Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese« im museum kunst palast: Zur Musealisierung der Düsseldorfer Kunstszene der 1960er Jahre [1. Aufl.] 9783839402559

Dürfen Kunstwerke gesammelt und bewahrt werden, die als vergängliche Arbeiten konzipiert wurden? Sind Kunstwerke aus vor

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese« im museum kunst palast: Zur Musealisierung der Düsseldorfer Kunstszene der 1960er Jahre [1. Aufl.]
 9783839402559

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
I. Einführung
1. Die Düsseldorfer Kunstszene vom Ende der fünfziger bis zum Ende der sechziger Jahre
2. Definition und Merkmale der Musealisierung
II. Die Position der Künstler in der Diskussion über die Rolle des Museums
III. Zeitgenössische Kunst: eine Herausforderung für die museale Praxis
1. Das Düsseldorfer Symposium und der Widerspruch zwischen Erhaltung und Präsentation zeitgenössischer Kunst
2. Die Rolle des Materials
3. Die Überprüfung der traditionellen Restaurierungsprinzipien im Bezug auf die zeitgenössische Kunst. Zur Reproduzierbarkeit der Kunstwerke
4. Die Rekonstruktion von Installationen
5. Zur Entwicklung einer Methodologie der Erhaltung und Präsentation zeitgenössischer Kunstwerke
IV. Lichtraum (Hommage à Fontana)
1. Ort und Wirkung
1.1 Raum und Situation in Kassel
1.2 Spätere Versionen des Lichtraumes (Hommage à Fontana)
2. Die einzelnen Werke
2.1 Beschreibung und kunsthistorische Analyse
2.2 Veränderungen der Originalsubstanz, Rekonstruktionen, Repliken
3. Bedeutungsverschiebungen und -verluste
V. Creamcheese
1. Ort und Wirkung
1.1 Das Tanzlokal
1.2 Die Musealisierung des Creamcheese
2. Die einzelnen Werke
2.1 Beschreibung und kunsthistorische Analyse
2.2 Veränderungen der Originalsubstanz, Rekonstruktionen, Repliken
3. Bedeutungsverschiebungen und -verluste
VI. Schlußfolgerungen
Nachwort
Anhang
Lichtraum (Hommage à Fontana)
1. Interview mit Otto Piene, 7. August 1999
2. Interview mit Heinz Mack, 26. August 1999
3. Interview mit Günther Uecker, 14. Oktober 1999
Creamcheese
1. Schriftwechsel mit Lutz Mommartz, November 2002
2. Interview mit Heinz Mack, 21. November 2002
3. Interview mit Günther Uecker, 18. April 2003
Literatur
Bildnachweis

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Tiziana Caianiello Der Lichtraum (Hommage à Fontana) und das Creamcheese im museum kunst palast Zur Musealisierung der Düsseldorfer Kunstszene der 1960er Jahre

2005-04-08 15-40-38 --- Projekt: T255.kum.caianiello / Dokument: FAX ID 023380981384602|(S.

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) T00_01 schmutztitel.p 80981384794

Tiziana Caianiello (Dr. phil.) ist Kunsthistorikerin und arbeitet am Museum Kurhaus Kleve. Sie hat am europäischen Projekt »International Network for the Conservation of Contemporay Art« mitgearbeitet und verschiedene Artikel zur Restaurierungsgeschichte und -ethik sowie über zeitgenössische Künstler veröffentlicht.

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) T00_02 autoreninfo.p 80981384818

Tiziana Caianiello

Der Lichtraum (Hommage à Fontana) und das Creamcheese im museum kunst palast Zur Musealisierung der Düsseldorfer Kunstszene der 1960er Jahre

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) T00_03 innentitel.p 80981384826

Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln 2003 als Dissertation angenommen. Die Publikation wurde durch die Gerda Henkel Stiftung gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2005 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Herstellung: more! than words, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-255-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http:// w ww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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Inhalt Vorwort

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I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Düsseldorfer Kunstszene vom Ende der fünfziger bis zum Ende der sechziger Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Definition und Merkmale der Musealisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Die Position der Künstler in der Diskussion über die Rolle des Museums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zeitgenössische Kunst: eine Herausforderung für die museale Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Düsseldorfer Symposium und der Widerspruch zwischen Erhaltung und Präsentation zeitgenössischer Kunst . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rolle des Materials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Überprüfung der traditionellen Restaurierungsprinzipien im Bezug auf die zeitgenössische Kunst. Zur Reproduzierbarkeit der Kunstwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Rekonstruktion von Installationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zur Entwicklung einer Methodologie der Erhaltung und Präsentation zeitgenössischer Kunstwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Lichtraum (Hommage à Fontana) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ort und Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Raum und Situation in Kassel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Spätere Versionen des Lichtraumes (Hommage à Fontana) . .

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2. Die einzelnen Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Beschreibung und kunsthistorische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Veränderungen der Originalsubstanz, Rekonstruktionen, Repliken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Bedeutungsverschiebungen und -verluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Creamcheese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ort und Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Das Tanzlokal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Musealisierung des Creamcheese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Die einzelnen Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Beschreibung und kunsthistorische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Veränderungen der Originalsubstanz, Rekonstruktionen, Repliken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Bedeutungsverschiebungen und -verluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Nachwort

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Anhang

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Lichtraum (Hommage à Fontana) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Interview mit Otto Piene, 7. August 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Interview mit Heinz Mack, 26. August 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 3. Interview mit Günther Uecker, 14. Oktober 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Creamcheese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schriftwechsel mit Lutz Mommartz, November 2002 . . . . . . . . . . . . 2. Interview mit Heinz Mack, 21. November 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Interview mit Günther Uecker, 18. April 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

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➔ Vorwort

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Vorwort Die Musealisierung von Kunstwerken aus den sechziger Jahren stellt Kuratoren und Restauratoren vor besondere Probleme, denn ihre Bedeutung widerspricht in zahlreichen Fällen den traditionellen Aufgaben der Institution Museum. Wie können beispielsweise ephemere Environments und Happenings gesammelt und bewahrt werden? Dürfen Kunstwerke erhalten werden, die als vergängliche Objekte entwickelt wurden? Und was gilt es gegebenenfalls zu bewahren: das Material oder die Idee, die dahinter steckt? Sind Kunstwerke aus vorgefertigten Materialien (oder Teile davon) ersetzbar? Außerdem: Wie können Arbeiten, die bewußt für alternative Orte konzipiert wurden, in Museumsräumen präsentiert werden? Inwieweit kann/darf ihr ursprünglicher Kontext angedeutet oder sogar rekonstruiert werden?1 In der vorliegenden Forschung wird diese Problematik am Beispiel von zwei künstlerischen Ensembles erläutert, die von der Düsseldorfer Kunstszene der sechziger Jahre hervorgebracht wurden: der lichtkinetischen Installation Lichtraum (Hommage à Fontana), die von der Gruppe Zero für die documenta III (1964) geschaffen wurde, und der 1967 eröffneten Künstlerkneipe Creamcheese. Beide Ensembles sind heute im ›museum kunst palast‹ in Düsseldorf ausgestellt. Sie erweisen sich als besonders geeignet für eine Gegenüberstellung, weil sie einerseits aus der gleichen Zeit und aus demselben künstlerischen Umfeld stammen, anderseits unterschiedliche Erhaltungsund Präsentationsprobleme aufzeigen. Die angedeutete Problematik der Erhaltung und Präsentation zeitgenössischer Kunst regte bereits Ende der siebziger Jahre zu einer kritischen Reflexion an. Ein Vorreiter in diesem Bereich war der Restaurator und Kunsthistoriker Heinz Althöfer, der zwischen 1976 und 1992 Leiter des Restaurierungszentrums der Landeshauptstadt Düsseldorf – Schenkung Henkel war. Er war der Meinung, daß etablierte Restaurierungsprinzipien – wie zum Beispiel die Aufgabe der Restauratoren, Kunstwerke der Nachwelt zu überliefern, die Unersetzbarkeit des Originals und der Respekt vor dem originalen Material – durch einige zeitgenössische Kunsttendenzen in Frage gestellt worden waren. Seine zum Teil gewagten Äußerungen regten in Europa eine lebhafte

1 Die zerrissene Position der Institutionen angesichts dieser schwierigen Entscheidungen wird von der Kunstkritikerin Susan Hapgood wie folgt beschrieben: »Torn between traditional notions of the art object and the mutable products and defiant gestures of a period of art history when site, spontaneity, process and ephemerality were all important, institutions maintain a tenuous position with one foot in each camp.« HAPGOOD, Susan, Remaking Art History, in: »Art in America« 78, 1990, 7 (Juli), S. 115.

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

Diskussion über die Erhaltung zeitgenössischer Kunst an. Während einerseits bewußt wurde, daß jedes Kunstwerk einzeln analysiert und behandelt werden sollte, erschien es andererseits notwendig, Richtlinien zu entwickeln, um zu vermeiden, daß Entscheidungen willkürlich getroffen wurden. 1993 wurde die Foundation for the Conservation of Modern Art in den Niederlanden gegründet, die ein Forschungsprojekt über die Probleme der Erhaltung zeitgenössischer Kunst durchführte. Sie entwickelte das decision-making model, einen Leitfaden, der den Entscheidungsprozeß über die Erhaltung zeitgenössischer Kunstwerke durch eine gegliederte Fragestellung methodologisch unterstützen sollte.2 Eines der Ergebnisse des niederländischen Projektes war: »A well-founded decision on the conservation of modern art requires considerable research […]. Besides material anlysis, art-historical and theoretical research is above all required to establish the criteria for the conservation of modern art.«3 Eine gründliche und interdisziplinäre Forschung über die verschiedenen Elemente, die zur Bedeutung eines Kunstwerkes beitragen (verwendete Materialien und Techniken, Intention des Künstlers usw.), ist also unabdingbar für eine durchdachte Erhaltung. Jedoch wird sie nur gelegentlich von Museen durchgeführt.4 Deswegen möchte ich eine solche Forschungsarbeit für die Ensembles Lichtraum und Creamcheese leisten. Meine Beschäftigung mit dem Lichtraum (Hommage à Fontana) geht auf die Abschlußarbeit zurück, die ich 1999 zur Erlangung des Titels ›Specialista in Storia dell’Arte‹ an der Universität Neapel ›Federico II.‹ vorgelegt habe. In dieser Arbeit wurde der Lichtraum im Rahmen eines Vergleichs zwischen italienischen und deutschen theoretischen Ansätzen für die Erhaltung kinetischer Kunst analysiert. Hierzu nahm ich Kontakt auf mit Cornelia Weyer, Leiterin des Restaurierungszentrums Düsseldorf, und mit Gunnar Heydenreich, Chef-Restaurator für zeitgenössische Kunst im selben Haus. In Zusammenarbeit mit ihnen führte ich Interviews mit den Künstlern der Gruppe Zero (Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker) und untersuchte die einzelnen Kunstwerke der Installation. Die Forschung über den Lichtraum (Hommage à Fontana) wurde durch das Restaurierungszentrum in das europäische Projekt INCCA (International Network for the Conservation of Contemporary Art) mit-

2 Vgl. The decision-making model for the conservation and restoration of modern and contemporary art, in: HUMMELEN, Ijsbrand, SILLE, Dionne (Hrsg.), Modern Art: Who Cares?, Amsterdam 1999, S. 164-172. 3 SILLE, Dionne, Introduction to the Project, in: HUMMELEN/SILLE 1999, S. 14. 4 Ebd., S. 14: »There is still a backlog in this area. Museums must carry out more internal art-historical and theoretical research and join forces to persuade other institutes – like universities – to stimulate and undertake this kind of research.«

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➔ Vorwort

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einbezogen, so daß mir die Möglichkeit gegeben wurde, die Problematik der Erhaltung – und insbesondere die Rolle und die Methodologie von Künstlerinterviews in Zusammenhang mit Erhaltungsproblemen – mit Forschern unterschiedlicher Herkunft zu diskutieren. Über die Installation Lichtraum war ein Heft mit einem Text von Stephan von Wiese vorhanden, der anläßlich ihrer Einweihung im ehemaligen Kunstmuseum Düsseldorf herausgegeben wurde.5 Dieser Beitrag sollte aber unter dem Aspekt der Auswirkungen der Musealisierung auf die Installation vertieft werden. Es sollte insbesondere erforscht werden, wie sich die Bedeutung des Ensembles durch die Re-Installation im Kunstmuseum verändert hatte. Außerdem sollte analysiert werden, ob die Tatsache, daß einige kinetischen Objekte der Installation mit Repliken ersetzt werden mußten, Einfluß auf das Gesamtbild und auf die künstlerische und historische Bedeutung der Installation hatte. Das Material über den Lichtraum, das ich bereits im Lauf meiner Arbeit für das Restaurierungszentrum gesammelt hatte (Literatur über die Gruppe Zero, Zustands- und Restaurierungsdokumentation, Interviews mit den Künstlern), konnte ich während meiner Promotionsforschung ergänzen und – bezüglich der neuen musealen Präsentation – aktualisieren. Gespräche mit den Kunsthistorikern des ›museum kunst palast‹, mit den Künstlern und den Restauratoren des Restaurierungszentrums Düsseldorf waren dabei sehr hilfreich. Außerdem konnte ich im documenta-Archiv in Kassel, dank der Hilfsbereitschaft der Leiterin Karin Stengel, Fotos recherchieren, die neue Informationen über die Aufstellung der Objekte des Lichtraumes auf der documenta III geliefert haben. Meine erste Begegnung mit dem Creamcheese erfolgte bei einer Recherche im Archiv des Restaurierungszentrums Düsseldorf, wo die Restaurierungsdokumentation der Objekte aus dem Tanzlokal aufbewahrt wird. Das Creamcheese schien mir ein geeignetes Vergleichsobjekt für den Lichtraum zu sein, weil die Kneipe nur drei Jahre nach der kinetischen Installation entstanden war, und weil zwei der an der Ausstattung des Lokals beteiligten Künstler (Heinz Mack und Günther Uecker) ehemalige Mitglieder der Gruppe Zero waren. Außerdem wurde mir bei den Recherchen bald deutlich, daß das Creamcheese trotz seiner zentralen Bedeutung in der Düsseldorfer Kunstszene bis heute weitgehend unerforscht geblieben war. Stephan von Wiese hatte eine zusammenfassende Darstellung über das Tanzlokal geschrieben.6

5 Heinz Mack, Otto Piene, Günther Uecker: Lichtraum (Hommage à Fontana) 1964, Düsseldorf u. Berlin 1992. 6 Vgl. WIESE, Stephan von, Creamcheese. Eine Kneipe als Forum der Kunst, in: Brennpunkt Düsseldorf, Kunstmuseum Düsseldorf, 1987, S. 120-121.

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

Weitere Texte über das Creamcheese waren in populärwissenschaftlichen Büchern und Stadtführern zu Düsseldorf erschienen.7 Viele Fragen hinsichtlich der Konzeption des Lokals, seiner Ausstattung und der künstlerischen Aktionen, die dort stattfanden, waren jedoch noch offen. Dank der freundlichen Unterstützung der Museumskuratoren und der damaligen Wirtin des Creamcheese, Bim Reinert,8 konnte ich Archivmaterial des Museums über den Erwerb und die Ausstellung der Objekte, zahlreiche Zeitungs- und Zeitschriftenartikel über das Lokal, sowie Videos und Photos aus der Zeit einsehen. Sowohl die museale Präsentation des Lichtraumes als auch die des Creamcheese wurden im Lauf der Zeit verändert. Jedoch wurde der Gedankenprozeß, der zu den jeweiligen Lösungen geführt hatte, nicht systematisch aufgezeichnet. Eine Analyse der Vor- und Nachteile der angewendeten Kriterien fehlte. Zur Untersuchung des Lichtraumes (Hommage à Fontana) und des Creamcheese werde ich das erwähnte decision-making model anwenden, da es einen Leitfaden liefert und gleichzeitig variable Kriterien zuläßt: Die verschiedenen Elemente, die zur Bedeutung und Authentizität der zwei Ensembles beitragen (Intention des Künstlers, Material, Technik, Funktionalität, historischer Wert usw.) werden analysiert, um danach zu überprüfen, wie der aktuelle Zustand des Kunstwerkes auf diese Elemente einwirkt und welche Erhaltungslösungen möglich sind. Die Anwendung des decision-making model wird es somit auch gestatten, seine Effektivität und Vollständigkeit in Bezug auf Installationen zu überprüfen. Außerdem sollen die Überlegungen über die Erhaltung zeitgenössischer Kunst mit der Problematik der Musealisierung verzahnt werden. Durch die Musealisierung werden Objekte für erhaltungswürdig erklärt und aus ihrem Kontext gerissen. Im Museum verlieren sie oft ihre ursprüngliche Funktion und werden in einem neuen Zusammenhang präsentiert. Unter den Aufgaben des Museums sind das Bewahren und Präsentieren eng miteinander verbunden. Beide setzen eine Interpretation des Kunstwerkes voraus und beeinflussen seine Bedeutung. Sie können aber widersprüch-

7 Vgl. z.B. Kapitel mit dem Titel Kunst im Frischkäse in: LOICK, Antonia, Was war los in Düsseldorf 1950-2000, Erfurt 2000, S.42-48; RATJEN, Hermann, Creamcheese: Hier kann man Bilder essen, in: Düsseldorf wie es schreibt & isst, München, o.D., S. 230-233; STAHL, Walter, WIEN, Dieter, Düsseldorf von 7 bis 7: ein ungewöhnlicher Führer durch eine elegante Stadt, Hamburg 1968, S: 240 (wieder veröffentlicht in der verbesserten Auflage 1972, S. 228). 8 In der vorliegenden Arbeit wird statt ihres echten Vornamens Resi der Vorname Bim verwendet, unter dem Frau Reinert bekannt ist.

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➔ Vorwort

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liche Lösungen verlangen: Präsentationen, die für die Vermittlung der künstlerischen Intention eines Werkes sinnvoll erscheinen, können aus konservatorischen Gründen nicht realisierbar sein. Für Installationen hängen die Fragen der Erhaltung und Präsentation besonders eng zusammen, da die Präsentationsweise eines Environments seinem Konzept quasi immanent ist. Sie ist somit Bestandteil des zu erhaltenden Kunstwerkes. Die Faktoren, die bei der Untersuchung der zwei Ensembles berücksichtigt werden müssen, könnten unterschiedliche Lösungen erfordern. Das decision-making model gibt nicht vor, welcher Aspekt überwiegen soll, da es gilt, von Fall zu Fall Prioritäten zu setzen. Ich werde für den Lichtraum und das Creamcheese Vor- und Nachteile verschiedener Möglichkeiten (auch durch den Vergleich mit anderen Kunstwerken) abwägen. Jedes Erhaltungs- und Präsentationskonzept wird immer eine subjektive Interpretation darstellen. Ziel ist es, hervorzuheben, welche Verluste jede Lösung, die notwendigerweise nie ›perfekt‹ sein kann, mit sich bringen würde. Eine Erwägung einiger Möglichkeiten könnte den Entscheidungsprozeß bei ähnlichen Fällen erleichtern. Im ersten Kapitel des vorliegenden Buches wird das Umfeld geschildert, in dem der Lichtraum und das Creamcheese entstanden sind. Das Kapitel bietet einen Überblick über die Düsseldorfer Kunstszene der sechziger Jahre unter zwei besonderen Aspekten: dem Auftreten einer ›anonymen‹ Kunstproduktion anstelle des lyrischen Expressionismus, der die Kunst nach dem zweiten Weltkrieg charakterisiert hatte, und dem Versuch der Künstler, durch eine Annäherung von Kunst und Leben neue Zielvorstellungen zu verbreiten. Das Museum wurde in diesem Kontext als ›Ghetto‹ empfunden. Künstler bevorzugten, ihre Kunst außerhalb der Institutionen zu präsentieren, um sie nicht nur einem elitären Publikum näher zu bringen. Im zweiten Teil des Kapitels werden die ›Nebenwirkungen‹ der Musealisierung von Kunstwerken aus den sechziger Jahren geschildert. Die kritische Position der Künstler innerhalb der Diskussion über die Rolle des Museums und die Bewahrung zeitgenössischer Kunst wird im zweiten Kapitel erläutert. Das dritte Kapitel ist der Erhaltungs- und Ausstellungsproblematik vom Standpunkt der Museumskuratoren und Restauratoren aus gewidmet. In den Kapiteln vier und fünf werden der Lichtraum und das Creamcheese jeweils analysiert. Im ersten Teil eines jeden Kapitels wird das Erscheinungsbild des jeweiligen Environments an seinem ursprünglichen Ort rekonstruiert, um danach die Veränderungen dieses Erscheinungsbildes infolge der Musealisierung zu verfolgen. Die Wirkung und die Bedeutung eines Environments werden nicht nur durch den Ort beeinflußt, sondern auch durch den Materialzustand. Im zwei-

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

ten Teil der Kapitel vier und fünf werden die einzelnen Objekte des jeweiligen Ensembles unter den Aspekten Material, Technik und kunsthistorische Bedeutung analysiert. Außerdem werden eventuelle Veränderungen der Originalsubstanz und die Anwesenheit von rekonstruierten Objekten oder Repliken registriert. Inwieweit der Erhaltungszustand der einzelnen Objekte und die aktuelle museale Präsentation des Lichtraumes und des Creamcheese die ursprüngliche Bedeutung der zwei Environments noch vermitteln können und was unwiderruflich verloren gegangen ist, wird im dritten Teil der Kapitel vier und fünf überprüft. Zudem werden hier weitere mögliche Lösungen erwogen. Das Kapitel sechs (Schlußfolgerungen) bietet einen Vergleich zwischen der Problematik der Musealisierung des Lichtraumes und der des Creamcheese. Aus der Untersuchung der zwei Ensembles werden sich einige Überlegungen herauskristallisieren, die Anhaltspunkte in den Fragen der Reproduzierbarkeit, der Rolle des Künstlers bei Rekonstruktionen sowie Re-Installationen und der Rolle des Materials in zeitgenössischen Kunstwerken liefern werden. Bei dem Zustandekommen der Publikation haben mehrere Personen mitgewirkt, denen ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen möchte. Meine Doktormutter Antje von Graevenitz hat mich beständig unterstützt und mit großer Hilfsbereitschaft betreut. In Cornelia Weyer und Gunnar Heydenreich vom Restaurierungszentrum Düsseldorf hatte ich immer freundliche und kompetente Berater in den Fragen der Restaurierung zur Seite. Die Kunsthistoriker Stephan von Wiese und Barbara Til vom ›museum kunst palast‹ Düsseldorf waren mit Forschungsmaterial sehr freigebig. Die Künstler Heinz Mack, Otto Piene, Günther Uecker, Lutz Mommartz und Ferdinand Kriwet waren dankenswerter Weise bereit, mit mir Gespräche zu führen bzw. zu korrespondieren. Ihre wertvollen Informationen waren sehr hilfreich. Bim und Hans-Joachim Reinert haben mir Material über das Creamcheese zur Verfügung gestellt und meine Arbeit mit großem Interesse verfolgt. Ich bin allen Fotografen sehr dankbar, die mir ihre Fotos großzügig zur Verfügung gestellt haben. Mit Reinhold Tritt führte ich ein langes und interessantes Gespräch über die Inszenierung des Creamcheese, das wichtige Überlegungen über die Präsentation des Lokals angeregt hat. Der kompetente fachliche Rat von Renate Buschmann und Axel Klausmeier, die meine Manuskripte gewissenhaft gelesen haben, war eine wichtige Bereicherung und Hilfestellung für meine Forschung. Anregenden Austausch hatte ich auch mit Ulrich Lang (Restaurator) und Lena Nievers (Kunsthistorikerin). Als Ausländerin war mir das Korrekturlesen der Publikation besonders wichtig. Deswegen bin ich Sylvia Hartman dafür sehr dankbar, daß Sie kurz vor ihrer Hochzeit noch die Zeit gefunden hat, das Manuskript zu lesen. Josefine Klysz hat mir bei der Bilder-

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➔ Vorwort

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überarbeitung geholfen. Die Ermutigungen und die Unterstützung meiner Mutter sowie die Gespräche mit Barbara und Manfred Pelkmann haben mir die Arbeit leichter gemacht. Allen gilt mein herzlicher Dank. Insbesondere möchte ich mich bei Henning Pelkmann bedanken, der mit großer Geduld und Selbstverständlichkeit seine Wochenenden geopfert hat, um meine Entwürfe zu korrigieren. Ohne seine Hilfe und seine liebevollen Ermutigungen wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Das Forschungsprojekt und die Publikation wurden durch die Gerda Henkel Stiftung (Düsseldorf) gefördert.

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I. Einführung 1. Die Düsseldorfer Kunstszene vom Ende der fünfziger bis zum Ende der sechziger Jahre In den sechziger Jahren erwarb Düsseldorf den Ruhm eines »Paris on the Rhine«.1 Die experimentelle Kunstproduktion junger Künstler zog die Aufmerksamkeit des internationalen Kunstbetriebes auf die rheinische Stadt. Obwohl Düsseldorf nicht gerade als Metropole definiert werden konnte, wurde sie mit Paris, der europäischen Kunsthauptstadt schlechthin, verglichen.2 Das war insofern überraschend, als Düsseldorf vorher nie eine führende kulturelle Rolle gespielt hatte. Wenngleich die Düsseldorfer Malerschule des 19. Jahrhunderts zu Ansehen gelangt war, war sie für neue internationale künstlerische Entwicklungen nicht wegweisend gewesen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als sich die Gelegenheit eines Aufbruchs geboten hatte (u.a. durch die Berufung von Paul Klee an die Düsseldorfer Kunstakademie), hatte der Nationalsozialismus diese Chance zunichte gemacht.3 Nach dem zweiten Weltkrieg zeigte sich die Düsseldorfer Kunst durch ihren Beitrag zur internationalen Tendenz des Informels schnell wieder auf der Höhe der Zeit. Als Folge des Wirtschaftswunders erlangte Düsseldorf am Ende der fünfziger Jahre einen erheblichen Reichtum, der potenzielle Kunstkäufer hervorbrachte. Die Stadt zog junge Künstler verschiedener Herkunft an, so daß sich ein reges künstlerisches Umfeld bildete. Der Bruch mit der Tradition, der durch den Nazismus und den Krieg verursacht worden war, wurde von den Künstlern der jungen Generation durch eine besondere Offenheit für die ausländische Kunst kompensiert und als Chance für neue Entwicklungen angenommen. In den sechziger Jahren brachte die Düsseldorfer Kunstszene Kunstbewegungen hervor, die sich der inzwischen etablierten Sprache des Informels dialektisch widersetzten und Interesse auch im Ausland erregten.4 Das Wort ›Szene‹ wurde im Zusammenhang mit der Düsseldorfer Kunst 1969 von Jean-Cristoph Ammann eingeführt, als er im Kunstmuseum Luzern eine Ausstellung von jungen Düsseldorfer Künstlern mit Düsseldorfer Szene betitelte.5 Ammann meinte damit insbesondere den Kreis um Joseph Beuys.

1 Vgl. RUHRBERG, Karl, Liegt Paris am Rhein?, in: »Neues Rheinland«, Dez. 1967 – Jan. 1968, 59, S. 2-8. 2 Vgl. ebd., S. 8. 3 Vgl. ebd., S. 2; 4. 4 Vgl. ebd. S. 3-6. 5 Vgl. AMMANN, Jean-Christophe, Zur Ausstellung ›Düsseldorfer Szene‹, Kunstmuseum Luzern 15. Juni bis 13. Juli 1969 (Text von 1969), in: Brennpunkt Düsseldorf 1962-1987, Kunstmuseum Düsseldorf, 1987, S. 123-126; ders., ›Düsseldorfer Sze-

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Später wurde der Begriff ›Szene‹ beträchtlich ausgedehnt. 1979 feierte der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen sein 150jähriges Jubiläum mit einer rückblickenden Ausstellung, die den Titel 5x30. Düsseldorfer Kunstszene aus fünf Generationen trug. Der Begriff ›Düsseldorfer Kunstszene‹ betonte hier eine gewisse Kontinuität der künstlerischen Aktivität in Düsseldorf über 150 Jahre. Anders als im Titel wurde aber das Wort ›Szene‹ in den Beiträgen des Ausstellungskatalogs ausschließlich für die Kunst seit dem zweiten Weltkrieg verwendet. Diese vage Abgrenzung – nach 1945 – setzte sich dann in der Literatur für die chronologische Konnotation des Begriffs ›Düsseldorfer Kunstszene‹ durch.6 Der Begriff ›Düsseldorfer Kunstszene‹ könnte jedoch dahingehend missverstanden werden, er bezeichne einen bestimmten Künstlerkreis mit einem gemeinsamen Programm. In Wirklichkeit vertreten die Düsseldorfer Künstler unterschiedliche Positionen, obwohl sie oft an gemeinsamen Ausstellungen und Projekten teilgenommen haben. Die Düsseldorfer Kunstszene hat außerdem eine fließende Kontur, da sie durch ständig wechselnde Konstellationen von Künstlern gebildet wird. Obwohl der Begriff ›Kunstszene‹ aus den oben genannten Gründen problematisch scheinen kann, erweist er sich anderseits als nützlich, um die unterschiedlichen Düsseldorfer Entwicklungen, die die Installation Lichtraum (Hommage à Fontana) und das Tanzlokal Creamcheese hervorbrachten, unter einem Oberbegriff zusammenzufassen. Das Wort ›Szene‹ wird hier im Sinne von Stephan von Wiese als »der größte, unverbindlichste gemeinsame Nenner für eine homogene Gruppierung mit Definitionsschwierigkeiten«7 verwendet. Es bezeichnet ein künstlerisches Umfeld, in dem einige Treffpunkte und Aktionsorte erkannt werden können: »Sprechen wir also von der Düsseldorfer Szene, so sind damit im Grunde weniger bestimmte Künstler, sondern ist vor allem ein gewisses Umfeld gemeint. Die Szene ist im Grunde ein bunt gewürfelter Haufen, der sich um einige Brennpunkte gruppiert: Lokale, Straßen, Galerien, Institutionen.«8 Im folgenden wird insbesondere die Düsseldorfer Kunstszene der sechziger Jahre skizziert, die – ausgehend von der Auf-

ne‹, Kunstmuseum Luzern 15. Juni – 13. Juli 1969, Rückblick 1987, in: Brennpunkt Düsseldorf 1987, S. 126-128. 6 Vgl. WIESE, Stephan von, Von der Schwierigkeit bei der Beschreibung einer ›Szene‹ (Düsseldorf zwischen 1945 und 1985), in: Rheingold, Palazzo della Società di Belle Arti, Torino, 1985, S. 42-59. Der Beitrag von Stephan von Wiese wurde mit einem Rückblick 1995 in: Düsseldorfer Avantgarden, Düsseldorf 1995, S. 15-27 wieder veröffentlicht. 7 WIESE 1985, S. 42. 8 Ebd., S. 45.

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bruchssituation der späten fünfziger Jahre – der Stadt den Ruhm von »Paris on the Rhine« einbrachte. Ende der fünfziger Jahre verbreitete sich das Bedürfnis unter den jüngeren Künstlern, das Informel, das sich auf internationaler Ebene durchgesetzt hatte, zu überwinden. Die Wege, die gleichzeitig eingeschlagen wurden, um die Kunst zu erneuern, waren unterschiedlich und reichten von der Monochromie bis hin zur kinetischen Kunst, von der Pop-Art bis hin zum Fluxus. In Düsseldorf formierte sich der Wille zur Erneuerung aus den Abendausstellungen, die von den Künstlern Heinz Mack und Otto Piene in Pienes Atelier in der Gladbacher Straße 69 seit April 1957 organisiert wurden. Die Ausstellung von Yves Klein, mit der die legendär gewordene Galerie Alfred Schmela im Mai 1957 eröffnete, stellte eine wichtige Anregung für die Düsseldorfer Künstler dar. Die Monochromie schien ein möglicher Weg, um einerseits den ›lyrischen Gestus‹ zu überwinden und anderseits sich von der Last der traditionellen künstlerischen Verfahren zu befreien. Die siebte Abendausstellung in Pienes Atelier mit dem Titel Das rote Bild (April 1958) war monochromen Bildern gewidmet.9 Zu diesem Anlaß erschien die erste Nummer der von Piene und Mack herausgegebenen Zeitschrift »ZERO«. In der Folgezeit wurden mehrere Ausstellungen unter dem Namen ZERO organisiert, deren Teilnehmer eine Ablehnung des Informels in Richtung einer Reduzierung der Mittel und eines unpersönlicheren Verfahrens teilten.10 Die Bezeichnung wurde so zum Synonym einer neuen künstlerischen Bewegung, die internationale Resonanz hervorrief. Es handelte sich aber um keine feste Gruppe mit einem verbindlichen Programm, sondern um eine veränderliche Konstellation von Künstlern, die eine im weitesten Sinne ähnliche Position vertraten.11

9 An der Ausstellung nahmen u.a. die folgenden Künstler teil: P. Brüning, R. Geiger, G. Graubner, G. Hoeme, K. Klapheck, Y. Klein, H. Mack, A. Mavignier, O. Piene, H. Salentin, B. Schulze, F. Thieler, G. Uecker. (Die komplette Liste der Teilnehmer ist in: Gruppe Zero, Galerie Schoeller, Düsseldorf, 1989, S. 114). Es ist bemerkenswert, daß viele teilnehmende Künstler mit dem Informel noch stark verbunden waren. 10 Zum Beispiel: ZERO – Edition, Exposition, Dimostration, Galerie Schmela, Düsseldorf, 1961; Nul, Stedelijk Museum, Amsterdam, 1962; ZERO – Der neue Idealismus, Galerie Diogenes, Berlin, 1963; ZERO in Gelsenkirchen, Halfmannshof, Gelsenkirchen, 1963. Andere Ausstellungen, die Werke von ZERO-Künstlern zeigten, fanden unter Titeln wie Vision in Motion, Bewogen Beweging, Licht und Bewegung: Kinetische Kunst und Europäische Avantgarde statt. Vgl. KUHN, Anette, Zero: eine Avantgarde der sechziger Jahre, Frankfurt a. M. 1991, S. 28 ff. 11 Um die ZERO-Bewegung von der Gruppe Zero (Mack, Piene, Uecker) zu unterscheiden, wird hier eine unterschiedliche Schreibweise verwendet: komplett in

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Assoziierbar mit dem Countdown vor dem Start einer Rakete,12 wurde ZERO von Otto Piene als »die unmeßbare Zone« definiert, »in der ein alter Zustand in einen unbekannten neuen übergeht.«13 Die ZERO-Künstler waren der Meinung, daß der Versuch der deutschen Maler der älteren Generation, die Kriegserlebnisse durch den lyrischen Expressionismus zu verarbeiten, nicht zeitgemäß war.14 Sie wollten dagegen einen freien Raum schaffen, um von einem Nullpunkt zu beginnen. Der Trauer um die Vergangenheit setzte ZERO eine optimistische Haltung entgegen, die Hoffnung auf die Zukunft verbreiten sollte. Dieser Haltung entsprechend, waren Licht und Bewegung bevorzugte Themen der ZERO-Künstler. Die achte Abendausstellung in Pienes Atelier wurde im Oktober 1958 unter dem vielsagenden Titel Vibration organisiert. Zur Ausstellung erschien die zweite Nummer der Zeitschrift »ZERO«. Im Januar 1959 wurde die erste deutsche Ausstellung von Jean Tinguely in der Galerie Schmela veranstaltet. Die funktionslosen Maschinen des Schweizers gaben den Düsseldorfer Künstlern den Impuls, motorbetriebene Kunstwerke zu realisieren.15 Eine wichtige Rolle spielten auch die Kontakte mit Künstlern aus dem italienischen Umfeld. Insbesondere fühlten sich die Düsseldorfer in der eingeschlagenen Richtung durch die Arbeiten des älteren Lucio Fontana bestätigt.16 Mack sah die Schnitte in der Leinwand von Fontana »als eine unverletzte Erscheinung der Simultaneität von Raum, Zeit, Bewegung und Farbe.« Er meinte: »es sind die gleichen Grundstrukturen und Sternbilder der dynamischen Konzeption, die meine Künstlerfreunde und mich bewegen, und es ist natürlich, wenn wir in Fontana einen Maler bewundern, der dieser Konzeption eine starke Ausstrahlung gibt.«17 Sehr intensiv war auch der Austausch mit Piero Manzoni, der im Juli 1959 nach Düsseldorf reiste. Zusammen mit Enrico Castellani gründete Manzoni in Mailand die Galerie Azimut und die damit verbundene Zeitschrift »Azimuth« (zwei Nummern zwischen 1959 und 1960), die das Bedürfnis zur Überwindung des Informels vertraten.18 Im selben Jahr (1959) entwarf Heinz Mack ein Pendelrelief für die von Da-

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Großbuchstaben (ZERO) für die Bewegung, und Großschreibung nur des ersten Buchstabes (Zero) für die Gruppe. Vgl. Countdown, in: »ZERO« 3, 1961. Piene, Otto, Die Entstehung der Gruppe »Zero« (1964), in: Gruppe Zero 1989, S. 15. Vgl. KUHN 1991, S. 181. Vgl. Piene, Die Entstehung…, in: Gruppe Zero 1989, S. 16. Vgl. KUHN 1991, S. 79-80. Mack, Heinz, Das Lapidare in der Kunst Fontanas (1967), in: ZERO aus Deutschland, Villa Merkel, Esslingen, 1999/2000, S. 244. Vgl. ZERO Italien, Villa Merkel, Esslingen, 1995/96.

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niel Spoerri herausgegebene Edition MAT (Multiplication d’Art Transformable).19 Das Konzept dieser Edition bestand darin, bewegliche oder die Illusion der Bewegung erzeugenden Kunstobjekte von verschiedenen Künstlern (u.a. Yaakov Agam, Pol Bury, Marcel Duchamp, Jesus Rafael Soto, Jean Tinguely und Victor Vasarely) in Serie zu produzieren und zu einem relativ niedrigen Preis zu verkaufen. Zur Vervielfältigung eigneten sich nur Kunstwerke ohne die persönliche Handschrift des Künstlers. Der für alle Ausgaben gleich festgelegte Preis orientierte sich nicht an dem Marktwert, sondern an den Herstellungskosten der Kunstwerke. Nach diesem Konzept, das sich den Spielregeln des Kunsthandels verweigerte, sollte Kunst für jedermann erschwinglich sein. Der eigentliche Wert dieser Objekte sei laut Spoerri die künstlerische Idee, und die sei unbezahlbar, das heißt nicht verkäuflich.20 Zur Aufnahme von Kontakten mit ausländischen Künstlern trug maßgeblich die von Almir Mavignier und dem Kunsthistoriker Matko Mestrovic organisierte Ausstellung Nove tendencije bei, die 1961 in Zagreb statt fand. Künstler aus unterschiedlichen Ländern nahmen daran teil: die Groupe de Recherche d’Art Visuel (GRAV) aus Frankreich, Enrico Castellani, Piero Manzoni, Piero Dorazio und die Gruppe N aus Italien, einige Künstler aus Jugoslawien, der Kreis um den Münchner Gerhard von Graevenitz, der 1960 die Galerie nota und die gleichnamige Zeitschrift gegründet hatte, sowie nicht zuletzt der ZERO-Kreis (u.a. Heinz Mack, Otto Piene, Günther Uecker, Almir Mavignier und der Niederländer Henk Peeters).21 Die Teilnehmer der Ausstellung entdeckten bei dieser Gelegenheit, daß sich ihre Experimente überraschend nahe standen, obwohl sie sich teilweise zuvor nicht gekannt hatten. Ihre Vorgehensweise ähnelte der naturwissenschaftlichen Methode: Die Kunstwerke entstanden aus der Untersuchung und dem Experiment, es wurde Teamwork propagiert, und als künstlerische Materialien wurden industrielle Produkte bevorzugt. Die Prinzipien der Originalität und der Einmaligkeit des Kunstwerkes wurden in Frage gestellt. Während die Person des Künstlers bewußt in den Hintergrund rückte, gewannen die Wahrnehmung und die Teilnahme des Betrachters eine zentrale Position. Die Düsseldorfer Künstler Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker teilten im Allgemeinen diese Prinzipien, jedoch wurden die Unterschiede zu den anderen Künstlergruppen der Neuen Tendenzen im Lauf der Zeit immer deutlicher. Die Werke von Mack, Piene und Uecker wirkten trotz der Verwendung vorgefertigter Materialien nie gänzlich anonym, da sie nicht auf geome-

19 Vgl. KUHN, Anette (Hrsg.), Mack: Druckgraphik und Multiples, Stuttgart [1990], S. 94, Nr. 97. 20 Vgl. CONZEN, Ina, »Ideen sind gratis«, in: WertWechsel, Köln 2001, S. 280-281. 21 Vgl. Katalog Nove tendencije, galerja suvremene umjetnosti, Zagreb, 1961. Die Ausstellung führte zur Bildung der internationalen Bewegung Neue Tendenzen.

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trische Perfektion angelegt waren, sondern immer »ein Quantum Irregularität« enthielten.22 Auch in den Fällen, in denen die drei Künstler Gemeinschaftsarbeiten schufen, verzichteten sie nicht auf ihre individuellen Merkmale. Günther Uecker, der aus der DDR kam, hatte schon an der Ausstellung Das rote Bild teilgenommen, aber seine Kontakte mit Mack und Piene waren bis 1961 sporadisch geblieben. In diesem Jahr wurde die dritte und letzte Nummer der Zeitschrift »ZERO« publiziert, die einen erweiterten Kreis europäischer Künstler mit einschloß. Von diesem Zeitpunkt an gehörte Uecker zum organisatorischen Kern der ZERO-Bewegung. Die Publikation des dritten Heftes von »ZERO« wurde durch die Veranstaltung ZERO – Edition Exposition Demonstration begleitet (5. Juli 1961). In der Galerie Schmela wurden Kunstwerke der ZERO-Künstler und Exemplare der Zeitschrift »ZERO« ausgestellt.23 Selbst an der Decke des Ausstellungsraums hingen Fähnchen mit der Aufschrift ZERO. Eine Jukebox spielte laute Musik, und verschiedene Geräusche wurden von einem Tonband wiedergegeben. An der Fassade der Galerie hingen eine Fahne mit der Schrift ZERO und ein riesiger weißer Pfeil, der auf das Schaufenster zeigte. Dieses war durch Bretter verdeckt, auf denen »Edition Demonstration ZERO Exposition« zu lesen war. Auf der Straße vor der Galerie malte Uecker einen weißen Kreis als ›Zero Zone‹, einen freien Raum für die Imagination. Im Zentrum des Kreises ließ Piene einen mit Heißluft gefüllten Schlauch aus transparentem Kunststoff schweben, während Mädchen – mit schwarzen Gewändern aus Pappe mit der Aufschrift ZERO bekleidet – Seifenblasen erzeugten. Im Publikum waren u.a. Nam June Paik, dessen Werke bereits 1959 in der Galerie 22 in Düsseldorf präsentiert worden waren, und Joseph Beuys, der als Professor für Bildhauerei gerade an die Staatliche Kunstakademie Düsseldorf berufen worden war.24 Die feierlichen ZERO-Aktionen, die bei mehreren Gelegenheiten wiederholt wurden,25 intendierten ein Eindringen der Kunst in das Leben mit dem 22 KUHN, Anette, Zero im Kontext der europäischen Avantgarde, in: ZERO: eine europäische Avantgarde, u.a. Galerie Neher, Essen, 1992, S. 14. 23 Teilnehmer der Ausstellung waren: Adrian, Arman, Aubertin, Bury, Castellani, Dorazio, Fontana, van Hoeydonck, Holweck, Kage, Klein, Kleint, Lo Savio, Mack, Manzoni, Mavignier, Moldow, Peeters, Piene, Pohl, Pomodoro, Rainer, Rot, Salentin, Schoonhoven, Soto, Spoerri, Tinguely und Uecker. Vgl. Gruppe Zero 1989, S. 114. 24 Vgl. KUHN 1991, S.39-40. 25 Die ZERO-Demonstration wurde im Dezember 1961 in Arnheim wiederholt. 1962 fand ein ZERO-Fest auf den Rheinwiesen von Düsseldorf statt, das im Dokumentarfilm 0x0=Kunst von Gerd Winkler für den Hessischen Rundfunk festgehalten wurde. Aus diesem Anlaß malte Uecker erneut einen ›ZERO-Kreis‹ auf das Pflaster und ließ weiße ›Segel‹ flattern, Mack schuf eine Installation mit ›Silberfahnen‹ (Aluminiumfolien) sowie eine ca. 20 m lange Reliefkette aus Aluminium, und Piene ließ

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Ziel, eine hellere, schönere Welt zu gestalten.26 Einige Merkmale dieser Veranstaltungen, wie die Durchführung verschiedener aneinandergereihter Handlungen, die Verwendung von verschiedenen Materialien und Ausdrucksmitteln sowie die Einbeziehung des Publikums, antizipierten Aspekte der Fluxus-Bewegung, die wenig später eine große Resonanz in Düsseldorf erfuhr.27 Während ZERO aber durch die feierliche Atmosphäre seiner Aktionen eine positive Grundhaltung vermitteln wollte, radikalisierte die FluxusBewegung die Intention, eine Bewußtseinsveränderung zu bewirken soweit, daß es in einigen Fällen zur Anwendung von Strategien wie Langeweile oder Aggression als therapeutische Mittel kam. Mehrere Grundsätze der Fluxus-Bewegung (z.B. die Ablehnung expressionistischer abstrakter Kunst, die schwache Beteiligung des Künstlers bei dem Herstellungsprozeß seiner Kunstwerke und die Zusammenfügung verschiedener Kunstformen) wurden auch durch die Veranstaltungen vorweggenommen, die zwischen 1960 und 1961 im Atelier Mary Bauermeister in Köln stattfanden.28 Auch Mack, Piene und Uecker verkehrten in diesem Atelier, das ein Ort der Verbindung zwischen Künstlern der verschiedenen Gattungen, aber des gleichen Anliegens war. An den von Bauermeister organisierten Veranstaltungen nahmen bildende Künstler, Literaten, Musiker und Architekten teil. Dieser intermediale Aspekt inspirierte Uecker und floß später in die Konzeption des Tanzlokals Creamcheese ein.29 Die traditionsreiche Düsseldorfer Kunstakademie öffnete sich frühzeitig der Fluxus-Bewegung dank der Initiative von Joseph Beuys. Am 2. und 3. Februar 1963 wurde sie der Veranstaltungsort des zweiten Festum Fluxorum-

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viele Luftballons steigen und sie dabei durch Scheinwerfer anstrahlen. ›ZEROMädchen‹ waren auch bei dieser Gelegenheit anwesend. Eine Band spielte, und es wurde getanzt. Vgl. Winkler, Gerd, Wenn aus Avantgardisten Klassiker werden. Die Gruppe Zero und die Folgen (1969), in: ZERO aus Deutschland 1999/2000, S. 69. Im selben Katalog sind mehrere Fotos dieser Veranstaltung veröffentlicht (S. 12; 82-83; 96-97). In einem Interview mit Gerd Winkler für den Fernsehbericht 0x0=Kunst erklärte Piene, daß die bildende Kunst Bestandteil des Lebens sei, und definierte ZERO als »eine Lebensformel, eine geistige Zone. Das betrifft nicht nur den Geist, der denkt, sondern auch den Geist, der fühlt, den Körper, der lebt.« Piene, in: Winkler, Gerd, 0 x 0 gleich Kunst, in: ZERO aus Deutschland 1999/2000, S. 252. Seinen Traum einer besseren Welt drückte derselbe Künstler in seinem Beitrag Wege zum Paradies (in: »ZERO« 3, 1961) aus: »Ja, ich träume von einer besseren Welt. Sollte ich von einer schlechteren träumen?« (Zitiert nach: ZERO, Köln 1973, S. 146). Vgl. KUHN 1991, S. 40; 212-213. Vgl. intermedial kontrovers experimentell. Das Atelier Mary Bauermeister in Köln 1960-1962, Köln 1993. Vgl. UECKER, Interview d. Verf., 18.4.2003 (s. Anhang).

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Fluxus, dem das Konzert Neo-Dada in der Musik in den Düsseldorfer Kammerspielen ein Jahr zuvor vorausgegangen war. Bei dem Versuch, Kunst und Leben zu verbinden, verloren die traditionellen künstlerischen Medien an Ansehen bei den Künstlern. Diejenigen, die auf die Malerei nicht verzichten wollten, veränderten sie grundlegend. Ein Beispiel war Gerhard Richter, der die traditionellen Verfahren der Malerei (Erfindung eines Sujets, Komposition, Perspektive, usw.) aufhob, um Fotos mit alltäglichen Themen abzumalen. Auf diesem Weg versuchte er das gleiche Ziel zu erreichen, das seine Kollegen durch andere Mittel (z.B. die Verwendung von vorgefertigten Produkten oder Reproduktionstechniken) anstrebten: die Überwindung der persönlichen Handschrift. Im Mai 1963 fand eine gemeinsame Ausstellung von Gerhard Richter, Sigmar Polke, Konrad Fischer-Lueg und Manfred Kuttner, alle vier Kunststudenten aus der Klasse von Karl Otto Götz, in einem Ladenlokal an der Kaiserstraße statt. Die Ausstellung verfolgte keinen kommerziellen Zweck, sondern hatte einen rein demonstrativen Charakter. In der Einladung wurden nicht ohne Ironie unterschiedliche Schlagwörter des damaligen Kunstbetriebs erwähnt: »Imperialistischer Realismus, Antikunst, Know-Nothing-Genre, Pop Art, Naturalismus, Junk Culture, New Vulgarismus, Noveau-Réalisme, PopAround, Neo Dada, Kinetische Malerei, Vexierbild, Optische Täuschung, Volkskunst, Common Object Painting«.30 Jenseits der implizierten Kritik an den leichtfertigen Etiketten, mit denen Kunstbewegungen künstlich geschaffen werden, sammelte diese Liste alle Kunstrichtungen, die als dialektische Antwort auf das Informel entstanden waren und die eine unpersönlichere Kunstproduktion intendierten. Im Oktober 1963 organisierte Richter zusammen mit Konrad Fischer-Lueg die Ausstellung Leben mit Pop – Eine Demonstration für den Kapitalistischen Realismus im Möbelhaus Berges. Die gesamte Möbelausstellung des Hauses wurde zur Kunstausstellung erklärt. Im Treppenhausflur des dritten Stockes wurde ein Warteraum mit Stühlen eingerichtet, auf denen Zeitungen des Tages lagen. Neben dem Aufzug standen zwei lebensgroße Figuren aus Papier und Drahtgeflecht, die den Galeristen Alfred Schmela und den Präsidenten der USA John F. Kennedy darstellten. Lautsprecher übertrugen Tanzmusik und die Durchsagen eines Sprechers, der die Besucher nach laufender Nummer in Gruppen aufrief, den Ausstellungsraum zu betreten. Dort waren verschiedene Möbelstücke in der Art von Plastiken auf Sockel gestellt worden, und sowohl Richter als auch Lueg zeigten sich als lebende Requisiten. In diesem ›bewohnten‹ Zimmer waren auch Speisen und Getränke ausgestellt, und ein Geruch nach Fichtennadelozon erfüllte den Raum, so daß alle Sinne an30 Vgl. HARTEN, Jürgen, Der romantische Wille zur Abstraktion, in: Gerhard Richter. Bilder 1962-1985, u.a. Kunsthalle Düsseldorf, 1986, S. 15.

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gesprochen wurden. In dem Zwischenfach eines Teewagens befanden sich Churchills Memorien und die Zeitschrift »Schöner Wohnen«. Ein ›offizieller‹ Anzug von Joseph Beuys hing in der Garderobe neben einem Karton mit Palmin und Margarine. Später riefen die Künstler zu einem Rundgang in die unteren Etagen des Hauses auf. In den Schlaf- und Wohnzimmerabteilungen waren verschiedene Bilder von Lueg und Richter ausgestellt. Die Musik wurde teilweise von dem Sprecher unterbrochen, der ausgewählte Texte aus Möbelkatalogen vorlas. Der Rundgang endete in der im Keller untergebrachten Küchenabteilung, wo die Besucher Bier trinken konnten.31 Während Richter und seine Mitstreiter noch am Anfang ihrer Karriere waren, feierte ZERO bereits internationale Erfolge.32 Mack, Piene und Uecker, die Hauptorganisatoren der Bewegung, präsentierten sich ab 1964 auch als Künstlergruppe. Die Arbeitsgemeinschaft der drei Künstler hatte 1964 ihren Höhepunkt erreicht. In diesem Jahr nahmen sie an der documenta III teil, für die sie im Dachgeschoß des Fridericianums die lichtkinetische Installation Lichtraum (Hommage à Fontana) gemeinsam gestalteten. Der Einladung zur documenta war ein Protest vorausgegangen, der sich gegen den offiziellen Kunstbetrieb der Bundesrepublik und letztendlich gegen die Auswahlkriterien des documenta-Rates richtete.33 Einige Künstler aus Düsseldorf klagten, daß sie weder durch den Staat noch durch die Kunsthistoriker unterstützt wurden, und daß die offiziellen Institutionen unter dem Einfluß des internationalen Kunsthandels ausländische Kunst bevorzugten. Die Künstler forderten, an den Gremien teilnehmen zu können, die für die Entscheidungen über die Kunstpolitik zuständig waren. Obwohl mit dem Protest auch eigene Interessen verfolgt wurden, zeigte er existierende Schwächen der kulturellen Politik West-Deutschlands auf.34 Daß Kunsthisto-

31 Vgl. Richter, Gerhard, Programm und Bericht Ausstellung ›Leben mit Pop – Eine Demonstration für den Kapitalistischen Realismus‹, Düsseldorf 11.10.1963, in: ders., Text, hrsg. von Hans-Ulrich Obrist, Frankfurt a. Main u. Leipzig 1993 (2. Auflage: 1994), S. 14-17. 32 Mitte der sechziger Jahre, als Richter mit seiner scheinbar traditionellen Malerei um seine Anerkennung als avantgardistischer Künstler kämpfte, nährte er sich der ZERO-Bewegung an, ohne aber die Besonderheit seiner Position aufzugeben. Vgl. HARTEN 1986, S.31. 33 Sog. Düsseldorfer Manifest. Es wurde am 23.2.1964 in Düsseldorf veröffentlicht und wurde von den folgenden Künstlern unterzeichnet: Peter Brüning, Karl Fred Dahmen, Winfred Gaul, Ruprecht Geiger, Karl Otto Götz, Otto Herbert Hajek, Gerhard Hoeme, Klaus Jürgen-Fischer, Heinz Mack, Karl Georg Pfahler und Otto Piene. Vgl. KUHN 1991, S. 241, Anm. 206. 34 Vgl. SELLO, Gottfried, Künstlerprotest. Museumsdirektoren und Kunsthistoriker ’raus, in: »Die Zeit«, 13.3.1964, der sich gegen die Unterzeichner des Manifests äußerte, obwohl er ihre Kritiken an dem deutschen Kunstbetrieb teilte, und

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riker und letztendlich Kunstinstitutionen den neuen Ansätzen der Kunst nicht gewachsen waren, zeigt beispielhaft die Position von Werner Haftmann, Mitglied des documenta-Rates, der noch die Auffassung des Künstlers als Genie vertrat.35 Mack, Piene und Uecker konnten schließlich Arnold Bode davon überzeugen, eine Abteilung Licht und Bewegung auf der documenta III einzurichten, in der sie und andere geistesverwandte Künstler vertreten waren. Die Kritik reagierte überwiegend skeptisch auf den Lichtraum der Gruppe Zero in Kassel und stellte den Ernst dieser Kunst aus Licht und Bewegung in Frage. Die Gruppe Zero konnte aber im gleichen Jahr andere Erfolge feiern. Im Juni/Juli zeigte die Londoner Galerie McRoberts and Tunnard eine Ausstellung von Mack, Piene und Uecker unter dem Titel Zero. Diese Ausstellung ebnete den drei Künstlern den Weg in die USA, wo sie als Group Zero in der New Yorker Galerie Howard Wise präsentiert wurden. Außerdem veranstalteten sie 1964 eine Ausstellung im Institute of Contemporay Art der University of Pennsylvania, wo Piene eine Gastprofessur übernommen hatte. Mack, Piene und Uecker feierten fortan in den USA große Erfolge. Nur zwei Jahre nach dieser fruchtbaren Zusammenarbeit trennten sich die Wege der drei Künstler, die maßgeblich dazu beigetragen hatten, die deutsche Kunst zum ersten Mal nach dem zweiten Weltkrieg auf ein internationales Niveau zu heben. Eine letzte Gemeinschaftsausstellung in Bonn markierte 1966 die Auflösung der Gruppe Zero. Das Ereignis wurde dem optimistischen Charakter von ZERO angemessen mit einem großen Fest im Bahnhof Rolandseck bei Bonn – Bad Godesberg unter dem Motto Zero ist gut für Dich gefeiert.36 Zu dieser Zeit hatte sich die Künstlerfreundschaft zwischen Mack und Uecker besonders vertieft, während der Kontakt zu Piene beinahe abgebrochen war.37 Es ist also nicht überraschend, daß Uecker und Mack 1967 wieder zusammenarbeiteten, dieses Mal für die Einrichtung des innovativen Tanzlokals Creamcheese. Betreiber der Kneipe waren die Kunstliebhaber Hans-Joachim und Bim Reinert, die zusammen mit dem befreundeten Günther Uecker die Idee des Lokals entwickelten. Das Creamcheese stellte ein frühes THWAITES, Anthony, Verachten die Manager deutsche Kunst? Anmerkungen zu einem Memorandum, in: »Die Welt«, 16.3.1964, der die Position der protestierenden Künstler vertrat. 35 Vgl. die Einführung von Werner Haftmann, in: documenta III, Malerei und Skulptur, Kassel, 1964, S. XIV. 36 Der Bahnhof wurde aus diesem Anlaß mit weißen Luftballons geschmückt, und ab 00:00 Uhr wurde getanzt. 37 Piene hatte schon ab 1964 den Unmut der anderen beiden Künstler wegen seines Beharrens auf der Verwendung des Begriffs »Neuer Idealismus« in Verbindung mit ZERO auf sich gezogen.

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Beispiel einer psychedelischen Disko in Deutschland dar. Uecker bezog in das Projekt andere Künstler mit ein: Lutz Mommartz und Ferdinand Kriwet entwickelten die Projektionen für die Tanzfläche, Heinz Mack, Gerhard Richter und Konrad Fischer-Lueg arbeiteten an der Inneneinrichtung. Nach und nach kamen Beiträge weiterer Künstler dazu, u.a. von Adolf Luther, Ferdinand Spindel und Daniel Spoerri. In der Kneipe fanden außerdem zahlreiche Veranstaltungen statt (Live-Konzerte, Performances, Theateraufführungen und sogar eine zukunftsorientierte Modenschau), die Künstler aus allen Gattungen miteinbezogen. Das Creamcheese knüpfte einerseits an die ZERO-Erfahrung an, anderseits hielt es den neuen Forderungen der Kunst und der gesellschaftlichen Situation Stand. Im selben Gebäude der Kneipe eröffnete Konrad Fischer-Lueg am 21. Oktober 1967 eine Galerie, deren Ausstellungsprogramm vielversprechende aber in Deutschland noch nicht etablierte Künstler präsentierte, wie z.B. Carl Andre, mit dem die Galerie eingeweiht wurde. Das Jahr 1967 war auch unter politischen und gesellschaftlichen Aspekten für die Weiterentwicklung der Kunst und der Kunstinstitutionen wegweisend. In Berlin hatte sich bereits die Studentenbewegung gebildet. Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien vor der deutschen Oper in Berlin durch einen Polizisten erschossen. Nach diesem Ereignis erhielt die Studentenrevolte regen Zulauf in Berlin und weitete sich auf die Universitäten der gesamten BRD aus. In Düsseldorf gründete Joseph Beuys zwanzig Tage später die Deutsche Studentenpartei, die auf eine Erziehung des Menschen als freies schöpferisches Individuum abzielte. In dieser Zeit der Proteste und des politischen Engagements wurde der mehrdeutige Begriff der »gesellschaftlichen Relevanz« zum Schlagwort in der Diskussion um die Kunst. Da dieser Begriff aber nichts über die Mittel sagte, die für eine positive Veränderung der Gesellschaft durch die Kunst verwendet werden sollten, bot er unterschiedlichen Interpretationen Raum. Während einige ihm eine politische ideologisierte Bedeutung gaben, interpretierten ihn andere in einem weiteren Sinne als eine Sensibilisierung des sinnlichen und geistigen Wahrnehmungsvermögens der Zeitgenossen.38 Die gezielte Annäherung von Kunst und Leben brachte viele Künstler dazu, für ihre Werke freie Räume außerhalb der Institutionen zu suchen. 1968 eröffnete das Restaurant Spoerri auf dem Burgplatz in Düsseldorf. Der expe-

38 Vgl. BUSCHMANN, Renate, between in der Kunsthalle Düsseldorf zwischen 1969 und 1973, Diss., Universität zu Köln, 2002 (unveröffentlicht).

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rimentierfreudige Künstler kochte außergewöhnliche Gerichte für seine Gäste: Die Kunst wurde eßbar.39 Das Museum wurde zu dieser Zeit quasi als ›Ghetto‹ empfunden, in dem die Kunst nach konservatorischen/konservativen Prinzipien in Isolation aufbewahrt wurde. Um diese stagnierende Situation zu überwinden, versuchten einige etablierte Institutionen, noch nicht etablierten Künstlern experimentelle Ausstellungsräume zu bieten. Ein Beispiel stellte die 1967 neu eröffnete Kunsthalle Düsseldorf dar. Ab 1969 veranstalte sie eine Reihe von kurzen Ausstellungen, die sich unter dem Namen between zwischen den offiziellen Wechselausstellungen der Kunsthalle spontan einfügen sollten und die den neuen Kunstformen gewidmet waren.40 Dabei spielte die ephemere und prozessuelle Kunst eine zentrale Rolle: Einige Werke, wie die Plantage von Uecker, wurden während der Ausstellung vor dem Publikum ausgeführt und, sobald sie fertig waren, wieder demontiert. Zum Programm gehörten auch Aktionen, in denen Künstler sich selbst inszenierten, und Filmprojektionen. An den between-Ausstellungen nahmen verschiedene Künstler teil, die bereits im Creamcheese einen alternativen Ort für die Präsentation ihrer Werke gefunden hatten, wie zum Beispiel der Filmemacher Lutz Mommartz, Tony Morgan, Günther Uecker und Klaus Rinke, der bei der Creamcheese-Veranstaltung cheese take off Polyester-Skulpturen gezeigt hatte. Eine Öffnung zu jungen künstlerischen Positionen war aber schwierig für die Museen, die – anders als die Kunsthalle – mit den traditionellen Aufgaben des Sammelns und Bewahrens konfrontiert waren. Die in den sechziger Jahren entstandenen Kunstformen wie Happenings, Performances, Environments, konzeptuelle und prozessuelle Kunst, Eat-Art usw. waren von Natur aus vergänglich und ließen sich nicht ohne Weiteres musealisieren: »There was an overlap between Process art, Conceptual art, and installations in terms of their challenge to museum practise. The overlap stemmed from a shared value placed by some of the artists on ephemerality and thus resistance to preservation and collection.«41 Die objektorientierten Kunstformen, wie zum Beispiel die kinetische Kunst und die Multiple-Art, stellten ihrerseits die Einmaligkeit der Kunstprodukte in Frage, so daß die Rolle des Museums als Wärter von unersetzbaren Originalen nicht mehr zeitgemäß schien. Die allmähliche Eroberung der Institution Museum durch die neuen Kunstformen machte in den siebziger Jahren eine kritische Reflexion über die Erhaltung und museale Präsentation zeitgenössischer Kunst notwendig. 39 Ab September 1970 wurde die EAT ART Galerie dem Restaurant angegliedert. Vgl. Daniel Spoerri, u.a. Centre Pompidou, Paris, 1990, S. 85-89. 40 Vgl. BUSCHMANN 2002. 41 REISS, Julie, From Margin to Center, Cambridge (Mass.) 1999, S. 81.

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➔ Einführung

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2. Definition und Merkmale der Musealisierung Die Aufbewahrung im Museum ist nicht nur für die zeitgenössische Kunst problematisch, sondern für jede Art von Exponaten, die nicht speziell für den Ausstellungsort konzipiert worden sind: Einerseits sind die musealen Gegenstände physisch gegenwärtig und werden also als authentische und verifizierbare Dokumente wahrgenommen, anderseits werden sie in einem fiktiven Kontext gezeigt. Einerseits hat das Museum die Aufgabe, die Sammlungsobjekte und ihre Bedeutung zu überliefern, anderseits verfälscht es sie, sobald es sie aufnimmt (das heißt, sobald die Objekte ›musealisiert‹ werden). Das Verb ›musealisieren‹ entstammt dem Wort Museum und gibt einen Prozeß wieder. Durch das Zustandspassiv von ›musealisieren‹ wird außerdem das Resultat dieses Prozesses ausgedrückt: Etwas ist musealisiert. Eva Sturm rückte den Begriff ›Musealisierung‹ in die Nähe des Begriffs ›Museifizierung‹, der von Jean Baudrillard in Agonie des Realen (1978) mit einer abwertenden Konnotation verwendet wurde.42 Sturm betonte insbesondere drei Merkmale der Musealisierung:43 1. Kontextveränderung / Ent-Kontextualisierung: Durch die Musealisierung wird das Objekt aus seinem ursprünglichen Kontext gerissen und zum Gegenstand der Bewahrung erklärt. Das bringt oft eine »Entfunktionalisierung« bzw. eine Funktionsverschiebung des Objektes mit sich, da Museumsstücke in der Regel aus Erhaltungsgründen nicht benutzt, berührt oder verändert werden dürfen. Auch ihr natürlicher Alterungsprozeß wird nur soweit toleriert, als er nicht ihr Verschwinden bedeutet. 2. Einfügung des Objektes in einen Neukontext (»Entzeitlichung« und evtl. »Enträumlichung«): Der museale Kontext, in den das designierte Objekt eingefügt wird, schützt es vor der natürlichen Wirkung der Zeit und garantiert seine Überlieferung an zukünftige Generationen. Im Museum wird das Objekt also dem Vergehen der Zeit ›entzogen‹. Voraussetzung der »Entzeitlichung« ist, daß das musealisierte Objekt als Zeuge einer abgeschlossenen Vergangenheit, als historisches Dokument betrachtet wird. Sturm zufolge »enthalten in solcher Weise entzeitlichte Objekte eine einzigartige Doppeldeutigkeit: Sie leben und sind gleichzeitig tot. Der neue Rahmen garantiert ihr ewiges Leben und ihre ewige Zeugenschaft, indem er sie in totem Zustand am Leben erhält.«44

42 Vgl. STURM, Eva, Museifizierung und Realitätsverlust, in: ZACHARIAS, Wolfgang (Hrsg.), Zeitphänomen Musealisierung, Essen 1990, S. 99. 43 Vgl. STURM, Eva, Konservierte Welt: Museum und Musealisierung, Berlin 1991, S. 104-109. 44 Ebd., S. 106.

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Meist werden Objekte im Museum auch räumlich abgegrenzt: Sie werden durch Vitrinen und Barrieren geschützt und unberührbar gemacht. Da musealisierte Objekte von ihrem Ursprungskontext losgelöst sind, birgt das Museum außerdem »die Chance bzw. die Gefahr, beliebig mit Objekt-Zeichen umzugehen«,45 d.h. sie in einem neuen Zusammenhang zu präsentieren. Eine museale Präsentation stellt immer eine subjektive Interpretation der Bedeutung der Exponate dar. 3. Ein neues Verhältnis des Subjektes zum Objekt: Die musealisierten Objekte »verlangen durch ihre neue Bedeutungszuschreibung von den Subjekten einen anderen Umgang als vor ihrer Musealisierung.«46 Der Betrachter nimmt im Museum eine respektvolle Haltung auch Objekten gegenüber ein, die er außerhalb dieser Institution als alltägliche Gegenstände betrachtet hätte. Er muß sich an die Regeln des Museums halten und darf die Exponate meistens weder verwenden noch berühren. Der Museumsbesucher benimmt sich zudem nach einem gesellschaftlich festgelegten Muster, das ihm eine kontrollierte Haltung vorschreibt: Er darf nicht schreien, laufen oder sich zu lebhaft benehmen, sondern muß sich ständig beherrschen. Diese Merkmale der Musealisierung, die für jede Art musealer Gegenstände gelten, sind für die Kunstformen der sechziger Jahre besonders belastend: Für Kunstinstallationen heißt die »Ent-Kontextualisierung« Veränderung sowohl der ursprünglichen Situation als auch der Raumverhältnisse; für kinetische Kunstwerke könnte die Musealisierung eine eventuelle »Entfunktionalisierung« aus konservatorischen Gründen und somit die Einbuße ihrer künstlerischen Bedeutung mit sich bringen; für Arbeiten, die als ›Work in progress‹ konzipiert wurden, ist der Aspekt der »Entzeitlichung« besonders schwerwiegend, da sie dadurch – im Gegensatz zur ursprünglichen künstlerischen Intention – in einem Zustand ›eingefroren‹ werden; außerdem wird der Alterungsprozeß von ephemeren Objekten, bei denen die Vergänglichkeit eine grundlegende Rolle spielt, im Museum verlangsamt, da ihre Erhaltung als vorrangig betrachtet wird. Schließlich werden Kunstwerke aus den sechziger Jahren, d.h. aus einer noch nahen Vergangenheit, durch die Musealisierung in historische Objekte verwandelt. Wenn die Institution Museum nicht nur als Ort für Wechselausstellungen, sondern auch als Ort der Erinnerung angesehen wird, sollten also auch ihre ›Nebenwirkungen‹ bewußt gemacht werden.

45 Ebd., S. 105. 46 Ebd., S. 107.

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➔ Die Position der Künstler

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II. Die Position der Künstler in der Diskussion über die Rolle des Museums Lucy R. Lippard konstatierte Ende der sechziger Jahre die Neigung einiger Künstler, den Denkprozeß gegenüber dem physischen Werk zu privilegieren. Sie zog daraus den Schluß, daß die gegenwärtige Kunst zur »Dematerialisierung« tendiere.1 Lippard war zuerst der Meinung, daß eine solche Kunst sich nicht eignete, gesammelt zu werden. Sie würde deswegen den Museen entgehen.2 Drei Jahre später mußte sie aber feststellen, daß Kunstwerke der neuen Kunstrichtungen inzwischen verkauft und ausgestellt wurden.3 Von den späten sechziger Jahren bis weit in die siebziger Jahre wurden die Rolle des Museums und seine Beziehung zur Gegenwartskunst lebhaft diskutiert.4 Es wurde die Frage aufgeworfen, ob zeitgenössische Kunstwerke im Museum gezeigt werden sollten bzw. konnten: Sollte das Museum nur die Kunstwerke sammeln, die sich über die Zeit bewährt hatten, oder sollte es sich auch mit der Gegenwartskunst auseinandersetzen? Und wie konnten Kunstwerke, bei denen die künstlerische Idee wichtiger als das Resultat war, eventuell gesammelt und bewahrt werden? Die Meinungen zu diesen Fragen gingen auseinander. Aufschlußreich ist die Diskussion, die 1969 von einer umstrittenen Rede des damaligen Direktors der Nationalgalerie Berlin, Werner Haftmann, zur Hundertjahrfeier der Hamburger Kunsthalle ausging und in der Zeitung »Die Zeit« weitergeführt wurde. Obwohl Haftmann das Museum als dialektischen Partner des Künstlers sah, fand er die Musealisierung der neuen Kunsttendenzen problematisch: »Denn aus ihrer Natur, und das trifft sich mit gewissen Kunsttendenzen der Gegenwart, stellt die sogenannte experimentelle Kunst Prozesse dar und keine Resultate, Arbeitsvorgänge und keine Werke. Aus seiner Natur hat es das Museum aber mit Ergebnissen und Werken zu tun, um seine Rolle im dialektischen Prozeß übernehmen zu können.«5 »Die Zeit« bat den damaligen Direktor der Kestner-Gesellschaft Hannover, Wieland Schmied, sowie die Künstler Heinz Mack und Günther Uecker um eine Stellungnahme zu Haftmanns Rede. Ihre Artikel hoben zwei Aspekte

1 Vgl. Lippard, Lucy R./Chandler, John, The Dematerialization of Art (in: »Art International«, Feb. 1968), wieder abgedruckt in: LIPPARD, Lucy R., Six Years, London 1973, S. 42-43. 2 Vgl. Lippard, Interview von Ursula Meyer (Dez. 1969), in: LIPPARD 1973, S. 8. 3 Vgl. LIPPARD 1973, S. 263. 4 Vgl. BUSCHMANN 2002. 5 HAFTMANN, Werner, Gegen die Programmierer der Kunst, in: »Die Zeit«, 5.9.1969; die komplette Rede von Haftmann zur Hundertjahrfeier der Hamburger Kunsthalle ist in: BOTT, Gerhard (Hrsg.), Das Museum der Zukunft, Köln 1970, S. 107-115.

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hervor: Erstens wurde betont, daß nicht die Kunst ins Museum, sondern das Museum in die Kunst einbezogen werden sollte; zweitens wurde klar, daß die zeitgenössischen Kunstwerke, die nicht für das Museum konzipiert worden waren (wie z.B. ortsbezogene Installationen, Land Art, Happenings usw.), in den Museumsräumen nicht direkt sondern nur in Form von TV-Übertragungen oder Dokumentationen gezeigt werden konnten. Beide Aspekte basierten auf der Feststellung, daß die zeitgenössische Kunst nicht im Museum isoliert werden wollte, sondern intendierte, in der Gesellschaft zu wirken, um sie positiv zu verändern, obwohl Mittel und Ziele dieser Veränderung je nach Künstler unterschiedlich sein konnten. Kunst wurde nicht mehr als ein vom Alltag getrennter Freiraum verstanden, der zum Ausdruck der künstlerischen Persönlichkeit dienen sollte, sondern identifizierte sich mit dem alltäglichen Leben. Wenn das Museum in die zeitgenössische Kunst einbezogen werden wollte, mußte es folglich lebendiger werden. Nur so hätten die Künstler es als Aktionsfeld in Anspruch nehmen können. Wieland Schmied erkannte, daß die Künstler nicht im »geweihten Sonderbezirk des Museumstempels«, sondern in der Wirklichkeit agieren wollten.6 Aufgabe der Museumsleute sei es, »das Museum attraktiver und als lebendigste Stelle einer Stadt zum Anziehungspunkt auch für die Künstler zu machen.«7 Schmied machte einige Vorschläge, die dazu dienen sollten, einen neuen, dynamischen und progressiven Typus von Museum zu schaffen. Künstler, die in der Tradition des Konstruktivismus arbeiteten, sollten engagiert werden, um Kunstwerke anderer, geistesverwandter Künstler zu präsentieren. Unter den jungen Deutschen, die Schmied für diese Aufgabe als geeignet ansah, wurden Mack, Piene und Uecker ausdrücklich erwähnt. Das Konzept hatte als Vorbild das Kabinett der Abstrakten, das El Lissitzky im Provinzialmuseum Hannover 1928 ausgestattet hatte.8 Außerdem sollten die Künstler laut Schmied die Möglichkeit haben, Rauminstallationen mit eigenen Arbeiten im Museum zu schaffen. Ohne sie direkt zu benennen, verwies der Direktor der Kestner-Gesellschaft auch in diesem Zusammenhang auf Mack, Piene und Uecker. Er sprach von »Lichtspielen und kinetischen Objekten, die dem Raum völlig integriert sind«.9 Die Andeutung über die lichtkinetischen Installationen (Lichträume) der Gruppe Zero ist hier offensichtlich. Schließlich plädierte Schmied für ein »erweitertes Museum«, das die Formen des Museums und der Ausstellungshalle in sich vereinte. Das würde

6 SCHMIED, Wieland, Der Auftrag lautet Gegenwart, in: »Die Zeit«, 12.9.1969. 7 Ebd. 8 Die Idee, die Museumssammlung durch Künstler bespielen zu lassen, wurde 2001 mit dem ›Künstlermuseum‹ (museum kunst palast, Düsseldorf) aufgenommen. 9 SCHMIED 1969.

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➔ Die Position der Künstler

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die Institution für künstlerische Experimente öffnen. Er meinte, ein solches flexibles Museum sei stark genug, um »Anti-Vorstellungen zu integrieren, die der Anti-Kunst wie die des Anti-Museums«.10 Schmied zufolge galt es, die Widerstände der zeitgenössischen Kunst gegen das Museum zu überwinden. Am Beispiel der Land Art, die dem Zugriff des Museums ganz entzogen zu sein schien, zeigte Schmied, anhand welcher Lösungen auch einer solchen Kunstform Rechnung getragen werden konnte: Photo- und Filmdokumentationen sowie eine permanente Fernsehgalerie würden es erlauben, die neuen Entwicklungen im Raum des Museums zu präsentieren.11 Auf diesem Weg sei »eine gegenseitige Steigerung von Kunst und Museum« möglich.12 Heinz Mack zeigte sich dem gegenüber skeptisch: Die Institution Museum sei für ihn nicht fähig, mit der Zeit zu gehen.13 Macks Meinung nach besaßen zeitgenössische Künstler nicht mehr den Anspruch, für die Ewigkeit zu arbeiten. Das Museum könne nur Relikte bewahren, während die Kunst sich woanders abspiele: »Die Kunst unserer Zeit befindet sich bereits nicht mehr da, wo sie vermutet wird; ein Schritt ihrer Zeit stets voraus, kann das, was sie hinterläßt, ruhig kommerzialisiert, inventarisiert, konserviert und verbraucht werden.«14 Günther Uecker betonte, daß die Forderungen der Künstler nicht an das Museum, sondern an die Gesellschaft gerichtet waren. Die grundsätzliche Frage sei, »ob ein Museum, als Readymade, quasi geeignet ist, in eine schöpferische Entwicklung mit einbezogen zu werden.«15 Ein Jahr zuvor (1968) hatte Uecker zusammen mit Gerhard Richter in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden gezeigt, wie die Museen verwendet werden könnten, um »die Aktivität des Geistes zu verbreiten.«16 Anlaß war die von Klaus Gallwitz organisierte Ausstellungsreihe 14 mal 14 – Junge deutsche Künstler gewesen, die von Richter und Uecker eröffnet wurde.17 Beide Künstler wohnten und arbeiteten im Museum und stellten zehn Tage lang ihr 10 Ebd. 11 Die Idee der Fernsehgalerie stammt von Gerry Schum, der mit Hilfe des SFB zwei Produktionen realisierte. Kunst wurde für den Fernsehschirm gemacht und direkt millionenfach verbreitet. Am 15.4.1969 wurde Land Art gesendet. 12 SCHMIED 1969. 13 Vgl. MACK, Heinz, Ewigkeit ohne mich, in: »Die Zeit«, 19.9.1969. 14 Ebd. 15 UECKER, Günther, Ein paar Gegenfragen, in: »Die Zeit«, 19.9.1969. 16 Uecker, Günther, Museen können bewohnbare Orte sein (1968), in: ders., Schriften, hrsg. von Stephan von Wiese, St. Gallen 1979, S. 67. 17 Vgl. GALLWITZ, Klaus, Leben im Museum. Günther Uecker und Gerhard Richter in der Kunsthalle Baden-Baden, in: »…zum Raum wird hier die Zeit« Günther Uecker, Neues Museum, Weimar, 2001, S. 36-42.

