Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung: Zum Menschenwürde- und Wesensgehaltsschutz im Bereich der Freiheitsgrundrechte [1 ed.] 9783428534883, 9783428134885

Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist eine Rechtsfigur mit langer Tradition und großer Symbolik. Das Bundesv

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Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung: Zum Menschenwürde- und Wesensgehaltsschutz im Bereich der Freiheitsgrundrechte [1 ed.]
 9783428534883, 9783428134885

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1180

Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung Zum Menschenwürde- und Wesensgehaltsschutz im Bereich der Freiheitsgrundrechte

Von Ilmer Dammann

Duncker & Humblot · Berlin

ILMER DAMMANN

Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1180

Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung Zum Menschenwürde- und Wesensgehaltsschutz im Bereich der Freiheitsgrundrechte

Von Ilmer Dammann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Bielefeld hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 361 Alle Rechte vorbehalten

© 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13488-5 (Print) ISBN 978-3-428-53488-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-83488-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im September 2010 von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis September 2010 berücksichtigt werden. Ich möchte mich ganz herzlich bei Herrn Prof. Dr. Christoph Gusy für die umfangreiche und immer zeitnahe Betreuung meines Promotionsvorhabens bedanken. Er hat mir einerseits sehr viele wertvolle Hinweise und Anregungen gegeben und andererseits die wissenschaftliche Freiheit gelassen, eine eigenständige Position zu entwickeln und zu vertreten. Darüber hinaus hat er das Erstgutachten äußerst zügig verfasst. Dank gebührt auch Frau Privatdozentin Dr. Kathrin Groh für die Erstellung des Zweitgutachtens und für ihre weiterführenden Hinweise sowie Herrn Prof. Dr. Johannes Hellermann für wertvolle Anmerkungen im Rahmen meines Doktorandenkolloquiums. Zu besonderem Dank für die ausdauernde Lektüre des Manuskripts sowie für die intensive und produktive Diskussion bin ich Herrn Prof. Dr. Karl-Jürgen Bieback verpflichtet. Herrn Prof. Dr. Martin Kutscha möchte ich dafür danken, dass er mir den Kontakt zu meinem Doktorvater vermittelt hat. Die Studienstiftung des deutschen Volkes hat die Arbeit mit einem Stipendium gefördert und mir auf den Doktorandenforen einen sehr gewinnbringenden Erfahrungsaustausch ermöglicht. Die Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung hat die Fertigstellung dieses Buches mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss unterstützt. Für viele kluge Anmerkungen, kritische Einwände und umfangreiche Unterstützung möchte ich mich bei meiner Schwester Lena Dammann, meinem Vater Dr. Klaus Dammann, Dr. Jan Gehrken und Dr. David Rabenschlag bedanken. Besonderen Dank schulde ich auch meiner Großmutter Ilse Ropers für die erstaunliche Ausdauer und Genauigkeit bei der Rechtschreibkontrolle. Für vielfältige Unterstützung vor allem emotionaler Art danke ich meiner Mutter Maja Dammann. Schließlich danke ich von ganzem Herzen meiner Frau Barbara, die mich über die gesamte Zeit der Promotion liebevoll begleitet und unterstützt hat. Hamburg, im Januar 2011

Ilmer Dammann

Inhaltsverzeichnis Einleitung

13

A. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

Erstes Kapitel Die Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

19

A. Unantastbarkeit des Kernbereichs und verfassungsrechtliche Grundlage . . . . . . I. Die Absolutheit des Kernbereichsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Grundlage des unantastbaren Kernbereichs . . . . . . . . 1. Die Entwicklung im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausweitung des Kernbereichsschutzes auf andere Freiheitsrechte . . . . . 3. Menschenwürde- oder Wesensgehalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anwendungsbereich des Kernbereichsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 19 23 23 26 28 30 32

B. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz? . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Kernbereich der Verhaltensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Kernbereichsschutz gegen Informationserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kernbereichsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der soziale Bezug und das kommunikative Element . . . . . . . . . . . . . . b) Die Intensität des Sozialbezugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Höchstpersönlicher Inhalt entäußerter Gedanken . . . . . . . . . . . . . bb) Der unmittelbare Straftatenbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Wille zur Geheimhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Weitere Kriterien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz? . . . . . . . . a) Höchstpersönlicher Inhalt von entäußerten Gedanken . . . . . . . . . . . . . b) Der Straftatenbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Entscheidungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kernbereichsrelevante Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unantastbarer Kernbereich auf abstrakt-genereller Ebene . . . . .

33 33 36 36 36 38 39 42 45 46 49 49 51 52 52 54

8

Inhaltsverzeichnis III. Der Kernbereich als Grenze des Freiheitsgebrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55 59

C. Exkurs: Der unantastbare Kernbereich als innentheoretisches Konzept . . . . . . .

59

D. Hält das Bundesverfassungsgericht die Kernbereichsrechtsprechung konsequent durch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entscheidungen zu intensiven Freiheitseingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entscheidungen zum Schutz vor Informationserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abhör-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die „beleidigungsfreie Sphäre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entscheidung zum Persönlichkeitsschutz als Freiheitsgrenze . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63 64 67 67 68 70 71

E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

Zweites Kapitel Vorarbeiten zum bundesverfassungsgerichtlichen Kernbereichskonzept und dessen Anwendung durch die Fachgerichte

73

A. Vorarbeiten der Rechtswissenschaft zum Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Explizit rezipierte Kernbereichskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Persönlichkeitskerntheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zivilrechtliche Vorarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74 74 77 78 79

B. Die Kernbereichsrechtsprechung der Fachgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eigene Kernbereichsrechtsprechung der obersten Bundesgerichte? . . . . . . . II. Anwendung des bundesverfassungsgerichtlichen Kernbereichskonzepts . . 1. Kernbereich als Freiheitsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebung . . . . . . . . . . . . . . III. Entscheidungen, in denen das Kernbereichskonzept nicht verwendet wird IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80 80 85 86 88 93 95

C. Kernbereichsrechtsprechung der Landesverfassungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kernbereichsschutz beim präventiven großen Lauschangriff . . . . . . . . . . . . II. Entscheidungen zur Beschlagnahme von Tagebüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96 96 99 99

D. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

Inhaltsverzeichnis

9

Drittes Kapitel Absoluter Schutz durch Kernbereichsdefinitionen, die vom Bundesverfassungsgericht abweichen?

102

A. Maßnahmenbezogene Ansätze in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft . . . . I. Monologische Kernbereichskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Monologe unabhängig vom Inhalt geschützt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsprechung zum Schutz von Tagebüchern unabhängig vom Inhalt 3. Das Krankenzimmer-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Monologe mit höchstpersönlichem Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gemeinsame Kritik der monologischen Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der große Lauschangriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kernbereich des Art. 13 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Raumgesprächsentscheidung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Alternative Definitionen der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Räumliche Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausschluss „kriminell bemakelter“ Wohnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das abweichende Votum im Urteil zum großen Lauschangriff . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103 103 104 105 105 108 109 112 112 113 115 115 116 117 118

B. Allgemeine alternative Kernbereichskonzepte in der Rechtswissenschaft . . . . . . I. Kombination von typologischer Methode und Sphärentheorie . . . . . . . . . . . II. Höchstpersönlichkeitsmanifestationen und -potentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119 120 122 124

C. Gemeinsame Kritik der strafprozessualen Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 D. Kernbereichsschutz bei der Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Differenzierung zwischen repressivem und präventivem Bereich . . . . . . . . . 1. Unantastbarer Kernbereich nur bei Maßnahmen im Allgemeininteresse? 2. Wertend-bilanzielle Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Menschenwürdekollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gleiches Schutzniveau im repressiven und präventiven Bereich . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125 125 126 128 129 132 132

E. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

Viertes Kapitel Begründung des unantastbaren Kernbereichs

134

A. Begründung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 B. Auf das Bundesverfassungsgericht verweisende Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

10

Inhaltsverzeichnis

C. Begründungen des unantastbaren Kernbereichs mit der Menschenwürde . . . . . . I. Kernbereich und Objektformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kernbereich und modifizierte Objektformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kernbereich als Konsens: Fallgruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Kritik an der Konsensdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik am Beispiel der Persönlichkeitsprofile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kernbereich als Voraussetzung der Persönlichkeitsentwicklung . . . . . . . . . . 1. Unüberwachte Wohnung als Bedingung der Persönlichkeitsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eingriff durch den großen Lauschangriff selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingriff durch die Furcht vor Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unantastbare Monologe und Persönlichkeitsentwicklung . . . . . . . . . . . . . a) Die Kenntnisnahme als Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Eingriff durch die Furcht vor Kenntnisnahme . . . . . . . . . . . . . . . 3. Allgemeine strafprozessuale Begründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kernbereich als Ausdruck der Achtung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

141 144 148 149 150 151 153 154 155 155 159 160 161 162 163 165

D. Konsequenzen für den Kernbereichsschutz im präventiven Bereich . . . . . . . . . . 165 E. Unantastbarer Kernbereich und Wesensgehaltsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eingrenzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Keine Abwägung wegen Abstraktion der Kernbereichsdefinition . . . . . . . . III. Schutz existentieller Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wesensgehalt als ius cogens des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Notwendiger Grundrechtsrest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Quantitativer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kritik am Beispiel des großen Lauschangriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Qualitative Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167 167 169 170 171 173 173 174 175 176 178

F. Ergebnis und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Fünftes Kapitel Kritik des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung

180

A. Kein Privatsphärenschutz gegenüber dem Staat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 B. Ein relevanter, unantastbarer Kernbereich ist grundgesetzwidrig . . . . . . . . . . . . . I. Kernbereichsschutz unabhängig von entgegenstehenden Interessen . . . . . . . 1. Bewertung für den Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit . . . 2. Bewertung für den Kernbereichsschutz gegen Informationserhebung . .

185 185 185 188

Inhaltsverzeichnis

11

3. Bewertung für den Kernbereich als Freiheitsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kernbereich ohne Interessenkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bewertung für den Kernbereich der Verhaltensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertung für den Kernbereichsschutz gegen Informationserhebung . . III. Berücksichtigung entgegenstehender Interessen bei der Kernbereichsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung und Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191 191 192 194 196 197

C. Die unterschiedlichen Begriffsebenen des unantastbaren Kernbereichs . . . . . . . . 197 D. Unantastbarer Kernbereich aus anderen Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Seitenblick in andere Kernbereichsdiskurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Kernbereich der Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ein rechtsvergleichender Seitenblick in die USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Absolute Freiheitsrechte aus naturrechtlicher Perspektive? . . . . . . . . . . . . . . IV. Seitenblicke in die politische Philosophie und die Sozialphilosophie . . . . . 1. Theorien, die die Rolle des Staates beschränken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitgenössische Sozialphilosophie als Vorbild des Kernbereichs? . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199 200 200 203 205 207 208 208 211 212

E. „Unantastbarer“ Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Idee? . . . . . . . . 213 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

Sechstes Kapitel Folgerungen A. Funktionen des Kernbereichs und wirksame Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das ungelöste Problem der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers . . . . 2. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebung . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ermöglichung des Grundrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der verstärkte Schutz vor offener Informationserhebung . . . . . . . . . . . . . 3. Der verstärkte Schutz vor heimlicher Informationserhebung . . . . . . . . . . 4. Die Überprüfung von Verfassungsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

219 220 221 222 226 227 227 232 235 239 240

B. Absoluter Schutz gegen staatliches Handeln nur modal möglich . . . . . . . . . . . . . 241 C. Relativer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 I. Anforderungen an ein relatives Kernbereichskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 II. Relativer Kernbereich ist nicht relevant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

12

Inhaltsverzeichnis

D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

Einleitung Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist eine verfassungsrechtliche Rechtsfigur mit langer Tradition. Seit der Elfes-Entscheidung aus dem Jahre 1957 hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung das Grundgesetz dahin ausgelegt, dass es den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als einen letzten unantastbaren Freiheitsraum des Menschen beinhaltet.1 Das Bundesverfassungsgericht verwendet die Rechtsfigur des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung in einer Vielzahl von Entscheidungen in verschiedenen Kontexten und Funktionen. Einerseits dient der Kernbereichsbegriff dazu, das Problem der Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte zu lösen.2 Andererseits soll er einen effektiven Grundrechtsschutz gegen offene und heimliche Informationserhebungen sicherstellen.3 Darüber hinaus begrenzt das Gericht mit diesem Begriff den Schutz einzelner Grundrechte, wie der Kunstfreiheit, wenn sie in Konflikt mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht geraten.4 Die Bundes- und Landesgesetzgeber haben den Begriff des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung mittlerweile in eine Reihe von Gesetzen eingefügt.5 Dabei dient das Kernbereichskonzept vor allem dazu, heimliche Informationserhebungen aus der Privatsphäre der Bürger durch staatliche Stellen zu begrenzen. Die Rechtswissenschaft hat den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung vor allem im Strafprozessrecht intensiv erörtert.6 Trotz dieser vielfältigen Verwendungsweise und seiner erheblichen Bedeutung ist bis heute unklar geblieben, wie der Rechtsbegriff des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung genau zu definieren und verfassungsrechtlich zu begründen

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BVerfGE 6, 32, 41. Zur Terminologie, s. u. Einleitung, A. BVerfGE 6, 32, 41 (Elfes); 6, 389, 433 (Homosexualität I). 3 Offen: BVerfGE 80, 367, 373 (Tagebuch II). Heimlich: 109, 279, 313 f. (Großer Lauschangriff); 113, 348, 390 ff. (Niedersächsisches SOG); 120, 274, 335 (OnlineDurchsuchung). 4 BVerfGE 119, 1, 29 f., 34 (Esra). 5 Bund: §§ 16, 20h, 20k, 20l BKAG; § 5 BSIG; § 14 EMVG; §§ 3a, 5, 5a G10-Gesetz; §§ 100a, 100c StPO; §§ 22a, 23a, 32a ZFdG. Länder: u. a. §§ 15, 27 HSOG; § 29 POG-RP. 6 Unter der Bezeichnung der Intimsphäre: W. Klöhn, Intimsphäre, 1984. Als Teil der Intimsphäre: T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988. Explizit zum Kernbereich: M. Warntjen, Kernbereich, 2007. 2

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Einleitung

ist.7 Die ihm zugedachten Aufgaben kann dieser Rechtsbegriff jedoch nur erfüllen, wenn er sich methodisch sauber, rational nachvollziehbar und in sich schlüssig aus dem Grundgesetz herleiten und definieren lässt. Diese Arbeit untersucht, ob der Rechtsprechung und der Rechtswissenschaft eine solche Herleitung und Definition gelungen ist und ob sie gelingen kann. Dabei liegt besonderes Augenmerk auf der Unantastbarkeit des Kernbereichs. Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung unterscheidet sich nämlich vom relativen Privatsphärenschutz und den anderen Freiheitsrechten des Grundgesetzes nur durch seinen absoluten Schutz. Einem Kernbereich, der nicht unantastbar ist, dürfte gegenüber dem übrigen Grundrechtsschutz kaum Relevanz zukommen.8

A. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes 1. Der Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung bezieht sich nur auf einen begrenzten, dafür aber absolut geschützten Ausschnitt des Privatsphärenschutzes. Für die Frage der Unantastbarkeit des Kernbereichs, die im Vordergrund dieser Arbeit steht, sind die Rollen- und Kommunikationstheorie sowie die Theorie der autonomen Selbstdarstellung nicht relevant.9 Diese Theorien begründen den Grundrechtsschutz der Privatsphäre insgesamt, setzen sich aber nicht mit der Absolutheit dieses Schutzes auseinander.10 2. Auch die Sphärentheorie bezieht sich auf den gesamten Privatsphärenschutz. Diesem Ansatz folgend bezeichnet die Privatsphäre einen vor unerwünschter Öffentlichkeit geschützten Verhaltensraum.11 Die menschliche Existenz wird zumeist in drei konzentrische Sphären mit abnehmendem Schutzniveau eingeteilt. Die Intimsphäre ist der innerste, am stärksten geschützte Bereich. Dann folgt die Privatsphäre und schließlich die weitgehend ungeschützte Sozialoder Öffentlichkeitssphäre. Diese Sphären sind dadurch gekennzeichnet, dass von innen nach außen die persönliche Nähe ab- und der Sozialbezug zunimmt. 7

C. Gusy, DuD 2009, S. 33, 41. s. u. 6. Kapitel, C. 9 Zur Rollentheorie: P. J. Müller, Privatsphäre, 1974, S. 63 ff.; G. Jensen, DVR 6 (1977), S. 1, 9 f.; O. Mallmann, Zielfunktionen, 1977, S. 36 ff. Zur Kommunikationstheorie: G. Rüpke, Privatheit, 1976, passim; C. Gusy, DVR 1984, S. 289, 290 ff.; ders., JuS 2004, S. 457, 458; ders./K. Ziegler, JRP 1996, S. 193, 199 f. Zur Theorie der autonomen Selbstdarstellung: N. Luhmann, Grundrechte, 1965, S. 53 ff. Vgl. zu diesen Theorien: A. F. Westin, Privacy, 1967, S. 34 ff.; D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 22 ff.; L. Wildhaber/S. Breitenmoser, in: EMRK, Art. 8, Rn. 102 ff.; W. Schmitt Glaeser, in: HStR, 2001, VI, § 129, Rn. 14. Kritisch: H.-D. Horn, in: HStR, VII, 2009, Rn. 15. 10 s. u. 4. Kapitel, C. IV. 3. 11 D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 24 f.; M.-E. Geis, JZ 1991, S. 112 ff.; R. Störmer, Jura 1991, S. 17, 18 ff.; U. Di Fabio, in: Maunz/Düring, 2001, Art. 2, Rn. 157 ff. Aus zivilrechtlicher Sicht: H.-P. Götting, in: ders., 2008, § 1, Rn. 5 f. 8

A. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes

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Das Verhältnis der Begriffe „Kernbereich der privaten Lebensgestaltung“ und „Intimsphäre“ blieb lange Zeit ungeklärt, weil die Terminologie des Bundesverfassungsgerichts uneinheitlich war. In der ersten Entscheidung in diesem Kontext, dem Elfes-Beschluss zur Ausreisefreiheit, ging das Gericht von einer „Sphäre privater Lebensgestaltung“ und einem „letzte[n] unantastbare[n] Bereich menschlicher Freiheit“ aus.12 Das Gericht verwendete die Begriffe Bereich und Sphäre synonym, so dass auch von der Kernsphäre oder dem Intim- und Privatbereich gesprochen werden könnte. Ebenfalls 1957, in einem Urteil, in dem es erstmals untersuchte, ob die Strafbarkeit der Homosexualität verfassungskonform ist, bezeichnete das Gericht den unantastbaren Freiheitsbereich als „Intimsphäre“.13 Im ersten Beschluss zur Verwertbarkeit von Tagebuchaufzeichnungen im Strafprozess aus dem Jahre 1964 erwähnte das Gericht die „Intimsphäre“ ohne klarzustellen, ob es sich um einen unantastbaren Freiheitsraum handelt.14 Vom „Kernbereich der privaten Lebensgestaltung“ sprach das Gericht erst im Jahre 1973, in einem Beschluss zur Verwertbarkeit einer von Privatpersonen gefertigten heimlichen Tonbandaufnahme als Beweismittel in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.15 Das Verhältnis der Begriffe „unantastbarer Kernbereich“ und „Intimsphäre“ blieb aber weiterhin unklar.16 Teilweise sah das Gericht beide als Synonyme an.17 In anderen Entscheidungen bezeichnete es mit der Intimsphäre die gesamte Privatsphäre.18 Die uneinheitliche Verwendungsweise des Begriffs „Intimsphäre“ führte dazu, dass einige Autoren bei der Sphärentheorie sogar von vier oder fünf 12 BVerfGE 6, 32, 41. Die zweite Formulierung verwendete auch: BVerfGE 7, 198, 220 (Lüth). 13 BVerfGE 6, 389, 433 (Homosexualität I). 14 BVerfGE 18, 146 (Tagebuch I). Dieser Beschluss betraf eine einstweilige Anordnung gemäß § 32 BVerfGG gegen die Verwendung von Tagebuchaufzeichnungen im Strafprozess. 15 BVerfGE 34, 238, 245 (Heimliche Tonbandaufnahme). 16 E. Benda, Menschenwürde 1975 setzt auf S. 20 f. die Intimsphäre mit der gesamten Privatsphäre gleich, spricht aber auf S. 35 von der Unantastbarkeit der Intimsphäre. Vgl. L. Schneider, Wesensgehalt, 1983, S. 229. Laut B. Rössler, Wert, 2001, S. 17, ist aus sozialphilosophischer Perspektive alles was intim ist auch privat, aber nicht umgekehrt. 17 BVerfGE 27, 1, 6, 8 (Mikrozensus); 32, 373, 378 (Patientenkartei); 34, 238, 248 (Heimliche Tonbandaufnahme); 44, 353, 372 (Drogenberatungsstelle); 89, 69, 82 f. (Cannabis I); BVerfG, NJW 1990, S. 701. 18 BVerfGE 27, 344, 350 f. (Scheidungsakten); 33, 367, 376 (Zeugnisverweigerungsrecht Sozialarbeiter); 34, 205, 209 f. (Scheidungsakten II); 35, 35, 39 (Brief an Ehegatten I); 39, 1, 42 (Schwangerschaftsabbruch I); BVerfG, NJW 1988, S. 3010. Aus der Rechtswissenschaft: G. Arzt, Schutz der Intimsphäre, 1970, passim; T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988, passim; R. Störmer, Jura 1991, S. 17, 20. Ähnlich: O. Kimminich, Die Verwaltung 4 (1971), S. 206, 218.

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verschiedenen Sphären ausgingen.19 Ab dem Jahre 1993 hat das Gericht die Intimsphäre durchgehend mit dem unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gleichgesetzt.20 Danach bezeichnet die Intimsphäre einen absolut geschützten Ausschnitt der Privatsphäre.21 Allerdings verwendete das Gericht die Bezeichnung „Intimsphäre“ weder im zweiten Beschluss zur Verwertbarkeit von Tagebuchaufzeichnungen im Strafprozess, noch in den Urteilen zur Einführung des repressiven großen Lauschangriffs22, zum niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) und zur heimlichen Informationserhebung aus informationstechnischen Systemen (im Folgenden: Online-Durchsuchung).23 In diesen Entscheidungen spricht das Gericht lediglich vom Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Dies deutet darauf hin, dass der Begriff „Intimsphäre“ entbehrlich ist. Zumindest für das Verfassungsrecht enthält er keinen Erkenntniszugewinn, da er inhaltlich je nach Bedeutung durch die Begriffe „Kernbereich“ oder „Privatsphäre“ ersetzbar ist.24 Wegen der begrifflichen Unklarheiten und wegen der Tendenz der vorschnellen Verengung auf den Bereich der Sexualität,25 sollte auf den Begriff „Intimsphäre“ verzichtet werden. Diese Untersuchung befasst sich aber mit dem unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung unabhängig von der uneinheitlichen Terminologie. Deshalb sind auch Urteile, Gesetze und rechtswissenschaftliche Texte, welche den Begriff der „Intimsphäre“ anstelle des „unantastbaren Kernbereichs“ verwenden, zu untersuchen.

19 Vier Sphären: A. Podlech, in: AK-GG, (2001), Art. 2 Abs. 1, Rn. 36: Kernbereich, Intimsphäre, Privatsphäre und öffentliche Sphäre. Dies geht zurück auf: R. Scholz, AöR 100 (1975), S. 265, 266. Vgl. auch D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 76 f. Fünf Sphären: C. Degenhart, JuS 1992, S. 361, 363 f.: Kernbereich, Intimsphäre, Privatsphäre, Sozialsphäre und Öffentlichkeitssphäre. 20 BVerfGE 89, 69, 82 f. (Cannabis I); 119, 1, 29 f., 34 (Esra); BVerfG, NJW 2002, S. 283, 284; S. 3767, 3768; Nichtannahmebeschluss vom 10.06.2009, Az.: 1 BvR 1107/ 09, Rn. 24 ff., zitiert nach juris. 21 So auch: D. Krauss, in: FS Gallas, 1973, S. 365, 375, 378 ff.; D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 76 f., 226 f.; W. Klöhn, Intimsphäre, 1984, S. 28 f.; M.-E. Geis, JZ 1991, S. 112 f.; U. Di Fabio in: Maunz/Dürig, 2001, Art. 2, Rn. 158; W. Kahl/L. Ohlendorf, JuS 2008, S. 682, 683; C. Gusy, DuD 2009, S. 33, 34. A. A.: BMJ, in: Vormbaum, Lauschangriff, 2005, S. 37, 38 f.; I. v. Münch, Staatsrecht II, 2002, Rn. 322, allerdings jeweils ohne Begründung. 22 Zum Begriff „großer Lauschangriff“: M. Kutscha, NJW 1994, S. 85; E. Denninger, StV 1998, S. 401. 23 BVerfGE 80, 367 ff. (Tagebuch II); 109, 279 ff. (Großer Lauschangriff); 113, 348 ff. (Niedersächsisches SOG); 120, 274 ff. (Online-Durchsuchung). 24 So auch: M. Baldus, JZ 2008, S. 218, 222. 25 BT-Drs 15/2466, S. 4 (§ 201a StGB). Vgl. auch A. Dix/T. B. Petri, Privatheit, 2007, S. 31, 32; K. Stern, in: FS Ress, 2005, S. 1259, 1265; A. von Arnauld, ZUM 1996, S. 286, 290 f., der allerdings an der Intimsphäre als zwischen Kernbereich und Privatsphäre gelegene besonders, aber nicht absolut geschützte Privatsphäre festhält. Anders: A. Hoyer, ZIS 2006, S. 1, 3.

B. Gang der Untersuchung

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Weil der unantastbare Kernbereich und die Intimsphäre als Synonyme anzusehen sind, ist auf die Kritik an der Sphärentheorie zurückzukommen, soweit sie sich auf die Abgrenzung von relativ geschützter „Privatsphäre“ und unantastbarer „Intimsphäre“ bezieht.26 Hingegen sind die Argumente gegen die Sphärentheorie für diese Untersuchung irrelevant, soweit sie die ungeschützte „Öffentlichkeitssphäre“ und ihr Verhältnis zur „Privatsphäre“ betreffen. 3. Schließlich ist der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung im Verhältnis zu Menschenwürde- und Wesensgehaltsgarantie einzuordnen. Das Bundesverfassungsgericht hat den Kernbereichsbegriff bei der Auslegung dieser beiden Garantien entwickelt. Dieser Begriff ist einerseits enger und andererseits weiter als Art. 1 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 2 GG. Er ist enger, weil er sich auf den Schutz des privaten Bereichs der menschlichen Existenz beschränkt. Anders als die Menschenwürde- und die Wesensgehaltsgarantie schützt der unantastbare Kernbereich kein menschliches Verhalten in der Öffentlichkeit, sondern den Rückzug des Individuums in die Einsamkeit oder den Kontakt zu Vertrauenspersonen.27 Andererseits ist der Kernbereichsbegriff weiter, weil er sowohl auf Art. 1 Abs. 1 GG als auch auf Art. 19 Abs. 2 GG gestützt werden kann.28 Diese Arbeit analysiert Menschenwürde- und Wesensgehaltsgarantie nur daraufhin, ob sich aus ihnen ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung herleiten lässt.

B. Gang der Untersuchung Weil der Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung vor allem vom Bundesverfassungsgericht geprägt wurde, ist dessen Rechtsprechung der Ausgangspunkt der Untersuchung im ersten Kapitel. Dabei zeigt sich, dass das Bundesverfassungsgericht zwar von einem absoluten Kernbereichsschutz ausgeht, diesen aber durch seine Definition relativiert. Dieses Ergebnis wird im zweiten Kapitel überprüft. Dazu wird zum einen untersucht, ob sich das Bundesverfassungsgericht auf Vorarbeiten aus der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung anderer Gerichte stützte, als es das Kernbereichskonzept entwickelte. Zum anderen wird die Rechtsprechung der Fach- und der Landesver-

26 U. Seidel, Datenbanken, 1972, S. 70; W. Schmidt, JZ 1974, S. 241, 243 f.; B. Schlink, Amtshilfe, 1982, S. 191; K. Vogelsang, Selbstbestimmung, 1987, S. 49 f.; K. Amelung, NJW 1990, S. 1753, 1755; F. L. Lorenz, GA 1992, S. 254, 261 f.; C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, I, 2005, Art. 2 Abs. 1, Rn. 16. Aus zivilrechtlicher Perspektive: M. Baston-Vogt, Persönlichkeitsrecht, 1997, S. 191 ff. Zur Kritik am Kernbereich s. u. 5. Kapitel. 27 Zur Abgrenzung von „privat“ und öffentlich: J. Habermas, Öffentlichkeit, (1962), S. 54 ff., 238 ff. Zum Begriff der Öffentlichkeit auch: R. Marcic, in: FS Arndt, 1969, S. 267, 275 ff. 28 C. Gusy, DuD 2009, S. 33, 41. Ausführlich: s. u. 1. Kapitel, A. II. 3.

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Einleitung

fassungsgerichte dargestellt, soweit diese den Kernbereichsbegriff ebenso wie das Bundesverfassungsgericht definieren. Im dritten Kapitel wird geprüft, ob Ansätze, die den unantastbaren Kernbereich anders als das Bundesverfassungsgericht bestimmen, einen absoluten Schutz ermöglichen. Danach geht es im vierten Kapitel darum, ob Rechtsprechung und Rechtswissenschaft den unantastbaren Kernbereich überzeugend mit Menschenwürde- und Wesensgehaltsgarantie begründen. Im fünften Kapitel wird das Konzept des unantastbaren Kernbereichs allgemein und grundsätzlich kritisiert. Dabei wird gezeigt, dass ein unantastbarer Kernbereich nur als Deskription und nicht als relevanter Rechtsbegriff verfassungskonform ist. Schließlich wird im sechsten Kapitel untersucht, was aus diesem Befund folgt. Dazu werden die Funktionen, die das Bundesverfassungsgericht dem „unantastbaren“ Kernbereich in seiner Rechtsprechung beimisst, dargestellt und es wird untersucht, ob es wirksame Alternativen gibt. Abschließend wird beschrieben, welche Bedeutung ein relativ geschützter Kernbereich der privaten Lebensgestaltung im Rahmen des Grundgesetzes haben kann. In dieser Arbeit geht es nicht darum, den Grundrechtsschutz gegenüber den staatlichen Maßnahmen, gegen die der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung schützen soll, zu verringern. Die im sechsten Kapitel erörterten Alternativen sichern ein hohes Maß an effektivem Grundrechtsschutz unabhängig von dieser Rechtsfigur.

Erstes Kapitel

Die Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Für das Verständnis des Rechtsbegriffs des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von herausragender Bedeutung. Zunächst wird diese Rechtsprechung in Bezug auf die Unantastbarkeit des Kernbereichs und zu seiner verfassungsrechtlichen Grundlage dargestellt (A.). Anschließend wird geprüft, ob die Kernbereichsdefinition des Gerichts, wie von ihm vertreten, zu einem absoluten Kernbereichsschutz führt (B.). Ein Exkurs zeigt, dass das Bundesverfassungsgericht ein innentheoretisches Kernbereichskonzept vertritt (C.). Schließlich wird untersucht, ob das Bundesverfassungsgericht die Kernbereichsrechtsprechung konsequent durchhält (D.).

A. Unantastbarkeit des Kernbereichs und verfassungsrechtliche Grundlage Das Bundesverfassungsgericht geht von der Unantastbarkeit des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung aus (I.) und stützt diese Rechtsfigur auf verschiedene verfassungsrechtliche Grundlagen (II.). Darüber hinaus hat der absolute Kernbereichsschutz einen umfassenden Anwendungsbereich (III.).

