, 2. Aufl. ZürichStuttgart 1965, 156; Th. Cole, Historia 13, 1964, 457; Walbank, Comm. 1,222; A. Aymard, R E A 50, 1948, 258f. ( = fitudes d'hist. ancienne, Paris 1967, 94f.); ders., Class. Philol. 45, 1950, 102 ( = Etudes 171). Vor allem Musti a. O. hat sich um eine inhaltliche Klärung dieses Demokratiebegriffs bemüht und dabei die zentrale Rolle der Existenz von Primärversammlungen (Ekklesien) betont, vgl. bes. a. 0 . 1 6 5 ; 170; 183ff.; 195ff.

„Principes" und ot πολλοί

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Demokraten existierte als aktueller innenpolitischer Gegensatz in den griechischen Staatswesen im Bewußtsein des 2. Jahrhunderts v. Chr. nicht mehr 4 ; er stellt vielmehr eine unbegründete Projizierung der Verhältnisse der „klassischen" Zeit des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. durch die moderne Wissenschaft auf die durchaus veränderten politischen Strukturen der späthellenistischen Zeit dar. Diese veränderten Verhältnisse bestanden, ganz allgemein ausgedrückt, darin, daß unter der jetzt allein üblichen, wenn auch ganz verwässerten Bezeichnung „Demokratie" faktisch allenthalben eine Ordnung bestand, die an sich eher dem klassischen Begriff einer „Oligarchie" entsprach: Die Führung der Politik war überall in den Händen einer verhältnismäßig kleinen Oberschicht, während die breiten unteren Schichten keine eigenständige politische Kraft darstellten, sondern allenfalls in Verbindung mit gewissen Teilen der Oberschicht politische Bedeutung gewinnen konnten 6 . Gerade dies ist auch das Bild der politischen Verhältnisse des griechischen Mutterlandes, das sich aus dem Werk des Polybios ergibt. Polybios, der aus seiner eigenen politischen Praxis einen wachen Blick für die wirklichen politischen Kräfte Griechenlands und ihre Erscheinungsformen besaß, weiß von einem innenpolitischen Gegensatz von Parteigängern verschiedener Verfassungsformen nichts. Die einzige wesentliche Differenzierung, die er vornimmt und die allerdings seine gesamte Darstellung der Ereignisse in Hellas beinahe wie ein roter Faden durchzieht, betrifft nicht „Aristokraten" und „Demokraten", sondern den Unterschied 1 5

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Vgl. auch Tarn-Griffith 76. Vgl. zuletzt Touloumakos 152f.; Α. Η. M. Jones, The Greek City from Alexander to Justinian, Oxford 1940, 169f.; dazu Holleaux, Rome 228ff. — Dies gilt auch ζ. B. für das achaiische Koinon (vgl. bes. Errington 6ff.; Musti 198f.; Touloumakos 152; Walbank a. O. 1,221 f.; Geizer, Kl. Sehr. 3,126; Aymard, Rapports 30f.), trotz der gegenteiligen Behauptungen von Stier (a. O. 66f.) und Lehmann (377—385), die im achaiischen Koinon des 2. Jahrhunderts v. Chr. eine echte Demokratie erblicken wollen, in der freilich „den Schichten des Besitzbürgertums . . . ein bedeutender Einfluß auf die politische Willensbildung eingeräumt war" (Lehmann 385; vgl. Stier a. O. 67). Faktisch, wenn auch nicht de jure (vgl. Welwei a. O. 287), besaß diese Oberschicht jedoch nicht nur einen „bedeutenden", sondern den durchaus entscheidenden Einfluß (vgl. Aymard, Rapports 31); dies hat auch Musti a. O. klar herausgestellt. Berücksichtigt man den Bedeutungsinhalt von δημοκρατία in dieser Zeit, so wird mit dieser Feststellung keineswegs (wie Lehmann a. O. meint) das Urteil des Polybios über die achaiische Verfassung auf den Kopf gestellt. Deininger, Widerstand

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Einleitung

zwischen den der Oberschicht angehörigen Politikern und der großen Menge, d. h. der Unterschicht. Völlige Einheitlichkeit in der Terminologie wird man hier freilich nicht erwarten können. Für die „Masse" verwendet Polybios mehrere synonyme Begriffe: οί πολλοί, τό πλήθος, τά πλήθη, οΐ όχλοι® was in der livianischen Umsetzung als multi, multitudo, vulgus bzw. plebs erscheint. Für die Führungsschicht verfügt Polybios dagegen über keinen ähnlich eindeutigen Typenbegriff: neben άρχοντες (lat. magistratus) wäre hier allenfalls an επιφανείς zu denken7. Ganz anders sieht es bei Livius aus, der die führenden Politiker durchgehend mit einem ausgesprochen römischen Begriff, der im Wortschatz des Polybios keine exakte Entsprechung hat, als principes bezeichnet8. Bei Polybios erscheint an den betreffenden Stellen gewöhnlich die genauere Bezeichnung als Stratege9, Apoklet10, Grammateus11, Gesandter12 oder auch nur ein Eigenname13; auch sind die Fälle nicht selten, in denen Livius offenbar unabhängig von konkreten Angaben bei Polybios politisch hervortretende Personen „principes" nennt14. An der tatsächlichen Zum sozialen Gehalt dieser Begriffe vgl. bes. Aymard, Assemblies 81 f.; dazu ib. 46; 148; 355f.; vgl. auch Holleaux, Rome 228; Welwei a. O. 291f. — Zur Synonymität vgl. etwa 24, 9, 3—5 (oi πολλοί — πλήθη — όχλοι); 20, 10, 11; 15 (ot πολλοί — πλήθος); 21, 31, 8 (oi πολλοί — πλήθη); 27, 2, 3 (πλήθος — όχλοι); 24, 12, 14 (ot πολλοί — όχλοι). ' Für Ιπιφανεϊς vgl. Polyb. 20,8,3; 27,15,6; 32,5,6 (dazu Liv. 45,34,9). Es kommt

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dem lat. principes noch am nächsten (vgl. das Folgende). Vgl. dazu bereits G. Braumann, Die Principes der Gallier und Germanen bei Cäsar und Tacitus, Progr. Berlin 1883, 4ff.; L.Wickert, R E X X I I 2 (1954), 2004—2006, Art. Princeps (mit Sammlung aller Liviusstellen, an denen principes genannt werden, und grundsätzlicher Analyse des römischen princeps-Begtiits); ib. 2056 zur Wiedergabe des römischen princepsSegriiis bei Polybios. • Liv. 32,32,11 = Polyb. 18,1,4; vgl. auch Liv. 31,43,5 mit Polyb. 13,2,1.

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Liv. 35,45,9 = Polyb. 20,1; 36,28,9 = Polyb. 20,10,11. Liv. 32,32,10 = Polyb. 18,1,2. 12 Liv. 38,3,7 = Polyb. 21,25,11; 38,3,9 = Polyb. 21,26,1; 42,44,1 = Polyb. 27,1,1. 13 Vgl. Liv. 43,17,7 mit Polyb. 28,5; zu Liv. 42,44,4 (vgl. Polyb. 27,1,9) unten S. 157, Anm. 37. " Liv. 32,36,8 = Polyb. 18,10,2; 33,35,10 = Polyb. 18,48,7—8; 36,27,4 = Polyb. 20,9,6; 45,31,11 = Polyb. 30,13,10. — Liv. 36,6,3 entspricht principes einem άρξαντες bei Polyb. 20,7,5. — Nicht belegt in den erhaltenen Teilen und Exzerpten des Polybios sind (im fraglichen Zusammenhang) πρώτος und Ableitungen davon; vgl. jedoch Liv. (Polyb.) 32,11,1 (vgl. 14,5; Aur. Vict. (Liv.) 51,1), wo Charops d. Ä. als princeps der Epeiroten bezeichnet wird, mit Plut. (Polyb.) Tit. 4 (πρωτεύων) sowie Liv. (Polyb.) 45,34,2: denos principes ex

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„Principes" und ol πολλοί

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Zugehörigkeit all dieser Politiker zur Oberschicht kann indes — trotz der gegenteiligen Behauptung von Briscoe — kein Zweifel sein, so wenig wie an der praktischen Brauchbarkeit dieses Begriffs für die historische Analyse16. Im Griechenland des 2. Jahrhunderts v. Chr. ist also nicht von einem Gegensatz zwischen „Oligarchen" und „Demokraten", sondern zunächst von dem sozialen Gegensatz zwischen der Oberschicht, den „principes", und den πολλοί auszugehen16. Dies ist auch für das Verständnis des griechischen Widerstandes gegen die römische Eroberung grundlegend. Die Frontlinie der Entscheidung für oder gegen Rom verlief nicht zwischen „Oligarchen" und „Demokraten", sondern, wie die nähere Untersuchung alsbald ergibt, zunächst mitten durch die Oberschicht der „principes". Das bedeutet, daß man auch die konventionellen Vorstellungen nicht etwa dadurch retten kann, daß man in ihr den Gegensatz von „Ohgarchen" und „Demokraten" durch jenen von „Besitzenden" und „Besitzlosen" ersetzt. Diese Begriffe kommen zwar der politischen undsozialen Realität des 2. Jahrhunderts v. Chr. erheblich näher, doch ist etwa die These von der Verbindung zwischen Rom und der besitzenden Oberschicht viel zu undifferenziert; ja, sie verdeckt geradezu das Wesentliche17. Wohl läßt sich den Quellen immer wieder entnehmen, daß die ärmeren Schichten antirömisch eingestellt waren, aber die eigentliche Scheidelinie für oder gegen Rom verlief lange Zeit dennoch nicht zwischen ihnen und der Oberschicht, zwischen Arm und Reich, sondern innerhalb der Besitzenden selbst, d. h. der faktisch bestehenden „Oligarchie"

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2*

singulis evocavit civitatibus mit Plut. (Polyb.) Aem. 29: μετεττέμψατο τούζ πρώτους εκάστης πόλεως άνδρας δέκα. Nach Briscoe 6, Anm. 20 bedeutet principes bei Livius lediglich „leader" und hat nur ausnahmsweise „class meaning": Liv. 32,38,7; 35,34,3; „vielleicht" noch 42,30,1; 42,44,4. Doch ist nicht einzusehen, warum principes nur dann „class meaning" haben soll, wenn es (wie Liv. 32,38,7) mit einem ausdrücklichen Hinweis auf großen Besitz verbunden ist bzw. ausdrücklich in Gegensatz zu der (besitzlosen) „multitude" oder,, plebs" erscheint (Liv. 35,34,3; 42,30,1; 42,44,4). Es besteht kein ersichtlicher Grund für die Annahme, daß einer der von Livius als ,,principes" bezeichneten griechischen Politiker — Strategen, Gesandten usw. — der Unterschicht angehört hätte. Im allgemeinen dürften ,,principes" und ot ττολλοί etwa den beiden besonders von Rostovtzeff (vor allem a. O. 2,888—905) herausgearbeiteten, wichtigsten sozialen Schichten der hellenistischen Zeit entsprechen, die Rostovtzeff allerdings in wenig glücklicher Weise als „Bourgeoisie" und „Proletariat" bezeichnet. Ansätze zu einer zutreffenderen Analyse bei M. Holleaux, fitudes, 384f. (für die ersten Jahre nach 197 v. Chr.); vgl. unten S. 128ff.

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Einleitung

der „principes" 1β . Die Spannungen zwischen Besitzenden und Besitzlosen, „Bourgeoisie" und „Proletariat" auf der einen und Anhängern und Gegnern Roms auf der anderen Seite, deckten sich höchstens partiell. Nicht „Aristokraten", „Oligarchen" oder „Demokraten", politische Richtungen, die nach Ausweis der Quellen keinerlei praktische Rolle mehr spielten, sondern „principes" und oi πολλοί sind somit die eigentlichen Schlüsselbegriffe für ein tieferes Verständnis des poütischen Widerstandes gegen Rom in Griechenland. Sie bilden das entscheidende Instrument, mit dem alle überlieferten Nachrichten über antirömisches Verhalten in Griechenland geprüft werden müssen und mit dessen Hilfe erst sich der Widerstand als zusammenhängender und in sich strukturierter historischer Prozeß erfassen läßt. 18

Wohin die undifferenzierte Vorstellung eines Bündnisses zwischen Rom und „den" Besitzenden führt, wird etwa durch die von Tarn-Griffith mehrfach aufgestellte Behauptung illustriert (11; 27; ähnlich ζ. B. F. Taeger, Geschichte des Altertums, 6. Aufl. Stuttgart o. J., 545), die Besitzenden hätten sich gegenüber den Armen zuerst auf Makedonien und dann auf Rom gestützt. Tatsächlich war es nahezu umgekehrt: Gerade jene Teile der Oberschicht, die ursprünglich in Verbindung mit Makedonien gestanden hatten, gerieten dadurch in Gegensatz zu Rom, während sich andererseits die ersten Anhänger Roms in der Oberschicht eben aus den Gegnern Makedoniens rekrutierten; vgl. dazu bes. unten S. 128.

ERSTER T E I L :

Widerstand in der Oberschicht (bis 168 v. Chr.)

I. Die Römer als „Barbaren": Ansätze zu einem panhellenisch gefärbten Widerstand (217—199 v. Chr.) Die mutterländischen Griechen haben sich Rom gegenüber keineswegs von vornherein in einer Situation des Widerstandes befunden. Im Gegenteil: Am Anfang der politischen Beziehungen zwischen Griechenland und Rom stand der Pyrrhoskrieg (280—272 v. Chr.) und damit das Ausgreifen eines epeirotischen Herrschers auf den römischen Interessenbereich in Unteritalien — ein denkwürdiges Unternehmen, das jedoch, nach „Pyrrhussiegen", mit einem völligen Fehlschlag endete. In der folgenden Zeit sind überraschenderweise nur spärliche Kontakte zwischen Griechenland und den Römern überliefert, und selbst diese nicht ganz eindeutig. Es handelt sich vor allem um eine Gesandtschaft von Apollonia nach Rom im Jahre 266 v. Chr., über deren Anlaß man nicht unterrichtet ist1, sowie um eine römische Intervention zugunsten der Akarnanen beim aitolischen Koinon um 240 v. Chr. oder kurz danach2. Der Wortlaut der hochmütigen Abfuhr, welche die römische Gesandtschaft bei den Aitolern hinnehmen mußte, entstammt sicher teilweise späterer rhetorischer Ausgestaltung; ob man aber mit Holleaux die Historizität des gesamten Vorgangs in Frage stellen kann, erscheint durchaus zweifelhaft3. Die Behandlung der Gesandten durch die Aitoler würde jedenfalls zeigen, wie gering man damals in Griechenland Rom als politische Größe noch einschätzte. Doch im weiteren Verlauf des 3. Jahrhunderts v. Chr. rückte die römische Expansion den Grenzen des griechischen Mutterlandes immer näher. Anläßlich der Auseinandersetzung mit der illyrischen Königin 1

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Liv. per. 15; Val. Max. 6,66; Cass. Dio fr. 42 B. Holleaux (Rome, 1—5) hat dies als unhistorisch zu erweisen versucht; vgl. dagegen jedoch ζ. B. G. Walser, Historia 2, 1953—54, 315; E. Badian, Foreign Clientelae (Oxford 1958), 33, Anm. 1. lustin. 28,1,5—2,14; z. Datum A. Lippold, Consules (Bonn 1963), 254; 387 (mit weit. Lit.). Gegen Holleaux' grundsätzliche Verwerfung auch dieser Uberlieferung (a. O. 5—22; vgl. auch Walbank, Comm. 1,166; Oost 92—97) vgl. Geizer, Kl. Sehr. 3, 67f.; F. Cassola, I gruppi politici romani nel III secolo a. C. (o. O. 1962), 48; J. Ρ .V. D. Baisdon, J R S 44, 1954, 31; Walser a. O.

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Die Römer als „Barbaren"

Teuta erschienen im Jahre 229 v. Chr. zum ersten Mal römische Truppen an der Ostküste der Adria. Die ersten griechischen Poleis auf der Balkanhalbinsel gerieten damals (nachdem sie sich zunächst vergeblich an Achaier und Aitoler gewandt hatten4) in den Machtbereich Roms: Als erste Stadt folgte das von den Illyriern eroberte Korkyra — gleichsam widerstandslos — der Aufforderung des Konsuls L. Postumius Albinus, sich unter den Schutz Roms zu begeben6; seinem Beispiel schlossen sich Apollonia, Epidamnos und Issa alsbald an®. Daß die Poleis später für frei erklärt wurden7, änderte nichts an ihrer tatsächlichen politischen Abhängigkeit von Rom, die ein grobes Spottwort über Korkyra drastisch genug zum Ausdruck brachte8. Nach Beendigung dieses sog. I. Illyrischen Krieges schickte Postumius im Jahre 228 v. Chr. Gesandtschaften zum aitolischen und achaiischen Koinon, deren Aufgabe es nach Polybios war, die römische Politik zu erläutern9. Sie fanden auch eine uneingeschränkt freundliche Aufnahme, denn das römische Eingreifen in Illyrien hatte nicht nur die unmittelbar betroffenen, sondern, wie Polybios meinte, alle Griechen des Mutterlandes von einer „großen Furcht" befreit10. Bald trafen auch in Korinth * Vgl. Polyb. 2,9,8—10,6. 5 Polyb. 2, 11, 5 : Ol δέ Κερκυραίοι την παρουσίαν των 'Ρωμαίων ασμένως Ιδόντες . . . σφας όμοθυμαδόν ϋδωκαν παρακληθέντες ε is τήν των 'Ρωμαίων ττίστιν. Dazu Holleaux a. Ο. 106ff.; Walbank, Comm. 1, 162. β Polyb. 2,11,8; 10; 12; vgl. App. ΙΠ. 7,19; Cass. Dio fr. 49; Zonar. 8,19,3. 7 Vgl. App. III. 8,22; dazu Walbank a. O. 161. Zu den rechtlichen Vorgängen vgl. neuerdings W. Flurl, Deditio in fidem, Untersuchungen zu Livius und Polybios (Diss. München 1969), 5—10; W. Dahlheim, Struktur und Entwicklung des römischen Völkerrechts im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. (München 1968), 53f.; D. Kienast, Sav.-Zschr. f. Rechtsgesch. 85, 1968, 355; N. G. L. Hammond, J R S 58, 1968, 9 m. Anm. 33; Walbank a. O. 161 f. 8 Strab. 7, fr. 8: καΐ ύστερον (sc. ή Κόρκυρα) ΰττό 'Ρωμαίων έλευθερωθεϊσα ούκ έττηνέθη, άλλ' έττΐ λοιδορία τταροιμίαυ Ιλαβεν έλευθέρα Κόρκυρα, χέζ' δττου θέλείξ. Daß dieses „Sprichwort" entgegen dem Zeugnis Strabons auf das 5. oder 4. J h . v. Chr. zurückgehen müsse (vgl. zuletzt Walbank, Comm. 1, 162 mit weit. Lit.), leuchtet nicht ein. 9 Polyb. 2,12,4f.; ib. 4: οΐ (sc. die römischen Gesandten) καΐ τταραγενόμενοι ττρώτον μέν όατελογίσαντο τάς αΙτίας τοΰ πολέμου καΐ της διαβάσεως, έξης δέ τούτοις τά ττειτραγμένα διεξήλθον καΐ τάς συνθήκας 7ταρανέγνωσαν, ας έπεττοίηντο ττρός τους 'Ιλλυριούς. Nach Polybios (ib. 7) war dies die erste römische Gesandtschaft in Griechenland; vgl. dazu jedoch kritisch Geizer a. O. 67f. (außerdem Walbank a. O.). 1 0 Zur Zwiespältigkeit dieser griechischen Reaktion vgl. Holleaux, Etudes 4,96. — Daß römische Gesandtschaften nach Aitolien und Achaia geschickt wurden,

Die Rede des Aitolers Agelaos (217 v. Chr.)

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und Athen römische Gesandtschaften ein 11 ; ja, die Römer wurden damals sogar offiziell zu den Isthmischen Spielen zugelassen 12 . In Wirklichkeit bargen freilich die Beziehungen zwischen den so ungleichen politischen Welten Griechenland und Rom, wie schon der Spott über den Schritt Korkyras zeigte, eine nicht geringe Problematik in sich, und dies sollte auch bald noch deutlicher offenbar werden. I m Jahre 220 v. Chr. brach zwischen den beiden großen Machtblöcken in Griechenland, der hellenischen Symmachie unter makedonischer Führung und den Aitolern und ihren Verbündeten, der „Bundesgenossenkrieg" aus, der zwar drei Jahre später wieder beigelegt werden konnte; aber es war kennzeichnend für die gewandelte Situation, daß die Friedensbereitschaft Philipps V. wesentlich von der politischen Lage in Italien bestimmt wurde. 217 v. Chr. fanden in der Nähe von Naupaktos die Friedensverhandlungen zwischen den Aitolern und dem makedonischen König statt, und hier ist das früheste einwandfreie Zeugnis dafür überliefert, daß Rom von den Griechen des Mutterlandes als eine schwere potentielle Bedrohung empfunden wurde. Trotz der großen Erfolge Hannibals hatte sich das Kräfteverhältnis zwischen dem griechischen Mutterland und Italien seit den Zeiten eines Pyrrhos so verschoben, daß man sich jetzt offenbar erstmals in Griechenland in der Defensive empfand und in diesem Sinne an .Widerstand' gegen die Römer zu denken begann.

1. Die Rede des Aitolers Agelaos (217 ν. Chr.) Gleich zu Beginn der Verhandlungen über die Beilegung des Bundesgenossenkrieges hielt der aitolische Stratege Agelaos von Naupaktos (217/6 v. Chr.) vor dem makedonischen König und dessen griechischen Verbündeten jene berühmte, auf den ersten Blick geradezu prophetisch

11 12

dagegen über Kontakte mit Makedonien und Epeiros nichts bekannt ist, würde nach Hammond a. Ο. 20 zeigen, daß es Rom weniger um friedliche Beziehungen als vielmehr um seine künftigen Absichten in Griechenland zu tun war; vgl. auch ib. 9f., Anm. 34. Polyb. 2,12,8. Polyb. a. O., dazu Walbank a. O. 167; mit Recht skeptisch hinsichtlich der politischen Bedeutung dieses Vorgangs Holleaux a. O. 42 f. Vgl. noch Zonar. 8,19,7; zu der dort hinzugefügten Nachricht über attisches Bürgerrecht und Teilnahme der Römer an den eleusinischen Mysterien bereits Niese 2,285, Anm. 4; Ferguson, Hell. Ath. 210, Anm. 3.

26

Die Römer als „Barbaren"

anmutende Rede, in der er angesichts der sich immer deutlicher abzeichnenden Gefahr aus dem Westen die Griechen und Philipp dringend zur Einigkeit beschwor1. Niemals dürften, so erklärte er, die Griechen gegeneinander kämpfen; sie müßten vielmehr den Göttern dankbar sein, wenn es ihnen durch festes Zusammenstehen überhaupt noch gelänge, sich und ihre Städte vor den Angriffen der „Barbaren" zu retten2. Alles käme jetzt darauf an, daß sie einer Meinung seien und wie beim Durchschreiten eines reißenden Stromes einander die Hand reichten3. Wenn dies nicht für alle Zeiten möglich sei, so müßten sie doch in der gegenwärtigen Situation, angesichts des gewaltigen Krieges im Westen, unbedingt zusammenhalten4. Denn jedem, der die politische Lage auch nur oberflächlich betrachte, sei klar, daß, gleichgültig, ob Karthago oder Rom in der großen Auseinandersetzung in Italien Sieger bleibe, der Gewinner sich keinesfalls mit der Herrschaft über Italien und Sizilien zufriedengeben werde6. Darum sollten jetzt alle, besonders aber Philipp, auf der Hut sein. Für den makedonischen König heiße dies, daß er endlich damit aufhören müsse, den Griechen zu schaden und sie damit nur Angreifem in die Hände zu liefern. Wenn es ihn nach großen Taten dürste, dann möge er seinen Blick nach Westen richten und dort im günstigsten Augenblick gleichsam einen Griff nach der Weltmacht wagen; die Streitigkeiten mit den Griechen aber solle er auf spätere Zeit verschieben®. Wenn er dagegen zuließe, daß die jetzt im Westen stehende Wolke über Griechenland heraufziehe, dann werde es mit den Kriegen, Waffenstillständen und ähnlichen Kinderspielen der Griechen bald völlig vorbei sein, und man werde nur noch zu den Göttern beten können, daß sie es in der Hand der Griechen belassen möchten, Kriege zu führen und zu beenden, wann sie selbst wollten, und überhaupt Herr ihrer eigenen Streitigkeiten zu sein7. Es besteht kaum ein Zweifel darüber, daß diese Rede des Agelaos zwar nicht in ihrem Wortlaut, aber doch entsprechend der von Polybios geübten Praxis in der Wiedergabe von Reden in ihrem wesentlichen 1 2 3 4 5 6 7

Polyb. 5,103,9—105,1. Polyb. 5,104,1. Polyb. a. O. Polyb. a. O. 2. Polyb. a. O. 3. Polyb. a. O. 4—9. Polyb. a. O. lOf. — Zum Bild der „Wolke aus dem Westen" vgl. K. F. Eisen, Polybiosinterpretationen (Heidelberg 1966) 101; Walbank, Comm. 1,629; dazu unten S. 30.