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

Leben zur Schau. Die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden wurde also zum Wohn- und Arbeitsort umfunktioniert. »Museen können bewohnbare Orte sein«,18 meinte Uecker, der während der Dauer der Ausstellung demonstrativ einen Pyjama trug. Der Aspekt des Wohnens wurde mit einer anderen Konnotation auch in der Bezeichnung des von Mack, Piene und Uecker 1962 entworfenen ZEROMuseums hervorgehoben: Die Künstler bevorzugten den Begriff ZERO-Haus.19 Das Projekt wurde drei Jahre später der Stadt Gelsenkirchen zur Realisierung angeboten.20 Die kunstinteressierten Politiker der Stadt hatten schon den Bau des vom Architekten Werner Ruhnau geplanten Stadttheaters (19571959) unterstützt, das von Künstlern des ZERO-Umfeldes wie Yves Klein, Jean Tinguely und Nobert Kricke ausgestattet wurde. Das ließ hoffen, daß auch das Projekt für das ZERO-Museum verwirklicht werden konnte. Trotz der ideellen Unterstützung von Oberbürgermeister Hubert Scharley scheiterte aber dieses Unternehmen. Mack, Piene und Uecker stellten sich das Museumsgebäude als einen mit Kohle beschichteten Betonkubus vor, der auf einem Glaskörper in einem quadratischen Becken stand. Die Kohle war als Verweis auf den Bergbau gedacht, der in Gelsenkirchen eine wesentliche Rolle spielte. Im Kontrast dazu sollten die Innenräume des Museums extrem hell erscheinen; deswegen wurde ein Dach aus Glas für den strengen Kubus ohne Fenster geplant. Im oberen Stock sollte der Grundriß in vier gleich große quadratische Säle gegliedert werden, die jeweils Mack, Piene, Uecker und Klein zur Verfügung gestellt werden sollten. Das Museum hätte außerdem Ausstellungen von Werken befreundeter Künstler zeigen sollen. Sowohl das Projekt ZERO-Haus als auch die oben genannte Ausstellung von Richter und Uecker in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden sollten im Rahmen des übergeordneten Vorhabens gesehen werden, die Wirklichkeit schöpferisch zu verändern. Die dafür gewählten Wege waren aber unterschiedlich. Das ZERO-Museum sollte ein von Künstlern entworfenes und organisiertes Museum sein, das in einem vom Bergbau ökonomisch, sozial und landschaftlich geprägten Gebiet realisiert werden sollte, um es kulturell zu qualifizieren und den schwierigen Arbeitsbedingungen des Bergbaus eine optimistische und meditative Kunst entgegenzusetzen. Der innere Raum des

18 Uecker, Museen…, in: UECKER 1979, S. 67. 19 Vgl. Mack, Heinz, Das ZERO-Haus, in: SCHMIED, Wieland (Hrsg.), Utopie und Wirklichkeit, Köln 1998, S. 264. 20 STACHELHAUS, Heiner, Die 60er Jahre im Ruhrgebiet und speziell in Gelsenkirchen – eine glorreiche Zeit für die bildende Kunst, in: Kinetische Kunst, Städtisches Museum Gelsenkirchen, 1998, S. 149-150.

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➔ Die Position der Künstler

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Museums sollte absolut still sein: Ein Raum für Imagination und Kontemplation. Die Ausstellung in der Kunsthalle Baden-Baden bezog dagegen ein schon existierendes Museum in eine künstlerische Aktion ein, die es in einen »bewohnbaren Ort« umwandeln sollte. In der Kunsthalle war es während des Aufenthalts von Richter und Uecker ziemlich laut: Abgesehen von den Geräuschen, die die Künstler bei der Arbeit produzieren mochten, präsentierte Uecker in der Ausstellung seine als Terror-Objekte bekannte Klangplastiken, die die Stille des Museums brachen. Um einen neuen Lebensraum zu entwickeln, hatte die Gruppe Zero außer dem Projekt ZERO-Haus auch andere schöpferische Möglichkeiten aufgezeigt. Naturelemente wie Landschaften, Wasser, Feuer und Luft sollten in Kunstwerke mit einbezogen werden. Ein Beispiel dafür stellt das Sahara-Projekt dar, das von Heinz Mack seit 1958 entwickelt und 1961 in der dritten Nummer der Zeitschrift »ZERO« publiziert wurde. Das Projekt sah die Platzierung verschiedener Objekte von Mack und anderen befreundeten Künstlern in unberührten, durch extreme Lichtverhältnisse charakterisierten Naturorten vor: Meer, Himmel, Eis- und Sandwüste. Mack konzipierte das Sahara-Projekt auch als Gegenbild zu den mit Friedhöfen vergleichbaren Museen.21 Diese polemische Zielrichtung scheint im Widerspruch zu dem Projekt des ZERO-Museums zu stehen. Das ZEROHaus wäre jedoch kein ›Friedhof‹ gewesen, da es nach der Intention der Künstler keine historische Kunst, sondern ausschließlich avantgardistische zeitgenössische Kunst gezeigt hätte. Während die Kunstwerke der Vergangenheit einer futuristischen Haltung folgend als ›tote‹ Gegenstände empfunden werden konnten, galt zeitgenössische Kunst dagegen als lebendig. Sowohl das ZERO-Museum als auch das Sahara Projekt waren außerdem als künstlerische Inseln gedacht. Das erste sollte ein Refugium der Kunst und der durch sie vermittelten geistigen Werte werden. Das zweite, in größeren Dimensionen geplant, wurde ausdrücklich von Mack als eine »Reservation der Kunst« konzipiert.22 Anders als in den herkömmlichen Museen hätte die Kunst in Räumen, die frei von Kulturspuren sind (Himmel, Meer, Antarktis, Wüsten), »eine unvergleichliche Erscheinung« gewonnen.23 Während »der Rang eines Kunstwerkes« sich laut Werner Haftmann am besten im Vergleich

21 Vgl. Mack, Heinz, Die Entfernung zwischen Utopie und Wirklichkeit, in: SCHMIED 1998, S. 58. Die von Mack verwendete Analogie zwischen Museen und Friedhöfen stammt von Marinetti, Filippo Tommaso, Manifesto del Futurismo (1909): »Musei: cimiteri!…« (zitiert in: Futurismo & Futurismi, Palazzo Grassi Venezia, 1986, S. 512). 22 Mack, Heinz, Das Sahara-Projekt, in: SCHMIED 1998, S. 17. 23 Ebd., S.17.

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zu den schon etablierten historischen Kunstwerken bewähren würde,24 brauchte die zeitgenössische Kunst laut Mack nicht den Hintergrund der Geschichte, um sich zu profilieren.25 Das Sahara-Projekt konnte nur nach der ZERO-Zeit von Mack realisiert werden.26 Auch Uecker und Piene verwirklichten ihre Werke nach der Auflösung von Zero (1966) immer öfter im Außenraum.27 Die Arbeiten, die die drei Künstler im Freien sowohl in der Natur als auch in Großstädten realisierten, wurden also zu Beispielen einer Kunst, die in der räumlich und konzeptuell engen Dimension des Museums nicht gezeigt werden konnte. Daraus zog Uecker den Schluß: »So ist die Frage, wie sich Kunst innerhalb des Museums darstellt, eine sekundäre, weil ein Museum heute nur Modelle und Ausblicke zeigen kann, die eine Forderung darstellen, die ihrerseits nur in neuen Dimensionen realisierbar ist.«28 Uecker war der Meinung, daß man die Projekte einer neuen Wirklichkeit umsetzen sollte – eventuell, wie oben gezeigt, auch durch die Einbeziehung von Museen. Aber es hatte für ihn keinen Sinn, Darstellungen einer schöneren Welt in Museen zu bewahren, ohne in der Wirklichkeit zu agieren: »Es besteht keine Notwendigkeit, Prospekte in Höhlen zu hängen als Ausblick auf eine schönere Welt. Es ist notwendig, diese Ideen und Projekte zu verwirklichen und bewohnbar zu machen. Wir sollten uns aus unseren Gehäusen begeben, um unsere Umwelt zu verwandeln, wir sollten wandeln und sein in der Hauslosigkeit.«29 Auszüge aus diesem Text kehren im von Uecker und Ferdinand Kriwet geschriebenen Creamcheese-Manifest (1968) wieder. Das Tanzlokal Creamcheese war in der Tat einer der Orte außerhalb der traditionellen Institutionen, an dem die Künstler versuchten, einen Zugang zum alltäglichen Leben herzustellen. Während Museen, Bibliotheken, Theater und Konzerthallen nur durch eine Elite besucht wurden, konnte eine Kneipe eine breitere Zielgruppe erreichen. Lutz Mommartz, einer der Initiatoren des Creamcheese, erklärt die Idee, die hinter dem Konzept des Tanzlokals steckte, wie folgt: »Es drehte sich mir um die Entweihung von Kunst, um sie aus der ›Kirche der Museen‹ ins Leben zu holen. Hintergrund war die inhaltliche Entscheidung zur Demokratie mit der Konsequenz, daß gesellschaftliche Veränderung nur 24 HAFTMANN 1969. 25 Vgl. Mack, Das Sahara-Projekt, in: SCHMIED 1998, S. 17. 26 1968 in der tunesischen Wüste, 1976 in der algerischen Wüste und in Arktis, 1997 in der omanischen Wüste. 27 Z.B.: Pienes programmierte Fassendenverkleidung von Wormland in Köln und Ueckers Nagel in der Fassade des Kaufhofs in Dortmund (1968), sowie Ueckers Aktionen in der lybischen Wüste (1974) und Pienes Sky-Art. 28 UECKER 1969. 29 Uecker, Günther, Begeben wir uns aus unseren Gehäusen, in: UECKER 1979, S. 102.

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➔ Die Position der Künstler

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durch Öffnung und Erleben auf einem relativ niedrigen gemeinsamen Nenner zu erreichen ist.«30 Im Creamcheese-Manifest läßt sich leicht der Einfluß des Futurismus erkennen. Das Manifest wurde von den Futuristen als Hauptkommunikationsform genutzt und weiterentwickelt: Ihre Anwendung einerseits von aneinandergereihten, kurz verfaßten Sätzen, die wie Befehle wirkten, und anderseits von unterschiedlichen Drucktypen erwies sich als besonders geeignet, um einprägsame Ideen wirkungsvoll zu verbreiten. Der Einfluß des Futurismus auf das Creamcheese-Manifest beschränkt sich aber nicht nur auf die formellen Aspekte, sondern ist auch im Inhalt deutlich erkennbar. Kriwet bezeichnet »Buch und Bibliothek, Bild und Museum, Schauspieler und Schauspielhaus, Konzertflügel und Konzertsaal« als »Medien der Vergangenheit«.31 Diese Passage bezieht sich auf eine im gewalttätigen Ton formulierte Aussage von Filippo Tommaso Marinetti aus dem Manifesto del futurismo (1909): »Noi vogliamo distruggere i musei, le biblioteche, le accademie d’ogni specie«.32 Kriwet zufolge sollte eine zeitgenössische Kunst, die zeitgemäß sein möchte, zeitgemäße Medien (Presse, Rundfunk, Film, Fernsehen) »produktiv« verwenden. Er unterscheidet diese Kunst von der zeitgenössischen Kunst, die »die zeitgenössischen Medien reproduktiv oder die Medien der Vergangenheit traditionell« verwendet. Die zeitgemäße Kunst sollte auf die Abbildung (Reproduktion) der Wirklichkeit verzichten und »die veränderte Rezeption des heutigen Menschen« berücksichtigen.33 Bereits die futuristischen Maler – optimistischer und unkritischer dem Fortschritt gegenüber – hatten sich für eine Kunst ausgesprochen, die den neuen technischen Erfindungen angemessen wäre, und gegen alle Künstler und Institutionen, die hinter einem Anschein von Modernität eigentlich der Tradition treu bleiben würden.34 Im Manifest La pittura futurista (1910) hatten sie außerdem erklärt, daß sie die Patina und die Lasur bekämpfen wollten, die die zeitgenössischen Kunstwerke wie falsche Antiquitäten aussehen ließen.35 Dieses futuristische Konzept kehrt in einem Text von Uecker wieder, aus dem einige Aussagen des Creamcheese-Manifests stammen: »Objekte aus der Vergangenheit, die sich uns heute durch eine Patina zeigen, können wir nicht mißverstehen,

30 MOMMARTZ in einer E-Mail an die Verf., 14.11.2002 (s. Anhang). 31 Im Creamcheese-Manifest schreibt Ferdinand Kriwet weiter: »Ich bin kein Museum. Ich bin keine Bibliothek. Ich bin keine öffentliche Einrichtung«. 32 Marinetti, Manifesto del futurismo, in: Futurismo & Futurismi 1986, S. 512. Deutsche Übersetzung in: BAUMGARTH, Christa, Geschichte des Futurismus, Reinbeck 1966, S. 26. 33 KRIWET, Ferdinand, Leserattenfaenge. Sehtextekommentare, Köln 1965, S. 16. 34 Vgl. Manifesto dei pittori futuristi (1910), in: Futurismo & Futurismi 1986, S. 505. 35 Vgl. La pittura futurista (1910), in: Futurismo & Futurismi 1986, S. 506.

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

wenn wir diese als Denkwürdigkeiten vergangener Kulturen betrachten. Sie dürfen uns aber nicht zu einer Kunst der Patina, des Düsteren und Modernden führen«.36 Im Unterschied zu den Futuristen, die die Zerstörung der Museen forderten, waren die erwähnten deutschen Künstler nicht prinzipiell gegen die Institution Museum. Die Radikalität der Futuristen führt Ueckers Meinung nach zum Barbarismus, wie Deutschland ihn schon in der Nazi-Zeit erlebt hat.37 Auch Mack betonte im zitierten Artikel in »Die Zeit«, daß die Notwendigkeit der Museen als Bewahrer unersetzbarer historischer Kunstwerke und als öffentliche Institutionen nicht in Frage gestellt werden dürfte.38 Er bezweifelte aber, daß die gegenwärtige Kunst im Museum bewahrt werden konnte, da sie für den Augenblick gedacht war. Inzwischen ist die damalige gegenwärtige Kunst historisch geworden: »Und dann wird man im Lauf der Zeit älter und stellt auf einmal fest, daß die Dinge doch ihren Stellenwert hatten, auch im kunsthistorischen Kontext des Jahrhunderts, und daß sie einfach schon aus diesem dokumentarischen Grunde verdienen, erhalten zu bleiben.«39 Die ursprüngliche Intention, Kunstwerke nur für den Augenblick zu realisieren, steht folglich im Widerspruch zu den neu entstandenen konservatorischen Anforderungen. Ensembles, die als Alternative zum Museum entstanden, sind inzwischen musealisiert und Erhaltungsmaßnahmen unterzogen worden. Eine Ecke des Restaurants von Daniel Spoerri in Düsseldorf wurde beispielweise nach der Schließung des Lokals als ›Fallenbild‹ unter dem Titel Le coin du Restaurant Spoerri auf verschiedenen Ausstellungen präsentiert und befindet sich heute im Museum Vostell Malpartida. Die Objekte aus dem Tanzlokal Creamcheese wurden ebenfalls musealisiert. »Das Museum darf sich auch der Dinge bedienen, die es infrage stellen«, kommentiert Lutz Mommartz.40 Er ist der Meinung, daß die Museen mittlerweile Unterhaltungsorte geworden sind. Bei den Eröffnungen wird zum Beispiel normalerweise gegessen und getrunken. Die Provokation, die in den sechziger Jahren intendiert war, sei nicht mehr notwendig. Nach der Auffassung der erwähnten Düsseldorfer Künstler sollte das Mu-

36 Uecker (September 1961), zitiert in: Zero in Bonn, Städtische Kunstsammlungen, Bonn, 1966, o.S. 37 Vgl. UECKER, Interview von Caianiello, Heydenreich, Weyer, 14.10.1999 (s. Anhang). Wobei auch die Forderung von Marinetti, die Museen zu zerstören, nicht buchstäblich interpretiert werden sollte. 38 MACK 1969. 39 MACK, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 26.8.1999 (s. Anhang). 40 MOMMARTZ in einer E-Mail an die Verf., 14.11.2002.

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➔ Die Position der Künstler

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seum ein Treffpunkt werden, ein lebendiger Ort für kulturellen Austausch, Diskussion und künstlerische Experimente. Uecker sprach von einer »kulturellen Kommune«.41 Neben dieser Konzeption des Museums als »bewohnbarer Ort« tauchte die Auffassung des Museums als »Ideenkammer« auf.42 Die Künstler verstanden sich als Erfinder von Ideen einer neuen Umwelt.43 Das Museum sollte folglich nicht so sehr Objekte sammeln, als viel mehr Ideen speichern. Einige Teilnehmer an der Diskussion über das Museum, wie zum Beispiel Schmied und Uecker, schlugen die Anwendung neuer Medien wie Computer, Video-Tapes oder TV-Übertragungen vor, um die in Partituren, Projekten, Modellen und Prozessen ausgedrückten Ideen sammeln und verbreiten zu können.44 Und die Kunstobjekte? Von Uecker wurden sie als »Werkzeuge für Gedankenprozesse« verstanden und würden ihren Zweck erfüllt haben, sobald sie ins Bewusstsein aufgenommen wurden.45 Bereits Lucio Fontana hatte im ersten Manifest des Spazialismo (1947) geschrieben, daß die Kunst als Geste ewig, als Materie dagegen sterblich wäre. Die Kunst sollte also getrennt von der Materie betrachtet werden, da sie auch nach dem Tod dieser als Geste erhalten bleiben würde. Es wäre folglich unerheblich, ob ein Kunstwerk einen Augenblick oder ein Jahrtausend lang in seiner Materialität erhalten bliebe.46 Aber wie kann festgestellt werden, ob eine Geste oder Idee wirklich assimiliert wurde? Und wie kann eine Geschichte der Ideen geschrieben werden, wenn die Träger der künstlerischen Gedanken, die Gegenstände, verloren 41 Uecker, Günther, Das Museum als kulturelle Kommune, 1974 (erweiterte Fassung des Artikels Das Museum als Ideenkammer. Ein Zukunftsmodell, in: »FAZ«, 4.4.1970), in: UECKER 1979, S. 82-85. 42 Uecker, Das Museum als Ideenkammer, a.a.O., wieder veröffentlicht in: »…zum Raum wird hier die Zeit« 2001, S. 44-45. Uecker schrieb diesen Artikel in Bezug auf die Planung eines Museums für zeitgenössische Kunst in Köln (heute Museum Ludwig). 43 Vgl. Uecker, Günther, Der Künstler als Erfinder (Text für ein Flugblatt zur Ausstellung intermedia 69), in: UECKER 1979, S. 119. 44 Vgl. SCHMIED 1969, und Uecker, Das Museum als Ideenkammer, in: »…zum Raum wird hier die Zeit« 2001, S. 45. 45 Uecker, Der Künstler …, in: UECKER 1979, S.119. 46 Vgl. Primo Manifesto dello Spazialismo (unterschrieben von: Beniamino Joppolo, Lucio Fontana, Giorgio Kaisserlian, Milena Milani, Mai 1947), in: CRISPOLTI, Enrico (Hrsg.), Fontana. Catalogo generale di sculture, dipinti e ambienti spaziali, Milano 1986, Bd. I, S. 35-36: »L’arte è eterna, ma non può essere immortale. […] Rimarrà eterna come gesto, ma morrà come materia. […] Noi pensiamo di svincolare l’arte dalla materia, die svincolare il senso dell’eterno dalla preoccupazione dell’immortale. E non ci interessa che un gesto, compiuto, viva un attimo o un millennio, perché siamo veramente convinti che, compiutolo, esso è eterno.«

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gegangen sind? Die materielle Gegenwärtigkeit von Kunstwerken, die als Objekte realisiert wurden (z.B. als kinetische Plastiken), stellt den glaubwürdigsten Zeugen der künstlerischen Idee dar. Obwohl Verfall und Verlust als sichtbare Spuren der Zeit nicht gelöscht werden dürfen, sollten die Kunstobjekte, sinnlich wahrnehmbare Ausdrücke des Geistes, in ihrer Materialität erhalten bleiben.47

47 Vgl. die Position von Uecker über die Erhaltung seiner Kunstwerke in: WIESE, Stephan von, Kunst zum Verschleiß? – Das Problem der Konservierung moderner Kunst in den Augen ihrer Produzenten, in: ALTHÖFER, Heinz (Hrsg.), Restaurierung moderner Kunst, Düsseldorfer Symposion, Restaurierungszentrum Düsseldorf 1977, S. 58.

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➔ Die museale Praxis

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III. Zeitgenössische Kunst: eine Herausforderung für die museale Praxis 1. Das Düsseldorfer Symposium und der Widerspruch zwischen Erhaltung und Präsentation zeitgenössischer Kunst Die künstlerischen Entwicklungen der sechziger Jahre stellten eine Herausforderung für die museale Praxis dar. Das Hervorheben der künstlerischen Idee über das physische Werk, die absichtliche Vergänglichkeit einiger Kunstwerke, die Krise des Begriffs Original und die Experimentierfreudigkeit mit den verwendeten Materialien und Techniken stellten die in der Tradition bewährten Erhaltungs- und Präsentationskriterien in Frage und forderten eine kritische Reflexion. Im Hinblick auf die herausragende Rolle der damaligen Düsseldorfer Kunstszene überrascht es nicht, daß die europäische Diskussion über die Erhaltung der zeitgenössischen Kunst in Düsseldorf initiiert wurde. Einer der Pioniere in Fragen der Konservierung und Restaurierung moderner und zeitgenössischer Kunst war der Kunsthistoriker und Restaurator Heinz Althöfer. Als langjähriger Direktor des Restaurierungszentrums der Landeshauptstadt Düsseldorf – Schenkung Henkel setzte er den Schwerpunkt der städtischen Institution auf die Forschung in diesem Gebiet. 1977 veranstaltete das ein Jahr zuvor gegründete Restaurierungszentrum ein Symposium über das Thema Restaurierung moderner Kunst, an dem Museumskuratoren, Restauratoren, Künstler, Sammler und Naturwissenschaftler teilnahmen.1 Verschiedene Vorträge des Symposiums hervorheben, daß die Anforderungen hinsichtlich der Erhaltung und Präsentation zeitgenössischer Kunst konträr sein können. Der damalige Direktor des Kunstmuseums Düsseldorf, Wend von Kalnein, eröffnete seinen Vortrag mit der Bemerkung, daß sich das Kunstmuseum in den letzten zehn Jahren besonders für zeitgenössische Kunst engagiert habe,2 wobei der Schwerpunkt der Sammlungstätigkeit die Kunst nach dem zweiten Weltkrieg gewesen sei und, »dem genius loci entsprechend, die Düsseldorfer

1 ALTHÖFER 1977. Vorträge wurden bei dem Symposion u.a. von dem Museumsdirektor Wend von Kalnein, dem Museumskurator Stephan von Wiese, dem Direktor des Restaurierungszentrums Heinz Althöfer, der Restauratorin und Kunsthistorikerin Hiltrud Schinzel und dem Restaurator und Sammler Wolfgang Hahn gehalten. Anwesend waren auch Künstler wie z.B. Ruprecht Geiger, Gerhard von Graevenitz und Konrad Klapheck. 2 Vgl. KALNEIN, Wend von, Neuartige Gefährdungen bei moderner Kunst aus der Sicht des Museumsfachmanns, in: ALTHÖFER 1977, S. 13-15.

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Kunst – ZERO und Objektkunst«.3 Nach von Kalnein konfrontiere die Musealisierung der Gegenwartskunst den Museumskurator mit erhöhten Schwierigkeiten. Die ausgesprochene Empfindlichkeit der zeitgenössischen Kunstwerke habe zur Folge, daß sie besonders beim Transport (z.B. zu Ausstellungen) der Gefahr von Schäden ausgesetzt seien. Dieses Problem würde seiner Meinung nach die Ausstellungstätigkeit der Museen stark beeinträchtigen. Von Kalnein behauptete außerdem, daß die zumeist provokative zeitgenössische Kunst die Aggression der Besucher herausfordere. Insbesondere Kunstwerke, zu deren Entfaltung die Teilnahme des Betrachters vorgesehen sei, wie einige kinetische Plastiken oder Tastobjekte, würden in sich das Risiko bergen, durch die Besucher beschädigt zu werden: »Bei solchen Schäden trägt natürlich die Aufforderung, sich im Museum wie zu Hause zu fühlen und vermeintliche Zwänge abzubauen, ein gerüttelt Maß an Schuld. Denn wie soll man Jugendliche erst dazu animieren, alles anzufassen und ihnen dann sagen, wo sie damit aufhören sollen?«4 Diese etwas gereizte Beobachtung des Museumsdirektors zeigt seine Hilflosigkeit einem Dilemma gegenüber: Um Schäden zu vermeiden, sollten Tastobjekte wie z.B. die von Yaakov Agam oder von Günter Haese in Schutzkästen ausgestellt werden. Jedoch würden diese Kunstwerke dann ihrer Bedeutung beraubt, weil sie nach der Intention der Künstler erst durch Berührung wahrnehmbar werden. Wieland Schmied hatte schon 1969 gefordert, daß ein zeitgemäßes Museum der veränderten Position des Betrachters in der zeitgenössischen Kunst gerecht werden müsse.5 Die Rolle des Museumsbesuchers sei es nicht mehr, die Kunst passiv zu betrachten, sondern an ihrer Entstehung aktiv teilzunehmen. Aus der Sicht der Museumsleute lauerte in dieser neuen Position des Betrachters jedoch eine Gefahr: Das traditionelle Verbot seitens des Museums »Nicht berühren!« wurde durch die neuen Kunsttendenzen in die Aufforderung »Berühren!« umgekehrt. Die typische Befangenheit der Besucher im ›Tempel der Musen‹ wurde dadurch zwar überwunden, ihr Verhalten wurde aber unkontrollierbar. Um die Kunstwerke zu schützen, wurden neue Strategien entwickelt. Bei der Diskussion, die sich an den Beitrag von Wend von Kalnein anschloß, wurde beispielsweise überlegt, wie die motorbetriebenen kinetischen Objekte

3 Ebd., S. 13. 1971 wurde die Moderne Abteilung des Kunstmuseums Düsseldorf eingeweiht. 1973 wurde die Sammlung Koch, die aus ungefähr gleichformatigen Kunstwerken von Künstlern aus dem ZERO-Kreis bestand, als Leihgabe dem Museum übergeben und als ZERO-Raum dem Publikum präsentiert. Vgl. ZERO Raum, Kunstmuseum Düsseldorf, 1973. 4 KALNEIN 1977, S. 14. 5 SCHMIED 1969.

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➔ Die museale Praxis

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aktiviert werden könnten, ohne sie den Berührungen der Besucher auszusetzen.6 Die Restauratorin und Kunsthistorikerin Hiltrud Schinzel sprach in ihrem Vortrag über den Widerspruch zwischen Erhaltungsanforderungen und der Rezeption zeitgenössischer Kunst unter dem Aspekt des fehlenden historischen Abstandes.7 Die Kunstwerke der Gegenwart seien noch zu ›frisch‹, um als Museumsstücke betrachtet zu werden. Deswegen würde jede in den Museen übliche Prophylaxemaßnahme, wie zum Beispiel ein Glasgehäuse, die neueren Kunstwerke wie mumifiziert erscheinen lassen. Auf dem Düsseldorfer Symposium, das der Erarbeitung eines Forschungsprogramms über Restaurierung moderner und zeitgenössischer Kunstobjekte diente,8 wurden bereits viele der grundlegenden Fragen über die Erhaltung zeitgenössischer Kunst aufgeworfen. Obwohl die Überlegungen auf diesem Gebiet mittlerweile weiter fortgeschritten sind, stehen viele der damals diskutierten Probleme immer noch offen, wie im folgenden erläutert wird. 2. Die Rolle des Materials In von Kalneins Ausführungen über Tastobjekte tauchte bereits eine der Hauptfragen auf, mit der sich Restauratoren und Museumskuratoren konfrontiert sehen: Gilt es, die originale materielle Beschaffenheit des Kunstwerkes zu erhalten, oder vielmehr die künstlerische Idee, die dahinter steckt, zu vermitteln? Was diese Frage u.a. so schwierig macht, ist die doppeldeutige Rolle des Materials in der zeitgenössischen Kunst: Während einerseits die Künstler das Konzept statt der Materialität des Kunstwerkes betonen, wird das Material anderseits zum direkten Bedeutungsträger. In der traditionellen Kunst wurde die Bedeutung des Kunstwerkes mittels eines Sujets ausgedrückt, wobei auch der Stil und die verwendete Technik eine wichtige Rolle spielten. So lange die natürliche Alterung des Materials und eventuelle Schäden die Lesbarkeit des Dargestellten nicht gefährdeten, blieb die Bedeutung der traditionellen Kunstwerke nachvollziehbar. War das nicht mehr der Fall, lag es an den Restauratoren, die Lesbarkeit der Kunstwerke mit minimalen Eingriffen wiederherzustellen. Die Restaurierung erforderte zwar eine Interpretation des betreffenden Kunstwerkes, aber diese konnte sich auf eine ikonographische und stilistische Analyse stützen. 6 Vgl. Vorschlag von Wolfgang Hahn, in: ALTHÖFER 1977, S.16. 7 Vgl. SCHINZEL, Hiltrud, Zwei theoretische Aspekte zur Restaurierung moderner Kunst, in: ALTHÖFER 1977, S. 9-10. 8 Vgl. ALTHÖFER, Heinz, Moderne Kunst, Düsseldorf 1980, S. 25-27.

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Im Gegensatz zur traditionellen Kunst bringt das Material in vielen zeitgenössischen Kunstwerken die künstlerische Idee unmittelbar zum Ausdruck. Das Kunstwerk ist nicht mehr unbedingt Ergebnis künstlerischer Gestaltung, sondern kann auch das Resultat einer Auswahl bestimmter (roher, vorgefertigter oder bereits in Produkten verarbeiteter) Materialien sein. Eine in diesem Zusammenhang notwendige Materialikonologie ist zur Zeit noch in der Entwicklungsphase.9 Eine Interpretation der Bedeutung der künstlerischen Materialien wird dadurch erschwert, daß diese Bedeutung je nach Künstler und sogar je nach Kunstwerk unterschiedlich sein kann. Wenn das Material unmittelbarer Bedeutungsträger ist, könnte jede durch Alterung, Beschädigung oder Restaurierungseingriff bedingte Veränderung des Materials eine Bedeutungsverschiebung mit sich bringen. Das macht es für die Restauratoren schwierig zu entscheiden, wann und wie sie eingreifen sollen; zumal es bei vielen zeitgenössischen Kunstwerken (z.B. bei Arbeiten aus Schrotteilen) problematisch sein kann, überhaupt zwischen Schäden und dem vom Künstler beabsichtigten Erscheinungsbild zu unterscheiden. 3. Die Überprüfung der traditionellen Restaurierungsprinzipien im Bezug auf die zeitgenössische Kunst. Zur Reproduzierbarkeit der Kunstwerke Die neue Erhaltungsproblematik der zeitgenössischen Kunst regte die Düsseldorfer Restauratoren frühzeitig dazu an, die etablierte Restaurierungsethik bzw. -theorie10 neu zu überdenken. Heinz Althöfer war der Meinung, »daß altvertraute Restaurierungsgrundsätze – Reversibilität, Respektierung des Originals und Beschränkung der Restaurierung auf das Fehlende – in Frage« zu stellen seien.11 Selbst die Richtigkeit der Hauptaufgabe des Restaurators, nämlich die Kunstwerke so lang wie möglich zu erhalten, um sie der Nachwelt zu überliefern, wurde in Zweifel gezogen.12 Angesichts ephemerer 9 Vgl. WAGNER, Monika, Das Material der Kunst, München 2001. 10 Eine Restaurierungstheorie wurde vom italienischen Kunsthistoriker Cesare Brandi formuliert (vgl. BRANDI, Cesare, Teoria del restauro, Torino 1977). Sie ist in den lateinischen Ländern weit verbreitet. Im Gegensatz dazu wurden die Restaurierungsprinzipien in den angelsächsischen Ländern nicht in einer abgeschlossenen Theorie zusammengefaßt, sondern in Ehrenkodizes formuliert (vgl. WEYER, Cornelia, Restaurierungsethik, in: »Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung« 8, 1944, 2). Die Grundprinzipien der zwei Restaurierungstraditionen sind aber ähnlich. 11 ALTHÖFER 1980, S. 22. 12 Althöfer meinte: »schließlich macht ihm [dem Restaurator, Anm. d. Verf.] die moderne Kunst klar, daß sein Eingreifen überflüssig und unerwünscht sein kann.« Ebd., S. 22.

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➔ Die museale Praxis

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Kunstwerke, die nicht für die Ewigkeit, sondern für den Augenblick von den Künstlern geschaffen worden waren, sahen sich die Restauratoren mit der Frage konfrontiert, ob ihr Eingriff überhaupt erwünscht war. Auch das Prinzip, nach dem keine Wiederherstellungen gemacht werden dürften, da sie Fälschungen darstellten, mußte einer Überprüfung unterzogen werden. In Bezug auf die historische Kunst hatte der Kunsthistoriker Cesare Brandi in seiner Teoria del restauro geschrieben, daß die rohe Materie nicht aufgrund der gleichen chemischen Beschaffenheit mit der vom Künstler verarbeiteten Materie gleichzusetzen sei. Das Material des Kunstwerkes und das chemisch gleiche Material unterscheiden sich dadurch, daß das erste durch den Eingriff des Künstlers historisiert wurde. Folglich könnte ein Kunstwerk laut Brandi nicht einmal mit dem gleichen Rohmaterial, das vom Künstler verwendet wurde, wiederhergestellt werden. Eine Restaurierung könnte nur anhand erhaltener Originalsubstanz erfolgen und bestehe nicht in der Wiederherstellung der künstlerischen Idee. Nur insoweit das originale Material nicht unmittelbar zum Erscheinungsbild des Kunstwerkes beiträgt (z.B.: der Träger eines Gemäldes), dürfte es getauscht werden, falls sich dieser Eingriff aus konservatorischen Gründen als unvermeidlich erweisen sollte.13 Diese Position wurde in Bezug auf die zeitgenössische Kunst in Frage gestellt. Durch anonyme Arbeitsprozesse und die Verwendung von vorgefertigten Materialien sowie durch die Auswahl von industriellen Produkten widersetzten sich viele zeitgenössische Künstler dem Begriff vom Original und der Einmaligkeit des Kunstwerkes. Das Projekt, die künstlerische Idee, wurde in den Vordergrund gestellt, während das nicht mehr durch die Handschrift des Künstlers geprägte Material ersetzbar geworden zu sein schien. Walter Benjamin hatte in den dreißiger Jahren angesichts der Medien Fotografie und Film behauptet: »Das reproduzierte Kunstwerk wird in immer steigendem Maße die Reproduktion eines auf Reproduzierbarkeit angelegten Kunstwerks.«14 Bei einem Kunstwerk, dessen Herstellungstechnik die Reproduzierbarkeit einschließt, würde der Unterschied zwischen Original und Kopie laut Benjamin ausfallen. In den sechziger Jahren schien sich diese Prognose aus den oben genannten Gründen in weiten Bereichen der Kunst zu verwirklichen. Darf man daraus schließen, daß alle durch anonyme Verfahren angefertigten Kunstwerke »auf Reproduzierbarkeit angelegt«, d.h. beliebig wieder-

13 Vgl. BRANDI 1977, S.11 und passim. 14 W. BENJAMIN, Walter, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a. Main 1977, S. 17. Benjamin erwähnt als Beispiel die Möglichkeit in der Fotografie, von einem Negativ mehrere Abzüge zu machen: »die Frage nach dem echten Abzug hat keinen Sinn.« Ebd., S.18.

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

herstellbar sind?15 Oder: Wann kann ein Kunstwerk wirklich als reproduzierbar gelten? Sind monochrome bzw. geometrische Bilder, in denen der Pinselduktus des Künstlers nicht erkennbar ist, »auf Reproduzierbarkeit angelegt«? Oder ist ein Kunstwerk erst reproduzierbar, wenn sein Herstellungsprozeß gar nicht per Hand erfolgt? Sind Kunstwerke aus vorgefertigten Materialien, die durch den Künstler zusammengefügt wurden (wie zum Beispiel kinetische Objekte aus mechanischen Teilen), »auf Reproduzierbarkeit angelegt«? Oder sind es ausschließlich Kunstwerke, die gar nicht durch den Künstler hergestellt wurden, wie zum Beispiel die industriellen Module der Minimal-Art oder die konzeptuellen Ready-mades? Je mehr die Produktionsweise eines Kunstwerkes sich vom Kunsthandwerk entfernt, um sich jenen Medien zu nähern, denen die Vervielfältigung ihrem Wesen nach innewohnt, desto geringer wird der Unterschied zwischen Original und Kopie. Die (Re-)Produktionsverfahren werden immer raffinierter: Was bereits als technisch reproduzierbar galt (z.B. ein Kunstwerk aus industriellen Teilen), scheint im Vergleich zu den neuen Techniken (etwa den digitalen Verfahren) nicht mehr so genau wiederholbar zu sein. Es ist also schwierig, eine genaue Grenze zwischen reproduzierbaren und nicht reproduzierbaren Kunstwerken zu ziehen. Obwohl viele Künstler in den sechziger Jahren die Einmaligkeit ihrer Kunstwerke abstritten, sollte dieser Ansatz in allen seinen Nuancen geprüft werden. Kunstwerke haben außerdem einen historischen Wert. Auch wenn das Material nicht durch die Hand des Künstlers geprägt wurde, trägt es die Geschichtsspuren des Kunstwerkes. Dieser Aspekt sollte auch berücksichtigt werden. 4. Die Rekonstruktion von Installationen Die sechziger Jahre waren nicht der erste Zeitraum in der Kunstgeschichte, in dem Künstler sich als Erfinder und Ingenieur verstanden und das künstlerische Projekt seiner einmaligen Realisierung vorzogen. Bereits der Konstruktivismus hatte diese Vorstellung propagiert. Konstruktivistische Installationen schienen sich aufgrund der reinen Farben und der geometrischen Formen, die eine strenge Ordnung anstrebten, für Rekonstruktionen besonders zu eignen. 1965 wurde der Prounenraum, der von El Lissitzky für die Große Berliner Kunstausstellung 1923 realisiert worden war, im Stedelijk van Ab-

15 Hier wird mit dem Soziologen Hans-Jürgen Seemann »Unter Reproduktion […] grundsätzlich jede Technik der Verdopplung eines Sachverhalts verstanden, solange die Intention des Prozesses auf Identität abzielt.« SEEMANN, Hans-Jürgen, Copy: auf dem Weg in die Repro-Kultur, Basel 1992, S. 233-234. Die Rekonstruktion ist nach dieser Definition eine Form von Reproduktion.

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➔ Die museale Praxis

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bemuseum in Eindhoven auf Initiative des damaligen Direktors Jean Leering hin rekonstruiert.16 Die Tatsache, daß die materielle Substanz der Installation gar nicht erhalten war, spielte im Entscheidungsprozeß, der zur Rekonstruktion des Prounenraums führte, eine sekundäre Rolle. Entscheidend war, daß das Projekt des Kunstwerkes durch die vorhandenen Dokumentationen rekonstruiert werden konnte.17 1968 ließ Leering anläßlich einer Ausstellung über Theo van Doesburg noch zwei Räume rekonstruieren: ein kleines Zimmer (Chambre de Fleur), das van Doesburg 1925 für das Haus des Vicomtes Charles de Noailles in Hyères entworfen hatte, und den Tanz- und Kinosaal des Cafés L’Aubette (19261928) in Straßburg. Die Rekonstruktion der Chambre de Fleur verbesserte die ursprüngliche Realisation, bei der – wie Leering erzählt – die Zeichnung des Künstlers falsch interpretiert worden war: van Doesburg »war selber bei der Ausführung nicht anwesend, und das hat dazu geführt, daß – wie wir anläßlich der Vorarbeiten zur Rekonstruktion dieses Blumenzimmers für diese Ausstellung feststellen mußten – das Zimmer in Wirklichkeit im Vergleich mit der komplizierten Zeichnung Van Doesburgs ganz falsch ausgeführt wurde. Alle Wände des Zimmers sind entgegen der ursprünglichen Absicht spiegelverkehrt ausgeführt, wozu die Interpretation der vorliegenden baukundigen Zeichnung auch allen Anlaß bieten konnte.«18 Die Überzeugung, daß der Entwurf die wichtigste Rolle bei der Schöpfung von geometrischen und auf Perfektion angelegten Kunstwerken spielte, führte auch zur Realisierung von Installationen, die vom Künstler nie durchge-

16 PUTS, Henk, The Lissitzky collection at the Van Abbemuseum, in: El Lissitkzy (1890-1941), Stedelijk Van Abbemuseum Eindohoven, 1990, S. 82. Auch das Kabinett der Abstrakten (1927-1928) von Lissitzky wurde rekonstruiert. Nachdem es 1968 im Niedersächsischen Landesmuseum wiederhergestellt worden war, wurde es 1979 ins Sprengel Museum Hannover versetzt. Eine weitere, partielle Rekonstruktion des Kabinetts befindet sich heute im Van Abbemuseum Eindhoven. 17 Die Installation war sehr gut dokumentiert: Zeichnungen, Lithographien, Photographien, und ein Gemälde mit der Komposition der hinteren Wand (Proun GBA) waren vorhanden. Sie zeigten einen kubischen Raum, an dessen Wänden zweiund dreidimensionale geometrische Formen angebracht waren. Jean Leering bemerkte, daß die Höhe der Tür in einer Lithographie 10,5 cm maß. Da eine Standardtür 210 cm hoch ist, folgerte er, daß die Lithographie in einem Maßstab 1:20 durchgeführt worden war. Dank des geometrischen Charakters der Installation konnte diese Erkenntnis als Ausgangspunkt der Rekonstruktion genommen werden. 18 LEERING, Jean, Die Architektur und Van Doesburg, in: Theo Van Doesburg 18831931, Van Abbemuseum Eindhoven, 1968/69, Kunsthalle Basel, 1969, S. 24. Der Fall des Cafés L’Aubette wird weiter unten im Text erläutert.

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führt worden waren. Ein Beispiel stellt der Salon de Madame B… à Dresden dar, der 1926 von Piet Mondrian entworfen wurde, von ihm aber nie realisiert worden war. 1970 – 26 Jahre nach dem Tod des Künstlers – wurde der Salon in der Pace Gallery in New York gebaut.19 Als Vorlage für die Konstruktion des Raumes diente eine schwarzweiße Skizze des Künstlers mit schriftlichen Angaben der für den Raum vorgesehenen Farben. Es gab keinen Hinweis auf das Material, das Mondrian für die Durchführung des Projekts vorgesehen hatte. Als Anhaltspunkt in dieser Frage wurde Mondrians allgemeine Vorliebe für glatte Oberflächen festgelegt. Der Salon wurde dank der Förderung der Formica Corporation komplett (inklusive des Sofakissens!) aus Kunstharz gebaut.20 Das Resultat war, wie Albert Boime kritisch kommentierte, »overwhelmingly Mondrianesque.«21 Am Ende der achtziger Jahre tauchte die Problematik der Rekonstruktion bei den Kunstwerken aus den sechziger Jahren wieder auf. Einige Installationen, die in den sechziger Jahren als ephemere Werke konzipiert worden waren, wurden später, als ihr kunsthistorischer bzw. ökonomischer Wert stieg, rekonstruiert.22 In einigen Fällen waren die Objekte aus der ursprünglichen Installation noch vorhanden, so daß sie neu installiert werden konnten. In anderen Fällen wurden neue Materialien für die Rekonstruktion verwendet. Viele Künstler, die in den sechziger Jahren sowohl die Dauerhaftigkeit der 19 Vgl. Mondrian: The process works, The Pace Gallery, New York 1970. Der Raum wurde auch auf der XXXVII Biennale di Venezia (1976) ausgestellt. 20 Albert Boime kritisierte diese Entscheidung scharf: »Another noticeable defect results from the combination of materials and interior lighting. In the original design, Mondrian did not account for these two features, and they were left to the conjecture of those who built the room. While Mondrian advocated the use of ›smooth and brillant‹ surfaces (to denaturalize matter and insure easily cleaned faces for hygienic purposes), it seems unlikely that he would accept the high gloss finish and luster of the Formica material, which is greatly accentuated by the ceiling lights. The effect is somewhat vulgar, and the spectator is apt to recall the kitchens and bathrooms for which Formica plastic is mainly intended. Mondrian himself preferred pasteboard for the decoration of his studio interiors, and the quality of his painting surfaces also suggests that a more mat finish might have been appropriate.« BOIME, Albert, A visit to Mondrianland, in: »artsmagazine« 44, 1970, 8, S. 30. 21 Ebd., S. 30. Die einzige Studie von Mondrian für den Salon, die zur Zeit der Realisierung durch die Pace Galery bekannt war, wurde außerdem mißverstanden, da sie mit weiteren Studien des Raumes aus anderen Perspektiven nicht verglichen werden konnte. Ein ovaler Tisch, den die Auftraggeberin (Madame Bienert) unbedingt der Einrichtung hinzufügen wollte, wurde als kleiner Teppich interpretiert und auf dem Fußboden als Oval aus Kunstharz wiedergegeben. Vgl. TROY, Nancy J., The De Stijl Environment, Cambridge (Mass.) u. London 1983, S. 145; 151. 22 Vgl. KWON, Miwon, One Place after Another, in: »October«, 1997, 80, S. 97.

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Kunstwerke als auch die Institution Museum abgelehnt hatten, beteiligten sich später an der Rekonstruktion ihrer früheren Werke, wie Susan Hapgood betont: »Many of those same artists are now either remaking works from that earlier period or busily sorting out spurios from authentic objects«.23 Der Wiederaufbau von ganzen Enivironments oder einzelnen Requisiten wird oft von Kuratoren damit gerechtfertigt, daß ephemere Kunstformen wie Installation-Art und Performance ohne solche Rekonstruktionen komplett in Vergessenheit geraten würden. Paul Schimmel, der 1998 die Ausstellung Out of Actions: Between Performance and the Object, 1949-1979 für The Geffen Contemporary im Museum of Contemporary Art in Los Angeles kuratierte, ließ aus diesem Anlaß verschiedene Werke wiederholen.24 Zum Beispiel konnte er Allan Kaprow dazu überreden, sein berühmtes Environment Yard (1961) wieder zu schaffen. Der Künstler kreierte jedoch eine neue Version des Werkes aus Reifen, das er ursprünglich für den Innenhof der Martha Jackson Gallery realisiert hatte. Auf der Ausstellung Out of Actions war auch Ben’s Window zu sehen. Es handelte sich um eine Rekonstruktion des Schaufensters der Gallery One in London, in dem sich der Fluxus-Künstler Ben Vautier 1962 fünfzehn Tage lang als Kunstwerk ausgestellt hatte.25 Schimmel kommentierte: »Remaking the work brought it back to life, despite the questions raised in regard to the original work’s viability.«26 Der Kurator fragte sich aber nicht, ob die Rekonstruktion die provokative Bedeutung der Aktion von Vautier entstellen würde. Er fand wichtiger, alle bedeutenden (wenn auch verlorenen) Kunstwerke zu zeigen, die für die Kunstformen Performance und Installation repräsentativ waren: »The problem of a neglected or overlooked artist is far more significant than material breakdown of an object. There are vast number of important works that […] are lost in a manner that makes it impossible to reconstruct an accurate history of art.«27 Es ist jedoch fragwürdig, ob eine auf diese Weise rekonstruierte Kunstgeschichte tatsächlich »akkurat« wäre. Diese Beispiele werfen die Frage auf, ob ephemere Installationen überhaupt rekonstruiert werden dürfen und, wenn ja, von wem: vom Künstler, falls er noch am Leben ist, oder vom Kurator mit der Beratung eines Restaurators? 23 HAPGOOD, Susan, Remaking Art History, in: »Art in America« 78, 1990, 7 (Juli), S. 115. 24 SCHIMMEL, Paul, Intentionality and performance-based art, in: CORZO, Miguel Angel (Hrsg.), Mortality immortality?, Los Angeles 1999, S. 135-140. 25 Vautier war von Daniel Spoerri zum Festival of Misfits eingeladen worden – einer Ausstellung in der Gallery One, auf der Installationen und Performances gezeigt wurden. Die Rekonstruktion des Schaufensters der Galerie wurde 1993 durch das Walker Art Center in Minneapolis realisiert. 26 SCHIMMEL 1999, S. 138. 27 Ebd., S. 140.

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In Bezug auf ortsspezifische Installationen ist die Definition der Authentizität besonders heikel. Was macht die Authentizität einer Installation aus? Ist es die Authentizität des Ortes mit seiner ursprünglichen Situation, oder ist es die Autorität des Künstlers als Oberaufsicht bei jedem neuen Ortswechsel der Installation? In der heutigen musealen Praxis werden Künstler bei der Rekonstruktion bzw. Re-Installation ihrer Kunstwerke oft mit einbezogen, um die Authentizität der Präsentation am neuen Ausstellungsort zu gewährleisten. Miwon Kwon beobachtet treffend: »authorship and authenticity remain in site-specific art as a function of the artist ›presence‹ at the point of (re)production. […] the artist’s authorship as producer of objects is reconfigured as his/her authority to authorize in the capacity of director or supervisor of (re) productions.«28 Die Grenzen zwischen den Tätigkeitsgebieten von Museumskurator, Restaurator und Künstler scheinen zu verwischen: Der Ausstellungsmacher beansprucht oft eine schöpferische Tätigkeit bei der Präsentation der Kunstwerke, der Restaurator wirkt häufig als Assistent des Künstlers bei der Herstellung und Installation von Kunstwerken am Ausstellungsort mit, der Künstler ›restauriert‹ manchmal seine eigenen Arbeiten. Die Grenzen dieser Tätigkeiten müssen in jedem einzelnen Fall neu definiert werden. Nicht nur im Bezug auf ephemere Installationen, sondern auch im Bezug auf Installationen, die als dauerhafte Räume konzipiert worden waren und trotzdem verloren gegangen sind – z.B. durch Zerstörung bzw. Umbau des Gebäudes, in dem sie sich befanden –, sollte die Frage aufgeworfen werden, ob sie rekonstruiert werden dürfen bzw. können. Ein wohl bekanntes Beispiel ist der von Kurt Schwitters in seinem eigenen Haus gestaltete Merzbau (1923-36), der durch Luftangriffe 1943 zerstört wurde. Harald Szeemann berichtete über seine Entscheidung, den Merzbau zu rekonstruieren, daß er sich zuerst gefragt hatte, ob eine Rekonstruktion dem Werk gerecht werden könnte. Sein Anliegen als Ausstellungskurator, die verlorene Installation wieder zu beleben, hatte aber dann die Oberhand gewonnen: »Soll man einen Mythos rekonstruieren? Kann aus einem Schaffensprozeß ein Zustand arretiert werden? Diese Fragen, seit langer Zeit hin- und hergewälzt, wurden an dem Tage hinfällig, an dem nach egozentrischer Ausstellungsorganisatorenmanier der Wunsch, auch mal im Merzbau gewesen und genächtigt zu haben, überhand nahm. Kurz: der Ludwig II. in mir, der die Dinge, die man gern um sich hätte, auch machen will, brach durch und schickte die Lust auf den langen Marsch.«29

28 KWON 1997, S. 99. 29 SZEEMANN, Harald, Die Geschichte der Rekonstruktion des MERZbaus (19801983), in Kurt Schwitters 1887-1948, Sprengel Museum Hannover, 1986, S. 256. Die

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Unter dem Aspekt der Präsentation ist eine dreidimensionale Rekonstruktion wirkungsvoller als eine fotografische Dokumentation oder als Texte, die erklären sollten, wie die Installation aussah. Die Räumlichkeit der Installationen kann natürlich durch Fotodokumentationen nicht erlebt werden. Dreidimensionale Rekonstruktionen bieten dagegen den Reiz, historische Installationen betreten zu können. Anderseits kann eine Rekonstruktion uns das Kunstwerk, ›so wie es war‹, nicht zurückgeben. Die Entscheidung, es trotzdem zu rekonstruieren, könnte den Verdacht erregen, daß sie auf die künstliche Beschaffung einer Publikumsattraktion abzielt. Jedenfalls zeugt der Wunsch in der Art von Ludwig II., die verlorenen Kunstwerke, die man gern um sich hätte, wiederherzustellen, von der Unfähigkeit unserer Kultur, unwiderrufliche Verluste zu akzeptieren. Wie der Soziologe Hans-Jürgen Seemann beobachtet, vermitteln Duplikate die falsche aber beruhigende Illusion, daß die Zeit doch reversibel sei.30 Die Rekonstruktion des (eigentlich unreproduzierbaren) Merzbaus vertritt beispielsweise die Rolle des Originals mit großer Überzeugungskraft und läßt die daneben ausgestellte Fotodokumentation in den Hintergrund treten, wie Ulrich Krempel bemerkt: »Auch in der Gegenüberstellung der Rekonstruktion mit den entsprechenden Schwarzweißfotografien der historischen Situation ist die Dominanz des gebauten Raumes nicht zu erschüttern.«31 Auch wenn die Rekonstruktion als solche angezeigt wird, wird sie kraft der Tatsache, daß sie sich in einem Museum befindet, als getreue Reproduktion des Originals, als ›Wahrheit‹ aufgenommen.32 Hans-Jürgen Seemann nennt die »Verfahren der Re-Konstruktion« des nicht Reproduzierbaren »simulativ« und definiert sie als die »Techniken, die mit den Mitteln der ReproKultur das Nicht-Reproduzible so ›retten‹ wollen, daß man ihren Ergebnissen die Mittel nicht mehr ansieht.«33 Im Unterschied zu dem Merzbau wurde der Tanz- und Kinosaal des Cafés L’Aubette 1968 im Maßstab 1:4 rekonstruiert.34 Die partielle Rekonstruktion

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Rekonstruktion des Merzbaus wurde auf Szeemanns Initiative hin vom Architekten Peter Bissegger realisiert. Vgl. SEEMANN 1992, S. 49ff. KREMPEL, Ulrich, »Atelier Merzbau« – Der Merzbau in der Tradition des Künstlerateliers und die Probleme seiner Rekonstruktion, in: Aller Anfang ist Merz, Sprengel Museum Hannover, 2000, S. 261. Eva Sturm macht im Bezug auf Kopien eine Bemerkung, die auch für Rekonstruktionen gelten kann: »Je perfekter die Täuschung, je besser die Simulation, desto schwieriger wird die Unterscheidung zum Realen/Echten/Wirklichen.« STURM 1990, S. 111. SEEMANN 1992, S. 80. Über das Lokal L’Aubette vgl. Kap. V, 1.1. Die Rekonstruktion des Tanz- und Kinosaales für das Van Abbemuseum in Eindhofen erfolgte auf der Basis der erhaltenen

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in Form eines Modells hat den Vorteil, daß sie den Besuchern die Räumlichkeit des ursprünglichen Ambientes vermitteln kann, ohne als das ›Original‹ wahrgenommen zu werden. Der Merzbau war ein work in progress, aus dem – wie Harald Szeemann selbst zugibt – ein Zustand durch die Rekonstruktion arretiert wurde. Das Original trug seine vergangenen Fassungen in sich, während die Rekonstruktion mit ihrem einheitlichen Farbauftrag und ihrer perfekten Oberflächenerscheinung, die keine Flickstellen und Stoßkanten aufweist, den Eindruck einer einzelnen und endgültigen Fassung vermittelt. Die Spuren des Entstehungsprozesses des Originals fehlen.35 Die ›Mumifizierung‹ des Arbeitsprozesses in einem bestimmten Zustand stellt nicht den einzigen Nachteil der Rekonstruktion des Merzbaus dar. Auch die Veränderung des Ortes hatte schwerwiegende Folgen für die Installation. Ulrich Krempel betont, daß der Merzbau ursprünglich das Atelier des Künstlers war, das heißt ein privater Ort, den nur wenige privilegierte Besucher besichtigen durften. Im Gegensatz dazu befindet sich die Rekonstruktion an einem öffentlichen Ort, der von Natur aus anschaubar ist: in einem Museum.36 Im Fall des Merzbaus sollte genauer spezifiziert von ›Rekonstruktionen‹ die Rede sein, da er (oder besser: einer seiner Räume) in zwei Versionen rekonstruiert wurde: in einer festen Installation, die zur ständigen Ausstellung des Sprengel Museums Hannover gehört, sowie in einer Reisefassung, die anläßlich von Sonderausstellungen anderen Museen ausgeliehen wird. Dank dieser Reisefassung sind es nicht mehr die Gäste, die einen verborgenen Merzbau besuchen, sondern es ist der Merzbau, der den Besuchern quasi entgegenkommt. Die Aura des Originals (sein Hier und Jetzt) kann durch die Reproduktion nicht wiederhergestellt werden. Wie Walter Benjamin bezüglich der Folgen der Reproduktionstechnik bemerkt, wird das Reproduzierte dadurch aktualisiert: »Indem sie [die Reproduktionstechnik, Anm. d. Verf.] die Reproduktion vervielfältigt, setzt sie an die Stelle seines einmaligen Vorkommens sein massenweises. Und indem sie der Reproduktion erlaubt, dem Aufnehmenden in seiner jeweiligen Situation entgegenzukommen, aktualisiert sie das Reproduzierte.«37 Die erwähnten Fälle stellen Versuche dar, Konkretionen künstlerischer Ideen zu (re)produzieren. Ob eine Rekonstruktion in bestimmten Fällen als

Pläne von Theo van Doesburg und des Heftes der Zeitschrift »De Stijl«, das der Künstler 1928 dem Lokal widmete. Vgl. GEORGEL, Pierre/LILLERS, Edmée de (Hrsg.), Theo van Doesburg. Projets pour l’Aubette, Centre Georges Pompidou, Paris, 1977, S. 8. 35 Vgl. KREMPEL 2000, S. 261. 36 Vgl. ebd., S. 261. 37 BENJAMIN 1977, S. 13.

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Lösung gelten darf, um eine künstlerische Idee in Erinnerung zu halten, oder ob diese Möglichkeit grundsätzlich ausgeschlossen werden sollte, ist jedoch umstritten. Die Werte, die die Authentizität eines Kunstwerkes ausmachen, verändern sich ständig, wie Hiltrud Schinzel bemerkt: »Sie bewegen sich zwischen den Polen historisch-dokumentarischer, also im weitesten Sinn materieller Wert, und ästhetisch-metaphorischer, also im weitesten Sinn ideeller Wert.«38 1994 fand eine Tagung in Nara über den Begriff Authentizität statt.39 Dort wurde betont, daß das Authentische nicht synonym zu Original (d.h. dem in seinem ursprünglichen Material erhaltenen Objekt) ist.40 Auf der Tagung wurde die Frage aufgeworfen, ob die wirkliche ›Selbstidentität‹ eines Objektes durch das Original im fragmentarischen Zustand oder viel mehr durch eine Rekonstruktion aufgrund geprüfter Quellen dargestellt wird.41 Der Begriff Authentizität enthalte sowohl den materiellen Aspekt, als auch die ideellen bzw. kulturellen Werte eines Werkes. Diese könnten in einem Kunstwerk im schlechten Erhaltungszustand nicht mehr lesbar sein. Nach dem bayeri-

38 SCHINZEL, Hiltrud, Der Restaurator und die zeitgenössische Kunst, in: »Restauro«, 2000, 7, S. 525. 39 Vgl. LARSEN, Knut Einar (Hrsg.), Nara Conference on authenticity in relation to the World Heritage Convention (Nara, Japan, 1-6 November 1994), Proceedings, u.a. Paris 1995. Die Organisation einer Tagung über dieses Thema wurde durch die Feststellung angeregt, daß der Begriff Authentizität von verschiedenen Kulturen unterschiedlich aufgefaßt wird. Deswegen sollten die Kriterien, die für die Beurteilung der Authentizität eines Objektes angewendet werden, mit der Kultur übereinstimmen, die das Objekt hervorgebracht hat. 40 Das Wort stammt aus dem Griechischen authentikòs (jemand, der etwas durch eigene Hand tut, autòs = selbst). In der lateinischen Sprache und Kultur war der Begriff Authentizität semantisch mit den Wörtern auctor (Autor) und auctoritas (Autorität) verbunden, so daß er einerseits mit dem Begriff ›Urheber/Initiator‹ verknüpft war, anderseits ›durch Autorität verbürgt‹ bedeutete. Er wurde in der römischen und mittelalterlichen Kultur in Bezug auf Texte verwendet, die durch eine Autorität erlassen worden waren (insbesondere in den Bereichen des Rechtes und der Religion). In der Renaissance wurde das Wort ›authentisch‹ als Gegensatz von falsch verwendet, um die Texte zu bezeichnen, deren Echtheit durch die philologische Methode geprüft worden war. ›Authentisch‹ meinte in diesem Kontext aber nicht unbedingt das Original, sondern einen Text, der keine absichtliche Fälschung darstellte und der getreu überliefert worden war (die Manuskripte der Antiquität waren beispielsweise nicht in ihrer Materialität erhalten). Vgl. JOKILEHTO, Jukka, Authenticity: a General Framework for the Concept, in: LARSEN 1995, S. 18 und CHOAY, Françoise, Sept propositions sur le concept d’authenticité et son usage dans les pratiques du patrimoine historique, in: LARSEN 1995, S. 102-103. 41 Vgl. FEJERDY, Tamás, Authenticité dans la restauration des monuments historiques, in: LARSEN 1995, S. 211-216.

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schen Generalkonservator Michael Petzet, der sich auf die Charta von Venedig (1964) bezieht, sollten Denkmäler den kommenden Generationen »im ganzen Reichtum ihrer Authentizität« weitergegeben werden.42 Es gelte die »authentische Botschaft des Denkmals« zu erhalten, d.h. seinen »authentischen Geist«.43 Deswegen dürfte der Begriff Authentizität nicht auf dem materiellen Aspekt des Objektes eingeschränkt werden: »Als Gestalt gewordene Idee ist das authentische Denkmal jedenfalls mehr als ein aus einem bestimmten Material bestehender ›Gegenstand‹.«44 Petzet plädiert schließlich für einen »Pluralismus der Möglichkeiten« in der Denkmalpflege. Unter den verantwortbaren Möglichkeiten, die seiner Meinung nach von Fall zu Fall erwogen werden müßten, sieht er auch die Rekonstruktion.45 5. Zur Entwicklung einer Methodologie der Erhaltung und Präsentation zeitgenössischer Kunstwerke Die ersten Versuche in Richtung einer Erhaltungsmethodologie zeitgenössischer Kunst zielten darauf ab, die verschiedenen Kunstrichtungen im Zusammenhang mit den Erhaltungsproblemen, die sie mit sich brachten, zu schematisieren. In der zeitgenössischen Kunst können Althöfer zufolge zwei entgegengesetzte Pole unterschieden werden: • einerseits können Kunstwerke erkannt werden, in denen der Verfall eine wichtige Rolle für ihre Bedeutung spielt (wie zum Beispiel in dem extremen Fall der Eat-Art); • anderseits weisen andere Kunstwerke eine homogene und makellose Oberfläche auf, die so unversehrt wie möglich erhalten bleiben soll.46 Während bei den Kunstwerken der ersten Kategorie die Frage aufgeworfen werden sollte, ob der Eingriff des Restaurators überhaupt angemessen sei, schienen die Kunstwerke der zweiten Kategorie nach Maßnahmen für die Be42 Vgl. PETZET, Michael, In the full richness of their authenticity. The Test of Authenticity and the New Cult of Monuments, in: LARSEN 1995, S. 85-99, zitiert nach der deutschen Fassung: Was heißt Authentizität? Die authentische Botschaft des Denkmals, in: BESCH, Ulrike (Hrsg.), Restauratoren Taschenbuch 1998, München 1997, S. 141. 43 Ebd., S: 146. 44 Ebd., S. 144. 45 Ebd., S. 155. 46 Vgl. ALTHÖFER 1980, S. 22-23. Althöfer unterteilte diese Grundtendenzen weiter in fünf Bereichen: 1. Objekte in traditioneller oder vergleichbarer Technik, 2. monochrome Bilder, 3. instabile Materialien und Materialkombinationen, 4. ruinöse Objekte und transitorische Kunst, 5. motorbetriebene Objekte (ebd., S. 25-27).

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seitigung eventueller Alterungsspuren oder Schäden zu verlangen, die den Rahmen der durch die Restaurierungsethik erlaubten Eingriffe überschritten. Althöfer plädierte in diesem zweiten Fall für großflächige Überarbeitungen, die in Zusammenarbeit mit dem Künstler durchgeführt werden sollten, um die Authentizität des Kunstwerkes zu bewahren.47 Diese Position wird von Cornelia Weyer, derzeitige Leiterin des Restaurierungszentrums Düsseldorf, abgelehnt: Zum einen, weil die Akzeptanz von Alterungsspuren auch bei der Rezeption von geometrischen und auf Perfektion angelegten Kunstwerken im Lauf der Zeit steigt, zum anderen weil eine Überarbeitung durch den Künstler zur Entstehung eines neuen Kunstwerkes führen könnte.48 Althöfers Differenzierung zwischen zwei Grundtendenzen der zeitgenössischen Kunst wurde von Hiltrud Schinzel weiter bearbeitet. Sie unterschied zwischen dem Problemkreis der Kunstwerke (Gemälde, Reliefe oder Objekte) mit glatten und sensiblen Oberflächen und dem Problemkreis der Kunstwerke (seien es Gemälde, Collagen, Assemblagen oder Environments) mit grob strukturierten Oberflächen. Die Kunstwerke der ersten Kategorie seien durch einen unpersönlichen (meistens industriellen) Herstellungsprozeß entstanden und würden mit Licht, Farbe, Raum und Zeit experimentieren. Im Gegensatz dazu würden Aspekte wie Irrationalität, Zufall und Subjektivität bei den Kunstwerken der zweiten Kategorie eine wichtige Rolle spielen. Eventuelle Schäden würden das Erscheinungsbild dieser Kunstwerke meistens nicht stören. Dagegen würden sowohl Alterung als auch mögliche Schäden Wirkung und Bedeutung der Kunstwerke mit glatten Oberflächen stark beeinträchtigen.49 Schinzel zufolge kommt hinzu, daß Alterungsspuren und Schäden bei den zeitgenössischen Kunstwerken anders als bei der historischen Kunst empfunden werden würden.50 Während Patina oder Krakelees in einem alten Kunstwerk als natürlich erscheinen, erwarte der Betrachter von einer zeitgenössischen Arbeit einen guten Zustand. Diese Beobachtung nimmt den Begriff vom »Neuheitswert« wieder auf, der 1903 von Alois Riegl formuliert wur-

47 Vgl. ebd., S. 180. 48 Vgl. WEYER, Cornelia, Die Authentizität in der Restaurierung moderner Kunst, in: »Kunsthistoriker« 11/12, 1994/95, S. 50-51. 49 Vgl. SCHINZEL, Hiltrud, Kunstwollen und Restauriervermögen, in: ALTHÖFER, Heinz (Hrsg.), Restaurierung moderner Malerei, München 1985, S. 45-49. Interessanterweise verweist der Titel dieser Publikation über das Forschungsprojekt des Restaurierungszentrums auf die »Malerei«, obwohl es gerade um die Überwindung der traditionellen Gattungen und Techniken in der zeitgenössischen Kunst ging. Das zeigt, wie schwierig es war, sich von konsolidierten Begriffen zu verabschieden. 50 Ebd., S. 51.

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de.51 Dieser Wert fordert laut Riegl, daß ein Kunstwerk immer wie gerade geschaffen aussehe. Riegl spricht Denkmälern, das heißt Werken mit einem bestimmten Erinnerungswert, den Neuheitswert ab, »den frisch gewordenen neuen Werken« dagegen wird der Neuheitswert seines Erachtens »nicht allein ausdrücklich zugebilligt, sondern heute sogar schärfer und einseitiger als in den letztvergangenen Jahrzehnten dafür in Anspruch genommen.«52 Nach dieser Auffassung würden Zeitspuren die neueren Kunstwerke, die noch nicht in die Kategorie der Denkmäler eingestuft werden können, besonders stören. Cornelia Weyer zeigt sich den Zeitspuren gegenüber toleranter: »Wenn auch ein Kunstwerk geringen Alters im Museum als ein Objekt von historischem Interesse verstanden wird, fällt es in den meisten Fällen nicht schwer, eine Behandlungsmethode zu entwickeln, die rücksichtsvoll mit Mängeln und Fehlern umgeht, also nicht unbedingt aufgrund der zeitlichen Nähe zur Gegenwart Vollständigkeit und den Eindruck scheinbarer Unberührtheit anstrebt.«53 Hiltrud Schinzel stellte auch ein Schema auf, in dem sie für jede der zwei Kategorien, die sie definiert hatte, die Schäden auflistete, die zu tolerieren oder zu beseitigen seien. Außerdem gab sie die Kunstrichtungen an, die ihrer Meinung nach unter die jeweiligen Kategorien gruppiert werden konnten.54 Durch ihre Schematisierung intendierte Hiltrud Schinzel, Anhaltspunkte für die Restauratoren zu liefern, die sich mit der Mannigfaltigkeit und den komplexen Erhaltungsproblemen der zeitgenössischen Kunst konfrontiert sahen.55 Dieser verdienstvolle Versuch stellt jedoch eine starke Verallgemeinerung dar, die den z.T. beträchtlichen Unterschieden zwischen den verschiedenen künstlerischen Positionen nicht gerecht wird. Die kunsthistorische Analyse von Ensembles wie dem Lichtraum oder dem Creamcheese, die in den nächsten Kapiteln untersucht werden, zeigt, wie unterschiedliche Anforderungen auch innerhalb desselben Ensemble vorhanden sein können. Die Entscheidungen über die Erhaltung und Präsentation der Kunstwerke sollten von Fall zu Fall getroffen werden. Das bedeutet nicht, daß sie ohne jegliche Methode erfolgen sollten, sondern daß jedes Kunstwerk vor einem Eingriff einer gründlichen Analyse unterzogen werden muß. Eine Diskussion zwischen Fachleuten aus verschiedenen Bereichen (Museumskuratoren, Re-

RIEGL, Alois, Der moderne Denkmalkultus, Wien u. Leipzig 1903, S. 46-57. Ebd., S. 49-50. WEYER 1994/1995, S. 55. SCHINZEL 1985b, S. 46-48. H. Schinzel gruppierte sehr unterschiedliche Kunsttendenzen und Verfahren. In der Gruppe der sensiblen Oberflächen fallen z.B. Kinetik und Neue Sachlichkeit u.a. zusammen. 55 Vgl. SCHINZEL, Hiltrud, Restaurierung und Forschung – Versuch einer Schematisierung, in: ALTHÖFER 1985, S. 20.

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stauratoren, Künstlern, u.a.) ist dabei unerläßlich. Der interdisziplinäre Austausch dient zur Hervorhebung und Untersuchung unterschiedlicher Aspekte, die eine Rolle für das analysierte Kunstwerk spielen (z.B.: historischer und ästhetischer Aspekt, Funktionalität, Intention des Künstlers usw.). Die verschiedenen Aspekte können widersprüchliche Lösungen fordern. Es ist also notwendig, am Ende dieser vorbereitenden Analyse Prioritäten zu setzen. Die Foundation for the Conservation of Modern Art, die 1993 in den Niederlanden gegründet wurde, um die Probleme der Erhaltung zeitgenössischer Kunst zu erforschen, entwickelte ein decision-making model, das diesen Entscheidungsprozeß methodologisch unterstützen soll.56 Es handelt sich um eine Gliederung der Fragestellung, die vor jedem konservatorischen bzw. restauratorischen Eingriff durchgeführt werden sollte. Das decision-making model sieht sieben Schritte vor: 1. Sammlung von Informationen über das Kunstwerk; 2. Analyse des Konservierungszustandes einerseits und 3. der Bedeutung des Kunstwerkes anderseits; 4. Prüfung, ob der Konservierungszustand in Widerspruch zur Bedeutung des Kunstwerkes ist; 5. wenn das der Fall ist, Vorschlag von verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten; 6. Prüfung der Möglichkeiten in Zusammenhang zu den Konsequenzen, die sie für die Bedeutung des Kunstwerkes haben könnten; 7. gewählte Behandlung. Das Verdienst des decision-making model ist, daß es berücksichtigt, daß jede Entscheidung über die Erhaltung eines Kunstwerkes immer einen Kompromiß zwischen unterschiedlichen und oft widersprüchlichen Forderungen darstellt. Außerdem trägt das Modell der besonderen Rolle des Materials in der zeitgenössischen Kunst als direkter Bedeutungsträger Rechnung. Sowohl die durch Alterung und Schäden als auch die durch restauratorische Eingriffe verursachten Veränderungen des Materials können zu Bedeutungsverschiebungen führen. Im Entscheidungsprozeß können folglich zwei Momente erkannt werden, in denen die Rolle des Materials für die Bedeutung des Kunstwerkes untersucht werden sollte: Zum ersten, wenn entschieden werden soll, ob der gegenwärtige Konservierungszustand des Kunstwerkes Auswirkungen auf seine Bedeutung hat; zum zweiten, wenn verschiedene Erhaltungsvorschläge vorliegen und es abzuwägen gilt, welche Konsequenzen ein eventueller Eingriff für die Bedeutung des Kunstwerkes haben könnte. Der ursprüngliche Ort des Werkes wird dagegen im decision-making model vernachlässigt. Der Ort ist aber an der Wirkung und Bedeutung einer Installation wesentlich beteiligt. Er besteht einerseits aus dem Raum mit seinen Maßen, seiner Form und seinen Gegebenheiten, in dem sich die Installation befindet und den sie mit einbezieht; anderseits aus dem Kontext (im Sinne 56 Vgl. The decision-making model for the conservation and restoration of modern and contemporary art, in: HUMMELEN, Ijsbrand, SILLE, Dionne (Hrsg.), Modern Art: Who Cares?, Amsterdam 1999, S. 164-172.

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von Situation), in dem die Installation entsteht. Dementsprechend bringt eine Veränderung des Ortes eine Veränderung der räumlichen Dimensionen und folglich des Erscheinungsbildes der Installation, sowie eine Veränderung des Kontextes mit sich. Auch die Art der musealen Präsentation hat, genauso wie konservatorische und restauratorische Eingriffe, Auswirkungen auf die Bedeutung der Installation und sollte deswegen mit allen denkbaren Konsequenzen überdacht werden. Das decision-making model sollte folglich in Bezug auf Installationen erweitert werden: Die Untersuchung des Erhaltungszustandes des Werkes (Punkt 2) sollte die Analyse seiner aktuellen Präsentation mit einbeziehen. Die Analyse der Bedeutung der Arbeit (Punkt 3) sollte die Rolle des ursprünglichen Ortes berücksichtigen. Auf diese Weise kann dann überprüft werden, ob diese Bedeutung durch die museale Präsentation beeinträchtigt wird (Punkt 4) bzw. wie ihr gegebenenfalls im musealen Kontext Rechnung getragen werden kann (Punkte 5-7). Die von der Foundation for the Conservation of Modern Art vorgeschlagene Vorgehensweise unterscheidet sich von der früheren Restaurierungstheorie und Restaurierungsethik dadurch, daß die Lösungen nicht a priori vorgegeben werden, sondern in jedem einzelnen Fall erwogen werden müssen. Es ist klar geworden, daß die verschiedenen Werte, die bei der Suche nach einer Lösung berücksichtigt werden müssen, inkommensurabel sind. Nach welcher ›Maßeinheit‹ könnte man beispielsweise die Forderung der Funktionalität und die Forderung des historischen Wertes bei einem kinetischen Kunstwerk messen? Bei der Frage, ob Teile des Werkes durch neuere ersetzt werden sollten, um seine Funktionalität wiederherzustellen, oder ob die Originalsubstanz erhalten werden sollte, um das Werk als Dokument seiner Zeit gelten zu lassen, gibt es keine absolut gültige Antwort: Da die Bewegung Gegenstand der kinetischen Kunst ist, sollte sie einerseits erhalten bleiben. Die Konservierungsmaßnahmen, die auf die Erhaltung des bloßen originalen Materials abzielen, scheinen unzureichend, um der von der Bewegung abhängigen Bedeutung des Kunstwerkes gerecht zu werden. Anderseits bleibt aber unter dem Aspekt der Restaurierungsethik dahingestellt, ob der Ersatz der Originalsubstanz »noch mit Recht als Restaurierung und nicht eher als Restituieren« definiert werden sollte.57 Jede Lösung wird einen Verlust mit sich bringen. Wichtig ist, daß der Verlust nicht verschwiegen wird: »In the end, it is the developed sensibility of a curator or conservator that guides the balancing of the pain – and […] he or she will not deny the pain is there, because this is exactly what makes the decision instructive for others: to learn why, in which circumstances, this was

57 SCHINZEL 1977, S. 9.

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➔ Die museale Praxis

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the best thing to do; and what, in spite of all care and cautiousness, was irrevocably and painfully lost.«58 Sowohl die Restaurierung als auch die Präsentation eines Kunstwerkes stellen eine Interpretation dar. Eine Interpretation, die immer subjektiv und von der Kultur der Zeit abhängig ist, sollte gleichwohl überprüfbar, d.h. intersubjektiv nachvollziehbar sein. Das Vorhandensein einer Dokumentation des Gedankengangs, der zu einer Restaurierungs- bzw. Präsentationsentscheidung geführt hat, würde Dritten ermöglichen nachzuvollziehen, warum ein Aspekt des Kunstwerkes einem anderen vorgezogen wurde und nach welchen Kriterien die getroffene Entscheidung als die beste beurteilt wurde. In den folgenden Kapiteln werden der Lichtraum und das Creamcheese zuerst in Zusammenhang mit dem Installationsort erforscht und vorgestellt. Nach der Untersuchung des Ortes und seiner Veränderungen werden die einzelnen Objekte des Lichtraumes bzw. des Creamcheese analysiert. Die Aspekte, die es zu erforschen gilt, sind: • • • • • •

der Titel der Arbeit (wenn vorhanden), ihr Erscheinungsbild, die verwendeten Materialien mit ihrer Bedeutungszuschreibung, der Arbeitsprozeß, der Ausdruck des Werkes, sowie die Assoziationen, die es erweckt.59

Danach werden die etwaigen Veränderungen der ursprünglichen materiellen Beschaffenheit der Kunstwerke registriert. Schließlich wird geprüft, ob die Ortsveränderung und die Veränderungen der Originalsubstanz der einzelnen Objekte Bedeutungsverschiebungen mit sich bringen.

58 VALL, Renée van de, Painful decisions: philosophical considerations on a decision-making model, in: HUMMELEN/SILLE 1999, S. 200. 59 Es handelt sich um die Fragestellung, die das decision-making model vorgibt, um die Bedeutung eines Kunstwerkes zu interpretieren. Vgl. Decision-making model 1999, S. 168.

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➔ Lichtraum (Hommage à Fontana)

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IV. Lichtraum (Hommage à Fontana) 1. Ort und Wirkung 1.1 Raum und Situation in Kassel Der Lichtraum (Hommage à Fontana), auch ZERO-Raum genannt,1 wurde 1964 für die documenta III konzipiert.2 Abbildung 1: Lichtraum (Hommage à Fontana), documenta III, 1964

Die Gruppe Zero war zunächst nicht zur Ausstellung eingeladen worden. Ihre Arbeit entsprach nicht dem Konzept der documenta III, das von Werner Haftmann, Mitglied des documenta-Rates und Autor der Einleitung des Ausstellungskatalogs für Malerei und Skulptur, wie folgt erläutert wurde: »Ihr [documenta III, Anm. d. Ver.] liegt der einfache Leitsatz zugrunde, daß Kunst das ist, was bedeutende Künstler machen. Sie setzt auf die einzelnen Persönlich-

1 Die Bezeichnung ZERO-Raum ist nicht korrekt: »Der korrekte Name ist ›Lichtraum‹.« (URBAN, Petra, Der ›Lichtraum‹-Vertrag wurde im Kunstmuseum geschlossen, in: »Westdeutsche Zeitung«, 9.8.1991). 2 Vgl. Heinz Mack, Otto Piene, Günther Uecker: Lichtraum (Hommage à Fontana) 1964, Düsseldorf u. Berlin 1992; STACHELHAUS, Heiner, Zero. Heinz Mack, Otto Piene, Günther Uecker, u.a. Düsseldorf 1993, S. 51-53.