I. Die Absolutheit des Kernbereichsschutzes Im Elfes-Beschluss stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass „ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit besteht, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist.“1 Das Gericht geht auch in den Folgeentscheidungen zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung explizit von dessen absolutem Schutz aus.2 1

BVerfGE 6, 32, 41 (Elfes Entscheidung) [Hervorhebung, I. D.]. BVerfGE 6, 389, 433 (Homosexualität I); 7, 198, 220 f. (Lüth); 8, 274, 328 f. (Preisgesetz); 10, 55, 58 f. (Zuchtbullen); 18, 146, 147 (Tagebuch I); 27, 1, 6 (Mikrozensus); 27, 344, 350 f. (Scheidungsakten); 32, 373, 378 (Patientenkartei); 33, 367, 376 f. (Zeugnisverweigerungsrecht Sozialarbeiter); 34, 238, 245 (Heimliche Tonbandaufnahme); 35, 35, 39 (Brief an Ehegatten I); 35, 202, 220 (Lebach); 38, 312, 320 (Zeugnisverweigerungsrecht Tierarzt); 39, 1, 42 (Schwangerschaftsabbruch I); 54, 143, 146 (Taubenfütterungsverbot); 75, 369, 380 (Strauß-Karikatur); 80, 137, 153 (Reiten im 2

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Wenn eine Maßnahme in den Kernbereich eingreift, dann ist sie ohne Möglichkeit der Rechtfertigung verfassungswidrig: „Selbst schwerwiegende Interessen der Allgemeinheit können Eingriffe in diesen Bereich nicht rechtfertigen; eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes findet nicht statt.“3 „Zwar wird es stets Formen von besonders gravierender Kriminalität und entsprechenden Verdachtssituationen geben, die die Effektivität der Strafrechtspflege als Gemeinwohlinteresse manchem gewichtiger erscheinen lässt als die Wahrung der menschlichen Würde des Beschuldigten. Eine solche Wertung ist dem Staat jedoch durch Art. 1 Abs. 1, Art. 79 Abs. 3 GG verwehrt.“4

Das Bundesverfassungsgericht sieht also in ständiger Rechtsprechung den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als absolut geschützt an. Dieser absolute Kernbereichsschutz beinhaltet zwei Aspekte, wobei der zweite logisch zwingend aus dem ersten folgt. Der erste Aspekt, der als Eingriffsresistenz bezeichnet werden kann, besagt, dass jede staatliche Maßnahme, die den Kernbereich betrifft, verfassungswidrig ist, weil der Kernbereich jedem Zugriff der öffentlichen Gewalt entzogen ist.5 Dies führt zum zweiten Aspekt, der Abwägungsresistenz. Der Kernbereichsschutz wird nicht mit anderen Rechtsgütern und Interessen, die einen Eingriff rechtfertigen könnten, abgewogen, sondern geht allen entgegenstehenden Interessen vor.6 Die Abwägungsresistenz beinhaltet, dass bei der Definition und Konkretisierung des Kernbereichsbegriffs keine entgegenstehenden Interessen berücksichtigt werden. Die Definition des absoluten Schutzes durch das Bundesverfassungsgericht ist umfassend und überzeugend. Sie wird im Folgenden als Maßstab herangezogen, um zu untersuchen, ob das Bundesverfassungsgericht, die anderen Gerichte und Wald); 80, 367, 373 (Tagebuch II); 89, 69, 82 f. (Cannabis I); 90, 145, 171 (Cannabis II); 96, 56, 61 (Vaterschaftsauskunft); 103, 21, 31 f. (Genetischer Fingerabdruck I); 109, 279, 313 f. (Großer Lauschangriff); 113, 348, 390 ff. (Niedersächsisches SOG); 119, 1, 29 f. (Esra); 120, 224, 239 (Inzestverbot); 120, 274, 335 (Online-Durchsuchung). BVerfG, NStZ 1981, S. 446 f. (Lügendetektor); VBlBW 1985, S. 212 f. (Psychologische Untersuchung); NJW 2007, 1865, 1867, Rn. 16 ff. (Gefängnisseelsorger); NJW 2007, 2753, 2754 ff., Rn. 39 ff. (Neuregelung Wohnraumüberwachung); NJW 2009, S. 2431, 2436 (Email-Beschlagnahme); NVwZ 2009, S. 103, 107 (Vorratsdatenspeicherung); Nichtannahmebeschlüsse vom 30.06.2005, Az.: 2 BvR 1772/02, Rn. 12; vom 26.06.2008, Az.: 2 BvR 219/08, Rn. 17 ff.; vom 10.06.2009, Az.: 1 BvR 1107/09, Rn. 24 ff. und vom 15.10.2009, Az.: 2 BvR 2438/08, Rn. 11 f., jeweils zitiert nach juris. 3 BVerfGE 34, 238, 245 (Heimliche Tonbandaufnahme); 80, 367, 373 (Tagebuch II); 109, 279, 313 (Großer Lauschangriff); 120, 274, 335 (Online-Durchsuchung). 4 BVerfGE 109, 279, 314 (Großer Lauschangriff). 5 BVerfGE 120, 224, 239 (Inzestverbot): „Absolut geschützt und damit der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist ein Kernbereich privater Lebensgestaltung.“ (Hervorhebung, I. D.) Vgl. auch: BVerfGE 80, 367, 373 (Tagebuch II); 90, 145, 171 (Cannabis II), jeweils m.w. N. 6 BVerfGE 34, 238, 245 (Heimliche Tonbandaufnahme); 109, 279, 313 f. (Großer Lauschangriff).

A. Unantastbarkeit des Kernbereichs

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die Rechtswissenschaft den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung so definieren bzw. konkretisieren, dass er unantastbar ist. Mit der Unantastbarkeit des Kernbereichs ist nicht gemeint, dass jegliche Änderung seines Inhaltes auf ewige Dauer ausgeschlossen ist.7 Welche Sachverhalte zum unantastbaren Kernbereich zu zählen sind, ist keine übergeschichtliche Frage. Mit einem Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen wandelt sich zwangsläufig auch das Recht in der Gesellschaft.8 Die Unantastbarkeit bedeutet vielmehr, dass zu einem bestimmten historischen Moment der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung allen entgegenstehenden Interessen vorgeht. Der Inhalt eines derart bestimmten Kernbereichs kann sich jedoch im Laufe der Zeit ändern. Einige Autoren gehen davon aus, das Bundesverfassungsgericht habe im Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des Volkszählungsgesetzes den absoluten Kernbereichsschutz aufgegeben.9 Das Gericht leitete das Recht auf informationelle Selbstbestimmung10 aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht her, ohne auf die ständige Kernbereichsrechtsprechung einzugehen. Es habe festgestellt, dass der Einzelne11 kein Recht „im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über ,seine‘ Daten“ hat.12 Vielmehr müsse jedermann als gemeinschaftsbezogenes und gemeinschaftsgebundenes Individuum Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinnehmen. Dagegen spricht, dass das Gericht im selben Urteil ein überwiegendes Allgemeininteresse an intimen Angaben und Selbstbezichtigungen ausgeschlossen 7 So aber für Art. 19 Abs. 2 GG: A. Kaufmann, ARSP 70 (1984), S. 384, 385 f. Dazu: A. v. Arnauld, Freiheitsrechte, 1999, S. 211. 8 Zum geschichtlichen Wandel der Menschenrechte: N. Bobbio, in: Menschenrechte, 2000, S. 17, 23 ff. Für die Menschenwürde: K. Doehring, in: FS Ress, 2005, S. 1145, 1147. Vgl. auch: B.-O. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, passim. 9 B. Schlink, Der Staat 25 (1986), S. 233, 241 f.; M. Köhler, ZStW 107 (1995), S. 10, 31, Fn. 84; D. Murswiek, in: Sachs, GG, 2009, Art. 2, Rn. 106. Für das informationelle Selbstbestimmungsrecht: M. M. Meinke, Verbindung, 2006, S. 69. Nicht eindeutig: W. Steinmüller, DuD 1984, S. 91, 93. Vom Ende der Sphärentheorie gehen aus: E. Benda, DuD 1984, S. 86, 88; A. Podlech, Leviathan 12 (1984), S. 85, 91 f.; ders., in: AKGG, (2001), Art. 2 Abs. 1, Rn. 40; S. Simitis, NJW 1984, S. 398, 402; K. Stern, in: FS Ress, 2005, S. 1259, 1263. Dagegen: F. Hufen, JZ 1984, S. 1072, 1076. Vgl. zum Ganzen auch: C. Gusy, in: FS Folz, 2003, S. 103, 113 m.w. N. 10 Dazu grundlegend: M. Albers, Selbstbestimmung, 2005, dies., in Grundlagen, II, 2008, § 22, Rn. 56 ff. Vgl. auch: C. Gusy, KritV 83 (2000), S. 52 ff.; ders., DuD 2009, S. 33 f.; H. P. Bull, RDV 2008, S. 47 ff. Zur Entstehungsgeschichte: W. Steinmüller, RDV 2007, S. 158 ff. Kritisch: K. Rogall, Informationseingriff, 1992, S. 57 f.; K. Vogelsang, Selbstbestimmung, 1987, S. 159 ff. Aus soziologischer Sicht kritisch: L. Gräf, Privatheit, 1993, S. 155 ff. 11 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Untersuchung auf die jeweiligen weiblichen Formen verzichtet. Vgl. zur feministischen Rechtstheorie den Überblick von S. Elsuni, in: Neue Theorien, 2009, S. 157 ff. 12 BVerfGE 65, 1, 43 f.

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

hat.13 Die Formulierung des Gerichts, es bestehe kein absolutes Recht des Einzelnen an seinen personenbezogenen Daten, lässt sich so deuten, dass nicht alle Daten der absoluten Herrschaft des Betroffenen unterstehen.14 Einzelne unantastbare Daten sind damit nicht ausgeschlossen. Die Ausführungen des Gerichts dienen nicht dazu, den Kernbereichsbegriff abzuschaffen, sondern den Schutz von nicht zum Kernbereich gehörenden Daten zu erweitern.15 Aus zwei weiteren Gründen ist nicht davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht den absoluten Kernbereichsschutz im Volkszählungsurteil aufgeben wollte. Zum einen setzte sich das Gericht nicht mit der Kernbereichsrechtsprechung auseinander, was bei einem grundlegenden Rechtsprechungswechsel zu erwarten gewesen wäre. Allerdings weicht das Bundesverfassungsgericht mitunter stillschweigend von vorhergehenden Entscheidungen ab.16 Ausschlaggebend ist das andere Argument. Das Bundesverfassungsgericht hält nach dem Volkszählungsurteil an der Absolutheit des Kernbereichs fest, ohne ein geändertes Schutzkonzept zu erörtern.17 Sowohl im zweiten Tagebuchbeschluss als auch im ersten Cannabis-Beschluss zitierte das Gericht das Volkszählungsurteil als Grundlage für den grundrechtlichen Schutz vor Informationserhebung.18 Anschließend prüfte es in beiden Beschlüssen einen möglichen Eingriff in den unantastbaren Kernbereich. Das Verfassungsgericht geht also selbst davon aus, dass die Unantastbarkeit des Kernbereichs und das Volkszählungsurteil zu vereinbaren sind. Auf die grundsätzliche Kritik am Kernbereichskonzept, die in Auseinandersetzung mit dem Volkszählungsurteil aus der Sicht des Daten- und Informationsschutzes geäußert wurde, ist später einzugehen.19 13 BVerfGE 65, 1, 46: „Ein überwiegendes Allgemeininteresse wird regelmäßig überhaupt nur an Daten mit Sozialbezug bestehen unter Ausschluß unzumutbarer intimer Angaben und von Selbstbezichtigungen.“ (Hervorhebung, I. D.) Vgl. auch: R. Baumann, DVBl. 1984, S. 612, 614. Zur Zumutbarkeit als vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu unterscheidender eigenständiger Schranken-Schranke: R. K. Albrecht, Zumutbarkeit, 1995, S. 64 ff. 14 In diese Richtung: M. Deutsch, Informationserhebung, 1992, S. 73; H. Heußner, in: Datenschutz, 1987, S. 110, 119; D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 74; R. Scholz/ R. Pitschas, Selbstbestimmung, 1984, S. 72 f. 15 D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 74; J. Meydam, DuD 1985, S. 12, 13, 15; U. Mückenberger, KJ 1984, S. 1, 15; J.-Y. Son, Eingriffe, 2006, S. 59 f.; J. Wolter, in: SK-StPO, (1994), vor § 151, Rn. 135. 16 Vgl. dazu: 1. Kapitel, B. II. 1. b) bb). 17 BVerfGE 80, 367, 373 (Tagebuch II); 109, 279, 313 (Großer Lauschangriff); 120, 274, 335 (Online-Durchsuchung). Vgl. auch: A. von Arnauld, ZUM 1996, S. 286, 289; J. Meydam, DuD 1985, S. 12, 13, 15; M. Mozek, Lauschangriff, 2001, S. 183; R. Störmer, Jura 1991, S. 17 f. 18 BVerfGE 80, 367, 373 (Tagebuch II) und 89, 69, 82 f. (Cannabis I) verweisen beide auf BVerfGE 65, 1, 41 f. (Volkszählungsurteil). Im Cannabis-Beschluss hielt das Gericht die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens über die Eignung Kraftfahrzeuge zu führen, schon bei einmaligem Haschischkonsum für verfassungswidrig.

A. Unantastbarkeit des Kernbereichs

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II. Verfassungsrechtliche Grundlage des unantastbaren Kernbereichs Das Bundesverfassungsgericht hat den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung im Rahmen seiner Rechtsprechung zu Art. 2 Abs. 1 GG entwickelt (1.). Dabei lassen sich unterschiedliche Fallgruppen des Kernbereichsschutzes unterscheiden. Im Urteil zum großen Lauschangriff und in der nachfolgenden Rechtsprechung hat es den unantastbaren Kernbereich auf die speziellen Freiheitsrechte ausgeweitet (2.). Das Gericht begründet die Unantastbarkeit des Kernbereichs sowohl mit der Wesensgehalts- als auch mit der Menschenwürdegarantie (3.). 1. Die Entwicklung im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG In allen Entscheidungen bis zum Urteil zum großen Lauschangriff20 begründete das Bundesverfassungsgericht die Rechtsfigur des unantastbaren Kernbereichs mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Wesensgehalts- und/oder der Menschenwürdegarantie.21 Dabei differenzierte das Gericht zunächst noch nicht zwischen der allgemeinen Handlungsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, sondern sprach dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 GG folgend von einem einheitlichen Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung. Den unantastbaren Kernbereich sah es als Bestandteil dieses einheitlichen Rechts an.22 Obwohl das Bundesverfassungsgericht in den Beschlüssen zur Verfassungsmäßigkeit eines Mikrozensus der Bevölkerung und zur Verwendung von Ehescheidungsakten in einem Disziplinarverfahren noch vom Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung sprach, entwickelte es schon in diesen Entscheidungen den Privatsphärenschutz gegenüber staatlicher Informationserhebung.23 In den Beschlüssen zum Zeugnisverweigerungsrecht eines Tierarztes im Strafprozess und zur Durchsuchung einer Drogenberatungsstelle differenzierte das Gericht dann erstmals explizit zwischen dem Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Intim19 Kritisch z. B. M. Albers, Selbstbestimmung, 2005, S. 273 ff.; B. Schlink, Der Staat 25 (1986), S. 233 ff. Dazu ausführlich unten im fünften Kapitel. 20 BVerfGE 109, 279 ff. 21 BVerfGE 6, 32, 41 (Elfes); 6, 389, 433 (Homosexualität I); 27, 1, 6 (Mikrozensus); 27, 344, 350 f. (Scheidungsakten); 32, 373, 378 (Patientenkartei); 34, 238, 245 (Heimliche Tonbandaufnahme); 35, 202, 220 (Lebach); 54, 143, 146 (Taubenfütterungsverbot); 80, 367, 373 (Tagebuch II); 90, 145, 171 (Cannabis II). 22 BVerfGE 6, 32, 36 ff. (Elfes); 6, 389, 432 f. (Homosexualität I); 27, 344, 351 (Scheidungsakten); 32, 373, 378 (Patientenkartei); 34, 238, 246 (Heimliche Tonbandaufnahme); 35, 35, 39 (Brief an Ehegatten I); 35, 202, 220 (Lebach). 23 BVerfGE 27, 1, 6 f. (Mikrozensus); 27, 344, 350 f. (Scheidungsakten). Vgl. dazu: A. Podlech, in: AK-GG, (2001), Art. 2 Abs. 1, Rn. 20 ff.; M. Albers, Selbstbestimmung, 2005, S. 193 ff.

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

und Privatsphäre.24 Den unantastbaren Kernbereich prüfte es als Teil des Privatsphärenschutzes. Im Beschluss zur Verfassungsmäßigkeit eines Taubenfütterungsverbotes sprach es erstmalig vom unantastbaren Kernbereich als Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit.25 Seit dem Eppler-Beschluss zur Frage des Persönlichkeitsschutzes gegen das Unterschieben einer nicht getätigten Äußerung ist es allgemein anerkannt, Art. 2 Abs. 1 GG in die allgemeine Handlungsfreiheit und in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu unterteilen.26 Dabei sieht das Bundesverfassungsgericht den Schutz der Privatsphäre als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts an.27 Vor diesem Hintergrund lässt sich die einheitlich erscheinende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zwanglos in zwei Fallgruppen einteilen. Die erste Fallgruppe bezieht sich auf den Schutz der Verhaltensfreiheit gegen unmittelbare Beeinträchtigungen, vor allem durch gesetzliche Verbote. Dazu können der Elfes-Beschluss und das erste Homosexualitätsurteil gezählt werden.28 Beide betrafen die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers im Bereich der Verhaltensfreiheit. Laut Bundesverfassungsgericht darf auch ein demokratisch legitimiertes Gesetz nicht in den unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit eingreifen. In dieser Fallgruppe geht es um den Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit. Zur zweiten Fallgruppe, die mit dem Mikrozensus-Beschluss im Jahre 1969 beginnt, gehören Entscheidungen zum Grundrechtsschutz gegen Informationserhebung. Laut Gericht ist die staatliche Kenntnisnahme von Vorgängen im Kernbereich der privaten Lebensgestaltung absolut verboten.29 Diese Fallgruppe kann dem Schutz der Privatsphäre und damit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugeordnet werden.

24 BVerfGE 38, 312, 319 f. (Zeugnisverweigerungsrecht Tierarzt); 44, 353, 372 f. (Drogenberatungsstelle). 25 BVerfGE 54, 143, 146. 26 BVerfGE 54, 148, 153. Vgl. U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, (2001), Art. 2, Rn. 11 ff., 19 ff., 127 ff.; M. Cornils, in: HStR VII, 2009, § 168, Rn. 27 ff., jeweils m.w. N. 27 U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, (2001), Art. 2, Rn. 149 ff.; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, 2009, Rn. 391 ff.; M. Martini, JA 2009, S. 839, 840. 28 BVerfGE 6, 32, 41 (Elfes); 6, 389, 433 (Homosexualität I). 29 BVerfGE 27, 1, 6 (Mikrozensus). Dieser Fallgruppe ist schon die erste Tagebuchentscheidung (BVerfGE 18, 146, 147) aus dem Jahre 1964 zuzuordnen. In ihr setzte sich das Gericht aber nicht näher mit dem Kernbereich auseinander, weil es sich um eine einstweilige Anordnung handelte.

A. Unantastbarkeit des Kernbereichs

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Übersicht 1 Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Wogegen besteht der Schutz?

Verfassungsrechtsgrundlage

1. Fallgruppe

Unmittelbare Beeinträchtigung der Verhaltensfreiheit

Allgemeine Handlungsfreiheit

2. Fallgruppe

Informationserhebung

Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Bis in die Gegenwart geht das Gericht sowohl vom Schutz des Kernbereichs der allgemeinen Handlungsfreiheit30 als auch vom Kernbereichsschutz gegen Informationserhebung aus.31 Zweifelhaft ist allein die Zuordnung des InzestverbotBeschlusses, in dem es darum ging, ob die Strafbarkeit der sexuellen Interaktion von Geschwistern verfassungsmäßig ist. Das Bundesverfassungsgericht prüfte den unantastbaren Kernbereich als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Form des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung.32 Jedoch ist diese Entscheidung zur Fallgruppe des Kernbereichsschutzes gegen unmittelbare Beeinträchtigungen der Verhaltensfreiheit und damit zum Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit zu zählen.33 Die Entscheidungen, die das Gericht als Beleg dafür heranzieht, dass das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung einschlägig ist,34 unterscheiden sich grundlegend vom Inzestverbot-Beschluss. Keine dieser Entscheidungen betraf das Verbot sexueller Handlungen. Im Beschluss zum Sexualkundeunterricht ging es um 30 BVerfGE 8, 274, 328 f. (Preisgesetz); 10, 55, 58 f. (Zuchtbullen); 54, 143, 146 (Taubenfütterungsverbot); 80, 137, 153 (Reiten im Wald); 90, 145, 171 (Cannabis II); BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.06.2005, Az: 2 BvR 1772/02, Rn. 12, zitiert nach juris. 31 BVerfGE 27, 344, 350 f. (Scheidungsakten); 32, 373, 378 (Patientenkartei); 33, 367, 376 f. (Zeugnisverweigerungsrecht Sozialarbeiter); 34, 238, 245 (Heimliche Tonbandaufnahme); 35, 35, 39 (Brief an Ehegatten I); 38, 312, 320 (Zeugnisverweigerungsrecht Tierarzt); 44, 353, 372 (Drogenberatungsstelle); 80, 367, 373 (Tagebuch II); 89, 69, 82 f. (Cannabis I); 109, 279, 313 f. (Großer Lauschangriff); 113, 348, 390 ff. (Niedersächsisches SOG); 120, 274, 335 (Online-Durchsuchung); BVerfG, NJW 2007, S. 1865, 1867, Rn. 16 ff. (Gefängnisseelsorger); NJW 2007, S. 2753, 2754 ff., Rn. 39 ff. (Neuregelung Wohnraumüberwachung); NJW 2009, S. 2431, 2436 (EmailBeschlagnahme); NVwZ 2009, S. 103, 107 (Vorratsdatenspeicherung); Nichtannahmebeschlüsse vom 26.06.2008, Az.: 2 BvR 219/08, Rn. 17 ff. und vom 15.10.2009, Az.: 2 BvR 2438/08, Rn. 11 f., zitiert nach juris. 32 BVerfGE 120, 224, 238 f. (Inzestverbot). 33 So auch H. Dreier, in: ders., Bd. I, 2004, Art. 2 I, Rn. 39; M. Cornils, in: HStR VII, 2009, § 168, Rn. 30. 34 Das Gericht verweist auf: BVerfGE 47, 46, 73 f. (Sexualkundeunterricht); 60, 123, 134 (Junge Transsexuelle); 88, 87, 97 (Transsexuelle II); 96, 56, 61 (Vaterschaftsauskunft).

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

die Zulässigkeit staatlicher Sexualerziehung.35 In den Transsexuellen-Beschlüssen hatte das Gericht zu entscheiden, ob Transsexuelle die Änderung ihres Personenstandes, insbesondere die Anpassung ihres Vornamens an das neue Geschlecht, verlangen dürfen.36 Im Beschluss zur Vaterschaftsauskunft kam es auf die Frage an, ob eine Mutter zur Auskunft über ihre Sexualpartner im Empfängniszeitraum verpflichtet werden darf, um den Vater ermitteln zu können.37 Diese Entscheidungen bezogen sich einerseits auf das Recht des Menschen, die eigene Einstellung zur Sexualität selbst zu bestimmen und andererseits auf die Pflicht, Informationen über die eigene Sexualität zu geben. Die zu überprüfenden Maßnahmen betrafen die menschliche Identität bzw. die Integrität der persönlichen Lebenssphäre. Davon unterscheidet sich das strafrechtliche Verbot des Inzests, das unmittelbar die sexuelle Verhaltensfreiheit beeinträchtigt. Der geeignete Prüfungsmaßstab für das Verbot menschlicher Handlungen ist auch im Bereich der Sexualität nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Sexuelle Handlungen sind von den speziellen Freiheitsrechten oder bei Art. 2 Abs. 1 GG von der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt. Die besondere Intensität der Freiheitsbeeinträchtigung im Bereich der Sexualität lässt sich im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit ebenso gut wie beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht berücksichtigen.38 2. Ausweitung des Kernbereichsschutzes auf andere Freiheitsrechte Weil es den Rechtsbegriff des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung ausschließlich im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG verwendete, warfen einige Autoren dem Bundesverfassungsgericht vor, es vernachlässige die einschlägigen Spezialgrundrechte.39 So hätte das Gericht in der zweiten Tagebuchentscheidung nicht den Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sondern die Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG als Spezialgrundrecht heranziehen sollen.40 Seit dem Urteil zum großen Lauschangriff ist diese Kritik zumindest für die Fallgruppe des Kernbereichsschutzes gegen Informationserhebung gegenstandslos geworden. Das Bundesverfassungsgericht berücksichtigt nunmehr die Spezialgrundrechte. Im Urteil zum großen Lauschangriff begründete es den Kernbe35

BVerfGE 47, 46, 73 f. BVerfGE 60, 123, 134 (Junge Transsexuelle); 88, 87, 97 (Transsexuelle II). 37 BVerfGE 96, 56, 61 (Vaterschaftsauskunft). 38 So auch: H. Dreier, in: ders., Bd. I, 2004, Art. 2 I, Rn. 24; M. Cornils, in: HStR VII, 2009, § 168, Rn. 32, die beide der Ansicht sind, dass sich allgemeines Persönlichkeitsrecht und allgemeine Handlungsfreiheit nicht anhand der Intensität der Beeinträchtigung unterscheiden lassen. 39 D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 133. Vgl. auch D. Rohlf, Privatsphäre 1980, S. 82, 125, der sich auf den Privatsphärenschutz insgesamt bezieht. 40 K. Amelung, NJW 1990, S. 1753, 1754 zu BVerfGE 80, 367 ff. 36

A. Unantastbarkeit des Kernbereichs

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reich auch mit den speziellen Grundrechten der Art. 4 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 13 Abs. 1 GG.41 Diesen Ansatz bestätigte es im Urteil zum Niedersächsischen SOG und in einem Beschluss zur Sicherstellung von Emails, in denen es den Kernbereichsschutz auch im Rahmen des Art. 10 GG anordnete.42 Damit wandte sich das Gericht zugleich gegen die in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft vertretene Meinung, der Kernbereichsschutz sei nicht auf die Telekommunikationsüberwachung übertragbar.43 Die Ausweitung des Kernbereichsschutzes auf andere Grundrechte führte allerdings nicht dazu, dass das Bundesverfassungsgericht auf Art. 2 Abs. 1 GG verzichtete. Im Urteil zum großen Lauschangriff begründete das Gericht den Kernbereichsschutz mit Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.44 Das Gericht musste zusätzlich auf Art. 2 Abs. 1 GG abstellen, weil der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nach seiner Konzeption nur höchstpersönliches Verhalten in Räumen und nicht die Räume selbst schützt.45 Der Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG hängt aber nicht von dem jeweiligen Verhalten in den Räumen ab.46 Erst über Art. 2 Abs. 1 GG konnte das Gericht die Kernbereichszugehörigkeit an die Höchstpersönlichkeit des Verhaltens – in diesem Fall die Art und den Inhalt der Gespräche – in der Wohnung koppeln.47

41 BVerfGE 109, 279, 313, 322. Zu Art. 4 GG auch: BVerfG, NJW 2007, S. 1865, 1867, Rn. 18 (Gefängnisseelsorger). Zum Verhältnis von Art. 6 Abs. 1 GG und Privatsphärenschutz: C. Gusy, JA 1986, S. 183. 42 BVerfGE 113, 348, 391 f. (Niedersächsisches SOG); BVerfG, NJW 2009, S. 2431, 2436 (Email-Beschlagnahme). Schon BVerfGE 110, 33, 76 (Außenwirtschaftsgesetz) verwies für die Telekommunikationsüberwachung auf die Schutzvorkehrungen des Urteils zum Großen Lauschangriff, allerdings ohne den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zu erwähnen. 43 OLG München, Beschluss vom 21.08.2006, Az: 4 St RR 148/06, Rn. 36, zitiert nach juris; M. Löffelmann, ZStW 118 (2006), S. 358, 387 f. Kritisch dazu: J. Scherer, in: Privatheit, 2007, S. 55, 63 f. Für die Übertragbarkeit bei Berücksichtigung der geringeren Eingriffsintensität bei Art. 10 GG: C. Gusy, in: Folgerungen, 2005, S. 35, 50; ders., NdsVBl. 2006, S. 65, 69. Ähnlich: T. J. Vollmar, Telefonüberwachung, 2008, S. 131 ff. Für ein identisches Kernbereichsschutzniveau bei Art. 10 und 13 GG: N. Bergemann, in: GS Lisken, 2004, S. 69, S. 75; M. Kötter, DÖV 2005, S. 225, 234; S. Leutheusser-Schnarrenberger, DuD 2005, S. 323, 326 f. 44 BVerfGE 109, 279, 318. Auch BGHSt 50, 206, 210 (Krankenzimmer) begründet den Kernbereich mit Art. 2 Abs. 1 GG neben Art. 13 und Art. 1 GG. 45 BVerfGE 109, 279, 314 (Großer Lauschangriff). Vgl. dazu: E. Gurlit, RDV 2006, S. 43, 45; C. Gusy, NdsVBl. 2006, S. 65, 69; S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 104 f. A. A.: M. Kötter, Pfade, 2008, S. 332, der ohne Begründung davon ausgeht, dass der Kernbereich des Art. 13 GG ein „räumliches Substrat“ schützt. Kritisch zum verhaltensbezogenen Ansatz: O. Lepsius, Jura 2005, S. 433, 439 f.; C. Wefelmeier, NdsVBl. 2004, S. 289, 291. 46 G. Hermes, in: Dreier, Bd. I, 2004, Art. 13, Rn. 22. Vgl. auch: C. Gusy, DuD 2009, S. 33, 41. 47 G. Britz, Selbstdarstellung, 2007, S. 72. Vgl. auch: C. Gusy, NdsVBl. 2006, S. 65, 69; O. Lepsius, Jura 2005, S. 433, 437, der davon ausgeht, dass der Kernbereich aus-

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Zur Frage, ob Art. 2 Abs. 1 GG neben Art. 10 und 13 GG erforderlich ist, hat sich das Bundesverfassungsgericht in der weiteren Rechtsprechung nicht explizit geäußert. In den Entscheidungen zum Kernbereichsschutz bei Art. 10 GG zog das Gericht zwar Art. 2 Abs. 1 GG nicht heran. Es führte jedoch auch nicht aus, wie ein verhaltensbezogener Kernbereichsschutz im Rahmen des Art. 10 Abs. 1 GG möglich sein soll.48 Im Beschluss zum Zeugnisverweigerungsrecht eines Gefängnisseelsorgers im Strafprozess zählte das Gericht den Schutz von Gesprächen mit Beichtcharakter zum Menschenwürdegehalt der Religionsausübung nach Art. 4 Abs. 1 GG, ohne Art. 2 Abs. 1 GG zu erwähnen.49 Vor diesem Hintergrund lässt sich die Hypothese bilden, dass das Bundesverfassungsgericht den Kernbereich neben solchen Grundrechten, die wie Art. 10 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 GG50 keinen verhaltensbezogenen Schutz gewähren, zusätzlich auf Art. 2 Abs. 1 GG stützt bzw. stützen wird. Neben Grundrechten, die das menschliche Verhalten schützen, etwa Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG, ist Art. 2 Abs. 1 GG hingegen nicht erforderlich, um den Kernbereich zu begründen. Im Gegensatz zur Fallgruppe des Schutzes gegen Informationserhebung erweiterte das Gericht den Kernbereichsschutz in der Fallgruppe des Kernbereichs der Verhaltensfreiheit nicht auf andere Grundrechte. In allen Entscheidungen dieser Fallgruppe begründete das Gericht den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung lediglich mit Art. 2 Abs. 1 GG.51 3. Menschenwürde- oder Wesensgehalt? Das Bundesverfassungsgericht fundierte den absoluten Kernbereichsschutz im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG sowohl mit der Wesensgehalts- als auch mit der Menschenwürdegarantie.52 Im Urteil zum großen Lauschangriff stützte das Gericht die Unantastbarkeit des Kernbereichs lediglich auf Art. 1 Abs. 1 GG und

schließlich durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützt ist, weil die Menschenwürde einen verhaltensbezogenen Schutz ermögliche. 48 BVerfGE 113, 348, 391 f. (Niedersächsisches SOG); BVerfG, NJW 2009, S. 2431, 2436 (Email-Beschlagnahme). 49 BVerfG, NJW 2007, S. 1865, 1867, Rn. 18. 50 Zu Art. 10 GG: C. Gusy, JuS 1986, S. 89, 90; ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck, I, 2005, Art. 10, Rn. 24; G. Hermes, in: Dreier, Bd. I, 2004, Art. 10 Rn. 39 f. Zu Art. 13 GG: s. o. 1. Kapitel, Fn. 46. Vgl. auch: C. Gusy, DuD 2009, S. 33, 41; K.-H. Ladeur, in: Götting, 2008, § 7, Rn. 5. 51 BVerfGE 54, 143, 146 (Taubenfütterungsverbot); 80, 137, 153 (Reiten im Wald); 90, 145, 171 (Cannabis II); BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.06.2005, Az: 2 BvR 1772/02, Rn. 12, zitiert nach juris. 52 s. o. 1. Kapitel, Fn. 21.