Die Rede des Aitolers Agelaos (217 v. Chr.)

27

Inhalt und in der Argumentationsweise ein authentisches Dokument darstellt8. Zum erstenmal erscheint hier Rom als mögliche ernsthafte Gefahr für die Griechen. Die nur scheinbar kühne Prognose von der tödlichen Bedrohung Griechenlands durch die „Wolke im Westen" lag angesichts des oft erwähnten und den Griechen des Mutterlandes bewußten Schicksals der unteritalischen und sizilischen Hellenen durchaus nahe·; daß dabei die „barbarischen" Mächte Karthago und Rom noch als Alternative betrachtet wurden, spricht zusätzlich für die Echtheit der Prophezeiung. Vor allem aber ist an dem Aufruf der ausgesprochen panhellenische Charakter des von Agelaos geforderten Widerstandes bedeutsam, den er mit dem fundamentalen Gegensatz zwischen Griechen und Barbaren und der daraus sich ergebenden Notwendigkeit einer Einheitsfront der Hellenen begründete. Dieser Gedanke, daß die Römer „Barbaren" seien, und die aufs engste damit zusammenhängenden panhellenischen Tendenzen begegnen jedoch nicht nur bei Agelaos, sondern waren, wie sich noch zeigen wird, für die Anfänge des Widerstandes gegen Rom in Griechenland überhaupt charakteristisch. Dabei war Agelaos selbst mit der politischen Wirklichkeit in Griechenland zu sehr vertraut, als daß er eine dauernde Uberwindung des griechischen Partikularismus für möglich gehalten hätte. Worauf es ihm 217 v. Chr. ankam, war wohl die Erreichung wenigstens einer Art Burgfriedens in den internen griechischen Auseinandersetzungen bis zur Beseitigung der akuten Gefahr aus dem Westen10. Aber auch dies gelang nicht, und fast mutet es wie eine Ironie der Geschichte an, daß gerade die Aitoler als erste gegen die Forderungen des Agelaos verstießen. Als Philipp V. zwei Jahre nach dem Frieden von Naupaktos durch sein Bündnis mit Hannibal den I. römisch-makedonischen Krieg auslöste (215—205 v. Chr.), handelte er durchaus im Sinne des von Agelaos aufgestellten Programms. Aber als sich nun die Römer — 8

9

10

Zur Authentizität der Reden bei Polybios allgemein vgl. Polyb. 2,66,10; 12,25a,5; 25b,1; 4; 29,12,8—9; 36,1,6—7; dazu Pedech 256ff.; 275f.; Walbank, Speeches 13; 16ff.; ders., JRS 53, 1963, 9ff.; Comm. 1,14; Ziegler 1524ff.; außerdem Lehmann 138f. — Speziell zur Rede des Agelaos: Errington 25, Anm. 1; Pedech 264; Walbank, Speeches 16; ders., JRS a. O. 9; 11; Geizer, Kl. Sehr. 2,4; 3,140; 212f., Holleaux, Rome 18, Anm. 2. Der Hinweis auf die Griechen in Unteritalien und Sizilien findet sich auch später in der Rede des makedonischen Gesandten in Thermos (199 ν. Chr.), unten S. 36, und bei Philopoimen (unten S. 114); vgl. auch die Bemerkung des Lykortas über Capua, unten S. 123. Vgl. Polvb. 5,104,2.

28

Die Römer als „Barbaren"

spätestens seit dem Winter 213/2 v. Chr.11 — darum bemühten, die Aitoler für ein Bündnis gegen Makedonien zu gewinnen, da waren es die Aitoler, die nicht daran dachten, eine panhellenische Solidarität zu beweisen. Zur Zeit dieser Kursänderung der aitolischen Politik hatte Agelaos seinen Einfluß freilich bereits verloren; gerade die auf Ausgleich innerhalb Griechenlands gerichtete Politik des .Burgfriedens' hatte zu seiner Zurückdrängung und zum Aufstieg einer gegnerischen Richtung geführt, die auf die Revision des Friedens von Naupaktos und damit zum Krieg gegen Makedonien drängte12. Nach vorausgegangenen geheimen Vorverhandlungen zwischen aitolischen „principes" und dem römischen Promagistrat M. Valerius Laevinus13 kam es so im Jahre 212 oder 211 v. Chr. zum Abschluß des berühmten aitolisch-römischen Bündnisvertrages14. Treibende Kräfte bei seinem Zustandekommen waren auf aitolischer Seite der amtierende Stratege Skopas und der „princeps" Dorimachos16. Ein unmittelbares Hauptmotiv der Aitoler war offenbar die Aussicht auf die Wiedereroberung Akarnaniens16; das wichtigste Ergebnis dieses 11

12 18

14

Liv. 25,23,9: iam tum Aetolorum, quibus socii Lacedaemonii erant, amicüiam adfectantibus Romanis', dazu Lehmann 34; Walbank, J R S a. O. 4. Polyb. 5,107,6; dazu zuletzt Lehmann 47—50. Liv. 26,24,1: temptatis prius per secreta conloquia principum animis. Gemeint sind damit wohl in erster Linie Skopas und Dorimachos, vgl. das Folgende. Im nächsten Jahr traten dann auch Kleonikos und Chlaineas als Wortführer der prorömischen aitolischen Politik auf, unten S. 29. Liv. 26,24,1—15. Über die einzelnen Bestimmungen des Vertrags ist seit der Publikation des 1949 in Thyrreion gefundenen Bruchstücks (G. Klaffenbach, Der römisch-aitolische Bündnisvertrag vom Jahre 212 v. Chr., S B Berlin 1954, Nr. 1; jetzt IG I X 1 2 ,2,241 und ib. p. 77) eine ziemlich umfangreiche Literatur entstanden, vgl. zuletzt Η. H. Schmitt, Die Staatsverträge des Altertums I I I (München 1969), 258—266, Nr. 536; Larsen, Fed. States 365—368; Will 2,74ff.; Lehmann 51—134; 365f.; Dahlheim a. O. 181—207; R. G. Höpital, Le traite romano-aetolien de 212 av. J.-C. R D 42, 1964, 18—48; 204—246. — Zur Datierung (212 oder 211 v. Chr.) vgl. Lehmann 10—50; Höpital a. O. 22ff.; Dahlheim a. O. 181, Anm. 1; Lippold a. O. 282—286 (212 v. Chr.); Larsen a. O. 366;

E . Badian, Latomus 17, 1958, 197—203; Α. H. McDonald, J R S 46, 1956, 157; F. W. Walbank, Phüip V of Macedon (Cambridge 1940), 301—304; Walbank Comm. 2,11—13; Accame, Conquista 81 (211 v. Chr.); dazu noch J . Deininger, Gnomon 42, 1970, 66. 1 5 Liv. 26,24,7: Haec dicta promissaque α Romano imperatore Scopas, qui tum praetor gentis erat, et Dorimachus, princeps Aetolorum, adfirmaverunt auctoritate sua. — Daß Skopas und Dorimachos in verwandtschaftlichen Beziehungen standen, geht aus Polyb. 4,5,1 hervor. " Liv. 26,24,8; vgl. ib. 6; 11.

Die Rede des Akarnanen Lykiskos (211/0 v. Chr.)

29

Vertrages war jedoch, daß Rom damit, allen frühen antirömischen Regungen zum Trotz, zum erstenmal, ein wirklicher Einbruch in die Politik des griechischen Mutterlandes ermöglicht war.

2. Die Rede des Akarnanen Lykiskos (211j0 v. Chr.) und der Vermittlungsversuch von 209 v. Chr. Das folgenschwere Bündnis der Aitoler mit der römischen Macht wurde vielerorts in Griechenland als schwere Bedrohung empfunden und stieß nicht nur bei den Gegnern Aitoliens, sondern auch in neutralen Staatswesen ζ. T. auf heftige Ablehnung. Zeugnis dessen sind vor allem die Reden des Akarnanen Lykiskos, eines namentlich nicht bekannten neutralen Vermittlers sowie des Thrasykrates von Rhodos in den Jahren zwischen 211/0 und 207 v. Chr. Mit höchster Eindringlichkeit wurde hier überall auf die Gefahr hingewiesen, daß die von den Aitolern herbeigeführte Intervention Roms nichts anderes als der Beginn der Unterwerfung Griechenlands durch die Barbaren sei. Dabei stand Aitolien mit seiner prorömischen Politik in Hellas bald nicht mehr allein. Schon 211/0 v. Chr.1 gelang es einer aitolischen Gesandtschaft unter Kleonikos und Chlaineas, auch das seit dem Jahre 220/19 v. Chr. mit Aitolien verbündete Sparta zum Anschluß an die aitolisch-römische Koalition zu gewinnen. Bei dieser Gelegenheit hielt der Akarnane Lykiskos eine bedeutsame Rede — die längste im Werk des Polybios erhaltene überhaupt—,die das älteste Dokument eines spezifisch gegen Rom gerichteten politischen „Widerstandes" in Griechenland darstellt2. Nach den vorangegangenen Ausführungen des Aitolers Chlaineas, die einer vernichtenden Anklage der makedonischen Politik seit Philipp I I . gleichkamen, die stets nur auf die Unterdrückung Griechenlands ausgegangen sei3, versuchte Lykiskos, wenigstens die Neutralität der Lake1

Die Rede des Lykiskos setzt die Eroberung von Antikyra voraus (Polyb. 9,39,2), die nach Liv. (26,26,1) veris principio nach dem Abschluß des römisch-aitolischen Bündnisvertrages stattfand. Gehört dieser ins J a h r 212 v. Chr., so könnte die Rede des Lykiskos in den Winter 211/10 v. Chr. fallen (so ζ. B. Lehmann 3 5 ) ; andernfalls wäre an das Frühjahr 210 v. Chr. zu denken, vgl. zuletzt Walbank, Comm. 2,163.

2

Polyb. 9 , 3 2 , 1 — 3 9 , 7 ; dazu zuletzt Walbank, Comm. 2,162ff., bes. 170ff.; Gelzer, Kl. Sehr. 3 , 5 3 ; vgl. HoUeaux, Rome 16—19.

3

Polyb. 9,28,1—31,7.

30

Die Römer als „Barbaren"

daimonier zu erreichen4. Im Mittelpunkt seiner Rede stand, ähnlich wie bei Agelaos, der leidenschaftliche Appell an die Solidarität der Griechen und der „gleichstämmigen" (ομόφυλοι)5 Makedonen gegen die „Barbaren". Ausführlich entkräftete Lykiskos die Vorwürfe des Chlaineas gegen Makedonien und versuchte nachzuweisen, daß dessen Politik nicht, wie Chlaineas behauptet hatte, auf die Unterdrückung Griechenlands, sondern ganz im Gegenteil seit jener gerade auf die Verteidigung der Griechen gegen die Barbaren gerichtet gewesen sei®. Während die Aitoler nur einmal bei Delphi die Galater abgewehrt hätten, sei Makedonien ständig das Bollwerk Griechenlands gegen die Barbaren gewesen7. Den größten Nachdruck aber legte der Akarnane darauf, daß sich die ganze politische Lage in Griechenland seit dem Abschluß des Bündnisses zwischen Sparta und Aitolien im Jahre 220/19 v. Chr. grundsätzlich verändert habe8. Damals hätten nämlich nur Griechen auf der Seite der Aitoler gestanden9; jetzt dagegen hätten sich die Aitoler an „Barbaren" gewandt, und während es damals nur um den Primat unter den Griechen gegangen sei, drohe jetzt unmittelbar die Unterwerfung Griechenlands durch αλλόφυλοι άνθρωποι10. Die Aitoler gäben sich der Illusion hin, sie hätten die Römer nur gegen Philipp V. zu Hilfe geholt; in Wirklichkeit aber würden diese sich gegen sie selbst und ganz Griechenland wenden11. Die „Wolke aus dem Westen" — damit wird das Schlagwort des Agelaos aufgegriffen12 — werde vielleicht zunächst nur Makedonien verdunkeln, bald aber zu einer furchtbaren Katastrophe für alle Griechen führen 13 . Lykiskos erinnerte die Lakedaimonier ausdrücklich an ihre ruhmreiche Rolle im Kampf gegen die Perser, an Leonidas, an ihre Verdienste um die Freiheit Griechenlands14 und fragte sie, ob sie jetzt etwa gemeinschaftüch mit den „Barbaren" gegen die hellenische Symmachie kämpfen wollten15. Er 6 * Polyb. 9,39,7. Polyb. 9,37,7. 6 7 Polyb. 9,33—34. Polyb. 9,35,1—4. 8 Polyb. 9,37,3; vgl. 32,7. 8 Polyb. 9,37,4; dazu zuletzt Walbank, Comm. 2,176. 10 Polyb. 9,37,5—7. 11 Polyb. 9,37,8. 12 Vgl. oben S. 26; lustin. 29,3,1; dazu Walbank, Speeches 16; Geizer, Kl. Sehr. 3, 139. 13 Polyb. 9,37,10. M Polyb. 9,38,1—4. 15 ib. 5.

Die Rede des Akarnanen Lykiskos (211/0 v. Chr.)

31

Schloß, indem er sein tiefes Mißtrauen über die Ziele der römischen Politik zum Ausdruck brachte und erneut entschieden das Zusammengehen der Aitoler mit Rom verurteilte 18 , wobei er noch auf das grausame Schicksal der Einwohner des nicht lange zuvor von Römern und Aitolern eroberten Antikyra verwies17. An der grundsätzlichen Authentizität auch dieser Rede besteht kein ernsthafter Zweifel18. Hervorstechend an ihr ist wiederum die scharfe Gegenüberstellung von Hellenen und „Barbaren" sowie das klare Bewußtsein, daß mit dem aitolisch-römischen Bündnis ein völlig neuartiges und zugleich äußerst gefährliches Element in die Politik des griechischen Mutterlandes eingedrungen war. Das Entscheidende aber, die Befürchtung, daß die Einmischung des „barbarischen" Rom schließlich zu dessen Vorherrschaft in Griechenland führen werde, und der Gedanke, daß man deshalb um jeden Preis versuchen müsse, Rom aus den innergriechischen Streitigkeiten herauszuhalten, durchzieht wie ein Leitmotiv die politischen Auseinandersetzungen, die den I. römisch-makedonischen Krieg begleiteten. So spielte die Furcht vor dem Eindringen Roms in Griechenland eine wichtige Rolle bei den Vermittlungsbemühungen des Jahres 209 v. Chr. in Aigion19. Der Vertreter einer neutralen Macht verglich damals in einer Rede, von der nur ein Bruchstück erhalten ist, die Aitoler und deren peloponnesische Verbündete mit einer Truppe von Leichtbewaffneten vor der römischen Phalanx, die nur das Risiko für die Römer trügen. Würden die Aitoler geschlagen, so könnten sich die Römer immer noch ohne Schaden zurückziehen; wenn aber — was die Götter verhüten möchten — die Aitoler und ihre Verbündeten siegten, so würden alsbald sie selbst mit allen anderen Griechen der römischen Herrschaft anheimfallen 20 . 16

Polyb. 9,39,1. Polyb. a. O. 2f.; dazu Walbank, Comm. 2,179f. 18 Vgl. oben S. 27, Anm. 8 sowie speziell zur Rede des Lykiskos Polyb. 9,32,2: ούτω; πως ήρξατο (sc. Lykiskos) τοΰ λέγειν (dazu Walbank, Comm. 2,170): Walbank, Comm. 2,163; ders., Speeches 13; Pedech 265f.; Holleaux, Rome 18f. 18 Liv. 27,30,10: ibi (d. h. in Aigion) de Aetolico finiendo bello actum, ne causa auf Romanis aut Attalo intrandi Graeciam esset. Zum Datum zuletzt Schmitt 194; zur Einordnung insgesamt ib. 194—196; 209. 20 Polyb. 10,25,1—5 (z. Einordnung vgl. Walbank, Comm. 2,15). Vgl. dazu bereits Niese 2,486; anders Holleaux, Rome 35, Anm. 4, der diese Äußerungen einem makedonischen Gesandten zuschrieb (so anscheinend auch Walbank, Comm. 2,229). Demgegenüber weist Schmitt 196 mit Recht darauf hin, daß das abwehrende δ μή δόξειε τοί; θεοί; hinsichtlich eines aitolischen Sieges (Polyb. 10, 25,5) 17

32

Die Römer als „Barbaren."

3. Die Rede des Rhodiers Thrasykrates (207 v. Chr.) Das letzte große Dokument des panhellenisch gefärbten Widerstandes gegen Rom während des I. Makedonischen Krieges stellt schließlich die Rede des Rhodiers Thrasykrates dar, die dieser bei neuerlichen Verhandlungen über die Beendigung des Krieges in Aitolien etwa im Sommer 207 v. Chr. hielt 1 . Er hob hervor, daß man nicht zum ersten oder zweiten Male den Versuch einer Beilegung der Feindseligkeiten zwischen Aitolien und Makedonien unternehme, sondern seit dem Ausbruch des Krieges unablässig darauf hingearbeitet habe2. Dann kam auch er auf die bereits von Lykiskos, dem Redner von 209 v. Chr. und ζ. T. schon von Agelaos 217 v. Chr. geäußerten Befürchtungen zu sprechen. Im Augenblick gehe es nur um Aitoler und Makedonen, in der Zukunft jedoch auch um die eigenen Staatswesen der Vermittler und um alle Griechen3. Wie ein Brand, der oft aus der Kontrolle desjenigen gerate, der ihn entfacht habe, so verschlinge auch ein Krieg oft gerade zuerst die, die ihn ausgelöst hätten, oder weite sich ins Ungemessene aus4. Eindrücklich forderte er daher die Aitoler auf, so rasch wie möglich mit dem Krieg gegen Makedonien Schluß zu machen6. Sie behaupteten, im Interesse der Griechen gegen Philipp und dessen drohende Vorherrschaft zu kämpfen; in Wirklichkeit führten sie damit nichts weniger als die Versklavung ebensogut von einem neutralen, an der Erhaltung des politischen Gleichgewichts in Griechenland interessierten Redner gesprochen sein könne. Vor allem aber setzt die ganze Argumentation eine so geringe Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und Absichten der makedonischen Politik voraus, daß sie bei einem Vertreter Philipps nicht recht verständlich wäre: Weder soll Makedonien im Falle eines Sieges über Aitolien eine Chance haben, noch etwas gegen Rom auszurichten, noch sollte es im umgekehrten Fall die Unterwerfung gleich ganz Griechenlands durch die Römer verhindern können. "Ο μή δόξειε τοΐζ ΒεοΤζ richtet sich im übrigen gar nicht so sehr gegen die Aitoler als vielmehr gegen die damit — nach Ansicht des Vermittlers — unmittelbar verbundene Gefahr der Unterwerfung Griechenlands durch Rom. 1

2 3 4 6

Polyb. 11,4,1—6,8. Zur Person des Thrasykrates vgl. zuletzt Walbank, Comm. 2,275; Lehmann 137; Schmitt, Rhodos 203; zur Datierung Walbank a. O. 277; Lehmann 136; Schmitt a. O . — Zu der Rede insgesamt auch Walbank a. O. 274—277; Lehmann 135—155; Schmitt a. Ο. 198—204; Holleaux, Rome 37f. Polyb. 11,4,2. Polyb. ib. 3. Polyb. ib. 4—5. Polyb. ib. 6.

Die Rede des Rhodiers Thrasykrates (207 v. Chr.)

33

und den Untergang Griechenlands herbei®. Nichts anderes würden die Abmachungen mit den Römern besagen, mit denen sie fast alle Griechen des Mutterlandes den „Barbaren" zur grausamsten Mißhandlung ausgeliefert hätten, wie sich zuletzt am Schicksal von Oreos und Aigina nur allzu deutlich gezeigt habe 7 . Doch sei dies nur der Anfang; am Ende würden die Römer, sobald sie Hannibal vollends aus Italien vertrieben hätten, mit ganzer Macht nach Griechenland kommen unter dem Vorwand, den Aitolern gegen Philipp zu helfen, in Wirklichkeit aber, um alle Griechen zu unterwerfen8. Zu spät würden dann die Aitoler die Götter zu Zeugen anrufen, wenn von diesen ihnen keiner mehr helfen wolle und kein Mensch ihnen mehr helfen könne9. Vielleicht wäre dies alles von Anfang an vorherzusehen gewesen; da es nun aber einmal menschlich sei, die Zukunft nicht richtig einzuschätzen, müßten die Aitoler wenigstens jetzt den richtigen Entschluß fassen und dürften dabei weder ihrer eigenen noch der ελευθερία und σωτηρία der anderen Griechen zuwiderhandeln10. Diese Rede, die im Vergleich zu den Ausführungen des Agelaos und des Lykiskos nichts eigentlich Neues bringt, sondern nur die bereits dort entwickelten, ,panhellenisch' bestimmten Gedankengänge eindrucksvoll zusammenfaßt, scheint vor allem auf die πολλοί einen nicht geringen Eindruck gemacht zu haben11. Auf dieselben Verhandlungen dürfte sich auch eine bei Appian erhaltene Notiz über einen Vermittlungsversuch in Aitolien beziehen, bei dem die Vermittler ebenfalls ihre Befürchtungen zum Ausdruck brachten, daß die Folge des Kampfes zwischen Aitolien und Makedonien die Polyb. 11,5,1. Polyb. 11,5,2—8. 8 Polyb. 11,5,9—6,2. • Polyb. 11,6,4. w Polyb. ib. 8. 11 Polyb. a. O. 9; zur Authentizität der Thrasykrates-Rede vgl. Walbank, Comm. 2,275; P(5dech 268f.; ausführlich Lehmann 137—149, der gegen Schmitt, Rhodos 203, darauf hinweist, daß sich der Inhalt dieser Rede keineswegs mit den persönlichen Ansichten des Polybios deckt. Dies gilt auch besonders für die Bezeichnung der Römer als Barbaren (dazu unten S. 34, Anm. 4; 37, Anm. 12) sowie für das Urteil des Thrasykrates über das römische Vorgehen in Aigina und Oreos, Lehmann 142; 146—149. Gegen den Versuch Schmitts (a. 0 . 1 9 9 — 2 0 3 ) , den antirömischen Gehalt der Rede des Thrasykrates mit Rücksicht auf die von ihm vermuteten damaligen guten Beziehungen zwischen Rhodos und Rom zu leugnen bzw. abzuschwächen, vgl. wohl mit Recht Walbank, J R S 53, 1963, 3; J . Bleicken, Gnomon 31, 1959, 440f.; Α. H. McDonald, J R S 48, 1958, 184f. β 7

3

Deininger, Widerstand

34

Die Römer als „Barbaren"

Unterwerfung Griechenlands durch die Römer sein werde 12 . Die Masse der Teilnehmer an jener Versammlung Schloß sich anscheinend dieser Auffassung an. Als nämlich der römische Proconsul P . Sulpicius zu widersprechen versuchte, wollte das πλήθος davon nichts wissen; laut rief man ihm zu, die Gesandten hätten die Wahrheit gesprochen. Dies ist zugleich die älteste Nachricht

über eine ausgesprochen

antirömische

Stellungnahme des πλήθος 13 .

4. Das

Verschwinden

des

panhellenisch

(205—199

v.

bestimmten

Widerstandes

Chr.)

Eines ist gewiß: Nie mehr ist im späteren Verlauf des Kampfes zwischen Griechenland und Rom so oft von "Ελληνες1, πάντες οί "Ελληνες, άπαντες οί 'Ελληνες 2 und 'Ελλάς, π δ σ α (ή) Ελλάς 3 gesprochen worden wie in den drei großen „panhellenischen" Reden von Agelaos, Lykiskos und Thrasykrates. Im Mittelpunkt steht dabei immer wieder die Überzeugung, daß die Römer βάρβαροι, αλλόφυλοι seien4 und die akute Gefahr 12

13

App. Mak. 3,3; zur Einordnung Walbank, Comm. 2,274f.; Schmitt a. O. 204 bis 210; Lehmann 135. App. Mak. a. O. — Diese „skandalösen" Umstände hält Lehmann 136, Anm. 3, für unhistorisch. Seine Begründung, daß andernfalls in den späteren aitolischrömischen Auseinandersetzungen, „vor allem bei Livius", daran erinnert worden wäre, ist jedoch unzureichend. Auch auf die Schmähungen, die der römische Gesandte Cn. Cornelius Lentulus 196 v. Chr. im aitolischen Koinon über sich ergehen lassen mußte (unten S. 64f.), wird ζ. B. später kein Bezug mehr genommen. Richtiger daher wohl Schmitt a. O. 208, der an der Historizität des von Appian berichteten Vorfalls festhält.

