Der Koran in seinem religions- und weltgeschichtlichen Kontext. Eschatologie und Apokalyptik in den mittelmekkanischen Suren 9783657704323, 9783506704329

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Der Koran in seinem religions- und weltgeschichtlichen Kontext. Eschatologie und Apokalyptik in den mittelmekkanischen Suren
 9783657704323, 9783506704329

Table of contents :
Inhalt
Kapitel 1 Die spätantike Kontextualisierung der koranischen Verkündigung und das historische Plausibilitätskriterium
1.1 Die religionspolitische Bedeutung der Eroberung Jerusalems durch die Perser 614 n. Chr.: Eschatologie, Apokalyptik und Messianismus
Kapitel 2 Q 17:4-8 – Die eschatologische Dekontextualisierung des Tempels
Kapitel 3 Q 19:1-33 – Die bundestheologische Bedeutung des Tempels und die Mutter des Messias
3.1 Barmherzigkeitstheologie als Gegenentwurf zur Apokalyptik und imperialer Eschatologie
Kapitel 4 Q 38:17-40 – David und Salomo – Ewige Königsherrschaft und messianische Ahnherren?
4.1 Die davidischen Silberteller und die religionspolitische Bedeutung von Q 38:17-40 zu Beginn des siebten Jahrhunderts
Kapitel 5 Q 27:15-44 – Die eschatologische Herrschergestalt und der gläubige Herrscher: Salomo, Königin von Saba und Alexander
5.1 Apokalyptisches Chaos vs. göttlicher Kosmos
5.2 Der eschatologische oder der gläubige Herrscher?
5.3 Die Einführung der Basmala-Formel und die Zurückweisung einer imperial-messianischen Christologie
Kapitel 6 Q 18 – Eschatologisches Wissen und eschatologische Zeit
6.1 Exkurs: Datierung der syrischen Alexanderlegende und des Alexanderlieds
Kapitel 7 Q 30:2-7 – Reichseschatologische Verheißung?
7.1 Ex eventu: Der Sieg von Byzanz als Sieg der Gläubigen?
Kapitel 8 Q 21 – Die Theologie göttlicher Verheißungen
8.1 Literarkritik
8.1.1 Versabteilungsdifferenzen
8.1.2 Textkritik
8.2 Komposition
8.3 Kursorischer Verskommentar
8.4 Analyse und Deutung
8.4.1 Entwicklungsgeschichtliche Einordnung
8.4.2 Inhalt und Struktur
8.4.3 Sprecher-Hörer-Interaktion/Autorisierungen
Kapitel 9 Muhammad und Herakleios als Typos und Antitypos und die Wende der Verkündigung in Medina
Literaturverzeichnis

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Der Koran in seinem religions- und weltgeschichtlichen Kontext

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Beiträge zur Koranforschung Herausgegeben von Zishan Ghaffar, Angelika Neuwirth, Klaus von Stosch

Band 1

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Zishan Ghaffar

Der Koran in seinem religions- und weltgeschichtlichen Kontext Eschatologie und Apokalyptik in den mittelmekkanischen Suren

Ferdinand Schöningh Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

Umschlagabbildung: Herakleios im Kampf gegen den persischen Herrscher Chosrau II.; Emaille auf vergoldetem Kupfer, 1160-1170, Maastal. Louvre Museum, Department of Decorative Arts, Paris, MRR 245. Fotograf: Marie-Lan Nguyen. Zum Autor Zishan Ghaffar promovierte am Zentrum für islamische Theologie der Universität Münster zur Leben-Muhammad-Forschung. Seit 2017 ist er beim Akademievorhaben „Corpus Coranicum“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2020 Verlag Ferdinand Schöningh, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland) Internet: www.schoeningh.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISSN 2626-7969 ISBN 978-3-506-70432-0 (hardback) ISBN 978-3-657-70432-3 (e-book)

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Vorwort zur Reihe Die vorliegende Reihe soll einen Beitrag zur historischen und theologischen Koranforschung leisten. Sie will damit Arbeiten fördern, die zu einem tieferen Verständnis des historischen Kontextes der koranischen Verkündigung beitragen und dabei helfen, die koranische Theologie im spätantiken Milieu zu verorten. Im Spannungsfeld religiöser Diskurse der Spätantike soll derart die Genese und Stoßrichtung der koranischen Theologie in den Blick genommen und mit der traditionellen islamischen Exegese und den theologischen Einzeldisziplinen ins Gespräch gebracht werden. Derart sollen auch neue Impulse für religionstheologische Diskurse im Islam, Christentum und Judentum geschaffen werden. Um diese Ziele zu erreichen, werden insbesondere Forschungen und Studien berücksichtigt, die eine methodische und philologische Expertise aus unterschiedlichen Disziplinen (Arabistik, Byzantinistik, Kirchengeschichte etc.) und Theologien (Islam, Christentum, Judentum) in Anschlag bringen.

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Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt insbesondere den Ertrag meiner exegetischen Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Vorhaben Corpus Coranicum der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften dar. Hier bin ich der Leiterin des Projektes Prof. Dr. Angelika Neuwirth zu tiefem Dank verpflichtet. Ihr Schöpfergeist und ihre Grundlagenforschung zum Koran haben mich als Ideale stets begleitet. Den zahlreichen Gesprächen mit ihr und meinem Kollegen Dirk Hartwig verdanke ich etliche Anfragen, die mich zur gründlichen Kommentierung getrieben haben. Meinem Freund und Kollegen Prof. Dr. Klaus von Stosch möchte ich für die Durchsicht des Manuskriptes und seinen Anmerkungen danken. Es war seine Idee, diese Arbeit zum ersten Band der Reihe „Beiträge zur Koranforschung“ zu machen, die synergetisch die Expertise aus den unterschiedlichen Theologien und philologischen Disziplinen zusammenführen soll. Ebenso gilt mein Dank Prof. Dr. Nicolai Sinai, von dessen Anmerkungen und Hinweisen diese Arbeit besonders profitiert hat. Dem Arbeitsstellenleiter des Corpus Coranicum Michael Marx und meinem Arbeitskollegen Adrian Pirtea bin ich für die Beantwortung von einigen Nachfragen dankbar. David Koch danke ich für seine formal-stilistische Durchsicht des Manuskriptes. Der Geduld und der Umsicht meiner Frau Samina ist es zu verdanken, dass ich diese Arbeit fertigstellen konnte. […] Mein Herr, halte mich dazu an, dass ich Dir für Deine Gnade, die Du mir und meinen Eltern erwiesen hast, dankbar bin, und dass ich tue, was rechtschaffen ist und woran Du Wohlgefallen hast. Und lass mich gedeihen in meiner Nachkommenschaft! Ich wende mich Dir reumütig zu und bin einer von den Gottergebenen. (Q 46:15)

Potsdam, im April 2019

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Inhalt 1 Die spätantike Kontextualisierung der koranischen Verkündigung und das historische Plausibilitätskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Die religionspolitische Bedeutung der Eroberung Jerusalems durch die Perser 614 n. Chr.: Eschatologie, Apokalyptik und Messianismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2 Q 17:4-8 – Die eschatologische Dekontextualisierung des Tempels . . . 15 3 Q 19:1-33 – Die bundestheologische Bedeutung des Tempels und die Mutter des Messias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3.1 Barmherzigkeitstheologie als Gegenentwurf zur Apokalyptik und imperialer Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 4 Q 38:17-40 – David und Salomo – Ewige Königsherrschaft und messianische Ahnherren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 4.1 Die davidischen Silberteller und die religionspolitische Bedeutung von Q 38:17-40 zu Beginn des siebten Jahrhunderts . . . 68 5 Q 27:15-44 – Die eschatologische Herrschergestalt und der gläubige Herrscher: Salomo, Königin von Saba und Alexander . . . . . . . . . . . . . . . 75 5.1 Apokalyptisches Chaos vs. göttlicher Kosmos . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5.2 Der eschatologische oder der gläubige Herrscher? . . . . . . . . . . . . . . 93 5.3 Die Einführung der Basmala-Formel und die Zurückweisung einer imperial-messianischen Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 6 Q 18 – Eschatologisches Wissen und eschatologische Zeit . . . . . . . . . . 111 6.1 Exkurs: Datierung der syrischen Alexanderlegende und des Alexanderlieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 7 Q 30:2-7 – Reichseschatologische Verheißung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 7.1 Ex eventu: Der Sieg von Byzanz als Sieg der Gläubigen? . . . . . . . . . 179 8 Q 21 – Die Theologie göttlicher Verheißungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 8.1 Literarkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 8.1.1 Versabteilungsdifferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 8.1.2 Textkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 8.2 Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

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Inhalt

8.3 Kursorischer Verskommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 8.4 Analyse und Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 8.4.1 Entwicklungsgeschichtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 242 8.4.2 Inhalt und Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 8.4.3 Sprecher-Hörer-Interaktion/Autorisierungen . . . . . . . . . . . . 250 9 Muhammad und Herakleios als Typos und Antitypos und die Wende der Verkündigung in Medina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

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Kapitel 1

Die spätantike Kontextualisierung der koranischen Verkündigung und das historische Plausibilitätskriterium Auch wenn die Forderung nach der historischen Kontextualisierung der koranischen Verkündigung im Rahmen der Spätantike mittlerweile zu einer geschichtshermeneutischen Binsenweisheit geworden ist, so täuscht die vermeintliche Selbstverständlichkeit dieser historischen Einsicht. Zu Recht hat Chase Robinson zur Spezifizierung der Implikationen dieser Forderung gemahnt: To judge by several recent surveys, it has become an academic truism that ‘Islam’ belongs to ‘late antiquity’, even if both the chronological and geographic range of the period remains controversial, and precisely how ‘Islam’ is to fit in is unclear. The most ambitious of these surveys is typical: it organizes its material in a number of attractive categories (e.g., ‘Sacred Landscapes,’ ‘War and Violence,’ ‘Empire Building,’ and ‘The Good Life’), but in these Muslims have hardly a role to play, being paraded out in a single, dry chapter entitled ‘Islam’ instead.1

Robinson bemerkt hier eine seltsame „Schieflage“ im Prozess der spätantiken Kontextualisierung hinsichtlich der Entstehung des Islams insgesamt. In der Tat lässt sich fragen, warum die historische Verortung der Genese des Islams im Extremfall zur Auflösung von jeglicher Identität und Eigenheit ihrer religiösen Anfänge führt.2 Hat die Marginalisierung des Frühislams in die Peripherie des größeren religions- und weltgeschichtlichen Rahmens der Spätantike nur mit der geographischen Lokalisierung seiner Entstehung zu tun, oder sind es möglicherweise auch die ideologischen „Schranken“ eines Geschichtsdiskurses, der den Platz des Frühislams in der Geschichtswahrnehmung fest vorgibt? Jonathan Brockopp hat das Phänomen des Vorhandenseins impliziter hermeneutischer Barrieren, die für die Genese des Islams stets zu dichotomischen Erklärungsalternativen zwingen, als „incidental normativity“ apostrophiert: 1  Chase F. Robinson, Early Islam: Truth and Consequences. In: Herbert Berg (Hg.), Method and Theory in the Study of Islamic Origins, Leiden 2003, 101-134, hier 101. 2  Dafür stehen etwa exemplarisch die Beiträge aus der sogenannten Saarbrückener Schule um Karl-Heinz Ohlig (Vgl. dazu die von Markus Groß und Karl-Heinz Ohlig herausgegebene Inârah-Reihe, die beim Verlag Hans Schiler erscheint und mittlerweile acht Bände umfasst).

© Verlag Ferdinand Schöningh, 2020 | doi:10.30965/9783657704323_002 Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Kapitel 1 Incidental Normativity occurs when our frames of reference seem obvious, causing us to overlook alternative interpretive possibilities. In the study of Islamic origins, one form of incidental normativity has been around for years. It is the presumption that Islam is unique among the world religions because it arose in “the full light of history”. This view is a parallel to the apologetic claim that Islam was perfect and complete in Muhammad’s lifetime, and that all the fundamental tenets, rituals, and mores were established before his death. To maintain this view, adherents must discount historical narratives that record divisions within the early Muslim community, but this is easily done. […] A second story, one that emphasizes dissent and alternative explanations, is therefore set up in opposition to this first view. In this story, literary sources (including both hadith and also early Muslim history texts) are untrustworthy because they contain miraculous tales, contradictory claims, and they were produced hundreds of years after the events they purport to record. In contrast, material evidence (e.g., coins, architecture, papyri) is not subject to these faults and is therefore regarded as superior. This second story regards itself as far more aware of interpretive possibilities, yet I argue that it can also act as a form of incidental normativity. As with the first form of incidental normativity, this second form can provide a compelling interpretive frame, one that also allows its adherents to ignore evidence. When taken to this extreme, the result is not apologetics, but it is opposite: a polemical re-imagination of early Islam as a form of Christianity.3

Dieser Dualismus der geschichtlichen Metanarrative erklärt sich aus der Tatsache, dass oftmals aus muslimischer Perspektive die Zuverlässigkeit der eigenen Geschichtsüberlieferungen mit der historischen Exklusion der frühislamischen Geschichte aus dem Rahmen der Spätantike verquickt wird. Dagegen ist umgekehrt erkennbar, dass die historische Kontextualisierung des Frühislams als seine Auflösung in bereits vorhandene geschichtliche Phänomene begriffen und mit der absoluten Infragestellung der traditionell-muslimischen Überlieferungen verbunden wird.4 Beide Tendenzen sind hier als Idealtypen zu verstehen, die in ihrer Extreme nicht repräsentativ für den gesamten Forschungsdiskurs zur Entstehung des Islams sind. Allerdings dient diese idealtyptische Hervorhebung zur Kenntlichmachung der möglichen Gefahren, die sich aus einer mangelnden geschichtshermeneutischen Selbstreflexion der Forschung ergeben. Das grundsätzlich schwierige Ringen um die historische Rekonstruktion der eigenen religiösen Anfänge hat seine Parallelen in der Forschung zur 3  Jonathan E. Brockopp, Islamic Origins and Incidental Normativity. In: Journal of the American Academy of Religion, Vol. 84, No. 1, 2016, 28-43, hier 28 f. 4  Für eine forschungsgeschichtliche Übersicht über die Methodik zur Erforschung der Frühgeschichte des Islams siehe Zishan Ghaffar, Der historische Muhammad in der islamischen Theologie. Zur Kriterienfrage in der Leben-Muhammad-Forschung, Paderborn 2018.

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Die Kontextualisierung der koranischen Verkündigung

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Frühgeschichte des Christentums bzw. in der Leben-Jesu-Forschung. Man hat sich hier ebenso die Frage gestellt, inwiefern etwa Jesus im Kontext seiner Zeit zu verorten ist und wie man dem individuellen Profil seiner Verkündigung historisch gerecht werden kann, ohne dass sich seine Person und die Anfänge des Christentums in geschichtlich bereits vorhandene Phänomene auflösen. In der Geschichte der Leben-Jesu-Forschung lässt sich auch das Phänomen der „incidental normativity“ nachweisen: Für eine bestimmte Phase der Leben-Jesu-Forschung war man davon überzeugt, dass es die Differenz von Jesus zum Judentum des zweiten Tempels und zur Frühgeschichte des Christentums war, die seine historische Authentizität verbürgt.5 Letzteres klingt natürlich prima facie ahistorisch und hat seine Gründe in der langen Forschungstradition der Leben-Jesu-Forschung, die bis zur Zeit der Aufklärung und der damals beginnenden historischen Kritik reichen. In der „Third Quest for the historical Jesus“ hat man mit dem „Kriterium der historischen Plausibilität“ die geschichtshermeneutischen Prämissen für die Forschung zur Frühgeschichte des Christentums derart umformuliert, dass man sich aus den Aporien der „incidental normativity“ der eigenen Forschungstradition befreit hat.6 Auch für die Forschung zur Frühgeschichte des Islams ist eine derartige Besinnung auf die methodischen Paradigmata notwendig.7 Der Kontextplausibilität der Genese des Islams innerhalb der Spätantike ist ebenso die Wirkungsplausibilität seiner Rezeption in der muslimischen Tradition zur Seite zu stellen. Dabei ist insbesondere festzuhalten, dass beide Aspekte der historischen Plausibilität für die Rekonstruktion der Frühgeschichte des Islams in Anschlag gebracht werden müssen. Der erste Aspekt der historischen Kontextplausibilität ist dabei die Kontextentsprechung: Was Muhammad in Form des Korans verkündigt hat, muss mit den religiösen Phänomenen der Spätantike8 auf der arabischen Halbinsel des sechsten und siebten Jahrhunderts vereinbar sein. Dem ist aber der oftmals vernachlässigte zweite Aspekt der Kontextplausibilität zur Seite zu stellen: Nämlich die kontextuelle Individualität: Was Muhammad verkündigt hat, muss als eine individuelle Erscheinung im Rahmen der religiösen Entwicklungen der Spätantike erkennbar sein. Für beide Aspekte 5  Vgl. Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 42011, 26 f. 6  Vgl. ebd., 28 f; Gerd Theissen/Dagmar Winter, Die Kriterienfrage in der Jesusforschung. Vom Differenzkriterium zum Plausibilitätskriterium, Göttingen 1997. 7  Für die Einführung des historischen Plausibilitätskriteriums in der Leben-MuhammadForschung siehe Ghaffar, Der historische Muhammad in der islamischen Theologie, 341-380. 8  Für eine geschichtshermeneutische Reflexion zum Begriff der Spätantike siehe Nora Schmid/ Nora Schmidt/Angelika Neuwirth, Spätantike. Von einer Epoche zu einem Denkraum. In: Nora Schmid/Nora Schmidt/Angelika Neuwirth (Hg.), Denkraum Spätantike. Reflexionen von Antiken im Umfeld des Koran, Wiesbaden 2016, 1-35.

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Kapitel 1

der historischen Plausibilität muss man feststellen, dass diese in der bisherigen Forschung zur Frühgeschichte des Islams im Extremfall nur isoliert oder sehr tendenziös angewendet wurden.9 Die folgenden Ausführungen sollen entgegen den Gefahren der beschriebenen Forschungstendenzen aufzeigen, wie eng der Prozess der koranischen Verkündigung mit der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen Byzanz und dem Sassanidenreich und mit dem in diesem Zuge entstehenden religionspolitischen Schrifttum verknüpft ist. Die Herausbildung der koranischen Eschatologie in den mekkanischen Suren lässt sich im Besonderen durch die Kontextualisierung mit den vorhandenen spätantiken Diskursen über Eschatologie, Apokalyptik und Messianismus verständlich machen. Für eine grundsätzliche Erweiterung des geschichtlichen Horizontes zur Genese des Islams hat auch zuletzt Howard-Johnston plädiert: The rise of Islam cannot be understood properly if it is detached from contemporary events in the wider world. It should not be imagined that the monotheism preached by Muhammad was entirely uninfluenced by the two monotheist faiths already deeply implanted in the Middle East. Ideas had been seeping into Arabia from the developed world to the north for many generations. Jewish and Christian communities had grown up in different parts of the peninsula. The rulers of Himyar had acknowledged the overarching power of a supreme, possibly sole divinity in official inscriptions. There was, according to Muslim tradition, something akin to a movement of deist ascetics in the Hijaz in the Prophet’s lifetime. Hence the close critical attention shown to the two antecedent faiths in the Qur’an and the Prophet’s declaration that the revelation conveyed through him was the third and final one vouchsafed to mankind. Hence too the notions of an End of Time, of Resurrection of individuals, of Judgement, of Heaven and Hell.10

Im Folgenden soll aus der dezidierten Perspektive der historisch-kritischen Koranforschung aufgezeigt werden, wie die Eroberung Jerusalems durch die Sassaniden 614 n. Chr. und das im Anschluss entstehende religionspolitische Schrifttum nicht nur ihr Echo im Koran finden, sondern theologisch in einer einzigartigen Weise gedeutet werden. So wie die Bewertung der zweiten Tempelzerstörung maßgeblich die jüdische und christliche Identität geprägt hat, so hat die Bewertung der Eroberung Jerusalems 614 n. Chr. und der damit einhergehenden apokalyptischen und eschatologischen Spekulationen eine ähnliche identitätsstiftende Funktion für die Genese des Islams gehabt.

9  Vgl. Ghaffar, Der historische Muhammad in der islamischen Theologie, 178-185; 196 f. 10  James Howard-Johnston, Witnesses to a World Crisis. Historians and Histories of the Middle East in the Seventh Century, Oxford 2010, 448.

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Die Kontextualisierung der koranischen Verkündigung

1.1

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Die religionspolitische Bedeutung der Eroberung Jerusalems durch die Perser 614 n. Chr.: Eschatologie, Apokalyptik und Messianismus

Mit eindringlichen Worten beschreibt der byzantinische Chronist des Chronicon Paschale die Ereignisse um das Jahr 614 n.Chr.: In this year in about the month June, we suffered a calamity which deserves unceasing lamentations. For, together with many cities of the east, Jerusalem too was captured by the Persians, and in it were slain many thousands of clerics, monks, and virgin nuns. The Lord’s tomb was burnt and the far-famed temples of God, and in short, all the precious things were destroyed. The venerated wood of the Cross, together with the holy vessels that were beyond enumeration, was taken by the Persians, and the Patriarch Zacharias also became a prisoner.11

Die persische Einnahme Jerusalems und die Entwendung der Reliquie vom Heiligen Kreuz stellte den Kulminationspunkt der sassanidischen Expansion seit dem Jahr 602 n.Chr. dar.12 Denn der persische Herrscher Chosrau II. hatte den Mord an den byzantinischen Herrscher Maurikios als casus belli genutzt. Mit Maurikios starb der byzantinische Partner für den letzten großen Frieden zwischen Byzanz und dem Sassanidenreich in 591 n.Chr. Christliche Historiker beschreiben die Einnahme Jerusalems 614 n. Chr. als traumatisches und verheerendes Ereignis, mit dem die Zerstörung von Sakralbauten und die massenhafte Tötung von Christen einherging13. Auch wenn die archäologischen Zeugnisse die Größenordnung dieser Berichte nicht bestätigen können14, so belegen letztere doch die empfundene religionspolitische Bedeutung dieses Ereignisses. Derart wird die Rückholung der Reliquie des Heiligen Kreuzes (restitutio sanctae crucis) nach dem Sieg des Herakleios gegen die Sassaniden

11  Michael Whitby/Mary Whitby (Übersetzer), Chronicon Paschale 284-628 AD, Translated Texts for Historians, Vol. 7, Liverpool 22007, 156; Ludwig Dindorf (Editor), Chronicon Paschale, Vol. 1. In: Corpus Scriptorum Historiae Byzantinae, Bonn 1832, 704, Zeile 13-20. 12  Zu der byzantinisch-sassanidischen Auseinandersetzung zu Beginn des siebten Jahrhunderts siehe Howard-Johnston, Witnesses to a World Crisis, 436-445; Andreas Stratos, Byzantium in the Seventh Century I, 602-634, Übersetzt von Marc Ogilvie-Grant, Amsterdam 1968; Georg Ostrogorsky, Byzantinische Geschichte 324-1453, München 1996, 63-77. 13  Vgl. Frederick Conybeare, Antiochus Strategos’ Account of the Sack of Jerusalem in A.D. 614. In: English Historical Review 25, 1910, 502-517, hier 508, 514 ff.; Cyril Mango/ Roger Scott (Übersetzer), The Chronicle of Theophanes Confessor. Byzantine and Near Eastern History AD 284-813, Oxford 1997, 431; Carolus de Boor (Editor), Theophanis Chronographia, Vol. 1, Leipzig 1883, 300 f., Zeile 29-31 und 1-5. 14  Vgl. Gideon Avni, The Persian Conquest of Jerusalem (614 CE). An Archaeological Assessment. In: Bulletin of the American Schools of Oriental Research 357 (2010), 35-48.

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Kapitel 1

630 n. Chr. durch Pseudo-Sebeos, als Erfüllung einer tiefen Sehnsucht und Überwindung eines Traumas beschrieben: When the blessed, pious, and late-lamented king Heraclius had received the Lord’s holy Cross, he gathered his army with ardent and happy heart. He set out with all the royal retinue, honoring the holy, wonderful, and heavenly discovery, and brought it to the holy city, with all the vessels of the church which been saved from the hands of the enemy in the city of Byzantium. There was no little joy on that day as they entered Jerusalem. [There was] the sound of weeping and wailing; their tears flowed from the awesome fervor of the emotion of their hearts and from the rending of the entrails of the king, the princes, all the troops, and the inhabitants of the city. No one was able to sing the Lord’s chants from the fearful and agonizing emotion of the king and the whole multitude. He set it back up in its place, and put all the vessels of the churches in their places, and distributed alms and money for incense to all the churches and inhabitants of the city.15

Im Kontrast dazu – jedoch nicht weniger eminent – vergleicht der byzantinische Dichter Georg von Pisidien in seinem Gedicht zur Restitution des heiligen Kreuzes (In restitutionem Sanctae Crucis) den tanzenden König David, der den Einzug der Bundeslade zurück nach Jerusalem begleitet (2 Sam 6,5 und 6,14-15), mit Herakleios, der auch bei seinem Einzug in Jerusalem mit dem Heiligen Kreuz von tanzenden Engeln gesäumt wird.16 Die besondere Tragweite der Ereignisse um das Jahr 614 n. Chr. wird noch deutlicher, wenn man sich klarmacht, wie Jerusalem und Palästina insgesamt in den Jahrhunderten zuvor in christlicher Wahrnehmung an Bedeutung und Stellenwert zugenommen hatten. Während im Frühchristentum das zerstörte Jerusalem mehr als das Zeugnis und Mahnmal für die Kreuzigung des Sohn Gottes galt, änderte sich mit der konstantinischen Wende allmählich die christliche Wahrnehmung auf Palästina: For the three hundred years between the end of the fourth century and the Arab conquest in the middle of the seventh (638 C.E.), Palestine was a Christian country. During that period Christian first began to think of the land of Israel as the ‘holy land’ […]. During this period the city of Jerusalem was elevated to the status of a patriarchal see, overshadowing the old metropolitan city of Caesarea. Further, it acquired political as well as religious significance in an empire ruled from Constantinople by a Christian emperor.17 15  R.W. Thomson (Übersetzer), The Armenian History attributed to Sebeos, Translated Texts for Historians, Volume 31, Liverpool 1999, 90; G.V. Abgaryan (Editor), Patmut‘iwn Sebēosi, Erevan 1979, 131, Zeile 9-23. 16  Vgl. Agostino Pertusi (Editor), Giorgio di Pisidia: Poemi. I. Panegiricioo Epici, Studia patristica et Byzantina 7, Ettal 1959, 238; Claudia Ludwig, Kaiser Herakleios, Georgios Pisides und die Perserkriege, Varia III, Poikila Byzantina 11, Bonn 1991, 73-128, hier 97 f. 17  Robert Wilken, The Restoration of Israel in Biblical Prophecy: Christian and Jewish Responses in the Early Byzantine Period. In: Jacob Neusner (Hg.), “To See Ourselves as others see us”, Christian, Jews, “Others” in Late Antiquity, Chico 1985, 443-471, hier 444. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Dieser religiöse Bedeutungszuwachs von Palästina aus christlicher Perspektive als Heiliges Land/Land des Herrn (terra sancta/terra domini) kollidierte mit dem jüdischen Anspruch auf das Land Israel (Eretz Israel). Während die frühchristlichen Exegeten eher die historische Interpretation der in den Prophetenbüchern geschilderten Ereignisse um Jerusalem in den Hintergrund stellten und diese typologisch in Bezug auf Jesus und das Christentum deuteten18, bemühten sich die Kirchenväter und -historiker im vierten und fünften Jahrhundert darum, die eschatologische Bedeutung von Jerusalem im Judentum zu negieren. So lehnten der heilige Hieronymus und Theodoret eine eschatologische Deutung von biblischen Stellen wie in Hesekiel 36-48 ab, die man im Sinne eines zukünftigen Wiederaufbaus des Tempels unter jüdischer Herrschaft deuten konnte.19 Ein derartiges Szenario musste man vor dem Hintergrund der nunmehr christlichen Imprägnierung des Heiligen Landes zurückweisen, weshalb christliche Exegeten gegen das vermeintlich versprochene oder gelobte Land (terra repromissionis) an die Juden polemisierten.20 Aus jüdischer Perspektive waren es insbesondere die Aussagen alttestamentlicher Prophetie (Vision Daniels in Dan 7, Kampf gegen Gog und Magog in Hesekiel 38 f., Aussagen zum zukünftigen Tempel in Hesekiel 40-47), die eschatologisch, apokalyptisch und messianisch in Bezug auf Jerusalem kontextualisiert wurden (z.B. syrische Baruchapokalypse, 4. Buch Esra).21 Für die zeitliche Einordnung dieser zukünftigen Ereignisse diente das Sechs-Tages-Schema der Schöpfung als Maßstab für das sechstätige Bestehen der Welt und die göttliche Entsprechung eines Tages zu 1000 irdischen Jahren.22 Entsprechend dieses zeitlichen Rahmens wurden jeweils die beiden Tempelzerstörungen, das erwartete Kommen des Messias und der Wiederaufbau des Tempels berechnet, wobei nach der Zerschlagung des Bar-Kochba-Aufstandes das Kommen des Messias

18  Vgl. ebd., 447; für eine Anthologie der allegorischen und typologischen Deutungen zu den beiden Prophetenbüchern Hesekiel und Daniel siehe Kenneth Stevenson/Michael Glerup (Hg.), Ancient Christian Commentary on Scripture, Old Testament XIII, Ezekiel, Daniel, Downers Grove 2008. 19  Vgl. Wilken, The Restoration of Israel in Biblical Prophecy, 448-453; 465 f. 20  Vgl. ebd., 446. 21  Vgl. Joseph Klausner, The Messianic Idea in Israel. From its Beginning to the Completion of the Mishnah, London 1956, 2-386. 22  Vgl. Otto Böcher, Art. Chiliasmus I. In: Theologische Realenzyklopädie 7, 723-729, hier 726; Gerhard Podskalsky, Byzantinische Reichseschatologie. Die Periodisierung der Weltgeschichte in den vier Grossreichen (Daniel 2 u. 7) und der tausendjährigen Friedensreiche (APOK. 20), München 1972, 92 ff.; für die apokalyptische Berechnung der Endzeit in der Spätantike siehe Oded Irshai, Dating the Eschaton. Jewish and Christian Apocalyptic Calculation in Late Antiquity. In: Albert Baumgarten (Hg.), Apocalyptic Time, Leiden 2000, 113-154. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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immer mehr in die Ferne rückte.23 Für die christliche Eschatologie und Apokalyptik waren zudem die Aussagen der Evangelien zum Wiedererscheinen Christi (Mt 24) und die in der Johannesoffenbarung beschriebenen Vorgänge zur Endzeit entscheidend. Insgesamt hat der eschatologische Diskurs maßgeblich das politische Selbstverständnis des byzantinischen Reiches geprägt: Byzantine theocracy was based on the principle that the Christian empire was the earthly manifestation and anticipation of the kingdom of Christ, which superseded all other terrestrial realms; in other words, it was the messianic kingdom announced by the Old Testament prophets and awaited by the Jews along with the true Anointed of God.24

Paul Magdalino betont, wie sehr dieser eschatologische Diskurs ins sechste nachchristliche Jahrhundert hinein und auch danach für die Identität und das Handeln des byzantinischen Reiches bestimmend war: […] a whole complex of attitudes and institutions which we regard as typically, indeed quintessentially, Byzantine, were casually related to concrete, time- und place-specific expectations of Christ’s Second Coming. In particular, it seems to me, the turning point of the mid sixth century cannot be understood without reference to eschatology. […] our periodization of Byzantine history can usefully take account of Byzantine eschatological projections. For it is a fact that the lifespan of the Byzantine empire as an entity distinct from the Later Roman Empire corresponds more or less to the seventh millennium in the Byzantine scheme of world history; that within this period, the great ‘imperial centuries’ correspond to the first half of the millennium; and that within these first five centuries, the critical moment for the empire’s self-confidence and internal cohesion – the Iconoclast crisis – came at a time of ideological adjustment to the realization that the countdown to the Last Things was still far off.25

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Bedeutung der Eroberung Jerusalems durch die Perser 614 n. Chr. stärker ins Relief setzen. Christliche Chroniken deuten an, dass die Juden bei der Eroberung Jerusalems den Sassaniden zur Seite standen.26 Auch wenn die entsprechenden Schilderungen polemisch 23  Vgl. Abba Hillel Silver, A history of messianic speculation in Israel. From the first through the seventeenth centuries, Boston 1959, 13-30. 24  Paul Magdalino/Robert Nelson (Hg.), The Old Testament in Byzantium, Washington 2010, 28. Vgl. auch Podskalsky, Byzantinische Reichseschatologie, 73 ff. 25  Paul Magdalino, The history of the future and its uses: prophecy, policy and propaganda. In: Roderick Beaton/Charlotte Roueche (Hg.), The Making of Byzantine History, Aldershot 1993, 3-43, hier 28. 26  Vgl. Conybeare, Antiochus Strategos’ Account of the Sack of Jerusalem, 508; Thomson (Übersetzer), The Armenian History attributed to Sebeos, 68 f.; Abgaryan (Editor), Patmut‘iwn Sebēosi, 115, Zeile 5-27.

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motiviert sein könnten, so zeugen jüdisch-apokalyptische Schriften (Sefer Serubbabel) und liturgische Texte (piyyutim) aus dieser Zeit von den messianischen Hoffnungen, die mit der Eroberung Jerusalems virulent wurden.27 Zumindest für eine kurze Zeit schienen der Wiederaufbau des Tempels und der Beginn des messianischen Zeitalters nah. Diese erstarkten messianischen Erwartungen hatten für das byzantinische Reich eine religionspolitische Sprengkraft: Such Jewish messianic expectations, triggered by the Sasanian capture of Jerusalem, were naturally completely irreconcilable with the Byzantine vision and remoulding of Jerusalem as a parallel Christian capital of the empire, as manifested by the unfolding of the extensive and prestigious building projects of churches and monasteries in and around the city since the dedication of the Church of the Holy Sepulchre in 335. Thus, apart from inflicting on Byzantium a major military and strategic crisis, the Sasanian occupation of Palestine and Jerusalem had serious repercussions on the ideological and religious plane. It presented a critical challenge to the Christian Roman triumphalist discourse of God-ordained imperial victory, as finding religio-political explanatory scenarios for the Byzantine defeat in the Holy Land in the face of Sasanian armies continuing expansion of their conquests in imperial territory posed far more problems than any previous East Roman imperial predicament involving conflict with Sasanian Persia. The traditional attribution of defeats on the battlefield or natural calamities to the emperor’s or citizens’ sins now needed to be integrated into an interpretative framework that would seem more appropriate and persuasive in these new circumstances and for which the developing interaction and coalescence of crucial elements of the traditions of late Roman/Byzantine historical eschatology and imperial ideology could serve as a convenient source.28

Die kurzeitige jüdische Dominanz in Jerusalem nach der sassanidischen Eroberung 614 n. Chr. war aus der Perspektive der christlichen Apokalyptik und des christlichen Chiliasmus erklärungsbedürftig. Die Erwartung eines tausendjährigen Reiches, an dem nur die Rechtgläubigen teilhaben (Apk 20), schloss eine jüdische Rückkehr nach Jerusalem vor ihrer Konversion zum Christentum aus. Der Kontrollverlust über Jerusalem passte auch nicht zur Rolle von Byzanz als letztes Reich vor oder in der eschatologischen Endzeit. Lutz Greisiger 27  Vgl. Wout Jac. van Bekkum, Jewish Messianic Expectations in the Age of Heraclius. In: Gerrit Reinink/Bernard Stolte (Hg.), The Reign of Heraclius (610-641), Crisis and Confrontation, Leuven 2002, 95-112; Hagith Sivan, From Byzantine to Persian Jerusalem: Jewish Perspectives and Jewish/Christian Polemics. In: Greek, Roman, and Byzantine Studies 41, 2000, 277-306; Günter Stemberger, Jerusalem in the Early Seventh Century: Hopes and Aspirations of Christians and Jews. In: Lee Levine (Hg.), Jerusalem. Its sanctity and centrality to Judaism, Christianity, and Islam, New York 1999, 260-272, hier 266-271. 28  Yuri Stoyanov, Defenders and Enemies of the True Cross. The Sasanian conquest of Jerusalem in 614 and Byzantine ideology of anti-Persian warfare, Wien 2011, 55.

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beschreibt, wie im apokalyptischen Schrifttum zu Beginn des siebten Jahrhunderts diese neuen Rahmenbedingungen an die bisherigen Erwartungen angepasst wurden: Die Rückkehr der Juden nach Jerusalem wurde nicht mehr mit ihrer vorherigen Konversion zum Christentum verknüpft, sondern als eine Interimsphase der Versuchung dargestellt, in der auch der Antichrist erscheint.29 Auch die Hoffnung auf ein tausendjähriges Reich wurde vor dem Hintergrund der arabischen Eroberungen in die Zukunft verlegt.30 Neuerdings hat Stephen Shoemaker zu Recht darauf hingewiesen, dass bis in die Spätantike hinein sich apokalyptische Vorstellungen mit imperialem Gedankengut vermischt haben.31 Entsprechend könne man zeigen, wie nicht nur im byzantinischen Reich, sondern auch im Sassanidenreich sich eine Form von „imperialer Eschatologie“ entwickelte, die konstitutiv für das geopolitische Gebaren der damaligen Großmächte war.32 Shoemaker fordert, dass man die Genese des Islams entsprechend dezidiert in diesen Kontext stellen sollte: […] we would do well to recognize, I think, the importance of apocalypticism, and more specifically, imperial eschatology, for situating earliest Islam within the matrix of its origin. Imminent eschatological expectation was widespread in the Near East at the time of Islam’s genesis, as was the belief that the ultimate restoration of divine rule would come about through the apocalyptic triumph of an empire at the end of time. Such views fit remarkably well with what we are able to know about earliest Islam. Its adherents were confident that the End was at hand, and they believed that they had a religious duty to expand their polity through warfare. Moreover, they believed that the liberation of Jerusalem and the Holy Land from the occupation of infidels and the restoration of the Temple were essential goals of their apocalyptic empire. All of these ideas find strong parallels in the apocalyptic worldviews of contemporary Christianity, Judaism, and Zoroastrianism. Accordingly, imperial eschatology holds one of the most promising avenues for understanding the emergence of Islam within the broader religious milieu of the late ancient Near East.33

Shoemakers Forderung nach einer Kontextualisierung der Genese des Islams in diesem religionsgeschichtlichen Kontext von „imperialer Eschatologie“ kann man nur entschieden zustimmen. Und es gehört sicherlich zu seinem 29  Vgl. Lutz Greisiger, The End is Coming – To what End? Millenarian Expectations in the Seventh-Century Eastern Mediterranean. In: Hagit Amirav/Emmanouela Grypeou/Guy Stroumsa (Hg.), Apocalypticism and Eschatology in Late Antiquity, Encounters in the Abrahamic Religions, 6th-8th Centuries, Leuven 2017, 87-106, hier 89-94. 30  Vgl. ebd., 99-106. 31  Vgl. Stephen J. Shoemaker, The Apocalypse of Empire. Imperial Eschatology in Late Antiquity and Early Islam, Philadelphia 2018. 32  Vgl. ebd., 64-115. 33  Ebd., 9.

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Verdienst, dass er wesentlich zur erneuten Wahrnehmung dieses Milieus beigetragen hat. Jedoch krankt seine historische Verortung des Frühislams in diesem Zusammenhang an geschichtshermeneutisch fragwürdigen Prämissen.34 Er verwendet – wie lange Zeit auch in der Leben-Jesu-Forschung üblich – ein doppeltes Differenzkriterium für seine Kontextualisierung der Entstehung des Islams. Ein radikales traditionskritisches Differenzkriterium gegenüber der muslimischen Tradition und ein religionsgeschichtliches Korrespondenzkriterium zur Spätantike. Während die Leben-Jesu-Forschung Jesus radikal von der eigenen frühchristlichen Tradition und seinem religionsgeschichtlichen Kontext abgrenzte und somit zu einer ahistorischen Person werden ließ, enthistorisiert Shoemaker den Islam völlig, indem er ihn von der muslimischen Tradition radikal abgrenzt und in bekannte Phänomene der Spätantike auflöst. Hier müsste Shoemaker die Kritik und die Überwindung einer solchen Anwendung des Differenzkriteriums ernster nehmen und – wie hier vorgeschlagen – das historische Plausibilitätskriterium in Anschlag bringen. Ein weiteres Grundproblem von Shoemakers Vorgehensweise ist insbesondere sein fragwürdiger Umgang mit der koranischen Verkündigung. Statt hier eine belastbare Textbasis als Ausgangspunkt zu nehmen und einer philologisch eingehenden Analyse zu unterziehen, bestimmt seine Grundthese von dem Bild der urmuslimischen Gemeinde als eschatologische Bewegung die atomistische Auswahl von Passagen und deren Analyse. Diese zirkuläre Arbeitsweise unterscheidet sich von einem berechtigten „hermeneutischen Zirkel“, der natürlicherweise beim Umgang mit Texten gegeben ist. Dabei haben sich die Fragen und die Vorannahmen, die man gegenüber einem Text hat, reziprok an der philologischen Analyse zu bewähren. Und es kann der Fall eintreten, dass man seine eigenen Vorannahmen modifiziert und abändert. Bei Shoemaker ist hingegen das Verhältnis von Grundannahme und dessen analytischer Prüfung einseitig zu Gunsten eines feststehenden Ergebnisses festgelegt, sodass seine Analysen philologisch nicht belastbar und einseitig zugunsten seiner Grundthese durchgeführt werden.35 Letzteres kommt symptomatisch in seiner Überzeugung zum Ausdruck, dass man entweder gar nichts über die Genese des Islams sagen könne oder akzeptieren müsse, dass die

34  Für eine ausführliche Kritik an seiner Methode siehe Ghaffar, Der historische Muhammad in der islamischen Theologie, 306-332. 35  Siehe diesbezüglich meine Kritik an seiner These, dass al-ʾamr im Koran eschaton bedeutet (weiter unten Kapitel 7).

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urmuslimische Gemeinde eine eschatologische Bewegung war, die das apokalyptische Ende erwartete – tertium non datur!36 Die folgende Kommentierung mittelmekkanischer Suren soll zeigen, wie sehr die koranische Theologie in dieser Phase ereignisgeschichtlich im Zusammenhang mit der sassanidischen Eroberung Jerusalems steht und sich religionsgeschichtlich mit dem in der Folge entstehenden apokalyp­tischeschatologischen Schrifttum und Gedankengut profiliert. Während damit auch Shoemakers Forderung nach einer Kontextualisierung der koranischen Verkündigung im Rahmen spätantiker Vorstellungen von Eschatologie Rechnung getragen wird, soll gleichzeitig gezeigt werden, dass letzteres nur anhand einer belastbaren Textbasis und anhand eindringlicher philologischer Analysen geschehen kann, die literar- und formkritisch fundiert sind. Dabei sollten Vorannahmen der Exegese nicht ab ovo festlegen, dass ein Text formal und inhaltlich inkohärent ist und zahllose Redaktionsschichten enthält, die nur durch die Grundthese selbst identifizierbar sind. Die im Rahmen dieser Arbeit kommentierten Suren gehören – bis auf Q 30 – zu den von Gustav Weil und Theodor Nöldeke als „mittelmekkanisch“ klassifizierten Suren. In den letzten Jahrzehnten konnten die formalen Analysemerkmale seiner Klassifikation weiter verfeinert und begründet werden.37 Für die hier kommentierten Suren wird im Sinne einer relativen Chronologie angenommen, dass sie als mittelmekkanische Suren noch vor der Auswanderung des Propheten nach Medina in 622 entstanden sind. Ihre Bearbeitung folgt der bisher beim Akademieprojekt „Corpus Coranicum“ vorgeschlagenen relativen Chronologie mittelmekkanischer Suren.38 Die Suren Q 38 und Q 19 sind frühmittelmekkanische Suren, während Q 17, Q 27, Q 21, Q 18 als spätmittelmekkanisch klassifiziert werden. Q 30 wird als spätmekkanische Sure eingeordnet. Im Rahmen dieser Arbeit bin ich in der Anordnung des Kommentars leicht von dieser Reihenfolge abgewichen. Der Teilkommentar zu Q 17:4-8 wird heuristisch dem ganzen Surencorpus vorangestellt, um die darin evozierte Bezugnahme zu den Ereignissen um 614 n. Chr. als neuralgischem Punkt für den Gesamtkorpus der mittelmekkanischen Suren Rechnung zu tragen. Die Sure Q 21 wurde an das Ende gestellt, weil in dieser zahlreiche theologische Tendenzen der vorangehenden Suren (bis auf Q 30) zusammenlaufen. Deshalb wurde diese auch als einzige Sure vollständig und anhand 36  Vgl. Shoemaker, The Apocalypse of Empire, 132. 37  Vgl. Behnam Sadeghi, The Chronology of the Qurʾān: A Stylometric Research Program. In: Arabica 58, 2011, 210-299; Nicolai Sinai, The Qurʾan. A Historical-Critical Introduction, Edinburgh 2017, 111-137. 38  Vgl. Angelika Neuwirth, Der Koran, Band 2/1: Frühmittelmekkanische Suren, Berlin 2017.

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sämtlicher Schritte historisch-kritischer Exegese bearbeitet. Aus dieser Modifizierung der Anordnung ergeben sich keine logischen und chronologischen Inkonsistenzen, da ich bei intertextuellen Bezügen und Verweisen zwischen den Suren stets der relativen Chronologie und Klassifizierung der Suren gefolgt bin. Entscheidend für diese Arbeit ist aber, dass die hier kommentierten mittelmekkanischen Suren in ihrer Gesamtstoßrichtung jeweils die Ereignisse um 614 n. Chr. und den damit verbundenen eschatologischen und apokalyptischen Diskurshorizont im Blick haben.

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Kapitel 2

Q 17:4-8 – Die eschatologische Dekontextualisierung des Tempels Auch zwei Jahrzehnte nach Busses Aufsatz zur traditionellen Exegese der zwei Tempelzerstörungen in Q 17:4-8, kann sein forschungsgeschichtlicher Befund von damals weiterhin Gültigkeit beanspruchen: Much research is devoted to Sūra 17:1, the story of Muḥammad’s Night Journey and Ascension, according to Muslim tradition. Sūra 17:2-8 has practically remained outside the realm of critical scholarship.1

Während der enigmatisch wirkende Beginn von Q 17 stets zu einer regen Forschung zur Exegese dieses Verses veranlasst hat2, wird die Darstellung der beiden Tempelzerstörungen in Q 17:4-8 weiterhin stiefmütterlich behandelt. Die Encyclopedia of the Quran enthält keinen separaten Eintrag zu den Tempelzerstörungen, geschweige denn einen Eintrag, der exklusiv der Frage nach der koranischen Perspektive auf den jüdischen Tempel nachgehen würde. Dabei enthält die koranische Darstellung der beiden Tempelzerstörungen, im Kontext der Ereignisse zu Beginn des siebten Jahrhunderts, eine religionspolitisch und weltgeschichtlich sehr einschneidende Deutung. Die entsprechende Perikope aus Q 17 lautet3: 4 wa-qaḍainā ʾilā banī ʾisrāʾīla fi l-kitābi la-tufsidunna fi l-ʾarḍi marrataini wa-la-taʿlunna ʿuluwwan kabīrā

1  Heribert Busse, The Destruction of the Temple and Its Reconstruction in the Light of Muslim Exegesis of Sūra 17:2-8. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 20, 1996, 1-17, hier 1. 2  Vgl. Heribert Busse, Jerusalem in the Story of Muhammad’s Night Journey and Ascension. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 14, 1991, 1-40; Uri Rubin, Muhammad’s Night Journey (Isrāʾ) to al-Masjid al-Aqṣā. In: Al-Qantara 29, 2008, 147-164; Josef van Ess, Vision and Ascension. Sūrat al-Najm and its relationship with Muḥammadʾs miʿrāj. In: Journal of Qurʾanic Studies 1, 1999, 47-62. 3  Verse aus dem Koran sind im Rahmen dieser Arbeit neu übersetzt worden. Bibelzitate werden nach der Elberfelder Übersetzung wiedergegeben. Die Transkription des arabischen Textes orientiert sich an den Regeln der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft.

© Verlag Ferdinand Schöningh, 2020 | doi:10.30965/9783657704323_003 Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Kapitel 2

5 fa-ʾiḏā ǧāʾa waʿdu ʾūlāhumā baʿaṯnā ʿalaikum ʿibādan lanā ʾūlī ba‌ ʾsin šadīdin fa-ǧāsū ḫilāla d-diyāri wa-kāna waʿdan mafʿūlā 6 ṯumma radadnā la-kumu l-karrata ʿalaihim wa-ʾamdadnākum bi-ʾamwālin wa-banīna wa-ǧaʿalnākum ʾakṯara nafīrā 7 ʾin ʾaḥsantum ʾaḥsantum li-ʾanfusikum wa-ʾin ʾasa‌ʾtum fa-lahā fa-ʾiḏā ǧāʾa waʿdu l-ʾāḫirati li-yasūʾū wuǧūhakum wa-li-yadḫulu l-masǧida ka-mā daḫalūhu ʾawwala marratin wa-li-yutabbirū mā ʿalau tatbīrā 8 ʿasā rabbukum ʾan yarḥamakum wa-ʾin ʿudtum ʿudnā wa-ǧaʿalnā ǧahannama li-l-kāfirīna ḥaṣīrā 4 Und wir bestimmten für die Söhne Israels in der Schrift: „Zweimal werdet ihr im Lande Unheil anrichten und ihr werdet euch in großer Überheblichkeit erheben! 5 Und wenn sich die erste der beiden Verheißungen erfüllt, schicken wir gegen euch unsere Diener, von gewaltiger Kraft. Sie durchstreifen die Häuser, und die Verheißung Gottes wird sich dann erfüllen. 6 Dann lassen wir euch wieder die Oberhand über sie gewinnen, und verleihen euch Reichtümer und Söhne, und machen euch so zu einer stärkeren Truppe. 7 Wenn ihr gut handelt, dann handelt ihr für euch selber gut, wenn ihr schlecht handelt, dann gegen euch selbst. Und wenn sich die letzte Verheißung erfüllt,  dann sollen sie euer Antlitz trüben und im Tempel eindringen, wie sie beim ersten Mal eindrangen, und sie sollen völlig zerstören, wessen sie habhaft werden. 8 Vielleicht wird sich euer Herr über euch erbarmen! Wenn ihr umkehrt, dann kehren auch wir um. Doch wir haben die Hölle zu einem Gefängnis für die Ungläubigen gemacht.“

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Die eschatologische Dekontextualisierung des Tempels

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Auch wenn die traditionelle muslimische Exegese ganz unterschiedliche Ereignisse aus der jüdischen Geschichte mit den beiden Verheißungen (waʿdān) an die Israeliten in dieser koranischen Perikope verknüpft und gar mehr als zwei Verheißungen darin identifiziert4, so lässt der koranische Wortlaut selbst keinen Zweifel darüber, dass hier einzig die mit der Zerstörung des Tempels einhergehenden Eroberungen Jerusalems durch die Babylonier im Jahr 587 v. Chr. und durch die Römer 70 n. Chr. gemeint sein können. Explizit wird in Vers 7 mit dem nomen loci masǧid („Ort der Niederwerfung“) ein Kultbau als zentraler Ort der Heimsuchung expliziert, der beide Male (ka-mā daḫalūhu ʾawwala marratin, „wie sie beim ersten Mal eindrangen“) zerstört wurde. Die Zerstörung wird durch die intensivierte Form eines inneren Akkusativs (yutabbirū tatbīrā) beschrieben, die nicht nur der Einhaltung der Reimkongruenz dient, sondern auf das zweimalige und zerstörerische Inbrandsetzen des Tempels verweist. Die beiden Tempelzerstörungen sind in der koranischen Wiedergabe als sichere und gewisse Verheißungen (waʿdān) an die Israeliten konzipiert. Vergegenwärtigt man sich die christlichen und jüdischen Deutungen der beiden Tempelzerstörungen5, dann fällt auf, dass keine der klassischen Erklärungen und Bewertungen (Vergießen des unschuldigen Blutes im Tempel, Tötung des Gottessohnes, Ablehnung der Propheten, heilsgeschichtliche Wende bzw. Brechen des Bundes mit Gott etc.) im koranischen Zusammenhang erwähnt werden. Dabei enthält insbesondere die spätere Verkündigung einen ganzen Katalog an Laster der Israeliten (z.B. Bundesbruch, Tötung der Propheten etc. in Q 4:155 ff.), die auch dann nicht mit den beiden Tempelzerstörungen in einem kausalen Zusammenhang gestellt werden. Das im vierten Vers beschriebene Vergehen des ifsād („Unheil anrichten“) auf der Erde steht insbesondere im koranischen Sprachgebrauch der späteren Verkündigungsphase in unterschiedlichen Bedeutungszusammenhängen: So können damit Verfehlungen im Sinne einer moralischen Korruption gemeint sein. Dann steht ifsād im Gegensatz zu iṣlāḥ, also im Gegensatz zu dem Handeln, das auf die moralische, und auf den wahrhaftigen Glauben basierte, Ordnung und Frieden abzielt (Q 2:11; 26:15; 7:56; 7:85). Exemplarisch für eine derartige moralische Verfehlung steht etwa das Blutvergießen (Q 2:30). Ebenso kann mit ifsād die physische oder militärische Korruption gemeint sein, die sich im kriegerischen Gebaren (Q 27:34) und der Zerstörung (ihlāk) von Land äußert (Q 2:205). Und schließlich bezeichnet ifsād die bundestheologische Korruption als das Brechen des Eides mit Gott (Q 2:27; 13:25). Im Rahmen dieses Bedeutungsspektrums 4  Vgl. Busse, The Destruction of the Temple. 5  Vgl. Heinz-Martin Döpp, Die Deutung der Zerstörung Jerusalems und des Zweiten Tempels im Jahre 70 in den ersten drei Jahrhunderten n. Chr., Tübingen 1998.

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Kapitel 2

begegnen im Koran die mufsidūn als Prototypen der entsprechenden Vergehen (z. B.: Gog und Magog, die in der Endzeit auftreten und die Welt verwüsten, Q 18:94; oder Pharao, der insbesondere die moralische Korruption und physische Unterdrückung repräsentiert, Q 28:4 etc.). Das semantische Begriffsfeld von ifsād bezeichnet also insbesondere in der späteren Verkündigungsphase solche Vergehen (Blutvergießen, Bundesbruch etc.), die tatsächlich auch in den christlichen und jüdischen Deutungen der beiden Tempelzerstörungen nachweisbar sind. Und doch wird es in der koranischen Perikope von den beiden Tempelzerstörungen vermieden, einen konkreten Kausalzusammenhang beider Ereignisse mit bestimmten Verfehlungen herzustellen. Weitaus bedeutsamer im koranischen Wortlaut sind die Stringenz und die Linearität, mit der sich beide Verheißungen auch tatsächlich erfüllen, die man derart gar im Sinne einer heilsgeschichtlichen Notwendigkeit verstehen könnte, die das israelitische Volk von jeglichem Fehlverhalten exkulpiert. Deshalb werden gleichzeitig die heilsbezogenen Implikationen menschlicher Taten (V. 7) und die Umkehrbereitschaft Gottes im Falle der Reue von Menschen betont (V. 8). Die Omniszienz Gottes schließt zwar den Verlauf der Geschichte mit ein, determiniert diesen aber nicht im Sinne eines Fatalismus. Die Nachdrücklichkeit, mit der die Erfüllung der beiden Tempelzerstörungen in Q 17:4-8 geschildert wird, erinnert in der frühmittelmekkanischen Phase an den modus operandi göttlicher Intervention im Straflegendenmodell.6 Im jeweiligen narrativen Mittelteil dieser Suren wird beschrieben, wie Gott seine Gesandten errettet und ihre Peiniger bestraft (ihlāk). Die Erinnerung an diese Straflegenden dient der Selbstvergewisserung der urmuslimischen Gemeinde, dass auch sie als Gottesdiener mit Gewissheit auf Gottes Intervention zu ihrem Schutz hoffen können. Und doch laufen die beiden Tempelzerstörungen nicht wie eine Straflegende ab. Das israelitische Volk wird nicht explizit der Ablehnung von Gesandten beschuldigt und wird auch nicht gänzlich zerstört. Im Gegenteil, es kann nach der zweiten Tempelzerstörung weiterhin auf Gottes Barmherzigkeit hoffen. Was die beiden Verheißungen (waʿdān) von den Tempelzerstörungen und den göttlichen ihlāk vereint, ist die Gewissheit und Konsequenz, mit der diese tatsächlich auch eintreten. In der Sure 21 (al-ʾanbiyāʾ, „die Propheten“) wird später eine ganze Theologie göttlicher Verheißungen (wuʿūd) entwickelt, die explizit die Erfüllung der Verheißung von der göttlichen Intervention zu Gunsten seiner Diener (waʿdu l-ihlāk) in Übereinstimmung mit anderen göttlichen Verheißungen betont.7

6  Vgl. Josef Horovitz, Koranische Untersuchungen, Berlin 1926, 1-32. 7  Siehe Kapitel 8.

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Die eschatologische Dekontextualisierung des Tempels

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Die theologische Stoßrichtung der koranischen Darstellung der beiden Tempelzerstörungen lässt sich besser explizieren, wenn man diese mit der Bewertung der ersten Tempelzerstörung in 1 Kön 9,1-8 vergleicht. Nach der Vervollständigung des Tempelbaus durch Salomo spricht Gott zu ihm und verknüpft das ewige Bestehen des davidischen Königtums und des Tempels mit bestimmten Bedingungen: Und es geschah, als Salomo den Bau des Hauses des HERRN und des Hauses des Königs vollendet hatte, dazu alles, was Salomo gefiel, alles, was er auszuführen wünschte, da erschien der HERR dem Salomo zum zweiten Mal, wie er ihm in Gibeon erschienen war. Und der HERR sprach zu ihm: Ich habe dein Gebet und dein Flehen gehört, das du vor mir gefleht hast. Ich habe dieses Haus, das du gebaut hast, geheiligt, um meinen Namen dort niederzulegen für ewig; und meine Augen und mein Herz sollen allezeit dort gegenwärtig sein. Und du, wenn du vor mir lebst, ebenso wie dein Vater David gelebt hat in Lauterkeit des Herzens und in Aufrichtigkeit, indem du nach allem handelst, was ich dir geboten habe, und wenn du meine Ordnungen und meine Rechtsbestimmungen einhältst, dann werde ich den Thron deines Königtums über Israel festigen für ewig, so wie ich über deinen Vater David geredet habe, als ich sprach: Es soll dir nicht an einem Mann auf dem Thron Israels fehlen. Wenn ihr euch aber von mir abwendet, ihr und eure Kinder, und meine Gebote und meine Ordnungen, die ich euch vorgelegt habe, nicht einhaltet, sondern hingeht und anderen Göttern dient und euch vor ihnen niederwerft, dann werde ich Israel ausrotten aus dem Land, das ich ihnen gegeben habe; und das Haus, das ich meinem Namen geheiligt habe, werde ich von meinem Angesicht wegstoßen. So wird Israel zum Sprichwort und zur Spottrede unter allen Völkern werden. Und dieses Haus wird eine Trümmerstätte werden; jeder, der an ihm vorübergeht, wird sich entsetzen und pfeifen. Und man wird sagen: Warum hat der HERR an diesem Land und an diesem Haus so gehandelt? Dann wird man sagen: Weil sie den HERRN, ihren Gott, der ihre Väter aus dem Land Ägypten herausgeführt hat, verlassen und sich an andere Götter gehalten haben und sich vor ihnen niedergeworfen und ihnen gedient haben, darum hat der HERR all dieses Unheil über sie gebracht. (1 Kön 9,1-9)

Diese göttliche Verheißung gegenüber Salomo dient ex eventu zur Benennung einiger Gründe und Verfehlungen, die schließlich zur traumatischen Erfahrung der ersten Tempelzerstörung 587 v. Chr. geführt haben. Während aber die Verheißung gegenüber Salomo noch konditional formuliert ist, sind die Verheißungen im Koran zu den beiden Tempelzerstörungen final im Sinne des sicheren, ereignisgeschichtlichen Eintretens beschrieben. Auffällig dabei ist, dass diese nicht enumerativ als erste (al-waʿd al-awwal) und zweite Verheißung (al-waʿd aṯ-ṯānī) aufgezählt werden, sondern als erste (waʿdu ʾūlāhumā, „erste der beiden Verheißungen“) und letzte Verheißung (waʿdu l-ʾāḫirati, „die letzte Verheißung“). Die Genetivverbindung waʿdu l-ʾāḫirati lässt sich sowohl im

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Sinne des genitivus subjectivus („die letzte Verheißung“) als auch im Sinne des genitivus objectivus („Verheißung über das letzte Mal/Ende“) übersetzen. Im Kontext der Aufzählung ist es sogar naheliegender die Genitivverbindung als genitivus subjectivus wiederzugeben, weshalb dann Bobzin diese als „zweite Verheißung“ übersetzt. Und doch ist diese Übersetzung nicht ganz richtig, da im Arabischen eben nicht al-waʿd aṯ-ṯānī, sondern waʿdu l-ʾāḫirati steht. Die korrekte Übersetzung im Sinne des genitivus subjectivus lautet also: „die letzte Verheißung“. Die klare Trennung der Bedeutungsnuancen zwischen waʿdu l-ʾāḫirati und al-waʿd aṯ-ṯānī ist sehr wichtig, um die Pointe der koranischen Darstellung der beiden Tempelzerstörungen nicht zu verfehlen. Mit waʿdu l-ʾāḫirati wird koranisch auf eine Begrifflichkeit zurückgegriffen, dessen Mehrdeutigkeit hier bewusst intendiert ist. Al-ʾāḫira bezeichnet als das „Letzte“ oder das „Ende“ schlechthin auch im Koran das eschatologische Ende bzw. das Jenseits (Q 68:33, 59:3, 57:20 etc.). Liest man waʿdu l-ʾāḫirati im Sinne des genitivus objectivus dann kann man darunter auch die Verheißung über die Endzeit oder das Ende schlechthin verstehen. Tatsächlich wird im letzten Teil der Sure die Genitivverbindung waʿdu l-ʾāḫirati im eschatologischen Sinne verwendet: 104 wa-qulnā min baʿdihī li-banī ʾisrāʾīl uskunu l-ʾarḍa fa-ʾiḏā ǧāʾa waʿdu l-ʾāḫirati ǧiʾnā bikum lafīfā 104 Und wir sprachen hernach zu den Söhnen Israels: „Bewohnt das Land! Und wenn die Verheißung vom Jenseits sich erfüllt, dann bringen wir euch in einer Gruppe zusammen.“ In diesem Kontext ist waʿdu l-ʾāḫirati unmissverständlich im eschatologischen Verweiszusammenhang zu verstehen. Gemäß dem koranisch üblichen Bild der Zusammenführung aller Menschen zur Endzeit, werden auch die Israeliten dereinst versammelt. Diese eschatologische Referenz lässt sich natürlich auch im Sinne des genitivus subjectivus wiedergeben: „die jenseitige Verheißung“. Während der jeweilige Verszusammenhang verdeutlicht, dass in V. 7 aufgrund der Enumeration nur „die letzte Verheißung“ – im Gegensatz zur ersten Verheißung – gemeint sein kann und im Schlussteil der Sure in V. 104 nur „die Verheißung vom Jenseits“, spricht vieles dafür, dass diese Ambiguität koranisch als theologische Pointe zur Bewertung der beiden Tempelzerstörung nutzbar gemacht wird. Es ist nämlich der eschatologische und apokalyptische Zusammenhang zum jüdischen Tempel, der in Q 17 negiert werden soll. Denn

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Die eschatologische Dekontextualisierung des Tempels

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biblisch wird David im Prinzip das ewige Bestehen seines Königtums und seines Thrones versichert (2 Sam 7,12-16). Damit verknüpft ist natürlich auch das Bestehen des Hauses Gottes. In der jüdischen Tradition haben sich nach der Tempelzerstörung die eschatologisch-messianische Erwartung eines Messias davidischer Herkunft mit dem Wiederaufbau des Tempels und der Restitution des Tempeldienstes verknüpft. Die abschließenden Kapitel vom Buch Hesekiel wurden entsprechend eschatologisch gedeutet. Mit der Eroberung Jerusalems 614 n. Chr. wurden diese messianischen und eschatologischen Hoffnungen bei den Juden verstärkt.8 In diesem Zusammenhang ist auch die koranische Wiedergabe der beiden Tempelzerstörungen zu sehen. Bereits im Markusevangelium wird die zweite Tempelzerstörung in einem eschatologischen Zusammenhang gestellt: 1 Und als er aus dem Tempel heraustrat, sagt einer seiner Jünger zu ihm: Lehrer, sieh, was für Steine und was für Gebäude! 2 Und Jesus sprach zu ihm: Siehst du diese großen Gebäude? Hier wird nicht ein Stein auf dem anderen gelassen werden, der nicht abgebrochen werden wird. 3 Und als er auf dem Ölberg dem Tempel gegenübersaß, fragten ihn Petrus und Jakobus und Johannes und Andreas für sich allein: 4 Sage uns, wann wird das sein, und was ist das Zeichen, wann dies alles vollendet werden soll? 5 Jesus aber begann zu ihnen zu sprechen: Seht zu, dass euch niemand verführe! 6 Viele werden unter meinem Namen kommen und sagen: Ich bin’s! Und sie werden viele verführen. 7 Wenn ihr aber von Kriegen und Kriegsgerüchten hören werdet, so erschreckt nicht! Es muss geschehen, aber es ist noch nicht das Ende. 8 Denn es wird sich Nation gegen Nation und Königreich gegen Königreich erheben; es werden Erdbeben sein an verschiedenen Orten, es werden Hungersnöte sein. Dies ist der Anfang der Wehen. 9 Ihr aber, seht auf euch selbst! Euch werden sie an Gerichte überliefern, und in den Synagogen werdet ihr geschlagen werden, und ihr werdet vor Statthalter und Könige gestellt werden um meinetwillen, ihnen zu einem Zeugnis; 10 und allen Nationen muss vorher das Evangelium gepredigt werden. 11 Und wenn sie euch hinführen, um euch zu überliefern, so sorgt euch vorher nicht, was ihr reden sollt, sondern was euch in jener Stunde gegeben wird, das redet! Denn nicht ihr seid die Redenden, sondern der Heilige Geist. 12 Und es wird der Bruder den Bruder zum Tod überliefern und der Vater das Kind; und Kinder werden sich gegen Eltern erheben und sie zu Tode bringen. 13 Und ihr werdet von allen gehasst werden um meines Namens willen; wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden. 14 Wenn ihr aber den Gräuel der Verwüstung stehen seht, wo er nicht sollte – wer es liest, merke auf! –, dann sollen die in Judäa auf die Berge fliehen;15 wer auf dem Dach ist, soll nicht hinabsteigen und nicht hineingehen, um etwas aus seinem Haus zu holen; 16 und wer auf dem Feld ist, soll nicht zurückkehren, um seinen Mantel zu holen. 17 Wehe aber den Schwangeren und den Stillenden in jenen Tagen! 18 8  Siehe Kapitel 1.1.

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Kapitel 2 Betet aber, dass es nicht im Winter geschehe! 19 Denn jene Tage werden eine Bedrängnis sein, wie sie von Anfang der Schöpfung, die Gott geschaffen hat, bis jetzt nicht gewesen ist und nicht sein wird. 20 Und wenn nicht der Herr die Tage verkürzt hätte, würde kein Fleisch gerettet werden; aber um der Auserwählten willen, die er auserwählt hat, hat er die Tage verkürzt. 21 Und wenn dann jemand zu euch sagt: Siehe, hier ist der Christus! Siehe dort!, so glaubt nicht! 22 Es werden aber falsche Christusse und falsche Propheten aufstehen und werden Zeichen und Wunder tun, um, wenn möglich, die Auserwählten zu verführen. 23 Ihr aber, seht zu! Ich habe euch alles vorhergesagt. 24 Aber in jenen Tagen, nach jener Bedrängnis, wird die Sonne verfinstert werden und der Mond seinen Schein nicht geben; 25 und die Sterne werden vom Himmel herabfallen, und die Kräfte in den Himmeln werden erschüttert werden. 26 Und dann werden sie den Sohn des Menschen kommen sehen in Wolken mit großer Macht und Herrlichkeit. 27 Und dann wird er die Engel aussenden und seine Auserwählten versammeln von den vier Winden her, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels. (Mk 13, 1-26)

Während bei Markus die Verheißung von der zweiten Tempelzerstörung in aller Deutlichkeit mit der Auflösung der Welt zur Endzeit, den damit verbundenen Versuchungen, dem Kommen des Menschensohnes und der endzeitlichen Versammlung der Menschen verknüpft wird, ist in der koranischen Darstellung die Verheißung von der zweiten Tempelzerstörung eschatologisch dekontextualisiert. Die zweite Tempelzerstörung hat gemäß der von Gott vorhergesehenen Erfüllung schon stattgefunden. Im Schlussteil der Sure wird dagegen die noch bevorstehende Verheißung vom Jenseits und der Versammlung aller Menschen (auch der Israeliten) abgegrenzt. Dass die koranische Darstellung der beiden Tempelzerstörungen jegliche weiteren Verheißungen über den Tempel, seines möglichen Wiederaufbaus und seiner zukünftig eschatologischen Bedeutung negiert, wird vor dem Hintergrund der Verheißungen zum Tempel in der syrischen Baruchapokalypse evident.9 Dort wird zu den Verheißungen zu den beiden Tempelzerstörungen eine dritte Verheißung ergänzt: Denn Zions Bau wird kurze Zeit danach bewegt, um wiederaufgebaut zu werden. Doch dies Gebäude wird nicht bleiben, vielmehr wird es nach einiger Zeit entwurzelt werden und dann verlassen sein bis auf die (vorbestimmte) Zeit. Nachher muß es erneuert werden dann in Herrlichkeit, vollendet aufgebaut bis in die Ewigkeit. (syrBar 32,2-4)10 9   Ursprünglich ist die Baruchapokalypse zwischen 100-130 n. Chr. entstanden (vgl. A.F.J. Klijn (Übersetzer), Die syrische Baruch-Apokalypse. In: Werner Georg Kümmel (Hg.), Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit. Band V, Lieferung 2, Gütersloh 1976, 103-186, hier 114). 10  Ebd., 143; Daniel M. Gurtner (Editor), Second Baruch: A Critical Edition of the Syriac Text, New York 2009, 68. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

Die eschatologische Dekontextualisierung des Tempels

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Diese dritte Verheißung bezüglich des Tempels bezieht sich hier auf seinen irdischen Wiederaufbau und seinen ewigen Bestand danach. Dass diese in der syrischen Baruchapokalypse in einem eschatologischen Kontext steht, wird aus einer Vision von Baruch deutlich, in der er die Engel sieht, wie sie, bevor sie in Jerusalem das zerstörerische Feuer entfachen, die Devotionalien im Tempel in Sicherheit bringen: Und ich schaute: Siehe, vier Engel standen auf den vier Ecken der Stadt, (und) ein jeder von ihnen trug eine Feuerfackel in seinen Händen. Ein anderer Engel stieg vom Himmel herab und sprach zu ihnen: „Haltet eure Fackeln fest und zündet sie erst an, wenn ich’s euch sagen Werde. Denn ich bin gesandt, daß ich zuvor ein Wort zur Erde spreche und bei ihr in Verwahrung gebe, was der Höchste (Herr) mir aufgetragen.“ Und ich sah ihn hinabsteigen in das Allerheiligste und von dort mitnehmen den Vorhang, den heiligen Efod, den Sühnedeckel, die zwei Tafeln, das heilige Priesterkleid, den Räucheraltar, die 48 Edelsteine, die der Priester trug, und alle heiligen Geräte des Zeltes. Und er sprach zur Erde mit lauter Stimme: „Erde, Erde, Erde, höre das Wort des mächtigen Gottes und nimm die Dinge in Empfang, die ich dir anvertraue, und bewahre sie bis auf die letzten Zeiten. Alsdann sollst du sie wiederbringen, wenn es dir aufgetragen wird, damit die Fremden sie nicht rauben können. Denn gekommen ist die Zeit, daß auch Jerusalem für eine Zeit soll preisgegeben werden, bis zu dem Augenblick, in dem es heißt: ‚Erbaut soll wiederum es werden bis in Ewigkeit!‘“ (syrBar 6,4-9)11

Indem die Engel und nicht – realgeschichtlich – die Römer als diejenigen beschrieben werden, die das Feuer legen, erscheint die zweite Tempelzerstörung als ein von Gott, in seiner historischen Heilsökonomie, vorhergesehenes und bestimmtes Ereignis.12 Dass es koranisch auch die Diener Gottes (ʿibādan lanā, „unsere Diener“, Q 17:5) sind, die jeweils als Protagonisten der Zerstörung benannt werden, könnte ein Hinweis auf die Engel als Agenten des göttlichen Ratschlusses wie in der syrischen Baruchapokalypse sein. Entscheidend ist, dass die Engel den Aufbau des ewigen Tempels für die Endzeit voraussagen. In der koranischen Darstellung der beiden Tempelzerstörungen wird sowohl eine 11  Klijn (Übersetzer), Die syrische Baruch-Apokalypse, 126 f.; Gurtner (Editor), Second Baruch, 34/36. 12  Der jüdische Historiker Flavius Josephus exkulpiert die Römer von der Schuld der Zerstörung Jerusalems. Nach seiner Darstellung erscheint es, als ob die Römer geradezu zu diesem Schritt gezwungen wurden (Vgl. Döpp, Die Deutung der Zerstörung Jerusalems, 102 f.). Vgl. auch die Darstellung der sassanidischen Eroberung Jerusalems in 614 n.Chr. bei Antiochos von Saba, der beschreibt, wie die Engel auf Gottes Befehl Jerusalem verlassen und diese dem Feind übergeben (vgl. Conybeare, Antiochus Strategos’ Account of the Sack of Jerusalem in A.D. 614, 505 f.). Jedoch werden die Engel hier nicht wie in der syrischen Baruchapokalypse oder im Koran angedeutet aktiv als Agenten der göttlich gewollten Zerstörung beschrieben. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Kapitel 2

dritte Verheißung in Bezug auf den Tempel als auch seine eschatologische Bedeutung verneint. Deshalb wird die zweite Tempelzerstörung nicht als al-waʿd aṯ-ṯānī („die zweite Verheißung“), sondern als waʿdu l-ʾāḫira („die letzte Verheißung“) gekennzeichnet. Es gibt keine dritte Verheißung (al-waʿd aṯ-ṯāliṯ). Die jenseitige Verheißung wird den Israeliten dagegen im Schlussteil der Sure ohne jeglichen Verweis auf den Tempel verkündigt (Q 17:104). Die sassanidische Eroberung Jerusalems 614 n. Chr. und die kurzeitige Verfügung der Juden über das Areal des ehemaligen Tempels haben die Hoffnungen auf den Messias und den Wiederaufbau des Tempels wieder erstarken lassen. Ein Zeugnis dafür liefert die jüdisch-liturgische Dichtung, die nach den Ereignissen von 614 n. Chr. und den unmittelbaren Jahren danach entstanden ist. So werden im folgenden Gedicht die kriegerischen Auseinandersetzungen zu Beginn des siebten Jahrhunderts zwischen Persien und Byzanz, die jeweils typologisch durch Assyrien und Edom bezeichnet werden, und die Ereignisse unmittelbar nach der Eroberung Jerusalems 614 n. Chr. aus jüdischer Perspektive beschrieben: And Assyria shall go forth against her (Edom) And will plant our gear along her borders, and Assyria will destroy all her tents, all her idols will be shamed, all her images will be confounded, panic will Assyria install in her, […] A brief respite will then be gained by the people of holiness, Assyria allowing them to found a temple of holiness, and they will build there an altar of holiness and they will sacrifice offerings of holiness, but they will not have the chance to erect the mountain of holiness, for there has yet been no scion of the root of holiness. First there will come the advance guard into a temple (synagogue) there to talk to the people, and he will be made a general and a head. Within three months he will carry; upon him a general will pounce, and in the temple he will be trampled and on the rock his blood will be split.13

Das Gedicht beschreibt zunächst die persischen Eroberungen seit der Aufkündigung des Friedens mit Byzanz ab 603 n. Chr.14 Sodann wird auch die von christlichen Geschichtsquellen bezeugte kurzzeitige Kollaboration zwischen 13  Sivan, From Byzantine to Persian Jerusalem, 288 f. 14  Vgl. ebd., 289 f.

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Die eschatologische Dekontextualisierung des Tempels

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den Sassaniden und den Juden expliziert, die zwar nicht den Tempel wieder aufbauen können, jedoch in einem kleineren Kultbau den Tempeldienst wieder restituieren.15 Zum Schluss wird von einem jüdischen Anführer berichtet, der gemäß dem in der jüdischen Tradition geschilderten kriegerischen Messias nichtdavidischer Herkunft, der wiederum vor dem Erscheinen des eigentlichen Messias davidischer Herkunft getötet wird16, wirkt. Letzteres bringt auch zum Ausdruck, dass die persische Zusammenarbeit mit den Juden nicht von langer Dauer gewesen ist.17 Die koranische Darstellung der beiden Tempelzerstörungen in Q 17:4-8 lehnt jegliche dritte Verheißung des Tempels ab. Der jüdische Tempel wurde gemäß der letzten Verheißung zerstört und hat keine eschatologische, apokalyptische oder messianische Bedeutung mehr. Vergegenwärtigt man sich die von Angelika Neuwirth postulierte These, dass allein die Komposition der mittelmekkanischen Suren auf eine kultische Orientierung der Gemeinde in Richtung Jerusalem hinweist18, dann liest sich die Darstellung der beiden Tempelzerstörungen wie die Ablehnung einer eschatologischen Bedeutung des Tempels über die spirituelle Bedeutung seines ehemaligen Standortes hinaus. Auch wenn die im ersten Vers der Sure al-ʾisrāʾ individuell in Bezug auf den Propheten formulierte spirituelle und kultische Orientierung der Gemeinde in Richtung Jerusalem in dieser Phase der Verkündigung feststeht, so wird gleichzeitig für die Gemeinde angesichts der Ereignisse um das Jahr 614 n. Chr. betont, dass damit kein realer Exodus der Gemeinde nach Jerusalem und die Hoffnung auf einen Wiederaufbau des Tempels im Rahmen eines messianischen Zeitalters gemeint sein kann. Dass die koranische Darstellung der beiden Tempelzerstörungen tatsächlich um die Frage nach dem zukünftigen Tempel kreist, wird durch ein weiteres Indiz angezeigt. Sowohl das Ziel des Gottesdieners Muhammad im ersten Vers der Sure als auch der Tempel in der Darstellung der beiden Eroberungen Jerusalems (Q 17:7) werden als masǧid bezeichnet. Die Beschreibung dieses masǧid in Q 17:1 als „rundherum gesegnet“ (allaḏī bāraknā ḥaulahū) erinnert an die Charakterisierung des Tempels in Kapitel 43 des Buches Hesekiel: Das ist die Weisung für das Tempelhaus: Auf der Kuppe des Berges soll sein ganzes Gebiet ringsherum hochheilig sein (gevulo saviv saviv qodeš qodašim); siehe, das ist die Weisung für das Tempelhaus. (Ez 43,12) 15  Vgl. ebd., 291-293. 16  Vgl. Klausner, The Messianic Idea in Israel, 483-501.; Benjamin Uffenheimer, Art. Eschatologie III. In: Theologische Realenzyklopädie 10, 264-270, hier 266 f. 17  Vgl. Sivan, From Byzantine to Persian Jerusalem, 291-293. 18  Vgl. Angelika Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang, Berlin 2010, 365 f., 542-546.

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Kapitel 2

Diese identische Beschreibung zur koranischen Kennzeichnung des Tempels steht im Rahmen des Buchs Hesekiel im Kontext der Vision des Propheten vom zukünftigen Tempel, nachdem der Herr wieder in diesen eingezogen ist. Eben diese letzten Kapitel des Buches Hesekiel bilden die eminente Grundlage für den Diskurs um den eschatologischen Tempel und die Geschehnisse zur Endzeit. Während in der Hinwendung des Propheten, der in der Vision vom zukünftigen Tempel beschriebene heilige Bezirk auch den kultischen Orientierungspunkt bildet, so wird jegliche weitere Verheißung bezüglich des jüdischen Tempels und seines Wiederaufbaus – sei dieser eschatologisch, messianisch oder apokalyptisch motiviert – in der Darstellung der zweiten Tempelzerstörung als letzte Verheißung (Q 17:7) abgelehnt.

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kapitel 3

Q 19:1-33 – Die bundestheologische Bedeutung des Tempels und die Mutter des Messias Die in der koranischen Darstellung der beiden Tempelzerstörungen beschriebene Negierung einer zukünftigen Bedeutung des jüdischen Tempels und seine eschatologische Dekontextualisierung setzen sich in der Wahrnehmung des Tempels als Symbol des Bundes mit Gott und als Ort des priesterlichen Kultes fort. Die Evangelien geben mit der Darstellung der Geburt und des Wirkens Jesu eine Antwort auf die messianischen Hoffnungen, die sich in Jesus Christus erfüllen und legen dar, welche bundestheologischen und kultischen Implikationen diese haben. Der jüdische Tempel wird dabei zum Symbol der religionspolitischen Frage nach den wahren Bundesgenossen Gottes, nach dem wahren Kult und nach der wahren Erfüllung göttlicher Verheißungen an seine Diener. Die koranische Darstellung der beiden Geburtsgeschichten von Johannes und Jesus in Q 19:1-33 nimmt Bezug auf einen christlich-jüdischen Diskurs über die Frage nach der rechtmäßigen Nachfolge des Tempelkultes und Gottesbundes, der narrativ bereits in der Darstellung der Geburtsgeschichte Jesu im einleitenden Teil des Lukasevangeliums entfaltet wird und nach einer langen rezeptionsgeschichtlichen Vertiefung zu Beginn des siebten Jahrhunderts aufgrund der historischen Ereignisse und der Genese des Islams an Aktualität gewinnt. In der Forschung ist das Verhältnis der beiden Geburtsgeschichten in Q 19:1-33 zur Darstellung dieses Narratives im Lukasevangelium und im Protevangelium des Jakobus bereits ausführlich besprochen und kommentiert worden.1 Im Folgenden soll die koranische Darstellung dieser Stoffe aus der dezidierten Perspektive ihrer religionsgeschichtlichen Aktualität zu Beginn des siebten Jahrhunderts und unter Bezugnahme bisher unbeachteter Texte aus dieser Zeit betrachtet werden.

1  Vgl. Neuwirth, Der Koran, Band 2/1, 584-658; Cornelia Horn, Tracing the reception of the protoevangelium of James in late antique Arabia. The case of the poetry of Umayya ibn Abī aṣ-Ṣalt and its intersection with the Quran. In: Kirill Dmitriev/Isabel Toral-Niehoff (Hg.), Religious culture in late antique Arabia. Selected studies on the late antique religious mind, Piscataway 2017, 123-146; Cornelia Horn, Intersections: The Reception History of the Protoevangelium of James in Sources from the Christian East and in the Qu’ran. In: Apocrypha. Revue internationale des littératures apocryphes, Bd. 17, 2006, 113-150.

© Verlag Ferdinand Schöningh, 2020 | doi:10.30965/9783657704323_004 Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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kapitel 3

Die beiden Geburtsgeschichten von Johannes dem Täufer und Jesus zu Beginn des Lukasevangeliums dienen zum Nachweis der Erfüllung messianischer und bundestheologischer Zusagen Gottes an das Volk Israel. Entscheidend für die Relation zwischen Johannes dem Täufer und Jesus sind jeweils die beiden Verheißungen ihrer Geburt. Die Eltern von Johannes, Zacharias und Elisabeth, entstammen jeweils priesterlichen Familien und repräsentieren somit den israelitischen Tempelkult. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Priester ergeht an Zacharias die Verheißung der Geburt von Johannes: Der Engel aber sprach zu ihm: Fürchte dich nicht, Zacharias! Denn dein Flehen ist erhört, und Elisabeth, deine Frau, wird dir einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen Johannes nennen. Und er wird dir zur Freude und zum Jubel sein, und viele werden sich über seine Geburt freuen. Denn er wird groß sein vor dem Herrn; weder Wein noch starkes Getränk wird er trinken und schon von Mutterleibe an mit Heiligem Geist erfüllt werden. Und viele der Söhne Israels wird er zu dem Herrn, ihrem Gott, bekehren. Und er wird vor ihm hergehen in dem Geist und der Kraft des Elia, um der Väter Herzen zu bekehren zu den Kindern und Ungehorsame zur Gesinnung von Gerechten, um dem Herrn ein zugerüstetes Volk zu bereiten. (Lk 1,13-17)

Johannes der Täufer wird als zweiter Elia geschildert, der gemäß einer Verheißung des Propheten Maleachi (Mal 3,23-24) das Volk Israel zur Umkehr aufrufen wird. Der Prophet Maleachi selbst kritisiert entschieden die Priester für die falsche Ausführung des Tempelkultes (Mal 2,1-9) und ruft zum rechten Tempeldienst (Mal 1,6-14) auf. Johannes der Täufer führt entsprechend seiner Darstellung in den Evangelien nicht das Priesteramt seines Vaters fort, sondern wirkt auch als Prophet. In der Verheißung seiner Geburt deutet sich aber an, dass er die Rolle eines „Wegbereiters“ zu einem göttlichen Messias hat (vgl. auch Lk 3,15-17) und seine Tätigkeit nicht allein in der Umkehr des einen israelitischen Volkes besteht, sondern in der Vorbereitung der ewigen Gottesherrschaft. In der Verheißung der Geburt Jesu zeigt sich, dass er als Messias dieses Gottesreich begründet: Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Denn du hast Gnade bei Gott gefunden. Und siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen Jesus nennen. Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und der Herr, Gott, wird ihm den Thron seines Vaters David geben; und er wird über das Haus Jakobs herrschen in Ewigkeit, und seines Königtums wird kein Ende sein. (Lk 1,30-33)

Nach der Geburt des Johannes preist Zacharias Gott ausdrücklich dafür, dass er mit der Sendung von Jesus als Messias davidischer Herkunft seinen Bund

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Die bundestheologische Bedeutung des Tempels

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mit Abraham (Gen 22,16-18) erfüllt und Johannes als seinen Vorgänger entsendet hat: Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels, dass er sein Volk angesehen und ihm Erlösung geschaffen hat. Er hat uns ein Horn des Heils aufgerichtet im Hause Davids, seines Knechtes, wie er geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten von Ewigkeit her: Rettung von unseren Feinden und von der Hand aller, die uns hassen; um Barmherzigkeit zu üben an unseren Vätern und seines heiligen Bundes zu gedenken, des Eides, den er Abraham, unserem Vater, geschworen hat; und uns zu geben, dass wir, gerettet aus der Hand unserer Feinde, ohne Furcht ihm dienen sollen in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor ihm alle unsere Tage. Und du, Kind, wirst ein Prophet des Höchsten genannt werden; denn du wirst vor dem Angesicht des Herrn hergehen, seine Wege zu bereiten, […] (Lk 1,68-76)

Auch Simeon, dem vom heiligen Geist eingegeben wurde, dass er nicht sterben wird, bevor er den Messias gesehen hat, bezeugt beim Anblick von Jesus im Säuglingsalter, dass er nun sterben könne und dass die Mission Jesu nicht nur die Israeliten umfasst, sondern dass die von ihm ausgehende Rettung und das ewige Gottesreich auch für die Heiden ein Zeichen ist: Nun, Herr, entlässt du deinen Knecht nach deinem Wort in Frieden; denn meine Augen haben dein Heil gesehen, das du bereitet hast im Angesicht aller Völker: ein Licht zur Offenbarung für die Nationen und zur Herrlichkeit deines Volkes Israel. (Lk 2,29-32)

Im Kern markiert die Erzählung der beiden Geburtsgeschichten im Lukasevangelium eine heilsgeschichtliche Wende: Durch die Erfüllung der messianischen Verheißung in Jesus erneuert Gott den abrahamitischen Bund. Der jüdische Tempel mit dem priesterlichen Kult symbolisiert dabei den älteren Bund, der nun substituiert wird.2 Die Verheißungen der jeweiligen Geburt von Johannes dem Täufer und Jesus dienen zur Kennzeichnung des bundestheologischen Übergangs: Johannes führt als Sohn des Priesters 2  In der modernen christlichen Exegese werden derartige Überbietungsansprüche zurückgenommen. Vgl. diesbezüglich insbesondere die Arbeiten von Maria Neubrand (Maria Neubrand, „Der nie gekündigte Bund Gottes mit Israel“. Das Zweite Vatikanische Konzil und seine Erklärung zum jüdischen Volk (Nostra Aetate 4). In: Berthold Wald (Hg.), Krise und Erneuerung der Kirche. Das Zweite Vatikanische Konzil, Paderborn 2016, 171-198; dies., Der Messias Israels und die Völker (Apg 15,14-21). Zur universalen Hoffnungsperspektive des lukanischen Doppelwerks. In: BiKi 69, 2014, 222-227; dies., „Ein Volk aus Nichtjuden“ (Apg 15,14). Die bleibende Erwählung Israels und die Erwählung aus den Völkern im lukanischen Doppelwerk. In: Hubert Frankemölle/Josef Wohlmuth (Hg.), Das Heil der Anderen. Problemfeld: „Judenmission“, QD 238, Freiburg i. Br. 2010, 289-310.

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kapitel 3

Zacharias nicht mehr den Tempeldienst fort, sondern bereitet in seiner Umkehrpredigt den Übergang zur Erneuerung des Bundes durch den Messias vor (Johannes selbst wird getötet). Durch die faktische Zerstörung des Tempels war eine Fortsetzung des priesterlichen Kultes ohnehin nicht mehr möglich. An dessen Stelle traten jeweils die Synagoge und die Kirche. Die Ekklesia ist aus christlicher Perspektive der Träger des neuen ewigen Bundes mit Gott. Im Lukasevangelium ist die genealogische Affiliation von Maria mit dem Tempel nur angedeutet. Sie ist mit Elisabeth verwandt (Lk 1,36), die selbst aus dem priesterlichen Geschlecht Aarons stammt (Lk 1,5). Das apokryphe Protevangelium des Jakobus, das spätestens zu Beginn des vierten Jahrhunderts die uns heute bekannte Form hatte3, enthält die „Vorgeschichte“ Marias und konzipiert diese derart, dass die im Lukasevangelium gezeichneten Entwicklungslinien gefestigt und gestärkt werden: Die jüdischen Eltern Marias, Joachim und Anna, beklagen zu Beginn des Protevangeliums ihre Kinderlosigkeit. So darf Joachim die Opfergaben nicht als erster darbringen, da er keine Nachkommen hat. Er erinnert sich an das Beispiel Abrahams, der auch im fortgeschrittenen Alter Nachkommen bekam, sodass er sich für eine vierzigtägige Fastenzeit zurückzieht, um Gott um sein Wohlwollen zu bitten. Auch Anna beklagt das fehlende Kinderglück und stimmt ein Klagelied an. Schließlich werden ihre Gebete erhört. Ein Engel erscheint beiden und verkündet ihnen jeweils die Geburt Marias: Und siehe, ein Engel des Herrn trat herzu und sagte: ‚Anna, Anna, Gott der Herr hat deine Bitte erhört. Du wirst empfangen und gebären, und von deinem Kind wird man auf dem ganzen Erdkreis reden.‘ […] Ein Engel des Herrn war […] zu Joachim herabgestiegen und hatte (ihm) gesagt: ‚Joachim, Joachim, Gott, der Herr hat deine Bitte erhört. (4,1-2)4

Anna verspricht, dass sie im Falle der Erfüllung der Verheißung das Kind dem Tempel widmen wird. Es kommt zur Geburt Marias und sie wird im Alter von drei Jahren in die Obhut der Priester im Tempel übergeben. Um die Heiligkeit des Tempels zu bewahren, wird Maria mit Beginn der Pubertät in die Obhut von Joseph gegeben, der für diese Aufgabe per Losverfahren durch Zacharias ausgewählt wird. Nach einer Weile erscheint nun auch Maria entsprechend der Erzählung im Lukasevangelium ein Engel, um ihr die Geburt von Jesus zu verkünden. Die darauffolgende Schwangerschaft Marias stürzt Joseph in die 3   Vgl. Silvia Pellegrini, Das Protevangelium des Jakobus. In: Christoph Markschies/Jens Schröter (Hg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. I.Band: Evangelien und Verwandtes, Teilband 2, Tübingen 2012, 903-929, hier 907 ff. 4  Ebd., 916.

