Der koloniale Traum: Imperiales Wissen und die französisch-madagassischen Begegnungen im Zeitalter der Aufklärung [1 ed.] 9783412512200, 9783412511319

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Der koloniale Traum: Imperiales Wissen und die französisch-madagassischen Begegnungen im Zeitalter der Aufklärung [1 ed.]
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Der koloniale Traum Damien Tricoire

EXTERNA |  Band 13 Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven

In der Frühen Neuzeit nahm die europäische Expansion ihren Anfang, aber die Europäer waren im 18. Jahrhundert noch weit davon entfernt, in Afrika oder in Asien ihre Herrschaft zu etablieren. Viele Expansionsversuche scheiterten kläglich. Dennoch festigte sich der Glaube an eine europäische Übermacht und zivilisatorische Ausstrahlung. Die Studie fragt nach den Gründen für diese unrealistischen Pläne und zeigt auf, wie eine Kluft zwischen imperialem Anspruch und der Wirklichkeit interkultureller Begegnungen entstand. Anhand der Geschichte der französischen Expansionsversuche auf Madagaskar analysiert sie die Entfaltung kolonialer Fantasie, die Produktion bürokratischen Wissens und die Rolle der Aufklärung in der Entwicklung des Kolonialismus.

Damien Tricoire

Der koloniale Traum Imperiales Wissen und die französisch-madagassischen Begegnungen im Zeitalter der Aufklärung

15.08.18 17:38

Der koloniale Traum

EXTERNA

Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven Herausgegeben von André Krischer, Barbara Stollberg-Rilinger, Hillard von Thiessen und Christian Windler

Band 13

Damien Tricoire

Der koloniale Traum Imperiales Wissen und die französisch-madagassischen Begegnungen im Zeitalter der Aufklärung

2018 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Porträt des Kunstsammlers Thomas Howard, 2. Earl of Arundel, und seiner Gattin Alathea Talbot. Gemälde von Anthonis van Dyck (1599 – 1641), Öl auf Leinwand. Ausschnitt: Th. Howard (1585 – 1646). Inv. Nr. 6404. Wien, Kunsthistorisches Museum. akg-images. Nr: AKG831623.

© 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Lindenstraße 14, D-50674 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Ute Wielandt, Baar-Ebenhausen Satz: büro mn, Bielefeld ISBN 978-3-412-51220-0

Inhalt Vorwort  ......................................................................................................................... 

9

Einleitung  .....................................................................................................................  Kolonial- und Globalgeschichten  ...................................................................  Geschichte des Wissens und der Aufklärung  ..............................................  Vorgehen  . . .............................................................................................................. 

13 17 28 40

Begegnen und erzählen  ........................................................................................  45

1 Islamische und europäische Globalisierungen  .. ..........................................  1.1 Koloniales Scheitern und seine Erklärungen  .. ......................................  1.2 Kulturelle Hybridisierungen am Rande der islamischen Welt  .. .......  1.3 Erste europäische Expansionsversuche  .................................................. 

47 49 53 61

2 Franzosen auf Madagaskar, Franzosen aus Madagaskar  .........................  2.1 Untertanen zweier Könige  .. .......................................................................  2.2 Söldner und Räuber  ....................................................................................  2.3 Die Ostindienkompanie und die unmögliche Kolonisierung  ..........  2.4 Massaker auf Nosy Boraha  . . ...................................................................... 

65 66 70 75 79

3 Imperiales Scheitern und koloniale Fantasien  ............................................  3.1 Ein Kolonialherr ohne Kolonie  . . ..............................................................  3.2 Träumer und Skeptiker  ..............................................................................  3.3 Gesundheit und Klima  . . .............................................................................  3.4 Handel und Waren  ...................................................................................... 

85 86 90 94 98

4 Maudave oder Der Optimismus  . . ...................................................................  4.1 Herrschaft durch Autorität  .......................................................................  4.2 Transkulturelle Kommunikation  .. ............................................................  4.3 Politische Bedeutungslosigkeit  . . ...............................................................  4.4 Voltaire auf Madagaskar  ............................................................................  4.5 Montesquieu auf Madagaskar  .................................................................. 

106 107 114 122 126 131

6

Inhalt

5 Erfolglose Konquistadoren  ..............................................................................  5.1 Französisch-madagassische Putschpläne  ...............................................  5.2 Eine neue Kolonie  .......................................................................................  5.3 Elend und Verwüstung  . . .............................................................................  5.4 Cortés auf Madagaskar  ..............................................................................  5.5 Sklavenhändler und Tyrann  ...................................................................... 

135 135 137 140 146 151

6 Beňovský oder Die aufklärerische Robinsonade  ........................................  6.1 Robinson auf Madagaskar  .........................................................................  6.2 Narrativierung und Objektivierung  ........................................................  6.3 Beňovskýs Widersprüche  . . .........................................................................  6.4 George Washington auf Madagaskar  .....................................................  6.5 Lykurg auf Madagaskar  .. ............................................................................ 

155 156 160 164 169 172

7 Persistenz und Ende des Madagaskartraums  . . ............................................  7.1 Eine madagassisch-französische »Republik«  ........................................  7.2 Maudaves Vision in der Revolution  .. ......................................................  7.3 Sträflinge und Sklaven  .. ..............................................................................  7.4 Die neue Madagaskarpolitik der Restaurationszeit  ............................ 

181 182 185 191 196

Wissen generieren  ...................................................................................................  209

8 Vom Geist der Sanftmut  ...................................................................................  211 8.1 Madagaskar in der Spätaufklärung  .........................................................  212 8.2 Der Madagaskardiskurs im Marineministerium  .................................  216 9 Tabus des aufklärerischen Kolonialismus  .. ...................................................  9.1 Gewalt  ............................................................................................................  9.2 Grenzgänger  .. ................................................................................................  9.3 Indigenes Wissen und rassische Kategorisierungen  ...........................  9.4 Religion und »Aberglaube«  ....................................................................... 

229 230 234 237 243

10 Kolonialismus und philosophie  .........................................................................  10.1 Probleme der Distanzherrschaft  ..............................................................  10.2 Die Rezeption Flacourts in der Aufklärung  .........................................  10.3 Ein Laboratorium der Zivilisationsgeschichte  . . ...................................  10.4 Philosophen und Politiker  . . .......................................................................  10.5 Wissenslegitimierung im Zeitalter der Aufklärung  . . .......................... 

250 251 255 261 268 276

Inhalt

7

11 Abenteurer und Bürokraten  .. ...........................................................................  11.1 Die Maskarenen und der Ursprung des Diskurses  .............................  11.2 Der Indische Ozean und die Lehnstuhlabenteurer  ............................  11.3 Patronage und Wissensproduktion  .........................................................  11.4 Denkschriften und Wissensräume  ..........................................................  11.5 Das neue epistemische Setting der Restaurationszeit  ........................ 

285 287 297 305 314 323

12 Die Geburtsstunde des modernen Kolonialismus?  ...................................  12.1 Die kolonialpolitische Wende nach dem Siebenjährigen Krieg  ......  12.2 Alter Ansatz, neuer Anstrich  ....................................................................  12.3 Bruch in der Praxis?  ....................................................................................  12.4 Der Assimilationismus als koloniale Ideologie der Neuzeit?  ........... 

330 334 342 348 350

Schlussfolgerung  . . .......................................................................................................  353 Anhang  ..........................................................................................................................  361 Liste der handschriftlichen Denkschriften zu Madagaskar (1769 – 1819)  .. ...........................................................................................................  361 Abkürzungsverzeichnis  .. ...........................................................................................  367 Abbildungsverzeichnis  . . ............................................................................................  368 Quellen- und Literaturverzeichnis  .. ......................................................................  Handschriften  ......................................................................................................  Gedruckte Quellen  .............................................................................................  Forschungsliteratur  ............................................................................................. 

370 370 371 378

Register  .. ........................................................................................................................  401

Vorwort Dieses Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die 2016 in Halle eingereicht wurde. Die deutsche Habilitation, die einer zweiten Disser­ tation gleicht, gibt einem die Möglichkeit eines radikalen Themenwechsels, ja meist wird im Fach Geschichte sogar ein solcher Wechsel erwartet. Was für manche einen Zwang bedeuten mag, empfand ich als Bereicherung. Über eine neue Epoche (das Aufklärungszeitalter), eine neue Region (den Indischen Ozean) und neue Themenfelder (die Global- und die Wissensgeschichte) zu arbeiten, stellte eine maßgebliche Horizonterweiterung dar. Ich habe mich bemüht, diese neuen Forschungsinteressen in ein Buch münden zu lassen, das gut lesbar ist, Erzählungen mit Analysen verbindet, auf Auseinandersetzungen mit der Historiographie beruht und doch nicht mit Fachdiskussionen überfrachtet ist. Das Forschungsprojekt, aus dem d ­ ieses Buch erwachsen ist, ist von den Begegnungen, die ich in diesen Hallenser Jahren gemacht habe, geprägt worden. Nach meiner Ankunft an der Martin-­Luther-­Universität 2011 stellte ich bald fest, dass Halle eine erstaunliche Dichte an Institutionen aufzuweisen hat, die in den oben genannten Forschungsfeldern aktiv sind: Die Ideen-, Religions- und Globalgeschichte des 18. Jahrhunderts wird dank dem Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA ), dem Exzellenznetzwerk »Aufklärung – Religion – Wissen« (ARW ), dem Interdisziplinären Zentrum für Pietismusforschung (IZP ) und den Franckeschen Stiftungen intensiv erforscht. Auch am Max-­P lanck-­Institut für ethnologische Forschung kann man wertvolle Impusle im Bereich der Globalgeschichte bekommen. Vor allem hatte ich aber das Glück, am Lehrstuhl von Andreas Pečar angestellt zu werden. Zwischen uns entwickelte sich schnell eine intensive Zusammenarbeit, der ich viele Ideen verdanke. Andreas involvierte mich in viele seiner Vorhaben und ließ mir dennoch viel Zeit für die Forschung, wofür ich ihm zutiefst verpflichtet bin. Andreas versteht Wissenschaft als Diskussion und pflegt eine bewundernswert offene, anregende und faire Diskussionskultur. Ich konnte sein Interesse für den aufklärerischen Kolonialismus gewinnen und so unterstützte er unter anderem mein Vorhaben, eine Tagung zu ­diesem Thema zu veranstalten, die im Buch Enlightened Colonialism (2017) mündete. Vor allem schrieben wir gemeinsam ein Buch zur Aufklärung, das aus unserem Unbehagen gegenüber den anachronis­ tischen Interpretationen erwuchs, die der weißen wie der schwarzen Legende der Aufklärung zugrunde liegen (Falsche Freunde, Frankfurt a. M. 2015). Diese Projekte beeinflussten die vorliegende Monographie unmittelbar. Nicht zuletzt las Andreas das Manuskript und gab sehr wertvolle Ratschläge. In diesen Jahren habe ich von Gesprächen mit vielen Menschen profitiert, die meine Aufmerksamkeit auf Literatur und Forschungsdiskussionen lenkten, unter

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Vorwort

anderen meine geschätzten Kollegen Catherine Ballériaux, Moritz Baumstark, Paul Beckus, Simon Dagenais, Miriam Franchina, Karsten Holste, ­Marianne Taatz-­Jacobi und Ingrid Würth. Prof. Dr. Anja Bandau war so freundlich, Teile des Manuskripts aus literaturwissenschaftlicher Sicht zu kommentieren, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Die Mitglieder der Habilitationskommission, Prof. Dr. Michael G. Müller, Prof. Dr. Antje Flüchter und Prof. Dr. Thomas Bremer, haben wertvolle Hinweise für eine Verbesserung des Manuskripts gegeben. Das ­Gleiche gilt für die Herausgeber der Böhlau-­Reihe »Externa«: Prof. Dr. Barbara Stollberg-­Rilinger, Prof. Dr. Christian Windler, Prof. Dr. Hillard von Thiessen und PD Dr. André Krischer. Ich möchte mich bei Nathalie Szczech für die Fotos aus dem Buch von Grasset de Saint-­Sauveur bedanken. Teile des Projekts durfte ich in Colloquien und auf Tagungen in Berlin, Buenos Aires, Halle, Heidelberg, Leipzig, Münster, New York, Tübingen und Wolfenbüttel zur Diskussion stellen; hierfür möchte ich mich inbesondere bei Prof. Dr. Peter Burschel, Prof. Dr. Renate Dürr, Prof. Dr. Daniel Fulda, Dr. Sünne Juterczenka, Daniel Kanhofer, Prof. Dr. Karen Kupperman, Prof. Dr. Hans-­Jürgen Lüsebrink, Prof. Dr. Matthias Middell, Gabriel Rocha und Prof. Dr. Barbara Stollberg-­ Rilinger bedanken. Mein besonderer Dank gilt meiner Frau Daria Sambuk, die mich auch intellek­ tuell durch diese Jahre begleitet, mir stets mit ihrem Rat zur Seite gestanden und das Manuskript gelesen, kommentiert und korrigiert hat. Ihr sei d ­ ieses Buch gewidmet.

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Vorwort

Madagaskar (18. Jh.)

15°

Angontsy Louisbourg

Boina

Bucht von Antongila (Baie d`Antongil) Nosy Boraha Île aux Cailles (Île Sainte-Marie) Mahavelona (Foulpointe) Toamasina (Tamatave)

20°

Bucht von St. Augustin

Anosy 0

100 km

200

45°

Tôlanaro (Fort-Dauphin)

25° © Entwurf: Damien Tricoire Kartographie: Florian Partl

Abb. 1  Karte Madagaskars mit den für diese Monographie wichtigsten Orten

50°

Einleitung Im Oktober 1776 schickte Moritz August Beňovský, Kommandant des französischen Königs auf Madagaskar, den Text eines Gelübdes der »Könige, Fürsten und Häuptlinge der Insel Madagaskar« an den Marineminister nach Versailles. Dem Dokument zufolge schworen die eingeborenen Fürsten Beňovský die Treue und wählten ihn zum »Ampansakabe«, König der Könige Madagaskars: Nachdem wir das geopferte Tier aufgegessen und den Blutschwur vor unseren Völkern abgelegt haben, singen, erklären und erkennen wir Moritz August Graf von Beniovsky [sic!] als unser oberstes Haupt, als Ampansakabe […] an. Deshalb […] unterwerfen wir uns seiner Autorität durch einen unverletzlichen Schwur; dementsprechend beschließen wir, in unserer Provinz Mahavelou [sic!] ein Denkmal zu errichten, das die Erinnerung an diese Union aufrechterhalten und unser heiliges Gelübde unsterblich machen wird, damit unsere Kinder und die Kinder unserer Kinder bis in die entfernteste Zeit der heiligen Priester- und Ampansakabe-­Familie ergeben bleiben, die wir durch unsere Unterwerfung heiligen […].1

Beňovský zufolge brachte diese Wahl die Etablierung einer französischen Herrschaft im Norden Madagaskars mit sich, wenn auch freilich einer indirekten, die ohne ihn nicht auskommen konnte. Folgt man seinen Briefen, so kam d ­ ieser Durchbruch nicht unvorbereitet. Einige Monate zuvor hatte Beňovský dem Marine­minister erläutert, wie es ihm gelungen sei, die Insel zu unterwerfen: Der Plan, den ich gegenüber den Eingeborenen verfolgt habe, stand immer unter dem ­­ Zeichen der Gerechtigkeit. Die Insulaner waren stets misstrauisch […] und hielten lange meine Unterfangen für Fallen. Sie sahen ein, dass ihre eigenen Täuschungsmanöver und Treuebrüche ihnen keinen Nutzen brachten; sie wagten es, Gewalt anzuwenden. Dies öffnete ihnen jedoch die Augen auf ihr unvernünftiges Handeln. Besiegt und heimatlos 1 ANOM, C 5A 6, Nr. 11, Bl. 2 f., »Acte du serment des rois, princes et chefs de Madagascar commencé le 1er octobre 1776 dans la plaine de Mahavelona, pour élire Maurice-­Auguste de Benyowsky au rang d’Ampansacabé«, ohne Ort, ohne Datum: »Aiant consommé le sacrifice et fait le serment du sang en présence de nos Peuples, chantons, déclarons et reconnoissons le Maurice Auguste Comte Béniowsky pour notre chef suprême Ampansacabé […]. C’est pourquoi […] nous nous soumettons inviolablement a son autorité, en conséquence nous décidons d’ériger en notre Province de Mahavelou un monument pour perpétuer la Mémoire de notre Union, et d’immortaliser notre sacré serment, afin que nos enfants et enfants de nos enfants jusqu’à la postérité la plus reculée soient soumis à la sacrée famille D’ombiasse d’ampansacabé, que nous sanctifions, par nos soumissions […].«

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Einleitung haben sie sich entschlossen, sich als Sklaven zu unterwerfen; ich habe sie als Freunde empfangen und ihnen ihre alten Besitztümer zurückgegeben, ja ich habe sie sogar als Verbündete empfangen. Ein solches Vorgehen […] zeigte zugleich den anderen Nationen, dass die der [französischen, D. T.] Regierung untergebenen Völker glücklich sind. Sie kommen von allen Ecken der Insel, um sich zu unterwerfen und die Abhängigkeit von der [französischen, D. T.] Regierung zu genießen. Das Walten der Gerechtigkeit hat sie dazu bewegt, uns Weise zu nennen.2

Dies waren großartige Nachrichten für den Marineminister. Doch sollte er ihnen Glauben schenken? Die Berichte von Beňovskýs direkten Vorgesetzten, dem Gouverneur und dem Intendanten der Île de France (des heutigen Mauritius), zeichneten ein gänzlich anderes Bild: Beňovský habe durch seine unüberlegte Kriegspolitik den König in Unkosten gestürzt, ohne spürbare Erfolge vorweisen zu können.3 Nichtsdestotrotz schlug ein Angestellter des Bureau de l’Inde des Marineministeriums am 30. Juni 1776 vor, der König solle Beňovský die Unabhängigkeit von der Verwaltung der Île de France gewähren. Man könne sich zwar noch nicht absolut sicher sein, ob die Siegesmeldungen von der Großen Insel, wie Madagaskar oft genannt wird, stimmten. Doch ­seien sie so präzise und passten so gut zum außergewöhnlichen Wagemut ­dieses einzigartigen Mannes, dass man davon ausgehen könne, dass seine Berichte zumindest zum Teil Wahrheiten enthalten.4 Ein solches Genie solle frei agieren können: Wie dem auch immer sei, […] muss man in [Beňovský, D. T.] einen außergewöhn­ lichen Mann erkennen, der dafür gemacht ist, Revolutionen anzustiften, und imstande, eine Kolonie zu schaffen. Doch ein Mann ­dieses Schlags ist nicht dazu geboren, in der

2 ANOM, C 5A 5, Nr. 96, Beňovský an Sartine, 2. Juni 1776: »Le plan que j’ai suivi envers les naturels du pays porta toujours l’empreinte de la justice. Les Insulaires toujours ­méfians […] prirent longtems mes démarches pour des pièges, ils ont vu que leurs tromperies et trahisons devenoient inutiles, ils osèrent tenter la voie des forces, qui enfin leur a ouvert les yeux sur leur égarement, vaincus et expatriés ils ont pris le parti de se soumettre en esclaves, Je les ai reçu en amis en les rétablissant dans leurs anciennes possessions, qui plus est je les ai reçu au nombre des alliés : un tel procedé […] convainqui en même tems les autres nations du bonheur dont jouissaient les peuples soumis au gouvernement, ils viennent d’un bout de l’Isle à l’autre se soumettre pour jouir de la dependance du Gouvernement, dont l’administration de la justice à leur égard nous à mérité d’eux mêmes le nom de sages.« 3 ANOM, C 5A 4, Nr. 75, Ternay und Maillart an den Marineminister, 16. August 1774, und Nr. 90, Ternay an Aiguillon, 6. September 1774. 4 ANOM, C 5A 6, Nr. 62, S. 2, »Rapport au ministre relatant un acte de courage extraordinaire«, Versailles, 30. Juni 1776.

Einleitung

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Abhängigkeit von der Regierung der Île de France zu stehen. Jede Abhängigkeit hindert den Schwung des Genies.5

Schon im Jahr davor hatte die Ministerialverwaltung eine ganze Reihe von Rechtsstücken und Instruktionen vorbereitet, mit deren Hilfe eine neue eigenständige Verwaltung für eine große Kolonie auf Madagaskar aufgebaut werden sollte.6 Also schienen nicht wenige in Versailles an den Erfolg Beňovskýs zu glauben. Für den heutigen Leser – der weiß, dass Beňovský einer der kühnsten Hochstapler des 18. Jahrhunderts war, und liest, wie der Minister von dem Gouverneur und dem Intendanten der Île de France vor ihm gewarnt worden war – ist diese Vertrauensseligkeit geradezu verblüffend. Der Fall Beňovskýs offenbart Phänomene, die in dieser Monographie eine zentrale Rolle spielen: die imaginäre Kolonisierung Madagaskars nach dem Sieben­ jährigen Krieg und eine Tendenz, die man als Kolonisierung des Imaginären bezeichnen könnte. Nach 1763 kann man in Frankreich die Etablierung von bestimmten kolonialistischen Vorstellungen von sich und dem Fremden beobachten. In Bezug auf die Rote Insel, wie Madagaskar manchmal bezeichnet wird, setzten sich Wissensbestände durch, die wenig mit örtlichen Wirklichkeitskonstruktionen zu tun hatten. Kolonialpolitiker waren geneigt, eher kolonialen Träumen als einer auf Empirie gründenden Einschätzung der jeweiligen Situation zu folgen. Informationen über die Lage in kolonisierten Gebieten ließen sich bisweilen leicht von Abenteurern manipulieren. Diese Entwicklungen haben mit persönlichen Verflechtungen, Patronagebeziehungen, Techniken der Wissensgewinnung in der französischen Verwaltung und Normen der Legitimierung von Wissensbeständen zu tun. Dass man Beňovskýs fantastischen Erzählungen Glauben schenkte, lag an seiner Stellung im Dienst des Marineministers. Auch bediente er sich der Medien der Informationserzeugung (Denkschriften, Karten etc.), die aufgrund ihrer inneren Logik eine eigene Realität schufen und somit die Weltsicht der politischen Akteure im Mutterland lenkten – was ebenfalls zu seinem Erfolg beitrug. Schließlich bettete der Kommandant von Madagaskar seine Darstellung in einen akzeptierten Diskurs über die richtige Art und Weise, Madagaskar zu kolonisieren, ein: Der Abenteurer zeigte sich als ›Zivilisierer‹, der jenseits aller Konflikte letztlich durch Sanftmut, Gerechtigkeit und Handel die Herzen der Einheimischen gewinne und sie auf die nächste Stufe des Gesittetseins emporhebe. 5 Ebd., S. 3: »Quoiqu’il en soit, […] on ne peut s’empêcher de reconnoitre en lui un homme rare et extraordinaire, fait pour les révolutions et digne de créer un établissement. Mais un homme de cette trempe n’est pas né pour être dépendant d’un Gouverneur de l’Isle de france. Toute dépendance arrête les élans du génie.« 6 ANOM, C 5A 5, Nr. 44 – 49.

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Einleitung

Damit griff er in seiner Selbstinszenierung auf Vorstellungen zurück, die in den 1760er Jahren insbesondere in den Schriften über Madagaskar aufgekommen waren und das öffentliche Reden über diese Insel des Indischen Ozeans und über die Kolonialexpansion im Allgemeinen in den folgenden Jahrzehnten stark prägen sollten. In der Tat beflügelte kaum ein Teil des Erdkreises die Fantasie der französischen Kolonialpolitiker im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert so sehr wie Madagaskar – »die größte Insel der Welt«, wie sie in den Quellen unermüdlich genannt wird. So stellte ein hoher Beamter des Marineministeriums 1793 fest, dass »die Marineabteilung über eine große Anzahl von Denkschriften über Madagaskar verfügt«.7 Die Denkschriften aus dem späteren 18. Jahrhundert, die für eine Kolonialexpansion auf Madagaskar plädieren, füllen mehrere Kartons im Archiv des Marineministeriums. Zahlreiche weitere Denkschriften finden sich im Bestand, der den Briefwechsel verschiedener Persönlichkeiten mit den Marineministern beinhaltet, sowie in mehreren Akten des Außenministeriums. Diese Denkschriften regten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts immerhin drei tatsächliche Versuche an, auf Madagaskar eine Kolonie zu errichten: auf Nosy Boraha (der Insel Sainte-­Marie) durch die Compagnie des Indes in den 1750er Jahren, in Tôlanaro (frz. Fort-­Dauphin) durch den Grafen von Maudave 1768 – 1772 und in der Bucht von Antongila durch Moritz Beňovský und seinen Nachfolger Sanglier 1773 – 1785. Weitere Expansionspläne standen kurz vor der Umsetzung, etwa das vom Nationalkonvent beschlossene Projekt der Schaffung einer Strafkolonie 1793 oder der Plan aus dem Jahr 1800, Protektorate zu errichten. Dass alle Projekte kläglich scheiterten, hielt die Verfasser von Plänen nicht davon ab, bis in die napoleonische Zeit hinein ähnliche Vorhaben ins Gespräch zu bringen. Dabei sahen sich diese Kolonialplaner dadurch bestätigt, dass vor ihnen anderen aufgeklärten Männern Ähnliches vorgeschwebt hatte. Kurz: Es etablierte sich ein selbstreferenzieller Madagaskardiskurs. In dieser Monographie geht es unter anderem darum, zu verstehen, wie ein solcher Diskurs entstehen und sich durchsetzen konnte. Seine Geschichte ist nicht nur für eine Analyse der – letztlich gescheiterten – Versuche einer Kolonialexpansion auf der Großen Insel relevant, sondern liefert auch Einblicke in die Aufklärungsgeschichte, die französische Kolonialgeschichte und die Wissens­ geschichte der französischen Verwaltung. Der Madagaskardiskurs war zentral für die Definition der Rollen, die sich französische Eliten auf der Welt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zuschrieben. Er bildete den Rahmen für neuartige kolonialpolitische Zielsetzungen. Seine Entstehung verrät zudem viel über ideenund wissenshistorische Phänomene, die man gewöhnlich unter dem Stichwort 7 Zitiert nach: Wanquet, Entre délire de conquête et parcimonie, hier 208: »Le département de la Marine possède une grande quantité de mémoires sur Madagascar«.

Kolonial- und Globalgeschichten

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»Aufklärung« und »Distanzherrschaft« zusammenfasst. Mit der Untersuchung der Geschichte der französischen Kolonialexpansion auf und des französischen Wissens über Madagaskar möchte die vorliegende Studie deshalb einen Beitrag zu zwei Forschungsfeldern leisten: der Kolonial- und Globalgeschichte einerseits und der Geschichte des Wissens und der Aufklärung andererseits.

Kolonial- und Globalgeschichten Dieses Buch nähert sich der Kolonial- und Globalgeschichte auf drei Ebenen: Auf der mikrohistorischen Ebene steht eine Fallstudie zu Madagaskar im Mittel­ punkt, das bislang in der neueren Forschung weitgehend vernachlässigt wurde und deshalb zum Teil noch immer unter dem Vorzeichen älterer Deutungsmuster aus der Kolonialzeit steht. Es gilt, die Geschichte Madagaskars im 18. Jahrhundert gewissermaßen weiter zu »dekolonisieren«. Auf der mesohistorischen Ebene geht es darum, zu einem besseren Verständnis der Kontinuitäten und Brüche in der Geschichte des französischen Kolonialreichs beizutragen. Auf der globalhistorischen Ebene soll anhand ­dieses Falls von Madagaskar ein Beitrag zur Frage geleistet werden, inwiefern die Aufklärungszeit eine kolonialhistorische Zäsur bildete. Es gibt keine wissenschaftlich ernst zu nehmende Monographie zu den franzö­ sischen Expansionsversuchen auf Madagaskar in der Frühen Neuzeit.8 In allgemeinen Darstellungen zur französischen Kolonialgeschichte in der Frühen Neuzeit und selbst in Monographien zur französischen Ostindienkompanie werden die Versuche einer Kolonialexpansion auf der Großen Insel im 18. Jahrhundert eher flüchtig erwähnt.9 Bis in die jüngste Zeit kursieren in wissenschaftlichen Veröffentlichungen gravierende Fehlinterpretationen: So kann man in einem Aufsatz eines renommierten Madagaskarhistorikers lesen, Beňovský habe eine große Kolonie samt Hauptstadt, Straßen, Kanälen, Plantagen und Industrieanlagen im Norden der Insel aufgebaut, obgleich diese Kolonie lediglich auf dem Papier existierte.10 Der Kolonisierungsversuch aus dem 17. Jahrhundert, der immerhin dreißig Jahre andauerte, ist besser bekannt, wird in der Forschung jedoch eher als ein Anfängerfehler gedeutet denn als ein symptomatisches Kapitel in der Geschichte des französischen Kolonialismus.11 Die Spezialisten der französischen frühneuzeitlichen Kolonialgeschichte hat Madagaskar bislang nur am Rande interessiert. 8 Die kürzlich erschienene Darstellung Gérard Buttouds bietet zwar eine Synthese, basiert jedoch auf keiner Archivstudie: Buttoud, L’échec. 9 Z. B. in Haudrère, L’Empire des rois, 135 – 140, 330 f. Gehen kaum auf Madagaskar ein: Ames, Colbert, 33 – 36, 92 – 94; Ménard-­Jacob, La Première Compagnie des Indes. 10 Campbell, Imperial Rivalry, 84. 11 Haudrère, L’Empire des rois, 135 – 140.

18

Einleitung

Diese Insel bleibt gewissermaßen ein privates Jagdrevier einzelner Experten zur Geschichte und Kultur des Indischen Ozeans. Die portugiesischen und britischen Forscher haben wenig über die Große Insel in der Frühen Neuzeit geschrieben, obwohl Angehörige dieser Nationen auf Madagaskar sehr wohl präsent waren.12 Auch das Erkenntnisinteresse der französischen und madagassischen Wissenschaftler, die in den letzten Jahrzehnten zu d ­ iesem Thema gearbeitet haben, gilt meist der Regionalgeschichte des Indischen Ozeans. Sie konzentrierten sich auf Phänomene, die für die madagassische Geschichte von größerer Bedeutung sind als die gescheiterten französischen Expansionsversuche. So haben Ethnologen, Ethnohistoriker und Archäologen große Fortschritte im Verständnis der politischen Gebilde und sozialen Ordnungen auf der Insel vor der Etablierung des »Königreichs von Madagaskar« im frühen 19. Jahrhundert gemacht.13 Das heutige begrenzte Interesse an Madagaskar steht im Kontrast zur Aufmerksamkeit, die die Insel im Frankreich der Frühen Neuzeit genossen hat. Wenn die französisch-­madagassische Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts relativ wenig erforscht wurde, so liegt es nicht an einem Mangel an Quellen. Im Frankreich des 18. Jahrhunderts wurde viel über die Große Insel gedruckt: Reiseberichte, Geschichten der Kolonisierungsversuche des 17. Jahrhunderts, Beschreibungen der Insel und Romane.14 Auch enthalten die Bestände des ehemaligen Marineministeriums, die sich heute in Aix-­en-­Provence befinden, zahlreiche Handschriften über Madagaskar. Man kann diese in drei Gruppen einteilen: die offizielle Korrespondenz, Denkschriften sowie Personalakten. Die erste Gruppe beinhaltet die meist wöchentlich verfassten Briefe ­zwischen dem Marineministerium, Kolonialbeamten und weiteren imperialen Akteuren im Dreieck Madagaskar – Île de France – Versailles. Die Denkschriften wurden von diversen Persönlichkeiten verfasst, die in der Regel zumindest zeitweise ihren Lebensmittelpunkt im Indischen Ozean hatten. Sie wurden jedoch meist in Frankreich geschrieben und dem Marineministerium zugesandt. Die Ministerialbeamten kopierten und bewahrten sie in einem separaten Archiv auf, dem Dépôt des colonies. Schließlich enthalten die 12 Larson, Colonies Lost, 341; Campbell, An Economic History, 1. 13 Deschamps, Histoire de Madagascar; Ottino, L’Étrangère intime; Hébert, Les Zavaga indonésiens; Beaujard, Islamisés et systèmes royaux; Vérin, Histoire ancienne; ders., Les Échelles; ders., Les Zafimaniry; Kottak u. a., Madagascar: Society and History; ­Rahamefy, Le Roi ne meurt pas; Raison-­Jourde (Hrsg.), Les Souverains de Madagascar; Ballarin, Les Reliques royales; Molet, La Conception malgache du monde; Rakotoarisoa, Mille ans d’occupation humaine; Lombard, Le Royaume sakalava; Kent, Early Kingdoms in Madagascar; ders., Religion and State in Madagascar. 14 Die Veröffentlichungen von Nivoelisoa Galibert bieten einen guten Überblick über die französische Madagaskarliteratur der Frühen Neuzeit: Galibert, Madagascar dans la litté­rature; dies., Chronobibliographie analytique de la littérature. Ein weiteres wichtiges Hilfsmittel: Grandidier, Bibliographie de Madagascar.

Kolonial- und Globalgeschichten

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Personalakten teilweise Briefe, Denkschriften oder auch Kopien von Gerichtsakten von und über Personen, die auf Madagaskar wirkten. Des Weiteren weisen die Denkschriftensammlungen des Außenministeriums zahlreiche Handschriften über Madagaskar auf. Das Pariser Naturkundemuseum verfügt über ­Nachlässe von mehreren Personen, die nach Madagaskar gereist sind. Die Nationalbibliothek besitzt ebenfalls Handschriftenbestände über die Große Insel. In den Archives nationales in Pierrefites-­sur-­Seine kann man Quellen zum Dekret des Nationalkonvents einsehen, das aus Madagaskar eine Strafkolonie machen sollte. Gänzlich unerforscht sind die frühen Kolonisierungsversuche Madagaskars allerdings nicht. Neuere literatur- und geschichtswissenschaftliche Aufsätze zum Auftreten der Franzosen auf Madagaskar und ihren Schriften über die Insel sowie zu der kolonialistischen Vorstellungswelt im 17.15 und im 18. Jahrhundert 16 bilden eine Ausgangsbasis für diese Monographie. So haben Forscher in den letzten Jahrzehnten nähere Kenntnisse über den internationalen Handel auf der Insel gewonnen.17 Das Wissen über Madagaskar im 17. und 18. Jahrhundert haben neben einigen Historikern vor allem Literaturwissenschaftler untersucht, die den Zusammenhang ­zwischen Madagaskarbildern, utopischer Literatur und Aufklärung zeigten. Leider wurden die bislang gewonnenen Erkenntnisse nicht hinlänglich in die französische Kolonialgeschichte sowie in die Wissensgeschichte der französischen Verwaltung und der Aufklärungszeit eingebettet.18 Auch muss man immer noch auf die Veröffentlichungen aus der Kolonialzeit (1896 – 1960) zurückgreifen, um die politische Ereignisgeschichte zu rekonstruieren.19 Doch 15 Schmidlin, Les premières missions; Larson, Colonies Lost; Autour de Flacourt; Racault, Les Voyageurs du XVIIe siècle; Bechtloff, Madagaskar und die Missionare. 16 Campbell, Imperial Rivalry; ders., An Economic History of Imperial Madagascar; Filliot, Les Établissement français à Madagascar; Wanquet, Entre délire de conquête et parcimonie; ders., La première abolition de l’esclavage; ders., Joseph-­François Charpentier de Cossigny; Pawliková-­Vilhanová, Móric Beňovský a Madagaskar; Sylla, Un envoyé de l’Assemblée nationale. 17 Ignace, La Route des esclaves; Armstrong, Madagascar and the Slave Trade; Hooper, Feeding Globalization. 18 Rambeloson-­Rapiera, Madagascar et les Malgaches; Jacob, Le Madécasse et les Lumières; Galibert, Madagascar dans la littérature; dies., Fanjahira et la coupure; Zatorska, Discours colonial; Linon-­Chipon, Madagascar illustrée; dies., De l’Art de (ne pas) coloniser; dies., Gallia orientalis; Molet-­Sauvaget, Madagascar dans l’œuvre de Daniel Defoe; Fougère, Les Voyages et l’Ancrage; Gigan, Bernardin de Saint-­Pierre; Racault, Les premières Tentatives coloniales. 19 Malotet, Étienne de Flacourt; Froidevaux, Un Explorateur inconnu; ders., Un mémoire inédit de M. de la Haye; ders., Valeur historique de l’ouvrage de Flacourt; ders., Jacques Pronis; ders., Les Lazaristes à Madagascar; ders., Les derniers Projets du Duc de La Meilleraye; Grandidier/Grandidier, Histoire de la découverte de l’île de Madagascar; dies., Les Anglais à Madagascar; Grandidier, Histoire de Madagascar; Grandidier, Histoire

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mit den Erzählungen aus der Zeit vor 1960 übernehmen manche Forscher auch ältere und revisionsbedürftige Erklärungsmuster. Zwar war es keineswegs so, dass Historiker aus der Kolonialzeit unkritisch gegenüber frühneuzeitlichen Kolonialakteuren gewesen wären. Dennoch nahmen sie die Madagassen als Akteure kaum ernst und gingen implizit davon aus, dass der Sieg der Franzosen über die »Wilden«, die oft genug in ihren Augen Kindern glichen, den Normalfall darstellte. Sie hatten auch die Tendenz, die Behauptungen und Selbstinszenierungen von Franzosen auf der Roten Insel unkritisch zu übernehmen oder die Bilanz zumindest mancher selbsternannten Kolonialherren zu verteidigen. Sie waren zudem weitgehend blind für die hybriden Wirklichkeiten und das Going native von Franzosen.20 So sieht die Forschung seit der Kolonialzeit die Gründe für den Misserfolg der französischen Niederlassung unter Maudave nicht etwa im Agieren der Indigenen, sondern in der mangelnden Unterstützung durch die Verwaltung der Île de France.21 Auch führen Historiker den Konflikt der Compagnie des Indes mit den Einwohnern Nosy Borahas auf das »tyrannische« Verhalten einzelner Offiziere und nicht auf die grundsätzliche Ablehnung der französischen Herrschaft durch die Indigenen zurück.22 Diese beiden Erklärungen haben zweierlei gemeinsam: Sie gehen erstens davon aus, dass es einem Europäer, der human auftritt und genug Mittel zur Verfügung hat, grundsätzlich gelingen sollte, auf Madagaskar eine Kolonie aufzubauen. Zweitens gehen sie auf Deutungsmuster kolonialer Akteure im 18. Jahrhundert zurück. Denn die scheiternden Franzosen negierten vielfach die strukturellen Hürden, die eine Kolonialexpansion unmöglich machten.23 So ist eines der Ziele dieser Untersuchung, die kolonialhistorischen Deutungsmuster zu hinterfragen und sowohl die Ursachen des Misserfolgs als auch den Umgang mit dem Scheitern zu erforschen. Damit reiht sie sich in einen Forschungstrend der letzten Jahrzehnte ein: Während noch Mitte des 20. Jahrhunderts in der Kolonialgeschichtsschreibung der Sieg der »Zivilisation« über die »Barbarei« oft zumindest implizit vorausgesetzt und die Europäer meist als die politique et coloniale; Foury, Maudave (Teil 1); ders., Maudave (Teil 2); Pouget de Saint-­ André, La colonisation de Madagascar; Cultru, Un empereur de Madagascar. 20 Sehr kritisch gegenüber den Lügen Beňovskýs zeigt sich allerdings Cultru, Un empereur de Madagascar. 21 Grandidier, Histoire politique et coloniale, Bd. 5, t. 3, 106; Wanquet, Entre Délire de ­conquête et parcimonie, 216 – 218; Campbell, Imperial Rivalry, 84; Zatorska, Discours colonial, 5; Filliot, Les Établissements français à Madagascar, 84. 22 Sylla, Les Malata, 23. 23 Eine ­solche Negation des Scheiterns und wenig ausgeprägte Bereitschaft, aus dem Scheitern zu lernen, scheint nicht untypisch gewesen zu sein, wie die neuere kulturwissenschaftliche Scheiternforschung zeigt: Brakensiek u. a., Fiasko. Siehe auch die zur Zeit entstehende Habilitationsschrift von Simon Karstens.

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eigentlichen Akteure der neuzeitlichen Geschichte dargestellt wurden, stehen seit den 1970er Jahren die Ambiguitäten der kolonialen Herrschaft im Zentrum des Interesses. Der Blick auf die imperiale Geschichte wurde in den letzten Jahren stark dezentriert, die Herausbildung von Polyzentrizität und die Autonomie der imperialen Grenzregionen untersucht.24 Der neueren Forschung zufolge waren die Europäer selbst in den Kolonien bei Weitem nicht die einzigen imperialen Akteure. Einheimische Eliten haben bei der Etablierung und Stabilisierung der imperialen Ordnung eine entscheidende Rolle gespielt.25 Oft mussten sich Europäer örtlichen Strukturen anpassen und es entstanden hybride Wirklichkeiten, so dass im Endeffekt unklar ist, wer wen dominierte.26 Die außereuropäischen kolonialen oder nichtkolonialen Gesellschaften, in denen Europäer agierten, ­seien von Uneindeutigkeiten, »métissages« (physischen wie kulturellen Hybridisierungen) und Transkulturalität geprägt gewesen,27 und zahlreiche Akteure hätten ­zwischen den Welten wechseln können.28 Einheimische Bevölkerungen und afrikanische Sklaven hätten sich europäische politische und rechtliche Vorstellungen auf kreative Weise angeeignet 29 und zugleich einen entscheidenden Einfluss auf das Denken der Europäer sowohl in Übersee als auch in den kolonialen Mutterländern ausgeübt. Selbst rassische und orientalistische Denkmuster (im Sinne Edward Saids) stammten zum Teil von Selbstbezeichnungen und Selbstbildern der Nichteuropäer.30 Die Europäer hätten dementsprechend oft Schwierigkeiten gehabt, diese flüchtige und gemischte koloniale Wirklichkeit adäquat zu erfassen.31 Die Historiker bemühen sich also, die Geschichte der Imperien und der Globalisierung nicht mehr vornehmlich als eine europäische Geschichte zu schreiben. 24 White, The Middle Ground; Daniels/Kennedy, Negotiated Empires; Hinderaker, Elusive Empires; Stoler/Cooper, Between Metropole and Colony; Cardim, Polycentric Monarchies; Grafe/Irigoin, A Stakeholder Empire. 25 White, The Middle Ground; Jennings, The Invasion of North America; ders., The Ambiguous Iroquois Empire; ders., Empire of Fortune; Eccles, The Canadian Frontier; Dowd, Wag the Imperial Dog. 26 White, The Middle Ground. 27 Gruzinski, La Pensée métisse; White, Wild Frenchmen; Feichtinger/Prutsch/Csáky, Habsburg postcolonial; Hárs u. a., Zentren, Peripherien und kollektive Identitäten in Österreich-­Ungarn; Flüchter, Dynamics of Transculturality. 28 Calloway, Crown and Calumet; White, The Middle Ground; Teltscher, Writing Home and Crossing Cultures; Hsia, A Jesuit in the Forbidden City; Sysyn, Between Poland and the Ukraine. 29 Pulsipher, Subjects Unto the Same King; Ghachem, The Old Regime and the Haitian Revolution; Calloway/Salisbury, Introduction; Silvermann, The Church in New England Indian Community Life. 30 Shoemaker, How the Indians Got to be Red; Jobst, Orientalism; Schnepel, Verschlungene Wege in den Orient und zurück. 31 Stoler, Along the Archival Grain, 182 – 234; Pagden, The Uncertainties of Empire.

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Die vielfältigen Verflechtungen ­zwischen Weltregionen (so in der connected history Subrahmanyams) und die instabilen und kontextabhängigen gegenseitigen Wahrnehmungen werden rekonstruiert.32 Zu dieser Erneuerung der Geschichte interkultureller Begegnungen hat auch die Diplomatiegeschichte beigetragen. Christian Windler betont, dass diplomatische Interaktionen als eine »Erfahrung des Anderen« (expérience de l’Autre) verstanden werden sollen, in der Akteure nicht in einer fixen Kultur eingesperrt sind, die ihnen Interpretationen vorschreibt. Akteure lavieren z­ wischen divergierenden Normsystemen; sie gehen oft pragmatisch mit ihnen um und produzierten neue und teilweise widersprüchliche Sinngebungen.33 Das vorliegende Buch stellt einen weiteren Baustein in einer Reihe von Studien wie der von Christina Brauner dar,34 die diese Thesen bestätigen: Es untersucht die (diplomatischen) Begegnungen als Momente der Herausbildung von Transkulturalität, hybriden Wirklichkeiten und symbolischen Ambiguitäten. Wenn französische Amtsträger und madagassische Fürsten sich trafen, passten sie ihr Auftreten, ihre Techniken der symbolischen Kommunikation und die Rituale der Bündnisschließung an. Im Folgenden werden, soweit die Quellen es ermöglichen, die Schöpfung von Ad-­hoc-­Sinngebungen, Ritualen und Symbolen untersucht, die den Anderen in das eigene Zeichensystem integrierten und ihn zu einem Freund und Verbündeten machten. Dieser Prozess verlief in beide Richtungen und schuf entgegen den Beteuerungen von französischen Akteuren gegenüber ihren Vorgesetzten niemals klare Hierarchien. An diesen fluiden Sinngebungen war maßgeblich das in den Quellen nur bruchstückhaft auftretende subalterne Personal beteiligt.35 Es waren Dolmetscher und Handelskommis, die die nötigen Sprachkenntnisse 32 Gruzinski, Les quatre parties du monde; Boucheron, Histoire du monde au XVe ­siècle; Bertrand, L’Histoire à parts égales; Burbank/Cooper, Empires in World History; ­Lieberman, Strange Parallels; Richards, The Unending Frontier; Chakrabarty, Provincializing Europe; Stuchtey u. a., Across Cultural Borders; Subrahmanyam, Penumbral Visions; ders., Mughals and Franks; ders., Three Ways to be Alien; Hopkins, Globalization in World History. 33 Windler, La Diplomatie comme expérience de l’Autre. 34 Brauner, Kompanien, Könige und caboceers. 35 Die Erforschung der Rolle des subalternen Personals wurde von Christian Windler vor fünfzehn Jahren als ein Desiderat der Forschung identifiziert: Windler, La Diplomatie comme expérience de l’Autre, 28. Hier wird keine systematische Studie dazu geliefert, aber ­diesem Phänomen dennoch Aufmerksamkeit geschenkt. Der entscheidende Einfluss von Dolmetschern und Handelskommis auf die französisch-­madagassischen Beziehungen hatte im Übrigen ein Pendant im Mutterland: In der Versailler bzw. Pariser Zentrale waren es Kommis, die aus den erhaltenen Briefen Sinn produzierten. Die Minister waren in einem hohen Maße von ihren Interpretationen abhängig; sie intervenierten wohl nur, wenn eine Entscheidung getroffen werden sollte. Siehe auch den von Windler und Hillard von Thiessen herausgegebenen Sammelband zur Vielfalt der Akteure in den internationalen Beziehungen: Akteure der Außenbeziehungen.

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und Kommunikationsskills besaßen, und somit gestalteten sie die Interaktionen ­zwischen französischen Amtsträgern und lokalen Fürsten entscheidend mit. In manchen Fällen handelten sie sogar gar nicht im Sinne ihrer Vorgesetzten; sie konnten durchaus eine eigene und geheime Diplomatie e­ ntwickeln, die mit ihrer eigenen Stellung in der lokalen Gesellschaft zusammenhing. In der Tat integrierten sich Franzosen, die wie die Dolmetscher, die Handelskommis oder die Privathändler nachhaltige Beziehungen zu Madagassen unterhielten, oft in die örtliche Gesellschaft, indem sie zum Beispiel eine madagassische Frau ehelichten, und übernahmen dadurch madagassische ­soziale Rollen. Das Ergebnis dieser Begegnungen war kein »Middle Ground«; dafür war die französische Präsenz zu schwach. Die Franzosen und métis fügten sich vielmehr in madagassische politische und s­ oziale Strukturen ein. Erst dann – und oft durch Pläne, die gar nicht im Sinne des französischen Staats waren – hatten sie eine Chance, zu Reichtum und Macht zu gelangen. Dies heißt auch, dass wir unseren Blick auf das französische Kolonialreich stark dezentrieren und die örtlichen Gegebenheiten jenseits der Diskurse suchen müssen, die die französische Verwaltung in der Region für die Zentrale produzierte. Im Falle Madagaskars in der Frühen Neuzeit kann jedoch die ältere eurozentrische und koloniale Sicht mangels Quellen nicht dadurch überwunden werden, dass man eine »histoire à parts égales« 36 schreibt – also eine Geschichte, die den Wahrnehmungen und Strategien der Europäer und der Nichteuropäer die g­ leiche Aufmerksamkeit schenkt. Die wenigen überlieferten madagassischen Handschriften aus dem 17. und 18. Jahrhundert haben beinahe alle einen magisch-­religiösen Charakter und sind für die Fragestellung dieser Studie von untergeordneter Bedeutung.37 Hier werden die lokalen Gesellschaften, die politischen Zustände sowie die Strategien und Reaktionen der Madagassen auf die französische Präsenz aus europäischen Quellen heraus rekonstruiert und gedeutet werden müssen. Obwohl das Gros der französischen Quellen aus dem 18. Jahrhundert – wie noch zu zeigen wird – eine legitimatorische Funktion besaß und wenig Anwendungswissen enthielt, trifft diese Diagnose nicht auf alle Texte gleichermaßen zu. Manche Briefe, der Bericht einer Untersuchungskommission, einige Reiseberichte oder Tagebücher gewähren doch Einblicke in die örtlichen Wirklichkeitskonstruktionen. Zudem ist es möglich, die Informationen aus dem 18. Jahrhundert mit ganz anders gelagerten 36 Bertrand, L’Histoire à parts égales. 37 Die einzigen bekannten frühneuzeitlichen Handschriften, die die Geschichte der Könige erzählen, stammen von den Antaimoro. Die Dynastie der Merina ließ erst im 19. Jahrhundert ihre eigene Geschichte niederschreiben. Zu den madagassischen Handschriften, den sog. Sorabe, und ihrer Benutzung durch Historiker: Guenier, Au Carrefour de l’oralité et de la tradition écrite; Beaujard, Les manuscrits arabico-­malgaches; Kent, Early Kingdoms, 88 – 114, 205 – 242.

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Beschreibungen von Autoren aus dem 17. und 19. Jahrhundert sowie mit der zeitgenössischen ethnologischen Forschung zu vergleichen. Die Rekonstruktion der politischen Strategien madagassischer Fürsten zeigt oft, dass eine gewaltige Diskrepanz z­ wischen französischen und madagassischen Erwartungen bestand. Was hier erzählt wird, ist eine Geschichte der Begegnungen und Verbindungen ­zwischen zwei Weltteilen,38 die sowohl mit der Entwicklung von sozialen Praktiken des Umgangs und der symbolischen Kommunikation miteinander als auch mit Fehleinschätzungen seitens der Europäer einherging. Das Wissen, das die französische Verwaltung über Madagaskar entwickelte, war sichtlich inadäquat, um zu helfen, eine Herrschaft durchzusetzen. Warum war dies der Fall? Es lag nicht daran, dass die Franzosen grundsätzlich unfähig gewesen wären, sich der madagassischen Sicht auf die Welt anzunähern, oder fernab von der madagassischen Gesellschaft gelebt hätten. Es gab im Gegenteil eine rege französisch-­madagassische Welt, die von Transkulturalität und métissages geprägt war. Doch gab es unterschiedliche Wissensbestände in den unterschiedlichen Wissensregionen. Die neuere Historiographie zur Wissen­ schaftsgeschichte hat hervorgehoben, dass regionale Wissenschaftskulturen einen unmittelbaren Einfluss auf die Wissenschaft selbst haben. Die Art der Wissenschaftsförderung, pädagogische Traditionen, Kommunikationsnetzwerke oder auch Ideologien und Religionen beeinflussen die Praktiken und den Inhalt wissenschaftlicher Untersuchungen.39 Ein solcher Einfluss des Raums kann im Falle des Madagaskarwissens beobachtet werden: Frankreich und der Indische Ozean bildeten zwei unterschiedliche Wissensregionen. Auf Madagaskar eigneten sich die Franzosen ein Wissen an, das – wie im Modell von Luckmann und Berger – aus der Konstruktion von Gesellschaft und Alltag resultierte. Es war ein lokales Wissen. Frankreich und sein Staatsapparat produzierte dagegen ein Wissen, das durch die Spezialisierung von Wissensträgern und -produzenten durchaus alltagsfern war und als »Legitimitätstheorie« primär der Rechtfertigung von Geltungsansprüchen diente.40 Dieses war ein imperiales Wissen. Wissen hat im Sinne von Berger und Luckmann eine Orientierungsfunktion zu erfüllen. Das bedeutet im Falle der französischen Politik auf Madagaskar: Für die kolonialpolitische Zentrale war es wichtig, einen Einblick zu bekommen, wie die madagassische Wirklichkeit von madagassischen und europäischen Akteuren oder auch den métis vor Ort konstruiert wurde, wie 38 Zu den Begriffen und Forschungsparadigmen der Welt- und Globalgeschichte siehe Osterhammel, Zugänge zur Weltgeschichte; Borchardt, Globalisierung in historischer Perspektive; Mazlish, Global History and World History; Hunt, Writing History in a Global Era, 44 – 72. 39 Livingstone, Putting Science in its Place, insbesondere 87 – 134. 40 Luckmann/Berger, Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit, 1 – 138.

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diese örtlichen Akteure ihren Alltag erlebten und wahrnahmen sowie wie sie ihre kommerziellen oder auch politischen Strategien entwickelten. Das spätaufklärerische Madagaskarwissen war dagegen allzu fern von den örtlichen sozialen Konstruktionen von Wirklichkeit, um Versailles zu dem Entwurf einer effektiven Expansionspolitik zu verhelfen, weil es andere Funktionen erfüllte: Es diente dazu, die Ansprüche von Akteuren zu untermauern, die sich entweder im Indischen Ozean als Kolonialherren betätigen oder s­ olche Projekte fördern wollten. Es stand unter dem ­­Zeichen einer französischen Erzählung mit ideologischem Charakter, der Aufklärung, und funktionierte im Rahmen von Patronagenetzwerken. Trotz der gemeinsamen französisch-­madagassischen Welt und aller Verständigungsmöglichkeiten kommt man nicht umhin zu konstatieren, dass die frühneuzeitlichen französischen Expansionsversuche auf dieser Insel allesamt kläglich scheiterten – und zwar nicht nur an den retrospektiv gesehen unrealistischen Erwartungen mancher Akteure gemessen, sondern auch an den Hoffnungen der Entscheidungsträger, es möge überhaupt ein Vorteil aus der Kolonisierung der Großen Insel erwachsen. Diese Studie untersucht die missglückten Kolonisierungsbestrebungen der Frühen Neuzeit, wobei die Aufmerksamkeit vor allem dem Zeitalter der Aufklärung gilt. Sie setzt 1642 ein und schließt mit den Jahren 1817 – 1819, als die französische Politik auf dem Festland der Großen Insel gescheitert war und die Franzosen stattdessen auf der Madagaskar vorgelagerten Insel Nosy Boraha (frz. Sainte-­Marie) Fuß fassten. 1817 unterwarf ein Fürst aus dem madagassischen Hochland, Radama I., König der Merina, den wichtigsten Hafen der Ostküste, Toamasina (frz. Tamatave), seiner Herrschaft. Das von den Merina dominierte »Königreich von Madagaskar« blockierte daraufhin bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die französische Kolonialexpansion auf dem Festland. Im Zusammenhang mit diesen politischen Umwälzungen sowie mit veränderten Modi und Bedingungen der Wissensproduktion fand in Paris ein Kurswechsel statt: Die Franzosen gaben den spätaufklärerischen Madagaskardiskurs und ihren assimilationistischen Expansionsansatz auf. Gerade in den wiederholten Misserfolgen der Franzosen liegt der Reiz des hier untersuchten Falles. Wenn die Spezialisten der französischen Kolonialgeschichte der Großen Insel bislang wenig Aufmerksamkeit gewidmet haben, so liegt es – neben der geringen internationalen Ausstrahlungskraft des heutigen Madagaskars – sicherlich zum Teil an d ­ iesem Scheitern. Es überrascht zwar nicht, dass sich die Historiographie zur Kolonialgeschichte auf Erfolge konzentriert, haben doch nur diese zur Etablierung einer Herrschaft in Übersee geführt. Doch durch diesen Fokus auf Expansion entsteht ein verzerrtes Bild der Geschichte der Europäer in Übersee. Mitunter erwecken die allgemeinen Darstellungen der »europäischen Expansion« den Eindruck, Portugiesen, Spanier, Holländer, Franzosen und Briten hätten in der Frühen Neuzeit die

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Welt überrollt.41 Noch in neueren Monographien namhafter Historiker kann man lesen, dass Europäer und ihre kolonialen Ableger fünf Jahrhunderte lang die Meere und den Großteil der Erde dominiert hätten.42 Diese angebliche globale Dominanz wird manchmal selbst von Autoren, die gewiss keine apologetischen Darstellungen der Kolonialgeschichte verfassen, dadurch erklärt, dass die Europäer nicht nur eine überlegene Technologie, sondern auch ein »rationaleres Ursache-­ Folge- und Zweck-­Mittel-­Kalkül« als andere Völker gehabt hätten.43 Dagegen soll hier betont werden, dass die Europäer in der Frühen Neuzeit neben Sibirien nur etwa ein Drittel Amerikas – und nicht ein Drittel der Welt, wie oft zu lesen ist 44 – eroberten. Überall sonst waren sie, wenn überhaupt präsent, dann nur eine Akteursgruppe neben anderen und übten keineswegs eine Herrschaft über große Territorien aus. Die Kolonialgeschichte war voller Unsicherheiten und Misserfolge.45 Die französisch-­madagassische Geschichte zu erforschen soll also helfen, das Bild der Europäer als maßgebliche Träger eines globalen historischen Wandels und der modernen Rationalität zu korrigieren, das nicht zuletzt auf apologetische Darstellungen aus der Kolonialzeit zurückgeht. Es gilt darüber hinaus, anhand des französisch-­madagassischen Fallbeispiels über Periodisierung der Geschichte des französischen Kolonialreichs zu reflektieren. Üblicherweise wird diese in zwei Epochen unterteilt: das »erste« und das »zweite« Kolonialreich. Das erste sei im späten 18. Jahrhundert größtenteils verlorengegangen, während das zweite mit der Invasion Algeriens eingeleitet worden sei.46 In letzter Zeit ist jedoch die These aufgekommen, wonach beiden 41 Dieses Bias und die Wichtigkeit der Misserfolgsgeschichte betont auch Larson, Colonies Lost, 346. Haudrère legt auch den Akzent auf die Erfolge und die Expansion: Haudrère, L’Empire des rois. 42 Headrick, Power Over Peoples, 1. Besonders problematisch ist auch Geoffrey Parkers Darstellung der europäischen militärischen Revolution. Parker zufolge hätten »die eingeborenen Völker Amerikas, Sibiriens, Schwarzafrikas und Südostasiens« in der Frühen Neuzeit »ihre Unabhängigkeit an die Europäer verloren«. Doch dieser Befund trifft auf keine einzige afrikanische Nation zu: Parker, Die militärische Revolution, 19 – 24, 143 – 176 (Zitat S. 167). 43 Reinhard, Kleine Geschichte des Kolonialismus (Zitat S. 57). 44 Parker, Die militärische Revolution, 23 f.; Headrick, Power Over Peoples, 2. 45 Betont die Unsicherheiten und Misserfolge in der Geschichte des englischen Kolonialreichs: Games, The Web of Empire, 14. 46 So zertrennt die Encyclopedia Universalis die französische Kolonialgeschichte in diese beiden Phasen: Bruhat, Jean, Français, empire colonial, Encyclopedia Universalis, URL: http://www.universalis.fr/encyclopedie/empire-­colonial-­francais/. Wikipedia hat zwei getrennte Artikel: Premier empire colonial français, Wikipedia, URL: https://fr. wikipedia.org/wiki/Premier_empire_colonial_fran%C3 %A7ais und Second empire colonial français, Wikipedia, URL: https://fr.wikipedia.org/wiki/Second_empire_colonial_ fran%C3 %A7ais (Letzter Zugriff: 3. 9. 2015).

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Epochen ähnliche kolonialistische Erwartungen gemeinsam sind: So hat Saliha Belmessous kürzlich unterstrichen, dass sowohl im 17. als auch im 19. Jahrhundert die französischen Eliten eine Assimilation der Kolonisierten angestrebt hätten. Sowohl im Kanada der Zeit Ludwigs XIV . als auch im Algerien der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sei man davon ausgegangen, dass die kolonisierten Völker zu Franzosen würden.47 Madagaskar scheint besonders geeignet zu sein, um diese These zu überprüfen, da assimilationistische Erwartungen im 18. Jahrhundert zuerst in Bezug auf Madagaskar formuliert wurden.48 Schließlich möchte die vorliegende Monographie anhand des französischen Falls zur Klärung der Frage beitragen, ob im 18. Jahrhundert die ideellen Ursprünge der modernen Kolonialreiche zu suchen sind. Die neue assimilationistische Madagaskarpolitik nach dem Siebenjährigen Krieg scheint mit einer Reihe von Veränderungen in der Politik mehrerer europäischer Imperien zu korrelieren. Ab den 1760er Jahren sind vermehrt Expansionsbestrebungen auf der Grundlage einer »Zivilisierung« der Kolonisierten zu verzeichnen. Im spanischen Amerika kam um diese Zeit der staatliche Anspruch auf, die »Wilden« nicht der ­Kirche zu überlassen, sondern sie selbst zu »zivilisieren«, was mit einer Expansion in neue Regionen einhergehen sollte. Forschungen zum Russischen Reich zeigen ähnliche und zeitgleiche Zivilisierungsbemühungen auf. Auch innerhalb Europas wurde von den habsburgischen, preußischen und russischen Machthabern der Anspruch vertreten, eine zivilisatorische Kraft zu sein.49 Dagegen scheinen die britischen Kolonialverwaltungen vor dem 19. Jahrhundert eher wenig danach gestrebt zu haben, die indigenen Bevölkerungen zu zivilisieren und zu assimilieren, auch wenn diese Idee sich bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihren Weg innerhalb der Eliten Neuenglands bahnte.50 Nichtsdestotrotz kam auch im britischen Kolonialreich nach 1763 ein neuer imperialer Anspruch auf, Nicht­ europäer stärker als Untertanen der Krone zu behandeln und vor den Übergriffen der Kolonisten zu schützen.51

47 Belmessous, Assimilation and Empire. 48 Duchet, Anthropologie et Histoire, 97, 213, 219. 49 Siehe die Beiträge in Enlightened Colonialism; Weber, Barbaros; Paquette, Enlighten­ ment, Governance, and Reform; Quarleri, New forms of colonialism; Sunderland, Taming the Wild Field; Vul’pius, Vesternizacija Rossii; Winkler, From Ruling People to Owning Land; Bömelburg, Friedrich II. ­zwischen Deutschland und Polen, Kap. 4; Maner, ­Zwischen »Kompensationsobjekt«, »Musterland« und »Glacis«; Thomas, The Anatomy of a Colonization Frontier; Wolff, Inventing Galicia. 50 Beaulieu, »Gradually Reclaiming Them From a State of Barbarism«; Ballériaux, Missionary Strategies, 126 – 128. 51 Sosin, Whitehall and Wilderness; White, The Middle Ground, 269 – 365; Calloway, Crown and Calumet; Craton, Planters, Imperial Policy, and the Black Caribs; Ray, Indian Society

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Das Aufkommen einer Zivilisierungspolitik in mehreren Kolonialreichen lässt also den Eindruck entstehen, dass die Aufklärungszeit ein neues Kapitel in der Geschichte des Kolonialismus eingeleitet hätte. Das Interesse vieler Kolonialplaner galt nicht nur den Siedlungs- und Plantagenkolonien, sondern vermehrt der Beherrschung und Veränderung kulturell fremder Völker. Dieses Streben entspricht dem Kern dessen, was man Jürgen Osterhammel folgend unter »Kolonialismus« verstehen kann: Kolonialismus ist eine Herrschaftsbeziehung z­ wischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt werden. Damit verbinden sich in der Neuzeit in der Regel sendungsideologische Rechtfertigungsdoktrinen, die auf der Überzeugung der Kolonialherren von ihrer eigenen kulturellen Höherwertigkeit beruhen.52

Kolonialismus ist also zugleich ein politisches und kulturelles Konstrukt: Es zeichnet sich dadurch aus, dass »Kolonialherren« ein als kulturell fremd wahrgenommenes Volk beherrschen, ohne sich den lokalen Normen anpassen zu wollen, und dies diskursiv und symbolisch rechtfertigen. Den Assimilationismus kann man wiederum als eine Spielart der kolonialistischen Ideologie verstehen. Die französisch-­madagassische Geschichte soll also helfen zu verstehen, weshalb im späten 18. Jahrhundert eine Kolonialpolitik besonders attraktiv war, die eine engere Integration, eine Akkulturation oder gar eine Assimilation der fremden Völker zum Ziel hatte. Welche Rolle spielte darin die Aufklärung? Inwiefern leiteten die Ideen der europäischen Intellektuellen des 18. Jahrhunderts eine neue kolonialhistorische Epoche ein?

Geschichte des Wissens und der Aufklärung In ihrem Klassiker Anthropologie et Histoire au Siècle des Lumières aus dem Jahr 1971 entwarf Michèle Duchet ein neues Bild der Aufklärung: Anstatt gegen den Kolonialismus zu kämpfen, hätten die philosophes durch ihre Schriften die Kolonial­ expansion unterstützt. Die Aufklärer hätten zwar Mitleid gegenüber dem Schicksal der unterworfenen »Wilden« zum Ausdruck gebracht, doch zugleich für deren

and the Establishment of British Supremacy; Ahmed, Orientalism and the Permanent Fix of War; Bowen, Revenue and Reform; Stagl, The rule of law. 52 Osterhammel, Kolonialismus, 20.

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Zivilisierung plädiert.53 Duchet verwies dabei an mehreren Stellen auf den französischen Madagaskardiskurs der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.54 Ihre These war einer der Ursprünge einer Kontroverse über das Verhältnis z­ wischen der Aufklärung und dem Kolonialismus. Die Aufklärungsforscher sehen in der Regel im 18. Jahrhundert eine Epoche des Aufbruchs in die Moderne, wobei sie dies auf unterschiedliche, oft widersprüchliche Weise tun. »Aufklärung« war immer ein polemisches Konstrukt, das auf einer Vorstellung von Moderne und Fortschritt fußte: Die Idee des »Siècle des Lumières« ging mit dem Programm einer Zivilisierung durch die »philosophie moderne« einher. Französische Akademiker entwickelten sie im frühen 18. Jahrhundert, um auf der Basis des Fortschrittsnarrativs zu behaupten, sie hätten eine zentrale gesellschaftliche, ja welthistorische Rolle zu spielen. Diese Chiffre wurde schnell von anderen philosophes aufgegriffen, nicht nur, um die Jesuiten und ihre Freunde als Agenten der Finsternis zu brandmarken, sondern auch, um anderen Aufklärern mangelnde Fortschrittlichkeit zu attestieren. Demnach war umstritten, ab wann man von dem »Zeitalter des Lichts« sprechen könne: Unterschiedliche Intellektuelle ließen die aufgeklärte Epoche mit der Zeit beginnen, in der sie selbst öffentlich wirkten. Im 19. Jahrhundert wurde die Gleichsetzung des Zeitalters der Aufklärung mit dem 18. Jahrhundert weitgehend akzeptiert. Diese Epochenfestlegung ereignete sich in einem ebenfalls polemischen Kontext, denn die Aufklärung wurde seit der Französischen Revolution als ein positiver wie negativer Erinnerungsort konstruiert. Aufklärungsbewunderer und -kritiker vertraten gemeinsam die These, die »Philosophie« des 18. Jahrhunderts habe die Französische Revolution und darüber hinaus die Moderne eingeleitet.55 Die Forschung bewegte sich im 20. Jahrhundert in diesen Bahnen weiter, wobei positive Aufklärungsbilder eindeutig dominierten. Die Hauptströmung sah in der Aufklärung eine Epoche der Befreiung von religiösen Dogmen, des Kampfs gegen das verkrustete Ancien Régime, für Toleranz, Menschenrechte und Demokratie.56 Die Bilder, die die Aufklärer von der außereuropäischen Welt entwickelten, wurden in einer ähnlich normativen Weise erforscht. Für Paul Hazard stellte die Zunahme von Informationen aus Übersee einen wirkmächtigen Faktor auf dem Weg zur Infragestellung von etablierten Wahrheiten dar.57 Die Geschichte der Anthropologie im 18. Jahrhundert wurde noch in den 1970er Jahren vielfach als 53 Duchet, Anthropologie et Histoire, insbesondere 18. 54 Ebd., 53, 97, 117 f., 129, 131, 213, 218. 55 Pečar/Tricoire, Falsche Freunde, 11 – 27. 56 Fabre, Les Pères de la Révolution; Hazard, La Crise de la conscience européenne; ­Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung; Gay, The Enlightenment; Israel, A Revolution of Mind; ders., Democratic Enlightenment; Pečar/Tricoire, Falsche Freunde, 11 – 27. 57 Hazard, La Crise de la conscience européenne.

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eine Geschichte des Fortschritts durch Emanzipation von religiösen Weltbildern geschrieben – ungeachtet allen Rassismus.58 Generell wird bis heute der Zuwachs an empirischem Wissen betont, der aus weitreichenden wissenschaftlichen Netzwerken und den großen Expeditionen resultierte. Die Konfrontation alter textueller Autoritäten mit neuen empirischen Befunden aus Übersee habe spätestens im 18. Jahrhundert zu einer Rekonfiguration europäischer Wissensbestände und Wissenschaften geführt.59 Um die Mitte des 20. Jahrhunderts erklärten zudem manche Forscher Guillaume Thomas François Raynal und Denis Diderot zu Vorläufern des modernen Antikolonialismus. Die Geschichte beider Indien ist in der Forschung zu einem Schlüsselwerk der sogenannten »Radikalen Aufklärung« avanciert, das besonders dezidiert die modernen Vorstellungen von Gleichheit und Freiheit vertreten habe.60 Womöglich ist die Aufwertung von Werken wie der Geschichte beider Indien eine Reaktion auf die Kritik an der Aufklärung, die seit den 1980er Jahren vermehrt von postmoderner Seite geübt wurde. An die Überlegungen der retrospektiv zu Vordenkern der Postmoderne erklärten Philosophen Carl Becker und Isaiah Berlin anknüpfend – mehr als an die These Adornos und Horkheimers von der Dialektik der Aufklärung – formulierten die postkolonialen Studien eine neue Aufklärungskritik.61 Den Fortschrittsanspruch der Aufklärung setzten diese Autoren mit einem »Enlightenment project« gleich, das in einem »homogenisierenden und totalitären Diskurs«, einer »abstrakten und imperialistischen Fiktion« und dem Willen, gegen die Vielfalt der Welt vorzugehen, bestanden habe.62 Das Kernprojekt der Aufklärung sei die Ersetzung aller lokalen und traditionellen Normen sowie aller transzendentalen Glaubenssätze durch vermeintlich universale 58 Krauss, Zur Anthropologie des 18. Jahrhunderts; Moravia, Beobachtende Vernunft. 59 Gascoigne, Science in the Service of Empire; ders., The Enlightenment and the Origins of European Australia. Im späten 20. Jahrhundert diskutierten Historiker kontrovers, inwiefern und wie schnell die Entdeckungen des 16. Jahrhunderts zu einem Niedergang der alten klassischen und biblischen Autoritäten führten: Elliott, The Old World and the New; Grafton, New Worlds, Ancient Texts, insbesondere 1 – 7. Über das 18. Jahrhundert scheint sich jedoch die Forschung einig zu sein, dass die Empirie aus Übersee die alten Wissensbestände infrage stellte und neue Wissensbereiche aufkommen ließ. Diese These wurde für die Bereiche der Anthropologie, der Universalgeschichte oder des Religionsvergleichs vertreten: Wokler, Anthropology and Conjectural History; Nutz, »Varietäten des Menschengeschlechts«; Hunt u. a., The Book that Changed Europe. 60 Israel, Democratic Enlightenment, 413 – 442; Das, Myths and Realities, 25; La Bible des révolutions. 61 Becker, The Heavenly City; Berlin, Das krumme Holz der Humanität; Horkheimer/ Adorno, Dialektik der Aufklärung; Wilson, Postmodernism and the Enlightenment; Carey/Festa, Introduction. 62 Gray, After the new Liberalism, 120 – 124; Ghachem, Montesquieu in the Caribbean, 7; Wokler, Projecting the Enlightenment; MacIntyre, Der Verlust der Tugend.

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Vorstellungen des Rationalen gewesen. Die aufklärerische Philosophie habe andere Kulturen ausgegrenzt.63 Zudem wurde seit den 1970er Jahren der befreiende Charakter der aufklärerischen Anthropologie grundsätzlich infrage gestellt. Zahlreiche Wissenschaftler heben heutzutage die Herausbildung rassistischer Theorien im 18. Jahrhundert hervor und bisweilen wird die Shoah als Folge der Aufklärung begriffen.64 Für manche Forscher ist der Rassismus sogar unverzichtbarer Bestandteil der Philosophie des 18. Jahrhunderts, denn die Aufklärung habe ihre Universalien auf rassistischen Annahmen formuliert.65 Auch die Grenzen des aufklärerischen Kampfs gegen die Sklaverei werden betont.66 Schließlich zeigte Edward Saids These, der zufolge die Europäer einen passiven, immobilen Orient konstruiert hätten, auch in der Aufklärungsforschung ihre Wirkung, obwohl Said selbst das Aufkommen des imperialistischen Orientalismus erst um 1800 verortet. Gerade innerhalb Europas ­seien im 18. Jahrhundert mithilfe aufklärerischer Konzepte Grenzen ­zwischen »fortschrittlichen« und »rückständigen« Gebieten, ­zwischen der »Zivilisation« und der »Barbarei« gezogen worden.67 Manche Forscher behaupten somit, der moderne Kolonialismus habe seine ideellen Wurzeln in der Aufklärung. Die Aufklärer hätten die europäische Vernunft verabsolutiert und die nichteuropäischen Völker infantilisiert. Sie hätten ihnen Rückständigkeit attestiert und das europäische Modell zum einzig verbindlichen erklärt.68 In der postmodernen Lesart mutiert Condorcet, dessen Überreste 1989 aufgrund der ihm zugeschriebenen Rolle eines Vorkämpfers für die Rechte der schwarzen Sklaven und der Frauen feierlich ins Pantheon überbracht wurden, zum Imperialisten.69 Solche Thesen provozierten Widerspruch, der zum Teil leidenschaftlich ausfiel. In Deutschland ergriff vor allem Jürgen Osterhammel Partei für die Aufklärer. 63 Spivak, A Critique of Postcolonial Reason. Mehta bezieht sich vor allem auf die Utilitaristen des frühen 19. Jahrhunderts, sieht aber die Wurzeln der liberalen Ausschlussstrategien bereits bei Locke: Mehta, Liberal Strategies of Exclusion; ders., Liberalism and Empire. 64 Mosse, Toward the Final Solution; Popkin, The Philosophical Basis of Modern Racism; Boulle, In Defense of Slavery; Bernasconi, Kant as an Unfamiliar Source of Racism; Valls, Race and Racism in Modern Philosophy; Eigen/Larrimore, The German Invention of Race; Sebastiani, The Scottish Enlightenment. 65 Eze, Race and the Enlightenment. 66 Sala-­Molins, Les Misères des Lumières. 67 Said, Orientalismus; Wolff, Inventing Eastern Europe. Kritik an der These Wolffs äußerten: Struck, Von Sachsen nach Polen und Frankreich; ders., Nicht West – nicht Ost; Bömelburg, »Polnische Wirtschaft«; Orłowski, Polnische Wirtschaft. In ihrer Chronologie näher an Said als Wolff: Todorova, Die Erfindung des Balkans. 68 Spivak, A Critique of Postcolonial Reason. 69 Condorcet als Antiimperialist: Muthu, Enlightenment, 2; Pitts, A Turn to Empire, 1; Condorcet als Imperialist: Carey/Festa, Introduction, 1.

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Ihm zufolge hätten die philosophes des 18. Jahrhunderts Asien differenziert und keineswegs durch eine kolonialistische Brille wahrgenommen. Der »Asiate« sei nicht als radikal anders konstruiert worden. Die aufklärerische Kolonialismuskritik widerlege »die Behauptung, europäische Intellektuelle ­seien zu nichts anderem als autistischer Selbstbespiegelung fähig und hätten sich seit dem Beginn des Expansionszeitalters rettungslos in der Komplizenschaft mit der Macht verfangen«. Osterhammel zufolge hätten die europäischen Schriften über Asien erst um 1800 einen imperialistischen Charakter angenommen.70 Im Unterschied zu Osterhammel haben die meisten heutigen Forscher, die der postkolonialen Kritik ablehnend gegenüberstehen, jedoch nicht den Anspruch, die gesamte Aufklärung zu verteidigen, sondern konzentrieren sich auf einzelne Autoren des 18. Jahrhunderts, die als »radikal« gelten, das heißt im Gegensatz zur Mehrheit das Ideal der Menschenrechte verteidigt hätten. Sankar Muthu sieht von manchen Philo­sophen dieser Zeit genau jene Ideen vertreten, deren Abwesenheit die post­ kolonialen Kritiker bemängeln: Diderot und Kant etwa hätten grundsätzlich allen Menschen eine »cultural agency« zugestanden, eine weltweite Verbreitung der europäischen Zivilisation abgelehnt und aus diesen Überzeugungen heraus eine Kolonialismuskritik entwickelt.71 So lässt sich also im Forschungsfeld »Aufklärung und Kolonialismus« wie auf anderen Gebieten der Aufklärungsforschung als Antwort auf die postmoderne Kritik die Tendenz beobachten, die Aufklärung in eine moderate und eine radikale aufzuteilen, wobei nur Letztere die ideellen Grundlagen für moderne Demokratien gelegt habe.72 Die damit einhergehende Zuordnung der einzelnen Philosophen zum einen oder anderen Lager wurde zwar als »Schubladenlogik« beanstandet.73 Doch konzentriert sich die Aufklärungsforschung nach wie vor auf die »radikalen« Autoren und möchte anhand dieser herausragenden Fälle die Pauschalisierungen kritisieren, die sich hinter den Vorwürfen und Begriffen der postmodernen Autoren verberge.74 Zusammenfassend kann man festhalten, dass der postkolonialen Kritik zweifellos das Verdienst zukommt, die Aufmerksamkeit auf Kapitel der Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts gelenkt zu haben, die keinen Platz in der Meistererzählung einer emanzipatorischen Aufklärung hatten. Dennoch lassen sich in der heutigen Forschung vier Defizite ausmachen: Erstens wählen sowohl die Kritiker als auch die Verteidiger der Aufklärung auf der Grundlage einer meist implizit bleibenden 70 Osterhammel, Die Entzauberung Asiens (Zitat S. 67). 71 Muthu, Enlightenment against Empire. 72 Israel, Radical Enlightenment; ders., Enlightenment contested; ders., Democratic Enlightenment; Knott/Taylor, General Introduction. 73 La Vopa, A New Intellectual History?; Moyn, Mind the Enlightenment. 74 Wokler, Projecting the Enlightenment; Carey/Trakulhun, Universalism, Diversity, and the Postcolonial Enlightenment; Carey/Festa, Introduction, 1 f.

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normativen Prämisse einzelne Autoren und Schriften aus, um in einem Zirkelschluss zu beweisen, dass »die Aufklärung« kolonialistisch oder »die radikale Aufklärung« antikolonialistisch gewesen sei. Zweitens werden die »philosophischen« Schriften tendenziell nur unzureichend kontextualisiert. Oft werden Auszüge losgelöst vom Gesamttext betrachtet; die mit den Texten verbundenen Wirkungsabsichten und Geltungsansprüche bleiben nicht selten im Dunkeln. Drittens postulieren manche Forscher einen Zusammenhang ­zwischen Ideengeschichte und Kolonialismus, ohne jenseits einzelner »philosophischer« Texte den Stellenwert von Diskursbeständen in den jeweiligen imperialen sozialen und politischen Kontexten eingehend zu untersuchen. Die Forschung verbleibt meist einer klassisch ideenhistorischen Ebene verhaftet, ohne mithilfe von Archivstudien die Zusammenhänge ­zwischen Ideen-, Politik- und Sozialgeschichte näher zu beleuchten. Viertens werden bisweilen allzu schnell Kontinuitätslinien z­ wischen dem 18., dem 19. und dem 20. Jahrhundert konstruiert, die erst einmal empirisch bewiesen werden müssten. Viele Forscher operieren mit der ­Großepochenkonstruktion »Moderne«, die auf eher wackligen Beinen steht. In Anlehnung an postkoloniale Studien sollen in d­ iesem Buch die K ­ onstruktion des Selbst und des Fremden untersucht, die Archive als Speicher von fiktionalen Erzählungen gelesen und Europa »provinzialisiert« werden.75 Diese Ansätze eignen sich für unseren Fall besonders gut, da die Texte der Franzosen über die Große Insel und über ihre Erfahrung vor Ort eine starke utopische Dimension besitzen. In Bezug auf die Große Insel gab es teilweise ein »Kontinuum« ­zwischen der verschriftlichten und der praktizierten Utopie.76 Allerdings kommt diese Untersuchung in einigen wesentlichen Aspekten zu anderen Ergebnissen als zumindest ein Teil der genannten postkolonialen Studien: Erstens gilt im Falle Madagaskars nicht, dass die Aufklärung eine (rationale) Herrschaft etabliert hat. Vielmehr gab es hier nur die Fantasie einer Herrschaft. Wer die Aufklärung kritisiert, weil sie der instrumentellen Vernunft zum Sieg verholfen habe, läuft Gefahr, die Selbstinszenierungen der Aufklärer unkritisch zu übernehmen. Zweitens erscheint es nicht zielführend, den Imperialismus oder den Rassismus als essentiellen Bestandteil der Aufklärung zu betrachten, da man nicht von einer Essenz der Aufklärung sprechen kann. Stattdessen sollen Autoren, die in die Rolle des Aufklärers schlüpften, als Akteure betrachtet, die bestimmte Bilder mobilisierten, um Geltungsansprüche zu formulieren. Ob sich darunter rassische oder rassistische Konzepte befanden, wird erst zu überprüfen sein. Dies führt drittens dazu, dass diese Arbeit – obwohl sie einen »spätaufklärerischen Madagaskardiskurs« ausmacht – keine klassische Diskursgeschichte schreiben möchte. Diese 75 Diese Arbeit lehnt sich somit an Said, Orientalismus; Chakrabarty, Provincializing Europe; Stoler, Along the Archival Grain an. 76 Zatorska, Discours colonial, 15.

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hat Begriffe wie »Diskurs« und »Episteme« zu ihren Leitkategorien gemacht und somit das Bild einer nicht klar von Akteuren ausgehenden Macht des Diskurses entworfen, die Menschenleben konditioniert.77 Diese Untersuchung geht dagegen von Akteuren aus, deren Sprechakte sie untersucht, und erklärt nicht anonyme Diskurse zu Handlungsträgern. Viertens geht diese Monographie auf Distanz zur tendenziellen Gleichsetzung von Wissen bzw. Diskurs und Macht. Dieser eher pauschalisierenden Sichtweise gilt es entgegenzusetzen, dass die Wissensbestände und Diskurse plural waren, in einem Zusammenhang mit dem Rekurs auf bestimmte Medien standen, strategisch eingesetzt wurden und sich oft als dysfunktional für die Etablierung von Herrschaft erwiesen. Von den Untersuchungen der Aufklärungsapologeten und -kritiker möchte sich diese Studie durch folgende Aspekte unterscheiden: Anstatt die Aufklärung anhand von bestimmten Ideen zu definieren und zu essentialisieren, was die Gefahr von Anachronismen in sich birgt, wird erstens ein emischer Ansatz verfolgt. Zu den »Aufklärern« werden diejenigen Akteure gezählt, die sich öffentlich als Vorkämpfer gegen den Aberglauben und für die Durchsetzung der Vernunft inszenierten. Aufklärung wird demnach als ein Konzept verstanden, das auf der Grundlage eines kurz davor erfundenen Geschichtsnarrativs 78 zur Formulierung von neuen Geltungsansprüchen in der Öffentlichkeit und folglich zur Etablierung von Autorität benutzt wurde. Auf eine s­ olche behauptete Autorität konnten sich unterschiedliche Akteursgruppen im imperialen Kontext stützen, um für sich eine führende Rolle in Gesellschaft und Politik zu reklamieren. Zweitens präsentiert diese Untersuchung die Aufklärung nicht als die Geburtsstunde der Moderne, sondern zielt darauf ab, die Diskurse der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stärker zu historisieren. Sie vergleicht die kolonialen Wissensbestände und Diskurse des 18. Jahrhunderts mit denen des 17. und des frühen 19. Jahrhunderts, um Kontinuitäten, Brüche und eventuelle epochale Eigenheiten näher zu bestimmen. Drittens soll hier schließlich eine Brücke z­ wischen Politik- und Ideengeschichte geschlagen werden. Es ist entscheidend, zu den klassischen ideenhistorischen auch ministerielle Archivquellen hinzuzuziehen, die einen Einblick in die Geschichte der Entwicklung von Projekten sowie der kolonialpolitischen Diskussionen und Entscheidungen gewähren. Erst dadurch kann man nachvollziehen, wie sich bestimmte Wissensbestände etablierten: durch ­welche Medien, persönliche Vernetzungen, administrative Praktiken und aufgrund welcher normativer Annahmen. Mit anderen Worten: Das »epistemische Setting« – das Geflecht von Bedingungen des Wissens – des französischen Marineministeriums soll hier untersucht werden. 77 Diese Forschungsrichtung geht maßgeblich auf Foucault zurück, u. a. in: Foucault, Histoire de la folie; ders., Les Mots et les Choses; ders., L’ordre du discours; ders., Surveiller et punir; ders., Histoire de la sexualité. 78 Edelstein, The Enlightenment.

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Mit ­diesem historisierenden Verständnis von Aufklärung soll das 18. Jahrhundert gewissermaßen normalisiert werden und den herausragenden Platz räumen, den es in den normativen Erzählungen über die Moderne hat. Doch wird hier nicht auf jegliche Periodisierung verzichtet. Im Gegenteil zieht sich die Frage, ob die Spätaufklärung eine bestimmte Epoche sowohl der französischen Kolonial- als auch der Ideen- und Wissensgeschichte darstellt und ­welche Charakteristika dieser Zeit auszumachen sind, durch das gesamte Buch. Mit ihr soll ein kritischer Blick auf mehrere gut etablierte und traditionell verankerte Deutungsmuster zur Ideen- und Wissensgeschichte der Frühen Neuzeit und der Epoche um 1800 geworfen werden: Erstens soll im Gegensatz zu der Forschungsrichtung, die von Saids Klassiker Orientalism beeinflusst wurde, das Augenmerk nicht auf die Konstruktion von Andersartigkeit, sondern auf die von Ähnlichkeit im Rahmen des Assimilationismus gerichtet und gefragt werden, wie sich diese auf die Wahrnehmung oder Nichtwahrnehmung von madagassischen Wissensbeständen auswirkte. Die Geschichte des französischen Kolonialismus ist von der periodischen Wiederkehr einer assimilationistischen Ideologie geprägt, die Übereinstimmungen z­ wischen dem (Möchtegern-)Kolonialherrn und den (potentiellen) Kolonisierten in den Vordergrund stellte. Die Geschichte ­dieses Diskurses wurde noch nicht umfassend untersucht, gerade weil sich die Forschung bislang auf das Othering konzentriert hat.79 Zweitens gilt es, die häufige Assoziierung der Aufklärung mit Säkularisierung, verstanden als Niedergang christlicher Religion, einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Die »Entzauberung« des Weltbilds und die Kritik von religiösen Dogmen bildete lange Zeit der Forschung zufolge den Kern der Aufklärung. Diese Forschungstradition besteht nach wie vor.80 Nicht wenige neuere Studien betonen dagegen die Vitalität der christlichen Konfessionen im 18. Jahrhundert und die vielen Gesichter der Aufklärung, auch die religiösen.81 Im Rahmen dieser Untersuchung ist vor allem die These Carl Beckers zentral, wonach die Kernideen der Aufklärer vielfach im alten christlichen Denkrahmen verblieben. Die Idee der »Lumières« beziehungsweise der »Aufklärung« selbst stammt aus dem religiösen Bereich, und der Fortschrittsglaube des 18. Jahrhunderts kann als eine Spielart der christlichen Heilsgeschichte aufgefasst werden.82 Anhand von Madagaskar soll 79 Erste Ansätze: Belmessous, Assimilation and Empire. 80 Maßgebliche Werke in dieser Forschungstradition: Hazard, La Crise de la conscience; Gay, The Enlightenment (z. B. Bd. 1, S. 37); Israel, A Revolution of Mind; ders., Democratic Enlightenment. 81 Sheehan, Enlightenment, Religion, and the Enigma of Secularization; Pocock, Historiography and Enlightenment; Lehner, The Many Faces of Enlightenment; Sorkin, The Religious Enlightenment. 82 Becker, Gottesstaat; Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen; Pečar/Tricoire, Falsche Freunde, 11 – 62.

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überprüft werden, inwiefern diese Ergebnisse auf das Feld der kolonialpolitischen Konzepte und Diskurse des 18. Jahrhunderts übertragbar sind. Drittens möchte die vorliegende Studie auf Distanz zu der älteren Erzählung gehen, die die Aufklärung als einen Kampf gegen das »Ancien Régime« darstellt. Vor 1789 war das »Ancien Régime« noch nicht erfunden worden. Die Aufklärer kämpften nicht etwa als Außenseiter gegen das politische System. Vielmehr standen die meisten prominenten Autoren bestimmten Hofparteiungen nahe. Sie hatten oft Staats- und Hofämter inne und agierten sogar teilweise als Propa­ gandisten von Kolonialverwaltern, Ministern und Hofpersönlichkeiten.83 Hier geht es darum, nachzuvollziehen, wie sich diese Konstellation auf den Feldern der Kolonialpolitik und des Diskurses über Madagaskar auswirkte. Viertens richtet sich diese Untersuchung gegen die Tendenz, das 18. Jahrhundert unter dem Vorzeichen des Aufkommens der »modernen Wissenschaft« oder zumindest eines Wissenszuwachses zu sehen. Oft wird Wissensgeschichte implizit und tendenziell mit Wissenschaftsgeschichte gleichgesetzt. Die Historiographie betont die rege wissenschaftliche Produktion, die neuen Methoden der Wissensgewinnung und die globale Zirkulation von Wissen dank der transozeanischen Reichweite wissenschaftlicher Netzwerke. Die Monographien zur Wissensgeschichte in der kolonialen Welt behandeln vorzugsweise intellektuelle Leistungen, die noch heute beim Leser eine gewisse Bewunderung hervorrufen, obwohl die damaligen Theorien längst nicht mehr gelten und teilweise als Instru­mente der kolonialen Herrschaft dienten.84 In diese Richtung bewegt sich ein wesentlicher Teil der Forschungsliteratur zur Wissensproduktion durch Missionare, insbesondere die Jesuiten, oder durch die großen Expeditionen.85 Hinzu kommen Studien, die das europazentrierte Narrativ über die Geburt der modernen Wissenschaft kritisieren und die Bedeutung interkultureller Begegnungen im Aufkommen neuer wissenschaftlicher Wissensbestände zeigen.86 Somit wird die Wissenschafts­geschichte dezentriert, ohne dass jedoch die Konzentration der Wissensgeschichte auf das Aufkommen der modernen Wissenschaft infrage gestellt wird. 83 Edelstein, The Enlightenment, 90; Pečar/Tricoire, Falsche Freunde, 173 – 181. 84 Zum Beispiel: Gascoigne, Science in the Service of Empire; ders., The Enlightenment and the Origins of European Australia; McClellan, Colonialism and Science. Postmoderne Kritik westlicher Wissenschaft als Instrument der kolonialen Herrschaft: Prakash, Another Reason. 85 Wissensproduktion durch Jesuiten: Burgaleta, Jose de Acosta, insbesondere 73 – 95; Ewalt, The Legacy of Joseph Gumilla; Fendler, Changing Perspectives; Motsch, Lafitau; Hsia, Matteo Ricci. Zu den großen Expeditionen siehe z. B.: Pimentel, La fisica de la monarquía; Fons, La Pérouse. 86 Raj, Relocating Modern Science; Bala, Dialogue of civilizations; Roberts, Re-­orienting Knowledge.

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»Wissen«, traditionell mit »Wahrheit« assoziiert, bleibt ein positiv konnotierter Begriff. In nicht wenigen wissenshistorischen Untersuchungen scheint oft implizit noch immer ein normatives Moment vorhanden zu sein, obgleich die Historiker sich heutzutage einig sind, dass Wissen nicht mit Wahrheit verwechselt 87 und Wissenschaftsgeschichte nicht als eine Entwicklung hin zur Wahrheitsfindung geschrieben werden darf.88 Im Gegensatz dazu wird in dieser Monographie Wissen in Anknüpfung an Luckmann und Berger als »die Gewissheit, dass Phänomene wirklich sind und bestimmbare Eigenschaften haben«, definiert.89 Der Fall des Wissens über Madagaskar in der späten Aufklärung ist also auch deshalb relevant, weil er quer zu den in der Forschung impliziten Selektionsbias steht: Es handelt sich keineswegs um ein Wissen, das heute Bewunderung hervorruft, langfristig Bestand hatte oder modern-­wissenschaftlich anmutet. Hier soll zudem eine Wissens­geschichte, keine Wissenschaftsgeschichte geschrieben werden. Es wird an die neuere Wissensgeschichte angeknüpft, die die Techniken und Verfahren der Wissensgewinnung, -beglaubigung, -stabilisierung und -verwaltung untersucht. Vor allem wird der Frage nachgegangen, aus ­welchen Medien, Textgattungen, Texten und in w ­ elchen Wissensorten die französische Elite ihr Madagaskarwissen schöpfte und anhand welcher Kriterien sie diese Quellen als glaubwürdig einschätzte. Auch kann diese Untersuchung an die Erforschung der wissenschaftlichen »moralischen Ökonomien« anknüpfen;90 in d ­ iesem Sinne sollen die normativen Fundamente der Wissensproduktion erforscht werden. Im Einklang mit der neueren Wissensgeschichte gilt es, von der Erzählung einer Wissenskumulation Abstand zu nehmen. Diese Untersuchung möchte die zeitlichen Brüche in der Wissensgeschichte in den Blick nehmen, die eine allmähliche Informationssammlung über die Große Insel unmöglich machten. Bereits die bahnbrechende Arbeit Thomas Kuhns hat gezeigt, dass die Annahme einer Wissenskumulation höchst problematisch ist: Kuhn zufolge löse eher ein Paradigma das andere ab, so dass frühere Ergebnisse nach den wissenschaftlichen Revolutionen als unwissenschaftlich gelten.91 Auch warnt uns Arndt Brendecke davor, die für die Verwaltung produzierten Dokumente als »das Wissen« der Verwaltung anzusehen, denn meist verschwanden diese schnell ins Archiv, wo sie jahrhundertelang ungenutzt lagerten. Erst die Historiker glaubten darin ein aktives Staatswissen zu sehen.92 87 Zu den Definitionen, mit denen die Forschung operiert: Landwehr, Das Sichtbare sichtbar machen, 62 f. 88 Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 15 – 24. 89 Luckmann/Berger, Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit, 1. 90 Daston, Die moralischen Ökonomien der Wissenschaft. 91 Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 15 – 24. 92 Brendecke, Imperium und Empirie, 11 – 28.

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Schließlich sollen neben den zeitlichen Brüchen auch die räumlichen nicht vergessen werden. Der Fokus der Forschung auf die globale Zirkulation von Wissen 93 birgt die Gefahr, die Tatsache zu missachten, dass Wissensbestände meist eben nicht von einem Kontinent auf einen anderen wanderten. Unser Bild einer Globalisierung des Wissens in der Vormoderne mag auch durch gewisse Selektionsbias entstehen. Zwar zirkulierte Wissen sehr wohl ­zwischen Madagassen und Franzosen auf der Großen Insel, doch nur bedingt ­zwischen dem Indischen Ozean und Europa. In d ­ iesem Buch gilt es, manche Ursachen für die Filter zu ergründen, die zur Entstehung unterschiedlicher Wissensregionen führten. Eng mit der vierten Zielrichtung ist die Absicht verbunden, die in der bishe­ rigen Forschung häufige Annahme zu hinterfragen, Wissensproduktion und imperiale Expansion hätten sich gegenseitig gestützt.94 Seit den 1990er Jahren untersuchen Historiker des British Empire die Geschichte des kolonialen Wissens, um die Durchsetzung der europäischen Herrschaft in Übersee und insbesondere in Indien zu erklären.95 Auch die Spezialisten der französischen Geschichte beschäftigen sich seit etwa zehn Jahren intensiver als zuvor mit der Produktion von Informationen durch den französischen Staatsapparat und zeichnen dabei in der Regel das positive Bild einer effektiven Staatsmaschine.96 Für das französische Kolonialreich haben insbesondere François Regourd und James McClellan das zweifellos beeindruckende Netzwerk wissenschaftlicher Institutionen in den Plantagenkolonien untersucht und es »die koloniale Maschine« getauft. Ihnen zufolge produzierte diese gut geölte »Maschine« ein Wissen, das für Kolonialexpansion nützlich war.97 Diese Art, Wissensgeschichte zu schreiben, hat eine lange Tradition. Nicht nur machten vor einigen Jahrzehnten die postmodernen Autoren einen Zusammenhang ­zwischen Wissensproduktion und Macht aus; bereits in der Frühen Neuzeit legitimierten Gelehrte wie Francis Bacon ihre wissenschaftlichen Aktivitäten mit dem Verweis auf deren vermeintliche Nützlichkeit für die Expansion und Festigung staatlicher Macht.98 93 Z. B. bei Steiner, Colberts Afrika. 94 Überblick über die Forschung, die dem Postulat folgt, wonach Wissensproduktion und imperiale Expansion sich gegenseitig stützte: Charles/Cheney, The Colonial Machine Dismantled, insbesondere 128 – 130. Zu den von Charles und Cheney genannten Publikationen sei noch hinzugefügt Steiner, Colberts Afrika. 95 Cohn, Colonialism and its forms of knowledge; Baber, The Science of Empire; Bayly, Empire and information; Dirks, The Policing of Tradition; Drayton, Knowledge and Empire; ders., Nature’s Government; MacLeod, Nature and empire; Headrick, Power Over People. 96 Soll, The Information Master; Headrick, When Information Came of Age; Rule/Trotter, A World of Paper. 97 McClellan/Regourd, The Colonial Machine. 98 Shapin, The Scientific Revolution, 123 – 135.

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In den letzten Jahren revidierte jedoch ein Teil der Forschung die These, wonach Wissen mit Macht gleichzusetzen sei. Diese Historiker verweisen auf die vielfältigen Funktionen von Wissensproduktion, die oft eintretende Dysfunktionalität von Wissensbeständen aus der Sicht politischer Amtsträger und die Eigenständigkeit der Wissensproduzenten, die keineswegs immer im Sinne »der Macht« agierten.99 Manche Untersuchungen betonen, dass die Effizienz der kolonialen Informationssammlung nicht überschätzt werden sollte.100 Im Einklang mit diesen Forschungsrichtungen haben Loïc Charles und Paul Cheney in einer Studie über den M ­ arquis de Mirabeau Zweifel an dem Modell der »kolonialen Maschine« in Bezug auf das französische Kolonialreich angemeldet. Sie sehen dabei drei Probleme: Erstens habe das Marineministerium all die zufließenden Informationen kaum bearbeiten können. Die meisten Denkschriften s­ eien schon deshalb archiviert worden, ohne beachtet worden zu sein. Zweitens sei das produzierte Wissen im Endeffekt für die Regierung nicht selten unangenehm gewesen und daher umso mehr im Prozess der Entscheidungsfindung unberücksichtigt geblieben. Drittens hätten informelle Patronagebeziehungen am Königshof oft eine größere Rolle in der Wissensproduktion gespielt als die institutionellen Kanäle.101 Die vorliegende Studie knüpft an ­solche Debatten an. Bislang wurde für das französische Imperium die Wissensproduktion über Frontierregionen wenig untersucht. Regourd, McClellan, Charles und Cheney beziehen sich hauptsächlich auf wohletablierte Plantagenkolonien. Dabei brauchte die Zentralverwaltung gerade im Falle einer Region, in der nur wenige französische Militärs, Beamte und Händler präsent waren, Grundinformationen über die Produktion des Landes, seine Geographie, seine Völker und politische Zustände. Aus ­diesem Grund eignen sich Frontierregionen besonders gut, um die Effizienz der Wissensproduktion zu testen und ihre Mechanismen zu erforschen. Daher soll die Aufmerksamkeit hier dem ethnographischen und politischen Wissen gelten. Wie im Aufsatz von Charles und Cheney soll hier eine Auseinandersetzung mit dem Modell stattfinden, wonach die Wissens- und die Kolonialexpansion sich gegenseitig gestützt hätten. Die Rolle von Patronagebeziehungen und die Tatsache, dass Wissensproduktion keineswegs immer die Funktion hatte, die imperiale Expansion zu fördern, werden ebenso hervorgehoben. Allerdings weicht die hiesige Argumentation in einem entscheidenden Punkt von der Charles’ und Cheneys ab: Es soll gezeigt werden, dass die dem Marineministerium kommunizierten Informationen tatsächlich oft berücksichtigt wurden. Es stimmt zum 99 Brendecke u. a., Information als Kategorie historischer Forschung; ders., Imperium und Empirie, 11 – 28; Friedrich, Die Geburt des Archivs, 15 f. 100 Silvestri, The Thrill of ‘Simply Dressing Up’. Literaturüberblick dazu: Ballantyne, Colonial Knowledge, 188 f. 101 Charles/Cheney, The Colonial Machine Dismantled.

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Beispiel nicht, dass Denkschriften im Allgemeinen archiviert wurden, ohne weiter berücksichtigt zu werden, und dass archivierte Dokumente ungenutzt blieben. Nur ist Wissen eben nicht mit einem aus der Sicht des Gesamtimperiums nützlichen Erfahrungs- und Anwendungswissen gleichzusetzen. Institutionen wie das Marineministerium produzierten ihr eigenes Wissen, das nicht einfach die Zusammenfügung von Wissensbeständen der Akteure aus Übersee war. Institutionen hatten nur Zugang zu bestimmten Informationen und Sichtweisen, ja sie gaben Impulse, die dazu führten, dass ihnen nur bestimmte Informationen und Sichtweisen dargelegt wurden. Hier wird die These vertreten, dass die unrealistischen Madagaskarpläne keine Entgleisung waren, sondern mit grundlegenden Problemen im epistemischen Setting des Marineministeriums zusammenhingen, die mit dem normativen Fundament des Wissens, seinen Funktionen und den Techniken der Informationsgewinnung zu tun hatten. Mit anderen Worten: Selbst wenn die »koloniale Maschine« gut funktionierte, neigte sie dazu, Träume zu generieren.

Vorgehen Die Untersuchung ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird die Geschichte der französischen Madagaskarpolitik, der französischen Niederlassungen auf Madagaskar vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert sowie der französisch-­ madagassischen Begegnungen und Verflechtungen betrachtet. Der Blick gilt hier den lokalen Akteuren, ihren Plänen, Strategien, Sinngebungen, Ansprüchen und Selbstinszenierungen. Im zweiten Teil geht es darum, die Geschichte des Wissens über Madagaskar systematisch zu erforschen. Es werden die Gründe analysiert, weshalb sich ein bestimmter, von der Spätaufklärung beeinflusster Madagaskardiskurs durchsetzen konnte. Das erste Kapitel führt in die Geschichte Madagaskars und der Europäer auf der Insel vor den 1640er Jahren ein. Ziel ist es dabei, die politischen, sozialen und religiösen Strukturen der madagassischen Gesellschaften zu skizzieren, die Große Insel in der Geschichte der Globalisierung(en) zu verorten, den Platz der Europäer in der madagassischen Geschichte vor der Ankunft der Franzosen zu bestimmen und einen Überblick über die Geschichte ihrer Kolonisierungsbemühungen und Misserfolge in dieser Zeit zu geben. Im zweiten Kapitel wird der über dreißig Jahre lang währende französische Kolonisierungsversuch im 17. Jahrhundert sowie die Geschichte der Niederlassung der Compagnie des Indes auf Nosy Boraha (frz. Sainte-­Marie) Mitte des 18. Jahrhunderts betrachtet. Hier werden die Gründe für die französischen Misserfolge analysiert und die von der bisherigen Historiographie angebotenen Deutungsmuster infrage gestellt. Es wird gezeigt, dass diese Geschichte kein Kapitel der Kolonialgeschichte darstellt. Auch die Zäsuren,

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die die europäischen Expansionsversuche für die madagassische Geschichte darstellten, werden dabei stark relativiert. Das dritte Kapitel untersucht den ersten französischen Kolonisierungsversuch nach dem Siebenjährigen Krieg, das heißt, die Geschichte der Niederlassung von Fort-­Dauphin unter dem Grafen von Maudave. Es fragt nach den Gründen für das Scheitern d ­ ieses Kolonialprojekts und unterzieht weiterhin die Deutungsmuster, die aus der Kolonialzeit stammen und historischen Darstellungen bis heute zugrunde liegen, einer kritischen Prüfung. Die hier vertretene These sieht das Scheitern der Kolonisierungsversuche nicht in der mangelnden Unterstützung durch die Kolonialverwaltung im Indischen Ozean begründet, sondern in den übersteigerten Erwartungen der Franzosen hinsichtlich der Insel. Es wird unter anderem gezeigt, dass bereits vor Maudave grundsätzliche Fehler in der Handelspolitik gemacht wurden, dass die landwirtschaftlichen und kommerziellen Pläne unter den gegebenen Bedingungen unrealistisch waren und dass aufgrund von damals vorherrschenden medizinischen Theorien die tropischen Krankheiten in manchen Teilen der Großen Insel unterschätzt wurden. Das vierte Kapitel behandelt zwei ­Themen: Zunächst nimmt es Maudaves politische Strategien gegenüber den Madagassen in den Blick, analysiert die französisch-­madagassischen Beziehungen und fragt nach den Gründen für die Fehler des Gouverneurs von Fort-­Dauphin. Anschließend untersucht ­dieses Kapitel Maudaves Reaktionen, als seine Erwartungen enttäuscht wurden: In ­diesem Rahmen werden die Schreibstrategien Maudaves und seines Untergebenen Valgny analysiert. Es wird gezeigt, wie angesichts des Scheiterns paradoxerweise ein Diskurs über das Gelingen entstand. Maudave stellte stets eine »sanfte« Expansion durch Zivilisierung und Assimilierung der »Barbaren« in Aussicht, obwohl seine täglichen Erfahrungen zeigten, dass ­dieses Projekt nicht umsetzbar war. Er initiierte gewissermaßen eine imaginäre Kolonisierung und die Prägung einer kolonialen Vorstellungswelt, die eng mit aufklärerischen Sprecherrollen zusammenhingen. Diese kolonialistische Vorstellungswelt entfaltete sich nach dem Ende von Maudaves Amtszeit noch weiter, wie die beiden darauffolgenden Kapitel deutlich machen, die sich mit seinem Nachfolger Beňovský befassen. Im fünften Kapitel wird die tragische Geschichte der Madagaskarniederlassungen unter Beňovský rekonstruiert. Das sechste Kapitel zeigt, wie Beňovský die Feder als Waffe einsetzte und sich in seinen Schriften etappenweise von seinen traurigen Erfahrungen entfernte, um schließlich die Berichterstattung mit Literatur verschmelzen zu lassen und eine Art Roman zu schreiben. Das siebte Kapitel untersucht die Geschiche der französisch-­madagassischen Begegnungen ­zwischen 1789 und 1817, die Erzählungen, die die Akteure ­dieser Begegnungen produzierten, und die Madagaskarpolitik dieser Jahre. Es zeigt, wie der Repräsentant der Nationalversammlung auf Madagaskar, Daniel ­Lescallier, sich die Vorstellungswelt der »sanften« Kolonisierung zu eigen machte. Zugleich

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Einleitung

fand in der Revolutionszeit eine Pluralisierung der Ansätze der Madagaskarpolitik statt, die von britischen Einflüssen herrührte. In der Restaurationszeit schließlich nahmen die französischen Eliten Abschied vom Traum einer »sanften« Expansion auf der Großen Insel. Frankreich fasste stattdessen Fuß auf Sainte-­Marie. Im achten Kapitel geht es um die Frage, inwiefern die Vorstellungswelt ­Maudaves, Beňovskýs und Lescalliers einen neuen kolonialistischen Diskurs im französischen Staatsapparat initiierte. Es macht deutlich, dass die Madagaskarbilder dieser Kolonialakteure nicht nur zahlreiche Autoren von Denkschriften inspirierten, sondern auch die kolonialpolitische Planung des späten 18. Jahrhunderts maßgeblich beeinflussten. Obwohl die Kolonisierungsversuche auf Madagaskar auf der ganzen Linie gescheitert waren, lernten die Entscheidungsträger in Versailles im späten 18. Jahrhundert höchstens kurzfristig aus den gemachten Fehlern. Bis zum frühen 19. Jahrhundert prägten die Schreibstrategien Maudaves und Beňovskýs direkt oder indirekt weiterhin das Madagaskarwissen und folglich auch die Annahmen, auf denen die Madagaskarpolitik beruhte. Das neunte Kapitel geht auf manche Folgen d ­ ieses spätaufklärerischen Madagaskardiskurses ein: Das neue Madagaskarwissen war auch mit einem neuen Unwissen verbunden. Der Madagaskardiskurs begründete ein spezifisches aufklärerisches Silencing, das im Gegensatz zum Modell Edward Saids nicht von »Othering«-Prozessen, sondern von »Saming«-Bestrebungen herrührte. Dieses Kapitel vergleicht daher die Erzählungen des 17. mit denen des 18. Jahrhunderts und kommt zu dem Schluss, dass der aufklärerische Diskurs zum Ausblenden zahlreicher Aspekte sowohl der französischen als auch der madagassischen Erfahrungen führte: der Gewalt, des Going native mancher Europäer sowie der madagassischen Wirklichkeitskonstruktionen und religiösen Praktiken. Die folgenden zwei Kapitel der Untersuchung analysieren die Gründe für die Etablierung von Wissensbeständen, die im Nachhinein als dysfunktional für eine Kolonial­expansion auf Madagaskar erscheinen. Im zehnten Kapitel geht es um ideenhistorische Entwicklungen, die zur Erfindung des spätaufklärerischen Madagaskarwissens führten, ihm einen festen Platz in der Weltvorstellung französischer Eliten verliehen und es zugleich in ein Instrument zur Formulierung politischer Ansprüche verwandelten. Das Kapitel führt zuerst in die Grundzüge und -probleme der Geschichte des imperialen Wissens im französischen Kolonialreich ein: die Zentralisierung der Entscheidungsfindungsprozesse in Versailles bzw. Paris, die die Kolonialverwaltung von bestimmten Medien abhängig machte. Es wird dann gezeigt, dass es einen engen Zusammenhang ­zwischen der Aufklärungserzählung – das heißt, dem universalistischen Fortschrittsnarrativ der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – und der Rezeption von Madagaskarbildern aus dem 17. Jahrhundert gab, ­welche zuvor als unglaubwürdig abgelehnt worden waren. Dadurch wurde der Madagaskardiskurs zu einem Laboratorium der Zivilisationsgeschichte, obwohl die Texte über Madagaskar, die s­ olche ideenhistorischen

Vorgehen

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Impulse gaben, erst einmal ungedruckt blieben und aus der kolonialen Peripherie stammten. Auch die Zusammenarbeit z­ wischen philosophes und politischen Entscheidungsträgern sowohl in Übersee als auch in Paris – eine Zusammenarbeit, die unter dem ­­Zeichen der Aufklärungserzählung stand – begünstigte das Aufkommen neuer kolonialpolitischer Zielsetzungen. Das elfte Kapitel geht den Beziehungen und der Kommunikation ­zwischen den Autoren von Denkschriften über Madagaskar und dem Marineministerium auf den Grund, indem es das ­soziale Profil der Autoren sowie ihre Beziehungen untereinander untersucht. Dabei kommt heraus, dass Menschen, die sich ohne oder mit wenig Madagaskarerfahrung in das riskante Unternehmen einer Kolonisierung der Großen Insel stürzen wollten, mit anderen Worten: Abenteurer, maßgeblich zur Etablierung des im Rückblick als realitätsfern zu beschreibenden Wissens über die Rote Insel beitrugen. Dagegen fanden Personen, die die madagassischen Gesellschaften und Sprache gut kannten, also: Experten, in Versailles wenig oder kein Gehör. Die dominante Logik der Wissensproduktion war weder bürokratisch noch wissenschaftlich, sondern folgte den Normen der höfischen Kommunikation und Patronage. Gerade der aufklärerische Charakter des neuen Madagaskarwissens war eine wichtige Bedingung für dessen Verwendung in klientelistischen Verhältnissen. Schließlich reflektiert ­dieses Kapitel über das Medium Denkschrift und die Folgen der Einrichtung eines neuen Archivs für Denkschriften. Es verteidigt unter anderem die These, dass die Schaffung d ­ ieses neuen Wissensortes die Entstehung eines selbstreferenziellen Diskurses stark begünstigte. Im letzten Kapitel werden sowohl der zeitliche als auch der geographische Betrachtungsrahmen stark erweitert. Durch eine Kontextualisierung des Falles Madagaskars in der Kolonialgeschichte stellt das zwölfte Kapitel die Frage, inwiefern die 1760er Jahre einen Einschnitt in der Geschichte der französischen Kolonialpolitik bildeten und inwieweit diese Wende der Begründung eines modernen Kolonialismus gleichkam. Die kolonialpolitischen Umbrüche nach dem Siebenjährigen Krieg leiteten – vor allem durch die Übernahme missionarischer Deutungsmuster durch staatliche Akteure – in der Tat eine neue Epoche in der französischen Kolonialgeschichte ein. Dennoch stellt sich die Frage, inwiefern sich die Leitsätze dieser Zeit von denen des Grand Siècle unterschieden und inwieweit sie die Kolonialpolitik der Zeit ­zwischen 1830 und 1960 prägten.

BEGEGNEN UND ERZÄHLEN

1 Islamische und europäische Globalisierungen Auf dem Kupferstich »Das pittoreske Frankreich: Port Louis auf der Insel Sainte-­Marie; Sicht auf das alte Monument zum Andenken an die Besitznahme [der Insel, D. T.]« aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Abb. 2) ist inmitten einer tropischen Landschaft ein auf einem quadratischen Sockel stehendes pyramidenförmiges Denkmal zu sehen, in dessen Mitte, ­zwischen den Steinen, ein Baum wächst. Im Schatten des Monuments stehen drei Männer. Einer von ihnen, ein halbnackter Dunkelhäutiger, zeigt den beiden anderen, allem Anschein nach Franzosen, die altehrwürdigen Steine, die von der Natur überwuchert werden. Auf der Sonnenseite des Sockels leuchtet das Wappen der französischen Könige. Im Hintergrund ist die Bucht des Port-­L ouquez von Nosy Boraha, so der madagassische Name der Insel, dargestellt, heute meist unter dem Namen »Baie des forbans« (Bucht der Piraten) bekannt. Am Eingang des Hafens weht die französische Fahne. Ganz im Hintergrund erblickt man die hohen Berge der Großen Insel. Legt man die Romantisierung der Landschaft beiseite (der Künstler nahm sich die Freiheit, die Landschaft sehr viel bergiger abzubilden als in Wirklichkeit; auch ist die Stadt in der Bucht, die einen Kontrast zur Natur bildet, eine reine Erfindung), so bekommt man einen guten Eindruck des einstigen Denkmals der Compagnie des Indes. Der Kupferstich strahlt eine romantische Stimmung aus, indem er ein Zeugnis aus einer Vergangenheit inszeniert, über das die Natur die Oberhand gewonnen hat – die Überreste einer Kolonie der Compagnie des Indes auf Nosy Boraha, der Madagaskar im Osten vorgelagerten Insel Sainte-­Marie. Die Ruinen der ehemaligen Kolonie beschrieb auch im Februar 1819 Petit de la Rhodière, Teilnehmer einer französischen Expedition zur Nordostküste Madagaskars, wobei er in seiner Schilderung der Überreste des Forts und des Denkmals durcheinander kam: Auf der kleinen Île aux Cailles [dem heutigen Îlot Madame, D. T.] bleiben mehrere Gebäude, die, wie es scheint, auf eine solide Weise gebaut worden sind: eine Kanonenredoute […]; ein Gebäude, von dem man erzählt, es sei eine K ­ irche gewesen; ein längliches Gebäude, das als Kaserne gedient hat; und ein Pulverhaus. Gegenüber [der Insel, D. T.], im Nordosten des Hafens, stehen auf einem Hügel die Überreste eines Forts, das wie eine Pyramide mit quadratischem Grundriss und gekappter Spitze aussieht. Oben gab es eine Holzgalerie, die auf Steinen ruhte. Man sieht noch das gut erhaltene Wappen des französischen Königs über dem der Compagnie des Indes und

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Abb. 2  »Das pittoreske Frankreich: Port Louis auf der Insel Sainte-­Marie; Sicht auf das alte Monument zum Andenken an die Besitznahme [der Insel, D. T.]«

als Datum 1753. Die Fahnenstangen widerstehen noch der Zeit, obwohl sie von allen Seiten von Lianen umschlungen sind.1

Die Ruinen auf Nosy Boraha waren nicht die einzigen, die die Expeditionsteilnehmer 1818 – 1819 auf Madagaskar bestaunten. In Mahavelona (frz. Foulpointe), schrieb ein anderer, waren noch mehrere Steinmauern, Gräben und die Überreste einer Holzpalisade zu sehen. Im halb verlassenen madagassischen Dorf nebenan standen leere und verfallene Häuser von französischen Händlern.2 Auch im Südosten Madagaskars zeugten nur noch Ruinen von der ehemaligen französischen 1 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Rapport sur quelques parties de Madagascar par M. Petit de la Rhodière«, 10. Februar 1819 (Zitat S. 43): »Il reste sur la petite Ile aux Cayes plusieurs édifices qui paraissent avoir été construits très solidement: […] un batiment qu’on pense avoir été fait pour une Eglise, un long corps de logis pour casernes, et une poudrière. Vis à vis au NE du Port, et sur une Petite Eminence, il existe les reste [sic] d’un fort, qui a la forme d’une Pyramide quadrangulaire tronquée; au haut il existait une galerie en bois que soutenait des pierres, on y voit encore bien conservées les armes de france, au dessus de celle de la compagnie des Indes, et la date 1753. Les mats résistent encore, malgré les liannes qui y ont poussé de toutes parts.« 2 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Rapport de Bréon, jardinier botaniste du roi, membre de la commission d’exploration de l’île de Sainte Marie en la côte est de Madagascar«, 20. Januar 1819, S. 9.

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Kolonie: In Tôlanaro (frz. Fort-­Dauphin) war das französische Fort nur noch »ein Haufen Ruinen, von Efeu bedeckt«.3 Der schlechte Erhaltungszustand des ehemaligen Fort-­Dauphin ließ den Betrachter aus dem frühen 19. Jahrhundert denken, der Ort sei seit dem Massaker, den Bewohner der Region 1674 an Franzosen verübt hatten, verlassen.4 Dabei waren die noch zu erahnenden Gebäude des Forts allerdings erst in den frühen 1770er Jahren errichtet und im späten 18. Jahrhundert aufgegeben worden. Auch die Ruinen von Nosy Boraha und Mahavelona waren Überreste von Bauten aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Sie alle waren Zeugnisse des gescheiterten französischen Kolonialismus der Aufklärungszeit auf der Großen Insel. Im 17. und 18. Jahrhundert versuchten mehrere Kolonialmächte, auf Madagaskar Fuß zu fassen. Keine investierte jedoch so viel in den Aufbau von Kolonien auf der Großen Insel wie das Königreich Frankreich. Auf Madagaskar wurden immer wieder die größten Hoffnungen projiziert. Festungen, Lagerhäuser, Kasernen, Häuser und K ­ irchen wurden gebaut, Tausende von Soldaten und Siedlern auf die Insel gebracht. Und dennoch hatten die Franzosen 1818 nichts Bleibendes erreicht. Sogar der letzte französische Stützpunkt, Toamasina (frz. Tamatave), war 1811 von einer englischen Fregatte vernichtet worden. Obwohl dieser Ort bei Weitem der wichtigste Hafen der Ostküste blieb, dominierten nach 1815 – französischsprachige – Untertanen der britischen Krone den Handel. Zudem herrschten nicht die Franzosen in Toamasina, sondern Jean-­René, ein König zwar französisch-­ madagassischer Herkunft, aber ein Verbündeter der Briten. Im Jahr zuvor hatte dieser wiederum die Oberherrschaft des Königs Radama I. anerkennen müssen,5 des Fürsten der Merina, eines Volks aus dem Hochland, der nun den Titel »König von Madagaskar« annahm.

1.1

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Die Geschichte der frühneuzeitlichen französischen Versuche einer Kolonialexpansion auf Madagaskar steht somit unter dem ­­Zeichen eines vollkommenen Scheiterns, das vor dem Hintergrund der in der Forschungsliteratur verbreiteten Erfolgsnarrative erklärungsbedürftig erscheint. Die Frage, wie man die Geschichte der Franzosen im Indischen Ozean erzählen soll, wird in d ­ iesem Kapitel und dem nächsten in Bezug auf die französisch-­madagassischen Begegnungen bis 1763 gestellt. Nur wenige Jahre nach der Eroberung der Großen Insel 3 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Rapport de Frappaz«, 1. Oktober 1819 (Zitat S. 34): »un amas de ruines recouvert de lierres«. 4 Ebd. 5 Frappaz, Voyages, 138 – 141.

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durch die Franzosen im späten 19. Jahrhundert veröffentlichte Arthur Malotet eine Monographie über Étienne de Flacourt, den Gouverneur von Fort-­Dauphin ­zwischen 1648 und 1655, in dessen Wirken er die »Ursprünge der französischen Kolonisierung auf Madagaskar« erblickte.6 Malotet stellte die französischen Niederlassungen der Frühen Neuzeit als eine Vorgeschichte der Kolonisierung der Insel in der Dritten Republik dar. Dieses Narrativ erfüllte zwei Funktionen: Erstens legitimierte der Verweis auf die alten Kolonien der Franzosen die gewaltsame Aneignung der Großen Insel im späten 19. Jahrhundert. So schätzte ­Malotet Flacourts Kriegsunternehmen positiv ein, denn sie hätten die Eingeborenen dazu bewogen, die bereits damals »unbestreitbaren« Besitzrechte Frankreichs auf Madagaskar anzuerkennen.7 Zweitens – und dieser Aspekt dominiert in Malotets Abhandlung – sollte Frankreich aber auch aus Flacourts Fehlern lernen. Der Historiker kritisierte den Gouverneur von Fort-­Dauphin dafür, dass er eine rein militärische Unterwerfung angestrebt und nichts für die Eroberung der Herzen, die Zivilisierung und die Missionierung der Madagassen unternommen habe. Aus ­diesem Grund ­seien Flacourts Errungenschaften nicht dauerhaft gewesen. Eine Politik des Bündnisses mit einem lokalen König und die Zivilisierung der Bevölkerung hätten dagegen die Einverleibung der Großen Insel in das französische Kolonialreich zu einem leichten Spiel gemacht.8 Malotets Zeitgenosse Henri Froidevaux ging von ähnlichen Vorannahmen aus. Auch für ihn zeigte die Geschichte, wie man sich gegenüber den »Indigenen, die unserer Herrschaft unterworfen sind«,9 zu verhalten habe. Deshalb ging es ihm auch darum, über das vermeintlich kluge oder unkluge Verhalten historischer Akteure zu urteilen. In einer Studie reagierte er auf das vernichtende Bild, das Malotet von Jacques Pronis, dem Vorgänger Flacourts und Gründer von Fort-­ Dauphin gezeichnet hatte. Pronis und seinen Zeitgenossen verleiht Froidevaux den Rang von Pionieren des französischen Kolonialreichs: Sie hätten als Erste gezeigt, wo Frankreich seine Herrschaft etablieren solle. Der Gründer von Fort-­ Dauphin sei nicht unehrenhaft, brutal und unfähig gewesen, habe jedoch ab dem Zeitpunkt Fehler begangen, als er sich seines Erfolgs sicher war. Er habe geglaubt, auf das Bündnis der Einheimischen verzichten zu können, und deshalb Konflikte mit ihnen provoziert. Gegen Ende seiner Amtszeit habe er jedoch wieder die Zuneigung der Indigenen gewonnen, aber leider keine Zeit mehr gehabt, das zivilisatorische Werk zu vollenden.10 Wie bei Malotet erscheint die Geschichte der 6 »Les origines de la colonisation française à Madagascar«. So lautet der Untertitel des Buches von Malotet, Étienne de Flacourt. 7 Malotet, Étienne de Flacourt, 289 f.: »droits indisputables«. 8 Ebd., 284 – 298. 9 »[L]es indigènes soumis à notre domination«: Froidevaux, Jacques Pronis, 3. 10 Froidevaux, Jacques Pronis.

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französisch-­madagassischen Begegnungen im 17. Jahrhundert als eine Art Vorspiel der neuzeitlichen Kolonisierung. Die Untertanen Ludwigs XIV. scheiterten, weil sie anders als die Kolonialherren des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts keine Zivilisierungspolitik verfolgten, so die Meinung der Historiker um 1900. Alfred Grandidier, der Vater der Madagaskarkunde, folgte d ­ iesem Erzählschema. In seiner monumentalen Histoire de Madagascar behauptete Grandidier, die Franzosen hätten »beträchtliche Kolonien« (»colonies considérables«) gehabt, bevor sie 1895 »definitiv« von der Großen Insel Besitz genommen hätten.11 ­Grandidier listete französische Persönlichkeiten auf, die von der ersten Hälfte des 17. bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf der Roten Insel gewirkt haben. Dadurch überging Grandidier die starken Diskontinuitäten in der Geschichte der Franzosen auf Madagaskar und konstruierte die Geschichte einer im Grunde genommen niemals unterbrochenen französischen Kolonisierung der Insel, die jedoch erst im späten 19. Jahrhundert Früchte getragen habe.12 Gegen Ende der Kolonialzeit änderten sich die Erzählungen der Historiker merklich. Hubert Deschamps’ 1960 – im Jahr der madagassischen Unabhängigkeit – veröffentlichte Histoire de Madagascar schlägt keinen Bogen von den frühneuzeitlichen Kolonisierungsversuchen zur neuzeitlichen Kolonisierung. Deschamps versucht vielmehr, auf neutrale Weise die gewalttätigen Episoden der französisch-­ madagassischen Begegnungen im 17. Jahrhundert zu erzählen, und folgt dabei weitgehend den Deutungen, die politische Akteure der Frühen Neuzeit selbst im Druck verbreitet hatten: Dadurch spielen die von Zeitgenossen angeprangerten moralischen Fehler der französischen Gouverneure und Kommandanten – vor allem Eifersucht und Stolz – eine große Rolle in seiner Studie. Deschamps zufolge ist jedoch das Scheitern der Franzosen vor allem darauf zurückzuführen, dass ihnen eine Leitidee fehlte: Die Ostindienkompanie habe stets z­ wischen der Schaffung einer Siedlerkolonie und dem Aufbau einer Handelsniederlassung geschwankt. Für Erstere hätte man jedoch eine »Fusion« mit den Madagassen anstreben, für Letztere bessere Exportprodukte finden müssen.13 Obwohl Deschamps kein Bedauern über das Scheitern der Franzosen zum Ausdruck bringt und aus der Geschichte keine Schlüsse für eine gute Kolonisierungsmethode ziehen möchte, steht seine Erzählung dennoch in einer gewissen Kontinuität zu älteren Darstellungen: Auch sie beruht auf der Annahme, die Franzosen hätten durch die Politik einer friedlichen Expansion eine Siedlerkolonie schaffen können. Die Historiographie der Kolonialzeit ist von Malotet bis Deschamps gegenüber den Handlungen und Strategien der Franzosen im 17. Jahrhundert kritisch

11 Grandidier, Histoire physique, 416. 12 Ebd., 416 f., 449 f. 13 Deschamps, Histoire, 67 – 76.

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gewesen. Dennoch übernahm sie ausgerechnet in ihrer Kritik die Darstellungen von frühneuzeitlichen Akteuren, die von der Wirksamkeit der »sanften« Zivilisierungs- und Assimilierungspolitik überzeugt waren. So steckte gerade hinter der geläufigen Annahme, man hätte mit einer sanften Politik die Zuneigung der Madagassen gewinnen und eine florierende Kolonie aufbauen können, zwei kolonialistische Deutungsmuster, die es zu hinterfragen gilt. Erstens nehmen diese Erzählungen »die Madagassen« als strategisch handelnde Akteure kaum ernst; sie lassen sie vor allem auf die Fehler der Franzosen reagieren. Zweitens bauen sie auf der Annahme auf, es habe eine grundsätzliche Dichotomie z­ wischen Franzosen und Madagassen gegeben. Solche Erklärungsmuster werden bis in die jüngere Geschichtsschreibung weitertradiert, wie der Fall des Kolonisierungsversuchs von Nosy Boraha durch die Compagnie des Indes in den 1750er Jahren zeigt – eine Episode, die in der Historiographie eher eine kleine Rolle spielt.14 Die wenigen Historiker, die auf diese Ereignisse eingehen, erklären die Konflikte ­zwischen Indigenen und Franzosen dadurch, dass der französische Kommandant ein moralisch verwerfliches Verhalten an den Tag gelegt habe. Sie untersuchen weder die Gründe für die örtlichen Konflikte noch die Strategien regionaler Fürsten oder die Art und Weise, wie Franzosen sich in diese Situation einfügten. Sie greifen somit auf ein altes Erklärungsmuster zurück, das Madagassen ausschließlich als reaktive Elemente betrachtet.15 In den letzten Jahrzehnten hat die Geschichte der französischen Niederlassungen auf Madagaskar vor 1763 wenig Interesse bei Historikern geweckt. Allgemeindarstellungen gehen auf die Kolonisierungsversuche der Zeit ­zwischen 1642 und 1672 nur kursorisch ein.16 In den neuen Gesamtdarstellungen der madagassischen Geschichte nehmen diese Ereignisse noch weniger Platz ein.17 Einzig ein Aufsatz von Pier Larson entwickelt neue Deutungen, die sich klar von denen der Kolonialzeit unterscheiden. Folgt man Larson, so war vor allem die tropische Umwelt für das Scheitern der Franzosen verantwortlich: Nicht nur brachte das Klima epidemische Krankheiten mit sich, an denen Europäer massenhaft starben; auch waren die Franzosen nicht imstande, eine nennenswerte landwirtschaftliche Produktion in Gang zu bringen. Hinzu kam, dass die Große Insel nichts erzeugte, was den Handel rentabel gemacht hätte. In ­diesem Kontext konnten Franzosen 14 Diese Episode bleibt in Allgemeindarstellungen der französischen Kolonialgeschichte unerwähnt: Haudrère, L’Empire des rois; Meyer u. a., Histoire de la France coloniale, 178 – 187. 15 Sylla, Les Malata, 23. 16 Haudrère, L’Empire des rois, 135 – 140; Meyer u. a., Histoire de la France coloniale, 178 – 187. 17 So erwähnen Randrianja und Ellis nur beiläufig die Niederlassung von Fort-­Dauphin: Randrianja/Ellis, Madagascar, 86.

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nur Bündnisse mit madagassischen Eliten eingehen und Raubzüge veranstalten, um an Nahrung zu gelangen. Diese Situation schuf eine chronische Instabilität und bewirkte, dass die Beziehungen zur örtlichen Elite schlecht waren.18 Mit dieser Analyse legt Larson zweifellos eine Grundlage für eine neue Interpretation der französisch-­madagassischen Begegnung im 17. Jahrhundert. Die beiden ersten Kapitel möchten darauf aufbauend eine neue Erzählung entwickeln, die Einblicke in die Gründe für das Scheitern der europäischen Expansion gewährt. Das Kapitel 1 führt im Einklang mit neueren Ansätzen der Globalgeschichte in die Geschichte Madagaskars und der ersten europäisch-­madagassischen Kontakte ein. Hier soll eine Basis für das darauffolgende Kapitel geschaffen werden, das – soweit es die Quellen ermöglichen – die französisch-­madagassischen Begegnungen bis 1763 jenseits kolonialgeschichtlicher Deutungs- und Erzählmuster darstellt.

1.2 Kulturelle Hybridisierungen am Rande der islamischen Welt In einem Daniel Defoe zugeschriebenen Abenteuerroman The King of Pirates, Being an Account of the Famous Enterprises of Captain Avery, the Mock King of Madagascar (1719) lässt sich Kapitän Avery, ein berühmter Pirat, nach einem reichen Beutezug mit seinen Leuten auf Madagaskar nieder. Avery errichtet eine Festung im Norden der Insel, greift Schiffe des Großmoguls von Indien an und häuft unsagbare Reichtümer an. Defoe spinnt in dieser Erzählung an der Legende von Henry Every weiter, einem englischen Seeräuber, der im späten 17. Jahrhundert im Atlantik und im Indischen Ozean erfolgreich zahlreiche Schiffe gekapert hat. Every war 1709 durch die Erzählung The Life and Adventures of Captain John Avery berühmt geworden. Angeblich von einem holländischen Gefährten des Piratenkapitäns namens Adrian van Broeck geschrieben, etablierte ­dieses in London gedruckte Buch die Vorstellung, Every habe ein Königreich auf Madagaskar errichtet und herrsche nun über die Insel. Dies war falsch, aber nicht vollkommen unplausibel, hatten sich doch um 1700 in der Tat zahlreiche aus der Karibik vertriebene Piraten im Norden Madagaskars niedergelassen. Den heutigen Leser mag erstaunen, dass Defoe Madagaskar und seine Bevölkerung weder beschreibt noch Einfluss auf den Romanplot nehmen lässt. Die gesamte Handlung kommt ohne Madagassen aus; nur kurz wird erwähnt, dass die Piraten gute Beziehungen zu den Eingeborenen hätten. Madagaskar erscheint gleichsam als eine leere Insel, deren Ressourcen den Piraten zur Verfügung stehen. Diese koloniale Fantasie der terra nullius kontrastiert mit dem, was über die Geschichte der Piraten auf Madagaskar bekannt ist – eine Geschichte, die viel 18 Larson, Colonies Lost.

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bunter ist als die von Defoe beschriebenen Abenteuer. Denn die europäischen Seeräuber, die sich im Nordosten Madagaskars niederließen, bewohnten mitnichten einen menschenleeren Raum. Ganz im Gegenteil etablierten sie sich in der Region dadurch, dass sie Bündnisse mit lokalen Fürsten schlossen. Sie heirateten in örtliche Clans hinein und gründeten Familien. So lebten an der Ostküste Madagaskars Bevölkerungsgruppen, die aus gemischten Ehen hervorgegangen waren und sich wiederum als Piraten betätigten. Diese Zana-­Malata genannten »Mischlinge« organisierten noch im späten 18. und 19. Jahrhundert jährliche Raubzüge auf die Komoren, auf Anjouan, Mayotte und die Ostküste Afrikas. Ihre Angriffe waren derart verheerend, dass der Sultan der Komoren die Briten um die Errichtung eines Protektorats über sein Herrschaftsgebiet ersuchte.19 Sie erbten zudem zweierlei: von ihren Vätern, den westlichen Seeräubern, die Praxis des Handels mit Europäern, den sie im gesamten 18. Jahrhundert kontrollierten; von ihren madagassischen Müttern ihre Stellung als Fürsten.20 Aus den gemischten Ehen z­ wischen Piraten europäisch-­amerikanischer Herkunft und madagassischen Frauen gingen sogar königliche Dynastien hervor, die viele Jahrzehnte herrschten. Die heutige »Ethnie« der Betsimisaraka, die die Nordostküste Madagaskars besiedelt, geht auf die Etablierung einer solchen Dynastie zurück: Ursprünglich waren die Betsimisaraka Untertanen der Nachkommen eines englischen Piraten namens Tom Tew und einer madagassischen Fürstentochter aus der Region von Mahavelona (frz. Foulpointe). Toms Sohn Ratsimilaho, der 1694 oder 1695 auf die Welt kam, sprach Englisch und Französisch und besuchte mit seinem Vater wohl England und vielleicht Indien. Er baute ein Heer auf, das träniert war, mit Flinten ein kontinuierliches Feuer zu erzeugen, und wurde somit zu einem Potentaten auf der Großen Insel. Zuerst arbeitete er als Hauptminister des zweiten Sakalava-­Königs von Boina, dem mächtigen Königreich des Nordwestens, doch bald schuf er sein eigenes Königreich im Nordosten der Insel, indem er eine Konföderation mit anderen Nachkommen französisch-­ madagassischer Paare gründete. Die Konföderierten gaben sich und ihren Untertanen den Namen »Die vielen Unteilbaren« (Betsimisaraka).21 Eine ­solche Dynastiegründung durch Zugewanderte, die in die lokale Elite hineinheirateten, oder durch Kinder von Migranten wie die der Betsimisaraka 19 Bialuschewski, Pirates, Slavers and the Indigenous Population; Hooper, Pirates and Kings, 232 – 239. 1720 soll der Chef der Piraten auf Sainte-­Marie ein Mulatte aus Jamaika gewesen sein: ANOM, C 5A 1, Nr. 44, »Copie du mémoire remis au consul de France à Lisbonne le 26 mars 1720 par M. Borelly«, 12. Mai 1720. 20 Den Fürstenstatus erbten sie, obwohl die Erbfolge in der madagassischen Tradition in der Regel patrilinear war: Sylla, Les Malata, 27 f. 21 Hooper, Pirates and Kings, 233 f.; Berg, The Sacred Musket, 265 – 267; R ­ andrianja/Ellis, Madagascar, 105 f.

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ist kein Einzelfall in der Geschichte Madagaskars,22 die von vorneherein ein Produkt von transozeanischen Bevölkerungsströmen war. Madagaskar wurde von zwei unterschiedlichen »archaischen Globalisierungen« geprägt: den transozeanischen Handelsbeziehungen, die durch den Indischen Ozean führten; und der muslimischen Expansion, die auch der Kultur der Eliten auf der Roten Insel ihren Stempel aufdrückte.23 In der Madagaskarforschung wurde kontrovers diskutiert, inwiefern die Große Insel einen asiatischen oder einen afrikanischen Charakter habe. Die französische Forschung betonte im 19. und 20. Jahrhundert ihren asiatischen Charakter. Sie spielte – wohl aufgrund des schlechten Bilds des Schwarzen Kontinents – die Bedeutung des afrikanischen Erbes herunter, wenn sie dessen Existenz nicht schlicht verneinte wie der einflussreichste aller Madagaskarkundler, Alfred Grandidier.24 Raymond Kent revidierte ­dieses Bild 1970, indem er den zentralen Beitrag der gesamten ostafrikanischen Küste und die frühen austronesisch-­afrikanischen Hybridisierungen betonte. Er entkräftete den »Mythos des weißen Königs«, wonach die politischen Gebilde der Insel allesamt von landfremden hellhäutigen Fürsten gegründet worden s­ eien, und zeigte, dass die Dynastieväter meist Madagassen waren, das heißt: Menschen, deren Familie bereits seit Generationen auf der Insel ansässig war und deren Sprache und Kultur Einflüsse unterschiedlicher Ursprünge aufwiesen.25 Paul Ottino stimmte zwar der Feststellung, dass die madagassische Kultur einen hybriden bantu-­ südostasiatischen Charakter aufweise, im Allgemeinen zu. Jedoch betonte er die Dominanz der malaiisch-­indonesischen Kulturmuster und die zentrale Rolle, die sowohl Einwanderer aus Südostasien als auch ihre religiös-­politische Ideologie in der Herausbildung der madagassischen Königtümer spielten. Ottinos Untersuchung trug entscheidend zu einem besseren Verständnis der Konstruktionen politischer Legitimität in den Königreichen des Hochlands und des Südostens bei. Die Gültigkeit seiner These über den indonesischen Charakter des Königtums auf Madagaskar ist allerdings insofern einzuschränken, als er ausschließlich den Mythen der Dynastien dieser Regionen – und eigentlich vor allem der 22 Siehe die Diskussionen über die Herkunft madagassischer Dynastien in Kent, Early Kingdoms. Die königlichen Dynastien der Antanosy, Antaimoro und Tanala im Südosten Madagaskars stammten von islamisierten Zuwanderern ab: Beaujaurd, Islamisés et systèmes royaux, 237 – 240. 23 Zum Konzept und dem Phänomen der »archaischen Globalisierung« im Allgemeinen und dem muslimischen Paradebeispiel im Besonderen: Bayly, ‘Archaic’ and ‘Modern’ Globalization; Bennison, Muslim Universalism. 24 Grandidier, Histoire de Madagascar, volume 4: Ethnographie de Madagascar, tome 1: Les Habitants de Madagascar, zweiter Teil: Les Étrangers. 25 Kent, Early Kingdoms.

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Könige der Merina – nachging, also jener sozialen Gruppen, deren vornehmlich südostasiatische Herkunft unumstritten ist.26 Inzwischen hat sich in der Forschung ein Konsens in Bezug auf die frühe madagassische Geschichte gebildet, dem diese Darstellung folgt: Die Zuordnungen zu einem Kontinent verkennen die vielschichtige transmaritime Prägung Madagaskars, dessen Völker durch zahlreiche kulturelle Hybridisierungsprozesse entstanden sind. Madagaskar wurde mit Ausnahme Australiens von allen Regionen, die an den Indischen Ozean grenzen, beeinflusst. Die ersten Menschen kamen auf die Insel in der Zeit, die in Europa als Frühmittelalter bezeichnet wird. Es scheint, die erste größere Besiedlung Madagaskars habe mit der Geschichte des malaiischen Königreichs Srivijaya zu tun, das Sumatra sowie weite Teile Javas und des heutigen Malaysias beherrschte. Die Herrscher Srivijayas bereicherten sich wie die anderen malaiischen Fürsten an der Versklavung und dem Verkauf von Menschen unterschiedlicher Nationen im Raum des Indischen Ozeans und Südostasiens. Sie gründeten Siedlungen auf zahlreichen Inseln und Küsten dieser Regionen: auf Sri Lanka und möglicherweise bis zu den Komoren und der Ostküste Afrikas. Der gesamte Raum von Äthiopien bis Mosambik war bereits zuvor zu einer Lieferzone für Sklavenhändler geworden, die bis nach China segelten, um ihre »Waren« zu verkaufen. Die Große Insel war sicherlich aufgrund der geringen Besiedlung noch keine nennenswerte Quelle für den Sklavenhandel, aber sie wurde wohl im Rahmen ­dieses transozeanischen Handels besiedelt.27 Dank sprachhistorischen und genetischen Untersuchungen kann man die Herkunft und Route der ersten signifikanten Siedlergruppen, die sich auf Madagaskar niederließen, grob rekonstruieren. Sie stammten ursprünglich aus Borneo, lebten eine Zeitlang auf Sumatra – wobei unklar ist, um ­welchen Zeitraum es sich handelt –, heirateten zum Teil Bantu sprechende Frauen in Ostafrika, auf den Komoren oder auf Madagaskar. Es wird vermutet, dass die Oberschicht malaiischer Herkunft war. In der Tat gehört das Madagassische zur austronesischen Sprachfamilie und steht vor allem bestimmten Sprachen auf Borneo nahe, weist aber auch im Sprachregister, das mit den Eliten assoziiert ist, Einflüsse des Malaiischen aus Sumatra und in einem geringeren Maße des Javanischen auf. Frühe Einflüsse des Bantus sind ebenfalls nachweisbar, vor allem in einem Teil des Vokabulars, das mit weiblichen Lebenswelten zu tun hat.28 Madagaskar nahm in den folgenden Jahrhunderten zahlreiche Migranten aus Afrika und Asien auf, die sich jedoch alle mehr oder weniger an die südostasiatisch 26 Ottino, L’Étrangère intime. Ottino bestreitet nicht, dass manche Dynastien wie die Zafikazimambo ostafrikanischer Herkunft waren und von den Kulturmustern ihrer Herkunftsgesellschaften stark geprägt waren: ebd., Bd. 1, 49 f. 27 Randrianja/Ellis, Madagascar, 24 – 43. 28 Ebd.