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keiten.«3 Das Auswahlprinzip der Ausstellung war also von einem romantischen Begriff der Arbeit des Künstlergenies geprägt. Obwohl Haftmann bewußt war, daß die Position des documenta-Rates – gerade in einer Zeit, in der viele Künstler versuchten, sich so unpersönlich wie möglich auszudrücken, – polemisch wirkte4, war er der Meinung, daß die Arbeiten, die durch das Teamwork entwickelt worden waren, eher zum Bereich »Kunstgewerbe« gehörten als zu dem der ›freien Kunst‹5. Schließlich versicherte das Mitglied des Austellungsrates, daß die »Berechtigung« dieser Ansätze und ihrer künstlerischen Resultate nicht bestritten wurde: »Dieses mal jedoch richtet sich unsere Bemühung mit Ausschließlichkeit auf Kunst und deren Verursacher – die künstlerische Persönlichkeit.«6 Aus der Gruppe Zero war Günther Uecker der einzige Künstler, der als »einzelne Persönlichkeit« eingeladen worden war, vermutlich weil seine Arbeit mit den unterschiedlich angeordneten Nägeln im Vergleich mit der damaligen Kunstproduktion von Mack und Piene eine persönlichere Note vermitteln konnte.7 Infolge des Protests einer Gruppe Düsseldorfer Künstler gegen die Entscheidungen des Ausstellungsrates (vgl. Kap. I) und aufgrund der Teilnahme von Otto Piene an einer Fernsehdebatte über dieses Thema wurde die Abteilung Licht und Bewegung schließlich dem documenta-Konzept hinzugefügt, 3 Einführung von Haftmann, in: documenta III 1964, S. XIV. 4 Ebd., S. XIV: »Dieser Grundsatz der documenta III ist, ohne daß dies in unserer Absicht lag, nicht frei von polemischen Akzenten. Gerade in den letzten Jahren bildeten sich allenthalben in den europäischen Ländern einzelne Künstlergruppen.« 5 Ebd., S. XIV: »Wie nun tatsächlich die frühen und ursprünglich selbständigen Ideen des Konstruktivismus, von ›De Stijl‹ und ›Bauhaus‹ sehr schnell die Verbindung fanden zur Architektur und zur Industrieform, so läßt sich voraussehen, daß auch diese neuen Kunstrichtungen aus ihrer Denkweise die Anwendung im Sinne haben und in den Bereich gelangen, den man früher mit ›Kunstgewerbe‹ bezeichnete.« 6 Ebd., S: XIV. In der Eröffnungsrede zur documenta III (27. 6. 1964) war Haftmann noch kategorischer. Er definierte das Teamwork als »eine katastrophale Fehlleistung« und betonte, daß »das Wesen und die Würde des Kunstwerks in seiner Ganzheitlichkeit und Einmaligkeit besteht« (in: »FAZ«, 1.7.1964). 7 In der Abteilung Aspekte 1964 stellte Uecker Bewegtes Feld III (1964), Bewegtes Feld IV (1964) und Spirale (1963) aus. In diesen Kunstwerken, die an im Wind bewegte Felder denken lassen, wurden die Nägel in unterschiedlicher Dichte und verschiedenem Einschlagwinkel eingehämmert. Ihre Anordnung wurde also direkt vom Künstler kontrolliert. Im Arbeitsprozeß von Piene, der ab 1961 Feuerbilder und automatische Lichtballette realisierte, kam dagegen kein unmittelbarer Einfluß des Künstlers auf die Wirkung des Kunstwerkes zustande. Auch die Rotoren von Mack konnten wegen des ingenieurhaften Aufbaus unpersönlich wirken, obwohl ihre strukturierten Metallscheiben vom Künstler per Hand geprägt wurden.

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und Mack, Piene und Uecker wurden als Gruppe zur Ausstellung eingeladen. In der Abteilung Licht und Bewegung waren außer ihren Arbeiten zudem Werke von Jean Tinguely, Yaakov Agam, Jesus Rafael Soto, Harry Kramer, Günter Haese, Nicolas Schoeffer, Hermann Goepfert und der Groupe de Recherche d’Art Visuel (G.R.A.V.) zu sehen. Die ganze Verantwortung für die Künstlerauswahl der Abteilung Licht und Bewegung lag bei Arnold Bode. Seine Präsentationskriterien auf der documenta zielten auf die Schaffung von »Räumen« und »Raumbezügen«.8 Diesen Kriterien entsprach der Lichtraum ganz selbstverständlich. Die Abteilung Licht und Bewegung wurde in den Dachkammerräumen des Fridericianums eingerichtet. Es handelte sich dabei um keine typischen Ausstellungsräume. Günther Uecker beschreibt den Dachboden mit folgenden Worten: »Er wirkte eigentlich wie ein orientalisches Zelt, weil er schräge Wände hatte und dadurch entstand fast eine beduinische Atmosphäre, als ob man den Himmel über sich hätte. Und das machte den Raum sehr originell im Gegensatz zu den anderen Ausstellungsräumen auf der documenta. Es war ein Raum, der gar nicht für künstlerische Präsentationen vorgesehen war, sondern der erst nach einer letzten Entscheidung von Herrn Bode […] hinzukam«.9 Während Heinz Mack noch immer darüber empört ist, daß ihnen eine »Rumpelkammer« angeboten worden war,10 kommentiert Otto Piene sanfter: »Die ganze Kinetik-Abteilung war schön und war andererseits nicht so gut organisiert wie etwa die vorige documenta.«11 Der Raum, der der Gruppe Zero zur Verfügung stand, kann nicht präzis rekonstruiert werden, da ein im documenta-Katalog abgebildeter Grundriß des Dachgeschosses des Fridericianums nicht deutlich entschüsselt werden kann.12 Auch die fotografischen Dokumente der Kasseler Installation sind rar und undeutlich. Sicher ist, daß es sich um einen Raum aus rohem Zement

8 Bode, Arnold, in: documenta III 1964, S. XIX: »Wir haben eine Entwicklung durchlebt, die das Kunstwerk aus seinen geistigen, und das heißt gesellschaftlichen und architektonischen Zusammenhängen, aus Kirchen und Palästen herausgelöst hat und die es zum Inhalt des Museums alter Form hat werden lassen; die Kunstwerke wurden nach historischen, nach katalogisierenden, vielleicht auch nach ästhetischen Gesichtspunkten aneinander gereiht und durch die Verluste ihres ursprünglichen Ambientes vereinsamt und erniedrigt. […] Daher versuchen wir nun, Räume zu schaffen und Raumbezüge herzustellen, in denen Bilder und Plastiken sich entfalten können, in denen sie sich nach Farbe und Form, nach Stimmung und Strahlkraft steigern und verströmen.« 9 UECKER, Interview von Caianiello, Heydenreich, Weyer, 14.10.1999. 10 MACK, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 26.8.1999. 11 PIENE, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 7.8.1999 (s. Anhang). 12 Vgl. documenta III 1964, S. 116 (als 2. Etage bezeichnet).

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handelte, der ein niedriges Satteldach aufwies. Da der Raum schmal war und keine Fenster hatte, wirkte er »klaustrophobisch«.13 Diese vorgefundene räumliche Situation wurde von den Künstlern gestalterisch aufgenommen. Sie schufen eine lichtkinetische Installation, die die tiefe Dunkelheit des Raumes ausnutzte, um Lichtreflexionen erscheinen zu lassen. Die Objekte kamen aus dem Dunkel hervor, und der Raum hatte einen Hauch von »Mysterium«.14 Da die Einladung an die Gruppe Zero erst kurz vor der Eröffnung der documenta erging, mußten die drei Künstler die Installation unter starkem Zeitdruck entwerfen und aufbauen. Sie entschieden sich also für kinetische Werke, die sie schon zur Verfügung hatten. Nach der Erzählung von Piene mußten die Objekte am Tag der Ausstellungseröffnung neu aufgestellt werden, da sie in Abwesenheit der Künstler zur Seite verschoben worden waren, um den Raum zu streichen.15 Die wenigen vorhandenen Fotos des Kasseler Lichtraumes beweisen, daß die Installation der Werke – ob aus diesem Anlaß oder im weiteren Verlauf der documenta, ist nicht deutlich – leicht modifiziert wurde (vgl. Abb. 1 und 2). Abbildung 2: Lichtraum (Hommage à Fontana), documenta III, 1964

13 PIENE, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 7.8.1999. 14 Ebd. 15 Vgl. ebd.

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Die Installation bezog sieben bestehende kinetische Werke mit ein. Auf einer Seite des Dachgeschosses waren Objekte mit flachen Vorderseiten linear aufgereiht: die Weiße Lichtmühle (1963-1964) und die Silbermühle (1964), Gemeinschaftsarbeiten von H. Mack, O. Piene und G. Uecker, der Weiße Dynamo (1964) von Heinz Mack, der Doppelscheibenprojektor (1963) von Otto Piene, der Silber-Rotor (1960) von Heinz Mack und schließlich die Lichtscheibe (1964) von Günther Uecker. Letztere war an einem dreibeinigen Gestell vertikal fixiert und wurde von den anderen Objekten durch ein schmales rechteckiges Element getrennt.16 In der Nähe von Ueckers Lichtscheibe wurde eine Lichtkugel (1961) von Otto Piene platziert (die genaue Position des Objektes ist aber nicht dokumentiert).17 Abbildung 3: Günther Uecker, Lichtscheibe, documenta III, 1964

Im Dachgeschoß, abseits der übrigen Ausstellung, waren Bilder von Lucio Fontana aufbewahrt, wie sich Mack erinnert: »In diesem […] Rumpelambiente hingen kleine Bilder von Fontana. […] Ich habe […] mich darum gekümmert, daß man den Fontana ein bißchen freundlicher aufhing, so daß überhaupt die

16 Piene (ebd.) beschreibt die Position der Lichtscheibe folgendermaßen: »Da war noch ein Raumteil, da stand die Uecker-Scheibe. Die war einerseits vom Raum zu sehen und ein Teil des Raums, anderseits ein bißchen separat«. Diese Beschreibung konnte durch den Fund eines Ausstellungsfotos der Lichtscheibe im documenta-Archiv belegt werden. 17 Vgl. PIENE, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 7.8.1999.

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Wahrscheinlichkeit statistisch gegeben war, daß jemand hinguckte.«18 Der italienische Künstler war zur documenta gar nicht eingeladen worden. Aus Protest widmete die Gruppe Zero ihm ihre Installation und zitierte eines seiner Kunstwerke in ihrem eigenen Raum: In bestimmten Zeitintervallen wurde ein Dia eines ›Taglio‹ gezeigt, der als Oval erschien.19 In einer Version der Kasseler Installation wurde das Dia auf die vordere Fläche des Doppelscheibenprojektors projiziert,20 in einer anderen Version auf die Schräge.21 Mack, Piene und Uecker hatten eine hohe Meinung von Fontana, da er sich schon seit den vierziger Jahren mit den Problemen von Licht, Raum und Bewegung sowohl in Manifesten22 als auch in Kunstwerken wie z.B. in der Serie von Perforierungen (›Buchi‹, ab 1949) befaßt hatte. Die Schnitte von Fontana ab Ende der fünfziger Jahre, Concetti spaziali oder Attese genannt, öffneten die Leinwand einem tatsächlichen, dreidimensionalen Raum. Diese Werke sowie die durch indirektes oder direktes elektrisches Licht beleuchteten ›Ambienti‹ desselben Künstlers (ab 1949) zerschlugen die Grenzen zwischen Malerei, Bildhauerei und Architektur und antizipierten somit einige Aspekte der ZeroLichträume. Die Rotationen und Lichtwürfe der sieben kinetischen Objekte des Lichtraumes (Hommage à Fontana) folgten einem bestimmten Zeitdiagramm, dessen Abfolge eine Dauer von 6 Minuten betrug und dann wiederholt wurde. Dieses Programm wurde Piene zufolge nie verändert und läuft heute im ›museum kunst palast‹ noch ebenso ab.23 Am Anfang des Zyklus rotieren die Lichtscheibe und der Silber Rotor, und das Dia erscheint eine Halbe Minute lang. Dann schalten sich die Silber Mühle und der Weiße Dynamo gleichzeitig ein. Während kurzen Pausen, in denen beide Kunstwerke wieder ausgehen, erscheint das Dia wieder. Ab der zweiten Minute des Zyklus (inzwischen sind Lichtscheibe und Silber Rotor endgültig ausgegangen) werden die restlichen Lichtmaschinen eingeschaltet, und es fängt der Zeitabschnitt an, in dem die Bewegungen und Lichtreflexionen am zahlreichsten auftreten. Am Ende des Ablaufs wird das Dia wenige Sekunden lang allein gezeigt. 18 MACK, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 26.8.1999. 19 Diese Form wurde (und wird noch heute) durch den Einsatz einer schwarzen ovalen Maske erzeugt, die das Dia einrahmt. 20 Vgl. ZERO aus Deutschland 1999/2000, Abb. S. 84. 21 Vgl. UECKER, Interview von Caianiello, Heydenreich, Weyer, 14.10.1999. Ein Foto im documenta-Archiv zeigt den Doppelscheibenprojektor mit den Scheiben senkrecht der Wand gerichtet. Es scheint unwahrscheinlich, daß das Dia, mit dem Objekt in dieser Position, auf eine seiner Scheiben projiziert werden konnte. 22 1946 entstand das Manifesto blanco, das weitgehend von Fontana inspiriert worden war, obwohl es von ihm nicht unterschrieben wurde. In den folgenden Jahren wurden mehrere Manifeste über den Spazialismo von Fontana geschrieben. 23 Vgl. PIENE, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 7.8.1999.

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Im gesamten Zyklus kann also eine Licht- und Bewegungseskalation beobachtet werden.24 Außerdem läßt sich leicht feststellen, daß das Dia des Bildes von Fontana ausschließlich dann projiziert wird, wenn nur wenige oder gar keine Bewegungen und Lichtspiele stattfinden, also nur in ruhigen Konzentrationsphasen. Die ovale Form der Diaprojektion und die Stille, in der sie auftritt, wecken die Assoziation mit einer kosmischen Erscheinung, wie Uecker bemerkt: »das hatte dann einen kosmischen Charakter. Also, es ist […] eine planetarische Erscheinung, die eine Wunde hat, fast so wie eine italienische Vision der katholischen Geschichte von Jesus.«25 Das Konzept des Lichtraumes stammt aus Pienes Experimenten mit Lichtprojektionen: 1959 präsentierte der Künstler zum ersten Mal ein ›Lichtballett‹, einen Tanz von Lichtreflexen, den er mit Rastern und Handlampen selbst dirigierte. Diese Vorführung gab die Erweiterung der Zero-Kunstwerke in den Raum vor. Dem ›archaischen‹ folgten ein ›mechanisches‹ mit motorbetriebenen Lichtmaschinen und ein ›automatisches Lichtballett‹. Das automatische Lichtballett wurde bereits durch programmierte Objekte erzeugt, die – wie später in den Lichträumen der Gruppe Zero – einer Choreographie folgten.26 Diese künstlerische Verwendung des Lichtes zeigt starke Affinitäten mit den Ideen von László Moholy-Nagy, der geschrieben hatte: »ich träume von lichtapparaten, mit denen man handwerklich oder automatisch-mechanisch lichtvisionen in die luft, in große räume und auf schirme von ungewöhnlicher beschaffenheit, auf nebel, gas und wolken schleudern kann. […] ich wünschte mir einen kahlen raum mit zwölf projektionsapparaten, damit die weiße leere unter den kreuzen farbiger lichtgarben aktiviert werden sollte.«27 Piene nahm diese Vorstellungen von Moholy-Nagy wieder auf: »Meine Utopien haben eine solide Grundlage: Licht und Rauch und 12 Scheinwerfer.«28 Die Wirkung des Lichtraumes der Gruppe Zero könnte mit den Worten, die Piene für sein ›Lichtballett‹ verwendet hat, beschrieben werden: »Das wichtigste ist die umfassende Raumerfüllung gegenüber den bekannten Schau24 Die genaue Abfolge bleibt aber für den Betrachter, der das Zeitdiagramm nicht kennt, unfaßbar. Sie wird durch die Einschaltzeiten der Scheinwerfer, die einige der Kunstwerke von außen beleuchten, zusätzlich verkompliziert. 25 Vgl. UECKER, Interview von Caianiello, Heydenreich, Weyer, 14.10.1999. Fontana selbst hatte ab 1963 Perforierungen und Schnitte auf Leinwänden realisiert, die auf ovale Rahmen gezogen waren. Dieser Zyklus wurde von ihm als ›Fine di Dio‹ (Das Ziel/Ende Gottes) oder als ›Ova‹ (Eier) bezeichnet. 26 Vgl. Rennert, Susanne, Licht, in: Otto Piene, Kunstmuseum Düsseldorf 1996, S. 111. 27 Moholy-Nagy, László: Brief an Franti#shajek#eck Kalivoda (Juni 1934, zuerst publiziert in: »telehor«, 1936, Sonderheft über L. Moholy-Nagy, S. 115 ff.), in: PASSUTH, Krisztina, Moholy-Nagy, Weingarten 1986, S. 337. 28 Piene, Wege zum Paradies, in: ZERO 1973, S. 147.

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künsten Theater und Film. Das Licht ist nicht nur an den Raumausschnitt Bühne oder die Fläche der Leinwand am Ende eines langen Raumes, in dessen Dunkel der Betrachter sitzt, gebunden. Es kann die meisten Orte des Raumes erreichen. Dadurch gewinnt der Erlebende den Eindruck, der Mittelpunkt des Geschehens zu sein, es ›geht durch ihn hindurch‹, er ›fühlt sich als Teil des Lichts‹. Es entsteht ein dynamisches Raumempfinden, in dem die Schwerkraft viel Macht verloren hat.«29 Wie schon der Titel der Installation andeutet, sind Licht und Raum die Hauptbestandteile des Werkes. Um sichtbar zu werden, brauchen die Lichtwürfe Dunkelheit und einen Projektionsschirm, auf den sie projiziert werden können. Im Fall des Lichtraumes dient der ganze Raum dazu.30 Das Licht scheint die Grenzen des physischen Raums und die Schwerkraft zu überwinden. Der künstlerische Anspruch, den Eindruck von Immaterialität und Schwerelosigkeit zu erzeugen, entstand in einer Zeit, in der die Raumfahrt (Juri Gagarin war 1961 als erster Mensch im Weltraum gewesen), das Fernsehen und die Satellitenkommunikation neue Perspektiven eröffneten. Bereits Lucio Fontana hatte in seinen Kunstwerken eine Vorstellung von unendlichem, ständig bewegtem, kosmischem Raum ausgedrückt. 1949 hatte er beispielsweise das Ambiente spaziale a luce nera in der Galleria del Naviglio in Mailand präsentiert, der nach den Kommentaren von denjenigen, die ihn erleben konnten, eine Mondatmosphäre vermittelte.31 Das Ambiente bestand aus verschnörkelten Formen aus Pappmaché, die in einem schwarzen Raum schwebten. Sie waren mit phosphoreszierenden Farben bemalt und wurden durch ein ultraviolettes Licht (Wood) beleuchtet. Der Raum wirkte grenzenlos und schien neue, unergründliche Dimensionen zu eröffnen. Die Betrachter fühlten sich darin orientierungslos und wurden dadurch mit dem Konzept eines unendlichen Raumes konfrontiert.32

29 Piene, Otto, in: Europäische Avantgarde, Schwanenhalle des Römers, Frankfurt a.M., 1963, o. S. 30 Vgl. WIESE, Stephan von, Lichtraum Hommage à Fontana: Der ZERO-Raum für die documenta III, in: Lichtraum 1992, S. 30: »der Kasseler ZERO-Raum war ja ein ständig sich wandelndes, in alle Richtungen sich entwickelndes Projektionsfeld, in das der Betrachter mitten hingestellt war«. 31 Vgl. SCHULZ-HOFFMANN, Carla, Das »Ambiente Nero« von Lucio Fontana, in: KLÜSER, Bernd/HEGEWISCH, Katharina (Hrsg.), Die Kunst der Ausstellung, Frankfurt a.M., Leipzig 1991, S.111. 32 Vgl. SCHULZ-HOFFMANN 1991, S. 111-115. Das Ambiente spaziale a luce nera wurde mehrere Male nach dem Tod des Künstlers rekonstruiert. Dazu ermutigten nicht nur die vorhandenen schriftlichen Aufbaumodalitäten der Installation, sondern auch die von Fontana propagierte Priorität der künstlerischen Idee. Jedoch kommentiert C. Schulz-Hoffmann treffend: »Alle späteren Installationen dieses ersten

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Die Zero-Künstler versuchten ebenfalls in ihren Werken den Folgen der neuen technischen Entwicklungen durch die Verwendung von Bewegung und elektrischem Licht gerecht zu werden. Die Art, in der Mack, Piene und Uecker Licht und Bewegung verwendeten, scheint aber der Kunstproduktion des Bauhauses näher zu stehen, als den stärker architektonisch orientierten ›Ambienti‹ von Fontana. Insbesondere sind die Ähnlichkeiten des Lichtraumes mit dem Licht-Raum-Modulator von Lazlo Moholy-Nagy deutlich. Der Licht-Raum-Modulator (1922-1930) ist eine komplexe Konstruktion aus verschiedenen Metallen, Glas, und Holz, die durch einen Motor in Rotation versetzt und durch künstliches Licht angestrahlt wird.33 In einem abgedunkelten Raum werden die Lichtreflexe auf Wänden, Decke und Fußboden mittels der Rotationsbewegung moduliert: Die Projektionen ›malen‹ auf den Raumflächen sich ständig wandelnde Licht-Schatten Effekte. Obwohl das Objekt mit seinen runden und rechteckigen Formen aus verschiedenen Materialien unterschiedlicher Transparenz eine ästhetische Eigenbedeutung besitzt, stellen die Lichtspiele den wesentlichen Aspekt des Kunstwerkes dar. Diese sind die Protagonisten des 1930 von Moholy-Nagy gedrehten Films Lichtspiel Schwarz Weiß Grau. Dem Licht wurde immer eine besondere Bedeutung zugewiesen.34 Das Licht ist Bedingung der Sichtbarkeit und – als Naturerscheinung – regelt die Jahr- und Tageszeiten sowie das Wachstum. In vielen Religionen wird es mit dem Transzendenten in Verbindung gebracht. Auch die Gruppe Zero betrachtete das Licht als Moment des Sublimen: »Wir verstehen Licht als Leben spendende und Leben erhaltende Kraft. Wir verstehen Licht nicht nur als optische Energie, sondern als unsere Beziehung zum Rhythmus des Lebens im Wechsel von Licht und Dunkel, Tag und Nacht, Leben und Tod.«35

schwarzen Ambiente blieben daneben, obwohl von Fontana einkalkuliert, zwangsläufig Rekonstruktionen, Neuaufguß einer nicht zu wiederholenden Gesamtsituation, deren Bedeutung ganz entscheidend in ihrer Einmaligkeit und materiellen Ungreifbarkeit begründet liegt.« (Ebd., S. 111). 33 Vgl. WEITEMEIER, Hannah, Licht-Visionen, Bauhaus-Archiv, Berlin 1972. Der originale Licht-Raum-Modulator wird im Busch-Reisinger Museum in Cambridge (Mass.) aufbewahrt. 1969 wurde die Anfertigung von zwei Repliken angefangen. Sie wurden mit der Unterstützung von Sybil Moholy-Nagy und unter besonderer Berücksichtigung der alten Konstruktionszeichnungen und -dokumente am M.I.T., Cambridge (Mass.) realisiert. Eine Replik wurde 1971 auf der Biennale in Venedig ausgestellt und danach vom Stedelijk van Abbemuseum Eindhoven erworben. Die andere wurde 1970 in der Howard Wise Gallery (New York) gezeigt und drei Jahre später vom Bauhaus-Archiv Berlin angekauft. Vgl. STECKEL [WEITEMEIER], Hannah, Lászlò Moholy-Nagy 1895-1946, Diss., FU Berlin, 1974, S. 204, Anm. 1. 34 Vgl. WAGNER 2001, S. 250. 35 Piene, Otto, Position Zero (1965), in: ZERO 1992, S. 8.

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

Monika Wagner hat bei der Verwendung des Lichtes in der Kunst beobachtet, daß »beim Umgang mit diesem Material Erhabenheit und Trivialität – Kathedrale und Jahrmarkt – besonders nahe beieinanderliegen.«36 Diese Zweideutigkeit zeigte sich in der Rezeption des Lichtraumes auf der documenta III. Obwohl die Auseinandersetzung der Gruppe Zero mit dem Licht auf einer langen und intensiven künstlerischen Recherche fundierte, wurde die Ernsthaftigkeit ihrer Kunst zuerst in Frage gestellt. Die Kritiker betrachteten den Lichtraum auf der documenta III meistens unter einem spielerischen und unterhaltsamen Aspekt. Die Arbeit der »Lichtspielexperimentatoren« wurde als »schnell sozialisierbare Unterhaltungskunst« bezeichnet.37 Die negativen Kritiken betrafen nicht nur den Lichtraum, sondern die ganze Abteilung Licht und Bewegung, deren Ausstellungsräume als »Bastelkammern«38 definiert wurden. Die beweglichen Objekte im Dachgeschoß wurden als »virtuose Spielereien«,39 die »wie auf einer Geisterbahn […] magisch beleuchtet werden«,40 rezensiert. Auch eine positive Kritik der Abteilung, wie die von Wieland Schmied, zeigte Ungewißheit: »Ich bin nie sicher, ob das, was diese Leute da oben treiben, mit ›Kunst‹ zu tun hat, aber es hat mich stets ungemein gefesselt, und wenn Lebendigkeit ein Kriterium der Kunst ist, dann sind diese Dynamos und Rotoren und Objekte Kunst.«41 1.2 Spätere Versionen des Lichtraumes (Hommage à Fontana) Anläßlich der Ausstellung nul im Stedelijk Museum Amsterdam 1962 entwarf die Gruppe Zero seinen ersten Salon de lumière (so wurden die Lichträume zuerst bezeichnet), in dem verschiedene lichtkinetische Objekte von Mack, Piene und Uecker von den Besuchern ein- und ausgeschaltet werden konnten. Außerdem gab es die Möglichkeit, eine programmierte Abfolge zu aktivieren. Die Teilnahme der Betrachter an der Bestimmung des Zyklus hatte aber den Nachteil, daß die Objekte ziemlich schnell beschädigt wurden. Deswegen boten die folgenden Installationen nur einen programmierten Ablauf.42 In der Folgezeit wurden mehrere ähnliche Installationen von der Gruppe 36 WAGNER 2001, S. 259. 37 JÜRGEN-FISCHER, Klaus, Im Zeichen des Informalismus, in: »Die Zeit«, 10.7.1964. 38 DANNECKER, Hermann, Das große Museum moderner Kunst, in: »Badische Zeitung«, 1.7.1964. Der Bezeichnung von »Bastelkammern« könnte die von »Dichterstube« entgegengesetzt werden (KÖNISBERGER, Otto, Ist Kassel eine Reise wert?, in: »Ruhr-Nachrichten«, 11.7.1964). 39 ENGELHARD, Ernst G., Dem schöpferischen Individuum, in: »Weser Kurier«, 3.7.1964. 40 JÜDES, Rudolf, Unterm Dach schreit eine Plastik ›Mama‹, in: »Hannoverische Rundschau«, 29.6.1964. 41 SCHMIED, Wieland, Malerei ist keine Einbahnstraße, in: »Die Zeit«, 17.7.1964. 42 Vgl. PIENE, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 7.8.1999.

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präsentiert, unter anderem der Lichtraum für die documenta III.43 Sie bestanden aus unterschiedlichen Konstellationen von Lichtmaschinen und wurden jedes Mal direkt auf den Ausstellungsraum bezogen konzipiert. Diese Ensembles existierten immer nur für die Dauer einer Ausstellung. Sie hatten also einen provisorischen Charakter. Die Tatsache, daß die einzelnen Lichtobjekte als autonome Werke entwickelt worden waren, die in verschiedenen Räumen aufgestellt werden konnten, bedeutet nicht, daß sie den Raum nicht mit einbezogen, wie Michael Schwarz behauptet.44 Da der Raum als Projektionsfeld diente, beeinflußten die Raummaße die Wirkung der Lichtprojektionen, obwohl diese die Raumdimensionen wiederum fast unfaßbar machten. Das widerspricht der These von Schwarz, nach dem der Lichtraum nicht als Installation definiert werden könnte, weil der Raum kein unauflösbarer Teil der Arbeit sei. Für jede Ausstellung wurden die Lichtmaschinen unterschiedlich gewählt und aufgestellt, damit sie mit den jeweiligen Raumgegebenheiten am besten interagieren konnten. Das heißt, jedes Mal wurde eine neue Version der Installation entwickelt, die aber jedes Mal raumbezogen war. Anläßlich der Ausstellung »Aufbrüche: Manifeste, Manifestationen« (Kunsthalle Düsseldorf, 1984) wurde der 1964 auf der documenta III gezeigte Lichtraum (Hommage à Fontana) zum ersten Mal wieder präsentiert. Die Ausstellung war »einer Künstlergeneration gewidmet, die in den frühen sechziger Jahren aufbrach, eigenständige und unverwechselbare Positionen und Haltungen herauszubilden, deren Bedeutung erst in einem Rückblick gewürdigt werden kann.«45 Mack, Piene und Uecker wurden also dieses Mal nicht eingeladen, um eine neue Version der Installation zu schaffen, sondern um den Kasseler Lichtraum für eine Rückschau, die ihre avantgardistische Position in den sechziger Jahren würdigen sollte, zu rekonstruieren. Jedoch wurde die ursprüngliche Konstellation von Objekten leicht verändert: Neben den Kunstwerken, die auf der documenta III zu sehen waren, wurde ein schwarzer Scheibenprojektor von Piene ausgestellt.46 Außerdem wurde Ueckers Lichtscheibe aus dem Jahr 1964, die inzwischen durch das Kröller-Müller Museum in Otterlo erworben worden war, durch eine Replik ersetzt.47

43 Vgl. WIESE 1992, S. 33-40. 44 Vgl. SCHWARZ, Michael, Von der Skulptur zum Raum, in: Brennpunkt Düsseldorf, Kunstmuseum Düsseldorf, 1991, S. 74-75. 45 Harten, Jürgen/Schrenk, Klaus, Vorwort, in: Aufbrüche, Kunsthalle Düsseldorf, 1984, S. 7. 46 Vgl. Foto der Ausstellung von Walter Klein (im Archiv der Kunsthalle Düsseldorf). 47 Das Kunstwerk wurde im Ausstellungskatalog als Lichtmühle bezeichnet und 1964 datiert (vgl. Aufbrüche, 1984, S.118; 188).

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Die Zusammenarbeit zwischen Mack, Piene und Uecker, die sich schon 1966 als Gruppe aufgelöst hatten, war inzwischen schwierig geworden. Das Erscheinungsbild der Installation wurde von den drei Künstlern nicht ausreichend besprochen. Piene war mit der Anwesenheit von Ueckers neuerem Objekt in der Konstellation dieser Werke nicht einverstanden und vermißte eine aktivere Mitarbeit der zwei Kollegen bei der Aufstellung der Plastiken.48 Die Kunstwerke des Kasseler Lichtraumes wurden schließlich vom Kunstmuseum Düsseldorf 1991 erworben (einige von denen als Repliken) und nach langen Überlegungen 1992 (26 Jahre nach der Auflösung der Gruppe Zero) neu installiert. Abbildung 4: Lichtraum (Hommage à Fontana), Kunstmuseum Düsseldorf, Re-Installation aus dem Jahr 1992

Die Bedingungen der Präsentation wurden von den Künstlern mit dem damaligen Direktor des Museums, Hans Albert Peters, und dem Kulturdezernent der Stadt Düsseldorf, Bernd Dieckmann, eingehend besprochen.49 Das zentrale Thema war, ob ein Raum mit Zeltdach im Museum nachgebaut werden sollte. Während Mack für einen Nachbau war, war Piene anderer Meinung: »Das war dort [in Kassel] eine einmalige Situation, die hatte mit dem Fridericianum zu tun, mit diesem Restschuttraum da oben […]. Das kann man gar

48 Vgl. PIENE, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 7.8.1999. 49 Ebd.

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nicht nachbauen.«50 Das Satteldach wurde schließlich im Museum nicht nachgebaut. Die Künstler versuchten also, den Lichtraum (Hommage à Fontana) dem neuen Raum anzupassen, ohne die Installation wesentlich zu verändern. Im Unterschied zu den anderen Installationen der Gruppe Zero war die Konstellation von Werken dieses Mal fest vorgegeben. Der Saal des Museums, in dem der Lichtraum installiert wurde (im 2. Obergeschoß Süd), war aber größer und heller als der Dachboden des Fridericianums und statt einem Zeltdach wies er ein Scheddach auf. Die mysteriöse Atmosphäre des Kasseler Lichtraumes wurde also nicht erreicht, und die Objekte standen Pienes Meinung nach ein bißchen »museumshaft« da.51 Um das rohe Ambiente des Dachgeschosses im Fridericianum anzudeuten, wurde der Teppichboden des Saals im Museum entfernt und durch eine graue selbstverlaufende Zement-Ausgleichsmasse ersetzt. Die Aufstellung der Plastiken folgte dem Vorbild der documenta, obwohl einige ›Korrekturen‹ notwendig wurden. Die Reihe von Objekten mit flachen Vorderseiten blieb zwar erhalten, aber die Positionen des Silber-Rotors und des Weißen Dynamos wurden getauscht (ob zufällig oder absichtlich ist nicht deutlich). Außerdem stand die Lichtscheibe nicht mehr, wie in Kassel, vertikal auf einem dreibeinigen Gestell an einem Ende der Reihe von Objekten sondern lag wenige Zentimeter über dem Boden und wurde zusammen mit der Lichtkugel von Piene der Reihe von Lichtrotoren gegenüber aufgestellt. Das Dia des ›Taglio‹ von Fontana wurde auf das Scheddach projiziert. Was im Vergleich mit der Installation auf der documenta unverändert blieb, war das ›Herz‹ der Installation, das Programm, nach dem die Objekte an- und ausgeschaltet wurden, da die originale Zeitschaltuhr fest eingestellt war.52 Es ist aber anzunehmen, daß die Lichtprojektionen im neuen Raum anders aussahen als im Dachgeschoß des Fridericianums.53 Abgesehen von den unterschiedlichen Dimensionen war der Saal des Museums, wie erwähnt, auch heller als der ursprüngliche Raum. Das hatte natürlich Einfluß auf die Intensität der Lichtreflexionen. Piene plädierte für einen dunkleren Raum.54

50 Ebd. 51 Ebd. 52 Ein Zeitdiagramm aus dem Jahr 1962, das von Günter Thorn, Assistent von Piene, geliefert worden war, zeigte aber unerklärliche Abweichungen mit der aktuellen Abfolge. 53 »Even if the same installation is remade in more than one location, it will not be exactly the same in two places, owing to the differences between spaces. The physical characteristics of the space have an enormous effect on the final product.« REISS 1999, S. XIX. 54 Vgl. PIENE, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 7.8.1999.

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Dagegen fanden Mack und Uecker den etwas helleren Saal geeigneter für die Ausstellung ihrer Kunstwerke.55 Die Musealisierung der Installation brachte die Einführung von Sicherheitsmaßnahmen für die Objekte und die Besucher mit sich. Am Eingang des Saals wurde ein Schalter montiert, der von den Besuchern betätigt werden konnte, um den programmierten Ablauf der lichtkinetischen Spiele zu aktivieren.56 Weiße Streifen auf dem Fußboden markierten den zu respektierenden Abstand zu den Kunstwerken. Die Künstler fanden aber diese konservatorische Lösung ästhetisch nicht befriedigend.57 Die erforderliche Notbeleuchtung wurde dagegen geschickt eingeführt: Sie ging nur nach der Ausschaltung der Lichtmaschinen an. Der Lichtraum, der in Kassel für einen unkonventionellen Ausstellungsraum und mit einem starken provokativen Schwung geplant worden war, verlor durch die Musealisierung seine Provokation und seinen provisorischen Charakter. Das Resultat der neuen Installation war ein Kompromiß zwischen der Intention, den Kasseler Lichtraum so originalgetreu wie möglich wieder ins Leben zu rufen, und der notwendigen Anpassung der Konstellation der Objekte an einen anderen Raum und eine museale Umgebung. Die Künstler fanden diesen Kompromiß insgesamt befriedigend, abgesehen von Macks Wunsch, die Schrägen zu rekonstruieren.58 Piene meinte: »Der Raum ist wirklich jetzt weit entwickelt. Er hat eine authentische Poesie, die ich prima finde. Es ist nicht so viel Staub und Dreck dran, wie seinerzeit bei der documenta, aber das war ja auch gar nicht so gemeint. Das haben wir ja so vorgefunden und damit mußten wir uns abfinden. Aber ich finde den Raum, so wie er jetzt ist, sehr schön und ich finde, irgendwie sollte man das als Standard festsetzen.

55 MACK (Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 26.8.1999): »[…] meine Arbeiten sind nicht darauf angewiesen, in einem vollkommen dunklen Raum ausgestellt zu werden.« Uecker meint, daß der Raum eine gewisse »Sachlichkeit« aufweist und die Objekte im helleren Saal »in ihrer Funktion deutlich ablesbar« sind (Interview von Caianiello, Heydenreich, Weyer, 14.10.1999). 56 Nach zwanzig Minuten wurden die Objekte automatisch wieder ausgeschaltet, um sie zu schonen. Da der programmierte Zyklus sechs Minuten dauert, wurde er immer an unterschiedlichen Punkten unterbrochen und (von den Besuchern) eingeschaltet. 57 Vgl. Interviews von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer mit MACK (26.8.1999) und PIENE (7.8.1999). 58 Vgl. MACK, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 26.8.1999. Ueckers Meinung nach hatte der Lichtraum im Kunstmuseum noch »Erlebniskraft« (Interview von Caianiello, Heydenreich, Weyer, 14. 10 1999).

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So ist der Raum schön, so kennen wir ihn, so kann man versuchen, ihn zu erhalten.«59 2001 wurde das Kunstmuseum Düsseldorf umgebaut und in ›museum kunst palast‹ umgenannt. Aus diesem Anlaß wurde der Lichtraum (Hommage à Fontana) in einen Saal im 1. Obergeschoß Nord des Museums versetzt. Die Veränderung wurde durch den Mangel an Sichtbarkeit des vorigen Raums im 2. Obergeschoß begründet, obwohl eingewendet werden könnte, daß die Installation im Dachboden des Fridericianums ähnlich ›versteckt‹ gewesen war. Der neue Ausstellungsraum befindet sich am Anfang des Museumsparcours und ist deswegen leichter aufzufinden. Abbildung 5: Lichtraum (Hommage à Fontana), museum kunst palast, Re-Installation aus dem Jahr 2001

Mack, Piene und Uecker wurden dazu eingeladen, die Installation erneut aufzustellen. Dieses Mal lehnte Uecker die Einladung ab und erklärte sich bereit, die Entscheidungen der Kollegen zu akzeptieren. Der Raum, der sich anbot, war ungefähr so lang wie der vorige, aber ca. 4 m schmaler und etwas niedriger. Außerdem war er kein rechteckiger Raum sondern ein Hexagon mit zwei kürzeren schrägen Seiten. Die Decke des Saals war nicht ganz frei. Sie wies eine Schiene, die zur Montage der Be59 PIENE, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 7. 8. 1999.

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leuchtung gedient hatte, und Belüftungselemente auf. Der Fußboden war aus gelblichen Fliesen, die die Künstler für die Wirkung der Lichtspiele nicht geeignet fanden. Der Raum war also nicht ganz problemlos. Piene, der die Aufstellung des Lichtraumes im 2. Obergeschoß schön fand, drückte seine Bedenken über die Versetzung der Installation in den neuen Saal aus.60 Er wies auch daraufhin, daß die kinetischen Objekte im anderen Raum auch anders aufgestellt werden müßten. Das Zeitelement und die Konstellation von Werken der documenta waren seiner Meinung nach die Konstanten, nach denen sich die anderen Parameter (Reihenfolge der Objekte, Abstände, Positionen, usw.) richten sollten. Mack wiederholte seinerseits seine Überzeugung, daß es notwendig sei, ein Zeltdach wie in Kassel nachzubauen. Dieser Wunsch konnte aber nicht erfüllt werden, weil der für die Installation vorgesehene Saal zu niedrig war. Trotz der Bedenken der Künstler, wurde die Versetzung der Installation durchgeführt. Die neue Präsentation der Objekte der documenta hat den Vorteil, daß der Raum für die ausgestellten Arbeiten nicht mehr zu groß wirkt. Anderseits können sich die Lichtprojektionen im neuen Ausstellungsraum nicht optimal entfalten. Ein kurzer Korridor führt in den Saal, der nicht so anonym wirkt, wie die Künstler sich das gewünscht hätten.61 Beim Eintritt der Besucher werden die lichtkinetischen Objekte automatisch aktiviert. An der längsten Wand – aber nicht parallel zu ihr – stehen die Weiße Lichtmühle, die Silbermühle und der Doppelscheibenprojektor, die zum Eingang gewendet sind. Auf den Wandteil hinter dem Doppelscheibenprojektor wird das Dia des Kunstwerkes von Fontana projiziert. Die Lichtkugel und die Lichtscheibe – mit dem Diaprojektor dazwischen – sind an der Wand gegenüber plaziert. An der innersten Wand stehen der Silber Rotor und der Weiße Dynamo von Mack nebeneinander. Die zwei Plastiken scheinen von der neuen Aufstellung profitiert zu haben: Der Eindruck von Immaterialität, den sie nach der Intention des Künstlers vermitteln sollten, wird durch die Möglichkeit verstärkt, sie aus der Ferne und frontal zu betrachten. Im Gegensatz dazu scheinen sich die Lichtspiele der anderen Objekte gegenseitig zu stören. Besonders benachteiligt sind die Projektionen der Weißen Lichtmühle, die sich in Richtung des Eingangs zerstreuen.

60 Gespräche mit Piene und Mack wurden am 28. März und 9. Mai 2001 in dem Saal durchgeführt, der für die Installation vorgesehen war. 61 Die Belüftungselemente an der Decke wurden nicht entfernt. Um die Fliesen zu bedecken, wurde graues Linoleum benutzt, das aber nicht ganz neutral bleibt. Die Struktur des Linoleums scheint zu regelmäßig, und die Verbindungen zwischen den Linoleumstücken sind sichtbar. Insgesamt wirkt der Fußboden zu glänzend, so daß ungewollte Lichtreflexe entstehen.

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Außerdem wird das Dia des Bildes von Fontana bei dieser Aufstellung durch den Doppelscheibenprojektor quasi versteckt. Der leuchtende Sicherheitspfeil, der auf den Ausgang des Raums zeigt, geht während der Vorführung der Lichtspiele nicht aus. Das stellt eine Störung für die Lichtprojektionen dar. Die weißen Streifen, die in der vorigen Präsentation am Fußboden angebracht waren, um den zu respektierenden Abstand zu den Objekten zu markieren, wurden durch eine dunkle kleine Querrinne am Boden ersetzt. Außerdem wurden vier schwarze Beleuchtungselemente montiert, die den Fußboden sichtbarer machen. Diese Elemente konkurrieren in der Erscheinungsform mit den schwarzen Scheinwerfern, die zur Installation gehören. Links neben dem Eingang wurden Sitzplätze für die Besucher plaziert. Diese Entscheidung entspricht der Meinung von Piene, nach dem die Betrachter auch Sitzmöglichkeiten haben sollten.62 Anderseits geben die Sitzplätze einen bestimmten Ansichtspunkt vor, so daß die Besucher nicht angespornt sind, sich im Raum frei zu bewegen. Das hat eine positive Wirkung als konservatorische Maßnahme, erweist sich aber als Nachteil für eine bedingungslose Wahrnehmung der Installation. 2. Die einzelnen Werke 2.1 Beschreibung und kunsthistorische Analyse Obwohl die Lichterscheinungen die Hauptrolle im Lichtraum spielen, dürfen die Objekte, die das Licht erzeugen bzw. modulieren, und die Materialien, aus denen die Objekte bestehen, nicht vernachlässigt werden. Die verschiedenen Materialien sind in erster Linie die Mittel, die die ästhetische Wirkung ermöglichen, aber sie haben auch einen historischen Wert, da sie das technologische Niveau und die Materialbewertung zur Entstehungszeit der Kunstwerke widerspiegeln. Zudem wurden die Objekte und ihre Materialien von den jeweiligen Künstlern unterschiedlich verwendet. Piene benutzt einfache technische Apparaturen, um ein ›Lichtballett‹ zu schaffen. Der Doppelscheibenprojektor besteht aus einem Ständer aus Metall, auf dem ein senkrechtes, schwarz bemaltes Holzbrett liegt. An den Enden des Brettes ist je eine perforierte Scheibe befestigt. Die Scheiben werden durch zwei Motoren in Rotation versetzt. Das von zwei Scheinwerfern erzeugte Licht geht durch die Löcher der Scheiben hindurch und projiziert damit ein Lichtspiel auf die zwei gegenüberstehenden Wände.

62 PIENE, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 7.8.1999: »Die Menschen sollen sich frei bewegen, sie sollen sich auch hinlegen können, sie müssen Sitzmöglichkeiten haben, Liegegelegenheiten usw.«

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Abbildung 6: Otto Piene, Doppelscheibenprojektor, 1963/1984

Die Lichtkugel besteht aus einer manuell geschnitten Stoffkugel, einem Gestell, an dem die Kugel aufgehängt ist, einem Motor, der die Kugel in Rotation versetzen kann, zwei auf Stativen in der Kugel stehenden Scheinwerfern und vier verchromten Lochplatten als Kontergewichte der Kugel. Die Schlitze in der Stoffbespannung dienen als ›Linsen‹ für die Lichtprojektion. Die Nichtfarbe Schwarz, die in der Lichtkugel vorherrscht, hat die Funktion, das Objekt im abgedunkelten Raum in den Hintergrund zu rücken.

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Abbildung 7: Otto Piene, Lichtkugel, 1961/1984

Die kinetischen Apparaturen von Piene bleiben unauffällig, da sie die Instrumente darstellen, die das eigentliche Kunstwerk, d.h. das Lichtballett, produzieren, wie Annette Kuhn bemerkt: »Anders als die bewegten Lichtobjekte Macks und Ueckers sind sie deutlich nicht als ästhetische Objekte gemeint, vielmehr nur als Hilfsmittel, das eigentliche ›Kunstwerk‹ in Gang zu setzen. Dieses besitzt keine Dauer mehr, sondern ist nur zu bestimmten Zeiten der ›Aufführung‹ existent, es ist flüchtig.«63 Das Lichtspiel entpuppt sich poetischerweise aus den einfachen Apparaturen und verfliegt, sobald sie aufhören zu funktionieren. Die von Piene verwendeten Materialien sind aber nicht gleichgültig, weil sie einerseits die Lichtwirkung bestimmen und anderseits absichtlich unter den alltäglichen Objekten ausgewählt worden sind. Für das Lichtspiel ist der Typus von Glühbirnen mit einem besonders langen Glühfaden unerläßlich: Die Silhouetten der Glühfäden werden auf die Wände projiziert und zeichnen sich als kletternde ›Spinnen‹ ab.64 Die Glühbirnen brennen oft durch und müssen regelmäßig ersetzt werden, um die in diesem Fall vorrangige Funktionalität der Objekte zu erhalten. Sie dürfen aber bei den Lichtmaschinen von Piene nur durch Exemplare des gleichen Typus mit langem Glühfaden

63 KUHN 1991, S. 80-81. 64 Assoziation des Künstlers: Vgl. PIENE, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 7.8.1999.

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ersetzt werden.65 Leider wird dieser Typus von Glühbirnen nicht mehr hergestellt, so daß es immer schwieriger wird, Ersatzteile zu finden. Die Lochplatten der Lichtkugel haben ihrerseits einen hohen Erinnerungswert, da sie die Raster sind, die Piene der Herstellung seiner Rauchbilder dienten. Die Verwendung von Objekten des Alltagslebens, z.B. der Scheinwerfer aus dem Eisenbahnbau, sei laut Piene in Verbindung mit den Prinzipien der Arte Povera zu bringen.66 In Abgrenzung zu einer ›reichen Kunst‹, die sich der Imitation und Vermittlung der Realität widmete, zielte die ›arme Kunst‹ auf eine Identifizierung mit der Realität. Die künstlerische Aussage sollte mit den einfachsten Mitteln ausgedrückt werden. In seinen Kunstwerken verwendet Piene anspruchslose Materialien, die in sich keinen ästhetischen Wert haben. Um so wunderbarer wirken dann die Lichterscheinungen, die aus diesen alltäglichen Materialien entspringen und den Betrachter als Teil eines unendlichen, bewegten Raums fühlen lassen. Im Unterschied zu Pienes ›Lichtballett‹, das durch im Dunkeln zurücktretende Apparaturen in den Raum projiziert wird, wird das Licht von Mack auf die Objekte gerichtet und durch die Eigenschaften der von ihm verwendeten Materialien hervorgehoben. Der Künstler benutzt zum Beispiel poliertes Aluminium, dessen glänzende Oberfläche auf jede Veränderung des Lichtes reagiert. Die silbrige Farbe des Metalls ist für Mack frei von jedem Symbolgehalt.67 Das Aluminium hat aber eine historische Bedeutung, da es in den sechziger Jahren »als Signum der Raumfahrt galt.«68 Mack selbst war von der Raumeroberung fasziniert. Für einige Kunstwerke wählte er bewußt Materialien aus der Flugzeug- und Raketenindustrie, wie z.B. das wabenartige Aluminiumgitter (honeycomb), aus dem seine ›Lichtflügel‹ bestehen.69 In Verbindung mit dem Licht eignet sich das Aluminium für eine ›Dissimulatio‹ seiner physischen Beschaffenheit. Ziel des Künstlers ist, den Eindruck einer immateriellen Erscheinung zu erzeugen: »Obwohl es so scheinen mag, daß ich meine Arbeit ausschließlich dem Licht gewidmet habe, muß ich jedoch erklären, daß es stets allein meine Absicht war und noch immer ist, Ge-

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Bosch Ba 20 d, 220 V, 100 W. Vgl. PIENE, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 7.8.1999. Vgl. KUHN 1991, S. 68. WAGNER 2001, S. 257. Zum Beispiel waren die Anzüge der ersten Astronauten mit Aluminium beschichtet (vgl. ebd. Fußnote 280, S. 321). Mack selbst trägt in der Fotodokumentation seiner Wüstenprojekte eine Bekleidung, die an die Raumanzüge der Astronauten denken läßt. 69 Vgl. KUHN 1991, S. 69.

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genstände zu schaffen, deren Erscheinungsweise immateriell ist; hierzu dienen mir – vor allem anderen – das Licht und die Bewegung.«70 Abbildung 8: Heinz Mack, Silber-Rotor, 1960

70 Mack, Heinz, Licht ist nicht Licht (1964), in: SCHMIED 1998, S. 107.

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Abbildung 9: Heinz Mack, Weißer Dynamo, 1964/1989

Der Silber-Rotor und der Weiße Dynamo gehören zu einer von Mack ab 1959 entwickelten Typologie von motorbetriebenen Werken, die ›Rotoren‹ oder ›Lichtdynamos‹ genannt werden. Sie bestehen aus einem quadratischen Kasten, in dem eine kreisförmige strukturierte Scheibe rotiert. Die ›Silber Rotoren‹ sind durch eine geprägte Aluminiumscheibe, die ›weißen Dynamos‹ durch das dominierende Weiß und durch eine mit Holzlamellen strukturierte Scheibe charakterisiert. Der Kasten (aus Metall bzw. Holz) ist normalerweise

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an der vorderen Seite durch gewelltes Glas geschlossen. Die übereinander gesetzten Strukturen der Scheibe und des Glases scheinen wegen des optischen Phänomens der Interferenz ineinander zu fließen und das Material somit aufzulösen. Beim Silber-Rotor und beim Weißen Dynamo wird dieser Eindruck durch den Einsatz der auf die Objekte gerichteten Scheinwerfer verstärkt. Obwohl die Verwendung von vorgefertigten Materialien, wie Aluminiumfolie und gewelltes Glas, dem Künstler eine unpersönlichere Gestaltung ermöglicht, wollte Mack einen begrenzt individuellen Charakter bei seinen Kunstwerken beibehalten: Nach seiner Auskunft sollte die Struktur der Rotorscheiben von ihm selbst gestaltet sein und bei jedem Exemplar verschieden ausfallen.71 Während der äußere Kasten der Rotoren im Fall eines schwerwiegenden Schadens ersetzt werden dürfte,72 ist die innere Scheibe also unersetzbar. Das von Uecker am häufigsten verwendete Material ist der Nagel, der zu seinem Kennzeichen geworden ist. Die Funktion dieses Materials ist jedoch in seinen Kunstwerken unterschiedlich. Die Lichtscheibe ist eine benagelte Scheibe, die durch einen Scheinwerfer beleuchtet wird. Mit Hilfe eines Motors wird sie in Rotation versetzt. Bei diesem Kunstwerk erfüllen die Nägel eine dienende Funktion »als Arbeitsmaterial zur Visualisierung optischer Qualitäten.«73 Sie werden quasi als ›malerisches Mittel‹ benutzt, um einen durch die Rotationsbewegung immer wechselnden ›Chiaroscuro‹ zu erzeugen. Der Nagel, der ein industriell geformtes und standardisiertes Material ist, ermöglicht die Überwindung der subjektiven Geste des Pinselstrichs. Die Fassung mit weißer Farbe verstärkt einerseits die Kontrastwirkung, anderseits hat sie eine spirituelle Bedeutung, wie Uecker betont: »Der Zustand Weiß kann als Gebet verstanden werden, in seiner Artikulation ein spirituelles Erlebnis sein.«74

71 Vgl. MACK, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 26.8.1999. 72 Bei einem Ersatz des Glases sollte aber berücksichtigt werden, daß nur eine besondere Typologie vom gewellten Glas (Edelit) die vom Künstler erwünschte Wirkung erzeugt. 73 Korte-Beuckers, Christine, Vom Arbeitsmaterial zum Zeichen und Symbol, in: BEUCKERS, Klaus Gereon (Hrsg.), Zero-Studien, Münster 1997, S. 114. 74 Uecker (September 1961), zitiert in: Zero in Bonn 1966, o. S.

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

Abbildung 10: Günther Uecker, Lichtscheibe, 1964/1993

Ab Ende 1962 benagelt Uecker eine Serie von Objekten des täglichen Lebens (Tische, Stühle, Hocker, Fernseher usw.). Die Nägel nehmen die Alltagswelt gleichsam ein und spielen somit eine andere Rolle als bei seinen früheren Werken: »Die wie Wucherungen aussehenden Nagelformationen entledigen die Gegenstände ihrer ursprünglichen Funktion, sie verfremden, wirken bedrohend.«75 Der benagelte Kneipentisch und die benagelte Staffelei der Gemeinschaftsarbeiten Weiße Lichtmühle bzw. Silbermühle nähern sich an diese Gruppe von Werken an. Die Bezeichnung ›Lichtmühle‹ wurde interessanterweise bereits für den ›Papierkorb von innen beleuchtet‹ verwendet, der 1931 als Sujet einer Serie von drei Fotografien von Raoul Hausmann diente.76 Hausmann meinte: »Das Licht zaubert die trivialsten Gegenstände in Märchen um.«77 Eine ähnliche Überzeugung scheint die Basis der Entstehung der Lichtmühlen der Gruppe Zero zu sein.78 75 KUHN 1991, S. 82. 76 Erstveröffentlichung der drei Fotos in: »Camera« 20, 1941-42, 12 (Juni 1942), S. 302. Vgl. HAUS, Andreas, Raoul Hausmann. Kamerafotografien 1927-1957, München 1979, S. 37, Nr. 39. Haus meint, daß eines der Bilder in Moholy-Nagys Buch Vision in Motion (1947) unter dem Namen Light-Mill publiziert sei. In diesem Buch konnte ich aber keine Andeutung auf den Papierkorb von Hausmann finden. 77 HAUSMANN, Raoul, Scherz, Ironie und Phantastik in der Photographie, in: »Camera« 19, 1940-41, 2 (August 1940), S. 45. 78 Otto Piene (im Telefonat mit d. Verf., 21.7.2003) erzählte, daß er erst vor kurzem

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Abbildung 11: Heinz Mack, Otto Piene, Günther Uecker, Weiße Lichtmühle, 1964

die Fotos des Papierkorbes von Hausmann gesehen hatte und davon sehr beeindruckt war. Als die Lichtmühlen entstanden, hatte er aber von den Fotos noch keine Kenntnis. Der Titel Lichtmühle würden die zwei rotierenden Gegenstände ihrem Erscheinungsbild verdanken, das eben an Mühlen erinnert.

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Für die Weiße Lichtmühle dient eine ehemalige Staffelei von Piene als Basis eines Rotors von Mack. Ihre Übernagelung durch Uecker verneint ihre ursprüngliche Funktion als Werkzeug des Malers: Die Malerei scheint überholt. Die Rotorscheibe ist auf der Vorderseite mit aufgeklebten Holzleisten strukturiert, die an einigen Stellen wie Strahlen seitlich über die Scheibe hinausragen. Durch die unterschiedliche Anordnung der Leisten entstehen pfeilförmige Formationen. Die Lamellenstruktur wird in programmierten Intervallen durch einen Scheinwerfer von außen beleuchtet. Die Scheibe wurde von Piene perforiert. So kann das von zwei Scheinwerfern im Inneren des Kastens erzeugte Licht partiell durchscheinen und ein ›Lichtballett‹ auf die gegenüberstehende Wand zeichnen. Basis der Silbermühle ist ein ehemaliger Kneipentisch. Er ist durch einen Holzpfahl mit einem Rotor von Mack fest verbunden. Tisch und Pfahl sind benagelt und mit silbernem Sprühlack überspritzt. Der Rotor besteht aus einer durch Lamellen in unterschiedlicher Anordnung strukturierten Metallscheibe und aus einem Kasten, in dem sich das licht- und bewegungstechnische Instrumentarium befindet. Die Lamellenstruktur wird durch einen Scheinwerfer von außen beleuchtet. Weitere drei Scheinwerfer im Inneren des Kastens lassen das Licht durch die von Piene perforierte Rotorscheibe partiell durchscheinen und erzeugen damit ein ›Lichtballett‹. Schließlich fassen die Lichtmühlen die typischen künstlerischen Mittel der drei einzelnen Künstler zusammen (der Rotor mit Lamellen von Mack, das durch die Perforierung projizierte Lichtballett von Piene und die Nägel von Uecker), wobei die individuellen Beiträge erkennbar zu bleiben. Wie Piene erklärt, wurde die Zusammenarbeit der Mitglieder der Gruppe Zero nicht nach dem Prinzip der Entindividualisierung durchgeführt: »Ein wichtiger Unterschied zwischen Zero und anderen Gruppen ist, daß Zero nicht persönliche Individualität aufgibt. Es ist eher die freiwillige Zusammenarbeit einzelner Künstler. Zuweilen wirken wir als Team (›Lichtmühlen‹ z.B.), aber nicht als Alternative zu individueller Arbeit in einem sozialistischen Zeitalter, sondern als eine Möglichkeit schöpferischen Wirkens.«79 Wie in dieser Äußerung von Piene klar wird, distanzierte sich die Gruppe Zero von anderen gegenwärtigen Künstlergruppen wie N aus Padua oder GRAV aus Paris, die für anonyme Arbeitsprozesse plädierten und politisch ideologisiert waren.

79 Piene, Position Zero, in: ZERO 1992, S. 9.

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Abbildung 12: Heinz Mack, Otto Piene, Günther Uecker, Silbermühle, 1964

Die Objekte der Installation zeigen »eine merkwürdig archaische Eigenart. Poetische Assoziationen von Natur, Universum, Sonne, Blüte, Gras werden bildhaft wachgerufen.«80 Die Scheiben der Werke erinnern an die ebenfalls als Scheiben erscheinenden Himmelskörper Sonne und Mond. Diese Assozia-

80 WIESE 1992, S. 20.

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tion mit kosmischen Elementen erscheint auch im Zero-Manifest: »Zero ist rund. Zero dreht sich. Zero ist der Mond. Die Sonne ist Zero.«81 Ueckers Nagelformationen evozieren Wälder und durch den Wind bewegte Felder, während das Relief von Macks Silber-Rotor an die Wellen des Meers erinnert. ZERO intendierte, eine Harmonie zwischen Natur, Mensch und Technik durch die Kunst zu verwirklichen: »Eine unserer wichtigsten Absichten war die Reharmonisierung des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur – wir sehen in der Natur Möglichkeiten und Impulse, die Wirkung der Elemente und ihre stoffliche Gestalt: Himmel, Meer, Arktis, Wüste; Luft, Licht, Wasser, Feuer als Gestaltungsmedien; der Künstler ist nicht der Flüchtling aus der ›modernen Welt‹, nein, er verwendet neue technische Mittel ebenso wie die Kräfte der Natur.«82 2.2 Veränderungen der Originalsubstanz, Rekonstruktionen, Repliken Nicht nur die Räumlichkeit des Lichtraumes hat sich mit der Zeit verändert, sondern auch die einzelnen Objekte. Die Lichtscheibe von Günther Uecker und der Weiße Dynamo von Heinz Mack im ›museum kunst palast‹ sind Repliken. Die Lichtscheibe (1964) wurde auf der documenta an einem dreibeinigen Gestell vertikal fixiert, so daß sie in der gleichen Position eines Bildes auf einer Staffelei betrachtet werden konnte. 1965 wurde die Lichtscheibe durch das Rijksmuseum Kröller-Müller in Otterlo erworben und 1992 dem Kunstmuseum Düsseldorf für die neue Installation des Lichtraumes ausgeliehen. Da kein Antrieb vorhanden war, erhielt sie aus diesem Anlaß einen neuen Motor. Die Scheibe wurde auf die Trägerplatte des Motors (ca. 15 cm vom Boden) horizontal gelagert. Uecker fertigte 1993 eine Replik der Scheibe an, die mit dem Motor aus dem Jahr 1992 versehen wurde und ebenfalls horizontal aufgestellt wurde. Das Museum Kröller-Müller zog die Leihgabe zurück.83 Der Weiße Dynamo wurde im Jahr der documenta III (1964) durch das Sprengel Museum Hannover erworben, das ihn 1984 für die Ausstellung Aufbrüche der Kunsthalle Düsseldorf auslieh.84 Bei der Aufstellung des Lichtraumes im Kunstmuseum Düsseldorf wurde eine Replik aus dem Jahr 1989

81 MACK, Heinz, PIENE, Otto, UECKER, Günther, Zero-Manifest (1963), in: Enne & Zero, Museion, Bolzen, 1996, S. 39. 82 Piene, Die Entstehung…, in: Gruppe Zero 1989, S. 15. 83 Die Lichtscheibe wird in Otterlo als Wandobjekt ausgestellt. Vgl. Bestandskatalog Rijksmuseum Kröller-Müller Otterlo, 1981, S. 226. 84 Vgl. Bestandskatalog Sprengel Museum Hannover, 1985, S. 396, Nr. 340.

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verwendet. Die Strukturen der Scheiben der Replik und des Dynamos im Sprengel Museum sehen sehr ähnlich aber nicht gleich aus. Die kollektiven Arbeiten Weiße Lichtmühle und Silbermühle (jeweils 1964) waren im Lauf der Jahre vor der musealen Präsentation des Lichtraumes überarbeitet worden. Die Weiße Lichtmühle wurde 1964 zum ersten mal in dem Salon de lumière der Gruppe Zero auf der Ausstellung Möglichkeiten im Berliner Haus am Waldsee (21. März – 3. Mai) und dann auf der documenta III präsentiert. Im selben Jahr reiste sie in die USA zur Ausstellung Group Zero (Fine Art Department der Universität von Pennsylvania, Philadelphia). Während des Rücktransportes wurde sie beschädigt. Das Kunstwerk stand bis 1992 bei Günther Uecker. Dieser reparierte es durch Hinzufügen neuer Holzbretter an der Basis und überspritzte und übermalte es mehrmals. Abbildung 13: Weiße Lichtmühle und Silbermühle, documenta III, 1964

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Die Silbermühle wurde zum ersten Mal auf einer ZERO und nul-Ausstellung im Gemeentemuseum in den Haag präsentiert (20. 3. – 18. 5. 1964), wo sie in einem mit silbernen Metallplatten bedeckten kubischen Raum (ca. 500 x 500 x 500 cm) allein ausgestellt wurde.85 Das Kunstwerk, das bis 1992 bei Mack stand, wurde von ihm überarbeitet. Er bedeckte den Fuß und die Scheibe der Silbermühle mit einer Edelstahlverkleidung.86 Vermutlich sind auch die Edelstahllamellen, die auf der Scheibe aufgeschraubt sind, auf Macks Überarbeitung zurückzuführen. Ursprünglich waren Aluminiumlamellen auf der Aluminiumscheibe befestigt. Anläßlich der Ausstellung Aufbrüche (1984) wurden die Lichtkugel (1961) und der Doppelscheibenprojektor (1963) von Otto Piene rekonstruiert und teilweise modifiziert. Dabei wurden vorhandene Originalteile aus Pienes Atelier verwendet. Im Sinne einer technischen Verbesserung versah Otto Piene die Scheinwerfer seines Doppelscheibenprojektors mit zwei Trichtern, um das Streulicht zu reduzieren. Abbildung 14: Otto Piene, Lichtkugel, documenta III, 1964

85 Vgl. WIESE 1992, Abb. S. 39 (oben und unten rechts). 86 Der Ausschnitt der Basisbedeckung gibt den Blick frei auf eine darunter liegende Folie am Rand (vermutlich aus Aluminium) und auf eine silberfarbene Bronzierung auf der Basisoberseite. Diese Reste weisen auf die ursprüngliche Oberflächengestaltung der Basis hin. Die Aluminiumscheibe ist mit einer Edelstahlfolie bedeckt. Diese nimmt die Löcher von Piene in der Scheibe annähernd wieder auf.

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Bei der Lichtkugel wurde es in Düsseldorf nötig, vier Lochplatten als Gegengewicht zur Kugel hinzuzufügen, da die Art der Montage, die im Dachgeschoß des Fridericianums verwendet worden war, im Museum nicht wiederholt werden konnte: der Balken, an dessen Ende die Kugel hängt, war in Kassel in der Dachschräge eingeklemmt. Außerdem wurde die Stoffkugel im Gegensatz zum früheren Aufbau ohne Übersetzungselemente direkt mit dem Motor verbunden. Die schwarzen Teile des Objekts wurden neu gestrichen, und die Metallteile sowohl der Lichtkugel als auch des Doppelscheibenprojektors wurden neu verchromt. Einige der Scheinwerfer, die Bestandteil der Installation sind und der Beleuchtung der Objekte dienen, wurden bei der musealen Präsentation des Lichtraumes durch neuere ersetzt, die den Originalen zwar in der Form, nicht jedoch in der Oberflächenbeschaffenheit gleichen. Der originale Diaprojektor, der verloren gegangen ist, wurde durch einen aus derselben Zeit ersetzt. Bei der letzen Versetzung der Installation innerhalb des Museums ging die Zeitschaltuhr, die für die Choreographie der Lichtspiele essentiell ist, verloren. Glücklicherweise konnte eine baugleiche Schaltuhr besorgt werden und nach dem ursprünglichen Zeitdiagramm, das dokumentiert worden war, eingestellt werden. Der Lichtraum ist ein sehr komplexes Ensemble. Als Autoren sind mehrere Künstler beteiligt, die unterschiedliche Auffassungen über die Funktion der Materialien und den Umgang mit dem Licht haben. Die Objekte, die vor dem Erwerb durch das Museum eine längere Zeit bei den Künstlern gelagert waren, wurden häufig überarbeitet und aktualisiert. Schließlich haben Mack, Piene und Uecker, die mittlerweile keine Künstlergruppe mehr bilden, teilweise unterschiedliche Meinungen über die geeignete Präsentation der Installation. 3. Bedeutungsverschiebungen und -verluste Der damalige Direktor des Kunstmuseums Düsseldorf, Hans Albert Peters, feierte den Ankauf des Lichtraumes (Hommage à Fontana) durch das Museum als den Erwerb des »einzigen erhalten originalen ZERO-Raum[s]«.87 Ohne die Bedeutung des Ankaufs mindern zu wollen, gilt es hier zu fragen, ob die im Museum präsentierte Installation wirklich das Kasseler Original ist, wie es von Peters durch die Kursivschrift betont wurde, oder vielmehr eine neue Version der Arbeit. Da alle Lichträume als ephemere Installationen auf den jeweiligen Ausstellungsraum bezogen konzipiert wurden, ist in Wirklichkeit keine Installation der Gruppe Zero erhalten. Was eigentlich im Düsseldorfer Museum er87 PETERS, Hans Albert, Ein Lichttraum geht in Erfüllung, in: Lichtraum 1992, S. 6.

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halten geblieben ist, ist die Konstellation von Objekten der Kasseler Installation, obwohl auch die Objekte im Lauf der Zeit verändert wurden, wenn nicht gar repliziert. Daß die Lichtmaschinen in der ersten Präsentation im Kunstmuseum Düsseldorf in einer der ursprünglichen Konfiguration nahekommenden Anordnung aufgestellt wurden, änderte nichts an der Tatsache, daß die Installation im Museum anders wirkte als im Dachgeschoß des Fridericianums. Weder die Raummaße entsprachen dem Kasseler Vorbild, was die Wirkung der Lichtprojektionen schon beträchtlich verändern mochte, noch die Atmosphäre und die Situation. Der Musealisierung des Kasseler Lichtraumes liegt ein Widerspruch zu Grunde: Die kinetische Kunst sollte ihren ursprünglichen Prinzipien zufolge nicht auf eine statische Form zurückgeführt werden.88 Wie erwähnt, war die herausragende Eigenschaft der Lichträume der Gruppe Zero, daß sie bei den verschiedenen Ausstellungen ein immer neues Erscheinungsbild zeigten. Auch die einzelnen Werke wurden immer weiter überarbeitet. Dagegen war es ein Anliegen der Ausstellung Aufbrüche und des Kunstmuseums Düsseldorf, den Kasseler Lichtraum, der ein wichtiges Moment der Entwicklung der ZERO-Bewegung darstellt, rückblickend wiederherzustellen. Uecker drückt diese Paradoxie wie folgt aus: »Der museale Charakter wäre der, sich an der Rekonstruktion des Raumes in Fridericianum zu versuchen. Das wäre eine Möglichkeit. Die andere wäre, diese Gegenstände wie Musikautomaten oder wie CocaCola-Automaten überall hinzustellen. Das wäre die künstlerische Aussagekraft, die durch die Lebendigkeit der örtlichen Verwechslung entsteht.«89 Ein weiterer problematischer Aspekt ist die Beteiligung der Künstler an den Entscheidungen über die Präsentation der Kunstwerke. Piene hat die Meinung geäußert, daß jede neue Installation des Lichtraumes nach seiner Oberaufsicht und der seiner Kollegen verlangt.90 An diesem Punkt taucht der Widerspruch zwischen Realisierung einer immer neuen Installation und der Rekonstruktion des Kasseler Lichtraumes wieder auf. Die möglichen Präsentationen sollten im Hinblick auf ihre Konsequenzen analysiert werden: Wenn es das Ziel des Museums wäre, den Lichtraum der documenta III zu rekonstruieren, sollte die Rekonstruktion möglichst genau der damaligen Installation (mit dem dazu gehörigen Raum) entsprechen. Eine erste Schwierigkeit dabei wäre, daß keine Skizzen der Aufstellung der Objekte erhalten geblieben sind, und der ursprüngliche Raum nicht gut dokumentiert ist. Das Ambiente nero von Fontana und der Licht-Raum-Modulator von Moholy-Nagy 88 Vgl. Interviews mit MACK (Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 26.8.1999) und UECKER (von Caianiello, Heydenreich, Weyer, 14.10.1999). 89 UECKER, Interview von Caianiello, Heydenreich, Weyer, 14.10.1999. 90 Vgl. PIENE, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 7.8.1999.

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konnten nach dem Tod der jeweiligen Künstler anhand der vorhandenen detaillierten Originalpläne rekonstruiert bzw. repliziert werden. Die Skizzen für die Installation des Lichtraumes wurden dagegen – nach der Erinnerung von Piene – nicht als penible Entwurfzeichnungen realisiert und sind verloren gegangen. Außerdem müßte man im Fall einer Rekonstruktion entscheiden, welche Version der Installation als Vorbild genommen werden sollte, da die Kasseler Aufstellung der Objekte, wie bereits erwähnt, noch kurz vor bzw. während der documenta modifiziert wurde. Die Rekonstruktion hätte natürlich zur Folge, daß das Erscheinungsbild des Werkes ›eingefroren‹ würde. Der Verlust wäre bei dieser Lösung die Lebendigkeit und die Veränderlichkeit der Installation. In diesem Fall sollte auch überlegt werden, ob Mack, Piene und Uecker eher als wichtigste Zeitzeugen, anstatt als Verantwortliche für die Aufstellung hinzugezogen werden sollten, da Künstler dazu neigen, ihre Arbeiten immer neu zu gestalten. Die Kuratoren könnten sich der technischen Beratung von Restauratoren bedienen. Diese sind dafür ausgebildet, die vorhandene Substanz des Kunstwerkes zu respektieren und seinen historischen Zusammenhang zu berücksichtigen, wie es in der Definition des Berufs betont wird: »Der Restaurator unterscheidet sich vom […] Künstler grundlegend: Er schafft keine kulturellen Neuwerte. Seine Aufgaben sind das Erfassen und Analysieren, die Erhaltung und Pflege noch vorhandener Substanz in ihrem historischen Zusammenhang.«91 Die Rekonstruktion würde auf jeden Fall eine Interpretation der Kasseler Installation darstellen und dürfte nicht als das ›wiedergefundene Original‹ betrachtet werden. Wäre das Ziel des Museums dagegen, eine neue Version der Installation zu präsentieren, wäre die Beteiligung der Künstler bei der Aufstellung zweifellos berechtigt. Sie sollten dann auch die Freiheit haben, die Konstellation der Werke und die Aufstellungsreihenfolge zu verändern. Natürlich könnte somit vom Lichtraum der documenta III nicht mehr gesprochen werden. Außerdem würde sich das Problem der Zusammenarbeit von Mack, Piene und Uecker stellen. Anläßlich der Ausstellung Aufbrüche und der Installationen des Lichtraumes im Kunstmuseum mußten die Künstler der ehemaligen Gruppe Zero wieder zusammenarbeiten, obwohl jeder schon lang seine eigenen Wege gegangen war. Die verschiedenen musealen Präsentationen der Kasseler Installation leiden auch unter dieser ›künstlichen‹ Zusammenarbeit. Und tatsächlich weigerte sich Uecker, bei der letzen Aufstellung mitzuarbeiten. Die aktuelle Präsentation ist ein Kompromiß zwischen den oben aufgezeigten Alternativen (Rekonstruktion und Schaffung einer neuen Installation): 91 Der Restaurator – eine Definition des Berufes, Paragraph 4.1, Stuttgart 1986, in: WEYER 1994, S. 353.

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Die auf der documenta III aufgetretene Konstellation von Kunstwerken und das Zeitdiagramm wurden als Konstanten festgesetzt, die Raumdimensionen und die Aufstellung der Objekte wurden dagegen verändert. Keine Art von Präsentation kann schließlich die ursprüngliche Situation wiederbringen. Die Installation im Fridericianum gewann ihren Reiz unter anderem durch den Gegensatz zwischen den schwierigen Ausstellungsbedingungen im engen und ungepflegten Raum im Dachgeschoß und den Lichterscheinungen, die diesen erdrückenden Raum zu überwinden schienen und sich als Zeichen für einen neuen Anfang zeigten. In einem konventionellen Ausstellungsraum ist dieser reizvolle Kontrast nicht wiederherstellbar. Auch die Schutzmaßnahmen, wie die Markierungen auf dem Boden, verraten, daß der Lichtraum nicht mehr die umstrittene Installation in einer als Ausstellungssaal nicht vorgesehenen Räumlichkeit ist, sondern daß er ein erhaltungswürdiges Museumsstück geworden ist. Die Situation auf der documenta III inspirierte außerdem die Widmung der Installation an Lucio Fontana, wie es am Anfang des Kapitels erläutert wurde. Als Hinweise auf die Gleichgültigkeit des documenta-Rates Fontana gegenüber und auf die vorgefundenen Bilder des italienischen Künstlers im Dachgeschoß des Fridericianums bleiben heute der Untertitel der Installation (Hommage à Fontana) und das Dia, das einen ›Taglio‹ zitiert. Jedoch wirkt die Hommage – in einem Kontext, in dem der Wert des italienischen Künstlers nun allgemein anerkannt ist – nicht mehr provokativ. Nicht nur die Re-Installation des Lichtraumes (Hommage à Fontana), sondern auch die Veränderungen der einzelnen Objekte haben Auswirkungen, sowohl auf den historischen als auch auf den künstlerischen Aspekt der gesamten Arbeit. Obwohl die Künstler der Gruppe Zero mit ihren Werken intendierten, den ›lyrischen Gestus‹ zu überwinden, sind ihre Arbeitsprozesse nie ganz anonym gewesen. Mack, Piene und Uecker haben zwar einige Typologien von Objekten entwickelt, die sie in mehreren Varianten wiederholt haben, aber im Fall ihrer Arbeiten kann nicht die Rede von auf Reproduzierbarkeit angelegten Kunstwerken sein. Die Repliken der Lichtscheibe und des Weißen Dynamos sind beispielsweise keine genauen Wiederholungen der auf der documenta III ausgestellten Kunstwerke, sondern eher neue Versionen derselben Typologie. Die Lichtscheibe von Uecker wurde außerdem im Kunstmuseum als Bodenscheibe ausgestellt, statt vertikal auf einem Gestell wie in Kassel. Die Variante der Scheibe am Boden ist die in den Lichträumen der Gruppe Zero am häufigsten verwendete.92 In Kassel ergänzte aber die vertikal aufgestellte Lichtscheibe die Reihe von Objekten mit flachen und runden Vorderseiten.93 92 Vgl. WIESE 1992, Abb. S. 36, 38, 40. 93 Uecker verändert gewöhnlich seine Objekte, um sie den jeweiligen Ausstellungs-

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➔ Lichtraum (Hommage à Fontana)

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Die Abweichungen der Repliken von den auf der documenta III ausgestellten Objekten sind nicht die einzigen Elemente, die sie von ihren Vorbildern unterscheiden. Auch wenn die Lichtscheibe und der Weiße Dynamo perfekt repliziert worden wären, hätten die Repliken nicht die Aura der 1964 in Kassel präsentierten Kunstwerke gehabt, wie aus dieser Äußerung von Walter Benjamin gefolgert werden kann: »Noch bei der höchstvollendeten Reproduktion fällt eines aus: das Hier und Jetzt des Kunstwerks – sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet. An diesem einmaligen Dasein aber und an nichts sonst vollzog sich die Geschichte, der es im Laufe seines Bestehens unterworfen gewesen ist.«94 Nicht die Düsseldorfer Repliken, sondern die Lichtscheibe, die sich heute im Museum Kröller-Müller in Otterlo befindet, und der Weiße Dynamo, heute im Sprengel Museum Hannover, wurden auf der documenta III gezeigt. Nur an diesen Objekten haften sowohl ihre Geschichte als auch die Spuren, die diese Geschichte an ihrer Materialität hinterlassen hat. Das macht ihre Echtheit aus, und sie ist nicht reproduzierbar.95 Die Repliken im ›museum kunst palast‹ haben ihre eigene Geschichte, die an dem jeweiligen Entstehungsdatum angefangen hat. Die anderen Kunstwerke der Installation wurden von den Künstlern überarbeitet. Die so entstandenen Veränderungen zeugen einerseits von der schöpferischen Entwicklung der Künstler, anderseits von ihrem Versuch, die Umsetzung der ursprünglichen Intention zu verbessern. Die Reparaturen, die Uecker an der Weißen Lichtmühle durch das Hinzufügen von unbemalten Holzbrettern durchgeführt hat, sind beispielsweise mit seinen späteren ebenfalls unbemalten Holzobjekten in Verbindung zu bringen. Die Edelstahlverkleidung, mit der Mack Aluminiumteile der Silbermühle bedeckte, stellte nach seiner Intention eine Optimierung der künstlerischen Wirkung und der Festigkeit des Werkes dar. Der Unterschied zwischen Macks Suche nach spiegelnden Materialien und Pienes Vorliebe für unauffällige Apparaturen fällt in diesem Zusammenhang besonders auf. Piene meint, daß das Kunstwerk ursprünglich nicht so hoch glänzend war und daß Mack die Komponente ›povera‹ der Materialien durch seine Überarbeitung überspielt hat. Während Piene findet, daß die Arbeit etwas von seiner Authentizität verloren hat, betrachtet Mack die von ihm hinzugefügte Edelstahlverkleidung als ganz im Sinne seiner ursprünglichen Idee.96

gegebenheiten anzupassen. Vgl. FELDHOFF, Silke, Terrororchester, in: Günther Uecker 2001, S. 122. 94 BENJAMIN 1977, S.11. 95 Vgl. ebd., S. 12: »Der Gesamte Bereich der Echtheit entzieht sich der technischen – und natürlich nicht nur der technischen – Reproduzierbarkeit.« 96 Vgl. Interviews von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer mit PIENE (7.8.1999) und MACK (26.8.1999).