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Krise und erst durch die Prüfung der Priester kann er sich vor dem Vorwurf des Vertrauensbruches bewahren (denn die jungfräuliche Maria war ja in seiner Obhut gegeben worden). Anders als in den kanonischen Evangelien gebiert Maria Jesus in der Höhle eines Berges. Die Geburt wird begleitet von mehreren Wundern, zu denen auch die Prüfung der Jungfräulichkeit Marias durch eine Hebamme zählt. In abgewandelter Form wird die Geschichte von den Magiern aus dem Matthäusevangelium erzählt, die in der Beauftragung des Mordes von Säuglingen durch Herodes mündet (Mt 2). Maria und Elisabeth können jeweils Jesus und Johannes davor bewahren. Das Protevangelium verknüpft sodann den Kindermord durch Herodes den Großen mit der Ermordung des Johannes durch Herodes Antipas und beschreibt, wie die Diener des Herodes auf der Suche nach Johannes seinen Vater Zacharias im Vorraum des Tempels töten. Insgesamt ist das Protevangelium des Jakobus sehr darum bemüht, die Jungfräulichkeit Marias narrativ in ihrem Lebenslauf zu festigen. Mit der Geburtsgeschichte von Maria selbst liefert es nicht nur eine „Vorgeschichte“ zu den beiden Geburtsgeschichten im Lukasevangelium, sondern konzipiert diese nach demselben Muster wie die Geburt von Johannes dem Täufer: Wie Zacharias und Elisabeth wünschen sich auch Joachim und Anna sehnlichst Nachkommen. Wie Zacharias erscheint auch Joachim und Anna ein Engel, der ihnen die Geburt des ersehnten Kindes verkündigt. Wie Zacharias (die Verstummung bis zur Geburt des Kindes) wird auch Joachim durch ein Zeichen der Wahrhaftigkeit der Geburtsverheißung versichert. Und wie Zacharias sich eigentlich einen Sohn wünscht, damit dieser als Priester den Tempeldienst fortführt, widmet auch Anna das ungeborene Kind dem Tempel. Während also im Lukasevangelium allein die beiden Geburtsverheißungen zur Verhältnisbestimmung von Jesus zum Tempel als Symbol des Gottesbundes und Kultortes dienen, wird im Protevangelium Maria selbst biographisch mit dem Tempel verknüpft. Die Geburtsgeschichte von Johannes dem Täufer wird lediglich durch die zeitweilige Abwesenheit von Zacharias aufgrund seiner Verstummung und durch den Bericht über die Verfolgung von Johannes zum Ende des Protevangeliums angedeutet. Derart könnte man fast den Eindruck haben, dass die Geburtsgeschichte Marias die Geburtsgeschichte von Johannes substituiert. Entscheidend für die Darstellung im Protevangelium ist jedenfalls, dass hier die heilsgeschichtliche Wende des göttlichen Bundes und des Kultes noch stärker inszeniert wird. Das Protevangelium endet mit der Ermordung von Zacharias im Vorraum des Tempels. Das Vergießen von unschuldigem Blut im Tempel wird in christlich-jüdischer Tradition als einer der Gründe für die erste und zweite Tempelzerstörung genannt. In diesem Sinne wurde etwa die Ermordung von dem Priester Sacharja ben Jojada in 2 Chr 24,20

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kapitel 3

und die Ermordung von Sacharja ben Berechja in Mt 23,35 gedeutet.5 Dass das Protevangelium mit dem unschuldig vergossenen Blut von Zacharias im Vorraum des Tempels endet, markiert den einschneidenden Wendepunkt in der Heilsgeschichte: Sein Tod und die Zerstörung des Tempels bedeutet das Ende des alten Bundes und des Opferkultes. An seine Stelle treten der neue Bund und Kult, die durch die Kirche repräsentiert werden. Während Zacharias und Johannes sterben und ansonsten auch keinen zentralen Platz mehr im Protevangelium einnehmen6, verlagert sich die Perspektive auf Maria und Jesus als Protagonisten des erneuerten Bundes mit Gott. Maria wird entsprechend auch in der Exegese der Kirchenväter allegorisch als neuer Tempel oder Kirche gedeutet. So wird die im Buch Hesekiel beschriebene Schließung des Osttors des zukünftigen Tempels nach dem Einzug Gottes (Ez 44,1-3) auf Marias Mutterleib und ihre Jungfräulichkeit bezogen.7 Wie das Osttor des Tempels nach dem Betreten Gottes geschlossen wird (Ez 44,2), so hat auch Maria jungfräulich den Messias Jesus Christus geboren. Yousef Kouriyhe und David Kiltz verweisen bezüglich koranischer Aussagen auf die in der syrischsprachigen Predigtliteratur der Spätantike weit verbreitete allegorische Assoziation von Maria mit Aaron als Begründer des Priestergeschlechts.8 Demnach wird etwa der Stab Aarons, der auf wundersame Art und Weise zu sprießen beginnt und seine Erwählung bezeugt (Num 17,16-26), allegorisch auf die Jungfräulichkeit Marias hin gedeutet: Der Stab Aarons spross, und das trockene Holz brachte Frucht hervor. Dieses Mysterium fand heute seine Erklärung: Es ist der jungfräuliche Schoß, der gebar.9

5  Vgl. Döpp, Die Deutung der Zerstörung Jerusalems, 19-25; zur Frage der historischen Identifikation von Sacharja ben Berechja siehe hier insbesondere die Anm. 32. 6  Dass die Figur des Zacharias im Protevangelium zur Kennzeichnung des bundestheologischen Übergangs dient, verdeutlicht auch symbolisch die Wahl von Joseph als Aufseher von Maria durch das Losverfahren. Es ist Zacharias, der als Priester das Verfahren beaufsichtigt. Die Entlassung Marias unter Aufsicht von Joseph kann man auch als Übergang zum neuen Bund und Kult verstehen. Zacharias als Vertreter des Tempelkultes leitet diesen symbolisch ein. 7  Für eine Anthologie der entsprechenden Exegese bei den Kirchenvätern siehe Stevenson/ Glerup (Hg.), Ancient Christian Commentary on Scripture, Old Testament XIII, 141 f. 8   Vgl. Yousef Kouriyhe, Michael Marx, David Kiltz, Lehrgedicht über die Gottesmutter (Sermo de Genetrice Dei I) – TUK_0051. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx. Ebenso die TUK_0073, TUK_0071, TUK_0072 und TUK_0037. 9  Yousef Kouriyhe, David Kiltz, Hymnen auf die Geburt Jesu (De Nativitate) 1:17 – TUK_0073. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx.

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Das Protevangelium des Jakobus bestätigt in seiner Erzähllogik und mit der biographischen Verortung Marias in den Tempel die allegorische Deutung Marias als Erbin des Priesterkultes und neuer Tempel. Die spätantike Apokalypse des Serubbabel (Sefer Serubbabel) greift aus jüdischer Perspektive den christlichen Überlieferungsstoff zur Mutter des Messias als Symbol des neuen Kultes und erneuerten Bundes vor dem Hintergrund der historischen Entwicklungen zu Beginn des siebten Jahrhunderts auf und stellt diesen in den Kontext der eigenen eschatologischen und messianischen Traditionen. Dieser Text ist wohl angesichts der sassanidisch-byzantinischen Auseinandersetzungen zu dieser Zeit entstanden und enthält auch eine direkte Bezugnahme auf die Eroberung Jerusalems durch die Perser sowie die zeitweilige jüdische Hoheit über den Tempelbezirk.10 Der Protagonist der Apokalypse ist Serubbabel11, der eine visionäre Entrückung erfährt und dem von einem Engel (Metathron/Michael) die Ereignisse zur Endzeit geschildert werden. Der Text beginnt mit dem betenden Serubbabel, der nach einem Lobpreis auf Gott, der die Toten erweckt12, innerlich nach der Form des dritten und ewigen Tempels fragt. Nach einer ersten Audition wird er schließlich nach Rom – das zu dieser Zeit Byzanz kennzeichnet – entrückt. Dort begegnet er dem eingesperrten Messias davidischer Herkunft (Menachem ben Ammiel), der zur Endzeit befreit wird. Bevor er ihn jedoch befragen kann, erscheint ein Engel und offenbart Serubbabel die eschatologischen Ereignisse: Die Mutter des Messias davidischer Herkunft, Chephzibah, nimmt diesbezüglich eine zentrale Rolle ein. Sie erhält einen Stab aus dem Holz des Mandelbaums, den auch u.a. Moses, Aaron und David besaßen13 und kämpft aktiv auf der Seite des Messias mit. Bevor jedoch der Messias davidischer Herkunft erscheint, kommt ein Messias aus den Nachkommen von Joseph (Nechemja ben Chuschiel), der für vier Jahre den Opferkult in Jerusalem wieder restituiert, bis er von persischer Seite bedrängt wird. Zentraler Antagonist der Kriege zur eschatologischen Endzeit ist Armilos, der aus der Verbindung von Satan und einer weiblichen Statur aus Marmor hervorgeht: 10  Vgl. Martha Himmelfarb, Sefer Zerubbabel. In: David Stern/Mark Jay Mirsky (Hg.), Rabbinic Fantasies. Imaginative Narratives from calssical Hebrew Literature, Philadelphia 1990, 6790, hier 67 f.; John C. Reeves, Trajectories in Near Eastern Apocalyptic. A Postrabbinic Jewish Apocalypse Reader, Leiden 2006, 47 f., 57 Anm. 126. 11  Der biblische Serubbabel war eine zentrale Figur bei der Wiederrichtung des Tempels. Er war davidischer Abstammung und wurde von einigen Propheten als messianische Figur verstanden ( Hag 2). Zu dem Namen und der Rezeption dieser Gestalt siehe ausführlich Reeves, Trajectories in Near Eastern Apocalyptic, 42-47. 12  Dieser Lobpreis ist Teil des Achtzehnbittengebets, dass auch die Bitte um das Kommen des Messias als David redivivus enthält (Vgl. Himmelfarb, Sefer Zerubbabel, Anm. 19). 13  Es soll derselbe Stab von Aaron wie in Num 17:16-26 sein.

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kapitel 3 He held me close and they brought me to the ‘house of filth’ [and scorn]. There he showed me a marble stone in the shape of a maiden: her features and form were lovely and indeed very beautiful to behold. Then he said to me, “This statue is the [wife] of Belial. Satan will come and have intercourse with it, and a son named Armilos will emerge from it, [whose name in Greek means] “he will destroy a nation.” He will rule over all (peoples), and his dominion will extend from one end of the earth to the other, and ten letters will be in his hand. He will engage in the worship of foreign gods and speak lies. No one will be able to withstand him, and anyone who does not believe in him he will kill with the sword: many among them will he kill. He will come against the holy people of the Most High, and with him there will be ten kings wielding great power and force, and he will do battle with the holy ones. […]“14

Dieser jüdische Antichrist tötet den Messias aus der Erblinie des Joseph. Am Osttor befindend, verhindert jedoch Chephzibah, dass er in Jerusalem eindringt. Nachdem die Israeliten den Tod von Nechemja betrauern, erscheint der davidische Messias. Er bekommt den Stab Aarons von seiner Mutter überreicht und belebt den vorangegangenen Messias Nechemja. Mit ihm, seiner Mutter Chephzibah und den wieder gekommenen Elias kämpft er im großen eschatologischen Kampf gegen die fremden und ungläubigen Mächte des Armilos, Gog und Magog etc. Zu dieser Zeit löst sich die Welt auf (Erdbeben etc.) und die Kriege markieren den Beginn des göttlichen Gerichts über die irdischen Mächte. Nach dem Sieg der Israeliten wird der himmlische Tempel auf die Erde herabgesandt: The Lord will discern the pleasant aroma of His people Israel and greatly rejoice. Then the Lord will lower to earth the celestial Temple which had been previously built, and a column of fire and a cloud of smoke will rise to heaven. The Messiah and all of Israel will follow them to the gates of Jerusalem.15

Die Apokalypse des Serubbabel verweist auf die sassanidisch-byzantinischen Auseinandersetzungen zu Beginn des siebten Jahrhunderts und die damit einhergehenden religionspolitischen Diskurse. Eine besondere Rolle nimmt dabei die Mutter des Messias, Chephzibah, ein, die im Vergleich zur sonstigen jüdisch-apokalyptischen Literatur eine einzigartige Rolle und Präsenz einnimmt: The most striking innovation in Sefer Zerubbabel is the role assigned to Hephzibah, the mother of the Davidic Messiah, in the events of the end. She defeats two kings with the help of her staff of wonders, and when the first 14  Reeves, Trajectories in Near Eastern Apocalyptic, 58 f. 15  Vgl. ebd., 63.

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Messiah, Nehemiah from the tribe of Ephraim, is slain, she guards the east gate of Jerusalem so that some of the Jews can remain in the city. Nowhere else in Jewish messianic speculation is the mother of the Messiah so important a figure, and even here role has not been fully integrated into the traditional picture.16

Marta Himmelfarb argumentiert sehr überzeugend dafür, dass die jeweilige Mutter des Messias und des Armilos als Typos und Antitypos zur Figur Marias und zu ihrem Bild sowie ihrer Funktion im byzantinischen Reich dienen.17 Während Marias Ikone von Herakleios bei einem Feldzug im Jahr 610 nachweislich im Rahmen seiner Kriegspropaganda verwendet wurde, spielt diese auch bei der Verteidigung von Konstantinopel Mitte der 20er-Jahre durch dessen Patriarchen eine entscheidende Rolle.18 Dieser Funktion der Maria als Ikone im Krieg wird die jüdische Mutter des Messias, Chephzibah, als selbstständige Protagonistin im apokalyptischen Kampf der Endzeit entgegengestellt. Gleichzeitig dient die steinerne Statur der Mutter des Armilos als Zerrbild der jungfräulichen Maria. Diese ist eben nicht die fürsorgliche und reine Mutter wie sie insbesondere in den apokryphen Evangelien (z.B.: Protevangelium des Jakobus) dargestellt wird19, sondern selbst ein steinernes Götzenbild, das in seiner Schönheit nicht nur den Satan, sondern auch insgesamt die Menschen zum Götzenglauben verführt: Now this Armilos will take his mother – (the statue) from whom he was spawned – from the “house of filth” of the scornful ones, and from every place and from every nation they will come and worship that stone, burn offerings to her, and pour out libations to her. No one will be able to view her face on account of her beauty. Anyone who refuses to worship her will die in agony (like?) animals.20

Der jüdische Antichrist Armilos verwendet also das Götzenbild der Maria zur Verführung der Menschen zum Unglauben. Sein Name ist etymologisch eine Anspielung auf einen der mythischen Gründer Roms: Romulus.21 Derart dient die Figur des Armilos auch als typologische Anspielung auf den 16  Himmelfarb, Sefer Zerubbabel, 69. 17  Vgl. Marta Himmelfarb, The Mother of the Messiah in the Talmud Yerushalmi and Sefer Zerubbabel. In: Peter Schäfer (Hg.), The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture, III, Tübingen 2002, 369-390. 18  Vgl. ebd., 384. 19  Vgl. ebd., 385. 20  Reeves, Trajectories in Near Eastern Apocalyptic, 65. 21  Siehe zur Figur des Armilos ausführlich Joseph Dan, Armilus: The Jewish Antichrist and the Origins and Dating of the Sefer Zerubbavel. In: Peter Schäfer/Mark Cohen (Hg.), Toward the Millennium. Messianic Expectations from the Bible to Waco, Leiden 1998, 73-104.

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kapitel 3

römisch-byzantinischen Herrscher zu dieser Zeit: Herakleios. Vergegenwärtigt man sich die zuvor beschriebene Bedeutung und Funktion von Maria in den kanonischen und apokryphen Evangelien und ihre allegorische Deutung bei den Kirchenvätern sowie in der syrischsprachigen Predigtliteratur, dann lässt sich Himmelfarbs These von der kontra-marianischen Anlage des Sefer Serubbabel erhärten. So wird etwa Marias allegorische Deutung als Stab Aarons invertiert: Chephzibah erhält den tatsächlichen Stab Aarons und verteidigt mit dessen Hilfe Jerusalem vor dem Eindringen des Antichristen Armilos. Sodann übergibt sie den Stab an ihren messianischen Sohn davidischer Abstammung. Die christliche Deutung von Maria als neuer Tempel und Symbol der Kirche wird damit negiert. Denn der Stab Aarons bleibt integraler Begleiter der jüdischen Heilsgeschichte bis zur Endzeit (von Adam bis David), in der er schlussendlich im Besitz des davidischen Messias gelangt und im Kampf gegen die ungläubigen Mächte zur Endzeit eingesetzt wird. Maria selbst wird zum weiblichen Götzen im „Haus des Drecks“. Letzteres war in der mittelalterlich-jüdischen Literatur die Bezeichnung für eine christliche Kirche oder Kathedrale.22 Die Ablehnung des christlichen Anspruchs auf den erneuerten Bund mit Gott und auf die Erbschaft des neuen Kultes kommt auch in der Funktion des Messias aus der Abstammung von Joseph zum Ausdruck.23 Klausner hat überzeugend dargelegt, dass die Entstehung der Vorstellung eines zweiten Messias ben Joseph, der vor dem davidischen Messias erscheint und im Kampf gegen Gog und Magog stirbt, ursprünglich in der sich entwickelnden Idee eines jüdischen Messias immer schon vorhanden war.24 Denn dieser war sowohl eine politische als auch eine spirituelle Figur. Die Erfahrungen des Scheiterns militärisch-messianischer Bewegungen (Bar-Kochba-Aufstand) haben schließlich die Idee eines kriegerischen Messias, der dem eigentlichen Messias vorangeht, beflügelt, und das Konzept von zwei aufeinanderfolgenden Messiasfiguren unterschiedlicher Abstammung entstehen lassen. Interessant ist, dass wohl ab dem sechsten Jahrhundert zunehmend Überlieferungen nachweisbar sind, in denen die Segnung des Stamms Joseph in Dtn 33,17 auf einen Messias ben Joseph bezogen wurde, dessen Hörner den kriegerischen Widerstand gegen die Mächte des Gog und Magog symbolisieren25: 22  Vgl. Reeves, Trajectories in Near Eastern Apocalyptic, 52, Anm. 86; Himmelfarb, Sefer Zerubbabel, 87, Anm. 73. 23  Vgl. zur Figur eines Messias aus der Abstammung Josephs Klausner, The Messianic Idea in Israel, 483-501.; Uffenheimer, Art. Eschatologie III, 266 f.; Lazarus Goldschmidt, Der Babylonische Talmud, Dritter Band, Berlin 1899, 146 ff. (52 a-b). 24  Vgl. Klausner, The Messianic Idea in Israel, 483-501. 25  Vgl. ebd., 487; B. Beer, Welchen Aufschluss geben jüdische Quellen über den „Zweihörnigen“ des Koran? In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Bd. 9,

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Die bundestheologische Bedeutung des Tempels

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Er ist herrlich wie sein erstgeborener Stier; und Hörner des Büffels sind seine Hörner. Mit ihnen stößt er die Völker nieder, alle miteinander bis an die Enden der Erde. Das sind die Zehntausende Ephraims, das die Tausende Manasses. (Deut 33,17)

Im Sefer Serubbabel lässt sich das Verhältnis zwischen der Trias der beiden Messiasfiguren und Chephzibah als ein Gegenentwurf zur christlichen Verhältnisbestimmung zwischen Johannes dem Täufer, Maria und Jesus lesen. Im Lukasevangelium und im Protevangelium des Jakobus sterben jeweils Zacharias und Johannes der Täufer und markieren den Übergang vom alten Bund samt dem priesterlichen Tempelkult zum erneuerten Bund Gottes. Maria symbolisiert mit der jungfräulichen Geburt von Jesus allegorisch den neuen Tempel. Dieser bundestheologischen Deutung setzt das Sefer Serubbabel u.a. den Messias ben Joseph entgegen. Er restituiert, als Gegenentwurf zum christlichen Bild von Zacharias und Johannes dem Täufer, den Opferkult und wird nach seinem Mord vom Messias davidischer Abstammung wieder auferweckt. Gemeinsam mit Chephzibah kämpfen sie zur Endzeit bis der himmlische Tempel von Gott herabgesandt wird. Anstelle der Trias Johannes/ Zacharias – Maria – Jesus tritt die Trias Messias ben Joseph – Chephzibah – Messias ben David. Anstelle von Maria, die selbst im Tempel verortet wird und unter der Aufsicht der Priester und Engel aufwächst, tritt Chephzibah, die den davidischen Messias nicht selbst gebärt. Vielmehr wartet dieser darauf, dass er aus der Entrückung in der Endzeit zurückkehren kann. Chephzibah ist keine Gottesgebärerin (theotokos), die symbolisch den priesterlichen Kult beerbt. Anders als bei Maria geht ihr bereits ein Messias ben Joseph voraus, der eben den priesterlichen Opferkult wiederherstellt. Neben der Umkehrung der allegorischen Deutung von Maria als Stab Aarons, der nun als heilige Reliquie dem davidischen Messias und seiner Mutter im Kampf dient, wird auch eine weitere christliche Allegorie Marias umgekehrt und als realer Rahmen des Wirkens der Mutter des Messias gedeutet: Das zu schließende Osttor des Tempels, durch das Gott im zukünftigen Tempel eintritt (Ez 44,13), wird entgegen seiner allegorischen Referenz auf den Mutterleib Marias als Wirkungsort von Chephzibah verstanden, die das Osttor vor dem Eindringen des Antichristen Armilos bewahrt. Das Osttor steht also nicht mehr für die jungfräuliche Geburt des Messias Jesus, sondern muss im Gegenteil durch Chephzibah vor Armilos als Satansbrut aus der Verbindung mit dem Götzen Marias verteidigt werden. No. 3/4 (1855), 785-794. Für die Verweise in jüdische Quellen siehe ebenso Gustaf Dalman, Der leidende und der sterbende Messias der Synagoge im ersten nachchristlichen Jahrtausend, Berlin 1888, 19 ff.

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kapitel 3

Insgesamt wird durch die Darstellung endzeitlichen Geschehens im Sefer Serubbabel die christliche Deutung der zweiten Tempelzerstörung als heils- und bundestheologischer Wendpunkt konterkariert: Die messianische Restaurationsbewegung zur eschatologischen Endzeit wird aus jüdischer Perspektive zur Herabsendung des dritten himmlischen Tempels für die Ewigkeit führen. Vor dem Hintergrund der bereits besprochenen koranischen Bewertung der Verheißung von den beiden Tempelzerstörungen und der dabei intendierten Ablehnung eines Wiederaufbaus des dritten und ewigen Tempels, ist es spannend, dass die geschilderten Ereignisse in Sefer Serubbabel als dritte Verheißung der messianischen Erlösung nach den beiden Tempelzerstörungen beschrieben werden: Four hundred and twenty years after the city and Temple have been rebuilt, they will be destroyed a second time. Twenty years after the building of the city of Rome, after seventy kings corresponding to the seventy nations have ruled in it, when ten kings have finished their reigns, the tenth king will come. He will destroy the sanctuary, stop the daily offering, the ‘saintly people’ will be dispersed, and he will hand them over to destruction, despoiling, and panic. Many of them will perish due to their faithfulness to Torah, but (others) will abandon the Torah of the Lord and worship their idols. ‘When they stumble, a little help will provide assistance’ (Dan 11:34). From the time that the daily offering ceases and the wicked ones install the one whose name is ‘abomination’ in the Temple, at the end of nine hundred and ninety years, the deliverance of the Lord will take place—‘when the power of the holy people is shattered’ (Dan 12:7)—to redeem them and to gather them by means of the Lord’s Messiah.26

Die Apokalypse des Serubbabel erweist sich insgesamt als propagandistisches Gegenstück zu Schriften wie dem syrischen Alexanderlied und der Alexanderlegende, die aus christlicher Perspektive den byzantinischen Herrscher Herakleios typologisch als Alexander präsentieren, der mit seinen Hörnern den eschatologischen Kampf gegen Gog und Magog führt und die Wiederkunft des Messias oder den endgültigen Sieg Gottes im apokalyptischen Kampf vorbereitet. Wie sich später zeigen wird, nimmt die koranische Verkündigung konkreten Bezug auf diese Überlieferungsstoffe und setzt diese in Spannung zur eigenen Eschatologie.27 Die koranische Darstellung der beiden Geburtsgeschichten von Johannes und Jesus in Q 19:1-33 zeigt sich vor dem Hintergrund der besprochenen Rezeption dieses Narratives bis zur Spätantike als religionspolitische Entschärfung der gegenseitigen christlich-jüdischen Polemik in Bezug auf den 26  Reeves, Trajectories in Near Eastern Apocalyptic, 56. 27  Siehe Kapitel 5 und 6.

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Die bundestheologische Bedeutung des Tempels

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Tempel. Auch in der Sure 19 (Maryam) wird seine symbolische Bedeutung für den göttlichen Bund und für messianische Verheißungen verhandelt (Q 19:1-33): 1 kāf-hā-yā-ʿain-ṣād 2 ḏikru raḥmati rabbika ʿabdahū zakarīyā 3 ʾiḏ nādā rabbahū nidāʾan ḫafīyā 4 qāla rabbī ʾinnī wahana l-ʿaẓmu minnī wa-štaʿala r-ra‌ʾsu šaiban wa-lam ʾakun bi-duʿāʾika rabbi šaqīyā 5 wa-ʾinnī ḫiftu l-mawāliya min warāʾī wa-kānati mra‌ʾatī ʿāqiran fa-hab lī min ladunka walīyā 6 yariṯunī wa-yariṯu min ʾāli yaʿqūba wa-ǧʿalhu rabbi raḍīyā 7 yā-zakarīyā ʾinnā nubašširuka bi-ġulāmini smuhū yaḥyā lam naǧʿal lahū min qablu samīyā 8 qāla rabbī ʾannā yakūnu lī ġulāmun wa-kānati mraʾatī ʿāqiran wa-qad balaġtu mina l-kibari ʿitīyā 9 qāla ka-ḏālika qāla rabbuka huwa ʿalayya haiyinun wa-qad ḫalaqtuka min qablu wa-lam taku šaiʾā 10 qāla rabbi ǧʿal lī ʾāyatan qāla ʾāyatuka ʾallā tukallima n-nāsa ṯalāṯa layālin sawīyā 11 fa-ḫaraǧa ʿalā qaumihī mina l-miḥrābi fa-ʾauḥā ʾilaihim ʾan sabbiḥū bukratan wa-ʿašīyā 12 yā-yaḥyā ḫuḏi l-kitāba bi-quwwatin wa-ʾātaināhu l-ḥukma ṣabīyā 13 wa-ḥanānan min ladunnā wa-zakātan wa-kāna taqīyā 14 wa-barran bi-wālidaihi wa-lam yakun ǧabbāran ʿaṣīyā 15 wa-salāmun ʿalaihi yauma wulida wa-yauma yamūtu wa-yauma yubʿaṯu ḥaiyā 16 wa-ḏkur fi l-kitābi maryama ʾiḏi ntabaḏat min ʾahlihā makānan šarqīyā

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kapitel 3

17 fa-ttaḫaḏat min dūnihim ḥiǧāban fa-ʾarsalnā ʾilaihā rūḥanā fa-tamaṯṯala lahā bašaran sawīyā 18 qālat ʾinnī ʾaʿūḏu bi-r-raḥmāni minka ʾin kunta taqīyā 19 qāla ʾinnamā ʾana rasūlu rabbiki li-ʾahaba laki ġulāman zakīyā 20 qālat ʾannā yakūnu lī ġulāmun wa-lam yamsasnī bašarun wa-lam ʾaku baġīya 21 qāla ka-ḏāliki qāla rabbuki huwa ʿalaiya haiyinun wa-li-naǧʿalahū ʾāyatan li-n-nāsi wa-raḥmatan minnā wa-kāna ʾamran maqḍīyā 22 fa-ḥamalathu fa-ntabaḏat bihī makānan qaṣīyā 23 fa-ʾaǧāʾaha l-maḫāḍu ʾilā ǧiḏʿi n-naḫlati qālat yā-laitanī mittu qabla hāḏā wa-kuntu nasyan mansīyā 24 fa-nādāhā min taḥtihā ʾallā taḥzanī qad ǧaʿala rabbuki taḥtaki sarīyā 25 wa-huzzī ʾilaiki bi-ǧiḏʿi n-naḫlati tusāqiṭ ʿalaiki ruṭaban ǧanīyā 26 fa-kulī wa-šrabī wa-qarrī ʿainan fa-ʾimmā tarayinna mina l-bašari ʾaḥadan fa-qūlī ʾinnī naḏartu li-r-raḥmāni ṣauman fa-lan ʾukallima l-yauma ʾinsīyā 27 fa-ʾatat bihī qaumahā taḥmiluhū qālū yā-maryamu la-qad ǧiʾti šaiʾan farīyā 28 yā-ʾuḫta hārūna mā kāna ʾabūki mra‌ʾa sauʾin wa-mā kānat ʾummuki baġīyā 29 fa-ʾašārat ʾilaihi qālū kaifa nukallimu man kāna fi l-mahdi ṣabīyā 30 qāla ʾinnī ʿabdu llāhi ātāniya l-kitāba wa-ǧaʿalanī nabīyā

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Die bundestheologische Bedeutung des Tempels

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31 wa-ǧaʿalanī mubārakan ʾaina mā kuntu wa-ʾauṣānī bi-ṣ-ṣalāti wa-z-zakāti mā dumtu ḥaiyā 32 wa-barran bi-wālidatī wa-lam yaǧʿalnī ǧabbāran šaqīyā 33 wa-s-salāmu ʿalaiya yauma wulidtu wa-yauma ʾamūtu wa-yauma ʾubʿaṯu ḥaiyā 1 kāf-hā-yā-ʿain-ṣād 2 Gedacht sei der Barmherzigkeit deines Herrn an seinem Diener Zacharias. 3 Damals als er seinen Herrn insgeheim anrief. 4 Er sprach: „Herr, schwach geworden ist mir das Gebein, und schlohweiß das Haupt! Doch wurde ich im meinem Gebet zu Dir nie enttäuscht! 5 Ich sorge mich um die Nachfolger nach mir, denn meine Frau ist unfruchtbar. So schenke mir von Dir einen Nachfolger, 6 der mich und das Haus Jakobs beerbt. Und mach ihn, mein Herr, [Dir] wohlgefällig!“ 7 „O Zacharias, wir verkünden dir einen Knaben namens Johannes, nie zuvor benannten wir jemanden so!“ 8 Er antwortete: „Mein Herr, wie soll mir ein Knabe werden, da meine Frau unfruchtbar ist, und ich das hohe Alter erreicht habe?“ 9 Er sprach: „So ist es. Dein Herr spricht: ‚Das ist mir ein Leichtes, ich erschuf dich zuvor, als du noch nichts warst.‘“ 10 Er sprach: „ Mein Herr, gib mir ein Zeichen!“  Er antwortete: „Dein Zeichen sei, dass du nicht zu den Menschen sprichst, drei Tage ohne Unterbrechung.“ 11 Da trat er heraus aus dem Tempel zu seinem Volk, und gab ihnen zu verstehen: „Sprecht das Gotteslob morgens und abends!“ 12 „Johannes! Nimm die Schrift entschlossen entgegen!“ Wir verliehen ihm Urteilskraft im Knabenalter,

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kapitel 3

13 und Mitgefühl von uns und Reinheit, – er war gottesfürchtig – 14 und Ehrerbietung gegenüber seinen Eltern. Und er war nicht gewalttätig und nicht widerspenstig. 15 Friede über ihm, am Tag, da er geboren wurde, am Tag, da er stirbt, und am Tag, da er zum Leben erweckt wird. 16 Und gedenke in der Schrift Marias, damals, als sie sich von ihren Leuten an einem östlichen Ort zurückzog. 17 Da nahm sie sich vor ihnen einen Vorhang. Und wir schickten ihr unseren Geist, der ihr in Form eines wohlgestalteten Menschen erschien. 18 Sie sprach: „Ich suche Zuflucht vor dir beim Erbarmer, falls du gottesfürchtig bist.“ 19 Er sprach: „Wahrlich, ich bin der Gesandte deines Herrn, um dir einen reinen Knaben zu schenken!“ 20 Sie sprach: „Wie soll mir ein Knabe werden, da mich doch kein Mann berührte und ich auch keine Dirne bin?“ 21 Er sprach: „So ist es. Dein Herr spricht: ‚Das ist mir ein leichtes. So werden wir ihm zu einem Zeichen für die Menschen machen, und zu einer Barmherzigkeit von uns. Es ist eine beschlossene Angelegenheit!‘“ 22 Da war sie mit ihm schwanger und zog sich mit ihm zurück an einem entfernten Ort. 23 Die Wehen trieben sie zu dem Stamm einer Palme. Sie sprach: „Wäre ich doch zuvor gestorben, und ganz und gar vergessen!“ 24 Da rief er ihr von unten her zu: „Sei nicht traurig! Dein Herr hat unter dir ein Bächlein fließen lassen. 25 Schüttle den Stamm der Palme in deiner Richtung, dann wird sie frische und reife Datteln auf dich fallen lassen! 26 So iss, trink und sei frohen Mutes! Und wenn du einen von den Menschen siehst, dann sag: ‚Ich habe den Erbarmer ein Fasten gelobt, deshalb werde ich heute zu keinem Menschen sprechen!‘“

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Die bundestheologische Bedeutung des Tempels

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27 Dann kam sie mit ihm, ihn tragend, zu ihren Leuten. Sie sprachen: „Maria! Wahrlich, du hast etwas Ungeheuerliches getan! 28 Schwester Aarons! Dein Vater war kein frevelhafter Mensch! Und deine Mutter keine Dirne!“ 29 Da wies sie auf ihn hin. Sie sprachen: „Wie sollen wir zu einem sprechen, der noch ein Kind in der Wiege ist?“ 30 Er sprach: „Ich bin der Diener Gottes! Er gab mir die Schrift, und machte mich zu einem Propheten. 31 Und er segnete mich, wo immer ich auch bin. Und er trug mir das Gebet und die Almosen auf, solange ich lebe, 32 und Ehrerbietung gegenüber meiner Mutter, und machte mich nicht gewalttätig und ungezogen. 33 Friede über mir, am Tag, da ich geboren wurde, am Tag, da ich sterbe, und am Tage, da ich zum Leben erweckt werde!“ Im Vergleich zur Ankündigung der Geburt von Johannes im Lukasevangelium wird koranisch der Wunsch des Zacharias nach einem Nachfolger (walīy) für sein priesterliches Amt explizit geschildert (V. 5 f.). Markant ist dabei, dass dieser Nachfolger das Haus Jakobs beerben soll. Letzteres kann – wie Neuwirth erwägt28 – eine ferne Anspielung auf die Priesterklasse Abija sein, der Zacharias angehört (Lk 1,5). Hier ist aber vor allem eine Korrektur der im Lukasevangelium vorausgesetzten Ablösung und Erneuerung des göttlichen Bundes durch Jesus intendiert. Denn dort ist es nicht Johannes der Täufer, der das Erbe des Haus Jakobs antritt, sondern Jesus. In der Verheißung von seiner Geburt heißt es nämlich, dass er als Messias, der den Thorn Davids beerbt, […] über das Haus Jakobs herrschen [wird] in Ewigkeit, und seines Königtums wird kein Ende sein. (Lk 1,33)

Koranisch wünscht sich dagegen Zacharias selbst einen Sohn, der das Erbe des Haus Jakobs fortführt. Es kommt hier nicht wie im Lukasevangelium und 28  Vgl. Neuwirth, Der Koran, Band 2/1, 606.

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kapitel 3

im Protevangelium des Jakobus zu einer bundestheologischen und heilsgeschichtlichen Wende. Johannes der Täufer ist selbst ein Prophet und wird keineswegs als Vorläufer oder Wegbereiter von Jesus geschildert. Vielmehr erfüllt sich in ihm der Wunsch des Zacharias nach einem legitimen Nachfolger im Amt. Diese korrigierende Stoßrichtung der koranischen Darstellung lässt sich anhand weiterer Indizien verfestigen. Wie im Lukasevangelium ist die Namensgebung des Johannes Teil der Geburtsverheißung. Er soll yaḥyā heißen, so wie niemand zuvor bezeichnet wurde (V. 7). Letzteres könnte man im ersten Moment als eine Anspielung auf die Feststellung im Lukasevangelium verstehen, dass keiner zuvor in der Verwandtschaft von Zacharias Johannes hieß (Lk 1,59-62). Doch auch die arabische Namensform yaḥyā ist hier verdächtig. Jeffery gibt zu Recht zu Bedenken, dass man in Anlehnung an der syrischen Namensform im Arabischen die – heute auch in arabischen Bibelübersetzungen übliche Form – yuḥannā/yūḥannā hätte erwarten müssen.29 Die koranische Abweichung könne durch eine falsche Lesung des unvokalisierten Konsonantentextes erklärt werden, den man sowohl als yaḥyā oder yuḥannā lesen könne.30 Doch statt hier ein zweifaches Missverständnis des Korans bezüglich der Aussagen im Lukasevangelium zur Namensgebung und seiner Verwendungsweise anzunehmen, lassen sich die koranischen Angaben als plausible Neudeutung und Korrektur im Rahmen des Gesamtdiskurses der Sure verstehen. Dass die koranische Verkündigung im Rahmen des Erwartungshorizonts der Hörer argumentiert, wird aus der Beschreibung von Johannes als jemand, der mitfühlend (ḥanān) ist, deutlich. Neuwirth bemerkt, dass die arabische Bezeichnung ḥanān eine „Erinnerung an den biblischen Namen Yōḥanān (=„Gott ist Mild“)“31 sei. Und es spricht vieles dafür, dass im Koran bewusst aus der damals üblichen Namensgebung des Johannes (yuḥannā) eine Tugend (ḥanān) wird.32 An Stelle dessen tritt nun seine Bezeichnung als yaḥyā, die im Bewusstsein des Erwartungshorizontes der Hörer als neuer und bis dato nicht verwendeter Name eingeführt wird. Aus dem – in der Verwandtschaft von Zacharias – unüblichen Namen Johannes (Lk 1,59-62) wird der noch nie verwendete Name yaḥyā. Doch wozu diese Umbenennung? Darüber gibt die Wurzel, aus der sich der Name yaḥyā ableiten lässt, Aufschluss: ḥ-y-y. Dessen Grundbedeutung ist Leben. Im Surenverlauf kommt die Ableitung aus dieser Wurzel noch mehrmals vor. So etwa beim 29  Vgl. Arthur Jeffery, The Foreign Vocabulary of the Qurʾan, Baroda 1938, 290. 30  Vgl. ebd. 31  Neuwirth, Der Koran, Band 2/1, 610. 32  Zum Begriff ḥanān und dessen theologischer Relevanz siehe weiter unten Kapitel 3.1., Anm. 60.

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Die bundestheologische Bedeutung des Tempels

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Friedensgruß (V. 15 und 33) auf Johannes und Jesus am Tag, wo sie wieder zum Leben (ḥaiyan) erweckt werden. Liest man yaḥyā als verbale Ableitung aus der Wurzel ḥ-y-y, dann bedeutet diese: „Er lebt“. In diesem Sinne und in derselben Form wird das Verb auch an anderen Stellen im Koran verwendet (Q 8:42; 20:74; 87:13). Yaḥyā ist also wörtlich derjenige, der lebt. Diese neue Namensgebung spielt auf das Schicksal von Johannes an. Sein Tod und der Tod seines Vaters Zacharias wurde in der christlichen Tradition symbolisch als das Ende des alten Bundes gedeutet. Mit der Geburt von Jesus wird der Gottesbund erneuert und die Herrschaft der Häuser Davids und Jakobs geht auf Ewigkeit auf ihn über. Interessant ist, dass Herodes gar aufgrund der Wundertätigkeit von Jesus vermutet, dass Johannes wieder auferweckt wurde (Mt 14,1-2). Aus koranischer Perspektive wünscht sich dagegen Zacharias, dass das Haus Jakobs und sein Priesteramt weitergeführt werden. Sein Gebet wird mit der Geburt von Yaḥyā erfüllt. Dass dieser oder sein Vater ermordet werden und dass damit eine heilsgeschichtliche Wende anbricht, wird nicht einmal angedeutet. Dagegen betont der Koran, dass Johannes derjenige ist, der lebt. Damit ist nicht ein ewiges Leben gemeint, sondern die Negierung seines Mordes als bundestheologischer Wendepunkt: Das Haus Jakobs lebt mit der Geburt von Johannes weiter und Gott ersetzt oder erneuert diesen Bund nicht durch die Geburt von Jesus.33 Während eine bundestheologisch gedeutete Ablösung des jüdischen Tempelkults abgelehnt wird, ist es aber auffällig, dass sich in Q 19 die Bezeichnung für den Tempel geändert hat: Es ist hier nicht mehr wie in den beiden Tempelzerstörungen in Q 17 von einem masǧid, sondern von einem miḥrāb die Rede. Auch erinnert die Aufforderung des Zacharias zum morgendund abendlichen Lobpreis Gottes an kirchliche Formen der Liturgie.34 Man kann darin sicherlich den Ausdruck für eine christliche Wahrnehmung auf den Tempel als Wirkungsort Marias erkennen, auf den der Koran Bezug nimmt.35 33  Dass koranisch die Namensetymologien theologisch in Anschlag gebracht werden, zeigt sich durch ein weiteres Beispiel zu Beginn der Sure, die markant mit der Erinnerung und dem Gedenken (ḏikr) an die Barmherzigkeit Gottes an seinem Diener Zacharias beginnt (Q 19:2). Dass dabei verwendete Verb ḏikr spielt kunstvoll auf den hebräischen Namen von Zacharias und dessen etymologischer Bedeutung an. Dieser bedeutet nämlich: Erinnerung an Gott oder Gott erinnert sich (‫)זכריה‬. Zwar hat das Verbalsubstantiv ḏikr – wie für die mittelmekkanischen Suren üblich – die Funktion der Schriftreferenz (vgl. Neuwirth, Der Koran, Band 2/1, 604), sodass auch die entsprechenden verbalen Ableitungen für Schriftverweise in den Suren genutzt werden, jedoch ist die exponierte Verwendung dieses Verbalsubstantivs zu Beginn der Sure auch der kunstvollen Anspielung auf den Protagonisten der folgenden biblischen Erzählung geschuldet. 34  Vgl. Neuwirth, Der Koran, Band 2/1, 608. 35  Vgl. ebd., 609.

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kapitel 3

Doch wird koranisch hier auch der eigenen Deutung der beiden Tempelzerstörungen Rechnung getragen: Faktisch gibt es keinen Tempel mehr und es wird auch jegliche messianische Hoffnung auf einen dritten und ewigen Tempel abgelehnt (der jüdische Kult hatte sich ohnehin auf den synagogalen Gottesdienst verlagert). Entscheidend für die koranische Wahrnehmung ist aber, dass mit der endgültigen Zerstörung des Tempels keine Erneuerung des göttlichen Bundes stattgefunden hat. Deshalb wird Zacharias Wunsch nach einem Nachfolger zur Fortführung des Haus Jakobs erfüllt. Der Bund Gottes wird in Person des Johannes, der als Prophet wirkt, fortgesetzt, auch wenn der Tempel nicht mehr existieren wird. Die messianischen Verheißungen, die sich durch die Geburt von Jesus erfüllen, spielen in der koranischen Version keine Rolle. Jesus wird bis zum Einschub in den Versen 34-40 namentlich gar nicht genannt. Die Bezüge zum Haus David oder dem Bund, den Gott durch seine Geburt erneuert, fehlen völlig. Es ist Maria, die als Akteurin im Vordergrund steht. Der Rahmen ihrer Handlung trägt nun Züge, die eben auf eine Negierung von Maria als neuen Tempel und Kirche hinweisen. Neuwirth hat zuletzt auf die entallegorisierenden Tendenzen in Q 19 hingewiesen: Marias Rückzug zu einem östlichen Ort, wo ihr die Geburt von Jesus verheißen wird (V. 16), und ihre Anrede als Schwester Aarons (V. 28) ließen sich wie die Entschärfung ihrer allegorischen Deutung als Kirche und Erbin des Tempels lesen.36 Das Osttor des Tempels bezieht sich nicht auf ihre Gebärmutter, sondern sie zieht sich realiter an einem östlichen Ort zurück.37 Und Maria ist nicht die Erbin des Priesterkultes, sondern tatsächlich eine Verwandte Aarons und somit ihre Schwester.38 Es ist hier aber die antimessianische Tendenz dieser koranischen Entallegorisierungen hervorzuheben. Denn zu Beginn des siebten Jahrhunderts sind die bereits beschriebenen Entallegorisierungen Marias als Stab Aarons und Osttor des Tempels in der jüdischen Polemik nachweisbar. In der Apokalypse des Serubbabel ist es die Mutter des jüdischen Messias davidischer Herkunft, die realiter am Osttor gegen den jüdischen Antichristen kämpft. Nicht Maria ist also allegorisch als Osttor zu deuten, sondern Chephzibah, die jüdische Mutter des Messias, verteidigt das Osttor in Wirklichkeit zur Endzeit. Ebenso symbolisiert Maria nicht allegorisch den Stab Aarons als Symbol des neuen Tempels und Bundes. Vielmehr ist es in der Apokalypse des Serubbabel 36  Vgl. ebd., 645-50. 37  Vgl. ebd., 612 f. 38  Vgl. ebd., 616 f.; vgl. insgesamt zur Exegese dieser Stelle in der bisherigen Forschung Michael Marx, Glimpses of a Mariology in the Qurʾan: From Hagiography to Theology via Religious-Political Debate. In: Angelika Neuwirth/Nicolai Sinai/Michael Marx (Hg.), The Qurʾān in Context. Historical and Literary Investigations into the Qurʾānic Milieu, Leiden 2010, 533-563.

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Die bundestheologische Bedeutung des Tempels

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Chephzibah, die realiter den tatsächlichen Stab Aarons erhält und mit dessen Hilfe den eschatologischen Kampf bestreitet. Sie übergibt den aaronidischen Stab schließlich an den Messias. Letzteres ist in dem Ablauf der Erzählung eine Umkehrung der christlichen Deutung: Während Maria als Stab Aarons den neuen Bund symbolisiert, übergibt die wahre Mutter des Messias den tatsächlichen Stab Aarons an den Messias. Der Stab Aarons ist also immer schon Teil der jüdischen Heilsgeschichte und Symbol des ewigen Bundes Israels mit Gott gewesen. Auch in Q 19 werden, wie in der Apokalypse des Serubbabel, die allegorischen Deutungen Marias als Osttor und Stab Aarons unterlaufen. Nur wird im Koran jeglicher messianischer, eschatologischer und bundestheologischer Zusammenhang dieser Symbole negiert. Das Osttor ist zu einem rein deiktischen Verweis geworden. Es ist ein östlicher Ort (makānan šarqīyan), zu dem sich Maria zurückzieht, um die Geburtsverheißung zu empfangen. Aus dem symbolträchtigen Stab Aarons ist der verwandtschaftliche Hinweis geworden, dass Maria aaronidischer Abstammung sei. Diese Genealogie hat keine profunde Implikation für eine besondere Erwählung Marias, sondern dient hier als Kontext für die vermeintliche Sünde, die Maria vorgeworfen wird.39 Der entallegorisierenden Negierung einer messianischen Bedeutung Marias ist ihre Apologie gegen einer jüdischen Polemik gegenüberzustellen. Die Jungfräulichkeit Marias scheint koranisch kein Theologumenon sein, das an sich dogmatisch entscheidend wäre. Die Geburtsgeschichte von Jesus in der Sure Maryam vermittelt hingegen den Eindruck, dass es die jüdische Polemik gegen Maria als Verführerin und weiblicher Götze ist, der hier entgegnet wird. Als ein Beispiel für eine derartige Polemik wurde bereits die Darstellung Marias in der Apokalypse des Serubbabel besprochen. Dort ist sie als steinerne Statur einer schönen und verführerischen Frau dargestellt, die nicht nur die Menschen zum Unglauben, sondern auch Satan verführt. In Verteidigung Marias wird dieses Bild im Koran umgekehrt: Es ist der Geist Gottes, der ihr als Mensch wohlgeformt (sawīyan) begegnet und derart als möglicher Verführer erscheint. 39  Diese Perspektive ändert sich in der medinensischen Sure āl-ʿimrān (Q 3), in der die aaronidische Assoziation Marias nun genutzt wird, um die christliche „Heilige Familie“ den anderen göttlichen Bunden in der Geschichte gegenüberzustellen und würdigend zu profilieren (Q 3:33f.). Vgl. dazu Angelika Neuwirth, The House of Abraham and the House of Amram: Genealogy, Patriarchal Authority and Exegetical Professionalism. In: Angelika Neuwirth/Nicolai Sinai/Michael Marx (Hg.), The Qurʾān in Context. Historical and Literary Investigations into the Qurʾānic Milieu, Leiden 2010, 499-531). Freilich bleibt diese spätere Entwicklung aus religionstheologischer Perspektive inklusiv. Das Haus Amrams ersetzt nicht den israelitischen Bund, sondern enthält im Gegenteil sowohl christliche (Maria, Jesus) als auch jüdische Protagonisten (Zacharias und Johannes aus dem priesterlichen Geschlecht).

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kapitel 3

Doch als fromme Frau weist sie ihn apotropäisch zurück. Erst als sich dieser als Bote Gottes zu erkennen gibt, interagiert Maria mit ihm.40 Und als die Zeitgenossen Marias sie eines unehelichen Kindes bezichtigen und auf ihre frommen Eltern sowie besondere Abstammung hinweisen, verteidigt sie Jesus als rechtschaffener Prophet gegen einen derartigen Vorwurf. Entsprechend wird an Maria wiederholt mit dem Epitheton allatī ʾaḥṣanat farǧahā („die ihre Scham bewahrte“) erinnert (Q 21:91; Q 66:12). In der koranischen Darstellung der beiden Geburtsgeschichten von Johannes und Jesus wird die jeweilige religionspolitische Polemik in christlicher und jüdischer Tradition abgewiesen. Keine Gruppe kann für sich exklusiv die Erwählung durch Gott beanspruchen. Der Tempel und Maria haben keine messianische Funktion mehr im Koran. Mit der Auswanderung nach Medina und der sich verändernden Diskurskonstellation41 erfahren die beiden Geburtsgeschichten in Medina eine erneute Lektüre (Q 3:33-61). Vor dem Hintergrund der zunehmend erfolgenden Anerkennung göttlicher Bünde (mīṯāq/ʿahd) mit Propheten und ihren Anhängern, werden nun auch die bundestheologischen Implikationen dieses Narrativs offen verhandelt. Hier hat insbesondere Angelika Neuwirth die entsprechende Stoßrichtung dieses Erzählstoffes in der Sure āl ʿimrān herausgearbeitet.42 Gleichzeitig scheint aber die antimessianische Tendenz der koranischen Verkündigung in Medina erhalten zu bleiben, wenn etwa der messianische Titel von Jesus explizit genannt, aber gleichzeitig zu einem Eigennamen depotenziert wird.43 Doch wird erst eine ausführliche Bearbeitung des medinensischen Textkorpus und der dabei entstehenden koranischen Bundestheologie zeigen, welche neue Weichenstellung und Korrekturen im Rahmen der koranischen Verkündigung in Medina insgesamt vorgenommen werden.

40  Eine u.a. nach Ibn Masʿūd überlieferte Lesart des Verses bringt die apotropäische Stoßrichtung des Verses noch stärker zum Ausdruck. Danach wird für den Versschluss die Lesart ʾillā ʾan takūna („außer/es sei denn du bist gottesfürchtig“) überliefert (vgl. ʿAbd al-Laṭīf al-Ḫaṭīb, Muʿǧam al-qirāʾāt, Band 5, Damaskus 2002, 348). 41  Vgl. Nicolai Sinai, The Unknown Known: Some Groundwork for Interpreting the Medinan Qur’an. In: Mélanges de l’Université Saint-Joseph, Volume LXVI, 2015-2016, 47-96. 42  Vgl. Neuwirth, The House of Abraham and the House of Amram, 499-531. 43   Siehe zur koranischen Verhandlung christologischer Titel im Koran Ghaffar, Der historische Muhammad in der islamischen Theologie, 371-374.

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Die bundestheologische Bedeutung des Tempels

3.1

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Barmherzigkeitstheologie als Gegenentwurf zur Apokalyptik und imperialer Eschatologie

Die Sure Maryam enthält neben dem bundestheologischen Diskurs und einer antimessianischen Programmatik auch eine Barmherzigkeitstheologie, die als Gegenentwurf zu apokalyptischen Ideen und zu den Vorstellungen imperialer Eschatologie zu Beginn des siebten Jahrhunderts konzipiert ist. Die entsprechende Stoßrichtung lässt sich insbesondere anhand des Vergleichs zu Auffassungen im syrisch-orthodoxen Christentum in der Spätantike erhellen. Mit Blick auf Sure Maryam lohnt sich die nähere Betrachtung einer Homilie (mēmrā) von Jakob von Sarug (451-521 n. Chr.) „über die Erschaffung Adams und die Wiederauferstehung der Toten“ (d-ʿal brīteh d-ʾādām w-ḥayat mīte).44 Die Homilie beginnt mit der Erinnerung der Erschaffung Adams und seines Falls: At the beginning, the creation of Adam was very great, but by his own will he brought himself down to a great fall. By his creator, he was god of flesh [ʾalāh besrā] to creation, but by his free will he aligned himself with a beast and became like it.45

Die Erschaffung Adams markierte nach Jakob nicht nur den Kulminationspunkt der Schöpfung. Vielmehr spiegelt sich in Adam die ganze Schöpfung in nuce wieder. In ihm waren sämtliche Elemente des Kosmos harmonisch vereint und seine radiale Vermittlungsfunktion drückte sich ebenso in seiner Erschaffung aus: The Creator mixed fire and air with dust and water, and He painted him as an image to manifest His wisdom to the world. And into these He blew a living fire and in marvelous fashion established man and gave him senses for [his] activity. All beauties of all creatures were culminated in him, so that in him one might see the nearness and the remoteness that belongs to natures. Between the height and the depth He set him as an intermediary [meṣʿāyā], and He bound all sides in his person when He created him. He made him to turn in six directions when He formed him; height and depth and the four directions were bound to him. His Creator mixed [him] from opposing elements, and set within him the power to subdue wild animals. 44  Edward G. Mathews Jr. (Übersetzer), Jacob of Sarug’s Homily on the Creation of Adam and the Resurrection of the Dead, Piscataway 2014. 45  Ebd., 14, Zeile 1-4.

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kapitel 3 Fire and water went equally into the body of Adam, so that in him it might be revealed how powerful was the wisdom of the Exalted One. He joined clay and water with each other, and made them equal, so that with one power they might hasten along with their companions.46

Überhaupt wurde Adam in seiner ganzen Konstitution auf anatomischer, emotionaler und kognitiver Ebene derart geschaffen, dass alles harmonisch im Einklang stand.47 Mit seiner Braut Eva war er von Licht umhüllt.48 Der Sündenfall führte schließlich zur Auflösung dieser harmonischen Einheit. Da Adam und der Mensch insgesamt mikroskopisch den ganzen Kosmos wiederspiegeln49, wurde sämtliche weltliche Ordnung durch die Korruption tangiert: He painted an image for Himself and set it in the great city that He built, but the evil one was envious of the beauty of the image of the Great King. […] At the demise [of that image] those elements that had been bound were dissolved, and with them those rational senses that had been bound were destroyed. The four equal things fell apart and each was separated from its companion, and destroyed the five along with them, and their composition came to an end. The body was yoked to the four and it ran along like a chariot, And the five senses stood upon it like charioteers. Then death came and unhitched the yokes and the guides, and every course of that great image fell and it came to its end. It separated the cold from the hot and put an end to their operations, as well as the moist from the dry and their functions came to an end. […]50

Jakob beschreibt nun, wie Gott in seiner Barmherzigkeit Adam und die Menschheit insgesamt in seinem heilsgeschichtlichen Plan erlöst und wiederauferstehen lässt: In mercy [b-raḥmē] He formed him, in mercy [b-raḥmē] He delivered him from robbers, and in mercy [wa-b-raḥmē] He will come again at the end and raise him back up. With a single thought that was neither a new one nor a change of mind, mercy dawned on three occasions and so was completed: The first time, He painted him in His image out of dust, the second time, He redeemed him through the blood of His Only-Begotten. 46  Ebd., 18, Zeile 29-44. 47  Vgl. ebd., 26-30, Zeile 111-150. 48  Vgl. ebd., 30, Zeile 151-164. 49  Vgl. ebd., 46, Zeile 315-316. 50  Ebd., 22, Zeile 63-64 und 69-78.

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Die bundestheologische Bedeutung des Tempels

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then the last time, He will call out with a voice and raise him up, thus, in a three-fold way, He finishes him, makes him whole, and perfects him. He will shake off the dust from his face and renew him, He will raise him up without corruption into the spiritual light. He formed him, redeemed him, and will raise him up; in him He mixes Himself, so that he might be with Him, in Him, like Him, and for Him.51

Die sich dreifach im Heilshandeln Gottes ausdrückende Barmherzigkeit bezeichnet Jakob im Syrischen als raḥmē. In seiner Barmherzigkeit hat Gott den Menschen geschaffen, in seiner Barmherzigkeit hat er ihn durch das Opfer seines Sohnes erlöst und in seiner Barmherzigkeit wird Gott zur Endzeit zurückkehren und den Menschen in seiner Herrlichkeit endgültig restituieren.52 Auffällig ist nun, dass Jakob die Wiederkehr Christi und die Auflösung der Welt in der Endzeit nicht als apokalyptische Entfesselung chaotischer Zustände begreift. Im Vordergrund steht dabei gerade nicht der Kampf zwischen dem absolut Bösen und absolut Guten. Jakob beschreibt zwar auch, dass es in der Endzeit zu Erdbeben, zur Sonnen- und Mondfinsternis und zur Auflösung des Kosmos kommen wird53: He will arise and come, and all ages will tremble at His coming, His sign will rise up and all generations will quake before it. […] The sun will darken and the moon will pass away along with their dwelling places, and the path of the hosts will come to an end for it will continue no longer. The order both of the four corners and their designations will come to an end, for they will no longer progress in their natures or by their functions.54

Doch sind diese Phänomene nicht in der Entfesselung einer autonomen Unordnung begründet, sondern in der Herrlichkeit von Christus. So erklärt Jakob, dass die Sonne und der Mond nicht mehr leuchten werden und die geregelte Ordnung des Kosmos nicht mehr gebraucht werden wird, weil Christus das absolute Licht und die Sonne des neuen Reiches sein wird: 51  Ebd., 36, Zeile 201-212. 52  Für die Adam-Christus-Typologie und die darauf basierte Barmherzigkeitstheologie bei Jakob von Sarug siehe Thomas Kollamparampil, Adam-Christ Complementary and the Economy of Salvation in Jacob of Serugh. In: The Harp. A Review of Syriac and Oriental Ecumenical Studies, Volume: XIII (2000), 147-170, hier 156-170. 53  Vgl. diesbezüglich ausführlich Nicolai Sinai, The Eschatological Kerygma of the Early Qurʾan. In: Hagit Amirav/Emmanouela Grypeou/Guy Stroumsa (Hg.), Apocalypticism and Eschatology in Late Antiquity. Encounters in the Abrahamic Religions, 6th-8th Centuries, Leuven 2017, 219-266. 54  Mathews Jr. (Übersetzer), Jacob of Sarug’s Homily on the Creation of Adam, 38-42, Zeile 237-238 und 261-264.

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kapitel 3 There is no more requirement for the sun to dawn or for the sun to set, for Christ the dawn is not susceptible to change. There the light is not subservient to the weaker elements, that it should move in measured intervals from here to there. By all and through all, with all and in all Christ dawns, He is not contained in a sphere like the sun nor does He travel on its path.55

Jakob betont, dass die Auflösung der Welt in seiner Funktionslosigkeit in der neuen Schöpfung begründet ist. Die Zersetzung der Welt ähnelt dabei dem Tod des Menschen.56 Die erneute Schöpfung und die Wiederauferstehung von Adam und der Menschheit wird insbesondere auf spiritueller Ebene komplettiert.57 Die Barmherzigkeitstheologie des Jakob von Sarug, die jeweils die dreimalige Intervention Gottes in der Geschichte als Achsen der Heilsgeschichte voraussetzt, war aus koranischer Perspektive zu Beginn des siebten Jahrhunderts und der damaligen Prävalenz apokalyptischer Vorstellungen besonders anschlussfähig. Denn im Gegensatz zu diesen Vorstellungen stellen nach Jakob von Sarug die endzeitlichen Prozesse kein apokalyptisches Chaos dar, sondern sind im Gegenteil Ausdruck der Barmherzigkeit Gottes. Schließlich triumphiert die Herrlichkeit Christi und die Restituierung des Menschen zur Endzeit erweist sich als ein natürlicher Prozess der Umkehrung. In Sure Maryam wird auch eine Barmherzigkeitstheologie als Gegenentwurf zur imperialen Eschatologie konzipiert. Dabei werden die aus der Homilie des Jakob von Sarug bekannten Motive gemäß der koranischen Theologie adaptiert und modifiziert.58 Der Schlüsselbegriff der raḥmē59 bei Jakob von Sarug60 ist auch in Sure Maryam 55  Ebd., 44, Zeile 297-303. 56  Vgl. ebd., 46-48, Zeile 317-354. 57  Vgl. ebd., 54-56, Zeile 419-438. 58  Es wäre noch zu prüfen, inwiefern diese Barmherzigkeitstheologie ein Spezifikum der Theologie des Jakob von Sarug gewesen ist und ob diese im syrischen Christentum der vorkoranischen Zeit auch anderswo verbreitet war. 59  In der Singularform bezeichnet raḥmā den Mutterleib/die Gebärmutter, während der Plural raḥmē u.a. die Barmherzigkeit ausdrückt (vgl. Smith, J. Payne (Hg.), A compendious syriac dictionary, founded upon the Thesaurus Syriacus of R. Payne Smith, Oxford 1976 (Reprint der Erstausgabe von 1903), 537). 60  Die Barmherzigkeit ist ein Grundbegriff im theologischen Vokabular des Jakob von Sarug (vgl. Thomas Kollamparampil, Salvation in Christ According to Jacob of Serugh. An Exegetico-theological Study on the Homilies of Jacob of Serugh on the Feasts of Our Lord, Piscataway 2010, 206 f.). Als Oberbegriff für die göttliche Barmherzigkeit verwendet er im Syrischen den Terminus ḥnānā (vgl. ebd.). Als Ausdruck dieser Barmherzigkeit werden von Jakob oftmals synonym die Begriffe ṭaybūtā („Gnade, liebende Güte“), ḥubbā („Liebe“) und raḥmē gebraucht (vgl. ebd., 206, Anm. 1). In der hier besprochenen Homilie wird in auffälliger Weise der Begriff der raḥmē zur Bezeichnung der göttlichen Barmherzigkeit

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von zentraler Bedeutung. Die Barmherzigkeit Gottes (raḥma) bildet jeweils die Kategorie der Betrachtung auf die Narrative (Q 19:2; 19:21). Auch der Gottesname des Erbarmers (ar-raḥmān) kommt im gesamten Corpus des Korans am Häufigsten in Sure Maryam vor. Überhaupt gehört diese Sure zu den sogenannten raḥmān-Suren, in denen der Gottesname ar-raḥmān eminent ist.61 Die heilsgeschichtlich axiale Perspektive auf die Barmherzigkeit Gottes wird in der Sure Maryam auf das barmherzige Handeln in den Geburtsgeschichten von Johannes und Jesus kondensiert. Gott erfüllt in seiner Barmherzigkeit den Wunsch des Zacharias nach einem Nachfolger und erwidert auf seine Verwunderung, dass er Zacharias in seiner Schöpferkraft auch im hohen Alter noch Nachkommen schenken könne (Q 19:9): 9 Er sprach: „So ist es. Dein Herr spricht: ‚Das ist mir ein Leichtes, ich erschuf dich zuvor, als du noch nichts warst.‘“ in Anschlag gebracht. Vor dem Hintergrund dieser Begriffsmatrix zeigt sich dann auch, dass die Kennzeichnung von Johannes im Koran als jemand, dem Gott Mitgefühl (ḥanān) verliehen hat (Q 19:13), auch der koranischen Tendenz zur religionstheologischen Universalisierung der göttlichen Gunsterweise an seine Diener entspricht (vgl. weiter oben Kapitel 3). Denn im Magnificat (Lk 1,46-55) dankt Maria Gott für die Barmherzigkeit, die er auch jetzt dem Volk Israels durch die Geburt von Jesus erweist. Dabei wird jedoch betont, dass Gottes barmherzige Zuwendung über mehrere Generationen hinweg konditional an die Gottesfürchtigkeit der jeweiligen Personen geknüpft ist (Lk 1,50) und dass die Geburt von Jesus auch einen besonderen bundestheologischen Moment in der Geschichte Israels darstellt. Denn Gott hat sich – wie zuvor zu Abraham – auch jetzt den Israeliten zugewendet (Lk 1,54 f.). Marias Preisung von Gottes Barmherzigkeit in der Heilsgeschichte steht also im Kontext des Argumentes für einen neuen Bund Gottes. Auffällig ist, dass in der Peschitta jeweils für die von Maria gepriesene Barmherzigkeit (Lk 1,50 und 54 f.) der Begriff ḥnānā gebraucht wird (während im altsyrischen Sinaiticus Palimpsest und in der Peschitta jeweils der Begriff ḥnānā verwendet wird, steht hingegen in der harkleanischen Version der syrischen Bibel vom Beginn des siebten Jahrhunderts der Terminus raḥmē, vgl. George Anton Kiraz (Editor), Comparative Edition of the Syriac Gospels. Aligning the Sinaiticus, Curetonianus, Peshîṭta and Ḥarklean Versions, Volume Three, Luke, Piscataway 2004, 16 f.). Jakob von Sarug spricht von Jesus als die große Barmherzigkeit (ḥnānā rabbā) (vgl. Kollamparampil, Salvation in Christ According to Jacob of Serugh, 366). Diese bundestheologische Argumentation scheint auch der Hintergrund für die koranische Kennzeichnung von Johannes als ḥanān zu sein. Nur Johannes wird im Koran diese exklusive Qualität zugesprochen (ḥanānan min ladunnā, „Mitgefühl von uns“) (Q 19:13), so wie Jesus in einzigartiger Weise als „Barmherzigkeit von uns“ (raḥmatan minnā) (Q 19:21) qualifiziert wird. Aus koranischer Perspektive ist es wichtig, dass die Geburten von Johannes und Jesus nicht einen bundestheologischen Wechsel, sondern Gottes barmherzige Gunsterweise in der Heilsgeschichte darstellen (vgl. weiter oben Kapitel 3). 61  Vgl. Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike, 472-474.

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kapitel 3

Für Johannes wird sodann ein dreifacher Friedensgruß gesprochen (Q 19:15): 15 Friede über ihm, am Tag, da er geboren wurde, am Tag, da er stirbt, und am Tag, da er zum Leben erweckt wird. Diese beiden Verse mit dem Verweis auf Gottes Schöpferkraft und dem dreimaligen Friedensgruß sind mit einer Stelle aus Jakob von Sarugs Homilie zu kontrastieren: Adam has three good things from God [tlāt ṭābātā it leh l-ʾādām men ʾalāhā]: Two have already come and one will come at the end of time. Let not that one who is sure that the two have come to pass be in any doubt about the one that is to come; it has its time like its companions. It is a good and great thing that Adam came to be from nothing [da-hwā ʾādām men lā medem], and likewise that he was redeemed by the blood of the Son of God [da-prīq ba-dmeh d-bar ʾalāhā]. That he will be raised up from the dust is also a good thing, there is one single power that accomplishes these three things.62

Das heilsgeschichtlich auf die ganze Menschheit hin gedachte barmherzige Handeln Gottes gegenüber Adam bezieht sich auf dessen Schaffung aus dem Nichts („dass Adam aus rein gar nichts zu existieren begann“, da-hwā ʾādām men lā medem), seiner Erlösung durch Christus („dass er durch das Blut des Gottessohnes erlöst wurde“, da-prīq ba-dmeh d-bar ʾalāhā) und seiner Wiederauferstehung durch das Wiedererscheinen Christi zur Endzeit. Koranisch wird diese dreifache Gewährung von Barmherzigkeit („Adam hat drei gute Dinge von Gott“, tlāt ṭābātā it leh l-ʾādām men ʾalāhā) auch gegenüber Johannes betont. Mit Blick auf dessen Geburt verweist Gott auf seine Schöpferkraft aus dem nichts (creatio ex nihilo)63 und das dreifach barmherzige Handeln Gottes kommt in dem dreifachen Friedensgruß zum Ausdruck: in seiner Geburt, seinem Tode und seiner Wiederauferstehung. Im Vergleich zur Homilie Jakobs wird der Gedanke der Erlösung koranisch durch den menschlichen Tod ersetzt. Wie die Geburt und die Wiederauferstehung ist auch der Tod aus 62  Mathews Jr. (Übersetzer), Jacob of Sarug’s Homily on the Creation of Adam, 38, Zeile 223-230. 63  Vgl. jeweils die ähnliche Ausdruckweise im Koran („als du noch nichts warst“ oder wörtlich „als du noch keine Sache warst“, wa-lam taku šaiʾan) und bei Jakob von Sarugh („dass Adam aus rein gar nichts zu existieren begann“ oder wörtlich „dass Adam aus keiner Sache zu existieren begann“, da-hwā ʾādām men lā medem).

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koranischer Perspektive ein natürlicher Prozess und Teil des barmherzigen Handeln Gottes. Durch diese koranische Kondensierung des barmherzigen Handelns Gottes in Bezug auf das Leben aller Menschen und Gläubigen, wird auch die heilsgeschichtlich dezidiert auf den Kreuzestod Christi hin gedachte Perspektive religionstheologisch universalisiert. Gegenüber allen Gläubigen erweist Gott in der Geschichte sein barmherziges Handeln. Das Christentum kann dabei nicht superioristisch das Epizentrum dieses barmherzigen Handelns in Anspruch nehmen. Das soll aber nicht heißen, dass die Besonderheit Christi koranisch nivelliert werden soll. Das Gegenteil ist der Fall. In seiner Geburtsankündigung wird Jesus feierlich als Barmherzigkeit (raḥma) von Gott bezeichnet (Q 19:21): 21 Er sprach: „So ist es. Dein Herr spricht: ‚Das ist mir ein leichtes. So werden wir ihm zu einem Zeichen für die Menschen machen, und zu einer Barmherzigkeit von uns. Es ist eine beschlossene Angelegenheit!‘“ Jesus exemplifiziert in seinem ganzen Wesen die Barmherzigkeit Gottes. Doch wird diese Besonderheit Christi nicht wie bei Jakob von Sarug als axialer Mittelpunkt der Heilsgeschichte bestimmt. Denn auch für das Leben Christi gilt der dreifache Friedensgruß (Q 19:33): 33 Friede über mir, am Tag, da ich geboren wurde, am Tag, da ich sterbe, und am Tage, da ich zum Leben erweckt werde!“ Die Erlösung der Menschen durch das Sohnesopfer wird durch den Tod aller Menschen ersetzt und das dreifach barmherzige Handeln Gottes gilt für Jesus ebenso wie für Johannes. In dieser Barmherzigkeitstheologie des Korans ist der Kreuzestod Jesu und sein Wiedererscheinen zur Endzeit als axialer Barmherzigkeitserweis gestrichen. Die Geburt, der Tod und die Wiederauferstehung aller Menschen stellen als Barmherzigkeitserweise einen natürlichen Prozess dar. Derart konterkariert diese Barmherzigkeitstheologie des Korans die Vorstellungen einer apokalyptischen und imperialen Eschatologie zu Beginn des siebten Jahrhunderts, die eine göttlich gewollte und zeitweise Entlassung der Welt in einen autonomen Zustand des Chaos voraussetzen.64 64  Siehe diesbezüglich auch Kapitel 5.1.

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kapitel 3

Der in Sure Maryam noch implizit vorhandene Diskurs über Adam und Jesus wird in Sure āl-ʿimrān explizit fortgeführt. Die Geburtsgeschichten von Johannes und Jesus werden durch die Geburt von Maria ergänzt und symbolisieren dort in steigender Form die Kraft des göttlichen Schöpfungswortes (Q 3:3547). Gemäß dieser Steigerung bestätigt (muṣaddiqan bi-kalimatin) Johannes das Schöpfungswort Gottes (Q 3:39), während die Jungfrauengeburt Jesus in exemplarischer Weise zum Wort Gottes werden lässt (Q 3:45). In diesem Zusammenhang werden dann auch Adam und Jesus explizit miteinander verglichen (Q 3:59), wie es ähnlich auch Ephrem der Syrer (306-373 n. Chr.) tut.65

65  Vgl. Ghaffar, Der historische Muhammad in der islamischen Theologie, 371-374.

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Kapitel 4

Q 38:17-40 – David und Salomo – Ewige Königsherrschaft und messianische Ahnherren? In den mittelmekkanischen Suren werden David und Salomo als rechtgläubige und bußfertige Gottesdiener eingeführt. Da beide Figuren in der Bibel als Könige und Verantwortliche für den Bau des Tempels maßgeblich das israelitische Königtum prägen, ist es naheliegend, deren koranische Profilierung vor dem Hintergrund der bis hierhin beschriebenen Ablehnung eines Wiederaufbaus des Tempels und der Negierung seiner eschatologisch-messianischen Bedeutung im Koran zu betrachten. In der hebräischen Bibel tritt David prominent in Erscheinung, als er den Philister Goliath im Kampf besiegt (1 Sam 17,1-58). Bis dato stand er König Saul als musikalisch versierter Bediensteter zur Verfügung (1 Sam 16,14-23), doch gewinnt er durch seine Tapferkeit und seinen Erfolg im Krieg ein hohes Ansehen bei den Israeliten. König Saul stößt die wachsende Beliebtheit Davids sauer auf (1 Sam 18,1-30) und er ist zunehmend darum bemüht, durch mehrere geplante Mordkomplotte, sich seines Bediensteten zu entledigen. Sämtliche diesbezüglichen Unternehmungen Sauls schlagen fehl und es ist David, der trotz mehrerer Gelegenheiten das Leben des Königs verschont (1 Sam 24; 26). Nach dem Tod Sauls schwört einzig das Haus Juda David die Treue als König, während Sauls Sohn Ischbaal zum König von Israel wird. David gewinnt die Auseinandersetzung zwischen beiden Figuren und wird schließlich als König Israels anerkannt (2 Sam 5,1-12). Nachdem er die Philister vernichtend schlagen kann, überführt er feierlich die Bundeslade nach Jerusalem (2 Sam 6). Daraufhin ergeht eine göttliche Verheißung an David durch den Propheten Nathan. In dieser werden ihm der Bau des Tempels durch einen seiner Nachkommen und der ewige Bestand des Königtum Davids sowie seines Thrones verheißen: So spricht der HERR der Heerscharen: Ich selbst habe dich von der Weide genommen, hinter der Schafherde weg, dass du Fürst sein solltest über mein Volk, über Israel. Und ich bin mit dir gewesen überall, wohin du gegangen bist, und habe alle deine Feinde vor dir ausgerottet. Und ich mache dir einen großen Namen gleich dem Namen der Großen, die auf Erden sind. Und ich setze für mein Volk, für Israel, einen Ort fest und pflanze es ein, dass es an seiner Stätte sicher wohnt und nicht mehr in Unruhe gerät und die Söhne der Ruchlosigkeit es nicht mehr unterdrücken wie früher, und zwar seit dem Tag, da ich Richter über mein Volk Israel bestellt habe. Und ich verschaffe dir Ruhe vor all deinen

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Kapitel 4 Feinden. So verkündigt dir nun der HERR, dass der HERR dir ein Haus machen wird. Wenn deine Tage erfüllt sind und du dich zu deinen Vätern gelegt hast, dann werde ich deinen Nachkommen, der aus deinem Leib kommt, nach dir aufstehen lassen und werde sein Königtum festigen. Der wird meinem Namen ein Haus bauen. Und ich werde den Thron seines Königtums festigen für ewig. Ich will ihm Vater sein, und er soll mir Sohn sein. Wenn er verkehrt handelt, werde ich ihn mit einer Menschenrute und mit Schlägen der Menschenkinder züchtigen. Aber meine Gnade soll nicht von ihm weichen, wie ich sie von Saul habe weichen lassen, den ich vor dir weggetan habe. Dein Haus aber und dein Königtum sollen vor dir Bestand haben für ewig, dein Thron soll fest stehen für ewig. (2 Sam 7, 8-16)

Das nächste einschneidende Ereignis in der Vita Davids ist die Episode seiner großen Verfehlung (2 Sam 11). Er erliegt der Schönheit Batsebas, der Frau des Soldaten Urija, und schläft mit ihr. Nachdem er erfährt, dass diese von ihm schwanger ist, lässt er Urija durch seinen Heerführer töten. Er verordnet, dass Urija in der Schlacht an vorderster Front kämpfen soll und dem Feind überlassen wird. Gott rügt David, indem er den Propheten Nathan zu ihm schickt und ihn in einem Gleichnis seiner Verfehlung bewusst werden lässt (2 Sam 12). Obwohl David sein Vergehen eingesteht und Gott ihm vergibt, muss als Buße für seine Taten sein gemeinsamer Sohn mit Batseba – trotz sämtlicher Bemühen Davids um Verschonung – sterben. An seiner Stelle gebärt ihm Batseba einen weiteren Sohn: Salomo. Nach mehreren Zwistigkeiten zwischen David und seinen Söhnen wird schließlich Salomo zum Ende seines Lebens als neuer König verkündet (1 Kön 1). Gemäß seiner Bitte an Gott ist sein Handeln durch Weisheit geprägt (1 Kön 3,2-28; 1 Kön 5,9-14) und seine erste große Amtshandlung ist der Bau des Tempels und seines Palastes. In dem Tempelweihgebet dankt Salomo Gott, dass er die Verheißung und das Versprechen an David bezüglich des Baus des Tempels erfüllt hat und bittet darum, dass er auch sein Versprechen von der ewigen Königsherrschaft der Daviden erfüllt: Und Salomo trat vor den Altar des HERRN angesichts der ganzen Versammlung Israels und breitete seine Hände zum Himmel aus. Und er sprach: HERR, Gott Israels! Kein Gott ist dir gleich im Himmel oben und auf der Erde unten, der du den Bund und die Gnade deinen Knechten bewahrst, die vor dir leben mit ihrem ganzen Herzen; der du deinem Knecht, meinem Vater David, gehalten hast, was du ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es am heutigen Tag ist. Und nun, HERR, Gott Israels, halte deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast, als du sprachst: Es soll dir nicht an einem Mann fehlen vor meinem Angesicht, der auf dem Thron Israels sitzt, wenn nur deine Söhne auf ihren Weg achten, dass sie vor mir leben, wie du vor mir gelebt hast. Und nun, Gott Israels, mögen sich doch deine Worte als zuverlässig erweisen, die du zu deinem Knecht, meinem Vater David, geredet hast! (1 Kön 8,22-26)

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David und Salomo

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Gott erhört das Gebet Salomos und sagt ihm und dem israelitischen Volk eine ewige Königsherrschaft und den ewigen Bestand des Tempels zu, wobei diese konditional an die Gottesobservanz der Israeliten verknüpft werden. Dabei wird in einem vaticinium ex eventu die erste Tempelzerstörung vorweggenommen: Und es geschah, als Salomo den Bau des Hauses des HERRN und des Hauses des Königs vollendet hatte, dazu alles, was Salomo gefiel, alles, was er auszuführen wünschte, da erschien der HERR dem Salomo zum zweiten Mal, wie er ihm in Gibeon erschienen war. Und der HERR sprach zu ihm: Ich habe dein Gebet und dein Flehen gehört, das du vor mir gefleht hast. Ich habe dieses Haus, das du gebaut hast, geheiligt, um meinen Namen dort niederzulegen für ewig; und meine Augen und mein Herz sollen allezeit dort gegenwärtig sein. Und du, wenn du vor mir lebst, ebenso wie dein Vater David gelebt hat in Lauterkeit des Herzens und in Aufrichtigkeit, indem du nach allem handelst, was ich dir geboten habe, und wenn du meine Ordnungen und meine Rechtsbestimmungen einhältst, dann werde ich den Thron deines Königtums über Israel festigen für ewig, so wie ich über deinen Vater David geredet habe, als ich sprach: Es soll dir nicht an einem Mann auf dem Thron Israels fehlen. Wenn ihr euch aber von mir abwendet, ihr und eure Kinder, und meine Gebote und meine Ordnungen, die ich euch vorgelegt habe, nicht einhaltet, sondern hingeht und anderen Göttern dient und euch vor ihnen niederwerft, dann werde ich Israel ausrotten aus dem Land, das ich ihnen gegeben habe; und das Haus, das ich meinem Namen geheiligt habe, werde ich von meinem Angesicht wegstoßen. So wird Israel zum Sprichwort und zur Spottrede unter allen Völkern werden. Und dieses Haus wird eine Trümmerstätte werden; jeder, der an ihm vorübergeht, wird sich entsetzen und pfeifen. Und man wird sagen: Warum hat der HERR an diesem Land und an diesem Haus so gehandelt? Dann wird man sagen: Weil sie den HERRN, ihren Gott, der ihre Väter aus dem Land Ägypten herausgeführt hat, verlassen und sich an andere Götter gehalten haben und sich vor ihnen niedergeworfen und ihnen gedient haben, darum hat der HERR all dieses Unheil über sie gebracht. (1 Kön 9,1-9)

Salomo bricht diesen Bund Gottes zum Ende seines Lebens, indem er sich seiner Liebe zu Frauen aus unterschiedlichsten Völkern hingibt und sich dabei zum Götzendienst verleiten lässt (1 Kön 11,1-8). Deshalb wird ihm von Gott verheißen, dass seinen Nachkommen das Königtum nahezu vollständig entrissen werden wird (1 Kön 11,9-13). Gemäß der Verheißung Gottes an David (2 Sam 7,15-16), wendet sich Gott trotz des Fehlverhaltens Salomos nicht gänzlich von ihm ab. Die Verheißung des ewigen Königtums an David und die bundestheologischen Implikationen der von ihm und Salomo begangenen Verfehlungen sind entscheidend für das Verständnis der Einführung und Funktion beider Figuren im Koran. Im Mittelteil der Sure 38 (ṣād), die auch als Sure David bezeichnet wird, treten beide Könige das erste Mal auf (Q 38:17-40):

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Kapitel 4

17 iṣbir ʿalā mā yaqūlūna wa-ḏkur ʿabdanā dāwūda ḏa l-ʾaidi ʾinnahū ʾawwāb 18 ʾinnā saḫḫarna l-ǧibāla maʿahū yusabbiḥna bi-l-ʿašiyyi wa-l-ʾišrāq 19 wa-ṭ-ṭaira maḥšūratan kullun lahū ʾawwāb 20 wa-šadadnā mulkahū wa-ʾātaināhu l-ḥikmata wa-faṣla l-ḫiṭāb 21 wa-hal ʾatāka naba‌ʾu l-ḫaṣmi ʾiḏ tasawwaru l-miḥrāb 22 ʾiḏ daḫalū ʿalā dāwūda fa-faziʿa minhum qālū lā taḫaf ḫaṣmāni baġā baʿḍunā ʿalā baʿḍin faḥkum bainanā bi-l-ḥaqqi wa-lā tušṭiṭ wa-hdinā ʾilā sawāʾi ṣ-ṣirāṭ 23 ʾinna hāḏā ʾaḫī lahū tisʿun wa-tisʿūna naʿǧatan wa-liya naʿǧatun wāḥidatun fa-qāla ʾakfilnīhā wa-ʿazzanī fi l-ḫiṭāb 24 qāla la-qad ẓalamaka bi-suʾāli naʿǧatika ʾilā niʿāǧihī wa-ʾinna kaṯīran mina l-ḫulaṭāʾi la-yabġī baʿḍuhum ʿalā baʿḍin ʾilla llaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilu ṣ-ṣāliḥāti wa-qalīlun mā hum wa-ẓanna dāwūdu ʾannamā fatannāhu fa-staġfara rabbahū wa-ḫarra rākiʿan wa-ʾanāb 25 fa-ġafarnā lahū ḏālika wa-ʾinna lahū ʿindanā la-zulfā wa-ḥusna ma‌ʾāb 26 yā-dāwūdu ʾinnā ǧaʿalnāka ḫalīfatan fi l-ʾarḍi fa-ḥkum baina n-nāsi bi-l-ḥaqqi wa-lā tattabiʿi l-hawā fa-yuḍillaka ʿan sabīli llāhi ʾinna llaḏīna yaḍillūna ʿan sabīli llāhi lahum ʿaḏābun šadīdun bi-mā nasū yauma l-ḥisāb 27 wa-mā ḫalaqna s-samāʾa wa-l-ʾarḍa wa-mā bainahumā bāṭilan ḏālika ẓannu llaḏīna kafarū fa-wailun li-llaḏīna kafarū mina n-nār 28 ʾam naǧʿalu llaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilu ṣ-ṣāliḥāti ka-l-mufsidīna fi l-ʾarḍi ʾam naǧʿalu l-muttaqīna ka-l-fuǧǧār Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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David und Salomo

29 kitābun ʾanzalnāhu ʾilaika mubārakun li-yaddabbarū ʾāyātihī wa-li-yataḏakkara ʾulu l-ʾalbāb 30 wa-wahabnā li-dāwūda sulaimāna niʿma l-ʿabdu innahū ʾawwāb 31 ʾiḏ ʿuriḍa ʿalaihi bi-l-ʿašiyyi ṣ-ṣāfinātu l-ǧiyād 32 fa-qāla ʾinnī ʾaḥbabtu ḥubba l-ḫairi ʿan ḏikri rabbī ḥattā tawārat bi-l-ḥiǧāb 33 ruddūhā ʿalayya fa-ṭafiqa masḥan bi-s-sūqi wa-l-ʾaʿnāq 34 wa-la-qad fatannā sulaimāna wa-ʾalqainā ʿalā kursiyyihī ǧasadan ṯumma ʾanāb 35 qāla rabbi ġfir lī wa-hab lī mulkan lā yanbaġī li-ʾaḥadin min baʿdī ʾinnaka ʾanta l-wahhāb 36 fa-saḫḫarnā lahu r-rīḥa taǧrī bi-ʾamrihī ruḫāʾan ḥaiṯu ʾaṣāb 37 wa-š-šayāṭīna kulla bannāʾin wa-ġawwāṣ 38 wa-ʾāḫarīna muqarranīna fi l-ʾaṣfād 39 hāḏā ʿaṭāʾunā fa-mnun ʾau ʾamsik bi-ġairi ḥisāb 40 wa-ʾinna lahū ʿindanā la-zulfā wa-ḥusna ma‌ʾāb 17 Ertrage geduldig, was sie sagen! Und gedenke unseres kraftvollen Diener David, er war bußfertig. 18 Wir machten die Berge dienstbar, dass sie mit ihm am Abend und am Sonnenaufgang preisten, 19 ebenso die Vögel in Scharen. Ein jeder wandte sich ihm bußfertig zu. 20 Und wir stärkten sein Königtum, und gaben ihm Weisheit und Urteilskraft. 21 Kam zu dir die Kunde der Streitenden? Damals, als sie in den Palast eindrangen, 22 als sie zu David traten, da erschrak er vor ihnen. Sie sprachen: „Fürchte dich nicht! Zwei Streitende, von denen der eine dem anderen Unrecht angetan hat. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Kapitel 4

So entscheide zwischen uns nach der Wahrheit und halte das Maß, und führe uns auf den geraden Weg!“ 23 „Der da, mein Bruder, hat neunundneunzig Schafe, und ich nur eines. Er sprach aber: ‚Vertraue es mir an!‘ und drang mich in der Rede dazu.“ 24 Da sprach er: „Fürwahr, er hat dir mit der Forderung nach deinem Schaf zu seinen eigenen, Unrecht angetan!“ Viele von denen, die Besitz zusammenlegen, tun einander Unrecht an. Außer diejenigen, die glauben und rechtschaffen handeln, jedoch sind es nur wenige. Da ahnte David, dass wir ihn auf die Probe stellen wollten. So bat er seinen Herrn um Vergebung, fiel in Prostration nieder und war reumütig. 25 Wir vergaben ihm dies. Bei uns hat er Nähe und eine schöne Heimkehr. 26 „David! Wir machen dich zu einem Nachfolger auf Erden. So entscheide zwischen den Menschen nach der Wahrheit, und folge nicht der Neigung, denn sie lässt dich vom Weg Gottes abirren.“ Diejenigen, die vom Weg Gottes abirren, für die ist eine gewaltige Strafe, dafür, dass sie den Tag der Abrechnung vergaßen. 27 Wir erschufen den Himmel und die Erde, und was dazwischen ist, nicht umsonst. Das meinen die Ungläubigen. Doch wehe den Ungläubigen vor dem Feuer! 28 Oder sollen wir etwa diejenigen, die glauben und gute Werke vollbringen, denjenigen gleichstellen, die Unheil auf der Erde stiften, oder die Gottesfürchtigen den sündhaft Handelnden? 29 Eine gesegnete Schrift, die wir zu dir hinabgesandt haben, damit sie über ihre Zeichen nachdenken, und die Einsichtigen sich mahnen lassen. 30 Wir schenkten David Salomo. Welch vortrefflicher Diener! Er war bußfertig. 31 Damals, als ihm am Abend die leichtfüßigen Rennpferde vorgeführt wurden.