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geprägte Kultur der alten Oberschichten anpassten. Somit dominierten austronesischsprachige Eliten die Insel, obwohl ihre Familien ursprünglich sowohl aus Südostasien als auch von der Ostküste Afrikas von Mosambik bis Somalia stammten. Die Oberschichten demonstrierten ihre besondere »Reinheit« durch ihnen allein vorbehaltene Riten, für die oft Wörter aus dem Sanskrit und dem Arabischen benutzt wurden, ja sie wendeten teilweise Geheimsprachen an. Die Gesellschaftsstruktur war rigide und die Eliten heirateten meist endogam, was wiederum typisch für die Gesellschaften von Sumatra und Java ist, die kulturell von Indien beeinflusst wurden. Die Mehrheit der Bevölkerung betrieb Landwirtschaft vor allem mit südostasiatischen Pflanzen, Tieren und Techniken.29 Da sowohl die Ostküste Afrikas als auch Süd- und Südostasien in der Zeit, die man in Europa das Hochmittelalter nennt, zum Teil muslimisch wurden, fand sich Madagaskar am Rande der weiten islamischen Welt, die drei Kontinente miteinander verband. Madagaskar ist von der großen Globalisierungswelle, die mit der Expansion des Islam einherging,30 stark geprägt worden. Die Insel wurde in transozeanische und transkontinentale Handelsströme integriert, auch wenn sie im internationalen Warenverkehr eher ein Randgebiet bildete. Zwischen dem 11. und dem 16. Jahrhundert zog der immer größer werdende Einfluss der islamischen Welt auf Madagaskar die Einführung von Münzen, der arabischen Schrift, des Mondkalenders, astrologischer und esoterischer Praktiken sowie religiöser Glaubenssätze und Riten wie der Jungenbeschneidung und des Schächtens nach sich. Diese Kulturtransfers erfolgten durch mehrere Kanäle. An der Nordwestküste wurden Städte gebaut, in denen swahili- und arabischsprachige muslimische Händler wohnten. Zugleich erreichte die islamische Kultur Madagaskar von Südostasien aus. So wurde die arabische Schrift von austronesischen Immigranten eingeführt. Zudem reisten javanische Händler regelmäßig ­zwischen Madagaskar und Südindien.31 Die stetigen Handelsbeziehungen nach Südostasien blieben wahrscheinlich bis zum 14. Jahrhundert bestehen; spätere kulturelle Einflüsse aus ­diesem Raum sind jedenfalls nicht nachweisbar. Im Rahmen dieser transozeanischen Austauschprozesse ließen sich Menschengruppen auf Madagaskar nieder, die Fürstentümer gründeten. Allerdings gaben diese austronesischen islamisierten Eliten nach ihrer Etablierung auf Madagaskar die meisten ihrer religiösen Praktiken und Glaubenssätze nach einigen Generationen auf. Sie behielten das Monopol der Rinderschächtung und die Kontrolle über die astrologische und magische Expertise. Letztere war die Domäne von Männern, die man ombiasy nannte und 29 Ebd., 35 – 43. 30 Bennison, Muslim Universalism. 31 Hébert, Les Zavaga indonésiens; zur Einwanderung von islamisierten Eliten: Vérin, The History of civilization, 67 – 93.

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die die Kunst der Schrift und der Weissagung beherrschten. Die Schrift galt als eine esoterische Kunst, die sowohl geheimes Wissen transportierte als auch übernatürliche Kräfte besaß. Sie wurde unter anderem benutzt, um Feinde zu verhexen, und stand mit Ritualen im Zusammenhang, in denen auch das gesprochene Wort zum Einsatz kam.32 Für die Franzosen sollten später vor allem zwei dieser eher oberflächlich islamisierten Gruppen Madagaskars von Bedeutung sein: Im Nordosten kontrol­lierten die sogenannten »Nachkommen Abrahams« (Zafibrahim) den ­Handel mit den Europäern; im Südosten herrschte die Dynastie der Zafiraminia (­ Zafindramini) in Anosy, einer landwirtschaftlich geprägten Region, die eher Marktflecken denn Städte aufwies. Sowohl die Compagnie des Indes in den 1640er Jahren als auch der Graf von Maudave in den 1760er Jahren ließen sich in Anosy nieder; die Zafiraminia bildeten die lokale politische Elite, mit der sie Handel trieben und Krieg führten. Die Zafiraminia behaupteten, von Mohammeds ­Mutter Āmina ­(Rahimina) abzustammen und aus Mekka und einer nicht eindeutig identifizierbaren Stadt namens »Mangaroro« (Mangalore in Indien?) nach Madagaskar gekommen zu sein.33 Eine Abstammung aus Südostasien (vielleicht mit einem Umweg über den westlichen Indischen Ozean) ist jedoch sehr wahrscheinlich.34 Die Zafiraminia kannten den Koran, fasteten im Ramadan und aßen kein Schweinefleisch. Die Jungen wurden im Kindesalter beschnitten. Die monarchische Ideologie der Zafiraminia wie der Dynastien des Hochlands wies große Ähnlichkeit mit der javanischen auf: Die Könige wurden zu Universalherrschern, sichtbaren Göttern und dem Zentrum des Kosmos stilisiert.35 Der König der Antanosy residierte in Fanjahira, einer Siedlung am Fluss Efaho, wo die Gräber seiner Ahnen (Abb. 3) lagen. Die Kontrolle über den Ahnenkult war für die königliche Machtausübung unabdingbar, denn der König bekam seine Gewalt von den Ahnen übertragen, denen er stets dienen musste. Die Zafiraminia beanspruchten, mithilfe ihres Ahnenkults und der dafür nötigen Kenntnisse der Genealogie den Segen der Ahnen für die Gemeinschaft sichern zu können. Ihre Autorität schöpften sie zudem maßgeblich aus ihrem magischen und esoterischen 32 Randrianja/Ellis, Madagascar, 45 – 69; Beaujard, Islamisés et systèmes royaux; ders., Les Manuscrits arabico-­malgaches; Guenier, Au Carrefour de l’oralité et de la tradition écrite. Zur magischen Benutzung der Schrift im Krieg siehe Flacourt, Histoire, 322. 33 Die Gleichsetzung Mangaroros mit Mangalore stammt von Grandidier, ist jedoch in der Forschung umstritten: Kent, Early Kingdoms, 13 – 17. Anderen Erklärungen zufolge stamme der Name Zafiraminia von einem König »Raminia« oder auch von einer Bezeichnung für den Norden von Sumatra, Ramni, ab: Beaujard, Islamisés et systèmes royaux, 237; Kent, Early Kingdoms, 102 f.; Ottino, L’Étrangère intime, Bd. 1, 16 – 22. 34 Ottino zufolge waren sie »Küstenmalaien« und stellten die letzte Einwanderungswelle von Indonesien nach Madagaskar dar: Ottino, L’Étrangère intime, Bd. 1, 4, 7 f. 35 Ottino, L’Étrangère intime, Bd. 1, 3 – 50; Bd. 2, 283 – 396.

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Abb. 3  Fanjahira, die Residenz des Königs von Anosy, in einem Kupferstich aus dem 17. Jahrhundert

Wissen in der Astrologie, der Geomantie, der Zeicheninterpretation und der Medizin. Sie besaßen auf Madagassisch, Arabisch oder in einem madagassisch-­ arabischen pidgin verfasste Handschriften. Die prestigeträchtigste Gruppe nach der königlichen Dynastie wurde in Anosy Roandriana genannt. Sie teilte sich mit der königlichen Familie das Monopol der Tierschächtung. Die Zafiraminia und die Roandriana galten als eine »weiße« Oberschicht, die neben einer seit längerer Zeit etablierten »schwarzen« Gruppe von Dorfältesten bestand.36 Die »Weißen« heirateten oft endogam, doch nicht immer, wie das Vorhandensein von »Mulatten« zeigte.37 Die Entwicklung des internationalen Handels und einer Städtelandschaft im Nordwesten der Insel gab den entscheidenden Impuls für die Herausbildung großer Monarchien im 17. Jahrhundert. Die Sakalava, die die Westküste bewohnten und ein deutliches Bantuerbe aufwiesen, gründeten eine Reihe von Königreichen, die durch den Sklavenhandel reich wurden. Da es auf Madagaskar keine 36 Rakotoarisoa, Mille ans d’occupation humaine, 91 – 95; Randrianja/Ellis, Madagascar, 61 – 65; Ottino, L’Étrangère intime (zu den indisch-­islamischen Einflüssen insbesondere: Bd. 2, 523 – 580); Vérin, The History of civilization, 79 – 89; Rantoandro, L’Extrême ­sud-­est de Madagascar; Beaujard, Islamisés et systèmes royaux, vor allem 253 f.; Kent, Early Kingdoms, 102 f. Zum Ahnenkult: Frappaz, Voyages, 123 f. 37 Kent, Religion and State, 282.

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Primogeniturregelegung gab,38 bewirkten Erbfolgekonflikte immer wieder, dass Mitglieder des herrschenden Clans in neue Gebiete auswichen und Nebenlinien schufen. Im 18. Jahrhundert stand aus d ­ iesem Grund beinahe der gesamte Norden Madagaskars unter der Herrschaft von Fürsten, deren Familien ursprünglich aus dem Westen der Großen Insel stammten.39 Gegen manche mindermächtige Nebenlinien der Sakalava-­Dynastien kämpfte erfolglos Moritz August Beňovský, der als Kommandant für den französischen König auf Madagaskar in den Jahren 1774 – 1776 in der Bucht von Antongila (frz. Baie d’Antongil) eine Niederlassung gegründet hatte. Dass die Sakalava-­Dynastie der Zafinimena den Norden Madagaskars kontrollierte, hieß jedoch nicht, dass zentralisierte Staaten entstanden wären. Vielmehr sind die politischen Gebilde der Sakalava wie diejenigen der Antanosy, Antaimoro oder Betsimisaraka als »segmentary states« zu bezeichnen: Die einzelnen Fürsten der Dynastie verehrten dieselben Ahnen, waren jedoch autonom. Dem König wurde eher eine rituelle Oberhoheit als eine politische Souveränität zuerkannt.40 Diese Fragmentierung sollte sich für die Franzosen als wichtig erweisen. Unter den Zafinimena gelang der König von Boina zum größten Reichtum, vor allem dadurch, dass er den Hafen Mazalagem Nova (frz. Nouveau Masselage) kontrollierte, der im späten 16. Jahrhundert entstanden und zum blühendsten Handelszentrum der Großen Insel geworden war. Dort kauften muslimische, europäische und nordamerikanische Händler zahlreiche Sklaven. Die Sakalava-­Könige nahmen europäischstämmige Soldaten in ihren Dienst, oft ehemalige Piraten. Diese Fürsten pflegten eine Symbolik, die ihren internationalen Rang zur Schau stellen sollte. Einem deutschen Angestellten der holländischen Ostindienkompanie, der 1741 den königlichen Palast in Boina besuchte, zeigte der Herrscher seine Sammlungen importierter Luxusgüter. Er saß auf einem lackierten Thron chinesischer Anfertigung und servierte seinen Besuchern Punsch aus einem japanischen Gefäß. An manchen Tagen trug er arabische Kleider, an anderen persische. Der Herrscher beauftragte die Holländer zudem, ihm einen Schneider zukommen zu lassen, um die europäischen Kleider, die er besaß, zu flicken.41 In den 1730er Jahren versuchte der König von Boina, die Ostküste Madagaskars unter seine Kontrolle zu bringen. Er unternahm mehrere Feldzüge in diese Region, was vermutlich den Anlass zur Gründung der Betsimisaraka-­Konföderation gab. Schließlich konnte der König der Betsimisaraka nach erfolgreichem Abwehrkampf ein Bündnis mit dem mächtigen Sakalava-­König schließen und eine Prinzessin aus Boina heiraten.42 38 Rantoandra, L’Extrême sud-­est de Madagascar, 215 f. 39 Vérin, The History of Civilization, insbesondere 106 – 118. 40 Lambek, The Weight of the Past, 79. 41 Vérin, The History of Civilization, insbesondere 67 – 78, 106 – 118; Randrianja/Ellis, Madagascar, 99 – 112. 42 Hooper, Pirates and Kings, 231 – 234.

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Auch im Zentrum Madagaskars, im Hochland, etablierten sich größere Königreiche, vor allem das der Merina. Um 1800 eroberte der Merinaherrscher ­Andrianampoinimerina (ca. 1750 – 1809) den größten Teil des Hochlands. Dadurch gelang es ihm, den Sklavenhandel zur Ostküste zu kontrollieren. Er verlegte seine Hauptstadt nach Antananarivo, die bei seinem Tod mit schätzungsweise ca. 25.000 Einwohnern wohl die größte Siedlung Madagaskars war.43 ­Andrianampoinimerinas Sohn Radama I. unterwarf 1817 die wichtigste Hafensiedlung der Ostküste, Toamasina (frz. Tamatave), wo die Franzosen bis 1811 einen Stützpunkt gehabt hatten. Nicht zuletzt dank der britischen Unterstützung konnte er daraufhin seine Herrschaft über zwei Drittel der Insel etablieren und nahm den Titel »König von Madagaskar« an.44

1.3 Erste europäische Expansionsversuche Die Gründung des kolonialen »Sekundärreichs« 45 der Merina unter britischem Schutz war die erste mittelfristig erfolgreiche Einflussnahme einer europäischen Macht auf die politischen Verhältnisse Madagaskars: Der britische Einfluss bestand bis zur Abschottungspolitik Ranavalonas I., Radamas Ehefrau und Nachfolgerin, in den 1830er Jahren.46 In den zwei Jahrhunderten davor hatten die Europäer eher durch ihren Handel als durch ihre Politik auf die Große Insel eingewirkt. Die Ankunft der Portugiesen und anderer Europäer im Indischen Ozean im 16. Jahrhundert hatte zunächst keinen Einschnitt in der Geschichte Madagaskars dargestellt. Sie bedeutete keineswegs den Anschluss der Großen Insel an die weite Welt: Auf dem Indischen Ozean segelten bereits seit Jahrhunderten Händler unterschiedlichster Herkunft. Vor allem schafften es die Portugiesen nicht, sich nennenswert am Madagaskarhandel zu beteiligen, der größtenteils in der Hand von swahilisprachigen Eliten war.47 Die europäischen Schiffe hielten in der Frühen Neuzeit gelegentlich auf der Route nach Indien an den Küsten der Insel. Doch blieb für die Madagassen der Handel mit den Europäern im 16. Jahrhundert unbedeutend im Vergleich zu dem mit der muslimischen Welt. Dies änderte sich allmählich im 17. Jahrhundert, als europäische Schiffe zunehmend im Nordwesten der Insel mit Sklaven beladen wurden. Die intensive Besiedlung der Maskarenen durch die Franzosen im 18. Jahrhundert ließ den Handel z­ wischen Madagassen und Europäern weiter an Bedeutung gewinnen. Durch den Aufbau von Plantagen 43 Randrianja/Ellis, Madagascar, 112 – 119. 44 Ebd., 123. 45 Campbell, An Economic History of Imperial Madagascar, insbesondere 8 – 10. 46 Deschamps, Histoire, 166 f. 47 Hooper, Pirates and Kings, 218 – 221.

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auf der Île Bourbon (heute Réunion) und der Île de France (heute Mauritius) entstand eine Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Arbeitskräften. Die Ostküste Madagaskars lieferte drei Produkte, die diese zum Teil stillten: Zebus (Buckelrinder), Reis und Sklaven. Die Franzosen brachten im Gegenzug Silbermünzen, Waffen, Schießpulver, Branntwein, verschiedene Metallgegenstände und Stoffe auf die Insel. Madagassische Frauen gingen Ehen nicht nur mit europäischen und amerikanischen Piraten, sondern auch mit französischen Händlern ein.48 Ab dem frühen 17. Jahrhundert versuchten europäische Königreiche immer wieder vergeblich, auf der strategisch gelegenen Großen Insel Fuß zu fassen. Portu­ giesen bemühten sich in dieser Zeit, Handelsniederlassungen zu gründen.49 Im Jahr 1613 schloss eine portugiesische Expedition aus Goa Freundschaftsverträge mit diversen Herrschern an der Nordwest-, West- und Südostküste Madagaskars. Jesuiten gründeten eine Mission bei dem Zafiraminia-­König Bruto Chambanga (auch unter dem Namen Andriantsiambany bekannt). In den Augen der Patres waren die Aussichten auf die Konversion der Oberschicht Anosys gut. Bei ihrer Ankunft bekundeten manche Männer der Region, Nachfahren von portugiesischen Schiffsbrüchigen zu sein. Die Roandriana begaben sich regelmäßig zum Kreuz, das diese Iberer wohl im 16. Jahrhundert errichtet hatten. Das Kreuz hatte den Ruf, Regen zu bringen und Insekten zu vertreiben. Auch trugen viele Menschen Zinnkreuze um den Hals, denen magische Wirkungen zugesprochen wurden. Das gute Verhältnis z­ wischen den Patres und dem König schlug jedoch in einen Konflikt um, als die Jesuiten Dian Ramach (Ndriandramaka), einen Sohn des Königs, entführen und in ihr Kolleg nach Goa bringen ließen. Der Junge lernte in der Hauptstadt von Portugiesisch-­Indien die lateinischen Gebete und gab dennoch nach seiner Rückkehr nach Anosy (1616) alsbald das Christentum auf. Die Jesuiten mussten 1617 Madagaskar verlassen.50 Mit der Entführung hatte die Gesellschaft Jesu nur erreicht, dass Dian Ramach den französischen Missionar Nacquart bei dessen Ankunft in der Region in den 1640er Jahren mit den folgenden Worten begrüßte: »Per signum sanctae crucis de inimicis nostris libera nos.« 51 Nacquart und andere französische Missionare waren nicht alleine auf der Großen Insel angekommen, sondern folgten französischen Soldaten und Siedlern. In den 1630er Jahren hatte in der Tat die Idee, eine Kolonie auf Madagaskar 48 Tombe, Voyage aux Indes orientales, 89 f. 49 Vérin, The History of civilization, 98 f.; Bechtloff, Madagaskar und die Missionare, 71 – 141; Grandidier, Histoire physique, 431 – 442. Zur Geschichte der früheren Reisen der Portugiesen nach Madagaskar: ebd., 418 – 431. 50 Rakotoarisoa, Mille ans d’occupation humaine, 73, 79 – 86; Larson, Colonies Lost, 342 – 351; Bechtloff, Madagaskar und die Missionare, 71 – 141. 51 À l’Angle de la Grande Maison, 219. Zu den Missionaren: Schmidlin, Les premières missions à Madagascar.

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zu errichten, in Frankreich und England an Zuspruch gewonnen. Augustin de Beaulieu, der in den 1620er Jahren eine Expedition nach Ostindien geleitet hatte, schlug um 1631 vor, die Große Insel zum Zentrum des französischen ostindischen Handels zu machen, doch blieb seine Schrift seinerzeit unbeachtet.52 Eine »goldene Legende« Madagaskars kam erst einmal auf der anderen Seite des Ärmelkanals auf, und zwar unter der Feder von Autoren wie Walter ­Hammond und Richard Boothby. In den 1630er Jahren hatte Karl I. von England beschlossen, seinen Neffen Rupert, den Sohn des »Winterkönigs« Friedrichs V. von der Pfalz, mit der Eroberung der Insel zu beauftragen. Da Ruperts ­Mutter ihre Zustimmung verweigerte, ernannte er stattdessen den Grafen Arundel zum Gouverneur von Madagaskar. Doch das Parlament verhinderte die Umsetzung des Kolonisierungsprojekts.53 Erst 1644 – 1645 kam es zu einem englischen Expansionsversuch auf Madagaskar. William Courteen, dessen gleichnamiger Vater 1636 vom König das Privileg erhalten hatte, in Ostindien überall dort Handel zu treiben, wo die East India Company nicht präsent war, belud drei Schiffe und ließ sich mit 140 Männern, Frauen und Kindern in der Bucht von St. ­Augustin im Südwesten der Großen Insel nieder. Zum Vorbild für die Siedlung nahm sich Courteen die Kolonien Nordamerikas. Den Kolonisten gelang es jedoch nicht, genug Nahrung zu produzieren, und durch die Unterernährung wurden sie zu leichten Opfern für Krankheitserreger.54 Flacourt zufolge weigerten sie sich, für den König der Region in den Krieg zu ziehen, sodass der Fürst aufhörte, ihnen Lebensmittel zu verkaufen. Im Überlebenskampf griffen sie zu gewalttätigen Mitteln: Sie entführten einen Dorfältesten und verlangten Zebus als Lösegeld. Kriegerische Auseinandersetzungen waren das Ergebnis dieser Politik. Nach dreizehn Monaten mussten die Kolonisten nach England zurückkehren. Nur zwölf Expeditionsteilnehmer überlebten.55 1649 versuchte eine weitere englische Gruppe, eine Zuckerplantagen­kolonie auf Nosy Be, einer Madagaskar vorlagerten Insel, aufzubauen. Sie bemühte sich um gute Beziehungen zum örtlichen Sultan, geriet jedoch nur wenige Tage nach ihrer Ankunft in einen Konflikt mit den Einheimischen und gab die Nieder­ lassung schnell auf.56 52 Lombard-­Jourdan, Augustin de Beaulieu; Beaulieu, Mémoires, vor allem 51 – 53. 53 Games, The Web of Empire, 181 – 195. 54 Ebd., 200 – 203. 55 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 301 f.; Grandidier/Grandidier, Les Anglais à Madagascar; Brenner, Merchants and Revolution, 170 – 173; Deschamps, Histoire de Madagascar, 66; Racault, Les premières Tentatives coloniales, 287 – 291; Games, English Globetrotters and Transoceanic Connections, 687 – 689; dies., The Web of Empire, 203 – 206. 56 Games, Beyond the Atlantic, 687 f.; dies., The Web of Empire, 208 – 215.

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Bereits diese Erfahrungen zeigten, dass es für Europäer keineswegs einfach werden würde, auf Madagaskar Fuß zu fassen. Nicht nur das tropische Klima der Ostküste, sondern auch die Konstruktion politischer Legitimität und die Strategien madagassischer Akteure stellten hohe Hürden dar. Die Geschichte der wiederholten französischen Expansionsversuche demonstriert dies besser als alle anderen Episoden der europäisch-­madagassischen Begegnung in der Frühen Neuzeit.

2 Franzosen auf Madagaskar, Franzosen aus Madagaskar Im Vergleich zur englischen Kolonie in der Bucht von St. Augustin währte der erste französische Kolonisierungsversuch auf Madagaskar lange: 32 Jahre lang strengten sich Tausende von französischen Offizieren, Soldaten, Siedlern und Händlern an, in Anosy die französische Niederlassung von Fort-­Dauphin aufzubauen. Wie vorhin dargelegt haben Historiker angefangen, neue Deutungen für das Verhalten der Franzosen und ihr Scheitern zu entwickelten. Die Geschichte der französischen Niederlassungen muss jedoch auf dieser Grundlage noch geschrieben werden, wozu ­dieses Kapitel für die Zeit ­zwischen 1642 und 1674 sowie z­ wischen 1750 und 1763 beitragen möchte. Das französische Versagen auf Madagaskar erinnert daran, dass es den Europäern in der Frühen Neuzeit in nur wenigen Regionen des Erdkreises gelang, ihre Dominanz zu etablieren. Es lenkt die Aufmerksamkeit auf den Umstand, dass Europäer nur dann wirksam agieren konnten, wenn sie sich in örtliche s­ oziale Gefüge integrierten und sich akkulturierten. Gerade deswegen zeigen die Erfahrungen der Franzosen auf Madagaskar im 17. und 18. Jahrhundert, dass die Geschichte der französisch-­madagassischen Begegnung nicht als eine Kolonialgeschichte geschrieben werden sollte.1 Als Quellenbasis können vor allem die Erzählungen von François Cauche, Étienne de Flacourt, Carpeau du Saussay, Urbain Souchu de Rennefort, Du Bois und Jacob Blanquet de La Haye dienen. François Cauche kam 1638 oder 1639 als Händler und Abenteurer nach Anosy und verließ die Große Insel kurz nachdem die erste französische Ostindienkompanie 1642 unter der Führung Jacques Pronis’ in der Region ihre erste Niederlassung gründete. Er veröffentlichte seine Erinnerungen 1651.2 Étienne de Flacourt kam als Gouverneur des von Pronis gegründeten Fort-­Dauphin und blieb bis 1655 auf Madagaskar. Seine Histoire de la Grande Isle de Madagascar erschien erstmals 1658.3 Carpeau du Saussay und Urbain Souchu de Rennefort berichteten über die darauffolgende Periode in der Geschichte der Kolonie. Carpeau du Saussay war Offizier. Er kam mit dem letzten Schiff des Marschalls von La Meilleraye, des Inhabers des Handelsmonopols mit der Großen Insel, 1663 nach Anosy. Carpeau diente ungefähr zwei Jahre unter dem Gouverneur Champmargou und scheint Anosy 1665 verlassen zu haben. Seine

1 Dies betonen: Gruzinski, Les quatre parties du monde; Boucheron, Histoire du monde au XVe siècle; Bertrand, L’Histoire à parts égales; Burbank/Cooper, Empires in World History; Lieberman, Strange Parallels; Richards, The Unending Frontier; Stuchtey u. a., Across Cultural Borders. 2 Cauche, Relations veritables et curieuses, 1 – 105. 3 Flacourt, Histoire de la Grande Isle.

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Franzosen auf Madagaskar, Franzosen aus Madagaskar

Erinnerungen erschienen erst 1722.4 Rennefort kam dagegen mit der Flotte der neu gegründeten Ostindienkompanie 1665 nach Anosy. Er sollte Sekretär des Souveränen Rats der Insel werden, konnte jedoch aufgrund eines Konflikts mit seinen Vorgesetzten seine Stelle nie antreten. Rennefort verließ die Große Insel bereits 1666 und ließ seine Erinnerungen 1668 in Frankreich drucken. 1688 veröffentlichte er auch eine Geschichte der Franzosen in Ostindien.5 Du Bois und Jacob Blanquet de La Haye erlebten die letzte Phase der französischen Kolonie in Anosy. Du Bois kam im Oktober 1669 als Offizier nach Madagaskar und blieb bis April 1671. Seine Erzählung erschien 1674.6 La Haye wurde als Admiral und Vizekönig Ostindiens jenseits des Kaps der Guten Hoffnung nach Madagaskar geschickt und verblieb ­zwischen November 1670 und Juni 1671 in Anosy.7 Von diesen sechs sind die Erzählungen Flacourts und Renneforts bei Weitem die detailliertesten. Da diese beiden Autoren die Geschichte der Niederlassung auch in der Zeit vor ihrer eigenen Ankunft auf der Insel erzählen, ist zudem ein chronologisch beinahe lückenloser Überblick über die Vorkommnisse in Anosy ­zwischen den späten 1630er und den frühen 1670er Jahren überliefert.

2.1 Untertanen zweier Könige Bereits vor der Gründung der ersten Ostindienkompanie 1642 hatten Privatleute aus Frankreich Handelsniederlassungen in Anosy aufgebaut. Bei ihrer Ankunft Mitte der 1630er Jahre hatten sie sich unter den Schutz des Zafiraminia-­Königs Dian Ramach gestellt. Der Autor eines Berichts über diese Vorkommnisse, François Cauche, hatte sich in der Nähe der Halbinsel von Tôlanaro bei Dian Machicore (Ndriamasikoro), dem Schwiegersohn Dian Ramachs,8 niedergelassen und war nach eigenen Angaben ein Vertrauter ­dieses Fürsten geworden. Cauche berichtet von zwei kriegerischen Auseinandersetzungen: z­ wischen Dian Ramach und den Adligen des Manampanihytals (vallée d’Amboulle) im nördlichen Anosy 9 sowie ­zwischen Dian Ramach und den in der Region der heutigen Bara lebenden 4 [Carpeau du Saussay], Voyage de Madagascar. Manche Forscher haben jedoch Zweifel, ob Carpeau wirklich der Autor ­dieses Berichts ist: Racault, Les Voyageurs du XVIIe siècle, 193. 5 Souchu de Rennefort, Relation du premier voyage; ders., Histoire des Indes orientales. 6 [Du Bois], Voyages. 7 La Haye, Journal. 8 Die Herkunft Dian Machicores bleibt im Dunkeln: Rantoandra, L’Extrême sud-­est de Madagascar, 216. 9 Im Manampanihytal herrschten Voadziri, »schwarze« Adlige: Rantoandra, L’Extrême sud-­est de Madagascar, 226 f.

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Abb. 4  Fort-­Dauphin Mitte des 17. Jahrhunderts

Machicores (Masikoro). Dabei zeigte sich Cauche als treuer Gefolgsmann seines Fürsten und zog mit ihm in den Krieg. Er berichtet stolz von den Erfolgen »unserer Truppen«, das heißt der Männer Dian Ramachs und Dian Machicores, mit denen er sich offensichtlich identifizierte. Die Ankunft des ersten Schiffs der neuen französischen Ostindienkompanie 1643 bedeutete für Cauche einen Autonomieverlust. Seiner Handels- und Handlungsfreiheit beraubt, zog er es nach eigenen Aussagen schweren Herzens vor, sein Haus, seinen Garten und vor allem Dian Machicore, der ihn »unendlich geliebt« habe, zu verlassen und nach Frankreich zurückzukehren.10 Cauche war schnell in die Gesellschaft der Roandriana integriert worden; er war zu einem Franzosen aus Madagaskar geworden. Der Plan der neuen Ostindienkompanie, Madagaskar zu kolonisieren, war äußerst ambitiös: Nicht nur Handelsniederlassungen waren anvisiert; es ging um nichts Geringeres als um die Schaffung einer »France orientale«, eines zweiten Frankreichs in »Ostindien«. 1642 erhielt der Kapitän Rigault von König ­Ludwig XIII. das Privileg, eine Niederlassung auf Madagaskar zu gründen. Er formierte mit Mitgliedern des Königlichen Rats eine Ostindienkompanie, die sofort ein Schiff in den Indischen Ozean schickte. Der Hauptort, Fort-­Dauphin (Abb. 4), wurde auf der Halbinsel von Tôlanaro in Anosy gegründet. Der Gouver­neur Jacques Pronis, ein 10 Cauche, Relations, 1 – 105: »il m’aimait infiniment« (S. 104).

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Franzosen auf Madagaskar, Franzosen aus Madagaskar

Hugenotte, traf sich bei seiner Ankunft mit Cauche und den anderen Franzosen, ging bald ein Bündnis mit Dian Ramach ein und nahm eine Zafiraminia namens Dian Ravel den lokalen Gepflogenheiten entsprechend – also nicht kirchlich – zur Frau.11 Damit verfolgte er eine Strategie, die spätere Historiker wie Maletot für die richtige hielten: die der Freundschaft mit der indigenen Oberschicht. Dennoch hatte die Aufnahme Pronis’ in ein örtliches Adelsgeschlecht ganz andere Konsequenzen, als man dieser ­Theorie folgend erwarten könnte: Anstatt die Madagassen zu »zivilisieren« und eine französische Herrschaft einzuleiten, ging Pronis damit Pflichten gegenüber seiner neuen Familie ein. Der Südosten Madagaskars war keineswegs ein reiches Land, sondern eine Region, die seit längerer Zeit beinahe ununterbrochen unter Kriegen litt; bewaffnete Auseinandersetzungen z­ wischen den Zafiraminia und mehreren ihrer Nachbarn waren an der Tagesordnung.12 Der Gouverneur musste in ­diesem schwierigen Kontext seine Antanosy-­Verwandtschaft versorgen und sah sich genötigt, die Essensrationen der Kompanieangestellten stark zu reduzieren. Die Franzosen warfen Pronis vor, er behandle sie wie Sklaven, und in der Tat bezeichnete der Gouverneur seine Diener als ondevo, was auf Madagassisch so viel wie »ahnenlose Unfreie« bedeutet. Die Aufnahme Pronis’ unter die Zafiraminia hatte im Endeffekt verheerende Folgen für ihn und die Niederlassung: Die Soldaten revoltierten 1646 und warfen ihren Kommandanten ins Gefängnis, den ein wenig später der Kapitän eines neu angekommenen Schiffs befreite. Die Rebellen flohen ins Landesinnere, in die Region der Masikoro. Dennoch meuterte ein Teil der Soldaten kurze Zeit später wieder; Pronis schlug die Meuterei nieder und ließ die Schuldigen deportieren. Im darauffolgenden Jahr verließen zudem 23 Franzosen Fort-­Dauphin wegen Hunger. Sie erreichten die Bucht von St. Augustin, richteten sich in der ehemaligen englischen Niederlassung ein und verdingten sich beim örtlichen Fürsten als Söldner.13 Die Integration Pronis’ und seiner Leute in die Gesellschaft Anosys hatte noch weitere unangenehme Folgen: Als der Gouverneur sechs seiner Männer 1643 in den Norden schickte, um bei den Antaimoro eine Niederlassung zu errichten, wurden die Franzosen massakriert. Flacourt beschuldigt in seiner Erzählung den Fürsten Dian Ramach, den Mord befohlen zu haben. Diese Anklage untermauert er mit dem Verweis auf die Abstammung der Königsdynastie der Antaimoro von dem Geschlecht der Zafiraminia.14 Dennoch ist diese Darstellung wenig g­ laubwürdig: 11 Dian Ravel war eine Tochter Dian Marvals, der ein Bruder Dian Ramachs war: ­Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 265 – 268. Zur Genealogie der Zafiraminia siehe ebd., 158 f.; Rantoandro, L’extrême sud-­est, 215 f. 12 Rantoandro, L’extrême sud-­est, 217 – 219. 13 Flacourt, Histoire, 268 f., 271 f., 273 – 275, 278, 302. 14 Ebd., 266 f.

Untertanen zweier Könige

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Bekanntlich konkurrierten die beiden Zweige der Dynastie miteinander um die Herrschaft im Südosten Madagaskars und lieferten sich zahlreiche Kriege,15 so dass eine Zusammenarbeit ­zwischen ihnen unwahrscheinlich ist. Zudem bedauerte Dian Ramach Cauche zufolge, der zu dieser Zeit noch auf Madagaskar weilte, den Verlust seiner französischen Gefolgsleute sehr.16 Es scheint also, die Franzosen zahlten den Preis dafür, dass sie aus der Sicht des Antaimoro-­Zweigs der Zafiraminia zu Gefolgsleuten des Königs von Anosy geworden waren. Noch im August 1647 töteten die Antaimoro sechs Franzosen.17 Die Ehe Pronis’ mit Dian Ravel brachte eine Reihe weiterer opferfordernder Konflikte mit sich.18 Die meisten Franzosen kamen jedoch nicht durch die Hand der Madagassen ums Leben, sondern durch epidemische Krankheiten, die die Kolonie von Anfang an verwüsteten: Von den vierzig Männern, die in Anosy unter Pronis’ Befehlsgewalt blieben (andere waren in weiteren Niederlassungen), überlebten Cauche zufolge lediglich vierzehn die ersten zwei Monate.19 Schiffe und Boote gingen zudem in den tropischen Stürmen verloren, was die Niederlassung weiterhin schwächte.20 Trotz der Verstärkung, die neu ankommende Schiffe mit sich brachten, wuchs unter diesen Umständen die Kolonie kaum. So nimmt es nicht wunder, dass Fort-­Dauphin keine nennenswerte landwirtschaftliche Produktion initiierte. Auch der Handel entwickelte sich nicht: Wie Cauche den Neuankömmlingen mitgeteilt hatte, war tropisches Holz (von Cauche »Ebenholz« genannt) das einzige Luxusprodukt, dessen Export sich lohnte. Doch es wuchs nicht in Anosy, sondern bei den feindlich gesinnten Antaimoro.21 Unter diesen Bedingungen heuerten die Franzosen als Söldner an, um an Lebensmittel zu kommen, und es scheint, die europäische Waffen- und Kampftechnik machte sie zu begehrten Soldaten. Doch provozierte die militärische Unterstützung, die Pronis 1648 einem König aus dem eher entlegenen südlichen Betsileo leistete, zugleich einen Konflikt mit Dian Ramach, ohne dass die genauen Gründe dafür bekannt wären.22 Jedenfalls trachtete Dian Ramach Flacourt zufolge 15 Kent, Early Kingdoms, 93 – 107. 16 Cauche, Relations, 100 – 104. 17 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 278, 307. 18 Siehe den Konflikt z­ wischen Flacourt und Razau, einem Bruder des Königs, der mit dem Tod mehrerer Franzosen und Razaus endete: Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 276 f. 19 Cauche, Relations, 89; Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 266. 20 Cauche, Relations, 90; Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 267, 277. 21 Cauche, Relations, 92, 100 f.; Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 305. 22 Flacourts Erzählung lässt erahnen, dass die Hilfe, die Pronis dem Fürsten von A ­ rindrano in dessen Kampf gegen andere Betsileo zukommen ließ, Dian Ramach erzürnte: F ­ lacourt, Histoire de la Grande Isle, 278 f.

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Franzosen auf Madagaskar, Franzosen aus Madagaskar

bereits zu d ­ iesem Zeitpunkt danach, alle Franzosen der Niederlassung umzubringen. Pronis schickte auch Soldaten zu Dian Panolah, einem Sohn Dian Ramachs, der über Manambolo (frz. Manamboule) herrschte, eine Region nördlich vom Manampanihytal. Dieser verfolgte eine Politik, die anfänglich weitgehend unabhängig von der seines Vaters gewesen zu sein scheint.23 Es gibt somit Anzeichen dafür, dass Pronis gegen Ende seiner Amtszeit Dian Ramach faktisch das Bündnis – oder, wie es der König vermutlich gesehen hat: die Gefolgschaft – aufkündigte. Der Frust über die bisherigen geringen Erfolge Fort-­Dauphins dürfte bei dieser Entscheidung eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben.

2.2 Söldner und Räuber Um Fort-­Dauphin endlich in eine profitable Kolonie zu verwandeln, schickte der Herzog von La Meilleraye, der das Privileg des Madagaskarhandels erworben hatte, im Jahre 1648 Étienne de Flacourt auf die Insel. Die Amtszeit F ­ lacourts brachte der Kompanie jedoch ebenfalls nur Verluste. Kaum angekommen, stürzte sich der neue Gouverneur in einen Konflikt mit Dian Ramach und sogar der ganzen Dynastie der Zafiraminia aus Anosy. Dieser Krieg sollte einen Schatten auf seine gesamte Amtszeit werfen. Flacourt ließ Pronis’ Ehefrau Dian Ravel von Fort-­ Dauphin vertreiben und Pronis selbst aus Anosy entfernen.24 Der neue Gouverneur setzte zugleich die Bündnispolitik mit Dian Panolah fort.25 Die Franzosen kamen zudem Dian Manhelle, dem König der Mahafaly, einer Nation im Südwesten Madagaskars, 1649 zu Hilfe. Dian Manhelle befand sich in einem Erbfolgestreit mit seinem Bruder Dian Raval, der über einen Teil der Masikoro herrschte (im heutigen Land der Bara).26 Flacourts Männer wurden jedoch auf der Rückreise von Antandroy (frz. Ampatres), Verbündeten Dian Ramachs, angegriffen.27 Aus ­diesem Grund griffen die Franzosen im April 1650 zusammen mit Männern ihres

23 Ebd., 297. Siehe auch Rantoandro, L’Extrême sud-­est de Madagascar, 277. Flacourt behauptet, die Einwohner Manambolos erkannten die Oberherrschaft, die Dian Ramach für sich reklamierte, keineswegs an: Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 303. Die Herrschaft eines Mitglieds der Zafiraminiadynastie über Manambolo scheint auch neueren Datums gewesen zu sein, da Flacourt angibt, dass ­dieses Land dem Vater Dian Manhelles und Dian Ravals gehört habe, dessen Reich nach seinem Ableben zerfiel: Ebd., 153. 24 Ebd, 299 f. 25 Ebd., 300, 305. 26 Ebd., 304. Laut Flacourt zog Dian Raval in d ­ iesem Erbfolgekrieg den Kürzeren. Zu den Hintergründen ­dieses Kriegs siehe ebd., 153. 27 Ebd., 303.

Söldner und Räuber

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Verbündeten Dian Panolahs die Antandroy an.28 Flacourt war es gelungen, für diesen Feldzug Dian Raval als Bündnispartner zu gewinnen, jenen König, gegen den er noch ein Jahr zuvor gekämpft hatte.29 Im Juli 1650 brach der offene Krieg z­ wischen Dian Ramach und Fort-­Dauphin aus. Er wurde für die Franzosen umso bedrohlicher, als ihre Verbündeten Dian Panolah und Dian Raval die Seite wechselten.30 Raubzüge und der Reishandel mit nordmadagassischen Fürsten ermöglichten es den Franzosen in den nächsten Jahren, sich mit Lebensmitteln zu versorgen.31 Der einzige nennenswerte Verbündete der Franzosen war Dian Mananghe (Andrianmanana?), kein Zafiraminia, sondern ein Bruder Dian Manhelles und Dian Ravals. Gegen diese beiden Fürsten hatte Dian Mananghe Krieg um das Erbe des Reichs der Masikoro geführt, das unter ihrem Vater einen Großteil des Südwestens und des südlichen Innenlands von Madagaskar umfasst hatte.32 Im Juli 1651 griff Flacourt die Residenz Dian Ramachs an und tötete den König.33 Der Gouverneur von Fort-­Dauphin berichtet, er habe daraufhin die Zafiraminia und mit ihnen den ganzen Südosten Madagaskars bis Anfang 1653 allmählich unterworfen.34 An dieser bis in neuere Veröffentlichungen wiederholten Darstellung sind jedoch aus zwei Gründen Zweifel angebracht: Erstens sollte sie Flacourts Behauptung stützen, er hätte ganz Madagaskar unterwerfen können, wenn er Hilfe aus Frankreich erhalten hätte.35 Flacourts Histoire de la Grande Isle de Madagascar war kein neutraler Bericht und keine unparteiische Länderkunde. Sie diente dem Autor als Mittel, die Unterstützung des Finanzministers Nicolas Fouquet für sein Kolonisierungsprojekt zu gewinnen. Der Gouverneur von Fort-­Dauphin hatte daher ein großes Interesse daran, seine Politik und deren Ergebnisse in ein möglichst positives Licht zu rücken, und wandelte sein Scheitern in ein Beinahe-Gelingen um.36 Zweitens widerspricht Flacourt seiner eigenen 28 Ebd., 310 f. 29 Ebd., 311. 30 Ebd., 316 – 323. 31 Ebd., 324 f., 328 – 332. 32 Ebd., 309, 339, 341, 350 f., 353. Luis Mariano stellte im frühen 17. Jahrhundert Dian Mananghe als einen Vasallen des Königs Anosys dar: Rantoandro, L’Extrême sud-­est de Madagascar, 215. Dian Mananghes Herrschaftsgebiet lag am Fluss Mandrare und grenzte somit unmittelbar an Anosy und an das Gebiet der Antandroy: ebd., 216 f., 227. 33 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 158 f., 327. 34 Ebd., 337 – 348. 35 Ebd., 348. 36 Diese Umwandlung des Scheiterns in einen Erfolg ist für Berichte über Geschehnisse in Übersee im 16. und 17. Jahrhundert nicht untypisch. Gerade Geschichten des Scheiterns konnten die These der eigenen Überlegenheit stützen: Burghartz, Erfolg durch Scheitern?

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Franzosen auf Madagaskar, Franzosen aus Madagaskar

­ arstellung einer erfolgreichen Unterwerfung, wenn er beschreibt, wie die KriegsD handlungen ohne nennenswerte Unterbrechung weitergingen.37 Trotz kleinerer Erfolge verließ Flacourt Madagaskar im Februar 1655, ohne dass Fort-­Dauphin über seine Rolle als Zentrum des Viehraubs hinausgewachsen wäre. Sein Nachfolger massa­krierte mehrere Zafiraminia, doch konnte auch er dadurch keine französische Herrschaft etablieren.38 Im Gegensatz zu Pronis hatte Flacourt nicht versucht, Teil der Zafiraminiagesellschaft zu werden. Vielmehr verfolgte er eine Politik der Unabhängigkeit gegenüber dem König von Anosy. Hatte das Hineinheiraten des ersten Gouverneurs von Fort-­Dauphin in die Dynastie der Zafiraminia ernsthafte Probleme mit sich gebracht, so war die Situation der Niederlassung unter Flacourt kaum besser. Zwar konnten sich die Franzosen durch ihre wiederholten Razzien trotz temporärer Engpässe insgesamt besser als vorher mit Rindfleisch versorgen, doch geschah dies um den Preis eines nicht endenden Kriegs, der bald Flacourt dazu brachte, die Unterwerfung der Fürsten Anosys anzustreben. Die Zafiraminia zeigten sich trotz der anfangs autonomen Politik Dian Panolahs insgesamt in der Verteidigung ihrer sozialen Stellung weitgehend solidarisch – und dies selbst nachdem der Tod Dian Ramachs die Erbfolgefrage aufgeworfen hatte.39 Flacourt war offensichtlich nicht imstande, eine Alternative zu den herkömmlichen Herrschaftsstrukturen zu schaffen sowie Legitimität und Autorität zu generieren. Eine wahrhafte Kolonie, die Landwirtschaft oder auch der Handel konnten sich unter diesen Umständen nicht entwickeln. Kurze Zeit nach diesen Ereignissen, als Pronis wieder das Amt des Gouverneurs bekleidete, trafen 1656 zwei Schiffe des Herzogs von La Meilleraye in Anosy an. Champmargou, der ein großes und »frisches« Truppenkontingent unter seinem Befehl hatte, wurde neuer Gouverneur. Dies bedeutete die Rückkehr zu einer aggressiveren Kriegspolitik, die zwischenzeitlich aufgrund der Schwäche der Franzosen notgedrungen aufgegeben worden war. Da Renneforts Relation, die Hauptquelle für diesen Abschnitt der französisch-­madagassischen Begegnung, wenig Informationen über die Adligen des Südens und Südostens Madagaskars enthält, lassen sich die politische Konstellation und die Strategie der Antanosy nur bedingt rekonstruieren. Die Franzosen waren mit einem 37 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 350 – 377. 38 Ebd., 387, 392 – 411. 39 Flacourt versuchte Dian Panolah dadurch für sich zu gewinnen, dass er ihm im September 1652 Fanjahira, die inzwischen zerstörte Residenz des seligen Dian Ramachs und Ort der Gräber der Ahnen, zusprach. Ihm zufolge sei Dian Panolah damit sehr zufrieden gewesen. Doch führte dieser in den folgenden Jahren weiterhin Krieg gegen die Franzosen: ebd., 345 f., 351 – 353, 371, 403. Zu Fanjahira siehe Rantoandro, L’Extrême sud-­est de Madagascar, 230.

Söldner und Räuber

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gewissen Dian Rasissate aus dem Manampanihytal verbündet und zogen gegen einen ebenfalls nicht näher bekannten Dian Ramael in den Krieg. Dian Ramael herrschte wie der ehemalige Verbündete der Franzosen Dian Mananghe über ein Land am Fluss Mandrare – an der Grenze z­ wischen Anosy, dem Land der Antandroy und dem heutigen Gebiet der Bara. Jedenfalls war der Feldzug, in dem ein französischer Unteroffizier namens Vacher de La Case erstmals von sich reden machte, ein Erfolg für die Franzosen.40 Zudem fielen die Franzosen gemeinsam mit Dian Mananghe im Land der Antandroy ein, um Dian Raval zu helfen, einem alten Verbündeten der Franzosen, der während des Kriegs gegen Dian Ramach im August 1650 die Seite gewechselt hatte, doch nun scheinbar wieder mit ihnen gemeinsame Ziele verfolgte. Unter der Führung Dian Mananghes und La Cases siegte das Bündnis.41 Diese beiden Kriege veränderten die politische Situation im Südosten Madagaskars in zweierlei Hinsicht: Erstens wuchs der Einfluss Dian Mananghes erheblich, da er alle unterworfenen Fürsten zu seinen Vasallen machte.42 Zweitens beschloss der erfolgreiche Militär La Case, der in der Hierarchie der französischen Armee recht weit unten stand, zu desertieren. In der Tat hatte La Case als Deserteur bessere Karriereaussichten als zuvor: Der Verbündete der Franzosen Dian Rasissate gab ihm eine seiner Töchter namens Dian Nong zur Frau. La Case war somit in den Roandrianastand, den Adel, aufgenommen und lebte im Manampanihytal. Da beim Ableben Dian Rasissates Dian Nong zu seiner Nachfolgerin erklärt wurde, war La Case nun ein »souveräner Neger« (»nègre souverain«), wie ­Rennefort es formuliert.43 Diese Änderung in La Cases Status provozierte wiederum einen Konflikt ­zwischen dem Manampanihytal und Fort-­Dauphin, da der Gouverneur Champmargou die Desertion und den damit verbundenen sozialen Aufstieg nicht hinnehmen wollte oder konnte. Doch die Fürsten des Nordens Anosys hielten zu Dian Nong und La Case, der den madagassischen Namen Dian Pousse angenommen hatte. Es blieb Fort-­Dauphin nur Dian Mananghe als Verbündeter. Somit war die Niederlassung wieder weitgehend isoliert und die Franzosen wagten keinen Angriff auf die Zafiraminia. Die Situation der kleinen Kolonie war derart kritisch, dass die Franzosen die Möglichkeit in Betracht zogen, Anosy zu verlassen und sich bei Lavatangue, einem Fürsten der Bucht von St. Augustin und Schwager Dian Mananghes, niederzulassen. Dieser wollte sich jedoch nicht mit ihnen kompromittieren.44

40 Rennefort, Relation, 103 – 107. 41 Ebd., 107 f. 42 Ebd., 108 f. 43 Ebd., 109 – 113. 44 Ebd., 113 – 119. Zum Namen »Dian Pousse«: ebd., 109.

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Franzosen auf Madagaskar, Franzosen aus Madagaskar

In dieser Lage war die Ankunft eines weiteren Schiffs des Herzogs von La Meilleraye im Jahr 1663 mehr als willkommen.45 Der Schiffskapitän vermittelte ­zwischen Champmargou und Dian Pousse alias La Case. Die Desertionsanklage gegen Letzteren wurde aufgehoben. Champmargou »lieh« zudem Dian Mananghe französische Soldaten, um Lavantangue im Südwesten der Großen Insel zu bekriegen und die Fürsten des Nordens Anosys, die Dian Pousse in die Opposition zu Fort-­Dauphin gefolgt waren, wieder in das Bündnis zu zwingen. Der Feldzug verlief erfolgreich und ermöglichte es Champmargou, zahlreiche Zebus zu rauben.46 Nichtsdestotrotz erlebte die französische Niederlassung in den folgenden beiden Jahren einen Niedergang. Sie produzierte auch weiterhin nichts Nennenswertes; die Essensrationen neigten sich dem Ende zu; Krankheiten dezimierten die Belegschaft beträchtlich. Die meisten Bündnispartner schlossen sich in d ­ iesem Zusammenhang wiederum den Zafiraminia an, einzig Dian Mananghe und Dian Pousse blieben Champmargou treu. Der Gouverneur plante einen neuen Raubzug, verzichtete jedoch darauf aus Angst, vom Feind überrollt zu werden.47 Nur die Zusammenarbeit mit Dian Pousse rettete die Niederlassung: Dank einer gemeinsamen Razzia bei den Antaimoro kamen die Franzosen an Lebensmittel.48 Das Geschäftsmodell der kleinen Kolonie hatte sich somit seit Flacourt nicht verändert: Die Franzosen waren im 17. Jahrhundert aufgrund ihrer militärischen Technik für madagassische Fürsten interessant und konnten deshalb als Söldner für Teile der regionalen Oberschicht arbeiten. Die Niederlassung wuchs jedoch nicht aus eigenen Kräften, weil sie keine Wirtschaftszweige aufbaute. Ihr Überleben hing also nicht nur von befreundeten madagassischen Fürsten, sondern auch von einem stetigen Nachschub aus Frankreich ab. Die Situation verschlechterte sich noch, als Krieg z­ wischen Fort-­Dauphin und seinem bisherigen Verbündeten Dian Mananghe ausbrach. Für diesen neuen Konflikt war ein Missionar des Lazaristenordens verantwortlich: Dian Mananghe hatte den Pater Étienne in sein Haus geholt, damit dieser seinen Sohn erziehe. 45 Laut Carpeau, der mit d ­ iesem Schiff ankam, s­ eien er und seine Gefährten »wie Schutzgottheiten« (»comme des dieux tutélaires«) empfangen worden: [Carpeau du Saussay], Voyage, 62. 46 Rennefort berichtet zweimal von diesen Ereignissen: Rennefort, Relation, 76 – 78, 119 f. Siehe auch [Carpeau du Saussay], Voyage, 64 f. 47 Diese Darstellung der Jahre 1663 – 1665 folgt der Erzählung des Augenzeugen Carpeau: [Carpeau du Saussay], Voyage, 67 – 72. Rennefort, der zu ­diesem Zeitpunkt noch nicht auf Madagaskar angekommen war, malt rückblickend ein deutlich positiveres Bild der Lage und suggeriert eine französische Herrschaft über die Region: Rennefort, Relation, 79 – 83. Dennoch widerspricht sich Rennefort, da er bei seiner Ankunft schildert, in welcher desolaten Situation sich Fort-­Dauphin befand: ebd., 63. 48 [Carpeau du Saussay], Voyage, 183 – 185.

Die Ostindienkompanie und die unmögliche Kolonisierung

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Der Pater durfte den Prinzen konvertieren, wollte jedoch auch den Fürsten selbst taufen. Dian Mananghe dachte allerdings nicht daran, sich von seinen Talismanen oder zahlreichen Frauen – ihm zufolge dem einzigen Zeichen ­­ seiner gehobenen sozialen Stellung – zu verabschieden. Auf Gottes Hilfe vertrauend warf der Pater die magischen Objekte ins Feuer, woraufhin Dian Mananghe den Priester töten ließ.49 Um seinen Tod zu rächen, fielen die Franzosen ins Gebiet Dian Mananghes ein. Sie erlitten jedoch große Verluste und wären sogar beinahe alle massakriert worden, hätte Dian Pousse sie nicht im letzten Augenblick gerettet.50 Dian Mananghe, der in ­diesem Feldzug das Ordensgewand des umgebrachten Lazaristen trug 51 – möglicherweise um sich dessen übernatürliche Kräfte anzueignen –, belagerte daraufhin Fort-­Dauphin und ließ die Franzosen hungern. Dian Pousse zerstreute die Streitmacht des Fürsten und bewahrte dadurch die Niederlassung vor dem Schlimmsten.52 Die Bilanz der Jahre La Meilleraye war somit nicht gerade glanzvoll, als die Schiffe der von Colbert neugegründeten Ostindienkompanie 1665 antrafen.53

2.3 Die Ostindienkompanie und die unmögliche Kolonisierung Der Misserfolg von La Meillerayes Unternehmung hatte in der Tat bei unterschiedlichen Händlern und Hofpersönlichkeiten Begierden geweckt, die das exklusive Privileg des Madagaskarhandels zu erhalten suchten.54 Dazu hatte auch Flacourt wesentlich beigetragen, der zwar seine Schwierigkeiten auf Madagaskar nicht verschwiegen, diese Insel jedoch als eine zukünftige Quelle unendlicher Reichtümer geschildert hatte.55 Anstatt das Privileg einem Einzelunternehmer zu gewähren, gründete der Marine- und Finanzminister Jean-­Baptiste Colbert 1664 eine neue Ostindienkompanie, die sogleich vier Schiffe in die Kolonie schickte. Siedler und Soldaten, die zu Hunderten auf Madagaskar ankamen, fanden jedoch eine Niederlassung vor, die beinahe keine Nahrung produzierte.56 Die Region war zudem verwüstet und die Bevölkerung in die Berge geflohen, als sich die Kunde von der Ankunft einer neuen französischen Armee verbreitete.57 Um 49 Ebd., 186 – 193; Rennefort, Relation, 84 – 90. 50 [Carpeau du Saussay], Voyage, 195 – 238. 51 Rennefort, Relation, 99 f. 52 Ebd., 127 – 132. 53 Rennefort, Relation, 124 f. 54 ANOM, C 5A 1, Nr. 5 – 8. 55 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 125 – 154, 420 – 434. 56 Rennefort, Relation, 192. 57 Ebd., 196.

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Franzosen auf Madagaskar, Franzosen aus Madagaskar

den Hunger zu stillen, importierte man Reis aus dem Norden Madagaskars.58 Doch als das probateste Mittel, an Lebensmittel zu gelangen, erwies sich wiederum die Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Franzosen Dian Pousse, der ab August 1665 im Bündnis mit zwei Antaimoro-­Fürsten diverse Razzien durchführte.59 Champmargou, der sich um die Führung der Niederlassung mit dem neu angekommenen Président du Conseil und Vizekönig Beausse stritt, plädierte für eine aggressive Eroberungspolitik, die ihm durch die Ankunft neuer Truppen möglich erschien. Der Präsident und seine Neffen verfolgten jedoch einen vorsichtigeren Kurs. Der ehemalige Gouverneur Champmargou kritisierte sie hart dafür, dass sie die Soldaten hungern ließen.60 Schließlich ließen Beausse und seine Berater Champmargou in den Krieg ziehen, da sie nicht imstande waren, die Truppen in Fort-­Dauphin zu ernähren. In der leergefegten Region fanden der ehemalige Gouverneur und seine Soldaten jedoch wenig zu plündern.61 Fort-­Dauphin war zudem von Feinden umgeben und die Fürsten der Region veranlassten regelmäßig Massaker an Franzosen.62 1667 kam die größte Flotte der Ostindienkompanie auf Madagaskar an: Zehn Schiffe entluden ca. 2000 Franzosen unter der Führung des Marquis von Montdevergue. Die Kompanieoffiziere zeigten sich jedoch schnell von der Kolonie enttäuscht: Sie standen vor der Herausforderung, Kolonisten und Soldaten zu ernähren, obwohl die Lagerhäuser leer waren und die Kompanie über kein einziges Zebu mehr verfügte.63 Montedevergue stellte schnell fest, dass sich der Südosten Madagaskars nicht für eine Kolonisierung eignete. Er zeigte sich s­ chockiert über die Armut, die in der verwüsteten Region herrschte und von der er dem Marineminister Colbert berichtete. Der neue Vizekönig wollte deshalb den Plan einer Kolonisierung der Roten Insel aufgeben. Doch anstatt die strukturellen Probleme wahrzunehmen, sah Colbert 1669 die Schuld für die Misere allein bei Montdevergue.64 58 Ebd., 167, 189 f., 204. Carpeau und Rennefort berichten beide von einer Reise in den Norden Madagaskars, die im Zusammenhang mit der Reisversorgung stand: ebd., 212 – 230; [Carpeau du Saussay], Voyage, 90 – 182. 59 Rennefort, Relation, 149, 231 – 245. 60 Ebd., 185 f., 207 f. 61 Rennefort, Relation, 187 f., 195 f. 62 [Carpeau du Saussay], Voyage, 181 – 184. 63 Dieser Umstand war Rennefort zufolge darauf zurückzuführen, dass Champmargou sich den Großteil der von Dian Pousse geraubten Zebus mit dem Hinweis angeeignet hatte, sie gehörten dem Herzog von Mazarin, also dem Erben La Meillerayes: R ­ ennefort, Relation, 242 f.; Rennefort, Histoire, 249. 64 Die wichtigsten Archivquellen zur Niederlassung von Fort-­Dauphin unter der ersten Compagnie des Indes: ANOM, C 5A 1, Nr. 9, 12 – 24, 33, 36, 38; die Reaktion Colberts und Ludwigs XIV. auf die schlechten Nachrichten: ANOM, C 5A 1, Nr. 25 – 30.

Die Ostindienkompanie und die unmögliche Kolonisierung

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Dabei bemühte sich Montdevergue durchaus, eine neue Grundlage für die Kolonie zu schaffen: Er war der erste Gouverneur von Fort-­Dauphin, der den Aufbau von Plantagen anordnete – nicht in Anosy, sondern im feuchten Norden. Doch auch d ­ iesem Unternehmen war kein Erfolg beschieden, da die Franzosen in einen Konflikt mit dem mächtigsten König der Nordostküste traten.65 Die ebenfalls von örtlichen Fürsten erzwungene Aufgabe einer Handelsniederlassung in der Region von Matatana, die für die Reisversorgung von zentraler Bedeutung war, verschlimmerte die Lage noch zusätzlich.66 Montdevergue und der Souveräne Rat, dem er vorsaß, verzichteten schließlich auf das in Paris beschlossene Projekt, Kolonien in den fruchtbaren Matatana- und Manambolotälern zu gründen. Grund war der Widerstand Dian Pousses alias La Cases, der die Souveränität über die Gebiete nördlich von Anosy für sich beanspruchte.67 Einen Konflikt mit dem ehemaligen Franzosen La Case konnte sich Fort-­Dauphin umso weniger leisten, als die Niederlassung ihn dringend brauchte, um Zebus zu rauben. Um die Kolonie zu ernähren, startete Dian Pousse zusammen mit Champmargou diverse Feldzüge, in denen sie dank der neuen Schlagkraft der Franzosen mit zahlreichen Verbündeten rechnen konnten.68 Die Versorgung von Fort-­Dauphin war dadurch kurzfristig gesichert, doch eine Entwicklungsperspektive bot diese Razzienpolitik weiterhin nicht. Frustriert verließ Montdevergue Madagaskar im Jahr 1671. Er wurde aufgrund des Scheiterns auf Madagaskar von Colbert der Korruption und Inkompetenz bezichtigt und nach seiner Ankunft in Frankreich gefangengenommen. Er verbrachte den Rest seines Lebens inhaftiert in der Burg von Saumur.69 Der neue Vizekönig La Haye, der 1670 mit einer beträchtlichen Flotte von zehn Schiffen in Anosy angekommen war, ernannte Champmargou zum Kommandanten von Madagaskar und erklärte bald nach seiner Ankunft Dian ­Ramousset (in den Quellen auch Dian Ramousaye genannt) den Krieg. Dian Ramousset war ein Zafiraminia aus der unmittelbaren Nachbarschaft Fort-­ Dauphins, der in den vergangenen Jahren auf der Seite der Franzosen gekämpft und ihnen zahlreiche Dienste erwiesen hatte. Der Grund für diesen neuen Konflikt war, dass La Haye und Champmargou vermuteten, Dian Ramousset sei dabei, zu den Feinden überzulaufen.70 Doch der Angriff auf sein Dorf war 65 Rennefort, Histoire, 265. Du Bois stellt fest, dass keine einzige Plantage der Ostindienkompanie zum Erfolg wurde: [Du Bois], Voyages, 157. 66 Rennefort, Histoire, 264. 67 Ebd., 253 f. 68 Ebd., 249 – 252. 69 Ebd., 389 f. 70 Ebd., 393; [Du Bois], Voyages, 66 – 85; La Haye, Journal, 50 – 56. Zu Dian Ramousaye siehe: Rennefort, Histoire, 251; ders., Relation, 125, 152, 154, 159; [Du Bois], Voyages, 212 f.

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Franzosen auf Madagaskar, Franzosen aus Madagaskar

erfolglos: In den Jahren zuvor hatte dieser Zafiraminia nicht nur europäische Schusswaffen gekauft, sondern auch gelernt, diese dank der Technik des kontinuierlichen F ­ euers effektiv einzusetzen.71 Nach ­diesem Misserfolg beschloss La Haye, Madagaskar weitgehend aufzugeben und die Kolonie auf die Insel Mascarenhas, die heutige Île de la Réunion, die von Flacourt den Namen Île Bourbon erhalten hatte, zu verlegen. La Haye zufolge waren alle Vorteile, die Flacourt in seiner Histoire de la Grande Isle de Madagascar versprochen hatte, imaginär; Flacourt habe sein Buch mit einer »Menge an Unrichtigkeiten aufgebläht« (»grossir son livre de quantité de faussetés«).72 Ein Schiff nahm Franzosen nach Surat, einer wichtigen Hafenstadt in Nordwestindien, mit. Selbst der Schwiegersohn und Erbe des inzwischen verstorbenen Dian Pousse verließ mit seiner französisch-­madagassichen Familie die Große Insel. Die beiden Kinder, die Champmargou mit einer Madagassin gehabt hatte, wurden nach Frankreich gebracht.73 So wie La Case und ­Champmargou hatten in den letzten Jahren Hunderte von Franzosen ein neues Leben in Anosy aufgebaut: Sie hatten Madagassinnen geheiratet und Plantagen angelegt.74 Deshalb entschlossen sich ca. zweihundert Franzosen, in der Region zu verbleiben. Die Hälfte von ihnen wurde 1774 von Dian Mananghe und seinen Verbündeten massakriert.75 Die Bilanz der französischen Kolonialpolitik auf Madagaskar war im späten 17. Jahrhundert vernichtend. So erstaunt es nicht, dass nach 1671 vorerst jegliche größeren Kolonisierungspläne aufgegeben wurden. Die Große Insel hatte einen traurigen Ruf: Der Seefahrer Pouchot de Chantassin sagte manchen madagassischen Völkern nach, Ausländer und gar die eigenen Nachbarn zu verspeisen.76 In seinem Roman La Terre australe connue (1676) schilderte ­Gabriel de Foigny die Rote Insel als ein unfruchtbares und brachliegendes Land, dessen Dian Ramousaye wollte nicht mit den Franzosen in den Krieg gegen Dian Mananghe ziehen: [Carpeau du Saussay], Voyage, 195 – 203. 71 Rennefort vermutet einen Verrat Champmargous, der diese militärische Operation befehligte: Rennefort, Histoire, 394. Dennoch erklärt die Darstellung Du Bois’, der zufolge Dian Ramousaye Gewehre gekauft hatte und diese nach Art der Europäer einzusetzen wusste, die Fähigkeit ­dieses Fürsten hinreichend, den französischen Angriff abzuwehren: [Du Bois], Voyages, 84 f. 72 La Haye, Journal, 81 f.; Ames, Colbert, 92 – 94. 73 Rennefort, Histoire, 395 – 400. Über den Schwiegersohn La Cases, de la Bretesche: [Du Bois], Voyages, 210. Champmargou hatte eine Plantage im Dorf von »Fanzere« (Fanjahira?) aufgebaut: La Haye, Journal, 43 f. 74 [Du Bois], Voyages, 153 – 156. 75 Rennefort, Histoire, 400. Dabei hatte Dian Mananghe wenige Jahre zuvor Frieden mit den Franzosen geschlossen: ebd, 255 f.; [Du Bois], Voyages, 211 f. 76 Pouchot de Chantassin, Relation, 62 f.

Massaker auf Nosy Boraha

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Indigene ohne festen Wohnsitz und ohne jegliche Ordnung lebten. Sie verschonten keinen einzigen Ausländer, der es wagte, ihr Gebiet zu betreten: Sie hängten die Franzosen an den Füßen auf und ließen ihre Köpfe so lange gegeneinander prallen, bis sei stürben. Die Kinder warteten, bis das Hirn herunter­ falle, um es zu verspeisen.77 Die von der französischen Monarchie verlassene Ostküste Madagaskars war nach 1674 frei für Piraten, die um 1700 auf Nosy Boraha und in der Bucht von Antongila Siedlungen gründeten. Diese Seeräuber, die vor allem im Norden des Indischen Ozeans ihr Unwesen trieben, waren europäischer, amerikanischer und afrikanischer Herkunft. Mit dem Geld von Händlern aus New York bauten sie auf Nosy Boraha eine Palisade. Dennoch – anders als es der Mythos Everys und anderer Piraten nahelegt – waren diese Siedlungen alles andere als prosperierend und vegetierten dahin, bis britische und französische Kriegsschiffe sie im frühen 18. Jahrhundert zerstörten.78

2.4 Massaker auf Nosy Boraha In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts behielt die Compagnie des Indes nur kleinere Niederlassungen an der Ostküste Madagaskars, um den sich allmählich entwickelnden Handel mit der Île Bourbon und der Île de France zu organisieren und zu beschützen.79 In Bezug auf Madagaskar ließ die Compagnie stets Vorsicht walten, obwohl ihr gelegentlich von anderen Händlern vorgeworfen wurde, das Kolonisierungspotential der Roten Insel nicht zu ­nutzen:80 So erwogen es zum Beispiel die Kompaniedirektoren in den frühen 1730er Jahren, eine Nieder­lassung auf einer kleinen Insel in der Bucht von Antongila zu gründen. Sie schickten den Ingenieur Charpentier de Cossigny dorthin, damit er sich ein Bild von den Verhältnissen vor Ort mache. Cossigny riet von der Gründung ab und die Idee wurde rasch aufgegeben.81 1737 baute die Compagnie des Indes eine kleine Nieder­ lassung auf Madagaskar auf, von der nicht einmal der Ort bekannt ist. Ein gewisser 77 Foigny, Terre australe, 231 – 239. 78 Hooper, Pirates and Kings, 223 – 229. 79 Im frühen 18. Jahrhundert hatte die Compagnie des Indes nur bescheidene Handelsbeziehungen mit der Großen Insel, wie aus einem Brief ersichtlich wird, in dem die Direktoren der Kompanie ihr Handelsmonopol mit Madagaskar verteidigten: ANOM, Akte von Guillaume Gaultier, E 199, ohne Titel, ohne Datum (erstes Dokument). 80 Luillier, Nouveau voyage, 16 f. 81 BnF, Manuscrits français, NAF N°9345, Bl. 146 – 150, »Mémoire sur l’isle d’Anjou, par d’Hermite«, 3. März 1733; ANOM, C 5A 1, Nr. 55, Bl. 1, »Projet d’établissement à Madagascar«, April 1750. Siehe auch Wanquet, Joseph-­François Charpentier de Cossigny, 71 f.

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Franzosen auf Madagaskar, Franzosen aus Madagaskar

­ oisnoir de Lesquelen kommandierte sie und überwachte die kleinen Plantagen, B den Gemüsegarten, die zahlreichen Hühner und die wenigen Kühe der Niederlassung. Den eigenen Briefen zufolge war Lesquelen jung und zutiefst gelangweilt.82 Erst Mitte des 18. Jahrhunderts setzte die Compagnie des Indes einen Plan um, der zwar sehr weit hinter der Schaffung einer »France orientale« zurückblieb, jedoch deutlich ambitionierter war als alles, was die Franzosen seit 1674 auf Madagaskar zu erreichen versucht hatten: Die Handelsgesellschaft bemühte sich, die Madagaskar vorgelagerte Insel Nosy Boraha in ihren Herrschaftsbereich einzugliedern. Die Insel sollte vor allem als Hafen und Umschlagplatz für Handels­ güter dienen.83 Nosy Boraha war in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts die berühmteste Operationsbasis der Piraten im Indischen Ozean gewesen.84 Seitdem die Seeräuber vertrieben worden waren, wohnten nur noch Zafibrahim auf dieser Insel. Mitte des 18. Jahrhunderts herrschte dort die Fürstin Betia, eine Tochter des ­Ratsimilaho, des Gründers des Betsimisaraka-­Königreichs. Das Projekt einer Niederlassung auf Nosy Boraha ging auf den Vorschlag eines Infanterieoffiziers und eines Ingenieurs der Île Bourbon zurück. 1749 argumentierten sie, dass die Insel Nahrungsmittel und Baumwolle erzeugen und zum zentralen Lager des Madagaskarhandels werden könne. Die Autoren des Projekts dachten zudem an eine Rekrutierung von Madagassen für die französische Marine.85 Bereits 1750 ernannte der Gouverneur der Île de France, Pierre Félix Barthélémy David, einen Offizier namens Gosse zum Kommandanten von Nosy Boraha. Den Instruktionen an Gosse kann man entnehmen, dass es dem Gouverneur vor allem darum ging, der Kompanie einen sicheren Ort für den Zebuhandel zu verschaffen; die Handelsgesellschaft strebte nicht danach, eine nennenswerte landwirtschaftliche Kolonie aufzubauen. Weder sollten sich französische Siedler in großer Zahl niederlassen, noch wollte die Kompanie über die örtliche madagassische Bevölkerung herrschen. Nosy Boraha sollte somit keine Kolonie im engen Sinne des Wortes werden. Wenn die Gründung einer Niederlassung auf Nosy Boraha eine neue Qualität aufwies im Vergleich zu dem, was Franzosen seit 1674 auf Madagaskar unternommen hatten, dann weil ausdrücklich die gesamte Insel der Compagnie des Indes gehören sollte. Gosse sollte von Ratsimilaho (frz. Tamsimalo), dem Betsimisaraka-­König von Mahavelona (frz. Foulpointe) – dem damals bedeutendsten Hafen der Ostküste –, eine offizielle Abtretung der Insel erreichen, 82 ANOM, C 5A 1, Nr. 48 – 54. 83 DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, »Mémoire sur l’île de Madagascar pour y établir une colonie et un commerce utile à la France 1783 à 1784, dans diverses parties de l’Inde. Signé P. P. Roze«, ohne Datum; Foury, Maudave (Teil 1), 398. 84 Zu den Piraten siehe zusätzlich zu der oben genannten Literatur folgende Archiv­ dokumente: ANOM, C 5A 1, Nr. 42 – 45. 85 ANOM, C 5A 1, Nr. 55, »Projet d’établissement à Madagascar«, April 1750.

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einen Fahnenmast mit den Farben des französischen Königs aufstellen, die französischen Gesetze anwenden und den Fürsten darum bitten, alle »Schwarzen seines Königreichs, die sich auf dieser Insel befinden, zurückzuziehen«.86 1750 segelte Gosse nach Madagaskar, um mit der Fürstin Betia zu verhandeln, und erreichte den französischen Archivdokumenten zufolge tatsächlich die Abtretung von Nosy Boraha an die Kompanie. 1753 nahmen französische Offiziere die Insel in Besitz.87 Leider sind nur wenige Quellen zur Geschichte der Niederlassung auf Nosy Boraha überliefert, weshalb die Vorkommnisse nur schwer zu rekonstruieren und zu deuten sind. Als Valgny 1753 Kommandant der Insel wurde, wohnten die Franzosen auf einem Schiff, da sie keine festen Gebäude errichtet hatten, in denen sie in Sicherheit gewesen wären. Valgny berichtet, wie er nur mit größter Mühe »ein kleines hölzernes Wohngebäude, dessen Wände nicht durch Kugeln durchbohrt werden konnten«, bauen ließ. Den Raum ­zwischen den Holzpfählen ließ er mit Erde füllen, »wie in einer Redoute«.88 Zudem errichtete Valgny ein Pulverhaus.89 Die weiteren Bauten, deren Überreste die Expeditionsteilnehmer 1818 entdeckten, müssen nach diesen beiden Gebäuden entstanden sein. Dem Astronomen Legentil zufolge scheute die Kompanie auf Nosy Boraha keine Kosten: Die Gebäude ­seien aus gehauenem Stein errichtet worden, den sie von der Île de France bringen ließ.90 Zwischen 1750 und 1758 ­seien ein Haus für den Gouverneur, eine Kaserne, ein 86 BnF, Manuscrits français, NAF N°9345, fol. 237 – 244, »Instructions, par le gouverneur de l’isle de France, David, pour le sieur Gosse, allant de Foulpointe à Sainte-­Marie prendre possession de cette isle, de son port et de l’isle qui le ferme. 18 juin 1750. Copie«, 18. Juni 1750: »retirer tous les noirs de son royaume se trouvant sur cette isle« (S. 239). 87 ANOM, C 5A 1, Nr. 57, »Copie de l’acte d’acquisition par la France de l’île Sainte-­ Marie de Madagascar«, 1750, und Nr. 58, Protokoll der Inbesitznahme von Sainte-­Marie, 15. Juli 1753. Bellecombe und Chevreau zufolge habe jedoch Gosse die Insel Sainte-­Marie bereits 1748 mit vierzig Soldaten im Namen der Indienkompanie in Besitz genommen, nachdem er dem Fürsten »Tamsimalo« (d. h. Ratsimilaho) »Geschenke« in Höhe von 15.000 bis 20.000 Livres übergeben habe: ANOM, C 5A 7, Nr. 8, Blatt 43, Tagebuch von Bellecombe und Chevreau. Sylvain Roux entdeckte 1818 das Denkmal zur Erinnerung an die Besitznahme von 1753; ihm zufolge handelte es sich dabei jedoch um eine zweite Besitznahme der Insel, die erfolgte, nachdem die Franzosen 1752 massakriert worden waren: ANOM, MAD 6 14, »Rapport de l’agent commercial de Madagascar [Sylvain Roux] à M. le commandant et administrateur pour le roi a l’Isle Bourbon«, 20. Januar 1819, hier S. 35 f. 88 MHN, Ms. 887, Bl. 3, [Valgny], »Réponse à quelques questions sur l’isle de Madagascar – deuxième cahier«, ohne Datum: »un petit logement en bois impenetrable à la balle«, »comme celuy d’une redoutte«. 89 Ebd., Bl. 8. 90 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, 6, »Détails sur la révolte des habitans de l’Isle Sainte Marie, en 1751. Extrait du voyage de M. Legentil à Madagascar«, ohne Datum.

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Franzosen auf Madagaskar, Franzosen aus Madagaskar

Pulverhaus, ein Wächterhaus, ein Ofen mit Schlot, ein Lagerhaus und eine Kanonenbatterie gebaut worden,91 was angesichts der Ruinenbeschreibung aus dem frühen 19. Jahrhundert plausibel erscheint. Die Beziehungen ­zwischen den Franzosen und den Insulanern waren von Anfang an konfliktreich. Die französischen Quellen schreiben die Schuld daran dem Kommandanten Gosse zu und die Forschung übernimmt diese Aussage.92 Folgt man der Erzählung des Dolmetschers und Augenzeugen Le Borgne, so hat sich Gosse tyrannisch gegenüber den »Schwarzen« aufgeführt. Diese hätten sich aus ­diesem Grund Ende 1748 gegen den Franzosen verschworen. Nur sechs Europäer hätten den Angriff überlebt.93 Andere Quellen sprechen von einem Massaker im Jahr 1751, 1752 bzw. 1754, das einheimische Zafibrahim an der französischen Garnison verübten.94 Trotz den Aussagen Le Borgnes lagen die Ursachen für den Konflikt jedoch vermutlich nicht nur im Verhalten Gosses, sondern viel tiefer: Man kann davon ausgehen, dass ein Teil der Betsimisaraka die Legitimität der Abtretung Nosy Borahas an die Kompanie – falls eine s­ olche Abtretung denn tatsächlich statt­ gefunden hatte – nicht anerkannte. Nach dem Tod Ratsimilahos war das Reich der Betsimisaraka zerfallen. Sein Sohn Zanhar (Zanahary) war zwar in der Region Mahavelonas König geworden, doch war es ihm nicht gelungen, sich im gesamten Territorium durchzusetzen – ein typisches Problem vieler Königssöhne der Ostküste, denn auf Madagaskar waren Erbfolgekonflikte umso geläufiger, da es keine klare Abfolgeregelungen gab.95 Ratsimilahos Tochter Betia 91 ANOM, C 5A 5, Nr. 27, »Notes sur la pêche de la baleine à Sainte Marie et sur les restes des batiments construits dans cette isle de 1750 à 1758 par Saulnier, capitaine du P ­ ostillon. 19 mars 1775«, 19. März 1775. 92 Sylla, Les Malata, 23. 93 ANOM, C 5A 7, Nr. 8, Bl. 44, Tagebuch von Bellecombe und Chevreau. Der Händler Barthélémy Hugon berichtet, von Betia gehört zu haben, dass Gosse die Madagassen für ihre Arbeit nicht bezahlen wollte: »Relation sur l’isle de Sainte-­Marie, accompagnée de détails sur Tamatave, Foulpointe, et sur la baron de Beniowsky«. Jedoch stellen Hugons historische Erörterungen generell keine zuverlässige Quelle dar, da dieser Autor sich die Freiheit nahm, zahlreiche Details zu erfinden. 94 Legentil spricht von 1751, Bellecombe et Chevreau sprechen von 1754: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 6, »Détails sur la révolte des habitans de l’Isle Sainte Marie, en 1751. Extrait du voyage de M. Legentil à Madagascar«, ohne Datum: ANOM, C 5A 7, Nr. 64 und 64 bis, Bellecombe et Chevreau an den Marineminister, 13. Oktober 1776. Valgny macht keine klaren Angaben zum genauen Zeitpunkt des Massakers. Aus seinem Bericht geht jedoch hervor, dass d ­ ieses Ereignis 1753 oder früher stattgefunden hat: MHN, Ms. 887, Bl. 5, Valgny, »Réponse à l’objection contre l’arrest des Zafé-­bourachez«, ohne Datum; ANOM, MAD 6 14, »Rapport de [Sylvain Roux] à [Milius]«, 20. Januar 1819, 35 f. 95 Rantoandro, L’extrême sud-­est, 215 f. Solche Konflikte um die Erbfolge waren aus d ­ iesem Grund nicht nur im Nordosten, sondern auch im Südosten geläufig: Beaujard, Islamisés

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hat ­mindestens einen Teil des Erbes für sich beansprucht und sich wohl auf Nosy Boraha zurückgezogen. Es ist wahrscheinlich, dass ihr Bruder und dessen Anhänger die Legitimität ihrer Herrschaft auf der Insel jedoch nicht anerkannten. Dies würde erklären, warum Betia sich mit den Franzosen verbündete und schließlich den Weg des Exils auf die Île de France wählte, als diese im Kampf gegen die Zafibrahim unterlagen.96 Noch Jahre später, 1771, versuchte sie – unterstützt vom Gouverneur der Île de France Desroches und mit Hilfe des Abenteurers La Bigorne –, die Macht in Mahavelona zu ergreifen, wo mittlerweile ihr Neffe Iavy herrschte.97 Können die Chronologie und die Ursachen des Konflikts nicht mit letzter Sicherheit rekonstruiert werden, so ist verbürgt, dass die französischen Soldaten sich für das Massaker der frühen 1750er Jahre grausam rächten. Der Kommandant Valgny lieferte sich in den Jahren 1753 – 1756 mehrere Gefechte mit Zafibrahim auf Nosy Boraha und in der Region von Mahavelona. Die Kämpfe gingen nicht immer günstig für die Franzosen aus. Oft starben französische Soldaten bei Überfällen, wenn sie Trinkwasser holten. Dennoch sollen nach mehreren Jahren nur fünfzig oder sechzig Madagassen auf Nosy Boraha überlebt haben.98 Schließlich verkaufte Valgny 1757 die restlichen Einwohner als Sklaven.99 Trotz d ­ ieses schwierigen Anfangs verblieb die Compagnie des Indes noch einige Jahre auf Nosy Boraha. 1761 oder 1762 gab sie die Insel endgültig auf. Der Schätzung Le Borgnes zufolge hat das Unternehmen 2000 bis 3000 Europäer das Leben gekostet.100

et systèmes royaux, 252. 96 »Betia«, in: Dictionnaire de biographie mauricienne (1975), Bd. 35, 1022 – 1024; Brown, History of Madagascar, 83 f. 97 ANOM, E 184, Personalakte von Filet, genannt La Bigorne, Poivre an den Marineminister Boynes, 12. Februar 1772. 98 MHN, Ms. 887, Papiers de Commerson, S. 1 – 9, »II. Mémoires pour servir à l’histoire de Madagascar«, »1. Extraits de quelques journaux sur l’île de Madagascar«, ohne Datum; ANOM, C 5A 7, Nr. 8, Bl. 44 f., Tagebuch von Bellecombe und Chevreau, 1776. 99 MHN, Ms. 887, I, Valgny, »Réponse à l’objection contre l’arrest des Zafé-­bourachez«, Bl.  1 – 15, ohne Datum; MHN, Ms. 887, I, 10 f., »II. Mémoires pour servir à l’histoire de Madagascar«, »1. Extraits de quelques journaux sur l’île de Madagascar« ohne Datum; MHN, Ms. 887, I, »Réponse à quelques questions sur l’isle de Madagascar – deuxième cahier«, insbesondere Bl. 3, 8. 100 XVII/mémoires/88, 6, »Détails sur la révolte des habitans de l’Isle Sainte Marie, en 1751. Extrait du voyage de M. Legentil à Madagascar«, ohne Datum; ANOM, C 5A 7, Nr. 8, Bl. 45, Tagebuch von Bellecombe und Chevreau, 1776. Valgny musste sich jedoch gegen die Anschuldigung verteidigen, auf illegale Weise Madagassen versklavt zu haben. ­Seinen Berichten zufolge ließ er nur einige Mörder verhaften: MHN, Ms. 887, Bl. 9 – 14, »Réponse à quelques questions sur l’isle de Madagascar – deuxième cahier«, ohne Datum.

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Franzosen auf Madagaskar, Franzosen aus Madagaskar

Die Geschichte der Niederlassungen in Anosy und auf Nosy Boraha zeigen die strukturellen Probleme, mit denen die nach Kolonialherrschaft strebenden Franzosen konfrontiert waren. Sie machen deutlich, dass die Annahmen, auf denen diese Geschichte bisher geschrieben wurde, revisionsbedürftig sind. Die französisch-­madagassischen Begegnungen z­ wischen 1642 und 1762 bildeten keine Vorgeschichte der Kolonisierung der Großen Insel um 1900, denn im 17. und 18. Jahrhundert wurde keine Kolonialherrschaft etabliert. Statt einer Dichotomie ­zwischen Kolonialherren und Kolonisierten begegnen wir in den Quellen Franzosen, die im Südosten Madagaskars Teil der Gesellschaft geworden waren, auch wenn die Integration unterschiedlich tief reichte und verschiedene Formen annahm. Der erste Gouverneur auf Madagaskar, Pronis, hatte den Weg der Integration in die Oberschicht Anosys gewählt; er provozierte damit jedoch nur Konflikte mit seinen eigenen Soldaten und mit madagassischens Clans, die mit seinen Verwandten auf dem Kriegsfuß standen. Gegen Ende seiner Amtszeit leitete er deshalb einen Kurswechsel ein und initiierte eine Politik, die bis zum Ende Fort-­ Dauphins fortbestand: Dank der militärischen Techniken aus Europa konnten die Gouverneure von Fort-­Dauphin ihre Soldaten in den Dienst madagassischer Fürsten treten lassen und mit Letzteren gemeinsame Raubzüge unternehmen. Diese Politik verhinderte jedoch jedwede nachhaltige Entwicklung. Offensichtlich waren die Franzosen nicht imstande, eine als legitim betrachtete und stabile Herrschaft zu etablieren. Der sakral aufgeladenen Stellung der Zafiraminia, ihrem Ahnenkult, ihren Privilegien der Schächtung und Beschneidung, ihren Divinationspraktiken oder auch ihren magischen Amuletten hatten die Franzosen nichts entgegenzusetzen. Weder die Waffen noch die »sanfte« Bündnispolitik bewegten die Oberschichten Anosys zu einer Anerkennung der französischen Autorität. Franzosen konnten nur dann erfolgreich sein, wenn sie wie La Case alias Dian Pousse eine madagassische Identität annahmen und Teil der Gesellschaft Anosys wurden. Wie der Fall Pronis’ zeigt, war eine ­solche Integration jedoch mit der Rolle als Kolonialherr schwer vereinbar. Schließlich zeigt die Geschichte der Niederlassung auf Nosy Boraha, dass auch dem Aufbau einer rein europäischen Kolonie der Widerstand der lokalen Bevölkerung im Wege stand. Aus diesen Gründen waren die französischen Kolonisierungsversuche auf Madagaskar bis 1763 auf der ganzen Linie gescheitert. Nichtsdestotrotz bildete die Unterwerfung Madagaskars nach dem Siebenjährigen Krieg weiterhin ein Schlüsselelement in den Strategien, in Ostindien die Oberhand zu gewinnen.

3 Imperiales Scheitern und koloniale Fantasien Das Debakel der 1750er Jahre brachte die französischen Entscheidungsträger nicht davon ab, der Idee einer Expansion auf Madagaskar nachzuhängen. Ganz im Gegenteil: Bereits 1767 wurde Louis Laurent Fayd’herbe, Graf von Maudave (1725 – 1777), mit dem Aufbau einer Kolonie in Tôlanaro beauftragt, dem alten Fort-­Dauphin, dessen Ruinen die Expeditionsteilnehmer von 1819 bewunderten. In der Forschung hat Maudave einen besseren Ruf als seine Vorgänger in Anosy oder auf Nosy Boraha: Kein Historiker wirft ihm vor, durch brutales Vorgehen, tyrannische Herrschaft oder auch Vernachlässigung der Zivilisierungspolitik die Kolonie zum Scheitern gebracht zu haben. Im Gegenteil wird Maudave gern mit seinen rücksichtslosen Vorgängern kontrastiert, weil er politische Prinzipien vertrat, die Kolonialhistoriker wie Malotet und Froidevaux guthießen und deren Abwesenheit sie bei Flacourt bemängelten: die »sanfte« Politik der Kolonialexpansion durch Zivilisierung und Assimilierung der Indigenen. In der Tat weckte der aufklärerische Charakter von Maudaves Kolonisierungsprojekt sowie sein erklärter Verzicht auf Gewaltanwendung und Sklaverei Sympathien bei Historikern – wenngleich die neuere Forschung seinem Streben nach kolonialer Herrschaft grundsätzlich kritisch gegenübersteht, seine realitätsfernen Erwartungen hervorhebt und auf die Diskrepanz z­ wischen Ankündigungen und Taten hinweist.1 Auf der Suche nach den Ursachen für den Misserfolg der Franzosen in Anosy um 1770 herrscht in der Historiographie von Grandidier bis in die neuesten Veröffentlichungen weitgehende Einigkeit: Die Konkurrenz ­zwischen den Kolonialagenten auf Madagaskar und den Verwaltern der Île de France habe den entscheidenden Beitrag zum Misslingen d ­ ieses Expansionsversuchs geleistet. Der Chevalier Desroches, Gouverneur der Île de France z­ wischen 1769 und 1772, habe befürchtet, die Kolonie auf Madagaskar könnte die Maskarenen übertreffen, und aus d ­ iesem Grund erfolgreich gegen Maudave agitiert. Der Kolonialverwaltung für den Indischen Ozean wird Neid und der Versailler Regierung Zaghaftigkeit attestiert. Diese Feindseligkeit der Île de France gegenüber der Großen Insel habe schließlich den Marineminister Boynes dazu bewegt, die Kolonie von Fort-­ Dauphin aufzugeben.2 1 Gigan, Bernardin de Saint-­Pierre, 322 – 325; Wanquet, Entre Délire de conquête et parcimonie. 2 Grandidier, Histoire politique et coloniale, Bd. 5, t. 3, 106; Haudrère, L’Empire des rois, 331; Wanquet, Entre Délire de conquête et parcimonie, 216 – 218; Zatorska, Discours colonial, 5; Campbell, Imperial Rivalry, 84. Folgt implizit auch dieser Deutung: ­Filliot, Les Établissement français à Madagascar, 84. Deschamps führt eine Reihe von Gründen für die Aufgabe der Niederlassung an: die Feindschaft der Île de France, den Mangel an Piastern und Konflikte mit Madagassen: Deschamps, Histoire de Madagascar, 81.

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Imperiales Scheitern und koloniale Fantasien

Diese These folgt den Anschuldigungen, die Maudave selbst gegenüber ­Desroches formulierte,3 und erscheint in der Historiographie zum ersten Mal in einer Apologie Maudaves, die sein Urenkel Pouget de Saint-­André 1886 veröffentlichte.4 Sie beruht auf der Annahme, dass Maudave erfolgreich gewesen wäre, wenn man ihm genug Zeit gegeben und die verlangten Mittel zur Verfügung gestellt hätte. Die Forschung spielt somit bis heute die Hürden herunter, die einer Kolonisierung Anosys im Wege standen. Nicht nur den Umweltbedingungen, sondern auch den einheimischen Fürsten wird in dieser Erzählung nur eine marginale Rolle zugewiesen. Obwohl die neueren Forschungsbeiträge die Madagassen nicht mehr als »Kinder« mit »primitivem Geist« darstellen, wie es noch die französische Historiographie der 1950er Jahre teilweise tat,5 folgen sie dennoch – wohl unbewusst – kolonialistischen Deutungsmustern. Es ist also eine neue Erzählung der Geschichte von Tôlanaro und Anosy in den Jahren 1768 – 1772 vonnöten, deren Grundlagen in den folgenden beiden Kapiteln gelegt werden sollen. Bevor im Kapitel 4 die Beziehungen ­zwischen Maudave und den Fürsten Anosys untersucht werden, sollen in d ­ iesem Kapitel die in der Forschung dominanten Deutungsmuster kritisch überprüft und der Versuch unternommen werden, alternative Antworten zu liefern. Hier wird die These vertreten, dass die französischen Kolonialakteure die Lage in vielerlei Hinsicht falsch deuteten und die eigenen Ressourcen überschätzten. Die Expansion auf Madagaskar scheiterte weniger an der Konkurrenz ­zwischen imperialen Akteuren als an den falschen Annahmen, auf denen das gesamte Projekt gründete. Das Versagen Maudaves zeigt, wie tief der Graben im 18. Jahrhundert z­ wischen kolonialem Anspruch und örtlichen Bedingungen oft war und wie schlecht die Franzosen für eine Expansion auf der Großen Insel mental gerüstet waren.

3.1 Ein Kolonialherr ohne Kolonie Der Graf von Maudave (bzw. Modave)6 scheint aufgrund seiner Biographie für die Entwicklung kolonialer Expansionspläne im Indischen Ozean prädestiniert gewesen zu sein. Mit achtzehn Jahren trat er eine militärische Laufbahn an und 3 ANOM, C 5A 2, Nr. 60, Bl. 11, Maudave an Praslin, 6. August 1768; DFC, XVII/mémoires/ 88, Nr. 34, Maudave an Praslin, 3. November 1769. 4 Pouget de Saint-­André, La colonisation de Madagascar. 5 Foury, Maudave (Teil 1), 397 (»enfants«); Foury, Maudave (Teil 2), 36 (»esprit primitif«). 6 Er selbst bevorzugte die Schreibweise »Modave«; der Name des belgischen Dorfes, von dem sich der Titel ableitet, wird heutzutage aber Maudave geschrieben. Daher wird hier die zweite Variante verwendet.

Ein Kolonialherr ohne Kolonie

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nahm während des Österreichischen Erbfolgekriegs an erfolgreichen Feldzügen teil. Nach dem Ausbruch des Siebenjährigen Kriegs kam er mit Lally-­Tolendal, dem neuen Kommandanten für alle ostindischen Niederlassungen, nach Südasien. Doch führte die aggressive Expansionspolitik der französischen Offiziere auf dem indischen Subkontinent schließlich zur Niederlage gegen Großbritannien. Alle Offiziere mussten 1759 nach Frankreich zurücksegeln. Der Graf von Maudave, der inzwischen mit der Tochter des sehr reichen Gouverneurs von Karaikal in Indien verheiratet war, erhielt das Gouvernement seines Schwiegervaters. Als Maudave im März 1760 Frankreich verließ, stand Karaikal jedoch kurz vor seiner Einnahme durch die Briten. Der Gouverneur ohne Gouvernement versuchte, an der Seite der indischen Fürsten gegen die Briten zu kämpfen, musste jedoch 1763 Indien verlassen und ließ sich auf der Île de France nieder. Dort wurde er zum verschuldeten Plantagenbesitzer und entwickelte den Plan, Madagaskar als eine Art Basis für die Eroberung des Indischen Ozeans für Frankreich zu kolonisieren.7 Der französische Graf knüpfte an die großen Pläne des 17. Jahrhunderts an und strebte danach, eine »France orientale« zu schaffen. Das Besondere an Maudaves Kolonisierungsprojekt war, dass er die französische Dominanz auf Madagaskar durch »sanfte« Mittel etablieren wollte und langfristig die Assimilierung der Madagassen anstrebte. Eine Kolonisierung Madagaskars »mit sanften Mitteln« erschien Maudave recht einfach: Er würde von der Île de France nach Madagaskar segeln, die Fürsten der Region zu sich kommen lassen und ihnen darstellen, wie gewinnbringend der Aufbau einer französischen Kolonie für sie wäre. Er würde ihnen den Schutz des Königs anbieten, woraufhin die Dorfhäuptlinge miteinander wetteifern würden, um ein Bündnis mit den Franzosen einzugehen. Mit den Madagassen würde er Handel treiben, anstatt ihr Land mit Waffengewalt zu unterwerfen und zu plündern. Die Nachricht, dass die Kolonie den Prinzipien der Gerechtigkeit folge, würde sich auf der Großen Insel verbreiten und die Franzosen würden nicht auf Feindseligkeit stoßen. Im Gegenteil würden die Madagassen, die ohnehin oft die Könige wechselten, zur Kolonie strömen, um Untertanen Ludwigs XV. zu werden. Sie würden mit den zahlreichen Siedlern, die vor allem von der Île de France und der Île Bourbon kommen würden, unter dem Schutz der mächtigen französischen Nation in Frieden und Sicherheit zusammenleben. Wichtig sei, die Neutralität in den Konflikten ­zwischen den madagassischen Häuptlingen zu wahren.8

7 Foury, Maudave (Teil 1), 343 – 404. 8 ANOM, C 5A 2, Nr. 25, [Maudave] an Dumas und Poivre, ohne Datum; ANOM, C 5A 2, Nr. 48, Bericht eines Kommis über Maudaves Projekt, 19. März 1768; ANOM, C 5A 2, Nr. 63, Maudave an Praslin, 30. August 1768; ANOM, C 5A 2, Nr. 66, Bl. 10, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, ohne Datum.

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Imperiales Scheitern und koloniale Fantasien

Der ehemalige Gouverneur von Karaikal kam Anfang September 1768 nach Madagaskar – lediglich mit einer relativ kleinen »Eskorte« von fünfzig Soldaten, da er sich noch nicht sicher war, ob Fort-­Dauphin der richtige Ort für die Umsetzung seines Plans war. In den folgenden Monaten verfasste Maudave mehrere Briefe an seine Vorgesetzten und führte Tagebuch. Diesen Quellen zufolge bemühte er sich, sein Projekt einer friedlichen Kolonialexpansion in die Tat umzusetzen, und zeigte sich anfänglich zuversichtlich, dass sein Plan aufgehen würde. Die »Häuptlinge« Anosys – Maudave präzisiert in seinen ersten Briefen nicht, um wen es sich handelt – hätten »nicht einmal den Schatten eines Widerstands« (»pas la moindre ombre d’oppositions«) geleistet, als er sie darüber in Kenntnis setzte, dass der französische König wieder Fort-­Dauphin in Besitz nehme. Sie hätten sogar seiner Bitte um eine Ausweitung des französischen Terri­ toriums zugestimmt. Überall auf der Insel s­ eien die Franzosen willkommen, so dass man bald den Aufbau einer neuen Kolonie im Norden in Angriff nehmen könne, schrieb Maudave Anfang Oktober.9 Mitte des Monats fing er an, über den Aufbau einer Niederlassung am »Teich von Ambouve« (»étang d’Ambouve«, heutzutage Andriambe-­See), nachzudenken, im November wollte er die private Gründung einer weiteren Kolonie unterstützen.10 Am 7. November träumte er bereits davon, in Tôlanaro eine Schule und ein Krankenhaus, in Anosy drei weitere Kolonien und am Andriambe-­See eine Stadt zu errichten.11 Am 25. November änderte sich jedoch plötzlich der Inhalt seiner Briefe: Der Gouverneur von Fort-­Dauphin schrieb, dass er zur Untätigkeit verdammt sei, weil die Madagassen seine Männer angriffen. Näheres über diesen Sachverhalt verriet er jedoch nicht.12 Am vorigen Tag war ein Handelsschiff des Königs in der Reede von Fort-­Dauphin angekommen. Es brachte Handelsgüter, Handwerker und Soldaten, so dass Maudave nun über neunzig Soldaten und weitere fünfzig bis sechzig »Weiße« kommandierte. Er war damit nicht zufrieden und bat um die Entsendung von 700 bis 800 Bauern und 900 Soldaten.13 Pierre Poivre, der Intendant der Île de France, beschwerte sich im Januar 1769 über die unverhältnismäßigen Forderungen Maudaves. Die Kolonie habe zwar »angefangen, Gestalt anzunehmen« (»commence à prendre une forme«), das gesamte Unternehmen sei aber »verfrüht« (»prématuré«), so der Intendant.14 Er und der Gouverneur Dumas beklagten sich vor allem über die Dürftigkeit des Handels

9 ANOM, C 5A 2, Nr. 64, Maudave an Praslin, 2. Oktober 1768. 10 ANOM, C 5A 2, Nr. 66, Bl. 3 – 8, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, ohne Datum. 11 Ebd., Bl. 12. 12 Ebd., Bl. 30. 13 ANOM, C 5A 2, Nr. 67, Maudave an Praslin, 11. Dezember 1768. 14 ANOM, C 5A 3, Nr. 17, Poivre an Praslin, 12. Januar 1769.

Ein Kolonialherr ohne Kolonie

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in Tôlanaro, der nicht in Schwung kommen wollte.15 Zugleich war die Sterblichkeitsrate unter französischen Soldaten sehr hoch. So überrascht es kaum, dass der neue Gouverneur der Île de France, der Chevalier Desroches, bald nach seiner Ankunft 1769 große Skepsis gegenüber der Idee einer Kolonie auf Madagaskar hegte.16 Im August 1769 hatte Maudave unterschiedliche Gebäude im Fort errichtet. Unterhalb der kleinen Festung standen achtzig Häuser, eine Bäckerei, ein Hospital und eine Schmiede.17 Doch von einer richtigen Kolonie, so der Graf, könne noch keine Rede sein: Dafür fehlten die Siedler, die ihm die Verwalter der Île de France verwehrten. Die strukturellen Probleme wollte Maudave nicht zugeben. Er konzedierte, dass ihm die »Schwarzen« keine Rinder mehr verkauften, bestritt jedoch die Tatsache, dass seine Leute Hunger litten und auf die Maskarenen zurücksegeln wollten.18 Die umliegenden madagassischen Dörfer s­ eien verlassen, doch nicht etwa aufgrund einer feindlichen Einstellung ihrer Einwohner den Franzosen gegenüber, sondern weil dies ihre »Häuptlinge« befohlen hätten. Nur einige Roandriana ­seien nicht mit dem Aufbau einer französischen Kolonie zufrieden.19 Maudave blieb bei seiner Meinung, dass die Errichtung einer Kolonie auf Madagaskar »die einfachste und nützlichste Operation [sei], die man in diesen östlichen Gegenden vornehmen könnte«.20 Diese Meinung änderte er bis zum Schluss nicht. Dennoch musste er sich im Februar 1771 dafür rechtfertigen, dass er im Oktober des vorangegangenen Jahres in Gefechten ­zwischen seinen Truppen und den Männern eines »Häuptlings« des Manampanihytals Soldaten verloren hatte.21 Zu ­diesem Zeitpunkt hatte Maudave auf Befehl des Königs Madagaskar bereits verlassen. Das Projekt, eine bedeutende Kolonie in Tôlanaro aufzubauen, stand nicht mehr auf der Tagesordnung.

15 ANOM , C 5A 3, Nr. 27, Zusammenfassung von Briefen von Poivre und Dumas, 26. Mai 1769; ANOM, C 5A 3, Nr. 29, Auszüge aus Briefen von Steinauer und Poivre; ANOM, C 5A 3, Nr. 35, Poivre an Praslin, 1. September 1769. 16 ANOM, C 5A 3, Nr. 10, Denkschrift von Desroches, 2. September 1769. Antwort ­Maudaves auf s­ olche Anschuldigungen: C 5A 3, Nr. 30, Maudave an Praslin, 15. August 1769. 17 ANOM, C 5A 2, Nr. 12, Anonym, Abschriften von Texten über Madagaskar, ohne Datum; C 5A 3, Nr. 30, Maudave an Praslin, 15. August 1769; C 5A 3, Nr. 32, Bl. 3, Maudave an Praslin, 26. August 1769; C 5A 3, Nr. 45, »Etat des ouvrages faits à Fort-­Dauphin depuis le 5 septembre 1768«, 1770. 18 ANOM, C 5A 3, Nr. 30, Maudave an Praslin, 15. August 1769. 19 ANOM, C 5A 3, Nr. 32, Bl. 3, Maudave an Praslin, 26. August 1769. Maudave benutzt den Begriff »Chef«, um die Roandriana und Zafiraminia zu bezeichnen. 20 Ebd., Bl. 2: »l’operation la plus facile et la plus utile qu’on puisse tenter dans ces ­régions orientales«. 21 ANOM, C 5A 3, Nr. 52, Maudave an Boynes, 9. Februar 1771.

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3.2 Träumer und Skeptiker Dieser erste flüchtige Überblick über die Geschichte der Niederlassung zeigt, dass die Gouverneure und der Intendant der Île de France mit ihren Beschwerden tatsächlich eine Skepsis bezüglich der Pläne Maudaves nährten. Sie beeinflussten somit die Entscheidung, die Kolonisierung Anosys aufzugeben. Die Historiker verweisen also zu Recht auf die Zentralität der Konflikte ­zwischen Kolonialverwaltern in Übersee, in die im Folgenden ein Einblick gewährt werden soll. Für die Versailler Zentrale war es stets schwierig, die Kolonialpolitik in Übersee zu steuern. Die Ministerialbeamten konnten trotz beinahe wöchentlich verfasster Briefe ihre Agenten in Übersee nur bedingt kontrollieren oder sogar gesicherte Informationen über deren Aktivitäten in Erfahrung bringen. Immer wieder versuchten Angestellte in Übersee, sich gegenseitig dadurch zu diskreditieren, dass sie einander der Korruption bezichtigten. In den 1760er Jahren brach zum Beispiel eine Rivalität z­ wischen den beiden Leitern der Kolonialverwaltung für den Indischen Ozean, dem Gouverneur Jean-­Daniel Dumas und dem Intendanten Pierre Poivre, aus.22 Im Ancien Régime war die französische Verwaltung stets doppelköpfig, wobei die Zuständigkeitsbereiche der beiden Verwalter nicht immer klar getrennt waren. Gouverneure hatten die militärische Gewalt inne, während Intendanten für die Finanzen zuständig waren, doch daneben gab es eine Reihe von Bereichen, für die beide verantwortlich waren. Diese Überlappung der Kompetenzen erwies sich im Alltag oft als wenig effektiv, denn die Kompetenzstreitigkeiten verhinderten bisweilen die Entscheidungsfindung. Allerdings war diese Doppelbesetzung insofern im Sinne des Marineministeriums, als die beiden Chefs sich im Idealfall gegenseitig kontrollierten. Sie erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass Nachrichten über Fehler und Verfehlungen der Kolonialverwalter bis nach Versailles drangen.23 Dumas und Poivre stritten sich 1768 erbittert über die richtige Madagaskarpolitik. Sie stellten konträre handelspolitische Überzeugungen zur Schau und rangen um Amtskompetenzen. Dumas, aber vielleicht auch Poivre, verteidigte dabei nicht zuletzt sein persönliches finanzielles Interesse. Poivre war ein Physio­ krat, der just in demselben Jahr durch sein Werk Voyages d’un philosophe ou Obser­ vations sur les mœurs et les arts des peuples de l’Afrique, de l’Asie et de l’Amérique auch im Mutterland berühmt wurde.24 Er trat für eine Umsetzung der weitgehenden Reformen ein, die Choiseul-­Stainville und Choiseul-­Praslin in die Wege geleitet 22 Malleret, Pierre Poivre, 267 – 326. 23 Ähnlich verfuhr auch die spanische Krone, die ihre Amtsträger in Amerika dazu animierte, sich gegenseitig zu kontrollieren und zu denunzieren: Brendecke, Imperium und Empirie, 180 – 186. 24 Poivre, Voyages d’un philosophe.

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hatten: 1764 beschlossen diese beiden Minister, die Compagnie des Indes solle ihre Kolonien auf den Maskarenen und manche afrikanischen Handelsposten an den König abtreten. Sie beseitigten daraufhin einen Teil des Handelsmonopols der Kompanie, indem sie den innerasiatischen Handel (commerce d’Indes en Indes) für Privatpersonen freigaben. 1769 hoben sie sogar das Monopol des Ostindienhandels auf, das die Kompanie seit ihrer Gründung besessen hatte.25 Dumas akzeptierte die Entscheidungen der Versailler Minister jedoch nur teilweise: Zwar nahm er gerne im Namen des Königs die Niederlassungen der Kompanie in den Besitz der Krone, doch wollte er den Privatleuten die Freiheit des Handels auf dem Indischen Ozean nicht gewähren. Der Gouverneur nahm auf die Oberschicht der Maskarenen wenig Rücksicht: Er scheute nicht davor zurück, die Siedler der Île de France zur Fronarbeit zu verpflichten, und verkündete, mit den madagassischen »Häuptlingen« »als Politiker« (»en politique«), als Repräsentant des Souveräns, und nicht wie ein Geschäftsmann (»en supercargue«) verhandeln zu wollen.26 Er beschuldigte Poivre, von reichen Händlern bestochen worden zu sein.27 In der Tat setzte sich Poivre dafür ein, diesen Privatleuten die Freiheit des Handels zu lassen, doch tat er dies nach eigenen Angaben, um die Wirtschaft der Maskarenen anzukurbeln.28 Dumas vertrat dagegen die Meinung, die privaten Händler würden die Kolonien der Île de France und der Île Bourbon in den Ruin treiben, da sie zu hohe Preise für Sklaven verlangten. Es stellt sich die Frage, ob d ­ ieses Argument lediglich als Vorwand gedient hat: erstens, weil durchaus bekannt war, dass mehr Konkurrenz die Preise nach unten drückt;29 zweitens aber vor allem, weil der Gouverneur höchstwahrscheinlich korrupt war. Wenn er dafür plädierte, dass die Monarchie das Handelsmonopol behalten sollte, dann nicht zuletzt deswegen, weil er dann das Handelsprivileg zwei alten Bekannten aus seiner Dienstzeit in Kanada verleihen wollte und auch verlieh.30 Alles spricht dafür, dass seine Getreuen für die eigene Tasche und die des Gouverneurs einen illegalen Sklavenhandel auf den Schiffen des Königs betrieben.31 Doch ist es sehr wohl möglich, dass Poivre es seinem Rivalen gleichtat, wie Dumas’ Nachfolger 25 Haudrère, L’Empire des rois, 326 – 329. 26 ANOM, C 5A 2, Nr. 1, Bl. 3, 5, Register mit Kopie des Briefaustauschs z­ wischen Dumas und Poivre, ohne Datum. 27 Ebd., Bl.  4 – 9. 28 Ebd., Bl. 14. 29 Ebd., Bl. 14. 30 Ebd., Bl. 13 f. In den 1750er Jahren hatte Dumas als Offizier in Kanada gedient. 31 ANOM, C 5A 2, Nr. 24, »Procès verbal de la saisie faite de 70 esclaves debarqués frauduleusement le 12 décembre 1768 de la Garonne venant de Foulepointe«, 1768; ANOM, C 5A 2, Nr. 46, Poivre an Praslin, 26. Februar 1768; ANOM, C 5A 2, Nr. 61, Poivre an Praslin, 7. August 1768; C 5A 3, Nr. 23, »Copie d’une déclaration faite par le sieur Déveau, habitant au quartier de Moka, Isle de France, au bureau de contrôle de ladite isle: il certifie

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Desroches behauptete. Diese Praxis scheint allgegenwärtig gewesen zu sein und Desroches weigerte sich entgegen den Anweisungen des Ministers ganz offen, die Schuldigen zu bestrafen oder sogar konkrete Informationen über sie nach Versailles zu übermitteln. Ganz im Gegenteil: Er empfahl manch einen Schuldigen dem Minister an.32 Für die königliche Kasse, die nach dem Siebenjährigen Krieg leer war, hatte dieser illegale Handel zwar gravierende Folgen, doch er gefährdete nicht die Existenz einer Kolonie auf Madagaskar. Der Konflikt z­ wischen Dumas und Poivre hatte für Maudave unangenehmere Folgen als die Korruption: Es war schwierig für ihn, einen Standort für seine Kolonie zu wählen, ohne die Gunst eines seiner Vorgesetzten zu verlieren. Dumas versuchte, ihn zu überzeugen, eine Kolonie im Norden Madagaskars zu gründen, während Poivre der Ansicht war, der ehemalige Gouverneur von Karaikal solle sich in Fort-­Dauphin niederlassen.33 Dumas’ Widerstand gegen die Etablierung einer Kolonie in Anosy lässt sich womöglich auf eine Ursache zurückführen: Er wird mit Sicherheit nicht gewollt haben, dass Maudave etwas von der Unterschlagung öffentlicher Gelder durch seinen Bekannten aus Neufrankreich erfuhr, der in Fort-­Dauphin als Chefhändler für den König diente.34 Maudave lavierte zunächst ­zwischen seinen Vorgesetzten, folgte jedoch schließlich dem Projekt Poivres.35 Doch so unangenehm die Situa­ tion für Maudave auch gewesen sein mag, hatte dieser Konflikt keine schwerwiegenden Konsequenzen für sein Kolonisierungsprojekt. Scheinbar tat Dumas in der ­kurzen Zeit bis zu seiner Rückberufung nach Frankreich nichts, was der Niederlassung von Fort-­Dauphin geschadet hätte, sondern folgte vielmehr den Instruktionen des Marineministers.36 Der Konflikt z­ wischen Maudave und der Verwaltung der Île de France kam erst im Jahr 1769 auf. Poivre, der anfänglich Maudave und seinem Kolonisierungsprojekt wohlgesonnen war, fing Anfang ­dieses Jahres – also kurz vor Desroches’ avoir reçu chez lui des esclaves appartenant à MM. Glemet et Vauquelin (11 mars 1769)«, 3. April 1769. Hierzu siehe folgende Darstellung: Malleret, Pierre Poivre, 581 – 610. 32 ANOM, C 5A 3, Nr. 27, Auszüge aus Briefen über den Handel; ANOM, C 5A 3, Nr. 36, Desroches an den Marineminister, ohne Datum; ANOM, C 5A 3, Nr. 50, Desroches an den Marineminister, 16. September 1770. 33 ANOM, C 5A 2, Nr. 26, Kopie eines Briefes von Dumas an Maudave und eines Briefes von Poivre an Maudave, Juli-­August 1768; ANOM, C 5A 2, Nr. 50, Dumas an Praslin, 7. Juni 1768. 34 Foury, Maudave (Teil 1), 393. 35 ANOM, C 5A 2, Nr. 58, Maudave an Praslin, 5. August 1768; ANOM, C 5A 2, Nr. 60, Maudave an Praslin, 6. August 1768; ANOM, C 5A 2, Nr. 62, Maudave an Praslin, 7. August 1768. 36 Foury, Maudave (Teil 2), 30. Maudave zeigte sich über die Hilfe Dumas’ zufrieden: MHN, Ms. 3001, S. 48, Auszüge aus Maudaves Tagebuch.

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Ankunft – an, andere Töne anzuschlagen. Die Kolonie von Fort-­Dauphin sei instabil, die Sterblichkeit hoch. Es wäre voreilig, Siedler dorthin zu s­ chicken. Die Forderungen Maudaves s­ eien übertrieben und die Ausgaben dringend zu kürzen.37 In der Folgezeit äußerte sich vor allem der Gouverneur Desroches 38 gegen das Kolonisierungsprojekt. Am 2. September 1769 schrieb er dem Marine­ minister, er habe sich einen Überblick über die Ausgaben und die Verluste an Männern verschafft, die Maudaves Kolonie ­zwischen April 1768 und April 1769 verursacht habe: Fort-­Dauphin habe die Krone einen Offizier, neunzehn Soldaten und 193.561 Livres gekostet. In Anbetracht dieser hohen Verluste sei er dagegen, Siedler von der Île Bourbon und der Île de France nach Madagaskar zu ­schicken. Dies würde die beiden Inseln in den Ruin stürzen, ohne auf Madagaskar eine dauerhafte Kolonie ins Leben zu rufen. Zudem habe Maudave entgegen seinen Versprechungen weder Teer noch Stahl, Gummi, Harz, Holz oder auch Hanf von der Großen Insel geschickt. Auch sei offensichtlich, dass die Bewohner Anosys keineswegs eine französische Kolonie in ihrer Region dulden möchten. Zwar werde man sicherlich eines Tages in Madagaskar Soldaten und Matrosen rekrutieren, doch solange man den Widerstand der Einheimischen durch den Aufbau einer Kolonie provoziere, sei das unmöglich. Kurzum: Desroches sah nicht ein, w ­ elche Vorteile Fort-­Dauphin bringen würde, und wollte verhindern, dass durch einen unüberlegten Kolonisierungsversuch Unkosten für die Île de France entstehen.39 Die Konkurrenz um die knappen Ressourcen der Verwaltung spielte somit bei der Entscheidung, Fort-­Dauphin aufzugeben, eine wichtige Rolle. Dennoch kann man in Bezug auf Desroches und Poivre nicht von Neid sprechen oder von der Angst, ihre Inseln könnten von Madagaskar überholt werden. Desroches’ ablehnende Haltung gegenüber dem Kolonisierungsversuch kam im Gegenteil daher, dass Fort-­Dauphin darniederlag, ohne den geringsten Nutzen nicht nur für die Île de France, sondern auch für Frankreich zu bringen. Man gab nicht aus Neid eine prosperierende Kolonie auf, sondern eine Niederlassung im schlechten Zustand aufgrund einer realistischen Einschätzung der Lage. Der entscheidende Faktor für den Kolonisierungsstopp war das vollkommene Scheitern der Niederlassung unter Maudave. Den Abbruch der Expansionsversuche hat zudem die Eigenwilligkeit der Kommandanten von Madagaskar mit verursacht. Spätestens als Maudave auf Madagaskar ankam, entwickelte er Projekte, die retrospektiv allzu ambitioniert anmuten. Für die Verwalter der Île de France und die 37 ANOM, C 5A 3, Nr. 16, »Note sur une lettre de M. Poivre au ministre pour se ­plaindre des dépenses excessives faites à Fort-­Dauphin par M. de Modave«, 1769; ANOM, C 5A 3, Nr. 17, Poivre an Praslin, 12. Januar 1769. 38 Über Desroches und seine konflikthaften Beziehungen zu Poivre: Malleret, Pierre Poivre, 409 – 454. 39 ANOM, C 5A 3, Nr. 10, Denkschrift von Desroches, 1769.

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Ministerialbeamten war es sehr schwierig, den Kommandanten von Madagaskar zu kontrollieren. Der Gouverneur von Fort-­Dauphin wollte mehrere Kolonien gründen, ohne an die Kosten zu denken.40 Im Folgenden wird den Gründen für den gewaltigen Misserfolg Fort-­Dauphins nachgegangen. Glücklicherweise ist eine Quelle teilweise überliefert, die nähere Einblicke in die Probleme gewährt, auf die Maudave gestoßen ist: sein Tagebuch. Das Original ist leider verlorengegangen; bekannt ist nur eine Abschrift von dem seinerzeit berühmten Botaniker Philibert Commerson (1727 – 1773), der jedoch nur die Einträge für das Jahr 1768 ausführlich kopierte.41 Für die spätere Zeit muss sich die Untersuchung verstärkt auf die Briefe Maudaves und weiterer Akteure stützen. Das Tagebuch hat Maudave nicht nur für sich selbst verfasst; er kündigte seinen Vorgesetzten an, es ihnen zukommen zu lassen. So erklärt sich, dass er darin nicht nur diverse Überlegungen und Pläne präsentierte, sondern sich auch bemühte, sein Vorgehen zu rechtfertigen und sein Misslingen zu entschuldigen. Dennoch verzichtete Maudave aber letztendlich darauf, das Tagebuch dem Gouverneur und dem Intendanten der Île de France vorzulegen, und schickte ihnen nur gut ausgesuchte Auszüge.42 Dieser Verzicht mag damit zusammenhängen, dass die beinahe täglichen Einträge des »Journal« keineswegs ein glorreiches Bild der Geschichte der französischen Kolonie unter seiner Führung zeichneten. Der französische Graf schilderte in d ­ iesem Text durchaus seine Probleme, unter denen tropische Krankheiten keinen geringen Platz einnahmen.

3.3 Gesundheit und Klima Retrospektiv betrachtet fällt in erster Linie auf, dass die Entscheidungsträger im Ministerium und im Indischen Ozean die epidemiologischen Probleme auf Madagaskar unterschätzten. Da der Arzneistoff Chinin noch nicht bekannt war, starben die Europäer, die nach Madagaskar übersiedelten, massenhaft an Malaria. Dieser Umstand war bereits vor der Umsetzung des Kolonisierungsprojekts

40 ANOM, C 5A 3, Nr. 16, »Note sur une lettre de M. Poivre au ministre pour se plaindre des dépenses excessives faites à Fort-­Dauphin par M. de Modave«, 1769. 41 Commersons Abschrift von Maudaves Tagebuch: MHN, Ms. 888. Im Folgenden wird aus der Transkription von Decary zitiert, MHN, Ms. 3001. Commerson beabsichtigte mit seiner Abschrift nicht, Maudaves Tagebuch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sondern sammelte diverse Quellen für seine eigenen gelehrten Schriften. Man kann davon ausgehen, dass er Maudaves Einträge nicht wesentlich veränderte, auch wenn sich die Frage stellt, inwiefern er eine Auswahl getroffen hat. 42 Foury, Maudave (Teil 2), 29. Die partielle Abschrift des Tagebuchs, die Maudave seinen Vorgesetzten zukommen ließ: ANOM, C 5A 2, Nr. 11.

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bekannt, doch dessen Bedeutung wurde von den Befürwortern einer Expansion auf Madagaskar heruntergespielt: In einem Plädoyer für die Kolonisierung Madagaskars aus dem Jahr 1767 gibt Valgny – ein Offizier der Indienkompanie, der in Mahavelona (frz. Foulpointe) und auf Nosy Boraha (frz. Sainte-­Marie) gedient hatte – zu, dass »die Witterung der Lüfte« (»l’intempérie de l’air«) für die Franzosen »verhängnisvoll« (»funeste«) sei. Zugleich behauptet er aber, dass sich die Franzosen eingewöhnen würden und man mit einfachen Maßnahmen einer hohen Sterblichkeit vorbeugen könne.43 Hinzu kam, dass unter den im Indischen Ozean lebenden Franzosen die Gegend von Tôlanaro als verhältnismäßig gesund galt,44 im Gegensatz zum Norden Madagaskars, vor allem der Bucht von Antongila, die als eine gefährliche Region eingestuft wurde.45 Gerade aus ­diesem Grund hatte Pronis die Kolonie von der Bucht von Sainte-­Luce kurze Zeit nach seiner Ankunft auf die hochgelegene Halbinsel von Tôlanaro verlegt.46 Aus der gleichen Motivation heraus entschied sich Maudave für eine Koloniegründung in Fort-­Dauphin, obwohl er wusste, dass der Norden für den Handel attraktiver war.47 Auch Poivre ging zunächst davon aus, dass Fort-­Dauphin gesundheitlich unbedenklich sei.48 Dass dies nicht stimmte, wurde erst durch Dokumente bekannt, die nach dem offensichtlichen Scheitern Maudaves dem Marineministerium zur Verfügung gestellt wurden. Es war ein Vertrauter Poivres, Béquet (Becquet), der die Ansicht verteidigte, die Franzosen bekämen in Fort-­Dauphin oft Fieberkrankheiten. Doch selbst er präsentierte Fort-­Dauphin in anderen Zusammenhängen gelegentlich als eine relativ gesunde Gegend.49 Die Vorstellung, die »Luft« sei in Tôlanaro »gesund«, gründete nicht etwa auf der Erfahrung, die Franzosen würden in Anosy weniger krank als anderswo. Ganz 43 ANOM, C 5A 2, Nr. 31, Denkschrift von Valgny an Dumas, 23. Oktober 1767. 44 ANOM, C 5A 2, Nr. 35 bis, Poivre an Praslin, 30. November 1769; ANOM, C 5A 2, Nr. 54, Poivre an Praslin, 29. Juli 1768; C 5A 3, Nr. 87, Bl. 7, Denkschrift von Cossigny, 1. Januar 1773; DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 11, Bl. 1, Legentil, »Productions du Fort Dauphin propres au commerce et à la vie«, ohne Datum. 45 Siehe die Abschriften von der Hand des Kommis Michel: ANOM, C 5A 2, Nr. 11 (siehe die »Observations« von Trévau und die Denkschrift von »M.«, vermutlich von Michel selbst); ANOM, C 5A 2, Nr. 54, Poivre an Praslin, 29. Juli 1768; C 5A 3, Nr. 16, »Note sur une lettre de M. Poivre«, 1769. 46 Froidevaux, Jacques Pronis, 15 f. 47 ANOM, C 5A 2, Nr. 65, Maudave an Dumas, 2. Oktober 1768. 48 ANOM, C 5A 2, Nr. 1, Bl. 4, Register mit Kopie des Briefaustauschs ­zwischen Dumas und Poivre. 49 ANOM , C 5A 2, Nr. 11, Kopie diverser Dokumente über Madagaskar aus der Hand Michels (siehe den Brief von Béquet an Dumas und den Auszug aus einer seiner Denkschriften).

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im Gegenteil scheint die Sterblichkeit in der Kolonie nicht wesentlich geringer gewesen zu sein als in den anderen Teilen der Insel, wie Maudaves Tagebuch sowie Desroches’ und Poivres Briefe zeigen:50 Dem Tagebuch zufolge wurde innerhalb von zwei Monaten ein Drittel der Franzosen in der Kolonie schwer krank.51 Allerdings bewogen selbst die vielen Krankheitsfälle Maudave nicht dazu, seine Einschätzung, die Gegend sei gesund, zu ändern. Dass die imperialen Akteure die epidemiologische Situation nicht als bedrohlich beurteilten, lässt sich im Licht damaliger medizinischer Theorien nur zum Teil als eine unangemessene Deutung einstufen. Vor dem Hintergrund des frühneuzeitlichen medizinischen Wissens ist eigentlich nur Maudaves Nachfolger Beňovský unvorsichtig gewesen: Seine Entscheidung, sich im feuchten Norden inmitten der Sümpfe der Bucht von Antongila niederzulassen, ist überraschend, denn s­ olche Gegenden galten als gefährlich; dieser Ort hatte bereits vor seiner Ankunft einen katastrophalen Ruf und sollte bald den Spitznamen »Franzosengrab« (»tombeau des Français«) erhalten. Beňovský musste sich deshalb noch während seiner Amtszeit dem Vorwurf stellen, eine Kolonie auf einer besonders ungesunden Landzunge ­zwischen Sümpfen errichtet zu haben. Er gab zu, dass die Bucht von Antongila für die Gesundheit gefährlich sei, behauptete aber, im Landesinneren eine gesunde Ebene gefunden zu haben, die er gleich suggestiv »Plaine de la Santé des volontaires« taufte. Dort gründete er einen kleinen leicht befestigten Posten und plante die Schaffung einer Siedlerkolonie.52 Wie jedoch sein Dolmetscher Mayeur dem Inspektor Bellecombe später mitteilte, war dieser Ort keineswegs gesünder.53 Der Hauptgrund für die Fehlkalkulation der Franzosen lag in den damaligen medizinischen und hygienischen Theorien. Die Frühe Neuzeit zeichnete sich durch einen beträchtlichen Optimismus bezüglich der Aussichten auf die »Akklimatisierung« der Europäer in den Tropen und die Besiedlung dieser Gegenden aus. In der galenischen Tradition, die noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen überwältigenden Einfluss auf die Medizin ausübte, wurden Fieberkrankheiten durch die Verwesung der Körpersäfte verursacht, die sie aus dem Gleichgewicht geraten ließen.54 Das heiße und feuchte Klima begünstigte ­solche Fäulnisprozesse. Das Klima war jedoch der ­Theorie zufolge 50 ANOM, C 5A 3, Nr. 10, Denkschrift von Desroches, 1769; ANOM, C 5A 3, Nr. 16; ANOM, C 5A 3, Nr. 17, Poivre an Praslin, 12. Januar 1769. 51 MHN, Ms. 3001, S. 30, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 52 ANOM , C 5A 3, Nr. 19, insb. Bl. 34 f., Auszug aus einem Brief von Vauquelin vom 10. August 1768; C 5A 4, Nr. 105, Beňovský an den Marineminister, 22. September 1774. 53 ANOM, C 5A 7, Nr. 80, Bl. 1, Mayeur an Bellecombe, 27. Oktober 1776. 54 Harrison, Climates and Constitutions, 38.

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nur einer von vielen Faktoren, die Einfluss auf das Gleichgewicht der Säfte nahmen. Genauso wichtig waren die Ernährung, der Schlaf, die Entleerung und Sättigung, die Bewegung und die Ruhe sowie die Leidenschaften und Emotionen. Der Erkrankung konnte man somit durch einen Schutz vor dem Regen, das Vermeiden von physischen Anstrengungen in der Hitze und ein maßvolles Leben ohne sexuelle Ausschweifung relativ einfach vorgebeugen. Durch das Einnehmen oder das Ausscheiden von Flüssigkeiten konnte das Gleichgewicht der Säfte wiederhergestellt werden.55 Sollten Europäer zudem die ersten Jahre in einer feuchten und warmen Gegend überleben, so würden sie sich »akklimatisieren« und der Hitze gegenüber weniger empfindlich sein. Dass Fieberkrankheiten auf die Feuchtigkeit zurückgeführt wurden, hieß auch, dass nur einzelne Orte als ungesund galten. Wenn die Luft relativ trocken war und durch keine Dämpfe aus faulen Gewässern verpestet wurde, betrachtete man die Gegend als tauglich für die Kolonisierung durch Europäer.56 Die mentalen Werkzeuge, mit denen Europäer die Krankheiten erklärten, ließen somit Madagaskar nicht unattraktiv erscheinen. Die epidemiologische Lage stellte keine unüberwindbare Hürde für die Kolonisierung der Insel dar, wie die medizinischen Denkschriften betonten.57 Dies galt vor allem für ­Tôlanaro:58 Wie Maudave es herausstrich, befand sich ­dieses Fort auf einer Landzunge hoch über dem Meer, war dem Wind ausgesetzt und konnte somit für die Gesundheit nicht gefährlich sein.59 Der Miasmentheorie zufolge war frische Luft das entscheidende Kriterium für eine gesunde Umwelt und so versprach diese Lage eine niedrige Sterblichkeitsrate, obwohl es in der Nachbarschaft der Siedlung Sümpfe gab. Der Süden war zudem trockener als der sich näher am Äquator befindende Norden. Um die epidemiologische Situation einer Gegend einzuschätzen, war kein Expertenwissen nötig. Jedermann konnte frische Luft von einer »dicken« und übelriechenden unterscheiden. So zögerte Maudave nicht, die Natur der Fieber­ krankheiten zu bestimmen, die in seinen Augen und den zeitgenössischen ­Deutungsmustern entsprechend von einer inneren Fäulnis kamen. Er lieferte Erklärungen für ihre Verbreitung.60 Die Schuld daran sah er zum überwiegenden Teil bei den Soldaten selbst, in ihrem vermeintlich zügellosen Leben, 55 Siehe zum Beispiel ANOM, C 5A 7, Nr. 1, »Observations sur les fièvres endémiques de Madagascar«, ohne Datum. 56 Harrison, Climates and Constitutions, 3 – 61. 57 ANOM , C 5A 7, Nr. 1, »Observations sur les fièvres endémiques de Madagascar«, ohne Datum. 58 ANOM, C 5A 7, Nr. 19, Bl. 1, »Note sur le Fort-­Dauphin par M. Bouchet«, 17. August 1776. 59 MHN, Ms. 3001, S. 30, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 60 Ebd., 41 f.

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insbesondere in ihren »Ausschweifungen mit den Negerinnen« (»excès avec les négresses«).61 Maudave verschrieb auch gern Heilmittel. Er zeigte sich sicher darüber, welcher Diät die kranken Soldaten und Offiziere folgen sollten.62 Stellte er fest, dass manche Soldaten zum wiederholten Mal Fieber bekamen, nachdem sie Geflügel gegessen hatten, ordnete er ihnen das Fasten an.63 In seinem Tagebuch ironisiert er darüber, wie einer seiner Offiziere seine Gesundheit »nach der Manier der Irokesen« (»à la manière des Iroquois«) wiederherstellen wollte, das heißt dadurch, dass er ein Schwitzbad nahm.64 Für Maudave und seine Gefährten gab es keine epidemiologischen Unterschiede z­ wischen Madagaskar und Europa. Es war in ihren Augen nicht nötig, die tropischen Krankheiten in ihren Besonderheiten regelrecht zu erforschen, denn sie glaubten, es mit denselben Leiden wie auf dem europäischen Kontinent zu tun zu haben. Von einer wissenschaftlichen Revolution, die durch den Bezug auf die Empirie die galenische Medizin in der Aufklärung zu Fall gebracht habe, ist hier wenig zu spüren.65

3.4 Handel und Waren Gewichtige Probleme verursachte Madagaskars Umwelt auch in der Produktion von Lebensmitteln, die neben dem Sklavenhandel eines der Hauptziele der Kolonialexpansion auf der Großen Insel darstellte. In der Tat war eines der wichtigsten Produkte, das die Maskarenen von Madagaskar bezogen, »Rindfleisch«, eigentlich Fleisch vom Zebu, einer in tropischen Ländern heimischen Rinderart. Da der Transport lebender Tiere beschwerlich war, musste ein Teil von ihnen auf Madagaskar geschlachtet und ihr Fleisch eingesalzen werden. Dennoch verdarb das Fleisch im tropischen Klima häufig – ein Problem, dessen die Franzosen im 18. Jahrhundert trotz wiederholter Versuche nicht Herr wurden.66 61 Ebd., 30 (Zitat), 42. Ähnlich: ANOM, C 5A 2, Nr. 11, Bl. 2, Kopie von Dokumenten über Madagaskar aus der Hand Michels. 62 MHN, Ms. 3001, S. 36, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 63 Ebd., 42. 64 Ebd., 61. 65 Eine ­solche Entwicklung suggeriert: Gascoigne, The Enlightenment and the Origins of European Australia, 1 f. 66 Zu den Plänen zur Errichtung der Fleischerei und den oft enttäuschten Erwartungen, die dieser Betrieb weckte: ANOM, C 5A 2, Nr. 1, Bl. 3, Register mit Kopie des Briefaustauschs ­zwischen Dumas und Poivre; ANOM, C 5A 2, Nr. 31, Bl. 2 – 6, 12 f., 20 f., Valgny an Dumas, 23. Oktober 1767; ANOM, C 5A 2, Nr. 20, Poivre an Praslin, ohne Datum; ANOM, C 5A 2, Nr. 35 bis, Bl. 1, Poivre an Praslin, 30. November 1769; ANOM, C 5A 2, Nr. 44, Glemet an Dumas, 14. Februar 1768; ANOM, C 5A 2, Nr. 55, Dumas an Praslin,

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Die finanziellen Probleme der Fleischereien von Madagaskar waren für die Schwierigkeiten einer kolonialen Planung geradezu symptomatisch: Die Franzosen hatten überhöhte Erwartungen an den Handel mit der Großen Insel. Der Bezug zur Empirie war oft sehr schmal, wenn Kolonialakteure schilderten, wie der Handel mit den madagassischen Fürsten zu führen sei und ­welche Waren Fort-­Dauphin produzieren und exportieren könnte. Die Niederlassung im Süden Madagaskars war sowohl als Handelsstützpunkt als auch als landwirtschaftliche Kolonie geplant. In beiden Fällen fiel das Ergebnis überaus mager aus. Bereits vor Maudaves Ankunft wurde eine verhängnisvolle Entscheidung getroffen: Die Verwaltung der Île de France verbot Maudave und seinen Untergebenen, den Handel für den französischen König mit Piastern abzuwickeln. Diese spanischen Silbermünzen hatten sich im Ostindienhandel durchgesetzt. Die Europäer exportierten nur wenig jenseits des Kaps der Guten Hoffnung und bezahlten in ­diesem Raum vor allem mit Silbermünzen; ihre Bilanzen wiesen dementsprechend ein starkes Handelsdefizit auf.67 Zugleich hatte der Piaster um 1760 seinen Wert gegenüber dem französischen Livre innerhalb weniger Jahre verfünffacht.68 Aus ­diesem Grund verbot Poivre bereits im August 1767, auf Madagaskar mit Silbermünzen zu bezahlen.69 Maudave hieß zunächst einmal diese Entscheidung gut. Er plante, einen Tauschhandel zu vollführen, und ließ deswegen Flinten, Schmuck und Kurzwaren nach Anosy bringen.70 Die »Piasteraufhebung« (»suppression des piastres«), wie das Verbot der Bezahlung mit Silbermünzen in den Quellen genannt wird, brachte jedoch den Handel beinahe zum Erliegen: Die königlichen Kommissare konnten 1767 nur sehr wenig Waren und Sklaven auf Madagaskar kaufen. Der Gouverneur Dumas schob die Schuld den Privathändlern zu, die ihm zufolge weiterhin mit Silbermünzen Handel trieben. Nicht zuletzt aus ­diesem Grund wollte er die Handelsfreiheit mit Madagaskar wieder aufheben.71 Der Intendant Poivre behauptete dagegen, der Handel sei auch früher größtenteils nicht mit Piastern abgewickelt worden.72 Beide Kolonialbeamten, der Handelskommis Glemet 30. Juli 1768; C 5A 7, Nr. 19, »Note sur le Fort-­Dauphin, par M. Bouchet«, 17. August 1776; C 5A 8 bis, Nr. 211, 226, 248; C 5A 9, Nr. 29 – 32, 53, 81. 67 Voir Haudrère, Jalons pour une histoire des compagnies des Indes, 21 – 23. 68 Foury, Maudave (Teil 1), 356. 69 ANOM, C 5A 2, Nr. 30, Bl. 4, Poivre an Glemet, 10. August 1767. 70 ANOM, C 5A 2, Nr. 15 und Nr. 16 (Listen von Handelsgütern). 71 ANOM, C 5A 2, Nr. 1, Bl. 1, 5, 18, Register mit Kopie des Briefaustauschs z­ wischen Dumas und Poivre; ANOM, C 5A 2, Nr. 50, Bl. 1 f., Dumas an Praslin, 7. Juni 1768. 72 ANOM, C 5A 2, Nr. 1, Bl. 5, Register mit Kopie des Briefaustauschs z­ wischen Dumas und Poivre.

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und Maudave, erwarteten jedenfalls, dass die Insulaner mittelfristig Waren statt Münzen akzeptieren würden, wenn man die Warenlieferung stoppte.73 Bald bekam jedoch auch Maudave die Konsequenzen des Verbots, Handelswaren mit Piastern zu bezahlen, zu spüren: 16. Oktober [1768.] Ich habe erfahren, dass der [indigene, D. T.] Kapitän aus dem Tal von Amboulle [Manampanihy, D. T.], der gestern [Fort-­Dauphin] verlassen hat, vier Sklaven mitgebracht hatte, um sie zu verkaufen. Doch als er erfuhr, dass wir dafür keine Piaster geben, hat er sie wieder mitgenommen, ohne auch ein Wort zu sagen. Wir werden größte Mühe haben, den Negern den Geschmack [der Piaster, D. T.] auszutreiben. Doch m ­ üssen wir durchhalten, selbst wenn wir zehn Jahre lang darunter leiden sollen. Sie werden schließlich gezwungen sein, darauf zu verzichten.74

Obwohl Commerson Maudaves Tagebuch für das Jahr 1769 nur auszugsweise kopiert hat, kann man erkennen, dass der Gouverneur von Fort-­Dauphin ­dieses Problem mehrmals ansprach. Er wiederholte die Aufforderung »durchzuhalten« (»tenir bon«), wie um sich selbst Mut zu machen.75 Er zeigte sich zunehmend verbittert darüber, dass der Handel auch dann nicht in Schwung kam, wenn endlich Frieden herrschte. Die Ursache sah er darin, dass die Madagassen »unserer Flinten und der anderen Handelswaren sehr überdrüssig sind« (»fort las de nos fusils et autres effets de traite«).76 Schließlich äußerte Maudave in seinem Tagebuch Zweifel an der Politik, die Madagassen zum piasterlosen Handel zu zwingen.77 Poivre selbst gab in einem Brief an den Minister vom 1. September 1769, in dem er über die mageren Ergebnisse des königlichen Madagaskarhandels in ­diesem Jahr berichtete, zu, dass es wohl schwieriger werden würde als gedacht, Handel ohne Silbermünzen zu treiben.78 Als Maudave schließlich Ende November 1769 73 ANOM, C 5A 2, Nr. 1, Bl. 1 f., 5, 7, 9, 20, Register mit Kopie des Briefaustauschs ­zwischen Dumas und Poivre; ANOM, C 5A 2 Nr. 35 bis, Bl. 5, Poivre an Praslin, 30. November 1769; ANOM, C 5A 2, Nr. 49, Bl. 2, Poivre an Glemet, 22. März 1768; ANOM, C 5A 2, Nr. 52, Bl. 3 f., Kopie eines Briefs von Dumas an Praslin, 26. Juli 1768; ANOM, C 5A 2, Nr. 66, Bl. 3, Auszüge aus Maudaves Tagebuch; MHN, Ms. 3001, S. 11, Auszüge aus ­Maudaves Tagebuch. 74 MHN, Ms. 3001, S. 13, Auszüge aus Maudaves Tagebuch: »Du 16. Oct. J’ai su que le capitaine Amboullois qui est parti hier avait amené 4 esclaves pour les traiter, mais ayant su qu’on en donnait pas des piastres, il les a ramenés sans en parler. Nous aurons de la peine à faire perdre le goût aux nègres. Cependant il faut tenir bon, dussions nous en souffrir pendant 10 ans. Ils seront à la fin contraints de s’en passer.« 75 Ebd., 59. 76 Ebd., 61. Ähnlich: 62, 64. 77 Ebd., 64. 78 ANOM, C 5A 3, Nr. 35, Bl. 1, Poivre an Praslin, 1. September 1769.