ι Polyb. 5,104,1; 5; 6; 9 (Agelaos); 9,32,9; 11; 33,3; 4; 6; 34,3; 35,1; 2; 3; 36,5; 37,4; 7; 38,4; 39,5 (Lykiskos); 11,4,3; 10; 5,1; 6,8; vgl. 6,6 (Thrasykrates). 2 Polyb. 9,33,12; 34,2, vgl. 3; 36,9; 37,10; 38,1; 5 (Lykiskos); 11,5,7; 9 (Thrasykrates). 8 Polyb. 5,104,5; 6; 10 (Agelaos); 9,33,5; 7 (vgl. 35, 4); 37,8; 38,9 (Lykiskos); 11, 5,1; 6,2 (Thrasykrates). «Vgl. Polyb. 5,104,1 (Agelaos); 9,37,5; 38,5 (Lykiskos); 11,5,7 (Thrasykrates) sowie für άλλόφυλοι Polyb. 9,37,7; 39,3 (Lykiskos). — Zur Historizität des hier überlieferten Vorwurfs des „Barbaren"tums vgl. bes. Η. H. Schmitt, Hellenen, Römer und Barbaren (Progr. Aschaffenburg 1958), 45f.; Lehmann 142; Holleaux, Etudes 4,42 m. Anm. 1. — Gegen den Versuch Schmitts, den romfeindlichen und abwertenden Charakter dieses Begriffs in der Thrasykrates-Rede abzuschwächen (vgl. ders., Rhodos 202), Lehmann a. O.; Höpital a. O. 47, Anm. 19.

Das Verschwinden des panhellenisch bestimmten Widerstandes

35

der Unterjochung Griechenlands durch sie drohe. In dieser völlig neuen politischen Situation6, so lautete die Überzeugung der Gegner Roms, kam es in erster Linie darauf an, daß die Griechen durch gemeinsames Handeln ein Übergreifen Roms auf Hellas verhinderten. Dieses gemeingriechische Interesse an der Abwehr der „barbarischen" Römer ist der Tenor der Reden des Lykiskos, des Vermittlers von 209 v. Chr. und des Thrasykrates; es findet sich aber in allen wesentlichen Zügen bereits bei Agelaos im Jahre 217 v. Chr. vorgebildet, auch wenn dort noch neben Rom Karthago als ebenbürtige Gefahr für Griechenland erschien. Über die tieferen Ursachen dieser Befürchtungen verlautet nichts: doch scheint man den Römern als „Barbaren" in der Tat den quasi natürlichen Willen zur Unterwerfung der Hellenen zugetraut zu haben, der überdies durch das Schicksal der unteritalischen und sizilischen Griechen, aber auch durch die grausame römische Kriegführung in Griechenland aufs deutlichste illustriert zu werden schien. An der historischen Realität dieser panhellenischen Argumentation kann, obwohl sie nur durch Reden überliefert ist, kein Zweifel bestehen. Gerade die Tatsache, daß in ganz verschiedenen Situationen von einem Aitoler, einem Arkarnanen und einem Rhodier immer wieder dieselben Überlegungen angestellt werden, beweist, wie lebendig diese Gedanken damals waren. Vollends aber die Überlegung, daß die hier befürchtete „Unterjochung" Griechenlands erst in viel späterer Zeit und auch in ganz anderen Formen Wirklichkeit wurde, dürfte zeigen, daß man es mit einer authentischen Überlieferung zu tun hat. Der mit diesen Argumenten mobilisierte Widerstand gegen Rom war nicht umsonst; die Hoffnungen der an einer Beilegung des aitolischmakedonischen Krieges interessierten Kräfte erfüllten sich schließlich. Die verschlechterte militärische Lage Aitoliens, die geringe römische Unterstützung und die Bemühungen der neutralen Griechen wirkten zusammen, daß Aitolien im Jahre 206 v. Chr. unter Bruch des Bündnisses mit Rom einen Separatfrieden mit Makedonien Schloß®. Schon im folgenden Jahr setzte dann der Friede von Phoinike dem I. römisch-makedonischen Krieg ein Ende. Damit war die Gefahr der römischen Intervention in Griechenland gebannt, freilich, wie sich nur allzurasch herausstellen sollte, nur kurz5 β



Besonders deutlich Polyb. 9,37,3 (vgl. oben S. 30) in der Rede des Lykiskos. Gegen die von Lehmann (140, Anm. 2) wiederaufgenommene Vermutung, Agelaos sei damals erneut Stratege gewesen, vgl. bereits G. Klaffenbach, IG I X l 2 , 1 (1932), p. 6; Holleaux, Etudes 6,316, Anm. 9.

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Die Römer als „Barbaren"

fristig. Die Expansionspolitik, die Philipp V. wenige Jahre später im Osten begann, rief sofort die Rhodier auf den Plan, die sich jetzt ihrerseits mit Attalos I. von Pergamon an die Römer wandten und diesen damit Anlaß zu einem neuerlichen Eingreifen verschafften, was schon fünf Jahre nach dem Frieden von Phoinike zum Ausbruch des II. römischmakedonischen Krieges führte. Die Situation des Widerstandes gegen Rom in Griechenland ist, wie die Beziehungen zwischen Griechenland und Rom in diesen Jahren überhaupt, weitgehend dunkel. Es scheint jedoch, daß auch für den Widerstand nicht so sehr der Ausbruch des II. Makedonischen Krieges, sondern erst die neue Ära der römischen Griechenlandpolitik, die 198 v. Chr. mit T. Quinctius Flamininus begann, einen wirklichen Einschnitt bildete. Jedenfalls versuchte noch im Frühjahr 199 v. Chr. in Naupaktos eine makedonische Gesandtschaft die Aitoler mit den aus dem I. Makedonischen Krieg wohlbekannten „panhellenischen" Argumenten von einem neuerlichen Bündnis mit Rom abzuhalten7. Der makedonische Gesandte wies damals erneut auf die Taktik der römischen Eroberungspolitik hin, wie sie sich in Sizilien und Unteritalien gezeigt habe. Um Messana und Syrakus zu helfen, seien die Römer nach Sizilien gekommen; am Ende sei dann die Insel römische Provinz geworden. Ähnlich sei es mit Rhegion, Tarent und Capua gegangen8. Es sei geradezu Wahnsinn zu glauben, irgendetwas werde noch im bisherigen Zustand bleiben, wenn die Römer, alienigenae homines, durch Sprache, Sitten und Gesetze von den Griechen geschieden, Griechenland in ihre Gewalt bekämen9. Aitoler, Akarnanen und Makedonen sprächen dieselbe Sprache, und die zwischen ihnen bestehenden Streitfragen seien im Grunde geringfügiger Natur. Die alienigenae, die „Barbaren" dagegen seien von Natur aus Feinde der Griechen, und ewig werde zwischen beiden Kampf herrschen10.Mit kaum mehr zu überbietender Schärfe wurde hier von den Makedonen der Gegensatz zwischen den Griechen und den „barbarischen" Römern herausgestellt 7

Liv. 31,29,4—16 (Polyb.: Walbank, JRS 53, 1963, 9); dazu Geizer, Kl. Sehr. 3, 53 f. 8 Liv. a. O. 6—11. » Liv. a.O. 12. 10 Liv. a. O. 13—15; ib. 15: cum alienigenis, cum barbaris aeternum omnibus Graecis bellum est eritque; natura enim, quae perpetua est, non mutabilibus in diem causis Höstes sunt. — Alienigenae (vgl. ib. 12) entspricht offensichtlich einem griech. (polybianischen) αλλόφυλοι, so Polyb. 9,37,7. — Vgl. noch Liv. 31,30,4 (Antwort der römischen Gesandten).

Das Verschwinden des panhellenisch bestimmten Widerstandes

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und an eine gemeingriechische Solidarität im Widerstand gegen Rom appelliert — zum letztenmal indes, soweit die erhaltene Uberlieferung reicht. Denn im weiteren Verlauf des II. römisch-makedonischen Krieges scheint die Vorstellung von den Römern als „Barbaren" ihre Bedeutung gänzlich verloren zu haben. Wohl wird Flamininus im Jahre 198 v. Chr. einmal von Makedonen als Anführer eines „barbarischen" Heeres bezeichnet11, und unmittelbar vor Beginn der Schlacht von Kynoskephalai taucht auf makedonischer Seite nochmals der Begriff βάρβαροι für die Römer auf12. Aber in Griechenland fehlen schon für diese Zeit alle vergleichbaren Zeugnisse, und vollends im weiteren Verlauf des 2. Jahrhunderts v. Chr. war dort im politischen Kampf gegen Rom niemals mehr vom „Barbaren"tum der Römer die Rede; auch Polybios, der einer späteren Generation angehörte, nennt selbst die Römer bekanntlich nie „Barbaren"13. Eine dauerhafte, gegen die Römer als „Barbaren" gerichtete panhellenische Ideologie ist also trotz der offenkundigen Ansätze dazu bei Agelaos und im I. Makedonischen Krieg bei Lykiskos und Thrasykrates nicht zustandegekommen. Vielmehr trat nach diesem bemerkenswerten panhellenischen Vorspiel der Widerstand gegen Rom seit dem II. römischmakedonischen Krieg, vor allem seit dem Erscheinen des Flamininus, rasch in eine ganz neue Phase, in der das verhängnisvolle Ubergewicht der partikularen über die panhellenischen Kräfte in Griechenland voll sichtbar wurde. 11 12 13

Plut. Tit. 5. Polyb. 18,22,8. Vgl. dazu bes. Η. H. Schmitt, Hellenen, Römer und Barbaren, Progr. Aschaffenburg 1958.

II. Die Richtungskämpfe innerhalb der einzelnen Staatswesen I: Entstehung, Erfolge und Rückschläge der antirömischen Gruppen (ca. 19S—180 v. Chr.) 1. Die ersten Auseinandersetzungen

(198—197

v. Chr.)

Der in den Jahren von 217 bis 199 v. Chr. so auffallend häufig bezeugte „panhellenische" Aspekt war nicht das einzige Charakteristikum der Anfänge des antirömischen Widerstandes in Griechenland. Gleichzeitig handelte es sich in dieser ältesten Zeit noch durchweg um Abwehrversuche im Namen ganzer Staatswesen, nicht bestimmter politischer Gruppen in ihrem Innern. Zwar kann man vermuten, daß es schon während des I. römisch-makedonischen Krieges gewisse innere Auseinandersetzungen über die gegenüber den Römern einzunehmende politische Haltung gegeben hat. Doch dürfte das völlige Schweigen der Quellen darüber nicht zufälhg sein und zu dem Schluß berechtigen, daß solche Gegensätze in jener Zeit, wenn überhaupt, so doch nur eine sehr geringe Rolle gespielt haben können1. Gerade hier aber sollte sich ein entscheidender Wandel vollziehen, als Rom im Laufe des II. Makedonischen Krieges immer tiefer in die politischen Verhältnisse Griechenlands eindrang, wobei zweifellos die Übernahme des römischen Oberkommandos durch T. Quinctius Flamminus etwa im Mai 198 v. Chr. den wichtigsten Einschnitt darstellte. Jetzt, angesichts der gesteigerten diplomatischen Aktivität der Römer in Griechenland, wurden plötzlich vielerorts schwerwiegende innenpolitische Spannungen zwischen Gegnern und Anhängern Makedoniens und Roms sichtbar. Schon seit dem Herbst 198 v. Chr. zeichneten sich in Umrissen die ersten Grundlinien künftiger Richtungskämpfe bei den „principes" ab und begann sich anzudeuten, daß die ganze politische 1

So hatte sich bereits Korkyra „einmütig" unter den Schutz Roms gestellt, oben S. 24; die Kritik daran (oben S. 24, Anm. 8) scheint nicht aus Korkyra selbst zu stammen. — Andererseits wurde beim Abschluß des aitolisch-römischen Bündnisvertrags keine Gegenstimme laut, wenn dieser Abschluß auch kaum im Sinne eines Agelaos gewesen sein kann.

Die ersten Auseinandersetzungen (198—197 ν. Chr.)

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Auseinandersetzung des griechischen Mutterlandes mit Rom, statt eine gemeinsame Front der griechischen Staatswesen nach außen hervorzurufen, sich gleich einem Spaltpilz in die einzelnen Staaten selbst hineinverlagerte und allenthalben zur Entstehung gegensätzlicher „factiones" und „partes" führte2. Ein frühes Symptom dieser Entwicklung waren zweifellos die Vorgänge in dem an sich promakedonischen Epeiros, wo ein gewisser „princeps" Charops auf die Seite Roms übertrat3. Schon Anfang 198 v. Chr. hatte er den auf Korkyra überwinternden Konsul P. Villius über die Besetzung der Aoos-Pässe durch Philipp V. informiert4. Als dann im Frühsommer 198 alle Versuche des Flamininus, die Aoos-Stellung einzunehmen, ohne Erfolg blieben, leistete Charops den Römern erneut einen wichtigen Dienst: In seinem Auftrag erbot sich ein Hirte bei Flamininus, eine römische Abteilung unbemerkt in den Rücken der Makedonen zu führen5. Dieses Manöver glückte; unter dem Angriff von beiden Seiten brach die makedonische Stellung zusammen, und Philipp wurde zum schleunigen Rückzug nach Thessalien gezwungen®. Der erste offene Kampf zwischen Gegnern und Befürwortern eines politischen Zusammengehens mit Rom in ein und demselben Staatswesen aber führt nach Achaia, das sich nach heftigen inneren Auseinandersetzungen in einer spektakulären Wendung seiner Politik im Herbst des gleichen Jahres von Makedonien löste und sich Rom anschloß. 2

Während Polyb. bei den politischen Gruppierungen in den griechischen Staatswesen meist nur von ol ττερί oder (selten) von μέρος spricht (vgl. 24,9,10; 38,10,6), verwendet Livius in der Regel den Begriff factio

(vgl. 32.19.2; 32,3; 35,33.7;

34,7; 12; 37,5; 36,12,4; 39,36,5; 42.63,12; 43,22,3) bzw. den allgemeineren Ausdruck pars (vgl. 41,25,2; 42,5,11; 30,2—7; 43,7; 10; 46,5; 63,12; 45,31,1; 3—5). 3

Zur Haltung von Epeiros im II. römisch-makedonischen Krieg vgl. Liv. 32,14,5; Hammond 619; ζ. Pers. des Charops, Sohn des Machatas, Th. Büttner-Wobst, R E Suppl. I (1903), 284f., Nr. 11. Charops als „princeps

Epirotarum":

Liv. 32,11,

1; vgl. 14,5; Aur. Vict. 51,1; Plut. Tit. 4: -πρωτεύων. Wahrscheinlich war er Chaone, vgl. Scullard 62. 4

Liv. 32,6,1; dazu Oost 46.

« L i v . 32,11—12; vgl. Diod. 30,5; App. Mak. 5; Enn. ann. 10, 334ff. V. — Von mehreren Hirten sprechen Plut. Tit. 4; Aur. Vict. 51,1 (danach ζ. B. Niese 2,611; Stier 125; anders Büttner-Wobst a. O. 284; Oost 122, Anm. 49; Hammond 618). Zu diesen und anderen Differenzen zwischen Liv. und Plut. vgl. N . G. L. H a m mond, J R S 56,1966, 52, Anm. 38. • Vgl. Hammond 618f.; ders., JRS a. O. 52f. — Die Bedeutung des Eingreifens von Charops hebt Polyb. 27,15,2 ausdrücklich hervor; vgl. auch Liv. 32,21,14;

20.

40

Richtungskämpfe I

a) Achaia: Der Kampf um das Zusammengehen mit Rom (198 v. Chr.) Das 225/4 v. Chr. noch von Aratos angesichts der akuten Bedrohung durch das Sparta Kleomenes' III. herbeigeführte Bündnis zwischen dem achaiischen Koinon und Makedonien war von Anfang an mit vielen Problemen behaftet und, wie sich zeigen sollte, der Belastungsprobe durch das Dazwischentreten Roms auf die Dauer nicht gewachsen. Im I. römisch-makedonischen Krieg hatte Achaia zwar fest auf der Seite Philipps V. gestanden, und im Herbst 200 v. Chr. war mit Kykliadas noch einmal ein Politiker an die Spitze des Koinon gelangt, der als überzeugter Befürworter des achaiisch-makedonischen Bündnisses galt1. Dennoch mußte auch er — ein Zeichen dafür, wie prekär die Beziehungen geworden waren — im Jahre 199 v. Chr. ein Hilfsangebot Philipps V. gegen Nabis ausschlagen, das Achaia in den Krieg gegen Rom zu verwickeln drohte2. Im Herbst dieses gleichen Jahres bahnte sich dann mit der Wahl des bedeutenden Politikers Aristainos zum Nachfolger des Kykliadas eine entscheidende Wende in der achaiischen Politik an3. Wie dieser 1

Liv. 31,25,10; z. Person Lehmann 207—216. Kykliadas hatte bereits 210/9 v. Chr. die Strategie bekleidet, Liv. 27,31,10; Errington 248f.; vgl. Lehmann 207. — Nach Errington 82—84 hätte die Wahl des Kykliadas eine achaiische Reaktion auf den gemeinsamen Versuch von Philopoimen und Aristainos dargestellt, schon anläßlich der römischen Gesandtschaft von 200 v. Chr. in Achaia (Polyb. 16,27,4) in ein engeres Verhältnis zu Rom zu treten. Die Wahl des Kykliadas hätte dann auch zum Weggang Philopoimens nach Kreta geführt (ib. 73—75). Keine dieser Vermutungen läßt sich durch die Quellen hinreichend begründen; vgl. das Folgende sowie Anm. 4.

2

Liv. 31,25,2—11; vgl. 32,21,10—11; dazu Errington 87; Lehmann 212—214; Aymard, Rapports 67. — Zu der „promakedonischen" achaiischen Gesandtschaft nach Rhodos im Jahre 200 v. Chr. (Polyb. 16,35), wahrscheinlich während seiner Strategie, vgl. zuletzt Errington 86f. Zu dem vielerörterten Problem von Person und Herkunft des Aristainos vgl. zuletzt Errington 276—279; Lehmann 391f.; Moretti 1, S. 85f., zu Nr. 37; J . Deininger, Historia 15, 1966, 376—380; 511. Die Identität mit dem Fouüles de Delphes I I I 3, 122 ( = Syll. 3 702, Komm.; vgl. auch Inscr. Cret. I I 23, Nr. 6) genannten Aristainos, Sohn des Timokades, aus Dyme ist nach Errington 278f.; Lehmann 392; Moretti a. O. 86 kaum zu bezweifeln. Dennoch wird man die abweichenden Angaben (Plut. Philop. 17; Paus. 8,51,4), Aristainos sei Megalopolite gewesen, nicht einfach als Irrtum Plutarchs abtun können (vgl. Moretti a. O.; Deininger a. O. 377f.), zumal wenn Pausanias doch ein gewisser selbständiger Wert zukommen sollte (Errington 240). Die Erklärung erscheint denkbar, daß

3

Achaia: Der Kampf um das Zusammengehen mit Rom (198 v. Chr.)

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Machtwechsel im einzelnen vorbereitet worden war, ist nicht recht durchschaubar; es scheint jedoch, daß auch der Weggang Philopoimens, des militärischen Reformers des achaiischen Bundes und Strategen von 201/0 v. Chr., nach Kreta damit in Zusammenhang steht. Die These, daß Philopoimen und Aristainos ursprünglich eng zusammengearbeitet und schon seit 200 v. Chr. gleichsam eine prorömische Partei in Achaia gebildet hätten, ist unhaltbar; alles deutet vielmehr daraufhin, daß schon damals der Gegensatz zwischen den beiden Politikern bestand, der später eine so große Rolle spielen sollte4. Ob Aristainos von Anfang an offen für einen Übergang desKoinon auf die römische Seite eingetreten ist, erscheint durchaus fraglich; noch im Winter 199/8 v. Chr. wurde jedenfalls das Bündnis zwischen Achaia und Makedonien förmlich erneuert6. Die eigentliche Zäsur dürfte — obwohl hier vieles unsicher bleiben muß — erst nach der Übernahme des römischen Oberkommandos durch Flamininus hegen. Vielleicht im Sommer 198 v. Chr. kam es zur Verbannung des Kykliadas, des princeps factionis ad Philippum trahentium res6, und im Herbst dieses Jahres sah sich das Koinon durch Aristainos schließlich unmittelbar vor die Entscheidung über den Anschluß an Rom gestellt.

4

6

β

Aristainos etwa das Bürgerrecht von Dyme zusätzlich zu dem von Megalopolis erworben hat (zu Bürgerrechtsverleihungen gerade von Dyme im späteren 3. Jahrhundert v. Chr. vgl. Syll.» 629; 531). Die Folge von Philopoimens Weggang nach Kreta war offenbar der Versuch seiner Gegner in Megalopolis, einen Verbannungsbeschluß gegen ihn zu erreichen, Plut. Philop. 13. Da dieser Versuch durch Aristainos während seiner Strategie, also 199/8 v. Chr. verhindert wurde, andererseits aber nicht anzunehmen ist, daß die Reaktion in Megalopolis sehr lange nach dem Abgang Philopoimens erfolgte, dürfte auch dieser Weggang selbst in den Anfang der Strategie des Aristainos gehören. Die Feststellung bei Plut. a. O., Philopoimen sei deswegen nach Kreta gegangen, weil die Achaier έτέρον/s άρχοντα; gewählt hätten, muß sich also auf die Wahl des Aristainos 199 v. Chr. beziehen. Nicht überzeugend ist demgegenüber der Versuch Erringtons 72ff., aus dieser Episode entgegen der ausdrücklichen Versicherung Plutarchs (a. Ο.: καίττερ [sc. Philopoimen] ών διάφορο;.. .περί την ττολιτείαν) eine politische Zusammenarbeit zwischen Philopoimen und Aristainos in dieser Zeit zu erschließen und den Weggang Philopoimens nach Kreta als Folge der Wahl des Kykliadas zum Strategen ins Jahr 200 v. Chr. zu verlegen. Liv. 32,5,2—5. — Aymard a. O. 68, Anm. 12 (vgl. 78 f.) dürfte (gegen Niese 2,616) gezeigt haben, daß Aristainos bei seiner Wahl zum Strategen noch nicht als ausgesprochen prorömischer Politiker galt. So Liv. 32,19,2; vgl. 31,25,10; Aymard a. O. 67. — Aymard setzt die Verbannung ohne nähere Begründung in die Zeit unmittelbar nach dem Ausscheiden des Kykliadas aus der Strategie (vgl. a. O. 78), während Lehmann (215) sie ebenfalls

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Richtungskämpfe I

Der Anschluß des Koinon an Rom unter Aristainos Von den ersten Fühlungnahmen der Gruppe um Aristainos und der römischen Seite ist nichts Näheres überliefert1; doch dürfte klar sein, daß auch hier — ähnlich wie seinerzeit zwischen den aitolischen principes und den Römern — eine gewisse Vorverständigung erreicht war2. Im Herbst 198 v. Chr., unmittelbar bevor die römische Flotte mit pergamenischer und rhodischer Unterstützung die Belagerung von Korinth aufnahm, berief Aristainos dann eine Versammlung des achaiischen Koinon nachSikyon ein, die über Annahme oder Ablehnung des römischen Bündnisangebotes entscheiden sollte3. Außer einer makedonischen und einer römischen Gesandtschaft erschienen dort auch Gesandte der griechischen Verbündeten Roms, Attalos' I., Rhodos' und Athens4. Den ohne weitere Erörterung im Sommer 198 v. Chr. stattfinden läßt. Die größere Wahrscheinlichkeit dürfte hier immerhin dafür sprechen, daß die Verbannung zumindest erst nach der Erneuerung des Bündnisses mit Makedonien erfolgte. 1 2 3

4

Vgl. dazu die Vermutungen bei Aymard a. O. 79—-82. Vgl. oben S. 28. Zur Einberufung durch Aristainos (vgl. Liv. 32,21,1) Aymard a. O. 81f. m. Anm. 51; z. Dat. ib. 80f., Anm. 49. — Offenkundig handelte es sich um eine (außerordentliche) Primärversammlung des Koinon. Zu der — noch immer nicht endgültig gelösten — Frage der achaiischen Bundesversammlungen vgl. zuletzt A. Giovannini, Polybe et les assemblies achdennes, Mus. Helv. 26, 1969, 1—17, der die von A. Aymard, J . A. O. Larsen und anderen vorgenommene Unterscheidung von „Synodoi" als ordentlichen und „Synkletoi" als außerordentlichen Versammlungen verwirft und — wohl mit Recht — σύυοδοζ als „Sitzung" der Bule und der Ekklesie erklärt (a. O. 15). Damit wird auch die von Larsen (vgl. Fed. States 223—228; Repres. Gov. bes. 87—100) aufgestellte und vielfach (vgl. Walbank, Comm. l , 2 1 9 f . ; V. Ehrenberg, Der Staat der Griechen [ZürichStuttgart 2 1965], 158; Lehmann 379; Errington 6) übernommene These hinfällig, daß — seit spätestens 200 v. Chr. — alle ordentlichen Versammlungen des Koinon bloße Repräsentativversammlungen gewählter Buleuten aus den einzelnen Mitgliedsstädten waren, und die Ekklesie nur zu Fragen über Bündnisse und Krieg und Frieden (vgl. Polyb. 22,12,6) einberufen werden konnte. Berechtigte Einwendungen gegen diese Hypothese Larsens auch bei Musti 195—198. Vgl. auch unten S. 180, Anm. 19; 182, Anm. 33; 227, Anm. 23. Das Folgende Liv. (Polyb.) 32,19.1—23,3 (vgl. 41,24,13); App. Mak. fr. 7; Paus. 8,7,1—2; außerdem Plut. Tit. 5; Zonar. 9,16,3; dazu vor allem Aymard a. O., Kap. I, „L'assemblee de Sikyon", 1—102 (bes. 83—97); kurz Geizer, Kl. Sehr. 3,143f.; Holleaux, Etudes 5, 355f.; De Sanctis 4,l 2 ,66f. — Die These Melonis (Valore storico 59—70; vgl. auch Aymard 95f., Anm. 58), daß bei Appian eine von Polybios unabhängige zeitgenössische Überlieferung zu fassen sei, hat M.