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Die Überarbeitung der Silbermühle brachte auf jeden Fall eine Verschiebung des historischen Wertes des Objektes mit sich, da die Bewertung des ursprünglich verwendeten Materials (Aluminium) zur Entstehungszeit des Werkes wegen der Veränderungen nicht mehr ganz lesbar ist. Der historische Wert der Installation wird außerdem durch diejenigen Scheinwerfer und Apparaturen beeinträchtigt, die nicht aus der Zeit der documenta III stammen und deswegen nicht als Dokumente dieser Zeit gelten können. Schließlich gilt der gleiche Widerspruch, der oben in Bezug auf die gesamte Installation beobachtet wurde, auch für die einzelnen Objekte: einerseits gehörte zur künstlerischen Praxis von Mack, Piene und Uecker, ihre Kunstwerke ständig zu verändern und sie an die jeweiligen Ausstellungsbedingungen zu adaptieren; andererseits erweist sich diese absichtlich ständige Veränderung, die ja dem Prinzip der kinetischen Kunst entsprach, als nicht konform mit dem Anliegen des Museums, die Kasseler Installation zu zeigen. Im Fall der Gemeinschaftsarbeiten waren die Überarbeitungen außerdem einseitig, da ihnen nicht von allen drei Künstlern zugestimmt wurde. Ein letztes Problem stellt die zukünftige Erhaltung des Lichtraumes dar. Bei allen Bedeutungsverschiebungen und -verlusten, die der Lichtraum erlitten hat, befinden sich die kinetischen Objekte der Installation trotzdem in einem insgesamt guten Zustand, so daß ihre Lichtwirkung noch adäquat aufgenommen werden kann. In Zukunft kann es sich aber ergeben, daß ein oder mehrere Objekte aus konservatorischen Gründen stillgelegt werden müssen. Da die Lichterscheinungen einen grundsätzlichen Aspekt der Installation darstellen, ist zu überlegen, welche Formen der Dokumentation (Video, Holographie, Elektronik) geeignet wären, um sie in Erinnerung zu halten, wenn die kinetischen Objekte der Konstellation nicht mehr funktionsfähig sein werden. Eine Dokumentation kann aber die Objekte und ihre Wirkung nicht ersetzen. Trotz des Versuches der Künstler, einen Eindruck von Immaterialität zu vermitteln, bleibt das physische Werk doch wichtig, wie Piene treffend formuliert: »Dokumentation ist ja etwas Schönes. […] Was verlorengeht, ist natürlich die Taktilität, die physische Poesie dieser Dinge. Und je mehr von der physischen Poesie, der körperlichen Poesie verlorengeht, desto weniger authentisch ist das Werk.«97

97 PIENE, Interview von Caianiello, Heydenreich, Thorn, Weyer, 7.8.1999.

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➔ Creamcheese

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V. Creamcheese 1. Ort und Wirkung 1.1 Das Tanzlokal Einige Erfahrungen, die Günther Uecker in der Zero-Zeit gesammelt hatte (wie z.B. die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, die Organisation von künstlerischen Aktionen sowie die Verwendung von Partituren und von künstlichem Licht in einem frei begehbaren Raum) kamen ihm bei der Konzeption und Einrichtung des Tanzlokals Creamcheese zugute, obwohl das Lokal andererseits von seinen Zero-Kunstwerken und denen der anderen Gruppenmitglieder stark differierte. Hans-Joachim Reinert eröffnete die Kneipe am 20. Juli 1967 in einem Gebäude aus dem 17. Jahrhundert an der Neubrückstraße 12 in Düsseldorf.1 Den Namen verdankte das Lokal dem Lied Son of Suzy Creamcheese von Frank Zappas ›Mothers of Invention‹. Das Wort aus dem Titel des Songs wurde den ursprünglich angedachten deutschen Namen ›Ding‹ oder ›Dingsbums‹ vorgezogen, weil es eine Reihe von Assoziationen ermöglichte (Käse, Kitsch, Quark, Quatsch …).2 Uecker und das Ehepaar Reinert wollten mit dem Creamcheese kein herkömmliches, gemütliches Lokal eröffnen. Uecker beabsichtigte, ein »programmiertes Lichttheater« zu schaffen,3 »wo Leute sich im Spektakel produzieren können«.4 In dieses Projekt bezog er befreundete Künstler mit ein. Insbesondere spielten Lutz Mommartz und Ferdinand Kriwet eine wichtige Rolle. Auf einer Fahne, die an der Fassade des Lokals hing, war die Aufschrift ›Creamcheese‹ fünf mal (jeweils in Blau, Gelb, Schwarz, Rot und Grün) senkrecht zu lesen. Die Fahne, die von Ferdinand Kriwet gestaltet worden war, wurde im Herbst 1967 gestohlen und 1968 ersetzt.5 Ein weiteres Erkennungszeichen an der Außenseite des Creamcheese war eine Frühform von Leuchtreklame: ein mit schwarzen Kisten zugebautes Fen-

1 Vgl. LANSER, Günter, Geräusche nach Noten, in: »Neue Rhein-Zeitung«, 22.7.1967. 2 Vgl. SACK, Manfred, Licht- und Schallkneipe, in: »Die Zeit«, 3.11.1967. 3 Uecker, zitiert in: FISCHER, Peter W., »Verrückteste Kneipe der Welt«, in: »Recklinghäuser Zeitung«, 26.7.1967. 4 Uecker, zitiert in: BREER, Michael, Creamcheese, in: »vielleicht«, Schülerzeitung in Zusammenarbeit der Benrather 5 Vgl. dn., Fröhliche Fahnweihe, in: »Düsseldorfer Nachrichten«, 15.2.1968. Die Einweihung der neuen Fahne fand am 13.2.1968 anläßlich der Veranstaltung cheese take off statt.

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ster, das mit mehreren Glühbirnenreihen ausgestattet war, die von oben nach unten aus- und angeschaltet wurden. Abbildung 15: Creamcheese, Außenansicht

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Abbildung 16: Grundriß des Creamcheese aus: »vielleicht«, 1968

1. Eingang, an der Decke: Schaugummi von Spindel; 2. Garderobe; 3. Nagel-Objekt von Uecker 4. Spiegel-Objekt von Luther; 5. Podeste; 6. Mädchen-Bild von Richter; 7. Fernseh-Regal 8. Blitz-Leucht-Objekt von Fischer Lueg; 9. Bar von Mack; 10. Toiletten; 11. Diskothek und Lichtmaschinen

Der Grundriß des Creamcheese wurde durch die damalige Presse mit der Form eines Telephonhörers verglichen, der aus einer ›Hör-Muschel‹, einem ›Griff‹ und einer ›Sprech-Muschel‹ bestand.6 Der Besucher durchquerte zuerst einen Korridor, wo er an einer Tapete von Ferdinand Kriwet (einer Collage aus schwarzen Schlagzeilen auf roter Leuchtfarbe) vorbei ging.7 In einer Nische am Ende des Ganges stand (ab 1968) der Elektrische Garten von Uecker.8 Das Objekt machte bereits am Eingang deutlich, daß es sich um eine Aktionskneipe handelte, deren Atmosphäre ›elektrisch‹ war. Am Eingang befand sich auch ein rosa Schaumstoffobjekt von Ferdinand Spindel: Das weiche Material war an der Wand so fixiert, daß es Wülste bildete.9 Auf der rechten Seite öffnete sich ein halbdunkler Vorraum (die sogenannte ›Hör-Muschel‹), wo der Besucher der Fernsehwand, einem Regal mit 6 Vgl. z.B.: FABIAN, Rainer, Happening in »Edelkitsch«, in: »Rheinische Nachrichten«, 14. Sept. 1967. Eine Skizze des Grundrisses mit der Aufstellung der Kunstwerke befindet sich in: BREER 1968, S. 60 (hier: Abb. 16). 7 Information von Bim Reinert, 10.10.2001. 8 Vgl. Fröhliche Fahnenweihe 1968. 9 Vgl. UECKER, Interview d. Verf., 18.4.2003. Vermutlich kam dieses Schaumstoffobjekt erst 1968 hinzu. Vgl. Einladungskarte der Veranstaltung Cheese take off (13.2.1968): »Spindel: Schauschaum«. In der Skizze (Abb. 16) wird Spindels Objekt an der Decke registriert.

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Fernsehgeräten, gegenübertrat. Einige Fernseher übertrugen die Bilder des Geschehens aus dem innersten Raum des Lokals (der sogenannten ›Sprech-Muschel‹), andere zeigten absichtliche Bildstörungen. In der Nähe der Fernsehwand stand ein benageltes TV von Uecker. Dieses Objekt mußte später aus konservatorischen Gründen entfernt werden. Abbildung 17: Günther Uecker: Projekt des Elektrischen Gartens (1966), Grundriß des Creamcheese (l.), Skizze von Uecker-TV (r.)

Die Musik aus der ›Sprech-Muschel‹ wurde durch Lautsprecher übertragen. Die Bildschirme der Fernsehwand konnten von einem pyramidenartigen Podest mit irregulären Stufen aus betrachtet werden. Das Podest wurde vom Designer Danilo Silvestrin, der damals Assistent von Uecker war, nach einem Entwurf des letzeren gezeichnet.10 Als Hintergrund der ›Pyramide‹ diente ein Gemälde von Gerhard Richter, das ein liegendes Mädchen darstellte.

10 Vgl. UECKER, Interview d. Verf., 18.4.2003.

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Abbildung 18: Vorraum mit Bild von Gerhard Richter

Diese poppige Einrichtung wurde durch aufgeblasene Gummienten ergänzt, die Konrad Fischer-Lueg an der Decke angeordnet hatte. Sie hingen mit dem Kopf nach unten. Auf diesem Weg wurde die Decke zum Fußboden, und der Besucher wurde ›auf den Kopf gestellt‹.11 Da die Enten schon nach kurzer Zeit in einem schlechten Zustand waren, wurden sie entfernt. Die Decke wurde erneut in einen Fußboden verwandelt, als Daniel Spoerri 1969 die Aktion Wir hängen die Theke an die Decke durchführte. Zwei Platten, auf denen Spoerri verschiedene Objekte in derselben Anordnung fixiert hatte, in der sie auf der Theke des Lokals vorgefunden worden waren, wur-

11 Vgl. bl., Ein Spuk hängt mit dem Kopf nach unten, in: »Das Gastgewerbe«, Nr. 31, 5.8.1967. Der Journalist berichtet: »Für mich hatte der Besuch von ›Creamcheese‹ eine besondere Nachwirkung. Ich träumte nachts, daß ich, den Kopf nach unten hängend, an der Decke der Bar entlangspazierte, immer in Angst, herunterzufallen.«

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Abbildung 19: Ansicht des Ganges mit den Gummienten von Konrad Fischer-Lueg

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Abbildung 20: Adolf Luther, Hohlspiegelobjekt

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Abbildung 21: Ecke mit der Schwebenden Plastik nach George Rickey und den Flippern

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Abbildung 22: Gang mit der Installation von Konrad Fischer-Lueg

den horizontal und mit den Objekten nach unten an der Decke des Vorraums befestigt. Die ›Hör-Muschel‹ und die ›Sprech-Muschel‹ waren durch einen schmalen Gang verbunden, der als ›Griff‹ des ›Telephonhörers‹ begriffen werden kann. Hier befand sich die lange Theke des Lokals, die von Heinz Mack entworfen worden war. Sie war in der Mitte von einem Durchgang für das Personal unterbrochen. Am Ende des Korridors machte sie einen Knick und ragte in den inneren Raum hinein. Durch eine hoch glänzende Beschichtung und ein lamellenartiges Relief reflektierte die Theke ein verzerrtes Spiegelbild der Umgebung. Eine irritierende Verzerrung der umgebenden Wirklichkeit erzeugte

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auch ein Hohlspiegelobjekt von Adolf Luther, das von 1968 an am Anfang des schmalen Ganges stand.12 Nachdem die Gummienten an der Decke entfernt worden waren, entwikkelte Konrad Fischer-Lueg (noch im Verlauf des Jahres 1967) eine neue Installation: Die Wand gegenüber der Bar wurde mit Phosphorfarbe bemalt und durch Blitzlicht in Zeitintervallen angestrahlt. Die Silhouetten der Passierenden zeichneten sich auf ihr ab, um langsam wieder zu verschwinden.13 Gegenüber der Theke – neben den Toiletten – wurde später ein kleiner offener Raum für Spielautomaten eingerichtet.14 1971 wurde an die Decke dieses Raumes eine kinetische Plastik aus Metall gehängt, die nach einer Zeichnung von George Rickey hergestellt worden war. Ihre polierte Oberfläche spiegelte das Licht der Flipper und die darunter stehenden Gäste wieder. Abbildung 23: Aktionsraum mit den Projektionen

12 Ein kleineres Objekt von Luther hing neben der Theke. Heute befindet es sich in einer Privatsammlung. 13 Vgl. SCHÜMANN, Kurt, Creamcheese, die progressive Kneipe Düsseldorfs, in: »Düsseldorfer Wochenspiegel«, 16.10.1967. Eine ähnliche Installation von Konrad Lueg aus dem Jahr 1968 befindet sich im Städtischen Museum Gelsenkirchen. 14 In der Skizze des Grundrißes (BREER 1968, S. 60) wird an diesem Ort die Installation von Fischer-Lueg eingegeben. Als der Raum mit Spielautomaten eingerichtet wurde, wurde die Installation verschoben (Auskunft von Bim Reinert).

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Der Gang, in dem sich die Bar befand, führte zu dem innersten Raum des Lokals (der sogenannten ›Sprechmuschel‹). Dieser war der eigentliche Aktionsraum und wurde von Uecker auch gern als ›Uterus‹ bezeichnet.15 Hier wurde zur neuesten und laut gespielten Musik getanzt. An einem Ende der Bar befand sich ein Hochstand in Kopfhöhe, der mit zwei Plattentellern und einer Sammlung von Schallplatten ausgestattet war. Mit der Musik war das Lichtspiel kombiniert, das durch zwei Atelier-Scheinwerfer, ein Stroboskop und andere Lichtgeräte erzeugt wurde. Außerdem projizierten verschiedene Filmund Diaprojektoren stille und bewegte Bilder auf Wände, Tanzfläche und Publikum.16 Dafür verwendeten die Künstler sowohl eigene Filme (z.B. von Mommartz oder Uecker) und Dias (etwa die ›Sehtexte‹ von Kriwet), als auch Ausschnittmaterial aus Wochenschauen und Werbungen oder zensiertes Filmmaterial, das sie auf illegalen Wegen von der zentralen Filmzensurbehörde beschaffen konnten. Auf der Tanzfläche stand ein großer Kubus aus spiegelndem Metall, der von Danilo Silvestrin nach einer Idee von Uecker entworfen worden war. Der Kubus wurde als Podest zum Tanzen verwendet. Zwei weitere aufeinandergestapelte Podien dienten als Sitzplätze. Die Abwesenheit von Stühlen und Tischen im Lokal – abgesehen von den Hockern an der Bar bot das Creamcheese nur Podien als Sitzmöglichkeit – war ein Aspekt der inneren Einrichtung, der damals als innovativ galt.17 Uecker erklärte: »Jeder soll hier tun können, was er will. Er soll stehen können, in Aktion treten, auf ein Podium steigen dürfen und sich einfach hinlegen können, Aktionsraum, das heißt: Er hat die Freiheit, sich selbst zu realisieren«.18 Die gezielte Bewegungsfreiheit der Besucher war ein Aspekt, der bereits die Lichträume der Gruppe Zero charakterisiert hatte. Im Creamcheese war das Publikum aber nicht nur frei, sich beliebig zu bewegen, sondern es wurde auch als ›Material‹ benutzt. Uecker erklärte: »Ich will den Menschen über seine ganze Tastatur der Empfindungen ansprechen und ihn erfassen, und ihn möglichst auch über Schwellen führen und über Hemmungsbereiche, ihn terrorisieren und herausreißen, schocken, zurückstoßen, aufnehmen. […] Das Creamcheese ist ein psychisches Stimulanzmedium.«19 Die Reizüberflutung sollte als Anregung dienen, um bestimmte Reaktionen des Publikums auszu-

15 Vgl. FABIAN 1967. 16 Für eine Beschreibung der Projektionen s. ebd. 17 Vgl. FISCHER 1967: »Der verrückte ›Käsecreme‹ besitzt nicht wie herkömmliche Tanzlokale Stühle und Tische«. 18 Uecker, zitiert in: KEISER, Rolf-Ulrich, Untergrund-Club in Düsseldorf, in: »Aachener Nachrichten«, 20.12.1967. 19 Uecker, zitiert in: BREER 1968, S. 59.

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lösen. Das Publikum im Creamcheese konnte zwar seine Empfindungen frei zeigen, aber sie waren laut Uecker bis zu einem gewissen Grad durch die Partituren von Musik, Geräuschen, Wörtern und Bildern programmiert: »Erst kommt die Enthemmung und dann Entspannung. Erschreckend, wie man das handhaben kann …«.20 »Licht Terror Blitz Aktion Schall Stille« Am 13. Februar 1968 fand die Veranstaltung cheese take off im Creamcheese statt, die einen Höhepunkt der Aktivität des Lokals darstellte: Zahlreiche Künstler waren anwesend, von denen einige sich am künstlerischen Programm des Abends beteiligten.21 Ferdinand Kriwet weihte seine (zweite) Fahne ein, indem er von einem Fenster des Lokals im ersten Stock den von ihm geschriebenen Fahnenappell an die auf der Straße versammelten Leute richtete.22 Am gleichen Abend trug Kriwet zusammen mit Uecker auch das Creamcheese-Manifest vor. Das Manifest stellt ein wichtiges Dokument für die Rekonstruktion des Creamcheese-Konzeptes dar.23 Der Text (in Schwarz und Rot) ist in drei Spalten aufgeteilt. Die erste Spalte besteht aus mehreren Aussagen von Uecker, die sich meistens auf frühere Schriften des Künstlers zurückführen lassen. Die dritte enthält Definitionen der Kunst von Kriwet. Die mittlere ist eine nicht signierte Liste von Aufforderungen, die wie die Wörter »Cream« und »Cheese« in Rot geschrieben sind. In der Spalte von Uecker fällt eine Reihe von typographisch hervorgehobenen Wörtern auf, die auch auf einer Einladungskarte des Lokals24 zu lesen sind: »Licht Terror Blitz Aktion Schall Stille«.25 Die Wörter lassen sich in verschiedenen Kombinationen lesen: entweder als Gegensätze (Licht/Terror, Schall/Stille) oder als Assoziationen (Licht/Stille, Terror/Schall). »Blitz« und »Aktion«, die auf der Einladungskarte nebeneinander erscheinen, können sowohl als alleinstehende Wörter als auch als Kompositum (Blitzaktion) gelesen werden. Der Blitz ist nach Uecker ein Symbol von Erleuchtung (wie »ein Liebespfeil von Amor«).26 Das Kompositum Blitzaktion drückt Geschwindig-

20 Uecker, zitiert in: LAUGNER, Hans-Joachim, Feierabend – Vorschuß auf das Jahr 2000, in: »Neue Rhein-Zeitung am Sonntag«, 28.1.1968. 21 Vgl. Einladungskarte Cheese take off (Sammlung Reinert). 22 Ausschnitte aus dem Creamcheese Fahnenappell in: BREER 1968, S. 61. 23 Das Creamcheese-Manifest wurde 1993 als von Uecker und Kriwet signiertes Plakat in limitierter Auflage neu gedruckt. Ein Exemplar (2/100) hängt im ›museum kunst palast‹, Düsseldorf. 24 Die Einladungskarte (Sammlung Reinert) ist in: BREER 1968, S. 59, veröffentlicht. 25 UECKER, in: Creamcheese Manifest 1968. 26 UECKER, Interview d. Verf., 18. 4. 2003.

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Abbildung 24: Creamcheese-Manifest, 13.02.1968

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keit und Energie aus. Uecker meint: »Wenn man schnell genug sein kann […], kommt man durch alles hindurch.«27 Einige der Wörter aus der zitierten Passage des Creamcheese-Manifests verweisen auf Begriffe, die bereits für die Gruppe Zero wesentlich gewesen waren. In erster Linie natürlich das Licht, das mit seiner Verwandlung »der ständige faszinierende ›Gegenstand‹ von Zero«28 gewesen war. Stille und Schall erinnern an das Zero-Manifest (1963): »Zero ist die Stille« und »Gold und Silber, Schall und Rauch Wanderzirkus Zero.«29 Was die Aktion angeht, so ist bekannt, daß die Gruppe Zero bereits 1961 und 1962 künstlerische Demonstrationen organisierte, bei denen Künstlerhandlungen und Teilnahme des Publikums, laute Musik und Geräusche zum Programm gehörten.30 Die oben erwähnten Stichwörter nehmen jedoch im Rahmen des Creamcheese-Konzeptes eine neue Bedeutung an. Während Zero eine optimistische Grundhaltung vermitteln wollte, war es das Ziel des Creamcheese, die bürgerlichen Sicherheiten seiner Besucher zu erschüttern. Die Zeiten hatten sich verändert. Es ging nicht mehr um den Neubeginn nach den verhängnisvollen Kriegsjahren, sondern um die Sensibilisierung zu einer kritischen Haltung der Konsumgesellschaft gegenüber. Für Zero war das Licht die Gegenkraft des Dunkels: »Wir verstehen Licht nicht nur als optische Energie, sondern als unsere Beziehung zum Rhythmus des Lebens im Wechsel von Licht und Dunkel, Tag und Nacht, Leben und Tod« schrieb Otto Piene 1965.31 Im Creamcheese dagegen ist das Licht nicht als Sieg über das Dunkel zu interpretieren; es ist vielmehr eines der Mittel, die das Bewußtsein der Rezipienten erschüttern und stimulieren sollten. Auch in der Form von stroboskopischem Licht verwendet, mochte es eher zur Verwirrung und Aufregung des Betrachters als zur kontemplativen Konzentration führen. Der Terror ist ein Element, das Zero fremd war. Die ruhigen Lichträume hatten einen meditativen Charakter, und die Zero-Aktionen waren laut, aber »von harmloser Feier- und Fröhlichkeit«.32 Im Gegensatz dazu wurde der Terror im Creamcheese als Strategie eingesetzt. Er war insbesondere mit dem Schall gekoppelt, der im Aktionsraum die Schmerzgrenze erreichte: Geräusche wie Maschinengewehr, Zahnarztbohrer, Zug und Trillerpfeife unterbra-

27 28 29 30 31 32

Ebd. Piene, Position Zero, in: ZERO 1992, S. S. 8. Zero-Manifest 1963, Kursivschrift d. Verf. Vgl. KUHN 1991, S. 39-40. Piene, Position Zero, in: ZERO 1992, S. 8. KUHN 1991, S. 213.

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chen in Zeitintervallen die laute Musik.33 Eine von Uecker für die 4. documenta (1968) entwickelte Windmaschine, die zur Gruppe seiner sogenannten ›Terrorobjekte‹ eingeordnet werden kann, wurde auch im Düsseldorfer Creamcheese eingesetzt.34 Sie diente als Ventilator und machte einen schrecklichen Krach. Eine Terror-Demonstration, die gleichzeitig Aggression und Wehrhaftigkeit ausdrückte, war auch Ueckers Elektrischer Garten, ein Nagel in Menschengröße, der – hinter einem Gitter gefangen – ursprünglich elektrischen Blitzen ausgesetzt war. Das letzte Wort der aus dem Creamcheese-Manifest zitierten Passage ist »Stille«. Diese war, wie bereits erwähnt, ein zentraler Begriff für Zero gewesen (»Zero ist die Stille«). Voraussetzung der Stille im Sinne von Zero war die Leere: »Zero fing im Vakuum an (in dieser Situation waren wir sicher von Yves Kleins Arbeit und Ideen beeindruckt) – das war die Bedingung für einen neuen Anfang.«35 Für diese Auffassung der Stille als Leere und Meditation gab es natürlich keinen Platz im lauten Creamcheese, wo das Publikum einer Reizüberflutung ausgesetzt war. Den Unterschied zwischen den Zero-Arbeiten und dem Creamcheese betonend, hat sich Heinz Mack in diesem Zusammenhang wie folgt geäußert: »die Stille, die ich in meinem Atelier erfahren habe und die ich in meiner Arbeit damals zum Ausdruck gebracht habe […] hatte mit dem Creamcheese nichts zu tun. Creamcheese war das Gegenteil: Es war sozusagen die ›Erholung von der Stille‹.«36 Die Stille setzte im Creamcheese erst ein, wenn das Lokal nachts geschlossen wurde: Nach dem Schall folgte die Stille, genau wie in der Reihenfolge der zitierten Wörter aus dem Creamcheese-Manifest. Doch in den akustischen Partituren des Lokals wurden auch Pausen eingebaut, wie Uecker bestätigt: »Wir haben wohl mit Akustik-Abbrüchen gearbeitet, so daß Intervalle oder Zwischenräume entstanden«.37 Wenn die Stille im Sinne von John Cage als Fülle von zufälligen Geräuschen interpretiert wird, wird es klar, daß sie ein wesentliches Element des Ganzen war. Nach Cages Auffassung kann eine vollkommene Stille nie erreicht werden: »There is always […] something to hear. In fact, try as we may to make a silence, we cannot.«38 Cage bemerkte, daß auch die Pausen der Musikkompositionen durch die vom Komponisten nicht vorausgesehenen zufälligen Geräusche der Um-

33 Vgl. FABIAN 1967, der die Verwendung von Geräuschen im Creamcheese mit der Theorie der Merzbühne von Kurt Schwitters in Verbindung bringt. 34 Über die Terrorobjekte vgl. FELDHOFF 2001c, S. 122-124. 35 Piene, Position Zero, in: ZERO 1992, S. 8. 36 MACK, Interview d. Verf., 21. 11. 2002. 37 UECKER, Interview d. Verf., 18. 4. 2003. 38 Cage, John, Experimental Music (1957), in: ders., Silence, London 1987, S. 8.

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gebung gefüllt werden, und plädierte für die Verwendung aller akustischen Phänomene als geeignetes Material für die neue Musik.39 Cages Aufnahme der Realität in die Kunst – ein Verfahren, das eine Verwandtschaft mit dem ›Ready-made‹ und dem ›Assemblage‹ aufweist – bringt auch die Akzeptanz des Chaos mit sich, wie der Kritiker Jill Johnston im Bezug auf die Musik bemerkte: »Silence means the whole world of sound, Life; and its entrance into the world of music means the end of that exclusive activity called Art wherby the composer makes a separate act meant to ›illumine the darkness‹ of the chaos of everyday life.«40 Im Gegensatz dazu war Zero, laut Otto Piene, für eine Überwindung des Chaos: »Klärung ist wichtiger Prozeß in der angestrebten Bewältigung von Chaos/und der ›Chaos-Tradition‹.«41 Uecker wurde seinerseits bereits am Ende der fünfziger Jahre von Cage inspiriert, wie seine als ›Hommage an Cage‹ konzipierten Optischen Partituren zeigen.42 Seit Anfang der sechziger Jahre versuchte er, die poetischen Vorstellungen von Zero mit der Banalität des alltäglichen Lebens zu verzahnen. Im Tanzlokal Creamcheese gehörte die Realität selbstverständlich dazu. Wie die Intervalle in der Musik den zufälligen Geräuschen des Lokals Raum boten, nahmen auch die spiegelnden Objekte des Creamcheese (etwa die Theke von Heinz Mack und das Hohlspiegelobjekt von Adolf Luther) das äußere Geschehen auf, indem sie die Umgebung reflektierten. Alles, was sich in diesen Objekten spiegelte, wurde aber in reine Lichterscheinungen verwandelt. Während Uecker schon früh die Verletzlichkeit des Menschen in seinen Werken thematisierte, schien Mack von den gesellschaftlichen Veränderungen, die sich seit Mitte der sechziger Jahre vollzogen, unberührt zu bleiben. Die ZERO-Idee, eine hellere Welt durch eine von allen Trübungen befreite Kunst zu gestalten, inspirierte weiter seine Werke. Der allgemeine Stimmungsschwung schien »ihn vielmehr angespornt zu haben, in seinen Anstrengungen nicht nachzulassen, weil die Welt gerade in sich verdüsternden Zeiten mehr denn je einen Verkünder der Schönheit braucht.«43 Der ›Terror‹

39 Vgl. ebd., S. 7-8: »For in this new music nothing takes place but sounds: those that are notated and those that are not. Those that are not notated appear in the written music as silences, opening the doors of the music to the sounds that happen to be in the environment.« 40 JOHNSTON, Jill, There Is No Silence Now (in: »The Village Voice«, 8.11.1962), abgedruckt in: KOSTELANETZ, Richard (Hrsg.), John Cage: An Anthology, New York 1991, S. 146. 41 Piene, Position Zero, in: ZERO 1992, S. 8. 42 Vgl. FELDHOFF, Silke, Optische Partituren, 1959, in: Günther Uecker 2001, S. 110. 43 Schmied, Wieland, Arbeit am Projekt der Moderne, in: SCHMIED 1998, S. 11.

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blieb also Mack weiterhin fremd. Selbst die Auffassung des Creamcheese ist bei Mack und Uecker unterschiedlich: Aus Macks Perspektive war die Kneipe zwar antibürgerlich, aber vor allem »einfach ein Raum, in dem man ausgelassen war, in dem man fröhlich war«, und der von seiner künstlerischen Arbeit im Atelier »absolut getrennt« war.44 Laut Uecker war das Creamcheese ein Forum für alle, die gegen eine nach rein ökonomischen Werten orientierte Gesellschaft waren, und zugleich eine Herausforderung dazu, das Bewußtsein der Besucher zu erweitern.45 Das Reisetheater Um auf das Bewußtsein der Besucher einzuwirken, wurden verschiedene künstlerische Medien eingesetzt, so daß das Creamcheese als intermediales Werk definiert werden kann. Das Wort ›Intermedia‹ wurde von Dick Higgins 1966 geprägt, um die Ausdrucksformen zu bezeichnen, die zwischen mehreren Kunstgattungen lagen, wie z.B. das Happening und die Fluxus-Aktionen.46 Die traditionelle Trennung der Gattungen schien in den sechziger Jahren überwunden, und es wurde in den Grenzzonen verschiedener Kunstformen experimentiert. Günther Uecker hatte bereits 1962 ein Werk in Zusammenarbeit mit S. D. Sauerbier geplant› das die Grenzen zwischen mehreren künstlerischen Medien überschritt: ein Theaterstück mit dem Titel Reisetheater, das ein Spektakel von Licht, Projektionen, Ton und Bewegung werden sollte.47 Es wurde nie aufgeführt, aber einige Ideen, die Uecker für dieses Projekt entwickelt hatte, wurden dann mit dem Creamcheese realisiert. Im Creamcheese-Manifest können mehrere Passagen aus der Beschreibung des Reisetheaters wieder gefunden werden. Im Unterschied zum herkömmlichen Theater sollte dieses Stück die traditionelle Trennung zwischen Schauspielern und Zuschauern sowohl räumlich als auch hinsichtlich der Rollenverteilung aufheben. Für die Aufführung hatte Uecker einen weißen Raum vorgesehen, in dem sich eine Scheibe drehte.48 Auf der Scheibe sollte eine Gruppe von Zuschauern stehen, die quasi eine

44 MACK, Interview d. Verf., 21.11.2002 (s. Anhang). 45 Vgl. UECKER, Interview d. Verf., 18.4.2003. 46 HIGGINS, Dick, Intermedia, in: »the something else NEWSLETTER« 1, 1966, 1 (Februar), abgedruckt in: Intermedia 69, Heidelberg 1969, o.S. 47 Vgl. FELDHOFF, Silke, Reisetheater, 1962/64, in: Günther Uecker 2001, S. 114-115; SAUERBIER, S. D., Vom Theater zum Theater, in: Günther Uecker 2001, S. 22-35. 48 Die Scheibe konnte, »wenn nicht maschinell, von mehreren Arbeitern gedreht werden.« Vgl. Uecker, Günther/Sauerbier, S. D., Reise-Theater (1962), in: UECKER 1979, S. 61.

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kinetische Plastik gebildet hätte: »eine sich bewegende Plastik, eine Anhäufung von Menschen, ein lebendes Monument.«49 Der Raum um die Drehscheibe herum hätte durch weitere Zuschauer gefüllt werden sollen. Die Idee einer kinetischen Plastik aus Menschen wurde im Aktionsraum des Creamcheese umgesetzt: Wer wollte, konnte auf dem kubischen Podest tanzen, das sozusagen als Sockel dieser lebendigen Plastik diente, während die anderen Besucher sich auf dem Fußboden frei bewegen konnten. Im Unterschied zu dem Reisetheater, bei dem die Bewegung durch die sich drehende Scheibe erzeugt werden sollte, war die Bewegung im Creamcheese also durch die Tanzenden produziert, die durch den individuellen Beitrag zu dem Gesamteffekt beitrugen. Für das Reisetheater plante Uecker außerdem, Scheinwerfer, Blitz- und Projektionsgeräte einzusetzen, die »ihr Licht durch und über die Körper auf der Scheibe« projizierten.50 Die Projektionsgeräte hätten »Reproduktionen unserer neuen Wallfahrtsstätten, der vom Fremdenverkehr heimgesuchten Orte«51 zeigen sollen, d.h. Ziele des Massentourismus wie zum Beispiel traumhafte Strände. Die Schatten der Leute an den Wänden hätten »das Bild einer Prozession menschähnlicher Formen« erzeugt.52 Eine auf Tonband aufgenommene Stimme sollte eine von Sauerbier verfaßte Collage von Werbetexten aus Reiseprospekten und -katalogen wiedergeben. Verbreitet über acht bis zehn Lautsprecher, hätte sie die Stimme des ›Reiseführers‹ dargestellt.53 Sowohl das Reisetheater als auch das Creamcheese sollten eine »Gesellschaft auf der Flucht vor sich selbst am Ort ihrer besten Wünsche«54 inszenieren. Diese Erklärung erinnert an die existenzialistische Philosophie von Jean-Paul Sartre, der in Ueckers Bildung eine wichtige Bezugsperson darstell-

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Ebd., S. 61. Ebd., S. 61. Ebd., S. 61. Ebd., S. 61. Es war geplant, daß der Reiseführer ab einem gewissen Moment die Wiedergabe der Tonaufnahme durch die Lektüre desselben Projektes Reisetheater ergänzen sollte. Vgl. ebd., S. 63. 54 Ebd., S. 61. Im Creamcheese-Manifest schreibt Uecker: »Ich will eine Gesellschaft auf der Flucht vor sich selbst am Ort ihrer Wünsche zeigen.« (In den Zitaten aus dem Manifest wurde die Groß-Kleinschreibung nach den Regeln der Rechtschreibung verändert). Uecker selbst ist ein begeisterter Reisender. Seine Reiseziele sind aber andere als die der Massentouristen: Er ist z.B. während des VietnamKrieges nach Laos gereist, um die Umstände des Krieges selber zu erleben. Vgl. Interview d. Verf., 18.4.2003.

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te.55 Sartre zufolge ist die Gegenwärtigkeit »Flucht […] zu dem Sich, das sie durch Koinzidenz mit dem, woran es ihr mangelt, sein wird.«56 Was Uecker insbesondere interessierte, war die »Haltung des Reisenden« seinen Wünschen/Zielorten gegenüber. Im Projekt für das Reisetheater wird »der Reiseverlauf als Korrektiv des Ungenügens am aktuellen Aufenthaltsort« definiert.57 Laut Sartre ist das Bewußtsein von etwas Erwünschtem Voraussetzung für die Erkennung eines Mangels in der gegenwärtigen Situation.58 Die Erfüllung der Wünsche entspricht der Zukunft als dem idealen Ort, den es zu erreichen gilt. Aber die Flucht des Menschen kennt in Wirklichkeit keine Endstation: »die Zukunft läßt sich nicht einholen«, betont Sartre.59 Da der Mensch sich ein erwünschtes und nicht realisiertes Mögliches (das Nichts) vorstellen kann, ist er frei.60 Er kann sein Leben nach immer neuen Zielen richten, die den Status quo transzendieren. Jedoch nähren Ziele, die in unserer Gesellschaft als »Wallfahrtsorte« gelten, laut Uecker nur die Mystifizierungen der Politik, Religion, Macht, Erotik, Gewalt, Liebe und Zukunft.61 »Wallfahrtsorte als kollektives Erinnerungsgut dienen den Mythen unserer Gesellschaft« meint Uecker im Creamcheese-Manifest.62 Eine Auseinandersetzung mit den Mängeln der Gesellschaft wurde in den sechziger Jahren durch die vom ökonomischen Wohlstand verbreitete Euphorie in Deutschland verhindert. Uecker bedauerte, daß der durch den Krieg verursachte Zusammenbruch im kollektiven Bewußtsein ausgeblendet und dank des ›Wirtschaftswunders‹ in einen ökonomischen Sieg verwandelt wurde.63 Lutz Mommartz meinte: »Bei uns fehlt dem Wunsch nach Veränderung die praktische Not. Nur den Intellektuellen und den engagierten Studenten genügt es nicht, den Wohlstand einfach zu genießen. Sie wollen die Verant-

55 Vgl. Günther Uecker: »Literatur war ein mich am Leben erhaltender Spiegel extremer Lebensäußerungen« Ein Gespräch von Heinz-Nobert JOCKS, in: »Kunstforum« 140, 1998, April-Juni, S. 171. 56 SARTRE, Jean-Paul, L‹être et le néant, Paris 1943, zitiert nach der deutschen Ausgabe: Das Sein und das Nichts, Reinbek bei Hamburg 1991, S. 247-248. 57 Uecker/Sauerbier, Reise-Theater, in: UECKER 1979, S. 61. 58 Vgl. SARTRE 1991, S. 754. 59 Ebd., S. 252. Die Bewegung der Menschen auf der Scheibe im Reisetheater ist nur eine scheinbare Bewegung: Die Scheibe dreht sich um ihre eigene Achse ohne von der Stelle zu rücken. 60 Vgl. SARTRE 1991, S. 765. 61 Vgl. UECKER, in: Creamcheese-Manifest 1968. 62 UECKER, in: Creamcheese-Manifest 1968. Das Zitat wiederholt ein Konzept des Reisetheaters: »Die Wallfahrtsorte spiegeln einen Mythos dieser unserer Gesellschaft, ein kollektives Erinnerungsgut.« (Uecker/Sauerbier, Reise-Theater, in: UECKER 1979, S. 63). 63 Vgl. UECKER, Interview d. Verf., 18.4.2003.

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wortung für eine Veränderung der ganzen Welt übernehmen.«64 Die Künstler versuchten dabei, die Leute zu einer kritischen Stellungnahme zu drängen und neue Zielvorstellungen zu inspirieren. Nach Sartre ist der Mensch nicht nur frei, sondern er ist dazu »verurteilt«, frei zu sein.65 Das heißt, daß er seine Freiheit, immer neu zu entscheiden, nicht zurückweisen kann. Nur vergeblich versucht er sich an einem Sinn seiner Existenz festzuhalten, da dieser durch die Existenz selbst ständig neu definiert werden muß. Dementsprechend fordert Uecker im Creamcheese-Manifest: »Suchen wir keinen Halt. Bewegen wir uns«- Worte, die an das Manifest für Statik von Jean Tinguely (1959) erinnern: »Let us be static together with the movement. […] Be movement! […] Do not hold onto anything.«66 Die Erweiterung des Bewußtseins Im Creamcheese sollte sich ein neues Bewußtsein bilden, wie Uecker im Manifest andeutete: »Hier verschränken sich kollektive und individuelle, bewußte und unbewußte Erinnerungen und Erwartungen, Wünsche und Träume zu einem neuen Bewußtsein von permanenten Veränderungen.«67 Um ein Schlagwort aus der Zeit zu verwenden, war eine ›Bewußtseinserweiterung‹ – eine intensivere, hoch sensible Wahrnehmung im Rausch – im Creamcheese intendiert. Inwieweit dieser Rausch auch durch Drogen beeinflußt war, läßt sich heute nicht mehr nachprüfen. Die häufigen Blitzaktionen der Polizei im Lokal konnten laut dem Ehepaar Reinert keine Beweise erbringen. In jener Zeit war jedoch Drogenkonsum zu Erlangung einer Bewußstseinserweiterung durchaus üblich. Der Begriff Bewußtseinserweiterung ist mehrdeutig, da das Bewußtsein unterschiedlich definiert werden kann. Reiner Wick zufolge basiert eine erste Konnotation des Begriffs auf der Gleichung »bewußt = unterscheidend, unterschieden«.68 Wie Wick bemerkt, zielten intermediale Künstler darauf ab, »die Diskriminationsfähigkeit des Kunstpublikums nicht nur angesichts ästhetischen Reizmaterials, sondern darüber hinausgehend angesichts aller erdenklichen Umweltaspekte zu erhöhen, ihm also […] zu einer differenzierteren, d.h. bewußteren Wirklichkeitserfahrung zu verhelfen.«69 In diesem Sinne spornte Uecker zur kritischen Entscheidung an: »Es gilt

64 Mommartz, Lutz, Filmen ist doof (1969), in: Mommartzfilm 1964-1999, Köln, 2000, S. 193. 65 SARTRE 1991, S. 763. 66 Tinguely, Jean, Manifest für Statik (1959), in: ZERO 1973, S. 119. 67 UECKER, in: Creamcheese-Manifest 1968. 68 WICK, Reiner, Zur Soziologie intermediärer Kunstpraxis, Diss., Universität zu Köln, 1975, S. 107. 69 Ebd. 107-108.

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die Wahl zu treffen in der Differenziertheit des Geschehens.«70 Die »Differenziertheit des Geschehens« wurde im Creamcheese durch die Gegenüberstellung von verschiedenen Projektionen ausgedrückt: »Wie den Papst, der etwas segnet, wie Chruschtschov, der eine Aussage irgendwo findet, und wie gleichzeitig Krieg ist, und wie gleichzeitig irgendwelche Leute im KZ umkommen, und wie gleichzeitig jemand liebt und heiratet und stirbt, und etwas geschieht.«71 Die gleichzeitige Wahrnehmung von mehreren Ereignissen, die scheinbar in keinem Zusammenhang standen, sollte ihre Relativität hervorheben. »Verschiedene Ereignisse gleichzeitig sicht- und hörbar machen und in ihrer Fragwürdigkeit zueinander zu präsentieren« war einer der Vorsätze Ueckers.72 Eine zweite Konnotation des Begriffs Bewußtsein basiert laut Wick auf der Gleichung »bewußt = aufmerkend, bemerkend«.73 Diese entfernt sich nicht allzu sehr von der oben erwähnten Gleichung »bewußt = unterscheidend, unterschieden«, da Aufmerksamkeit selektiv ist und folglich Unterscheidungsfähigkeit voraussetzt. Im Creamcheese sollte dieser aufmerkende Aspekt des Bewußtseins durch eine Reizüberflutung erweitert werden, wie man den folgenden Worten von Uecker entnehmen kann: »was einer in der Aufeinanderfolge von Geräuschen und Effekten der technisierten Umwelt tagsüber kaum bemerkt, kriegt er bei uns auf einem chaotischen Haufen als Reizmittel-Überdosis verabreicht.«74 Zur Erweiterung der Unterscheidungsfähigkeit und Aufmerksamkeit des Publikums sollten auch die im Aktionsraum projizierten Filme von Lutz Mommartz beitragen. Im Film Eisenbahn, zum Beispiel, wurde Langweile als Strategie eingesetzt, um eine kritische Entscheidung anzuspornen.75 Der Film zeigte eine vorbeiziehende monotone Flachlandschaft mit einem unterlegten

70 UECKER, in: Creamcheese-Manifest 1968. 71 Uecker, zitiert in: BREER 1968, S. 58. 72 UECKER, in: Creamcheese-Manifest 1968. Sowohl die Wahrnehmung unverknüpfter Ereignisse als auch die Flucht des Seins im Sinne von Sartre hatten nach Nam June Paik eine Gemeinsamkeit: »Beide […] kennen keine Endstation, Schlußfolgerung, absolute Pause, Verbrauch, Steigerung. In anderen Worten, sie sind relativ.« Paik, Nam June, Nachspiel zur Ausstellung ›Exposition of Music – Electronic Television‹ (Wuppertal 1963), in: Nam June Paik. Werke 1946-1976, Kölnischer Kunstverein, 1976, S. 91. 73 WICK 1975, S. 108. 74 Uecker, zitiert in: LAUGNER 1968. 75 Der Film wurde 1967 bei dem Festival für Experimentalfilm in Knokke zusammen mit drei weiteren Filmen von Mommartz präsentiert. In dieser Gelegenheit erlangte der junge Filmer Ansehen. Sein Film Selbstschüsse gewann den zweiten Preis des Festivals.

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kontinuierlichen Fahrgeräusch. Der Filmstreifen wurde von Mommartz in einer Schleife gebildet, so daß der Film auf eine beliebige Länge gebracht werden konnte. Nur nach einer gewissen Zeit der Beobachtung konnte der aufmerksame Zuschauer bemerken, daß die Landschaft sich ständig wiederholte. Diese Entdeckung würde ihn zu einer Entscheidung führen, wie Mommartz erklärte: »Dann kann er sich entscheiden, ob er sich passiv weiterfahren lassen will oder ob er etwas anderes oder nichts mehr sehen will. Für die letzteren ist diese Phase Anlaß, schöpferisch zu empfinden, also ein sehr kritisches Moment.«76 Der Film wurde im Creamcheese gleichzeitig auf mehrere Wände projiziert. Dadurch wirkte er laut Mommartz stärker und stieß das Publikum mehr an. Auf die Frage, ob der unterhaltende Aspekt des Lokals nicht im Widerspruch zur im Film eingesetzten Strategie der Langweile sei, antwortete Mommartz: »Diesen Widerspruch habe ich tragen wollen, weil er den Erkennenden auf der einen Seite sagen will, daß es sich um Anerkennung der Wirklichkeit dreht und die noch nicht Erkennenden anstoßen wollte.«77 Schließlich hat der Begriff Bewußtsein laut Wick eine kognitive Konnotation, die nicht nur die Gleichung »bewußt = gewußt« einschließt, sondern auch einen Erlebnisaspekt.78 In diesem kognitiven Sinne richtet sich Bewußtseinserweiterung auf Vermittlung von Wissensinhalten mit dem Ziel, die Einstellung und das Verhalten des Publikums zu modifizieren, um letztlich den Anstoß zu einer Gesellschaftsveränderung zu geben. Im Creamcheese spielten die Information und insbesondere der Erlebnisaspekt eine wichtige Rolle. Ferdinand Kriwet erklärte im Creamcheese-Manifest: »Kunst ist Information«. Um Information zu vermitteln, sollte Kunst seiner Meinung nach zeitgemäße Medien wie Film, Fernsehen, Radio und Presse verwenden, die sich im Vergleich zu den traditionellen künstlerischen Medien der Rezeption des zeitgenössischen Publikums besser eignen würden und deswegen als Kommunikationsmittel wirksamer sein sollten. Die Kette von Veränderungen, die sich dadurch ergeben würden, wurde von Kriwet, wie folgt, zusammengefaßt: »Ich verändere Fernsehen, Film, Rundfunk, Presse. Ich werde von Fernsehen, Film, Rundfunk, Presse verändert. Fernsehen, Film, Rundfunk, Presse verändern sich.« Was aber das Konzept des Creamcheese zum größten Teil ausmachte, war der Erlebnisaspekt. »Wir überleben nicht. Wir erleben« sagt Kriwet im Manifest. Das Creamcheese bot eben eine breite Palette von Erlebnissen, die Kunst und Leben näher rücken sollten, um ein breites Publikum unabhängig 76 Mommartz, zitiert in: NETTELBECK, Uwe, Kunterbunt in Knokke, in: »Die Zeit«, 5.1.1968. 77 MOMMARTZ, Interview d. Verf., 16.11.2002 (s. Anhang). 78 WICK 1975, S. 109.

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vom unterschiedlichen Bildungsniveau anzusprechen: »Kunst ist Unterhaltung. Alle Unterhaltung ist Kunst«.79 Die Stellung des Creamcheese in der Geschichte der Diskotheken und Künstlerkneipen Das Creamcheese trug einerseits zur Entwicklung des Phänomens Diskothek bei, anderseits knüpfte es an die Tradition der Künstlerkneipen an. Der Begriff Diskothek bezeichnete ursprünglich die Sammlungen von Schallplatten. Seit Anfang der sechziger Jahre wurde der Begriff Diskothek dann auch als Bezeichnung von Tanzlokalen eingeführt, die Musik von Schallplatten spielten.80 Nach dem zweiten Weltkrieg führte die ökonomische Krise dazu, daß Live-Bands in den Nachtlokalen allmählich durch Schallplatten ersetzt wurden. Der Übergang von Live- zur Schallplattenmusik war aber graduell. Die Verwendung von Wiedergabegeräten wurde am Anfang als bloßer Ersatz der live aufspielenden Formationen empfunden und mußte sich gegen die Befürworter der Live-Musik behaupten. Die Überwindung der Vorurteile gegen die aufgenommene Musik erfolgte zuerst durch die Organisation von Tanzveranstaltungen, die den Charakter von besonderen Ereignissen hatten. Schon in den fünfziger Jahren fanden die sogenannten ›Record Hops‹ (Bälle zur durch Schallplatten gespielten Musik) in den Vereinigten Staaten statt. Die Ausstattung dieser Tanzveranstaltungen war minimalistisch und bestand grundsätzlich aus einfachen Soundsystemen. Die Räumlichkeiten, in denen diese Partys stattfanden, wurden nicht speziell eingerichtet, und Lichteffekte waren kaum vorhanden.81 Die ersten eigentlichen Diskotheken entstanden in Frankreich. Dort konnten Clubs, Bars und Varietés bereits am Ende des zweiten Weltkrieges wieder eröffnet werden. Da Live-Bands in der Nachkriegszeit kostspielig und schwierig zu finden waren, begannen die Gaststättenbesitzer, Schallplatten statt Live-Musik zu verwenden. Die neue Art von Tanzlokal, das damit entstand, wurde nach einiger Zeit ›discothèque‹ genannt.82 Das Modell der Diskothek verbreitete sich schnell auch in anderen Ländern und wurde insbesondere in den Vereinigten Staaten weiterentwickelt. Die amerikanischen Lokale wurden Anfang der sechziger Jahre in der Architektur erneuert, um dem Geschmack der Jugend entgegenzukommen. Während die traditionellen Tanzsäle pompös oder bieder ausgestattet waren,

79 KRIWET, in: Creamcheese Manifest 1968. 80 Zur Etymologie des Begriffes Diskothek vgl. MÜHLENHÖVER, Georg, Phänomen Disco, Köln 1999, S. 11. 81 Vgl. ebd., S. 39. 82 Vgl. ebd., S. 35.

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wurden die neuen Diskotheken im Gegensatz dazu unkonventionell eingerichtet und ständig entsprechend der Mode umgestaltet. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre bekamen viele Lokale eine ›psychedelische‹ Ausstattung, die meistens aus stroboskopischem Licht, Diskokugeln und Diaprojektionen bestand. Der ›psychedelische‹, d.h. ›bewußtseinserweiternde‹ Charakter zielte auf eine totale Sinneserfahrung ab: »In contrast to the record sessions held in old-style dancehalls, discotheques attempted to offer complete sensory exeperiences – ones often intensified by the use of alcohol and/or drugs […] Only with the discotheque of the 60s did the institution develop into a total environment«.83 In dieser Entwicklung der Diskothek spielte der Einsatz von Lichtspielen eine wichtige Rolle: »Lighting, in particular, has become an elaborate accompaniment to the music, emphasizing its rhythms, illustrating its chords. Sometimes, the roving coloured beams and flashing strobes decorate the dancers, making a better spectacle of the crowd. At other times, swishing lasers and figurative patterns of light are an optical phenomenon in their own right.«84 Ein multimediales Spektakel wurde beispielsweise im New Yorker The Dom geboten. Das mit Spiegeln bedeckte Lokal war ursprünglich eine polnische ›Dancehall‹ gewesen, die Stanley’s the Dom hieß (›Dom‹ bedeutet auf Polnisch Haus). Diese Räumlichkeiten wurden im April 1966 von Andy Warhol gemietet, um der Band ›Velvet Underground‹ einen Raum für Auftritte zu bieten. Diese wurden unter dem Namen Exploding Plastic Inevitable zu multimedialen Spektakeln dank der von Warhol dirigierten Zusammenstellung von Musik, Tanz, Lichtinszenierung, Film- und Diaprojektionen.85 Noch im selben Jahr wurde das Lokal von Bob Dylan in Balloon Farm umbenannt. Obwohl es keine Diskothek im engeren Sinne war, da die ›Velvet Underground‹ hier live spielten, wurde es in einem Zeitungsartikel als »psychedelic discotheque« definiert und mit Worten beschrieben, die auch für das Creamcheese benutzt werden könnten: »Mixed media. Lots of light. Noise enough to make your ears sing back. Blows the mind.«86 Deutschland erlebte in den dreißiger Jahren eine Swing-Euphorie, die den Grundstein zu einigen Elementen der späteren Diskokultur legte. Der Einsatz von auf Wiedergabegeräten gespeicherter Musik, die Anbindung an eine spezifische Form von Jugendkultur und die lässige Atmosphäre – Merkmale, die

83 THORNTON, Sarah, Club Cultures, Hanover 1996, S. 57. 84 Ebd., S. 57. 85 Vgl. MEKAS, Jonas, Notes after Reseeing the Movies of Andy Wahrol, in: O’PRAY, Michael, (Hrsg.), Andy Wahrol Film Factory, London 1989, S. 32. 86 Vgl. GOLDSTEIN, Richard, 1966: A Quiet Evening at the Balloon Farm (»New York Magazine«, 1967), in: KUREISHI, Hanif, SAVAGE, Jon (Hrsg.), The Faber Book of Pop, London 1995, S. 273.

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sich im Diskokonzept etablieren sollten – hatten schon die Zusammenkünfte der sogenannten ›Swinger‹ charakterisiert. Diese Entwicklung wurde aber durch die Tanzverbote des Nationalsozialismus und durch den Krieg drastisch unterbrochen, so daß die neue Form von Tanzlokalen später aus dem Ausland importiert werden mußte.87 Günther Uecker, der erstmals 1964 in New York war und von 1965 bis 1968 ein Atelier im East Greenwich Village besaß, hatte die Möglichkeit, The Dom und die E.P.I.-Show zu besuchen. Diese Erfahrung inspirierte sein Konzept für das Creamcheese.88 Das Düsseldorfer Lokal wurde am gleichen Ort eröffnet, in dem sich früher ein traditioneller Tanzsaal, der Silbersaal, befand. Der Silbersaal war »ein im Volksmund als ›Nahkampfdiele‹ bezeichnetes Establissment, wo man sich noch jeden Tanz extra für dreißig Pfennige zu erkaufen hatte«.89 Das Creamcheese stellte dagegen den neusten Trend dar, obwohl es in der damaligen Presse noch mit dem altmodischen Wort ›Tanzlokal‹ und nicht mit dem neuen Begriff ›Diskothek‹ bezeichnet wurde. Der britische Disc-Jockey Simon Prestwich versorgte das Creamcheese mit den aktuellsten Schallplatten aus England (z.B. von den Beatles).90 Wie in allen Diskos war die Rolle des DJs sehr wichtig, weil er die Stimmung auf der Tanzfläche mit seiner Musikauswahl beeinflussen konnte.91 Die Musik wurde durch das Lichtspektakel begleitet. Heinz Mack, dem der Einsatz von Stroboskoplicht zu verdanken war, erzählte, daß Musikrhythmen und Lichtimpulse nur teilweise wirklich synchron waren, da die einfachen Walzrelais, die für das Lichtspiel verwendet wurden, keine perfekte Synchronisierung gestatteten.92 Die Lichtapparaturen wurden oft von Günther Uecker selber bedient, wie die damalige Presse registrierte: »Im Idealfall sollen Musik und Lichtspiel kongruent vonstatten gehen: das ist manchmal so, wenn Günther Uecker selber die Lichtapparaturen schwenkt.«93 Für die Lichtprojektionen war außerdem Gerd Hübinger von der ›Leisure Society‹ zuständig.94 Lutz Mommartz war insbesondere für die Filmprojektionen ver-

87 Vgl. MÜHLENHÖVER 1999, S. 31-35. 88 Vgl. SACK 1967; WENDERMANN, Gerda, Die Filme von Günther Uecker, in: Günther Uecker 2001, S. 230. 89 SACK 1967. 90 Vgl. ebd. 91 Über die Figur des DJs und seine Entwicklung vgl. POSCHARDT, Ulf, DJ-Culture, Hamburg 1995 (2. Aufl. 1996). 92 Vgl. MACK, Interview d. Verf., 21.11.2002. 93 Vgl. SACK 1967. 94 Vgl. Einladungskarte zur Eröffnung des Lokals (Sammlung Reinert).

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antwortlich, während Achim Becker sich um die Technik kümmerte.95 Im Aktionsraum verwandelte eine Diskokugel die Lichtstrahlen in Lichtpunkte. Die Tatsache, daß es im Creamcheese ein Lichtspektakel gab, das von dafür zuständigen Personen dirigiert wurde, knüpfte einerseits an die E.P.I.Show an. Andererseits wurde damit die Figur des ›Light-Jockey‹ angekündigt, wie sie sich später – zum Beispiel im berühmten New Yorker Club Studio 54 – entwickelte.96 Ein weiteres Element des Creamcheese, das dem neuesten Stand der Diskos entsprach, war der Bühnencharakter der Tanzfläche. Die innovative innere Architektur der Diskos verlieh der Tanzfläche eine zentrale Position, die Scheinwerfer waren auf die Tanzenden gerichtet, und selbst die neuen Tänze betonten den theatralen Aspekt durch die starke solistische Freiheit, die sie gestatteten, und durch die Akzentuierung der Posen.97 Während die Protagonisten in den traditionellen Tanzlokalen die Musiker waren, wurde diese Rolle in den Diskos vom Publikum übernommen. Jedoch fanden im kulturellen Programm des Creamcheese auch Auftritte von Live-Bands, wie zum Beispiel ›The Iceni‹, ihren Platz. Aus den vielfältigen Ausdrucksmitteln, die im Lokal verwendet wurden, entstand jeden Abend ein besonderes Ereignis. Das Creamcheese war nicht nur eine Disko, sondern auch ein Treffpunkt von Künstlern, denen das Lokal einerseits ein innovatives Unterhaltungskonzept, anderseits eine Bühne für ihre Kreativität bot. Im Creamcheese, das sich in einer strategischen Position in der Nähe von Kunstmuseum, Kunstakademie, Kunsthalle und wichtigen Galerien befand, verkehrte die ganze Düsseldorfer Kunstszene: Literaten, bildende Künstler,98 Leute aus dem Bereich der Werbung (wie Charles Wilp) und des Theaters. Auch Galeristen (insbesondere Alfred Schmela) und Museumsleute wie der damalige Direktor des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen, Karl-Heinz Hering, waren Stammgäste. Nicht wenige Besucher reisten von weither an. Mack betont: »Creamcheese war wirklich eine Künstlerkneipe, eine Kneipe, in der Künstler sich sehr wohl fühlten. Es war ganz natürlich, daß man sich bemühte, dem Raum eine unverwechselbare, einmalige Atmosphäre zu geben.«99 Das Creamcheese sollte also auch in der Tradition der Künstlerkneipen betrachtet werden. Cafés und Kneipen waren schon immer Anziehungsorte für bildende Künstler und Literaten, die sich dort trafen und austauschten.

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Vgl. MOMMARTZ, Interview d. Verf., 14.11.2002. Zur Rolle des LJs im ›Studio 54‹ vgl. MÜHLENHÖVER 1999, S. 56. Vgl. ebd., S. 57. Einige Künstler jobbten im Lokal. Blinky Palermo, zum Beispiel, arbeitete dort als Barkeeper. 99 MACK, Interview d. Verf., 21.11.1002.

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Treffpunkt der Impressionisten war zum Beispiel das Pariser Café Guerbois und später das Café de la Nouvelle Athènes, das von Edgar Degas im Bild L’Absinthe (1876) verewigt wurde. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren Cafés aber nur Treffpunkte und keine Orte der künstlerischen Aktivität. In den 1880er und 90er Jahren entwickelte sich – zuerst in Frankreich – das Café-Cabaret, das von Künstlern nicht nur besucht, sondern auch gestaltet und durch Darbietungen belebt wurde. Ein frühes Beispiel war das Chat Noir (1881-1897) in Paris. Betreiber des Lokals war der Maler Rodolphe Salis. Im Café verkehrte eine Gruppe von Literaten (die ›Hydropathen‹), die Dichterlesungen, Vorträge, Lieder und Improvisationen vorführten. Dazu kamen auch Sänger, Maler und Musiker. Die Maler stellten im Café ihre Werke aus.100 Im Bezug auf die historischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts sind mehrere Café-Cabarets bekannt. Sie spielten eine wichtige Rolle als Orte für künstlerische Experimente und als Gelegenheit für die Künstler mit einem breiten Publikum in Kontakt zu kommen.101 Bereits in der zweiten Dekade des Jahrhunderts benutzten die Futuristen die Form des Café-Cabarets, um die Sensibilität des Publikums im futuristischen Sinne zu verändern. Sie organisierten Abendveranstaltungen, die in Ausstellungen futuristischer Kunstwerke, in Vorträgen von Gedichten und in musikalischen Darbietungen bestanden, und die oft mit Protesten des Publikums endeten. Später wurden verschiedene Café-Cabarets von Futuristen ausgestattet. In Rom richtete Giacomo Balla 1921 das Lokal Bal Tick Tack ein, für das er das Eingangsschild und Mobiliar entwarf und die Wände bemalte. Im selben Jahr realisierte Fortunato Depero das Cabaret del Diavolo im Hotel Elite et des Etrangers in Rom. Das Lokal hatte drei Etagen, die vom Künstler als Hölle, Fegefeuer und Paradies gestaltet wurden.102 1916 gründete Hugo Ball das Cabaret Voltaire in der Kneipe Meierei in Zürich.103 Um das Cabaret versammelte sich eine Gruppe von Künstlern, die – wie bekannt – die Dada-Bewegung ins Leben rufen sollten. Die vielfältige Aktivität der Gruppe bestand im Vortrag von Gedichten, Geschichten und Gesängen, in der Improvisation von Tänzen und in der Realisierung von Bildern, Reliefs und Plakaten für das Cabaret.104 Richard Hulsenbeck, Marcel Janco 100 Vgl. DE PONTE, Susanne, Aktion im Futurismus, Baden-Baden 1999, S. 111-113. 101 Vgl. FAUCHEREAU, Serge, Café-cabaret nel mondo, in: Futurismo & Futurismi 1986, S. 438-439. 102 Vgl. CELANT, Germano, Café-cabaret in Italia, in: Futurismo & Futurismi 1986, S. 438. 103 Über das Cabaret Voltaire und seine Aktivitäten vgl. RICHTER, Hans, DADA: Kunst und Antikunst, Köln 1964 (2. Auflage: 1978), S. 12-29. 104 Die Kneipe wurde u.a. mit Kunstwerken von Hans Arp und Marcel Janco ausgestattet. Das Plakat des Cabarets wurde vom ukrainischen Künstler Marcel Slodki entworfen.

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und Tristan Tzara führten im Lokal ein ›Poème simultan‹ auf, in dem mehrere Stimmen gleichzeitig sprachen, sangen und pfiffen, wobei unterschiedliche Geräusche im Hintergrund zu hören waren. Diese Art von Gedicht antizipierte die im Creamcheese vorgetragenen Sprechtexte von Ferdinand Kriwet. In Rußland behielt das futuristische Modell des Café-Cabarets seine kulturelle Rolle auch nach der Revolution: zwischen 1917 und 1918 wurde das Café Pittoresque in Moskau entworfen. Das Licht spielte in der Raumgestaltung des Lokals, das von Georgii Yakulov mit der Hilfe von anderen Künstlern (u.a. Aleksandr Rodtschenko und Vladimir Tatlin) entworfen wurde, eine entscheidende Rolle. Die Ausstattung wurde wie folgt beschrieben: »alles vermischte sich mit Licht, alles bewegte sich und vibrierte. Man hatte den Eindruck, die ganze Dekoration würde sich bewegen.«105 1926 beauftragten die Brüder Paul und André Horn den Künstler Théo van Doesburg mit dem Entwurf der Innenarchitektur der Aubette, einer mehreren Zwecken dienenden Vergnügungsstätte in Straßburg, die unter anderem Café, Restaurant, Cabaret, Film- und Tanzsaal enthalten sollte.106 Van Doesburg arbeitete bis 1928 mit der Hilfe von Hans Arp und Sophie Täuber Arp daran. Er wollte mit der Aubette eine innovative und lebendige Innenarchitektur schaffen, die bis ins kleinste Detail geplant war. Er wurde aber enttäuscht, da die Betreiber des Lokals bereits einen Monat nach der Eröffnung die Räume mit Latten, künstlichen Blumen und bunten Lichtern schmückten, um dem Geschmack des Publikums, das die Einrichtung ungemütlich fand, entgegenzukommen.107 Die ausgewählten Beispiele von Künstlerkneipen zeigen, wie die künstlerische Einrichtung des Creamcheese und die schöpferischen Aktivitäten, die dort stattfanden, auf einer alten Tradition, nämlich der des Café-Cabarets, basierten. Aber erst die Kombination dieser Tradition mit der Disko-Kultur machte aus dem Düsseldorfer Lokal etwas Besonderes: Die intellektuellen Aspekte des Cabarets wurden mit der körperlichen Erfahrung, dem Sinnesrausch und dem unterhaltenden Charakter der Diskothek verschmolzen, so daß ein innovatives Konzept entstand.

105 Larinow, N. F., zitiert in: BOWLT, John E., Die Konstruktion des Raums, in: Von der Fläche zum Raum, Köln 1974, S. 8. 106 Vgl. GEORGEL/LILLERS 1977. 107 Vgl. Van Doesburg (18.4.1928), in: Theo van Doesburg, œuvre catalogue (hrsg. von Els Hoek), Centraal Museum Utrecht, Kröller-Müller Museum Otterlo, 2000, S. 428.

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1.2 Die Musealisierung des Creamcheese Obwohl Ferdinand Kriwet und Günther Uecker sich im Creamcheese-Manifest sehr kritisch über die Institution Museum geäußert hatten (vgl. Kap. II), kam es trotzdem zur Musealisierung des Düsseldorfer Lokals. Der erste Schritt zur offiziellen Anerkennung der künstlerischen Bedeutung des Creamcheese wurde gemacht, als der documenta-Kommissar Arnold Bode 1968 das Lokal besuchte. Er erklärte das Ensemble zu einem »Gesamtkunstwerk«und schlug vor, das Konzept der intermedialen Kneipe auf den Club der 4. documenta (1968) zu übertragen.108 In diesem Fall kann aber nicht von Musealisierung gesprochen werden, da das Creamcheese auf der documenta eine neue Umsetzung der Konzeption des Düsseldorfer Lokals darstellte und den Charakter einer Kneipe beibehielt.109 Das Kasseler Creamcheese wurde in der Orangerie von Lutz Mommartz und Günther Uecker eingerichtet und diente als Kino und Disko zugleich. Der Raum, der schwarze Wände hatte, wurde mit zwei Leinwänden ausgestattet, die Mommartz im Abstand von zehn Metern einander gegenüber aufstellte. Jede Leinwand wies ein Loch auf, hinter dem jeweils ein Filmprojektor stand, der die Bilder auf die gegenüberliegende Leinwand projizierte. Diese Installation wird in der Literatur ›Zweileinwandkino‹ oder ›Gegenprojektion‹ genannt.110 Der Raum zwischen den Leinwänden wurde als Tanzfläche benutzt. Auch hier wurde wie in Düsseldorf Blitzlicht in Kombination mit Musik eingesetzt. In Kassel präsentierte Mommartz die ›Zweileinwandfilme‹ Gegenüber und Links-Rechts. In Gegenüber sah man auf der einen Leinwand einen Mann, der einen Projektor bediente, und auf der anderen ein tanzendes Mädchen, so daß der Eindruck entstand, daß das Bild des Mädchens vom Mann gegenüber projiziert wurde.111 Diese Doppelprojektion war bereits im Düsseldorfer Creamcheese gezeigt worden, wo die Idee jedoch nicht deutlich vermittelt werden konnte, da die realen Projektoren für die Zuschauer sichtbar waren. In Links-Rechts erschien auf der linken Leinwand eine Frau in einem Zimmer und auf der rechten ein Mann in einem anderen. Die Frau wechselte zuerst von einer Leinwand auf die andere. Schließlich begannen beide eine Kissenschlacht. Da die Szene aus zwei unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen worden war, schienen die Kissen von Leinwand zu Leinwand zu fliegen. Im Raum zwischen den Leinwänden wurden Daunenfedern eingestreut

108 Vgl. Reinert, Bim, Was war das Creamcheese?, in: creamcheese – a tribute to the sixties, Broschüre zur Theaterperformance, JuTA, Düsseldorf 1993, o. S. 109 Auch in Kassel wurde das Creamcheese vom Ehepaar Reinert bewirtet. 110 Vgl. Mommartzfilm 2000, S. 533; WENDERMANN 2001, S. 230; 234. 111 Vgl. Kochenrath, H.P. (in: »Film«, Jan. 1969), abgedruckt in: Mommartzfilm 2000, S. 536; WENDERMANN 2001, S. 230.

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und durch Ueckers Windmaschine in Bewegung gesetzt, so daß die Besucher den Eindruck hatten, mitten in die Kissenschlacht geraten zu sein.112 Im selben Jahr (1968) hatte Mommartz bereits das Projekt eines Kinos für Rundumprojektion mit Wind- und Duftmaschine entworfen, das nicht realisiert worden war.113 Nach Mommartz »versteht sich das Projekt ›Windmühle‹ und in vereinfachter Form das Zweileinwandkino als Treffpunkt von Leuten, die in bestimmter Weise zwar stimuliert, nicht jedoch in irgendeiner Weise bevormundet werden wollen. Nicht die Würdigung eines bestimmten Films oder eines Idols wird ermöglicht, sondern deren Relativierung angesichts der gerade vorherrschenden Situation.«114 Der documenta-Club war eine Variante des Düsseldorfer Creamcheese. Die Anwesenheit auf der documenta implizierte keine ›Institutionalisierung‹ der Creamcheese-Idee.115 Andererseits hatte das kulturelle Programm des Tanzlokals eine Wirkung auf die Praxis der Kunstinstitutionen, da es zur Wiederentdeckung des Films als künstlerisches Medium und zur Verbreitung von Ausdrucksformen wie prozessuelle Kunst, Happening und Performance beitrug. Zudem präsentierte es noch unbekannte Künstler einer breiten Öffentlichkeit und griff Themen wie zum Beispiel die Sensibilisierung des Rezipienten auf, die eine wichtige Rolle in der Ausstellungspraxis spielen sollten. Mommartz, der – wie schon erwähnt – bereits 1967 auf dem Festival für Experimentalfilm in Knokke Ansehen erlangt hatte, bekam im September 1968 die Möglichkeit, seine Filme in der Kunsthalle Düsseldorf zu zeigen. Dort präsentierte er eine Simultanschau mit sieben Projektoren. Die Presse kommentierte: »Beim ersten Filmabend der Arbeitsgemeinschaft kultureller Organisationen mit Experimentalfilmen von Lutz Mommartz kam man sich in der

112 Im Film spielen Kiki Meyer und Sigmar Polke. Vgl. Mommartzfilm 2000, S. 536537 und Günther Uecker 2001, S. 236. 113 Der Plan des Kinos ähnelte einer achteckigen Mühle. Acht Projektionswände bildeten paarweise vier Winkel von 120 Grad. Eine Wand pro Paar wies drei Schlitze auf. Dadurch hätten jeweils zwei Filmprojektoren und ein Diaprojektor auf die gegenüber stehenden Projektionsflächen Bilder geworfen. Für das Kino war keine feste Bestuhlung vorgesehen. Die Zuschauer, die durch vier Öffnungen jederzeit hinein- oder herausgehen hätten können, wären in einen Bilderwirbel geraten. Ein großer schwebender Ventilator hätte diesen Eindruck verstärkt, indem er je nach Film Wind auf das Publikum herunter geblasen bzw. einen Sog nach oben ausgelöst hätte. Das geplante Kino wurde ›Windmühle‹ genannt.Vgl. Mommartzfilm 2000, S. 529-532. 114 Lutz Mommartz, zitiert in: Kochenrath, a.a.O., in: Mommartzfilm 2000, S. 532. Die ›Windmühle‹ hätte aber laut Mommartz im Vergleich zu dem ›Zweileinwandkino‹ den Nachteil gehabt, den Zuschauer »einzufangen« statt ihn »herauszufordern«. MOMMARTZ, Interview d. Verf., 14.11.2002. 115 Vgl. ebd.

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Kunsthalle vor wie im ›Creamcheese‹.«116 Bei der Ausstellungsreihe between, die zwischen 1969 und 1973 in der Kunsthalle Düsseldorf stattfand, wurden zudem die Werke verschiedener Künstler gezeigt, die ihre ersten Auftritte im Tanzlokal gehabt hatten.117 Im allgemeinen trug das Creamcheese zu einer Auflockerung des ›steifen‹ Kunstbetriebes jener Zeit bei, wie die Eröffnung der Ausstellung Akt 68 in der Kunsthalle Recklinghausen beweist. Aus diesem Anlaß wurde eine Creamcheese-Aktion statt eines Vortrages organisiert. In der ersten Etage der Kunsthalle gab es aufgespießte Käsestücke mit dem Schildchen »1. Teil der Creamcheese-Aktion. Greifen Sie zu!« In der zweiten Etage war ein Podium zwischen den ausgestellten Akten montiert worden, auf dem drei mit schwarzen Schleiern leicht bekleidete Mädchen und ein Mann in Unterhosen tanzten. Sie wurden mit stroboskopischem Licht beleuchtet, so daß die Wahrnehmung ihrer Körper und Bewegungen irritiert wurde. Sowohl die Tanzenden als auch die technischen Apparaturen stammten vom Düsseldorfer Tanzlokal.118 Nach dem ›Zwischenspiel‹ in Kassel setzte das Düsseldorfer Creamcheese seine kulturelle Aktivität eifrig fort. Im Oktober 1968 wurden zum Beispiel die durch das Creamcheese produzierten Filme Hot Apple und Good Bye (beide von Tony Morgan) sowie Resurrection (von Daniel Spoerri und Tony Morgan) gezeigt.119 Am 5. Dezember 1968 fand die Aktion Der Tisch von Anatol Herzfeld im Lokal statt. Im Rahmen dieser Aktion nahm Joseph Beuys die Handaktion/ Eckenaktion vor, bei der er in einer Ecke des Lokals stand und Bewegungen mit Armen und Händen vollführte.120 Die Anwesenheit von Anatols Lehrer Beuys im Creamcheese trug zum Ruf der Künstlerkneipe bei.121

116 K.Sch., Flimmern und Zucken auf allen Wänden. Simultanschau mit MommartzFilmen in der Kunsthalle (in: »NRZ« 14.9.1968), abgedruckt in: Mommartzfilm 2000, S. 556. 117 Vgl. BUSCHMANN 2002. 118 Vgl. Eine »Fete« mit Pop und Beat: Keiner rief Buh!, in: »Recklinghäuser Stadtnachrichten«, 14.10.1968; Premierengäste erleben einen grotesken Spuk, in: »WAZ«, 14.10.1968. 119 Hot Apple behandelt das Thema des Paradiesapfels und der Rolle der Frau. Good Bye führt die Banalisierung eines Abschiedsgrußes vor: Der rot geschminkte Mund von Morgans Frau wiederholt drei Minuten lang die Wörter »good bye«. Im Resurrection wird der Verdauungsprozeß eines Steaks rückwärts gezeigt. Er endet beim Rindvieh auf der Weide. Vgl. uw, Heiße Äpfel und ein Kalb, in: »Rheinische Post«, 31.10.1968. 120 Vgl. SCHNEEDE, Uwe M., Joseph Beuys: Die Aktionen, Ostfildern-Ruit bei Stuttgart 1994, S. 216-218. 121 Bei der Eröffnung des Creamcheese (1967) wurde die Abwesenheit von Beuys als

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1971 wurde die erwähnte kinetische Plastik nach einer Zeichnung von George Rickey feierlich eingeweiht.122 Ein Zeitungsartikel berichtet: »Wer auch immer in Düsseldorf etwas mit Kultur und vor allem mit bildender Kunst zu tun hat, war erschienen«.123 Jedoch ließen die künstlerischen Aktionen in der Kneipe Anfang der siebziger Jahre allmählich nach. Selbst die Künstler, die zur Konzeption des Creamcheese maßgeblich beigetragen hatten, verkehrten längst nicht mehr dort, weil sie einerseits anders beschäftigt waren und anderseits fanden, daß die Kneipe zu modisch und kommerziell geworden war.124 Eine neue Idee belebte das Lokal 1972 kurzfristig wieder: Im April dieses Jahres wurde das Creamcheese dank einer Aufführung von Jean Genets Tragödie Unter Aufsicht, inszeniert von Günther Büch, als erstes ›Kneipentheater‹ Deutschlands in der Presse gefeiert.125 Die Theaterinszenierungen wurden aber nur sporadisch fortgesetzt.126 Die Kneipe wurde inzwischen von den Sanierungsplänen der Stadt Düsseldorf bedroht. Das Gebäude an der Neubrückstraße 12 wurde als baufällig eingestuft, so daß seine Bewohner 1975 umziehen mußten. Besorgt beobachtete die Journalistin Gerda Kaltwasser: »›Bewohner‹ ist auch eine Gaststätte, die in den sechziger Jahren entstandene, weit über Düsseldorf hinaus bekannte Kunst- und Künstlerkneipe ›creamcheese‹. Schluß bald also auch

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Mangel empfunden: »Ein Happening allerdings wurde es nicht, denn der ›Professor‹ fehlte.« LANSER 1967. Mit der Handaktion/Eckenaktion wurde dieser ›Mangel‹ ausgefüllt. In späteren Artikeln wird an das Creamcheese als an die Kneipe erinnert, wo Beuys »Eine Bühne für seine herausfordernden Aktionen, besinnlichen Performances fand«. KALTWASSER, Gerda, Uecker und Beuys waren dafür, die Polizei war dagegen, in: »Rheinische Post«, 21.7.1992. Vgl. Rickey-Plastik an der Decke, in: »Düsseldorfer Nachrichten«, 29.3.1971. Das kinetische Objekt wurde von Rickey nicht als sein authentisches Werk anerkannt (Vgl. Abschnitt 2.1). Rickey-Plastik 1971. Unter den Anwesenden werden Schmalenbach, damaliger Direktor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, und Hemming, damaliger Kulturdezernent der Stadt, erwähnt. Vgl. UECKER, Interview d. Verf., 18.4.2003. Vgl. MEISTER, Helga, Theater vor der Theke, in: »Düsseldorfer Nachrichten«, 26.4.1972. Den Aufführungen war der Dienstag gewidmet. Aus diesen Anlässen wurde der innere Raum des Lokals aufgeräumt und mit Stühlen ausgestattet. Die Aktivität des Kneipentheaters wurde 1976 – kurz vor der Schließung des Lokals in der Neubrückstraße – nach dreijähriger Unterbrechung wiederbegonnen: Peter Kuiper inszenierte Wunschkonzert von Franz Xaver Kroetz und Günther Büch Rozznjogd von Peter Turrini. Vgl. MEISTER, Helga, Theater in der Kneipe, in: »Düsseldorfer Nachrichten«, 22.1.1976, S.-F., Kneipentheater als Korrektiv, in: »Frankfurter Allgemeine«, 30.1.1976.