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vor seiner Rückberufung stand, erklärte er dem Marineminister Choiseul-­Praslin, dass nicht sein Kolonisierungsprojekt die Madagassen dazu bewogen hatte, den Handel weitgehend einzustellen. Vielmehr war das Verbot des Handels mit Piastern die Ursache.79 Auch Poivre erkannte nun ­dieses Problem durchaus und musste in den frühen 1770er Jahren notgedrungen die Fürsten der Großen Insel mit Silbermünzen bezahlen, um die Île de France mit Nahrungsmitteln zu versorgen.80 Dennoch gab die Verwaltung des Indischen Ozeans das sogenannte Piasterverbot mittelfristig nicht auf. Weil die Privathändler Waren mit Piastern kauften, verboten Maillart und Ternay, die Nachfolger von Poivre und Desroches, stattdessen lieber ihnen den Handel.81 Ingesamt scheinen die französischen imperialen Akteure die Attraktivität des eigenen Handels stark überschätzt zu haben. Sie wussten wenig über die Handelsströme auf der Insel: Kolonialbeamte taten so, als s­ eien sie die einzigen Handelspartner der madagassischen Fürsten.82 Dass dem nicht so war, sieht man unter anderem am Erlahmen des Sklavenhandels infolge der Weigerung der Franzosen, mit Piastern zu zahlen. Die Betsimisaraka von Mahavelona (frz. Foulpointe), die für die Franzosen die Hauptlieferanten von Sklaven waren, holten das Gros der »Menschenware« im Hochland bei den Merina, um sie weiterzuverkaufen. Vermutlich verlangten die Merina dafür Silbermünzen und brachten ihre Gefangenen lieber in andere madagassische Regionen, etwa in die nordwestlichen Häfen (vor allem nach Boina), als sie bei den Fürsten der Ostküste gegen französische Waren einzutauschen.83 Einen Teil der Sklaven bezogen die Zana-­Malata – die Nachkommen europäisch-­amerikanischer Piraten und madagassischer Frauen – zudem von den muslimischen Händlern Boinas, die sie aus Afrika importierten; ohne Silbermünzen war die Teilnahme an d ­ iesem internationalen Handel eben84 falls unmöglich. Zudem stellten die Merina Musketen und Schießpulver her, die den europäischen Produkten nur wenig nachstanden. Die Fürsten der Ostküste konnten also diese Produkte aus dem Hochland beziehen und waren auf Lieferungen aus Frankreich nicht angewiesen.85

79 ANOM, C 5A 3, Nr. 42, Bl. 1, Abschrift von zwei Briefen Maudaves an Praslin, 17. und 20. November 1769. 80 ANOM, C 5A 3, Nr. 60, Poivre an Boynes, 12. Februar 1772. 81 ANOM, C 5A 3, Nr. 73, Maillart und Ternay an Boynes, 4. November 1772. Zu M ­ aillarts handelspolitischen Vorstellungen siehe auch C 5A 4, Nr. 120, Bl. 1, Maillart an den Marine­minister, 4. Dezember 1774. 82 Dies behauptete auch Maudave: MHN, Ms. 3001, S. 64, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 83 Berg, The sacred musket, 267; Campbell, An economic history of imperial Madagascar, 48 f. 84 Sylla, Les Malata, 27. 85 Berg, The sacred musket, 268.

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Das Desinteresse der Madagassen der Ostküste an französischen Waren zeugt davon, dass sie sich mit ähnlichen Produkten aus anderen Quellen versorgen konnten. Die Annahme der Franzosen aus dem Mutterland, den Madagassen Waren von schlechter Qualität, oft auch Gebrauchtwaren, verkaufen zu können, behinderte den Handel beträchtlich. Sowohl Valgny als auch Maudave berichten von madagassischen Fürsten, die sich weigerten, schlecht erhaltene Gewehre anzunehmen.86 Auch Poivre beschwerte sich über die geringe Qualität der aus Frankreich ankommenden Waren beim Minister.87 Aus heutiger Sicht erstaunt es, dass die Franzosen sich der Konkurrenz mit anderen Handelspartnern der madagassischen Völker nicht bewusst waren. Denn die Existenz der florierenden Hafenstadt Boina war ihnen bekannt, und sie wussten auch vom Handel der Engländer im Südwesten der Insel.88 Eine ähnliche Empirieferne kann man in den Plänen beobachten, durch die Kolonisierung zahlreiche landwirtschaftliche und industrielle Waren auf Madagaskar herzustellen. Die Kolonie von Fort-­Dauphin sollte keine reine Handelsniederlassung sein, sondern selbst Erzeugnisse für die Versorgung der Schiffe, der Île de France und Île Bourbon sowie für den Handel mit Europa, Asien, Afrika und Arabien hervorbringen. Die langen Listen von zukünftigen Erzeugnissen der Landwirtschaft, der Jagd und des Bergbaus nehmen in den Denkschriften über Madagaskar einen großen Platz ein. Der Astronom Legentil – der in den frühen 1760er Jahren mehrmals nach Madagaskar kam und maßgeblich daran beteiligt war, die Aufmerksamkeit der Franzosen auf die Große Insel zu lenken – zählte folgende »Produkte von Fort-­Dauphin, die sich für den Handel und den Lebensunterhalt eignen«, auf: Weizen, Hafer, allerlei Gemüse, Rinder, Schafe (insbesondere der Schafschwanz sei köstlich), Geflügel, allerlei Wild (vor allem leckere Amseln), allerlei Fische (Legentil erwähnt Riesenmeeräschen), Weidegras (besser als in der Normandie), Rohrzucker, Seide, Eisen, Stahl, Walfischöl. Legentil betont, dass all diese Waren in großen Mengen vorhanden oder sehr einfach zu produzieren ­seien.89 86 MHN, Ms. 3001, S. 45, Auszüge aus Maudaves Tagebuch; MHN, Ms. 887, S. 4, Papiers de Commerson, »II. Mémoires pour servir à l’histoire de Madagascar«, »1. Extraits de quelques journaux sur l’île de Madagascar«. 87 ANOM, C 5A 3, Nr. 35, Poivre an Praslin, 1. September 1769. 88 MHN, Ms. 3001, S. 17, 37, Auszüge aus Maudaves Tagebuch; ANOM, C 5A 3, Nr. 87 Bl. 11, Denkschrift von Cossigny, 1. Januar 1773; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 53, »Mémoire sur Madagascar«, Juni 1775; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 74, Bl. 35, »Répliques par article aux demandes faites à M. le baron de Benyowsky par MM. de Belle­ combe et Chevreau«, 1776; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 79, Bl. 35, »Journal du voyage fait à Madagascar par ordre du gouvernement par le chevalier de la Serre«, 1777. 89 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 11, Legentil, »Productions du Fort-­Dauphin propres au commerce et à la vie«, ohne Datum.

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Der anonym gebliebene Autor einer Denkschrift – möglicherweise handelt es sich um Maudave – ging in seiner Auflistung aller Produkte, die importiert oder exportiert werden könnten, besonders detailliert und systematisch vor: Von Europa nach Madagaskar: Branntwein; weißes Tuch; Jacken, Hemden, Unterhosen, Unterhemden aus Tuch aus der Bretagne; Jacken und Unterhosen aus dicker Leinwand, […] Röcke für Weiber; große Hüte mit weißem und gelbem Seidenrand oder ohne; Wollmützen; Eisenkessel; farbige Bänder; flämische Messer; kleine Spiegel; S ­ cheren; Fäden, Nadeln; Baumwollstoff; Flinten; Schießpulver; Steinschlösser für Gewehre; Gewehrkugeln und Bleikugeln; einige Trinkbecher; einige Fayenceteller; Emailleperlen; falsche Korallen; falsche Perlen; falsche Steine in allen Farben für Halsbänder, Ohrringe, Armbänder, Ringe […]. Von Madagaskar nach Europa: Holz für den Schiffbau; Holz zur Gewinnung von Farbstoffen; Holz für Marketerie; Ebenholzkugeln; verschiedene Gummi- und Harzsorten; Rindsleder […]; Baumwolle und rohe Seide […]; Tabak; gelbes Wachs; Ambra; Schildpatt; Hörner; Quarz; Zitwerwurzel; Ingwer; langer Pfeffer; Sago; Ravensara; China-­Stechwinde [eine chinesische Heilpflanze, D. T.]; Kurkuma; Drachenblut [eine Harzsorte, D. T.]; Indigo […]; Walfischöl und -fett […]; verschiedene Arten Lendenschurze; Gold und Kupfer […]. Von der Koromandelküste und Bengalen nach Madagaskar: blaue und weiße Leinwand […]. Von China nach Madagaskar: Nankingtücher in verschiedenen Farben. Von Madagaskar zu den Koromandel- und Malabarküsten sowie nach Persien und China: Eisen und Kupfer […]; Zucker […]; Baumwolle; Ingwer; Kurkuma; Holz für den Häuser­bau, die Gewinnung von Farbstoffen und die Marketerie; Betelpalmen; Seide für Surat [Seidengewebe, D. T.]; verschiedene Gummiarten und Harz; Seegurken; Quarz; langer Pfeffer; Kubebenpfeffer. Von Madagaskar auf die Île de France und die Île de Bourbon […]: Sklaven, Rinder und Schafe; eingesalzenes Fleisch; Fett und Talg; Weizen; Reis; Wein und Branntwein […]; Fische, trocken und gesalzen; Hanfseil und viele andere einheimische Pflanzen, die Fasern hergeben; allerlei Ölsorten; Pech; Wachs; Zucker. Von Madagaskar nach Mosambik: Reis […]; Bretter und Bohlen; Seile.90 90 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 25, »Notes sur le commerce de Madagascar«, ohne Datum: »D’Europe à Madagascar: Eaux-­de-­vie, toile blanche d’Europe, vestes, chemises, calçons, soubrevestes de toile de Bretagne, vestes et culottes de gros draps, de grosses serges, de gros camelots, et jupes pour femmes, gros chapeaux bordés en soye blanche et jaune, et non bordés, bonnets de laine, marmittes de fer, rubans de couleur, couteaux flamands, petits miroirs, cizeaux, fil, Eguilles, cotonine, fusils, poudre de guerre, pierres à fusils, ­balles, et petits plombs, quelques goblets, quelques assiettes de fayence, des rassades, du faux corail, des fausses perles, des pierres fausses de toutes les couleurs montées pour colliers, boucles d’oreilles, brasselets, bagues […]. De Madagascar en Europe: bois torts pour la construction des vaisseaux, bois pour la teinture, idem pour la marqueterie, billes d’ebenne, sanderousse, ou

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Im Einzelnen mutet diese lange Liste bizarr an. Für wen war die europäische Kleidung bestimmt? Sollten sich die Madagassen französisch kleiden? Sollte wirklich Holz für den Schiffbau von Madagaskar nach Europa oder China gebracht werden? Und was sollten Franzosen mit madagassischen Lendenschurzen anfangen? Diese und ähnliche Listen,91 die sich im Archiv des Marineministeriums befinden, hatten wenig mit Erfahrungswissen zu tun.92 Bekanntlich exportierte Madagaskar fast ausschließlich Sklaven, Reis und Rindfleisch. Vor allem der Süden Madagaskars, wo die Kolonie von Fort-­Dauphin aufgebaut wurde, war eine arme Region.93 Mitte des 18. Jahrhunderts hatte sich dennoch ein fester Katalog der vermeint­lichen Reichtümer der Roten Insel etabliert.94 Die Weizen-, Baumwoll-, Indigo- oder Zuckerrohrproduktion, die sich die Verfasser von Denkschriften wünschten,95 war auf Madagaskar kaum oder gar nicht entwickelt. Auch für die Existenz der Eisen-, Kupfer- und Goldbergwerke, die in den Aufzählungen auftauchen, gab es keine konkreten Anhaltspunkte. Dies hinderte Maudave nicht daran, in seinem Tagebuch apodiktisch festzusetzen, es könne »kein Zweifel bestehen, dass es Gold- und Silbervorkommen auf dieser Insel gibt«.96 gomme copal, et différentes autres gommes et résines, cuirs de boeufs tannés, coton et soye bruts […], tabac, cire jaune, ambre gris, ecaille, cornes, cristal de roche, zédoaire, gingembre, poivre long, sagou, ravine sara, esquine, curcuma, sang-­dragon, indigo […], des huiles et des blancs de baleine […], pagnes de différentes especes, de l’or et du cuivre […]. De la côte de Coromandel et du Bengale à Madagascar: toiles bleues et toiles blanches […]. Et de la Chine à Madagascar: des nankins de différentes couleurs. De Madagascar aux côtes de Coromandel et Malabar, en Perse et à la Chine: du fer et du cuivre […], du sucre […], du coton, du gingembre, du curcuma, des bois pour bâtisse, pour teinture, et pour marqueterie, des noix d’Arèque, des soyes pour Surate, différentes gommes et résines, des bitches de mer, des cristaux de roche, du poivre long, des cubebes. De Madagascar aux Isles de france et de Bourbon: […] des esclaves, des troupeaux de boeufs et de moutons, des salaisons, des graisses et suifs, du bled, du riz, des vins et eaux-­de-­vie […], des poissons secs et salés, des cordages de chanvre, et de quantité d’autres plantes du Pays qui donnent des filasses, des huiles de toutes especes, du Bray, de la cire, du sucre. De Madagascar à Mozambique. Du riz […], des planches et madriers, des cordages.« 91 Zum Beispiel: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 2, »Projet pour rentrer dans l’Isle dauphine, et s’y établir de maniere que cette France orientalle produise les avantages certains qu’on s’en doit promettre«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 26, Bl. 2 f., Maudave an Praslin, 28. April 1767; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 40, insbesondere S. 13, 17, [Maudave], »Mémoire sur l’établissement de Madagascar«, [1772]. 92 Wanquet, Entre Délire de conquête et parcimonie, 208; Zatorska, Discours colonial, 8 f. 93 Foury, Maudave (Teil 2), 60. Siehe auch das Standardwerk über Anosy: Rakotoarisoa, Mille ans d’occupation humaine. 94 Wanquet, Entre Délire de conquête et parcimonie, 208. 95 MHN, Ms. 3001, S. 55, 61, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 96 Ebd., 12: »Il est hors de doute qu’il y a de l’or et de l’argent dans cette île«. Zugleich kritisierte Maudave Figeac, den Dumas nach Madagaskar geschickt hatte, um nach

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So empiriefern die Listen der potentiellen Handelsgüter erscheinen, spielten sie eine gewichtige Rolle im Projekt, eine Kolonie auf Madagaskar zu errichten. In der Denkschrift eines Angestellten des Marineministeriums, die der Entscheidung, Maudaves Plan gutzuheißen, zugrunde lag, tauchen auch die besagten mehr oder weniger imaginären Produkte auf.97 Zwar mahnte Poivre in seiner Antwort an den Minister zur Vorsicht, indem er die Tatsache hervorhob, dass Madagaskar viele der aufgezählten Waren noch nicht produzierte.98 Doch zu ­diesem Zeitpunkt war die Errichtung einer Kolonie auf der Roten Insel längst beschlossen. Die Franzosen stürzten sich also mit kaum zu erfüllenden Erwartungen in das Projekt, Madagaskar zu kolonisieren. Sie stuften die Attraktivität der eigenen Handelsgüter für die Madagassen zu hoch ein, ignorierten die Tatsache, dass sie in Konkurrenz zu anderen Handelspartnern standen, und überschätzten deutlich die Ressourcen, die sie aus Madagaskar gewinnen konnten. Der Misserfolg der Kolonie von Fort-­Dauphin hatte viel mit diesen und weiteren strukturellen Hürden zu tun, zu denen in erster Linie die epidemiologische Lage zählte, deren Schwere die Zeitgenossen auf der Grundlage ihrer medizinischen ­Theorie kaum erkennen konnten. Zwar spielte die Konkurrenz um die knappen Ressourcen eine maßgebliche Rolle bei der Entscheidung, Maudaves Kolonisierungspläne aufzugeben. Dennoch bildeten nicht etwa divergierende Interessen ­zwischen Madagaskar und der Île de France den Hauptfaktor für das Aufgeben der Kolonisierungsversuche, sondern die Misserfolge der französischen Politik auf Madagaskar. Auch wurde nicht aus Neid oder Zaghaftigkeit eine sich gut entwickelnde Kolonie aufgegeben. Vielmehr waren die Hürden, die dem Aufbau einer Kolonie auf Großen Insel im Wege standen, so groß, dass eine bedeutende Investition einer Verschwendung von Ressourcen gleichgekommen wäre. Es lässt sich im Nachhinein behaupten, dass dem Grafen von Maudave die Kolonisierung Madagaskars auch dann nicht gelungen wäre, wenn er mehr Zeit und Mittel gehabt hätte. Doch der grundsätzliche Fehler lag im Kalkül der Kolonialpolitiker, sowohl in dem der ministerialen Elite in Versailles als auch in dem der Agenten vor Ort. Zu den Erwartungen, die sich als unrealistisch erwiesen, zählte die Idee, die Franzosen könnten aufgrund ihrer angeblichen zivilisatorischen Überlegenheit eine Autorität über die Madagassen ausüben.

Goldvorkommen zu suchen. Damit antizipierte er einen möglichen Misserfolg Figeacs: Denn falls dieser kein Gold findet, liegt das an seiner Unfähigkeit, so M ­ audave: Ebd., 19. 97 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 27, »Projet d’un établissement à Madagascar«, 21. November 176[?]. 98 ANOM, C 5A 2, Nr. 54, Poivre an Praslin, 29. Juli 1768.

4 Maudave oder Der Optimismus Handel war nicht von der Politik zu trennen: Er fand z­ wischen Fürsten statt und war ein wesentlicher Bestandteil der Beziehungen ­zwischen den hochrangigen Akteuren Anosys. Dass es den Franzosen nicht gelang, als erstzunehmende Handelspartner aufzutreten, hatte also auch mit einem Autoritätsproblem zu tun, das es im Folgenden zu untersuchen gilt. Hier bestand eine tiefe Kluft z­ wischen Anspruch und Wirklichkeit. In der Historiographie wurde diese Kluft lange verkannt. Als Foury in den 1950er Jahren die Geschichte Maudaves schrieb, war er sich trotz der verheerenden Bilanz Fort-­Dauphins sicher, dass die handlungsleitenden Prinzipien des französischen Grafen richtig gewesen waren.1 In seinen Augen musste eine sanfte Politik der Zivilisierung zu einer freiwilligen Unterordnung »der Madagassen« führen, da diese die Autorität des Zivilisierten anerkennen würden. Foury zufolge s­ eien die Madagassen »große Kinder« mit einem »primitiven Geist«, über die Maudave eine »geistige Vorherrschaft« ausgeübt habe.2 Er erkannte bei Maudave anfänglich Fehler, doch war er überzeugt, dass die Situation in der Niederlassung mit der Zeit besser wurde.3 Vor ­diesem Hintergrund erschien das Aufgeben der Kolonie wie eine unter dem Einfluss von Privatinteressen getroffene Fehlentscheidung Desroches’.4 Wie im letzten Kapitel gezeigt, folgte die Forschungsliteratur auch in postkolonialen Zeiten weitgehend dieser Einschätzung, ohne die kolonialistischen Vorannahmen, auf denen sie basiert, hinreichend zu reflektieren. Obwohl Claude Wanquet, Jean-­ Michel Racault und weitere (Literatur-)Historiker in den vergangenen Jahren die koloniale Vorstellungswelt Maudaves und seiner Zeitgenossen untersuchten,5 fehlt noch immer eine Geschichte der französischen Niederlassung in Anosy, die neueren Ansätzen und Forschungsergebnissen Rechnung tragen würde. In ­diesem Kapitel geht es um dreierlei: Erstens sollen weitere Gründe für den Misserfolg der Franzosen auf Madagaskar nach dem Siebenjährigen Krieg untersucht werden. Zunächst steht das Wirken des Gouverneurs Maudave im Mittelpunkt: Welche politischen Strategien verfolgte er? Wie gestalteten sich seine Beziehungen zu den einheimischen Eliten und wie interpretierte er sie? 1 Foury, Maudave (2. Teil), 46, 70. 2 Foury, Maudave (1. Teil), 397 (»grands enfants«); ders., Maudave (2. Teil), 36, 57 (»­esprit primitif«). 3 Foury, Maudave (2. Teil), insbesondere 15 – 46, 63. 4 Ebd., 53 – 55. 5 Wanquet, Entre Délire de conquête et parcimonie; Racault, Les premières tentatives coloniales; ders., Le Mythe des Quimos; Gigan, Bernardin de Saint-­Pierre; Rambeloson-­ Rapiera, Madagascar et les Malgaches; Jacob, Le Madécasse et les Lumières.

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Zweitens bietet die Studie eine neue Erzählung der Geschichte von Fort-­ Dauphin ­zwischen 1768 und 1770, die keine Kolonialgeschichte ist, sondern die einer französisch-­madagassischen Begegnung. Es sollen deshalb im Sinne einer connected history Einblicke in die Geschichte der Beziehungen ­zwischen madagassischen und französischen Eliten gewährt werden. Hier stellt sich die Frage, inwiefern durch die Schöpfung eines transkulturellen Raums eine erfolgreiche symbolische Kommunikation z­ wischen Franzosen und Madagassen stattfinden konnte. Die neuere Forschung betont die Hybridisierungsprozesse in ritualisierten politischen Kontakten ­zwischen Europäern und Nichteuropäern in der Frühen Neuzeit. Das damit verbundene Aufkommen von Transkulturalität ermöglichte es den Akteuren oft trotz mancher Unsicherheiten und enttäuschten Erwartungen, die vom Anderen gesetzten ­­Zeichen zu deuten.6 Drittens geht es in ­diesem Kapitel um die Entstehung einer neuen kolonialistischen Vorstellungswelt in den späten 1760er und frühen 1770er Jahren. Es wird zu analysieren sein, wie die französischen Eliten die Erfahrung des Scheiterns in ihren Schriften verarbeiteten. Zwei Persönlichkeiten stehen dabei im Mittelpunkt: der Graf von Maudave und sein Kritiker Valgny, der ehemalige Kommandant von Nosy Boraha. Die Untersuchung dieser Schriften erlaubt Einblicke in das Erbe der kurzlebigen Niederlassung in Anosy z­ wischen 1768 und 1772 – ein Erbe, das in der Entwicklung eines kolonialistischen Imaginären bestand.

4.1 Herrschaft durch Autorität Maudaves gesamtes Kolonisierungsprojekt beruhte auf der Annahme, die zivilisatorische Überlegenheit der Franzosen würde ihnen eine gleichsam natürliche Autorität über die Madagassen verleihen. So schrieb der französische Gouverneur in seinem Tagebuch: Obwohl die Madagassen in fast allen Punkten eine sehr gute Meinung von sich haben, ist es erstaunlich, wie sehr sie sich selbst zu einer natürlichen Unterwerfung den Weißen gegenüber bestimmt sehen. Dieses Vorurteil kommt von der realen Überlegenheit, die wir gegenüber ihnen haben und die ihnen nicht entgehen kann, wenn sie ihre elende Policey, ihr unglückliches und unstetes Leben in Unrast und die Grobheit ihrer Künste vergleichen mit dem, was sie bislang von unseren ­Sitten, unserem Gewerbefleiß und unserer Lebensweise gesehen haben. Sie bewundern uns und sagen, sie s­ eien im Vergleich zu uns nur Tiere.7 6 Burschel, Einleitung, 11 – 15; Brauner, Kompanien, Könige und caboceers, 163 – 225, 254 – 264. 7 MHN , Ms. 3001, S. 27, Auszüge aus Maudaves Tagebuch: »Ce qui est étonnant, c’est que quoiqu’en général, ils aient presque sur tous les points assez bonne opinion d’eux

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Maudaves Strategie beruhte darin, der madagassischen Elite die moralische und technische Überlegenheit der Franzosen zu demonstrieren, was seiner Ansicht nach große Wirkung erzielte. Er kaufte Zebus, die Fürsten ihm schenken wollten, um sie mit seiner Freigiebigkeit zu beeindrucken.8 Alle Madagassen s­ eien auch von der Büste Ludwigs XV., die im Gouvernementhaus stand, sehr »verblüfft und bezaubert« (»frappés et charmés«).9 Sein Nachbar und Verbündeter, der Fürst Dian Mananzac, bewunderte angeblich die katholische Messe.10 Maudave spekulierte stets darüber, wie man sich die Ehrerbietung und den Respekt der Madagassen sichern könnte. Mal schlug er die Schaffung eines Kavalleriekorps von 200 Dragonern vor,11 mal hoffte er, der Bau eines Gouverneurshauses würde die Einheimischen ins Staunen versetzen.12 Er verkündete, in Zukunft eine neue Befestigungsmauer errichten zu lassen, die ihm die Verehrung der Madagassen sichern würde, denn »die Dummheit und Unwissenheit dieser Völker« sei so groß, dass »eine einfache Mauer ihnen wie die größte Anstrengung des menschlichen Geistes vorkommt«.13 Selbst der Einsatz von Rindern für Pflugarbeiten sollte dem Franzosen zufolge in absehbarer Zeit die Bewunderung der »Eingeborenen« (»naturels«) der Roten Insel wecken.14 Maudave offenbart in seinen Briefen und seinem Tagebuch eine große Verachtung gegenüber den Fürsten von Anosy und eine Hochschätzung seiner selbst. Er zitiert zustimmend den Artikel »Rohandrian« der Encyclopédie, der auf das Privileg des Schächtens anspielend besagt, dass die europäischen Metzger auf Madagaskar würdige Fürsten wären.15 Er lehnt es ab, die Zafiraminia dem Brauch folgend »Könige« zu nennen, und begründet es damit, dass sie nicht mehr als 3000 Untertanen hätten und in einfachen Hütten lebten.16 mêmes ils se condamnent à une soumission naturelle envers les blancs. Ce préjugé est fondé sur la supériorité réelle que nous avons sur eux et qui n’a pas pu leur échapper quand ils comparent leur misérable police, leur vie errante, malheureuse et agitée, la grossiéreté de leurs arts avec ce qu’ils ont pu voir jusqu’à présent de nos moeurs, de notre industrie et de notre manière de vivre en tombant dans l’admiration et ils disent qu’en efet ils ne sont que des bêtes comparés à nous.« 8 Ebd., 39. 9 Ebd., 63. 10 Ebd., 42. 11 Ebd., 29. 12 Ebd., 43. 13 ANOM, C 5A 2, Nr. 66, Bl. 22, Auszüge aus Maudaves Tagebuch: »Telle est l’ignorance et l’ineptie de ces peuples qu’un simple mur leur parait le dernier effort de l’esprit humains.« 14 MHN, Ms. 3001, S. 11, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 15 ANOM, C 5A 3, Nr. 47, Bl.7 f., Maudave an den Marineminister, 28. August 1770. 16 MHN, Ms. 3001, S. 11, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. Siehe auch ebd., S. 15; ANOM, C 5A 2, Nr. 11, Bl. 1, Kopien von Dokumenten über Madagaskar durch Michel.

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»König« würde eine Gleichrangigkeit ­zwischen den kleinen Fürsten Anosys und Ludwig XV . nahelegen; die Zafiraminia stünden damit über dem französischen Gouverneur. Der Graf von Maudave beanspruchte jedoch für sich, den Zafiraminia mindestens gleichrangig, wenn nicht überlegen zu sein. Nicht ohne Stolz berichtete er, dass die Fürsten Anosys ihm den Titel eines Roandriana verleihen wollten. Obwohl dieser Titel den Gouverneur von Fort-­Dauphin lediglich den Dorfältesten gleichstellte, nahm Maudave dies zum Anlass, um zu suggerieren, die Zafiraminia spürten wohl, dass er ihnen überlegen sei.17 Unter der Feder Maudaves war es vor allem die Überlegenheit der europäischen »Künste«, die die wahre Hierarchie ausmachte, nicht die Souveränität. Er sagte den Roandriana nach, sie würden dies spüren. Zugleich unterstellte er ihnen, sie würden diese unverständlichen technischen Meisterleistungen dadurch erklären, dass er Zugriff auf magische Kräfte habe: Dies alles trübt ihre Vorstellungskraft und sie würden mich als einen reichen und mächtigen Roandriana ansehen, wenn nicht der kluge [Handelskommis, D. T.] Avril ihnen auf subtile Weise zu verstehen gegeben hätte, dass die Weißen einen König haben, dass dieser König [einem seiner, D. T.] Untertanen ein kleines Stück Papier gegeben hat, das alle zwingt, ihm zu gehorchen. […] [S]ie fangen an zu verstehen, dass ich wohl kein König bin, aber kraft eines Talismans (gris-­gris) befehle, der mächtiger ist als all die ihrigen.18

Maudave fand die Erklärung von Avril deshalb klug, weil auf Madagaskar der Schrift in der Tat magische Kräfte zugeschrieben wurden. Er präsentierte sich dem Leser als jemand, der aufgrund der zivilisatorischen Kluft den Ruf eines großen Magiers genoss. Unter solchen Bedingungen sollte es einfach sein, diese kleinen Fürsten dazu zu bewegen, die höhere Autorität von Fort-­Dauphin anzuerkennen. Es würde reichen, »sanfte« und gleichsam natürliche Mittel anzuwenden: den Fürsten »oft kleine Geschenke [zu] machen, eine große Achtung vor ihnen an den Tag [zu] legen, die Streitigkeiten ­zwischen ihnen und ihren Nachbarn [zu] schlichten«.19 17 MHN, Ms. 3001, S. 60, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 18 Ebd.: »Tout cela brouille leur imagination et ils s’opiniâtreraient encore à me regarder comme un riche et puissant Rohandrian sans la sagacité de mon Avril qui leur a finement expliqué que les blancs avaient un roi, que ce roi donnait un petit morceau de papier à ses sujets et vertu duquel ils étaient tous obligés de lui obéir. […] [I]ls commencent à comprendre que je pourrai bien n’être pas roi mais que je commande en vertu d’un grisgris d’une force supérieure à tous les leurs.« 19 Ebd., 10: »leur faire souvent de petits cadeaux, présens, de leur marquer une grande considération, de pacifier soigneusement les démélés qui s’élèveront entre lui et ses voisins«.

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Von einer solchen Politik versprach sich Maudave gewaltige Erfolge: Er behauptete, er würde die gesamte Insel zu einer Kolonie machen.20 Denn nicht nur würde die Überlegenheit der europäischen »Künste« die Madagassen beeindrucken; angezogen von der Gerechtigkeit der französischen Regierung und der Sicherheit, die sie verspreche, würde sich das Volk von Anosy freiwillig unter die Autorität des französischen Königs stellen.21 Der Gouverneur von Fort-­Dauphin ging davon aus, dass die Madagassen ohnehin schnell den König wechselten – eine Vorstellung, die möglicherweise daher rührte, dass die Königreiche der Großen Insel keine Primogeniturregelung kannten und folglich oft mehrere Kandidaten aus dem familiären Umkreis (vor allem Brüder und Söhne des Verstorbenen) miteinander um die Erbschaft wetteiferten.22 Maudave träumte von der Entstehung einer Niederlassung neuen Typs, die weder eine Kolonie weißer Siedler noch eine sklavistische Plantagenkolonie sein sollte. Er hatte sogar vor, die Sklaverei in Fort-­Dauphin zu verbieten und sie lediglich zur Bestrafung von Verbrechern anzuwenden.23 Sein fernes Ziel war es, den Sklavenhandel im Süden der Großen Insel zu unterbinden, um die Region von Tôlanaro nicht zu entvölkern. Langfristig sollte die Beherrschung ganz Madagaskars durch Franzosen den Import von Sklaven in die Maskarenen sowieso überflüssig machen, denn die freie lokale Arbeitskraft würde alle nötigen Kolonialwaren hervorbringen.24 Diese Vision machte aus Maudave jedoch keinen Abolitionisten: Das Sklavereiverbot in der neuen Kolonie sollte in seinen Augen nicht auf andere Gebiete ausgeweitert werden. Auch verpflichtete sich Maudave als selbsternannter Patron der einheimischen Fürsten, ihren gesamten Besitz – die Sklaven inbegriffen – zu schützen.25 Zudem sollten die madagassischen Waren als Tauschobjekte für den Sklavenhandel im Indischen Ozean gebraucht werden.26 Schließlich gehörte es zu Maudaves Aufgaben als Gouverneur von Fort-­Dauphin, Sklavenhandel zu treiben, und er beteiligte sich auch daran.27

20 »J’embrasserai l’isle dans la totalité d’un établissement général«: Ebd., 28. 21 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 28, Bl. 3, Denkschrift von Maudave, 6. Dezember 1767. Ähnlich: MHN, Ms. 3001, S. 14, 56, Auszüge aus Maudaves Tagebuch; ANOM, C 5A 2, Nr. 12, Bl. 11, Kopie von Dokumenten zu Madagaskar. 22 Kent, Religion and State, 282. 23 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 26, Bl. 3, Maudave an Praslin, 28. April 1767. 24 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 40, S. 16 f., [Maudave], »Mémoire sur l’établisse­ ment de Madagascar«, ohne Datum. 25 Ebd., 12. 26 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 27, Bl. 2, »Projet d’un établissement à Madagascar«, 21. November 176[?]. 27 Foury, Maudave (2. Teil), 35, 47.

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Um die Strategie einer freiwilligen Unterordnung der Madagassen seinen Lesern plausibel zu machen, zeichnete Maudave den größtmöglichen Kontrast ­zwischen seiner Herrschaft und jener der Fürsten Anosys. Während er in Zukunft ein Spital errichten würde, das die jungen Leute und die Kranken kostenlos aufnehmen werde,28 legten ihm zufolge die Roandriana die schlimmste Tyrannei an den Tag: »[Die] Fürsten [der Madagassen, D. T.] sind alles kleine, gierige und grausame Tyrannen, die ihren Untertanen die Kehle durchschneiden und ihnen für das leichteste Delikt alles nehmen.« 29 Maudave scheute dabei nicht davor zurück, sich selbst zu widersprechen: Er gab zu, die Autorität der Roandriana sei »sehr begrenzt«, sah aber in ihnen dennoch zugleich schlimme Despoten mit großer Durchsetzungskraft: »Sie bestrafen [die Leute, D. T.] hart für die k­ leinsten Vergehen, vor allem, wenn es in ihrem persönlichen Interesse liegt. Sie verhängen die Todesstrafe und konfiszieren alle Güter weger der kleinsten Lappalien.« 30 Er sagte den Madagassen die größte »Indolenz« (»lâche indolence«) und »Unterwürfigkeit« (»la plus basse soumission«) gegenüber diesen Tyrannen nach und behauptete gleichzeitig, sie würden sehr oft in ein anderes Herrschaftsgebiet emigrieren, um der Despotie zu entgehen.31 Ein sanftes Vorgehen würde Maudaves Ansicht nach mittelfristig zur Assimilation der Madagassen führen. Die Indigenen würden die Bedürfnisse gesitteter Völker entwickeln und den Weißen in ihrem Fleiß nacheifern. Der Aufbau einer Kolonie sollte sie also zur Arbeit ermuntern.32 Langsam würden die Madagassen die französischen ­Sitten übernehmen. Aus den Ehen ­zwischen Franzosen und Madagassen, die Maudave erlauben wollte und im Allgemeinen guthieß, würden bald neue fleißige französischsprachige Bürger hervorgehen.33 Die jüngeren Generationen würden zudem zum Christentum konvertieren. Es ist bezeichnend, dass Maudave nicht von der Schaffung einer dauerhaften Mischkultur ausging.34 Der Integrationsprozess sollte nicht eine Akkulturation, sondern das vollständige Aufgehen der Magadassen in der französischen Nation zur Folge haben.35 28 MHN, Ms. 3001, S. 28, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 29 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 28, Bl. 3, Denkschrift von Maudave, 6. Dezember 1767: »Leurs Princes sont tous de petits tirans avides et cruels qui les egorgent et les depouillent pour le plus leger interêt.« 30 ANOM, C 5A 2, Nr. 66, Bl. 26, Auszüge aus Maudaves Tagebuch: »Ils punissent rudement les moindres fautes, surtout si elles blessent leurs interets personnels. La Mort ou la perte des biens s’infligent pour les plus petites bagatelles.« 31 Ebd.; MHN, Ms. 3001, S. 55, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 32 MHN, Ms. 3001, S. 11, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 33 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 28, Bl. 2, Denkschrift von Maudave, 6. Dezember 1767. 34 Ebd. 35 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 28, Denkschrift von Maudave, 6. Dezember 1767.

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Die Religion der Madagassen war in seinen Augen kein Hindernis auf dem Weg zur Assimilation. Zwar machte sich Maudave keine Illusionen darüber, dass die Erwachsenen keine besonders guten Katholiken würden. Dafür müssten sie manche in seinen Augen »sehr lasterhaften und sehr korrupten ­Sitten« (»moeurs qui sont très vicieuses et très corrompue«) wie die Polygamie aufgeben; zudem verfügten sie seiner Meinung nach über eine »allzu begrenzte Intelligenz« (»intelligence trop bornée«).36 Es werde einige Zeit brauchen, um sie zur Übernahme der »Mode der Vorhäute und Blutwürste« (»mode des prépuces et des boudins«)37 zu bewegen. Deswegen wollte der Gouverneur von Fort-­Dauphin ihnen zuerst nur die »Prinzipen der natürlichen Religion« (»principes de la religion naturelle«) beibringen 38 oder, wie er es auch formuliert, »erst daran arbeiten, aus ihnen Menschen zu machen, um sie dann mühelos zu Christen zu machen« 39. Dies alles sei möglich, weil die Madagassen »keinen Kult« hätten, sondern nur einige »Vorurteile sowie ­Sitten jüdischer und muslimischer Herkunft«.40 Zugleich machte Maudave auch in seinen Äußerungen über die Religion der Madagassen einen Spagat z­ wischen ausgeprochen optimistischen Einschätzungen der Bereitschaft der Inselbewohner, Christen zu werden, und der Feststellung, sie hingen sehr an Praktiken, die mit dem Christentum inkompatibel s­ eien. Er sah wohl ein, dass das Monopol des rituellen Schächtens von zentraler Bedeutung für die Roandriana war.41 Auch berichtete er über den hohen Stellenwert der magischen Praktiken der ombiasy für die Oberschicht.42 Der Gouverneur von Fort-­Dauphin gab jedoch seine Assimilierungserwartungen nicht auf. Dies lag zum Teil daran, dass er europä­ische Kategorien auf die madagassischen Praktiken anwandte, die die Beziehung zur unsichtbaren Welt betrafen. In der Tat trennte Maudave klar ­zwischen Religion und Aberglauben. Die religiösen Praktiken der Bewohner Anosys fielen in seinen Augen in die Kategorie des Aberglaubens und waren daher zum Aussterben verurteilt.43

36 MHN, Ms. 3001, S. 22, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 37 ANOM, C 5A 2, Nr. 66, Bl. 30, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 38 MHN, Ms. 3001, S. 38, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 39 ANOM, C 5A 2, Nr. 11, Bl. 3, Kopie von Dokumenten zu Madagaskar: »commencer enfin par en faire des hommes, pour en faire ensuite des Chretiens.« 40 MHN, Ms. 3001, S. 22, Auszüge aus Maudaves Tagebuch: »Ils n’ont aucun culte établi. Ils ne tiennent qu’à des préjugés et des moeurs reçus de leurs pères, dans lesquels ont trouve des observances juives et mahométanes.« 41 Ebd., S. 60. 42 Ebd., S. 25, 36 f., 51. 43 Z. B.: Ebd., 25; ANOM , C 5A 3, Nr. 47, Bl. 18, Maudave an den Marineminister, 28. August 1770.

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Abb. 5  Rova (Königshaus) von Ambositra, 18. Jahrhundert (Zustand im Jahr 2015, nach dem Wiederaufbau in den 2000er Jahren)

Maudave glaubte zudem, über politische Autorität verfügen zu können, ohne religiös legitimiert zu sein. Er trennte ­zwischen Religion und Politik. Die madagassische Sprache erlaubte jedoch vor dem 19. Jahrhundert keine Unterscheidung ­zwischen Magie, Religion und Politik. Für die Madagassen gab es nur ein Prinzip der Macht: die hasina, die der Fürst dank einem regen Ahnenkult von seinen Vorfahren übertragen bekam.44 Die Könige früherer Zeiten galten nicht einfach als tote Figuren aus einer vergangenen Epoche, sondern als Akteure, die auf das heutige Geschehen einen Einfluss hatten.45 Im Gegensatz zu den weiter nördlich lebenden Antaimoro differenzierten die Antanosy nicht einmal ­zwischen politischen und religiösen Würdenträgern. Die Oberschicht Anosys gründete ihre Autorität wie im Jahrhundert zuvor auf einem esoterisch-­ magischen Wissen. Das Monopol der Zeremonien wie der Beschneidung und des Tieropfers, das im Ahnenkult eine zentrale Rolle spielte, verlieh den Zafiraminia ein großes Prestige. Der Besitz von Objekten, die in dem letzteren Ritual zum Einsatz kamen, oder auch von »Großen Häusern« im Zentrum der 44 Randrianja/Ellis, Madagascar, 62, 109. 45 Dieser Glaube ist noch heute in einem wesentlichen Teil der madagassischen Gesellschaft lebendig: Lambek, The Weight of the Past; Rahamefy, Le Roi ne meurt pas; B ­ allarin, Les Reliques royales.

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Siedlungen, mit symbolischen hölzernen Zebuhörnern geschmückt (Abb. 5), waren nicht weniger wichtig.46 So empiriefern Maudaves Erwartungen erscheinen mögen, galten sie in der politischen Elite des Mutterlands als durchaus seriös. Als der Marineminister Choiseul-­Praslin Maudave beauftragte, eine Kolonie auf Madagaskar zu errichten, tat er dies ausdrücklich auf der Grundlage dieser Prinzipien, die er für »so klar und hellsichtig« hielt, dass er »nichts sah, was man dagegen sagen könnte«.47 Die Verwalter der Île de France waren vorsichtiger. Poivre hieß die Grundidee Maudaves gut, warnte aber davor, vor lauter Begeisterung zu übersehen, dass der Weg zur Assimilierung der Madagassen lang und schwierig sein werde.48

4.2 Transkulturelle Kommunikation Maudave überzeugte den Marineminister Choiseul-­Praslin, die Franzosen könnten kraft ihrer zivilisatorischen Überlegenheit eine Autorität entfalten und über die Madagassen herrschen. Aufgrund dieser Prämisse bildete zunächst vor allem die Zurschaustellung der Zivilisation, das heißt: diverser damit einhergehender Praktiken der symbolischen Kommunikation, den Kern seiner Politik. Doch was sagen die symbolischen Interaktionen z­ wischen dem Gouverneur von Fort-­Dauphin und den Fürsten Anosys über eine eventuelle Anerkennung seiner Autorität aus? Verstand die lokale Oberschicht überhaupt die Signale, die der französische Graf sendete, oder muss man davon ausgehen, dass Unterschiede in der Semiotisierung die Kommunikation ­zwischen den beiden Seiten erschwerten? Als Maudave 1768 nach Madagaskar kam, waren die Rituale zur Etablierung von Beziehungen ­zwischen der Oberschicht Anosys und den Offizieren der französischen Krone bereits fest etabliert: Die Franzosen mussten sich einem Ritual unterwerfen, das man in ähnlicher Form in Westafrika vorfand, möglicherweise von Piraten europäischer und amerikanischer Herkunft eingeführt,49 und das 46 Dies galt sowohl für die Zafiraminia als auch für die Königreiche der Antaimoro: ­Beaujard, Islamisés et systèmes royaux, 253 – 261. 47 Siehe das Projekt einer Kolonie, das dem Marineminister Choiseul-­Praslin vorgelegt wurde und das dieser mit dem Wort »Approuvé« versah: ANOM, DFC, XVII/mémoires/ 88, Nr. 27, »Projet d’un établissement à Madagascar«, 21. November 176[?]: »si clairs et lumineux que je vois pas ce qu’on pourrait y opposer«. Siehe auch den Entwurf eines Briefs Choiseul-­Praslins an Dumas und Poivre: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 31, Choiseul-­Praslin an Dumas und Poivre, ohne Datum (Zitat: Bl.1). 48 ANOM, C 5A 2, Nr. 54, Bl. 2, Poivre an Praslin, 29. Juli 1768. 49 Hooper, Pirates, 232.

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sie als äußerst abstoßend empfanden. Von sich in der dritten Person sprechend, beschrieb es Maudave unmittelbar nach seiner Ankunft in seinem Tagebuch: Diese erhabene Zeremonie wurde inmitten der Esplanade des Forts ausgeführt. Man stellte eine große Tasse mit Branntwein hin, dem Schießpulver, Steinschlösser und Gewehrkugeln beigemischt waren. Dian Mananzac – dies ist der Name des schwarzen Fürsten – war von den Seinigen umgeben, die allesamt bewaffnet waren. Er befand sich gegenüber vom Gouverneur [Maudave, D. T.], der seinerseits von Franzosen umgeben war. Er tauchte die Spitze seines Speeres in die Tasse, in die Maudave ebenfalls sein Schwert eintauchte. Er stand in dieser stolzen Pose, während er seinen Schwur vorsprach. Dieser enthielt das Versprechen, den Franzosen keinerlei Schaden zuzufügen, auch denen nicht, die nach Fort-­Dauphin kommen würden, um Handel zu treiben, und ihnen jede Hilfe zu gewähren, um die sie bitten würden. Nachdem in etwa das Gleiche von der französischen Seite versprochen worden war, nahm [Dian Mananzac, D. T.] die Tasse in die Hand und trank in mehreren Zügen den größeren Teil des Inhalts. Er überließ den Rest dem französischen Chef, der auch daraus trank oder so tat, als ob er trinken würde […].50

Maudave schreibt nicht, inwiefern er seine Stellung durch d ­ ieses Ritual des Fetischtrinkens – wie es in der Forschung genannt wird – angemessen wiedergegeben sah. Der ironisch zu verstehende Begriff »erhabene Zeremonie« suggeriert, dass Maudave d ­ ieses Ritual für lächerlich hielt und sich aus Gefälligkeit seinem madagassischen Nachbarn gegenüber daran hielt. Der Gouverneur von Fort-­Dauphin hatte trotzdem keinen Grund, sich von der symbolischen Kommunikation Dian Mananzacs gedemütigt zu fühlen. Schließlich suggerierte das Ritual durch die Symmetrie der Stellungen, Gesten und Schwüre eine Gleichrangigkeit beider Seiten. Es fand zudem im französischen Fort statt.51 50 MHN, Ms. 3001, S. 2, Auszüge aus Maudaves Tagebuch: »Cette auguste cérémonie a été exécutée au milieu de l’esplanade du fort. On a mis à terre une grande tasse pleine d’eau de vie, de poudre à canon, de pierres et de balles à fusil. Dian Mananzc, c’est le nom du prince noir, entourré de tous les siens, leurs armes à la main, étaient vis à vis du gouverneur que les français du fort environnaient aussi. Il a trempé le bout de sa sagaye dans la tasse où Modave a mis également la pointe de son épée. Il s’est tenu dans cette fière attitude pendant qu’il prononçait son serment. Lequel portait en substance qu’il jurait de ne faire aucun tort aux français ni à ceux qui viendraient en traite au fort Dauphin et de donner toutes les aides et assistances qu’on lui demanderait. Après avoir été prononcé à peu près les mêmes choses de la part du français, il a pris la tasse et a bu à différentes reprises la meilleure partie, abandonnant gracieusement le reste au chef français qui en a bu aussi ou fait semblant de boire en observant les mêmes.« Zu ­diesem Ritual, das wohl aus Westafrika stammt: Hooper, Pirates, 232. 51 Der Ort des Treffens war für Maudave von Bedeutung, doch sind keine Informationen darüber überliefert, ­welche Rolle die Ortswahl für die Fürsten von Anosy spielte.

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Zugleich legte der madagassische Fürst die Formen der symbolischen Kommunikation eindeutig fest. Maudave konnte sich nur mit Mühe bestimmten Ritualen der Freundschaftsschließung entziehen, die für ihn besonders abstoßend waren. So musste er immer wieder die oben beschriebene Mischung aus Branntwein und ungenießbaren Gegenständen zu sich nehmen.52 Das Blut eines seiner Verbündeten trank er allerdings nicht: Dian Ramasoulone hat den Bündnis- und Freundschaftsschwur vorgeschlagen, der wie oben beschrieben gemacht wurde. Aber dieser Chef wollte dieser Zeremonie mehr Kraft verleihen und bat um ein Rasiermesser, um einen Schnitt [in die eigene Haut, D. T.] zu machen, daraus Blut fließen zu lassen und es dem französischen Chef [zu trinken, D. T.] zu geben, der das Gleiche tun würde. Man hat ihn gebeten, dies zu unterlassen, indem man ihm sagte, dass die französischen Chefs nur das Blut ihrer Feinde trinken. Diese Ausrede wurde von der ganzen Truppe mit Ausrufen aufgenommen und jede Seite begnügte sich damit, siebenmal hintereinander aus dem Dekokt aus Steinschlössern sowie Gold- und Silberpulver, die dem Branntwein beigemischt waren, zu trinken.53

Vermutlich dank dem Rat seines Dolmetschers Avril konnte Maudave eine Erklärung liefern, die es ihm ermöglichte, ohne die Würde seines Kontrahenten anzutasten, dem Ritual fernzubleiben, das wohl in seinen Augen seine eigene Zugehörigkeit zu den Zivilisierten infrage stellen konnte. In ­diesem Fall wurde kulturelle Differenz durch eine für beide Seiten hinnehmbare und zugleich vollkommen neuartige Semiotisierung des Bluttrinkens konstruiert: Die Franzosen tränken nämlich nur das Blut ihrer Feinde. Mit Hilfe dieser Deutung wahrten beide Seiten ihr Gesicht: Die Franzosen konnten klarmachen, dass die Verweigerung, am Ritual teilzunehmen, nicht an der Person Dian Ramasoulones lag; auch stellten sie nicht das Bluttrinken an sich infrage, womit sie ihre madagassischen Partner verletzt hätten. Diese Strategie bedeutete zugleich, dass das madagassische symbolische System unangetastet gelassen wurde. Im Laufe der Jahrzehnte wurde in der französischen Verwaltung mehrmals angemerkt, diese »barbarischen« Rituale der 52 MHN, Ms. 3001, S. 5, 47, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 53 Ebd., S. 5: »Dian Ramasoulone a proposé le serment d’union et de fraternité qui a été fait comme dessus. Mais le dernier chef voulait donner plus de force à cette cérémonie a demandé un rasoir. Lorsqu’on a demandé à en savoir l’usage, il a fait dire que c’était pour faire une incision et en tirer de son sang dont le chef français boirait en lui rendait politesse pour politesse. On l’a prié de se dispenser de cette formalité en lui disant que les chefs de guerre français ne s’abreuvaient jamais que du sang de leurs ennemis. Cette excuse a été reçue avec exclamation de toute la troupe et on s’est contenté de part et d’autre de boire à sept reprises différentes une décoction de pierres à fusil, de poudre, d’or et d’argent bien détrempés dans de l’eau de vie.«

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Bündnisschließung müssten abgeschafft werden. Sie ­seien nicht nur ekelhaft, sondern beruhten auf einem lächerlichen Aberglauben, der einer aufgeklärten und zivilisierten Nation unwürdig sei. Denn diesen Schwur zu leisten, bedeutete für Madagassen, Bereitschaft zu zeigen, sich von unsichtbaren Kräften bestrafen zu lassen, falls man sein Versprechen nicht hielt. Dies zeigt der Schwur eines weiteren madagassischen Fürsten: Wenn ich eine Verschwörung gegen die Franzosen entdecke und sie ihnen nicht enthülle, möge sich dieser Branntwein in ein Gift für mich verwandeln, das Pulver, das er enthält, mich bis auf die Knochen verbrennen, die Gewehre und die Speere, die darin getaucht wurden, mein Herz durchbohren und meinen Kopf zerschmettern.54

Auch Maudave schreibt, es sei erstaunlich, dass die »Anführer von gesitteten Nationen« (»chefs de nations policées«) d ­ ieses barbarische Ritual so viele Jahre lang befolgt hätten. Es wäre anständiger gewesen, die Madagassen daran zu gewöhnen, dem Ehrenwort der Franzosen zu glauben. Man könne in Zukunft auf diese lächerliche Zeremonie verzichten, wenn man erst einmal eine furchterregende Position innehabe.55 Doch genau da lag das Problem: Die Franzosen hatten auf Madagaskar keine dominante Stellung inne, die es ihnen ermöglicht hätte, die Rituale zu diktieren. Wie im 17. Jahrhundert mussten sich französische Akteure in die madagassischen sozialen Strukturen integrieren, wenn sie etwas bewirken wollten. Die Privathändler mussten eine einheimische Frau, vorzugsweise die Tochter eines Dorfältesten ehelichen und ein Haus kaufen, das als Warenlager diente. Diese Ehe war aus Sicht der katholischen ­Kirche nichts mehr als ein Konkubinat – und in der Tat hatten manche Händler auch eine französische Ehefrau auf den Maskarenen –, doch ließ sich der Handel nur dank dieser sozialen Institution abwickeln: Der Franzose sagte der Frau, ­welche Güter er brauchte, und sie reiste durch das Land, um für ihn einzukaufen. Wenn sie einem mächtigeren Clan angehörte, konnte sie Waren zu einem günstigeren Preis erwerben. Wenn genügend Waren eingekauft waren, bezahlte der Franzose sie mit Silbermünzen, Tüchern, Halsbändern, Metallwaren oder auch Branntwein. Das eingegangene Verhältnis ­zwischen dem französischen Händler und der madagassischen Frau ging jedoch auch mit Pflichten einher. Es handelte sich dabei für die Einheimischen sehr wohl um eine richtige Ehe, wie 54 MHN, Ms. 3001, S. 47, Auszüge aus Maudaves Tagebuch: »si je découvre quelques conjurations contre les français et que je les leur révèle pas, que cette eau de vie que je bois se tourne en poison contre moi, que la poudre dont elle est mêlée me brûle jusqu’aux os, que les balles, les fusils et les sagayes qui y sont trempé me percent le coeur, me cassent la tête«. 55 Ebd., S. 54.

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sie auch z­ wischen zwei Indigenen bestanden hätte.56 Während der Handelssaison kamen also die Verwandten zu Besuch, denen man auch Geschenke machen sollte, vor allem Schnaps.57 Um enge Freundschaft mit einem Clan zu schließen, hätte Maudave ebenso die Tochter eines Fürsten Anosys »annehmen« sollen. Die madagassischen P ­ artner erwarteten von ihren Verbündeten durchaus die Etablierung eines Verwandtschaftsverhältnisses.58 Doch Maudave war verheiratet und wollte wohl von vorneherein seine Frau von der Île de France zu sich kommen lassen. Dian Mananzac, mit dem sich Maudave anfänglich so eng wie möglich verbündete, wollte den Gouverneur von Fort-­Dauphin trotzdem mittels seiner Frauen an sich binden. Er sagte ihm, »dass er nur zwei Frauen hatte, dass es jedoch gerecht wäre, sie mit ihm zu teilen«. Maudave kommentierte das im Nachhinein folgendermaßen: »Das Lustige bei der Geschichte ist, dass er sie sogleich holen ließ und ich musste unbedingt eine der beiden annehmen.« 59 Aus dem Tagebucheintrag, den Maudave zehn Tage später geschrieben hat, geht jedoch hervor, dass Dian Mananzac »auf [s]eine Bitte hin auf die Galanterie verzichtet [habe], die er [ihm] zu machen glaubte, indem er [ihm] eine [seiner Frauen] gab«.60 Maudave dachte, die Angelegenheit wäre damit erledigt, doch zehn Tage später ließ Dian Mananzac, der laut Maudave zu viel Wein und Branntwein getrunken hatte, wieder seine Frau für den Franzosen holen. Nur mit größter Mühe habe der Gouverneur von Fort-­ Dauphin das Angebot abschlagen können.61 Maudave war sich dessen bewusst, dass seine Weigerung etwas Beleidigendes haben konnte, denn er schrieb von einer »großen Gefahr« (»un grand danger«).62 56 [Mayeur], Voyage dans le nord de Madagascar, 142. 57 Tombe, Voyage aux Indes orientales, 90. Auch Sémerville und Frappaz beschreiben ­dieses Phänomen: Sémerville, Le voyage de Sermerville, 32; Frappaz, Voyages, 121. Der Händler Hugon gibt an, sein ganzes Hab und Gut in Fort-­Dauphin in der Hand einer madagassischen Frau zu lassen, wenn er die Gegend verlässt. Es handelt sich hierbei vermutlich auch um seine Ehefrau: ANOM, MAD 7 15, Barthélémy Hugon, »Relation sur l’isle de Sainte-­Marie, accompagnée de détails sur Tamatave, Foulpointe, et sur le baron de Beniowsky«, Februar 1818. 58 Siehe den letzten Abschnitt von: ANOM, C 5A 5, Nr. 14, Bl. 29, »Voyage de Fort D ­ auphin à la baie Sainte Luce par terre, ainsi que le retour sur la côte sud de Madagascar, par le chevalier Mengaud de la Hage, commandant le vaisseau du roi Le Gros Ventre, en décembre 1775«, ohne Datum. 59 MHN, Ms. 3001, S. 6, Auszüge aus Maudaves Tagebuch: »Il a ensuite dit à M. de Modave qu’il n’avait que deux femmes mais que comme il était son frère, il était juste qu’il partageât avec lui, et le bon de l’histoire est qu’il les a envoyé chercher aussitôt et qu’il faudra absolument en accepter une.« 60 Ebd., S. 8. 61 Ebd., S. 10. 62 Ebd.

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In den wichtigsten Zeremonien, die ein enges und verbindliches Bündnis herstellen sollten, entsprangen die entscheidenden symbolischen Handlungen der madagassichen Tradition. Das Tieropfer und die Beziehung zu den Ahnen spielten eine zentrale Rolle. Maudave achtete allerdings darauf, dass zugleich auch eine symbolische Verbindung zu Frankreich bestand. Da Kleidung für Europäer das Kennzeichen der Zivilisiertheit schlechthin war, schenkte er Dian Mananzac einen französischen Anzug, die der madagassische Fürst während der Zeremonie trug: Nach dem Essen bekam Dian Mananzac einen vollen französischen Anzug. Herr von Maudave und er sind dann sofort zum Grab von Mananzacs Vater gegangen. Dort wurde ein Rind geopfert und [Dian Mananzac, D. T.] erklärte feierlich, dass er uns als seine Freunde und Beschützer anerkenne, dass er uns die Ländereien gebe, die er uns am Morgen [desselben Tages, D. T.] übertragen hatte, dass er kein Madagasse mehr, sondern ein Franzose sei, dass, falls die Engländer etwas gegen uns unternähmen, wir über seine Leute verfügen könnten. Herr von Maudave hat in etwa das Gleiche geantwortet. Maudave hatte auch die Herren der königlichen Marine eingeladen, die ebenfalls diesen Schwur sprachen. Dian Mananzac war nach französischer Manier gekleidet und sah darin gut aus.63

Leider berichtet Maudave nicht darüber, wie sein eigener Schwur genau ausfiel. Der Text suggeriert jedoch eine Reziprozität, die seinem Anspruch widersprach, mehr als nur ein gleichrangiger Partner zu sein. Auffällig an dieser Beschreibung ist zudem, dass Maudave den Treueschwur Dian Mananzacs gegenüber den Franzosen und dessen Kleidung 64 besonders betonte: Beide stellten in den Augen des Gouverneurs von Fort-­Dauphin eine symbolische Assimilierung des madagassischen Fürsten her, die Ziel des Kolonisierungsprojekts war. Dagegen wird das Zebuopfer auf dem Grab von Dian Mananzacs Vater, das in den Augen des Antanosy eine zentrale 63 Ebd., S. 6: »Après diné, Dian Mananzac a reçu un habillement complet. Il l’a étalé ­aussitôt. M. de Modave et lui sont allés tout de suite sur le tombeau de son père. On y a immolé un boeuf et là il a déclaré hautement qu’il nous reconnaissait pour ses amis et protecteurs. Qu’il nous faisait don des terres reconnues le matin; que ni lui ni sa postérité ne les réclameraient jamais, qu’il nous en garantisait la paisible jouissance contre tous les habitants du pays, qu’il n’était plus Madécasse mais Français. Que si les Anglais entreprenaient jamais de nous troubler, nous pourrions disposer de lui et de tous ses gens pour nous défendre. Le serment contenait beaucoup d’autres articles semblables. M. de Modave y a répondu à peu près sur le même ton. Il avait invité à la cérémonie messieurs de la Marine du roi qui ont aussi prononcé le serment. Dian Mananzac était habillé à la française et n’avait point du tout mauvaise mine.« 64 Ähnliche Benutzung von Kleidungsstücken europäischer Provenienz durch westafrika­ nische Herrscher: Brauner, Kompanien, Könige und caboceers, 254 f. Es ging diesen Fürsten darum, ihren Zugang zu Objekten aus der Ferne zu demonstrieren.

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Handlung darstellte, nur beiläufig erwähnt; dessen Bedeutung erklärt Maudave seinen Vorgesetzten nicht. Dabei implizierte d ­ ieses Ritual eine Verpflichtung Dian Mananzacs gegenüber seinen Ahnen und nicht gegenüber den Franzosen. Es war fraglich, wem Dian Mananzac im Fall eines Interessenkonflikts ­zwischen seinem Ahnen und den Franzosen die Treue halten würde. Was würde Mananzac tun, wenn die Franzosen ihm nicht helfen würden, das Erbe seines Vaters anzutreten? Hier bestand ein potentielles Spannungsverhältnis, das Maudave in seinem Bericht überging. Die Begegnung ­zwischen Maudave und Dian Mananzac war letztlich durch ähnliche Uneindeutigkeiten geprägt wie diejenigen, die Christina Brauner für die Gold- und Sklavenküste nachgewiesen hat.65 Entsprechend seiner optimistischen Einschätzung, er könne durch Geschenke und Ehrbezeugung nicht nur das Wohlwollen der Roandriana gewinnen, sondern sie auch unterwerfen, versuchte der Gouverneur von Fort-­Dauphin, die von ihm erwiesene beziehungsweise verweigerte Ehre als ein politisches Instrument einzusetzen. Er griff im Wesentlichen auf vier Mittel zurück, um seinen Besuchern Ehre zu erweisen: Salut mit Kanonensalven; Empfang mit Soldaten, die Spalier standen; Präsente; reichliche Bewirtung mit Branntwein.66 In den ersten Wochen nach seiner Ankunft legte Maudave großen Wert darauf, dass sich die Fürsten ankündigen ließen und ihn und seine Familie beschenkten, was sie meist auch taten.67 Er weigerte sich anfangs gelegentlich, Roandriana zu empfangen, wenn sie für sein Empfinden nicht genug Vieh mitbrachten und niemanden schickten, um ein Kompliment zu machen.68 Auch hielt er es für unangebracht, der Frau eines Roandriana, die nach Fort-­Dauphin kommen wollte, eine Eskorte zu ­schicken, obwohl diese wahrscheinlich angesichts der katastrophalen Sicherheitslage darum bat.69 Wenn er mit seinem Verbündeten Dian Mananzac unzufrieden war, verweigerte er ihm die gewohnten Ehrerweisungen.70 Maudave zeigte sich in seinem Tagebuch jedoch schnell frustriert darüber, dass die Roandriana ihm nicht genug Ehre erwiesen: »Diese angeblichen Fürsten sind ungeschliffen und roh […]; es ist überflüssig, ihnen Komplimente zu machen: Sie antworten nur, indem sie ein oder zweimal ›Saha‹ – das heißt ›das ist gut‹ – wiederholen […].« 71 Die Roandriana wussten um ihre Würde und 65 Brauner, Beim »König« von Anomabo. 66 MHN, Ms. 3001, S. 4 f., 7 – 9, 25, 42, 45, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. Zu Salutschüssen im westafrikanischen Kontext: Brauner, Kompanien, Könige und caboceers, 255 f. 67 MHN, Ms. 3001, S. 9, 20, 45, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 68 Ebd., 8. 69 Ebd., 9. 70 Ebd., 12. 71 Ebd., 10 (Eintrag vom 5. Oktober 1768): »Ces espèces de princes sont bruts et grossiers […]; il est superflu de leur faire des compliments; ils ne répondent qu’en répétant

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erkannten k­ eineswegs Maudave als überlegen an. Zwar gaben sie manchmal den Forderungen Maudaves nach – so kam nach anfänglicher Weigerung die oben genannte Frau des Roandriana auch ohne Eskorte nach Tôlanaro –, beklagten sich aber lautstark, wenn Maudave ihnen ein in ihren Augen allzu unbedeutendes Geschenk machte.72 Die angesehensten unter ihnen verlangten regelrecht auserlesene Präsente und Maudave war nicht immer imstande, sie mit diesen seltenen Waren zu beliefern. So bat der mächtigste Fürst Anosys, Raimaz, unter anderem um Geigen für die Beisetzung seines Vaters.73 Die Wünsche und Beschwerden der madagassischen Fürsten zeigen, dass sie die europäische Symbolsprache gut kannten: Sie verlangten in der Tat, ihrem Rang gebührend in Fort-­Dauphin empfangen zu werden, das heißt: mit Kanonensalven und Soldaten im Spalier.74 Für den Gouverneur der Niederlassung war es somit entscheidend, den Rang der Antanosy richtig einzuschätzen und sie entsprechend zu behandeln. Maudave machte diesbezüglich gelegentlich schwerwiegende Fehler. So empfing er einen hochrangigen Roandriana zwar mit Salut und Soldaten im Spalier, überreichte ihm aber nur »das übliche Präsent« (»le présent ordinaire«) – Maudave gibt hier keine präzisere Informationen – und schenkte ihm weder europäische Kleidung noch Schießpulver. Der Fürst ging verärgert davon. Als Maudave daraufhin erfuhr, dass der Roandriana der Schwiegervater des wichtigsten »Königs« der Region war, schickte er sogleich einen Kurier, um ihn zurückzuholen und reichlich zu beschenken. Der Fürst nahm die Entschuldigungsgesten an.75 Die symbolischen Praktiken und zahlreichen Aushandlungen der Ehre zeigen viererlei: Erstens verstanden Franzosen und Antanosy durchaus die Semiotisierungen des Anderen. Die Fürsten Anosys waren in der Lage, die französischen ­­Zeichen der Ehrerweisung für sich zu instrumentalisieren, um ihren Rang zu demonstrieren. Auch wenn Maudave seinerseits die religiöse Welt der Antanosy wohl nicht genau kannte, wusste er, dass verbindliche Bündnisse nur dank des Fetischtrinkens und des Tieropfers hergestellt werden konnten. Dies genügte, um symbolische Kommunikation ohne kulturelle Missverständnisse zu generieren. Zweitens akzeptierten manche Roandriana in Ritualen der Bündnisschließung die Integration von Symbolen, die in französischen Augen als Zeichen ­­ einer zukünftigen Assimilierung galten: vor allem die europäische Kleidung und den Schwur, nun ein Franzose zu sein. Die Aneinanderreihung heterogener Zeichen, ­­ die unterschiedlichen Systemen entstammten, ermöglichte Uneindeutigkeiten und unterschiedliche Interpretationen des genauen Verhältnisses z­ wischen Maudave une fois ou deux Saha, Voilà qui est bien.« 72 Ebd., 12. 73 Ebd., 35. 74 Ebd., 42, 45. 75 Ebd., 42.

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und Dian Mananzac. So konnte Maudave in seinem Tagebuch den Eindruck entstehen lassen, sein Nachbar habe die französische Oberhoheit anerkannt. Drittens waren der Schaffung eines transkulturellen Raums dennoch enge Grenzen gesetzt: Alle weiteren Handlungen wurden von den Antanosy bestimmt. Die Franzosen konnten sich ihnen nicht entziehen, ohne die Verbindlichkeit des Vertrags maßgeblich zu schwächen. Dies gelang nur beim Ritual des Bluttrinkens durch die Ad-­hoc-­Herstellung einer Semiotisierung auf französischer Seite, die zugleich das Bündnis und das madagassische Ritual unangetastet ließ. Immerzu verlangten die madagassischen Bündnispartner die Befolgung religiös aufgeladener Rituale, die sie maßgeblich festlegten. Die Gestaltungsmacht Maudaves war offensichtlich begrenzt. Viertens war Maudave nicht in der Lage, nach eigenem Gutdünken Gunstbeweise zu erteilen. Viele Roandriana demonstrierten sogar ihre Überlegenheit durch die Art und Weise, wie sie sich in Fort-­Dauphin empfangen ließen oder verärgert wieder abzogen, wenn die Zeremonie in ihren Augen nicht ihrer Ehre entsprach. Entgegen seinem ursprünglichen Versprechen entwickelte sich ­Maudave unverkennbar nicht zu einem dominanten Akteur in Anosy. Die symbolischen Handlungen, die seine Vorherrschaft etablieren sollten, zeigten nicht die erhoffte Wirkung.

4.3 Politische Bedeutungslosigkeit Warum gelang es Maudave nicht, eine signifikante politische Rolle im Südosten Madagaskars zu spielen? Sein Tagebuch zeigt, dass der Gouverneur von Fort-­Dauphin in einer Region ankam, die sich im Kriegszustand befand, und er in dieser Situation politische Entscheidungen traf, die maßgeblich zu seinem Misserfolg beitrugen. ­Tôlanaro gehörte zum Herrschaftsbereich eines Zafiraminia namens Dian Mananzac, der sich mit Maimbo 76, dem in Fanjahira residierenden König der Antanosy, bekriegte. Dian Mananzac behauptete, von Maimbo um das Erbe seines Vaters, das Gebiet von Tôlanaro, betrogen worden zu sein, und bemächtigte sich dieser Gegend ohne dessen Zustimmung.77 Kaum in der Bucht von Tôlanaro am 5. September 1768 angekommen, schloss Maudave Freundschaft mit Dian Mananzac, ohne scheinbar die Folgen eines solchen Bündnisses abzuwägen. Drei Tage später – am 8. September – ließ er Maimbo zu sich bestellen, der seiner Aufforderung nicht folgte. Maudave 76 Maudave benutzt niemals den Adelstitel »Dian« bzw. »Andrian«, wenn er von Maimbo oder dessen Sohn Raimaz schreibt, während er Mananzac meist damit ehrt. Vielleicht spiegelte dieser Brauch Maudaves Feindschaft gegenüber dem König von Anosy. Trotzdem wird hier dem Sprachgebrauch der Quelle gefolgt. 77 MHN, Ms. 3001, S. 3 f., 17, Auszüge aus Maudaves Tagebuch.

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war sich zu ­diesem Zeitpunkt der Konfliktsituation bewusst: Er erzählt am selben Tag von dem Schwur, den Dian Mananzac auf dem Grab seines Vaters gesprochen hatte und durch den er versprach, sein Erbe, um welches Maimbo ihn betrogen habe, mithilfe der Franzosen anzutreten.78 Das Bündnis mit Dian Mananzac machte einen Konflikt mit dem Zafiraminia-­König Maimbo unvermeindlich, doch dies scheint den Gouverneur von Fort-­Dauphin nicht abgeschreckt zu haben. Er animierte im Gegenteil seinen Nachbarn dazu, ein Dorf namens Hiara (auch Yara geschrieben) am Eingang der Halbinsel von Tôlanaro zu errichten.79 Bald zeigte sich Maudave frustriert. Dian Mananzac war nicht imstande, dem französischen Gouverneur die erwartete Arbeitskraft zu liefern: Von den 200 versprochenen Madagassen waren nach drei Tagen nur drei angetroffen; nach elf Tagen konnte Maudave mit 22 Mann rechnen.80 Die allgemeine Unsicherheit bewirkte, dass die Fürsten Anosys Maudave keine Untertanen überlassen wollten.81 ­Maudave machte sich zudem eine falsche Vorstellung von diesen Arbeitern: Er nannte sie »Sklaven« und wollte sie beim Wiederaufbau des Forts so hart arbeiten lassen wie auf einer Plantage der Île de France. Doch die Einheimischen, die für den Franzosen arbeiteten, waren äußerst unmotiviert und Maudave beklagte sich in seinem Tagebuch oft über die »Faulheit« der »Neger«.82 Selbst als der Gouverneur von Fort-­Dauphin ca. 70 »Sklaven« zu seiner Verfügung hatte, arbeiteten effektiv nur acht bis zehn Männer zur gleichen Zeit, während sich die anderen ausruhten.83 Der Gouverneur kam nach zwei Monaten zur Einsicht, dass nur Gewalt die Einheimischen zur Arbeit zwingen könnte.84 Der Handel war nicht nur durch das Verbot, in Piastern zu zahlen, zum Erliegen gebracht worden. Auch die kriegsbedingte allgemeine Unsicherheit in der Region von Tôlanaro und die Abhängigkeit von Dian Mananzac stellten hohe Hürden dar. Das von Dian Mananzac vor Kurzem errichtete Dorf Hiara blockierte den Zugang zum französischen Fort, so dass die Verbündeten Maimbos keinen Handel mit den Franzosen treiben konnten.85 Auch die Verbündeten Dian Mananzacs hatten Schwierigkeiten, ihr Vieh auf die Halbinsel von Fort-­Dauphin zu bringen, weil sie Angriffe von Maimbos Leuten befürchteten. Maudave musste teilweise Eskorten ­schicken, um die Zebuherden zu begleiten.86 78 Ebd., 1 – 3. 79 Ebd., 4, 6. 80 Ebd., 2, 4 f., 12, 35. 81 Ebd., 15, ähnlich: 25. 82 »[P]aresse«: Ebd., 2, 10 f. 83 Ebd., 36. 84 Ebd. 85 Ebd., 10, 15, 23. 86 Ebd., 5.

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Angesichts dieser Schwierigkeiten versuchte Maudave ab Anfang Oktober 1768, Frieden z­ wischen Dian Mananzac und Maimbo zu stiften.87 Zugleich fing er an, darüber nachzudenken, »Mananzac seinen Schutz zu entziehen« – in vielen Tagebucheinträgen aus dieser Zeit benutzte Maudave den adligen Titel ›Dian‹ nicht mehr – und ihn in der Rolle des Verbündeten der Franzosen durch Maimbos Sohn Raimaz zu ersetzen.88 Sein »Überdruss« gegenüber Dian Mananzac wuchs »von Tag zu Tag«.89 Da er ­diesem Fürsten offen drohte, auf Maimbos und Raimaz’ Seite zu wechseln,90 war das Misstrauen des Nachbarn von Fort-­Dauphin groß. Dian Mananzac zog mehrmals seine »Neger« vom Dienst der Franzosen ab, was Maudave in seinem Tagebuch als »unerklärliches Verhalten« darstellt.91 Nach einem Angriff Maimbos auf Dian Mananzac am 15. Oktober verkündete Maudave in seinem Tagebuch, dass er fest entschlossen sei, die kriegführenden Fürsten mit Gewalt zum Frieden zu zwingen. Man müsse »diesen Negern frühzeitig einbläuen, dass wir unsere Freunde zu verteidigen wissen«.92 Doch stattdessen versuchte der ehemalige Gouverneur von Karaikal monatelang vergeblich, z­ wischen Dian M ­ ananzac und Maimbo bzw. Raimaz zu vermitteln. Maimbo stellte als Bedingung für die Aufnahme von Verhandlungen, dass Dian Mananzac das Gebiet von Fort-­Dauphin aufgebe, was Maudaves Nachbar nicht akzeptieren konnte.93 Der Franzose suchte das Bündnis Maimbos und Raimaz’, ohne die Freundschaft zu Dian Mananzac aufzukündigen, und hatte dadurch zu keinem der dreien gute Beziehungen.94 Dabei blieb er von Dian Mananzac abhängig: So nötigten ihn Raubüberfälle der Gegner dazu, seinem Nachbar sein Vieh zur Überwachung anzuvertrauen.95 Am 25. Oktober kündigte Dian Mananzac an, Raimaz angreifen zu wollen. Seine Männer kreisten eine französische Patrouille ein, die einen »Schwarzen« von Maimbo nach Hause begleitete, brachten diesen Gefolgsmann des Antanosykönigs um und raubten Maudaves Soldaten aus.96 Maudave unternahm Ende des Monats eine Reise zu Maimbo, ohne eine politische Einigung erreichen zu 87 Ebd., 10. 88 Ebd., 10 – 12: »je lui retirerai ma protection.« 89 Ebd., 23, 43 (Zitat): »l’imbécile Mananzac duquel je suis chaque jour plus dégoûté«. 90 Ebd., 12. 91 »Dian Mananzac se conduit d’une manière inexplicable«: Ebd., 16 (Zitat), 35. Weiter zum Vertrauensverlust: Ebd., 18, 23. 92 Ebd., 17: »Il faut mettre dans la tête de ces negres de bonne heure que nous savons defendre nos amis.« 93 Ebd., 16. 94 Ebd., 16, 18 f. 95 Ebd., 39, 41. 96 Ebd., 19.

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können.97 Auch von Raimaz blieb der französische Graf weitgehend unbeachtet.98 Er musste im November machtlos zusehen, wie beide Parteien gegeneinander Krieg führten.99 Nun war Fort-­Dauphin isoliert und es kam kein Roandriana mehr in die französische Niederlassung.100 Schließlich tötete Raimaz Dian Mananzac in einem Angriff. Das Dorf von Hiara wurde belagert, eingenommen und zerstört.101 Es scheint, Maudave habe während d ­ ieser letzten Schlacht heimlich seinen ehemaligen Partner fallenlassen und Raimaz mit Waffen und Schießpulver beliefert.102 Bereits vor ­diesem entscheidenden Angriff auf Dian Mananzac war Fort-­ Dauphin zu einem Ort verkommen, in den sich einheimische Fürsten vor allem begaben, um sich mit Branntwein zu betrinken. In ihrem Rausch störten sie die militärische Ordnung des französischen Forts, indem sie beispielsweise nachts mit Gewehren herumschossen.103 Manche Fürsten des Hinterlands hatten sogar keine Hemmung, die Franzosen auszurauben. Einmal schickte Maudave eine Expedition, um einen Dorfältesten gefangenzunehmen. Die Franzosen mussten nach einem Gefecht, in dem sie vier Mann verloren, jedoch fliehen.104 Zusammenfassend kann man festhalten, dass der Gouverneur von Fort-­ Dauphin die Bewunderung, die die Bewohner Anosys für die europäische Technik an den Tag legten, nicht in politische Autorität umzumünzen vermochte. Auch die Politik der Geschenke und Ehrerweisungen – die für die Fürsten Anosys durchaus wichtig waren, um ihren Rang zu demonstrieren – verhalf Maudave nicht zur Etablierung einer Kolonialherrschaft. Vor allem scheiterte sein Vorhaben, zu einer über den Fürsten der Region und ihren Konflikten stehenden Instanz zu werden. Hier werden die grundsätzlichen strategischen Fehler

97 Ebd., 24. 98 Ebd., 46. 99 Ebd., 30, 35, 43. 100 Ebd., 42, 46. 101 Ebd., 58. 102 ANOM , C 5A 5, Nr. 14, Bl. 28, »Voyage de Fort Dauphin à la baie Sainte Luce par terre, ainsi que le retour sur la côte sud de Madagascar, par le chevalier Mengaud de la Hage, commandant le vaisseau du roi Le Gros Ventre, en décembre 1775«, ohne Datum. 103 MHN, Ms. 3001, S. 5, 45, 47, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. Valgny macht sich in seinem Briefroman Lettres madagascaroises über diesen Missbrauch der französischen Kolonie durch die Oberschicht Anosys lustig. So gibt einer der von ihm erdachten Briefpartner an, zu den Franzosen zu gehen, um zu trinken und Geschenke zu erhalten: MHN, Ms. 887, »II. Mémoires pour servir à l’histoire de Madagascar«, »3. Lettres Madagascaroises«, S. 9, ohne Datum. 104 ANOM, C 5A 3, Nr. 52, Maudave an den Marineminister, 9. Februar 1771.

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Maudaves sichtbar: Er verhielt sich ganz so, als ob er mit Dian Mananzac und Maimbo zugleich gute Beziehungen halten könnte.105 Diese Politik folgte den Grundannahmen, die sich in seinen Denkschriften, Briefen und Tagebucheinträgen wiederfinden: Für Maudave bildeten »die Madagassen« eine homogene Masse, die man nach den immer gleichen Prinzipien behandeln sollte – Prinzipien, die angeblich für »Zivilisierte« im Allgemeinen im Umgang mit »Barbaren« gelten. Da diese allgemeinen Grundsätze in Maudaves Augen zwangsläufig zu einer »sanften« Kolonialexpansion durch Autoritätsgenerierung führen sollten, positionierte er sich strategisch unklug auf dem politischen Schachbrett Anosys. Er zeigte sich gegenüber unbedeutenden politischen Akteuren, die ihm Ehre erwiesen, oft freundlich und bemühte sich nicht besonders um gute Beziehungen zu mächtigen Akteuren wie Maimbo, die ihn ignorierten. Letztere würden ohnehin früher oder später die Überlegenheit der Zivilisierten anerkennen, so Maudaves Annahme. Wenn er sich mit Dian Mananzac verbündete, dann weil dieser einfach vor Ort war und aufgrund seiner bedrohten Stellung das Bündnis der Franzosen suchte. Maudave dachte sicherlich nicht daran, dass d ­ ieses Bündnis ihn daran hindern könnte, seine Machtstellung auszubauen. Obwohl sich Maudave über die politischen Verhältnisse in Anosy im Klaren war, brachte ihn sein Bild von den Madagassen nicht dazu, eine differenzierte politische Strategie zu entwickeln. Maudave erkannte schnell, dass sein Interesse in einem Bündnis mit Maimbo und Raimaz gegen Dian Mananzac lag, doch machte er nicht den entscheidenden Schritt, der ihn zu einem ernstzunehmenden Partner gemacht hätte: Seine Leitvorstellung, er stünde über den Parteien, hinderte ihn bis kurz vor dem Untergang Dian Mananzacs daran, sich eindeutig auf der Seite der Gewinner zu positionieren. Maudaves Niederlage war auch eine Folge seiner kolonialistischen Deutungsmuster.

4.4 Voltaire auf Madagaskar Dieser Befund steht in einem starken Kontrast zu Fourys Darstellung der Geschichte Maudaves: Foury spricht von einer »Vitalität« der französischen Nieder­lassung in den Jahren 1769 und 1770, die daher komme sei, dass der Gouverneur seine Anfangsfehler überwunden habe.106 Mit dieser Einschätzung übernimmt der Historiker die Argumentation Maudaves, der in seinen Schriften sein Scheitern negierte. Die Rechtfertigungsstrategien Maudaves waren auch für die 105 Zum Beispiel suchten die Franzosen am 1. Oktober den Kontakt zu den »Leuten von Maimbo«. Es gelang ihnen, einige zu überzeugen, nach Fort-­Dauphin zu kommen, was die Bewohner des Dorfes von Hiara in die Flucht trieb: MHN, Ms. 3001, S. 8, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 106 »[V]italité«: Foury, Maudave (2. Teil), 46.

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imperialen Akteure, die sich nach ihm für Madagaskar interessierten, von großer Bedeutung: Die Schreibstrategien, die der Gouverneur von Fort-­Dauphin angesichts seines offensichtlichen Misserfolgs entwickelte,107 haben zur Etablierung eines neuen kolonialistischen Madagaskardiskurses beigetragen. Hier werden die Schriften zweier Offiziere – Maudave und Valgny – analysiert, die zwei unterschiedliche Muster aufzeigen, mit dem Scheitern der Franzosen umzugehen. Zu den Pflichten Maudaves zählte die Berichterstattung sowohl an seine direkten Vorgesetzten, die Verwalter der Île de France, als auch an den Marineminister. Hierfür bediente er sich zweier Textgattungen: des Briefs und des Tagebuchs. Somit stand der Gouverneur von Fort-­Dauphin vor der Herausforderung, die Erfahrung des kolonialen Scheiterns diskursiv zu verarbeiten und gleichzeitig Unterstützung für seine Projekte zu finden. Dabei hatte Maudave die Wahl ­zwischen vier Strategien: Erstens konnte er die auftretenden Probleme zugeben, aber sie derart erklären, dass sie die Annahmen seines Projekts nicht infrage stellten. Zweitens konnte er die Behauptungen, es gebe Probleme, erwähnen, aber ihren Wahrheitsgehalt negieren. Drittens konnte er die Probleme ganz verschweigen. Da er verpflichtet war, über alle wichtigen Vorkommnisse zu berichten, konnte diese Strategie nicht heißen, von der Feder keinen Gebrauch zu machen; stattdessen musste er den Bericht über die problematischen Ereignisse durch andere Erzählungen ersetzen. Viertens konnte Maudave auf Stilmittel zurückgreifen, die den Erzähler und den Leser über die von Problemen gekennzeichnete Gegenwart erhoben und die Ereignisse als kaum ihres Interesses würdig erscheinen ließen. Der Gouverneur von Fort-­Dauphin machte von allen vier Schreibstrategien Gebrauch, jedoch in unterschiedlichen Kontexten. Maudave entschied sich dafür, in seinem Tagebuch viele der Schwierigkeiten, denen er begegnete, nicht zu verschweigen. Vor allem schilderte er darin, wie viele seiner Gefährten starben. Doch präsentierte er zugleich Erklärungen, die es ihm ermöglichten, das Bild Fort-­Dauphins als eine gesunde Region aufrechtzuerhalten.108 In seinen Briefen an die Verwalter der Île de France begründete er die hohe Sterblichkeit damit, dass ein Teil seiner Leute in den Norden gegangen war. Dort, nicht in Fort-­Dauphin, ­seien sie krank geworden.109 Um dies zu bekräftigen, ließ er die Offiziere und Bewohner von Fort-­Dauphin ein Zertifikat unterzeichnen, das den gesunden Charakter der Luft bescheinigte.110 So stellten die Krankheiten in Maudaves Schriften das Kolonisierungsprojekt nicht infrage. 107 Hier liegt die Definition der Schreibstrategie von Hanspeter Ortner zugrunde: ein »Verfahren der Bewältigung spezifischer Schreibanlässe und potentieller Schreibschwierigkeiten in spezifischen Schreibsituationen«: Ortner, Schreiben und Denken, 351. 108 MHN, Ms. 3001, S. 27, 30, 33, 36, 39, 41 f., 46, 49 f., 61, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 109 ANOM, C 5A 2, Nr. 66, Bl. 30, 32, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 110 ANOM, C 5A 2, Nr. 11, Bl. 5, Kopie eines Zertifikats der Siedler von Fort-­Dauphin über die Luft.

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In seinen Erzählungen über die Beziehungen ­zwischen Antanosy und Franzosen ist ein Spannungsverhältnis ­zwischen dem Berichten über die Schwierigkeiten und dem Negieren von Problemen erkennbar. Als Maudave zum Beispiel in seinem Tagebuch von einem madagassischen Dorfältesten berichtet, der nicht imstande war, sein Vieh nach Fort-­Dauphin zu bringen, weil ihm ein Verbündeter Maimbos den Weg versperrte, kommentiert er diese Nachricht mit dem Vermerk, dass sie »wenig glaubwürdig« sei – ohne seine Einschätzung näher zu begründen.111 Der Gouverneur verstrickt sich in ­diesem Text in Widersprüche: Während er am 4. November 1768 erzählt, dass kranke französische Soldaten von den »Negern« ausgeraubt worden s­ eien, schreibt er drei Tage später von dem großen Respekt der »Schwarzen« für die »Weißen«, der die Sicherheit der militärischen Außenposten garantiere.112 In seinem Tagebuch schwankt Maudave ­zwischen der Darstellung und der Tabuisierung der Gewalt: So berichtet er am 18. Dezember 1768, dass an ­diesem Tag eine Kugel neben seinen Füßen gelandet sei; anstatt jedoch die Frage zu stellen, ob womöglich auf ihn gezielt wurde, »glaubt« er, »es handle sich um einen Tolpatsch, der sein Gewehr auf unvorsichtige Weise entlud«.113 Auf die Strategie, die Probleme schlicht zu negieren, griff Maudave vor allem in den Briefen an seine Vorgesetzten zurück. Da der Gouverneur Desroches dem Marineminister negative Berichte über Fort-­Dauphin zukommen ließ, konnte Maudave in seiner Korrespondenz die einhellige Kritik an seiner Niederlassung nicht ignorieren, zweifelte jedoch die Verlässlichkeit der Informationsquellen an. Er führte die »angebliche Uniformität der Zeugenaussagen« (»prétendue uniformité des témoignages«) gegen Fort-­Dauphin auf mangelnde Ortskenntnisse und auf ein Verkennen der wahren Prinzipien, anhand derer man das Kolonisierungsprojekt beurteilen solle, zurück. Den Bericht, dem zufolge die Franzosen der Niederlassung vor lauter Hunger wie »Skelette« aussähen, tat er als eine Lüge ab. Er schwor zudem bei seinem »Leben, Glauben und [seiner] Ehre«, die Vorteile der Kolonie nicht übertrieben zu haben.114 Um seine ehrgeizigen Projekte zu legitimieren, berief sich Maudave auf seine »alltägliche Erfahrung«.115 Dabei ist bezeichnend, dass er seine hochtrabenden Pläne erst entwickelte, als ihm Ende Oktober jegliche Handlungsmöglichkeiten versperrt waren und die Franzosen in ihrem Fort isoliert zusehen mussten, wie Dian Mananzac und Raimaz Krieg gegeneinander führten. Maudave war in 111 Ebd., 18: »ce à quoi il y a peu de vraisemblance«. 112 Ebd., 27. 113 Ebd., 45: »j’ai pensé il s’agissait d’un maladroit qui déchargeait impunément son fusil«. 114 ANOM, C 5A 3, Nr. 30, Maudave an Praslin, 15. August 1769: »Je vous engage ma vie, ma foi, mon honneur que je n ai rien exagéré des avantages promis.« 115 MHN, Ms. 3001, S. 32, Auszüge aus Maudaves Tagebuch (»expérience journalière«). Ähnlich: Ebd., S. 40.

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Fort-­Dauphin blockiert und wünschte sich daher andere Niederlassungen, von denen aus er Handel treiben könnte.116 Er ließ das Umland flüchtig erkunden und entwarf daraufhin seitenlange Kolonieprojekte in den Tälern und an den Seen Anosys. Über den Aufbau neuer Siedlungen schrieb er im Indikativ Präsens, als ob sie gerade in dem Moment entstünden, als er seine Tagebucheinträge verfasste.117 Zur gleichen Zeit erzählte er so gut wie nichts über den gerade tobenden Krieg. Sein Tagebuch zeugt davon, dass Maudave ab ­diesem Zeitpunkt seine Schreibstrategie modifizierte: Er zog es nun vor, nur noch wenig über die Vorkommnisse in Anosy zu berichten. Er verdrängte die unangenehmen Erfahrungen der Gegenwart durch Schilderungen der Zukunft. Dabei war sich Maudave seiner beschränkten Handlungsmöglichkeiten durchaus bewusst. Doch anstatt Zweifel an seinem ehrgeizigen Projekt zu äußern, gab er nur stillschweigend manche seiner wenige Wochen zuvor als entscheidend beschriebenen Vorhaben auf. Dieses Phänomen lässt sich in der Art und Weise erkennen, wie er über Cartouche, den wichtigsten Berater Dian Mananzacs, schrieb. Diesen Ansprechpartner der Franzosen nannte Maudave anfänglich »den ehrbaren ­Cartouche« (»l’honnête Cartouche«).118 Doch Cartouche enttäuschte Maudave bald zutiefst und brachte ihn sogar »zur Weißglut«: Am 25. Oktober 1768 ließ er eine französische Eskorte umzingeln, die einen »Neger« Maimbos begleitete. C ­ artouche ließ die Franzosen ausrauben und den Mann Maimbos töten. ­Maudave wollte sofort »alle Weißen zu Mananzacs Dorf mitnehmen, diesen am Hals packen, in Ketten werfen und Cartouche aufhängen lassen«, doch er verzichtete darauf, um seine durch Anosy verstreuten Männer nicht in Gefahr zu bringen.119 Maudave wollte zwar eine »exemplarische Strafe« (»une punition exemplaire«) verhängen, doch stattdessen musste er machtlos zusehen, wie Cartouche wenig später nach Fort-­Dauphin kam, als ob nichts geschehen wäre. Der Gouverneur zeigte seinen Ärger, allerdings schien Cartouche überzeugt, dass dieser nicht andauern würde.120 Und in der Tat musste der Gouverneur der französischen Niederlassung gänzlich auf eine Strafe verzichten.121 Ab ­diesem Zeitpunkt sprach Maudave in seinem Tagebuch wieder vom »ehrbaren Cartouche«.122 An ­diesem Beispiel ­lassen sich 116 Foury, Maudave (2. Teil), 34. 117 MHN, Ms. 3001, S. 26 – 30, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. Genau diese Reisen und Träume waren es, die Foury dazu veranlassten, der Kolonie von Fort-­Dauphin »Vitalität« zu bescheinigen: Foury, Maudave (2. Teil), 46. 118 MHN, Ms. 3001, S. 16, 18 f., Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 119 Ebd., 19 f.: »Cette noire action […] m’a mise en fureur. J’ai été au moment de mener moi même tous les blancs au village de Mananzac, de le prendre à la gorge, de le mettre aux fers et de faire pendre Cartouche«. 120 Ebd., 22. 121 Ebd., 42. 122 Ebd., 47.

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die Spannungen erkennen, die diese Quelle durchziehen: Nach einem anfänglichen Bericht über ein bestimmtes Problem zog Maudave es vor, ­dieses nicht mehr zu thematisieren. Der Franzose verschwieg es, nachdem er es einmal zur Sprache gebracht hatte. Um die Spannungen zu entschärfen, die aus dem Schwanken ­zwischen Erklären, Negieren und Verschweigen resultierten, griff Maudave auf Stilmittel zurück, die eine Distanz zur Gegenwart schufen: den emphatischen Enthusiasmus und die beißende Ironie. Der Gouverneur von Fort-­Dauphin bediente sich des Duktus der Aufklärer, besonders Voltaires, den er bewunderte und mit dem er k­ orrespondiert hatte.123 Der Einfluss Voltaires ist besonders sichtbar im Plädoyer für die »natürliche Religion« oder in den vielen Angriffen auf den Klerus in seinem Tagebuch.124 Vor allem ermöglichte es ihm aber die voltairsche Ironie, sich über die problembeladene Gegenwart zu erheben und eine erfolgversprechende Überlegenheit gegenüber den Madagassen zu suggerieren. Mit ­diesem Stilmittel setzte er die Madagassen und ihre Gesellschaft herab, um sich selbst als Fortschrittsbringer darzustellen. In seinen Augen folgten die Madagassen einem »[ihrer] Nation eigenen Völkerrecht«, wenn sie aus ihren Feinden »Kleinholz« machten.125 Sie erwiesen den toten Feinden die »Freundlichkeit«, ihre Leichen den Hunden zum Fressen vorzuwerfen.126 Auch zog der Gouverneur mit sichtlicher Schadenfreude den mächtigen Maimbo ins Lächerliche: Um seine Stirn war ein Diadem gebunden, das nichts anderes war als die Schleife einer Nachtmütze irgendeines Angestellten der Ostindienkompanie. Man hatte darauf ein Stück schwarzen Satins genäht, auf dem die Kronjuwelen festgemacht waren: ein Kreuz aus blauen Steinen […] und zwei Ohrringe. Diese drei Steine waren ganze dreißig Sous [entspricht anderthalb Livre, D. T.] Wert. […] Fügen Sie dem einen hohen Wuchs und eine enorme bronzefarbene Fleischmasse, zwei Zähne, die an den Seiten wie die Stoßzähne eines Wildschweins herausragten, sowie struppige ölbedeckte graue Haare hinzu und sie werden sehen, dass Maimbou in der Tat eine stattliche Erscheinung war.127 123 Voltaire’s Correspondence, Bd. 43, Nr. 8458, 8496; Voltaire’s Correspondence, Bd. 44, Nr. 8527, 8535, 8567, 8713; Voltaire’s Correspondence, Bd. 45, Nr. 8870; Voltaire’s ­Correspondence, Bd. 46, Nr. 9107; Voltaire’s Correspondence, Bd. 47, Nr. 9262. 124 MHN, Ms. 3001, S. 37, 53 – 55, 63, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 125 Ebd., 18: »Ils voulaient le mettre en pièces suivant […] le droit des gens particuliers à cette nation«. 126 Ebd., 20: »c’est une des gentillesses que les ennemis vivants font aux ennemis morts«. 127 Ebd., 24: »son front était ceint d’un diadème qui n’était autre chose que le ruban du ­bonnet de nuit de quelque officier de la Compagnie des Indes. On y avait cousu une pièce carrée de satin noir sur laquelle étaient attachées les pierreries de la couronne, savoir: une croix de pierres bleues […] et de deux pendants d’oreilles. Ces trois pierres pouvaient bien valoir 30 sols. […] Ajoutez à tous ces ornements une haute stature et une

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Diese ironischen Passagen dienten dazu, das angeblich lächerliche Dasein Madagaskars in der Gegenwart mit der lichten Zukunft der französischen Herrschaft zu kontrastieren – eine Perspektive, die Madauve sowohl im Tagebuch als auch in seinen Briefen anhand von hochtrabenden Worten zeichnete. Schon vor seiner ersten Ankunft auf Madagaskar betonte er, dank der zukünftigen Kolonie würden die Franzosen »die Herren einer Hälfte der Erdkugel [d. h. Asiens, D. T.] werden«, »den Koloss der englischen Macht umstürzen« und sogar einen historischen Bruch einleiten: Zum ersten Mal in der Weltgeschichte werde man eine Kolonie auf der Grundlage moralischer Prinzipien errichten.128 Auch noch am 15. August 1769 legte er dem Marineminister Choiseul-­Praslin auseinander, wie sich mit a­ bsoluter Gewissheit bald »eine ungeheure Menge an Schwarzen« (»une foule prodigieuse de noirs«) bei den Franzosen niederlassen würden.129 Kurzum: Die Kolonisierung der Großen Insel sei »die glorreichste und nützlichste Operation der letzten h ­ undert Jahre« gewesen.130 Unter Maudaves Feder ging der aufklärerische Enthusiasmus für den Fortschritt mit einer Flucht in die Zukunft einher, die die gegenwärtigen Erfahrungen vergessen machen sollte.

4.5 Montesquieu auf Madagaskar Die aufklärerische Publizistik spielte ebenso für einen Kritiker Maudaves, Valgny, eine entscheidende Rolle. Dieser Offizier hatte eine gleichsam literarische Art, mit dem Misserfolg von Fort-­Dauphin umzugehen. Doch ganz im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten Maudave benutzte er das Bild von vernünftigen Madagassen, um die Franzosen besser zu kritisieren: Er eignete sich eine literarische Vorlage an, Montesquieus Persische Briefe, um Maudaves Politik anzugreifen, und schrieb die Madagassischen Briefe. Valgny war ein Offizier mit langjähriger Erfahrung auf Madagaskar. Er sprach Madagassisch und hatte lokale Expertise. Er hatte bereits z­ wischen 1743 und 1758 die Niederlassungen von Foulpointe (Mahavelona) und Sainte-­Marie (Nosy Boraha) für die Ostindienkompanie kommandiert, wo er die Ermordung der Kompanieangestellten durch Zafibrahim 1757 gerächt hatte. Valgny erholte sich énorme masse de chair couleur de cuivre, deux dents qui sortent des deux côtés de sa bouche comme les défenses d’un sanglier, des cheveux gris hérissés et couverts d’huile; vous verrez que Maimbou avait très belle prestance.« 128 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 26, Maudave an Praslin, 28. April 1767 (»les maîtres de la moitié de la terre«) und ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 28, Denkschrift von Maudave, 6. Dezember 1767 (»renverseraient […] le colosse de la puissance anglaise«). 129 ANOM, C 5A 3, Nr. 30, Maudave an Praslin, 15. August 1769. 130 Ebd.: »l’opération la plus glorieuse et la plus utile qu’on ait tenté depuis cent ans«.

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daraufhin auf der Île de France von einer Krankheit und bat 1765 – 1767 darum, eine Niederlassung auf Madagaskar errichten zu dürfen.131 Valgny wurde im März 1768 Kommandant in Fort-­Dauphin und blieb bis zur Ankunft Maudaves im September ­dieses Jahres im Amt.132 Trotz der Tatsache, dass er sich »enthusiastisch« über Madagaskar äußerte, sprach sich der ehemalige Kommandant von Sainte-­Marie gegen eine Kolonisierung Anosys aus.133 Bald nach Maudaves Ankunft fing er an, sich an den Gouverneur der Île de France zu wenden, um dem Gouverneur von Fort-­Dauphin zu widersprechen.134 Maudave schrieb an seine Vorgesetzten dementsprechend hart über Valgny, dem er eine »dicke Kruste von Vorurteilen« attestierte.135 Mit Valgnys Madagassischen Briefen ging Maudave ebenfalls hart ins Gericht: Er bezeichnete sie als »Schmierereien« (»barbouillage«).136 Die Madagassischen Briefe sind ein nur in Auszügen überlieferter Briefroman, in dem drei Madagassen, die sich jeweils in Tôlanaro, Mahavalona und auf der Île de France befinden, miteinander korrespondieren. Im Briefaustausch mit dem Einwohner Anosys geht es vor allem um die Nachteile des Standorts von Fort-­Dauphin für eine Kolonie. Der dort lebende Madagasse berichtet über die schwierigen Lebensbedingungen der Franzosen, ihre ärmlichen Häuser und die Lebensmittelvergiftungen, die er auf die Schändung von madagassischen Grabmälern durch die Europäer zurückführt. Der aufgeklärtere Madagasse der Île de France erläutert ihm daraufhin, dass die Unwirtlichkeit Anosys der wahre Grund für diese Misere sei. Auch sei es unmöglich, ein gutes Verhältnis zu allen Dorfältesten gleichzeitig zu haben. Schließlich ­seien die Einwohner dieser Region nichts als faule Schurken. Die beiden Madagassen einigen sich darauf, den Franzosen nichts davon zu verraten, damit diese ihre Ressourcen in einem sinnlosen Kolonisierungsversuch verschwendeten.137 Valgny gibt der Figur aus Fort-­Dauphin einen madagassischen 131 ANOM, C 5A 2, Nr. 31, Valgny an Dumas, 23. Oktober 1767. 132 Über Valgny sind nur spärliche Informationen überliefert: ANOM, C 5A 2, Nr. 1, Bl. 12, Register des Briefaustausches z­ wischen Dumas und Poivre; ANOM, C 5A 2, Nr. 30, Bl. 1, Poivre an Glemet, 10. August 1767; ANOM, C 5A 2, Nr. 31, Valgny an Dumas, 23. Oktober 1767; ANOM, C 5A 2, Nr. 49, Bl. 1, Poivre an Glemet, 22. März 1768; ANOM, C 5A 2, Nr. 54, Bl. 3, Poivre an Praslin, 29. Juli 1768; MHN, Ms. 887, I., »Réponse à l’objection contre l’arrest des Zafé-­bourachez«, Bl. 2 f., ohne Datum; Foury, Maudave (1. Teil), 367; ders., Maudave (2. Teil), 16; Filiot, Établissements, 72, 83. 133 ANOM, C 5A 2, Nr. 52, Bl. 3, Kopie eines Briefes von Dumas an Praslin, 26. Juli 1768; ANOM, C 5A 2, Nr. 65, Bl. 1, Maudave an Dumas, 2. Oktober 1768 (»c’est un homme enthousiasmé pour Madagascar«). 134 Foury, Maudave (2. Teil), 28 f. 135 ANOM, C 5A 2, Nr. 65, Bl. 1, Maudave an Dumas, 2. Oktober 1768: »La croute épaisse de préjugés qui environnent ses idées«. 136 MHN, Ms. 3001, S. 57, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 137 MHN, Ms. 887, »Lettres madagascaroises«, Bl. 10, 19 f., 27 – 29, 38 f.

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Namen, der so viel bedeutet wie »großer Schwätzer« (»Grand Parleur«), um zu suggerieren, dass man den Versprechen der Einheimischen keinen Glauben schenken sollte.138 Dieser lügende Dorfälteste geht im Roman gern ins französische Fort, um Geschenke zu erhalten und sich am Branntwein zu berauschen.139 Der Briefaustausch mit dem Madagassen aus Mahavalona erfüllt zwei Funktionen. Erstens soll er zeigen, dass die Franzosen in der Handelspolitik moralisch und ökonomisch schlechte Prinzipien befolgten. Die madagassischen Figuren im Roman machen klar, dass der Sklavenhandel die Region von Mahavalona zerstöre und der christlichen Nächstenliebe widerspreche, auf die sich die Weißen berufen.140 Auch erzählen sie, dass die Madagassen ihre Waren nur gegen Silbermünzen verkaufen wollen. Die Franzosen würden ohne Piaster mit leeren Händen nach Hause zurückkehren müssen.141 Zweitens inszeniert Valgny sich selbst in d ­ iesem Briefaustausch als der bessere Koloniegouverneur und rechtfertigt seine Bilanz als ehemaliger Kommandant von Nosy Boraha. 1757 hatte Valgny die Einwohner von Sainte-­Marie versklavt, um sie für den Mord an seinen Landsleuten zu bestrafen. Die Romanfiguren wundern sich darüber, dass auf der Île de France ein solch hartes, aber berechtigtes Vorgehen gegen die Mörder als illegal kritisiert wurde. Diese Affäre zeigt in ihren Augen, dass sich die Franzosen im Unklaren darüber befänden, ob sie das Recht haben, sich zu rächen.142 Auch überlegen die Madagassen im Roman, welch große Umwälzungen Valgny auf der Großen Insel wohl bewirkt hätte, wenn man ihm die Möglichkeit gegeben hätte, sein Kolonisierungsprojekt umzusetzen. Er hätte unter anderem die aus Aberglauben ausgesetzten Kinder gerettet, die Landwirtschaft entwickelt und eine mächtige Miliz geschaffen – so das Ergebnis ihrer Reflexion.143 Valgny ließ seine Figuren auch darüber berichten, wie er selbst ihnen interessante Theorien erzählt habe: etwa seine Ideen über den arabischen Ursprung der Zafiraminia oder über die beste militärische Strategie, um Madagaskar zu erobern.144 Die Madagassen hießen zudem die »sehr lobenswerte Gerechtigkeit der Weißen« (»la très louable justice des blancs«) gut und zeigten sich bereit, von ihnen zu lernen.145 Damit zeichnete Valgny die Perspektive einer Zivilisierung des Landes.

138 Ebd., Bl. 2 f. 139 MHN, Ms. 887, »II. Mémoires pour servir à l’histoire de Madagascar«, »3. Lettres Madagascaroises«, S. 9. 140 MHN, Ms. 887, »Lettres madagascaroises«, Bl. 6, 35 – 37. Ähnlich: MHN, Ms. 887, »II. Mémoires pour servir à l’histoire de Madagascar«, »3. Lettres Madagascaroises«, S. 3 f. 141 MHN, Ms. 887, »Lettres madagascaroises«, Bl. 45, 47 f. 142 Ebd., Bl. 11, 29 – 31 (Zitat Bl. 31). 143 Ebd., Bl.  40 – 43. 144 MHN, Ms. 887, »II. Mémoires pour servir à l’histoire de Madagascar«, »3. Lettres Madagascaroises«, S.  11 – 16. 145 MHN, Ms. 887, »Lettres madagascaroises«, Bl. 17.

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Der französische Offizier bediente sich der Vorlage Montesquieus, um im Duktus der Entlarvung Maudaves Misserfolg zu offenbaren und zu erklären. Diese Erklärung war aber zugleich eine Strategie, um das Projekt einer französischen Expansion auf Madagaskar zu retten und sich selbst dafür zu empfehlen. Valgny sollte zum Gouverneur ernannt werden und eine florierende Kolonie auf humanen Grundsätzen aufbauen. Bemerkenswert ist dabei die Strategie Valgnys, sich des Mediums des aufklärerischen und aufklärenden Romans zu bedienen. Als Offizier hatte Valgny die Befehle seines Vorgesetzten Maudave auszuführen, ganz gleich, ob sie ihm gefielen oder nicht; eine öffentliche Diskussion entsprach nicht dem Rollenbild. Zudem war der Gouverneur von Fort-­Dauphin und nicht Valgny für die Berichterstattung zuständig. Valgny konnte sich also nur bedingt in dienstlichen Briefen bei den Verwaltern der Île de France oder im Mutterland über Maudaves Kurs beschweren und sich selbst als den besseren Kolonialherrn empfehlen. Als Schriftsteller konnte er dagegen in die Rolle des Intellektuellen schlüpfen, die ihm das Recht verlieh, in der Öffentlichkeit zu Gunsten der Wahrheit und des Allgemeinwohls zu intervenieren.146 Gleichwohl erzielte Valgny auch mit dieser Strategie im Endeffekt keinen Erfolg: Seine Madagassischen Briefe wurden nie gedruckt und fanden als Handschrift nur in einem kleinen Kreis von Madagaskarkennern Verbreitung. Mit Maudave und Valgny wurde die Kolonisierung Madagaskars ins Reich der Literatur übertragen. Vor allem der Gouverneur von Fort-­Dauphin trug trotz der Tatsache, dass er keinen seiner Texte drucken ließ, entschieden dazu bei, eine Vorstellungswelt zu etablieren, die Schriften über Madagaskar in den folgenden Jahrzehnten stark prägen sollte. Die Annahmen, auf denen Maudaves Kolonisierungsprojekt beruhte, trugen zwar zu seinem Scheitern bei: Sie stellten Hürden für eine ausdifferenzierte politische Strategie in Anosy dar. Auch entpuppte sich die Politik der Autoritätsgenerierung durch symbolische Kommunikation als eine Illusion: Entweder benutzte die Oberschicht Anosys Fort-­Dauphin, um symbolisch ihre Überlegenheit zu demonstrieren, oder sie ignorierte schlicht die französische Niederlassung. Trotz dieser mageren Bilanz hinterließ Maudave jedoch seinen Nachfolgern seine kolonialistischen Prinzipien als geistiges Erbe. Die Geschichte Fort-­Dauphins unter Maudave ist somit zwar keine Kolonialgeschichte, aber die Geschichte einer kolonialistischen Vorstellungswelt, die sich unter seinem Nachfolger Moritz August Beňovský weiter entfaltete.

146 Pečar, Der Intellektuelle seit der Aufklärung.

5 Erfolglose Konquistadoren Nach 1772 gaben die Franzosen die Idee einer Kolonialexpansion auf Madagaskar nicht auf. Gleich zwei Initiativen wurden ergriffen: eine offizielle, die von Versailles ausging, aber auch eine inoffizielle, die die Île de France in die Wege leitete und die dem Marineminister verborgen bleiben sollte. Diese Vorkommnisse sind uns nur bekannt durch einen Brief, der in einer Personalakte aufbewahrt wurde und ein Fenster auf eine andere Wirklichkeit eröffnet, die hinter den offiziellen Berichten maskiert bleibt.1 Sie zeigen die Gefahr für den Historiker, ein Gefangener seiner Quellen zu werden. Die Dokumente, die die Verwaltung produzierte, suggerieren ein zentralisiertes Imperium, in dem die Kolonialverwalter an der Peripherie die Politik des Zentrums implementierten. Wie bereits Maudaves Schriften gezeigt haben, geben die Berichte der Kolonialverwalter jedoch nicht selten ein Bild der Vorkommnisse wieder, das stark von dem abweicht, was man anhand anderer, nur spärlich und oft zufällig überlieferter Quellen rekonstruieren kann: Häufig genug agierten die Kolonialverwalter im Indischen Ozean vollkommen autonom, ohne die Befehle aus Versailles zu beachten. Dies traf sowohl auf den Gouverneur der Maskarenen Desroches als auch in einem noch größeren Maße auf den Kommandanten auf Madagaskar Beňovský zu.

5.1 Französisch-madagassische Putschpläne 1772 versuchte Desroches, seine Klientin Betia, die ehemalige Königin von Nosy Boraha, in einem Coup mithilfe von französisch-­madagassischen Akteuren auf den Thron der Betsimisaraka zu setzen. Diese Politik widersprach unmittelbar dem Bündnis mit dem König der Betsimisaraka, das überlebenswichtig für den französischen Handel war. Dafür arbeitete Desroches mit so einer zwielichtigen Gestalt wie Jean-­Onésime Filets zusammen, der unter dem Namen La Bigorne Berühmtheit erlangte. La Bigorne war ein Deserteur, der in der Garnison der Île de France gedient hatte. Mitte des 18. Jahrhunderts hatte er auf Madagaskar mit Feinden des Betsimisaraka-­Königs Zanhar »gemeinsame Sache gemacht und Freundschaft geschlossen«, wie Poivre es formuliert, und bei ihnen eine Ehefrau gefunden, die in den französischen Quellen Fanchon genannt wird.2 La Bigorne 1 ANOM, E 184, Personalakte von Filet, genannt La Bigorne, Poivre an den Marineminis­ ter Boynes, 12. Februar 1772. 2 ANOM, C 5A 2, Nr. 1, Bl. 4, Register mit Kopie des Briefaustausches z­ wischen Dumas und Poivre (»s’était lié d’intérêt et d’amitié«); ANOM, E 133, Personalakte von Diard, Bl. 2, Souillac und Chevreau an den Marineminister, 22. November 1782.

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gelang es nach einer G ­ eneralamnestie, bei der französischen Verwaltung der Insel als Dolmetscher angestellt zu werden. Aus Angst, der Dolmetscher könnte einen Krieg an der Nordostküste Madagaskars vom Zaun brechen, plädierte der Intendant Poivre 1768 dafür, La Bigorne von Mahavelona nach Tôlanaro zu versetzen, wo er niemanden kannte. Der Gouverneur Dumas ließ einen entsprechenden Befehl erteilen.3 Glaubt man einem 1772 verfassten Brief Poivres an den Marineminister De Boynes, verfolgte Dumas jedoch ganz andere Projekte mit La Bigorne. Poivre zufolge hatte La Bigorne dem Gouverneur 1767 vorgeschlagen, in einem Raubzug zwei- bis dreitausend Madagassen zu versklaven. Ohne Poivres Wissen habe Dumas La Bigorne nach Mahavelona reisen lassen, wo er kurze Zeit später mit Hilfe seiner Betsimisaraka-­Freunde seinen Plan in die Tat umsetzte. Über zweitausend versklavte Madagassen – vermutlich aus dem Landesinneren – soll der Abenteurer auf Kosten des Königs auf die Île de France gebracht haben, wo er sie an diverse Privatmänner schwarz verkaufte, da Dumas zwischenzeitlich nicht mehr im Amt war. La Bigorne gewann auch das Wohlwollen von Dumas’ Nachfolger, dem Gouverneur Desroches, der ihn erneut nach Mahavelona schickte. Offiziell war La Bigorne für den Kauf von Zebus zuständig, doch machte er keinen Hehl daraus, dass er an die Ostküste der Insel segelte, um Krieg gegen die Merina zu führen. Bei ­diesem Feldzug im Hochland ließ er sich 1770 und 1771 von allen jungen Kriegern der Dörfer um Mahavelona begleiten.4 In ­diesem Kontext versuchte Desroches einen Coup in Mahavelona: Er ließ die Fürstin Betia, die nach dem misslungenen Expansionsversuch der Franzosen auf Nosy Boraha auf die Île de France emigriert war, in die Hafenstadt reisen. Dort sollte sie ihren Neffen Iavy vom Thron stürzen und die Herrschaft an sich reißen. La Bigorne hatte Poivre zufolge dabei recht viele Madagassen versammelt, um sie zu unterstützen. La Bigorne sollte aus seinem Feldzug an der Spitze einer aus Franzosen und Betsimisaraka zusammengesetzten Armee zurückkehren, den Staatsstreich vollziehen und alle Gegner auf die Île de France bringen, wo sie als Sklaven verkauft würden. Jedoch starb La Bigorne im Hochland, bevor er sein Projekt umsetzen konnte. Betia musste auf die Île de France zurücksegeln.5 3 ANOM, C 5A 2, Nr. 1, Bl. 7, 19, Register mit Kopie des Briefaustauschs ­zwischen Dumas und Poivre. 4 ANOM, E 184, Personalakte von Filet, genannt La Bigorne, Poivre an Boynes, 12. ­Febru­ar 1772. 5 Ebd. Über La Bigorne zirkulieren viele gegensätzliche Informationen, ja sogar Mythen. Roze zufolge sei La Bigornes ganz friedlich auf der Île de France auf seiner Plantage gestorben: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Bl. 4, Roze, »Mémoire sur l’île de Madagascar pour y établir une colonie et un commerce utile à la France«, 1783 – 84. Der Dictionnaire de biographie mauricienne enthält vollkommen fantastische Angaben zu La Bigorne.

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5.2 Eine neue Kolonie All diese Ereignisse waren wohl in Versailles unbekannt. Die Dokumente aus dem Marineministerium erwähnen sie jedenfalls nie. Währenddessen wurde in Versailles auch überlegt, wie man auf Madagaskar expandieren könne. Dabei dachte man gar nicht an einen Staatsstreich im wichtigsten Königreich der Ostküste, sondern an die Gründung einer friedlichen Niederlassung. Ende 1772 beauftragte der Marineminister de Boynes damit den oberungarischen Adligen Moritz August Beňovský. Dieser Schritt ermöglichte ihm jedoch keine besseren Einblicke in die Verhältnisse vor Ort als die Berichte Desroches’ oder M ­ audaves. Im Gegensatz wuchs unter Maudaves Nachfolger die Diskrepanz z­ wischen Anspruch und Wirklichkeit noch weiter. Die Kolonisierung Madagaskars wurde immer mehr ins Reich der Fantasie übertragen, so dass in den Berichten der Traum die Erfahrungen nun fast vollständig verdrängte und beinahe unsichtbar machte. Moritz August Beňovský war wohl eine der schillerndsten Persönlichkeiten, mit denen die Angestellten des französischen Marineministeriums im 18. Jahrhundert zu tun hatten. Der oberungarische Kleinadlige, der sich zum Zeitpunkt seiner Anstellung im Dienst des französischen Königs Baron und Oberst Seiner Kaiserlichen Majestät sowie Kammerherr, Geheimrat, Obersekretär und Kabinettsdirektor seiner Majestät des Fürsten Albrecht Kasimir von Sachsen-­Teschen – eines Sohns Augusts III. von Polen – nannte, war am 22. September 1771 mit 54 Gefährten auf einem kleinen Boot in der Bucht von Kanton in China erschienen und erzählte eine aufsehenerregende Geschichte: Er sei mit 5000 Ungarn von der Kaiserin Maria Theresia nach Polen geschickt worden, um der Barer Konföderation in ihrem Kampf gegen die russischen Truppen und für den Katholizismus zu helfen. Er sei jedoch von den Russen festgenommen und nach Kamtschatka deportiert worden, wo er einen Aufstand angeführt und zusammen mit Kameraden sowie der Tochter des Gouverneurs, die sich in ihn verliebt habe, auf einem Boot die Flucht ergriffen habe. Dank seiner langjährigen Erfahrung im Mittelmeer im Dienst des Malteser Ordens habe er gewusst, wie man ein Schiff steuert, und die Flüchtlinge entlang der Küste Japans bis nach China in Sicherheit gebracht. Kurz nach der Ankunft in Macau sei die Tochter des russischen Gouverneurs von Kamtschatka gestorben und Beňovský habe die Begräbnismesse in der portu­ giesischen Franziskanerkirche singen lassen.6 In dieser autobiographischen Erzählung kristallisiert sich die Strategie Beňovskýs, die er im Laufe der folgenden Jahre auf vier Kontinenten anwandte: seine Zeitgenossen mit fantastischen Lügen zu umgarnen und sie dazu zu bringen, sich für ihn zu interessieren oder gar zu begeistern. Denn von seinen Erzählungen 6 Orłowski, Beniowski, 108 – 113.

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stimmte nur, dass er für die Barer Konföderation gekämpft hatte, von den Russen nach Kamtschatka deportiert worden war und es geschafft hatte, auf einem Boot zu entkommen. Beňovský war kein Oberst Seiner Kaiserlichen Majestät und stand niemals im Dienst eines Sohnes des polnischen Königs und sächsischen Kurfürsten. Er war nach Polen geflüchtet, nachdem er seinen Onkel getötet hatte, der ihn daran hindern wollte, Bauernmädchen zu vergewaltigen. Dort hatte er eher zufällig in der Armee der Barer Konföderation angeheuert – sicherlich nicht aus einer religiösen Motivation heraus, da er der reformierten Konfession angehörte. Auch Beňovskýs Erzählung von den Vorkommnissen auf Kamtschatka wich stark von dem ab, was aus anderen Quellen bekannt ist. Auf der ostasiatischen Halbinsel gab es nämlich keinen Gouverneur, sondern nur einen Kapitän, und dessen Tochter wohnte im fernen Irkutsk. Es scheint also, Beňovský habe ein falsches Begräbnis bei den Franziskanern veranstaltet, um eine Liebesgeschichte in seine Lebenserzählung einzuflechten: Als zwei neugierige Mönche in der Nacht vor der Zeremonie den Sarg der angeblichen Jungfrau öffneten, fanden sie darin einen Mann. Auch hatte der oberungarische Kleinadlige niemals im Dienst des Malteser Ordens gestanden und stattdessen in Hamburg zu segeln gelernt. Er verfügte über eine eher rudimentäre Navigationserfahrung, weshalb er das Schiff wiederholt in die falsche Richtung gesteuert hatte, bevor er endlich sein Ziel Macau erreichte.7 Schon in dieser Frühphase seiner Hochstaplerkarriere griff Beňovský auf die Vorstellungswelt des Abenteuerromans zurück. Diese Tendenz sollte sich in seinen Briefen aus Madagaskar und seinen Memoiren über die Zeit auf der Großen Insel verstärken. Die Fantasie Beňovskýs erwies sich als so bestechend, dass sie bis heute manche Berufs- wie Laienhistoriker in ihren Bann zieht. So liest man aus der Feder eines der renommiertesten Madagaskarhistoriker, Beňovský habe eine Stadt, ein Straßennetz, ein Kanalsystem, Plantagen und Industrieanlagen aufgebaut; er habe Siege über die mächtigen Sakalava aus Boina errungen und eine »politische Macht ersten Ranges« im Norden der Großen Insel etabliert. Nur aufgrund der mangelnden Hilfe vonseiten der französischen Verwaltung der Île de France habe Beňovský die Kolonie aufgeben müssen – ein Deutungsmuster, das uns schon im Fall Maudaves begegnet ist.8 So attraktiv diese Abenteuererzählungen auch erscheinen mögen: Beňovský hat sie frei erfunden. Bereits im frühen 20. Jahrhundert arbeitete der Historiker P. Cultru heraus, dass diese angeblichen Errungenschaften nichts als Lügen darstellten.9 Bezeichnenderweise konnte sich jedoch scheinbar selbst Cultru dem Charme des Abenteuerromans 7 Ebd., 11 – 113. 8 Campbell, Imperial Rivalry, 84 (»a major political force«). 9 Cultru, Un Empereur de Madagascar. Ein Vorläufer von Cultru: Curzon, Un épisode de Madagascar.

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nicht ganz entziehen, als er der sonstigen imaginären Biographie des Oberungarn Glauben schenkte.10 Die französischen Amateurhistoriker, die in der Kolonialzeit über die madagassische Vergangenheit schrieben, hatten zudem große Schwierigkeiten, diese für ihr Land wenig glorreichen Tatsachen zu akzeptieren: Trotz der archivgestützten Arbeit Cultrus zogen sie es vor, von Beňovskýs Erzählungen nur marginal abzuweichen. Für sie war die Aufgabe der von Beňovský gegründeten Niederlassung Louisbourg das Ergebnis einer Verleumdungskampagne durch die Île de France und die Kommissare der Nationalversammlung.11 Dank Deschamps’ allgemeiner Darstellung der madagassischen Geschichte wurden Cultrus quellengestützte Thesen zumindest in der französischen Forschung bekannt.12 Dennoch werden sie in englisch-, polnisch- und slowakischsprachigen Veröffentlichungen bis heute immer wieder ignoriert.13 So folgt die etwas ältere, aber bis heute einzige wissenschaftliche Biographie Beňovskýs im Kapitel zu Madagaskar weitgehend den Erzählungen des Kommandanten von Louisbourg, obwohl der Autor sonst viele Mythen entlarvt.14 Auch möchte die neueste französischsprachige Untersuchung zu Beňovský Cultrus kritisches Bild zumindest partiell revidieren: Der Autorin zufolge enthielten die posthum gedruckten Memoiren zwar viele Lügen, was sie auf nachträgliche Änderungen im Manuskript zurückführt. Die übrigen Schriften Beňovskýs schätzt sie jedoch als grundsätzlich glaubwürdig ein.15 Es scheint daher notwendig, die Geschichte der französischen Niederlassung in der Bucht von Antongila neu zu schreiben. Doch stellt Beňovskýs Schreibpraxis den Historiker, der die Interaktionen ­zwischen madagassischen und französischen Eliten untersuchen möchte, vor eine Herausforderung: Gerade die Schriften 10 Cultru, Un Empereur de Madagascar, 5 – 7. 11 Jully, Extrait du compte-­rendu; Villars, Madagascar, 117 – 143; Esme, Le Conquérant; Férard, Benyowsky; Kling, Benyowszky. 12 Deschamps, Histoire de Madagascar, 81 f.; Haudrère, L’Empire des rois, 331. 13 Lepecki, Beniowski; Pawliková-­Vilhanová, Móric Beňovský a Madagaskar; Campbell, Imperial Rivalry, 84. Einen besonderen Fall stellt Edward Kajdański dar, der anhand einer Verschwörungstheorie alle Quellen, die nicht von Beňovský stammen, diskreditieren möchte und seine Darstellung des Aufenthalts seines Helden auf Madagaskar einzig auf der Grundlage der Memoiren schreibt: Kajdański, Tajemnica Beniowskiego, 309 – 332. 14 Orłowski, Beniowski, 136 – 161. 15 Vacher, Contribution à l’histoire. Vacher stützt sich bei ihrer Darstellung auf den »Mémoire sur l’expédition de Madagascar«, den Beňovský nach seinem Madagaskaraufenthalt für den Marineminister verfasste. Sie vergleicht jedoch diese Quelle nicht mit der Korrespondenz ­zwischen Beňovský und seinen Vorgesetzten sowie anderen Archivdokumenten (mit Ausnahme der Korrespondenz ­zwischen Beňovský und dem Intendanten Des Assises). Deshalb entgeht Vacher, dass bereits dieser Text – und nicht erst die gedruckten Memoiren – äußerst fantasievoll ist. Der große Verdienst ihrer Arbeit liegt im akribischen Vergleich ­zwischen dem »Mémoire« und Beňovskýs gedruckten Erinnerungen.

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desjenigen, der als Kommandant für den König über die französischen Aktivitäten Bericht erstatten sollte, verraten wenig Glaubwürdiges über die Beziehungen zu den Madagassen. Zum Glück lassen sich durch andere Quellen zumindest punktuelle Einblicke in die Geschichte der französischen Niederlassung der Bucht von Antongila gewinnen. Im Folgenden soll deshalb zuerst anhand dieser Texte rekonstruiert werden, wie sich die französisch-­madagassischen Begegnungen ­zwischen 1773 und 1776 im Nordosten der Großen Insel gestalteten.16 Dabei wird aufgrund der problematischen Quellenlage die Untersuchung der madagassischen Strategien und der französisch-­madagassischen Interaktionen ausschnittartig bleiben müssen. Die spärliche Überlieferung erlaubt beispielsweise kaum tiefere Einblicke in die Geschichte der (symbolischen) Kommunikation z­ wischen Europäern und Madagassen. Nicht einmal die genauen Ursachen für die militärischen Konflikte und deren Verlauf lassen sich mit Sicherheit rekonstruieren.

5.3 Elend und Verwüstung Beňovský kam im September 1773 auf der Île de France und im Februar 1774 auf Madagaskar an.17 Die Instruktionen, die er vom Marineminister Boynes erhalten hatte, waren im Vergleich zu Maudaves Projekt vorsichtig: Der Oberungar sollte sich auf den Handel mit den Eingeborenen konzentrieren und keine landwirtschaftliche Kolonie gründen. Damit sollte ein Konflikt mit den Madagassen vermieden werden.18 Der König von Frankreich stellte zudem keine regulären Truppen unter Beňovskýs Führung, sondern nur ein Freiwilligenkorps.19 Das Projekt des Marineministeriums, langfristig etwas Größeres auf Madagaskar zu erreichen, blieb bei all der an den Tag gelegten Vorsicht dennoch bestehen: Der Minister brachte auch die Hoffnung zum Ausdruck, Beňovský werde nicht nur einen kleinen Handelsposten, sondern eine solide Kolonie gründen.20 Er gab dem Oberungarn folglich immerhin 230 Soldaten, also mehr als Maudave jemals unter seinem Befehl gehabt hatte; insgesamt dienten ca. 400 Mann unter Beňovský. Dies waren zu viele für einen einfachen Handelsposten, was Fragen über die Absichten 16 Die einzige neuere Geschichte der Niederlassung Beňovskýs konnte in einer gedruckten Magisterarbeit gefunden werden: Vacher, Contribution à l’histoire de l’établissement français, 32 – 69. Sie weist jedoch die oben genannten Probleme auf. 17 ANOM, C 5A 3, Nr. 14, S. 8 – 18, Denkschrift von Chevillard, ohne Datum. 18 ANOM, C 5A 3, Nr. 111, 112; auch DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 42, Abschrift eines Briefs von Boynes an Ternay und Maillart, 19. März 1773. 19 C 5A 3, Nr. 13, »Formation du corps des volontaires de Benyowsky«, 1772. 20 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 42, Bl. 1, Abschrift eines Briefs von Boynes an Ternay und Maillart, 19. März 1773.

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des Ministers aufwirft. Als dem Oberungarn später vorgeworfen wurde, sich in eine Eroberungspolitik gestürzt zu haben, konnte er zu Recht darauf hinweisen, dass man ihm die Soldaten sicherlich nicht umsonst gegeben hatte.21 Beňovský folgte von vorneherein seinen Instruktionen nicht. Noch vor seiner Abreise aus Frankreich verkündete er, er strebe die Schaffung »einer großflächigen und ausgedehnten Kolonie [an], so reich und gewaltig, dass sie ein Schutzschild gegen unsere Feinde in Indien« sein werde.22 Er verlangte mehr Soldaten, bat um die (ihm schließlich gewährte) Erlaubnis, Truppen auf eigene Kosten anzuwerben, und verlangte daraufhin dennoch, dass der König sie bezahle.23 Beňovský wollte zwei botanische Gärten gründen und in seiner Niederlassung »alle mögliche Samen« – unter anderem K ­ affee, Baumwolle, Rohrzucker und Pfeffer – einpflanzen lassen. Er kündigte an, eine zweite Kolonie sowie eine Niederlassung auf der Westküste Madagaskars errichten zu wollen, um den Handel der »Araber« unter seine Kontrolle zu bringen.24 Ebenfalls verbürgt ist, dass Beňovský kurz nach seiner Ankunft auf Madagaskar eine aggressive Kriegspolitik führte, die katastrophale Folgen hatte. Kaum in der Bucht von Antongila angekommen, sah er sich in Kriege verwickelt.25 Um die Geschichte dieser Konflikte zu rekonstruieren, ohne sich auf Beňovskýs Texte zu stützen, kann man auf die Beschreibungen und Analysen der Inspektoren Bellecombe und Chevreau zurückgreifen, die 1776 – also kurz vor Beňovskýs Abreise – die Niederlassungen auf Madagaskar besuchten. Von den Berichten des »Barons« beeindruckt, entschied sich der Marineminister Antoine de S ­ artine im Februar 1776, Kommissare nach Madagaskar zu entsenden, um das Klima zu erforschen und somit die Möglichkeiten einer Besiedlung der Insel durch Europäer auszuloten.26 Guillaume Lénoard de Bellecombe und Étienne Claude 21 ANOM, C 5A 3, Nr. 1, »Etat du corps des volontaires de Beniowsky«; ANOM, C 5A 3, Nr. 2, Liste der Offiziere; ANOM, C 5A 3, Nr. 3, Liste der Offiziere; C 5A 7, Nr. 64, Bellecombe und Chevreau an Sartine, 13. Oktober 1776. 22 ANOM, C 5A 3, Nr. 139, Beňovský an Boynes, 22. April 1773. Ähnlich: C 5A 3, Nr. 173, Beňovský an Boynes, 5. November 1773: »je formerai non seulement une colonie vaste et ample, aussi riche que formidable, plus encore un bouclier j’ose le dire contre nos Ennemis aux Indes«. 23 ANOM, C 5A 3, Nr. 167, Beňovský an Boynes, 30. Oktober 1773 und Nr. 184, Maillart an Boynes, 27. Dezember 1773. 24 ANOM, C 5A 4, Nr. 2, Auszüge aus Briefen Beňovskýs, ohne Datum (»ensemencer des grains de toute espèce«). 25 BnF, Manuscrits français, NAF n°9413, Bl. 271 f., »Mémoire de Kerguelen sur l’île de Madagascar«, 27. Dezember 1773; ANOM, C 5A 4, Nr. 62, Bl. 1, Ternay und Maillart, 17. Juni 1774. 26 ANOM, C 5A 6, Nr. 32, Sartine an Beňovský, ohne Ort, 18. Februar 1776; siehe auch ANOM, C 5A 6, Nr. 39, »Note annoncant l’inspection à Madagascar de M. de Bellecombe«,

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Chevreau, die nach der Inspektion das Amt des Gouverneurs beziehungsweise des Intendanten im südindischen Pondicherry besetzen sollten, machten deshalb auf dem Weg nach Südasien vom 16. September bis zum 5. Oktober 1776 einen dreiwöchigen Zwischenhalt an der Nordostküste Madagaskars. Ihre Beobachtungen hielten sie in einem Tagebuch 27 und in einer ganzen Reihe von Berichten und Briefen mit präzisen und umfassenden Informationen 28 fest. Der Schiffskapitän Jean-­François de La Pérouse, der später durch seine militärischen Taten und seinen Versuch einer Weltumsegelung berühmt wurde und einen tragischen Tod fand, begleitete sie und erstattete ebenfalls Bericht.29 Die Inspektoren und der Seefahrer schilderten Landschaften und Siedlungen, die französischen Niederlassungen und die Begegnungen mit einheimischen Eliten. Sie gaben dagegen keine detaillierten Auskünfte über die Formen der symbolischen Kommunikation mit den Indigenen; stattdessen vermerkten sie wiederholt, dass sie dem üblichen Zeremoniell folgten.30 Über diese Berichte hinaus sind vier andere Quellen bzw. Quellengruppen überliefert, die Einblicke in die Geschichte der Beziehungen ­zwischen Beňovský und den Fürsten der Region gewähren. Die Verwalter der Île de France berichten immer wieder über die »Unordnung« (»désordre«) auf Madagaskar, verraten allerdings keine Details.31 Ein wenig weiterführender ist der Bericht eines namhaften Seefahrers, Yves Joseph de Kerguelen, der im Februar 1774 die Niederlassung besuchte.32 Von grundlegender Bedeutung sind aber vor allem die Reiseberichte von Beňovskýs wichtigstem Dolmetscher, Nicolas Mayeur, der im Auftrag des Kommandanten den Norden, den Nordwesten und das Zentrum der Großen Insel erforschte. Es ist unklar, an wen sich diese Texte richteten, doch handelte es sich vermutlich nicht um Berichte für Versailles oder die Verwalter der Île de France. Mayeur behielt sie in seinem Privatbesitz.33 Schließlich ist die Korrespondenz ­zwischen Beňovský und Des Assises, dem Intendanten von Madagaskar, 10. März 1776. 27 ANOM, C 5A 7, Nr. 8, Tagebuch von Bellecombe und Chevreau, 1776. 28 ANOM, C 5A 4, Nr. 126, Anmerkungen von Bellecombe und Chevreau über die Gebäude auf Madagaskar; C 5A 7, Nr. 16 – 17, 24, 32 – 58, 61 – 64 (siehe insbesondere Nr. 64). 29 ANOM, C 5A 6, Nr. 12, La Pérouse, »Rapport sur les résultats facheux de l’établissement de Benyowsky« [1776]. 30 ANOM, C 5A 7, Nr. 8, Bl. 14, 16 f., 34, Tagebuch von Bellecombe und Chevreau, 1776. 31 Siehe z. B. die Briefe Ternays und Maillarts an den Marineminister von August und September 1774, die die Situation auf Madagaskar in groben Zügen beschreiben: ANOM, C 5A 4, Nr. 75, 76, 90. 32 BnF, Manuscrits français, NAF n°9413, Bl. 271 f., »Mémoire de Kerguelen sur l’île de Madagascar«, 27. Dezember 1773. 33 Das Manuskript befindet sich heutzutage im British Museum. Es wurde 1913 ediert: [Mayeur], Voyage dans le nord de Madagascar.

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von September 1774 bis Januar 1775, erhalten. Diese Briefe geben Einblicke in den Alltag der Niederlassung in dieser Zeitspanne.34 Bellecombe und Chevreau inspizierten zunächst die wichtigsten französischen Handelsniederlassungen auf Madagaskar, Toamasina (frz. Tamatave) und Mahavelona (frz. Foulpointe). Toamasina fanden sie entvölkert vor. Grund dafür war ein Krieg z­ wischen dem lokalen Fürsten, dessen Name sie auf Französisch mit »Dienancore« wiedergeben, und den Fariava, die sie als ein »ziemlich zahlreiches Volk, das sich in der Umgebung von Tamatave bis zehn Meilen im Landesinneren niedergelassen hat«, bezeichnen.35 Bellecombe und Chevreau trafen »die drei ältesten Schwarzen«, die den abwesenden König der Betsimisaraka »repräsentierten«,36 und gaben in ihrem Tagebuch sowohl ihre Fragen als auch die Antworten dieser betagten Männer wieder. Sie erfuhren, dass der Handel seit zwei oder drei Jahren aufgrund von Beňovskýs Verbot des privaten Handels darniederlag. Die lokale Oberschicht sei empört über den Kommandanten und wünsche sich, der französische König würde jemanden anderen nach Madagaskar ­schicken.37 Ihr Besuch in Mahavelona bot ebenfalls keinen Anlass zur Freude. Die französische Palisade war in einem maroden Zustand.38 Die Lagerhäuser, die Küche, das Pulverhaus waren aus Stroh, boten keinen Schutz vor Dieben und konnten leicht abbrennen bzw. explodieren.39 Das Städtchen der Indigenen, das »seit jeher als das bevölkerungsreichste, angenehmste und am besten mit Handelsgütern versorgte der gesamten Ostküste galt«, wies »maximal nur noch vierhundert Einwohner auf, die im Elend leben«.40 Man könne dort keine »Neger«, keinen Reis und nicht einmal mehr Geflügel kaufen. Dies sei das Ergebnis des Handelsverbots, das Beňovský ausgesprochen habe, und auch des letzten Kriegs. Laut La Pérouse herrschte in dieser Region, die drei Jahre zuvor die Île de France mit Reis versorgt hatte, Hunger. Die »Schwarzen« äßen nur noch Wurzeln und wilde Früchte aus dem Wald und arbeiteten nicht mehr für die Franzosen.41 Kaum angekommen, trafen Bellecombe und Chevreau den König Iavy, den Fürsten der Betsimisaraka 34 Register mit Kopie des Briefaustauschs ­zwischen Beňovský und Des Assises (30. September 1774 – 19. Januar 1775): ANOM, C 5A 5, Nr. 20 – 21. 35 ANOM, C 5A 7, Nr. 8, Bl. 4 f., Tagebuch von Bellecombe und Chevreau, 1776: »peuples assez considérables qui sont établis aux environs de Tamatave«. 36 Ebd., Bl. 6: »trois plus anciens noirs qui représentent le chef absent«. 37 Ebd., Bl.  5 – 11. 38 Ebd., Bl. 12 f.; Bericht von La Pérouse: C 5A 6, Nr. 12, Bl. 1. 39 Bericht von La Pérouse: ANOM, C 5A 6, Nr. 12, Bl. 1. 40 ANOM, C 5A 7, Nr. 8, Bl. 14, Tagebuch von Bellecombe und Chevreau, 1776: »Le ­village de Foulpointe qui a toujours passé pour le plus peuplé, le plus agréable et le mieux fourni en ressources pour le commerce sur toute la côte de l’est, n’offre plus aujourd’huy qu’une misérable peuplade de quatre cent personnes au plus.« 41 Bericht von La Pérouse: ANOM, C 5A 6, Nr. 12, Bl. 1.

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und Verbündeten der Franzosen. Dem Bericht zufolge herrschte er über einen Küstenstreifen von 60 oder 80 Meilen und hatte gerade mit der gewöhnlichen Zeremonie, die das Trinken des mit Schießpulver gemischten Branntweins beinhaltete, den Frieden mit den Fariava geschlossen. Iavy äußerte den Wunsch, die Freiheit des Handels möge wiederhergestellt werden.42 Die Bucht von Antongila bot einen noch schlimmeren Anblick. La Pérouse zufolge war die Region stärker als Mahavelona vom Krieg verwüstet worden.43 Bellecombe und Chevreau fanden die französische Niederlassung Louisbourg in einem derart schlechten Zustand, dass sie es in ihrem Tagebuch kaum wagten, von einem »Fort« zu sprechen.44 Die dort lebenden zwanzig Soldaten hungerten, die Kasse und die Lagerhäuser waren leer und wiesen »die größte Unordnung« (»le plus grand désordre«)45 auf. Der »Fort« befand sich inmitten von Sümpfen und schützte weder vor Dieben noch vor Überflutungen.46 Die Inspektion der weiteren kleineren »Forts« der Region ergab ein ähnliches Bild.47 Bellecombes und Chevreaus Fazit lautete deshalb: Als Schlussfolgerung möchten wir sagen, dass alle hier beim bloßen Namen ›Beňovský‹ erzittern und dass alle Weißen und alle Schwarzen, die sich auf dieser Halbinsel befinden, […] in einem Zustand sind, der das größte Mitleid erweckt […]. Bereits über 260 von den 400 Männern, die seit 1773 nach Madagaskar gekommen sind, sind der schlechten Jahreszeit und der Luft, die an mehr als sechs Monaten im Jahr Tod bringt, zum Opfer gefallen.48

Für die Geschichte der französisch-­madagassischen Begegnungen ist Bellecombes und Chevreaus Bericht von einem Treffen mit den Fürsten der Region besonders aufschlussreich. Laut ­diesem Dokument haben Chevreau und Bellecombe als Erstes die einheimischen Würdenträger gefragt, ob sie damit zufrieden ­seien, dass die Franzosen sich in ihrer Region niedergelassen haben. Die Fürsten hätten angesichts der Frage betreten geschaut: 42 ANOM, C 5A 7, Nr. 8, Bl. 12, 16 f., Tagebuch von Bellecombe und Chevreau, 1776; Bericht von La Pérouse: C 5A 6, Nr. 12, Bl. 1. 43 Bericht von La Pérouse: ANOM, C 5A 6, Nr. 12, Bl. 5. 44 ANOM, C 5A 7, Nr. 8, Bl. 18 f., Tagebuch von Bellecombe und Chevreau, 1776. 45 Ebd., Bl. 19. 46 Ebd., Bl. 19 f. Ähnlich bei La Pérouse: ANOM, C 5A 6, Nr. 12, Bl.2 f. 47 ANOM, C 5A 7, Nr. 8, Bl. 26 – 29, Tagebuch von Bellecombe und Chevreau, 1776. 48 Ebd., Bl. 24: »que tout icy tremble au seul nom de M. le baron de Béniowsky et que tous les blancs et que tous les noirs […] paraissent chacun condamnés à l’état le plus digne de pitié […]: deja plus de 260 Européens sur environ 400 qui sont passé depuis la fin de 1773 ont été victimes de la mauvaise saison et de l’air impur qui assassinent icy pendant plus de six mois de l’année«.