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32 Er sprach: „Ich habe das Gut so sehr geliebt, dass ich das Gedenken meines Herrn versäumte, bis sie [die Sonne] hinter dem Vorhang verschwand. 33 Bringt Sie mir zurück!“ Da begann er über die Beine und Hälse zu streichen. 34 Wir stellten Salomo auf die Probe, und ließen auf seinen Thron eine Gestalt sitzen. Da kehrte er reumütig um. 35 Er sprach: „Mein Herr, vergib mir, und schenke mir ein Königtum, wie es keinem nach mir mehr zukommt. Wahrlich, du bist der freigebig Schenkende!“ 36 So machten wir ihm den Wind dienstbar, der auf seinem Befehl sanft wehte, wohin er auch wollte, 37 und die Satane, einen jeden als Baumeister und Taucher, 38 und andere, in Ketten aneinandergebunden. 39 „Das ist unsere Gabe.  So sei wohltätig oder zurückhaltend, ohne darüber abzurechnen!“ 40 Bei uns hat er Nähe und eine schöne Heimkehr. Auffällig für die koranische Darstellung von David und Salomo ist, dass beide Figuren als bußfertige Gottesdiener (ʾawwāb) parallelisiert werden: Im Mittelpunkt der Schilderung beider Personen steht jeweils eine Episode um die Einsicht in das eigene Fehlverhalten und die bußfertige Rückkehr zu Gott. Die entsprechenden Vergehen wurden aus ihrer jeweiligen Vita in der hebräischen Bibel bereits geschildert: David begeht Unzucht und Mord, während Salomos hemmungslose Liebe zu Frauen aus unterschiedlichsten Völkern ihn zum Götzendienst verleitet. Beide Verfehlungen werden in der koranischen Darstellung nicht explizit genannt, sondern in eigentümlicher Weise modifiziert. Während es in der Bibel der Prophet Nathan ist, der David ein Gleichnis von einem Reichen erzählt, der einem Armen trotz seines Wohlstandes um seinen Besitz bringt, und derart das Fehlverhalten Davids verdeutlichen soll, wird diese Episode im Koran von zwei Personen faktisch inszeniert, indem zwei Streitende in den Palast Davids eindringen und ihn um sein Urteil in ihrer Auseinandersetzung bitten (V. 21-24).1 David wird durch diese Inszenierung 1  Speyer vermutet, dass die kleinen Abweichungen im Detail des Geschehens (im Koran werden nur Schafe genannt, während in der Bibel auch Rinder aufgezählt werden; die konkrete Anzahl der Schafe der jeweiligen Person etc.) durch jesuanische Gleichnisse

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wörtlich „vor Augen geführt“, welchen Frevel er selbst begangen hat. Gott akzeptiert daraufhin wie in der Bibel seine Reue (V. 25). Von Salomo wird in einzigartiger Weise geschildert, dass er aufgrund seiner Liebe und Zuneigung zu Rennpferden derart abgelenkt war, dass er den Zeitraum für das Gebet verpasste (V. 32 f.). Er wird ein zweites Mal durch die Erscheinung einer leibhaften Gestalt auf seinem Thron auf die Probe gestellt (V. 34), doch er kehrt bußfertig zu Gott zurück. Speyer verweist in Bezug auf die Rennpferd-Episode auf Bibelstellen, in denen der Besitz von Pferden durch Salomo bezeugt (1 Kön 5,6; 2 Chr 9,25) und die Mahnung an Könige zur Haltung von wenigen Pferden (Dt 17,16) belegt sind.2 Von Bedeutung könnte auch sein Hinweis auf Pferde sein, die dem Sonnengott geweiht waren und durch Josia aus dem Tempel gebracht wurden (2 Kön 23,11).3 Für den besetzten Thron könnte man tatsächlich an eine Stelle im Talmud denken, in denen der Thron Salomos durch einen Geist besetzt ist (bGittin 68b).4 Und doch bleibt die koranische Darstellung der Verfehlungen Salomos in dieser Erzähllogik einzigartig und auf den ersten Blick erratisch. Angelika Neuwirth schlägt im Anschluss an Heribert Busse5 vor, dass man die Pferde-Episode auch als eine Art exkulpierendes Bild für Salomos frevelhafte Liebe zu zahllosen Frauen verstehen könnte.6 Dann wäre Salomos Verfehlung gewissermaßen von einem zügellosen Liebestrieb, der ihn bis zum Unglauben führt, zur Zuneigung gegenüber Pferden verkleinert, die ihn vom Gebet abgelenkt hat. Die Unzucht wird also als Zuneigung zu Pferden und der Götzendienst zu einem Bruch in der Gebetsdisziplin diminuiert. Diese apologetische Tendenz ist aber in dem größeren Kontext der hier besprochenen David-Salomo-Perikope und der dabei wirksamen typologischen Angleichung beider Figuren zu stellen. Diese werden nicht nur rein nominal als bußfertige Diener eingeführt, sondern auch die Schilderung ihres Fehlverhaltens und deren Reue werden aneinander angeglichen. David wird ja bereits in der Bibel anhand eines Gleichnisses, das ihm der Prophet Nathan erzählt, zur Umkehr bewegt. Koranisch wird dieses nun durch reale Personen inszeniert. Für Salomos Vergehen wird nun derselbe formale Rahmen geschaffen: beeinflusst sein können (vgl. Heinrich Speyer, Die biblischen Erzählungen im Koran, Hildesheim 2013 (ursprünglich veröffentlicht in Breslau zwischen 1937 und 1939), 378 f.). 2  Vgl. ebd., 398 f. 3  Vgl. ebd. 4  Vgl. ebd., 400. 5  Vgl. Heribert Busse, Herrschertypen im Koran. In: Ulrich Haarmann/Peter Bachmann (Hg.), Die islamische Welt zwischen Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Hans Robert Roemer zum 65. Geburtstag. Beirut, 1979. 56-80, hier 61 f. 6  Vgl. Neuwirth, Der Koran, Band 2/1, 554.

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David und Salomo

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In einem ersten Schritt werden seine grenzenlose Lust nach Frauen und der damit einhergehende Götzendienst in dem gleichnishaften Bild des Pferdeliebhabers, der im Eifer seiner Liebe das Gebet vernachlässigt, und in dem Bild von einem Götzen besetzten Thron übersetzt. Diese Bilder hätte auch ein Prophet wie Nathan gegenüber Salomo als Gleichnisse für sein Verhalten verwenden können. In einem zweiten Schritt werden nun diese gleichnishaften Bilder wie im Falle Davids real durch Salomo selbst inszeniert, indem sie nicht als Gleichnisse, sondern als reale Ereignisse im Leben Salomos geschildert werden. Damit wären die Schilderungen beider Prophetenkönige und deren Fehlverhalten auch von dem formalen Rahmen her miteinander angeglichen. Heribert Busse hat entschieden auf die Tendenz der koranischen Typologie zur Angleichung biblischer Figuren hingewiesen und zählt im Falle von Salomo und David etwa die auffällige Betonung der Weisheit Davids auf (V. 20), die biblisch ja eigentlich ein zentrales Merkmal von Salomo ist.7 So werden auch in dieser Perikope weitere Merkmale – wie die Verfügungsgewalt über die Natur – beiden Figuren zugeschrieben (V. 18f.; 36-40). Interessant ist nun, dass auch auf formaler und erzähllogischer Ebene diese typologische Assimilation von Narrativen zu einzelnen Figuren nachweisbar ist. Worauf Busse aber keine Antwort gibt, ist die Funktion der koranischen Typologie: Wozu diese korrespondierende Profilierung von David und Salomo? In dem konkreten Fall der Darstellung beider als bußfertige Diener par excellence ist es wichtig, sich die Bedeutung der jeweiligen Verfehlungen beider Figuren in der Bibel und die damit jeweils verbundene bundestheologische Implikation zu vergegenwärtigen: David wird ja verheißen, dass sein Königtum im Prinzip für immer bestehen bleiben wird und dass einer seiner Söhne dereinst den Tempel bauen werde. Entscheidend ist dabei, dass Gott David verspricht, dass er auch im Falle eines Vergehens seiner Nachkommen an seinem Versprechen von einem ewigen Königtum festhalten wird. Diesbezüglich wird explizit auf den ersten König Saul als seinen Vorgänger verwiesen, von dem sich Gott abgewendet hat (2 Sam 7, 12-16). Vergleicht man die jeweiligen Vergehen Davids und Salomos mit dem Fehlverhalten Sauls, dann ist die Schuld des letzteren nahezu bedeutungslos. Saul setzt nämlich den Auftrag der totalen Vernichtung seiner Gegner nicht konsequent genug um und argumentiert pragmatisch dafür, warum er nicht seine Gegner und ihr Hab und Gut vollständig ausgelöscht hat (1 Sam 15). Und trotz aller Bemühungen Sauls um Vergebung wendet sich Gott von ihm ab, sodass man eigentlich den Eindruck bekommt, dass es weniger Sauls Vergehen, sondern der göttliche Heilsplan ist, weshalb er die Gunst Gottes verliert und darauffolgend zu einem 7  Vgl. Busse, Herrschertypen, 62.

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eher ruchlosen König wird. Denn aus neutraler Perspektive wiegen die Vergehen Davids und Salomos weitaus schwerer. Zwar bestraft Gott David mit dem Tod seines Sohnes, vergibt ihm aber sogleich und schenkt ihm daraufhin sogar Salomo als verheißenen Sohn, der sein Königtum fortführt. Gott erfüllt also sein Versprechen vom ewigen Königtum an David trotz der im Vergleich immensen Vergehen beider Protagonisten. Dieser diachronen Perspektive auf David und Salomo in der Bibel setzt die koranische Gegenüberstellung beider Personen ihre synchron-typologische Angleichung entgegen. Dabei soll gerade die Zusage eines ewigen Königtums an David und die damit einhergehende Grundlage für messianische Hoffnungen auf einen David redivivus zur eschatologischen Endzeit negiert werden: Beide Personen verfügten über eine besondere Verfügungsgewalt über die Natur, beide sind weise gewesen und beide waren bußfertig. Ihre Vergehen werden in den Hintergrund gerückt, während ihre Umkehrbereitschaft dagegen in den Vordergrund gestellt wird. Diese typologische Korrespondenz beider Figuren als Prototyen bußfertiger Gottesdiener soll ihre genealogische und durch eine Verheißung vom ewigen Königtum und Bau des Tempels begründete Verbindung konterkarieren. Ihre Erzählung wird gerade nicht wie die jeweilige Schilderung von Johannes-Zacharias, Maria-Jesus und Abraham-Isaak/Jakob in der chronologisch und formal nahestehenden Sure 19 (Maryam) als tabšīr-Episode, also als die Ankündigung und Erfüllung einer Verheißung geschildert. Denn im Falle von David und Salomo schließt die Verheißung der Geburt von Salomo das Versprechen vom ewigen Königtum mit ein, weshalb diese nun gar nicht mehr thematisiert wird. Was koranisch entsprechend marginalisiert werden soll, nämlich die Nutzung der Verfügungsgewalt über die Natur/die Dämonen zum Bau des Tempels und die nicht unproblematische genealogische Beziehung zwischen beiden Figuren, findet sich explizit im gnostisch-koptischen Text „Testimonium Veritatis“ wieder: [Andere aber] haben [Dämonen] bei sich wohnen [wie] König David. Er ist es, der den Grundstein Jerusalems gelegt hat und [sein Sohn] Salomo, den er durch [Ehebruch] gezeugt hat, ist es, der Jerusalem durch die Dämonen erbaut hat, denn (dazu) hatte er [Macht].8

Ein weiteres Indiz für die insgesamt antimessianische Stoßrichtung der Einführung von David und Salomo im Koran ist die Bitte Salomos nach dem größten Königtum (Q 38:35): 8  Hans Martin Schenke/Hans-Gebhard Bethge (Hg., u.a.), Nag Hammadi Deutsch, Berlin 2007, 496.

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35 Er sprach: „Mein Herr, vergib mir, und schenke mir ein Königtum, wie es keinem nach mir mehr zukommt. Wahrlich, du bist der freigebig Schenkende!“ Diesem Gebet ist nicht – wie etwa Speyer meint9 – die Bitte Salomos nach Weisheit (1 Kön 3,2-15), sondern sein Tempelweihgebet gegenüberzustellen: Und nun, HERR, Gott Israels, halte deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast, als du sprachst: Es soll dir nicht an einem Mann fehlen vor meinem Angesicht, der auf dem Thron Israels sitzt, wenn nur deine Söhne auf ihren Weg achten, dass sie vor mir leben, wie du vor mir gelebt hast. Und nun, Gott Israels, mögen sich doch deine Worte als zuverlässig erweisen, die du zu deinem Knecht, meinem Vater David, geredet hast! (1 Kön 8,25-26)

Salomos Bitte um die Erfüllung von Gottes Verheißung eines temporal ewigen Königtums wird koranisch in eine Bitte um das komparativ größte Königtum umgewandelt. Derart erübrigt sich die Frage nach der Rekonstitution des davidischen Königtums durch eine messianische Figur zur Endzeit.10 Derselbe Sachverhalt lässt sich anhand des Gebets von Salomo in der noch zu besprechenden Sure 27 (an-naml) nachweisen (Q 27:19): 19 Da lächelte er, über ihre Aussage schmunzelnd, und sprach: „Mein Herr, halte mich dazu an, dass ich für deine Gnade, die du mir und meinen Eltern erwiesen hast, dankbar bin, und dass ich rechtschaffen in deinem Sinne handle, und führe mich durch deine Barmherzigkeit zu deinen rechtschaffenen Dienern!“ Dieses Gebet um Dankbarkeit für die Gnade (niʿma) Gottes erinnert auch an das Tempelweihgebet Salomos in 1 Kön 8, wo er Gott für die Erfüllung der Verheißung an seinen Vater dankt und ebenso um das ewige Bestehen des 9  Vgl. Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, 383. 10  Hier ist auch darauf hinzuweisen, dass sich im Zuge der Entwicklung einer koranischen Bundestheologie in Medina diese Perspektive nicht ändert. Sämtliche Bundesschlüsse in der Bibel werden auch koranisch anerkannt (Adamsbund, noachidischer Bund, Abrahamsbund und der priesterliche Bund mit Aaron, der christlich-inklusiv gemünzt wird) (Q 3:33 f.). Nur der Davidsbund (2 Sam 7) findet im Koran keine Erwähnung, da eine messianische Verheißung Gottes für die Menschen zur Endzeit und die Restituierung des Tempels auch später weiterhin abgelehnt werden.

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davidischen Königtums und des Tempels bittet. Dagegen steht in Q 27 das Dankesgebet im Kontext der speziellen Verfügungsgewalt und Macht, die Gott Salomo gegeben hat und die sich in der Furcht der Ameisen ausdrückt. Die hier wirkende negative Intertextualität kommt zum Vorschein, wenn man dieses Gebet mit dem allgemeinen Gebet der Gläubigen in der spätmekkanischen Sure 46 (al-ʾaḥqāf) vergleicht, das wörtlich im ersten Teil mit Salomos Gebet übereinstimmt, doch in eine andere Bitte mündet (Q 46:15): 15 „[…] ‚Mein Herr, halte mich dazu an, dass ich für deine Gnade, die du mir und meinen Eltern erwiesen hast, dankbar bin, und dass ich rechtschaffen in deinem Sinne handle. Und lass mich gedeihen in meiner Nachkommenschaft!  Ich wende mich Dir reumütig zu und bin einer von den Gottergebenen.‘“ Diese zusätzliche Bitte um Nachkommenschaft im Gebet der Gläubigen erinnert an 1 Kön 8,25-26, wo Salomo Gott um die Erfüllung der Verheißung des ewigen Königtums durch davidische Nachkommen bittet. Aber genau diese Bitte fehlt in Salomos Gebet! Denn koranisch wird der Davidsbund negiert. Insgesamt sind die in Q 38 bezeugte Ablehnung von David und Salomo als messianische Ahnherren und die Negierung eines ewigen Königtums der Israeliten im Kontext der Entwicklungen zu Beginn des siebten Jahrhunderts zu stellen. Wie sich in den folgenden Kapiteln zeigen wird, sind die Frage nach der Rückkehr des Messias, das Bild des gläubigen Herrschers und die religiöse Zuordnung der politischen Macht des weltlichen Herrschers zentral für das eschatologische Schrifttum dieser Zeit. In diesem Zusammenhang ist auch die Bezeichnung von Salomos Thron als kursī (V. 34) – und nicht als ʿarš – zu sehen, die bewusst die weltliche Herrschaft und Macht des Menschen von der Königsherrschaft Gottes abgrenzen soll. Auch ist die Stellvertreterfunktion Davids (ḫalīfa) (Q 38:26) bereits in den mekkanischen Suren auf die ganze Menschheit hin universalisiert (Q 27:62). 4.1

Die davidischen Silberteller und die religionspolitische Bedeutung von Q 38:17-40 zu Beginn des siebten Jahrhunderts

Die koranische Darstellung von David und Salomo in Q 38:17-40 lässt sich durch einen Blick auf ein Meisterwerk der byzantinischen Schmiedekunst besser ins Relief der religionspolitischen Entwicklungen zu Beginn des siebten

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Jahrhunderts setzen. Die sogenannten „David Plates“ sind neun kunstvoll hergestellte Silberteller, die 1902 in Zypern gefunden wurden und jeweils zu einem Teil im Besitz des Metropolitan Museum of Art in New York und des Cyprus Museum in Nikosia sind.11 Sie stellen Szenen aus den frühen Lebensjahren des jungen Davids dar (1 Sam 16-18) und weisen Kontrollstempel auf, die auf eine Entstehungszeit zwischen 613-630 verweisen.12 Wahrscheinlich wurden die Silberteller auf Zypern kurz vor der arabisch-islamischen Eroberung dieses Gebietes in 653/654 begraben.13 Ihre Machart verweist auf Konstantinopel als Entstehungsort14 und es ist sehr wahrscheinlich, dass diese eine Auftragsarbeit wohlhabender und hoher Beamten des byzantinischen Hofes, wenn nicht gar des Kaisers Herakleios selbst gewesen sind.15 Die gezeigten Szenen aus der Vita Davids umfassen die Vorstellung Davids bei Samuel (1 Sam 16,11-12) und dessen Salbung (1 Sam 16,13). Ein Großteil der Teller stellt sodann Szenen aus der Auseinandersetzung mit Goliath dar: Davids Ermahnung durch seinen Bruder Eliab (1 Sam 17,28-29), seine Vorstellung beim König Saul (1 Sam 17,32-37), Erinnerungen an seinen Kampf gegen einen Bären und einen Löwen (1 Sam 17,37) und seine Vorbereitung auf den Kampf mit Goliath (1 Sam 17,38-39) . Der größte Silberteller (49,5 cm) zeigt in drei Szenen den Ablauf des Kampfes gegen Goliath (1 Sam 17,42-51) (Siehe Abb. 1). Der letzte Teller stellt schließlich als Kulminationspunkt die Vermählung Davids mit Sauls Tochter Michal dar (1 Sam 18,27) (Siehe Abb. 2). Nicht zufällig fällt der mögliche Entstehungszeitraum der Silberteller in die Regierungszeit des Herakleios (610-641). Etliche Forscher haben nicht zuletzt aufgrund der dargestellten Motive auf den Silbertellern und insbesondere vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Dichtung und Geschichtsschreibung zu Herakleios betont, dass man die Silberteller als typologische Darstellung und Bezugnahme zum byzantinischen Herrscher selbst verstehen könne16: 11  Vgl. Esther Morales/Michael Norris (u.a.), A Masterwork of Byzantine Art. The David Plates: The Story of David and Goliath, New York 2001. 12  Vgl. Erica Cruikshank Dodd, Byzantine Silver Stamps, Dumbarton Oaks Studies 7, Washington 1961, 178-195. 13  Vgl. Suzanne Spain Alexander, Heraclius, Byzantine Imperial Ideology, and the David Plates. In: Speculum. A Journal of Medieval Studies, Vol. LII, No. 2, April 1977, 217-237, hier 217. 14  Vgl. Morales/Norris, A Masterwork of Byzantine Art, 8. 15  Vgl. James Trilling, Myth and Metaphor at the Byzantine Court: A literary Approach to the David Plates. In: Byzantion 48, No. 1, 1978, 249-263, hier 250 f. 16  Vgl. Mariette van Grunsven-Eygenraam, Heraclius and the David Plates. In: Bulletin Antieke Beschaving 48 (1973), 158-174; Claudia Ludwig, David – Christus – Basileus: Erwartungen an eine Herrschergestalt. In: Walter Dietrich (Hg.), König David – biblische

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Abb. 1 Davids Kampf gegen Goliath, Metropolitan Museum of Art, 17.190.396 https://www.metmuseum.org/art/collection/ search/464377.

Abb. 2 Davids Heirat mit Michal, Cyprus Museum in Nikosia Steven H. Wander, The Cyprus Plates: The Story of David and Goliath. In: Metropolitan Museum Journal 8 (1973), 90, Figure 2.

David ist nämlich der Prototyp des „guten Usurpators“, der nur widerwillig zum König wird und den Tod seiner Widersacher und Vorgänger geradezu in Kauf nehmen muss. Herakleios kommt auch als Usurpator zur Macht. Im Jahr 610 marschiert er mit seinen Truppen in Konstantinopel ein und tötet

Schlüsselfigur und europäische Leitgestalt, Stuttgart 2003, 367-382, hier 375 f.; Helen Evans, Heraclius. In: Helen Evans/Brandie Ratliff (Hg.), Byzantium and Islam. Age of Transition, 7th-9th Century, New York/New Haven 2012, 14-17, hier 16 f.; Alexander, Heraclius, Byzantine Imperial Ideology, and the David Plates, 217-237; Für eine Kritik dieser mehrheitlichen Deutung aus eher kunsthistorischer Perspektive siehe Ruth Leader, The David Plates Revisited: Transforming the Secular in Early Byzantium. In: The Art Bulletin, Vol. 82, No. 3, 2000, 407-427.

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Kaiser Phokas, um daraufhin selbst zum Kaiser ausgerufen zu werden.17 Der Kampf und Sieg Davids gegen die Philister und sein feierlicher Einzug mit der Bundeslade in Jerusalem entsprechen dem schwer erkämpften Sieg von Herakleios über die Sassaniden und der feierlichen Rückkehr der Kreuzesreliquie nach Jerusalem, nachdem diese durch die Sassaniden in 614 bei der Eroberung Jerusalems entwendet wurde. Davids problematische Ehe mit Batseba korrespondiert mit Herakleios zweiter Heirat mit seiner Nichte Martina, die zu seinen Lebzeiten als großer Frevel und auch als Grund für einige Rückschlage des Reiches angesehen wurde.18 Die davidischen Silberteller hätten dann eine propagandistische Funktion: Sie sollen die Erwählung des Kaiser Herakleios zur Macht und seinen epochalen sowie siegreichen Kampf gegen die Sassaniden als Typus eines zweiten David19 beschreiben und indirekt auch seine eigene Wahl der Ehepartner rechtfertigen. Welches Ereignis man im Einzelnen mit dem jeweiligen Teller verbindet, hängt von der konkreten Datierung der Teller ab. Der dargestellte Kampf gegen Goliath lässt sich dann als Sieg gegen Phokas, gegen den persischen Herrscher Chosrau oder gegen seinen General Rhazates20 in der Schlacht von Ninive im Jahr 627 deuten. Das Bild von der Eheschließung Davids mit Michal nach seinem Sieg gegen Goliath lässt sich auf die erste Heirat von Herakleios mit Eudoxia nach seiner erfolgreichen Usurpation gegen Phokas in 610 beziehen.21 Da die zweite Heirat Davids mit Batseba bei den biblisch gebildeten Hörern natürlich bekannt war, kann dieser Silberteller derart auch insgesamt auf die Wahl der Ehepartner des Kaisers und insbesondere auf seine zweite problematische Ehe mit seiner Nichte bezogen werden.22 Derart hätten die Zeitgenossen von Herakleios die Ehe mit seiner Nichte als gottgewollte Ehe zu akzeptieren. Schließlich hat auch Gott die Ehe Davids mit Batseba verziehen und ihm aus dieser Ehe Salomo geschenkt. Herakleios gab übrigens einem seiner Söhne aus der Ehe mit Martina den Namen David.23 Die hier besprochene Deutung der davidischen Silberteller stimmt in ihrer Stoßrichtung mit der Dichtung des zeitgenössischen Dichters Georg 17  Vgl. Ostrogorsky, Byzantinische Geschichte, 61 f.; Stratos, Byzantium in the Seventh Century I, 80-91. 18  Vgl. Stratos, Byzantium in the Seventh Century I, 95 f. 19  Für eine gute Übersicht zur David-Herakleios-Typologie zu Beginn des siebten Jahrhunderts siehe Lutz Greisiger, Messias · Endkaiser · Antichrist. Politische Apokalyptik unter Juden und Christen des Nahen Ostens am Vorabend der arabischen Eroberung, Wiesbaden 2014, 139-145. 20  Vgl. Wander, The Cyprus Plates: The Story of David and Goliath, 103 f. 21  Vgl. Stratos, Byzantium in the Seventh Century I, 95 f. 22  Vgl. ebd. 23  Vgl. ebd., 358, Note VI.

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von Pisidien überein, der die göttliche Erwählung des Kaisers betont und seine physischen und geistigen Eigenschaften lobt.24 Der Kampf gegen die Sassaniden wird dabei als kosmischer Kampf gegen böse Mächte beschrieben, wobei Herakleios typologisch sowohl mit mythischen Figuren wie Herakles, aber auch mit biblischen Personen wie Moses und Noah verglichen wird.25 Explizit deutet Georg die Rückholung der heiligen Kreuzesreliquie nach Jerusalem als Entsprechung zum feierlichen Einzug der Bundeslade mit David in die Heilige Stadt (2 Sam 6).26 Der zeitgenössische Schriftsteller Theodoros Synkellos vergleicht auch nach der siegreichen Verteidigung Konstantinopels vor den Avaren im Jahr 626 den Kaiser mit David und bittet Gott darum, dass er dem Kaiser auch eine Herrschaft wie die des David und Salomos schenke. Dabei adressiert Theodoros Synkellos Herakleios mit dem Herrschertitel basileus: For our Basileus is also [like] David in his piety toward the divine and in his gentleness. But may the Lord crown him with victories, just as with David; may he make his son who reigns with him both wise and peaceful like Solomon, granting him piety and orthodoxy, just as with his father.27

Nach seinem Sieg gegen die Sassaniden nimmt Herakleios 629 offiziell den Herrschertitel basileus an. Irfan Shahid vermutet auch mit Verweis auf die Dichtung von Georg von Pisidien, dass die Annahme des neuen Titels die Wende in ein messianisches Zeitalter implizierte: Heraclius might very well have thought he was opening the last phase of the millennium as praeparatio for the Second Coming. The assumption of the basileia in 629 may be related to these hopes; the title basileus was most appropriate for reflecting an imperial image which was conceived by contemporaries as messianic or even a self-image which had in fact become messianic.28 24  Vgl. Mary Whitby, A New Image for a New Age: George of Pisidia on the Emperor Heraclius. In: E. Dabrowa (Hg.), Roman and Byzantine Army in the East, Krakow 1994, 197-225; Dies., Defender of the Cross: George of Pisidia on the Emperor Heraclius and his Deputies. In: Dies. (Hg.), The Propaganda of Power: The Role of Panegyric in Late Antiquity, Leiden 1998, 247-273; Dies., George of Pisidia’s Presentation of the Emperor Heraclius and his Campaigns. In: Gerrit J. Reinink/Bernard H. Stolte (Hg.), The reign of Heraclius (610-641): Crisis and Confrontation, Leuven 2002, 157-175. 25  Vgl. ebd. 26  Vgl. Ludwig, Kaiser Herakleios, Georgios Pisides und die Perserkriege, 97 f. 27  Zitiert nach Alexander, Heraclius, Byzantine Imperial Ideology, and the David Plates, 223; für den griechischen Originaltext siehe Leo Sternbach (Editor), Analecta Avarica, Krakau 1900, 24 [320], Zeile 20-24. 28  Irfan Shahid, The Iranian Factor in Byzantium during the Reign of Heraclius. In: Dumbarton Oaks Papers, Vol. 26, 1972, 293-320, hier 308.

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David und Salomo

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Dass auch antike Figuren wie Alexander in ihrer christlichen Rezeption als messianische Figuren im Sinne eines Typus von Herakleios propagiert wurden, davon zeugt die syrische Alexanderlegende, die auch in den mittelmekkanischen Suren rezipiert wird. Die diesbezügliche koranische Rezeption wird in den folgenden Kapiteln besprochen. Die davidischen Silberteller zeugen zumindest davon, dass spätestens zum Ende der Regierungszeit des Herakleios sich das Bild des Kaisers als zweiter David und als Herrscherfigur einer messianischen Zeit wohl etabliert hatte.29 Unabhängig von der Frage, ob man die Entstehung der davidischen Silberteller und der damit verbundenen Ideen bereits in den Jahren vor 622 – also vor der Auswanderung des Propheten nach Medina – ansetzt, liest sich die koranische Darstellung von David und Salomo als eine Replik auf Motive und Ideen, die es aus der Perspektive der Gemeinde abzuwehren galt: Wie bereits in der Sure 17 als Reaktion auf die Eroberung Jerusalems 614 ein Wiederaufbau des Tempels und seine eschatologische Bedeutung abgelehnt werden, so werden nun die Vorstellung einer ewigen Königsherrschaft Davids und seine Rückkehr als Messias negiert. David ist aus koranischer Perspektive eben kein ewiges Königtum von Gott verheißen worden. Auch die zwei großen Vergehen Davids und Salomos, die zwar jeweils eine bundestheologische Implikation hatten, jedoch nicht zur Aberkennung des Versprechens der ewigen Königsherrschaft führten, werden in der gleichnishaften Übertragung zu kleinen Episoden der Schwäche des Gläubigen, die sich bußfertig Gott zuwenden können. Derart wird auch das mögliche Bild des ungerechten Gottes, der nicht die Verfehlungen seiner Diener gleichermaßen ahndet, korrigiert. Man erinnere sich an Saul, dem Gott trotz eines bedeutungslosen Vergehens den Bund kündigt (1 Sam 15), während David und Salomo trotz ihrer schwerwiegenden Vergehen ein ewiges Königtum verheißen wird. Dass die typologische Angleichung von David und Salomo gerade die diachrone Perspektive auf ihre Königsherrschaft als ewig ersetzen soll und derart auch Saul rehabilitiert, wird aus dessen Darstellung in der medinensischen Sure al-baqara deutlich: Saul ist dort der gottgewollte König, an dessen Rechtmäßigkeit kein Zweifel bestehen darf. Denn während in 1 Sam 10,17-27 Saul per Losverfahren durch Samuel als erster König ausgerufen wird und die Israeliten ihn ohne Widerrede akzeptieren, zweifeln die Israeliten an die Rechtmäßigkeit und Legitimität Sauls als König, woraufhin ihn Samuel verteidigt (Q 2:247). Wie David und Salomo, wird nun Saul typologisch an David angeglichen: Die Rückkehr der Bundeslade vor seiner Salbung zum König (1 Sam 6) wird koranisch als Zeichen seiner legitimen und gottgewollten Herrschaft beschrieben (Q 2:248). Damit entspricht Sauls Königtum der Herrschaft 29  Vgl. Ludwig, David – Christus – Basileus, 377 f.

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Kapitel 4

Davids, der ja auch die Bundeslade feierlich nach Jerusalem bringt (2 Sam 6). Auch wird der Kampf Sauls gegen die Philister – die pars pro toto als Goliath (ǧālūt) bezeichnet werden – als ein einziger Kampf beschrieben, der nahtlos in den Sieg Davids über Goliath kulminiert (Q 2:249-251). Ein bundestheologischer Bruch Gottes, der sich von Saul gerade abwendet und seine Herrschaft an David und seine Nachkommen für ewig übergibt, ist nun nicht mehr gegeben. Auffällig ist, dass der Aspekt des Krieges der Diener Gottes, die gegen seine Feinde kämpfen, in Mekka noch völlig ausgeblendet bleibt und, wie man noch sehen wird, gar kritisiert wird.30 Dieser Umstand ist ein weiterer Beleg dafür, dass mit der Auswanderung nach Medina – wie in der Prophetenbiographie vorausgesetzt – tatsächlich ein Wechsel der gemeindlichen Situation einherging. Deshalb wurde nun auf biblische Narrative und Motive zurückgegriffen, auf die in Mekka noch verzichtet wurde oder die damals gar beanstandet wurden. Wie für Herakleios dient dann in Medina dem Propheten Muhammad das Bild Davids und Sauls zum typologischen Abgleich für die eigenen kriegerischen Auseinandersetzungen. Freilich wird auch in Medina ein messianischer Herrschaftsanspruch des Propheten ausbleiben. Schlussendlich wird man bezüglich der davidischen Silberteller nicht beantworten können, ob die Nachricht von der Ehe des Herakleios mit seiner Nichte, die wohl 613/614 (!) geschlossen wurde31, zu der Gemeinde vorgedrungen war, als Q 38 offenbart wurde. Auch wird man nicht entscheiden können, ob bereits zu dieser Zeit die Figur Davids zur Apologie des Kaisers in Anschlag gebracht wurde. Doch lässt die Einführung von David und Salomo als bußfertige Diener Gottes im Koran eine derartige Verteidigung der Heirat des Herakleios mit seiner Nichte nicht mehr zu. Es passt eben nicht zum Bild des gottgewollten Königs, dass er sich seinen Trieben hingebend auf eine fragwürdige Ehe einlässt.32 Auch ist aus koranischer Sicht David keine messianische Figur, dessen ewige Herrschaft zur Legitimation der eigenen Herrschaft als Anbruch einer messianischen Zeit dienen könnte.

30  Siehe Kapitel 5. 31  Vgl. Stratos, Byzantium in the Seventh Century I, 95 f. 32  Interessant ist, dass Muhammad in Medina aufgrund seiner Ehe mit der ehemaligen Frau seines Adoptivsohnes Zaid gerade nicht mit Bezug auf David, sondern auf Moses verteidigt wird (Q 33:69). Dagegen hat die spätere Exegese in diesem Zusammenhang auf David verwiesen (vgl. zu diesem Vers Joseph Witztum, ‘O Believers, Be not as Those Who Hurt Moses’: Q 33:69 and Its Exegesis. In: Carol Bakhos/Michael Cook (Hg.), Islam and Its Past. Jahiliyya, Late Antiquity, and the Qurʾan, Oxford 2017, 120-139). Im Gegensatz zu Herakleios hatte Muhammad nicht einen messianischen Anspruch, weshalb David in dieser Hinsicht kein typologischer Vorgänger sein konnte.

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Kapitel 5

Q 27:15-44 – Die eschatologische Herrschergestalt und der gläubige Herrscher: Salomo, Königin von Saba und Alexander In den mittelmekkanischen Suren zeichnet sich nicht nur eine typologische Durchlässigkeit (Permeabilität) der Gemeinde und seinem Verkünder als ʿibād zu vormaligen Protagonisten der biblischen Heilsgeschichte ab1, sondern auch eine typologische Attraktion zwischen biblischen Figuren selbst, die nicht primär der gemeindlichen Situation geschuldet ist, sondern im Dienste der evolvierenden koranischen Theologie selbst steht. So zeigt sich in den mittelmekkanischen Suren Q 38 und Q 212, dass Salomo und David jeweils als bußfertige Diener und weise Richter mit einer besonderen Verfügungsgewalt über die Natur geradezu nivelliert sind. Diese typologische Angleichung koranischer Figuren hat insbesondere Heribert Busse herausgestellt.3 Jedoch hat er nicht die mit dieser Tendenz der koranischen Verkündung einhergehende negative Intertextualität und deren theologische Stoßrichtung expliziert. Derart ist etwa die Einführung von Salomo und David jeweils als ʾawwāb komplementär zum Diskurs zu den Gunsterweisen Gottes an seine Propheten und Diener in Q 19 zu verstehen. Dort wendet sich Gott jeweils Zacharias, Abraham und Maria in seiner Barmherzigkeit zu und schenkt (wahaba) ihnen Nachkommenschaft als Ersatz für die Bindungen, die sie jeweils für ihre Rechtgläubigkeit aufgeben mussten. Dagegen ist die genealogische Verbindung zwischen Salomo und David koranisch marginalisiert. Durch die jeweiligen Verben (wahaba, wariṯa, vgl. Q 27:16; 36:30) ist zwar die Verwandtschaft beider noch angedeutet, jedoch wird viel stärker die typologische Durchlässigkeit zwischen beiden Figuren betont. Letzteres ist im Kontext der biblischen Verheißungen zwischen beiden Personen zu verstehen: Salomo wird David als Ersatz für den Tod eines Sohnes gegeben und mit ihm ist auch das Versprechen vom ewigen Königtum Davids und dem ewigen Bestehen des Tempels verbunden. Doch koranisch wird in Q 17 bereits einem 1  Für den Begriff der typologischen Permeabilität und das Verhältnis zwischen Typologie und Prophetologie im Koran siehe Zishan Ghaffar, Einordnung in die koranische Prophetologie. In: Klaus von Stosch/Mouhanad Khorchide, Der andere Prophet. Jesus im Koran, Freiburg 2018, 176-226. 2  Siehe Kapitel 4 und 8. 3  Vgl. Busse, Herrschertypen, 56-80.

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Kapitel 5

Wiederaufbau des Tempels durch die beiden Deutungen der Tempelzerstörungen eine Absage erteilt.4 Auch die Vorstellung eines zweiten Davids als Messias ist nicht präsent. Überhaupt wird Salomos Rolle als Tempelbauer gar nicht angedeutet.5 Diese negative Intertextualität des Korans verquickt sich mit der typologischen Angleichung von Salomo und David, um im religionsgeschichtlichen Kontext der Verkündigung die Ereignisse um die Eroberung Jerusalems durch die Perser 614 und die damit einhergehenden messianischen und eschatologischen Vorstellungen theologisch zu bewerten. In Q 27 (an-naml) stellt die Erzählung von Salomo und der Königin von Saba einen weiteren Fall für die typologische Attraktion zwischen biblischen Figuren im Koran dar. Die in 1 Kön 10,1-13 geschilderte Begegnung beider Personen6 steht hier in einem größeren Kontext der gegenseitigen Auseinandersetzung (Q 27:15-44): 15 wa-la-qad ʾātainā dāwūda wa-sulaimāna ʿilman wa-qāla l-ḥamdu li-llāhi llaḏī faḍḍalanā ʿalā kaṯīrin min ʿibādihi l-muʾminīn 16 wa-wariṯa sulaimānu dāwūda wa-qāla yā-ʾayyuha n-nāsu ʿullimnā manṭiqa ṭ-ṭairi wa-ʾūtīnā min kulli šaiʾin ʾinna hāḏā la-huwa l-faḍlu l-mubīn 17 wa-ḥušira li-sulaimāna ǧunūduhū mina l-ǧinni wa-l-ʾinsi wa-ṭ-ṭairi fa-hum yūzaʿūn 18 ḥattā ʾiḏā ʾatau ʿalā wādi n-namli qālat namlatun yā-ʾayyuha n-namlu udḫulū masākinakum lā yaḥṭimannakum sulaimānu wa-ǧunūduhu wa-hum lā yašʿurūn 19 fa-tabassama ḍāḥikan min qaulihā wa-qāla rabbi ʾauziʿnī ʾan ʾaškura niʿmatika allatī ʾanʿamta ʿalayya wa-ʿalā wālidayya wa-ʾan ʾaʿmala ṣāliḥan tarḍāhu wa-ʾadḫilnī bi-raḥmatika fī ʿibādika ṣ-ṣāliḥīn 4  Siehe Kapitel 2. 5  Siehe Kapitel 4. 6  Für eine umfangreiche Untersuchung zur Entstehung und Rezeption der Figur der Königin von Saba siehe Ulrich Kleinert, Das Rätsel der Königin von Saba. Geschichte und Mythos, Darmstadt 2015. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Salomo, Königin von Saba und Alexander

20 wa-tafaqqada ṭ-ṭaira fa-qāla mā liya lā ʾara l-hudhuda ʾam kāna mina l-ġāʾibīn 21 la-ʾuʿaḏḏibannahū ʿaḏāban ʾau la-ʾaḏbaḥannahū ʾau la-ya‌ʾtiyannī bi-sulṭānin mubīn 22 fa-makaṯa ġaira baʿīdin fa-qāla ʾaḥaṭtu bi-mā lam tuḥiṭ bihī wa-ǧiʾtuka min saba‌ʾin bi-naba‌ʾin yaqīn 23 ʾinnī waǧadtu imra‌ʾatan tamlikuhum wa-ʾūtiyat min kulli šaiʾin wa-lahā ʿaršun ʿaẓīm 24 waǧadtuhā wa-qaumahā yasǧudūna li-š-samsi min dūni llāhi wa-zayyana lahumu š-šaiṭānu ʾaʿmālahum fa-ṣaddahum ʿani s-sabīli fa-hum lā yahtadūn 25 ʾallā yasǧudū li-llāhi llaḏī yuḫriǧu l-ḫabʾa fi s-samāwāti wa-l-ʾarḍi wa-yaʿlamu mā yuḫfūna wa-mā yuʿlinūn 26 allāhu lā ʾilāha ʾillā huwa rabbu l-ʿarši l-ʿaẓīm 27 qāla sa-nanẓuru ʾa-ṣadaqta ʾam kunta mina l-kāḏibīn 28 iḏhab bi-kitābī hāḏā fa-ʾalqih ʾilaihim ṯumma tawalla ʿanhum fa-nẓur māḏā yarǧiʿūn 29 qālat yā-ʾayyuha l-mala‌ʾu ʾinnī ʾulqiya ʾilayya kitābun karīm 30 ʾinnahū min sulaimāna wa-ʾinnahū bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm 31 ʾallā taʿlū ʿalayya wa-ʾtūnī muslimīn 32 qālat yā-ʾayyuha l-mala‌ʾu ʾaftūnī fī ʾamrī mā kuntu qāṭiʿatan ʾamran ḥattā tašhadūn 33 qālū naḥnu ʾūlū quwwatin wa-ʾūlū ba‌ʾsin šadīdin wa-l-ʾamru ʾilaiki fa-nẓurī māḏā ta‌ʾmurīn 34 qālat ʾinna l-mulūka ʾiḏā daḫalū qaryatan ʾafsadūhā wa-ǧaʿalū ʾaʿizzata ʾahlihā ʾaḏillatan wa-ka-ḏālika yafʿalūn 35 wa-ʾinnī mursilatun ʾilaihim bi-hadiyyatin fa-nāẓiratun bi-ma yarǧiʿu l-mursalūn

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Kapitel 5

36 fa-lammā ǧāʾa sulaimāna qāla ʾa-tumiddūnani bi-mālin fa-mā ʾātāniya llāhu ḫairun mimmā ʾātākum bal ʾantum bi-hadiyyatikum tafraḥūn 37 irǧiʿ ʾilaihim fa-la-na‌ʾtiyannahum bi-ǧunūdin lā qibala lahum bihā wa-la-nuḫriǧannahum minhā ʾaḏillatan wa-hum ṣāġirūn 38 qāla yā-ʾayyuha l-mala‌ʾu ʾayyukum ya‌ʾtīnī bi-ʿaršihā qabla ʾan ya‌ʾtūnī muslimīn 39 qāla ʿifrītun mina l-ǧinni ʾana ʾātīka bihī qabla ʾan taqūma min maqāmika wa-ʾinnī ʿalaihi la-qawiyyun ʾamīn 40 qāla llaḏī ʿindahū ʿilmun mina l-kitābi ʾana ʾātīka bihī qabla ʾan yartadda ʾilaika ṭarfuka fa-lammā ra‌ʾāhu mustaqirran ʿindahū qāla hāḏā min faḍli rabbī li-yabluwanī ʾa-ʾaškuru ʾam ʾakfuru wa-man šakara fa-ʾinnamā yaškuru li-nafsihī wa-man kafara fa-ʾinna rabbī ġaniyyun karīm 41 qāla nakkirū lahā ʿaršahā nanẓur ʾa-tahtadī ʾam takūnu mina llaḏina lā yahtadūn 42 fa-lammā ǧāʾat qīla ʾa-hākaḏā ʿaršuki qālat ka-ʾannahū huwa wa-ʾūtīna l-ʿilma min qablihā wa-kunnā muslimīn 43 wa-ṣaddahā mā kānat taʿbudu min dūni llāhi ʾinnahā kānat min qaumin kāfirīn 44 qīla lahā udḫuli ṣ-ṣarḥa fa-lammā ra‌ʾathu ḥasibathu luǧǧatan wa-kašafat ʿan sāqaihā qāla ʾinnahū ṣarḥun mumarradun min qawārīra qālat rabbī ʾinnī ẓalamtu nafsī wa-ʾaslamtu maʿa sulaimāna li-llāhi rabbi l-ʿālamīn 15 Wir gaben David und Salomo Wissen. Sie sprachen: „Lobpreis sei Gott, der uns vor vielen seiner gläubigen Diener ausgezeichnet hat!“

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Salomo, Königin von Saba und Alexander

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16 Und Salomo beerbte David. Er sprach: „Ihr Menschen! Uns wurde die Sprache der Vögel gelehrt, und man gab uns von jeder Sache. Das ist eine klare Auszeichnung!“ 17 Und es wurden Salomo seine Heerscharen versammelt, aus Dschinnen, Menschen und Vögeln. Und sie wurden aufgestellt in Reih und Glied. 18 Als sie schließlich zum Tal der Ameisen kamen, da sprach eine Ameise: „Ihr Ameisen! Kehrt in eure Häuser zurück,  auf dass euch Salomo und seine Heerscharen nicht zertrümmern, ohne es zu bemerken!“ 19 Da lächelte er, über ihre Aussage schmunzelnd, und sprach: „Mein Herr, halte mich dazu an, dass ich für deine Gnade, die du mir und meinen Eltern erwiesen hast, dankbar bin, und dass ich rechtschaffen in deinem Sinne handle, und führe mich durch deine Barmherzigkeit zu deinen rechtschaffenen Dienern!“ 20 Er musterte die Vögel und sprach: „Warum sehe ich den Wiedehopf nicht? Ist er etwa abwesend? 21 Ich werde ihn schwer bestrafen oder gar töten, es sei denn, er bringt mir eine legitime Entschuldigung!“ 22 Er blieb nicht lange fern, und sprach: „Ich habe ergründet, was du nicht ergründet hast, und komme zu dir aus Saba mit sicherer Kunde. 23 Ich fand eine Frau, die über sie herrscht. Ihr wurde von jeder Sache gegeben, und sie verfügt über einen gewaltigen Thron. 24 Und ich fand heraus, dass sie und ihr Volk die Sonne und nicht Gott anbeten. Derweil verschönert der Satan ihre Taten, und bringt sie von dem Weg ab. Sie sind nicht rechtgeleitet, 25 sodass sie vor Gott nicht niederfallen, der das Verborgene in den Himmeln und auf der Erde zutage fördert, und der weiß, was sie verbergen und was sie offenlegen. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Kapitel 5

26 Gott. Kein Gott ist außer ihm, der Herr des gewaltigen Thrones!“ 27 Er sprach: „Wir werden sehen, ob du die Wahrheit sprichst oder von den Lügnern bist. 28 Geh mit diesem Brief von mir und stell ihnen den zu!  Dann ziehe dich zurück von ihnen und schau, was sie erwidern!“ 29 Sie sprach: „Ihr Vornehmen! Mir wurde ein ehrenvoller Brief zugesandt. 30 Er ist von Salomo,  und lautet: ‚Im Namen Gottes, des Allerbarmenden und Barmherzigen. 31  Erhebt euch nicht gegen mich und kommt zu mir als Gottergebene!‘“ 32  Sie sprach: „Ihr Vornehmen, beratet mich in meiner Angelegenheit! Nie habe ich etwas entschieden, ehe ihr zugegen wart!“ 33  Sie sprachen: „Wir verfügen über Macht und gewaltiger Schlagkraft, doch die Befehlsgewalt liegt bei dir! Sieh zu, was du zu befehlen gedenkst!“ 34 Sie sprach: „Wahrlich, wenn Könige in eine Stadt eindringen, stürzen sie diese in Unheil,  und machen die Mächtigen von ihren Bewohnern zu Unterworfenen. So machen sie es! 35 Doch ich werde ihnen ein Geschenk senden, und dann sehen, was die Gesandten zurückbringen.“ 36 Als er zu Salomo kam, sprach dieser: „Wollt ihr mich etwa mit Geld überhäufen? Aber nein, das was Gott mir gab, ist besser als das, was er euch gab! Doch ihr erfreut euch über euer Geschenk! 37 Kehre zurück zu ihnen! Wir werden zu ihnen mit Heerscharen kommen, gegen die sie nichts ausrichten können. Und wir werden sie aus ihrer Stadt als Unterworfene und Unterlegene heraustreiben!“ 38 Er sprach: „Ihr Vornehmen! Wer von euch bringt mir ihren Thron, noch bevor sie zu mir als Gottergebene kommen?“

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Salomo, Königin von Saba und Alexander

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39 Ein Dämon von den Dschinn sprach: „Ich bringe ihn dir, noch bevor du dich von deinem Platz erhebst. Ich bin dazu in der Lage und zuverlässig!“ 40 Derjenige, der Wissen aus der Schrift besaß, sprach: „Ich bring ihn dir augenblicklich!“ Als er ihn dann bei sich stehen sah, sprach er: „Das ist von der Huld meines Herrn, um mich zu prüfen, ob ich dankbar oder undankbar bin. Wer dankbar ist, ist es für sich selbst,  wer aber undankbar ist – wahrlich mein Herr ist auf keinen angewiesen und edelmütig!“ 41 Er sprach: „Macht ihren Thron für sie unkenntlich! Wir werden sehen, ob sie sich rechtleiten lässt, oder zu denen gehört, die sich nicht rechtleiten lassen.“ 42 Als sie kam, wurde gesagt: „Ist so dein Thron?“ Sie sprach: „Es scheint so, als ob er es wäre.“ „Uns wurde schon vor ihr Wissen gegeben, Wir waren Gottergebene. 43 Doch hielt sie ab, was sie an Gottes Stelle anbetete, wahrlich, sie gehörte zu einem ungläubigen Volk.“ 44 Es wurde zu ihr gesagt: „Tritt in den Palast ein!“ Als sie ihn sah, dachte sie, er sei ein tiefes Gewässer, und entblößte ihre Beine. Er sprach: „Es ist nur ein Palast, der mit Glasdekor ausgelegt ist.“ Sie sprach: „Mein Herr, ich habe gegen mich selber gefrevelt, mit Salomo ergebe ich mich Gott, dem Herrn der Welten.“ Die koranische Darstellung von Salomo und der Königin von Saba lehnt an die Beschreibung der Begegnung zwischen beiden Figuren im Targum Scheni zum Buch Ester an.7 Dessen Datierungsversuche reichen zwar vom vierten bis zum dreizehnten Jahrhundert, jedoch tendiert man in der neueren Forschung für den Anfang des siebten Jahrhunderts als terminus post quem für seine Entstehung.8 Der Targum beginnt mit einer Gegenüberstellung des persischen 7  Vgl. Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, 389-398. 8  Vgl. Beate Ego, Targum Scheni zu Ester. Übersetzung, Kommentar und theologische Deutung, Tübingen 1996, 22 ff.; auch bei dieser Datierung bleibt weiterhin die Möglichkeit offen,

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Kapitel 5

Königs Ahasveros und Salomo. Ersterer erscheint in einer thetischen Aufzählung von negativen Eigenschaften und Gewohnheiten als Typus des verdorbenen und ignoranten Herrschers.9 Letzterer wird dagegen anhand von Akrosticha als der weise und größte König gelobt, dessen Herrschaft und Macht grenzenlos und unvergleichlich ist.10 Der Thron von Ahasveros dient als Stichwortgeber für eine umfassende Beschreibung von Salomos Thron, der in den Einzelheiten seiner Architektur beschrieben wird und gleichsam als komplexes Gebilde erscheint, dessen Mechanik animalisch beseelt ist.11 dass der Erzählstoff im Targum Scheni zum Buch Ester koranisch beeinflusst sein könnte. Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten der intertextuellen Bezüge zwischen beiden Texten. Entweder ist der koranische Bericht vom Targum Scheni abhängig oder der Targum wurde durch die koranische Erzählung beeinflusst. Eine dritte Möglichkeit wäre, dass der Koran und der Targum Scheni auf dieselbe Quelle für die Erzählung zurückgreifen und unterschiedlich rezipieren. Die auffälligen Ähnlichkeiten im narrativen Aufbau und bei einzelnen Motiven haben etliche Forscher zu Beginn des 20. Jahrhunderts dazu veranlasst, dass sie von einer koranischen Abhängigkeit vom Targum Scheni ausgegangen sind (vgl. Abraham Geiger, Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen? Leipzig 21902, 181-186; Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, 389-398; Charles Cutler Torrey, The Jewish Foundation of Islam, New York 1933, 113-115). Dagegen betont Jacob Lassner zwar auch die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Erzählungen zur Königin von Saba, jedoch seien die Unterschiede so gravierend, dass man keine direkte literarische Abhängigkeit annehmen könne (vgl. Jacob Lassner, Demonizing the Queen of Sheba. Boundaries of Gender and Culture in Postbiblical Judaism and Medieval Islam, Chicago 1993, 38 f.). Ebenso spricht sich Lassner dafür aus, dass der koranische Bericht eine umfassendere Erzählung voraussetzen müsse (vgl. ebd., 42 f.) und tendiert dazu, dass man hier eventuell den Bezug zur traditionell-muslimischen Exegese wieder stärken müsse (vgl. ebd., 45 f.). In der folgenden Analyse wird hingegen dafür plädiert, dass die koranische Erzählung zur Königin von Saba den Bericht aus dem Targum Scheni zu Ester voraussetzt. Letzterer passt in seiner Machart und von seinen Tendenzen her zu den sonstigen rabbinischen Quellen zur Königin von Saba (vgl. ebd., 11-35) und enthält unabhängig von den ähnlichen Motiven zu dem koranischen Bericht keine weiteren Indizien dafür, dass eine exegetische Programmatik zur Änderung der koranischen Erzählung am Werk gewesen ist. Der Bericht im Targum Scheni bildet für sich eine kohärente Einheit (vgl. ebd., 42). Dagegen scheint – wie auch Lassner zu Recht betont – der Koran eine bekannte und umfassende Version der Erzählung zur Königin von Saba vorauszusetzen. Die Unterschiede lassen sich nun im Einzelnen durch die im Rahmen dieser Arbeit analysierte exegetische Programmatik der koranischen Theologie in den mittelmekkanischen Suren erklären (antimessianisch, Ablehnung einer eschatologischen Herrschergestalt, Bild des gläubigen Herrschers etc.). Es bleibt zwar auch die Möglichkeit offen, dass der Koran und der Targum Scheni dieselbe Quelle unterschiedlich deuten, jedoch wird diese Möglichkeit in Ermangelung einer solchen Quelle weiterhin spekulativ bleiben. 9  Vgl. ebd., 61-66. 10  Vgl. ebd., 66-69. Zum Begriff des Akrostichon und seiner hiesigen Anwendung siehe ebd., 155 ff. 11  Vgl. ebd., 69-72.

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Salomo, Königin von Saba und Alexander

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Dieses phantastische Innenleben zeigt sich in der Art und Weise, wie die Bewegungen des Thrones Salomo zupasskommen und in seinem Dienste stehen. Anders verhält es sich mit den Fremdherrschern, die sich des Thrones jeweils bemächtigen.12 Der Targum erzählt nun, wie Salomo nicht ganz nüchtern und frohlockend die Könige der westlichen und östlichen Welt zusammenruft und zur Demonstration seiner Macht nicht nur alle Tiere, sondern auch Dämonen und Geister herbeieilen lässt, die zum Festgelage musizieren sollen.13 Ganz zum Missfallen des Königs fehlt der Auerhahn, der alsbald als Entschuldigung für seine Verspätung vorbringt, dass er die ganze Welt erkundet habe, um zu prüfen, ob es noch ein Land gibt, das noch nicht Salomo unterworfen ist. Tatsächlich sei er fündig geworden: Die Stadt Kitor protze voll Reichtum und wirke so, als ob sie von jeglichen menschlichen Auseinandersetzungen frei geblieben sei. Ihre Herrscherin sei die Königin von Saba und der Auerhahn schlägt vor, dass man auch Kitor dem Herrschaftsbereich Salomos unterordnet.14 Dieser Vorschlag findet Gehör, sodass der Auerhahn mit einem Brief zur Königin von Saba entsendet wird. Er findet sie bei seiner Ankunft bei der Anbetung der Sonne vor und überreicht den Brief Salomos, der sie zur friedlichen Anerkennung von Salomos Herrschaft auffordert. Die Königin von Saba beratschlagt sich und beschließt, zahlreiche Geschenke der Anerkennung an Salomo zu schicken und antwortet ihm, dass sie drei Jahre brauchen wird, um zu ihm zu gelangen.15 Schließlich erreicht die Königin Salomo und wird, nachdem sie irrtümlich jemand anders als Salomo identifiziert hat, zum König in seinen gläsernen Palast gebracht. Die Spiegelung veranlasst die Königin dazu, ihr Gewand hochzuziehen, da sie glaubt, dass Salomo im Wasser sitzt.16 Das entblößte Bein macht Salomo auf dessen Behaarung aufmerksam. Nach der Bekundung seiner Verwunderung stellt die Königin Salomo drei Rätsel, deren Lösung sie zur Bedingung ihrer Huldigung macht. Salomo löst alle drei Rätsel, sodass auch die Königin von Saba die Herrschaft Salomos preist.17 Die koranische Darstellung dieser Erzählung im Targum Scheni setzt unvermittelt mit der Versammlung aller Lebewesen und Geister durch Salomo ein (Q 27:17). Die Umstände dieser Zusammenkunft sind weniger einem festlichen Saufgelage geschuldet, sondern erinnern sogleich an eine militärische Mobilisierung. Dieser Kontext wird verstärkt durch die Einblendung von 12  Vgl. ebd., 72 f. 13  Vgl. ebd., 73. 14  Vgl. ebd., 74. 15  Vgl. ebd., 75. 16  Vgl. ebd., 75 f. 17  Vgl. ebd., 76 f.

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Ameisen, die eingeschüchtert befürchten, dass sie von dem Heer Salomos zertrampelt werden (Q 27:18). Doch Salomos Lächeln und Gebet entschärfen die Befürchtung der Ameisen (Q 27:19). Bei der Musterung des Heeres stellt der König aufgebracht fest, dass der Auerhahn fehlt (Q 27:20 f.). Dieser meldet sich und berichtet von der Königin von Saba, die einen mächtigen Thron und Reichtümer besitzt, jedoch nicht rechtgläubig ist und die Sonne anbetet (Q 27:22 ff.). Salomo will die Behauptung des Auerhahns prüfen und sendet einen Brief zur Königin, mit der Aufforderung, sich zu ergeben (Q 27:27 ff.). Die Königin berät sich und entscheidet sich gegen eine militärische Antwort (Q 27:32 ff.). Sie schickt Salomo ein Geschenk. Dieser will sich von der Schenkung nicht blenden lassen und sie nach seinem ersten Bekunden militärisch unterwerfen (Q 27:36 f.). Doch lässt er den Thron der Königin auf wundersamer Weise mit der Hilfe eines schriftkundigen ǧinn zu sich bringen und unkenntlich machen, um sie bei Ihrer Ankunft zu prüfen (Q 27:38 ff.). Diese stellt zur eigenen Verwunderung fest, dass der Thron wie ihr eigener erscheint (Q 27:42). Zuletzt wird die Szene der wasserähnlichen Spiegelung aus dem Targum Scheni beschrieben, die aber ohne die frivole Erwähnung der Behaarung der Königin auskommt und nun zum als Anlass für die Reue dient: Die Königin bekehrt sich endgültig zum Monotheismus (Q 27:44). Allein der erste Vergleich der koranischen Erzählung mit dem Bericht aus dem Targum Scheni lässt einschneidende Unterschiede erkennen: Im Targum dient das Motiv des Thrones dazu, Salomo von anderen Fremdherrschern abzugrenzen. Die Episode um die Königin von Saba ist daran angehängt und wirkt geradezu als phantastische Ergänzung zur Exemplifizierung der Macht Salomos (während Salomo zuvor die Könige der östlichen und westlichen Welt zusammenruft, repräsentiert die Königin von Saba geographisch den Süden.18 Der nördliche Teil ist in diesem Weltbild durch barbarische Völker besiedelt, die auch die Heimat der eschatologischen Völker oder Figuren von Gog und Magog sind.19) In Q 27 wird die Königin von Saba dagegen zur zentralen Antagonistin der Erzählung. Ihr Bild wird im Vergleich zum Targum dahingehend invertiert, dass eben sie – und nicht Salomo – über einen mächtigen Thron und über eine große Streitmacht verfügt. Sie ist es auch, die von Salomo durch ein Rätsel auf Probe gestellt wird. Die ganze Frage nach der Größe der Königsherrschaft 18  „Eine Königin des Südens wird auftreten im Gericht mit den Männern dieses Geschlechts und wird sie verdammen; denn sie kam von den Enden der Erde, um die Weisheit Salomos zu hören; und siehe, hier ist mehr als Salomo.“ (Lk 11,31). 19  Vgl. Emeri van Donzel/Andrea Schmidt, Gog and Magog in early Syriac and Islamic sources. Sallam’s quest for Alexander’s wall, Leiden 2009, 4ff.

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Salomos ist nun dahingehend intelligibilisiert, wer rechtgläubig ist und sich Gott unterwirft. Der Königin von Saba wird ein ʿarš ʿaẓīm nachgesagt, der eben in der Hybris menschlicher Geltungssucht in Konkurrenz zum ʿarš ʿaẓīm Gottes steht. Die Interaktion zwischen Salomo und der Königin kreist also weniger um die Frage der größeren Macht, sondern um die Rechtgläubigkeit. Das zeigt sich auch in der Art und Weise, wie die Sure mit der Doppelbedeutung von aslama im Sinne einer physischen Unterwerfung (Q 48:16) und der gläubigen Anerkennung der alleinigen Macht Gottes spielt (Q 27:31, 38, 44). Im Targum repräsentiert Salomo die Königsherrschaft Gottes auf Erden, während der Koran auf eine theokratische Repräsentation der Herrschermacht Gottes in Person eines Menschen und eines Königtums auf Erden verzichtet. Salomos Bild gleicht nicht dem König Israels, der Gott und dem erwählten Volk dient, sondern dem monotheistischen König, der für den rechten Glauben kämpft. Er ergötzt sich auch nicht an seiner eigenen Macht. Die Pracht seiner Besitztümer wird nicht beschrieben. Auch die Thronsymbolik wird nicht in Bezug auf seine Person in Anschlag gebracht. Salomo ist – wie sein Vater – bereits in der Sure Q 38 durch seine Reue über die eigenen Verfehlungen exkulpiert. In Q 27 macht die Königin von Saba denselben Prozess der Rehabilitation durch. Die Beschreibung ihrer Macht gleicht dem salomonischen Typus in der Bibel: Sie besitzt den größten Thron. Sie ist weise und entscheidet sich deshalb gegen eine militärische Antwort auf Salomos Anfrage und sie besteht den Test durch Salomo. Die Erzählung kulminiert in der Episode der wasserähnlichen Spiegelung und Entblößung der Beine, die nun wie die Liebe Salomos zu Pferden in Q 38 als Referenzpunkt für die Umkehr dient. In der Terminologie Busses kann man also auch von der Königin von Saba als Herrschertypus sprechen. Die typologische Angleichung von Salomo und der Königin von Saba lässt sich weiter profilieren, indem man eine dritte Figur vergegenwärtigt, die für die koranische Darstellung der Episode aus dem Targum Scheni Pate stand: Alexander. So scheinen Erzählelemente und -motive aus der syrischen Alexanderlegende bzw. aus dem syrischen Alexanderlied bei der Rekomposition der Erzählung von Salomo und der Königin von Saba formgebend gewesen zu sein. Der Beginn der koranischen Episode mit der Versammlung und Mobilisierung sämtlicher Lebewesen entspricht dem Beginn des Erzählstoffes von Alexander, der jeweils sämtliche Berater und Befehlshaber zusammenruft, um ihnen seinen Beschluss zu bekunden: Er will die ganze Welt erkunden und dabei möglicherweise konkurrierende Königreiche unterwerfen.20 Koranisch 20   Vgl. Gerrit J. Reinink (Editor/Übersetzer), Das syrische Alexanderlied. Die drei Rezensionen (Übersetzung), Lovanii 1983, 24-26; E.A.W. Budge (Editor/Übersetzer), The

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Kapitel 5

wird aber gerade diese expansive Intention Alexanders in Bezug auf Salomo negiert. Es ist der Auerhahn, der die Welt erkundet und erfasst hat, was Salomo nicht erkunden konnte (Q 27:22). Die Infragestellung des Berichtes des Auerhahns lässt sich als Motiv der Vergewisserung Alexanders bezüglich der Berichte seiner Berater zu den Verhältnissen in den Grenzregionen der Welt in Verbindung bringen: Alexander said to them: ‚I do not account you as liars; but although ye went and the sea did not give you a passage to cross, yet I too will go‘[…].21

Die seltsam wirkende Beschreibung der Reaktion der Ameisen auf Salomos Mobilisierung und die Antwort Salomos korrespondieren im Alexanderroman den Völkern, auf die Alexander bei seiner Erkundung trifft: Der König drang in diese Gebiete ein und verweilte (dort). Und (die Bewohner) fürchteten sich vor ihm und flohen vor ihm, weil sein großer Ruf sie in die Flucht trieb. Und als der König sah, dass die Bewohner des Landes von ihm zitterten, schickte er einige seiner Boten vor sich her, die Frieden proklamieren sollten, damit das Volk sesshaft bleibe und niemand vor ihnen flöhe. Er gab sein Wort und schwur bei seinem Leben mittels seiner Herolde: „Ich werde weder töten, noch gefangennehmen, noch verwüsten“.22

Und Salomos echauffierende Reaktion auf das Antwortschreiben der Königin von Saba („Kehre zurück zu ihnen! Wir werden zu ihnen mit Heerscharen kommen, gegen die sie nichts ausrichten können. Und wir werden sie aus ihrer Stadt als Unterworfene und Unterlegene heraustreiben!“, Q 27:37) ist ein Wiederhall der expansionistischen Intentionen Alexanders: […] yet I too will go and see all the ends of the heavens. If there be a king whose lands are more than mine I will take his lands and slay him, even it be one of the quarters […].23

Dagegen problematisiert die Königin von Saba eben dieses männliche Machtgebaren (V. 37):

History of Alexander the Great, being the Syriac version of the Pseudo-Callisthenes, Cambridge 1889, 144 ff. 21  Budge (Editor/Übersetzer), The History of Alexander the Great, 146. 22  Reinink (Editor/Übersetzer), Das syrische Alexanderlied (Übersetzung), 40, I, Zeile 102-108. 23  Budge (Editor/Übersetzer), The History of Alexander the Great, 146. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Salomo, Königin von Saba und Alexander

34 Sie sprach: „Wahrlich, wenn Könige in eine Stadt eindringen, stürzen sie diese in Unheil,  und machen die Mächtigen von ihren Bewohnern zu Unterworfenen. So machen sie es! Letztendlich bleibt ja auch die Reaktion Salomos friedfertig, indem er entgegen seiner ersten Intuition die Königin von Saba diskursiv zur wahren Gotteserkenntnis führt. Die hier beschriebene Übernahme der erzählerischen Logik und der Motive aus der Alexanderüberlieferung und ihre fabelhafte Überführung in die Interaktion zwischen Salomo und der Königin von Saba geschehen nicht ziellos. Zugleich mit der typologischen Angleichung der Figuren ist hier eine negative Intertextualität erkennbar, die auf eine theologische Profilierung und Korrektur der bekannten Personen abzielt. So lässt sich etwa das expansive und kriegerische Gebaren von Alexander und Salomo in den vorkoranischen Traditionen leicht als Ausdruck ihres herrscherlichen Geltungsdrangs missverstehen. Auch wenn beide Figuren im jeweiligen Überlieferungsstoff ihr Handeln in den Dienst von Gottes Herrschaft stellen, so sind ihre expansiven Unternehmungen doch auch Ursache von Chaos und Unordnung. Koranisch wird das Stiften von Unheil (ifsād) auch im Kontext der beiden Tempelzerstörungen als eine der Gründe für die Bestrafung der Israeliten genannt (vgl. Q 17:4). Die typologische Angleichung von Alexander, Salomo und der Königin von Saba dient nun zur Negierung dieser Dimension des Handelns von politisch mächtigen Dienern Gottes: Auch wenn Salomo in der koranischen Darstellung recht aufbrausend wirkt, so agiert er doch nicht militärisch. Seine Wut ist weniger Ausdruck seiner herrscherlichen Geltungssucht, sondern seinem Bemühen um die Rechtleitung der Königin von Saba geschuldet. Deshalb überzeugt er diese diskursiv. Auch die Königin von Saba entscheidet sich gegen eine militärische Antwort auf Salomo. Und über Alexander erfahren wir in Q 18, dass er seine von Gott erhaltene Macht nicht willkürlich für seine eigene Zwecke missbraucht, sondern gänzlich in den Dienst Gottes stellt (Q 18:86 ff.): Wir sprachen: „O Zweigehörnter, entweder nimmst du eine Bestrafung vor, oder du tust ihnen Gutes.“ 87 Er sprach: „Wer gefrevelt hat, den werden wir bestrafen. Dann wird er zu seinem Herrn zurückgebracht, und der wird ihn schrecklich bestrafen. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Kapitel 5

88 Wer aber glaubt und rechtschaffen handelt, für ihn ist als Vergeltung Schöneres vorgesehen. Und wir werden ihm von uns aus Freundliches zusprechen.“ Das Handeln von Salomo, Alexander und der Königin von Saba ist also von jeglichem ifsād und menschlichen Geltungsdrang befreit und steht im Einklang mit ihrem göttlichen Auftrag. Eine zweite Stoßrichtung der typologischen Attraktion und negativen Intertextualität stellen die Frage der Königsherrschaft oder des Reich Gottes auf Erden und auch die damit verbundenen messianischen Zusagen und Verheißungen dar. Die politische Auseinandersetzung zu Beginn des siebten Jahrhunderts zwischen Byzanz und dem sassanidischen Reich stand unter dem Vorzeichen reichseschatologischer Vorstellungen.24 Wie bereits in den vorherigen Kapiteln erkennbar, werden koranisch die entsprechenden Überlegungen zu einem Reich Gottes auf Erden, der durch einen Messias begründet wird, abgelehnt. Diesen Impetus hat auch die Profilierung von Salomo und Alexander. So konnte bereits für die koranische Verhältnisbestimmung von Salomo und David gezeigt werden, dass anhand dieser die messianischen Verheißungen von einem zweiten David, dem Wiederaufbau des Tempels und dem Beginn der eschatologischen Königsherrschaft negiert werden. Der Targum Scheni beginnt mit einer Aufzählung aller weltlichen Königreiche, in dem das messianische Königreich vorausgesetzt ist: Und dies sind die zehn Könige: Die erste Königsherrschaft, die herrschte, [ist die] des Königs, des Herrn der Heerscharen, dessen Königsherrschaft über uns bald [wieder] offenbart werden möge. Die zweite des Nimrod, die dritte des Pharao, die vierte Königsherrschaft [ist die] Israels, die fünfte Nebukadnezars, des Königs von Babel, die sechste des Ahasveros, die siebte Griechenlands, die achte Roms, die neunte die des Sohnes Davids, des Messias. Die zehnte wird wieder die des Königs der Könige, des Herrn der Heerscharen, [sein], dessen Königsherrschaft bald offenbart werden möge über alle Bewohner der Erde.25

Auch weist die elaborierte Beschreibung von Salomos Thron in Anlehnung an 1 Kön 10,18-20 messianische Elemente auf.26 Die Gegenüberstellung von Tieren, die sich sonst nicht wohlgesonnen sind (z. B. Wolf und Lamm), impliziert in Anlehnung an Jes 11, 1-16 die messianische Friedensherrschaft. In der 24  Vgl. Stephen J. Shoemaker, The Reign of God Has Come. Eschatology and Empire in Late Antiquity and Early Islam. In: Arabica 61, 2014, 514-558, hier 535 ff. 25  Ego, Targum Scheni zu Ester, 61. 26  Vgl. ebd., 161.

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Alexanderlegende inszeniert Alexander seine eigenen Bemühungen um irdische Expansion als Wegbereitung für den Messias, dem er auch seinen Thron vererbt: And if the Messiah, who is the Son of God, comes in my days, I and my troops will worship Him. And if He does not come in my days, when I have gone and conquered kings and seized their lands, I will carry this throne, which is a seat of silver upon which I sit, and will place it in Jerusalem, that, when the Messiah comes from heaven, He may sit upon my kingly throne, for His kingdom lasts forever. […]27

Die ganze Thronsymbolik ist koranisch einzig auf Gottes Person bezogen. In Q 27 wird Anstoß an dem ʿarš ʿaẓīm der Königin von Saba genommen. Jedoch ist Gott allein der Herr (rabb) des Thrones (Q 27:26). Auch die beiden männlichen Herrscher Salomo und Alexander verfügen über keinen Thron. Salomo besitzt nämlich keinen ʿarš, sondern einen kursī (Q 38:34). Mekkanisch wird für Gottes Thron einzig der Begriff ʿarš verwendet (vgl. u. a. Q 85:15; 43:82; 39:75; 32:4; 23:86). Davon wird der weltliche Thron Salomos als kursī abgegrenzt. Dass medinensisch dann doch einmalig der Gottesthron mit kursī bezeichnet wird (Q 2:255), hängt auch mit der dortigen Anlehnung an das Bild vom Himmel als Thron Gottes bei Jes 66,1 zusammen, da kursī lexikalisch dem syr. kursi, „mein Thron“, entspricht. Jedenfalls werden die Königin von Saba und Salomo nicht mit dem Thron und seiner messianischen Bedeutung bzw. seiner Verweisfunktion auf die eschatologische Königsherrschaft in Verbindung gebracht. Auch die Abwandlung des Friedensgrußes von Salomo an die Königin von Saba („Von mir, der Königsherrschaft Salomos, Friede sei dir und Friede deinen Fürsten!“28) in Form der proto-islamischen Basmala-Formel (Q 27:30) ist ein Indikator der antimessianischen Tendenz der Verkündigung. Seit den frühmittelmekkanischen Suren wird der Friedensgruß in Bezug auf Gottesdiener verwendet (Q 37:79, 109, 120, 130). Hier hätte die koranische Wiedergabe des Briefinhalts aus dem Targum Scheni keiner Änderung bedurft. Aber gerade im Kontext des Targum ist der Friedensgruß eine Referenz für die Präfiguration der Friedensherrschaft des Messias. Deshalb wird koranisch genau an dieser Stelle der Friedensgruß, der ja sonst zur Stoßrichtung des Narrativs (und des ambivalenten Spiels mit dem Verb aslama, das dieselbe Wurzel wie der Begriff für Frieden hat) passen würde, suspendiert. Die ganze koranische Verhandlung des Typus eines idealen und gläubigen Herrschers ist im Rahmen der theologischen Bewertung der Ereignisse während der Eroberung Jerusalems durch die Perser 614 n. Chr. mit den messianischen und eschatologischen Hoffnungen zu dieser Zeit verbunden. In Herakleios 27  Budge (Editor/Übersetzer), The History of Alexander the Great, 146. 28  Ego, Targum Scheni zu Ester, 74.

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Kapitel 5

sah man christlicherseits den Protagonisten für eine Restituierung der rechtgläubigen Herrschaft in Jerusalem. So ordnet etwa Reinink die Intentionen des Verfassers der syrischen Alexanderlegende ein: Er schuf seine Geschichte über Alexander den Grossen, in dessen glanzreicher Person und in dessen rühmlichen Taten man den siegreichen Herakleios, das Ideal eines frommen Herrschers, wiedererkennen konnte. Er schuf seine Alexander-Herakleios-Typologie, damit seine Leser in der Wiederholung der Geschichte Alexanders zu ihrer Zeit die Einheit der Heilsgeschichte Gottes, in der Byzanz einen unvergleichlichen Platz hatte, erblicken und so zu der Überzeugung kommen würden, dass diese Einheit auf Erden zur politischen und kirchlichen Einheit im byzantinischen Reich führen sollte. Alexander und Herakleios führten beide diese Einheit symbolisierenden Gegenstände nach Jerusalem, Alexander seinen Christo geschenkten silbernen Thron, Herakleios das Heilige Kreuz Christi.29

Reinink datiert die Entstehung der syrischen Alexanderlegende und des Alexanderlieds nach der Rückeroberung Jerusalems durch Herakleios im Jahr 628. Die Kontextualisierung mit der koranischen Verkündigung zeigt jedoch, dass für die beiden Alexanderschriften wohl eher die Ereignisse um 614 den Referenzpunkt darstellen.30 Die Verfasser der beiden Alexanderschriften setzen nicht die Rückeroberung Jerusalems voraus, sondern sind davon überzeugt und werben propagandistisch dafür, dass eine eschatologische Wende anbricht. Auch koranisch wird indirekt die Rückeroberung Jerusalems als Verheißung konstatiert (Q 30:2 ff.). Und doch enthält die koranische Bewertung der Ereignisse entscheidende Unterschiede zu den christlichen und jüdischen Vorstellungen zu dieser Zeit: Keine messianischen Hoffnungen, keine apokalyptische oder imminent-eschatologische Bewertung, keine Hoffnung auf das Wiedererscheinen Christi, kein zweiter David, kein Wederaufbau des Tempels und die Tilgung jeglicher Momente des Handelns eines idealen Herrschers, die auf die Stiftung von Unordnung und Unheil hindeuten könnten. Die typologische Rekonfiguration biblischer und postbiblischer Figuren im Koran erweist sich insgesamt als sehr diffizile Operation der Angleichung und Verflüchtigung der einzelnen Protagonisten, die nicht zuletzt der Anpassung an das evolvierende Bild der koranischen Theologie insgesamt und das Bild der frommen Diener geschuldet ist. 29  Gerrit J. Reinink, Die Entstehung der syrischen Alexanderlegende als politisch-religiöse Propagandaschrift für Herakleios’ Kirchenpolitik. In: C.Laga/J.A. Munitiz (Hg. u.a.), After Chalcedon: Studies in Theology and Church History Offered to Professor Albert Van Roey for His Seventieth Birthday, Leuven 1985, 263-282, hier 280. 30  Siehe Kapitel 6.1.

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Salomo, Königin von Saba und Alexander

5.1

Apokalyptisches Chaos vs. göttlicher Kosmos

Die Profilierung gläubiger Herrschertypen wie David, Salomo, Alexander und der Königin von Saba im Koran steht in einem engen Zusammenhang mit der Frage des eschatologischen Kontextes ihres Wirkens. Es sind im Besonderen die im apokalyptischen Schrifttum, wie im Buch Daniel oder in der Offenbarung des Johannes, geschilderten Szenarien der Transformation und Auflösung der Welt in einem reichseschatologischen Kontext, die auch in Q 27 abgewehrt werden. Die jeweilige Deutung des Traum von Nebukadnezzars in Dan 2 und die Vision von den vier Tieren in Dan 7 standen bis zur Zeit der Verkündigung des Korans in einer lebhaften exegetischen Tradition der Identifizierung des letzten irdischen Reiches mit Rom, Byzanz etc.31 Das entsprechende Schrifttum kreiste um die apokalyptische Entschlüsselung der Frage, welche Prozesse genau zur Endzeit stattfinden, welchen Zeitraum diese einnehmen, welche übermenschlichen Protagonisten auftreten und welches Reich und welche Erlösergestalt die Wende zum letztgültigen Ende markiert. Eine apokalyptische Dimension dieses Diskurses wird von der koranischen Verkündigung entschieden abgelehnt: die Autonomie apokalyptischer Prozesse. Jürgen Lebram definiert als ein zentrales Merkmal von Apokalyptik: Der Zentralgedanke der Apokalyptik ist die Verkündigung einer zum mindesten vorübergehenden Distanzierung Gottes von der Geschichte, die eine freie Entfaltung des Bösen zuläßt.32

Es ist diese Autonomie apokalyptischer Prozesse, die in der Schöpfungstheologie und der Eschatologie des Korans keinen Platz hat. In der syrischen Alexanderlegende und im Alexanderlied stehen die kriegerischen Unternehmungen Alexanders in einem größeren eschatologischen und apokalyptischen Kontext. In der Legende stellt Alexander selbst in Aussicht, dass sich gar vielleicht in seinem Leben die endzeitlich-messianischen Weissagungen erfüllen. Diese möglicherweise von gläubigen Herrschern ausgehende Stiftung von Unordnung und Chaos (ifsād) – auch wenn sie gegen autonome Kräfte des Bösen gerichtet zu sein scheint – wird im narrativen Mittelteil durch die Königin von Saba kritisiert. Von dieser Unordnung, die nicht nur vom Menschen ausgehen kann, sondern auch in apokalyptischen Szenarien als autonome Kraft wirkt, werden in Q 27 das göttliche Wirken, die von ihm gegebenen Zeichen (ʾāyāt) und seine Bestrafung von Ungläubigen 31  Vgl. Podskalsky, Byzantinische Reichseschatologie. 32  Jürgen Lebram, Art. Apokalyptik/Apokalypsen II. In: Theologische Realenzyklopädie 3, 192-202, hier 196.

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Kapitel 5

(ihlāk) abgegrenzt. Kompositorisch wird dieser Sachverhalt durch die Reihenfolge der Episoden im narrativen Mittelteil von Q 27 zum Ausdruck gebracht. Angelika Neuwirth bemerkt zu Recht, dass die beiden Straflegenden um die Völker Thamud und Lot chronologisch deplatziert wirken und eigentlich vor der Mose-Erzählung stehen müssten.33 Tatsächlich ist diese kompositorische Anomalie dem diskursiven Argumentationsgang geschuldet. Die Mose-Erzählung und die Erzählung von Salomo und der Königin von Saba sind durch bestimmte Motive verbunden: Die zwei wundersamen Zeichen für Moses (Q 27:7-12) entsprechen den beiden Prüfungen von der Königin von Saba, die von dem vermeintlichen Abbild ihres Thrones und der vermeintlichen Wasserspiegelung zur Bekehrung zum wahren Glauben gebracht wird. Gemäß der Vorgabe des vierten Verses der Sure erweisen sich Moses und die Königin von Saba letzten Endes als Gläubige, die sich im Bewusstsein der eschatologischen Gerichtetheit ihres Lebens nicht beirren lassen (Q 27:4): 4 „Diejenigen, die nicht an das Jenseits glauben, denen lassen wir ihre Taten schön erscheinen, und sie irren umher!“ Von den Protagonisten der ersten beiden Erzählungen geht auch durch ihre Handlungen kein ifsād aus. Auch die göttlichen Zeichen selbst führen zu keiner Unordnung. Diesem Sachverhalt werden nun die beiden Straflegenden von den Thamud und des Volkes Lots gegenübergestellt. Innerhalb des Volks der Thamud gibt es neun Personen, die Verderben und Unheil (ifsād) anrichten (Q 27:48) und ein Mordkomplott gegen den Gottesgesandten planen (Q 27:49). Die Neunzahl der Leugner (tisʿatu rahṭin) soll hier numerisch gegenüber die Neunzahl der göttlichen Zeichen (tisʿu ʾāyātin) an Moses kontrastieren (Q 27:12). Während es der Mensch ist, von dem tatsächlich Unheil ausgeht, sind die göttlichen Zeichen an Moses – entgegen der biblischen Erinnerung an die zehn Plagen im 2. Buch Mose – Erkennungszeichen für die wissenden Gläubigen. Man hat von den Zeichen Gottes kein ifsād zu befürchten. Diese sind keine apokalyptischen ʿalāmāt oder ʾaʿlām für die verheerenden Prozesse der Endzeit. Darin drückt sich eine klare Abwehr der apokalyptischen Rezeption der mosaischen Plagen in der Offenbarung des Johannes aus. Dort wird in Anlehnung an die Plagen bei dem jeweiligen Posaunenstoß der Engel das Meer zu Blut (Offb 8,8; Ex 7,20), es kommt zur Finsternis (Offb 8,12/ 9,2; Ex 10,21) und Heuschrecken strömen über die Erde (Offb 9,3; Ex 10,12). 33   Vgl. Angelika Neuwirth, Der Koran, Band 2/2: Spätmittelmekkanische Suren (in Vorbereitung).

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Salomo, Königin von Saba und Alexander

Erst nach dem siebten Posaunenstoß beginnt die ewige Herrschaft Gottes (Offb 11, 15 ff.). Dagegen verwahrt sich der Koran gegen eine – wenn auch zeitweise – autonome Entlassung der Erde in ein apokalyptisches Chaos. Die in den frühmekkanischen Suren beschriebene Auflösung der Welt zur eschatologischen Endzeit ist kein autonomer Prozess einer Unheilsapokalypse, sondern stellt – wie mehrfach betont wird – die natürliche Umkehrung des Schöpfungsprozesses dar (vgl. Q 21:104; Q 27:64). Einzig von Menschen geht tatsächlich Unheil aus, von dem aber der gläubige Herrschertypus im Koran ausgenommen wird: In keinem Bereich des Kosmos, sei es im Mikrokosmos der Kleintiere (Q 27:18 f.) noch im Mesokosmos der zwischenmenschlichen Beziehungen, aber auch nicht im Makrokosmos der ganzen Welt, verbreiten gläubige Herrscher auf der Welt ihr Verderben. Anders als das Verderben und das Unheil, das von Ungläubigen ausgeht, wird in den beiden Straflegenden von den Thamud und Lot die göttliche Strafe (ihlāk) als gerechte Vergeltung beschrieben, die in einem rationalen Tun-Ergehen-Zusammenhang steht: Der göttliche ihlāk und der menschliche ifsād sind also klar voneinander zu trennen. Zum Inventar der apokalyptischen Prozesse gehören auch verheerende Tiergestalten oder Ungeheuer, die in der Endzeit ihr Verderben treiben (vgl. das Buch Daniel sowie die Offenbarung des Johannes). Das Zeugnis, das nun ein solches Tier (dābba) zur eschatologischen Endzeit ablegt (Q 27:82 f.) erinnert innerhalb der Verkündigung an die Gliedmaßen und Sinnesorgane der Menschen, die auch am Tag des Jüngsten Gerichts Zeugnis gegen die Ungläubigen ablegen werden (Q 41:20-23; 36:65). Die Verfügungsmacht Gottes umfasst die Gliedmaßen der Menschen ebenso wie dieses Tier. Aus koranischer Perspektive gibt es kein apokalyptisches Ungeheuer, das autonom zur Endzeit Unheil anrichtet. 5.2

Der eschatologische oder der gläubige Herrscher?

Ein zweiter Aspekt apokalyptischen Schrifttums ist die bereits beschriebene Ausformulierung einer Reichseschatologie, die das letzte politische Reich der Menschen zur Endzeit kennzeichnet. Während so die syrische Alexanderlegende in Anlehnung an das Buch Daniel das Reich Alexanders bzw. typologisch das byzantinische Reich von Herakleios als das letzte rechtgläubige Reich identifiziert und mit ihm geradezu in messianischer Erwartung das ewige Reich Gottes anklingen lässt, folgt das Alexanderlied zwar der Identifizierung des letzten Reiches mit Byzanz, nimmt aber zugleich einen pessimistischen Verlauf der kommenden Ereignisse nach Maßgabe der Offenbarung des

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Kapitel 5

Johannes an, der bis zum Erscheinen des Antichristen führt.34 Dieser kann erst durch den wieder erschienenen Jesus besiegt werden. Erst danach wird das ewige Gottesreich etabliert. Auch für das sassanidische Reich hat Payne darauf hingewiesen, wie prävalent die Vorstellung von einer bevorstehenden Vollendung eschatologischer Prozesse im Rahmen der zoroastrischen Kosmologie im sechsten und siebten Jahrhundert gewesen war.35 Insbesondere der byzantinische Kaiser Herakleios wusste wohl, wie er sein eigenes kriegerisches Gebaren mit Hilfe reichseschatologischer Propaganda rechtfertigen konnte. Der oströmische Dichter Georg von Pisidien, der wohl auch Herakleios bei seinen Feldzügen begleitet hat, zeichnet ein entsprechendes Bild des Kaisers, dessen Kampf gegen das Perserreich unter kosmischen Vorzeichen steht und einen Wendepunkt in der Geschichte bedeutet.36 Sein sechsjähriger Feldzug gegen die Sassaniden, der mit einer erfolgreichen Rückeroberung von vorher eroberten Gebieten und der restitutio crucis endete, wird mit dem sechstätigen Schöpfungswerk Gottes verglichen.37 Herakleios steht im Dienste der Trinität als Kosmokrator, der die Rechtgläubigkeit des christlichen Glaubens vor der sassanidischen Bedrohung des absolut Bösen bewahrt.38 Indem etwa Georg von Pisidien das Handeln von Herakleios als Erlöser im Dienste des göttlichen Heilsplanes stellt, rechtfertigt er auch das blutig-kriegerische Vorgehen des Kaisers. Dazu vergleicht er ihn u.a. mit Herakles: George’s use of the Heracles analogy has received a good deal of attention, and its main point is clear and well-known. It presents Heraclius as savior and redeemer, justifying the violent overthrow of Phocas as the elimination of a bestial and corrupt force, and the wars against Persia as a crusade against an evil power with an alien religion. The Heracles image is ideal for the purpose because it stresses the violent, brutish and sub-human qualities of the opposition, and because Heracles is the great civilizing hero of classical mythology.39

34  Vgl. ausführlich zur syrischen Alexanderlegende und dem syrischen Alexanderlied Kapitel 6.1. 35  Vgl. Richard Payne, Cosmology and the Expansion of the Iranian Empire, 502-628 CE. In: Past & Present, Volume 220, Issue 1, 2013, 3-33. 36  Vgl. Whitby, A New Image for a New Age: George of Pisidia on the Emperor Heraclius, 197-225; Dies., Defender of the Cross: George of Pisidia on the Emperor Heraclius and his Deputies, 247-273; Dies., George of Pisidia’s Presentation of the Emperor Heraclius and his Campaigns, 157-175. 37  Vgl. Mango/Scott (Übersetzer), The Chronicle of Theophanes Confessor, 457; de Boor (Editor), Theophanis Chronographia, Vol. 1, 327 f., Zeile 24-28 und 1-2. 38  Vgl. Alexander, Heraclius, Byzantine Imperial Ideology, and the David Plates, 221. 39  Whitby, A New Image for a New Age: George of Pisidia on the Emperor Heraclius, 208.

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Salomo, Königin von Saba und Alexander

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Howard-Johnston verweist auf die in den byzantinischen Geschichtschroniken dokumentierte Kriegsrhetorik des Herakleios, der auch das Bild des kriegerischen Märtyrers für seine militärische Führung zu nutzen wusste.40 Die Kriegshandlungen des Kaisers werden gar als „Proto-Kreuzzüge“ beschrieben.41 Der koranische Typus des gläubigen Herrschers in Q 27 ist dem eschatologischen Herrscher der byzantinischen Propaganda diametral entgegensetzt: Es gibt keinen idealen Herrscher der eschatologischen Endzeit. Die koranischen Herrschertypen (Plural!) im Koran stehen überhaupt nicht in einem eschatologisch-apokalyptischen Kontext. Kein Mensch, auch nicht der gläubige Herrscher, hat seinen eigenmächtigen Platz in der Endzeit. Es gibt kein Szenario eines Endkampfes zwischen dem absolut Bösen und absolut Guten, in dem Gott schließlich selbst interveniert. In Salomo und der Königin von Saba kann man in diesem Sinne auch typologische Korrekturen des gläubigen Herrschers auf der Seite von Byzanz und auf Seite der Sassaniden erkennen42: Die Königin von Saba eignet sich mit der Anbetung der Sonne als Typus der pagan-zoroastrischen Herrschaft. Jedoch wird diese trotz ihres Unglaubens nicht – wie es bei der byzantinischen Propaganda gegen die Perser der Fall war43 – als Repräsentantin des absolut Bösen dargestellt. Die ihr im Testament Salomos zugeschriebene dämonische Natur44 ist völlig negiert. Denn ihre Beine sind nicht wie im Targum Scheni behaart. Motivgeschichtlich ist hier vielleicht noch das Bild von Salomo, der mit Hilfe von Wasserkrügen im Tempel die Dämonen bändigen kann, heranzuziehen. Im gnostisch-koptischen Text „Das Zeugnis der Wahrheit“ wird beschrieben, wie er nach dem Tempelbau die Dämonen in Wasserkrüge einsperrt und diese durch die zweite Tempelzerstörung wieder freigesetzt werden: 40  Vgl. James Howard-Johnston, Heracliusʾ Persian Campaigns and the Revival of the East Roman Empire, 622-630. In: War in History, Vol. 6, 1999, 1-44, hier: 36-40. 41  Vgl. Stoyanov, Defenders and Enemies of the True Cross, 44. 42  Der Targum Scheni zu Ester beginnt mit einem Vergleich zwischen dem persischen Herrscher Ahasveros und Salomo. Dabei dient der Thron von Ahasveros als Stichwortgeber zur Beschreibung des Thrones von Salomo (vgl. Ego, Targum Scheni zu Ester, 66-72). Die koranische Zuweisung eines Thrones an die Königin von Saba könnte der Übertragung dieses Thronvergleiches zur typologischen Bezugnahme auf die Sassaniden und Byzanz geschuldet sein. Zur Zeit der Verkündigung des Korans lag das Territorium des ehemaligen südarabischen Reiches von Saba in den Herrschaftsbereich der Sassaniden. 43  Theresia Raum hat überzeugend dargelegt, wie die propagandistische Beschreibung der byzantinischen Gegner als das absolut Böse und Dämonische Teil einer kommunikationstheoretischen Strategie als „Bedrohungskommunikation“ war (vgl. Theresia Raum, Deus Adiuta Romanis: Threat and Threat Communication in the Eastern Roman Empire. In: Eberhard Crailsheim/Maria Dolores Elizalde (Hg.), The Representation of External Threats, Leiden 2019, 69-87.). 44  Vgl. Peter Busch, Das Testament Salomos, Berlin 2006, 242 u. 244 ff.