A. Unantastbarkeit des Kernbereichs

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nicht auf Art. 19 Abs. 2 GG.53 Der Kernbereich umfasst danach den Menschenwürdegehalt der Freiheitsgrundrechte.54 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Wesensgehaltsgarantie im Urteil zum großen Lauschangriff nicht als Kontrollmaßstab dienen konnte, weil das Gericht inzident die Verfassungsmäßigkeit einer Verfassungsänderung überprüfte.55 Verfassungsänderungen lassen sich inhaltlich ausschließlich anhand von Art. 79 Abs. 3 GG überprüfen. Danach sind Änderungen, welche die in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze berühren, unzulässig. Der verfassungsändernde Gesetzgeber ist über Art. 79 Abs. 3 GG nur an Art. 1 Abs. 1 GG und nicht an Art. 19 Abs. 2 GG gebunden.56 Allerdings fundierte das Gericht auch in den Folgeentscheidungen, die keine Verfassungsänderungen betrafen, den Kernbereich nicht mit der Wesensgehaltsgarantie.57 Seit dem Urteil zum großen Lauschangriff begründet das Gericht den absoluten Kernbereichsschutz also lediglich mit der Menschenwürde. Ein Grund dafür könnte sein, dass Art. 19 Abs. 2 GG mehrheitlich nicht absolut-individuell ausgelegt wird und damit einen unantastbaren Kernbereich nicht ermöglicht.58 Einen Sonderweg scheint das Gericht im Urteil zur Online-Durchsuchung zu gehen. Dort begründete es den unantastbaren Kernbereich nur mit der Menschenwürde und nicht mit den Freiheitsrechten.59 Allerdings prüft das Gericht den Kernbereichsschutz innerhalb des Rechts auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeits53

BVerfGE 109, 279, 311, 318 (Großer Lauschangriff). M. Baldus, JZ 2008, S. 218, 223; M. Kötter, DÖV 2005, S. 225, 227 f.; O. Lepsius, Jura 2005, S. 433, 437; M. Lindemann, JR 2006, S. 191, 193. Vor dem Urteil zum großen Lauschangriff: M.-E. Geis, JZ 1991, S. 112, 117; D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 66 f. Kritisch: C. Gusy, DuD 2009, S. 33, 41. Allgemein zum Menschenwürdegehalt: BVerfGE 84, 90, 121 (Bodenreform-Beschluss); 94, 49, 102 f. (Sichere Drittstaaten). Kritisch zu diesem Begriff: H. Dreier, in: 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 201, 215. 55 Mangels unmittelbarer Betroffenheit konnten die Beschwerdeführer nicht direkt gegen die Verfassungsänderung vorgehen (BVerfGE 109, 279, 305 f.). 56 BVerfGE 109, 279, 310 f. (Großer Lauschangriff). A. A.: P. Grosskreutz, Normwidersprüche, 1966, S. 86 f.; S. Leutheusser-Schnarrenberger, ZRP 1998, S. 87, 88; C. Momsen, ZRP 1998, S. 459, 462. Dagegen: O. Schily, ZRP 1999, S. 129 ff. 57 BVerfGE 113, 348, 391 (Niedersächsisches SOG); 119, 1, 29 f. (Esra); 120, 274, 335 (Online-Durchsuchung); BVerfG, NJW 2007, S. 1865, 1867, Rn. 18 (Gefängnisseelsorger); NJW 2007, S. 2753, 2754, Rn. 39 (Neuregelung Wohnraumüberwachung); NJW 2009, S. 2431, 2436 (Email-Beschlagnahme). 58 Vgl. C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 151 ff.; M. Nierhaus, in: BK, 2008, Art. 19 Abs. 2, Rn. 93. Zur Wesensgehaltsgarantie: s. u. 4. Kapitel, E. Für Art. 19 Abs. 2 GG als Grundlage des Kernbereichs: C. Gusy, DuD 2009, S. 33, 41. 59 BVerfGE 120, 274, 335 (Online-Durchsuchung). Tendenziell für Art. 1 Abs. 1 GG als einzige Grundlage: C. Gusy, JuS 2004, S. 457, 458; M. Kutscha, NJW 2005, S. 20, 21; O. Lepsius, Jura 2005, S. 433, 437. 54

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

rechts.60 Diese Entscheidung fügt sich also in die Rechtsprechung ein, die vom Kernbereich als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausgeht.61 Das Gericht sieht den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung seit dem Urteil zum großen Lauschangriff als Menschenwürdegehalt der Freiheitsrechte an.

III. Anwendungsbereich des Kernbereichsschutzes Das Bundesverfassungsgericht äußerte sich vor allem in Entscheidungen zu strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen ausführlich zum Konzept des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung.62 Die ganz überwiegende Meinung in der Rechtswissenschaft ging dennoch davon aus, dass auch bei präventivem staatlichem Handeln ein unantastbarer Kernbereich gewahrt werden muss.63 Im Urteil zum Niedersächsischen SOG entschied das Bundesverfassungsgericht zugunsten des Kernbereichsschutzes bei der Gefahrenabwehr.64 Im Urteil zur Online-Durchsuchung ordnete es den Kernbereichsschutz beim Handeln des Landesverfassungsschutzes an.65 Entsprechend seiner Fundierung in der Menschenwürde gilt der Kernbereichsschutz also bei allen staatlichen Maßnahmen – seien es solche des Bundes oder der Länder – und unabhängig davon, ob sie präventiven, repressiven, geheimdienstlichen oder sonstigen Zwecken dienen.66 Darüber hinaus verwendet das Bundesverfassungsgericht den unantastbaren Kernbereich einer Person als absolute Grenze des Freiheitsgebrauchs einer ande-

60 BVerfGE 120, 274, 313 ff. (Online-Durchsuchung). Zu diesem Recht: W. Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1009 ff. m.w. N.; C. Gusy, DuD 2009, S. 33, 36 ff. Kritisch zum Umgang mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung: G. Britz, DÖV 2008, S. 411, 413 f. Zur verfassungsgerichtlichen Rechtsfortbildung: M. Heise, RuP 2009, S. 94, 95 ff. 61 BVerfGE 80, 367, 373 (Tagebuch II); 89, 69, 82 f. (Cannabis I); BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. Juni 2008, Az.: 2 BvR 219/08, Rn. 16 f., zitiert nach juris. 62 BVerfGE 80, 367 ff. (Tagebuch II); 109, 279 ff. (Großer Lauschangriff). 63 Dafür: L. Brocker/M. Zartmann, DRiZ 2005, S. 108; E. Denninger, ZRP 2004, S. 101, 104; C. Gusy, JuS 2004, S. 457, 461; ders., in: Folgerungen, 2005, S. 35, 38 f.; M. Kutscha, NJW 2005, S. 20, 22; M. Kutscha/ f. Roggan, in: GS Lisken, 2004, S. 25, 32 ff.; P. M. Huber, ThürVbl. 2005, S. 1, 3; M. Kötter, DÖV 2005, S. 225, 229; S. Leutheusser-Schnarrenberger, DuD 2005, S. 323, 324; V. Perne, DVBl. 2006, S. 1486, 1487; C. Roxin, in: FS Böttcher, 2007, S. 159, 162 f.; W. Rudolf, in: FS Delbrück, 2005, S. 607, 611; J. Ruthig, GA 2004, S. 587, 606; C. Wefelmeier, NdsVBl. 2004, S. 289, 290 f. Dagegen: G. Haas, NJW 2005, S. 3082, 3084. 64 BVerfGE 113, 348, 390 f. Bestätigt durch: BVerfG, NJW 2009, S. 2431, 2436 (Email-Beschlagnahme). Vgl. auch: H. Schäfer, Telekommunikationsüberwachung, 2008, S. 190 ff. 65 BVerfGE 120, 274 ff. 66 M. Baldus, in: Folgerungen, 2005, S. 9, 18 f.; ders., JZ 2008, S. 218, 225; C. Gusy, in: Folgerungen 2005, S. 35, 38; S. Leutheusser-Schnarrenberger, DuD 2005, S. 323, 326.

A. Unantastbarkeit des Kernbereichs

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ren Person. Diese Rechtsprechung begann mit dem Lüth-Urteil im Jahre 1958 zur Frage, ob der Aufruf, den Besuch eines Kinofilms zu boykottieren, von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt ist.67 Das Gericht begrenzt mit dem unantastbaren Kernbereich vor allem die Rundfunk-, Presse- und Kunstfreiheit, sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht.68 Der Kernbereichsschutz gilt danach auch im Privatrecht und wirkt sich über die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte69 auf den Konflikt zwischen zwei Grundrechtsträgern aus. Damit lässt sich die Fallgruppenbildung verfeinern. Die Unterscheidung zwischen dem Kernbereich der Verhaltensfreiheit und dem Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebung70 wird kombiniert mit der Differenzierung danach, ob eine Entscheidung das Bürger-Staat- oder das Bürger-Bürger-Verhältnis betrifft. Dementsprechend lässt sich die gesamte Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts drei Fallgruppen zuordnen. Die erste Fallgruppe bezieht sich auf den Schutz der Verhaltensfreiheit im Bürger-Staat-Verhältnis. In dieser Fallgruppe geht es um den Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit.71 Zur zweiten Fallgruppe gehören Entscheidungen zum Grundrechtsschutz gegen Informationserhebung im Bürger-Staat-Verhältnis. Diese Fallgruppe bezieht sich auf den Schutz der Privatsphäre und damit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.72

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BVerfGE 7, 198, 220 f. (Lüth). Zur Rundfunkfreiheit: BVerfGE 35, 202, 220 (Lebach). Zur Pressefreiheit: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.06.2009, Az.: 1 BvR 1107/09, Rn. 24 ff., zitiert nach juris. Zur Kunstfreiheit: BVerfGE 75, 369, 380 (Strauß-Karikatur); 119, 1, 29 f., 34 (Esra). Zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht: BVerfGE 96, 56, 61 (Vaterschaftsauskunft). 69 Zu den Anfängen der Drittwirkung: F. W. Bosch/W. J. Habscheid, JZ 1956, S. 297, 298 ff. Für eine abwehrrechtliche Rekonstruktion der mittelbaren Drittwirkung: R. Poscher, Grundrechte, 2003, S. 272 ff. 70 s. o. 1. Kapitel, A. II. 1. 71 BVerfGE 6, 32, 41 (Elfes); 6, 389, 433 (Homosexualität I); 10, 55, 59 (Zuchtbullen); 54, 143, 146 (Taubenfütterungsverbot); 80, 137, 153 (Reiten im Wald); 90, 145, 171 (Cannabis II); 120, 224, 239 (Inzestverbot); BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.06.2005, Az: 2 BvR 1772/02, Rn. 12, zitiert nach juris. 72 BVerfGE 18, 146, 147 (Tagebuch I), 27, 1, 6 (Mikrozensus); 27, 344, 350 f. (Scheidungsakten); 32, 373, 378 (Patientenkartei); 33, 367, 376 f. (Zeugnisverweigerungsrecht Sozialarbeiter); 34, 238, 245 (Heimliche Tonbandaufnahme); 35, 35, 39 (Brief an Ehegatten I); 38, 312, 320 (Zeugnisverweigerungsrecht Tierarzt); 44, 353, 372 (Drogenberatungsstelle); 80, 367, 373 (Tagebuch II); 89, 69, 82 f. (Cannabis I); 109, 279, 313 f. (Großer Lauschangriff); 113, 348, 390 ff. (Niedersächsisches SOG); 120, 274, 335 (Online-Durchsuchung); BVerfG, NJW 2007, S. 1865, 1867, Rn. 16 ff. (Gefängnisseelsorger); NJW 2007, S. 2753, 2754 ff., Rn. 39 ff. (Neuregelung akustische Wohnraumüberwachung); NJW 2009, S. 2431, 2436 (Email-Beschlagnahme); NVwZ 2009, S. 103, 107 (Vorratsdatenspeicherung); Nichtannahmebeschlüsse vom 26.06.2008, Az.: 2 BvR 219/08, Rn. 17 ff. und vom 15.10.2009, Az.: 2 BvR 2438/08, Rn. 11 f., jeweils zitiert nach juris. 68

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Die dritte Fallgruppe umfasst Entscheidungen, die sich mit dem unantastbaren Kernbereich im Bürger-Bürger-Verhältnis, also im Bereich der Drittwirkung der Grundrechte, beschäftigen. Dabei beziehen sich alle Entscheidungen der dritten Fallgruppe auf den Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Ein Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit im Verhältnis zwischen Bürgern ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ersichtlich. Übersicht 2 Die Fallgruppen des Kernbereichsschutzes Allgemeine Handlungsfreiheit

Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Bürger-Staat-Verhältnis

1. Fallgruppe

2. Fallgruppe (Schutz gegen Informationserhebung, auch durch spezielle Freiheitsrechte)

Bürger-Bürger-Verhältnis

Nicht relevant

3. Fallgruppe

Bei der weiteren Untersuchung sind die möglichen Unterschiede dieser Fallgruppen zu berücksichtigen.

IV. Zusammenfassung Laut Bundesverfassungsgericht ist der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung unantastbar. Diese Unantastbarkeit weist zwei Aspekte auf. Zum einen ist der Kernbereich jeder Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen (Eingriffsresistenz), und zum anderen geht sein Schutz allen entgegenstehenden Interessen vor (Abwägungsresistenz). Am Konzept des unantastbaren Kernbereichs hält das Gericht auch im Volkszählungsurteil und der nachfolgenden Rechtsprechung fest. Das Gericht hat den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung in seiner Rechtsprechung zu Art. 2 Abs. 1 GG entwickelt und mit der Menschenwürdeund der Wesensgehaltsgarantie begründet. Es geht von einem unantastbaren Kernbereich sowohl der allgemeinen Handlungsfreiheit als auch des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus. Seit dem Urteil zum großen Lauschangriff sind zwei Änderungen erfolgt. Erstens sieht das Gericht den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Bestandteil auch der speziellen Freiheitsgrundrechte an. Allerdings dürfte Art. 2 Abs. 1 GG neben nicht verhaltensbezogenen Grundrechten wie Art. 10 und 13 GG eine notwendige Grundlage des unantastbaren Kernbereichs bleiben. Zweitens begründet das Gericht den unantastbaren Kernbereich nicht mehr mit Art. 19 Abs. 2 GG, sondern nur noch mit Art. 1 Abs. 1 GG.

B. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz?

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Der Anwendungsbereich des Kernbereichs ist umfassend. Er ist gegen jede staatliche Beeinträchtigung auch im Bereich der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte geschützt. Vor diesem Hintergrund lässt sich die gesamte verfassungsgerichtliche Rechtsprechung drei Fallgruppen zuordnen: erstens dem Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit sowie, jeweils als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, zweitens dem Kernbereich des Schutzes gegen staatliche Informationserhebung und drittens dem Kernbereich als Grenze des Freiheitsgebrauchs einer anderen Person.

B. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz? Nachdem feststeht, dass das Bundesverfassungsgericht von einem absolut geschützten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ausgeht, wird nun untersucht, wie das Gericht den unantastbaren Kernbereich definiert, und ob diese Konkretisierung einen absoluten Kernbereichsschutz ermöglicht. Dabei ist zwischen dem Kernbereich der Verhaltensfreiheit (I.), des Informationsschutzes (II.) und dem Kernbereich als Freiheitsgrenze (III.) zu unterscheiden. Ziel ist nicht, die jeweiligen Ergebnisse, zu denen das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen gelangt, inhaltlich zu kritisieren, zumal diese in der Regel gut vertretbar sind. Vielmehr wird untersucht, ob das Gericht zur Begründung seiner Entscheidungen ein in sich stimmiges Konzept des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung entwickelt hat.

I. Der Kernbereich der Verhaltensfreiheit Zum Kernbereich der Verhaltensfreiheit zählt das Bundesverfassungsgericht seit dem ersten Homosexualitätsurteil auch „Vorgänge, die sich in ,Kommunikation‘ mit andern vollziehen“.73 Ausschlaggebend für die Kernbereichszugehörigkeit sei die Intensität des Sozialbezuges einer Handlung. Um diese Intensität zu ermitteln, prüft das Gericht die Höchstpersönlichkeit eines Sachverhaltes.74 Die beiden Kriterien der Intensität des Sozialbezuges und der Höchstpersönlichkeit des Sachverhaltes konkretisiert das Gericht nicht weiter, sondern stellt auf eine Einzelfallbetrachtung ab. In dieser Fallgruppe hat das Bundesverfassungsgericht in keiner Entscheidung angenommen, dass der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung 73

BVerfGE 6, 389, 433 (Homosexualität I). BVerfGE 120, 224, 239 (Inzestverbot). Dazu, dass dieses Urteil in diese Fallgruppe gehört: s. o. 1. Kapitel, A. II. 1. 74

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

betroffen ist.75 Im Elfes-Beschluss war der Kernbereich ein reines obiter dictum. Der Beschwerdeführer wehrte sich dagegen, dass er keinen Reisepass für die Ausreise aus der Bundesrepublik erhielt. Die Ausreisefreiheit gehört offensichtlich nicht zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Das Gericht erwähnte den Kernbereich zwar bei der Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG,76 ging jedoch bei der Prüfung, ob die Verweigerung der Passerteilung verfassungsmäßig war, nicht auf den Kernbereich ein.77 Die staatliche Befugnis bei Störungen des Marktes in gewissem Umfang Preise festzusetzen betreffe wegen der Gemeinschaftsgebundenheit des Einzelnen nicht den unantastbaren Kernbereich der menschlichen Freiheit.78 Der Kernbereich sei nicht verletzt, wenn Gesetze eine Deckerlaubnis für Zuchtbullen vorschreiben oder das Füttern von Tauben und das Reiten im Walde verbieten.79 Den Gebrauch von Cannabis zählte es wegen der „vielfältigen sozialen Aus- und Wechselwirkungen“ des „Sichberauschens“, also wegen des intensiven Sozialbezuges nicht zum Kernbereich.80 Näher mit dem unantastbaren Kernbereich beschäftigte sich das Gericht nur in zwei Entscheidungen, in denen es um einvernehmliche sexuelle Handlungen ging.81 Im ersten Homosexualitäts-Urteil entschied das Gericht, dass die Strafbarkeit der Homosexualität den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht betrifft. Der unantastbare Kernbereich werde verlassen, wenn menschliche Handlungen auf Andere einwirken, „ohne dass besondere Umstände, wie etwa familienrechtliche Beziehungen, diese Gemeinschaftlichkeit des Handelns als noch in den engsten Intimbereich fallend erscheinen lassen.“82 Darüber hinaus zählten einvernehmliche homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen nicht zum Kernbereich, weil die Homosexualität eindeutig gegen das Sittengesetz verstoße.83 Zum unantastbaren Kernbereich gehörte somit nicht die einvernehmliche Sexualität 75 BVerfGE 6, 32, 41 (Elfes); 6, 389, 433 (Homosexualität I); 8, 274, 328 f. (Preisgesetz); 10, 55, 58 f. (Zuchtbullen); 54, 143, 146 (Taubenfütterungsverbot); 80, 137, 153 (Reiten im Wald); 90, 145, 171 (Cannabis II); 120, 224, 239 (Inzestverbot); BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.06.2005, Az: 2 BvR 1772/02, Rn. 12, zitiert nach juris. 76 BVerfGE 6, 32, 41 (Elfes). 77 BVerfGE 6, 32, 42 ff. (Elfes). 78 BVerfGE 8, 274, 328 f. (Preisgesetz). 79 BVerfGE 10, 55, 58 f. (Zuchtbullen); 54, 143, 146 (Taubenfütterungsverbot); 80, 137, 153 (Reiten im Wald). Zum Taubenfütterungsverbot auch: VerfGH München, BayVBl 2005, S. 172, 173. 80 BVerfGE 90, 145, 171 (Cannabis II); BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.06. 2005, Az: 2 BvR 1772/02, Rn. 12, zitiert nach juris. 81 BVerfGE 6, 389, 433 (Homosexualität I); 120, 224, 239, 242 f. (Inzestverbot). Unfreiwillige Formen der Sexualität gehören wegen des intensiven Interessenkonfliktes der Beteiligten nie zum Kernbereich. 82 BVerfGE 6, 389, 433 (Homosexualität I). 83 BVerfGE 6, 389, 433 ff. (Homosexualität I).

B. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz?

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insgesamt, sondern nur gesellschaftlich mehrheitsfähigen Formen, insbesondere die Sexualität verheirateter heterosexueller Paare. Kann das erste Homosexualitäts-Urteil aus dem Jahre 1957 noch mit der zeitbedingten gesellschaftlichen Sexualmoral und der historischen Kontinuität der Bestrafung männlicher Homosexualität erklärt werden,84 so stammt der Beschluss zum Inzestverbot aus dem Jahre 2008. In diesem Beschluss ging das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Strafbarkeit des Inzests den unantastbaren Kernbereich nicht beeinträchtigt.85 Der Beischlaf zwischen Geschwistern sei kein höchstpersönlicher Sachverhalt. Er betreffe nicht ausschließlich diese selbst, sondern könne Auswirkungen auf die Familie, die Gesellschaft und auf resultierende Kinder haben. Diese Begründung schließt grundsätzlich jede sexuelle Beziehung vom Kernbereich aus.86 Denn die meisten Formen der Sexualität, insbesondere in gesellschaftlich mehrheitsfähigen heterosexuellen Partnerschaften, können zu Kindern führen und haben damit über die beteiligten Partner hinausgehende Auswirkungen. Auch unabhängig von potentiellen Kindern sind zahllose soziale Folgen, wie die Übertragung von Geschlechtskrankheiten, denkbar. Für die Gesellschaft folgenlose sexuelle Handlungen sind kaum vorstellbar.87 Die Entscheidungen zur Strafbarkeit der Homosexualität und des Inzests zeigen, dass das Gericht Ausdrucksformen der Sexualität nur dann zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zählt, wenn sie den zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt vorherrschenden gesellschaftlichen Moralvorstellungen entsprechen88 und keine als regelungsbedürftig empfundenen Konflikte beinhalten. Einen unantastbaren Freiraum der einvernehmlichen menschlichen Sexualität unabhängig von den entgegenstehenden Interessen vertritt das Bundesverfassungsgericht nicht. Das Kriterium der Intensität des Sozialbezuges ermöglicht es dem Gericht, die Kernbereichsbetroffenheit zu verneinen, wenn eine Abwägung mit entgegenstehenden Interessen erforderlich ist. Immer wenn es in einem Rechts84 Zur historischen Einordnung der Entscheidung: C. Schäfer, Unzucht, 2006, S. 102 ff. 85 BVerfGE 120, 224, 242 f. (Inzestverbot). Auch der abweichend votierende Richter Winfried Hassemer, der die Strafbarkeit des Inzests für verfassungswidrig hält, argumentierte nicht mit der Kernbereichszugehörigkeit sondern mit der Unverhältnismäßigkeit der Strafbarkeit (BVerfGE 120, 224, 255 ff.). Kritisch dazu: W. Bottke, in: FS Volk, 2009, S. 93, 100; L. Greco, ZIS 2008, S. 234, 238; B. Noltenius, ZJS 2009, S. 15, 16; C. Roxin, StV 2009, S. 544, 547 f.; J. P. Thurn, KJ 2009, S. 74, 75. Allgemeine Kritik des Urteils: T. Hörnle, NJW 2008, S. 2085 ff.; B. Zabel, JR 2008, S. 453 ff. Neutral: J. Ziethen, NStZ 2008, S. 617 f. 86 So auch L. Greco, ZIS 2008, S. 234, 238; B. Noltenius, ZJS 2009, S. 15, 16. 87 B. Noltenius, ZJS 2009, S. 15, 16. 88 Für den Einfluss des Ideals ehelicher Heterosexualität auf die Entwicklung des Privatsphärenschutzes insgesamt: W. Kymlicka, Philosophy, 2002, S. 394 ff., insbesondere S. 397.

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

streit auf den unantastbaren Kernbereich ankommt, sieht ihn das Gericht als nicht betroffen an. In der Fallgruppe der Verhaltensfreiheit kommt dem Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung keine praktische Relevanz zu.

II. Der Kernbereichsschutz gegen Informationserhebung Die zweite Fallgruppe bezieht sich auf den Kernbereichschutz gegen Informationserhebung. Zunächst wird dargestellt, wie das Bundesverfassungsgericht den Kernbereich in dieser Fallgruppe bestimmt (1.). Anschließend wird überprüft, ob diese Definition zu einem absoluten Schutz führt (2.). 1. Kernbereichsdefinition Das Bundesverfassungsgericht zählt nicht nur den Innenraum der Person, sondern nach anfänglichem Zögern auch Sachverhalte mit sozialem Bezug und mit kommunikativen Elementen zum unantastbaren Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebung [a)]. Diesen Kernbereich definiert das Gericht anhand zweier Kriterien. Das wichtigste Merkmal ist die Intensität des Sozialbezuges eines Sachverhaltes [b)]. Darüber hinaus gehören zum Kernbereich nur Informationen, die der Betroffene geheim halten möchte [c)]. Weitere Kriterien haben sich nicht durchgesetzt [d)]. a) Der soziale Bezug und das kommunikative Element Im Mikrozensus-Beschluss hielt das Gericht den Kernbereich für einen „Innenraum“, in dem sich der Einzelne „selbst besitzt“ und „in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt“.89 Dieser „Innenraum“ müsse jedem Menschen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen verbleiben. Zum unantastbaren Kernbereich gehörten also lediglich Sachverhalte ohne Sozialbezug. Fragen über Urlaubs- und Erholungsreisen für eine Repräsentativstatistik der Bevölkerung, beträfen weder die Intimsphäre noch einen Bereich, der „von Natur aus ,Geheimnischarakter‘ “ habe.90 Deshalb verletzten sie nicht den unantastbaren Kernbereich. In der Entscheidung zum Zeugnisverweigerungsrecht von Sozialarbeitern im Strafprozess sah das Bundesverfassungsgericht den Kernbereich der privaten Le89 BVerfGE 27, 1, 6 unter Verweis auf: J. M. Wintrich, Grundrechte, 1957, S. 15 f. Vgl. auch: K. H. Gössel, NJW 1981, S. 649, 655 f.; C. Gusy, VerwArch 74 (1983), S. 91, 94. 90 BVerfGE 27, 1, 8 (Mikrozensus).

B. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz?

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bensgestaltung schon dann als verlassen an, wenn sich der Betroffene anderen freiwillig mitteilt.91 Offenbare sich ein Klient seinem Sozialarbeiter, so erhalte das Mitgeteilte zwangsläufig einen Sozialbezug und gehöre nicht zum Kernbereich. Der unantastbare Kernbereich umfasst diesen beiden Beschlüssen folgend weder kommunikatives Verhalten noch Sachverhalte mit Sozialbezug. Vorteil dieses Ansatzes war, dass das Gericht den unantastbaren Kernbereich anhand des formalen Kriteriums, ob überhaupt eine Kommunikation stattfindet, eindeutig abgrenzen konnte. Auf den Inhalt der Kommunikation musste es nicht eingehen. Der Nachteil war, dass einem so verstandenen Kernbereich kaum rechtliche Relevanz zukommen konnte, weil Privatheit immer auch ein kommunikatives und soziales Element enthält.92 Dementsprechend sah das Gericht den unantastbaren Kernbereich weder in der Mikrozensus- noch in der Zeugnisverweigerungsrechts-Entscheidung als verletzt an. Im Tonbandaufnahme-Beschluss stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass auch kommunikative Sachverhalte zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gehören können.93 Das Gericht schloss ein heimlich auf Tonband aufgenommenes Gespräch nicht deshalb vom unantastbaren Kernbereich aus, weil jede Kommunikation einen Sozialbezug hat, sondern wegen des geschäftlichen Gesprächsinhalts.94 Im zweiten Tagebuchbeschluss griff das Gericht das Kriterium der Intensität des Sozialbezuges aus dem ersten Homosexualität-Urteil95 auf. Der unantastbare Kernbereich sei nicht nur einschlägig, wenn der Einzelne mit sich allein ist, sondern auch, wenn er mit anderen kommuniziere: „Der Mensch als Person, auch im Kern seiner Persönlichkeit, existiert notwendig in sozialen Bezügen.“96

Die Kernbereichszugehörigkeit hänge nicht davon ab, ob überhaupt ein sozialer Bezug besteht, sondern wie intensiv dieser Bezug ist. Dieser Definition ist das Gericht seitdem gefolgt.97 Damit steht fest, dass auch der Kernbereich des Informationsschutzes Sachverhalte mit sozialem Bezug umfassen kann.98 91

BVerfGE 33, 367, 377. C. Enders, in: Friauf/Höfling, 2009, Art. 1, Rn. 88; C. Gusy, in: FS Folz, 2003, S. 105 f.; M. Stelzer, Wesensgehaltsargument, 1991, S. 52. 93 BVerfGE 34, 238, 245 f. (Heimliche Tonbandaufnahme). 94 BVerfGE 34, 238, 248. 95 BVerfGE 6, 389, 433. 96 BVerfGE 80, 367, 374 (Tagebuch II) (Hervorhebung, I. D.). Kritisch zum Begriff „Person“ wegen der damit zum Ausdruck gebrachten Tendenz zwischen Menschen zu differenzieren: W. Höfling, in: Biopolitik, 2001, S. 240, 241 f. 97 BVerfGE 109, 279, 314, 319 (Großer Lauschangriff); 113, 348, 390 f. (Niedersächsisches SOG); BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.06.2009, Az.: 1 BvR 1107/ 09, Rn. 24 ff., zitiert nach juris. Kritisch zur Intensität des Sozialbezuges: G. KlebBraun, CR 1990, S. 344, 346. 92

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Dabei wandelte sich allerdings der Bezugspunkt des Sozialbezuges im Vergleich zur ersten Fallgruppe. Beim Kernbereich der Verhaltensfreiheit ging es in der ersten Homosexualitätsentscheidung um den Sozialbezug von Handlungen.99 Demgegenüber schließt das Gericht seit der zweiten Tagebuchentscheidung beim Schutz gegen Informationserhebung auch entäußerte Gedankeninhalte wegen ihres intensiven Sozialbezuges vom Kernbereich aus.100 Der Begriff „entäußerter Gedankeninhalt“ bezeichnet sowohl die Inhalte von mündlicher und schriftlicher Kommunikation als auch die Inhalte von Selbstgesprächen und schriftlichen oder elektronischen Aufzeichnungen ohne Kundgabewillen. Es geht um alle Gedanken, die der Betroffene in beliebiger Art und Weise aus dem Inneren der Gedankenwelt nach außen treten lässt. Damit geht der Begriff einerseits weiter als der des „Kommunikationsinhalts“, weil er sich auch auf nicht der Kommunikation dienende Entäußerungen bezieht. Andererseits ist er spezieller als der Begriff der Information, weil er auf die Entäußerungen eines Menschen beschränkt ist. Der Unterschied zwischen dem Sozialbezug von Handlungen und von entäußerten Gedankeninhalten könnte der Grund gewesen sein, warum das Gericht in der zweiten Tagebuchentscheidung zwar das Kriterium der Intensität des Sozialbezuges aus dem ersten Homosexualitäts-Urteil aufgriff, dieses Urteil aber nicht zitierte. b) Die Intensität des Sozialbezugs In der Fallgruppe des Schutzes gegen Informationserhebung kann das Bundesverfassungsgericht die Intensität des Sozialbezuges nicht durch die formelle Abgrenzung zwischen Handlungen und entäußerten Gedankeninhalten ermitteln.101 Um den unantastbaren Kernbereich dennoch zu bestimmen, verwendet das Gericht stattdessen eine positive und eine negative Interpretationsmethode. Zum einen präzisiert es, wann der Inhalt eines entäußerten Gedankens höchstpersönlich ist [aa)]. Zum anderen schließt es entäußerte Gedankeninhalte mit unmittelbarem Straftatenbezug vom Kernbereich aus [bb)]. 98 G. Rüpke, Schutz der Privatheit, 1976, S. 35 ff. begründet den notwendigen kommunikativen Gehalt des Privatsphärenschutzes mit den sozialpsychologischen Erkenntnissen von G. H. Mead zur Identitätsentwicklung (vgl. Mind, 1934), dem symbolischen Interaktionismus, der auf den Vorarbeiten von Mead beruht und mit den entwicklungspsychologischen Arbeiten von J. Piaget, vgl. Psychologie, (1947) und L. S. Vygotskij, vgl. Denken, (1934). Vgl. auch C. Gusy, DVR 1984, S. 289, 290 ff.; ders., JuS 1986, S. 89 f.; U. Mückenberger, KJ 1984, S. 1, 4 ff.; A. Podlech, in: AK-GG, (2001), Art. 2 Abs. 1, Rn. 38; R. Scholz/R. Pitschas, Selbstbestimmung, 1984, S. 78. 99 BVerfGE 6, 389, 433. 100 BVerfGE 80, 367, 374. 101 K. Amelung, NJW 1990, S. 1753, 1755; C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 77.

B. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz?

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Bei der Analyse ist zu berücksichtigen, dass es im zweiten Tagebuchbeschluss und im Urteil zum großen Lauschangriff zu abweichenden Voten kam.102 Das abweichende Votum der Tagebuchentscheidung wird in die folgende Darstellung einbezogen, weil es den Kernbereich nicht grundlegend anders als die übrige Rechtsprechung definiert. Hingegen vertritt das Minderheitenvotum des Urteils zum großen Lauschangriff ein abweichendes Kernbereichskonzept und ist deshalb im dritten Kapitel zu untersuchen.103 aa) Höchstpersönlicher Inhalt entäußerter Gedanken Im Tonbandaufnahme-Beschluss bestimmte das Bundesverfassungsgericht den unantastbaren Kernbereich erstmals anhand der Höchstpersönlichkeit von entäußerten Gedankeninhalten. Allerdings erwähnte das Gericht das Kriterium der Intensität des Sozialbezuges noch nicht, sondern stellte auf eine Einzelfallbetrachtung ab.104 Es verneinte die Kernbereichszugehörigkeit eines heimlich auf Tonband aufgenommenen Gesprächs, weil es keine höchstpersönlichen Angelegenheiten zum Gegenstand hatte. Es handelte sich um eine rein geschäftliche Unterredung im Rahmen eines Grundstückskaufes. Entscheidend war also der Inhalt der entäußerten Gedanken. Die Höchstpersönlichkeit von entäußerten Gedankeninhalten griff das Gericht im zweiten Tagebuchbeschluss auf, um die Intensität des Sozialbezuges der Tagebuchaufzeichnungen zu bestimmen. Zwar kamen das entscheidungstragende und das abweichende Votum zu unterschiedlichen Ergebnissen: Das entscheidungstragende Votum hielt die Aufzeichnungen wegen ihrer Schriftlichkeit und wegen ihres Straftatenbezuges nicht für höchstpersönlich.105 Das abweichende Votum sah die Aufzeichnungen hingegen als höchstpersönlich an, weil der Beschwerdeführer Reflexionen über seine Gefühlswelt und seine Persönlichkeitsstruktur niedergeschrieben hatte.106 Aber beide Voten bezogen die Intensität des Sozialbezuges übereinstimmend auf den Inhalt der Aufzeichnungen.107 Auch im Urteil zum großen Lauschangriff definierte das Bundesverfassungsgericht die Intensität des Sozialbezuges anhand des höchstpersönlichen Inhalts 102 BVerfGE 80, 367, 380 ff. (Tagebuch II); 109, 279, 382 ff. (Großer Lauschangriff). Bei der zweiten Tagebuchentscheidung handelt es sich um ein abweichendes und kein Minderheitenvotum, weil vier Richter für eine Verletzung des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung stimmten. Gemäß § 15 Abs. 4 S. 3 BVerfGG ließ sich wegen der Stimmengleichheit aber kein Verstoß gegen die Verfassung feststellen. 103 s. u. 3. Kapitel, A. II. 4. 104 Hierzu und zum Folgenden: BVerfGE 34, 238, 248 (Heimliche Tonbandaufnahme). 105 BVerfGE 80, 367, 376 f. 106 BVerfGE 80, 367, 381. 107 BVerfGE 80, 367, 374 f.

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

von entäußerten Gedanken. Höchstpersönlich seien nicht sämtliche Gespräche, die ein Mensch mit seinen Vertrauten in der Wohnung führt. Vielmehr komme es auf den Gesprächsinhalt an.108 Einen höchstpersönlichen Charakter hätten Äußerungen über innere Vorgänge wie Empfindungen und Gefühle, Äußerungen des unbewussten Erlebens sowie Ausdrucksformen der Sexualität.109 Das Gericht stand damit vor dem Dilemma, dass Gespräche in der Wohnung abgehört werden müssen, um beurteilen zu können, ob das Abhören zulässig ist.110 Das Gericht löste dieses Dilemma anhand einer Prognose. Gespräche in einer Wohnung dürften nur abgehört werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein zu überwachendes Gespräch nicht höchstpersönlich ist.111 In diesen Fällen sei auch eine erste Sichtung der abgehörten Gespräche, um die Kernbereichsbetroffenheit festzustellen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.112 Um die Prognose durchführen zu können, stellte das Gericht zwei Indikatoren für die Höchstpersönlichkeit eines Sachverhaltes auf. Der erste Indikator bezieht sich auf die Art der Räume, die überwacht werden sollen. Bei Betriebs- und Geschäftsräumen bestehe wegen des starken Sozialbezuges keine Vermutung für die Kernbereichszugehörigkeit.113 In diesen Räumen sei das Abhören nur verboten, wenn erkennbar sei, dass in ihnen höchstpersönliche Gespräche geführt werden. Hingegen greife bei Gesprächen in Privaträumen114 eine Vermutung dafür ein, dass der Kernbereich betroffen ist. Dies gelte unterschiedslos für alle Räume innerhalb einer Privatwohnung. Eine Zwischenstellung nähmen zum einen Räume ein, die sowohl dem Arbeiten, als auch dem Wohnen dienen und zum anderen die Geschäftsräume solcher Berufe, die ein höchstpersönliches Vertrauensverhältnis voraussetzen.

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BVerfGE 109, 279, 320. BVerfGE 109, 279, 313. 110 BVerfGE 109, 382, 383 f. (Großer Lauschangriff – abweichendes Votum). Vgl. auch: C. Gusy, JuS 2004, S. 457, 459; F. Hufen, in: Folgerungen, 2005, S. 29, S. 32; D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 79; O. Lepsius; Jura 2005, S. 433, 439; D. Rohlf, Privatsphäre 1980, S. 112; C. Roxin, in: FS Böttcher, 2007, S. 159, 168; C. Wefelmeier, NdsVBl. 2004, S. 289, 291. 111 BVerfGE 109, 279, 320. 112 BVerfGE 109, 279, 323. 113 Hierzu und zum Folgenden: BVerfGE 109, 279, 320 f. Laut BGH, NJW 2009, S. 2463, 2465, Rn. 26 f. ist der Besuchsraum einer Untersuchungshaftanstalt mangels Vertraulichkeit nicht als Privatwohnung im Sinne der Kernbereichsprognose anzusehen. 114 Zur Präzisierung des Begriffs „Privatraum“ lässt sich die Rechtsprechung zum seit Juli 2004 bestehenden § 201a StGB, der Bildaufnahmen aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich unter Strafe stellt, heranziehen. So ist der öffentlich zugängliche Sauna-Bereich eines Erlebnisbades kein Privatraum (OLG Koblenz, Beschluss vom 11.11.2008, Az.: 1 Ws 535/081, Rn. 6 f., zitiert nach juris). Allerdings sind die Unterschiede zwischen Ton- und Bildaufnahmen zu berücksichtigen. 109

B. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz?

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Der zweite Indikator betrifft die jeweils anwesenden Gesprächspartner. Für die Kernbereichszugehörigkeit spreche es, wenn sich der Betroffene ausschließlich mit „Personen des höchstpersönlichen Vertrauens“ in der Wohnung aufhält.115 Besondere Vertrauenspersonen im Bereich der Familie seien die Ehepartner und die engsten Familienangehörigen, wie Geschwister und Verwandte in gerader Linie. Außerhalb der Familie gehören enge persönliche Freunde, Geistliche in ihrer Funktion als Beichtvater bzw. Seelsorger116 und Strafverteidiger dazu. Ärzte seien nur im Einzelfall Vertrauenspersonen. Nicht besonders geschützt seien Gespräche mit Presseangehörigen und Parlamentsabgeordneten. Ihre besondere Stellung, die sich in dem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO zeigt, diene nicht dem Persönlichkeitsschutz desjenigen, der sich an einen Journalisten oder einen Abgeordneten wendet. Vielmehr soll die Funktionsfähigkeit der Presse und des Parlaments gesichert werden.117 Das Bundesverfassungsgericht bestimmte auch in den Folgeentscheidungen dieser Fallgruppe die Intensität des Sozialbezuges anhand der Höchstpersönlichkeit des Inhalts von entäußerten Gedanken, allerdings ohne dieses Merkmal zu präzisieren.118 Im Online-Durchsuchungsurteil zählte es die auf einem informationstechnischen System gespeicherten höchstpersönlichen Dateien, wie tagebuchartige Aufzeichnungen oder private Film- oder Tondokumente, zum unantastbaren Kernbereich.119 Jedoch legte es keine Kriterien dafür fest, wann private Text-, Film- oder Tondateien einen höchstpersönlichen Inhalt haben. Das Gericht erwähnte lediglich die schon im Urteil zum großen Lauschangriff genannten Beispiele der Gefühlsäußerungen, Äußerungen des unbewussten Erlebens sowie der Ausdrucksformen der Sexualität. Außerdem differenzierte das Gericht im Rahmen eines zweistufigen Schutzkonzeptes zwischen dem Kernbereichsschutz bei der Datenerhebung und -verwertung.120 Nur wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine Datenerhe115 Hierzu und zum Folgenden: BVerfGE 109, 279, 321 ff. Zum Begriff der besonderen Vertrauensperson: BVerfGE 90, 255, 260 (Brief an Bruder), wonach Geschwister im Verhältnis zueinander besondere Vertrauenspersonen sind. 116 Vgl. dazu auch: BVerfG, NJW 2007, S. 1865, 1867, Rn. 18 (Gefängnisseelsorger). 117 BVerfGE 109, 279, 323 (Großer Lauschangriff). Kritisch zu dieser Differenzierung: C. Ende, DStR 2009, S. 2556, 2558 f. 118 BVerfGE 113, 348, 390 f. (Niedersächsisches SOG); BVerfG, NJW 2007, S. 1865, 1867, Rn. 17 ff. (Gefängnisseelsorger); NJW 2007, S. 2753, 2754 ff., Rn. 39 ff. (Neuregelung Wohnraumüberwachung); NJW 2009, S. 2431, 2436, Rn. 90 (Email-Beschlagnahme); NVwZ 2009, S. 103, 107 (Vorratsdatenspeicherung); Nichtannahmebeschluss vom 26. Juni 2008, Az.: 2 BvR 219/08, Rn. 17 ff., zitiert nach juris. 119 BVerfGE 120, 274, 335 f. (Online-Durchsuchung). Zum Kernbereichsbegriff einer Informatikerin: C. Kurz, BJ 2009, S. 164 ff. 120 BVerfGE 120, 274, 338 f. (Online-Durchsuchung). Vgl. auch: R. Baum/P. Schantz, ZRP 2008, S. 137, 138; T. Böckenförde, JZ 2008, S. 925, 932; M. Eifert, NVwZ 2008,

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bung den Kernbereich betreffen wird, müsse diese unterbleiben. Der Kernbereich schützt danach nur gegen die vorsätzliche Erhebung von kernbereichsrelevanten Daten.121 In den anderen Fällen genüge der Schutz vor der Verwertung. bb) Der unmittelbare Straftatenbezug Seit der zweiten Tagebuchentscheidung interpretierte das Bundesverfassungsgericht die Höchstpersönlichkeit eines Sachverhaltes negativ anhand des Bezuges zu begangenen oder geplanten Straftaten.122 Dabei hat sich die Rechtsprechung zum Zusammenhang zwischen entäußertem Gedankeninhalt und Straftat gewandelt. Im zweiten Tagebuchbeschluss schlossen sowohl das entscheidungstragende als auch das abweichende Votum verbaliter Sachverhalte bei einem unmittelbaren Straftatenbezug vom unantastbaren Kernbereich aus.123 Der Sache nach ließ das entscheidungstragende Votum aber einen mittelbaren Straftatenbezug genügen. Es hielt die Tagebuchaufzeichnungen des Angeklagten in einem Strafverfahren wegen der Ermordung einer Frau für verwertbar. In den siebzehn und acht Monate vor der Tat entstandenen Aufzeichnungen setzte sich der Angeklagte allgemein mit seinem gestörten Verhältnis zu Frauen, seiner Unfähigkeit, eine Liebesbeziehung zu führen, und dem daraus resultierenden, zwanghaften Bedürfnis, eine Frau zu vergewaltigen oder ihr Gewalt anzutun, auseinander. Weil die Aufzeichnungen Hinweise auf die Persönlichkeit des Angeklagten und seine Neigung zu bestimmten Straftaten gaben, seien sie nicht höchstpersönlich.124 Einen unmittelbaren Bezug zu der konkreten Tat, deretwegen das Strafverfahren durchgeführt wurde, forderte das entscheidungstragende Votum nicht. Schon das abweichende Votum lehnte diese Auffassung ab.125 Tagebuchaufzeichnungen seien nur dann nicht höchstpersönlich, wenn sie konkrete Hinweise auf die Tat enthielten, deretwegen gegen den Betroffenen ermittelt wird. Die Unmittelbarkeit des Straftatenbezuges sei restriktiv zu bestimmen. Die TagebuchS. 521, 523; C. Gusy, DuD 2009, S. 33, 40; W. Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1009, 1020 f.; G. Hornung, CR 2008, S. 299, 304 f.; T. B. Petri, DuD 2008, S. 443, 447; G. Piltz/M. Pfister, RuP 2009, S. 4, 5 f.; M. Reiß, StV 2008, S. 539, 540; F. Roggan, NJW 2009, S. 257, 261; M. Sachs/T. Krings, JuS 2008, S. 481, 485; M. Warntjen, in: Online-Durchsuchungen, 2008, S. 57, 58. D. Hömig, Jura 2009, S. 207, 213 geht davon aus, das Bundesverfassungsgericht habe schon im Urteil zum großen Lauschangriff ein zweistufiges Kernbereichskonzept vertreten. 121 R. Poscher, JZ 2009, S. 269, 275. Zu dessen Kernbereichskonzept: 4. Kapitel, C. V. 122 BVerfGE 80, 367, 375. Für Angaben über begangene Straftaten: BVerfGE 109, 279, 319. Zum Bezug zu geplanten Straftaten: LT Rheinland-Pfalz Drs 14/3936, S. 9. 123 BVerfGE 80, 367, 375 (Tagebuch II). 124 BVerfGE 80, 367, 377 (Tagebuch II). 125 Zum Folgenden: BVerfGE 80, 367, 381 f. (Tagebuch II).

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aufzeichnungen hätten keinen unmittelbaren Straftatenbezug, weil der Angeklagte sie lange Zeit bevor die zur Anklage führende Straftat begangen wurde, erstellt hatte. Durch die Ansicht des entscheidungstragenden Votums würde ein Tatbezug „im Nachhinein und von außen“ an die Notizen herangetragen, der ihnen ursprünglich nicht zu eigen war. Grundsätzlich sei jede Erkenntnis über den psychischen Zustand eines Verdächtigen geeignet, Hinweise zur Schuldfähigkeit und zum besseren Tatverständnis zu geben. Der absolut geschützte Kernbereich und der relativ geschützte Bereich der privaten Lebensgestaltung wären im Strafverfahren nicht mehr unterscheidbar, wenn es für einen unmittelbaren Straftatbezug ausreichen würde, Erkenntnisse über die Persönlichkeit eines Tatverdächtigen zu gewinnen. Das abweichende Votum bestimmte die Unmittelbarkeit des Straftatenbezuges anhand zweier Kriterien. Zum einen muss ein Bezug zu der Tat, deretwegen das Strafverfahren durchgeführt wird, bestehen. Zum anderen kommt es auf die zeitliche Nähe an. Im Urteil zum großen Lauschangriff folgte das Bundesverfassungsgericht der Auffassung der vier abweichenden Richter in der zweiten Tagebuchentscheidung, ohne dies zu explizieren: „Aufzeichnungen oder Äußerungen im Zwiegespräch, die zum Beispiel ausschließlich innere Eindrücke und Gefühle wiedergeben und keine Hinweise auf konkrete Straftaten enthalten, gewinnen nicht schon dadurch einen Gemeinschaftsbezug, dass sie Ursachen oder Beweggründe eines strafbaren Verhaltens freizulegen vermögen.“126

Folglich muss ein unmittelbarer Bezug zu einer geplanten oder begangenen „konkreten Straftat“ vorliegen. Zwar bleibt unklar, was das Gericht mit der „konkreten Straftat“ meint; denn entweder es handelt sich um die Tat, deretwegen ermittelt wird127 oder um jegliche tatsächlich geplante oder begangene Tat, was Zufallsfunde einschließen würde.128 Aber auf jeden Fall erfordert das Merkmal der „Unmittelbarkeit“, dass der entäußerte Gedankeninhalt selbst einen Straftatenbezug aufweist, sich also auf die Planung oder Begehung eines strafbaren Verhaltens bezieht. Nicht ausreichend ist, dass der entäußerte Gedankeninhalt einen Hinweis auf die Neigung zur Begehung von Straftaten oder andere mittelbar für die Tataufklärung relevante Charaktereigenschaften des Sich-Äußernden liefert.

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BVerfGE 109, 279, 319. BVerfGE 80, 367, 382 (Tagebuch II – abweichendes Votum); Beschluss des VerfGH Berlin vom 21.04.2009, Az.: 170 A/08, Rn. 9 ff. (zitiert nach juris). 128 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. Juni 2008, Az.: 2 BvR 219/08, Rn. 20, zitiert nach juris, lässt ausdrücklich offen, ob ein unmittelbarer Bezug zu der Straftat erforderlich ist, deretwegen ermittelt wird. 127

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Diese Rechtsprechung setzte das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum niedersächsischen SOG fort.129 Hingegen erwähnte das Gericht das Merkmal des Straftatenbezuges im Urteil zur Online-Durchsuchung nicht.130 Jedoch präzisierte das Gericht in diesem Urteil lediglich die verfahrensrechtlichen Anforderungen zum Schutz des unantastbaren Kernbereichs. Hinsichtlich des Inhalts verwies das Gericht auf das Urteil zum großen Lauschangriff, in dem es das Kriterium des unmittelbaren Straftatenbezuges verwendete. Folglich hält das Gericht an diesem Merkmal fest. Dafür sprechen auch zwei aktuelle Nichtannahmebeschlüsse, die beide das Merkmal des Straftatenbezuges verwenden. Im ersten Beschluss zählte das Gericht Tagebuchaufzeichnungen nicht zum unantastbaren Kernbereich, weil die Aufzeichnungen einen unmittelbaren Bezug zu der Straftat hatten, deretwegen gegen den Angeklagten ermittelt wurde.131 Im zweiten Beschluss schloss es Emails mit unmittelbarem Straftatenbezug vom Kernbereich aus.132 Das Bundesverfassungsgericht geht also seit dem Urteil zum großen Lauschangriff davon aus, dass entäußerte Gedankeninhalte mit einem unmittelbaren Bezug zu begangenen oder geplanten Straftaten nicht zum unantastbaren Kernbereich gehören. Matthias Kötter meint, im Urteil zum großen Lauschangriff habe das Bundesverfassungsgericht bei der Definition des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung nach der Schwere der Straftat differenziert. Nur Sachverhalte mit unmittelbarem Bezug zu Straftaten mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren seien vom Kernbereich ausgeschlossen.133 Zur Begründung verweist Kötter auf einen Abschnitt des Urteils zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme.134 Dort führte das Gericht aus, dass die akustische Wohnraumüberwachung unverhältnismäßig ist, wenn die Mindeststrafe der Anlasstat unter fünf Jahren liegt. Die Schwere der Straftat ist also nur im Rahmen der vom unantastbaren Kernbereich getrennten Verhältnismäßigkeitsprüfung relevant. Das Bundesverfassungsgericht schließt 129 BVerfGE 113, 348, 391. Vgl. auch: BVerfG, NJW 2007, S. 2753, 2754 f., Rn. 39 (Neuregelung Wohnraumüberwachung). 130 BVerfGE 120, 274, 335 f. Ebenso: BVerfG, NJW 2007, S. 1865, 1867, Rn. 17 ff. (Gefängnisseelsorger). 131 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. Juni 2008, Az.: 2 BvR 219/08, Rn. 17 ff., zitiert nach juris. Es ging um ein Strafverfahren wegen des sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB. 132 BVerfG, NJW 2009, S. 2431, 2436 (Email-Beschlagnahme). 133 M. Kötter, Pfade, 2008, S. 330, 338. 134 Kötter verweist auf BVerfGE 109, 279, 349 (Großer Lauschangriff). Dort, unter Gliederungspunkt C. II. 3. b) dd), begrenzt das Gericht den großen Lauschangriff auf Anlasstaten mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dies geschieht ohne Bezug zum Kernbereich, den es auf S. 313–323 (Gliederungspunkt C. I. 3.) und S. 326–335 (C. II. 3. a) prüft. Bei der Kernbereichsprüfung differenziert das Gericht nicht nach der Schwere der Straftat.

B. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz?

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Sachverhalte mit unmittelbarem Bezug zu jeder Straftat, unabhängig von der Schwere des Delikts, vom Kernbereich der privaten Lebensgestaltung aus.135 c) Der Wille zur Geheimhaltung Neben der Intensität des Sozialbezuges zieht das Bundesverfassungsgericht den Willen des Betroffenen zur Geheimhaltung heran, um den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zu definieren. Der unantastbare Kernbereich sei nicht berührt, wenn der Betroffene auf Geheimhaltung eines Lebenssachverhaltes selbst keinen Wert lege.136 Allerdings führt nicht jede Kundgabe eines Sachverhaltes an einen anderen Menschen dazu, dass kein Geheimhaltungswille vorliegt. Es hängt davon ab, wem gegenüber der Lebenssachverhalt offenbart wird. Die Mitteilung an eine Vertrauensperson wirkt sich nicht auf den Geheimhaltungswillen aus. Bei einer vertraulichen Kommunikation besteht der Geheimhaltungswille gegenüber der Kenntnisnahme durch nichtvertraute Dritte weiter.137 Der Wille zur Geheimhaltung umfasst den Willen zur Vertraulichkeit der Kommunikation. Konstruktiv ist die freiwillige Offenbarung eines Sachverhaltes als Ausübung der grundrechtlich geschützten Freiheit und nicht als Grundrechtsverzicht anzusehen.138 Der Geheimhaltungswille ist unabhängig davon, welche Sicherungsmaßnahmen der Betroffene gegen die Kenntnisnahme Dritter trifft. Auch bei fahrlässig geringer Sicherung von vertraulichen Sachverhalten kann der Kernbereich einschlägig sein, weil eine fahrlässige Preisgabe des Grundrechtsschutzes und damit auch des Kernbereichsschutzes dem Grundgesetz fremd ist. Ein Sachverhalt gehört mangels Geheimhaltungswillens nur dann nicht zum unantastbaren Kernbereich, wenn der Betroffene ihn wissentlich und willentlich offen legt.139 Ein Beispiel für den fehlenden Geheimhaltungswillen stellt das Urteil des OLG Frankfurt zur Verfilmung der Taten des „Kannibalen von Rothenburg“ dar.140 Das OLG zählte die in dem Film dargestellten Lebens- und Tatumstände 135 BVerfGE 80, 367, 375 (Tagebuch II); 109, 279, 319 (Großer Lauschangriff). Vgl. auch: BT-Drs. 15/5486, S. 17. 136 BVerfGE 80, 367, 374 (Tagebuch II); BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.06.2009, Az.: 1 BvR 1107/09, Rn. 25, zitiert nach juris. Vgl. auch: W. Schmitt Glaeser, in: HStR VI, 2001, § 129 Rn. 12; R. Kamlah, DÖV 1970, S. 361, 362; A. Kolz, NJW 2005, S. 3248. Laut B. Rössler, Wert, 2001, S. 17, kann Privates geheim sein, muss es aber nicht, wie die öffentlich sichtbare Privatangelegenheit des eigenen Kleidungsstils zeigt. Geheimes kann privat sein, muss es aber nicht, wie Staatsgeheimnisse zeigen. 137 BVerfGE 109, 279, 319 f. (Großer Lauschangriff). 138 So: OVG Saarlouis, NJW 2008, S. 777, 778. Vgl. A. Geiger, NVwZ 1989, S. 35, 36 f.; C. Gusy, CR 1989, S. 628, 633; J.-Y. Son, Eingriffe, 2006, S. 40. A. A. G. Robbers, JuS 1985, S. 925, 928. 139 F. L. Lorenz, GA 1992, S. 254, 265. 140 OLG Frankfurt, Urteil vom 17.06.2008, Az: 14 U 146/07, zitiert nach juris. Der „Kannibale“ verstümmelte und tötete das Opfer mit dessen Einwilligung. Anschließend

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

zwar inhaltlich zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Die Verfilmung greife aber nicht in den Kernbereich ein, weil der Öffentlichkeit die Umstände der Tat durch die Medienberichterstattung im Wesentlichen bekannt sind und der Kläger selbst zu ihrer Veröffentlichung beigetragen hat und weiterhin beiträgt.141 Es liege also kein hinreichender Geheimhaltungswille des Betroffenen vor. Einige Autoren kritisieren den Geheimhaltungswillen als für das öffentliche Recht ungeeignetes, subjektives Abgrenzungsmerkmal, das lediglich im Zivilrecht berechtigt ist.142 Im öffentlichen Recht, vor allem im Bereich der Eingriffsverwaltung, müsse der Staat den Willen des Individuums nicht beachten, sondern kann ihm den demokratisch legitimierten staatlichen Willen aufzwingen. Diese Kritik richtet sich dagegen, den Kernbereich allein anhand des Geheimhaltungswillens zu bestimmen. Das Bundesverfassungsgericht zieht den Geheimhaltungswillen jedoch lediglich als zusätzliches Kriterium neben der Intensität des Sozialbezuges heran, um den unantastbaren Kernbereich zu definieren. Nicht alle Sachverhalte, die eine Person geheim hält, gehören zum Kernbereich. Der Geheimhaltungswille ist danach eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Kernbereichszugehörigkeit eines Sachverhaltes. Der Staat kann geheim gehaltene Sachverhalte zur Kenntnis nehmen, wenn sie einen intensiven Sozialbezug haben. Als notwendige Bedingung des Kernbereichs ist der Geheimhaltungswille ein auch im öffentlichen Recht geeignetes Merkmal, um den Kernbereich zu konkretisieren. d) Weitere Kriterien? Neben der Intensität des Sozialbezuges und dem Geheimhaltungswillen beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht mit drei weiteren Kriterien, um den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zu definieren:

verzehrte er Teile des Opfers. Er handelte vornehmlich zur eigenen sexuellen Befriedigung. Dieses Urteil gehört zur Fallgruppe des Kernbereichs als Freiheitsgrenze. Es dient an dieser Stelle lediglich der Verdeutlichung des „Geheimhaltungswillens“. 141 OLG Frankfurt, Urteil vom 17.06.2008, Az: 14 U 146/07, Rn. 23, zitiert nach juris. Das OLG ging aber von einem Unterlassungsanspruch wegen Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus. Dieses Urteil hob BGH, NJW 2009, S. 3576 ff. auf, weil die Kunstfreiheit des Filmverlages das Persönlichkeitsrecht des Klägers überwiege. Auch der BGH schloss die Kernbereichsbetroffenheit aus, allerdings vor allem wegen des Sozialbezuges und nur sekundär wegen des fehlenden Geheimhaltungswillens (S. 3579, Rn. 25 f.). In BVerfG, Beschluss vom 17.06.2009 – 1 BvQ 26/09, BeckRS 2009 Nr. 34950 lehnte das Gericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Veröffentlichung des Films ab. 142 D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 43; D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 80 f.

B. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz?