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Sie blieben sehr lange stumm, schauten einander an, blickten ab und an zu Herrn Baron von Beňovský auf, der sie seinerseits beobachtete. Endlich sagte Raoul, der einer der vornehmsten Chefs war und zu denen gehörte, die gegen Beňovský die Waffen erhoben hatten, dass er sehr erfreut darüber sei, Franzosen unter ihnen zu sehen, und dass er sich wünschen würde, wie früher wieder Handel mit ihnen treiben zu können; dass sie [alle] sehr verärgert ­seien über die Konflikte […], die diese Gegenden beunruhigt haben, und dass sie uns bitten würden, die Vergangenheit zu vergessen; dass sie in Zukunft der [französischen, D. T.] Regierung stärker untergeben sein und dass sie bei jeder Gelegenheit ihren Schutz suchen würden.49

Daraufhin erkundigten sich die Inspektoren, weshalb die einheimischen Fürsten gegen die Franzosen Krieg geführt hätten. Diese antworteten, dass Menschen mit bösen Absichten ihnen gesagt hätten, Beňovský sei mit seinen Truppen nach Madagaskar gekommen, um sie ihrer Güter und ihrer Freiheit zu berauben. Dies sei ihnen glaubwürdig vorgekommen, da die Franzosen gewöhnlich nicht mit solch einer großen Zahl an Soldaten kämen, wenn sie Handel trieben.50 Das Treffen schloss mit der Versicherung von beiden Seiten, sie würden den Frieden bewahren, mit dem »Schwur, den man in solchen Angelegenheiten gewöhnlich macht«, sowie mit einem Geschenkaustausch ab.51 In einem gesonderten Bericht fassten Bellecombe und Chevreau das Ergebnis ihrer Beobachtungen und Überlegungen zusammen. Die Kommissare zeigten sich überzeugt, »die Madagassen [würden] es niemals gerne sehen, dass sich eine fremde Macht bei ihnen niederlässt und ihnen Befehle erteilt«.52 Die Insulaner liebten dafür die Freiheit zu sehr. Beňovský hätte das traurige Schicksal der ersten Kolonisten von Fort-­Dauphin oder das der Franzosen von Sainte-­Marie ereilt – die 1674 beziehungsweise in den frühen 1750er Jahren massakriert wurden –, wenn die Madagassen nicht große Angst vor Repressalien gehabt hätten.53 Laut La 49 Ebd., Bl. 32: »Ils sont restés fort longtemps sans répondre, se regardant les uns, et levant de tems en tems les yeux sur M. le baron de Béniowsky, qui de son coté les observoit: enfin l’un deux nommé Raoul chef des plus distingués et qui est un de ceux qui ont porté les armes contre M. de Béniowsky, a dit qu’ils étoient fort aises de voir des français parmi eux et qu’ils désiroient continuer à faire le commerce comme autrefois: qu’ils é­ toient fachés des divisions et troubles qui avoient agité ces cantons, et qu’ils nous prioient d’oublier le passé: qu’à l’avenir, ils seroient de leur coté plus soumis au gouvernement, et qu’ils en rechercheroient la protection en toute occasion.« 50 Ebd. 51 Ebd., Bl. 34: »serment que l’on a coutume de faire en pareille occasion«. 52 ANOM, C 5A 7, Nr. 64, Bl. 2, Bellecombe und Chevreau an Sartine, 13. Oktober 1776: »nous sommes persuadés et convaincus que jamais les Madécasses ne verront avec plaisir une puissance quelconque venir du dehors s’établir parmi eux et les commander«. 53 La Pérouse teilte diese Analyse: ANOM, C 5A 6, Nr. 12, Bl. 1 f.

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Pérouse habe Beňovský die Nationen der Region terrorisiert.54 Die Inspektoren stellten fest, dass seit der Ankunft des Oberungarn fast alle Völker der Bucht von Antongila gegen ihn Krieg geführt hätten. Als Ergebnis werde man überall mit Exil, Verwüstung, Elend und Hungersnot konfrontiert. Die Inspektoren empfahlen, so schnell wie möglich die Niederlassung aufzugeben oder zumindest zu verkleinern.55

5.4 Cortés auf Madagaskar Darüber, wie es zum bewaffneten Konflikt ­zwischen Beňovský und den meisten Fürsten der Region gekommen war, sind nur spärliche Informationen überliefert. Der Brief des Seefahrers Yves Joseph de Kerguelen zeigt, dass bereits unmittelbar nach Beňovskýs Ankunft Krieg herrschte. Kerguelen segelte am 23. Februar 1774 in die Bucht von Antongila, also eine Woche nach Beňovskýs Eintreffen in der Region. Die »Indigenen« – über die man in der Quelle nichts Näheres erfährt – hätten sich geweigert, Beňovský, den sie den »Bösen Weißen« (»Mauvais Blanc«) nannten, mit Lebensmitteln zu versorgen. Der Oberungar bat Kerguelen, ihm in seinem Kampf gegen zwei »Häuptlinge« zu helfen, was der Seefahrer mit seinen Männern auch tat.56 Einer dieser beiden »Häuptlinge« war vermutlich Raboc, der Fürst eines einige Meilen von der Küste entfernten Tals, das Beňovský sich angeignet und in »Plaine de la Santé des volontaires« umgetauft hatte. Aus einer Handschrift des Dolmetschers Mayeur erfährt man, dass Raboc geschworen hatte, sich an Beňovský zu rächen, weil der Oberungar ihm sein Land geraubt hatte.57 In der Tat wohnte der Kommandant des französischen Königs vor allem in der »Plaine de la Santé« 58 – auch »Plaine des Volontaires« genannt – und dachte wohl daran, hier den Hauptort seiner zukünftigen Kolonie errichten zu lassen.59 Der Briefaustausch ­zwischen Beňovský und Des Assises verrät, dass die Nieder­lassung z­ wischen September 1774 und Januar 1775 aufgrund von 54 Bericht von La Pérouse: ANOM, C 5A 6, Nr. 12, Bl. 2. 55 ANOM, C 5A 7, Nr. 64, Bl. 1 – 5, Bellecombe und Chevreau an Sartine, 13. Oktober 1776. 56 BnF, Manuscrits français, NAF n°9413, Bl. 271 f., »Mémoire de Kerguelen sur l’île de Madagascar«, 27. Dezember 1773. Maillart und Ternay berichten auch über diese Ereignisse: ANOM, C 5A 4, Nr. 62, Bl. 1, Ternay und Maillart an den Marineminister, 17. Juni 1774. 57 [Mayeur], Voyage dans le nord de Madagascar, 95. 58 Beňovský sandte seine Briefe an Des Assises von ­diesem Ort aus. Auch wird in einem Brief die »Plaine de la Santé« das »Hauptquartier« Beňovskýs gennant: ANOM, C 5A 4, Nr. 41, Des Assises [?] an Maillart, 28. Oktober 1774. 59 Beňovský ließ einen Plan der zukünftigen Stadt zeichnen: ANOM, C 5A 4, Nr. 104, Beňovský an Sartine, 22. September 1774. Der Marineminister dachte auch, dass die »Plaine de la Santé« in Zukunft die Hauptstadt Madagaskars werden könnte: ANOM, C 5A 4, Nr. 7, Bl. 1, Entwurf eines Briefes an Beňovský, ohne Datum.

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Krankheiten, Versorgungsproblemen und einem Mangel an Arbeitskräften in Schwierigkeiten steckte.60 Sowohl Beňovský als auch Des Assises beklagten sich wiederholt darüber, dass sie zu wenige »marmites« – madagassische Arbeiter – einstellen könnten; ­dieses Rekrutierungsproblem verschlimmerte sich noch, als sie die Arbeiter aufgrund der Lebensmittelknappheit nicht einmal mehr mit Reis versorgen konnten.61 Beňovský hatte vor, diesen Mangel durch den Kauf von Sklaven aus Afrika auszugleichen.62 Zudem ereigneten sich viele Diebstähle, da die Lagerhäuser nicht ausreichend befestigt waren.63 Schließlich war die Sicherheitslage scheinbar unbefriedigend. So hielt Beňovský in einem Brief an Des Assises am 28. Oktober eine Predigt über die Notwendigkeit, dem Tod zu trotzen.64 Am 1. Dezember gab er Des Assises Befehle für den Fall eines Angriffs der »Schwarzen«.65 Wer waren die »Häuptlinge«, mit denen Beňovský zu tun hatte? In welchem Verhältnis standen sie zueinander und wie positionierte sich der Oberungar ihnen gegenüber? Die Briefe Beňovskýs an Des Assises enthalten viele Namen von Mitgliedern der örtlichen Oberschicht, doch leider nur wenige Hintergrundinformationen. So erfährt man aus einem Brief vom Dezember 1774, dass die Fürsten »Raoul« und »Mahertomp« der französischen Niederlassung feindlich gegenüberstanden und sich bemühten, »Efoulaché« und »Sianique« (vermutlich Tsianihina) sowie den kleinen örtlichen »Chef« 66 »Manding« für ihre Seite zu gewinnen. »Manding« ging nicht offen gegen Louisbourg vor, doch störte er insgeheim die Entwicklung der Niederlassung, indem er seinen Untertanen den Handel mit den Franzosen verbot.67 Dennoch hatte Beňovský in der Bucht von Antongila auch Verbündete: etwa den nicht näher bekannten »Lamburante«, der seinen Sohn mit einer Französin verheiraten wollte.68 60 ANOM, C 5A 5, Nr. 20 – 21, Register mit Kopie des Briefaustausches z­ wischen Beňovský und Des Assises (30. September 1774 – 19. Januar 1775). 61 Beňovský an Des Assises: ANOM, C 5A 5, Nr. 20, Bl. 2 f., 5, 7, 16; ANOM, C 5A 5, Nr. 20 bis, Bl. 1; ANOM, C 5A 5, Nr. 21, Bl. 10, 18. 62 ANOM, C 5A 5, Nr. 20, Bl. 6, Beňovský an Des Assises, 29. Oktober 1774. 63 Ebd., Bl. 2; C 5A 5, Nr. 21, Bl. 9 f., Beňovský an Des Assises, 17. November 1774. 64 ANOM, C 5A 5, Nr. 20, Bl. 5, Beňovský an Des Assises, 28. Oktober 1774. 65 Ebd., Bl. 7 f. 66 Im 18. Jahrhundert weigerten sich Europäer immer öfter, mindermächtige afrikanische Fürsten als »Könige« zu bezeichnen. Der Begriff »Chef« ermöglichte ihnen, keine Gleichrangigkeit ­zwischen diesen örtlichen Machthabern und europäischen Königen zu suggerieren: Brauner, Kompanien, Könige und caboceers, 125 – 145. Eine ähnliche Begriffsverwendung lässt sich auf Madagaskar beobachten. 67 ANOM, C 5A 5, Nr. 20, Bl. 8, Beňovský an Des Assises, 6. Dezember 1774; C 5A 5, Nr. 21, Bl. 10, Beňovský an Des Assises, 17. November 1774. 68 ANOM, C 5A 5, Nr. 20, Bl. 12, Beňovský an Des Assises, 15. Dezember 1774.

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Der oberungarische Abenteurer ist in einen Konflikt mit unterschiedlichen lokalen Clans, die von ihrer Abstammung her Sakalava waren, und schließlich sogar mit Boina, dem mächtigsten Königreich der Sakalava, geraten. Im ­frühen 18. Jahrhundert war die Bucht von Antongila durch den Clan der Zafirabay, die in den französischen Quellen auch »Antamarouas« oder »Antamarois« heißen, erobert worden. Zur Zeit von Beňovskýs Aufenthalt auf Madagaskar teilten sich zwei Mitglieder dieser Dynastie, die wohl Brüder waren,69 die Region. Der mächtigste war laut den französischen Quellen der bereits genannte Fürst Raoul [Raholo?]. Mit den Zafirabay verfeindet war der Clan der »Sambarives« – ein Begriff, der anscheinend von »Sambarivo« stammt, der Bezeichnung für die Sklaven der Sakalava-­ Könige.70 Über die Sambarivo – zu denen vielleicht »Lamburante« gehörte – ist nichts Näheres bekannt, außer dass sie sich mit Beňovský verbündeten. Es ist unklar, ob Beňovský Ende 1774 weiterhin in den Krieg gegen »Rabocs« Dorf zog.71 Der Kommandant von Louisbourg zeigt sich in seinen Briefen frustiert darüber, dass seine Streitkräfte nicht dazu ausreichten, um »all [diese] Räuber zu unterwerfen«.72 Sicher ist, dass der Krieg im August 1775 erneut ausbrach. Einer Nachricht zufolge, die Mayeur in d ­ iesem Monat von einem Boten erhielt, haben die Zafirabay während einer großen Fürstenversammlung auf die Sambarivo und Beňovský geschossen. Die »Séclaves« – damit sind vermutlich die Sakalava aus Boina gemeint – hätten den Zafirabay geholfen. Raholo sei neutral geblieben. Laut Mayeur habe Beňovský auf die Stimme der Gerechtigkeit gehört und Partei für die zu Unrecht attakierten Sambarivo ergriffen. Die Franzosen ­seien nun in Louisbourg und im Fort der »Plaine de la Santé« gleichsam eingesperrt; die ganze Region sei verwüstet.73 La Pérouse erzählt eine ähnliche Geschichte, wobei er Beňovský noch deutlicher als Mayeur als ein Opfer darstellt. Ihm zufolge sei dieser Krieg vonseiten der Franzosen nicht ungerecht gewesen, habe aber verhängnisvolle Konsequenzen gehabt. Beňovský habe eine Versammlung mit den »Schwarzen« einberufen, um ihnen nützliche Geschäfte vorzuschlagen. Doch als er sich unter ihnen befand, habe er sie »Töte, Töte!« (»tue, tue«) schreien hören. Mehrere Indigene hätten versucht, ihn zu erschießen, und der Kommandant sei geflohen, indem er sich mit seinem Stock einen Weg durch die Menschenmenge gebahnt habe. Er habe 69 Vérin, The History of civilization, 114 f. 70 Feeley-­Harnik, The Significance of Kinship. 71 Mayeur, der sich zu ­diesem Zeitpunkt ganz im Norden der Insel befand, scheint der Nachricht, Beňovský habe Rabocs Dorf angegriffen, nicht geglaubt zu haben: [Mayeur], Voyage dans le nord de Madagascar, 104 – 106. 72 ANOM, C 5A 5, Nr. 20, Bl. 8, Beňovský an Des Assises, 6. Dezember 1774: »assujétir tous les brigands«. 73 [Mayeur], Voyage dans le nord de Madagascar, 121 f.

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daraufhin seine Kanonen in die Luft schießen lassen, um die Madagassen zu erschrecken, ohne sie zu verletzen, und die Übergabe der Schuldigen durch die »Chefs« verlangt. Da seine Forderungen abgelehnt worden ­seien, habe Beňovský den einheimischen Fürsten den Krieg erklärt. Fünfhundert Sambarivo s­ eien ihm zu Hilfe gekommen; der »Baron« habe die »Antamarois« – womit er die Zafirabays meinte – vertrieben und die Sambarivo an ihre Stelle gesetzt. Leider hätten die Sambarivo das Land nicht bebaut, weshalb nun eine Hungersnot herrsche.74 Sicher ist: Ende 1775 befanden sich die französischen Niederlassungen auf der Großen Insel in einem elenden Zustand.75 Trotzdem scheint es, als wäre es Beňovský gelungen, die politische Lage zu seinen Gunsten zu drehen. Mayeur gibt im Oktober 1775 an, die Zafirabay-»Häuptlinge« bereuten ihren Angriff und bäten ihn, den »General« – Beňovský hatte sich zwischenzeitlich diesen Titel zugelegt – in ihrem Namen um Verzeihung zu bitten.76 Bellecombe, Chevreau und La Pérouse erlebten im September 1776, wie alle Fürsten der Region eine Versammlung bei Beňovský abhielten und sich um gute Beziehungen zu den Franzosen bemühten, wobei diese Harmonie möglicherweise durch die Ankunft der drei Kommissare in Begleitung von Truppen erzwungen war. Die Kommissare berichten, Beňovský habe ihnen versichert, bereits vier Monate zuvor Frieden geschlossen zu haben.77 Im Juli 1776 – zwei Monate vor der Ankunft der Inspektoren – ­seien die »Antamarois« auf ihr Land zurückgekehrt, ohne die Feldarbeit wieder aufzunehmen. Die Sambarivo hätten in ihre angestammte Gegend zurückkehren wollen, doch ihre Landsleute hätten ihnen gesagt, sie sollten doch bei ihren weißen Freunden bleiben. Sie verlangten nun von Beňovský, dass er ihnen mit den Waffen helfe, ihre ursprünglichen Besitztümer zurückzuerlangen. Der Kommandant von Louisbourg stürzte sich La Pérouse zufolge jedoch stattdessen in einen Krieg gegen die Sakalava von Boina. Er habe seine »Verbündeten« aufgerufen, mit ihm in den Kampf zu ziehen, doch ­seien lediglich 25 »Schwarze« 78 gekommen. Alle anderen hätten im Gegenteil ihren Reis verbrannt, um die französische Armee hungern zu lassen, die sich glücklich schätzen könne, ihre Artillerie nach Louisbourg zurückgebracht zu haben.79 74 Bericht von La Pérouse: ANOM, C 5A 6, Nr. 12, Bl. 5 f. 75 Darüber berichten zwei Briefe von Händlern: ANOM, C 5A 5, Nr. 85, »Extrait d’une lettre d’un particulier au chevalier de Ternay«, 4. Dezember 1775; C 5A 5, Nr. 88, »Copie de la lettre de M. Bourdé«, 6. Dezember 1775. 76 [Mayeur], Voyage dans le nord de Madagascar, 131 f. 77 ANOM, C 5A 7, Nr. 8, Bl. 29, Tagebuch von Bellecombe und Chevreau. 78 Aus einer Denkschrift von Bellecombe und Chevreau erfährt man, dass diese »Schwarzen« von Iavy geschickt worden waren: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 76, Bl. 12, Überlegungen von Bellecombe und Chevreau über Beňovskýs Antworten, Oktober 1776. 79 Bericht von La Pérouse: ANOM, C 5A 6, Nr. 12, Bl. 5 f. Eine verkürzte Version ­dieser Geschichte findet sich auch in einer Denkschrift von Bellecombe und Chevreau: ANOM,

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La Pérouse folgt hier scheinbar der Erzählung Beňovskýs oder eines seiner Vertrauten und gibt die Genese des Kriegs auf eine für den Kommandanten sehr vorteilhafte Weise wieder. So entsteht der Eindruck, Beňovský habe als Angegriffener einen gerechten Krieg geführt. Die Briefe Beňovskýs an Des Assises vermitteln dagegen das Bild eines durchaus aggressiven Kommandanten, der davon träumte, die Fürsten der Region mit Waffengewalt zu unterwerfen.80 Im Gegensatz zu Maudave versuchte Beňovský jedenfalls, eine Distanz zu den örtlichen »Chefs« zu bewahren. Er riet Des Assises, »nicht allzu sehr mit ihnen vertraulich zu werden«.81 Die »Freundschaft«, die sie dem Intendanten »durch die Feierlichkeit [ihres] bacchantischen Besuchs« anböten, solle man nicht ernst nehmen: Sie bedeute vor allem, dass sie »bereit sind, von [französischen, D. T.] Flaschen Wohltaten zu empfangen«.82 Beňovský schien es ratsam, die strittigen Fragen nicht mit den örtlichen Fürsten zu besprechen. Er verbot Des Assises, eine Versammlung der »Chefs« einzuberufen, um eine Lösung für das Problem der Arbeitsverweigerung der Madagassen zu finden, die gegen Bezahlung den Aufbau der Niederlassung vorantreiben sollten. Die Fürsten der Region sollten nicht auf die Idee kommen, sie hätten Mitspracherecht.83 Auf der Grundlage ihrer Beobachtungen schlussfolgerten Bellecombe und Chevreau, Beňovský habe niemals eine andere Absicht verfolgt, als Madagaskar zu erobern. Er habe nie an den Handel gedacht und sei für die Kriege maßgeblich verantwortlich. Er habe mit dem anfangen wollen, was man vielleicht erst mit der Zeit hätte erreichen können: der Durchsetzung der französischen Souveränität auf der Großen Insel.84 In ihrem Tagebuch zeichnen die Kommissare folgendes Porträt des oberungarischen Abenteurers: Es ist schwer, einen zweiten Mann zu finden, der derart außergewöhnliche Ideen hat und sonderbare Reden hält. Befehle zu erteilen und despotisch zu regieren, scheinen seine beiden größten Leidenschaften zu sein. Die Lust, Krieg zu führen und seinen Säbel

DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 76, Bl. 11, Überlegungen von Bellecombe und Chevreau über Beňovskýs Antworten, Oktober 1776. 80 ANOM, C 5A 5, Nr. 20, Bl. 8, Beňovský an Des Assises, 6. Dezember 1774. 81 Ebd., Bl. 1. 82 Ebd.: »l’amitié des chefs qu’ils vous ont témoigné par la solemnité de la visite bachique est une preuve qu’ils sont tout prêt de recevoir les bienfaits de vos bouteilles«. 83 Ebd., Bl. 1 f. 84 ANOM , DFC , XVII /mémoires/88, Nr. 76, Bl. 8, 23, Überlegungen Bellecombes und Chevreaus zu Beňovskýs Antworten, Oktober 1776. »Ultima ratio regum« heißt »Die Gewalt ist das letzte Argument der Könige«. Dieser Satz verweist darauf, dass Krieg ein legitimes Mittel der Konfliktlösung ist, wenn die Diplomatie nicht mehr weiterführt.

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zu benutzen, beseelt und erregt ihn wie ein Fieber. »Ultima ratio regum« (dies ist die Devise seiner Kanonen) ist schließlich eines seiner vorherrschenden Prinzipien […].85

Dagegen erhalten die madagassischen Fürsten Lob von den Inspektoren, die an mehreren Stellen vermerken, dass ihre Antwort auf Beňovskýs Aggression angemessen gewesen sei. Die Taktik der verbrannten Erde beweise, die Madagassen ­seien sich bewusst, dass die Franzosen sie mehr brauchen als sie die Franzosen.86 Bellecombe und Chevreau bewunderten Iavys politisches Spiel, der als traditioneller Partner der Franzosen einerseits Beňovský ein kleines Kontingent von fünfundzwanzig Mann für seinen Krieg gegen die Sakalava von Boina zukommen ließ, andererseits allen anderen »Chefs« verbot, gegen die Sakalava in den Kampf zu ziehen.87

5.5 Sklavenhändler und Tyrann Die Kommissare fanden das Verhalten der Madagassen nachvollziehbar, nicht das des in ihren Augen sonderbaren Kommandanten im Dienst des französischen Königs. Bellecombe und Chevreau staunten über die abenteuerliche Politik Beňovskýs. Sein Vorhaben, Krieg gegen Boina zu führen, schien ihnen in keinem Verhältnis zu seinen Mitteln gestanden zu haben. Diesem Kriegsprojekt waren zwei Versuche vorausgegangen, sich an der reichen Nordwestküste Madagaskars zu etablieren. Der Oberungar schickte im April 1774 seinen Dolmetscher Mayeur nach Boina, um einen Handelsposten an der Westküste zu gründen.88 Beňovský wollte die Zebus und Sklaven wohl lieber unmittelbar vom König der Sakalava und nicht von Iavy erhalten, der sich selbst in Boina oder bei den Merina versorgte. Mayeur schaffte es nur mit größter Mühe, die halbe Entfernung z­ wischen Louisbourg und Boina zurückzulegen. Als er in einem Dorf einen Handelsposten 85 ANOM, C 5A 7, Nr. 8, Bl. 36 f., Tagebuch von Bellecombe und Chevreau, 1776: »Il est difficile de rencontrer un homme plus extraordinnaire et dans ses idées et dans ses ­propos; le désir de commander et le despotisme paroissent ses deux passions favorites; l’envie de guerroyer et de faire usage de son sabre l’anime et l’échauffe souvent et comme par accès, enfin l’ultima ratio regum (c’est la devise de ses canons) est un de ses préceptes favoris […]«. 86 Ebd., Bl. 32. 87 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 76, Bl. 8, 12, Überlegungen Bellecombes und Chevreaus zu Beňovskýs Antworten, Oktober 1776. Zum Bündnis z­ wischen Beňovský und Iavy siehe auch: C 5A 5, Nr. 20, Bl. 11, Beňovský an Des Assises, 20. Dezember 1774. 88 Es ging laut Mayeur darum, eine Handelsroute bis in die »Bucht von Moringano« zu eröffnen, eine heute nicht mehr identifizierbare Bucht, die sich wohl unweit von Boina befand: Filliot, La Traite des esclaves, 157, Fußnote 6.

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eröffnen wollte, verwehrte es ihm der Dorfälteste aus Angst, dem Sakalava-­ Herrscher zu missfallen. Mayeur entschloss sich, weiter nach Boina zu ziehen, wurde jedoch von den Boten des Sakalava-­Königs gestoppt. Der Dolmetscher berief sich auf seinen Auftrag, doch die Boten des Königs von Boina gaben ihm freundlich, aber bestimmt zu verstehen, dass er sich auf dem Territorium eines mächtigen Souveräns befinde und keine Ansprüche stellen könne. Nach einer langen Wartezeit sah sich der Franzose gezwungen umzukehren. Er erreichte die »Plaine de la Santé« am 20. September 1774.89 Bereits im November schickte Beňovský ihn wieder weg, diesmal nach Norden. Mayeur sollte scheinbar den Handel an der Westküste nördlich des Königreichs von Boina führen, wobei vor allem der Sklavenhandel den Kommandanten von Louisbourg interessiert zu haben scheint. Mayeur versuchte zuerst in Angontsy, einem Dorf an der Ostküste im Nordosten von Louisbourg, eine Niederlassung zu gründen. Die örtlichen Fürsten stimmten seinem Vorhaben letzten Endes zu, aber nur gegen hohe Zahlungen und das Versprechen, es werde lediglich ein Handelsposten errichtet. Der Rest der Reise sollte noch enttäuschender verlaufen. Viele »Chefs« wollten Mayeur aus Rücksicht auf den Sakalava-­Monarchen bzw. den Regenten die Durchfahrt durch ihr Land nicht erlauben. Der Dolmetscher fand zwar schließlich im Norden einen Fürsten, der den Franzosen wohlgesonnen war. Doch war dieser arm und machtlos. Er weigerte sich zudem, ein Bündnis mit den Franzosen einzugehen, da er sich vor Boina fürchtete. Nach einer beinahe einjährigen Reise kehrte Mayeur mit leeren Händen zurück.90 An diesen fruchtlosen Reisen und den Schwierigkeiten, die Beňovský hatte, mit Gewalt seine Expansionspläne zu verwirklichen, zeigt sich die weitgehende Ohnmacht des französischen Kommandanten, der im Endeffekt nicht mehr als einige kleine und elende Niederlassungen aufbaute. Scheinbar um ­dieses Manko zu kompensieren, übte Beňovský eine regelrecht tyrannische Herrschaft über die französischen Händler aus, die sich Madagaskars Küsten näherten, so dass innerhalb weniger Jahre sechs Privatleute gegen ihn Klagen bei den Verwaltern der Île de France einreichten. Diese Akten verraten viel über die Dreistigkeit des Oberungarn. Beňovský beschloss auf eigene Faust, den Privatleuten das Recht zu entziehen, auf Madagaskar Handel zu treiben, und bemächtigte sich der privaten Schiffe beziehungsweise zwang deren Kapitäne, in seine Dienste zu treten und für ihn Sklaven zu beschaffen. So segelte der bereits hochverschuldete 91 ­Savournin nach Nosy Boraha, um eines seiner Schiffe, das gestrandet war, zu retten und Sklaven zu erwerben. Beňovský ließ ihn festnehmen und konfiszierte das Schiff.

89 [Mayeur], Voyage à la côte de l’Ouest. 90 [Mayeur], Voyage dans le nord de Madagascar. 91 ANOM, C 5A 4, Nr. 116, Ternay an Boynes, 28. Oktober 1774.

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Doch als Savournin zum »Baron« gebracht wurde, wurde er zu seinem größten Erstaunen überaus freundlich empfangen. Beňovský brachte Mitleid angesichts von Savournins Lage zum Ausdruck. Am folgenden Tag sah sich der Händler jedoch gezwungen, einen Vertrag zu unterschreiben, dem zufolge er Beňovský jährlich 100.000 Livres für das Privileg des Handels im Süden der Großen Insel zu bezahlen hatte. Savournin durfte unter diesen Bedingungen mit einer verminderten Belegschaft und dem Rest seiner Menschenladung nach Nosy Boraha zurückkehren. Doch da er nur noch acht Matrosen an Bord hatte, meuterten die Sklaven und erkämpften sich die Kontrolle über das Schiff.92 Kaum besser erging es einem Händler namens Bérubé. Sein Schiff sollte nach Indien segeln, doch der Kapitän Comparans sah sich wegen eines Lecks gezwungen, in der Bucht von Antongila Halt zu machen. Beňovský bemächtigte sich prompt des Schiffs und ließ Comparans erst frei, als dieser sich verpflichtete, statt nach Indien nach Boina zu segeln, um dort Sklaven zu kaufen und sie am Kap der Guten Hoffnung zu verkaufen. Als der Kapitän erwiderte, dass er keinerlei Erfahrung mit einem solchen Handel habe, versicherte Beňovský, sein Dolmetscher Mayeur befinde sich vor Ort und könne ihm helfen. Zudem zwang er Comparans, ein Papier zu unterzeichnen, wonach der Kommandant von Louis­ bourg 43.000 Livres dem König von Frankreich aus seiner Privatschatulle vorgestreckt habe, um Bérubés Waren zu kaufen, während er sie in Wahrheit ohne Entschädigung konfisziert hatte.93 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Beňovský seine Position als Kommandant von Madagaskar auszunutzen versuchte, um mit Gewalt seine Herrschaft über den Norden Madagaskars zu etablieren und sich auf kriminelle Weise zu bereichern. Während Maudave sich zumindest am Anfang bemüht hatte, durch die »sanften Mittel« der symbolischen Kommunikation Autorität gegenüber Madagassen zu gewinnen, versuchte sich der Oberungar als Konquistador. Es wäre jedoch ungerechtfertigt, die Kriege auf die Politik des Kommandanten allein zurückzuführen. Der Konflikt ­zwischen Iavy, dem König der Betsimisaraka, und den Fariava hatte eine lange Vorgeschichte. Grundsätzlich bestand das Problem darin, dass die Herrscher von Mahavelona die Fariava daran hinderten, Handel 92 Klage von Savournin/Savornin: ANOM, C 5A 5, Nr. 74bis, »Mémoire historique de ce qui m’est arrivé à Madagascar relativement à M. le baron de Beniowsky«, ohne Datum. Siehe auch: ANOM, C 5A 5, Nr. 92, Beňovský an Maillart, 31. Dezember 1775. 93 Klage von Bérubé: ANOM, C 5A 5, Nr. 59, »Extrait des registres de greffe de la juridiction royale de l’Île de France concernant la plainte de Bérubé-­D udemène contre le baron de Benyowsky«, 21. Juni 1775; ANOM, C 5A 5, Nr. 35, »Détail général du cours du voyage du senault Le Bougainville«, 15. April 1775. Siehe dazu auch: ANOM, C 5A 5, Nr. 52, 60, 61, 67; C 5A 4, Nr. 124, 125, 127. Beňovský beauftragte zudem den Kapitän Saunier, Sklaven in Kapstadt zu verkaufen: Archives nationales, MAR/B/4/125, Bl. 280 – 282, Saunier an einen unbekannten Empfänger, 29. Januar 1775.

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mit den Franzosen zu treiben.94 Bereits Iavys Vater Zanhar (für die Franzosen »Jean-­Harre«) hatte gegen Letztere gekämpft. Laut den französischen Quellen brach der Krieg aus, als französische Sklavenhändler die Fariava gegen Zanhar mit Schusswaffen ausstatteten. Iavy machte die Fariava für den Tod seines Vaters und die Schändung von dessen Leiche verantwortlich und wollte diesen rächen. Der König der Fariava gab zwar zu, dass Zanhars Leiche geschändet worden war, behauptete jedoch, diese Tat nicht angeordnet zu haben. Ihm zufolge hätten die Täter nicht nach seinem Befehl gehandelt, als sie der Leiche den Bart herausrissen und diesen an den Hals eines Hundes (also eines unreinen Tiers) banden. Vor dem Hintergrund der zentralen Rolle des Ahnenkults auf Madagaskar war dies ein sehr schweres Vergehen. Mayeur zufolge habe Iavy schließlich die beiden Schuldigen bei lebendigem Leib verbrennen lassen.95 Beňovský und seine Truppen scheinen keinen Einfluss auf diese Ereignisse gehabt zu haben.96 Auch der Konflikt ­zwischen den Zafirobay und den Sambarivo war nicht neu, als Beňovský in der Bucht von Antongila ankam. Hier sorgte der Oberungar durch seine Händel mit den Zafirobay jedoch für eine Wiederaufnahme der Kampfhandlungen. Die Verwüstungen, die beide Kriege verursachten, und das Verbot des privaten Handels trugen schließlich entschieden zum Scheitern der französischen Niederlassung bei. Im Mai 1778 schlug der Marineminister Sartine König Ludwig XVI. vor, auf die Niederlassungen der Bucht von Antongila zu verzichten.97 Wieder hinterließ ein französischer Kolonisierungsversuch kein bleibendes materielles Erbe. Nach Maudave und Beňovský behielten die Franzosen auf dem Festland der Großen Insel über ein Jahrhundert lang nur wenige, mit Palisaden umgebene Waren­ lager.98 Dennoch hatten Beňovskýs wie Maudaves Schriften einen Einfluss auf die Geschichte des französischen Kolonialismus.

94 ANOM, E 133, Personalakte von Diard, Bl. 2, »Copie du mémoire justificatif de la conduite de Diard«, 25. September 1781. 95 [Mayeur], Voyage à la côte de l’Ouest, 63. 96 Beňovský gibt an, Iavy grundsätzlich unterstützt, ihm jedoch im März 1775 die militärische Hilfe verweigert zu haben. Erst im September ­dieses Jahres habe er sieben Soldaten und einen Offizier zu Iavy geschickt: ANOM, C 5A 3, Nr. 14, Bl. 70 f., 92 f., Denkschrift von Chevillard. Eine wichtigere Rolle hat dagegen vermutlich der H ­ ändler Savornin/ Savournin gespielt, der die Konfliktparteien mit Schießpulver versorgte, womit er Iavys Zorn auf sich zog: ANOM, E 133, Personalakte von Diard, Bl. 3, »Copie du mémoire justificatif de la conduite de Diard«, 25. September 1781. 97 ANOM, C 5A 8, Nr. 134, Sartine an Ludwig XVI., 22. Mai 1778. 98 Filliot, Les Établissements français à Madagascar; Wanquet, Entre délire de conquête et parcimonie. Reich an Details, aber wenig zuverlässlich: Campbell, Imperial Rivalry, 83 – 86.

6 Beňovsk ý oder Die aufklärerische Robinsonade 1790 erschienen in London Beňovskýs Memoiren, die schnell zu einem Bestseller wurden.1 In dieser Ausgabe befindet sich das einzige bekannte Porträt des »Grafs von Beňovský« (»comes de Benyowsky«) (Abb. 6), wie er im Titel des Kupferstichs genannt wird. Es zeigt einen Mann mittleren Alters mit einem eher runden Gesicht, einem diskreten Lächeln und einem sanften, geistreichen Blick. Diese Erscheinung kontrastiert mit der Rücksichtslosigkeit und der Kriegsfreudigkeit, die der oberungarische Abenteurer auf der Großen Insel an den Tag gelegt hat. Dass der Kupferstecher das Porträt eines milden Manns zeichnete, ist vermutlich auf das Bild zurückzuführen, das Beňovský von sich selbst in seinen Memoiren entwirft. Der Oberungar war ein offensiver Brief-, Denkschriften- und Memoirenschreiber, der nicht nur seine Kanonen, sondern auch seine Feder in den Dienst der Eroberungspolitik stellte. Im Folgenden soll es um seine Schreib- und Informationsstrategien gehen. Bislang hat sich die Historiographie vor allem mit der Frage beschäftigt, inwiefern Beňovský als Lügner zu bewerten ist.2 Sein Rückgriff auf Dokumenten- und Textgattungen, seine Plausibilisierungsstrategien oder auch die von ihm mobilisierten Vorstellungswelten und Erzählmuster sind jedoch nicht Gegenstand einer Untersuchung gewesen.3 Trug die Art und Weise, wie der Kommandant von Louisbourg mit seinem Misserfolg umging, zur Festigung und Propagierung des Traums von der Kolonisierung Madagaskars bei, wie ihn der Graf von ­Maudave entworfen hatte? Inwiefern unterschieden sich Beňovskýs Methoden, Informationen zu generieren, und seine Darstellungsweise der Ereignisse von denen seines Vorgängers? Welche Rolle spielte die Aufklärung in der Entwicklung des kolonialen Imaginären? In d ­ iesem Kapitel sollen zwei Quellengruppen untersucht werden, die in zwei unterschiedlichen Perioden von Beňovskýs Wirken entstanden: einerseits die Dokumente – Briefe, Denkschriften, Karten, Tabellen, Listen, Vertragstexte –, die Beňovský für die Verwalter der Île de France und die Versailler Zentrale kurz vor seiner Ankunft oder während seiner Zeit auf Madagaskar verfasste bzw. erstellen ließ; andererseits der handschriftliche »Mémoire sur l’expédition de Madagascar« und die gedruckten Erinnerungen, zwei unterschiedliche retrospektive Erzählungen seiner Erlebnisse. Diese diversen Quellengattungen legen die Frage nahe, wie 1 Beňovský, Memoirs and Travels. 2 Siehe den Abschnitt zum Forschungsstand in Kapitel 5. 3 Nützliche Vorarbeiten hat vor allem Pauline Vacher in ihrem Vergleich ­zwischen den ungedruckten und den gedruckten Memoiren Beňovskýs geleistet: Vacher, Contribution à l’histoire, 14 – 26.

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Beňovský oder Die aufklärerische Robinsonade Abb. 6  Porträt von Moritz August Beňovský

Beňovský verschiedene Textsorten benutzte, um von französischen und weiteren europäischen Eliten Unterstützung für seine Kolonisierungsprojekte zu gewinnen: Auf ­welche Topoi, Vorstellungswelten, Informations-, Plausibilisierungs- und Schreibstrategien griff er in w ­ elchen Kontexten und mit welchem Ziel zurück?

6.1 Robinson auf Madagaskar Bereits kurz nach seiner Ankunft auf der Île de France, wo er auf das Schiff nach Madagaskar wartete, stellte Beňovský die Schaffung einer großen Kolonie auf der Roten Insel in Aussicht, die das Bollwerk von Französisch-­Indien sein würde. Madagaskar werde in Zukunft Truppen für die französische Marine bereitstellen und alle Waren für den Handel im Indischen Ozean hervorbringen. Beňovský plante den Aufbau von mehreren Bauern- und Handwerkerkolonien, die unter anderem ­Kaffee-, Zuckerrohr-, Baumwollplantagen sowie Spinnereien, Gerbereien und Seilereien umfassen würden. Er dachte daran, im Hafen von Boina Zölle einzuführen, die er von den »arabischen« Händlern einstreichen würde.4 Dabei bekundete Beňovský, diese gewagten Pläne auf friedliche Weise verwirklichen zu wollen. Zwar schrieb er, er werde sich »für die Kriegsoperationen« mit einem 4 Siehe die Zusammenfassung von Beňovskýs Briefen und Denkschriften: ANOM , C 5A 4, Nr. 2, Bl. 2 – 4, Auszüge von Briefen Beňovskýs, ohne Datum.

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örtlichen »Chef« verbünden, doch beruhte sein Projekt zugleich darauf, mit den »Chefs« der Region Freundschaft zu schließen. Dafür solle man einfach die Gier der einen durch Präsente und die Ambition der anderen durch Ehrbezeugungen befriedigen. Beňovský werde ihnen die Vorteile einer »Union« (»union«) mit den Franzosen vor Augen führen.5 Er bat dementsprechend das Marineministerium um die Entsendung von französischen Siedlerfamilien, um eine »sehr reiche« Kolonie zu gründen und mit der Zeit die Indigenen »an unsere ­Sitten, Moden und an den Luxus zu gewöhnen«.6 Nicht weniger als zwölf Niederlassungen und Forts wollte Beňovský auf der Roten Insel aufbauen.7 Bereits fünf Wochen nach seiner Ankunft in der Bucht von Antongila ließ Beňovský dem Marineminister Boynes berichten, er habe die Sümpfe um Louisbourg trocknen sowie Kanonenbatterien und weitere Befestigungsanlagen, mehrere Brunnen mit Trinkwasser, verschiedene Wohngebäude, Kasernen, Lagerhäuser und einen Ponton zum Be- und Entladen der Schiffe bauen lassen.8 Von all dem »geblendet« (»ébloui«) hätten die »Chefs ­dieses Teils der Insel« einen Treueschwur auf den französischen König abgelegt. Sie s­ eien nun Untertanen seiner Majestät und hätten dem französischen König die Gegend ganz übergeben. Es gebe jedoch zwei Arten von Eingeborenen: Sesshafte und Vagabunden. Auf Erstere könne man sich verlassen, doch die Letzteren ­seien Räuber, von denen das Land nun, den Bitten der lokalen »Häuptlinge« folgend, »gesäubert« werden solle. Zu ihnen zählt Beňovský den »Chef« Raholo, den wichtigsten Sakalava-­Fürsten der Region.9 Etwa fünf Monate später – um den 1. September 1774 herum – baute Beňovský diese Erzählung aus, um den Marineminister zu überzeugen, ihm Siedler, Truppen, Lebensmittel, Handelswaren und Geld zukommen zu lassen. Zu dieser Zeit ließ er sich in der »Plaine de la Santé« nieder, was er als eine weitere entscheidende Etappe in der Unterwerfung Madagaskars präsentierte.10 Die »unterworfenen Chefs« ­seien allesamt von der Sanftmut der französischen Regierung entzückt und hätten freiwillig Truppen zur Verfügung gestellt. Er habe bereits zwei Kompanien mit indigenen Soldaten unter seinem Befehl. Der Kommandant habe sich 5 Ebd., Bl. 1, 3. 6 Erster Brief Beňovskýs an den Marineminister vom 13. September 1774: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 46, Bl.2, Beňovský an Boynes, 13. September 1774: »faire les naturels du pays à nos usages, nos modes, et au luxe«. 7 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 47, Beňovský an den Marineminister, 13. September 1774. Ähnlich: MAE, Asie 4, Nr. 7, Bl. 34, »Remarques sur l’entreprise de Madagascar«. Beňovský ließ dem Minister Pläne von zukünftigen Städten und Festungen zukommen: ANOM, C 5A 4, Nr. 46, Beňovský an den Marineminister, 14. Januar 1774. 8 ANOM, C 5A 4, Nr. 55, Bl. 1, Beňovský an Boynes, 22. März 1774. 9 Ebd., Bl. 1 f. 10 Siehe folgende Briefe Beňovskýs an den Marineminister von September 1774: ANOM, C 5A 4, Nr. 35, 105.

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zudem das Vertrauen der Lokalbevölkerung gesichert, indem er die »Häuptlinge« gezwungen habe, ihre Reisfelder dem Volk abzutreten. Die Eingeborenen hätten ihre ­Sitten gebessert: Man höre nichts mehr von Verrat, Vergiftungen oder von den Morden an kleinen Kindern, die die Madagassen früher aus abergläubischen Gründen begangen hätten. Die Madagassen beteten darum, unter einer so sanften Regierung leben zu dürfen.11 In einem Brief an einen Angestellten des Außenministeriums schilderte der Kommandant von Louisbourg detailliert, wie es zu diesen Erfolgen kam. Als ein Krieg unter Eingeborenen ausgebrochen sei und die kämpfenden Parteien sich jeweils auf einer Seite eines Flusses gegenüberstanden hätten, habe sich Beňovský mit zwanzig Soldaten auf einem Boot z­ wischen die Heere begeben und sie in einer Rede zum Frieden ermahnt. Daraufhin hätten die »Chefs« der Region ihn zum Richter über die Parteien ernannt. Beňovský behauptete, kraft seiner Autorität Frieden gestiftet, eine gerechte s­ oziale Ordnung etabliert und zahlreiche verbrecherische Praktiken beseitigt zu haben.12 In demselben Monat September verkündete Beňovský, Mayeur habe es geschafft, einen Weg nach Boina, der im Nordwesten der Insel gelegenen florierenden Hafenstadt, zu bahnen. Der Kommandant zitierte aus angeblichen Briefen des Dolmetschers, wonach der Weg angenehm sei, die »Häuptlinge« die Franzosen mit offenen Armen empfingen und Mayeur eine Niederlassung im Nordwesten der Insel errichtet habe. Der König von Boina werde jährlich 3000 Zebus und 1200 Sklaven an Louisbourg liefern. Beňovský berichtete, für diesen Handel das Schiff des Händlers Berubé aufgerüstet und nach Boina geschickt zu haben.13 Denn aufgrund seiner Erfolge kämen die Händler der Île de France nach Madagaskar. Drei von ihnen hätten sehr vorteilhafte Geschäfte vorgeschlagen. Beňovský habe Savournin ausgewählt und ihm das Privileg des Handels im Süden der Großen Insel gewährt.14 Die nächste Etappe in dieser imaginären Eroberung Madagaskars beschritt Beňovský im März 1775. Die Provinz von Angontsy, die sich im Nordosten der Bucht von Antongila befand, habe sich unterworfen. Vor allem habe sich der Chef der gesamten Nordspitze der Insel, des Cap d’Ambre, freiwillig und für alle Ewigkeit der französischen Regierung untergeordnet. Zudem habe Beňovský den Fürsten »Savassi«, einen Araber, gezwungen, sich »der französischen Flagge […] 11 Siehe folgende Briefe Beňovskýs von September 1774: ANOM, C 5A 4, Nr. 36, 47, 48, 49. 12 MAE, Asie 4, Nr. 50, Bl. 110 – 115, Beňovský an einen »cher et tendre ami«, 18. September 1774. 13 ANOM, C 5A 4, Nr. 34, Beňovský an den Marineminister, 1. September 1774. Siehe auch: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 43, Beňovský an den Marineminister, 1774. 14 ANOM, C 5A 4, Nr. 38, Beňovský an den Marineminister, 18. September 1774, sowie Nr. 71, »Contrat passé entre le baron de Beniowsky et le sieur Savournin«, 9. August 1774.

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zu unterwerfen« (»se soumettre […] au pavillon français«), und so s­ eien die Franzosen nun im Besitz eines Hafens an der Westküste, der günstig für den Handel mit der Ostküste Afrikas und dem Roten Meer gelegen sei.15 Beňovský berichtete vom Aufbau von mehreren Forts und immensen Tributzahlungen der Eingeborenen. Er beteuerte außerdem, dank der Austrocknung der Sümpfe und der guten Luft der »Plaine de la Santé« erkrankten die Europäer auf Madagaskar nicht mehr.16 Im nächsten Monat baute Beňovský seine frühere Behauptung, er habe den Kindermord abgeschafft, zu einer regelrechten Erzählung aus. Nun sprach der Abenteurer den Frauen eine entscheidende Rolle in dieser humanen Entwicklung zu. Laut Beňovský hätten die Madagassen bis zu seiner Ankunft alle Säuglinge umgebracht, die an »unglücklichen Tagen« (»jours malheureux«) oder mit einer Missbildung auf die Welt gekommen waren oder deren erster Zahn im Oberkiefer durchgebrochen war. Um diese unmenschlichen Praktiken endlich zu beseitigen, habe Beňovskýs Gattin alle Frauen der Region versammelt und ihnen die »Abscheulichkeit [dieser] Barbarei« dargelegt. Von dieser Rede gerührt, hätten die madagassischen Frauen Druck auf die Männer ausgeübt, um die Gesetze zu ändern.17 Ende Mai 1775 war das Königreich von Boina an der Reihe, auf dem Papier unterworfen zu werden. Durch ihre Franzosenfeindlichkeit hätten die Sakalava »den Hass der Eingeborenen des Landes« (»la haine des naturels du pays«) auf sich gezogen und schließlich vor dem politischen Druck kapituliert. Auch hätten die Sakalava die französische Dominanz der arabischen vorgezogen. Dabei habe Beňovský nie etwas anderes als das Bündnis Boinas gesucht. Die französische Regierung erhalte nun einen jährlichen Tribut von tausend Zebus, zwanzig Sklaven und einer großen Menge Reis. Er selbst sei in der Lage, 15.000 bewaffnete »Schwarze« einzuberufen und weitere 2000 der königlichen Marine zu überlassen.18 Wenige Monate vor der Ankunft der Kommissare Bellecombe und Chevreau beanspruchte Beňovský somit, durch eine »sanfte« Politik die französische Herrschaft im gesamten Norden Madagaskars etabliert zu haben. Seine größtenteils auf erfundenen Umständen beruhenden Berichte erforderten Plausibilisierungsund Informationsstrategien, um die politische Elite des Mutterlands überzeugen zu können.

15 ANOM, C 5A 5, Nr. 26, Beňovský an Sartine, 16. März 1775. 16 ANOM, C 5A 5, Nr. 28, Beňovský an Sartine, 20. März 1775. 17 ANOM, C 5A 5, Nr. 36, Beňovský an Sartine, 17. April 1775: »l’horreur de la barbarie qu’ils comettaient«. 18 ANOM, C 5A 5, Nr. 41, Beňovský an Sartine, 30. Mai 1775; MAE, Asie 4, Nr. 57, Bl. 131 f., Beňovský an Sartine, 12. Juli 1775.

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Beňovský oder Die aufklärerische Robinsonade

6.2 Narrativierung und Objektivierung Beňovský griff auf drei unterschiedliche Mittel zurück, um seinen Berichten Glaubwürdigkeit zu verleihen: die Narrativierung des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses, den Maudave geprägt hatte; die Objektivierung der dadurch entstandenen Erzählung durch die Herstellung von Dokumenten; die Kontrolle des Informationsflusses aus Madagaskar. Im Folgenden soll diesen Strategien nachgegangen werden. Erstens knüpfte Beňovský an die Vorstellungswelt Maudaves an: Er griff auf den Diskurs über die sanftmütige Kolonialexpansion zurück, den sein Vorgänger begründet hatte. Der neue Kommandant hatte in Versailles Maudaves Denkschriften gelesen und ließ sich von ihnen inspirieren. So schöpfte Beňovský die Geschichte von der Säuglingstötung aus Maudaves Schriften, der versprochen hatte, die ausgesetzten Kinder zu erziehen und diese barbarische Sitte auszumerzen.19 Durch diese Aneignung des maudavschen Diskurses entsprach Beňovský einerseits den Erwartungen des Marineministers Boynes, der sich einen sanften Umgang mit den Eingeborenen wünschte. Beňovský ging jedoch weiter als Maudave: Er entwickelte im Verlauf seiner Korrespondenz als Kommandant von Madagaskar auf dieser Grundlage ein eigenes Narrativ. Beňovský schuf somit etwas grundlegend Neues. Der Gouverneur von Fort-­Dauphin war allzu nah am enttäuschenden täglichen Geschehen geblieben, um eine nahtlose Erzählung der Kolonialexpansion aufbauen zu können. Das Erzählte widersprach oft seinen Theorien. Valgny hatte seinerseits mithilfe der Gattung des Briefromans madagassische Stimmen inszeniert. Eine zusammenhängende Erzählung kolonialer Unterwerfung hatte allerdings auch er nicht geschrieben. Bemerkenswert an Beňovskýs Narrativierung der »sanften« Kolonialexpansion war zudem die dafür benutzte Gattung: Der Kommandant von Louisbourg griff nicht wie Valgny auf die Gattung Roman, sondern auf dienstliche Briefe zurück. Dabei war entscheidend, dass Berichte einen vollkommen anderen Pakt mit dem Leser implizieren als ein Roman: Ein Berichterstatter erhebt den Anspruch, die Wirklichkeit objektiv abzubilden. Im Laufe der Monate gab Beňovský das, was Maudave sich für die Zukunft erträumt hatte, für erreicht aus. Die Narrativierung von Maudaves Kolonisierungsprojekt in dienstlichen Briefen kam somit einer Strategie des Verschweigens der wenig glanzvollen Wahrheit gleich. Beňovský bemühte sich durch die Wahl einer Gattung, die einen Objektivitätsanspruch erhebt, ­solche Spannungen ­zwischen dem Berichten, dem Erklären, dem Negieren 19 ANOM, C 5A 2, Nr. 12, Bl. 14, Abschriften von Texten über Madagaskar; MHN, Ms. 3001, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, S. 49. Maudave hatte sich dabei selbst vermutlich von Valgny inspirieren lassen: ANOM, C 5A 2, Nr. 31, Bl. 9, Valgny an Dumas, 23. Oktober 1767.

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und dem Verschweigen, die für Maudaves Tagebuch charakteristisch waren und durch die Strategie der Ironisierung nur zum Teil gemildert werden konnten, gar nicht erst aufkommen zu lassen. Besonders auffällig wird das Verfahren der Narrativierung in den Berichten über die Zivilisierung der Madagassen. Während Maudave und Valgny das Ende des Säuglingsmords in Aussicht gestellt hatten, behauptete Beňovský in einer Erzählung, ­dieses Ziel erreicht zu haben. Er erfand dafür eine neue sentimentale Figur:20 die madagassische M ­ utter, deren natürliche Liebe zu ihrem Kind nicht nur ein rührendes Moment in der Erzählung schaffen, sondern auch den freiwilligen Verzicht auf die barbarische Praxis plausibilisieren sollte. Beňovský bemühte sich in seinen Briefen, das entstehen zu lassen, was Diderot »historische Märchen« nannte: Fiktionen, die durch realistische Details den Anschein von Wirklichkeit erzeugen. Er erfand zahlreiche Einzelheiten, die ein plastisches Bild vom Erzählten vermittelten. So begnügte er sich nicht damit, zu sagen, er habe die Völker im Norden Madagaskars unterworfen, sondern erzählte, wie er jedem eine eigene Variante der weißen Fahne verliehen habe.21 Vor allem war es für den Kommandanten von Louisbourg wichtig, mithilfe von Erzählungen ein Bild der Madagassen und ihrer Interaktionen mit den Franzosen zu zeichnen, das die freiwillige Unterwerfung der Indigenen plausibilisierte. Zwei angebliche Charakteristika der Madagassen weisen in Beňovskýs Texten in diese Richtung: Erstens bewundern die Einheimischen die Franzosen. Dies wird zum Beispiel deutlich, wenn der Autor erzählt, wie er seinen Verbündeten den Titel »Mulatten oder Söhne von Weißen« (»mulâtres ou fils de blancs«) verliehen habe, weil auf Madagaskar die weiße Hautfarbe mit einer besonderen Ehre verbunden sei.22 Zweitens suggerieren die Narrative, dass sich die autochthone Bevölkerung durch einen starken Hang zum Aberglauben auszeichne, den »Weiße« sich zunutze machen könnten. Dem Bericht des Kommandanten zufolge hielten ihn die »Schwarzen«, die vergebens versucht haben, mit dem Gewehr auf ihn zu schießen, für einen Zauberer.23 Diese Strategie wird auch in einem von Beňovský erfundenen Brief des Dolmetschers Mayeur deutlich. In dem Schreiben wird geschildert, wie der Kommandant die Gunst des Königs von Boina durch eine List errungen habe. Er habe zuerst einen Greis, der im 20 Zu den sentimentalen Figuren und deren Rolle als Tropen in Darstellungen der Beziehungen ­zwischen Kolonialherren und Kolonisierten: Festa, Sentimental Figures. 21 ANOM, C 5A 3, Nr. 14, Bl. 91, »Mémoire détaillé concernant l’établissement royal de Madagascar«, ohne Datum. 22 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 59, Bl. 2, »Détail de la dernière guerre que le gouvernement royal de Madagascar a eu à soutenir contre une partie des chefs des provinces du nord«, ohne Datum. 23 Ebd., Bl. 3.

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Umfeld des Königs für die Tieropfer zuständig war, für das Projekt einer französischen Niederlassung in dieser Bucht gewonnen. Dieser habe dem König geraten, »den Rat der Gottheit« (»le conseil de la divinité«) einzuholen, um zu wissen, ob man Beňovskýs Forderung nach einem Handelsvertrag nachgehen solle. Dafür habe man fünfzig Kühe kommen lassen und ihnen Gift zu trinken gegeben. Mayeur habe 24 Stunden lang auf die Antwort gewartet und Höllenquallen erlitten. Doch plötzlich ­seien im Dorf Freudenschreie erhallt: Die Tiere hätten überlebt. Dies habe man als ein ­­Zeichen interpretiert, der Himmel stehe der Entscheidung, Handelsbeziehungen mit den Franzosen aufzubauen, wohlwollend gegenüber.24 Doch Beňovský begnügte sich zweitens nicht damit, Maudaves Vorstellungswelt in Erzählungen zu verwandeln. Er verfolgte auch Strategien der Objektivierung des Narrativs. Für die Glaubwürdigkeit der Erzählungen war es entscheidend, sie mit Dokumenten zu stützen. Hier benutzte Beňovský auf innovative Weise verschiedene Gattungen. Er ließ den Ministerialeliten Karten zukommen, die all seine Errungenschaften veranschaulichten.25 Eine Karte stellt die Niederlassung von Louisbourg dar: Auf einer Halbinsel sind ein Gouverneurshaus mit französischem Ziergarten, Offiziershäuser, Kasernen, ein Schachbrettmuster bildende und mit Bäumen gesäumte Alleen, ein Fort, ein Deich, eine Schleuse, Lagerhäuser, Kanonenredouten, gesonderte Wohnhäuser für die Hafenoffiziere, zwei in Schachbrettmuster angelegte Dörfer von Einheimischen und den Madagassen zur Bebauung übergebene Grundstücke zu sehen (Abb. 7).26 Ebenso schickte er Karten des Wegs, den er angeblich bis an die Westküste hatte bauen lassen.27 Außerdem führte Beňovský »Listen von unterworfenen Häuptlingen« (»liste des chefs soumis«)28 und unterließ es nicht, den Wortlaut der Verträge, die er angeblich mit den lokalen Fürsten geschlossen hatte, seinen Vorgesetzten zu 24 ANOM, C 5A 4, Nr. 34, Bl. 3, Beňovský an den Marineminister, 1. September 1774. 25 Zusätzlich zu den beiden erwähnten Karten siehe auch: Karte einer projektierten Stadt und eines Militärlagers: ANOM, C 5A 4, Nr. 46, Beňovský an den Marineminister, 14. Januar 1774; BnF, NAF N°9413, Bl. 346, »Plan de l’établissement de Benyowsky«. Insgesamt schickte Beňovský mindestens elf Karten nach Versailles: MAE Asie 4, Nr. 74, »État des cartes géographiques relatives aux mémoires et à la correspondance de M. le baron de Beniowsky, tant sur l’île de Madagascar en général que sur l’établissement qu’il y avait formé, et qui se trouvent dans la collection geographique du Dépôt des affaires étrangères«, 1792. 26 ANOM, C 5A 4, Nr. 13, Karte der Niederlassung von Louisbourg, ohne Datum. 27 MAE, Asie 4, Nr. 49, Beňovský an einen »cher ami«, 24. September 1774. 28 MAE, Asie 4, Nr. 52, Beňovský an den Außenminister, ohne Datum; ANOM, C 5A 6, Nr. 11, »Acte du serment des rois, princes et chefs de Madagascar commencé le 1er octobre 1776 dans la plaine de Mahavelona, pour élire Maurice-­Auguste de Benyowsky au rang d’Ampansacabé«, ohne Datum.

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Abb. 7  Karte der angeblichen Niederlassung von Louisbourg unter Beňovský (undatiert)

­schicken.29 Eine weitere Textgattung stellten Protokolle von imaginären Sitzungen des Rats der Offiziere, die Beňovský unter anderem einsetzte, um den Plan eines Kriegs gegen die Sakalava zu legitimieren.30 Auch zitierte der Kommandant aus Briefen, die seine Offiziere geschrieben haben sollen. Bereits vor seiner Ankunft auf Madagaskar schickte er dem Außenministerium eine Abschrift vom Bericht eines Offiziers, in dem dieser erzählte, der Norden Madagaskars sei bereits unterworfen. Höchstwahrscheinlich handelt es sich dabei um eine frühe Fälschung.31 In die lange Liste der F ­ älschungen gehört auch die Kopie 29 Siehe ANOM, C 5A 5, Nr. 38 (»Traité général conclu par M. de Beniowsky avec les chefs de l’île de Madagascar«, 1. Mai 1775) und 41, Beňovský an Sartine, 30. Mai 1775; MAE, Asie 4, Nr. 57 (Beňovský an einen »cher ami«, 12. Juli 1775) und 58 (»Traité général conclu par M. de Beniowsky avec les chefs de l’île de Madagascar l’année 1775«). 30 Protokoll, das dem Brief Beňovskýs vom 10. April 1776 beigefügt wurde: ANOM, C 5A 5, Nr. 76, ohne Datum. 31 MAE, Asie 4, Nr. 20, Bl. 58 f., »Copie du rapport reçu de Madagascar que le S. Dessertin, officier commandant le détachement des volontaires, à écrit à M. le baron de ­Benyowsky«, 8. Dezember 1773.

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eines angeblichen Briefs von Mayeur, in dem dieser berichtete, den Weg nach Boina eröffnet zu haben.32 Schließlich ließ der Kommandant von Händlern unterzeichnete Dokumente den Verwaltern der Île de France zukommen: den Vertrag, mit dem Savournin für 100.000 Livres das Privileg des Handels im Süden der Großen Insel erwarb, und die Quittung in Höhe von 43.000 Livres für Bérubés Waren. Diese Papiere waren im Gegensatz zu den von Beňovský erfundenen Dokumenten in der Tat von den Händlern unterschrieben worden – nur unter Zwang, wie das vorige Kapitel dargelegt hat. Letztlich gehörte zu den Strategien Beňovskýs eine Politik der Kontrolle des Informationsflusses aus Madagaskar. Um seine romanartige Abfolge von Erzählungen glaubwürdig erscheinen zu lassen, war es entscheidend, dass keine andere Version der Ereignisse nach Versailles durchdrang. Dafür musste Beňovský die auf Madagaskar tätigen Personen daran hindern, die Maskarenen oder das Mutterland zu informieren. So verbot er seinen Untergebenen zu schreiben.33 Er konfiszierte die Briefe, die seine Offiziere, Soldaten und Angestellten verfassten und empfingen, mit dem Ergebnis, dass diese sich beim Marineminister beschwerten.34 Auch Beňovskýs Umgang mit Mayeur sagt viel über seine Methoden der Informationspolitik aus: Seinen Dolmetscher hatte er zwar tatsächlich an die Westküste nach Boina geschickt, doch war diese Reise ganz anders verlaufen, als Beňovský es sich erhofft hatte. Also versuchte er, Mayeur bei seiner Rückkehr daran zu hindern, mit den Franzosen im Hafen der Bucht von Antongila zu sprechen, und befahl ihm, in der »Plaine de la Santé« zu bleiben. Währenddessen schickte er einen Brief über Mayeurs großartigen Erfolg in Boina nach Übersee.35

6.3 Beňovsk ýs Widersprüche Beňovskýs Schreib- und Informationssstrategien dienten dazu, dem Abenteuerroman der Unterwerfung Madagaskars Glaubwürdigkeit zu verleihen. Doch wurde dessen Plausibilität zugleich von der Tatsache unterminiert, dass Beňovskýs Korrespondenz von Widersprüchen durchzogen war. Es stellt sich also die Frage, weshalb der Kommandant von Louisbourg kein schlüssiges Bild der Vorkommnisse auf der Großen Insel zeichnete. In mehreren Briefen vermittelte Beňovský ein deutlich anderes Bild von der Lage auf Madagaskar als in denjenigen Texten, die von einer sanften Unterwerfung 32 ANOM, C 5A 4, Nr. 34, Bl. 1 – 3, Beňovský an den Marineminister, 1. September 1774; [Mayeur], Voyage à la côte de l’ouest. 33 ANOM, C 5A 4, Nr. 90, Bl. 1, Ternay an den Marineminister, 6. September 1774. 34 ANOM, B 155, Bl. 24, Sartine an Beňovský, 7. Januar 1776. 35 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 43, Beňovský an den Marineminister, 1774.

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der Madagassen berichteten. In seiner Korrespondenz erklärte der Abenteurer immer wieder, Krieg führen zu müssen. So bat er den Minister, ihm eine Artillerie­ kompanie von sechzig Mann zu ­schicken, da sich die Madagassen überaus vor Kanonen fürchteten und diese Furcht ihm bereits ermöglicht habe, ganze Provinzen zu unterwerfen.36 Auch verschwieg er seine kriegerischen Auseinandersetzungen mit einheimischen Fürsten nicht. Er übersandte nach Versailles eine Erzählung des Krieges, der ­zwischen Juni und Ende September 1775 stattgefunden hatte. Der Anfang steht im Einklang mit dem, was auch aus anderen ­Q uellen bekannt ist: Beňovský wird während einer Versammlung von in ­diesem Text nicht näher benannten Feinden angegriffen. Daraufhin erfindet jedoch Beňovský epische Taten: Er zieht mit fünftausend Sambarivo durch die Berge und Sümpfe und erringt fünf Siege über die Gegner.37 Neben der Selbstinszenierung als erfolgreicher und kluger Politiker, dessen natürliche Autorität auf dem paradiesischen und gesunden Madagaskar erkannt wird, gab es somit einen zweiten Beňovský: einen stoischen und leidenden Kriegshelden, der sich für seinen König aufopferte. In manchen Briefen sprach Beňovský von großen Gefahren, von bitterer Not, vom Hunger, von fehlender Kleidung, von der Hoffnungslosigkeit, von der Feindseligkeit der Eingeborenen und von den Krankheiten, ohne jedoch seine Erfolgsgeschichte infrage zu stellen. Das Volk Madagaskars erscheint hier als »von Natur aus verräterisch« (»naturellement traitres«).38 Von dem materiellen Überfluss, den Beňovský aufgrund der Tributzahlungen genießen sollte, ist nichts zu spüren. Die Selbstinszenierung als ein sich aufopfernder Diener des Königs ging mit gewaltigen finanziellen Forderungen einher. Beňovský gab stets vor, enorme Summen aus der eigenen Tasche für die Niederlassung auf Madagaskar ausgegeben zu haben, und verlangte ihre Rückerstattung durch den König.39 Dass Beňovský den Kapitän von Bérubés Schiff zwang, eine Quittung zu unterschreiben, der zufolge dieser 43.000 Livres erhalten habe, zeigt, wie ­solche Geldforderungen zustande kommen konnten.40

36 ANOM, C 5A 4, Nr. 100, Beňovský an den Marineminister, 19. September 1774. 37 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 59, Beňovský an den Marineminister, ohne Datum. 38 ANOM, C 5A 5, Nr. 41, Bl. 1, Beňovský an Maillart und Ternay, 30. Mai 1775; ANOM, C 5A 5, Nr. 82, Beňovský an Sartine, 25. Oktober 1775; MAE, Asie 4, Nr. 50, Beňovský an einen »cher et tendre ami«, 18. September 1774 (Zitat: Bl. 110). 39 ANOM, C 5A 4, Nr. 95, Beňovský an den Marineminister, 10. September 1774; ANOM, C 5A 4, Nr. 111, »Tableau général des avances faites par le baron de Beniowsky à la caisse du trésor pendant l’année 1774«, 24. Oktober 1774; ANOM, C 5A 4, Nr. 112, Auszug eines Briefes Beňovskýs an Maillart und Ternay, 26. Oktober 1774. 40 Klage von Bérubé: ANOM, C 5A 5, Nr. 59, 21. Juni 1775; ANOM, C 5A 5, Nr. 35, »Détail général du cours du voyage du senault Le Bougainville«, 15. April 1775. Siehe auch zu dieser Sache: ANOM, C 5A 5, Nr. 52, 60, 61, 67 und C 5A 4, Nr. 124, 125, 127.

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Das Selbstbild als stoischer Offizier, der im Dienst keine Mühe scheut und vor keinem Leid zurückschreckt, war zugleich mit heftigen Anschuldigungen gegen die Verwalter der Île de France verbunden. Hier inszenierte sich Beňovský als Opfer einer Verschwörung. Der Kommandant von Louisbourg stellte seine Verschwörungstheorie bereits Anfang Januar 1774 auf, also noch vor seiner Ankunft auf Madagaskar, und wiederholte sie bis zum Ende der Niederlassung immer wieder in unterschiedlichen Varianten und mit zahlreichen Ausschmückungen. Auch hier klingen die Schriften Maudaves durch, doch im Gegensatz zu seinem Vorgänger trug Beňovský die Anschuldigungen mit einer Heftigkeit vor, die auf keine Gepflogenheiten Rücksicht nahm und die Administratoren der Île de France verblüffte. Der Intendant Maillart sprach diesbezüglich von einem »außergewöhnlichen Stil« (»style extraordinaire«) und einer »unglaublichen Manier« (»manière incroyable«).41 Der Abenteurer erhob beispielsweise den Vorwurf, der Intendant der Île de France schicke vorsätzlich unfähige und moralisch verdorbene Verwaltungs­beamte nach Madagaskar, fälsche die Listen und Rechnungen und verwehre ihm die notwendigen Waren oder sendete ihm nur s­ olche, die Mängel aufwiesen.42 Dem Kommandanten von Madagaskar zufolge weigerte sich Maillart, den Reis von der Großen Insel zu kaufen, der ganze Lagerhäuser füllte, und ließ stattdessen ­teureren Reis aus Bengalen importieren.43 Beňovský führte den Ausbruch des Krieges 1775 auf diese Weigerung zurück: Da die Île de France den madagassischen Reis nicht habe annehmen wollen, habe Beňovský seinerseits sein Versprechen an die Indigenen, ihren Reis zu kaufen, nicht halten können; diese hätten sich aus ­diesem Grund erhoben.44 Beňovský verwickelte sich aber in ­W idersprüche, wenn er Maillart zugleich anklagte, eine große Menge Reis an den Kap der Guten Hoffnung geschickt zu haben und nicht nach Madagaskar, wo doch im Süden ­Hunger herrsche.45 Wenige Tage zuvor hatte sich der Kommandant von Louisbourg wiederum über die Zusendung von Reis von der Île de France nach Madagaskar echauffiert; dies sei ein Trick Maillarts, um den Eindruck zu erwecken, es gebe davon in der Niederlassung von der Bucht von Antongila nicht genug.46 41 ANOM, C 5A 5, Nr. 91, Bl.1, Maillart an Sartine, 19. Dezember 1775. 42 ANOM, C 5A 4, Nr. 43, Beňovský an dem Marineminister, 6. Januar 1774; ANOM, C 5A 4, Nr. 45, Beňovský an den Marineminister, 12. Januar 1774; ANOM, C 5A 4, Nr. 94, Beňovský an den Marineminister, 8. September 1774; ANOM, C 5A 4, Nr. 96, Bl. 2, Beňovský an den Marineminister, 10. September 1774; C 5A 5, Nr. 28, Bl. 1, Beňovský an Sartine, 20. März 1775; C 5A 5, Nr. 79, Beňovský an Sartine, 21. Oktober 1775; MAE, Asie 4, Nr. 55, Bl. 1 – 4, Beňovský an einen »cher ami«, ohne Datum. 43 ANOM, C 5A 5, Nr. 28, Bl. 2, Beňovský an Sartine, 20. März 1775. 44 ANOM, C 5A 5, Nr. 78, Bl. 1, Beňovský an Sartine, 20. Oktober 1775. 45 ANOM, C 5A 4, Nr. 107, Bl. 1 – 3, Beňovský an den Marineminister, 24. September 1774. 46 ANOM, C 5A 4, Nr. 101, Bl. 2, Beňovský an den Marineminister, 19. September 1774.

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Besonders widerspruchsvoll war, dass Beňovský die Île de France unaufhörlich um Waren und Geld bat und zugleich behauptete, unabhängig zu sein.47 Er berief sich auf Sonderinstruktionen des Marineministers Boynes, aus denen er gerne zitierte, die Maillart und Ternay jedoch niemals zu Gesicht bekamen.48 Als Maillart der oft bizarren Forderungen 49 und heftigen Anschuldigungen überdrüssig wurde, Beňovskýs Unabhängigkeit anerkannte und ankündigte, ihm in Zukunft nichts mehr zukommen zu lassen, sah der Kommandant von Madagaskar seine Verschwörungstheorie bestätigt.50 Beňovský pflegte eine Rhetorik der Selbstaufopferung und der Hingabe an seinen König und sendete doch zugleich Signale, die eine vollkommene Unabhängigkeit suggerierten. Bezeichnend dafür ist zum Beispiel ein Konflikt über die schwarze Flagge, den Beňovský Ende 1775 und 1776 mit Maillart austrug: In einem Brief vom 30. Dezember 1775 beschwerte sich der Kommandant von Madagaskar bei seinem zivilen Vorgesetzten, dass dieser ihm 1774 eine große Menge schwarzen Nankingstoffs gesendet habe, um ihm zu schaden. Beňovský unterstellte, Maillarts Ziel sei gewesen, die Kosten der Niederlassung auf Madagaskar künstlich in die Höhe zu treiben, um den Marine­minister zur Aufgabe des Expansionsprojekts zu bewegen.51 Am 13. Mai 1776 antwortete ihm der Intendant: Ich möchte, Monsieur, niemandem schaden und der Dienst des Königs ist für mich kein Scherz. Man hat mir vor langer Zeit gesagt, dass Sie die schwarze Flagge, die für Madagaskar hergestellt wurde, für einen solchen halten. […] [I]ch habe mich erinnert, dass wir uns schriftlich über diese Sache ausgetauscht haben. So habe ich in der ­Korrespondenz gesucht und einen Brief von Ihnen vom 5. Januar 1774 gefunden, in dem Sie um diese Flagge bitten. Ich habe auch meine Antwort vom 8. desselben Monats, durch die ich versucht habe, Sie davon abzubringen, eine Flagge dieser Farbe anzunehmen. Ich schrieb Ihnen, dass man diese Farbe mit Blau verwechseln könnte und dass man nie eine Estamine dieser Farbe zur Flagge gewählt hat und dass, falls Sie unbedingt eine ­solche [Flagge] wollten, man sie aus Nankingstoff herstellen sollte, was mir wie eine Geldverschwendung vorkam.52 47 ANOM, C 5A 5, Nr. 90, Bl. 1, Ternay und Maillart an Sartine, 18. Dezember 1775; C 5A 5, Nr. 91, Bl. 1, Maillart an Sartine, 19. Dezember 1775. 48 ANOM, C 5A 5, Nr. 64, Maillart an Sartine, 7. Juli 1775. 49 ANOM, C 5A 4, Nr. 62, Maillart und Ternay an den Marineminister, 17. Juni 1774. 50 ANOM, C 5A 5, Nr. 26, Beňovský an Sartine, 16. März 1775; ANOM, C 5A 5, Nr. 79, Bl. 1, Beňovský an Sartine, 21. Oktober 1775. 51 ANOM, C 5A 6, Nr. 19, Kopie eines Briefes von Beňovský an Maillart, Louisbourg, 30. Dezember 1775; ANOM, C 5A 6, Nr. 54, Beňovský an Maillart, 5. Juni 1776. 52 ANOM, C 5A 6, Nr. 45, Bl. 2, Maillart an Beňovský, 2. Juni 1776: »je ne fais point du service du Roy une plaisanterie. On m’avoit dit il y a longtems que vous aviez regardé comme tel le pavillon noir qui a été fait pour Madagascar; je ne pouvais le croire; cependant

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Dass Beňovský um eine schwarze Flagge für Madagaskar gebeten hatte, war Maillart nicht geheuer, wohl nicht nur wegen des hohen Preises des Stoffes. Der Intendant weist darauf hin, dass Schwarz mit Blau, mit anderen Worten: mit der Farbe der britischen Marine, verwechselt werden könne. Was Maillart nicht ausspricht: Bereits seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts war Schwarz die Farbe der Piraten gewesen – Seeräuber, die gerade in der Region von Louisbourg regelrechte politische Gebilde gegründet und von da aus ihr Unwesen getrieben hatten.53 Die schwarze Flagge bot somit den größtmöglichen Kontrast zur weißen königlichen Fahne. Maillart befürchtete wahrscheinlich, Beňovský würde Piraterie betreiben. Die Episode mit der schwarzen Flagge weist auf einen weiteren Widerspruch im Diskurs und symbolischen Handeln Beňovskýs hin: Zwischen der Selbstinszenierung des Kommandanten als treuer Diener des Königs und seinem Auftritt als Souverän herrschte eine Spannung. Die Flagge (pavillon) war das Symbol der Zugehörigkeit zum Herrschaftsgebiet des Königs schlechthin, wie zahlreiche Floskeln in der Korrespondenz Beňovskýs bezeugen.54 Somit war es keine Kleinigkeit, wenn Beňovský die weiße Flagge aufgab, eine schwarze Flagge für Madagaskar wählte und damit symbolisch seine Unabhängigkeit oder gar Gesetzlosigkeit markierte. Maillart konnte das bestenfalls als einen »Scherz« verstehen. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Briefe Beňovskýs von mehreren Widersprüchen durchzogen waren: Der Kommandant berichtete von gewaltigen Erfolgen und von einem ungeheuren Elend; er sprach von einer Expansion durch Sanftmut und zeigte sich als ein großer Krieger; er verlangte viel Unterstützung von der Île de France und wollte von ihr unabhängig sein; er demonstrierte Eifer für den König und suggerierte seine Unabhängigkeit; er behauptete, die Niederlassung koste wenig, und forderte große Summen. Wie kann man die Widersprüche in à telle fin que de raison, pensant que vous auriez pû en écrire au Ministre, je me suis rappellé que l’affaire avoit été traitée par écrit entre vous et moi. Sur cela j’ai recherché vos lettres, et j’en ai trouvé du 5. Janvier 1774 par laquelle vous demandez ce pavillon; J’ai trouvé aussi ma réponse du 8 du dit mois par laquelle je cherche à vous dissuader de le prendre de cette couleur qui se confond avec le bleu, vous observant aussi que jamais on n’a eu d’étamine de cette couleur pour pavillon, et que si vous le voulez absolument, il faudra le faire en nanquin ce qui me paroissoit d’ailleurs une dépense inutile.« 53 Die angloamerikanischen Piraten der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts haben oft den Jolly Roger, die schwarze Totenkopfflagge, zum Symbol gewählt: Rediker, Under the Banner of King Death. 54 »[R]éclamer le pavillon français«: BnF, NAF Nr. 9381, Bl. 19. Siehe auch: ANOM, C 5A 3, Nr. 78, Bl. 1; C 5A 8, Nr. 45; »vivre sous la protection de notre pavillon«: ANOM, C 5A 2, Nr. 66, Bl. 7. Ähnlich: C 5A 3, Nr. 63, Bl. 3; »les ranger sous notre pavillon«, »les soumettre au pavillon«: ANOM, C 5A 3, Nr. 32, Bl. 4; C 5A 5, Nr. 26, Bl. 1, Beňovský an Sartine, 16. März 1775. Ähnliche Verwendung des Begriffs »pavillon«: C 5A 3, Nr. 47, Bl. 10. Man konnte auch »ennemi du pavillon français« sein: C 5A 5, Nr. 76, Bl. 1.

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Beňovskýs Briefen erklären? Der Kommandant von Madagaskar stand offensichtlich vor dem Problem, plausibel darzustellen, warum er dringend Soldaten, Waffen und Nahrung brauchte, und zugleich den Marineminister durch Erfolgsgeschichten zu überzeugen, langfristig das Projekt einer Kolonisierung Madagaskars zu unterstützen. In d ­ iesem Zusammenhang erfüllte die Verschwörungstheorie zwei Funktionen: Einerseits wollte sich Beňovský als ein Diener des Königs zeigen, der sich aufgeopfert habe und dem der Staat viel schulde. Andererseits sollten die Anschuldigungen gegen seine Vorgesetzten die eigenen Misserfolge erklären und die Verwalter der Île de France, die von Beňovskýs Lügen sehr wohl wussten, in den Augen der Versailler Eliten diskreditieren. Obwohl die Narrativierung von Maudaves Kolonisierungsprojekt in den Briefen das Aufkommen einer Spannung ­zwischen Erklären, Negieren und Verschweigen verhindern sollte, gelang dies dem Kommandanten von Louisbourg schlussendlich nicht.

6.4 George Washington auf Madagaskar Ende 1776 verließ Beňovský Madagaskar, um der Ankunft des vernichtenden Berichts der Kommissare Bellecombe und Chevreau im Mutterland vorauszueilen. Es war für den Kommandanten wichtig, angesichts des wenig schmeichelhaften Bilds seiner Tätigkeit auf Madagaskar vor dem Marineminister für seinen Fall zu plädieren. Er versuchte im Laufe der nächsten Jahre immer wieder, die Versailler Elite zu überzeugen, sein Projekt einer monopolistischen Handelskompanie für Madagaskar zu unterstützen. In d ­ iesem Zusammenhang ließ er dem Marine­ minister einen tagebuchartigen Text zukommen, dem er den Titel Mémoire sur l’expédition de Madagascar gab.55 Zur selben Zeit bereitete er auch seine Memoiren für den Druck vor, die er seinem Partner João Jacinto de Magalhães ( Jean Hiacynthe de Magellan) mit der Aufgabe überließ, sie veröffentlichen zu lassen.56 In diesen Memoiren machte das oben genannte Tagebuch beinahe das gesamte Kapitel zu Madagaskar aus. Beide Texte waren jedoch nicht identisch und sollen im Folgenden nacheinander betrachtet werden. Dem Mémoire sur l’expédition de Madagascar kommt in der Hochstapler­karriere Beňovskýs eine Schlüsselfunktion zu, denn diese Schrift stellte den ersten Versuch dar, eine zusammenhängende Erzählung der Geschichte der vergangenen Jahre zu präsentieren. Im Mémoire schilderte Beňovský seine Erlebnisse und Handlungen auf Madagaskar Tag für Tag. Er suggerierte somit, einem Tagebuch zu folgen. Die Abwesenheit von Brüchen und Sprüngen in der Erzählung legt jedoch nahe, 55 Orłowski, Beniowski, 208. 56 Beňovský, Reisen, Vorrede von Johann Reinhold Forster.

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dass dieser Text erst nach Beňovskýs erstem Madagaskarabenteuer und mehr oder weniger in einem Guss entstand. Hier soll somit untersucht werden, inwiefern diese sinnstiftende Operation im Vergleich zu den bisherigen Briefen mit einer Veränderung der Selbstdarstellung und der Madagaskarbilder einherging. In dem Mémoire finden sich viele Grundmotive wieder, die Beňovský bereits in seinen Briefen verwendet hatte; zugleich sind viele Details neu. So schmückt der Kommandant von Louisbourg seine Verschwörungstheorie mit vielfältigen neuen Anschuldigungen gegen die Verwalter der Île de France aus.57 Sein eigenes Verwaltungspersonal bezichtigt Beňovský durch zahlreiche Erzählungen und Details der Unordnung, der Hurerei, des Diebstahls und der Verschwörung gegen ihn und die Niederlassung.58 Eine besonders traurige Rolle spielt in dem Mémoire Des Assises, der Intendant von Madagaskar, den er als einen immerfort intrigierenden Agenten Maillarts darstellt.59 Die Händler, die Beňovský malträtiert hatte, kommen auch nicht ungeschoren davon.60 Auch die zahlreichen Episoden der Unterwerfung und Zivilisierung der Madagassen stimmen grundsätzlich mit der Ausrichtung der Briefe überein und enthalten zugleich neue Details. In diesen Passagen bekunden die Madagassen Beňovský ihr Vertrauen, unterwerfen sich mit Freudeschreien der Herrschaft des französischen Königs, lassen sich bei ihm nieder, geben ihm Truppen 61 und machen sich die humanen Prinzipien des Zivilisationsträgers zu eigen.62 Ein wesentlicher Unterschied z­ wischen dem Mémoire und den Briefen bestand darin, dass Beňovský im Genre des Tagebuchs mehr Freiheit und Raum hatte, die eigenen Gefühle zu inszenieren. Er stellt sich klarer als früher als ein leidender Held dar, ohne jedoch in Pathos zu verfallen. So erwähnt er seine Trauer angesichts des Todes seines »einzigen Sohnes Charles Maurice Louis Auguste Baron de Beniowszky« und seiner Freunde, die allesamt den »Krankheiten des Landes« erliegen.63 Er zeigt sich voller Hoffnung, dass die Verwalter der Île de France seinen legitimen und notwendigen Bitten entsprechen würden, und lässt den Leser daraufhin seine bittere Enttäuschung spüren. Der Kommandant bringt an mehreren Stellen eine große Sorge bezüglich des Schicksals der Niederlassung zum Ausdruck.64

57 ANOM, C 5A 3, Nr. 14, S. 31, 34 – 37, Beňovský, »Mémoire sur l’expédition de Madagascar«. 58 Ebd., 31, 36, 45, 48 f., 100, 103 f. 59 Ebd., 51 – 58, 68. 60 Ebd., 41 f., 69 – 71. 61 Ebd., 21, 27 – 31, 35, 44 – 47, 50, 62, 65, 76 f., 82, 89, 92, 110, 114 – 116, 132, 139. 62 Ebd., 44, 46 f., 58. 63 Ebd., 31 f., 39 (»fils unique«; »maladies du pays«). 64 Ebd., 63 (Zitat). Siehe auch: 31 f., 37, 46, 59 – 61, 95 f., 103 f.

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Obwohl der Grundtenor des Mémoire im Einklang mit dem Inhalt von Beňovskýs Briefen steht, fallen jedoch deutliche Akzentverschiebungen in der Erzählung auf. Dieser Text berichtet sehr viel mehr als die Briefe über feindliche Aktivitäten der Autochthonen.65 Hier zeigt sich Beňovský als ein oft auf verräterische Weise angegriffenes Opfer, das immer wieder gezwungen wird, Krieg zu führen. Von allen im Stich gelassen, kann er sich nur noch auf seine Standhaftigkeit verlassen. Das zentrale Motiv des Mémoire – und folglich auch der publizierten Erinnerungen – ist die Ehre des Edelmanns und Offiziers, der aufopferungsvoll seinem Herrn dem König und dem Allgemeinwohl dient und dabei menschlich bleibt. Der Kommandant demonstriert seine Ehre vor allem in drei Momenten der Erzählung, die vom Krieg berichten. ­Diesen drei Feldzügen geht jeweils eine Zeit voraus, in der Beňovský schweren Herzens über die Prekarität seiner Lage grübelt und sich verbittert über den Verrat der Île de France äußert.66 Diese schwierigen Zeiten unterstreichen umso mehr den Heroismus des Kommandanten und seine Hingabe an den König. Beňovský achtete darauf, im Text seinen Mut und seine Ehre zur Schau zu stellen. In einer Passage formuliert er es wie folgt: »Alle meine Kraft beruhte einzig in einer würdevollen Haltung und einem großen Mut.« 67 Wenn sich seine madagassischen Bündnispartner aus Angst vor den Sakalava oder Des Assises weigern, ihm beim Aufbau eines Forts zu helfen, zeigt er ihnen einen »empörten Gesichtsausdruck« (»regard d’indignation«).68 Wenn er von den Zafirobay bedroht wird, erklärt er ungerührt, dass er sie mit Ungeduld erwarte.69 Er begibt sich mit der größten Ruhe mitten in die feindliche Armee.70 Auch seine Kriegsführung schildert Beňovský als einem Ehrenkodex folgend. Er vermeidet selbst während der Feldzüge unnötiges Blutvergießen und lässt Milde walten.71 Als er die Sakalava belagert, lässt er ihnen Essen und Alkohol zukommen.72 Dass er sein Herrschaftsgebiet auf ein Drittel der Insel erweitert, ist der Erzählung zufolge genauso das Ergebnis dieser Mildtätigkeit wie seines militärischen Geschicks. Diese ehrenvolle Attitüde teilen im Mémoire auch die einfachen Soldaten, die mit Ausnahme einiger weniger Verräter eine homogene treue, standfeste und anonyme Masse bilden. Im Kontrast dazu stehen die Zivilisten, die allesamt feige sind. Beňovský erzählt, wie Des Assises angeblich beim ersten Schuss in Ohnmacht gefallen und seine Leute in den Sumpf gesprungen ­seien.73 65 Ebd., 24 f., 27, 39, 42, 44, 60 f., 75, 103 f. 66 Ebd., 63 f. Siehe auch 31 f., 59 – 61, 95 f., 103 f. 67 Ebd., 75: »Toutte ma force se réduisait en bonne contenance et bon courage«. 68 Ebd., 55. 69 Ebd., 65. Siehe auch 74. 70 Ebd., 78 – 80. 71 Ebd., 24 f., 46 f., 81, 89, 103. 72 Ebd., 86. 73 Ebd., 63.

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Die Selbstinszenierung als uneigennütziger, ehrenvoller, sanfter, gerechter, entschiedener, standhafter, sich aufopfernder und letztlich einsamer und leidender Held passte zu dem Bild, das Beňovský bereits in den Erzählungen seiner Helden­ taten in Polen und dem Russischen Reich gezeichnet hatte. Im Zusammenhang mit Madagaskar kam die Sanftmut als neues Element hinzu. Der Oberungar kombinierte den im 18. Jahrhundert einflussreichen patriotischen Heldendiskurs mit den Madagaskarbildern Maudaves. Er stilisierte sich somit zu einer Art George Washington der Südsee.74

6.5 Lykurg auf Madagaskar Je mehr Zeit verging, desto mehr versuchte Beňovský, sein Leben nach den erfundenen Legenden zu richten. Während seines ersten Aufenthalts auf Madagaskar hatte der Oberungar in seinen Schriften für das Versailler Marineministerium eine virtuelle Parallelwelt erschaffen, die er endgültig in dem Mémoire zum Leben erweckte. In seinen für ein großes Publikum verfassten Erinnerungen trieb er den Mythos noch weiter. Beňovskýs Leben sollte daraufhin während seines zweiten Aufenthalts auf Madagaskar nicht nur von fiktionalen Erzählungen begleitet sein, sondern mit ihnen verschmelzen: Beňovský starb 1786 als »Ampansakabe«, als (selbsternannter) König der Könige von Madagaskar. Beňovský hatte den Titel »Ampansakabe« während der Niederschrift seiner Memoiren in den frühen 1780er Jahren erfunden und sich zugelegt.75 Nach seiner Rückkehr nach Frankreich im Frühjahr 1777 hatte dieser Offizier ein unstetes Leben geführt. Zwar war er in Versailles für seine Dienste auf der Großen Insel belohnt worden, doch ohne Beschäftigung geblieben. Beňovský quittierte deshalb den französischen Dienst und erhielt eine Audienz bei ­Kaiser Joseph II., der ihn zum Obersten ernannte. Mit ­diesem Rang unzufrieden, versuchte er 1779 – 1780 sein Glück in Amerika, wo er sich erfolglos bemühte, zum General der aufständischen Heere ernannt zu werden. Er reiste 1780 ins Habsburgerreich zurück, wo er in Fiume (dem heutigen Rijeka) Handel trieb und Joseph II. und dessen Kanzler ­Kaunitz in kolonialpolitischen Fragen beriet. Aus Geldmangel strebte Beňovský eine Anstellung beim König von Frankreich an, reiste 1782 dennoch wieder nach Nordamerika, wo er allerdings auch keine Beschäftigung fand. Nach einem Aufenthalt 74 Zum neuen patriotisch-­republikanischen Heldendiskurs der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und dem Bild George Washingtons: Asch, Herbst des Helden, 20, 126 – 133; Schama, Der zaudernde Citoyen, 43. 75 Orłowski, Beniowski, 207 – 209. Die Verwalter der Île de France, Souillac und Motais de Narbonne, informierten den Marineminister darüber in ihrem Brief vom 3. Januar 1786: ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 204, Souillac und Motais de Narbonne an Castrie, 3. Januar 1786.

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auf Saint-­Domingue bemühte er sich, in Paris, London und Wien die jeweilige Regierung für eine Kolonisierung Madagaskars zu gewinnen. Dies gelang ihm zwar nicht, doch konnte er 1783 Händler und weitere Privatleute in London und Baltimore für eine Madagaskarexpedition begeistern.76 In London präsentierte er sich als Herrscher eines souveränen Staats, der sich unter den Schutz seiner Majestät des britischen Königs stellte.77 Sein Auftritt als K ­ aiser von Madagaskar trug sicherlich dazu bei, finanzstarke Mitglieder der Oberschicht zu überzeugen, in eine Handelsgesellschaft zu investieren, die sich seiner angeblichen Machtbasis im Norden der Großen Insel für den Sklavenhandel bedienen würde.78 Entscheidend für diesen Erfolg war die Begegnung mit João Jacinto de Magalhães (Magellan)79, einem portugiesischen Naturphilosophen und Fellow der Royal society, sowie die Investition mehrerer Händler aus Baltimore. Beňovský ließ alle glauben, er verfüge über einen Verwaltungsapparat auf Madagaskar, dessen Intendant Mayeur sei.80 Am 25. Oktober 1784 verließ ein Schiff mit Beňovský und den Gesellschaftern samt Frauen und Kindern – insgesamt 62 Personen – den Hafen von Baltimore.81 Nach einer schwierigen Reise erreichte das Schiff im Juli 1785 den Nordwesten Madagaskars. Beňovský versuchte, sich dort niederzulassen, wurde jedoch von den Truppen des Sakalava-­Königs von Boina angegriffen.82 Es gelang ihm, zu fliehen und Angontsy zu erreichen, wo er den kleinen französischen Handelsposten angriff, um sich Waffen, Handelswaren und Nahrungsmittel zu verschaffen.83 Im Nordosten der Bucht von Antongila verbündete er sich wohl mit dem lokalen Fürsten Lamboina – möglicherweise handelte es sich um seinen alten Bündnispartner »Lamburante« – und genoss wieder die Protektion der Samba­ rivo. Beňovský fing an, ein Dorf namens Mauritania zu bauen. Er trat gegenüber den Europäern als »Ampansakabe« auf.84 Dennoch bemühte sich Beňovský, 76 Orłowski, Beniowski, 162 – 208. 77 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 184, 185, 193; Orłowski, Beniowski, 208 f. 78 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 209, Bl. 2, Souillac an Sartine, 22. August 1786; ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 239, Bl. 1, Bericht von Paschke; Orłowski, Beniowski, 207 – 215. 79 Beňovský bat Magalhães, die portugiesische Regierung für seine Pläne zu gewinnen: ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 235, Beňovský an Magalhães, ohne Datum. 80 Vertrag ­zwischen Beňovský und den Herrn Zollickoffer und Messonier vom 5. September 1784: ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 190, 190 bis, 5. September 1784; Orłowski, Beniowski, 210 f. 81 Orłowski, Beniowski, 216. 82 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 202, Souillac an Sartine, 28. Dezember 1785; ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 239, Bl. 1 – 5, Bericht von Paschke, ohne Datum. 83 ANOM , C 5A 8 bis, Nr. 203, Bl. 1, Souillac und Motais an den Marineminister, ohne Datum. 84 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 204, 205, Briefe von Souillac und Motais von Januar und ­Februar 1786; ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 213, Bl. 1, 4, Larcher de Vermand an Souillac, ohne

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glaubt man den Instruktionen für seinen Gefährten Quisquet, einen Vertrag mit der französischen Niederlassung von Mahavelona zu schließen.85 Sicher ist, dass er schließlich diese Niederlassung anzugreifen versuchte und Iavy, dem König der Betsimisaraka, mit bösen Konsequenzen drohte, falls er den Franzosen Land verkaufen würde.86 Vom Abenteurer provoziert, schickten die Verwalter der Île de France ein Expeditionskorps, das Mauritania angriff. Beňovský starb mit der Waffe in der Hand.87 Das Archiv des Marineministeriums bewahrt Kopien von Dokumenten, die den Anspruch Beňovskýs auf eine Art Kaisertum von Madagaskar untermauern sollten. Diese Briefe und die angeblich rechtskräftigen Dokumente hat Beňovský nicht selbst an die Versailler Zentrale geschickt. Sie wurden vermutlich nach seinem Tod in seinen Papieren gefunden und für das Marineministerium kopiert.88 Darunter befinden sich zwei Kopien eines Schwurs der Könige, Fürsten und »Häuptlinge« von Madagaskar, durch den Beňovský als »Ampansakabe« anerkannt worden sei,89 das Protokoll einer angeblichen Ratsversammlung der »madagassichen Häuptlinge« 90 sowie mehrere Briefe, in denen der neue »Ampansakabe« seine Gefährten zu hohen Würdenträgern ernennt und die Handelsbeziehungen regelt.91 Auch ist ein Brief von seinem »Sekretär«, dem Baron von Adelsheim, überliefert, aus dem hervorgeht, dass der »Ampansakabe« das Bündnis Großbritanniens gegen die Franzosen suchte.92 Wie kam Beňovský dazu, die Rolle des »Ampansakabe« anzunehmen? Alles begann damit, dass er wieder ein Motiv Maudaves aufgriff und zu einer Erzählung ausbaute.93 Aus den Notizen des Botanikers Commerson über M ­ audaves Datum; Denkschrift von Lasalle: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 97, Bl. 1, 1796. 85 ANOM, E 334, Personalakte von François Quisquet, Kopie der Instruktionen Beňovskýs für Quisquet, 15. November 1785. 86 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 205, Souillac an den Marineminister, 12. Februar 1786 sowie Nr. 209, Bl. 3, Souillac an den Marineminister, 22. August 1786. 87 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 213, Bl. 4, Larcher de Vermand an Souillac, ohne Datum; Denkschrift von Lasalle: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 97, Bl. 5 f., 1796. 88 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 209, Bl. 3, Souillac an den Marineminister, 22 August 1786. 89 ANOM, C 5A 6, Nr. 11, »Acte du serment des rois, princes et chefs de Madagascar«, ohne Datum; C 5A 8 bis, Nr. 234, Schwur der madagassischen Fürsten bei der Wahl Beňovskýs zum »Ampansakabe«, ohne Datum. 90 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 238, »Copie du procès-­verbal de l’assemblée des chefs malgaches, décidant de conclure des traités d amitié avec d’autres princes que le roi de France«, ohne Datum. 91 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 188, 197, 198. 92 MAE , Indes Orientales 18, Nr. 123, Henri de Adelsheim an einen Unbekannten, 6. Januar 1786. 93 Foury, Maudave (2. Teil), 69.

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­ agebuch erfährt man, dass die Südmadagassen den Gouverneur von Fort-­ T Dauphin angeblich nicht für einen Franzosen, sondern für den »Sohn eines mächtigen Chefs des Nordens [Madagaskars]« hielten, der in Frankreich erzogen worden sei.94 Zudem hatte Beňovský scheinbar aus Flacourt oder aus Maudaves Rezeption von Flacourts Schriften von den Roandriana und Zafiraminia in Anosy sowie von dem Dynastiegründer Raminia gewusst. Beňovský ließ sich von all diesen Informationen inspirieren, als er nach seinem ersten Madagaskaraufenthalt seine Memoiren schrieb. Die »alte Schwarze namens Susanne«, die vor 50 Jahren an Franzosen der Île de France verkauft worden und mit ihm nach Madagaskar zurückgekehrt sei, habe Anfang 1775 das Gerücht in Umlauf gebracht, Beňovský sei der Sohn einer an Ausländer in die Sklaverei verkauften Tochter des »Rohandrian-­Ampansakabe-­Ramini-­Larizon« – also des Raminia, des Begründers der Zafiraminia-­D ynastie.95 Daraufhin habe das Volk der Sambarivo eine Versammlung einberufen, um den Oberungarn zum Erben des Raminia zu erklären, das heißt zum Herrn der Provinz »Mananhar« und zum »Ampansakabe oder Oberhaupt der Nation, ein Titel, der seit dem Tod des Ramini-­Larizon nicht mehr vergeben worden war«.96 Diese Episode spielt erstaunlicherweise in der Erzählung der Ereignisse der folgenden anderthalb Jahre zunächst keine Rolle mehr. Hier reproduziert Beňovský weitgehend den Inhalt des Mémoire, den er für das Marineministerium verfasst hatte: Er kämpft unfreiwillig zuerst gegen die Zafirobay, dann gegen die Sakalava von Boina, siegt und behandelt doch alle Völker mit der größten Sanftmut. Gleichzeitig springen im Detail gewichtige Unterschiede z­ wischen beiden Erzählungen ins Auge. In den publizierten Memoiren werden alle Vorkommnisse unterschlagen, die die Schwäche der Niederlassung aufzeigen: zerstörerische Orkane, Krankheiten, Todesfälle – sogar der seines angeblichen Feindes Des Assises – und selbst die Existenz eines Krankenhauses. Die Hilfe, die die Île de France leistet, wird in den Memoiren drastisch reduziert; die Größe der besiegten feindlichen Truppen und die Anzahl der Verbündeten werden dagegen sehr stark erhöht – oft um das Zehnfache.97 Noch signifikanter ist, dass Beňovský in seinen Memoiren die Verträge nicht im Namen des französischen Königs, sondern in seinem eigenen Namen schließt, ganz so, als sei er souverän. Gegenüber den Inspektoren Bellecombe und Chevreau zeigt er sich in der veröffentlichten 94 MHN, Ms. 3001, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, S. 51: »fils d’un puissant chef du nord«. 95 Beňovský, Mémoires, 308. Dabei waren in der Region der Bucht von Antongila sowohl Raminia als auch der Titel »Roandriana« unbekannt. 96 Beňovský, Mémoires, 308 f.: »Ampansacabe ou chef suprême de la nation; titre qui, depuis la mort de Ramini-­Larizon, étoit éteint.« 97 Zu den zahlreichen Veränderungen der Zahlangaben siehe Vacher, Contribution à l’histoire de l’établissement français, 17 – 20.

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Fassung stolz und offensiv. Er lehnt es ab, ihren Befehlen Folge zu leisten, und kündigt schließlich den Dienst.98 Beňovský betont im gedruckten Text, »das Werk der Zivilisierung« der Madagassen könne nur ein Mann verwirklichen, der durch sein Benehmen, seine Tugend und seine Gerechtigkeit das Vertrauen der Eingeborenen gewinnen würde.99 Seine Erzählung ist eine Demonstration, er sei dieser Mann, der vollkommen selbstständig und gegen alle Widrigkeiten, die ihm die Franzosen bereitet hätten, eine Revolution im Indischen Ozean in Gang gebracht habe. Noch stärker weicht das Ende der publizierten Memoiren von dem Text des Mémoire ab. Beňovský gibt nicht nur die Intrigen der Île de France wieder, sondern fügt der Erzählung einen zweiten Konflikt hinzu: Die französische Regierung sei für eine gewalttätige Unterwerfung der Insel eingetreten und erbost gewesen, als der Kommandant ihr hierbei nicht gehorcht habe.100 Von dem Ehrgeiz und den Lügen der Verwalter der Île de France geblendet, habe Versailles die Kommissare Bellecombe und Chevreau nach Madagaskar geschickt, um Beňovský festzunehmen und nach Frankreich zu überführen, wo man ihm den Prozess machen wollte. Doch als diese Nachricht die Große Insel erreichte, hätten die Madagassen auf überraschende Weise reagiert: Im August 1776 s­ eien die Fürsten des Nordens mit 1200 Mann in Marschformation, trommelnd und mit den Fahnen, die Beňovský ihnen gegeben hatte, zum Fort der »Plaine de la Santé« gezogen, wo sich der Held aufhielt. Sie hätten ihm erklärt, sich in einer feierlichen Versammlung dazu entschieden zu haben, ihm das »Geheimnis [s]einer Geburt« zu enthüllen, ihm seine Erbschaftsrechte über »diese weite Gegend, deren Volk [ihn] anbetet«, darzulegen und ihn darum zu bitten, die Würde des »Ampansakabe« anzunehmen.101 Daraufhin s­ eien auch die französischen Offiziere zu ihm geeilt und hätten ihm erklärt, sie würden lieber ihr Leben aufopfern als seine Festnahme zu erleben. Ab jetzt s­ eien sie keine französischen Offiziere mehr, sondern ihm persönlich ergebene Männer.102 Am folgenden Tag habe Beňovský in einer feierlichen Versammlung der Bitte der Madagassen nachgegeben und erklärt, er wolle »mit den Fürsten, Chefs und Kapitänen der Nation« am »großen Werk der Zivilisierung« arbeiten.103 Er habe ihnen weise Gesetze, einen unsterblichen Ruhm und Wohlstand versprochen. Daraufhin hätten alle 98 Ebd., 14 – 23. 99 Beňovský, Mémoires, 369: »l’ouvrage de leur civilisation«. 100 Ebd., 440 f. 101 Ebd., 417 – 419: »te révéler le secret de ta naissance et tes droits sur cette immense contrée, dont tout le peuple t’adore«. 102 Ebd., 421 f. 103 Ebd., 424: »dans l’espoir que les princes, chefs et capitaines de la nation m’assisteroient toujours dans la grande entreprise de la civilisation«.

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den Blutschwur abgelegt. Nach der Huldigung durch die Truppe s­ eien am Abend 1200 Frauen und Mädchen zu ihm gekommen, um ihn zu beglückwünschen und vor ihm zu tanzen.104 Beňovský schildert anschließend kurz und kommentarlos den Besuch der Kommissare.105 Er quittiert den Dienst und wird nach der Abreise Bellecombes und Chevreaus durch die Bitten der Eingeborenen und der französischen Offiziere gezwungen, das Kommando über Madagaskar erneut zu übernehmen.106 Da Beňovský nach Frankreich segeln möchte, um sich das Wohlwollen des französischen Königs zu sichern, bitten ihn die madagassischen Fürsten, er möge schwören, zu ihnen zurückzukehren und über sie zu herrschen.107 Immer wieder weinen sie aus Angst, ihren »Vater« zu verlieren.108 Im Oktober 1776 finden noch größere Zeremonien und Feierlichkeiten statt. Der »indisch« gekleidete Beňovský geht durch »ein langes Spalier von Eingeborenen«, die laut schreien und zu ihrem höchsten Gott »Zahanhar« (Zanahary) rufen.109 Nachdem Beňovský ihnen drei Tage lang seine »Vorschläge zur Etablierung einer immerwährenden Regierung« erklärt hat, kommt der Tag der großen Zeremonie. Der nun zum »Inder« – das heißt: zum Madagassen – mutierte Abenteurer stellt sie so feierlich wie möglich dar: Endlich kam der 10. [Oktober 1776, D. T.] und ich wurde durch eine dreifache Kanonensalve erschreckt. Um sechs Uhr morgens kam der Chef Raffangour mit sechs anderen­ ­[Fürsten, D. T.]; alle waren in Weiß gekleidet, warfen sich mir zu Füßen und baten um Erlaubnis, mich anzusprechen. Ich empfing sie in meinem Zelt und war ebenfalls weiß gekleidet. […] Daraufhin bat mich [Raffangour], ihm zu folgen, und wir gingen in die Ebene in einen Kreis, den 30.000 bewaffnete Männer bildeten. Jeder Chef stand vor seinem Stamm; […] sie bildeten den ersten Kreis.110

Daraufhin hält der Chef Raffangour eine feierliche Ansprache: 104 Ebd., 424 – 429. 105 Ebd., 434 – 438. 106 Ebd., 437 – 440. 107 Ebd., 442. 108 Ebd., 444. 109 Ebd., 444 f.: »je quittai l’habit françois, je pris celui d’un indien […]. Il me fallut passer à travers une longue haie des naturels […].« 110 Ebd., 445 f.: »Enfin le 10 arriva, et je fus effrayé par une triple décharge de canons. A six heures du matin, le chef Raffangour avec six autres, tous habillés de blanc, vinrent se jetter à mes pieds, et demandèrent la permission de me parler. Je les reçus dans ma tente, habillé de blanc comme eux. […] Ensuite, il me pria de le suivre, et nous sortîmes du camp pour aller dans la plaine où nous entrâmes dans un cercle formé par une assemblée de trente mille hommes armés. Les chefs étant chacun à la tête de leur tribu, […] ils formèrent bientôt le premier cercle autour de nous«.

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Gesegnet sei [der Gott] Zahanhar, der zu seinem Volk zurückgekehrt ist! Gesegnet sei das Blut des Raminia, dem wir unsere Liebe schulden! […] In der langen Zeit, in der uns die Herrschaft eines Haupts aus dem Geblüt des Raminia vorenthalten blieb, lebten wir wie wilde Tiere; bald massakrierten wir unsere Brüder, bald töteten sie uns. Geschwächt und entzweit waren wir das Opfer des Stärkeren, wir waren böse und taub gegenüber der Stimme der Gerechtigkeit. […] Hört auf meine Stimme, Rohandrians, Anacandrians, Voadziri, L ­ ohavohites, Philoubey, Ondzatsi, Ambiasses, Ampouria; dies ist das Gesetz eurer Väter: Erkennt den Ampansakabe an, unterwerft euch, folgt seinen Gesetzen und ihr werdet glücklich sein!111

Raffangour überreicht Beňovský ein Speer als Königsinsignie und 50.000 Mann knien vor dem neuen Ampansakabe nieder.112 Beňovský antwortet, er erkenne die Gunstbeweise des Himmels an, der ihn auf die Erde seiner Ahnen gebracht habe. Er spricht zu den unterschiedlichen Ständen der »Rohandrians«, »Voadziri«, »Lohavites«, »Ampouria«, »Ondzatsi« und »Ambiasses«.113 Da sich jede dieser Gruppen einzeln versammelt hat, legt Beňovský vor jeder einen Blutschwur ab und opfert Rinder.114 Am Abend kommen die Frauen zu Beňovskýs Ehefrau und legen »bei Mondschein […] tanzend« einen Schwur ab.115 Am folgenden Tag führt der »Ampansakabe« neue staatliche Institutionen ein: Er schafft einen »Obersten Rat« aus »Indern« und Franzosen, einen »Immerwährenden Rat« als Exekutive, Provinzialräte und eine Armee.116 Auch gründet er im Landesinneren eine Stadt namens »Mauritania«. Schließlich schwört er, bald aus Frankreich nach Madagaskar zurückzukehren, und das Volk verabschiedet sich von ihm mit Tränen.117 Nicht nur die Madagassen, sondern auch Beňovský verspürt »alles, was ein menschliches Herz imstande ist zu leiden, wenn er einer geliebten Gesellschaft entrissen wird«. 118 111 Ebd., 446 f.: »Béni soit Zahanhar, qui est revenu voir son peuple! Béni soit le sang de Ramini, à qui notre attachement est dû! […] Depuis le long espace de tems que nous avons été privés d’un chef de la race sacrée de Ramini, nous avons vécu comme des bêtes féroces, tantôt massacrant nos frères, tantôt périssant sous leurs coups; affoiblis par notre désunion, nous avons toujours été la proie du plus fort; nous avons été méchans et sourds à la voix de la justice et de l’équité. […] Écoutez ma voix, Rohandrians, Anacandrians, Voadziri, Lohavohites, Philoubey, Ondzatsi, Ambiasses, Ampouria; c’est la loi du sang de nos pères. Reconnoissez l’Ampansacabe, soumettez-­vous à lui, écoutez sa voix, suivez les loix qu’il vous donnera, et vous serez heureux.« 112 Ebd., 448. 113 Ebd., 449. 114 Ebd., 450. 115 Ebd., 451: »Cette cérémonie eut lieu au clair de la lune, et le serment fut fait en dansant.« 116 Ebd., 454 – 461: »conseil suprême«, »conseil permanent«, »conseils provinciaux«. 117 Ebd., 461 – 464. 118 Ebd., 464.

Lykurg auf Madagaskar

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Das Herz der Erzählung ist die Inszenierung des Ausgangs der Madagassen aus dem Naturzustand. Beňovský bedient sich eines Mythos, der im 18. Jahrhundert viele Blüten trieb: des Mythos der Schöpfung eines Gemeinwesens durch den Gesellschaftsvertrag. Seine Erzählung lehnt sich an Rousseaus Beschreibung des »zweiten Naturzustands« an. Die Madagassen ­seien nicht mehr unschuldig, kannten s­ oziale Hierarchien und das Eigentum, lebten aber in einer Art Anarchie, in der das Gesetz des Stärkeren gelte. Nun erkannten sie das Unmenschliche an ihrer Situation und ernannten einen Lykurg – eine Figur, die den Genfer Philosophen regelrecht faszinierte.119 Der Kommandant von Louisbourg betonte somit, er regiere durch den Volkswillen, und gab unter anderem vor, den Sklavenhandel abgeschafft zu haben.120 Beňovský vollendete in den gedruckten Memoiren das textuelle Unternehmen, das er mit seinen Briefen in Angriff genommen hatte. Er schrieb einen aufklärerischen und sentimentalen Abenteuerroman, der mehrere Elemente der Robinsonade aufweist: die Bemühung um Wirklichkeitssuggestion durch das Zitieren aus vermeintlichen Dokumenten oder die Nennung von konkreten Gegenständen, Ereignissen und Namen; die Einsamkeit und das Verlassensein auf einer entlegenen Insel; der zentrale Platz, den die Mühen und Leiden des Helden in der Erzählung einnehmen; der Aufbau der Zivilisation durch einen einzigen Mann. Robinsonaden waren zudem genauso wie Beňovskýs Erzählung von imperialen und männlichen Fantasien geprägt.121 Auch wenn man kein präzises Vorbild für Beňovskýs Erzählung ausmachen kann, waren seine Memoiren ein Beitrag zu einer wichtigen literarischen Bewegung seiner Zeit, die die Grenzen ­zwischen Fiktion und Erfahrungsbericht verwischte.122 Die diskursiven Verschiebungen ­zwischen dem Mémoire und den publizierten Erinnerungen sind maßgeblich auf den Adressatenwechsel zurückzuführen. Der Mémoire sur l’expédition de Madagascar war ein Schriftstück für das Marineministerium und niemals versuchte Beňovský, die Ministerialbeamten die Geschichte seiner Wahl zum »Ampansakabe« glauben zu lassen. Er besaß genug Realitätssinn, um in Versailles nicht als ­Kaiser aufzutreten.123 Auch war es in ­diesem Kommunikationskontext für ihn wichtig, sich als ein treuer Diener des französischen 119 Leduc-­Fayette, Jean-­Jacques Rousseau et l’antiquité, 71 – 101. 120 Beňovský, Mémoires, 456. 121 Diese prononcierte Tendenz der Abenteuerromane, imperiale und männliche Fantasien abzubilden, betonen Philipps, Mapping Men and Empire; Fougère, Les Voyages et l’Ancrage. 122 Green, The Robinson Crusoe Story; Pohlmann, Robinsons Erben; Blaim, Failed Dynamics; Philipps, Mapping Men and Empire, Einleitung und erstes Kapitel; Fougère, Les Voyages et l’Ancrage, insbesondere 51 – 61 und 190 – 198. 123 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 180, 192, 225.

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Beňovský oder Die aufklärerische Robinsonade

Königs darzustellen. Erst bei seiner Rückkehr nach Madagaskar nahm er für die auf der Île de France lebenden Franzosen seine neue Identität an. Selbst zu ­diesem Zeitpunkt – Mitte Dezember 1785 und erneut am 26. März 1786 – schrieb er dem Außenminister Vergennes Briefe, in denen er kein Wort über seine angebliche Herrschaft auf der Großen Insel verlor.124 Die Erzählung über seine Wahl zum »Ampansakabe« war nicht an die französischen Kolonialpolitiker adressiert, sondern zunächst an die britischen. Wie der ehemalige Intendant der Île de France vermerkte, war es augenscheinlich Beňovskýs Plan, in die Fußstapfen Theodor von Neuhoffs zu treten, der sich mit britischer Hilfe zum »König von Korsika« erhoben hatte.125 Als es Beňovský nicht gelang, die Unterstützung der Londoner Regierung für die Gründung einer monopolistischen Handelskompanie zu gewinnen, benutzte er die Erzählung seiner Wahl zum K ­ aiser von Madagaskar, um Privatpersonen zur Investition in eine Handelsgesellschaft zu bewegen. Die Veröffentlichung seiner Memoiren sollte dazu dienen, ihn in einen lebenden Mythos zu verwandeln. Dies gelang ihm erst nach seinem Tod, doch seine Narra­ tivierungsleistung trug dazu bei, die von Maudave erfundene kolonialistische Vorstellungswelt zu etablieren.

124 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 201, Beňovský an Vergennes, 15. Dezember 1786; MAE, Indes orientales 18, Bl. 240, Beňovský an Vergennes, 26. März 1786. 125 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 184, Dumas an Vergennes, 16. November 1783.

7 Persistenz und Ende des Madagaskartraums 1800 präsentierte der Staatsrat und ehemalige Leiter der Kolonialabteilung im Marineministerium Daniel Lescallier dem ­Ersten Konsul Napoleon Bonaparte seine Überlegungen zur richtigen Madagaskarpolitik. Lescallier zufolge hätten frühere französische Regierungen gegenüber Madagaskar stets mit Leichtsinn und ohne wohlüberlegte Prinzipien gehandelt. Sie hätten zwar immer wieder versucht, Niederlassungen aufzubauen, doch die Förderer dieser Unternehmen suchten stets nur den Profit und hatten die Interessen der Europäer und vor allem ihren eigenen Vorteil im Auge, niemals das Wohlergehen der Indigenen. Einige, die das Ministerium schickte, waren sogar unanständige Abenteurer, die in ­diesem Land tausend Gräueltaten begangen haben. Wenn man Menschen so behandelt, muss man sich nicht wundern, wenn man Ressentiments von ihnen erntet, selbst wenn sie wie auf Madagaskar die sanftesten und geselligsten des Erdkreises sind.1

Laut Lescallier bräuchte man nur einige Europäer unter der Führung eines moralisch vorbildlichen Mannes auf die Große Insel zu schicken, und schon würden die Madagassen sich zivilisieren und glücklich unter der französischen Flagge leben.2 Ende 1818 äußerte sich der Handelsagent (agent commercial) auf Madagaskar, Sylvain Roux, radikal anders über die Madagassen. Ihm zufolge war es zwecklos, trotz alledem, was unsere Publizisten und moderne Philosophen behaupten, [die Madagassen] dazu zu bringen, irgendetwas Nützliches für uns zu tun. Wenn sie über einen langen Zeitraum hinweg gesehen haben werden, wie wir arbeiten und Erfolg haben, dann werden vielleicht einige versuchen, uns nachzuahmen. Aber nur die Zeit kann ­dieses Wunder bewirken. Ich habe viele Gelegenheiten gehabt, Madagassen kennenzulernen; ich habe versucht, sie zur Übernahme einiger unserer einfachsten

1 »Les promoteurs de ces entreprises se sont toujours trop uniquement occupés du gain et de l’intérêt des Européens, et sur-­tout de leurs profits personnels, et jamais du ben-­être des indigènes. Quelques-­uns des délégués du ministère ont même été des aventuriers malhonnêtes, qui ont commis dans le pays mille atrocités. En traitant ainsi l’humanité, il n’est pas étonnant que quelquefois on ait éprouvé des marques de ressentiment de la part de ces peuples, qui cependant sont naturellement les plus doux et les plus sociables de la terre.« Lescallier, Mémoire relatif à l’île de Madagascar, 880. 2 Ebd., 893.

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Persistenz und Ende des Madagaskartraums

Techniken (arts) zu bewegen; doch ist es mir nicht einmal gelungen, sie zu überzeugen, dass sie dadurch Vorteile haben könnten.3

Roux sah in dem Projekt, die Madagassen zu zivilisieren, einen Traum von realitätsfernen Publizisten. Zwar trachtete auch er danach, Kolonien auf der Großen Insel zu errichten. Doch stand sein Projekt nicht in der Kontinuität von Maudaves Vorhaben: Der Handelsagent plädierte für eine Segregation von Franzosen und Madagassen und leitete hiermit eine neue Epoche in der Geschichte des französischen Kolonialismus im Südwesten des Indischen Ozeans ein. Dieses Kapitel nimmt die französisch-­madagassischen Begegnungen und französischen Madagaskarpläne von den 1780er bis in die späten 1810er Jahre in den Blick. Es zeichnet die Persistenz der Ideen Maudaves, aber auch die Pluralisierung der Ansätze und den Niedergang des spätaufklärerischen Madagaskartraums nach.

7.1

Eine madagassisch-französische »Republik«

Nach Beňovskýs Rückkehr nach Europa gaben die französischen Niederlassungen auf der Großen Insel weiterhin wenig Anlass zur Freude. Das vom oberungarischen Adligen gegründete Louisbourg vegetierte bis zu seiner Auflösung Mitte der 1780er Jahre dahin. Weiterhin starben zahlreiche Soldaten und Offiziere an tropischen Krankheiten, weiterhin fehlte das Geld, um die Truppen zu bezahlen. Der Kommandant Sanglier hatte zwar Beňovskýs Eroberungspolitik aufgegeben und sich bemüht, gute Beziehungen zu den Fürsten in der Nachbarschaft zu entwickeln. Er erreichte sein Ziel, indem er sie reichlich beschenkte. Das Elend der Franzosen konnte er dadurch jedoch kaum mildern: Im Juni 1777 meuterten die Volontäre.4 Hinzu kam, dass das Königreich der Betsimisaraka weiterhin von heftigen Konflikten erschüttert war. Dabei war der (Zieh-)Sohn La Bigornes, Diard, in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hatte in den frühen 1780er Jahren als 3 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Observations faites par l’agent commercial de Madagascar dans l’exploration de la côte orientale de cette île, ordonnée par son excellence le ministre de la marine, et exécutée à bord des flutes de Sa majesté Le Golo et le Lys en septembre, octobre, novembre et décembre 1818« (Zitat S. 30 f.): »Il est inutile, malgré tout ce qu’en disent nos publicistes et nos philosophes modernes, de rien gagner sur ces peuples, pour les faire servir à notre besoin. Peut-­être qu’à force de nous voir travailler et réussir dans nos entreprises quelqu’uns deux [sic] chercheront à nous imiter; mais c’est au tems seul à opérer cette merveille: j’ai eu l’occasion de beaucoup fréquenter les malgaches, j’ai cherché à leur faire adopter quelqu’uns de nos arts les plus communs, jamais je n’ai pu parvenir à leur faire même convenir, qu’ils y trouvaient de l’avantage.« 4 Siehe die Dokumente zur Niederlassung unter Sanglier in ANOM, C 5A 8, C 5A 8 bis und C 5A 9. Zur Revolte der Soldaten: C 5A 8, Nr. 51, 57, 58, 64, 76, 89, 91, 125.

Eine madagassisch-französische »Republik«

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Verwaltungsangestellter in Mahavelona eine wesentliche Rolle in den Auseinander­ setzungen gespielt. Nach Angaben der Verwalter der Maskarenen Souillac und Chevreau war Diard ein Waisenkind, das La Bigorne und seine Frau Fanchon auf der Großen Insel großgezogen hatten. Es ist jedoch sehr wohl denkbar, dass Diard der leibliche Sohn La Bigornes und Fanchons war. Für letztere Hypothese spricht die Angabe der Pariser Polizei, wonach Diard eine »olivenfarbene« Haut (»teint olivâtre«) hatte.5 Nach La Bigornes Tod (1772) soll Diard mehrere Jahre durch Madagaskar »nackt« wie die »Schwarzen« gestreunt sein.6 Dem Bericht des Intendanten und des Gouverneurs der Île de France zufolge habe Iavy den jungen Diard in seine Dienerschaft aufgenommen und ihn als Kuhburschen beschäftigt. Doch habe Diard Mahavelona verlassen, um sich in Toamasina nieder­ zulassen, wo er den Fürsten Dianancore bestohlen habe. Dieser habe ihn festnehmen und in die französische Niederlassung von Mahavelona bringen lassen, wo Diard anschließend als Dolmetscher gearbeitet und nun den französischen König um Hab und Gut gebracht habe. Um sich seiner zu entledigen, habe ihn der französische Handelskommis in die Niederlassung von Beňovský in der Bucht von Antongila geschickt, von der der Kommandant ihn jedoch ebenfalls verjagt habe. Diard segelte auf die Île de France zurück, schaffte es jedoch bald, wieder auf Madagaskar als Dolmetscher angestellt zu werden – was sicherlich von der großen Nachfrage nach Personal mit Kenntnissen der madagassischen Sprache zeugt. Diard sollte vor allem den Aufbau von Weizenplantagen koordinieren. Er kam deswegen mit dem Intendanten Coquereau und dem Händler Boucher am 7. Februar 1781 in der Bucht von Mahavelona an.7 Die Möglichkeit, sowohl als Mitglied der französischen Verwaltung als auch als Madagasse aufzutreten, eröffnete Diard die Chance, eine wichtige politische Rolle im Königreich der Betsimisaraka zu spielen. Diard versuchte, von Konflikten unter den Betsimisaraka-­Eliten zu profitieren. Die Autorität des Königs Ivay war keineswegs unumstritten gewesen. Elf lokale Adlige, darunter zwei Onkel und ein Cousin Iavys, hatten sich in den 1770er Jahren vom König unabhängig erklärt. Sie genossen dabei die Unterstützung von D’Houdetot und Coquereau, die nach Beňovskýs Rückkehr nach Frankreich die Niederlassungen auf Madagaskar verwalteten und 1780 ein neues Gemeinwesen, die »Republik von Marahombay« (»République de Marahombay«), proklamierten. Da Diard der einzige Franzose 5 ANOM, E 133 (Diard), Polizeiinspektor Lenoir an den Marineminister, 20. Januar 1784, sowie ANOM, E 133 (Diard), Bl. 8, Copie du mémoire justificatif de la conduite de Diard présenté a MM. les chefs de l’isle de France le 25 septembre 1781, 25. September 1781. Diard sprach von La Bigorne und Fanchon stets als seinem »Vater« und seiner »Mutter«. 6 ANOM, E 133, Personalakte von Diard, Souillac und Chevreau an den Marineminister, 22. November 1782. 7 Ebd.

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war, der Madagassisch sprach, führte er die Verhandlungen, während seine Vorgesetzten kaum Möglichkeiten hatten zu überprüfen, was er den »Republikanern« verprach. Die »Dissidenten« verbündeten sich mit den Fariava, den traditionellen Feinden der Betsimisaraka-­Könige. Mit den Fariava hatte Iavy bei der Ankunft der Inspektoren Bellecombe und Chevreau im Oktober 1776 gerade Frieden geschlossen.8 Savournin, dem Beňovský das Handelsmonopol an der Küste südlich von Foulpointe, wo die Fariava wohnten, verliehen hatte, unterstützte wohl die »Republikaner« oder verkaufte zumindest Schießpulver an alle Konfliktparteien.9 Der Krieg brach im Februar 1781 aus, nachdem alle französischen Schiffe den Hafen von Mahavelona verlassen hatten. D’Houdetot und Coquereau waren zu ­diesem Zeitpunkt nicht in Foulpointe und die Befehlsgewalt lag bei Diard. Allem Anschein nach spielte Diard eine führende Rolle in den kriegerischen Ereignissen. Den Verwaltern der Maskarenen zufolge habe Diard die Nachfolge La Bigornes angetreten und sich mit dessen Freund verbündet mit dem Ziel, Iavy zu stürzen. So habe der Franzose die Gegner Iavys bewaffnet und sich bemüht, den König zu vertreiben, um selbst in Mahavelona zu herrschen. Iavy habe daraufhin sein Volk aus Mahavelona weggebracht und auf die Ankunft des Intendanten Coquereau und des Handelskommis Boucher gewartet. Boucher, der für den königlichen Handel mit Mahavelona verantwortlich war, sei als Erster gekommen und habe Diard »die heftigsten Vorwürfe« (»les plus vives reproches«) gemacht. Diard habe weinend die Schuld auf seine M ­ utter Fanchon geschoben. Boucher habe Iavy nach Foulpointe zurückgeholt und die alten guten Beziehungen zum König mit der Zahlung eines hohen Bußgeldes wiederhergestellt. Angesichts dieser veränderten politischen Lage s­ eien die elf »Republikaner« und Diard samt seiner ­Mutter Fanchon zu den Fariava geflüchtet. Da habe Diard eine madagassiche Identität angenommen, sich den Namen »Tompe Magnarive« zugelegt, sich seiner französischen Kleider entledigt und Iavy angegriffen. ­Coquereau sei im Juli 1781 nach Mahavelona zurückgekommen und habe es geschafft, sich Diard in Fesseln ausliefern zu lassen. Die elf Gegner Iavys s­ eien geköpft worden, ihre Anhänger versklavt und das Dorf der Fariava, wo sie ein Obdach gefunden hatten, niedergebrannt.10 Diard habe nach seiner Verhaftung vorgegeben, bei seiner Unterstützung der »Republik von Marahombay« nur der politischen Linie Coquereaus gefolgt zu sein, das heißt Frankreich zu dienen. Ihm glaubten die Verwalter der Maskarenen jedoch nicht. Sie schickten ihn in 8 ANOM, C 5A 7, Nr. 8, Bl. 12, 16 f., Tagebuch von Bellecombe und Chevreau, 1776. Siehe auch das Kapitel 5. 9 ANOM, E 133, Personalakte von Diard, Bl. 3, »Copie du mémoire justificatif de la conduite de Diard«. 10 ANOM, E 133, Personalakte von Diard, Souillac und Chevreau an den Marineminister, 22. November 1782.

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Fesseln nach Frankreich, um ihn weit von Madagaskar gefangen zu wissen. Der Marineminister durfte jedoch Diard ohne gerichtlichen Prozess nicht im Gefängnis halten und ließ ihn 1783 frei. Diard versteckte sich daraufhin in Paris vor der Polizei. 1784 verliert sich seine Spur.11

7.2 Maudaves Vision in der Revolution Diese traurigen Ereignisse spielten jedoch in den Schriften über Madagaskar keine Rolle. Für die Weitertradierung der Vorstellungswelt Maudaves und Beňovskýs Ende des 18. Jahrhunderts war die Figur Daniel Lescalliers von großer Bedeutung. Lescallier war einer der drei Kommissare für die Niederlassungen jenseits des Kaps der Guten Hoffnung, die 1791 von der Legislative ernannt und 1792 nach ­Ostindien geschickt wurden. Auf dem Weg nach Südasien besuchte L ­ escallier die Île de France und Madagaskar, wo er sich vom 21. bis 29. August 1792 in Mahavelona aufhielt.12 Bereits vor seiner Abreise aus Frankreich hatte Lescallier die Überzeugung gewonnen, dass man in Madagaskar »sehr große Ressourcen« (»très grandes ressources«) für die Maskarenen gewinnen könne: nicht nur Zuchttiere, sondern auch Leder, Seile und Seeleute. Zudem könne man »verschiedene Plantagen« (»différentes exploitations«) aufbauen und so die Eingeborenen in der landwirtschaftlichen Arbeit ausbilden und zum Ackerbau ermuntern.13 Nach seiner Ankunft auf der Île de France nahm Lescallier den Aufbau von Plantagen auf der Roten Insel in Angriff. Kaum angekommen, holte er bei Bewohnern der Île de France, vermutlich bei Maudaves Nachbar und Freund Charpentier de Cossigny, Informationen über die Große Insel ein. Das Ergebnis dieser Vorgehensweise war, dass Lescallier maudavsche Topoi und Erwartungen übernahm. Dem Kommissar zufolge s­ eien alle Madagaskarkenner überzeugt von der Schönheit und der Fruchtbarkeit der Insel, der Fülle ihrer Ressourcen sowie davon, dass die Eingeborenen den Franzosen wohlgesonnen ­seien. Den Berichten über die Laster der Madagassen sei nicht zu trauen, denn sie ­seien wahrscheinlich unter dem Einfluss der Gier ihrer Autoren geschrieben worden. In der Tat hätten die Europäer »die Einfalt« (»simplicité«) der einheimischen Völker ausgenutzt und von ihnen Tribute verlangt. Bräche man mit dem »zerstörerischen System« (»système dévastateur«) der französischen Händler, die Eingeborenen in 11 Siehe die Notizen der Kommis des Marineministers sowie die Briefe Diards und des Polizeiinspektors Lenoir an den Minister: ANOM, E 133, Personalakte von Diard. 12 Valette, Lescallier à Madagascar, 877 f.; Sylla, Un Envoyé de l’Assemblée nationale, hier 63; Sylla, La Côte orientale de Madagascar. 13 ANOM, C 4 105, Bl. 40, Notiz eines Kommis zu den Vorschlägen von Leboucher und Lescallier, 3. November 1791.

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ihren Kriegen zu unterstützen, um sich mit Sklaven zu versorgen, dann könnte man »unendlich viel« von Madagaskar erwarten.14 Lescallier ging davon aus, die »Weißen« übten aufgrund ihrer zivilisatorischen Überlegenheit eine »natürliche Autorität« (»ascendant naturel«) über die vermeintlich primitiveren Madagassen aus.15 Daher dachte er, dass »diese Verfahrensweise, falls sie genau befolgt wird, uns die Eroberung der gesamten Insel sozusagen durch Freundschaft und Zuneigung einbringen [kann]«.16 Auf der Grundlage dieser neu gewonnenen Überzeugungen unterstützte Lescallier das Vorhaben von Didier und Gosse, auf die Große Insel überzusiedeln und Plantagen aufzubauen. Didier und Gosse waren ehemalige Angestellte der Guyanakompanie, die Geld von Pariser Investoren gesammelt hatten, um auf Madagaskar landwirtschaftliche Betriebe aufzubauen. Ihr Plan bestand darin, ein Grundstück von einem König zu kaufen und einheimische Arbeitskräfte auf Getreide-, Baumwoll- und Indigofeldern, bei der Viehzucht und beim Holzfällen zu beschäftigen. Sie wollten ausdrücklich auf Sklavenarbeit verzichten. Lescallier setzte sich beim Gouverneur und dem Intendanten der Maskarenen für das Projekt ein und Didier und Gosse erhielten die erhoffte Unterstützung.17 Lescallier gab Gosse zudem den offiziellen Auftrag, die Rote Insel im Hinblick auf eine spätere Kolonisierung zu erkunden und zu ­diesem Zweck Freundschaft mit örtlichen Dorfchefs zu schließen.18 Leider verraten die Archivquellen nicht, was aus Didiers Vorhaben geworden ist. Von Juli 1794 ist ein Vorschlag eines Kommissars der Île de la Réunion namens Tirol überliefert, Plantagen auf Madagaskar aufzubauen. Da er Didiers Projekt unerwähnt lässt, kann man davon ausgehen, dass seit 1792 keine nennenswerte landwirtschaftliche Niederlassung entstanden war.19 In Mahavelona angekommen, strebte Lescallier danach, einen Freundschaftsschwur mit dem neuen König der Betsimisaraka, Zakavola, abzulegen. Der König empfing den Kommissar der Nationalversammlung mit der französischen Trikolore. Er saß auf einem Podest und trug Kleidungsstücke, die die Franzosen seinem Vater Iavy geschenkt hatten. Lescallier interpretierte diese Inszenierung 14 ANOM, C 4 107, Bl. 118 – 120, Lescallier an den Marineminister, 13. August 1792. 15 ANOM, Séries géographiques, MAD 233 512, Abschriften von Briefen und Dokumenten Lescalliers, 24 – 26: »Instructions pour M. Gosse«, ohne Datum, 25. 16 Abschrift eines Briefs Lescalliers an den Marineminister: ANOM, Séries géographiques, MAD 233 512, Abschriften von Briefen und Dokumenten Lescalliers, S. 29, Lescallier an den Marineminister, St. Anne, Seyschellen, 7. September 1792: »le plan de conduite, qui peut nous faire conquerir pour ainsi dire par amitié et affection toite cette Isle«. 17 ANOM, C 4 107, Bl. 118, 121 f. Siehe weiter: Séries géographiques, MAD 233 512, Abschriften von Briefen und Dokumenten Lescalliers, 23 f., Lescallier an Hir, 27. April 1792. 18 ANOM, Séries géographiques, MAD 233 512, Abschriften von Briefen und Dokumenten Lescalliers, 24 – 26, »Instructions pour Gosse«, ohne Datum. 19 ANOM, C 4 109, Bl. 132, »4 thermidor An 2. Rapport au comité de [?]«, 22. Juli 1794.

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als ein ­­Zeichen, dass Zakavola sich nicht nur als ein Freund, sondern als ein Vasall Frankreichs verstand. Lescalliers Wiedergabe seiner Audienz mit Zakavalo ergibt jedoch ein anderes Bild. Darauf angesprochen, ob er Frankreich untertan sei, reagierte der König sichtlich zurückhaltend. Er beteuerte, seine Ahnen hätten die Franzosen stets sehr geschätzt. Selbst als sie von »mehreren Weißen, die sich für Franzosen ausgaben«, »malträtiert« worden ­seien, hätten sie sich damit begnügt, die Ruhestörer festzunehmen und dem Oberhaupt der französischen Verwaltung zu übergeben. Dies war ein direkter Hinweis auf den Putschversuch Betias, den Desroches und La Bigorne unterstützt hatten, sowie auf die Umtriebe Diards. Zakavola beteuerte, sich auch weiterhin an diese alte Regel halten zu wollen. Lescallier antwortete, dass selbst wenn sich einige Individuen schlecht betragen hätten, dies nie die Absicht der französischen Nation gewesen sei, und bat den König, die Franzosen auch künftig mit Wertschätzung zu behandeln. Daraufhin verabredeten beide, am folgenden Tag eine Versammlung des Adels zur Regelung des Zusammenlebens und zur Erneuerung der Freundschaft z­ wischen Franzosen und Betsimisaraka einzuberufen. Lescallier überreichte dem König schließlich einige Geschenke.20 Die Versammlung fand am folgenden Tag in der französischen Palisade statt, jedoch in Abwesenheit des Königs. Als Erster ergriff Lescallier das Wort und wiederholte, dass die Franzosen nur gute Absichten gegenüber den Betsimisaraka hätten. Der »Hauptminister« (»principal ministre«) Zakavolas drückte im Namen des abwesenden Königs seine Zufriedenheit und seinen Willen aus, weiterhin in gutem Einvernehmen mit den Franzosen zu leben. Er erinnerte dabei jedoch wieder daran, dass manche Franzosen wie La Bigorne und Diard den Ahnen des nun regierenden Königs Schaden zugefügt hätten. Dass die Betsimisaraka diese Franzosen nicht umgebracht haben, sei als ein besonderes ­­Zeichen ihres Wohlwollens gegenüber der gesamten Nation zu verstehen. Schließlich bat Zakavolas Berater um ein Symbol, anhand dessen die in der Region neuankommenden Franzosen den König der Betsimisaraka von seinen Untertanen unterscheiden und ihm die gebürende Ehre erweisen könnten.21 Lescallier überreichte ihm als Zwischen­ lösung ein »Band in französischen Nationalfarben mit einer Sechs-­Pfund-­Taler-­ Münze« (»un ruban national avec un écu de six livres«) und versprach, Zakavola eine Medaille zu besorgen.22 Im Großen und Ganzen verlief die Versammlung somit reibungslos. Dennoch scheint es am Ende kleinere Verstimmungen gegeben zu haben, weil Lescallier es ablehnte, den Blutschwur abzulegen und Fetisch zu 20 ANOM, Séries géographiques, MAD 233 512, Abschriften von Briefen und Dokumenten Lescalliers, S. 1 – 3, »Procès verbal des opérations faites à Madagascar par Mr. Lescallier«: »maltraités par plusieurs blancs qui se disaient français«. 21 Ebd., 4 – 6. 22 Ebd., 14.

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trinken. Der Minister Zakavolas gab nach, bestand jedoch darauf, dass das Ritual ansonsten nach madagassischen Traditionen abzulaufen habe, damit der Schwur überhaupt Rechtskraft besitze. Er konnte sich mit dieser Forderung durchsetzen.23 Lescalliers Beschreibungen der Audienz und der Versammlung zeigen die Ambiguitäten in den Beziehungen z­ wischen Frankreich und dem Königreich der Betsimisaraka. Zwar trugen die Betsimisaraka die französischen Nationalsymbole zur Schau, doch ist alles andere als gesichert, dass dies einer Anerkennung der Schutzherrschaft Frankreichs gleichkam, wie Lescallier glaubte. Die Versprechen des Königs und seines Hauptministers, die ihren Ärger über die Umsturzversuche der 1770er und 1780er Jahre nicht versteckten, liefen eher auf eine Gleichberechtigung z­ wischen Partnern hinaus. Der König erkannte lediglich an, dass über Franzosen weiterhin von Franzosen und nach französischem Recht gerichtet werden sollten. Bei der entscheidenden Schwurzeremonie fehlte zudem der König, was die Verbindlichkeit des Schwurs deutlich abschwächte. In Anbetracht dessen ist das »Reglement für Madagaskar«, das der Kommissar daraufhin erließ, umso erstaunlicher: Denn Lescallier tat in d ­ iesem Papier so, als ob er ein Protektorat geschaffen hätte und das Land nun für die Kolonisierung offen sei. Zwar ging es Lescallier nicht darum, französische Gesetze durchzusetzen; Franzosen und Betsimisaraka sollten nach ihrem jeweiligen Recht gerichtet und Konflikte ­zwischen den beiden Nationen unter den Obrigkeiten ausgehandelt werden. Doch betrachtete Lescallier ausdrücklich die Provinz als unter französischem Schutz stehend und ordnete an, dass alles Mögliche getan werden solle, um französischen Siedlern zu helfen, sich in der Region niederzulassen.24 Auch in einem Brief an den Marineminister behauptete Lescallier, die französische Fahne, die Zakavola wehen ließ, zeige, dass die Betsimisaraka sich unter den »unmittelbaren Schutz« Frankreichs gestellt hätten und ihre Provinz »sozusagen eine französische Dependance« sei.25 Lescallier lobte zudem den »vorzüglichen Charakter« der Madagassen und rühmte sich, dem »barbarischen Brauch« des Blutschwurs ein Ende bereitet zu haben.26 Lescalliers Briefe offenbaren einen Abgrund z­ wischen der Banalität seiner Handlungen und seinen Plänen und Ansprüchen. Der Gesandte der Nationalversammlung hatte beim 23 Ebd., 12 – 14. 24 Ebd., 7 – 9: »Réglement pour Madagascar«. 25 Ebd., 17: »sous la protection immédiate de la France, et comme étant, pour ainsi dire, un de ses dépendances«. Dass der Einsatz europäischer Fahnen unterschiedliche Bedeutungen haben konnte, zeigt die Praxis in Westafrika: Brauner, Kompanien, Könige und caboceers, 265 – 258. 26 ANOM, Séries géographiques, MAD 233 512, Abschriften von Briefen und Dokumenten Lescalliers, S. 29 f., Lescallier an den Marineminister, 7. September 1792: »excellent caractère«; »l’usage barbare qui avoit lieu dans ce pays du serment de sang«.