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Kapitel 5 Als er [mit Bauen fertig war, sperrte] er die Dämonen [in den] Tempel und [schloß sie] in sieben [Wasserkrüge ein. Sie blieben] lange Zeit [in den] Wasserkrügen eingeschlossen. Als die Römer nach [Jerusalem hinaufzogen], öffneten sie die Wasserkrüge. [Und in] jenem Moment flohen die [Dämonen] aus den Wasserkrügen wie solche, die dem Gefängnis entrannen.45

Vor diesem Hintergrund kann man bereits im Targum Scheni das Zurückschrecken der Königin vor der Wasserspiegelung und die Entblößung ihrer behaarten Beine als doppelten Verweis auf ihre dämonische Natur verstehen. In der koranischen Darstellung ist die Königin dagegen vollständig entdämonisiert. Ihre Beine sind nicht mehr behaart. Im Vordergrund steht nun das Spiel zwischen Trug und Schein, das sie als Zeichen von Gottes Allmacht bekehren soll. Auf dieser diskursiven Ebene kann die Königin nicht dämonischer Provenienz sein. Im Gegenteil, vor der Umkehr der Königin von Saba wird gar daran erinnert, dass ihr Volk schon gewarnt wurde und dass sie eigentlich schon das Wissen als Gläubige erhalten haben (Q 27:42). Typologisch auf das sassanidische Reich gemünzt bedeutet diese koranische Perspektive, dass die Sassaniden eben nicht ursprünglich die absolut bösen Mächte repräsentieren, sondern wieder zur Haltung des wahren Gläubigen zurückfinden müssen. Die Auseinandersetzung zwischen Salomo und der Königin von Saba ist insgesamt intelligibilisiert. Es bedarf keiner kriegerischen und blutigen Anstrengung, um den anderen von der Rechtgläubigkeit zu überzeugen. Das ist eben eine Kritik am ifsād und der Kriegspropaganda des byzantinischen Kaisers. Gläubige Herrscher glauben nicht daran, dass sie selbst das eschatologische Schwert gegen eine autonome Macht des Bösen schwingen können. Es gibt keinen eschatologischen Endkampf. Dass die koranisch einmalige Zuweisung eines Thrones an die Königin von Saba typologisch auf die Sassaniden bezogen sein könnte und ein zur Zeit der Verkündigung bekanntes propagandistisches Bild der Byzantiner aufgreift46, davon könnte die Beschreibung des paganen Thrones von Chosrau bei dem Patriarchen Nikephoros zeugen. Dieser beschreibt, wie Herakleios zahlreiche Feuertempel zerstört und in einem von ihnen einen Thron findet, auf dem ein Götze des Chosraus sitzt und der eine wundersame Mechanik wie die des salomonischen Thrones aufweist: Taking these along, “Herakleios” invaded Persia and set about destroying cities and overturning the fire temples. In one of these temples it was discovered that 45  Schenke/Bethge (Hg., u.a.), Nag Hammadi Deutsch, 496. 46  Für die weite Verbreitung dieses propagandistischen Topos eines paganen Thronsaales von Chosrau siehe Greisiger, Messias · Endkaiser · Antichrist, 81 f.

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Salomo, Königin von Saba und Alexander

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Chosroes, making himself into a god, had put his own picture on the ceiling, as if he were seated in heaven, and had fabricated stars, the sun and the moon, and angels standing round him, and a mechanism for producing thunder and rain whenever he so wished. Upon seeing this abomination, Herakleios threw it down and ground it into dust.“47

Im Vergleich zum hier beschriebenen kriegerischen Vorgehen des Herakleios, geht Salomo im Koran trotz anfänglicher, militärischer Gebaren nicht gewaltsam gegen die Königin von Saba vor. Vielmehr wird ihr Thron auf wundersame Art und Weise zu Salomo transferiert und dient zur diskursiven Überführung der Königin in den rechten Glauben. Es scheint also koranisch eine entschiedene Kritik an der militärischen und gewaltsamen Vorgehensweise der Byzantiner gegen die Sassaniden durch. 5.3

Die Einführung der Basmala-Formel und die Zurückweisung einer imperial-messianischen Christologie

Die bisherige Analyse von Q 27:15-44 hat gezeigt, dass aus koranischer Perspektive gläubige Herrscher keine eschatologischen Figuren sind. Sie haben keinen messianischen Anspruch und kämpfen nicht gegen das absolut Böse, das es zur Endzeit endgültig zu bezwingen gilt. Dieser koranische Diskurs wurde als Kritik an der byzantinischen Reichseschatologie und am messianischen Herrschaftsanspruch von Herakleios gedeutet. Als ein Indiz für die antimessianische Stoßrichtung des koranischen Herrscherdiskurses hat sich die Einführung der Basmala-Formel (bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm, „Im Name Gottes, des Allerbarmenden und Barmherzigen“) anstelle des messianischen Friedensgrußes im Targum Scheni gezeigt.48 Sieht man von der Voranstellung der Basmala-Formel vor nahezu jeder Sure ab, dann kommt diese in ihrer Gänze nur zu Beginn der al-fātiḥa (Q 1:1) und in Q 27:30 vor. Je nachdem, wie man die erste Sure des Korans datiert, ist es sogar wahrscheinlich, dass die Basmala-Formel in Q 27 erstmals eingeführt wird. Im Folgenden soll weiter ausgeführt werden, dass die Form und der Kontext dieser Einführung der Basmala-Formel nicht nur auf die sassanidisch-byzantinische Auseinandersetzung zu Beginn des siebten Jahrhunderts und auf damit zusammenhängende reichseschatologische Vorstellungen als Diskursrahmen

47  Cyril Mango (Editor/ Übersetzer), Nikephoros, Patriarch of Constantinople. Short History, Washington 1990, Kap. 12, 57 (Übersetzung); 56, Zeile 41-49 (Text). 48  Siehe oben Kapitel 5, 88 f.

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Kapitel 5

verweist, sondern einen größeren Diskurshorizont zu imperial-messianischen Konzepten aus Südarabien mit einschließt.49 Die Auseinandersetzungen zwischen dem nordafrikanisch-äthiopischen Reich Aksum50 und dem südarabischen Reich Himyar51 haben vom Ende des dritten bis zum sechsten Jahrhundert religiöse und politische Auswirkungen gehabt, die auf der ganzen arabischen Halbinsel ihre Spuren hinterlassen haben und kurz vor der Genese des Islams im kollektiven Gedächtnis der Araber im ḥiǧāz präsent waren. Bereits die Vereinigung Jemens zum Ende des dritten nachchristlichen Jahrhunderts durch das neue Reich Himyar steht im Kontext der Abwehr einer Invasion des äthiopischen Reiches Aksum.52 Letzteres hatte bis dato einen großen Teil Westarabiens im dritten Jahrhundert dominiert.53 Für die Entwicklung des himyaritischen Reiches sind in den folgenden beiden Jahrhunderten zwei Prozesse besonders kennzeichnend. Zum einen ist bis zum Ende des vierten Jahrhunderts von herrscherlicher Seite eine absolute und unumkehrbare Hinwendung zu einem jüdisch geprägten Monotheismus zu beobachten, die sich u.a. in dem verwendeten Vokabular und in den verwendeten Formeln von Inschriften aus Südarabien niederschlägt.54 Zum anderen ist die Ausdehnung des Herrschaftsbereiches in Richtung Zentralarabien zu beobachten, die sich bis zur Mitte des fünften Jahrhunderts in der Annexion weiter Teile Zentral- und 49  Für die Kontextualisierung der koranischen Basmala mit südarabischen Inschriften plädiert auch Nicolai Sinai in seinem noch unveröffentlichten Kommentar zur al-fātiḥa, den er mir dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat. Sinai nennt auch gute Gründe dafür, warum es wahrscheinlich ist, dass die Basmala in Q 27:30 ursprünglich eingeführt wird und der Voranstellung der Basmala vor nahezu jeder Sure vorausgeht. 50  Zur Problematik der genauen Bezeichnung des aksumitischen Reiches und seiner Bewohner siehe Christian Julien Robin, Arabia and Ethiopia. In: Scott Fitzgerald Johnson (Hg.), The Oxford Handbook of Late Antiquity, New York 2012, 247-332, hier 254 f.; Walter W. Müller, Abessinier und ihre Namen und Titel in vorislamischen südarabischen Texten. In: Neue Ephemeris für semitische Epigraphik, 3, Wiesbaden 1978, 159-168. Für eine geschichtliche Übersicht zu Aksum siehe Heinzgerd Brakmann, Art. Axomis (Aksum). In: Reallexikon für Antike und Christentum. Supplement-Band, Stuttgart 2001, 718-810. 51  Für die Geschichte des südarabischen Königreichs Himyar siehe Paul Yule, Himyar. Spätantike im Jemen, Aichwald 2007; Iwona Gajda, Le royaume de Ḥimyar à l’époque monothéiste. L’histoire de l’Arabie du Sud ancienne de la fin du IV e siècle de l’ère chrétienne jusqu’à l’avénement de l’islam, Paris 2009. 52  Vgl. Christian Julien Robin, Ḥimyar, Aksūm, and Arabia Deserta in Late Antiquity: The Epigraphic Evidence. In: Fisher, Greg (Hg.), Arabs and Empires before Islam, Oxford 2015, 127-171, hier 127. 53  Vgl. Robin, Arabia and Ethiopia, 277. 54  Vgl. ebd., 270-272.

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Westarabiens äußert.55 Besonders auffällig an diesen beiden Prozessen ist die nahezu parallele Entwicklung in Aksum. Mitte des fünften Jahrhunderts konvertiert der äthiopische Herrscher Ezana zum Christentum und leitetet damit ebenso die endgültige Hinwendung zum Monotheismus ein.56 Gleichzeitig beansprucht Ezana in seiner Herrschertitulatur auch diejenigen Gebiete Südund Zentralarabiens, über die faktisch das himyaritische Reich herrschte.57 Zu Beginn des sechsten Jahrhunderts wendet sich das Blatt zu Gunsten Äthiopiens. Bis zum Ende des zweiten Jahrzehnts gewinnen sie die Oberhoheit über Jemen und können den himyaritischen Herrscher selbst einsetzen.58 Doch bereits um das Jahr 522 kommt der Herrscher Yusuf (arab. ḏū Nuwās) in Himyar an die Macht und geht gegen Aksum und gegen die christliche Bevölkerung vor.59 Das Massaker an Christen in Nagran60 in 525, das über die Grenzen von Himyar hinaus als einschneidendes Ereignis wahrgenommen wurde61, bildet den Kulminationspunkt seiner antichristlichen und antiaksumitischen Politik und zwingt den damaligen äthiopischen König Kaleb62 zur endgültigen Intervention. Wahrscheinlich noch im Jahr 525 wird Yusuf besiegt und Kaleb installiert Sumuyafa Ashwa als Klientelkönig in Himyar.63 Dieser wird jedoch einen Jahrzehnt später von einem seiner Generäle namens Abraha gestürzt. Abraha regiert daraufhin in Himyar von ca. 535-565.64 Mit dem Tod der Söhne Abrahas bis 575 endet die himyaritische Herrschaft und Jemen wird zur persischen Provinz.65 Von Abraha selbst stammen mehrere Inschriften.66 Er wiedersetzte sich der aksumitischen Vormundschaft und bemühte sich – wie seine himyaritischen Vorgänger – um die Konsolidierung und Ausweitung seiner Herrschaft über Zentralarabien. Nicht nur zeugen Inschriften von der Einflussnahme Abrahas auf die Wiege des Islams (Yaṯrib als Teil seins 55  Vgl. ebd., 272 f. 56  Vgl. ebd., 273-276. 57  Vgl. ebd., 277 f. 58  Vgl. ebd., 281 f. 59  Vgl. ebd., 282 ff. 60  Für das Christentum in Nagran siehe Theresia Hainthaler, Christliche Araber vor dem Islam, Leuven 2007, 121-124. 61  Zum Ereignis selbst und dessen Einordnung in die Geschichte Südarabiens siehe Norbert Nebes, Die Märtyrer von Nagrān und das Ende der Ḥimyar. Zur politischen Geschichte Südarabiens im frühen sechsten Jahrhundert. In: Aethiopica 11, 2008, 7-40. 62  Siehe zu seiner Person Robin, Arabia and Ethiopia, 288-292. 63  Zu seiner Herrschaft siehe Gajda, Le royaume de Ḥimyar à l’époque monothéiste, 111-115. 64  Vgl. Robin, Arabia and Ethiopia, 284-288; Gajda, Le royaume de Ḥimyar à l’époque monothéiste, 116-147; G.W. Bowersock, The Crucible of Islam, Cambridge 2017, 14-32. 65  Vgl. Robin, Arabia and Ethiopia, 288. 66  Vgl. Robin, Ḥimyar, Aksūm, and Arabia Deserta in Late Antiquity, 150-154.

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Kapitel 5

Einflussbereiches)67, sondern auch die koranische Verkündigung erinnert an eine versuchte direkte Intervention Abrahas Richtung Mekka (Q 105), die auch in der muslimischen Geschichtsüberlieferung bedeutsam ist.68 Für die aksumitisch-himyaritische Auseinandersetzung vom vierten bis zum sechsten Jahrhundert ist es charakteristisch, dass in beiden Reichen die jeweilige Hinwendung zum Monotheismus keinen allmählichen Prozess, sondern einen bewussten und radikalen Einschnitt darstellt: In Aksūm as in Ḥimyar, the religious reform was not the culmination of a long evolution that progressively transformed one of the pagan gods of the local pantheon into a supreme god. It was a sudden and radical reorientation with the adoption of a foreign religion that permits us to use the term conversion. This is particularly clear in Aksūm, where king ʿĒzānā begun his reign as a polytheist and ended it as a Christian. In Ethiopia as in Arabia, the change was total and definitive. After ʿĒzānā, the coinage systematically bore Christian symbols. As for inscriptions, admittedly not very numerous, they were all Christian. This, of course, does not mean (far from it) that polytheism had disappeared, but that, as in Ḥimyar, it was now excluded from public space.69

Bemerkenswert für diese religiösen Entwicklungen scheint zudem zu sein, dass diese entschieden mit dem jeweiligen imperialen und herrscherlichen Anspruch der beiden Reiche verknüpft zu sein scheinen70: 67  Vgl. ebd., 151-153, 169 f. 68  Vgl. M.J. Kister, Some Reports concerning Mecca from Jāhiliyya to Islam. In: Journal of the Economic and Social History of the Orient, Vol. 15, No. 1/2, 1972, 61-93; zur Frage der Chronologie der Ereignisse siehe Lawrence I. Conrad, Abraha and Muḥammad: Some Observations Apropos of Chronology and Literary Topoi in the Early Arabic Historical Tradition. In: Bulletin of the School of Oriental and African Studies, Vol. 50, No. 2, 1987, 225-240. 69  Robin, Arabia and Ethiopia, 279. 70   Auch wenn die himyaritischen Herrscher einen jüdisch geprägten Monotheismus favorisieren, so ist doch auffällig, dass sie sich nicht selbst eindeutig zum Judentum, sondern zu einer nicht klar spezifizierten Form des Monotheismus bekennen (vgl. Robin, Ḥimyar, Aksūm, and Arabia Deserta in Late Antiquity, 129-137). Ihr religiöses Bekenntnis steht jedenfalls – wie bei den aksumitischen Herrschern – im engen Zusammenhang zu ihren imperialen Ansprüchen. Die folgende Beschreibung von Franz Altheim und Ruth Stiehl ist zwar etwas anachronistisch und zu stark wertend, bringt aber die Verquickung zwischen der eigenen religiösen Einstellung und dem eigenen Machtinteresse am Beispiel des ersten christlichen Herrschers Aksums sehr gut zum Ausdruck: „ʿĒzānā muß sich als von Gott geleitet angesehen haben […]. Dem entspricht die Haltung gegenüber dem Gegner: wieder ist dieser von vornherein im Unrecht. Die Maßnahmen, die gegen ihn getroffen werden, nehmen die Züge dessen an, was Goethe als ‚rechtmäßige Grausamkeit‘ bezeichnet hat. Der Krieg wird zum Kreuzzug. Aus seinen Erfolgen leitet ʿĒzānā die Rechtfertigung seines Verhaltens und die Selbstbestätigung jenes Anspruches ab, der in der Vorstellung der eignen herrscherlichen Mission enthalten ist. Nichts läßt sich

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Ethiopian imperialism in the sixth century depended upon a great change that had, curiously, taken place in Ḥimyar in the late fourth century, exactly when Aezanas had begun to proclaim openly his conversion to Christianity. This had led him to assume a more aggressive public stance towards the Arabian territories. Like Aezanas, the king in Ḥimyar at that time also adopted a new religion. But, fatefully, it was not the same religion. What happened on either side of the Red Sea reflected both the old and the new territorial claims of the two kingdoms. The religious conversions they each underwent ultimately delivered the spark that set off an international conflagration. […] The proximity of such evidently imperialistic titulature in both Ethiopia and Ḥimyar just a few decades apart, with the Ethiopians starting first, can hardly be coincidental. The Ḥimyarites had presumably learned, either from traders’ reports or from actual visits, what their former overlords were asserting in Axum, not least in their own Sabaic script. The disappearance of polytheism there and the appearance of the imperialist royal titulature occurred over a period of about fifty years, and these were precisely the years during which polytheism utterly vanished from South Arabia.71

Insgesamt hatte die aksumitisch-himyaritische Auseinandersetzung nicht nur direkte territoriale Konsequenzen für das Machtgefüge auf der arabischen Halbinsel, sondern stand im Horizont des größeren Konfliktes zwischen Byzanz und den Sassaniden: Even so, there had been no open conflict between the two superpowers in these regions until the Arabs of Ḥimyar, in the southwestern part of Arabia, provided the catalyst that brought in the empires of Byzantium and Persia, as well as the lesser but nonetheless expanding empire of Ethiopia as well. A surge of imperialist ambition on both sides of the Red Sea proved to be explosive, and it serves to open up an unfamiliar but immensely revealing window on late antiquity generally. The empire to which Ethiopia aspired in the Arabian peninsula proved a match for the expansion of Ḥimyar in that area. Both Persia and Byzantium were unable to ignore these burgeoning empires at the margins of their world. Consequently, what went on in Arabia in the sixth century had dramatic repercussions in Palestine and Syria during the century that followed, when another new empire came into being, fueled by a new religion that we know today as Islam.72

erkennen, das darauf führte, religiöse, sittliche oder menschliche Werte des Christentums hätten ʿĒzānā beeindruckt. Soweit man etwas aussagen kann, hat allein jenes christliche Herrschertum, das eine unmittelbare Verbundenheit des Herrn im Himmel mit dem auf Erden gewährleistete, die beherrschende Vorstellung gebildet.“ (Franz Altheim/Ruth Stiehl, Christentum am Roten Meer, Erster Band, Berlin 1971, 429). 71  G.W. Bowersock, Empires in collision in Late Antiquity, Waltham 2012, 12, 14 f. 72  Ebd., 6  f.

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Kapitel 5

Für die Funktion und das Verständnis der Basmala-Formel in Q 27:30 ist es besonders hilfreich, die Inschriften aksumitischer und himyaritischer Herrscher im sechsten Jahrhundert genauer zu betrachten. Insbesondere ist die Art und Weise, wie die christlichen Herrscher die trinitarische Invokationsformel verwenden und das eigene religiöse Bekenntnis im Zusammenhang ihrer herrscherlichen Ansprüche stellen, instruktiv für den koranischen Kontext der Basmala-Formel. So beginnt eine in altsüdarabischen Buchstaben verfasste äthiopische Inschrift73 von Kaleb folgendermaßen: Gott ist Kraft (ḫyl) und Stärke (ṣnʿ), Gott ist Kraft in Kämpfen. Mit der Kraft Gottes und mit der Gnade ([m]wgs) von Jesus Christus (ʾyss kr[s]ts), Sohn (wld) Gottes, des Siegreichen (mwʾ), an den ich glaube, Er, der mir ein Königreich (mngšt) mit Stärke gab, mit dem ich meine Feinde unterwarf und die Köpfe derjenigen zertrampelte, die mich verachten, Er, der über mich seit meiner Kindheit gewacht und mich auf den Thron meiner Vorväter (mnbr ʾbwy) gesetzt hat, der mich gerettet hat. Ich habe in seiner Nähe Schutz gesucht, Christus, sodass ich in all meinen Bemühungen erfolgreich bin und ich in dem Einen lebe, der meine Seele beglückt. Mit dem Beistand (b-rdʾ) der Trinität (tlšls), der des Vaters (ʾb), des Sohnes (wld) und des Heiligen Geistes ([m]fs qds), ich, Kālēb Ella Aṣbǝha (klb ʾl ʾṣbḥ), Sohn des Tazenā (wld tzn), Mann von Lzn (bʾs lzn), König von Aksūm (ngš [ʾ]ksm) und Ḥa[mēr] (ḥ[mr]), von Raydān (z-rydn), Saba‌ʾ (sbʾ), Salḥīn (slḥn), und Ṭawdum (ṭdm), von Yamnat (z-ymnt), Tihāmat (thmt), Ḥaḍramawt (ḥḍrmwt), und von allen Arabern (kl ʿrbm), von Bǝgā (z-bg) und Nobā (nb), von Kasū (z-ks) und Ṣǝyāmo (ṣym), von Drbt […]t (z-drbt[…]t) und vom Land Äthiopiens (ʾtfy), Diener Christi (gbr krsts), der nicht vom Feind besiegt wird. Mit dem Beistand (b-rd[ʾ]) Gottes habe ich Krieg geführt gegen […] (RIÉ 191)74

73  Die Wiedergabe der Transkription einer Inschrift erfolgt auf der Grundlage der jeweils angegebenen Quelle. Die Umschrift für die äthiopischen Buchstaben wurde nach Wolf Leslau vorgenommen (vgl. Wolf Leslau, Comparative Dictionary of Geʿez, Wiesbaden 1991, XX-XXVII). Für das Sabäische erfolgt die Transkription der altsüdarabischen Buchstaben nach Peter Stein (vgl. Peter Stein, Lehrbuch der sabäischen Sprache, 1. Teil: Grammatik, Wiesbaden 2013, 31, 41 f.). Die Transkriptionen sind analytisch. Die Trennung der Wörter wird durch ein Leerzeichen angezeigt, wobei ein lexikalisch einheitliches Wort, das inschriftlich durch einen Zeilenumbruch oder durch ein Symbol getrennt wird, in der Transkription als Einheit wiedergegeben wird. Auf das Anzeigen von Zeilen/-umbrüchen und Symbolen einer Inschrift wurde verzichtet. Eine eckige Klammer verweist auf schwer lesbare, nicht mehr lesbare oder rekonstruierte Buchstaben. Für die genaue Analyse zur Beschaffenheit der jeweiligen Inschrift siehe die jeweils zur Inschrift angegebene Quelle. 74  E. Bernand/A.J. Drewes/R. Schneider, Recueil des inscriptions de l’Ethiopie des périodes pré-axoumite et axoumite, Tome I, Les Documents, Paris 1991, 271-274, hier 272, Zeile 1-12. Auf der Grundlage der Übersetzung von Christian Julien Robin übersetzt (Robin, Ḥimyar, Aksūm, and Arabia Deserta in Late Antiquity, 155).

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Salomo, Königin von Saba und Alexander

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Kaleb erinnert mit dieser Inschrift an einige kriegerische Unternehmungen in Nordafrika und in Richtung der Küstenregion von Himyar.75 Robin hält es für möglich, dass diese Inschrift im Kontext der Restituierung der aksumitischen Vorherrschaft in Himyar zu Beginn des sechsten Jahrhunderts steht und somit in diese Zeit datiert werden kann.76 Markant für den Beginn der Inschrift ist, dass die militärische Invokation der Macht Gottes für Kaleb zentral ist. Seine eigene Herrschaft scheint er wie der erste christliche Herrscher Aksums77 göttlich legitimiert zu sehen. Wie sehr das eigene religiöse Bekenntnis mit dem Herrschaftsanspruch und den eigenen imperialen Ambitionen verbunden ist, kommt in dem Titel von Jesus Christus als dem Siegreichen (mawāʾi)78 zum Ausdruck. Die trinitarische Invokationsformel bezieht sich erwartungsgemäß auf den Vater (ʾab)79, den Sohn (wald)80 und den Heiligen Geist (manfas qǝddus)81. Auch die sabäischen Inschriften (Istanbul 760882; Wellcome A 10366483) des von Kaleb in Himyar eingesetzten Klientelkönig Sumuyafa Ashwa behalten die bei Kaleb bezeugte trinitarische Invokationsformel bei. Die Unterschiede im Wortlaut ergeben sich durch den sabäischen Sprachgebrauch. So wird Gott nicht wie bei Kaleb als Vater, sondern mit der in Südarabien üblichen Bezeichnung für den monotheistischen Gott als Raḥmānān adressiert. Von Christus spricht er als seinen Sohn (bn-hw). Die Bezeichnung für den Heiligen Geist (mnfs qds)84 entspricht dem altäthiopischen Sprachgebrauch, während Sumuyafa Ashwa für den Titel von Christus als Siegreichen den Terminus ġlbn85 verwendet. In der Forschung hat man nun darauf hingewiesen, dass der auf Sumuyafa Ashwa folgende Abraha die trinitarische Invokationsformel in eigentümlicherweise abändert. So etwa bei seiner Inschriftenstele am Staudamm von Marib in Jemen (CIH 541):

75  Vgl. Robin, Ḥimyar, Aksūm, and Arabia Deserta in Late Antiquity, 156. 76  Vgl. ebd. 77  Siehe weiter oben Anmerkung 70. 78  Vgl. Leslau, Comparative Dictionary of Geʿez, 374. 79  Vgl. ebd., 2. 80  Vgl. ebd., 613. 81  Vgl. ebd., 389. 82  Vgl. http://dasi.cnr.it/index.php?id=dasi_prj_epi&prjId=1&corId=0&colId=0&navId=800 877863&recId=2410 83  Vgl. http://dasi.cnr.it/index.php?id=dasi_prj_epi&prjId=1&corId=0&colId=0&navId=322 972381&recId=2459 84  Vgl. A.F.L. Beeston/M.A. Ghul/W.W. Müller/J. Ryckmans, Sabaic Dictionary, (EnglishFrench-Arabic), Louvain-la-Neuve 1982, 104. 85  Vgl. ebd., 53.

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Kapitel 5 Mit der Kraft (ḫyl) und Hilfe (rdʾ) und Barmherzigkeit des Raḥmānān (rḥmt rḥmnn) und seines Gesalbten (msḥ-hw) und des Heiligen Geistes (rḥ [q]dś) haben diese Inschrift ich, ʾAbraha, der ʿAzālī des äthiopischen Königs, der Römer, der im Jemen ist, der König von Saba‌ʾ, ḏū Raydān Ḥaḍramawt und Yamnat sowie ihrer Araber des Hoch- und Tieflandes, niedergeschrieben. […]86

Diese Inschriftenstele stammt aus dem Jahr 548 und erinnert u.a. an Renovierungsarbeiten am Damm, an die Zerschlagung von Aufständen durch Abraha und die Organisation einer internationalen Konferenz, an der auch Repräsentanten des byzantinischen und sassanidischen Reiches teilnahmen.87 In den Inschriften Abrahas ist die Form der trinitarischen Invokationsformel im Vergleich zu seinen Vorgängern auffällig.88 So spricht er nicht mehr von der Gottessohnschaft und verwendet für den messianischen Titel nicht die am altäthiopischen Sprachgebrauch orientierte Form (krśtś), sondern lehnt sich an die syrische Bezeichnung für den Messias an (msḥ), mit der Jesus nicht mehr als Sohn, sondern als messianische Gestalt angerufen wird.89 Die neue sprachliche Anlehnung ist auch bei der Invokation des Heiligen Geistes zu beobachten (rḥ [q]dś), die nicht mehr nach altäthiopischem Vorbild (manfas qǝddus), sondern gemäß dem syrischen Sprachgebrauch erfolgt.90 Beide Bezeichnungen für den Messias und den Heiligen Geist entsprechen auch der koranischen Form (rūḥ al-qudus/al-masīḥ). Als Grund für die Abänderung der trinitarischen Invokationsformel hat man einerseits eine besondere Form der Christologie angenommen, die Abraha wohl in Abgrenzung zu Aksum propagiert hat.91 Andererseits wurde vorgeschlagen, dass er auf die Nennung 86  Norbert Nebes, VII. Sabäische Texte. In: Breyer, Francis/Wilhelm, Gernot (Hg., u.a.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Neue Folge, Band 2, Staatsverträge, Herrscherinschriften und andere Dokumente zur politischen Geschichte, Gütersloh 2005, 331-367, hier 363 f. (Übersetzung); Walter W. Müller, Sabäische Inschriften nach Ären datiert, Bibliographie, Texte und Glossar, Wiesbaden 2010, 110-117, hier 111, Zeile 1-9 (Transkription); siehe desweiteren für die Inschrift Michael Marx, Altsüdarabische Inschriftenstele des Abraha (CIH 541 =Gl 618) am Staudamm von Marib (Jemen) – TUK_1259. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx. 87  Vgl. Nebes, VII. Sabäische Texte, 362-367. 88  Vgl. Robin, Ḥimyar, Aksūm, and Arabia Deserta in Late Antiquity, 153 f. 89  Vgl. ebd.; A.F.L. Beeston, Foreign Loanwords in Sabaic. In: Norbert Nebes (Hg.), ARABIA FELIX, Beiträge zur Sprache und Kultur des vorislamischen Arabien, Festschrift Walter W. Müller zum 60. Geburtstag, Wiesbaden 1994, 39-45, hier 42. 90  Vgl. Robin, Ḥimyar, Aksūm, and Arabia Deserta in Late Antiquity, 153 f.; Beeston, Foreign Loanwords in Sabaic, 42 f. 91  Für eine Zusammenfassung der bisherigen Deutungsversuche siehe Carlos A. Segovia, Abraha’s Christological Formula RḤMNN W-MS1Ḥ-HW and Its Relevance for the Study of Islamʾs Origins. In: Oriens Christianus 98, 2015, 52-63, insbesondere 57-61.

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der Gottessohnschaft verzichtet hat, um die Befindlichkeiten der jüdisch geprägten Bevölkerung zu berücksichtigen.92 Leider gingen bisherige Versuche einer Verhältnisbestimmung zwischen der koranischen Basmala-Formel und den Invokationsformeln in südarabischen Herrscherinschriften nicht über den einfachen Verweis auf bestimmte Korrespondenzen im Sprachgebrauch hinaus. Dabei kann der direkte Vergleich der Basmala in Q 27:30 mit der trinitarischen Invokationsformel Abrahas sowohl den koranischen Diskurs als auch die bisher änigmatisch wirkende Christologie Abrahas reziprok erhellen. Völlig unbeachtet blieb in der bisherigen Forschung, dass die Basmala im Koran nicht nur das einzige Mal innerhalb einer Sure in Q 27:30 vorkommt, sondern dort im selben Kontext wie die trinitarische Invokationsformel Abrahas als Herrscherinschrift steht. Schließlich wird die Basmala von Salomo im Zusammenhang seiner Auseinandersetzung mit der Königin von Saba verwendet. Im Rahmen der koranischen Verkündigung wird der Konflikt zwischen beiden Figuren genutzt, um das Bild gläubiger Herrscher zu profilieren und derart auch das Herrschergebaren eines Herakleios typologisch zu kritisieren. Gläubige Herrscher haben aus koranischer Sicht keine eigenen imperialen Ansprüche, die letzten Endes auch viel Unheil (ifsād) auf der Erde verursachen. So kritisiert die ungläubige Königin von Saba den gläubigen Herrscher Salomo zu Recht, wenn sie das gewaltsame Vorgehen von männlichen Herrschern als verheerend moniert (Q 27:34f.). Insgesamt kommt dann Salomo auch ohne eine kriegerische Auseinandersetzung aus. Er hat selbst keine imperialen und messianischen Ansprüche, sondern will die Königin zum rechten Glauben bekehren. Deshalb substituiert die koranische Basmala den messianischen Friedensgruß aus dem Targum Scheni zu Ester. Diese antiimperiale und antimessianische Stoßrichtung des Korans wird auch im direkten Vergleich zwischen der Basmala und Abrahas trinitarischer Invokationsformel deutlich. Abraha und seine Vorgänger nutzen die christliche Invokationsformel in ihren Herrscherinschriften vor allem zum Ausdruck ihrer eigenen imperialen Ansprüche und zur Erinnerung der damit zusammenhängenden militärischen Unternehmungen. Offenkundige Parallelen zum koranischen Sprachgebrauch der Basmala sind nicht nur die Anrede von Gott als Raḥmānān bzw. ar-Raḥmān, sondern auch die Tatsache, dass die koranischen Ausdrücke für Jesus als Messias (al-masīḥ) und für den Heiligen Geist (rūḥ al-qudus) wie in Abrahas Formel an der jeweiligen syrischen Form angelehnt sind. Entscheidend ist aber, dass der Messiastitel und der Heilige Geist im Gegensatz zu Abrahas Formel gerade nicht mehr Teil der dreigliedrigen koranischen Basmala sind. Dieser Unterschied 92  Vgl. ebd.

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Kapitel 5

korrespondiert zu dem Umstand, dass die Basmala auch den messianischen Friedensgruß aus dem Targum Scheni ersetzt. In Bezug auf beide Quellen ist also eine antimessianische Tendenz im Koran nachweisbar. Noch wichtiger ist aber, dass die koranische Basmala als Anrede Salomos an die Königin von Saba programmatisch für das Bild des gläubigen Herrschers im Koran steht, der nicht aus imperialen und messianischen Motiven heraus, sondern im Dienste des wahren Glaubens handelt. Dieses Verständnis gläubiger Herrscher steht diametral zu dem Anspruch südarabischer Herrscher wie Abraha, die an erster Stelle herrscherliche Ansprüche zu haben scheinen und die Macht und den Beistand Gottes für deren Erfüllung erbitten. Nicht die (friedliche) Hinführung zum wahren Glauben, sondern der eigene imperiale Anspruch ist das Movens Abrahas und seiner Vorgänger. Der Koran kritisiert mit seiner Profilierung gläubiger Herrscher auch ein Selbstverständnis wie das der Herrscher von Aksum und Himyar. Es gibt weitere philologische Indizien dafür, dass die koranische Basmala (Q 27:30) einen direkten Bezug zu Abrahas trinitarischer Invokationsformel hat und gemäß dem eigenen Diskurs modifiziert. Diese Indizien lassen sich besser ins Relief setzen, wenn man sich eine von Manfred Kropp vorgeschlagene Ableitung der Basmala aus einem äthiopischen Vorbild vergegenwärtigt. Da seine Argumentation etwas komplex ist, sei diese im Folgenden etwas umfangreich zitiert: Zur muslimischen Basmala ergibt sich: Das doppelte Epitheton [d.h. ar-raḥmān und ar-raḥīm] ist deutliches Zitat aus dem AT, sehr wahrscheinlich aus den Psalmen. Es findet sich, wie schon im Ausgangstext, in gleichem Wortsinn, aber in anderer Wortwahl an mehreren Stellen des koranischen Textes. Der Gebrauch der Formel in der Liturgie und als Texteinleitung ist am ausgeprägtesten und häufigsten im Äthiopischen, das als nächste Parallele, wenn nicht als Anreger des muslimischen Gebrauchs zu gelten hat. […] Das im Gegensatz zum Äthiopischen paronomastische Hendiadyoin entspricht arabischer Stilistik. Die beiden Elemente sind nicht als steigernd zu deuten, sondern differenzieren deutlich (raḥmān „barmherzig, mitleidig“, raḥīm „liebevoll, mitfühlend, gütig“ […]). Interessant ist, daß die nächstliegende Wurzel ḤNN, die sich aus hebräischen Sprachgebrauch anbot, nicht gewählt wurde. Diese fehlt im Koran gänzlich, unter Umständen wegen ihrer Assoziationen an die Gefühlswelt, die als für Gott nicht würdig erachtet wurde. […] Dem Urheber der muslimischen Basmala gelingt es in seiner Neuschöpfung verschiedene Ziele gleichzeitig zu verwirklichen. Aus dem Hendiadyoin der Ausgangssprachen – steigernd oder differenzierend – formt er im arabischen Sprachgeist und dessen Stilgefühl darüber hinaus eine paronomastische Wendung, wie sie in arabischer gebundener Rede und Poesie üblich, beliebt und geschätzt ist. Zur Bildung dieses Ausdrucks ausgehend von der Wurzel RḤM nimmt er zwar eine entweder nicht geschätzte, als dialektal empfundene Ableitung in Kauf (raḥmān neben raḥīm), aber das ermöglicht ihm zweierlei. Zunächst gelingt es, die beiden konkurrierenden Gottesnamen

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in einer Formel zu vereinigen, die die Identität beider suggeriert, mit den in der Religionsgeschichte oft zu beobachtenden Mitteln der Einvernahme und Verschmelzung. Es bleibt aber die fundamentale Doppeldeutigkeit im Hinblick auf Wortart (Eigenname/Substantiv versus Adjektiv), die auch durch die Syntax des Ausdrucks nicht aufgehoben wird. Sowohl Substantive in Apposition (Allāh – ar-Raḥmān) stehend konjunktionslos asyndetisch nebeneinander, wie auch gleichgeordnete Attribute (ar-raḥmān ar-raḥīm). Dies ermöglichte für die Gegenwart des Urhebers einen Ausgleich zwischen den Vertretern der beiden Gottesnamen, doch könnte hier auch der Grund für den in der muslimischen Tradition berichteten Widerstand gegen die allgemeine Einführung der Basmala als feststehende Einleitung zu den einzelnen Suren liegen. Für die späteren Generationen hingegen bereitete er so die semantische Wandlung im Arabischen von ar-Raḥmān vom Gottesnamen zum stehenden Epitheton vor.93

Kropp fasst in seinen Ausführungen sehr gut die sprachlichen Spannungen der koranischen Basmala zusammen (ar-raḥmān als Gottesname und/oder Epitheton; konjunktionslose Verbindung der einzelnen Bestandteile etc.). Die letzten beiden Glieder der Basmala (ar-raḥmān/ar-raḥīm) versteht er als paronomastische Entsprechung zu zwei unterschiedlichen Epitheta für Gottes Barmherzigkeit und Güte, die als Zwillingsformel insbesondere aus dem psalmistischen Sprachgebrauch bekannt seien (raḥūm wa-ḥannūn, Ps 86,15; 103,8).94 Er vermutet sodann, dass im Äthiopischen wohl vor dem Koran die Verknüpfung der beiden Epitheta mit der Invokation des Gottesnamen vorhanden war und koranisch übernommen wird. Letzten endes zielt nach Kropp die Basmala im Koran auf die spannungsvolle Harmonisierung zweier Gottesnamen (Allāh und ar-Raḥmān).95 Alles in allem ist Kropps Entstehungshypothese nicht unproblematisch. Denn es gibt – wie er selbst betont – mit dem koranischen Ausdruck ra‌ʾūf raḥīm (u.a. in Q 2:143, 9:117, 16:47) eine genaue koranische Entsprechung zu der psalmistisch geprägten Zwillingsformel für die Barmherzigkeit und die Güte Gottes.96 So hat auch Kropp Schwierigkeiten damit zu erklären, warum nun die paronomastische Umformulierung innerhalb des Korans selbst vorkommt und dabei mit ar-raḥmān auf eine ambivalente Bezeichnung zurückgegriffen 93  Manfred Kropp, „Im Namen Gottes, (d.i.) des gnädigen (und) B/(b)armherzigen“ Die muslimische Basmala: Neue Ansätze zu ihrer Erklärung. In: Oriens Christianus 97, 20132014, 190-201, hier 198-201. 94  Vgl. ebd., 195-198. 95  Vgl. ebd., 200 f. 96  Es stimmt auch nicht ganz, dass koranisch die Wurzel ḥ-n-n kein einziges Mal vorkommt (vgl. Kropp, „Im Namen Gottes, (d.i.) des gnädigen (und) B/(b)armherzigen“, 199). Als Hapaxlegomenon wird die Milde (ḥanān) Gottes zu Johannes betont (Q 19:13) und steht dort im Kontext der etymologischen Bedeutung seines biblischen Namens im Gegensatz zur koranischen Namensgebung yaḥyā (siehe weiter oben Kapitel 3, 44 f.).

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wird. Seine Harmonisierungshypothese der Gottesnamen überzeugt nicht ganz, da – wie er selbst feststellt – die semantische Spannung von ar-raḥmān in der Basmala bestehen bleibt.97 Ein weitere Schwierigkeit besteht darin, dass Kropp für die angenommene Vorform der äthiopischen Basmala als Kombination des Gottesnamen mit der Zwillingsformel keinen Beleg nennen kann, der nachweislich vorkoranisch ist, sondern im Vergleich zum Koran auf mehrere Jahrhunderte spätere Handschriften verweist. Auch lässt Kropp die Frage unbeantwortet, ob und in welchem Verhältnis die koranische Basmala zur trinitarischen Invokationsformel steht. Schließlich geht er auch nicht auf den sureninternen Kontext der Basmala im Koran und dessen Funktion ein. Der direkte Vergleich zwischen dem Kontext und der Form der Basmala in Q 27:30 und der trinitarischen Invokationsformel bei Abraha liefert eine erwägenswerte Alternative zur Entstehungshypothese von Kropp. Abraha hatte ja die altäthiopische Formel im Sabäischen durch Streichung der Gottessohnschaft und der Anleihe syrischer Bezeichnungsformen für Messias und für den Heiligen Geist abgeändert. Beim direkten Vergleich der Basmala zu Abrahas Formel in der Inschrift CIH 541 wird man überraschend feststellen, dass es eine formale Entsprechung des koranischen Ausdrucks ar-raḥmān ar-raḥīm zur Abrahas Formulierung rḥmt rḥmnn gibt. Beide Male wird Gott mit derselben Bezeichnung angesprochen (ar-raḥmān/rḥmnn). Beide Male ist nicht nur eine paronomastische Form, sondern die spezielle Variante der figura etymologica vorhanden98: beim Koran als asyndetische Verbindung und bei Abraha als Genitivverbindung. Und beide Male lässt sich fragen, ob eine Steigerung in der Invokation von Gottes Barmherzigkeit vorliegt (rḥmt rḥmnn als paronomastischer Intensitätsgenitiv?/ar-raḥmān ar-raḥīm als steigernde Doppelepitheta?). Nun wäre aber die direkte koranische Entsprechung zu Abrahas Formulierung rḥmt rḥmnn nicht ar-raḥmān ar-raḥīm, sondern raḥmatu r-raḥmān. Letztere Ausdrucksweise wird im Koran nicht gebraucht. Vielmehr findet man raḥmatu llāh (Q 2:218, 3:107), raḥmatu rabbika (Q 19:2, 38:9) und auch als paronomastische Form den genitivus superlativus ʾarḥamu r-rāḥimīn (Q 12:64, 7:151). Wenn man also – wie hier angenommen – davon ausgeht, dass Abrahas Invokationsformel für die koranische Basmala Pate stand, dann wird man erklären müssen, warum im Koran nicht die direkte koranarabische Entsprechung zur Form im Sabäischen genutzt wird, sondern anstelle des Substantivs raḥma das Adjektiv raḥīm verwendet und asyndetisch 97  Vgl. ebd., 200 f. 98  Im Sabäischen wird die figura etymologica oftmals bei einer Genitivverbindung verwendet, dessen zweites Glied ein asyndetischer Relativsatz ist (vgl. Stein, Lehrbuch der sabäischen Sprache, 50).

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angehängt wird. Hier ist der Kontext der trinitarischen Invokationsformel bei Abraha genauer zu betrachten. Die Genitivverbindung rḥmt rḥmnn verbindet die trinitarische Invokationsformel mit der dreigliedrigen Aufzählung des ersten Teils einer Genitivverbindung.99 Mit der figura etymologica rḥmt rḥmnn wird also die Invokation Gottes (rḥmnn), des Messias (msḥ) und des Heiligen Geistes (rḥ [q]dś) mit der Anrufung seiner Kraft (ḫyl), Hilfe/Beistand (rdʾ) und Barmherzigkeit (rḥmt) verknüpft („Mit der Kraft und Hilfe und Barmherzigkeit des Raḥmānān und seines Gesalbten und des Heiligen Geistes“). Koranisch wird durch die Abänderung der Genitivverbindung rḥmt rḥmnn in raḥmān raḥīm nicht nur der Wegfall der beiden trinitarischen Personen (Messias und Heiliger Geist) kompensiert, sondern auch eine Kontrastierung der Basmala zur ursprünglich trinitarischen Invokationsformel bei Abraha erreicht. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass im koranischen Arabisch die Bezeichnungen für Messias und Heiliger Geist wie bei Abraha an der syrischen Form angelehnt sind, jedoch nicht als Teil der Basmala vorkommen. An deren Stelle stehen in der Basmala die Gottesbezeichnung Allāh und das Epitheton raḥīm. Die bei Abraha vorhandene paronomastische Genitivverbindung wird also koranisch in eine neue paronomastische Form überführt, die in der asyndetischen Anreihung von Allāh, ar-raḥmān und ar-raḥīm programmatisch den Gegenentwurf zur trinitarischen Invokationsformel (Vater-Sohn-Heiliger Geist bzw. bei Abraha: Gott-Messias-Heiliger Geist) zum Ausdruck bringt. Die koranische Variante der figura etymologica als asyndetische Verknüpfung des Gottesnamen mit einem Adjektiv aus derselben Wurzel (ar-raḥmān ar-raḥīm) ist sogar in der formal exakten Entsprechung im Sabäischen (rḥmnn mtrḥmn)100 inschriftlich aus der Zeit eines himyaritischen Herrschers vor Abraha zu Beginn des sechsten Jahrhunderts belegt („Mit der Hilfe und dem Beistand des Raḥmānān, des Barmherzigen“, b-nṣr w-rdʾ rḥmnn mtrḥmn, Fa 74)101, sodass die koranische Ausdruckweise durch dieselbe paronomastische Form im Sabäischen vermittelt sein kann. Zusammenfassend ergibt sich, dass man vorkoranisch durch Inschriften aus Aksum und Himyar die genaue Entwicklung bis hin zur Entstehung der koranischen Basmala nachzeichnen kann: von der ursprünglich trinitarischen Invokationsformel im Äthiopischen („bas-ma ʾab wa-wald

99  Für diese Form der Genitivverbindung siehe A.F.L. Beeston, Sabaic Grammar, Louvain 1984, 28; Stein, Lehrbuch der sabäischen Sprache, 50. 100  Vgl. Beeston/Ghul/Müller/Ryckmans, Sabaic Dictionary, 116 f. 101  Vgl. Müller, Sabäische Inschriften nach Ären datiert, 89 f., hier 89, Zeile 3; auf diese Parallele verweist bereits Josef van Ess, Der Name Gottes im Islam. In: Heinrich von Stietencron (Hg.), Der Name Gottes, Düsseldorf 1975, 156-175, hier 158.

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wa-manfas qǝdus“, RIÉ 193)102, über die Umformulierungen im sabäischen Sprachgebrauch und gemäß den religiösen Sprachkonventionen in Himyar (rḥmnn als Gottesbezeichnung, paronomastische Anrufung des barmherzigen Gottes etc.), bis hin zu den eigentümlichen Abänderungen der trinitarischen Invokationsformel bei Abraha (Anleihen aus dem Syrischen, Streichung der Gottessohnschaft etc.). Koranisch ist die Gottessohnschaft nicht nur aus der Basmala-Invokationsformel, sondern aus der gesamten Verkündigung theologisch gestrichen. Dagegen bleiben zwar die am Syrischen angelehnten Bezeichnungen für Messias und Heiliger Geist in der koranischen Verkündigung vorhanden, sie sind jedoch nicht mehr Teil der Basmala (masīḥ wird sogar als Eigenname von Jesus, ism, und nicht als Titel verstanden, Q 3:45). Deren Streichung aus der Invokationsformel wird programmatisch durch die Aufnahme einer im Sabäischen nachweisbaren paronomastischen Anrufung des barmherzigen Gottes und der Gottesbezeichnung Allāh kompensiert, sodass man insgesamt die Entwicklung von der trinitarischen Invokationsformel im Äthiopischen (bas-ma ʾab wa-wald wa-manfas qǝddus) bis zur koranischen Basmala (bi-smi llāhi r-raḥmāni r-raḥīm) erklären kann. Im Gegensatz zur Abrahas trinitarischer und imperialer Invokation von Gott, seines Messias und des Heiligen Geistes tritt im Koran die Invokation von Gott als barmherzigen Gott. Die koranische Basmala in Q 27:30 dient wie die trinitarische Invokationsformel bei Abraha der Anrede durch einen Herrscher und hat somit denselben Kontext. Jedoch unterscheidet sich diese in ihrer antimessianischen Form und ihrer antiimperialen Stoßrichtung von Abrahas trinitarischer Invokationsformel. Salomo lädt mit der Basmala zur Anerkennung des barmherzigen Gottes ein, während Abraha nicht nur die Barmherzigkeit, sondern auch die Hilfe und Macht Gottes und seines Messias für die Erreichung seiner imperialen und militärischen Ziele bemüht.

102  Vgl. Bernand/Drewes/Schneider, Recueil des inscriptions de l’Ethiopie, 279 f., hier 279, Zeile 1-3.

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Q 18 – Eschatologisches Wissen und eschatologische Zeit Die Sure al-kahf („Die Höhle“)1 ist insgesamt der Frage gewidmet, welche epistemologische Qualität eschatologisches Wissen hat: Lassen sich etwa im Sinne einer apokalyptischen Spekulation Angaben darüber machen, wann die Endzeit beginnt und die Welt sich auflöst? In welchem Verhältnis steht unser profanes Wissen zum Gesamtzusammenhang der Ereignisse aus der jenseitigen Perspektive? Was bedeutet es für die eigene Einstellung zum Leben, wenn man die eschatologische Abrechnung als telos des eigenen Daseins erkannt hat? Die in der Sure al-kahf dargestellten Narrative zu den Siebenschläfern, Alexander etc. greifen Erzählstoffe auf, die zum Teil bereits im Kontext dieser Fragestellungen standen und nun aus koranischer, sowie dezidiert eschatologischer Perspektive in Anschlag gebracht werden. Dabei erweist sich die Gesamtsure als ein Inventar eschatologischer Gleichnisse: Q 18 – al-kahf – Die Höhle 1 al-ḥamdu li-llāhi llaḏī ʾanzala ʿalā ʿabdihi l-kitāba wa-lam yaǧʿal lahū ʿiwaǧā 2 qayyiman li-yunḏira ba‌ʾsan šadīdan min ladunhu wa-yubaššira l-muʾminīna llaḏīna yaʿmalūna ṣ-ṣāliḥāti ʾanna lahum ʾaǧran ḥasanā 3 mākiṯīna fīhi ʾabadā 4 wa-yunḏira llaḏīna qālu ittaḫaḏa llāhu waladā 5 mā lahum bihī min ʿilmin wa-lā li-ʾabāʾihim 1  Den in der westlichen Koranforschung umfangreichsten Kommentar zur Sure al-kahf hat Hannelies Koloska vorgelegt. Neben einer Gesamtanalyse zum Inhalt und Aufbau der Sure gibt Koloska auch einen exzellenten Überblick zur bisherigen Forschungsliteratur in der Moderne (Vgl. Hannelies Koloska, Offenbarung, Ästhetik und Koranexegese. Zwei Studien zur Sure 18 (al-kahf), Wiesbaden 2015).

© Verlag Ferdinand Schöningh, 2020 | doi:10.30965/9783657704323_007 Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Kapitel 6

kaburat kalimatan taḫruǧu min ʾafwāhihim ʾin yaqūlūna ʾillā kaḏibā 6 fa-laʿallaka bāḫiʿun nafsaka ʿalā ʾāṯārihim ʾin lam yuʾminū bi-hāḏa l-ḥadīṯi ʾasafā 7 ʾinnā ǧaʿalnā mā ʿala l-ʾarḍi zīnatan lahā li-nabluwahum ʾayyuhum ʾaḥsanu ʿamalā 8 wa-ʾinnā la-ǧāʿilūna mā ʿalaihā ṣaʿīdan ǧuruzā 9 ʾam ḥasibta ʾanna ʾaṣḥāba l-kahfi wa-r-raqīmi kānū min ʾāyātinā ʿaǧabā 10 ʾiḏ ʾawa l-fityatu ʾila l-kahfi fa-qālū rabbanā ʾātinā min ladunka raḥmatan wa-hayyiʾ lanā min ʾamrinā rašadā 11 fa-ḍarabnā ʿalā ʾāḏānihim fi l-kahfi sinīna ʿadadā 12 ṯumma baʿaṯnāhum li-naʿlama ʾayyu l-ḥizbaini ʾaḥṣā li-mā labiṯū ʾamadā 13 naḥnu naquṣṣu ʿalāika naba‌ʾahum bi-l-ḥaqqi ʾinnahum fityatun ʾāmanū bi-rabbihim wa-zidnāhum hudā 14 wa-rabaṭnā ʿalā qulūbihim ʾiḏ qāmū fa-qālū rabbunā rabbu s-samāwāti wa-l-ʾarḍi lan nadʿuwa min dūnihī ʾilāhan la-qad qulnā ʾiḏan šaṭaṭā 15 hāʾulāʾi qaumuna ittaḫaḏū min dūnihī ʾālihatan lau-lā ya‌ʾtūna ʿalaihim bi-sulṭānin bayyinin fa-man ʾaẓlamu mimman iftarā ʿalā llāhi kaḏibā 16 wa-ʾiḏ iʿtazaltumūhum wa-mā yaʿbudūna ʾilla llāha fa-ʾwū ʾila l-kahfi yanšur lakum rabbukum min raḥmatihī wa-yuhayyiʾ lakum min ʾamrikum mirfaqā 17 wa-tara š-šamsa ʾiḏā ṭalaʿat tazāwaru ʿan kahfihim ḏāta l-yamīni wa-ʾiḏā ġarabat taqriḍuhum ḏāta š-šimāli wa-hum fī faǧwatin minhu ḏālika min ʾāyāti llāhi man yahdi llāhu fa-huwa l-muhtadi wa-man yuḍlil fa-lan taǧida lahū walīyan muršidā Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

Eschatologisches Wissen und eschatologische Zeit

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18 wa-taḥsabuhum ʾaiqāẓan wa-hum ruqūdun wa-nuqallibuhum ḏāta l-yamīni wa-ḏāta š-šimāli wa-kalbuhum bāsiṭun ḏirāʿaihi bi-l-waṣīdi lau iṭṭalaʿta ʿalaihim la-wallaita minhum firāran wa-la-muliʾta minhum ruʿbā 19 wa-ka-ḏālika baʿaṯnāhum li-yatasāʾalū bainahum qāla qāʾilun minhum kam labiṯtum qālū labiṯnā yauman ʾau baʿḍa yaumin qālū rabbukum ʾaʿlamu bi-mā labiṯtum fa-bʿaṯū ʾaḥadakum bi-wariqikum hāḏihī ʾilā l-madīnati fa-l-yanẓur ʾayyuhā ʾazkā ṭaʿāman fa-l-ya‌ʾtikum bi-rizqin minhu wa-l-yatalaṭṭaf wa-lā yušʿiranna bikum ʾaḥadā 20 ʾinnahum ʾin yaẓharū ʿalaikum yarǧumūkum ʾau yuʿīdūkum fī millatihim wa-lan tufliḥū ʾiḏan ʾabadā 21 wa-ka-ḏālika ʾaʿṯarnā ʿalaihim li-yaʿlamū ʾanna waʿda llāhi ḥaqqun wa-ʾanna s-sāʿata lā raiba fīhā ʾiḏ yatanāzaʿūna bainahum ʾamrahum fa-qālū ibnū ʿalaihim bunyānan rabbuhum ʾaʿlamu bihim qāla llaḏīna ġalabū ʿalā ʾamrihim la-nattaḫiḏanna ʿalaihim masǧidā 22 sa-yaqūlūna ṯalāṯatun rābiʿuhum kalbuhum wa-yaqūlūna ḫamsatun sādisuhum kalbuhum raǧman bi-l-ġaibi wa-yaqūlūna sabʿatun wa-ṯāminuhum kalbuhum qul rabbī ʾaʿlamu bi-ʿiddatihim mā yaʿlamuhum ʾillā qalīlun fa-lā tumāri fīhim ʾillā mirāʾan ẓāhiran wa-lā tastafti fīhim minhum ʾaḥadā 23 wa-lā taqūlanna li-šaiʾin ʾinnī fāʿilun ḏālika ġadā 24 ʾillā ʾan yašāʾa llāhu wa-ḏkur rabbaka ʾiḏā nasīta wa-qul ʿasā ʾan yahdiyani rabbī li-ʾaqraba min hāḏā rašadā 25 wa-labiṯū fī kahfihim ṯalāṯa miʾatin sinīna wa-zdādū tisʿā Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Kapitel 6

26 quli llāhu ʾaʿlamu bi-mā labiṯū lahū ġaibu s-samāwāti wa-l-ʾarḍi ʾabṣir bihī wa-ʾasmiʿ mā lahum min dūnihī min walīyin wa-lā yušriku fī ḥukmihī ʾaḥadā 27 wa-tlu mā ʾūḥiya ʾilaika min kitābi rabbika lā mubaddila li-kalimātihī wa-lan taǧida min dūnihī multaḥadā 28 wa-ṣbir nafsaka maʿa llaḏīna yadʿūna rabbahum bi-l-ġadawāti wa-l-ʿašīyi yurīdūna waǧhahū wa-lā taʿdu ʿaināka ʿanhum turīdu zīnata l-ḥayāti d-dunyā wa-lā tuṭiʿ man ʾaġfalnā qalbahū ʿan ḏikrinā wa-ttabaʿa hawāhu wa-kāna ʾamruhū furuṭā 29 wa-quli l-ḥaqqu min rabbikum fa-man šāʾa fa-l-yuʾmin wa-man šāʾa fa-l-yakfur ʾinnā ʾaʿtadnā li-ẓ-ẓālimīna nāran ʾaḥāṭa bihim surādiquhā wa-ʾin yastaġīṯū yuġāṯū bi-māʾin ka-l-muhli yašwi l-wuǧūha biʾsa š-šarābu wa-sāʾat murtafaqā 30 ʾinna llaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilū ṣ-ṣāliḥāti ʾinnā lā nuḍīʿu ʿaǧra man ʾaḥsana ʿamalā 31 ʾulāʾika lahum ǧannātu ʿadnin taǧrī min taḥtihimu l-ʾanhāru yuḥallauna fīhā min ʾasāwira min ḏahabin wa-yalbasūna ṯiyāban ḫuḍran min sundusin wa-ʾistabraqin muttakiʾīna fīhā ʿala l-ʾarāʾiki niʿma ṯ-ṯawābu wa-ḥasunat murtafaqā 32 wa-ḍrib lahum maṯalan raǧulaini ǧaʿalnā li-ʾaḥadihimā ǧannataini min ʾaʿnābin wa-ḥafafnāhumā bi-naḫlin wa-ǧaʿalnā bainahumā zarʿā 33 kilta l-ǧannataini ʾātat ʾukulahā wa-lam taẓlim minhu šaiʾan wa-faǧǧarnā ḫilālahumā naharā 34 wa-kāna lahū ṯamarun fa-qāla li-ṣāḥibihī wa-huwa yuḥāwiruhū

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ʾana ʾakṯaru minka mālan wa-ʾaʿazzu nafarā 35 wa-daḫala ǧannatahū wa-huwa ẓālimun li-nafsihī qāla mā ʾaẓunnu ʾan tabīda hāḏihī ʾabadā 36 wa-mā ʾaẓunnu s-sāʿata qāʾimatan wa-la-ʾin rudidtu ʾilā rabbī la-ʾaǧidanna ḫairan minhā munqalabā 37 qāla lahū ṣāḥibuhū wa-huwa yuḥāwiruhū ʾa-kafarta bi-llaḏī ḫalaqaka min turābin ṯumma min nuṭfatin ṯumma sawwāka raǧulā 38 lākinna huwa llāhu rabbī wa-lā ʾušriku bi-rabbī ʾaḥadā 39 wa-lau-lā ʾiḏ daḫalta ǧannataka qulta mā šāʾa llāhu lā qūwwata ʾillā bi-llāhi ʾin tarani ʾana ʾaqalla minka mālan wa-waladā 40 fa-ʿasā rabbī ʾan yuʾtiyani ḫairan min ǧannatika wa-yursila ʿalaihā ḥusbānan mina s-samāʾi fa-tuṣbiḥa ṣaʿīdan zalaqā 41 ʾau yuṣbiḥa māʾuhā ġauran fa-lan tastaṭīʿa lahū ṭalabā 42 wa-ʾuḥīṭa bi-ṯamarihī fa-ʾaṣbaḥa yuqallibu kaffaihi ʿalā mā ʾanfaqa fīhā wa-hiya ḫāwiyatun ʿalā ʿurūšihā wa-yaqūlu yā-laitanī lam ʾušrik bi-rabbī ʾaḥadā 43 wa-lam takun lahū fiʾatun yanṣurūnahū min dūni llāhi wa-mā kāna muntaṣirā 44 hunālika l-walāyatu li-llāhi l-ḥaqqi huwa ḫairun ṯawāban wa-ḫairun ʿuqbā 45 wa-ḍrib lahum maṯala l-ḥayāti d-dunyā ka-māʾin ʾanzalnāhu mina s-samāʾi fa-iḫtalaṭa bihī nabātu l-ʾarḍi fa-ʾaṣbaḥa hašīman taḏrūhu r-riyāḥu wa-kāna llāhu ʿalā kulli šaiʾin muqtadirā 46 al-mālu wa-l-banūna zīnatu l-ḥayāti d-dunyā wa-l-bāqiyātu ṣ-ṣāliḥātu ḫairun ʿinda rabbika ṯawāban wa-ḫairun ʾamalā

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Kapitel 6

47 wa-yauma nusayyiru l-ǧibāla wa-tara l-ʾarḍa bārizatan wa-ḥašarnāhum fa-lam nuġādir minhum ʾaḥadā 48 wa-ʿuriḍū ʿalā rabbika ṣaffan la-qad ǧiʾtumūnā ka-mā ḫalaqnākum ʾawwala marratin bal zaʿamtum ʾallan naǧʿala lakum mauʿidā 49 wa-wuḍiʿa l-kitābu fa-tara l-muǧrimīna mušfiqīna mimmā fīhi wa-yaqūlūna yā-wailatanā mā-li hāḏa l-kitābi lā yuġādiru ṣaġīratan wa-lā kabīratan ʾillā ʾaḥṣāhā wa-waǧadū mā ʿamilū ḥāḍiran wa-lā yaẓlimu rabbuka ʾaḥadā 50 wa-ʾiḏ qulnā li-l-malāʾikati usǧudū li-ʾādama fa-saǧadū ʾillā ʾiblīsa kāna mina l-ǧinni fa-fasaqa ʿan ʾamri rabbihī ʾa-fa-tattaḫiḏūnahū wa-ḏurrīyatahū ʾauliyāʾa min dūnī wa-hum lakum ʿadūwun biʾsa li-ẓ-ẓālimīna badalā 51 mā ʾašhadtuhum ḫalqa s-samāwāti wa-l-ʾarḍi wa-lā ḫalqa ʾanfusihim wa-mā kuntu muttaḫiḏa l-muḍillīna ʿaḍudā 52 wa-yauma yaqūlu nādū šurakāʾiya llaḏīna zaʿamtum fa-daʿauhum fa-lam yastaǧībū lahum wa-ǧaʿalnā bainahum maubiqā 53 wa-ra‌ʾa l-muǧrimūna n-nāra fa-ẓannū ʾannahum muwāqiʿūhā wa-lam yaǧidū ʿanhā maṣrifā 54 wa-la-qad ṣarrafnā fī hāḏa l-qurʾāni li-n-nāsi min kulli maṯalin wa-kāna l-ʾinsānu ʾakṯara šaiʾin ǧadalā 55 wa-mā manaʿa n-nāsa ʾan yuʾminū ʾiḏ ǧāʾahumu l-hudā wa-yastaġfirū rabbahum ʾillā ʾan ta‌ʾtiyahum sunnatu l-ʾawwalīna ʾau ya‌ ʾtiyahumu l-ʿaḏābu qubulā 56 wa-mā nursilu l-mursalīna ʾillā mubašširīna wa-munḏirīna wa-yuǧādilu llaḏīna kafarū bi-l-bāṭili li-yudḥiḍū bihi l-ḥaqqa wa-ittaḫaḏū ʾāyātī wa-mā ʾunḏirū huzuwā 57 wa-man ʾaẓlamu mimman ḏukkira bi-ʾāyāti rabbihī fa-ʾaʿraḍa ʿanhā wa-nasiya mā qaddamat yadāhu ʾinnā ǧaʿalnā ʿalā qulūbihim ʾakinnatan ʾan yafqahūhu wa-fī ʾāḏānihim waqran Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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wa-ʾin tadʿuhum ʾila l-hudā fa-lan yahtadū ʾiḏan ʾabadā 58 wa-rabbuka l-ġafūru ḏu r-raḥmati lau yuʾāḫiḏuhum bi-mā kasabū la-ʿaǧǧala lahumu l-ʿaḏāba bal lahum mauʿidun lan yaǧidū min dūnihī mauʾilā 59 wa-tilka l-qurā ʾahlaknāhum lammā ẓalamū wa-ǧaʿalnā li-mahlikihim mauʿidā 60 wa-ʾiḏ qāla mūsā li-fatāhu lā ʾabraḥu ḥattā ʾabluġa maǧmaʿa l-baḥraini ʾau ʾamḍiya ḥuqubā 61 fa-lammā balaġā maǧmaʿa bainihimā nasiyā ḥūtahumā fa-ittaḫaḏa sabīlahū fi l-baḥri sarabā 62 fa-lammā ǧāwazā qāla li-fatāhu ʾātinā ġadāʾanā la-qad laqīnā min safarinā hāḏā naṣabā 63 qāla ʾa-ra‌ʾaita ʾiḏ ʾawainā ʾila ṣ-ṣaḫrati fa-ʾinnī nasītu l-ḥūta wa-mā ʾansānīhu ʾilla š-šaiṭānu ʾan ʾaḏkurahū wa-ittaḫaḏa sabīlahū fi l-baḥri ʿaǧabā 64 qāla ḏālika mā kunnā nabġi fa-irtaddā ʿalā ʾāṯārihimā qaṣaṣā 65 fa-waǧadā ʿabdan min ʿibādinā ʾātaināhu raḥmatan min ʿindinā wa-ʿallamnāhu min ladunnā ʿilmā 66 qāla lahū mūsā hal ʾattabiʿuka ʿalā ʾan tuʿallimani mimmā ʿullimta rušdā 67 qāla ʾinnaka lan tastaṭīʿa maʿiya ṣabrā 68 wa-kaifa taṣbiru alā mā lam tuḥiṭ bihī ḫubrā 69 qāla sa-taǧidunī ʾin šāʾa llāhu ṣābiran wa-lā ʾaʿṣī laka ʾamrā 70 qāla fa-ʾin ittabaʿtanī fa-lā tasʾalnī ʿan šaiʾin ḥattā ʾuḥdiṯa laka minhu ḏikrā 71 fa-inṭalaqā ḥattā ʾiḏā rakibā fi s-safīnati ḫaraqahā qāla ʾa-ḫaraqtahā li-tuġriqa ʾahlahā la-qad ǧiʾta šaiʾan ʾimrā

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Kapitel 6

72 qāla ʾa-lam ʾaqul ʾinnaka lan tastaṭīʿa maʿiya ṣabrā 73 qāla lā tuʾāḫiḏnī bi-mā nasītu wa-lā turhiqnī min ʾamrī ʿusrā 74 fa-inṭalaqā ḥattā ʾiḏā laqiyā ġulāman fa-qatalahū qāla ʾa-qatalta nafsan zakīyatan bi-ġairi nafsin la-qad ǧiʾta šaiʾan nukrā 75 qāla ʾa-lam ʾaqul laka ʾinnaka lan tastaṭīʿa maʿiya ṣabrā 76 qāla ʾin sa‌ʾaltuka ʿan šaiʾin baʿdahā fa-lā tuṣāḥibnī qad balaġta min ladunnī ʿuḏrā 77 fa-inṭalaqā ḥattā ʾiḏā ʾatayā ʾahla qaryatin istaṭʿamā ʾahlahā fa-ʾabau ʾan yuḍayyifūhumā fa-waǧadā fīhā ǧidāran yurīdu ʾan yanqaḍḍa fa-ʾaqāmahū qāla lau šiʾta la-ttaḫaḏta ʿalaihi ʾaǧrā 78 qāla hāḏā firāqu bainī wa-bainika sa-ʾunabbiʾuka bi-ta‌ʾwīli mā lam tastaṭiʿ ʿalaihi ṣabrā 79 ʾamma s-safīnatu fa-kānat li-masākīna yaʿmalūna fi l-baḥri fa-ʾaradtu ʾan ʾaʿībahā wa-kāna warāʾahum malikun ya‌ʾḫuḏu kulla safīnatin ġaṣbā 80 wa-ʾamma l-ġulāmu fa-kānā ʾabawāhu muʾminaini fa-ḫašīnā ʾan yurhiqahumā ṭuġyānan wa-kufrā 81 fa-ʾaradnā ʾan yubdilahumā rabbuhumā ḫairan minhu zakātan wa-ʾaqraba ruḥmā 82 wa-ʾamma l-ǧidāru fa-kāna li-ġulāmaini yatīmaini fi l-madīnati wa-kāna taḥtahū kanzun lahumā wa-kāna ʾabūhumā ṣāliḥan fa-ʾarāda rabbuka ʾan yabluġā ʾašuddahumā wa-yastaḫriǧā kanzahumā raḥmatan min rabbika wa-mā faʿaltuhū ʿan ʾamrī ḏālika ta‌ʾwīlu mā lam tasṭiʿ ʿalaihi ṣabrā 83 wa-yasʾalūnaka ʿan ḏi l-qarnaini qul sa-ʾatlū ʿalaikum minhu ḏikrā

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84 ʾinnā makkannā lahū fi l-ʾarḍi wa-ʾātaināhu min kulli šaiʾin sababā 85 fa-ʾatbaʿa sababā 86 ḥattā ʾiḏā balaġa maġriba š-šamsi waǧadahā taġrubu fī ʿainin ḥamiʾatin wa-waǧada ʿindahā qauman qulnā yā-ḏa l-qarnaini ʾimmā ʾan tuʿaḏḏiba wa-ʾimmā ʾan tattaḫiḏa fīhim ḥusnā 87 qāla ʾammā man ẓalama fa-saufa nuʿaḏḏibuhū ṯumma yuraddu ʾilā rabbihī fa-yuʿaḏḏibuhū ʿaḏāban nukrā 88 wa-ʾammā man ʾāmana wa-ʿamila ṣāliḥan fa-lahū ǧazāʾa l-ḥusnā wa-sa-naqūlu lahū min ʾamrinā yusrā 89 ṯumma ʾatbaʿa sababā 90 ḥattā ʾiḏā balaġa maṭliʿa š-šamsi waǧadahā taṭluʿu ʿalā qaumin lam naǧʿal lahum min dūnihā sitrā 91 ka-ḏālika wa-qad ʾaḥaṭnā bi-mā ladaihi ḫubrā 92 ṯumma ʾatbaʿa sababā 93 ḥattā ʾiḏā balaġa baina s-saddaini waǧada min dūnihimā qauman lā yakādūna yafqahūna qaulā 94 qālū yā-ḏa l-qarnaini ʾinna yāǧūǧa wa-māǧūǧa mufsidūna fi l-ʾarḍi fa-hal naǧʿalu laka ḫarǧan ʿalā ʾan taǧʿala bainanā wa-bainahum saddā 95 qāla mā makkannī fīhi rabbī ḫairun fa-ʾaʿīnūnī bi-quwwatin ʾaǧʿal bainakum wa-bainahum radmā 96 ʾātūnī zubara l-ḥadīdi ḥattā ʾiḏā sāwā baina ṣ-ṣadafaini qāla unfuḫū ḥattā ʾiḏā ǧaʿalahū nāran qāla ʾātūnī ʾufriġ ʿalaihi qiṭrā 97 fa-mā isṭāʿū ʾan yaẓharūhu wa-mā istaṭāʿū lahū naqbā

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Kapitel 6

98 qāla hāḏā raḥmatun min rabbī fa-ʾiḏā ǧāʾa waʿdu rabbī ǧaʿalahū dakkāʾa wa-kāna waʿdu rabbī ḥaqqā 99 wa-taraknā baʿḍahum yauma‌ʾiḏin yamūǧu fī baʿḍin wa-nufiḫa fi ṣ-ṣūri fa-ǧamaʿnāhum ǧamʿā 100 wa-ʿaraḍnā ǧahannama yauma‌ʾiḏin li-l-kāfirīna ʿarḍā 101 allaḏīna kānat ʾaʿyunuhum fi ġiṭāʾin ʿan ḏikrī wa-kānū lā yastaṭīʿūna samʿā 102 ʾa-fa-ḥasiba llaḏīna kafarū ʾan yattaḫiḏū ʿibādī min dūnī ʾauliyāʾa ʾinnā ʾaʿtadnā ǧahannama li-l-kāfirīna nuzulā 103 qul hal nunabbiʾukum bi-l-ʾaḫsarīna ʾaʿmālā 104 allaḏīna ḍalla saʿyuhum fi l-ḥayāti d-dunyā wa-hum yaḥsabūna ʾannahum yuḥsinūna ṣunʿā 105 ʾulāʾika llaḏīna kafarū bi-ʾāyāti rabbihim wa-liqāʾihī fa-ḥabiṭat ʾaʿmāluhum fa-lā nuqīmu lahum yauma l-qiyāmati waznā 106 ḏālika ǧazāʾuhum ǧahannamu bi-mā kafarū wa-ittaḫaḏū ʾāyātī wa-rusulī huzuwā 107 ʾinna llaḏīna ʾāmanū wa-ʿamilu ṣ-ṣāliḥāti kānat lahum ǧannātu l-firdausi nuzulā 108 ḫālidīna fīhā lā yabġūna ʿanhā ḥiwalā 109 qul lau kāna l-baḥru midādan li-kalimāti rabbī la-nafida l-baḥru qabla ʾan tanfada kalimātu rabbī wa-lau ǧiʾnā bi-miṯlihī madadā 110 qul ʾinnamā ʾana bašarun miṯlukum yūḥā ʾilayya ʾannamā ʾilāhukum ʾilāhun wāḥidun fa-man kāna yarǧū liqāʾa rabbihī fa-l-yaʿmal ʿamalan ṣāliḥan wa-lā yušrik bi-ʿibādati rabbihī ʾaḥadā 1 Lobpreis sei Gott, der auf seinen Diener die Schrift herabgesandt hat. Darin legte er nichts Krummes! 2 Eine gerade Richtschnur, damit er vor gewaltiger Macht von ihm warne, und den Gläubigen verkünde, dass für diejenigen, die rechtschaffen handeln, ein schöner Lohn bestimmt ist, Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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3 – darin weilen sie ewig! – 4 und damit er diejenigen warne, die sprechen: „Gott hat sich ein Kind genommen.“ 5 Kein Wissen haben sie darüber, auch nicht ihre Väter. Welch schwerwiegendes Wort, das aus ihrem Mund kommt! Sie lügen nur! 6 Vielleicht wirst du auf ihren Spuren unerträglich verzweifeln, wenn sie nicht an diese Geschichte glauben. 7 Wir haben das, was auf der Erde ist, ihr zur Zierde gemacht, um sie zu prüfen, wer von ihnen besser handelt. 8 Wahrlich, wir werden das, was auf ihr ist, zu einer kahlen Ebene machen! 9 Meinst du etwa, dass die Gefährten der Höhle und der Inschrift unter unseren Zeichen wundersam wären? 10 Damals, als die Jünglinge in der Höhle Zuflucht suchten,  da sprachen sie: „Unser Herr, schenke uns von deiner Barmherzigkeit, und bereite uns in unserer Angelegenheit einen rechten Weg!“ 11 Da versiegelten wir ihre Ohren in der Höhle für zahlreiche Jahre. 12 Dann erweckten wir sie, um in Erfahrung zu bringen, welche der beiden Parteien errechnen konnte, wie lange sie verweilten. 13 Wir erzählen dir ihre Geschichte nach der Wahrheit. Sie waren Jünglinge, die an ihren Herrn glaubten. Und wir vermehrten ihre Rechtleitung. 14 Und wir stärkten ihre Herzen. Als sie sich erhoben und sprachen: „Unser Herr ist der Herr der Himmel und Erde, wir werden keinen Gott außer ihm anrufen, sonst würden wir Außerordentliches behaupten. 15 Diese von unserem Volk haben sich neben ihm Götter genommen, auch wenn sie keine klare Ermächtigung für sie bringen. Wer ist wohl frevelhafter als derjenige, der gegen Gott eine Lüge ersinnt?“ 16 Da ihr euch von ihnen, und was sie außer Gott verehren, fernhaltet, zieht euch in die Höhle zurück, damit euch Gott von seiner Barmherzigkeit ausbreitet, und euch in eurer Angelegenheit Abhilfe verschafft. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Kapitel 6

17 Und du siehst die Sonne, wenn sie aufgeht, dass sie nach rechts von ihrer Höhle weg neigt, und wenn sie untergeht, nach links von ihnen vorüberzieht. Sie sind in einer Ausbuchtung von ihr. Das ist eines von den Zeichen Gottes! Wen Gott rechtleitet, der ist rechtgeleitet, und wen er irren lässt, für den wirst du kein Freund finden, der auf den rechten Weg führt. 18 Du meinst, sie seien wach, doch sind sie im Schlaf. Wir wenden sie herum, nach rechts und nach links. Und ihr Hund streckt seine Pfoten an der Schwelle aus. Wenn du sie erblicken würdest, dann würdest du die Flucht vor ihnen ergreifen, und über sie von Angst erfüllt sein. 19 So erweckten wir sie, damit sie sich gegenseitig befragen konnten. Einer von ihnen sprach: „Wie lange habt ihr verweilt?“ Sie sprachen: „Wir verweilten einen Tag oder den Teil eines Tages.“ Sie sprachen: „Euer Herr weiß am besten, wie lange ihr verweilt habt. So schickt einen von euch mit diesen euren Münzen in die Stadt, damit er sehe, wer in ihr die reinste Nahrung hat, und euch von dort Nahrung bringe. Er soll achtsam sein, sodass er keinen von euch merken lässt. 20 Wenn sie euch erkennen, dann steinigen sie euch oder bringen euch zu ihrem Glauben zurück. Euch wird es dann nie mehr wohlergehen!“ 21 So führten wir sie zu ihnen,  damit sie zu erkennen vermochten, dass die Verheißung Gottes wahr ist, und dass es keinen Zweifel an der Stunde gibt. Als sie miteinander über ihre Angelegenheit stritten, da sprachen sie: „Baut ein Gebäude über ihnen!“ – Gott weiß am besten über sie Bescheid –  Diejenigen, die in ihrer Angelegenheit die Oberhand gewannen, sprachen: „Lasst uns einen Andachtsort über ihnen errichten!“

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22 Sie werden sprechen: „Drei, der Vierte von ihnen war ihr Hund!“ Andere werden sprechen: „Fünf, der Sechste von ihnen war ihr Hund!“ – Ein Herumstochern im Verborgenen! – Andere werden sprechen: „Sieben, der Achte von ihnen war ihr Hund!“ Sprich: „Mein Herr weiß am besten über ihre Zahl Bescheid!“ Nur wenige wissen etwas über sie!  So streite nicht über sie, außer mit offenkundigen Argumenten! Und frag keinen von ihnen über sie! 23 Und sag ja nicht von einer Sache: „Ich tue das morgen!“, 24 ohne hinzuzufügen: „Gott möge es wollen!“ Gedenke deines Herrn, wenn du es vergessen hast, und sprich: „Vielleicht führt mich mein Herr zu etwas, dass näher am rechten Weg ist, als dies.“ 25 Sie verweilten in ihrer Höhle drei Hundert Jahre, und neun dazu. 26 Sprich: „Gott weiß am besten, wie lange sie verweilten.“ Ihm gehört das Verborgene der Himmel und Erde, wie vortrefflich er sieht und hört! Sie haben keinen Vertrauten außer ihm, und er lässt keinen an seiner Herrschaft teilhaben. 27 Trag vor, was dir eingegeben wurde aus der Schrift deines Herrn. Es gibt keinen, der seine Worte ändern könnte! Und du wirst außer ihm keine Zuflucht finden. 28 Sei geduldig mit denen, die ihren Herrn am Morgen und am Abend anrufen, sich nach seinem Antlitz sehnend. Und wende deine Augen nicht von ihnen ab, um nach dem schönen Schein des diesseitigen Lebens zu streben. Gehorche nicht dem, dessen Herz wir von unserer Andacht ablenken ließen, der seiner Begierde folgt und dessen Handeln maßlos ist. 29 Sprich: „Die Wahrheit kommt von eurem Herrn. Wer will, der möge glauben, und wer will, der möge nicht glauben.“ Wir haben für die Frevler ein Feuer bereitet,

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Kapitel 6

dessen Zelt sie umgibt.  Wenn sie um Hilfe bitten, dann wird ihnen mit Wasser geholfen, das gleich geschmolzenen Erzes ist und ihre Gesichter brät. Welch schlimmer Trunk und welch übler Ruheplatz! 30 Diejenigen, die glauben und rechtschaffen handeln, – Wir lassen doch nicht den Lohn des gut Handelnden verloren gehen! – 31 für denen sind die Gärten Eden, unter denen Bäche fließen. Darin sind Sie mit Armreifen aus Gold geschmückt, und tragen Kleider aus Seide und Brokat. Sie liegen dort auf Ruhepolstern. Welch ausgezeichneter Lohn und welch schöner Ruheplatz! 32 Präge ihnen ein Gleichnis von zwei Männern. Wir gaben einem von beiden zwei Gärten mit Weinstöcken, umsäumten sie mit Palmen, und machten zwischen ihnen ein Saatfeld. 33 Beide Gärten brachten ihre Frucht, und ließen es an nichts mangeln. Wir ließen ein Bach zwischen beiden hervorsprudeln. 34 Und er hatte einen Gewinn. Da sprach er zu seinem Gefährten, während er sich mit ihm unterhielt: „Ich habe mehr Reichtum als du, und bin stärker an Männern.“ 35 Er betrat seinen Garten, und frevelte dabei gegen sich selbst. Er sprach: „Ich glaube nicht, dass dieser je zugrunde geht, 36 noch glaube ich, dass die Stunde eintreffen wird. Und wenn ich zu meinem Herrn zurückgebracht werde, dann werde ich besseres als diesen als Ort der Einkehr finden!“ 37 Sein Gefährte sprach zu ihm, während er sich mit ihm unterhielt: „Glaubst du etwa nicht an dem, der dich aus Erde erschuf, dann aus einem Tropfen, und dich dann zu einem Mann formte? 38 Ich aber – er ist Gott, mein Herr – geselle meinem Herrn niemanden bei. 39 Hättest du doch, als du in deinen Garten gingst, gesprochen: ‚Was Gott will, Es gibt keine Macht außer bei Gott!‘ Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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 Wenn du nun meinst, dass ich weniger als du habe an Reichtum und an Kinder, 40 so wird mein Herr mir vielleicht besseres geben als deinen Garten, und eine Abrechnung vom Himmel auf ihn schicken, sodass er eine kahle Ebene wird, 41 oder sein Wasser versickert, sodass du es nicht wirst finden können.“ 42 Und seine Früchte wurden ganz und gar erfasst. Da rang er schließlich seine Hände, für das, was er in ihm investiert hatte. Er war nun leer bis zum Grund.  Er sprach: „Hätte ich meinem Herrn doch niemanden beigesellt!“ 43 Er hatte keine Gruppe, die ihn gegen Gott helfen könnte. Er war hilflos. 44 In dieser Lage ist die Hilfe bei Gott, dem Wahren. Er belohnt am besten und gibt den besten Ausgang. 45 Und präge für sie das Gleichnis des diesseitigen Lebens. Es ist wie Wasser, dass wir vom Himmel herabkommen lassen, dann vermischen sich mit ihm die Pflanzen der Erde. Schließlich wird es zur Spreu, das die Winde verwehen. Gott hat Macht über alle Dinge. 46 Reichtum und Söhne sind der schöne Schein des diesseitigen Lebens. Das Bleibende, die guten Taten, werden bei deinem Herrn besser belohnt und geben bessere Hoffnung. 47 Am Tag, da wir die Berge in Bewegung versetzen, und du die Erde hervorkommen siehst, da werden wir sie versammeln. Keinen werden wir dabei übergehen! 48 Und sie werden deinem Herrn in Reih und Glied vorgeführt. „Ihr kommt zu uns so, wie wir euch das erste Mal erschufen. Doch habt ihr behauptet, dass wir für euch keine Frist setzen würden!“ 49 Das Buch wird vorgelegt, und Du wirst sehen, wie die Übeltäter in Sorge über das sind, was in ihm ist. Sie sprechen: „Wehe uns, was ist mit diesem Buch?  Es übergeht nichts kleines und nichts großes, ohne es aufzuzählen!“

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Und sie finden vor, was sie getan haben. Dein Herr tut niemandem unrecht. 50 Als wir zu den Engeln sprachen: „Werft euch vor Adam nieder!“,  da warfen sie sich nieder, außer Iblīs. Er war von den Dschinnen. So wich er von dem Befehl seines Herrn ab! Wollt ihr euch ihn und seine Sippschaft an meiner statt zu Freunden nehmen? Sie sind euch doch Feinde, welch schlechter Tausch für die Frevler! 51 Ich habe sie nicht zu Zeugen für die Schöpfung der Himmel und der Erde genommen, auch nicht für ihre eigene Schöpfung. Ich habe keinen der Irreführenden zu Helfern genommen! 52 Und am Tag, da er sprechen wird: „Ruft doch meine Teilhaber an, die ihr annahmt!“ Da werden sie zu ihnen beten, doch werden sie ihnen nicht antworten. Wir werden zwischen ihnen einen Abgrund machen. 53 Die Übeltäter werden das Feuer sehen, und meinen, dass sie in ihm fallen werden, und keinen Ausweg von ihm finden. 54 Wir haben in dieser Lesung für den Menschen allerlei Gleichnisse abgeleitet. Doch ist der Mensch über die meisten Dinge im Streit. 55 Es hinderte die Menschen nichts daran zu glauben, als die Rechtleitung zu ihnen kam, und ihren Herrn um Vergebung zu bitten, außer dass der Brauch der Altvorderen über sie kommen sollte, oder die offensichtliche Strafe. 56 Wir schicken die Gesandten als Freudenboten und Warner. Diejenigen, die ungläubig sind, streiten mit Trug, um damit die Wahrheit zu entkräften. Und sie treiben Spott mit meinen Zeichen und mit dem, wovor sie gewarnt wurden. 57 Und wer ist frevelhafter als derjenige, der mit den Zeichen seines Herrn ermahnt wurde, und sich von ihnen abwendet,

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dabei vergessend, was seine Hände zuvor taten? Wir haben auf ihren Herzen Hüllen gelegt, sodass sie es nicht verstehen, und in ihre Ohren Taubheit. Wenn du sie zur Rechtleitung aufrufst, dann werden sie sich nie rechtleiten lassen. 58 Dein Herr ist der Vergebende, voller Barmherzigkeit. Wenn er sie bestrafen würde, entsprechend dem, was sie verdienen, dann müsste er sie eilends bestrafen. Doch ist für sie eine Frist, sie werden ihr aber nicht entgehen können! 59 Jene Städte zerstörten wir, als sie frevelten. Und wir setzten eine Frist für ihren Untergang. 60 Als Moses zu seinem Jüngling sprach: „Ich werde nicht ruhen, bis ich den Zusammenfluss der beiden Meere erreicht habe, auch wenn ich für eine lange Zeit unterwegs sein müsste.“ 61 Als sie den Ort ihres Zusammenflusses erreichten, vergaßen sie ihren Fisch. Da nahm er eilends seinen Weg ins Meer. 62 Als sie dann vorbeigezogen waren, sprach er zu seinem Jüngling: „Bring uns unser Mahl! Diese unsere Reise hat uns Kraft gekostet.“ 63 Er sprach: „Hast du nicht gesehen? Als wir uns bei den Felsen zurückzogen, da vergaß ich den Fisch! Kein anderer als der Satan ließ ihn mich vergessen, dass ich an ihn dachte. Da nahm er seinen Weg ins Meer auf wundersame Weise.“ 64 Er sprach: „Das ist es, was wir begehrten!“ So machten sie kehrt auf ihren Spuren. 65 Da fanden sie einen von unseren Dienern, dem wir unsere Barmherzigkeit erwiesen hatten, und dem wir von uns Wissen gelehrt hatten. 66 Moses sprach zu ihm: „Darf ich dir folgen, sodass du mich von dem lehrst, was dir an rechte Einsicht gegeben worden ist?“ 67 Er sprach: „Du wirst mit mir nicht geduldig sein können!

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68 Wie willst du auch geduldig gegenüber dem sein, was du an Kunde noch nicht erfasst hast?“ 69 Er sprach: „Du wirst mich – so Gott will – geduldig finden, und ich werde mich deinem Befehl nicht widersetzen!“ 70 Er sprach: „Wenn du mir nun folgst, dann frage mich über keine Sache, bis ich dir nicht selbst darüber erzähle!“ 71 Da eilten sie los, bis sie das Schiff bestiegen, in das er ein Loch machte. Er sprach: „Hast du etwa darin ein Loch gemacht, um seine Insassen ertrinken zu lassen? Da hast du etwas Entsetzliches getan!“ 72 Er sprach: „Hatte ich dir nicht gesagt, dass du nicht in der Lage sein wirst, mit mir geduldig zu sein?“ 73 Er sprach: „Bestraf mich nicht für meine Vergesslichkeit!  Und lass mir in meiner Angelegenheit nichts Schweres erleiden!“ 74 So eilten sie wieder los, bis sie auf einen Jungen trafen, den er tötete. Er sprach: „Hast du etwa eine unschuldige Seele ohne Vergeltung getötet? Du hast etwas Schreckliches getan!“ 75 Er sprach: „Hatte ich dir nicht gesagt, dass du nicht in der Lage sein wirst, mit mir geduldig zu sein?“ 76 Er sprach: „Wenn ich dich danach über etwas frage, dann begleite mich nicht mehr! Von meiner Seite bist du dann entschuldigt.“ 77 So eilten sie weiter, bis sie zu den Bewohnern einer Stadt kamen. Sie baten ihre Einwohner um Speise, doch lehnten sie es ab, sie als Gäste zu bewirten. Dann fanden sie dort eine Mauer, die einzustürzen drohte, und er setzte sie in Stand. Er sprach: „Wenn du gewollt hättest, dann hättest du dafür einen Lohn bekommen können!“ 78 Er sprach: „Das ist die Trennung zwischen mir und zwischen dir, ich werde dir nun die Deutung dessen offenlegen, was du nicht geduldig ertragen konntest. 79 Was das Schiff betrifft, so gehörte es armen Leuten, die auf dem Meer arbeiteten. Ich wollte es sabotieren,

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weil ein König hinter ihnen her war, der jedes Schiff gewaltsam an sich nahm. 80 Und was den Jungen angeht, so waren seine Eltern gläubig. Wir fürchteten, dass er sie durch Grausamkeit und Unglauben zusetzen würde. 81 So wünschten wir, dass ihr Herr ihnen im Tausch einen gebe, der lauterer und fürsorglicher als jener wäre. 82 Und was die Mauer angeht, so gehörte sie zwei Waisenjungen in der Stadt, und es war ein Schatz darunter für beide. Ihr Vater war rechtschaffen gewesen, so wollte dein Herr, dass sie erst ihre männliche Reife erreichen, und dann ihren Schatz als Barmherzigkeit von deinem Herrn herausholen sollten. Ich tat es also nicht aus eigener Motivation. Das ist die Deutung dessen, was du nicht geduldig ertragen konntest.“ 83 Und sie werden dich nach dem mit den zwei Hörnern fragen. Sprich: „Ich werde euch eine Geschichte über ihn vortragen!“ 84 Wir verliehen ihm Macht auf der Erde, und gaben ihm zu jeder Sache einen Weg. 85 Da schlug er einen Weg ein, 86 bis er schließlich den Ort erreichte, an dem die Sonne untergeht. Er fand sie in einer schlammigen Quelle untergehen, und fand bei ihr ein Volk. Wir sprachen: „O Zweigehörnter, entweder nimmst du eine Bestrafung vor, oder du tust ihnen Gutes.“ 87 Er sprach: „Wer gefrevelt hat, den werden wir bestrafen. Dann wird er zu seinem Herrn zurückgebracht, und der wird ihn schrecklich bestrafen. 88 Wer aber glaubt und rechtschaffen handelt, für ihn ist als Vergeltung Schöneres vorgesehen. Und wir werden ihm von uns aus Freundliches zusprechen.“ 89 Da schlug er weiter einen Weg ein, 90 bis er schließlich den Ort erreichte, an dem die Sonne aufgeht. Und er fand sie bei einem Volk aufgehen, für das wir keinen Schutz vor ihr geschaffen hatten.