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für das ›creamcheese‹?«127 Im Dezember 1976 zog das Lokal in die Flingerstraße 11 um.128 Die heroische Zeit des Creamcheese war aber vorbei. Die neue Version des Lokals war nur ein schwacher Abglanz der alten und konnte nicht an den Erfolg des innovativen Vorgängers anschließen. Die Wirtin, die sich in ökonomischen Schwierigkeiten befand und die Objekte aus der Kneipe nicht behalten konnte, bot sie der Stadt Düsseldorf zum Kauf an. Günther Uecker, der in dieser Angelegenheit durch das Kunstmuseum konsultiert wurde, zeigte sich besorgt, daß mit den Kunstwerken, die dem Lokal ohne Gewinnzwecke von den Künstlern überlassen worden waren, spekuliert werden könnte. Die Objekte wurden schließlich 1978 durch die Stadt Düsseldorf erworben und in den Bestand des Kunstmuseums inventarisiert.129 Die erste Idee war, die Kunstwerke zu restaurieren und sie nach dem Umbau des Gebäudes in der Neubrückstraße wieder am ursprünglichen Ort zu installieren.130 Dieses Vorhaben wurde aber nicht durchgeführt. Die Werke blieben im Depot des Düsseldorfer Kunstpalastes, bis 1985 eine Teilrekonstruktion des Lokals im Kunstmuseum präsentiert wurde. Die Anordnung der Objekte erfolgte mit Hilfe von Günther Uecker, der dafür eine Skizze des Plans der Kneipe lieferte. Die Zusammenarbeit mit dem Künstler sollte aus der Sicht des Kurators die Authentizität der Rekonstruktion garantieren.131 Ferdinand Kriwet, der zur Realisierung einer Dia-Projektion für die museale Präsentation aufgefordert worden war, zeigte sich aber skeptisch hinsichtlich der Möglichkeit einer Rekonstruktion: »eine Dia-Projektion im creamcheese-Raum zur Eröffnung möchte ich nicht arrangieren; das käme mir vor wie eine etwas künstliche Beatmung; die Stimmung, das Klima, den Reiz bzw. die Reizungen von damals kann man nicht nachstellen«.132

127 Vgl. KALTWASSER, Gerda, »Schellfisch« wird geräumt, in: »Rheinische Post«, 29.10.1975. 128 Vgl. Plakat, das für das neue Lokal wirbt (Sammlung Reinert). 129 Die Objekte aus dem Creamcheese, die durch die Stadt Düsseldorf für 70.000 DM angekauft wurden, waren: die Theke von Mack, das Bild der Liegenden von Richter, das Fallenbild von Spoerri, der Nagel und die Windmaschine von Uecker, das Spiegelobjekt von Luther und die Fernsehwand (vgl. Kaufvertrag im Archiv des ›museum kunst palast‹). Kulturdezernent der Stadt Düsseldorf war damals Bernd Dieckmann. Als Direktor des Kunstmuseums Düsseldorf amtierte Wend von Kalnein. 130 Vgl. Mitteilung mit Betreff: Kauf von Kunstobjekten aus dem Creamcheese, 7.11.1978 (Archiv des ›museum kunst palast‹). 131 Vgl. WIESE, Stephan von: Brief an Michael Bützer (Verwaltungschef des Kunstmuseums), 3.5.1984 (Archiv des ›museum kunst palast‹). 132 KRIWET, Ferdinand: Brief an Stephan von Wiese (Kurator des Kunstmuseums), 24.4.1985 (Archiv des ›museum kunst palast‹).

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Abbildung 25: Creamcheese-Saal, Kunstmuseum Düsseldorf, 1985 (Teilansicht)

Die Präsentation beschränkte sich auf eine freie Rekonstruktion des ersten Raumes des Lokals. Der Grundriß des Museumssaals entsprach nicht dem Vorraum des Creamcheese. Der Ausstellungsraum war zudem höher als das Lokal. Der Fußboden wurde mit Stahl ausgelegt, um den Fußboden der Tanzfläche nachzuahmen. Im Saal wurden die Fernsehwand, das Bild von Richter, der Nagel und die Windmaschine von Uecker, das Spiegelobjekt von Luther

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und die hängende Theke von Spoerri ausgestellt. Man versuchte, die Objekte so weit wie möglich wie im Lokal anzuordnen. Darüber hinaus wurde ein Bild von Kriwet dazu gehängt, das nicht aus dem Creamcheese stammte, aber das an die Aktivität des Künstlers im ehemaligen Lokal erinnern sollte. Vor Richters Bild wurde die ›Treppenpyramide‹ wiederhergestellt. Während aber die Treppe im Creamcheese in einer Ecke stand und rechts durch eine Wand gerade geschlossen war, war ihre Nachahmung im Museum breiter, so daß sie an der rechten Seite den äußeren Rand des Bildes von Richter überschritt. Die Stufen hatten außerdem einen regelmäßigeren Verlauf als die im Tanzlokal. Einige Fernseher der Fernsehwand übertrugen die Bilder aus dem Saal nebenan, die eine Videokamera am Eingang des Creamcheese-Raumes aufnahm, andere zeigten Bildstörungen oder sendeten Fernsehprogramme. Die Windmaschine wurde in Funktion präsentiert. Abbildung 26: Creamcheese-Saal, Kunstmuseum Düsseldorf, 1985 (Teilansicht)

Es war nicht beabsichtigt, mit der musealen Präsentation die einzelnen Kunstwerke nach Ausstellungskriterien hervorzuheben. Vielmehr hatte der

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Kurator die Intention, auf die ehemalige Künstlerkneipe hinzuweisen.133 Aus den Dokumenten über das Creamcheese im Archiv des ›museum kunst palast‹ kann aber geschlossen werden, daß die Teilrekonstruktion nicht gut aufgenommen wurde: Adolf Luther war mit der Platzierung seines Spiegelobjektes unzufrieden. Die Wirkung des Werkes war seiner Meinung nach durch die seitliche Position und durch die gegenüber stehende Windmaschine benachteiligt.134 Diese Aufstellung wurde dadurch gerechtfertigt, daß sie der Position des Spiegelobjektes im Lokal entsprach. In Wirklichkeit war das Werk von Luther in der Kneipe anders positioniert. Außerdem stand die Windmaschine nicht im Vorraum des Creamcheese, sondern im inneren Raum. Die rekonstruierte Treppenpyramide verdeckte bemalte Teile des Bildes von Richter. Anderseits waren nicht bemalte Stellen des Gemäldes sichtbar, da die Gegebenheiten im Vorraum des Creamcheese anders waren als die im Museumssaal.135 Heinz Mack bedauerte die Abwesenheit seiner Theke, die beim Abbau und Transport aus dem Lokal beschädigt worden war, und er vermißte die Lichtprojektionen, die zur Atmosphäre der ehemaligen Kneipe wesentlich beigetragen hatten: »Im jetzigen Zustand hat der Raum die Atmosphäre eines aufgeräumten Lagerraums.«136 Auch Gerhard Richter war mit der Gesamtwirkung der Teilrekonstruktion unzufrieden: Er hätte lieber den Eindruck einer Kaffeestube erhalten.137 Das größte Problem der musealen Präsentation war eben, daß sie die Lebendigkeit des damaligen Lokals nicht nachahmen konnte. Deshalb wurde überlegt, wie der Raum durch Dia- oder Filmprojektionen, Lesungen usw. belebt werden konnte.138 Eine lebendige Erinnerung an das Creamcheese wurde aber nicht im Museum realisiert, sondern im Theater. Durch Führungen, die Norbert Ebner (der damals bei der Geschichtswerkstatt Düsseldorf tätig war) im Kunstmuseum und insbesondere im Creamcheese-Raum leitete, wurde die Idee angeregt, mit dem Konzept des Creamcheese die Geschichte der sechziger Jahre in eine Bühnenkomposition zu fassen: 1993 inszenierte Reinhold Tritt eine Collage 133 Vgl. WIESE, Stephan von: Brief an Hans Albert Peters (Direktor des Kunstmuseums), 11.12.1985 (Archiv des ›museum kunst palast‹). 134 Vgl. PETERS, Hans Albert: Brief an Stephan von Wiese, 7.10.1985 (Archiv des ›museum kunst palast‹). 135 Vgl. PETERS, Hans Albert: Brief an Stephan von Wiese, 7.10.1985 und WIESE, Stephan von: Brief an Hans Albert Peters, 11.12.1985. 136 MACK, Heinz: Brief an Hans Albert Peters, 8.4.1992 (Archiv des ›museum kunst palast‹). 137 Vgl. WIESE, Stephan von: Brief an Hans Albert Peters, 11.12.1985. 138 Vgl. ebd.

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mit dem Titel Creamcheese: a tribute to the sixties für das Junge Theater in der Altstadt (JuTA) in Düsseldorf.139 Durch Ausdrucksmittel wie Dias, Videos, Musik, Tanz und Performances konnte die Theateraufführung einen Hauch der Creamcheese-Atmosphäre vermitteln. Das Spektakel fing bereits im zweistöckigen Theaterfoyer an, wo Inszenierungen von verschiedenen Aktionen aus den sechziger Jahren (u.a. Zyklus für Wasserflaschen von Thomas Schmitt, Opus 23 von Eric Anderson und eine Aktion von John Cage) gleichzeitig an unterschiedlichen Orten stattfanden und innerhalb von zwanzig Minuten beständig wiederholt wurden.140 Ein Raum des Foyers aus schrägen weißen Stellwänden war ZERO gewidmet. Die Aktionen im Foyer sollten Einblick in die Kunsttendenzen und -formen der sechziger Jahre (insbesondere Happening, Fluxus und ZERO) geben, die dem Creamcheese vorausgegangen waren. Am Kopfende des ZERO gewidmeten Raumes war eine große Leinwand aufgebaut, die den Eingang des Theatersaals bedeckte. Ein Schauspieler gab vor, die Leinwand zu grundieren, und schnitt sie schließlich mit einem Stilett auf. Die Zuschauer wurden von Schauspielern durch die zerrissene Leinwand à la Fontana hindurch in den Theatersaal geführt. Lucio Fontanas Schnitt in die dritte Dimension wurde somit buchstäblich als »Ausstieg aus dem Bild« umgesetzt und erlebbar gemacht: Die Zuschauer mußten sich durch den Riß durchkämpfen, um in den anderen Raum zu gelangen. Im Theatersaal gab es, wie im ehemaligen Creamcheese, keine herkömmliche Bestuhlung, und die Zuschauer konnten sich während der Aufführung zum Teil frei bewegen und an dem Stück mitwirken. Für das Bühnenbild war der Künstler Joachim Wagner zuständig, der die Theke von Heinz Mack durch einen spiegelnden Bau andeutete.141 An die Ausstattung des Creamcheese wurde außerdem durch aufeinandergestapelte Monitore und Podeste erinnert. Die Inszenierung zielte aber nicht auf eine genaue Rekonstruktion der Kneipe ab, sondern auf eine Revue der sechziger Jahre: »Nicht eine Reanimation des Originals steht im Vordergrund der Inszenierung, sondern ein Kaleidoskop aus Impulsen der sechziger Jahre, reflektiert im heutigen Zeitgeist.«142

139 Vgl. creamcheese 1993. 140 Vgl. Ablauf der Aufführung von Reinhold Tritt und Videodokumentation von Stefan Schuster. 141 Vgl. JOCKS, Heinz-Nobert, Auf dem Pflaster der Revolte, in: »Westdeutsche Zeitung«, 3.5.1993. Ursprünglich sollte die originale Theke von Mack für die Inszenierung verwendet werden. Das Kunstmuseum verweigerte aber die Leihgabe des Objektes wegen seines schlechten Zustandes. 142 [Tritt, Reinhold], Creamcheese 93. Die Collage, in: creamcheese 1993, o. S. Im Zi-

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Thematisiert wurden verschiedene Aspekte der sechziger Jahre: Die Schauspieler stellten zum Beispiel Demos und Polizeiangriffe auf Demonstranten nach und führten den Originaldialog eines Verhörs über Kriegsverbrechen in Vietnam vor. Die Darstellung der Gewalt wurde durch die Verwendung von stroboskopischem Licht und akustischen Eindrücken verstärkt. Zwischendurch wurde das Kneipengeschehen im ehemaligen Creamcheese angedeutet: Es wurden sowohl der Sprechtext Lokaltermin als auch der Fahnenappell von Ferdinand Kriwet vorgetragen, und die Schauspieler bezogen die Zuschauer in den Tanz mit ein. Musik und Projektionen gaben die Stimmung der Disko wieder. Verschiedene Effekte und studierte Bewegungsabläufe der Schauspieler vermittelten die grundlegenden Elemente des Creamcheese: Schall, Licht, Terror, Stille und Psychedelic.143 Die psychedelischen Rhythmen der sechziger Jahre wurden mit Techno-Sound konfrontiert. Die Inszenierung interpretierte das Creamcheese und seine Zeit aus der Sicht der Postmoderne: Gerade in diesem Bruch lag ihr Reiz.144 Da das ehemalige Creamcheese einen starken theatralen Charakter hatte, scheint eine Theateraufführung besonders geeignet, diesen Aspekt wirkungsvoll zu vermitteln, wie im dritten Abschnitt erläutert wird. 1993 geriet die moderne Abteilung im Kunstmuseum Düsseldorf in Brand, und die Kunstwerke mußten für die notwendigen Restaurierungsarbeiten ausgelagert werden. Bei der Wiedereinrichtung der Abteilung wurden die Objekte aus dem Creamcheese nicht mehr ausgestellt, »da sich das ursprüngliche Kneipen-Geschehen im Museum doch nicht darstellen läßt.«145 Den damaligen Gedanken zufolge hätten sie (inklusive Macks Theke) als Ausstattung eines eventuellen Cafés im neu gestalteten Kunstpalast dienen sollen.146 Als der von Ungers umgebaute Kunstpalast 2001 eröffnet wurde, fanden die Objekte aus dem Creamcheese in diesem Gebäude keine Verwendung mehr. Sie wurden erneut in einem Saal des Museums ausgestellt.

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tat wurde die Groß-Kleinschreibung nach den Regeln der Rechtschreibung verändert. Vgl. Ablauf der Aufführung von Reinhold Tritt. Vgl. MÜLLER, Michael-G., Die 68er und ihre braven Kinder, in: »Neue Rhein-Zeitung«, 1.5.1993. WIESE, Stephan von: Brief an Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (Beigeordneter der Stadt Düsseldorf), 22.12.1993 (Archiv des ›museum kunst palast‹). Das Ausstellungsinstitut ›Kunstpalast‹ gehört zusammen mit dem Kunstmuseum zu dem von Wilhelm Kreis entworfenen Gebäudekomplex am Ehrenhof, der 1926 eröffnet wurde. Nach jahrelangen Überlegungen wurde entschieden, hinter der historischen Fassade einen neuen Kunstpalast zu errichten. Mit der Planung dieses Gebäudes wurde der Architekt Oswald Mathias Ungers beauftragt.

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Abbildung 27: Creamcheese-Saal, museum kunst palast, 2001 (Teilansicht)

Dieses Mal wurde darauf verzichtet, eine Rekonstruktion zu versuchen. Die Objekte wurden statt dessen bewußt in einer ›Depot-Situation‹ präsentiert: »Projektionen und Musik, Feier und Tanz lassen sich nur bedingt rekonstruieren. Das Depot mit den Relikten dokumentiert den Modellcharakter dieser Idee.«147 Die Spuren der Umbauarbeiten im Museumsaal wurden sichtbar gelassen. Dadurch wird unklar, ob sie zum ursprünglichen Erscheinungsbild des Creamcheese gehörten oder ob sie ein Merkmal des aktuellen Ausstellungsorts sind. Der Eingang des Creamcheese-Saals wird durch eine Replik der Fahne von Ferdinand Kriwet gekennzeichnet. Dem Eingang gegenüber hängt das Bild von Gerhard Richter. Die Treppenpyramide vor dem Bild wurde nicht rekonstruiert. Der Besucher begegnet frontal dem Bild mit seinen unbemalten Stellen und dem treppenförmigen unteren Rand. Bei dieser Aufhängung erscheint es wie ein unvollständiges Tafelbild, da nicht deutlich wird, daß das Gemälde ursprünglich eine ganze Wand einnahm und Sitzpodesten als Hintergrund diente. Links steht die Fernsehwand. Ihre Position – senkrecht neben dem Bild

147 Künstlermuseum. Verzeichnis der Werke, museum kunst palast, Düsseldorf, 1.9.2001 (o. S.).

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von Richter – weist auf die Aufstellung im Lokal hin. Rechts hängt das Spiegelobjekt von Adolf Luther, das im Unterschied zu seiner Position sowohl im Lokal als auch bei der ersten musealen Präsentation nicht auf dem Fußboden ruht. Die Aufstellung erlaubt es dem Betrachter nicht, sich vor Luthers Objekt frei zu bewegen, da der Große Nagel von Günther Uecker ziemlich nahe steht und ihn dabei hindert. Hinter dem Nagel links ist die Windmaschine desselben Künstlers aufgebaut. An der Decke hängen das Schwebende Quadrat nach George Rickey und das Werk von Daniel Spoerri. Über die Fernseher laufen die Filme Resurrection von Spoerri und Morgan, Eisenbahn von Mommartz, ein Ausschnitt aus einer Reportage von Peter von Zahn über die Kneipen der Düsseldorfer Altstadt148 und eine Videodokumentation der Aktion Tisch von Anatol.149 Außerdem zeigen einige Fernseher Bildstörungen, andere übertragen die aktuellen Sendungen. Der Film Good Bye von Tony Morgan wird auf eine Wand des Raums projiziert. Hinter der Fernsehwand befindet sich eine Bild- und Textdokumentation zum Lokal, die u.a. aus Plakaten, Fotos und Partituren von Sprechtexten besteht. Außerdem werden Dias projiziert, die die Projektion von Kriwets Rundscheiben auf Wänden und Tanzenden im Creamcheese zeigen. Es ist jedoch nicht deutlich, ob Fotos, Dias und Plakate als selbständige Kunstwerke oder als Dokumente aus jener Zeit ausgestellt sind. Für den Besucher ist es schwierig, die etwas versteckte Dokumentation mit den Kunstobjekten in Verbindung zu bringen. Die Dokumente und die in den Fotos festgehaltenen Personen und Ereignisse können nicht immer identifiziert werden, da die Informationen in der Beschilderung ungenau und vage sind. Die Präsentation der permanenten Sammlung des ›museum kunst palast‹ wurde 2001 von den Künstlern Thomas Huber und Bogomir Ecker kuratiert. Es ist hier nicht möglich, über die heftige Diskussion zu berichten, die diese Präsentation ausgelöst hat.150 Es genügt zu erwähnen, daß einer der Grundgedanken, die zur Realisierung eines ›Künstlermuseums‹ geführt haben, war: »Es sind die Künstler, die mit ihrem ästhetisch besonders ausgebildeten Sensorium die Intentionen und Gehalte von Kunstwerken eher erahnen oder aufspüren können, als dies aus einer rationalen und historischen Perspektive möglich ist.«151 Die Kunstwerke der Sammlung wurden also nicht nach kunsthistorischen Zusammenhängen ausgestellt, sondern nach visuellen und in-

148 Zahn, Peter von, Anatomie eines Vergnügungsviertel, Video, ARD, September 1969, s/w, 3.5 Min. (erste Ausstrahlung im Februar 1970). 149 Kirves, Dietmer, Der Tisch, Film, 5. 12. 1968, s/w, 16 Min. Im Museum wird die Aktion in einem Video (11 Min.) gezeigt (vgl. Verzeichnis der Werke 2001, o. S.). 150 Vgl. Dokumentation zur Diskussion über das Künstlermuseum, in: Künstlermuseum, museum kunst palast, Düsseldorf, 2001, S. 185-205. 151 MARTIN, Jean-Hubert, Musée des charmes, in: Künstlermuseum 2001, S. 10.

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haltlichen. Der Fall des Creamcheese fällt aber aus dem Rahmen dieser Kriterien, da die als Relikte präsentierten Werke aus der Künstlerkneipe von einer historischen Dokumentation begleitet werden. Huber und Ecker hatten den Wunsch geäußert, im Museum »die Kunst möglichst pur wirken zu lassen«, so daß am Anfang sogar auf die übliche Beschilderung verzichtet wurde.152 Im Creamcheese-Saal wäre eine genauere und ausführlichere Beschilderung der Dokumentation jedoch notwendig, um die verlorenen Aspekte des Lokals besser zu vermitteln. 2. Die einzelnen Werke 2.1 Beschreibung und kunsthistorische Analyse Die Materialien, die für die Einrichtung des Creamcheese verwendet wurden, waren nicht besonders hochwertig, da das zur Verfügung stehende Budget sehr niedrig war. Den Künstlern gelang es jedoch, durch die kreative Gestaltung dieser einfachen Materialien eine beeindruckende Wirkung im Tanzlokal zu erzeugen. Im Folgenden werden die Kunstwerke aus dem Creamcheese beschrieben, die durch das Kunstmuseum erworben worden sind. Die Fernsehwand bestand aus einem Metallregal mit vierundzwanzig Fächern, in denen Fernsehgeräte installiert waren. Bei der Auswahl der Fernseher spielten Gestalt und Fabrikat keine Rolle. Sie wurden auf dem Gebrauchtwarenmarkt für einen Sonderpreis en bloc gekauft.153 Die Bildschirme übertrugen Bilder im Ganzen und in Ausschnitten aus dem Aktionsraum. Einige der ausgestrahlten Bilder wurden zugunsten von weitgehend abstrakten Formereignissen aufgelöst, so daß waagerechte, senkrechte oder diagonale Streifen erschienen, die gerade, gewellt oder gezackt wirkten. In den meisten Zeitungsartikeln über das Creamcheese wurde die Fernsehwand keinem der für die Kneipe tätigen Künstler explizit zugeschrieben. Sie wurde nicht als ein eigenständiges Kunstwerk betrachtet, sondern vielmehr als ein Kuriosum der Einrichtung des Lokals wahrgenommen.154 In einigen Artikeln wurde die Fernsehwand aber in Verbindung mit Uecker gebracht.155 Heute beanspruchen sowohl Uecker als auch Mommartz die Autoren-

152 Ebd., S. 38. Statt dessen wurde ein Werkverzeichnis an die Besucher verteilt (Verzeichnis der Werke 2001). 153 Vgl. SACK 1967 und FRIEDRICHS, Yvonne, Creamcheese: Kunst oder Kneipe?, Broschüre, [1977], o. S. 154 Vgl. u.a.: LANSER 1967 und FISCHER 1967. 155 Vgl. u.a.: JAHNS, Jürgen, …und am Abend in die Lichtmaschine, in: »Rheinische Post«, 26.7.1967 und SACK 1967, die die Bildstörungen als eine Idee von Uecker präsentierten. FRIEDRICHS 1977 schrieb die gesamte Fernsehwand Uecker zu.

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schaft des Werkes für sich.156 Die Idee der Fernsehwand kam laut Mommartz auch in den Details von ihm und wurde von Uecker und dem Betreiber des Lokals, Hans-Joachim Reinert, sofort aufgenommen.157 Die Besucher wurden im Aktionsraum des Lokals durch zwei Fernsehkameras aufgenommen, eine von ihnen verwendete Infrarotlicht. Die Besucher hatten also die Möglichkeit, sich selbst als Hauptdarsteller zu inszenieren. Uecker hantierte manchmal mit der Infrarot-Kamera, um Details der Tanzenden aufzunehmen.158 Die Idee der Bilderübertragung aus dem inneren Raum des Creamcheese zeigt Ähnlichkeiten mit einigen Aspekten der Filmproduktion von Andy Warhol. Deswegen überrascht es nicht, daß die Fernsehwand in einigen Artikeln als ›Hommage an Andy Warhol‹ bezeichnet wurde.159 Warhol filmte Szenen aus dem Alltag der Factory-Entourage, deren Mitglieder ständig dem indiskreten Blick der Camera ausgesetzt waren. In Filmen wie Screen Tests (19641966) und Outer and Inner Space (1965) untersuchte er den Narzißmus der gefilmten Personen, die zumeist nicht berühmt waren. Screen Tests ist eine Serie von mehr als fünfhundert schwarzweißen Stummfilmen von jeweils drei Minuten Dauer, in denen Besucher der Factory und Freunde von Warhol sich selbst inszenieren. Der Titel der Serie verweist auf die Castingverfahren in der Filmindustrie.160 In Outer and Inner Space sitzt die Schauspielerin Edie Sedgwick vor einem Bildschirm, auf dem ein vorher aufgenommenes Video von ihr selbst läuft. Warhol drehte von dieser Szene zwei Filmstreifen mit Ton, die er Seite zu Seite gleichzeitig projizierte, so daß ein vierfaches Porträt der jungen Frau entstand.161 Selbstinszenierung vor der Kamera und Vervielfachung der Bilder kennzeichneten auch die Ausstrahlungen der Fernsehwand im Creamcheese. Das

156 Vgl. MOMMARTZ, Interview d. Verf., 16.11.2002 und UECKER, Interview d. Verf., 18.4.2003. 157 Vgl MOMMARTZ, Interview d. Verf., 14.11.2002. 158 Vgl. UECKER, Inteview d. Verf., 18.4.2003. Der Künstler erzählt, wie die damals übliche Nylonunterwäsche die verschwitzten Tanzenden dazu brachte, sich oft zu kratzten. Uecker nahm mit der Kamera die kratzenden Hände auf. Diese auf die Monitore übertragenen Details hatten laut dem Künstler eine erotische Wirkung. 159 U.a.: FRIEDRICHS 1977: »Von Uecker stammt auch die Idee der Fernsehwand als Hommage für Andy Warhol.« 160 Vgl. FROHNE, Ursula, »Screen Test«: Media Narcissism, Theatricality, and the Internalized Observer, in: CTRL [SPACE], Karlsruhe, 2002, S. 254. 161 Vgl. ANGELL, Callie, Andy Warhol: Outer and Inner Space, in: CTRL 2002, S. 278281. Das Fernsehbild von Edie Sedgwick wurde auf dem ersten Filmstreifen absichtlich verzerrt: auch hier – wie auf und den Monitoren im Creamcheese – erscheinen gezackte Streifen, die aber in diesem Fall das Bild nicht ganz auflösen.

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Spiel zwischen Voyeurismus162 und Exhibitionismus, das die Filme von Warhol charakterisiert, kann auch in der Beziehung zwischen den Zuschauern im Vorraum des Creamcheese und den Tanzenden im Aktionsraum erkannt werden. Da die Gäste des Lokals an der Fernsehwand vorbei gehen mußten, um den inneren Raum erreichen zu können, wußten sie, daß sie beim Tanzen ›überwacht‹ wurden. In einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 1967 wurde die Observierung der Leute im Aktionsraum des Creamcheese durch Kameras mit dem im George Orwells Roman Ninteen-Eighty-Four beschriebenen Überwachungssystem verglichen.163 Die Überwachung im Tanzlokal war aber nicht als Kontrolle und Bedrohung konzipiert, sondern als Vergnügen: Die Tanzenden konnten sich zur Schau stellen, sie hatten die Chance, sich sehen zu lassen, während sie sich mit akzentuierten Posen bewegten. Auch denjenigen, die abseits stehen wollten, blieb die Überwachung nicht erspart, da die Infrarot-Kamera das Geschehen bis in die tiefste Dunkelheit aufnahm. Die Gäste im Vorraum konnten das Spektakel, das sich im inneren Raum abspielte, auf mehreren Monitoren genießen, ohne von den Beobachteten gesehen zu werden. Im Unterschied zum normalen Fernsehen hatten sie aber die Möglichkeit, jeden Moment selbst vor die Kamera zu treten, indem sie einfach vom Vorraum in den Innenraum des Lokals umzogen. Auf diese Weise konnten sie die Rolle des Beobachters gegen die Rolle des Beobachteten eintauschen. Die Grenzüberschreitung zwischen Zuschauern und Darstellern, zwischen äußerer und innerer Perspektive, zwischen realem und elektronischem Raum war schon von Andy Warhol im erwähnten Film Outer and Inner Space durch die Gegenüberstellung der ›echten‹ Edie Sedgwick mit ihrem Bild auf dem Monitor thematisiert worden. Im Unterschied zu Warhols Film konnten die Gäste des Creamcheese aber nur andere Gäste im Fernseher sehen und nicht sich selbst. Sie wurden also nicht mit der eigenen äußeren Erscheinung auf dem Bildschirm konfrontiert. Trotz der erwähnten Parallelen – und obwohl sowohl Uecker, der in New York gewesen war, als auch Mommartz die Filmproduktion von Warhol teil162 Der Begriff Voyeurismus wird hier im Sinne von Vergnügen an der Beobachtung anderer Personen verwendet, die wissen, daß sie beobachtet werden. In diesem Sinne gehören Voyeurismus und Exhibitionismus wie die Kehrseiten einer Medaille zusammen. 163 Vgl. FABIAN 1967. Orwells Zukunftsroman, dessen erste deutsche Ausgabe 1950 erschienen war, schilderte einen Überwachungsstaat, der das Instrument der ›Gehirnwäsche‹ systematisch einsetzte. Das Buch verbreitete Empörung über die Mittel der totalitären Staatsformen hitlerscher und stalinischer Art. Gleichwohl entstand der Verdacht, daß die westlichen Demokratien die gleichen Methoden anwenden könnten. Vgl. KELLEIN, Thomas, Die Welt der Kunst der Welt, in: Nam June Paik: Video Time – Video Space, Kunsthalle Basel u. Kunsthalle Zürich, 1991, S. 27.

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weise kannten – ist die Bezeichnung der Fernsehwand als ›Hommage für Andy Warhol‹ jedoch übertrieben.164 Mommartz hatte bereits angefangen, Freunde und Bekannte aufzunehmen, als er 1964 die ersten Experimente mit einer 8mm Kamera durchgeführt hatte.165 Er hatte gemerkt, wie Leute aus seinem Bekanntenkreis, die unterschiedliche Berufe hatten, nicht gut miteinander umgehen konnten. Da er diese Schwierigkeit für die Probleme der Gesellschaft als typisch ansah, wollte er die Kommunikation einander nicht nahestehender Leute untersuchen. Das Unternehmen nannte er »Experimentelle Koexistenz oder Bewußtseinsspiele im Bekanntenkreis«.166 Zuerst hatte er vor, Einzelne aufzunehmen, um ihr Verhalten vor der Kamera zu beobachten. Diese ursprüngliche Idee war Warhols Screen Tests scheinbar sehr nahe. Jedoch hatte das von Mommartz geplante Experiment – im Unterschied zu Warhols Filmen, die sich mit dem Phänomen des Ruhmes beschäftigten – einen ausgeprägten sozialen Charakter. Schließlich entschied sich Mommartz, eine Gruppe mit der Kamera aufzunehmen. Durch dieses Verfahren sollten die Beteiligten üben, an einer gemeinsamen Sache mitzuarbeiten. Trotzt ihrer amüsanten Wirkung hatte auch die Fernsehwand einen sozialen Aspekt. Die Beobachter im Vorraum konnten die tanzende Menge, die sie über die Monitore sahen, als Kollektiv wahrnehmen. Die Tanzenden im inneren Raum des Creamcheese reagierten auf dieselben Reize, teilten ein gemeinsames Erlebnis, das sie als Teil eines Ganzen fühlen ließ. Jeder trug zu dem gesamten Effekt bei. Die gestörten Geräte der Fernsehwand erinnerten an die Installation Electronic Television, die Nam June Paik bei seiner Ausstellung in der Galerie Parnass in Wuppertal 1963 präsentiert hatte. Paik stellte in einem Raum elf unterschiedlich gestörte Fernseher in zufälliger Anordnung auf.167 Diese Ausstellung war die erste in Deutschland, in der manipulierte Fernseher als Kunstobjekte zu sehen waren. Im Creamcheese wurden die gestörten Bilder ebenso zu einem eigenständigen Werk.168 Da die verwendeten Fernsehgeräte alt waren, waren Störungen vermutlich unvermeidbar und wurden von den Künstlern künstlerisch aufgenommen. Die Bildstörungen dienten laut Mommartz zur Aufhebung der Macht des Mediums Fernsehen.169 164 165 166 167 168

Vgl. MOMMARTZ, Interview d. Verf., 16.11.2002. Vgl. Mommartz, Filmen ist Doof, in: Mommartfilm 2000, S. 136-137. Ebd., S. 137. Vgl. SCHMIT, Tomas, exposition of music, in: Nam June Paik 1976, S. 69. Lutz Mommartz hat die Hypothese, von Paik beeinflußt zu sein, zurückgewiesen (vgl. MOMMARTZ, Interview d. Verf., 16.11.2002). Wie bereits erwähnt, wird aber die Idee der Bildstörungen in einigen Artikeln Uecker zugeschrieben. Uecker kannte Paik und wurde in verschiedenen Kunstwerken von ihm inspiriert (vgl. FELDHOFF 2001c, S. 122). 169 Vgl. MOMMARTZ, Interview d. Verf., 16.11.2002.

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Nicht weit von der Fernsehwand stand ursprünglich der von Uecker benagelte Fernseher, der ebenfalls zur Zerstörung der ›sakralen Aura‹ dieses begehrten Konsumobjektes beitrug. Uecker kommentierte seine Benagelung von Kulturfetischen wie Pianos oder Fernsehapparaten wie folgt: »Die Leute sollten begreifen, daß Instrumente bedient und benutzt, aber nicht angebetet werden wollen«.170 Das Gemälde von Gerhard Richter (1967) stellt eine junge Frau dar, die auf dem Bauch liegend den Betrachter anschaut. Sie stützt sich auf den Ellbogen, so daß ihre gefalteten Hände – im Bild geschnitten – auf der Höhe des Kopfes zu sehen sind. Sie trägt eine Bluse, die auf dem Rücken Falten bildet und ihr Gesäß nackt läßt. Das Bild ist in grauen Tönen gehalten und scheint ›verwischt‹. Der Träger besteht aus sechs Stücken unterschiedlicher Größe: Drei davon sind aus Rigips und drei aus Tischlerplatte.171 Es handelt sich um minderwertige Materialien, die keine Verwendung in der traditionellen Malerei finden. Die Teile des Bildträgers, die im ursprünglichen Raum von der davor stehenden Treppe versteckt waren, sind nicht bemalt. Im Vorraum des Creamcheese wurde außerdem der schmalste Teil des Bildes, der ein Detail des Gesäßes darstellt, durch die Fernsehwand versteckt, die senkrecht zu dem Gemälde stand. Als Vorlage für das Bild, das wie eine Werbetafel wirkte, diente ein aus einer Illustrierten stammendes Foto.172 In einem Brief an die ›Neue Deutsche Wochenschau‹ (1963) brachte Richter seine Werke in Verbindung mit der Pop-Art und erklärte den Zusammenhang zwischen Kunst und Massenmedien, wie folgt: »Pop-Art anerkennt die modernen Massenmedien als echte Kulturerscheinung und verwendet artifizierend deren Attribute, Formulierungen und Inhalte für die Kunst.«173 Das Abmalen von Fotos erlaubte Richter, sich von der Erfindung des Sujets und von den Regeln der Malerei zu befreien: »Wissen Sie was prima war? – Zu merken, daß solch eine blödsinnige, absurde Sache wie das simple Abmalen einer Postkarte ein Bild ergeben kann. Und dann die Freiheit, malen zu können, was Spaß macht. […] Nichts mehr erfinden zu müssen, alles vergessen, was man unter Malerei versteht, Farbe, Komposition, Räumlichkeit, und was man so alles wußte und dachte. Das war

170 Uecker, zitiert in: LAUGNER 1968. 171 Vgl. Restaurierungsdokumentation Nr. 2396 (1984) und Nr. 3506 (1995/97) im Restaurierungszentrum Düsseldorf. 172 Vgl. WIESE, Stephan von, Creamcheese – Eine Kneipe als Forum der Kunst, in: Brennpunkt Düsseldorf 1987, S. 120. 173 Richter, Gerhard, Brief an die ›Neue Deutsche Wochenschau‹ (1963), in: RICHTER 1993, S. 12.

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plötzlich nicht mehr Voraussetzung für Kunst.«174 Nicht um das handwerkliche Können ginge es in der Kunst, meinte Richter, sondern um die Entscheidungen des Künstlers. Der Maler bevorzugte als Vorbilder amateurhafte schwarzweiß Fotos, weil sie »unkünstlerischer und damit glaubhafter« als Farbfotos und als Kunstfotos wirkten.175 Die Fotos stellten ein Hilfsmittel für das malerische Verfahren dar. Richter meinte aber, daß er seine Bilder wie Fotografien malen würde, auch wenn er kein Foto als Vorlage zur Verfügung hätte. Er nutze »die veränderte Art zu sehen« aus, »die durch die Photographie entstand.«176 Die Tatsache, daß seine Bilder unscharfen Fotos ähneln, lasse sie wie Produkte eines technischen Verfahrens und eben nicht »künstlerisch-handwerklich« aussehen.177 Außerdem verleiht die Unschärfe Richters Bildern einen Hauch von Mysterium. Wie der Künstler selbst poetisch formulierte, ist »Ihre Präsenz […] das Grauen und die schwer erträgliche Verweigerung einer Antwort, einer Erklärung und Meinung.«178 Das gilt auch für sein Bild im Creamcheese. Der Bildausschnitt, der nichts von der Umgebung ahnen läßt, und die ›Verwischung‹ der Farbe machen die dargestellte Situation undeutlich. Das Werk von Daniel Spoerri für das Creamcheese ist das Resultat einer Aktion, die 1969 im Lokal stattfand:179 Der Künstler legte zwei Holzplatten auf die zweigeteilte Theke. Am Ende des Abends klebte er die Objekte, die die Gäste des Lokals darauf hinterlassen hatten (Gläser, Geld, Streichhölzer usw.), in derselben zufälligen Anordnung, wie er sie vorgefunden hatte. Anschließend hängte er die Platten mit den Gegenständen nach unten gewendet an die Decke im Vorraum des Creamcheese. Auf einer Platte befindet sich die Aufschrift »›Wir hängen die Theke an die Decke‹ Salute Daniel Spoerri 21.5.69« und die Signaturen der Betreiber des Lokals »Joachim + Bim«. Spoerri spielt mit dem Widerspruch zwischen Bewegung und Stillstand, Vergehen der Zeit und Momentaufnahme: »Ich hasse Fixierungen. Der Widerspruch, der darin besteht, Gegenstände zu fixieren, sie aus ihrem ständigen Wechsel und ihren kontinuierlichen Bewegungsmöglichkeiten herauszureißen, trotz meiner Liebe für Veränderung und Bewegung, gefällt mir.«180 174 Richter, Gerhard, Notizen 1964-1965, in: RICHTER 1993, S. 28. 175 Richter, Gerhard, Interview mit Benjamin H. D. Buchloh, 1986, in: RICHTER 1993, S. 136. 176 Richter, Gerhard, Notizen 1964-1965, in: RICHTER 1993, S. 29. 177 Ebd., S. 31. 178 Richter, Gerhard, Notizen 1988, in: RICHTER 1993, S. 166. 179 Vgl. die von Daniel Spoerri gezeichnete Einladungskarte Wir hängen die Theke an die Decke (Sammlung Reinert). 180 Spoerri, Daniel, Zu den Fallenbildern (Dez. 1960), in: »ZERO«, 3, 1961, abgedruckt in: ZERO 1973, S. 216 (Die Großschreibung und die Kommasetzung wurden nach den Regeln der Rechtschreibung verändert).

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Abbildung 28: Daniel Spoerri, Wir hängen die Theke an die Decke, 1969

Die Arbeit für das Creamcheese gehört zur Typologie der ›Fallenbilder‹ oder ›Tableaux-pièges‹, die vom Künstler wie folgt definiert wurden: »des objets trouvés au hasard, en ordre ou en désordre (sur des tables, dans des boîtes, dans des tiroirs, etc.) sont fixés (›piègés‹) tels quels. Seul le plan est changé: dès lors que le résultat est appelé tableau, ce qui était à l’horizontale est mis à la verticale. Par exemple, les restes d’un repas sont fixés sur la table même où le repas a été consommé, et la table est accrochée au mur.«181 Das Fallenbild des Creamcheese wurde aber nicht vertikal an die Wand gehängt, sondern horizontal an die Decke, so daß die Objekte auf dem Kopf stehen. Es handelt sich also um einen Sonderfall in der Typologie der Fallenbilder. 1962 hatte Spoerri das Prinzip der Veränderung der Bildebene in der Gruppenausstellung Dylaby (Stedeelijk Museum, Amsterdam) auf einen ganzen Raum angewandt und einen konventionell ausgestatteten Ausstellungssaal präsen-

181 Spoerri, in: Daniel Spörri, City-Galerie Zürich, 1966, S. 4 (Die französische Version wurde der deutschen bevorzugt, weil deutlicher).

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tiert, der um 90 Grad ›gedreht‹ worden war.182 Im Creamcheese drehte er die Ebene der Theke um 180 Grad: Die eigentliche Decke schien auf diese Weise zum Fußboden geworden zu sein.183 Der Zufall spielte eine wichtige Rolle bei der Realisierung der Fallenbilder: Er wurde von Spoerri zu seinem ›Mitarbeiter‹ erklärt. Der Künstler akzeptierte die Wirkung des Zufalls, auch nachdem ein künstlerisches Ergebnis schon erreicht worden war. Die Konservierung wurde von ihm dagegen abgelehnt: »Travailler à partir de situations fortuites implique que l’on accepte le hasard comme un collaborateur, même après que le résultat premier a été atteint; il en est de même des modifications apportées par le temps, l’eau, la corrosion, la poussière, etc. Par exemple: Les rats qui ont dévoré les matiéres organiques de deux de mes tableaux-pièges de la Galerie Schwarz à Milan, ont été acceptés comme des collaborateurs. Les tabous avaient comme objectif la préservation des traditions et des formes; c’est un objectif que je refuse«.184 Spoerri lehnte die Konzeption der Kunst als individuelle schöpferische Leistung ab. Der Zuschauer dagegen war seiner Meinung nach »eher zu individuellen reaktionen [sic] berechtigt«.185 Das Spiegelobjekt von Adolf Luther (vermutlich aus dem Jahr 1968, als der Künstler an der Veranstaltung cheese take off teilnahm) besteht aus einer Serie von Hohlspiegeln, die die Umgebung multipliziert reflektieren. Thema der Arbeit sind aber nicht die Abbildungen der Wirklichkeit, die Spiegelbilder, sondern die ›Vor-bilder‹, d. h. die Lichterscheinungen, die mit den verkehrten Bildern einer Camera obscura vergleichbar sind: »Es sind keine Spiegelbilder, keine Scheinbilder, es sind reelle, konkrete und zwar Umkehrbilder, die aus Licht bestehen […]. Sie sind rein immaterielle, quasi holografische Bilder, die jede Erscheinung von außen aufnehmen und zurückwerfen in die Augen der

182 In einem Ausstellungsraum wurde »eines der Prinzipien des Fallenbildes (Verändern der Bildebene) auf ein ganzes Zimmer angewandt, in dem Fin-de-Siècle-Bilder und Skulpturen ausgestellt waren. Der wirkliche Boden wird, mit den ›aufgehängten‹ Bildern, zur Wand verändert; die Skulpturen ›stehen‹ auf einer wirklichen Wand, die so zum Boden wird, und die übrigen Wände finden ihre Stellung in Beziehung zum neuen ›Boden‹.« D. Spoerri, in: Daniel Spörri, 1966, S. 12. 183 Eine ähnliche Lösung präsentierte Spoerri 1992 auf der Expo von Sevilla (im Restaurant des Schweizer Pavillons): Hier wurden die Gedecke von Gästen, die schon gegessen hatten, an die Decke gehängt. Vgl. VIOLAND-HOBI, Heidi E., Daniel Spoerri: Biographie und Werk, München, London/New York 1998, S. 25. 184 Spoerri, in: Daniel Spörri, 1966, S. 6 (Die französische Version wurde der deutschen bevorzugt, weil deutlicher). 185 Spoerri, Zu den Fallenbildern, in: ZERO 1973, S. 216.

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Betrachter. Sie sind farbig, aber sie bestehen nicht aus Farbe, sondern aus Energie, und sonst nichts.«186 Um das Phänomen Licht sichtbar zu machen, verwendete Luther Materialien aus dem Bereich der Optik.187 Das Material war für den Künstler lediglich das Medium der Lichterscheinungen und sollte so viel wie möglich im Hintergrund bleiben. Die Form des Objektes hatte also keinen künstlerischen Eigenwert.188 Die Auswahl von vorgefertigten Materialien, die nur kraft ihrer Eigenschaft, Licht zu reflektieren, eingesetzt wurden, machte den Arbeitsprozeß anonym. Die Theke von Heinz Mack war ein Gebrauchsgegenstand. Jedoch trat bei der Gestaltung die praktische Funktion in den Hintergrund. Das zeigte sich insbesondere in der Rückwand der Theke, die nicht als zweckmäßiges Flaschenregal gestaltet wurde, sondern als funktionsfreies Relief, das wie eine unregelmäßige Ziehharmonika aussah. Es bestand aus rechteckigen Aluminiumplatten, die in unterschiedlichen Winkeln zueinander angeordnet waren. Außerdem wurde Glasspiegel als Wandbelag eingesetzt.189 Sowohl die Vorderseite der Theke, die in der Mitte einen Durchgang aufwies, als auch ein Aufbau, der sich über der Theke ausdehnte, waren mit Platten aus Aluminium verschalt. Das Aluminium erwies sich als nicht strapazierfähig und wurde deshalb vom Künstler durch Edelstahl ersetzt.190 Die Bar wurde mit einem ›Mund‹ assoziert, weil Theke und Oberbau als »Unter- und Oberlippe« und die hinteren Platten als »Zähne« gelesen werden konnten.191 Die Umgebung wurde durch das hoch glänzende Material der Theke reflektiert und durch die sich überschneidenden Metallplatten des Wandreliefs vervielfältigt, so daß ein verzerrtes Spiegelbild entstand. Die Bewegung der Gäste vor der Theke provozierte eine Vibrationswirkung auf der ›gefalteten‹ Oberfläche des Reliefs. Auf diese Weise kam der Raum in Schwingung. Das Ganze wurde zu einem kinetischen Feld.192 Die rhythmisch gestaltete Rückwand der Theke dynamisierte den schmalen Gang des Lokals. Wie in ähnlichen Werken von Mack (z.B. die Licht-Mauer aus den Jahren 1963-64193) schien die als Grenze empfundene Wand durch das Licht entmaterialisiert. 186 Luther, zitiert in: HONISCH, Dieter (Hrsg.), Adolf Luther: Licht und Materie, Recklinghausen 1978, S. 99. 187 Vgl. ebd., S. 99. 188 Vgl. MERTEN, Ralph, Adolf Luther: Am Anfang war das Licht, Stuttgart 1987, S. 195. 189 Vgl. MACK, Heinz: Brief an die Verf., 9.6.2003. 190 Vgl. FRIEDRICHS 1977. 191 FRIEDRICHS 1977. 192 Vgl. MACK, Interview d. Verf., 21.11.2002. 193 HONISCH, Dieter, Mack – Skulpturen, Düsseldorf/Wien 1986, S. 330, N. 445.

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Abbildung 29: Heinz Mack, Theke

Die Objekte Elektrischer Garten und Windmaschine von Günther Uecker können in die Gruppe der ›Terrorobjekte‹ eingeordnet werden. Die Terrorobjekte, die zusammen das sogenannte ›Terrororchester‹ bilden, sind eine Serie von kinetischen Klangobjekten, die von Uecker in den sechziger Jahren (zum großen Teil zwischen 1966 und 1968) realisiert wurden.194 Der Elektrische Garten (1966) besteht aus einem übergroß nachgebildeten Metallnagel in einem Aufbau aus Sperrholzplatten, die mit glänzendem Metall verkleidet sind. Die Konstruktion ist an der Vorderseite durch ein Metallgitter geschlossen.195 Der Nagel steht hinter dem Gitter mit der Spitze 194 Vgl. FELDHOFF 2001c, S. 122. 195 Das Gitter weist in der Mitte Spuren eines weißen Anstriches auf. Der Künstler konnte sich an den Ursprung dieser Spuren nicht erinnern und vermutete, daß sie

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nach oben. Seine Oberfläche wurde vom Künstler mechanisch bearbeitet, damit sie rauhe Stellen aufweist, die wie Gebrauchsspuren eines echten Nagels aussehen. Ursprünglich war der Nagel mit einem Hochfrequenzaggregat und Leuchtstoffröhren versehen, die Blitze und Geräusche erzeugten.196 Diese Ausstattung begründete den Titel Elektrischer Garten. Die Beziehung zwischen Technik und Natur, die in den ZERO-Arbeiten noch harmonisch schien, wirkt hier reibungsvoll. Das Hochfrequenzaggregat war sehr gefährlich für die Besucher, so daß es vermutlich schon früh durch einfache Neonröhre ersetzt wurde.197 Diese gingen noch während der Zeit im Creamcheese verloren.198 Deswegen nennen die späteren Berichte über das Lokal das Objekt Großer Nagel, ohne das Licht zu erwähnen.199 Das Werk ist durch die imponierende Präsenz des Nagels charakterisiert. Hatte der Nagel für Uecker am Anfang der sechziger Jahre die Funktion, Schatten zu bilden, und ab 1962, in die Realität durch die Besitzergreifung von alltäglichen Objekten ›einzugreifen‹, bekam er in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre »einen ›ding-magischen‹ Fetischcharakter.«200 Die großen Dimensionen des Nagels zeigen eine erhöhte Materialhaftigkeit im Vergleich zu Ueckers früheren Werken. Gleichwohl zwangen sie dazu, keinen echten Nagel zu verwenden, wie es bis zu diesem Zeitpunkt für Ueckers Objekte üblich war, sondern lediglich die Nachbildung eines Nagels, was ihm einen symbolischen Wert verleiht. In einem Käfig eingesperrt, wirkt der große Nagel gleichzeitig bedrohlich und selbst bedroht. Er könnte mit dem Menschen identifiziert werden, dessen Macht, sowohl fruchtbar als auch zerstörerisch, sich gegen ihn selbst wenden könnte. Diese Assoziation mochte ursprünglich durch die Blitze, die den Eindruck einer Folterung vermittelten, verstärkt worden sein.201 Die Windmaschine von Günther Uecker besteht aus einem Ventilator in einem Aufbau, der an der Vorder- und Hinterseite durch Metallgitter geschlossen ist.202

196 197 198 199 200 201 202

die Reste irgendeiner Aktion sein könnten. Vgl. UECKER, Interview d. Verf., 18.4.2003. Vgl. Skizze von Günther Uecker (Foto im Archiv des ›museum kunst palast). Die Beteiligten konnten sich an die genaue Geschicte des Instrumentariums des Werkes nicht erinnern. Vgl. Fotos des Werkes, die in den siebziger Jahren gemacht wurden. Vgl. FRIEDRICHS 1977. WIESE, Stephan von, Bilder und Objekte von 1956-1975, in: Günther Uecker, Staatsgalerie Stuttgart, 1976, S. 24. Vgl. HELMS, Dietrich, Günther Uecker, Recklinghausen 1970, S. 15. Das vordere Gitter ist schwarz bemalt und weist in der Mitte absichtliche Schleifspuren auf, die das blanke Metall ervorscheinen lassen. Auch in diesem Fall, wie

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Abbildung 30: Günther Uecker, Elektrischer Garten (Großer Nagel), fotografiert 1976

für das Gitter des Elektrischen Gartens, konnte die Funktion dieser Spuren nicht geklärt werden.

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Angeschaltet produzierte die Windmaschine einen fast unerträglichen Lärm. Das Stroboskoplicht des Creamcheese ließ den Propeller quasi bewegungslos erscheinen, so daß nur der Rhythmus des Lichtes wahrzunehmen war.203 Der Künstler und Schriftsteller Ferdinand Kriwet spielte eine wichtige Rolle in der ersten Zeit des Creamcheese. In seinem Buch Leserattenfaenger bezog sich Kriwet auf Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit von Walter Benjamin und erklärte, daß Kunstwerke (wie auch Bücher) nicht länger Fetische darstellen würden, da sie für die Masse zugänglich wären. Das hätte eine Veränderung in ihrer Wahrnehmung nach sich gezogen. Die Arbeit des Künstlers sollte nach Kriwet diese veränderten Bedingungen berücksichtigen.204 Kriwet meinte: »wenn früher Einzelne viel lasen, so lesen heute Viele vereinzelt und meistens gelegenheitsbedingt.«205 Die meisten Texte, mit denen der Leser konfrontiert wird, würden nicht vor ihm liegen, sondern ihm gegenüber stehen als Plakate, Schilder, Filme, Litfaßsäulen, Neonschriften usw. Die Spannungen, die in den traditionellen Büchern durch die Stilmittel erzeugt würden, sollten jetzt durch die visuelle Komposition des Textes stimuliert werden: »Neben die sukzessive Form, wie das Buch sie repräsentiert, tritt die räumliche simultane, wie sie in der Textfläche erscheint«.206 Auf der Fahne, die Kriwet für das Creamcheese entwarf, war der Name des Lokals fünf mal senkrecht geschrieben, so daß er ›simultan‹ gelesen werden konnte. Eine visuelle Spannung wurde durch die verschiedenen Farben der Aufschriften erzeugt: Die primären Farben Blau und Gelb wurden durch die Nichtfarbe Schwarz von den Komplemänterfarben Rot und Grün getrennt. Ein schwarzes Dreieck mit der Spitze nach oben schloß unten das Banner. Kriwet ging von der Beobachtung aus, daß ein Text, der senkrecht vor dem Leser steht, am bequemsten gelesen werden kann: »Nun, man kann sich einen Text ja auch per Diapositiv oder Film auf die Wand projizieren […] Denn dem Text in Augenhöhe gegenüber liest man ihn am leichtesten, am schnell203 204 205 206

Vgl. FRIEDRICHS 1977. KRIWET 1965, S. 13. Ebd., S. 13. Ebd., S. 15. Die Verwendung des Wortes ›simultan‹ verweist auf Filippo Tommaso Marinetti, der in seinem Manifest Distruzione della sintassi – Immaginazione senza fili – Parole in libertà (Zerstörung der Syntax – Drahtlose Phantasie – Befreite Worte) aus dem Jahr 1913 schreibt: »Außerdem habe ich den viellinigen Lyrismus erdacht, mit dem es mir gelingt, jene lyrische Simultaneität zu erreichen, die auch das Anliegen der futuristischen Maler ist«. Zitiert nach: BAUMGARTH, Christa, Geschichte des Futurismus, Reinbeck 1966, S. 177. Und tatsächlich erkennt Kriwet den Einfluß der Futuristen an, wie auch den der Dadaisten und Lettristen. Vgl. KRIWET 1965, S. 17.

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sten und, vor allem, am häufigsten.«207 Aus diesen Voraussetzungen entstanden Kriwets ›Rundscheiben‹, wie sie im Creamcheese per Dia projiziert wurden. Es handelte sich um ›Sehtexte‹ – also um eine Form von visuell wahrnehmbarer Literatur –, deren Wörter im Kreis angeordnet waren. Das ermöglichte dem Leser, sie in verschiedenen Richtungen und von beliebigen Anfangspunkten an zu lesen.208 Abbildung 31: Ferdinand Kriwet, Rundscheibe-Projektion auf die Tanzenden im Creamcheese

Während die ›Sehtexte‹ in Stille gelesen werden wollten und jede Deklamation verweigerten, waren Kriwets ›Sprechtexte‹ für die orale Wiedergabe bestimmt. Das ist der Fall bei Lokaltermin, ein Stück für sechs Vokalsolisten,

207 Ebd., S. 14. 208 Vgl. ebd., S. 29-30. Kriwet beschreibt auch Rundscheiben, die eine runde Platte als Träger aufwiesen. Auf die Wand oder ein Stativ montiert, konnten sie von den Lesern gedreht werden. Obwohl diese Werke an die Disques avec inscriptions de calembours von Marcel Duchamp erinnern, die im Film Anémic Cinéma (1926) erscheinen, unterscheiden sie sich doch von Duchamps Rotorreliefs. Kriwets Texte sind keine ›calembours‹, sondern bestehen aus Wörtern ohne grammatikalische und syntaktische Verbindungen. Bei der Rotation hatte nicht die ›optical‹ Wirkung Priorität wie für Duchamp, sondern die Freiheit des Betrachters, die Texte in beliebigen Richtungen und nach gewünschter Geschwindigkeit lesen zu können.

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Tonbänder und Projektoren, das zur Eröffnung des Creamcheese aufgeführt wurde.209 Das Schwebende Quadrat wurde 1970 nach einer Zeichnung von George Rickey aus dem Jahr 1968 realisiert.210 Der Künstler besuchte das Creamcheese mit Uecker und plante bei dieser Gelegenheit eine kinetische Skulptur für die Decke. Die Herstellung des Werkes erfolgte aber ohne vorherige Vereinbarung mit Rickey und wurde von ihm nicht betreut. Die Plastik wurde in der Schlosserei Krüger in Berlin angefertigt, in der Rickey seine Arbeiten in Auftrag gab, wenn er in Deutschland war. Der Künstler erfuhr von der Realisierung des Werkes durch den Schlosser. Er beschränkte sich darauf, einige Ratschläge für die Balance und Aufhängung zu geben, aber weigerte sich, die Plastik zu signieren.211 Das Werk besteht aus zwei rechteckigen Metallplatten, die zusammen ein Quadrat bilden. Die Plastik hängt an der Decke, so daß die Luftströmungen das dünne Quadrat zum Schweben bringen. Die geradlinige Form des Werkes ist von schlichter Einfachheit: Nicht die Form hat Priorität in Rickeys Werken, sondern die Bewegung der Form im Raum. Die Bewegung sollte »langsam, ausgeglichen und still« erfolgen.212 Die Genauigkeit der Konstruktion ist die wichtigste Voraussetzung, um eine widerstandslose Bewegung zu erreichen. Deswegen kontrollierte Rickey persönlich den ganzen Herstellungsprozeß seiner Werke. Sie wurden durch mehrere Zeichnungen und Modelle exakt vorbereitet und dann von ihm und seinen Assistenten akribisch montiert. Wenn die Bewegung einer Plastik am Ende des Prozesses trotz der Vorbereitungen nicht befriedigend war, wurde das Objekt entweder verschrottet oder als Andenken an die technischen Fehler behalten.213 Der Arbeitsprozeß des Künstlers ähnelte dem eines Ingenieurs: Er erfolgte durch die Anwendung der Gesetze der Physik und war anonym. »Dennoch, wer Rickeys klare und doch mysteriöse Skulpturen im Wind und Raum schwingen, wippen und rotieren sieht, ist überzeugt, daß sie Rickeys eigene, 209 Über die Aufführung von Lokaltermin vgl. LANSER 1967: »Kriwet mischte Wortfetzen, manchmal auch ganze Sätze, Zischen, Klatschen, Stöhnen und andere Geräusche ›wohltemperiert‹ auf Notenblätter und dirigierte drei moderne Damen und Herren, die sich ihrer Aufgabe grandios hingaben.« 210 Vgl. Fotokopie der Zeichnung von George Rickey im Archiv des ›museum kunst palast‹. 211 Vgl. RICKEY, George: Brief an Hans Joachim Reinert, 6.10.1970 (Archiv des ›museum kunst palast‹): »I gave them some suggestions about balancing and suspending it, also about making adjustments of the time and posture.« 212 HERRERA, Hayden, Ästhetik der Kontrolle, in: George Rickey: Skulpturen, Material, Technik, Amerika Haus Berlin, 1979, S. 12. 213 Rickey, George, Zeichnungen, in: George Rickey 1979, S. 66.

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poetische Ehrfurcht vor dem Rhythmus und der Ordnung des Universum ausdrücken und vielleicht auch sein Hochgefühl über die Teilhaftigkeit menschlicher Intelligenz an diesem Universum.«214 Die Technik war für Rickey niemals Zweck, sondern Mittel. Er erforschte die Möglichkeiten der Technik, um ästhetische Ergebnisse zu erreichen: »Falls […] die Forderungen des Ingenieurs häßliche Proportionen zur Folge haben, werde ich den Entwurf aufgeben und von neuem beginnen. Ästhetische Ansprüche stoßen immer auf technischen Widerstand.«215 Diese Voraussetzungen erläutern, warum Rickey die Plastik des Creamcheese nicht als authentisch anerkannte. Eine anfängliche Skizze reichte bei weitem nicht aus, um der Komplexität Rickeys Skulpturen gerecht zu werden. Der Künstler war also aufrichtig, als er – gefragt, ob er das Objekt signieren würde – erklärte: »I don’t think it should have an additional value as an authentic work of mine, as I have not controlled its production or, so to speak, guaranteed its performance.«216 Diese Meinung wiederholte er sieben Jahren später: »I do not consider this a work by me, I have never seen it, I do not know if it is correctly made, properly balanced, or has the proper timing of the moving parts.«217 Ein Artikel über die Einweihung des Werkes berichtet, daß die Plastik sich nicht bewegte: »Zwar konnte sich die schwingende Aluminium-Platte in dem vorgesehenen Winkel des Lokals noch nicht richtig bewegen, aber man wird noch für den notwendigen Luftzug sorgen.«218 Im ›museum kunst palast‹ wird die Plastik durch einen kleinen Ventilator in Bewegung gesetzt. Die poetischen Schwingungen Rickeys Skulpturen, die an natürliche Bewegungen erinnern (das Wogen der Gräser, das Schwingen der Bäume, das Meer …), können durch das Objekt des Creamcheese heute im Museum jedoch nicht erahnt werden. 2.2 Veränderungen der Originalsubstanz, Rekonstruktionen, Repliken Die Kunstwerke des Creamcheese waren durch den Betrieb des Lokals besonders Verschleiß und Schäden ausgesetzt. Einige von ihnen wurden noch im Lauf der Jahre, in denen sie in der Kneipe ausgestellt waren, verändert, teilweise erneuert oder gar ersetzt. Es kann also zwischen Veränderungen

214 215 216 217

HERRERA 1979, S. 18. Rickey, George, Technologie, in: George Rickey 1979, S. 39. RICKEY, George: Brief an Hans Joachim Reinert, 6.10.1970 . RICKEY, George: Brief an Stephan von Wiese, 27.3.1977 (Archiv des ›museum kunst palast‹). 218 Rickey-Plastik 1971.

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unterschieden werden, die vor der Schließung des Lokals unternommen wurden, und Veränderungen, die mit der Musealisierung der Objekte verbunden sind. Abbildung 32: Die Fernsehwand im Creamcheese, fotografiert 1976

Unter den Werken, die sich bereits während der Zeit des Creamcheese verwandelt haben, ist die Fernsehwand. Die Zahl der Fernseher im vierundzwanzigfächrigen Regal wird in den Zeitungsartikeln aus der Zeit immer unterschiedlich angegeben. Der Grund dafür ist, daß nicht alle Geräte den Dauerbetrieb überstanden. Einige wurden abgeschafft, ohne einen Ersatz zu finden, so daß bereits 1967 manche Fächer des Regals leer blieben.219 In der aktuellen musealen Präsentation wurde das ursprüngliche Regal mit vierundzwanzig Fächern durch ein Regal mit zwölf breiteren Fächern ersetzt. Folglich wurden die Fernseher paarweise angeordnet, was eine Veränderung des gesamten Erscheinungsbildes der Fernsehwand mit sich brachte. Die ausgestellten Fernseher sind außerdem nicht dieselben, die das Lokal ausstatteten, da die ursprünglichen Geräte, die sich im Depot des Museums befinden, mit Dioxin belastet sind.220 In der musealen Präsentation werden

219 Vgl. SACK 1967. Sack zählte nur neunzehn Fernseher. 220 Information von Stephan von Wiese (7.5.2003).

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Modelle aus unterschiedlichen Zeiten verwendet. Einerseits ist der Ersatz der alten, nicht mehr funktionsfähigen Fernseher unter dem künstlerischen Aspekt nicht relevant, da ihr Aussehen keine Rolle für die Bedeutung des Werkes spielt. Viel wichtiger ist die Funktionsfähigkeit der Geräte, um die Wirkung der Fernsehwand zu erhalten. Anderseits waren die ersetzten Fernseher Dokumente ihrer Zeit, und ihr Verlust stellt eine Verminderung des historischen Wertes der Fernsehwand dar. Das benagelte TV von Uecker, das ursprünglich im Creamcheese ausgestellt war, mußte weggebracht werden, da die Nägel allmählich von den Gästen entfernt wurden.221 1968 installierte Uecker an der Stelle dieses Kunstwerkes den Elektrischen Garten, der, wie schon erwähnt, ursprünglich mit einer elektrischen Ausstattung versehen war, die verloren gegangen ist. Das Kunstwerk war in einer Nische des Lokals eingebaut. Im Museum befindet sich der Nagel in einer Konstruktion aus Sperrholz, deren sichtbaren Außenflächen einen silbergrauen Anstrich aufweisen. Nur die Außenfläche der Rückplatte wurde nicht gestrichen, vermutlich, weil das Objekt an die Wand gestellt werden sollte.222 Einige Objekte des Creamcheese wurden im Lauf der Zeit mit strapazierfähigeren Materialien repliziert. Die Fahne von Ferdinand Kriwet war ursprünglich aus Stoff. Nachdem sie schon wenige Tage nach der Eröffnung des Lokals gestohlen worden war, wurde sie 1968 mit einer aus Kunststoff ersetzt.223 Die Fahne, die heute am Eingang des Museumsaal hängt, wurde speziell für die museale Präsentation hergestellt. Ihr fehlt das schwarze Dreieck am unteren Rand, das die Fahne des Creamcheese dynamisierte. Die Theke von Heinz Mack war ursprünglich mit Aluminium beschichtet, aber dieses Material erwies sich als sehr empfindlich, so daß es schon früh Kratzer und Beulen aufwies. Das Aluminium wurde deshalb vom Künstler mit Edelstahl ersetzt.224 Diese Veränderung kann mit der im IV. Kapitel behandelten Überarbeitung der Gemeinschaftsarbeit Silbermühle verglichen werden. Die Überführung der Kunstwerke vom Creamcheese ins Museum erfolgte nicht reibungslos. In einer Aktennotiz berichtete Stephan von Wiese, daß keine Vertreter des Kunstmuseums oder des Restaurierungszentrums Düsseldorf bei dem Abbau der Werke im ehemaligen Lokal anwesend waren, da sie vom städtischen Kulturamt nicht benachrichtet worden waren. Deswegen

221 Auskunft von Bim Reinert im Gespräch mit der Verf. (Oktober 2001). 222 Vgl. Restaurierungsdokumentation (GM 97.3637) im Restaurierungszentrum Düsseldorf. 223 Auskunft von Bim Reinert im Gespräch mit der Verf. (Oktober 2001). 224 Vgl. MACK, Heinz: Brief an die Verf. (29.6.2003).

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wurden die Kunstwerke nicht fachgerecht abgebaut. Darunter litt insbesondere das Bild von Richter.225 Auch die Theke von Mack wurde nicht sorgfältig behandelt: Als das Creamcheese im Kunstmuseum präsentiert wurde, konnte sie wegen des schlechten Zustandes nicht ausgestellt werden. Der Künstler bot an, eine Replik anzufertigen.226 Dazu ist es aber nie gekommen. Mittlerweile ist Mack gegen eine Wiederherstellung des Werkes, da die Objekte des Creamcheese seiner Meinung nach nicht ins Museum gehören.227 Die Windmaschine von Uecker wurde bei der ersten Präsentation im Kunstmuseum in Funktion ausgestellt. Sie mußte aber stillgelegt werden, weil die von ihr produzierten Vibrationen eine Gefahr für die anderen Kunstwerke im Saal darstellten. Zur Zeit wird das Objekt, das – wie bereits erklärt – ›Terror‹ verbreiten sollte, paradoxerweise im Stillstand präsentiert. Einige Werke des Creamcheese wurden bereits Restaurierungseingriffen unterzogen. Beim Erwerb durch das Museum wies das Spiegelobjekt von Luther mehrere gebrochene Hohlspiegel auf, die ersetzt werden mußten.228 Der Ersatz von Originalsubstanz ist in diesem Fall dadurch gerechtfertigt, daß die Lichterscheinungen für den Künstler den Vorrang vor dem materiellen Aspekt des Kunstwerkes hatten. Auch das ›Fallenbild‹ von Spoerri wurde restauriert. Die auf zwei Platten geklebten Gegenstände waren noch in der Zeit des Creamcheese teilweise verloren gegangen bzw. ersetzt worden, wie sich aus dem Vergleich von Fotos aus verschiedenen Jahren ergibt. Nach der Musealisierung des Objektes löste sich ein Likörglas von einer Platte und zerbrach beim Sturz. Das Glas wurde zwischen 1991 und 1992 wieder zusammengesetzt und auf dem Träger fixiert.229 Die Restaurierung war sehr problematisch, da – wie im vorherigen Paragraph erklärt wurde – Spoerri sich gegen das ›Tabu‹ des Bewahrens erklärt hatte. Er betrachtete den Zufall als einen Mitarbeiter, der auch nach der Fertigstellung eines Werkes immer wieder Veränderungen vornehmen durfte. Der restauratorische Eingriff ging gegen den Zufall vor. In einer Stellungnahme zur Wertminderungsfrage erklärte Cornelia Weyer, Leiterin des Restaurierungszentrums Düsseldorf, daß in diesem Fall der museale Erhalt des Werkes

225 Vgl. Aktennotiz von Stephan von Wiese (Betr.: Cream Cheese), 9.7.1979 (Archiv des ›museum kunst palast‹). 226 Vgl. MACK, Heinz: Brief an Hans Albert Peters, 8.4.1992 (Archiv des ›museum kunst palast‹). 227 Vgl. MACK, Interview d. Verf., 21.11.2002. 228 Vgl. den Schriftverkehr aus dem Jahr 1978 zwischen Bim Reinert und dem Kunstmuseum im Archiv des ›museum kunst palast‹. 229 Vgl. Restaurierungsdokumentation (84.2288 und 91.3362) im Restaurierungszentrum Düsseldorf.

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Priorität gehabt habe. Entsprechend der Aufgabe des Museums und der Restauratoren, Kunstwerke zu bewahren, sei der Verfall des Fallenbildes von Spoerri verzögert worden.230 Im Unterschied zu den Lichtmaschinen des auf der documenta III präsentierten Lichtraumes (Hommage à Fontana), die vor dem späteren Erwerb der Installation durch das Kunstmuseum entweder an andere Museen verkauft oder von den Künstlern verändert worden waren, übernahm die Stadt Düsseldorf die Objekte des Creamcheese in dem Zustand, in dem sie sich bei der Schließung des Lokals befanden. Trotzdem wurde die Gelegenheit verpaßt, die Werke und den ursprünglichen Ort akkurat zu dokumentieren und zu erforschen. 3. Bedeutungsverschiebungen und -verluste Wie schon in Bezug auf die musealen Präsentationen des Creamcheese hervorgehoben wurde, besteht die größte Schwierigkeit bei der Erhaltung und Ausstellung dieses Ensembles darin, seinen Charakter als Tanzlokal und intermediales Werk in der musealen Umgebung zu bewahren und zu vermitteln. Die Veränderung des Ortes – das heißt des Raumes und insbesondere der Situation der Kneipe – bringt einen kompletten Verlust der ursprünglichen Funktion des Creamcheese als Vergnügungsstätte mit sich. Die Gleichung »Kunst ist Unterhaltung. Alle Unterhaltung ist Kunst«, die im Creamcheese-Manifest zu lesen ist, verliert im Museum ihre Bedeutung. Der unterhaltende Aspekt, der Kunst einem breiten Publikum näher bringen sollte, wird ausgeklammert. Der »White Cube« präsentiert Kunst als autonomen Wert: »Die Galerie hält vom Kunstwerk alle Hinweise fern, welche die Tatsache, daß es ›Kunst‹ ist, stören könnten. Sie schirmt das Werk von allem ab, was seiner Selbstbestimmung hinderlich in den Weg tritt.«231 Die Verschmelzung von Kunst und Leben, die mit dem Creamcheese erreicht wurde, ist aufgehoben: Das Leben bleibt draußen. Nach Mommartz ist die Institution Museum »heute bereits auf dem Entertainment-Niveau gelandet«, das die Künstler mit dem Creamcheese erreichen wollten. Sie dürfe auch Werke ausstellen, die sie ursprünglich in Frage stellten.232

230 Vgl. WEYER, Cornelia, Stellungnahme zur Wertminderungsfrage im Fall Spoerri, »Wir hängen die Theke an die Decke«, 1969, im Besitz des Kunstmuseums Düsseldorf, 1. März 1993, Restaurierungsdokumentation Nr. 3362 (1991) + 1993 im Restaurierungszentrum Düsseldorf. 231 O’DOHERTY, Brian, Inside the White Cube (1976), deutsche Übersetzung: In der weißen Zelle, Berlin 1996, S. 9. 232 MOMMARTZ, Interview d. Verf., 14.11.2002.

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Kriwet zufolge ist die museale Präsentation des Creamcheese allenfalls »ein Hinweis auf ein vitales Projekt«. Seiner Meinung nach könnte man der grundlegenden Idee des Creamcheese nur mit einer neuen Version des Lokals gerecht werden.233 Uecker und Mack sehen die Musealisierung der Objekte aus dem Creamcheese als problematisch.234 Mack hat sich in diesem Zusammenhang besonders skeptisch geäußert und den Wert der für das Lokal geschaffenen Objekte als autonome Kunstwerke in Frage gestellt: »wenn Künstler gute Laune haben, dann kommt immer etwas dabei heraus, was irgendwo künstlerisch interessant ist. Aber es muß nicht gleich große Kunst daraus werden, die man dann in ein Museum hängt.«235 Er hat das Creamcheese mit der Bar (The Beanery, 1965) von Edward Kienholz verglichen, um den Unterschied zwischen beiden Konzeptionen hervorzuheben: Das Werk von Kienholz sei trotz seines provokativen Charakters eine für das Museum bestimmte künstlerische Installation. »Aber Creamcheese, die Trümmer, die davon übrig geblieben sind, die kann man nicht musealisieren. Das ist idiotisch.«236 Das Spektakel aus Licht, Bildern, Texten, Musik, Tanz und Aktionen, das jeden Abend im Creamcheese stattfand, kann bei der musealen Präsentation ohne Musik und ohne Tanz, ohne Lichtspiele und ohne Aktion nur erahnt werden. Das »Gesamtkunstwerk«, wie Arnold Bode das Creamcheese definierte, ist verloren gegangen. Die Objekte aus dem Creamcheese, die im Tanzlokal als Bestandteil der ›Bühnengestaltung‹ erschienen, wirken im Museumssaal als vereinzelte Kunstwerke. Sie wurden aus dem ursprünglichen Raum herausgerissen und dem Kontext entzogen, für den sie entworfen worden waren. Ihr Zusammenhang im Ganzen ist im Museum nicht mehr deutlich erkennbar. Auch bei der ersten musealen Präsentation, die auf die Aufstellung der Objekte im Lokal ausdrücklich hinweisen sollte, gelang es nicht, die Werke als Teile einer gesamten Konzeption erscheinen zu lassen. Das fing schon bei den räumlichen Verhältnissen an, die anders als im Lokal waren. Zum Beispiel nahm das Bild von Richter im Vorraum der Kneipe eine ganze Wand ein. Im Museum wurde es dagegen sowohl bei der ersten als auch bei der zweiten Präsentation an eine breitere und höhere Wand gehängt. Das Bild des liegenden Mädchens verlor folglich den Charakter eines Wandgemäldes, den es im Creamcheese besessen hatte. Außerdem fungiert es in der aktuellen Präsentation nicht

233 Vgl. KRIWET, Ferdinand: Brief an die Verf., 6.7.2003. 234 Vgl. UECKER, Interview d. Verf., 8.4.2003 und MACK, Interview d. Verf., 21.11.2002. 235 MACK, ebd. 236 Ebd. The Beanery von Edward Kienholz befindet sich im Stedelijk Museum Amsterdam.

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

mehr als Hintergrund der Treppenpyramide, die im Lokal Sitzplätze für die Zuschauer der Fernsehmonitore bot, sondern kann frontal und mit freiem Blick betrachtet werden. Der Dekorationscharakter des Bildes, der laut Richter sichtbar bleiben sollte,237 ist also nicht mehr erkennbar. Auch der Elektrische Garten (Große Nagel) von Uecker wurde durch die Dislocation ins Museum beeinträchtigt: Das Werk, das im Lokal eingebaut war, steht heute in einem Aufbau frei im Raum (bei der ersten Präsentation an der Wand). Manche Werke, bei denen die Funktionalität eine zentrale Rolle spielte, sind nicht mehr in Betrieb (Elektrischer Garten und Windmaschine) bzw. funktionieren nicht nach der ursprünglichen Konzeption (Fernsehwand). Der Fall der Fernsehwand ist besonders heikel, da alle ihre materiellen Komponenten ersetzt wurden, so daß sie nicht einmal als historisches Dokument gelten kann. Die Objekte aus dem Creamcheese sind schließlich Museumsstücke geworden und werden entsprechend behandelt, wie der erwähnte Fall der Restaurierung des ›Fallenbildes‹ von Spoerri beweist. Im Tanzlokal waren die Akteure des Spektakels die Besucher mit ihren Bewegungen, mit ihren Stimmen und mit ihren Reaktionen auf die verschiedenen Sinnesreize. Im Museum werden die Besucher zu passiven Betrachtern. Sie sehen die Kunstwerke an, ohne jegliche Möglichkeit der Mitwirkung. Der Ort Museum erzwingt letztendlich ein zurückhaltendes Benehmen, das nichts von dem ausgelassenen Verhalten in einer Disko hat. Eine Verschiebung der Rolle der Besucher wurde nicht zuletzt durch die Veränderung der Funktionsweise der Fernsehwand verursacht. Diese wurde im Museum 1985 und 2001 unterschiedlich präsentiert. Bei der ersten Präsentation wurde an einem Eingang des Raumes eine Kamera eingesetzt, die die Bilder aus dem daneben liegenden Saal live übertrug. Dadurch wurden die Bilder der Tanzenden ersetzt, die im Lokal Creamcheese aus dem Aktionsraum übertragen wurden. Die Entscheidung, eine Kamera zu verwenden, berücksichtigte den voyeuristischen Aspekt der Betrachtung der Monitore. Jedoch funktionierte das Werk im Museum nicht genauso wie im Lokal: Während die Gäste im Creamcheese wußten, daß sie beobachtet wurden, da sie zwangsläufig an der Fernsehwand vorbei gehen mußten, um den inneren Raum zu erreichen, war der museale Parcours so angelegt, daß die Besucher nicht unbedingt merken konnten, daß sie durch eine Kamera aufgenommen wurden. Und auch wenn sie es bemerkt hätten, hätte es in diesem Kontext nicht zu dem performancehaften Verhalten der Creamcheese-Besucher geführt. Es kann also vermutet werden, daß der Exhibitionismus, der im Tanzlokal einen komplementären Aspekt des Voyeurismus darstellte, sich im Museum nur bedingt manifestierte. Die Beobachter erhielten immerhin die Mög237 Vgl. von WIESE: Brief an Hans Albert Peters, 11.12.1985.