Aristainos

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dreitägigen Beratungen waren bereits heftige Diskussionen in den einzelnen Städten vorausgegangen5. Der erste Tag brachte den Auftritt der Gesandten der kriegführenden Mächte®. Zuerst sprachen L. Calpurnius, ein pergamenischer und ein rhodischer Gesandter, die das Koinon zum Eintritt in den Krieg gegen Philipp aufforderten7; dann erinnerte der Vertreter Philipps V. die Achaier an die bestehenden Verpflichtungen gegenüber Makedonien sowie an den Ausgang des I. römisch-makedonischen Krieges und forderte das Koinon auf, sich entweder aktiv auf die Seite Philipps zu stellen oder wenigstens Neutralität zwischen Rom und Makedonien zu wahren8. Zum Schluß folgte noch die Rede des athenischen Gesandten, die sich im wesentlichen in persönlichen Beschimpfungen Philipps erschöpfte9 und offenbar zu erregten Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern Makedoniens führte10. Am nächsten Tag ergriff dann der Stratege Aristainos das Wort zu einer großen Rede, in der er seine eigene politische Einstellung klar zu erkennen gab und sich mit vollem Nachdruck für das Zusammengehen Achaias mit Rom und den Bruch mit Makedonien einsetzte. Zur Begründung verwies er auf den entschieden stärkeren Einsatz Roms in Griechenland gegenüber dem I. Makedonischen Krieg, die zahlreichen militärischen Erfolge der Römer gegen Philipp, der überhaupt nicht in der Lage sei, die Achaier gegen Nabis oder gar gegen die Römer wirksam zu unterstützen, und auf die Ohnmacht des achaiischen Koinon selbst: den Achaiern bleibe deshalb gar keine andere Wahl, als auf das römische Bündnisangebot einzugehen11. Diese Rede löste heftige Auseinandersetzungen in der Versammlung aus. In dem zehnköpfigen Damiurgenkollegium war die eine Hälfte für, Geizer widerlegt (Kl. Sehr. 3,284) und gezeigt, daß auch die bei Appian erhaltene Version letztlich auf dem verlorenen Bericht des Polybios beruht. * Liv. 32,19,9; 20,3; Aymard 83f. « Liv. 3 2 , 1 9 , 1 1 — 1 3 ; Aymard 8 4 — 8 9 . 7

Liv. 32,19,11; 21,4; 3 0 ; dazu Aymard a. O. 84f.

8

Liv. 32,21,6; 8 — 9 ; 12; 33; vgl. auch 32,19,12; dazu Meloni a. O. 6 3 f . ; Aymard, Rapports 69; 8 8 ; 95f., Anm. 58.

» Liv. 32,19,12; 21,21; Aymard a. O. 88 f. Jedenfalls berichtet Liv. 32,22,3 zum zweiten Tag: is quoque dies iurgiis est consumptus, sodaß anzunehmen ist, daß bei Polybios bereits am Ende des ersten Tages von erheblichen Meinungsverschiedenheiten die Rede war, dies aber in der verkürzten Wiedergabe bei Livius weggefallen ist.

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Liv. 32,20,3—21,37; Lehmann 2 1 9 f . ; Aymard, Rapports 9 1 — 9 3 ; zur Authentizit ä t vgl. zuletzt Lehmann 218; Aymard 92f.

44

Richtungskämpfe I

die andere gegen Aristainos, wobei sich die Gegner darauf beriefen, daß nach den geltenden Gesetzen dem Koinon kein Antrag vorgelegt werden dürfe, der gegen das Bündnis mit Makedonien gerichtet sei, und daß das Koinon darüber nicht abstimmen dürfe12. Im πλήθος schienen die Gegner des Zusammengehens mit Rom sogar in der Mehrzahl zu sein13. Dabei wurde offenbar nicht nur an die grausame Kriegführung des P. Sulpicius erinnert14; auch Flamininus selbst sowie seinem Vorgänger P. Villius machte man ähnliche Vorwürfe16. Auch wurde die alte Befürchtung wieder laut, die Römer würden am Ende nur ihrerseits die Stelle Philipps und der Makedonen als δεσττόται Griechenlands einnehmen. Bis zum Abend hielten die Tumultszenen an16, und die Tiefe der Meinungsverschiedenheiten offenbarte sich nicht zuletzt in der Art und Weise, wie es schließlich zum Umschwung kam. Dieser erfolgte nämlich dadurch, daß ein Damiurg, Memnon aus Pellene, von seinem Vater Peisias geradezu unter Morddrohungen zum Übergang auf die Seite des Aristainos gezwungen wurde17. Damit erst war bei den Damiurgen eine Mehrheit für den Antrag des Aristainos erreicht, und dieser konnte vorschriftsmäßig am dritten Tag der Versammlung vorgelegt werden. Im ττλήθος herrschte allerdings, trotz wachsender Zustimmung für Aristainos18, noch immer erheblicher Widerstand gegen den Anschluß an Rom19. Schließlich kam es sogar zum demonstrativen Auszug der Teil12

Liv. 32,22,1—3. So App. Mak. fr. 7: καΐ ol πλείονες ήροϋντο τά Φιλίπττου; vgl. dazu Meloni 65 f.; Aymard 95, Anm. 58. 14 App. a. O. (vgl. auch oben S. 31; 33). — Daß im Anschluß an die Rede des Aristainos keine weiteren Reden mehr gehalten wurden, läßt sich Liv. 32,22,1—3 kaum (wie Aymard 93, Anm. 51 will) entnehmen. 16 Paus. 7,8,2: Ότίλιο?, vgl. dazu jedoch F. Münzer, RE XVIII 2 (1942), 1876, Art. Otilius. — An welche Vorkommnisse bei Flamininus und Villius gedacht ist, bleibt unklar. Wahrscheinlich ist im übrigen auch hier (wie Paus. 7,8,1) in der Quelle des Pausanias von L., nicht T. Quinctius Flamininus die Rede gewesen. 16 Liv. 32,22,3; dazu Aymard a. O. 82, Anm. 51; 94; vgl. außerdem 55; ders., Ass. 373 ff. 17 Liv. 32,22,5—8; vielleicht ist in App. a. Ο. έγκειμένωυ 6έ βιαίως των ^ωμαϊζόντων eine vergröbernde Andeutung dieses Vorfalls zu erkennen. Meloni a. O. 68 nimmt dagegen an, der Passus beziehe sich auf die Vorgänge bei der Abstimmung, kommt damit jedoch über die Konstatierung eines (nicht recht einleuchtenden) „disaccordo" zwischen Livius und Appian nicht hinaus; ähnlich Aymard a. O. 96. 18 Vgl. auch Zonar. 9,16,3; dazu Aymard, Rapports 93, Anm. 51. " Liv. 32,22,8. 13

Aristainos

45

nehmer aus Dyme, Megalopolis20 und der Mehrzahl derer aus Argos21, also den bedeutendsten Städten des Koinon, die zugleich durch besonders enge Beziehungen mit dem makedonischen Königshaus verbunden waren22. Dann erst siegten die ρωμαΐζοντες23 bei der Abstimmung, und man beschloß das Bündnis mit Attalos und den Rhodiern und die Entsendung des achaiischen Bundesheeres zur Unterstützung des L. Quinctius Flamininus nach Korinth24. Diese folgenschwere Entscheidung, der das eigentliche Foedus zwischen Achaia und Rom erst später folgte25, begründete die grundsätzlich prorömische Haltung, welche die achaiische Politik für mehr als fünfzig Jahre wenigstens nach außen hin charakterisierte. Die starken Gegensätze auf der Versammlung hatten aber auch bewiesen, daß die politische Linie des Aristainos keineswegs als unangefochten gelten konnte. Es scheint nicht an Stimmen gefehlt zu haben, die ihm ohne Zögern den Verrat Achaias an Rom vorwarfen2®. Es war die erste große Gelegen-

20 21 22

Vgl. dazu Geizer, Kl. Sehr. 3,134f. Liv. 32,22,9: quidam Argivorum; dazu aber Aymard a. O. 96 (danach Meloni 68). Liv. 3 2 , 2 2 , 9 — 1 2 ; vgl. App. a. Ο . : οί πολλοί xfjs έκκλησίας άττεχώρουν δυσχερσίνουτε;; dazu Aymard a. Ο. 9 6 ί . ; Meloni a. Ο. — Das Stimmenverhältnis der einzelnen Städte im Koinon ist unbekannt, vgl. Aymard, Assemblies 3 8 1 ff.

Vgl. App. a. O. (oben Anm. 17). Während Polybios den Begriff des μακεδονίζειν gelegentlich verwendet (vgl. 20,5,5; 13), scheint er ρωμαίζειν geradezu meiden zu wollen; auf prorömische Politiker in Griechenland angewendet begegnet es jedenfalls bei ihm nie. 2 4 Liv. 32,23,1—3; App. a. O.; Paus. 7,8,2; vgl. Plut. Tit. 5; Zonar. 9,16,3. 2 5 I m Jahre 198 v. Chr. wurde lediglich ein „Feldherrnvertrag" zwischen Achaia und Rom abgeschlossen, vgl. Aymard a. O, 99 ff. Das Datum des eigentlichen Bündnisvertrages (zwischen 196 und 183 v. Chr., vgl. Polyb. 18,42,7; 23,4,12) ist nicht überliefert. Während E . Badian ( J R S 42, 1952, 76—80) für 192/1 v. Chr. eintritt (vgl. danach Errington 93, Anm. 2; 115; Dahlheim 262, Anm. 8), hat Aymard a. O. 267 das Datum 194/3 v. Chr. verfochten (zustimmend Gelzer, Kl. Sehr. 2,28; Lehmann 233f.); vgl. auch Holleaux, Etudes 5,121—140 (196 ν. Chr.). 2« Polyb. 1 8 , 1 3 , 8 — 1 0 ; ib. 1 0 : διό κ od πάντες αύτόν ούχ ττροδότην, α λ λ ' ώζ ευεργέτη ν καΐ σ ω τ ή ρ α της χ ώ ρ α ; έτίμων. Die Vorgänge in Sikyon wie auch die Tatsache, daß Polybios Aristainos gegen den Vorwurf, -προδότης zu sein, in Schutz nimmt, zeigen aber, daß dies so wörtlich nicht gestimmt haben kann. Dazu auch Walbank, Comm. 2 , 5 6 5 f . ; Lehmann 2 2 1 — 2 2 3 ; Gelzer, Kl. Sehr. 3, 144 sowie unten S. 136; 199 m. Anm. 13. — Vgl. noch Liv. 34,23,6, wo (195 v. Chr.) Alexandros Isios die Achaier als „Überläufer" von Philipp V. zu den Römern verurteilt, sowie Polyb. 18,6,5—7, wo Philipp V. bei derselben Gelegenheit den Achaiern aus dem gleichen Grunde άθεσία und αχαριστία vorwirft. 23

46

Richtungskämpfe I

heit, wo in einem Staatswesen des griechischen Mutterlandes die fatale innere Gespaltenheit der Führungsschicht gegenüber Rom sichtbar wurde. Wie es in den unteren Schichten aussah, sollten bald darauf noch deutlicher die Ereignisse zeigen, die der Bruch des Koinon mit Makedonien in Argos auslöste.

Der promakedonische Umsturz in Argos Wie wenig populär die Politik des Aristainos und seiner Anhänger in breiten Schichten Achaias war, bewiesen die Vorgänge in Argos, die kurz nach der Versammlung von Sikyon1 zum Abfall der Stadt vom Koinon und zu ihrem Übergang auf die Seite Philipps V. führten2. Schon in Sikyon hatten infolge der besonders engen Verbindungen zwischen Argos und dem makedonischen Königshaus3 „einige" Teilnehmer, wahrscheinlich jedoch deren Mehrzahl4, die Versammlung aus Protest gegen den Bruch des Bündnisses mit Makedonien verlassen. Offenbar aus Sicherheitserwägungen war daraufhin eine achaiische Truppe von 500 Mann unter Ainesidamos von Dyme in die Stadt gelegt worden5. Als aber Philokles, der Feldherr Philipps V., in Achaia erschien und die Römer und ihre Verbündeten sogar zur Aufhebung der Belagerung von Korinth zwingen konnte, war dies für quidam principes6 das Zeichen, mit Unterstützung der plebs7 einen Umsturz in der Stadt herbeizuführen. Eine eindrucksvolle Demonstration für Philipp V. bereitete den Umschwung vor. Als zu Beginn einer Volksversammlung bei der feierlichen Anrufung von Zeus, Apollon und Herakles die Nennung Philipps, dessen Name aufgrund eines besonderen Gesetzes dabei ebenfalls ausZum Datum (etwa Ende Okt./Anf. Nov. 198 v. Chr.) vgl. Aymard, Rapp. 110. Liv. 32,25; dazu Aymard a. O. 109f.; Walbank, Philip V, 158. 3 Dazu vgl. Aymard a. O. 54; 63. 4 Vgl. oben S. 46, Anm. 21. 5 Liv. 32,25,6. Vermutungen über die politische Haltung der Stadt Dyme bei Aymard a. O. 109, Anm. 22. 11 Liv. 82,25,1; vgl. Weißenborn-Müller z. St., der von „zwei Parteien in der Aristokratie" spricht. Wohl mit Recht für eine Verharmlosung hält auch Aymard a. O. 110, Anm. 24 die Behauptung des Flamininus gegenüber Nabis (Liv. 34,32,6), nur zwei oder höchstens drei Personen seien am Abfall von Argos schuld. ' Liv. a. O. 1

2

Akarnanien: Androkles und Echedamos (Frühjahr 197 v. Chr.)

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gerufen zu werden pflegte8, infolge der veränderten politischen Lage unterblieb, löste dies einen heftigen Aufruhr der multitudo aus, der erst abklang, als „cum ingenti assensu" auch der Name Philipps vom Herold verkündigt wurde. Solchermaßen der Unterstützung durch die Menge gewiß, öffneten die makedonentreuen principes in der Nacht Philokles die Tore®, der sofort die Burg Larissa besetzte10 und von dort in der Frühe des nächsten Tages zur Agora hinabmarschierte. Angesichts dieser Ubermacht und der Stimmung der multitudo konnte Ainesidamos nur noch den freien Abzug seiner Truppe erwirken; er selbst ließ sich jedoch mit wenigen Getreuen niedermachen. Argos war damit in der Hand Philipps; multitudo und ein Teil der •principes hatten sich hier als die poütische Kraft erwiesen, die hinter Makedonien stand und deshalb auch in Gegensatz zu Rom geraten mußte 11 . b) Akarnanien: Sieg der Romgegner Androkles und Echedamos (Frühjahr 197 v. Chr.) Nicht weniger deutlich als in den bisher behandelten Ereignissen trat dieses Grundmuster des Widerstandes gegen Rom in den Auseinandersetzungen hervor, die sich etwa ein halbes Jahr später, im Frühjahr 197 v. Chr.1, innerhalb des akarnanischen Koinon um die Stellung des Bundesstaates zwischen Makedonien und Rom abspielten. 8

Liv. 32,25,2—4. Daß es sich dabei um ein lokales Gesetz von Argos handelt, zeigt Aymard 53, Anm. 27. — Die Ausrufung wurde auf Veranlassung der praetores von einem praeco (Keryx) vorgenommen, Liv. a. O. Mit den praetores sind nicht etwa Bundesbeamte gemeint (so Walbank, Philip V, 158), sondern lokale Strategen von Argos, die neuerdings auch inschriftlich nachgewiesen sind, vgl. SEG XVI 255, Z. 15ff.; dazu Touloumakos 15, Anm. 3; M. Wörrle, Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte von Argos im 6. Jahrhundert v. Chr. (Diss. Erlangen 1964), 97. » Liv. 32,25,5. 10 Vgl. dazu Aymard, Rapports 109, Anm. 21. 11 Polybios der (ähnlich wohl wie Philopoimen, vgl. unten S. 116) die in Sikyon gefallene Entscheidung grundsätzlich bejahte, verurteilte (folgerichtig) die Reaktion von Argos, die ihm den Anlaß zu dem Exkurs über die Verräter (18,13 bis 15) gegeben zu haben scheint, vgl. zuletzt Walbank, Comm. 2,565. 1

Zum Datum (März/Juni 197 v. Chr.) Walbank, Philip V, 323. — Die Ereignisse Liv. 33,16—17,1; dazu Oost 50f.; De Sanctis 4,l 2 ,85f.

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Richtu ngskämpfe I

Anfangs schien alles ganz ähnlich wie in Achaia zu verlaufen. Nach bewährtem Verfahren hatte wiederum L. Quinctius Flamininus eine Anzahl akarnanischer „principes" zu sich nach Korkyra eingeladen2 und sie dabei für das Zusammengehen mit Rom gewonnen. Der Versuch, die Zustimmung des Koinon zu einer Abkehr von dem auch hier seit 225/4 v. Chr. bestehenden Bündnis mit Makedonien zu erhalten, stieß jedoch auf noch größeren Widerstand als in Achaia. Eine nach Leukas einberufene Versammlung des Koinon war nur schwach besucht3. Wohl gelang es einigen „principes et magistratus", an deren Spitze der Stratege Zeuxidas sowie Archelaos und Bianor standen4, einen Beschluß über ein Bündnis mit Rom durchzusetzen; doch wurde dieses, da nur eine Minderheit dahinterstand, von den Widersachern als privatum decretum Romanae societatis betrachtet und nicht anerkannt8. Es zeigte sich, daß die Oberschicht in Akarnanien viel enger mit Makedonien verbunden war als in Achaia®. Anders als dort hatte der zum Zusammengehen mit der römischen Macht entschlossene Stratege des Koinon, Zeuxidas, bei der Durchsetzung seiner politischen Absichten keinen Erfolg, und bald trat sogar ein empfindlicher Rückschlag für die prorömische Richtung ein. Denn nun entsandte Philipp V. zwei der auf seiner Seite kämpfenden akarnanischen „principes", Androkles und Echedamos, nach Akarnanien7. Ihnen gelang es, in einer zweiten, jetzt aber allgemein besuchten 2 3

Liv. 33,16,1 (vgl. 32,40,7); dazu unten S. 133, Anm. 17. Die Ursache dafür will Oost 50 darin erblicken, daß die Teilnehmer, die gegen den Anschluß an Rom waren, zu spät oder gar nicht über die Versammlung benachrichtigt wurden. E r schließt daraus, daß die pro- und antimakedonischen Gruppen zugleich regionale Gegensätze repräsentierten. Dies ist zwar denkbar, läßt sich aber nicht nachweisen. Naheliegender erscheint, daß die „antirömischen" Teilnehmer der Versammlung demonstrativ fernbleiben, wie es 191 v. Chr. vom aitolischen Koinon ausdrücklich bezeugt ist (vgl. unten S. 101) und in gewissem Sinne auch dem Auszug der Vertreter von Dyme, Megalopolis und Argos aus der Versammlung von Sikyon 198 v. Chr. entspräche.

Liv. 33,16,5. Bianor dürfte identisch sein mit dem Βιάνωρ Θάλωνοξ aus Leukas auf einer Inschrift des akarnanischen Koinon aus dem Jahre 216( ?) v. Chr., IG I X l 2 , 583 ( = Moretti 1,146ff., Nr. 59), Z. 20; vgl. dazu Chr. Habicht, Hermes 85,1957,118. 5 Liv. 33,16,3; dazu Weißenborn-Müller z. St.; Oost 50f. Kaum zutreffend Holleaux, Etudes 5,361, der von einem,,geheimen" Bündnis spricht. —Vgl. noch Liv. 42,43,8 und unten S. 155, Anm.20. Im übrigen handelte es sich auch hier um einen ,, Feldherrn vertrag", nicht um ein Foedus im eigentlichen Sinn. β Liv. 33,16,2; vgl. dazu auch die Haltung Akarnaniens im I. Makedonischen Krieg und die Rede des Lykiskos in Sparta, Polyb. 9,32,3—4. ' Liv. 33,16,4. Echedamos ist wahrscheinlich identisch mit dem akarnanischen 4

Boiotien: Zeuxippos und Peisistratos (197 v. Chr.)