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91 So war es! Und wir wissen genau, wie es bei ihm war. 92 Da schlug er weiter einen Weg ein, 93 bis er an die Stelle zwischen den beiden Dämmen gelangte. Er fand hinter ihnen ein Volk, das fast keine Sprache verstehen konnte. 94 Sie sprachen: „O Zweigehörnter, Gog und Magog richten Unheil im Lande an. Sollen wir dir etwas dafür zahlen, damit du zwischen uns und ihnen ein Damm errichtest?“ 95 Er sprach: „Wozu mir mein Herr Macht verliehen hat, ist besser. So helft mir kräftig,  sodass ich zwischen euch und ihnen einen Schutzwall errichte! 96 Bringt mir Eisenstücke!“ Als er zwischen beiden Hängen alles eben gemacht hatte, sprach er: „Blast an!“ Und als er es zu einem Feuer entfacht hatte,  sprach er: „Bringt mir flüssiges Metall, sodass ich es darübergieße!“ 97 So konnten sie es weder überwinden, noch durchbrechen. 98 Er sprach: „Das ist eine Barmherzigkeit von meinem Herrn. Wenn sich nun die Verheißung meines Herrn erfüllt, macht er es dem Erdboden gleich. Die Verheißung meines Herrn ist wahr!“ 99 An jenem Tage werden wir sie gegeneinander wogen lassen. Es wird in die Trompete geblasen, und wir werden sie alle versammeln. 100 Und wir werden an jenem Tage den Ungläubigen die Hölle deutlich vorführen. 101 Deren Augen waren verhüllt, sodass sie meiner nicht gedachten, und nicht zu hören vermochten. 102 Glauben etwa diejenigen, die ungläubig sind, dass sie meine Diener außer mir zu Helfern nehmen können? Wir halten für die Ungläubigen die Hölle als Quartier bereit. 103 Sprich: „Sollen wir euch von denjenigen berichten, die in Bezug auf ihre Taten verlustreich sind? 104 Deren Bestreben im diesseitigen Leben ist fehlgeleitet, auch wenn sie glauben, dass sie gut handeln.“

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105 Das sind diejenigen, die nicht an die Zeichen ihres Herrn und an die Begegnung mit ihm glauben. Ihre Taten sind nutzlos; wir werden ihnen am Tag der Auferstehung kein Gewicht beimessen. 106 Das ist ihr Lohn: Die Hölle. Dafür, dass sie ungläubig waren und mit meinen Zeichen und Gesandten Spott trieben. 107 Diejenigen, die glauben und rechtschaffen handeln, für die sind die Gärten des Paradieses als Quartier bestimmt. 108 Darin werden sie ewig verweilen, ohne es verlassen zu wollen. 109 Sprich: „Wenn das Meer Tinte für die Worte meines Herrn wäre, dann würde das Meer versiegen, ehe die Worte meines Herrn versiegen, auch wenn wir dasselbe nochmal zur Hilfe nehmen würden.“ 110 Sprich: „Ich bin ein Mensch wie ihr, dem eingegeben wurde, dass euer Gott ein einziger Gott ist. Und wer seinen Herrn zu begegnen wünscht, der handele rechtschaffen, und geselle dem Dienst an seinem Herrn niemanden bei!“ Die Sure al-kahf beginnt ebenso wie die spätmittelmekkanischen Suren Q 17, 25 und 67 mit einem doxologischen Lobpreis, der sogleich mit einem Verweis auf die Offenbarung der Schrift an den Diener Muhammad verknüpft wird. Entscheidend für die narrative Stoßrichtung der Gesamtsure ist die Feststellung, dass die herabgesendete Schrift nichts „Krummes“ (ʿiwaǧan) enthält. Vielmehr sei sie eine gerade Richtschnur (qayyiman), mit deren Hilfe der Verkünder zur eschatologischen Rechenschaftspflicht (V. 2) und zum Monotheismus (V. 4) mahnt. Eben dieses eschatologische Wissen (ʿilm) fehlt nicht nur den Leugnern des Verkünders, sondern auch ihren Vorfahren (V. 5). Grundsätzlich gehört die antithetische Wegmetapher, die geometrisch zwischen dem Geraden und Ungeraden/Krummen differiert, spätestens seit der prominenten Einführung der fātiḥa als Gemeindegebet zum festen Verkündigungsbestand des Korans.2 Denn die Bitte um göttliche Führung zum geraden Weg (ṣirāṭ mustaqīm) ist zentraler Bestandteil des Gemeindegebets. Dagegen verweigern die Ungläubigen sich der göttlichen Rechtleitung, was spätmekkanisch zu ihrer sprichwörtlichen Kennzeichnung führt, dass sie sich eben nichtlinear den krummen Weg wünschen: „die vom Weg Gottes (sabīl) 2  Vgl. Neuwirth, Der Koran, Band 2/1, 85-102.

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abhalten und wünschen, dass er krumm (ʿiwaǧan) verläuft“ (Q 7:45; 7:86; 11:19; 14:3). Wiederholt werden ab der mittelmekkanischen Periode Begriffe wie ṣirāṭ, ṭarīq und sabīl zur Anwendung der antithetischen Wegmetapher in Anschlag gebracht, wobei im Begriffspaar rašad und rušd („Geradheit des Handelns, einsichtiges Handeln, Vernunft“) symptomatisch zum Ausdruck kommt, dass das rechtgläubige und richtige Handeln entschieden mit der gläubigen Erkenntnis (ʿilm) und der damit einhergehenden Einstellung verbunden ist. Auf das ganze Begriffsfeld der antithetischen Wegmetapher und des einsichtigen Handelns wird wiederholt im narrativen Mittelteil der Sure al-kahf rekurriert, sodass auch auf lexikalischer Ebene zwischen den unterschiedlichen Erzählungen eine Kohärenz gestiftet wird.3 Das erste Narrativ von den aṣḥāb al-kahf („Leute/Gefährten der Höhle“) oder aṣḥāb ar-raqīm („Leute/Gefährten der Inschrift“) wird mit der rhetorischen Frage nach seinem wundersamen oder sonderbaren (ʿaǧaban) Inhalt eingeleitet (V. 9). Mit ʿaǧaban wird paronomastisch die abweisende Qualifikation der verkündigten Schrift aus dem einleitenden Vers eingeblendet: Diese enthält nichts „Krummes“ (ʿiwaǧan). Verbalableitungen der Wurzel ʿa-ǧ-b kennzeichnen koranisch die ablehnende Haltung der Gegner der Verkündigung. Diese können nicht glauben, dass ein gewöhnlicher Mensch ein Gesandter und Warner sein kann etc. (vgl. etwa Q 38:4; 50:2; 7:63). Gleichzeitig qualifiziert die spätmittelmekkanische Sure al-ǧinn den ganzen Koran als etwas „Wundersames“ (ʿaǧaban) und kehrt damit die negative Konnotation des Begriffs durch die Gegner um. Denn der Koran leitet eben zur Einsicht und zum rechten Weg (rušd) (vgl. Q 72:1-2). Die Einführung der Erzählung von den aṣḥāb al-kahf mit der rhetorischen Frage nach ihrem wundersamen (ʿaǧaban) Inhalt soll also dafür sensibilisieren, dass man diese entweder willentlich missverstehen kann, und sich solchermaßen der Rechtleitung versperrt, oder dass die Erzählung selbst ein Beispiel für rechtgläubige Erkenntnis ist und zu derselben ermahnt. Rein inhaltlich wird der Rahmen der Erzählung wie folgt wiedergegeben: Eine Gruppe von Jünglingen sucht Zuflucht in einer Höhle und bittet Gott um seine barmherzige Zuwendung (V. 10). Ihr Gebet erhörend lässt Gott diese für einige Jahre in Schlaf verfallen (wörtl.: „versiegelt ihre Ohren“), um sie dann zu erwecken und zu prüfen, wer die Verweildauer ihres Schlafes genauer angeben kann (V. 11-12). Es wird im Fortgang der Erzählung spezifiziert, dass die Jünglinge gläubige Monotheisten sind, die sich von dem Götzenglauben ihrer 3  Zu der Struktur und den intertextuellen Bezügen innerhalb der Sure siehe Marianna Klar, Re-examining Textual Boundaries: Towards a Form-Critical Sūrat al-Kahf. In: Walid Saleh/ Majid Daneshgar (Hg.), Islamic Studies Today: Essays in Honor of Andrew Rippin, Leiden 2016, 215-238.

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Zeitgenossen abgrenzen und fliehen (V. 13-15). Gott verspricht ihnen seine Zuwendung und sie ziehen sich in eine Höhle zurück (V. 16). In einer Einblendung wird beschrieben wie die Sonne während der Verweildauer der Jünglinge in der Höhle jeweils bei ihrem Auf- und Untergang nach rechts und links neigt (V. 17). Auch die Jünglinge werden in der Höhle schlafend vergegenwärtigt: Sie werden dabei von Gott nach rechts und links gewendet (V. 18). Bei ihnen ist auch ein Hund. Ihr Anblick wird dabei insgesamt als erschreckend für jeden Beobachter beschrieben. Nachdem sie erweckt wurden, mutmaßen die Jünglinge, wie lang sie geschlafen haben (V. 19). Man beschließt, die Frage ruhen zu lassen; einer von ihnen soll sich aufmachen, um Essensvorräte zu besorgen. Dabei sei große Vorsicht geboten, da man im Falle der eigenen Entdeckung um das eigene Leben fürchten müsse. Nichtsdestotrotz werden sie entdeckt, damit die Zeitgenossen erkennen, dass Gottes Verheißung vom eschatologischen Endgericht wahr ist (V. 21). Unter den Zeitgenossen entflammt sodann eine Diskussion darüber, ob man ein Gebäude (bunyān) am Ort der Höhle bauen solle. Tatsächlich wird dort ein Andachtsort (masǧid) errichtet. Zum Schluss der Erzählung wird betont, dass die Frage nach der Anzahl der Jünglinge (V. 22) und ihrer Verweildauer in der Höhle (V. 25 f.) dem göttlichen Wissen vorbehalten ist. In einer Parenthese wird gleichzeitig dazu ermahnt, das eigene Handeln unter den Vorbehalt des göttlichen Willens zu stellen (V. 23 f.). Der koranische Bericht von den aṣḥāb al-kahf evoziert die postbiblische Erzählung der „Siebenschläfer von Ephesus“, von dessen weiten Verbreitung man in der Spätantike ausgehen kann.4 In der syrischen Überlieferung umfasst sie im Kern folgende Elemente5: Der römische Kaiser Decius (249-251) verordnet das Opfern an heidnische Götter. Die Christen werden aufgrund ihrer Weigerung verfolgt und umgebracht. In der Stadt Ephesus versuchen acht Jünglinge der heidnischen Opferzeremonie zu entgehen und werden nach Denunziation zum Kaiser gebracht. Sie bekennen sich zum eigenen Glauben und bleiben standfest in ihrer Weigerung. Der Kaiser gibt ihnen eine Bedenkzeit und verlässt die Stadt. Die Jünglinge ziehen sich in der Höhle eines nahe gelegenen Berges zurück und beten dort beständig, während einer von ihnen regelmäßig in die Stadt zurückkehrt, um Nahrung zu besorgen und die Lage zu erkunden. Als sie derart erfahren, dass der Kaiser zurück ist, flehen

4  Zur Rezeptionsgeschichte dieses Überlieferungsstoffes siehe Michael Huber, Die Wanderlegende von den Siebenschläfern. Eine literargeschichtliche Untersuchung, Leipzig 1910. 5  Vgl. Matthias Vogt, Der Siebenschläfer – Funktion einer Legende. In: Hallesche Beiträge zur Orientwissenschaft 38 (2004), Halle 2005, 223-247, hier 224-231.

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die Jünglinge Gott um seine Hilfe und legen ihr Leben in seine Hand. Abends schlafen sie ein und sterben. Nachdem die Jünglinge nicht auffindbar sind, werden ihre Eltern zum Kaiser gebracht und müssen den Aufenthaltsort der Jünglinge preisgeben. Der Kaiser befiehlt den Eingang der Höhle mit Steinen zu versiegeln, damit die Jünglinge einen qualvollen Tod erleiden. Die mit dieser Aufgabe betrauten Bauleute sind heimliche Christen, weshalb sie die Namen und das Zeugnis der Schläfer in der Höhle auf Tafeln festhalten und diese in Nähe des Eingangs deponieren. Zur Zeit des oströmischen Kaiser Theodosius (408450) nutzt der Besitzer des Landes, auf dem die Jünglinge in einer Höhle eingeschlossen wurden, die Steine aus dem Eingang der Höhle für den Bau einer Hürde. Dadurch wird der Zugang wieder geöffnet und die Jünglinge werden auferweckt. Ihre Körper und ihre Kleidung sind in demselben Zustand wie vor über einem Jahrhundert, als sie sich zurückzogen und flüchteten. Die Jünglinge glauben deshalb, sie hätten lediglich eine Nacht in der Höhle verbracht und beraten sich, was sie im Falle einer Konfrontation mit dem Kaiser Decius tun sollten. Als einer von ihnen die Höhle zum Kauf von Brot verlässt und bezahlen will, fällt seine alte Münze mit dem Abbild des Kaiser Decius auf. Man vermutet, dass der Jüngling einen alten Schatz gefunden hat. Er wird zum Bischof gebracht und nachdem klar wird, dass niemand den Jüngling kennt und dass dieser glaubt, dass er sich in der Zeit des Kaiser Decius befindet, folgt der Bischof dem Jüngling zur Höhle. Als dieser die Tafeln entdeckt, die den Bericht der Jünglinge und somit das Wunder ihrer Auferstehung bestätigen, wird der Kaiser Theodosius herbeigerufen, der durch die Ereignisse die Lehre von der leiblichen Wiederauferstehung bestätigt sieht. Nachdem die Jünglinge solchermaßen Zeugnis für die Auferstehung abgelegt haben, sterben sie. Einige Elemente der koranischen Erzählung von den aṣḥāb al-kahf erhalten vor dem Hintergrund der Siebenschläferlegende einen klaren Kontext: So etwa der Auftrag an einen der Jünglinge, Speise zu besorgen, oder die Angst vor ihrer Entdeckung. Auch die Bezeichnung der Jünglinge als „Leute der Inschrift“ (aṣḥāb ar-raqīm) könnte – wie auch in der traditionellen Exegese vermutet6 – ein Hinweis auf die Tafel sein, die vor der Höhle mit Angabe der Namen und Ereignisse platziert wurde. Ihre nominelle Kennzeichnung als Leute der Höhle und der Inschrift entspricht nach Sidney Griffith auch dem inhaltlichen

6  Wobei raqīm unter anderem auch als der Name eines Berges oder als eine Stadt gedeutet wird (vgl. Muḥammad b. Ǧarīr aṭ-Ṭabarī, Ǧāmiʿ al-bayān ʿan ta‌ʾwīl āy al-Qurʾān, hg. von ʿAbdullāh b. ʿAbd al-Muḥsin at-Turkīy, Band 15, Kairo 2001/1422, 158-161).

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Kern der verarbeiteten Legende bei Jakob von Sarug.7 Auch die koranische Feststellung, dass die Entdeckung der Jünglinge die Verheißung Gottes vom Endgericht bestätigt, kann man als Anspielung auf den Kontext der Siebenschläferlegende verstehen: Denn die Entdeckung der Siebenschläfer beruhigt den Kaiser, da die Lehre von der leiblichen Auferstehung durch das Wunder bestätigt wird und somit die Irrlehre von der rein geistigen Auferstehung sich nicht mehr verbreiten kann. Und doch scheint die koranische Erzählung von den aṣḥāb al-kahf dezidiert enthistorisiert8: Die Stadt, die Namen der Beteiligten und der Erzählrahmen aus der Siebenschläferlegende sind komplett ausgeblendet. Die Ereignisse um die Jünglinge spiegeln weniger das typische Szenario des christlichen Martyriums wieder9, sondern entsprechen prototypisch der Auseinandersetzung zwischen gläubigen Monotheisten und ungläubigen mušrikūn. Nun kommen in der koranischen Erzählung der aṣḥāb al-kahf Elemente hinzu, die aus der Siebenschläferlegende nicht bekannt sind: so etwa das Rechts- und Linkswenden der schlafenden Jünglinge und der Sonne. Ebenso wundert es, dass Gottes Handeln in Bezug auf die Jünglinge als Test zur Bestimmung der Verweildauer im Zustand des Schlafes verstanden wird. Die neue Stoßrichtung des koranischen Siebenschläfernarrativs und die damit einhergehende Einführung neuer Motive wird erst verständlich, wenn man sich eine sehr bekannte Trias antiker Gleichnisse vergegenwärtigt: das Höhlen-, Sonnen- und Liniengleichnis in Platos Dialog Politeia.10 Anhand dieser Gleichnisse versucht Platon zu exemplifizieren, über welche ethischen und epistemischen Kompetenzen der weise Philosoph verfügen muss. Den Kulminationspunkt der Gleichnistrias bildet das Höhlengleichnis, in dem 7  Vgl. Sidney Griffith, Christian Lore and the Arabic Qurʾān: The ‚Companions of the Cave‘ in Sūrat al-Kahf and in Syriac Christian Tradition. In: Gabriel Said Raynolds (Hg.), The Qurʾān in its historical context, London 2008, 116-134, hier 125 ff.; Griffith verweist auch auf die grammatische Form von raqīm als Syriazismus; für die englische Übersetzung des von Jakob von Serugh verfassten syrischen Gedichts über die Siebenschläfer und dessen rezeptionsgeschichtliche Anknüpfungspunkte siehe Sebastian P. Brock, Jacob of Serugh’s poem on the Sleepers of Ephesus. In: Pauline Allen/Majella Franzmann (Hg., u.a.), “I Sowed Fruits into Hearts” (Odes Sol. 17:13). Festschrift for Professor Michael Lattke, Strathfield 2007, 13-30. 8  Vgl. auch Koloska, Offenbarung, 81 ff. 9  Vgl. ebd., 78 ff. 10  Der Vergleich mit der platonischen Gleichnistrias impliziert nicht, dass ich von einem klaren rezeptionsgeschichtlichen Bezug der koranischen Siebenschläferlegende zu Platons Gleichnissen ausgehe. Vielmehr soll dieser Vergleich zeigen, dass die koranische Siebenschläferlegende formal – ebenso wie die platonische Gleichnistrias – als Wissensgleichnis zu verstehen ist.

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Kapitel 6

b­ eschrieben wird, wie eine Mehrzahl von Personen in einer Höhle festgekettet sind: Nächstdem, sprach ich, vergleiche dir unsere Natur in Bezug auf Bildung und Unbildung folgendem Zustande. Sieh nämlich Menschen wie in einer unterirdischen, höhlenartigen Wohnung, die einen gegen das Licht geöffneten Zugang längs der ganzen Höhle hat. In dieser seien sie von Kindheit an gefesselt an Hals und Schenkeln, so daß sie auf demselben Fleck bleiben und auch nur nach vorne hin sehen, den Kopf aber herumzudrehen der Fessel wegen nicht vermögend sind. Licht aber haben sie von einem Feuer, welches von oben und von ferne her hinter ihnen brennt. Zwischen dem Feuer und den Gefangenen geht obenher ein Weg, längs diesem sieh eine Mauer aufgeführt wie die Schranken, welche die Gaukler vor den Zuschauern sich erbauen, über welche herüber sie ihre Kunststücke zeigen. – Ich sehe, sagte er. – Sieh nun längs dieser Mauer Menschen allerlei Geräte tragen, die über die Mauer herüberragen, und Bildsäulen und andere steinerne und hölzerne Bilder und von allerlei Arbeit; einige, wie natürlich, reden dabei, andere schweigen. – Ein gar wunderliches Bild, sprach er, stellst du dar und wunderliche Gefangene. – Uns ganz ähnliche, entgegnete ich.11

Sokrates legt dar, dass die derart gefesselten Personen nie über die wahren Umstände, der von ihnen gesichteten Objekte, Erkenntnis erlangen werden. Erst wenn einer der Höhlenbewohner befreit wird und aus der Höhle ins Tageslicht gelangt, wird er seine vorherige Unwissenheit erkennen: Nun betrachte auch, sprach ich, die Lösung und Heilung von ihren Banden und ihrem Unverstande, wie es damit natürlich stehen würde, wenn ihnen folgendes begegnete. Wenn einer entfesselt wäre und gezwungen würde, sogleich aufzustehen, den Hals herumzudrehen, zu gehen und gegen das Licht zu sehn, und, indem er das täte, immer Schmerzen hätte und wegen des flimmernden Glanzes nicht recht vermöchte, jene Dinge zu erkennen, wovon er vorher die Schatten sah: was, meinst du wohl, würde er sagen, wenn ihm einer versicherte, damals habe er lauter Nichtiges gesehen, jetzt aber, dem Seienden näher und zu dem mehr Seienden gewendet, sähe er richtiger, und, ihm jedes Vorübergehende zeigend, ihn fragte und zu antworten zwänge, was es sei? Meinst du nicht, er werde ganz verwirrt sein und glauben, was er damals gesehen, sei doch wirklicher als was ihm jetzt gezeigt werde? – Bei weitem, antwortete er. – Und wenn man ihn gar in das Licht selbst zu sehen nötigte, würden ihm wohl die Augen schmerzen, und er würde fliehen und zu jenem zurückkehren, was er anzusehen imstande ist, fest überzeugt, dies sei in der Tat deutlicher als das zuletzt Gezeigte? – Allerdings. – Und, sprach ich, wenn ihn einer mit Gewalt von dort durch den unwegsamen und steilen Aufgang schleppte und nicht losließe, bis er ihn an das Licht der Sonne gebracht hätte, wird er nicht viel Schmerzen haben und sich gar ungern schleppen lassen? Und wenn er nun an das Licht kommt 11  Ursula Wolf (Hg.), Platon, Sämtliche Werke, Band 2, übersetzt von Friedrich Schleiermacher, Hamburg 200631, 420 [514a-515a].

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und die Augen voll Strahlen hat, wird er nicht das Geringste sehen können von dem, was ihm nun für das Wahre gegeben wird. – Freilich nicht, sagte er, wenigstens nicht sogleich. – Gewöhnung also, meine ich, wird er nötig haben, um das Obere zu sehen. Und zuerst würde er Schatten am leichtesten erkennen, hernach die Bilder der Menschen und der andern Dinge im Wasser, und dann erst sie selbst. Und hierauf würde er was am Himmel ist und den Himmel selbst leichter bei Nacht betrachten und in das Mond- und Sternenlicht sehen als bei Tage in die Sonne und in ihr Licht.12

Sokrates löst das Höhlengleichnis auf, indem er es mit den zuvor bereits erzählten Sonnen- und Liniengleichnis verbindet. Die Höhle markiert – wie ein Abschnitt der Linie im Liniengleichnis – den Bereich des Wissens als doxa, also dasjenige, was wir aufgrund unserer Vermutungen und unserer sinnlichen Wahrnehmung zu wissen glauben. Dagegen entspricht der Bereich des Tageslichts dem Linienabschnitt der episteme oder noesis, also das geistige und vernunftbasierte Wissen der Geometrie etc. Des Weiteren symbolisiert die Sonne aus dem Sonnengleichnis in abgestufter Form (Feuer in der Höhle/Tageslicht) die Bedingung der Möglichkeit des ethischen und epistemischen Wissens. Das Höhlengleichnis beschreibt somit den Erkenntnisprozess von der doxa zur episteme. Während die platonische Gleichnistrias den Erkenntnisprozess im umfassenden Sinne beschreibt, dient die koranische Erzählung der aṣḥāb al-kahf zur Versinnbildlichung der eschatologischen Heilserkenntnis. Die zusätzlichen Erzählelemente der koranischen Siebenschläferlegende haben eine ähnliche Funktion wie die entsprechenden Motive aus der platonischen Gleichnistrias. Die paronomastische und rhetorische Einführung der Erzählung von den aṣḥāb al-kahf als ʿaǧīb bzw. ʿiwaǧan erinnert mit der Frage der geometrischen „Krümmung“ oder Geradheit des Heilsweges an die senkrechte und gerade Linie im Liniengleichnis, die auch zur epistemischen Trennung der Wissensbereiche dient. Der Wunsch der Jünglinge nach rašad ist ebenso doppeldeutig: Zum einen wird auf die Siebenschläferlegende und die Verfolgung der Christen angespielt, die um ihre Zuflucht bitten. Zum anderen konnotiert der Begriff des rašad bzw. rušd auch die Begriffsmatrix der rechten Erkenntnis und des rechtgeleiteten Weges. So demonstriert etwa Abraham in der spätmittelmekkanischen Sure al-ʾanbiyāʾ mit seinem Handeln die Gotteserkenntnis und personifiziert damit die ihm gegebene Einsicht (rušd). Auch die aṣḥāb al-kahf wünschen sich hier also die wahre Erkenntnis. Dass ihre koranische Erzählung dann auch als Gleichnis und nicht etwa als Straf- bzw. Rettungslegende aufgefasst werden soll, wird 12  Ebd., 421 f. [515c-516b].

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durch die Beschreibung des Einsetzens ihres Schlafes in der Höhle verdeutlicht: Wörtlich ist hier von dem „Schlagen auf ihren Ohren / Versiegeln ihrer Ohren“ ( fa-ḍarabnā ʿalā ʾāḏānihim) die Rede. Ḍaraba wird auch innerhalb der koranischen Verkündigung zum terminus technicus für die Einführung von Gleichnissen (vgl. die entsprechende Einführung von Gleichnissen in derselben Sure: V. 32, 45). Und während es in Platos Sonnengleichnis der Gesichtssinn ist, welcher mit Hilfe der Sonne auch die epistemologische Erkenntniskonstellation versinnbildlicht, können es koranisch nur die Ohren sein, die – an Paulus erinnernd („Also ist der Glaube aus dem Hören, das Hören aber durch das Wort Christi“, Röm 10,17) – bildlich das Organ zur Rezeption der Verkündigung darstellen. Ihre Versiegelung bedient auch das koranische Bild von der Taubheit der Ungläubigen (Q 2:18; 47:23)13, das auch im Mittelteil der Sure al-kahf in Anschlag gebracht wird (V. 57): 57 Wir haben auf ihren Herzen Hüllen gelegt, sodass sie es nicht verstehen, und in ihre Ohren Taubheit. Wenn du sie zur Rechtleitung aufrufst, dann werden sie sich nie rechtleiten lassen. Im Rahmen der Erzählung von den aṣḥāb al-kahf wird solchermaßen darauf hingewiesen, dass die Jünglinge zunächst in einen Zustand der eschatologischen Naivität zurückversetzt werden. Die koranische Version der Siebenschläferlegende soll also nicht von den Heilstaten der göttlichen Zuwendung in der Geschichte berichten, sondern in Form eines Gleichnisses die rechtgläubige Erkenntnis symbolisieren. Deshalb wird als göttliche Intention für ihren Schlaf das Wissen (ʿilm) der beiden Parteien um die Verweildauer des Schlafes genannt. Hier geht es nicht um ein albernes Ratespiel. Während die zwei Parteien (ḥizbain) in der platonischen Gleichnistrias die Wissenden und Unwissenden um die episteme sind, werden koranisch im Sinne der eschatologischen Erkenntnis die zwei Parteien am Tag des Jüngsten Gerichts und das Wissen darum unterschieden. Die Befragung nach der Verweildauer spielt also auf die eschatologische Erkenntnis und die Frage nach dem Zeitpunkt des Jüngsten Gerichts an. Derart muss man auch die Bezeichnung der Jünglinge in der Höhle als aṣḥāb ar-raqīm nicht nur als Anspielung auf die Tafel in der Siebenschläferlegende verstehen, sondern auch im Sinne von raqm als Verweis

13  Hier wird aber ein anderes Verb als ḍaraba verwendet: ǧaʿalnā ʿalā qulūbihim ʾakinnatan ʾan yafqahūhu wa-fī ʾāḏānihim waqran.

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auf diejenige Gruppe, deren Leben auch um die Frage der numerischen Bemessung der eschatologischen Zeit kreist.14 Nachdem in einer Rückblende die Identifikation der Jünglinge als gläubige Monotheisten geklärt ist (V. 13-16), wird das Gleichnis von den aṣḥāb al-kahf mit der Einblendung der Bewegungen der Sonne vor der Höhle fortgesetzt (V. 17): 17 Und du siehst die Sonne, wenn sie aufgeht, dass sie nach rechts von ihrer Höhle weg neigt, und wenn sie untergeht, nach links von ihnen vorüberzieht. Sie sind in einer Ausbuchtung von ihr. Das ist eines von den Zeichen Gottes! Wen Gott rechtleitet, der ist rechtgeleitet, und wen er irren lässt, für den wirst du kein Freund finden, der auf den rechten Weg führt. Die Sonne hat hier dieselbe Funktion wie im Sonnen- und Höhlengleichnis in Platons Politeia. Dort repräsentiert sie als Idee des Guten überhaupt die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis. Koranisch hat die Sonne dieselbe transzendentale Funktion; nur dass es nun um die eschatologische Erkenntnis geht. Die Wendung der Sonne nach rechts und links bei ihrem Auf- und Untergang symbolisiert das eschatologische Wissen, das am Jüngsten Tag enthüllt wird. Frühmekkanisch kulminieren die Suren geradezu zur Proklamation dieses Wissens. Während die aṣḥāb al-yamīn („Gefährten zur Rechten“) die Gruppe der tugendhaften Gläubigen umfasst (Q 56:27,38), deren gute Handlungen schwerer wiegen, werden die frevelhaften Ungläubigen als aṣḥāb aš-šimāl („Gefährten zur Linken“) gekennzeichnet (Q 56:41). Entsprechend dienen diese räumlichen Koordinaten auch sonst der Kennzeichnung von Gläubigen und Ungläubigen zur eschatologischen Endzeit. Die sich nach links und rechts wendende Sonne im Gleichnis von den aṣḥāb al-kahf markiert als transzendentales Symbol das eschatologische Wissen. Sodann werden die Jünglinge selbst beschrieben (V. 18):

14  Entsprechend ist auch die von Bellamy vorgeschlagene Emendation von raqīm durch ruqūd („Schlaf“) abzulehnen (vgl. James Bellamy, Al-Raqīm or al-Ruqūd? A note on Sūrah 18:9. In: Journal of the American Oriental Society, Vol. 111, No. 1, 1991, 115-117). Denn die koranische Bezeichnung steht ganz im Dienste der gleichnishaften Neuakzentuierung der Siebenschläferlegende.

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18 Du meinst, sie seien wach, doch sind sie im Schlaf. Wir wenden sie herum, nach rechts und nach links. Und ihr Hund streckt seine Pfoten an der Schwelle aus. Wenn du sie erblicken würdest, dann würdest du die Flucht vor ihnen ergreifen, und über sie von Angst erfüllt sein. Man hat dieses Bild der schlafenden Jünglinge im Vergleich zur Siebenschläferlegende als seltsam und enigmatisch eingestuft: Inwiefern könnte man den Eindruck haben, dass diese doch nicht schlafen, sondern wach sind? Warum werden auch diese nach links und rechts gewendet? Und welche Bedeutung hat der Hund? Vergegenwärtigt man sich das Höhlengleichnis von Plato, dann wird die Stoßrichtung des koranischen Gleichnisses klarer: Die Bewohner der Höhle bei Plato sind in Ketten gelegt, sodass sie nur nach vorne blicken können. Auch sind diese ansonsten wach. Man kann diese Konstellation gegenüber der koranischen Beschreibung der Jünglinge kontrastieren: Der gerade Blick nach vorn ist indifferent oder steht für den eschatologisch ignoranten Menschen. Bei Plato ist damit die Erkenntnis auf Stufe der doxa gemeint. Das Wenden der Jünglinge in der Höhle nach rechts und links steht hier für die Entfaltung des eschatologischen Wissens; also der Sichtbarwerdung der Heilsrelevanz der eigenen Taten, die bei einem geraden Blick im irdischen Leben verdeckt bleiben. Man könnte auch den auf einer Schwelle (waṣīd) liegenden Hund im Kontext der Mauer im platonischen Höhlengleichnis betrachten, auf der die Gaukler auch Bildnisse von Tieren tragen, deren Schatten für die Höhlenbewohner sichtbar sind. Koranisch bleibt der Hund wie die Bildnisse und Geräte der Gaukler irdische Staffage für die mundane und naive Erkenntnis auf Ebene der doxa. Bei dem beschriebenen Szenario der koranischen Jünglinge wundert es auch nicht, dass ihr Anblick bei einem Beobachter zum Unwohlsein führen würde (V. 18). Das ist auch eine Anspielung auf die Reaktion der Menschen am Tag des Jüngsten Gerichts und der Entfaltung des eschatologischen Wissens. Schließlich wird expliziert, wie die Jünglinge erweckt werden und darüber sinnieren, welchen Zeitraum sie in der Höhle verbracht haben. Jedoch wird festgestellt, dass das diesbezügliche Wissen allein bei Gott ist. Man beschließt, dass einer der Jünglinge nun reine Speise besorgt, wobei derjenige darauf achten solle, dass man nicht entdeckt wird, da man ansonsten verfolgt und gesteinigt oder zum anderen Glauben gezwungen würde. Bis auf das Raten um die Verweildauer scheint die koranische Beschreibung der Auferweckung der Jünglinge auf die christliche Siebenschläferlegende zu verweisen: Wie

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die Märtyrer beschließt man, dass einer der Anwesenden Nahrung besorgt. Wie die Märtyrer ist man im festen Glauben, verfolgt zu werden. Denn die christlichen Märtyrer verweigern den heidnischen Opferdienst. Und doch hat die koranische Schilderung der Auferweckung der Jünglinge eine andere Note: Die Jünglinge werden nun nach ihrer Verweildauer befragt. Eigentlich fragen sie sich hier gegenseitig (tasāʾalū), doch die unpersönliche Anrede in der zweiten Person Plural („Wie lange habt ihr verweilt?“) – statt der ersten Person („Wie lange haben wir verweilt?“) – verweist auf einen besonderen – nämlich postmortalen – Kontext. Letzteres ist eine klare Anspielung auf die in den frühmekkanischen Suren beschriebene Befragung der Menschen am Tag des Jüngsten Gerichts. Wie an diesem Tag wird einem das irdische Leben wie eine Kurzweil erscheinen. Die Jünglinge stehen also symbolisch für diejenigen Menschen, die tatsächlich auferweckt wurden und eschatologische Kenntnis von ihren Taten haben. Die Besorgung von reiner Nahrung ist dann auch weniger als Anspielung auf die Gefahr des Verzehrs von Opferfleisch zu verstehen, sondern spielt auf das eschatologisch reine Mahl an, an dem die Gläubigen teilnehmen. Und die eschatologisch Wissenden müssen wie der aus der Höhle von Platos Gleichnis Geflohene darum fürchten, dass sie aufgrund ihres privilegierten Wissens verfolgt werden. So wird in Platos Politeia beschrieben: Auch das bedenke noch, sprach ich. Wenn ein solcher nun wieder hinunterstiege und sich auf denselben Schemel setzte: würden ihm die Augen nicht ganz voll Dunkelheit sein, da er so plötzlich von der Sonne herkommt? – Ganz gewiß. – Und wenn er wieder in der Begutachtung jener Schatten wetteifern sollte mit denen, die immer dort gefangen gewesen, während es ihm noch vor den Augen flimmert, ehe er sie wieder dazu einrichtet, und das möchte keine kleine Zeit seines Aufenthalts dauern, würde man ihn nicht auslachen und von ihm sagen, er sei mit verdorbenen Augen von oben zurückgekommen und es lohne nicht, daß man auch nur versuche hinaufzukommen; sondern man müsse jeden, der sie lösen und hinaufbringen wollte, wenn man seiner nur habhaft werden und ihn umbringen könnte, auch wirklich umbringen?15

Dass es koranisch in dem Gleichnis von den aṣḥāb al-kahf um die eschatologische episteme geht, wird dann auch explizit festgestellt: „So fügten wir es, dass man sie entdeckte, damit sie wüssten, dass die Verheißung Gottes wahr wird und dass es an der Stunde keinen Zweifel gibt.“ (V. 21). Während es also in Platos Politeia der homo politicus ist, dessen epistemologische Anforderungen anhand der Gleichnisse exemplifiziert werden, steht im Zentrum 15  Wolf (Hg.), Platon, Sämtliche Werke, Band 2, 422 f. [516e-517a].

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der koranischen Darstellung der Mensch als homo eschatologicus, der sich des waʿdu l-ḥisāb bzw. der waʿdu s-sāʿa gewiss wird bzw. sein sollte. Die gleichnishafte Wiedergabe der koranischen Siebenschläferlegende oder des koranischen Höhlengleichnisses geht mit der Temporalpartikel ʾiḏ in einer abschließenden Beurteilung über, die zum einen die realgeschichtliche Deutung der Ereignisse um die aṣḥāb al-kahf negiert und zum anderen apokalyptische Spekulationen abweist. In Anspielung auf ein womöglich errichtetes Heiligtum am Ort der Geschehnisse um die Siebenschläfer wird beschrieben, wie zwei Gruppen über den Bau eines Gebäudes (bunyān) oder einer Gebetsstätte (masǧid) streiten. Koloska vermutet, dass durch die Hervorhebung des göttlichen Wissens um die Intentionen der Beteiligten koranisch für den Bau „eines schlichten Grabes“ statt eines „Grabheiligtums“ plädiert wird.16 Tatsächlich wird in der sehr späten medinensischen Sure at-tauba die Frage des Baus von Gebetsstätten und Gebäuden wieder aufgegriffen. Dabei werden sowohl der Begriff masǧid, als auch der Begriff bunyān verwendet. Während letzterer als genus proprium Gebäude überhaupt kennzeichnet, bezeichnet ersterer als differentia specifica eine bestimmte Art von Gebäuden als Gebetsstätte. Es wird für jede Art von Gebäuden festgestellt, dass die Intention ihres Baus entscheidend ist (Q 9:107-110). In der Sure al-kahf sollte man auch masǧid und bunyān nicht konträr verstehen. Gemäß der in den kommenden Versen folgenden Betonung des exklusiven göttlichen Wissens (V. 21, 22, 26) soll die realgeschichtliche Bezugnahme auf die Ereignisse um die Siebenschläfer negiert werden. Es macht keinen Sinn, über die Funktion und die Form des Gebäudes zu spekulieren, da die realgeschichtliche Reflexion über die Siebenschläfer aus koranischer Perspektive absurd ist. Man würde sich dann so verhalten, als ob man nach der Höhle aus Platos Höhlengleichnis sucht und dieses realgeschichtlich versteht. Als zweite realgeschichtliche Spekulation wird die Frage der numerischen Zusammensetzung der aṣḥāb al-kahf zurückgewiesen (V. 22): 22 Sie werden sprechen: „Drei, der Vierte von ihnen war ihr Hund!“ Andere werden sprechen: „Fünf, der Sechste von ihnen war ihr Hund!“ – Ein Herumstochern im Verborgenen! – Andere werden sprechen: „Sieben, der Achte von ihnen war ihr Hund!“ Sprich: „Mein Herr weiß am besten über ihre Zahl Bescheid!“ Nur wenige wissen etwas über sie! 16  Vgl. Koloska, Offenbarung, 74.

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 So streite nicht über sie, außer mit offenkundigen Argumenten! Und frag keinen von ihnen über sie! Wenn koranisch die Siebenschläferlegende als Gleichnis verkündigt wird, dann ist jegliches Interesse an dessen historischen Realien absurd. Auffällig ist der futurische Verweis auf eine derartige Spekulation hinsichtlich der personalen Zusammensetzung. Es liegt nahe, hierin auch eine Abweisung der Spekulation über die politisch-messianischen Ereignisse zur eschatologischen Endzeit zu sehen. Die in den spätmittelmekkanischen Suren verarbeiteten Erzählstoffe um Alexander, David und Salomo sind zurzeit der Verkündigung für die Deutung der realpolitischen Geschehnisse wie die Eroberung Jerusalems durch die Perser und der damit verbundenen endzeitlich-messianischen Erwartungen eminent gewesen. Dabei spielte natürlich die Endzeitvision aus dem Buch Daniel und die Frage der Deutung der vier Tiere und deren jeweilige Identifikation mit den weltlichen Reichen eine wichtige Rolle: Inwiefern ist Herakleios als Alexander und das byzantinische Imperium als das vierte Reich der Endzeit zu verstehen? Erst vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum an der Frage der personalen Zusammensetzung einer Gruppe derart viel Anstoß genommen wird. Dass es womöglich drei Personen waren und der vierte ihr Hund, lässt sich auch als ridikülisierende Lesart von apokalyptischen Spekulationen über die Vision aus Daniel erklären: Ich schaute in meiner Vision in der Nacht, und siehe, die vier Winde des Himmels wühlten das große Meer auf. Und vier große Tiere stiegen aus dem Meer herauf, jedes verschieden vom anderen. Das erste war wie ein Löwe und hatte Adlerflügel; […] Und siehe, ein anderes, ein zweites Tier, war einem Bären gleich. Und es war auf der einen Seite aufgerichtet und hatte in seinem Maul drei Rippen zwischen seinen Zähnen. […] Nach diesem schaute ich, und siehe, ein anderes, wie ein Leopard: das hatte vier Vogelflügel auf seinem Rücken. Und das Tier hatte vier Köpfe, und Herrschaft wurde ihm gegeben. […] Und siehe, ein viertes Tier, furchtbar und schreckenerregend und außergewöhnlich stark, und es hatte große eiserne Zähne; es fraß und zermalmte, und den Rest zertrat es mit seinen Füßen. Und es war verschieden von allen Tieren, die vor ihm waren, und es hatte zehn Hörner. […] (Dan 7,2-8).

Anstelle einer furchteinflößenden Chimäre steht im Koran ein Hund. Diese animalische Verniedlichung und die damit einhergehende Abweisung apokalyptischer Spekulationen kann zumindest als ein Teilaspekt der Negierung der realgeschichtlichen Interpretation der Siebenschläferlegende verstanden werden. Diese beiden Aspekte treten auch bei der Frage der Verweildauer der Jünglinge in der Höhle hervor (V. 25 f.):

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25 Sie verweilten in ihrer Höhle drei Hundert Jahre, und neun dazu. 26 Sprich: „Gott weiß am besten, wie lange sie verweilten.“ Ihm gehört das Verborgene der Himmel und Erde, wie volltrefflich er sieht und hört! Sie haben keinen Vertrauten außer ihm, und er lässt keinen an seiner Herrschaft teilhaben. Hier wird also die zunächst thetisch formulierte Verweildauer von 309 Jahren17 durch den Verweis auf das überlegene, göttliche Wissen zugleich zurückgenommen.18 Jegliches ernsthafte Bemühen um die realgeschichtliche Bestimmung der Chronologie der Ereignisse wird damit negiert. Denn die Überlegenheit und das Privileg des göttlichen Wissens beziehen sich nicht auf das profane Wissen eines Chronisten. Es geht um das Wissen der eschatologischen Zeit, das allein bei Gott ist: Wann die Stunde beginnt, das weiß nur Gott allein! Im Rahmen der koranischen Schlussbetrachtungen zum Gleichnis der Siebenschläfer fällt auch parenthetisch eine Aufforderung auf, die hermeneutisch die Gleichnisse und Erzählungen im Mittelteil der Sure verbindet. Im Energicus wird dazu aufgefordert, das eigene Handeln in den Dienst göttlichen Willens zu stellen (V. 23 f.): 17  Es ist wahrscheinlich, dass es sich bei dieser Zeitangabe um eine direkte Wiedergabe einer fremden Aussage in wörtlicher Rede handelt, die negiert werden soll. Entsprechend wird überliefert, dass hier im muṣhaf des Ibn Masʿūd zu Beginn von Vers 25 wa-qālū („Und sie sprachen/sprechen“) stand (vgl. ʿAbd al-Laṭīf al-Ḫaṭīb, Muʿǧam al-qirāʾāt, Band 5, 186). Derart würden V. 25 f. genau der Argumentation in V. 22 entsprechen, wo die spekulativen Aussagen über die Anzahl der Gefährten explizit als wörtliche Rede wiedergegeben und negiert werden. 18  Reynolds trägt in seinem Kommentar der Tatsache nicht genügend Rechnung, dass im folgenden Vers der Versuch der Angabe einer exakten Verweildauer wieder relativiert wird (vgl. Gabriel Said Reynolds, The Qurʾān & the Bible. Text and Commentary, New Haven 2018, 457 f.). Dabei stellt er selber fest, dass koranisch eine Antwort über die Anzahl der Gefährten in der Höhle fehlt. Übrigens wird die Zahl 309 als Jahresangabe für die Auferweckung der Schläfer in einer Dionysius von Tell Mahre zugeschriebenen Chronik aus dem achten Jahrhundert genannt, wobei aus dem Kontext nicht ganz klar wird, ob damit nicht doch eher die Verweildauer gemeint ist: „Kehren wir zur Ordnung unserer Geschichtsdarstellung zurück … Jahre (?). Am Rand da schließt der Abschnitt von der Geschichte der Jünglinge von der Stadt Ephesus: daß diese Jünglinge von Ephesus geschlafen haben und dann aufgeweckt worden sind.. 309 in den Tagen Theodosius‘ des Jüngeren“ (Arthur Allgeier, Die älteste Gestalt der Siebenschläferlegende. In: Oriens Christianus, Vol. 7-8, 1918, Neue Serie, 33-87, hier 87). Diese Angabe könnte koranisch inspiriert sein oder auf eine ältere Quelle zurückgehen, auf die auch der Koran Bezug nimmt.

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23 Und sag ja nicht von einer Sache: „Ich tue das morgen!“, 24 ohne hinzuzufügen: „Gott möge es wollen!“ Gedenke deines Herrn, wenn du es vergessen hast, und sprich: „Vielleicht führt mich mein Herr zu etwas, dass näher am rechten Weg ist, als dies“. Die aṣḥāb al-kahf stehen paradigmatisch für den Prototyp des gläubigen Menschen, der wie von Gott gefordert stets um den rechten Weg und die rechte Einsicht (rašad) bittet (V. 10). Derart sollte man auch verbatim sämtliche Handlungen unter das Primat des göttlichen Willens stellen, der allein ein gelungenes Leben (eudaimonia) ermöglicht, dessen telos die eschatologische Auflösung sämtlicher Taten ist. Im Surenverlauf folgt nun ein Prophetenzuspruch (V. 27 f.) und die kurze Einblendung eines eschatologischen Doppelbildes der Seligen und Ungläubigen (V. 29-31). Den aṣḥāb al-kahf wird nun explizit in einem Gleichnis der Antitypos des frevelhaften Menschen gegenübergestellt, der eschatologisch unwissend ist und der Hybris seiner eigenen Bestimmungsmacht frönt (V. 32): 32 Prägen ihnen ein Gleichnis von zwei Männern. Wir gaben einem von beiden zwei Gärten mit Weinstöcken, umsäumten sie mit Palmen, und machten zwischen ihnen ein Saatfeld. Im Rausch seines Reichtums bekennt der reiche Gartenbesitzer gegenüber dem vermeintlich armen Mann seine eschatologische Ignoranz und Hybris (V. 34 ff.): 34 Und er hatte einen Gewinn. Da sprach er zu seinem Gefährten, während er sich mit ihm unterhielt: „Ich habe mehr Reichtum als du, und bin stärker an Männern.“ 35 Er betrat seinen Garten, und frevelte dabei gegen sich selbst. Er sprach: „Ich glaube nicht, dass dieser je zugrunde geht, 36 noch glaube ich, dass die Stunde eintreffen wird. Und wenn ich zu meinem Herrn zurückgebracht werde, dann werde ich besseres als diesen als Ort der Einkehr finden!“

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Der gläubige Gefährte mahnt den reichen Gartenbesitzer vor seinem ungläubigen Habitus. Sein Glaube an den ewigen Bestand seines Reichtums und der diesseitigen Welt sei eine nicht zu hinnehmende Form der Beigesellung (širk) (V. 37 f.). Der alleinige Schöpfer könne dem reichen Gartenbesitzer alles unversehens wieder nehmen. Dieser hätte sein eigenes Handeln in die Verfügungsmacht Gottes stellen sollen (V. 39): 39 Hättest du doch, als du in deinen Garten gingst, gesprochen: ‚Was Gott will, Es gibt keine Macht außer bei Gott!‘ Und so tritt auch das Unglück für den reichen Gartenbesitzer ein: Sein ganzer Besitz fällt einer göttlichen Abrechnung anheim, sodass er seinen eigenen Frevel zugeben muss (V. 42). Man hat auf die Ähnlichkeit dieses koranischen maṯal mit dem Gleichnis vom reichen Kornbauer aus dem Lukasevangelium verwiesen19: Er sagte aber ein Gleichnis zu ihnen und sprach: Das Land eines reichen Menschen trug viel ein. Und er überlegte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Denn ich habe nicht, wohin ich meine Früchte einsammeln soll. Und er sprach: Dies will ich tun: Ich will meine Scheunen niederreißen und größere bauen und will dahin all mein Korn und meine Güter einsammeln; und ich will zu meiner Seele sagen: Seele, du hast viele Güter liegen auf viele Jahre. Ruhe aus, iss, trink, sei fröhlich! Gott aber sprach zu ihm: Du Tor! In dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Was du aber bereitet hast, für wen wird es sein? So ist, der für sich Schätze sammelt und nicht reich ist im Blick auf Gott. (Lk 12,16-21)

Die koranische Beschreibung des reichen Gartenbesitzers als Sünder gegen die eigene Seele (ẓālimun li-nafsihī) passt bestens zur Kennzeichnung des reichen Kornbauern. Auch wenn sich die koranische Erzählkonstellation etwas verschoben hat (zwei Gartenbesitzer etc.), so entspricht sich auf der Sachhälfte jeweils das Verhalten der Protagonisten beider Gleichnisse: Sie sind vom Bestand ihrer irdischen Besitztümer und der damit einhergehenden Genügsamkeit des diesseitigen Lebens überzeugt. An einem entscheidenden Punkt hat das koranische Gleichnis jedoch eine neue Akzentuierung erfahren: Dem reichen Gartenbesitzer wird nicht sein schon bald eintretender Tod verkündet, sondern die Vergänglichkeit seines Besitzes. Dagegen droht Gott dem reichen Kornbauer im Lukasevangelium mit dessen Tod am selben Tag. Diese 19  Vgl. Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, 433f.; Martin Bauschke, Der Sohn Marias. Jesus im Koran, Darmstadt 2013, 62 f.

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eschatologische Naherwartung der basileia-Verkündigung in den Evangelien bleibt der koranischen Rede doch eher fremd. Es geht hier eher um die Faktizität des eschatologischen Endgerichts und um das Bewusstsein um die dereinstige eschatologische Rechenschaft, die jeder leisten muss. Diese sollen zu einer entsprechenden Lebensführung verleiten: Der Einzelne sollte sein eigenes Leben immer in der Verfügungsmacht von Gottes Willen stellen. Die grundsätzliche Vergänglichkeit allen Lebens steht im Kontrast zum eschatologischen Gewicht der eigenen Taten, weshalb das auf die eigene Heilsbilanz hin orientierte Leben entscheidender ist. Das zweite Gleichnis im Anschluss verdeutlicht diesen Zusammenhang: 45 Und präge für sie das Gleichnis des diesseitigen Lebens. Es ist wie Wasser, dass wir vom Himmel herabkommen lassen, dann vermischen sich mit ihm die Pflanzen der Erde. Schließlich wird es zur Spreu, das die Winde verwehen. Gott hat Macht über alle Dinge. 46 Reichtum und Söhne sind der schöne Schein des diesseitigen Lebens. Das Bleibende, die guten Taten, werden bei deinem Herrn besser belohnt und geben bessere Hoffnung. Die Persistenz der eigenen Taten wird in den folgenden Versen durch die konzise Einblendung der tatsächlichen Entfaltung der Lebensbilanz am Jüngsten Tag vor Augen geführt: 49 Das Buch wird vorgelegt, und Du wirst sehen, wie die Übeltäter in Sorge über das sind, was in ihm ist. Sie sprechen: „Wehe uns, was ist mit diesem Buch?  Es übergeht nichts kleines und nichts großes, ohne es aufzuzählen!“ Und sie finden vor, was sie getan haben. Dein Herr tut niemandem unrecht. In einem polemischen Zwischenteil wird die uranfängliche Hybris des Iblīs eingeblendet, als dessen frevelhafte Anhänger und in dessen Gefolgschaft die Ungläubigen gemahnt werden (V. 50). Wie jeden anderen Teilhaber kann sie keine Entität vor der eschatologischen Strafe bewahren (V. 52 f.). Mehrere Verse fassen sodann den typischen Verlauf der heilsgeschichtlichen Zusage Gottes an die Menschen durch seine Gesandten und deren Ablehnung sowie

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göttliche Vergeltung zusammen (V. 55-59). Auffällig ist, dass in der nahezu exakten numerischen Mitte der ganzen Sure al-kahf folgender Vers steht20: 54 Wir haben in dieser Lesung für den Menschen allerlei Gleichnisse abgeleitet. Doch ist der Mensch über die meisten Dinge im Streit. Dieser selbstreferentielle Vers zur koranischen Gleichnisrede steht nicht zufällig an dieser exponierten Stelle und ist ein weiteres Indiz dafür, dass nicht nur die in der Sure al-kahf explizit als maṯal bezeichneten Erzählungen einen Gleichnischarakter haben, sondern sämtliche Narrative innerhalb der Gesamtsure.21 So auch die folgenden Schilderungen über Moses und den Zweigehörnten (ḏū l-qarnain) (V. 60-98). Über die intertextuellen Bezüge dieser koranischen Erzählungen und die Identifikation des jeweiligen Protagonisten gibt es in der westlichen Forschung und innerhalb der muslimischen Tradition ganz unterschiedliche Auffassungen.22 Deshalb seien hier einige Präliminaria zur folgenden Analyse angebracht: Entscheidend für das Verständnis der koranischen Erzählungen über Moses und ḏū l-qarnain ist ihre surenimmanente Verortung und ihre Kontextualisierung im Rahmen der spätmittelmekkanischen Suren. Des Weiteren erweisen sich insbesondere zwei syrischsprachige Texte zur Alexandersage, die sog. Alexanderlegende und das Alexanderlied, als eminent für die Profilierung der koranischen Version dieses Erzählstoffes.23 Beide Texte wurden in der neueren Forschung in die 20er bis 30er Jahre des siebten nachchristlichen Jahrhunderts datiert, wobei hier die Frage der Datierung vor dem Hintergrund der koranischen Verkündigung zumindest reevaluiert werden müsste.24 Entscheidender sind jedoch die offensichtlichen Rückbezüge der koranischen Verkündigung selbst, die es herauszuarbeiten gilt. 20   Würde man sich textkritisch für eine bestimmte Kombination der traditionellen Versabteilungen in der Sure entscheiden, dann würde dieser Vers von der Verszählung her sogar in der exakten Mitte stehen! (Für eine Übersicht der in dieser Sure vorgeschlagenen Abweichungen in der Versabteilung siehe Angelika Neuwirth, Studien zu Komposition der mekkanischen Suren, Berlin 2007, 38 f.). 21  Die Narrative im Mittelteil der Sure stellen also insgesamt gleichnishafte Ableitungen (taṣrīf) zum Diskurs über das eschatologische Wissen dar. 22  Für einen Überblick siehe Koloska, Offenbarung, 123-158. 23  Vgl. Griffith, Christian Lore and the Arabic Qurʾān, 109-137; Kevin van Bladel, The Alexander Legend in the Qurʾān. In: Gabriel Said Reynolds (Hg.), The Qurʾān in its historical context, Abingdon 2008, 175-203. 24  Siehe Kapitel 6.1.

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Rein inhaltlich lässt sich die Erzählung über Moses in zwei Teile gliedern: Seine Reise mit einem Jüngling (V. 60-64) und seine Erlebnisse mit einem Gottesdiener (V. 65-82). Im ersten Teil spricht Moses zu einem Jüngling und bekennt, dass er nicht eher ruhen möchte, bis er den Ort des Zusammenflusses zweier Meere (maǧmaʿa l-baḥrain) erreicht (V. 60). Als sie zu diesem Ort gelangen, vergessen sie einen mitgenommenen Fisch, der ins Meer enteilt (V. 61). Als beide sich später ausruhen und speisen möchten, bittet Moses seinen Jünger um den Fisch (V. 62). Dieser erinnert sich, dass man diesen bei einer vorherigen Rast vergessen hat und dass dieser auf wundersame Art im Meer verschwunden ist (V. 63). Als Schuldigen für die eigene Vergesslichkeit nennt der Jüngling den Satan (aš-šaiṭān). Moses stellt fest, dass man erlangt habe, was man begehrte und beide kehren auf ihren Weg um (V. 64). Wie die Erzählung über die aṣḥāb al-kahf erscheint diese erste Episode um Moses und seinem Jüngling als änigmatisch. Es ist seltsam bzw.ʿaǧīb, wie der Fisch beiden Protagonisten enteilt. Es gab in der westlichen Forschungsliteratur unzählige Versuche der Kontextualisierung dieser Episode mit älteren Erzählstoffen: Gilgamesch-Epos, Alexandersage etc.25 Aufgrund der Stoßrichtung und der inhaltlichen Entsprechungen erweist sich die Lebensquellsage im syrischen Alexanderlied als sehr wahrscheinlicher Anknüpfungspunkt für die koranische Darstellung26: Darin beschließt Alexander die Grenzregionen der Welt zu erkunden. In nördlichen Gefilden wird Alexander von einem der Ältesten der dortigen Bewohner nach seinem Reisemotiv gefragt. Dieser gesteht, dass er nach der Lebensquelle sucht, die unsterblich macht. Der Älteste rät Alexander, dass er seinen Koch beauftragt, einen gesalzenen und getrockneten Fisch in das Land der Finsternis mitzunehmen. Alexander kommt dem nach und bittet den Koch, dass er den Fisch mit dem Wasser der unterschiedlichen Quellen waschen soll. Wenn dieser lebendig würde, dann hätte man die Lebensquelle gefunden. Nach mehreren vergeblichen Versuchen die Quelle zu finden, wird der Fisch lebendig und entwischt dem Koch ins Meer. Er folgt dem Fisch ins Wasser, doch kann er ihn nicht finden. Daraufhin versucht er den König auf sich aufmerksam zu machen, was ihm schließlich gelingt. Alexander freut sich, dass man die Quelle gefunden hat. Als er diese jedoch aufsuchen und darin baden möchte, wird er auf wundersame Weise davon abgehalten. Sein Scheitern bekümmert Alexander, doch beruhigt ihn der Älteste, dass Gott sich nicht von Alexander abgewandt hat. Alexanders Weg führt ihn schließlich zu dem Grenzgebiet, das an das Reich der Agogiten und Magogiten angrenzt, wo er eine Mauer errichtet. 25  Vgl. Koloska, Offenbarung: 136-143. 26  Vgl. Reinink (Editor/Übersetzer), Das syrische Alexanderlied (Übersetzung), 24 f., 48-62.

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Die Lebensquellsage dient dem Autor des Alexanderlieds, um die eigentliche Rolle Alexanders als eschatologisch relevante Figur herauszuarbeiten. Seine durch Gott verfügte Bestimmung ist eine andere als die Erlangung von Unsterblichkeit: […] Alexander’s wish to go to the distant regions of the earth is determined by two secrets. The first of these is Alexander’s desire to bathe in the source of life in the land of darkness, and therby acquire immortality. The other secret is his divine mission to build a gate against the eschatological peoples (Gog and Magog). The homiletic objective of the Poem is to demonstrate that both secrets are in fact irreconcilable. For God will use the eschatological peoples, the ‘evil from the north’ prophesied by Jeremiah, to destroy the kingdoms of the world and bring the earthly kingship to an end. Divine Providence prevented Alexander from finding the source of life, since eternal life does not belong to this mortal and woeful life, but to the coming age of the eternal kingdom of heaven.27

Es ist diese Lesart der Lebensquellsage beim Alexanderlied, die auch die ansonsten erratisch bleibende Erzähllogik der Mose-Episode mit seinem Jüngling erhellt: Der Jüngling gesteht ein, dass es der Teufel war, der ihm den Fisch vergessen ließ. Danach stellt Mose fest, dass man erhalten hat, was man begehrte und geht dann weiter seines Weges. So wie Alexander auch eingestehen muss, dass es nicht dessen göttliche Bestimmung und der göttliche Wille ist, Unsterblichkeit zu erlangen, so stellt auch der Jüngling von Moses fest, dass der Teufel ihn nicht nur vergesslich gemacht hat, sondern sie auch bisher auf den falschen Weg leitete. Es fallen weitere Parallelen in der koranischen Erzählung von Moses und seinem Jüngling mit der Lebensquellsage im Alexanderlied auf. Die Bezeichnung von Alexanders Koch weicht in den unterschiedlichen Rezensionen des Liedes voneinander ab: Mal ist es wörtlich ein Koch (magersā), ein Diener (ʿabdā), ein Bäcker (naḥtūmā) oder jemand vom Volk (ʿammā), der ihm zu Diensten steht.28 Der Begleiter von Moses wird im Koran als fatan bezeichnet: Ein Begriff der das Bedeutungsspektrum von Diener, Jüngling, Sklave etc. hat.29 Und die Tatsache, dass Moses den Jüngling bittet, den Fisch zur Speise herauszuholen, bestätigt seine Funktion als Koch, wie in der Lebensquellsage. Übrigens sucht ja Moses im zweiten Teil der Erzählung 27  Gerrit J. Reinink, Alexander the Great in Seventh-Century Syriac ‘Apocalyptic’ Texts. In: Ders. (Hg.). Syriac Christianity under Late Sasanian and Early Islamic role, Aldershot 2005, 150-178, hier 166. 28  Vgl. Reinink (Editor/Übersetzer), Das syrische Alexanderlied (Übersetzung), 53, I, Anm. 5; ders., Das syrische Alexanderlied. Die drei Rezensionen (Ausgabe), Lovanii 1983, 46-48, jeweils Verse 166, 170, 180 (I), 187 (II), 176 (III). 29  Vgl. Arne A. Ambros/Stephan Procházka, A Concise Dictionary of Koranic Arabic, Wiesbaden 2004, 209.

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der Sure auch einen ʿabd (Diener) auf. Das Entschwinden des Fisches im Koran scheint eine Anspielung auf dessen Wiederbelebung in der Lebensquellsage zu sein. Bei all diesen Übereinstimmungen gibt es auch auffällige Unterschiede in der koranischen Version der Lebensquellsage: Namentlich wird nicht Alexander, sondern Moses als Protagonist der Erzählung genannt. Ansonsten ist, wie man oft festgestellt hat, der koranische Bericht völlig enthistorisiert.30 Wirkliche Angaben über die Hintergründe der Reise von Moses und seinem Jüngling werden nicht gemacht, weshalb der Bericht änigmatisch bleibt. Um diese Veränderungen und die enthistorisierende Tendenz der koranischen Version der Lebensquellsage zu verstehen, hilft es, diese surenimmanent zu verorten. Dabei muss man auf diejenige Aussage in der Sure rekurrieren, die auch den hermeneutischen Schlüssel für die bis dato erzählten Gleichnisse birgt. Nämlich Vers 23 f.: 23 Und sag ja nicht von einer Sache: „Ich tue das morgen!“, 24 ohne hinzuzufügen: „Gott möge es wollen!“ Gedenke deines Herrn, wenn du es vergessen hast, und sprich: „Vielleicht führt mich mein Herr zu etwas, dass näher am rechten Weg ist, als dies“. Die ganze Episode um Moses und den Jüngling steht wie beim Weingartenbesitzer exemplarisch für jemanden, der eben nicht seinen Lebensweg (sabīl) unter dem Vorbehalt göttlichen Willens stellt und für den Fall, dass er es vergessen hat, nachsichtig um göttliche Leitung bittet. Der Koran hat also aus der Lebensquellsage ein Gleichnis gemacht. Deshalb ist auch Alexander namentlich gestrichen und durch Moses ersetzt. Eine typologische Verschiebung, die angesichts der Identifizierung von Moses als Zweihörnigen seit der Übersetzung der Bibel ins Lateinische ohne weiteres möglich gewesen sein muss.31 Diese Permeabilität koranischer Figuren von Gläubigen ist ab den mittelmekkanischen Suren bestens belegt und dient auch einer Tendenz der Universalisierung der Tugenden und Gewohnheiten gläubiger Diener Gottes. Derart kann jeder gläubige Mensch sich anstelle von Alexander und Moses vorstellen. Der Beschluss von Moses zur Erreichung des Zusammenflusses steht exemplarisch für jemanden, der glaubt, dass er noch lange lebt und dass er alle Zeit hat, seine Ziele zu erreichen. Erst als man den Fisch 30  Vgl. Koloska, Offenbarung, 123-159. 31  Vgl. Ruth Mellinkoff, The Horned Moses in medieval Art and Thought, Oregon 1997, 1-9.

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vergisst, hat Moses – wie in Vers 23f. gefordert – die Erkenntnis, dass er und der Jüngling nicht nur vergessen haben, den Fisch mitzunehmen, sondern ihr eigenes Leben insgesamt nicht dem göttlichen Willen unterstellt haben und vom Teufel getäuscht wurden. Deshalb kann er auch jetzt behaupten, dass er gefunden hat, was er begehrte (V. 64), nämlich die wahre Erkenntnis um den Sinn seiner Lebenshandlungen. Und hier spielt die koranische Rede mit dem Verweis auf das wundersame (ʿaǧīb) Entschwinden des Fisches auf den Diskurs zu Beginn der Sure an. Man kann sich als Hörer der Verkündigung auf die Sonderbarkeiten des Erzählstoffes um die Siebenschläferlegende oder Alexander konzentrieren, oder den eigentlichen Sinn in ihnen entdecken, der in gleichnishafter Weise auf die Lebenseinstellung der gläubigen Menschen verweist. Gemäß der koranischen Vorgabe (V. 23 f.) suchen Moses und sein Jüngling einen Gottesdiener auf, der Wissen darüber hat, was „näher am rechten Weg“ (rašadan) (V. 24) liegt. Dieser ʿabd verfügt über den Zugang zum eschatologischen Wissen, den sich auch die aṣḥāb al-kahf zu Beginn der Sure wünschen: Sie bitten um Gottes Barmherzigkeit und um den rechten Erkenntnisweg (rašad) (V. 10). Der Diener wurde bereits aus der Barmherzigkeit Gottes belehrt (V. 65). Nun ist es Mose, der ihn um Unterweisung in den rechten Weg (rašad) bittet (V. 66). Der Gottesdiener warnt ihn, dass er nicht über die Geduld verfügen wird, um standhaft zu bleiben (V. 67 f.). Dieser erwidert, dass er – so Gott will! – geduldig sein wird (V. 69). Der Gottesdiener gestattet Moses ihn zu begleiten, unter der Bedingung, dass er ihn zu nichts befragt, bis er sich selbst äußern wird (V. 70). Beide betreten zunächst ein Schiff, in das der Gottesdiener ein Loch schlägt (V. 71). Verwundert fragt Moses, wie er so etwas Schreckliches tun könne. Nachdem der Gottesdiener Moses an sein Schweigegelübde erinnert, entschuldigt sich Moses für seine Vergesslichkeit (V. 72). Daraufhin treffen beide einen Jüngling, den der Gottesdiener erschlägt (V. 74). Wieder kann Moses seine Verwunderung über diese frevelhafte Tat nicht verbergen, woraufhin der Gottesdiener ihn wieder an sein Gelübde erinnert (V. 75). Moses bekennt, dass er bei einem erneuten Brechen seines Gelübdes den Gottesdiener verlässt (V. 76). Als diese nun von den Bewohnern einer Stadt nicht gastfreundlich empfangen werden, repariert der Gottesdiener eine Stadtmauer, die im Begriff ist, zu stürzen (V. 77). Moses bricht sein Gelübde und fragt ihn, warum er dafür keinen Lohn verlangt hat, woraufhin der Gottesdiener ihn die Deutung all seiner Taten erläutert (V. 79-82): Den Schiffbruch verursachte er, um die Insassen von einem Piratenkönig zu schützen, der in dieser Gegend Schiffe kaperte. Den Jüngling tötete er, weil er ein ungläubiger Sohn von frommen Eltern war; und zwar in der Überzeugung, dass ihnen von Gott ein lauteres Kind als Ersatz gegeben wird. Zuletzt reparierte er die Mauer

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nicht aus Interesse an Lohn, sondern damit die Waisen, denen das Grundstück mit der Mauer gehörte, den dort befindlichen Schatz erst bekommen, wenn sie volljährig sind. Auch im Falle des zweiten Teils der Moses-Erzählung lohnt es sich, ihre surenimmanente Funktion hervorzuheben: Der Charakter der ganzen Episode hat weitaus deutlicher als etwa die Erzählung von den aṣḥāb al-kahf den Charakter eines Gleichnisses: Es drängt sich nämlich geradezu die Frage auf, welche Bedeutung (ta‌ʾwīl, vgl. V. 78, 82) die ganze Erzählung auf der Ebene der Sachhälfte hat. Durch Termini wie ʿilm und rašad ist diese Episode eng mit den restlichen Gleichnissen der Sure verbunden. Man muss diese als Fortsetzung der ersten Reise von Moses mit dem Jüngling verstehen. Nachdem Moses selbst begriffen hat, dass er sein eigenes Leben in den Dienst des göttlichen Willens stellen muss und auch explizit dem Gottesdiener gegenüber sein Handeln unter Vorbehalt des göttlichen Willens stellt (V. 69), so verdeutlicht das wiederholte Brechen seines Schweigegelübdes, welche Herausforderungen die entsprechende Lebenseinstellung mit sich bringt. Das eschatologische Wissen, über das der Gottesdiener und die aṣḥāb al-kahf jeweils verfügen, wird den Menschen erst postmortal zugänglich. Innerweltlich bedeutet deshalb die Ausrichtung des eigenen Lebens unter Vorbehalt des göttlichen Willens eine enorme Herausforderung, da die innerweltlichen Zusammenhänge aus der endlichen Perspektive immer beschränkt bleiben. Einzig die Tugend des ṣabr wird im Gleichnis als arete für ein gelingendes Leben der Gläubigen empfohlen. Das letzte Narrativ der Sure al-kahf wird durch den Rekurs auf eine explizite Nachfrage eingeleitet (V. 83): 83 Und sie werden dich nach dem mit den zwei Hörnern fragen. Insbesondere in den medinensischen Suren dient dieser Verweis auf eine Frage an den Verkünder zur Markierung von Antworten zu bestimmten rechtlichen Fragestellungen im Verkündigungskontext. Doch übersetzt auch Bobzin in diesem Falle zu Recht den Imperfekt nicht in der präsentischen Form („Sie fragen dich“), sondern im Futur: Es wird nach der gleichnishaften Bearbeitung des Stoffes um Alexander die Rückfrage an seine Person antizipiert. So wird im Korantext beschrieben, wie der Zweigehörnte32 über eine besondere Macht auf 32  Zur Entstehung der Bezeichnung und des Bildes Alexanders als Zweigehörnter siehe K. Graf, Ueber den Zweigehörnten des Koran. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Bd. 8, No. 3 (1854), 442-449; B. Beer, Welchen Aufschluss geben jüdische Quellen über den „Zweihörnigen“ des Koran?, 785-794; G. Redslob, Ueber den „Zweihörnigen“ des Koran. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Bd. 9, No. 1(1855), 214-223, 307-308. Für einen Überblick zu den zahlreichen Deutungen

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Erden verfügte (V. 84). Dieser begibt sich zu einem Ort, wo die Sonne untergeht und sich eine stinkende Quelle (ʿainin ḥamiʾatin) befindet (V. 86). Dort wird dem Zweigehörnten von Gott die Macht erteilt, gegenüber dem dort lebenden Volk entweder wohlwollend zu sein oder es zu bestrafen. Er bekennt, dass nur derjenige im Diesseits und Jenseits bestraft wird, der frevelhaft handelt, während der Gläubige, der gute Taten vollbringt, von ihm gut behandelt wird und von Gott im Jenseits belohnt wird (V. 87 f.). Der Zweigehörnte führt seinen Weg fort und erreicht den Ort des Sonnenaufgangs, wo ein Volk lebt, das vor der Sonnenhitze nicht geschützt ist (V. 89 f.). Schließlich begibt er sich an einem dritten Ort der zwei Dämme (saddain), wo ein barbarisches Volk heimisch ist, das kaum eine Sprache versteht (V. 92 f.). Diese bitten den Zweigehörnten um Hilfe gegen Gog und Magog, die Unruhe in ihrem Land stiften und bieten ihm dazu auch einen Lohn an (V. 94). Der Zweigehörnte verzichtet unter Berufung auf die ihn von Gott verliehene Macht auf eine Entlohnung und beschließt eine Schranke zwischen dem barbarischen Volk und Gog und Magog zu errichten (V. 95). Er schließt mit Hilfe von metallischen Materialien die Lücke zwischen den beiden Dämmen, sodass diese nicht mehr das einheimische Volk heimsuchen können (V. 96 f.). Gleichzeitig verknüpft der Zweigehörnte mit dem Bau der Schranke eine eschatologische Verheißung (waʿd) Gottes (V. 98). Dereinst wird die Schranke zerbrochen, wenn der Jüngste Tag beginnt und die irdische Welt sich auflöst (V. 99 ff.). Dann wird die Bilanz über die jeweiligen Taten des Einzelnen gezogen und jeweils der Lohn bzw. die Strafe erteilt. Die Sure schließt dann mit einem kurzen Prophetenzuspruch (V. 109 f.). Kevin van Bladel hat dafür plädiert, dass die koranische Erzählung von ḏū l-qarnain die syrische Alexanderlegende voraussetzt.33 Darin wird geschildert, wie Alexander beschließt, die Grenzregionen der Welt zu erkunden. In einem Gebet stellt er seine eigene Mission unter messianischen Vorzeichen und erinnert daran, dass Gott ihm zwei Hörner verliehen habe. Nach van Bladel entsprechen nun die einzelnen Stationen von Alexander in der Legende den drei Etappen in der koranischen Erzählung: So stimme die erste Reise nach Westen zum stinkenden Meer mit der ersten Etappe im Koran überein. Die göttliche Befugnis an ḏū l-qarnain, das dortige Volk zu bestrafen oder zu belohnen beziehe sich auf die Entsendung von kriminellen Gefangenen in dieses Gewässer, um dessen Gefährlichkeit einzuschätzen. Der Zweigehörnte bestraft also nur diejenigen, die kriminell in Erscheinung getreten sind. Auch findet sich jeweils die Beschreibung der schutzlosen und barbarischen Völker auf der von ḏū l-qarnain und dessen möglicher Identifizierung siehe Koloska, Offenbarung, 145146, 153-159. 33  Vgl. van Bladel, The Alexander Legend in the Qurʾān, 175-203.

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zweiten und dritten Etappe in der Legende wieder. Ebenso korrespondieren die verwendeten Metalle zum Bau der Schranke im Koran der in der Legende verwendeten Materialien. Und die koranische Verheißung zur eschatologischen Endzeit entspreche der Inschrift, die Alexander an der Schranke mit einer Prophezeiung anbringt, wobei letztere weitaus konkreter bestimmte Daten für einige Ereignisse nennt und den letztendlichen Sieg des römischen Reiches sowie die Errichtung des Reich Gottes auf Erden beschreibt. Was in der koranischen Darstellung neben der grundsätzlich gedrungenen Struktur fehlt, ist die Begegnung Alexanders mit dem Perserkönig und seine Auseinandersetzung mit ihm. Während van Bladel eindrucksvoll nachweist, dass es eine klare Rückbezüglichkeit der koranischen Erzählung von ḏū l-qarnain zur syrischen Alexanderlegende gibt, wird er keineswegs der Profilierung des koranischen Berichts im Rahmen der Sure und der Verkündigung insgesamt gerecht. Welche Funktion hat also der koranische Bericht vom Zweigehörnten? Auffällig sind hier wieder die surenimmanenten Bezüge zu den vorherigen Gleichnissen durch bestimmte Motive und Termini. Hier ist auf den evidenten Bezug des Terminus sabab zur Wegmetapher hinzuweisen, die lexikalisch durch Begriffe wie rašad, sabīl und sabab den ganzen narrativen Mittelteil durchzieht. Und es zeichnet sich auch über die Erzählung von ḏū l-qarnain ab, dass diese nun gleichnishafte Züge angenommen hat. Auch der Zweigehörnte symbolisiert wie die wiederauferstandenen aṣḥāb al-kahf und der Gottesdiener den homo eschatologicus. Die ersten beiden Etappen des Zweigehörnten zu den Orten des Sonnenaufgangs und -untergangs entsprechen in der Erzählung von den aṣḥāb al-kahf der sich nach rechts und links neigenden Sonne bei ihrem Aufund Untergang (V. 17). Dort steht sie als Transzendental für die eschatologische Erkenntnis. Genauso sind die beiden ersten Etappen des Zweigehörnten nicht einer Laune zur eskapadenreichen Durchdringung der Welt entsprungen, sondern verweisen darauf, dass sich durch die ganze Welt bis hin zu ihren Grenzregionen ein eschatologischer Teppich zieht und die dereinstige Entfaltung des entsprechenden Wissens um die heilsbezogenen und endzeitlichen Zusammenhänge enthält. So hat zwar van Bladel recht, dass das Bekenntnis des Zweigehörnten zur alleinigen Bestrafung der Frevelhaften sich auf die Episode um die Entsendung der Gefangenen in das stinkende Meer im Kontext der Alexanderlegende bezieht, jedoch wird dieses bewusst in eine eschatologisch verallgemeinerte Aussage über die jenseitige Vergeltung aller diesseitigen Taten verwandelt. Die letzte Etappe des Zweigehörnten im Koran in Richtung nördlicher Gefilde und der Bau der Schranke gegen Gog und Magog führt in einem Dreieck die beiden vorherigen Wege und die damit behauptete verborgene Struktur

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der Welt als mundus eschatologicus in die endgültige Verheißung von der Entfaltung dieser Struktur in der Endzeit zusammen. Der Bruch der Schranke steht für die Gewissheit der Erfüllung des waʿdu l-ḥisāb. 6.1

Exkurs: Datierung der syrischen Alexanderlegende und des Alexanderlieds

Die im Rahmen der bisherigen Analyse der Sure al-kahf vorausgesetzte Verarbeitung des Alexanderstoffes aus der sogenannten syrischen Alexander­ legende (ALG) (neṣḥānā d-aleksandrōs, „Heldentat Alexanders“) und dem in einer mēmrā über Alexander verfassten Alexanderlied (AL) (mēmrā d-ʿal aleksandrōs, „Homilie über Alexander“) nötigt angesichts der in den letzten Jahrzehnten favorisierten Datierung der beiden Alexandersagen in dem Jahrzehnt nach der Rückeroberung Jerusalems durch Herakleios 628 zur genauen zeitlichen Verortung dieser Texte im Bezug zur Genese der koranischen Verkündigung. Im Wesentlichen reicht die Spanne der bisherigen Datierungsversuche ihrer Entstehung vom Anfang des sechsten Jahrhunderts bis zur ersten Hälfte des siebten Jahrhunderts.34 Maßgeblich für die Datierungsfrage ist die Klärung des literkritischen Verhältnisses von der ALG zum AL. Als Konsens der Forschermehrheit hat sich durchgesetzt, dass das AL nicht – wie in der Mehrheit der Rezensionen vorausgesetzt – auf Jakob von Sarug (451-521 n. Chr.) selbst zurückgeht, sondern nach dem metrischen Stil seiner Dichtung verfasst worden ist. Ebenso gilt es als sehr wahrscheinlich, dass das AL von der ALG abhängig ist: Der Verfasser des Alexanderliedes hat die Alexanderlegende in der vorliegenden Form (vielleicht bis auf (wenige) Interpolation(en)) gekannt und für seine Komposition benutzt. Die wenigen Differenzen zwischen Alexanderlegende und Alexanderlied sind auf a) die freie Bearbeitung des Materials, b) die Benutzung von anderen Quellen (Lebensquellepisode, biblisch-apokalyptisches Gedankengut) und c) die von der propagandistischen Zielsetzung der Legende völlig verschiedene Zielsetzung des Liedes […] zurückzuführen.35

Entscheidend für die Datierungsfrage ist also die Entstehung der früheren ALG. Als diesbezügliche Crux erweist sich die Deutung der Inschrift, die Alexander 34  Für eine exzellente Übersicht der jeweiligen Arbeiten und der bisherigen Forschungsgeschichte siehe Reinink (Editor/Übersetzer), Das syrische Alexanderlied (Übersetzung), 1-15. 35  Ebd., 11f.

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in das von ihm erbaute Tor anbringt36: der Einfall der Hunnen nach 826 Jahren und das Erscheinen eines Königs in 940 Jahren. Theodor Nöldeke hat diese zeitlichen Angaben nach der seleukidischen Ära jeweils umgerechnet37: Das Jahr 826 beziehe sich auf 514/15 n. Chr. und den „Einfall der Sabîr-Hunnen durch den Caucasus nach Armenien und den benachbarten Ländern“.38 Dagegen sei das Jahr 940 in 628/29 n. Chr. umzurechnen. Reinink hält es für möglich, dass letzteres Datum sich womöglich auf die Chasareneinfälle in Armenien beziehe, sodass er 629 als terminus a quo für die Entstehung der ALG annimmt.39 Ausschlaggebend für Reininks Datierung der ALG und des AL ist auch, dass er den in der jeweiligen Sage zwischen Alexander und den persischen Herrscher Tubarlaq geschlossenen Frieden typologisch mit den persisch-byzantinischen Frieden von 628 in Verbindung bringt. Die im AL beschriebenen territorialen Abmachungen entsprächen geradezu den tatsächlichen Rahmenbedingungen des persisch-byzantinischen Friedens von 628.40 Und ebenso setze die ALG diesen Friedensvertrag voraus und biete seine kirchenpolitische Deutung.41 Somit interpretiert Reinink die ALG als einen Text, der ganz im politisch-theologischen Dienst der Entwicklungen nach 628 steht und wahrscheinlich in den Jahren 629-630 entstand: […] die allgemeinen Tendenzen der Alexanderlegende [weisen] auf eine Entstehung nach 628 hin. Es handelt sich klar um eine Propagandaschrift, die, sich stützend auf die eklatanten Erfolge von Alexander/Herakleios in dem Krieg gegen Tubarlaq/Chosrau II., die besondere heilsgeschichtliche Bedeutung des christlich-byzantinischen Reiches betont. Es soll dem Leser einleuchten, dass das christliche Reich des Hauses Alexander, d.h. das byzantinische Reich, unter einem besonderen göttlichen Schutz steht und bis zum Ende der Welt bestehen wird.42

Dieser groben zeitgeschichtlichen Kontextualisierung stellt Reinink die konkrete Intention des Verfassers der ALG zur Seite, die kirchenpolitisch motiviert gewesen sein soll: Zugleich aber integrierte er in seine Alexandergschichte die aktuellen, durch Herakleios’ erfolgreiche persische Feldzüge entstandenen, politischen 36  Vgl. Budge (Editor/Übersetzer), The History of Alexander the Great, 154. 37  Vgl. Theodor Nöldeke, Beiträge zur Geschichte des Alexanderromans, Wien 1890, 31. 38  Ebd. 39  Vgl. Reinink, Die Entstehung der syrischen Alexanderlegende als politisch-religiöse Propagandaschrift für Herakleios’ Kirchenpolitik, Anmerkung 27. 40  Vgl. Ders., Alexander the Great in Seventh-Century Syriac ‚Apocalyptic‘ Texts, 153. 41  Vgl. Ders., Die Entstehung der syrischen Alexanderlegende, 274 f. 42  Ders., Das syrische Alexanderlied (Übersetzung), 11.

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Kapitel 6 Verhältnisse, damit seine Leser zur Einsicht gelangen würden, dass das, was sich in ihren Tagen abspielt, nicht als ein unwichtiger Inzidenzfall bewertet werden soll, sondern zum universellen heilsgeschichtlichen Plan Gottes gehört. Mit diesen Mitteln bezweckte er, die syrischen Monophysiten Nordmesopotamiens für Herakleios’ religiöse Politik zu gewinnen, um so durch die Wiedergewinnung ihrer Loyalität die politische Stabilität in diesem wichtigen Grenzgebiet mit Persien zu sichern.43

Da das syrische AL von der ALG abhängig ist, legt Reinink als terminus a quo für das AL das Jahr 630 fest.44 Als terminus ante quem müssen aufgrund der Eroberung Mesopotamiens durch die Araber die Jahre 639-640 gelten.45 Der Autor des AL gibt der Alexandersage eine neue Stoßrichtung. Anders als in der Legende konzentriere sich das Lied auf die Entwicklungen zur eschatologischen Endzeit, von dessen verheerenden Entwicklungen auch das byzantinische Reich nicht verschont bleiben wird: The poem follows the Legend in portraying Alexander as a pious king and prophet, who has to fulfill a divine mission in world-history. This divine mission, however, is in the Poem focused on Alexander‘s building a gate to confine the peoples of Gog and Magog. […] After the completion of the building of the gate, Alexander receives a revelation, by which he is fully informed of the eschatological role of the gate: how in the seventh millennium of world-history sin will increase on earth, and which horrors and terrors will come over mankind in those days. Unlike the Legend, however, the opening of the gate at the end of time and the incursions of the eschatological peoples do not form in the Poem the prelude to the glorious future of Alexander’s empire. On the contrary, when Alexander himself receives the prophetic spirit, he predicts the future destruction of his own empire by the peoples of Gog and Magog […]. Byzantine imperial eschatology, a main theme of the Alexander Legend, is totally absent in the Poem46

Der Grund für diese antibyzantinische Wendung der Legende im Alexanderlied ist nach Reinink auch kirchenpolitischer Natur: It is almost impossible not to consider the Poem as a response to the politico-religious pretensions of the Legend. The Legend’s pro-Byzantine tendencies are completely eliminated in the Poem. Byzantinum, for example, is not to be an exception, when the peoples at the end of time enrage God by their terrible sins. It will suffer the same fate as the other kingdoms at the hands of Gog and Magog. […] The author of the Poem most probably belonged 43  Vgl. Ders., Die Entstehung der syrischen Alexanderlegende, 266. 44  Vgl. Ders., Alexander the Great in Seventh-Century Syriac ‚Apocalyptic‘ Texts, 165. 45  Vgl. ebd., 165. 46  Ebd., 166  f.

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to Monophysite circles of North Mesopotamia and he may have lived in one of the Jacobite monasteries in or around Edessa. In his view, of course, the Chalcedonians were the bad sort of schismatics. Soon after the reconquest under Heraclius the Chalcedonian Church of the empire, supported by the Byzantine authorities, resumed the persecution of the Monophysites.47

Während also Reinink für den Entstehungszeitraum der ALG die Jahre 629630 ansetzt, nimmt er für das AL an, dass es nach der ALG, spätestens aber bis 636 entstanden sei. Für die Datierung und das literarkritische Verhältnis der beiden syrischen Alexandersagen spielt die koranische Verkündigung bei ihm keine Rolle. Kevin van Bladel, der die – bereits zuvor besprochene – Abhängigkeit der koranischen Perikope zu ḏū l-qarnain (Q 18:83-102) mit der ALG nachgewiesen hat, setzt die Datierung der ALG nach Reinink voraus und vermutet, dass womöglich über monophysitisch geprägte Ghassaniden die koranische Gemeinde mit dem Stoff der ALG in Kontakt gekommen ist und nach 629/30 im Koran integriert wurde.48 Damit rückt die koranische Verarbeitung der syrischen Alexandersage sehr nah an den Tod des Propheten 632, bzw. man müsste hier – was ja in den Ausführungen von van Bladel impliziert ist – eine nachprophetische Erweiterung der koranischen Verkündigung annehmen. Auch wenn man Teile von Q 18 in die medinensische Phase der Verkündigung des Propheten datiert, ergibt sich hier das Problem der genauen rezeptionsgeschichtlichen Verhältnisbestimmung zur ALG: Die Alexanderlegende, ebenso wie das Alexanderlied und auch weitere syrische, apokalyptische Schriften aus dem 7. Jh. wie die Apokalypse des Pseudo-Methodius und Pseud-Ephraems De fine mundi haben ihren Ursprung in Nordmesopotamien. Deren Bezüge auf die Legende legen eine weite Verbreitung derselben deswegen nicht zwingend nahe. Es scheint eher unwahrscheinlich, dass die syrische Alexanderlegende in kürzester Zeit einen reichsumfassenden Triumphzug angetreten hat, der auch die Heraklius durchaus schon zuvor wohlgesinnten arabischen Stämme erreichte. Selbst wenn man den Korantext zu Ḏū l-Qarnain sehr spät, medinensisch datiert, was formal keine Anhaltspunkte bietet, von muslimischer Seite allerdings angenommen wird, erscheint die Zeitspanne doch zu gering und der Ortsunterschied zu groß, als dass der Bezug des Korantextes auf die Alexanderlegende in Erwägung gezogen werden könnte, es wäre höchstens ein gemeinsamer – allerdings unbekannter – zeitlich frühere Textbezug anzunehmen.49

47  Ebd., 167. 48  Vgl. van Bladel, The Alexander Legend in the Qurʾān, 183-191. 49  Koloska, Offenbarung, 156.

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Die von Koloska zurecht angemahnte Knappheit möglicher rezeptionsgeschichtlicher Bezüge verschärft sich50, wenn man – wie hier im Kommentar vertreten – auch von einem klaren Bezug der koranischen Erzählung von Moses in Q 18 zum AL ausgeht. Denn die Entstehung des AL wird von Reinink noch später datiert (636 als terminus ante quem). Auch wenn man den von van Bladel herausgearbeiteten Rückbezügen des Korans zur ALG nicht im Einzelnen zustimmen muss, so ist doch nicht nur für die ALG, sondern auch für das AL anzunehmen, dass diese den intertextuellen Rahmen für die koranische Darstellung der Lebensquellsage und zu Alexanders Bau des Tores gegen Gog und Magog bieten. Da die Tendenzen der koranischen Verarbeitung der Alexandersage programmatisch zu den spätmittelmekkanischen Suren passen und bis jetzt von niemandem literarkritisch-formale Gründe für die spätere Einfügung des Materials zu Alexander in den koranischen Textcorpus vorgelegt wurden, ist hier eine eventuelle Reevaluierung der Datierung der ALG und des AL vor dem Hintergrund der koranischen Verkündigung zumindest zu erwägen. Im Folgenden soll deshalb ein alternativer Vorschlag der Datierung der ALG und des AL erwägt werden, der zwar der groben zeitgeschichtlichen Kontextualisierung der ALG und des AL von Reinink folgt, jedoch seine Deutung dieser Schriften in concreto als im Wesentlichen kirchenpolitische Schriften relativiert und deren Entstehung mindestens ein Jahrzehnt zuvor ansetzt. Eine derartige Neudatierung passt auch insgesamt besser zu den Verkündigungsparametern der spätmittelmekkanischen Suren. Zunächst sollen die zwei wichtigsten Indizien kritisch geprüft werden, auf deren Grundlage nach Reinink eine konkrete Datierung der ALG und des AL nach dem persisch-byzantinischen Frieden von 628 zwingend ist. Zum einen führt er dafür die zweite Voraussage auf der Inschrift des von Alexander erbauten Tores ins Feld, die nicht willkürlich auf die Jahre 628-629 verweise. Zu dieser Zeit seien tatsächlich die Chazaren in Armenien eingefallen. Reinink selbst bemerkt jedoch, dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass diese Zeitangabe auf der Inschrift eine spätere Interpolation darstellt: Ich glaube, dass die Erwähnung der Zahl 940 im Zusammenhang mit dem Auftreten eines nicht näher bezeichneten Königs nicht gut in die Schilderung des endzeitlichen Auftretens der apokalyptischen Völker der Hunnen passt. Man kann sich fragen, ob hier nicht tatsächlich die Hand eines Interpolators spürbar wird, der infolge der Chazareneinfälle aus dem Jahre 629 glaubte, dass die in der Legende geweissagte Endzeit jetzt wirklich dämmerte51 50  Vgl. auch Shoemaker, The Apocalypse of Empire, 80-83. 51  Reinink (Editor/Übersetzer), Das syrische Alexanderlied (Übersetzung), 10 f.; vgl. ebenso Shoemaker, The Apocalypse of Empire, 81 f.