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(1) Im zweiten Tagebuchbeschluss zählte das entscheidungstragende Votum die Tagebücher schon wegen ihrer Schriftlichkeit nicht zum unantastbaren Kernbereich.143 Die Gedanken würden durch ihre Verschriftlichung aus dem „beherrschbaren Innenbereich“ entlassen und der Gefahr eines Zugriffs preisgegeben. Dagegen wendete sich bereits das abweichende Votum im zweiten Tagebuchbeschluss. Die Auseinandersetzung mit sich selbst, die in der „Einsamkeit des Selbstgesprächs“ geführt wird und der Umwelt verborgen bleiben soll, verliere nicht deshalb ihren höchstpersönlichen Charakter, weil sie schriftlich erfolgt: „So gewiss es ist, dass die Gedanken frei sind – und deshalb frei bleiben müssen von staatlichem Zwang und Zugriff, wenn nicht der Mensch im Kernbereich seiner Persönlichkeit getroffen werden soll –, so gewiss muss gleicher Schutz für das schriftlich mit sich selbst geführte Gespräch gelten.“144

Das Urteil zum großen Lauschangriff folgte dem abweichenden Votum im zweiten Tagebuchbeschluss, ohne die unterschiedlichen Positionen zu erwähnen: „Aufzeichnungen oder Äußerungen im Zwiegespräch, die zum Beispiel ausschließlich innere Eindrücke und Gefühle wiedergeben und keine Hinweise auf konkrete Straftaten enthalten, gewinnen nicht schon dadurch einen Gemeinschaftsbezug, dass sie Ursachen oder Beweggründe eines strafbaren Verhaltens freizulegen vermögen.“145

Im Urteil zur Online-Durchsuchung ging das Gericht davon aus, dass in einem informationstechnischen System elektronisch gespeicherte Gedankeninhalte zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gehören können.146 Die Kernbereichszugehörigkeit hängt laut Bundesverfassungsgericht also nicht davon ab, ob und in welcher Form entäußerte Gedankeninhalte festgehalten147 werden. (2) Das Bundesverfassungsgericht äußerte sich erstmals im Urteil zum niedersächsischen SOG dazu, ob der Kernbereich betroffen sein kann, wenn zur Kommunikation ein Medium verwendet wird. Es stellte klar, dass auch die Telekommunikation kernbereichsrelevant sein kann.148 Im Urteil zur Online143 BVerfGE 80, 367, 376 unter Verweis auf: E. Forsthoff, in: FS 45. DJT, 1964, S. 41, 43. 144 BVerfGE 80, 367, 381. 145 BVerfGE 109, 279, 319 (Hervorhebung I. D.). 146 BVerfGE 120, 274, 335 f. (Online-Durchsuchung). 147 Zum Begriff „entäußerter Gedankeninhalt“: s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. a). Das Verb „festhalten“ bezieht sich auf alle Entäußerungsformen von Gedankeninhalten, sei es die Tonbandaufzeichnung, die Niederschrift oder die elektronische Speicherung als Datei. 148 BVerfGE 113, 348, 390 f. Dafür schon frühzeitig: R. Schmitt, Persönlichkeitssphäre, 1993, S. 96. Dagegen noch: J. Welp, Überwachung, 1974, S. 33 ff. Zum Zusam-

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Durchsuchung entschied das Gericht, dass auch die Kommunikation mit Hilfe des Computers als Medium zum Kernbereich gehören kann.149 Das Gericht zählt somit höchstpersönliche Gedankeninhalte, unabhängig davon, über welches Medium sie kommuniziert werden, zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. (3) In der jüngeren Rechtsprechung befasste sich das Bundesverfassungsgericht häufig bei der Beurteilung von heimlichen staatlichen Maßnahmen mit dem unantastbaren Kernbereich.150 Im Urteil zur Online-Durchsuchung führte das Gericht aus: „Heimliche Überwachungsmaßnahmen staatlicher Stellen haben einen unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren . . .“ 151

Daraus folgerten einige Autoren, dass der Kernbereichsschutz nur bei heimlichen Maßnahmen zu berücksichtigen ist.152 Richtig daran ist, dass der Kernbereich gegen heimliches staatliches Vorgehen schützt. Wie sich aus der Entwicklung der Rechtsprechung ergibt, ist der Kernbereichsschutz aber auch bei offenen staatlichen Maßnahmen, wie der Sicherstellung eines Tagebuchs bei einer Wohnungsdurchsuchung und der anschließenden Verwertung, zu wahren.153 Des Weiteren greift eine Maßnahme nicht zwingend wegen ihrer Heimlichkeit in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ein.154 So gibt es heimliche Maßnahmen mit geringer Eingriffsintensität, wie die kurzfristige Observation nach §§ 161, 163 StPO, die keine Kernbereichsrelevanz aufweisen.155 Die Heimlichkeit des staatlichen Vorgehens ist also weder notwendige noch hinreichende Bedingung für eine Kernbereichsverletzung. Zwar wirkt sich die Heimlichkeit auf die Eingriffsintensität einer Maßnahme aus. Die Intensität ist aber ein typisches Merkmal der Verhältnismäßigkeitsprüfung und deshalb nicht zur Definition eines unantastbaren Kernbereichs geeignet.

menhang von Freiheitsausübung und Kommunikationsmedien: C. Gusy, DuD 2009, S. 33, 34 f. 149 BVerfGE 120, 274, 335 f. (Online-Durchsuchung): z. B. Sprachtelefonate, die Kommunikation mittels E-Mail oder anderer Kommunikationsdienste des Internets, wie der Chat. 150 BVerfGE 109, 279 ff. (Großer Lauschangriff); 113, 348 ff. (Niedersächsisches SOG); 120, 274 ff. (Online-Durchsuchung). 151 BVerfGE 120, 274, 335 (Online-Durchsuchung). 152 In diese Richtung: M. Baldus, in: Folgerungen, 2005, S. 9, 16; ders., JZ 2008, S. 218, 225; V. Götz, Ordnungsrecht, 2008, S. 173, Rn. 50; Humanistische Union, BTInnenausschuss-Drs. 16(4)460B, S. 4. 153 BVerfGE 80, 367 ff. (Tagebuch II). 154 BVerfGE 109, 279, 313 (Großer Lauschangriff). 155 M. Deutsch, Informationserhebung, 1992, S. 17 f.; M. Löffelmann, ZStW 118 (2006), S. 358, 380.

B. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz?

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Die Kernbereichzugehörigkeit hängt auch nicht von der Heimlichkeit einer Maßnahme ab. 2. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz? Wie im vorherigen Abschnitt gesehen, bestimmt das Bundesverfassungsgericht den unantastbaren Kernbereich des Informationsschutzes anhand des Geheimhaltungswillens und der Intensität des Sozialbezuges. Diese Definition relativiert den Kernbereichsschutz. Zwar ist das Merkmal des Geheimhaltungswillens mit einem absoluten Kernbereichsschutz vereinbar: Zum einen können die Anwender dieses Kriterium verifizieren, ohne in den Kernbereich eingreifen zu müssen – dieser ist also umfassend gegen staatliche Einwirkung geschützt und damit eingriffsresistent.156 Zum anderen berücksichtigt das Gericht anhand des Geheimhaltungswillens keine Interessen, die dem Schutz der Persönlichkeit entgegenstehen, so dass der Kernbereich abwägungsresistent ist. Aber im Einzelfall relativiert das Merkmal der Intensität des Sozialbezuges den Kernbereichsschutz.157 Dies gilt sowohl für die Höchstpersönlichkeit entäußerter Gedankeninhalte [a)] als auch für den unmittelbaren Bezug zu begangenen oder geplanten Straftaten [b)]. Die Entscheidungspraxis belegt diesen Befund [c)]. a) Höchstpersönlicher Inhalt von entäußerten Gedanken Das Merkmal der Höchstpersönlichkeit von entäußerten Gedanken führt zu dem Dilemma, dass in den Kernbereich eingegriffen werden muss, um festzustellen, ob er betroffen ist.158 Jede staatliche Maßnahme wird selbstwidersprüchlich, wenn die Bestimmung ihrer Zulässigkeit an Vorgänge anknüpft, die nur durch die Maßnahme selbst ermittelt werden können.159 Der so verstandene Kernbereich ist nicht gegen jede Einwirkung geschützt und damit nicht unantastbar.160 156

Zur Eingriffs- und Abwägungsresistenz: s. o. 1. Kapitel, A. I. Dafür, dass die Intensität des Sozialbezuges Ausdruck einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ist und zu einem relativ geschützten Kernbereich führt: C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 148 ff.; D. Krauß, in: FS Gallas, 1973, S. 365, 379 ff.; F. L. Lorenz, GA 1992, S. 254, 264; H. Schlehofer, GA 1999, S. 357, 359; BMJ, in: Vormbaum, Lauschangriff, 2005, S. 37, 39; C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, I, 2005, Art. 2 Abs. 1, Rn. 93; H.-D. Horn, in: HStR, VII, 2009, Rn. 73. 158 s. o. Fn. 110. Dieses Dilemma gilt sowohl für schriftliche Aufzeichnungen: BVerfGE 80, 367, 376 ff. (Tagebuch II), als auch für mündliche Kommunikationsinhalte: BVerfGE 109, 279, 319 (Großer Lauschangriff). 159 C. Gusy, JuS 2004, S. 457, 459. 160 M. Kutscha, NJW 2005, S. 20, 21; D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 79; M. Mozek, Lauschangriff, 2001, S. 182; H. Pinkenburg, Informationsbeschaffung 2000, S. 182; U. Volkmann, AnwBl 2009, S. 118, 123. 157

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Durch eine Beschränkung auf die erste Sichtung von gespeicherten Daten161 und durch verfahrensrechtliche Absicherungen, wie Regeln über den Abbruch oder die Unterbrechung der Observation,162 das Löschen der gewonnenen Aufzeichnungen und über Verwertungsverbote, lässt sich eine Kernbereichsverletzung nicht ungeschehen machen.163 Die Indikatoren aus dem Urteil zum großen Lauschangriff können dieses Dilemma nicht lösen. Das Bundesverfassungsgericht verwendet sie lediglich als Indizien für die Kernbereichsprognose.164 Entgegen der Prognose kann der Kernbereich betroffen sein, so dass ihn das Abhören verletzt. Die Prognose schützt den Kernbereich nicht umfassend, sondern vermindert lediglich das Verletzungsrisiko.165 Die Herangehensweise des Gerichts führt letztlich dazu, dass der Kernbereich nicht absolut geschützt ist, sondern lediglich relativ, basierend auf einem Wahrscheinlichkeitsurteil. Daran kann auch die Verwendung eines Richterbandes, also die ausschließliche Auswertung von automatisch aufgezeichneten Gesprächen durch den Richter, nichts ändern.166 Ob der Kernbereich betroffen ist, hängt nicht von der Person ab, die eine Aufzeichnung auswertet. Wenn es den Kernbereich verletzt, höchstpersönliche Gespräche heimlich aufzuzeichnen und abzuhören, dann gilt dies auch, wenn der Richter die Aufzeichnungen auswertet. Das zweistufige Schutzkonzept aus dem Urteil zur Online-Durchsuchung wird den praktischen Bedürfnissen der polizeilichen Tätigkeit gerecht, da sich vor der Erhebung von entäußerten Gedankeninhalten selten mit Sicherheit sagen lässt, ob bestimmte Gedankeninhalte kernbereichsrelevant sind oder nicht.167 Dieser An161 Hierzu und zu den folgenden Sicherungen: BVerfGE 80, 367, 375 (Tagebuch II); 109, 279, 323 f. (Großer Lauschangriff); 120, 274, 338 f. (Online-Durchsuchung). 162 Zu den praktischen Problemen der Unterbrechung einer akustischen Wohnraumüberwachung, vgl. D. Büddefeld, Kriminalistik 2005, S. 204, 205 f. 163 E. Denninger, ZRP 2004, S. 101, 102; U. Guttenberg, NJW 1993, S. 567, 570; M. Kutscha, NJW 2005, S. 20, 21; ders., in: Online-Durchsuchungen, 2008, S. 157, 165 f.; ders., LKV 2008, S. 481, 486; D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 79 f.; O. Lepsius; Jura 2005, S. 433, 439; N. Petersen, KJ 2004, S. 316, 324; M. Sachs/T. Krings, JuS 2008, S. 481, 485 f.; H. Sauer, JA 2005, S. 16, 17; U. Volkmann, AnwBl 2009, S. 118, 123. Anders: D. Hömig, Jura 2009, S. 207, 213, demzufolge wegen der verfahrensrechtlichen Anforderungen ein Eingriff in den Kernbereich rechtlich so zu behandeln ist, als habe er nicht stattgefunden. 164 BVerfGE 109, 279, 314 f. 165 C. Roxin, in: FS Böttcher, 2007, S. 159, 165, 168. 166 Für eine Vereinbarkeit des Richterbands mit dem Kernbereichsschutz: V. Perne, DVBl. 2006, S. 1486, 1489 ff. 167 J. Hofmann, NVwZ 2010, S. 217, 220 f. Zum Problem, dass die von einer Überwachung Betroffenen in ihre Gespräche über Straftaten Gebete einfügen, um der Überwachung zu entgehen: BGHSt, NJW 2009, S. 3448, 3456 f., Rn. 77. Vgl. auch: T. Böckenförde, JZ 2008, S. 925, 932; I. Härtel, NdsVBl. 2008, S. 276, 282; V. Krey, in: FS Schwind, 2006, S. 725, 733 ff.

B. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz?

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satz führt aber dazu, dass der Kernbereich nicht unantastbar ist.168 In den eingriffsresistenten Kernbereich darf keine staatliche Maßnahme eingreifen. Die Beschränkung des Kernbereichsschutzes auf vorsätzliche staatliche Datenerhebung lässt ein nichtvorsätzliches staatliches Vorgehen zu. Damit ist der Kernbereich nicht mehr gegen jegliche staatliche Maßnahme geschützt.169 Indem das Bundesverfassungsgericht den Kernbereich anhand des Inhalts entäußerter Gedanken bestimmt, relativiert es dessen Schutz. b) Der Straftatenbezug Das zweite Merkmal, mit dem das Bundesverfassungsgericht die Intensität des Sozialbezuges präzisiert, ist der unmittelbare Bezug zu begangenen oder geplanten Straftaten. Mit diesem Ausschlusskriterium berücksichtigt das Gericht die Interessen der Allgemeinheit an einer wirksamen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr bei der Definition des Kernbereichs. Es ordnet den Kernbereichsschutz im Einzelfall diesen entgegenstehenden Gemeinwohlinteressen unter. Dies widerspricht der Abwägungsresistenz, wonach es kein dem Kernbereichsschutz übergeordnetes Interesse gibt. Das Gericht deklariert lediglich das als unantastbar, was es infolge von Abwägungen als Kernbereich ermittelt hat.170 Gegenüber der traditionellen Prüfung der relativen Abwehrrechte171 ändert sich nur die Verortung der Abwägung. Anstatt im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips als sogenannter Schranken-Schranke172 wägt das Gericht schon bei der Definition des Kernbereichsbegriffs ab. Der Kernbereichsschutz ist demnach nicht absolut.173 168 C. Enders, in: Stern/Becker, 2010, Art. 1, Rn. 68; C. Kurz, BJ 2009, S. 164, 166; U. Volkmann, DVBl. 2008, S. 590, 593; ders., AnwBl 2009, S. 118, 123. Kritisch auch: M. Sachs/T. Krings, JuS 2008, S. 481, 485 f.; M. Warntjen, in: Online-Durchsuchungen, 2008, S. 57, 63. 169 So auch: M. Eifert, NVwZ 2008, S. 521, 523: „Der Kernbereich bleibt für alle Verarbeitungsphasen jenseits der Datenerhebung sogar unangetastet.“ (Hervorhebung, I. D.) 170 M. Baldus, JZ 2008, S. 218, 224; F. v. Hammerstein, Privatsphäre, 1993, S. 124 f.; F. L. Lorenz, JR 1994, S. 430, 433; R. Schmidt, Jura 1993, S. 591, 593. N. Bosch, Nemo-tenetur, 1998, S. 41 f. zeigt, dass eine vergleichbare Abwägung auf der Schutzbereichsebene beim Nemo-tenetur-Prinzip stattfindet. 171 Vgl. R. Poscher, Grundrechte, 2003, S. 159 ff. 172 Zum Begriff grundlegend: K. A. Bettermann, Grenzen, 1968, S. 5. Vgl. auch: B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, 2009, Rn. 285 ff. 173 M. Baldus, JZ 2008, S. 218, 224; N. Bosch, JZ 2005, S. 377, 383; C. Degenhart, JuS 1992, S. 361, 363; U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, (2001), Art. 2 Abs. 1, Rn. 162; C. Enders, in: Friauf/Höfling, 2009, Art. 1, Rn. 88; M.-E. Geis, JZ 1991, S. 112, 116 f.; K.-E. Hain, Der Staat 45 (2006), S. 189, 209; M. Herdegen, in: Maunz/Dürig, (2009), Art. 1, Rn. 49, 90 ff.; G. Küpper, JZ 1990, S. 416, 420; F. L. Lorenz, GA 1992, S. 254, 264; ders., JZ 1992, S. 1000, 1004 f.; ders., GA 1997, S. 51, 61 f.; N. Petersen, KJ 2004, S. 316, 324; R. Pitschas, in: FS Schnapp, 2008, S. 231, 238 f., Fn. 41; R. Rupprecht, DVBl. 1974, S. 579, 581; R. Schmidt, Jura 1993, S. 591, 593; J.-Y. Son, Eingriffe, 2006, S. 166 f., 174 f., 199 f.; C. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, I, 2005,

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Daran ändert auch die Unterscheidung von Sachverhalten mit mittelbarem und unmittelbarem Straftatenbezug nichts. Zwar ist seit dem Urteil zum großen Lauschangriff anerkannt, dass nur ein unmittelbarer Bezug zu begangenen oder geplanten Straftaten Sachverhalte vom Kernbereich ausschließt.174 Damit präzisiert das Gericht aber lediglich die Anforderungen an die Interessen der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr. Auch anhand des Merkmals des unmittelbaren Straftatenbezugs berücksichtigt das Gericht die entgegenstehenden Interessen bei der Kernbereichsdefinition. c) Die Entscheidungspraxis Beide Merkmale, mit denen das Bundesverfassungsgericht den Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebung präzisiert, relativieren den Kernbereichsschutz. Dazu passt es, dass das Gericht zwar verschiedene Sachverhalte als kernbereichsrelevant ansieht, in einem Einzelfall aber eine Kernbereichsverletzung noch nie angenommen hat [aa)]. Lediglich auf abstrakt-genereller Ebene geht das Gericht vom Vorhandensein eines unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung aus [bb)]. aa) Kernbereichsrelevante Sachverhalte Das Bundesverfassungsgericht sah den unantastbaren Kernbereich des Informationsschutzes lange Zeit in keiner Entscheidung als verletzt an.175 Seit 2004 hat das Gericht aber drei Fallgestaltungen benannt, in denen es den unantastbaren Kernbereich des Informationsschutzes für einschlägig hält: (1) In den Urteilen zum großen Lauschangriff und zur Online-Durchsuchung zählte das Gericht Ausdrucksformen der Sexualität zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung.176 Allerdings lagen diesen Urteilen Sachverhalte zugrunde, in denen es nicht um Informationen über sexuelle Ausdrucksformen ging. Die Informationen aus dem Bereich der Sexualität dienten nur als BeiArt. 1, Rn. 80 und Art. 2, Rn. 93. A. A.: M. H. W. Möllers, JBÖS 2004/2005, S. 51, 65. Nicht eindeutig: M. Kötter, Pfade, 2008: Kein absolut geschützter Kernbereich (S. 208 f.), unantastbaren Kernbereich unter einem Sicherheitsvorbehalt (S. 328 ff.), Kernbereich als absolute Grenze staatlicher Belastung (S. 364). 174 s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. b) bb). 175 BVerfGE 18, 146, 147 (Tagebuch I), 27, 1, 6 (Mikrozensus); 27, 344, 350 f. (Scheidungsakten); 32, 373, 378 (Patientenkartei); 33, 367, 376 f. (Zeugnisverweigerungsrecht Sozialarbeiter); 34, 238, 245 (Heimliche Tonbandaufnahme); 35, 35, 39 (Brief an Ehegatten I); 38, 312, 320 (Zeugnisverweigerungsrecht Tierarzt); 44, 353, 372 (Drogenberatungsstelle); 89, 69, 82 f. (Cannabis I). Zur Stimmengleichheit bei BVerfGE 80, 367, 373 (Tagebuch II), s. o. 1. Kapitel, Fn. 102. 176 BVerfGE 109, 279, 313 (Großer Lauschangriff); 120, 274, 335 (Online-Durchsuchung). Vgl. auch: U. Di Fabio, in: Maunz/Düring, (2001), Art. 2, Rn. 200.

B. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz?

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spiel für mögliche kernbereichsrelevante Sachverhalte. Entscheidungen, in denen das Bundesverfassungsgericht die Informationserhebung aus dem Bereich der menschlichen Sexualität wegen eines Kernbereichsverstoßes für verfassungswidrig erklärt hat, sind nicht ersichtlich. Gegen den absoluten Schutz vor staatlicher Informationserhebung aus dem Bereich der Sexualität spricht auch die Rechtsprechung zur Fallgruppe des Kernbereichs als Freiheitsgrenze, wonach sich der Kernbereichsschutz auch im Bereich der Sexualität nur aus einer Abwägung der entgegenstehenden Interessen ergibt.177 (2) In drei Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht das Beichtgeheimnis dem unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zugerechnet.178 In den Entscheidungen zum großen Lauschangriff und zur Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung der akustischen Wohnraumüberwachung nannte das Gericht das Beichtgeheimnis lediglich, um einen möglichen Anwendungsbereich des Kernbereichs aufzuzeigen.179 In beiden Fällen handelte es sich um obiter dicta180. Die dritte Entscheidung betraf die Frage, ob einem Gefängnisseelsorger ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, wenn er im Rahmen eines Strafverfahrens aussagen soll, ob er für einen Untersuchungshäftling Versicherungsadressen gesucht hat. Das Gericht verneinte zunächst ein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO, weil es sich um Fragen zu Tätigkeiten des Seelsorgers außerhalb des seelsorgerischen Gesprächs handelte.181 Aus demselben Grund folge ein Zeugnisverweigerungsrecht auch nicht unmittelbar182 aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Es gehöre nicht zum unantastbaren Kernbereich, Adressen von Versicherungen zu recherchieren. Das Beichtgeheimnis war also nicht einschlägig.

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s. u. 1. Kapitel, B. III. BVerfGE 109, 279, 322 (Großer Lauschangriff); BVerfG, NJW 2007, S. 1865, 1867, Rn. 18 (Gefängnisseelsorger); NJW 2007, S. 2753, 2754, Rn. 36 (Neuregelung Wohnraumüberwachung). Vgl. auch: BT-Drs 16/5846, S. 35; W. Fischedick, DÖV 2008, S. 584, 590 f. 179 BVerfGE 109, 279, 322 (Großer Lauschangriff); BVerfG, NJW 2007, S. 2753, 2754, Rn. 36 (Neuregelung Wohnraumüberwachung). 180 Zur Zulässigkeit von obiter dicta allgemein: W. Schlüter, Obiter Dictum, 1973. Zu obiter dicta des Bundesverfassungsgerichts: C. Gusy, Gesetzgeber, 1985, S. 253 ff. 181 BVerfG, NJW 2007, S. 1865, 1867, Rn. 19 (Gefängnisseelsorger). Vgl. auch: BGH, Urteil vom 15.04.2010, Az: 4 StR 650/09, Rn. 29 ff., zitiert nach juris. Der BGH zählte ein „Versöhnungsgespräch“ mit Geistlichen der Glaubensgemeinschaft der Yeziden wegen des Gesprächsinhalts nicht zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Es sei nicht um eine aus religiösen Motiven getragene Zuwendung im Sinne einer geistlichen Begleitung gegangen, sondern um eine nichtreligiöse Streitschlichtung. 182 Kritisch zu verfassungsunmittelbaren Zeugnisverweigerungsrechten: H. Baier, JR 1999, S. 495, 498 ff. 178

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

(3) Schließlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass das Gespräch mit dem Strafverteidiger zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gehört.183 Der Beschuldigte dürfe im Strafverfahren nicht zum Objekt degradiert werden. Der unantastbare Kernbereich ist aber in der Definition des Gerichts nicht geeignet, das Gespräch mit dem Verteidiger zu schützen. Die Kommunikation des Beschuldigten mit dem Strafverteidiger wird regelmäßig von einem Straftatenbezug geprägt sein. Die Aufgabe des Verteidigers ist es, sich umfassend über strafbares Verhalten zu informieren, um die Rechte des Beschuldigten wahrnehmen zu können. Dazu muss sich der Mandant zu seiner möglichen Tatbeteiligung äußern. Diese Kommunikation über Straftaten kann mit dem Kernbereichskonzept des Gerichts nicht geschützt werden. Die Begründung des Verfassungsgerichts deutet dementsprechend auf einen anderen Ansatz hin. Nicht auf den unantastbaren Kernbereich kommt es an, sondern auf die Frage, ob der Beschuldigte zum Objekt des Strafverfahrens gemacht wird.184 Dies ist bei einem gezielten Abhören des Strafverteidigers der Fall, weil verhindert wird, dass sich der Beschuldigte bzw. Angeklagte dem Verteidiger gegenüber offenbaren kann. Dadurch wird eine effektive Strafverteidigung unmöglich und die Subjektstellung des Betroffenen im Strafverfahren beeinträchtigt. Das Abhören verstößt danach gegen die Menschenwürdegarantie in der Auslegung der Objektformel.185 Hingegen ist der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht einschlägig. Dass die Ausdrucksformen der Sexualität, das Beichtgeheimnis oder das Gespräch mit dem Strafverteidiger zum unantastbaren Kernbereich zählen, ist eine bloße Behauptung geblieben. In keiner der drei Fallgestaltungen gibt es eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die den Kernbereich für verletzt hält. bb) Unantastbarer Kernbereich auf abstrakt-genereller Ebene In den Urteilen zum großen Lauschangriff, zum Niedersächsischen SOG und zur Online-Durchsuchung ging das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass auf der abstrakt-generellen Ebene des Gesetzes ein unantastbarer Kernbereich 183 BVerfGE 109, 279, 322 (Großer Lauschangriff). Vgl. auch: BT-Drs 16/5846, S. 35. Zum einfachgesetzlichen Schutz der Verteidigerpost durch § 29 Abs. 1 S. 1 StVollzG und § 148 StPO: A. Grube, JR 2009, S. 362 ff. 184 So auch: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28.01.2008, Az: 2 BvR 112/08, Rn. 6. In zwei Beschlüssen, BVerfG, NJW 2007, S. 2749, 2750 f. (Rn. 42 f.) und S. 2752, 2753 (Rn. 22), sieht das Gericht die Überwachung von berufsbezogenen Telefonaten eines Rechtsanwalts als Eingriff in Art. 12 GG an und geht nicht auf den unantastbaren Kernbereich ein. Vgl. dazu: S. Kische, KritV 2009, S. 68, 76 f. 185 Ausführlich zur Objektformel und zum Verhältnis von Objektformel und unantastbarem Kernbereich: s. u. 4. Kapitel, C. I.

B. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz?

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der privaten Lebensgestaltung geschützt sei.186 Der Gesetzgeber müsse den unantastbaren Kernbereich schützen, wenn er die Verwaltung zu Grundrechtseingriffen gesetzlich ermächtigt. Die abstrakt-generelle Unantastbarkeit des Kernbereichs auf der Ebene des Gesetzestextes lässt sich jedoch anhand der Kernbereichsdefinition des Bundesverfassungsgerichts bei der Anwendung des Gesetzes im Einzelfall nicht durchhalten. Der Gesetzesanwender muss den abstrakt-generellen Begriff des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung präzisieren, um ihn anwenden zu können. Wegen des Merkmals des unmittelbaren Bezuges zu begangenen oder geplanten Straftaten hat der Anwender bei dieser Konkretisierung die dem Kernbereich entgegenstehenden Interessen der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr zu berücksichtigen. Der Kernbereichsschutz wird bei der Anwendung relativiert. Mit dieser Relativierung musste sich das Gericht in den drei genannten Urteilen nicht auseinandersetzen, weil es sich nur mit dem Kernbereichsschutz auf abstrakt-genereller Ebene beschäftigte. Das Bundesverfassungsgericht hat den unantastbaren Kernbereich in der Fallgruppe des Schutzes gegen Informationserhebung in einem Einzelfall noch nie als verletzt angesehen. Über die Kriterien des Sozialbezuges und des unmittelbaren Bezuges zu begangenen oder geplanten Straftaten berücksichtigt das Gericht die entgegenstehenden Interessen und schließt die Kernbereichszugehörigkeit aus. Wenn es im Einzelfall auf den unantastbaren Kernbereich ankommt, bietet dieser keinen absoluten Schutz.

III. Der Kernbereich als Grenze des Freiheitsgebrauchs In der Fallgruppe des Kernbereichs als Grenze des Freiheitsgebrauchs bestimmt das Bundesverfassungsgericht den unantastbaren Kernbereich vor allem anhand der Intensität des Sozialbezuges.187 Diese präzisiert das Gericht thematisch, indem es den Bereich der Sexualität grundsätzlich zum unantastbaren Kernbereich zählt.188 Dabei geht das Gericht unterschiedlich vor, je nachdem, ob es eine Verletzung des unantastbaren Kernbereichs annimmt oder nicht:

186 BVerfGE 109, 279, 328 ff. (Großer Lauschangriff); 113, 348, 390 ff. (Niedersächsisches SOG); 120, 274, 335 ff. (Online-Durchsuchung). 187 Zum Geheimhaltungswillen: OLG Frankfurt, Urteil vom 17.06.2008, Az: 14 U 146/07, Rn. 23, zitiert nach juris, s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. c). 188 BVerfGE 75, 369, 380 (Strauß-Karikatur); 96, 56, 61 (Vaterschaftsauskunft); 119, 1, 29 f. (Esra); BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.06.2009, Az.: 1 BvR 1107/09, Rn. 19 ff., zitiert nach juris. Ohne den Kernbereich zu definieren und ohne nähere Begründung verneinte das Gericht die Kernbereichsbetroffenheit in BVerfGE 7, 198, 220 f. (Lüth); 35, 202, 220 (Lebach).

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

(1) In zwei Entscheidungen hielt das Bundesverfassungsgericht den unantastbaren Kernbereich für verletzt und definierte diesen Begriff nicht weiter, sondern stellte fest, dass der Sexualbereich dazu gehört. Im Strauß-Karikatur-Beschluss entschied das Gericht, dass die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung des Politikers Franz Josef Strauß verfassungsgemäß war.189 Der Beschwerdeführer hatte in seiner Zeitschrift mehrere Karikaturen veröffentlicht, die Strauß als sich sexuell betätigendes Schwein darstellten. Grundsätzlich müsse zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht abgewogen werden. Jedoch folge ein „Kern des Intimlebens“ unmittelbar aus der Menschenwürde und sei deshalb absolut geschützt.190 Die Darstellung des sexuellen Verhaltens berühre das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seinem Kern und sei deshalb nicht durch die Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zu rechtfertigen. Um denselben Konflikt von Kunstfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht ging es im Esra-Beschluss zur Frage, ob die Anordnung, die Veröffentlichung eines Romans zu unterlassen, verfassungskonform war.191 Das Bundesverfassungsgericht musste die widerstreitenden Grundrechte in Einklang bringen und ermittelte dazu, wie intensiv beide Grundrechte betroffen sind.192 Die in dem Roman „Esra“ enthaltenen Schilderungen des Sexuallebens einer Romanfigur, die als die Ex-Frau des Autors erkennbar sei,193 greife in deren Intimsphäre194 ein. Die Intimsphäre gehöre zum Menschenwürdekern des Persönlichkeitsrechts. Allerdings seien die „unterschiedlichen Dimensionen des Persönlichkeitsrechts [. . .] nicht im Sinne einer schematischen Stufenordnung zu verstehen, wohl aber als Anhaltspunkte für die Intensität der Beeinträchtigung durch das literarische Werk.“195 Wegen der Intensität der Persönlichkeitsverletzung „fällt die Abwägung zwischen der Kunstfreiheit des die Verfassungsbe189

BVerfGE 75, 369 ff. BVerfGE 75, 369, 380: „Soweit das allgemeine Persönlichkeitsrecht allerdings unmittelbarer Ausfluß der Menschenwürde ist, wirkt diese Schranke absolut ohne die Möglichkeit eines Güterausgleichs.“ 191 BVerfGE 119, 1, 29 f., 34. Vgl. dazu: T. Gostomzyk, NJW 2008, S. 737 ff.; S.-C. Lenski, NVwZ 2008, S. 281 ff.; F. Wittreck, Jura 2009, S. 128 ff. Zum Verfahrensgang: K.-H. Ladeur/T. Gostomzyk, ZUM 2004, S. 426 ff.; dies., NJW 2005, S. 566 ff. 192 BVerfGE 119, 1, 26 f. 193 Auf die Probleme, Realitätsbeschreibungen und Fiktion abzugrenzen, ist hier nicht einzugehen. Mit beachtenswerten Argumenten für eine größere Zurückhaltung, Kunstwerke als Persönlichkeitsverletzungen einzustufen: Die abweichenden Voten der Richterin Hohmann-Dennhardt und des Richters Gaier (BVerfGE 119, 1, 37 ff.) sowie des Richters Hoffmann-Riem (S. 48 ff.). 194 Zum Verhältnis Kernbereich – Intimsphäre: s. o. Einleitung, A. 195 BVerfGE 119, 1, 30 (Hervorhebung, I. D.). 190

B. Führt die Kernbereichsdefinition zu einem absoluten Schutz?

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schwerde führenden Verlags und des Persönlichkeitsrechts der Kl. zu 1 zu deren Gunsten aus.“196 Deshalb sei es verfassungsgemäß, die Veröffentlichung der Passagen, welche die Ex-Frau betreffen, zu verbieten. Zwar stützte das Gericht beide Entscheidungen darauf, dass der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung verletzt ist. Das Gericht berücksichtigte aber in beiden Fällen bei der Konkretisierung des Kernbereichs die entgegenstehende Kunstfreiheit des Beschwerdeführers.197 Weil die Kunstfreiheit den Ausgangspunkt der Prüfung bildete, konnte das Gericht Art. 5 Abs. 3 GG ausgiebig erörtern, bevor es die Frage des Kernbereichs als dessen Grenze behandelte. Jeweils überwog das Interesse am Schutz des Persönlichkeitskerns das Interesse am Schutz der Kunstfreiheit. Beide Entscheidungen beruhen also auf der Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht und nicht auf einer abwägungsfreien Definition des Persönlichkeitsrechts. (2) Sieht das Bundesverfassungsgericht den unantastbaren Kernbereich hingegen nicht als verletzt an, dann fragt es neben der thematischen Präzisierung auf den Bereich der Sexualität zusätzlich, ob der Sachverhalt höchstpersönlich ist. Dies wird in zwei Entscheidungen deutlich.198 Im Beschluss zur Vaterschaftsauskunft entschied das Gericht, dass die Verpflichtung einer Frau, die Männer zu benennen, mit denen sie während der gesetzlichen Empfängniszeit199 Geschlechtsverkehr hatte, nicht in den Kernbereich eingreift.200 Es liege nämlich ein hinreichend intensiver Sozialbezug vor, weil aus der Beziehung, über die Auskunft verlangt wird, die klagende 196 BVerfGE 119, 1, 34 (Hervorhebung, I. D.). Eigentlich müsste es „. . . und dem Persönlichkeitsrecht . . .“ heißen. 197 So auch: C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 445, Fn. 381; M. Nierhaus, in: BK, 2008, Art. 19 Abs. 2, Rn. 30; M. Schröder, DVBl. 2008, S. 146, 148 f. Laut Fabian Wittreck ist der unantastbare Kernbereich der Persönlichkeit eine „Tabuzone der Kunst“ (Jura 2009, S. 128, 135). Der Kernbereich sei unantastbar, weil kein Künstler ein berechtigtes Interesse haben könne, intime Angelegenheiten zu veröffentlichen. Bei der Kernbereichsdefinition sind also die entgegenstehenden, möglicherweise berechtigten Interessen zu berücksichtigen. Bei einem unantastbaren Kernbereich darf es aber auf die entgegenstehenden Interessen nicht ankommen. Auch Wittrecks Auffassung führt nicht zu einem absoluten Schutz. 198 BVerfGE 96, 56 ff. (Vaterschaftsauskunft); BVerfG, Nichtannahmebeschluss, vom 10.06.2009, Az.: 1 BvR 1107/09, zitiert nach juris. Zu Konflikten von Meinungsfreiheit und Menschenwürde: BVerfGE 93, 266, 293 f. (Soldaten sind Mörder) bzw. Kunstfreiheit und postmortalem Persönlichkeitsrecht: BVerfG, NVwZ 2008, S. 549, 550 (Theaterstück „Ehrensache“). In beiden Fällen überwogen die Meinungs- bzw. Kunstfreiheit und das Gericht ging nicht auf den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ein. Vgl. zu BVerfGE 93, 266 ff.: M. Eifert, in: Menschenwürde, 2006, S. 321, 325. 199 Nach § 1600d Abs. 3 BGB der 300. bis 181. Tag vor der Geburt des Kindes. 200 BVerfGE 96, 56, 61 (Vaterschaftsauskunft).