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Versammlung des Koinon in Leukas nicht nur die Aufhebung des „privaten" Bündnisbeschlusses, sondern auch die Absetzung des Zeuxidas und die Verurteilung von Archelaos und Bianor wegen Verrats zu erwirken8. Durch geschicktes Auftreten vor der leicht beeindruckbaren multitudo erreichten diese zwar schließlich die Aufhebung des Urteils9. An der Abkehr Akarnaniens von dem Bündnis mit Rom und dem Festhalten an der Verbindung mit Makedonien änderte sich aber nichts10, und in den nunmehr beginnenden Kriegshandlungen wurde Leukas erst nach hartnäckigem Widerstand von den Römern eingenommen11, während Akarnanien als Ganzes erst nach der Schlacht von Kynoskephalai die Waffen streckte12.

c) Boiotien: Die Überrumpelung der promakedonischen Richtung durch Zeuxippos und Peisistratos (197 v. Chr.) Erheblich detaillierter als in Akarnanien ist man über die Anfänge der antirömischen Richtung in Boiotien orientiert. Die innere Situation dieses Landes um die Wende des 3./2. Jahrhunderts v. Chr. hat Polybios in einem oft untersuchten Abschnitt seines Werkes als gänzlich zerrüttet dargestellt1. Die schwierige Frage jedoch, ob und inwiefern sich der achaiische Historiker hier einer einseitigen Betrachtimgsweise schuldig gemacht hat, hat stark voneinander abweichende Antworten gefunden: Während etwa Passerini2 sowie aufgrund seiner eigenen, sehr sorgsamen Untersuchungen Feyel3 das von Polybios gezeichnete Bild Boiotiens mehr oder minder weitgehend in Zweifel ziehen4, haben Rostovtzeff 6 und neuerHipparchen Έχέδαμο$ Μνασιλόχου aus Leukas auf der Inschrift von 216( ?), IG a. Ο., Z. 2 u. 63; dazu Habicht a. O. 8 Liv. 33,16,4—5; 16,11—17. Vgl. auch den Vorwurf des Verrats gegen Aristainos (oben S. 45). • Liv. 33,16,6—10. 10 Liv. 33,16,11. 11 Liv. 33,17,2—14. 12 Liv. 33,17,15. 1 2

3 4 5

4

Polyb. 20,4^—6. A. Passerini, Athenaeum 11, 1933, 312f.; ders.. Stud. ital. di füol. class. 22, 1934, 53. Μ. Feyel, Polybe et l'histoire de Bdotie au III e sifecle avant notre fere, Paris 1942. Vgl. auch K.-W. Welwei, Historia 15, 1966, 294f. Rostovtzeff 2,483f.; 3,1225, Anm. 14 (gegen Passerini). Deininger, Widerstand

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Richtungskämpfe I

dings Lehmann® an der Berechtigung von Polybios' Schilderung festgehalten, obwohl der aus der inschriftlichen Überlieferung zu gewinnende Eindruck diese nicht ohne weiteres zu bestätigen scheint7. Doch von welchem Standpunkt aus man auch die innere Verfassung Boiotiens um 200 v. Chr. beurteilen mag, fest steht jedenfalls, daß die Basis der boiotischen Außenpolitik damals, ähnlich wie in Achaia und Akarnanien, die enge Anlehnung der herrschenden Gruppen, unter denen die Familie des Askondas hervorragte, an das makedonische Königshaus bildete8. Nach längeren Auseinandersetzungen zwischen Anhängern Makedoniens und einer mehr auf die politische Unabhängigkeit des Landes bedachten Richtung hatte die promakedonische Gruppe schließlich seit dem Jahre 227 v. Chr. ein entscheidendes Übergewicht erlangt, nachdem Askondas' Sohn Neon9 als Hipparch des boiotischen Koinon durch eine wichtige Hilfeleistung für Antigonos Doson dessen Vertrauen und zugleich eifrige politische Unterstützung gewonnen hatte 10 . Die Verbindung dieser Familie mit Makedonien gestaltete sich noch fester, als nach der Schlacht bei Sellasia (222 v. Chr.) Brachyllas, der Sohn des Neon11, von Antigonos mit dem Amt eines επιστάτης in Sparta betraut wurde12. Hand in Hand mit diesem Bündnis mit der makedonischen Macht ging die uneingeschränkte Vorherrschaft der von der Gruppe um Brachyllas angeführten μακεδονίζοντες innerhalb Boiotiens13. Daß gerade sie sich, wie meist behauptet wird, besonders „demagogischer" Mittel bedient hätten, ist nicht überliefert14. Dank des engen Zusammenwirkens der führenden Politiker mit Philipp V. waren aber alle antimakedo« Lehmann 333—340 (gegen Feyel). 7 Vgl. J. Deininger, HZ 207, 1968, 370f. 8 Polyb. 20,5,5—6; zu Askondas vgl. Th. Büttner-Wobst, RE Suppl. I (1903), 154, Nr. 2. 8 Z. Pers. vgl. P. Schoch, RE XVI 2 (1935), 2429, Nr. 5. 10 Polyb. 20,5,4—11; dazu bes. Feyel 117ff. 11 Z. Pers. vgl. U. Wilcken, RE III 1 (1897), 806f„ Art. Brachylles; H. Volkmann, Kl. P. I (1964), 939. 12 Polyb. 20,5,12; dazu Feyel a. O. 131; 275. 18 Polyb. 20,5,13. 14 Polyb. 20,6,2—3 berichtet von boiotischen Politikern, die sich durch Geldzahlungen (μισθοί) aus der Staatskasse an die Unbemittelten ihre Wiederwahl durch die ττλήθη sicherten, wobei namentlich ein gewisser Opheltas erwähnt wird (20,6,4; dazu Feyel 279; 304). Polybios unterläßt es freilich, ein Mitglied der Familie des Neon in diesem Zusammenhang zu nennen. So stellt Feyel (304) Brachyllas ohne ausreichende Begründung auf eine Stufe mit Opheltas; ähnlich Larsen,

Boiotien: Zeuxippos und Peisistratos (197 v. Chr.)

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nischen Kräfte, die ihr Zentrum vor allem in Theben hatten 15 , lange Zeit in Schach gehalten, und erst im Verlaufe des II. Makedonischen Krieges, etwa ein halbes Jahr nach dem Umschwung in Achaia, sollte sich auch hier eine Wandlung anbahnen. Boiotien, das im I. Makedonischen Krieg noch auf der Seite Philipps V. gestanden hatte, war — ähnlich wie Achaia — im II. Makedonischen Krieg zunächst neutral geblieben; doch befand sich ein boiotisches Freiwilligenkontingent bei Philipp V., als dessen Befehlshaber Ende 198 v. Chr. Brachyllas an der Konferenz von Nikaia teilnahm16. Wie in Akarnanien erwies sich auch hier die Abwesenheit der entscheidenden p r o makedonischen Politiker als verhängnisvoll: Im Frühjahr 197 v. Chr. kam es in Theben zum Umschwung zugunsten Roms. Alles deutet darauf hin, daß eine Verständigung zwischen Flamininus und dem offenbar zu den Gegnern des Brachyllas gehörenden Archon Antiphilos stattgefunden hatte 17 und nach der bewährten Methode18 eine Anzahl führender Politiker — neben Antiphilos vor allem Dikaiarchos von Plataiai, Peisistratos und Zeuxippos — gewonnen waren19. Die für Makedonien wenig günstige Entwicklung der militärischen Lage hatte den lange unterdrückten antimakedonischen Kräften des Landes, die gerade in Theben besonders stark waren, neues Gewicht verliehen. Daß alles genau vorbereitet war, dürfte aus dem reibungslosen Ablauf der Aktion hervorgehen, deren Ergebnis eine binnen zwei Tagen, aber offenkundig gegen den Willen einer Reihe von „principes" sowie der πολλοί zustandegekommene Übereinkunft mit Rom war20.

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4*

Fed. States 385. Gegen die angebliche „getarnte Tyrannis" des Brachyllas (Passerini a. O. 320f.) vgl. mit Recht Feyel 279f. Polyb. 20,5,10; 13. Polyb. 18,43,1; Liv. 33,27,5; ib. 8: Brachyllas praefectus Boeotorum apud regem militantium; dazu Aymard, Rapp. 117, Anm. 11; Clochi, Thfebes 252. Kaum haltbar A. Passerini, Athenaeum 11, 1933, 321, wonach Brachyllas und die anderen bei Philipp V. befindlichen Boioter aus Theben verbannt worden und dann zu dem König geflohen seien; vgl. auch unten Anm. 31 f. Zur Teilnahme des Brachyllas an der Konferenz von Nikaia vgl. Polyb. 18,1,2. Liv. 33,1,3: praetor Antiphilus, womit nach dem Nachweis Roeschs (112—121) der Archon des Koinon bezeichnet wird. Vgl. auch J. Deininger, R E Suppl. X I (1968), 61, Art. Antiphilos 3c. Vgl. unten S. 133, Anm. 17. Zu Dikaiarchos vgl. unten Anm. 29. Zeuxippos, Peisistratos „und andere" waren nach Liv. 33,27,9 Romanae societatis auctores. Das Folgende bei Liv. 33,1—2,6; Plut. Tit. 6; vgl. Zonar. 9,16. Dazu bes. Larsen, Fed. States 385f.; Aymard. Rapp. 155f.

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Richtungskämpfe I

Es war etwa Anfang März 197 v. Chr. 21, als Flamininus unweit der Stadt sein Lager aufschlug. Bereits am folgenden Tag erschien er mit einem bescheidenen Gefolge von 120 Soldaten22 und geleitet von Antiphilos, der ihm auf halben Weg entgegengekommen war, vor Theben, wo für den nächsten Tag eine Versammlung des boiotischen Koinon anberaumt war23. Erst als Flamininus, umringt von der neugierigen Menge, bereits seine Unterkunft erreicht hatte, bemerkte man plötzlich, daß unversehens nicht weniger als zweitausend bewaffnete römische Soldaten in die Stadt eingedrungen waren, die Flamininus während seines Herannahens den Augen der ihn erwartenden und begrüßenden Menge zu entziehen gewußt hatte. Alsbald hieß es, Antiphilos habe die Stadt verraten 24 ; und es ist in der Tat kaum vorstellbar, daß die römischen Truppen ohne Wissen und Duldung der Behörden in die Polis gelangt sein sollen. So sah sich die Versammlung des boiotischen Koinon am folgenden Tag, auch wenn Flamininus selbst geschickte diplomatische Zurückhaltung walten ließ25, von vornherein dem Druck der Anwesenheit römischer Truppen ausgeliefert; eine freie Aussprache über die Haltung Boiotiens gegenüber Rom war unter diesen Umständen nicht mehr möglich26. Nacheinander ergriffen Attalos I. (der allerdings mitten in seiner Rede von einem Schlaganfall getroffen wurde27) sowie der Achaier Aristainos, die beide mit Flamininus erschienen waren, und endlich der römische Oberbefehlshaber selbst das Wort und forderten das Koinon zum politischen Zusammengehen mit Rom auf. Die Rede des Aristainos, der im Herbst zuvor als Stratege die große Wendung Achaias zu Rom mit Erfolg durchgesetzt hatte, scheint den nachhaltigsten Eindruck hervorgerufen zu haben28. Schließlich brachte Dikaiarchos von Plataiai 29 21 22 28

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20

Z. Dat. Aymard a. O. 155, Anm. 3. Liv. 33,1,2: cum unius signi militibus', dazu Aymard a. O. 156, Anm. 11. Liv. 33,1,7. Daß Theben der normale Versammlungsort des boiotischen Koinon war, betont wohl mit Recht (gegen Roesch 126) Touloumakos 39; daß wenigstens das Synedrion dort seinen ständigen Sitz hatte, vermutet έ . Will, Rev. de philol. 41, 1967, 297f. Liv. a. O.: velut prodita dolo Antiphüi praetoris urbe captaque. Plut. Tit. a. O.: 6 Τίτος ώς ούκ εχων την ττόλιν ίττειθεν έλέσθαι τά 'Ρωμαίων. Liv. 33,1,7. Polyb. 18, 17, 6; 21,20,5; Liv. 33,2,2—3. Liv. 33,2,4: . . . eo cum maiore auctoritate auditus quod non alia quam quae Achaeis suaserat Boeotis suadebat — wobei allerdings zu beachten bleibt, daß dieser Bericht auf den Achaier Polybios zurückgeht, der die Haltung des Aristainos in diesem Punkt politisch begrüßte. Dazu Aymard, Rapp. 155f. Höchstwahrscheinlich war er Boiotarch, vgl. Roesch 106 f.

Boiotien: Zeuxippos und Peisistratos (197 v. Chr.)

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den förmlichen Antrag auf ein Zusammengehen Boiotiens mit Rom ein, der ohne Widerrede, wenn auch offensichtlich nicht ohne weitverbreiteten Widerwillen, angenommen wurde30. In etwas anderem Licht erscheint der Umschwung zunächst bei Plutarch. Er berichtet, daß die πρώτοι der Stadt 31 unter dem Einfluß des Brachyllas durchaus promakedonisch eingestellt waren, sich aber der Illusion einer möglichen Neutralität auch gegenüber Flamininus hingegeben hätten 32 , bis ihnen nach dem unvorhergesehenen Einmarsch der römischen Truppen in Theben plötzlich nichts anderes mehr übrigblieb, als dem Abschluß der Konvention zuzustimmen. Dies leuchtet insoweit ein, als in der Tat undenkbar ist, daß die führenden Politiker des so eng mit Makedonien verbundenen Boiotien in ihrer großen Mehrheit prorömisch gewesen sein sollten, wird aber der Rolle der Gruppe um Antiphilos, Dikaiarchos, Peisistratos und Zeuxippos nicht gerecht, die Flamininus offenkundig im vollen Bewußtsein der Konsequenzen die Tore der Stadt geöffnet haben. Diese Gegner des Brachyllas und seiner promakedonischen Richtung strebten, so muß man der Darstellung des Livius entnehmen, das Bündnis mit Rom an 33 . Eine Übertragung der politischen Konzeption des Aristainos auf die Verhältnisse in Boiotien war indes — ähnlich wie in Akarnanien — nicht ohne weiteres möglich. Die Bindungen Boiotiens an Makedonien waren ungleich stärker, die Opposition gegen das erzwungene Bündnis war noch erheblich heftiger als in Achaia, und die daraus sich ergebende Krise sollte denn auch nicht lange auf sich warten lassen. 30

81 32

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Liv. 33,2,6; vgl. 1,7—8; zur Abstimmung nach Städten zuletzt Will a. O. 296ff. (wonach Liv. irrtümlich vielleicht nur das Synedrion erwähnt hätte). Ein förmliches Foedus mit Rom wurde hier ebensowenig abgeschlossen wie in Achaia, vgl. bes. Liv. 33,2,9; 42,12,5; Holleaux, CAH 8,194 ( = Etudes 5, 382); J . A. O. Larsen, CPh 30,1935, 201 f. Auch sind keine boiotischen Truppen auf römischer Seite zum Einsatz gekommen, vgl. Clochd, Thebes 253. Plut. Tit. 6. Plut. a. Ο.: φρονοϋντες μεν τά τοϋ Μακεδόυος διά Βραχύλλην, άστταζόμενοι δέ κ od τιμώ ντε; τόν ΤΙτον, φιλίας irpös άμφοτέρου$ ΐπταρχούσης. Liv. 33,27,9. Näheres über ihre unmittelbaren Motive wird dabei leider nicht berichtet.

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Richtungskämpfe I

2. Der Widerstand gegen Rom zwischen dem II. Makedonischen und dem Syrischen Krieg (197—194 v. Chr.) Anders als der Friede von Phoinike bedeutete der Ausgang des zweiten römischen-makedonischen Krieges für das griechische Mutterland eine tiefe Zäsur. Mit der Niederlage von Kynoskephalai (Juni 197 v. Chr.) verschwand Makedonien ganz plötzlich aus seiner bisherigen Stellung als führende Macht, auf die sich die Politik der griechischen Staatswesen in Anlehnung oder Abwehr ausgerichtet hatte, und Rom begann das dadurch entstandene Vakuum auszufüllen. Deutlich läßt sich erkennen, wie im Gefolge dieser Veränderungen auch der Charakter der hier untersuchten Richtungskämpfe der „principes" allmählich ein schärferes Profil gewann: Während bei den Auseinandersetzungen in Sikyon und Argos im Herbst 198 v. Chr., aber auch in Leukas und Theben der alte Gegensatz zwischen pro- und antimakedonischen Kräften ζ. T. noch eine wichtige Rolle spielte, trat von jetzt an die unmittelbare Konfrontation mit Rom in den Vordergrund. Dieser charakteristische Ubergang von der Auseinandersetzung zwischen Anhängern und Gegnern Makedoniens zu Richtungskämpfen zwischen Gegnern und Anhängern Roms läßt sich besonders anschaulich in Boiotien beobachten. a) Boiotien: Die Ermordung des Brachyllas und die antirömischen Ausschreitungen in Boiotien (197/6 v. Chr.) Nach der Schlacht bei Kynoskephalai hatte das boiotische Kontingent unter Brachyllas zunächst den Rückzug nach Makedonien angetreten1. In Boiotien selbst gewann jedoch, sobald der unmittelbare Druck der römischen Waffen wieder gewichen war, die alte promakedonische Richtung die Oberhand, und Ende 197 erschien im Winterlager des Flamininus bei Elateia eine boiotische Abordnung, die den freien Abzug ihrer Landsleute aus Makedonien nach Boiotien erbat. Flamininus willigte ein, vielleicht ohne vorauszusehen, zu welch scharfen Gegensätzen die Rückkehr der Makedonenfreunde in Boiotien 1

Unrichtig U. Wilcken, RE III 1 (1897), 806f., wonach Brachyllas in römische Gefangenschaft geraten sei; vgl. dagegen Polyb. 18,43,3. — Die folgenden Ereignisse bei Polyb. 18,43,1—12; Liv. 33,27,5—29, 12; vgl. Accame, Conquista 183ff.; Stier 140f.; Clochi, Thöbes 253ff.; De Sanctis 4,l 2 ,90f.

Boiotien: Die E r m o r d u n g des Brachyllas

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alsbald führen würde2. Die Beamtenwahlen, die kurz darauf im boiotischenKoinon stattfanden 3 , wurden nämlich zu einem glänzenden Triumph der promakedonischen Richtung, die vor der römischen Intervention im Frühjahr an der Macht gewesen war. Die Anhänger Makedoniens setzten sich auf der ganzen Linie durch, zumal sie — bezeichnenderweise — auch das ττλήθος eindeutig hinter sich hatten 4 . Brachyllas selbst wurde zum Boiotarchen gewählt6, und die ihm nahestehenden Politiker konnten ebenfalls in ihre alten Stellungen zurückkehren®. Die unmittelbare Folge war, daß die unterlegenen Gruppen, die das Bündnis mit Rom herbeigeführt hatten, allen voran Zeuxippos und Peisistratos7, um ihre politische Zukunft nach dem Abzug der Römer zu fürchten begannen. Eine Dankgesandtschaft des Koinon zu Philipp V. wegen der Rückkehr der boiotischen Freiwilligen mußte als schwerer Affront gegenüber Flamininus betrachtet werden; auch sie beweist, wie sehr die Befürworter einer unveränderten makedonischen Orientierung der boiotischen Politik das Koinon wieder beherrschten8. Diese Entwicklung der Lage ließ die Gegner des Brachyllas und seiner Politik nicht länger ruhen. Sie griffen zum nächstliegenden, freilich für die Griechen höchst charakteristischen und für ihre poütische Unabhängigkeit auf die Dauer verheerendsten Mittel. Eine Abordnung begab sich zu Flamininus nach Elateia und legte ihm in beredten Worten die Bedrängnis der Richtung in Boiotien dar, die allein zur Zusammenarbeit mit Rom bereit war. Sie wies vor allem auf die unzweideutige Stimmung in den unteren Schichten (πλήθος) hin, die geschlossen auf der Seite der promakedonischen Politiker stünden*. Daher gäbe es ohne eine 2

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4 5 β

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Zu den Motiven des Flamininus (Rücksicht auf die durch Antiochos I I I . drohende Gefahr) vgl. Polyb. 18,43,2; Liv. 33,27,6. Zum D a t u m (Jahreswende 197/96 v. Chr.) Niese 2,647, Anm. 2 (aufgrund von Plut. Pelop. 24); vgl. Roesch 97; Meloni 198, Anm. 1. Polyb. 18,43,8 (vgl. Anm. 9). Polyb. 18,43,3; Liv. 33,27,8. Polyb. a. Ο.: καΐ τούζ δλλους TOOS δοκοϋντας είναι φίλους τη$ Μακεδόνων οΙκίας έτίμωυ καΐ προήγ·ον ούχ ή τ τ ο ν -ή ττρότερον. Polyb. 18,43,5. Polyb. 18,43,4; Liv. 33,27,7 (dort bereits vor den Beamtenwahlen berichtet). Polyb. 18,43,8: ύττοδεικνύντες τ ή ν όρμήν τ ο ϋ πλήθους, τ ή ν ουσαν ήδη νϋν καθ* α ύ τ ώ ν καΐ τ ή ν ά χ α ρ ι σ τ ί α ν τ ω ν όχλων. 'Αχαριστία ist hier nach Badian, F. C. 75, Anm. 1 der charakteristische Vorwurf des patronus gegenüber seinem Klienten. Doch k o m m t der Vorwurf in diesem Fall von griechischer Seite. F ü r „ U n d a n k b a r k e i t " als Beschuldigung von römischer Seite vgl. Polyb. 27,10,5; Liv. 35, 31.13; 35,39,7; 36,20,4.

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Richtungskämpfe I

nachdrückliche Einschüchterung der πολλοί in Boiotien keine Sicherheit für die prorömischen Politiker; eine solche Einschüchterung aber könne nur durch die Beseitigung des führenden Mannes der promakedonischen Richtung, des Brachyllas selbst, erreicht werden10. Flamininus war diesem Ansinnen nicht abgeneigt. Er erklärte, er wolle zwar an der Sache nicht direkt beteiligt sein, sie aber auch nicht verhindern11, und verwies die Boioter an den aitolischen Strategen Alexamenos. Dieser gab der Gruppe um Zeuxippos in der Tat drei Aitoler und drei Italiker12 an die Hand, die bereit waren, einen Anschlag auf Brachyllas zu verüben. So geschah es: Nicht lange darauf, etwa im Januar 196 v. Chr.13, wurde Brachyllas nachts in Theben von den sechs Meuchelmördern überfallen und erschlagen; den Attentätern selbst gelang die Flucht durch das nächste Stadttor14. Diese ruchlose Ermordung des vielleicht populärsten boiotischen Politikers rief im ganzen Land eine heftige Empörung gegen die Hinter10

Polyb. 18,43,9: έθάρρησαν είπεΤυ(ώς) έάν μή τόν Βραχύλλην έττανελόμενοι καταττλήξωνται TOOJ ττολλούζ, ούκ εστίν άσφάλεια τοις 'Ρωμαίων φίλοίξ. 11 Polyb. 18,43,10. Zur bewußten Weglassung des Flamininus kompromittierenden Passus bei Livius vgl. Weißenborn-Müller zu Liv. 33,29,1; Accame, Conquista 184f.; Gundel, R E X X I V (1963), 1072. — Weitgehend verzerrt hat den ganzen Sachverhalt Passerini, Athenaeum 11,1933, 321f; in Verfolg seiner These, die Römer hätten sich damals noch keineswegs gegen die unteren Schichten bzw. die „Tyrannen" (als einen solchen betrachtet er auch, zu Unrecht, Brachyllas) gestellt. E r versucht, die Vorgänge um Brachyllas als ausschließlich innerboiotische Angelegenheit zu erklären, mit der die Römer überhaupt nichts zu t u n gehabt hätten. Aber die Tatsache, daß Flamininus nicht persönlich die Vorbereitung des Attentats in die Hand nehmen wollte, berechtigt keinesfalls zu dem von Passerini (322) gezogenen Schluß, daß es sich bei der Gruppe um Zeuxippos und Peisistratos um keine eigentlichen „Römerfreunde" gehandelt habe. Kaum zu billigen ist sodann, wenn Passerini gegen die Evidenz des Polybioszeugnisses (18,43,10f.), das er beiseite läßt, den Eindruck erweckt, als habe Flamininus die Pläne der Gegner der Brachyllas sogar mißbilligt. Vgl. noch Polyb. 43,18,5 (mit Bezug auf die Gruppe um Zeuxippos) οί δοκοΰντες είναι 'Ρωμαίοι^ φίλοι, womit nicht, wie Passerini anzunehmen scheint (321), die „Romfreundschaft" dieser Gruppe unbedingt in Zweifel gezogen wird; Polybios pflegt mit dieser Ausdrucksweise vielmehr gerade auch die ostentativen Anhänger Roms zu kennzeichnen, vgl. 30,13,2 u. ö. Die gegnerische Gruppe nennt er übrigens ebenfalls οί δοκοϋντες είναι φίλοι τ % Μακεδόνων okias (18,43,3; vgl. oben Anm. 6). 12 13 14

Polyb. 18,43,12; Liv. 33,28,3. Z. Dat. vgl. Walbank, Philip V, 324. Liv. 33,28,2—3.