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lichkeit, in den Raum mit der Kamera zu gehen und sich somit in Beobachtete zu verwandeln. Die Anwesenheit von Monitoren, die Live-Bilder von Kunstwerken und (eventuell) stillen Besuchern zeigten, hätte jedoch eine Assoziation mit dem Überwachungssystem des Museums wecken können. Unter diesen Bedingungen konnte die Fernsehwand als Kontrollinstrument empfunden werden, was nicht der ursprünglichen Intention entsprach, da die Fernsehwand, wie schon gezeigt wurde, zu ganz anderen als zu repressiven Zwecken konzipiert worden war. Bei der heutigen musealen Präsentation wird keine Kamera eingesetzt, was wiederum die Mitwirkung der Besucher verhindert. Die Monitore der Fernsehwand zeigen außer Bildstörungen Dokumentationsvideos über das Creamcheese und Künstlerfilme, die ursprünglich im Tanzraum des Lokals projiziert wurden. Da die gezeigten Bilder nicht mehr live sind, zeigt sich die Funktion der Fernsehwand komplett verändert. Verschiedene Lösungen wurden seit der Schließung des Creamcheese vorgeschlagen bzw. ausprobiert, um die Objekte aus dem Lokal zu bewahren und präsentieren und um seine Atmosphäre anzudeuten: Der erste Plan der Stadt Düsseldorf war, die Objekte aus dem Lokal zu restaurieren und nach dem Umbau des Gebäudes in der Neubrückstraße wieder an ihrem ursprünglichen Ort zu präsentieren. Jedoch wären der Raum und die Situation, in denen sie ausgestellt worden wären, nicht mehr dieselben gewesen. Die Räumlichkeiten hätten wegen der Umbauarbeiten nicht mehr gestimmt. Außerdem wären die Objekte nicht mehr Bestandteil der Ausstattung einer Kneipe gewesen, sondern wären in einer Galerie präsentiert worden. Die ursprüngliche Situation hätte jedenfalls nicht künstlich wiederhergestellt werden können. Die Wiedereinführung eines musealisierten Objektes in seinen Ursprungskontext wird von Eva Sturm, die sich auf Jean Baudrillards Agonie des Realen bezieht, als »Repatriierung« definiert, im Sinne eines Versuches der Wissenschaft, den Musealisierungsakt rückgängig zu machen.238 Obwohl es so scheinen könnte, daß diese Operation zur Annäherung des Objektes seinem ursprünglichen Zustand dienen würde, bildet sie dagegen die vierte Stufe (von fünf) der »Künstlichkeitsspirale«, die uns laut Baudrillard vom Realen immer weiter entferne.239 Es ist in der Tat unmöglich, »ein ehemals museifiziertes, d.h. enträumlichtes, entfunktionalisiertes, entkontextualisiertes Objekt, ein Objekt, das durch die Einfügung in einen Neukontext eine entscheidende Wesensveränderung erhalten hat, so als wäre nichts geschehen, in den Ursprungskontext einzufügen, in der Meinung, das Objekt schlösse sich nahtlos an die ›alte‹ Realität an.«240 238 Vgl. STURM 1990, S. 103. 239 Vgl. ebd., S.107-108. 240 Ebd., S. 108. Obwohl die Objekte des Creamcheese nach der damaligen Vorstel-

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

Ein Beispiel von »Repatrierung« stellt der Fall des Kino- und Tanzsaals vom Café L’Aubette dar. Er wurde – wie schon erwähnt – 1968 im Van Abbemuseum in Eindhoven als Modell rekonstruiert. 1994 wurde er dann im ursprünglichen Gebäude in Straßburg komplett wiederhergestellt.241 Der Originalraum war bereits 1938 neu eingerichtet worden, da ein neuer Betreiber das Lokal dem Geschmack des damaligen Publikums anpassen wollte.242 Der Versuch, den ursprünglichen Zustand des Raumes zurückzugewinnen, ist künstlich und illusorisch, weil Veränderungen, die notwendigerweise auch Bedeutungsverschiebungen darstellen, nicht rückgängig gemacht werden können. Eine zweite Idee war es, eine Teilrekonstruktion des Lokals und insbesondere seines ersten Raums, von dem mehrere Objekte erhalten sind, im Museum zu realisieren. Veranstaltungen verschiedener Art hätten im Museumssaal stattfinden sollen, um den Raum zu beleben. Der Versuch, der 1985 unternommen wurde, war aber – wie bereits gezeigt – nicht ganz gelungen. Durch die vorhandenen Skizzen des Grundrisses und Fotos der Kneipe wäre es möglich, den Vorraum des Creamcheese in den Dimensionen und in der Aufstellung der Objekte präziser zu rekonstruieren, so daß der Eindruck einer »Kaffeestube« vermittelt werden könnte, wie sie sich Richter gewünscht hatte.243 Die Rekonstruktion hätte den Nachteil, daß die Ausstattung des Creamcheese, die in den Jahren, in denen das Lokal in Betrieb war, oft erneuert wurde (z.B. durch das Hinzufügen neuer Kunstwerke), in ihrem Erscheinungsbild fixiert werden müßte. Da die im Vorraum unternommenen Veränderungen aber nicht substanziell waren, wäre das Problem der ›Mumifizierung‹ in diesem Fall nicht so relevant wie im Fall des Lichtraumes der Gruppe Zero, der bei jeder Ausstellung unterschiedlich installiert wurde. Was sich im Creamcheese ständig veränderte, war eher das Aktionsprogramm als die Einrichtung. Eine Rekonstruktion der Räumlichkeit allein würde das Problem, ein Kneipengeschehen und seine Dynamik zu vermitteln, nicht lösen. Ein weiterer Vorschlag war darauf gerichtet, die Objekte aus dem Creamcheese in das Café des Museums zu integrieren. Diese Lösung, die nie ausprobiert wurde, scheint reizvoll, weil die Werke auf diese Weise wieder in einer Zerstreuungsstätte und somit in einem lebendigen Kontext gezeigt

lung an ihren ursprünglichen Ort hätten zurückgebracht werden sollen, ohne jemals im Museum ausgestellt worden zu sein, waren sie sowieso bereits musealisierte Stücke, da sie als erhaltungswert eingestuft worden waren. 241 Vgl. Theo van Doesburg 2000, S. 453. L’Aubette wird heute als Ausstellungsraum verwendet. 242 Vgl. GEORGEL/LILLERS 1977, S. 8. 243 Vgl. von WIESE: Brief an Peters, 11.12.1985 (Archiv ›museum kunst palast‹).

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werden könnten. Es würde sich um keine Rekonstruktion handeln, sondern um eine Wiederverwendung der Objekte für die Einrichtung eines neuen Ambientes. Die Idee ist nicht neu: Im 17. und 18. Jahrhundert wurden zum Beispiel antike Statuen zur Ausstattung von zeitgenössischen Villen und Parks verwendet. Dadurch wurden die Antiquitäten aktualisiert und lebendig präsentiert. Es ist jedoch fraglich, ob bereits musealisierte Objekte wieder verwendet werden dürfen, um etwas Neues zu gestalten, oder mit Rücksicht auf ihren historischen Zusammenhang bewahrt werden sollten. Bezüglich der zeitgenössischen Kunst hat Claire van Damme dazu aufgefordert, die Möglichkeiten der Wiederverwendung und des Recyclings von Kunstwerken für neue Schöpfungen in Erwägung zu ziehen: »one should investigate the (im)possibility and (in)admissibility of using real works of art as ready-mades for a new creation«.244 Im Fall der Objekte aus dem Creamcheese würde ihre Wiederverwendung in einem Café einerseits ihrer ursprünglichen Funktion näher kommen als eine Präsentation im Museumssaal. Anderseits könnte es die Tatsache vergessen lassen, daß sie aus einer anderen Zeit und Situation stammen. Bei einer solchen Lösung sollte unbedingt hinterfragt werden, ob die Kunstwerke mit ihren Eigenschaften im neuen Kontext erkennbar blieben, und inwieweit ihre Bedeutung dadurch verändert werden würde. Nach van Damme könnte die ursprüngliche Bedeutung von Kunstwerken, die in einem neuen Werk integriert worden sind, durch eine Dokumentation vermittelt werden.245 Die Wiederverwendung sei laut der Kunsthistorikerin insbesondere für diejenigen Kunstwerke zu erwägen, deren künstlerischer Wert nicht mehr lesbar ist. Sie stelle eine Lösung dar, um solche Werke lebendig zu präsentieren: »the work of art which is reused conserves its historic relevance by means of documentation and faces the future by means of the adventure of a new creation.«246 Im Unterschied zu einer Rekonstruktion des Lokals oder zu einer Wiederverwendung seiner Objekte in einem neuen Kontext, akzeptiert die gegenwärtige Präsentation der Werke aus dem Creamcheese den Verlust des gesamten Effekts und des Kneipengeschehens. Die Objekte werden bewußt als »Relikte« einer unwiederbringlichen Situation gezeigt.247 Das Wort Relikt kann in diesem Fall im Sinne von Cesare Brandi als »rudero« (Ruine) interpretiert werden: Brandi, der diesen Begriff in Bezug auf

244 DAMME, Claire van, Reuse and Recycling: new ways to conserve ephemeral art?, in: HUMMELEN/SILLE 1999, S. 309. 245 Vgl. DAMME 1999, S. 312. 246 Ebd., S. 313. 247 Künstlermuseum 2001, S. 158.

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die alte Kunst prägte, definierte diejenigen Kunstwerke als Ruinen, deren künstlerischer Wert so stark beeinträchtigt ist, daß ihre Restaurierung einer Verfälschung gleichen würde.248 Solche Kunstwerke, die nur noch einen historischen Wert besitzen, sollten laut Brandi in ihrem aktuellen Zustand erhalten werden.249 Eine Wiederherstellung, die darauf abzielen würde, die Ruine zu ihrem ursprünglichen Zustand zurückzuführen, wurde von Brandi also abgelehnt. Er betrachtete es aber als legitim, das Werk in ein neues künstlerisches Ensemble mit einzubeziehen, obwohl diese Operation nicht in den Bereich der Restaurierung fallen würde.250 Diese letzte Möglichkeit ähnelt dem erläuterten Vorschlag von van Damme. Ob die Überreste des Creamcheese noch eine ausreichende künstlerische Aussagekraft besitzen, um die Lesbarkeit des Ganzen wiederherzustellen (z.B. durch eine Rekonstruktion), oder ob sie als Ruinen betrachtet werden sollten, ist eine Frage der Interpretation: Während die erste museale Präsentation versuchte, den künstlerischen Aspekt des Ensembles zur Geltung zu bringen, betont die aktuelle Präsentation eher den dokumentarischen Charakter der Objekte. Brandi, der in seiner Restaurierungstheorie stets um klare Richtlinien bemüht war, erkannte die Problematik einer genauen Grenzziehung zwischen Kunstwerken, die noch zu einer potentiellen Einheit zurückgeführt werden können, und Ruinen, deren Lesbarkeit als Kunstwerke ohne Verfälschung nicht mehr wiederhergestellt werden kann.251 Wie auch immer die Objekte des Creamcheese bewertet werden (ob als Ruinen oder ob als Teile eines noch lesbaren Ensemble), das Problem der Vermittlung des ständigen Happenings, das jeden Abend im Lokal stattfand, bleibt. Ein besonders interessantes Experiment war die Theatercollage Creamcheese: a tribute to the sixties, die die Disko und ihre Epoche aus der Sicht der neunziger Jahre inszenierte. Das Theater ist eine Ausdrucksform, die dem intermedialen Creamcheese immanent ist. Wie am Anfang des Kapitels gezeigt wurde, hatte sich die Konzeption des Lokals zum Teil aus einem Projekt für ein Theaterstück (das Reisetheater von Uecker und Sauerbier) entwickelt. Das hohe Podest des Creamcheese, das als Tanzfläche diente und durch Scheinwerfer beleuchtet wurde, glich einer Bühne, auf der sich die Besucher durch Tanz und Bewegung selbst inszenieren konnten. Wesentliche Elemente des Creamcheese wie Musik, Tanz und Performance, die dem traditionellen

248 249 250 251

Vgl. BRANDI 1977, S. 39-40. Vgl. ebd., S. 30-31. Vgl. BRANDI 1977, S. 36. Vgl. ebd., S. 40.

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Museum eher fremd sind, gehören zu den gewöhnlichen Ausdrucksmitteln des Theaters. Abbildung 33: Günther Uecker, Konrad Fischer-Lueg, Ferdinand Kriwet und Gerd Hübinger beim Vortrag eines Sprechtextes, Creamcheese 1967

Im Lokal fanden außerdem regelmäßig Künstleraktionen statt. Das intensive und gut besuchte künstlerische Programm machte aus dem Creamcheese eine Künstlerkneipe in der Tradition des Café-Cabarets. Schließlich wurde das Lokal in den letzten Jahren seiner Aktivität zum regelrechten Kneipentheater: Verschiedene Theaterstücke wurden dort zwischen 1972 und 1976 aufgeführt. Daraus kann man folgern, daß das Theater eine adäquate Form wäre, um die Atmosphäre der Kneipe anzudeuten. Die Kunstwerke aus dem Creamcheese besitzen, im unterschiedlichen Maß, noch eine gewisse Ausdruckskraft. Auch wenn sie uns heute als Ruinen erscheinen können, werden sie wahrscheinlich von den zukünftigen Generationen, kraft des größeren Zeitabstandes, nachsichtiger betrachtet. Als Objekte aus der (wenn auch nahen) Vergangenheit und als Erinnerungsstücke einer bedeutenden Künstlerkneipe haben sie eine »Anmutungsqualität«,252

252 Für die Verwendung dieses Begriffes vgl. KORFF, Gottfried, ROTH, Martin, Einlei-

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

die durch keine Dokumentation ersetzt werden kann. Um diese Aspekte besser zur Geltung kommen zu lassen, wäre es eine Möglichkeit, Performances im Creamcheese-Saal zu organisieren. Dafür könnte die Methode der Theatercollage angewendet werden, wie sie sich bereits in der Inszenierung von Reinhold Tritt bewährt hat. Durch die Verbindung mit dem Theater könnte der intermediale Charakter des Lokals den Besuchern vermittelt und ihnen wieder eine aktivere Rolle verliehen werden. Die Objekte würden in ein neues ›Gesamtkunstwerk‹ einbezogen werden, ohne beschädigt oder manipuliert zu werden. Abbildung 34: Theaterperformance »creamcheese: a tribute to the sixties«, 1993

Theater und Museum haben vieles gemeinsam: »In beiden Bereichen geht es darum, Lebenszusammenhänge anschaulich zu machen und das Gestern ins Heute zu transportieren.«253

tung, in: dieselben (Hrsg.), Das historische Museum, u.a. Frankfurt, 1990, S.17: Die »sinnliche Anmutungsqualität, die Ausgangspunkt für die faszinierende Wirkung der Objektwelten des Museums ist«, wird hier durch »das den Objekten eingelagerte Spannungsverhältnis von sinnlicher Nähe und historischer Fremdheit, das Ineinander von zeitlich Gegenwärtigem und geschichtlich Anderem« begründet und mit Benjamins Begriff der Aura in Verbindung gebracht. 253 FIEBER, Pavel, Gedanken zu Museum und Theater, in: KINDLER, Gabriele (Hrsg.), MuseumsTheater, Bielefeld 2001, S. 22.

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➔ Creamcheese

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Von einem Museum wird erwartet, daß es Originale zeigt. Dabei werden oft zwei Aspekte vergessen: Erstens, daß die vermuteten ›Originale‹ bereits Veränderungen in der materiellen Substanz und Bedeutungsverschiebungen unterzogen worden sein könnten, und zweitens, daß ihre Präsentation Resultat einer Interpretation ist und folglich nie ›objektiv‹ sein kann. Dagegen ist es deutlich, daß ein Theaterstück (wie auch eine Musikkomposition) ›interpretiert‹ wird. Während die Rekonstruktion eines Kunstwerkes ›vorgibt‹ das Original zu sein und deswegen als ›Simulation‹ gelten kann,254 »wird im Prozeß des Theaterspielens eine Wirklichkeit konstituiert, die als ›ästhetischer Schein‹ nicht für sich in Anspruch nimmt, Realität zu sein und sich damit von der überwiegenden Mehrheit gesellschaftlicher Simulationspraktiken abhebt.«255 Eine Rekonstruktion fixiert das Kunstwerk in einer der möglichen Interpretationen. Ein Theaterstück erstarrt dagegen nie, da jede Inszenierung es neu interpretiert. Gleichzeitig wird der Bezugstext durch die verschiedenen Inszenierungen nicht modifiziert oder verfälscht. Kürzlich ist der neue Begriff ›MuseumsTheater‹ geprägt worden, um die erwünschte Zusammenarbeit dieser zwei Institutionen zu definieren: »‹MuseumsTheater‹ vermittelt Kunstwerke und andere museale Objekte mit den Methoden von Theater und Inszenierung.«256 Die museale Präsentation des Creamcheese (sei sie eine Rekonstruktion oder eine Ausstellung von Relikten) beeinträchtigt nicht nur die aktive Teilnahme des Besuchers, sondern auch seine Rolle als Rezipient verschiedener Sinnesreizungen. Die unterschiedlichen Medien, die im Tanzlokal den Besucher stimulierten und sein Bewußtsein erweitern sollten, sind im Museum eindeutig verringert. »Das MuseumsTheater berührt die Besucher emotional«.257 Deswegen scheint diese Art der Vermittlung besonders geeignet für Kunstwerke wie das Creamcheese, die eher erlebt als betrachtet werden wollen.

254 255 256 257

Vgl. STURM 1990, S. 111. HENTSCHEL, Ulrike, Alles Theater?, in: KINDLER 2001, S. 47. Kindler, Gabriele, Einführung, in: KINDLER 2001, S. 11. Ebd., S.11.

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) vakat 164.p 80875824626

➔ Schlußfolgerungen

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VI. Schlussfolgerungen Sowohl der Lichtraum (Hommage à Fontana) als auch das Creamcheese sind Ausdruck der Düsseldorfer Kunstszene der sechziger Jahre. Der Lichtraum, der 1964 auf der documenta III von der Gruppe Zero präsentiert wurde, zeugt vom Aufbruch der Düsseldorfer Kunst auf ein internationales Niveau. Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker, die bereits am Ende der fünfziger – Anfang der sechziger Jahre verschiedene Ausstellungen und Aktionen in Düsseldorf organisiert und mitgestaltet hatten, waren unter den Protagonisten dieses Aufbruchs. Sie entwickelten eine Kunst, deren Schwerpunkt auf Licht und Bewegung lag. Ihre Teilnahme als Gruppe an der documenta III erfolgte nach einem Protest von elf Düsseldorfer Künstlern (unter ihnen Mack und Piene) gegen die Einseitigkeit des Kunstbetriebes und insbesondere gegen die Auswahlkriterien des documenta-Rates. Der Raum im Fridericianum, der der Gruppe Zero schließlich zur Verfügung gestellt wurde, war kein typischer Ausstellungsraum, sondern eine Dachbodenkammer. Dort installierten die drei Künstler sieben kinetische Objekte, die den engen und bedrückenden Raum in eine reizvolle, sich ständig verändernde Lichterscheinung verwandelten. Die Widmung der Installation an Lucio Fontana stellte eine Protestgeste gegen den documenta-Rat dar, der den von der Gruppe Zero geschätzten Künstler nicht eingeladen hatte. Der Lichtraum erregte zwar Aufsehen wegen der Neuheit der verwendeten künstlerischen Mittel (elektrische Ausstattung zur Erzeugung von Lichteffekten), die die persönliche Handschrift der Künstler in den Hintergrund rückten, wurde aber auch voreilig als Spielerei verurteilt. Das Creamcheese, zu dessen Gestaltung mehrere Düsseldorfer Künstler beitrugen, war sowohl eine der ersten psychedelischen Diskos in Deutschland als auch eine Künstlerkneipe, die noch nicht etablierten Künstlern Ausstellungs- und Auftrittsmöglichkeiten bot. Es stellte am Ende der sechziger Jahre einen beliebten Treffpunkt der Düsseldorfer Kunstszene dar. Unter dem künstlerischen Aspekt war das Lokal in mancher Hinsicht den Erfahrungen der ZERO-Bewegung und ihres organisatorischen Kerns, der Gruppe Zero, verpflichtet. Zwei ehemalige Mitglieder der Gruppe – die sich 1966, ein Jahr vor der Eröffnung des Lokals, aufgelöst hatte – waren an der Konzeption und Einrichtung des Creamcheese maßgeblich beteiligt: Uecker, auf den die Idee des Lokals zurückzuführen ist, und Mack, der für die Gestaltung der Theke und für das Stroboskop-Licht verantwortlich zeichnete. Weitere Vertreter der ZERO-Bewegung (wie Ferdinand Spindel und Adolf Luther) trugen zur Einrichtung der Kneipe bei. Einige Elemente des Creamcheese – wie die zentrale Rolle von Bewegung und Licht, das nach bestimmten Partituren dirigiert wurde, der Einsatz von kinetischen Objekten und die Organisation von künstlerischen Aktionen – hatten bereits die ZERO-Kunst charakterisiert. Im Verlauf

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der vorliegenden Untersuchung konnte festgestellt werden, daß diese Elemente im Creamcheese jedoch anders als in den ZERO-Kunstwerken eingesetzt wurden. Das Licht z.B. hatte im Tanzlokal keinen meditativen Charakter wie in den ZERO-Arbeiten, sondern trug zur psychedelischen (bewußtseinserweiternden) Wirkung der Disko bei. Die Bewegung wurde im Creamcheese nicht nur durch bewegliche Objekte, Lichtprojektionen oder durch die Vibration des Lichtes auf spiegelnden Oberflächen erzeugt, sondern auch und insbesondere durch die Tanzenden, die eine lebendige kinetische Plastik darstellten. Die gesamte Atmosphäre, zu der der Filmmacher Lutz Mommartz und der Schriftsteller Ferdinand Kriwet u.a. durch Film- und Diaprojektionen wesentlich beitrugen, war nicht so ›harmlos‹ wie die der ZERO-Aktionen. Die Besucher des Lokals wurden durch eine Reizüberflutung ›terrorisiert‹ und stimuliert. Die simultanen Projektionen sollten die Unterscheidungsfähigkeit des Betrachters erhöhen und ihm somit zu einer kritischen Haltung verhelfen. Der ruhige und kontemplative Lichtraum einerseits und das laute und in Rausch versetzende Creamcheese anderseits hatten unterschiedliche Funktionen: Der erste war eine Kunstinstallation, die in der auf der documenta III präsentierten Version den Höhepunkt der Zusammenarbeit von Mack, Piene und Uecker und ihrer langjährigen, ernsthaften Auseinandersetzung mit Licht und Bewegung darstellte. Das zweite war eine Vergnügungsstätte, die Unterhaltung, Sensibilisierung des Publikums und Kunst vereinigte. Außerdem waren Lichtraum und Creamcheese Ausdruck unterschiedlicher historischer Situationen, obwohl nur drei Jahre zwischen der Entstehung der zwei Ensembles lagen. Die ZERO-Kunst, deren bedeutendes Beispiel der Lichtraum ist, entwickelte sich in der frühen Nachkriegszeit und intendierte, nach der Grausamkeit des Krieges einen freien Raum zu schaffen und eine optimistische Haltung zu vermitteln. Das Creamcheese wurde dagegen in den Jahren des Wirtschaftswunders eröffnet, als die Kriegsereignisse verdrängt wurden und der verbreitete ökonomische Wohlstand das kollektive Bewußtsein blendete, so daß die nicht ökonomischen Werte vernachlässigt wurden. Es war die Zeit der Studentenrevolte. Statt durch Demos versuchten Künstler mit ihrem schöpferischen Beitrag, die Leute zu einer kritischen Haltung anzuspornen. Die Unterschiede zwischen den zwei Ensembles zeigten sich auch im Zusammenhang ihrer Musealisierung: Trotz seines provokativen und innovativen Charakters wurde der Lichtraum (Hommage à Fontana) immerhin für einen musealen – wenn auch auf der documenta ungewöhnlichen – Ausstellungsraum konzipiert. Das Creamcheese stellte dagegen einen alternativen Ort dar, an dem Kunst außerhalb der Institutionen einem breiten Publikum präsentiert werden konnte. Unterhaltung und künstlerische Aspekte waren in der Konzeption des Lokals miteinander verzahnt. Während die Musealisierung des Lichtraumes (Hommage à Fontana) – trotz Problemen von »Entzeit-

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➔ Schlußfolgerungen

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lichung« und »Ent-Kontextualisierung« – schließlich die Bedeutung der Installation nicht ganz beeinträchtigt hat, hat die Musealisierung des Creamcheese schwerwiegende Folgen für die Bedeutung des Ensembles gehabt und die museale Aufgabe des Bewahrens an ihre Grenzen geführt. Die Gruppe Zero präsentierte zwischen 1962 und 1964 an verschiedenen Orten unterschiedliche ›Lichträume‹. Die Konstellation und Anordnung der kinetischen Objekte variierte jedes Mal in Bezug auf den jeweiligen Ausstellungsraum, so daß die Installation immer ein neues Erscheinungsbild bekam. Durch die Musealisierung der Kasseler Version des Lichtraumes wurde die Konstellation von Objekten, die auf der documenta III präsentiert worden war, als Standard festgesetzt. Die aktuelle Präsentation des Lichtraumes (Hommage à Fontana) im ›museum kunst palast‹ intendiert, einerseits auf die Kasseler Installation hinzuweisen, anderseits die Anordnung der Objekte an den neuen Raum anzupassen. Die ursprüngliche Eigenschaft des Lichtraumes, immer in neuer Form installiert zu werden, wurde also durch seine Musealisierung eingeschränkt. Außerdem ist der provokative Aspekt der Kasseler Installation, der mit der Situation auf der documenta verbunden war, nicht mehr lesbar. Trotzdem – und obwohl einige Objekte des Ensembles Repliken sind – hat das Werk noch eine starke Anziehungskraft. Die verschiedenen kinetischen Objekte und die Zeitschaltuhr, die sie ›dirigiert‹, funktionieren noch auf eine adäquate Art, so daß die Lichtprojektionen und -reflexe sich nach der ursprünglichen Partitur entfalten können. Die Bedeutung der Installation, die den physischen Raum verändert und eine ›kosmische‹ Atmosphäre schafft, ist immer noch erkennbar. Die Objekte aus dem Creamcheese können dagegen im Museum nicht mehr als Bestandteile eines Gesamtkunstwerkes gelesen werden. Sie wirken isoliert, obwohl sie ursprünglich Teile derselben Einrichtung waren. Zwei kinetische Objekte des Ensembles werden im Stillstand gezeigt. Insgesamt werden die Werke, deren künstlerische Bedeutung stark beeinträchtigt ist, als Relikte präsentiert. Die psychedelische Atmosphäre der ehemaligen Kneipe, die laute Musik und die wilden Tänze, die sich in einem musealen Kontext schlecht darstellen lassen, tauchen bei der aktuellen musealen Präsentation nur in Form von Dokumentation auf. Anläßlich der im zweiten Kapitel erwähnten Ausstellung von Uecker und Richter in der Kunsthalle Baden-Baden (1968) stürmte ersterer – mit einem großen Nagel bewaffnet – buchstäblich das Museumsgebäude, in dem er und Richter dann mehrere Tage wohnten. Das Museum, traditionell ein imponierender Ort, wurde in eine laute Werkstatt und Wohngemeinschaft verwandelt. Der Versuch, bürgerliche Werte zu erschüttern, und die Tatsache, daß in der Kunsthalle Baden-Baden wie im Creamcheese ›Terror-Objekte‹ eingesetzt wurden, verbinden die Konzeptionen der Ausstellung und des Lokals. Während das Creamcheese die Kunst in das Leben brachte, brachte die Ausstel-

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

lung in Baden-Baden das Leben ins Museum und veränderte dadurch diese Institution. Dieses Beispiel, sowie die Kasseler Version des Lokals auf der 4. documenta, die Creamcheese-Aktion in der Kunsthalle Recklinghausen und die Filmprojektionen von Mommartz in der Kunsthalle Düsseldorf (alle 1968) beweisen, daß sich die dem Creamcheese zugrundeliegende Idee in einem musealen Kontext nur präsentieren läßt, wenn sich die beherbergende Institution neuen Experimenten gegenüber aufgeschloßen zeigt. Durch die Analyse der Konzeption des Creamcheese wurde erwiesen, daß das intermediale Lokal mehrere Berührungspunkte mit dem Theater besaß. Deswegen wurde die Möglichkeit erwogen, die Methoden des Theaters im Museum einzusetzen, um den Erlebnischarakter des Creamcheese zu vermitteln. Die zwei analysierten Ensembles erwiesen sich als sehr komplex: Sie bestehen einerseits aus einzelnen Objekten mit ihrer eigenen Bedeutung, anderseits ist die Bedeutung des jeweiligen Ensembles durch die Beziehungen zwischen den Objekten und dem Ort (Raum und Situation) geprägt. Als Leitfaden für die beiden Fallstudien wurde das von der Foundation for the Conservation of Modern Art entwickelte ›decision-making model‹ angewendet. Da das Modell die Faktoren Ort und Präsentation jedoch nicht berücksichtigte, mußte es um diese zwei Aspekte erweitert werden: Sie wurden im ersten Teil der jeweiligen Kapitel über die zwei Installationen analysiert. Danach wurden die einzelnen Kunstwerke untersucht. Aus der Analyse des Lichtraumes und Creamcheese und aus dem Vergleich dieser Ensembles mit den anderen angeführten Beispielen können die folgenden Schlüsse im Bezug auf die verschiedenen Fragen gezogen werden: Reproduzierbarkeit: Obwohl viele Künstler in den sechziger Jahren anonyme Arbeitsprozesse bevorzugten, um ihre Handschrift zu unterdrücken, erwiesen sich die analysierten Ensembles als nicht auf Reproduzierbarkeit angelegt. Die Kunstwerke der Gruppe Zero behielten immer eine persönliche Chiffre, die verhinderte, daß sie identisch repliziert werden konnten. Es wurde bewiesen, daß die von den Künstlern angefertigten Repliken, die im Museum einige der auf der documenta III gezeigten Objekte des Lichtraumes ersetzen, sich von diesen leicht unterscheiden. Ein besonderer Fall stellt die Fernsehwand aus dem Creamcheese dar. Sie bestand ausschließlich aus industriellen Produkten (Fernsehern, Regal, Kamera), die in keiner Weise von den Künstlern überarbeitet worden waren. Sie schien also reproduzierbar zu sein, und ihre Elemente wurden im Museum in der Tat ersetzt. Die Untersuchung dieser Fernsehinstallation hat jedoch bewiesen, daß ihre Funktionsweise sowohl bei der ersten Präsentation als auch bei der zweiten verändert wurde, so daß sie ihre ursprüngliche Bedeutung eingebüßt hat. Bei der ersten Präsentation wurde nicht berücksichtigt, daß

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➔ Schlußfolgerungen

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die Bedeutung der Fernsehwand nicht nur von den technischen Aspekten abhängig war, sondern auch von der Situation im Tanzlokal: Nicht Bilder von stillen Museumsräumen sollten die Monitore übertragen, sondern die Bewegungen der Tanzenden. Bei der zweiten Präsentation wurde die Fernsehwand nicht als autonomes Kunstwerk gezeigt, sondern als Träger der Videodokumentation über das Lokal und von Künstlerfilmen verwendet. Daraus kann geschlossen werden, daß auch Kunstwerke, die scheinbar auf Reproduzierbarkeit angelegt sind, Aspekte in sich bergen können, die sich doch nicht reproduzieren lassen. Eine ausführliche Analyse ihrer Bedeutung ist also unerläßlich, um adäquate Entscheidungen über ihre Erhaltung und Präsentation treffen zu können. Zudem darf der historische Wert der Kunstwerke nicht vernachlässigt werden. Die Fernseher der Fernsehwand waren zwar ohne Rücksicht auf ihre Gestalt und ihr Fabrikat von den Künstlern verwendet worden, reflektierten aber die Technologie jener Zeit. Sie beliebig zu ersetzen, bedeutet die historischen Informationen, die sie vermitteln, zu verfälschen. In der vorliegenden Untersuchung wurden außerdem verschiedene Rekonstruktionen von Installationen analysiert. Vorteil solcher Rekonstruktionen ist es, daß sie im Unterschied zu Foto- oder Videodokumentationen den dreidimensionalen Charakter, die Räumlichkeit der Installationen vermitteln können. Problematisch ist aber, daß sie vom Publikum nicht als Interpretationen der Originale wahrgenommen werden, sondern als Ersatz von diesen. Es wird dabei leicht vergessen, daß die Originale unwiederbringlich sind. Im Fall des Creamcheese wurde die Möglichkeit einer Rekonstruktion der räumlichen Verhältnisse des Lokals erwogen, um die Objekte als Teile einer gesamten Einrichtung zu präsentieren. Viele Elemente des Creamcheese können aber nicht repliziert werden, da sie einen Event-Charakter besaßen. Weitere Aspekte, die bei der Erwägung der Möglichkeit einer Rekonstruktion berücksichtigt werden sollten, sind: • ob ausführliche Pläne bzw. Dokumentationen der Installation vorhanden • ob die Durchführung der Rekonstruktion nach der Teilnahme des Künstlers verlangt oder ob sie von anderen vorgenommen werden kann oder gar soll; • ob das originale Material noch erhalten ist bzw. welche Rolle das Material in der gesamten Wirkung spielt. Das erwähnte Beispiel der Realisierung des Salon de Madame B… von Mondrian auf der Basis einer Skizze zeigt, inwieweit die Wichtigkeit des Materials unterschätzt werden kann. Rolle des Künstlers bei Rekonstruktionen und Re-Installationen: Ob der Künstler (oder die Künstler) bei der Rekonstruktion bzw. Re-Installation seiner Werke mitwirken soll oder nicht, und wenn ja, in welcher Form, muß von

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Fall zu Fall entschieden werden, wobei es die Eigenschaften des Kunstwerkes, das Ziel der Präsentation und den Willen des Künstlers selbst abzuwägen gilt. Einige Künstler, wie zum Beispiel Uecker, möchten in der Problematik der Erhaltung und Präsentation ihrer alten Kunstwerke gar nicht miteinbezogen werden. Andere, wie Piene, bestehen darauf, ihre Kunstwerke selber zu re-installieren. Jedenfalls darf nicht geglaubt werden, daß die Teilnahme des Künstlers an der Reproduktion oder Re-Installation eine perfekte Wiederholung des Kunstwerkes garantieren könnte. Künstler neigen dazu, das Werk, das es zu rekonstruieren bzw. zu re-installieren gilt, neu zu gestalten. Außerdem könnten einige Aspekte des Werkes mit den ursprünglichen Bedingungen verbunden sein, so daß sie sich trotzdem nicht wiederholen lassen. Die Verantwortung in den Fragen der Erhaltung, Restaurierung, Rekonstruktion und Re-Installation sollte unter Kunsthistorikern, Restauratoren und Künstlern aufgeteilt werden und nicht einfach den Künstlern zugeschoben werden. Die Meinung des Künstlers darf nicht ungeprüft maßgebend sein. Rolle des Materials: Einige der analysierten Kunstwerke, wie z.B. die ›Rotoren‹ und die Theke von Heinz Mack oder die ›Spiegelobjekte‹ von Adolf Luther, sollten nach der Intention der Künstler das Material quasi auflösen und den Eindruck einer immateriellen Erscheinung erzeugen. Seinerseits definierte Günther Uecker Kunstobjekte »als Werkzeuge für Gedankenprozesse« und betrachtete die Einprägung der künstlerischen Idee im kollektiven Bewußtsein als wichtiger als die Erhaltung des Objektes selbst. Folgerichtig plädierte er für ein Museum als »Ideenkammer«. Um das Phänomen der Konzeptkunst und ihres Umfeldes zu beschreiben, prägte Lucy R. Lippard 1968 den Begriff »the Dematerialization of Art«. Diese Elemente könnten zu der Schlußfolgerung führen, daß das Material in der Kunst der sechziger Jahre irrelevant geworden sei, und es ausschließlich die künstlerische Idee zu bewahren gelte. Jedoch, um einen Eindruck von Immaterialität zu vermitteln oder um Gedankenprozesse auszulösen, ist zuerst das Material notwendig, wie Monika Wagner treffend beobachtet: »die Dissimulatio erfordert zunächst gerade die Hervorkehrung der materialen Seite, unter deren Voraussetzung erst die Erfahrung der Überwindung des Materials als ästhetisches Ergebnis möglich ist.«1 Die Erhaltung des Kunstwerkes in seiner Materialität bleibt wichtig, weil das Material Bedeutungsträger ist. Außerdem sind die Zeit- und Gebrauchsspuren im originalen Material geprägt, so daß der Verlust des Materials den Verlust dieser historischen Informationen mit sich bringt. Die Entscheidungen, die im Bereich Erhaltung und Präsentation zu treffen 1 WAGNER 2001, S. 300.

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➔ Schlußfolgerungen

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sind, sollten verschiedene Aspekte des musealisierten Kunstwerkes berücksichtigen: ästhetischen Aspekt, Funktionalität, Authentizität, historischen Wert und Meinung des Künstlers. Diese Faktoren sind jedoch oftmals widersprüchlich. Das heißt, sie könnten zu unterschiedlichen Lösungen führen, die nicht immer in Einklang gebracht werden können. Es kann nicht a priori verordnet werden, welcher Aspekt überwiegen soll, sondern es gilt, in jedem Einzelfall Prioritäten zu setzen. Der Entscheidungsprozeß muß dann dokumentiert werden, damit er von Unbeteiligten nachvollzogen werden kann. Jede Entscheidung, die notwendigerweise ein Kompromiß zwischen Widersprüchen sein wird, muß das Bewußtsein eines unvermeidlichen Verlustes in sich tragen.2 Dieses Bewußtsein muß auch dem Publikum vermittelt werden.

2 Vgl. VALL 1999, S. 196 – 200.

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) vakat 172.p 80875824730

➔ Nachwort

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Nachwort In der Zeit zwischen der Annahme der Dissertation von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln 2003 und deren Veröffentlichung wurde die Sammlung des ›museum kunst palast‹ von den Kuratoren des Hauses neu geordnet. Am 29. Januar 2005 eröffnete die Neupräsentation, die das von den Künstlern Thomas Huber und Bogomir Ecker kuratierte ›Künstlermuseum‹ ablöste. Der Lichtraum ist am selben Ort geblieben, an dem er sich seit 2001 befindet. Die Positionen von Doppelscheibenprojektor und Weißer Dynamo wurden aber getauscht, so dass die Anordnung der Objekte jetzt der Kasseler Installation näher kommt. Abbildung 35: Lichtraum (Hommage à Fontana), museum kunst palast, 2005

Der Creamcheese-Raum wurde aufgelöst. In der Neuordnung ist nur noch ein Objekt aus der ehemaligen Disko ausgestellt, der Elektrische Garten von Günther Uecker. Die Arbeit wurde um fünf Neonröhren ergänzt, die im Kasten neben den großen Nagel gestellt wurden. In der Beschriftung trägt das Werk korrekterweise das doppelte Datum 1966/2005. Durch die Ergänzung ist der Große Nagel wieder ein Lichtobjekt geworden. Die Neonröhren lassen die ursprüngliche ›elektrische Ladung‹ des Werkes spüren und erwecken erneut

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Assoziationen mit dem Blitz. Gelungen ist seine Platzierung an der Wand im Übergang zwischen Nord- und Südflügel des ersten Obergeschosses, in der Nähe einerseits des Lichtraums und andererseits der Deckeninstallation aus Fernsehern Fish Flies on Sky von Nam June Paik: Wie am Eingang des Creamcheese, empfängt der Elektrische Garten die Besucher und stimmt mit seiner ›bedrohlichen‹ und ironischen Erscheinung in den Rundgang ein. Köln, im Februar 2005

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➔ Anhang

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Anhang

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) T09_00 resp.anhang.p 80875824858

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) vakat 176.p 80875824954

➔ Interviews: »Lichtraum (Hommage à Fontana)«

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Lichtraum (Hommage à Fontana) Die Interviews über den Lichtraum wurden im Kunstmuseum Düsseldorf durchgeführt und auf Tonband aufgenommen. Die Texte wurden leicht überarbeitet und in einigen Punkten gekürzt (die Auslassungen sind kenntlich gemacht). Interviewer: C = Tiziana Caianiello (Kunsthistorikerin), H = Gunnar Heydenreich (Dipl. Rest.), T = Günter Thorn (Assistent von Piene, zuständig für die technische Wartung des Lichtraumes), W = Cornelia Weyer (Leiterin des Restaurierungszentrums Düsseldorf) 1. Interview mit Otto Piene, 7. August 1999 C: Der Saal des Kunstmuseums ist anders, als das Dachgeschoß des Fridericianums. Wie wirkte der Raum des Fridericianums? Ja, dazu fällt mir gerade noch etwas ein: Der Raum wurde ja zweimal aufgebaut. Er wurde zuerst aufgebaut und war fertig. Dann sind wir nach London gefahren, wo wir Ausstellungseröffnungen hatten. Wir kamen am Tage der Eröffnung in dem Bewußtsein aus London zurück, daß wir unsere Arbeit gemacht hatten und daß der Raum fertig war. Statt dessen haben wir festgestellt, daß erstens der Raum in unserer Abwesenheit gestrichen worden war und zweitens nahezu alle Objekte weggeräumt und an die Seite geschoben waren – die ganze Installation war null und nichtig geworden. Und dann mußten wir […] zum zweiten Mal aufbauen. (D.h., wenn wir Fotos sehen, wissen wir jetzt nicht mehr, ob das die erste oder die zweite Installation war.) T: D.h., man weiß nicht, wann das Foto gemacht worden ist? Das wissen wir nicht mehr, nein. Vermutlich von der zweiten Installation, möglicherweise nachdem wir schon gar nicht mehr dabei waren. Denn die erste Installation haben wahrscheinlich nur wenige Leute gesehen, weil Herr König und wer noch daran beteiligt war, die documenta aufzubauen, die haben wahrscheinlich nicht genau hingesehen; sie mußten noch soviel anderes aufbauen. Wir waren die ersten, die fertig waren, weil wir nach London mußten. Ich glaube, wir hatten drei Ausstellungseröffnungen in der Woche in London. Die Aufnahme ist wahrscheinlich gemacht worden, nachdem wir schon wieder weg waren; das ist aber nur eine Vermutung. W: Waren denn diese Anstrichfarben z.B. mit im Bild? Sonst hätten Sie wahrscheinlich ähnlich installiert? Ähnlich schon, ja, denn die Installation haben wir ja zusammengestellt. Es gab ursprünglich Dokumentationen, die nicht von uns waren. Die Fotos sind

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aber in alle Welt verstreut. Derjenige, der vielleicht am ehesten wieder gesucht oder wieder gesammelt hat, ist Mack, bei dem habe ich schon welche gesehen. Und dann gab es einen Artikel unter der Überschrift Die Gesellschaft vom Dachboden in einer der damals wenigen Kunstzeitschriften in Deutschland.1 Da waren Fotos drin; wessen Fotos das waren, weiß ich nicht. Um jetzt also Ihre Frage zu beantworten: Der Raum war ursprünglich roher Zement und war eben ein Dachraum – Restraum sozusagen, aber schön. Wir fanden den gut – kein typischer Ausstellungsraum, sondern ein untypischer Ausstellungsraum; wir haben ja häufiger in untypischen Räumen ausgestellt. Und der war, wie gesagt, zementgrau – und natürlich ohne Klimaanlage, keine Fenster. Und dann haben wir, entsprechend seiner Form, den Raum gestaltet. Wir wußten ungefähr vorher wie der Raum sein würde, obwohl das ganze ja schnell entschieden wurde. Wir haben die Objekte gewählt, die erstens verfügbar waren, zweitens hineinpaßten und drittens für andere Ausstellungen, wie London z.B., zu groß waren. Einerseits sollten sie Mack, Piene, Uecker darstellen, andererseits sollten sie Zero darstellen. Und da haben sich diese Gemeinschaftsarbeiten besonders angeboten – sie waren ja noch relativ neu, die Lichtmühlen. Sie wurden, glaube ich, erst 1963 gemacht, und die documenta war ’64, und sie wurden bis dahin im Haus am Waldsee in Berlin ausgestellt. Da sind sie zum ersten Mal in der Ausstellung Möglichkeiten [21. 3. – 3. 5. 1964] vorgekommen, dann in der Zero-Ausstellung in Den Haag2 und dann eben auf der documenta. Uecker hat die weiße Lichtmühle signiert, obwohl sie eine Gemeinschaftsarbeit ist. Uecker hatte sie ja umgebaut, z.T. berechtigterweise, denn sie kam beschädigt aus Amerika zurück. Uecker hat sie anatomisch wiederhergestellt. Der Raum in der documenta war ungewöhnlich. Er war ein Teil der Abteilung Licht und Bewegung, die Herr Bode seinerzeit durchgesetzt hat. Und da gibt es lange Geschichten dazu. Die will ich jetzt im einzelnen nicht erzählen. Hier geht es ja mehr darum: Wie war der Raum? Der Raum war eben von uns gebaut. […] H: War es für Sie ein Problem, daß die Farbe der Wand weiß war und nicht mehr grau? 1 Interview von Alexander Baier mit Otto Piene: documenta III. Die Gesellschaft vom Dachboden, in: »Kunst: Magazin für moderne Malerei, Grafik, Plastik«, 3, September 1964, S. 63-66 2 Nul-Zero, Haags Gemeentemuseum, 20.3.–18.5.1964.

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➔ Interviews: »Lichtraum (Hommage à Fontana)«

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Die Farbe Weiß ist für Projektionen besser. Eine weiße Wand nimmt Projektionen besser an als der graue Zement. […] H: Wir haben festgestellt, daß die Fotos eine andere Reihenfolge zeigen als die heutige. Und es ist auch manchmal gesagt worden, daß der Raum um die Ecke ging. Ja, das stimmt schon. Also nicht ganz um die Ecke. Da war noch ein Raumteil, in dem die Uecker-Scheibe stand. Die war einerseits vom Raum zu sehen und ein Teil des Raumes, andererseits ein bißchen separat. C: Und wo stand die Lichtkugel? Die war bei der Uecker-Scheibe. Also, die Objekte, die quasi am nächsten beieinander standen, waren die zwei Lichtmühlen und die Mack-Rotoren. Die dominierenden Objekte waren die vier Scheiben. Der Grund, warum sie aufgereiht waren – die Objekte mit den Gesichtern, vier Scheiben – war die Gestalt des Raumes mit der Schräge. Mit der Schräge konnte man nicht viel machen, außer ein Lichtballett hinein zu projizieren. Aber sonst hatten wir nicht viel Raum, um die Objekte gut aufzustellen. Sonst hätten wir sie an der gegenüberliegenden Wand aufstellen müssen, dann hätten die Besucher mit dem Rücken zur Schräge gestanden, das wäre ungeschickt gewesen. Es war also ein technischer Grund, räumlich und architektonisch, warum diese vier standhaften Plastiken mit den flachen Gesichtern da aufgereiht standen. Und die Unterbrechung war der Doppelscheibenprojektor, weil er Tiefe hat, während die anderen nur Fläche haben. C: Wie dunkel sollte der Saal des Museums sein? Dunkel. H. und C: Noch dunkler? H: Oder was ist erst mal Ihre Erinnerung an den Saal im Fridericianum? Der war relativ dunkel – keine Fenster und relativ wenig Durchgang. Ein Eingang war ja um die Ecke. Ich weiß nicht mehr, ob man durchgehen konnte oder ob das ein Sackbahnhof war. Jedenfalls, wenn da eine Tür war, dann war die um die Ecke oder es gab keine. Die Leute kamen von gegenüber rein, von der übrigen Kinetik-Abteilung. H: Würden Sie insofern Überlegungen unterstützen, diesen Raum noch dunkler zu machen, indem man noch eine weitere Ecke einbaut und auch auf der gegenüberliegenden Seite versucht, den Lichteinfall zu minimieren?

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Ja, auf jeden Fall. Einerseits habe ich es nicht gern, wenn man den Raum abschließt, wenn man praktisch einen Schlüssel braucht, um reinzukommen. Aber so ist der Raum noch zu hell. Er wirkt zu banal im Vergleich zu dem, was gemeint ist. Gemeint ist ja etwas, was fast mysteriös ist, wenn die Dinge aus dem Dunkel hervorkommen … Und das ist noch nicht gewährleistet. H: Gab es zwischen Ihnen, Uecker und Mack Konsens über die Dunkelheit? Ich glaube schon. Es war kein »point of contention«. C: Aber gab es »points of contention«? Relativ wenig. Wir hatten alle emsig zu tun. Es war eine enorm aktive Zeit. Alles hatte sich akkumuliert. Denn ich sagte schon: Wir waren in London, wir waren auf der documenta, fünf Minuten später ging ich als erster nach Amerika. In Amerika gab es eine Gruppenausstellung – die größte Zero-Ausstellung überhaupt, die es bis dahin gab… Und dann die Ausstellung bei Howard Wise, alles in der gleichen Sommer- und Herbstsaison. D.h., es hat sich sehr viel abgespielt und war erregend und in vieler Hinsicht produktiv. Das hatte ein enorm intensives Klima geschaffen. Die Schwierigkeiten zwischen Mack, Piene, Uecker gab es eigentlich erst im Zusammenhang mit Amerika. Auf der documenta kann ich mich kaum an irgendwelche ernsthaften Meinungsverschiedenheiten oder verschiedene Auffassungen entsinnen. Das kam erst später, als geradezu ein Konkurrenzdenken entstand, das eigentlich dem Zero-Gedanken entgegengesetzt war. Aber die documenta war o.k. C: Inwieweit sehen Sie die Installation mit diesem Raum verbunden? Diese Installation mit diesem Raum? Alles in allem finde ich den Raum sehr schön. Ich war jetzt eigentlich bewegt, als ich ihn gesehen habe. Es ist so recht schön sauber und es läuft alles sehr schön sauber. Mit »sauber« meine ich technisch schön und relativ widerstandslos. H: Eine Frage, die schon in die Zukunft zielt: Derzeitig gibt es keine Überlegungen, in diesem Bereich umzubauen. Sie sehen aber auf der anderen Seite die Baustelle: Was wäre, wenn die Installation umgesetzt werden müßte? Bedarf dieses Ihrer Autorisierung? Welche Parameter sind für Sie wichtig? Also, ich würde dazu sagen: Wenn ernsthaft umgebaut werden sollte, sollten wir Mack, Piene, Uecker fragen, denn die verstehen ja was davon. Denn wenn ein anderer Raum entsteht, dann ist das nicht unbedingt der gleiche Raum. Sie wissen ja, es hat wegen des neuen Museums 20 Jahre lang Überlegungen gegeben […]. Das neue Museum da drüben hatte mit der Ungers-Ver-

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➔ Interviews: »Lichtraum (Hommage à Fontana)«

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sion noch nichts zu tun. Es war zunächst noch von Hentrich und Petschnigg. Damals wurde mit Herrn Peters, mit Bernd Dieckmann, mit Willi Kemp überlegt: Da sollte ein Raum hinein, der dem documenta-Raum nachgebaut würde. Da kann man natürlich ein paar Jahre Seminare darüber abhalten, ob man das will oder nicht will. Mack z.B. – der wollte den Raum nachbauen. Ich habe gesagt: Das muß ja nicht sein, denn ein Raum ist doch ein Teil eines Baus und er muß sich mit dem Bau irgendwie vertragen. Aber ich glaube, der langen Reden vorläufig beschließender Sinn war, daß der documenta-Raum in der Form nachgebaut werden sollte. Da sollten die Objekte ungefähr so reingestellt werden, wie sie auf der documenta waren. Das ist eben nicht geschehen, und wenn Sie mich fragen: »Sollte man versuchen, den documenta-Raum nachzubauen?«, so ist meine Antwort: Nein! Das war dort eine einmalige Situation, die hatte mit dem Fridericianum zu tun, mit diesem Restschuttraum da oben, den es, glaube ich, auch gar nicht mehr gibt. Das kann man gar nicht nachbauen. W: Aber es wäre trotzdem noch interessant, die Parameter zu erfahren. Wenn die Installation vielleicht an einem anderen Ort in diesem Museum wieder aufgebaut würde: Auf was sollte man achten? Sie hatten den weißen Anstrich als etwas Positives schon festgehalten. Ich habe dazu eigentlich nur eine pragmatische Lösung: Man sollte dann erstens die paar Fotos, die von der documenta da sind, konsultieren und zweitens diesen Raum so sauber wie möglich dokumentieren, d.h. fotografieren. Ich finde den jetzigen Raum gut. Viel besser kann man ihn in dem neuen Museum nicht machen. Man kann ihn vielleicht ein bißchen enger machen – der jetzige Raum ist etwas zu groß. Der Raum in der documenta hatte ein Maß von Klaustrophobie, weil er »klaustrophobisch« war. Hier stehen die Objekte ein bißchen zu museumshaft da, das hängt auch mit der Höhe des Raums zusammen, der Raum hier ist relativ hoch. Das wäre eine Überlegung, die meines Erachtens mit dem künstlerischen Klima des Raumes zu tun hat. Aber die Klaustrophobie von der documenta nachzubauen, halte ich für fragwürdig und schwierig. Man sollte sich jetzt eigentlich mehr an den Objekten und an der Gruppierung der Objekte und an dem Programm (d.h. an dem Zeitelement) orientieren, als zu versuchen, einen ehemals ruinösen Raum nachzustellen. H: Sollte es auf jeden Fall ein in sich abgeschlossener Raum bleiben? Ja. H: Könnte er nicht um weitere Stücke der ZERO-Gruppe erweitert werden? Die kann man da drum herum gruppieren, in Nachbarräumen. So wie wir es hier mal hatten oder es noch haben. Wenn man das erweitern will, wenn

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man das sehr erweitern will, dann kann man natürlich Lichtplastiken aufstellen, kann mehr reflektierende Plastiken ausstellen, kann mehr Ueckers sammeln und so … Man kann eine Menge machen, aber der gegenwärtige Raum kommt ja dem authentischen Zero von 1964 am nächsten. H: Es gab ja bereits die Überlegung, in einem großen Ausstellungssaal einen kleinen Raum einzubauen, der auf jeden Fall abgedunkelt und abgeschlossen sein sollte. Das sollte man auf jeden Fall. Ich habe jetzt z.B. Arbeiten in der Ausstellung Das XX. Jahrhundert: Ein Jahrhundert Kunst in Deutschland [4. 9. 1999 – 9. 1. 2000] in der Nationalgalerie in Berlin. Ich weiß gar nicht genau, was alles in der Nachbarschaft ist. Mein Lichtraum dort wird regelrecht in den großen Raum hineingebaut. Und das ist auch nicht anders zu machen, wenn man nicht alles andere auch dunkel machen will, also die Bilder von den Kollegen nicht auch im Dunkeln ausstellen möchte! C: Die Reihenfolge der Objekte sollte so bleiben? Ja, die ist völlig in Ordnung. C: Und die Abstände zwischen den Objekten? Finde ich ganz schön. W: Entspricht die Führung der Besucher Ihrer Vorstellung? Sie sprachen eben von Klaustrophobie … Die gegenwärtige Rennbahn in der Mitte ist ein bißchen fragwürdig. W: Kann man sich vorstellen, daß man, so wie wir das jetzt genossen haben, auch einmal einen Schritt zurücktritt … Die Menschen sollen sich frei bewegen, sie sollen sich auch hinlegen können, sie müssen Sitzmöglichkeiten haben, Liegegelegenheiten usw. Bewegungsfreiheit ist auf jeden Fall wichtig. Ein gewisses Unsicherheitselement ist auch wichtig, aber das kann man ja hier schlecht herstellen. Das war natürlich abenteuerlich auf der documenta. Da war mehr Staub, mehr Mysterium und mehr Unwohlsein einerseits und ein Gefühl der Evolution des Lichts andererseits – das ist hier nicht so einfach zu machen. H: Aber es gab keine Sitzmöglichkeiten in dem documenta-Raum? Nicht, daß ich mich erinnere. W: Aber man setzt sich ja leicht hin in diesem Dachgeschoß nach mehreren Stunden documenta. Das ist eine ganz andere Erfahrung, wenn man auf einmal darauf stößt.

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➔ Interviews: »Lichtraum (Hommage à Fontana)«

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Die documenta war sowieso anders als z.B. die letzte documenta. Die war ja »staubfrei«. Ich finde deutlich, daß unsere Abteilung bei weitem die stärkste war, die am meisten zu sagen hatte und am klarsten künstlerisch gesagt hat, was damals zu sagen war, weil ZERO eben eine substantielle Sache war. Die ganze Kinetik-Abteilung war schön und war andererseits nicht so gut organisiert wie etwa die vorige documenta. Da kam z.B. Hermann Goepfert vor, der entsetzlich viel Krach mit seinem Optophonium gemacht hat. Und dann die Franzosen von G.R.A.V. – die haben bei uns zunächst, als wir nicht da waren, die Scheinwerfer ausgebaut und für ihre Abteilung verwendet, und Ähnliches. Es war alles ein bißchen locker! […] C: Haben Sie Skizzen für die Installation gemacht? Haben wir bestimmt gemacht. […] H: Skizzen von dem Raum? Und haben Sie sich vorher überlegt, welche Stücke Sie mitnehmen? Ja, haben wir gemacht. Ich kann mich erinnern, wie wir in der Gladbacherstraße (Mack und ich hatten damals Ateliers in der Gladbacherstraße), in der Kneipe gegenüber saßen und Folien auseinander geschnitten, montiert und coliert und daraus den Katalogbeitrag gemacht haben. Und bei der Gelegenheit haben wir wirklich ernsthaft überlegt: Was kann man da, was kann man dort machen usw. usf. Das war ziemlich gut durchdacht, wenn auch nicht mit peniblen Entwurfszeichnungen. Das nicht, aber nachgedacht haben wir schon ziemlich gründlich, wenn auch schnell, denn dieser ganze documenta-Raum war ja erst fünf Wochen vor der documenta beschlossen. Es gab also eine Ankündigung zur documenta, es gab einen deutschen Künstlerprotest, daß die Deutschen nicht genug beteiligt waren. Karl Otto Götz war quasi der Wortführer. Etliche ZERO-Künstler und andere haben unterschrieben. Dann gab es als Ergebnis eine Fernsehdiskussion, an der ich beteiligt war und die Funktionärsvertreter von der Regierung in Grund und Boden geredet habe. Die waren am Ende der Fernsehdebatte ganz klein. Das war eine aufregende Geschichte. Damals wurde im Fernsehen noch was gesagt. Als Ergebnis kam am nächsten Tag der Anruf von Herrn von Buttlar. Er sagte: »Wir würden gerne eine kinetische Abteilung auf der documenta machen: Würden Sie sich bitte beteiligen?« So war das wirklich. Da habe ich gesagt: »Das ist ja nun knapp mit der Zeit. Denken Sie denn, daß wir das noch schaffen?« C: Wie sind die kollektiven Arbeiten, Weiße Lichtmühle und Silbermühle, entstanden? Sie sind in Düsseldorf entstanden, hauptsächlich in der Gladbacherstra-

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ße, als Ergebnis von Überlegungen, daß wir gemeinsame Arbeiten machen wollten. Und ein Anlaß wurde die Ausstellung im Haus am Waldsee vom Deutschen Künstlerbund. Wir haben uns überlegt, was zu machen war. Jeder hat etwas dazu beigetragen: Mein Beitrag war im wesentlichen das Licht, Mack hat die Lamellenstrukturen beigesteuert, Uecker hat das ganze übernagelt. Ein interessanter Teil war der Kaffeehaustisch, den entweder Mack oder Uecker besorgt hat. Ein anderer Teil – symbolisch sicher der wichtigste – war meine alte Staffelei aus der Gladbacherstraße. Sie ist noch jetzt ein wesentlicher Bestandteil der Weißen Lichtmühle – es ist wirklich meine Staffelei, an der ich jahrelang Raster-Bilder gemalt habe. Und die war dann quasi das Gerüst, das Skelett für die Weiße Lichtmühle. Wir haben die Objekte buchstäblich zusammen gemacht. Meistens dann nicht alle drei zusammen zur gleichen Zeit, denn Uecker war ja freischaffender Künstler, aber Mack und ich waren tagsüber meistens in der Schule (ich war ernsthaft an der Modeschule engagiert). […] Und Uecker ist rumgesaust und hat Sachen besorgt und schließlich die ganze Geschichte benagelt. H: Gab es da auch Skizzen, wonach man sich dann orientiert hat, oder war es so, daß Sie das genommen haben, was gerade zu finden war und dadurch vielleicht auch Proportionen und Materialien einfach verschoben haben? Es gab schon Skizzen. Die Skizzen waren vielfach auf Bierdeckeln oder auf Papierservietten oder was auch immer gezeichnet. Mack und ich haben eine Menge Zero und ZERO gemacht auf dem Rückweg vom Atelier. In der Gladbacherstraße war mein Atelier das größere, wo die Abendausstellungen stattgefunden haben, und Macks daneben war das kleinere … Wir haben oft gleichzeitig in der Nacht gearbeitet und dann – Mack hatte ein Auto, aber ich hatte dann ab 1960/61 auch ein Auto – sind wir anschließend nachts um eins oder zwei vom Atelier in die Altstadt gefahren und wir haben uns in eine Kneipe gesetzt und haben da geschrieben, gesprochen, gesponnen, gemacht, gezeichnet, konzipiert, geplant. W: War das Benageln eher die Schlußphase? Das war die Schlußphase, sonst wären die Nägel ja im Wege gewesen. H: Haben Sie in dieser Zeit ausschließlich zu dritt gearbeitet oder auch mit Assistenten, z.B. für technische Installationen? Andere ZERO-Künstler haben mitgearbeitet. Bei bestimmten Installationen, z.B. im Stedelijk Museum 1962, war ein Hauptmitarbeiter Graubner. Graubner hat eine ganze Menge gebaut. Auch andere ZERO-Künstler: Hans Salentin war dabei, und Hans Haacke hat damals noch mitgemacht. Bei

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ZERO-Aktionen, z.B. auf der Rheinwiese, waren dann noch andere Künstler dabei. W: Aber im kollektiven Sinne, nicht im Sinne von Assistenz? Nein, nicht als Außenstehende, sondern als an den ZERO-Aktionen, an den ZERO-Projekten mitbeteiligte Künstler, ja. Beim Lichtballett-Spielen haben eine Menge Leute mitgespielt, wie in Ulm Almir Mavignier und in Berlin Günther Meisner und seine Freunde, wie Monika Hasse und Benjamin Katz. Es war vielfach ein – mehr oder weniger – spontaner Geist des Zusammenarbeitens. Es war eine Menge Begeisterung im Spiel. C: Haben Sie zwei Lichtmühlen geplant, oder sollten es ursprünglich drei sein? Nein. Früher wollten wir drei machen, dann ist uns die Luft ausgegangen. Ich wollte später doch noch eine dritte dazu machen, weil ich gesagt habe: »Wenn er geteilt wird – der ZERO-Raum –, kriegt jeder eine Lichtmühle, dann braucht man nicht viel darüber zu rätseln«. Ich habe auch noch einmal an die Freunde geschrieben, es ist aber nicht mehr zur Aktion gekommen. W: War die Rekonstruktion des Lichtraums (1992) schnell zu klären oder gab es verschiedene Ansätze? Zu dem Zeitpunkt war es schon nicht mehr so einfach mit der spontanen, begeisterten Zusammenarbeit. Z.B. hat mich diese Geschichte sehr geärgert: Als die Weiße Lichtmühle beschädigt aus Amerika zurückkam und Uecker sie dann reparierte, ohne mich zu fragen. Es war immerhin meine Atelierstaffelei, auf Rädern, gewesen! Es wurden helle Eichenholzteile da eingebaut, wo sie gar nicht hingehörten. Es wurde auch ein neues Objekt entwickelt und zwar die Lichtscheibe – hier diese Lichtscheibe – auf einem staffeleiartigen, und – jedenfalls nach meinem Geschmack – groben, häßlichen Dreibeingestell. Sie war einfach hingestellt für den ZERO-Raum in der Themenausstellung in der Kunsthalle.3 Uecker hatte gesagt: »Der Marcel kommt dir helfen bei der Installation«.4 Da habe ich also den ZERO-Raum in der Kunsthalle gebaut, mit diesen Kuckuckseiern von Uecker – und Marcel kam überhaupt nicht. Da habe ich den Raum allein gemacht, ziemlich irritiert, und hatte die Zeit zu überlegen: »So geht es nicht: Einfach umbauen und anders machen und dann noch ein Objekt dazu erfinden – das wollen wir nicht.« Ich habe mit Uecker

3 Aufbrüche. Manifeste, Manifestationen, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 12.10. –25.11.1984 4 Marcel Hardung, Düsseldorfer Künstler, Sohn von Günther Uecker.

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und Mack gesprochen, und irgendwie haben wir das wieder beigeschliffen. In dem Zusammenhang wollte ich, daß wir eine dritte Lichtmühle machen, aber daraus ist nie etwas geworden. […] Die silberne Lichtmühle - und das ist unter Gelehrten durchaus ein ernstes Faktum – hatte ursprünglich gar keine Metall-Lamellen. Die Metall-Lamellen hat irgendwann Mack in seine eigene Ausstellung gegeben. Er fand die ursprüngliche Form anscheinend nicht mehr adäquat und hat aus den Holzlamellen Metall-Lamellen gemacht, hat aus der Holzscheibe eine Metallscheibe gemacht. Was wir jetzt als silberne Lichtmühle haben, ist nicht die ursprüngliche Form der Lamellenscheibe. Ich muß Mack irgendwo Recht geben, daß er sich gesagt hat: »Sie ist so kaputt aus Amerika zurückgekommen, daß wenn ich das noch mal so mache, wie wir es ursprünglich zusammen gemacht haben (mit Macks starker Beteiligung) – aus Holzlamellen auf Holzscheibe mit Aluminiumfarbe gestrichen -das auch nicht lange hält. Darum soll es jetzt besser gemacht werden, aus Metall mit Metall-Lamellen.« Er hat das nie öffentlich gesagt, aber da es hier um das Material geht, sollte man das schon mal sagen: Man kann den ursprünglichen Zustand nicht wiederherstellen. Der Zustand, wie er jetzt ist, ist zu einem Drittel authentisch, weil er von Mack ist. D.h. also, man sollte es jetzt so lassen. W: Ist das denn konsequent nach seiner oder Ihrer Idee? Ich wollte das ursprünglich nicht so hoch glänzend. Diese Lichtmühlen haben ja ein sehr starkes Element von was man seit Herrn Germano Celant am Guggenheim-Museum »Arte Povera« nennt. D.h., die ärmlichen Materialien waren wirklich ein Teil der damaligen Situation. Und die sind ein künstlerisches Element. Mack hatte immer eine Neigung zum Glanz. Man sollte aber nicht ignorieren, daß diese simplen Materialien ein Teil der Objekte sind. Er hat das zu überspielen versucht. Ursprünglich war die silberne Lichtmühle auf einem mit Silberbronze gestrichenen Kaffeehaustisch montiert, mit dem Ständer, der da rauskommt, mit einem Holzzylinder, auf dem eine Holzscheibe sich gedreht hat, mit den Bohrungen und Holzlamellen – die ganze Chose mit Aluminiumfarbe gestrichen. Das hatte ein bißchen was Billiges. Der Sinn der Sache war aber das Licht – dem ist das ja egal ob das aus einer gestrichenen perforierten Fläche kommt oder aus einer verchromten perforierten Fläche –, daß das Licht quasi trotz der einfachen, trotz der quasi »ärmlichen« Materialien sauber und rein und schön und in aller Gelassenheit sich im Raum entwickelte. Die Objekte waren ja sekundär. […] H: Was steht im Vordergrund: Die Lichtwirkung oder die Materialität dieses Werkes [der Lichtkugel]?

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Nee, nee, ich sagte schon: Das wichtigste ist das Licht, und die Kugel ist halt da, um Linsen zu schaffen. Jede Öffnung ist eine Linse. Und sie waren natürlich ursprünglich etwas anders und sind zum Teil vom Publikum weiter gerissen worden als es sein darf, aber das Lichtspiel, das entsteht, ist doch schön. […] Genau festzulegen, wieviel Licht es sein darf und wieviele Lichtformen es sein können und wie diese Lichtformen genau aussehen, kann man nicht. Also, das beabsichtigte Optimum gibt es nicht. Das ist Gefühlssache, sozusagen. Aber so wie das jetzt ist, ist es in Ordnung. Wenn zuviel daran gerissen wird, kann man es erstens wieder zusammennähen – Entschuldigung, daß ich das so banal sage, aber es ist tatsächlich so – und man kann auch die Kugeln reproduzieren. […] Die Kugeln sind in einer Lampenschirmwerkstatt in der Hüttenstraße gemacht – die gibt es noch heute. […] W: Wie ist das mit dem technischen Fortschritt bei den Motoren? Hat es für Sie eine Bedeutung, daß die Lichtmaschinen in dieser alten Technik betrieben werden? Grundsätzlich ja. Wenn man es erhalten kann, ja. Wenn man es nicht erhalten kann – die Motoren sind auch ausgewechselt worden. Also bei Uecker z.B. sind die Motoren mehrere Male ausgewechselt worden. Man hat natürlich gern einen Motor, der einerseits ruhig läuft und stark ist, und andererseits nicht durchbrennt, nicht ausbrennt usw. usf. Im Grunde genommen sind die Motoren heutzutage besser und größer als sie damals waren. Damals waren das alles Dekorationsmotoren, die man in irgendeinem Dekorationsbedarfsladen kaufte, und Uhrenmotoren. Spoerri z.B., in seiner Edition MAT: Was sich da bewegt, das sind alles Uhrenmotoren. Tinguely hat kleinere Objekte alle mit Uhrenmotoren gemacht. Das war also ein ganzes Kapitel für sich: Da mußten wir uns langsam hineinleben und hineinerfahren, denn das konnten wir ja nicht irgendwo in einem Katalog nachlesen, wie man die Geschwindigkeiten für die Gewichte und für die Zeitdauer, für die Leistung usw. bekommt. Das war zum Teil ursprünglich hart an der Improvisation. Aber das hat dann im Laufe der vielen Ausstellungen, die wir gemacht haben, und der vielen Jahre doch eine gewisse Reife erzielt. Alles, was wir bei Zero gemacht haben, […] war immer primitiv, verglichen mit dem, was man heutzutage machen kann. Das weiß ich von meinen 30 Jahren am MIT (20 Jahren als Direktor des Instituts), an dem es ja um Kunst und Technologie geht. W: Gibt es da Grenzen? Z.B., daß man etwa Computersteuerung ausschließen sollte, weil ihr Einsatz dem Arte Povera-Gedanken widerspricht?

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Eigentlich ja. Denn diese Räume sind ja kein Theater. Im Theater darf man alles machen […]. Da geht es ja um die Darstellung auf der Bühne mit den Mitteln der Maschinerie. Dabei ist die Maschinerie sekundär, weil unsichtbar. Während hier die Wirkung des Lichtes, die Gesamtstimmung des Raumes einerseits das wichtigste ist. Andererseits sind die Objekte zwar sekundär, aber auch Objekte. D.h., sie haben auch einen gewissen poetischen Anspruch und sind insofern nicht egal, sind insofern nicht beliebig. H: Sicherlich nicht beliebig, aber die Frage ist: Wo können Sie Grenzen definieren? Was können wir austauschen, und wo ist die persönliche Handschrift sicherlich so ausgeprägt, daß etwas in Zukunft durch einen Restaurator nicht reproduzierbar ist? Für die Kugel haben Sie das schon ausgeschlossen. Wie verhält es sich mit den Lochplatten? Können Sie innerhalb der einzelnen Werke Grenzen ziehen und sagen: Bis dahin darf eigentlich alles ausgetauscht werden? Das ist eine Frage der Wertigkeit. Ich habe ja sehr elegante Plastiken gemacht, die Neonplastiken oder die »Corona Borealis«, die während meiner Retrospektive unten im Eingang standen.5 Da ist das Material, die spezifische Wirkung des Materials, sehr wichtig. Wenn man die »Corona Borealis« schwarz anstreicht, ist sie zerstört – sie hat dann ihre Identität eingebüßt. Wenn man bei den Neonplastiken die Neonbirnen durch Argonbirnen oder durch gewöhnliche Glühlampen ersetzt, ist die Plastik nicht mehr authentisch. Oder wenn man macht, was in der Kunsthalle Recklinghausen gemacht wurde: […] Da hat ein schlauer Techniker im Museum die Birnen ausgewechselt gegen andere, die was ganz Anderes machen. Und das ist ganz interessant: Da ist die Birne (und was sie macht) ein wesentlicher Bestandteil der Plastik. Wie auch hier drinnen: Wenn man jetzt da die Osram-Birne mit dem bestimmten Glühfaden austauscht6 und andere Birnen reinmacht, stimmt es nicht mehr. […] Das heißt, da gibt es wirklich eine Grenze, die manche Leute gar nicht erkannt haben. […] C: Wenn es nicht mehr möglich ist, den Motor zu reparieren, dürfte man andere Motortypen benutzen, die, wenn sie auch anders aussehen, die gleichen technischen Eigenschaften wie das Original haben? Ist das Aussehen also, wichtig? Sie sollten nicht sehr anders aussehen, z.B. wenn man da jetzt was Neues, glänzend blau Poliertes reinsetzt, dann stimmt es nicht mehr. […]

5 »Otto Piene. Retrospektive 1952-1996«, Kunstmuseum Düsseldorf, 25.5.– 11.8.1996. 6 Bosch, 220V, 100W, BQ 20 d.

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Diese einfachen rötlichen Motoren aus Nürnberg oder aus Erlangen7 habe ich ursprünglich auch schwarz angestrichen, mit schwarzer Plaka Farbe. Das ist zum Teil dann später weggegangen; aber es war damals schon als Sprache gemeint. […] z.B. die elektrischen Teile, wie die Zeitschaltung, die nicht mehr verwendet werden, weil sie nicht mehr TÜV-zulässig sind, habe ich größtenteils selbst gebaut oder beim lokalen Elektriker in der Gladbacherstraße machen lassen. Sie waren alle schwarz angestrichen. Sie waren, technisch gesehen, die Seele dieser ZERO-Installation. Die Scheinwerfer waren schwarz angestrichen. D.h. die Objektfunktion, die ja z.T. Stützfunktion war, war weitgehend dadurch manifest, daß die Dinge schwarz waren. Sie waren zwar im Raum und hatten ein Profil, waren aber nicht selbst Lichtkörper. Denn das Licht sollte im wesentlichen da sein als Licht. Und die anderen Dinge waren die Lichtträger, wenn man das so sagen will – buchstäblich. Die anderen Materialwirkungen waren z.B. Silber, wie im Fall der Silberlichtmühle. Ich war ja in der Gruppe Zero derjenige, der Silber und auch Gold zum ersten Mal verwendet hat. Es ist ja nicht so, daß es Macks »Privileg« war, mit Silber zu arbeiten, das hat sich erst später ergeben. Und Uecker hat sich auf das Weiß eingespielt und dann mehr und mehr Weiß eingebracht. Es gab ja in den ZERO-Räumen keine Farbe, z.B. die Neonplastiken standen woanders, sie haben nie in diesem ZERO-Raum gestanden. Es ist nicht zufällig, daß die Materialien so gewählt sind. […] Dieser Charakter sollte schon beibehalten werden. […] W: Und dann kommt nach unserer Erfahrung irgendwann der Schritt, wo man darüber nachdenkt, wie man angemessen dokumentiert. Bei Musikinstrumenten ist das ja auch häufig im musealen Kontext zu erleben, daß der Körper selbst nur noch betrachtet werden kann und die Funktionalität, der Klang, die Musik, von der Dokumentation vermittelt wird. Ja sicher, das ist richtig. Der Zero-Raum z.B: Bevor er auf der documenta war, war er Salon de lumière im Stedelijk Museum Amsterdam 1962 (Teile). Ich habe diese Schalttafel zunächst für mich gemacht, für mein erstes Lichtballett in der Gladbacherstraße. Dann wurde sie quasi die technische Seele der Zero-Räume, Zero-Installationen. Im Stedelijk Museum Amsterdam z.B. lief alles über diese Schalttafel. Sie war als interaktives Element gedacht. Da sind eine Menge Schalter drauf. Alle Steckdosen sind mit einem Schalter verbunden, und man kann sie alle individuell schalten. Sie waren als interaktives Element gemeint, bei dem nicht nur Künstler, sondern auch Zuschauer die einzelnen Positionen an- und abschalten konnten. Das hat sich dann relativ schnell herumgesprochen. Ich kann mich erinnern, wie entsetzt ich in Amsterdam im Stedelijk Museum war: Nachmittags, wenn die Eltern ins Kino 7 Firma Schoeller u. Co. Elektrotechn. Fabrik, Frankfurt a. Main.