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Tochter als dritte Person hervorgegangen ist. Weil das Gericht die Kernbereichsverletzung verneinte, war es ihm möglich, das Recht der Tochter auf Kenntnis ihrer Abstammung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG zu berücksichtigen.201 In einem aktuellen Nichtannahmebeschluss hielt es das Bundesverfassungsgericht für verfassungskonform, dass ein Internetportal über eine Vergewaltigung mit namentlicher Nennung des Täters und über die Vorgeschichte der Tat berichtete.202 Selbst über regelmäßige Besuche bei einer Prostituierten, die als „Domina“ arbeitete und das spätere Opfer war, dürfe die Öffentlichkeit informiert werden. Zwar gehöre der Bereich der Sexualität grundsätzlich zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Dies sei aber nicht der Fall, wenn die sexuelle Selbstbestimmung eines anderen beeinträchtigt wird. Weder sexuelle Gewalt noch Informationen über das Verhältnis von Täter und Opfer seien höchstpersönlich.203 Das öffentliche Informationsinteresse an der Berichterstattung über Straftaten überwiege das Interesse am Schutz des Persönlichkeitsrechts. In beiden Entscheidungen berücksichtigte das Gericht die entgegenstehenden Interessen, bei der Kernbereichsdefinition anhand der Merkmale der Intensität des Sozialbezuges bzw. der Höchstpersönlichkeit. Informationen aus dem Bereich der Sexualität sind danach selbst vor Veröffentlichung nicht geschützt. Wenn sogar die Veröffentlichung204 von Informationen aus dem Bereich der Sexualität, die den Einzelnen in seiner gesellschaftlichen Stellung sehr stark beeinträchtigt, rechtmäßig sein kann, dann hat dies a maiore ad minus auch für die Erhebung nicht zu veröffentlichender Informationen zum Zweck der Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr zu gelten.205 Der Bereich der Sexualität ist weder als Freiheitsgrenze gegenüber dem Grundrechtsgebrauch anderer noch gegen staatliche Informationserhebungen absolut geschützt. Auch als Grenze des Freiheitsgebrauchs ist die Unantastbarkeit des Kernbereichs nicht relevant. Entweder das Gericht verneint die Betroffenheit des unantastbaren Kernbereichs wegen der Intensität des Sozialbezuges, oder es bestimmt

201 BVerfGE 96, 56, 63. Das Gericht entschied nicht, welchem Interesse der Vorrang zukomme, sondern verwies die Sache an das Landgericht zu einer erneuten Abwägung der beiden Persönlichkeitsrechte zurück. 202 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.06.2009, Az.: 1 BvR 1107/09, Rn. 19 ff., zitiert nach juris. 203 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.06.2009, Az.: 1 BvR 1107/09, Rn. 25 f., zitiert nach juris. 204 So sieht P. Lerche, in: Verfassungsschutz, 1981, S. 117, 126 die Veröffentlichung von Informationen im Gegensatz zur Erhebung als eigentlichen Grundrechtseingriff an. 205 s. o. 1. Kapitel, B. II. 2. c) aa).

C. Exkurs: Der unantastbare Kernbereich als innentheoretisches Konzept

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den „unantastbaren“ Kernbereich durch Abwägung der entgegenstehenden Interessen.

IV. Zusammenfassung Das Bundesverfassungsgericht geht zwar verbaliter von einem unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung aus. Es relativiert den Schutz aber durch die Kernbereichsdefinition. Eine Verletzung des unantastbaren Kernbereichs der Verhaltensfreiheit, den es anhand der Intensität des Sozialbezuges der jeweiligen Handlung bestimmt, hat das Gericht noch nie angenommen. Selbst die einvernehmliche Sexualität zwischen Erwachsenen ist nicht absolut geschützt. Den Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebung bestimmt das Gericht anhand des Geheimhaltungswillens und der Intensität des Sozialbezuges. Letztere konkretisiert es mit Hilfe des höchstpersönlichen Inhalts von entäußerten Gedanken. Nicht höchstpersönlich sind entäußerte Gedankeninhalte mit unmittelbarem Bezug zu begangenen oder geplanten Straftaten. Hingegen ist es unerheblich, ob der Grundrechtsträger entäußerte Gedankeninhalte speichert, oder ob er ein Kommunikationsmedium verwendet. Auch ist der Kernbereich nicht nur bei heimlichen, sondern bei allen staatlichen Maßnahmen zu berücksichtigen. Das Kriterium der Höchstpersönlichkeit des Inhalts entäußerter Gedanken ermöglicht keinen eingriffsresistenten Kernbereich. Wegen des Merkmals des unmittelbaren Straftatenbezugs ist der Kernbereich nicht abwägungsresistent. Beide Kriterien sind mit dem absoluten Kernbereichsschutz nicht vereinbar. Dies zeigt sich auch daran, dass das Gericht die Kernbereichsbetroffenheit in dieser Fallgruppe nur auf abstrakt-genereller Ebene bejaht hat. Im Einzelfall sind weder Informationen über die Sexualität noch das Beichtgeheimnis bzw. Gespräche mit dem Gefängnisseelsorger oder mit dem Strafverteidiger als Teil des Kernbereichs absolut geschützt. Den Kernbereich als Grenze des Freiheitsgebrauchs, den das Bundesverfassungsgericht thematisch auf den Bereich der Sexualität beschränkt, hat es zwar in zwei Entscheidungen als verletzt angesehen, jedoch bestimmte es den Kernbereich in beiden Fällen durch eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen.

C. Exkurs: Der unantastbare Kernbereich als innentheoretisches Konzept Dass der Kernbereich laut Bundesverfassungsgericht unantastbar ist, obwohl es die entgegenstehenden Interessen bei der Kernbereichsdefinition berücksichtigt, könnte mit einem innentheoretischen Ansatz erklärt werden. Außen- und Innen-

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

theorie206 unterscheiden sich nach der Art und Weise, wie dem Grundrechtsschutz entgegenstehende Interessen zu behandeln sind.207 Innentheoretische Ansätze gehen davon aus, dass die Grundrechte durch immanente Schranken begrenzt sind.208 Dies gelte vor allem für die Freiheitsrechte, da die Freiheit nicht ohne immanente Grenzen gedacht werden könne. Eine grenzenlose Freiheit degeneriere zur Willkür. Deshalb erfassten die Grundrechte nur den durch allgemeine Gesetze gebundenen Freiheitsgebrauch. Verstößt ein menschliches Verhalten gegen die immanenten Schranken, so greife ein Verbot dieses Verhaltens nicht in das Grundrecht ein.209 Demgegenüber lehnen außentheoretische Ansätze immanente Schranken der Freiheitsrechte ab.210 Bei der Freiheitsrechtsprüfung unterscheiden sie zwischen Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung. Dabei ist es unerheblich, ob die Prü206 Zu den Begriffen Innen- und Außentheorie: R. Alexy, Grundrechte, 1996, S. 250.; T. Stemmler, Neminem-laedere, 2004, S. 50 ff.; D. Merten, HdbGRe, III, 2009, § 60, Rn. 4 m.w. N. R. Poscher, Grundrechte, 2003, S. 113 f. spricht von präformiertem (innentheoretisch) und nicht präformiertem (außentheoretisch) Verständnis grundrechtlicher Schutzbereiche. Von präformiertem und nicht präformiertem Freiheitsbegriff geht: G. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 63 ff., aus. 207 Von der Unterscheidung zwischen Außen- und Innentheorie ist die Diskussion um enge oder weite Schutzbereiche der Grundrechte abzugrenzen: Für eine weite Auslegung: R. Alexy, Grundrechte, 1996, S. 290 ff.; W. Höfling, in: Biopolitik, 2001, S. 240, 242 f.; W. Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167 ff. Für eine engere, am Gewährleistungsgehalt orientierte Auslegung: E.-W. Böckenförde, Der Staat 42 (2003), S. 165 ff.; W. Hoffmann-Riem, Der Staat 43 (2004), S. 203 ff. Dazu: B. Rusteberg, Gewährleistungsgehalt, 2009. Vgl. zu dieser Auseinandersetzung auch: T. Stemmler, Neminem-laedere, 2004, S. 67 ff. 208 H.-U. Gallwas, Missbrauch, 1967, S. 17, 33 f.; E. Hesse, Bindung, 1968, S. 89 f., 95; J. Ipsen, JZ 1997, S. 473, 480; W. Krebs, Vorbehalt, 1975, S. 43 f.; L. Graf, Grenzen, 1970, S. 2 f.; H. Peters, in: FS Laun, 1953, S. 669, 677; A. Ruch, in: FS Wildhaber, 2007, S. 671, 684 f.; W. Rüfner, in: FG 25 Jahre BVerfG, 1976, S. 453, 458 ff.; K.-A. Schwarz, BayVBl. 2003, S. 326, 329 f.; C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, I, 2005, Art. 2, Rn. 13 J. Vgl. dazu auch: J. F. Lindner, Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 240 ff. Ähnlich: J. Isensee, in: HStR V, 2000, § 111, Rn. 53 ff., 176 ff. Vgl. auch: P. Häberle, Wesensgehaltgarantie, 1983, S. 51 ff. Laut G. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 63 ff., hat Häberle einen Beitrag zur Grundrechtstheorie und nicht zur Grundrechtsdogmatik geliefert. Es gehe ihm um eine hegelianische Kritik an der unbegrenzten, staatsfrei gedachten Freiheit und nicht um einen präformierten Freiheitsbegriff oder eine Kritik der dogmatischen Unterteilung in Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung. 209 J. Isensee, in: HStR V, § 111, 2000, Rn. 56, 177. 210 H. H. Klein, Grundrechte, 1972, S. 62 f.; B. Schlink, EuGRZ 1984, S. 457, 467; J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 1997, S. 60 f.; A. v. Arnauld, Freiheitsrechte, 1999, S. 15 ff., 41 ff.; W. Kahl, Schutzergänzungsfunktion, 2000, S. 21, 39; W. Höfling, in: FS Rüfner, 2003, S. 329, 333, 339; J. F. Lindner, Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 214 f.; M. Mahlmann, Grundrechtstheorie, 2008, S. 366 ff. G. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, 1988, differenziert zwischen nicht präformierten Abwehrrechten und präformierten Leistungsrechten. Auch bei Leistungsrechten für die Außentheorie: M. Borowski, Grundrechte, 2007, S. 293 ff.; H. Dreier, in: ders., Bd. I, 2004, Vorb., Rn. 120.

C. Exkurs: Der unantastbare Kernbereich als innentheoretisches Konzept

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fungspunkte „Schutzbereich“ und „Eingriff“ zur Kategorie Schutzbereichsbetroffenheit zusammengefasst werden (zweigliedriger Aufbau) oder als getrennte Prüfungspunkte angesehen werden (dreigliedriger Aufbau).211 Die Außentheorie berücksichtigt die dem Freiheitsgebrauch entgegenstehenden Interessen erst auf der Ebene der möglichen Rechtfertigung von Eingriffen in den Schutzbereich.212 Dass ein Verhalten vom Schutzbereich erfasst wird, bedeutet nicht, dass es auch grundrechtlich geschützt ist.213 Der endgültige Grundrechtsschutz214 ergibt sich, nachdem eine mögliche Rechtfertigung geprüft wurde. Das Bundesverfassungsgericht definiert den Kernbereich in der Fallgruppe des Schutzes gegen Informationserhebung anhand der immanenten Schranke des fehlenden Straftatenbezuges. Mit diesem Kriterium berücksichtigt es die entgegenstehenden Interessen der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr schon bei der Kernbereichsdefinition. Die nach Berücksichtigung der entgegenstehenden Interessen noch schutzwürdigen Verhaltensweisen oder entäußerten Gedankeninhalte deklariert es als unantastbar. In der Fallgruppe des Kernbereichs als Freiheitsgrenze bestimmt das Gericht den Kernbereich anhand einer umfassenden Abwägung der einschlägigen Interessen.215 Das Gericht definiert den Kernbereich auf innentheoretische Art und Weise, weil es die dem Schutz entgegenstehenden Interessen schon auf der Ebene des Schutzbereichs berücksichtigt. Der innentheoretische Ansatz des Kernbereichsschutzes ist auch in der Rechtswissenschaft weit verbreitet. Schon früh ging Hans-Ulrich Evers von einem unantastbaren „Kernbereich der Person“ aus und bestimmte dessen Inhalt aus dem Vergleich der unterschiedlichen Schranken der Grundrechte.216 Der unantastbare Kernbereich sei allerdings staatlicher Einsicht unter bestimmten Umständen zugänglich.217 Um dem Kernbereich zu praktischer Geltung zu verhelfen, biete 211 W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 74. Zur Unterscheidung von Tatbestand und Rechtsfolge bei Grundrechten: C. Gusy, ZJS 2008, S. 233 ff. 212 G. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 25 ff.; 87 ff.; M. Mahlmann, Grundrechtstheorie, 2008, S. 366 f.; R. Poscher, Grundrechte, 2003, S. 122 f. Aus der Sicht der Prinzipientheorie: R. Alexy, Grundrechte, 1996, S. 249 ff.; M. Borowski, Grundrechte, 2007, S. 34 ff.; W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 74 spricht sogar von einer einhellig akzeptierten Normstruktur. 213 Zu den geringen praktischen Differenzen von Innen- und Außentheorie: G. LübbeWolff, Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 101 f. 214 Dieser kann auch als „effektiver“ (R. Poscher, Grundrechte, 2003, S. 124) oder „definitiver“ (A. v. Arnauld, Freiheitsrechte, 1999, S. 64 ff.) Freiheitsbegriff bezeichnet werden. 215 s. o. 1. Kapitel, B. III. 216 H.-U. Evers, Privatsphäre, 1960, S. 56 f. unter Verweis auf: O. Mayer, Verwaltungsrecht, I. Bd., 1924, S. 217, der vom „inneren Kreis“ des Einzeldaseins spricht, dass die Gesellschaft nicht schädige. Vgl. auch: H.-U. Evers, JZ 1965, S. 661, 665. 217 H.-U. Evers, Privatsphäre, 1960, S. 59: „Allzu schnell sieht sich der Staat vor die Notwendigkeit gestellt, auch die intimsten Angelegenheiten seiner Bürger zu erforschen.“ Als Beispiele nennt Evers die Aufklärungspflicht bei Sittlichkeitsverbrechen

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

sich ein relativer Maßstab an. Es müsse umso größere Zurückhaltung an den Tag gelegt werden, je näher Nachforschungen an den Innenbereich eines Menschen gelangen. Um den Kernbereich der Person zu bestimmen, verwendete Evers also den Gedanken der Verhältnismäßigkeit.218 Auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Ernst Benda219 entwickelte eine innentheoretische Kernbereichskonzeption. Der unantastbare Bereich menschlicher Freiheit umfasse „nur einen schmalen Ausschnitt menschlichen Verhaltens“.220 Zum unantastbaren Kernbereich gehöre das private Verhalten, an dessen Kenntnisnahme der Staat kein berechtigtes Interesse hat.221 Ob ein berechtigtes Interesse besteht, bestimme sich nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, also letztlich durch Abwägung. Sowohl Evers als auch Benda wägen die jeweils widerstreitenden Interessen bei der Bestimmung des Kernbereichsbegriffs ab. Der innentheoretischen Kernbereichsdefinition steht jedoch der vom Bundesverfassungsgericht vertretene Ansatz der Unantastbarkeit entgegen. Danach ist der Kernbereich eingriffs- und abwägungsresistent.222 Vor allem der Abwägungsresistenz wird die Innentheorie nicht gerecht, weil auch bei ihr eine Abwägung erforderlich ist.223 Das innentheoretische Konzept verlagert die im Einzelfall erforderliche Abwägung lediglich von der Rechtfertigungsebene auf die Schutzbereichsebene.224 Die Absolutheit bedeutet aus innentheoretischer Perspektive nur,

und die staatliche Ausforschung des Geisteszustandes eines Angeklagten im Strafverfahren. Vgl. auch: H.-U. Evers, JZ 1965, S. 661, 664. 218 D. Krauss, in: FS Gallas, 1973, S. 365, 383, Fn. 58; W. Klöhn, Intimsphäre, 1984, S. 37. Dass Evers den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht explizit erwähnte, dürfte daran liegen, dass dieser Grundsatz zum Zeitpunkt seiner Untersuchung noch keine gesicherte Rechtsfigur des Verfassungsrechts war (s. u. 6. Kapitel, A. I. 1.). 219 Von 1971 bis 1983 war Benda Präsident des Bundesverfassungsgerichts. 220 Hierzu und zum Folgenden: E. Benda, Menschenwürde 1975, S. 20 ff.; ders., HdbVerfR, 1994, § 6, Rn. 25, 28. 221 E. Benda, in: FS Willi Geiger, 1974, S. 23, 31. 222 Zu Eingriffs- und Abwägungsresistenz: s. o. 1. Kapitel, A. I. 223 A. v. Arnauld, Freiheitsrechte, 1999, S. 41 ff.; M. Kötter, Pfade, 2008, S. 350. H. Schulz-Schaeffer, Art. 2 Abs. 1, 1971, S. 41 ff. Vgl. auch: P. Häberle, Wesensgehaltgarantie, 1983, S. 53: „Bei der Bestimmung der immanenten Grenzen bedarf es der Güterabwägung.“ (Hervorhebung, I. D.) Allgemein geht U. Volkmann, JZ 2005, S. 261, 267 davon aus, dass jede juristische Definition bzw. Interpretation Wertungen und Abwägungen enthält. Volkmann äußert sich allerdings nicht dazu, wie dies mit der Unantastbarkeit des Kernbereichs oder der Menschenwürde zu vereinbaren ist. 224 Speziell für den Kernbereich: M. Baldus, JZ 2008, S. 218, 224 und die Nachweise, oben Fn. 169. Allgemein: W. Höfling, Jura 1994, S. 169, 171; W. Kahl, Schutzergänzungsfunktion, 2000, S. 21. Vgl. auch: W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 84. Anders: C. D. Classen, DÖV 2009, S. 689, 698, der davon ausgeht, dass der Kernbereich abwägungsfrei definierbar ist, jedoch ohne zu zeigen, wie das möglich sein soll.

D. Hält das BVerfG die Kernbereichsrechtsprechung konsequent durch?

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dass das Gericht keine offene Abwägung anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes oder des Grundsatzes der praktischen Konkordanz durchführt. Demgegenüber meint Markus Löffelmann, dass die Menschenwürde und damit der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung selbst dann als absolut geschützt anzusehen sind, wenn die Menschenwürdeverletzung von der Intensität eines staatlichen Eingriffs und dem Zweck, der mit dem Eingriff verfolgt wird, abhängt.225 Alle Normen, auch absolut geschützte, seien im Wege der Induktion226 zu begründen. Abgewogen werde nur auf erkenntnistheoretischer Ebene. Das Erkannte, also die Menschenwürde oder der Kernbereich in ihrer jeweils konkretisierten Form, sei dann absolut geschützt. Es bleibt unklar, was nach dieser Definition das Besondere an „absoluten“ Rechtspositionen sein soll. Löffelmann berücksichtigt alle relativierenden Gesichtspunkte, wie die Schwere und Zielsetzung des Eingriffs sowie die entgegenstehenden Interessen, bei der Beurteilung, ob ein „absolut geschütztes“ Grundrecht verletzt ist. Dieser innentheoretischen Auffassung folgend unterscheiden sich relative und „absolute“ Grundrechte nur darin, an welcher Stelle der Prüfung die relativierenden Aspekte einbezogen werden. Die Definition des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung durch das Bundesverfassungsgericht kann zwar als innentheoretische verstanden werden. Aber auch aus dieser Perspektive lässt sie sich nicht mit der Unantastbarkeit des Kernbereichs vereinbaren.

D. Hält das Bundesverfassungsgericht die Kernbereichsrechtsprechung konsequent durch? Das Bundesverfassungsgericht ist der Ansicht, dass der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung bei jeder staatlichen Maßnahme zu beachten ist.227 Nun wird geprüft, ob das Gericht diesem Anspruch gerecht wird und seine Kernbereichsrechtsprechung konsequent durchhält. Dazu wechselt der Fokus auf Entscheidungen, in denen das Gericht den Kernbereich entweder nicht erwähnte oder als nicht einschlägig ansah, obwohl der Sachverhalt dies nahelegte.228 Dabei handelt es sich um Fälle, die allen drei Fallgruppen, also dem Kernbereich der Verhaltensfreiheit (I.), dem Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebung (II.) und dem Kernbereich als Freiheitsgrenze (III.) zuzuordnen sind.

225

M. Löffelmann, Wahrheitserforschung, 2008, S. 195 f. Zur Induktion als Methode der Rechtsanwendung: D. Looschelders/W. Roth, Juristische Methodik, 1996, S. 112 ff. 227 s. o. 1. Kapitel, A. III. 228 Es werden nur solche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erörtert, in denen es besonders nahegelegen hätte zu prüfen, ob der Kernbereich verletzt ist. 226

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I. Entscheidungen zu intensiven Freiheitseingriffen Das Bundesverfassungsgericht setzte sich in Entscheidungen einerseits zum Freiheitsentzug und andererseits zum Luftsicherheitsgesetz mit intensiven Eingriffen in die menschliche Freiheit auseinander, ohne auf den unantastbaren Kernbereich einzugehen: (1) In den Urteilen zur Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe229 und der nachträglichen Sicherungsverwahrung230 führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass auch der tatsächlich lebenslange Vollzug dieser Strafe bzw. Maßregel die Rechte des Einzelnen nicht verletze, wenn sie wegen der fortdauernden Gefährlichkeit des Betroffenen notwendig sei. Die Freiheitsentziehung verstoße weder gegen die Menschenwürde noch gegen den Wesensgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, weil sie durch den Schutz der Öffentlichkeit und der Mitmenschen gerechtfertigt sei.231 Art. 1 Abs. 1 GG gebiete im Bereich der Strafvollstreckung lediglich, dass dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten eine Chance verbleibt, die Freiheit wiederzuerlangen, und dass die Chance von Faktoren abhängt, die der Betroffene beeinflussen kann.232 Auf den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ging das Gericht in keiner Entscheidung ein. Als wesentliches Argument gegen eine Grundrechtsverletzung zog das Bundesverfassungsgericht das Menschenbild des Grundgesetzes heran. Diesen Begriff hat das Gericht aus einer Gesamtsicht der Grundrechte gewonnen: „Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinn der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten.“233 229 Grundlegend: BVerfGE 45, 187, 227 ff. (Lebenslange Freiheitsstrafe). Eine interessante Analyse der Argumentationsstruktur dieses Urteils bei: G. Kreuzbauer, in: Menschenwürde, 2005, S. 47, 59 ff. Zuletzt: BVerfGE 117, 71, 89 (Gefährliche Täter). Zu den Anforderungen an die Vollstreckung der Freiheitsstrafe durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: J. Kinzig, JR 2007, S. 165, 167 ff. 230 BVerfGE 109, 133 ff. (Langfristige Sicherungsverwahrung). Zuletzt: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 5. August 2009, Az.: 2 BvR 2098/08 und 2 BvR 2633/08, zitiert nach juris. Zum Verstoß gegen das Verbot der rückwirkenden Bestrafung nach Art. 7 Abs. 1 EMRK: Kammerurteil des EGMR vom 17.12.2009, M. v. Deutschland, Rs. 19359/04. 231 Für die lebenslange Freiheitsstrafe: BVerfGE 45, 187, 227 ff. (Menschenwürde), 270 f. (Wesensgehalt); 117, 71, 89 (Menschenwürde), 96 (Wesensgehalt). Für die lebenslange Sicherungsverwahrung: BVerfGE 109, 133, 149 ff. (Menschenwürde), 156 f. (Wesensgehalt). 232 BVerfGE 45, 187, 245 (Lebenslange Freiheitsstrafe); 64, 261, 272 (Hafturlaub); 117, 71, 95 (Gefährliche Täter). Vgl. auch: J. v. Bernstorff, Der Staat 47 (2008), S. 21, 33. 233 Ständige Rechtsprechung seit: BVerfGE 4, 7, 15 f. (Investitionshilfe). Vgl. U. Becker, Menschenbild, 1996; W. Schmitt Glaeser, in: HStR VI, 2001, § 129 Rn. 38;

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Die tatsächliche Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe bei gefährlichen Tätern und die lebenslange Sicherungsverwahrung können dem Menschenbild entsprechen. „Die vom Grundgesetz vorgegebene Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums“ rechtfertigen es, „unabdingbare Maßnahmen zu ergreifen, um wesentliche Gemeinschaftsgüter vor Schaden zu bewahren.“234 Das Menschenbild des Grundgesetzes zeige, dass weder die Menschenwürde- noch die Wesensgehaltsgarantie grenzenlosen Individualismus schützen. Der Einzelne könne sich nur in der sozialen Zurücknahme seiner eigenen Wünsche und Interessen als wahrer Mensch selbst verwirklichen. Bei der Rechtsanwendung sei die soziale Bindung des Individuums zu berücksichtigen. Das Menschenbild des Grundgesetzes führt dazu, dass die individuelle Freiheit auch im Rahmen der Menschenwürde und des Wesensgehalts der Grundrechte von Anfang an als beschränkt zu denken ist.235 Dadurch erscheinen Beschränkungen der persönlichen Freiheit, die ohne das Menschenbild rechtfertigungsbedürftige Schranken der Freiheit wären, als Elemente der menschenwürdigen Freiheit selbst.236 Beschränkungen, die notwendig für die Gemeinschaft sind, beeinträchtigen die Freiheit nicht, weil das Gericht Freiheitsgebrauch, durch den die Mitmenschen geschädigt werden, aus dem menschenwürdigen Freiheitsbegriff ausklammert. Das Menschenbild ist eine verfassungsimmanente Gemeinwohlschranke der Freiheit, der Menschenwürde und des Wesensgehalts.237 Letztlich gehen Menschenwürde und Wesensgehalt im Bereich des Freiheitsschutzes durch das Menschenbild im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf.238 Menschenwürde- und Wesensgehaltgarantie schützen im Bereich des Strafvollzuges und der Sicherungsverwahrung nicht einen unantastbaren Rest J. F. Lindner, Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 161 f.; P. Kirchhof, in: FS Starck, 2007, S. 275 ff. Zur rechtsethischen Dimension: K. H. Auer, ARSP 93 (2007), S. 493 ff. 234 BVerfGE 109, 133, 151 (lebenslange Sicherungsverwahrung). Ähnlich: BVerfGE 117, 71, 89 (Gefährliche Täter). 235 U. Becker, Menschenbild, 1996, S. 87, 107, 112, 119. Allgemeine Kritik am Menschenbild: P. Cancik, in: Menschenbilder, 2006, S. 52, S. 56; H. Dreier, in: ders., Bd. I, 2004, Art. 1 I, Rn. 168; C. Enders, in: Friauf/Höfling, 2009, Art. 1, Rn. 45; P. M. Huber, Jura 1998, S. 505; P. Tiedemann, Menschenwürde, 2007, S. 89. Aus politologischer Sicht kritisch: A. Anter, in: Bundesverfassungsgericht, 2006, S. 307 ff. 236 P. Tiedemann, Menschenwürde, 2007, S. 88. Laut U. Becker, Menschenbild, 1996, S. 107, 119 verwendet das Bundesverfassungsgericht die Menschenbildformel als allgemeine Schranke für alle Grundrechte. Vgl. auch: P. Häberle, Menschenbild, 2008, S. 44 ff., der das Menschenbild allerdings in einigen Fällen auch als Intensivierung des Freiheitsschutzes ansieht. 237 J. Wolter, in: FS Küper, 2007, S. 707, 708. 238 P. Tiedemann, Menschenwürde, 2007, S. 89.