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Da Reinink um die Problematik dieser Stelle in der ALG weiß, nennt er ein weiteres Quellenwertargument, das für die Datierung der ALG und des AL nach 628 spricht: Nämlich der zwischen Alexander und Tuberlaq jeweils geschlossene Frieden in den beiden Sagen, der insbesondere im Falle des AL den Voraussetzungen des persisch-byzantinischen Friedens von 628 entspricht: A key-position is occupied by the episode in the Poem in which an angel instructs Alexander how to act politically after his victory over the Persians […]. The angel orders Alexander to enter into a peace-treaty with the Persian chah Tubarlaq, and to make the Tigris the frontier between his empire and that of the Persians. […] There is no period in the long history of the wars between Byzantinum and the Sassanids to which these data apply better than to the time of Heraclius’ victory over the Persian and the Byzantine recovery of the Eastern provinces in 628.52

Wenn diese Einschätzung Reininks tatsächlich zutrifft, dann hätte er ein gewichtiges Quellenwertargument für die Datierung des AL nach 628. Doch Reinink selbst verweist darauf, dass der 628 geschlossene Friedensvertrag zwischen Byzanz und Persien eine weitere Entsprechung hat: Nachdem Herakleios die persische Armee vernichtend geschlagen hatte bei Ninive, bot er Chosrau den Frieden an. Chosrau aber weigerte sich starrsinnig. Anfang Januar 628 zog Herakleios in Dastargerd ein, eine der stärksten Festungen Persiens und die Lieblingsresidenz Chosraus. […] Tatsächlich hatte Herakleios nur die Absicht, die ehemaligen byzantinischen Gebiete wiederzuerobern; […] Wiederherstellung der im Jahre 591 von Maurikios und Chosrau II vereinbarten Grenzen war das Ergebnis der Friedensverhandlungen zwischen Herakleios und Kovrad-Široe […]53.

Bezüglich der Demarkationslinien entspricht der Friedensvertrag zwischen Herakleios und Kovrad-Široe dem im Jahr 591 zwischen Maurikios und Chosrau II geschlossenen Frieden.54 Damit ist die von Reinink behauptete Exklusivität des persisch-byzantinischen Friedens von 628 hinfällig. Es gibt zudem gute Gründe, warum auch der Friedensvertrag von 591 weitaus eher den Referenzpunkt für den Friedensschluss zwischen Alexander und Tubarlaq in den syrischen Alexandersagen darstellt. Das sechste Jahrhundert war durchzogen durch mehrere persisch-byzantinische Friedensschlüsse, die stets zum Nachteil von Byzanz gewesen sind und mit hohen Tributzahlungen verbunden

52  Reinink, Alexander the Great in Seventh-Century Syriac ‚Apocalyptic‘ Texts, 153. 53  Reinink (Editor/Übersetzer), Die syrische Alexanderlegende, Anmerkung 47. 54  Vgl. Stratos, Byzantium in the Seventh Century I, 237.

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Kapitel 6

waren.55 Diesbezüglich stellt der Frieden von 591 zum Ende dieses Jahrhunderts einen Wendepunkt dar, da Byzanz nun keine Tributzahlungen mehr leisten musste und einen für sich günstigen Frieden schloss.56 Dieser Invertierung des bis dato vorherrschenden Verhältnisses wird in der ALG dadurch Ausdruck verliehen, dass nun der persische Herrscher Tubarlaq Tributzahlungen leisten muss. Doch das entscheidende Indiz für den Frieden von 591 als Referenzpunkt der beiden syrischen Alexandersagen bietet die Angabe in der ALG, dass nach fünfzehn Jahren Babel und Assur wieder unabhängig sein werden. Reinink hat hier überzeugend darauf hingewiesen, dass Babel und Assur für Persien stehen und dass damit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass Persien wieder unabhängig sein wird.57 Völlig unbeachtet lässt Reinink die Frage, warum der Autor von 15 Jahren spricht. Er scheint hier von einer willkürlichen Angabe auszugehen. Doch spricht vieles dafür, dass die genannten 15 Jahre ein vaticinium ex eventu darstellen. Denn dieser Zeitraum entspricht nahezu identisch der Periode bis der Frieden aus dem Jahre 591 wieder durch Chosrau gebrochen und damit hinfällig wurde. Bis zum Jahr 604 wartete dieser und drang dann in byzantinisches Territorium ein.58 Er begab sich zunächst in Richtung Edessa, befreite die Stadt und belagerte parallel die Stadt Dara.59 Diese Belagerung dauerte 18-24 Monate an.60 Reinink selbst vermutet, dass die ALG in Edessa oder in dieser Region entstanden sei. Interessant ist nun, dass der Zeitraum vom Frieden 591 bis zur ersten erfolgreichen Invasion durch Persien sich mit der Zeitspanne von 15 Jahren deckt (erfolgreiche Beendigung der Belagerung von Dara in 606). Nach 15 Jahren war also der Frieden von 591 hinfällig. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die ALG und auch das AL, die nach Reinink auch in den mesopotamischen Raum um Edessa entstanden sind61, sich bei dem Friedensschluss von Alexander und Tubarlaq auf das Jahr 591 und dem Bruch dieses Friedens, den die Bewohner dieser Region 15 Jahre später auch hautnah selbst miterlebt hatten, beziehen. In der ALG wird durch die Voraussage der erneuten Unabhängigkeit des persischen Reiches der Krise des territorialen Verlustes ein höherer Sinn gegeben. Im Heilsplan Gottes war der erneute Verlust gegenüber Byzanz vorgesehen. Überhaupt passt die Gesamtanlage der 55  Vgl. Ostrogorsky, Byzantinische Geschichte 324-1453, 47. 56  Vgl. Geoffrey Greatrex/Samuel N.C. Lieu (Hg.), The Roman Eastern Frontier and the Persian Wars, Part II, AD 363-630, London 2002, 174 f. 57  Vgl. Reinink, Die Entstehung der syrischen Alexanderlegende, Anmerkung 28. 58  Vgl. Stratos, Byzantium in the Seventh Century I, 59. 59  Vgl. ebd., 61. 60  Vgl. ebd. 61  Vgl. Reinink, Alexander the Great in Seventh-Century Syriac ‚Apocalyptic‘ Texts, 161, 168.

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ALG und des AL mit ihren weltgeschichtlich umspannenden Koordinaten von der Zeit Alexanders zum eschatologischen Ende der Welt weniger zum Ausdruck kirchenpolitischer Auseinandersetzungen, nachdem man die Perser besiegt und das Kreuz zurückgeholt hatte, sondern vielmehr als Propagandaschrift zu einer Zeit der Krisis. Wie die Nachfolgeschriften zur Alexandersage (Pseudo-Methodius, Pseudo-Ephrem) dienen diese zur Selbstvergewisserung zu einer apokalyptisch anmutenden Zeit der Unsicherheit. Letzteres widerspricht nicht der groben zeitgeschichtlichen Einordnung von Reinink und der formkritischen Einordnung der beiden syrischen Alexanderschriften als Propagandaschriften, die sich typologisch auf die Ereignisse zu Beginn des siebten Jahrhunderts beziehen, nur tangieren diese Schriften weniger die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen nach 628, sondern die krisenhafte Zeit nach 614. Die Entwendung des Kreuzes aus Jerusalem war der dramatische Kulminationspunkt der persischen Invasion seit 604 und hatte innerchristlich die Wirkung eines Fanals über die Konfessionsgrenzen hinweg.62 In dieser krisenhaften Zeit fällt wohl auch die Entstehung der beiden syrischen Alexandersagen, die unterschiedliche Deutungsszenarien für die erlebten Vorkommnisse und die kommende Zeit liefern. Reinink selbst verweist darauf, wie die ALG in der Beschreibung der Auseinandersetzung zwischen Alexander und Tubarlaq die Kenntnis um die ab 615 durch Herakleios geprägte Silbermünze mit der Aufschrift Deus adiuta Romanis („Gott, hilf den Römern“) voraussetzt.63 Anders als Reinink wird man hierin jedoch nicht eine ex eventu-Erfüllung dieser Bitte nach 628 sehen müssen, auf die der Autor der ALG anspielt. Vielmehr hat die ALG – wie die Prägung der Silbermünze ab 615! – eine propagandistische Funktion: Auch wenn man von Persien besiegt und gedemütigt wurde, so sieht der Heilsplan Gottes eine andere Entwicklung vor. Die ALG propagiert, dass in der Endzeit Byzanz als Nachfolger des Alexanderreiches erfolgreich sein wird und weissagt einen messianischen Fortgang der Ereignisse voraus, bei dem Jerusalem wieder in christlichen Händen sein wird. Die ALG ist in Folge der Erwartung eines letztendlichen Sieges von Herakleios als typologischer Nachfolger von Alexander pro-byzantinisch zu verstehen. Das AL ist weniger anti-byzantinisch, sondern pessimistischer, was die Ereignisse der kommenden Jahre angeht: Zu Recht stellt Reinink fest, dass der Verfasser des 62  Vgl. Guy G. Stroumsa, The making of the Abrahamic religions in late antiquity, Oxford 2015, 77; 159-174. 63  Vgl. Reinink, Alexander the Great in Seventh-Century Syriac ‚Apocalyptic‘ Texts, 155 f.; vgl. ebenso die Darstellung im AL (Reinink (Editor/Übersetzer), Das syrische Alexanderlied (Übersetzung), 86 f., 98).

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Kapitel 6

AL nicht davon ausgeht, dass Rom bzw. Byzanz zur eschatologischen Endzeit erfolgreich sein wird („Das grosse Rom wird er von seiner Grösse in die Tiefe stürzen […]“64). Dagegen wird im AL in extenso beschrieben, welche apokalyptischen Szenarien sich zur Endzeit manifestieren werden. Die vom Engel an Alexander offenbarte endzeitliche Bedeutung des von ihm erbauten Tores, dessen Niederschrift und Proklamation durch Alexander, umfassen nahezu die Hälfte des ganzen Alexanderliedes. Offensichtlich dient diese Schrift nicht einer kirchenpolitischen und innerchristlichen Auseinandersetzung, sondern geht nach 614 von einem anderen Szenario der zu erwartenden Ereignisse aus: Nämlich das Entfesseln der apokalyptischen Wehen bis hin zum Erscheinen des Antichristen und dessen Bezwingung durch Christus, was schließlich zum Weltende führt. Nicht nur Rom/Byzanz, sondern alle Weltmächte werden untergehen. Sowohl die ALG als auch das AL passen in ihrer Gesamtarchitektur als „Krisisschriften“ weniger zur Klärung kirchenpolitischer Zwistigkeiten zwischen Monophysiten und Chalcedonendier nach 628. Das von Reinink als anti-byzantinisch klassifizierte AL ist weder pro-byzantinisch, noch propersisch, sondern apokalyptisch. Als Referenzpunkt der ALG und des AL passt vielmehr die Eroberung Jerusalems durch die Perser 614, die innerchristlich über jede Konfession hinweg eine Krise darstellte und messianische und apokalyptische Erwartungen wieder erstarken ließ. Derart malen die ALG und das AL unterschiedliche Szenarien für die kommenden Ereignisse aus. Während die ALG von dem schlussendlichen Sieg von Byzanz und der womöglich danach beginnenden messianischen Zeit ausgeht, erwartet das AL den Beginn der apokalyptischen Wehen und das Weltende. Reinink hat dieselbe Logik der prospektiven Einordnung und Antizipation der eschatologischen Ereignisse auf der Ebene der Auseinandersetzung zwischen weltlichen Großreichen für die beiden Schriften von Pseudo-Methodius und Pseudo-Ephrem festgestellt, die vor dem Hintergrund der arabischen Invasion auch den Stoff um die Alexandersage bearbeiten und dabei ein historisches Szenario des schlussendlichen Sieges des christlichen Reiches oder des Christentums vor dem Weltende beschreiben.65 Übrigens sind es bei Pseudo-Ephrem die persischen Eroberungen durch Chosrau II seit 604 und die arabische Invasion, die als Zeichen der eschatologischen Wehen gelten, bis der Antichrist kommt.66 Dass diese Tendenz kosmopolitischer „Krisisschriften“, die prospektiv sind und die als Krisis wahrgenommenen Ereignisse unter einen größeren 64  Ders., Das syrische Alexanderlied (Übersetzung), 130, I, Vers 553. 65  Vgl. Reinink, Alexander the Great in Seventh-Century Syriac ‚Apocalyptic‘ Texts, 168-177. 66  Vgl. ebd., 169.

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(eschatologisch-apokalyptischen) Rahmen stellen, gerade zu Beginn des siebten Jahrhunderts gut belegt ist67, verdeutlicht auch Reinink, indem er etwa als Pendant zu der im AL enthaltenen Prophezeiung des persischen Herrschers Tubarlaq, die bei Theophylaktos Simokates enthaltene Prophezeiung des persischen Herrschers Chosrau II. zitiert68, die ebenso noch vor dem eigentlichen Sieg von Herakleios in 627/28 den Sieg von Byzanz voraussagt.69 Datiert man die Entstehung der ALG und des AL – wie hier vorgeschlagen – in die Jahre nach 614, dann wird der koranische Bezug auf diese Erzählstoffe und der entsprechende Diskurs auch evident. Für die spätmittelmekkanischen Suren sind als Referenzpunkt das Heilige Land und die Ereignisse um die Eroberung Jerusalems durch Persien wahrscheinlich: Die heilsgeschichtliche Einordnung der beiden Tempelzerstörungen in Q 17:4-8 und die darin enthaltene Entschärfung der eschatologischen Bedeutung des Tempels liest sich wie eine Replik auf die messianischen und endzeitlichen Erwartungen um den Tempel nach 614.70 Die in den mittelmekkanischen Suren nachweisbare typologische Angleichung von David und Salomo und die Marginalisierung des Tempels weisen auf die Abwehr der Vorstellung eines dritten Tempels und der Verheißung vom ewigen Bestehen desselben hin.71 Die in mehreren spätmittelmekkanischen Suren explizierte „Herrschertypologie“ von David, Salomo, Alexander und der Königin von Saba weist in ihrer Stoßrichtung auf die Negierung einer „reichseschatologischen“ Eroberungspolitik und der entsprechenden Deutungsszenarien hin.72 Die in der spätmekkanischen Sure Q 30 formulierte Gewissheit von dem dereinstigen Sieg der Römer (Q 30:2-6) klingt wie das Echo auf das „Deus adiuta Romanis“, das auf der von Herakleios ab 615 geprägten Silbermünze propagiert wurde.73 Nur dass koranisch die Verheißung von dem Schicksal des byzantinischen Reiches nicht – wie beim AL oder der ALG – in einem eschatologischen oder apokalyptischen Deutungskontext steht, sondern in geradezu profan-militärischen Begrifflichkeiten eingeordnet wird. Sowohl für die Tendenzen der koranischen Verkündigung ab der mittelmekkanischen Periode, als auch für die ALG und das AL bieten die Jahre 67  Vgl. Stemberger, Jerusalem in the Early Seventh Century. 68  Vgl. Michael Whitby/Mary Whitby (Übersetzer), The History of Theophylact Simocatta, London 1997, 153; Carolus de Boor (Editor), Theophylacti Simocattae Historiae, Leipzig 1887, 216 f., 15:3-7, Zeile 14-26 und 1-6. 69  Vgl. Reinink, Die Entstehung der syrischen Alexanderlegende, 278 f. 70  Siehe Kapitel 2. 71  Siehe Kapitel 4. 72  Siehe Kapitel 5. 73  Siehe Kapitel 7.

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Kapitel 6

nach 614 jeweils den plausibelsten historischen Kontext. Die beiden syrischen Alexanderschriften sind wahrscheinlich in Sukzession nach dem Jahr 614 entstanden und stellen jeweils die bisherigen und zu erwartenden Ereignisse in einen messianischen oder apokalyptischen Kontext. Die koranische Verkündigung widersetzt sich insbesondere ab der mittelmekkanischen Phase in der Ausarbeitung der eigenen Eschatologie apokalyptischen Tendenzen und ist antimessianisch. Denn die messianischen Bezüge zum Tempel und zu den eschatologischen Figuren, wie bspw. David, werden negiert. In der spätmittelmekkanischen Phase nimmt die koranische Verkündigung auch Bezug auf die beiden syrischen Schriften zur Alexandersage (622 als terminus ante quem) und entschärft gemäß den bisherigen Tendenzen der Verkündigung den messianischen und apokalyptischen Kontext dieser Stoffe.

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Kapitel 7

Q 30:2-7 – Reichseschatologische Verheißung? Es hat sich gezeigt, dass der in der koranischen Verkündigung rezipierte Überlieferungsstoff zu Alexander eine propagandistische Funktion in der byzantinisch-sassanidischen Auseinandersetzung zu Beginn des siebten Jahrhunderts hatte. Darin werden prospektiv reichseschatologische Szenarien über den Ausgang des Konfliktes entworfen, die später nach der arabisch-islamischen Invasion wieder neu aktualisiert werden mussten.1 In der Sure 30 (ar-Rūm, „Die Byzantiner“) findet sich gleich zu Beginn eine Verheißung, die man auch als reichseschatologisch verstehen könnte (Q 30:2-7): 2 ġulibat ar-rūm 3 fī ʾadna l-ʾarḍi wa-hum min baʿdi ġalabihim sa-yaġlibūn 4 fī biḍʿi sinīna li-llāhi l-ʾamru min qablu wa-min baʿdu wa-yauma‌ʾiḏin yafraḥu l-muʾminūn 5 bi-naṣri llāhi yanṣuru man yašāʾu wa-huwa l-ʿazīzu r-raḥīm 6 waʿda llāhi lā yuḫlifu llāhu waʿdahū wa-lākinna ʾakṯara n-nāsi lā yaʿlamūn 7 yaʿlamūna ẓāhiran mina l-ḥayāti d-dunyā wa-hum ʿani l-ʾāḫirati hum ġāfilūn 2 Besiegt sind die Byzantiner 3 im nahegelegenen Land. Doch sie werden nach ihrer Niederlage wieder obsiegen, 4 in ein paar Jahren! Bei Gott liegt die Entscheidung, vorher und nachher. Und an jenem Tag werden die Gläubigen frohlocken, 5 über die Hilfe Gottes, er hilft, wem er will. Er ist der Mächtige und Barmherzige. 1  Vgl. Gerrit J. Reinink, Pseudo-Methodius and the Pseudo-Ephremian Sermo de fine mundi. In: R.I.A Nip/H. Van Dijk (Hg., u.a.), Media Latinitas. A Collection of Essays to Mark the Occasion of the Retirement of L.J. Engels, Turnhout 1996, 317-321. © Verlag Ferdinand Schöningh, 2020 | doi:10.30965/9783657704323_008 Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Kapitel 7

6 Die Verheißung Gottes! Gott bricht seine Verheißung nicht! Doch die meisten Menschen haben kein Wissen! 7 Sie kennen nur das Sichtbare des diesseitigen Lebens, während sie das Jenseits vernachlässigen. Diese Verheißung von dem Sieg der Byzantiner nach ihrer Niederlage kann sich religionsgeschichtlich – wie auch in der Exegese überwiegend vorausgesetzt – nur auf den Konflikt mit den Sassaniden beziehen. Entscheidend für ihr Verständnis ist jedoch, welche Lesart des koranischen Wortlauts man an zwei neuralgischen Stellen favorisiert. In der vorangehenden Übersetzung wurde für das erste Verb in Vers 2 das Passiv (ġulibat, „wurden besiegt“) und für das zweite Verb in Vers 3 das Aktiv (sa-yaġlabūna, „sie werden siegen“) vorausgesetzt. In der traditionellen Exegese wird eine weitere Lesart überliefert, in der das erste Verb aktiv (ġalabat, „sie haben gesiegt“) und das zweite Verb passiv (sa-yuġlabūna, „sie werden besiegt“) übersetzt wird.2 In dieser Variante wäre die Verheißung nicht mehr pro-byzantinisch, sondern anti-byzantinisch, da die spätere Niederlage von Byzanz und die diesbezügliche Freude der Gläubigen konstatiert werden. El Cheikh konnte in ihrer Studie zu der Entstehung und Rezeption der jeweiligen Lesart überzeugend nachweisen, dass die anti-byzantinische Lesart späteren Datums ist und spätestens mit den Beginn der Kreuzzüge zunehmend an Bedeutung gewann.3 Dagegen hat sich gegen die spätere Tendenz die pro-byzantinische Lesart als von der Mehrheit favorisierte Lesung durchgehalten. Zuletzt hat Tommaso Tesei weitere religionsgeschichtliche Argumente für die pro-byzantinische Lesart des koranischen Wortlauts in Anschlag gebracht.4 Er verweist auf Quellen aus dem siebten Jahrhundert (Chronik von Theophylaktos Simokates, syrische Alexanderlegende, Sefer Elija), die jeweils eine pro-byzantinische Verheißung von dem letztendlichen Sieg der Byzantiner gegenüber den Sassaniden enthalten und dabei stark an den koranischen Wortlaut erinnern.5 Tesei argumentiert, dass auch die Verheißung in Q 30 reichseschatologisch ist: Die Evokation der Freude der Gläubigen am Tag des byzantinischen Sieges durch die Temporalpartikel yauma‌ʾiḏin („an diesem/jenen Tag“) sei ansonsten für eschatologische 2  Es werden jeweils auch Textvarianten überliefert, die in beiden Fällen das Passiv oder das Aktiv voraussetzten. Jedoch sind diese Varianten nachweislich später entstanden (Vgl. Nadia Maria El Cheikh, Sūrat Al-Rūm: A Study of the Exegetical Literature. In: Journal of the American Oriental Society, Vol. 118, No. 3, 1998, 356-364, hier 361). 3  Vgl. ebd., 356-346. 4  Vgl. Tommaso Tesei, “The Romans Will Win!” Q 30:2-7 in Light of 7th c. Political Eschatology. In: Der Islam, Band 95, Heft 1, 1-29. 5  Vgl. ebd., 7-16.

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Reichseschatologische Verheisung ?

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Einblendungen im Koran reserviert.6 Wie die von ihm zitierten Quellen wird also der Sieg von Byzanz in einer reichseschatologischen Prophezeiung verheißen. Wie diese Prophezeiungen stehe auch die koranische Verheißung in einem apokalyptischen Kontext und setze eine imminente Eschatologie voraus.7 Tesei versucht nun die koranische Verheißung zu datieren und argumentiert folgendermaßen8: Die von ihm zitierten Prophezeiungen wurden ex-eventu formuliert und setzten jeweils den Sieg der Byzantiner über die Sassaniden im Jahr 628 voraus. Entsprechend müsse man auch für die koranische Prophezeiung voraussetzen, dass diese nach dem prophezeiten Ereignis selbst entstanden ist. Ein mögliches Szenario wäre dabei, dass ehemals monophysitisch geprägte arabische Christen der Ghassaniden, die das Überlieferungsmaterial des reichseschatologischen Triumphs von Byzanz kannten, bei ihrer Konversion zum Islam die frühen Muslime damit bekannt gemacht haben. Derart habe dieses Gedankengut auch Eingang in den Koran gefunden, wobei es auf seinen Kern reduziert wurde und nicht mehr ausführlich über die große eschatologische Mission von Byzanz zur Endzeit berichtet. Insgesamt leitet Tesei aus seiner Analyse das Ergebnis ab, dass man viel stärker von nachprophetischen Zusätzen des Korans ausgehen muss und dass dieser eben nicht nur als literarisches Dokument des prophetischen Schaffens von Muhammad, sondern auch der späteren urmuslimischen Gemeinde nach seinem Tod gelten kann.9 Während Teseis Kontextualisierung von Q 30:2-7 mit den reichseschatologischen Verheißungen aus dem siebten Jahrhundert sehr überzeugend ist, wird man seine Deutung der koranischen Prophezeiung und dessen Datierung kritisch hinterfragen müssen.10 Als entscheidendes Argument für die Datierung nach 628 nennt Tesei, dass auch die koranische Verheißung, wie die von ihm zitierten Quellen, nur ex-eventu nach dem Sieg von Byzanz entstanden sein kann.11 Nun wurde im Rahmen dieser Untersuchung bereits gezeigt, dass z.B. die syrische Alexanderlegende, die auch eine von Tesei herangezogene Prophezeiung von dem byzantinischen Sieg enthält, sehr wohl vor dem eigentlichen Sieg der Byzantiner zu einem propagandistischen Zweck geschrieben 6  Vgl. ebd., 17; 24. 7  Vgl. ebd., 17 f. 8  Vgl. ebd., 18-25. 9  Vgl. ebd., 26. 10  Vgl. Sinai, The Qurʾan, 57, Anm. 50. 11  Vgl. Tommaso Tesei, The Chronological Problems of the Qurʾān: The case of the Story of Ḏū l-Qarnayn (Q 18:83-102). In: Rivista degli studi orientali, Nuova Serie, Vol 84, Fasc. ¼, 2011, 457-464; Ders., The prophecy of Ḏū-l-Qarnayn (Q 18:83-102) and the Origins of the Qurʾānic Corpus. In: Miscellanea arabica 2013-2014, 273-90.

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wurde.12 Übrigens ist es auch auffällig, dass nahezu alle von Tesei zitierten Quellen, typisch für eine ex-eventu-Prophezeiung, exakte Jahresangaben über den zukünftigen Sieg der Byzantiner machen. Dagegen bleibt der Zeitpunkt des Sieges der Byzantiner im Koran auffälliger Weise unbestimmt („in ein paar Jahren!“). Letzteres verwundert umso mehr, wenn man wie Tesei davon ausgeht, dass die koranische Perikope nachprophetisch sein soll und nach dem Sieg der Byzantiner von der späteren Gemeinde eingefügt wurde. Auch wenn nun Tesei und van Bladel die hier genannten Argumente für eine frühere Datierung der syrischen Alexanderlegende nicht akzeptieren würden, so gibt es eine andere Quelle, die nachweislich vor dem eigentlichen byzantinischen Triumph im Sinne einer Propaganda zur Gewissheit von Gottes Hilfe ermahnt und von dem letztendlichen Erfolg der Byzantiner ausgeht. Eine von Herakleios ab 615 – nach dem Verlust Jerusalems in 614 – geprägte Silbermünze enthält auf einer Seite das Abbild von Herakleios und seinem Sohn (siehe Abb. 3) und auf der anderen Seite – neben einem Kreuz auf einen Globus und einer dreistufigen Basis – die Aufschrift: „Deus adiuta Romanis“ („Gott, hilf den Römern“) (siehe Abb. 3). Bereits Kaegie stellt die geprägte Münze und die koranische Prophezeiung in Zusammenhang mit der Unruhe, die nach den schweren Niederlagen gegen die Sassaniden entstanden war.13 Er analysiert jedoch die Parallele mit der koranischen Aussage nicht weiter und verweist auch nur auf die Verse 2-3. Weitaus entscheidender für den Vergleich sind aber die nachfolgenden Verse, insbesondere Vers 4-5: Und an jenem Tag werden die Gläubigen frohlocken, 5 über die Hilfe Gottes, er hilft, wem er will. Er ist der Mächtige und Barmherzige. Die koranische Betonung der „Hilfe Gottes“ (bi-naṣri llāhi) hat denselben Impetus wie die Münzaufschrift: „Gott, hilf den Römern“ (Deus adiuta Romanis). Die ab 615 geprägte Münze (Hexagramm)14 hatte die propagandistische Funktion, angesichts der heftigen Rückschlage im Kampf gegen die Sassaniden an die Hilfe Gottes zu erinnern und für einen schlussendlichen Sieg von Byzanz gegen die Sassaniden zu mobilisieren.15 Dieselbe 12  Siehe Kapitel 6.1. 13  Vgl. Walter Kaegi, Byzantium and the early Islamic conquests, Cambridge 2000, 207-210. 14  Vgl. Philip Grierson, Catalogue of the Byzantine Coins in the Dumbarton Oaks Collections and in the Whittemore Collection, II, 1, Washington 1968, 270 f. 15  Vgl. Howard-Johnston, Heracliusʾ Persian Campaigns and the Revival of the East Roman Empire, 37; Raum, Deus Adiuta Romanis, 69-87; Die Eindringlichkeit dieser neuen

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Funktion hat auch die koranische Verheißung: Der urmuslimischen Gemeinde wird versichert, dass ihre monotheistischen Glaubensbrüder letzten Endes doch gewinnen werden. Dass die Gemeinde des Propheten sich eher auf die Seite ihrer monotheistischen Glaubensbrüder verstand, davon zeugt auch die Deutung in der Exegese, dass die Mekkaner den Propheten und seine Anhänger typologisch mit den Byzantinern gleichsetzten und den Sieg der Sassaniden als Sieg ihres eigenen paganen Glaubens über den Monotheismus verstanden.16 Entgegen der Behauptung von Tesei ist es also sehr wohl möglich und angesichts der Silbermünze sowie der koranischen Bearbeitung des Alexanderstoffes wahrscheinlich, dass Q 30:2-7 vor dem eigentlichem Sieg der Byzantiner offenbart wurde. Hat aber die koranische Prophezeiung vom Sieg der Byzantiner einen reichseschatologischen Kontext? Wird also der Sieg der Byzantiner im Koran in einen eschatologischen, wenn nicht gar messianischen Kontext gestellt? Vergleicht man allein den Wortlaut der koranischen Verheißung mit den von Tesei zitierten Quellen, dann ist ein kategorischer Unterschied erkennbar: Der Sieg von Byzanz steht eben nicht mehr im Kontext eines eschatologischen Endkampfes. Die Niederlage und der Sieg der Byzantiner werden geradezu in der Begrifflichkeit eines militärischen Chronisten geschildert. Nachdem sie verloren haben, werden sie mit Gottes Hilfe später siegen: Keine Evokation apokalyptischer Vorzeichen, die diesem Kampf vorausgehen, noch eine eschatologische oder messianische Kontextualisierung dessen. Teseis Verweis auf die Temporalpartikel yauma‌ʾiḏin („an diesem/jenen Tag“), die ja tatsächlich auch für die Einblendung eschatologischer Bilder genutzt wird, reicht als Andeutung eines apokalyptischen Kontextes überhaupt nicht aus. Denn auch Begriffe wie naṣr und ġalaba werden – wie bereits Beck festgestellt hat17 – in den mekkanischen Suren sonst spirituell verstanden und haben erst in den medinensischen Suren eine profan-militärische Bedeutung. Ihre profan-militärische Verwendungsweise in einer mekkanischen Sure ist wie die profanhistorische Verwendung der Temporalpartikel yauma‌ʾiḏin („an diesem/ jenen Tag“) eine Ausnahme und der Evokation der tatsächlichen Ereignisse

Münzsprache wird bei einem Vergleich mit einer von 610-613 geprägten byzantinischen Goldmünze deutlich. Auf der Vorderseite ist die Panzerbüste des Herakleios mit einem Globus und Kreuz in seiner rechten Hand zu sehen (siehe Abb. 4). Auf der Rückseite sieht man u.a. die Aufschrift „Victoria“ (siehe Abb. 4) (vgl. Grierson, Catalogue of the Byzantine Coins, II, 1, 244 f.). 16  Vgl. El Cheikh, Sūrat Al-Rūm, 357-359. 17  Vgl. Edmund Beck, Die Sure ar-Rūm (30). In: Orientalia, Nova Series, Vol. 13, 1944, 334-355, hier: 338.

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geschuldet. Denn der Konflikt zwischen Byzanz und den Sassaniden wurde vor allem militärisch ausgefochten. Während die koranische Erinnerung an die kommende Hilfe Gottes (bi-naṣri llāhi) für die Byzantiner trotz der Abstreitung einer eschatologischen Dimension des byzantinisch-sassanidischen Konfliktes dieselbe Stoßrichtung wie die im Hexagramm (Deus adiuta Romanis) zum Ausdruck kommende byzantinische Reichspropaganda hat, so ist diese formaliter in Anknüpfung und Abgrenzung zu einem Sprachgebrauch aus Südarabien formuliert. So wurde bereits für die Basmala-Formel im Koran (Q 27:30) argumentiert, dass diese sich formal an trinitarischen Invokationsformeln von Herrscherinschriften aus Himyar anlehnt und auch programmatisch abgrenzt. Auch der Sprachgebrauch von Q 30:2-7 ist im Kontext vorislamischer und monotheistischer Invokationsformeln aus Südarabien zu sehen.18 Ein Charakteristikum dieser Formeln ist die Erinnerung und Bitte um Gottes Macht/Kraft/Stärke (ḫyl19,mqm20), Unterstützung/Beistand (rdʾ21) und Hilfe (nṣr22). Die entsprechenden Begriffe werden einzeln und in Kombination zur Anrufung Gottes verwendet: „Mit der Hilfe und dem Beistand Gottes […] (b-nṣr w-rdʾ ʾlhn)“ (CIH 540)23, „Mit dem Beistand des Raḥmānān […] (b-rdʾ rḥmnn) (CIH 6)“24, „Mit der Hilfe und dem Beistand des Raḥmānān […] (b-nṣr w-rdʾ rḥmnn)“ (MAFRAY – Abû Ṯawr 4)25, „Mit der Hilfe und dem Beistand des Raḥmānān, des Barmherzigen (b-nṣr w-rdʾ rḥmnn mtrḥmn)“ (Fa 74)26. Beim himyaritischen Herrscher Abraha hatte sich auch gezeigt, dass sich bei ihm in Anschluss und in Abwandlung der trinitarischen Invokationsformel seines Vorgängers Sumuyafa Ashwa („[Im] Namen des Raḥmānān und seines Sohnes Christus, des Siegreichen“, [b-]sm rḥmnn w-bn-hw krśtś ġlbn, Istanbul 7608)27 eine Kombination der trinitarischen Invokation mit der Anrufung und Erinnerung von Gottes Hilfe und Macht findet28: „Mit der Kraft und dem Beistand und der Barmherzigkeit 18  Für eine Übersicht monotheistischer Invokationsformeln aus Südarabien siehe Gajda, Le royaume de Ḥimyar à l’époque monothéiste, 226-231. 19  Vgl. Beeston/Ghul/Müller/Ryckmans, Sabaic Dictionary, 64. 20  Vgl. ebd., 111. 21  Vgl. ebd., 114 f. 22  Vgl. ebd., 100. 23  Vgl. Müller, Sabäische Inschriften nach Ären datiert, 68-73, hier 72, Zeile 81 f. 24  Vgl. ebd., 78, Zeile 3. 25  Vgl. ebd., 85, Zeile 7. 26  Vgl. ebd., 89 f., hier 89, Zeile 3. 27  Vgl. http://dasi.cnr.it/index.php?id=dasi_prj_epi&prjId=1&corId=0&colId=0&navId=800 877863&recId=2410 28  Vgl. diesbezüglich ebenso die Invokation der Trinität zur militärischen Unterstützung in der äthiopischen Herrscherinschrift von Kaleb: „Mit dem Beistand der Trinität, der des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes (b-rdʾ tlšls l-ʾb w-wald w-[m]fs qds)“ (RIÉ 191) Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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des Raḥmānān und seines Messias und des Heiligen Geistes (b-ḫyl w-[r]dʾ w-rḥmt rḥmnn w-msḥ-hw w-rḥ[q]ds)“ (CIH 541)29, „Mit der Kraft und der Hilfe und dem Beistand des Raḥmānān, des Herrn des Himmels und seines Messias (b-ḫyl w-nṣr w-rdʾ rḥmnn mrʾ smyn w-msḥ-hw)“ (DAI GDN 2002-20)30, „Mit der Kraft des Raḥmānān und seines Messias (b-ḫyl rḥmnn w-msḥ-hw)“ (Ry 506)31. Im Koran sind die beiden Wurzeln ḫ-y-l und q-w-m nicht im Sinne der sabäischen Semantik von Kraft, Macht und Stärke produktiv.32 Jedoch wird das nomen loci maqām („Stand“) zur Wurzel q-w-m als Bezeichnung für den Stand Gottes (Q 14:14; 79:40; 55:46) verwendet, von dem sich die Menschen fürchten oder nicht fürchten. Diese Ausdrucksweise wurde als Angst vor dem Gericht Gottes oder seiner Richterfunktion gedeutet.33 Hubert Grimme erwägt überzeugend, dass hier vor allem das sabäische Verständnis von mqm als Kraft und Macht Gottes vorauszusetzen ist.34 Jedenfalls wird koranisch für die Kraft und Macht Gottes insbesondere der Begriff quwwa gebraucht35, während Gott selbst als der Mächtige (ʿazīz) bezeichnet wird.36 Die sabäische Bezeichnung rdʾ hat im Koran nur ein einziges Mal eine Entsprechung. Moses bittet Gott um den Beistand (ridʾ) von seinem Bruder Aaron als Helfer (Q 28:43). Hingegen werden Ableitungen aus der Wurzel n-ṣ-r im Koran wie im Sabäischen zur semantischen Kennzeichnung von Hilfe und Unterstützung verwendet.37 Die Betonung und Anrufung der Hilfe Gottes in Q 30:5 erinnert nun stark an die monotheistischen Invokationsformeln aus Südarabien: 5 bi-naṣri llāhi yanṣuru man yašāʾu wa-huwa l-ʿazīzu r-raḥīm 5 über die Hilfe Gottes, er hilft, wem er will. Er ist der Mächtige und Barmherzige. (vgl. Bernand/Drewes/Schneider, Recueil des inscriptions de l’Ethiopie, 271-274, hier 272, Zeile 7). 29  Vgl. Müller, Sabäische Inschriften nach Ären datiert, 110-117, hier 111, Zeile 1-3. 30  Vgl. ebd., 107-109, hier 107, Zeile 1-4. 31  Vgl. ebd., 118 f., hier 118, Zeile 1. 32  Vgl. Ambros/Procházka, A Concise Dictionary of Koranic Arabic, 94, 231 ff. 33  Vgl. ebd., 233. 34  Vgl. Hubert Grimme, Über einige Klassen südarabischer Lehnwörter im Koran. In: Zeitschrift für Assyriologie und verwandte Gebiete, Band 26, 1912, 158-168, hier 160. 35  Vgl. Ambros/Procházka, A Concise Dictionary of Koranic Arabic, 233. 36  Vgl. ebd., 187 f. 37  Vgl. ebd., 269. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Die Hilfe Gottes (bi-naṣri llāhi) und der Verweis auf Gott als Barmherzigen (ar-raḥīm) entsprechen z.B. derselben Ausdrucksweise wie in der Inschrift Fa 74: „Mit der Hilfe […] des Raḥmānān, des Barmherzigen“ (b-nṣr […] rḥmnn mtrḥmn)“. Auch bei Abraha haben wir dieselbe Form der Beschwörung der Hilfe (naṣr) von Gott als Barmherzigen (ar-raḥīm) und Mächtigen (al-ʿazīz): „Mit der Kraft und der Hilfe […] des Raḥmānān, des Herrn des Himmels und seines Messias“ (b-ḫyl w-nṣr […] rḥmnn mrʾ smyn w-msḥ-hw)“ (DAI GDN 2002-20)38. Dass in Q 30:5 nicht mehr der Gottesname ar-raḥmān verwendet wird, hängt wohl damit zusammen, dass diese Bezeichnung für Gott in der spätmekkanischen Phase nicht mehr vorherrschend ist. Es hatte sich aber bereits für die Basmala die Gleichstellung des Gottesnamen Allāh zu ar-raḥmān gezeigt. Wichtig ist, dass bisher in der muslimischen Exegese39 und in der westlichen Forschung Vers 5 in Abhängigkeit zum vorliegenden Vers gelesen wurde. Die Präposition bi wurde als transitiver Verweis auf das Objekt zum Verb des vorherigen Verses (yafraḥu) verstanden40: wa-yauma‌ʾiḏin yafraḥu l-muʾminūn 5 bi-naṣri llāhi yanṣuru man yašāʾu wa-huwa l-ʿazīzu r-raḥīm Und an jenem Tag werden die Gläubigen frohlocken, 5 über die Hilfe Gottes, er hilft, wem er will. Er ist der Mächtige und Barmherzige. Dagegen legt die Kontextualisierung zu den monotheistischen Invokationsformeln aus Südarabien nahe, dass die Präposition bi hier zur Einleitung der Invokation von Gottes Hilfe genutzt wird. Das Frohlocken der Gläubigen an jenem Tag (yauma‌ʾiḏin) bezieht sich hingegen auf den bereits in den Versen

38  Zu dieser Inschrift siehe Norbert Nebes, A new ʾAbraha inscription from the Great Dam of Mārib. In: Proceedings of the Seminar for Arabian Studies 34, 2004, 221-230. 39  Vgl. Muḥammad b. Ǧarīr aṭ-Ṭabarī, Ǧāmiʿ al-bayān ʿan ta‌ʾwīl āy al-Qurʾān, Band 18, 447, 460. 40  Rāzī versteht hingegen das Verbalsubstantiv (naṣr) als Vorwegnahme zum nachfolgenden Verb aus derselben Wurzel (naṣara). Mit der Präposition bi wäre dementsprechend das Verbalsubstantiv zum nachfolgenden Verb antizipatorisch vorangestellt. Nach Rāzī soll damit die Omnipotenz Gottes hervorgehoben werden (vgl. Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī, at-Tafsīr al-kabīr/Mafātīḥ al-ġaib, Dār al-Fikr, Band 25, Beirut 1981/1401, 98).

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3-4 versicherten späteren Sieg der Byzantiner, sodass sich folgende Übersetzung für Q 30:2-6 ergibt: 2 Besiegt sind die Byzantiner 3 im nahegelegenen Land. Doch sie werden nach ihrer Niederlage wieder obsiegen, 4 in ein paar Jahren! Bei Gott liegt die Entscheidung, vorher und nachher. Und an jenem Tag werden die Gläubigen frohlocken. 5 Mit der Hilfe Gottes! Er hilft, wem er will. Er ist der Mächtige und Barmherzige. 6 Die Verheißung Gottes! Gott bricht seine Verheißung nicht! Doch die meisten Menschen haben kein Wissen! Q 30:5 ist also eine Invokationsformel nach dem Vorbild des in Südarabien bezeugten Sprachgebrauches. Wie in diesen Formeln und gemäß der Invokation im Hexagramm (Deus adiuta Romanis) wird die zukünftige Hilfe Gottes für die Byzantiner beschworen. Wie bei dem Vergleich der koranischen Verheißungen zu den Prophezeiungen aus der Umwelt des Korans ist aber auch ein deutlicher Unterschied der koranischen Invokationsformel zu denjenigen des himyaritischen Herrschers Abraha und seines Vorgängers Sumuyafa Ashwa zu beobachten. Während letzterer Jesus als Siegreichen (ġlbn) anruft, wird im Koran das Verb aus derselben Wurzel ġ-l-b genutzt, um unabhängig von einer christologischen und messianischen Dimension des byzantinisch-sassanidischen Konfliktes die militärische Auseinandersetzung zwischen beiden Mächten zu beschreiben. Während Abraha die Hilfe Gottes stets mit der Invokation des Messias verknüpft, fehlt der messianische Bezug komplett in der koranischen Beschwörung. Vergleicht man nun die Verheißung von Q 30 mit den Analysen der vorangehenden Kapitel, dann wird die bisherige Tendenz einer eschatologischen und messianischen Dekontextualisierung des Konflikts zwischen Byzanz und den Sassaniden bestätigt. So wie in Q 17 die beiden Tempelzerstörungen (waʿdān) von der Verheißung vom Jenseits (waʿdu l-ʾāḫira) abgegrenzt werden, wird nun in Q 30 die Verheißung vom Sieg der Byzantiner (waʿdu l-ġalaba) von der waʿdu l-ʾāḫira abgegrenzt, indem lediglich in Vers 7 darauf verwiesen wird, dass die Menschen das jenseitige Leben und das Bewusstsein dafür vernachlässigen. Für jede Verheißung, auch für die Verheißung des Sieges der Byzantiner gilt, dass Gott sie erfüllt. Jedoch hat der angenommene Sieg der Byzantiner in der Zukunft keine reichseschatologische Bedeutung, wie sie etwa die syrische

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Alexanderlegende behauptet. Tesei gesteht selbst ein, dass die koranische Verheißung in Q 30 nichts mehr von einer umfangreichen Reichseschatologie hat.41 Jedoch belässt er es seltsamerweise bei seiner eschatologischen und apokalyptischen Bewertung der koranischen Prophezeiung. Dabei ist diese gerade im Vergleich zu den von Tesei zitierten reichseschatologischen Verheißungen von jeglichem eschatologischen und apokalyptischen Zusammenhang dekontextualisiert und unspektakulär: Nach dem Sieg der Byzantiner bricht kein messianisches Zeitalter an, es beginnt nicht die Auferstehung und es folgt auch nicht der Kampf gegen Gog und Magog. Es ist nichts mehr von dem Vokabular apokalyptischer und eschatologischer Reflexion in der Verheißung des byzantinischen Sieges vorhanden. Auch hat die koranische Invokationsformel für die Hilfe Gottes (Q 30:5) nichts mehr mit der messianischen Beschwörungsformel des Abraha gemein. Eine reichseschatologische und apokalyptische Deutung von Q 30:2-7 hat auch Shoemaker in Anschluss an Tesei vorgeschlagen: In such a way, this Byzantine wartime propaganda quickly reached Muhammadʾs followers and was adapted into a new version that replaced Rome’s unique eschatological mission with simple conviction that the eschaton was imminent. Thus, according to such an eschatological reading, the Qurʾān’s reference to these events should perhaps be translated instead as follows: “The Romans have been defeated in the nearest (part) of the land [the Holy Land]. But after their defeat, they will triumph in a few years. The reign of God is before and after, and on the Last day the believers will rejoice in the victory of God. The Promise of God!”42

Auffällig ist Shoemakers Übersetzung von al-ʾamr als „The reign of God“ sowie von yauma‌ʾiḏin („an jenem Tag“) als „Last day“. Während man letzteres als verkürzte Anspielung auf al-yaum al-ʾāḫir („letzte/jüngste Tag“) nachvollziehen könnte, so überrascht doch die Übersetzung von al-ʾamr als „Herrschaft Gottes“. Diesbezüglich erklärt Shoemaker zuvor: With this phrase, then, amr allāh, the Qurʾān refers to the eschaton using language that sounds very much like “the Kingdom of God”. […] Even if the Qurʾān’s traditions do not always use the word amr consistently in this manner, this by no means precludes such a reading in other instances. One should not suppose that its meaning is somehow fixed across all of the traditions of the Qurʾān, although there is in fact wide recognition that amr generally refers to the eschaton in the Qurʾānic traditions. We should not make the mistake of trying to create a systematic theology of the end times out of the Qurʾān’s desperate and often ecstatic pronouncements, and accordingly, variations in the termʾs usage 41  Vgl. Tesei, “The Romans Will Win!”, 25. 42  Shoemaker, The Apocalypse of Empire, 153.

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should not be unexpected, particularly when dealing with topics as notoriously slippery as apocalypticism and eschatology.43

Shoemakers Feststellung, dass ʾamr im koranischen Sprachgebrauch generell eschaton bedeutet und dass dies weit akzeptiert („wide recognition“) ist, verblüfft etwas. Er gibt diesbezüglich keine weitere Referenz und es ist mir zumindest kein weiterer Forscher bekannt, der diese These außer Shoemaker vertritt oder vertreten hat. Vor diesem Hintergrund ergibt es jedenfalls Sinn, sich den koranischen Gebrauch von ʾamr genauer anzugucken. Das entsprechende Verb im ersten Stamm (ʾamara) wird im Koran 77 Mal verwendet und hat durchgehend die Bedeutung von „befehlen“.44 Das Verbalsubstantiv ʾamr kommt 166 Mal vor und dessen Bedeutungsspektrum rührt insbesondere aus der Grundbedeutung von Befehligen/Befehlen. Neben den überwiegenden Stellen, in denen ʾamr den Befehl/die Anordnung Gottes (Q 33:36, Q 34:12 etc.) oder grundsätzlich die (zu entscheidende) Angelegenheit bezeichnet (Q 6:159, Q 3:147 etc.)45, zeugen weitere Stellen davon, dass ʾamr insbesondere die Verfügungsgewalt Gottes über seine Schöpfung kennzeichnet. So wird betont, dass er gemäß seinem ʾamr das Schöpfungswort kun spricht, und der entsprechende Wille Gottes sich manifestiert (Q 2:117, Q 3:47). Diese Verfügungsgewalt Gottes über die Natur wird auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er diese eingibt (ʾauḥā) (Q 41:12, Q 42:52) oder diese hinabsendet (nazzala/tanazzala) (Q 16:2, Q 19:64). Man hat diese und ähnliche Stellen auch derart verstanden, dass hier Gottes Wirken durch den logos zum Ausdruck gebracht werden soll.46 Gottes Verfügungsgewalt umfasst auch den Verlauf der Geschichte. So wird aus einigen Versen ersichtlich, dass die Gläubigen bei ihrer (kriegerischen) Auseinandersetzung mit den Feinden, Gottes Entscheidung (ʾamr) wünschen oder nicht geduldig darauf warten, dass der Verlauf der Geschichte sich nach seinem Ratschluss vollzieht (Q 5:52; Q 8:44; Q 9:48). Tatsächlich wird mit dem Kommen (ǧāʾa) des ʾamr Gottes das rettende Handeln Gottes zur Hilfe seiner Gläubigen bezeichnet (Q 11:58, 11:66, 11:94). Und auch im eschatologischen Endgericht wird allein Gott die Entscheidungsgewalt (ʾamr) haben (Q 82:19). Eine konzeptionelle Nähe weist der Begriff ʾamr zu furqān („Entscheidung“, von der Grundbedeutung faraqa „trennen“) auf. Auch der furqān wird hinabgesandt (anzala/nazzala) (Q 25:1; Q 3:4) und die göttliche Entscheidung der Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen wird als „Tag der Entscheidung“ 43  Ebd., 138  f. 44  Vgl. Ambros/Procházka, A Concise Dictionary of Koranic Arabic, 27. 45  Vgl. ebd., 28. 46  Vgl. ebd.

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(yaum al-furqān) bezeichnet (in der Tradition mit der Schlacht von Badr assoziiert) (Q 8:41). Der semantische Zusammenhang zwischen beiden Begriffen wird an einer Stelle explizit zum Ausdruck gebracht, wenn etwa gesagt wird, dass jede Angelegenheit entschieden wird (yufraqu kullu ʾamrin) (Q 44:4). Insgesamt wird aus dieser Bedeutungsübersicht zu ʾamr im koranischen Sprachgebrauch deutlich, dass an keiner Stelle ʾamr explizit den Sinn von eschaton hat. Allein diese Erkenntnis verwundert angesichts Shoemakers Behauptung, dass ʾamr generell im Koran eschaton bedeutet. Nun will ich nicht ausschließen, dass zumindest in Q 30:4 ʾamr diesen eschatologischen Sinn hat. Shoemaker übersetzt li-llāhi l-ʾamru min qablu wa-min baʿdu als „The reign of God is before and after“ und spielt damit auf die eschatologische Vorstellung vom Reich Gottes an. Doch diese Übersetzung ergibt in diesem Kontext kaum Sinn. Warum soll die Herrschaft Gottes im eschatologischen Sinne davor und danach sein? Eigentlich wird hier doch in Übereinstimmung mit dem sonstigen Sprachgebrauch von ʾamr im Koran ausgesagt, dass Gott die Verfügungsgewalt (Entscheidung) über den Verlauf der Geschichte hat. Er hatte diese vorher, als die Römer besiegt wurden, und hat sie auch später, wenn die Römer siegreich sein werden. In diesem Sinne könnte man tatsächlich an dieser Stelle davon sprechen, dass Gottes Herrschaft (als seine absolute Verfügungsgewalt) vorher und nachher ist. Aber damit ist eben gerade nicht eine eschatologische Herrschaft gemeint. Gottes ʾamr (Verfügungsgewalt/Herrschaft) umfasst vielmehr: die Schöpfung, die Natur, die Geschichte, das Endgericht etc. Wie zuvor bereits gezeigt wurde, lehnt der Koran ja gerade eine apokalyptische Entfesselung der Endzeit im Sinne eines Kampfes zwischen dem absolut Guten und absolut Bösen ab.47 Das koranische Konzept von ʾamr als absolute Verfügungsgewalt Gottes dekontextualisiert geradezu einen möglichen reichseschatologischen Rahmen des byzantinisch-sassanidischen Konfliktes. Shoemaker versucht seine etwas irritierende Übersetzung dadurch mit dem Kontext zu harmonisieren, dass er die Zeitpartikel yauma‌ʾiḏin im Sinne von al-yaum al-ʾāḫir („letzte/jüngste Tag“) wiedergibt. Dabei hat yauma‌ʾiḏin – ähnlich wie an anderen Stellen im Koran die Partikel ʾiḏ (Q 8:42-44) – eine deiktische Funktion, um auf den künftigen Sieg der Römer hinzuweisen, wenn Gott ihnen helfen wird. Derart stimmt der Gebrauch von ʾamr bestens mit anderen Stellen im Koran überein, in denen Gott seinen Gläubigen zur Seite steht und seinem ʾamr Ausdruck verleiht. All diese Stellen stehen in keinster Weise in einem eschatologischen Zusammenhang. Jedenfalls zeigt dieses Beispiel, in welche philologische Schieflage man gerät, wenn man wie Shoemaker vorab 47  Siehe diesbezüglich Kapitel 5.1.

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Reichseschatologische Verheisung ?

die absolute Korrespondenz der koranischen Verkündigung zu ihrem Kontext erklärt und keine anderen Resultate mehr zulässt. Vor dem Hintergrund der vorangehenden Kapitel zeigt das Beispiel von Q 30:2-7, dass es gerade die eschatologische und apokalyptische Dekontextualisierung des Konfliktes zwischen Byzanz und den Sassaniden ist, die zahlreiche mittelmekkanischen Suren bestimmt und auch in diesem Fall nachweisbar ist. 7.1

Ex eventu: Der Sieg von Byzanz als Sieg der Gläubigen?

Auch wenn in Q 30:2-7 der reichseschatologische Kontext des byzantinisch-­ sassanidischen Konfliktes verneint wird, so bleiben die Verheißung vom Sieg der Römer und die Invokation der Hilfe Gottes pro-byzantinisch. Die Gläubigen werden sich am Tag des byzantinischen Sieges freuen (Q 30:4). Hier lässt sich nun fragen, ob die Bewertung der Ereignisse nach dem tatsächlichen Sieg der Byzantiner weiterhin positiv geblieben ist. Schließlich fällt der Triumph von Herakleios in die letzte Lebensphase des Propheten Muhammad. Diesbezüglich könnte ein Vers aus der medinensischen Verkündigungsphase des Propheten einen Hinweis über die Bewertung der Ereignisse nach dem Sieg der Byzantiner enthalten (Q 5:17): 17 la-qad kafara llaḏīna qālū ʾinna llāha huwa l-masīḥu ibnu maryama qul fa-man yamliku mina llāhi šaiʾan ʾin ʾarāda ʾan yuhlika l-masīḥa ibna maryama wa-ʾummahū wa-man fi l-ʾarḍi ǧamīʿan wa-li-llāhi mulku s-samāwāti wa-l-ʾarḍi wa-mā bainahumā yaḫluqu mā yašāʾu wa-llāhu ʿalā kulli šaiʾin qadīr 17 Wahrlich ungläubig sind diejenigen, die sagen: „Gott ist Christus, der Sohn der Maria“ Sprich: „Wer besitzt denn irgendeine Macht gegenüber Gott, wenn er Christus, den Sohn der Maria und seine Mutter vernichten wollte, und alle, die auf der Erde sind?“ Gott hat die Herrschaft über die Himmel und die Erde und was dazwischen ist. Er erschafft, was er will. Gott ist jeder Sache mächtig.

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Kapitel 7

In Q 5:17 werden diejenigen Menschen des Unglaubens bezichtigt, die sich zur Göttlichkeit von Jesus Christus bekennen. Dagegen wird die Autonomie und Omnipotenz Gottes betont, der nicht nur Jesus und seine Mutter, sondern alle Wesen der Erde vernichten kann. Ihm allein gebührt die irdische und himmlische Herrschaft. Die bisherige Forschung hat dieses Verse insbesondere im Kontext eines religionspolemischen Diskurses über die Natur Jesu verortet und sich auf die Frage konzentriert, welches konkrete christologische Bekenntnis hier gemeint sein kann.48 Auffällig ist nun der exklamatorische Charakter des Verses, der durch die Bekräftigungspartikel la-qad zum Ausdruck gebracht wird. Die Wiedergabe des Bekenntnisses zur Göttlichkeit Jesu als direkte Rede scheint auf eine tatsächliche und verbreitete Äußerung hinzuweisen. Ungewöhnlich ist jedoch das Bekenntnis selbst: „Gott ist Christus, Sohn der Maria“. Die zu erwartende Reihenfolge eines christologischen Bekenntnisses wäre jedoch: Christus ist Gott.49 Zudem wird neben der Allmacht Gottes gegenüber Jesus Christus auch seine Macht über die Mutter Jesu betont, so als ob hier auch der göttliche Status von Maria abgelehnt werden würde. Die Anrede von Jesus als al-masīḥ

48  Vgl. Bauschke, Der Sohn Marias, 97 ff.; zum Problem der konkreten Identifizierung einzelner christlicher Gruppen und Bekenntnisse im Koran siehe Reynolds, Gabriel Said, On the Qur’an and Christian heresies. In: Zellentin, Holger M. (Hg.), The Qur’an’s Reformation of Judaism and Christianity. Return to the Origins, Abingdon 2019, 318-332. 49  Vgl. Griffith, Sidney, Al-Naṣārā in the Qurʾān. A hermeneutical reflection. In: Reynolds, Gabriel Said (Hg.), New Perspectives on the Qurʾān. The Qurʾān in its historical context 2, Abingdon 2011, 301-322, hier 311 und 316; Rāzī fragt sich in der Exegese des Verses, wie es sein kann, dass im Koran Christen etwas zugesprochen wird, was sie gar nicht in dieser Form explizit behaupten. Er versucht zu zeigen, dass sich dieses Bekenntnis über Gott als Christus aus dem Gedanken der Inkarnation des Gotteswortes ergibt. Auch wenn sich Christen nicht öffentlich so bekennen, so sei diese Aussage als Konsequenz ihrer Überzeugungen die Grundlage ihrer Religion (vgl. ar-Rāzī, at-Tafsīr al-kabīr/Mafātīḥ al-ġaib, Band 11, 195). Sehr plausibel scheint die von Klaus von Stosch und Mouhanad Khorchide vorgeschlagene Exegese von Q 5:17 (vgl. Klaus von Stosch/Mouhanad Khorchide, Der andere Prophet. Jesus im Koran, Freiburg 2018, 165 ff.). Diese verweisen auf den Theopaschitenstreit im sechsten Jahrhundert. In diesem Zusammenhang wurde explizit dafür argumentiert, dass man auch sagen könne, dass Gott Christus ist. Im selben Kontext stehe der Titel, dass Christus einer aus der Trinität sei. Letzteres kritisiere ja der Koran, wenn er diejenigen für ungläubig erklärt, die sagen, dass Gott einer von dreien (ṯāliṯu ṯalāṯatin) sei (Q 5:73). Die im Folgenden vorgeschlagene Exegese will dieser Erklärung von Klaus von Stosch und Mouhanad Khorchide nicht widersprechen. Es könnte vielmehr sein, dass dieses Gedankengut auch zu Beginn des siebten Jahrhunderts bei syrischen Christen und im byzantinischen Reich weiterhin verbreitet war und dass der Koran im Kontext der politischen Entwicklungen zu dieser Zeit auch dieses Gedankengut mit verhandelt.

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Reichseschatologische Verheisung ?

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ibn maryam („Christus, Sohn der Maria“) scheint hier – wie in Q 3:45 betont wird – als Eigenname (ism) formuliert zu sein. Insgesamt ist es nun bemerkenswert, dass hier im Konjunktiv die Möglichkeit der Vernichtung von Jesus und Maria durch Gott erwogen wird.50 Auch wenn dieses als rhetorisches Mittel einer kontrafaktischen Hyperbel zu verstehen ist, so sind doch Jesus und Maria aus der Perspektive des Korans besondere Gläubige und bedeutende Figuren der Heilsgeschichte. Deshalb ist es umso überraschender, dass das Verb (ahlaka), das die mögliche Vernichtung beider Personen bezeichnet, ein terminus technicus der koranischen Theologie ist. Ihlāk bezeichnet Gottes strafende Interaktion in der Heilsgeschichte (Q 6:6, 10:13, 18:59 etc.). Er hat diejenigen Völker vernichtet, die seine Gesandten verfolgt und abgelehnt haben. Warum sollte gerade dieser Begriff des strafenden Handelns Gottes für Jesus und Maria in Anschlag gebracht werden? Auch muss man hervorheben, dass die Frage nach der legitimen Herrschaft die Stoßrichtung des Verses zu bestimmen scheint. Der Vers schließt nicht nur mit der Feststellung, dass einzig Gott die Herrschaft (mulk) über die Himmel und die Erde hat. Vielmehr ist dieser Versschluss paronomastisch mit dem Beginn des Verses verbunden. Bei der Feststellung, dass keiner mächtig genug ist, um Gott an die Vernichtung von Jesus und Maria zu hindern, wird das Verb (yamliku) aus derselben Wurzel wie zur Bezeichnung von Herrschaft (mulk) verwendet. Ein von Herakleios nach seinem Sieg gegen die Sassaniden in Konstantinopel verlesenes Sendeschreiben könnte helfen, die koranische Argumentation in Q 5:17 zu verstehen. Im Chronicon Paschale ist das Sendeschreiben51 erhalten: In the 18th year of the reign of Heraclius, and post-consulship 17, and in year 16 of the reign of Heraclius II Constantine his son, on the 15th of the month May, indiction 1, a Sunday, at the holy Pentecost itself, from the ambo in the most holy Great Church were read out dispatches which had been sent from the eastern regions by Heraclius our most pious emperor, which announced the fall Chosroes and the proclamation of Seiroe as the Persian king. They were as follows: ‘Let all the earth raise a cry to God; serve the Lord in gladness, enter into his presence in exultation, and recognize that God is Lord indeed. It is he who has made us and not we ourselves. We are his people and sheep of his pasture. Enter 50  Martin Bauschke spricht hier von einer „Horrorphantasie“ des Korans, mit der die Vorstellung einer Gottessohnschaft bzw. Göttlichkeit von Jesus abgewehrt werden soll: „Der Koran lässt sich hier – in letzter Zuspitzung – zu einer Art Horrorphantasie hinreißen, um Gottes schlechthinnige Souveränität zu illustrieren: Er könne jederzeit die gesamte Menschheit und also auch Jesus mitsamt seiner Mutter zugrunde gehen lassen.“ (Bauschke, Der Sohn Marias, 98). 51  Vgl. zu diesem Sendeschreiben Howard-Johnston, Witnesses to a World Crisis, 48 f.

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Kapitel 7 into his courts with hymns and give thanks to him. Praise his name because Christ is Lord, his mercy is unto eternity, his truth for generation upon generation. Let the heavens be joyful and the earth exult and the sea be glad, and all that is in them. And let all we Christians, praising and glorifying, give thanks to the one God, rejoicing with great joy in his holy name. For fallen is the arrogant Chosroes, opponent of God. He is fallen and cast down to the depths of the earth, and his memory is utterly exterminated from earth; he who was exalted and spoke injustice in arrogance and contempt against our Lord Jesus Christ the true God and his undefiled Mother, our blessed Lady, Mother of God and ever-Virgin Mary, perished is the profaner with a resounding noise. His labour has turned back upon his head, and upon his brow has his injustice descended. […]’52

Das Sendeschreiben des Herakleios enthält nicht nur das psalmistisch53 adaptierte Bekenntnis zu Christus als Herr (Χριστὸς κύριος)54, sondern gibt auch Auskunft darüber, warum Gott den sassanidischen Herrscher Chosrau vernichtet hat: Dieser hat sich verächtlich gegen Jesus Christus (Ἰησοῦ Χριστοῦ) als wahren Gott (ἀληθινοῦ θεοῦ) und gegen seine Mutter (μητρὸς) als Gottesgebärerin (θεοτόκου) geäußert. Deshalb tilgt Gott seine Erinnerung von der Erde und hat ihn vernichtet. Q 5:17 könnte eine Antwort auf den triumphalen Ton enthalten, mit dem Herakleios den Sieg gegenüber Chosrau als Sieg des wahren Glaubens und als Konsolidierung seiner göttlich legitimierten Herrschaft verkünden lässt. Die koranische Exklamation in Q 5:17 lässt sich demnach als Echo zum Sendeschreiben des Herakleios deuten. Mit ʾinna llāha huwa l-masīḥu („Gott ist Christus“) wird das psalmistisch formulierte Bekenntnis zu Christus als Herr (Χριστὸς κύριος) überspitzt aufgegriffen. Denn im Sendeschreiben wird Psalm 99 aus der Septuaginta in eigentümlicher Weise abgeändert. Ursprünglich lautet der Psalm in seiner Gänze: 1 2 3 4

[…] ᾿Αλαλάξατε τῷ κυρίῳ, πᾶσα ἡ γῆ, δουλεύσατε τῷ κυρίῳ ἐν εὐφροσύνῃ, εἰσέλθατε ἐνώπιον αὐτοῦ ἐν ἀγαλλιάσει. γνῶτε ὅτι κύριος, αὐτός ἐστιν ὁ θεός, αὐτὸς ἐποίησεν ἡμᾶς καὶ οὐχ ἡμεῖς, λαὸς αὐτοῦ καὶ πρόβατα τῆς νομῆς αὐτοῦ. εἰσέλθατε εἰς τὰς πύλας αὐτοῦ ἐν ἐξομολογήσει,

52  Whitby (Übersetzer), Chronicon Paschale 284-628 AD, 182 f.; Dindorf (Editor), Chronicon Paschale, 727 f., Zeile 7-21 und 1-12. 53  Vgl. Psalm 100 in der Hebräischen Bibel bzw. Psalm 99 in der Septuaginta. 54  Vgl. Dindorf (Editor), Chronicon Paschale, 727, Zeile 20.

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Reichseschatologische Verheisung ?

5

εἰς τὰς αὐλὰς αὐτοῦ ἐν ὕμνοις· ἐξομολογεῖσθε αὐτῷ, αἰνεῖτε τὸ ὄνομα αὐτοῦ, ὅτι χρηστὸς κύριος, εἰς τὸν αἰῶνα τὸ ἔλεος αὐτοῦ, καὶ ἕως γενεᾶς καὶ γενεᾶς ἡ ἀλήθεια αὐτοῦ.

1 2 3 4 5

„[…] Jauchzt dem Herrn, alle (Bewohner der) Erde, dient dem Herrn mit Freude, kommt herein vor ihn mit Jubel! Erkennt: Der Herr, er ist Gott; er hat uns gemacht und nicht wir (selbst), wir sind sein Volk und die Schafe seiner Weide. Kommt herein in seine Tore mit Lobpreis, in seine Vorhöfe mit Lobliedern; preist ihn, lobt seinen Namen, denn gütig ist der Herr, (bis) in Ewigkeit (währt) sein Erbarmen und bis Generation um Generation seine Wahrheit.“55

Im Sendeschreiben wird nun die Aussage über die Güte Gottes modifiziert. Statt „gütig ist der Herr“ (χρηστὸς κύριος) steht dort „Christus ist Herr“ (Χριστὸς κύριος).56 Man könnte nun argumentieren, dass mit der koranischen Formulierung (ʾinna llāha huwa l-masīḥu, „Gott ist Christus“) die eigentümliche Änderung der Aussage im Psalm 99 syllogistisch auf die Spitze getrieben wird. Wenn man nämlich wie im dritten Vers des Psalms sagt, dass der Herr (κύριος) Gott (θεός) ist und dann behauptet, dass Christus (Χριστὸς) der Herr (κύριος) ist, dann lässt sich überspitzt daraus die Aussage folgern, dass Gott (θεός) Christus (Χριστὸς) ist. Im Sendeschreiben wird triumphal dazu aufgefordert, dass die Gläubigen Christus als Herrn preisen. Das durch die Partikel inna eingeleitete und pointierte Bekenntnis zu Gott als Christus würde also auf ein verbreitetes Bekenntnis in einem solchen Kontext Bezug nehmen. Die Betonung der Allmacht Gottes gegenüber Jesus Christus und seiner Mutter (al-masīḥa ibna maryama wa-ʾummahū) könnte auf die im Sendeschreiben formulierte Anrede von Jesus Christus (Ἰησοῦ Χριστοῦ) als wahren Gott (ἀληθινοῦ θεοῦ) und seiner Mutter (μητρὸς) als Gottesgebärerin (θεοτόκου) 55  Wolfgang Kraus/Martin Karrer (Hg.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2010, 852. 56  Den Hinweis auf diese philologische Auffälligkeit verdanke ich meinem Kollegen Adrian Pirtea (vgl. Adrian Pirtea, Chronicon Paschale, für das Jahr 628 n. Chr. (ed. Dindorf 1832, S. 727.7-728.12) – TUK_1507. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx).

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Kapitel 7

verweisen. Gegen diese soll ja Chosrau polemisiert haben, woraufhin er vernichtet wurde und zugrunde ging. Der Koran scheint nun diese Argumentation im Sendeschreiben des Herakleios zu invertieren. Gott könnte auch Jesus und seine Mutter vernichten (ʾin ʾarāda ʾan yuhlika l-masīḥa bna maryama waʾummahū) und sogar sämtliche Wesen von der Erde tilgen und zugrunde gehen lassen.57 Anders als in Q 30:2-7 würde die Stoßrichtung in Q 5:17 anti-byzantinisch sein. Die Byzantiner mögen gegen die Perser gesiegt haben, jedoch ist das – anders als in Q 30:4 formuliert – kein Sieg der Gläubigen und des einzig wahren Glaubens („Wahrlich ungläubig sind diejenigen, die sagen […]“, Q 5:17). Diese haben nämlich das falsche Bekenntnis von Jesus Christus als Gott und seiner Mutter als Gottesgebärerin. Gegen dieses Bekenntnis in einem triumphalen Kontext der herrscherlichen Legitimation wird betont, dass auch Gott Jesus Christus und Maria wie Chosrau vernichten und von der Erde tilgen könnte. Anders als im Sendeschreiben wird der Messiastitel von Jesus (al-masīḥ) wahrscheinlich als Eigenname verwendet. Auch der Ausdruck Ibn Maryam scheint weniger gegen das Bekenntnis von Jesus als Sohn Gottes zu polemisieren, sondern als Ausdruck des nasab (genealogische Abstammung) von Jesus den Titel der Gottesgebärerin zu konterkarieren. Maria hat einen Sohn und keinen Gott geboren. Damit haben beide dasselbe genealogische Verhältnis wie jede Mutter und jeder Sohn, das durch die Anrede des nasab gekennzeichnet werden kann. Die Betonung der göttlichen Herrschaft über Himmel und Erde zum Abschluss des Verses könnte gegen den im Sendeschreiben vorausgesetzten Herrschaftsanspruch von Byzanz und Herakleios als göttlich legitimiertes Reich bis zur Endzeit gerichtet sein. Der exklamatorische Charakter von Q 5:17 und der Verweis auf ein weit verbreitetes Bekenntnis machen das Sendeschreiben des Herakleios nach seinem Sieg gegen Chosrau zu einem möglichen Referenzpunkt. Zumindest könnte es weit über Konstantinopel hinaus verbreitet worden sein. Die Art und Weise, wie 57  Der folgende Vers 18 in Sure 5 verweist auch auf einen triumphalen Anspruch, den der Koran ablehnt und würde zu der hier vorgeschlagenen Exegese passen. Auch dort wird Christen und Juden eine Aussage zugesprochen, die man eigentlich nicht erwarten würde. Sie behaupten, dass sie Gottes Söhne (ʾabnāʾu llāhi) und seine Lieblinge (ʾaḥibbāʾuhū) seien. Dagegen betont der Koran, dass Gott auch die Christen und Juden jeweils für ihre Sünden bestraft. Wie im Vers zuvor wird dann gesagt, dass Gott alleine die Macht und Herrschaft hat. Das Sendeschreiben von Herakleios würde hier exemplarisch für die vom Koran kritisierte Position stehen. Denn Herakleios lässt ja triumphal verkünden, dass die Christen die wahren Gläubigen sind und dass Gott den ungläubigen Chosrau bestraft hat. Damit versteht Herakleios einzig seine Herrschaft als göttlich legitimiert.

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die Titel Jesu und der Status von Maria in Q 5:17 verhandelt werden, machen es jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass die Aussagen aus dem Sendeschreiben des Herakleios und dessen mögliche Rezeption hier umgekehrt werden. Die Sure al-māʾida (Q 5) wird sowohl in der muslimischen Tradition als auch in der westlichen Koranforschung in die letzte Phase der Verkündigung des Propheten Muhammad datiert. Diese Sure gilt sogar nach einigen Überlieferungen als letzte offenbarte Sure.58 Setzt man 632 n. Chr. als Todesdatum des Propheten voraus, dann würde es zumindest auch zeitlich passen, dass die koranische Verkündigung hier auf eine von Herakleios nach seinem Sieg 628 n. Chr. formulierte Propaganda Bezug nimmt. Auch wenn man diese exegetische Kontextualisierung von Q 5:17 nicht akzeptieren würde, so sensibilisiert dieser Vers nochmal für die Frage, ob die Verheißung in Q 30:2-7 ein vaticinium ex eventu sein kann. Die Tatsache, dass diese pro-byzantinisch ist und die Freude der Gläubigen über den Sieg der Byzantiner voraussagt, macht es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass diese ex eventu formuliert wurde. In der letzten Verkündigungsphase des Propheten war der Prozess der Ausdifferenzierung so weit vorangeschritten, dass man das eigene urmuslimische Bekenntnis klar von anderen religiösen Gruppen unterschieden hat. Man würde nun erwarten, dass – auch im Falle einer nachprophetischen Ergänzung – die Verheißung in Q 30:2-7 als vaticinium ex eventu nicht derart pro-byzantinisch ausfallen würde. Die Atmosphäre in Q 30:2-7 ist ein ganz andere. Dort wird noch vor dem Eindruck krisenhafter Ereignisse (614 n. Chr.) die Hilfe Gottes für die Byzantiner beschworen. Und es verblüfft hier, dass der Koran in seinen Aussagen in Q 30:2-7 und Q 5:17 fast wörtlich Bezug auf die byzantinische Reichspropaganda zu der jeweiligen Zeit nimmt. In Q 30:5 wird das „Deus adiuta Romanis“ der nach 614 n. Chr. geprägten Silbermünze aufgegriffen, während in Q 5:17 die Titel von Jesus und Maria und die Argumentation aus dem Sendeschreiben des Herakleios nach seinem Sieg in 628 n. Chr. kritisch abgelehnt werden.

58  Vgl. Ǧalāl ad-Dīn as-Suyūṭī, al-Itqān fī ʿulūm al-Qurʾān, hg. v. ʿĪṣām Fāris al-Ḥarastānī, Bd. 1, Beirut 1998/1419, 92.

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Kapitel 7 Abb. 3 Hexagaramm, 615-638, Vorder- und Rückseite, Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett, 18204158 https://ikmk.smb.museum/ object?id=18204158, Fotograf: Lutz-Jürgen Lübke (Lübke und Wiedemann).

Abb. 4 Goldmünze, 610-613, Vorder- und Rückseite, Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett, 18204096 https://ikmk.smb.museum/ object?id=18204096, Fotograf: Lutz-Jürgen Lübke (Lübke und Wiedemann).

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Kapitel 8

Q 21 – Die Theologie göttlicher Verheißungen Bei den bisherigen Analysen hat sich herausgestellt, dass in der koranischen Verkündigung etliche Narrative aufgegriffen werden, die eschatologische und messianische Verheißungen betreffen. Im Folgenden soll Sure 21 (al-ʾanbiyāʾ, „die Propheten“) analysiert werden, in der eine koranische Theologie göttlicher Verheißungen (wuʿūd) entwickelt wird. Dabei steht Q 21 nicht nur in ihrem Inhalt, sondern auch in ihrer Form und Komposition ganz im Dienst dieser Theologie göttlicher Verheißungen. Um diesen Sachverhalt genau auszuarbeiten, soll die Sure vollständig, samt Text- und Literarkritik und einem kursorischen Verskommentar, bearbeitet werden. Q 21 – al-ʾanbiyāʾ – Die Propheten 1 iqtaraba li-n-nāsi ḥisābuhum wa-hum fī ġaflatin muʿriḍūn 2 mā ya‌ʾtīhim min ḏikrin min rabbihim muḥdaṯin ʾilla istamaʿūhu wa-hum yalʿabūn 3 lāhiyatan qulūbuhum wa-ʾasarru n-naǧwa llaḏīna ẓalamū hal hāḏā ʾillā bašarun miṯlukum a-fa-ta‌ʾtūna s-siḥra wa-antum tubṣirūn 4 qul rabbī yaʿlamu l-qaula fi s-samāʾi wa-l-ʾarḍi wa-huwa s-samīʿu l-ʿalīm 5 bal qālū ʾaḍġāṯu ʾaḥlāmin bal iftarāhu bal huwa šāʿirun fa-l-ya‌ʾtinā bi-ʾāyatin ka-mā ʾursila l-ʾawwalūn 6 mā ʾāmanat qablahum min qaryatin ʾahlaknāhā ʾa-fa-hum yuʾminūn 7 wa-mā ʾarsalnā qablaka ʾillā riǧālan nūḥī ʾilaihim fa-sʾalū ʾahla ḏ-ḏikri ʾin kuntum lā taʿlamūn 8 wa-mā ǧaʿalnāhum ǧasadan lā ya‌ ʾkulūna ṭ-ṭaʿāma wa-mā kānū ḫālidīn

© Verlag Ferdinand Schöningh, 2020 | doi:10.30965/9783657704323_009 Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Kapitel 8

9 ṯumma ṣadaqnāhumu l-waʿda fa-ʾanǧaināhum wa-man našāʾu wa-ʾahlakna l-musrifīn 10 la-qad ʾanzalnā ʾilaikum kitāban fīhi ḏikrukum ʾa-fa-lā taʿqilūn 11 wa-kam qaṣamnā min qaryatin kānat ẓālimatan wa-ʾanša‌ʾnā baʿdahā qauman ʾāḫarīn 12 fa-lammā ʾaḥassū ba‌ʾsanā ʾiḏā hum minhā yarkuḍūn 13 lā tarkuḍū wa-irǧiʿū ʾilā mā ʾutriftum fīhi wa-masākinikum laʿallakum tusʾalūn 14 qālū yā-wailanā ʾinnā kunnā ẓālimīn 15 fa-mā zālat tilka daʿwāhum ḥattā gaʿalnāhum ḥaṣīdan ḫāmidīn 16 wa-mā ḫalaknā s-samāʾa wa-l-ʾarḍa wa-mā bainahumā lāʿibīn 17 lau ʾaradnā ʾan nattaḫiḏa lahwan la-ittaḫaḏnāhu min ladunnā ʾin kunnā fāʿilīn 18 bal naqḏifu bi-l-ḥaqqi ʿala l-bāṭili fa-yadmaġuhū fa-ʾiḏā huwa zāhiqun wa-lakumu l-wailu mimmā taṣifūn 19 wa-lahū man fi s-samāwāti wa-l-ʾarḍi wa-man ʿindahū lā yastakbirūna ʿan ʿibādatihi wa-lā yastaḥsirūn 20 yusabbiḥūna l-laila wa-n-nahāra lā yafturūn 21 ʾam ittaḫaḏū ʾālihatan mina l-ʾarḍi hum yunširūn 22 lau kāna fīhimā ʾālihatun ʾilla llāhu la-fasadatā fa-subḥāna llāhi rabbi l-ʿarši ʿammā yaṣifūn 23 lā yusʾalu ʿammā yafʿalu wa-hum yusʾalūn 24 ʾam ittaḫaḏū min dūnihī ʾālihatan qul hātū burhānakum hāḏā ḏikru man maʿiya wa-ḏikru man qablī bal ʾakṯaruhum lā yaʿlamūna l-ḥaqqa fa-hum muʿriḍūn 25 wa-mā ʾarsalnā min qablika min rasūlin ʾillā nūḥī ʾilaihi ʾannahū lā ʾilāha ʾillā ʾana fa-ʿbudūn 26 wa-qālū ittaḫaḏa r-raḥmānu waladan subḥānahū bal ʿibādun mukramūn 27 lā yasbiqūnahū bi-l-qauli wa-hum bi-ʾamrihī yaʿmalūn

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Die Theologie göttlicher Verheisungen

28 yaʿlamu mā baina ʾaidīhim wa-mā ḫalfahum wa-lā yašfaʿūna ʾillā li-mani rtaḍā wa-hum min ḫašyatihī mušfiqūn 29 wa-man yaqul minhum ʾinnī ʾilāhun min dūnihī fa-ḏālika naǧzīhi ǧahannama ka-ḏālika naǧzi ẓ-ẓālimīn 30 ʾa-wa-lam yara llaḏīna kafarū ʾanna s-samāwāti wa-l-ʾarḍa kānatā ratqan fa-fataqnāhumā wa-ǧaʿalnā mina l-māʾi kulla šaiʾin ḥaiyin ʾa-fa-lā yuʾminūn 31 wa-ǧaʿalnā fi l-ʾarḍi rawāsiya ʾan tamīda bihim wa-ǧaʿalnā fīhā fiǧāǧan subulan laʿallahum yahtadūn 32 wa-ǧaʿalna s-samāʾa saqfan maḥfūẓan wa-hum ʿan ʾāyātihā muʿriḍūn 33 wa-huwa llaḏī ḫalaqa l-laila wa-n-nahāra wa-š-šamsa wa-l-qamara kullun fī falakin yasbaḥūn 34 wa-mā ǧaʿalnā li-bašarin min qablika l-ḫulda ʾa-fa-ʾin mitta fa-humu l-ḫālidūn 35 kullu nafsin ḏāʾiqatu l-mauti wa-nablūkum bi-š-šarri wa-l-ḫairi fitnatan wa-ʾilainā turǧaʿūn 36 wa-ʾiḏā ra‌ʾāka llaḏīna kafarū ʾin yattaḫiḏūnaka ʾillā huzuwan ʾa-hāḏa llaḏī yaḏkuru ʾālihatakum wa-hum bi-ḏikri r-raḥmāni hum kāfirūn 37 ḫuliqa l-ʾinsānu min ʿaǧalin sa-ʾūrīkum ʾāyātī fa-lā tastaʿǧilūn 38 wa-yaqūlūna matā hāḏa l-waʿdu ʾin kuntum ṣādiqīn 39 lau yaʿlamu llaḏīna kafarū ḥīna lā yakuffūna ʿan wuǧūhihimu n-nāra wa-lā ʿan ẓuhūrihim wa-lā hum yunṣarūn 40 bal ta‌ʾtīhim baġtatan fa-tabhatuhum fa-lā yastaṭīʿūna raddahā wa-lā hum yunẓarūn

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Kapitel 8

41 wa-la-qad istuhziʾa bi-rusulin min qablika fa-ḥāqa bi-llaḏīna saḫirū minhum mā kānū bihī yastahziʾūn 42 qul man yakla‌ʾukum bi-l-laili wa-n-nahāri mina r-raḥmāni bal hum ʿan ḏikri rabbihim muʿriḍūn 43 ʾam lahum ʾālihatun tamnaʿuhum min dūninā lā yastaṭīʿūna naṣra ʾanfusihim wa-lā hum minnā yuṣḥabūn 44 bal mattaʿnā hāʾulāʾi wa-ʾābāʾahum ḥattā ṭāla ʿalaihimu l-ʿumuru ʾa-fa-lā yarauna ʾannā na‌ʾti l-ʾarḍa nanquṣuhā min ʾaṭrāfihā ʾa-fa-humu l-ġālibūn 45 qul ʾinnamā ʾunḏirukum bi-l-waḥyi wa-lā yasmaʿu ṣ-ṣummu d-duʿāʾa ʾiḏā mā yunḏarūn 46 wa-la-ʾin massathum nafḥatun min ʿaḏābi rabbika la-yaqūlunna yā-wailanā ʾinnā kunnā ẓālimīn 47 wa-naḍaʿu l-mawāzīna l-qisṭa li-yaumi l-qiyāmati fa-lā tuẓlamu nafsun šaiʾan wa-ʾin kāna miṯqāla ḥabbatin min ḫardalin ʾatainā bihā wa-kafā binā ḥāsibīn 48 wa-la-qad ʾātainā mūsā wa-hārūna l-furqāna wa-ḍiyāʾan wa-ḏikran li-l-muttaqīn 49 allaḏīna yaḫšauna rabbahum bi-l-ġaibi wa-hum mina s-sāʿati mušfiqūn 50 wa-hāḏā ḏikrun mubārakun ʾanzalnāhu ʾa-fa-ʾantum lahū munkirūn 51 wa-la-qad ʾātainā ʾibrāhīma rušdahū min qablu wa-kunnā bihī ʿālimīn 52 ʾiḏ qāla li-ʾabīhi wa-qaumihī mā hāḏihi t-tamāṯīlu llatī ʾantum lahā ʿākifūn 53 qālū waǧadnā ʾābāʾanā lahā ʿābidīn 54 qāla la-qad kuntum ʾantum wa-ʾābāʾukum fī ḍalālin mubīn 55 qālū ʾa-ǧiʾtanā bi-l-ḥaqqi ʾam ʾanta mina l-lāʿibīn 56 qāla bal rabbukum rabbu s-samāwāti wa-l-ʾarḍi llaḏī faṭarahunna wa-ʾana ʿalā ḏālikum mina š-šāhidīn 57 wa-ta-llāhi la-ʾakīdanna ʾaṣnāmakum baʿda ʾan tuwallū mudbirīn

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Die Theologie göttlicher Verheisungen

58 fa-ǧaʿalahum ǧuḏāḏan ʾillā kabīran lahum laʿallahum ʾilaihi yarǧiʿūn 59 qālū man faʿala hāḏā bi-ʾālihatinā ʾinnahū la-mina ẓ-ẓālimīn 60 qālū samiʿnā fatan yaḏkuruhum yuqālu lahū ʾibrāhīm 61 qālū fa-ʾtū bihī ʿalā ʾaʿyuni n-nāsi laʿallahum yašhadūn 62 qālū ʾa-ʾanta faʿalta hāḏā bi-ʾālihatinā yā-ʾibrāhīm 63 qāla bal faʿalahū kabīruhum hāḏā fa-sʾalūhum ʾin kānū yanṭiqūn 64 fa-raǧaʿū ʾilā ʾanfusihim fa-qālū ʾinnakum ʾantumu ẓ-ẓālimūn 65 ṯumma nukisū ʿalā ruʾūsihim la-qad ʿalimta mā hāʾulāʾi yanṭiqūn 66 qāla ʾa-fa-taʿbudūna min dūni llāhi mā lā yanfaʿukum šaiʾan wa-lā yaḍurrukum 67 ʾuffin lakum wa-li-mā taʿbudūna min dūni llāhi ʾa-fa-lā taʿqilūn 68 qālū ḥarriqūhu wa-nṣurū ʾālihatakum ʾin kuntum fāʿilīn 69 qulnā yā-nāru kūnī bardan wa-salāman ʿalā ʾibrāhīm 70 wa-ʾarādū bihī kaidan fa-ǧaʿalnāhumu l-ʾaḫsarīn 71 wa-naǧǧaināhu wa-lūṭan ʾila l-ʾarḍi llatī bāraknā fīhā li-l-ʿālamīn 72 wa-wahabnā lahū ʾisḥāqa wa-yaʿqūba nāfilatan wa-kullan ǧaʿalnā ṣāliḥīn 73 wa-ǧaʿalnāhum ʾa‌ʾimmatan yahdūna bi-ʾamrinā wa-ʾauḥainā ʾilaihim fiʿla l-ḫairāti wa-ʾiqāma ṣ-ṣalāti wa-ʾītāʾa z-zakāti wa-kānū lanā ʿābidīn 74 wa-lūṭan ʾātaināhu ḥukman wa-ʿilman wa-naǧǧaināhu mina l-qaryati llatī kānat taʿmalu l-ḫabāʾiṯa ʾinnahum kānū qauma sauʾin fāsiqīn 75 wa-ʾadḫalnāhu fī raḥmatinā ʾinnahū mina ṣ-ṣāliḥīn 76 wa-nūḥan ʾiḏ nādā min qablu fa-staǧabnā lahū fa-naǧǧaināhu wa-ʾahlahū mina l-karbi l-ʿaẓīm Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Kapitel 8

77 wa-naṣarnāhu mina l-qaumi llaḏīna kaḏḏabū bi-ʾāyātinā ʾinnahum kānū qauma sauʾin fa-ʾaġraqnāhum ʾaǧmaʿīn 78 wa-dāwūda wa-sulaimāna ʾiḏ yaḥkumāni fi l-ḥarṯi ʾiḏ nafašat fīhi ġanamu l-qaumi wa-kunnā li-ḥukmihim šāhidīn 79 fa-fahhamnāhā sulaimāna wa-kullan ʾātainā ḥukman wa-ʿilman wa-saḫḫarnā maʿa dāwūda l-ǧibāla yusabbiḥna wa-ṭ-ṭaira wa-kunnā fāʿilīn 80 wa-ʿallamnāhu ṣanʿata labūsin lakum li-tuḥṣinakum min ba‌ʾsikum fa-hal ʾantum šākirūn 81 wa-li-sulaimāna r-rīḥa ʿāṣifatan taǧrī bi-ʾamrihī ʾila l-ʾarḍi llatī bāraknā fīhā wa-kunnā bi-kulli šaiʾin ʿālimīn 82 wa-mina š-šayāṭīni man yaġūṣūna lahū wa-yaʿmalūna ʿamalan dūna ḏālika wa-kunnā lahum ḥāfiẓīn 83 wa-ʾaiyūba ʾiḏ nādā rabbahū ʾannī massaniya ḍ-ḍurru wa-ʾanta ʾarḥamu r-rāḥimīn 84 fa-staǧabnā lahū fa-kašafnā mā bihī min ḍurrin wa-ʾātaināhu ʾahlahū wa-miṯlahum maʿahum raḥmatan min ʿindinā wa-ḏikrā li-l-ʿābidīn 85 wa-ʾismāʿīla wa-ʾidrīsa wa-ḏa l-kifli kullun mina ṣ-ṣābirīn 86 wa-ʾadḫalnāhum fī raḥmatinā ʾinnahum mina ṣ-ṣāliḥīn 87 wa-ḏa n-nūni ʾiḏ ḏahaba muġāḍiban fa-ẓanna ʾan lan naqdira ʿalaihi fa-nādā fi ẓ-ẓulumāti ʾan lā ʾilāha ʾillā ʾanta subḥānaka ʾinnī kuntu mina ẓ-ẓālimīn 88 fa-staǧabnā lahū wa-naǧǧaināhu mina l-ġammi wa-ka-ḏālika nunǧi l-muʾminīn 89 wa-zakarīyā ʾiḏ nādā rabbahū rabbi lā taḏarnī fardan wa-ʾanta ḫairu l-wāriṯīn Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Die Theologie göttlicher Verheisungen

90 fa-staǧabnā lahū wa-wahabnā lahū yaḥyā wa-ʾaṣlaḥnā lahū zauǧahū ʾinnahum kānū yusāriʿūna fi l-ḫairāti wa-yadʿūnanā raġaban wa-rahaban ʾinnahum kānū lanā ḫāšiʿīn 91 wa-llatī ʾaḥṣanat farǧahā fa-nafaḫnā fīhā min rūḥinā wa-ǧaʿalnāhā wa-bnahā ʾāyatan li-l-ʿālamīn 92 ʾinna hāḏihī ʾummatukum ʾummatan wāḥidatan wa-ʾana rabbukum fa-ʿbudūn 93 wa-taqaṭṭaʿū ʾamrahum bainahum kullun ʾilainā rāǧiʿūn 94 fa-man yaʿmal mina ṣ-ṣāliḥāti wa-huwa muʾminun fa-lā kufrāna li-saʿyihī wa-ʾinnā lahū kātibūn 95 wa-ḥarāmun ʿalā qaryatin ʾahlaknāhā ʾannahum lā yarǧiʿūn 96 ḥattā ʾiḏā futiḥat yāǧūǧu wa-maǧūǧu wa-hum min kulli ḥadabin yansilūn 97 wa-iqtaraba l-waʿdu l-ḥaqqu fa-ʾiḏā hiya šāḫiṣatun ʾabṣāru llaḏīna kafarū yā-wailanā qad kunnā fī ġaflatin min hāḏā bal kunnā ẓālimīn 98 ʾinnakum wa-mā taʿbudūna min dūni llāhi ḥaṣabu ǧahannama ʾantum lahā wāridūn 99 lau kāna hāʾulāʾi ʾālihatan mā waradūhā wa-kullun fīhā ḫālidūn 100 lahum fīhā zafīrun wa-hum fīhā lā yasmaʿūn 101 inna llaḏīna sabaqat lahum minna l-ḥusnā ʾulāʾika ʿanhā mubʿadūn 102 lā yasmaʿūna ḥasīsahā wa-hum fī ma ištahat ʾanfusuhum ḫālidūn 103 lā yaḥzunuhumu l-fazaʿu l-ʾakbaru wa-tatalaqqāhumu l-malāʾikatu hāḏā yaumukumu llaḏī kuntum tūʿadūn 104 yauma naṭwi s-samāʾa ka-ṭaiyi s-siǧilli li-l-kutubi ka-mā bada‌ʾnā ʾauwala ḫalqin

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Kapitel 8

nuʿīduhū waʿdan ʿalainā ʾinnā kunnā fāʿilīn 105 wa-la-qad katabnā fi z-zabūri min baʿdi ḏ-ḏikri ʾanna l-ʾarḍa yariṯuhā ʿibādiya ṣ-ṣālihūn 106 ʾinna fī hāḏā la-balāġan li-qaumin ʿābidīn 107 wa-mā ʾarsalnāka ʾillā raḥmatan li-l-ʿālamīn 108 qul ʾinnamā yūḥā ʾilaiya ʾannamā ʾilāhukum ʾilāhun wāḥidun fa-hal ʾantum muslimūn 109 fa-ʾin tawallau fa-qul ʾāḏantukum ʿalā sawāʾin wa-ʾin ʾadrī ʾa-qarībun ʾam baʿīdun mā tūʿadūn 110 ʾinnahū yaʿlamu l-ǧahra mina l-qauli wa-yaʿlamu mā taktumūn 111 wa-ʾin ʾadrī laʿallahū fitnatun lakum wa-matāʿun ʾilā ḥīn 112 qul rabbī uḥkum bi-l-ḥaqqi wa-rabbuna r-raḥmānu l-mustaʿānu ʿalā mā taṣifūn I A Einleitung: Gericht, Polemik und Verheißung 1 Genaht ist den Menschen ihre Abrechnung, doch sind sie dem in Ahnungslosigkeit abgewandt. 2 Es kam zu ihnen keine neue Mahnung von ihrem Herrn, ohne dass sie sich, als sie diese hörten, in spielerischer Igno­ ranz übten, 3 und ihre Herzen abwendeten. Und diejenigen, die frevlerisch handeln, flüstern in geheimer Zwiesprache: „Ist das nicht nur ein Mensch wie ihr? Wollt ihr euch wider eure Einsicht auf Zauber einlassen?“ 4 Sprich: „Mein Herr weiß um das Gesagte im Himmel und auf Erden. Er ist der Hörende und Wissende.“ 5 Aber nein, sie sprechen: „Wirre Träume! Nein, er hat sich ihn ersonnen! Nein, er ist ein Dichter! Bring uns ein Zeichen, so wie die Altvorderen entsendet wurden!“ 6 Keine Stadt, die wir vernichtet haben, hat vor ihnen geglaubt. Ja, wollen sie nun glauben? Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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7 Keine Männer entsandten wir vor dir, denen wir nicht eingaben. Fragt doch die Leute der Ermahnung, wenn ihr nicht kundig seid! 8 Und wir machten sie nicht zu Körpern, die keine Speise zu sich nahmen; und sie waren nicht unsterblich! 9 Sodann erfüllten wir die Verheißung an Ihnen, sodass wir sie und – wen wir wollten – erretteten, und wir vernichteten die Maßlosen. B Polemik: Schöpfungsayāt, Mehrgottverehrung, Spott und Verheißung 10 Wir sandten euch eine Schrift herab, worin für euch Mahnung ist. Wollt ihr denn nicht verständig sein? 11 So manche frevlerische Stadt vernichteten wir, und ließen nach ihr ein neues Volk entstehen. 12 Als sie unsere Macht spürten, da liefen sie rasch von ihr, 13 „Lauft nicht weg! Kehrt dorthin zurück, wo ihr ein bequemes Leben hattet und in eure Häuser, auf dass ihr befragt werdet!“ 14 Sie sprachen: „Wehe uns! Wir waren Frevler!“ 15 Diese Wehklage ihrerseits hörte nicht auf, bis wir sie zu etwas Abgeerntetem und Erloschenem machten. 16 Wir schufen nicht den Himmel und die Erde und was zwischen ihnen ist, in spielerischer Kurzweil. 17 Hätten wir uns etwas als Kurzweil nehmen wollen, hätten wir es von uns selbst genommen – wenn wir es denn hätten tun wollen. 18 Aber nein, wir schleudern die Wahrheit gegen den Trug,  sodass sie ihn zerschmettert. Und siehe da, er ist verschwunden. Wehe über euch, wegen dem, was ihr da beschreibt! 19 Ihm sind alle, die in den Himmeln und auf Erden sind, untertan. Und die bei ihm sind, sind nicht zu hochmütig, ihm zu dienen, und sie werden nicht müde dabei. 20 Sie preisen unentwegt, am Tage und in der Nacht. 21  Oder haben sie sich Götter von der Erde genommen, die auferwecken?