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gingen, schickten sie die Kinder ins Museum. Die Kinder (10-12jährig) kamen in den Zero-Raum und stellten fest, daß da Schalter waren, und hauten darauf wie auf ein Hammerklavier (und schlimmer!). Das waren die ersten Erfahrungen zur Interaktivität und zu den Schattenseiten der Interaktivität. Die Schaltertafel war also ein wesentliches Element. Wir haben sie hier nur nicht mehr im System. Sie läuft halt nicht mehr, weil die Verdrahtung nicht mehr vertretbar ist. Sie ist einfach nicht sicher genug, nicht gefahrlos. W: Dann ist dieser Zyklus, der hier abläuft, eigentlich auch eine Lösung, nachdem die Interaktivität sich als nicht realisierbar herausgestellt hat? Es ist noch komplizierter: Ein Teil der Interaktivität war auch, daß man die Zeitschaltung an- und ausschalten konnte. Die Zeitschaltuhr ist ja der alte Kasten. Dieser ist die erste bewegliche Zeitschaltuhr, die ich verwendet habe. Man konnte sie auch an- und abschalten, um den Zyklus zu aktivieren. Diese Zeitschaltuhr ist technisch auch nicht mehr vertretbar. Das wurde alles vom Elektriker verdrahtet, wie das damals üblich war – im Zeichen des Wirtschaftswunders ging Vieles. Die Zeitschaltung ist ja auch von 1960, glaube ich, oder 1961. Da habe ich hier in der Roland-Schule, wie Mack und Uecker auch, für Schneider Essleben eine Plastik an der Architektur mit einer Zeitschaltuhr gemacht. Der Mann – ich weiß den Namen nicht mehr –, der damals dafür die Zeitschaltung gemacht hat, hat mir dann in meinem Auftrag auch eine tragbare Zeitschaltuhr gemacht. Die Roland-Schule wurde 1960 gebaut. Aus dem Jahr muß also auch die Zeitschaltuhr sein. Das ist heutzutage alles nicht mehr zulässig. […] H: Meine letzte Frage haben Sie z.T. schon beantwortet, dennoch möchte ich sie noch einmal stellen: Bei Tinguely ist man jetzt verschiedentlich schon mal dazu übergangen, Werke, die nicht mehr laufen, als solche im Stillstand auszustellen und daneben die Funktion mittels Video in Erinnerung zu halten. Wäre die Reproduktion der ursprünglichen Lichtwirkung durch 3D-Projektionen oder Holographie eine geeignete Form von Dokumentation? Das ist wie mit den Fossilien in der Archäologie oder in der Ozeanologie oder Ornithologie oder was auch immer. Natürlich hat das einen gewissen beschränkten Sinn, aber es ist natürlich nicht so schön wie das lebende Tier. Die Russen dokumentieren und »ersetzen« manche Kunstwerke holographisch, seitdem es Holographie gibt (seit 25 Jahren oder so): Das ist o.k. […] Das ursprüngliche Biest ist natürlich schöner. Es rasselt und faucht und stampft und bricht zusammen und geht kaputt und muß repariert werden usw. Also, die Antwort ist: ja und nein. Natürlich kann man vieles rekonstruieren, selbst wenn man die Bewegung nicht mehr mitrekonstruiert. Dokumentation ist ja auch etwas Schönes. Das habe ich schon seit Jahrzehnten so im

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extremeren Fall formuliert, bei Sky-events z.B., aber auch bei Lichträumen: Es entsteht eine Sekundärkunst und mittlerweile schon eine Tertiärkunst (Video, z.B., nach »stills«). Die Sekundärkunst ist die Kunst der Dokumentation, zunächst auf Video. Dann wird Video digitalisiert, und es geht in die Speicher usw. Das ist in sich selbst ein interessanter Vorgang, ein Prozeß, quasi eine Evolution. Am Schluß paßt alles, was jetzt hier steht, auf einen winzigen Bruchteil eines Stecknadelkopfes. Ich bin das jahrzehntelang mit meinen Studenten durchgegangen, und ich bin mehr und mehr zu der Überzeugung gekommen, daß man alles dematerialisieren kann und dematerialisiert speichern kann. Was verlorengeht ist natürlich die Taktilität, die physische Poesie dieser Dinge. Und je mehr von der physischen Poesie, der körperlichen Poesie verlorengeht, desto weniger authentisch ist das Werk. Und insofern finde ich, daß man bei den körperlichen Dingen versuchen sollte, soviel Körperliches zu erhalten, wie möglich ist. Denn sie sind ja aus der Zeit, und man kann sie nicht völlig transponieren. Man kann nicht den vollkommenen Mozart elektronisch machen. Die CDs sind dann schließlich doch nicht so schön. […] H: Für uns ist es eben die Materialität, die ganz wichtig ist, und die wir zu bewahren versuchen. Durch ständigen Austausch steht irgendwann ein anderes Objekt da, und es ist die Idee erhalten, aber das Stück ist eigentlich nicht mehr das von 1964. Es stellt sich für uns letztlich die Frage: Sollen wir die Idee erhalten oder sollen wir das Stück erhalten? Also, ich kann abschließend wirklich aus Überzeugung sagen: Ich finde den Raum jetzt sehr schön. Der Raum ist wirklich jetzt weit entwickelt. Er hat eine authentische Poesie, die ich prima finde. Es ist nicht so viel Staub und Dreck dran, wie seinerzeit bei der documenta, aber das war ja auch gar nicht so gemeint. Das haben wir ja so vorgefunden und damit mußten wir uns abfinden. Aber ich finde den Raum so wie er jetzt ist, sehr schön und ich finde, irgendwie sollte man das als Standard festsetzen. So ist der Raum schön, so kennen wir ihn, so kann man versuchen, ihn zu erhalten. 2. Interview mit Heinz Mack, 26. August 1999 Der Künstler eröffnete das Interview mit einer Einführung: Es war ein Widerspruch vorprogrammiert, eine echte »contradictio in adiecto«, wie die Lateiner sagen, denn zu der Zeit, als unsere Objekte entstanden sind, gab es ja unter den Künstlern eine durchaus Ernst zu nehmende Bewegung, die darauf hinauslief, für den Augenblick zu arbeiten und nicht für die Ewigkeit. Vieles hatte ja Projektcharakter und sollte eigentlich nur ein Vorschlag für eine bessere Welt sein. Mit anderen Worten, es waren bei vielen

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Objekten Dimensionen angedacht, die weit über das, was man heute noch als Modelle vor sich hat, hinausgehen würden. […] Was Kinetik betrifft, Tinguely hat z.B. seine Werke ganz bewußt in diese Situation der Vergänglichkeit gebracht, indem sie sich selbst zerstört haben, im Garten des Museums Of Modern Art in New York. Auch ich habe wirklich maßgeblichen Anteil an der Organisation einer kinetischen Zerstörung. Ilse Dinger, eine junge Frau, die hier in der Werbung tätig war, besaß einen weißen MG, und ich habe sie, mit Hilfe anderer Gesprächspartner, dazu überreden können, ihren MG, ihren kleinen weißen Sportwagen, zur Verfügung zu stellen, den dann Arman am Rande des Gerresheimer Waldes in die Luft gesprengt hat. Die ganzen Reststücke hingen dann später jahrelang an der Wand. Ein wunderbares Objekt, ein tolles Objekt, das Charles Wilp, der Fotograph, dann viele Jahre lang an der Wand hängen hatte. Ich weiß gar nicht, was nun aus dem Werk geworden ist. Ja, ein Auto hing an der Wand, aber nach der Explosion! Da war von Restauration nicht mehr die Rede! Das gehört ja nun auch zu diesem Aspekt. Und dann wird man im Laufe der Jahre älter und stellt auf einmal fest, daß die Dinge doch ihren Stellenwert hatten, auch im kunsthistorischen Kontext des Jahrhunderts, und daß sie einfach schon aus diesem dokumentarischen Grunde verdienen, erhalten zu bleiben. Damit sind wir wieder beim anfangs erklärten Widerspruch in sich. Ein zweiter Aspekt ist, daß tatsächlich, was mein Werk betrifft, viele Objekte im Laufe der Zeit zerstört worden sind. Sie haben also aus vielerlei Gründen »das Zeitliche gesegnet«. Zu einem Zeitpunkt, als sie nicht sehr teuer waren, wurden sie vielleicht von den Besitzern mißachtet und nicht sorgfältig gepflegt. Sie sind von Natur aus besonders fragil. Wenn sie einmal zerstört sind, dann ist eine Restauration denkbar schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Es geht sogar soweit, daß bestimmte Dinge in meinem Oeuvre existieren, wo ich es fast ablehnen würde, daß sie jemand restauriert, weil ich es einfach für unmöglich erachte, daß man sie restaurieren kann. Dazu fehlt nicht nur Werkzeug, sondern vor allem Erfahrung, die nur ich haben kann. Mit anderen Worten: Ich habe im einen oder anderen Falle meine eigenen Werke restauriert, was mir nicht gerade leicht gefallen ist, denn die hohe Tugend einer Restauration besteht ja darin, daß man nichts mehr hinzufügt, sondern nur den »Status quo«, den Originalzustand, so weit wie möglich wiederherstellt. Und als Künstler hat man immer eine Neigung, etwas zu verbessern und zu verändern. Dazu muß ich auch sagen, daß ich es heute sowieso schon ablehne, selbst zu restaurieren, weil ich selbstkritisch erkannt habe, daß ich als Künstler einfach nicht geeignet bin, den Restaurator zu spielen. […] Der dritte Aspekt wäre, daß ich immer allergrößten Wert auf die künstlerische Erscheinungsweise dieser Skulpturen gelegt habe. Das ist für mich das Entscheidende. Was, sozusagen, im Hintergrund passiert, was auf der Rück-

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wand an Technik nötig ist, das hat für mich zwar auch notwendigen, konditionalen Charakter, denn ohne Technik geht es ja nicht, aber diese ist nur ein Vehikel. Die Erscheinung ist das Entscheidende. Mit anderen Worten (auch das jetzt unter Vorbehalt gesagt): Ich würde keine Bauchschmerzen bekommen, wenn jetzt anstelle eines Originalmotors ein Motor des Jahres 2020 oder 2180 eingesetzt wird, der das gleiche bewirkt: daß sich eben ein Gegenstand, oder in diesem Fall eine Scheibe, mit der gleichen Umlaufgeschwindigkeit dreht, die vorgesehen war. Wobei ich mir in diesem Fall wünschen könnte, daß der Originalmotor – das wird mir gerade bei diesem Gespräch zum erstenmal spontan bewußt – vielleicht dann dabei bleiben sollte, bei dem Objekt. Der sollte sozusagen auch noch dokumentarischen Charakter haben und an das Objekt im Hintergrund, wenn es den gibt, befestigt werden, so daß er ein Integral des Werkes ist. […] Ein weiterer Aspekt: Es gibt bei meinen Rotoren diese gewellten Glasscheiben, normales Dekorationsglas, Industrieglas, das für jede Haustür verwendet werden könnte. […] Man sollte für meinen Rotor hier eine solche »Edelit« Scheibe, eine ganz normale »Edelit« Scheibe, in Reserve kaufen […]. Wäre empfehlenswert, denn es wird mal eine Zeit kommen, wo diese Scheibe nicht mehr hergestellt wird. Das ist z.B. ein wichtiges Thema. Das ist geradezu essentiell für den Rotor. Ohne diese Glasscheibe geht es nicht, sonst würden nicht diese Interferenzerscheinungen entstehen. Da gibt es, bezogen auf das Glas, kaum Alternativen. Es gibt zwei, drei sogenannte Dekorationsgläser, die in die Nähe des von mir verwendeten Materials kommen, aber die sind, wenn ich das sagen darf, unbrauchbar. Denn da gibt es scharfe Kanten, wogegen mein Glas sehr weich, sozusagen wellenförmig, geformt ist. Das wäre im Notfall keine Alternative. Kurz und gut, so simpel das Material auch ist, in diesem Fall ist das Glas wirklich »essential« für die Erscheinung, die gemeint ist. […] Es gibt noch einen Aspekt. […] Es gab eine Zeit, wo ich kommunistische Ideen hatte, in dem Sinne, daß Kunst für jeden da ist, also muß sie multipliziert werden, also kann sie auch im Kaufhof in Düsseldorf verkauft werden. Eine renommierte Galerie aus Paris, Denise René, hat das mitgemacht, aber der Erfolg war gleich zero, null: Das muß man sich auch vergegenwärtigen! Die Idee war, daß Kunst für jedermann erreichbar sein muß und nicht so teuer werden darf, also daß sie multipliziert wird. Das multiplizierte Objekt – das habe ich gewollt. Unter den Deutschen bin ich der erste gewesen, der sich an der »multiple art«, die Daniel Spoerri damals initiierte, beteiligt hat. Der allererste Deutsche, der multiplizierte Kunst gemacht hat, war Buchheister Anfang der dreißiger Jahre. Ich finde es wichtig, daß das technische Instrumentarium letztlich austauschbar und anonym bleibt.

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H: Wo ist die Grenze? W: Wo ist die Handschrift und wo ist die Auswahl so spezifisch, daß sie nur von Ihnen kommen kann? Das ist natürlich eine berechtigte Frage: Wo ist die Grenze? Natürlich war ich mit dem Thema »Multiple« so lang einverstanden, so lange ich mich mit dem Ergebnis identifizieren konnte. Sobald ich merkte, daß das einen anonymen oder gar sterilen Charakter bekam, bin ich zurückgeschreckt. Es mußte noch irgendwo ein Geheimnis bleiben. Also insofern habe ich dann auch – in der zweiten Phase meiner Multiples – etwas von vornherein einprogrammiert, was bewirkte, daß nicht jedes Objekt absolut gleich war. Und da fängt es auch wieder an, wenn heute Leute kommen, die glauben, sie hätten ein Original, nur weil ein anderer das gleiche Multiple hat, was ein bißchen anders aussieht. So habe ich eine ganze Reihe von Objekten gemacht, wo das der Fall ist, wo von Objekt zu Objekt die Dinge sich ein bißchen verändern. […] Das ist wirklich ein sehr, sehr komplexes Thema. Das wird mir hier in diesem Kontext bewußt: die Kinetik hat ja ein unglaublich großes Mißverständnis provoziert. An diesem Mißverständnis sind die Künstler selbst beteiligt. Nämlich das Mißverständnis, daß Menschen ihr ganzes Leben der Kunst widmen, sich kaputt arbeiten, damit sich ein großer Teil von Leuten darüber amüsiert und Freizeitgestaltung auf ihre Weise erlebt. Das ist ein Thema. Die kinetischen Ausstellungen waren zuguterletzt Spielplätze für gelangweilte Zeitgenossen. Das muß man mal ganz deutlich sagen. Und bei Tinguely, da gab es Situationen, da wußte man nicht mehr: Ist man jetzt auf einer Kirmes oder ist man noch in einem Museum, in einer Kunstausstellung? Es wurde alles angefaßt. Das entspricht auch unserer modernen Mentalität, daß jeder für sich in Anspruch nimmt, überall seine Finger dran halten zu dürfen. Das alles gehört zu dieser unverschämten Selbstverständlichkeit, mit der erwartet wird, daß alles zugänglich ist, alles begreifbar ist, alles zur Verfügung steht. Die Verfügbarkeit von Kunst: Das ist ein ganz schwieriges Thema. […] Und die entsprechende Folge ist natürlich, daß so gut wie keine Museen mehr in Deutschland eine Abteilung für Kinetik einrichten. Selbst Krefeld – das Museum Krefeld hatte zeitweilig den mit Abstand größten Bestand an Kinetik – da wird nichts mehr gezeigt und landet im Depot. Das ist für die Kunst tödlich. Und die Gefahr, daß etwas dem Dauerbetrieb ausgesetzt wird, daß die Leute sozusagen alles als Spielzeug begreifen, ist häufig gegeben. […] [Im Lichtraum, vor dem Silber-Rotor] Der Korpus hier, der von innen mit Metall belegt ist, das wäre alles, wenn Sie so wollen, im Falle eines Falles, austauschbar. Was absolut unverzichtbar ist,

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und was nur der Künstler per Hand machen konnte, ist das Relief der Scheibe. […] C: War der Silber-Rotor ursprünglich silbern bemalt? Ganz am Anfang habe ich Aluminium genommen. Nein, ich habe das immer mit Metall gemacht – mit Aluminium –, aber da es weich ist, verkratzte es leicht. Die sind ja schwer, diese Gegenstände, und wenn sie verschoben wurden, waren da sehr schnell Fingerabdrücke, Oxidation und Kratzer. Und dann habe ich später anstelle von Aluminium Edelstahl genommen. Der Silber-Rotor, genauer gesagt, der Korpus, die Kiste wurde überarbeitet. Der Korpus war früher mit dünnem Alu-Blech ummantelt und später mit Edelstahl. Der eigentliche Rotor, die Metallscheibe, ist absolut original, und das ist entscheidend. Die Kiste ist quasi nur der Bilderrahmen. […] H: Inwiefern wird die Erscheinung Ihrer Werke durch Kratzer gestört? Die Frage ist berechtigt. Die Frage ergibt einen Sinn. Natürlich ist das nicht schön und ist nicht in meinem Sinn, denn ich habe mich ja bemüht, alles so perfekt wie möglich zu machen und habe dafür auch sehr viel Prügel von der Kunstkritik bekommen. […] So etwas ist nicht in meinem Sinne, würde aber den Wert des Objektes nicht in Frage stellen, denn das Entscheidende ist das Erscheinungsbild, das ich habe, wenn ich zehn Meter von diesem Objekt Abstand nehme. Und ich bin sogar an einem großen Abstand interessiert, denn dann wirkt das Erscheinungsbild möglichst geheimnisvoll oder, mit einem besseren Wort, immateriell. Wenn ich direkt mit der Nase daran hänge, sehe ich mehr Technik als Kunst. Ideal wäre, wenn man solch einen Gegenstand zum ersten Mal im Leben von weitem sieht und gar nicht sofort realisieren kann, was da abläuft. W: Was wir jetzt hier machen ist also nicht im Sinne des Idealbetrachters, daß man sich hier durchschlängelt … Nein. Wir sind hier Pedanten, die das Geheimnis entzaubern wollen. Und das ist eigentlich schade. Ich erzähle natürlich nicht jedem sofort, was eine Interferenzerscheinung bedeutet. Laßt doch das bißchen Zauber, das bißchen Wunder, was da nun stattfindet. Laßt das doch! Und das ist schon ein Thema, weil heute bei jeder Gelegenheit gefragt wird: Wie funktioniert das? Und warum ist da ein Fleck und da ein kleiner Kratzer? Wenn das, was noch heil ist, dominiert, dann würde ich das akzeptieren als Patina, denn auch diese Objekte haben eine Art Patina. Nur besteht die nicht in einem vergilbten Firnis, sondern in solchen Spuren des Gebrauchs.

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Wenn ich auch heute originale Objekte sehe, z.B. von Duchamp, soweit wir sie überhaupt noch zu sehen bekommen, dann sind sie fast kaputt, aber die haben dadurch natürlich auch einen sehr morbiden Reiz, den man nicht unterschätzen sollte. Die Avantgarde unterliegt auch in diesem Sinne gewissen Alterserscheinungen; das ist nun mal so! Also, entscheidend ist, daß die eigentliche künstlerische Absicht dadurch nicht in Gefahr kommt und immer noch in Erscheinung tritt. [Vor dem Weißen Dynamo] C: Das ist eine Replik. Das Werk aus dem Jahr 1964 ist im Sprengel Museum in Hannover. Gibt es einen Unterschied zwischen den beiden Werken? Ja, wenn eine Replik die Schwester eines Bruders ist. Da ist nur die gleiche künstlerische Konzeption, aber die Reliefs als solche sind vollkommen verschieden. Es ist kein Detail auch nur annähernd identisch mit dem, das in Hannover ist. Das ist nur dieser Typus. Es gibt einmal diese Metallrotoren mit dem Relief, dann gibt es weiße Rotoren, die ebensolche Lamellen haben, dann gibt es Rotoren, die silberne Lamellen haben, Rotoren, die ganz schwarz sind und nur weiße Punkte haben, sowie weiße Rotoren nur mit weißen Punkten. Also, es gibt verschiedene Typen. Insofern ist das eine Art zweiter Fassung. Da ist noch, glaube ich, von mir eine Erklärung niedergelegt, von mir niedergeschrieben worden, daß außer dieser Version nur diese eine Variation existiert oder daß die beiden sich wie Geschwister ähnlich sehen, aber zugleich vollkommen individuell sind. […] Ich habe mir […] erlaubt, die eine oder andere Replik herzustellen, immer unter der Voraussetzung, daß ich der reinen Kopie immer aus dem Weg gegangen bin. Im übrigen versagt der schöpferische Künstler immer, wenn er eine Kopie versuchen würde; das ist fast ein Naturgesetz. […] [Über die Scheinwerfer] […] Es sind strukturale Elemente, die in ihrer technischen Erscheinung etwas sehr Triviales und Technisches haben. Das haben wir damals akzeptiert, was nicht selbstverständlich war. Das war überhaupt nicht selbstverständlich. Gehört so was zu einer Kunstausstellung, ein Gegenstand, der normalerweise beim Straßenbau benutzt wird? Das muß man doch jetzt hier berücksichtigen. W: Meinen Sie nicht nur die Wirkung, sondern auch die Materialität? Die Materialität, das meine ich. Das rein Strukturale dieser Objekte, die haben eine eigene Gegenständigkeit. Wenn ich jetzt eine ganz raffinierte

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Lampe anbaue, die Sie kaum sehen, die das Gleiche noch viel besser macht, dann ist es nicht mehr der originale Scheinwerfer. Das gesamte technische Ambiente, und das ist das, was hier im Vordergrund steht, sollte weitmöglichst noch authentisch bleiben. […] [Über die Weiße Lichtmühle] Dann kam die Idee auf, ein Gemeinschaftswerk zu machen. Und da erschien uns die Staffelei natürlich das Erstbeste, Nächste – verstehen Sie: Das Erstbeste, Nächste, das was naheliegend war, expressis verbis. Sie stand im Atelier und wurde kaum benutzt. Bilder wurden oft auch auf der Erde gemalt, oder Piene malte sie ja über Kopf. Also, was ich sagen wollte: Das war auch ein Affront gegenüber einem klassischen Künstler-Werkzeug des 19. Jahrhunderts, die Staffelei. Für uns war die Tafelmalerei vorbei. Für uns war die Malerei vollkommen vorbei, also weg mit der Staffelei. Das muß man unbedingt dazu sagen, denn es ist viel zu wenig beachtet worden in den entsprechenden Diskursen zu diesem Thema. […] W: Wie war die Zusammenarbeit? Sie war damals sehr erfreulich, im Gegensatz zu heute. Ja, es war von Anfang an klar, daß für das Licht Otto Piene verantwortlich ist – ja, die Idee mit dem Rotor kam von mir. Wenn man solch eine Staffelei vor sich hat, kommt man nicht gleich auf die Idee, einen Rotor daraus zu machen. Ich habe für einen Rotor plädiert und habe eben die Reliefscheibe vorher gemacht, und Uecker hat das Chassis benagelt. Also die Arbeitsteilung war diskutiert worden. Und die Grundidee, vielleicht der erste Ideenansatz, kam von mir: Machen wir daraus einen Rotor. Und dann kam ja die Mühle – dieser Titel ist nicht von mir – der ist, glaube ich, von Uecker. Da müssen Sie mal Uecker fragen, ich meine der hätte diesen Titel mit Humor gewählt. W: Erinnern Sie sich noch daran, was Sie mit dem Begriff Mühle, Lichtmühle, assoziierten? Also, der Begriff ist, wie gesagt, nicht von mir und ich habe das so als Metapher vielleicht akzeptiert, aber das nicht überinterpretiert. Eine Mühle, die sich bewegt, das ist so typisch bei einer Mühle. Vielleicht auch, weil diese Objekte einen Landschaftsbezug hatten. Die ersten Objekte sind ja nicht in Rom ausgestellt worden, auch nicht in Mailand, auch nicht in London, sondern in Holland, interessanterweise. Und da gibt es viele Windmühlen. [Über die Silbermühle]

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[…] Die Genesis des Objekts ist einfach: Wir haben oft in der Altstadt, wenn überhaupt noch Kleingeld in der Tasche war, ein Bier getrunken, und da waren so kleine Biertische, wo die Leute ihr Bier abstellen konnten. Man setzte sich nicht an Tische, sondern stand um die kleinen Tische herum. Sie waren aus Buchenholz, wenn ich mich recht erinnere, also einem festen, harten Holz. Ich habe wieder hier bei der Lichtmühle angefangen mit der Arbeit, ganz analog zur Weißen Mühle, indem ich zuerst die Scheibe gemacht habe, und hatte den Wunsch, daß dieses Objekt sich nicht trennt in den oberen Teil (Edelstahl) und den unteren Teil (ordinäre Silberbronze). Die Silberbronze ist ja etwas sehr Banales, was sehr Triviales – sieht immer wie Silber aus, ist aber kein Silber, ist auch keine graue Farbe, ist also wirklich bloß Silberbronze, was Ordinäres, muß man sagen, selbst wenn man die allerbeste nimmt. Also hatte ich den Wunsch, das Thema des im Raum reflektierenden Metalls hier unten nochmals unterzubringen, damit eben das Relief der Scheibe nach unten in seiner Materialsprache fortgeführt wird. […] C: Sind Sie mit dem Dunkelheitsgrad des Raums zufrieden? Ich bin damit einverstanden. Ich habe mir, bezogen auf meine Werke – das ist jetzt mein eigenes Interesse als Künstler – immer gewünscht, daß das Licht nicht ausgeht, ich wollte nie vollkommen dunkle Höhlen. In Ausnahmefällen habe ich natürlich auch unter freiem Himmel, mitten in der Nacht Lichtobjekte präsentiert, aber meine Arbeiten sind nicht darauf angewiesen, in einem vollkommen dunklen Raum ausgestellt zu werden. Für Piene gilt das aber. Die Reflexionen an der Wand sind um so eindrucksvoller, je dunkler es ist. Wir haben uns hier, glaube ich, kollegial geeinigt und haben gesagt: Das ist hier ein Museum, wo Leute nicht im Dunkeln herumtappen sollen. Das hat sich auch bei anderen vielen Ausstellungen früher als unglücklich erwiesen. Mal abgesehen davon, daß da manches Liebespärchen in der Ecke saß und sich unter den Rock faßte. Das ist ja noch alles liebenswert, aber die Leute sind rückwärts gegangen, gestolpert, sind gegen die Objekte gestoßen. [Über die Streifen auf dem Fußboden] Auch diese Geschichte hier ist natürlich ein Kompromiß, den ich nicht gut finde. […] H: […] Sie sagten ja auch, daß ihre Stücke eigentlich aus diesem Abstand betrachtet werden sollten. Also, Sie sehen es auch nicht als notwendig an, daß man um das Stück herumläuft und wirklich in unmittelbare Nähe gehen kann? Eine sehr berechtigte Frage. Ich danke Ihnen. Meine Objekte waren immer fast ausschließlich frontal gemeint. Die Frontale, das Vis-à-vis in der Kon-

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frontation, das war für mich immer entscheidend. Nie perspektivisch. Das habe ich von den Ägyptern gelernt: Immer frontal das Gesicht anschauen, die Hüfte war nicht so wichtig. W: Dann hilft der Strich ein bisschen, den Standort zu finden. Ja, sicher, denn es ist ja nichts gewonnen, wenn man nahe heran geht. Und wenn ich das sagen darf: Das gilt auch für alle anderen Objekte, ich sehe nicht, wo hier ein Objekt steht, wo man drum herum gehen müßte. […] H: Können wir noch mal zur Silbermühle zurückkehren, zu der Herr Piene meinte, daß Veränderungen vorgenommen wurden? […] Da könnte ich auch selbst vor Gericht nicht mehr sagen, wie es war. Ich glaube nicht, daß dieser Mantel nur Silber war, Silberbronze. Ich meine, ich hätte damals auch Aluminium da drum herum gehabt. Nur ist dann eben, wie gesagt, das weiche Aluminium schnell verkratzt, verbeult, weil es eine dünne Folie war, dann habe ich das später optimiert, wenn Sie so wollen. Aber meines Wissens war da von Anfang an ein Aluminiummantel drum, eine Art Kragen. T: Die Scheibe selber besteht aus zwei Schichten: erst eine Aluminiumscheibe und darauf ist eine Edelstahlscheibe. Darauf sind die Lamellen. Ja, ja. T: Ist das von Anfang an so gewesen? Nein, jetzt fällt mir das alles wieder ein, auch da war ursprünglich Aluminium, grau geworden. Dieses Objekt hat ja zeitweilig ohne jegliche Pflege im Abseits gestanden, wurde hin und her geschubst, stand in irgendwelchen feuchten alten Garagen, wo alte verrostete Lastwagen in der Ecke standen usw. Das muß man sich immer alles vergegenwärtigen. Und als es dann zu mir ins Atelier gebracht wurde, um es wieder zu reparieren oder zu restaurieren, habe ich dann, ohne lange zu fackeln und zu fragen, die Aluminiumscheibe gelassen, wie sie war und darauf eine Edelstahldoublierung vorgenommen, entsprechend der Lochung, die ja von Piene stammt. H: Sind die Lamellen auch mit Edelstahl ersetzt worden? Die waren in Edelstahl. Der Fuß war in Edelstahl. Nur die Platte, die war aus Aluminium, glänzte auch, war aber grau geworden, korrodiert wie Blei. Früher gab es die Aluminiumfolie 0,1 oder 0,2 mm stark. Die war immer Reinstaluminium, aber sobald das Material dicker wurde, war es nicht mehr Reinstaluminium, darum die Oxydation, die war grau wie Blei. […]

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H: Welche Parameter sind für Sie bei der Ausstellung der Werke von Bedeutung: die Abgeschlossenheit des Raums, seine Größe, die Reihenfolge und die Abstände der Objekte zueinander? […] Es ist von Anfang an fast feierlich die Absichtserklärung formuliert worden, und die muß auch irgendwo schriftlich festgehalten worden sein, daß im Zuge des Aufbaus des neuen Museums dort drüben ein Raum im Raum entstehen sollte, daß also dies nicht der endgültige Raum ist, sondern nur ein vorläufiger Raum, und daß eben ein Raum im Raum entstehen soll: D.h., daß man in diesem Falle weitgehend den Maßen von Kassel entsprechend eine Raumreplik schaffen soll. Das ist die Idee. Und dann haben wir gesagt: Was passiert dann mit den Wänden, die außen sind, wenn jetzt meinetwegen ein Haus im Raum steht. Da haben wir gesagt: Nichts ist leichter als das, dann hängt alles, das wir gemacht haben und was sonst noch hier im Museum ist, an die Außenwände. Das wäre die Möglichkeit. Das wäre auch meines Erachtens nach wie vor die ideale Möglichkeit. H: Also Sie würden sich da durchaus an dem Kasseler Grundriß orientieren und nicht sagen, daß diese hier jetzt für uns die verbindliche Form ist? Ja, das ist ein Kompromiß. Der ist jetzt im Moment der denkbar möglichste, also die denkbar freundlichste Lösung. Jedoch bleibt es dabei (auch das ist erklärter Wunsch von Heinz Mack – und ich spreche sicherlich auch im Namen der anderen Künstler und wiederhole, daß das angesprochen wurde), einen Raum zu schaffen, der den Maßstäben des Raumes in Kassel möglichst entspricht, denn dieser Raum in Kassel war kleiner, war gedrängter und das hat den Objekten auch noch mehr, wie soll ich sagen, Kraft gegeben. Wenn sie dann den Raum noch größer machen, dann verlieren die sich. Er darf ruhig wieder wie in Kassel gedrängt sein und es läßt sich noch rekonstruieren, denn dieser Bau existiert noch. Man müßte herausfinden, wo dieser Raum in Kassel sich befunden hat, unter welcher Dachhälfte und die Maße noch mal abnehmen. Das wäre wünschenswert. H: Sie würden dann sogar dafür plädieren, die Ecklösung zu rekonstruieren? Nein, die muß nicht unbedingt sein, aber wenn – sagen wir mal – die Grundrißfläche erhalten bleibt und wenn die Höhe des Raums erhalten bleibt und die Deklination der Schräge, die Dachschräge, wenn das gesichert wäre, dann fände ich das schon ganz toll. Und das müßte nicht schneeweiß sein, das war es damals auch nicht, sondern das dürfte ruhig etwas dreckiger sein. Aber da wird‹s wieder problematisch, denn wie will man den Dreck, die Speicher-Patina rekonstruieren. Sie entsprach ja gar nicht dem ZERO-Geist.

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C: Aber der Raum wurde gestrichen, oder? Piene hat uns erzählt, daß Sie nach London gefahren sind und dann, als Sie wiedergekommen sind, haben Sie den Raum gestrichen vorgefunden. Ja, das haben wir zum Teil selbst gemacht. Wir haben den Raum angetroffen als eine Müllhalde. Das war eine Unverschämtheit sondergleichen, uns überhaupt diesen Raum anzubieten! Das war eine Rumpelkammer! Und währenddessen die anderen Herrschaften – jetzt werde ich aber böse, wenn ich darüber nachdenke – das Glas Sekt schon in der Hand hatten und sich selbst gefeiert haben, durften wir erstmal den Raum entrümpeln. Wir sind nämlich viel zu spät eingeladen worden. Daß wir überhaupt eingeladen worden waren, verdanken wir nur dem damaligen Direktor Bode, der in letzter Minute gesagt hat: »Laßt die Jungs sich hier austoben!« Aber wir kamen viel zu spät an. Wir mußten den Raum überhaupt erstmal notdürftig sanieren. Und, weil Sie aus Italien kommen: In diesem gleichen Rumpelambiente hingen kleine Bilder von Fontana. Darüber haben sich die Leute kaputtgelacht: »Was soll denn der Quatsch da?« und so was. Das muß man sich erst einmal vergegenwärtigen. Und ich – Heinz Mack – war der erste deutsche Künstler, der überhaupt das Wort Fontana in Deutschland öffentlich ausgesprochen hat. Keiner wußte, wer das war. Ich habe neben der eigenen Arbeit, die ich zu tun hatte, mich darum gekümmert, daß man den Fontana ein bißchen freundlicher aufhing, so daß überhaupt die Wahrscheinlichkeit statistisch gegeben war, daß jemand hinguckte. So war das. Also da waren die Verhältnisse denkbar primitiv, und ich selbst erinnere mich jetzt nicht, ob ich da den Pinsel in der Hand hatte, oder die Quaste, um den Raum zu streichen, aber ich erinnere mich, daß ich bei den Aufräumungsarbeiten mit tätig war. Den Dreck erst mal da herausschafften! War alles sehr primitiv! Und etwas von der Primitivität würde man sich eigentlich wünschen, denn das ist ein historischer Fakt, die Amerikaner würden da sagen: ein »Impact«, dieses dramatische Nebeneinander von dieser lichtvollen Kunst und dann diesem Dreckstall, diesem archaischen, diesem vergessenen Dachgeschoß! Also … Man würde keinem Künstler das heute anbieten. Und den Fontana hatte man abgehängt, so weggehängt nach dem Motto: »Ja, das wollen wir gar nicht offiziell sehen.« Das ist auch ein Thema. […] W: Trotzdem ist es für uns eine ganz wichtige Aussage, die unserem Denken auch sehr entgegenkommt, daß Sie der Dokumentation (also »out of function«-Schild oder auch weitere Erklärungen: Das hat früher in der und der Geschwindigkeit sich bewegt) doch eine gewisse verzögernde Funktion zusprechen, also stellvertretende Funktion auch in dem Moment, wo was nicht mehr geht, daß man durch Erklärung doch noch das

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Lebendigsein des Werkes verlängert, daß es nicht sofort weg muß, sondern daß der Betrachter sich eben durch eine rationale Stufe immer noch dem Raum nähern kann. Richtig, richtig. Also selbst wenn alle Teile nicht laufen und sie nur beleuchtet sind oder ihr Eigenlicht haben, dann geben sie immer noch etwas her. Es ist ja nicht so, daß man dann vor einer nackten Wand steht. Aber es sollte eben optimal funktionieren, das ist ja wohl Sinn des Wartungsvertrages […], daß alles so optimal wie möglich funktioniert. W: Und auch dieser Rhythmus, also das Nacheinander der Beleuchtung? Ja, das sollte bleiben, das sollte bleiben. Das haben wir nun mal festgelegt. Es gibt doch sicherlich noch einen anderen Rhythmus, das wäre ja auch denkbar, daß man in Intervallen die Zeitschaltung variiert. W: Warum? Wenn es nicht sein muß, dann sollte man es auch nicht diskutieren, aber gesetzt den Fall, es gäbe einen Grund, um zu einer neuen Choreographie zu kommen, dann ist das auch möglich. Denn die Dinge waren ja nicht festgeschrieben. Das ist das Wesen der Kinetik, daß sie nie nur eine einzige Erscheinungsweise hat, eine einzige Identität, sondern das Wesen der Kinetik ist »panta rei«, daß etwas fließt, daß etwas sich verändern darf, und das macht ja die Dinge lebendig. Und wenn man das erhält, dann kann man bei gewissen restauratorischen Problemen auch wieder großzügig sein. W: Das stellt jetzt eigentlich auch die Alterung in ein freundlicheres Licht. Es gibt nicht eine fixe Situation, einen »Status Quo«, der unverrückbar ist, sondern Dinge sind in sich ja gemacht, um in Bewegung zu sein, »in progress«. Und »in progress«, das darf auch bedeuten, daß sie sich verändern. […] 3. Interview mit Günther Uecker, 14. Oktober 1999 C: Der Saal des Kunstmuseums, in dem der Lichtraum heute ausgestellt ist, ist anders als das Dachgeschoss des Fridericianums. Wie wirkte der Raum des Fridericianums? Er wirkte eigentlich wie ein orientalisches Zelt, weil er schräge Wände hatte, und dadurch entstand fast eine beduinische Atmosphäre, als ob man den Himmel über sich hätte. Und das machte den Raum sehr originell im Gegensatz zu den anderen Ausstellungsräumen auf der documenta. Es war ein Raum, der gar nicht für künstlerische Präsentationen vorgesehen war, sondern der erst nach einer letzten Entscheidung von Herrn Bode, der sich als Mentor für die Einrichtung dieses Raums einsetzte, hinzukam. In diesem

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Dachgeschoss mit schrägen Wänden, die zur Mitte zusammen liefen, verzerrte sich die Reflexion und die Spiegelung der kinetischen Gegenstände, der Skulpturen, so daß eine sehr poetische Atmosphäre entstand. Hier wirkt das im Sinne der Sachlichkeit immer noch sehr präsent und sehr gut erhalten, worüber ich sehr froh bin. Auch diese Frische der Gegenstände, dieser kinetischen Skulpturen, ist künstlerisch noch von gegenwärtiger Bedeutung. Es ist nicht in der Geschichte, im Staub der Vergangenheit steckengeblieben, sondern hat noch eine Erlebniskraft, die man als künstlerischen Ausdruck empfindet. Und das finde ich, da ich lange nicht hier war, sehr eindrucksvoll. C: Wie dunkel sollte der Saal des Museums sein? Es ist gut so. Es hat dadurch auch diese Sachlichkeit. […] H: Sie würden der Meinung von Herrn Thorn, daß es anzustreben wäre, den Raum weiter zu verdunkeln, nicht zustimmen? Nein. W: Auch aus künstlerischer Sicht nicht? Nein, auch aus künstlerischer Sicht nicht. Es ist keine »Camera obscura«, und es ist keine Zauberkiste. Der Raum ist nackt wie ein Aktmodell. Es ist erkennbar, wie die Dinge entstehen, die wir optisch wahrnehmen, und die Gegenstände sind in ihrer Funktion deutlich ablesbar, so daß man sagen kann, dieser bildnerische Ausdruck, der eine sehr starke poetische Kraft hat, ist durch bestimmte kinetische Vorgänge erzeugt. C: Inwieweit sehen Sie die Installation mit diesem Raum verbunden? Was wäre, wenn die Installation umgesetzt werden müsste? Ja, das hat sich schon in der Praxis erwiesen, und darüber weiß auch Herr Thorn einiges. Wir haben Lichträume mehrfach in verschiedenen Museen eingerichtet. Darüber gibt es Dokumentationen. Diese Gegenstände, wie sie hier aufgebaut sind, sind auf diesen Raum bezogen, werden aber in anderen räumlichen Verhältnissen auch in anderer Zusammenstellung in Erscheinung treten können, ohne daß der künstlerische Charakter darunter leidet. H: Heinz Mack war daran interessiert, in Zukunft eine Rekonstruktion des Kasseler Raumes vorzunehmen; Otto Piene meinte hingegen, das wäre Theater. Wie sehen Sie das? Um die Authentizität eines einmaligen Erlebnisses, wie man es auf der documenta hatte, wiederherzustellen, kann man aus konservatorischen Gründen das Alte in seiner Proportion wiederherstellen, wie wir es ja auch vom Merzbau von Schwitters und von El Lissitskijs Prounenraum kennen. Das ist denkbar. Aber es ist auch so von großer Eindruckskraft. Wenn jedoch auf

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die documenta verwiesen wird, wenn es »der documenta-Raum« heißt, dann sollte man ihn in den Maßen rekonstruieren, wie sie von der documenta im Fridericianum bekannt sind. Das kann man ja nachmessen. C: Aber das ist wirklich das Problem: Sollten wir in Zukunft die documenta als Vorbild nehmen oder diesen Raum? Das Vorbild ist die documenta: Der Lichtraum ist für die documenta gemacht. Die Gegenstände sind auch in andere Museen gegangen, wie Sie wissen, nach Den Haag und dann nach Brüssel und Amsterdam. Aber diese Form der Zusammenstellung ist von der Konstellation auf der documenta abgeleitet, von der Fotografie, die wir davon noch haben. Es so räumlich wieder zu rekonstruieren, wäre vielleicht gar nicht falsch. Man kann sagen, es handelt sich um eine zyklische Folge verschiedenster kinetischer Konstellationen. Und die Idee der Kinetik sollte ja nicht dazu führen, daß wir das plötzlich monumentalisieren, auf eine statische Form zurückführen. Das spräche gegen eine Rekonstruktion des Dachgeschosses, wenn man sagte: Ja, wir haben Gegenstände aus der beduinischen Idee, Kunst ist transportabel, und die Dinge sind Zeugnisse des bewegten Alltagslebens im Sinne von poetischer Kraft. Diese Dinge müssen nicht plötzlich historisch in eine vorbildhafte Statik zurückgeführt werden. Das ist natürlich ein Widerspruch, und das wäre ein Gegenargument. C: Wie war die Reihenfolge der Objekte in Kassel? Das war ein tieferer Raum, und meine Scheibe stand ganz hinten. Und es gab auch die Projektion eines »Fontana-Schlitzes« in einer ovalen Form auf der Wand. Ich weiß nicht, ob das hier wiederholt wurde. H: Ja, es ist wiederholt worden. Interessant, daß Sie sagen, es wurde damals auch in ovaler Form gezeigt. Andere Stimmen meinen, daß diese Form erst hier gefunden wurde. Nein, es war eine auseinander fließende ovale Form, sozusagen ein geschlitztes Ei, und das hatte dann einen kosmischen Charakter. Also, es ist kein Viereck von Malevic am Himmel, das zerschnitten ist, sondern eine planetarische Erscheinung, die eine Wunde hat, fast so wie eine italienische Vision der katholischen Geschichte von Jesus. C: Wurde das Dia auf den Doppelscheibenprojektor oder auf die Wand projiziert? Auf die Wand. Wir haben es im Wechsel gezeigt, so daß es manchmal allein in Erscheinung getreten ist, und sich dann wieder andere Dinge anschalteten. Es war ja nicht alles gleichzeitig in Betrieb. Daß das Programm hier noch authentisch ist, so wie in Kassel, denke ich nicht.

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H: Noch einmal zu den Parametern für eine eventuelle Neuaufstellung: Würden Sie sich eher an Kassel als am derzeitigen Zustand orientieren? Ja. H: Wäre es für Sie auch wichtig, daß es wieder ein abgeschlossener Raum wäre? Ganz wichtig. H: Das heißt, kein Raum, der offen ist oder mit anderen Stücken ergänzt wird? Nein, auf keinen Fall. Das ist ein poetisches Ensemble und kein Durchgang. Das ist – ich glaube auch im pienischen Sinne – eine Art Ort der kosmischen Geburt, ein Raum, wo ein Anfang genommen wird, wo eine Geburtsfolge eintritt und damit auch eine Inspiration. Mit Hilfe dieser Gerätschaften – sie waren damals sehr provokant – präsentierte sich Kunst plötzlich erlebbar im Wechsel der Erscheinungen und nicht nur als eine fixierte, bemalte Vision. […] W: Während Sie so sprechen, scheint es mir so, als sei die Konstellation dieser Werke und wie sie sich als Gruppe am intensivsten begegnet sind, das allerwichtigste, und dieser Dachraum in Kassel war der Ort, wo sich das ereignen konnte. Bedeutet die Rekonstruktion dann nicht doch eine Musealisierung? Ja, das ist der Widerspruch. Der museale Charakter wäre der, sich an der Rekonstruktion des Raumes im Fridericianum zu versuchen. Das wäre eine Möglichkeit. Die andere wäre, diese Gegenstände wie Musikautomaten oder wie CocaCola-Automaten überall hinzustellen. Das wäre die künstlerische Aussagekraft, die durch die Lebendigkeit der örtlichen Verwechslung entsteht. W: Sie könnten sich vorstellen, an anderen Orten noch einmal zu versuchen, was dann geschieht? Ja, aber was uns damals auf der documenta in Kassel gelang, war eine individuelle, übergreifende Form bildnerischen Ausdrucks zu finden, die ineinander schwang, die einen kollektiven poetischen Charakter zum Ausdruck brachte, und daß sich diese starke Individualisierung der Person zugunsten einer Gemeinsamkeit verwirklichte. Das hat sich in der Folge aufgelöst und das war natürlich auch unsere Absicht. Aber Kassel mit diesem Lichtraum war doch der Höhepunkt: Einmal das Genie des Individuums im Sinne einer poetischen Chiffre zu überwinden, die als Zeichen gesetzt war, daß Dinge durch die Beteiligung vieler – und damit auch über den individuellen Ausdruck des Künstlers wirkend – in der Rezeption auf andere wirkten. Sie zeigten an: »Wir

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machen es gemeinsam.« Und wir wirkten auf die anderen für eine Gemeinsamkeit, in der Befriedung, in der Poetisierung von Welten. Das war der eigentliche Charakter. W: Und diese Rekonstruktion hier ist eine mögliche Variante? Sie ist eine von vielen und sie ist jetzt auch schon historisch. Es ist die über Jahre bestehende Konstellation einer Phase. Wir haben alles authentisch legitimiert durch Mittun, durch Vereinbarungen untereinander und zwischen Museum und Künstlern. H: Welche Rolle spielt die Farbe Weiß in diesem Zusammenhang? Sie sprachen von der Überwindung des Krieges. Ja, das ist im Sinne des Überwindens von Schatten. Ich habe es damals so formuliert: Man begibt sich in die Umarmung der Nacht, in die Dunkelheit, und der eigene Schatten vereinigt sich mit der Nacht, mit der dunklen Seite des Planeten; und am Morgen wird der eigene Schatten wieder herausgeworfen. Das ist das Erwachen aus dem Schrecklichen, was durch das Licht möglich ist. Wie in der Genesis ist die Trennung von Schwarz und Weiß individuell und expressiv erlebbar, da die Konfiguration eines menschlichen Schattens am Morgen und über den Tag erkennbar wird. […] H: Zur Weißen Lichtmühle« Die wurde von Ihnen überarbeitet. Können Sie sich noch an die Gründe und an den Zustand vor der Bearbeitung erinnern? Ja, da war ich entsetzt. Wir hatten die Lichtmühle in Philadelphia ausgestellt, und anschließend ist sie beim Transport kaputt gegangen. Das kann man auf den alten Fotos sehen. Es ist ja die alte Staffelei von Otto Piene. Die Weiße Mühle ist dann in mein Atelier gekommen – sie war lange in meinem Besitz – und ich habe diese treppenhafte Stufe nach dem Foto rekonstruiert. Das untere Querholz und das vertikale mittlere Brett waren verloren gegangen. So hatten die Staffeleifüße keine konstruktive Verbindung mehr und keine Stabilität. So habe ich das – auch in den Fotos erkennbar – aus Eichenholz authentisch rekonstruiert. Auch wenn es anders ist, ist es in dem Sinne, wie ich das damals benagelt hatte. Denn ich war ja der, der bei der Weißen Mühle für die Statik und für den Unterbau zuständig war. Und so habe ich das künstlerisch in meinem Sinne rekonstruiert, und das ist authentisch. H: Und das Ganze auch überspritzt? Ja, in der Mitte und auch im Ganzen überspritzt, denn oben waren die Lamellen alle abgebrochen. Die Platte war auch verbogen, etwas gewölbt. Und so habe ich das durch Belastung über längere Zeit wieder gerichtet, was

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sehr, sehr schwierig war. Dann habe ich die gelösten Holzlamellen – die ich aber nicht ergänzt habe, die waren alle vorhanden – an den Stellen wieder aufgeklebt, wo sie vorher befestigt gewesen waren, und das Ganze mit der Farbe, mit der ich arbeitete, überspritzt. […] H: Eine Frage zur Patina: 1961 haben Sie geschrieben: »Objekte aus der Vergangenheit, die sich uns heute durch eine Patina zeigen, können wir nicht missverstehen, wenn wir diese als Denkwürdigkeiten vergangener Kulturen betrachten. Sie dürfen uns aber nicht zu einer Kunst der Patina, des Düsteren und Modernden führen.« Denken Sie, daß Ihre früheren Objekte heute eine Patina aufweisen dürfen? Ja! Es gibt auch Einsichten im Leben – Einsichten darüber, daß wir endlich sind, und daß es eine vergehende Zeit gibt und auch eine andere Zeit, die mit Bewahrung zu tun hat. Da denken wir heute historisch. Die radikalste Form der Evolution wäre ja die der Verbrennungen. Die haben wir erlebt, und die führt zum Barbarismus, angefangen bei Hexenverbrennung über Ketzerverfolgung bis hin zur Bücherverbrennung. Das wäre die radikalste Form. Denkbar ist diese radikale Form, selbst Architekten haben daran gedacht, die Großstädte zu vernichten und die Museen zu zerstören. Das ist eine Idee von Marinetti, die Schönheit der Zerstörungsmaschine – wie wir sie von Leonardo ja auch als Kriegsmaschine kennen – im Vergleich zu sehen zu den Schönheiten, z.B. der Nike von Samothrake. Diese theoretischen Überlegungen radikalisierten sich. Aber Ihre Aufgabe ist es, dagegen vorzugehen, daß Künstler Zerstörerisches leisten, um die Fragwürdigkeit des Lebens neu erkennbar werden zu lassen. Und so sind wir, Künstler und Restaurator, eigentlich antipodisch. Dadurch, daß Sie im Sinne der Bewahrung praktizieren, müssen Sie auch diese Position verteidigen. Ich kann nur dann zustimmen, wenn sich der Staub der vergehenden Zeit ablagert. Aus meiner Sicht sollte er liegen bleiben, auch an Duchamp erinnernd, der diesen Staub als künstlerische Qualität bezeichnet, als Material künstlerischen Ausdrucks und als materielle Vergegenwärtigung der Zeit. So ist das Ihre Entscheidung entgegen oder für die Künstler. […] W: […] Gibt es irgendwo ein Maß, um zu sagen: […] Das Werk ist nicht mehr das, was es sein sollte? Ja, aber das kennen wir aus der Geschichte, aus Griechenland und Italien. Dann hat man plötzlich diesen Kulturschotter. Und dann kann man die Dinge auch zusammenbringen. Wenn man die Laokoongruppe nimmt, ist das eine

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Zusammenfügung. Aber man kann sich das auch denken. Es gibt viele Beispiele, in denen die Dinge plötzlich still bleiben und diese Stille dann den geschichtlichen Ausdruck des Gegenstandes darstellt. W: Können Sie sich eine Form des Erinnerns und des Dokumentierens als adäquat für diese Werke vorstellen? Wir Restauratoren denken, daß, wenn dieser Punkt kommt, man vielleicht durch ein Video oder eine Serie von Fotos, manchmal auch durch einen erklärenden Text, dem Besucher etwas noch nahe bringt, was sich so unmittelbar nicht mehr ereignet. Das könnte man mit dem Kineticismus beim Film vergleichen, wo man sagt: Diese alte Schauspielerin ist heute kaum noch anzusehen und wieder erkennbar, aber in dem Film ist sie immer noch authentisch erlebbar, wie in der Zeit, in der dieser Film gemacht wurde. So sollte man das eigentlich sehen. Man hält ja diesen Garbo-Effekt eine gewisse Zeit durch Wedeln und durch Vernetzungen, Filterung und Verdunklung. Dieser Garbo-Effekt hat aber irgendwann ein Ende, und dann ist man ein Greis, und dann sieht das Kunstwerk wie ein Otto Dix aus. Und so sollen die Dinge auch erscheinen. Sie sind Fossilien unserer Generation aus einem aufbrechenden Zeitabschnitt – nach 1945 innerhalb Europas und Amerikas – und sollten dann in den Dokumenten so erkennbar sein. Diese ewige Kosmetik, die wir anwenden, wird dann zu einer Farce, auch zu einer Falschheit. […] H: Für Sie hätte die Erhaltung der Oberfläche eine höhere Priorität als die Verschmutzung der Oberfläche? Die Erhaltung ist für mich eine Art Glückszustand. Wie ich schon sagte, freue ich mich darüber, daß Sie die Objekte so erhalten haben. Ich konnte mich heute freuen, den Raum wiederzusehen. Auf der anderen Seite möchte ich auch, daß die Dinge in ihrer Vergänglichkeit erkennbar sind. Alles ist vergänglich, und wenn die Kunst unvergänglich ist, ist sie nicht dem Menschlichen adäquat. In seiner Vergänglichkeit sollte der Mensch sich in der Kunst wieder erkennen. Und das ist ja Ausdruck des Menschen für andere Menschen. Diese Wechselbeziehung sollte nicht kosmetisch verändert, nicht geliftet und nicht verfälscht werden, denn da tritt dann die Fälschung ein. Da wir heute in einem Zeitalter leben, in dem man das Original sowieso nicht aushalten kann und mit Reproduktionen optischer Art Sekundärerlebnisse herstellt, ist es denkbar, durch Reproduktion präsente Erlebnisse herzustellen. Möglich, daß das Original selbst dann vielleicht sogar verschlossen wird. Die Dinge können mit Hilfe der Reproduktion vergegenwärtigt werden. Das ist ein Merkmal unseres Zeitalters.

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[…] C: Haben Schäden wie Vergilbung und Verschmutzung die gleiche Schwere bei allen Ihren Arbeiten oder ist es unterschiedlich? Bei welchen Objekten sind diese Schäden akzeptabler? Ist die Funktion der weißen Fassung und der Nägel zum Beispiel bei der Lichtscheibe und beim Tisch die gleiche oder gibt es einen Unterschied? Ja, das ist schon eine berechtigte Frage, weil die Lichtscheibe ein Gegenstand ist, der Licht artikuliert, also vergleichbar einer Sonnenuhr, bei der ein Stab einen Schatten wirft, und wir vergehende Zeit, sich wandelnde Zeit erleben. Das ist auf diese Scheibe übertragen. Diese Sprache, die wir als Lichtsprache und Ausdruck verstanden, habe ich dann in meiner Radikalisierung auf Alltagsgegenstände übertragen. Die Transgression, die Überflutung der Welt mit Kunst, erfolgte dadurch, daß ich die Alltagsgegenstände übernagelt habe. Also mit den gleichen Mitteln, die ich für die Herstellung eines Bildfeldes oder dieser kinetischen Scheibe verwendete, sorgte ich dafür, daß Kunst in den Alltagsbereich eindringt. Das war 1963 für mich manifest, als ich in Frankfurt ein richtiges Wohnzimmer ausstellte und übernagelte. Und das radikalisierte sich immer mehr, so daß ich sagte: Material ist unmittelbar künstlerischer Ausdruck und nicht die Überarbeitung von Materialien, wir stellen keine Illusion dieser Wirklichkeit her, sondern wir führen sie uns mit dem Material vor Augen wie mit Messer und Gabel. C: Also, könnte man sagen, daß die weiße Fassung bei der Lichtscheibe wichtiger ist als bei dem Tisch? Ja, das könnte man sagen zugunsten der anderen zwei, die im Raum sind, daß das Thema der Lichtreflexion ein vorrangigiges Thema ist. C: Wieder zur documenta. Sie wurden zur documenta III, die nach dem Auswahlprinzip der »Individualität« organisiert wurde, schon als Einzelkünstler eingeladen, bevor schließlich noch die Aufforderung an die Gruppe Zero erging. Welcher Unterschied zwischen Ihnen und den anderen Künstlern der Gruppe könnte diese Wahl beeinflusst haben? Der Vorgang war folgender: Ich war zur documenta eingeladen, alle anderen waren entsetzt und sagten, daß ich mich weigern müsste teilzunehmen, da wir nicht zu Dritt eingeladen waren. In meiner künstlerischen Not habe ich gedacht: Na ja, ich würde doch gern auf die documenta, aber ich muss jetzt aus einem Kollektivzwang innerhalb der Gruppierung darauf verzichten. Ich bin dann zu Bode gefahren und habe ihm das erklärt und gesagt: Wir müssen das, was wir gemeinsam erarbeitet haben, manifest machen, und das gilt auch in diesem Zusammenhang. Wir haben auch erfahren, daß zum Beispiel Fontana nicht eingeladen war, so haben wir diesen Raum Fontana

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gewidmet. Herr Bode hat mir erklärt, daß es keine Möglichkeit gab, die kommissarische Entscheidung zu beeinflussen. Ich konnte ihn dann doch dahin führen, daß er sagte: »Wir müssen eine andere Möglichkeit finden, damit Sie teilnehmen. Wir haben noch einen Dachboden. Den haben wir nicht gestrichen, aber gucken Sie sich das mal an. Man könnte da möglicherweise etwas machen. Ich würde das, weil die anderen sich alle verweigerten, als Mentor unterstützen, daß Sie in einer Sonderrolle noch einen Raum bekommen. Aber Sie bleiben mit Ihren Werken, die ausgewählt worden sind, auch innerhalb der documenta präsent«. […] […] C: Wurde der Raum dann weiß gestrichen? Ja, der Raum wurde zu unserem Entsetzen weiß gestrichen. Wir hatten nämlich zur gleichen Zeit eine Ausstellung in London bei McRoberts and Tunnard, die auch dazu führte, daß wir nach New York eingeladen wurden. Wir haben erst die Ausstellung auf der documenta aufgebaut, und dann sind wir nach London gefahren und haben dort unsere Ausstellung aufgebaut. Am Eröffnungstag der documenta sind wir über Nacht mit dem Schiff und dem Auto zurückgefahren. Mit Entsetzen stellten wir fest, daß man diesen Raum, den wir mit seiner Patina akzeptiert hatten, weiß gestrichen und alle unsere Gegenstände verschoben hatte. Wir mussten alles neu zusammenstecken, in großer Hitze neu aufbauen. Noch während der Eröffnung waren wir – nur mit einer Unterhose bekleidet – damit beschäftigt, die alte Konstellation wieder herzustellen. H: Würden Sie sich bei einer möglichen Rekonstruktion dieses Raums den weiß gestrichenen Zustand oder den grauen Beton der Wände wünschen? Na ja, es muss nicht gleich Sarajevo sein. […]

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Creamcheese Die Interviews über das Creamcheese wurden von der Verfasserin durchgeführt und – wenn nicht anders angegeben – auf Diskette gespeichert. 1. Schriftwechsel mit Lutz Mommartz, November 2002 Interview per E-Mail (14. November 2002) Konzeption des Lokals Haben Sie an der Entwicklung des gesamten Konzeptes des Lokals und seiner Inneneinrichtung teilgenommen, oder waren Sie ausschließlich für die Filmprojektionen zuständig? Von Anfang an war ich an der Gesamtkonzeption mit Reinert und Uecker beteiligt und habe maßgeblich daran mitgewirkt. In der ersten Zeit, also der, wo Kunst produziert wurde, habe ich mit Hilfe von Achim Becker (Technik) und auch von Gerd Hübinger (Leisure Society), filmische Experimente vorgeführt, z.B. Leute auf der Kö, die sich von meiner Kamera nicht provozieren lassen wollten, also ›flohen‹, aber auch die drehenden Eier, UVA-Filmmaterial auf mehreren Filmprojektoren, die durch den Raum schwenkbar waren. Hinzu kamen speziell für diese Situation hergestellte Toncollagen. Können Sie die Idee, die hinter Ihrem Beitrag für das Creamcheese steckte, erläutern? Es drehte sich mir um die Entweihung von Kunst, um sie aus der ›Kirche der Museen‹ ins Leben zu holen. Hintergrund war die inhaltliche Entscheidung zur Demokratie mit der Konsequenz, daß gesellschaftliche Veränderung nur durch Öffnung und Erleben auf einem relativ niedrigen gemeinsamen Nenner zu erreichen ist. Dabei übernahm die Kunst eine auslösende Rolle. Nicht umsonst standen Beatles-Songs im Mittelpunkt der ›Disko‹. Ein Ereignis war anfangs die relativ rauhe Beatband »The Iceni« – nicht allerbeste Klasse, aber genau richtig für meine Vorstellung. Mit ihr drehte ich während der Anfangsphase des Creamcheese zwei Filme: OBEN/UNTEN (weiße Tänzer vor schwarzem Grund) und den Zweileinwandfilm Gegenüber (gedreht im Creamcheese). Das Zweileinwandkino ist Ergebnis einer konsequenten Beschäftigung mit der Mehrfachprojektion. Es ist allein meine Erfindung, an der niemand anders Anteil hat. Wurden Ihre Filme im Creamcheese immer zusammen mit anderen Projektionen auf mehreren Wänden simultan gezeigt oder wurden sie bei besonderen Anlässen, wie in einem herkömmlichen Kino, einzeln vorgeführt? Von Zeit zu Zeit, abhängig von der Stimmung im Raum, schaltete ich alles

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ab und zeigte einen meiner frühen Filme, die kurz darauf und auch währenddessen in Knokke Aufsehen erregten. Es war also anfangs immer möglich, einem interessierten Gast in der Menge eine Sondervorführung meiner Filme zu geben. Einer der Höhepunkte war, wenn auf allen Wänden das Abteilfenster eines Zuges durch eine flache Niemandslandschaft im rhythmischen Schienenstoß das Lokal völlig ausfüllte. Natürlich spielten wir auch anderes Filmmaterial, so im Verhältnis 5:1 (eigenes zu fremdem Material). Durch die Vorführung des vielen Originalmaterials ist manches kaputt gegangen und konnte nicht mehr erhalten werden. Wir standen oben auf der Filmbühne über dem Discoplatz und atmeten den Dreck des Raumes in unsere Lungen, der vom Ventilator hinter uns angesogen wurde. Jede Nacht hatte ich schwarzen Auswurf. Unser Getränk war Whisky-Cola, heraufgereicht von der Bar. Einrichtung des Lokals Wer hat die Fernsehwand für den Vorraum des Lokals konzipiert? Die Fernsehwand im Vorraum war meine spontane Idee, die sofort von Reinert und Uecker aufgenommen wurde. Auch die Details habe ich vorgeschlagen. Das Creamcheese auf der 4. documenta (1968) 1968 haben Sie und Günther Uecker das Konzept des Düsseldorfer Creamcheese auf der 4. documenta umgesetzt (documenta-Club in der Orangerie). Können Sie mir die Kasseler Version des Creamcheese beschreiben? Wie unterschied sie sich vom Düsseldorfer Lokal? In der Orangerie auf der 4. documenta führte ich das in Düsseldorf bereits vorgestellte Zweileinwandkino vor. Es definierte – anders als im Creamcheese, wo das Zweileinwandkino nur in einer provisorischen Variante lief – den Raum in der Orangerie. Dort kam es zu einem Zusammenspiel mit Günther Ueckers Windrad, welches die Federn durch den Raum wirbelten, die ich bei der Kissenschlacht im Film durch den Raum hin und her zwischen den beiden Leinwänden warf. (Daraufhin stellte Harald Szeemann das Zweileinwandkino in ›cooler Form‹ aus, anläßlich des 50. Jubiläums des Museums Bern). Waren Ihre künstlerischen Intentionen dieselben wie in Düsseldorf, oder gab es in Kassel eine Bedeutungsverschiebung? Eine Bedeutungsverschiebung gab es nicht, weil ich mich nicht von der documenta einverleiben ließ, sondern den documenta-Besuchern die Öffnung nach draußen vorführte. (Insofern fühle ich mich der letzten documenta näher als der damaligen).

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War der Einsatz von zwei Leinwänden und der »Windmaschine« von Uecker im »documenta«-Club eine vereinfachte Form Ihres nicht realisierten Projektes »Windmühle«? Nein, die Windmühle wollte ich deshalb nicht realisieren, weil sie nicht geeignet ist, den Zuschauer herauszufordern, sondern ihn einzufangen. Der Ventilator wäre für die optimale Vorführung des Zweileinwandkinos nicht nötig gewesen. Aber sie konnte ihn verkraften. Musealisierung Sie haben immer für »das Authentische als Kunst« plädiert. Das Creamcheese war ein alternativer Ort der Kunst: Dort konnten Leben und Kunst verschmelzen. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang seine Musealisierung? Denken Sie, daß die museale Präsentation die ursprüngliche Idee verrät? Was wäre eine geeignete Form der Erinnerung an das Konzept des Creamcheese? Das Museum darf sich auch der Dinge bedienen, die es infrage stellen. Sehe ich genau hin, sind die Museen heute bereits auf dem EntertainmentNiveau gelandet, das wir damals ausübten. Es bedarf nicht mehr der Provokation, wo doch bei jeder Vernissage Essen und Trinken auf gleicher Höhe stattfindet. Es ist also bereits ›heruntergekommen‹, wobei ich keine Niveauabsenkung mehr bemerke. Dürfen Ihre Filme im Museum als Videos über Fernsehgeräte gezeigt werden, oder gibt es besondere technische und räumliche Voraussetzungen, die bei ihrer Vorführung berücksichtigt werden sollten? Meine Filme dürfen vorgeführt werden, wie der Vorführer sie benutzen will. Denn sie sind in ihrem Kern nicht mißzuverstehen, es sei denn der Vorführer hätte diese Absicht. In diesem Zusammenhang ist eines vielleicht nicht unwichtig: Alle Rechte an meinen Arbeiten liegen bei mir. Aber klauen darf sie jeder. Als ich das Eva Beuys auf ihre Frage nach meinen Rechten bei der Vorstellung meines Buches sagte, war sie ziemlich konsterniert. Ich bin nicht für Rechte am geistigen Eigentum, das doch nur zufällig bei mir so gelandet ist. Und ich denke, daß es ein Zeitalter geben wird, das verstehen wird, daß das Öl der Welt allen gehört. Nachfragen (16. November 2002) Ich finde es sehr interessant zu erfahren, daß Sie die Fernsehwand konzipiert haben, da sie in einigen Artikeln Uecker zugeschrieben wird. Können Sie mir erklären, warum sie als »Hommage à Andy Warhol« bezeichnet wird? Haben die Filme von Warhol (etwa »Screen Tests«,

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1964-66, oder »Outer and Inner Space«, 1965) als Inspirationsquelle für das Spiel zwischen Betrachtern und Betrachteten, Voyeurismus und Exhibitionismus, gedient? Da Uecker die Connections mit dem Kneipier hatte und insofern als Vermittler auftrat aber auch jungen Künstlern in seinem Umkreis Chancen eröffnete, verstand er sich als Anreger und Supervisor des Unternehmens. Er führte auch den Namen Creamcheese ein, den er von der frisch aus Amerika kommenden Zappaplatte entlehnte. Manchmal verwechselte er dabei die Selbständigkeit der Kollegen in seinem Umkreis mit seinen Intentionen. Auf einer Autofahrt nach Antwerpen, lange vor der gemeinsamen Reise nach Edinburgh, das er halb scherzhaft als Mafiaunternehmen bezeichnete, gestand er mir: »Du hast es gut, du bist im Kommen. Ich muß jetzt sehen, wie es weitergeht.« Seine Großzügigkeit gegenüber jüngeren Kollegen nutzte er gewissermaßen wieder für sich aus. Hommage an Warhol, ich weiß nicht wer das gesagt hat, war ja nicht nötig. Eisenbahn reichte aus als ein non plus ultra Warhols. Natürlich hatte mich der Film, wo Warhol nur auf dem Klo sitzt, beeindruckt. Aber als geborener Ignorant beziehen sich meine Filme immer auf Elementares, weniger auf Kunst. Übrigens habe ich nur antivoyeuristische Filme gemacht, in denen die auftretenden Personen immer die Macht über die Aufnahme hatten. Einige Bildschirme der Fernsehwand zeigten absichtliche Störungen. Inwieweit wurden Sie von Nam June Paik (z.B. durch die Ausstellung »Electronic Television«, Galerie Parnass, Wuppertal 1963) beeinflußt? Die Störungen auf den Bildschirmen im Creamcheese waren unvermeidbar. Sie brauchten nicht von Paik beeinflußt zu werden. Sie paßten hinzu, wie alles, was der Aufhebung der Macht dieses Mediums diente. Paiks einzige Vorführung, mit der ich mich damals identifizierte, war die Vorführung eines mit seinen Händen gedrehten Wollfadens in einem 16 mm Projektor in der Aula der Kunstakademie Düsseldorf, dem auch Beuys zuschaute. Alle späteren Arbeiten Paiks hatten nicht mehr diese Anziehungskraft. Paiks Parnass in Wuppertal habe ich damals nicht erlebt. Sie waren gegen den Film als Unterhaltung. Manchmal haben Sie in ihren Filmen (z.B. »Eisenbahn«) Langeweile als Strategie eingesetzt, um eine Bewußtseinserweiterung des Zuschauers zu stimulieren. Anderseits wurde der unterhaltende Aspekt im Creamcheese zum Zweck der gesellschaftlichen Veränderung verwendet, um eine breitere Masse zu erreichen. Sind diese zwei Strategien nicht ein Widerspruch? Diesen Widerspruch habe ich tragen wollen, weil er den Erkennenden auf der einen Seite sagen will, daß es sich um Anerkennung der Wirklichkeit

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dreht und die noch nicht Erkennenden anstoßen wollte. Nur so erfüllt sich der Gedanke an die »Verantwortung in Authentizität«. 2. Interview mit Heinz Mack, 21. November 2002 Atelier des Künstlers, Mönchengladbach Konzeption des Lokals In der Konzeption des Creamcheese fanden verschiedene künstlerische Mittel, die bereits für die Gruppe Zero wesentlich gewesen waren, eine neue Anwendung. Welche Rolle spielte z.B. das Licht im Tanzlokal? In der Tat hat Licht eine große Bedeutung gehabt. Was heute in jeder Diskothek normal ist, haben wir zuerst ausprobiert, sprich Musik mit Licht synchronisiert, so daß das Licht die Musik visualisiert hat. Die Rhythmen und die Melodien wurden zumindest teilweise wirklich synchron von Lichtimpulsen begleitet, aber es gab auch Situationen, in denen eine Konfusion entstand – ein Chaos, in dem praktisch die Lichtrhythmen, die Lichtintervalle, die Lichtimpulse die Musik konterkariert haben. Das war sehr aufregend. Wenn die Synchronisierung zwischen Licht und Musik nicht funktionierte, hatte das, wenn Sie so wollen, eine gewisse humorvolle und fast dadaistische Dimension. Heute ist man verwöhnt und geht davon aus, daß die Synchronisierung zwischen Musikrhythmus und Lichtimpulsen/Lichtspektakel, perfekt ist. Aber damals war das noch sehr naiv. Man muß sich vergegenwärtigen, daß es überhaupt keine elektronische Steuerung gab, sondern daß das Lichtspektakel durch sogenannte Walzrelais funktionierte. Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich damals das Problem, daß die Lampen nicht lange durchhielten. Vor allem war es sehr schwer, ein Stroboskoplicht zu produzieren. Das war damals gar nicht selbstverständlich. Ich habe vom Theater der Stadt Düsseldorf solche Stroboskoplichter bekommen, die aber auch nach einer gewissen Zeit leider immer wieder kaputt gingen. Das war damals aber wirklich aufregend und sensationell. Es gab nichts Vergleichbares. Ich glaube, in Düsseldorf war ein Anfang gemacht worden. Später, in meinem Film Tele-Mack, gibt es eine Szene, die sehr eindrucksvoll ist: ich bewege mich und werde nur von Stroboskoplicht beleuchtet. Das Ganze hat natürlich etwas von einem sehr surrealen, fast chaotischen Veitstanz. Das spielt in dem Film eine große Rolle. Ich wiederhole mich an dieser Stelle gerne: Wir haben etwas antizipiert, was heute in jeder Diskothek Standard ist. Das künstliche Licht war ein wesentliches Element der Lichträume der Gruppe Zero. Dort hatte das Licht einen meditativen Charakter, der im Creamcheese zugunsten einer Verwirrung der Wahrnehmung verloren ging.

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War es Ihr Ziel im Tanzlokal, den Betrachter zu erschüttern? In Verbindung mit dem Creamcheese kommt auch der Begriff »Terror« vor … Ja, aber das muß man bitte sehr pazifistisch, freundlich und friedlich interpretieren. Uecker hat ja einen Käfig gemacht, der etwas von einem elektrischen Schafott hatte. Das war ein bisschen Terror, im Sinne einer gewissen Brutalität, die Uecker sehr schätzt, eine Provokation. Er hat ein Objekt gemacht, woran man ein großes Schild mit dem Zeichnen eines Blitzes und der Schrift »Vorsicht Hochspannung« hätte machen müssen. Wenn Sie das aber metaphorisch beschreiben wollen, war das wiederum eine Einladung: Hier, in diesem Raum, in diesem Creamcheese, da ist Hochspannung, da sitzt man nicht in einer Ecke und knutscht nur, sondern da ist »Activity«. Es gab die sehr seriöse Arbeit in unseren Ateliers. Es handelte sich um eine Arbeit, die zum Teil aus Experiment bestand, aus Forschung im Bereich der visuellen Phänomene. Das Creamcheese war für uns die Gelegenheit wild zu tanzen. Damals waren Günther Uecker und ich beide begeisterte und wilde Tänzer, im Unterschied zu Otto Piene. Wir hatten auch immer das Glück, Mädchen zu finden, die gerne mit uns tanzten. Wir haben uns sozusagen ausgetobt. Das war also – neben der Arbeit im Atelier – die Chance, gute Laune zu haben und froh zu sein. Es ist natürlich, glaube ich, daß ein junger Mensch gern tanzt. Das gelingt dann am besten, wenn die gesamte Atmosphäre stimmt. Es gibt aber auch einen anderen Aspekt: Alles war recht, was antibürgerlich war. Wir fanden im Creamcheese unsere eigene Welt und in diese Welt hatte das Bürgerturm kein Entree, keinen Eintritt. Da war man unter sich. Da waren nur Künstler und die Freunde der Künstler. Das verdanken wir weitgehend dem Ehepaar Hans-Joachim und Bim Reinart, die sehr viel Zuneigung, Sinn und Sympathie für Künstler hatten. Das Creamcheese war wirklich eine Künstlerkneipe, eine Kneipe, in der Künstler sich sehr wohl fühlten. Es war ganz natürlich, daß man sich bemühte, dem Raum eine unverwechselbare, einmalige Atmosphäre zu geben. Diese Atmosphäre war wichtig, um zu inspirieren, um wieder auf neue Ideen zu kommen. Wir hatten praktisch so gut wie keine materialen Mittel. Das war fast selbstverständlich: Wir waren in einer Situation, in der wir mit den einfachsten technischen Mitteln das Lokal gestalten mussten. Nicht umsonst habe ich mir die Stroboskoplichter aus dem Theater geliehen. Ich habe gesagt: »Ich bringe die morgen zurück«. Ich habe sie dann natürlich nicht zurückgebracht … Das war typisch für unsere Situation. Das Lokal war lang gestreckt wie ein Schlauch. Am Ende des Lokals gab es eine kleine Plattform, die einfach aus Holzbrettern zusammengeschraubt war und hoch genug war, um für die Besucher unzugänglich zu sein. Darauf waren z.T. die Lampen, die ich besorgt hatte, sowie ein Diaprojektor, der abstrakte Bilder projizierte.