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König der Betsimisaraka nichts erreicht, was nicht bereits etablierter Brauch gewesen wäre. Diese Bestätigung der bisherigen Ordnung war für den Handel zwar entscheidend, eröffnete aber freilich kein neues Kapitel in der Geschichte der Franzosen auf der Großen Insel. Von der Zustimmung der Betsimisaraka zu einer französischen Kolonisierung oder der Errichtung eines französischen Protek­torats konnte keine Rede sein. Dieser Graben z­ wischen Anspruch und Wirklichkeit erscheint noch tiefer, wenn man sich die konfliktreiche politische Situation in der Region von Mahavelona in den frühen 1790er Jahren vergegenwärtigt, die Lescallier mit keinem Wort erwähnt. Die Frage ist berechtigt, inwiefern der Kommissar in den acht Tagen, die er an der Ostküste Madagaskars verbracht hatte, die Möglichkeit hatte, einen Einblick in die lokalen politischen Verhältnisse und Konflikte zu erhalten. Auffällig ist, dass er betonte, die französische Verwaltung müsse alles tun, um den Frieden zu erhalten.27 Nicht zuletzt aus d ­ iesem Grund erließ er ein »Reglement für Madagaskar«, das vor allem helfen sollte, die Franzosen der Ostküste besser zu kontrollieren.28 Welchen konkreten Konflikt Lescallier dabei vermeiden wollte, bleibt jedoch im Dunkeln. Da Zakavola und sein Minister sich wiederholt über La Bigorne und Diard beschwerten, hatte Lescallier vermutlich zumindest eine vage Vorstellung von den Kriegen, die in den 1780er Jahren die Region verwüstetet hatten. Unsicher ist jedoch, ob er sich dessen bewusst war, dass die politische Situation im Königreich der Betsimisaraka weiterhin instabil war. Im August 1792 stand die Region in der Tat erneut vor dem Ausbruch eines Bürgerkrieges. Diesmal rangen drei unterschiedliche Anführer um die politische Macht. Die Herrschaft des Zakavola war alles andere als allgemein akzeptiert. Zakavola war Iavys Adoptivsohn. Mehrere Brüder des verstorbenen Königs, von Tsialana angeführt, wollten jedoch die Erbfolge nicht anerkennen. Zugleich agierte Lavalahy, der Chef der Zana-­Malata – französisch-­madagassischer Mestizen, die von der Piraterie lebten –, weitgehend unabhängig. In den Jahren nach Lescalliers Aufenthalt auf Madagaskar wurden im Rahmen der Konflikte z­ wischen Zakavola und seinen Onkeln französische Händler ihrer Güter beraubt oder sogar getötet.29 Es lässt sich kaum nachvollziehen, inwiefern Lescallier die aktuelle Krise wahrnahm. Sein Anspruch jedenfalls, ein französisches Protektorat errichtet und eine solide Grundlage für die französische Kolonisierung geschaffen zu haben, konnte wirklichkeitsfremder nicht sein. Gerade Lescalliers Erzählung zeugt davon, dass die politische Elite des Königreichs im August 1792 bereits gespalten war: Der Gesandte der Nationalversammlung sprach und schloss

27 Ebd., 7, 15. 28 Ebd., 7 – 10, 15 f. 29 Hébert, Les Remous du bouillonnement révolutionnaire, insbesondere 167 – 172.

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Freundschaft keineswegs mit allen entscheidenden Akteuren der Region, sondern nur mit dem umstrittenen Zakavola und seinen Anhängern. Wie das Protokoll der Versammlung zeigt, blieben die Onkel, die im Konflikt mit dem Adoptivsohn Iavys standen, den Verhandlungen und Zeremonien fern. Die Einheit der Betsimisaraka unter Zakavola, an die Lescallier anscheinend glaubte, war ein Trugbild. Wenn Zakavolas Hauptminister auf der Versammlung im Protokoll ausdrücklich festhalten ließ, dass er auch im Namen der Abwesenden sprach, so kann man dies als eine Strategie verstehen, die Herrschaft über alle Betsi­ misaraka zu beanspruchen.30 Lescalliers Schriften, die nach seiner Rückkehr nach Frankreich 1797 entstanden, legen die Vermutung nahe, dass der ehemalige Kommissar k­ einerlei Bedürfnis verspürte, sich ein Bild von den politischen Entwicklungen im Königreich der Betsimisaraka nach August 1792 zu machen. Immer noch präsentierte Lescallier seine Taten auf Madagaskar als einen Meilenstein in der Geschichte der französisch-­madagassischen Beziehungen, ohne zu wissen, was seitdem passiert war. 1801 behauptete der ehemalige Kommissar für die ostindischen Besitzungen in einer Rede vor dem Institut de France, er habe durch einen Schwur mit Zakavola freundschaftliche Beziehungen ­zwischen beiden Nationen und eine gute Grundlage für eine Kolonisierungs- und Zivilisierungspolitik geschaffen.31 In Paris scheint sich Lescallier mit ­diesem Anspruch durchaus Gehör verschafft zu haben. Die Instruktionen, die der Marineminister Forfait im März 1800 für Louis-­Thomas Villaret de Joyeuse verfasste, tragen eindeutig Lescalliers Stempel. Villaret de Joyeuse sollte zum Gouverneur der Maskarenen ernannt werden. Den Instruktionen zufolge sollte er nach seiner Ankunft im Indischen Ozean einen neuen französischen Verwalter nach Mahavelona s­ chicken, um die Autorität und den Handel Frankreichs auf Madagaskar zu stärken. Seine Politik sollte auf dem Treueeid basieren, durch den sich Zakavola angeblich unter den Schutz Frankreichs begeben hatte. Forfait erwartete vom französischen Verwalter zudem, dass er ähnliche Protektorate über andere Provinzen der Roten Insel etablieren würde.32 Lescallier und die politische Elite Frankreichs hingen somit im frühen 19. Jahrhundert weiterhin dem Traum einer sanften Kolonialexpansion auf Madagaskar an. Dabei war der Graben ­zwischen Anspruch und Wirklichkeit nie so groß 30 ANOM, Séries géographiques, MAD 233 512, Abschriften von Briefen und Dokumenten Lescalliers, S. 11 – 15, »Serment porté mutuellemet par M. Lescallier et les Français avec le roi et les chefs Madegasses«. 31 Lescallier, Mémoire relatif à l’île de Madagascar. 32 ANOM, C 4 113, Bl. 124, »Instructions pour les citoyens Villaret-­Joyeuse et Lequoy-­ Montgiraud«, März 1800. Villaret de Joyeuse lehnte die Stelle des Gouverneurs jedoch ab.

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gewesen – nicht nur weil sich die Region immer noch im Bürgerkrieg befand,33 sondern vor allem weil die Niederlassung von Mahavelona nicht mehr existierte: Im Dezember 1796 hatte ein britischer Kreuzer die Palisade vernichtet. Die Franzosen besetzten den Ort nicht wieder.34 Doch noch 1801 sah ein Kommis des Marineministeriums in Mahavelona die wichtigste französische Niederlassung auf Madagaskar. Er verwies dabei auf Lescallier.35

7.3 Sträflinge und Sklaven Dennoch war die Revolutionszeit keineswegs als eine Epoche des unangefochtenen Triumphs von Maudaves Traum. Vielmehr hatten sich in den Jahren z­ wischen der Entsendung Lescalliers in den Raum des Indischen Ozeans und seiner Rückkehr nach Paris die Überlegungen der Entscheidungsträger im Mutterland vom assimilationistischen Kolonisierungsprogramm entfernt. Nachdem die Legislative Daniel Lescallier und Joseph-­Pierre Leboux-­Dumorier sowie zwei weitere Kommissare für die ostindischen Besitzungen in den Indischen Ozean geschickt hatte, verfolgten die Abgeordneten und die Regierung in der Tat ein deutlich anderes Projekt als dasjenige, das Lescallier zur gleichen Zeit bevorzugte: Der Nationalkonvent beschloss am 2. November 1793, aus Tôlanaro eine Strafkolonie zu machen. Bettler und sonstige Personen, die von Straf- und Revolutionsgerichtshöfen zur Deportation verurteilt würden, sollten nach Anosy zwangstransportiert werden. In dem alten Fort-­Dauphin, den die Abgeordneten in »Fort des Gesetzes« (Fort-­de-­la-­loi) umtauften, sollten 150 Soldaten über die Häftlinge wachen. Die Befehlsgewalt über die Häftlinge sollte der »Munizipalrat« der Niederlassung von Mahavelona (Foulpointe) innehaben – ein Rat, den es nur auf dem Papier gab, der aber dennoch die Strafkolonie mit allen notwendigen landwirtschaftlichen Geräten versorgen sollte.36 Der Autor des Gesetzes war Benoît Gouly, Abgeordneter der Île de France im Nationalkonvent, der mithilfe von Zwangsarbeit auf der Großen Insel die Versorgung seiner Heimat mit Lebensmitteln sicherstellen wollte.37 In einem Plädoyer 33 Über einige gewalttätige Vorkommnisse der späten 1790er Jahre berichtet Chapelier, Etude des manuscrits, 47 – 49. 34 Diese Informationen hatten Frankreich durchaus erreicht. Man findet sie etwa in Dokumenten, die dem Staatssekretariat zur Verfügung standen: A. N., AF III 208, Nr. 35, Kolonialversammlung der Île de France an die Nationalversammlung, 13. April 1797. 35 ANOM , Séries géographiques, MAD 7 15, Anonym, »Madagascar. Établissemens ­successifs dans l’isle«, ohne Datum. 36 Zur Sitzung des 11. Brumaire Jahr II: Procès-­verbal de la Convention nationale, 257 – 258. 37 Wanquet, La première abolition de l’esclavage, 86 f.

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für seinen Gesetzesentwurf präsentierte Gouly die Bettler als tatsächlich oder potentiell gefährliche Konterrevolutionäre, derer sich Frankreich entledigen solle. Im angenehmen Klima Madagaskars, inmitten der Fülle, die die dortige Natur biete, sollten diese »bösen Schlingel« (»mauvais garnements«) nun arbeiten und sogar reich werden, falls sie zusätzlich zur Zwangsarbeit noch ein paar Stunden am Tag für sich den Boden bestellten. Damit könnten sie ein Glück genießen, das etlichen arbeitsamen und anständigen Familienvätern verwehrt bleibe.38 Dennoch war die Umsetzung des Projekts nicht einfach, wie ein Kommis des Marineministeriums bemerkte. In den Augen des Beamten konnte zwar das Gesetz vom 2. November 1793 helfen, prosperierende Kolonien aufzubauen. Doch solle man zunächst einmal festlegen, ­welche Erzeugnisse diese hervorbringen und ­welche Unterstützung sie dabei erhalten sollten. Auch müsste man z­ wischen Bettlern und boshaften Häftlingen unterscheiden und Maßnahmen treffen, um Letztere im Zaum zu halten. Zudem sei es notwendig, Handwerker nach Madagaskar zu ­schicken, um die Kolonie aufzubauen. Nur so könne Fort-­de-­la-­loi auch für arme Bauern attraktiv werden, die nach Land suchten. Ein weiteres Problem sei, dass Foulpointe allzu weit von Fort-­de-­la-­loi entfernt sei, um letztere Niederlassung effektiv überwachen zu können. Den zahlreichen Denkschriften zufolge, die sich im Archiv des Ministeriums befinden, sei zudem Tamatave (Toamasina) und nicht Fort-­de-­la-­loi der beste Ort für eine Kolonie.39 Schließlich sage das Gesetz nichts über die Beziehungen zu den Indigenen. Dabei könne man den Umstand nicht ignorieren, dass Fort-­de-­la-­loi sich gar nicht mehr in französischen Händen befinde. Es sei fraglich, ob die Eingeborenen diesen Ort freiwillig Frankreich übergeben würden, schloss der Kommis.40 Goulys Antwort zeugt von einem Unwillen, über Probleme, die sein Gesetz mit sich brachte, ernsthaft nachzudenken. Ihm genügte die Tatsache, dass Fort-­ de-­la-­loi rechtmäßig Frankreich gehöre, und so konnte er sich nicht vorstellen, weshalb die Eingeborenen Widerstand gegen die erneute Besitznahme des Forts leisten würden. Foulpointe (Mahavelona) war zudem in seinen Augen nicht zu weit von Fort-­de-­la-­loi entfernt, um die Straftäter in der Kolonie zu belangen. Handwerker aus dem Mutterland waren Gouly zufolge unnötig: Man brauche nur einen Handelskommis nach Anosy zu s­ chicken und die Île de France werde Baumaterial und Handwerker zur Verfügung stellen. Gouly sah auch kein Sicherheitsproblem: Die Häftlinge würden sich bald besänftigen, wenn sie nur sähen, 38 Gazette nationale (Sonntag 3, November 1793, alter Stil), 386. 39 Dieser Kommentar geht vermutlich auf Cossignys wiederholte Plädoyers für diesen Hafen der Ostküste zurück: siehe Kapitel 10. 40 ANOM, C 4 108, Bl. 344 – 345, »Fait le 2 décembre 1793. L’adjoint de la 5e division de la marine et des colonie, au citoyen Gouly, député de l’Isle de France à la Convention nationale. Paris, le 12 frimaire an deuxième de la République«, 2. Dezember 1793.

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wie angenehm ihr Leben auf Madagaskar sei. Wenn sie dennoch ausbrächen, würden die Madagassen sie schnell umbringen. Schließlich würde man später auch in Toamasina eine Kolonie aufbauen.41 Diese Antwort des Abgeordneten der Île de France erstaunt durch ihre Gelassenheit und ihre Oberflächlichkeit. Sie vermittelt den Eindruck, die Franzosen hätten in den vorangegangenen Jahrzehnten keinerlei negative Erfahrungen auf Madagaskar gemacht. In d ­ iesem Brief erscheinen die Einwohner der Großen Insel sogar mehr denn je wie passive Objekte der französischen Politik, über deren mögliche Reaktionen man nicht einmal zu diskutieren brauche. Das Gesetz vom 2. November 1793 unterschied sich deutlich von den Ideen Maudaves, Beňovskýs und Lescalliers. Ausgerechnet in der Hochzeit des revolutionären Messianismus war hier nichts von der Idee einer »sanften« Expansion durch Zivilisierungs- und Assimilierungspolitik zu spüren. Die Idee einer Assimilierung der Eingeborenen blieb vielmehr unerwähnt. Goulys Projekt und das entsprechende Gesetz des Nationalkonvents standen eher unter dem Einfluss des britischen Modells: Die Londoner Politiker ­hatten 1786 sich entschieden, eine Kolonie von Häftlingen im Südosten Australiens einzurichten. Die sogenannte erste Flotte war 1788 mit rund 1000 Gefangenen in Botany Bay angekommen. Ebenso wenig wie Gouly hatten die Autoren des britischen Projekts, Joseph Banks und James Cook, klare Vorstellungen von den Beziehungen ­zwischen der neuen Kolonie und den Eingeborenen. Obwohl sie die Lokalbevölkerung durchaus durch die Brille der aufklärerischen Universal­ geschichte wahrnahmen, strebten weder sie noch die Londoner Politiker ihre Zivilisierung oder gar Assimilierung an. Der aufklärerische Glaube an den Fortschritt spielte sicherlich eine große Rolle im gewagten Plan einer Kolonisierung Australiens, doch die britischen imperialen Akteure standen den assimilationistischen Traditionen fern.42 Die Kolonisierungspläne der 1790er Jahre standen somit nur zum Teil in einer Kontinuität zu Maudaves Projekt. Diese Feststellung gilt auch für eine Reihe von Madagaskarprojekten, die nach der Abschaffung der Sklaverei im französischen Kolonialreich im Jahr 1794 entstanden waren. Darin ist wiederum ein deutlicher Einfluss britischer Kolonialkonzepte zu spüren. Den Denkschriftenautoren zufolge sollte die Große Insel als Einwanderungsland für die freigelassenen Sklaven dienen und somit eine ähnliche Rolle wie Sierra Leone im britischen Kolonialreich spielen. Dabei waren die Ideen einer Freigelassenenkolonie und einer Häftlingskolonie nicht nur in den Augen Bonapartes eng miteinander verwoben. So verwies der Abbé Charles-­Antoine-­Joseph Leclerc 41 ANOM, C 4 108, Bl. 163, »Paris, le 14 frimaire, an 2e de la republique. Le représentant du peuple Gouly au citoyen adjoint de la 5e division de la marine«, 4. Dezember 1793. 42 Macintyre, A Concise History of Australia, 18 – 36; Moorehead, The Fatal Impact, 101 – 134; Gascoigne, The Enlightenment and the Origins of European Australia.

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de Montlinot auf die britischen Pläne für Sierra Leone und weitere Niederlassungen von freien Schwarzen an der westafrikanischen Küste, um für eine Kolonisierung des Bissagos-­Archipels im Atlantischen Ozean mit Häftlingen zu werben.43 In seinen Augen gehörten wohl freigelassene Sklaven und Häftlinge in die g­ leiche Kategorie von Menschen. Das Projekt einer Kolonie von Freigelassenen auf Madagaskar gefiel Befürwortern wie Gegnern der Abolition. Gouly, der mit Sicherheit kein Freund der Abschaffung der Sklaverei war, trat genauso dafür ein wie der Abolitionist Étienne Burnel, den das Direktorium 1796 als Kommissar auf die Maskarenen geschickt hatte. Von dort aus sollte Burnel die Verfassung von 1795, die die Abschaffung der Sklaverei bekräftigte, im Indischen Ozean durchsetzen – was seine Vertreibung durch die Plantagenbesitzer zur Folge hatte. Durch die Einwanderung von freien Farbigen von den Maskarenen sollte in Burnels Augen endlich das Ziel erreicht werden, das die französischen Regierungen seit 1767 verfolgten: die Erschließung Madagaskars durch Kolonisierung und die Assimilierung der Indigenen.44 Zum Zeitpunkt, als Lescallier und Forfait eine »sanfte« und zivilisierende Expansion durch die Entsendung von ein paar Hundert moralisch beispielhaften Weißen planten, blieben sowohl das Projekt einer Strafkolonie als auch das einer Kolonie von freigelassenen Sklaven auf der Tagesordnung. Der Erste Konsul Napoleon Bonaparte scheint sich vor allem die beiden letzteren Projekte zu eigen gemacht zu haben. Er plante die Entsendung von dreihundert weißen und hundert schwarzen Soldaten sowie von vierhundert Sträflingen nach Anosy. Die Strafkolonie auf Madagaskar erschien ihm umso attraktiver, da sie als ein Ort dienen könnte, wo man »alle Schwarzen und Farbigen von Saint-­Domingue,

43 Leclerc de Montlinot, Essai sur la transportation, 1 – 6, 61 – 91. Leclerc de Montlinot stand dem Verleger Panckoucke und dem Finanzier Necker nahe. Mit Neckers Hilfe wurde er in den späten 1760er J­ ahren zum Direktor des Armenhauses von Poissons ernannt. Er trat für eine Auflösung des Armenhaussystems, das in seinen Augen nur »Almosen« verteilte, anstatt nützliche Bürger hervorzubringen. 1797 wurde er zum Direktor der französischen Armenhäuserverwaltung ernannt. Siehe Charles Leclerc de Montlinot, in: Dictionnaire des Journalistes (1600 – 1789), URL : http://dictionnaire-­ journalistes.gazettes18e.fr/journaliste/484-charles-­leclerc-­de-­montlinot (Letzter Zugriff am 21. 7. 2015). 44 A. N., D/XXV/130, dossier 1019, Nr. 5, »Projet d’un mode d’exécution du décret du 16 pluviose an deuxième, envoyé par les citoyens Besnard, Serres et Gouly, membres de la Convention le 14 fructidor an troisième aux assemblées coloniales des isles de France et de la Réunion«, 31. August 1795, siehe Punkt 12 und 13; Burnel, Essai sur les colonies orientales, 19 – 20; Wanquet, La première abolition de l’esclavage, 83 – 91. Auch der Gouver­neur Magallon trat für die Schaffung einer Kolonie von freien Farbigen auf Madagaskar ein: Prentout, Decaen, 306. Burnels Projekt provozierte in der Oberschicht der Maskarenen nur Gelächter: Wanquet, Histoire d’une Révolution, Bd. 3, 202 – 209.

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Martinique, Guadeloupe, der Île de France und der Île de la Réunion, von denen man nicht weiß, wohin mit ihnen«, ansiedeln könnte.45 Dazu kämen eine Menge von Räubern, die den Westen und den Süden Frankreichs heimsuchen.46 Dafür sollte man Madagaskar in zwei Zonen einteilen: Der Norden – die Bucht von Antongila und Mahavelona – würde die schwarzen Deportierten aufnehmen. Dafür würde man 400 französische sowie 200 polnische Soldaten – oder »ausländische Deserteure« (»déserteurs étrangers«) – hinschicken, um eine Festung zu bauen. Die weißen Häftlinge würde man dagegen nach Tôlanaro bringen.47 Entsprechend d ­ iesem Projekt sollten die Aufständischen Guadeloupes, die sich Ende 1801 gegen den französischen Gouverneur Lacrosse erhoben hatten, nach Anosy gebracht werden.48 Genauso wie Goulys Vorhaben zeichneten sich ­Bonapartes Pläne durch eine Abwesenheit jeglicher Überlegungen über das Schicksal und die Reaktionen der Indigenen aus. Madagaskar erschien dem ­Ersten Konsul wie eine Terra nullius und konnte ihm daher als Instrument einer auf Rassentrennung aufbauenden Kolonisierung dienen. Sein Projekt war somit kaum mit dem von Lescallier und Forfait kompatibel. Bonaparte beauftragte zudem 1801 den General Decaen, den er als Chef der ostindischen Kolonien vorsah, Pläne für eine Kolonisierung Madagaskars zu entwickeln. Der General brachte Ende 1801 eine Synthese ­zwischen der Idee einer Strafkolonie und dem Assimilierungsprojekt hervor. Nach Decaens Projekt sollten Häftlinge madagassische Frauen heiraten und Madagassen als Lohnarbeiter beschäftigen, was mittelfristig zur Zivilisierung und Assimilierung der Indigenen führen würde. Die Sklaverei sollte in der neuen Kolonie verboten sein. Der Patriotismus würde dank der Schöpfung einer Nationalgarde aufblühen. Bald bekam Decaen die Möglichkeit, etwas Konkretes auf Madagaskar zu bewirken. Bonaparte schickte ihn in der Tat 1802 nach Ostindien, wo er die französischen Kolonien in Südasien unter anderem dank einer Erhebung indischer Fürsten ausbauen sollte. Decaen musste sich jedoch bereits 1803 auf die Maskarenen zurückziehen und spielte daraufhin als Gouverneur eine Schlüssel­ rolle in der Madagaskarpolitik. Um sein Madagaskarprojekt umzusetzen, schickte Decaen bereits Anfang 1802 einen Offizier namens Mécusson nach Tôlanaro. Doch Mécusson gelang es nicht, vom König der Gegend Land zu kaufen; offensichtlich war dieser gegen eine Rückkehr der Franzosen. Hinzu kam, dass der Handel miserabel lief und die Soldaten 45 Bonaparte, Notes sur l’expédition de Madagascar, 499: »déporter de Saint-­Domingue, de la Martinique, de la Guadeloupe, des îles de Fance, de la Réunion tous les noirs et hommes de couleur dont on ne saurait que faire«. 46 Ebd. 47 Ebd. 48 Benot, La Démence coloniale, 39 f., 69.

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unter tropischen Krankheiten litten. Diese Situation, die stark an Maudaves Erlebnisse 35 Jahre zuvor erinnert, bewog Decaen dazu, sein Ziel einer Kolonisierung Anosys aufzugeben.49 Trotz alledem verzichtete Decaen nicht auf die Idee, Kolonien auf der Roten Insel zu errichten. Er schickte Handelskommis nach Madagaskar, die die französischen Händler unter ihre Kontrolle bringen sollten.50 Vor allem wandte der Gouverneur seine Aufmerksamkeit nun Toamasina zu, das aufgrund der Bürgerkriege, die die Region von Mahavelona und die dortige französische Niederlassung verwüstet hatten, zum wichtigsten Hafen für französische Händler geworden war. 1807 ernannte Decaen Sylvain Roux zum »Handelsagenten von Madagaskar« (»agent commercial de Madagascar«), schickte ihn nach Toamasina und wies ihn an, auf die Gründung einer Kolonie in der Region, im Becken des Flusses Ivondro, hinzuarbeiten.

7.4 Die neue Madagaskarpolitik der Restaurationszeit Diese Gegend stand im Visier der französischen Kolonialelite, da Cossigny, der bereits einen großen Einfluss auf Lescallier ausgeübt hatte, seit mehreren Jahrzehnten für ihre Kolonisierung eintrat.51 Der Handelsagent machte sich ­Cossignys Projekt zu eigen und träumte davon, das Flussbecken des Ivondro zu kolonisieren. Dennoch wies sein Plan einen entscheidenden Unterschied zum Projekt C ­ ossignys auf: Roux dachte nicht im Geringsten daran, die Madagassen zu zivilisieren, geschweige denn zu assimilieren. Ihm zufolge lägen die »Philanthropen oder moderne Philosophen« falsch, wenn sie die Madagassen für gut hielten und die Schuld für ihre Gewalttaten bei den Franzosen suchten. Nicht die vermeint­liche Tyrannei der Franzosen, sondern der immerwährende Hass der »Schwarzen« gegen die »Weißen« habe zu den Massakern in Tôlanaro oder auf Nosy Boraha (frz. Sainte-­Marie) geführt. Folglich erachtete Roux es für unrealistisch, sich unter den Madagassen niederzulassen oder sie umerziehen zu wollen. Die Madagassen hielten noch stärker an ihren Bräuchen und Traditionen als die Chinesen, und selbst diejenigen, die zwanzig Jahre lang unter Franzosen gelebt haben, nähmen ihre alten S ­ itten sofort wieder auf, wenn sie die Gesellschaft der Zivilisierten verließen. Roux wollte deshalb die 49 Prentout, Decaen, 301 – 309. 50 ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, »Arrêté du général Decaen, Capitaine-­général des établissements français a l’est du Cap de Bonne esperance, portant création d’agents commerciaux à Madagascar«, 23. März 1807. 51 Roux zufolge gab Cossignys erneutes Einreichen einer alten Denkschrift im Jahr 1802 den Ausschlag für seine Entsendung in die Region: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Roux an einen Ministerialbeamten, 20. September 1817.

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Einwohner des Ivondrobeckens durch den Kauf ihres Lands umsiedeln oder gewalttätig vertreiben.52 Roux’ Kolonisierungstraum blieb wie so viele andere unverwirklicht. Der Handels­agent war in seiner Amtszeit vor allem damit beschäftigt, mit französischen Händlern zu ringen, die sich in die örtliche Gesellschaft integriert hatten und seine Befehlsgewalt ignorierten. Auch trat er in einen Konflikt mit Z ­ akavolas Nachfolger in Mahavelona, der die Konkurrenz Toamasinas nicht dulden wollte. Mit seinen etwa vierzig Soldaten konnte Roux dem König der Betsimisaraka kaum imponieren. Schließlich musste er 1811 das kleine französische Fort in Toamasina den britischen Streitkräften übergeben, die ein Jahr zuvor die Île de France eingenommen hatten. Aus den Kolonisierungsplänen auf madagassischem Boden wurde abermals nichts.53 Dafür wandte Roux bald seine Aufmerksamkeit der Madagaskar vorgelagerten Insel Nosy Boraha zu. 1817 behauptete Roux, er habe in den fünf Jahren, die er in Toamasina verbrachte, bald erkannt, dass sich die Gegend nicht für eine Kolonisierung eignete. Stattdessen habe er eine Expansion auf Nosy Boraha bevorzugt, da die Einverleibung dieser kleinen Insel ins französische Kolonialreich weniger Konflikte mit den Eingeborenen provozieren würde.54 Ob Roux tatsächlich schon 1807 – 1811 an Nosy Boraha dachte, lässt sich nicht überprüfen. Sicher ist jedoch, dass der ehemalige Handelsagent diese Insel 1817 ins Gespräch brachte und damit eine Wende in der französischen Madagaskarpolitik einleitete. Die neue Politik der Restaurationszeit bewegte sich in den engen Spielräumen, die Frankreich auf Madagaskar nach 1815 genoss. Die französische Monar­ chie hatte sowohl im Vergleich zu Großbritannien als auch im Vergleich zu madagassischen Fürsten entschieden an Einfluss verloren. Der König der Merina, Radama I., war im Begriff, große Teile Madagaskars zu erobern. In seinen Feldzügen ließ er ganze Regionen verwüsten und deren Einwohner versklaven. 1817 verbündete er sich mit Großbritannien. Bereits mehrere Jahre zuvor hatten die Franzosen zudem ihr letztes Fort auf der Großen Insel aufgegeben. Hinzu kam, dass 1810 die Île de France an das Vereinigte Königreich verloren gegangen war und die Londoner Regierung nach den Friedensschlüssen von 1814 – 1815 die Herrschaft über Madagaskar beanspruchte. Die Insel zählte in ihren Augen nämlich zu den Dependancen der ehemaligen Île de France, die unter ihrer Herrschaft nun wieder Mauritius genannt wurde. 52 ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Roux an den Marineminister, 20. August 1810: »philanthropes ou modernes philosophes«. 53 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 99, S. 97, »Essai sur Madagascar«, 1816 – 1817; Prentout, Decaen, 310 – 323; Filliot, Les Établissements français, 80 – 83. 54 ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Roux an einen Ministerialbeamten, 20. September 1817.

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Mehrere Jahre lang verzichtete das Königreich Frankreich darauf, auf Madagaskar wieder Fuß zu fassen, um keinen Konflikt mit den Briten zu provozieren. Nicht einmal die französischen Händler durften auf der Großen Insel ihre Tätigkeit ausüben, da der Gouverneur von Mauritius darauf bestand, dass sie sich seine Erlaubnis einholten. Die Pariser Regierung behauptete dagegen, die Nieder­lassungen auf Madagaskar s­ eien in den Friedensschlüssen nie erwähnt und deshalb nicht an Großbritannien abgetreten worden. Rechtlich gesehen waren die Niederlassungen der Ostküste in ihren Augen noch im Besitz Frankreichs. Zudem erinnerten der Intendant der Île Bourbon und Roux daran, dass Madagaskar eigentlich keinem europäischen Monarchen, sondern nur den eingeborenen Königen gehörte.55 Im Februar 1817 wurde der Konflikt auf diplomatischem Wege beigelegt: London erkannte den Anspruch Frankreichs auf seine alten Niederlassungen auf der Großen Insel an. Dennoch vertraten beide europäischen Staaten weiterhin eine unterschiedliche Sichtweise auf die rechtliche Situation Madagaskars. Während die britische Regierung nun darauf pochte, die Insel sei unabhängig, gingen die französischen Politiker davon aus, mindestens die gesamte Ostküste sei im Besitz Frankreichs. Aufgrund dieser Divergenzen befürchtete die französische Elite noch 1819 die Reaktion der britischen Regierung, falls Frankreich die Kolonisierung eines Teils Madagaskars unternehmen würde.56 Die gegensätzlichen Einschätzungen der rechtlichen Lage der Europäer auf Madagaskar führten zum unterschiedlichen Auftreten der britischen und der französischen Elite gegenüber den madagassischen Königreichen. Der Generalkapitän der französischen Besitzungen jenseits des Kaps der Guten Hoffnung, Pierre Bernard Milius, zeigte sich schockiert, als der Gouverneur von Mauritius, Sir Robert Farquhar, die Brüder des Merinakönigs Radama I. wie europäische Fürsten empfing.57 Milius weigerte sich auch, mit dem König von Toamasina, Jean-­ René, Briefe auszutauschen. In seinen Augen gab es »nichts Lächerlicheres […] 55 Notiz des Intendanten von Bourbon (ordonnateur de l’île Bourbon), Marchant: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, 8. Oktober 1814; ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Roux an den Direktor der Kolonialabteilung im Marineministerium (directeur des colonies), Baron Portal, 20. November 1816; ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, »Extrait de la correspondance de MM. les administrateurs de Bourbon, parvenue au bureau le 4 octobre 1816«, (siehe den Brief vom 15. Mai 1816 über Farquhar und den Brief vom 10. Juni 1816). 56 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Roux an den Marineminister Mauduit, 10. September 1819; Notiz eines Ministeriumangestellten für Mauduit: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Nottes pour M. Mauduit directeur des colonies«, September 1819; Notiz für den Ministerrat: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Note pour le conseil des ministres«, Oktober 1819. 57 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Milius an Forestier, 28. August 1819.

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als den kindischen Anspruch Jean-­Renés und Radamas, die die Frechheit haben, sich als Herrscher zu erachten, die auf Augenhöhe mit dem König von Frankreich verhandeln können«.58 Milius’ Verachtung für Jean-­René hatte sicherlich mit seiner ehemaligen sozialen Stellung zu tun. Jean-­René, der in den 1810er Jahren die Macht in Toamasina ergriff, war 1773 als Sohn eines französischen Sklavenhändlers und einer Madagassin zur Welt gekommen und vor allem auf der Île de France groß geworden. 1798 fand er in der französischen Niederlassung von Toamasina eine Beschäftigung als Dolmetscher. Im Machtvakuum, das die Erbfolgekriege im Königreich der Betsimisaraka hinterließen, konnte er nach eigenen Angaben Ende 1812 die Herrschaft in Toamasina übernehmen und seinen Bruder zum Ältesten eines Dorfs in dieser Region ernennen. Dabei suchte er trotz seiner Herkunft das Bündnis mit Großbritannien, nicht mit Frankreich.59 Milius’ Verachtung hielt Jean-­René nicht davon ab, den Franzosen gegenüber selbstsicher aufzutreten. Dass er unter Roux als Dolmetscher in Toamasina gedient hatte, bevor er die Herrschaft ergriff, ließ er sich nicht anmerken. Stets zeigte er sich als souveräner Fürst, der sich die Rückkehr von französischen Handelskommis wünschte, sich jedoch gegen die Wiedererrichtung eines französischen Forts in Toamasina wehren würde. Den erstaunten Gesandten der französischen Regierung, die in Jean-­René eigentlich einen Franzosen oder zumindest einen Vasallen Frankreichs sahen, schlug er offen vor, Frankreich solle Siedler s­ chicken, diese würden aber unter seiner Herrschaft bleiben. Auch schrieb er Ludwig XVIII. einen Brief, um ihn um Einwanderer zu bitten. Die Franzosen winkten d ­ ieses Angebot als »lächerlich« (»ridicule«) ab, doch die Briten unterstützten mit dem Transport von indischen Kulis in der Tat den Aufbau von Plantagen auf Jean-­ Renés Territorium.60 58 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Milius vermutlich an einen Kommis des Marineministeriums, 30. Januar 1819: »rien ne me semble plus ridicule, pour ne pas dire plus, comme les prétentions puériles de Jean René et de Radama qui ont l’insolence de se croire des autorités suffisantes pour traiter d’égal á égal avec le Roi de france«. Weitere ähnliche Aussagen Milius’ über Jean-­René: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Milius an Mauduit, 13. Oktober 1819. 59 MHN, Ms. 3001, Jean-­René an Lord Farquhar, 1813; Randrianja/Ellis, Madagascar, 121, 123, 275. 60 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Observations faites par l’agent commercial de Madagascar dans l’exploration de la côte orientale de cette île, […] en septembre, octobre, novembre et décembre 1818«, 11 – 13; Bericht von Frappaz: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, 1. Oktober 1819; ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Albrand an Milius, 19. Juli 1819; ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Jean-­René an Ludwig XVIII., 8. Dezember 1818. Zu den englischen Plantagen in der Region von Toamasina: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Rapport de Bréon«, 20. Januar 1819,

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Trotz der Weigerung, die Herrschaftsansprüche madagassischer Fürsten anzuerkennen – ohne gute Beziehungen zu Jean-­René und Radama konnte Frankreich auf der Großen Insel wenig bewirken. Die Briten hatten sich durch die aktive Unterstützung dieser beiden Könige – vor allem durch die Ausbildung und Ausstattung der Armee des Merinakönigs – einen maßgeblichen Einfluss auf das Hochland und die Ostküste Madagaskars gesichert. Die Männer, die die französische Regierung auf die Rote Insel schickte, waren sich sehr wohl bewusst, dass ihre Nation erst durch ein Bündnis mit diesen Königen in diesen Gegenden wieder Fuß werde fassen können. Sie waren sehr beeindruckt von der Expansion Radamas, der in ihren Augen bald die gesamte Insel beherrschen würde. Sie glaubten auch an die Möglichkeit, diese Fürsten vom britischen Bündnis zu lösen, denn sie dachten, Radama und Jean-­René s­ eien von den »Engländern«, die ihre Versprechen nicht hielten, zutiefst enttäuscht und liebten die französische Nation. Roux kannte seinen ehemaligen Mitarbeiter Jean-­René sehr gut und vertraute auf dessen patriotische Gefühle. In der Pariser Zentrale war man jedoch überzeugt, Radama oder Jean-­René nicht um Erlaubnis für den Aufbau von Kolonien bitten zu können, ohne die Besitzrechte und die Würde Frankreichs zu gefährden.61 Der Einflussverlust war für die französische Elite umso schwieriger zu verkraften, als der Zustand des Kolonialreichs in ihren Augen eine Expansion auf Madagaskar dringender denn je machte. Saint-­Domingue, die »Perle der Antillen«, war verloren und die Abschaffung des Sklavenhandels ließ einen Niedergang der anderen karibischen Besitzungen erwarten. Vor allem aber hatte Frankreich die Île de France eingebüßt und damit nicht nur eine wichtige Plantagenkolonie, sondern auch seinen einzigen sicheren Hafen im Indischen Ozean verloren. Aus diesen Gründen beauftrage die Regierung Forestier, Mitglied des Staatsrats und Vizepräsident des Marinerats, einen Ort für eine neue französische Niederlassung in d ­ iesem Meer vorzuschlagen. Diese sollte sowohl einen landwirtschaftlichen als auch einen militärischen Charakter haben.62 5 f. Jean-­René demonstrierte in seiner Residenz durch Flaggen und andere Gegenstände seinen Status als Verbündeter Großbritanniens: Frappaz, Voyages, 138 f. 61 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Observations faites par l’agent commercial de Madagascar dans l’exploration de la côte orientale de cette île, […] en septembre, octobre, novembre et décembre 1818«, 8 – 11; ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Copie du rapport du baron Armand de Mackau au gouverneur de ­Bourbon«, 21. Dezember 1818; Bericht eines Ministerialbeamten an Forestier: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, 28. August 1819; ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Milius an Mauduit, 13. Oktober 1819; Bericht Frappaz an Milius: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, 31. Mai 1819. 62 ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, »Mémoire sur un projet d’établissement à Madagascar« [Projekt von Forestier], Mai 1817.

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Dennoch ließ sich Forestier schließlich von einem Kolonisierungsprojekt überzeugen, das nicht in der Tradition der Spätaufklärung stand: Forestier bat Roux um Rat und übernahm dessen Ansichten. Forestiers und Roux’ Plan war es, Nosy Boraha Frankreich einzuverleiben, um erst anschließend, wenn die Franzosen eine solide Basis auf dieser kleinen Insel besitzen würden, eine gewichtigere Kolonie an der Ostküste Madagaskars, in der Bucht von Taingy-­taingy (frz. Tintingue), zu etablieren. Die Einwohner Nosy Borahas sollten vertrieben werden. An ihrer Stelle sollten Häftlinge und Sklaven zwangsangesiedelt werden. Zwar war der Sklavenhandel offiziell verboten, doch die Sklaven sollten als »engagés« gelten, das heißt: als unfreie Arbeiter, die man von den Merina kaufen und nach vierzehn oder fünfzehn Jahren freilassen würde, falls sich diese nicht für weitere zehn Jahre verpflichteten. Isoliert von den »heuchlerischen« und »perfiden« Madagassen, sollten die Franzosen endlich das alte Projekt einer Kolonisierung der Großen Insel umsetzen – ein Projekt, das »so oft konzipiert und so oft aufgegeben wurde«, wie Roux betonte.63 Die Kolonie würde die Madagassen langfristig vermutlich zu Fortschritten animieren, ihre Zivilisierung jedoch keineswegs zum Ziel haben.64 Mit diesen Worten überzeugte Roux nicht nur Forestier, sondern auch die Beamten des Marineministeriums, die ebenfalls eine französische Kolonie abseits der madagassischen Siedlungen bevorzugten.65 Das Projekt, Sträflinge zu importieren, wurde im Übrigen weiterhin mit dem Verweis auf die britische Strafkoloniale in der australischen Botany Bay legitimiert; 63 Roux’ Denkschrift für Forestier und das Marineministerium: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, »Extrait d’un mémoire relatif au projet d’établissement à l’île de Madagascar adressé à M. le conseiller d’État chargé de la direction supérieure de l’administration des colonies, par M. Roux agent commercial de Madagascar«, 2. Mai 1817: »caractère […] dont la dominante est l‘hypocrisie et la perfidie«, »projet tant de fois conçu, et si souvent abandonné«. Siehe weiter ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Roux an einen Ministerial­beamten oder an Forestier, 2. Mai 1817; ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Forestier an Roux, 21. Mai 1817. Forestiers Denkschrift: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, »Mémoire sur un projet d’établissement à Madagascar«, Mai 1817; ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Marineminister an Forestier, 29. Mai 1817; ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Roux an den Ministerialbeamten Saint-­Hilaire, 25. Mai 1817. Siehe zu Forestier und Roux auch Géraud, Dans le sud-­ouest de l’océan Indien, 40 – 43. Das Projekt, für die Kolonie Sklaven zu kaufen, hinderte Roux nicht daran, ein Ende des Sklavenhandels in Aussicht zu stellen: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Roux an Mauduit, 11. September 1819. 64 ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Roux an Saint-­Hilaire, 17. Dezember 1817. 65 Notiz eines Ministerialbeamten: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, »Sur le désir exprimé par Roux de revenir en France aussitôt son exploration de Madagascar a­ chevée, et sur une opinion émise par l’auteur anglais Colqu’houn relativement aux facilités qu’offre pour des établissements coloniaux l’île dont il s’agit«, 27. November 1817; ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Roux an Saint-­Hilaire, 17. Dezember 1817.

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Roux übersetzte eine Schrift über diese Kolonie für das Marineministerium aus dem Englischen.66 Dennoch billigte die französische Regierung aus finanziellen Gründen die Errichtung der Kolonie vorerst nicht. Vor der Umsetzung des Projekts verlangte sie präzisere Informationen über Nosy Boraha. Roux hatte diese Insel allerdings nur vom Schiff aus gesehen und legitimierte seine Pläne vor allem mit dem Hinweis auf die Aussagen eines befreundeten Händlers aus Nantes, der dort gelebt hatte.67 Der Marineminister beschloss deshalb im Herbst 1817, Roux zusammen mit einem Ingenieurgeographen­ (ingénieur-­géographe) und einem Botaniker an die Nordostküste Madagaskars und vor allem auf Nosy Boraha zu entsenden. Die drei Männer sollten überprüfen, ob man dort eine landwirtschaftliche und militärische Kolonie errichten könnte.68 Die Expedition fand von September bis Dezember 1818 statt und verlief nach Roux’ Angaben erfolgreich. Der Handelsagent nahm feierlich Nosy Boraha für den französischen König wieder in Besitz, indem er die »Pyramide« von 175369 von Pflanzen befreien, die weiße Fahne hissen und feierlich Kanonen schießen ließ. Seinem Bericht zufolge ­seien die Eingeborenen glücklich über die Rückkehr der Insel in den Schoß Frankreichs gewesen, auch wenn eine Verwandte der ­inzwischen verstorbenen Königin Betia implizit finanzielle Forderungen stellte.70 66 Entwürfe eines Briefs des Staatsrats an Forestier: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Staatsrat an Forestier, ohne Datum; ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Roux an den Marineminister, ohne Datum (beantwortet am 20. November 1817). Bereits 1810 verwies Roux auf das Vorbild von Botany Bay: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Roux an den Marineminister, 20. August 1810. 67 ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, »Notes demandées à Nantes, à M. Vauvercy, sur Sainte-­Marie«, Juli 1817; ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, »Double minute. Le ministre aux commandants à Bourbon«, 9. Oktober 1817; ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Forestiers an Saint-­Hilaire, 16. Juni 1817; ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Roux an Saint-­Hilaire, 14. Juli 1817. 68 ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Marineminister an die Verwalter der Île Bourbon, 9. Oktober 1817; ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Roux an Saint-­Hilaire, 11. Dezember 1817; Entwurf von Instruktionen für Roux: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, [1817]. Roux beklagte sich wiederholt über die geringen Mittel, die der E ­ xpedition zugeteilt wurden: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Roux an den Marine­minister, 11. und 21. Oktober 1817; Bericht eines Ministerialbeamten, dem der Marineminister zustimmte: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, 7. November 1817. Als kleines Extra konnte er nur die Anfertigung von Medaillen für die »Häuptlinge« Madagaskars durchsetzen: siehe die Mappe dazu in ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Mappe mit dem Titel »Octobre à Decembre 1817. Medailles frappées pour Madagascar«. 69 Siehe den Anfang des Kapitel 1. 70 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, S. 35 f., »Observations faites par l’agent commercial de Madagascar dans l’exploration de la côte orientale de cette île, ordonnée par

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Der ­Schiffskapitän Mackau lieferte eine Erklärung für die reibungslose Inbesitznahme Nosy Borahas. Er vermutete, dass bei den Zana-­Malata die Angst vor Radama so groß war, dass die französische Präsenz als ein geringeres Übel gelten konnte.71 Nichtsdestotrotz scheint die Rückkehr der Franzosen sogleich mindestens einen Teil der örtlichen Oberschicht beunruhigt zu haben; eine adlige Frau bat darum, die Grabmäler ihrer Ahnen auf die Große Insel überführen zu dürfen, was Roux ihr verwehrte.72 Nach Nosy Boraha nahm Roux Taingy-­taingy in Besitz. Tsifanin, der dem Königsgeschlecht der Betsimisaraka entsprang, suchte aufgrund des Konflikts seiner Familie mit dem Emporkömmling Jean-­René und aus Angst vor Radama besonders eifrig das Bündnis der Franzosen. Vermutlich auf die Hilfe anspielend, die die Île de France seinem Vorfahren Iavy hatte zukommen lassen, erinnerte er daran, dass er seine Herrschaft den Franzosen verdanke. Er bekundete inbrünstig seine Treue zur französischen Nation und verpflichtete sich, die Franzosen und deren Fahne stets zu verteidigen.73 Roux hielt nichtsdestotrotz nicht viel von ihm. Obwohl Tsifanin wie die anderen Fürsten eine sakrale Stellung innehatte und ihm magische Kräfte zuerkannt wurden, schätzte der Handelsagent, dass er nur wenig Autorität besitze. Nicht mit Tsifanin, sondern mit Radama müsse Frankreich verhandeln.74 Roux bezog in den Konflikten der Ostküste eindeutig Stellung: Um nicht den Fürsten der Betsimisaraka, die mit Jean-­René verfeindet waren, Freundschaft zu bezeugen, weigerte er sich, in Mahavelona an Land zu gehen.75 Trotzdem segelte er zurück nach Frankreich mit Söhnen beider Parteien, einem Sohn Fiches, des Bruders und Erben Jean-­Renés, und einem Sohn Tsifanins.76

son excellence le ministre de la marine, et exécutée à bord des flutes de Sa majesté Le Golo et le Lys en septembre, octobre, novembre et décembre 1818«, ohne Datum. Bréons Beschreibung der »Inbesitznahme« der Insel: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Rapport de Bréon«, 20. Januar 1819, 18. 71 Bericht des Barons von Mackau über Madagascar an Milius: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, 1818. 72 ANOM , Séries géographiques, MAD 6 14, S. 37, »Observations faites par l’agent commercial de Madagascar […] en septembre, octobre, novembre et décembre 1818«. Merkwürdigerweise interpretiert Roux diese Szene als ein guter Beweis dafür, dass die Indigenen die französische Herrschaft vollkommen akzeptieren würden. 73 Ebd., S. 43 f.; Bericht Mackaus an Milius: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, 1818; Bericht Albrands an Milius: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, 19. Juli 1819. 74 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, S. 44, »Observations faites par l’agent commercial de Madagascar […] en septembre, octobre, novembre et décembre 1818«, ohne Datum. 75 Ebd, S. 15; ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Rapport de Bréon«, 20. Januar 1819 (S. 8). 76 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Roux an Mauduit, 14. Juli 1819; ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Mauduit an Milius, 18. August 1819.

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Der ehemalige Handelsagent in Toamasina sah seine Theorien über die Eignung Nosy Borahas vollkommen bestätigt. Während ihm zufolge Toamasina und das Ivondrobecken aus politischen Gründen und wegen der Unsicherheit des Hafens für eine Kolonisierung nicht in Betracht gezogen werden sollten, konnte man die zahlenmäßig geringe Bevölkerung Nosy Borahas dazu bringen, die Insel zu verlassen, und an ihre Stelle »engagés« – das heißt Sklaven – ansiedeln. Seinem ursprünglichen Kolonisierungsplan blieb Roux in allen Punkten treu.77 Die anderen Expeditionsteilnehmer pflichteten ihm insofern bei, als sie alle glaubten, man könne die Madagassen weder zum Fortschritt noch zum Arbeiten bewegen. Der Schiffskapitän Mackau konnte sich kaum vorstellen, dass man in naher Zukunft diese »Menschen, die nur wenige Bedürfnisse haben, so intelligent sind und so sehr auf ihre Unabhängigkeit achten«, dazu bringen könnte, den Boden auf Plantagen zu bebauen. Dem stünde unter anderem das nicht zu zerstörende »Vorurteil« im Weg, dass Landarbeit etwas für Frauen sei.78 Der königliche Landvermesser Petit de La Rhodière urteilte, die Madagassen s­ eien so »eitel«, dass sie jegliche Innovation ablehnten. Sie lachten nur über die Werkzeuge der Europäer und könnten deshalb von den Siedlern nur für wenige Dienste angestellt werden.79 Der Botaniker Bréon schätzte die Madagassen als »überaus faul, trunksüchtig und abergläubisch« ein. In seinen Augen kannten sie »weder Handel noch Landwirtschaft«; aufgrund seines »Aberglaubens« werde man ­dieses Volk niemals dazu bringen können, ein Feld umzupflügen.80 Man müsse stattdessen bereits »akklimatisierte« Menschen importieren – also Sklaven aus Afrika.81 Die Expeditionsteilnehmer waren sich somit einig, dass man den Traum einer Kolonialexpansion durch Zivilisierung und Assimilierung der Eingeborenen aufgeben müsse. Sie überzeugten den Gouverneur Milius, dass »die Trägheit dieser 77 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Observations faites par l’agent commercial de Madagascar«, 1818. 78 Berichts des Barons von Mackau über Madagascar an Milius: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Mission et rapport du baron de Mackau sur Madagascar«, 1818: »Il est difficile de prévoir comment on pourrait amener à cultiver la terre des hommes aussi dépourvus de besoins, aussi intelligents et aussi jaloux de leur indépendance que les Malgaches.« 79 Bericht von Petit de la Rhodière: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Rapport sur quelques parties de Madagascar par M. Petit de la Rhodière«, 10. Februar 1819, S. 38 f.: »vanité«. 80 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Rapport de Bréon«, 20. Januar 1819, S. 33: »Ce peuple est extrêmement paresseux, ivrogne, et superstitieux, il ne se livre à aucune branche de commerce et ne connait pas l’agriculture«. 81 Ebd., S. 33 f. Frappaz war optimistischer, was die Möglichkeit angeht, die Madagassen zu zivilisieren, obwohl er auch ihre Faulheit und ihren verdorbenen moralischen Charakter betonte: Frappaz, Voyages, 118, 159.

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unglücklichen Einwohner unbezwingbar zu sein scheint«.82 Diese Sichtweise spiegelte ihre Enttäuschung wieder: Die Franzosen hatten wiederholt vergeblich versucht, die Madagassen zu einer Übernahme der »zivilisierten« Lebens- und Arbeitsweisen zu bewegen. Die Indigenen hielten aber an ihren aus Südostasien stammenden landwirtschaftlichen Techniken fest, die von den Franzosen meist verachtet wurden. Auch erkannten alle Expeditionsteilnehmer, dass die neuen Machtverhältnisse auf der Großen Insel einen Rückzug auf Nosy Boraha nahelegten. Sie konnten zwar den Schrecken, der von Radama ausging, auf Nosy Boraha oder in Taingy-­taingy für sich n ­ utzen. Selbst im fernen Tôlanaro akzeptierte der örtliche Fürst 1819 die Rückkehr der Franzosen und den Wiederaufbau Fort-­Dauphins, weil er fürchtete, bald von dem Merina-­Herrscher unterworfen zu werden. Um den Schutz Frankreichs zu genießen, war er bereit, auf die in französischen Augen übertrieben hohen Steuern zu verzichten, die ihm bis dahin ausländische Händler zahlen mussten.83 Doch war allen Expeditionsteilnehmern klar, dass weder diese mindermächtigen Fürsten noch Frankreich den Heeren der Merina Widerstand leisten konnten. Es war daher vorsichtiger, die Hauptinsel zu verlassen. Die Expeditionsteilnehmer und diverse Kenner Madagaskars teilten zwar keines­wegs einhellig die Meinung Roux’, Nosy Boraha eigne sich für den Aufbau einer landwirtschaftlichen Kolonie. Im Gegenteil dachten die meisten, Nosy Borahas sandiger Boden würde miserable Plantagen hergeben und die zahlreichen Sümpfe der Insel viele Leben fordern, während Tôlanaro einen viel besseren Boden und ein deutlich gesünderes Klima aufweise.84 Mackau, der zu einer Kolonisierung Nosy Borahas tendierte, verweigerte eine deutliche Stellungnahme aus Angst, für den Tod von Tausenden seiner Mitbürger Verantwortung tragen zu müssen.85 82 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Milius an Mauduit, 13. Oktober 1819: ­»l’inertie de ces malheureux habitants parait invincible«. 83 Bericht des Schiffskapitäns Frappaz an Milius: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, 1. Oktober 1819, S. 39 f.; Kopie eines Briefs Albrands an Milius: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Albrand an Milius, 11. September 1819. Siehe auch Frappaz, Voyages, 149 f. 84 Der ­Ingenieurgeograph Schneider war ein Anhänger Fort-­Dauphins: Bericht von Schneider an Milius: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, 16. April 1819. Petit de la Rhodière hielt Nosy Boraha für ungesund: Bericht: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, 10. Februar 1819. Der Schiffskapitän Frappaz, sein Erster Offizier Henry und der Händler Hugon waren alle der Meinung Schneiders: Bericht von Frappaz: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, 1. Oktober 1819, S. 3; Bericht von Henry an Milius: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Rapport de Henry, Joint à une lettre du gouverneur de Bourbon du 13 octobre 1819«; diverse Denkschriften von Hugon in: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15. 85 Bericht von Mackau: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, 1818.

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Dennoch überwogen schließlich die sicherheitspolitischen Überlegungen. Der Gouverneur der Île Bourbon Milius unterstützte aus ­diesem Grund das Projekt einer Kolonisierung Nosy Borahas, obwohl er glaubte, dass sich Anosy für den Aufbau von Plantagen besser eignete.86 Im Marineministerium überzeugte Roux’ Idee, räumlich getrennt von den Madagassen und mit importierten Sklaven eine Kolonie auf der tropischen Insel aufzubauen.87 Der Marineminister wies daher Ende August 1819 Forestier an, mit Roux und Mackau, die zwischenzeitlich nach Frankreich zurückgesegelt waren, eine aktualisierte Fassung seines Plans für eine Kolonisierung Nosy Borahas zu verfassen.88 Wie zu erwarten war, stand die Endversion des Vorhabens im November 1819 in der Kontinuität zu den ursprünglichen Ideen Roux’ mit all ihren Widersprüchen: In der Kolonie sollte es keine Sklaverei geben, doch man würde versklavte Zwangsarbeiter kaufen; man sollte sich nicht in die Konflikte ­zwischen Madagassen einmischen, aber die Wahl der »Häuptlinge« beeinflussen.89 Während in Paris die Kolonisierung Nosy Borahas und Taingy-­taingys geplant wurde, präsentierte sich die Situation vor Ort ganz anders, als Roux und Forestier es sich vorstellten. Bereits im Juli 1819 erhielt der Gouverneur Milius die Nachricht, der »Chef« der Île aux Cailles – einer kleinen Insel, die von Roux Îlot Madame genannt wurde und den natürlichen Hafen von Nosy Boraha schließt – verlange allzu viel Geld für den Verkauf oder die Vermietung von Objekten, die für den Aufbau der Niederlassung vonnöten waren. Der besagte Zana-­Malata war ein Sohn des Fürsten, der 1751 oder 1752 Gosse, den ersten Kommandanten der Niederlassung der Indienkompanie, hatte töten lassen. Auch meldeten die 86 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Milius an Mauduit, März 1819. Auch Hugon glaubte, französische Siedler s­ eien in der Nähe von Jean-­René und Radama nicht in Sicherheit. Er war der Ansicht, nur Anosy weise eine ausreichende Distanz zu Antananarivo und Toamasina auf: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, »Relation sur l’isle de Sainte Marie, accompagnée de détails sur Tamatave, Foulpointe, et sur la baron de Beniowsky«, Februar 1818. 87 Bericht eines Beamten des Marineministeriums (möglicherweise Saint-­Hilaires) an den Minister: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, 28. August 1819. Milius zufolge verfolgte der Dauphin das Projekt mit Interesse: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Roux wahrscheinlich an Forestier, Île Bourbon, 2. Februar 1819. 88 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Mauduit an Forestier, 28. August 1819; ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Mauduit an Mackau, 28. August 1819; ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Forestier an Mauduit, 30. August 1819. 89 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Briefe Forestiers an Mauduit, 28. September, 12. Oktober und 18. November 1819; Forestiers Denkschrift: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Note pour l’expédition de Madagascar«, 1819. Siehe weiter: ANOM, DFC, XVII/mémoires/89, Nr. 112, »Copie du rapport fait à M. Silvain Roux, commandant particulier des établissements français de Madagascar sur la colonie de Sainte-­Marie et la défense militaire du Port-­Louis«, 5. Dezember 1823.

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sich auf Nosy Boraha befindenden Offiziere dem Gouverneur nicht nur, dass die Insel ungesund sei, sondern auch, dass die Indigenen unmöglich zu unterwerfen ­seien und die Besitzrechte Frankreichs keineswegs anerkannten.90 In den folgenden Jahren starb die Hälfte der Soldaten an Krankheiten; französische Siedler blieben aus.91 In der Zeit, als im fernen Frankreich der Staatsrat Forestier dem Marineminister die zweite Version seiner Denkschrift vorlegte, zeigte sich der Gouverneur Milius vollkommen desillusioniert, was die Möglichkeit einer Kolonisierung Nosy Borahas betraf. Den Vorwurf, den Forestier Maudave machte, nämlich vor lauter Begeisterung blind gegenüber der madagassischen Wirklichkeit geworden zu sein, konnte man ihm zufolge auch gegenüber Roux formulieren.92

90 ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Albrand an Milius, 19. Juli 1819. 91 ANOM, DFC, XVII/mémoires/89, Nr. 112, »Copie du rapport fait à M. Silvain Roux«, 5. Dezember 1823; Frappaz, Voyages, 200 f. 92 Bezüglich des Berichts von Roux schreibt Milius: »il y règne un enthousiasme pour les lieux et les habitants qu’il ne serait pas raisonnable d’adopter sans réflexion«, ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, Milius an Mauduit, 17. November 1819.

WISSEN GENERIEREN

8 Vom Geist der Sanftmut Die vorangegangenen Kapitel haben gezeigt, dass Akteure der Madagaskarpolitik bis in die Revolutionszeit hinein bestimmte Madagaskarbilder mobilisierten, um für eine »sanftmütige« Kolonialexpansion zu plädieren. Maudave prägte die Art und Weise, wie über Madagaskar geschrieben wurde, nachhaltig. Es stellt sich somit die Frage, inwiefern es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht nur bei einigen Autoren, sondern auch im französischen Staatsapparat eine vorherrschende Art und Weise gab, über Madagaskar zu schreiben, und inwieweit diese die ministerielle Politik beeinflusste. In der Forschung wurde sowohl von Historikern als auch von Spezialisten der Literatur über den Indischen Ozean herausgearbeitet, dass die Schriften über Madagaskar aus dem späteren 18. Jahrhundert von häufig wiederkehrenden Mustern geprägt sind, die ein realitätsfernes Bild von der Großen Insel vermittelten.1 Unter dieser Prämisse sind die Texte über Madagaskar und die Kolonialprojekte der Franzosen aus dem Mutterland und den Maskarenen in der Revolutionszeit untersucht worden, insbesondere die des Abgesandten der Nationalversammlung Daniel Lescallier.2 In d ­ iesem Kapitel geht es darum, diesen Phänomenen präziser nachzugehen. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit im 18. Jahrhundert ein Madagaskardiskurs entstand und wenn ja, wie dieser benutzt wurde. Der Fall Madagaskars soll zu verstehen helfen, wie die Geschichte der Beziehungen ­zwischen Wissen und kolonialer Herrschaft geschrieben werden kann und inwiefern sich die Produktion imperialen Wissens und die Kolonialexpansion gegen­seitig stützten. Hier soll gezeigt werden, dass sich im Kontext kolonialen Scheiterns in Frankreich ein utopischer Diskurs durchsetzte, der den Entscheidungsträgern kaum dabei half, eine realistische Politik zu entwickeln. Die historische Diskursananalyse hat seit den 1970er Jahren den Blick auf den Konnex z­ wischen Wissens- und Machtformationen gerichtet. Vor allem von Foucault beeinflusst untersucht sie »Aussagefelder, ­welche regulieren, was gedacht, gesagt und getan werden kann«.3 In ­diesem Sinne leistet die Analyse von »personenübergreifenden Rede- und Textsystemen« einen Beitrag zur Erforschung der Machtverhältnisse.4 Wie die Begriffsgeschichte ist die Diskursgeschichte 1 Wanquet, Entre Délire de conquête et parcimonie; Zatorska, Discours colonial; Racault, Les premières tentatives coloniales; Gigan, Bernardin de Saint-­Pierre. 2 Bois, Les Franco-­mauriciens; Wanquet, La première abolition de l’esclavage; Sylla, Un envoyé de l’Assemblée nationale; dies., La côte orientale de Madagascar. 3 Zitat: Landwehr, Geschichte des Sagbaren, 81. Aus dem Werk Foucaults siehe vor allem L’Ordre du discours; ders., Histoire de la sexualité. 4 Haslinger, Diskurs, 27.

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auch eine fruchtbare Methode, um Ideen- und Sozialgeschichte zu verbinden.5 Der Begriff »Diskurs« ist nützlich, um Dispositionen des Redens in Verbindung mit Machtansprüchen zu bezeichnen, wie sie etwa die Orientalismusforschung untersucht.6 Allerdings sollen Machtansprüche nicht mit Machtverhältnissen verwechselt werden. Zwar besteht Macht niemals jenseits ihrer symbolischen – also auch sprachlichen – Konstruktion, wie die Kulturgeschichte des Politischen herausgearbeitet hat.7 Doch die Aktualisierung von Sprachformationen wird stets in Sprechakten von Akteuren mit Wirkungsabsichten und Geltungsansprüchen vollzogen.8 Diese politischen Akteure greifen auf Diskurse in einer Wettbewerbssituation zurück, in der sie versuchen, sich gegen andere durchzusetzen. So betont die neuere Wissensgeschichte, dass Wissen nicht mit Macht gleichgesetzt werden soll, sondern dass Wissensbestände unterschiedliche Funktionen für diverse Akteure erfüllen.9 Daher soll der Begriff »Diskurs« hier weit gefasst und dafür benutzt werden, regelmäßig auftretende Dispositionen des Wissens zu beschreiben, die ein Objekt im Zusammenhang mit Machtansprüchen konstituieren. Ein Diskurs setzt die Etablierung kohärenter Wissensbestände über ein Objekt voraus. Diese ermöglichen es politischen Akteuren, sich d ­ ieses »Skripts« bedienten, um für ein Anliegen zu plädieren und Geltungsansprüche zu formulieren. Im Folgenden soll untersucht werden, inwiefern die oben erwähnten wiederkehrenden Muster in den Schriften über Madagaskar ein Ensemble von Deutungsmustern ausmachten, das Komplexität reduzierte, die Wirklichkeit ordnete, das Feld des Sagbaren begrenzte und im Zusammenhang mit Machtansprüchen stand.

8.1 Madagaskar in der Spätaufklärung Die Madagaskarbilder, die Maudave in seinen Schriften verbreitete und die Beňovskýs Schreibstrategien beeinflussten, finden sich in zahlreichen Texten des ausgehenden 18. Jahrhunderts wieder. Zusätzlich zu den bereits genannten ­Valgny, Maudave und Beňovský und den Ministerialbeamten sind weitere 26 Autoren namentlich bekannt, die ­zwischen 1770 und 1816 über fünfzig ungedruckte Denk­ schriften und denkschriftenartige längere Briefe verfassten und sich dabei des von Maudave produzierten Madagaskarwissens bedienten. Außerdem sind ca.

5 Bödeker, Ausprägungen der historischen Semantik. 6 Said, Orientalismus; Wolff, Inventing Eastern Europe. 7 Stollberg-­Rilinger, Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? 8 Skinner, ‘Social Meaning’. 9 Brendecke, Imperium und Empirie; Friedrich, Die Geburt des Archivs, 193.

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vierzig anonyme Denkschriften überliefert, die ähnliche Deutungsmuster und Wissensbestände aufweisen.10 Von den späten 1760er Jahren bis zum frühen 19. Jahrhundert wurde nur eine kleine Minderheit von Denkschriften verfasst, die von Maudaves Diskurs abwichen. Die Reihe der Madagaskarbilder, die immer wieder bemüht wurden und in enger Symbiose mit Kolonisierungsplänen standen, ließe sich wie folgt zusammenfassen: Madagaskar sei eine äußerst reiche Insel, die zum Zentrum eines Kolonialreichs in Ostindien werden, alle Handelswaren beider Indien hervorbringen und ein Reservoir für Soldaten in d ­ iesem Teil der Welt bilden könne. Während die französische Herrschaft in Indien instabil sei, könne man auf der Großen Insel ein solides Imperium aufbauen. Durch die Beherrschung Madagaskars könnten die Franzosen die Briten machtpolitisch überflügeln. Besonders gewinnversprechend an Madagaskar sei, dass die Insel – im Gegensatz zur Karibik noch vor einem Jahrhundert – nicht menschenleer sei. Man müsse daher keine Sklaven aus Übersee importieren. Die Madagassen stellten eine zahlreiche, billige und nicht ganz ungebildete Arbeitskraft dar. Diese nicht mehr wilden Barbaren s­ eien sanft, gesellig und ahmten gerne die gesitteten und arbeitsamen Völker nach. Sie litten aber unter der Tyrannei ihrer Fürsten, lebten in Unrast, führten sinnlose Kriege gegeneinander und kannten weder eine Religion noch die Genüsse des Luxus. Man könne ihren Aberglauben ausnutzen, um an Ansehen und Autorität unter ihnen zu gewinnen. Zugleich liebten sie ihre Freiheit, so dass es schwierig sei, sie mit Waffengewalt zu unterwerfen. Aus diesen Gründen könne und solle man sich den Madagassen gegenüber sanft zeigen und ihnen die Vorteile der Zivilisation vor Augen führen. Durch die Ansiedlung von tüchtigen Bauern und Handwerkern von der Île Bourbon, aus Europa oder Asien würden die Madagassen ihre Kenntnisse der Künste verbessern, die Bequemlichkeiten des Luxus kennenlernen und fleißiger werden. Eheschließungen ­zwischen Franzosen und Madagassinnen würden helfen, neue französische Bürger heranzuzüchten. Mittelfristig werde sich auch das Christentum durchsetzen. Angesichts des Wohlstands, der Gerechtigkeit und der Sicherheit, die die französische Kolonie bieten würde, würden sich die Madagassen freiwillig unterwerfen. Wenn die bisherigen Expansionsversuche fehlgeschlagen haben, dann liege es an der fehlgeleiteten gewalttätigen Politik der Gouverneure, dem fanatischen Konversionseifer der Kleriker und dem tyrannischen Auftreten der Kolonisten.11 10 Die ungedruckten Denkschriften sind in folgenden Beständen auffindbar: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88 und MAD 159 207; MAE Asie 4; BnF, NAF N°9344, 9345, 9381, 9413. Für mehr Details siehe Anhang. 11 Für einen chronologisch geordneten Überblick über die Denkschriften siehe Anhang. Hier ­seien nur einige wenige typische Denkschriften genannt: ANOM, DFC, XVII/ mémoires/88, Nr. 81, Meunier, »Observations sur un nouveau plan d’établissement

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Darüber hinaus springt auch eine Ordnung des Diskurses ins Auge, die zwar nicht zwingend war, doch vielen Denkschriftenautoren angemessen erschien. Diese geben die Informationen in ihren Schriften in einer bestimmten, leicht variierenden Reihenfolge wieder: Am Anfang stehen die unterschiedlichen französischen, portugiesischen, arabischen und madagassischen Namen der Großen Insel (manchmal mit den Umständen ihrer »Entdeckung« durch die Portugiesen), gefolgt von ihren Koordinaten und Bemerkungen über ihre gewaltigen Ausmaße (»la plus grande isle connue«). Anschließend wird meist die mutmaßliche Bevölkerungszahl genannt, auch werden Angaben zum Klima und zu den Winden gemacht. Es folgen eine Beschreibung der bereits bestehenden und potentiellen landwirtschatlichen Erzeugnisse, Informationen zum Bergbau und zu weiteren Ressourcen. Danach widmen sich viele Autoren Fragen des Fleißes und der Kosten der Arbeitskraft. Sie machen Aussagen zu den ­Sitten und dem vermeintlichen Charakter der Eingeborenen sowie zum Verhalten, das man von ihnen in Zukunft wohl erwarten könne. Danach sprechen sie meist die Geschichte früherer Expansionsprojekte an und führen Episoden aus den vorherigen Kolonisierungsversuchen zur Untermauerung des bereits Gesagten an, bevor sie Pläne zur Etablie­rung einer Kolonie vorstellen.12 Es ging den Denkschriftenautoren also erst um die Verortung und Einordnung der Insel, dann um das Gewinnversprechen und schließlich um die Kolonisierungsmethode und das konkrete Vorgehen. Dieser Aufzählung liegt eine Progression vom Materiellen zum Immateriellen und vom Bestehenden zum Geplanten zugrunde. Auf diese Weise konstruierte der Beschreibungsvorgang die Große Insel als Objekt kolonialer Planung. Hier gilt auch, dass Wissensproduktion und M ­ achtansprüche in einem engen Zusammenhang standen. Die Unterschiede ­zwischen den Denkschriften sind eher geringfügig. Am meisten Uneinigkeit bestand in der Frage, welcher Ort sich am besten für eine Kolonie eigne: Fanjahira (frz. Fanshere), Tôlanaro (frz. Fort-­Dauphin), Toamasina dans l’isle de Madagascar, par M. Duhamel Comte de Précourt colonel d’infanterie et ancien officier de la Compagnie des Indes demeurant en sa maison à Vineuil parc de Chantilly«, 26. August 1783; ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 187, Denkschrift von Siette de La Rousselière, ohne Datum; ANOM , Séries géographiques, MAD 7 15, »Mémoire sur Madagascar, par Siette la Rousselière, daté du Port Nord-­O uest (Île de France) le 6 germinal an XI«, 27. März 1803; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 61, »Projet de Millon d’un établisse­ment françois à Madagascar«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 87, »Monsieur de Kersalaün propose un projet d’établissement à Madagascar«, 1786 – 1787. 12 Beispiele: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 3, Dokument 3, ohne Titel, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 61, Denkschrift von Millon, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Denkschrift von Roze, 1783 – 1784; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 95, Denkschrift von Kerguelen, 28. Oktober 1792.

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(frz. Tamatave), Mahavelona (frz. Foulpointe) oder die Bucht von Antongila.13 Obwohl niemand Einspruch gegen die katholische Missionierung erhebt, betonen zudem nur manche Autoren, die Konversion der Madagassen zum Katholizismus sei für die Kolonialexpansion entscheidend.14 Ein Autor widerspricht weiter Maudave, wenn dieser Eheschließungen ­zwischen Franzosen und Madagassen als ein für die Kolonisierung förderliches Mittel gutheißt.15 Gelegentlich findet sich in den Denkschriften der Plan, eine monopolistische Handelskompanie zu gründen – diese Idee verfolgte auch Beňovský nach seiner Rückkehr nach Europa.16 Nur in einer Denkschrift wird die Gründung einer Soldatenkolonie vorgeschlagen und die in der Französischen Revolution formulierte Idee einer Zivilisierung der Madagassen durch die Einwanderung von emanzipierten Sklaven oder die Deportation von französischen Häftlingen diskutiert.17 Trotz dieser Divergenzen kann man jedoch von relativ einheitlichen Wissensbeständen und damit einhergehenden Vorschlägen in der großen Mehrheit der Denkschriften und von einem in dieser Gattung tradierten Madagaskardiskurs sprechen. 13 ANOM, C 5A 3, Nr. 86, Cossigny an einen Kommis des Marineministeriums, 1. Januar 1773; MAE Asie 4, Nr. 74 (anonyme Denkschrift, ohne Datum), 75 (Denkschrift von Liniers, ohne Datum), 76 (Denkschrift von Meunier, 1784); NAF N°9413, Bl. 272 – 278, »Mémoire de Kerguelen sur l’île de Madagascar«, 27. Dezember 1773; MAD 150 207, »Observations sur Madagascar«, ohne Datum. 14 Betont die Notwendigkeit einer Konversion der Madagassen zum Katholizismus: MAE, Asie 4, Nr. 76, Blatt 192 – 230, »Mémoire raisonné sur un nouvel établissement dans l’isle de Madagascar et les moyens motivés de la soumettre à la puissance du Roy. Par M. Duhamel comte de Precourt, colonel d’infanterie«, 1784, 214; ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, »Observations sur Madagascar«, ohne Datum; Maudaves Ideen über die koloniale Instrumentalisierung der Religion: ANOM, C 5A 2, 11, Bl. 3, Abschriften von Dokumenten über Madagaskar; DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 26, Bl. 2 f., Maudave an Praslin, 28. April 1767. 15 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 222, »Note sur les avantages d’un établissement à Fort Dauphin«, ohne Datum. 16 Zu Beňovskýs Projekt einer Kompanie: MAE, Asie 4, Nr. 65, »Prospectus pour former une compagnie de Madagascar«, ohne Datum; ANOM, C 5A 8, Nr. 83, »Projet pour former une compagnie pour l’isle de Madagascar. Benyowsky«, 9. September 1777; C 5A 8 bis, Nr. 225, »Projet de M. de B. qui propose de former une compagnie à qui le roi concédera l’isle de Madagascar et les isles voisines et observations sur ce projet«, ohne Datum. Cossigny schlägt auch die Gründung einer solchen Kompanie vor: C 5A 3, Nr. 87, Bl. 7, Denkschrift von Cossigny, 1. Januar 1773. 17 Projekt einer Soldatenkolonie: MAE, Asie 4, Nr. 76, Bl. 192 – 230, Meunier, »Mémoire raisonné sur un nouvel établissement dans l’isle de Madagascar«, 1784. Zur Einwanderung von ehemaligen Sklaven siehe: A. N., D/XXV/130, dossier 1019, Nr. 5, »Projet d un mode d’execution du décret du 16 pluviose an 2e«, 31. August 1795; Prentout, Decaen, 306. Zu Decaens Projekt einer Zivilisierung der Madagassen durch deportierte Häftlinge: Prentout, Decaen, 301 – 309.

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8.2 Der Madagaskardiskurs im Marineministerium Denkschriften stellten allerdings nur eine Gattung unter anderen im französischen Staatsapparat dar. Ihre Autoren waren in der Regel weder in Ministerien noch in der Kolonialverwaltung beschäftigt, sondern reichten als Außenstehende ihre Projekte ein. Um zu analysieren, inwiefern die Zentralverwaltung vom spätaufklärerischen Madagaskardiskurs beeinflusst war, muss man also auf andere Quellengattungen zurückgreifen: allen voran die Notizen, die Angestellte des Ministeriums für den Minister verfassten, um d ­ iesem die Entscheidungsfindung zu erleichtern, und den Briefaustausch der Minister und Kommis mit Kolonialakteuren auf der Île de France und Madagaskar. Für die Untersuchung des Madagaskardiskurses ist wichtig zu fragen, w ­ elche Diskussionen über die richtige Politik gegenüber der Großen Insel geführt wurden und inwieweit Ministerialdokumente dem von Maudave, Beňovský, Lescallier und in Denkschriften getragenen Madagaskardiskurs folgten oder ihn im Gegenteil kritisierten. Von besonderer Bedeutung ist es zu eruieren, inwiefern Unterschiede in den Wissensbeständen und Meinungen ­zwischen Frankreich und dem Raum des Indischen Ozeans bestanden: Gab es zusätzlich zum maudavschen Diskurs ein lokales Wissen der Bewohner des Indischen Ozeans, das auch die Franzosen des Mutterlandes beeinflusste? Schließlich soll im Folgenden gefragt werden, ob sich das Marineministerium angesichts der Misserfolge der Kolonisierungspolitik lernfähig zeigte und die Prinzipien seiner Madagaskarpolitik überdachte. Vor Maudaves Ankunft auf Madagaskar im Jahr 1768 hieß der Intendant Poivre in einem Brief an den Marineminister Choiseul-­Praslin das Projekt einer »sanftmütigen« Expansion durch eine Kolonisierungs- und Zivilisierungspolitik auf Madagaskar grundsätzlich gut. Die Umsetzung schien Poivre allerdings schwieriger zu sein, als es Maudave versprochen hatte. Wenn es gelingen sollte, die Indigenen durch die Zurschaustellung einer besseren Policey, höherer ­Sitten und der christlichen Religion zu Franzosen zu machen (»franciser«), dann werde man eine Niederlassung haben, die sehr wenig gekostet haben und dabei Frankreich eine unwiderstehliche Macht verleihen werde, so Poivre. Dafür brauche man großes Geschick, Beharrungsvermögen und einen wohlüberlegten Plan. Maudave sei von diesen Prinzipien überzeugt und zeige sich geradezu enthusiastisch. Dies qualifiziere ihn für diese Aufgabe. Zugleich sei es vielleicht sogar von Vorteil, dass Maudave die großen Schwierigkeiten nicht vorhersehe, denen er in seinem Assimilierungsunternehmen begegnen werde. Denn das, was er für die nächsten Jahre verspreche, könne nur »das Werk der Zeit« sein, resümierte der Intendant in seinem Brief.18 18 ANOM, C 5A 2, Nr. 54, Bl. 2, Poivre an Praslin, 29. Juli 1768: »Pour réussir, il faudra qu’il opère dans l’esprit de ces peuples une révolution, qui ne peut être que l’ouvrage du temps«.

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Auffällig an ­diesem Schriftstück ist, dass der Intendant der Île de France anfänglich die Vorstellungen Maudaves trotz seiner Überzeugung, deren Umsetzung würde lange dauern, durchaus teilte. Mit den mageren Ergebnissen des Handels, den Kosten der Niederlassung und den unaufhörlichen Bitten ­Maudaves um Waren und Menschen konfrontiert, kam Poivre allerdings innerhalb weniger Monate zu der Ansicht, es sei »verfrüht« (»prématuré«), den Aufbau einer Kolonie auf Madagaskar in Angriff zu nehmen.19 Auch sei es für die verhältnismäßig junge Kolonie der Île de France schwierig, alle Bedürfnisse der neuen Niederlassung auf der Roten Insel zu stillen.20 Poivre war sich der desaströsen S ­ ituation auf der Großen Insel durchaus bewusst und ließ Anfang Februar 1769 Auszüge aus einem Brief vom 10. August 1768, in dem der Schiffskapitän ­Vauquelin den Kriegszustand in Anosy beschrieb, dem Marineministerium zukommen.21 Zudem informierten Händler den Minister im Jahr 1769 über die epidemischen Krankheiten, die in Mahavelona viele Franzosen in den Tod rissen.22 Gleichzeitig folgte aber Poivre Maudaves positiver Beschreibung der epidemiologischen Situation Tôlanaros. Auch gab er die Idee nicht auf, Maudave könne auf Madagaskar eine Kompanie einheimischer Soldaten rekrutieren.23 Es war somit nicht vollkommen aus der Luft gegriffen, wenn der Gouverneur von Fort-­Dauphin in seinen Verteidigungsschriften gegen die Angriffe auf seine Projekte den Marineminis­ter Choiseul-­Praslin darauf hinwies, dass Poivres Ansichten mit den seinen übereinstimmten.24 Ein deutlich negativeres Bild Madagaskars zeichnete der neue Gouverneur Desroches, der 1769 auf die Île de France kam. Für ihn zeigte der Überblick über die Ausgaben und Sterbefälle in Fort-­Dauphin in den vergangenen zwölf Monaten, dass ein Transport von Siedlern von der Île de France nach Madagaskar eine »Chimäre« wäre, wie er in seinen »Beobachtungen« an den Minister festhielt.25 Desroches berichtete, er habe sich bei madagaskarkundigen Personen informiert. Von ihnen habe er erfahren, dass die Madagassen Angst vor einer permanenten französischen Niederlassung hatten und die örtlichen Fürsten gegenüber Fort-­ Dauphin feindlich eingestellt s­ eien. Der Gouverneur zeigte sich überzeugt, dass 19 ANOM, C 5A 3, Nr. 17, Bl. 1, Poivre an Praslin, 12. Januar 1769. Weiter zu den schlechten Ergebnissen des Handels: ANOM, C 5A 3, Nr. 29, Auszüge aus Briefen von Steinauer und Poivre vom 13. Januar 1769; ANOM, C 5A 3, Nr. 35, Poivre an Praslin, 1. September 1769. 20 ANOM, C 5A 3, Nr. 17, Bl. 1 f., Poivre Praslin, 12. Januar 1769. 21 ANOM, C 5A 3, Nr. 19, Auszüge aus einem Brief von Vauquelin, 3. Februar 1769. 22 ANOM, C 5A 3, Nr. 22, Bellecombe und Crémont an Praslin, 4. März 1769. 23 ANOM, C 5A 3, Nr. 38, Bl. 1 f., Auszüge aus Briefen von Poivre an Maudave, 28. Oktober 1769. 24 ANOM, C 5A 3, Nr. 39, Maudave an Praslin, 12. November 1769. 25 ANOM, C 5A 3, Nr. 10, Bl. 1, Desroches an Praslin, 2. September 1769: »une chimère«.

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man aus Madagaskar zahlreiche Handelswaren, Soldaten und sogar Seefahrer gewinnen könnte, doch erst wenn die Völker der Großen Insel Freundschaft mit den Franzosen geschlossen haben und sicher sein würden, dass diese »keinen Zoll ihres Landes« begehrten.26 Inwiefern die folgenden Intendanten und Gouverneure der Île de France ein ähnliches Madagaskarbild wie Desroches gehabt haben, lässt sich nicht zuverlässig rekonstruieren. Beňovský behauptet kurz nach seiner Ankunft auf der Île de France im September 1773, beim Intendanten Maillart und Gouverneur Ternay auf Skepsis gestoßen zu sein – wohl als er seinen Plan vorstellte, eine große und reiche »Kolonie« auf der Roten Insel zu gründen.27 Mit Sicherheit gingen Ternay und Maillart davon aus, die Errichtung der Madagaskarniederlassung würde »beträchtliche Ausgaben« verursachen.28 Sie scheinen sich nicht besonders beeilt zu haben, Beňovskýs Schiff zu beladen. Offenbar genoss Madagaskar auf der Île de France bereits zu ­diesem Zeitpunkt einen vernichtenden Ruf. So hatte der oberungarische Abenteurer wohl aufgrund einer verbreiteten Angst vor Krankheiten Schwierigkeiten, Handwerker für seine Kolonie zu rekrutieren.29 Zudem erklärte der apostolische Präfekt, er könne ihm keinen Pfarrer zur Verfügung stellen.30 In Schriften von der Île de France aus den Jahren 1775 – 1776 – also im Zusammenhang mit dem Scheitern der Niederlassungen der Bucht von Antongila – wird die Große Insel oft als »Franzosengrab« (»tombeau des Français«) bezeichnet.31 Man könnte also meinen, dass Ternay und Maillart bereits 1773 von einem Kolonisierungsversuch auf Madagaskar nichts Gutes erwarteten. Ihre Briefe an den Minister ergeben jedoch ein anderes Bild. Niemals kritisiert der Gouverneur die Pläne Beňovskýs. Ganz im Gegenteil unterstützt er dessen Idee, 26 Ebd., Bl. 1 f.: »Je suis persuadé qu’on pourroit tirer des soldats et meme des matelots de Madagascar, mais ce ne sera pas tandis que les peuples nous refusent des esclaves et des Bestiaux. Ce sera lorsque nous ferons voir que nous ne voulons que leur amitié et pas un pouce de leur terrain.« 27 ANOM, C 5A 3, Nr. 158, Beňovský an Boynes, 25. September 1773. 28 ANOM, C 5A 3, Nr. 177, Ternay und Maillart an Boynes, 9. November 1773: »dépenses très considérables«. 29 Dies behauptet Beňovský: ANOM, C 5A 3, Nr. 14, S. 17, »Mémoire sur l’expédition de Madagascar«. 30 ANOM, C 5A 3, Nr. 158, Bl. 1, Beňovský an Boynes, 25. September 1773. 31 Millon, Dumas, Bellecombe und Chevreau bedienten sich in den Jahren 1775 – 1776 ­dieses Ausdrucks: ANOM, MAD 150 207, La Serre, »Mémoire sur Madagascar contenant les motifs déterminants d’y former un établissement, et la manière économique d’y procéder«, ohne Datum; ANOM, MAD 150 207, [Millon], »Projet d’un établissement français à Madagascar«, [1775], Bl. 8; ANOM, MAD 150 207, »Travail concernant Madagascar«, »D. Extrait d’une lettre qui m’a été adressée par le S. Trévau«, ohne Datum; ANOM, C 5A 7, Nr. 8, Bl. 32, Tagebuch von Bellecombe und Chevreau; C 5A 5, Nr. 40, Bl. 3, Denkschrift von Dumas, 6. Mai 1775.

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in der Bucht von Antongila und nicht in Toamasina eine Niederlassung aufzubauen.32 Ternay behauptete, er habe selbst vorgehabt, dem Marine­minister ein Niederlassungsprojekt vorzustellen. Nach der Ankunft Beňovskýs würde aber dessen Plan ausgeführt, der »eine sehr viel größere Reichweite« habe.33 Er wolle alles in seiner Macht Stehende tun, um zum Gelingen des Unternehmens beizutragen, schrieb Ternay.34 Auch Maillart versicherte dem Marineminister, er sei Beňovský und seinen Projekten gegenüber wohlwollend eingestellt.35 Das Verhalten des Gouverneurs Ternay und des Intendanten Maillart entsprach auch stets den Anweisungen des Ministers. Sie ließen Beňovský sogar eine – an den begrenzten Möglichkeiten ihrer Kolonie gemessen – beträchtliche Hilfe zukommen und gaben ihm Vorschüsse, ohne je eine Empfangsbestätigung erhalten zu haben. Wenn sie sich gegen Beňovskýs Kolonisierungspläne aussprachen, dann nur, weil sie über den wahren – desolaten – Zustand der Niederlassung informiert waren und die horrenden finanziellen und menschlichen Kosten nicht tragen wollten. Von einer Sabotage der Niederlassung in der Bucht von Antongila kann jedenfalls keine Rede sein.36 Die Franzosen des Indischen Ozeans hatten oft ein genaueres Bild der Lage auf Madagaskar als das Marineministerium und ­dieses lokale Wissen sickerte durch verschiedene Briefe der Verwalter der Île de France nach Paris und Versailles durch.37 Das bedeutete zwar nicht unbedingt, dass die Bewohner der Maskarenen geschlossen gegen eine Kolonialexpansion auf der Roten Insel aufgetreten wären. Nichtsdestotrotz erklärt das Wissen von den Schwierigkeiten, denen Maudave begegnet war, dass der Marineminister Boynes im Gegensatz zu seinem Vorgänger Praslin nicht mehr daran dachte, eine Siedlungskolonie zu errichten, als er im März 1773 Beňovský damit beauftragte, eine Niederlassung auf Madagaskar zu gründen. Maudaves Projekt, eine Kolonie von Europäern zu bilden, habe »auf falschen Prinzipien« beruht, da es »die Besitzrechte [der Madagassen] allzusehr verletzen würde, um von einem [solchen] Schäfer- und Bauernvolk mit Vergnügen aufgenommen zu werden«. Boynes dachte deshalb nur an »eine kleine Nieder­ lassung [un simple poste], mit deren Hilfe man nützliche Verbindungen zu den Hauptchefs der Region aufbauen könnte«. 38 32 ANOM, C 5A 3, Nr. 160, Ternay an Boynes, 13. Oktober 1773. 33 ANOM, C 5A 3, Nr. 175, Ternay Boynes, 7. November 1773 (»beaucoup plus d’étendue«). 34 Ebd. 35 ANOM, C 5A 3, Nr. 177, Ternay und Maillart an Boynes, 9. November 1773. 36 Siehe Kapitel 4 und Cultru, Un Empereur de Madagascar, 78 f., 103 – 126. 37 So meldete der Schiffskapitän Mengaud de la Hage dem Gouverneur Ternay und dem Marineminister 1775, dass sich die Gegend von Tôlanaro nicht für eine Kolonisierung eignete, da sie voller Sümpfe, ungesund und arm sei: Archives nationales, MAR B 4 125, Bl. 270 – 275, Mengaud de la Hage an den Marineminister, 22. Februar 1775. 38 ANOM , DFC , XVII /mémoires/88, Nr. 42, Bl. 1, Boynes an Ternay und Maillart, 19. März 1773: »On n’a pas tardé à s’appercevoir que cet établissement portoit sur de

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Zugleich wird jedoch deutlich, dass der Marineminister das Projekt Maudaves nicht ganz aufgab. Vielmehr dachte er daran, es langfristig zu verwirklichen: Geht man vorsichtig vor, kann man hoffen, eines Tages das von Maudave vorgeschlagene Ziel zu erreichen und eine umso solidere Kolonie zu gründen, die auf dem Interesse der Inselbewohner und dem Vertrauen aufbauen, das man in ihnen erweckt haben wird.39

Man wird also annehmen dürfen, dass der Marineminister nicht auf die Idee einer Kolonialexpansion auf der Großen Insel verzichtet hatte. Diese Vermutung bestätigt auch das Projekt der Einrichtung des Freiwilligenkorps (volontaires de Benyovsky) vom 30. Dezember 1772, das wohl ein Kommis im Umfeld des Ministers entworfen hat. Als ausdrückliches Ziel wird die »Umsetzung eines Plans« genannt, »den man seit Langem bezüglich Madagaskar entwickelt« habe: die Zivilisierung der Madagassen.40 Der Kolonisierungsversuch von 1768 – 1771 sei Boynes zufolge gescheitert, weil er »auf falschen Prinzipien« beruht habe: Man sei »einem Geist der Eroberung und der Herrschaft« gefolgt.41 Der Verzicht auf eine Siedlungskolonie von Weißen implizierte bei Boynes aber keineswegs den Verzicht auf das zentrale Anliegen Maudaves, kraft des Zivilisationsgefälles eine Autorität über die Madagassen auszuüben und langfristig Franzosen aus ihnen zu machen. Die Informationen über die Kosten einer Kolonie, die Krankheiten, die kriegerischen Auseinandersetzungen und den brachliegenden Handel hatten nicht dazu geführt, dass man in Versailles die maudavschen Madagaskar- und Madagassenbilder grundsätzlich infrage stellte. Dies mag erklären, weshalb die Reaktionen auf Beňovskýs Kriegsberichte im Marineministerium insgesamt uneindeutig waren. Dass der oberungarische Adlige mit seiner Expansionspolitik entgegen seinen Instruktionen handelte, scheint in Versailles bei Weitem nicht alle gestört zu haben. Zu denen, die darin ein ­Problem sahen, gehörte zweifellos der neue Marineminister Anne-­Robert ­Turgot: Er verurteilte im Juli 1774 die Unternehmungen Beňovskýs auf das Schärfste und befahl faux principes […]; au lieu d’une colonie dont les vues blesseroient trop ouvertement les droits de la propriété pour être recue avec plaisir par un peuple pasteur et agricole, il ne doit être question que d’un simple poste à la faveur duquel on puisse former des liaisons utiles avec les principaux chefs du Pays.« 39 Ebd.: »en se conduisant avec prudence on peut espérer d’arriver un jour au but proposé par M. de Modave et de former une colonie d’autant plus solide qu’elle seroit fondée sur l’intérêt même des insulaires et sur la confiance qu’on leur auroit inspirée.« 40 ANOM, C 5A 3, Nr. 78, Bl. 1 f., »Projet d’emploi des services du baron de Benyowsky et de ses officiers pour le compte de la France à Madagascar«, 30. Dezember 1772: »un plan qu’on a formé depuis longtemps sur l’Isle de Madagascar.« 41 Ebd., Bl. 2: »Ce projet […] portoit sur de faux principes parce qu’il tenoit à un esprit de domination et de conquête«.

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dem Kommandanten von Louisbourg, jegliche Eroberungs- und Kolonisierungsprojekte abzubrechen, da diese nur mit einem großen finanziellen Aufwand umgesetzt werden könnten.42 Doch bereits im August übertrug der König dem Physiokraten Turgot das Finanzministerium und ernannte Sartine zum neuen Marineminister. Dieser Personalwechsel hatte zur Folge, dass Turgots Briefe an Beňovský und die Verwalter der Île de France nie abgeschickt wurden.43 In Turgots Brief wird klar, was ihn an Beňovskýs Erzählungen eigentlich störte: Die Berichte über die Kriege ließen eine Kostenexplosion vermuten. Turgot trat somit für eine strikte Umsetzung des Projekts Boynes’ ein: In seinen Augen sollte Louisbourg ein r­ einer Handelposten bleiben. Sartine schlug deutlich andere Töne an als Turgot. In seinem Brief an Beňovský vom 17. Juli 1775 zeigte er sich zufrieden mit der (angeblichen) Eröffnung eines Wegs bis zur Westküste und dem Aufbau von Niederlassungen im (ebenso angeblich) gesünderen Landesinneren, vor allem in der »Plaine de la Santé«. Sartine war aber nicht etwa deswegen zufrieden, weil er einer aggressiven Expansionspolitik aufgeschlossen gegenübergestanden hätte. Vielmehr war sein Ideal ebenso wie das Praslins und Boynes’ eine »sanfte« Politik, die langfristig zur Zivilisierung und zur Eingliederung der Madagassen in die französische Nation führen würde. Wenn Sartine im Sommer 1775 mit Beňovský zufrieden war, dann weil er glaubte, der Oberungar folge diesen Prinzipien. So ermahnte er den Kommandanten von Louisbourg, weiterhin »sanft« gegenüber den Madagassen aufzutreten. Diese ­seien selbst friedlich und arbeitsam, doch liebten sie wie alle »unzivilisierten Völker« ihre Freiheit sehr. Daher könne die Niederlassung nur dann eine solide Basis haben, wenn man diese Völker »mit Sanftmut und Güte« (»avec douceur et avec bonté«) behandle.44 Sartine glaubte Beňovský, wenn dieser schrieb, dass sich die Krankheiten dank kluger Maßnahmen auf Madagaskar auf dem Rückzug befänden.45 Auch scheint der Marineminister keine problematischen politischen Entwicklungen auf der Großen Insel erkannt zu haben. In der Retrospektive ist es erstaunlich, dass Sartine in seinen Briefen an Beňovský vom Sommer 1775 bis zum Frühling 1777 nichts Grundsätzliches über die Ausrichtung der Madagaskarpolitik schrieb.46 Erst in Briefen von Ende März 1777 – als Beňovský Madagaskar bereits verlassen 42 ANOM, C 5A 4, Nr. 65, Turgot and Ternay und Maillart, [ Juli] 1774; ANOM, C 5A 4, Nr. 66, Turgot an Maillart, Juli 1774; ANOM, C 5A 4, Nr. 69, Turgot an Beňovský. 43 Cultru, Un empereur de Madagascar, 66 – 68. 44 ANOM, B 155, Bl. 12, Sartine an Beňovský, 17. Juli 1775. Siehe auch: ANOM, B 155, Bl. 16, Sartine an Beňovský und Des Assises, 17. Juli 1775. 45 ANOM, B 155, Bl. 18, Sartine an Saunier, 17. Juli 1775. 46 Siehe die folgenden Briefe: ANOM , B 155, Bl. 15 – 40, Sartine an Beňovský, 12. Juli 1775 – 30. März 1777.

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hatte, was Sartine aber nicht wissen konnte – äußerte der Minister seine Vorstellungen und Wünsche. In diesen Schreiben zeigte er sich zufrieden mit den (vermeintlichen) Eroberungen Beňovskýs. Er lobte dessen Mut und Klugheit, insbesondere aber seine Entscheidung, die Sakalava anzugreifen. Er schrieb, mit großer Freude den Verlauf des Feldzugs und die Siegesnachrichten zur Kenntnis genommen zu haben.47 Zugleich ermahnte der Minister den Kommandanten von Louisbourg, nun die »Mittel der Sanftmut und der Überzeugung« anzuwenden, »um die Inselbewohner zu unterwerfen«.48 Die militärischen Heldentaten verbrauchten die Kräfte der Truppe und verursachten Kosten. Das Wichtigste sei, den Krieg zu vermeiden, damit der Handel und die Landwirtschaft blühten. An die Triumphmeldungen Beňovskýs anknüpfend, zeigte Sartine sich zufrieden, dass sich der Kommandant bald der Pazifizierung und Zivilisierung der Völker widmen werde, was als Lob, zugleich aber auch als eine Aufforderung verstanden werden konnte.49 Der Marineminister hegte die Hoffnung, die Bewohner der Bucht von Antongila würden sich angesichts der Sanftmut und des Wohlstands, die die Franzosen mit sich brächten, sowie der Überlegenheit der französischen Gesetze freiwillig unterwerfen.50 Er schloss nicht aus, dass Ludwig XVI. in den Aufbau einer wahrhaften Kolonie Geld investieren könnte. Sartine tendierte zu einer Politik, auf die Boynes und Turgot aus Kostengründen verzichtet hatten. Doch zunächst galt es, eine wichtige Frage zu klären: War das Klima Madagaskars nicht allzu gefährlich für eine Siedlungskolonie? Sartine nahm mit Zufriedenheit die angebliche Austrocknung der Sümpfe um Louisbourg und die sinkende Todesrate zur Kenntnis, war sich dennoch nicht sicher, wie die Neuankömmlinge die »Luft« vertragen würden.51 Der Marineminister glaubte also im Großen und Ganzen Beňovskýs Lügen.52 Die vernichtenden Berichte der Verwalter der Île de France scheinen keinen grundsätzlichen Zweifel am Wahrheitsgehalt der Beňovský’schen Erzählungen in Ministerialkreisen geweckt zu haben. Die Kommissare Bellecombe und Chevreau wurden nicht aufgrund fundamentaler Zweifel an Beňovskýs Aussagen nach Madagaskar geschickt, sondern um zu überprüfen, ob das »Klima« den Aufbau einer Siedlungskolonie zuließe. Die Denkschriften und Briefe der Beňovskýzeit zeigen, dass der Marineminister mit dieser Sichtweise bei Weitem nicht allein dastand. Ministerialbeamte gaben 47 Dritter und vierter Brief: ANOM, B 155, Bl. 40 f., Sartine an Beňovský, 30. März 1777. 48 Dritter Brief: ANOM, B 155, Bl. 40, Sartine an Beňovský, 30. März 1777: »les moyens de douceur et de persuasion pour soumettre les insulaires«. 49 Ebd. 50 ANOM, B 155, Bl. 42, Sartine an Beňovský, 6. April 1777. 51 Ebd., Bl. 42 f. 52 ANOM, B 155, Bl. 18 f., Sartine an Saunier, 17. Juli 1775.

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unkritisch die Märchen des Kommandanten von Louisbourg ihrem Vorgesetzten wieder.53 Privatleute ließen fantastische Siegesnachrichten und Erzählungen über den unübertroffenen Mut Beňovskýs kursieren.54 Ein Kommis des Ministeriums, der darüber berichtete, war sich nicht ganz sicher, ob man solchen Gerüchten Glauben schenken sollte, tendierte aber dennoch deutlich dazu. Jedenfalls stand für ihn fest: Beňovský sei ein »seltener und außergewöhnlicher Mann, der dafür geschaffen ist, Revolutionen zu vollbringen«.55 Einen maßgeblichen Einfluss auf die Wahrnehmung der Lage auf Madagaskar durch die Ministerialelite dürfte Michel, der Erste Kommis, gehabt haben.56 Michel fertigte für Sartine Ende des Jahres 1775 und Anfang 1776 eine ganze Reihe von Auszügen aus Texten über Madagaskar an. Darunter waren Maudaves Briefe und sein bereinigtes Tagebuch; die Denkschrift Millons, der Maudaves Ideen weitgehend wiederholte; sowie Briefe von Béquet, einem Handelskommis, der sich gegen die Niederlassung von Fort-­Dauphin äußerte. In seinem Brief an den Marineminister berichtete Michel, er sei über die Widersprüche z­ wischen den Aussagen zu Madagaskar erstaunt gewesen und habe aus ­diesem Grund die Texte über die Große Insel systematisch verglichen. Trotz der Lektüre von Quellen, die gegensätzliche Meinungen vertraten, war Michels Fazit eindeutig: Alle Autoren mit Ausnahme des Händlers Béquet verteidigten die Idee, dass Madagaskar immense Vorteile für eine Kolonisierung biete. Daher könne kein Zweifel bestehen, dass dem so sei.57 Die Bereitschaft, nicht nur Maudave, sondern sogar Beňovský zu folgen, ist umso überraschender, als Sartine und sein Umfeld durchaus auch andersartige Informationen aus der Île de France erreichten. Das Ministerium wurde von verschiedenen Personen gewarnt, Beňovský sei ein Scharlatan.58 Der Handelskommis Béquet, der über eine jahrelange Madagaskarerfahrung verfügte, wurde Anfang 1776 in Versailles und Fontainebleau von dem E ­ rsten Kommis und dem Marineminister höchstpersönlich empfangen. Er sprach sich eindeutig gegen

53 Siehe eine Mitteilung aus dem Jahr 1775 über die Niederlassung auf Madagaskar: ANOM, C 5A 4, Nr. 40. 54 ANOM, C 5A 6, Nr. 18, »Extrait d’une lettre ecrite de l’Île de France à M. de Behayne [Behague] relatant un acte de courage extraordinaire accompli par le baron de ­Benyowsky«, 24. Dezember 1775. 55 Bericht eines Kommis des Marineministeriums an Sartine: ANOM, C 5A 6, Nr. 62, S. 2 f., 30. Juni 1776: »un homme rare et extraordinaire, fait pour les révolutions«. 56 Zu Michel, dessen Vornamen die Quellen nicht verraten, siehe ANOM, E 313, Personal­ akte von Michel. 57 ANOM, C 5A 2, Nr. 11, Abschriften von Dokumenten über Madagaskar. 58 So von einem nicht näher bekannten »Monsieur de Lessart«: ANOM, C 5A 5, Nr. 39, Lessart an Sartine, 5. Mai 1775.

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jegliche Kolonisierungspläne aus.59 Vor allem beschwerten sich Ternay und M ­ aillart ­wiederholt über die merkwürdigen Einfälle und Erzählungen Beňovskýs. Der Gouverneur berichtete, er habe so viele Widersprüche in den Briefen des Kommandanten von Madagaskar gefunden, dass er nichts mehr aus seiner Feder glauben könne. Zugleich nahm Ternay wahr, dass der Marineminister seinen Äußerungen über Madagaskar keinen Glauben schenkte, und beklagte diesen Umstand.60 In der Tat wurden die Standpunkte Maillarts und Ternays im Marineministerium diskutiert, doch als weniger glaubwürdig im Vergleich zu Beňovskýs Briefen eingestuft. So sah ein Kommis des Ministeriums in den Berichten Maillarts über die außer Kontrolle geratenen Kosten und das Chaos auf Madagaskar »nur vage Behauptungen« (»que des déclamations vagues«).61 In ihrem gemeinsamen Brief vom 16. August 1774 schrieben der Gouverneur und der Intendant, Beňovský habe bereits 190 Mann verloren; doch die Übersichtstabelle, die der Kommandant geschickt hatte, zeige ­diesem Kommis zufolge, dass zu ­diesem Zeitpunkt 112 Personen ums Leben gekommen ­seien.62 Beňovský verfügte auch über einen nicht näher bekannten »Freund« 63 im Außenministerium, mit dem er direkt korrespondierte. Dieser »très cher ami« verbreitete Beňovskýs Nachrichten und Karten.64 Er diente als Mittler z­ wischen dem Kommandanten von Madagaskar und dem ­Ersten Kommis Leduc.65 Aus dieser klaren Bevorzugung von Beňovskýs Sichtweise gegenüber anderen Darstellungen der Lage auf Madagaskar erklärt sich, dass das Versailler Marine­ministerium im Sommer 1775 tatsächlich den Aufbau einer autonomen Siedlungskolonie plante. Eine Stellungnahme, die vermutlich aus der Feder eines Kommis des Ministeriums stammt, sieht die zukünftige Kolonie in der Bucht von 59 Siehe die Personalakte Béquets (ANOM, E 26) sowie Béquets Briefe in Michels Zusammenstellung zu Madagaskar (ANOM, C 5A 2, Nr. 11, Bl. 6 f.). Béquet war bereits 1737 im Madagaskarhandel für die französische Indienkompanie tätig: C 5A 1, Nr. 53, Anonym an Direktoren der Kompanie [?], ohne Datum. 60 ANOM, C 5A 4, Nr. 90, Ternay an Aiguillon, 6. September 1774; ANOM, C 5A 4, Nr. 116, Ternay an Boynes, 30. Oktober 1774; ANOM, C 5A 4, Nr. 117, Ternay an Beňovský, 30. Oktober 1774; ANOM, C 5A 4, Nr. 121, Maillart an den Marineminister, 14. Dezember 1774; C 5A 5, Nr. 85, Anonym an Ternay, 4. Dezember 1775. 61 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 50, Bl. 2, Auszüge aus Briefen über Madagaskar, ohne Datum. 62 Ebd. 63 Zum Begriff der Freundschaft in der Vormoderne siehe: Kühner, Politische Freundschaft. 64 MAE, Asie 4, Nr. 50, Beňovský an einen »cher ami«, 18. September 1774; MAE, Asie 4, Nr. 55, Beňovský an einen »cher ami«, ohne Datum. 65 Beňovský bat ihn zum Beispiel, das Wappen Leducs auf einer der Karten seiner angeblichen Niederlassung anzubringen: MAE, Asie 4, Nr. 49, Beňovský an einen »cher ami«, 24. September 1774. Zur Person Leducs: Baillou, Les Affaires étrangères, 126 – 129.

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Antongila, von der aus die Verbindung zur Westküste einfach sei, wie Beňovský gezeigt habe. Zwar sei die Errichtung einer Kolonie mit hohen Kosten verbunden, doch langfristig werde sich diese Investition rentieren.66 Das Marineministerium verfasste entsprechende Instruktionen für Beňovský, in denen sich der Minister entschuldigte, dass er d ­ ieses Jahr noch keine Siedler s­ chicken könne.67 Sartine machte Beňovský im Juli 1775 von den Verwaltern der Île de France unabhängig.68 Zugleich schrieben die Kommis das Projekt einer Verordnung (ordonnance) zur Vergrößerung des Freiwilligenkorps nieder, obwohl manche Ministerialbeamten sich dagegen ausprachen aus Angst, Beňovský könnte, falls er mehr Männern bekäme, ganz Madagaskar zu erobern versuchen.69 Auch sollten ein Intendant und ein Oberster Rat (Conseil supérieur) zur Ausübung der Judikative ernannt werden.70 Schließlich folgte man einem weiteren Vorschlag Beňovskýs und verfasste eine Verordnung, die den Handel der Privatleute auf Madagaskar für illegal erklärte.71 Die Bereitschaft, eher Beňovský denn Maillart, Ternay und Béquet zu glauben, zeigt, dass die maudavschen Madagaskarvorstellungen trotz der schlechten Erfahrungen mit Tôlanaro einen festen Platz in den Köpfen der Marineminister und ihrer Angestellten eingenommen hatten. Geradezu verblüffend ist es aber festzustellen, dass selbst nachdem Beňovskýs Lügen von Bellecombe und C ­ hevreau entlarvt worden waren und diese Kommissare sich vehement gegen jegliche Kolonial­expansion ausgesprochen hatten,72 ein Teil der Regierungselite weiterhin bereit war, Madagaskar unter die Obhut einer von Beňovský gegründeten Handels­kompanie zu stellen. Zumindest zeigte sich der Außen- und Hauptminister Vergennes 1783 dazu geneigt, wie er dem Marineminister Castries mitteilte.

66 Anonyme Denkschrift von Juni 1775: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 53, Bl. 1 f., »Mémoire sur Madagascar«, Juni 1775. 67 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 52, S. 17, Sartine an Beňovský, Juni 1775; C 5A 5, Nr. 48, Sartine an Maillart und Ternay, Juni 1775; C 5A 5, Nr. 49, Instruktionen des Königs an Beňovský, Juni 1775; C 5A 5, Nr. 50, Instruktionen des Königs an Beňovský, Juni 1775. 68 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 76, Bl. 1, Überlegungen von Bellecombe und Chevreau zu Beňovskýs Antworten, Oktober 1776. 69 ANOM, C 5A 5, Nr. 3, »Projet d’ordonnance pour augmenter les compagnies du corps des volontaires«, ohne Datum, und Nr. 37, Sartine an Beňovský, Mai 1775; eine Stellungnahme dagegen: ANOM, C 5A 5, Nr. 18, Anonym, ohne Datum. 70 ANOM, C 5A 5, Nr. 44, »Projet d’instructions relatives au Conseil provisoire et au réglement sur la justice à Madagascar«, Juni 1775; ANOM, C 5A 5, Nr. 45, »Lettres patentes du roi portant établissment d’un conseil provisoire à Madagascar«, Juni 1775. 71 ANOM, C 5A 5, Nr. 51, »Ordonnance du roi interdisant aux particuliers de traiter ­librement à Madagascar«, Juni 1775; ANOM, C 5A 5, Nr. 62, Sartine an einen noch zu ernennenden Intendanten, Juli 1775. 72 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 76, Überlegungen von Bellecombe und ­Chevreau zu Beňovskýs Antworten, Oktober 1776.

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Castries referierte daraufhin dem König von dem unermüdlichen Mut, der Intelli­ genz und den großen Kenntnissen Beňovskýs, die ihn dazu qualifizierten, eine Kolonie auf Madagaskar zu leiten.73 Nach Beňovskýs Scheitern in der Bucht von Antongila gab es gewiss auch skeptischere Stellungnahmen zum Projekt einer Kolonisierung Madagaskars. Bei allen überlieferten Texten dieser Art handelt es sich um relativ kurze und anony­me Berichte oder Briefe. So sagt der anonyme Autor einer Schrift, dass »man seit Flacourt […] hundert Systeme in Bezug auf Madagaskar aufgebaut« habe,74 doch nur ungenügende Kenntnisse über diese Insel besitze. Die Eingeborenen ­seien zwar sanft und gesellig, doch bleibe nach wie vor unsicher, ob der Aufbau von Niederlassungen vorangetrieben werden sollte. Man dürfe nicht vergessen, dass die Ankunft Beňovskýs den Handel zum Erliegen gebracht habe. Diesem Autor zufolge malten die Denkschriftenautoren aufgrund privater Interessen die Insel schöner, als sie sei. Doch obwohl er der Expansionspolitik Beňovskýs zunächst skeptisch gegenüberstand, schlug auch er den Aufbau einer Kolonie von Militärs, Bauern und Händlern in Toamasina vor.75 Auch andere Denkschriften, die gegen Beňovský und seine Niederlassung verfasst wurden, standen aufgrund des für Europäer gefährlichen Klimas und des Widerstands der Eingeborenen der forcierten Expansionspolitik des Oberungarn kritisch gegenüber, hielten aber im Grunde genommen an Maudaves Madagassenbild fest. So ging der Verfasser eines weiteren anonymen Texts davon aus, die Einwohner der Großen Insel ­seien sanft, menschlich, arbeitsam, lernwillig, kühn und freitheitsliebend. Da alle Eroberungspläne den Widerstand der Madagassen auf den Plan riefen, solle man sich auf die Errichtung einer Handelsniederlassung beschränken, so wie im Projekt des Ministers ­Boynes vorgesehen, der Beňovský in den Indischen Ozean schickte. Die heutigen Nieder­lassungen sollten aufgegeben werden.76 Andere Stellungnahmen hießen die Idee einer sanftmütigen Kolonisierung grundsätzlich gut, schätzten aber die Errichtung einer weißen Siedlerkolonie aufgrund von Krankheiten und der schwierigen Sicherheitslage zumindest vorerst als unpraktikabel ein.77 Ein Autor äußerte sich zum Beispiel kritisch bezüglich einer an Maudaves Texte erinnernden Denkschrift des Chevalier de la Serre, indem er das ungesunde 73 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 181 und 243. 74 ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Anonym, »Madagascar« [mit Bleistift vermerkt: C 19 28], ohne Datum Bl. 1: »Depuis Flacourt […], on a bâti cent systemes sur Madagascar«. 75 Ebd. 76 ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Anonym, »Carton n°10, n°41«, ohne Datum. 77 ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Anonym, »Réflexion sur le commerce de l’Inde«, ohne Datum.

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Klima hervorhob. Gleichzeitig erklärte er jedoch, die Ansichten La Serres ­seien richtig.78 In den 1770er und 1780er Jahren sind drei Denkschriften gegenüber dem oben skizzierten Madagaskardiskurs am kritischsten, die die Ansicht vertreten, Niederlassungen auf Madagaskar könnten angesichts der tropischen Krankheiten nie profitabel werden.79 In der Revolutionszeit wurde die Dominanz des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses gebrochen und es kamen neuartige Expansionspläne auf. Dennoch scheinen die »Büros« des Marineministeriums weiterhin größtenteils unter dem Einfluss des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses gestanden zu haben. Die Plura­lisierung der Madagaskarbilder kam eher daher, dass das Marineministerium das Monopol der Madagaskarpolitik verlor: Gouly war nicht im Ministerium beschäftigt, sondern Abgeordneter der Île de France im Nationalkonvent. Das Marineministerium scheint seinen Plänen skeptisch gegenübergestanden zu haben, wie der Briefwechsel ­zwischen Gouly und dem Kommis zeigt. Es stand während des Direktoriums und des Konsulats vor allem unter dem Einfluss Lescalliers. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich im Jahr 1797 leitete Lescallier die Kolonialabteilung (bureau des colonies) des Marineministeriums und bekleidete weitere hohe Posten in der Marineverwaltung. In dieser Funktion präsentierte er 1797 dem Direktorium seine Überlegungen zur Politik in Ostindien und auf Madagaskar – Überlegungen, die sich der Marineminister Georges-­René Pléville Le Pelley zu eigen machte.80 Dokumente, die im Archiv des Staatssekretariats des ­Ersten Konsuls Napoleon Bonaparte bewahrt werden, machen deutlich, dass Forfait, Plévilles Nachfolger auf dem Posten des Marineministers, auf Lescallier hörte.81 In der Tat hatte Bonapartes Coup einen weiteren Karriereschritt für Lescallier bedeutet, der nun im Staatsrat (Conseil d’État) saß und somit für die Formulierung der Gesetze, die die Regierung durchgesetzt sehen wollte, mitverantwortlich war. Lescallier durfte 1800 dem ­Ersten Konsul seine Projekte maudavscher Inspiration für Madagaskar präsentieren und auf den Schwur von 1792 hinweisen.82 Die Instruktionen, die Forfait d ­ araufhin 78 ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Anonym, »À Monsieur D…. seul s’il lui plait. Analise en bref sur les mémoires de M. le chevalier de L[a] S[erre]«, ohne Datum. 79 ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Anonym, »Observations sur le mémoire remis par ordre de Mgr. le Comte d’Artoix«, ohne Datum; C 5A 8 bis, Nr. 245, Anonym, »Mémoire sur Madagascar, déconseillant expressément d’y maintenir un établissement«, ohne Datum; C 5A 8 bis, Nr. 248, »Mémoire sur les établissements successifs fondés à Madagascar et considerations pessimistes sur la possibilié d‘en fonder un durable et profitable«, ohne Datum. 80 Wanquet, La première abolition de l’esclavage, 94. 81 Lescallier und Forfait kannten sich gut: Wanquet, La première Abolition de l’esclavage, 94. 82 A. N., AF IV 1187, Nr. 94, »Marine. Bureau du ministre«, 14. Februar 1800, und AF IV 1211, Nr. 110, [Lescallier], »Affaires secretes – Mémoire sur l’Inde«, ohne Datum.

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für Louis-­Thomas Villaret de Joyeuse verfasste, atmeten den Geist Lescalliers.83 Erst im 19. Jahrhundert wurde das Projekt, die Madagassen zu zivilisieren und zu assimilieren, grundsätzlich infrage gestellt, ja sogar als »der Höhepunkt der menschlichen Unvernunft« (»le comble de la déraison humaine«) verstanden.84 Zusammenfassend kann man feststellen, dass die zeitgenössischen Aussagen über Madagaskar, die der französischen imperialen Verwaltung kommuniziert wurden, uneinheitlich waren. Zwei Faktoren konnten in den Augen insbesondere jener Männer, die im Raum des Indischen Ozeans wirkten, das Projekt einer Kolonisierung der Großen Insel zum Scheitern bringen: das Klima und der Widerstand der Eingeborenen gegen jede Kolonie. Dennoch stellten selbst die kritischsten dieser Stimmen das Projekt einer sanftmütigen Kolonialexpansion nicht grundsätzlich infrage. Sämtliche imperialen Akteure gingen davon aus, dass Angehörige zivilisierter Völker eine besondere Autorität unter den Barbaren genössen, die sie zu einer Beherrschung durch Zivilisierung befähige. Diese Vorstellungen teilte auch die Ministerialelite und gab aus d ­ iesem Grund Maudaves Projekt bis in die Konsulatszeit hinein nie ganz auf. Auf der Grundlage dieser weitgehend anerkannten Ideen konnte Beňovskýs imaginäre Eroberung der Roten Insel plausibel erscheinen. Insgesamt war die Lernresistenz der französischen Kolonialverwaltung hoch. Das Fehlen eines Lernprozesses lässt sich über mehrere Jahrzehnte hinweg beobachten. Zwar rückten aufgrund der negativen Erfahrungen mit den Nieder­lassungen von Fort-­Dauphin und der Bucht von Antongila immer wieder Ministerialangestellte von der Idee einer Kolonisierung Madagaskars ab. Doch die Grundannahmen, die eine »sanfte« Kolonialexpansion als eine attraktive Option erscheinen ließen, wurden nie ernsthaft infrage gestellt. Dem Lernprozess war auch der häufige Wechsel des Führungspersonals abträglich. Die neuen Minister ließen sich immer wieder von den vorherrschenden Topoi über Madagaskar überzeugen. Sie rechneten sogar wiederholt mit Kolonien, die nicht oder nicht mehr bestanden. Man kann folglich von einem spätaufklärerischen Madagaskardiskurs sprechen: einer Sprachformation, die nicht nur Machtansprüche begründete, sondern auch das Feld des Sagbaren begrenzte. Das spätaufklärerische Madagaskarwissen war im Vergleich zu dem des 17. Jahrhunderts von einer Reihe von Tabus gekennzeichnet, die es im Folgenden detaillierter zu untersuchen gilt.

83 ANOM, C 4 113, Bl. 124, »Instructions pour les citoyens Villaret-­Joyeuse et Lequoy-­ Montgiraud«, März 1800. 84 ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Anonym, »Isle de Madagascar«, ohne Datum. Diese Denkschrift hat vermutlich Sylvain Roux in den 1810er Jahren verfasst.

9 Tabus des aufklärerischen Kolonialismus In seinem Buch Die Entzauberung Asiens zeichnet Jürgen Osterhammel ein optimistisches Bild der Wahrnehmungen anderer Weltteile durch die Aufklärer. Ihm zufolge habe die Aufklärung zu einer Konvergenz in den Erfahrungen der Völker des Erdkreises geführt. Sie habe ein realitätsnäheres Asien entdeckt, diesen Kontinent wie die übrigen Weltregionen »entzaubert«, die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Zivilisationen und Religionen anerkannt und den Kolonialismus kritisiert.1 Zugleich stellt Osterhammel fest, dass die normative Aufladung des Zivilisationsbegriffs im 18. Jahrhundert zunehmend zu einer Konstruk­tion Asiens als ein unbeweglicher Kontinent und zu einem Silencing der Asiaten – das heißt einem Verschwinden asiatischer Stimmen aus europäischen Texten – führte.2 Wenn man bedenkt, dass die Normativität von »Zivilisation« sich gerade aus dem Anspruch europäischer Autoren speiste, aufgeklärt zu sein – also unmittelbar mit der Aufklärung im engsten Sinne des Wortes zusammenhing –, stellt sich die Frage, ob die Aufklärung wirklich so »entzaubernd« wirkte. Ein solches Bild der Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts scheint auf einer impliziten normativen und zirkulären Aufklärungsdefinition zu beruhen: Oft wählen die Historiker diejenigen Autoren aus, die ihrer Vorstellung einer progressiven Aufklärung am nächsten kommen, um in einem Zirkelschluss zu behaupten, diese »Aufklärer reinsten Wassers« zeigten doch das wahre Gesicht der Aufklärung.3 Im Falle des Madagaskarwissens des 18. Jahrhunderts legen die Ausführungen der letzten Kapitel die Hypothese nahe, es lasse sich keine Entzauberung, sondern im Gegenteil eher eine Verzauberung d ­ ieses Erdteils feststellen. Das vorliegende Kapitel möchte die Tragweite dieser Hypothese weiter testen und der Frage nachgehen, in welcher Weise und auf ­welchen Gebieten der spätaufklärerische Madagaskardiskurs den Blick französischer Akteure beschränkte. Durch einen Vergleich mit den Texten aus dem 17. Jahrhundert wird hier gezeigt, dass der spätaufklärerische Madagaskardiskurs zu einem Verschweigen zahlreicher Phänomene führte: Er etablierte ein rein textuelles Wissen, das sich parallel zu den Wirklichkeitskonstruktionen sowohl der Madagassen als auch der französisch-­madagassischen Begegnungen entfaltete und jenes Wissen überdeckte, das diese Wirklichkeiten konstruierte. Mit anderen Worten: In der Spätaufklärung trat ein neues Silencing auf, das jedoch – anders als im

1 Osterhammel, Die Entzauberung Asiens, insbesondere 18 f., 75, 143 f., 401. 2 Ebd., 375 – 401. 3 Siehe z. B. ebd., 75. Ein weiteres Beispiel: Darnton, Washingtons falsche Zähne.

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saidschen Modell 4 – nicht auf einer Alteritätskonstruktion beruhte, sondern auf Assimilierungserwartungen. Der spätaufklärerische Madagaskardiskurs kann – um mit Luckmann und ­Berger zu sprechen – als eine »Nihilierungsstrategie« gelten, die fremde Wirklichkeitskonstruktionen und symbolische Sinnwelten mit einem »negativen ontologischen Status« versah und dadurch »theoretisch liquidierte«.5 Die Untersuchung des spätaufklärerischen Madagaskarwissens leistet somit einen Beitrag zur sogenannten Agnotologie – der Disziplin, die die Schöpfung von Nichtwissen untersucht. Wie die Begründer dieser Forschungsrichtung betonen, wurde gerade im kolonialen Kontext Wissen von der Peripherie ins Zentrum oft nicht transferiert, weil aktiv Ignoranz konstruiert wurde.6 Zwar war das neue Madagaskarwissen im Mutterland Resultat einer Transferleistung von der Peripherie ins Zentrum, doch war es ganz bewusst von Maudave und Beňovský zu Zwecken der Manipulierung des Mutterlands geschaffen worden. Aus d ­ iesem Grund wählten diese beiden Repräsentanten der französischen Krone auf Madagaskar Schreib- und Informationsstrategien, die weitgehend zum Verschweigen ihrer Praktiken und Erfahrungen sowie des Wissens der Franzosen im Indischen Ozean führten. Im Folgenden werden unterschiedliche Segmente der örtlichen Wirklichkeitskonstruktionen in den Blick genommen, die durch den spätaufklärerischen Diskurs aus den französischen Quellen für etwa fünfzig Jahre weitgehend verschwanden: Vorstellungen und Praktiken der Gewalt, des Going native, der sozialen Hierarchisierungen sowie der Beziehungen zur unsichtbaren Welt.

9.1 Gewalt Ein Vergleich ­zwischen den Erzählungen aus dem 17. und jenen aus dem 18. Jahrhundert fördert Unterschiede in den Darstellungen der Gewalt zu Tage. ­Maudaves Bericht über die misslungene Expedition gegen Ramihongars deutet auf einen Vorbehalt des Autors hin, über Gewalt zu reden. Ramihongars war Fürst des Manampanihytals (frz. vallée d’Amboulle), der sich Maudave zufolge gegenüber den Franzosen »frech« verhielt. Der Gouverneur von Fort-­Dauphin berichtet, dieser habe einmal um eine Eskorte für Zebus gebeten, die er den Franzosen verkaufen wollte. Als die französischen Soldaten in seinem Dorf ankamen, habe er ihnen jedoch gesagt, er habe gar keine Rinder zu verkaufen, sondern nur Weiße sehen wollen. Zudem erklärte Ramihongars mehreren Personen stolz, seine Vorfahren

4 Said, Orientalism. 5 Luckmann/Berger, Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit, 123. 6 Siehe Proctor, Agnotology, sowie das Vorwort zu ­diesem Sammelband.

Gewalt

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hätten die Franzosen geschlachtet und den Hunden zum Fressen gegeben und sie verdienten noch heute ­dieses Schicksal. Schließlich raubte der Dorfälteste einen Arzt von Fort-­Dauphin aus. Angesichts all dieser Schikanen, die seinem Selbstverständnis als Kolonialherr widersprachen, entschloss sich Maudave im Oktober 1770, Ramihongars zu entführen. Er schickte 40 Mann ins Manampa­ nihytal. In Ramihongars’ Dorf lieferten sie sich mit den Einheimischen ein Gefecht, schafften es jedoch nicht, den Roandriana gefangenzunehmen, und mussten fliehen. Die Franzosen verloren auf einer beschwerlichen Flucht durch die Berge mindestens vier Mann, drei desertierten. Der kommandierende Offizier wurde schwer verletzt.7 In seinem Bericht über diese desaströse Expedition fällt auf, dass Maudave eine Sprache voller Euphemismen benutzt. So gibt er nicht zu, er habe Ramihongars gefangennehmen wollen, sondern ihn lediglich »dazu bringen, uns zu besuchen«.8 Es wird deutlich, dass für den Gouverneur von Fort-­Dauphin jeglicher Konflikt mit Eingeborenen äußerst unangenehm war, weil er seine Meistererzählung über die freiwillige Unterordnung der Madagassen infrage stellen konnte. Deshalb versuchte Maudave, die gescheiterte Expedition ins Manampanihytal so darzustellen, dass sie seinen Status als Autorität für die Madagassen in den Augen seiner Vorgesetzten nicht gefährdete. Er erzählte deshalb, Ramihongars habe sich freiwillig gefangen gestellt, während seine Männer das französische Expeditionskorps durch die Berge der Region jagten. Was Ramihongars gerade in dem Moment, als er die Franzosen besiegte, zu ­diesem plötzlichen Meinungswandel bewogen haben mag, lässt Maudave im Dunkeln. So erscheint diese Geschichte wenig glaubwürdig. Auch hätten sich dem Gouverneur von Fort-­Dauphin zufolge »alle Schwarzen von Anosy« beeilt, nach Fort-­Dauphin zu kommen, um den Franzosen zu helfen. Angesichts der Isolierung der französischen Niederlassung sind Zweifel auch an dieser Geschichte berechtigt.9 Beňovskýs Texte bieten ebenfalls eine euphemistische Sicht auf die Gewalt. Obwohl seine Berichte zahlreiche Kriegsepisoden enthalten, achtete der Kommandant von Louisbourg peinlich darauf, sich als jemand zu inszenieren, der stets versucht, Blutvergießen zu vermeiden. In dem Mémoire, den er für das Marineministerium verfasste, beteuert Beňovský, zunächst alles unternommen zu haben, um den Krieg mit den Zafirobay zu vermeiden. Als sie trotzdem gegen ihn zogen, habe er sich unbewaffnet in ihre Mitte gestellt, um mit ihnen zu verhandeln, was ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Im darauffolgenden Krieg habe er die Gefangenen stets mit Friedensvorschlägen heimgeschickt. Als 7 ANOM , C 5A 3, Nr. 52, Bl. 1 – 3, Maudave an Boynes, 9. Februar 1771 (»insolence de Ramihongars«). 8 Ebd., Bl. 2.: »l’engager à venir nous voir«. 9 Ebd., Bl. 3: »Tous les noirs d’Anossy ont accourus au Fort«.

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er Feinde belagerte, habe er ihnen Lebensmittel und Alkohol zukommen lassen. Wenn er die Zafirobay und ihre Verbündeten angriff, habe er vorerst seine Kanonen in die Luft schießen lassen, um sie zu warnen. Denn seine Intention sei es nicht gewesen, ein Massaker zu verüben. Nach dem Sieg habe er Gnade walten lassen.10 Dagegen hatten die kolonialen Akteure des 17. Jahrhunderts keinerlei Bedenken, von Franzosen – sich selbst inbegriffen – begangene Gewalttaten zu schildern.11 Ludwig XIV. und Colbert betonten sogar wiederholt, Raubzüge ­seien dem Kauf von Waren mit Silbermünzen vorzuziehen.12 Die gedruckten Erzählungen ­dieser Zeit lesen sich weitgehend wie Geschichten von beinahe ununterbrochenen Kriegen und Massakern. Während man aus Beňovskýs Schriften nichts Glaubwürdiges über seine vermutlich brutale Kriegsführung erfährt, berichtete Flacourt bereits im Vorwort zu seiner Histoire stolz, er habe in zwei Jahren über fünfzig Dörfer nieder­ gebrannt und so die Eingeborenen der Region zur Unterwerfung gezwungen.13 Ob diese Zahl stimmt, kann der Historiker nicht überprüfen; jedoch verrät gerade diese Angabe, dass in Flacourts Augen die Vernichtung feindlicher Siedlungen als eine positive Leistung gewertet werden sollte. Für die Autoren des 17. Jahrhunderts rechtfertigte die Notwendigkeit, die Region zwecks Nahrungsbeschaffung zu plündern, die Verwüstungen.14 Hinzu kamen in ihren Augen legitime Strafexpeditionen gegen Fürsten, die etwa einen Franzosen getötet, Zebus gestohlen oder auch die Tributzahlung verweigert hatten.15 Die gewaltsamen Auseinandersetzungen, von denen die Quellen des 17. Jahrhunderts berichten, erfüllen kaum die Kriterien für einen gerechten Krieg. Nicht nur nahmen die Franzosen an den Konflikten z­ wischen Zafiraminia und Anteony (der Elite der Antaimoro) um die Vorherrschaft im Südosten der Roten Insel 10 ANOM, C 5A 3, Nr. 14, S. 24 f., 46 f., 80 f., 83, 86, 88 f., 103, »Mémoire détaillé concernant l’établissement royal de Madagascar, confié à M. le Baron de Bényowsky«, ohne Datum. 11 ANOM, C 5A 1, Nr. 16, Bl. 1, »Extrait d’une lettre de messieurs de Faye et Caron«, 14. Oktober 1667; ANOM, C 5A 1, Nr. 19, S. 4 f., Bericht über Madagaskar, 10. Februar 1668. 12 ANOM, C 5A 1, Nr. 26, Bl. 4, Ludwig XIV. an Mondevergue, 19. Januar 1669; ANOM, C 5A 1, Nr. 30, Bl. 2, Colbert an Mondevergue, 9. März 1669. 13 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 263. 14 Ebd., 311, 321, 324 – 327; Froidevaux, Un explorateur inconnu, 30 f.; Souchu de Rennefort, Relation du premier voyage, 80, 93, 192; La Haye, Journal, 84; [Carpeau du Saussay], Voyage, 64 f., 67, 72, 184 f. Für die Madagassen des Südostens hatte der Krieg ebenso wie für die Franzosen eine ökonomische Funktion, da die Könige sich durch die Razzien Zebus und Sklaven aneigneten: Beaujard, Islamisés et systèmes royaux, 269; Kent, Religion and State, 283. 15 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 314; Souchu de Rennefort, Relation du premier voyage, 78; [Du Bois], Voyages, 77 f.; La Haye, Journal, 54 – 56; Cauche, Relations veritables et curieuses, 69 – 73.

Gewalt

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teil.16 Auch kam ein Krieg zustande, weil Franzosen einen »Neger«, der Güter von geringem Wert gestohlen hatte, grausam verstümmelten und umbrachten.17 Zudem erzählt Flacourt, dass der Gouverneur Pronis vom König Dian Ramach den Kopf Razaus, des Liebhabers seiner madagassischen Frau, verlangte. Pronis drohte mit dem Krieg, erreichte Razaus Hinrichtung und erhielt tatsächlich dessen Kopf. Nun war aber Razau Dian Ramachs Bruder, so dass Pronis’ Forderungen entschieden dazu beitrugen, einen bewaffneten Konflikt mit ­diesem mächtigen König zu provozieren.18 Aus Sicht der Lehre vom gerechten Krieg war wohl derjenige Krieg am ehrbarsten, den die Franzosen gegen Dian Mananghe um 1665 führten und den der Missionar Pater Étienne ausgelöst hatte.19 Diese Kriege werden in ihrer ganzen Grausamkeit dargestellt. Flacourt und Carpeau du Saussay erzählen, wie die Franzosen auch Frauen und Kinder massa­ krierten.20 Franzosen erhielten von ihren madagassischen Verbündeten viele Köpfe von Feinden, schnitten selbst nicht wenige ab und stellten sie auf Piken aus. Sie lehnten es teilweise ab, die besagten Köpfe den Verwandten der Toten zu übergeben.21 Flacourts Kommentare zeugen teilweise von einer martialischen Unsensibilität, die zu seiner Zeit wohl gegen keine ­soziale Norm verstieß: So vermerkt er lakonisch, als er einmal die Köpfe von zwei »Chefs« bekommt, dass sie »ein vornehmenes Aussehen hatten«.22 Vor allem Rennefort schreibt das Gegenteil einer heroischen Geschichte der französischen Expansion. Er spricht vom »französischen Joch« 23 und zieht an mehre­ ren Stellen eine katastrophale Bilanz der in seinen Augen unklugen Kriegspoli­ tik.24 Kein Franzose kommt in seiner Erzählung wirklich gut weg, mit Ausnahme La Cases alias Dian Pousse.25 Er beschuldigt den Gouverneur Champmargou, Krieg gegen Dian Mananghe zu führen, anstatt eine Allianz mit ihm zu suchen.26 Er behauptet, die Missionare hätten auch ihre Angestellten zum ­Mitplündern 16 Zur Einmischung der Franzosen in den Konflikt z­ wischen Zafiraminia und Anteony: Beaujard, Islamisés et système royaux, 252. 17 Cauche, Relations veritables et curieuses, 100 f. 18 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 276 – 277, 440 – 441. 19 Souchu de Rennefort, Relation du premier voyage, 81 – 92, 108 f., 118 – 124; [Carpeau du ­Saussay], Voyage, 186 – 193. 20 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 314, 327; [Carpeau du Saussay], Voyage, 205, 237. 21 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 326, 339, 351 f., 364; Cauche, Relations veritables et curieuses, 68. 22 »On m’apporta les deux têtes qui avaient très bonne façon«: Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 344. 23 Souchu de Rennefort, Relation du premier voyage, 145: »le joug des Français«. 24 Ebd., 124 f. 25 Ebd., 170 – 172. 26 Ebd., 147 – 152.

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geschickt, um die Mission zu finanzieren.27 Renneforts Kriegserzählungen enthalten durchaus Details, die die Franzosen lächerlich machen. So berichtet er, dass ein Wachposten nachts eine schwarze Kuh erschossen habe, von der er dachte, sie sei ein Spion. Daraufhin ­seien die Franzosen prompt aufgestanden und hätten sich eifrig zum Kampf vorbereitet.28 Dennoch tritt auch Rennefort keineswegs gegen Gewaltanwendung ein. Er ruft nach einer offensiven Expansionspolitik, die sowohl militärische Kraft als auch Geschicklichkeit erfordere.29 Unter seiner Feder werden vor allem die Plünderungszüge La Cases zu wahren Heldentaten.30 Die Autoren der Zeit Ludwigs XIV. gehen im Gegensatz zu Verfassern späterer Zeiten zudem auch detailliert auf die Kriegsführung der Fürsten Anosys ein. Sie berichten, dass die Madagassen beinahe ununterbrochen Krieg führten. Sie fochten dabei keine offenen Schlachten, sondern wandten eine Guerillataktik an und plünderten fremde Territorien.31 Diese Darstellungen kontrastieren mit dem Postulat, das oft in den Texten des Aufklärungszeitalters anzutreffen ist, demnach die Madagassen sanft und schüchtern s­ eien.32 Der Vergleich ­zwischen den Texten aus dem 17. und jenen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeigt also, dass der spätaufklärerische Diskurs von der freiwilligen Unterwerfung der Madagassen ein Unbehagen gegenüber der Gewalt hervorrief, das die Franzosen ein Jahrhundert zuvor nicht empfunden hatten.

9.2 Grenzgänger Die Narrative des 17. Jahrhunderts weisen nicht nur im Umgang mit Gewalt Unterschiede zu Maudaves und Beňovskýs Texten auf: In Flacourts, Renneforts und Carpeaus Erzählungen, nicht jedoch in Maudaves und Beňovskýs Schriften, spielen kulturelle Grenzgänger eine große Rolle. Die doppelte Zugehörigkeit sowohl zur französischen als auch zur madagassischen Gesellschaft entstand vor allem dadurch, dass französische Männer Madagassinnen ehelichten. Du Bois zufolge hatte die Mehrheit der Kolonisten lokale Frauen geheiratet.33 Rennefort 27 Ebd., 78. 28 Ebd., 153. 29 Ebd., 184. 30 Ebd., 231 – 239, 249 – 250, 393 – 394. 31 Cauche, Relations veritables et curieuses, 266 – 270; Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 127, 185 – 189. 32 Lescallier, Mémoire relatif à l’île de Madagascar, 880, 888; ANOM, C 5A 3, Nr. 47, Bl. 6, Maudave an den Marineminister, 28. August 1770; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 26, Bl. 3, Maudave an Praslin, 28. April 1767; BnF, NAF 9413, Bl. 269, »Mémoire sur Madagascar«, ohne Datum. 33 [Du Bois], Voyages, 153.

Grenzgänger

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und Carpeau machen einen solchen Mann, La Case, zum wahren Helden ihrer Erzählung.34 Flacourt berichtet außerdem von mehreren Europäern, die Fort-­ Dauphin verlassen hätten, um sich Madagassen anzuschließen. So erzählt er von einem gewissen Ranicaze, einem Franzosen, der das Madagassische beherrschte und zum Gefolgsmann des Fürsten Dian Tserongh wurde. Flacourt zufolge hatte Ranicaze die ­Sitten und den »Aberglauben« (»les superstitions«) des Landes übernommen und kannte kein anderes Vaterland als Madagaskar. Der Gouverneur beschäftigte ihn, um Handel mit den Eingeborenen zu treiben. Doch Ranicaze habe die Franzosen verraten und in eine Falle gelockt, damit sie massakriert würden.35 Ebenfalls ­zwischen Franzosen und Madagassen lebte ein Perser namens Dian Lalau, der die Tochter eines Zafiraminia geheiratet hatte. Flacourt erzählt, Dian Lalau habe seinerzeit den Franzosen treu gedient. Nach der Abreise des Gouverneurs und dem Tod Jacques Pronis’ wurde er allerdings von den Franzosen 1655 als angeblicher Verräter ermordet. Da er Moslem war, habe man ihm die Bestattung verweigert.36 Nicht weniger markant ist der Fall Jacques Pronis’, des ersten Gouverneurs von Fort-­Dauphin. Flacourt berichtet nicht nur von der Heirat Pronis’ mit Dian Ravel und den damit zusammenhängenden Konflikten mit den französischen Soldaten. Er erwähnt auch die Loyalitätskonflikte, denen sich Pronis ausgesetzt sah, als die Franzosen Krieg gegen seine neuen Verwandten führten. Pronis entschied sich bei Weitem nicht immer für die Franzosen: Er warnte seine Familienmitglieder vor Fallen und schenkte ihnen Gewehre, die manch einen seiner Landsleute das Leben kosteten.37 Warum berichten die Erzählungen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht von ähnlichen Schicksalen? Dies kann nicht daran liegen, dass es in dieser Zeit keine transkulturellen Grenzgänger gegeben hätte, wie die Geschichten La Bigornes und Diards zeigen. Vor allem Diard hatte weniger wie ein Vertreter der französischen Verwaltung als vielmehr wie ein Mitglied einer Betsimisaraka-­ Familie gehandelt, die Iavy feindlich gegenüberstand. Er wechselte ­zwischen den Welten, so wie er seinen Namen und seine Kleidung wechselte. La Bigornes und Diards Lebens­geschichten zeigen, dass man auch für das 18. Jahrhundert 34 Souchu de Rennefort, Relation du premier voyage, 102 – 121, 231 – 233; [Carpeau du Saussay], Voyage, 184 – 186, 216, 223, 230 – 234. 35 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 311, 320 – 321. Flacourt erwähnt noch einen weiteren Franzosen, der ähnlich wie Ranicaze seine Landsleute verraten wollte, um mit den »Negern« gemeinsame Sache zu machen: Ebd., 372 – 374. Siehe außerdem die Geschichte eines Holländers namens Sibran, der sich dem König von Fanjahira anschloss: Ebd., 305. Zu La Cases Bündnispolitik mit Antaimoro-­Fürsten aus dem Südosten Madagaskars siehe auch: Beaujard, Islamisés et systèmes royaux, 240. 36 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 365, 404. 37 Ebd., 309, 317. Pronis trug den madagassischen Namen »Rajac«: ebd., 323.