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

menschlicher Freiheit, sondern nur die Chance, die Freiheit wieder zu erlangen. Einige Autoren vertreten zwar, dass die rechtlich gesicherte Chance, die Freiheit wiedergewinnen zu können, den Freiheitsrest darstellt.239 Das gesetzlich geregelte Strafaussetzungsverfahren nach § 57a StGB sei das Minimum an Freiheit, das dem Betroffenen verbleibe. Es überzeugt aber nicht, die bloße Möglichkeit, den Strafvollzug zur Bewährung auszusetzen, als Freiheitsrest anzusehen.240 Dadurch wird die Verhaltensfreiheit zu einem Verfahrensrecht, das die Garantie einer erneuten rechtsstaatlichen Überprüfung der Strafe beinhaltet und sich von einem Freiheitsrecht grundlegend unterscheidet. Dies zeigt auch der Gedanke, dass die Entscheidung über die Aussetzung des Strafvollzuges negativ ausfallen kann. Dann kommt es tatsächlich zu einem Totalentzug der Freiheit.241 (2) Im Urteil zum Luftsicherheitsgesetz entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die gesetzliche Befugnis zum Abschuss eines entführten Flugzeugs teilweise gegen das Recht auf Leben in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie verstößt.242 Der Abschuss von nicht für die Entführung verantwortlichen Personen, wie den entführten Passagieren und der Besatzung, sei verfassungswidrig. Diese würden durch ihre Tötung „als Mittel zur Rettung anderer benutzt“ und damit „verdinglicht und zugleich entrechtlicht“. 243 Hingegen sei der Abschuss eines unbemannten oder nur mit Tätern besetzten Flugzeugs zulässig.244 Die Tötung der Entführer verletze ihre Würde nicht. Da den Entführern die Folgen ihres selbstbestimmten Verhaltens persönlich zugerechnet würden, würden sie in ihrer Subjektstellung ernst genommen. Auch der Wesensgehalt des Rechts auf Leben sei nicht verletzt, weil „gewichtige Schutzinteressen Dritter den Eingriff legitimieren und der Grundsatz

239 E. Denninger, in: AK-GG, 2002, Art. 19 Abs. 2, Rn. 7; K. Stern, in: ders., Staatsrecht, III/2, 1994, S. 880 f. A. Leisner-Egensperger, HdbGRe, III, 2009, § 70, Rn. 53. Ähnlich: P. Grosskreutz, Normwidersprüche, 1966, S. 26. 240 C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 198; H.-U. Erichsen, NJW 1976, S. 1721, 1722; A. Kaufmann, ARSP 70 (1984), S. 384, 387 f.; ders., in: Menschenbild, 2002, S. 23, 26. 241 Weitere Argumente für die Versöhnung von absolut-subjektivem Wesensgehalt und der Zulässigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe entkräftet C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 187 ff. 242 BVerfGE 115, 118, 153 ff. Vgl. zu diesem Urteil die Beiträge von F. Herzog, O. Lepsius und W.-R. Schenke in: FG Hirsch, 2006. Zu den Grenzen des rechtlich Regelbaren: G. Prauss, Moral, 2008, S. 113 f. 243 BVerfGE 115, 118, 154 (Luftsicherheitsgesetz). A. A. R. Merkel, JZ 2007, S. 373, 382 f., der zwar das Ergebnis des Bundesverfassungsgerichts teilt, dieses aber durch das Prinzip des defensiven Notstandes begründet. 244 BVerfGE 115, 118, 160 ff. (Luftsicherheitsgesetz). Zustimmend: K. Baumann, Jura 2006, S. 447, 453.

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der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist“.245 Damit kann in einer konkreten Gefahrensituation den Entführern eines Flugzeugs mit dem Leben auch die Chance genommen werden, jemals wieder Freiheit zu erlangen und auszuüben. Den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erwähnte das Gericht nicht. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führt zu einem abgestuften Freiheitsschutz durch Menschenwürde- und Wesensgehaltsgarantie. In den Entscheidungen des Gerichts zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung geht es davon aus, dass bei jeder staatlichen Maßnahme ein unantastbarer Kernbereich menschlicher Freiheit fortbestehen muss. In den Entscheidungen zur lebenslangen Freiheitsstrafe und zur Sicherungsverwahrung hält es das Gericht für zulässig, die menschliche Freiheit umfassend zu beschränken.246 Der Betroffene müsse lediglich die Chance haben, die Freiheit wiederzuerlangen. Im Urteil zum Luftsicherheitsgesetz entschied das Gericht, dass der Staat im Einzelfall einem Menschen selbst die Chance, in Zukunft Freiheit auszuüben, entziehen dürfe. Dies gelte zumindest für die Entführer eines Flugzeugs, deren Tötung rechtmäßig sein könne. Mit dem Leben verlieren die Entführer jegliche Möglichkeit, gegenwärtig oder zukünftig Freiheit auszuüben. Das Bundesverfassungsgericht sieht auch solche staatliche Maßnahmen als verfassungskonform an, die dem Betroffenen keinen Freiheitsrest belassen. Weder Menschenwürde noch Wesensgehaltgarantie gewährleisten einen unantastbaren Kernbereich für gefährliche oder sozialschädlich handelnde Personen. Das Gericht macht den unantastbaren Kernbereich davon abhängig, dass der Betroffene nicht gegen Strafgesetze verstößt. Es hält das Konzept des unantastbaren Kernbereichs der Verhaltensfreiheit für alle Menschen in seiner Rechtsprechung zu intensiven Freiheitseingriffen nicht konsequent durch.

II. Entscheidungen zum Schutz vor Informationserhebung Beim Schutz gegen Informationserhebungen stützte das Bundesverfassungsgericht weder das Abhör-Urteil (1.), noch die Entscheidungen zur „beleidigungsfreien Sphäre“ (2.) auf den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. 1. Abhör-Urteil Im Abhör-Urteil hielt das Gericht die heimliche Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs zur Abwehr von Gefahren für die freiheitlich-demokratische 245 BVerfGE 115, 118, 165 (Luftsicherheitsgesetz). Laut O. Lepsius, in: FG Hirsch 2006, S. 47, 61 f. ist die Differenzierung zwischen Unschuldigen und Tätern nur möglich, wenn Menschenwürde und Lebensschutz entkoppelt werden. 246 Vgl. M. Hochhuth, ARSP 92 (2006), S. 382, 386.

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Grundordnung durch die Geheimdienste und zur Verfolgung von schweren Straftaten für verfassungskonform.247 Es verstoße nicht gegen die Menschenwürde, wenn bei der Abwehr verfassungsfeindlichen Verhaltens der Betroffene nicht benachrichtigt und der gerichtliche Rechtsschutz durch eine parlamentarische Überprüfung ersetzt wird. Die Unverletzlichkeit des Fernmeldeverkehrs stehe notwendigerweise unter Vorbehalten.248 Das Gericht begrenzte die Überwachungsmöglichkeiten anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Obwohl die heimliche Überwachung auch privateste postalische oder telefonische Kommunikation erfassen kann, gingen weder das tragende noch das abweichende Votum auf den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ein.249 Dabei hatte das Gericht den unantastbaren Kernbereich im Rahmen des Informationsschutzes zum Zeitpunkt des Abhör-Urteils im Dezember 1970 schon entwickelt.250 Nur den Ausschluss der Benachrichtigung und des Rechtsschutzes prüften beide Voten mit unterschiedlichen Ergebnissen anhand der Menschenwürdegarantie, die sie mit der Objektformel auslegten.251 2. Die „beleidigungsfreie Sphäre“ (1) In den Entscheidungen zur „beleidigungsfreien Sphäre“ ging es darum, ob es einen Bereich der Privatsphäre gibt, in dem Beleidigungen strafrechtlich nicht relevant sind. Dazu ergingen vor allem vier Entscheidungen.252 Zunächst entschied das Bundesverfassungsgericht in zwei Beschlüssen, dass es verfassungswidrig ist, einen beleidigenden Brief eines Untersuchungsgefangenen an seine Ehefrau gemäß § 119 Abs. 3 StPO a. F.253 anzuhalten.254 247

BVerfGE 30, 1, 17 ff. BVerfGE 30, 1, 18: „Wo das Grundgesetz Einschränkungen von Grundrechten vorsieht, ist das stets geschehen, um ein anderes – individuelles oder überindividuelles –, im allgemeinen oder im konkreten Fall vorrangiges Rechtsgut wirksam schützen zu können.“ „Der Bestand der Bundesrepublik Deutschland und ihre freiheitliche Verfassungsordnung sind ein überragendes Rechtsgut, zu dessen wirksamem Schutz Grundrechte, soweit unbedingt erforderlich, eingeschränkt werden können.“ 249 BVerfGE 30, 1, 26 ff. (Mehrheitsvotum); 30, 1, 39 ff. (abweichendes Votum). Zu möglichen Gründen dafür: M. Kötter, Pfade, 2008, S. 81 f. Auch die Gutachten von G. Dürig und H.-U. Evers, in: Beschränkung, 1969, S. 5, 14 ff., bzw. S. 29, 50 ff. prüften nicht, ob die Überwachung in den unantastbaren Kernbereich eingreift. 250 In dieser Fallgruppe begann die Kernbereichsrechtsprechung in den Beschlüssen zum Mikrozensus vom 16.06.1969 (BVerfGE 27, 1, 6) und zu den Ehescheidungsakten vom 15.01.1970 (BVerfGE 27, 344, 350 f.). 251 Zum Unterschied zwischen Objektformel und Kernbereichskonzept, s. u. 4. Kapitel, C. I. 252 BVerfGE 35, 35 ff. (Brief an Ehegatten I); 42, 234 ff. (Brief an Ehegatten II); 57, 170 ff. (Brief an Eltern); 90, 255 ff. (Brief an Bruder). 253 Seit dem 01.01.2010 ist § 119 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 7 StPO die geeignete Rechtsgrundlage. 248

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Das Grundrecht des Beschwerdeführers auf freie Meinungsäußerung im Bereich der ehelichen Privatsphäre sei nicht hinreichend gewürdigt worden. Die öffentlichen Interessen bei Maßnahmen während der Untersuchungshaft nach § 119 Abs. 3 StPO a. F. seien mit dem Interesse an der ehelichen Intimsphäre abzuwägen. Dabei stellte das Gericht im ersten Beschluss fest, dass der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht betroffen ist, jedoch ohne dies näher zu begründen.255 Im zweiten Beschluss prüfte das Gericht das „verfassungskräftige Gebot der Achtung der Privatsphäre“ im Rahmen der Art. 5 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG und erwähnte den unantastbaren Kernbereich überhaupt nicht.256 Mit der dritten Entscheidung erweiterte das Gericht den Schutz der vertraulichen Kommunikation auf den beleidigenden Brief eines Untersuchungsgefangenen an seine Eltern.257 Dabei zog das Gericht die allgemeine Handlungsfreiheit in Verbindung mit Art. 6 GG als Prüfungsmaßstab heran. Die vierte Entscheidung betraf die Frage, ob sich eine Frau, die einen Brief mit beleidigendem Inhalt an ihren in Strafhaft befindlichen Bruder sandte, gemäß § 185 StGB strafbar gemacht hat.258 Das Gericht verneinte dies, da der Austausch zwischen Geschwistern grundsätzlich der „beleidigungsfreien Sphäre“ angehört. Diese Sphäre ergebe sich aus der Meinungsfreiheit in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und werde auch nicht durch die staatliche Briefkontrolle verlassen. Obwohl es sich um die vertrauliche Kommunikation zwischen nahen Familienangehörigen handelte, ging das Gericht auch in den beiden letztgenannten Entscheidungen nicht auf den unantastbaren Kernbereich ein.259 (2) Die Rechtsprechung zur „beleidigungsfreien Sphäre“ zeigt zweierlei. Erstens offenbart sie die Grenzen der Leistungsfähigkeit des bundesverfassungsgerichtlichen Kernbereichskonzepts. Mit dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung konnte das Bundesverfassungsgericht eine „beleidigungsfreie 254

BVerfGE 35, 35, 39 f. (Brief an Ehegatten I); 42, 234, 236 (Brief an Ehegatten

II). 255 BVerfGE 35, 35, 39 (Brief an Ehegatten I). Das Bundesverfassungsgericht schloss den Kernbereich noch nicht anhand des Kriteriums des Straftatenbezuges aus. Dieses Kriterium zieht es erst seit der zweiten Tagebuchentscheidung (BVerfGE 80, 369 ff.) heran. 256 BVerfGE 42, 234, 236 (Brief an Ehegatten II). 257 BVerfGE 57, 170, 178 f. (Brief an Eltern). 258 BVerfGE 90, 255, 259 f. (Brief an Bruder); vgl. dazu J. Wasmuth, NStZ 1995, S. 100 ff. 259 Laut L. Greco, ZIS 2008, S. 234, 237, Fn. 20 geht BVerfGE 90, 255, 259 f. (Brief an Bruder) auf den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ein. An der zitierten Stelle spricht das Gericht aber nur vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Privatsphäre, nicht jedoch vom unantastbaren Kernbereich.

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Sphäre“ nicht begründen. Ein beleidigender Brief weist einen unmittelbaren Straftatenbezug auf. Wegen des Ausschlusskriteriums des Straftatenbezuges im Bereich der Informationserhebung greift der absolute Kernbereichsschutz nicht ein. Auch konnte das Gericht anhand des unantastbaren Kernbereichs nicht zwischen den unterschiedlichen Zielen der Briefkontrolle unterscheiden. Eine solche Differenzierung dürfte aber notwendig sein. Während die Unterbindung der Kommunikation aus Ehrschutzgesichtspunkten unzulässig ist, spricht viel dafür, dass sie zur Verhinderung von Verdunkelungshandlungen, geplanter Gefängnisausbrüche oder geplanter schwerer Straftaten zulässig ist. Zweitens verdeutlicht diese Rechtsprechung, dass laut Bundesverfassungsgericht auch die vertrauliche Kommunikation zwischen engen Familienangehörigen ein legitimer Gegenstand staatlicher Kenntnisnahme sein kann. Die Verfassungsmäßigkeit hängt demnach nicht davon ab, ob eine Kenntnisnahme erfolgt, sondern zu welchen Zwecken dies geschieht. Die Berücksichtigung des Zwecks einer Maßnahme ist aber nicht mit der Unantastbarkeit des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung zu vereinbaren. Eine Maßnahme, die den unantastbaren Kernbereich betrifft, ist unabhängig von ihrem Zweck unzulässig. Das Bundesverfassungsgericht zählt die vertrauliche Kommunikation zwischen engen Familienangehörigen in diesen Entscheidungen also nicht zum unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Dass es in den Entscheidungen zur „beleidigungsfreien Sphäre“ um die Kommunikation von Gefangenen ging, ist dabei unerheblich. Es wäre nicht mit der aus Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Geltung des Kernbereichs für alle Menschen zu vereinbaren, wenn der Kernbereichsschutz von Inhaftierten und von Nichtinhaftierten differenziert wird. Die Menschenwürdegarantie umfasst gerade den rechtlichen Mindestschutz, der jedem Menschen unterschiedslos zukommen soll.260 Auch in der Fallgruppe des Schutzes gegen Informationserhebung wendet das Gericht das Kernbereichskonzept nicht in allen kernbereichsrelevanten Verfahren an.

III. Entscheidung zum Persönlichkeitsschutz als Freiheitsgrenze Im Mephisto-Beschluss musste sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Konflikt von Kunstfreiheit und postmortalem allgemeinem Persönlichkeitsrecht auseinandersetzen.261 Das Gericht hielt das Verbot, einen Roman zu veröffent260 261

Vgl. BVerfGE 115, 118, 152 (Luftsicherheitsgesetz) m.w. N. BVerfGE 30, 173, 188 ff.

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lichen, weil dieser den Persönlichkeitsbereich eines verstorbenen Schauspielers verletzt, für verfassungskonform. Die Schilderung einer masochistischen Beziehung der Hauptfigur des Romans zu einer Revuetänzerin betreffe den Persönlichkeitsbereich des verstorbenen Schauspielers, der in der Hauptfigur erkennbar abgebildet sei.262 Das Gericht löste den Konflikt zwischen Kunstfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht, das auch postmortal geschützt sei, anhand einer umfassenden Einzelfallabwägung.263 Einen Eingriff in den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erörterte das Bundesverfassungsgericht nicht, obwohl das OLG Hamburg im selben Verfahren die unantastbare Intimsphäre als verletzt angesehen hatte.264

IV. Zusammenfassung Das Bundesverfassungsgericht wendet den Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung weder beim Schutz der Verhaltensfreiheit noch beim Schutz gegen Informationserhebung oder beim Persönlichkeitsschutz als Freiheitsgrenze konsequent an. Es hält intensivste Freiheitsbeschränkungen, wie die lebenslange Freiheitsstrafe und die lebenslange Sicherungsverwahrung, aufgrund des Menschenbildes des Grundgesetzes für zulässig. Auch die gezielte Tötung von Entführern eines Flugzeuges prüfte das Gericht nicht anhand des unantastbaren Kernbereichs, obwohl den Betroffenen jegliche Chance, in Zukunft Freiheit auszuüben, genommen wird. Beim Schutz gegen Informationserhebung ging das Gericht weder im AbhörUrteil noch in den Entscheidungen zur „beleidigungsfreien Sphäre“ auf den unantastbaren Kernbereich ein, obwohl es jeweils um Maßnahmen ging, die auch privateste Kommunikationsinhalte erfassen. Die Entscheidungen zur „beleidigungsfreien Sphäre“ zeigen außerdem, dass das bundesverfassungsgerichtliche Kernbereichskonzept, zumindest gegenüber Strafverfolgung und Gefahrenabwehr, nicht leistungsfähig ist. Im Mephisto-Beschluss erörterte das Gericht den Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs als Freiheitsgrenze nicht, obwohl in dem Roman intime Details geschildert wurden. Damit erhärtet sich der Verdacht, dass das Bundesverfassungsgericht lediglich verbal von einem gegen jede Beeinträchtigung geschützten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ausgeht. Mit der Verfassungswirklichkeit ist das bundesverfassungsgerichtliche Konzept der Unantastbarkeit des Kernbereichs jedenfalls nicht zu vereinbaren.

262

BVerfGE 30, 173, 194, 198 f. (Mephisto). BVerfGE 30, 173, 195 (Mephisto). 264 Das Bundesverfassungsgericht gibt die Ausführungen des OLG Hamburg wieder (BVerfGE 30, 173, 179). 263

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1. Kap.: Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

E. Fazit Die Definition des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung bzw. der synonym verwendeten Intimsphäre durch das Bundesverfassungsgericht führt zu einem relativen Schutz. Es gibt keine Entscheidung, in der das Gericht im Einzelfall von einem absoluten Kernbereichsschutz ausgeht. Dies gilt für alle drei Fallgruppen, also den Kernbereich der Verhaltensfreiheit, den Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebung und den Kernbereich als Freiheitsgrenze. Die Entscheidungspraxis außerhalb der Kernbereichsrechtsprechung zeigt, dass das Gericht den unantastbaren Kernbereich nicht gegenüber allen staatlichen Maßnahmen anwendet. Die Unantastbarkeit des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine rhetorische Figur ohne unmittelbare rechtliche Wirkung geblieben.

Zweites Kapitel

Vorarbeiten zum bundesverfassungsgerichtlichen Kernbereichskonzept und dessen Anwendung durch die Fachgerichte An dieser Stelle wird das Ergebnis des ersten Kapitels, dass die Definition des Bundesverfassungsgerichts den Kernbereichsschutz relativiert, aus zwei Perspektiven überprüft. Zum einen wird untersucht, ob sich das Bundesverfassungsgericht auf Vorarbeiten der Rechtswissenschaft bezogen hat bzw. beziehen konnte, als es das Konzept des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung entwickelte (A.). Daraus könnten sich Rückschlüsse darauf ergeben, wie die Unantastbarkeit des Kernbereichs zu verstehen ist. Zum anderen wird analysiert, ob es Entscheidungen der Fachgerichte (B.) und der Landesverfassungsgerichte (C.) gibt, die das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Kernbereichskonzept anwenden und die Unantastbarkeit des Kernbereichs im Einzelfall belegen. Ansätze aus Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, die den Kernbereich anders als das Bundesverfassungsgericht bestimmen, werden im dritten Kapitel behandelt. Hingegen sind die Materialien der Gesetze, die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung normieren, nicht relevant, um zu untersuchen, ob das bundesverfassungsgerichtliche Kernbereichskonzept zu einem absoluten Schutz führt. Denn die Gesetzesmaterialien bieten keine Hinweise darauf, wie der Kernbereich zu definieren ist. Sowohl der Bundes- als auch die Landesgesetzgeber verzichteten bewusst auf eine eigene Kernbereichsdefinition.1 Die Rechtsprechung soll den unantastbaren Kernbereich konkretisieren, da eine Verletzung der Menschenwürde und damit auch des unantastbaren Kernbereichs nur im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung festzustellen sei.2 Die Gesetzesmaterialien übernehmen das Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts, ohne dieses inhaltlich zu konkretisieren. Sie beschränken sich darauf, die formalen Kriterien, insbeson-

1 Bund: BT-Drs 13/9660, S. 4 (Änderung Art. 13 GG); 15/4533, S. 14 (StPO-Reform); 16/5846, S. 43 ff. (Telekommunikationsüberwachung); 16/9588 (BKAG-Reform), S. 20; vgl. auch M. Löffelmann, NJW 2005, S. 2033, 2034 f.; ders., ZIS 2006, S. 87, 92; K. Rogall, in: FS Fezer, 2008, S. 61, 68. Länder: LT Rheinland-Pfalz Drs 14/3936, S. 9; LT Brandenburg Drs 4/3508, S. 28. 2 BT-Drs 15/4533, S. 14; vgl. auch: V. Perne, DVBl. 2006, S. 1486, 1487 f.

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2. Kap.: Vorarbeiten und fachgerichtliche Anwendung

dere die Ausgestaltung des Verfahrens zum Schutz des Kernbereichs zu präzisieren.3

A. Vorarbeiten der Rechtswissenschaft zum Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts Weder im Elfes-Beschluss noch im ersten Homosexualitätsurteil benannte das Bundesverfassungsgericht rechtswissenschaftliche Quellen für das Konzept des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung.4 Erst im Mikrozensus-Beschluss verwies das Gericht auf Arbeiten von Josef M. Wintrich und Günter Dürig.5 Deren Ansätze stammen aus der Zeit vor den beiden ersten Entscheidungen zum Kernbereich im Jahre 1957. Beide haben die Rechtsprechung zum unantastbaren Kernbereich von Anfang an beeinflusst.6 Insbesondere Wintrich hatte als erster Präsident des Bundesverfassungsgerichts einen prägenden Einfluss auf die Einführung der Kernbereichsrechtsprechung, da der Elfes-Beschluss und das erste Homosexualitäts-Urteil während seiner Präsidentschaft ergingen (I.). Ein weiterer kernbereichsrelevanter Ansatz ist die Persönlichkeitskerntheorie von Hans Peters. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht diese Theorie in der Kernbereichsrechtsprechung nicht zitiert, aber sie hat die Diskussion um die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 GG maßgeblich beeinflusst7 (II.). Schließlich wird in der Rechtswissenschaft vertreten, der unantastbare Kernbereich lasse sich auf zivilrechtliche Vorarbeiten von Heinrich Hubmann stützen (III.).

I. Explizit rezipierte Kernbereichskonzepte (1) In der frühen Bundesrepublik prägte Dürig die Auslegung der Menschenwürde- sowie der Wesensgehaltsgarantie und damit auch die Entwicklung des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung.8 Aus dem Wertgehalt von Art. 1 Abs. 1 GG, der die Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG insoweit bestimme,9 3

W. Bär, MMR 2008, S. 215, 217; J. Puschke/T. Singelnstein, NJW 2008, S. 113,

114. 4

BVerfGE 6, 32, 40 f.; 6, 389, 433. BVerfGE 27, 1, 6. 6 D. Rohlf, Privatsphäre 1980, S. 72. 7 BVerfGE 4, 7, 15 (Investitionshilfe), erwähnte Peters zwar nicht namentlich, setzte sich aber mit der Persönlichkeitskerntheorie inhaltlich auseinander. 8 Zu Dürigs großem Einfluss: E.-W. Böckenförde, Blätter 2004, S. 1216 ff. 9 G. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117, 129 f. Dürig muss Art. 2 Abs. 1 GG heranziehen, weil seiner Meinung nach Art. 1 Abs. 1 GG kein subjektives Grundrecht, sondern objektives Konstitutionsprinzip ist (G. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117, 119; ders., JR 1952, S. 259, 260). 5

A. Rechtswissenschaftliche Vorarbeiten

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folge ein absolut geschütztes Grundrecht auf Achtung der „ureigensten Intimsphäre“.10 Dürig definierte die Intimsphäre nicht allgemein, sondern nannte beispielhafte Verletzungstatbestände. Die Intimsphäre sei verletzt, wenn auf dem Personalausweis Fingerabdrücke festgehalten werden.11 Ebenso sei eine obligatorische Wassermann-Untersuchung, ein Verfahren zur Diagnose von Syphilis, als Ehefähigkeitsvoraussetzung unzulässig.12 Nicht zur Menschenwürde und damit nicht zur Intimsphäre gehöre es hingegen, „die Rechte anderer, das Sittengesetz und die elementare gefahrenfreie öffentliche Ordnung zu stören.13 Ohne die Anerkennung dieser grundlegenden Menschenpflichten könne es keine Menschenrechte geben.14 Jegliche Grundrechte stünden unter den immanenten Schranken, die sich aus dem allgemeinen Rechtsgedanken des Art. 2 Abs. 1 GG ergäben.15 Dürig berücksichtigt die entgegenstehenden Interessen schon bei der Definition der Intimsphäre. Eine Intimsphäre, die unter dem Vorbehalt immanenter Schranken steht, ist nicht unantastbar. Dürig vertritt also lediglich verbaliter die Unantastbarkeit des Kernbereichs. (2) Wintrich ging davon aus, dass ein „Kernbereich personaler Freiheit“ von Menschenwürde- und Wesensgehaltsgarantie absolut geschützt wird.16 Staatliche Maßnahmen seien aber zunächst anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen. Wenn eine Maßnahme unverhältnismäßig ist, müsse nicht geprüft werden, ob der Kernbereich verletzt ist. Nur bei verhältnismäßigen Maßnahmen sei auf den Kernbereich einzugehen.17 Laut Wintrich gehört zur unantastbaren Intimsphäre alles, was von Natur aus Geheimnischarakter hat.18 Die Intimsphäre werde vor allem durch das allge10 Dürigs Sprachgebrauch ist nicht einheitlich. Er spricht sowohl von der „ureigensten Intimsphäre“ als auch von der „ureigensten Privatsphäre“ (G. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117, 129 und 130; ders., in: Maunz/Dürig, 1958, Art. 1, Rn. 37). 11 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, 1958, Art. 1, Rn. 37. Kritisch dazu: H.-H. Kühne, Beweisverbote, 1970, S. 76 f. 12 G. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117, 129; ders., in: Maunz/Dürig, 1958, Art. 1, Rn. 37. 13 G. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117, 137; ders., JR 1952, S. 259, 261; ders., JZ 1957, S. 169, 173. 14 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, 1958, Art. 1, Rn. 50. 15 Kritisch dazu: H. Krüger, DÖV 1955, S. 597; M. Stelzer, Wesensgehaltsargument, 1991, S. 56 f.; C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 243. Vgl. auch: C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 139 ff. 16 J. M. Wintrich, Grundrechte, 1957, S. 29; ders., BayVBl. 1957, S. 137, 138 ff.; ders., in: FS Apelt, 1958, S. 1, 4, 7. Die Formulierung stammt von E. R. Huber, DÖV 1956, S. 200, 203. 17 J. M. Wintrich, in: FS Apelt, 1958, S. 1, 7. 18 J. M. Wintrich, BayVBl. 1957, S. 137, 138 f.; ders., Grundrechte, 1957, S. 15 ff. Wintrich verwendete Kernbereich und Intimsphäre als Synonyme.

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2. Kap.: Vorarbeiten und fachgerichtliche Anwendung

meine Persönlichkeitsrecht im Privatrecht und durch das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG geschützt. Aus dem Intimsphärenschutz folge, dass heimliche Tonbandaufnahmen einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Darüber hinaus sei der Kernbereich verletzt, wenn einem Künstler alle künstlerischen Betätigungsmöglichkeiten abgeschnitten werden.19 Wie Dürig geht Wintrich davon aus, dass der Soweit-Halbsatz des Art. 2 Abs. 1 GG ein Ausdruck immanenter Schranken jeder Freiheitsausübung auch im Kernbereich ist.20 Wenn der Gesetzgeber die Rechte anderer oder das Sittengesetz durch Gesetze schützt, dann beschränke er damit nicht die Grundrechte, sondern zeichne nur die immanenten Grundrechtsschranken nach. Es gehöre nicht zum Grundrechtsschutz, die Rechte anderer oder das Sittengesetz zu verletzen. Die Beispiele von Wintrich veranschaulichen nicht die Unantastbarkeit des Kernbereichs. Ein umfassendes Verbot jeglicher künstlerischer Betätigung ist durch kein öffentliches Interesse zu rechtfertigen, so dass es unverhältnismäßig ist. Gemäß Wintrichs Ansatz würde dieser Sachverhalt anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und nicht anhand des absoluten Kernbereichsschutzes beurteilt. Darüber hinaus bleibt unklar, welchen Aspekten des menschlichen Lebens von Natur aus Geheimnischarakter zukommen soll. Die zum Schutz der Intimsphäre genannten Rechte, nämlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht und Art. 10 GG, stehen unter einem Gesetzesvorbehalt und gewähren folglich keinen absoluten Schutz. Heimliche Tonbandaufnahmen sind nicht absolut verboten, sondern bedürfen lediglich einer gesetzlichen Grundlage. Schließlich gibt es keinen Bereich menschlicher Freiheit, der nicht unter dem Vorbehalt immanenter Schranken steht.21 Wintrichs Konzept führt nicht zur Unantastbarkeit des Kernbereichs. Die vom Bundesverfassungsgericht explizit rezipierten Kernbereichskonzepte von Dürig und Wintrich definieren den Kernbereich so, dass er nicht absolut geschützt ist. Diese Ansätze weisen den vom Gericht verfolgten innentheoretischen Weg, einen absoluten Kernbereichsschutz verbal zu vertreten, aber den Schutz bei der Anwendung zu relativieren.

19 J. M. Wintrich, in: FS Apelt, 1958, S. 1, 11. Wintrich verweist insoweit auf BVerfGE 7, 198 ff. (Lüth). 20 J. M. Wintrich, Grundrechte, 1957, S. 21, 31: „. . . die in der Soweit-Klausel enthaltenen Momente, nämlich ,die Rechte anderer‘ und ,das Sittengesetz‘ [stellen] schlechthin typische, selbstverständliche, immanente Begrenzungen der Handlungsfreiheit [dar].“ (Hervorhebungen, I. D.) 21 So auch: C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 140 f.

A. Rechtswissenschaftliche Vorarbeiten

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II. Die Persönlichkeitskerntheorie Neben diesen beiden Ansätzen dürfte auch die Persönlichkeitskerntheorie von Hans Peters die Kernbereichsrechtsprechung beeinflusst haben.22 Darauf deutet schon die ähnliche Begrifflichkeit von „Kernbereich“ und „Persönlichkeitskern“ hin. Peters legte Art. 2 Abs. 1 GG restriktiv aus. Freie Entfaltung der Persönlichkeit bedeute, dass die Menschen ihre Kräfte und Gaben, die ihre Eigenart ausmachen, entwickeln.23 Art. 2 Abs. 1 GG schütze nicht die allgemeine Freiheit, sondern das „echte Menschentum im Sinne der abendländischen Kulturauffassungen“.24 Die Grundrechte sind gemäß Peters keiner Einschränkung anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugänglich, so dass alle Interessenkonflikte durch Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG zu lösen sind. Deshalb sei der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG als Kern der Persönlichkeit wie der Wesensgehalt eines Grundrechts zu bestimmen.25 Selbst der Kern der Persönlichkeit stehe aber unter den immanenten Schranken des Soweit-Halbsatzes in Art. 2 Abs. 1 GG.26 Die Persönlichkeitskerntheorie verdeutlicht zwei grundlegende Probleme, die auch beim Konzept des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung auftreten. Zum einen gelingt es Peters nicht, den Persönlichkeitskern aussagekräftig zu definieren. Er hält die traditionellen staatsrechtlichen Auslegungsmethoden für anwendbar, zeigt aber nicht, wie damit Ergebnisse zu erzielen sind. Es bleibt unklar, wann „echtes Menschentum im Sinne der abendländischen Kulturauffassungen“ vorliegt. Peters verwendet die Theorie des Persönlichkeitskerns, um den Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 1 GG zu verringern. Demgegenüber bestimmt er nicht positiv, welche Sachverhalte zu schützen sind. Zum anderen berücksichtigt Peters die entgegenstehenden Interessen in innentheoretischer Weise nicht auf der Ebene der Schranken, sondern bei der Definition des Schutzbereichs. Die Entfaltung der Persönlichkeit steht auch in ihrem Kern unter den immanenten Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG. Der Persönlichkeitskern ist also nicht absolut geschützt. Soweit die Persönlichkeitskerntheorie die Entwicklung des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung beeinflusst hat, konnte sie nicht zur Begründung eines absoluten Schutzes beitragen.