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Kapitel 8

22 Gäbe es in beiden Götter außer Gott, dann würden beide in Chaos verfallen. Lobpreis sei Gott, dem Herrn des Thrones! Entgegen dem, was sie behaupten. 23 Er wird nicht befragt, über das, was er tut; sie aber werden befragt werden! 24 Oder haben sie sich neben ihm Götter genommen? Sag: „Her mit eurem Beweis! Das ist die Ermahnung derer, die mit mir leben und die vor mir lebten.“ Aber nein, die meisten von ihnen kennen die Wahrheit nicht, und sind ihr abgewandt. 25 Und wir sandten vor dir keinen Gesandten, dem wir nicht eingaben: „Kein Gott ist außer mir! So dienet mir!“ 26 Und sie sprechen: „Der Barmherzige hat sich Kinder genommen“. Gepriesen sei er! Es sind vielmehr geehrte Diener! 27 Sie greifen ihm in der Rede nicht vor, und handeln nur auf sein Geheiß. 28 Er weiß, was vor und hinter ihnen ist. Und sie legen nur für denjenigen Fürsprache ein, für den er es billigt. Und hüten sich dabei in Furcht vor ihm. 29 Und wer von ihnen spricht: „Ich bin Gott neben ihm!“ Dem vergelten wir mit der Hölle, Derart vergelten wir den Frevlern. 30 Haben denn diejenigen, die ungläubig sind, nicht gesehen, dass die Himmel und die Erde zusammengefaltet waren? Da trennten wir beide und machten aus dem Wasser alles Lebende. Ja wollen sie denn nicht glauben? 31 Und wir machten auf der Erde festgegründete Berge, damit sie nicht mit ihnen schwanke. Und wir machten auf ihr Pfade zu Wegen, sodass sie womöglich Rechtleitung finden. 32 Und wir machten den Himmel zu einem geschützten Dach. Und doch sind sie ihren Zeichen abgewandt. 33 Und er ist es, der die Nacht, den Tag die Sonne und den Mond geschaffen hat. Ein jedes schwebt auf eine Bahn.

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Die Theologie göttlicher Verheisungen

34 Und wir haben keinen Menschen vor dir Unsterblichkeit gewährt. Wenn du nun stirbst, leben sie dann etwa ewig? 35 Jede Seele bekommt den Tod zu schmecken.  Wir bringen euch mit Schlechtem und mit Gutem in Versuchung, und zu uns werdet ihr zurückgebracht. C Polemik: Zusammenfassung, Prophetenzuspruch 36 Wenn dich diejenigen, die ungläubig sind, sehen, dann machen sie dich nur zum Gespött: „Ist das etwa derjenige, der bezüglich eurer Götter warnt?“ Doch glauben sie nicht der Mahnung des Barmherzigen! 37 Der Mensch wurde aus Hast erschaffen. „Ich werde euch noch meine Zeichen zeigen, doch veranlasst mich nicht zur Hast!“ 38 Sie sprechen: „Wann erfüllt sich diese Verheißung, wenn ihr wahrhaftig seid?“ 39 Wenn diejenigen, die ungläubig sind, doch nur um die Zeit wüssten, da sie vom Feuer weder ihr Gesicht, noch ihren Rücken werden abwenden können! Und ihnen wird nicht geholfen! 40 Aber nein, ganz plötzlich kommt sie über sie und überrascht sie, doch sie können sie nicht abwenden! Und ihnen wird kein Aufschub gewährt! 41 Schon vor dir wurden die Gesandten verspottet, doch erfasste diejenigen von Ihnen, die spotteten, das, worüber sie stets spotteten. 42 Sprich: „Wer wird euch in der Nacht und am Tag vom Barmherzigen schützen?“ Aber nein, sie sind der Mahnung ihres Herrn abgewandt! 43 Oder haben sie etwa Götter, die sie vor uns schützen könnten? Sie können sich nicht einmal selbst helfen! Und gegen uns haben sie keine Begleiter! 44 Aber nein, wir haben diese hier und ihre Väter genießen lassen, bis sie ein hohes Alter erreichten. Sehen sie denn nicht, dass wir das Land heimsuchen, es von seinen Enden kürzend? Werden sie etwa die Oberhand behalten?

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Kapitel 8

45 Sprich: „Ich warne euch mit Eingebung!“ Doch die Tauben hören den Ruf nicht, wenn sie gewarnt werden. 46 Doch wenn sie nur ein Hauch von der Strafe deines Herrn trifft, dann sagen sie bestimmt: „Wehe uns, wir waren Frevler!“ 47  Waagen der Gerechtigkeit werden wir für den Jüngsten Tag aufstellen. Keine Seele wird dann Unrecht erfahren! Selbst wenn es das Gewicht eines Senfkorns ist, so vergelten wir es. Wir sind genug als Abrechner! II Narrative Kern: Rettung und Zuwendung (naǧāh,ʾītāʾ,istiǧāba) Moses und Aaron 48 Wir gaben Moses und Aaron die Rettung, Licht und Mahnung für die Gottesfürchtigen, 49 die ihren Herrn im Verborgenen fürchten, und in Sorge vor der Stunde sind. 50 Und dies ist eine gesegnete Mahnung, die wir hinabsandten. Wollt ihr sie etwa leugnen? Abraham: Rettung und Zuwendung Disputation I 51 Und wir gaben zuvor bereits Abraham seine Einsicht; wir kannten ihn. 52 Als er zu seinem Vater und zu seinem Volk sprach: „Was sind das für Bildwerke, denen ihr euch hinwendet?“ 53 Sie sprachen: „Wir fanden unsere Väter so vor, dass sie ihnen dienten!“ 54 Er sprach: „Ihr und eure Väter seid in klarem Irrtum!“ 55 Sie sprachen: „Bringst du uns die Wahrheit oder bist du von den Gauklern?“ 56 Er sprach: „Aber nein, Euer Herr ist der Herr der Himmel und der Erde, der sie erschuf. Ich bin euch ein Zeuge dafür!

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57 Bei Gott, ich werde eure Götzen überlisten, nachdem ihr den Rücken gekehrt habt!“ 58 Und er schlug sie in Stücke, außer ihren Größten, damit sie zu ihm allein zurückkehren. Disputation II 59 Sie sprachen: „Wer hat das mit unseren Göttern getan? Derjenige ist fürwahr von den Frevlern!“ 60 Sie sprachen: „Wir hörten einen jungen Mann über sie mahnend? Man nennt ihn Abraham!“ 61 Sie sprachen: „So bringt ihn vor die Augen der Leute, sodass sie Zeuge sind!“ 62 Sie sprachen: „Bist du es, o Abraham, der das mit unseren Göttern veranstaltet hat?“ 63 Er sprach: „Aber nein, dieser hier, der Größte von ihnen tat es! So fragt sie doch, wenn sie sprechen können!“ 64 Da besannen sie sich auf sich selbst, und sprachen: „Wahrlich, ihr seid die Frevler!“ 65 Dann erlitten sie doch einen Rückfall: „Du wusstest doch, dass diese nicht sprechen können!“ 66 Er sprach: „Wollt ihr etwa außer Gott verehren, was euch weder etwas nützt, noch schadet? 67 Schande über euch und über das, was ihr außer Gott verehrt! Wollte ihr nicht verständig sein?“ 68 Sie sprachen: „Verbrennt ihn und helft euren Göttern, wenn ihr tatkräftig seid!“ 69 Wir sprachen: „O Feuer, sei Kühlung und Sicherheit für Abraham!“ 70 Und sie wollten einen listigen Anschlag auf ihn verüben, doch wir machten sie zu den größten Verlierern! Rettung von Abraham und Lot 71 Und wir erretteten ihn und Lot in das Land, das wir für die Weltenbewohner gesegnet haben. 72 Und wir schenkten ihm darüber hinaus Isaak und Jakob, und machten ein jeden von ihnen zu Rechtschaffenen. 73 Und wir machten sie zu Vorbildern, die nach unserem Geheiß leiten, Wir gaben ihnen ein, Gutes zu tun,

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das Gebet zu verrichten und die Almosensteuer zu entrichten. Sie waren uns zu Diensten! Lot: Rettung und Zuwendung 74 Und Lot gaben wir Weisheit und Wissen, und retteten ihn von der Stadt, die Widerwärtiges tat. Sie waren ein schändliches und abgeirrtes Volk! 75 Und wir ließen ihn in unsere Barmherzigkeit eingehen. Er war einer der Rechtschaffenen! Noah: Rettung und Zuwendung 76 Und Noah, als er uns vormals anrief, da erhörten wir ihn,  und retteten ihn und seine Familie von der gewaltigen Bedrängnis. 77 Und wir halfen ihm gegen das Volk, das unsere Zeichen für Lüge erklärte. Sie waren ein schändliches Volk, so ließen wir sie allesamt ertrinken. David und Salomo: Zuwendung 78 Und David und Salomo, als sie über den Acker richteten, als Schafe fremder Leute darauf grasten. Wir waren Zeugen ihres Richterspruches! 79 Und Salomo gaben wir dazu Verständniskraft, und ein Jeden gaben wir Befehlsgewalt und Wissen. Und wir machten mit David die Berge dienstbar, dass sie preisen, ebenso die Vögel. Wahrlich, wir taten es! 80 Und wir lehrten ihn die Anfertigung von Panzern für euch, damit sie euch vor eurer Gewalt schützen. Seid ihr denn dankbar? 81 Und für Salomo: den heftigen Wind, der auf seinen Befehl auf dem Land wehte, das wir gesegnet haben. Wir wussten um jede Sache. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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82 Und einige Satane tauchten für ihn; und verrichteten noch weitere Arbeiten. Wir waren Hüter über sie. Hiob: Zuwendung 83 Und Hiob, als er seinen Herrn anrief: „Mich traf das Unglück, doch du bist der barmherzigste Erbarmer!“ 84 Da erhörten wir ihn und behoben das Unglück, das ihn getroffen hatte. Wir gaben ihm seine Familie und verdoppelten sie, aus Barmherzigkeit von uns und als Mahnung für die Diener. Ismael, ʾIdrīs und ḏū l-kifl: Zuwendung 85 Ebenso Ismael, ʾIdrīs und ḏu l-kifl, Ein jeder von ihnen gehörte zu den Geduldigen. 86 Und wir ließen sie in unsere Barmherzigkeit eingehen, sie gehörten zu den Rechtschaffenen! Jona: Rettung und Zuwendung 87 Und den mit dem Fisch, als er verärgert wegging, und glaubte, dass wir keine Macht über ihn haben werden. Doch rief er dann in der Finsternis: „Es gibt keinen Gott außer dir! Gepriesen seist Du! Ich war tatsächlich einer der Frevler!“ 88 Da erhörten wir ihn und retteten ihn aus der Agonie, derart retten wir die Gläubigen. Zacharias: Zuwendung 89 Und Zacharias, als er seinen Herrn anrief: „Mein Herr, lass mich nicht allein! Du bist der beste Erbe!“ 90 Da erhörten wir ihn und schenkten ihm Johannes. Derart stellten wir ihm seine Frau wieder her. Sie eilten um die guten Taten, und riefen zu uns in Furcht und in Verlangen. Sie waren uns gegenüber demütig. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Kapitel 8

Maria: Zuwendung 91 Und diejenige, die ihre Scham bewahrte; Wir hauchten ihr von unserem Geist ein, und machten sie und ihren Sohn zu einem Zeichen für die Weltenbewohner. Einheit der Gemeinschaft, Entzweiung, Gog und Magog 92 Wahrlich, das ist eure Gemeinschaft, eine einzige Gemeinschaft, und ich bin euer Herr, so dient mir! 93  Und doch brachen sie untereinander das Band in ihrer Angelegenheit. Jeder wird zu uns zurückkehren! 94 Und wer gute Taten im Glauben vollzieht, dessen Anstrengung erfährt keinen Undank. Wir schreiben es ihm auf! 95 Und verboten ist es einer Stadt, die wir zerstörten, dass sie je zurückkehren, 96 bis das Gog und Magog losgelassen werden, von allen Seiten herbeieilend. III Gericht, Polemik, Prophetenzuspruch 97 Und so ist die wahre Verheißung nahegerückt. Siehe da, starr sind die Blicke jener, die ungläubig waren: „Wehe uns, wir waren diesbezüglich in Achtlosigkeit, doch frevelten wir nur!“ 98 Ihr und das, was ihr außer Gott verehrt, seid Brennstoff der Hölle. In ihr werdet ihr hinabkommen! 99 Wären diese da tatsächlich Götter, dann müssten sie nicht zu ihr hinabsteigen! Ein Jeder wird dort ewig verweilen! 100 Dort gibt es für sie nur Stöhnen, und dort hören sie nichts. 101 Diejenigen, denen das Schönste von uns bestimmt ist, werden von ihr ferngehalten. 102 Sie hören ihr Raunen nicht, und verweilen in Ewigkeit mit dem, was sie begehren.

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103 Kein noch so großes Schrecken macht sie traurig! Und die Engel werden sie empfangen: „Das ist euer Tag, der euch versprochen wurde!“ 104 Der Tag, an dem wir den Himmel zusammenfalten,  wie man die Schriftrolle für das Schreiben/Geschriebene faltet; so wie wir die erste Schöpfung begannen,  wir wiederholen es gemäß dem uns obliegendem Versprechen. Wahrlich, wir tun es! 105 Wir schrieben im Psalter nach der Mahnung, dass meine rechtschaffenen Diener das Land erben werden. 106 Hierin ist eine Mitteilung für ein Volk, das dient. 107 Und wir haben dich nur aus Barmherzigkeit für die Weltenbewohner gesandt! 108 Sprich: „Mir wurde eingegeben, dass euer Gott ein einziger Gott ist. Wollt ihr nun Gottergeben sein? 109 Und wenn sie sich abwenden, dann sprich: „Ich habe euch – für alle gleich – kundegetan. Und ich weiß nicht, ob das, was euch verheißen wird, nah oder fern ist.“ 110 Er weiß von dem offenkundig Gesagtem und weiß, was ihr verbergt. 111 Und ich weiß nicht, ob es eine Versuchung für euch ist, und eine Nutznießung für eine Weile. 112 Sprich: „Mein Herr, richte nach der Wahrheit! Unser Herr ist der Barmherzige, dem um Hilfe gebeten wird, gegen das, was ihr beschreibt. 8.1 Literarkritik Die Sure bildet mit dem durchgehenden Reim auf 2n/m1 eine Einheit. Einzig für die Verse 3-5 lässt sich die Möglichkeit eines Einschubs erwägen. Streicht man die entsprechenden Verse, dann bilden die Verse 2 und 6-8 eine jeweils durch die Verneinungspartikel mā eingeleitete Serie von universalen Aussagen 1  Für das im Rahmen dieser Arbeit adaptierte Transkriptionssystem der koranischen Reime siehe Neuwirth, Studien zu Komposition der mekkanischen Suren, 77.

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über Gottes Zuwendung an die Menschen durch Gesandte und die menschliche Reaktion darauf. Die Verse 3-5 sprengen durch ihre polemische Stoßrichtung die thetische Stringenz der mā-Serie. Bell erwägt, dass der ḥāl-Einsatz zu Beginn von Vers 3 (lāhiyatan qulūbuhum) das ursprüngliche Ende von Vers 2 markiert und dass der Rest von Vers 3 bis Vers 5 einen Einschub darstellt.2 Jedoch wird damit der durchgehende Reim auf 2n/m nicht mehr aufrechterhalten (qulūbuhum als neuer Versschluss). Ein möglicher Einschub muss also den ganzen Vers 3 umfassen, wobei dann der ḥāl-Einsatz zu Beginn ein Enjambement darstellt. Gegen einen Einschub spricht der Umstand, dass die Aussage von Vers 2 sehr vage und unklar bleiben würde. Denn die Verse 3-5 erklären erst, was unter yalʿabūn („spielend“) als Ablehnung der Mahnung zu verstehen ist: Die Zurückweisung der koranischen Verkündigung als Zauberei und Werk eines Dichters. In Sure 54, die ebenso eschatologisch mit dem Verb iqtaraba einsetzt, ist der Vorwurf der Zauberei (siḥr) bereits als Ausdruck der ablehnenden Haltung (muʿriḍūn) der Menschen etabliert (Q 54:1-2). In den Versen 3-4 von Sure 21 wird nun der ganze Katalog der bis dato gemachten polemischen Vorwürfe (siḥr, šāʿir, bašar,ʾaḍġāṯu ʾaḥlāmin) genannt. Da im Verlauf der Sure 21 wiederholt auf diese Polemik – und auch auf die in der mā-Serie formulierten Aussagen – Bezug genommen wird, wäre der antizipatorische Charakter des Surenanfangs bei einem Wegfall der Verse 3-5 gestört. Des Weiteren bildet der erste Teil der Sure mit 48 Versen das numerische Gegenstück zum narrativen Mittelteil (48 Verse). Würde man die Verse 3-5 als Einschub weglassen, dann ergäben der Anfangs- und Mittelteil keine symmetrische Proportion mehr. 8.1.1 Versabteilungsdifferenzen In der Koranausgabe von Flügel wird in Vers 28 nach yašfaʿūn ein Versschluss gesetzt.3 Da auch sonst ʾillā-Teilsätze zur Bekräftigung der Ausnahme einen eigenen Vers bilden, ist auch in diesem Fall nach yašfaʿūn ein Versschluss zu setzen.4 Der durchgehend gleiche Reim der Sure wird dabei aufrechterhalten. Von den traditionellen Verszählern setzt einzig Kufa in Vers 66 bei wa-lā yaḍurrukum einen Versschluss.5 Dadurch wird der durchgehende Reim auf 2n/m unterbrochen. Da Vers 66 gemeinsam mit 67 keinen überlangen Vers bildet, ist in Übereinstimmung mit der Mehrheit der traditionellen Verszähler erst mit Vers 67 eine Abteilung zu setzen.6 2  Vgl. Richard Bell, A commentary on the Qur’ān, Vol. 1, Surahs I-XXIV, Manchester 1991, 541. 3  Vgl. Neuwirth, Studien zur Komposition der mekkanischen Suren, 42. 4  Vgl. ebd. 5  Vgl. ebd. 6  Vgl. ebd. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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8.1.2 Textkritik In den Versen 4 und 112 ist die Lesart qul gegen qāla vorzuziehen.7 Durch qāla wird der paränetische Duktus von Rede und Gegenrede unterbrochen, der in diesem Passus vorauszusetzen ist. Dafür spricht auch, dass im abschließenden Teil der Sure in den Versen 108 und 109 ausschließlich die Lesart qul überliefert wird, wozu im Verlauf die Lesung qāla in Vers 112 nicht passen würde. Eine in Vers 4 durch qāla gegebene Wiedergabe eines Gesprächs würde auch den für die ein- und ausleitenden Teile einer Sure typischen Duktus der direkten Anrede an den Verkünder konterkarieren. Zudem wird mehrheitlich gegen ʿĀṣim nach Ḥafṣ die Lesart qul überliefert. In Vers 96 ist die Lesung yāǧūǧu wa-māǧūǧu ohne Hamza gegen ʿĀṣim nach Ḥafṣ (ya‌ʾǧūǧu wa-ma‌ʾǧūǧu) vorzuziehen. Derart entspricht die Bezeichnung der Konvention koranischer Nomenklatur, die bei Lehnwörtern oftmals die Form fāʿūl voraussetzt: ṭālūt, ǧālūt, hārūt, mārūt etc.8 Während māǧūǧ das hebräische/syrische māgōg wiedergibt, wurde die Bezeichnung für Gog gemäß der Form von māǧūǧ angeglichen: yāǧūǧ.9 Diese Angleichung wurde wahrscheinlich dadurch vermittelt, dass es im Syrischen neben gōg auch die Form agōg gibt.10 Eine mögliche Reminiszenz an letzterem ist die überlieferte Lesart āǧūg wa-māǧūǧ/ma‌ʾǧūǧ von al-ʿAǧǧāǧ und seinem Sohn Ruʾba, wobei auch der Name von al-ʿAǧǧāǧ bei der Aussprache von yāǧūǧ als āǧūg eine Rolle gespielt haben mag.11 Die hier präferierte Lesart yāǧūǧu wa-māǧūǧu ohne Hamza wird auch einheitlich von allen anderen kanonischen Lesern überliefert. Zur vergleichenden Wendung (yauma naṭwi s-samāʾa ka-ṭaiyi s-siǧilli li-l-kutubi: „der Tag, an dem wir den Himmel zusammenfalten, wie man die Rolle zu Schriften faltet“) in Vers 104 wird von der Mehrheit der kanonischen Leser neben der Lesung von ʿĀṣim nach Ḥafṣ (li-l-kutubi) auch der Singular li-l-kitābi überliefert. Die Präferenz für die jeweilige Lesart hängt von der Bedeutung und dem Verständnis des koranischen Hapaxlegomenon siǧill ab. Der etymologische Ursprung der arabischen Bezeichnung liegt im lateinischen sigillum, das einen Siegel bezeichnet, wobei mit der Zeit auch das besiegelte Medium damit gemeint werden konnte.12 Im byzantinischem Griechisch (σιγίλλον) war der Begriff für ein Edikt üblich und hat dann wohl über das 7  Für einen Zugriff auf die hier besprochenen Lesarten siehe: https://corpuscoranicum.de/ lesarten/. 8  Vgl. Horovitz, 81 f. 9  Vgl. ebd., 150; Jeffery, The Foreign Vocabulary of the Qurʾān, 288 f. 10  Vgl. ebd. 11  Vgl. ʿAbd al-Laṭīf al-Ḫaṭīb, Muʿǧam al-qirāʾāt, Band 6, 59. 12  Vgl. F.C. De Blois, (u.a.), Art. Sid̲ jill. In: Encyclopaedia of Islam, Second Edition, Band 9, 538; Jeffery, The Foreign Vocabulary, 163 f. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Syrische (sygylywn) auch Eingang in den Koran gefunden.13 Hier meint er das Medium eines Siegels oder eines Edikts (Rolle, Schriftstück). Hält man an dieser Bedeutung fest, dann bergen beide Lesarten (li-l-kutubi/li-l-kitābi) das Problem, dass sie in dieser Wendung nicht klar und tautologisch sind: „wie man die Rolle/das Schriftstück zu Schriften/zur Schrift faltet“. Traditionelle Exegeten wie Rāzī und Ṭabarī versuchen die Konstruktion zu erklären, indem sie kitāb als Verbalsubstantiv ernst nehmen. Nach einer Lehrmeinung paraphrasiert Rāzī siǧill als ṭūmār (Schriftrolle) und weist darauf hin, dass es zur Funktion einer Rolle gehört, dass diese in zusammengefaltetem Zustand das Geschriebene (maktūb) oder das, was man schreibt (kitāb/kitāba), verbirgt.14 Ṭabarī versteht das arabische siǧill als ṣaḥīfa und präferiert auch die Lesart des Verbalsubstantivs kitāb. Man müsse die Präposition li im Sinne von ʿalā deuten, sodass hier das Zusammenfalten einer Rolle gemeint sei, auf der etwas Geschriebenes steht oder auf der man schreibt (ka-mā yuṭwā s-siǧillu ʿalā mā fīhi mina l-kitāb).15 Tatsächlich gibt es bereits frühmekkanisch die Vorstellung von Schriftrollen (ṣuḥuf), die ausgebreitet und entrollt werden (našr) (vgl. Q 74:52; 81:10). Das Zusammenfalten/Zusammenrollen (ṭayy) des Himmels bzw. der Schöpfung in Vers 104 ist dann als Inversion der Ausrollung (našr) der Tatenregister des Menschen am Tag des Jüngsten Gerichts zu verstehen. In Vers 104 wird ja erklärt, dass man mit dem Zusammenrollen der Himmel die erste Schöpfung (ʾawwalu ḫalqin) als Entfaltung von Himmel und Erde wiederholt, die im Anfangsteil der Sure auch beschrieben wird (Q 21:30). Der Zusammenfaltung (ṭaiy) der Schöpfung in der Endzeit korrespondiert also das Ausrollen (našr) der Tatenregister, die bis dato zusammengerollt waren. Gemäß der lectio difficilior potior ist die Lesart li-l-kitābi als etwas umständlicher Verweis auf die menschlichen Tatenregister und ihrer Funktion der Speicherung der protokollierten Taten vorzuziehen: „der Tag, an dem wir den Himmel zusammenfalten, wie man die Schriftrolle für das Schreiben/ Geschriebene [für die Speicherung der geschriebenen Taten] faltet“. Die Lesart li-l-kitābi ist damit nicht tautologisch und ein wiederholter Verweis auf irgendeine Schrift, sondern als Spezifikation der eschatologischen Schriftrolle zu verstehen. Bell hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Lesart li-l-kutubi wie eine Paraphrase wirkt.16 Es ist möglich, dass das Hapaxlegomenon siǧill als unverständlicher Begriff durch die Lesart li-l-kutubi wieder verständlich

13  Vgl. ebd. 14  Vgl. Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī, at-Tafsīr al-kabīr/Mafātīḥ al-ġaib, Dār al-Fikr, Band 22, 228. 15  Vgl. Muḥammad b. Ǧarīr aṭ-Ṭabarī, Ǧāmiʿ al-bayān ʿan ta‌ʾwīl āy al-Qurʾān, Band 16, 425 f. 16  Vgl. Bell, A commentary on the Qur’ān, Vol. 1, 559.

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gemacht wurde. Die Mehrheit der kanonischen Leser hat nichtsdestotrotz die ursprüngliche Lesung li-l-kitābi bewahrt. Die sonst zu Q 21 überlieferten Lesarten sind explikativer Natur. Sie vertiefen oftmals durch Auslotung von grammatisch möglichen Lesarten den Sinn des Textes oder beseitigen eine vermeintliche Unklarheit. 8.2 Komposition17 I A Einleitung: Gericht, Polemik und Verheißung 1 1 iqtaraba-Einleitung: Nahesein des Gerichts 1 2 Leugnung und Polemik gegen die Mahnung (ḏikr) 3 3-5 Exemplifizierung der Polemik 1 6 Fortsetzung der mā-Serie: ihlāk 1 7 Jedem vorherigem Gesandten wurde eingegeben 1 8 Die Gesandten haben sterbliche Körper 1 9 Erfüllung der Verheißung (waʿd): Rettung der Gesandten und Bestrafung der Maßlosen  B Polemik: Schöpfungsayāt, Mehrgottverehrung, Spott und Verheißung 1 10 Herabsendung der Schrift als Mahnung (ḏikr) 5 11-15 Zerstörung frevlerischer Städte (ihlāk), Gerichtszene 3 16-18 Erschaffung der Schöpfung nicht aus Kurzweil 2 19-20 Alle Wesen dienen unentwegt Gott 3 21-23 Mehrgottverehrung und Schöpfung 1 24 Herausforderung an Polytheisten 6 25-29 Eingebung des Monotheismus an Gesandten/ Polemik (28=2V.) 4 30-33 Schöpfungsayāt: ǧaʿala-Serie

17  Für die Begründung der kompositionellen Zäsuren im Aufbau siehe das Unterkapitel 8.4.2 und die Angaben im kursorischen Verskommentar zu den jeweiligen Versen eines neuen Sinnabschnittes.

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C Polemik: Zusammenfassung, Prophetenzuspruch

1 4 3 2 2

36 Der Prophet als Gespött der Menschen 37-40 Zeitpunkt der Erfüllung der Verheißung/Strafe 41-43 Verspottung vorheriger Gesandten und Strafe 44-45 Irdische Kurzweil und Strafe/Renitenz der Ungläubigen 46-47 Umkehr der Ungläubigen, wenn es zu spät ist/ḥisāb

II Narrative Kern: Rettung und Zuwendung (naǧāh, ʾītāʾ,istiǧāba) 3 48-50 Moses und Aaron: Rettung ( furqān) und Rechtleitung 22 51-73 Abraham: Rettung und Zuwendung 51-58  Disputation I: Abrahams Rede gegen die Götzen/Zerstörung 59-70  Disputation II: Suche nach dem Schuldigen/naǧāh Abrahams 71-73 Rettung von Abraham und Lot (66/67=1V.) 2 74-75 Lot: Zuwendung und Rettung 2 76-77 Noah: Rettung und Zuwendung 5 78-82 David und Salomo: Zuwendung 2 83-84 Hiob: Zuwendung 2 85-86 Ismael, ʾIdrīs und ḏū l-kifl: Zuwendung 2 87-88 Jona: Rettung und Zuwendung 2 89-90 Zacharias: Zuwendung 1 91 Maria und Jesus: Zuwendung 2 92-93 Einheit der Gemeinschaft der Frommen und ihre Entzweiung 3 94-96 Gerechter ḥisāb/Gog und Magog III Gericht, Polemik, Prophetenzuspruch

7 97-103 Nahesein des Endgerichts/Doppelbild 3 104-106 Erfüllung der Verheißungen (Schöpfung und Erbe) 2 107-108 Muhammad aus Barmherzigkeit gesandt 4 109-112 Zeitpunkt der Erfüllung der Verheißung als Versuchung Strukturformel/Proportionen:

I 48: 9 (1+1+3+1+1+1+1) + 27 (1+5+3+2+3+1+6+4+2) + 12 (2+3+3+2+2) II 48 (3+22+2+2+5+2+2+2+2+1+2+3) III 16 (7+3+2+4)

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8.3

Kursorischer Verskommentar

IA Einleitung: Gericht, Polemik und Verheißung V. 1 iqtaraba li-n-nāsi ḥisābuhum wa-hum fī ġaflatin muʿriḍūn] Die Sure beginnt proklamatorisch mit dem Verweis auf das Nahesein der Abrechnung. Ḥisāb ist einer der pars-pro-toto-Begriffe für die eschatologische Endzeit: Gericht (dīn), Auferstehung (qiyāma) und Stunde (sāʿa) stehen jeweils prozessual und szenisch für die Endzeit. Dass diese Begriffe dieselbe eschatologische Verweisfunktion haben, zeigt sich anhand des ersten Verses der mittelmekkanischen Sure 54, die ebenso mit iqtaraba das Nahesein der Endzeit verkündigt. Jedoch ist es in diesem Fall nicht die Abrechnung (ḥisāb), die kurz bevorsteht, sondern die Stunde (sāʿa). Im Gegensatz zu den frühmekkanischen Suren, die noch projektiv und expressiv die eschatologischen Vorgänge und Szenerien ausmalen, zeugen der Beginn von Q 54 und Q 21 von einem neuen Duktus: Es wird nun assertorisch und im Perfekt bereits die Nähe der Endzeit konstatiert.18 Diese neue Ausdrucksweise lässt sich zwar als Indikator für eine imminente Eschatologie deuten, jedoch zeigt der jeweilige Surenverlauf von Q 54 und 21, dass man eher eine Änderung der Gesprächskonstellation und des Diskursrahmens annehmen muss. Für Q 54:1 ist es weniger relevant, ob tatsächlich eine Spaltung des Mondes/Mondfinsternis stattgefunden hat. Denn die Faktizität der eschatologischen Endzeit und ihre Abweisung wird sogleich im Fortgang der Sure der Leugnung (takḏīb) von Zeichen (ʾāyāt) und von Warnungen (nuḏur) gegenübergestellt (Q 54:2-5; 9; 18; 23; 33; 41). Frühmekkanisch werden bereits die Abrechnung (ḥisāb) und die Stunde (sāʿa) in ihrer eschatologischen Wirklichkeit bestritten (Q 79:42; 78:27; 69:20,26). Ihre Leugnung stellt ebenso wie die Verkennung der göttlichen Zeichen (ʾāyāt) und der Mahnung (ḏikr) eine Haltung gegenüber zu verhandelnden Propositionen dar. Diese Gegenüberstellung zur vormaligen Leugnung von Zeichen und Warnungen verdeutlicht, dass es die Botschaft von der eschatologischen Endzeit ist, die schon zuvor bei anderen Völkern abgelehnt wurde und nicht die Realität ihres Beginns. Rāzī spricht dann auch im Zusammenhang mit Q 54:1 von einem iqtirāb ʿaqlī, also einem gedanklichen oder propositionalen Nahesein der Stunde, das aufgrund der Überzeugung von seiner einstigen Realität jetzt schon im Perfekt als eingetroffen behauptet wird.19 Man könnte nun zu Recht überlegen, ob das Nahesein der Abrechnung in Q 21:1 und in Q 54:1 konzeptionell als perfectum propheticum oder perfectum confidentiae zu verstehen ist. Zumindest für das perfectum propheticum scheint 18  Vgl. Neuwirth, Der Koran, Band 2/1, 114-117. 19  Vgl. Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī, at-Tafsīr al-kabīr/Mafātīḥ al-ġaib, Band 29, 30 f.

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es nicht festzustehen, ob es tatsächlich ein grammatikalisches Phänomen bezeichnet20, weshalb auch die nominelle Kennzeichnung des Perfekts in Q 21:1/ Q54:1 weniger entscheidend ist. Im Vordergrund sollte der Sachverhalt stehen, dass im Vergleich zu den ʾiḏa-Serien der frühmekkanischen Suren formal eine Steigerung der Dringlichkeit der eschatologischen Endzeit festzustellen ist. Diese ist weniger dem Glauben an das tatsächlich bevorstehende Ende, sondern der argumentativen Ausweitung der Überzeugung geschuldet, dass die Erfüllung der eschatologischen Endzeit sicher ist und eingelöst wird. Diese Gewissheit wird so gesteigert, dass man bereits jetzt vom faktischen Nahesein sprechen kann. An die eigentliche Abrechnung (ḥisāb) bzw. Strafe wird im Surenverlauf dann auch grammatikalisch im Konjunktiv erinnert (Q 21:39 f.). In Q 21:1 gibt es im Vergleich zu Q 54:1 und zu den frühmekkanischen Suren eine leichte Verschiebung des Akzentes. Die Spaltung des Mondes und die physische Beschreibung der eschatologischen Wehen in frühmekkanischen Suren sind Prozesse in räumlicher Dimension. Sie geben wieder, was es bedeutet, wenn diese Ereignisse räumlich eintreten und das Gericht kurz bevorsteht (iqtirāb makānī). Denn die Spaltung des Mondes und die sonstigen Zeichen sind transitiv Objekte der rationalen und empirischen Anschauung (ra‌ʾy, vgl. Q 21:2). In Q 21:1 wird das Nahesein der Abrechnung nun gänzlich in zeitlichen Kategorien fokussiert (iqtirāb zamānī). Der zentrale Topos von Q 21 ist das Verhältnis von Verheißung und Erfüllung. Das eschatologische Endgericht ist dabei eine Verheißung (waʿd), die sich neben anderen Verheißungen (Q 21:9, 38, 97, 104) auch tatsächlich zeitlich einlösen wird. Sowohl Q 54:1 also auch Q 21:1 erinnern in der Ermahnung zur Nähe der Endzeit an die basileia-Verkündigung der Evangelien, die u. a. den Charakter einer imminenten oder präsentischen Eschatologie hat. Das Reich Gottes ist nahe (Mt 3,2; 4,17; 10,7) oder bereits unter den Menschen (Lk 17,21). Womöglich ist das Bild vom „Nahesein“ sprachlich sogar über das Syrische vermittelt, das in der Peschitta zu Mt 3:2 dieselbe Wurzel wie das arabische iqtaraba hat.21 Jedoch ist die Wurzel q-r-b grundsätzlich in den semitischen Sprachen gut belegt.22 Von Bedeutung ist hier auch eher das Motiv von der eschatologischen Nähe. Während in den Evangelien grundsätzlich Aussagen zur Präsenz des Gottesreiches auch Aussagen über das zukünftige Gottesreich 20  Vgl. George Linam Klein, The ‘Prophetic Perfect’. In: Journal of Northwest Semitic Languages 16 (1990), 45-60. 21  Vgl. Hannelies Koloska/David Kiltz, TUK_1290 (TUK= Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx, unter Mitarbeit von Sebastian Bitsch, Emmanouela Grypeou, Dirk Hartwig, David Kiltz, Yousef Kouriyhe, Adrian Pirtea, Veronika Roth und Nicolai Sinai). 22  Vgl. Martin R.Zammit, A comparative lexical study of Qurʾānic Arabic, Leiden 2002, 335.

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gegenüberstehen und in der Exegese unterschiedlich vermittelt werden, kann man diesbezüglich koranisch nicht von derselben Ambivalenz sprechen. Aus der Beschreibung der eschatologischen Vorgänge folgt nicht die Erwartung ihres momentanen Hereinbrechens. Bereits frühmekkanisch wird die Frage nach dem Zeitpunkt der Stunde abgelehnt (Q 79:42-45). Wenn mit Q 54:1 und Q 21:1 die Präsenz der Endzeit als unmittelbar verkündigt wird, dann dient sie als Ausdruck der Gewissheit ihrer Erfüllung. Denn im Surenverlauf von Q 21:1 wird sogleich abgelehnt, dass der Prophet ein konkretes Datum für den Beginn der Endzeit nennen könnte: „Und wenn sie sich abwenden, dann sprich: ‚Ich habe euch – für alle gleich – kundgetan. Und ich weiß nicht, ob das, was euch verheißen wird, nah oder fern ist.‘“ (Q 21:109). Die Mehrzahl der Übersetzer gibt den hāl-Satz in Vers 1 (wa-hum fī ġaflatin muʿriḍūn) als aktive Handlung der Abwendung wieder.23 Die argumentative Stoßrichtung legt aber nahe, dass man das Partizip muʿriḍūn – wie z.B. Bobzin – als einen Zustand wiedergibt: Die Leugner verhalten sich immer schon so, als ob es keine Abrechnung geben wird und sind deshalb abgewandt. Sie wenden sich also nicht aktiv ab, weil die Abrechnung bereits spürbar naht. V. 2-5 mā ya‌ʾtīhim min ḏikrin min rabbihim muḥdaṯin ʾilla stamaʿūhu wa-hum yalʿabūn/ lāhiyatan qulūbuhum wa-ʾasarru n-naǧwa llaḏīna ẓalamū hal hāḏā ʾillā bašarun miṯlukum a-fa-ta‌ʾtūna s-siḥra wa-antum tubṣirūn/qul rabbī yaʿlamu l-qaula fi s-samāʾi wa-l-ʾarḍi wa-huwa s-samīʿu l-ʿalīm /bal qālū ʾaḍġāṯu ʾaḥlāmin bal iftarāhu bal huwa šāʿirun fa-l-ya‌ʾtinā bi-ʾāyatin ka-mā ʾursila l-ʾawwalūn] Die Verse 2-8 enthalten eine durch die Negativpartikel mā eingeleitete Serie an universalen Aussagen über Gottes Wirken in der Geschichte durch Gesandte und Propheten. Bis auf Vers 2 bleiben die fast durchgehend in einer ʾillā-Konstruktion wiedergegebenen Stereotype der gottmenschlichen Interaktion sehr allgemein. Sie werden jedoch im Surenverlauf wortwörtlich, thematisch und stichwortartig wiederaufgenommen sowie entfaltet. Zusammen mit Vers 9 kann man von dieser kaskadeartigen Verdichtung der menschlichen Reaktion auf das Gotteswort und die Natur der Gesandten auch in nuce als „Skelett“ der ganzen Sure sprechen. Die gewählte Konstruktion eines negativen Ausnahmesatzes dient dazu, die typologische Kontinuität der koranischen Verkündigung zur vormaligen Heilsgeschichte zum Ausdruck zu bringen.

23  Vgl. die Übersetzungen von Paret, Zirker, der Ahmadiyya etc.

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Vers 2 nimmt eine Wendung von Q 26:5 f. zur ablehnenden Haltung gegenüber der koranischen Ermahnung auf24, wobei jetzt nicht mehr konkret von der Abwendung (muʿriḍūn) oder dem Spott (istihzāʾ) gegenüber der Verkündigung die Rede ist, sondern von der leichtfertigen und spielerischen Reaktion darauf (yalʿabūn). Was genau unter dieser „spielerischen Ignoranz“ zu verstehen ist, wird – durch ein Enjambement vermittelt (hāl-Konstruktion: lāhiyatan qulūbuhum) – in den Versen 3-5 genauer ausgeführt. Es folgt eine kurze Inventarisierung der bis dato gemachten Anschuldigungen gegen den Verkünder und der Qualität der Verkündigung: Der koranischen Rede wird – wie den Wundern von Moses (Q 20:62 f./Q 51:39) – eine zauberhafte und täuschende Wirkung vorgeworfen. Muhammad selbst sei nichts als ein Zauberer (sāḥir).25 Die Gewöhnlichkeit des Verkünders als Mensch (bašar) steht im Kontrast zu der geforderten Fähigkeit zur Vollbringung von physischen Wundern (Q 26:186 f./Q 17:90-94). Dieser Vorwurf der menschlichen Natur des Verkünders ist mittelmekkanisch als stereotype Entgegnung an Gesandte etabliert (Q 36:15), wobei Noah paradigmatisch als einer der Vorgänger Muhammads genannt wird, dem man seine gewöhnliche und nicht engelhafte Natur vorwirft (Q 23:24; 33). Als Dichter (šāʾir) wird der Prophet bereits in Frühmekka verunglimpft (Q 69:41/Q 52:30). Im Hintergrund steht dabei die fragwürdige und unsichere Inspirationsquelle der Dichtung, die durch zweifelhafte Intervention durch den Teufel entstanden sein kann (Q 81:19-26). Die erstmalige Kennzeichnung der koranischen Rede als „wirre Träume“ (ʾaḍġāṯu ʾaḥlāmin) mag eine Anspielung auf die fragwürdige Dichter- oder auch Seherinspiration sein. Einzig im Zusammenhang von der Traumdeutung durch Josef wird diese Bezeichnung später nochmals gebraucht (Q 12:44). Die Verspottung des Verkünders als sāḥir, šāʿir, bašar ließe sich, wie zuvor schon teilweise geschehen (mā ʾata llaḏīna min qablihim min rasūlin ʾillā qālū sāḥirun ʾau maǧnūnun, Q 51:52), im Sinne der mā-Serie jeweils thetisch als negativer Ausnahmesatz formulieren, jedoch sind diese polemischen Kennzeichnungen Explikation der bereits in Vers 2 festgestellten spielerischen Ignoranz gegenüber der Ermahnung. V. 6-8 mā ʾāmanat qablahum min qaryatin ʾahlaknāhā ʾa-fa-hum yuʾminūn/ wa-mā ʾarsalnā qablaka ʾillā riǧālan nūḥī ʾilaihim fa-sʾalū ʾahla ḏ-ḏikri ʾin 24  „Was immer an Mahnung vom Barmherzigen neu zu ihnen kam, sie wandten sich ab./ Sie werden noch Kunde erhalten von dem, was sie stets verspottet haben.“ (wa-mā ya‌ʾtīhim min ḏikrin mina r-raḥmāni muḥdaṯin ʾillā kānū ʿanhu muʿriḍīn/ fa-qad kaḏḏabū fa-sa-ya‌ʾtīhim ʾanbāʾu mā kānū bihī yastahziʾūn). 25  Vgl. Angelika Neuwirth, Die koranische Verzauberung der Welt und ihre Entzauberung in der Geschichte, Freiburg 2017.

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kuntum lā taʿlamūn /wa-mā ǧaʿalnāhum ǧasadan lā ya‌ʾkulūna ṭ-ṭaʿāma wa-mā kānū ḫālidīn] Die in Vers 2 begonnene mā-Serie wird nun fortgesetzt, indem thetisch und allgemein auf Topoi der gottmenschlichen Interaktion verwiesen wird, die in Mittelmekka verhandelt werden: Die Suren dieser Phase enthalten im Mittelteil nun Strafberichte (ihlāk,ʿaḏāb), die gemäß dem Straflegendenmodell erinnert werden (Q 54:9-42; Q 15:49-84 etc.). Die Sterblichkeit und menschliche Natur der Gesandten wird der Forderung nach einem supranaturalen und engelhaften Wesen entgegengestellt (Q 23:24; 33; Q 17:90-94; Q 25:7). Und die Eingebung (waḥy) bezeichnet einen Modus der Vermittlung des Gotteswortes, der seit Frühmekka vorausgesetzt wird.26 Alle drei Elemente werden im Surenverlauf wiederholt aufgegriffen und spezifiziert: So etwa die Plötzlichkeit, mit der die Strafe (ihlāk) und das Gericht eilen (V. 11-15; 44-47). Ebenso wird die Eingebung im Kern als Verkündigung des Monotheismus ausformuliert (V. 25; 108) und die Absurdität der Unsterblichkeit Muhammads zurückgewiesen (V. 34-35). An Stelle der Unsterblichkeit Muhammads steht die Barmherzigkeit, die entscheidend mit seiner Sendung verknüpft ist (V. 107). V. 9 ṯumma ṣadaqnāhumu l-waʿda fa-ʾanǧaināhum wa-man našāʾu waʾahlakna l-musrifīn] Die mā-Serie kulminiert in Vers 9 zu dem Versprechen oder der Verheißung (waʿd), dass Gott die Gesandten und Gläubigen gerettet (naǧāh) und ihre Peiniger bestraft (ihlāk) hat. Mit dem Begriff des waʿd ist der zentrale Topos der Sure angesprochen. Wörtlich ist insgesamt viermal in Q 21 von waʿd die Rede, wobei an den restlichen Stellen der waʿdu l-ḥisāb, also die Verheißung von der Abrechnung gemeint ist (V. 38; 97; 104), die in Vers 1 ja bereits im Perfekt als nah beschrieben wurde. Die Gewissheit von der Erfüllung göttlicher Verheißung durchzieht insgesamt thematisch die ganze Sure. Im narrativen Mittelteil wird der hier in Vers 9 zugesicherte waʿdu n-naǧāh exemplarisch anhand von Beispielen entfaltet. Doch auch die Verheißung von der Zuwendung und Barmherzigkeit Gottes (waʿdu l-istiǧāba/ waʿdu r-raḥma) werden im Mittelteil narrativ expliziert. So gesehen spiegelt die in Vers 9 kulminierende mā-Serie in nuce die kompositorische Struktur der ganzen Sure wieder. Während die ein- und ausleitenden Teile der ganzen Sure u. a. den in der mā-Serie angesprochenen waʿdu l-ḥisāb und waʿdu l-ihlāk zum Gegenstand haben, wird der waʿdu n-naǧāh vor allem im narrativen Mittelteil entfaltet. Für die Gemeinde ist die koranische Betonung der Erfüllung göttlicher Verheißungen 26  Zu waḥy und dem Verhältnis zu tanzīl siehe Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike, 120-137.

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entscheidend für die eigene Situation. Typologisch wird sie die in Vers 9 zugesicherte Erfüllung (taṣdīq) als perfectum confidentiae („Perfekt der Zuversicht“)27 verstanden haben: Auch gegenüber der Gemeinde und den Hörern der koranischen Verkündigung wird Gott seine Verheißungen erfüllen. Polemik: Schöpfungsayāt, Mehrgottverehrung, Spott und Verheißung V. 10-15 la-qad ʾanzalnā ʾilaikum kitāban fīhi ḏikrukum ʾa-fa-lā taʿqilūn / wa-kam qaṣamnā min qaryatin kānat ẓālimatan wa-ʾanša‌ʾnā baʿdahā qauman ʾāḫarīn/ fa-lammā ʾaḥassū ba‌ʾsanā ʾiḏā hum minhā yarkuḍūn /lā tarkuḍū wa-irǧiʿū ʾilā mā ʾutriftum fīhi wa-masākinikum laʿallakum tusʾalūn/ qālū yā-wailanā ʾinnā kunnā ẓālimīn/ fa-mā zālat tilka daʿwāhum ḥattā gaʿalnāhum ḥaṣīdan ḫāmidīn] Die Bekräftigungspartikel la-qad indiziert, wie später auch im narrativen Mittelteil, den Wechsel eines Sinnabschnitts (V. 48). Während die mā-Serie zu Beginn noch proklamatorisch ist und sich auch direkt an den Verkünder wendet (V. 4;7), richtet sich die koranische Rede nun an die gegnerischen Hörer. V. 10 nimmt den Beginn der mā-Serie in V. 2 auf und kontextualisiert die Herabsendung der Mahnung (ḏikr) an die Hörer der Verkündigung. Der Reihenfolge der mā-Serie folgend wird in V. 11 die Androhung des ihlāk wiederaufgenommen und nun mit der Einblende des Strafvorgangs weiter entfaltet (V. 12-15). Das Wohlleben der mutrafūn steht im Kontrast zur Plötzlichkeit und Unumkehrbarkeit der Bestrafung und der einstigen Abrechnung, wenn sie eintreffen. Diesbezüglich wird ja bereits in Vers 1 bemerkt, dass die Leugner der Abrechnung in einem Zustand der Ahnungslosigkeit und Sorglosigkeit (ġafla) sind. Die hier angesprochenen mutrafūn stehen prototypisch für eine Gruppe von Menschen, die angesehen und wohlhabend an das bewährte Vermächtnis der Vorfahren festhält und die Faktizität der eschatologischen Botschaft grundsätzlich negiert (Q 43:23; 17:16; 23:64). Die frühmekkanisch herausgestellte Entfaltung des eschatologischen Wissens in der Endzeit wird hier in Form der Selbsterkenntnis der eigenen Ignoranz antizipiert: „Wehe uns! Wir waren Frevler!“. Diese Selbsterkenntnis wird nun nicht nur am Ende der Sure vor dem Hintergrund des Naheseins der Abrechnung wiederholt (V. 97), sondern auch von Jonas als Eingeständnis der eigenen Unwissenheit und Ignoranz konstatiert (V. 87). Die im ihlāk ereilte Strafe kulminiert in eine agonale Litanei, bis sie zum jähen Ende führt (ḫāmidīn) (Q 36:29). IB

27  Zum Begriff siehe Bruce Waltke/Michael O’Connor, An introduction to biblical Hebrew syntax, Winona Lake 1990, 489-490. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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V. 16-18 wa-mā ḫalaknā s-samāʾa wa-l-ʾarḍa wa-mā bainahumā lāʿibīn / lau ʾaradnā ʾan nattaḫiḏa lahwan la-ittaḫaḏnāhu min ladunnā ʾin kunnā fāʿilīn / bal naqḏifu bi-l-ḥaqqi ʿala l-bāṭili fa-yadmaġuhū fa-ʾiḏā huwa zāhiqun wa-lakumu l-wailu mimmā taṣifūn] Mit dem Negativpartikel mā und durch eine Stichwortverknüpfung (yalʿabūn/ lāʿibīn) wird konjunktional an den Beginn der mā-Serie angeknüpft und ein weiteres Grundthema der Sure eingeführt. Die spielerische Ignoranz (yalʿabūn) gegenüber der Verkündigung wurde in den V. 3-5 als Spott und Hohn expliziert. Nun dient die Wurzel von yalʿabūn dazu, das Thema der Selbstgenügsamkeit Gottes und der abgelehnten Mehrgottverehrung einzuführen: Die gesamte Schöpfung hat Gott nicht aus Kurzweil erschaffen (lāʿibīn). Er ist sich selbst genügsam, weshalb der Gedanke einer Vergöttlichung von etwas Kreatürlichem und Geschaffenem absurd wäre. In den anschließenden Versen und im Verlauf des ersten Abschnitts der Sure wird dann disjunktiv (ʾam) daran angeknüpft, warum jegliche Form der Beigesellung und Mehrgottverehrung absurd und gegen das Schöpfungsprinzip ist (V. 22 f.; 24 f.; 43 f.). Dieser schöpfungstheologische Diskurs spiegelt die im narrativen Mittelteil von Abraham geführte Auseinandersetzung um die Mehrgottverehrung wieder. Abraham wird ja selbst bereits zuvor als jemand dargestellt, der auf der Grundlage einer schöpfungstheologischen Selbstreflexion zum Monotheismus findet (Q 37:83100). Der Disput im Mittelteil erinnert auch durch eine Stichwortverknüpfung an den einleitenden Teil der Sure: Abraham wird von seinen Gegnern gefragt, ob er einer von den „Spieltreibenden“ ist (mina l-lāʿibīn) (V. 55). V. 19-20 wa-lahū man fi s-samāwāti wa-l-ʾarḍi/ wa-man ʿindahū lā yastakbirūna ʿan ʿibādatihi wa-lā yastaḥsirūn/ yusabbiḥūna l-laila wa-n-nahāra lā yafturūn] Die in den Versen zuvor beschriebene Selbstgenügsamkeit Gottes bedingt auch, dass alle Wesen in Himmel und Erde in ihrer Kreatürlichkeit kategorial verschieden von Gott sind. Derart dürfen diese nicht angebetet werden, sondern beten selbst unentwegt Gott an. In späteren Formulierungen der spätmekkanischen Phase wird in derselben Wendung nochmals spezifiziert, dass hier zum Beispiel Engel und Tiere gemeint sind (Q 16:49), wobei diese Formulierung auch mit einem relativen mā statt man vorkommt, sodass auch nicht lebende Wesen gemeint sein können (Q 10:55; Q 2:116). Die Wendung selbst ist biblisch: ki khol ba-shamayim u-va-areṣ lekha , „denn dein ist alles im Himmel und auf Erden“ (1 Chr 29,10-20), wobei es im Targum – wie an anderen Stellen im Koran – auch die Wendung mit dem relativen mā gibt.28 Die Debatte 28  Vgl. David Kiltz, Veronika Roth, Nicolai Sinai, 1 Chronik 29:10-20 – TUK_0261. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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über intermediäre Gottheiten scheint mittelmekkanisch auch entscheidend durch die Stellung und Bedeutung von Jesus katalysiert worden zu sein. Es ist hier Neuwirth zu verdanken, dass sie die Einschübe und gegenseitige Fortschreibungen von Q 19 und Q 43 als Diskurs mit paganen Arabern aufzeigt, die in Jesus auch ein vergleichbares Zwischenwesen wie Engel und Töchter Gottes sehen, die man verehren kann.29 Kein Wesen, auch nicht Jesus (Q 4:172), hätte den Hochmut und die Arroganz (takabbur), Gott nicht zu dienen und stattdessen für sich selbst göttliche Souveränität zu beanspruchen. V. 21-23 ʾam ittaḫaḏū ʾālihatan mina l-ʾarḍi hum yunširūn /lau kāna fīhimā ʾālihatun ʾilla llāhu la-fasadatā/ fa-subḥāna llāhi rabbi l-ʿarši ʿammā yaṣifūn / lā yusʾalu ʿammā yafʿalu wa-hum yusʾalūn] Die mundane Existenz von Göttern wird schöpfungstheologisch ad absurdum geführt, indem darauf verwiesen wird, dass dadurch alles in Chaos geriete ( fasād).30 Dagegen wird physikotheologisch das Bild des souveränen Gottes auf dem Thron gestellt (rabbu l-ʿarši), der im veritablen Sinne das Bestehen des Kosmos (gr. kósmos= „Ordnung“) gewährleistet. Es scheint hier vor allem das psalmistisch geprägte Bild vom thronenden Gott zu sein (Ps 11; 103), an dem hier angelehnt und Gott für seine Ordnung gewährleistende Souveränität gepriesen wird ( fa-subḥāna llāhi rabbi l-ʿarši).31 Eine Pflicht zur eschatologischen Einlösung der Rechenschaft über die eigenen Taten besteht nur für den Menschen, nicht für Gott (V. 13). V. 24 ʾam ittaḫaḏū min dūnihī ʾālihatan qul hātū burhānakum hāḏā ḏikru man maʿiya wa-ḏikru man qablī bal ʾakṯaruhum lā yaʿlamūna l-ḥaqqa fa-hum muʿriḍūn] Wie in V. 21 wird disjunktiv nach der Möglichkeit der Mehrgottverehrung gefragt. Der Verkünder soll die Gegner um einen Beweis (burhān) für die Existenz weiterer Götter herausfordern. Doch wird in einer Klausel festgestellt, dass sich die Leugner von der Wahrheit und der Ermahnung abwenden (V. 1f.). Die Bezeichnung für den Beweis (burhān) stammt wahrscheinlich aus dem Äthiopischen, wo damit das Licht oder die Illumination bezeichnet wird.32

29  Vgl. Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike, 489-498. 30  Vgl. dazu Q 19:90, wo dieser Chaos als Auflösung der Schöpfung beschrieben wird. 31  Vgl. für weitere biblische Belegstellen zum göttlichen Thron Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, 21 f. 32  Vgl. Jeffery, The Foreign Vocabulary, 77 f.

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V. 25 wa-mā ʾarsalnā min qablika min rasūlin ʾillā nūḥī ʾilaihi ʾannahū lā ʾilāha ʾillā ʾana fa-ʿbudūn] Während in V. 7 allein die Faktizität der Eingebung an Gesandte konstatiert wurde, wird dieselbe Aussage nahezu wörtlich wiederaufgenommen und im Kontext des Diskurses um Beigesellung spezifiziert. Die zentrale Botschaft der Eingebung ist der Monotheismus. V. 26-29 wa-qālū ittaḫaḏa r-raḥmānu waladan subḥānahū bal ʿibādun mukramūn /lā yasbiqūnahū bi-l-qauli wa-hum bi-ʾamrihī yaʿmalūn /yaʿlamu mā baina ʾaidīhim wa-mā ḫalfahum wa-lā yašfaʿūna ʾillā li-mani irtaḍā wa-hum min ḫašyatihī mušfiqūn/ wa-man yaqul minhum ʾinnī ʾilāhun min dūnihī fa-ḏālika naǧzīhi ǧahannama ka-ḏālika naǧzi ẓ-ẓālimīn] In den Versen 19-25 wurde eine Steigerung aufgebaut: Allein der Gedanke an mehrere Götter sei schöpfungstheologisch absurd und die Existenz mehrerer Götter würde alles in Chaos stürzen. Noch gravierender ist nun die Vorstellung von biologischen Kindern Gottes, die frühmittelmekkanisch in Q 43 und Q 19 reziprok ins Spiel gebracht und abgelehnt wird (Q 19:88-93 / Q 43:81f.). Die Engel sind keine Töchter Gottes (Q 43:19), vielmehr hat Gott absolute Verfügung über ihr Handeln. Den blasphemischen Höhepunkt bildet die Angelotheose, also die Selbstvergöttlichung eines der Engel, die drastisch bestraft wird. V. 30-33 ʾa-wa-lam yara llaḏīna kafarū ʾanna s-samāwāti wa-l-ʾarḍa kānatā ratqan fa-fataqnāhumā wa-ǧaʿalnā mina l-māʾi kulla šaiʾin ḥaiyin ʾa-fa-lā yuʾminūn/ wa-ǧaʿalnā fi l-ʾarḍi rawāsiya ʾan tamīda bihim wa-ǧaʿalnā fīhā fiǧāǧan subulan laʿallahum yahtadūn/ wa-ǧaʿalna s-samāʾa saqfan maḥfūẓan wa-hum ʿan ʾāyātihā muʿriḍūn / wa-huwa llaḏī ḫalaqa l-laila wa-n-nahāra wa-š-šamsa wa-l-qamara kullun fī falakin yasbaḥūn] Zur Betonung der Autonomie Gottes folgen Schöpfungsayāt. V. 30 spielt auf den Beginn der Schöpfung an und setzt im Kern die priesterliche Schöpfungserzählung (Gen 1,1-2,4) voraus. Jedoch wird – wie etwa in 4 Esr 6,47-48 – davon ausgegangen, dass alles Lebende aus Wasser stammt.33 Speyer erkennt im Hintergrund der koranischen Darstellung den babylonischen Schöpfungsmythos, der auch die biblischen Schöpfungsvorstellungen geprägt hat.34 Nun ist aber mit ratqan – wie Speyer in der Übersetzung voraussetzt – keine „feste Masse“ gemeint, die „gespalten“ wird. Sowohl das Substantiv (ratq) als auch das Verb ( fataqa) kommen koranisch nur ein einziges Mal in diesem Vers 33  Vgl. Veronika Roth, 4 Esra 6:38-53 – TUK_1117. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx. 34  Vgl. Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, 4.

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vor. Es dürfte kein Zufall sein, dass bei beiden Begriffen der zweite und dritte Wurzelradikal derselbe ist (r-t-q / f-t-q). In einem paronomastischen Wortspiel wird hier ein reziproker und umkehrbarer Vorgang beschrieben. Was genau gemeint ist, wird erst durch V. 104 deutlich. Denn dort wird auf den Schöpfungsanfang (ʾawwala ḫalqin) zurückverwiesen, der dem Zusammenrollen der Himmel (naṭwi s-samāʾa) in der Endzeit entspricht, das auch anhand eines Hapaxlegomenons mit einem siǧill, einer Schriftrolle, verglichen wird (ka-ṭaiyi s-siǧilli li-l-kutubi). Gemeint ist hier die eschatologische Schriftrolle, dessen Entfaltung in der Endzeit komplementär zum Zusammenrollen der Schöpfung ist. Rataqa und fataqa bezeichnen also jeweils das Zusammen- und Auseinanderrollen. Auch muslimische Exegeten haben unter ratqan etwas Zusammenhaftendes verstanden.35 Ratq und fataqa scheinen im vorkoranischen Arabisch nicht belegt zu sein.36 Sie sind koranische Hapaxlegomena, die sich an den hebräischen und syrischen Sprachgebrauch anlehnen und koranisch ein neues Bild von der eschatologischen und schöpfungstheologischen Komplementarität zum Ausdruck bringen (hebr.rātaq = „verbinden“; syr. und aramä. petaq und hebr. pātaq = „teilen, verteilen“37). Es folgen weitere Schöpfungsayāt, die Gottes Fürsorge verdeutlichen. Die formale Unterdrückung der Verneinung (wa-ǧaʿalnā fi l-ʾarḍi rawāsiya ʾan tamīda bihim, „Und wir machten auf der Erde festgegründete Berge, damit sie nicht mit ihnen schwanke.“) weist bereits auf einen feierlichen Ton hin, der auf einen prominenten Text oder Vorstellung im Hintergrund hinweist.38 Psalmistische Schöpfungspreisungen werden spätestens seit Q 55 auch bei koranischen Schöpfungsayāt evoziert.39 Das Nichtschwanken der Erde erinnert im Arabischen (ʾan tamīda) an eine Formulierung in Psalm 104, in der im Hebräischen beschrieben wird, dass die Erde so festsitzt, dass sie nicht wankt (bal timmoṭ).40 Insgesamt scheint dann auch die von der Fürsorge Gottes zeugende Schöpfung in den folgenden Versen an Bilder aus demselben Psalm 104 anzulehnen (der Himmel jeweils als schützende Dach oder Zeltdecke

35  Vgl. Muḥammad b. Ǧarīr aṭ-Ṭabarī, Ǧāmiʿ al-bayān ʿan ta‌ʾwīl āy al-Qurʾān, Band 16, 254 ff. 36  Vgl. Albert Arazi/Salman Masalha, Six Early Arab Poets. New Edition and Concordance, Jerusalem 1999. 37  Vgl. Zammit, A comparative lexical study of Qurʾānic Arabic, 188, 315. 38  Vgl. Zur Unterdrückung der Verneinung siehe Hermann Reckendorf, Arabische Syntax, Heidelberg 1921, 52 f. 39  Vgl. Angelika Neuwirth, Der Koran, Band 1: Frühmekkanische Suren, Berlin 2011, 613-618. 40  Vgl. Dirk Hartwig, Psalm 93 – TUK_1387. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx.

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etc.). Der koranische Begriff für „festgegründet“ (rawāsin) ist auch in der altarabischen Dichtung belegt.41 V. 34-35 wa-mā ǧaʿalnā li-bašarin min qablika l-ḫulda ʾa-fa-ʾin mitta fa-humu l-ḫālidūn/ kullu nafsin ḏāʾiqatu l-mauti wa-nablūkum bi-š-šarri wa-l-ḫairi fitnatan wa-ʾilainā turǧaʿūn] Der zum Ende der mā-Serie formulierte Gedanke der Sterblichkeit der Gesandten in V. 8 wird nahezu wörtlich wiederaufgenommen und für den Verkünder und die Menschen insgesamt universalisiert. Mit dem Verweis auf die Faktizität des Todes ist hier auch die eschatologische Rechenschaft des Menschen impliziert. Denn der Mensch wird diesseitig insgesamt auf die Probe (fitna) gestellt. Die Wendung kullu nafsin ḏāʾiqatu l-mauti erinnert an dasselbe Bild vom Schmecken des Todes in den Evangelien, in denen es auch in einem eschatologischen Kontext steht (Mt 16,24-28, Mk 9,1).42 Jedoch wird dort gerade behauptet, dass das Gottesreich naht und dass einige die Abrechnung bereits vor dem Tod erleben werden („Wahrlich, ich sage euch: Es sind einige von denen, die hier stehen, die werden den Tod keinesfalls schmecken, bis sie den Sohn des Menschen haben kommen sehen in seinem Reich“, Mt 16,28). Koranisch geschieht die endzeitliche Abrechnung gerade nicht innerweltlich durch eine besondere Figur des Richters, sondern post mortem. Am Beginn der Sure wird zwar die Naherwartung der Abrechnung wie in den Evangelien evoziert (V. 1), jedoch verdeutlicht hier die Betonung der Faktizität des Todes für jeden Menschen, dass sich die endzeitliche Abrechnung erst nach dem Tod ereignen und erfüllen wird. IC Polemik: Zusammenfassung, Prophetenzuspruch V. 36 wa-ʾiḏā ra‌ʾāka llaḏīna kafarū ʾin yattaḫiḏūnaka ʾillā huzuwan ʾa-hāḏa llaḏī yaḏkuru ʾālihatakum wa-hum bi-ḏikri r-raḥmāni hum kāfirūn] Der erste Teil der Sure wird mit einem Prophetenzuspruch abgeschlossen (V. 36-47). Der vorangehende Vers wechselt bereits die Perspektive auf den Verkünder selbst, sodass nun der in der mā-Serie und in den darauffolgenden 41  Vgl. Hannelies Koloska, Gedicht des Zuhair – TUK_1284. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx; Arazi/Masalha, Six Early Arab Poets, 516. 42  Vgl. Veronika Roth/David Kiltz, Matthäus 16:24-28 – TUK_0547. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx; vgl. aber auch dasselbe Bild in der vorkoranischen Dichtung: Tolou Khademalsharieh, Muʿallaqat an-Nābiġa, Vers 28 – TUK_817. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx; Arazi/Masalha, Six Early Arab Poets, 17, 486.

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Versen explizierte Diskurs über ihlāk, Verheißung, Mehrgottverehrung etc. als direkte Polemik gegenüber seiner Person kontextualisiert wird. Auch der Verkünder wird – wie bereits zu Beginn der Sure in V. 2-5 allgemein proklamiert wurde – zum Gegenstand der Verhöhnung. In den mittelmekkanischen Suren wird der Spott gegenüber den Gesandten als charakteristisches Merkmal der koranischen Apostellehre hervorgehoben (istahza‌ʾa/ittaḫada huzuwan) (Q 15:11; 36:30; 18:106; 21:41; 25:41). Der Verkünder ist in derselben Situation wie Abraham, dem auch im narrativen Mittelteil der Sure vorgeworfen wird, dass er bezüglich ihrer Götter mahnt (ḏikr). V. 37-40 ḫuliqa l-ʾinsānu min ʿaǧalin sa-ʾurīkum ʾāyātī fa-lā tastaʿǧilūn/ wa-yaqūlūna matā hāḏa l-waʿdu/ ʾin kuntum ṣādiqīn/ lau yaʿlamu llaḏīna kafarū ḥīna lā yakuffūna ʿan wuǧūhihimu n-nāra wa-lā ʿan ẓuhūrihim wa-lā hum yunṣarūn/ bal ta‌ ʾtīhim baġtatan fa-tabhatuhum fa-lā yastaṭīʿūna raddahā wa-lā hum yunẓarūn] Gemäß der für die frühmekkanischen Suren typischen Form der Rüge des Menschen (Q 70:19; 80:17; 86:5) wird der Mensch für seine Hast und Eile gegeißelt. Diese Rüge steht im Zeichen der temporalen Frage nach der Erfüllung von göttlichen Verheißungen, die zentral für die ganze Sure ist. Denn auch der Verkünder wird gefragt, wann sich die Verheißung von der endzeitlichen Abrechnung (waʿd) erfüllen wird. Doch wenn die Strafe und die Abrechnung plötzlich vollzogen werden, dann wird eine Umkehr nicht mehr möglich sein. Das Subjekt in V. 40 ist wohl – wie Paret vermutet – die Stunde (sāʿa), die dereinst unvermittelt beginnen wird43, wobei auch die Lesart ya‌ʾtīhim überliefert wird, um den Vers auf waʿd zu beziehen. V. 41-43 wa-la-qad istuhziʾa bi-rusulin min qablika fa-ḥāqa bi-llaḏīna saḫirū minhum mā kānū bihī yastahziʾūna/ qul man yakla‌ʾukum bi-l-laili wa-n-nahāri mina r-raḥmāni bal hum ʿan ḏikri rabbihim muʿriḍūn/ ʾam lahum ʾālihatun tamnaʿuhum min dūninā lā yastaṭīʿūna naṣra ʾanfusihim wa-lā hum minnā yuṣḥabūn] Dem Verkünder wird zugesprochen, dass die Gesandten vor ihm bereits verspottet wurden, jedoch hat auch sie die Strafe Gottes ereilt (ihlāk). Er solle doch seine Gegner fragen, wer sie vor Gott und seiner Strafe schützen kann. Die von ihnen verehrten Götter sind ohne jegliche Macht und hilflos. Letzteres wird im narrativen Mittelteil der Sure durch Abraham selbst demonstriert, indem er alle Götzen bis auf einen zerstört und den Verbliebenen als Verantwortlichen brandmarkt (V. 58-63). 43  Vgl. Rudi Paret, Der Koran. Kommentar und Konkordanz, Stuttgart 72005, 342.

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V. 44-46 bal mattaʿnā hāʾulāʾi wa-ʾābāʾahum ḥattā ṭāla ʿalaihimu l-ʿumuru ʾa-fa-lā yarauna ʾannā na‌ʾti l-ʾarḍa nanquṣuhā min ʾaṭrāfihā ʾa-fa-humu l-ġālibūn/ qul ʾinnamā ʾunḏirukum bi-l-waḥyi wa-lā yasmaʿu ṣ-ṣummu d-duʿāʾa ʾiḏā mā yunḏarūn/ wa-la-ʾin massathum nafḥatun min ʿaḏābi rabbika la-yaqūlunna yā-wailanā ʾinnā kunnā ẓālimīn] Auch die Gegner des Verkünders haben wie die zuvor allgemein als mutrafūn beschriebenen unbekümmert gelebt (V. 10-15). Doch wird auch ihnen der ihlāk bzw. ʿaḏāb unvermittelt ereilen und sie werden wie die mutrafūn ihre Schuld und Vergehen selbst eingestehen (vgl. V. 14). Gegenüber der Verkündigung durch Eingebung (bi-l-waḥyi) (vgl. V. 7; 25) sind sie resistent gewesen. Die etwas änigmatisch anmutende Formulierung (ʾannā na‌ʾti l-ʾarḍa nanquṣuhā min ʾaṭrāfihā, „dass wir das Land heimsuchen, es von seinen Enden kürzend“) wurde von den Exegeten als Strafandrohung der militärischen und physischen Vertreibung gedeutet.44 Wahrscheinlich ist die Kürzung der Erde von den Enden her (min ʾaṭrāfihā) als Entsprechung zu dem später in der Sure beschriebenen Einfall von Gog und Magog min kulli ḥadabin („von allen Seiten“) zu verstehen. Die innerweltliche Bestrafung Gottes (ihlāk) hat dieselbe Unmittelbarkeit und Omnipräsenz wie die Vorgänge zur eschatologischen Endzeit (ḥisāb/ sāʿa). Gleichzeitig erinnert die Kürzung der Erde von den Enden her (min ʾaṭrāfihā) paronomastisch an die mutrafūn (t-r-f / ṭ-r-f), die wie die Gegner des Verkünders paradigmatisch für das frevelhafte Volk stehen, das im Schein der irdischen Reichtümer die einstige Abrechnung nicht erwartete. Das Schneiden der Erde von den Seiten her (min ʾaṭrāfihā) steht also metaphorisch und klanglich für das drakonische Bild des „Zerschneidens“ der mutrafūn, die samt ihrer materiellen Güter vergehen werden. V. 47 wa-naḍaʿu l-mawāzīna l-qisṭa li-yaumi l-qiyāmati fa-lā tuẓlamu nafsun šaiʾan wa-ʾin kāna miṯqāla ḥabbatin min ḫardalin ʾatainā bihā wa-kafā binā ḥāsibīn] Zum Versprechen (waʿd) des ḥisāb gehört auch, dass die Gewichtung der menschlichen Taten absolut gerecht sein wird. Hier gibt es keine Toleranz für Ungenauigkeiten – nicht mal um das Gewicht eines Senfkorns (ḫardalin). Das Senfkorn als kleinste Maßeinheit für Glauben und Unglauben erinnert an die jesuanische Rede (ipsissima vox) in den Evangelien (vgl. etwa Mt 17,14-20). Ḫardal wird deshalb von Jeffery auch über die Peschitta als Lehnwort aus dem Syrischen abgeleitet.45 Jedoch bemerkt Jeffery selbst, dass der Begriff in der

44  Vgl. Muḥammad b. Ǧarīr aṭ-Ṭabarī, Ǧāmiʿ al-bayān ʿan ta‌ʾwīl āy al-Qurʾān, Band 16, 281 ff. 45  Vgl. Jeffery, The Foreign Vocabulary, 122.

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Kapitel 8

vorkoranischen Poesie belegt ist. Hier argumentiert David Kiltz überzeugend, dass ḫardal eher ein urverwandter Begriff zur aramäischen Bezeichnung ist.46 II

Narrativer Kern: Rettung und Zuwendung (naǧāh,ʾītāʾ,istiǧāba)

Moses und Aaron V. 48-50 wa-la-qad ʾātainā mūsā wa-hārūna l-furqāna wa-ḍiyāʾan wa-ḏikran li-l-muttaqīn/ allaḏīna yaḫšauna rabbahum bi-l-ġaibi wa-hum mina s-sāʿati mušfiqūn/ wa-hāḏā ḏikrun mubārakun ʾanzalnāhu ʾa-fa-ʾantum lahū munkirūn] Im narrativen Mittelteil der Sure, der mit dem Bekräftigungspartikel wa-laqad auch formal als neuer Sinnabschnitt gekennzeichnet ist, wird nun die in V. 9 ausgesagte Erfüllung der Rettung (waʿdu n-naǧāh) der Gesandten anhand von Beispielen aus der biblischen Heilsgeschichte expliziert. Als das Beispiel schlechthin für die Intervention Gottes zugunsten seines Volkes oder seiner gläubigen Diener gilt der Exodus. Deshalb stehen hier an erster Stelle des narrativen Mittelteils Moses und Aaron. Ihnen wurde der furqān, das Licht und die Ermahnung zu Teil. Es scheint also der Bezug zum Exodus komplett zu fehlen. Dabei spiegelt der Exodus als eines der zentralen Ereignisse und Erfahrungen von Moses sowie dem israelitischen Volk seit frühmittelmekkanischer Phase auch typologisch die Situation der Gemeinde um Muhammad wieder47. Tatsächlich wird der Exodus in dieser Sure als göttliche Rettung ( furqān) bezeichnet. Die Bedeutung des Terminus furqān, der im Koran mehrmals und in unterschiedlichen Bedeutungsnuancen vorkommt (Q 2:53; 2:185; 3:4; 8:41; 8:29; 25:1)48, hat die traditionelle Exegese und die westliche Koranforschung vor hermeneutische und etymologische Herausforderungen gestellt. Die muslimischen Exegeten haben sich bei der Bedeutung von furqān an der arabischen Wurzel ( f-r-q: „trennen, entscheiden“) orientiert, wobei je nach dem Kontext des Verses darunter ein offenbartes Buch als Entscheidung zwischen Wahrheit und Falschheit (also das Evangelium, die Tora und der Koran) oder ein Ereignis als Entscheidung und Rettung (naǧāh) 46  Vgl. David Kiltz, Matthäus 17:14-20 – TUK_0217. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx. 47  Für die koranische Entwicklung von Moses siehe Neuwirth, Der Koran als Text des Spätantike, 653-671; während es in der frühmekkanischen Phase und zu Beginn der mittelmekkanischen Periode noch die jeweiligen Initiationserfahrungen sind, die Moses und Muhammad verbinden, werden auch Muhammad die zwei bedeutendsten Gunsterweisungen Gottes an Moses zu Teil: Der Exodus und die Vergabe der Tora (Vgl. Q17). 48  Daniel Madigan, Art. Criterion. In: Jane Dammen McAuliffe, Encyclopedia of the Qurʾān, Volume 1, Leiden 2001, 486 f.

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durch Gott (Exodus, Schlacht von Badr) verstanden wurde.49 Die westliche Koranforschung hat hier stattdessen ein Lehnwort aus dem Aramäischen bzw. Syrischen angenommen (purqānā= „Erlösung, Rettung“)50, wobei diese Bedeutung nicht zu denjenigen Versen zu passen scheint, die unter furqān eine Art offenbartes Buch implizieren (Q 25:1; Q 2:53; Q 3:3). Man hat dann vermutet, dass furqān koranisch jeweils als Lehnwort und angelehnt an der arabischen Wurzel mehrdeutig ist und je nach Kontext des Verses die jeweilige Bedeutung vorzuziehen ist.51 Einen neueren Lösungsverschlag zum Verständnis von furqān hat Fred Donner gemacht.52 An Stellen wie Q 8:41 („yauma l-furqāni“, „Tag der Rettung“) glaubt er, dass hier die syrische Bedeutung von purqānā vorauszusetzen ist, wobei er diesen Tag der Rettung nicht als Schlacht von Badr, sondern als Referenz auf den biblischen Exodus versteht, da ja bereits in Q 26:61 von zwei Parteien die Rede sei (Moses-Pharao), die aufeinandertrafen. An Stellen wie Q 2:53, Q 21:48, Q 3:3 sei dagegen das syrische puqdānā („Gebot“) der etymologische Ursprung der koranischen Bezeichnung. In der Peschitta bezeichne dieser Begriff die „Zehn Gebote“ und diese Bedeutung passe zu den Stellen, in denen von der Herabsendung eines Buches die Rede ist.53 Die späteren Muslime hätten diese Stellen dann orthographisch falsch „abgeschrieben“, sodass dann „fuqdān“ irgendwann zu „furqān“ angeglichen wurde.54 Diese Hypothese bringt Donner auch dazu, keine kontinuierlich mündliche Überlieferung des Korans anzunehmen, sondern am Anfang eher eine schriftliche Weitergabe des Korans zu postulieren. Der neue Deutungsvorschlag von Donner ist mehr als problematisch. Denn er liest die entsprechenden koranischen Verse zu furqān nahezu isoliert und unabhängig von der Entwicklung der koranischen Verkündigung. Nur wenn man nicht verstanden hat, dass bereits in der mittelmekkanischen Phase der biblische Exodus von der Gemeinde typologisch als Zeugnis für die eigene Situation verstanden wird, kann man in Q 8:41 auf die Idee kommen, dass nicht die Schlacht von Badr, sondern exklusiv der biblische Exodus gemeint ist. Auch die Deutung von einigen Stellen mit furqān als Bezeichnung für die Zehn 49  Für eine gute Übersicht über die jeweiligen Deutungen der muslimischen Tradition siehe Fred Donner, Quranic Furqān. In: Journal of Semitic Studies, Volume 52, Issue 2, 2007, 279300, hier: 281-286. 50  Vgl. Jeffery, The Foreign Vocabulary, 227f.; Horovitz, Koranische Untersuchungen,76 f.; für eine Übersicht der jeweiligen Deutungen in der westlichen Koranforschung siehe Donner, Quranic Furqān, 286-288. 51  Vgl. Horovitz, Koranische Untersuchungen, 77. 52  Vgl. Donner, Quranic Furqān, 288-294. 53  Vgl. ebd., 290 ff. 54  Vgl. ebd., 299.

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Kapitel 8

Gebote ist fraglich, auch wenn dieser Vorschlag Donners zunächst vielversprechend erscheint. Nur ist der Begriff kitāb als Oberbegriff für die Tora samt den Geboten bereits mittelmekkanisch etabliert (Q 17:2). Die mattan torah, also die Vergabe der Tora an Moses, ist in Q 17 das Vorbild für den Erhalt des koranischen Dekalogs in derselben Sure. Würde man etwa in Q 2:53 die Hypothese von Donner voraussetzen, dann hätte Moses „das Buch und die Gebote“ (al-kitāba wa-l-furqāna) bekommen, was angesichts der koranischen Nomenklatur tautologisch wäre. Kitāb und taurāt bezeichnen insgesamt die Tora mit den in ihr enthaltenen Geboten. Unabhängig davon sind die ganzen Prämissen dieser Neudeutung (rein schriftliche Überlieferung des Korans zu Beginn) sehr gewagt: In welchem Verhältnis steht diese Hypothese zum Entwicklungsstand der arabischen Sprache? Wer sollen die „Kopisten“ koranischer Handschriften gewesen sein? In welchem Verhältnis steht diese Hypothese zum Befund der früheren Handschriften? Ist dort wirklich ein System der Kopie von Kodizes etabliert? Welchen Sitz im Leben hatte der Koran nach dem Tod des Propheten, wenn dieser vor allem schriftlich weitergegeben wurde? Ein Verständnis des koranischen furqān hat sich zunächst primär an die thematische Entwicklung der koranischen Verkündigung selbst zu orientieren: In Q 17 erlebt der Verkünder einen spirituellen Exodus (Q 17:1), wobei er ebenso in dieser Sure einen koranischen Dekalog erhält (Q 17:22-39). Damit hat Muhammad wie Moses das erhalten, was Gott im Prinzip jedem Gesandten (rasūl) und Propheten (nabīy) zuspricht. Gemäß der Entwicklung koranischer Prophetologie, rettet Gott seine Gesandten (Muhammad und Moses: jeweils ein Exodus), während die Propheten in besonderer Weise gewürdigt werden (Moses und Muhammad: Erhalt der Tora und des koranischen Dekalogs).55 Furqān wird nun in dieser Sure verwendet, um den biblischen Exodus als besondere ʾītāʾ an Moses zu „objektivieren“. Es ist die rettende und erlösende Erfahrung der naǧāh, die Gott seinen Gesandten immer schon versprochen hat und die in V. 9 der Sure als waʿd verheißen wird. Doch wieso wird der Exodus hier derart in Anlehnung an das syrische purqānā objektiviert? Das lässt sich nur vor dem Hintergrund der koranischen Abweisung einer soteriologischen Dimension des Leids der Gesandten verstehen. Q 36 enthält die Neudeutung des Weinberggleichnisses aus den Evangelien, um gerade eine erlösende Kraft des Leids der Gesandten abzulehnen.56 In der – wie Q 21 – spätmittelmekkanischen Sure 25 wird diese Ablehnung einer soteriologischen Dimension des Leids der Gesandten (und von Jesus) auf eine neue diskursive Ebene gehoben. So heißt es dort, dass Gott auf seinen Diener Muhammad 55  Vgl. Ghaffar, Einordnung in die koranische Prophetologie, 176-226. 56  Vgl. Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike, 506 f.

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den furqān hinabgesandt hat. Normalerweise ist am Surenanfang von der Herabsendung (tanzīl) der Schrift die Rede. Was ist dann aber mit der Herabsendung des furqān gemeint? Hier ist natürlich an die christliche Tradition zu denken, nach der ein Erlöser oder Retter hinabgesandt wurde: Jesus. Das aramäische purqān wird in der Peschitta verwendet, um das hebr. ješaʿ oder ješūʿā wiederzugeben.57 Der Koran konterkariert nun die christliche Vorstellung der Inkarnation, denn das rettende Handeln Gottes in der Geschichte wird nun analog zur Herabsendung der Schrift (tanzīl) konzeptualisiert. Es ist Gott, der in der Geschichte interveniert hat und Muhammad sowie Moses die Rettung ( furqān) gibt, indem er sie real oder spirituell befreit hat. Derart wird die urmuslimische Gemeinde nicht nur in Mekka durch die Hinwendung nach Jerusalem und als neues Gottesvolk befreit, sondern erfährt in Medina auch eine reale Befreiung in der Schlacht von Badr (Q 8:41). Auch die restlichen koranischen Stellen werden durch die hier vorgeschlagene Deutung von furqān klarer. In Q 2:53 wird konstatiert, dass Moses das Buch (kitāb) und die Rettung ( furqān) in Form des Exodus erhalten hat; die beiden zentralen Gunsterweise an Moses. Eine Qualität des Korans ist dann die Rettung (naǧāh), die Gott der urmuslimischen Gemeinde durch die Herabsendung des Korans selbst zugesichert hat (Q 2:285). Zusätzlich kann die Gemeinde kann auch das wiederholte Eingreifen Gottes in die Geschichte erbitten (Q 8:29). Die Surenstruktur macht deutlich, dass Moses und Aaron nicht zufällig als erstes Beispiel für Gottes Verheißung der Rettung (waʿdu n-naǧāh) genannt werden und die hier in Form der Gabe des furqān als Exodus erinnert wird. Beide wurden – wie die biblischen Figuren in den folgenden Beispielen – von Gott gerettet. Des Weiteren werden illuminativ das Licht (ḍiyāʾ) als Rechtleitung und die Ermahnung (ḏikr) genannt, die Moses in Form der Thora erhalten hat. Jedoch wird letztere (ḏikr) – wie bereits in den ersten beiden Versen artikuliert – nur von denjenigen akzeptiert, die auch an die Erfüllung der Abrechnung oder der „Stunde“ glauben (V. 49). In einer Klausel (V. 50) wird dann die koranische Verkündigung selbst als herabgesandte Mahnung bezeichnet.

Abraham: Rettung und Zuwendung

Disputation I V. 51-58 wa-la-qad ʾātainā ʾibrāhīma rušdahū min qablu wa-kunnā bihī ʿālimīn/ ʾiḏ qāla li-ʾabīhi wa-qaumihī mā hāḏihi t-tamāṯīlu llatī ʾantum lahā ʿākifūn / qālū waǧadnā ʾābāʾanā lahā ʿābidīn/ qāla la-qad kuntum ʾantum 57  Vgl. Horovitz, Koranische Untersuchungen, 76.