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keineswegs eine scharfe Trennlinie ­zwischen Madagassen und Franzosen ziehen kann. Vielmehr entstanden transnationale Familienbande und Bündnisse, die teils ein Instrument in den Händen nicht nur von Händlern, sondern auch von Gouverneuren sein konnten, oft aber die offizielle politische Linie untergruben und die Region destabilisierten. Jahrzehnte französischer Präsenz an der Ostküste Madagaskars hatten eine h ­ ybride Welt hervorgebracht, in der Loyalitäten eher mit der Sippe denn mit dem Status als Untertan des Königs der Betsimisaraka oder des Königs von Frankreich zusammenhingen. Auch im 18. Jahrhundert heirateten zahlreiche französische Händler in madagassische Familien hinein – freilich ohne kirchliche Eheschließung.38 Der König von Toamasina Jean-­René war ein Spross einer solchen französisch-­madagassischen Ehe. Man kann sich also die Frage stellen, ob das Schweigen über das Phänomen des Grenzgängertums in den Darstellungen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert und dem frühen 19. Jahrhundert nicht damit zusammenhing, dass die Autoren kolonialer Projekte der Aufklärungszeit gegenüber diesen Fällen ein größeres Unbehagen als ihre Landsleute ein Jahrhundert zuvor verspürten. Bereits im 17. Jahrhundert wurden Ehebündnisse mit Madagassen oft argwöhnisch beäugt, weil sie zu Loyalitätskonflikten führten. Doch dass es überhaupt zu solchen Konflikten kommen konnte, sah der Diskurs über eine Kolonialexpansion durch zivilisatorische Autorität nicht vor. Die Idee einer zwingenden zivilisatorischen Überlegenheit beschränkte auch in ­diesem Sinne das Feld des Sagbaren über die Handlungsoptionen in der französisch-­madagassischen Begegnung. Dieses Phänomen wird an der Art und Weise deutlich, wie Maudave über gemischte französisch-­madagassische Ehen schrieb. Solche Ehen waren für den Gouverneur von Fort-­Dauphin ein Projekt, keine Realität; über die damals verbreitete Praxis der französisch-­madagassischen Lebenspartnerschaft berichtete er an keiner Stelle. Dabei hatten französisch-­madagassische Eheschließungen einen festen Platz in seinem Expansionsprojekt als Instrument einer Zivilisierungspolitik. Für ihn waren die gemischten Ehen »ein sanftes, aber sehr mächtiges Mittel, um alles [d. h. alle Madagassen, D. T.] mit der Zeit zu unterwerfen«.39 Zugleich hieß jedoch diese Zielsetzung, dass Maudave weder die Entstehung von dauerhaften kulturellen Mischformen noch von wechselbaren Identitäten und Loyalitäten vorhersah.40 Dass die französisch-­madagassischen Ehen Menschen hervorbrachten, die die Wahl z­ wischen den Kulturen und Lagern hatten und sich folglich in 38 Mayeur, Voyage dans le nord, 142; Tombe, Voyage aux Indes orientales, 89. 39 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 40, S. 19, Denkschrift von Maudave, ohne Datum: »un moyen doux, mais très puissant de tout subjuguer avec le tems«. 40 Maudave lässt höchstens den Gedanken an eine zeitweilige rassische Mischung (métissage) zu: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 28, Bl. 2, Denkschrift von Maudave, 6. Dezember 1767.

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Konflikten besser als andere situativ positionieren konnten, wollte oder konnte er nicht wahrnehmen. Das geringe Interesse für das Phänomen der französisch-­madagassischen Hybridisierung und der damit einhergehenden Loyalitätsfragen ist in den französischen Quellen, die sich mit Zivilisierungsprojekten befassen, frappierend. Dies gilt noch für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts – trotz des Erfolgs Jean-­Renés und gerade im Umgang mit seiner Person.41

9.3 Indigenes Wissen und rassische Kategorisierungen Es gibt Hinweise darauf, dass das Narrativ einer Zivilisierung der Madagassen durch Kolonialexpansion die Übernahme indigenen Wissens durch die Franzosen verhinderte. 1809 behauptete der französische Reisende Jean-­Baptiste F ­ ressanges, Flacourt habe die ­Sitten der Madagassen sehr schlecht beobachtet, denn er habe ihnen grauenhafte Bräuche nachgesagt.42 Allerdings vermittelte Fressanges’ Schrift so wie andere Texte des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts – ganz im Gegensatz zu Flacourts Aufzeichnungen und weiteren Quellen aus dem 17. Jahrhundert – madagassische Wirklichkeitskonstruktionen kaum. Unter der Herrschaft Ludwigs XIV. hatte Flacourt die politisch-­sozialen Kategorien der Gesellschaft Anosys dargestellt. Ihm zufolge würden die Einwohner der Region nach zwei Kriterien, einem »rassischen« und einem »sozialen«, klassifiziert: erstens danach, ob sie »Weiße« oder »Schwarze« ­seien, und zweitens danach, welcher Schicht sie innerhalb dieser beiden Großgruppen angehörten. Mit »Weißen« sind hier mitnichten Europäer gemeint, sondern Indigene aus Familien vornehmlich südostasiatischer Herkunft. Mehr als eine eindeutige rassische Zuordnung war die Unterscheidung ­zwischen »Weiß« (fotsy) und »Schwarz« (mainty) eine Frage der rituellen Reinheit und damit zusammenhängender Kosmoskonzeptionen, wie die neuere Forschung betont.43 Von Flacourt erfährt man, dass die »Weißen« sich aus Roandriana (»Granden«), Anakandriana (Nachkommen von 41 Jean-­René bleibt in vielen Texten aus der Zeit unmittelbar nach 1816 – 1817 unerwähnt, so z. B. in der »Note sur Madagascar« und »De la situation des français à Madagascar, de l’établissement de l’île de Sainte Marie et du port du Teinteingue«, beide in ANOM, MAD 150 207. Siehe auch ANOM, DFC, XVII/mémoires/89, Nr. 101, Denkschrift von Mackau, 24. Dezember 1818, und Nr. 104, Brief von Dixion an Roux, 1818. Eine Geschichte der französischen Niederlassungen auf Madagaskar, die 1836 auf Geheiß des Marineministers gedruckt wurde, erwähnt zwar Jean-­René, übergeht aber dessen französisch-­ madagassische Abstammung: Précis sur les établissements français, 20, 23 f. 42 Fressanges, Voyages à Madagascar, 4, 8. 43 Randrianja/Ellis, Madagascar, 67 – 69. Zum Beispiel bei den Tanala: Beaujard, Islamisés et systèmes royaux, 268 f., 280.

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Abb. 8  »Weiße« und »schwarze« Madagassen

»Granden« väterlicherseits, nicht aber mütterlicherseits) und »Ondzatsi« (»Weiße«, die im Gegensatz zu den Roandriana und den Anakandriana nicht »rein« genug ­seien, um Tiere zu schächten) zusammensetzten. Zu den »Schwarzen« gehörten Voadziri (wörtlich »Minister«, wie eine Elite vornehmlich afrikanischer Herkunft bezeichnet wurde, die als »Granden« den »Weißen« in der Regierung assistierten), Lohavohits (wörtlich »Dorfälteste«), Ontsoa (Dorfbevölkerung mit Ahnenkult) und Andevo (unfreie Bauern ohne Ahnen). Unter ihnen galten nur die Voadziri als rein genug, um Tiere zu schächten. Flacourt berichtet zudem über die islamisch beeinflussten Schöpfungs- und Herkunftsmythen auf der Großen Insel. So habe Gott einem madagassischen Mythos zufolge mehrere Frauen aus unterschiedlichen Körperteilen Adams geschaffen, auf die die einzelnen sozialen Gruppen zurückzuführen ­seien. Man erfährt außerdem, dass die bedeutendsten Familien der Region behaupteten, aus Mekka abzustammen (teilweise aus Medina und Mangalore). Schließlich erläutert Flacourt eine ganze Reihe von sozialen Praktiken zur Herstellung gesellschaftlicher Hierarchien: das Privileg der weißen Oberschicht, Gold und die rote Farbe zu tragen; die symbolische Bedeutung bestimmter Frisuren und die komplexen Regeln, wer wen berühren oder wer mit wem essen durfte. All diese Elemente, die sich in späteren Quellen aus anderen Regionen wiederfinden, zeichnen das Bild einer politisch-­sozialen Ideologie, die stark von der südasiatischen

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Abb. 9  Ein Roandriana mit seiner Frau, die von Sklaven getragen wird

indisch-­muslimischen Synthese geprägt war, die auch in malaiischen und javanischen Chroniken vorherrscht.44 Zwar stellt Flacourts Buch in all seiner Detailliertheit auch für das 17. Jahrhundert eine Ausnahme dar. Allerdings finden sich bei anderen Autoren der Zeit Ludwigs XIV. ebenfalls Spuren dieser einhemischen Beschreibungskategorien. Cauche, Rennefort, Du Bois, Dellon sowie die Missionare Charles Nacquart, Jean-­François Mousnier, Toussaint Bourdaise und Nicolas Étienne machen alle den Unterschied ­zwischen einheimischen »Weißen« und »Schwarzen«.45 Auch druckte man in den Büchern des 17. Jahrhunderts Kupferstiche, die diese »weißen« Madagassen darstellten. In Flacourts Histoire sind auf einem Kupferstich zwei idealtypische Familien abgebildet: »weiße« und »schwarze« Dorfchefs samt Frau und Kind. Während Letztere dunkelhäutig sind, weisen Erstere keinerlei physische Unterschiede zu Europäern auf (Abb. 8). Auf anderen Stichen d ­ ieses 44 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 154 – 159; Rakotoarisoa, Mille ans d’occupation humaine, 99 – 103. 45 À l’angle de la Grande Maison, 19 – 21, 206, 309; Cauche, Relations veritables et curieuses, 10; [Du Bois], Voyages, 108; Souchu de Rennefort, Relation du premier voyage, 238; ders., Histoire des Indes orientales, 148; Dellon, Nouvelle Relation, 22. Diesen Unterschied machten auch portugiesische Missionare: Kent, Religion and State in Madagascar, 281.

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Abb. 10  Unterwerfung der Bewohner der Provinz Anosy

Werks (Abb. 9 und 10) erscheinen die Madagassen sogar vornehmlich als Weiße, die dem klassischen europäischen Körperideal entsprechen.46 Die Ausgabe von Carpeaus Erzählung aus dem Jahr 1722 enthält Kupfer­ stiche von »weißen« Madagassen, die den Darstellungen in Flacourts Buch folgen (Abb. 11 und 12). Nach afrikanisch aussehenden Menschen sucht man vergeblich.47 Im Gegenteil dazu erscheinen die Madagassen sechzig Jahre später in Grasset de Saint-­Sauveurs großem Überblickswerk über die »aktuellen zivilen Trachten aller bekannter Völker« (Costumes civils actuels de tous les peuples connus, 1784 – 1788) als dunkelhäutiger, wobei der Kupferstecher den ästhetischen Prinzipien des Rokoko entsprechend der Frau eine hellere Haut als dem Mann verlieh (Abb. 13 und 14):48 Während der Mann schwarz ist und kurze krause Haare hat, ist die Frau von einer Französin ausschließlich durch ihren dunkleren – aber nicht schwarzen – Teint zu unterscheiden. Ihr Kleid mutet recht europäisch an und die Nähe zu den Gemälden des Rokoko wird dadurch verstärkt, dass der Kolorist ihr blonde Haare gab.

46 Siehe den unpaginierten Abbildungsteil von: Flacourt, Histoire de la Grande Isle. 47 [Carpeau du Saussay], Voyage, Abbildungen z­ wischen den Seiten 246 und 247 sowie 248 und 249. 48 Grasset de Saint-­Sauveur, Costumes de tous les peuples connus, 76, 80.

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Abb. 11 und 12  Roandriana und Roandrianafrau

Die Autoren des 18. Jahrhunderts wenden eine andere Terminologie als ihre Vorgänger im 17. Jahrhundert an. Sie übernehmen zwar von Flacourt die Unterscheidung z­ wischen »weißen« »landfremden« Arabern in Anosy und der »einheimischen« »schwarzen« Bevölkerung.49 In ihren Texten bezeichnen sie mit dem Begriff »Weiße« allerdings beinahe immer Europäer, während die Indigenen unter ihrer Feder fast immer als »Schwarze« erscheinen.50 Maudave sieht beispielsweise 49 ANOM, MAD 150 207, Liniers, »Mémoire sur un établissement aux Isles de Madagascar, d’Anjouan, l’une des isles Comorres« ohne Datum; Rochon, Voyage à Madagascar, 30. 50 Einige Beispiele: ANOM , DFC , XVII /mémoires/88, Nr. 40, S. 20, Denkschrift von Maudave, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 43, S. 6 – 10, 16, Beňovský an den Marineminister, 1774; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 51, S. 2, Überlegungen zu einer Denkschrift von Millon, ohne Datum; ANOM , DFC , XVII /mémoires/88, Nr. 52, S. 1, Sartine an Beňovský, Juni 1775; ANOM , DFC , XVII /mémoires/88, Nr. 79, S. 16, 24, 33 – 37, Tagebuch von La Serre, 1777; ANOM , Séries géographiques, MAD 150 207, [Cossigny?], »Mémoire où l’on propose un établissement à Madagascar et où l’on s’attache à en prouver l’importance et l’avantage«, ohne Datum; ANOM , Séries géographiques, MAD 150 207, Anonym, »Observations sur Madagascar«, ohne Datum; ANOM , Séries géographiques, MAD 150 207, Anonym, »Madagascar«, ohne Datum; ANOM , Séries géographiques, MAD 150 207, Anonym, »Mémoire sur Madagascar«, ohne Datum; ANOM , Séries géographiques, MAD 150 207, Anonym, »Réponse aux

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Abb. 13 und 14  Madagassendarstellungen

in den Bewohnern Anosys »Neger«, obwohl er durchaus differenzieren konnte, wenn er eine konkrete Person beschrieb. So bezeichnet er Maimbos Haut nicht als »schwarz«, sondern als »kupferfarben«.51 Im späten 18. Jahrhundert verbreitete sich diese letzte Bezeichnung für diejenigen Bevölkerungsgruppen, die in den Quellen des 17. Jahrhunderts »Weiße« genannt worden waren.52 Diese erneute Differenzierung z­ wischen zwei »Rassen« auf Madagaskar lässt sich auf den Einfluss Mayeurs zurückführen. Der Dolmetscher Beňovskýs stellte als einer der ­Ersten eine Ähnlichkeit ­zwischen den Bewohnern des madagassischen Hochlandes und den Malaien fest.53 Wenige Jahre später vermischte der Naturhistoriker Perre Sonnerat diese Aussage mit älteren Beschreibungen von Flacourt und kam deshalb zum Ergebnis, dass es drei »Menschenrassen« auf der Großen Insel gebe: schwarze Afrikaner, kupferfarbene Malaien und weiße Araber.54

éclaircissements demandés sur l’île de Madagascar«, ohne Datum. Du Barry sieht keine Weißen in den Küstenregionen: De Barry, Lettre, 4. 51 MHN, Ms. 3001, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, S. 24: »chair couleur de cuivre«. 52 Ein Beispiel: Lescallier, Mémoire relatif à l’île de Madagascar, 888. 53 Mayeur, Voyage dans le sud, 168. 54 Sonnerat, Voyage, 56.

Religion und »Aberglaube«

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Im frühen 19. Jahrhundert wurden die »roten« oder »kupferfarbenen« »Malaien« mit langen Haaren zu einem Topos in Madagaskarschriften.55 Die Geschichte der »rassischen« Bezeichnungen der Bewohner Madagaskars ist ein Hinweis dafür, dass die Zeitgenossen Ludwigs XIV. eher bereit waren, madagassische Realitätskonstruktionen zu übernehmen. Ein weiteres Beispiel für die veränderte Einstellung gegenüber einheimischen Beschreibungskategorien ist die Art und Weise, wie die vom spätaufklärerischen Madagaskardiskurs beeinflussten Autoren von der Herrschaft der Roandriana und anderer madagassischer Oberschichten sprachen: Ihnen zufolge ­seien diese nichts anderes als Tyrannen. Eine ­solche Darstellung erfüllte freilich eine propagandistische Funktion. Sie diente nämlich dazu, die Fortschrittlichkeit der französischen Regierung zu untermauern. Zugleich bot ­dieses polemische Narrativ nur wenig Platz für Analyse und Ausdifferenzierungen.56

9.4 Religion und »Aberglaube« Ähnlich wie mit den Bezeichnungen der unterschiedlichen Phänotypen auf Madagaskar verhält es sich mit den Beschreibungen religiöser Vorstellungen und Praktiken. Zwar zeigen die Autoren des 17. Jahrhunderts keinen Respekt vor den madagassischen religiösen Traditionen und Kulten. Für sie zeugten die Beziehungen der Madagassen zur unsichtbaren Welt von einem lächerlichen »Aberglauben«.57 Da Tempel und Priester fehlten, konnte man in ihren Augen nicht von einer Religion sprechen.58 Doch nichtsdestotrotz legten die Zeitgenossen Ludwigs XIV. ein großes Interesse an den Tag für das, was man heute als die madagassische religiöse Welt bezeichnen würde. Cauche berichtet von einem Glauben an Gott und Teufel, von islamischen Bräuchen wie dem Schächten, der Beschneidung, dem Verbot des Verzehrs von Schweinefleisch, der Heiligung des 55 Fressanges, Voyage à Madagascar, 7; Tombe, Voyage aux Indes orientales, 92; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 99, S. 21, Anonym, »Essai sur Madagascar«, 1816 – 1817; Billiart, Voyage aux colonies orientales, 308. 56 Brief von Maudave an Praslin (1770), in: ANOM, MAD 150 20,7, Anonym »Extrait de differens mémoires, journaux, et lettres concernant l‘établissement de Madagascar, avec observations«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 28, Bl. 3, Maudave an Praslin, 6. Dezember 1767; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 48, Bl. 1, Beňovský an den Marineminister, 19. September 1774; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 11, Bl. 2, 5, Legentil, »Productions du Fort-­Dauphin propres au commerce et à la vie«, ohne Datum. 57 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 332, 347 f.; Rennefort, Histoire des Indes orientales, 152, 245 f. 58 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 126, 321, 332, 421.

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Freitags sowie den islamischen Ehe- und Scheidungsgesetzen.59 Flacourt gibt noch bessere Einblicke in die religiöse Welt Anosys oder zumindest in die der Roandriana. Er schreibt ebenso wie Cauche vom Glauben an einen Schöpfergott und den Teufel, erzählt eine madagassische Version der Schöpfungsgeschichte und der Vertreibung Adams aus dem Garten Eden, erläutert die lokale Engellehre. Auch berichtet Flacourt vom Glauben an Geister, an Zombies und an die Wirkungskraft von Talismanen, die oft mit arabischen Schriftzeichen versehen waren. Nicht zuletzt beschreibt er die Schächtungs- und Beschneidungszeremonien.60 Renneforts Histoire des Indes orientales hebt sich von anderen Schriften dadurch ab, dass sie Konversationen mit Gelehrten Anosys wiedergibt, zum Beispiel über die Frage nach der Ewigkeit der Welt oder die Gründe, warum man Gottes Hand in den bescheidensten Sachen dieser Welt erkennen und deshalb den Schöpfer anbeten sollte.61 All diese Elemente ermöglichten Forschern im 20. Jahrhundert wie Paul Ottino, den starken islamisch-­südostasiatischen Einfluss und zugleich die Synkretismen in der religiösen Kultur Anosys zu analysieren.62 Im Kontrast dazu äußerten sich Maudave und andere Vertreter des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses nur lapidar zum Glauben und den religiösen Praktiken der Madagassen. Für sie genügte in der Regel der Hinweis darauf, dass diese Inselbewohner keine Religion besäßen.63 Sie gaben teilweise Renneforts und Flacourts Beschreibungen verkürzt wieder,64 vermittelten jedoch keine neuen Informationen über die religiöse Welt der Großen Insel. Höchstens konstatierten sie bei den Madagassen einen primitiven Manicheismus oder einen naturreligiösen Glauben an ein höchstes Wesen (an Zanahary).65 Sie lobten somit die Tatsache, dass die Madagassen einen Schöpfer anerkannten, und kritisierten in Anknüpfung an Flacourt, dass diese Inselbewohner dennoch dem Teufel mehr Beachtung schenkten als Gott.66 Insgesamt fällt ihr Urteil vernichtend aus. De Barry zufolge 59 Cauche, Relations veritables et curieuses, 49 – 62, 119 – 123. 60 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 159 – 168, 332, 347. 61 Rennefort, Histoire des Indes orientales, 152 f., 245 f. 62 Ottino, L’Étrangère intime; Rakotoarisoa, Mille ans d’occupation humaine. 63 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 40, S. 3, 20, Denkschrift von Maudave, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Bl. 8, Denkschrift von Roze, 1783 – 1784; Sonnerat, Voyage aux Indes orientales, 62. 64 Siehe z. B. Prévost, Histoire générale des voyages, 601; Grasset de Saint-­Sauveur, Costumes de tous les peuples connus, 87 f. 65 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 79, S. 48, Tagebuch von La Serre, 1777. Siehe auch ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 96, Blatt 5 f., Anonym, »Mémoire sur l’île de Madagascar«, 1794; Du Barry, Lettre, 5; Raynal, Histoire des deux Indes (1774), Bd. 2, 12; Sonnerat, Voyage aux Indes orientales, 62; Fressanges, Voyage à Madagascar, 9. 66 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 99, S. 39 – 41, Anonym, »Essai sur Madagascar«, 1816 – 1817. Grasset de Saint-­Sauveur zeigt jedoch Verständnis für die Bevorzugung des

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lebten die Madagassen »in der krassesten Unwissenheit«.67 Für Raynal gaben sich die Inselbewohner »tausend Aberglauben« hin.68 Die Encyclopédie gibt lapidar an, die Madagassen ­seien »von der Götzenanbetung und den Aberglauben des Mahometismus umnachtet«.69 Wie lässt sich ­dieses weitgehende Desinteresse des Aufklärungszeitalters an den madagassischen religiösen Vorstellungen und Praktiken erklären? Auch hier scheint das Narrativ einer baldigen Zivilisierung und auch Christianisierung eine ausschlaggebende Rolle für das Schweigen der Quellen zu spielen. Denn für Maudave und seine Nachfolger war vor allem die Tatsache von Bedeutung, dass die Madagassen »keine Religion haben«, denn sie versprach eine einfache Missionierungsarbeit, die eine Grundlage für die französische Herrschaft bilden würde.70 Aus Sicht sowohl der philosophes als auch der Denkschriftenautoren gab es somit keinen Grund, sich mit vermeintlich lächerlichen Traditionen zu befassen, die ohnehin bald aussterben sollten. Es gibt also zahlreiche Anzeichen dafür, dass die Perspektive einer Zivilisierung der Madagassen und das damit einhergehende Narrativ zu einer Art aufklärerischem Silencing führten. Insbesondere ließen diese Texte eine geringere Bereitschaft ihrer Autoren erkennen, sich das Wissen der Inselbewohner anzueignen. Es ist daher wohl kein Zufall, dass das Jahrhundert der Aufklärung kein Werk hervorgebracht hat, das wie Flacourts Schrift ethnographische Qualität besäße und folglich noch heute als ethnohistorische Quelle benutzt werden könnte.71 Dies heißt zwar nicht, dass die Franzosen im Allgemeinen nicht bereit gewesen wären, madagassisches Wissen zu erwerben: Neben Mayeur haben Händler und Naturhistoriker Handschriften hinterlassen, die ein komplexes Bild Madagaskars zeichneten, das auf Beobachtungen sowie sprach- und landeskundlichen Kenntnissen beruhte. In d ­ iesem Zusammenhang sei der Naturhistoriker Louis-­ Armand Chapelier erwähnt, der sich ­zwischen 1794 und 1807 auf der Großen Insel aufhielt, oder der Händler Charles Telfair, der im frühen 19. Jahrhundert Teufels: Grasset de Saint-­Sauveur, Costumes de tous les peuples connus, 87. 67 De Barry, Lettre, 5: »une ignorance universelle«. 68 Raynal, Histoire des deux Indes (1770), Bd. 2, 5: »mille superstitions«. 69 »Madagascar«, in: Encyclopédie, 839: »diverses nations, […] toutes plongées dans l’idolatrie ou dans les superstitions du mahométisme«. 70 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 14, Bl. 1, Anonym, »Mémoire sur un établissement à Madagascar«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 26, Bl. 2, 5 f., Maudave an Praslin, 28. April 1767; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 27, Bl. 2, Anonym, »Projet d’un établissement à Madagascar. 21 novembre 176[?]«; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 40, S. 6, 20, Denkschrift von Maudave, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Bl. 8, Denkschrift von Roze, 1783 – 1784. 71 Eine ­solche Benutzung der Schrift Flacourts findet man z. B. in Ottino, L’Étrangère intime, 16 – 30.

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mehrere Reisen nach Antananarivo unternahm.72 Doch blieben diese Berichte ungedruckt und standen den französischen Eliten nicht zur Verfügung. In den Versailler Büros und der Öffentlichkeit dominierte eindeutig ein politischer und »philosophischer« Diskurs, der zu einer Verarmung der Madagaskarbilder führte – einem Silencing, das anders als im saidschen Modell nicht von einer Alteritätskonstruktion, sondern im Gegenteil vom Postulat einer baldigen Assimilierung der Eingeborenen verursacht wurde. Was manche »aufgeklärten« Autoren des 18. Jahrhunderts von den Madagassen übernahmen, war letztlich ein Mythos: die indigene Legende von den Kimosy, einem in den Bergen lebenden »Pygmäenvolk« (»peuple de pygmées«). Flacourt berichtete in seiner Histoire, wie die madagassischen Märchenerzähler eine Sage über die Kimosy rezitierten.73 Maudave machte dagegen aus der Legende eine Tatsache. Wahrscheinlich hatte sich der Gouverneur von Fort-­Dauphin wieder einmal von Valgny inspirieren lassen, der in seinem Tagebuch auf die Kimosy eingeht.74 In seinem eigenen Tagebucheintrag vom 25. Oktober 1768 vermerkt Maudave, wie ein »Kapitän« des Königs Maimbo namens Raimonza ihm von den »Quimos« berichtet habe. Zu dieser Zeit dachte Maudave darüber nach, seinen Verbündeten Dian Mananzac fallenzulassen und sich Maimbo anzuschließen. Aus ­diesem Grund empfing er Maimbos Sohn Raimaz und dessen Berater Raimonza in Fort-­Dauphin. Raimonza versicherte ihm, mehrmals bei den Kimosy gewesen zu sein und mit ihnen Handel getrieben zu haben.75 Maudave schickte daraufhin eine Expedition ins Gebirge, wo die Kimosy ­diesem Informanten zufolge ­lebten. Die »Karavane« konnte jedoch keine »Pygmäen« ausfindig machen, was der Gouverneur damit erklärte, dass seine Männer vom richtigen Weg abgekommen ­seien und sich verirrt hätten.76 Anschließend verfasste der französische Graf mit der für ihn typischen Empirieferne eine Denkschrift über ­dieses »sonderbare Volk« von Zwergen. Laut Maudave maßen die Kimosy drei Fuß und waren fleißige und grundsätzlich friedvolle Bauern, die sich jedoch unerbittlich verteidigten, wenn man sie angriff. Die Frauen hätten weder Menstruation noch Brüste und fütterten ihre Säuglinge mit Kuhmilch.77 Maudave erwarb für teures Geld eine Sklavin, die ähnliche 72 Chapelier, Étude; Charles Telfairs Reisebericht: MHN, Ms. 3001, II, 18. 73 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 99. 74 Auszüge aus Valgnys Tagebuch, zusammengestellt von Commerson, in: MHN, Ms. 887, S.  24 f., »II. Mémoires pour servir à l’histoire de Madagascar, Pièces diverses de la main de Commerson concernant Madagascar« und »4° Des differents peuples de Madagascar«, ohne Datum, Bl. 24. Racault ist ebenfalls der Meinung, dass Maudave sich von Valgny inspirieren ließ: Racault, Histoire et enjeux d’un mythe anthropologique (Fußnote 20). 75 MHN, Ms. 3001, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, S. 18 f. 76 Ebd., 59. 77 MHN , Ms. 3001, S. 65 f., »Mémoire sur un peuple singulier nommé les Quimos«, ohne Datum.

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Charakteristika aufzuweisen schien und den Wahrheitsgehalt dieser Beschreibung in seinen Augen bestätigte. »[S]eine kleine Quimos«, wie Maudave sie nannte, war mit drei Fuß zehn Zoll zwar größer als angeblich die meisten Kimosy. Doch ihr fehlten, wie in Raimonzas Beschreibung, die Brüste und sie hatte angeblich keine Tage. Bei ihrer Ankunft in Fort-­Dauphin sei sie äußerst mager gewesen und esse seitdem unaufhörlich. Die Zeugenaussagen von Madagassen und sein »Probestück« (»échantillon«) – wie er seine Sklavin weniger liebevoll bezeichnete – ließen für Maudave keinen Zweifel, dass es ein Volk von »Zwergen« auf Madagaskar gebe.78 Maudave stützte sich bei dieser Beschreibung vor allem auf Raimonzas Erzählung, der in der Zwischenzeit in einem Gefecht mit Dian Mananzac ums Leben gekommen war.79 Auch berief er sich auf Madagassen, die ihm weitere ähnliche Sklaven zu verkaufen versprachen – und sich davon einen stattlichen Profit erhofften, wie der Gouverneur bemerkte.80 Es spricht einiges dafür, dass M ­ audave womöglich ein bereitwilliges Opfer von Madagassen gewesen ist, die ihm für viel Geld seltene »Probestücke« ­dieses sonderbaren Volks verkaufen wollten. Sein Ziel war es in der Tat, genug Kimosy zu erwerben, um einige von ihnen nach Paris ­schicken zu können. Für den Gouverneur von Fort-­Dauphin hätte dies einen aufsehenerregenden Auftritt in »philosophischen« Kreisen bedeutet. Denn – wie er angibt – die Existenz eines »Zwergenvolks« wäre ein weiteres Argument für ­Voltaire und gegen die Sorbonne gewesen: Sie würde die These einer Polygenese der Menschheit stützen – also die These, der zufolge unterschiedliche Menschenarten unabhängig voneinander entstanden s­ eien – und damit die biblische Schöpfungsgeschichte in Zweifel ziehen.81 Die Nachricht von einem madagassischen »Pygmäenvolk« verbreitete sich in gelehrten Kreisen dank dem Botaniker Philibert Commerson, der 1769 auf Madagaskar weilte. Commerson schickte einen Brief an Jerôme Lalande, den Herausgeber 78 Maudaves Aussagen sind zwiespältig: Er schreibt, dass darüber kein Zweifel bestehen kann, und berichtet dennoch von seinen Zweifeln. Besonders unsicher zeigt er sich in der Frage, ob Kimosy-­Frauen tatsächlich keine Brüste haben: MHN, Ms.  3001, S.  66 – 68, »Mémoire sur un peuple singulier nommé les Quimos«, ohne Datum. Racaults Behauptung, Maudave habe nur sehr vorsichtige Aussagen getroffen, folgt die vorliegende Untersuchung nicht: Racault, Jean-­Michel, Histoire et enjeux d’un mythe anthropologique: les Quimos de Madagascar à la fin du 18e siècle, in: La revue des ressources, URL: http:// www.larevuedesressources.org/histoire-­et-­enjeux-­d-­un-­mythe-­anthropologique-­les-­ quimos-­de-­madagascar-­a-­la-­fin-­du-18e,1536.html (Letzter Zugriff am 18.  3.  2015). 79 MHN, Ms. 3001, S. 66, »Mémoire sur un peuple singulier nommé les Quimos,« ohne Datum. Zu Raimonzacs Tod: MHN, Ms. 3001, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, S. 41. 80 MHN , Ms. 3001, S. 66 f., »Mémoire sur un peuple singulier nommé les Quimos«, ohne Datum. 81 Ebd., 67.

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des Journal des Sçavans, der Zeitschrift der Königlichen Akademie der Wissenschaften, die ihn 1771 in Auszügen veröffentlichte.82 Für Commerson war dieser Brief eine willkommene Gelegenheit, um als Naturhistoriker Berühmtheit zu erlangen. Er behauptete darin, durch seine Forschung das Werk Linnés zu überragen: Der Schwede habe die Anzahl der Pflanzenarten auf 7000 bis 8000 geschätzt, während er, Commerson, in seiner Reise durch die Welt mit Bougainville bereits Probestücke von 25.000 Arten gesammelt habe. Man solle »Mitleid mit all diesen trübsinnigen spekulierenden Stubengelehrten (spéculateurs de cabinet) haben, die ihr Leben damit verbringen, sinnlose Systeme aufzustellen«.83 Commerson präsentierte sich somit als empirisch arbeitender Wissenschaftler. Mit seiner Nachricht über die Kimosy griff er zudem überhaupt die Idee der Tierart als ­solche an: Die Natur produziere keine festen Modelle, sondern nur allerlei Unfälle, die unendlich divers ­seien. Auch gebe es keine klaren Grenzen z­ wischen dem Menschen und dem Tier. Nehme man einem Lappen die Fähigkeit zu sprechen und gebe man sie einem Affen, so sei Ersterer ein Affe und Letzterer ein Mensch.84 Trotz seines offensiven Auftretens als Wissenschaftler, der vor Ort eine Expertise aufgebaut habe, bestand ­Commersons empirische Basis einzig aus Maudaves Sklavin – und sein Brief reproduzierte teilweise wörtlich die Denkschrift des Gouverneurs. Er fügte Maudaves Texten lediglich Details hinzu, die zum Teil sentimental-­rousseauistisch ausfielen, zum Teil aber auch die Kimosy in die Nähe der Affen rückten.85 Aufgrund der polemischen Ausrichtung von Commersons Brief waren nicht alle Gelehrten über das Auftauchen eines Zwergenvolks erfreut. Buffon gab zwar den Brief in seiner Histoire naturelle de l’homme von 1777 wieder. Doch aufgrund seiner monogenistischen Überzeugung und seinem Willen, eine Artendefinition und dadurch eine klare Trennung z­ wischen Menschen und Affen zu etablieren, bezweifelte er sowohl die Stichhaltigkeit von Commersons empirischer Grundlage als auch dessen Interpretation. Legentil und Sonnerat glaubten ebenfalls nicht an die Existenz der Kimosy. Nichtsdestotrotz geisterten die Kimosy noch einige Zeit durch spätaufklärerische Schriften. Vor allem Raynals Geschichte ­beider Indien, die in ihrer dritten Auflage ganz auf der Linie Commersons stand, verbreitete die Kunde vom madagassischen »Zwergenvolk«.86 Auch druckte der 82 Commerson, Lettre sur un peuple nain. 83 Lettre de M. de Commerson à M. de la Lande, Ile Bourbon, 18 avril 1771, in: Banks/ Solander, Supplément au voyage de Bougainville, 256: »On ne peut s’empêcher, à la vue des trésors répandus à pleine main sur cette terre fertile, de regarder en pitié ces sombres spéculateurs de cabinet qui passent leur vie à forger de vains systèmes, et dont tous les efforts n’aboutissent qu’à faire des châteaux de cartes.« 84 Ebd., 256 – 261. 85 Commerson, Lettre sur un peuple nain. 86 Racault, Histoire et enjeux d’un mythe anthropologique.

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Astronom Rochon die Denkschrift Maudaves und den Brief Commersons in seinem Buch nach und griff Flacourt heftig an, weil dieser nicht an die Kimosy, diese Prototypen der guten Wilden, geglaubt hatte. Dies sei charakteristisch für den Hass Flacourts auf die Madagassen. Unter Rochons Feder schmolz das Bild der Kimosy mit dem des guten madagassischen Wilden zusammen.87 Auch im Falle des Kimosy-­Mythos folgten also französische Madagaskarbilder des 18. Jahrhunderts weniger der Empirie als vielmehr »philosophischen« Diskursen. Vor dem Hintergrund eines allgemeinen Silencing auf der Grundlage aufklärerischer Ideen gehörte der Mythos von den Kimosy zu den wenigen Bestandteilen des französischen Madagaskarwissens, deren Ursprünge auf Aussagen von Indigenen zurückzuführen waren. Die französischen Autoren eigneten sich die Legende an, um sich im »philosophischen« Feld zu positionieren. Die Erfindung eines »Zwergenvolks« durch Maudave und Commerson mutet umso ironischer an, wenn man bedenkt, dass Commerson für die Entlarvung des Mythos von patagonischen Riesen bekannt wurde. Diese Erkenntnis gilt als eine Sternstunde der aufklärerischen Entzauberung der Welt.88

87 Rochon, Voyage à Madagascar, 142 f. 88 Osterhammel, Die Entzauberung Asiens, 144; Racault, Histoire et enjeux d’un mythe anthropologique.

10 Kolonialismus und philosophie Wie konnte sich der spätaufklärerische Diskurs über die Leichtigkeit einer »sanftmütigen« Kolonialexpansion auf Madagaskar im letzten Drittel des 18. Jahrhundert so fest etablieren? Die folgenden zwei Kapitel sollen einen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage leisten, indem sie neuere wissenshistorische Ansätze aufgreifen. Im Kapitel 11 sollen die Kommunikationsvorgänge, Wissensräume und das Beziehungsgeflecht untersucht werden, die bei der Verbreitung und Etablierung des Madagaskardiskurses vor allem durch ungedruckte Denkschriften eine Rolle spielten. Vorerst sollen aber im Kapitel 10 die Zusammenhänge ­zwischen dem neuen Madagaskarwissen und dem Aufkommen der Ideen von Zivilisation, Aufklärung und philosophie erörtert werden. Darin wird untersucht, wie der Madagaskardiskurs zustande kam und in einem Kreis von philo­ sophes tradiert wurde. Michèle Duchet wies in ihrem Klassiker Anthropologie et Histoire au siècle des Lumières darauf hin, dass die Kolonisierungspläne für Madagaskar eines der Experimentierfelder darstellten, in denen eine neue Zivilisierungspolitik entworfen wurde.1 Darüber hinaus machte sie die Forschung auf die Mitwirkung der philosophes an der Entwicklung der Kolonialpolitik im Ancien Régime aufmerksam.2 Im Folgenden soll an diese Thesen angeknüpft und gezeigt werden, dass Maudave und die philosophes der Île de France eine fundamentale Rolle in der Erfindung einer zentralen Idee der Neuzeit spielten, nämlich der Zivilisierungsmission. Vor dem Hintergrund dieser Zusammenhänge stellt sich eine Frage, die für die Gegenstandsdefinition der Ideengeschichte von zentraler Bedeutung ist: Welche Aufmerksamkeit soll man den unveröffentlichten Schriften weniger bekannter Intellektueller schenken, die in Übersee lebten? Seit einigen Jahren wächst das Interesse für die koloniale Aufklärung, die die Histo­riographie bislang stark vernachlässigt hatte. Vor allem die Schriften von Juristen und Naturwissenschaftlern der Karibik sind untersucht worden.3 Die Maskarenen spielen dagegen in Forschungsdiskursen eine untergeordnete Rolle, obwohl der Physiokrat Pierre Poivre und – im Zusammenhang mit dem Madagaskardiskurs – Cossigny 1 Duchet, Anthropologie et Histoire, 53, 97, 117 f., 129, 131, 213, 218. 2 Ebd., insbesondere 18. 3 Zu den Juristen: Ghachem, Montesquieu in the Caribbean; Garrigus, Moreau de Saint-­ Méry; Taffin, Moreau de Saint-­Méry ou les ambiguïtés d’un créole des Lumières; Thomson, Issues at Stake, 11; Livingstone, Adam’s Ancestors, 68 – 70; Brace, »Race«, 40; Chaplin, Race, 166; Sebastiani, The Scottish Enlightenment, 13. Zu den Naturwissenschaftlern: McClellan/Regourd, The Colonial Machine; McClellan, Colonialism and Science; Regourd, Sciences et colonisation.

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durchaus beachtet wurden.4 Dieses Kapitel möchte einen Beitrag zur Erforschung der kolonialen Aufklärung im Indischen Ozean leisten. Nach einer Einführung in die Probleme der relativen Isolierung des Mutterlands vom Indischen Ozean und der Zentralisierung des französischen Kolonialreichs geht es im Folgenden zunächst um die Rolle der Rezeption von Flacourts Schrift durch Maudave, für die der Wandel der Geschichtskonzeptionen in den 1760er Jahren entscheidend war, die aber auch zur Entwicklung neuer zivilisationspolitischer Pläne beitrug. Hier soll vor allem das Wechselverhältnis z­ wischen Madagaskarbildern und der Universalgeschichte untersucht werden. Anschließend steht die Übernahme des maudavschen Diskurses durch einen Kreis von Gelehrten der Île de France und darüber hinaus durch philosophes des Mutterlands im Mittelpunkt. In d ­ iesem Zusammenhang werden die Verschränkungen von intellektuellen und politischen Eliten untersucht. Dabei geht es vor allem um die Frage, inwiefern eine Affinität z­ wischen philosophie und Kolonialismus bestand und wie diese zu erklären ist. Schließlich werden die Legitimierungen des neuen Madagaskarwissens unter dem Vorzeichen der Philosophie in den Blick genommen. Es soll ein Beitrag zur Erforschung der moralischen Ökonomien des Wissens,5 oder besser gesagt: der Strategien der Wissenslegitimation, geleistet werden.

10.1 Probleme der Distanzherrschaft Das Grundproblem der Urheber der Madagaskarpolitik war, dass sie in Versailles und Paris lebten. Sie wirkten in einer Wissensregion, die vom Indischen Ozean relativ isoliert war, und waren zugleich für die grundsätzliche Orientierung der Madagaskarpolitik zuständig. Wie Kenneth Banks erkannt hat,6 stellte die hochgradige Zentralisierung des französischen Kolonialreichs Hürden für die Entwicklung einer effektiven Kolonialpolitik dar. Offiziell wurden alle wichtigen Entscheidungen im Marineministerium getroffen. Zwar sollte man nicht der Illusion verfallen, dass Versailles alles kontrollierte: Neben der offiziellen, von Versailles eingeleiteten Politik gab es oft eine zweite, inoffizielle und lokal initiierte. Doch entschied das Marineministerium über die Allokation von Ressourcen und die Umsetzung von Kolonisierungsunternehmen. Dabei konsultierten die Minister und ihre Kommis die Intendanten und Gouverneure der Maskarenen oft gar nicht. So hatten die Verwalter der Île de France keinen Anteil an

4 Malleret, Pierre Poivre; Wanquet, Joseph-­François Charpentier de Cossigny. 5 Daston, Die moralischen Ökonomien der Wissenschaft. 6 Banks, Chasing Empire across the Sea.

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der Entscheidung, Maudaves Projekt einer Kolonisierung und Zivilisierung der Großen Insel zu unterstützen. Gleichermaßen wurden Ternay und Maillart vor vollendete Tatsachen gestellt, als sie den Brief erhielten, der sie über die Ankunft Beňovskýs informierte.7 Europa und der Indische Ozean stellten zwar miteinander verbundene, aber doch distinkte Wissensregionen dar, wie ein Brief von Joseph-­Pierre Leboux-­ Dumorier zeigt. Dumorier, wie Lescallier ein ehemaliger Kommissar der Gesetzgebenden Versammlung für die ostindischen Niederlassungen, steckte in den Jahren 1795 bis 1797 auf der Île de France fest. Am 24. September 1793 hatte der Nationalkonvent ihm und den anderen Kommissaren angeordnet, jegliche Tätigkeit sofort einzustellen und ihr Amt niederzulegen. Seitdem verweilte Dumorier ohne klare Aufgabe mitten im Indischen Ozean. Um nicht untätig zu bleiben, beschloss er, Informationen über Madagaskar und die Besitzungen Frankreichs in Ostindien zu sammeln, um anschließend ein Buch daraus zu machen. ­D umorier traf sich auf der Île de la Réunion unter anderem mit dem betagten Pfarrer von Saint-­Denis, der als Priester, Arzt und Botaniker auf der Großen Insel tätig gewesen war und umfangreiche Notizbücher und Denkschriften über diese Insel verfasst hatte. Dem ehemaligen Kommissar der Gesetzgebenden Versammlung ging es darum, ein Wissen zu retten, das seiner Ansicht nach mit dem Tod seiner Träger verloren gehen würde. In der Tat verschwanden mit dem Ableben der Wissensträger oft auch ihre Handschriften: Dumorier erzählt, er habe einmal jemanden gebeten, ihm ein handschriftliches Werk zu geben, das er bei dieser Person gesehen hatte. Der Besitzer der Handschrift habe jedoch geantwortet, er habe inzwischen damit sein Gewehr geladen. Weiter sei, so Dumorier, die große Handschriftensammlung eines gewissen Chazal über die Naturgeschichte und Kuriositäten unterschiedlicher Länder größtenteils nach dessen Tod 1796 verlorengegangen.8 Dumorier behauptete, qualitätsvolle Denkschriften in den Händen mancher Bewohner der Maskarenen zu wissen. Diese hüteten sie jedoch »wie der Hund eines Gärtners« das Gemüse.9 Dumorier konnte dennoch einige Erfolge in seinen Unternehmungen zur Errettung des Wissens vermelden. So habe er sich die Tagebücher und Denkschriftensammlungen des seligen Kommandanten von Madagaskar Sanglier verschaffen können – Quellen, die heutzutage im Archiv nicht auffindbar sind.10 Dumorier war beeindruckt, dass es so zahlreiche gelehrte Männer auf der Île de France gab. Damit die Wissenschaften noch mehr Fortschritte auf den Maskarenen machten, schlug der ehemalige Kommissar dem Marineminister vor, 7 ANOM, C 5A 3, Nr. 111, Boynes an Ternay und Maillart, 19. März 1773. 8 ANOM, C 4 111, Bl. 242 – 246, Dumorier an den Marineminister, 8. August 1797, Bl. 243. 9 Ebd.: »comme le chien du jardinier«. 10 Ebd. Zur Prekarität von Wissen in der Frühen Neuzeit siehe Mulsow, Prekäres Wissen.

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eine Akademie zu gründen: So wie »Frankreich sein Nationalinstitut (Insti­tut national)« habe, bräuchten »diese Inseln ein Kolonialinstitut (Institut ­colonial)«.11 Diese Akademie würde sich mit Wissenschaft und Technik (arts), sogar mit Tanz und den schönen Künsten beschäftigen. Sie würde eine Bibliothek, ein Kartenarchiv, einen Konzertsaal, Architekturmodelle und Werkstätten für die unterschiedlichen technischen Disziplinen haben. Auch würde sie Preise ausschreiben. Der Einfluss ­dieses Kolonialinstituts würde sich zudem nicht auf die Maskarenen beschränken, da die Akademie auch einen entscheidenden Beitrag zur Zivilisierung Madagaskars leisten würde: Vor allem würden die Akademiemitglieder den Madagassen beibringen, auf Madagassisch und auf Französisch zu schreiben. Mit dieser Aufgabe könnte man ehemalige Angestellte der Niederlassungen auf der Roten Insel wie Mayeur und Dumaine betrauen, so Dumorier.12 Für die Erforschung der Wissensproduktion über Madagaskar stellt Dumoriers Brief an den Marineminister ein wichtiges Dokument dar, weil er Einblicke in lokale Praktiken der Wissenssammlung gibt, über die man sonst nur spekulieren kann. Gleichzeitig zeigt der Brief, dass die Maskarenen und das Mutterland klar zu unterscheidende Wissensräume bildeten: Das Wissen, das die Oberschicht der Île de France und der Île Bourbon produzierte, kam nur teilweise in Frankreich an. Auch gingen die Informationen, die Einzelpersonen über Madagaskar sammelten, ohne institutionalisierte Wissensräume größtenteils verloren. Dumorier wünschte sich nicht zuletzt deshalb eine Akademie, damit die Kenntnisse durch das gedruckte Wort, gelehrte Sitzungen, eine Bibliothek und ein Archiv festgehalten und regional wie global verbreitet werden könnten. Ohne eine ­solche Insti­ tutionalisierung führte die intellektuelle Beschäftigung mit der Großen Insel nur im kleinen Maßstab und in einem vom Mutterland getrennten Raum zu einer wahrhaftigen Generierung von Wissen. Die kolonialpolitische Zentrale hatte somit nur begrenzt Zugang zum Wissen, das Bewohner des Indischen Ozeans produzierten. Der Kolonialapparat schuf vielmehr sein eigenes Wissen durch bestimmte Kommunikationskanäle und Medien. Die Entscheidungsträger im Marineministerium machten von fünf Möglichkeiten Gebrauch, um sich über die fremden Gebiete der kolonialen Frontier zu informieren: Erstens korrespondierten sie mit den Amtsträgern auf Madagaskar (oder unterhielten sich mit denjenigen von ihnen, die ins Mutterland zurückgekehrt waren). Da die Kommandanten von Madagaskar Gatekeeper waren, die Informationen filterten, erhielt Versailles nur wenig Wissen von Akteuren, die unter Maudave, Beňovský oder Sanglier dienten. Zweitens tauschten die Minister 11 ANOM, C 4 111, Bl. 242 – 246, Dumorier an den Marineminister, 8. August 1797, Bl. 245: »La France a son Institut national […]; il faut à ces isles un Institut colonial«. 12 Ebd., Bl. 245 f.

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und ihre Angestellten Briefe mit den Gouverneuren und Intendanten der Maskarenen aus. Drittens wurden gelegentlich Sonderagenten zur Inspektion nach Madagaskar geschickt. Viertens lasen die Minister und ihre Angestellten Denkschriften sowie fünftens gedruckte Texte über Madagaskar. Von diesen fünf Informationstechniken vermittelten zwei tendenziell örtliche Erfahrungen: der Briefaustausch mit den Verwaltern der Île de France und die Berichte der Sondergesandten. Doch bestanden die im Rückblick nützlich erscheinenden Informationen neben anderen, die manipuliert waren oder dem spätaufklärerischen Diskurs folgten. Ein grundsätzliches Problem von Untersuchungskommissionen als Methode zur Informationsgewinnung bestand darin, dass sie nur punktuell eingesetzt werden konnten. In dem Zeitraum von 1750 bis 1815 besuchten vom Marineministerium entsandte Kommissare lediglich zweimal die Große Insel. Sie blieben nur wenige Wochen vor Ort. Auch waren die Abgesandten keine Madagaskarkundigen und nur teilweise imstande, die Chancen für eine Kolonialexpansion richtig einzuschätzen. Zum Beispiel beruhten Lescalliers Bild von Madagaskar und seine Einschätzung der Expansionsmöglichkeiten weniger auf seinen flüchtigen Erfahrungen vor Ort als vielmehr auf den Schriften und Aussagen Cossignys. Zudem schützte das Verschicken von Sonderagenten nach Madagaskar den Marineminister keines­wegs vor Manipulationsversuchen: So griff zum Beispiel La Serre auf den etablier­ ten Madagaskardiskurs zurück, um seine Ahnungslosigkeit und sogar illegale Handlungen zu kaschieren. Der Briefwechsel des Marineministeriums mit den Verwaltern der Île de France war rückblickend von entscheidender Bedeutung, damit weniger gefilterte Informationen nach Versailles und Paris gelangten. In der Tat hatten der Gouverneur und der Intendant der Maskarenen durch die Berichte von Verwaltungsangestellten, Händlern und Schiffskapitänen ein relativ genaues Bild dessen, was sich vor Ort ereignete, und berichteten darüber. Diese Informationen wurden teilweise durchaus beachtet. Allerdings schenkten die Marineminister und ihre Mitarbeiter immer wieder eher den Gouverneuren und Kommandanten von Madagaskar Glauben als den Verwaltern der Maskarenen. Langfristig prägten wohl eher handschriftliche und gedruckte Beschreibungen als Briefe das Bild Madagaskars. Während Briefe vor allem der kurzfristigen Informationsgewinnung der Kommis dienten, wurden die Denkschriften und philosophischen Texte, in denen der spätaufklärerische Madagaskardiskurs vorherrschte, verfasst, um von einer breiteren Leserschaft und auch in der Zukunft rezipiert zu werden. Diese beiden Gattungen und die Akteure, die auf sie zurückgriffen, gilt es nun in den folgenden Kapiteln in den Blick zu nehmen.

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10.2 Die Rezeption Flacourts in der Aufklärung Retrospektiv gesehen scheint die Dominanz des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses alles andere als naheliegend gewesen zu sein. Denn das allgemein akzeptierte Madagaskarwissen lief noch Mitte des 18. Jahrhunderts keineswegs auf eine Kolonialexpansion auf dieser Insel hinaus. Der Abbé Prévost hatte in seiner »Allgemeinen Geschichte der Reisen« (Histoire générale des voyages) aus dem Jahr 1750 kein positives Bild Madagaskars entworfen: Ihm zufolge wies die Große Insel keine großen Reichtümer auf und war wenig bevölkert. Ihre Einwohner s­ eien perfide.13 1764 ging De Barry – ein Offizier, der zwei Jahre auf der Großen Insel verbracht hatte – in seinem »Brief über die ­Sitten, Gepflogenheiten, den Handel, die Zeremonien und die Musik der Einwohner der Insel Madagaskar« hart mit den »Barbaren« und ihrer Insel ins Gericht: Sie ­seien unwissend, abergläubisch und faul. Die Luft sei ungesund und der Boden wenig fruchtbar, so dass oft Hunger herrsche.14 Rousselot de Surgy folgte den Einschätzungen und Beschreibungen De Barrys in seinem 1765 veröffentlichten Überblick über die asiatischen, afrikanischen und nordischen Völker (Mélanges interessans et curieux ou Abrégé d’histoire naturelle, morale, civile et politique de l’Asie, de l’Afrique et des Terres Polaires).15 In demselben Jahr malte die Encyclopédie in ihrem neunten Band ebenso ein düsteres Bild der Insel.16 In der ersten Ausgabe der Geschichte beider Indien von Raynal (1770) ist der Abschnitt zu Madagaskar weitgehend eine Abschrift von Prévost, so dass der Autor dessen negative Beschreibungen und Wertungen übernimmt.17 Noch die 1774 erschienene zweite Ausgabe orientiert sich an der Histoire générale des voyages. Sie entwirft sogar ein noch pessimistischeres Porträt Madagaskars und spricht sich ganz im Gegensatz zur dritten Ausgabe von 1780 ausdrücklich gegen eine Kolonisierung d ­ ieses Landes aus.18 Das Urteil der französischen Publizisten war somit bis in die 1770er Jahre hinein vernichtend; nur der Abbé Roubaud äußerte sich im dritten Band seiner »Allgemeinen Geschichte Asiens, Afrikas und Amerikas« (Histoire générale de l’Asie, de l’Afrique et de l’Amérique, 1772) etwas differenzierter über Madagaskar.19 Damit die Idee einer »sanftmütigen« Kolonialexpansion auf Madagaskar attraktiv werden konnte, musste eine Umwertung der Insel und ihrer Bewohner 13 Prévost, Histoire générale des Voyages, Bd. 8, 551 – 627. 14 De Barry, Lettre. 15 Rousselot de Surgy, Mélanges interessans, 138 f. 16 Madagascar, in: Encyclopédie, Bd. 9, 839 – 840; MHN, Ms. 3001, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, S. 55 f. 17 Raynal, Histoire des Deux Indes (1770), Bd. 2, Buch 4, 4 – 10. 18 Raynal, Histoire des Deux Indes (1774), Bd. 2, 9 – 16. 19 Roubaud, Histoire générale, Bd. 3, 276 f., 292 f., 772 – 779.

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stattfinden, die dem Projekt Glaubwürdigkeit verlieh. Es mussten Bilder von »sanften« und lernwilligen Madagassen, die sich nach der Zivilisation sehnten, aufkommen und in einem geschichtsphilosophischen Rahmen sinnvoll erscheinen. Erst in ­diesem neuen Rahmen konnten ältere positive Bilder von Madagaskar und den Madagassen rezipiert werden und einen festen Platz in der Vorstellungswelt französischer Eliten einnehmen. Vieles spricht dafür, den Ursprung des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses in Maudaves Schriften zu suchen. Zwar war Maudave nicht der Erste, der im 18. Jahrhundert eine Kolonialexpansion auf der Großen Insel vorschlug. Einzelne Bausteine seines Diskurses lassen sich bereits in älteren Texten wiederfinden. Das Bild von sanften und lernbereiten Madagassen, die die Franzosen liebten und auf die Zivilisation warteten, war vor Maudave jedoch nicht etabliert. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen. Der Händler Lullier-­Lagaudier war bereits 1705, also sechzig Jahre vor Maudaves Ankunft auf Madagaskar, überzeugt, dass die Franzosen ihre Kolonie von Fort-­Dauphin aufgrund eines allzu »strengen« Vorgehens gegenüber den Einheimischen verloren hatten.20 Doch im Gegensatz zum späteren Gouverneur von Fort-­Dauphin erwog er nicht, dass die Madagassen zivilisiert werden könnten und sollten. Zweitens teilte auch Valgny, der 1767 auf der Île de France wohnte, manche Ideen mit Maudave: Genauso wie dieser dachte er daran, europäische und asiatische Bauern und Handwerker auf der Großen Insel anzusiedeln. Auch hatte er einen hohen Begriff von den natürlichen Ressourcen Madagaskars. Und doch stellte Valgny im Gegensatz zum ehemaligen Gouverneur von Karaikal nicht die Zivilisierung der Madagassen in Aussicht.21 Vor Maudaves Briefen an den Marineminister aus dem Jahr 1767 ist kein Text überliefert, der die oben genannten Madagaskarbilder geschlossen in sich t­ ragen würde. Maudave kann demzufolge als Begründer des Madagaskardiskurses gelten, der in den fünfzig Jahren z­ wischen 1767 und 1817 einflussreich gewesen ist: nicht weil er die einzelnen Ideen, die er in seinen Denkschriften darstellte, erfunden hätte, sondern weil er manche althergebrachten Vorstellungen im Lichte der neuen aufklärerischen Theorien uminterpretierte und bündelte. Es war in der Tat M ­ audaves selektive Rezeption der detailliertesten Schrift über Madagaskar aus dem vorigen Jahrhundert, der Histoire de la Grande Isle de Madagascar von Flacourt, die zur Entstehung des oben skizzierten Madagaskardiskurses führte. Manche Textpassagen der Histoire de la Grande Isle scheinen retrospektiv den spätaufklärerischen Madagaskardiskurs mindestens zum Teil vorwegzunehmen. Gleich im ersten Satz des Widmungsbriefs an Nicolas Fouquet stellt Flacourt sein Kolonisierungsprojekt 20 Luillier, Voyage, 23. 21 ANOM, C 5A 2, Nr. 31, Valgny an Dumas, 23. Oktober 1767.

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unter das Vorzeichen einer Versittlichungs- und Christianisierungspolitik, die sich ihm zufolge die Madagassen selbst wünschten: Diese Insel, die ich beschreibe, wendet sich an Ihre Hoheit, um Ihre Hilfe zu erbitten und um Sie um Arbeitskräfte zu ersuchen, die die Insulaner dazu brächten, sich wie die Nationen Europas zu bilden, und die ihnen die richtige Weise beibringen würden, den Boden zu bestellen, die Künste zu pflegen, Berufe und Manufakturen zu entwickeln […]. Sie verlangt nach Gesetzen, politischer Ordnung, Städten und Amtsträgern […]. Und sie verlangt nach dem Wertvollsten der Welt: Klerikern, Priestern, Predigern, um die Völker zu bekehren und sie in den Mysterien der wahren Religion zu unterrichten.22

Der ehemalige Gouverneur von Fort-­Dauphin beschreibt daraufhin im ersten Teil seines Buchs die Grande Isle. Er zeichnet das Bild »einer der größten Inseln der Welt, die voll fruchtbarer Berge mit Holz, Weiden, Plantagen und Landstriche mit Flüssen und Teichen voller Fische ist; sie ernährt eine unendliche Anzahl von Rindern […]«. 23 Das Geflügel, die Schafe und die Ziegen ­seien ebenfalls zahlreich, groß, fett, nahrhaft und schmeckten sehr gut. Außerdem gebe es nur wenig gefährliche Tiere.24 In seiner Beschreibung der einzelnen Gegenden listet Flacourt zahlreiche Produkte auf: Reis, Zucker, Tabak, Honig, allerlei Vieh, Fische, Gemüse, Früchte, Metalle (darunter Gold), verschiedene Gummiarten. Immer wieder kehren die Adjektive »schön«, »gut«, »angenehm«, »fruchtbar«, »reich«, »ergiebig«, »zahlreich« zurück;25 nur selten bezeichnet Flacourt Regionen als »karg und unfruchtbar«.26 Er setzt mehrere Gegenden implizit mit den reichsten Landschaften Frankreichs, etwa der Brie oder der Loire, gleich.27 Trotz dieser Beschreibung Madagaskars als einer äußerst reichen Insel behauptet Flacourt zum Schluss, die Bevölkerung produziere nur das Wenige, was sie zum 22 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 103: »Cette isle, que je décris, se présente á votre Grandeur, pour implorer votre secours, et pour vous demander des ouvriers afin d’inciter ses habitants à se façonner, comme les autres Nations de l’Europe, et pour enseigner la bonne manière de cultiver la Terre, les Arts, les Métiers et les Manufactures […]. Elle vous demande des Lois, des Ordonnances politiques, des Villes et des Officiers […]. Et ce qui est de plus précieux que toutes les choses du Monde: elles vous demande des Ecclésiastiques, des Prêtres et des Prédicateurs pour convertir les peuples et leur enseigner les Mystères de la véritable Religion.« 23 Ebd., 126.: »Cette isle est une des plus grandes qu’il y ait au monde, remplie de montag­nes fertiles en bois, pâturages et plantations et de campagnes arrosées de rivières et d’étang poissonneux, elle nourrit un nombre infini de boeufs.« 24 Ebd. 25 Ebd., 128 – 154: »beau«, »bon«, »doux«, »riche«, »fécond«, »sans nombre«. 26 Ebd., 152: »pauvre et stérile«. 27 Ebd., 127, 152.

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Leben brauche. Die Etablierung von »Kolonien von Franzosen« würde dagegen den Einheimischen den Genuss von Luxus beibringen. Bald würde man Tabak, Indigo, Baumwolle, Rohrzucker, Seide, Honig, diverse Gummisorten, Wurzeln, Pfeffer, Ambra, Edelsteine, Gold, Eisen, Stahl und Leder nach Europa exportieren.28 Auf Madagaskar sei es – im Gegensatz zu den karibischen Inseln – nicht nötig, Sklaven von weit her zu holen, da die Eingeborenen freiwillig für einen geringen Lohn arbeiteten. Die Dorfältesten böten den Franzosen sogar die Hälfte ihrer landwirtschaftlichen Fläche samt eigener Tochter an. Die Madagassen s­ eien bescheiden, fügsam und liebten – anders als die Eingeborenen Amerikas – die Arbeit. Sie warteten nur darauf, von den »Christen« zu lernen. Die katholische Religion sei einfach einzupflanzen. Man könne auf der Insel auch Soldaten anwerben und Schiffe bauen, um gegen die »Mohammedaner« Krieg zu führen. Fort-­ Dauphin würde schließlich zum »Lagerhaus« (»entrepôt«) Ostindiens werden, schrieb Flacourt Mitte des 17. Jahrhunderts.29 Zahlreiche Topoi des spätaufklärerischen Diskurses über Madagaskar und die Madagassen sowie das Ziel einer Versittlichung der Großen Insel finden sich somit bereits bei Flacourt. Dies trifft auch auf viele Details zu: nicht nur auf die lange Liste an Erzeugnissen der Insel, sondern auch auf die Behauptungen, die Madagassen kennten keine Religion 30 oder töteten und setzten zahlreiche kleine Kinder aus, die an unglücklichen Tagen geboren wurden.31 Die großen diskursiven Ähnlichkeiten legen es nahe, dass Maudave Flacourts Aussagen zur Attraktivität der Großen Insel, zu den Zielen der Kolonisierungspolitik sowie zu der wünschenswerten Vorgehensweise übernahm. Sicher ist, dass Maudave sich genau Flacourts Schrift einprägte. Sein Tagebuch und seine Briefe zeigen, dass er die Große Insel durch die Brille seines Vorgängers in Fort-­Dauphin wahrnahm. Er ging zu Orten, um sie mit den Beschreibungen im Text des vorigen Jahrhunderts zu vergleichen, interpretierte seine Erlebnisse durch die Brille ­dieses Werks 32 und legitimierte seine Pläne mit Verweis auf die Ideen und die vermeintlich positiven Erfahrungen Flacourts.33 Maudave betonte, Flacourts Beschreibungen der Madagassen, der Tiere und der Pflanzen ­seien sehr genau.34 Für ihn stand außer Zweifel, dass es Gold auf Madagaskar gebe oder 28 Ebd., 420: »colonies de Français«. 29 Ebd., 420 – 432. 30 Ebd., 126, 128, 159 – 163. 31 Ebd., 183 – 185. 32 MHN, Ms. 3001, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, S. 9, 11, 13 f., 29. 33 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 26, Maudave an Praslin, 28. April 1767; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 28, Denkschrift von Maudave, 6. Dezember 1767; MHN, Ms. 3001, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, S. 62 f. 34 MHN, Ms. 3001, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, S. 20, 55.

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dass man in Anosy guten Wein produzieren könne, weil Flacourt dies geschrieben hatte.35 Auch wenn Maudave behauptete, die Völker Madagaskars fühlten sich den Franzosen unterlegen und wollten wie diese sein, verwies er auf Flacourts stets wahrhaftige Berichte.36 Selbst seine Ideen über den richtigen Umgang mit der Malaria entnahm er Flacourts Buch.37 Ein weiterer Hinweis auf die Rezeption Flacourts ist die Verwendung des Begriffs »Rohandrian« (Roandriana) für die Oberschicht Anosys. Wenn Maudave und seine Zeitgenossen von madagassischen Würdenträgern sprachen, benutzten sie in der Regel den Begriff »Chef«. Doch wenn Maudave seine von Flacourt inspirierten Zukunftsvisionen darlegte, griff er bezeichnenderweise auf das Vokabular seines Vorgängers zurück, genauso wie Beňovský in der Erzählung seiner Wahl zum Ampansakabe.38 Zudem beriefen sich beinahe alle Autoren von Denkschriften zu Madagaskar – Maudave folgend – auf Etienne de Flacourt, der von einem dieser Projektautoren als »der wahrhaftigste all unserer Historiker« 39 genannt wurde. Flacourts »Geschichte der Großen Insel Madagaskar« war kein vergessenes Werk, sondern »bei Pierre Bienfait oder seinen Nachfolgern im großen Saal des Palais am vierten Pfeiler, dem mit dem Petersbild«,40 zu kaufen. Durch die Brille der maudavschen Rezeption beeinflusste Flacourt Aussagen sowohl über die Insel, ihre Produkte, ihre Bewohner als auch über die Einfachheit, die Indigenen untertan zu machen. Um den letzten Punkt zu untermauern, verwiesen die Denkschriftenautoren auf die vermeintliche Unterwerfung von ganz Anosy durch Flacourt.41 Besonders offensichtlich ist die 35 Ebd., 12, 17, 34. 36 ANOM, C 5A 3, Nr. 47, Bl. 9, Maudave an den Marineminister, 28. August 1770. 37 MHN, Ms. 3001, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, S. 50. 38 Ebd., 31, 55. 39 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 182, Bl. 2, Denkschrift von Roze, 16. August 1783: »le plus vrai de nos historiens«. 40 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Bl. 3, Denkschrift von Roze, ohne Datum: »Ce livre imprimé à Troyes en Champagne chez Nicolas Oudot et se vend à Paris chez Pierre Bienfait ou ses successeurs dans la grande salle du Palais au 4e Pillier à l’image St Pierre«. 41 ANOM, C 5A 2, Nr. 4, Bl. 1, 3 f., Auszüge aus Legentils Reisebericht, ohne Datum; ­L egentil: ANOM , DFC , XVII /mémoires/88, Nr. 7, Bl. 2, »Description de la baie ­d’Anto­ngil […] par M. Legentil« sowie ANOM, C 5A 2, Nr. 11, Bl. 3, Abschriften von Dokumenten über Madagaskar; Millon: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 61, Bl. 3, Denkschrift von Millon, ohne Datum; Béquet: C 5A 2, Nr. 11, Bl. 6, Abschriften von Dokumenten über Madagaskar; C 5A 2, Nr. 11, Bl. 12, »M. M….«, Abschriften von Dokumenten über Madagaskar; anonym: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 3, Abschriften von Dokumenten über Madagaskar; Grossin, Mémoire inédit sur Madagascar, 349, 353, 360; Chevalier de la Serre: MAD 150 207, »Extrait de differens mémoires, journaux, et lettres concernant l’établissement de Madagascar, avec observations«, ohne Datum (Schluss); ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Liniers, »Mémoire sur

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Rezeption von Flacourts Werk in den Schriften des Astronomen Legentil, der sich oft auf den ehemaligen Gouverneur von Fort-­Dauphin beruft.42 Aber auch sein Kollege Rochon, der Flacourt kritisiert, scheint aus der »Geschichte der Großen Insel Madagaskar« abgeschrieben zu haben, wie insbesondere an seiner Darstellung Anosys zu sehen ist.43 Spuren Flacourts lassen sich auch bei Beňovský nachweisen, auch wenn unklar ist, ob der oberungarische Adlige ­dieses Buch aus dem 17. Jahrhundert unmittelbar rezipierte oder ob er einzelne Stellen von Maudave abschrieb. Der extensive Rückgriff vieler Madagaskarschriften auf Flacourts Text rief bei Autoren, die sich auf der Großen Insel befanden, sogar sarkastische Kommentare hervor: Der Chevalier de Sanglier und der Intendant Coquereau, die die Niederlassungen von Madagaskar nach Beňovskýs Abreise verwalteten, kritisierten in ­diesem Sinne den Chevalier de La Serre, von dem sie wussten, dass er nach einem nur zweiwöchigen Aufenthalt auf Madagaskar beim Marineminister eine Denkschrift einreichen würde. Sie warnten den Minister, er würde nur eine Abschrift der in ihren Augen nicht mehr aktuellen Histoire de la Grande Isle de Madagascar bekommen.44 Mit dem Vorwurf des Ministers konfrontiert, er habe in seinen Denkschriften nur Altes wiederholt, konterte La Serre, seine Beobachtungen enthielten doch zahlreiche neue Informationen. Man brauche nur in den Auszügen aus den unterschiedlichen Reiseberichten zu blättern, die er dem Minister habe zukommen lassen, um sich davon zu überzeugen. Nur bei Flacourt ließe sich Ähnliches finden.45 Ob ­dieses Dementi, das den Vorwurf Sangliers und Coque­ reaus bestätigte, in den Ohren des Ministers überzeugend klang, sei dahingestellt. Dennoch gaben Maudave und seine Nachfolger Flacourts Text nur partiell wieder. Flacourts Buch enthält zwei Teile: eine Beschreibung der Insel und eine Geschichte der Franzosen auf Madagaskar. Maudave griff auf den ersten, nicht aber auf den zweiten Teil zurück. Diese selektive Rezeption war insofern bedeutsam, als die von Flacourt erzählte Geschichte der französisch-­madagassischen Begegnungen gar nicht friedlich war. Im zweiten Teil erscheinen die Einheimischen nicht als sanfte und lernwillige Menschen, die die zivilisatorische Überlegenheit der Franzosen anerkennen und sich deshalb unterwerfen. Flacourt bezeichnet un établissement aux Isles de Madagascar, d’Anjouan, l’une des iles Comorres«, ohne Datum; MAE, Asie 4, Nr. 75, Bl. 182 – 191, Liniers, »Madagascar«, hier Bl. 184 f.; MAE, Asie 4, Nr. 76, Précourt [Meunier], »Mémoire raisonné sur un nouvel établissement dans l’isle de Madagascar«, 1784; C 5A 8 bis, Nr. 182, Bl. 2, 8, Denkschrift von Roze, 16. August 1783; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Bl. 3, Denkschrift von Roze, 1783 – 1784. 42 Legentil, Voyage, 85 f., 88 f., 276. 43 Rochon, Voyage à Madagascar, 24 – 32. 44 ANOM , C 5A 8, Nr. 76, Bl. 3, Sanglier und Coquereau an den Marineminister, 31. August 1777. 45 ANOM, C 5A 8, Nr. 143, Bl. 2, La Serre an Sartine, 2. Juli 1778.

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die Madagassen im Gegenteil als »perfide« und »grausam«.46 Die Anhänger des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses kritisierten aus ­diesem Grund Flacourt immer wieder stark.47 Doch hinderte es sie nicht daran, den ersten Teil der Histoire de la Grande Isle intensiv zu rezipieren. Einer der Gründe für diese selektive Rezeption war, dass der erste Teil von Flacourts Werk besser zu der aufklärerischen Universalgeschichte passte.

10.3 Ein Laboratorium der Zivilisationsgeschichte Maudave schuf somit den Madagaskardiskurs des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts durch eine selektive Rezeption der damals bereits hundert Jahre alten Histoire de la Grande Isle. Dieses Vorgehen war in Bezug auf Madagaskar durchaus originell. Obwohl die Histoire de la Grande Isle die Hauptquelle zu der Großen Insel darstellte,48 hatte Flacourts Schrift genauso wie die Große Insel in den 1760er Jahren einen schlechten Ruf. Der Admiral und Vizekönig Ostindiens Jacob La Haye hatte in einem Reisebericht aus dem späten 17. Jahrhundert Flacourt vorgeworfen, schlicht gelogen und imaginäre Reichtümer beschrieben zu haben.49 Ihm folgte der Abbé Prévost, der in seiner einflussreichen Histoire générale des voyages aus dem Jahr 1750 den Gouverneur von Fort-­Dauphin verdächtigte, die Verhältnisse auf Madagaskar beschönigt zu haben, um Unterstützung für sein Koloni­sierungsprojekt zu erhalten.50 Auch Rousselot de Surgy bezichtigte Flacourt der Schönfärberei.51 Diese negative Meinung über Flacourt findet sich auch im Madagaskarartikel der Encyclopédie von 1765 wieder. Sein Autor, Louis de Jaucourt, geht sogar so weit, Flacourt jegliche Kenntnis Madagaskars abzusprechen – wie Maudave entsetzt in seinem Tagebuch notierte.52 Diese Feststellung hielt allerdings weder Jaucourt noch die anderen Autoren der Encyclopédie davon ab, die Histoire de la Grande Isle de Madagascar für die über 200 Einträge, die die Große Insel behandeln oder erwähnen, regelrecht auszuschlachten.53 46 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 263. 47 Rochon, Voyages, 39; Denkschrift von Roze: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Bl. 3, Denkschrift von Roze, 1783 – 1784. 48 Siehe z. B. in [Du Bois], Voyages; Dapper, Description de l’Afrique; [Carpeau du Saussay], Voyage de Madagascar. 49 La Haye, Journal, 81. 50 Prévost, Histoire générale des Voyages, Bd. 8, 597. 51 Rousselot de Surgy, Mélanges interessans, 138 f. 52 Madagascar, in: Encyclopédie, Bd. 9, 839 – 840; MHN, Ms. 3001, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, S. 55 f. 53 Eine Suche auf der Webseite des ARTFL Encyclopédie Project ergibt 255 Treffer. ­Daraus geht hervor, dass Jaucourt sich in seinen zahlreichen Artikeln über die Geographie,

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Wie konnte Flacourt bei Maudave und dessen Epigonen also zu einer Autorität aufsteigen und wie konnten, damit einhergehend, Madagaskar und seine Bevölkerung so radikal aufgewertet werden? Maudave las die Histoire de la Grande Isle de Madagascar im Lichte neuer kolonialpolitischer Ideen, die erst einige Jahre zuvor in »philosophischen« Texten aufgekommen waren. Zu diesen Schriften gehörte ein 1763 veröffentlichtes Buch des Abbé Baudeau über den ostindischen Handel mit dem Titel »Ideen eines Staatsbürgers über die Macht des Königs und den Nationalhandel im Orient« (Idées d’un Citoyen sur la puissance du Roi et le commerce de la Nation dans l’Orient). In ­diesem Jahr begann Nicolas Baudeaus publizistische Karriere; bald sollte er als Herausgeber der 1765 gegründeten Zeitschrift Les Éphémérides du citoyen zu den führenden Physiokraten gehören.54 Eine Besonderheit Baudeaus ist die Aufmerksamkeit, die er kolonialen Fragen widmete. In Idées d’un citoyen schlug er vor, aus Madagaskar und den Maskarenen ein »zweites Mutterland« (»une seconde métropole«) zu machen, wo alle »Pflanzungen und Manufakturen« (»cultivations et manufactures«) Afrikas und Asiens gedeihen und zahlreiche Menschen aus diesen beiden Kontinenten ansässig sein würden.55 Vor allem dachte Baudeau an den Kauf von Sklaven, die man im Rahmen eines Militärdienstes zivilisieren, zum Katholizismus bekehren und in ­Bürger verwandeln könnte. Von einer Zivilisierung der indigenen Bevölkerung insgesamt war jedoch noch nicht die Rede.56 Diese Idee erscheint bei ihm erst 1766 in einem Aufsatz über die Kolonisierung Louisianas, den er in den Éphémérides drucken ließ. Zwar gehörte Louisiana zu ­diesem Zeitpunkt nicht mehr Frankreich, sondern Spanien. Doch Baudeau ging davon aus, dass das iberische Königreich durch den choiseulschen Bourbonischen Familienpakt (Pacte de famille), in dem er nichts weniger als »das Heil von ganz Europa« erblickte, mit Frankreich fest verbunden sei.57 Der Publizist schlug die Gründung einer französisch-­spanisch-­ sizilianischen Handelskompanie vor, die afrikanische Sklaven kaufen und zu »freien Menschen« und »wahrhaften Bürgern von Louisiana« machen würde.58 gesellschaftliche Strukturen und Naturgeschichte Madagaskars stark von Flacourt inspi­rieren ließ. Siehe u. a. die Artikel über die Völker und sozialen Gruppen Madagaskars: »Ambohistmenes«, »Ampatres«, »Anachimoussi«, »Anacandrians«, »Ansianactes«, »Anatavares«, »Casimambous«, »Ombiasses«, »Ondeves«, »Ondzatsi«, »Rohandrians«, in: ARTFL Encyclopédie Project, http://encyclopedie.uchicago.edu/node/176 (Letzter Zugriff am 20. 7. 2015). 54 Dauchez, »L’économiste inconnu«. 55 Baudeau, Idées d’un Citoyen, 16 – 21. 56 Ebd., 23 – 28. 57 [Baudeau], Des colonies françaises aux Indes occidentales, 32 f.: »le salut de l’Europe­ entière«. 58 Ebd., 70: »les transformer en hommes libres, en Cultivateurs industrieux, en vrais ­Citoyens de la Louisiane«.

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Zusätzlich zu d ­ iesem Projekt machte er sich auch für eine Zivilisierung der Indianer stark, die in seinen Augen »eines der wichtigsten Ziele der Kolonialpolitik in Nordamerika hätte sein sollen«.59 Die Nähe zu Maudaves Madagaskarprojekt des folgenden Jahres ist also gegeben. Es ist unklar, ob Maudave jemals die Texte von Baudeau gelesen hat. Doch direkt oder indirekt tragen seine Denkschriften zu Madagaskar den Stempel der Physiokratie. Die Physiokraten entwickelten eine allgemeine Geschichtsvorstellung, in die Maudave Flacourts Idee einer zivilisierenden Kolonialexpansion integrieren konnte. Der Marquis von Mirabeau hatte wenige Jahre zuvor in seinem vielbeachteten Buch L’Ami des hommes (»Der Menschenfreund«; 1756) die Begriffe »civilisation« und »barbarie« geprägt. Mirabeau, dessen Schüler der Abbé Baudeau gewesen ist, ging es darum, ein Loblied auf die christliche Religion zu singen, die die menschlichen ­Sitten sanfter mache. Die Physiokraten griffen den Termi­nus »civilisation« auf, verwandelten ihn in einen regelrechten Prozessbegriff und bündelten damit eine Reihe von früheren Konzepten zusammen: die Milderung der ­Sitten, die Bildung des Geistes, der Künste und Wissenschaften, das Aufblühen von Handel und Industrie, den Erwerb von Annehmlichkeiten und Luxus­gütern. Diese begriffliche Vermengung von Bildung, Sittlichkeit und Kommerz, von Geist und Geld, war zu dieser Zeit keineswegs selbstverständlich, denn zahlreiche philosophes hielten an der klassisch-­republikanischen ­Luxuskritik fest und auch der Marquis von Mirabeau sah in der Entwicklung des Luxus eine »falsche Zivilisation«.60 Eine entscheidende Rolle bei dieser Legierung der Ideen von wirtschaftlicher und moralischer Entwicklung spielte die allgemeine Fortschrittsgeschichte der Menschheit, die sich in den 1750er Jahren herauskristallisierte. Als frühestes Beispiel dafür werden in der Forschung meist Turgots 1750 an der Sorbonne gehaltene Reden genannt. Zwar hat der Physiokrat Turgot die Fortschrittsidee nicht erfunden, doch präsentierte er als einer der ­Ersten eine universalhistorische Erzählung, die weiterhin religiös, aber nicht mehr biblizistisch begründet war. Diese Konzepte hatten bald europaweit einen großen Erfolg und führten ab den 1760er und vor allem ab den 1770er Jahren zum Aufkommen von Stadientheorien, die Gesellschaften nach ihrer Subsistenzweise einstuften ( Jäger- und Sammlernationen; Hirtennationen; Agrarnationen; Handel treibende Nationen).61 59 Ebd., 60: »La civilisation des Amériquains Septentrionaux auroit dû sans doute être considérée comme un des premiers objets de la politique qui dirigeoit nos Colonies.« 60 Mirabeau schrieb von einer »fausse civilisation«: Starobinski, Le Remède dans le mal, 7 – 22. 61 Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, 95 – 98; Passmore, The Perfectibility of Man, 195; Mortier, »Lumière« et »Lumières«, 35 f.; Spadafora, Idea of Progress, 8, 228, 246; Sebastiani, The Scottish Enlightenment, 6. Thomas Nutz äußert sich skeptisch zu der Frage, ob man wirklich einen Urvater dieser Geschichtskonzeption finden kann.

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Solche Geschichtsvorstellungen gingen oft mit einem veränderten Blick auf die Völker einher, die bereits seit Beginn der europäischen Expansion als »ungesittet«, »barbarisch« oder »wild« bezeichnet worden waren: Sie suggerierten nun verstärkt, dass diese zur Zivilisation bestimmt s­ eien.62 Zwar war die Idee, dass man die »wilden« Völker versittlichen (policer) könne und solle, nicht neu, wie auch Flacourts Histoire zeigt. In dem neuen universalhistorischen Rahmen erhielt sie jedoch einen festen Platz. So eröffneten die Physiokraten neue kolonialpolitische Perspektiven: Dupont de Nemours schlug 1771 in den Éphémérides du citoyen vor, Kolonien in Afrika aufzubauen, in denen eine lokale freie Arbeitskraft dieselben Erzeugnisse, die aus karibischen Niederlassungen importiert wurden, hervorbringen würde.63 Ab 1774 entwarfen Denkschriftenautoren das Projekt einer Zivilisierung der Indianer Südamerikas unter französischer Herrschaft, angefangen von Guyana.64 Ähnliche Pläne einer Expansion durch die Zivilisierung der »Wilden« und »Barba­ren« prägten auch die spanische und die russische Frontierpolitik dieser Jahre.65 Mit seinen Texten über Madagaskar aus den Jahren 1767 – 1771 wirkte Maudave an der Weiterentwicklung der physiokratischen Zivilisationstheorien. Mehrere Jahre vor dem Aufblühen der Stadientheorien gab er die strikte Dichotomie z­ wischen dem Zustand der Wildheit und dem der Sittsamkeit auf. Maudave charakterisierte die Madagassen als ein »noch ländliches Volk« (»peuple […] encore agreste«], das sich deutlich von den »Wilden« Kanadas unterscheide. Erstere ­seien »weniger wild« (»moins féroces«) und weniger faul als Letztere. Sie hätten »einige Begriffe« (»quelques idées«) von guter »Policey«, Handel, den Künsten und sogar von der Schrift.66 Die Erfahrung mit den madagassischen Sklaven auf der Île de France zeige, dass die Madagassen »langsam in allem, was sie machen, aber sanft und friedlich« ­seien.67 Dies bringt der Gouverneur von Fort-­Dauphin mit der Tatsache in Verbindung, dass sie hauptsächlich Hirten s­ eien.68 Somit platzierte Maudave die Madagassen bereits in den 1760er Jahren innerhalb eines Stufenmodells, das die Gesellschaften nach ihrer Subsistenzweise klassifizierte. Indem Maudave die Madagassen als ein »Hirtenvolk« einstufte, kehrte er der seit dem 17. Jahrhundert Diese sei vielmehr von zahlreichen Autoren in kleinen Schritten entwickelt worden: Nutz, »Varietäten des Menschengeschlechts«, 150 – 152. 62 Duchet, Anthropologie et Histoire, 48. 63 Dupont de Nemours, Observations sur l’esclavage des nègres, 243. 64 ANOM, DFC, XII/Mémoires/61, Nr. 207, Considérations sur les malheurs de la France, pour servir d’introduction à un essai sur Cayenne, par M. de Meuron, 1774; ANOM, DFC, XII/Mémoires/61, Nr. 218, Précis sur les Indiens, par M. de Besner, 1774. 65 Weber, Barbaros; Vul’pius, Vesternizacija Rossii. 66 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 40, Bl. 1, Denkschrift von Maudave, ohne Datum. 67 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 26, Bl. 5, Maudave an Praslin, 28. April 1767: »ils sont lents dans leurs opérations mais doux et paisibles.« 68 Ebd.

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üblichen Klassifizierung der Madagassen unter den »wilden« Völkern den Rücken. Zumindest ein Teil der politischen Elite Frankreichs scheint im 17. Jahrhundert geglaubt zu haben, die Madagassen kennten keine Landwirtschaft. Als der Gouver­neur von Fort-­Dauphin, François Lopès, marquis de Mondevergue, darüber klagte, dass die Region nur wenig Nahrungsmittel hervorbringe, antworteten Ludwig XIV. und Colbert, man könne doch nichts anderes von einem »wilden« Volk erwarten, das keinerlei landwirtschaftliche Kenntnisse habe.69 Mondevergue mag zwar gewusst haben, dass dies nicht stimmte, doch bezeichnete er wie auch andere Denkschriftenautoren seiner Zeit die Madagassen als »Wilde«.70 Der Madagaskardiskurs bot einen Rahmen, in dem Vorstellungen von den universalhistorischen Entwicklungsstufen und damit einhergehenden Rollenbildern für die »Zivilisierten« weiterentwickelt und propagiert werden ­konnten. Maudaves Einfluss wird unter anderem sichtbar, wenn der Marineminister B ­ oynes in dem Brief, der den Verwaltern der Île de France die Errichtung einer Nieder­ lassung durch Beňovský ankündigt, von den Madagassen als einem »Hirtenund Bauernvolk« spricht.71 Auch mehrere Denkschriftenautoren betonen, die Madagassen s­ eien weder grausam noch wild.72 Wie Maudave verorteten sie diese Insel­bewohner im oberen Bereich einer Skala der noch nicht zivilisierten Völker, um zu unterstreichen, dass man aus ihnen leicht eine vollends gesittete Nation machen könne.73 Den Physiokraten folgend verknüpften die Denkschriftautoren 69 ANOM, C 5A 1, Nr. 26, Bl. 2, Ludwig XIV. an Mondevergue, 19. Januar 1669. 70 Siehe u. a. ANOM, C 5A 1, Nr. 7, Bl. 1 – 5, »Mémoire sur les moyens d’établir une puissante compagnie pour le négoce des Indes orientales«, 1664; ANOM, C 5A 1, Nr. 21, Bl. 2, »Relation de ce qui s’est passé à l’Île Dauphine, depuis le premier mars 1668«, 1. Oktober 1668. 71 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 42, Boynes an Ternay und Maillart, 19. März 1773: »un peuple pasteur et agricole«. 72 Siehe ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 8, »Détails de ce qui s’est passé au Fort Dauphin en 1761. Extrait du voyage de M. Legentil«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/ mémoires/88, Nr. 14, Anonym, »Mémoire sur un établissement à Madagascar«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 51, Überlegungen zu Millons Denkschrift, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 99, »Essai sur Madagascar«, 1816 – 1817; C 5A 2, Nr. 66, Bl. 1, Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 73 Siehe ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 26, Bl. 2, Maudave an Praslin, 28. April 1767; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 40, S. 19, Denkschrift von Maudave, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Bl. 10, Denkschrift von Roze, 1783 – 1784; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 89, Bl. 1, 3, »Observations sur les réflexions que le monseigneur le maréchal de Castries fit l’autre jour à M. le comte de K ­ ersalaün«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 90, Bl. 1, »Sur le memoire de M. le comte de Kersalaün«, 7. September 1786; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 93, Bl. 2, »Réflexions politiques sur l’établissement de Madagascar proposé par M. de ­Kersalaün«, 9. Februar 1787; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 95, Bl. 1, Denkschrift von ­Kerguelen, 28. Oktober 1792.

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die Zivilisierung mit dem Aufkommen eines Geschmacks für Luxus und Fleiß, so dass sie mit einer künftigen Expansion des Handels rechneten.74 Die markanteste Innovation Maudaves bestand jedoch darin, dass er wohl als erster Franzose die Idee einer Zivilisierungsmission formulierte. Diese Idee brachte er erstmals nach seiner Abreise aus Madagaskar zu Papier, als er 1772 erneut versuchte, den Marineminister für sein großes Expansionsprojekt zu gewinnen. Maudave steigerte in d ­ iesem Brief seine Rhetorik vom historischen Bruch, indem er sie mit religiösen Begriffen auflud: Die Gründung einer neuen Kolonie solle nicht den üblichen Regeln folgen, denn sie sei »eine Art politische Mission« (»une sorte de mission politique«).75 Siedler, Handwerker und Soldaten sollten »sozusagen wie Staatsapostel betrachtet werden«.76 Dieser Rückgriff auf die Begrifflichkeit der religiösen Mission ging über bisherige Plädoyers für eine Zivilisierungspolitik hinaus, denn er implizierte eine moralische Pflicht zur Kolonialexpansion. Gerade diese Idee griff Raynal in der dritten Ausgabe seiner Geschichte beider Indien von 1780 auf. Für diese Edition hatte Raynal das Kapitel zu Madagaskar grundlegend überarbeitet: Er ließ die vernichtenden Madagaskarbilder der früheren Versionen verschwinden und ersetzte sie durch Vorstellungen, die Maudaves Ansichten ähnelten. Raynal zufolge l­ ebten die Madagassen in einer überaus reichen Natur, führten jedoch ein unstetes Leben, hatten keine Religion und überließen sich ganz ihren Leidenschaften.77 Nichtsdestotrotz könne man bei ihnen »einen Anfang von Einsichten und Fleiß« feststellen.78 Sie ­seien »von Natur gesellig, lebhaft, munter, eitel und selbst erkenntlich«.79 Als die Franzosen Mitte des 17. Jahrhunderts auf der Großen Insel ankamen, s­ eien die Eingeborenen »des Zustands von Kriegen und Anarchie, in dem sie beständig lebten, müde« gewesen und »seufzten nach einer Staatseinrichtung, die ihnen den Genuß des Friedens und der Freyheit verschaff[en]« würde.80 Die friedliche Unterwerfung der Insel hätte ein leichtes Spiel sein sollen: Auf dem sanften Weg der Ueberredung; durch die so verführerischen Lockspeisen des Glücks; durch die Reitze eines ruhigen Lebens; durch die Vortheile unserer Staatseinrichtung; durch den Genuß unserer Emsigkeit; durch die Ueberlegenheit unserer

74 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 25, Bl. 1, Anonym, »Note sur le commerce de Madagascar«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 79, S. 52, Tagebuch von La Serre. 75 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 40, S. 38, Denkschrift von Maudave, ohne Datum. 76 Ebd.: »doivent être considérés en quelque sort comme des Apôtres d’État«. 77 Raynal, Geschichte beider Indien, Bd. 2, 254 – 260. 78 Ebd., 261. 79 Ebd. 80 Ebd., 263.

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Einsichten mußte die ganze Insel zu einem beyden Nationen gleich nützlichen Endzweck geleitet werden.81

So hätte man eine Kolonie sehr viel billiger als in Amerika aufbauen können; die »zahlreiche, gelehrige, verständige Völkerschaft […], die nur Anleitung bedurfte«, hätte – mit Europäern, Indern und Chinesen vermischt – alle Waren für den Handel mit beiden Indien hervorgebracht.82 Doch stattdessen machten sich die Franzosen durch ihr sittenwidriges und tyrannisches Verhalten bei den Madagassen unbeliebt.83 Raynal schließt das Kapitel mit einem feurigen Appell an die Politiker. Er nimmt sie gegenüber den künftigen Generationen in die Pflicht, aus den Madagassen ein aufgeklärtes Volk zu machen: Welche Ehre würde es für Frankreich seyn, ein Volk aus der Abscheulichkeit der Barbarey zu reissen; bey ihm ehrbare ­Sitten, pünktliche Policey, weise Gesetze, eine wohlthätige Religion, nützliche und angenehme Künste einzuführen, es zu dem Rang der aufgeklärten, und gesitteten Nationen zu erheben? Staatsmänner, es vermögen die Wünsche der Philosophie, vermögen die Wünsche eines Mitbürgers bis zu euch zu gelangen! Wenn es schön ist, die Gestalt der Welt zu ändern, um Leute glücklich zu machen, wenn die Ehre, die daher entspringt, denen gehört, w ­ elche das Ruder der Reiche führen, wisst, daß diese ihrem Jahrhundert und den zukünftigen Geschlechtern, nicht allein wegen des Bösen, das sie thun, sondern auch wegen des Guten, das sie thun können, und das sie nicht thun, Rechenschaft schuldig sind.84

Diese Formulierung einer Zivilisierungsmission hatte großen Erfolg und wurde in anderen Schriften zu Madagaskar übernommen, selbst in denen, die einen rousseauistischen Einschlag aufwiesen – wie die des Astronomen Rochon: Europäer, die ihr in diese Gegenden reist, gebt diesen Völkern, die ihr wild nennt, euer Wissen und eure Kenntnisse [vos lumières et vos connoissances] weiter. Macht es zu eurer Pflicht und zu eurem Gesetz, ihnen diese Gerechtigkeit zu zeigen, diese Gleichheit, diese Liebe, die unter den Wesen einer Spezies herrschen soll. Euer aufgeklärtes Jahrhundert [les lumières de votre siècle] erlaubt es euch nicht, diese heilige Pflicht zu verkennen.85 81 Ebd., 264. 82 Ebd., 262 f. 83 Ebd., 267 f. 84 Ebd., 268 f. 85 Rochon, Voyage à Madagascar, 12 f.: »Européens, qui voyagez dans ces contrées éloignées, communiquez à ces peuples que vous nommez sauvages, vos lumières et vos connoissances. Faites-­vous un devoir et une loi de leur montrer cette justice, cette égalité,

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Auch bei Rochon fällt also die geradezu religiöse Aufladung der vorgeschlagenen kolonialpolitischen Linie auf. Durch seine frühe Formulierung der Idee der Zivilisierungsmission übte ­Maudave somit einen gewaltigen Einfluss auf die französische Geistesgeschichte aus. Dennoch wird sein Name in ideenhistorischen Abhandlungen selten erwähnt.86 Die Vernachlässigung seiner Person geht mit grundsätzlicheren Fragen darüber einher, wie Ideengeschichte geschrieben werden soll. Dass eine für die Neuzeit so zentrale Idee wie die Zivilisierungsmission zum ersten Mal in Handschriften eines Autors aus einer Kolonie des Indischen Ozeans formuliert wurde, bevor sie von philosophes des Mutterlands im Druck verbreitet wurde, macht eine doppelte Dezentrierung der Geistesgeschichte notwendig: Erstens verspricht nicht nur publiziertes Material, sondern auch das ungedruckte Wort neue Einsichten in die Ideengeschichte des 18. Jahrhunderts. Zweitens wäre auch eine weniger starke Konzentration auf die namhaften und publizistisch wirksamen philosophes des Mutterlandes wünschenswert. Der Fall Maudaves zeigt, dass selbst Akteure aus Übersee, die nichts drucken ließen, Diskursbegründer sein und indirekt einen großen Einfluss auf Diskussionen im Mutterland ausüben konnten.

10.4 Philosophen und Politiker Wie konnten jedoch Maudaves Innovationen in die Schriften der Pariser philosophes gelangen? Hier spielte eine Gruppe von Aufklärern aus Übersee eine zentrale Rolle. Auf der Île de France existierte ein Kreis von Männern, die sich die s­ oziale Rolle des philosophe aneigneten und die man deswegen der kolonialen Aufklä­ rung zurechnen kann. Zu diesen philosophes des Indischen Ozeans, die Denkschriften zu Madagaskar verfassten, gehörte unter anderem der Ingenieur und gelehrte Plantagenbesitzer Joseph-­François Charpentier de Cossigny de Palma.87 Cossigny war ein produktiver Autor und veröffentlichte von den 1770er bis zu den 1810er Jahren zahlreiche Texte über die Agronomie, chemische Experimente, den Handel und die Wirtschaft der Maskarenen sowie den Bericht einer Reise nach Kanton.88 Er war Korrespondent zahlreicher Akademien und für seinen botanischen Garten berühmt. Er war zugleich auch Maudaves »Nachbar« und cet attachement qui doivent regner entre des êtres de même (13) espèce: les lumières de votre siècle ne vous permettent plus de méconnoître ce devoir sacré.« 86 Eine Ausnahme bildet Duchet, Anthropologie et Histoire, 55, 131, 212 – 218. 87 Siehe Charpentier de Cossigny, Joseph François, in: Dictionnaire de biographie mauri­ cienne, Bd. 1 (1941), 11 – 12. 88 Siehe u. a.: Charpentier de Cossigny, Lettre sur les arbres à épiceries; ders., Notes sommaires; ders., Réflexions sur le plan d’une banque territoriale; ders., Voyage à Canton;

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»Freund« auf der Île de France. 1772 trat er während einer Reise nach Frankreich als Anwalt des ehemaligen Gouverneurs von Fort-­Dauphin auf und trachtete bald danach, dessen Nachfolge auf der Großen Insel anzutreten.89 Auch betätigte sich Cossigny als Reeder und war im Sklavenhandel auf Madagaskar aktiv, obwohl er diese Aktivität in der Öffentlichkeit kaum thematisierte.90 Schon sein Vater Jean-­François war 1733 von der französischen Indienkompanie in die Bucht von Antongila geschickt worden, um die Frage zu erörtern, ob man dort eine Niederlassung errichten solle.91 Cossigny der Ältere hatte eine negative Antwort auf diese Frage gegeben, ganz anders als sein Sohn, der von sich behauptete, er werde sich bis zu seinem Lebensende für die Sache der Madagassen einsetzen, so wie »Las Casas sich […] sein Leben lang für die Indianer eingesetzt hat«.92 Mit der »Sache der Madagassen« meinte Cossigny allerdings nicht etwa das Ende ihrer Versklavung, sondern ihre Zivilisierung durch ihre koloniale Unterwerfung. In den 1770er Jahren gehörte Cossigny zu den produktivsten unter den madagaskarbegeisterten Denkschriftenautoren und brachte noch 1803 das Projekt einer »sanften« Kolonialexpansion auf der Großen Insel ins Gespräch.93 Cossigny behauptete Anfang 1773, bereits 1765 eine Denkschrift verfasst zu haben, die M ­ audaves Projekt vorweggenommen habe – was sich im Kolonialarchiv allerdings nicht verifizieren lässt.94 Er bedauerte sehr, dass der Marineminister 1772 an seiner Stelle den »Abenteurer« Beňovský für den Posten des Kommandanten von Madagaskar gewählt habe. Er, Cossigny, hätte doch die Große Insel durch eine sanftmütige Politik unterworfen und wäre nicht wie Beňovský gescheitert. ders., Moyens d’amélioration; ders., Recherches physiques et chimiques; ders., Supplément aux Recherches physiques et chimiques; ders., Observation sur le Manuel du commerce. 89 ANOM, C 5A 3, Nr. 64, Maudave an Boynes, 3. April 1772. 90 ANOM, E 26 (Bequet), Chevreau an Bequet, 1779. 91 Wanquet, Joseph-­François Charpentier de Cossigny, 71 f. 92 Charpentier de Cossigny, Observations sur les colonies, 244: »Las Casas, de touchante mémoire, a passé sa vie à plaider pour les malheureux Indiens; je parlerai en faveur des bons Madécasses, jusqu’à mon dernier soupir«. 93 MAE, Asie 4, Nr. 1, Bl. 5, Cossigny an den Außenminister, 25. Dezember 1772; MAE, Asie 4, Nr. 2, Bl. 6 – 11, »Mémoire [de Cossigny] sur l’établissement français à Madagascar«, 21. Dezember 1772; MAE, Asie 4, Nr. 3, Bl. 12 – 16, »Par M. Cossigny. Mémoire sur un établissement à Madagascar«, ohne Datum; MAE, Asie 4, Nr. 4., Bl. 17 – 23, »Fait par M. Cossigny. Observations sur le projet d’un établissement à Madagascar«, ohne Datum; ANOM, C 5A 3, Nr. 86, Cossigny an einen Kommis des Marineministeriums, 1. Januar 1773; ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, [Cossigny], »Mémoire où l’on se propose un établissement à Madagascar et où l’on s’attache à en prouver l’impor­tance et l’avantage«, ohne Datum. In Cossignys gedrucktem Werk: Charpentier de ­Cossigny, Observation sur le Manuel du commerce, 8; ders., Voyage à Canton, 44 – 47 und vor allem: ders., Moyens d’amélioration, 232 – 272. 94 ANOM, C 5A 3, 87, Bl. 5, Denkschrift Cossignys, 1. Januar 1773.

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Die Quellenlage lässt es zwar wahrscheinlicher erscheinen, dass Maudave seinen Nachbarn Cossigny beeinflusste als umgekehrt. Doch kann man von einem regen Austausch ­zwischen den beiden ausgehen. Sie gehörten zu einem engen Kreis von Persönlichkeiten auf der Île de France, die sich »philosophisch« betätigten und deren Schutzherr der Intendant Pierre Poivre war. Poivre war es gelungen, Gelehrte auf die Insel zu locken, mit denen er eine Art Akademie gründen wollte.95 Von diesen philosophes haben mehrere ähnliche Ideen über Madagaskar wie Maudave und Cossigny geäußert, zum Beispiel der Naturhistoriker Commerson.96 Die Gelehrten aus dem Umfeld Poivres reichten mit der Ausnahme Maudaves und Cossignys keine Kolonisierungsprojekte beim Ministerium ein und empfahlen nicht ihre Dienste für eine Kolonie auf Madagaskar. Wenn sie auf der Roten Insel gewesen sind, haben sie ihre Eindrücke und Thesen erst viele Jahre später in Form von Reiseberichten veröffentlicht. Der erste dieser Texte erschien 1779. Es handelte sich um die Reiseerzählung des Astronomen Legentil, der sich in den Jahren 1761, 1762 und 1763 dreimal einen bis vier Monate lang auf Madagaskar aufgehalten hatte. Guillaume Legentil de la Galaisière war Astronomieadjunkt der Königlichen Akademie der Wissenschaften und erlebte ­zwischen 1760 und 1771 eine regelrechte Odyssee im Raum des Indischen Ozeans. Er war nach Indien gesegelt, um 1761 den Venustransit in Pondicherry zu beobachten, konnte diese Kolonie jedoch nicht erreichen, weil die Briten sie zwischenzeitlich eingenommen hatten. So beschloss Legentil, in »Ostindien« auf den nächsten Venusdurchgang 1769 zu warten, und bereiste die Île de France, die Île Bourbon, die Île Rodrigue, Madagaskar, Südostindien und Manila. Auf der Île de France lernte er die ehemalige Königin Nosy ­Borahas, Betia, kennen, die er Jahre später in seinen Schriften pries.97 Auch reiste er mit La Bigorne, der damals königlicher Handelskommis und Gesandter in Mahavelona und auf Nosy Boraha war.98 1769 segelte Legentil nach Pondicherry, konnte jedoch den Venustransit erneut nicht beobachten, weil der Himmel in dieser Nacht bedeckt war. Er kehrte 1771 über die Île de France nach Frankreich zurück und stellte fest, dass er im Mutterland bereits für tot erklärt worden war. Legentil sah sich gezwungen, in den nächsten Jahren einen langwierigen Prozess 95 Siehe den Brief Commersons an Lalande vom 15. Februar 1769, in: Cap, Commerson, 112 – 113, hier 113. Siehe auch Commerson, Philibert, in: Dictionnaire de biographie mauri­ cienne, Bd. 4 (1942), 115 – 116. 96 Cap, Commerson, 117 – 125. Zu denen, die Maudave mit seinem Madagaskartraum ursprünglich begeistern konnte, zählte der später berühmt gewordene Schriftsteller Bernardin de Saint-­Pierre: Bernardin de Saint-­Pierre, Article Madagascar. 97 Betia, in: Dictionnaire de biographie mauricienne, Bd. 35 (1975), 1022 – 1024. 98 Filet dit La Bigorne, Louis, in: Dictionnaire de biographie mauricienne, Bd. 23 (1948), 694 – 695.

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zu führen, um seinen Besitz und seinen Sitz in der Akademie zurückzuerlangen. Ersteres gelang ihm jedoch nie.99 In Legentils Voyage dans les mers des Indes (»Reise auf den ostindischen Meeren«) sind alle bekannten Elemente des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses zu finden. Der Astronom berichtete geradezu euphorisch von der Schönheit und Fruchtbarkeit der Insel sowie von der Sanftmut und der Klugheit der Einwohner. Er legte besonderen Wert darauf, das Bild der Madagassen als grausame Barbaren zu widerlegen, und empfahl die Kolonisierung der Insel und die Unterwerfung der »naturels« mit sanften Mitteln.100 Die Nähe zu Maudave ist also nicht zu übersehen, so dass sich die Frage stellt, wer wen eigentlich beeinflusste. Es ist sehr wohl möglich, dass Legentils Reise die Aufmerksamkeit Maudaves auf Madagaskar lenkte. Und doch ist es unwahrscheinlich, dass sich der zukünftige Gouverneur von Fort-­Dauphin von Legentils Schriften inspirieren ließ, da der Astronom seinen Reisebericht offensichtlich später verfasste, also mehrere Jahre nach Maudaves Scheitern und zu einer Zeit, als der spätaufklärerische Madagaskardiskurs bereits verbreitet war. Es lässt sich nicht belegen, erscheint jedoch angesichts der Quellenlage wahrscheinlich, dass Legentils Reiseerzählung für Raynal den Ausschlag gab, das Madagaskarkapitel der Geschichte beider Indien von Grund auf neu zu schreiben. Bald gesellten sich zu diesen beiden Texten auch andere gedruckte Schriften, die das spätaufklärerische Madagaskarwissen weitertrugen. Pierre Sonnerat, ein weiterer philosophe in Poivres Umfeld, beschäftigte sich mit Madagaskar in seinem 1782 veröffentlichten Buch »Reise nach Ostindien und China« (Voyage aux Indes orientales et à la Chine). Sonnerat war auf Betreiben Poivres 1768 auf die Île de France gekommen, um dort als Botaniker und Naturhistoriker zu arbeiten. Er hatte an Expeditionen teilgenommen, die neue Gewürzbäume auf die Maskarenen bringen sollten.101 In seinem Reisebericht vermischte er den spätaufklärerischen Madagaskardiskurs, der im Umfeld des Marineministeriums vorherrschte, mit der rousseauistischen Verklärung eines glücklichen Naturzustands. Unter ­Sonnerats Feder erscheinen die Einwohner der Großen Insel als Wesen, die vor der Ankunft der Franzosen vor lauter »glücklicher Unwissenheit […] weder Verbrechen noch Tugend« kannten.102 Sie hätten die Franzosen als Götter betrachtet,

99 Decary, Les Voyages de Le Gentil; McClellan/Regourd, The Colonial Machine, 38; »Legentil de la Galaissière, Guillaume Joseph Hyacynthe Jean Baptiste«, in: Dictionnaire de biographie mauricienne, Bd. 1 (1941), 24. 100 Le Gentil, Voyage dans les mers des Indes, 94 – 123, 277 – 385. 101 Sonnerat, Pierre, in: Dictionnaire de biographie mauricienne, Bd. 18 (1945), 561 – 562. 102 Sonnerat, Voyage aux Indes Orientales, 55: »Avant de nous connoître, les Madégasses vivoient dans cette heureuse ignorance du crime ou de la vertu.«

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die »von der Sonne abgestiegen sind, um ihnen Gesetze zu geben«.103 Doch die Europäer hätten den unschuldigen Kindern der Natur ihre Laster weitergegeben. Da diese Inselbewohner nur sanft behandelt werden sollten, sei zu bezweifeln, ob es den Franzo­sen, die die Schwarzen im Allgemeinen nicht als Menschen ansähen, jemals gelingen würde, auf Madagaskar Fuß zu fassen, so Sonnerats Fazit.104 Auch Alexis Rochon bewegte sich im Umfeld Poivres, für den er wie Legentil und Sonnerat Pflanzen aus Südostasien holte. Der Abbé Rochon – wie er genannt wurde – war zudem mit Legentil freundschaftlich verbunden.105 Er traf auf der Île de France die madagaskarkundigen Bekannten Legentils wie La Bigorne und holte bei ihnen Informationen über die Große Insel ein.106 Rochon war ein berühmter Astronom, der 1771 an der Expedition Kerguelens zur Entdeckung und Erforschung der »Terra australis« teilnahm. Er zerstritt sich jedoch mit dem Seefahrer und blieb im Einvernehmen mit Poivre auf der Île de France, wo er sich bei Beňovskýs Ankunft aus Macau denn auch befand. In den folgenden Jahren wurde Rochon nicht nur Mitglied mehrerer Akademien, sondern Astronom und Optiker der Marine, Direktor des Königlichen Astronomiekabinetts, Inspektor der Münzmaschinen und Generalkommissar der königlichen Münze.107 Die Französische Revolution bedeutete für ihn einen schmerzhaften Einschnitt, da er alle seine Posten verlor.108 1791 veröffentlichte Rochon seinen rousseauistisch angehauchten Voyage à Madagascar (»Reise nach Madagaskar«), der ganz in der maudavschen Diskurstradition stand.109 Des Abbés ausdrückliches Ziel war es, mit der Veröffentlichung seiner Schrift die Vorteile, die man aus einer Niederlassung auf der Großen Insel ziehen könnte, bekannt zu machen.110 Die bisherigen Misserfolge erklärte er dadurch, dass die Europäer sich auf der Großen Insel »ungerecht und barbarisch« verhalten hätten, statt sich durch die Erziehung der Madagassen zum Gewerbefleiß dauerhaft zu etablieren.111 Für Rochon stand der gewalttätige Beňovský Pars pro Toto für die Europäer auf Madagaskar. Der Astronom erzählt in seinem Buch, er habe in Beňovský sofort einen Hochstapler erkannt und den Marineminister Boynes darüber 103 Ebd.: »une nation qui, selon eux, étoit descendue du Soleil pour leur donner des loix«. 104 Ebd. 105 An der Seite Legentils kritisierte er heftig die nautischen Thesen des Chevalier G ­ renier: BnF, NAF N°9345, Bl.302 – 308, »Lettres du chevalier Grenier défendant ses travaux contre les critiques de l’abbé Rochon et de Le Gentil [Legentil]«, 1771 – 1774. 106 Filet dit La Bigorne, Louis, in: Dictionnaire de biographie mauricienne, Bd. 23 (1948), 694 – 695. 107 Quérard, Rochon; Fauque, L’abbé Alexis-­Marie de Rochon; Rochon, Alexis Marie, dit l’Abbé Rochon, in: Dictionnaire de biographie mauricienne, Bd. 1 (1941), 31 – 32. 108 Quérard, Rochon; Fauque, L’abbé Alexis-­Marie de Rochon. 109 Rochon, Voyage à Madagascar. 110 Ebd., V–VI. 111 Ebd., 2: »injuste et barbare«. Ähnlich: ebd., 99 f.

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informiert (was sich anhand des Archivmaterials jedoch nicht verifizieren lässt).112 Jedenfalls glaubte Rochon, dass »jeder, der mit Rousseau den primitiven Menschen studiert« habe, wisse, dass diese Insulaner nur durch die Tyrannei der Europäer zu Verrat und Mord gezwungen worden s­ eien.113 Diese rousseauistische Verklärung der Madagassen als Wilde, die weder Laster noch Tugend kannten, hinderte ihn jedoch nicht daran, die »Europäer« zu einer Zivilisierung der Inselbewohner aufzurufen.114 Die Gelehrten Legentil, Sonnerat und Rochon hatten mit Sicherheit nie den Ehrgeiz, eine Kolonie zu führen, sondern wollten sich stattdessen als philosophes profilieren. Die Idee der »sanften« Kolonisierung konnte als Instrument fungieren, um sich ein Image als Menschenfreund und Förderer des Fortschritts zu geben. Diese Selbstinszenierung brauchten Legentil und Rochon sicherlich zur Zeit der Veröffentlichung ihrer Reiseerzählungen: Rochon war am Tiefpunkt seiner Karriere und Legentil kämpfte um die Zurückerlangung seiner gesellschaftlichen Position. Dass der Madagaskardiskurs für das eigene philosophische Profil interessant sein konnte, zeigt auch der Fall Raynals. Raynal, der mit seinem Bestseller zu einem der berühmtesten Aufklärer aufstieg, hatte als Klient des Außen- und Marineministers Choiseul Karriere gemacht. Da Raynal für seine historiographischen Verdienste vom Marineministerium bezahlt wurde,115 kann man davon ausgehen, dass die Geschichte beider Indien ursprünglich ein Auftragswerk gewesen ist. Nach dem Sturz der Choiseuls 1770 hatte sich Raynal vor allem Jacques Necker angedient, der selbst Choiseul nahestand und die Kontrolle über die französische Indienkompanie an sich gerissen hatte. Aus diesen Gründen trägt die Geschichte beider Indien den Charakter einer Kampfschrift für Necker.116 So verwundert es nicht, dass sich die Vorstellungen Maudaves, der ebenfalls ein Klient von Choiseul-­Praslin war, in ­diesem Werk wiederfinden und dabei das politisch heikle Scheitern des franzö­sischen Grafen übergangen wird.117 Die Förderung von Gelehrten, die im Indischen Ozean aktiv waren, durch Politiker weist auf ein Phänomen hin, das für die Ideengeschichte dieser Zeit von zentraler Bedeutung ist: Die französischen Aufklärer agierten nicht außerhalb des politischen Systems, wie das klassische Bild von Einzelkämpfern gegen das Ancien Régime oder das von einem Schreibproletariat der Grub street suggerieren.118 Im 112 Ebd., 197 – 224. 113 Ebd., 40 – 42: »ces absurdes déclamations ne peuvent en imposer qu’à ceux qui n’ont pas étudié avec Rousseau l’homme dans son état primitif«. 114 Ebd., 12 f., 16 f., 18 f. 115 Duchet, Anthropologie et Histoire, 129. 116 Pečar/Tricoire, Falsche Freunde, 129 – 152. 117 Raynal, Geschiche beider Indien, Bd. 2, 253 – 269. 118 Darnton, The High Enlightenment and the low-­life of literature; ders., The Literary Underground. Zur »Grub street«-Theorie von Darnton siehe Burrows, Blackmail,

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Gegenteil fungierten einflussreiche Politiker oft als Patrone der Aufklärer. Diese Patrone der philosophes bildeten ab dem Siebenjährigen Krieg die einflussreichste »Partei«. 1758 übernahm die Hoffraktion um Madame de Pompadour und Choiseul die Macht. Voltaire, Raynal, Diderot, d’Alembert, Malesherbes, Mirabeau der Ältere, Morellet, Quesnay und eben auch Poivre standen dieser Fraktion nahe oder gehörten ihr sogar an.119 Der Physiokrat Turgot war Intendant des Limousin. Er wurde im Sommer 1774 für kurze Zeit Marineminister und amtierte von 1774 bis 1776 als Finanzminister. Necker spielte nicht nur in der Indienkompanie, sondern auch z­ wischen 1776 und 1781 und wieder 1789 als Finanzminister eine entscheidende politische Rolle.120 Vor allem agierte die Königin Marie-­Antoinette, die wichtigste Persönlichkeit am Hof Ludwigs XVI., wenn es um die Verteilung von Ämtern und königlichen Gunstbeweisen ging, als Patronin der philosophes.121 Der Erfolg der Aufklärung in Frankreich lässt sich ohne die Geschichte der höfischen Politik kaum verstehen.122 Die Aufklärung der Île de France war ein Knoten­punkt in einem Netzwerk, dessen Zentrum Versailler Hoffraktionen waren. Philosophie war ein wichtiges politisches Schlagwort des aufklärerischen Zeitalters, das auch die ununterbrochene Faszination des Madagaskardiskurses im späten 18. Jahrhundert zum Teil erklärt. Während der Französischen Revolution und des E ­ rsten Kaiserreichs erschienen eine Reihe von gedruckten Schriften, die noch klarer als Sonnerats und Rochons Werke in der Tradition des maudavschen Diskurses standen: Kerguelens »Denkschrift über Madagaskar« (Mémoire sur l’isle de Madagascar, 1792); Leclerc de Montlinots »Versuch über die Transportation als Belohnung« (Essai sur la transportation comme récompense, 1796), der Madagaskar für das interessanteste aller »Besitztümer« (»possessions«) des französischen Überseeimperiums hielt;123 Daniel Lescalliers »Denkschrift über die Insel Madagaskar« (Mémoire relatif à l’île de Madagascar, 1803);124 Charpentier de Cossignys »Mittel zur Verbesserung und Wiederherstellung, der Regierung und den Einwohnern der Kolonien vorgeschlagen« (Moyens d’amélioration et de restauration proposés Scandal, and Revolution, 10 f. 119 Chaussinand-­Nogaret, Choiseul, 103 – 122. Zu Madame de Pompadours politischer Karriere: Lever, Madame de Pompadour. 120 Harris, Necker. 121 Horowski, Die Belagerung des Thrones, 355 – 366. Marie-Antoinette als Verehrerin von Rousseau: Schama, Der zaudernde Citoyen, 164 f. 122 So betont Simon Burrows, dass die radikalen Pamphlete meist auf Aufträge von Hofpersönlichkeiten zurückgingen: Burrows, Blackmail, Scandal, and Revolution. Siehe auch Pečar/Tricoire, Falsche Freunde, 173 – 181. 123 Leclerc de Montlinot, Essai sur la transportation, 29 – 51, Zitat 29. 124 Lescallier, Mémoire relatif à l’île de Madagascar (Erstveröffentlichung in: Collection des classes de Littérature et Beaux-­Arts et des Sciences morales et politiques de l’Institut national de France 4 [1803], S. 1 – 26).

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au gouvernement et aux habitants des colonies, 1803);125 Bory de Saint-­V incents »Reise zu den vier Hauptinseln der afrikanischen Meere« (Voyage dans les quatre ­principales isles des mers d’Afrique, 1804), das jedoch eher kursorisch auf Madagaskar eingeht;126 und Fressanges’ »Reisen nach Madagaskar« (Voyages à Madagascar, 1809).127 Die gedruckten Texte über Madagaskar schlugen von 1772 bis etwa 1810 alle eine Kolonialexpansion vor und folgten beinahe einstimmig den Beschreibungen und Vorschlägen Maudaves.128 Diese Topoi beherrschten somit die französische Öffentlichkeit eindeutig. Die gedruckten »philosophischen« Texte über Madagaskar konnten oft eine gewisse Autorität entfalten und Verwalter, Politiker und Denkschriftenautoren beeinflussen. So wurden für das Archiv des Marineministeriums Auszüge aus Legentils Reisen kopiert.129 Auch Cossignys Denkschriften über Madagaskar wurden überdurchschnittlich beachtet, weil sich dieser Autor einen Ruf als philosophe erworben hatte; jedenfalls schrieb ein Kommis am Seitenrand einer Denkschrift: »M. de Cossigni. Mérite une grande attention«.130 Cossigny beeinflusste unmittelbar Lescallier und Decaen.131 Rochons Idealisierung der Großen Insel beeinflusste wohl Goulys Pläne einer Strafkolonie. Rochon hatte in seinem Reisebericht von 1791 für eine Deportation von Häftlingen als Mittel zur Erschließung nicht nur Madagaskars, sondern Afrikas, Asiens und Amerikas plädiert. Diese Schuldigen würden ein sittsames und arbeitsames Leben führen und die »barbarischen« Völker zivilisieren.132 Die Geschichte beider Indien inspirierte ihrerseits unmittelbar manch eine Denkschrift, die im Marineministerium eingereicht wurde.133 Der Seefahrer und Denkschriftenautor Kerguelen zögerte nicht, einen ganzen Absatz über die Fehler der Franzosen im 17. Jahrhundert aus ­diesem allgemein bekannten Werk abzuschreiben, in dem Raynal darlegt, die Indienkompanie hätte dem Weg der Sanftmut folgen sollen. Dabei veränderte Kerguelen das Tempus: Statt wie Raynal die beklagenswerte Vergangenheit im Präteritum 125 Charpentier de Cossigny, Moyens d’amélioration, insbesondere 232 – 318. 126 Bory de Saint-­Vincent, Voyage, Bd. 3, 268 – 274. 127 Fressanges, Voyage à Madagascar. 128 Deutlich anders als die oben angeführten Texte sind nur Tombes Reisebeschreibung und Bonapartes Madagaskardenkschrift: Tombe, Voyage aux Indes orientales; Bonaparte, Notes sur l’expédition de Madagascar. 129 ANOM, C 5A 2, Nr. 4, Auszüge aus Legentils Reisebericht; DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 6 bis 13. 130 MAE, Asie 4, Nr. 3, Bl. 12 – 16, »Par M. Cossigny. Mémoire sur un etablissement à Madagascar« (undatiert), hier Bl. 12. 131 Prentout, Decaen, 301 – 309. 132 Rochon, Voyage à Madagascar, 58 – 69. 133 Z. B. die Denkschrift von Schmaltz: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, »Madagascar«, 2. Juni 1814.

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zu beschreiben, verwendete er das Präsens, um zu einer sanftmütigen Kolonisierung Madagaskars unmittelbar aufzurufen.134 Es ist auch bekannt, dass Napoleon Bonaparte die Geschichte beider Indien auf seine Reisen mitnahm. Vielleicht erklärt sich zum Teil auch daraus die Aufmerksamkeit, die der Erste Konsul und spätere ­Kaiser der Großen Insel schenkte.135

10.5 Wissenslegitimierung im Zeitalter der Aufklärung Welche wissenshistorischen Konsequenzen hatte die Tatsache, dass das Madagas­ karwissen unter dem ­­Zeichen der philosophie stand? Die neuere Wissensgeschichte weist darauf hin, dass nicht nur die mediale Verfügbarkeit, sondern auch die Legitimierung von Wissensbeständen für die Etablierung von Wahrheiten vonnöten ist. Spezialisierte Wissensbestände wie das Madagaskarwissen existieren nämlich nicht isoliert von den symbolischen Sinnwelten, die – wie Luckmann und ­Berger es formulieren – die Matrix der »gesellschaftlich objektivierten und subjektiv wirklichen Sinnhaftigkeit« und den Rahmen für die Geschichte der Gesellschaft und des Individuums darstellen.136 Die ­Theorie, der zufolge die Europäer durch ein sanftmütiges Auftreten die »Wilden« und »Barbaren« zivilisieren, assimilieren und beherrschen könnten, kann in d ­ iesem Sinne als eine »Legitimationstheorie« aufgefasst werden, die einen »Ausschnitt institutionalisierten Handelns« – die staatliche aufgeklärte imperiale Expansion – rechtfertigte.137 Um den Status als Legitimationstheorie zu gewinnen, musste dieser Wissensbestand jedoch methodische und ethische Normen respektieren, die im Zusammenhang mit zeitgenössischen Sinnwelten standen. Die großen Anstrengungen zur Etablierung eines spätaufklärerischen Diskurses über die Große Insel zeigen, dass die Legitimität der neuen Madagaskarbilder anfänglich alles andere als gegeben war. Da noch wenige Jahre zuvor, in den 1760er Jahren, eine Madagassenkritik die öffentliche Meinung beherrscht hatte, mussten die neuen Bilder von sanften und lernbereiten Madagassen legitimiert werden. Im Folgenden sollen deshalb die Verfahren untersucht werden, mit denen das neue Wissen hergestellt wurde. Nützlich ist dabei Luckmanns und Bergers Unterscheidung ­zwischen vier Typen symbolischer Sinnwelten: der Mythologie, der Theologie,

134 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 95, Bl. 1, Kerguelen, »Mémoire intéressant l’île de Madagascar«, 28. Oktober 1792. 135 Zu der Aufmerksamkeit, die Bonaparte und sein Umfeld Madagaskar schenkten: Benot, La démence coloniale, 40 f., 45, 69, 106, 130, 181, 291. 136 Luckmann/Berger, Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit, 98 – 103. 137 Ebd., 101.

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der Philosophie und der Wissenschaft.138 Für das spätaufklärerische Madagaskarwissen soll insbesondere überprüft werden, inwiefern Normen zur Produktion des Wissens zum Zuge kamen, die man als wissenschaftlich einstufen kann – inwieweit also die Ausdifferenzierung einer wissenschaftlichen Sinnwelt zu beobachten ist. In der Rhetorik der Madagaskarschriften kann man durchaus einen Einfluss des Empirismus feststellen, der einen Strang der »wissenschaftlichen Revolution« des 17. und 18. Jahrhunderts darstellte. Angesichts der eigenen Misserfolge und der Kritik, der sich Maudave und Beňovský ausgesetzt sahen, bildete die Berufung auf die persönliche Erfahrung ein wichtiges Element in der Selbstverteidigungsstrategie dieser Offiziere. Die Vertreter des Königs auf Madagaskar versuchten, ihre Gegner mit dem Hinweis zu diskreditieren, diese hätten die Große Insel gar nicht vor Ort untersucht.139 Maudave inszenierte sogar regelrecht seine empirische Erforschung der Insel. In einem Bericht erzählt er, wie er sich zum See von Ambovo (frz. Ambouve) begab und dort entdeckte, dass man ihn zu einem Hafen ausbauen könnte. Doch in Wirklichkeit hatte Maudave ­dieses Projekt bereits präsentiert, bevor er einen Fuß auf Madagaskar gesetzt hatte: Die Idee stammte einfach von Flacourt, wie Maudave selbst an anderer Stelle zugab.140 Bei aller Berufung auf die Erkenntnis durch Erfahrung sind die impliziten niedrigen methodischen Standards der empirischen Erforschung bemerkenswert, die in den Denkschriften zu Tage treten. Zwar weist Steven Shapin darauf hin, dass für die Frühe Neuzeit die wissenschaftliche Methodik insgesamt eher als ein Mythos gelten kann, der zur Rechtfertigung eines Programms von Beobachtungen und Experimenten – und somit der symbolischen Sinnwelt »Wissenschaft« – diente.141 Doch stellten die Autoren von Texten über die Große Insel nicht einmal Überlegungen zur Methodologie an: Um als Madagaskarkenner zu gelten, waren in ihren Augen keineswegs Sprachkenntnisse oder ein längerer Aufenthalt vor Ort notwendig. Es genügte, einige Wochen in einem Teil dieser riesigen Insel verbracht zu haben. So konnten sich Legentil und Tombe als Experten gerieren.142 138 Ebd., 118 – 121. 139 ANOM, C 5A 3, Nr. 32, Blatt 3, 5, Maudave an Praslin, 26. August 1769; C 5A 3, Nr. 42, Bl. 1, Abschriften von zwei Briefen Maudaves an Praslin, 17. und 20. November 1769; C 5A 3, Nr. 56, Bl. 1, Maudave an Boynes, 10. November 1771; MHN, Ms. 3001, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, S. 40. Beňovský: C 5A 3, Nr. 14, S. 207, »Projet pour fonder une colonie à l’isle de Madagascar«, ohne Datum, sowie S. 211, »Réflexions sur le projet d’une colonie naissante à Madagascar«. 140 MHN, Ms. 3001, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, S. 13 – 15, 29; ANOM, C 5A 2, Nr. 66, Bl. 3 f., Auszüge aus Maudaves Tagebuch. 141 Shapin, The Scientific Revolution, 95. 142 Legentil: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 11, Legentil, »Productions du Fort-­ Dauphin propres au commerce et à la vie«, ohne Datum; Tombe, Voyage aux Indes orientales, 91.

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Auch konnte von sehr allgemeinen Kenntnissen über »Ostindien« oder sogar »die Wilden« insgesamt eine Expertise abgeleitet werden. So präsentierte sich Poivre in seinen Auseinandersetzungen mit Dumas nicht nur aufgrund seines ­kurzen Aufenthalts in Mahavelona, sondern auch aufgrund seiner Reisen durch Südostasien als Kenner der Großen Insel.143 Geradezu verblüffend ist, dass die Ministerialangestellten Beňovský als für die Stelle des Kommandanten von Madagaskar qualifiziert ansahen, weil er in ihren Augen bereits Erfahrungen mit »den ­Wilden« gesammelt hatte – wobei vollkommen unklar ist, um ­welche »Wilden« es sich dabei genau handelte: um Sibirier etwa?144 Ebenfalls ungenau war der allgegenwärtige Gebrauch von Zahlen in den ­Texten über Madagaskar. Quantifizierungen sind für die wissenschaftliche Praxis des 18. Jahrhunderts typisch. Sie beruhten auf der Annahme einer Unparteilich­keit und Unpersönlichkeit quantifizierter Resultate und korrespondierten also mit dem Ethos der Selbstverleugnung, der die wissenschaftliche Praxis normativ begründete. Gelehrte benutzten aus ­diesem Grund oft quantifizierende Werte, selbst wenn sie über keinerlei Messungen verfügten.145 Die Autoren von Madagaskardenkschriften folgten d ­ iesem Wissenschaftsideal; sie fühlten sich scheinbar in der Pflicht, mit der Entwicklung der Statistik in Europa 146 Schritt zu halten, verfügten allerdings über keinerlei empirische Grundlage. So war zum Beispiel die zahlreiche Bevölkerung Madagaskars ein wichtiges Argument für die »sanfte« Kolonialexpansion, denn es sollte in Zukunft genügend arbeitsame Untertanen geben. Zugleich variierten jedoch die angegebenen Zahlen beträchtlich: Millon zufolge lebten auf der Großen Insel eine Million Menschen, während Ferrand-­Dupuy von 1.600.000 Seelen, andere, wie Serre, von zwei bis drei Millionen, Kerguelen von fünf und noch weitere von sechs Millionen Menschen sprachen.147 Die Verfasser von Denkschriften scheuten nicht 143 ANOM, C 5A 2, Nr. 1, Bl. 5, Kopie eines Briefs von Poivre an Dumas, 12. Mai 1768; C 5A 2, Nr. 1, Bl. 13, Kopie eines Briefes von Poivre an Dumas, 17. Mai 1768. 144 ANOM , DFC , XVII /mémoires/88, Nr. 42, Bl. 2, Boynes an Maillart und Ternay, 19. März 1773; ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Bl. 3, ohne Titel (außer »Carton n°10, n°41«), ohne Datum. 145 Daston, Die moralischen Ökonomien der Wissenschaft, 162 – 164. 146 Behrisch, Berechnung der Glückseligkeit; ders., Vermessen, Zählen, Berechnen; Sandl, Ökonomie des Raumes. 147 ANOM , DFC , XVII /mémoires/88, Nr. 51, Bl. 1, »Réflexions sur l’établissement d’une colonie françoise à Madagascar«, ohne Datum; ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Bl. 2, Ferrand-­D upuy, »Mémoire politique et historique sur l’île de Madagascar«, ohne Datum; ANOM , DFC , XVII /mémoires/88, Nr. 81, Bl. 1, Denkschrift von Roze, 1783 – 1784; ANOM , DFC , XVII /mémoires/88, Nr. 2, Blatt 3, Anonym, »Projet pour rentrer dans l’Isle dauphine«; ANOM , Séries géographiques, MAD 150 207, La Serre, »Mémoire sur Madagascar contenant les motifs déterminants d’y former un établissement«, ohne Datum; Kerguelen, Mémoire sur la marine, 13; ANOM , Séries

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davor zurück, Angaben über das potentielle Bevölkerungswachstum zu machen: Millon zufolge könne der Boden der Großen Insel zehnmal mehr Menschen ernähren als gegenwärtig.148 Auch gaben die vermeintlichen Madagaskarexperten Informationen mysteriösen Ursprungs über die Anzahl der madagassischen Dynastien oder den Zeitpunkt der Besiedlung der Insel durch den Menschen weiter.149 Der Meister in der Manipulation von Zahlen war Beňovský, der seine Leser mit Angaben über vermeintliche Profite und bisherige Erträge, mit Progno­ sen über die Ernte-, Handels- und Tributerträge, über die zukünftigen Truppen, die man in ­Madagaskar aufstellen werde, und über das Kolonisierungspotential versorgte.150 In seinen gedruckten Memoiren erhöhte oder verringerte er sogar alle Zahlen noch einmal zusätzlich, je nachdem, was ihm nützlich erschien.151 In seiner Korrespondenz schätzte Beňovský die Bevölkerung Madagaskars bisweilen auf 300.000 S ­ eelen – also zwanzigmal niedriger als La Serre. Damit wollte er den gegenwärtigen erbärmlichen Zustand der Insel zeigen und sich als künftiger Wohltäter der Madagassen profilieren.152 Autoren von Schriften über Madagaskar zeichneten sich durch eine bemerkenswerte Erfahrungsresistenz aus. Sie redeten die bisherigen Misserfolge der Franzosen klein oder präsentierten sie in einer Weise, die den Diskurs über die »sanfte« Kolonialexpansion nicht infrage stellen konnte. Die Projektautoren mussten dennoch erklären, warum die früheren Expansionsversuche auf Madagaskar allesamt gescheitert und so viele Kriege gegen die Madagassen geführt worden waren. Gemäß dem Bild, die Eingeborenen ­seien sanft und sehnten sich nach der Zivilisation, behaupteten sie, die Schuld an den Konflikten liege bei

géographiques, MAD 150 207, Bl. 1, Bacon de la Chevalerie, »Madagascar«, ohne Datum; ANOM , DFC , XVII /mémoires/88, Nr. 25, Bl. 1, »Notes sur le commerce de Madagascar«, ohne Datum. 148 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 61, Bl. 1, Millon, »Projet de Millon d’un établissement françois à Madagascar«, ohne Datum. 149 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 51, Bl. 1, »Réflexions sur l’établissement d’une colonie françoise à Madagascar«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Bl. 1, Roze, »Mémoire sur l’île de Madagascar pour y établir une colonie et un commerce utile à la France«, 1783 – 1784; ANOM, C 5A 2, Nr. 31, Bl. 1, Denkschrift von Valgny an Dumas, 23. Oktober 1767. 150 Einige Beispiele: ANOM, C 5A 4, Nr. 34, Bl.3, Beňovský an den Marineminister, 1. September 1774; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 46, Bl. 2 f., Beňovský an den Marine­ minister, 13. September 1774; C 5A 4, Nr. 101, Bl. 2, Beňovský an den Marineminister, 19. September 1774; C 5A 5, Nr. 41, Bl. 2, Beňovský an Sartine, 30. Mai 1775; zweiter Brief: C 5A 5, Nr. 42, Bl. 1, Beňovský an Sartine, 30. Mai 1775. 151 Vacher, Contribution à l’histoire de l’établissement français, 17 – 20. 152 ANOM, C 5A 6, Nr. 45, Bl. 4, Beňovský an Sartine, 2. Juni 1776.

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den Franzosen.153 So konnte Millon die gewagte These formulieren, die Madagassen hätten von sich aus niemals etwas gegen die französischen Niederlassungen unternommen.154 Vor allem Flacourts und Maudaves Scheitern war problematisch, da sich die Denkschriftenautoren unmittelbar von ihren Kolonisierungsprojekten inspirieren ließen. Eine mögliche Strategie, d ­ ieses Problem zu umschiffen, bestand darin, Flacourt einen Beinaheerfolg zu attestieren. Dieser habe jedoch nicht in eine dauerhafte Vormachtstellung der Franzosen in Anosy umgemünzt werden können, weil das Mutterland Fort-­Dauphin nicht unterstützt habe.155 Andere Autoren sahen in Flacourt jemanden, der eine aggressive und kriegerische Politik verfolgt habe und deswegen gescheitert sei.156 Maudave zufolge habe Flacourt ein sanftes Gemüt gehabt, sich aber angesichts der Feindseligkeit der Madagassen gegen die Franzosen dennoch in Kriege gestürzt.157 Auch in der Darstellung und Erklärung von Maudaves Scheitern wichen die Autoren voneinander ab. Manche übergingen einfach diese Episode.158 Andere folgten Maudaves Selbstinszenierung: Sie schrieben ihm zu, eine wirkliche moralische Autorität über die Madagassen ausgeübt zu haben, jedoch Opfer einer Verschwörung der unter dem Einfluss privater Interessen stehenden Verwaltung der Île de France gewesen zu sein.159 Weitere sagten dem Gouverneur von Fort-­Dauphin nach, er habe wie seine 153 So der Chevalier de La Serre in einer Denkschrift, die den schlichten Titel »Mémoire« trägt: ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Bl. 2, »Mémoire«, ohne Datum. 154 ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, S. 6, [Millon], »Projet d’un établissement français à Madagascar«, [1775]. 155 ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Anonym, »Marchandises bonnes à porter à Madagascar«, ohne Datum; ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 222, »Note sur les avantages d’un établissement à Fort Dauphin et sur la marche à suivre pour tirer parti du pays«, ohne Datum; Billiard, Voyage aux colonies orientales, 311. 156 ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, »Vues politiques sur l’isle de Madagascar. Par P. D. Lehericy, du Calvados«, ohne Datum; Denkschrift von De Vaivres: MAD 150 207, ohne Titel, ohne Datum; MAD 150 207, S. 3, »Mémoire sur l’île de Madagascar«, 1794; Rochon, Voyage à Madagascar, 49 – 51. 157 MHN, Ms. 3001, Auszüge aus Maudaves Tagebuch, S. 20 f. 158 Siehe z. B. ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, »Observations sur le projet d’établissement à Madagascar«, ohne Datum; ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, »Mémoire sur Madagascar«, ohne Datum; MAE, Asie 4, Nr. 75, Denkschrift von Liniers, ohne Datum. 159 Siehe z. B. ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, »Mémoire sur Madagascar contenant les motifs déterminants d’y former un établissement«, ohne Datum; ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, »Vues politiques sur l’isle de Madagascar. Par P. D. Lehericy, du Calvados«, ohne Datum; ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, [Millon], »Projet d’un établissement français à Madagascar«; Denkschrift von Roze: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Bl. 5, Denkschrift von Roze, 1783 – 1784.

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Vorgänger die Insel mit Gewalt unterwerfen wollen und sei deswegen gescheitert.160 Wiederum andere sahen im Widerstand der Madagassen die U ­ rsache für Maudaves Misserfolg, jedoch ohne ihm – im Gegensatz zu Beňovský – die Schuld daran zu geben.161 Der Empiriebezug blieb darüber hinaus nur eine Legitimationsstrategie unter anderen: Genauso wichtig war es, bewährte Autoritäten ins Feld zu führen. So beriefen sich Verfasser von Denkschriften auf die reale oder angebliche Meinung von großen Staatsmännern, die in der Vergangenheit für die Kolonisierung Madagaskars eingetreten ­seien. Sie mobilisierten Richelieu und Colbert als visionäre Genies, die als Erste die enormen Vorteile einer Kolonie auf Madagaskar gesehen hätten.162 Von den Persönlichkeiten des 18. Jahrhunderts führten sie den Marine­ offizier und Gouverneur der Maskarenen La Bourdonnais sowie Poivre an.163 Schließlich appellierten die Denkschriftenautoren an den philosophischen Geist des Lesers, der in einem aufgeklärten Zeitalter lebend nun bereit sei, die Wahrheit zu erkennen und deshalb die madagaskarkritischen Schriften zu verwerfen. Wenn die Beschreibungen der Roten Insel sich widersprachen, dann lag es 160 Siehe z. B. anonym: ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Anonym, »Observations sur Madagascar«, ohne Datum; Leclerc de Montlinot, Essai sur la déportation, 38. Précourts (alias Meusniers) Vorwürfe gegen Maudave sind unklar: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Denkschrift von Roze, 1783 – 1784. 161 Z. B. Denkschrift: ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, ohne Titel (»Carton n°10, n°41«), ohne Datum. 162 Grossin, Mémoire inédit, 342; [Maudave?]: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 40, S. 41, Denkschrift von Maudave, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 53, Bl. 4, »Mémoire sur Madagascar«, Juni 1775; DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, zweites Dokument, Bl. 1 f., »Observations sur un nouveau plan d’établissement dans l’isle de Madagascar, par M. Duhamel Comte de Précourt«, 26. August 1783; ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Bl. 4, »Mémoire politique et historique sur l’île de Madagascar […] par M. Ferrand Dupuy«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 95, Bl. 1, Kerguelen, »Mémoire intéressant l’île de Madagascar«, 28. Oktober 1792; Kerguelen, Mémoire sur la marine, 13. 163 ANOM, C 5A 3, Nr. 78, Bl. 1, »Projet d’emploi des services du baron de Benyowsky et de ses officiers pour le compte de la France à Madagascar«, 30. Dezember 1772; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 7, Blatt 2, 5, Legentil, »Description de la baie d’Antongil«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 40, S. 32, 35, 50 – 53, [Maudave], »Mémoire sur l’établissement de Madagascar, dans lequel reprennent les matières déjà exposées«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 79, S. 53, Tagebuch von La Serre, 1777; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Bl. 3, Denkschrift von Roze, 1783 – 1784; Kerguelen, Relation de deux voyages, 65; ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 182, Bl. 1, Denkschrift von Roze, 16. August 1783; Leclerc de Montlinot, Essai sur la transportation, 47; ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Kapitel 2, »Vues politiques sur l’île de Madagascar. Par P. D. Lehericy, du Calvados«, ohne Datum; Rochon, Voyage à Madagascar, XVI–XXIII.

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dem Denkschriftenautor Kersalaün zufolge daran, dass die einen interessengeleitet schrieben, während die »Sichtweise der [wahren, D. T.] Historiker die Folge einer aufgeklärten und uneigennützigen Philosophie« sei.164 Auch Cossigny betonte die Notwendigkeit, die Sache »als Philosoph« (»en philosophe«) zu betrachten.165 Rochon beanspruchte für sich, besser als seine Vorgänger die Madagassen zu verstehen, weil er »die Wilden mit Rousseau« studiert habe.166 Ein Denkschriftenautor namens Millon verkündete sogar etwas großspurig, sein Madagaskarplan zeige die Überlegenheit der französischen Nation »in der Philosophie«.167 Was hieß genau »als Philosoph betrachten« (»voir en philosophe«)? Der Begriff »philosophe« verwies im 18. Jahrhundert auf die Rolle eines Intellektuellen, der für das allgemeine Wohl kämpfe.168 Nicht unähnlich dem Prediger sollte der »philosophe« vor allem über Gut und Böse in der Öffentlichkeit urteilen.169 Diese Rolle ging mit einem moralisierenden Blick einher, der nicht nur Individuen, sondern auch ganze Völker betreffen konnte: Die einzelnen Nationen wurden im 18. Jahrhundert nicht weniger als in den Jahrhunderten zuvor vor allem auf einer moralischen Skala verortet. Die Frage war, ob »der Madagasse« von Natur aus perfide, grausam, feige und faul oder, im Gegenteil, menschlich, sanft, scheu und lernfähig sei.170 Dass Schriften über Madagaskar sich »philosophisch« gerierten, hatte unmittelbare Konsequenzen für die Wissensbestände. Solche »philosophischen« Länder­ beschreibungen waren dem Anspruch nach uneigennützig, fußten aber sehr wohl 164 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 89, Bl. 3, »Observations sur les réflexions que le monseigneur le maréchal de Castries fit l’autre jour à M. le comte de Kersalaün«, ohne Datum: »La manière de voir des historiens est l’effet d’une philosophie éclairée et sans intérest.« 165 ANOM, C 5A 3, Nr. 86, Cossigny an einen Kommis des Marineministeriums, 1. Januar 1773. 166 Rochon, Voyage à Madagascar, 40. 167 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 51, »Réflexions sur l’établissement d’une colonie françoise à Madagascar«, ohne Datum: »que les autres nations reconnoissent également la supériorité de la françoise pour la Philosophie«. 168 Pečar, Der Intellektuelle seit der Aufklärung. 169 Besonders auffällig in der »Geschichte beider Indien«: Pečar/Tricoire, Falsche Freunde, 150 f., 174. 170 Einige Beispiele für ­solche Wertungen: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 26, Blatt 3, 6, Maudave an Praslin, 28. April 1767; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 51, Bl. 1, »Réflexions sur l’établissement d’une colonie françoise à Madagascar«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 53, Bl. 3, »Mémoire sur Madagascar«, Juni 1775; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 61, Bl. 4, »Projet de Millon d’un établissement françois à Madagascar«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 61, Bl. 1, »Copie d’une lettre à M. Millon […] par M. Caulier, ancien curé de ladite isle«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 89, Bl. 3, »Observations sur les réflexions que le monseigneur le maréchal de Castries fit l’autre jour à M. le comte de Kersalaün«, ohne Datum.