Boiotien: Die Ermordung des Brachyllas

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männer hervor, die man sofort hinter dem Verbrechen vermutete 16 : Brachyllas' Widersacher Zeuxippos und die ihm nahestehenden Kreise und vor allem — die Römer. Schon am folgenden Morgen trat in Theben gleichsam spontan eine Volksversammlung zusammen 16 . Die Vernehmung der festgenommenen Begleiter des Brachyllas brachte zunächst keine Aufschlüsse, ja, Zeuxippos war selbstsicher genug, in der Versammlung zu erscheinen und dort zu erklären, daß die wahren Schuldigen wohl kaum unter den Verhafteten zu suchen seinen. Als jedoch die Begleiter des ermordeten Boiotarchen bei der Folterung seinen Namen und den des Peisistratos nannten 17 , verschwand Zeuxippos zusammen mit Stratonidas und weiteren Parteigängern 18 und begab sich nach Tanagra und später nach Anthedon 19 , während Peisistratos in Theben zurückblieb. Durch die Anzeige eines Sklaven des Zeuxippos bei den thebanischen Behörden wurde er jedoch bald daiauf schwer belastet, mit anderen zusammen verhaftet und schließlich hingerichtet 20 . Darüberhinaus aber hatte die Ermordung des Brachyllas heftige antirömische Ausschreitungen in Boiotien zur Folge. Daß Zeuxippos und seine Gruppe nicht ohne Billigung der Römer gehandelt hatten, argwöhnte man mit Recht 21 . Da jedoch an einen regelrechten Krieg gegen Rom nicht zu denken war, entluden sich die romfeindlichen Ressentiments in einer Art „Guerilla"bewegung in zahlreichen Überfällen auf römische Soldaten, die vom Winterlager aus das Land durchstreiften 22 . Besonders berüchtigt war dabei die Gegend um den Kopaissee, Akraiphia und Koroneia 23 ; insgesamt sollen damals nicht weniger als 500 römische Soldaten einem „execrabile odium Romanorum"M zum Opfer gefallen sein25. 15

Liv. 33,28,5. Liv. 33,28,4. 17 Liv. 33,28,9. 18 Liv. 33,28,10; vgl. Polyb. 22,4,5. — Stratonidas ist sonst nicht bekannt. 19 Liv. 33,28,9—15. 20 Liv. 33,28,11—15. Auf die Handlungsweise dieses Sklaven bezieht sich, wie Walbank, Comm. 2,27; 601 f. wahrscheinlich gemacht hat, Polyb. 18,40,1—4. 21 Liv. 33,29,1. 22 Liv. 33,29,1—5; Polyb. 20,7,4; vgl. Holleaux, Etudes 5,368; Cloche, Thfebes 254. — Vergleichbares begegnet sonst im Widerstand gegen Rom in Griechenland nirgends. 23 Liv. 33,29,6. 24 Liv. 33,29,1. 25 Liv. 33,29,7. Larsen, Fed. States 400, hält diese Zahl für übertrieben. — Stier (141) stellt die ganzen Ereignisse einseitig als Produkt aus ,,böotischer Dumm18

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Richtungskämpfe I

Flamininus legte durch Gesandtschaften sofort scharfen Protest ein und forderte 500 Talente Buße. Als die Städte die Verantwortung für die auf die Römer verübten Anschläge ablehnten, drohte Flamininus mit Krieg, entsandte Ap. Claudius mit einer Abteilung nach Akraiphia und begann selbst, Koroneia zu belagern26. Den Boiotern blieb in dieser Situation nur die Aufnahme von Verhandlungen übrig, wobei man sich auf achaiische und athenische Fürsprecher hin schließlich auf die Auslieferung der Schuldigen und eine Wiedergutmachungssumme von 30 Talenten einigte27. Die inneren Gegensätze in Boiotien waren damit freilich nicht beigelegt. Zeuxippos mußte im Exil bleiben, während seine Gegner, d. h. die Verfechter einer antirömisch orientierten Politik, eindeutig die Vorherrschaft im Koinon behielten. b) Aitolien: Die Entstehung der antirömischen Bewegung in Aitolien (197—194 v. Chr.) Die bei weitem elementarste und umfassendste romfeindliche Bewegung der Jahre nach dem II. Makedonischen Krieg, ja im Griechenland des 2. Jahrhunderts v. Chr. überhaupt, hatte ihr Zentrum jedoch bei den Aitolern, den Hauptverbündeten Roms während dieses und des vorausgegangenen I. Makedonischen Krieges. Die beiderseitigen Beziehungen waren zwar schon seit dem aitolisch-makedonischen Sonderfrieden (206 v. Chr.) erheblich abgekühlt, und im II. Makedonischen Krieg war Aitolien erst im Laufe des Jahres 199 v. Chr. aktiv auf die Seite Roms getreten, nachdem der Stratege Damokritos im Jahr zuvor die Entscheidung über eine entsprechende römische Aufforderung noch vertagt hatte. Nach dem Sieg über Philipp V. aber vertiefte sich der Riß zwischen den bisherigen Allierten innerhalb kurzer Zeit so sehr, daß er nach wenigen Jahren zum Ausbruch eines neuen großen Krieges führte, in dem die Aitoler mit der Hilfe Antiochos' III. Rom entgegentraten und der einen der äußeren Höhepunkte des griechischen Widerstandes gegen Rom bildete.

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heit" und „nationalistischer Abgefeimtheit" hin; daß Flamininus durch seine Beihilfe zu einem politischen Mord für die Ziele einer Minderheit in Boiotien die antirömische Reaktion überhaupt erst provoziert hat, verurteilt er dagegen mit keinem Wort. — Kennzeichnend für seine tendenziöse Sicht ist ζ. B. auch, daß nach ihm (a. O). Brachyllas „umgebracht", die Römer dagegen „in heimtückischer Weise ermordet" wurden. Vgl. dazu Polyb. 20,7,3; Liv. 36,6,1. Liv. 33,29,12.

Aitolien: Entstehung der antirömischen Bewegung (197—194 v. Chr.)

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Die tiefere Ursache der seit 197 v. Chr. rasch wachsenden Entfremdung zwischen Aitolien und Rom war, rückschauend betrachtet, zweifellos in dem Mißverhältnis zwischen der tatsächlichen politischen Potenz und den Erwartungen der Aitoler von der Rolle zu suchen, die sie nach der Niederlage Makedoniens in Griechenland glaubten spielen zu können. Dieses Mißverhältnis wiederum beruhte auf einer falschen Einschätzung der Möglichkeiten, des Wesens und der Ziele der römischen Politik; Flamininus war, wie Polybios konstatiert, fest entschlossen, eine an sich mögliche Führungsrolle der Aitoler in Griechenland zu verhindern1. Die schmerzhafte Ernüchterung angesichts des unbefriedigenden Ergebnisses des II. Makedonischen Krieges löste in ganz Aitolien eine einhellig antirömische Stimmung aus. So sind dort in der folgenden Zeit überhaupt keine prorömischen, sondern nur romfeindliche Gruppen zu beobachten; allerdings läßt sich bei diesen wiederum früh eine gewisse Rivalität zwischen einer radikal-antirömischen und einer gemäßigt-antirömischen Richtung erkennen. Mit großer Akribie hat Polybios alle Symptome der allmählichen Abwendung der Aitoler von Rom registriert. Bereits am Abend nach der Entscheidungsschlacht von Kynoskephalai erfährt man von ersten Differenzen, als sich die Aitoler nach römischer Ansicht statt an die Verfolgung des fliehenden Feindes zu früh an die Plünderung des makedonischen Lagers machten und den erst später dort eintreffenden Römern bei der Einbringung der Beute zuvorkamen2; ja, man erhob auf römischer Seite sogar den Vorwurf, die Aitoler trügen die Schuld daran, daß Philipp entfliehen konnte3. An dem tatsächlichen Anteil der Aitoler unter Archedamos und Eupolemos4 an dem Sieg von Kynoskephalai kann kein Zweifel bestehen6.

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Polyb. 18,34,1: είτ' ούκ έβούλετο (sc. Flamininus) Φίλιτπτον έκβαλών Ικ τη$ άρχήξ ΑΙτωλούς καταλπτεϊν δεσττότας των 'Ελλήνων. Zur Lesung είτ' s t a t t είτ' vgl. Holleaux, ßtudes 5, 87, Anm. 4 (nach De Boor). Polyb. 1 8 , 2 7 , 3 - 4 ; Liv. 33,10,6. Plut. Tit. 6. Angesichts der erbitterten Feindschaft der Aitoler und Philipps V., dessen Sturz ihr oberstes Kriegsziel war, erscheint freilich die Berechtigung gerade dieses Vorwurfs wenig glaubhaft. Polyb. 18,21,5; Plut. comp. Philop. 2. Der Stratege Phaineas, der Flamininus das aitolische Aufgebot übergeben hatte (Liv. 33,3,9), scheint dagegen an der Schlacht nicht teilgenommen zu haben, vgl. W. Hoffmann, R E X I X 2 (1938), 1563, Art. Phaineas. Vgl. Polyb. 18,22; Liv. 33,6—7. Zur zahlenmäßigen Stärke des aitolischen Kon-

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Richtungskämpfe I

Aber der laute aitolische Siegesjubel, von dem alsbald ganz Griechenland widerhallte, schuf erhebliche Verstimmung bei den Römern, nicht zuletzt bei Flamininus selbst. Die Aitoler, um die Wahrung ihrer politischen Ansprüche in Griechenland bemüht, schrieben sich selbst den Sieg zu 6 ;„Dichter und Privatleute" rühmten ihre Leistung7, und auch Alkaios von Messene nannte in der ersten Fassung eines bekannten Epigramms auf die Schlacht die Aitoler an erster Stelle vor den Römern 8 . Flamininus selbst, so wurde später sogar behauptet, sei bei Kynoskephalai gar nicht als Feldherr in Erscheinung getreten, sondern habe während der Schlacht nur geopfert; Archedamos habe ihm dabei persönlich das Leben gerettet, während Flamininus hilflos die Hände zum Himmel gestreckt habe9. Flamininus fühlte sich durch dieses Verhalten so verletzt, daß er begann, sich nicht mehr mit den Aitolern zu beraten, ja, diese vor vollendete Tatsachen zu stellen 10 . Dies wiederum, nicht zuletzt auch die beruhigende Antwort, die Flamininus einem Herold Philipps V. in Larisa gab 11 , mußte den aitolischen Argwohn verstärken; und als Flamininus schließlich eine Delegation Philipps V. empfangen und ihr einen Waffenstillstand zur Aufnahme von Friedensverhandlungen gewährt hatte 12 , stellten die Aitoler, die sich um ihr höchstes Kriegsziel betrogen sahen, tingents vgl. zuletzt Lehmann 372—374, der der Angabe des Livius (33,3,9: 600 aitolische Soldaten neben 400 Reitern) gegen Plut. Tit. 7 (6000 aitolische Soldaten neben 400 Reitern) folgt; anders jedoch ζ. Β. Α. H. McDonald in seiner Liv.-Ausg., T. Livi ab urbe condita V (31—35), Oxford 1965, 116 z. St. β Polyb. 18,34,2; Liv. 33,11,8—9; Plut. Tit. 9. — Daß die Aitoler die eigentlichen Sieger von Kynoskephalai waren, begegnet in den folgenden Jahren immer wieder als ein Hauptelement der aitolischen Argumentation, vgl. Polyb. 18, 48,8 (Thermos, 196 ν. Chr.); Liv. 35, 12,4 (Thoas in Naupaktos, 193 v. Chr.); ib. 13 (Nikandros bei Philipp V., 193 v. Chr.); ib. 15 (Dikaiarchos bei Antiochos III., 193 v. Chr.); 37,49,2 (aitolische Gesandtschaft in Rom, 190 v. Chr.). 7 Plut. Tit. 9. 8 Plut. a. Ο.: Αιτωλών δμηθέντες (sc. die gefallenen Makedonen) ύττ' "Αρεος ήδέ Λατίνων; vgl. Anth. Pal. 7,247. Zur Frage der Erst- und Zweitfassung zuletzt A. S. F. Gow, The Greek Anthology, Hellenistic Epigrams, II (Cambridge 1965), 11 f.; dazu Walbank, Comm. 2,593; Accame, Conquista 157ff. 9 Liv. 35,48,12—13 (Archedamos vor dem achaiischen Koinon, 192 v. Chr.); Plut. comp. Philop. et Tit. 2. 10 Polyb. 18,34,3; Liv. 33,11,4—5; Plut. Tit. 9. 11 Liv. 33,11,3—4; vgl. dazu im einzelnen Holleaux, Etudes 5,86—103. 12 Polyb. 18,34,4—5; App. Mak. 9,1; Plut. Tit. 9. Mitglied dieser Gesandtschaft war auch der ehemalige, 199 v. Chr. verbannte achaiische Stratege Kykliadas.

Aitolien: Entstehung der antirömischen Bewegung (197—194 v. Chr.)

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sofort fest, Flamininus habe, statt Philipp V. von seinem Thron zu stoßen, den Frieden an ihn verkauft13. Zum offenen Ausbruch gelangte die wachsende gegenseitige Verstimmung dann kurz darauf anläßlich der Friedensverhandlungen mit dem makedonischen König am Eingang des Tempetals. Am Tage vor ihrer Eröffnung beriet sich Flamininus mit seinen griechischen Verbündeten14. Hier hielt der Aitoler Alexandras Isios16 eine scharfe Rede, in der er mit voller Entschiedenheit die Fortsetzung des Krieges und den Sturz Philipps V. vom makedonischen Thron verlangte18. Dies wurde jedoch von Flamininus mit nicht geringerer Eindeutigkeit zurückgewiesen, und als der aitolische Stratege Phaineas17 daraufhin einen Einwand zu machen versuchte, fuhr ihn der römische Feldherr äußerst barsch an und verbat sich alle Belehrungen über die Philipp V. gegenüber zu betreibende Politik18. Am folgenden Tag, während der Verhandlungen mit Philipp, erhob Phaineas jedoch unbeirrt die Forderung nach Herausgabe der südthessalischen Städte Larisa Kremaste, Pharsalos, Echinos und des phthiotischen Theben. Der makedonische König selbst war dazu bereit, nicht aber Flamininus, der von einer Übergabe dieser Städte an die Aitoler nichts wissen wollte, sondern allenfalls die aitolischen Ansprüche auf 13

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Polyb. 18,34,6—10 (mit heftiger Kritik an dieser Behauptung der Aitoler); Liv. 33,11,6—7; App. a. O.; Plut. a. O. Polyb. 18,36—37; Liv. 33,12; App. Mak. fr. 9,1—2. Hier (Polyb. 18,36,5) als 'Αλέξανδρος 6 Αίτωλόξ bezeichnet. Zur Person vgl. U. Wilcken, R E I 2 (1894), 1442f., Nr. 32. Die dort vorgeschlagene Identifizierung mit dem dreimaligen Strategen des Koinon Alexandras von Kalydon (vgl. IG I X 1 2 ,1, p. Li.) ist jedoch aufzugeben, vgl. Gillischewski 41f.; Klaffenbach a. O. p. 92 (Index), dazu p. 18, zu Nr. 17, Z. 56. Dagegen dürfte an der Gleichsetzung des hier und Polyb. 13,l a ,l, 'Αλέξανδρος 6 Αιτωλός Genannten mit Alexandras Isios (vgl. ζ. B. Wilcken a. O., Büttner-Wobst V [Index] p. 15 f., Nr. 10; Holleaux, Etudes 5, 83, Anm. 1) trotz der Zweifel Gillischewskis (42) festzuhalten sein; vgl. insbesondere die charakteristische, identische politische Haltung des „Aitolers" Alexandras und des Alexandras Isios 195 v. Chr. in Korinth. Polyb. 18,36,7—8; Liv. 33,12,4; App. a. O. 9,1. Zu Phaineas von Arsinoe, der später als der bedeutendste Vertreter der gemäßigt-antirömischen Gruppe in Aitolien hervortrat, vgl. W. Hoffmann, R E X I X 2 (1938), 1563—1565; Gillischewski 33—38. Die Quellen für seine erste (198/7 v. Chr., vgl. auch Holleaux a. O. 80—85) und seine zweite Strategie (192/1 v. Chr.) bei Klaffenbach a. O. p. L I . — Er hatte bereits im November 198 v. Chr. in Nikaia zusammen mit Alexandras Isios die aitolischen Forderungen vertreten. Polyb. 18,37; Liv. 33,12,5—13; App. Mak. fr. 9,1—2.

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das phthiotische Theben in Erwägung zu ziehen bereit war19. Er berief sich darauf, daß nicht nur der aitolisch-römische Vertrag von 212/1 v. Chr. von den Aitolern selbst gebrochen worden und damit hinfällig sei, sondern daß die Aitoler auch auf der Grundlage dieses Vertrags keinen Anspruch auf Larisa Kremaste, Pharsalos und Echinos hätten, da diese alle nicht erobert worden seien, sondern sich den Römern dediert hätten. Lediglich das phthiotische Theben sei von den Römern erobert worden und könne daher von ihm an die Aitoler abgetreten werden. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die aitolischen Forderungen juristisch ungenügend fundiert waren; doch ist ebenso sicher, daß sie angesichts des aitolischen Einsatzes im Krieg gegen Philipp V. zumindest moralisch berechtigt waren und daß es bei der Auseinandersetzung zwischen Flamininus und den Aitolern im Grunde nicht um eine Rechtsfrage, sondern um eine politische Frage ging. Flamininus machte hier den Aitolern in einem konkreten Fall erstmals unzweideutig klar, daß Rom fest entschlossen war, von sich aus das Maß des politischen Einflusses der Aitoler in Griechenland zu bestimmen, und daß es auch Mittel besaß, diesen Willen durchzusetzen20. Deshalb rief die brüske Ablehnung der aitolischen Wünsche durch Flamininus bei den Aitolern eine tiefe Erbitterung gegen Rom hervor, und insofern ist auch Polybios zuzustimmen, wenn er hier eine Hauptwurzel des Antiochoskrieges bzw. des aitolisch-römischen Krieges erblickte21. Weiter bestärkt in ihrer antirömischen Haltung sahen sich die Aitoler im Frühjahr 196 v. Chr., als die zehnköpfige Senatskommission mit den Friedensbedingungen für Philipp V. in Griechenland erschien. Während man nach Polybios anderwärts mit den römischen Bedingungen zufrieden war22, wurden sie von den Aitolern heftig kritisiert, denen ein deutlicher Unterschied zwischen den Buchstaben und der Realität der römischen Friedensregelung zu bestehen schien. Sie glaubten aus dem Senatsbeschluß die römische Absicht herauslesen zu können, Oreos, Eretria, Chalkis, Demetrias und Korinth weiterhin besetzt zu halten 23 , M

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Polyb. 18,38; Liv. 33,13,1—12 (der jedoch in der Frage der vier Städte Polybios mißverstanden hat: dazu ζ. B. Niese 2,645, Anm. 3; Weißenborn-Müller zu Liv. 33,13,7; W. Hoffmann a. Ο. 1564). Zu der ganzen Frage vgl. auch (gegen Lehmann 61—125) J . Deininger, Gnomon 42,1970,66f. Polyb. 18,39,2; Liv. 33,13,13. Polyb. 18,45,1: ol μέν άλλοι πάντες ευθαρσείς ήσαν καΐ περιχαρείς; vgl. Liv. 33, 31,1. Polyb. 18,45,1—7; Liv. 33,31,1—6.

Aitolien: Entstehung der antirömischen Bewegung (197—194 v. Chr.)

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und gaben jetzt die gewiß ζ. T. berechtigte Parole aus, der Friede werde nicht die Freiheit der Griechen, wie die Römer versprochen hatten 24 , sondern lediglich einen Wechsel in der Herrschaft über Griechenland bringen25. Flamininus wurde aufgefordert, die „Fußfesseln" Griechenlands zu lösen2®. Mit denkwürdigen Bildern suchte die aitolische Politik ihre These von der durch Rom verliehenen „Scheinfreiheit" überall in Griechenland volkstümlich zu machen. So pflegte man zu fragen, ob sich die Griechen darüber freuten, daß sie jetzt ein schwereres, dafür aber geschmeidigeres Halseisen zu tragen hätten 27 , und ob Flamininus deshalb als ευεργέτης zu bewundern sei, weil er es verstanden habe, Griechenland am Fuß zu befreien und zugleich am Hals erneut zu fesseln28. Dies war die Stimmung in Aitolien, als die berühmte römische ,Freiheitserklärung' erfolgte, die Flamininus bei den Isthmien des Jahres 196 v. Chr. verkünden ließ und die bekanntlich von der überwältigenden Mehrheit der Anwesenden mit enthusiastischem Beifall begrüßt wurde28. Man wird freilich davon ausgehen dürfen, daß dieser Beifall den Römern nicht zuletzt gerade deswegen galt, weil sie, wie die Griechen dachten, die Freiheit nicht nur von Makedonien, sondern auch von Rom selbst brachten. Eben dies beruhte jedoch auf einem tiefgreifenden Mißverständnis. Zwar war es Flamininus mit der feierlichen Verkündigung der „Freiheit" für die Griechen in einem gewissen Sinn durchaus ernst 30 ; es fragt 24 25

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Vgl. dazu zuletzt Badian, Foreign Client. 70—75. Polyb. 18,45,6: Έκ δέ τούτων εύθεώρητον ύττάρχειυ ττδσιν, ότι μεταλαμβάνουσι τα; 'Ελληνικός ττέδαζ τταρά Φιλίτπτου 'Ρωμαίοι, καΐ γίνεται μεθάρμωσι; δεσττοτών, ούκ έλευβέρωσις των 'Ελλήνων. — Zu diesem Gedanken vgl. bereits oben S. 44 (198 v. Chr.). Plut. Tit. 10. — Zu dem von Philipp V. geprägten Begriff der „Fußfesseln" (ττέδαι, lat. comped.es) Griechenlands vgl. auch Polyb. 18,11,5; 45,6; Liv. 32,37, 3—4; Strab. 9,4,15; Plut. Arat. 16; dazu Paus. 7,7,6. Plut. a. O. Plut. a. O. — Das Argument der Scheinfreiheit, die aitolische Antwort auf die ,,Freiheits"propaganda Roms, spielte dann vor allem in der Anfangsphase des Antiochoskrieges eine entscheidende Rolle, vgl. Polyb. 3,7,3; Plut. Tit. 15; Liv. 34,49,6 sowie unten S. 70f.; 77f.; 82. Die Quellen zur Freiheitserklärung von 196 v. Chr.: Polyb. 18,46 (dazu Walbank, Comm. 2,612ff.); Liv. 33,32—33; Plut. Tit. 10f.; Philop. 15; App. Mak. 9,4; Val. Max. 4,8,5; dazu zuletzt Dahlheim 83—98; vgl. Badian, Foreign Client. 73f.; Stier 143ff.; Holleaux, Etudes 5,369f.; Niese 2,650f. Vgl. zuletzt Gundel a. O. 1074. — Zum rechtlichen Charakter der Freiheitsproklamation vgl. Dahlheim a. O., der betont, daß es sich bei ihr lediglich um

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sich nur, was man dabei römischerseits unter „Freiheit" verstand. Hier hat Η. E. Stier, für den die Proklamation von Korinth vor allem ein Zeugnis des „römischen Idealismus" darstellt 31 , der zur „einstigen Desinteressiertheit am griechischen Raum" zurückkehren wollte und dessen politisches Ziel ein „echtes Gleichgewicht in der . . . Welt war" 32 , offenbar entscheidende Wesenszüge der römischen Politik verkannt. Abgesehen davon, daß der Gedanke an ein politisches „Gleichgewicht" durchaus unrömisch anmutet und Stier dafür auch keinen Beleg erbringt, vermengt er den griechischen, den römischen und einen modernen westlichen 33 Freiheitsbegriff miteinander. Demgegenüber hat Badian mit Recht eine Eigenart des der Proklamation von 196 v. Chr. zugrundeliegenden römischen Freiheitsbegriffs herausgestellt: Rein juristisch sollten die Griechen in der Tat ohne Vorbehalte frei sein, politisch jedoch nur „soweit sie nicht durch ihre Dankbarkeit verpflichtet waren, den Willen Roms zu respektieren" 34 . Da gerade den Griechen solche Besonderheiten des römischen politischen Denkens, wie sie die Dankbarkeitsbeziehungen darstellten, einigermaßen fremd waren 35 , werden diese erheblichen Einschränkungen der „Freiheit" zunächst kaum einem der Teilnehmer an der Versammlung von Korinth bewußt gewesen sein. Nur das Mißtrauen der Aitoler blieb wach; sie ließen sich auch durch die von der Masse der Griechen momentan überschwengüch begrüßte Freiheitsproklamation nicht beeindrucken. Noch in Korinth verlangten sie von Flamininus die Übergabe von Pharsalos und Leukas, wurden jedoch mit ihren Forderungen nur an den Senat weiterverwiesen36. Wie eindeutig antirömisch daher trotz der Freiheitserklärung die Stimmung in Aitolien 196 v. Chr. war, bewies der Besuch einer römischen Gesandtschaft unter Cn. Cornelius Lentulus im Herbst dieses Jahres. Vor den πλήθη des Koinon in Thermos mahnten die Römer zur Beeine programmatische, allenfalls moralisch bindende Erklärung, nicht jedoch um einen rechtsetzenden Akt handelte. — Ein Uberblick über die römische (und seleukidische) „Freiheitspropaganda" bei M.-L. Heidemann, Die Freiheitsparole in der griechisch-römischen Auseinandersetzung (200—188 v. Chr.), Diss. Bonn. 31 32 33 34 35 36

1966. Stier 148. Stier 151. Vgl. bes. Stier 154f. Badian a. O. 74; vgl. Will 2,147—149. Vgl. Chr. Meier, Res publica amissa (Wiesbaden 1966), 37, Anm. 72. Polyb. 18,47,8—9; Liv. 33,34,7; dazu Lehmann 82f.

Aitolien: Entstehung der antirömischen Bewegung (197—194 v. Chr.)