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Wer hatte die Idee zu diesen Projektionen gehabt? Das weiß ich nicht mehr genau. Es könnte Kriwet gewesen sein, aber es ist ja alles sehr lange her … Woran ich mich erinnere ist, daß diese Projektion nicht präzise frontal war. Der Projektor war so aufgestellt, daß er ein schräges Bild projizierte. Der Beginn des Bildes war scharf, und dann wurde es immer abstrakter, immer weicher. Das entsprach der Form des Raums. Die Aktion spielte im Creamcheese eine wichtige Rolle – Aktion sowohl im Sinne von Tanz und Bewegung als auch im Sinne von künstlerischen Aktionen (Performances, Happenings, Konzerte usw.), die im Lokal stattfanden. ZERO hatte bereits 1961-62 künstlerische Aktionen organisiert. Welchen Unterschied gab es zwischen den früheren ZERO-Aktionen und den Aktionen im Creamcheese? Jetzt möchte ich etwas sagen, was mir sehr wichtig ist: Ich habe schon angedeutet, daß unsere Arbeit im Atelier sehr seriös war, aber es gab auch Phasen, in denen man Freude und Spaß hatte. Die Aktionen auf der Rheinwiese waren von mir sehr ernst gemeint. Es handelte sich wirklich um künstlerische Aktionen, in denen wir etwas sichtbar machen wollten, was man innerhalb der klassischen Tradition der Malerei oder der Bildhauerei nicht darstellen konnte oder was man auch innerhalb der Museen nicht darstellen konnte. Das Creamcheese war, wenigstens aus meiner Perspektive, einfach ein Raum, in dem man ausgelassen war, in dem man fröhlich war. Dort hatte man sehr viel Spaß auf eine sehr sensible, künstlerische Weise. Aber wir haben im Creamcheese sozusagen nichts als Fortsetzung zu dem gemacht, was wir in den Galerien oder in den Ateliers gemacht haben. Das wäre ein Missverständnis. Sie sehen also Ihre Aktivität im Atelier und Ihre Aktivität im »Creamcheese« als total getrennt. Absolut getrennt. Ich will jetzt ein Beispiel nennen: Wenn ein Pianist klassische Musik im Konzertsaal spielt, ist das eine Sache. Wenn dann der gleiche Musiker, nachdem er sein Konzert bestanden hat, anschließend noch ein Glas Wein oder Bier trinkt und dann Lust hat, Jazz zu spielen, ist das etwas vollkommen Anderes. Das ist mir sehr wichtig. Insofern finde ich den Versuch, diese Relikte aus dem Creamcheese in einem Museum aufzubewahren, geradezu grotesk. Das wäre die Logik, wenn alles, was wir dort gemacht haben, künstlerisch wirklich ernst gemeint gewesen wäre. Es war ein Teil unseres Lebens, einverstanden, aber es war der Teil, der nur für den Moment gut war, solange man jung war und Freude und Spaß hatte und gern tanzte und Musik hörte. Das war damals ein großes Erlebnis. Heute haben wir eine akustische Überforderung, aber damals gab es nur wenige Schallplatten, und wer die hatte, war der »King«. Man freute sich über jede neue Schallplatte,

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die dann hundert Mal gespielt wurde. Das muß man dabei bedenken. Man kann das mit heute nicht vergleichen. Sie haben gesagt, daß das Creamcheese ein Ort war, wo Sie zusammen mit anderen Künstlern und mit Künstlerfreunden ausgelassen feiern konnten und wo das Bürgerturm keinen Eintritt hatte. War dieses Bedürfnis von eigenen Räumen, die sich von den herkömmlichen unterschieden, mit dem Zeitgeist verbunden? Man denke an die Studentenrevolte … Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen dem Creamcheese und der Studentenrevolte. Ich möchte das sehr vorsichtig beantworten. Was ich mit Sicherheit weiß, ist, daß das Creamcheese ohne die ZERO-Ideen wahrscheinlich nicht zustande gekommen wäre. Die ZERO-Ideen haben doch dort sozusagen ein Forum gehabt, aber in einem weiteren Sinne. Z.B. haben wir – Uecker, Piene und ich – uns an einem Karnevalsumzug beteiligt. Das war – wenn ich das kurz sagen darf – einerseits gar nicht so außergewöhnlich, da die Kunstakademie Düsseldorf bereits im 19. Jahrhundert künstlerische Kreationen für den Karnevalzug geschaffen hatte. Anderseits stellte dieser Akt der Fröhlichkeit auch eine gewisse antibürgerliche Haltung im dadaistischen Sinne dar: Wir haben Kopfstand gemacht. Der ZERO-Geist war im Creamcheese zu Hause, er hatte dort Gastrecht, wenn man so will, aber es gab natürlich auch andere Künstler, die noch dazu kamen: Ferdinand Kriwet – er ist kein ZERO-Künstler gewesen – oder Gerhard Richter, der das große Wandbild im Entree gemalt hat. Es gab damals einfach nichts Anderes. Wir waren die einzigen, die den Wunsch hatten, etwas zu machen. Das hat natürlich inspiriert und das hat vielleicht auch den Gerhard Richter dazu angeregt, aber es gab auch Künstler, die sich dafür nicht interessiert haben, z.B. Joseph Beuys. Ich habe ihn nie dort gesehen. Er hat 1968 eine Aktion im Creamcheese durchgeführt. Ja, ja. Aber es gab beispielsweise wiederum Literaten, die dort Gedichte vorgelesen haben. Oder es gab Situationen, in denen zwei, drei Akteure einen dramatischen Dialog gelesen haben. Da ging es schon nicht nur um Tanzen und Biertrinken. Das Creamcheese wurde von Menschen genutzt, die – jetzt kommt es – nirgendwo sonst eine Chance gehabt hätten, das zu sagen und vorzuführen, was sie sagen bzw. zeigen wollten. Haben Sie außer der Theke etwas Anderes für das Creamcheese entwikkelt? Ich habe mich – wie am Anfang unseres Gesprächs angedeutet – an der Lichtgestaltung beteiligt, an dem Stroboskoplicht, an den Lichtimpulsen. Das Wesentliche war allerdings in der Tat die Theke. Davon sind nur ein paar Bleche übrig geblieben, die man jahrelang in irgendeinem Depot der Stadt Düs-

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seldorf gelagert hat. Als ich sie in Augenschein genommen habe, habe ich sofort gesagt: »Entsorgen!«. Da ist nichts mehr zu erkennen, was einmal von mir gemeint war. Einrichtung des Lokals Welche Wirkung hatte die Theke im Lokal? Sie bestand aus Edelstahl und aus Spiegelmaterial (aus Glasspiegel). Die Idee war, daß die Wand eine rhythmische Struktur wie eine Ziehharmonika bekam, um den lang gestreckten Raum zu dynamisieren, um ihm eine rhythmische Qualität zu geben. Auf diese Weise kam dieser enge Raum in Schwingung. Die Rhythmik der prismatischen Faltung war mir sehr wichtig: wenn Flaschen oder Gläser dort abgestellt wurden, dann multiplizierte sich alles. Die Umgebung wurde also optisch vervielfältigt. Die Wand, vor der diese große Theke stand, wurde dadurch vollkommen immaterialisiert. Denn alles spiegelte sich darin, nicht nur die Gläser, sondern auch die Menschen, die davor standen, und natürlich auch das Licht und die Bewegung. Wenn dort getanzt wurde – es wurde praktisch in der unmittelbaren Nähe getanzt – war das Ganze ein kinetisches Feld, in dem sich sehr viel kinetische Energie ausdrückte. Die durch die Wand dargestellte Grenze wurde dadurch quasi überwunden … Sie wurde vollkommen entmaterialisiert. Daran lag mir sehr. Das war auch eine Art Membran, eine Art Echowand zu dem, was im Raum passierte. Die Bewegung der Menschen, die dort standen und miteinander korrespondierten oder sich bewegten und tanzten, spiegelte sich in dieser Wand und wurde dort fast atomisiert. Alles wurde vollkommen in abstrakte rhythmische Bilder aufgelöst. Das war die Grundidee. Wurden Sie durch den Zen-Buddhismus und insbesondere die buddhistische Auffassung der Stille beeinflusst? Ja, das hat aber nur im Atelier eine Bedeutung gehabt. Mein Professor, Otto Köster, gab mir sehr früh, als ich gerade mal zwanzig Jahre alt war und kaum die Akademie betreten hatte, ein ganz kleines Büchlein und sagte mir, das sollte ich sehr ernsthaft lesen. Der Titel des Buches war: Zen oder die Kunst des Bogenschiessens. Es gab damals sehr wenig Literatur, die mich wirklich beeinflusst hat, aber dieses Buch hat mich doch sehr, sehr beeindruckt. Sie müssen sich vorstellen: Wenn ein kleines Buch damals publiziert wurde, dann standen die Leute Schlange – gerade nur, um die Gelegenheit zu haben, etwas zu kaufen. Das war die typische Nachkriegssituation. Eines der wenigen Bücher war von Worringer, Abstraktion und Einfühlung, ein außerordentlich wichtiges Buch. Das hat uns damals ein Bewusstsein vermittelt

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und uns sehr geholfen, in der Nachkriegssituation klare Gedanken zu entwikkeln. Diese beiden Büchlein waren von Bedeutung. Aber die Stille, die ich in meinem Atelier erfahren habe und die ich in meiner Arbeit damals zum Ausdruck gebracht habe – es gab auch mal eine Ausstellung in Holland, die Die Stille hieß, an der deutsche, holländische und französische Künstler beteiligt waren1 – hatte mit dem Creamcheese nichts zu tun. Creamcheese war das Gegenteil: Es war sozusagen die »Erholung von der Stille«. Auf einer Einladungskarte des Lokals taucht der Name Silvestrin im Bezug auf die »visuelle Einrichtung« auf. Können Sie mir sagen, worin sein Beitrag zum Creamcheese bestand? Ich weiß nicht mehr, was der Designer Danilo Silvestrin für das Lokal entwickelt hat. So wie Silvestrin, waren auch andere Leute vom Creamcheese angezogen. Es handelte sich meistens um Leute aus dem Bereich der Werbung, aus dem Bereich des Theaters und auch – ganz sparsam – aus dem Bereich der Zeitungen. Vor allem die Leute aus der Werbung verkehrten im Lokal. Düsseldorf hatte sehr früh nach dem Krieg den Ruf, die Kapitale der Werbung zu sein. Die Werbungsleute waren natürlich immer an neuen Ideen interessiert, und man hat dann vielleicht in solchen Tanzlokalen diskutiert. Können Sie sich daran erinnern, wer die Fernsehwand im Vorraum des Creamcheese entwickelt hat? Das weiß ich nicht. Man muß sich auch vergegenwärtigen: Das Fernsehen war, glaube ich, 1954 zum ersten Mal in einigen Häusern schwarzweiß zu erleben, es war ja noch ganz neu. Dieses Fernsehensemble war schon aufregend. Die aufeinandergetürmten Fernseher müssen zum Teil kaputt gewesen sein, das war second hand Ware, denn wir konnten uns unmöglich solche teuren Geräte leisten, und das Ehepaar Reinert, die Wirtsleute, haben bestimmt nicht das Geld dafür gehabt. Woran mir noch sehr liegt: In dieser Zeit gab es nur zwei Galerien in der Stadt der Kunst: die Galerie Schmela und die Galerie Pierre Wilhelm. Es gab so gut wie keine Aktivitäten in den Museen: sie waren Friedhöfe. Die Museumsleute waren froh, wenn sie ein expressionistisches Bild aufhängen konnten. Mit anderen Worten: Man nahm jede Gelegenheit wahr, um sich in der Öffentlichkeit bemerkbar zu machen, sich zu präsentieren. Ich habe z.B. vorgeschlagen, daß sämtliche Fenster in dem großen Kaufhaus Kaufhof von Künstlern gestaltet werden, und das ist auch einmal akzeptiert worden. Jeder Künstler (u.a. Jean Tinguely, Günther Uecker und ich) bekam ein Fenster und konnte es so gestalten, wie er wollte. Die Dekorateure, die dort tätig waren, 1 De Stilte von de Beweging, Rijksmuseum Kröller-Müller, Otterlo, 1968

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haben dann bei der Realisation geholfen. Ich fand es eine tolle Idee. Stellen Sie sich vor: ein riesig großes Kaufhaus mit fünfzehn riesig großen Fenstern und dahinter ein vom Künstler gestalteter Raum. Später habe ich das auch in New York, im Kaufhaus Sax, wiederholt. Das hat sogar in New York Folgen gehabt. Das war ein Versuch raus aus der Welt der Museen, rein in das wahre Leben, in die Realität zu gehen. Dieser Optimismus hat uns damals sehr beflügelt. Es ging sogar so weit, daß wenige Jahre später Denise Renee z.B. eine Ausstellung von Multiples, die zu einem sehr günstigen Preis verkauft werden konnten, im Kaufhaus gemacht hat. Also Kunst im Warenhaus, Kunst für Jedermann, preiswert zu haben. Da waren auch revolutionäre Ideen im Spiel, die schon bei den Russen zur Zeit der Revolution aufkamen. Kunst auf die Straße zu bringen. Und Creamcheese hatte etwas von diesem Spirit. Musealisierung Hat die Musealisierung diese Idee verraten? Vollkommen verraten. Es gibt einen amerikanischen Künstler, der lange Zeit in Berlin gelebt hat, Eduard Kienholz, der eine Bar aus Amerika vollkommen abgeräumt und wieder aufgebaut hat. Die Bar hatte eine sehr surreale, makabre Atmosphäre, als wäre ein Mord dort passiert. Dieses Werk war zwar von Anfang an als schöpferische Provokation gedacht, aber daß das im Museum aufgestellt wird – einverstanden. Aber Creamcheese, die Trümmer, die davon übrig geblieben sind, die kann man nicht musealisieren. Das ist idiotisch. Ich habe das sehr deutlich damals schon gesagt und meine Beteiligung abgelehnt. Ich hätte ja natürlich die Theke wieder rekonstruieren können, aber das wäre auch idiotisch gewesen. Wie würden Sie die Idee des Creamcheese in Erinnerung halten? Alles was man weiß, alles was man durch Zeitzeugen, durch Künstler, die damals beteiligt waren, durch Bürger unseres Landes, die das damals miterlebt haben, zusammentragen kann, sollte man wirklich festhalten. Aber jetzt kommt, was Heinz Mack dazu sagt: Das Ganze ist eine sehr reizvolle Legende, die den Charme einer Legende hat, aber man kann Creamcheese als einen Reflex, als eine Begleiterscheinung zu künstlerischen Bewegungen sehen, die damals hoch aktuell waren: nämlich ZERO und auch die Fluxus-Ära, die unmittelbar auf ZERO folgte. ZERO hat doch eine sehr interessante Wirkungsgeschichte. ZERO hat Fluxus beeinflusst. Fluxus ist ohne ZERO nicht denkbar. Auch alle minimalistischen Tendenzen, die bis heute reichen, sind letztlich von ZERO antizipiert, vorweggenommen oder eingeleitet worden. Creamcheese hatte die Bedeutung – ich kann es nur wiederholen –, daß Künstler dort Gelegenheit hatten, gute Laune zu haben. So positiv möchte ich das mal ausdrücken. Und wenn Künstler gute Laune haben, dann kommt immer etwas dabei heraus, was irgendwo künstle-

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risch interessant ist. Aber es muß nicht gleich große Kunst daraus werden, die man dann in ein Museum hängt. Das muß man ganz deutlich dazu sagen. Haben Sie die neue Präsentation des Creamcheese im museum kunst palast gesehen? Die neue Präsentation habe ich wohl nicht gesehen. Aber die Präsentation, die ich gesehen habe, war ein Friedhof, es war alles tot. Das hatte überhaupt keinen Reiz für mich, wirklich, wie tote Gegenstände. Das war eine Art Sarglager. 3. Interview mit Günther Uecker, 18. April 2003 Atelier des Künstlers, Düsseldorf Konzeption des Lokals Sie haben 1962 in Zusammenarbeit mit Sauerbier ein Projekt für das Theaterstück Reisetheater entwickelt. Inwieweit diente dieses Projekt als Vorlage für das Konzept des Creamcheese? Das Reisetheater hat sich aus den Filmarbeiten entwickelt, die wir gemacht haben. Es war eine Erweiterung dieser Filmmöglichkeiten. Wir stellten einen Totalraum her, der auf allen Seiten mit Bildern durch Projektionen versorgt war. In diesem Raum befanden sich die Menschen auf einer Scheibe, die von anderen Menschen gedreht wurde, und warfen Schatten in diese Welt der Bilder, so daß diese Schatten wie eine Prozession um die Wände liefen. Das Reisetheater hatte zum Thema, daß man sich nach fernen Welten sehnte. Wir haben Reisematerial aus Prospekten verwendet und diese Sehnsuchtsvisionen auf die Wände projiziert. Die Schatten der Leute, die sich auf der drehenden Scheibe befanden, wanderten durch diese Palmen- und Strandwelten einer traumhaften Südsee. Aus diesen Reiseprospekten verwendeten wir sowohl Textmaterial – das war die Arbeit von Sauerbier –, als auch Bildmaterial. Die Collage von Textmaterial war das gesprochene Stück, während das Bildmaterial mit dem kinetischen Raum, der rundherum mit Projektionen versorgt war, das Visuelle … Mich interessiert, wie diese Ideen, die im Theater nie realisiert wurden, möglicherweise im Creamcheese verwirklicht wurden. Welche Aspekte konnten Sie von dieser ursprünglichen Idee im Creamcheese umsetzen? Im Creamcheese haben wir Filmmaterial auf die Wände projiziert. Der Ausgangspunkt des Creamcheese war eigentlich, eine Aktionskneipe zu machen. Diese Aktionskneipe sollte uns auch ein Forum für Vorführungen von Filmen sein, die wir selber hergestellt hatten. Mommartz, der damals in Düs-

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seldorf als junger Filmer interessante Filme machte, war auch beteiligt. Wir haben viele unserer Freunde eingeladen, im Creamcheese aufzutreten. Sie konnten auf den sehr großen weißen Wänden des Lokals unsere Filme und Ausschnittmaterial sehen. Zu dieser Zeit gab es in Deutschland eine Filmkontrolle, die brutale oder auch sexuelle Szenen aus den Filmen herausschnitt, damit sie der Öffentlichkeit nicht vorgeführt werden konnten. Wir kamen durch einen Freund an dieses Filmmaterial heran und haben diese Ausschnitte dann auf die Wände projiziert. Dazu kam eine Reihe von Aktionen, zum Beispiel die erste Ausstellung von Klaus Rinke: da waren so viele Leute, daß wir fast Kopf an Kopf standen, und über die Köpfe hinweg haben wir die Skulpturen von Klaus Rinke weiter gereicht. Plastische Werke aus Kunststoff, die nicht so schwer waren und so mit den Händen weitergegeben werden konnten, wanderten in das Lokal hinein. Die Ausstellung fand – in der Bewegung bis in den hinteren Raum und dann wieder nach vorne aus dem Raum raus – über den Köpfen statt. Wir haben hinten Kameras gehabt, wie Infrarotkameras. In dieser Zeit trug man Unterkleider aus Nylon. In der Mitte des inneren Raums befand sich ein hohes Podest aus Metall. Darauf tanzte man, und dahin wurden die Filme projiziert. Nachdem alle sich in Aktivität versetzt hatten und beim Tanzen ins Schwitzen geraten waren, haben sie sich dann überall gekratzt. Ich habe also mit der Kamera die Hände verfolgt, wie man sich an dem Büstenhalter kratzt und wieder zurechtrückt. Das Ganze haben wir vorne auf einer sehr großen Fernsehwand, d.h. auf einer Wand mit vielen Monitoren, übertragen. Wenn man rein kam, sah man also nur die Hände, die an Körperteilen kratzten. Das sah sehr erotisch aus. Könnte man das Podest, das in der Mitte des Tanzraums stand, mit der Scheibe vergleichen, die Sie für das Reisetheater geplant hatten? Ja, das wohl. Die Scheibe war ja ein Mobilgegenstand, und auf diesem Podest wurde sehr intensiv getanzt. Auf der Scheibe sollte man eigentlich nur stehen: Die Bewegung wurde dadurch erzeugt, daß sich die Scheibe drehte. Im Creamcheese tanzte man ja intensiv, deswegen musste man einen stabilen Untergrund haben. Wir haben das Podest aus Metall gemacht, auch damit kein Brand entstehen konnte. Das war ganz wichtig: Man rauchte viel und trat die Zigaretten aus, und sie lagen herum. Am Abend kamen manchmal zweitausend Menschen, weil das, was wir dort aufführten, so besonders war. Außerdem machten wir Lesungen aus den Fenstern der ersten Etage auf die Straße, zum Beispiel Poesielesungen mit Kriwet und anderen Freunden. Nicht nur in dem Lokal fand also eine enorme Aktivität statt, sondern auch auf der Straße. Wir hatten auch die erste Lichtreklame in den Fenstern: Das war zu der Zeit nicht erlaubt …

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Sowohl im Projekt für das Reisetheater als auch im Creamcheese-Manifest (13.02.1968) haben Sie geschrieben: »Ich will eine Gesellschaft auf der Flucht vor sich selbst am Ort ihrer Wünsche zeigen.« Sollte dieser Satz im Sinne der Flucht von Jean-Paul Sartre interpretiert werden? Unter den jungen Leuten – wir waren Studenten damals – wurde Jean Paul Sartre verehrt: Er vermittelte uns, daß man eine existenzielle Erfahrung machen konnte, wenn man von den finanziellen Bedingungen unabhängig war, die in Arbeitsverhältnissen entstehen, und einfach auf sich selbst gestellt war. Diese mit der Welt verbundene Erfahrung wurde als eine Form von Reichtum wahrgenommen. Die Verpflichtung einer ökonomischen Gemeinschaft gegenüber wurde in Frage gestellt. Da ich aus der DDR kam, wo mir fast das Gehirn gewaschen wurde, war mir die Unabhängigkeit von ökonomischen Verhältnissen sehr wichtig. Wir glaubten, der auf sich selbst gestellte, Unhabhängige konnte seine eigenen Erfahrung machen, und das haben wir praktiziert: Ich bin mit dem Fahrrad oder per Autostop nach Paris gefahren, wir haben draußen geschlafen wie Clochards, wir maßen uns auch an Clochards, ich habe unter Brücken gelegen und dann haben wir Kisten von den Gemüseleuten, von den Händlern geholt und sie als Unterlagen verwendet, wir haben uns auch wochenlang nicht gewaschen, um zu sagen: Man kann auf alles verzichten. Ich dachte, der Körper reinigt sich selbst. Ich komme vom Bauernhof, deswegen wusste ich: Wenn die Tiere gut ernährt sind, haben sie ein glänzendes Fell, und man braucht sie nicht zu waschen. Das waren Experimente der Studentenzeit, als ich zwischen 24 und Ende 20 war. Durch die eigenen Erlebnisse und den Kontakt mit anders denkenden und anders lebenden Menschen erfuhr man etwas mehr von der Welt, als aus der Sicht einer Gesellschaft, die sich im mittleren Bürgerturm befand. Die Herausforderung, existenzielle neue Gründe an sich selbst zu erleben, kam auf der einen Seite von Sartre. Anderseits stellte Bertrand Russel in England auch eine ungeheure moralische Position dar. Das waren in den fünfziger Jahren die Pole, zwischen denen ich mich gedanklich, experimentell und auch physiologisch bewegte. Später waren das Erfahrungen in New York oder Amsterdam, wo man mit anderen Menschen in Berührung kam, besonders – aus den fünfziger Jahren herrührend – mit den Emigranten, die einem etwas über die eigene Herkunft in dem Aufbruch des 20. Jahrhunderts vor der Hitler-Zeit vermittelten. Auf diese Weise wurden uns Informationen übermittelt, die sonst verschütt gegangen wären, weil die Bücher über diese Zeit in Deutschland entweder vernichtet oder unzugänglich waren. Es war sehr schwierig, Dokumente zu finden, die die Zeit des Aufbruchs des 20. Jahrhunderts zum Inhalt hatten. Durch die Wiederentdeckung dieser Zeit begriffen wir uns in der Gegenwart als unabhängig von den Menschen, die wir als Mörder ansahen. Sie existierten stumm und dialoglos: Sie redeten nicht mit uns und hat-

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ten sicher auch psychische Probleme, weil sie im Krieg gewesen waren und Dinge erlebt hatten, die wir gar nicht nachvollziehen konnten. Im Alter zwischen dem 15. und dem 21. Lebensjahr war ich stark von dem Gedanken geprägt, lieber tot zu sein, also lieber mit denen »nicht zu sein«, die im Krieg umgekommen waren oder in den Konzentrationslagern vergast worden waren, als mit denen zu leben, die als Mörder überlebt hatten. Diese Todessehnsucht, im Sinne des Suizids, prägte mich bis zum 21. Lebensjahr und wurde dann noch durch den Umstand bestärkt, daß 1950 der Koreakrieg anfing. Daß wieder ein Krieg möglich war, war ein großer Schock. Ich war noch in der DDR zu der Zeit. Das war zutiefst erschütternd. Als ich mit 24 in den westlichen Teil Europas ging, band ich mich sehr stark an die Emigranten und an Andersdenkende besonders der linken Szene an, so daß über Amsterdam, London und dann New York eine Beziehung zu solchen Menschen entstand. Auch zu Frank Zappa, der damals gerade seinen Abschluss gemacht hatte und zum ersten Mal nach New York kam und spielte. Ich konnte in Basel Lyserg Säure Diäthylamid bekommen, das gerade erfunden worden war (Hoffman LaRoche), und wir haben uns mit Chemikalien (mit LSD) angetörnt. Timothy Leary predigte, man könnte mit Hilfe chemischer Mittel die Gehirnvorgänge – wie man sagte – erweitern, das Selbstbewußtsein entwickeln, und Erfahrungen über die Sensitivität machen. Das führte natürlich zu einem Desaster auch bei mir, aber das war auch eine wichtige Erfahrung. All diese Vorgänge führten dazu, den Menschen einen Ort zu geben, die in einer eigenen Orientierungswelt lebten. Erst wollte ich diesen Ort »Dingsbums« nennen, um ihm einen deutschen Titel zu geben. Dann kam aber die Beziehung zu Frank Zappa, mit dem ich in New York in der 8th Street sehr lange verkehrte, und ich nannte den Ort Creamcheese. Auch mit Warhol hatte ich eine enge Beziehung. Die Inspiration, die ich in diesem Kontext wahrnahm, stand in einer Wechselwirkung. Meine erste Einzelausstellung in New York fand 1964 statt. Wechselwirkungen und Inspirationen waren grenzübergreifend. Sie waren auch Grundlage des eigenen Tuns, um sich selbst aus der Befangenheit eines deutschen Psychodramas oder Lethargie zu befreien. Man versuchte mit enormem Arbeitsaufwand einen wirtschaftlichen Erfolg, »Kriegsgewinnlereien« zu erreichen, in der Unbewußtheit, vielleicht doch etwas zu gewinnen. Also man hat ja nicht »Kriegsende« gesagt, sondern es war ein »Zusammenbruch« und aus dem »Bruch« – aus den kaputten Steinen – hat man dann ökonomisch gesiegt. Das nannte man »Wunder«. Aus dieser Atmosphäre ist das Creamcheese entstanden, aus dem Wille, jungen Leuten und besonders Künstlern einen Ort zu geben. Ich habe mich sehr intensiv bemüht, alle dort hinzuziehen, auch Richter zu überzeugen, ein Bild zu malen, wenn er sonst keine Aktionen machen wollte. Es war eine ungeheuer intensive Zeit. Das waren die Hintergründe.

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Sie wollten auch anderen diese Erfahrungen vermitteln … Ja, ja, das war dann auch eine psychische Beeinflussung. Ich habe damals auch mein ›Terrororchester‹ entwickelt, das aber im Creamcheese nicht zum Einsatz kam. Ich führte es 1968 in der Kunsthalle Baden-Baden auf. Es handelte sich um Maschinen, die Krach machten. Auch das Creamcheese machte viel Krach, also alles, was wir da produzierten, war auch eine Parallele dazu. In Ihrem Teil des Creamcheese-Manifests fällt eine Wörterreihe auf, die auch auf einer Einladungskarte des Lokals zu lesen ist: »Licht Terror Blitz Aktion Schall Stille«. Diese Begriffe scheinen mir grundlegend, um das Konzept des Creamcheese zu verstehen, deswegen würde ich gerne ihre Bedeutung vertiefen: Das LICHT war schon für die Gruppe Zero wesentlich gewesen. Wie haben sich ihre Verwendung und Bedeutung im Rahmen des Creamcheese-Konzeptes verändert, im Vergleich z.B. mit den Lichträumen? Der Unterschied war, daß wir im Creamcheese nicht versuchten, meditative Räume im Sinne der poetischen Kraft des Lichtes zu realisieren, wie wir mit den »Salons de lumière« – wie wir diese Räume nannten – im Stedelijk Museum in Amsterdam, in Den Haag, in Arnheim oder auf der documenta III gemacht hatten. Der dynamische Ort, den ich erst Dingsbums und dann Creamcheese nannte, war eine Herausforderung, direkt mit den Besuchern zu agieren, sie in Zustände zu versetzen, die bisher unerhört waren. Ungesehenes strömte in sie ein, um sie zu verwandeln, um so etwas wie »Exiting« und Entgrenzung herbeizuführen. Die Impulse und die Emotionen entwickelten sich dann zu einem Ballet, man bewegte sich. Die persönliche Dynamik wurde herausgefordert. Die Beeinflussung von Gruppen: Das war für mich eben faszinierend, daß man durch bestimmte Musiken und optische Eindrücke, durch Krach, Wind und stroboskopisches Licht alles in ein infernalisches Ereignis verwandeln konnte. In diesem Prozess entstand eine Körperschaft, ein Kollektiv, das sich gebärdend, tanzend und agierend eine dynamische Skulptur (wie im Futurismus) bildete. Die Besucher erlebten eine Wechselwirkung zwischen dem individuellen Beitrag und der Furiosität des gesamten Ereignisses. Sie wurden in eine zeitlich begrenzte Psychose versetzt. Sie haben den »TERROR« schon angedeutet: Es ist ein Element, das den feierlichen Aktionen und den eher kontemplativen Arbeiten der Gruppe Zero fremd war. Hat die Verwendung dieses Begriffs, obwohl von Ihnen bestimmt friedlich gemeint, mit der neuen gesellschaftlichen Situation der späten sechziger Jahre (Stichwort: Studentenrevolte) zu tun? Es ist sehr schwierig diese Erscheinungen zu verbinden, denn es gab in den sechziger Jahren eine Reihe von Aktivitäten verschiedenster Art von verschiedenen Gruppierungen und Künstlern, die man erst später als ein gemeinsames Phänomen der Geschichte jener Zeit begriff. Es handelte sich zu-

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erst um voneinander unabhängig agierende Gruppen, die dann in ihren Aktivitäten aufeinander stießen, so daß bewusst wurde, daß es ein Zeitphänomen war. Es wurde gegen eine Gesellschaft protestiert, die sich selbst durch den Wiederbeginn der Kriege (besonders in Vietnam) zerstörte. Ich bin nach Kambodscha gefahren, wo die B 52 Bomber aufstiegen, und dann auch nach Laos, wo bombardiert wurde. Das waren für mich ganz wichtige Ereignisse. Ich war immer viel unterwegs. Der Grund des Reisetheaters war nicht nur, hier alles aufführen zu wollen, was in der Welt geschieht, worüber auch die Studenten in den sechziger Jahren viel reflektierten. Ich reiste auch zu den betroffenen Orten, um die Besonderheit dieser beklagenswerten Umstände an mir selber zu erleben. Das war noch ein Grund, eine Haltung einzunehmen und davon zu künden, daß die Gesellschaft sich selbst zerstörte, indem sie sich aus Unverstand in kriegerischen Handlungen und Tötungsmaßnahmen an anders Denkende wandte. Das Aufbegehren war wohl allgemein, betraf alle jungen Menschen in jener Zeit. Die Besonderheit zeigte sich aber in den Möglichkeiten des künstlerischen Ausdrucks. Ein Künstler kann so etwas leichter kompensieren als jemand, der es nur gedanklich tut und der demonstriert und der es sprachlich zum Ausdruck bringt. Ein Künstler kompensiert es auf andere Art und Weise: Eine der Möglichkeiten war, dieses Creamcheese zu machen, eine Möglichkeit war auch, als Künstler Werke herzustellen, die mahnend sind, die Anklage sein können, die – wie wir gedacht haben – aufklärerisch sein können, die anschaulich machen, was für Gefahren durch die Verletzung des Menschen durch den Menschen bestehen. Das war auch ein allgemeines Thema. Was ist mit »BLITZ« in der erwähnten Wörterreihe gemeint? Der Blitz ist einfach »enlightening«. Er fährt in Dich hinein wie ein Pfeil, er kann auch ein Liebespfeil von Amor sein. Ist das mit dem Elektrischen Garten verbunden? Ja, ich baute Geräte zu der Zeit, hochfrequenzstromerzeugende Generatoren, die Blitze durch den Raum führten. Man konnte selber eine Körperschaft sein, über deren Haut die Blitze gingen, weil eine solche Frequenz nicht über den Körper hineingeht. Es gibt auch eine Filmsequenz, die von Bonino im WDR gemacht wurde, in der ich Blitze in meinen Körper und über die Haut hinweg abfahren lasse. Es handelte sich um Experimente, skulpturelle Vorstellungen auf Körperlichkeit, aufs Leben zu übertragen. Zur AKTION: Die Gruppe Zero hatte bereits 1961-62 verschiedene Aktionen mit intermedialem Charakter organisiert. Inwieweit kam Ihnen diese Erfahrung bei der Konzeption des Creamcheese zugute? Wir hatten schon wie in einem Laboratorium Ereignisse durchgeführt, die

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mit der Öffentlichkeit zu tun hatten, wie Ausstellungen und Aktionen, etwa die Aktion 1961, bei der ich die Straße vor Schmelas Galerie als eine neutrale Zone weiß strich. Diese Laborversuche, mit Öffentlichkeit umzugehen und menschliche Reaktionen mit einzubeziehen, waren alle Vorläufer für diesen Ort, den wir Creamcheese genannt haben und wo diese Ereignisse sich verdichteten und weiterhin experimentell aufgeführt wurden. Sie haben im Atelier Mary Bauermeister in Köln verkehrt. Dort wurden zwischen 1960 und 1961 verschiedene Veranstaltungen organisiert, die einige Grundprinzipien von Fluxus antizipierten. Inwieweit wurden Sie im Bezug auf das Creamcheese durch diese Veranstaltungen und durch Fluxus inspiriert? Das war eine Wechselwirkung, die auch in meinen Zeichnungen zu erkennen ist. In den fünfziger Jahren habe ich einen Zyklus für John Cage (Optische Partituren) gemacht. In Donaueschingen oder im Nachtstudio im WDR, im Radio, wurden Ereignisse von Nam June Paik, George Breucht, wie auch von Pierre Boulez, Wiederaufführungen von Edgar Varese und Interpretationen von Klaus Metzger, ein wichtiger Interpret der Musik des 20. Jahrhunderts, aufgeführt. Dort ging ich regelmäßig hin, um diese Besonderheiten zu hören. Das hat mich schon sehr inspiriert, weil ich immer eine sehr starke Beziehung zur Musik hatte und habe, wie auch die Bühnenausstattungen zeigen, die ich später für das Musiktheater gemacht habe. Die Erfahrungen aus Donaueschingen oder in Köln, bei Bauermeister wie auch im WDR, und dann die späteren Erfahrungen in anderen Städten wie New York waren sehr bestätigend und inspirierend. Darf man »BLITZ« und »AKTION«, die in der Wörterreihe auf der erwähnten Einladungskarte nebeneinander erscheinen, auch als Kompositum »BLITZAKTION« lesen? Ja, d.h. die Geschwindigkeit so stark zu steigern, daß man durch die Wand gehen kann. Das kennt man ja auch vom Zerschlagen von Materialien, wie wenn man eine Schnur zerreißen muss: Wenn man schnell genug sein kann, kommt man durch alles (auch durch Wände) hindurch. Geschwindigkeit gepaart mit Energie: Das dringt durch alles hindurch. Daß der SCHALL eine wichtige Rolle im Creamcheese spielte, ist klar (laute Musik, Windmaschine, usw.). Wie ist aber die STILLE in diesem Zusammenhang zu interpretieren? Die Stille setzte eigentlich erst ein, wenn man erschöpft war und wenn das unaufhörliche dann gestoppt wurde. Das Ereignis im Creamcheese ging sehr dynamisch bis in die Nacht. Irgendwann musste das Lokal aber schließen, so daß ein Abbruch eintrat. Danach folgte die Stille. Sie wurde nicht in-

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szeniert. Wir haben wohl mit Akustik-Abbrüchen gearbeitet, so daß Intervalle oder Zwischenräume entstanden. Aber im Creamcheese war alles so dramatisiert und so turbulent und obsessiv, daß man nicht von kontemplativer Wahrnehmung sprechen kann. Das war einfach ein »außer sich sein«. Die Stille im Zero-Manifest war als Leere verstanden. Ich habe den Eindruck, daß die Stille im Creamcheese dagegen als ›Fülle‹ auftrat, im Sinne von John Cage … 1961 habe ich schon in einem Interview mit Hans Strelow gesagt, daß wir wahrnehmen müssen, daß es außerhalb unserer poetischen Vorstellungen eine andere, blutige Welt gibt. Ich habe schon damals angefangen, Möbel zu übernageln. Meine ästhetischen Kategorien, die ich sonst in Bildformaten formulierte, waren somit über die Alltagsgegenstände geflutet. Bildnerische Strukturen, die für die Rezeption in einer Galerie gültig waren, wurden jetzt auf die banale Welt übertragen, in der Menschen mit ihren Gebrauchsvehikeln wie Sesseln, Stühlen, Tischen, Schränken Fernsehern und Pianos lebten. Die ästhetischen Kategorien, die ich experimentell in der poetischen Form der Stille und der kontemplativen Wahrnehmung erarbeitet hatte, wurden dann über die rohe Welt entwickelt und mit der Banalität und Vulgarität des Lebens verzahnt. Die Gebrauchsgegenstände, die ich wie einen afrikanischen Fetisch ansah, wurden mit eindringlichen Dingen wie mit Nägeln versorgt. Indem ich in die wirkliche Welt eintauchte, verband ich das Banale mit dem Erhabenen und versuchte, meiner künstlerischen Intention eine größere Realität zu geben. Die banalen Gegenstände, wie das Auto oder die Altarecke mit den Fotos und dem Fernseher, die man wie Kultgegenstände putzte und polierte und wachste, kamen jetzt in Berührung mit meiner künstlerischen Intention. Ich verwendete diese Welt als meine Ausdruckswelt. Einrichtung des Lokals Einen Benagelten Fernseher gab es auch im Creamcheese. Wo stand er? Er stand am Eingang, aber er ist total zerrupft worden. Die Dinge, die ich dahin brachte, sind zum großen Teil auseinander genommen worden. Teile davon wurden als Souvenirs mitgenommen. Nichts blieb gut erhalten. Ja, ich habe gelesen, daß die Besucher des Lokals allmählich die Nägel vom Fernseher weggenommen haben. Ist dieses Kunstwerk nicht mehr erhalten? Doch. Dieses Uecker-TV, dieser benagelte Fernseher existiert also noch … Ja, es existiert. Es gab – glaube ich – drei Versionen davon. Zwei existieren noch.

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Das Kunstwerk, mit dem Sie das von den Besuchern »zerrupfte« UeckerTv ersetzten, war Elektrischer Garten. Welches elektrische Instrumentarium besaß der große Nagel ursprünglich? Jetzt ist es nur ein leerer Käfig. Ursprünglich enthielt er aber ein Hochfrequenzaggregat, das Blitze erzeugte, und Leuchtstoffröhren, die leuchteten, wenn dieses Hochfrequenzaggregat anging. Durch die Luft kann man dieses Leuchtgas so beeinflussen, daß es ohne Kabelanschluss leuchtet. Konnte man die Geräusche der elektrischen Impulse hören? Ja, das war eine hohe Schnarrung. Das Kunstwerk war also auch ein Klangobjekt … Ja, es machte einen schrecklichen Ton. Welche Rolle spielten die Blitze für die Bedeutung des Kunstwerkes? Energie wurde wahrnehmbar. Die plastische Gestalt des Kunstwerkes war nicht an festes Material gebunden, wie an Holz oder Stein, sondern eine elektrische Energie bildete eine Gestalt, die sich dauernd änderte. Eine Skulptur, die keine feste Materialität hatte, wurde sichtbar, machte Krach und verhaderte sich im Raum. Hat das Kunstwerk ohne Hochfrequenzapparat und Leuchtstoffröhren noch eine künstlerische Bedeutung? Es ist jetzt nur eine Chiffre, eine ›Einsamkeit‹. Sie haben aber auch große Nägel als eigenständige Kunstwerke gemacht … Ja, einzelne, die ich dann getragen und mitgenommen habe … Das Gitter vor dem Nagel weist in der Mitte Spuren einer weißen Bemalung auf. Welche Funktion hatte dieser Anstrich? Ich kann mir vorstellen, daß der Rest einer Aktion da hänggeblieben ist … Sonst weiß ich das nicht zu beantworten. In der unmittelbaren Nähe meines Objektes hatte Konrad Fischer eine Phosphorwand gemacht, die mit kurzem Aufblitzen angestrahlt wurde. Wenn man vorbeiging, fixierte sich sein Schatten über längere Zeit an der Wand und verblasste dann wieder. Die Wand war mit Phosphor bemalt, wie man es früher in Uhren hatte. Er nahm das Licht auf und leuchtete. Es kann sein, daß Restspuren irgendeiner Aktion auf dem Gitter geblieben sind, die nicht von mir herrühren, sondern von gemeinsamer Arbeit.

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Spuren, die auf ähnliche Weise einen Streifen bilden, befinden sich auch auf dem Gitter der Windmaschine. Ich hatte gedacht, daß sie vielleicht eine optische Funktion haben könnten, daß eine optische Wirkung mit dem Licht entstehen würde … Nein, es kann nur ein Happening oder ein anderes Ereignis gewesen sein, das Spuren zurückgelassen hat. Wer hat die Fernsehwand im Vorraum des Lokals entwickelt? Die Fernsehwand habe ich mit der Infrarotkamera gemacht, die ich am Anfang beschrieben habe, und mit Fernsehapparaten, die durch diese Kamera versorgt wurden. Sie wurden also nicht durch das Abspielen von Filmen versorgt, sondern durch die Kamera, mit der ich agierend durch das Lokal ging und die Leute aufnahm. Man konnte vorne immer sehen, was hinten geschah. Das zog die Leute rein. War das eine Anspielung an die Filme von Andy Warhol? Aber das sind ja alles Parallelen, alles Wechselwirkungen. Auf einer Einladungskarte taucht der Name (Danilo) Silvestrin auf … Das war mein Assistent. Er war Architekt und kam aus Bozen, glaube ich. Er war Italiener. Sein Name stand im Zusammenhang mit der visuellen Einrichtung des Lokals. Was hat er gemacht? Nein, er hat nur als Architekt und mein Assistent das Podest zum Tanzen gebaut. Es musste für die Schreiner gezeichnet werden und sollte belastbar genug sein, um viele Menschen zu halten. Aus diesen statischen Gründen musste es von einem Architekten gezeichnet werden. Es war für mich sehr hilfreich, daß ich Silvestrin als Architekten und meinen Assistenten verwenden konnte. Vorne hatten wir auch ein Podest. Hat er sowohl das Podest im Vorraum (die sogenannte Pyramide) als auch das Tanzpodest gezeichnet? Die hat er nach meiner Vorstellung gebaut, aber entworfen habe ich sie. Er war mein Assistent. Ferdinand Spindel machte ein Schaumstoffobjekt für das Creamcheese … Ja, er machte etwas Weiches. Wir dachten, es kann eine Gummizelle sein. Ja, er hat eine weiche Skulptur dort gemacht.

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Und wo war das? Das war gleich am Eingang. Wenn man dagegen lief, war das ein rosa Schaumstoff, den er verwurschelt hatte. War das aufgehängt? Nein, das war auf die Wand getackert. Er hatte Schaumstoff genommen und ihn an einigen Stellen zusammengedrückt und so an die Wand getackert, daß der Rest, der nicht an der Wand befestigt war, sich herausbeulte und Wülste bildete. Daniel Spoerri hängte dagegen eine Theke an die Decke … Ja, er hängte sozusagen einen schmalen Tisch so wie eine Bar unter die Decke … Das Objekt besteht aus zwei Platten: Wurden beide am gleichen Abend bei der gleichen Aktion gehängt? Ja, sie gehörten zusammen, zur gleichen Aktion. Sie waren zuerst auseinander, und dann wurden sie aneinander montiert. Spoerri stellte sie auf die Bar, und dann fixierte er darauf, was am Abend geschehen war. Das Creamcheese auf der 4. documenta (1968) 1968 haben Sie und Lutz Mommartz das Konzept des Düsseldorfer Creamcheese auf der 4. documenta umgesetzt (documenta-Club in der Orangerie). Können Sie mir die Kasseler Version des Creamcheese beschreiben? Da haben wir zwei große Leinwände einander gegenüber gestellt und in der Mitte ein Podest aufgestellt. Lutz Mommartz hatte mit zwei Kameras eine Kissenschlacht gefilmt. Die zwei Filme nahmen die Kissenschlacht von zwei Seiten auf. Wir haben beide Filme je auf einer Leinwand aufgeführt. In der Mitte haben wir dann eine reale Kissenschlacht durchgeführt, so daß der Film eine plastische Realität bekam. Das Thema war das gleiche wie im Film und wurde von den gleichen Leuten gespielt. Auf einer Seite stand die Windmaschine und blies die Federn der Kissen herum. Es gab also zwei Aufnahmen desselben Ereignisses und dann noch mal das gleiche Ereignis als Original. Waren die Wände schwarz? Sie waren dunkel, glaube ich. Es kann gut sein, das sie schwarz waren. Im Raum befanden sich dann die zwei großen Leinwände. Und es gab auch ein Podest in der Mitte, wie Sie gesagt haben. Was war noch ähnlich wie im Creamcheese?

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Abgesehen vom Film, den Mommartz gemacht hatte, brachten wir nach Kassel Gegenstände und Ereignisse aus dem Creamcheese mit. Das genaue Programm weiß ich nicht mehr. Über die gesamte Zeit der documenta hinweg fand jeden Tag etwas statt. Waren Ihre künstlerischen Intentionen dieselben wie in Düsseldorf, oder gab es in Kassel eine Bedeutungsverschiebung? Nein, das war eine Variation. Arnold Bode, der damals Leiter der documenta war, hatte das Creamcheese gesehen und es sensationell gefunden. Er lud mich also ein, das Creamcheese auf der documenta einzurichten. Was im Lokal eingerichtet war, ließ sich aber nicht wiederholen, deswegen habe ich in Kassel eine Variante des bestehenden Creamcheese in Düsseldorf gemacht. Musealisierung Das Creamcheese war ein alternativer Ort, wo Kunst außerhalb der traditionellen Institutionen gezeigt werden und mit dem Leben verschmelzen konnte. Inwieweit hat die Musealisierung des Creamcheese diese ursprüngliche Idee verraten? Das passierte zuerst durch den Besitzer. Das Creamcheese führte zu einem großen Umsatz und wurde sehr kommerziell. Es verkam in Mode. Ich konnte eigentlich nur die ersten zwei, drei Monate da agieren. Das erschöpfte sehr. Da ich im Lokal alles umsonst gemacht hatte, hatte ich auch mein eigenes Werk noch zu tun und so konnte ich mich dem Creamcheese nicht länger widmen. Es wurde sehr modisch. Eine Hippie-Kultur drang ein. Es wurden Dias gemacht, die Farben aufblitzen ließen. Der ganze Hippie-Kitsch breitete sich in Verbindung mit leichten Drogen aus. Ich distanzierte mich davon. Das Lokal ging dann zugrunde. Die Qualität voller Gehalte, die am Anfang erkennbar war, und die von vielen Künstlern mit großem Engagement gepflegt wurde, verkam dann in der Kommerzialität von Kunst und Kitsch. Wie ist es dazu gekommen, daß das Kunstmuseum die Objekte des Creamcheese erworben hat? Ich habe keine Ahnung davon. Ich finde es unmöglich, daß diese Arbeiten verkauft wurden, denn die Künstler hatten nichts dafür bekommen. Hinterher hat der Besitzer das Creamcheese zuerst zu Geld gemacht, und dann ist er pleitegegangen. Damit habe ich nichts zu tun. Das ist sehr, sehr traurig eigentlich. Kennen Sie die aktuelle Präsentation der Objekte? Nein, die habe ich nicht gesehen.

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Sie haben 1970 für ein Museum als »Ideenkammer« plädiert. Welche Form der Dokumentation wäre geeignet, um die ursprüngliche Idee des Creamcheese in Erinnerung zu halten? Das kann nur noch durch die Dokumente erfolgen, die noch vorhanden sind. Es gab einige Filmaufzeichnungen. Peter von Zahn machte zum Beispiel etwas sehr Interessantes, das er in der Serie von Filmen, die er unter dem Titel Windrose in Hamburg machte, präsentierte. Außerdem wurden Aufzeichnungen vom WDR gemacht. Eigentlich kann man etwas nur authentisch zusammenstellen, indem man nachforscht und die Beteiligten fragt, ob sie Fotos haben. Dieses kriminologische Suchen und Finden ist der einzige Weg, um die Authentizität zu bewahren. Es ist noch genügend vorhanden, weil viele Leute im Creamcheese beteiligt waren. Auch Kriwet wird einiges haben, ich habe auch einiges. Man könnte sozusagen ein Zeitdokument durch Zeitzeugen und durch Belege herstellen. MuseumsTheater Die Atmosphäre des Lokals und seine theatralischen Aspekte sind im Museum verlorengegangen. Haben Sie 1993 die von Reinhold Tritt inszenierte Theaterperformance Creamcheese – a tribute to the sixties gesehen? Nein, nein. Ich wollte damit gar nichts zu tun haben. Ich wurde gebeten, einen Beitrag dafür zu leisten, aber das Creamcheese ist – genau wie Zero 1966 – historisch geworden. Im Theater wird ein Stück jedes Mal neu interpretiert. Das Creamcheese hatte viele theatralische Aspekte … Ja, wir haben dort auch Theaterstücke aufgeführt. Theaterstücke wurden dort aufgeführt, das Konzept des Lokals war auch mit einem Theaterstück (dem Reisetheater) verbunden, Künstleraktionen fanden regelmäßig in der Kneipe statt, die Besucher konnten sich durch Tanz und Bewegung selbst inszenieren usw. … Sie arbeiten viel für das Theater. Sehen Sie in den Mitteln des Theaters eine Möglichkeit, die Atmosphäre der Kneipe durch eine neue Interpretation zu vermitteln? Im Verlauf meiner künstlerischen Arbeit arbeite ich weiter für das Musiktheater. Jetzt mache ich den Wilhelm Tell in der Schweiz. Es sind 200 Jahre vergangen, seitdem der Wilhelm Tell von Schiller geschrieben und veröffentlicht wurde. Die Ausdrucksmittel, die ich dafür verwende, sind gegenwärtig. Alles andere ist historisch. Ich führe meine alten Werke nicht vor. Sie sind museal. Sie werden wohl ausgestellt, aber damit wieder zu agieren, würde ich wie eine Travestie empfinden: Man verkleidet sich neu, aber der Inhalt ist nicht mehr derselbe.

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➔ Interviews: »Creamcheese«

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Der Wilhelm Tell ist auch ein altes Stück … Tell lebte im 14. Jh., aber das Stück von Schiller ist erst 200 Jahre alt. Die Figur von Tell ist sehr alt, auch das Stück von Schiller ist mittlerweile alt, aber es wird heute wieder aufgeführt … Mit einer gegenwärtigen Interpretation: »Défense«, eine Selbstverteidigung gegen Papst und Keiserturm als autonome Verbundenheit unter unabhängigen Menschen. Das meine ich: Könnte auch das Creamcheese heute neu interpretiert werden? Man kann die Vergangenheit natürlich nicht zurückbringen, aber man könnte die Impulse aus den sechziger Jahren mit den Mitteln des Theaters aus heutiger Sicht interpretieren. Ja, wenn jemand das tut, kann man das machen. Ich habe nichts dagegen, aber ich selber bin an anderen Themen interessiert. Ich meinte nicht, daß Sie selber daran arbeiten sollten. Im Museum ist es schwierig für die Besucher, anhand der Objekte nachzuvollziehen, was das Creamcheese war … Sie sind Fossilien. Sie sind eigentlich Leichen, Schatten der damals lebendigen Welt. Die Gegenstände, die im Museum ausgestellt sind, sind materialisierte Restformen von einem Ereignis, mit dem sie gar nichts mehr zu tun haben. Vielleicht könnten die Mittel des Theaters helfen, dieses Ereignis in Erinnerung zu halten … Das Creamcheese war eine Retorte, ein experimenteller Ort. Man kann das auf einer anderen, artifiziellen Ebene schreiben und aufführen. Dann ist es Theater. Man kann dann das Theater wieder brechen. Man gibt eine Aufführungsstruktur vor, und dann wird diese Aufführungsstruktur durch die Mitakteure gebrochen, indem man frei variiert und daraus individuelle Impulse entstehen. Das ist aber nicht mein Thema. Das wäre die einzige Möglichkeit: Das Creamcheese als Theaterstück zu schreiben, und dann das Theater in ein Chaos münden lassen. Die gebrochene Struktur des Theaters würde dann wieder Ausgangspunkt für experimentelle Vorgänge im freien individuellen Handeln werden. Vorher muss aber eine sehr strenge Struktur vorhanden sein, um diesen Bruch, die Poesie der Destruktion, zu provozieren.

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➔ Literatur

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

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➔ Literatur

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2005-04-07 10-22-45 --- Projekt: T255.kum.caianiello / Dokument: FAX ID 022880875823778|(S. 237-258) T09_03 literaturverzeichnis.p 80875825146

244 Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

HAUS 1979 HAUS, Andreas, Raoul Hausmann. Kamerafotografien 1927-1957, München 1979 HAUSMANN 1940 HAUSMANN, Raoul, Scherz, Ironie und Phantastik in der Photographie, in: »Camera« 19, 1940-41, 2 (August 1940), S. 35-36, 45 HAUSMANN 1942 HAUSMANN, Raoul, Phantastische Lichtbildnerei, in: »Camera« 20, 1941/1942, 12 (Juni 1942), S. 301-302, 311 HELMS 1970 HELMS, Dietrich, Günther Uecker, Recklinghausen 1970 HENTSCHEL 2001 HENTSCHEL, Ulrike, Alles Theater?, in: KINDLER 2001, S. 43-56 HERRERA 1979 HERRERA, Hayden, Ästhetik der Kontrolle, in: George Rickey: Skulpturen, Material, Technik, Amerika Haus Berlin, 1979, S. 11-18 HIGGINS 1969 HIGGINS, Dick, Intermedia (in: »the something else NEWSLETTER« 1, 1966, 1, Februar), in: Intermedia 1969, o. S. HÖKE 1968 HÖKE, Bernhard, Auf dem Sofa, in: »Christ und Welt« 21, Nr. 37, 13.9.1968 HONISCH 1978 HONISCH, Dieter (Hrsg.), Adolf Luther: Licht und Materie, Recklinghausen 1978 HONISCH 1983 HONISCH, Dieter, Uecker, Stuttgart 1983 HONISCH 1986 HONISCH, Dieter, Mack – Skulpturen 1953-1986, Düsseldorf – Wien 1986 HUMMELEN/SILLE 1999 HUMMELEN, Ijsbrand, SILLE, Dionne (Hrsg.), Modern Art: Who Cares?, Amsterdam 1999

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➔ Literatur

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intermedia 1969 intermedia ’69, Heidelberg 1969 intermedial 1993 intermedial kontrovers experimentell. Das Atelier Mary Bauermeister in Köln 1960-1962, Historisches Archiv der Stadt Köln, Köln 1993 JAHNS 1967 JAHNS, Jürgen, …und am Abend in die Lichtmaschine. Düsseldorfer Gaststätte will Bürger glücklich machen, in: »Rheinische Post«, 26.7.1967 JOCKS 1993 JOCKS, Heinz-Nobert, Auf dem Pflaster der Revolte. Das Junge Ensemble ehrt das »Creamcheese«, in: »Westdeutsche Zeitung«, 3.5.1993 JOCKS 1998 JOCKS, Heinz-Nobert, Günther Uecker: »Literatur war ein mich am Leben erhaltender Spiegel extremer Lebensäußerungen« Ein Gespräch von HeinzNobert Jocks, in: »Kunstforum« 140, 1998, April-Juni, S. 168-181 John Cage 1991 Kunst als Grenzbeschreitung: John CAGE und die Moderne, Neue Pinakothek München, 1991, Düsseldorf 1991 JOHNSTON 1991 JOHNSTON, Jill, There Is No Silence Now (in: »The Village Voice«, 8.11.1962), in: KOSTELANETZ 1991, S. 145-149 JOKILEHTO 1995 JOKILEHTO, Jukka, Authenticity: a General Framework for the Concept, in: LARSEN 1995, S. 17-34 JÜDES 1964 JÜDES, Rudolf, Unterm Dach schreit eine Plastik ›Mama‹, in: »Hannoverische Rundschau«, 29.6.1964 JÜRGEN-FISCHER 1964 JÜRGEN-FISCHER, Klaus, Im Zeichen des Informalismus, in: »Die Zeit«, 10.7.1964

2005-04-07 10-22-45 --- Projekt: T255.kum.caianiello / Dokument: FAX ID 022880875823778|(S. 237-258) T09_03 literaturverzeichnis.p 80875825146

246 Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

KAISER 1967 KAISER, Rolf-Ulrich, Untergrund-Club in Düsseldorf. An den Wochenenden ist das »Cream Cheese« überfüllt, in: »Aachener Nachrichten«, 20.12.1967 KALNEIN 1977 KALNEIN, Wend von, Neuartige Gefährdungen bei moderner Kunst aus der Sicht des Museumsfachmanns, in: ALTHÖFER 1977, S. 13-15 KALTWASSER 1975 KALTWASSER, Gerda, »Schellfisch« wird geräumt. Noch eine Chance für Kuipers Kneipentheater, in: »Rheinische Post«, 29.10.1975 KALTWASSER 1992 KALTWASSER, Gerda, Uecker und Beuys waren dafür, die Polizei war dagegen, in: »Rheinische Post«, 21.7.1992 KALTWASSER 1993 KALTWASSER, Gerda, Manifest unter Blitzen, in: »Rheinische Post«, 1.5.1993 KELLEIN 1991 KELLEIN, Thomas, Die Welt der Kunst der Welt. Nam June Paik als Philosoph, in: Nam June Paik: Video Time – Video Space, Kunsthalle Basel u. Kunsthalle Zürich, 1991, S. 27-37 KETNATH 1999 KETNATH, Artur, How to conserve motion, in: HUMMELEN/SILLE 1999, S. 369-372 KINDLER 2001 KINDLER, Gabriele (Hrsg.), MuseumsTheater, Bielefeld 2001 Kinetische Kunst 1998 Kinetische Kunst. Die Sammlung des Städtischen Museums Gelsenkirchen, Heidelberg 1998 KLÜSER/HEGEWISCH 1991 KLÜSER, Bernd, HEGEWISCH, Katharina (Hrsg.), Die Kunst der Ausstellung, Frankfurt a.M., Leipzig 1991

2005-04-07 10-22-46 --- Projekt: T255.kum.caianiello / Dokument: FAX ID 022880875823778|(S. 237-258) T09_03 literaturverzeichnis.p 80875825146

➔ Literatur

247

KÖNISBERGER 1964 KÖNISBERGER, Otto, Ist Kassel eine Reise wert?, in: »Ruhr-Nachrichten«, 11.7.1964 Konkrete Utopien 1990 Um 1968: Konkrete Utopien in Kunst und Gesellschaft, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 1990 KORFF/ROTH 1990 KORFF, Gottfried, ROTH, Martin, Einleitung, in: dieselben (Hrsg.), Das historische Museum, u.a. Frankfurt, 1990, S. 9-37 KOSTELANETZ 1991 KOSTELANETZ, Richard (Hrsg.), John Cage: An Anthology, New York 1991 KREMPEL 2000 KREMPEL, Ulrich, »Atelier Merzbau« – Der Merzbau in der Tradition des Künstlerateliers und die Probleme seiner Rekonstruktion, in: Aller Anfang ist Merz, Sprengel Museum Hannover, 2000, S. 260-269 KRIWET 1965 KRIWET, Ferdinand, Leserattenfaenge. Sehtextekommentare, Köln 1965 Kriwet 1969 Kriwet 69, Kölnischer Kunstverein, Köln 1969 KUHN [1990] KUHN, Anette (Hrsg.), Mack: Druckgraphik und Multiples, Stuttgart [1990] KUHN 1991 KUHN, Anette, Zero: eine Avantgarde der sechziger Jahre, Propyläen, Frankfurt a. M. – Berlin 1991 KUHN 1992 KUHN, Anette, Zero im Kontext der europäischen Avantgarde, in: ZERO – eine europäische Avantgarde 1992, S. 10-23 KULTERMANN 1970 KULTERMANN, Udo, Leben und Kunst: zur Funktion der Intermedia, Tubingen 1970

2005-04-07 10-22-46 --- Projekt: T255.kum.caianiello / Dokument: FAX ID 022880875823778|(S. 237-258) T09_03 literaturverzeichnis.p 80875825146

248 Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

Künstlermuseum 2001 Künstlermuseum. Bogomir Ecker – Thomas Huber: Eine Neupräsentation der Sammlung des museum kunst palast, museum kunst palast, Düsseldorf, 2001 Kunst Licht Kunst 1966 Kunst Licht Kunst, Stedelijk van Abbemuseum Eindhoven, 1966 KWON 1997 KWON, Miwon, One Place after Another: Notes on Site-Specifity, in: »October«, 1997, 80, S. 85-110 LANSER 1967 LANSER, Günter, Geräusche nach Noten. »Lokaltermin«-Premiere im Tanzlokal »Creamcheese«, in: »Neue Rhein-Zeitung«, 22.7.1967 LARSEN 1995 LARSEN, Knut Einar (Hrsg.), Nara Conference on authenticity in relation to the World Heritage Convetion (1994), proceedings, Paris, Tokyo, Roma 1995 LAUGNER 1968 LAUGNER, Hans-Joachim, Feierabend – Vorschuß auf das Jahr 2000, in: »Neue Rhein-Zeitung am Sonntag«, 28.1.1968 LEERING 1969 LEERING, Jean, Die Architektur und Van Doesburg, in: Theo Van Doesburg 1883-1931, Van Abbemuseum Eindhoven, 1968/69, Kunsthalle Basel, 1969, S. 19-25 LEEUW 1999 LEEUW, Riet de, The precarious reconstruction of installations, in: HUMMELEN/SILLE 1999, S. 212-22 Lichtraum 1992 Heinz Mack, Otto Piene, Günther Uecker: Lichtraum (Hommage à Fontana) 1964, Düsseldorf u. Berlin 1992 LIPPARD 1973 LIPPARD, Lucy R. (Hrsg.), Six Years. The Dematerialization of the Art Object from 1966 to 1972, London 1973

2005-04-07 10-22-46 --- Projekt: T255.kum.caianiello / Dokument: FAX ID 022880875823778|(S. 237-258) T09_03 literaturverzeichnis.p 80875825146

➔ Literatur 249

LOICK 2000 LOICK, Antonia, Was war los in Düsseldorf 1950-2000, Erfurt 2000 MACK 1969 MACK, Heinz, Ewigkeit ohne mich, in: »Die Zeit«, 19.9.1969 MACK 1975 Mack. Strukturen, Düsseldorf 1975 MARTIN 2001 MARTIN, Jean-Hubert, Musée des charmes, in: Künstlermuseum 2001, S. 7-40 MEISTER 1972 MEISTER, Helga, Theater vor der Theke. Genets »Unter Aufsicht« im Altsatdt-»Creamcheese«, in: »Düsseldorfer Nachrichten«, 26.4.1972 MEISTER 1976 MEISTER, Helga, Theater in der Kneipe. Wiederbeginn im Düsseldorfer »Creamcheese«, in: »Düsseldorfer Nachrichten«, 22.1.1976 MEKAS 1989 MEKAS, Jonas, Notes after Reseeing the Movies of Andy Wahrol, in: O’PRAY, Michael, (Hrsg.), Andy Wahrol Film Factory, London 1989, S. 28-41 MERTEN 1987 MERTEN, Ralph, Adolf Luther: Am Anfang war das Licht, Stuttgart 1987 Mommartzfilm 2000 Mommartzfilm: Das Authentische als Kunst, Köln [2000], 3 Bde Mondrian 1970 Mondrian: The process works, The Pace Gallery, New York 1970 MÜHLENHÖVER 1999 MÜHLENHÖVER, Georg, Phänomen Disco, Köln 1999 MÜLLER 1993 MÜLLER, Michael-G., Die 68er und ihre braven Kinder, in: »Neue RheinZeitung«, 1.5.1993

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

MUSSA 1976 MUSSA, Italo, Il Gruppo enne. La situazione dei gruppi in Europa negli anni Sessanta, Roma 1976 Nam June Paik 1976 Nam June Paik. Werke 1946-1976, Kölnischer Kunstverein, 1976 NETTELBECK 1968 NETTELBECK, Uwe, Kunterbunt in Knokke, in: »Die Zeit«, 5.1.1968 Nove tendecije 1961 Nove tendencije, galerija suvremene umjetnosti, Zagreb, 1961 O’DOHERTY 1996 O’DOHERTY, Brian, Inside the White Cube (1976), deutsche Übersetzung: In der weißen Zelle, Berlin 1996 Oltre l’Informale 1963 Oltre l’Informale, IV biennale internazionale d´arte di S. Marino, 1963 Otto Piene 1996 Otto Piene. Retrospektive 1952-1996, Kunstmuseum Düsseldorf, 1996 PASSUTH 1986 PASSUTH, Krisztina, Moholy-Nagy, Weingarten 1986 PETERS 1992 PETERS, Hans Albert, Ein Lichttraum geht in Erfüllung, in: Lichtraum 1992, S. 5-7 PETZET 1997 PETZET, Michael, In the full richness of their authenticity. The Test of Authenticity and the New Cult of Monuments, in: LARSEN 1995, S. 85-99. Deutsche Fassung: Was heißt Authentizität? Die authentische Botschaft des Denkmals, in: BESCH, Ulrike (Hrsg.), Restauratoren Taschenbuch 1998, München 1997, S. 141-161 POPPER 1975 POPPER, Frank, Die kinetische Kunst: Licht und Bewegung, Umweltkunst und Aktion, Köln 1975

2005-04-07 10-22-46 --- Projekt: T255.kum.caianiello / Dokument: FAX ID 022880875823778|(S. 237-258) T09_03 literaturverzeichnis.p 80875825146

➔ Literatur

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POSCHARDT 1995 POSCHARDT, Ulf, DJ-Culture, Hamburg 1995 PRECIADO 1989 PRECIADO, Kathleen (Hrsg.), Retaining the original. Multiple Originals, Copies, and Reproductions, Washington 1989 PUTS 1990 PUTS, Henk, The Lissitzky collection at the Van Abbemuseum, in: El Lissitkzy (1890-1941), Stedelijk Van Abbemuseum Eindohoven, 1990, S. 81-83 RAGHEB 2000 RAGHEB, J. Fiona, Situationen und Orte, in: Dan Flavin: Die Architektur des Lichts, Deutsche Guggenheim, Berlin, 2000, S. 11-17 REISS 1999 REISS, Julie, From Margin to Center, Cambridge (Mass.) 1999 RICHTER 1964 RICHTER, Hans, DADA: Kunst und Antikunst, Köln 1964 (2. Auflage: 1978) RICHTER 1993 RICHTER, Gerhard, Text. Schriften und Interviews, hrsg. von Hans-Ulrich Obrist, Frankfurt a. Main u. Leipzig 1993 (2. Auflage: 1994) Rickey-Plastik 1971 Rickey-Plastik an der Decke, in: »Düsseldorfer Nachrichten«, 29.3.1971 RIEGL 1903 RIEGL, Alois, Der moderne Denkmalkultus, Wien u. Leipzig 1903 RUHRBERG 1967/68 RUHRBERG, Karl, Liegt Paris am Rhein?, in: »Neues Rheinland«, Dez. 1967 – Jan. 1968, 59, S. 2-8 SACK 1967 SACK, Manfred, Licht- und Schallkneipe. Künstler und Kunden zwischen Altbier und Pop, in: »Die Zeit«, 3.11.1967 SARTRE 1991 SARTRE, Jean-Paul, L‹être et le néant, Paris 1943, deutsche Ausgabe: Das Sein und das Nichts, Reinbek bei Hamburg 1991

2005-04-07 10-22-47 --- Projekt: T255.kum.caianiello / Dokument: FAX ID 022880875823778|(S. 237-258) T09_03 literaturverzeichnis.p 80875825146

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

SAUERBIER 2001 SAUERBIER, S. D., Vom Theater zum Theater. Gemeinschaftsarbeiten mit/von Günther Uecker von/mit S.D. Sauerbier, in: Günther Uecker 2001, S. 22-35 SCHIMMEL 1999 SCHIMMEL, Paul, Intentionality and performance-based art, in: CORZO 1999, S. 135-140 SCHINZEL 1977 SCHINZEL, Hiltrud, Zwei theoretische Aspekte zur Restaurierung moderner Kunst, in: ALTHÖFER 1977, S. 9-12 SCHINZEL 1985a SCHINZEL, Hiltrud, Restaurierung und Forschung – Versuch einer Schematisierung, in: ALTHÖFER 1985, S. 19-23 SCHINZEL 1985b SCHINZEL, Hiltrud, Kunstwollen und Restauriervermögen, in: ALTHÖFER 1985, S. 45-51 SCHINZEL 2000 SCHINZEL, Hiltrud, Der Restaurator und die zeitgenössische Kunst, in: »Restauro«, 2000, 7, S. 524-529 SCHMIED 1964 SCHMIED, Wieland, Malerei ist keine Einbahnstraße, in: »Die Zeit«, 17.7.1964 SCHMIED 1969 SCHMIED, Wieland, Der Auftrag lautet Gegenwart, in: »Die Zeit«, 12.9.1969 SCHMIED 1998 SCHMIED, Wieland (Hrsg.), Utopie und Wirklichkeit im Werk von Heinz Mack, Köln 1998 SCHNEEDE 1994 SCHNEEDE, Uwe M., Joseph Beuys: Die Aktionen, Ostfildern-Ruit bei Stuttgart 1994

2005-04-07 10-22-47 --- Projekt: T255.kum.caianiello / Dokument: FAX ID 022880875823778|(S. 237-258) T09_03 literaturverzeichnis.p 80875825146

➔ Literatur

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SCHULZ-HOFFMANN 1991 SCHULZ-HOFFMANN, Carla, Das »Ambiente Nero« von Lucio Fontana, in: KLÜSER/HEGEWISCH 1991, S. 111-115 SCHÜMANN 1967 SCHÜMANN, Kurt, Creamcheese, die progressive Kneipe Düsseldorfs, in: »Düsseldorfer Wochenspiegel«, 16.10.1967 SCHWARZ 1991 SCHWARZ, Michael, Von der Skulptur zum Raum. Installationen Düsseldorfer Künstler seit 1964, in: Brennpunkt Düsseldorf 1991, S. 73-79 SEEMANN 1992 SEEMANN, Hans-Jürgen, Copy: auf dem Weg in die Repro-Kultur, Weinheim-Basel 1992 SELLO 1964 SELLO, Gottfried, Künstlerprotest. Museumsdirektoren und Kunsthistoriker ’raus, in: »Die Zeit«, 13.3.1964 SILLE 1999 SILLE, Dionne, Introduction to the Project, in: HUMMELEN/SILLE 1999, S. 14-19 STACHELHAUS 1968 STACHELHAUS, Heiner, Heiße Äpfel und ein Kalb. Kurzfilm-Premieren im »Creamcheese«, in: »Neue Rhein-Zeitung«, 30.10.1968 STACHELHAUS 1993 STACHELHAUS, Heiner, Zero. Heinz Mack, Otto Piene, Günther Uecker, u.a. Düsseldorf 1993 STACHELHAUS 1998 STACHELHAUS, Heiner, Die 60er Jahre im Ruhrgebiet und speziell in Gelsenkirchen – eine glorreiche Zeit für die bildende Kunst, in: Kinetische Kunst, Städtisches Museum Gelsenkirchen, 1998, S. 149-151 Stationen der Moderne 1988 Stationen der Moderne. Die bedeutenden Kunstausstellungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland, 1988/1989, Berlin 1988

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

STECKEL 1974 STECKEL [WEITEMEIER], Hannah, Lászlò Moholy-Nagy 1895-1946. Entwurf seiner Wahrnehmungslehre, Diss., FU Berlin, 1974 STRINGARI 1999 STRINGARI, Carol, Installations and problems of preservation, in: HUMMELEN/SILLE 1999, S. 272-281 STURM 1990 STURM, Eva, Museifizierung und Realitätsverlust, in: ZACHARIAS 1990, S. 99-113 STURM 1991 STURM, Eva, Konservierte Welt: Museum und Musealisierung, Berlin 1991 SZEEMANN 1986 SZEEMANN, Harald, Die Geschichte der Rekonstruktion des MERZbaus (1980-1983), in Kurt Schwitters 1887-1948, Sprengel Museum Hannover, 1986, S. 256-257 Theo van Doesburg 2000 Theo van Doesburg, œuvre catalogue (hrsg. von Els Hoek), Centraal Museum Utrecht, Kröller-Müller Museum Otterlo, 2000 THORNTON 1996 THORNTON, Sarah, Club Cultures: Music, Media and Subcultural Capital, Hanover 1996 THWAITES 1964 THWAITES, Anthony, Verachten die Manager deutsche Kunst? Anmerkungen zu einem Memorandum, in: »Die Welt«, 16.3.1964 TROY 1983 TROY, Nancy J., The De Stijl Environment, Cambridge (Mass.) u. London 1983 UECKER 1969 UECKER, Günther, Ein paar Gegenfragen, in: »Die Zeit«, 19.9.1969

2005-04-07 10-22-47 --- Projekt: T255.kum.caianiello / Dokument: FAX ID 022880875823778|(S. 237-258) T09_03 literaturverzeichnis.p 80875825146

➔ Literatur

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UECKER 1979 UECKER, Günther, Schriften, hrsg. von Stephan von Wiese, St. Gallen 1979 URBAN 1991 URBAN, Petra, Der ›Lichtraum‹-Vertrag wurde im Kunstmuseum geschlossen, in: »Westdeutsche Zeitung«, 9.8.1991 VALL 1999 VALL, Renée van de, Painful decisions: philosophical considerations on a decision-making model, in: HUMMELEN/SILLE 1999, S. 196-200 Verzeichnis der Werke 2001 Künstlermuseum. Verzeichnis der Werke, museum kunst palast, Düsseldorf, 2001 VIOLAND-HOBI 1998 VIOLAND-HOBI, Heidi E., Daniel Spoerri: Biographie und Werk, München, London, New York 1998 WAGNER 2001 WAGNER, Monika, Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne, München 2001 WAGNER 2002 WAGNER, Monika, RÜBEL, Dietmar, HACKENSCHMIDT, Sebastian (Hrsg.), Lexikon des künstlerischen Materials. Werkstoffe der modernen Kunst von Abfall bis Zinn, München 2002 WEGEN 1999 WEGEN, D.H. van, Between fetish and score: the position of the curator of contemporary art, in: HUMMELEN/SILLE 1999, S. 201-209 WEITEMEIER 1972 WEITEMEIER, Hannah, Licht-Visionen. Ein Experiment von Moholy-Nagy, Bauhaus-Archiv, Berlin 1972 WENDERMANN 2001 WENDERMANN, Gerda, Die Filme von Günther Uecker, in: Günther Uecker 2001, S. 228-232

2005-04-07 10-22-47 --- Projekt: T255.kum.caianiello / Dokument: FAX ID 022880875823778|(S. 237-258) T09_03 literaturverzeichnis.p 80875825146

256 Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

WertWechsel 2001 WertWechsel: zum Wert des Kunstwerks (hrsg. von Susanne Anna, Wilfried Dörstel, Regina Schultz-Möller), Museum für Angewandte Kunst, Köln 2001 WEYER 1994 WEYER, Cornelia, Restaurierungsethik. Die Argumente der aktuellen Debatte, in: »Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung« 8, 1994, 2, S. 345-355 WEYER 1994/95 WEYER, Cornelia, Die Authentizität in der Restaurierung moderner Kunst, in: »Kunsthistoriker« 11-12, 1994/95, S. 48-56 WICK 1975 WICK, Reiner, Zur Soziologie intermediärer Kunstpraxis, Diss., Universität zu Köln, 1975 WIESE 1976 WIESE, Stephan von, Bilder und Objekte von 1956-1975, in: Günther Uecker 1976, S. 15-32 WIESE 1977 WIESE, Stephan von, Kunst zum Verschleiß? – Das Problem der Konservierung moderner Kunst in den Augen ihrer Produzenten, in: ALTHÖFER 1977, S. 58-59 WIESE 1985 WIESE, Stephan von, Von der Schwierigkeit bei der Beschreibung einer ›Szene‹ (Düsseldorf zwischen 1945 und 1985), in: Rheingold 1985, S. 42-59 WIESE 1987 WIESE, Stephan von, Creamcheese – Eine Kneipe als Forum der Kunst, in: Brennpunkt Düsseldorf 1987, S. 120-121 WIESE 1992 WIESE, Stephan von, Lichtraum Hommage à Fontana: Der ZERO-Raum für die documenta III, in: Lichtraum 1992, S. 20-40

2005-04-07 10-22-47 --- Projekt: T255.kum.caianiello / Dokument: FAX ID 022880875823778|(S. 237-258) T09_03 literaturverzeichnis.p 80875825146

➔ Literatur

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WIESE 1995 WIESE, Stephan von, Von der Schwierigkeit bei der Beschreibung einer ›Szene‹ (Düsseldorf zwischen 1945 und 1985), Rückblick 1995, in: Düsseldorfer Avantgarden 1995, S. 15-27 ZACHARIAS 1990 ZACHARIAS, Wolfgang (Hrsg.), Zeitphänomen Musealisierung: Das Verschwinden der Gegenwart und die Konstruktion der Erinnerung, Essen 1990 Zeitzeichen 1989 Zeitzeichen. Stationen Bildender Kunst in Nordrhein-Westfalen, Bonn, Leipzig, Duisburg, 1989/1990, Düsseldorf u. Köln 1989 ZERO 1973 ZERO, Köln – Cambridge/Massachusetts 1973 ZERO 1992 ZERO: eine europäische Avantgarde, Galerie Neher, Essen, Galerie Heseler, München, 1992 ZERO aus Deutschland 1999/2000 ZERO aus Deutschland 1957 bis 1966. Und heute, Villa Merkel, Esslingen, 1999/2000, Ostfildern bei Stuttgart 2000 Zero in Bonn 1966 Zero in Bonn. Mack, Piene, Uecker, Städtische Kunstsammlungen Bonn, 1966 ZERO Italien 1995/96 ZERO Italien. Azimut/Azimuth1959/60, Villa Merkel, Esslingen, 1995/96, Ostfildern bei Stuttgart 1996 Zero-Manifest 1963 MACK, Heinz, PIENE, Otto, UECKER, Günther, Zero-Manifest (1963), in: Enne & Zero 1996, S. 39 ZERO Raum 1973 ZERO Raum. Leihgabe Koch im Kunstmuseum Düsseldorf, Kunstmuseum Düsseldorf, 1973

2005-04-07 10-22-47 --- Projekt: T255.kum.caianiello / Dokument: FAX ID 022880875823778|(S. 237-258) T09_03 literaturverzeichnis.p 80875825146

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Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese«

QUELLEN Die Quellen mit dem *-Symbol befinden sich im Archiv des ›museum kunst palast‹. KRIWET, Ferdinand: Brief an die Verf., 6.7.2003 KRIWET, Ferdinand: Brief an Stephan von Wiese, 24.4.1985* MACK, Heinz: Brief an die Verf., 9.6.2003 MACK, Heinz: Brief an Hans Albert Peters, 8.4.1992* MACK, Heinz: Brief an Hans Albert Peters, 8.4.1992* Mitteilung mit Betreff: Kauf von Kunstobjekten aus dem Creamcheese, 7.11.1978* PETERS, Hans Albert: Brief an Stephan von Wiese, 7.10.1985* RICKEY, George: Brief an Hans Joachim Reinert, 6.10.1970* RICKEY, George: Brief an Stephan von Wiese, 27.3.1977* TRITT, Reinhold, creamcheese – a tribute to the sixties, Ablauf der Aufführung (Manuskript) WEYER, Cornelia, Stellungnahme zur Wertminderungsfrage im Fall Spoerri, »Wir hängen die Theke an die Decke«, 1969, im Besitz des Kunstmuseums Düsseldorf, 1. März 1993, Manuskript, Restaurierungszentrum Düsseldorf WIESE, Stephan von: Aktennotiz (Betr.: Cream Cheese), 9.7.1979* WIESE, Stephan von: Brief an Hans Albert Peters, 11.12.1985* WIESE, Stephan von: Brief an Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, 22.12.1993* WIESE, Stephan von: Brief an Michael Bützer, 3.5.1984*

2005-04-07 10-22-47 --- Projekt: T255.kum.caianiello / Dokument: FAX ID 022880875823778|(S. 237-258) T09_03 literaturverzeichnis.p 80875825146

➔ Bildnachweis

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Bildnachweis Tiziana Caianiello: 35 documenta-Archiv: 3 Hans Jürgen Funck: 19 Hanns Hermann: 31 Gunnar Heydenreich/Restaurierungszentrum Düsseldorf: 4, 6, 8, 9, 10, 11, 12 Bernd Jansen: 18, 20, 21, 29 Heinz Jokisch/museum kunst palast: 25, 26 Walter Klein: 30, 32 Volker Krämer: 28 Manfred Leve: 33 Archiv Heinz Mack: 2, 14 museum kunst palast: 17, 22, 24 Floris M. Neusüss/documenta-Archiv: 13 K. Håkan Nilsson: 23 Michael Quack: 34 Sammlung Reinert: 15 Christoph Schuhknecht/museum kunst palast: 27 Friedemann Singer/documenta-Archiv: 1 Helen Smith: 5 »vielleicht«, Schülerzeitung in Zusammenarbeit der Benrather Gymnasien, 1, 1968, 2 (April), S. 60: 16 Cornelia Weyer/Restaurierungszentrum Düsseldorf: 7 Trotz sorgfältiger Nachforschungen konnten nicht alle Fotografen bzw. Rechteinhaber ermittelt werden.

2005-04-07 10-22-49 --- Projekt: T255.kum.caianiello / Dokument: FAX ID 022880875823778|(S. 259

) T09_04 bildnachweis.p 80875825202

Die Neuerscheinungen dieser Reihe:

Hartmut John, Ira Diana Mazzoni (Hg.) Industrie- und Technikmuseen im Wandel Perspektiven und Standortbestimmungen Juni 2005, ca. 320 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-268-6

Sabiene Autsch, Michael Grisko, Peter Seibert (Hg.) Atelier und Dichterzimmer in neuen Medienwelten Zur aktuellen Situation von Künstler- und Literaturhäusern Mai 2005, ca. 350 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-314-3

Tiziana Caianiello Der Lichtraum (Hommage à Fontana) und das Creamcheese im museum kunst palast Zur Musealisierung der Düsseldorfer Kunstszene der 1960er Jahre April 2005, 262 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN: 3-89942-255-4

Kathrein Weinhold Selbstmanagement im Kunstbetrieb Handbuch für Kunstschaffende März 2005, 320 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-144-2

Beatrix Commandeur, Dorothee Dennert (Hg.) Event zieht – Inhalt bindet Besucherorientierung von Museen auf neuen Wegen 2004, 196 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN: 3-89942-253-8

Peter J. Bräunlein (Hg.) Religion und Museum Zur visuellen Repräsentation von Religion/en im öffentlichen Raum 2004, 248 Seiten, kart., zahlr. Abb., 23,80 €, ISBN: 3-89942-225-2

Hartmut John, Jutta Thinesse-Demel (Hg.) Lernort Museum – neu verortet! Ressourcen für soziale Integration und individuelle Entwicklung. Ein europäisches Praxishandbuch 2004, 202 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 3-89942-155-8

Uwe Christian Dech Aufmerksames Sehen Konzept einer Audioführung zu ausgewählten Exponaten 2004, 164 Seiten, kart., zahlr. Abb., 19,80 €, ISBN: 3-89942-226-0

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

Die Neuerscheinungen dieser Reihe: Jana Scholze Medium Ausstellung Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin 2004, 300 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-192-2

Alexander Klein EXPOSITUM Zum Verhältnis von Ausstellung und Wirklichkeit 2004, 220 Seiten, kart., 24,00 €, ISBN: 3-89942-174-4

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de