Wissenslegitimierung im Zeitalter der Aufklärung

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auf Texten, denen Interessen zugrundelagen. Sie stellten das Ergebnis einer mehrstufigen Arbeit von Extraktion und Kondensierung von Informationen dar,171 die die Madagaskarbilder noch mehr aus ihrem jeweiligen Entstehungskontext heraus­riss als handschriftliche Denkschriften. Ein Leser der Geschichte beider Indien konnte nicht mehr nachvollziehen, dass die ihm vorgesetzten Bilder von der Großen Insel und ihren Bewohnern den Propagandatexten für Kolonisierungspläne entstammten. Stattdessen erschien der Madagaskardiskurs unter dem Vorzeichen der aufgeklärten Philosophie, das heißt, des uneigennützigen Kampfs für die Wahrheit und das Wohl der Menschheit. Hinter der Berufung auf den philosophischen Geist lag somit der Anspruch, das neue Wissen über Madagaskar dem Wohle der Menschheit dienstbar zu machen. Dieser Anspruch weist wiederum auf ein Charakteristikum der Aufklärung als Epoche der Wissensgeschichte hin: Gerade die Tatsache, dass die Begriffe »Lumières« und »philosophie« bei der Legitimierung des Wissens eine genauso große Rolle wie der Empiriebezug spielten, ist ein Zeichen ­­ für die weitgehend fehlende Ausdifferenzierung der symbolischen Sinnwelten »Philosophie« und »Wissenschaft« im 18. Jahrhundert.172 Systemtheoretisch gesprochen wurde Wissen doppelt codiert: nicht nur als »wahr« oder »falsch«, sondern auch als »gut« oder »schlecht«.173 Das neue Wissen über Madagaskar hatte höhere Chancen, sich durchzusetzen, weil es im Gegensatz zu den Bildern der Großen Insel, die Mitte des 18. Jahrhunderts aufgrund der bisherigen Erfahrung vorherrschten, einen offensiven Praxisbezug aufwies: Es war in den Augen seiner Vertreter daraufhin ausgerichtet, die Welt zu verbessern. Gerade der politische Impetus war konstitutiv für ­dieses Wissen. Die ethische Dimension des Wissens über Madagaskar begünstigte die Erfahrungsresistenz imperialer Eliten: Weil das Gute wahr und das Wahre gut sei, durften die Misserfolge der »sanften« Expansion nicht zu der Schlussfolgerung führen, dass die Prinzipien dieser Kolonialpolitik nicht richtig waren. Vielmehr ­seien die wahren und weisen Grundsätze niemals angewendet oder aufgrund von äußeren Bedingungen nicht erfolgreich ausgeführt worden – so die aufklärerische Lesart der Ereignisse. An der Gewissheit einer Expansion durch zivilisatorische Überlegenheit durfte nicht gerüttelt werden. In ­diesem Sinne kann der spätaufklärerische Madagaskardiskurs als eine Legitimationstheorie zur Nihilierung von alternativen Wirklichkeitskonstruktionen gelten.174

171 Nutz, Varietäten des Menschengeschlechts, 196 – 217. 172 Peter Gay spricht von einem »moral realism«: Gay, The Enlightenment, 178 – 180. 173 Stichweh, Zur Funktion der Universität, 31 – 35. 174 Zu ­diesem Begriff siehe Luckmann/Berger, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 112 – 124.

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Zusammenfassend kann man aus der Geschichte der Idee einer Assimilierungspolitik gegenüber »Wilden« und »Barbaren« nach 1763 folgende Schlüsse ziehen: Erstens entstanden durch ein Zusammenspiel z­ wischen dem Mutterland und den Kolonien sowie z­ wischen Handschriften und gedruckten Texten nicht nur neue Madagaskarbilder, sondern auch Denkrahmen, die diese Bilder ermöglichten. Die Entwicklung des universalhistorischen Rahmens im Mutterland war entscheidend für die Rezeption von Flacourts Werk, doch auch Maudave arbeitete aktiv an diesen ideenhistorischen Innovationen mit. Sehr früh stellte er Denkund Klassifizierungskategorien auf, die später in den Stadientheorien eines prozesshaften Geschichtsverlaufs verallgemeinert wurden. Vor allem formulierte er wohl als erster Franzose die Idee einer Zivilisierungsmission, die anschließend von berühmten Autoren des Mutterlands aufgegriffen und verbreitet wurde. ­Maudave war zudem nicht isoliert, sondern Teil eines Kreises von Übersee-­philosophes, die eine zentrale Rolle bei der Verbreitung der Idee einer Zivilisierungspolitik spielten. Die Geschichte des Madagaskardiskurses macht somit auf die Bedeutung der kolonialen Aufklärung aufmerksam. Zweitens standen die neuen assimilationistischen Ideen in einem engen Zusammenhang mit dem Rollenbild des philosophe und der Vorstellung von philosophie. Für eine »sanfte« Kolonialexpansion zu plädieren hieß, sich als Freund der Aufklärung und des Fortschritts zu profilieren. Der »philosophische« Anspruch verdeckte die Interessenlagen, die zur Formulierung des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses geführt hatten. Das neue Madagaskarwissen besaß eine ethische Dimension, die die Erfahrungsresistenz begünstigte. Die philosophes waren zudem Teil der Patronagenetzwerke von wichtigen Persönlichkeiten der französischen Verwaltung und Politik. Die Aufklärer und Gelehrten der Île de France agierten unter der Schutzherrschaft des Intendanten Pierre Poivre und letztlich Choiseuls und Neckers. Die Förderung durch diese Politiker war ausschlaggebend für die Entstehung eines Diskurses über die Möglichkeiten einer »sanften« Expansion und die Pflichten zur Zivilisierung und Assimilierung der »Wilden« und »Barbaren«. Die gedruckten »philosophischen« Texte beeinflussten wiederum vielfach die Politiker und prägten das Madagaskarbild mehrere Jahrzehnte lang. Die Geschichte des Madagaskardiskurses gibt somit einen Einblick in die Verquickung z­ wischen Philosophie und politischer Macht im Frankreich der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

11 Abenteurer und Bürokraten In Frankreich gibt es 16000 Träger des Sankt-­Ludwigs-­Kreuzes, 6000 von ihnen leben in Paris und dessen näherer Umgebung. Diese Offiziere belagern die Büros von Versailles, bevölkern die Vorzimmer, treiben sich im Wandelgang herum, bringen Gerüchte in Umlauf, schwatzen ohne Unterlass über die vergangenen Kriege, haben, weil sie alles aus der Haudegenperspektive sehen, von Politik nicht die blasseste Ahnung und wollen einfach nicht begreifen, daß sich die Zeiten geändert haben, sie aber stehengeblieben sind.1

So macht sich Louis-­Sébastien Mercier in seinem »Gemälde von Paris« (­ Tableau de Paris) über die altgedienten Militärs lustig, die – den Orden des heiligen Ludwig an der Brust – es nicht lassen können, auf die Politiker einwirken zu wollen. Einer der Träger ­dieses Kreuzes war Beňovský, der aufgrund seines besonderen Eifers auf Madagaskar die prestigereiche Auszeichnung entgegen den Bestimmungen nach nur wenigen Dienstjahren verliehen bekommen hatte. Da der oberungarische Adlige retrospektiv als ein rücksichtsloser Abenteurer mit krimineller Energie erscheint, erstaunt diese außergewöhnliche Belohnung. Berücksichtigt man die Dominanz des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses und die relativ erfolgreiche Selbstdarstellung Beňovskýs, so wird deutlich, dass der Traum einer »sanften« Kolonialexpansion auf der Großen Insel Spielraum für Abenteurer bot. Merciers satirisch angehauchter Text wirft die Frage auf, wie es den Projektautoren, die sich des Madagaskardiskurses bedienten, gelang, auf die Minister und Ministerialangestellten in einer Weise einzuwirken, die zumindest in einigen Fällen im Nachhinein verblüffend erscheint.2 Im Folgenden soll das Aufgreifen des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses durch Denkschriftenautoren und die Bedeutung von Denkschriften untersucht werden. Welche Konsequenzen hatte die Bereitschaft der französischen Verwaltung, Denkschriften von Außenstehenden zu erhalten, zu lesen und zu archivieren? Wer waren die Männer, die das Projekt einer sanftmütigen Kolonisierung in Ministerialkreisen verbreiteten? Welche Interessen verbanden sie mit dem Madagaskardiskurs? Inwiefern hatten 1 Mercier, Mein Bild von Paris, 286. Im Original: »Il y a seize mille croix de Saint-­Louis en France, dont six mille à Paris ou dans les environs. Ces Officiers partent en pot-­de-­ chambre, assiegent les bureaux de Versailles, peuplent les anti-­chambres, remplissent la galerie, font circuler les nouvelles, parlent incessamment des guerres passées, déraison­ nent en politique, parce qu’ils jugent tout en militaires; ils ne peuvent s’accoutumer à tous les changements que le cours des événements autorise et nécessite.« Mercier, Tableau de Paris, Bd. 4, 151. 2 Zatorska zeigt sich ebenfalls darüber erstaunt: Zatorska, Discours colonial, 232.

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sie persönliche Erfahrungen auf Madagaskar sowie Kontakte zueinander? Mit wem kommunizierten sie in Versailles und auf ­welchen Wegen? Wessen Schriften wurden im Marineministerium beachtet und warum? Welcher inneren Logik folgten die Interaktionen ­zwischen Projektautoren und der Zentralverwaltung? Diese Fragen zielen auf eine zentrale Blindstelle der meisten Untersuchungen zum kolonialen Wissen. Sie postulieren, dass sich die Expansion des Wissens und die Expansion des französischen Imperiums gegenseitig stützten, und s­ etzen voraus, dass die Interaktionen ­zwischen Wissensproduzenten und Kolonialverwaltung sowohl dem wissenschaftlichen Ideal der Generierung von exaktem Wissen als auch der bürokratischen Logik rationaler Entscheidungsfindung zum Wohle des Imperiums folgten. Wissensproduzenten erscheinen als selbstlose Kämpfer für die Wissenschaft und das Imperium.3 Zudem preist die Forschung zur Wissensgeschichte im französischen Kolonialreich die Offenheit der französischen Verwaltung gegenüber Ideengebern an, die nicht Teil des Staatsapparats waren. Das Mittel der Denkschrift ermöglichte es im Prinzip jedem gebildeten Bürger, dem Ministerium Ratschläge zukommen zu lassen.4 Diese optimistische Sichtweise auf die Beziehungen z­ wischen Wissensproduktion und imperialer Expansion soll hier anhand von Studien über konkrete Situationen, in denen Wissensproduzenten und die Ministerialelite ineragierten, überprüft werden. Bislang wurde wenig untersucht, wer zu w ­ elchen ­Themen Denkschriften verfasste und inwiefern das Wissen nicht andere Funktionen als den Erkenntnisfortschritt und die Steigerung imperialer Herrschaft erfüllte, wie es zum Beispiel Arndt Brendecke für das spanische Kolonialreich im 16. Jahrhundert gezeigt hat.5 Charles und Cheney wiesen im Besonderen darauf hin, dass die Wissensgenerierung und -rezeption Teil von Kommunikationsvorgängen in Patronagebeziehungen war – ein wichtiger Aspekt, der in vielen wissenshisto­ rischen Studien ausgespart wird.6 Deshalb stehen in ­diesem Kapitel die Folgen dieser relativen Offenheit der französischen Verwaltung für Ratschläge von Außenstehenden im Mittelpunkt. Über Porträts der Autoren von Madagaskardenkschriften hinaus soll hier dargestellt werden, wie Männer sich – oft durch persönliche Kontakte – unterschied­ liche Madagaskarbilder aneigneten und diese für ihre Zwecke benutzten. Zweitens werden die Interaktionen ­zwischen Denkschriftenautoren und dem Marineministerium in den Blick genommen, um die Logiken der Kommunikationsvorgänge zu ergründen. Damit möchte die Untersuchung einen Beitrag zu einem

3 Z. B. in McClellan/Regourd, The Colonial Machine; Roberts, Le centre de toutes choses. 4 Steiner, Colberts Afrika, 431. 5 Brendecke, Imperium und Empirie. 6 Charles/Cheney, The Colonial Machine Dismantled.

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dynamischen Forschungsfeld leisten, der Sozialgeschichte des Wissens.7 Drittens werden die Gattung »Denkschrift« an sich sowie die Wissensräume, in denen sie wirkte, in den Blick genommen. Es wird die These vertreten, dass – entgegen dem, was Charles und Cheney suggerieren – Denkschriften in der Tat einen Einfluss auf die Kolonialpolitik hatten, wenn auch einen ganz anderen, als die Forschung, die von einem Sich-­gegenseitig-­Stützen von Imperialwissen und Imperialexpansion ausgeht, vermutet.

11.1 Die Maskarenen und der Ursprung des Diskurses Die aufklärerischen Symbiosen von Philosophie und Politik ermunterten die unterschiedlichsten Persönlichkeiten, ihr Glück in Versailles zu versuchen. Das ­soziale Profil der Autoren, die auf der Linie Maudaves und Beňovskýs die Große Insel zum Objekt einer erträumten »sanften« Kolonisierung erklärt haben, war mit Sicherheit uneinheitlich. Nichtsdestotrotz lassen sich Beziehungen z­ wischen den einzelnen Denkschriftenautoren und geographischen Schwerpunkten in der Verbreitung des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses erkennen. Da Maudave seit 1764 auf der Île de France wohnte,8 erstaunt es kaum, dass die Vorstellung einer »sanften« Kolonialexpansion auf Madagaskar erstmals auf den Maskarenen propagiert wurde. Der philosophische Kreis, zu dem Maudave gehörte, verbreitete den neuen Madagaskardiskurs nicht nur in Schriften, sondern auch auf mündlichem Wege. Das gelehrte Milieu war in der Tat Teil der Oberschicht der Maskarenen. Cossigny und Maudave waren Plantagenbesitzer; ­Cossigny trieb zudem auch Handel. Dem hochverschuldeten Maudave sollte die Position als Gouverneur von Madagaskar nicht zuletzt ermöglichen, seine ­soziale Stellung als Mitglied der Elite der Île de France zu erhalten.9 Da für die Maskarenen der Handel mit Madagaskar lebenswichtig war, erstaunt es nicht, dass Maudave und andere ambitionierte Angehörige seines sozialen Milieus auf die realen oder mutmaßlichen Reichtümer der Großen Insel schielten. Zu ihnen gehörte ein gewisser Launay, der während der Revolutionszeit dem Marineminister eine Denkschrift schickte und sich darin auf die Ideen Maudaves berief, ohne ihnen etwas Neues hinzuzufügen.10 7 Ein Beispiel für diese Forschungsrichtung: Flessenkämper, Considerations – Encouragements – Improvements. 8 Foury, Maudave (1. Teil), 356 – 362. 9 Ebd., 357 – 359. 10 Allerdings ist es unklar, ob es sich beim besagten Launay um Jean-­Baptiste Michel Launay, Händler, Plantagenbesitzer und Mitglied des Obersten Rats (Conseil ­supérieur) der Île de France, oder um Pierre Augustin de Launay, Leutnant der Milizen der Île Bourbon,

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Auch die 1784 ebenso auf den Maskareren verfasste und 1786 sowie 1803 wieder­ holt eingereichte Denkschrift eines kreolischen Leutnants der nationalen Miliz der Île de France namens Siette de la Rousselière war inhaltlich nah an den Texten des ehemaligen Gouverneurs von Fort-­Dauphin.11 Dieser ließ sich jedoch im Gegensatz zu Launay einige Ausschmückungen einfallen. Über Siette, der als Kommandant einer Kolonie auf Madagaskar über Siedler von der Île ­Bourbon und »zivilisierte« Madagassen herrschen wollte, ist leider wenig bekannt. Er stellte die Kolonisierung als besonders aussichtsreich dar, weil ihm zufolge die französische Regierung bereits 1780 »eine Art Republik« (»une espèce de république«) auf der Großen Insel geschaffen hatte. Laut Siette hätten die Völker Madagaskars Frankreichs Schutz gegen den »Tyrannen« Iavy gesucht.12 Siette spielte hier auf die »Republik von Marahombay« an, die Coquereau ins Leben gerufen hatte und Diard kurze Zeit darauf für seine Zwecke einspannte. Diese »Republik« bestand nach der Festnahme Diards 1784 eigentlich nicht mehr, doch dieser Umstand scheint Siette unbekannt gewesen zu sein. Trotz dieser anscheinend dünnen Madagaskarexpertise hielt sich Siette für besonders qualifiziert für die Stelle eines Kommandanten von Madagaskar. Als Beweis dafür behauptete er, von seinen Vorfahren das Geheimnis der Trockenlegung von Sümpfen geerbt zu haben: Seine »kinderreiche Familie« (»famille nombreuse«) stamme in direkter Linie von den Siettes ab, die unter Heinrich IV., Ludwig XIII. und Ludwig XIV. die Sümpfe Frankreichs beseitigt hätten.13 Für die »sanfte« Kolonisierung der Großen Insel interessierte sich auch ein genauso wie Maudave hochverschuldeter Plantagenbesitzer der Maskarenen, François Millon des Marquets. Millon entstammte dem Dienstadel. Er war Sohn eines ­Ersten Schöffen (Premier échevin) der Stadt Paris und machte, der Familientradition folgend, eine Karriere als Jurist. Nachdem er die Tochter eines verstorbenen Generalstaatsanwalts der Île Bourbon geehelicht hatte, erbte er das Amt seines Schwiegervaters und ließ sich 1767 im Indischen Ozean nieder, wo er nun eine Plantage besaß. Doch wurde er 1771 gefangen genommen und seines Amts enthoben. Neben horrenden Schulden von 60.000 Livre und handelt. Siehe ANOM , E 261 ( Jean-­Baptiste Michel Launay) sowie die Denkschrift in: ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, ohne Titel (außer »C[itoy]en De Vaivres, 23 Novembre«), ohne Datum. 11 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 187, Denkschrift von Siette de La Rousselière, Januar 1784; ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Siette de La Rousselière an den Marine­ minister, 27. März 1803; ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Mémoire sur Madagascar, par Siette la Rousselière, daté du Port Nord-­O uest (Île de France) le 6 germinal an XI, 27. März 1803. 12 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 187, Denkschrift von Siette de La Rousselière, Januar 1784, Bl. 3. 13 Ebd., insbesondere Bl. 5, 8 f. Siehe auch: Wanquet, Révolution française et Océan Indien, 169.

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einem unsittlichen Lebenswandel wurde ihm vorgeworfen, aufrührerisch zu sein; er hatte in der Tat ganz in der Tradition der Richter des ­Mutterlandes im Obersten Rat (Conseil supérieur) der Kolonie eine Fronde gegen den Intendanten angeführt. Auch lag er 1769 im Streit mit den Lazaristen, die ihn nicht als Taufpaten eines Kindes akzeptieren wollten, weil er kaum zur K ­ irche ging. Nach Frankreich zurückgekehrt, schaffte es Millon, die Aufhebung der Entscheidung der Richter von Bourbon gegen ihn zu erwirken und sich das Äquivalent des Gehalts, das er z­ wischen 1771 und 1774 erhalten hätte, auszahlen zu lassen. Zwischen 1775 und 1778 suchte er dringend nach einer Stelle als Magistrat in den Kolonien und ließ aus ­diesem Grund dem Marineministerium Dutzende von Gesuchen und Dokumenten zukommen.14 In ­diesem Kontext reichte er 1775 eine Denkschrift ein, in der er anbot, 300 Familienväter von der Île Bourbon nach Madagaskar umzusiedeln.15 Das Kolonisierungsprojekt, das er in ­diesem Text entwarf, folgte genau dem spätaufklärerischen Madagaskardiskurs:16 Obwohl Millon wohl ein streitlustiger Mensch war, plädierte er darin für Sanftmut. Millons Vorliebe für Polemik war jedoch nichts im Vergleich zum aggressiven Verhalten eines weiteren Denkschriftenautors von der Île de France, ­François Jacques Veller (oder Weller) de Kersalaün. Dieser wurde 1783 von der Île de France ausgewiesen und nach Frankreich deportiert. Kersalaün mietete eine Plantage von einem gewissen Morel, der in der Hospitalverwaltung arbeitete, bezahlte d ­ iesem jedoch die Pacht nicht. Als Morel sein Geld verlangte, bedrohte ihn Kersalaün mit einem Gewehr und zwang ihn, einen Schuldenerlass zu unterzeichnen. Auch bestahl Kersalaün Morel und tötete mehrere seiner Sklaven. Er vermietete die Plantage an einen Dritten, den er etwas später beinahe zu Tode prügelte. Kersalaün schlug zudem mehrmals seine Frau und bedrohte seinen Schwager.17 Diese prononcierte Neigung zur Gewalt hielt ihn nicht davon ab, für ein sanftmütiges Vorgehen gegenüber den Madagassen zu plädieren. Einige Jahre nach seiner Ankunft in Frankreich – ­zwischen 1786 und 1789 – verfasste Kersalaün mehrere Denkschriften über die Große Insel, die sich in bekannten Bahnen bewegten. Kersalaün schöpfte sichtlich Inspiration bei Beňovský. Wie der oberungarische 14 Siehe vor allem Millons voluminöse Personalakte: ANOM, E 313 (Millon). Ansonsten: Géraud, La Ville des sucriers, 116; Azéma, Histoire de l’Île Bourbon, 358; Jauze, Notaires et notariat, 78; Lacaze, L’Île Bourbon, l’Île de France, 217. 15 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 60, Millon an Sartine, 29. September 1775. 16 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 61, »Projet de Millon d’un établissement françois à Madagascar«, [1775]. Siehe auch: ANOM, C 5A 5, Nr. 57, Millon an Sartine, 15. Juni 1775; ferner: ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Anonym, »Mémoire sur l’île de Madagascar«, 1794. 17 ANOM, E 384 bis, Personalakte von Kersalaün.

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Adlige wollte er eine Kolonie in der Bucht von Antongila aufbauen, die durch eine Straße mit dem Hafen von Boina verbunden wäre.18 Beňovskýs wahre und erfundene Geschichten faszinierten zudem eine Reihe weiterer Abenteurer, die auf den Maskarenen keinen ständigen Wohnsitz hatten, sich jedoch zeitweise auf diesen Inseln aufhielten. Dies war zum Beispiel der Fall des Bretonen Yves Joseph de Kerguelen de Trémarec, der durch eine spektakuläre Betrugsaffäre in ganz Europa berühmt wurde. Kerguelen, unter dessen Führung sich im Übrigen auch Rochon für die Südsee einschiffte, wurde 1771 vom Marine­ minister Boynes auf hohe See geschickt, um den großen reichen Kontinent zu entdecken, den man im Süden des Erdkreises vermutete. Die Idee ging auf eine Schrift von Jean Paulmier de Courtonne aus dem 17. Jahrhundert zurück, die für die Etablierung einer christlichen Mission auf dieser »Dritten Welt« (»Troisième Monde«) oder »australischen Erde« (»terre australe«) warb.19 Darin behauptete Paulmier, von einem gewissen Binnot Paulmier de Gonneville abzustammen, der im frühen 16. Jahrhundert einen fruchtbaren Kontinent südlich vom Kap der Guten Hoffnung entdeckt habe. Es ist jedoch unsicher, ob Gonneville jemals gelebt hat und in die Südsee gesegelt ist. Mit dieser Geschichte hob Paulmier im Namen Frankreichs Anspruch auf den Besitz des Kontinents und reklamierte für sich die Stellung eines Vikars der Missionen in den »australischen Erden«.20 Doch auch wenn die von Paulmier wiedergegebene Reiseerzählung Gonnevilles 18 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 87, »Monsieur de Kersalaün propose un projet d’établissement à Madagascar«, 1786 – 1787; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 88, Anonym an den Marineminister, 6. November 1786; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 89, »Observations sur les réflexions que le monseigneur le maréchal de Castries fit l’autre jour à M. le comte de Kersalaün«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 90, »Sur le memoire de M. le comte de Kersalaün«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 91, Kersalaün an den Marineminister, 29. Dezember 1786; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 93, »Réflexions politiques sur l’établissement de Madagascar proposé M. de Kersalaün«, 9. Februar 1787; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 94, Notiz eines Kommis über Kersalaün, 1. März 1787; MAE, Indes orientales 19, Nr. 134, Kersalaün, »Détail des moyens propres à former avec succès l’établissement proposé à Madagascar«, 1789. Die Denkschrift ist nur mit dem Namen »Kersalaün« unterzeichnet. Aus d ­ iesem Grund ist nicht ganz auszuschließen, dass es sich beim Autor ­dieses Textes auch um Jean-­V incent Euzénou, Graf von Kersalaün handeln könnte. Dies ist jedoch wenig wahrscheinlich, da dessen Lebenslauf keinerlei Kontakte mit der Überseewelt aufweist. Siehe »Euzenou de Kersalaün, Jean-­François« und »Euzenou de Kersalaün, Jean-­Vincent«, in: Dictionnaire de biographie française, Bd. 13 (1975), 283 – 284; ­Kersalaün, Mémoire présenté au roi. 19 Paulmier, Mémoires touchant l’établissement d’une mission chrestienne. 20 Perrone-­Moisés, Le voyage de Gonneville a-­t-­il vraiment eu lieu? Der Fall der Schriften zu Madagaskar aus dem 18. Jahrhundert zeigt, dass eine Fälschung ernsthaft in Betracht gezogen werden sollte. Entgegen dem, was Leyla Perrone-­Moisés vermutet, scheint es für

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konfus war – möglicherweise meinte der Seefahrer, falls er jemals existiert hat, Brasilien –, glaubte die französische Öffentlichkeit ab dem 17. Jahrhundert, dieser Kontinent befinde sich im Süden des Indischen Ozeans. Paulmier selbst verortete im Jahr 1659 den zu entdeckenden Kontinent südlich von Madagaskar, wohl weil einige Jahre zuvor eine Lazaristenmission in Fort-­Dauphin gegründet worden war.21 Seitdem ließ die »australische Erde« die französischen Autoren nicht mehr los: In den späten 1740er Jahren organisierte die Indienkompanie eine Expedition unter der Leitung von Jean-­Baptiste Bouvet de Lozier, um sie zu finden, doch stieß sie nur auf vereiste Gegenden. Bouvet vermutete trotzdem ein fruchtbares Land jenseits des Eises, das in der Folge auf zeitgenössischen Karten dargestellt wurde.22 Kerguelen war das letzte Opfer des Mythos. 1772 – während James Cook sich überzeugte, dass der große Südseekontinent ein Luftschloss war – kam der breto­ nische Kapitän mit seinem Schiff in die Nähe des kahlen Archipels, der heute seinen Namen trägt. Obwohl er wegen der ungünstigen Wetterbedingungen nicht anlegen konnte, ließ sich Kerguelen die Freude, die er bei der Entdeckung seines Eldorado erleben wollte, nicht verderben: Er verbreitete die Nachricht, er habe den großen Kontinent mit seinen ungeheuren Reichtümern endlich gefunden. Er ließ sich vom König eine zweite Expedition 1773 finanzieren, deren Ziel die Gründung einer Kolonie auf der »terre de Gonneville« war, die jedoch vollkommen scheiterte. Vor den trostlosen Inseln angelangt, musste Kerguelen seine Illusion eingestehen. Er gab sich allerdings nicht geschlagen: Da diese Inseln nicht Teil eines großen aussichtsreichen Kontinents waren, suchte er die »terre de Gonneville« woanders.23 Er fand sie in Madagaskar. Auf dem Rückweg nach Frankreich machte der Bretone einen Zwischenhalt in der Bucht von Antongila, wo er Beňovský im Kampf gegen »Raboc«, den enteigneten Besitzer der »Plaine de la Santé«, half.24 Von der Roten Insel beeindruckt, beschloss Kerguelen, sie sei mit Sicherheit die »terre de Gonneville«, die er bislang vergeblich gesucht hatte. Doch hatte er keine Zeit, sich der Großen Insel zu widmen. Als Betrüger aufgeflogen sowie des Ungehorsams, des illegalen Handels und der Mitnahme einer als Mann verkleideten jungen Dame an Bord bezichtigt, wurde er 1775 bei seiner Rückkehr nach Paulmier ein Leichtes gewesen zu sein, die gelehrten Zeitgenossen und die königliche Verwaltung mit einem Text zu betrügen, der sich an vorhandene Reiseberichte anlehnte. 21 Sankey, Madagascar et la terre de Gonneville, 153. 22 Sankey, Est ou Ouest. 23 Ebd.; Kerguelen, Relation de deux voyages, 6 – 12 (Vorwort); Sankey, Madagascar et la terre de Gonneville, 159. 24 BnF, Manuscrits français, NAF n°9413, Bl. 271 f., »Mémoire de Kerguelen sur l’île de Madagascar«, 27. Dezember 1773. Maillart und Ternay berichten auch über diese Ereignisse: ANOM, C 5A 4, Nr. 62, Bl. 1, Maillart und Ternay an den Marineminister, 17. Juni 1774.

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Frankreich zu einer sechsjährigen Gefängnishaft verurteilt.25 1778 in die Freiheit entlassen, um im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten zu kämpfen, machte Kerguelen Karriere während der Revolution und erreichte den Grad eines Konteradmirals. Inzwischen hatte er im Jahre 1782 eine Erzählung seiner Reisen durch die Südsee veröffentlicht, in der er auch über seinen Aufenthalt auf Madagaskar berichtete.26 1792 pubilizierte Kerguelen schließlich eine Denkschrift, die sich des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses bediente und die er sowohl dem Marineministerium überreichte als auch drucken ließ.27 Der Impuls für sein erneutes Interesse für Madagaskar mag von den Reiseerzählungen Beňovskýs und Rochons ausgegangen sein, die 1791 erschienen waren. Kerguelen kannte beide Autoren persönlich. In seiner Denkschrift kopierte er zudem manche Passagen aus der Geschichte beider Indien wörtlich.28 Er empfahl sich unmittelbar als Kommandant der zu errichtenden Kolonie, die mit »sanften« Mitteln Millionen von Madagassen zivilisieren werde.29 Die Idee, Chef einer Kolonie auf der Großen Insel zu werden, faszinierte auch einen anderen Abenteurer, der Beňovskýs Niederlassung persönlich kennengelernt hatte: Jean-­François Destorches, Chevalier de La Serre, den wohl beharrlichsten aller Autoren von Denkschriften über die Große Insel. La Serre begann 1748 eine Offizierskarriere, die ihn zum Kapitänsgrad führte. 1760 wurde er zum Kommandanten der Milizen in Guyana ernannt, musste aber am Ende des Siebenjährigen Kriegs nach Frankreich zurückkehren. In den 1760er Jahren betätigte er sich im Heiligen Römischen Reich als Spion für Choiseul,30 der ihn 1769 nach Polen schickte, um die Barer Konföderation in ihrem Kampf gegen das Russische Reich zu unterstützen. La Serre diente unter Charles-­François ­D umouriez, einem General der Konföderation und französischen Geheimagenten, und unter Antoine Charles du Houx Baron von Vioménil, der ebenfalls von Choiseul nach Polen 25 Jugement du conseil de guerre; Kerguelen, Relation de deux voyages, 12 (Vorwort). 26 Kerguelen, Relation de deux voyages, 64 – 67. 27 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 95, Kerguelen, »Mémoire intéressant l’île de Madagascar«, 28. Oktober 1792; Kerguelen, Mémoire sur la marine. 28 Siehe z. B. folgenden Auszug: »Une si heureuse révolution ne doit pas être l’ouvrage de la violence. C’est par la voie douce de la persuasion, c’est par les appas séduisants du bonheur, c’est par l’attrait d’une vie tranquille, c’est par les avantages de notre police, par les douceurs de la liberté et de l’égalité, par les jouissances de notre industrie, enfin par la supériorité de notre génie qu’il faut amener l’isle entière à un but également utile aux deux nations«: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 95, Kerguelen, »Mémoire intéressant l’île de Madagascar«, 28. Oktober 1792. 29 Ebd. 30 Der preußische Spion Rapin erwähnte ihn bei seiner Verhaftung durch die Franzosen: Muchembled, Les Ripoux des Lumières, 390.

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entsandt worden war. Die Niederlage der Konföderation 1772 zwang La Serre, nach Frankreich zurückzukehren. Dort wurde er zum Oberstleutnant ernannt, erhielt den St. Ludwigsorden und eine Gratifikation von 1200 Livre pro Jahr, blieb jedoch ohne Beschäftigung. Er bat darum, für das Osmanische Reich gegen Russland kämpfen zu dürfen,31 wurde stattdessen aber 1776 vom Marineminister Sartine mit einer Erkundungsmission auf Madagaskar beauftragt. Glaubt man der Kopie eines Briefes, die in Mahavelona am 25. August angefertigt wurde und sich im Archiv des Marineministeriums befindet, hat der König La Serre die Kommandogewalt über alle Militärs in den unterschiedlichen Teilen Madagaskars, die er erkunden werde, verliehen.32 Es ist jedoch unklar, ob man diesen Brief als echt einzustufen hat. Sartine warf jedenfalls dem Chevalier nach dessen Rückkehr vor, seine Befugnisse als »Beobachter« (»observateur«) weit überschritten zu haben.33 Aus d ­ iesem Briefwechsel geht hervor, dass Sartine den Chevalier de La Serre tatsächlich darum gebeten hatte, ihm Beobachtungen über Madagaskar zu ­schicken, um die Erfolgschancen einer Kolonisierung auszuloten. La Serre war also ein Spion, der parallel zu Bellecombe und Chevreau dem Minister helfen sollte, sich ein Bild der Lage unter Beňovskýs Führung zu machen. Der Chevalier hatte dennoch keine Befehlsgewalt auf der Großen Insel. La Serre sah das freilich anders. Bereits auf dem Schiff, das ihn von Frankreich auf die Île de France brachte, hatte der Chevalier einen Streit verursacht, weil er dem Kapitän Anweisungen erteilen wollte. Der Gouverneur der Île de France hatte ihn deshalb unmittelbar nach der Ankunft des Schiffs 48 Stunden lang eingekerkert.34 Anfang Juli 1777 in Mahavelona angekommen, gerierte sich der Chevalier de La Serre als Kommandant der Großen Insel und forderte den Kapitän Mallendré dazu auf, seinen Befehlen zu folgen.35 Diesen Anspruch wies Mallendré erst einmal zurück, der doch unter der Befehlsgewalt des sich in der Bucht von Antongila befindenden Sanglier stand. Diese Kommandogewalt hätte wohlgemerkt auch kein echter Brief eines Ministers, sondern nur ein Befehl des Königs aufheben können.36 Der Chevalier de La Serre verteilte nichtsdestotrotz

31 Centre historique des archives de la Défense, GR 28d 8 (dossier individuel de Jean-­ François de La Serre); ANOM, E 259 (La Serre). 32 ANOM, C 5A 8, Nr. 2, Sartine an La Serre, 18. März 1776. 33 ANOM, C 5A 8, Nr. 139, Sartine an La Serre, 31. Mai 1778. Antwort des Chevalier de La Serre: ANOM, C 5A 8, Nr. 143, La Serre an Sartine, 2. Juli 1778. 34 ANOM, C 5A 8, Nr. 89, Bl. 2, La Brillone und Maillart an den Marineminister, 1. Oktober 1777; siehe die Darstellung des Chevalier de La Serre: C 5A 9, Nr. 2, Bl. 3, La Serre an den Marineminister, 21. Dezember 1776. 35 ANOM, C 5A 8, Nr. 54 und 55, La Serre an Mallendré, 7. und 16. Juli 1777. 36 ANOM, C 5A 8, Nr. 72 und 81, Sanglier und Coquereau an La Brillone und Maillart, 16. August 1777.

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ganz eigenmächtig Handelsprivilegien 37 und hörte damit erst auf, als der Kommandant Sanglier und der Intendant Coquereau sich alarmiert auf die Reise nach Mahavelona machten.38 In der Zwischenzeit hatte sich La Serre auf illegale Weise am Reis-, Vieh- und Sklavenhandel bereichert 39 und verließ Madagaskar, ohne die Große Insel erkundet zu haben. Er verfasste gleich darauf einen Bericht über seine Reise, in dem er nach der üblichen Art die Kolonisierung Madagaskars empfahl.40 1781 verlor La Serre aufgrund seines skandalösen Verhaltens auf der Roten Insel seine Pension 41 und suchte in der Folgezeit nach einer Anstellung im Dienst des Königs. Er bat um das nächste freie Kolonialgouvernement 42 und reichte bis 1789 erfolglos zahlreiche Briefe und Denkschriften über Madagaskar ein, um sich als Kommandant einer Kolonie zu empfehlen.43 Nach eigenen späteren Angaben emigrierte er bereits 1789 aus dem revolutionären Frankreich und wurde von den Brüdern des Königs 1792 zu Ludwig XVI. in einer Geheimmission in den Tuilerienpalast geschickt, um diesen zu schützen. Es ist jedoch überliefert, 37 ANOM, C 5A 8, Nr. 61, La Serre an Boyer, 21. Juli 1777; ANOM, C 5A 8, Nr. 62, La Serre an Devihon, 21. Juli 1777; ANOM, C 5A 8, Nr. 65, La Serre an Gambin, 4. August 1777; ANOM, C 5A 8, Nr. 67, La Serre an Gambin, 4. August 1777; C 5A 9, Nr. 7, La Serre an Gambier, 4. August 1777. 38 ANOM , C 5A 8, Nr. 72, Sanglier und Coquereau an La Brillone und Maillart, 16. August 1777. 39 ANOM, C 5A 8, Nr. 81, Bl. 2, Sanglier und Coquereau an den Marineminister; C 5A 9, Nr. 62, Notiz eines Kommis über die Vorwürfe gegen La Serre, ohne Datum. 40 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 79, Tagebuch von La Serre, 1777. 41 ANOM, C 5A 9, Nr. 65, La Serre an den Marineminister, ohne Datum [nach 1783]. 42 ANOM, C 5A 9, Nr. 64, La Serre an den Marineminister, ohne Datum [nach 1783]. 43 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 84, Denkschrift von La Serre, 1785 (Begleitbrief: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 85, La Serre an den Marineminister, 7. September 1785); C 5A 9, Nr. 37, La Serre an den Marineminister, ohne Datum; C 5A 9, Nr. 59, »Idée par simple approximation de ce que coûtera une première expedition à Madagascar«, ohne Datum; C 5A 9, Nr. 60, Denkschrift von La Serre, ohne Datum; C 5A 9, Nr. 61, Denkschrift von La Serre, ohne Datum; C 5A 9, Nr. 63, Denkschrift von La Serre, ohne Datum; C 5A 9, Nr. 66, La Serre an einen unbekannten Empfänger, ohne Datum; C 5A 9, Nr. 68, Denkschrift von La Serre, ohne Datum; C 5A 9, Nr. 69, Denkschrift von La Serre, ohne Datum; C 5A 9, Nr. 70, »Observations du capitaine Trevau sur l’établissement projeté par le chevalier de la Serre«, ohne Datum. Am 4. Dezember 1785 hatte er sogar ein Streitgespräch mit dem ehemaligen Inspektor Bellecombe, der das Kolonisierungsprojekt La Serres zurückwies: ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 200, La Serre an den Marineminister, 6. Dezember 1785. Ende 1785 und 1786 taucht auch ein »La Serre« oder »De la Serre« als Handelskommis auf Madagaskar auf. Es scheint jedoch aufgrund der Konferenz in Paris von Dezember 1785 ausgeschlossen zu sein, dass es sich um dieselbe Person handelt. Wahrscheinlicher hatte La Serre einen Verwandten in den Indischen Ozean mitgenommen: C 5A 8 bis, Nr. 203, Bl. 2, Souillac und Motais an den Marineminister; C 5A 8 bis, Nr. 209, Bl. 3, Souillac an den Marineminister, 22. August 1786.

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dass La Serre 1789 das Land nicht verlassen hat und sich in der Nationalgarde betätigte. 1792 ließ er von sich reden, als er behauptete, während des Sturms auf die Tuilerien gesehen zu haben, wie der ehemalige Herzog von Orléans Philippe-­ Égalité den blutrünstigen Sansculotten Befehle erteilte.44 La Serre musste 1793 emigrieren und diente anschließend als Offizier in Österreich und Russland unter der Führung Louis V. Joseph de Bourbon-­Condé. Er wurde in der Schlacht von Hohenlinden am 3. Dezember 1800 schwer verletzt und erlag seinen Wunden.45 Ein anderer Seefahrer und Denkschriftenautor, der sich im Zusammenhang mit der Freiwerdung von Beňovskýs Stelle für Madagaskar interessierte, war Paul Chevillard de Montesson. Er hatte 1771 auf dem Schiff des Entdeckers Marion-­ Dufresne die Île de France verlassen, um die Südsee zu erforschen. 1772 hatten die Franzosen Tasmanien erreicht und gleich Konflikte mit Eingeborenen provoziert. Montesson verübte bei dieser Gelegenheit sowie auch später auf Neuseeland mehrere Massaker. Im folgenden Jahr kam er auf die Île de France zurück.46 Als Beňovskýs Scheitern offensichtlich wurde, verfasste Montesson eine Denkschrift, in der er darum bat, das Kommando über das Freiwilligenkorps des Oberungarn übernehmen zu dürfen. Im Gegensatz zu der großen Mehrheit der Madagaskarbegeisterten stellte Montesson keine »sanfte« Expansion in Aussicht, sondern die Errichtung einer kriegerischen Kolonie, die die Große Insel erobern würde.47 Beňovský inspirierte zudem einen gewissen Jacques Lasalle (Lassale oder La Saly), der 1796 eine Denkschrift beim Marineministerium einreichte. Nach eigenen Angaben hatte Lasalle im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft, war zum Offizier ernannt worden und hatte sich seitdem in Baltimore aufgehalten. 1784 sei der »Graf von Beňovský« nach Baltimore gekommen und habe ihm vorgeschlagen, an der Madagaskarexpedition teilzunehmen. Dem Militär Lasalle ­seien auf der Fahrt nach Madagaskar die Zuständigkeit für den Bergbau auf Madagaskar, die Ausbildung einer noch zu schaffenden »Nationalgarde« und den Handel mit den Inselbewohnern übertragen worden. Auf Madagaskar habe er eine lokale Prinzessin geheiratet und einen Sohn gezeugt, der heutzutage König sei. Alles wäre gut gegangen, wäre nur nicht der »Ampansakabe« Beňovský verraten und umgebracht worden. Nach diesen Ereignissen, die den Aufbau eines neuen Reichs verhindert hätten, habe Lasalle zwölf Jahre lang die gesamte Ost- und Nordwestküste bereist. Überall sei er glänzend empfangen worden, da die Madagassen sich 44 The annual register for the year 1792, 71; Peltier, Histoire de la révolution, 227. 45 Centre historique des archives de la Défense, GR 28d 8 (dossier individuel de Jean-­ François de La Serre); ANOM, E 259 (La Serre). 46 »Chevillard de Montesson, Paul«, in: Dictionnaire de biographie mauricienne, Bd. 50 (1990), 1555. Über Marion-­D ufresnes Reise: Haudrère, Les Français dans l’océan Indien, 249 – 263. 47 ANOM, C 5A 3, Nr. 14, »Mémoire sur Madagascar, par M. Chevillard«, ohne Datum.

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nach einer französischen Niederlassung sehnten. Er habe die Erzeugnisse dieser Regionen studiert und diverse Plantagen aufgebaut. Alle Regionen s­ eien gesund und fruchtbar; alle Inselbewohner sanftmütig und arbeitsam.48 Mutet der Anfang von Lasalles Erzählung glaubwürdig an, sind spätestens ab der Ankunft der Protagonisten auf der Großen Insel Zweifel an seiner Darstellung angebracht. Es ist zwar gesichert, dass er sich 1792 in Mahavelona aufhielt.49 Merkwürdig erscheint jedoch, dass die Teilnahme eines Lasalle oder Lassale an Beňovskýs zweiter Expedition nicht überliefert ist. Möglichweise verwertete der Autor geschickt Informationen aus den einige Jahre zuvor im Druck erschienenen Memoiren Beňovskýs wieder. Darin befindet sich auch eine Beschreibung von Beňovskýs Lebensende, an die die Erzählung Lasalles sehr erinnert.50 Wie dem auch sei: Lasalle fand jedenfalls scheinbar keine Anstellung bei den Franzosen, dafür später bei den Briten, nachdem diese die Île de France eingenommen hatten. Er nahm 1815 – 1816 als Dolmetscher an einer britischen Expedition im Norden Madagaskars teil.51 Die Denkschriften der Einwohner der Île de France Siettes, Millons, Launays und Kersalaüns oder der Schiffskapitäne und Militärs Kerguelen und Montesson zeigen, dass die Kolonisierung Madagaskars ein Gesprächsthema auf den Maska­ renen darstellte. Auch verweisen die Denkschriften auf die Tatsache, dass das Milieu der Offiziere von Anfang an eine wichtige Rolle für die Verbreitung des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses spielte. Maudave, Beňovský, Kerguelen, La Serre, Montesson und Lasalle haben alle als Offiziere gedient. Die Militärs 48 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 96, Anonym, »Mémoire sur l’île de Madagascar«, 1794. 49 Sein Name taucht in der Liste der Franzosen in Foulpointe auf, die Lescallier im April 1792 aufstellte. Lescallier zählt ihn zu den »Händlern und Siedlern«: ANOM, Séries géographiques, MAD 233 512, S. 11, Lescallier, »Nom des Français qui existaient a Foulpointe, au mois d’avril 1792«. Fünf Jahre später befand sich Lasalle in Paris, wo er einen Brief an das Direktorium verfasste, um seine Dienste in der Kolonisierung Madagaskars anzuempfehlen: Séries géographiques, MAD 7 15, Lasalle an den Directoire, 14. September 1797. 50 Orłowski, Beniowski, 210 – 230. Die Benutzung von Beňovskýs Memoiren lässt sich auch in der 1820 eingereichten Denkschrift des Esoterikers und Freimaurers Jean-­Jacques Bacon de la Chevalerie erkennen. Bacon de la Chevalerie war zu dieser Zeit bereits 89 Jahre alt und konnte auf eine lange Militärkarriere in Europa und auf Saint-­Domingue zurückblicken. Er hatte Beňovský persönlich gekannt und gab dessen Erzählungen unkritisch wieder: ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Bacon de la Chevalerie, »Madagascar«, ohne Datum; Précis historique de la franc-­maçonnerie, Bd. 2, 19 – 20; Gliech, Saint-­Domingue, 256 f. 51 ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, »Extrait de la correspondance de MM. les administrateurs de Bourbon, parvenue au bureau le 16 octobre 1816« (Brief Lasalles an die Verwalter der Île Bourbon, 10. Juni 1816).

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waren eine s­ oziale Gruppe, für die Mobilität oft eine Pflicht war. Sie wurden an verschiedene Orte innerhalb des Kolonialreichs versetzt. Zum beruflichen Ethos gehörte eine gewisse Unerschrockenheit. So überrascht es nicht, dass sich die Nachrichten von Maudaves und Beňovskýs Kolonisierungsversuchen in diesen Kreisen verbreiteten und dass sich unter den Offizieren Abenteurerseelen fanden, die ihr Glück auf der Großen Insel zu suchen bereit waren.

11.2 Der Indische Ozean und die Lehnstuhlabenteurer In den Jahren 1783 – 1785 wurden im Marineministerium besonders viele Denkschriften zu Madagaskar eingereicht. Das Novum war jedoch nicht nur quantitativer Art: Auch die geographische und ­soziale Reichweite des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses scheint sich vergrößert zu haben. Nun griffen mehrere Personen zur Feder, die keine direkte Verbindung zu den Maskarenen aufwiesen. Zu den seefahrenden Abenteurern gesellten sich Lehnstuhlabenteurer hinzu. Dieses Phänomen mag mit dem Erscheinen von Legentils Reisebericht im Jahr 1779 und vor allem mit der dritten Ausgabe der Geschichte beider Indien (1780) zu tun haben. Doch in mehreren Fällen dürften auch persönliche Kontakte ausschlaggebend gewesen sein. Der spätaufklärerische Madagaskardiskurs erreichte diese Kreise nicht zuletzt dank Pierre François Roze. Roze war von 1751 bis 1768 ein Supercargo der französischen Indienkompanie und diente zeitweise auf den Schiffen, die die Handels­gesellschaft nach China sandte. 1768 ließ er sich auf der Île de France nieder und hatte in der Kompanie diverse Verwaltungsstellen inne. Er wurde 1771 vom König zum Mitglied des Obersten Rats ernannt, trat jedoch – entgegen seinen späteren Behauptungen – ­dieses Amt nie an und kündigte bereits 1775, um seinen Geschäften nachzugehen. Er betätigte sich weiter als Supercargo im Auftrag der französischen Hafenstädte und kam 1773 nach Frankreich zurück, um für die Indienkompanie in Lorient zu arbeiten. In den späten 1770er und frühen 1780er Jahren widmete er sich vor allem der Erziehung seiner Kinder, seiner Plantage auf der Île de France und seiner Gesundheit durch Kuraufenthalte. 1783 – 1785 nahm er wieder seine Tätigkeit als Supercargo für die französischen Hafenstädte auf und leitete eine Expedition nach China. In der Revolutionszeit verarmte Roze. Er bat mehrmals um eine Anstellung beim Marineministerium oder in der Kolonialverwaltung. Dafür gab er an, dreißig Jahre lang für das Marineministerium gearbeitet zu haben, obwohl er nur zwei Jahre Dienst nachweisen konnte.52 52 ANOM, E 359, Personalakte von Roze.

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Roze reichte 1783 eine Madagaskardenkschrift beim Marineminister ein. Darin verteidigte er ein Projekt, das dem Maudaves nahe kam. Im Unterschied zu Maudave sah Roze – ähnlich wie der Abbé Baudeau – den Kauf von Sklaven vor, denen man allmählich die Freiheit schenken würde. Ihm zufolge sollte der Chef der neuen Kolonie ein Händler sein, denn Militärs wie Maudave könnten keine »sanften« Mittel anwenden. Die Händler machten seit Jahrzehnten glänzende Geschäfte auf Madagaskar. Da Roze für den Handel der Indienkompanie mit Madagaskar zuständig gewesen war, konnten diese Sätze zugleich als Selbstlob und als Bewerbung für den Posten des Leiters einer zukünftigen Kolonie auf der Großen Insel verstanden werden. Roze war dennoch nicht nur durch seinen Beruf mit Madagaskar in Kontakt gekommen. Er war nach eigenen Angaben mit Beňovský gut vertraut und behauptete, von ­diesem die meisten seiner Informationen über die Rote Insel erhalten zu haben. Er hatte Beňovskýs Projekt einer Handelskompanie für Madagaskar von 1778 gelesen und ebenso La Serres Denkschriften, den er vermutlich auch persönlich kennen­ gelernt hatte. Schließlich zitierte er aus Prévost und vor allem Flacourt, um für sein Projekt zu werben.53 Als Roze seine Madagaskardenkschrift verfasste, lebte er bei Chantilly, in demselben nördlich von Paris gelegenen Ort wie ein gewisser Duhamel de P ­ récourt, der im folgenden Jahr ebenfalls eine Denkschrift zu Madagaskar einreichte. Beide Männer kannten sich und Roze bat den Minister darum, einen Kommentar zu seiner Denkschrift von Duhamel de Précourt einzuholen.54 Der besagte D ­ uhamel nannte sich einen ehemaligen Offizier der Indienkompanie. Er gab vor, französischer Graf, Oberstleutnant von Polen und Ritter des St. Ludwigsordens zu sein. In seiner 1784 eingereichten Denkschrift plädierte Duhamel auf eine ganz klassische Weise für eine »sanfte« Kolonialexpansion auf Madagaskar. Darin reklamierte er sogar die Urheberschaft von Maudaves Kolonisierungsplänen für sich: Duhamel behauptete, er habe bereits 1767 dem Marineminister Praslin das Projekt einer Militärkolonie auf der Großen Insel vorgestellt. Der Erste Kommis Dubuc habe ihn daraufhin um einige Präzisionen über Madagaskar unter dem Vorwand gebeten, diverse Zweifel zu beheben. In Wahrheit sei jedoch Maudave für eine Umsetzung des Projekts bestimmt gewesen, laut dem besagten Duhamel »aus dem einzigen 53 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Roze, »Mémoire sur l’isle de Madagascar pour y établir une colonie et un commerce utile à la France 1783 à 1784, dans diverses parties de l’Inde«, 1783 – 1784; ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 182, Denkschrift von Roze, 16. August 1783; ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, »Observations de M. Roze sur le mémoire de M. le chevalier de la Serre sur l’établissement de l’isle de Madagascar«, ohne Datum. 54 Siehe das Ende von Rozes Denkschrift: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Roze, »Mémoire sur l’isle de Madagascar pour y établir une colonie et un commerce utile à la France 1783 à 1784, dans diverses parties de l’Inde«, 1783 – 1784.

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Grund, dass er ein Fräulein aus Pondicherry geheiratet« habe.55 In der Tat findet sich im Marinearchiv ein Brief eines »Duhamel« vom 7. ­Februar 1768, in dem dieser versucht, den E ­ rsten Kommis für sich zu gewinnen und gegen Maudave zu stimmen. Sein Hauptargument für die eigene Kandidatur als Gouverneur von Madagaskar war, er stamme genauso wie Maudave von einer sehr alten und guten Familie ab. Seltsamerweise konnte aber Duhamel keinen Adelstitel vorweisen.56 Dieser Brief von 1768 scheint unbeachtet geblieben zu sein. Mit seiner Denkschrift und seiner Behauptung, der eigentliche Autor von ­Maudaves Kolonisierungsprojekt zu sein, konnte Duhamel de Précourt den Marineminister Castries nicht überzeugen. Duhamel schrieb in einem Brief aus demselben Jahr, der wahrscheinlich die Denkschrift begleitete, der Fürst von Soubise habe zugesichert, seine Denkschrift dem Marineminister zu überreichen. Zudem habe Castries Duhamel während einer Audienz 1783, die er dank den Bitten des Fürsten von Soubise erhalten habe, versprochen, ihm eine Beschäftigung in Ostindien zu verschaffen. Dennoch bemerkte der Kommis, der diesen Brief für Castries zusammenfasste, man habe bislang weder von einem Duhamel noch von seinem Projekt gehört. Der Marineminister schickte daraufhin eine nichtssagende Antwort an Duhamel.57 Dabei finden sich im Marinearchiv weitere Spuren von Duhamels dubiosen Selbstinszenierungen. 1775 schrieb er aus Warschau, um seine Dienste dem Marine­minister anzubieten – diesmal mit den Titeln des Obersts und Grafen von Précourt, die er 1768 noch nicht trug. Der neue Graf beanspruchte für sich, für die Republik Polen im Krieg der Konföderation von Bar als polnischer Oberst unter Kazimierz Pułaski herausragende militärische Taten vollbracht zu haben. Er bot an, auf eigene Kosten 1200 französische Deserteure zu versammeln und nach Ostindien zu bringen, um für Frankreich zu kämpfen. Auch erzählte er von der Gefangennahme eines polnischen Obersts, der sein Vaterland verraten wollte. Damit wollte Duhamel dem Minister demonstrieren, dass er über besonderes Wissen in den »nordischen Angelegenheiten« verfügte.58 Der Kommis, der für den Minister eine Notiz über Duhamels Brief verfasste, zeigte sich jedoch unbeeindruckt: Angesichts der komplizierten Lage im Königreich Polen und der 55 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Bl. 3 f., Meunier, »Observations sur un nouveau plan d’établissement dans l’isle de Madagascar, par M. Duhamel Comte de Précourt«, ohne Datum: »par la raison seulle qu’il avoit épousé une demoiselle de Pondichery«. 56 ANOM, E 150, Personalakte Duhamel de Précourt, Duhamel de Précourt [Meunier] an Dubuc, 7. Februar 1768. 57 ANOM, E 150, Personalakte Duhamel de Précourt, Duhamel de Précourt [Meunier] an das Marineministerium, 1784 und Antwort vom 23. Juli 1784. 58 ANOM, E 150, Duhamel de Précourt, Duhamel de Précourt an den Marineminister, 8. August 1775: »affaires du nord«.

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Tatsache, dass man über Duhamel de Précourt nichts wisse, wäre es am besten, ­diesem keine Antwort zu ­schicken. Zwar sei sein Projekt, Deserteure zu sammeln, interessant, doch man habe schon jemanden anderen damit beauftragt. Was die Nachricht über den festgenommenen polnischen Oberst anging, so sei diese doch in den Zeitungen erschienen.59 1781 gelang es Duhamel de Précourt offenbar, bei der Bewerbung für den St. Ludwigsorden Unterstützung vom Oberstleutnant der Schweizer Garde Besenval zu bekommen. Dafür hatte Duhamel Kopien von verschiedenen Zertifikaten geschickt, die bezeugten, dass er 1747 in Indien, ­zwischen 1750 und 1756 als Muske­tier, in den 1760er Jahren als ausländischer Volontär und z­ wischen 1770 und 1775 in Polen unter Jerzy Marcin Lubomirski und Kazimierz Pułaski gedient habe.60 Trotz dieser Dokumente kann man jedoch mit Sicherheit behaupten, dass Duhamel weder eine militärische Karriere gemacht hat noch in Indien gewesen ist. Denn hinter dem Namen Duhamel de Précourt versteckte sich in Wirklichkeit Baptiste Meusnier, einer der markantesten französischen Spione, Abenteurer und Kriminellen des 18. Jahrhunderts. Meusnier hatte als Polizeiinspektor in den 1750er und 1760er Jahren ­zahlreiche Dokumente des Polizeiarchivs in der Bastille gefälscht und dadurch viele Mythen und imaginäre Fälle erschaffen, denen Historiker bis heute immer wieder auf den Leim gehen. Meusnier und seine Komplizen erfanden Häftlinge und diverse Ausgaben der Bastille, um sich persönlich zu bereichern. In d ­ iesem Gefängnis hatten sie ein Depot verbotener Schriften, die sie verkauften. Sie betrogen und erpressten Hofmitglieder. Es gibt sogar Hinweise, dass Meusnier im Kontakt mit Robert-­François Damiens stand, der 1757 versuchte, Ludwig XV. umzubringen. In ­diesem Zusammenhang inszenierte der Polizeiinspektor seinen (ersten) Tod und tauchte unter. Wie der Chevalier de La Serre betätigte er sich in den 1760er Jahren als Spion für Choiseul in Deutschland. Er trat auch als Kolonisierungsunternehmer für Katharina II. auf, hatte damit jedoch keinen Erfolg. Nachdem die Kaiserin von Russland seine Rekruten als Siedler abgelehnt hatte, bewaffnete Meusnier diese Männer und ließ sie für die Barer Konföderation gegen Russland kämpfen. In der Barer Konföderation war Meusnier einer der Handlanger des Generals Jerzy Marcin Lubomirski, der als rücksichtsloser Abenteurer verschrien war. Als die Konföderation 1772 niedergeschlagen wurde, floh Meusnier ins österreichische Herrschaftsgebiet. 1772 lebte er in Wien und versuchte, der 59 ANOM, E 150 (Duhamel de Précourt), Notiz eines Kommis über Précourts Brief, 19. September 1775. 60 ANOM, E 150 (Duhamel de Précourt), »Copie de certificat de l’Inde«, »Copie du certi­ ficat de monsieur le compte de Montboissier«, »Copie du certificat du regiment des volontaires etrangers de Wormser«, »Certificat du prince George Martin Lubomirski«, Zertifikat von Kazimierz Pułaski.

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Kaiserin Maria Theresia seine Siedler zu »verkaufen«. 1774 trat er in den Dienst des polnischen Königs Stanislaus Poniatowski, für den er sich eine militärische Biographie erfand, in der auch Madagaskar eine Rolle spielte. Durch diese Hochstapelei bekam Meusnier den Titel eines Oberstleutnants, den er in den folgenden Jahren führte. Doch flog er bald bei den Russen als Spion auf, weshalb er 1777 zum zweiten Mal seinen Tod inszenierte.61 Die Jahre nach der Thronbesteigung Ludwigs XVI. (1774) stellten für Meusnier eine Durststrecke dar, da seine Patrone nicht mehr im Amt waren. Dies erklärt, warum er 1775 unter dem Pseudonym Duhamel de Précourt erneut versuchte, als Offizier in Indien anzuheuern. Obwohl ohne militärische Erfahrung, suchte Meusnier wie Beňovský daraufhin sein Glück im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, wo er tatsächlich unter der Identität des Barons von Holzendorf als Oberstleutnant in der rebellischen Armee diente. Doch bald kehrte er nach Paris zurück und nahm wieder den Namen Duhamel Graf von Précourt an. Da viele seiner Komplizen weiterhin bei der Polizei angestellt waren, konnte er in der französischen Hauptstadt weitgehend ungestört agieren. Er stand Amtsträgern der Königlichen Bibliothek nahe, die aggressive Pasquille über das erdichtete Sexualleben Marie-Antoinettes verfassten, deren Vernichtung sie anschließend dem Königspaar gegen einen hohen Preis anboten. Unter dem Schutz des korrupten Generalleutnants der Polizei Lenoir, der große Geldsummen aus der Staatskasse in die eigene Tasche leitete, beteiligte sich Meusnier an zahlreichen Coups.62 So betrog der vermeintliche Précourt mit zwei Komplizen 1786 diverse Pariser Schmucklieferanten und Uhrmacher um 40.000 Livre. Einer der drei Partner trat als reicher Edelmann auf, der bald eine noch reichere Frau heiraten sollte. Für die Hochzeit kaufte er Schmuck sowie fünfzehn Uhren auf Kredit. Als die Juweliere und Uhrmacher das Geld verlangten, verschwand der angebliche Bräutigam. Précourt spielte einen Außenstehenden, der sich aus reiner Menschenliebe der Opfer annahm. Seine Rolle bestand darin, zu versuchen, den Händlern ihre eigenen Waren zurückzuverkaufen – eine Verfahrensweise, die diese für unverschämt hielten.63 Précourt bemühte sich anscheinend nicht einmal darum, in seiner Rolle glaubwürdig zu sein, so sehr war er sich der Protektion durch die Polizei sicher. Noch spektakulärer war jedoch die berühmte Halsbandaffäre, an der er sich beteiligte. Die Komplizen gingen so weit, nicht nur die Handschrift der Königin zu fälschen, sondern die Monarchin auch in den Gärten von Versailles auftreten zu lassen – gespielt von einer Prostituierten. Auch in der Revolution war der nun wieder unter dem Namen Meusnier lebende Kriminelle tätig. Während 61 Muchembled, Les Ripoux des Lumieres, 9 – 411. 62 Ebd., 411 – 469. 63 Mémoire pour les sieurs Vaucher, Horloger, et Loque; [Meusnier], Réponse de M. le comte de Précourt.

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er Assignaten fälschte, verfasste er Schriften über die moralische Verdorbenheit des Ancien Régime.64 Meusniers Denkschriften zu Madagaskar aus den Jahren 1768 und 1784 stellten eine Nebentätigkeit in seiner langen Karriere als Betrüger dar. Was ihn 1768 dazu bewogen haben mag, mit Maudave um die Stelle des Gouverneurs von Madagaskar zu konkurrieren, ist unbekannt. Diese Frage stellt sich natürlich nur für den Fall, dass sein Brief von 1768 ein Originaldokument ist – Zweifel daran sind angesichts seiner zahlreichen Fälschungen nicht unangebracht. 1784 hat vermutlich seine Bekanntschaft mit mehreren Personen den Ausschlag für sein Interesse an Madagaskar gegeben: Erstens war Roze sein Nachbar. Zweitens hatte Meusnier den Chevalier de La Serre in den 1760er Jahren sicherlich kennengelernt, da beide in demselben Spionagenetzwerk im Kampf gegen den preußischen Geheimdienst tätig gewesen waren, in der Barer Konföderation gekämpft und schließlich im Dienst des polnischen Königs gestanden hatten. Drittens war Meusnier im weiteren Umfeld des an Madagaskar interessierten Sartine tätig, da sein Chef Lenoir ein enger Freund des ehemaligen Marineministers war.65 Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Meusnier Beňovský entweder vor oder nach dessen Madagaskarabenteuer persönlich kennenlernte. Beide sind während des Konföderiertenkriegs im Umfeld des Jerzy Marcin Lubomirski tätig gewesen und haben in Polen unter ein und demselben General, Kazimierz Pułaski, gedient. Außerdem nahm Beňovský in Polen das Pseudonym »Hadik« an, also den Namen des Schwiegervaters von Jerzy Marcin Lubomirski, dessen Tochter eine große Rolle in der Vermittlung Meusniers am polnischen Hof spielte.66 Auch nach ihrer Zeit in Polen haben Beňovský und Meusnier Gelegenheit gehabt, sich kennenzulernen. Ihr Patron Pułaski war auch in Paris anwesend, als Beňovský 1777 von Madagaskar nach Frankreich zurückkehrte. Pułaski emigrierte nach Nordamerika, wo er als General in den rebellischen Heeren diente und auch eine Denkschrift für den Kontinentalkongress verfasste, in der er Beňovskýs Madagaskarprojekt den Amerikanern empfahl. Beňovský reiste ihm nach und gab sich für seinen Stiefbruder aus, um eine Offiziersstelle in der Armee zu finden. Auch Meusnier verließ Paris und segelte nach Nordamerika, um in den Dienst der Rebellen einzutreten – und war im Gegensatz zu Beňovský damit erfolgreich. Somit kannte Meusnier aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur Roze und La Serre gut, sondern auch Beňovský.67 64 Zu den beiden Betrugsaffären sowie zur Tätigkeit Meusniers in der Revolutionszeit: Muchembled, Les Ripoux des Lumieres, 471 – 550. 65 Ebd., 417 – 422. 66 Orłowski, Beniowski, 28; Muchembled, Les Ripoux des Lumieres, 405 – 409. 67 Orłowski, Beniowski, 30 – 40, 166 – 172, 183 – 186; Muchembled, Les Ripoux des Lumieres, 371 – 399. Siehe die Bescheinigungen über Meusniers militärische Taten von Kazimierz

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Parallel zu Meusnier reichten im Jahr 1784 weitere mehr oder weniger schillernde Persönlichkeiten, die nie den Raum des Indischen Ozeans betreten hatten, Denkschriften zu Madagaskar ein. Darunter war auch Jean-­Zénon-­André de Véron Baron de La Borie, Gouverneur einer kleinen Insel der Antillen, Sainte-­ Lucie. La Borie scheint in einer akuten Geldnot gewesen zu sein: Er schrieb zahlreiche Briefe an seine Vorgesetzten, um ein höheres Gehalt und Sonderprämien zu erhalten. Manche seiner Verwandten beschuldigten ihn, sie um Geld betrogen zu haben. 1782 zum Gouverneur von Granada ernannt, musste La Borie bereits im folgenden Jahr diese Position räumen, da die Insel an die Briten zurückgegeben wurde. Er wurde deswegen auf die unbedeutende Insel Sainte-­Lucie versetzt. Das Verfassen einer Denkschrift über Madagaskar war für ihn ein Mittel, sich um das Amt des Gouverneurs der reicheren Maskarenen zu bewerben. Dieser Strategie war jedoch kein Erfolg beschieden. Der Marineminister Castries antwortete in einem etwas herablassenden Ton, La Borie könne aus der Entfernung nicht wissen, was für den französischen Handel im Indischen Ozean gut sei. Zudem enthalte seine Denkschrift nichts Neues.68 Dabei unterschied sich La Bories Denkschrift vom maudaveinspirierten Mainstream insofern, als er darin eine militärische Eroberung der Insel vorschlug.69 Dies mag man damit erklären, dass La Borie in den Antillen vermutlich keinen Zugriff auf die Texte Maudaves und seiner Epigonen hatte. Ein weiterer Denkschriftenautor von zweifelhafter Kompetenz, der erst im Zusammenhang mit Beňovskýs Abenteuer Madagaskar für sich entdeckte, war ein gewisser Louis Ferrand Dupuy, der sich einen ehemaligen »conseiller de confiance« des Hauses Nassau-­Saarbrücken nannte. Ferrand Dupuy war ein Intrigant, dessen Haus die Polizei 1759 durchsuchte.70 Er verfasste eine Denkschrift über die Desertion,71 vor allem aber eine 1776 erschienene Abhandlung über das angeblich enorme Potential Korsikas für die Kolonisierung, in der er die Zivilisierung der Korsen in Aussicht stellte.72 Etwas Ähnliches hatte Ferrand Dupuy mit den Pułaski (6. April 1772) sowie von Jerzy Lubomirski (15. Juni 1775): ANOM, E 150, Personalakte von Duhamel de Précourt. Zumindest bei Ersterem scheint es sich um ein Originaldokument zu handeln; die polnischsprachige Titulatur ist fehlerfrei. 68 ANOM, E 238, Personalakte von La Borie. Siehe auch Généalogie et histoire de la Caraïbe 227 ( Juillet-­aout 2009), 6001; URL: http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s& source=web&cd=1&ved=0 CCIQF j AA &url=http%3A%2F%2Fwww.ghcaraibe. org%2Fbul%2Fghc227 %2Fp5992.rtf&ei=Rk5LVZ6tIcnjU4K9gaAE&usg=AFQjCNF 5g0biQkugVQY cOD kuaKh-­V N tacA&bvm=bv.92765956,d.d24 (Letzter Zugriff am 7. 5. 2015). 69 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 191, Denkschrift von La Borie, 13. September 1784. 70 Metayer, Normes graphiques et pratiques de l’écriture. 71 Ferrand-­D upuy, Louis: SHD, Mémoires techniques, N° CGM 1784, »Mémoire sur la désertion«. 72 Ferrand Dupuy, Essai sur l’isle de Corse, insbesondere 71 – 76.

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Madagassen vor, wie er in einem Text darstellt, der entweder aus den späten 1770er oder vermutlich eher aus den frühen 1780er Jahren stammt.73 Unter den Denkschriftenautoren, die in diesen Jahren Madagaskar aus der Ferne entdeckt haben, ist ferner der angebliche Graf von Liniers zu nennen. Jacques Louis Henri de Liniers entstammte einer alten kleinadligen Familie aus dem Poitou und war Bruder des Jacques de Liniers, der 1806 – 1807 in der zweimaligen Verteidigung von Buenos Aires vor den Engländern Berühmtheit erlangte und daraufhin zum Ersten Grafen von Buenos Aires und Vizekönig des Rio de la Plata ernannt wurde. Anders als sein Bruder machte Jacques Louis-­Henri seine Karriere eher am Hof denn im Militär. 1783 offiziell dem französischen König vorgestellt, nahm er den Grafentitel an und machte vor allem durch seine Beteiligung an der Freimaurerei, seine freigeistigen Äußerungen und die Dichtung von boshaften geistreichen Epigrammen auf sich aufmerksam.74 Liniers scheint Louis-­Alexandre de la Rochefoucauld nahegestanden zu haben,75 der Benjamin Franklin übersetzte, mit den Aufklärern Turgot und Condorcet verkehrte und eine wichtige Rolle in der ersten Phase der Französischen Revolution spielte. Der neue Graf verfasste irgendwann ­zwischen 1781 und 1788 eine Schrift über Madagaskar, die er dem Marineminister Castries und dem Außenminister Vergennes vorlegte. Diese glänzte nicht gerade durch Originalität.76 Was Ferrand Dupuy und Liniers mit ihren Schriften über Madagaskar erreichen wollten, ist unklar. Denkbar ist sowohl, dass sie ernsthaft eine Stelle auf Madagaskar anstrebten, als auch, dass sie sich lediglich als Ratgeber profilieren wollten, um Kontakte zu knüpfen und Vorteile verschiedenster Art zu erzielen. Bei beiden Autoren fällt auf, dass sie keine stabile gesellschaftliche Stellung innehatten. Auch Meusnier kann die Absicht gehegt haben, als patriotisch gesinnter Berater zu erscheinen. Eigentlich war dieser 1784, als er seine Schrift zu Madagaskar einreichte, gut im Geschäft, so dass er nicht auf das Abenteuer auf der Großen Insel angewiesen war. Möglichweise wollte Meusnier eher seine Rolle als selbstloser Träger des St. Ludwigsordens spielen, der sich eifrig für König und Vaterland einsetzt. Zur Demonstration des besonderen patriotischen Eifers gehörte es dazu, – wie Mercier ironisch meinte – Projekte einzureichen. Der Plan einer 73 ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, »Mémoire politique et historique sur l‘île de Madagascar […] par M. Ferrand Dupuy, ancien conseiller de confiance intime de la maison souveraine de Nassau Saarbruck«, [1776 – 1783]. Aus dem Text geht hervor, dass die amerikanische Unabhängigkeit bereits erklärt, aber noch nicht durchgesetzt war. Ferrand Dupuy muss diese Denkschrift also ­zwischen 1776 und 1783 verfasst haben. 74 Richard, Biographie de Jacques de Liniers, 67 – 70; Annuaire de la noblesse de France, 184; Histoire littéraire du Poitou, 665; Faucher, Histoire des francs-­maçons, 38, 43 f., 68 f., 99. 75 La Morinerie, La Noblesse de Saintonge, 290. 76 MAE, Asie 4, Nr. 75, Denkschrift von Liniers, ohne Datum.

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»sanften« Kolonisierung Madagaskars hatte sicherlich den Vorteil, den besonderen Anstrich eines humanen Projekts zu haben, was zur Rolle Précourts als Freund der Menschheit sehr gut passte. Das ferne Madagaskar konnte benutzt werden, um in Versailles Aufmerksamkeit zu erzeugen.

11.3 Patronage und Wissensproduktion Die unterschiedlichen Lebensläufe der Autoren von Madagaskardenkschriften zeigen, dass das französische Marineministerium dank dem Genre der Denkschrift tatsächlich sehr oft Ratschläge von Personen erhielt, die nicht für den französischen Staat arbeiteten. Die Gattung der Denkschrift ermöglichte es, Denkimpulse auf anderen Wegen als durch die etablierten amtlichen Kommunikationsvorgänge zu erhalten. Die Ministerialbeamten nahmen die Denkschriften in der Regel zur Kenntnis und archivierten sie. Dennoch stellt sich die Frage, ­welche Autoren beachtet wurden und ob nicht weitere Kommunikationsvorgänge als die Sendung einer Denkschrift nötig waren, um sich beim Minister Gehör zu verschaffen. Die Forschung betont die Praktiken der Distanzherrschaft durch den schriftlichen Verkehr.77 Dennoch spricht vieles dafür, dass die physische Anwesenheit in Versailles, wie in Merciers satirischem Text beschrieben, weiterhin vonnöten war.78 Dies wirft wiederum die Frage auf, inwiefern die französische Verwaltung tatsächlich für Denkimpulse von Außenseitern offen war. In den 1760er Jahren entstand in Versailles ein neuer Sitz des Außen- und des Marineministeriums. Dafür wurden zum ersten Mal in Frankreich Bürogebäude gebaut, die von den Räumlichkeiten des Ministers getrennt waren. Die innovative Architektur brachte diese beginnende Verselbstständigung der Verwaltung zum Ausdruck: Die Zimmer wurden wie in einem Kloster entlang von Gängen gruppiert (Abb. 15), ihre Größe und Ausstattung standardisiert und entsprechend der hierarchischen Stellung des jeweiligen Angestellten gestaltet. Die Möbel hatten unterschiedliche Farben für das Außen- und das Marineministerium. Der Architekt war, anders als im Falle der königlichen Palastbauten, kein Akademiemitglied, sondern ein Bauingenieur.79 Auch sprachlich schlug sich die Etablierung einer relativ autonomen Verwaltung nieder: Den Ministerialapparat bezeichnete man nun immer öfter metonymisch als »les bureaux«.80 77 Steiner, Colberts Afrika. 78 In Bezug auf die »Ökonomie der Ehre« des Hochadels lässt sich d ­ ieses Phänomen besonders deutlich beobachten: Pečar, Ökonomie der Ehre, insbesondere 22 – 91. 79 Baudez, Jean-­Baptiste Berthier. 80 ANOM, B 155, Bl. 22, Marineminister an Beňovský, 6. August 1775; BnF, NAF N°9344, Bl. 302 – 308, »Lettres du chevalier Grenier défendant ses travaux contre les critiques de

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Abb. 15  Grundriss des ersten Stocks des Hôtel des Affaires Étrangères et de la Marine, Versailles (mit den Büros des Marineministeriums)

Die neuen Gebäude versinnbildlichten die Tatsache, dass »die Büros« eine immer größere Rolle in der Entscheidungsfindung spielten: Die Verwaltung war eine kommunikative Schaltstelle und ermöglichte eine Bearbeitung der Informationen aus dem rasant wachsenden Briefverkehr mit der kolonialen Welt. Auch die Denkschriften über die außereuropäischen Regionen wurden von Büroangestellten entgegengenommen und gelesen. Da die Denkschriftenautoren meist keinen direkten Zugang zu den oft hochadligen Marineministern hatten, mussten sie in der Regel erst einmal den E ­ rsten Kommis passieren, dessen Büro als eine Art Vorzimmer diente. Sie adressierten ihre Briefe und Denkschriften zwar an den Minister, doch nahm sie der Erste Kommis in Empfang, fasste sie zusammen und fügte ihnen oft in Gestalt einer Notiz seine Einschätzung bei. Der Minister l’abbé Rochon et de Le Gentil [Legentil]«, 1771 – 1774, hier 306; ANOM, C 5A 2, Nr. 22, Punkt 22, »Instructions relatives à l’ensemble de la colonisation à Madagascar«, ohne Datum; C 5A 8, Nr. 13, Coquereau an den Marineminister, 30. Januar 1777; C 5A 8 bis, Nr. 186, Bl. 2, »Note concernant M. de Beniowsky«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/ mémoires/88, Nr. 81, »Observations sur un nouveau plan d’établissement dans l’isle de Madagascar, par M. Duhamel Comte de Précourt«, ohne Datum; MAE, Asie 4, Nr. 76, Denkschrift von Précourt [Meunier], 1784, Bl. 193.

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reagierte mit wenigen Worten am Rand ­dieses Blattes.81 Wenn der Minister die Umsetzung eines Projektes erwog, ließ er den Denkschriftenautor mit dem E ­ rsten Kommis konferieren.82 Auch konnte er andere als kompetent angesehene Personen um eine Stellungnahme bitten.83 Die Meinung der ­Ersten Kommis war also für die Beachtung oder Nichtbeachtung von Denkschriften entscheidend. Für Maudaves Ernennung dürfte nicht nur seine Bekanntschaft mit Choiseul-­Praslin ausschlaggebend gewesen sein: Für den Marineminister arbeitete der reformorientierte Jean-­Baptiste Dubuc als Erster Kommis, der Marie-Antoinette nahestand, in den Salons von Madame Necker und Madame du Deffand verkehrte und folglich Melchior Grimm, Diderot, d’Alembert und Raynal gut kannte.84 Auch halfen die Stellungnahmen des E ­ rsten Kommis Michel dem »Baron« von Beňovský sehr, glaubwürdig zu erscheinen.85 Während des ganzen Evaluierungs- und Entscheidungsprozesses war es für die Denkschriftenautoren notwendig, persönlich vor Ort anwesend zu sein. Für Außenstehende war es praktisch unmöglich, von Übersee aus das große Projekt der Kolonisierung Madagaskars anzustoßen. So stellte Maudave erst seinen Plan vor, als er als Vertreter der Île de France nach Versailles reiste, um die Interessen der Insel dem Marineminister vorzutragen. Auch die Kreolen von den Maskarenen Millon, Siette und Kersalaün reichten ihre Projekte während eines Parisaufenthalts ein.86 Betrachtet man die beachtliche Masse der Denkschriften, die 81 Siehe die Kommunikation ­zwischen Maudave, dem ­Ersten Kommis Dubuc und dem Marineminister, die der Entscheidung, Maudave nach Madagaskar zu entsenden, vorausgegangen ist: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 26 und 27. 82 BnF, NAF N° 9413, Blatt 265 – 337, »Mémoires sur l’expédition à Madagascar concernant l’établissement royal en cette isle, dont l’exécution et le commandement ont été confiés par Sa Majesté à Monsieur le Baron de Benyowski, colonel propriétaire d’un corps de volontaires, l’an 1772«, hier 265; ANOM, C 5A 3, Nr. 14, S. 3, »Mémoire sur l expédition de Madagascar«, ohne Datum. 83 Brief des Chevalier de La Serre an den Marineminister über die Kommentare Bellecombes zu seinen Schriften: ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 200, La Serre an den Marine­ minister 6. Dezember 1785; ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, »Observations de M. Rose [Roze] sur le mémoire de M. le chevalier de La Serre«, ohne Datum. 84 Zu Dubuc(q)/Du Buc siehe: Le »Grand Du Buc«, in: Editions Du Buc, URL: http:// editionsdubucparis.e-­monsite.com/pages/jean-­baptite-­du-­buc-­dit-­le-­grand-­du-­buc-­ par-­la-­reine.html (Letzter Zugriff am 15. 1. 2018); Duchet, Anthropologie et Histoire, 126; Chaussinand-­Nogaret, Choiseul, 208 – 211; Cultru, Un Empereur de Madagascar, 128; Ohji, Raynal, Necker et la Compagnie des Indes, 155. Diderot hatte Kontakt zu Dubuc, der in denselben Salons verkehrte: Diderot, Œuvres, Bd. 5, 541 – 543, 573, 579, 590, 760 f., 896, 908, 919, 947, 952, 970, 974, 1022, 1372. 85 Siehe dazu Kapitel 5. 86 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 60, Millon an Sartine, 29. September 1775; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 88, 91, Kersalaün an das Marineministerium,

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zu den unterschiedlichsten ­Themen dem Marineministerium zugesandt worden sind, kann man Merciers Beschreibung nur Recht geben: Die »Büros« wurden regelrecht belagert. Einmal im Amt, sollten die Kommandanten von Madagaskar eine Reihe von Regeln für den Briefwechsel beachten, die eine Verarbeitung der Informationen aus Übersee erleichtern sollten. Die französischen Gouverneure und Kommandanten von Madagaskar sollten sowohl ihren Vorgesetzten auf der Île de France als auch unmittelbar dem Minister in Form von wöchentlichen Briefen Bericht erstatten. Jeder Brief sollte nur ein Thema behandeln, eigens datiert und nummeriert sowie mit einer stichwortartigen Zusammenfassung des Inhalts am Seitenrand versehen werden. Diese Praxis rührte daher, dass die Kommis Listen von Briefen erstellen sollten, durch die man sich schnell einen Überblick über die Depeschen, ihre ­Themen, das Datum der Beantwortung und den Namen des zuständigen Bearbeiters verschaffen konnte. Hinzu kam eine Technik des Informationsvergleichs: Im Falle divergierender Meinungen teilten Kommis und Denkschriftenautoren das Blatt in zwei Spalten. Entweder reagierte der Angegriffene in der äußeren Spalte auf die in der linken Spalte kopierte Kritik oder die beiden in Konflikt zueinander stehenden Stellungnahmen wurden vom Kommis parallelisiert.87 Dennoch sollte man nicht die bürokratische Rationalität überschätzen, die diese administrativen Praktiken produzierten. Für die Entscheidungsfindung blieb im Endeffekt die höfische Logik ausschlaggebend. Dies war bereits an der Ausstattung der neuen Außen- und Marineministerien sichtbar: Obwohl die neuen Bauten die Trennung der Verwaltung vom Haus des Ministers besiegelten, blieb der Auftraggeber auf der symbolischen Ebene allgegenwärtig. Mehrere Gemälde zelebrierten Choiseul höchstpersönlich und sein Werk. So stellten sie den Einzug des Botschafters Choiseul in Rom oder den Pacte de famille dar, das Bündnis mit Spanien und Sizilien – ein Werk Choiseuls.88 Die Denkschriftenautoren mussten sich den höfischen Normen anpassen, um sich Gehör zu verschaffen. Letztlich ging für sie kein Weg an einer Audienz beim Marine- und teilweise auch beim Außenminister vorbei. Sie mussten sich dementsprechend als potentielle Klienten profilieren, die bereits eifrig dabei waren, ihrem zukünftigen Patron zu dienen. Der Madagaskardiskurs war für diese höfischen Zwecke besonders geeignet, da er aufgrund seines »philosophischen« Versprechens einer Expansion, die angeblich dem Wohle der Menschheit nutzte, dem jeweiligen Minister Ruhm in Aussicht stellte. Bereits Maudave betonte, die Niederlassung von Madagaskar sei »das nützlichste und glorreichste Unternehmen, das ein Minister des Königs versuchen« 1786; ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 187, Denkschrift von Siette an Castries, Januar 1784. 87 Ein Beispiel unter vielen anderen: Michels Kommentare zu Béquets Schriften: ANOM, C 5A 2, Nr. 11, Abschriften von Dokumenten über Madagaskar. 88 Janin, Le Monde de Choiseul.

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könne.89 Nie werde eine Kolonie auf einer respektableren Grundlage entstehen; niemals hätte er dem Minister ein moralisch zweifelhaftes Projekt auch nur vorgeschlagen, unabhängig davon, w ­ elchen Nutzen es verspreche.90 Dabei stand der Nutzen des Unternehmens für die Denkschriftenautoren nicht infrage: Ferrand Dupuy zufolge würde die Kolonisierung Madagaskars zusammen mit der Errichtung einer amerikanischen Republik unter französischem Schutz die weltweite Dominanz Frankreichs etablieren und die »Pracht der glorreichen Herrschaft seiner Majestät verewigen«.91 Es war wichtig, dass die vorgeschlagene Politik in der Öffentlichkeit als »aufgeklärt« gelten konnte. So unterstrich Kersalaün, dass eine »aufgeklärte Verwaltung« ein solches Projekt zur Intensivierung des Handels unterstützen müsse.92 Die Denkschriftenautoren griffen gerne auf emphatische Phrasen zurück, die Frankreich und seinem König die ewige Glorie versprachen, sollte Madagaskar den philosophischen Prinzipien entsprechend kolonisiert werden. Es handelte sich ihnen zufolge um nichts Geringeres als um einen Bruch mit der Geschichte, den der französische König vor den Augen des Universums einleiten werde.93 Im aufgeklärten Zeitalter der Philosophie werde nicht mehr die blutige Eroberung den ewigen Ruhm mit sich bringen, sondern die Sanftmut.94 So stellt Millon dem Marineminister eine ­solche Glorie in Aussicht: Der Ruhm Pizarros und Cortés’ möge dem nachstehen, den wir gewinnen möchten; das aufgeklärte Jahrhundert des gerechten Königs, der Frankreich regiert, möge das Jahrhundert Karls des Großen und Karls V. überragen; die anderen Nationen mögen die Überlegenheit der französischen [Nation, D. T.] in der Philosophie und der Menschlichkeit anerkennen!95

89 ANOM, C 5A 2, Nr. 62, Bl. 2, Maudave an Praslin, 7. August 1768: »l’entreprise la plus utile et la plus glorieuse qu’un Ministre du Roy puisse tenter«. 90 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 26, Bl. 2 f., Maudave an Praslin, 28. April 1767. 91 ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, »Mémoire politique et historique sur l’île de Madagascar […] par Ferrand Dupuy«, ohne Datum: »immortaliser les fastes du glorieux règne de Sa Majesté«. 92 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 93, Denkschrift Kersalaüns, 9. Februar 1787. 93 »Il était réservé aux fastes de Louis XVI de donner a l’univers l’exemple d’une conquête faite par la voie de la douceur«, in: ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, A ­ nonym, »Plan et dévelopement des moyens qui doivent assurer la solidité de l’établisse­ment proposé à Madagascar avec les détails des avantages immenses que la France retirera de cette colonie«, ohne Datum. 94 So der anonyme »Plan et développement des moyens qui doivent assurer la solidité de l’établissement«, ebd. 95 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 51, S. 4, Überlegungen zu Millons Denkschrift, ohne Datum: »Que la gloire des Pizares et des Cortez cède à celle que nous voulons

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Auch nach der Annahme des Projekts mussten die potentiellen Kolonialherren ihrem Patron symbolische Dienste erweisen. Sie mussten den madagassischen Orten neue Namen geben, die ihre Schutzherren in Szene setzten: Beňovský benannte den Hafen in der Bucht von Antongila nach dem Marineminister Port de Boynes und die davor gelagerte Insel nach dem Außenminister Île d’Aiguillon.96 Besonders willkommen waren Probestücke von zahlreichen madagassischen Produkten, die er ins Mutterland schickte und trotz geringer Fachkenntnisse mit naturhistorischen Hypothesen versah.97 Zum spektakulärsten Beweis seines Eifers versprach die Entsendung von fünf Kisten mit etwa 500 Pfund der äußerst kostbaren Ambra zu werden – eines wachsartigen Sekrets des Pottwals –, doch die Ambra entpuppte sich als ein ganz gewöhnlicher Gummi.98 Der Gouverneur Ternay warnte zwar den Marineminister vor dem Betrug,99 doch im Endeffekt war nicht die Richtigkeit der Angaben das Wesentliche, sondern dass der Kommandant von Madagaskar eine besondere Geschäftigkeit an den Tag legte, wie der Minister in einem Brief betonte.100 Misst man die Stellungnahmen der französischen Minister am Maßstab einer rationalen Verwaltung nach Max Weber, scheinen zahlreiche ihrer Entscheidungen wenig zweckdienlich gewesen zu sein. So wurde Beňovský nur wenige Wochen nach seiner Ankunft in Versailles im Mai 1777 reichlich belohnt, obwohl er ohne Erlaubnis nach Frankreich gereist und das Marineministerium durchaus über seine Missetaten und Hochstapelei informiert war. Der oberungarische Adlige erhielt aufgrund seiner besonderen Verdienste entgegen geltenden Regeln bereits nach wenigen Jahren das St. Ludwigskreuz.101 Auch

nous approprier, que le siècle éclairé du Roi juste qui gouverne la France l’emporte sur celui des Charlemagnes et des Charles-­le-­Q uint; que les autres nations reconnoissent également la supériorité de la françoise pour la Philosophie et l’humanité.« 96 MAE, Asie 4, Nr. 28, »Tableau des lettres envoyés par Le Postillon«, Punkt A, ohne Datum. Bei der »île d’Aiguillon« handelt es sich um die heutige Nosy Mangabe. Vor Beňovský nannten die Franzosen diese Insel »île Marotte«: ANOM, C 5A 1, Nr. 55, »Projet d’établissement à Madagascar«, 1750. 97 ANOM, C 5A 4, Nr. 104, Beňovský an den Marineminister, 22. September 1774; ANOM, C 5A 4, Nr. 110, Beňovský an den Marineminister, 24. September 1774. 98 ANOM, C 5A 4, Nr. 107, Beňovský an den Marineminister, 23. September 1774; A. N., MAR/B/4/125, Bl. 280, Saunier an den Marineminister Boynes, 29. Januar 1775. 99 ANOM, C 5A 4, Nr. 116, Ternay an Boynes, 30. Oktober 1774; ANOM, C 5A 4, Nr. 119, Ternay an d’Aiguillon, 9. November 1774. 100 Brief von Juni 1775: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 52, Anonym, »Commerce«, Juni 1775. 101 ANOM, C 5A 8, Nr. 3, Beňovský an den Marineminister, 30. Mai 1776; ANOM, C 5A 8, Nr. 29, Beňovský an den Marineminister, 27. April 1777; ANOM, C 5A 8, Nr. 30, »Considerations sur les titres de M. de Beniowsky à une nomination dans l’ordre de Saint

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bekam er in den d ­ arauffolgenden Monaten trotz der klammen Finanzlage des Staats einen Teil jener 80.000 Livre ausgezahlt, die der König ihm angeblich schuldete.102 Damit ging man auf die Forderungen Beňovskýs ein, die er bereits als Kommandant von Madagaskar gestellt hatte: Am Ende seiner Zeit auf der Großen Insel hatte er behauptet, insgesamt 215.970 Livre vorgestreckt zu haben.103 Dieser Erfolg spornte den Oberungarn offenbar an, in den folgenden Jahren um noch mehr Geld und Gunstbeweise zu bitten. Da er den Regeln der Finanzverwaltung nicht gefolgt war und keine Beweise für die Stichhaltigkeit seiner Forderungen lieferte, herrschte unter den Kommis Ratlosigkeit über die richtige Verfahrensweise. Sie versuchten, die Glaubwürdigkeit seiner Reklamationen einzuschätzen, um ihm eine Summe zukommen zu lassen, die ein für alle Mal die Rechnung begleichen würde. Wichtig war, die Papiere, die Beňovský als Belege für seine Ausgaben einreichte, nicht für gefälscht zu erklären, denn in ­diesem Fall hätte man ihm und seinen Gefährten den Prozess machen müssen, wie ein Kommis betonte. Trotz der Unordnung in seiner Verwaltung sollte Beňovský aufgrund seines Eifers gnädig behandelt werden. So behaupteten die Ministerialsangestellten im Sommer und Herbst 1777, dass Beňovský mit Recht noch über hunderttausend Livre reklamieren könne.104 In den folgenden Monaten gab man dem Gründer von Louisbourg mehrmals Geld, so dass er insgesamt 143.000 Livre erhielt.105 Zusätzlich zu seinem Jahresgehalt von 6000 Livre bekam er im Mai 1778 eine jährliche Pension in Höhe von 4000 Livre und den Brigadiersrang verliehen.106 Der zuständige Kommis glaubte, der König schulde dem ehemaligen Kommandanten von Madagaskar noch 151.869 Livre.107 Louis«, 4. Mai 1777; ANOM, C 5A 8, Nr. 45, »Proposition pour la croix de Saint Louis du baron de Beniowsky«, 26. Mai 1777; Orłowski, Beniowski, 163. 102 ANOM, C 5A 8, Nr. 66, Notiz eines Kommis für den Marineminister, 27. Juli 1777; ANOM, C 5A 8, Nr. 95, Notiz eines Kommis für den Marineminister, 5. November 1777; Orłowski, Beniowski, 163. 103 ANOM, C 5A 6, Nr. 8, »Emprunt au compte du roi pour l’établissement de Madagascar pendant les années 1773 à 1776«, 1. Oktober 1776; C 5A 8, Nr. 53, Beňovský an den Marineminister, 7. Juli 1777; ANOM, C 5A 8, Nr. 63, Beňovský an den Marineminister, 24. Juli 1777. 104 ANOM, C 5A 7, Nr. 2, »Note concernant le compte établi par M. de Beniowsky«, ohne Datum; ANOM, C 5A 7, Nr. 3, »Rapport du compte du baron de Beniowsky«, ohne Datum; C 5A 8, Nr. 124, »Résultat des comptes de M. de Beniowsky«, ohne Datum. 105 ANOM, C 5A 8, Nr. 132, Beňovský an den Marineminister, 19. April 1778; C 5A 8 bis, Nr. 164, »Examen des réclamations de Beniowsky«, 7. Dezember 1779. 106 ANOM, C 5A 8, Nr. 133, »Note concernant les réclamations de M. de Beniowsky, qui demande la grade de brigadier« sowie Nr. 142, Marineminister an Beňovský, 14. Juni 1778. 107 ANOM, C 5A 8, Nr. 133.

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Abenteurer und Bürokraten

Zu d ­ iesem Zeitpunkt war der vernichtende Bericht von Bellecombe und Chevreau im Marineministerium bekannt, doch scheint dieser keine Auswirkung auf die Art und Weise gehabt zu haben, wie Beňovský behandelt wurde.108 Als Beňovský den Dienst des französischen Königs quittierte, um in den des Kaisers einzutreten, war man sogar bereit, ihm entgegen den Gepflogenheiten seine Pension weiterzuzahlen.109 Beňovský verlangte im Oktober 1779 erneut Geld vom König. Man wies seine Forderungen zunächst zurück, gab ihm aber schließlich zusätzliche 22.000 Livre.110 Noch 1783 stellte der oberungarische Adlige finan­ zielle Forderungen: Obwohl der ehemalige Kommandant von Madagaskar bereits über 180.000 Livre erhalten hatte, verlangte er noch weitere ca. 200.000 Livre. Ein Kommis bezeichnete diese neue Reklamation als eine Unverschämtheit,111 während ein anderer es für gerecht hielt, dem Oberungarn das Geld auszuzahlen: Beňovský habe seine Gesundheit, zwei Kinder und seine Frau auf Madagaskar verloren. Er habe profunde Kenntnisse der menschlichen Natur gezeigt und sich die Freundschaft aller madagassischen Häuptlinge gesichert, ohne ein einziges Mal geschossen zu haben. Seine Großzügigkeit und das Erlernen der madagassischen Sprache und S ­ itten hätten ihm das ungebrochene Vertrauen und die ewige Zuneigung aller Indigenen erbracht. Schließlich sei die Summe, die er verlange, nur das Geld, das er im Dienst des Königs aus der eigenen Tasche gezahlt habe.112 Das Beispiel des Umgangs mit Beňovský nach seiner Rückkehr nach Frankreich zeigt, dass bei der Entscheidungsfindung über das Los von Denkschriftenautoren keine bürokratische, sondern eine höfische Patronagelogik vorherrschend war: Für den Bittsteller war es am wichtigsten, sich als ein eifriger Diener zu präsentieren, der sich für seinen König aufgeopfert hat, während der König und seine Minister ihre Großzügigkeit zu zeigen hatten.113 Wenn man das Madagaskarunternehmen nicht gänzlich verurteilen wollte, musste man wohl oder übel Beňovskýs Norm- und Gesetzesübertretungen in Kauf nehmen. Es gab nur zwei Möglichkeiten: den ehemaligen Kommandanten von Madagaskar reichlich zu belohnen oder ihn streng zu bestrafen. Letzteres war wohl kaum möglich, ohne das Gesicht zu verlieren. So entschied sich das Ministerialpersonal mangels solider 108 Dass der Bericht in Ministerialkreisen bekannt war, zeigt ein Schreiben Sartines an den König: ANOM, C 5A 8, Nr. 134, Sartine an Ludwig XVI., 22. Mai 1778. 109 ANOM, C 5A 8, Nr. 148, »Note sur les réclamations de M. de Beniowsky et la permission qu’il a demandée de passer au service de l’empereur«, 25. Juli 1778. 110 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 158 bis 164. 111 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 179, »Mémoire concernant de nouvelles revendications financières de M. de Beniowsky«, 17. Mai 1783. 112 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 186, »Note concernant M. de Beniowsky, ses réclamations ­d’argent«, ohne Datum. 113 Zur Logik des Schenkens am Hof: Stollberg-­Rilinger, Zur moralischen Ökonomie.

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Informationen zugunsten Beňovskýs. Die Missachtung der Verwaltungsregeln durch den Kommandanten von Madagaskar blieb nicht nur ungestraft, sondern erwies sich sogar als eine lohnende Strategie, um unbegründete Forderungen zu stellen. Die Belagerung der Büros brachte dem Bittsteller in ­diesem Fall Erfolg. Die g­ leiche Patronagelogik wird bei der Beachtung oder Nichtbeachtung der Denkschriftenautoren erkennbar: Entscheidend war weniger die Sachkompetenz als die Unterstützung durch einen Amts- oder Würdenträger. Die Madagaskarkundigen wie die Dolmetscher und Offiziere, die vor Ort waren, kommunizierten entweder gar nicht mit dem Marineministerium oder wurden kaum wahrgenommen. So war es nicht der Experte Valgny, den man mit dem Aufbau einer Kolonie beauftragte, sondern Maudave, der die Große Insel nie zuvor gesehen, dafür aber in seiner Jugend unter dem inzwischen zum Marineminister ernannten Choiseul-­ Praslin gedient hatte.114 Beňovskýs Dolmetscher Nicolas Mayeur war seinerseits ohne Zweifel einer der besten Kenner Madagaskars unter den Franzosen. Doch kam er nie in Kontakt mit einer höheren Verwaltungsstelle, geschweige denn mit dem Marineminister. Seine Reisebeschreibungen, die heute zu den wichtigsten Quellen über die Große Insel im 18. Jahrhundert zählen, waren deswegen in Versailles und Paris vollkommen unbekannt. Dagegen fanden Millon und Roze durchaus Gehör, auch wenn keiner von beiden zum Verwalter einer Kolonie ernannt wurde. Millon war ein Klient von Sartine, und Roze wurde von Castries protegiert. Beide ließen also ihre Denkschriften dem jeweiligen Marineminister überreichen, dem sie nahestanden. Millon kannte Sartine »seit geraumer Zeit«, wie es in einer Bittschrift heißt.115 Sie gehörten beide zur Elite des Pariser Robenadels. Einem Brief eines gewissen De Moine zufolge kannte Roze den Marschall von Castries gut.116 Unter den Denkschriftenautoren der 1770er und 1780er Jahre fällt auf, dass vor allem der Chevalier de La Serre beachtet wurde. Man holte sich von Roze,117 dem Schiffskapitän der Indienkompanie Trévau 118 sowie noch von einer dritten

114 Choiseul-­Praslin schreibt selber, dass er »Maudave seit Langem kennt«: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 31, Bl. 1, Abschrift eines Briefes von Praslin an Dumas und Poivre, ohne Datum. Dieses alte Patronageverhältnis z­ wischen Choiseul-­Praslin und Maudave ist Foury entgangen: Foury, Maudave (1. Teil), 359 – 365. Zum Anfang der militärischen Karriere Maudaves siehe: Foury, Maudave (1. Teil), 346 f. 115 Siehe die Bittschrift in: ANOM, E 313 (Millon), »Mémoire pour le Sieur Millon«, 22. Juli 1776: »depuis longtemps«. 116 ANOM, E 359, Personalakte von Roze, De Moine an Roze, 16. Mai 1782. 117 ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, »Observations de M. Rose sur le mémoire de M. le chevalier de la Serre sur l’établissement de l’isle de Madagascar«, ohne Datum. 118 ANOM, C 5A 9, Nr. 70, »Observations du capitaine Trevau sur l’établissement projeté par le chevalier de la Serre«, ohne Datum.

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namentlich unbekannten Person 119 Kommentare zu seinen Texten. 1785 konferierte La Serre auch mit dem ehemaligen Inspektor Bellecombe.120 Wie man im Ministerium in den 1780er Jahren eigentlich genau wusste,121 hatte La Serre von Madagaskar nichts außer dem allseits bekannten Mahavelona gesehen. Von größerer Bedeutung war hier aber scheinbar der Umstand, dass der Chevalier von Hofpersönlichkeiten protegiert wurde: von Choiseul, von Louis René Édouard de Rohan-­Guéméné und vom ehemaligen Marineminister Sartine.122 In den 1780er Jahren war zwar die Fraktion Choiseuls nicht mehr an der Macht und auf Betreiben Neckers hieß der Marineminister nicht mehr Sartine, sondern Castries. Doch blieb ­dieses Netzwerk einflussreich: Sowohl Sartine als auch Castries hatten als Klienten Choiseuls Karriere gemacht, wobei Sartine in den vorangegangenen Jahren mit Vergennes zusammengearbeitet hatte.123 Zudem war La Serre vermutlich ein guter Bekannter Rozes, der ein Klient des Marineministers Castries war.

11.4 Denkschriften und Wissensräume Denkschriftenautoren ohne Madagaskarexpertise schafften es also dank der Patronagelogik immer wieder, auf die Madagaskarbilder Einfluss zu nehmen. Doch das Problem war nicht nur die Inkompetenz vieler Verfasser. Auch ging die Gattung der Denkschrift an sich mit einer bestimmten Disposition des Wissens einher, die maßgeblich zu den Dysfunktionalitäten der Informations­gewinnung durch die französische Verwaltung beitrug. Von einer Denkschrift wurde erwartet, dass sie sowohl eine »philosophische« Beschreibung der Insel lieferte als auch ein Kolonialprojekt vorstellte. Dies bedeutete, dass ­zwischen der Wissensgenerierung und dem Werben für ein Projekt nicht getrennt wurde. Da gerade das Ineinandergreifen von Beschreibung und Werbung eine Voraussetzung für die Konstituierung aufgeklärten Wissens war, störte es die Zeitgenossen wenig. Die Konsequenz war aber, dass einem Kolonialverwalter, der sich auf Denkschriften stützte, Madagaskar vornehmlich 119 ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, »À Monsieur D… seul s’il lui plait. Analise en bref sur les mémoires de M. le chevalier de L. S.«, ohne Datum. 120 ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 200, »Conférence du 4 décembre 1785 entre M. de Bellecombe, maréchal de camp, et le chevalier de la Serre«, ohne Datum. 121 ANOM , C 5A 9, Nr. 62, Notiz eines Kommis über die Vorwürfe gegen La Serre, ohne Datum. 122 Centre historique des archives de la Défense, GR 28d 8 (dossier individuel de Jean-­ François de La Serre). 123 Horowski, Die Belagerung des Thrones, 341, 354 – 357; Chaussinand-­Nogaret, Choiseul, 149 f., 314 – 320; Labourdette, Vergennes, 132, 145 – 150; »Castries, Charles Eugène Garbiel de la Corix, marquis de« und »Sartine, Antoine Raimond Jean Gualbert Gabriel, chevalier de, comte d’Alby«, in: Zanco, Dictionnaire des ministres de la Marine, 184 – 187 und 481 – 483.

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aus der Propaganda für eine Kolonialexpansion bekannt war. Die Aufnahme von Denkschriften auch von Personen mit zweifelhafter Madagaskarexpertise in die Bestände der Verwaltung sowie ihre Kommentierung durch die Ministerialangestellten und andere Denkschriftenautoren ließen diese Texte zudem an Autorität gewinnen. Der Entstehungskontext der Madagaskarbilder war für die Leser von Denkschriften oft nicht mehr zu rekonstruieren. Doch damit handschriftliche Denkschriften ihre Wirkung entfalten konnten, mussten sie zuerst aufbewahrt und bestimmten Leserkreisen zugänglich gemacht werden. Aus ­diesem Grund kann man die Geschichte der Madagaskarbilder nicht ohne Berücksichtigung der Wissensräume schreiben. Die relative Einheitlichkeit des Madagaskardiskurses ab den späten 1760er Jahren ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Autoren von gedruckten und ungedruckten Texten Maudaves Diskurs folgten, obwohl dieser keine Zeile veröffentlicht hatte. Welche Wissensräume ermöglichten also die Propagierung des spätaufklärerischen Madagaskarwissens? Dass die Denkschriftenautoren bei Maudave abschrieben, lässt sich kaum bestreiten; manche Texte muten sogar wie Plagiate an.124 Diese Männer, die danach trachteten, Kolonialherren zu werden, gaben diese Kopierpraxis auch implizit zu, indem sie in ihren Texten auf den Gouverneur von Fort-­Dauphin verwiesen.125 Gelegentlich wurden lange Auszüge aus Maudaves Schriften reproduziert und dem Marineministerium zugeschickt, um einen neuen, doch sehr ähnlich gelagerten Kolonisierungsplan zu unterstützen.126 Wenn Beňovský seine Geschichten von Grund auf erfand, griff er immer wieder auf Maudave zurück.127 Diese Abschreibepraxis bezeugt, dass Maudaves Handschriften zirkulierten und schließlich von unterschiedlichen Akteuren gelesen wurden, die den ehemaligen Gouverneur von Fort-­Dauphin nicht persönlich kannten. Das Weiterreichen von Handschriften ist erstens für den kleinen Kreis der Gelehrten der Île de France anzunehmen: Maudave kannte Poivre gut und war ein Freund von Charpentier de Cossigny, der bereits 1773 eine ähnliche Denkschrift wie Maudave einreichte. Diesem Kreis 124 Besonders deutlich im Falle einer Denkschrift des Chevalier de la Serre: ANOM, C 5A 9, Nr. 68, »Vues générales d’administration sur l’établissement projeté à Madagascar«, ohne Datum. 125 ANOM, C 5A 2, Nr. 4, Bl. 8, Auszüge aus Legentils Reisebericht; ANOM, C 5A 2, Nr. 11, Bl. 6, Abschriften von Dokumenten über Madagaskar; C 5A 9, Nr. 60, Bl. 1, Denkschrift von La Serre, ohne Datum; ANOM, C 5A 2, Nr. 63, Bl. 2, Maudave an Praslin, 30. August 1768. 126 ANOM, C 5A 2, Nr. 11, Abschriften von Dokumenten zu Madagaskar; ANOM, C 5A 2, Nr. 12, Abschriften von Dokumenten zu Madagaskar. 127 Beňovský, Voyages et mémoires, Bd. 2, 447. Bezeichnend ist, dass die »Rohandrians« und andere Bevölkerungsgruppen, die Flacourt erwähnt, in Beňovskýs Erzählungen über seine Wahl zum »Ampansakabe« auftauchen, obwohl diese Begriffe für den Norden Madagaskars nicht überliefert sind.

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gehörten zeitweise auch Rochon und Legentil an. Besonders deutlich ist die Zirku­ lation von handschriftlichen Texten durch Abschriften im Falle des Botanikers Commerson zu beobachten, da seine Papiere überliefert sind. Nach seiner Ankunft auf der Île de France im Jahr 1768 wurde Commerson von Poivre protegiert und freundete sich mit Cossigny an. 1770 schickte ihn Poivre nach Anosy.128 Commerson lernte somit Maudave kennen und machte sich Notizen aus seinen Texten.129 Dass Maudaves Ideen im kleinen Kreis der Gelehrten der Île de France berühmt wurden, vermag also kaum zu erstaunen. Bemerkenswert ist jedoch, dass auch Personen ohne Kontakt zur Île de France und dem Bekanntenkreis von Maudave sich von den Denkschriften des Gouverneurs von Fort-­Dauphin inspirieren ließen. Dies ist maßgeblich durch die Institutionalisierung eines neuen Wissensraums im 18. Jahrhundert zu erklären: des Marinearchivs. Die Abschreibepraxis zeigt, dass der Wissensspeicher der Verwaltung im späteren 18. Jahrhundert durchaus von Außenstehenden benutzt wurde. Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen der neueren Archivgeschichte über die Permea­bilität d ­ ieses Wissensortes.130 Der Wissensort »Archiv« war als eigenständige Institution ein relativ neues Phänomen in der französischen Verwaltung. Noch im 17. Jahrhundert besaß Frankreich im Gegensatz zu England, den Niederlanden oder Spanien kein Zentralarchiv. Die Rechtsstücke der Monarchie waren in der Hand des Pariser parlement, was sich in der Fronde als problematisch erwies. Aus ­diesem Grund bemühte sich Colbert in den 1660er Jahren um den Aufbau eines neuen Informationsapparats: Er siedelte die Königliche Bibliothek gegenüber von seinem Stadtpalast (hôtel particulier) an und versammelte Handschriften in einem Archiv. Dies bedeutete jedoch keineswegs die Etablierung eines wahrhaften Staatsarchivs, da Colbert ­zwischen seinem Eigentum und dem des Königs nur ungenügend trennte. Weil die Dokumente in seinem Privatbesitz waren, blieb seine riesige Dokumentensammlung bis zur Revolution unbeachtet im Palast seiner Nachfahren.131 Erst im späten 17. Jahrhundert entstanden Archive der Staatssekretäre. Vor 1699 hat es kein nennenswertes Marinearchiv gegeben. Die Bestände lagerten jedoch noch lange in den Wohnsitzen der Minister und wanderten mit den Personen, die sie verwendeten, mit. Viele gingen verloren. Da wenig bis kein Personal für die Archive zuständig war, konnte man im Bedarsfall zudem kaum auf die vorhandenen Bestände zurückgreifen. Es bedurfte in der Tat gewaltiger Anstrengungen, um die Nutzung eines Archivs zu gewährleisten.132 128 Commerson, in: Dictionnaire de biographie mauricienne, Bd. 4 (1942), 115 – 116. 129 Insbesondere das Tagebuch Maudaves, das einzig dadurch überliefert ist: MHN, Ms. 887, 888. 130 Friedrich, Die Geburt des Archivs, 15. 131 Soll, Jean-­Baptiste Colberts geheimes Staatsinformationssystem. 132 Friedrich, Die Geburt des Archivs, 51 – 89, 135 – 140.

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Abb. 16  Grundriss des Erdgeschosses des Hôtel des Affaires Étrangères et de la Marine mit der Grande Galerie (auf der rechten Seite des Kupferstiches), Versailles

Dementsprechend konstatierte ein Kommis des Marineministers 1733, dass die Bestände zur kolonialen Welt dünn ­seien. So habe Moïse-­Augustin Fontanieu, Marineminister aus dem frühen 18. Jahrhundert, kein einziges Dokument ins Archiv bringen lassen.133 Diese mangelhafte Dokumentation hatte unter anderem zur Folge, dass dem Marineministerium kaum Informationen über den Kolonisierungsversuch auf Nosy Boraha in den 1750er und frühen 1760er Jahren zur Verfügung standen. Als die Angestellten des Ministeriums im frühen 19. Jahrhundert Informationen über diese Kolonie bei einem Angestellten des Finanz­ ministeriums holten, der das Archiv der Indienkompanie hatte, antwortete er ihnen, diese Handelsgesellschaft habe scheinbar niemals eine Niederlassung auf Nosy Boraha oder auf Madagaskar gehabt.134

133 ANOM, F 2A 11, Anonym an den Marineminister, 11. April 1733 (Mappe »documents divers, 1626 – 1789«). 134 ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, »Lettre du citoyen Goussard, commissaire de la comptabilité nationale, au citoyen Vaivre, chef de la division coloniale au ministere de la marine, sur les documents relatifs à Madagascar existant dans les archives de la comptabilité nationale. Paris, 12 pluviôse an IX«, 1. Februar 1801.

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Die Errichtung von Verwaltungsbüros in Versailles in den frühen 1760er Jahren veränderte die Archivlage. Die Architektur des neuen Sitzes des Außen- und des Marineministeriums verdeutlicht den zentralen Platz, der dem Archiv in der Außendarstellung der Verwaltung beigemessen wurde: Die große Galerie mit den Repräsentationsräumen beheimatete das Archiv des Außenministeriums (Abb. 16). Die Symbolik ist hier besonders deutlich. Die bis heute erhaltene Bezeichnung, Disposition und Ausstattung der Räume versinnbildlichten die Rolle des Schiedsrichters Europas, die der französische König für sich reklamierte. Der zentrale Raum heißt »Frankreichsaal« (Salle de France); hier sind Bilder von Madrid und Neapel angebracht, die mit Frankreich durch den Familienpakt der Bourbonen verbündet waren. Links und rechts ­dieses Saals befinden sich jeweils zwei Räume, die Mächten eines Teils Europas gewidmet sind: auf der einen Seite die Nordmächte

Denkschriften und Wissensräume

319 Abb. 17  Schnitt des Hôtel des Affaires Étrangères et de la Marine in Versailles

(puissances du nord) und die Südmächte (puissances du midi), auf der anderen die »deutschen« und die »italienischen Mächte« (puissances d’Allemagne und puissances d’Italie). In den allegorischen Darstellungen, die ­zwischen den Fenstern zu sehen sind, werden in einem »Das gelehrte [oder »wissende«] Europa« (L’Europe savante) betitelten Gemälde neben den Bündnissen Frankreichs und dem Familienpakt auch das Wissen des französischen Königs zelebriert. An dieser Gestaltung wird deutlich, warum die Repräsentationsräume das Archiv beherbergten: Es ging darum, die Durchdringung des europäischen Raums mit dem französischen Blick in Szene zu setzen.135 135 Janin, Le Monde de Choiseul, 27 – 41.

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Abenteurer und Bürokraten

Mit dem Bau des neuen Gebäudes für das Außen- und das Marineministerium wurden die Dokumente vom Pariser Palast der Pontchartrain nach Versailles überbracht und an einem einzigen Ort versammelt. Im neuen Haus verfügte das Marineministerium über einen Teil des Erdgeschosses, wo die Karten und Pläne der Kolonien sowie Modelle von Häfen und Befestigungsanlagen gelagert wurden. Im dritten Stock waren auf großen Tischen die Schiffsmodelle untergebracht und in einem Schrank unter dem Dach die Marinekarten (Abb. 17).136 Die Denkschriften zu kolonialpolitischen ­Themen wurden getrennt aufbewahrt. Bereits die repräsentative Galerie des Außenministeriums zeigte den eigenständigen Platz, der dem Genre der Denkschrift in der Wissensordnung zugewiesen wurde: An beiden Enden der großen Galerie befinden sich zwei Räume, die je einer besonderen Textgattung der Außenpolitik gewidmet waren, den Traktaten respektive den Denkschriften. Diese räumliche Aufteilung weist darauf hin, dass die französische Verwaltung drei Hauptgattungen kannte: Rechtsdokumente, Briefe und Denkschriften.137 Das Marineministerium erleichterte den Zugang zu kolonialpolitischen Denkschriften dadurch, dass es ein separates Archiv in Versailles aufbaute: das »Depot der Karten und Pläne der Kolonien« (Dépôt des cartes et des plans des colonies), das entgegen seinem Namen nicht nur Karten, sondern auch Denkschriften enthielt. Die Anfänge ­dieses Archivs gingen auf Colbert zurück, der an der Place des Victoires – also in der Nachbarschaft zu seinem Palast und dem Sitz der auf sein Betreiben gegründeten Ostindienkompanie – Dokumente zu der Marine und den fernen Gegenden versammeln ließ. 1776 wurde angeordnet, alle in Frankreich verfügbaren Karten und Pläne zur kolonialen Welt in Original oder Kopie nach Paris ins Depot der Karten und Pläne zu ­schicken. Diese Sammlung fand 1778 ihren Platz im Marineminis­ terium in Versailles.138 Der Aufbau eines gesonderten Archivs für Denkschriften und Karten war für die Verbreitung des Madagaskarwissens von zentraler Bedeutung, da dieser Wissensort als eine Art Dokumentationszentrum zur außereuropäischen Welt diente. Das Depot der Karten und Pläne erleichterte somit maßgeblich den Zugang zu den Texten, die Plädoyers für eine Kolonialexpansion auf der Großen Insel beinhalteten. Die wöchentliche Korrespondenz ­zwischen den Amtsträgern in Übersee und dem Ministerium zu lesen war beschwerlich, denn die Briefe waren zahlreich und behandelten die unterschiedlichsten ­Themen. Die Denkschriften fassten dagegen 1 36 Baudez, Un Chantier exemplaire, 44 f., 56 f. Weiter: Taillemite, Les archives de la Marine, 4. 137 Janin, Le Monde de Choiseul. 138 Rinckenbach, Archives du dépôt des fortifications des colonies, 7 – 9. Taillemite zufolge wurde das Marinearchiv jedoch auf Anweisung Colberts wahrscheinlich im Schloss von Saint-­Germain-­en-­Laye gelagert und erst unter Pontchartrain an die Place des Victoires gebracht: Taillemite, Les Archives de la Marine, 3.

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in gebündelter Form alle Informationen zusammen, die jemand brauchte, um ein Kolonialprojekt vorzuschlagen oder zu diskutieren. Wenn sich ein Kommis des Ministeriums also über eine fremde Weltregion informieren wollte, griff er auf die Denkschriften zurück. Diese Praxis lässt sich zum Beispiel 1793 beobachten, als das Marineministerium das Gesetz zur Umwandlung Fort-­Dauphins in eine Strafkolonie umsetzen wollte.139 Zudem war der Zugang zum Archiv wenig restriktiv. Nicht nur die Kommis recherchierten in diesen Beständen; auch diverse Personen, die vom Marine­minister mit einer Mission in Übersee beauftragt wurden oder einfach in Kontakt mit staatlichen Würdenträgern standen, bekamen Zugang zum Archiv. Beňovský erhielt somit Abschriften von Maudaves Texten oder las sie in Paris. Es ist wahrscheinlich, dass sich der Chevalier de La Serre ebenfalls hier mit den Madagaskardenkschriften vertraut machte. Charles Leclerc de Montlinot, der in der Französischen Revolution im Komitee zur Lösung der Bettlerfrage (Comité de mendicité) tätig war, las nach eigenen Angaben Denkschriften von La Serre, Sanglier, Kerguelen und Cossigny.140 Das Depot der Karten und Pläne war nicht zuletzt auch ein wichtiger Wissensraum für Raynal, der nachweislich ungedruckte Denkschriften aus diesen Beständen in seiner Geschichte beider Indien wiedergab.141 Die Etablierung des spätaufklärerischen Madagaskarwissens in einer breiten Öffentlichkeit hatte somit vermutlich viel mit der Institutionalisierung eines eigenen Wissensraums für Denkschriften zu tun: Um einen Text über die Rote Insel zu verfassen, brauchten die Autoren nur Denkschriften nachzuahmen, die das Archiv ihnen zugänglich machte. Die Aufnahme von Denkschriften in ein von der Korrespondenz getrenntes Archiv konnte zudem die Tendenz noch mehr fördern, die Madagaskartexte zu objektivieren. Dieses Phänomen hatte erstens mit dem Prestige der Institution Archiv zu tun. So schrieb der Händler Hugon von der Île de France an den Marineminister Georges-­René Pléville Le Pelley im Jahr 1798, man solle militärische Informationen über Indien am besten dem Archiv entnehmen, »um sich gegen persönliche Meinungen abzusichern«, und verwies auf eine Denkschrift, die er in Port-­Louis gefunden hatte.142 Zweitens riss das separate Denkschriftenarchiv die Dokumente aus ihrem jeweiligen Kontext heraus, was ihre Rezeption zweifelsohne 139 ANOM, C 4 108, Bl. 345, »Fait le 2 décembre 1793. L’adjoint de la 5e division de la marine et des colonie, au citoyen Gouly, député de l’Isle de France à la Convention nationale. Paris, le 12 frimaire an deuxième de la République«, 2. Dezember 1793. 140 Leclerc de Montlinot, Essai sur la transportation, 31. 141 Duchet, Anthropologie et Histoire, 126 – 135. 142 ANOM, C 4 112, Bl. 148, Hugon an Pléville, 14. August 1789: »pour se garantir des opinions particulières«. Hugon verfasste mehrere Beschreibungen Madagaskars, die er an den Marineminister schickte, um seine Dienste zu empfehlen: siehe ANOM, MAD 7

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beeinflusste. Meistens wurden die Begleitbriefe nicht mit ins Kartendepot überführt, wodurch die Denkschriften anonymisiert wurden. Selbst in den Fällen, in denen der Verfasser bekannt war, konnten die Leser ohne den Briefwechsel ­zwischen dem Autor und der Verwaltung kaum noch rekonstruieren, wie diese Dokumente entstanden waren. Die im Hintergrund stehenden Interessen waren nur noch zu erahnen. Das Archiv ermöglichte nicht nur das Abschreiben von Denkschriften, die in die Bestände aufgenommen worden waren, sondern machte es auch für die Denkschriftenautoren möglich, auf die Stellungnahmen anderer hinzuweisen. Eine Folge war, dass der spätaufklärerische Madagaskardiskurs sich durch eine hohe Selbstreferenzialität auszeichnete. Die Autoren verwiesen gerne auf die Erfahrung und Meinung anderer Vertreter des Diskurses, um den Eindruck von Einhelligkeit in der Bewertung Madagaskars unter Kennern zu erwecken. Diese Technik beruhte auf der Ausklammerung des legitimierenden Charakters der Madagaskarschriften. Die propagandistischen Beschreibungen, die der Gattung der Denkschrift eigen waren, wurden in d ­ iesem Rahmen schlicht als Wiedergabe von Erfahrungen präsentiert. So berief sich Cossigny auf die Erfahrungen Maudaves, um negative Meinungen über Madagaskar und die Madagassen zu bekämpfen.143 Die Selbstreferenzialität des Madagaskardiskurses wird noch offensichtlicher, wenn als Beweis für die Richtigkeit des Projekts einer »sanften« Kolonisierung die Übereinstimmungen ­zwischen den einzelnen Vorhaben hervorgehoben werden. Ein Kommentator unterstrich, dass La Serre mit Flacourt, Rennefort, Legentil und Maudave einer Meinung war.144 Der vermeintliche Précourt – in Wirklichkeit Meusnier – wies darauf hin, dass Rozes Denkschrift den gleichen Prinzipien folge wie seine eigene.145 Millon freute sich darüber, dass er nicht als Einziger eine »gesunde und fried­liche Niederlassung« in Aussicht stelle.146 Kersalaün berief sich auf die »glaubwürdigsten Autoren« und La Borie auf die im Archiv lagernden Denkschriften.147 In mehreren Abhandlungen wird darauf hingewiesen, dass eine 15, »Fevrier 1818. Isle Sainte Marie de Madagascar« (2. Februar 1818), »Madagascar«, »Mémoires de Barthelemy Hugon sur Madagascar (1818)«. 143 ANOM, C 5A 3, Nr. 87, Bl. 6 f., Denkschrift von Cossigny, 1. Januar 1773. Ähnliches Argument: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 61, Bl. 1, »Projet de Millon d’un établissement françois à Madagascar«, ohne Datum. 144 ANOM, C 5A 9, Nr. 60, Bl. 1, »Mémoire sur Madagascar contenant les motifs ­déterminant d’y former un établissement, par le chevalier de la Serre«, ohne Datum. 145 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Bl. 5 f., »Observations sur un nouveau plan d’établissement dans l’isle de Madagascar, par M. Duhamel Comte de Précourt«, ohne Datum. 146 ANOM, C 5A 5, Nr. 57, Millon an Sartine, 15. Juni 1775: »un établissement sain et pacifique«. 147 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 89, Bl. 2, »Observations sur les réflexions que le monseigneur le maréchal de Castries fit l’autre jour à M. le comte de Kersalaün«, ohne

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Einigkeit ­zwischen den Autoren von Projekten bezüglich Madagaskar bestehe: Alle höben die Vorzüge der Großen Insel sowie die Sanftmut und die Lernbereitschaft der Eingeborenen hervor. Hiermit wurden Wiederholungen, die von der Abschreibepraxis kamen, zum Beweisstück.148 Am deutlichsten wird diese Tendenz in der Sammlung von Dokumenten, die der Kommis Michel für Sartine anfertigte. Sie ließ bei ­diesem Marineminister 1775 die Überzeugung aufkommen, man müsse Beňovský unterstützen und die Große Insel kolonisieren: In Kommentaren am Seitenrand notierte Michel die Übereinstimmungen ­zwischen den Autoren. In Maudaves Schriften hob er jede Information hervor, die sich mit Flacourts Beschreibungen deckte. Da Maudave bei Flacourt abgeschrieben hatte, waren ­solche Entsprechungen zahlreich, was die Glaubwürdigkeit Maudaves in den Augen des Kopisten erhöhte.149 Das bloße Abschreiben verstärkte somit den Realitätseffekt.

11.5 Das neue epistemische Setting der Restaurationszeit Die bisherigen Ausführungen in den Kapiteln 8 bis 11 haben gezeigt, dass es strukturelle Gründe gab, die die Persistenz des Madagaskartraums über mehrere Jahrzehnte hinweg erklären und in erster Linie mit aufklärerischen Geschichtskonzeptionen, Vorstellungen und Legitimationen von Wissen, der Rolle von Patro­nagenetzwerken, den Informationsmedien sowie den Wissensorten des Marineministeriums zu tun hatten. Doch wie kam angesichts dessen der Handels­ agent Sylvain Roux nach 1815 dazu, Abschied vom spätaufklärerischen Madagaskardiskurs zu nehmen, der fünfzig Jahre lang die Schriften der französischen Elite beherrscht hatte, und wie ist zu erklären, dass er sich damit durchsetzen konnte? Im Folgenden soll erörtert werden, inwiefern sich die strukturellen Bedingungen der Wissensproduktion in der Restaurationszeit änderten. Datum: »les auteurs les plus accrédités«; ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 191, Bl. 4, »Projet de M. de Laborie«, 13. September 1784. 148 ANOM, C 5A 2, Nr. 4, Bl. 8, Auszüge aus Legentils Reisebericht; C 5A 2, Nr. 11, Bl. 5, »Fort Dauphin. Observations dont nous ne connaissons point l’auteur«, Abschriften von Dokumenten über Madagaskar sowie Bl. 6, »Extrait d’un mémoire du S. Becquet chef de traite«; Chevalier de La Serre: C 5A 9, Nr. 63, Bl. 2, »Résumé général sur le projet d’un établissement à Madagascar«, ohne Datum; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 53, Bl. 1, »Mémoire sur Madagascar«, Juni 1775; Leclerc de Montlinot, Essai sur la transportation, 31. 149 ANOM, C 5A 2, Nr. 11, u. a. Bl. 1, Abschriften von Dokumenten über Madagaskar. Ähnlich: ANOM, C 5A 2, Nr. 12, insbesondere Bl. 1, Abschriften von Dokumenten über Madagaskar; ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Bl. 1, »Extraits du journal de Modave«.

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Es sind vier veränderte Parameter, die zu erklären vermögen, wie die Kolonialpolitiker aus den schwierigen Erfahrungen der Franzosen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Lehre ziehen konnten, während sich die französische Elite jahrzehntelang eher lernresistent gezeigt hatte. Erstens griffen die Entscheidungsträger auf Expertenwissen zurück. Der Staatsrat und Vizepräsident des Marinerats Forestier stützte sich auf die Meinung eines Menschen, der über eine langjährige Erfahrung auf Madagaskar verfügte, nämlich des Handelsagenten Roux. Nach dem Siebenjährigen Krieg hatten unter anderem aufgrund der Patronageverhältnisse nicht Valgny oder Mayeur, sondern die madagaskarunkundigen Maudave, Beňovský, Lescallier und andere Abenteurer, die Denkschriften verfassten, den Ton angegeben. Diese Autoren hatten die madagassischen Fürsten nicht einmal wirklich als politische Akteure mit einer eigenen Strategie verstanden. Im Gegensatz zu ihnen bemühten sich Roux und die Expeditionsteilnehmer von 1818 – 1819 sehr, die politische Lage und die Positionierung der einzelnen Könige und verschiedenen Oberschichten zu verstehen. Im frühen 19. Jahrhundert legten das Marineministerium und der Staatsrat sehr viel mehr Wert auf Expertise. Selbst Roux’ Wissen genügte den Pariser Entscheidungsträgern nicht. Sie beschlossen, eine Expedition nach Madagaskar zu ­schicken, die die Bedingungen vor Ort in politischer, epidemiologischer und landwirtschaftlicher Hinsicht näher untersuchen sollte. Die Pariser kolonialpoli­tische Elite holte sich dabei Informationen nicht nur bei einem Repräsentanten Frankreichs auf Madagaskar, wie es in der Zeit Maudaves, Beňovskýs oder L ­ escalliers der Fall gewesen war. Sie stütze sich nunmehr auf eine ganze Reihe von Akteuren: den Handelsagenten und seinen Untergebenen, einen Landvermesser, einen Botaniker, einen Ingenieurgeographen, mehrere Schiffskapitäne und ihre Untergebenen, einige Händler sowie den Gouverneur der Île Bourbon. Dieses Vorgehen hatte nicht nur den Vorteil, unterschiedliche Expertise zu mobilisieren, sondern begrenzte auch die Gefahr einer Manipulation. So konnte kein Akteur mehr die Rolle eines Gatekeepers spielen oder eine romanartige Erzählung erfinden. Zweitens fällt auf, dass die Medien der Informationsgewinnung sich zum Teil verändert hatten, oder zumindest ihre Funktion. Die Schriftstücke, die die Expeditionsteilnehmer verfassten, waren keine Denkschriften, sondern Berichte, die konkrete Informationen über die Tag für Tag gemachten Beobachtungen enthielten. Die Entscheidungsträger in Paris stützten sich vor allem auf diese Texte und diverse Briefe. Nun wurde stärker ­zwischen der Etappe der Informationsgewinnung, in der Texte von Kundigen erfragt waren, und der Planung getrennt, die in Denkschriften stattfand, die ein hoher Pariser Würdenträger (in ­diesem Fall Forestier) auf der Grundlage der gewonnenen Informationen verfasste. Die Listen von Dokumenten, die das Marineministerium dem Staatsrat Forestier zur Vorbereitung seiner zweiten Denkschrift zukommen ließ, sind diesbezüglich erhellend. Zwar schickte ihm das Ministerium im September 1819 auch Abschriften

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von einigen wenigen älteren Denkschriften (von Cossigny und von La Serre), die die Kommis für relevant hielten. Zugleich aber sandte man auch Kopien von kritischen Reaktionen auf diese Projekte mit.150 Vor allem erhielt Forestier Abschriften von zahlreichen relevanten Berichten und Briefen von Akteuren, die entweder auf Madagaskar selbst oder zumindest im Raum des Indischen Ozeans tätig waren. Unter anderem ließ das Marineministerium ihm die Berichte der Expeditionsteilnehmer sowie sämtliche Briefe Milius’ zukommen.151 Die Gattung der Denkschrift spielte somit eine geringere Rolle im Informationsprozess als zuvor. Der Niedergang der Gattung der Denkschrift als Informationsmedium spiegelt sich auch in Veränderungen wider, die das Kolonialdepot betrafen. Dieses Kartenund Denkschriftenarchiv war im Ancien Régime als ein Informationszentrum für die außereuropäische Welt konzipiert worden. Diese Rolle spielte es jedoch in der Restaurationszeit nicht mehr. So blieb das Depot in Versailles, während das Ministerium einen Sitz an der Place de la Concorde bekam. Auch änderte sich die Bestimmung ­dieses Archivs: Es erhielt den Namen »Kolonialbefestigungsdepot« (Dépôt des fortifications des colonies) und nahm nur noch Dokumente auf, die die Befestigungsanlagen in den Kolonien betrafen. In den späten 1810er und frühen 1820er Jahren wurden noch einzelne Berichte und Briefe über die politische Lage oder die Küsten Madagaskars in die Bestände integriert, beispielsweise eine Abschrift von Mackaus Bericht aus dem Jahr 1819. Allgemeine Denkschriften über Kolonisierungsprojekte wie im 18. Jahrhundert fanden jedoch keinen Eingang mehr in das Archiv.152 Dafür baute das Marineministerium einen neuen Bestand für die Schifffahrt aus.153 Die Wissensräume spezialisierten sich. Drittens erntete das Marineministerium die Früchte der Arbeit einer Gelehrten­ gesellschaft namens Société d’émulation de l’Île de France (so viel wie »Gesellschaft zur Förderung des Eifers um den Fortschritt«), die zu Beginn des 19. Jahrhunderts für kurze Zeit bestanden und relevante aktuelle Beschreibungen der Großen Insel gesammelt hatte. So gelangten Texte von wahrhaften Madagaskarkennern wie Dumaine, Fressanges, Mayeur, Chapelier und Lilet Geoffroy an die Öffentlichkeit, wenn auch an eine begrenzte. Dieses neue Wissen schlug sich beispielsweise in 150 Liste der Schriftstücke, die im September 1819 an Forestier geschickt worden sind: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14, »Bordereau des pièces adressés en communication à Forestier par la depêche du … septembre 1819«. 151 Listen der Schriftstücke, die am 24. Juli und am 28. August 1819 an Forestier geschickt worden sind, sowie Brief des Marineministers an Forestier vom 28. August 1819: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14. 152 Einige Briefe und Berichte über Madagaskar: ANOM, DFC, XVII/mémoires/89, Nr. 109, 112, 116. Rinckenbach zufolge ­seien die Bestände des Kolonialdepots 1796 nach Paris gebracht worden; doch Briefe der Jahre 1818 – 1819 besagen, dass das Depot in Versailles verblieb. Vgl. Rinckenbach, Archives du dépôt des fortifications des colonies, 9. 153 Archives nationales, MAR 3JJ 348 und 350.

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dem »Essai sur Madagascar« von d’Unienville (1816 oder 1817) nieder, einem ehemaligen Marineoffizier, der sich 1792 auf der Île de France niedergelassen hatte. Obwohl d’Unienville mit seinem Text Wissen für die französische Expansion auf Madagaskar zur Verfügung stellen wollte, verfasste er keine Denkschrift, die Beschreibungen der Insel mit der Werbung für ein Kolonisierungsprojekt vermengt hätte. Stattdessen begnügte er sich damit, die zahlreichen Informationen zusammenzufassen, die die ehemalige Gelehrten­gesellschaft zugänglich gemacht hatte.154 Die Sammlung der Gelehrten­gesellschaft erwies sich im Übrigen auch für die britische Verwaltung unter Sir Robert ­Farquhar als entscheidend. Der Gouverneur von Mauritius beauftragte den Ethnografen Eugène de Froberville, zuverlässige Dokumente über Madagaskar zu sammeln. Froberville ließ Farquhar daraufhin unter anderem die Texte von Mayeur zukommen, die die ersten europäischen Beschreibungen des Hochlands Madagaskars enthielten.155 Der neuen Tendenz der französischen Kolonialverwaltung, auf Experten zurückzugreifen, nach konkreteren Informationen zu verlangen und spezialisierte Wissens­bestände aufzubauen, entsprach viertens die Tatsache, dass Roux und seine Mitstreiter ganz bewusst keine philosophie produzieren wollten. Wissen hatte dem Verständnis des Handelsagenten nach nicht »philanthropisch« zu sein, das heißt, es sollte nicht auf die Verbesserung der Menschheit zielen. Roux trennte deutlich z­ wischen dem Guten und dem Wahren, z­ wischen Ethik und Information. Gerade diese Trennung half ihm, andere Erklärungen für die in den vorangegangenen Jahrzehnten auftretenden Konflikte ­zwischen Franzosen und Madagassen zu finden, die maßgeblich zum Misserfolg der Kolonisierungsunternehmen beigetragen hatten. Roux glaubte nicht, die Gewalt käme von der Verletzung der humanitären Prinzipien einer sanften Expansion. Seine Erklärung der Konflikte – der angeb­liche immerwährende Hass der Schwarzen gegen die Weißen – mag grobschlächtig und oberflächlich erscheinen; sie ermöglichte es ihm jedoch zu denken, dass die französische Expansion bei den Madagassen grundsätzlich unwillkommen war. Roux baute somit Zukunftserwartungen auf, die den bisherigen Erfahrungen der Franzosen auf der Großen Insel Rechnung trugen. Aus dieser Untersuchung des sozialen Profils der Denkschriftenautoren, ihrer Interaktion mit den Versailler Behörden sowie der Wissensräume, die ihren Texten eine langfristige Wirkung sicherten, können jenseits aller Unterschiede in den Lebensläufen und Schicksalen mehrere Schlüsse gezogen werden: Erstens waren die meisten Verfasser von Denkschriften zumindest zeitweise auf den Maskarenen ansässig gewesen und kannten sich oft persönlich untereinander. Dieser Befund 154 ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, »Essai sur Madagascar, par d’Unienville«, [1816 oder 1817]. 155 Mayeur, Voyage dans le sud. Über Mayeur und Froberville siehe Deschamps, Histoire de Madagascar, 154; Documents pour servir à l’étude des relations entre Froberville et Mayeur.

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trifft nicht nur auf den Kreis der Übersee-­philosophes Maudave, Cossigny, Legentil, Rochon, Commerson und Sonnerat zu. Es ist wahrscheinlich, dass auf den kleinen Maskareneninseln, wo in der besseren Gesellschaft jeder jeden kannte und jeder Neuankömmling Gegenstand gesellschaftlicher Neugier war, auch Roze, Siette de la Rousselière, Millon und Kersalaün mehrere dieser Personen und Beňovský getroffen hatten. Rochon und Kerguelen haben Beňovský kennengelernt und das Gleiche darf man auch in Bezug auf Cossigny und Siette vermuten. Zweitens zeigt der Fall der Denkschriftenautoren, die niemals den Raum des Indischen Ozeans betreten hatten, dass sich die Nachricht der Kolonisierungsversuche auf Madagaskar ab etwa 1780 auch im Mutterland verbreitete. Vor allem Beňovský wurde in Paris und Versailles zu einer berühmten Persönlichkeit.156 Roze hat ihn vermutlich persönlich gekannt, genauso wie La Serre und Meusnier. Drittens fällt auf, dass sich zahlreiche Verfasser von Denkschriften in Schwierigkeiten befanden, als sie ihre Texte dem Ministerium zukommen ließen. Keiner der Projektautoren hatte eine Stellung im französischen Staatsapparat des Indischen Ozeans inne, als er seine Denkschrift einreichte. Mehrere von ihnen – darunter Maudave, Millon und La Borie – erdrückte ein Schuldenberg. Andere wie Kerguelen, La Serre und Rochon waren am Tiefpunkt ihrer Karriere angekommen, als sie anfingen, für ihre Madagaskarpläne zu werben. Legentil hatte in einer Phase der Untätigkeit begonnen, sich für die Große Insel zu interessieren, und veröffentlichte seine Reise erst nachdem er sein Hab und Gut verloren hatte. Ferrand Dupuy und Lasalle hatten keine feste gesellschaftliche Stellung. Meusnier lebte von kriminellen Coups. Auch Liniers hatte im Gegensatz zu seinem Bruder kein Amt inne und entstammte keiner reichen Familie. La Borie war zwar Gouverneur von Sainte-­Lucie, doch war diese Insel eine der kleinsten Besitztümer der Franzosen in der Karibik und ermöglichte ihm kaum, seine Schulden abzutragen. Viertens ist geradezu frappierend, dass die Gruppe der Denkschriftenautoren eine ungewöhnlich hohe Konzentration von Abenteurern und Hochstaplern aufwies. Die Wissensgeschichte täte gut daran, nicht nur Gelehrten, sondern auch solch dubiosen Persönlichkeiten mehr Aufmerksamkeit zu schenken:157 Der Fall des spätaufklärerischen Madagaskardiskurses lässt vermuten, dass Abenteurer, die keine Expertise hatten, eine wichtige Rolle in der Etablierung von Wissensbeständen spielen konnten. Mehrere von den Denkschriftenautoren waren echte oder falsche Grafen und nicht selten trugen sie tatsächlich oder angeblich den St. Ludwigs­ orden, wie in Merciers »Gemälde von Paris«. Ziel vieler Denkschriftenautoren war es, ihr Glück als Kolonialherr zu versuchen, und diese Wirkungsabsicht prägte 156 Orłowski, Beniowski, 162 f. 157 So haben McClellan und Regourd vor allem Gelehrte untersucht: Regourd, Sciences et Colonisation; McClellan/Regourd, The Colonial Machine; McClellan, Colonialism and Science.