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Währung der εύνοια gegenüber Rom, stießen jedoch nur auf Kritik und Unzufriedenheit. Dabei offenbarte sich jetzt erstmals das Bestehen zweier gegensätzlicher Strömungen innerhalb der aitolischen Romfeinde. Während nämlich ein Teil der Redner die Nichteinhaltung der nach aitolischer Auffassung vertraglich festgesetzten Bedingungen durch Rom beanstandete, jedoch in gemäßigter Form 37 , ließ sich der andere Teil zu heftiger Kritik der Römer hinreißen, erinnerte daran, daß die Römer erst dank des Vertrages von 212 in Griechenland hätten Fuß fassen können und wiederholte zugleich die ständige Behauptung der aitolischen Propaganda, die Römer hätten den Sieg über Philipp überhaupt nur den Aitolern zu verdanken38. Schon im Frühjahr 195 v. Chr. ereignete sich dann ein weiterer Zusammenstoß, als die Vertreter der griechischen Bundesgenossen Roms zur Beratung über den bevorstehenden Krieg gegen Nabis in Korinth mit Flamininus zusammentrafen39. Nachdem Flamininus selbst sowie ein athenischer Gesandter gesprochen hatten (wobei letzterer mit Angriffen auf die Aitoler und ihre romfeindliche Propaganda nicht sparte), war es wiederum Alexandras Isios40, der sich zu einer scharfen Erwiderung herausgefordert fühlte. Leidenschaftlich verurteilte er die Athener, die einst die Begründer von Griechenlands Freiheit gewesen seien, und die Achaier, die er als „Überläufer" von Makedonien zu Rom brandmarkte. Dann wiederholte er die bekannten aitolischen Klagen, indem er den Römern vorwarf, sie hätten die Aitoler um Echinos und Pharsalos betrogen 41 ; außerdem beweise die Besetzung von Demetrias und Chalkis die Unwahrhaftigkeit der römischen „Freiheits"parolen. Solange Demetrias, Chalkis und Korinth noch von den Römern besetzt seien, könne Griechenland nicht frei sein; und der Krieg gegen Nabis sei überhaupt nur ein Vorwand, die römischen Truppen noch länger in Griechenland zu belassen. Als er schließlich die Römer direkt zum Abzug aus Griechenland aufforderte, da die Aitoler auch allein mit Nabis fertig würden, löste er 37 38

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Polyb. 18,48. 5 — 7; Liv. 33,35,8—10. Polyb. 18,48,8; Liv. 33,35,11. Zur rechtlichen Problematik der aitolischen These von der Gültigkeit der Vertragsbestimmungen von 212 vgl. oben S. 62. — Trotz einer erneuten Gesandtschaft zum Senat und Vorsprache bei Flamininus erhielten die Aitoler außer dem phthiotischen Theben keine der von ihnen beanspruchten Städte, vgl. Polyb. 18,48,9; Liv. 33,35,12; 49,8; 34,23,7; zu Theben vgl. Walbank, Comm. 2,598f. Liv. 34,22,4—24,7. Zu ihm vgl. oben Anm. 15. Liv. 34,23,7. — Die Achaier als transfugae: ib. 6.

5 Deininger, Widerstand

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Richtungskämpfe I

damit eine äußerst schroffe Reaktion des Aristainos aus, der damals zum zweitenmal die Strategie des achaiischen Koinon bekleidete. In ungewöhnlich heftigen Ausfällen gegen die Aitoler, die nur die Sprache mit den Griechen gemein hätten, in ihrer ganzen sonstigen Kultur jedoch schlimmer als Barbaren, „ja, wilde Tiere" seien, beschwor er Flamininus, Griechenland so zu ordnen, daß man vor aitolischen Raubzügen in Zukunft sicher sei42. Erneut offenbarten sich so die schweren Gegensätze innerhalb Griechenlands, die eine gemeinsame Front gegen Rom immer wieder unmöglich machten. Dennoch sah sich Flamininus schließlich gerade unter dem Druck der aitolischen Propaganda veranlaßt, den Abzug aller römischen Truppen aus Griechenland ins Auge zu fassen. Im Frühjahr 194 v. Chr. war es tatsächlich so weit. In Korinth kündigte er die Räumung von Demetrias, Chalkis und Akrokorinth an, eine Maßnahme, die er ausdrücklich als Antwort auf die aitolische Propaganda verstanden wissen wollte43: Der Abzug der Römer, so erklärte er, beweise, daß die Aitoler Unrecht hätten und ihre Behauptung vom Wechsel der Vorherrschaft in Griechenland falsch sei44. Die endgültige Aufgabe der römischen Militärstützpunkte in Griechenland löste bei den άριστοι τώυ Ελλήνων 46 freudige Zustimmung aus48, und in der Tat verließ Flamininus im Spätsommer desselben Jahres mit den gesamten römischen Streitkräften den Boden Griechenlands und segelte nach Italien zurück47.

3. Die Aitoler, Antiochos III. und der Widerstand Griechenland (193—189 v. Chr.)

gegen Rom in

Griechenland war damit, wenn nicht „frei", so doch von römischen Truppen geräumt, und diese Räumung, ein nicht geringer Erfolg des 42

Liv. 34,23,8—24,4; dazu bes. Aymard, Rapp. 208—210. « L i v . 34,48,3—50,7; Diod. 28,13 ;vgl. Plut. Tit. 13; Zonar. 9,18; dazu Accame, Conquista 237f.; Aymard, Rapp. 258—261. 44 Liv. 34,49,6: ut omnes scirent, utrum Romanis an Aetolis mentiri mos esset, qui male commissam libertatem populo Romano sermonibus distulerint et mutatos pro Macedonibus Romanos dominos. 45 So Diod. a. Ο. —"Αριστοι scheint hier nicht etwa die „Aristokraten" bzw. die ,,principes" allgemein, sondern speziell die romfreundlichen Elemente unter ihnen zu bezeichnen. Vgl. auch unten S. 72f. 46 Vgl. bes. Liv. 34,50,1—2. « Liv. 34,52,2.

Die Aitoler, Antiochos III. und der Widerstand (193—189 v. Chr.)

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Widerstandes vor allem der Aitoler, gab alsbald den Kräften neue Bewegungsfreiheit, die eine Revision der Ergebnisse des II. Makedonischen Krieges noch für möglich hielten. Vor allem verschärfte sich nunmehr die romfeindliche Haltung Aitoliens, die sich bisher nur in antirömischer Propaganda, in Protesten und Beschwerden gegen die römische Politik geäußert hatte, zu einer offensiv gegen Rom gerichteten Politik, deren erklärtes Ziel die völlige Befreiung Griechenlands von der römischen Bevormundung war. Diese aitolische Politik, die am Ende völlig gescheitert ist, ist im nachhinein oft kritisiert worden, und G. A. Lehmann hat jüngst die Ansicht vertreten, daß damals eine „große Chance für die politische Zukunft der hellenischen W e l t . . auf das leichtfertigste verspielt worden" sei, als die Griechen die „Sternstunde" für die Sicherung ihrer Freiheit und Selbständigkeit „in einem echten Gleichgewicht" nicht nutzten 1 . Schwerlich läßt sich jedoch die Situation Griechenlands in den Jahren nach der Freiheitsproklamation einseitiger und verharmlosender charakterisieren. Wie fern der römischen Politik ein „Gleichgewichtsdenken" lag, war bereits zu betonen2. Die „Freiheit und Selbständigkeit" der griechischen Staatswesen war seit dem Ende des II. Makedonischen Krieges trotz des römischen Truppenabzugs mehr denn je durch Rom bedroht, das gezeigt hatte, daß es nicht bereit war, Vorgänge in Griechenland hinzunehmen, die mit seinem eigenen politischen Willen im Widerspruch standen. Kynoskephalai und die Freiheitsproklamation von Korinth hatten ein Verhältnis zwischen dem griechischen Mutterland und Rom hergestellt, das das genaue Gegenteil eines „echten Gleichgewichtes" war und das M. Holleaux mit Recht als römisches „Protektorat" über Griechenland bezeichnet hat 3 . Die unvermeidlichen Folgen waren wachsende Unzufriedenheit und Widerstand, zumindest bei einem Teil der Griechen, vor allem aber bei den Aitolern, denen der römische Hegemonieanspruch am empfindlichsten vordemonstriert worden war. 1 2 3

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Lehmann 244, Anm. 203. Vgl. oben S. 64. Holleaux, fitudes 6,381 f.; vgl. ebenso bereits Hertzberg 91.

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Richtungskämpfe I

a) Aitolien: Die antirömische Gruppe um Thoas und Dikaiarchos und die aitolische Politik bis zum Ausbruch des Antiochoskrieges (193—192 v. Chr.) Niemand kann, den Griechen den Vorwurf machen, daß sie ihre Freiheit kampflos dem Feinde in die Hände lieferten. W. v. Humboldt, Geschichte des Verfalls und Unterganges der griechischen Freistaaten (1807), Werke in fünf Bänden II (1961), 76.

Als eigentlicher Träger der romfeindlichen Politik in Aitolien erscheint eine relativ kleine, jedoch äußerst aktive und, soweit feststellbar, stets auch von den πολλοί unterstützte Gruppe aitolischer „frincipes", deren Häupter in erster Linie Thoas und dessen Bruder Dikaiarchos aus Trichonion waren1. Beide wird man bereits im Herbst 196 v. Chr. auf der Seite der radikal antirömisch orientierten Gruppe im aitolischen Koinon vermuten dürfen2. Ein Jahr danach übernahm erstmals Dikaiarchos die Leitung des Koinon3; im Herbst 194 v. Chr., also kurz nach dem Abzug der letzten römischen Truppen aus Hellas, folgte ihm sein Bruder Thoas im höchsten Amt Aitoliens nach4. Unter dessen Strategie und weitgehend auf sein persönliches Betreiben setzte dann jener radikal antirömische Kurs ein, der schließlich in den offenen Konflikt mit Rom mündete. Eine Koalition zwischen Aitolien, Makedonien und dem Seleukidenreich zur Abschüttlung des römischen Protektorats über Griechenland: das war der Grundgedanke von Thoas' Politik6; und warum sollte er a priori undurchführbar sein ? Den Auftakt des verstärkten antirömischen Kurses dazu bildete die Versammlung des aitolischen Koinon in Naupaktos im Frühjahr 193 v. 1

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Z. Pers. d. Thoas vgl. Gillischewski 44f.; F. Geyer, E E VI A 1 (1936), 300 f., Nr. 8; zu Dikaiarchos Gillischewski 42ff. (unzureichend Oldfather, RE Suppl. III [1918], 336, Nr. la.) Vgl. oben S. 65. Die Belege bei Klaffenbach IG IX 12,1, p. LI. Belege ib. — Daß die Wahl aufgrund der antirömischen Haltung der Menge erfolgt sei, betont Holleaux, Etudes 5, 391. Zur Bedeutung der πλήθη im aitolischen Koinon vgl. grundsätzlich Larsen, ΤΑΡΑ 1952, 31 f. Ebenso entscheidend war indes ohne Zweifel, daß sich auch unter den ,,principes" eine Mehrheit von Anhängern der Politik des Thoas befand. Überliefert ist der Gedanke einer aitolisch-seleukidischen Koalition zuerst Liv. 34,37,5 (Nabis, 195 v. Chr.).

Aitolien: Gruppe um Thoas und Dikaiarchos (193—192 v.Chr.)

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Chr.®, wo Thoas eine grundsätzliche Rede hielt, in der er die Thesen der aitolischen Politik der letzten Jahre wiederholte, lebhafte Klage über die römische Ungerechtigkeit gegenüber Aitolien führte und zugleich die Bedeutung der Aitoler für den römischen Sieg über Makedonien erneut unterstrich. Öffentlich forderte er nunmehr ein Bündnis mit Philipp V., Antiochos III. und Nabis. Auf seinen Antrag hin wurden der amtierende Hipparch des Koinon, Nikandros aus Trichonion7, zu Philipp, Thoas' Bruder Dikaiarchos zu Antiochos8 undDamokritos ausKalydon 9 zu Nabis mit dem Auftrag entsandt, in diesem Sinne auf die Betreffenden einzuwirken10. Das Ergebnis dieser Missionen war allerdings enttäuschend: Lediglich Nabis eröffnete alsbald den Krieg gegen die lakonischen Küstenstädte, deren „principes" er ζ. T. durch Geschenke auf seine Seite herüberziehen konnte: die anderen, die an Rom festhalten wollten, ließ er kurzerhand umbringen11. Philipp V. dagegen ging nicht, Antiochos III. wenigstens vorläufig nicht auf die aitolische Aufforderung ein12, was allerdings bei Philipp angesichts der jahrzehntelangen Feindschaft zwischen Aitolien und Makedonien und den jüngsten Ereignissen im II. Makedonischen Krieg kaum erstaunlich war. Freilich offenbarte sich auch hierin wiederum in bedenklicher Weise das Unvermögen der Griechen, eine auch nur einigermaßen geschlossene politische Front gegen Rom aufzubauen — vielleicht wäre gerade damals eine letzte ernsthafte Gelegenheit dazu gewesen. Etwa ein halbes Jahr später jedoch gelang es Thoas bei einer Gesandtschaft zu dem Seleukiden, die er nach dem Ablauf seiner Strategie selbst leitete13, Antiochos die Chancen klarzumachen, die ihm ein Eingreifen 6

Liv. 35,12.1—6. Zum Datum vgl. Badian, Studies 138, Anm. 84; Walbank, Philip V, 343; anders (Sommer 193 v. Chr.) Larsen, Fed. States 407. 7 Zu ihm vgl. IG I X l 2 , 187, Z. 2f.; Syll. 3 598D, Z. 2f.; dazu Gillischewski 50ff.; F. Stähelin, R E XVII 1 (1936), 247 ff., Nr. 4. 8 Vgl. dazu Polyb. 21,31,13. β Die Belege für seine Strategie i. J. 200 v. Chr. IG a. O. p. L; vgl. Gillischewski 27ff.; A. Kirchner, RE IV 2 (1901), 2070, Nr. 1. — Er hatte (wie Dikaiarchos und Alexandres Isios) 198/7 v. Chr. als Mitglied einer Gesandtschaft die aitolischen Interessen in Rom vertreten, Polyb. 18,10,3. 10 Liv. 35,12,7—18. 11 Liv. 35,13,1: alios principum donis ad suam causam perduxit, alios pertinaciter in societate Romana manentes occidit; vgl. 39, 36,13; dazu Niese 2, 678; 682ff. 12 Liv. a. O. — Dikaiarchos verwandte Antiochos III. gegenüber wieder das Argument von dem entscheidenden Anteil der Aitoler an dem Sieg über Philipp V. (oben S. 60): Liv. 35,12,15. 13 Vgl. Weißenborn-Müller zu Liv. 35,32,2.

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Richtungskämpfe I

in Griechenland bieten konnte14. Wenn Philipp V. abseits blieb, so hoffte Thoas doch im Bunde mit Antiochos III. allein das römische Protektorat über Griechenland abschütteln zu können. Für die von ihm angeführte radikal-antirömische Richtung in Aitolien bedeutete es daher einen wichtigen Erfolg, als nicht lange vor den Panaitolika von 192 v. Chr. Thoas nicht allein, sondern in Begleitung des Menippos als Abgesandten Antiochos' III. aus Kleinasien zurückkehrte. Noch bevor die Versammlung zu Beginn des Frühjahrs in Naupaktos eröffnet wurde15, entfachten Thoas und Menippos eine rege Agitation für eine Intervention Antiochos' III. in Griechenland, die offenkundig speziell für die auf jedwede antirömische Propaganda besonders ansprechbaren πλήθη berechnet war und auch ihre Wirkung auf sie nicht verfehlte. Eine besondere Rolle spielten dabei die scheinbar unerschöpflichen Streitkräfte aus dem riesigen Territorium der Seleukiden, ebenso die Elefanten im Heer Antiochos'; dazu kamen, was für die Vorstellung des heilbringenden Monarchen in den unteren, armen Schichten besonders wichtig und typisch war, phantastische Gerüchte von den märchenhaften Goldschätzen des Königs16. Da die Römer über diese Vorgänge in Aitolien ständig auf dem laufenden gehalten wurden17 und Flamininus seinerseits eine gewisse Hoffnung behalten zu haben scheint, die Richtung, welche die aitolische Politik auf diese Weise einschlug, könnte doch noch geändert werden, forderte er Athen auf, durch eine Gesandtschaft in diesem Sinne auf das Koinon einzuwirken18. Γ In Naupaktos selbst ergriff nach dem Bericht des Thoas über seine Gesandtschaft Menippos das Wort19. In den Mittelpunkt seiner Rede 14

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Liv. 35,32,2; dazu Weißenborn-Müller. — App. Syr. 12 bezieht sich eher auf die 2. Reise des Thoas zu Antiochos (im Spätsommer 192), vgl. Niese 2, 690; Klaffenbach a. Ο. p. X X X V I I I ; kaum richtig F. Geyer, R E VI A 1 (1936), 300, Nr. 8. Walbank 196; zu den Panaitolika allgemein J. A. O. Larsen, ΤΑΡΑ 1952, 25, vgl. 9; Holleaux, Etudes 1,219—227; 229f. Liv. 35,32,3—4: (sc. Thoas et Menippus) impleverant omnium aures terrestres navalesque copias commemorando: Ingentem vim peditum equitumque venire, ex India elephantos accitos; ante omnia, quo maxime credebant moveri multitudinis animos, tantum advehi auri, ut ipsos emere Romanos posset. Vgl. auch 35,42,5: (sc. Thoas) erexerat multorum ( = των πολλών) in Graecia animos; dazu Holleaux, fitudes 5, 386. Liv. 35,32,2. Liv. ib. 6—7. — Athen hat auch später noch mehrfach eine Vermittlerrolle zwischen Aitolien und Rom gespielt, vgl. unten S. 103f.; 106f. Liv. 35,32,8—33,11.

Aitolien: Gruppe u m Thoas und Dikaiarchos (193—192 v.Chr.)

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stellte er, indem er die aitolische Propaganda der letzten Jahre gegen Rom übernahm, die Freiheit Griechenlands, das ganz unter die Bevormundung durch Rom (sub nutum dicionemque Romanam20) und unter fremde Willkür (alienum arbitrium21J geraten sei, jetzt aber die große Chance habe, durch das Bündnis zwischen den Aitolern und Antiochos aus seiner gefährlichen politischen Lage befreit zu werden22. Dagegen verwiesen die Gesandten aus Athen auf das römisch-aitolische Bündnis und die bedeutenden Verdienste des Flamininus um Griechenland und schlugen vor, das Koinon solle auch die in der Nähe befindlichen römischen Gesandten anhören. Die, wie zu erwarten, ganz auf der Seite des Antiochos stehende, antirömisch eingestellte Volksmenge23 lehnte diese Forderung ab; doch gelang es vor allem den älteren „principes", unter denen anscheinend die Anhänger der gemäßigt romfeindlichen Gruppe überwogen, einen Beschluß durchzubringen, daß auch die römischen Gesandten Gelegenheit haben sollten, vor dem Panaitolikon zu sprechen24. Daraufhin erschien Flamininus selbst vor dem Koinon, ging in seinen Darlegungen wiederum bis auf das Bündnis von 212/1 v. Chr. zurück und warf den Aitolern desssen Bruch vor. Zu dem alten Problem der strittigen Städte sagte er jedoch nur wenig und verwies die Aitoler wieder einmal an den Senat26. Damit konnten die Aitoler aber jetzt nicht mehr beruhigt werden. Flamininus mußte vielmehr erleben, daß die radikal-antirömische Gruppe um Thoas28 noch in Anwesenheit der römischen Gesandtschaft einen Beschluß des aitolischen Koinon durchsetzte, durch den Antiochos III. zur „Befreiung" Griechenlands und zur Schlichtimg der zwischen Römern und Aitolern schwebenden Fragen herbeigerufen wurde27. Wie weit die Animosität gegen Rom gediehen war, zeigte das Verhalten des Damokritos, der als führender Vertreter der Gruppe um Thoas nach seinem Erfolg bei Nabis für 193/2 v. Chr. als Nachfolger des Thoas das Strategenamt übernommen hatte 28 . Als Flamininus von ihm den genauen 20 21 22 23 24 26 28 27

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Liv. 35,32.9. Liv. 35,32,11Liv. 35,32,10. Liv. 35,33,1: Multitude avida novandi res Antiochi tota erat. Liv. a. O. Liv. 35,33,4—6. Liv. 35,33,7: Thoas . . . ceterique factionis eiusdem. Liv. 35,33,8: Decretum . . . quo accerseretur Antiochus ad Hberandam disceptandumque inter Aetolos et Romanos; vgl. Plut. Tit. 15. D i e Belege für seine Strategie IG I X 1*1, p. LI.

Graeciam

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Richtungskämpfe I

Text des genannten Koinonbeschlusses erbat, brüskierte ihn der aitolische Stratege, indem er ihm dies mit der Berufung auf dringendere anderweitige Geschäfte verweigerte, wobei er hinzugefügt haben soll, er werde ihm Text und Antwort demnächst in Italien selbst übergeben, wenn er am Tiberufer sein Lager aufgeschlagen habe29. Auch wenn der Beschluß an sich Antiochos noch freie Hand Heß und keineswegs unbedingt zur Intervention in Griechenland nötigte30, konnte die Entschlossenheit der Gruppe um Thoas und Dikaiarchos, es auch auf eine kriegerische Auseinandersetzung mit Rom ankommen zu lassen, nicht mehr deutlicher gezeigt werden. Nach Abschluß der Beratungen in der Volksversammlung trat das Kollegium der Apokleten31 zu geheimen Besprechungen zusammen32. In der Beurteilung der allgemeinen Stimmung in Griechenland war man sich — dem Bericht des Livius (Polybios) zufolge — völlig einig: Die „principes" oder vielmehr die „optimi" der verschiedenen Gemeinwesen hielten am Zusammengehen mit Rom und am Status quo fest, während die multitudo und diejenigen, die mit ihrer Lage unzufrieden waren, auf die Änderung des bestehenden Zustandes hinarbeiteten: Inter omnes constabat in civitatibus principes et optimum quemque Romanae societatis esse et praesenti statu gaudere, multitudinem et quorum res non ex sententia ipsorum essent, omnia novare velle33. Leider bleibt die zugrundeliegende Formulierung des Sachverhalts bei Polybios unbekannt. Die romfeindliche Haltung der multitudo überrascht nicht. Daß aber andererseits die „principes", d. h. die Oberschicht insgesamt, prorömisch gewesen sei, kann nicht zutreffen; in Wirklichkeit stand sie, wie auch die weiteren Ereignisse klar beweisen, damals keineswegs geschlossen auf der Seite Roms34. Bedenkt man, daß Polybios über einen dem lat. principes äquivalenten Typenbegriff im allgemeinen gar nicht verfügte, so dürfte klar

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Liv. 35,33,9—11; vgl. App. Syr. 21,94; Zonar, 9,19. — De Sanctis 4,l 2 ,134 hält die Anekdote für erfunden, da die Aitoler es zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu einem förmlichen Bruch mit Rom kommen lassen wollten; anders jedoch ζ. B. Larsen, Fed. States 412, Anm. 2; Badian, Studies 131; Aymard, Rapp. 296, Anm. 10. Vgl. dazu zuletzt Badian a. O. 130f. Zu dem wichtigen Beratungsgremium der Apokleten, einem Ausschuß der Bule des aitolischen Koinon, vgl. Larsen, Fed. States 200f.; ΧΑΡΑ 1952, Iff. Liv. 35,34,2—5. Liv. 35,34,3. Außer den aitolischen ,,principes"waren ζ. B. die ,,principes" Euthymides in

Aitolien: Gruppe um Thoas und Dikaiarchos (193—192 v.Chr.)

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sein, daß bei ihm lediglich von optimus quisque, d. h. wohl von οί τά βέλτισθ' αΐρούμενοι ο. ä., die Rede war36, mithin auch bei Livius optimus quisque erst als die eigentliche Erläuterung zu pHncipes zu verstehen ist36. Optimi, οί τά βέλτισθ' αΐρούμενοι ο. ä. bezeichnet dann aber hier wie an anderen Stellen diejenigen, deren politische Richtung Polybios selbst für die beste hält, d. h. in diesem Fall den Teil der Oberschicht, der im Konflikt zwischen den Aitolern und Rom auf der Seite Roms stand 3 '. Der Apokletenrat beschloß als erstes die überfallartige Besetzimg von Demetrias, Chalkis und Sparta, wobei mit der Durchführung dieser Aktion in Chalkis Thoas selbst, in Demetrias der amtierende Hipparch Diokles38 und in Sparta Alexamenos39 beauftragt wurden. Die Unternehmungen gegen Demetrias und Chalkis, wo ein Machtwechsel zugunsten romfreundlicher Gruppen stattgefunden hatte, müssen wegen ihrer Bedeutung für das Verständnis der inneren Richtungskämpfe gesondert behandelt werden40. Hier genügt, daß lediglich Diokles in Demetrias Erfolg hatte, während die Aktionen gegen Chalkis und Sparta beide scheiterten. Dieser neuerliche Mißerfolg scheint der Gruppe um Thoas für kurze Zeit einen gewissen Rückschlag gebracht zu haben; denn die Wahl des Phaineas von Arsinoe zum Nachfolger des Damokritos im Herbst 192 v. Chr. dürfte auf einen Sieg der gemäßigt antirömischen Richtung innerhalb des Koinon hindeuten, die trotz aller Gegnerschaft gegen Rom doch

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Chalkis (Liv. 35,37,4), Eurylochos in Demetrias (Liv. 35,31,8) und Mnasilochos in Akamanien (Liv. 36,11,8) ausgesprochene Gegner Roms; vgl. auch Liv. 35,43,5 über die „principes" des magnetischen Koinon im allgemeinen. Ebensowenig war der Widerstand gegen Rom in der Oberschicht Boiotiens gebrochen, vgl. unten S. 131f.; 153 ff. Es gibt schlechterdings keinen Beleg dafür, daß „die Bourgeoisie" (wie D. Musti, Stud, class, e orient. 15, 1966, 171, Anm. 50 meint) gegen Antiochos war. Vgl. Polyb. 22,4,3; 24,10,4; dazu unten S. 142f. Auch Weißenborn-Müller z. St. betrachtet optimi als nähere Erläuterung von principes. Ganz ungenau spricht daher Niese 2,687 von „Optimaten", denen er die „Demokraten" gegenüberstellt. Gegen die unzulässige Verallgemeinerung von Liv. 35,34,3, wonach die principes eo ipso auch prorömisch gewesen seien, auch A. Passerini, Athenaeum 11, 1933,314. Liv. 35,34,5; 9. Liv. 35,34,5. Vgl. dazu unten S. 76ff.; 80ff.