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wa-ʾābāʾukum fī ḍalālin mubīn / qālū ʾa-ǧiʾtanā bi-l-ḥaqqi ʾam ʾanta mina l-lāʿibīn/ qāla bal rabbukum rabbu s-samāwāti wa-l-ʾarḍi llaḏī faṭarahunna wa-ʾana ʿalā ḏālikum mina š-šāhidīn/ wa-ta-llāhi la-ʾakīdanna ʾaṣnāmakum baʿda ʾan tuwallū mudbirīn/ fa-ǧaʿalahum ǧuḏāḏan ʾillā kabīran lahum laʿallahum ʾilaihi yarǧiʿūn] Abraham wird als nächstes Beispiel für die Erfüllung der Verheißung der naǧāh genannt. Es ist die Gabe (ʾītāʾ) der Einsicht (rušd), die ihn persönlich zur monotheistischen Gotteserkenntnis brachte und weshalb er seine Zeitgenossen sowie ihren Glauben an die Götzen herausgefordert hat. Damit bringt er sich selbst in Bedrängnis, sodass er von Gott gerettet wird. Mekkanisch sind es vor allem die Verkündigung eines Sohnes/Bestrafung des Volkes der Lot (sogen. „tabšīr-Perikope“) und Abrahams Streit mit seinem Vater sowie seinen Zeitgenossen (sogen. „Streitperikope“), die wiederholt erinnert werden.58 In Q 21 wird die Streitperikope weiter entfaltet. Das Bild von Abraham, der seinen Vater und seine Zeitgenossen vom Götzendienst abbringen will, wird vor allem in der nachbiblischen Tradition entwickelt und entfaltet (so etwa im Jubiläenbuch und in der Apokalypse Abrahams)59. Überhaupt ist die Figur des Abrahams, der durch eine physikotheologische Reflexion zur Gotteserkenntnis gelangt und derart demonstrativ die reine Gotteserkenntnis symbolisiert (Q 6:74 ff.), in der Antike und Spätantike weit verbreitet gewesen (etwa bei Flavius Josephus, Philo etc.).60 Abraham fragt seinen Vater und seine Zeitgenossen, warum sie Bildwerke oder Götzen (tamāṯīl) verehren (V. 52). Diese verweisen auf die Praxis der Vorfahren (V. 52) und nehmen die Anfrage von Abraham nicht ernst, indem sie seine Kritik als Scherz abtun („ʾam ʾanta mina l-lāʿibīn“, „Oder bist Du von den Scherztreibenden? V. 55). Die Wurzel l-ʿ-b (lāʿibīn) verweist stichwortartig sowohl auf den Surenanfang (V. 2) als auch auf die Abweisung des Polytheismus durch den Hinweis auf Gottes Selbstgenügsamkeit (V. 16ff.). Wie im einleitenden Teil der Sure argumentiert Abraham, dass Gott eigentlich der Schöpfer von Himmel und Erde und von all dem ist, was seine Zeitgenossen 58  Vgl. für die koranische Entwicklung Abrahams siehe Nicolai Sinai, Fortschreibung und Auslegung, Studien zur frühen Koraninterpretation, Wiesbaden 2009, 97-151. 59  Vgl. Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, 130-134; Veronika Roth, Buch der Jubiläen 12:1-7 – TUK_0673, Die Apokalypse Abrahams 1:1-6:10 – TUK_0456, Genesis Rabba, Parascha 38:28 – TUK_0660. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx. 60  Vgl. Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, 124 ff.; Veronika Roth, Jüdische Altertümer 1:155-156 – TUK_0659, Buch der Jubiläen 12:16-20 – TUK_0674, Die Apokalypse Abrahams 7:1-8 – TUK_0457. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx.

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vergöttlichen (V. 56). Da jedoch Abrahams Ermahnung nicht ausreicht, zerstört er demonstrativ die Götzen bis auf den Größten von Ihnen (V. 57f.). Disputation II V. 59-70 qālū man faʿala hāḏā bi-ʾālihatinā ʾinnahū la-mina ẓ-ẓālimīn/ qālū samiʿnā fatan yaḏkuruhum yuqālu lahū ʾibrāhīm/ qālū fa-ʾtū bihī ʿalā ʾaʿyuni n-nāsi laʿallahum yašhadūn/ qālū ʾa-ʾanta faʿalta hāḏā bi-ʾālihatinā yāʾibrāhīm/ qāla bal faʿalahū kabīruhum hāḏā fa-sʾalūhum ʾin kānū yanṭiqūn/ fa-raǧaʿū ʾilā ʾanfusihim fa-qālū ʾinnakum ʾantumu ẓ-ẓālimūn/ ṯumma nukisū ʿalā ruʾūsihim la-qad ʿalimta mā hāʾulāʾi yanṭiqūn/ qāla ʾa-fa-taʿbudūna min dūni llāhi mā lā yanfaʿukum šaiʾan wa-lā yaḍurrukum/ ʾuffin lakum wa-li-mā taʿbudūna min dūni llāhi ʾa-fa-lā taʿqilūn/ qālū ḥarriqūhu wa-nṣurū ʾālihatakum ʾin kuntum fāʿilīn/ qulnā yā-nāru kūnī bardan wa-salāman ʿalā ʾibrāhīm/ wa-ʾarādū bihī kaidan fa-ǧaʿalnāhumu l-ʾaḫsarīn] Die Zeitgenossen Abrahams entdecken, dass alle Götzen bis auf einen zerstört sind. Schnell wird Abraham als Verdächtiger identifiziert (V. 60f.), wobei seine Beschreibung als jemand, der gegen die Götter gemahnt hat, denselben Vorwurf an den Verkünder im ersten Teil der Sure wiederholt (V. 36). Abraham verneint die Zerstörung der Götzen und verdächtigt den übrig gebliebenen Götzen, den sie befragen sollen (V. 63). Zunächst scheint es, als hätten die Zeitgenossen Abrahams ihre Naivität und ihren Frevel eingesehen, sodass sie, wie einst die Frevler in der eschatologischen Endzeit, bekennen (vgl. V. 14; 46), dass sie falsch lagen (V. 64). Jedoch hält dieser Moment der Verlegenheit nicht lange an, sodass sie ihm seine List vorwerfen (V. 65). Abraham weist analog zur schöpfungstheologischen Argumentation im ersten Teil der Sure darauf hin, dass die Götzen selbst hilf- und leblos sind (vgl. V. 43) und wie absurd deren Verehrung doch sei (V. 66f.). Der Versuch, Abraham zu bestrafen und ihn zu verbrennen, scheitert durch die Intervention Gottes, der das Feuer kühl sein lässt (V. 68-70). In der apokryphen Tradition und im jüdischen Midrasch wird beschrieben, wie Abrahams Vater Götzen verkaufte und dass Abraham dabei in einigen Situationen Götzen zerstört, um die Absurdität ihrer Anbetung zu demonstrieren.61 Der koranischen Darstellung kommt hier die Beschreibung in Genesis Rabba 38,19 sehr nah, wo Abraham aus Frust beim Verkauf von Götzen alle bis auf den Größten zerschlägt und den Stock als Tatwaffe beim übrig gebliebenen Götzen hinterlegt. Auf diesen verweist er dann, als sein Vater 61   Vgl. Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, 135 ff.; Veronika Roth, Genesis Rabba, Parascha 38:28 – TUK_0660. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx.

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zurückkehrt und ihn nach den zerbrochenen Götzen fragt. Abrahams Vater weist auf die Leblosigkeit der Götzen hin, sodass ihn Abraham zur Erkenntnis der eigenen Frevelhaftigkeit mahnt. In der koranischen Darstellung wird diese Szene zwischen Vater und Sohn als Streitperikope zwischen Abraham und seinem ganzen Volk verallgemeinert. Auch die Rettung Abrahams aus dem Feuer wird in der rabbinischen Tradition reflektiert, wobei etwa im babylonischen Talmud Abraham durch Nimrod im Feuerofen verbrannt werden soll62 und der Engel Gabriel das Feuer kühlen möchte, um Abraham zu retten.63 Jedoch gibt es auch unterschiedliche Traditionen, nach denen die Engel miteinander streiten, um Abraham retten zu dürfen. Rettung von Abraham und Lot V. 71-73 wa-naǧǧaināhu wa-lūṭan ʾila l-ʾarḍi llatī bāraknā fīhā li-l-ʿālamīn/ wa-wahabnā lahū ʾisḥāqa wa-yaʿqūba nāfilatan wa-kullan ǧaʿalnā ṣāliḥīn/ wa-ǧaʿalnāhum ʾa‌ʾimmatan yahdūna bi-ʾamrinā wa-ʾauḥainā ʾilaihim fiʿla l-ḫairāti wa-ʾiqāma ṣ-ṣalāti wa-ʾītāʾa z-zakāti wa-kānū lanā ʿābidīn] Es wird daran erinnert, dass Gott sowohl Abraham, als auch Lot gemäß seiner Verheißung gerettet und sie in das Heilige Land geführt hat (Gen 12,19). Gleichzeitig erfüllt Gott sein Versprechen, dass er sich seinen Dienern in Barmherzigkeit zuwendet (waʿdu l-istiǧāba): Deshalb hat Abraham auch eine fromme Nachkommenschaft erhalten, dessen Mitglieder Vorbilder (ʾa‌ʾimma) sind. Hier ist koranisch noch nicht wie in Medina der Versuch zu erkennen, die Auszeichnung von Abrahams Nachkommen auf eine bestimmte Personengruppe einzugrenzen. Vielmehr liegt die Betonung auf Gottes Zuwendung an der Person Abrahams. Lot: Rettung und Zuwendung V. 74-75 wa-lūṭan ʾātaināhu ḥukman wa-ʿilman wa-naǧǧaināhu mina l-qaryati llatī kānat taʿmalu l-ḫabāʾiṯa ʾinnahum kānū qauma sauʾin fāsiqīn/ wa-ʾadḫalnāhu fī raḥmatinā ʾinnahū mina ṣ-ṣāliḥīn] Auch an die Rettung Lots vor den Sodomitern wird als Erfüllung der Verheißung (waʿd) Gottes erinnert, wobei sich Gott auch ihm in seiner Barmherzigkeit zugewendet hat (V. 75). Koranisch wird die Geschichte Lots, anders als in der

62  Vgl. Veronika Roth, Genesis Rabba, Parascha 38:28 – TUK_0664. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx. 63  Vgl. Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, 143 f.

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Bibel, als Straflegende erzählt, nach der Lot die Sodomiter zur Umkehr aufrufen soll (Q 26: 160-169). Noah: Rettung und Zuwendung V. 76-77 wa-nūḥan ʾiḏ nādā min qablu fa-staǧabnā lahū fa-naǧǧaināhu waʾahlahū mina l-karbi l-ʿaẓīm / wa-naṣarnāhu mina l-qaumi llaḏīna kaḏḏabū bi-ʾāyātinā ʾinnahum kānū qauma sauʾin fa-ʾaġraqnāhum ʾaǧmaʿīn] In der früh- und mittelmekkanischen Phase markieren das Leben Noahs und die Sintflut nicht eine heilsgeschichtlich bedeutsame Wende (Q 53:53; 51:46; 50:12; 54:9-17; 71:1-28). Noah steht vielmehr paradigmatisch für den Warner, dessen Volk ihn verleumdet und deshalb bestraft wird. Entsprechend wird auch in diesen Versen seine Geschichte als Exempel für Gottes Rettung seiner Gesandten aufgezählt. Erst ab der spätmekkanischen Phase markiert das Wirken Noahs auch einen heilsgeschichtlichen und bundestheologischen Wendepunkt (Q 11:25-49).64 Anders als in den Erzählungen zu Moses, Abraham und Lot zuvor ist die Rettung Noahs das Resultat eines Gebets, das Gott erhört (istiǧāba). In den folgenden Erzählungen wird die Zuwendung (istiǧāba) Gottes neben der Rettung (naǧāh) auch explizit im Sinne der Erfüllung einer Verheißung (waʿd) beschrieben. David und Salomo: Zuwendung V. 78-82 wa-dāwūda wa-sulaimāna ʾiḏ yaḥkumāni fi l-ḥarṯi ʾiḏ nafašat fīhi ġanamu l-qaumi wa-kunnā li-ḥukmihim šāhidīn/ fa-fahhamnāhā sulaimāna wa-kullan ʾātainā ḥukman wa-ʿilman wa-saḫḫarnā maʿa dāwūda l-ǧibāla yusabbiḥna wa-ṭ-ṭaira wa-kunnā fāʿilīn/ wa-ʿallamnāhu ṣanʿata labūsin lakum li-tuḥṣinakum min ba‌ʾsikum fa-hal ʾantum šākirūn/ wa-li-sulaimāna r-rīḥa ʿāṣifatan/ taǧrī bi-ʾamrihī ʾila l-ʾarḍi llatī bāraknā fīhā wa-kunnā bi-kulli šaiʾin ʿālimīn/ wa-mina š-šayāṭīni man yaġūṣūna lahū wa-yaʿmalūna ʿamalan dūna ḏālika wa-kunnā lahum ḥāfiẓīn] David und Salomo werden zum ersten Mal in der mittelmekkanischen Sure 38 (V. 17-40) als reumütige und bußfertige Gläubige eingeführt (ʾawwāb).65 Nicht zuletzt Busse hat darauf hingewiesen, dass beide Figuren als „Propheten-Könige“ in enger typologischer Verwandtschaft stehen.66 So werden beide zusammen als Richtende eingeführt, die ein Urteil im Fall von Schafen gefällt haben, die auf dem Acker von jemand anderem weideten (V. 78). Um welches Urteil es 64  Für die koranische Entwicklung Noahs siehe Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike, 623-632. 65  Vgl. Neuwirth, Der Koran, Band I, 522-583. Siehe ebenso das Kapitel 4. 66  Vgl. Busse, Herrschertypen, 59-64.

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sich genau handelt, wird aus der koranischen Darstellung nicht ersichtlich. Speyer verweist hier auf den Midrasch Exodus Rabba 2,3 wo auch von einem Urteil Davids zu Schafen die Rede ist: „Es gibt zwei weltberühmte Menschen, die Gott mit einer kleinen Sache prüfte und die für treu befunden wurden und zu Größe gelangten. Er prüfte David mit den Schafen, und er führte sie nur in die Wüste (zum Weiden), um sie von Raub (auf fremden Weideplätzen) abzuhalten“.67 Grundsätzlich wird von der Richterfunktion Davids im Midrasch berichtet.68 Sowohl David, als auch Salomo wird hier das Wissen (ʿilm) und die Weisheit (ḥukm) als Gabe (ʾītāʾ) Gottes zugesprochen. Beides entspricht der im vorherigen Surenverlauf beschriebenen ʾītāʾ von Einsicht an Abraham (V. 51) und von furqān an Moses (V. 48). Diese repräsentieren jeweils die Erfüllung von Gottes Verheißung seiner Zuwendung (istiǧāba). Salomo verkörpert bereits in der Bibel den weisen Richter par excellence (vgl. 1 Kön 3,16-28; 5,9-14)69, wobei nach dem Koran seine Weisheit typologisch auf David als seinen Vorgänger abfärbt.70 Dass David die Berge zum Lobpreis dienstbar sind (V. 79), ist vor dem Hintergrund seiner Verfasserschaft der Psalmen zu verstehen, wo auch Naturobjekte den Preis Gottes bezeugen (Ps. 98,8; Ps 148).71 Am Chor des Lobpreises beteiligen sich auch Vögel (V. 79). Da Salomo selbst biblisch über die Tiere spricht (1 Kön 5,13 und in der syrischen Baruchapokalypse Vögel befehligt72), kann man hier auch von einer typologischen Projektion dieser Verfügungsgewalt Salomos auf seinen Vorgänger David sprechen. Die Fähigkeit zur Anfertigung von Panzerungen (V. 80) ist koranisch der Ausdruck des besonderen Wissens (ʿilm), das Gott David verliehen hat. In der altarabischen Dichtung ist David bereits als Handwerker für Panzerhemden bekannt.73 Derart ist auch der hier koranisch ein einziges Mal verwendete Begriff für Schutzpanzer (labūs) auch in der altarabischen Dichtung belegt.74

67  Zitiert nach Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, 377. Vgl. Veronika Roth, Exodus Rabba, Parascha 2:3 – TUK_1081. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx. 68  Vgl. ebd., 377. 69  Vgl. Veronika Roth, Jüdische Altertumer 8:22-24 – TUK_1085, Hohes Lied Rabba, Parascha 1 – TUK_1086, 1 Könige 5:9-14 – TUK_0324. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx. 70  Vgl. Busse, Herrschertypen, 62. 71  Vgl. Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, 381. 72  Vgl. ebd., 384. 73  Vgl. Horovitz, Koranische Untersuchungen, 109 f. 74  Vgl. Arazi/Masalha, Six Early Arab Poets, 1005.

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Für Salomo tauchen auch Geister und Dämonen.75 Das entspricht der apokryphen Tradition (Weisheit und Testament Salomos), nach der Salomo Dämonen und Geister bändigen kann und ihre Hilfe beim Tempelbau nutzt.76 Die Verfügung über Wind (V. 78) ist ebenso Ausdruck der Bändigungskraft, die Gott Salomo verliehen hat. Die Darstellung von David und Salomo soll die in der Sure versprochene Zuwendung (istiǧāba) Gottes an seine Gesandten exemplifizieren. Deshalb werden jeweils die gottgegebenen Tugenden und Fähigkeiten beider „Propheten-Könige“ in den Vordergrund gestellt. Dabei bleiben andere Charakteristika und Funktionen beider Figuren, die aus der biblischen Tradition bekannt sind, im Hintergrund (Tempelbau durch Salomo etc.). Letzteres ist aber nicht den kontingenten Umständen der koranischen Verkündigung geschuldet, sondern ein Zeugnis der negativen Intertextualität des Korans: Es werden nicht nur zentrale Theologumena und Motive der biblischen und postbiblischen Tradition privativ marginalisiert, sondern durch neue Aussagen und eine neue theologische Stoßrichtung ersetzt. Salomos Verfügungsgewalt über die Geister und Dämonen steht in einem engen Zusammenhang mit dem Tempelbau. So wird im babylonischen Talmud berichtet, dass seine Herrschaft die Erde und den Himmel umfasste77 sowie, dass er listenreich Dämonen dazu gebracht hat, ihm beim Tempelbau zu helfen.78 In den apokryphen Traditionen wird diese Verfügungsgewalt über Dämonen noch ausführlicher beschrieben.79 Dagegen wird im hier kommentierten Vers der Zusammenhang dieser Verfügungsgewalt zum Tempelbau nicht thematisiert. Der Grund für diese Negation liegt in der heilsgeschichtlichen Einordnung der Tempelzerstörung, wie sie koranisch in Q 17 vorgenommen wird.80 Dort wird die zweimalige Tempelzerstörung als Erfüllung von zwei Verheißungen (waʿdān) beschrieben, die sich aufgrund des verschuldeten Unheils (ifsād) auf der Erde ereignen (Q 17:4-8). Angelika Neuwirth hat betont, dass insbesondere die erneute Zerstörung des Tempels im Koran nicht die heilsgeschichtliche 75  Die Bezeichnung šayāṭīn ist nach Horovitz schon vorkoranisch bekannt und hier als ein Gattungsbegriff für Dämonen zu verstehen, vgl. Horovitz, Koranische Untersuchungen, 120 f. 76  Vgl. Busch, Das Testament Salomos; Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, 386 f. 77  Vgl. Dirk Hartwig, Babylonische Talmud, bSanhedrin 20b-TUK_1393. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx. 78  Vgl. bGit68a-b; Veronika Roth, Babylonischer Talmud, Gittin 68 b – TUK_1090. In: Texte aus der Umwelt des Korans, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Michael Marx. 79  Vgl. Busch, Das Testament Salomos. 80  Vgl. das Kapitel 2.

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Brisanz hat, wie sie etwa in der christlichen Rezeption als Strafe Gottes für die Tötung seines Sohnes wahrgenommen wurde.81 Man könnte hier tatsächlich versucht sein, von einer koranischen Konzeptualisierung beider Verheißungen (waʿdān) von der Zerstörung des Tempels als waʿdu l-ihlāk, also der Verheißung von der Bestrafung der Frevler, zu sprechen. Nur steht die zweimalige Tempelzerstörung nicht wie bei den Straflegenden für die Vernichtung eines ganzen Volkes. In Q 17:8 wird ja betont, dass Gott sich den Israeliten womöglich erbarmt. Bereits in der hebräischen Bibel wird die erste Tempelzerstörung ex eventu als Voraussage und Verheißung einer göttlichen Sanktion begriffen: Und es geschah, als Salomo den Bau des Hauses des HERRN und des Hauses des Königs vollendet hatte, dazu alles, was Salomo gefiel, alles, was er auszuführen wünschte, da erschien der HERR dem Salomo zum zweiten Mal […]. Und der HERR sprach zu ihm: Ich habe dein Gebet und dein Flehen gehört, das du vor mir gefleht hast. Ich habe dieses Haus, das du gebaut hast, geheiligt, um meinen Namen dort niederzulegen für ewig; und meine Augen und mein Herz sollen allezeit dort gegenwärtig sein. Und du, wenn du vor mir lebst, ebenso wie dein Vater David gelebt hat in Lauterkeit des Herzens und in Aufrichtigkeit, indem du nach allem handelst, was ich dir geboten habe, und wenn du meine Ordnungen und meine Rechtsbestimmungen einhältst, dann werde ich den Thron deines Königtums über Israel festigen für ewig, so wie ich über deinen Vater David geredet habe, als ich sprach: Es soll dir nicht an einem Mann auf dem Thron Israels fehlen. Wenn ihr euch aber von mir abwendet, ihr und eure Kinder, und meine Gebote und meine Ordnungen, die ich euch vorgelegt habe, nicht einhaltet, sondern hingeht und anderen Göttern dient und euch vor ihnen niederwerft, dann werde ich Israel ausrotten aus dem Land, das ich ihnen gegeben habe; und das Haus, das ich meinem Namen geheiligt habe, werde ich von meinem Angesicht wegstoßen. So wird Israel zum Sprichwort und zur Spottrede unter allen Völkern werden. Und dieses Haus wird eine Trümmerstätte werden; jeder, der an ihm vorübergeht, wird sich entsetzen und pfeifen. Und man wird sagen: Warum hat der HERR an diesem Land und an diesem Haus so gehandelt? (1 Kön 9,1-8).

In Q 17 wird diese noch konditional formulierte Verheißung zur gewissen Zerstörung beider Tempel umformuliert. Diese Deutung der beiden Tempelzerstörungen als waʿda l-ihlāk ist vor dem Hintergrund der eschatologischen Erwartungen und Hoffnungen zu sehen, die man im siebten Jahrhundert bezüglich einer möglichen Wiedererrichtung des Tempels hatte. Chiliastische und jüdisch-christliche Vorstellungen von der Endzeit haben sich im siebten Jahrhundert verstärkt an der Frage des Tempelberges und einer möglichen Wiedererrichtung des Tempels orientiert: It is traditionally assumed that, by the fourth century, the chiliastic trends so prominent in the early stages of Christianity had more or less burnt themselves 81  Vgl. Neuwirth, Der Koran, Band 2/2, Kommentar zu Q 17 (in Vorbereitung). Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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out, yet, they seem to reappear with renewed strength in the seventh century, with the same old scenario being played out in Jerusalem, in particular around the Temple Mount.82

Für die Juden markierte die mögliche Wiedererrichtung des Tempels den Beginn der Herrschaft des Messias, während man in christlicher Wahrnehmung darin ein Zeichen für die Herrschaft des Antichristen vor dem Wiedererscheinen von Jesus Christus gesehen hätte.83 In Q 17 werden diese eschatologischen Erwartungen an einem Wiederaufbau des Tempels negiert.84 Die Sure wurde – wie Q 21 – in einer Zeit verkündigt, in der die sassanidische Eroberung Jerusalems 614 diese eschatologischen Vorstellungen um den Tempelberg nochmals intensiviert hatte. Durch die veritable Bezeichnung der zweiten Tempelzerstörung als waʿdu l-ʾāḫira, also „letzte Verheißung“ (Q 17:7), wird jegliche Hoffnung auf einen Wiederaufbau des Tempels und somit auch die biblisch an David gerichtete Zusage vom Bestehen seines Königtums und des Tempels negiert. Denn die zweite Zerstörung ist die letzte Verheißung bezüglich des Tempels. Die Bezeichnung als waʿdu l-ʾāḫira dient zum Ende der Sure als terminologisches tertium comparationis, um dem waʿda l-ihlāk der Tempelzerstörungen die Verheißung von dem einstigen Endgericht gegenüberzustellen. Denn die Israeliten werden hier mit demselben Begriff der waʿdu l-ʾāḫira an die Rückkehr zu ihrem Herrn erinnert (Q 17:104). Hier bezeichnet die waʿdu l-ʾāḫira im übertragenen Sinne den waʿdu l-ḥisāb/ waʿdu s-sāʿa. In Q 17 wird also nicht nur ein möglicher Wiederaufbau des Tempels (waʿdu l-ʾāḫira im wörtlichen und numerischen Sinne als zweite und letzte Tempelzerstörung), sondern auch die eschatologische Verknüpfung des Tempelberges mit der Endzeit aufgehoben (waʿdu l-ʾāḫira im übertragenen Sinne als einstige Zeit des Endgerichts). Für die urmuslimische Gemeinde war klar, dass die kriegerischen Ereignisse um Jerusalem keine imminent eschatologische Bedeutung haben und dass die gemeindliche Orientierung zum Heiligen Land (Gebetsrichtung) kein ephemeres Phänomen ist. Auch wenn der Tempel nicht mehr physisch existiert, war die urmuslimische Gemeinde von der bleibenden Bedeutung Jerusalems als Epizentrum sakraler Topographie überzeugt. Dass die in diesem Vers beschriebene Verfügungsgewalt Salomos über Geister und Dämonen nichts mehr mit dem Tempel zu tun hat, ist vor dem Hintergrund dieser heilsgeschichtlichen Deutung der beiden Tempelzerstörungen als waʿda l-ihlāk zu sehen. An einem möglichen Wiederaufbau des Tempels soll gar nicht mehr gedacht werden. Es wird koranisch gar nicht davon berichtet, dass Salomo den Tempel erbaut 82  Stroumsa, The making of the Abrahamic religions in late antiquity, Oxford 2015, 168. 83  Vgl. ebd., 77. 84  Siehe diesbezüglich ausführlich Kapitel 2. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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hat. Seine Verfügungsgewalt gegenüber Geister und Dämonen exemplifiziert vielmehr die Verheißung von der Zuwendung Gottes an seine Diener (waʿdu l-istiǧāba), die nichts mehr mit der biblischen Verheißung und Zusage bezüglich des möglichen Bestehens des Tempels und des jüdischen Königtums zu tun hat (1 Kön 9,1-8). Bei der erstmaligen Erwähnung von Salomo und David in Q 38 ist zwar noch die Bautätigkeit der Dämonen angedeutet (bannāʾin, „Baumeister“), jedoch steht diese in keinem Zusammenhang mit dem Bau des Tempels. Auch erbittet Salomo in Q 38:35 um ein nie dagewesenes Königtum, sodass die Bitte und prinzipielle Zusage in 1 Könige 9,1-8 hinsichtlich eines temporal fortbestehenden und ewigen Königtums in eine Bitte um ein komparativ bedeutsames und unvergleichliches Königtum umgewandelt wird. Salomo hatte das prächtigste Königtum und in Q 21 ist jedwede Möglichkeit der Verknüpfung Salomos mit dem Bau des Tempels gestrichen. Auch die zuvor beschriebene typologische Angleichung von David und Salomo zeugt von einer negativen Intertextualität. Letztere soll nämlich die genealogische Relation beider Figuren relativieren, die eng mit einer Verheißung und dem Tempel verbunden ist. David begeht einen Ehebruch mit Batseba, der Ehefrau des Soldaten Urija (2 Sam 11,1-27). Das erste Kind der beiden erkrankt und stirbt als Bestrafung Gottes, wobei Batseba danach Salomo gebärt (2 Sam 12,1-25). Mit der Geburt Salomos ist auch die Erfüllung einer göttlichen Verheißung an David verknüpft: Wenn deine Tage erfüllt sind und du dich zu deinen Vätern gelegt hast, dann werde ich deinen Nachkommen, der aus deinem Leib kommt, nach dir aufstehen lassen und werde sein Königtum festigen. Der wird meinem Namen ein Haus bauen. Und ich werde den Thron seines Königtums festigen für ewig. […] Dein Haus aber und dein Königtum sollen vor dir Bestand haben für ewig, dein Thron soll fest stehen für ewig. (2 Sam 7,12-16)

Im Tempelweihgebet dankt Salomo Gott für die Erfüllung der Verheißung an seinem Vater: der du deinem Knecht, meinem Vater David, gehalten hast, was du ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es am heutigen Tag ist. Und nun, HERR, Gott Israels, halte deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast, als du sprachst: Es soll dir nicht an einem Mann fehlen vor meinem Angesicht […] (1 Kön 8,24 f.).

Da man Sure 21 auch als Sure der Verheißung (surat al-waʿd) bezeichnen kann, verwundert es, dass gerade die Verheißung an David bezüglich des Tempels, seines Königtums und seiner Nachkommen, hier fehlt. Genauso hätte die genealogische Verbindung zwischen David und Salomo als Erfüllung einer Verheißung bestens zu Sure 19 gepasst, wo die Geburt von Johannes, Jesus Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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und die Verheißung von Isaak als Exempla für Gottes spezielle Gunsterweise als Ersatz für verlorene genealogische Bindungen stehen (Salomo ist ja der „Ersatz“ für den Tod des ersten Kindes). Stattdessen werden David und Salomo in Q 38 eingeführt und die biblische Verheißung bezüglich des Tempels und seiner Nachkommen (2 Sam 7,12-16) ist bereits dort durch eine neue Gunsterweisung Gottes ersetzt (Q 38:26). David steht als ḫalīfa paradigmatisch für den Herrscher par excellence, der mit seinem Königtum in besonderer Weise die gegebene Statthalterschaft an die Menschen (Q 27:62; später in Medina Q 2:30) erfüllt. Die Weissagung bezüglich des Tempels und Salomos wird dagegen verdrängt. Vielmehr stehen sich David und Salomo in ihren Rollen als Könige, weise Richter und den jeweiligen Tugenden und Fähigkeiten typologisch nahe. Diese neue Verhältnisbestimmung dient koranisch vor allem zur Abweisung von David als messianischem König, dessen Königtum dereinst wieder restituiert wird. In der jüdischen Tradition ist in Anlehnung an biblischen Stellen wie Hos 3,5 und Jes 11, 1-16 etc. die Erwartung eines zweiten Davids, der als Messias das Königtum wieder errichtet, stets präsent geblieben.85 Bis heute ist diese messianische Hoffnung, als Bitte um Etablierung der Herrschaft Davids, auch im zentralen Gebet des jüdischen Gottesdienstes, der Amida, präsent.86 Dass diese Erwartung an einem David redivivus sehr alt ist, zeigt sich in der Tendenz der Evangelien und der paulinischen Briefe, Jesus genealogisch und typologisch als zweiten David darzustellen (vgl. Mt 1,1-7; Lk 3,23-38; 2 Tim 2,8; Heb 7,17). Im siebten Jahrhundert waren auf jüdischer Seite die eschatologischen Erwartungen an einen davidischen Messias und an der Wiedererrichtung des Tempels besonders prävalent.87 Es ist deshalb auch nicht weiter verwunderlich, dass Quellen aus der ersten Hälfte des siebten Jahrhunderts (etwa Doctrina Jacobi, jüdische Apokalpyse des Rabbi Schimon ben Jochai etc.) die expandierenden Muslime als möglicherweise messianische Bewegung betrachtet haben und Muhammad jeweils als falschen Messias, falschen Propheten oder Verkünder des Messias bewerten.88 Gegen die Vorstellung von der Wiederkehr eines zweiten Davids und der eschatologischen Errichtung des Tempels richtet sich die koranische Bezeichnung der zweiten Tempelzerstörung als waʿdu l-ʾāḫira (diese letzte Verheißung hat sich durch die zweite Tempelzerstörung erfüllt) und die typologische Angleichung von David und Salomo. Der Tempel wurde zerstört und wird nicht wiedererrichtet. Diesbezüglich gibt es keine weitere Verheißung. Auch wird Salomo im Koran 85  Vgl. Clemens Thoma, Art. David II. In: Theologische Realenzyklopädie 8, 384-387, hier 386. 86  Vgl. Ismar Elbogen, Der jüdische Gottesdienst in seiner geschichtlichen Entwicklung, Leipzig 1913, 52-54. 87  Vgl. Stroumsa: The making of the Abrahamic religions in late antiquity, 82 ff. 88  Vgl. ebd., 73-85. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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nicht mehr mit dem Tempelbau assoziiert, denn die salomonische Errichtung des Tempels ist biblisch verknüpft mit der Verheißung des ewigen Bestehens desselben bzw. des Königtums und nährt später die Hoffnung von seiner eschatologischen Wiedererrichtung. Für die urmuslimische Gemeinde hat der Zeitpunkt der Erfüllung des waʿdu l-ḥisāb nichts mit dem Tempel und seines Wiederaufbaus zu tun. Hiob: Zuwendung V. 83-84 wa-ʾaiyūba ʾiḏ nādā rabbahū ʾannī massaniya ḍ-ḍurru wa-ʾanta ʾarḥamu r-rāḥimīn/ fa-staǧabnā lahū fa-kašafnā mā bihī min ḍurrin waʾātaināhu ʾahlahū wa-miṯlahum maʿahum raḥmatan min ʿindinā wa-ḏikrā li-l-ʿābidīn] Hiobs Lebensgeschichte wird im Koran lediglich im Kern als Ausdruck von Standhaftigkeit, Bewährung und göttlicher Belohnung erzählt (Q 38:41-44). Er selbst betet um die Befreiung von seinem Unheil und appelliert dabei in besonderer Weise an die Barmherzigkeit Gottes: Durch den Elativ (ʾarḥamu r-rāḥimīn) wird die unüberbietbare Barmherzigkeit Gottes hervorgehoben, die hier wohl auch bewusst gegen die von Gott in der Bibel zugelassene Prüfung Hiobs durch Satan gestellt werden soll (Hi 1,6-22). Denn letzteres widerspricht der Zusage Gottes an die Gemeinde in Q 15:39-42, dass er seine gläubigen Diener vor Satans Versuchungen und Drangsal bewahren wird. Gott erhört in seiner Barmherzigkeit das Gebet von Hiob und vermehrt gar sein Familienreichtum im Vergleich zur Situation vor seiner Drangsal (Hi 42,12-13). Ismael, ʾIdrīs und ḏū l-kifl: Zuwendung V. 85-86 wa-ʾismāʿīla wa-ʾidrīsa wa-ḏa l-kifli kullun mina ṣ-ṣābirīn/ waʾadḫalnāhum fī raḥmatinā ʾinnahum mina ṣ-ṣāliḥīn] Es werden mit Ismael, ʾIdrīs und ḏū l-kifl enumerativ weitere Figuren genannt, die sich wie Hiob durch eine besondere Geduld (ʾinnahum mina ṣ-ṣāliḥīn) ausgezeichnet haben und denen sich Gott in seiner Barmherzigkeit zugewandt hat. ʾIdrīs wird in der muslimischen Tradition vor allem mit Henoch identifiziert89, der entrückt wurde (Gen 5,18-24), wobei die genaue Etymologie von ʾIdrīs schwierig bleibt.90 Die Identifikation von ḏū l-kifl ist noch problematischer.91 Die muslimischen Exegeten versuchen aus dem Bedeutungsspektrum der

89  Vgl. Yoram Erder, Art. Idrīs. In: Jane Dammen McAuliffe (Hg.), Encyclopedia of the Qurʾān, Volume 2, Leiden 2002, 484-486. 90  Vgl. Horovitz, Koranische Untersuchungen, 88 f. 91  Vgl. ebd., 113.

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Wurzel k-f-l die Identität dieser Person abzuleiten.92 Eine überzeugende und eindeutige Identifikation ist hier noch nicht möglich. Jona: Rettung und Zuwendung V. 87-88 wa-ḏa n-nūni ʾiḏ ḏahaba muġāḍiban fa-ẓanna ʾan lan naqdira ʿalaihi fa-nādā fi ẓ-ẓulumāti ʾan lā ʾilāha ʾillā ʾanta subḥānaka ʾinnī kuntu mina ẓ-ẓālimīn/ fa-staǧabnā lahū wa-naǧǧaināhu mina l-ġammi wa-ka-ḏālika nunǧi l-muʾminīn] Mit ḏa n-nūni („den mit dem Fisch“) wird Jonas wie bereits bei seiner erstmaligen Nennung (ṣāḥibu l-ḥūt, „der mit dem Fisch“) nur indirekt angesprochen.93 In dem Vers wird gar nicht der biblische Grund für Jonas erzürnten Weggang genannt (er weigert sich zu warnen, vgl. Jon 1,1-3). Stattdessen wird zugleich an die Situation von Jona im Bauch des Fisches und seine Reue und Bitte um Rettung erinnert (V. 87). Auch ihm ist die Verheißung von Gottes Zuwendung und Rettung sicher (waʿdu l-istiǧāba/waʿdu n-naǧāh) (V. 88). Interessant ist die Einsicht vom eigenen Frevel (ʾinnī kuntu mina ẓ-ẓālimīn), die eigentlich – wie zuvor im Surenverlauf beschrieben – die verspätete Einsicht der Frevler in der Endzeit nahezu wörtlich wiederholt (V. 14; 46). Doch in dieser Welt erhört Gott den Bußfertigen. Da koranisch vor allem dieses Bild vom bußfertigen Jona erinnert wird, wundert es auch nicht weiter, dass er mit einer pars-pro-toto-Bezeichnung für sein ganzes Leben (nūn, ḥūt) angesprochen wird. Zacharias: Zuwendung V. 89-90 wa-zakarīyā ʾiḏ nādā rabbahū rabbi lā taḏarnī fardan wa-ʾanta ḫairu l-wāriṯīn/ fa-staǧabnā lahū wa-wahabnā lahū yaḥyā wa-ʾaṣlaḥnā lahū zauǧahū ʾinnahum kānū yusāriʿūna fi l-ḫairāti wa-yadʿūnanā raġaban wa-rahaban ʾinnahum kānū lanā ḫāšiʿīn] Von Zacharias wird in der mittelmekkanischen Sure Maryam das erste Mal erzählt (Q 19:1-15). Auch dort betet er trotz fortgeschrittenen Alters und der Unfruchtbarkeit seiner Frau um einen Erben (wāriṯ) (vgl. Q 19:6), der sein priesterliches Amt im Tempel fortführt. In Q 19 erhört Gott das Gebet von Zacharias und verkündigt sowie schenkt (wahaba) ihm Johannes als Zeichen seiner Barmherzigkeit. Eben daran wird jetzt auch in Q 21 erinnert: Gegenüber

92  Vgl. Heribert Busse, Art. Dhū l-Kifl. In: Jane Dammen McAuliffe (Hg.), Encyclopedia of the Qurʾān, Volume 1, Leiden 2001, 527-529. 93  Für die Entlehnung von ḏa n-nūni aus dem Aramäischen siehe Horovitz, Koranische Untersuchungen, 155.

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Zacharias hat Gott seine Versprechen der Zuwendung (istiǧāba) erfüllt, sodass er und seine Frau ein demütiges Leben führten. Maria: Zuwendung V. 91 wa-llatī ʾaḥṣanat farǧahā fa-nafaḫnā fīhā min rūḥinā wa-ǧaʿalnāhā wa-bnahā ʾāyatan li-l-ʿālamīn] Wie in Sure 19 folgt nach der Erzählung von der Verkündigung der Geburt von Johannes die Geburtsgeschichte von Jesus. Hier wird jedoch nur in einem Vers daran erinnert. Maria wird dabei nicht namentlich genannt, sondern durch ihr Epitheton der Jungfrau (wa-llatī ʾaḥṣanat farǧahā) angesprochen. Sie und Jesus sind selbst Zeichen (ʾāya) der Barmherzigkeit und Zuwendung Gottes für die Weltenbewohner. Einheit der Gemeinschaft, Entzweiung, Gog und Magog V. 92-94 ʾinna hāḏihī ʾummatukum ʾummatan wāḥidatan wa-ʾana rabbukum fa-ʿbudūn/wa-taqaṭṭaʿū ʾamrahum bainahum kullun ʾilainā rāǧiʿūn/ fa-man yaʿmal mina ṣ-ṣāliḥāti wa-huwa muʾminun fa-lā kufrāna li-saʿyihī wa-ʾinnā lahū kātibūn] Die im narrativen Mittelteil genannten biblischen Figuren aus der christlichen und jüdischen Tradition werden als eine einzige monotheistische Gemeinschaft betrachtet (ʾummatan wāḥidatan) (V. 92). Erst mit der Zeit wurden daraus unterschiedliche Konfessionen (V. 93). Während mittelmekkanisch noch die Vision der Einheit des biblisch-monotheistischen Glaubens besteht, wird medinensisch der Tatsache Rechnung getragen, dass Gott in der Geschichte mehrere Bünde mit Gläubigen geschlossen hat (Q 2:253; Q 33:7), die aber einem primordialen Bund Gottes mit der Menschheit insgesamt entsprechen (Q 7:172). Trotz der konfessionellen Zerstrittenheit wird daran erinnert, dass sich diese Spaltung eschatologisch auflösen wird. Für alle ist die Rückkehr zu Gott bestimmt. Dort erwartet jeden Einzelnen die gerechte Abrechnung der eigenen Taten. V. 95-96 wa-ḥarāmun ʿalā qaryatin ʾahlaknāhā ʾannahum lā yarǧiʿūn / ḥattā ʾiḏā futiḥat yāǧūǧu wa-maǧūǧu wa-hum min kulli ḥadabin yansilūn] Der Mittelteil der Sure endet auch mit einem Narrativ, das jedoch eschatologisch ist. Kein Bewohner der Städte, die nach Gottes Verheißung zerstört wurden (waʿdu l-ihlāk), wird auferstehen, solange nicht Gog und Magog freigelassen und in ihrer Durchschlagskraft omnipräsent (min kulli ḥadabin) sein werden. Zur koranischen Nomenklatur von Gog und Magog siehe die Textkritik zu dieser Sure. Einer der Enkel Noahs wird im 1. Buch Mose als Magog

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bezeichnet (Gen 10,2). Dabei soll der Stammbaum Noahs im Kontext des zehnten Kapitels als Ätiologie für die geographische Verteilung der Völker auf der Erde dienen. Der Ursprung aller späteren Erzählungen zu Gog und Magog findet sich bei Hesekiel 38 und 39, wo Gog aus Magog das einstige göttliche Gericht gegen sie prophezeit wird. In der rabbinischen und apokalyptischen Tradition bezeichnen Gog und Magog jeweils zwei Völker oder Personen, die als Gegenspieler des Messias auftreten.94 Entscheidend für die koranische Rezeption ist, dass sich der Überlieferungsstoff zu Gog und Magog mit den Legenden zum Wirken Alexanders verbindet, der in der syrischen Überlieferung als gläubiger Monotheist eine Schranke oder ein Tor errichtet, um das Einfallen der Völker Gog und Magog zu verhindern, die als Horden beschrieben werden95: So etwa in der syrischen Alexanderlegende und in dem Jakob von Sarug zugeschriebenen Alexanderlied. Diese Schriften werden nicht zufällig in die erste Hälfte des siebten nachchristlichen Jahrhunderts datiert.96 Zur Zeit der koranischen Verkündigung war dieser Erzählstoff um Gog/ Magog und Alexander weit verbreitet.97 Im größeren Zusammenhang wird dieser Erzählstoff auch in Q 18 verarbeitet.98 In Q 21 treten nominal nur Gog und Magog auf. Ihre durch Alexander vorgenommene Zurückweisung hinter eine Schranke bis zur eschatologischen Endzeit erfüllt zum Ende des Mittelteils zwei Funktionen: Zum einen ist die Zurückhaltung von Gog und Magog ein Beispiel für Gottes Verheißung seiner Zuwendung und Rettung an die gläubigen Menschen (waʿdu n-naǧāh/ waʿdu l-istiǧāba). Gott hat die Menschen seit der Zeit Alexanders vor Gog und Magog gerettet und bewahrt. Gleichzeitig markiert die einstige Öffnung der Schranke den Übergang zum Anfangsund Endteil der Sure, die vor allem den waʿdu l-ḥisāb thematisieren, also das Endgericht. Die Losbindung von Gog und Magog, die hier in der Omnipräsenz ihres Einfalls für die unabwendbare Erfassung der ganzen Menschheit und Erde stehen, wird den Beginn der Stunde oder Abrechnung markieren. Neben dieser Verquickung beider Formen der Verheißung (waʿdu n-naǧāh / waʿdu l-ḥisāb) anhand des Beispiels von Gog und Magog steht das Leben Alexanders selbst, der hier namentlich nicht genannt wird, für sämtliche Formen der Verheißungen (wuʿūd), die Gott seinen auserwählten Dienern erteilt: Alexander hat auch eine besondere Verfügungsgewalt über die Menschen, 94  Vgl. Art. Gog and Magog. In: Encyclopaedia Judaica, Second Edition, Volume 7, Detroit 2007, 683 f. 95  Vgl. van Donzel/ Schmidt, Gog and Magog in early Syriac and Islamic sources, 17 ff. 96  Vgl. ebd., 15-31. 97  Vgl. zum Verhältnis zwischen der Alexanderlegende, Alexanderlied und Koran siehe Carl Hunnius, Das syrische Alexanderlied, Göttingen 1904; siehe ebenso das Kapitel 6.1. 98  Siehe Kapitel 6.

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die ihn als Gabe Gottes (waʿdu l-ʾītāʾ) zugesichert ist. Diese zeigt sich in der syrischen Alexanderlegende und im Alexanderlied in der Art und Weise, wie er unzählige Menschen (als Schmied etc.) für seine Ziele zusammenbekommt und über welche Macht er verfügt. In Q 18 drückt sich diese Macht auch in der ihm von Gott zugestandenen Funktion als Richter aus (Q 18:86). Auch wird Alexander in denselben Quellen im Grenzgebiet des persischen Reiches zu den Völkern von Gog und Magog vom persischen König angegriffen. Er wird von einem Engel gewarnt, woraufhin er seine Truppen auffordert Gott um seine Hilfe zu bitten und schließlich siegt (waʿdu l-istiǧāba/waʿdu l-ihlāk).99 Nach dem Bau des Tores gegen Gog und Magog veranstaltet Alexander ein Dankfest für Gottes Rettung von ihnen, der seiner Truppen und der Menschen (waʿdu n-naǧāh): Es ziemt sich, dass wir an diesem Ort ein grosses Fest veranstalten, da der Herr uns zu Hilfe gekommen ist und unsere Feinde vertilgt hat und er uns geholfen und schnell dieses Bauwerk vollendet hat und er es ist, der die Magogiten abgehalten und zum Schweigen gebracht hat, so dass sie diese ganze Zeit hindurch nicht durch die Strasse ausgezogen sind.100

Das Leben Alexanders exemplifiziert also sämtliche Elemente, der in Q 21 thematisierten Verheißungen Gottes und ihrer Erfüllung. Schließlich wird das von ihm erbaute Tor zur eschatologischen Endzeit wieder durchbrochen (waʿdu l-ḥisāb).101 III Gericht, Polemik, Prophetenzuspruch V. 97-104 wa-iqtaraba l-waʿdu l-ḥaqqu fa-ʾiḏā hiya šāḫiṣatun ʾabṣāru llaḏīna kafarū yā-wailanā qad kunnā fī ġaflatin min hāḏā bal kunnā ẓālimīn/ ʾinnakum wa-mā taʿbudūna min dūni llāhi ḥaṣabu ǧahannama antum lahā wāridūn/ lau kāna hāʾulāʾi ʾālihatan mā waradūhā wa-kullun fīhā ḫālidūn/ lahum fīhā zafīrun wa-hum fīhā lā yasmaʿūn/ inna llaḏīna sabaqat lahum minna l-ḥusnā ʾulāʾika ʿanhā mubʿadūn / lā yasmaʿūna ḥasīsahā wa-hum fī ma ištahat ʾanfusuhum ḫālidūn/lā yaḥzunuhumu l-fazaʿu l-ʾakbaru wa-tatalaqqāhumu l-malāʾikatu hāḏā yaumukumu llaḏī kuntum tūʿadūn/ yauma naṭwi s-samāʾa ka-ṭaiyi s-siǧilli li-l-kutubi ka-mā bada‌ʾnā ʾauwala ḫalqin nuʿīduhū waʿdan ʿalainā ʾinnā kunnā fāʿilīn]

99  Vgl. Reinink (Editor/Übersetzer), Das syrische Alexanderlied (Übersetzung), 80 ff. 100  Ebd., 98. 101  Vgl. ebd., 104-154.

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Einige Übersetzer verbinden den Beginn von V. 97 aufgrund der Konjunktion wa mit dem vorherigen Vers, der vom Einfall von Gog und Magog berichtet.102 Jedoch indiziert die Konjunktion zusammen mit der Bekräftigungspartikel la-qad analog zum Surenbeginn und zum Beginn des Mittelteils (V. 1; 48) den Wechsel zum letzten Teil der Sure, der jetzt auch für sich nochmal den Beginn der eschatologischen Abrechnung ausmalt. Die Abrechnung (ḥisāb) wird jetzt auch selbst als waʿd bezeichnet. Bei der Erfüllung der eschatologischen Endzeit wird die in der Sure bereits formulierte eschatologische Selbsterkenntnis der Frevler (V. 14; 46) zu spät sein (V. 97). In einem Doppelbild wird zunächst beschrieben, wie die Frevler und die von ihnen verehrten Götter in der Hölle brennen werden (V. 98 f.). Dieses Bild der brennenden Götzen ist die eschatologische Umkehrung der schöpfungstheologischen Argumentation im ersten Teil der Sure (V. 43) und aus der Erzählung von Abraham (vgl. V. 66), wo die Götzen als hilflos beschrieben werden. So werden diese auch in der Endzeit nichts tun können (V. 99). Dagegen verweilen die Gläubigen an diesem Tag in absoluter Ruhe (V. 100-102). Damit erfüllt sich das Versprechen (waʿd) der Abrechnung und der Umkehrung des Schöpfungsprozesses, bei dem die ganze Welt zusammengefaltet wird, während die eschatologischen Schriftrollen für die Abrechnung ausgerollt werden.103 Der Beginn der Schöpfung wird nun zum Ende hin invertiert. V. 105 wa-la-qad katabnā fi z-zabūri min baʿdi ḏ-ḏikri ʾanna l-ʾarḍa yariṯuhā ʿibādiya ṣ-ṣālihūn] Gemäß dem zentralen Topos der Sure wird nun auch an die Verheißung vom Erbe des Landes durch die Rechtschaffenen erinnert (waʿdu l-wirāṯa), die im zabūr, also im Psalter, gemacht wird. Tatsächlich wird hier auf die Verheißung in Ps 37:29 angespielt, in dem es heißt: „Die Gerechten werden das Land besitzen und für immer darin wohnen.“. Für die urmuslimische Gemeinde ist diese Zusicherung angesichts ihrer unterdrückten Lage in Mekka von besonderer Bedeutung. Im narrativen Mittelteil entspricht die Geburt von Johannes der Erfüllung der waʿdu l-wirāṯa (vgl. V. 89f., wo Gott als ḫairu l-wāriṯīn bezeichnet wird). V. 106-108 ʾinna fī hāḏā la-balāġan li-qaumin ʿābidīn / wa-mā ʾarsalnāka ʾillā raḥmatan li-l-ʿālamīn/ qul ʾinnamā yūḥā ʾilaiya ʾannamā ʾilāhukum ʾilāhun wāḥidun fa-hal ʾantum muslimūn]

102  So etwa bei Bobzin und Paret. 103  Vgl. die Textkritik zu diesem Vers weiter oben.

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Kapitel 8

Auf die thetischen Aussagen zu Beginn der Sure bezugnehmend (V. 7, 25, 45), soll auch der Verkünder selbst explizieren, dass ihm die monotheistische Botschaft eingegeben wurde und dass er nur aus Barmherzigkeit für die Weltenbewohner entsandt wurde. In diesem Vers deutet sich bereits eine Art Bekenntnis zu Muhammad und der Einheit Gottes an, das die Grundlage für die šahāda sein wird. V. 109-111 fa-ʾin tawallau fa-qul ʾāḏantukum ʿalā sawāʾin wa-ʾin ʾadrī ʾa-qarībun ʾam baʿīdun mā tūʿadūn/ ʾinnahū yaʿlamu l-ǧahra mina l-qauli wa-yaʿlamu mā taktumūn / wa-ʾin ʾadrī laʿallahū fitnatun lakum wa-matāʿun ʾilā ḥīn] Der Verkünder selbst kann aber kein Datum für die Einlösung der Verheißung von der Endzeit nennen (V. 109). Die diesbezügliche Unwissenheit der Menschen ist auch eine Versuchung ( fitnatun) für sie (vgl. V. 35, wo das Leben als Ganzes eine Versuchung darstellt). V. 112 qul rabbī uḥkum bi-l-ḥaqqi wa-rabbuna r-raḥmānu l-mustaʿānu ʿalā mā taṣifūn] Die Sure endet mit der Aufforderung zum Gebet, dass Gott in Wahrheit richtet. Nur der Barmherzige kann in seiner Autorität und Macht um Hilfe gebeten werden. 8.4

Analyse und Deutung

8.4.1 Entwicklungsgeschichtliche Einordnung Sure 21 knüpft an die frühmittelmekkanische Sure Q 54 an und greift die Frage nach dem Nahesein der Stunde (sāʿa) wieder auf. Anders als in Q 54 steht diese nicht im Kontext der Ablehnung (takḏīb) von Zeichen und Warnungen der Gesandten. Denn in Q 21 wird die Frage nach dem Eintreffen der Stunde erweitert und im Rahmen der grundsätzlichen Erfüllung von göttlichen Verheißungen unterschiedlichster Art kontextualisiert (wuʿūd). Im narrativen Mittelteil werden deshalb in Mittelmekka bereits bekannte Figuren (aus Q 38, Q 19, Q 20 etc.) wiederaufgenommen und als Beispiele für die Erfüllung göttlicher Verheißungen an seine Gläubigen und Gesandten expliziert. Die im einleitenden Teil zusammengefasste Polemik gegen den Propheten Muhammad (V. 3-5) zeugt von einem fortgeschrittenen Entwicklungsprozess der Gemeinde, die sich in kontinuierlicher Interaktion mit ihrer Umgebung befindet. 8.4.2 Inhalt und Struktur Die Sure behält die für die mittelmekkanischen Suren typische dreigliedrige Form bei, wobei sie jedoch nicht mit einer Offenbarungsbestätigung, sondern Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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in Anlehnung an Q 54 proklamatorisch mit der Verkündigung des Naheseins der Abrechnung beginnt. Die Gesamtkomposition der Sure verkörpert auch den zentralen Topos der Sure: Die Erfüllung göttlicher Verheißungen. Denn sie weist eine Art konzentrische Entfaltung von Kernaussagen aus, die wiederholt aufgegriffen, erweitert und konkretisiert werden, und damit die Erfüllung göttlicher Verheißung auch formal zum Ausdruck bringen. Die ersten neun Verse enthalten mit der mā-Serie die Kernaussagen zur typischen Reaktion auf die Verkündigung des Gotteswortes und der Erfüllung göttlicher Verheißungen. Dieser Nukleus von Aussagen wird allein im ersten dreigliedrigen Teil der Sure (I A,B,C) konzentrisch und in fast derselben Reihenfolge wörtlich, stichwortartig und thematisch aufgenommen.104 Das Verhältnis zwischen den Versen 1-8 und der Verheißung von der Rettung in V. 9 spiegelt sich kompositorisch in der Relation zwischen I A,B,C und dem zweiten Teil (II) wieder. Denn letzterer demonstriert erst durch die beschriebene Narrative, wie Gott in der Geschichte seine Verheißungen konkret erfüllt. Der Aufbau von Q 21 sticht durch eine weitere Einzigartigkeit heraus: Der erste (I) und zweite (II) Teil der Sure sind von der Verszahl her numerisch identisch, was mittelmekkanisch sonst gar nicht vorkommt. Der erste Teil stellt sich damit als eine Sure in der Sure heraus, die eine Art Metakommentar zum narrativen Teil bietet. Die Erweiterung von I B durch einen polemischen Diskurs über die Mehrgottverehrung entspricht der Erzählung Abrahams im Mittelteil (II), der die Mehrgottverehrung seiner Zeitgenossen ad absurdum führt. Auch im letzten Surenteil (III) werden nahezu sämtliche Themen aus IA wiederaufgenommen. Die Sure beginnt proklamatorisch mit dem Verweis auf das Nahesein der Abrechnung (ḥisāb) und konstatiert damit – wie in Q 54:1 – eine Unmittelbarkeit des eschatologischen Endgerichts. Diese instantane Steigerung der Dringlichkeit drückt die Gewissheit von der Erfüllung der eschatologischen Verheißung (waʿd) aus. Auch wenn der Verkünder selbst nicht wirklich weiß, wann genau die Stunde (sāʿa) beginnt und wann die Menschen für die Abrechnung ihrer Taten vor ihrem Herrn treten (V. 37 f.; 109 f.), so gibt es keinen Zweifel über ihre Faktizität. Deshalb kann er bereits ihr Nahesein proklamieren (V. 1). Diese unter dem zeitlichen Aspekt gefasste lineare Logik göttlicher Verheißungen erfüllt sich – wie im Verlauf der Sure anhand von mehreren Beispielen exemplifiziert wird – für jegliche Zusage Gottes. Dieser Konstanz im göttlichen Handeln wird in den folgenden Versen die Renitenz der menschlichen Reaktion auf Gottes Interaktion mit den Menschen gegenübergestellt: Die Menschen haben sich immer über die göttliche Ermahnung (ḏikr) mokiert und diese als Zauberei 104  Siehe die vereinfachte Übersicht weiter unten, 250. Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Kapitel 8

(siḥr) und als das Werk eines Dichters (šāʿir) verunglimpft (V. 2-5). Ebenso sind alle Bewohner von göttlich bestraften Städten ungläubig gewesen (V. 6). Gott hat jedoch mit derselben Konstanz seine Gesandten geschickt und ihnen eingegeben (V. 7). Auch die ihnen von Gott verliehene Kreatürlichkeit als normale Menschen, die essen und sterblich sind, beansprucht vor dem Hintergrund der Polemik gegen die menschliche Natur (bašar) der Gesandten die Vorsehung göttlicher Bestimmung (V. 8). Formal wird diese sunna gottmenschlicher Interaktion mit einer Serie an negativen Ausnahmesätzen zum Ausdruck gebracht (V. 2, 6 ff.) und kulminiert in der Verheißung Gottes, dass er die Gläubigen sowohl gerettet hat als auch retten wird und ebenso die Ungläubigen bestraft hat und bestrafen wird (V. 9). Die einleitenden Verse der Gesamtsure (V.  1-9) bilden mit ihrer kaskadeartigen Verdichtung der Logik gottmenschlicher Interaktion und mit dem Versprechen der Erfüllung göttlicher Verheißungen den Nukleus der Gesamtsure. In den nächsten beiden Verskomplexen (I B und I C) werden die Aussagen zur gottmenschlichen Interaktion thematisch und stichwortartig in Bezug auf die Situation der Verkündigung konkretisiert und spezifiziert. Gemäß der Reihenfolge der mā-Serie wird die Ablehnung der Ermahnung (ḏikr) (V. 2) nun in Bezug auf die Gegner des Verkünders kontextualisiert: Sie werden an das Schicksal vormaliger Städte erinnert, die sich hartnäckig der göttlichen Botschaft verweigert haben. Doch als ihre Strafe eintrat, war jegliche Einsicht bereits zu spät (V. 10-15). Eine Stichwortverknüpfung zu V. 2 (yalʿabūn) leitet zu einem zentralen Gegenstand der Verkündigung über: Dem Polytheismus. Die Schöpfung Gottes wurde nicht aus Kurzweil (lāʿibīn) erschaffen (V. 16 f.); vielmehr ist ihr eine schöpfungstheologische Ordnung inhärent, die die Annahme des Polytheismus ad absurdum führt: Würde man tatsächlich andere Götter auf der Welt annehmen, dann geriete alles in Chaos ( fasād) (V. 21 f.). Als zentrale Botschaft an die Gesandten wird deshalb in Anlehnung an V. 7 konkretisiert, dass das Bekenntnis zum Monotheismus jedem Gesandten eingegeben wurde (V. 25). Dagegen sind sämtliche Wesen, die als Kinder (walad) Gottes angenommen werden, seine Diener (V. 26 f.). Würde einer von ihnen seine Verehrung beanspruchen, dann würde er bestraft (V. 29). Mehrere Schöpfungsayāt verdeutlichen die ordnungschaffende Macht Gottes, die allein seiner Hoheit über alles Geschaffenem geschuldet ist. Der feierliche Ton und die verwendeten Bilder erinnern dabei an das Inventar psalmistischer Rede (V. 31 ff.). Die hier beschriebene Polemik gegen die Mehrgottverehrung und der schöpfungstheologische Diskurs um die Absurdität des Polytheismus (I B) stellen einen Metakommentar zur Erzählung von Abraham im narrativen

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Mittelteil dar, dessen Handeln in der Auseinandersetzung mit den Götzendienern seiner Zeit ihre schöpfungstheologische Ignoranz demonstrieren soll. Wie die mā-Serie aus dem einleitenden Teil der Sure (V. 8) endet der Verskomplex (I B) mit der Feststellung der Sterblichkeit des Gesandten, wobei diese Aussage für alle Menschen konstatiert wird und mit dem Bild vom „Schmecken des Todes“ nicht nur die jesuanische Rede aus den Evangelien adaptiert, sondern auch den dortigen Sinn des präsentischen Eintretens des Gottesreiches zu Lebzeiten Jesu negiert. Denn jeder Mensch wird den Tod schmecken: Es gibt keine Durchlässigkeit zwischen der Jetztzeit und dem Beginn des Gottesreiches, die etwa durch das Kommen des Menschensohnes indiziert wäre (vgl. kursorischer Verskommentar zu V. 35). Im letzten Abschnitt des ersten Surenteils (I C) werden abermals die Themen und Motive aus dem einleitenden Teil (I A) wiederholt, wobei diese jetzt die Form eines Prophetenzuspruchs annehmen. Die Gegner des Verkünders kommen nun in direkter Rede zu Wort. Der Spott gegen Gesandte (V. 2 ff.) und die Frage nach der Verheißung des Endgerichts und der göttlichen Vergeltung (V. 1; 9) werden in direkter Rede an den Verkünder wiedergegeben (V. 36; 38). Doch auch ihnen wird entgegnet, dass sie bei Erfüllung der göttlichen Verheißungen ohnmächtig sein werden (V. 39 f.; V. 44). Dann wird jede Einsicht zu spät sein und auch die von ihnen verehrten Götzen werden ihnen dann nicht zu Hilfe eilen können (V. 42 f.). Der Verkünder selbst soll ihnen in Anlehnung an V. 7 und V. 25 in direkter Rede bekunden, dass er durch göttliche Eingebung mahnt (V. 45). Bei der endgültigen und gerechten Abrechnung Gottes (V. 47) werden auch die Gegner des Verkünders ihren Frevel eingestehen (V. 46; vgl. V. 14, 87, 97). Im Mittelteil der Gesamtsure (II) wird die Erfüllung und Zusicherung göttlicher Verheißungen aus V. 9 narrativ entfaltet. Die jeweiligen Erzählungen greifen bereits eingeführte Personen biblischer Heilsgeschichte und lokalarabischer Erinnerung wieder auf und fokussieren jeweils ihre Rettung (naǧāh) und die besondere Zuwendung (ʾītāʾ) in Form ihrer Auszeichnung und Erhörung ihrer Gebete (istiǧāba). Als das Beispiel der Befreiung schlechthin wird die Rettung ( furqān; für den Begriff siehe kursorischen Verskommentar zu diesem Vers) von Moses und Aaron erinnert (V. 48). Seit der frühmittelmekkanischen Phase dient der Exodus wiederholt der typologischen Zusicherung und Vergewisserung der urmuslimischen Gemeinde (Q 20; Q 26). Der furqān als göttliche Intervention in der Geschichte wird in derselben Verkündigungsphase (Q 25) als Herabsendung (tanzīl) und Offenbarung Gottes konzeptualisiert. Eine elaborierte Darlegung des Exodus selbst ist nicht nötig. Dem Gottesfürchtigen, der auch an die Erfüllung der eschatologischen Verheißung glaubt, reicht dieser markante

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Kapitel 8

und konzise Hinweis auf den Exodus als mahnendes Beispiel für die Erfüllung göttlicher Verheißungen (V. 48 f.). Am ausführlichsten wird die Erzählung zu Abraham entfaltet, die vor allem um die sogenannte „Streitperikope“ kreist. So erfüllt Gott seine Zuwendung an Abraham, indem er ihm in besonderer Weise Einsicht (rušd) eröffnet. Damit steht Abraham gemäß der postbiblischen Tradition (vgl. kursorischer Verskommentar zu diesen Versen) für den Monotheisten schlechthin, der selbst aus einer physikotheologischen Reflexion heraus zur Gotteserkenntnis erlangt und den Götzendienst seiner Zeitgenossen bekämpft. Abraham demonstriert in dieser „Streitperikope“ durch seine Handlungen die schöpfungstheologische Argumentation gegen den Polytheismus aus dem ersten Surenteil. Auch eine Stichwortverknüpfung stellt diesen Beziehungszusammenhang her: Die Zeit­genossen fragen Abraham, ob er aufgrund seiner Götzenkritik von den Scherztreibenden, den lāʿibīn, sei. Die Wurzel l-ʿ-b verweist sowohl auf den Surenanfang (V. 2), als auch auf die Abweisung des Polytheismus durch den Hinweis auf Gottes Selbstgenügsamkeit (V. 16ff.). Er zerstört die Götzen seiner Zeitgenossen, bis auf einen und beschuldigt den übrig gebliebenen Götzen dieser Tat (V. 58). Damit führt er seinen Zeitgenossen die Ohnmacht der von ihnen verehrten Götzen vor Augen. Analog zur schöpfungstheologischen Argumentation im ersten Teil der Sure weist er darauf hin, dass die Götzen selbst hilf- und leblos sind (V. 43) und wie absurd deren Verehrung doch sei (V. 66f.). Auch wenn es zunächst so scheint, als hätten Abrahams Zeitgenossen in Scham ihren Frevel erkannt (V. 64), erweist sich ihr Glaube an die Götzen so tief verwurzelt, dass sie beschließen, ihn zu verbrennen (V. 65-68). Doch im entscheidenden Moment erfüllt Gott seine Verheißung von der Rettung (waʿdu n-naǧāh) an Abraham und beschützt ihn vom Feuer (V. 69 f.). Ebenso wird Lot vor den Sodomitern gerettet (V. 71; 74 f.) und sie werden beide in das Heilige Land geführt (vgl. Gen 12:1-9) (V. 71). Die fromme und vorbildhafte Nachkommenschaft, die Abraham erhält (V. 72 f.), steht zudem für die göttliche Erfüllung der Gebete seiner Gesandten und Diener (waʿdu l-istiǧāba). In der Erzählung über Noah verknüpft sich nun explizit seine Rettung (naǧāh) vor der Sintflut mit der Erfüllung seines Gebets. Gott erhört ihn (istiǧāba) und schützt ihm vor der Gewalt seiner Zeitgenossen. Die Sintflut markiert hier also keine heilsgeschichtliche Wende, sondern ist im Sinne der Straflegenden als ihlāk konzeptualisiert. Noah erscheint nämlich in den frühund mittelmekkanischen Suren vor allem als der Idealtypus eines Warners (naḏīr). An David und Salomo wird die besondere Gabe (ʾītāʾ) Gottes an seine gläubigen Diener exemplifiziert: Sie erhalten beide Wissen (ʿilm) und Befehls-/ Verfügungsgewalt (ḥukm), die sie zu weisen Richtern werden lässt (V. 79).

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Ebenso konnten sie die ganze Schöpfung für Gottes Lobpreis und zur Ausführung unterschiedlicher Aufgaben dienstbar machen (V. 79 ff.). Aus der biblischen und postbiblischen Tradition sind die Könige David und Salomo jeweils als Verfasser der Psalmen und als weise Richter bekannt. Jedoch werden koranisch beide in ihrer jeweiligen Funktion typologisch angeglichen: Beide Könige sind Richter und Herrschende mit einer besonderen Verfügungsgewalt über die Schöpfung.105 Diese typologische Angleichung ist Ausdruck einer negativen Intertextualität. Biblisch sind David und Salomo durch mehrere Verheißungen verknüpft. David werden ein ewiges Königtum und Salomo als Nachkomme sowie Erbauer des Tempels verheißen (2 Sam 7,12-16). Salomo erfüllt auch mit dem Bau des Tempels diese Verheißungen (1 Kön 8,24 f.). Da man Sure 21 auch als Sure der Verheißungen (surat al-wuʿūd) bezeichnen kann, verwundert es, dass gerade die Verheißung an David bezüglich des Tempels, seines Königtums und seiner Nachkommen hier fehlt. Im weiteren Surenverlauf dient ja der Gunsterweis von Nachkommen an Zacharias und Maria jeweils als Beispiel für die Erfüllung von Gottes Versprechen seiner Zuwendung. Die typologische Angleichung von David und Salomo ist als Surrogat für die genealogische Beziehung zwischen beiden Figuren zu sehen, die insbesondere mit der Verheißung zum ewigen Bestehen des davidischen Königtums und des Tempels verknüpft ist. In der spätmittelmekkanischen Sure Q 17 wird die zweite Tempelzerstörung als letzte Verheißung bezeichnet (waʿdu l-ʾāḫira, Q 17:7) und somit die eschatologische Hoffnung auf eine Wiedererrichtung des Tempels als dritte Verheißung negiert. Zur Zeit der Verkündigung des Korans waren die messianischen Hoffnungen in Bezug auf Jerusalem wieder prävalent.106 Auch wenn die urmuslimische Gemeinde sich in der mittelmekkanischen Periode spirituell in Richtung des Heiligen Landes orientiert, so hegt sie keine messianischen Hoffnungen auf einen Wiederaufbau des Tempels. Deshalb wird Salomo auch gar nicht mehr mit dem Tempelbau in Verbindung gebracht und David wird koranisch gar nicht ein ewiges Königreich zugesprochen. Beide Figuren stehen exemplarisch für die Auszeichnung und Gabe (ʾītāʾ) Gottes zu weisen Königen mit besonderen Fertigkeiten. Die Trias von Hiob, Jona und Zacharias dient sodann in kurzen Rückblenden als weiterer Beleg dafür, dass Gott das Gebet seiner Diener erhört. Hiob und Jonas bitten Gott um ihre Rettung aus einer Notlage (V. 83; 87), während Zacharias im hohen Alter um einen Nachkommen bittet (V. 89), der sein Priesteramt fortführt. Die jeweiligen Gebete werden von Gott im Sinne seiner Verheißung der Zuwendung (waʿdu l-istiǧāba) erfüllt. Während Hiobs 105  Vgl. Busse, Herrschertypen, 59-64. 106  Vgl. Stroumsa, The Making of the Abrahamic Religions, 168.

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Kapitel 8

Erzählung auch als Motivgeber für die enumerative Aufzählung von Figuren dient, die sich als besonders geduldig ausgezeichnet haben (Ismael, ʾIdrīs und ḏu l-kifl; für eine mögliche Identifikation der letzteren siehe Verskommentar zu V. 85 f.), wird in Anschluss an die Erzählung von Zacharias durch das Epitheton der Jungfrau (wa-llatī ʾaḥṣanat farǧahā) an Maria erinnert (V. 91). In der frühmittelmekkanischen Sure Maryam (Q 19) wurden zuvor die jeweiligen Geburtsgeschichten von Johannes und Jesus als besondere Gunsterweise Gottes narrativ entfaltet. Zum Ende des narrativen Teils wird die Einheit aller monotheistischen Gläubigen festgestellt (V. 92). Auch wenn die Menschen selbst entzweit sind, so wird ihre Einheit eschatologisch wiederhergestellt (V. 93). In den mekkanischen Suren besteht noch die Vision der Einheit aller Rechtgläubigen. Erst in den frühen medinensischen Suren wird eine bundestheologische Schärfung der Frage nach Gottes Erwählung von bestimmten Menschengruppen vorgenommen (vgl. etwa Q 2:253). Abgeschlossen wird der narrative Erzählteil durch die Festlegung, dass keiner der Bewohner einer Stadt, die für ihre Feindseligkeit gegen die Gottesgesandten bestraft wurden (waʿdu l-ihlāk), auferweckt werden, bis mit dem Hereinbrechen von Gog und Magog die eschatologische Endzeit beginnt (V. 95). Diese Referenz hat zweierlei Funktion: Zum einen hat sich bis zur Zeit der koranischen Verkündigung der Erzählstoff um Gog und Magog mit der Legende von Alexander vermischt. Die Zurückweisung beider Entitäten durch Alexander hinter einer Schranke, stellt einen Gunsterweis Gottes für die Menschen dar, um den ja der ganze Mittelteil der Sure kreist (waʿdu n-naǧāh/ waʿdu l-istiǧāba). Zum anderen wird diese Schranke gemäß der göttlichen Verheißung in der eschatologischen Endzeit aufgebrochen und leitet zum abschließenden Teil der Sure über, der auch über die Erfüllung der Verheißung der eschatologischen Abrechnung (waʿdu l-ḥisāb) handelt.107 Durch Gog und Magog und ihrer Präsenz hinter einer Schranke ist hier auch Alexander als Protagonist um diesen Erzählstoff präsent, dessen Leben exemplarisch für sämtliche Verheißungen Gottes steht, die in Q 21 versprochen werden. Wie der erste Vers der Gesamtsure beginnt der letzte Surenteil (III) mit der Feststellung vom Nahesein der Abrechnung (V. 97). Die diesbezügliche Verheißung (waʿd) sei nun nahegerückt. Daran anschließend werden zentrale Gedankengänge und Motive aus dem ersten Teil der Sure (I A, B, C) wiederholt: Mit dem Beginn des eschatologischen Endgerichts werden auch die Frevler 107  Für den Erzählstoff und die Identifikation von Gog und Magog siehe kursorischer Verskommentar.

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Die Theologie göttlicher Verheisungen

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ihre einstige Ignoranz und Verweigerungshaltung eingestehen (V. 97). In einem Doppelbild werden zunächst die Frevler selbst und die von ihnen verehrten Götzen als Brennstoff der Hölle eingeblendet (V. 98 f.). Das akustische Erschallen ihres Stöhnens als Zeichen des Leids steht im Gegensatz zur Ruhe, mit denen die Seligen den ihnen verheißenen Lohn von Engeln verkündet bekommen (V. 102 f.). Zur eschatologischen Endzeit werden die Prozesse des schöpfungstheologischen Anfangs invertiert: Die Welt wird wie eine Schriftrolle zusammengefaltet (V. 104). Der Verheißung von der Vernichtung der Feinde Gottes (waʿdu l-ihlāk) wird nun positiv in Anlehnung an einen Vers aus den Psalmen (Ps 37,29) die Verheißung vom Erbe des Landes, in dem die gläubigen Diener verfolgt wurden, gegenübergestellt (waʿdu l-wirāṯa) (V. 105). Als eingegebenes Bekenntnis soll der Verkünder – wie die Gesandten zuvor (V. 7; 25) – den Monotheismus verkünden. Seine Sendung ist ein Barmherzigkeitserweis Gottes (V. 107 f.). Auch wenn die Faktizität des eschatologischen Endgerichts durch sein Nahesein verkündet wird, so besitzt der Verkünder selbst keine Kenntnis über den Zeitpunkt seiner Erfüllung (V. 109 f.; vgl. V. 37 f.). Darin ist eine Versuchung für die Ungläubigen enthalten (V. 111). Und doch ist das gerechte Gericht Gottes gewiss (V. 112). Gott steht über jede Verleumdung gegen sein verkündigtes Wort. Insgesamt weist die Sure al-ʾanbiyāʾ eine besondere Korrespondenz zwischen Form und Inhalt auf: Der konzentrische Aufbau der Gesamtsure entspricht dem zentralen Topos der Verheißungen (wuʿūd), die Gott gegenüber den Menschen erfüllt und erfüllen wird. Durch diesen Surenschwerpunkt auf die Versprechen und Voraussagen Gottes (waʿdu l-ḥisāb, waʿdu n-naǧāh, waʿdu l-ihlāk, waʿdu l-istiǧāba, waʿdu l-wirāṯa) wird zum einen der urmuslimischen Gemeinde in besonderer Weise Trost zugesprochen: Auch sie werden von Gott vor ihren Peinigern gerettet, auch sie können nicht vertrieben werden, auch ihre Gegner werden von Gott bestraft werden und auch sie können sich auf die Erfüllung ihrer Gebete verlassen. Zum anderen dient diese Verdichtung göttlicher Verheißungen als Argument gegen die Ungläubigen, die eben ein anderes Zeit- und Lebensverständnis haben: Sie glauben nicht gemäß den beiden schöpfungstheologischen und eschatologischen Achsen an ihre Wiederauferstehung. Sie glauben nicht an einem telos ihres Daseins, der auf ein Leben nach dem Tod verweist. Gegen diese gleichgültige Haltung richtet sich die Sure mit ihrer Fokussierung auf die Erfüllung und auf die lineare Logik göttlicher Zusagen. Dabei werden insgesamt zentrale Topoi der mittelmekkanischen Periode verhandelt (Mehrgottverehrung, Spott und Verfolgung der Gesandten und ihrer Anhänger etc.). Entscheidend für die koranische Perspektive bleibt dabei, dass eine für

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Kapitel 8

die Zeit der Verkündigung erwartbare apokalyptische Verheißung über den genauen Zeitpunkt und Umfang der eschatologischen Endzeit ausbleibt: Für den eschatologisch aufgeklärten Menschen spielen derartige Spekulationen keine Rolle. Denn für die Lebensweise des gläubigen Menschen leitet sich daraus keine neue Erkenntnis oder Konsequenz ab. Aufbau

Verse

IA

Thema Einleitung: Gericht, Polemik und Verheißung

1

iqtaraba-Einleitung: Nahesein des Gerichts

2-8

mā-Serie: Polemik, ihlāk, Eingebung, Kreatürlichkeit der Gesandten

9

Erfüllung der Verheißung (waʿd): Rettung der Gesandten und Bestrafung der Maßlosen

IB

10-35

Polemik: Schöpfungsayāt, Mehrgottverehrung, Spott und Verheißung

IC

36-47

Polemik: Zusammenfassung, Prophetenzuspruch

II

48-96

Narrative Kern: Rettung und Zuwendung (naǧāh, ʾītāʾ, istiǧāba)

III

97-112 Gericht, Polemik, Prophetenzuspruch

Q 21 – Vereinfachte Übersicht der strukturellen Rückbezüge in der Komposition

8.4.3 Sprecher-Hörer-Interaktion/Autorisierungen Die Gegner des Verkünders kommen im Surenverlauf mehrmals in direkter Rede zu Wort: Sie verunglimpfen die Verkündigung selbst (V. 5), behaupten die Existenz von Gotteskindern (V. 26) und fragen nach dem Zeitpunkt der Erfüllung der göttlichen Verheißung vom Endgericht (V. 38). Demgegenüber wird der Verkünder selbst mehrmals aufgefordert der Polemik seiner Gegner argumentativ zu entgegen (V. 42, 45, 108, 112). Im narrativen Mittelteil verweist das Verhalten der Gegner vormaliger Gesandten und Diener Gottes typologisch auf die Gesprächspartner des Verkünders selbst. So wird das Bekenntnis der Zeitgenossen Abrahams, dass sie mit ihrem Götzendienst die Tradition ihrer Vorfahren fortführen (V. 53), auch als Überzeugung und Diktum der Gegner des Verkünders wiedergegeben (Q 43:22 f.; Q 31:21).

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Die Theologie göttlicher Verheisungen

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Die Vehemenz, mit der in der Sure die Erfüllung göttlicher Verheißungen konstatiert wird, stellt eine eminente Zusicherung an die urmuslimische Gemeinde dar und ist diskursiv gegen die Ablehnung und Indifferenz der ungläubigen Zeitgenossen des Verkünders gegenüber den göttlichen Zu- und Voraussagen gerichtet.

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Kapitel 9

Muhammad und Herakleios als Typos und Antitypos und die Wende der Verkündigung in Medina Die im Rahmen dieser Studie untersuchten mittelmekkanischen Suren haben gezeigt, wie sehr die koranische Verkündigung eine implizite und explizite Bewertung der Ereignisse zu Beginn des siebten Jahrhunderts enthält: – Die mit der Eroberung Jerusalems durch die Perser auf jüdischer Seite erstarkten Sehnsüchte nach einem Wiederaufbau des Tempels und des Anbruchs eines messianischen Zeitalters werden abgelehnt. Die zweite Tempelzerstörung bedeutet zwar aus koranischer Perspektive keine endgültige Abwendung Gottes von dem israelitischen Volk, jedoch hat Gott dem israelitischen Volk nicht den Wiederaufbau des Tempels zur Endzeit als endgültigen Sieg des israelitischen Volkes verheißen.1 – Gleichzeitig wird gegen die christlichen Perspektive auf die Heilsgeschichte betont, dass Gott sich nach der zweiten Tempelzerstörung nicht vom israelitischen Volk abgewendet und seine Gunst nicht exklusiv auf ein neues Volk übertragen hat.2 Diesbezüglich wird auch eine Barmherzigkeitstheologie formuliert, die Gottes barmherziges Handeln heilsgeschichtlich universalisiert und von apokalyptischen Vorstellungen abgrenzt.3 – Wie die Verheißung vom ewigen Tempel wird auch die zu Beginn des siebten Jahrhunderts erstarkte Hoffnung nach einem David redivivus abgewiesen.4 An David und Salomo verknüpft sich nicht das Versprechen vom Bestehen eines ewigen Königtums. Sie stellen vielmehr bußfertige Diener Gottes dar. Darin könnte auch eine Kritik an eine propagandistische Anleihe der Figur des Davids durch Herakleios impliziert sein.5 – Die koranische Darstellung gläubiger Herrscher enthält eine Kritik an dem kriegerischen Gebaren eines Herakleios, dessen Herrschaft etwa bei der typologischen Lektüre der syrischen Alexanderlegende im reichseschatologischen Kontext verortet wurde.6 Dagegen wird im Koran das diskursive 1  Siehe Kapitel 2. 2  Siehe Kapitel 3. 3  Siehe Kapitel 3.1. 4  Siehe Kapitel 4. 5  Siehe Kapitel 4.1. 6  Siehe Kapitel 5.

© Verlag Ferdinand Schöningh, 2020 | doi:10.30965/9783657704323_010 Zishan Ahmad Ghaffar - 978-3-657-70432-3 Downloaded from Schoeningh.de04/19/2021 05:36:22PM via Staatsbibliothek Zu Berlin

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Kapitel 9

Moment des Glaubenskampfes betont und der reichseschatologische Kontext eines Endkampfs zwischen den Gläubigen und dem absolut Bösen abgestritten. Das koranische Bild gläubiger Herrscher wird dabei auch in Abgrenzung zu den religiösen und imperialen Ansprüchen christlicher Herrscher in Südarabien profiliert.7 – Die koranische Eschatologie wendet sich insgesamt gegen eine apokalyptische Endzeit, die als chaotisches Szenario einer Entfesselung böser Mächte verstanden wird. Ebenso werden die zu Beginn des siebten Jahrhunderts verbreiteten Spekulationen über die Identifizierung eines Endreiches oder der Dauer bis zum messianischen Reich bzw. bis zur Endzeit zurückgewiesen.8 – Es wird insgesamt in den mittelmekkanischen Suren eine Theologie göttlicher Verheißungen entwickelt, die existentiell die Gewissheit von der Erfüllung von göttlichen Verheißungen betont.9 Dabei spielt der temporale Aspekt des Wann weniger eine Rolle als die Faktizität der Erfüllung. Entsprechend kreist der Diskurs über die Verheißung vom Jenseits (waʿdu-lʾāḫira) weniger um den Zeitpunkt als um die Gewissheit und Faktizität der jenseitigen Abrechnung. – Der eschatologisch aufgeklärte Gläubige beansprucht für sich kein geheimes apokalyptisches Wissen über den Zeitpunkt der jenseitigen Abrechnung oder der Auflösung der Welt. Vielmehr zeichnet sich sein Leben durch eine Lebensweise aus, die auf die zukünftige Rechenschaft hin ausgerichtet ist.10 – Die reichseschatologische Bedeutung der byzantinisch-sassanidischen Auseinandersetzung ablehnend, fühlt sich die urmuslimische Gemeinde ihren monotheistischen Glaubensbrüdern auf byzantinischer Seite verbunden. Die Sassaniden werden aber als Ungläubige betrachtet, die es durch diskursive Argumente zum wahren Glauben zu bekehren gilt.11 Die Auswanderung der urmuslimischen Gemeinde von Mekka nach Medina 622 stellte einen gravierenden Wechsel der Umstände dar, der sich auch inhaltlich und formal im medinensischen Textcorpus niedergeschlagen hat.12 Eine zukünftige Studie hätte der Frage nachzugehen, inwiefern die beschriebenen Tendenzen der Verkündigung in Mekka sich durch die hiǧra verändern. Eine neue Tendenz ist jedenfalls augenscheinlich: Das Verhältnis zur Frage nach dem physischen Kampf für den eigenen Glauben ändert sich. Zwar zeigt sich 7  Siehe Kapitel 5.3. 8  Siehe Kapitel 5.1. und 5.2. 9  Siehe Kapitel 8. 10  Siehe Kapitel 6. 11  Siehe Kapitel 7. 12  Vgl. Sinai, The Unknown Known, 47-96.

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Muhammad und Herakleios als Typos und Antitypos

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auch, dass Muhammad nun eine besondere Dignität für sich in seinem Amt als Propheten beansprucht13, doch wird er auch jetzt nicht zu einer messianischen oder eschatologischen Gestalt. Anders als Herakleios, der ja nach dem Sieg gegen die Sassaniden selbst den Herrschertitel des basileus annimmt.14 Was aber beide Figuren in den 20er Jahren eint, ist das Verhältnis zum Kampf für den eigenen Glauben. So stellt Howard-Johnston eine auffällige Parallele zwischen der Kriegspropaganda des Herakleios und der Mobilisierung der Prophetengefährten her: It is surely stretching credulity to suppose that there was any direct communication between Muhammad and the Romans when the latter were at their nadir in the 620s. But it is unlikely to have been mere coincidence that Heraclius and Muhammad encouraged their troops with the prospect that those who were killed in action would earn the crown of martyrdom and gain direct entry to Paradise, in the same year. Heraclius first publicly announced the new doctrine (which had presumably been agreed earlier with the church authorities) in spring 624, as his army crossed the old frontier into Persia. Muhammad did likewise at the time of the battle of Badr, which is conventionally dated to March 624. He had already conjured up an alluring, rather Persian picture of Paradise in his first halting utterances. The Muslim dead could now look forward with confidence to a languid existence in grand houses surrounded with orchards and well-watered gardens: dressed in robes of silk, wearing pearls and gold bracelets, they would recline on soft couches covered in brocade, in the shade of fruit-trees by running streams, and would be served with silver dishes and silver goblets by boys graced with eternal youth or waited on by shy virgins (see, for example, suras 76:11-22 (Man), 55:46-78 (The Merciful), as well as later suras such as 9:72 (Repentance) and 22:23-4 (Pilgrimage)).15

Und die Parallelen ließen sich weiter fortsetzen16: So wie Herakleios entsprechend dem Sechs-Tages-Schema der Schöpfung sechs Jahre zur Bezwingung der Sassaniden braucht (622-628), so dauert es auch von der Auswanderung des Propheten (622) bis zum Sieg bringenden Vertrag von Hudaibiya (628) sechs Jahre. So wie sich bei Herakleios die Friedensverhandlungen bis zum Jahr 630 hinziehen, so pilgert auch der Prophet erst ein Jahr nach Hudaibiya weiter nach Mekka und kann die Stadt 630 final einnehmen 13  Vgl. Nicolai Sinai, Muḥammad as an Episcopal Figure. In: Arabica, Volume 65, Issue 1-2, 2018, 1-30. 14  Vgl. Shahid, The Iranian Factor in Byzantium during the Reign of Heraclius. 15  Howard-Johnston, Witnesses to a World Crisis, 447. 16  Die chronologischen Parallelen zwischen dem Wirken von Muhammad und Herakleios sind in der Forschung natürlich bereits wahrgenommen worden (Vgl. Franz Taeschner, Geschichte der arabischen Welt, Stuttgart 1964, 52 f.; Franz Altheim/Ruth Stiehl, Finanzgeschichte der Spätantike, Frankfurt am Main 1957, 157-163).

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Kapitel 9

sowie endgültig triumphieren. So wie Herakleios Jerusalem von den paganen Sassaniden befreit und feierlich in Jerusalem mit dem Kreuz einzieht, kann auch Muhammad die mekkanische Pilgerstätte von ihren Idolen säubern und nach ihren abrahamitischen Wurzeln restituieren. Natürlich können diese chronologischen Parallelen der Harmonisierung der Vita des Propheten nach dem Vorbild von Herakleios in der späteren prophetenbiographischen Überlieferung geschuldet sein.17 Und doch scheint es sich zu lohnen, dass man genauer der Frage nachgeht, inwiefern die Affiliationen zwischen Byzanz und einigen arabischen Stämmen auch im Horizont von Muhammad waren und sein Handeln mitbestimmt haben.18 Jedenfalls wäre es ein Desiderat der künftigen Forschung, genauer zu analysieren, wie das koranische Verständnis vom Kampf der Gläubigen in Medina sich zur Kriegspropaganda des Herakleios verhält, die in den byzantinischen Chroniken bezeugt ist. Erst eine umfangreiche Bestandsaufnahme der medinensischen Suren wird zeigen, ob und in welchem Verhältnis die koranische Verkündigung und die Mission des Propheten zu den byzantinisch-sassanidischen Auseinandersetzungen nach der Auswanderung nach Medina stehen. Für die mittelmekkanische Suren konnte hingegen im Rahmen dieser Arbeit gezeigt werden, dass der theologische Bezug zu apokalyptischen und eschatologischen Diskursen zu Beginn des siebten Jahrhunderts evident ist. Eine apokalyptische Dimension der byzantinisch-sassanidischen Auseinandersetzung und die militärische Dimension im Glaubenskampf werden geradezu abgelehnt. Der Koran wehrt vehement die damals verbreiteten Vorstellungen imperialer Eschatologie ab. Damit wird man auch ein fragwürdiges Resultat von Shoemakers Studie zur imperialen Eschatologie und der Genese des Islams umkehren müssen: Much that we have concluded in this study about the beginnings of Islam stands at odds with important elements of these more ‘liberal’ portraits of Muhammad and his earliest followers. Indeed, I suspect that many readers may instead discern some similarities between this apocalyptic understanding of early Islam, including, for instance, the Islamic State, or ISIS.19

Faktisch muss man diesen Befund vor dem Hintergrund der Analyse mittelmekkanischer Suren umkehren. Die apokalyptische Ideologie von 17  Für das Bild von Herakleios in der muslimischen Überlieferung siehe Nadia Maria El-Cheikh, Muḥammad and Heraclius. A Study in Legitimacy. In: Studia Islamica, No. 89, 1999, 5-21. 18  Vgl. Michael Lecker, Were the Ghassānids and the Byzantines behind Muḥammad’s hijra? In: Denis Genequand/Christian Julien Robin (Hg.), Les Jafnides. Des rois arabes au service de Byzance (VIe siècle de l’ère chrétienne), Paris 2015, 277-293. 19  Shoemaker, The Apocalypse of Empire, 182.

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Muhammad und Herakleios als Typos und Antitypos

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ISIS steht diametral zur apokalyptischen Dekontextualisierung und Entmilitarisierung des byzantinischen-sassanidischen Konfliktes im mittelmek­ kanischen Surencorpus. Die Ergebnisse dieser Arbeit stellen bedeutende Anknüpfungspunkte für die islamische Theologie insgesamt dar. Der religionstheologische Inklusivismus der mittelmekkanischen Suren kann auch heute einen wertvollen Beitrag zum interreligiösen Diskurs liefern. Und auch wenn eine systematische Analyse des medinensischen Korpus und dessen religionsgeschichtliche Relation zu Diskursen über den „Glaubenskampf“ in der Spätantike weiterhin ein Desiderat bleibt, so bietet der mekkanische Surencorpus eine eminente Grundlage für die Abweisung jeglicher militanter Ideologie im Islam. Freilich wird man die theologischen Schlussfolgerungen dieser exegetischen Arbeit in einem anderen Rahmen besprechen müssen.

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