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ihre Madagaskarbilder. Die Kolonien boten beträchtliche Freiräume für illegale Bereicherung, wie die Geschichten Beňovskýs oder La Serres bezeugen. Neben der Hoffnung, als Kolonialherr reich zu werden, hat sicherlich auch der Wille, sich als Menschenfreund zu präsentieren, eine Rolle gespielt. Fünftens mussten sich die Madagaskarautoren vor allem einer höfischen Logik fügen, um wahrgenommen und gefördert zu werden. Zwar spielte die Verwaltung als Kommunikationsschaltstelle eine wichtige Rolle. Die Verfasser von Denkschriften mussten zunächst das Büro des E ­ rsten Kommis passieren. Diese Prüfung ging mit etablierten Verfahren der Informationsverarbeitung einher. Einmal im Amt, sollten sich die Agenten in Übersee der Techniken der Informationsweitergabe bedienen, die der Versailler Zentrale Einblicke in das Agieren der Akteure in Übersee gewähren sollten. Letztendlich spiegelte die Rezeption der Texte über Madagaskar jedoch die Patronageverhältnisse wider: Beachtung fanden vor allem diejenigen Autoren, die wichtige Hofpersönlichkeiten zu Patronen hatten. Zudem war es für einen Minister wichtiger, Klienten zu gewinnen, die loyal waren und zur Vermehrung seines symbolischen Kapitals beitragen konnten, als einer bürokratischen Logik der Informationsgewinnung und -verarbeitung zu folgen. Die Entscheidungen über die Förderung und Belohnung liefen nach den klassischen Prinzipien der Patronagebeziehungen ab. Dies bewirkte, dass bestimmte Informationen über das Fehlverhalten französischer Agenten in Übersee als zweitrangig eingestuft wurden und dass viele Entscheidungen im Nachhinein wenig rational erscheinen. Diese Logik verstanden viele Denkschriftenautoren durchaus. Sie versuchten, Beweise ihres Eifers zu liefern. Vor allem stellten sie dem Minister Ruhm in Aussicht. Dafür erwies sich der Madagaskardiskurs, der die Vorstellung einer neuartigen Glorie in einem aufgeklärten Zeitalter transportierte, als ein geeignetes Instrument. Sechstens war die französische Verwaltung in der Tat offen für Wissen, das von Auswärtigen an sie herangetragen wurde. Jedoch bewirkte die dominante Patronagelogik, dass die Madagaskarexpertise ihren Weg nach Versailles nicht fand. Die Marineminister betrauten niemals Kenner Madagaskars mit dem Aufbau einer Kolonie. Die Schriften der Experten erreichten niemals das Mutterland. Dagegen schenkten die Ministerialbeamten den Denkschriften von Personen ohne Regionalexpertise durchaus Beachtung. Siebtens brachte die Gattung der Denkschrift das Problem mit sich, dass Informationen aus Schriften gewonnen wurden, die für ein Projekt warben. Achtens trug unter diesen Umständen die Schaffung eines Denkschriftenarchivs für das Marineministerium entschieden zur Verbreitung des spätauf­klärerischen Wissens über Madagaskar bei. Das Archiv machte die Denkschriften zugänglich und ermöglichte sowohl das Abschreiben als auch das Verweisen auf Denkschriften von anderen Autoren. Der Madagaskardiskurs wies aus ­diesem Grund eine hohe Selbstreferenzalität auf.

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Neuntens erklären Änderungen im epistemischen Setting der Kolonialverwaltung die Tatsache, dass die französische politische Elite der Restaurationszeit imstande war, den spätaufklärerischen Madagaskdiskurs aufzugeben. Die Aufwertung von Expertenwissen, die Rolle einer neuen Gelehrtengesellschaft, die veränderte Funktion der Denkschriften, die Transformation der Archive und eine andersartige Legitimierung von Wissen, die zum Aufgeben der »philosophie« führte, trugen allesamt dazu bei, dass die imperialen Eliten den Madagaskartraum aufgaben.

12 Die Geburtsstunde des modernen Kolonialismus? 1931 eröffnete das Kolonialmuseum (Musée des colonies) in Paris seine Türen für Besucher. Als Kernstück der großen Kolonialausstellung kam dem Museum eine besondere repräsentative Funktion zu. Die koloniale Welt war bislang verhältnismäßig diskret in der Denkmalpolitik der Dritten Republik vertreten gewesen. Nun sollte sie ein Gesicht in Paris erhalten – zwar am Rande der Stadt, aber in einem imposanten und reich geschmückten Neubau, dem Palais de la Porte Dorée (Abb. 18). Schon von Weitem erblickt der Besucher eine mächtige Kolonnade, die ein kolossales, die gesamte Fassade bedeckendes Basrelief umrahmt, das den Reichtum der Kolonien darstellt (Abb. 19). Der Kern des Gebäudes ist ein 900 Quadratmeter großer Saal, dessen Wände mit bunten Fresken bemalt sind: Hier sind weiß gekleidete französische Missionare, Ärzte, Ingenieure zu sehen, die die oft halbnackten Eingeborenen Afrikas und Asiens von der Sklaverei befreien, taufen, unterrichten, heilen und mit dem Segen des technischen Fortschritts beglücken (Abb. 20 und 21). Die Fresken des Palais de la Porte Dorée sind ein gutes Beispiel für die Symbolik, die zur Legitimierung der Kolonialexpansion in der Dritten Republik bemüht wurde. Das ideologische Kernstück des französischen Kolonialismus dieser Zeit bildete die Zivilisierungsmission. Diese Vorstellung fand sich in verschiedenen Kolonialreichen wieder, doch spielte sie wohl nirgendwo eine so zentrale Rolle wie im französischen.1 Die Idee einer Zivilisierungsmission war dabei nicht neu, sondern ging auf die Spätaufklärerung zurück: Sie keimte erstmals in den Schriften des Gouverneurs von Fort-­Dauphin Maudave auf, war eng mit dem aufkläre­rischen Anspruch verknüpft und ging mit der Formulierung neuer assimilationistischer Kolonialprojekte in Bezug auf unterschiedliche Weltregionen in den 1760er und 1770er Jahren einher. Aufklärer trugen entscheidend zur Genese und Propagierung der Idee der Zivilisierungsmission im Allgemeinen und des Madagaskardiskurses im Besonderen bei. Die Vorstellung, die Madagassen und andere »barbarische« oder »wilde« Völker ­seien zur Zivilisation bestimmt, ging Hand in Hand mit dem Entwurf einer neuen Universalgeschichte, die eng mit der Idee vom Fortschritt der »lumières« verbunden war. Der Anspruch, eine aufgeklärte Philosophie zu verteidigen, zog sich durch viele Texte, die zur Kolonisierung Madagaskars aufriefen. Zweifelsohne ist die nach 1763 aufkeimende Idee einer Zivilisierungsmission Teil der Aufklärungsgeschichte.

1 Conklin, A Mission to Civilize, 1.

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Abb. 18  Das Palais de la Porte Dorée, Paris (heutiger Zustand)

Abb. 19  Das Basrelief auf der Fassade des Palais de la Porte Dorée, Paris

Diese Tatsache wirft die Frage auf, inwiefern der moderne Kolonialismus, der sich in der Dritten Republik entfaltete, ein Produkt der Aufklärung gewesen ist. Diese These legt die postkoloniale Aufklärungskritik nahe, die dem »Aufklärungsprojekt« einen imperialistischen Charakter zuschreibt: Die Aufklärung zielte diesen Autoren zufolge darauf ab, lokale und religiöse Kulturen zu zerstören und sie durch vermeintlich rationale und universale Normen zu ersetzen.2 Die postkoloniale 2 Gray, After the new Liberalism, 120 – 124; Ghachem, Montesquieu in the Caribbean, 7; Wokler, Projecting the Enlightenment; MacIntyre, Der Verlust der Tugend; Spivak, A

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Abb. 20 und 21  Fresken im großen Saal des Palais de la Porte Dorée, Paris

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Aufklärungskritik hat dadurch zweifelsohne die Aufmerksamkeit auf zahlreiche Phänomene der Ideengeschichte des 18. Jahrhunderts gelenkt, die keinen Platz im vorherrschenden Aufklärungsnarrativ haben. Dennoch konzentriert sich diese Forschungsrichtung auf das Werk von Intellektuellen und schlägt nur selten den Bogen zur politischen Praxis. Daher muss die These, die Ursprünge des modernen Kolonialismus ­seien in der Aufklärung zu suchen, noch einer politikhistorischen Überprüfung unterzogen werden. Ganz im Gegensatz zu dem, was die postkoloniale Aufklärungskritik suggeriert, hat Saliha Belmessous vor Kurzem auf Kontinuitäten ­zwischen den kolonialpolitischen Ansätzen im Kanada des 17. und jenen im Algerien des 19. Jahrhunderts hingewiesen. Belmessous stellt die in der Historiographie gängige Periodisierung der französischen Kolonialgeschichte infrage und schlägt vor, das Erste (frühneuzeitliche) und das Zweite (moderne) Kolonialreich nicht getrennt voneinander zu betrachten. Auf der Ebene des kolonialen Imaginären überwögen die Kontinuitäten, nicht zuletzt aufgrund des Assimilationsideals französischer Kolonialeliten. Zugleich zeigt Belmessous, dass das Assimilationsprojekt immer wieder aufgegeben und von rassistischen Annahmen untergraben wurde.3 Die Stichhaltigkeit der Kontinuitätsthese muss somit genauso wie die These eines epochalen Bruchs im 18. Jahrhundert überprüft werden. Um die Frage, ob der moderne Kolonialismus auf die Aufklärung zurückzuführen ist, bejahen zu können, reicht es nicht, auf die Erfindung der Vorstellung einer Zivilisierungsmission im 18. Jahrhundert und deren propagandistische Benutzung während der Dritten Republik hinzuweisen. Vielmehr müssen drei Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss die Spätaufklärung eine signifikante kolonialpolitische Wende über den madagassischen Fall hinaus aufweisen. Zweitens muss diese Wende mit der Erfindung neuer Ansätze in der Kolonialherrschaft einhergehen, die eine veränderte politische Praxis begründen. Drittens müssen diese kolonialpolitischen Ansätze die Kolonialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts weitgehend dominieren. Im französischen Fall müsste insbesondere eine Kontinuität ­zwischen dem Kolonialismus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und dem der Dritten Republik bestehen. Ein zumindest kursorischer Vergleich der kolonialpolitischen Leitlinien ­zwischen dem 17. und dem 20. Jahrhundert ist somit vonnöten. Dieses Kapitel möchte einen Beitrag zur Überprüfung der These eines epochalen Bruchs im 18. Jahrhundert sowie der These einer Kontinuität ­zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert leisten. Es betrachtet deshalb den Fall Madagaskars nach 1763 in einer größeren Zeitspanne und in einem größeren geographischen Rahmen als bislang in dieser Monographie geschehen. Im Folgenden kann ein Critique of Postcolonial Reason; Mehta, Liberal Strategies of Exclusion; ders., Liberalism and Empire. 3 Belmessous, Assimilation and Empire.

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solcher sowohl diachroner als auch diatopischer Vergleich nur angerissen werden. Zuerst soll untersucht werden, inwiefern die spätaufklärerischen Vorstellungen von der erstrebenswerten Expansion auf Madagaskar Teil einer kolonialpolitischen Wende nach dem Siebenjährigen Krieg waren. Danach gilt es zu fragen, wie neu die kolonialpolitischen Ansätze dieser Zeit wirklich waren. Schließlich wird überprüft, inwiefern der spätaufklärerische koloniale Ansatz, der auf Madagaskar angewandt werden sollte, die Kolonialpolitik der Neuzeit prägte.

12.1 Die kolonialpolitische Wende nach dem Siebenjährigen Krieg Der Durchbruch des Assimilierungsideals in der Madagaskarpolitik nach 1763 vollzog sich vor dem Hintergrund eines größeren kolonialpolitischen Wandels. Maudave und seine Nachfolger etablierten den spätaufklärerischen Madagaskardiskurs in einer Zeit kolonialpolitischer Experimente. Bereits in den späten 1740er Jahren hatte Joseph-­ François Dupleix angefangen, ein territoriales Imperium in Südindien zu errichten. Es war ein entscheidender Schritt in Richtung eines neuartigen Kolonialismus in Asien: Die französische Indienkompanie und ihr britisches Pendant übernahmen ganze einheimische politische Gebilde.4 Zugleich ist jedoch zu beachten, dass diese Expansionspolitik sehr kontrovers blieb. Dupleix ist sogar wegen der Kosten, die seine aggressive Linie hervorrief, nach Frankreich zurückberufen worden.5 Selbst seine Parteigänger legitimierten seinen Expansionskurs nur zaghaft. Am ehesten führten sie klimatheoretische Argumente an, um die Übernahme indischer Territorien zu rechtfertigen.6 Ihr dominantes Verteidigungsmuster war, die Expansion nur als einen ungeplanten Nebeneffekt einzelner politisch kluger Entscheidungen zum Schutz der französischen Niederlassungen vor der britischen Aggression zu präsentieren.7 Dupleix und seine Anhänger waren also weit davon entfernt, wie die Kolonialherren im neuzeitlichen Indien die Idee einer Zivilisierungsmission zu propagieren.8 Mit dem Abriss französischer Festungen in Indien nach 1763 standen ambitionierte Expansionspläne auf ­diesem Subkontinent ohnehin nicht mehr auf der Tagesordnung: Die Franzosen konnten höchstens noch den Ehrgeiz haben, im Bündnis mit einheimischen Fürsten der britischen Expansion Einhalt zu gebieten.9 4 Haudrère, La Compagnie française des Indes, 713 – 773; Marshall, The British in India; Mann, Bengalen im Umbruch. 5 Haudrère, La Compagnie française des Indes, 738 – 749. 6 Travers, Ideology and British Expansion. 7 Siehe Dupleix’ Verteidigungsschrift: Dupleix, Mémoire. 8 Zur imperialen Ideologie im Indien des 19. Jh.: Studdert-­Kennedy, Providence and the Raj. 9 Das, Myths and Realities.

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Die wohl größte kolonialpolitische Neuerung im französischen Kolonialreich dieser Epoche bestand darin, dass nach dem Siebenjährigen Krieg das Entwicklungsmodell der Plantageninsel immer mehr in die Kritik geriet. Seine Infragestellung hatte vorerst wenig mit dem Abolitionismus zu tun, der in den 1770er Jahren nur langsam aufkam und sich erst in den 1780er Jahren zu einer Bewegung kristallisierte. Sie ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Kolonialbeamte und Ministerienangestellte dem karibischen Inselreich eine unsichere Zukunft vorhersagten – weniger weil sie eine Sklavenrevolution ernsthaft in Erwägung gezogen hätten, sondern vielmehr weil sie die Verteidigung der Inseln vor den Briten als eine schwierige oder gar unmögliche Angelegenheit betrachteten. Großbritannien hatte 1759 Guadeloupe und drei Jahre später Martinique erobert. Die Versailler Regierung hatte im Pariser Frieden diese Inseln zurückerlangt, nach 1763 ließen jedoch die Sorgen um die Zukunft dieser Besitzungen nicht nach. Deshalb wurden in den Kleinen Antillen Befestigungsräte (conseils de fortifications) eingerichtet.10 Die militärische Elite der Inseln stritt dabei über den Sinn und Unsinn verschiedener Pläne und Bauarbeiten zur Verbesserung der Befestigungsanlagen.11 Sie gab sich allerdings keinen Illusionen hin: Nicht nur war die britische Marine der französischen überlegen, auch war es zu teuer, große Truppenkontingente in der Karibik zu unterhalten. Die Sterblichkeitsrate unter neu angekommenen Soldaten war erschreckend hoch.12 Außerdem fehlte das Geld, um die Inseln wirksam zu befestigen. So konnte nur ein zerklüftetes Terrain für die Invasoren Hürden darstellen. Zum Beispiel war aus Sicht der Denkschriftenautoren Guadeloupe nur bedingt zu verteidigen, denn nur die westliche Hälfte der Insel, die Basse-­Terre – und nicht die Grande-­Terre –, war bergig.13 Noch schlimmer stand es um Saint-­Domingue, die wichtigste französische Überseebesitzung überhaupt. Hier konnte der Feind beinahe überall unbehelligt an Land gehen. Gerade die 10 ANOM, DFC, XI/mémoires/48, Nr. 219 bis 221; ANOM, DFC, VI/mémoires/28, Nr. 306. 11 ANOM, DFC, XXXIII/mémoires/1, Nr. 27, 31, 34, 36, 41, 42, 61, 62; XXXIII/mémoires/2, Nr. 73, 74, 76, 78, 80; XXXIII/mémoires/3, Nr. 112, 115, 118 bis, 197, 209; DFC, XI/mémoires/­ 49, Nr. 330 und 337; ANOM, DFC, VI/mémoires/27, Nr. 195, 205 bis 207, 227, 235, 238; DFC, VI/mémoires/28, Nr. 367, 378; DFC, VI/mémoires/29, Nr. 390, 399, 413. 12 ANOM, DFC, XXXIII/mémoires/1, Nr. 47; XXXIII/mémoires/3, Nr. 103; DFC, XI/ mémoires/48, Nr. 272. Der Briefwechsel z­ wischen dem Vicomte de Belsunce, dem Chevalier de Montreuil und Regnault offenbart die Sorge um die schlechte Gesundheit der Soldaten: DFC, XXXIII/mémoires/1, Nr. 54. Angesichts der Unmöglichkeit, große französische Truppenkontingente zu unterhalten, wurden verschiedene Projekte entworfen, unter anderem die Anwerbung von Schweizern und Deutschen, die Einführung eines Militärdiensts für freie Farbige und die Deportation von Wilderern und Salzschmugglern: DFC, XXXIII/mémoires/1, Nr. 47; ebd., Nr. 54; ebd., Nr. 59. 13 ANOM, DFC, VI/mémoires/26, Nr. 140; DFC, VI/mémoires/27, Nr. 243; ebd., Nr. 282 und 283; ebd., Nr. 325; ebd., Nr. 335; DFC, VI/mémoires/29, Nr. 396.

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Verteidigung des reichsten Teils der Kolonie, der Nordebene, stuften die Militärexperten als aussichtslos ein: Höchstens ein Rückzug in die Berge, der die Briten zur Abwehr eines erschöpfenden Kleinkriegs zwingen würde, könnte im Falle einer feindlichen Landung Wirkung zeigen.14 Da die karibischen Kolonien mit königlichen Truppen kaum zu verteidigen waren, war es nach Ansicht des Marineministeriums die Rolle der lokalen Milizen, ihre Heimat vor den Briten zu beschützen. Doch genau diese Erwartung provozierte neue Spannungen, denn die Kreolen wehrten sich vehement gegen ihre militärische Indienstnahme. Auf Guadeloupe rief die Pflicht, Militär- und Arbeitsdienste (corvées) zu verrichten, heftige Proteste hervor. Der Gouverneur Nadau du Treil geriet deswegen während des Siebenjährigen Kriegs in einen Konflikt mit mehreren Plantagenbesitzern, die nicht einsahen, dass sie zusätzlich zur Bezahlung der neuen Steuern sich auch noch unter die Waffen stellen sollten.15 Choiseul versuchte nach dem Krieg, die Einwohner der Karibik zufriedenzustellen, und schuf 1763 die Milizen gegen die Bezahlung von neuen Abgaben ab.16 Bereits ein Jahr später bemühte er sich jedoch, die Milizen erneut ins Leben zu rufen, obwohl die Steuern bezahlt worden waren.17 Diese Maßnahmen wurden 1765 auf Guadeloupe durchgesetzt,18 verursachten jedoch auf Saint-­Domingue Unruhen, unter anderem weil der Gouverneur Charles-­Henri d’Estaing Männer mit einem »Achtel schwarzen Bluts« in die »weißen« Einheiten integrierte. Die Milizen wurden trotz der Widerstände 1768 wiedereingeführt. Ende des Jahres brach ein Aufstand auf der Insel aus.19 Obwohl die Rebellen keinen Erfolg hatten, blieb in der Regierungs- und Verwaltungselite die Angst vor der Unzufriedenheit der Siedler, die in Kriegszeiten gefährlich werden konnte, in den 1770er Jahren sehr lebendig.20 14 ANOM, DFC, XXXIII/mémoires/1, Nr. 27; ebd., Nr. 34; ebd., Nr. 40 und 41; ebd., Nr. 59; ebd., Nr. 63 (insb. S. 5); ebd., Nr. 76 (insbesondere article 19); ebd., carton 3, Nr. 114; ebd., Nr. 209; ebd., Nr. 262. 15 ANOM, DFC, VI/mémoires/26, Nr. 121. 16 ANOM, DFC, XXXIII/mémoires/1, Nr. 48 und 49; ebd., Nr. 63 (S. 5 f ). Das Marineministerium riet 1765 dem neuen Gouverneur von Guadeloupe, Nolivos, zur Sanftmut: DFC, VI/mémoires/26, Nr. 181; Garrigus, Before Haiti, 116 f.; Gelszus, Kolonisation und Kolonialpolitik, 147 f.; Boulle, The French Colonies; Chaussinand-­Nogaret, Choiseul, 208 – 214. 17 Garrigus, Race and Citizenship, 117 – 119. 18 ANOM, DFC, VI/mémoires/27, Nr. 190 und 191. 19 ANOM, DFC, XXXIII/mémoires/1, Nr. 58, Instruktionen für Truppen und Miliz, 1770; Protest gegen die neuen Steuern: ANOM, DFC, XI/mémoires/48, Nr. 280; Frostin, Les Révoltes blanches, 181 – 209; Garrigus, Race and Citizenship, 109 – 139; Gelszus, Kolonisation und Kolonialpolitik, 147 – 161. 20 Dem ehemaligen Gouverneur Charles-­Henri d’Estaing zufolge sollte wegen der potentiellen Unruhen der Militärdienst in den Milizen freiwillig gemacht und das Steuersystem

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Während die Aufständischen Saint-­Domingues in der Milizpflicht und der wachsenden Steuerlast einen Bruch des Vertrags z­ wischen Mutterland und Kolonie sahen,21 hatten die Beamten und Militärs ein grundsätzlich anderes Verständnis der Beziehungen z­ wischen Frankreich und seinen Überseebesitzungen: Die Kolonien waren eine Schöpfung des Mutterlands und folglich den Interessen Frankreichs untergeordnet.22 In ihren Augen rührten die aktuellen Konflikte daher, dass die Plantagenbesitzer durch den Luxus verdorben s­ eien. Die Siedler s­ eien nicht patrio­tisch gesinnt, weil sie sich nur für ihre Finanzlage interessierten. Sie s­ eien auch von der Sklaverei korrumpiert, achteten peinlichst auf die Überlegenheit, die ihnen ihre Hautfarbe verleihe, und weigerten sich zu arbeiten. Eigentlich sei es ihnen gleichgültig, ob sie vom König von Frankreich oder von England regiert würden, wenn sie sich nicht sogar die britische Herrschaft wünschten. Während von den Sklaven kein Einsatz für Frankreich zu erwarten war, konnten Kolonial­ politiker also wenig Vertrauen in den Plantagenbesitzer setzen, dem sie einen Mangel an patriotischem Geist attestierten.23 Solche Vorstellungen teilten nicht nur die königlichen Beamten der Karibik. Sie waren verbreitete Topoi in den Öffentlichkeiten der atlantischen Welt. Selbst ein Sklavenhalter wie Thomas Jefferson glaubte, die Sklaverei habe einen pervertierenden Effekt auf den moralischen Zustand des Herrn.24 Choiseul versuchte, einen neuen Patriotismus ins Leben zu rufen. Dafür setzte er auf die Talente von Aufklärern wie Raynal.25 Aus ebendiesem Grund spielt die Kritik an eigennützigen Kolonisten, die vom Luxus und der Sklaverei verdorben seien, in der Geschichte beider Indien eine zentrale Rolle. Ihnen stellte Raynal die guten »republikanischen« Siedler gegenüber, die arbeitsam und dem Allgemeinwohl verpflichtet ­seien.26 Dabei folgte er dem Ideal von kleinen, mit eigenen Händen den Acker bestellenden Grundbesitzern, das die Physiokraten in Frankreich vertraten. Genau diese Gedankenströmung beeinflusste nach dem Siebenjährigen Krieg die Kolonialpolitik: Choiseul ließ 1763 in Guyana, in der Gegend von Kourou, neben der alten Kolonie von Cayenne eine neue Kolonie nach physiokratischem Muster reformiert werden: ANOM, DFC, XXXIII/mémoires/1, Nr. 63. 21 Frostin, Les Révoltes blanches, 16 – 18; Garrigus, Race and Citizenship, 110 f.; Garrigus, Moreau de Saint-­Méry. 22 Gelszus, Kolonisation und Kolonialpolitik, 93 – 100. 23 ANOM, DFC, XXXIII/mémoires/1, Nr. 27, 40, 63 (S. 4 – 8); DFC, XI/mémoires/49, Nr. 332, »Mémoire au sujet de la Martinique«, ohne Datum; DFC, VI/mémoires/28, Nr. 347, »Projet de réforme des milices«, ohne Datum; DFC, VI/mémoires/29, Nr. 405, »Mémoire sur l’administration générale de la Guadeloupe«, 1786. 24 Jefferson, Notes on the State of Virginia. 25 Chaussinand-­Nogaret, Choiseul, 87 – 91, 124, 149 – 162, 309 – 314; Bancarel, Raynal, 106 f., 113 – 144. 26 Pečar/Tricoire, Falsche Freunde, 129 – 152.

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errichten. Er verbot in ­diesem Gebiet die Sklaverei. Anstelle von Afrikanern sollten kanadische und deutsche Einwanderer den Boden selbst bestellen. 17.000 Siedler ließ Choiseul nach Südamerika bringen. Das Experiment endete jedoch in einer epidemiologischen Katastrophe, die Tausenden das Leben kostete.27 Das Kolonisierungsunternehmen in Kourou ist für die Geschichte der Expansionsversuche auf Madagaskar aus zwei Gründen relevant: Erstens weisen die kolonialpolitischen Kontexte beider Unterfangen Parallelen auf. Sowohl in Guyana 28 als auch auf Madagaskar sollten Ersatzkolonien geschaffen werden, um die territorialen Verluste des Siebenjährigen Kriegs wettzumachen. Guyana sollte Frankreich für Kanada und Madagaskar für Französisch-­Indien entschädigen.29 Die Île de France konnte Maudave zufolge ein Bollwerk sein, war jedoch zu klein, um die notwendigen Lebensmittel und Soldaten hervorzubringen, die man für eine starke französische Präsenz in Ostindien brauche. Nur Madagaskar konnte eine Machtbasis jenseits des Kaps der Guten Hoffnung bilden.30 Zweitens wurde in Kourou zum ersten Mal im französischen Kolonialreich die Sklaverei verboten. Dies geschah weniger im Namen der Menschlichkeit und schon gar nicht als Teil eines Plans zur Abschaffung der Sklaverei in allen Überseegebieten. Vielmehr zielte diese Maßnahme darauf ab, fleißige und patriotisch gesinnte Kleinbesitzer zu schaffen, die die Künste aufblühen lassen und gute Soldaten sein würden.31 Genau ­solche Vorstellungen standen hinter den Plänen Maudaves, für den die Bevölkerung der Maskarenen durch die Sklaverei »lasterhaft« geworden war.32 Madagaskar sollte sich »gesünder« als seine Nachbarn und auch als die karibischen Inseln entwickeln, wo ein »Volkskörper« (»un corps de peuple«) fehle: Da gibt es nur Herren, die alles sind, und Sklaven, die nichts sind, so dass Erstere nur als Konsumenten und Letztere nur als Lieferanten von Nahrungsmitteln dem Mutterland einen Vorteil bringen. Die Künste entwickeln sich aufgrund des Mangels an freien und geschickten Händen nicht. Es fehlt an Ressourcen für die Kriegsführung: Denn man wird in dieser Art Niederlassung weder Soldaten noch Seeleute finden.33 27 Godfroy-­Tayart de Borms, Kourou. 28 Godfroy-­Tayart de Borms, Kourou, 316. 29 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 26, Bl. 1, Maudave an Praslin, 28. April 1767. 30 Ebd., Bl.1 f. 31 Godfroy-­Tayart de Borms, Kourou, 69 – 80. 32 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 27, Bl. 1, Anonym, »Projet d’un établissement à Madagascar. 21 novembre 176[?]«: »tout le travail de cette colonie est dévolu aux esclaves; sa population est vicieuse«. 33 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 40, S. 12, Denkschrift von Maudave, ohne Datum: »On n’y voit que des maitres qui sont tout et des esclaves qui ne sont rien; aussi leur usage est-­il borné a la consommation et à la fourniture respective de leurs denrées et de celles de la métropole. Les arts y languissent faute de mains libres et habiles pour

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Für Maudave, Cossigny oder auch Lescallier sollte die Rote Insel ein zweites, besseres, weil sklavenloses Saint-­Domingue werden.34 Der Aufbau einer neuen Kolonie in Kourou ging also mit kolonialpolitischen Innovationen einher, die wenige Jahre später auch auf Madagaskar eingesetzt werden sollten. Zugleich unterschied sich jedoch das physiokratische Modell einer Siedlungskolonie, das hinter dem Projekt von Kourou stand, deutlich von den Plänen für Anosy: Die indigene Bevölkerung war weitgehend abwesend von den Überlegungen des Gouverneurs der neuen guyanischen Kolonie, des Chevalier de Turgot, eines Bruders des berühmten physiokratischen Ökonomen und späteren Finanzministers Anne-­Robert Turgot.35 Projekte einer »sanften« Expansion durch Zivilisierung und Assimilation wurden nicht nur in Bezug auf Madagaskar formuliert. Einige Jahre nach Maudaves Denkschriften träumten imperiale Akteure von einer »francisation« (einer Assimilierung an die Französische Nation) der Indianer Südamerikas.36 Die Idee einer Expansion durch Zivilisierung und Assimilierung breitete sich schlagartig um 1770 in mehreren Imperien aus: dem französischen, spanischen, portugiesischen und dem russischen.37 Angesichts dieser Tatsache erscheint es gerechtfertigt, von einer neuen kolonialpolitischen Epoche zu sprechen. Selbst im britischen Reich, wo die Idee der Zivilisierungsmission erst verhältnismäßig spät – im frühen 19. Jahrhundert – an Bedeutung gewann und sich das Assimilationsideal niemals wirklich durchsetzte, lässt sich eine Veränderung in der Politik gegenüber den Eingeborenen feststellen: Obwohl die Kolonialverwalter in Kanada die Trennung z­ wischen Briten und Indigenen beschlossen, bemühten sie sich nach 1763, die Eingeborenen stärker als Untertanen der Krone zu behandeln und in den Staat zu integrieren.38 Die 1770er und 1780er Jahre waren schließlich nicht zuletzt von der zunehmenden Kritik an der Sklaverei und dem Sklavenhandel gekennzeichnet, die Publizisten wiederum dazu anspornte, neue koloniale Expansionspläne zu schmieden. Mehrere französisch- und englischsprachige Autoren begannen, über Alternativen les exercer. Nulle ressource pour la guerre et le commerce: car on ne trouvera dans ces sortes d’établissement des soldats et des matelots.« 34 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 26, Maudave an Praslin, 28. April 1767; ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15, Cossigny, »Mémoire sur la colonisation de Madagascar«, 7. April 1802. 35 Godfroy-­Tayart de Borms, Kourou, 80. 36 ANOM, DFC, XII/mémoires/62, Nr. 207, »Considérations sur les malheurs de la France pour servir d’introduction à un essai sur Cayenne, par M. de Meuron«, 1774; ANOM, DFC, XII/mémoires/62, Nr. 218, Bessner, »Précis sur les Indiens, par M. de Besner«, 1774. 37 Weber, Barbaros; Vul’pius, Vesternizacija Rossii. 38 Sosin, Whitehall and Wilderness; White, The Middle Ground, 269 – 365; Calloway, Crown and Calumet; Craton, Planters, Imperial Policy, and the Black Caribs; Ray, Indian Society and the Establishment of British Supremacy; Ahmed, Orientalism and the Permanent Fix of War, 167 – 203; Bowen, Revenue and Reform; Stagl, The rule of law.

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zur sklavistischen Plantagenkolonie nachzudenken. In ­diesem Zusammenhang entwickelten einige die Idee, ihr Vaterland solle Kolonien in Afrika gründen. Zwar war das Vorhaben, Plantagen südlich der Sahara aufzubauen, nicht ganz neu. Der Gouverneur von Senegal Louis Moreau de Chambonneaus hatte diesen Vorschlag bereits im Jahr 1688 unterbreitet.39 Doch gewann diese Idee erst mit der Kritik am karibischen Entwicklungsmodell an Relevanz, wie ein Text vom Physiokraten Dupont de Nemours aus dem Jahr 1771 zeigt.40 Weitere Projekte, die von einem Umdenken der französischen Eliten in kolonial­ politischen Fragen zeugen, betrafen Mittelmeergebiete wie Korsika. Der vormodernen ­Theorie zufolge, die Breitengrade zum entscheidenden Faktor des Klimas erklärte, sollte es in den warmen Gegenden des Mittelmeers sehr wohl möglich sein, Zuckerrohr anzupflanzen.41 Auf der Grundlage solcher Vorstellungen setzten hochrangige Politiker Hoffnungen in den landwirtschaftlichen Ausbau der Insel. Der Außenminister Vergennes dachte daran, Baumwolle, Tee und Gewürze auf Korsika herstellen zu lassen.42 Der Finanzminister Calonne gründete zu d ­ iesem 43 Zweck 1785 eine Kolonie. Auch Volney versuchte während der Revolution, auf seinem korsischen Gut, das er »Kleinindien« (Petites-­Indes) taufte, koloniale Produkte hervorzubringen.44 Ferrand Dupuy, der auch eine Denkschrift über Madagaskar verfasste, stellte in seiner »Chronologischen, politischen und historischen Abhandlung über Korsika« (Essai chronologique, politique et historique sur l’isle de Corse) die Insel Korsika als zukünftiges landwirtschaftliches und gewerbliches Zentrum dar, falls Frankreich dort Niederlassungen aufbaue. »Der Korse« sei zwar noch roh, unnahbar, finster und blutrünstig, doch sei dies nur das Ergebnis von ausländischen Invasionen. Gegenüber dem Fremden, der nicht komme, um ihn zu versklaven, sei er menschlich, sanft und teilnahmsvoll. Brächte man ihm die Kenntnisse der Zivilisation, würde er sich von der Vernunft und nicht mehr von den Leidenschaften leiten lassen. Die mächtige französische Monarchie sollte »den Korsen« schützen und aus ihm einen glücklichen Bürger machen.45 39 Steiner, Colberts Afrika, 373. Michèle Duchet sieht in Adansons Voyage au Sénégal eines der ersten Plädoyers für den Aufbau neuer Kolonien in Afrika und für die Zivilisierung des Schwarzen Kontinents. Jedoch ist der Reisebericht diesbezüglich sehr zurückhaltend: Duchet, Anthropologie et Histoire, 73; Adanson, Voyage au Sénégal. 40 Dupont de Nemours, Observations sur l’esclavage des nègres, 242. Ähnlich wie Dupont de Nemours argumentiert der britische Beamte Maurice Morgann: Morgann, A Plan for the Abolition of Slavery, 25. 41 Debien/Lokke, L’Expédition d’Egypte et les projets de culture coloniale, 337 – 339; Bret, Des »Indes« en Méditerrannée?, 69 f. 42 Vergennes, Mémoire historique et politique, 243 – 251. 43 Leclerc de Montlinot, Essai sur la transportation, 54 – 56. 44 Volney, Œuvres complètes (Bd. 1), XVIII. 45 Ferrand Dupuy, Essai sur l’isle de Corse, insbesondere Vorwort und 30 – 75.

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Ähnliche Projekte wurden in den 1780er Jahren auch in Bezug auf Ägypten entworfen, das zudem den besonderen Vorteil hatte, strategisch günstig gelegen zu sein. Ab den 1780er Jahren weckte das Land am Nil Begehrlichkeiten in Frankreich: Claude-­Etienne Savary beschrieb in seinen »Briefen über Ägypten« (Lettres sur l’Égypte) aus dem Jahr 1783 Ägypten als ein Land, das von der Tyrannei der Beys zugrunde gerichtet worden sei. Savary behauptete, ein zivilisierter Staat wie Frankreich könnte durch große Bewässerungsprojekte eine blühende koloniale Landwirtschaft entstehen lassen. Der philosophe Volney rief in seiner 1787 erschienenen Schrift »Reise nach Syrien und Ägypten« (Voyage en Syrie et en Égypte) ebenfalls zur Eroberung des Lands am Nil auf. In seinen Augen war die ägyptische Bevölkerung der orientalischen Despotie überdrüssig. Sie sehne sich nach einem wohlgeordneten Staat wie Frankreich, der den Fortschritt bringen würde. Die Ägypter s­ eien bereit, sich gegen die Beys und für die Franzosen zu erheben.46 Die französische Invasion in Ägypten – der größte koloniale Expansionsversuch der Revolutionszeit – war unmittelbar von den Veröffentlichungen dieser philosophes inspiriert. Der Außenminister Talleyrand, der die Idee in die Welt setzte, aus dem Land am Nil eine französische Kolonie zu machen, hatte ­Volney gelesen. Sein Ziel war es, im östlichen Mittelmeer einen Ersatz für Saint-­ Domingue zu schaffen. Er und sein Umfeld waren überzeugt, Frankreich würde zukünftig alle Kolonialwaren aus Ägypten importieren können.47 An Volneys Schrift anknüpfend, glaubte Talleyrand, das Volk am Nil werde sich gegen die Mameluken erheben und die Franzosen mit offenen Armen empfangen. So spielte in der politischen Planung des Direktoriums die Idee einer zwingenden Überlegenheit der französischen Zivilisation eine Rolle. General Bonaparte sah sich als Repräsentant einer regenerierten Nation, die Fortschritt und Freiheit in die Welt bringe. Er hielt das Osmanische Reich für verkrustet und zum Zusammenbruch verurteilt. Auf den Ruinen ­dieses Imperiums würden bald neue Nationen wie die Araber, Griechen, Armenier und Ägypter entstehen und er würde ihr Befreier sein.48 Von dieser Annahme beflügelt, konnte Bonaparte nach seiner Ankunft in Alexandrien den Widerstand der Bevölkerung gegen die Invasoren nur schwer verstehen.49 Die Vorstellungswelt, die die Grundlage für den französischen Einmarsch in Ägypten bildete, weist also auch Ähnlichkeiten mit der utopischen Vision auf, 46 Laurens, Les Origines intellectuelles de l’expédition d’Égypte; Laurens u. a., L’Expédition d’Égypte. 47 Debien/Lokke, L’Expédition d’Egypte, 337 – 354. 48 Laurens u. a., L’Expédition d’Égypte, 18 – 30; Laurens, Les Origines intellectuelles de l’expédition d’Égypte, 105 f. 49 Laurens u. a., L’Expédition d’Égypte, 75 – 99.

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die Autoren von Texten über Madagaskar entwickelt hatten. Allerdings ist ein wichtiger Unterschied nicht zu übersehen: Für Talleyrand und Bonaparte stand die Assimilation der Ägypter nicht auf der Tagesordnung. Um die Bevölkerung für sich zu gewinnen, präsentierten sich die Franzosen vielmehr als Bewahrer des Islams. Der letzte Kommandant der Orientarmee, Jacques Menou, konvertierte sogar zur muslimischen Religion. Doch überzeugte die bizarre Mischung aus französischer revolutionärer und islamischer Rhetorik die ägyptischen Eliten nur wenig. Die revolutionären verbalen Angriffe gegen die katholische ­Kirche – weit davon entfernt, den Ägyptern zu gefallen, wie die Franzosen gehofft hatten – schockierten sie zutiefst. Für die ägyptischen Eliten schienen die französischen Revolutionäre Atheisten zu sein.50 Für die These der postkolonialen Studien, die Aufklärung habe den modernen Kolonialismus begründet, spricht somit die Tatsache, dass in Bezug auf Ägypten, Korsika, Südamerika, Schwarzafrika wie Madagaskar die Ideen von Aufklärung und Fortschritt Fantasien über die Zivilisierung und Beherrschung weiter Gebiete und großer Bevölkerungsgruppen entstehen ließen und tatsächliche Expansionsversuche inspirierten. Zwar gingen die französischen Eliten nicht immer so weit, eine Assimilation all dieser Völker anzustreben. Doch leitete die Idee einer Kolonialexpansion durch die Autorität, die die Zivilisation den Franzosen angeblich verlieh, eine neue kolonialpolitische Epoche ein.

12.2 Alter Ansatz, neuer Anstrich Dennoch ist die These, die Aufklärung habe den modernen Kolonialismus erfunden und damit einen Abschied vom vormodernen Kolonialismus eingeläutet, nicht unproblematisch. Für Saliha Belmessous’ Kontinuitätsthese spricht, dass man die Neuheit des Zivilisierungs- und Assimilationsansatzes nach dem Siebenjährigen Krieg in der Tat relativieren muss. Das Programm der Zivilisierung und Assimilierung von fremden Völkern, das sowohl das zentrale Element in Maudaves Plänen bildete als auch eine Neuerung in der Kolonialpolitik nach 1763 darstellte, war mitnichten eine Erfindung des 18. Jahrhunderts. Dies zeigt auch der Fall der untersuchten Schriften zu Madagaskar: Maudave ließ sich bei seinen Kolonisierungsplänen stark von Flacourts Werk inspirieren. Flacourt hatte die Zivilisie­rung der Madagassen zum Ziel der zukünftigen französischen Politik gegenüber der Großen Insel erklärt. Sein Expansionsprojekt diente als Grundlage für den Kolonisierungsversuch auf Madagaskar durch die unter Colbert gegründete französische Ostindienkompanie. Ähnliche ideologische Erklärungen finden sich auch in der 50 Ebd., 90 – 99. Zu Menou: ebd., 198 f., 277 – 297.

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offiziösen Schrift zur Gründung der königlichen Handelsgesellschaft, François Charpentiers »Erzählung über die Gründung der französischen Kompanie für den Handel mit Ostindien« (Relation de l’establissement de la Compagnie françoise pour le commerce des Indes Orientales) von 1665, die mit den Worten eröffnet: »Die französische Nation kann nicht in Europa eingeengt bleiben. Sie soll sich bis zu den entferntesten Teilen der Welt ausbreiten. Die Barbaren sollen künftig die Sanftheit ihrer Herrschaft zu spüren bekommen, sie sollen sich nach ihrem Beispiel zivilisieren.« 51

Die Franzosen hatten bereits im 17. Jahrhundert den Anspruch, auf einer höheren Entwicklungsstufe zu stehen als die Madagassen und diese zu unterrichten. Dies wird sichtbar in dem Dialog z­ wischen einem Franzosen und einem Madagassen, den der Händler François Cauche seinem Reisebericht von 1651 beifügte. Die wichtigste Funktion ­dieses »colloque« besteht darin, Kenntnisse der madagassischen Sprache anhand einer angeblich realistischen Konversation ­zwischen Handeltreibenden zu vermitteln. Doch d ­ ieses Gespräch inszeniert zugleich eine Überlegenheit des Europäers. Der Madagasse bekundet darin seine Bewunderung für die geistreichen und fleißigen Franzosen, die so erfinderisch ­seien. Der Franzose antwortet, dass der Madagasse noch nichts gesehen habe. Bald würden andere Franzosen kommen, die Stein- und Holzhäuser mit großen Türen bauen und Teppiche aus Seide, Wolle und Fell, schöne Schuhe, Hüte und weiße Tücher herstellen würden. Cauches Madagasse kommt darauf­hin zur Einsicht, dass auch er mehr und besser arbeiten sollte, um ­in den Genuss solcher Reichtümer zu kommen.52 In Kanada hatte sich die königliche Verwaltung im 17. Jahrhundert zum Ziel gesetzt, die Eingeborenen zu »franciser«, das heißt, zu assimilieren. Die Franzisierungspolitik implizierte mehrere Anforderungen an die »naturels«: Die »Indianer« sollten katholisch, sesshaft, arbeitsam, sittsam und französischsprachig werden – obwohl ein nicht geringer Teil der Untertanen des Allerchristlichsten Königs dieser Sprache nicht mächtig war. Die Franzisierungspolitik hatte also eine utopische Dimension: Ihr Ziel war nicht bloß, aus den »Wilden« Franzosen zu machen, sondern sogar bessere Franzosen als die in Frankreich lebenden. Diese frühen Zivilisierungs- und Assimilierungspläne zeugten von einem großen Vertrauen in die eigene sittliche Kraft. Aus ­diesem Grund begrüßten die Kolonialverwalter in

51 Charpentier, Relation de l’establissement de la Compagnie françoise, 1: »La nation ­Françoise ne peut estre renfermée dans l’enclos de l’Europe, il faut qu’elle s’estende ­jusqu’aux parties du monde les plus esloignées, il faut que les barbares esprouvent à l’avenir la douceur de sa domination, et se polissent à son exemple.« 52 [Cauche], Relations veritables et curieuses, 175 – 182.

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Neufrankreich wie später auch Maudave die Ehebünde z­ wischen Franzosen und »Wilden« als Zivilisierungsinstrument.53 Die Franzisierungspolitik des Grand Siècle basierte wiederum auf Geschichtsbildern aus dem 16. Jahrhundert: den ersten Stufengeschichtsmodellen, die von Missionaren im Rahmen der spanischen Expansion in Amerika formuliert wurden, und der neuen Erzählung der französischen Nationalgeschichte. Für Erstere legte der Dominikaner Bartolomé de Las Casas eine Grundlage: Für ihn waren die »Wilden« Amerikas den Ahnen der Europäer und Mittelmeervölker ähnlich, die genauso ungesittet gewesen ­seien. Alle Menschen ­seien rational und von Gott dazu berufen, im Zustand der Zivilität zu leben. Der Jesuit José de Acosta baute in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts diese Ideen aus. Seiner Meinung nach hätten die alten Hebräer, Griechen und Römer genauso gegen das natürliche Recht verstoßen wie nun die »Amerikaner«. Diese s­ eien eher als Kinder zu betrachten, das heißt: als Menschen, die in einem Zustand lebten, der der Kindheit der Menschheit entspreche. Nehme man den Gebrauch der Vernunft zum Maßstab, könne man die »barbarischen« Völker drei Stufen zuordnen: Die erste Gruppe (Chinesen, Japaner, Inder) umfasse »vernünftige« Nationen, die, obwohl heidnisch, im Zustand der Zivilität lebten. Die Völker der zweiten Stufe lebten »in Republiken« und hatten einen formellen Kult, kannten jedoch weder geschriebene Gesetze noch die Philosophie. Darunter fielen die präkolumbianischen Mexikaner und Peruaner. Der dritten Kategorie rechnete Acosta diejenigen Völker zu, die ihm zufolge wie Tiere lebten, keine Vernunft kannten und dem natürlichen Recht nicht folgten. Das erste Ziel der Missionsarbeit müsse sein, alle Menschen auf die ­gleiche Stufe der Vernunft und Zivilität zu führen. Acosta formulierte es folgendermaßen: »Macht aus ihnen erst Menschen und dann Christen.« 54 Die Ideen von Zivilisationsstufen und Zivilisierungspolitik, die spanische Missionare erfanden, übten langfristig einen großen Einfluss auf die französische Kolonialpolitik aus. Dennoch folgten Spanier und Franzosen nicht demselben kolonialpolitischen Ansatz. Der spanische Staat unterstützte in Amerika die Errichtung von sogenannten »Reduktionen«, die von den spanischen Siedlungen strikt getrennt waren. Jesuiten hatten den Grundsatz, dass man alle kulturellen 53 Belmessous, Être français en Nouvelle-­France, 510 – 520; dies., Assimilation and Empire, 7. Rassistisch eingefärbt: Stanley, The Policy of »Francisation«. Zur französischen Wahrnehmung der Eingeborenen Kanadas und der Politik gegenüber ihnen siehe auch Dickason, Le Mythe du Sauvage. Zu Maudave: ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 28, Bl. 2, Denkschrift von Maudave, 6. Dezember 1767. 54 Acosta, De Procuranda, 324 (Buch 3, Kapitel 19). Zum Ansatz und Einfluss Acostas: Burgaleta, Acosta, 47 – 50, 78 – 98; Elliott, The Old World and the New, 28 – 53; Berthiaume, L’héritage de José de Acosta. Zur jesuitischen Akkommodationsstrategie siehe weiter: Reis Correia, Alessandro Valignano’s Attitude; Hsia, A Jesuit in the Forbidden City; Flüchter, Pater Pierre Martin.

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Unterschiede tolerieren solle, die weder der Religion noch der »natürlichen Bestimmung« des Menschen, in der Gesellschaft zu leben, abträglich ­seien. Ihr Ziel war es somit keineswegs, aus den Bewohnern Meso- und Südamerikas Spanier zu machen. Die spanischen Jesuiten verfolgten also zwar eine Zivilisierungs-, aber keine Assimilationspolitik. Den spanischen Laien verbot man sogar den Zutritt zu den reducciones. Segregation zum Schutz der Indianer vor der korrumpierenden Kraft der Spanier war ihr Ideal.55 Anders verhielt es sich in Kanada: Zwar hatten die Jesuiten und die Franziskaner auch in Neufrankreich Angst vor einem schlechten moralischen Einfluss der europäischen Siedler, doch errichteten sie keine geschlossenen Reduktionen, sondern Dörfer in der Nähe der französischen Siedlungen. Eine Segregation war weder unter Champlain noch unter der Krone erwünscht. Im Gegenteil verfolgten im 17. Jahrhundert die königlichen Amtsträger das Ziel einer Vermischung von Franzosen und Indianern, um Letztere zu zivilisieren und zu assimilieren. Viele Jesuiten hätten lieber geschlossene Missionsgebiete wie im spanischen Amerika gegründet, doch blieb ihnen dies verwehrt.56 Assimilierungsbestrebungen scheinen im 17. Jahrhundert ein Spezifikum der französischen Kolonialpolitik gewesen zu sein. Sie hatte mehr mit dem humanistischen Entwurf einer Nationalgeschichte in der Renaissance als mit dem Einfluss der missionarischen Orden zu tun. Seit den Humanisten Guillaume Postel, Pierre de Ronsard, Jean Bodin oder auch François Hotman stand für die französischen Eliten fest, dass die Franzosen Nachfahren der Gallier s­ eien. Diese allgemein akzeptierte These hatte weitreichende Konsequenzen für das nationale Selbstverständnis. Die eigenen Ahnen waren nun keine gesitteten Griechen aus Troja mehr, sondern Barbaren, die von den Römern kolonisiert und zivilisiert worden waren. Nach Ansicht der frühneuzeitlichen französischen Eliten waren die Franzosen mit dem Zerfall des Römischen Reichs in die Barbarei zurückgefallen. Erst allmählich holten sie durch die Imitation der Antike wieder auf. Während die intellektuelle, künstlerische und politische Elite ihr eigenes Land zu zivilisieren trachtete, bot sich in Übersee nun die Möglichkeit, das Zivilisierungsprogramm auf echte »Wilde« anzuwenden.57 Dabei übernahmen die frühneuzeitlichen Franzosen antike Topoi zur Beschreibung der »Barbaren«: Genauso wie Cäsar die alten Gallier als ein »einfallsreiches Volk, das zur Nachahmung sehr fähig ist«,58 bezeichnet hatte, galten die »Barbaren« Amerikas oder Madagaskars 55 Burgaleta, Acosta, 45 – 50, 78 – 95. 56 Belmessous, Assimilation and Racialism, 335; Abé, The Jesuit Mission to New France, 101 – 111, 147 – 161; Ballériaux, Missionary Strategies, 113 – 131. 57 Melzer, Colonizer or Colonized. 58 Caesar, Der gallische Krieg, 338: »summae genus sollertiae atque ad omnia imitanda et efficienda, quae a quoque traduntur, aptissimum« (7. Buch, Abschnitt 22).

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als fähig, die Zivilisation zu übernehmen. Das Königreich Frankreich konnte somit in die Fußstapfen Roms treten. Trotz der Wirkkraft dieser Erzählung während der gesamten Frühneuzeit setzte sich jedoch das Programm einer Assimilierung der »Wilden« Amerikas zunächst nur für einige Jahrzehnte durch. Bereits im späten 17. Jahrhundert gab die königliche Kolonialregierung die Bestrebungen, aus den »Indianern« Franzosen zu machen, größtenteils auf, ja erklärte sie schließlich um 1700 für g­ efährlich. Zu dieser Zeit war es der Verwaltungselite Kanadas klar, dass die Franzisierungspolitik ein Misserfolg gewesen war. Die Assimilierungspolitik hatte die ­»Wilden« nicht in katholische französischsprachige Bauern verwandelt, während das Zusammenleben von Franzosen mit den Eingeborenen aus Sicht der Administratoren Kanadas eine schwer kontrollierbare Schicht von »verwilderten« Männern etabliert hatte – die Waldläufer (coureurs des bois), die in »indianische« Familien hineinheirateten und sich akkulturierten. 1706 verbot der Generalgouverneur Vaudreuil deshalb gemischte Ehen, obwohl im Westen der Kolonie ein akuter Mangel an europäischen Frauen herrschte. Vaudreuil war der Meinung, dass die »indianischen« Frauen ihr »schlechtes Blut« den eigenen Kindern übertrügen. Ihm zufolge wiesen die amerikanischen »Wilden« wegen des verderbenden Einflusses des Klimas physische Unterschiede auf, die sie unbeständig, unehrlich, hinterlistig und grausam machten. Angesichts des Misserfolgs der Assimilierungspolitik setzte sich somit ein rassistischer Diskurs durch. Folglich wurde nur noch in Einzelfällen eine »francisation« angestrebt.59 Die Geschichte der kolonialpolitischen Ansätze in Kanada und auf Madagaskar weist also zeitliche Parallelen auf. Zwar lassen sich in der Frühen Neuzeit in Bezug auf die Madagassen kaum rassentheoretische Deutungsmuster erkennen. Dennoch verabschiedeten sich die imperialen Akteure auch im Indischen Ozean im späten 17. Jahrhundert von ambitionierten Assimilationsplänen. Auf Madagaskar sollten nur noch kleine Handelsstützpunkte errichtet werden. Betrachtet man das Aufblühen und die zweitweise Infragestellung der Zivilisierungs- und Assimilationsträume im 17. Jahrhundert, lässt sich in der Spätaufklärung weniger die Erfindung eines modernen Kolonialismus als vielmehr die Aneignung eines alten kolonialpolitischen Ansatzes ausmachen. Dennoch gab es einen gewichtigen Unterschied z­ wischen der Vorstellung einer Expansion durch Zivilisierung und Assimilierung im 17. Jahrhundert und den Expansionsideen in der Spätaufklärung: Nach 1763 wurde das Assimilationsprojekt in einen größeren universalgeschichtlichen Kontext gestellt. Somit wurden die Franzisierungsprojekte zu einem Kapitel nicht nur der nationalen, sondern auch der Menschheitsgeschichte, was ihnen normative Kraft verlieh. Aus ­diesem Grund betrachteten 59 Belmessous, Être français en Nouvelle-­France; dies., Assimilation and Racialism.

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die Autoren von Expansionsplänen auf der Großen Insel den Sieg der französischen Zivilisation gleichsam als eine historische Notwendigkeit. Dabei ist es kein Zufall, dass zahlreiche Formulierungen und Grundideen in den Assimilationsprojekten des 18. Jahrhunderts an die Schriften jesuitischer Missionare erinnern. Der Grundsatz Maudaves, man solle »erst daran arbeiten, aus [den Madagassen, D. T.] Menschen zu machen, um dann aus ihnen mühelos Christen zu machen«, ist ein indirektes Zitat aus Acostas Traktat De procuranda Indorum salute – einem Werk, das wie keine zweite Schrift der jesuitischen Missionierungsstrategie eine theoretische Grundlage verlieh.60 Zwar hat Maudave vermutlich Acostas Buch nicht gelesen, dafür aber Raynals Geschichte beider Indien, die just diese Formulierung enthält.61 Diese Rezeption Acostas in der Aufklärung rührte sicherlich daher, dass die stadiale Zivilisationsgeschichte, die den Unterbau von Maudaves Projekt darstellte, selbst auf der acostaschen Verortung der mensch­ lichen Gesellschaften auf unterschiedlichen Stufen der Universal­geschichte fußte. Auch blieb die Entsendung von Missionaren im 18. Jahrhundert fester Bestandteil der Expansionspläne, gerade weil man sich von der Missionsarbeit eine zivilisierende Wirkung erhoffte.62 Zudem erinnert die Tabuisierung der kulturellen Hybridisierung in der Spätaufklärung stark an jesuitische Schriften des 17. Jahrhunderts.63 Der Grund dafür ist wiederum in der gemeinsamen Vorstellung eines künftigen Fortschreitens menschlicher Gesellschaften hin zur Zivilisation (und im Falle der Jesuiten zum Seelenheil) zu suchen. Vor allem aber ging die aufklärerische Utopie einer gewaltlosen Kolonialexpansion, das heißt, der Konstituierung eines neuartigen Imperiums, in dem die Herzen der Unterworfenen gewonnen würden, auf das jesuitische Programm der »geistigen Eroberung« (Conquista espiritual) zurück. Ganz bewusst wollten Jesuiten die Rolle der alten Römer übernehmen, also der Imperialherren, die den Völkern Sittlichkeit bringen. Diese Eroberung sollte ihrer Ansicht nach nun jedoch mit 60 Vgl. Maudaves Formulierung mit der Acostas: ANOM, C 5A 2, Nr. 11, Bl. 3, Abschriften von Dokumenten zu Madagaskar. 61 Diese Formulierung findet sich auch im Kapitel der Geschichte beider Indien zu Paraguay, was als ein weiterer Beleg für ihre Berühmtheit gelten kann: Raynal, Geschichte beider Indien (Bd. 4), 248. 62 Maudaves Ideen über die Religion: ANOM, C 5A 2, Nr. 11, Bl. 3, Abschriften von Dokumenten zu Madagaskar; DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 26, Bl. 2 f., Maudave an Praslin, 28. April 1767. Andere Autoren: MAE, Asie 4, Nr. 76, Bl. 192 – 230, hier 214, [Meunier], »Mémoire raisonné sur un nouvel établissement dans l’isle de Madagascar et les moyens motivés de la soumettre à la puissance du Roy. Par M. Duhamel comte de Precourt«, 1784; ANOM, Séries géographiques, MAD 150 207, Anonym, »Observations sur Madagascar«, ohne Datum. 63 Zur Tabuisierung der kulturellen Hybridität in jesuitischen Schriften siehe Melzer, The Role of Culture.

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»sanften« Mitteln erfolgen.64 Wenn Maudave für eine Expansion mit »sanften« Mitteln eintrat, übernahm er implizit genau ­dieses Modell. Seine unausgesprochene Inspirationsquelle lag in der lebhaften aufklärerischen Publizistik über den »Jesuitenstaat« in Paraguay, die trotz der sonst virulenten antijesuitischen Polemik diesen zum Symbol einer »sanften« und zivilisierenden Kolonialexpansion stilisierte. Ein prominentes Beispiel für diese Publizistik war wieder Raynals Geschichte beider Indien.65 Der uneingestandene Einfluss der Jesuiten auf die spätaufklärerischen Expansionsprojekte erklärt, warum der Gouverneur von Fort-­Dauphin und seine Epigonen schließlich die aus dem 17. Jahrhundert übernommene Franzisierungspolitik selbst als eine »Mission« präsentierten und damit die Idee der Zivilisierungsmission erfanden. Akteure des politischen und intellektuellen Lebens, die sich als philosophes oder Freunde der philosophes verstanden, übertrugen also heilsgeschichtliche Deutungs- und Erzählmuster auf das Feld staatlicher Politik. Sie stellten eine friedliche Kolonialexpansion in Aussicht, ähnlich wie die Missionare in Amerika. Maudave und seine Nachfolger knüpften in vielerlei Hinsicht an ältere kolonialpolitische und missionarische Vorstellungen an.

12.3 Bruch in der Praxis? Der kolonialpolitische Bruch der Spätaufklärung lässt sich noch weiter relativieren, wenn man jenseits des Sanftmutdiskurses die Praxis der (angestrebten) kolonialen Herrschaft erforscht. Die Idee einer friedlichen und zivilisierenden Expansion hielt den Kommandanten Beňovský nicht davon ab, sich als Konquistador zu versuchen. Aber auch im Falle Maudaves kann man Zweifel haben, ob seine Pläne einer »sanften« Expansion wirklich eine kolonialpolitische Wende einleiteten. So kaufte Maudave trotz seiner Ankündigungen, den Sklavenhandel abschaffen zu wollen, weiterhin Gefangene, um sie auf den Maskarenen veräußern zu lassen.66 Trotz seiner Betonung der »Sanftmut« verzichtete er nicht auf Gewaltausübung. Zwar bemühte sich der Gouverneur von Fort-­Dauphin zunächst wirklich, die »sanften« Mittel der symbolischen Kommunikation anzuwenden, um die Madagassen zur Unterordnung unter französische Herrschaft zu bewegen. 64 Imbruglia, A Peculiar Idea of Empire. 65 Gründer, Der Jesuitenstaat, 47 f.; Raynal, Geschichte beider Indien (Bd. 4), 246 – 267. In Voltaires Candide dominierte die Kritik am Reichtum und der Macht der Jesuiten, doch widersprach d ­ ieses Werk keineswegs der Idee einer Kolonialexpansion durch Autorität: Voltaire, Candide, 168 – 172. Zu den Jesuiten in Paraguay: Ganson, The Guaraní Under Spanish Rule. 66 Foury, Maudave (2ème partie), 35 f.

Bruch in der Praxis?

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Doch angesichts des ausbleibenden Erfolgs zog er immer mehr Strategien in Betracht, die weniger friedlich und ehrenvoll waren. Maudave schob die Schuld für die fehlenden Fortschritte der Niederlassung immer deutlicher auf die »Laster« der Madagassen und sann darüber nach, wie man sie zur Arbeit zwingen könnte. Bereits wenige Tage nach seiner Ankunft auf der Roten Insel Anfang September 1768 stellte er fest, die »naturels« legten eine mit »sanften« Mitteln nicht zu überwindende Trägheit (indolence) an den Tag. Er bekundete daraufhin seinen Vorsatz, die Madagassen »durch Terror im Zaum zu halten und mit Schnaps zur Tätigkeit zu bewegen.« 67 Maudaves eigene Äußerungen über den künftigen Terror sprechen somit dafür, dass für ihn die Expansion kraft zivilisatorischer Autorität nur eine Strategie war, die revidiert werden konnte, falls sie sich als uneffektiv erwies. Sie sprechen auch dafür, dass er sich nach seinen ersten enttäuschten Erwartungen deutlich weniger friedlich verhalten hätte, wenn ihm mehr Soldaten zur Verfügung gestanden hätten. So erinnert sein Versuch, den Zafiraminia »Ramihongars« gefangen zu nehmen, an die Praxis Flacourts im vorangegangenen Jahrhundert.68 Man kann demnach berechtigte Zweifel daran anbringen, dass Maudave sich aufgrund seiner Theorien deutlich friedlicher als seine Vorgänger verhielt. Wenn er gegenüber den aus seiner Sicht »frechen« Fürsten der Region weniger auf gewalttätige Mittel zurückgriff als manche seiner Vorgänger und Nachfolger, lag es wohl eher an seiner militärischen Schwäche als an seiner Sanftmut. Zuletzt hatten Maudave und die Denkschriftenautoren die Tendenz, längst eingeübte Praktiken als Instrumente einer neuartigen »sanften« Politik darzustellen. Maudave trat dafür ein, gemischte Ehen zu erlauben, und sah in ihnen einen Hebel der »sanften« Unterwerfung; doch waren sie auf Madagaskar bereits gängige Praxis. Auch inszenierten Maudave und seine Nachfolger den Erwerb von Grundstücken der Madagassen als einen Bruch mit der Eroberungspolitik.69 Ein Autor verwies dabei auf das Vorbild von William Penn, der von Indianern Land gekauft habe.70 Dieses Beispiel galt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als der Inbegriff einer guten kolonialen Praxis: So stellte Raynal die Entstehung von Pennsylvania als eine der großartigsten Wohltaten der Menschheitsgeschichte dar.71 Dabei ist aber die Frage angebracht, ob der »Erwerb« von Tôlanaro eine grundsätzlich andere Praxis war als die übliche Tributzahlung an die Fürsten 67 ANOM, C 5A 2, Nr. 66, Bl. 2, 9, Auszüge aus Maudaves Tagebuch: »Nous les contiendrons par la terreur et nous les exciterons par l’eau de vie.« 68 Flacourt, Histoire de la Grande Isle, 349. 69 ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 34, Bl. 10; ANOM, DFC, XVII/mémoires/88, Nr. 81, Bl. 3, 13, Anonymer Brief an den Marineminister, 6. November 1786. 70 MAE, Asie 4, Nr. 74, Bl. 2, »Mémoire pour un établissement à Madagascar«. 71 Raynal, Geschichte beider Indien (Bd. 9), 1 – 14.

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der afrikanischen Küste und die Investitur zu ihrem Vasall.72 Auch erhielten die Franzosen schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts durch »Geschenke« an den Zafiraminia-­König Dian Ramach das Recht, ein Fort in Anosy, das spätere Fort-­Dauphin, zu bauen.73 Die angeblich neue »aufgeklärte« Kolonialpraxis war gar nicht so revolutionär, wie sie erscheinen wollte.

12.4 Der Assimilationismus als koloniale Ideologie der Neuzeit? Zum Abschluss des Kapitels stellt sich die Frage, inwiefern der spätaufklärerische Assimilationismus die französische Kolonialpolitik in der Neuzeit prägte. Insbesondere soll im Folgenden erörtert werden, inwieweit eine Kontinuität z­ wischen der Aufklärungszeit und der Epoche der Dritten Republik bestand. Im Rahmen dieser Untersuchung können nur einzelne Schlaglichter auf d ­ ieses Problem geworfen werden. Die kursorischen Einblicke genügen jedoch, um zur Vorsicht vor der These, die Aufklärung habe den modernen Kolonialismus erfunden, zu mahnen. Wie der Fall Madagaskars zeigt, kann man kaum behaupten, dass sich im 19. Jahrhundert die Assimilationspolitik der Aufklärungszeit durchgesetzt hätte. Zwar erlebte die Assimilierungspolitik rechtshistorisch gesehen 1794 einen Durchbruch: Im Zusammenhang mit der ersten Abschaffung der Sklaverei im französischen Kolonialreich erklärte der Nationalkonvent, dass in den Kolonien dieselben Gesetze gelten sollten wie in Frankreich. Damit wurden deren Bewohner zu französischen Staatsbürgern. Zugleich wurden jedoch neue Formen von Unfreiheit eingeführt, um die Plantagenwirtschaft am Laufen zu halten. Eine wahrhafte Assimilation der ehemaligen Sklaven sahen die französischen Eliten nur als ein fernes Ziel an. Diese Zielsetzung blieb in der Restaurationszeit in den kleinen Überresten des Kolonialreichs auf der Tagesordnung. Nach 1814 wurden die freien Farbigen den Weißen juristisch weitgehend gleichgestellt; eine vollständige Gleichstellung erfolgte 1831. Aus den freien Bewohnern des bescheidenen Kolonialreichs sollten wahrhaftige Franzosen werden. Diese Assimilierungspolitik betraf ab 1848 – der zweiten Abschaffung der Sklaverei – die gesamte Bevölkerung der kleinen Überseeterritorien.74 Nichtsdestotrotz verfolgten die französischen Entscheidungsträger in den neueroberten Gebieten eine andere Politik, die stärker an die Madagaskarpläne der Restaurationszeit erinnert: Dort machte der französische Staat einen klaren juristischen Unterschied z­ wischen französischen Staatsbürgern und den Indigenen.

72 Brauner, Kompanien, Könige und caboceers, 247 – 254, 313 – 391. 73 [Cauche], Relations veritables et curieuses, 88 f. 74 Bouche, Histoire de la colonisation française, Bd. 2, 100 – 108.

Der Assimilationismus als koloniale Ideologie der Neuzeit?

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Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in den Kolonien bestand somit faktisch aus »Untertanen«, die weitgehend nach einem gesonderten Recht beherrscht wurden. So unterstanden die Muslime Algeriens dem islamischen Recht. Die französische Verwaltung ließ getrennte Viertel und Lebenssphären für die christlichen Kolonisten errichten. Vor allem enteignete sie zahlreiche Algerier, um das beste Agrarland an Siedler zu vergeben.75 Ab dem späten 19. Jahrhundert propagierte der Staat zudem rassistische Theo­ rien. Hatten die parlamentarischen Kommissionen der beginnenden Dritten Republik noch in den 1880er Jahren den Assimilationismus verkündet, verwarfen ihn die Staatseliten um 1900 weitgehend. Es herrschte die Überzeugung, dass die »Prinzipien der Aufklärung« zwar grundsätzlich für die ganze Menschheit gälten, doch aufgrund der Minderwertigkeit anderer Rassen nur im Falle einer weißen Bevölkerung voll angewandt werden könnten. Die französischen Verwalter setzten die indigenen Völker im großen Stil zur Zwangsarbeit ein. Dies legitimierten sie besonders in Afrika mit dem Hinweis, man müsse den »Negern« den Fleiß beibringen. Nach dem ­Ersten Weltkrieg kam eine regelrechte Politik der »Rassen­ trennung« hinzu: Die Verwaltungsbeamten und Politiker verurteilten nun in offiziellen Stellungnahmen sexuelle Kontakte z­ wischen Weißen und Schwarzen. Statt einer Assimilierung ganzer Nationen strebte das Kolonialministerium die »Assoziierung« indigener Eliten derjeniger Völker an, die als »ansatzweise zivilisiert« eingestuft wurden. Diese Politik einer symbolischen Teilnahme mancher Eliten an der Macht galt vor allem für Nordafrika, Südostasien und Zentralmadagaskar. Auf der Großen Insel bedeutete sie, dass die Franzosen die vermeintlich rassisch höherwertige Bevölkerung des Hochlands – die Merina und Betsileo – gegnüber den Bewohnern der Küstenregionen privilegierten. Doch selbst diese »Assoziierung« mit den Merina und den Betsileo bedeutete keine Aufnahme in die französische Nation. Nur sehr wenige Madagassen durften vor der Unabhängigkeit 1960 die französische Staatsbürgerschaft erhalten.76 Wenn man bedenkt, dass die Autoren der Spätaufklärung die Idee einer Assimilierung der Madagassen propagiert und in der Regel »gemischte Ehen« befürwortet haben, scheint der moderne Kolonialismus nicht die Umsetzung ihres Projekts gewesen zu sein. Vielmehr kann man im 19. und 20. Jahrhundert einen allmählichen Abschied vom Ideal der Assimilation beobachten. Vor allem fällt auf, dass rassentheoretische Deutungsmuster in den Madagaskartexten der Aufklärung weitgehend fehlen. Dabei war in anderen kolonialen Kontexten die rassistische 75 Stora, Histoire de l’Algérie coloniale, 12 – 39. 76 Betts, Assimilation and Association, insbesondere 10 – 20; Conklin, A Mission to Civilize, insbesondere 1 – 9, 75 – 164; Bouche, Histoire de la colonisation française, 108 – 143; ­Manceron, Marianne et les colonies, 132 – 210; Le Cour Grandmaison, La République impériale, 109 – 177; Koerner, Madagascar, 43 – 56, 177 – 204.

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Ideologie bereits fest etabliert: Die karibischen Eliten wiesen im 18. Jahrhundert auf die angebliche rassische Minderwertigkeit der Afrikaner hin, um nicht nur die Sklaverei, sondern auch die Diskriminierung der freien Farbigen zu legitimieren.77 Die Monarchie gab nach 1763 diesen rassistischen Forderungen nach: Um die Bande z­ wischen Kolonien und Mutterland zu stärken, schränkte sie immer mehr die Rechte der freien Farbigen ein.78 Auch im Mutterland blühten im 18. Jahrhundert Rassentheorien auf. Die Pariser philosophes beteiligten sich rege an der Entwicklung verschiedener rassistischer anthropologischer Lehren, die sie vor allem aufgrund ihrer religiösen Implikationen heiß diskutierten.79 Dennoch fanden all diese Neuerungen keinen Niederschlag in den Plänen zu Madagaskar; ganz im Gegenteil kontrastierten die aufklärerischen Assimilationsprojekte stark mit den Rassentheorien, die die Neuzeit im Endeffekt weit mehr prägten als die spätaufklärerische Idee der »sanften« Expansion.80 Der diachrone und diatopische Vergleich z­ wischen den französischen kolonialpolitischen Ansätzen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert zeigt, dass sowohl Belmessous’ Kontinuitätsthese als auch die These von der Erfindung des modernen Kolonialismus in der Aufklärung hinterfragt werden müssen. Gegen Erstere spricht die Tatsache, dass die französische Kolonialpolitik von klaren Brüchen gekennzeichnet war: Die Zivilisierungs- und Assimilationspolitik kann nicht als der rote Faden der Geschichte des französischen Kolonialreichs gelten. Gerade diese Brüche zeigen jedoch auf der anderen Seite, dass auch die These, die Aufklärung habe den modernen Kolonialismus eingeleitet, mit Vorsicht zu genießen ist. Die Großepochenkonstruktion, die in der Aufklärungsforschung zu Tage tritt, wenn das 18. Jahrhundert zur Gründungsära »der Moderne« erklärt wird, muss hinterfragt werden. Die Kolonialprojekte und -unternehmen für Amerika, Afrika und Europa zeigen, dass die Jahrzehnte von ca. 1760 bis zum frühen 19. Jahrhundert als eine eigene, klar abgeschlossene Epoche der Kolonialgeschichte gelten können: die des »philosophischen« Kolonialismus.

77 Pluchon, Nègres et Juifs; Boulle, In Defense of Slavery; Biondi, Mon frère tu es mon esclave; Dorlin, La Matrice de la race. 78 Garrigus, Before Haiti. 79 Pečar/Tricoire, Falsche Freunde, 83 – 104. 80 Auch der Polygenist Bory de Saint-­V incent benutzte im Madagaskarabschnitt seines Reiseberichts über die »vier wichtigsten Inseln der afrikanischen Meere« keine rassischen Deutungsmuster: Saint-­Vincent, Voyage (Bd. 3), 268 – 274. Zu Borys rassistischen Theorien: Duvernay-­Bolens, L’homme zoologique.

Schlussfolgerung Unweit vom Meer stehen in Mahavelona die Ruinen des Forts Manda, einer kreisförmigen Festung aus Stein, die Radama I. in den 1820er Jahren errichten ließ, um den Hafen zu kontrollieren und Zölle einzustreichen (Abb. 22). Im Inneren der Befestigung steht ein Baum, an den die lokale Bevölkerung oder madagassische Touristen Opfergaben für den Begründer des Königreichs von Madagaskar bringen (Abb. 23). Auf d ­ iesem Platz übernachtete in Zelten die Armee der Merina, die dank dem Bündnis mit den Briten modern ausgestattet und europäisch trainiert war. Der heutige Wächter der Festung, nach eigenen Angaben Nachfahre eines Offiziers dieser Armee, beteuert gerne, dass die »Engländer« und nicht die Franzosen die Große Insel hätten kolonisieren sollen. Die Geschichte Madagaskars unter Radama I. scheint ihm recht zu geben: Während die Franzosen auf der kleinen Insel Nosy Boraha eine kümmerliche Kolonie errichteten, bauten britische protestantische Missionare Schulen in der Hauptstadt Antananarivo. Die Briten führten eine neue Backsteinarchitektur ein, die die Altstadt noch im 21. Jahrhundert prägt. Sie erfanden die bis heute gültige Wiedergabe des Madagassischen mit dem lateinischen Alphabet. Infolge des Bündnisses mit dem König aus dem Hochland erhielten die Briten für einige Zeit Einfluss auf Madagaskar, auch wenn ­Radamas Ehefrau und Nachfolgerin Ranavalona I. bald einen Kurswechsel einleitete und die Unabhängigkeit des Königreichs gegenüber den europäischen Mächten energisch behauptete.1 Trotz ­diesem späteren Kurswechsel ist die britische Strategie der Einflussnahme auf einen madagassischen Bündnispartner deutlich erfolgreicher gewesen als die französische Politik der Kolonisierung des Landes sowie der Unterwerfung, Zivilisierung und Assimilierung seiner Einwohner. Die Geschichte des Scheiterns der Franzosen auf Madagaskar legt es nahe, drei etablierte Bilder infrage zu stellen: das Bild von Europäern (insbesondere Franzosen), die in der Frühen Neuzeit in Übersee ihre Herrschaft durchsetzten; das Bild der Aufklärung als Hinwendung zur Empirie, Abschied von religiösen Weltbildern und Gründungsmoment des modernen Kolonialismus; und das Bild einer effizienten französischen Fernherrschaft, in der sich die Wissensproduktion und die imperiale Expansion gegenseitig stützten. Auf dem Höhepunkt des Zweiten französischen Kolonialreichs glaubten nicht wenige Historiker und Publizisten, die Franzosen hätten einen »génie colonial«, das heißt, eine besondere Fähigkeit, sich mit indigenen Völkern zu verständigen und sie in die Zivilisation zu führen.2 In ihren Augen waren Maudaves 1 Randrianja/Ellis, Madagascar, 123 – 152. 2 Havard, L’Historiographie de la Nouvelle-­France, 97 – 102; Séverin, Mythes et réalités de la Martinique catholique.

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Schlussfolgerung

Abb. 22  Fort Manda in Mahavelona

­ rundsätze richtig gewesen; nur deren Umsetzung ließ zu wünschen übrig. Der G Misserfolg der Franzosen auf der Großen Insel im 18. Jahrhundert war in dieser Lesart vor allem darauf zurückzuführen, dass die Île de France dem Gouverneur von Fort-­Dauphin nicht die nötigen Mittel gegeben hatte, weil sie befürchtete, von der neuen Kolonie überflügelt zu werden. Auch habe das tyrannische Verhalten einiger Figuren in Anosy oder auf Nosy Boraha die Madagassen gegen die Franzosen aufgebracht – eine These, die impliziert, dass die Madagassen keinen Widerstand gegen die französische Herrschaft geleistet hätten, hätten sich die Franzosen freundlich verhalten. Beide Deutungen gehen auf Texte der Aufklärungszeit zurück: Erstere folgt Maudaves Anschuldigungen gegen seine Vorgesetzten, Letztere den Vorwürfen gegen die Indienkompanie seitens jener Autoren, die nach 1763 für eine Kolonisierung Madagaskars eintraten. Es war ein der Ziele dieser Studie, diese Thesen zu hinterfragen. Für das Scheitern der Franzosen auf Madagaskar war eine Reihe von Faktoren verantwortlich, die jedoch alle mit den gravierenden Fehleinschätzungen der Kolonialplaner zu tun hatten. Diese realitätsfernen Erwartungen fußten wiederum auf Bildern, die die Große Insel attraktiver erscheinen ließen, als sie war. Mit anderen Worten: Das Problem war das Projekt einer Kolonisierung Madagaskars an sich. Neben den Umweltbedingungen, die eine Besiedlung durch Europäer unmöglich machte, lag die Haupthürde in der Unfähigkeit der Franzosen, als Autorität anerkannt zu werden. In den 1640er bis 1670er Jahren in Anosy, in den 1750er Jahren auf Nosy Boraha, um 1770 in Anosy, z­ wischen 1773 und 1776 in der Bucht von Antongila

Schlussfolgerung

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Abb. 23  Opfergaben im Fort Manda

oder in den späten 1820er Jahren an der Ostküste wiederholte sich das ­gleiche Schema: Lokale Fürsten, die von einem mächtigeren König bedrängt wurden, suchten das Bündnis mit den Franzosen und gewannen diese als Partner. Die wichtigsten Könige jedoch begrüßten die Franzosen zwar als Handelspartner, akzeptierten aber keineswegs deren militärische Präsenz. Die südostasiatisch-­ islamische s­ oziale Organisation und Herrschaftskonzeption blieb an der madagassischen Ostküste in der Frühen Neuzeit vorherrschend; den Franzosen gelang es nicht, einen Platz in dieser Welt zu finden. Auch schlug die Durchsetzung der Herrschaft mit Waffengewalt fehl. Beňovský versuchte sich als Konquistador, konnte jedoch die lokalen Fürsten nicht unterwerfen. Maudave verstand seinerseits nicht einmal die Notwendigkeit einer politischen Strategie, da er glaubte, als »Zivilisierter« alle »Barbaren« nach demselben Muster behandeln zu können. Die Franzosen überschätzten zudem die Attraktivität ihres Handels und nahmen aufgrund der damaligen medizinischen Theorien das Ausmaß des epidemiologischen Problems nicht wahr. Das Projekt, die Rote Insel zu kolonisieren, baute schließlich auf unrealistischen Erwartungen bezüglich der künftigen landwirtschaftlichen und industriellen Erzeugnisse auf. Das Ergebnis aller Expansionsversuche war katastrophal: Während manche Regionen

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Schlussfolgerung

regelrecht verwüstet wurden, gelang es Frankreich nicht einmal, kleine Niederlassungen aufzubauen, die von Dauer gewesen wären. Tausende von Männern starben, die lokale Bevölkerung und die Kolonisten hungerten. 1811 musste Frankreich seinen letzten militärischen Stützpunkt aufgeben. 1818 zeugten nur noch die Ruinen eines Forts von den einstigen Expansionsträumen, während Radama I. an der Küste Festungen bauen ließ, die weit beeindruckender waren als alles, was die Franzosen auf Madagaskar zu errichten vermocht hatten. Trotz des kolonialen Anspruchs war die Geschichte der französisch-­ madagassischen Begegnungen der Frühen Neuzeit keine Kolonialgeschichte: Französische Akteure konnten auf der Großen Insel nur dann Erfolg haben, wenn sie sich als Migranten in die lokalen Gesellschaften integrierten und ihr Verhalten den madagassischen Normen anpassten. Nur als Ehemänner von Madagassinnen konnten sie Handel treiben; als madagassische Kriegsherren konnten sie Menschen versklaven. Dafür mussten sie madagassische ­soziale Rollen annehmen, ihre madagassische Familie beschenken und die Feinde ihres madagassischen Fürsten bekämpfen. La Case und La Bigorne machten als französisch-­madagassische Akteure eine beeindruckende Karriere, während Diard für kurze Zeit die Macht in Mahavelona ergriff. Es war die Fähigkeit, z­ wischen den Welten zu wechseln, die Erfolg bringen konnte: So leitete La Bigorne eine Zusammenarbeit ­zwischen madagassischen Adligen und dem Gouverneur der Île de France ein, der sich somit am Sklavenhandel bereichern und durch die Einsetzung seiner Klientin Betia, einer Fürstentochter der Betsimisaraka, Einfluss auf die Ostküste gewinnen wollte. Doch waren die madagassischen sozialen Rollen schwer kompatibel mit dem Ziel, eine Kolonialherrschaft zu etablieren: Die Integration französischer ­Amtsträger in die Adelsgesellschaften der Ostküste, die ganz am Anfang der französisch-­madagassischen Begegnung teilweise stattfand, führte daher zu innerfranzösischen Konflikten. Die offizielle Madagaskarpolitik Frankreichs zielte nicht auf eine indirekte Herrschaft. Die hohen französischen Amtsträger auf Madagaskar suchten im 18. Jahrhundert keine Integration in die madagassische Gesellschaft. Im Gegenteil ließen sich Maudave, Beňovský oder Lescallier von der Vorstellung leiten, die Franzosen würden unter ihrer Führung die Madagassen nicht nur zivilisieren, sondern auch assimilieren. Diese Überschätzung der eigenen Ausstrahlungskraft lag mindestens zum Teil in der Aufklärung begründet. Erstens war der Madagaskardiskurs das Werk von Männern wie Maudave, Cossigny und Legentil, die sich im Indischen Ozean als philosophes profilierten. Unter dem Vorzeichen der neuen Universalgeschichte rezipierten sie assimilationistische Ideen aus dem 17. Jahrhundert. Da die Aufklärung mit einer Übernahme religiös-­missionarischer Deutungsmuster durch weltliche Akteure einherging, gewannen die Zivilisierungs- und Assimilierungsszenarien einen festen Platz in der neuen Geschichte der Menschheit. Ihre Plausibilität konnte auch nicht von den ernüchternden Erfahrungen der Franzosen auf Madagaskar erschüttert werden.

Schlussfolgerung

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Zweitens bedienten sich politische Akteure auf der Großen Insel prominenter literarischer Vorbilder des 18. Jahrhunderts: Sie lehnten ihre Erzähl- und Deutungsmuster an Voltaires Ironie, an Montesquieus Entlarvungsgeste in den Persischen Briefen oder an die männliche Schöpfungskraft der Robinsonadenhelden an. Diese Anleihen brachten eine mangelnde Trennung ­zwischen Literatur und Berichterstattung mit sich. Drittens begünstigte die Förderung der Aufklärung durch die Versailler und Pariser politische Elite die Etablierung eines Madagaskartraums. Die Assimilierungsprojekte boten den politischen Akteuren die Möglichkeit, sich und ihre ­Patrone als aufgeklärt zu präsentieren, und bildeten einen wesentlichen Impetus für Hofpersönlichkeiten und Revolutionspolitiker, diese zu unterstützen. Philosophes, die Klienten von Kolonialpolitikern waren, propagierten den Madagaskardiskurs. Die aufklärerische Rhetorik fügte sich in die höfische Kommunikationslogik ein; sie funktionierte in Patronagebeziehungen, indem sie Ruhm in Aussicht stellte. Abenteurer versuchten mit Rückgriff auf die Gattung der Denkschrift und auf aufklärerische Vorstellungen, Unterstützung für Kolonisierungsprojekte auf Madagaskar zu gewinnen. All diese Personen trugen dazu bei, einen selbstreferenziellen Madagaskardiskurs zu etablieren. Das Wissen über die Große Insel, das in der Spätaufklärung entstanden war, war »philosophisch«: Es trennte kaum ­zwischen Empirie und Ethik und entfaltete sich vorzugsweise in Denkschriften, einer Gattung, die Beschreibung des Existierenden mit der zukünftigen Planung vermengte. Der Umstand, dass ­dieses Wissen nicht nur »wahr«, sondern auch »gut« sein sollte, erschwerte den Lernprozess der Ministerien und imperialen Akteure: Die schwierigen Erfahrungen der Franzosen vor Ort stellten das Projekt einer Kolonialexpansion nicht fundamental infrage. Das neue Wissen ging ferner mit einem Silencing einher: Weil die Madagassen nicht als Andere, sondern als Protofranzosen konstruiert wurden, schwiegen die Texte des späten 18. Jahrhunderts über Gewalterfahrungen, kulturelle Hybridisierungen und madagassische Weltanschauungen. Die Geschichte des Madagaskarwissens und der Madagaskarpolitik lädt schließlich dazu ein, eine deutlich pessimistischere Sicht auf die Wissensproduktion durch die französische Verwaltung einzunehmen als in der Forschungsliteratur üblich. Das Wissen, das die »koloniale Maschine« produzierte, war bei Weitem nicht nur nützlich für die Kolonialexpansion. Es gab im Gegenteil ein grundlegendes Problem mit dem Informationsmanagement unter den Bedingungen der Distanzherrschaft: Das Marineministerium stellte einen vom Indischen Ozean weitgehend getrennten Wissensraum dar; die Minister und ihre Angestellten hatten nur zu solchen Madagaskarbildern Zugang, die den örtlichen Wirklichkeitskonstruktionen fernstanden. Die Akteure, die für den französischen Staat auf der Großen Insel wirkten und über sie Bericht erstatteten, wurden nicht aufgrund ihrer Kenntnisse ausgewählt; Experten hatten kaum Zugang zum

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Schlussfolgerung

Marineministerium. Die Kommandanten von Madagaskar fungierten als Filter für jenes Wissen, das schließlich in Versailles ankam: Sie konnten, wie Maudave, Informationen für ihre Zwecke manipulieren und sogar, wie Beňovský, Tatsachen frei erfinden. Mit dem jeweiligen Minister freundschaftlich verbundene Akteure wie Lescallier gaben den Ton in der Madagaskarpolitik an, obwohl sie die Große Insel kaum gesehen hatten und keinerlei Informationen über deren gegenwärtigen Zustand hatten. Die Medien, derer sich das Marineministerium zur Informationsbeschaffung bediente, konnten diesen systemischen Fehlern nicht entgegenwirken. Sie begünstigten sogar teilweise die Entstehung des Madagaskartraums, weil sie keine Trennung ­zwischen Information und Propaganda vornahmen. Der Aufbau eines Archivs für Karten und Denkschriften, das als Dokumentationszentrum über die außereuropäische Welt diente, intensivierte unter diesen Bedingungen die Wirkung der bestehenden Madagaskarbilder. Das epistemische Setting des Marineministeriums bewirkte sogar, dass der Minister und seine Angestellten Projekte für die Niederlassung von Mahavelona entwickeln konnten, obwohl diese seit mehreren Jahren nicht mehr existierte. Der Fall der Madagaskarpolitik weist darauf hin, dass es problematisch ist, den Beginn des modernen Kolonialismus in der Aufklärung zu verorten. Der spätaufklärerische Madagaskartraum erlebte in der Restaurationszeit einen Niedergang. Bereits während der Revolution gab es eine Pluralisierung der Kolonisierungsansätze bezüglich der Großen Insel, die durch den Einfluss von britischen Kolonialkonzepten verursacht war: Vor allem die Idee einer Strafkolonie setzte sich als eine der Leitlinien der Madagaskarpolitik durch. Nach 1815 gaben französische Eliten ihre Assimilierungsbestrebungen weitgehend auf. Das neue epistemische Setting des Marineministeriums machte ­dieses lernfähiger: Nun wurde stärker z­ wischen Information und Werbung getrennt; Denkschriften wurden kaum noch zur Informa­tionsbeschaffung benutzt; man holte Rat bei Männern, die Madagaskar gut kannten; man verlangte nach spezialisiertem Wissen und mobilisierte mehrere Experten, um an die nötigen Informationen heranzukommen. Die Autoren von Berichten über Madagaskar machten einen klaren Unterschied ­zwischen ihrer Tätigkeit und der philosophie. Diese grundlegenden Veränderungen in der imperialen Wissensproduktion und die Konfrontation der Franzosen mit den Merina, die seit den 1810er Jahren ihren Herrschaftsbereich auf die Ostküste Madagaskars ausweiteten, bewogen die gescheiterten Kolonialherren dazu, sich auf Nosy Boraha zurückzuziehen. Das Kolonisierungsprojekt für diese Insel basierte auf dem massiven Import von Sklaven und der Vertreibung der lokalen Bevölkerung, was eher an die Pläne der Indienkompanie um 1750 als an das Vorhaben einer sanften Expansion von ­Maudave, Cossigny oder Lescallier erinnert. Die Organisationsweise des französischen Kolonialreichs, die Bedingungen der Wissensproduktion in der französischen Verwaltung und die Vorstellungswelt

Schlussfolgerung

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der Aufklärung hatten im Wechselspiel miteinander von 1767 bis 1817 eine neue kolonialpolitische Epoche eingeleitet, die von Zivilisierungs- und Assimilierungsfantasien geprägt war. Madagaskar und die philosophes der Île de France – allen voran Maudave – spielten in der Entwicklung neuer kolonialpolitischer Ideen und Erwartungen eine große Rolle und bewiesen damit die Bedeutung der lange Zeit unterschätzten kolonialen Aufklärung. Sie entwickelten die Idee der Zivilisierungsmission, indem sie sich jesuitische Vorstellungen von einer »geistigen Eroberung« aneigneten. Die neuen Erwartungen einer Herrschaftsexpansion kraft zivilisatorischer Autorität und die republikanische Kritik an den sklavistischen Plantagenkolonien eröffneten neue Expansionsperspektiven, die zum Teil in Kolonisierungsversuchen und Feldzügen mündeten. Doch zugleich mutet diese neue Kolonialpolitik wie die Rückkehr einer alten französischen Vorstellungswelt an: die der beginnenden Herrschaft Ludwigs XIV., die die »Franzisierung« der Eingeborenen zum Programm erhoben hatte. Auch ist die neue kolonialpolitische Epoche nach 1763 keineswegs mit dem modernen Kolonialismus zu verwechseln. In den neu errichteten Kolonien des 19. und 20. Jahrhunderts verabschiedeten sich die französischen Politiker weitgehend vom Assimilierungstraum. Frankreich verstand sich weiterhin als eine zivilisierende Kraft. Doch wenn sie wirklich über fremde Völker herrschten, zogen die Franzosen eine klare und undurchlässige Grenze ­zwischen sich und den Anderen.

Anhang Liste der handschriftlichen Denkschriften zu Madagaskar (1769 – 1819) Diese Liste enthält nur Denkschriften (keine Briefe und Berichte), die Menschen, die weder in der Zentral- noch in der Kolonialverwaltung im Indischen Ozean angestellt waren, den Marine- und Außenministerien zuschickten. Sie enthält folglich nicht die Schriften Maudaves, Beňovskýs, Valgnys, der Inspektoren, La Pérouses, der Gouverneure und Intendanten der Île de France oder auch von Kommis der Ministerien. Die Berichte über die Expeditionen der späten 1810er Jahre sind in diese Liste ebenfalls nicht aufgenommen worden. [Ancien Régime, zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts.] Undatiert. Titel: »Madagascar«. Anonym. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. [Ancien Régime, zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts.] Undatiert. Titelseite fehlt. Anonym. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. [Ancien Régime, zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts.] Undatiert. Ohne Titel. Anonym. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. [Ancien Régime, zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts.] Undatiert. Titel: »Note sur le commerce de Madagascar«. Anonym [François Charpentier de Cossigny?]. Exemplar: ANOM, XVII/mémoires/88, Nr. 25. 10. Dezember 1769. Titel: »Observations favorables sur le Fort-­Dauphin en tant qu’établissement«. Anonym [Louis Laurent Fayd’herbe, Graf von Maudave?]. Exemplar: ANOM, C 5A 3, Nr. 44. [1771 – 1789] Undatiert. Titel: »Note sur les avantages d’un établissement à Fort-­ Dauphin et sur la marche à suivre pour tirer parti du pays«. Anonym. Exemplar: ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 222. 21. Dezember 1772. Titel: »Mémoire sur l’établissement français à Madagascar«. Anonym [François Charpentier de Cossigny]. Exemplar: MAE, Asie 4. [1770er oder 1780er Jahre?] undatiert. Titel: »Mémoire sur un établissement à Madagascar«. Autor: François Charpentier de Cossigny. Exemplare: MAE, Asie 4, Nr. 3.; ANOM, XVII/mémoires/88, Nr. 14; ANOM, MAD 150 207. 1. Januar 1773. Titel: »Mémoire où l’on propose un établissement à Madagascar et où l’on s’attache à en prouver l’importance«. Autor: François Charpentier de Cossigny. Exemplare: ANOM, C 5A 3, Nr. 87; ANOM, MAD 150 207, Nr. 41. [1773 – 1776.] Undatiert. Titel: »Mémoire sur Madagascar«. Autor: Chevillard de Montesson. Exemplar: ANOM. C 5A 3, Nr. 14. [1774 – 1776.] Undatiert. Titel: »Mémoire sur Madagascar«. Anonym. Exemplar: ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 244.

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Anhang

[1774 – 1776.] Undatiert. Titel: »Mémoire sur Madagascar, déconseillant expressément d’y maintenir un établissement«. Anonym. Exemplar: ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 245. [1774 – 1776.] Undatiert. Titel: »Mémoire sur les établissements successifs fondés à Madagascar et considerations pessimistes sur la possibilité d’en fonder un durable et profitable«. Anonym. Exemplar: ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 248. [1774 – 1776.] Undatiert. Titel: »Mémoire sur Madagascar«. Anonym. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. [1774 – 1789.] Undatiert. Titel: »Plan et dévelopement des moyens qui doivent assurer la solidité de l’établissement proposé à Madagascar avec les détails des avantages immenses que la France retirera de cette colonie«. Anonym. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. [1775 – 1777.] Undatiert. Titel: »Madagascar«. Anonym. Exemplar: ANOM , MAD 150 207. [1775 – 1776.] Undatiert. Titel: »Établissement français à Madagascar«. Anonym. Exemplar: ANOM, C 5A 4, Nr. 6. 1775. Titel: »Projet de Millon d’un établissement françois à Madagascar«. Autor: François Millon des Marquets. Exemplar: ANOM, XVII/mémoires/88, Nr. 61. [1775?] Undatiert. Titel: »Mémoire sur l’île de Madagascar«. Autor: François ­Millon des Marquets. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. [1775?] Undatiert. Titel: »Réflexions sur le projet de Millon«. Anonym. Exemplar: ANOM, XVII/mémoires/88, Nr. 51. Juni 1775. Titel: »Mémoire sur Madagascar«. Anonym. Exemplar: ANOM, XVII/ mémoires/88, Nr. 53. [1776?]. Undatiert. Titel: »Mémoire de Mayeur à Bellecombe, pour lui faire connaître le caractere et les mœurs des habitants ainsi que l’insalubrité du climat de l’île«. Autor: Nicolas Mayeur. Exemplar: ANOM, C 5A 7, Nr. 80 und 80 bis. [Um 1776?] Undatiert. Titel: »Mémoire de Kerguelen sur l’île de Madagascar«. Autor: Yves-­Joseph Kerguelen de Trémarec. Exemplar: BnF, NAF 9413, Blatt 271 – 273. [Um 1776?] Undatiert. Titel: »Note résumant le rapport de M. de Kerguélen sur Madagascar: on y démontre les avantages d’un établissement à Madagascar et l’inutilité de la colonie de l’île de France, onéreuse et incapable d’apporter du secours aux établissements de l’Inde«. Anonym. Exemplar: ANOM, C 5A 5, Nr. 5. [1776 – 1789.] Undatiert. Titel: »Mémoire sur l’île de Madagascar«. Anonym. ­Exemplar: ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 247. [1777 – 1789.] Undatiert. Titel: »Observations sur Madagascar«. Anonym. E ­ xemplar: ANOM, MAD 150 207. [1776 – 1783.] Undatiert. Titel: »Mémoire politique et historique sur l’île de Madagascar, sa description et ses productions en tous genres, mœurs, caractère de ses insulaires, avec une assertion sur l’origine et la décadence de la compagnie

Liste der handschriftlichen Denkschriften zu Madagaskar (1769 – 1819)

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des Indes, ses révolutions jusqu’à ce jour: enfin moyen de la relever avec plus d’éclat sous une autre forme pour la rendre fructueuse a l’état et rétablir la prédominance de la nation dans l’île«. Autor: Louis Ferrand-­D upuy. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. [1776 – 1783.] Undatiert. Titel: »Réflexion sur le commerce de l‘Inde«. Anynom. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. 9. April 1777. Titel: »Renseignements fournis au chev. de la Serre par le sieur Deschamps sur la côte orientale de Madagascar«. Autor: Deschamps. E ­ xemplar: ANOM, C 5A 9, Nr. 4. [1780er Jahre?] Undatiert. Titel: »Note sur la tentative d’établissement faite en 1733 à la baie d’Antongil«. Anonym [chevalier de La Serre?]. Exemplar: ANOM, C 5A 9, Nr. 74. [Um 1777.] Undatiert. Titel: »À Monsieur D… seul s’il lui plait. Analise en bref sur les mémoires de M. le chevalier de L. S.« Anonym. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. [Um 1778?] Undatiert. Titel: »Madagascar«. Anonym. Exemplar: ANOM , MAD 150 207. [1780er Jahre?] Undatiert. Titel: »Observations sur le projet d’établissement à Madagascar«. Autor: François Charpentier de Cossigny. Exemplar: ANOM, MAD 150 207; MAE, Asie 4, Nr. 4. [Um 1780.] Undatiert. Titel: »Mémoire sur Madagascar«. Anonym. Exemplar: MAE, Asie 4, Nr. 73. [1780.] Undatiert. Titel: »Mémoire«. Anonym. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. [1780 – 1789.] Undatiert. Titel: »Mémoire intéressant sur l’île de Madagascar où l’on développe les avantages immenses de profit et de gloire que la France pourrait en retirer et où on donne un apperçu des moyens qui doivent en assurer le s­ uccès«. Autor: »un gentilhomme breton« [François Jacques Veller de Kersalaün?]. [1780er Jahre?] Undatiert. Titel: »Examen des raisons qui peuvent fixer le choix d’un lieu d’établissement sur la côte orientale de Madagascar. Avec copie d’une description de l’Île de Madagascar et des mœurs de ses habitants.« Autor: ­Heraut [?] de Rennefort. Exemplar: ANOM, C 5A 9, Nr. 71. [1780er Jahre?] Undatiert. Titel: »Observations sur le mémoire remis par ordre de Mgr. le Comte d’Artoix«. Anonym. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. [1780er Jahre?] Undatiert. Titel: »Isle de Madagascar«. Anonym. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. [1779 – 1789.] Undatiert. Titel: »Mémoire pour un établissement à Madagascar«. Anonym [François Charpentier de Cossigny?]. Exemplare: MAE, Asie 4, Nr. 74. [1781 – 1787.] Undatiert. Titel: »Madagascar«. Autor: Jacques Louis Henri de Liniers. Exemplar: MAE, Asie 4, Nr. 75.

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[1780er Jahre?] Undatiert. Titel: »Mémoire sur un établissemnet aux Isles de Madagascar, d’Anjouan, l’une des isles Comorres«. Anonym [ Jacques Louis Henri de Liniers]. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. 16. August 1783. Titel: »Mémoire sur l’île de Madagascar pour y établir une colonie et un commerce utile à la France 1783 à 1784, dans diverses parties de l’Inde«. Pierre François Roze. Exemplar: ANOM, XVII/mémoires/88, Nr. 81; ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 182. [1780er Jahre] Undatiert. Titel: »Observations de M. Rose sur le mémoire de M. le chevalier de la Serre sur l’établissement de l’île de Madagascar. Autor: Pierre François Roze. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. Januar 1784. Titel: »Mémoire du sieur Siette de la Rousselière, lieutenant a l’île de France, au maréchal de Castries, sur un projet d’établissement à Madagascar«. Autor: Siette de la Rousselière. Exemplar: ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 187 et 187 bis (2 pieces). [1784.] Undatiert. Titel: »Observations sur Madagascar et sur les possibilités d’y fonder un établissement«. Anonym. Exemplar: ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 196. 13. September 1784. Titel: »Projet de M. de Laborie sur Madagascar«. Autor: Jean-­ Zénon-­André de Véron de La Borie. Exemplar: ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 191 und 191 bis. 1784. Titel: »Mémoire raisonné sur un nouvel établissement dans l’isle de Madagascar et les moyens motivés de la soumettre à la puissance du Roy. Par M. Duhamel comte de Precourt, colonel d’infanterie«. Autor: Baptiste Meusnier. Exemplare: MAE, Asie 4, Nr. 76; ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 195. [1784?] Undatiert. Titel: »Observations sur un nouveau plan d’établissement dans l’isle de Madagascar, par M. Duhamel Comte de Précourt colonel d’infanterie et ancien officier de la Compagnie des Indes demeurant en sa maison à Vineuil parc de Chantilly«. Autor: Baptiste Meusnier. Exemplar: ANOM, XVII/mémoires/88, Nr. 81. [1784?] Undatiert. Titel: »Moyens d’exécuter le projet d’établissement de Mr. Duhamel de Precourt à Madagascar, avec un projet d’offensif [sic!] contre nos ennemis dans l’Inde«. Autor: Baptiste Meusnier. Exemplar: ANOM, XVII/ mémoires/88, Nr. 82. [Ende 1785.] Titel: »Réponses à un questionnaire sur les ressources et les habitants de Madagascar, questionnaire de sept questions posées par le contrôleur général le 11 novembre 1785«. Anonym. Exemplar: ANOM, C 5A 8 bis, Nr. 227. 1785. Titel: »Mémoire«. Anonym [chevalier de La Serre]. Exemplar: ANOM, XVII/mémoires/88, Nr. 84. [1780er Jahre?] Undatiert. Titel: »Mémoire sur Madagascar contenant les motifs déterminants d’y former un établissement, et la manière economique d’y procéder«. Autor: chevalier de La Serre. Exemplar: ANOM, MAD 150 207.

Liste der handschriftlichen Denkschriften zu Madagaskar (1769 – 1819)

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[1780er Jahre?] »12 octobre« [ohne Jahresangabe]. Titel: »Mémoire sur l’isle Madagascar«. Anonym [chevalier de La Serre]. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. [1786 – 1787.] Undatiert. Titel: »Monsieur de Kersalaün propose un projet d’établissement à Madagascar«. Anonym. Exemplar: ANOM, XVII/mémoires/88, Nr. 87. [1786 – 1787.] Undatiert. Titel: »Observations sur les réflexions que le m ­ onseigneur le maréchal de Castries fit l’autre jour à M. le le comte de Kersalaün sur le projet d’établissement à Madagascar qu’il eut l’honneur de vous présenter«. Anonym. Exemplar: ANOM, XVII/mémoires/88, Nr. 89. 9. Februar 1787. Titel: »Réflexions politiques sur l’établissement de Madagascar proposé par M. de Kersalaün«. Anonym. Exemplar: ANOM, XVII/mémoires/ 88, Nr. 93. 1789. Titel: »Détail des moyens propres à former avec succès l’établissement proposé à Madagascar«. Autor: François Jacques Veller de Kersalaün. Exemplar: MAE, Indes orientales 19, Nr. 134. [1789.] Undatiert. Titel: »Idée par simple approximation de ce que coûtera une première expedition à Madagascar pour y former des établissements de culture. Par le chevalier de la Serre«. Autor: chevalier de La Serre. Exemplar: ANOM, C 5A 9, Nr. 59 und 59 bis. [Um 1789?] Undatiert. Titel: »Mémoire sur Madagascar contenant les motifs déterminants d’y former un établissement, par le chevalier de la Serre«. Autor: chevalier de La Serre. Exemplar: ANOM, C 5A 9, Nr. 60 bis 60 quinques. [1789?] Undatiert. Titel: »Moïen [sic!] de former les établissements projetés à Madagascar«. Autor: chevalier de La Serre. Exemplar: ANOM, C 5A 9, Nr. 61. [1789?] Undatiert. Titel: »Résumé général sur le projet d’un établissement à Madagascar«. Autor: chevalier de La Serre. Exemplar: ANOM, C 5A 9, Nr. 63. [Um 1789?] Undatiert. Titel: »Résumé général sur le projet d’un établissement à Madagascar«. Autor: chevalier de La Serre. Exemplar: ANOM, C 5A 9, Nr. 69. [Um 1789?] Undatiert. Titel: »Vues générales d’administration sur l’établissement projeté à Madagascar«. Autor: chevalier de La Serre. Exemplare: ANOM, C 5A 9, Nr. 68 und 68 bis; ANOM, MAD 150 207. [Um 1789?] Undatiert. Titel: »Observations du capitaine Trevau sur l’établissement projeté par le chevalier de la Serre«. Autor: Trevau (capitaine). Exemplar: ANOM, C 5A 9, Nr. 70 und 70 bis. 28. Oktober 1792. Titel: »Mémoire intéressant l’île de Madagascar«. Autor: Yves-­ Joseph Kerguelen de Trémarec. Exemplar: ANOM, XVII/mémoires/88, Nr. 95. [1790er Jahre.] Undatiert. Ohne Titel (es steht nur »C[itoy]en De Vaivres, 23 Novembre«). Autor: Launay. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. 1794. Titel: »Mémoire sur l’île de Madagascar«. Anonym. Exemplar: ANOM, XVII/mémoires/88, Nr. 96. 1796. Titel: »Mémoire du C[itoy]en Lassale sur Madagascar«. Autor: Jacques Lasalle. Exemplar: ANOM, XVII/mémoires/88, Nr. 97.

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[Um 1800 – 1801.] Undatiert. Titel: »Vues politiques sur l’île de Madagascar«. Autor: »P. D. Lehericy [Le Héricy?], du Calvados«. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. 1801. Titel: »Mémoire sur l’île de Madagascar et le commerce des Indes orientales. Présenté au ministre de la marine le 20 messidor an IX par Roze«. Autor: Pierre François Roze. Exemplar: ANOM, MAD 7 15. 1802. Titel: »Mémoire sur la colonisation de Madagascar«. Autor: François ­Charpentier de Cossigny. Exemplar: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15. 27. März 1803. »Mémoire sur Madagascar, par Siette la Rousselière, daté du Port Nord-­O uest (Île de France) le 6 germinal an XI«. Autor: Siette la Rousselière. Exemplar: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15. [1810er Jahre.] Undatiert. Titel: »Madagascar«. Autor: Jean-­Jacques Bacon de la Chevalerie. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. April 1812. »Extrait d’un mémoire intitulé »Apperçu sur les colonies«, par M. Ardant, maître des requetes, communiqué dans le département de l’interieur en avril 1812«. Autor: Ardant. Exemplar: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15. 2. Juni 1814. »Madagascar«. Autor: Schmaltz. Exemplar: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15. [Nach 1815.] Undatiert. Titel: »Note sur Madagascar«. Anonym. Exemplar: ANOM, MAD 150 207. Mai 1817. »Mémoire sur un projet d’établissement à Madagascar«. Autor: Forestier. Exemplar: ANOM, Séries géographiques, MAD 7 15. 1819. »Note pour l’expédition de Madagascar«. Autor: Forestier. Exemplar: ANOM, Séries géographiques, MAD 6 14.

Abkürzungsverzeichnis ANOM

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DFC MAE MHN

Archives nationales d’Outre-­mer Bibliothèque nationale de France Dépôt des fortifications des colonies Ministère des affaires étrangères Muséum national d’histoire naturelle

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Abb. 2:

Karte Madagaskars mit den für diese Monographie wichtigsten Orten »Das pittoreske Frankreich: Port Louis auf der Insel Sainte-­Marie; Sicht auf das alte Monument zum Andenken an die Besitznahme [der Insel]« (Foto D. T.) Abb. 3: Fanjahira, die Residenz des Königs von Anosy, in einem Kupferstich aus dem 17. Jahrhundert (aus Flacourt, Étienne de, Histoire de Grande Isle de Madagascar, Paris 1658) Abb. 4: Fort-­Dauphin Mitte des 17. Jahrhunderts (aus Flacourt, Étienne de, Histoire de la Grande Isle de Madagascar, Paris 1658) Abb. 5: Rova (Königshaus) von Ambositra, 18. Jahrhundert (Zustand im Jahr 2015, nach dem Wiederaufbau in den 2000er Jahren; Foto D. T.) Abb. 6: Porträt von Moritz August Beňovský (aus Memoirs and Travels, London 1790) Abb. 7: Karte der angeblichen Niederlassung von Louisbourg unter Beňovský (undatiert; Foto D. T.) Abb. 8: »Weiße« und »schwarze« Madagassen (aus Flacourt, Étienne de, Histoire de la Grande Isle de Madagascar, Paris 1658) Abb. 9: »Ein Roandriana mit seiner Frau, die von Sklaven getragen wird« (aus ­F lacourt, Étienne de, Histoire de la Grande Isle de Madagascar, Paris 1658) Abb. 10: »Unterwerfung der Bewohner der Provinz Anosy« (aus Flacourt, Étienne de, Histoire de la Grande Isle de Madagascar, Paris 1658) Abb. 11 und 12: Roandriana und Roandrianafrau (aus [Carpeau du Saussay], Voyage, 1722) Abb. 13 und 14: Madagassendarstellungen (aus Grasset de Saint-­Sauveur, Costumes civils actuels de tous les peuples connus, 1784 – 1788) Abb. 15: Grundriss des ersten Stocks des Hôtel des Affaires Étrangères et de la Marine, Versailles (mit den Büros des Marineministeriums) (aus ­Berthier, Jean-­Baptiste, Plans, coupes et élévations des hôtels des départements de la Guerre, des Affaires-­Étrangères et de la Marine, ohne Ort, ohne Datum) Abb. 16: Grundriss des Erdgeschosses des Hôtel des Affaires Étrangères et de la Marine mit der Grande Galerie, Versailles (aus Berthier, Jean-­Baptiste, Plans, coupes et élévations des hôtels des départements de la Guerre, des Affaires-­Étrangères et de la Marine, ohne Ort, ohne Datum) Abb. 17: Schnitt des Hôtel des Affaires Étrangères et de la Marine in Versailles (aus Berthier, Jean-­Baptiste, Plans, coupes et élévations des hôtels des

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départements de la Guerre, des Affaires-­Étrangères et de la Marine, ohne Ort, ohne Datum) Abb. 18: Der Palais de la Porte Dorée, Paris (heutiger Zustand) (Foto D. T.) Abb. 19: Das Basrelief der Fassade des Palais de la Porte Dorée, Paris (heutiger Zustand) (Foto D. T.) Abb. 20 und 21: Fresken im großen Saal des Palais de la Porte Dorée, Paris (heutiger Zustand) (Foto D. T.) Abb. 22: Fort Manda in Mahavelona (Zustand 2015) (Foto D. T.) Abb. 23: Opfergaben im Fort Manda (Foto D. T.)

Quellen- und Literaturverzeichnis Handschriften Archives nationales (Paris und Pierrefitte-sur-Seine) AF III 208 (dossier 947: »Marine et Colonies«); AF IV 1211 (Dossier »Projet d’expeditions maritimes et mémoires sur les colonies étrangères«); AF IV 1187 (»Rapports et lettres du ministre de la marine sur toutes les matières«). C 277 (730: Minutes et rapports, motions, discours et projets de décrets relatifs au procès-­verbal du 11 – 13 brumaire an II). D XVI 3 (dossier 31: correspondance des ministres). D XXV 130 (dossier 1019). D* XVI 3 (Procès-­verbaux du comité de la marine). MAR B 4 125, MAR B 4 127 und MAR B 4 150 (rapports et journaux de ­capitaines de vaisseaux). MAR C 7 151 (Kerguelen) und MAR C 7 153 (Kersaint). MAR 3JJ 348 und MAR 3JJ 350. Archives nationales d’outre-mer (Aix-en-Provence) Fonds ministériels Série B: registres 155, 225. Série C: cartons C 1 11, C 1 16; C 4 105 bis C 4 112, C 4 113; C 5A 1 bis C 5A 9. Série E: cartons E 26 (Benyowsky und Béquet), E 61 (Canaples), E 92 ­(Charpentier de Cossigny), E 120 (Desassises), E 133 (Diard), E 135 (Maudave), E 150 (­ Duhamel de Précourt), E 165 (Du Roucher), E 184 (La Bigorne), E 199 ­(Gaultier), E 238 (La Borie), E 251 (De la Marche), E 259 (La Serre), E 261 (Launay), E 313 (Millon), E 359 (Roze), E 365 (Sanglier), E 370bis (Siette de la Rousselière), E 384bis (Kersalaün). Séries géographiques: MAD 6 14, MAD 7 15, MAD 150 207, MAD 200 379, MAD 233 512. Dépôt des fortifications des colonies: VI/mémoires/26 bis VI/mémoires/29 ­(Guadeloupe); XI/mémoires/48 und XI/mémoires/49 (Martinique); XII/mémoires/ 61, XII/mémoires/67 (Guyane); XVII/mémoires/88 und XVII/mémoires/89 (Madagascar); XIX/mémoires/94 (Indes orientales); XXXIII/mémoires/1 bis XXXIII/mémoires/3 (Saint-­Domingue).

Archives territoriales 1 Z 1 bis 1 7 5.

Gedruckte Quellen

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Archives du Service historique de la Défense (Vincennes) GR 28d 8 (dossier individuel de Jean-­François de La Serre). Archives du Ministère des affaires étrangères (La Courneuve) Asie, volumes 2 bis 4. Indes orientales, volumes 17 bis 20. Bibliothèque du Muséum d’histoire naturelle (Paris) Manuscrits 575, 887, 888, 1765 und 3001. Bibliothèque nationale de France (Paris) Manuscrits français, Nouvelles acquisitions françaises Nr. 9344, 9345, 9381 und 9413. British Library (London) India Office Records, series D.

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Gedruckte Quellen

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d’observations sur le voyage en Chine, de Lord Macartne et du citoyen Van-­ Braam et d’une esquisse des arts des Indiens et des Chinois, par le C. C ­ harpentier Cossigny, Ex-­ingénieur, Paris, an VII de la Republique française [1798]. Ders., Moyens d’amélioration et de restauration proposés au gouvernement et aux habitans des colonies; ou Mélanges politiques, économiques, agricoles et commerciaux, etc., relatifs aux colonies, 3 Bd., Paris 1803. Ders., Recherches physiques et chimiques sur la fabrication de la poudre à canon, Paris 1807. Ders., Supplément aux Recherches physiques et chimiques sur la fabrication de la poudre à canon, Paris 1808. Ders., Observation sur le Manuel du commerce des Indes orientales et de la Chine, o. O. 1808. Commerson, Philibert, Lettre sur un peuple nain de l’Isle de Madagascar adressée à Messieurs les Auteurs du Journal des Sçavans, par M. de Lalande, de ­l’Académie Royale des Sciences, in: Journal des Sçavans 1771, Dezember, II, 851 – 855. Cortés, Hernán, Die Eroberung Mexikos. Eigenhändige Berichte an ­Kaiser Karl V., 1520 – 1524, Darmstadt 1984. Dapper, Olfert, Description de l’Afrique, contenant les noms, la situation et les confins de toutes ses parties, leurs rivières, leurs villes et leurs habitations, leurs plantes et leurs animaux; les Mœurs, les coutumes, la langue, les richesses, la religion et le gouvernement de ses peuples […], Amsterdam 1686. De Barry, Lettre de M. De Barry à M. G. de l‘Académie des sciences, concernant l’état actuel des mœurs, usages, commerce, cérémonies et musiques des habitans de l’Isle de Malegache, Paris 1764. Dellon, Charles, Nouvelle Relation d’un voyage fait aux Indes orientales, contenant la description des îles de Bourbon et de Madagascar, de Surate, de la côte de Malabar, de Calicut, de Tanor, de Goa, etc. Avec l’histoire des plantes et des animaux qu’on y trouve, et un traité des maladies particulières aux pays orientaux et dans la route, et de leurs remèdes, par Dellon, docteur en médecine, Amsterdam 1699. Diderot, Denis, Œuvres. Édition établie par Laurent Versini, Bd. 5: Correspondance, Paris 1997. Documents pour servir à l’étude des relations entre Froberville et Mayeur [hrsg. und kommentiert v. Jean Valette], in: Bulletin de l’Académie malgache 46 (1968), 79 – 104. [Du Bois], Les Voyages faits par le sieur D. B. aux isles Dauphine ou Madagascar, et Bourbon ou Mascarenne, ès années 1669, 70, 71 et 72. Dans laquelle il est curieusement traité du Cap Vert, de la Ville de Surate, des Isles de Saint Hélène ou de l’Ascention. Ensemble les mœurs, religions, forces, gouvernement et coûtumes des habitans desdites isles, avec l’histoire naturelle du pays, Paris 1674.

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Register

Personenregister Abbé Baudeau  siehe Baudeau, Nicolas Abbé Prévost  siehe Prévost d’Exiles, Antoine-François Abbé Roubaud siehe Roubaud, PierreJoseph-André Acosta, José de  344, 347 Adam (bibl. Figur)  244 Adanson, Michel  n. 340 Adelsheim, Henri de  174 Aiguillon, Emmanuel-Armand de Vignerot du Plessis d’  n. 14, 310 Āmina bint Wahb (Mutter des Propheten Mohammed) 58 Andrianampoinimerina (König von Imerina) 61 Arouet, François-Marie  126, 130, 247, 274, n. 348, 357 Arundel, Thomas Howard, 21. Graf von  63 August III. (König von Polen) – 137 Avril (Dolmetscher, Vorname nicht überliefert) – 109, 116 Bacon de la Chevalerie, Jean-Jacques – n. 296 Bacon, Francis  38 Banks, Joseph  193 Baron von Holzendorf  siehe Meusnier, Baptiste Baudeau, Nicolas  262 f., 298 Beaulieu, Augustin de  63 Beausse, Pierre de  76 Bellecombe, Guillaume Léonard de  n. 81 f., 96, 141, 143 – 145, 149 – 151, 159, 169, 175 – 177, 184, n. 218, 222, 225, 293, n. 294, n. 307, 312, 314 Belsunce, Armand de (vicomte, gouverneur de Saint-Domingue)  n. 335

Beňovský, Móric August  13 – 15, 17, n. 20, 41 f., 60, 96, 134 f., 137 – 141, 143 – 180, 182 – 185, 193, 212, 215 f., 218 – 226, 228, 230 – 232, 234, 242, 252, 254, 259 f., 265, 269, 272, 277 – 279, 281, 285, 287, 289 – 293, 295 – 298, 301 – 303, 307, 310 – 313, 315, 321, 323 f., 327 f., 348, 355 f., 358 Béquet (Becquet), Jean-Baptiste (Handelskomis für den Madagaskarhandel)  95, 223, n. 224, 225, n. 308 Bernardin de Saint-Pierre, Jacques Henri  n. 270 Bérubé (Händler)  153, 158, 164 f. Besenval, Peter Josef Viktor von  300 Betia (Königin von Nosy Boraha)  80 – 83, 135 f., 187, 202, 270, 356 Bienfait, Pierre  259 Bodin, Jean  345 Bonaparte, Napoleon (franz. Kaiser)  181, 193 – 195, 227, 275 f., 341 f. Boothby, Richard  63 Bory de Saint-Vincent, Jean Baptiste Georges Geneviève Marcellin  275, n. 352 Boucher (Handelskomis)  183 f. Bougainville, Louis Antoine de  248 Bourbon d’Orléans, Louis-Philippe II. Joseph de  295 Bourbon-Condé, Louis V. Joseph de  295 Bourdaise, Toussaint  239 Bouvet de Lozier, Jean-Baptiste Charles 291 Boynes, Pierre Étienne Bourgeois de  85, 136 f., 140, 157, 160, 167, 219 – 222, 226, 265, 272, 290, 310 Bréon, Jean Nicolas  n. 48, n. 203, 204

402 Bruto Chambanga (Andriantsiambany, König von Anosy)  62 Buffon, Georges-Louis Leclerc de  248 Burnel, Étienne  194 Caesar, Gaius Iulius  345 Calonne, Charles Alexandre de  340 Carpeau du Saussay  65, n. 74, n. 76, 233 f., 240 Cartouche (Vertrauter des Dian Ramach) 129 Castries, Charles Eugène Gabriel de La Croix de  225 f., 299, 303 f., 313 f. Cauche, François  65 – 69, 239, 243 f., 343 Cavagnal de Vaudreuil, Pierre de  346 Chambonneaus, Louis Moreau de  340 Champlain, Samuel de  345 Champmargou (M. de, gouverneur de Fort-Dauphin)  65, 72 – 74, 76 – 7 8, 233 Chantassin, Pouchot de  78 Chapelier, Louis-Armand  245, 325 Charpentier, François  343 Chazal (Einwohner der Île de la Réunion) 252 Chevalier Grenier  siehe Grenier de Taudias, Jacques Raymond de Chevillard de Montesson, Paul  295 f. Chevreau, Étienne Claude  n. 81 f., 141 – 145, 149 – 151, 159, 169, 175 – 177, 183 f., n. 218, 222, 225, 293, 312 Choiseul-Praslin, César Gabriel de  90, 100, 114, 131, 216 f., 219, 221, 273 f., 284, 292, 298, 300, 307 f., 313 f., 336 – 338 Choiseul-Stainville, Étienne-François de  90, 273 Colbert, Jean-Baptiste  75 – 7 7, 232, 265, 281, 316, 320, 342 Commerson, Philibert  94, 100, 174, n. 246, 247 – 249, 270, 316, 327 Comparans (capitaine)  153 Condorcet, Marie Jean Antoine Nicolas Caritat de  31, 304 Cook, James  193, 291

Register Coquereau (ordonnateur de Louisbourg)  183 f., 260, 288, 294 Cortés, Hernán  146, 309 Cossigny de Palma, Jean-François Charpentier de  269 Cossigny de Palma, Joseph-François Charpentier de  79, 185, 192, 196, n. 215, 250, 254, 268 – 270, 274 f., 282, 287, 315 f., 321 f., 325, 327, 339, 343, 356, 358 Courteen, William  63 Crusoe, Robinson  156 D’Alambert  siehe Le Rond, JeanBaptiste Damiens, Robert-François  300 David, Pierre Félix Barthélémy  80 f. De Barry  244, 255 De Moine  313 Decaen, Charles Mathieu Isidore  195 f., n. 215, 275 Deffand, Marie de Vichy-Chamrond du 307 Defoe, Daniel  53 f. Dellon, Charles  239 Des Assises (ordonnateur de Louisbourg)  n.139, 142 f., 146 f., 150, 170 f., 175 Desroches (François-Julien du Dresnay, chevallier)  83, 83, 86, 89, 92 f., 96, 101, 106, 128, 135 – 137, 187, 217 f. D’Houdetot, César Louis Marie François Ange  183 f. Dian Machicore siehe Ndrianmasikoro Dian Ramach siehe Ndriandramaka Dianancore 183 Diard  182 – 185, 187, 189, 235, 288, 356 Diderot, Denis  30, 32, 161, 274, 307 Didier (Unternehmer)  186 Dienancore 143 Du Bois  65 f., n. 77 f., 234, 239 Dubuc, Jean-Baptiste  298, 307 Duhamel de Précourt  siehe Meusnier, Baptiste Dumaine  253, 325

Register Dumas, Jean-Daniel  88, 90 – 92, n. 95, 99, n. 104, n. 114, 136, n. 218, 278 Dumouriez, Charles-François  292 Dupleix, Joseph-François  334 Dupont de Nemours, Pierre Samuel  264, 340 Efoulaché 147 Estaing Männer, Charles-Henri d’  336 Étienne, Nicolas  239 Euzénou de Kersalaün, Jean-Vincent  n. 290 Every, Henry  53, 79 Fanchon  135, 183 f. Farquhar, Sir Robert  198, 326 Ferrand-Dupuy, Louis  278, 303 f., 309, 327, 340 Fiche 203 Figeac (Militär)  n. 104 f. Filet, Jean Onésime  83, 135 f., 182 – 184, 187, 189, 235, 270, 272, 356 Flacourt, Étienne de  50, 63, 65 f., 68 – 72, 74 f., 78, 85, 175, 226, 232 f., 235, 237 – 242, 244 – 246, 249 f., 255 – 264, 277, 280, 284, 298, n. 315, 322 f., 342, 349 Foigny, Gabriel de  78 Fontanieu, Moïse-Augustin de  317 Forestier (conseiller d’État, vice-président du Conseil de marine)  200 f., 206 f., 324 f. Forfait, Pierre Alexandre Laurent  190, 194 f., 227 Fouquet, Nicolas  71, 256 Franklin, Benjamin  304 Frappaz, Théophile  n. 118, n. 204 f. Fressanges, Jean-Baptiste  237, 275, 325 Friedrich V./I. (Kurfürst von der Pfalz und König von Böhmen)  63 Froberville, Eugène de  326 Froidevaux, Henri  50, 85 Gaultier, Guillaume  n. 79 Glemet (Handelskomis)  99 Gonneville, Binnot Paulmier de  290

403 Gosse (Kommandant von Nosy Boraha)  80 – 82, 186, 206 Gouly, Benoît  191 – 195, 227, 275 Grandidier, Alfred  51, 55, 85 Grasset de Saint-Sauveur, Jacques  240, 244 Grenier de Taudias, Jacques Raymond de  n. 272 Grimm, Friedrich Melchior  307 Hammond, Walter  63 Heinrich IV. (König von Frankreich)  288 Henry (Offizier)  n. 205 Hotman, François  345 Hugon, Barthélémy  n. 82, n. 118, n. 205 f., 321 Iavy (König von Mahavelona)  83, 136, 143 f., n. 149, 151, 153 f., 174, 183 f., 186, 189 f., 203, 235, 288 Jaucourt, Louis de  261 Jean-René (König von Toamasina)  49, 198 – 200, 203, n. 206, 236 f. Jefferson, Thomas  337 Joseph II. (röm. dt. Kaiser)  172 Kant, Immanuel  32 Karl I. (König von England)  63 Karl I. (röm. dt. Kaiser)  309, n. 310 Karl V. (röm. dt. Kaiser)  309, n. 310 Katharina II. (Kaiserin von Russland)  300 Kaunitz, Wenzel Anton von  172 Kerguelen de Trémarec, Yves Joseph de  142, 146, 272, 274 f., 278, 290 – 292, 296, 321, 327 Kersalaün, François Jacques Veller (Weller) de  282, 289, n. 290, 296, 307, 309, 322, 327 La Bigorne  siehe Filet, Jean Onésime La Borie, Jean-Zénon-André de Véron, Baron de  303, 322, 327 La Bourdonnais, Bertrand François Mahé de 281 La Case, Vacher de (Dian Pousse)  73 – 78, 84, 233 – 235, 356 La Haye, Jacob Blanquet de  65 f., 77 f., 261

404 La Meilleraye, Charles de La Porte de  65, 70, 72, 74 f., n. 76 La Pérouse, Jean-François de  142 – 146, 148 – 150 La Serre, Jean-François Destorches, Chevalier de  226 f., 254, 260, 278 f., n. 280, 292 – 296, 298, 300, 302, n. 307, 313 f., n. 315, 321 f., 325, 327 f. Lacrosse, Jean-Baptiste Raymond de  195 Lalande, Joseph Jérôme Lefrançais de  247, n. 270 Lalau (Dian)  235 Lally-Tollendal, Thomas Arthur de  87 Lamboina 173 Lamburante  147 f., 173 Las Casas, Bartolomé de  269, 344 Lasalle (La Saly), Jacques  295 f., 327 Launay  287 f., 296 Launay, Pierre Augustin de  n. 287 Launay, Jean-Baptiste Michel  n. 287 Lavalahy (Chef der Zana-Malata)  189 Lavatangue  73 f. Le Borgne (Dolmetscher)  82 f. Le Rond, Jean-Baptiste  274, 307 Leboux-Dumorier, Joseph-Pierre  191, 252 f. Leclerc de Montlinot, Abbé CharlesAntoine-Joseph  193 f., 274, 321 Leduc (Erster Komis des Marineministeriums) 224 Legentil de la Galaisière, Guillaume Joseph Hyacinthe Jean-Baptiste  81 f., 102, 248, 260, 270 – 273, 275, 277, 297, 316, 322, 327, 356 Lenoir, Jean-Charles Pierre (Generalleutnant der Polizei)  n. 185, 301 f. Lescallier, Daniel  41 f., 181, 185 – 191, 193 – 196, 211, 216, 227 f., 252, 254, 274 f., n. 296, 324, 339, 356, 358 Lesquelen, Boisnoir de  80 Liniers, Jacques de  304 Liniers, Jacques Louis Henri de  304, 327

Register Linné, Carl von  248 Lislet Geoffroy, Jean Baptiste  325 Locke, John  n. 31 Lubomirski, Jerzy Marcin  300, 302, n. 303 Ludwig XIII. (König von Frankreich)  67, 288 Ludwig XIV. (König von Frankreich)  27, 51, n. 76, 232, 234, 237, 239, 243, 265, 288, 359 Ludwig XV. (König von Frankreich)  87, 108 f., 300 Ludwig XVI. (König von Frankreich)  154, 222, 274, 294, 301, n. 309 Ludwig XVIII. (König von Frankreich) 199 Lullier-Lagaudier (Händler)  256 Lykurg  172, 179 Mackau, Ange René Armand de  203 – 206, 325 Magalhães, João Jacinto de ( Jean Hiacynthe de Magellan)  169, 173 Magallon, François-Louis de  n. 194 Mahertomp 147 Maillart du Mesle, Jacques  n. 14, 101, 142, n. 146, 166 – 168, 170, 218 f., 224 f., 252, n. 291 Maimbo (König von Anosy)  122 – 124, 126, 128 – 130, 242, 246 Malesherbes, Chrétien-Guillaume de Lamoignon de  274 Mallendré (Kapitän)  293 Malotet, Arthur  50 f., 68, 85 Mananghe (Dian)  71, 73 – 75, 78, 233 Mananzac (Dian)  108, 115, 118 – 120, 122 – 126, 128 f., 246 f. Manding 147 Manhelle (Dian, König der Mahafaly)  70 f. Maria Theresia (röm. dt. Kaiserin)  137, 301 Mariano, Luis  n. 71 Marie-Antoinette (Königin von Frankreich)  274, 301, 307 Marion-Dufresne, Marc Joseph  295

Register Marval (Dian)  n. 68 Maudave, Louis Laurent de Féderbe de  16, 20, 41 f., 58, 85 – 90, 92 – 132, 134 f., 137 f., 140, 150, 153 – 155, 160 – 162, 166, 169, 172, 174 f., 180, 182, 185, 191, 193, 196, 207, 211 – 213, 215 – 217, 219 f., 223, 226, 228, 230 f., 234, 236, 241, 244 – 252, 254, 256, 258 – 266, 268 f., 271, 273, 275, 277, 280 f., 284, 287 f., 296 – 299, 302 f., 307 f., 313, 315 f., 321 – 324, 327, 330, 334, 338 f., 342, 344, 347 – 349, 353 – 356, 358 f. Mayeur, Nicolas  96, 142, 146, 148 f., 151 – 154, 158, 161 f., 164, 173, 242, 245, 253, 313, 324 – 326 Mazarin, Armand Charles de la Porte et de la Meilleraye de Rethel et de  n. 76 Mécusson (Offizier)  195 Mengaud de la Hage (Schiffskapitän)  n. 219 Menou, Abdullah Jacques-François de 342 Mercier, Louis-Sébastien  285, 304 f., 308, 327 Meusnier, Baptiste  298 – 305, 322, 327 Michel (Erster Kommis des Marineministeriums)  n. 95, 223, n. 224, 307, n. 308, 323 Milius, Pierre Bernard  198 f., n. 203, 204, 206 f., 325 Millon des Marquets, François  n. 218, 278 – 280, 282, 288 f., 296, 307, 309, 313, 322, 327 Mirabeau, Victor Riquetti de  274 Mirabeau, Honoré Gabriel Victor de Riqueti de  39, 263 Montdevergue, François Lopès de  76 f., 265 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat de  131, 134, 357 Montreuil, Pierre André Gohin chevalier de  n. 335 Morel 289 Morellet, André  274

405 Morgann, Maurice  n. 340 Motais de Narbonne, AugustinFrançois  n. 172 Mousnier, Jean-François  239 Nacquart, Charles  62, 239 Nadau du Treil, Charles François Emmanuel 336 Ndrianmasikoro  66 f. Ndriandramaka  62, 66 – 73, 233, 350 Necker, Jacques  n. 194, 273 f., 284, 314 Necker, Suzanne (geb. Curchod)  307 Neuhoff, Theodor Stephan von  180 Nolivos, Pierre Gédéon de  n. 336 Nong (Dian)  73 Oudot, Nicolas  n. 259 Panckoucke, Charles-Joseph  n. 194 Panolah (Dian, Fürst von Manambolo)  70 – 72 Pater Étienne  74, 233 Paulmier de Courtonne, Jean  290 f. Penn, William  349 Petit de la Rhodière, Joseph  47, 204, n. 205 Philippe-Égalité siehe Bourbon d’Orléans, Louis-Philippe II. Joseph de Pizarro, Francisco  309 Pléville Le Pelley, Georges-René  227, 321 Poivre, Pierre  88, 90 – 93, 95 f., 99 – 102, 105, 114, 135 f., 216 f., 250, 270 – 272, 274, 278, 281, 284, 315 f. Pompadour, Jeanne-Antoinette Poisson de 274 Pontchartrain, Louis Phélypeaux de  n. 320 Postel, Guillaume  345 Pousse (Dian)  siehe La Case Prévost d’Exiles, Antoine-François  255, 261, 298 Pronis, Jacques  50, 65, 67 – 70, 72, 84, 95, 233, 235 Pułaski, Kazimierz Michał Wacław Wiktor  299 f., 302, n. 303 Quesnay, François  274 Quisquet, François  174

406 Raboc  146, 148, 291 Radama I. (König der Merina)  25, 49, 61, 197 – 200, 203, 205, n. 206, 353, 356 Raffangour  177 f. Raimaz  121 f., 124 – 126, 128, 246 Raimonza  246 f. Rajac  siehe Pronis, Jacques Ramael (Dian)  73 Ramasoulone (Dian)  116 Ramihongars (Fürst des Manampanihytals)  230 f., 349 Raminia (Stammvater der Zafiraminia)  175, 178 Ramousset (Ramousaye) (Dian)  77 f. Ranavalona I. (Königin von Madagaskar)  61, 353 Ranicaze 235 Raoul (Raholo)  145, 147 f., 157 Rapin (Spion)  n. 292 Rasissate (Dian)  73 Ratsimilaho (König der Betsimisaraka)  54, 80 – 82 Raval (Dian, König der Masikoro)  70 f., 73 Ravel (Dian)  68 f., 235 Raynal, Guillaume Thomas François  30, 245, 248, 255, 266 f., 271, 273 – 275, 307, 321, 337, 347 – 349 Razau  n. 69, 233 Rennefort, Urbain Souchu de  65 f., 72 f., n. 76, 78, 233 f., 239, 244, 322 Richelieu, Armand-Jean du Plessis, duc de 281 Rigault (Schiffskapitän)  67 Rochefoucauld, Louis-Alexandre de la 304 Rochon, Alexis-Marie de  249, 260, 267 f., 272 – 275, 282, 290, 292, 316, 327 Rohan-Guéméné, Louis René Édouard de 314 Ronsard, Pierre de  345 Roubaud, Pierre-Joseph-André  255 Rousseau, Jean-Jacques  179, 273, n. 274, 282

Register Rousselot de Surgy, Jacques-Philibert  255, 261 Roux, Sylvain  n. 81, 181 f., 196 – 207, n. 228, 323 f., 326 Roze, Pierre François  n. 136, 297 f., 302, 313 f., 322, 327 Ruprecht von der Pfalz  63 Sachsen-Teschen, Albrecht Kasimir von 137 Saint-Hilaire (Angestellter des Marineministeriums)  n. 206 Sanglier, Chevalier de  16, 182, 252, 254, 260, 293 f., 321 Sartine, Antoine Raymond Juan Gualbert Gabriel de  n. 14, 141, 154, 221 – 223, 225, 293, 302, n. 312, 313 f., 323 Saunier (Schiffskapitän)  n. 153 Savary, Claude-Etienne  341 Savassi 158 Savournin (Händler)  152 – 154, 158, 164, 184 Schmaltz  n. 275 Schneider (Geographingenieur)  n. 205 Sémerville (Schiffsleutnant)  n. 118 Sianique  siehe Tsianihina Sibran  n. 235 Siette de la Rousselière (Einwohner der Île de France)  288, 296, 307, 327 Sonnerat, Pierre  242, 248, 271 – 274, 327 Soubise, Charles de Rohan, prince de  299 Souillac, François, vicomte de  n. 172, 183 Stanislaus II. August Poniatowski (König von Polen)  301 Talleyrand-Périgord, Charles-Maurice de  341 f. Telfair, Charles  245 Ternay, Charles-Henri-Louis d'Arsac de  n. 14, 101, 142, n. 146, 167, 218 f., 224 f., 252, n. 291, 310 Tew, Tom  54 Tirol (commissaire de l’Île de la Réunion) 186 Tombe, Charles-François  275, 277 Tompe Magnarive  siehe Diard

Register Trévau (Schiffskapitän)  n. 95, 313 Tserongh (Dian)  235 Tsialana 189 Tsianihina 147 Tsifanin 203 Turgot, Anne-Robert Jacques  220 – 222, 263, 274, 304, 339 Turgot, Etienne François  339 Unienville, Antoine Marrier (baron d’) 326 Valgny, M. de (Offizier)  41, 81 – 83, 95, 102, 107, n. 125, 127, 131 – 134, 160 f., 212, 246, 256, 313, 324 van Broeck, Adrian  53 Vaudreuil  siehe Cavagnal de Vaudreuil, Pierre de

407 Vauquelin (Schiffskapitän)  217 Vergennes, Charles Gravier de  180, 225, 304, 314, 340 Villaret de Joyeuse, Louis-Thomas  190, 228 Vioménil, Antoine Charles du Houx de 292 Volney, Constantin François de  340 f. Voltaire  siehe Arouet, François-Marie Washington, George  169, 172 Zakavola (König der Betsimisaraka)  186 – 190, 197 Zanahary (Gott)  177f., 244 Zanhar (König von Mahavelona)  82, 135, 154

Ortsregister Aix-en-Provence 18 Alexandrien 341 Ambositra 113 Angontsy  152, 173 Antananarivo  61, n. 206, 246, 353 Antongila (Bucht)  60, 79, 95 f., 139 – 141, 144, 146 – 148, 153 f., 157 f., 164, 166, 173, n. 175, 183, 195, 215, 218 f., 222, 225 f., 228, 269, 290 f., 293, 310, 354 Baie d’Antongil  siehe Antongila (Bucht) Baltimore  173, 295 Bar 299 Boina  54, 60, 101 f., 138, 148 f., 151 – 153, 156, 158 f., 161, 164, 173, 175, 290 Buenos Aires  304 Cayenne 337 Chantilly 298 Fanjahira  58 f., n. 72, n. 78, 122, 214, n. 235 Fiume  siehe Rijeka Fontainebleau 223 Fort Manda  353 – 355 Fort-Dauphin  siehe Tôlanaro Fort-de-la-loi  siehe Tôlanaro

Foulpointe  siehe Mahavelona Hamburg 138 Hiara (Yara)  123, 125 f. Hohenlinden 295 Irkutsk 138 Kanton (Guangzhou)  137, 268 Kapstadt  n. 153 Karaikal  87 f., 92, 124, 256 Kourou  337 – 339 London  53, 155, 173, 198 Lorient 297 Louisbourg  139, 144, 147 – 149, 151 – 153, 155, 157 f., 160 – 164, 166, 168 – 170, 179, 182, 221 – 223, 231, 311 Macau  138, 272 Madrid 318 Mahavelona  48 f., 54, 80, 82 f., 95, 101, 131 – 133, 136, 143 f., 153, 174, 183 – 186, 189 – 192, 195 – 197, 203, 215, 217, 270, 278, 293 f., 296, 314, 353, 356, 358 Manampanihytal  66, 70, 73, 89, 100, 230 f. Mangalore 238 Mangaroro 58

408

Register

Marahombay  183 f., 288 Saint-Germain-en-Laye  n. 320 Maudave  n. 86 Saumur 77 Mauritania  173 f., 178 St. Augustin (Bucht)  63, 65, 68, 73 Mazalagem Nova  60 Surat 78 Medina 238 Taingy-taingy (Bucht)  201, 203, 205 f. Mekka  58, 238 Tamatave  siehe Toamasina Moringano (Bucht)  n. 151 Tintingue  siehe Taingy-taingy (Bucht) Nantes 202 Toamasina  25, 49, 61, 143, 183, 192 f., Neapel 318 196 – 199, 204, n. 206, 214 f., 219, 226, 236 New York  79 Tôlanaro  16, 41, 49 f., n. 52, 65, 67 – 77, Nouveau Masselage  siehe Mazalagem 84 – 86, 88 f., 92 – 95, 97, 99 f., 102, 104 – 107, Nova 109 f., 112, 114 f., 118 – 132, 134, 136, 145, 160, Paris  25, 42 f., 173, 185, 190 f., 206, 219, 247, 175, 191 f., 195 f., 205, 214, 217, n. 219, 223, 251, 254, n. 259, 285, 288, n. 294, n. 296, 298, 225, 228, 230 f., 235 f., 246 f., 256 – 258, 260 f., 301 f., 313, 320 f., 324, n. 325, 327, 330 264 f., 269, 271, 280, 288, 291, 315 f., 321, 330, Pierrefites-sur-Seine 19 348 – 350, 354 Plaine de la Santé des volontaires  96, 146, Troja 345 148, 151, 157, 159, 164, 176, 221, 291 Troyes  n. 259 Poissons  n. 194 Versailles  13 – 15, 18, 25, 42 f., 90, 92, 105, 134, Pondichérry  270, 299 137, 142, 160, n. 162, 164, 165, 172, 176, 179, Port de Boynes  310 219 f., 223, 251, 253 f., 285 – 287, 301, 305 – 307, Port Louis (Sainte-Marie)  47 f., 321 310, 313, 318 – 320, 325, 327 f., 358 Rijeka 172 Warschau 299 Rom  308, 346 Wien  173, 300 Sainte-Luce (Bucht)  95