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Richtungskämpfe I

dem bewaffneten Zusammenstoß auszuweichen versuchte41. Thoas aber hielt unbeirrt an seinem Gedanken eines militärischen Sieges über Rom im Bunde mit Antiochos I I I . fest. Im Spätsommer 192 reiste er zum zweitenmal an der Spitze einer aitolischen Gesandtschaft zu Antiochos III. 4 2 , meldete diesem die Gewinnung von Demetrias und schilderte ihm in der überschwenglichsten Weise die Erwartungen, mit denen breite Schichten Griechenlands der Ankunft des Königs entgegensahen. Tatsächlich erreichte er diesmal sein Ziel: Es glückte ihm, Antiochos zum Übergang nach Europa zu überreden, wobei offenbar die Eroberung von Demetrias den Ausschlag gab 43 . Eine wichtige Vorentscheidung war damit gefallen. Ende Oktober 192 v. Chr. 44 landete Antiochos' Flotte — allerdings mit der relativ kleinen Streitmacht von 10000 Fußsoldaten, ganzen 500 Reitern und 6 Elefanten — in Pteleon am Eingang des Golfes von Pagasai, wohin ihm der Magnetarch Eurylochos und die „principes" der Magneten entgegengeeilt waren45. Am nächsten Tag fuhr der König in den Hafen von Demetrias ein46. Die Aitoler beriefen auf die Nachricht von der Ankunft des Antiochos sofort eine außerordentliche Versammlung des Koinon nach Lamia 47 . Dort erschien der Seleukide nach wenigen Tagen, vom „vulgus" mit solcher Begeisterung begrüßt 48 , daß er nur mit Mühe, von dem Strategen Phaineas und anderen aitolischen principes begleitet, in die Versammlung gelangen konnte 49 . Vor dem Koinon sprach Antiochos dann ganz im Sinne der antirömischen aitolischen Politik der vorausgegangenen fünf Jahre. Nicht mehr vom Gegensatz zwischen Hellenen und Barbaren war hier die Rede, sondern von der wirklichen Freiheit Griechenlands, vom Sturz der 41

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Von einer eigentlichen „römerfreundlichen" Politik des Phaineas und seiner Gruppe, wie W. Hoffmann, R E X I X 2 (1938), 1564, will, kann aber keine Rede sein; vgl. unten S. 99 m. Anm. 2. Liv. 35,42,4—14; App. Syr. 12,46—47 (oben Anm. 14); vgl. Zonar. 9,19. Liv. 35,43,2; dazu Badian, Studies 133; Holleaux, Stüdes 5, 179. Z. Dat. vgl. Aymard, Rapp. 325, Anm. 3; Holleaux, Stüdes 5, 396. Vgl. unten S. 79. Liv. 35,43,4—6. — De facto hatte der Antiochoskrieg damit begonnen: Polyb. 3,7,3; Badian, Studies 134. Liv. 35,43,7—9; dazu Larsen, ΤΑΡΑ 1952, 26. Liv. 35,43,9: exceptus ingenti favore multitudinis cum plausibus clamoribusque et quibus aliis laetitia effusa vulgi significatur. Liv. 35,44,1.

Aitolien: Gruppe um Thoas und Dikaiarchos (193—192 v.Chr.)

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römischen Vorherrschaft, nicht zuletzt auch von der führenden Rolle, die in Zukunft den Aitolern in Griechenland zukommen sollte50. Außerdem versprach er, im Frühjahr 191 ein sehr viel schlagkräftigeres Heer von Kleinasien nach Europa überzusetzen61. Weder die begeisterte Aufnahme des Antiochos durch die multitudo noch die Versprechungen des Königs konnten jedoch verhindern, daß es bereits in der anschließenden Diskussion zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den Wortführern der beiden Auffassungen kam, die sich schon seit langem im Koinon gegenüberstanden. Während der amtierende Stratege Phaineas als Vertreter der gemäßigt antirömischen Richtung den bewaffneten Konflikt durchaus vermeiden zu können hoffte und die Aufgabe des Antiochos in Griechenland als die eines Vermittlers zwischen Aitolien und Rom aufgefasst wissen wollte, warf ihm Thoas, der Führer der radikalen Romfeinde, vor, er arbeite damit praktisch den Römern in die Hände52, und erhob die Forderung nach einer direkten militärischen Unterstützung der Aitoler durch Antiochos, da von Gesandtschaften und Verhandlungen allein keine Ergebnisse zu erwarten seien. Nur mit einer Politik der Stärke, nur mit der Waffe in der Hand werde es Antiochos möglich sein, von den Römern etwas zu erreichen53. Damit setzte er sich, offenkundig mit Unterstützung der multitudo, gegen die Meinung des Phaineas durch: Das Koinon nahm einen Beschluß an, wonach Antiochos zum στρατηγός αυτοκράτωρ des Koinon bestellt wurde54, womit der militärische Zusammenstoß mit Rom praktisch unabwendbar geworden war. Uber die Beziehungen zwischen den Aitolern und Antiochos III. in der folgenden Zeit ist eigentümlicherweise nur wenig überliefert. Doch be60

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Liv. 35,44,6: donec depulso cervicibus eorum (sc. der Aitoler) imperio Romano liberum vere Graeciam atque in ea principes Aetolos fecisset. Liv. 35,44,4—6. Liv. 36,45,5: Thoas negare pari studere Phaeneam, sed discutere apparatum belli velle, ut taedio et impetus languescat regis et Romani tempus ad comparandum habeant. Dies zeigt wohl, daß Phaineas die kriegerische Auseinandersetzung mit Rom zu vermeiden suchte; jedoch gibt es weder hier noch in den folgenden Jahren einen Anhaltspunkt für eine eigentlich prorömische Haltung des Phaineas. Unrichtig daher W. Hoffmann a. O. Liv. 35,45,8: armatum regem aliquid impetraturum: inermem non pro Aetolis modo, sed ne pro se quidem ipso momenti ullius futurum apud Romanos. App. Syr. 12,46 (jedoch fälschlicherweise bereits in die Zeit vor der zweiten Gesandtschaft des Thoas zu Antiochos III. verlegt; vgl. Niese 2,690, Anm. 3); Liv. 35,45,9: imperator.

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Richtungskämpfe I

vor die weitere Entwicklung des aitolischen Widerstandes gegen Rom dargestellt werden kann, müssen die Auseinandersetzungen zwischen den pro- und antirömischen Elementen im übrigen Griechenland während der Intervention des Antiochos untersucht werden. Von besonderer Bedeutung sind hier zunächst Demetrias und Chalkis, wo diese charakteristischen Gegensätze schon vor der Landung des Seleukiden offen zum Ausbruch gekommen waren. b) Demetrias: Triumph und Niederlage der Romfeinde um Eurylochos (192—191 v. Chr.) Als eine der .Fußfesseln Griechenlands' hatte Demetrias im I. Makedonischen Krieg fest auf der Seite Makedoniens gestanden. Im Jahre 196 v. Chr. war es dann frei und zugleich Mittelpunkt des neugegründeten magnetischen Koinon geworden. Nicht lange nach dem Abzug der römischen Truppen im Sommer 194 v. Chr. hieß es jedoch plötzlich, Rom habe Philipp V. für dessen Hilfe in dem sich abzeichnenden Krieg gegen Antiochos III. die Rückgabe der Stadt versprochen1, und dieses Gerücht war — wie die späteren Ereignisse zeigten — keineswegs unbegründet 2 . Sofort erwachten daraufhin in Demetrias heftige innere Gegensätze. Die Empörung über die Bedrohung der eben erst errungenen (bzw. verliehenen) Selbständigkeit durch Rom selbst erklärt dabei die ungewöhnliche Stärke der antirömischen Richtung unter den , , p r i n c i p e s " des magnetischen Koinon, an deren Spitze der Magnetarch Eurylochos stand und die naturgemäß Anlehnung bei den Aitolern und Antiochos suchte3. Anfang 192 v. Chr. brachen die Richtungskämpfe in Demetrias offen 4 aus . Damals traf eine römische Gesandtschaft unter Flamininus in der Stadt ein5, wo das magnetische Koinon zu einer Versammlung zu1 2

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Liv. 35,31,5. Vgl. Badian, Studies 129f.; F. C. 78f.; Walbank, Philip V, 195; Holleaux, Stüdes 5,393. Zurückhaltender Will 2,169. Liv. 35,31,4: Pars principum alienati Romanis totique Antiochi et Aetolorum erant; ib. 6: Eurylochus, princeps Magnetum, factionisque eius quidam omnia novari Aetolorum Antiochique adventu malebant. — Zur Person des Eurylochos vgl. J. Deininger, R E Suppl. X I (1968), 669—671, Art. Eurylochos Nr. 11; zum Amt des Magnetarchen Liv. a. O. 11: Magnetarchen summum magistratum vocant, dazu zuletzt Larsen, Fed. States 295. Zum Dat. vgl. Gundel, R E X X I V (1963), 1086. Das Folgende bei Liv. 35,31,3—32,1. Z. Dat. vgl. Walbank, Philip V, 344 (Februar/ März 192 v. Chr.).

Demetrias: Die Romfeinde um Eurylochos (192—191 v. Chr.)

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sammentrat®. Flamininus war wegen Philipp, dessen Hilfe für Rom viel wesentlicher erschien als die Haltung der Magneten 7 , nicht imstande, das bewußte Gerücht zu dementieren, und beschränkte sich auf allgemeine Darlegungen über die den Griechen und speziell den Magneten von Rom widerfahrenen „Wohltaten". Damit reizte er jedoch nur die antirömische „factio" aufs äußerste: Der Magnetarch Eurylochos forderte in einer scharfen Erwiderung auf die Rede des Flamininus, daß vonseiten der Magneten alles geschehen müsse, um eine Rückkehr der Stadt in die Gewalt Philipps zu verhindern 8 . Dann bekannte er sich offen zu den Thesen der antirömischen aitolischen Agitation und sprach aus, auch Demetrias sei nur dem Schein nach frei; in Wirklichkeit geschehe alles nach dem Willen Roms 9 . Dieser Satz rief bei der multitudo eine unterschiedliche Reaktion hervor 10 ; Flamininus jedoch zeigte sich äußerst erregt und rief feierlich die Götter zu Zeugen der „Undankbarkeit" und der „Treulosigkeit" der Magneten an 11 . In der dadurch hervorgerufenen allgemeinen Verwirrung trat der „princeps" Zenon hervor, der offenbar schon immer zu den Gegnern des Eurylochos und zu den Befürwortern einer ausgesprochen prorömischen Politik gehört hatte 12 . Er bat Flamininus, die Magneten nicht nach der unbedachten Äußerung eines Einzelnen zu beurteilen, und versicherte ihn der Dankbarkeit und der Freundschaft der Einwohner, wobei sich ihm die eingeschüchterte multitudo anschloß 13 . So groß war der Eindruck, den das Auftreten der römischen Gesandtschaft machte, daß sich Eurylochos nur durch die unmittelbare Flucht nach Aitolien zu retten vermochte; ein förmlicher Verbannungsbeschluß für ihn ließ nicht lange auf sich warten 14 . Damit hatte die Gesandtschaft des Flamininus in Demetrias dasselbe erreicht wie zuvor schon in Chalkis16; aber wohl nicht zuletzt angesichts 8

Liv. 35,31,4' Liv. ib. 7. 8 Liv. 35,31,12. • Liv. ib.: specie liberam Demetriadem esse, re vera omnia ad nutum Romanorum fieri. 10 Liv. 35,31,13: sub hanc vocem fremitus variantis multitudinis fuit partim adsensum, partim indignationem dicere id ausum eum. 11 Liv. ib.: ingratus et perfidus animus; vgl. auch oben S. 55, Anm. 9. 12 Liv. 35,31,14: Zeno, ex principibus unus, . . . semper Romanorum haud dubie partis fuerat. Näheres über ihn als Politiker erfährt man leider nicht. 15 Liv. 35,31,15—32,1. 11 Liv. 35,34,6; 7; 9. 16 Vgl. unten S. 81.

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des der Stadt drohenden Schicksals waren die romfeindlichen Kräfte hier doch weit stärker als in Chalkis. Bei der nicht lange darauf begonnenen Vorbereitung des aitolischen Unternehmens gegen Demetrias 18 spielte der gestürzte Magnetarch eine wesentliche Rolle 17 . Durch Briefe gelang es ihm, die ganze antirömische Opposition in Demetrias zu mobilisieren und eine Demonstration seiner Verwandten, Freunde und politischen Gesinnungsgenossen herbeizuführen 18 . Frau und Kinder des Eurylochos, die dieser hatte zurücklassen müssen, erschienen in Trauerkleidung in der Volksversammlung, was das Mitleid insbesondere der „einfachen" Bürger, d. h. der πολλοί, erregte und die Stellung der Gegner Roms aufs neue so stärkte, daß die Verbannung des Eurylochos durch die Ekklesie wieder aufgehoben und er nach Demetrias zurückgerufen wurde. Aber Eurylochos kam — im Frühsommer 192 v. Chr. 19 — nicht allein. Seine Begleitung hatte der aitolische Hipparch Diokles mit der gesamten Reiterei des Koinon übernommen 20 , dessen Vorgehen an die Überrumpelung Thebens fünf Jahre zuvor durch Flamininus und die prorömischen Politiker um Zeuxippos erinnert. Diokles ließ nämlich die Masse der Reiterei zunächst etwa 9 km vor Demetrias zurück und führte Eurylochos mit wenigen Abteilungen seiner Truppe in die Stadt 2 1 . Während er sich dann mit Eurylochos, der von allen Seiten Glückwünsche entgegennahm, zur Agora begab, besetzte die aitolische Reiterei unvermerkt alle strategisch wichtigen Punkte, und so geriet Demetrias in die Hände der Gegner Roms. Ein furchtbares Blutbad unter den Führern der prorömischen Richtung besiegelte den Triumph der „factio" des Eurylochos 22 . Die damit unumschränkt herrschende romfeindliche Richtung des Eurylochos konnte im Spätsommer desselben Jahres auch den Versuch des Flamininus vereiteln, die Stadt für Rom wiederzugewinnen23. Zu diesem Zweck hatte Flamininus den Gesandten P. Villius Tappulus zu Schiff nach Demetrias geschickt. Als dessen Pentere den Hafeneingang erreicht hatte, strömte ihm die multitudo der Magneten entgegen. Auf 18 17 18 19 20 21 22 23

Vgl. oben S. 73. Das Folgende bei Liv. 35,34,4—12. Liv. 35,34,7: propinqui amicique et qui eiusdem factionis erant. Z. Dat. vgl. G. Klaffenbach, IG I X l 2 , 1, p. X X X V I I I . Liv. 35,34,9. Liv. ib. Liv. 35,34,12: Tum in domos missi qui principes adversae factionis interficerent. Liv. 35,39,3—7.

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die Frage des Römers, ob die Magneten ihn lieber als Freund oder als Feind haben wollten, antwortete ihm der jetzt wieder im Amt befindliche Magnetarch Eurylochos, er sei zu Freunden gekommen, sofern er nicht in den Hafen einfahre, die Magneten in Eintracht und Freiheit ließe und nicht den Versuch unternähme, unter dem Schein einer Unterredung die multitudo aufzuwiegeln24. In dem sich anschließenden Wortwechsel beschuldigte Tappulus die Magneten erneut der Undankbarkeit 26 , während die wie stets antirömisch eingestellte multitudo wechselweise dem Senat und Flamininus den Verrat der Stadt an Philipp V. zum Vorwurf machte 24 . Von der von Zenon behaupteten Dankbarkeit und Freundschaft der Magneten gegenüber den Römern war hier also nichts zu merken, und dem römischen Gesandten blieb nicht viel anderes übrig, als unverrichteter Dinge zu Flamininus zurückzukehren 27 . Die Gewinnung von Demetrias hat dann, wie schon zu erwähnen war28, den Ausschlag für die Überfahrt des Antiochos nach Griechenland gegeben, und insofern war gerade der politische Erfolg des Eurylochos und der Romfeinde in Demetrias historisch außerordentlich folgenreich. Als der seleukidische König etwa Ende Oktober 192 v. Chr. in Pteleon eintraf 29 , begrüßten ihn dort Eurylochos und „principes Magnekim"30. Antiochos war später noch mehrfach in der Stadt, und zwar im November 192 v. Chr. zur Vorbereitung des Angriffs auf Chalkis und im Januar 191 v. Chr. zu einer Beratung mit den „principes" der Aitoler31. Das Schicksal der magnetischen Romfeinde wurde dann durch die Schlacht bei den Thermopylen entschieden. Doch hielt sich Demetrias auch danach noch länger als ein halbes Jahr auf der Seite der Aitoler. Erst als sich gegen Ende des Jahres 191 v. Chr. Philipp V. der Stadt näherte, drohte eine Panik auszubrechen 32 . Die ordnungslose Menge seleukidischer Soldaten 33 , die zumeist aus Flüchtlingen bestand, war zum 21 25 28 27 28 29

30 31 32 33

Liv. 35,39,6. Zu diesem charakteristischen römischen Vorwurf vgl. oben S. 55, Anm. 9. Liv. 35,39,7. Liv. ib. Vgl. oben S. 74. Z. Dat. bes. Holleaux, Istudes 5, 396. — Pteleon war damals offenbar aitolisch, vgl. R. Flacelifere, Les Aitoliens & Delphes (Paris 1937) 350, Anm. 1. Liv. 35,43,5. Vgl. unten S. 96f. Liv. 36,33,2—7. Liv. 36,33,4: turba regiorum (also bei Polybios etwa όχλοι βασιλικών) meint hier nicht „Anhänger" (wie Weißenborn-Müller z. St. wollen), sondern offenkundig

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Schutz der Stadt gänzlich ungeeignet34 und öffnete Philipp gegen die Zusicherung freien Abzugs alsbald die Tore der Stadt 35 . Damit war die Stellung der Romfeinde nach rund anderthalbjähriger Herrschaft unhaltbar geworden. Einige nicht namentlich bekannte „principes" ergriffen beim Einzug Philipps die Flucht; Eurylochos dagegen nahm sich, angesichts des völligen Zusammenbruchs seiner politischen Hoffnungen, selbst das Leben 36 . Es war, soweit die Überlieferung reicht, der erste Selbstmord eines antirömischen Politikers in Griechenland. c) Chalkis: Die Gruppe um Euthymides, Eubulides und Philon gegen die Romfreunde um Mikythion und Xenokleides (192—191 v. Chr.) Ähnlich wie Demetrias hatte auch Chalkis als eine der drei „Fußfesseln" Griechenlands von jeher eine besondere politische Bedeutung gehabt. Die traditionelle makedonische Vormachtstellung dort1 wurde erstmals im Herbst 200 v. Chr. ernsthaft gefährdet, als nach nicht näher bekannten inneren Auseinandersetzungen eine antimakedonische Gruppe verbannt wurde2. Diese wandte sich zwecks Rückeroberung der Stadt alsbald an die Römer3, worauf C. Claudius Centho, Legat des P. Sulpicius, Chalkis überfiel4. Es gelang ihm, in die Stadt einzudringen; bei den Straßenkämpfen kam der makedonische Befehlshaber, der Akarnane Sopatros, ums Leben. Nach Verwüstung der Stadt, Befreiung der politischen Gefangenen Philipps V. und Zerstörung der Statuen des Königs zog sich Centho jedoch in den Piraeus zurück.

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1 2

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„Soldaten" des Antiochos. Zur Bedeutung von όχλοι vgl. (u. a.) Η. H. Schmitt, Untersuchungen zur Geschichte Antiochos' des Großen und seiner Zeit (Wiesbaden 1964), 109, Anm. 5. Liv. ib. Liv. 36,33,5. Liv. 36,33,6. — Zum Übergang von Demetrias an Phüipp V. vgl. Liv. 39,23,12; 24,11 ff. Vgl. kurz E . Oberhummer, R E III 2 (1899), 2084. Z. Dat. (etwa Mitte Oktober) vgl. Walbank, Phüip V, 317. — Bereits 208 v. Chr. war ein römischer Angriff auf Chalkis gescheitert, Liv. 28,6,8—7,2; vgl. ib. 6,11: (sc. Chalcis) oppidum . . . praecipue fide praefectorum principumque . . . stabile atque inexpugnabile fuit. Liv. 31,23,1: Exules ab Chalcide regiorum iniuriis pulsi attulerunt occupari Chalcidem sine certamine ullo posse. Liv. 31,23,1—12; vgl. Zonar. 9,15,3. Dazu Walbank a. O. 138f.; Holleaux, Etudes 5, 351.

Chalkis: Euthymides gegen Mikythion und Xenokleides (192—191 v. Chr.) 8 1

Nach der Niederlage Makedoniens bei Kynoskephalai mußte Chalkis zunächst eine römische Besatzung aufnehmen, die aber im Sommer 194 v. Chr. wieder abzog. Auch hier bemerkt man in der Folgezeit ausgesprochen anti- und prorömische Richtungen unter den „principes", wobei vor allem Euthymides auf der anti- und Mikythion und Xenokleides auf der prorömischen Seite hervortreten6. Daß dabei anfänglich auch hier die antirömischen Politiker und Euthymides durchaus die Oberhand hatten und sich dies erst durch einen von außen kommenden, römischen Eingriff änderte, geht aus den Ereignissen vom Februar 192 v. Chr. hervor6. Damals erschien die schon erwähnte römische Gesandtschaft unter Flamininus in Chalkis; das Ergebnis dieses Besuchs war — nicht viel anders als in Demetrias —, daß Euthymides wegen seiner romfeindlichen Haltung von der prorömischen Gruppe um Mikythion und Xenokleides verbannt wurde, die daraufhin die Führung in Chalkis übernahm7. Doch Euthymides, der offenbar seit jeher enge Beziehungen zu den Aitolern unterhielt8, gab sich nicht geschlagen. Er eilte nach Athen und trat von dort aus in Verbindung mit den Gegnern Roms in Aitolien9. Bald darauf, im Frühsommer 192 v. Chr.10, konnte sich Thoas bei der aitolischen Aktion gegen Chalkis seiner bedienen. Zusammen mit Herodoros aus dem bithynischen Kios, einem in Chalkis einflußreichen Kaufmann 11 , nahm Euthymides Kontakt zu seiner Anhängerschaft in 5

Daß ein Zusammenhang zwischen diesen Politikern und den schon im II. Makedonischen Krieg ausgebrochenen Richtungskämpfen besteht, liegt zwar nahe, läßt sich aber nicht beweisen, zumal Livius bei der Episode des Jahres 200 v. Chr. keine Namen nennt. « Z. Dat. vgl. Walbank, Philip V, 327. 7 Liv. 35,37,4: pulsus (sc. Euthymides) opibus eorum qui Romanae societatis erant post Τ. Quincti legatorumque adventum; vgl. 38,1. — Zur Person des Euthymides (und zur Namensform; bei Liv. Euthymidas) Η. H. Schmitt, R E Suppl. I X (1962), 65. Daß Euthymides im Zeitpunkt seiner Verbannung (wie Eurylochos in Demetrias) ein Amt bekleidete (Liv. 35,37,4 nennt ihn lediglich princeps), dürfte aus Liv. 35,38,1". Micythio et Xenoclides, penes quos tum summa return, pulso Euthymida, Chalcide erat, hervorgehen. 8 Er ist offenkundig mit dem Εύθυμ[{]δα; Άριστομάχου [Χαλκι]δεύ