22 In diese Richtung: C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 75. Laut H. Peters, Entfaltung, 1963, S. 22 führt die Anwendung von Art. 19 Abs. 2 GG auf Art. 2 Abs. 1 GG zur Persönlichkeitskerntheorie. 23 H. Peters, Entfaltung, 1963, S. 48 f., S. 74 (Diskussion). 24 H. Peters, in: FS Laun, 1953, S. 669, 673. 25 H. Peters, Entfaltung, 1963, S. 76 (Diskussion). 26 H. Peters, Entfaltung, 1963, S. 22 f., 49.

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2. Kap.: Vorarbeiten und fachgerichtliche Anwendung

III. Zivilrechtliche Vorarbeit Einige Autoren sind der Ansicht, dass der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung auf der im Zivilrecht entwickelten Sphärentheorie beruht.27 Die zivilrechtliche Sphärentheorie geht auf die grundlegende Untersuchung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht von Heinrich Hubmann zurück.28 Darin unterschied Hubmann zwischen unterschiedlichen Sphären der Lebensgestaltung, sah aber keine dieser Sphären als absolut geschützt an.29 Während eine relativ geschützte Privatsphäre mit der zivilrechtlichen Sphärentheorie begründbar ist, konnte das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zur Unantastbarkeit des Kernbereichs nicht auf sie stützen. Allerdings ergibt sich aus den zivilrechtlichen Wurzeln des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine interessante Perspektive auf die Bedeutung der Menschenwürde beim Privatsphärenschutz. Um im Zivilrecht wirksam zu werden, mussten die Grundrechte, aus denen die Zivilgerichte das allgemeine Persönlichkeitsrecht herleiteten,30 zumindest mittelbare Drittwirkung haben. Ansonsten hätten sie keine zivilrechtlichen Ansprüche im Verhältnis der Bürger untereinander begründen können. Als der BGH in der Leserbrief-Entscheidung 1954 das Konzept des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erstmals verwendete, war die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte noch nicht allgemein anerkannt.31 Deshalb konnte der BGH das Persönlichkeitsrecht nicht mit Art. 2 Abs. 1 GG allein begründen. Vielmehr musste er auch die Menschenwürde heranziehen, deren Drittwirkung sich unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG ergibt.32 27 So M. Warntjen, Kernbereich, 2007, S. 51 f., insbesondere Fn. 216. Wohl auch: M. Deutsch, Informationserhebung, 1992, S. 37; G. Duttge, Der Staat 36 (1997), S. 281, 299 ff.; K. Stern, in: FS Ress, 2005, S. 1259, 1263; M. M. Meinke, Verbindung, 2006, S. 55 f. 28 In der ersten Auflage: H. Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 1953, S. 216 ff. In der zweiten Auflage: H. Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 1967, S. 268 ff. Vgl. auch: H. Hubmann, JZ 1957, S. 521, 524. 29 Zur notwendigen Interessenabwägung in der ersten Auflage: H. Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 1953, S. 217, 229 ff., 239, 242. In der zweiten Auflage zu den Beschränkungen des Persönlichkeitsrechts allgemein: H. Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 1967, S. 155 ff. Zur Rechtfertigung von Eingriffen in die Privatsphäre: S. 323 f. bzw. in die Geheimsphäre: S. 330 f. Vgl. auch: H. Hubmann, JZ 1957, S. 521, 526; B. Schünemann, ZStW 90 (1978), S. 11, 17 f., vor allem Fn. 26. 30 s. u. 2. Kapitel, B. I. 31 Grundlegend im Jahre 1958: BVerfGE 7, 198, 204 ff. (Lüth). Vgl. auch: R. Poscher, Grundrechte, 2003, S. 229 ff.; K.-H. Park, Drittwirkung, 2004, S. 19 ff. m.w. N.; H.-P. Götting, in: ders., 2008, § 3, Rn. 3, 5. Die Unsicherheit bei der Drittwirkung zeigt sich an dem Unterschied zwischen der 1. und der 2. Auflage von H. Hubmann, Persönlichkeitsrecht. Während Hubmann im Jahre 1953 die Drittwirkung nicht explizit behandelte und nur von der Bindung der gesamten staatlichen Gewalt durch Art. 1 Abs. 3 GG sprach (S. 107), widmete er diesem Komplex 1967 einen eigenen Unterabschnitt § 18a) (S. 107 ff.).

A. Rechtswissenschaftliche Vorarbeiten

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Der Rückgriff auf die Menschenwürde bedeutete in diesem Zusammenhang nicht, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht unantastbar sein sollte. Im Gegenteil sah der BGH das Persönlichkeitsrecht im Zivilrecht als Ergebnis umfassender Güterabwägungen an.33 Der BGH benötigte die Menschenwürdegarantie, um das allgemeine Persönlichkeitsrecht zwischen Bürgern überhaupt grundrechtlich fundieren zu können. Seitdem die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte allgemein anerkannt ist, liegt es nahe, das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur noch mit Art. 2 Abs. 1 GG und nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG zu begründen.34 Darüber hinaus lässt sich der zivilrechtliche Sprachgebrauch nicht ins öffentliche Recht übertragen.35 Wenn das allgemeine Persönlichkeitsrecht als absolutes Recht bezeichnet wird,36 dann bedeutet dies im Zivilrecht, dass es nicht bloß dem Vertragspartner, sondern jedem Mitmenschen gegenüber gemäß § 823 Abs. 1 BGB geltend gemacht werden kann.37 Dies beinhaltet aber keine Aussage dazu, ob das Recht unantastbar im Sinne der Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist.

IV. Zusammenfassung Als das Bundesverfassungsgericht den Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung prägte, konnte es sich nicht auf Vorarbeiten der Rechtswissenschaft stützen, die zur Unantastbarkeit des Kernbereichs führen. Dürig und Wintrich gingen verbal von einem absoluten Kernbereichsschutz aus. Gleichzeitig relativieren beide den Schutz durch immanente Schranken der Freiheit auch im Bereich der privaten Lebensgestaltung. Dass sich das Bundesverfassungsgericht auf die Ansätze von Dürig und Wintrich stützt, ohne diese zu modifizieren, zeigt, dass das Gericht – zumindest zu Beginn seiner Kernbereichsrechtsprechung – selbst von immanenten Schranken des „unantastbaren“ Kernbereichs ausgeht.

32

BGHZ 24, 72, 76 f. s. u. 2. Kapitel, B. I. 34 So auch: G. Britz, Selbstdarstellung, 2007, S. 25 f.; W. Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1, Rn. 66. Ähnlich schon: H. D. Jarass, NJW 1989, S. 857, 858, der Art. 2 Abs. 1 GG als hauptsächliche Grundlage des Persönlichkeitsrechts ansieht. Auch W. Kahl, Schutzergänzungsfunktion, 2000, S. 6 f. hält Art. 2 Abs. 1 GG für eine ausreichende Grundlage. Dass Art. 1 Abs. 1 GG mitzitiert werde, sei aber unschädlich. H. Dreier, in: ders., Bd. I, 2004, Art. 2 I, Rn. 68 sieht Art. 1 Abs. 1 GG als Auslegungsrichtlinie und nicht als „eigentlich betroffene Norm“ an. Zu Verbindungen von Grundrechten allgemein: M. M. Meinke, Verbindung, 2006. 35 In diese Richtung aber: W. Klöhn, Intimsphäre, 1984, S. 15. 36 H. Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 1953, S. 127 ff. bzw. 1967, S. 140 ff. 37 Palandt/Bassenge, 2010, Einf. v. § 854, Rn. 2. 33

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2. Kap.: Vorarbeiten und fachgerichtliche Anwendung

Auch die dem unantastbaren Kernbereich ähnelnde Persönlichkeitskerntheorie gewährt nur relativen Schutz, weil die Entfaltung des Persönlichkeitskerns durch immanente Schranken begrenzt ist. Darüber hinaus gelang es Peters nicht, den Persönlichkeitskern positiv zu definieren. Die zivilrechtliche Sphärentheorie bestimmt den Schutz der Persönlichkeit anhand einer umfassenden Interessenabwägung und geht nicht von einem unantastbaren Kernbereich aus. Bei der Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zogen Zivilrechtsprechung und -wissenschaft die Menschenwürde heran, um die Drittwirkung der Grundrechte zu fundieren und nicht um einen absoluten Grundrechtsschutz zu begründen.

B. Die Kernbereichsrechtsprechung der Fachgerichte Weiteren Aufschluss darüber, ob die Kernbereichsdefinition des Bundesverfassungsgerichts einen absoluten Schutz ermöglicht, bietet die Anwendung dieses Begriffes durch die Fachgerichte. Zunächst wird untersucht, ob die Fachgerichte38 ein eigenes Konzept des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung oder eine vergleichbare Rechtsfigur entwickelt hatten (I.). Wäre das der Fall hätte sich das Bundesverfassungsgericht zu Beginn seiner Kernbereichsrechtsprechung auf dieses Konzept stützen können, so dass die Fachgerichte den verfassungsgerichtlichen Ansatz beeinflusst hätten. Anschließend werden fachgerichtliche Entscheidungen dargestellt, die das verfassungsgerichtliche Kernbereichskonzept auf den Einzelfall anwenden39 (II.). Schließlich werden beispielhaft zwei Entscheidungen behandelt, in denen die Fachgerichte den Begriff des unantastbaren Kernbereichs nicht verwenden, obwohl dies nahe gelegen hätte (III.).

I. Eigene Kernbereichsrechtsprechung der obersten Bundesgerichte? (1) Der BGH in Zivilsachen entwickelte das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Leserbrief-Urteil aus dem Jahre 1954 zur Frage, ob ein anwaltliches Schreiben, das zur Berichtigung eines Zeitungsartikels auffordert, als Leserbrief veröffentlich werden darf.40 Darin bejahte der BGH die in der Zivilrechtswis38 Im Abschnitt B. I. werden nur Entscheidungen der obersten Bundesgerichte nach Art. 95 Abs. 1 GG untersucht. 39 Entscheidungen der Fachgereichte, die vom Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts abweichen, werden im dritten Kapitel dargestellt. 40 BGHZ 13, 334, 339 unter Verweis auf: Enneccerus-Nipperdey, 1952, § 78 I 2; Enneccerus-Lehmann, 1954, § 233 2c, S. 908; H. Coing, SJZ 1947, S. 641, 642, der vor allem auf die Menschenwürde abstellt.

B. Die Kernbereichsrechtsprechung der Fachgerichte

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senschaft äußerst umstrittene Frage41, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu den sonstigen Rechten gemäß § 823 Abs. 1 BGB gehört. Er folgte den Autoren, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Bundesrepublik durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantiert sahen.42 Von einem unantastbaren Kernbereich als Bestandteil des Persönlichkeitsrechts ging der BGH jedoch nicht aus. In weiteren Entscheidungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht grenzte der BGH zwar eine persönlichkeitsrechtlich geschützte Eigensphäre mit wechselnder Terminologie von der Öffentlichkeitssphäre ab.43 Die geschützte Eigensphäre sah er aber nicht als unantastbar an, sondern ermittelte den Umfang ihres Schutzes anhand einer umfassenden Interessenabwägung.44 Den Begriff der Intimsphäre45 verwendete der BGH erstmals im Jahre 1960 in einer Entscheidung zum räumlichgegenständlichen Bereich der Ehe.46 Der Kläger begehrte die vertraglich vereinbarte Abtretung der Gesellschaftsanteile seiner Ehefrau an einem gemeinsamen Handelsunternehmen, weil er sich von ihr trennen wollte. Der BGH entschied, dass sich aus der Intimsphäre der Beklagten zwar kein Anspruch darauf ergebe, die Gesellschaftsanteile zu behalten, wohl aber das Recht weiterhin das gemeinsame Geschäft zu betreten, weil dieses zum räumlichgegenständlichen Bereich der Ehe gehöre. Die Intimsphäre war in diesem Fall nicht absolut geschützt, sondern beruhte auf einer Abwägung der Interessen der Ehegatten.47 Der BGH unterschied nicht zwischen einer relativ geschützten Privatsphäre und einer unantastbaren Intimsphäre. 41 Vgl. die umfangreichen Nachweise bei H. Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 1953, S. 2 f., Fn. 2. 42 Enneccerus-Nipperdey, 1952, § 78 I 2; H. Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 1953, S. 104 f. Vgl. auch: Enneccerus-Lehmann, 1954, § 233 2c, S. 908, lediglich mit Hinweis auf Art. 2 Abs. 1 GG und nicht auf Art. 1 Abs. 1 GG. 43 BGHZ 13, 334, 339; 24, 72, 80 f.: Eigen- und Geheimsphäre; 26, 349, 355: Individualsphäre; 27, 284, 288: Eigensphäre; 36, 77, 80: Geheim-, Intim- und Privatsphäre und persönliche Sphäre; 39, 124, 128 f.: Privatsphäre; 54, 188, 191: Individual- und Privatsphäre. Vgl. auch: W. Klöhn, Intimsphäre, 1984, S. 6; U. Seidel, Datenbanken, 1972, S. 65. 44 BGHZ 13, 334, 338: „. . . der Schutz dieses allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, dessen Abgrenzung in besonderem Maße einer Güterabwägung bedarf . . .“; BGHZ 24, 72, 80: „Ob im einzelnen Falle das Persönlichkeitsrecht verletzt ist, läßt sich nur auf Grund einer sorgsamen Würdigung und Abwägung aller für seine Abgrenzung bedeutsamen Umstände beurteilen.“ (Hervorhebungen, I. D.) Vgl. auch: A. Hasselkuss/ C.-J. Kaminski, in: Datenschutz, 1973, S. 109, 118. 45 Zum Verhältnis Intimsphäre – Kernbereich: s. o. Einleitung, A. 46 BGHZ 34, 80, 85 ff. 47 BGHZ 34, 80, 87: Die Beklagte könne sich grundsätzlich auf ihren geschützten Lebensbereich berufen. „Anders ist es nur, wenn sie ihrerseits einen berechtigten Grund zur Einschränkung ihres Lebensbereichs gesetzt hat, indem sie sich z. B. selbst geschäftsschädigend verhalten hat.“ (Hervorhebung, I. D.)

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2. Kap.: Vorarbeiten und fachgerichtliche Anwendung

Im Jahre 1968 erwähnte der BGH die unantastbare Intimsphäre im MephistoUrteil zum Unterlassungsanspruch gegen die Veröffentlichung eines Romans wegen Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts.48 Dabei handelte es sich aber nur um ein Zitat des Berufungsgerichts im Tatbestand des Urteils, ohne dass der BGH in den Entscheidungsgründen dazu Stellung nahm. Vielmehr war der BGH der Ansicht, dass Vorgänge aus dem Intimbereich von Verstorbenen in gewissem Umfang im Interesse der Kunstfreiheit veröffentlicht werden dürfen.49 Erst im Jahre 1978 ging der BGH in einem Urteil zur Veröffentlichung eines heimlich abgehörten Telefongesprächs von einer unantastbaren Intimsphäre aus, die aber im konkreten Fall nicht einschlägig war.50 Den Begriff „unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung“ verwendete der BGH erstmals 1980, in einem Urteil, in dem er die einseitige Einführung eines Rauchverbotes in U-Bahnhöfen durch allgemeine Beförderungsbedingungen für zulässig hielt.51 Auch in diesem Fall war der unantastbare Kernbereich aber nicht betroffen. (2) Der BGH in Strafsachen entschied im Jahre 1954, dass der Einsatz eines Lügendetektors im Strafverfahren auch mit Einverständnis des Angeklagten unzulässig ist. „Zur Erhaltung und Entwicklung der Persönlichkeit gehört ein lebensnotwendiger und unverzichtbarer seelischer Eigenraum, der auch im Strafverfahren unangetastet bleiben muß.“52

Laut BGH dürfen die Gerichte zwar das bewusste und unbewusste Auftreten des Angeklagten in der Hauptverhandlung grundsätzlich berücksichtigen. Das Unbewusste dürfe aber nicht planmäßig erforscht werden. Der Einsatz des Lügendetektors verstoße gegen die durch § 136a StPO geschützte Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Angeklagten. Zwar deutet die Formulierung „seelischer Eigenraum“ auf das Schutzkonzept des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung hin. Der BGH argumentierte aber vornehmlich mit der durch § 136a StPO geschützten Willensfreiheit des Angeklagten und dessen Subjektstellung im Strafverfahren. Viel spricht dafür, dass der Schutz der prozessualen Subjektstellung und der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung unterschiedliche Kategorien des Menschen48

BGHZ 50, 133, 142 f. BGHZ 50, 133, 145 f. 50 BGHZ 73, 120, 124. 51 BGHZ 79, 111, 115; vgl. zur Rechtsprechung des BHGZ auch: H. E. Brandner, JZ 1983, S. 689 ff. 52 BGH, NJW 1954, S. 649 f. (Hervorhebung, I. D.). Vgl. auch: T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988, S. 169 ff. 49

B. Die Kernbereichsrechtsprechung der Fachgerichte

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würdeschutzes sind.53 Allerdings bedarf das Verhältnis beider Rechtsfiguren einer genaueren Untersuchung.54 An dieser Stelle bleibt deshalb noch offen, ob das Lügendetektor-Urteil als Vorläufer des Kernbereichskonzeptes anzusehen ist. Im Jahre 1964 sprach der BGH in Strafsachen in seiner ersten Entscheidung zur Verwertbarkeit von Tagebüchern von der Intimsphäre. Damit bezeichnete er die gesamte relativ geschützte Privatsphäre.55 Die Interessen am Schutz der Intimsphäre und an der Strafverfolgung seien abzuwägen, so dass die Intimsphäre nicht absolut geschützt war.56 Erst 1979 erwähnte das Gericht den Begriff „Kernbereich der privaten Lebensgestaltung“ in einem Urteil zur Zulässigkeit der heimlichen Telefonüberwachung.57 Von der Unantastbarkeit des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung ging der BGH in Strafsachen erstmalig in der Raumgespräch-Entscheidung im Jahre 1983 aus.58 (3) Im Jahre 1963 verneinte das Bundesverwaltungsgericht die Ansicht des OVG Bremen59, dass psychologische Tests der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen in die Intimsphäre des Betroffenen eingreifen.60 In den darauffolgenden Jahren erwähnte das Gericht die Intimsphäre wiederholt, ohne sie zu definieren.61 In keiner dieser Entscheidungen äußerte sich das Gericht dazu, ob die Intimsphäre unantastbar ist. Von einer unantastbaren Intimsphäre sprach das Bundesverwaltungsgericht erstmals im Jahre 1970 in einem Urteil zur Zulässigkeit von Auskünften aus 53 So G. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 ff., der das Verbot des Lügendetektors als Unterfall des Verbots, den Menschen als Objekt eines staatlichen Verfahrens zu behandeln, ansieht (S. 128, Fn. 22), während der Schutz der Intimsphäre eine davon zu unterscheidende Kategorie des Menschenwürdeschutzes darstellt (S. 129 f.). 54 Für eine ausführliche Untersuchung, s. u. 4. Kapitel, C. I. 55 BGHSt 19, 325, 334. 56 BGHSt 19, 325, 332 ff. Vgl. auch: K. Händel, NJW 1964, S. 1139 ff.; E. Heinitz, JR 1964, S. 441 ff.; M. Kolhaas, DRiZ 1966, S. 286 ff.; W. Sax, JZ 1965, S. 1 ff. H.-U. Evers, JZ 1965, S. 661, 663, 665 kritisiert, dass der BGH nicht auf den unantastbaren Kernbereich eingeht. Kritisch zur Abwägung des BGH: F. Dencker, Verwertungsverbote, 1977, S. 125 ff. 57 BGHSt 29, 23, 25. Ausführlich dazu: s. u. 2. Kapitel, B. II. 2., Fn. 89. 58 BGHSt 31, 296, 299 f. Dazu näher: 3. Kapitel, A. II. 2. 59 Das OVG Bremen, DVBl. 1963, S. 736, 739 f. entschied, dass eine medizinischpsychologische Untersuchung der Fahrtauglichkeit gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstößt, weil in die Persönlichkeit nicht über die im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Beschränkungen hinaus eingegriffen werden dürfe. Das OVG stellte die „unantastbare“ Intimsphäre unter den Vorbehalt der einfachen Gesetze. Einen unantastbaren Kernbereich, der gemäß Art. 1 Abs. 3 GG auch gegenüber dem Gesetzgeber gilt, begründete das OVG nicht. 60 BVerwGE 17, 342, 346 f. 61 BVerwGE 17, 359, 362; 22, 286, 298; 29, 144, 148; 29, 153, 155.

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2. Kap.: Vorarbeiten und fachgerichtliche Anwendung

Personalakten von Beamten.62 Dabei bezog sich das Gericht explizit auf den vorher ergangenen Scheidungsakten-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts63 und verneinte die Kernbereichsbetroffenheit ohne Begründung. (4) Das Bundesarbeitsgericht ging erst 1982 in einem Urteil zur Verwertbarkeit einer Zeugenaussage über eine heimlich mitgehörte Besprechung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer von einer unantastbaren Intimsphäre aus.64 (5) Das Bundessozialgericht erwähnte die Intimsphäre als Ausdruck der Menschenwürde im Jahre 1961 in einem Verfahren zur Weitergabe von Informationen über den Gesundheitszustand des Klägers an einen ärztlichen Sachverständigen.65 Das Gericht hielt die Intimsphäre für nicht verletzt und äußerte sich nicht dazu, ob sie absolut geschützt ist. Erst 1985 sprach das Gericht von einer unantastbaren Intimsphäre, ordnete Patientendaten jedoch nicht dieser Intim-, sondern der relativen Privatsphäre zu.66 (6) Der Bundesfinanzhof verwendete den Begriff „Intimsphäre“ im Jahre 1966 und meinte damit den Bereich des ehelichen Lebens. Allerdings blieb unklar, ob dieser Bereich absolut geschützt ist.67 Von einer unantastbaren Intimsphäre ging der BFH erstmals 1995 aus.68 Die Entscheidungen der obersten Bundesgerichte zeigen, dass das Bundesverfassungsgericht nicht an einen fachgerichtlichen Ansatz des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung anschließen konnte.69 Weder bei den ersten beiden Entscheidungen zum Kernbereich der Verhaltensfreiheit im Jahre 195770 noch bei den Entscheidungen zum Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebung aus den Jahren 1969 und 1970 bestand ein solches Konzept.71 62

BVerwGE 35, 225, 229 f. BVerfGE 27, 344 ff. 64 BAGE 41, 37, 40. Das BAG verwendete die Begriffe Kernbereich der privaten Lebensgestaltung und Intimsphäre als Synonyme. 65 BSG, MDR 1961, S. 968. 66 BSG, NJW 1986, S. 1574, 1577. Soweit ersichtlich spricht das Bundessozialgericht in seinen Entscheidungen nicht vom Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, sondern ausschließlich von der Intimsphäre. 67 BFHE 87, 208, 211: Eingriffe in die Intimsphäre sollten „möglichst vermieden“ werden. Laut BFHE 87, 622, 624 dürfen die Finanzämter „nicht unangemessen in die Intimsphäre der Steuerpflichtigen eindringen“. Diese Ausführungen deuten auf einen lediglich relativen Schutz hin. 68 BFH/NV 1995, 629, 631. Zu diesem Urteil s. u. 2. Kapitel, B. II. 2., Fn. 85. 69 So: M.-E. Geis, JZ 1991, S. 112, 113. Wie hier: B. Schünemann, ZStW 90 (1978), S. 11, 17 f. 70 BVerfGE 6, 32 ff. (Elfes); 6, 389 ff. (Homosexualität I). 71 BVerfGE 27, 1 ff. (Mikrozensus); 27, 344 ff. (Scheidungsakten). Einzig das Lügendetektor-Urteil des BGH in Strafsachen aus dem Jahre 1954 könnte als Vorläufer der Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angesehen werden. Dazu: s. u. 4. Kapitel, C. I., Fn. 70. 63

B. Die Kernbereichsrechtsprechung der Fachgerichte

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Im Gegenteil haben die obersten Bundesgerichte das Konzept des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung erst vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgenommen.72 Gegenüber dem relativen Schutz der Privatsphäre, den die Fachgerichte ursprünglich entwickelt hatten, erscheint der unantastbare Kernbereich eher als Fremdkörper.

II. Anwendung des bundesverfassungsgerichtlichen Kernbereichskonzepts Die dem Bundesverfassungsgericht folgenden Entscheidungen der Fachgerichte zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gehören zu den Fallgruppen des Kernbereichs als Freiheitsgrenze (1.) und des Kernbereichsschutzes gegen Informationserhebung (2.). Zur Fallgruppe des Kernbereichs der allgemeinen Handlungsfreiheit besteht keine fachgerichtliche Rechtsprechung. Bei der Analyse ist zu berücksichtigen, dass sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über die Zeit gewandelt hat. Die fachgerichtlichen Entscheidungen verwenden den Begriff des unantastbaren Kernbereichs so, wie ihn das Bundesverfassungsgericht zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung definierte. Wo dies für die Untersuchung von Bedeutung ist, wird explizit darauf hingewiesen. Nicht dargestellt werden Entscheidungen, in denen die Fachgerichte den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ohne nähere Begründung als nicht betroffen ansehen73 oder nur die verfahrensrechtliche Wirkung des Kernbereichs thematisieren, ohne ihn zu definieren.74 Weil der unantastbare Kernbereich in diesen Entscheidungen nicht definiert wird, lässt sich an ihnen nicht überprüfen, ob das verfassungsgerichtliche Kernbereichskonzept einen absoluten Schutz ermöglicht.

72 In diese Richtung: M. Kötter, DÖV 2005, S. 225, 227, der davon ausgeht, dass sich die Sphärentheorie aus der Kernbereichsrechtsprechung entwickelt hat. 73 BGHZ 73, 120, 124; 79, 111, 115, zu diesen Fällen, s. o. 2. Kapitel, Fn. 50 f.; BGH, NJW 1981, S. 1366 (II 1.); NJW 1988, S. 1016, 1017; NJW 1999, S. 2893, 2894 (II. 1 d aa); NJW 2009, S. 2888, 2891 (Rn. 30) (Spickmich), vgl. dazu: W. Haensle/ R. Reichold, DVBl 2009, S. 1329 ff. OLG Stuttgart, Urteil vom 18.11.2009, Az.: 3 U 128/09, Rn. 48, zitiert nach juris. BAGE 41, 37, 40 f.; 111, 173 ff.; BAG, Beschluss vom 14.12.2004, Az.: 1 ABR 34/ 03, Rn. 16, zitiert nach juris. BVerwGE 35, 225, 229 f.; 36, 53, 57, 59; 98, 298, 306; 100, 287, 294. 74 BGHSt, NJW 2009, S. 3448, 3456 f. Vgl. dazu: C. Gusy, HRRS 2009, S. 489 ff.; S. Beukelmann, NJW-Spezial 2009, S. 712.

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2. Kap.: Vorarbeiten und fachgerichtliche Anwendung

1. Kernbereich als Freiheitsgrenze In vier Entscheidungen hielten die Fachgerichte den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Freiheitsgrenze für einschlägig:75 (1) Der BGH in Zivilsachen ging in einem Verfahren, in dem der Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangte, vom absoluten Schutz der Intimsphäre aus.76 Eine von der Beklagten verlegte Zeitung hatte in einer den Kläger identifizierenden Weise darüber berichtet, dass diesem wegen sexueller Telefongespräche mit seiner Ehefrau am Arbeitsplatz gekündigt wurde. Die Berichterstattung über eheliche Telefongespräche mit sexuellem Inhalt ist dem BGH folgend nicht absolut verboten. Die Rechtmäßigkeit hänge von den zur Anonymisierung ergriffenen Maßnahmen und von dem Interesse an der Berichterstattung, das dem Persönlichkeitsrecht entgegensteht, ab. Insbesondere bei strafrechtlichen Verfahren könne ein berechtigtes Interesse für eine Veröffentlichung bestehen. Der BGH bestimmte den Begriff der „unantastbaren“ Intimsphäre, indem er die Presse- und Informationsfreiheit einerseits und das Persönlichkeitsrecht andererseits abwog. (2) In einem nachbarrechtlichen Verfahren hielt das OLG Köln Videoaufzeichnungen von geschlechtsbezogenen Handlungen für unzulässige Beweismittel in einem Zivilprozess.77 Der Kläger verlangte die Unterlassung u. a. von sexuellen Handlungen durch die Bewohner eines Heims für geistig Behinderte auf dem Nachbargrundstück, weil diese ihn optisch beeinträchtigten. Das OLG verneinte einen Unterlassungsanspruch aus zwei Gründen. Zum einen bestehe keine nennenswerte optische Beeinträchtigung, weil das Nachbargrundstück durch Zaun und Bewuchs sichtgeschützt sei. Zum anderen seien die zu Beweiszwecken vom Kläger erstellten Aufzeichnungen nicht verwertbar, weil die dargestellten Handlungen wegen ihres geschlechtsbezogenen Charakters zum unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gehörten. Die Argumentation des OLG Köln ist für die Frage, ob der Kernbereich absolut geschützt ist, nicht aussagekräftig. Das OLG ging davon aus, dass der vom Kläger geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht bestand. Selbst wenn es zu sexuellen Handlungen auf dem Nachbargrundstück kommt, werde der Kläger nicht in einer den Anspruch begründenden Weise optisch beeinträchtigt. Ob sexuelle Handlungen vorgenommen wurden, war also nicht entscheidungsrelevant. Deshalb kam es auf die Videoaufzeichnungen als Beweismittel nicht an. 75 Die Gerichte verwenden den Begriff der Intimsphäre als Synonym des Kernbereichs. Zur Terminologie allgemein: s. o. Einleitung, A. 76 Hierzu und zum Folgenden: BGH, NJW 1988, S. 1984, 1985 (unter III.). 77 Hierzu und zum Folgenden: OLG Köln, NJW 1998, S. 763, 766.

B. Die Kernbereichsrechtsprechung der Fachgerichte

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Das OLG Köln musste keine widerstreitenden Interessen abwägen, weil dem Schutz der privaten Lebensgestaltung keine berechtigten Interessen gegenüberstanden. Die Ausführungen des OLG Köln lassen sich nicht auf Prozesse übertragen, in denen Informationen über sexuelle Handlungen als einzige Beweismittel streitentscheidend sind. Die Unantastbarkeit des Kernbereichs müsste sich aber gerade in Verfahren erweisen, in denen dem Schutz der privaten Lebensgestaltung wichtige Interessen entgegenstehen. (3) Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die Beklagte die Intimsphäre der bei ihr angestellten Klägerin verletzt hat.78 Ein von der Beklagten vertriebenes Anzeigenblatt druckte einen beleidigenden Artikel, der Angaben über das Privatleben der Klägerin enthielt. Dies sei rechtswidrig, weil die Beklagte „ohne zwingende Notwendigkeit Details aus der Intimsphäre der Klägerin veröffentlicht“ habe.79 Die Veröffentlichung von Details aus der Intimsphäre ist also im Umkehrschluss bei „zwingender Notwendigkeit“ gerechtfertigt. Die Intimsphäre ist nicht unantastbar, sondern nur gegen nicht zu rechtfertigende Eingriffe geschützt. (4) Schließlich zählte das OVG Saarlouis die nur im Kopf eines Politikers befindliche politische Motivation für seine Untätigkeit und damit rein innere Vorgänge zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung.80 Das Gericht verneinte einen Presseauskunftsanspruch des Klägers gegen das beklagte Bundesland. Die Motivation des Politikers ergebe sich nicht aus einer bestehenden Informationsquelle, wie den amtlichen Unterlagen. Vielmehr müsste der Auskunft gebende Staat eine neue Informationsquelle eröffnen, in dem er den Politiker befragt und dessen Motivation ermittelt. Weder die Presse- noch die Informationsfreiheit würden einen Anspruch auf Eröffnung einer neuen Informationsquelle gewähren.81 Dies umso weniger, als die Motivation des Politikers zum unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zähle. Darüber hinaus könne die Presse auch ohne den Informationsanspruch ihre Informations- und Kontrollaufgabe ausüben. Die Presse dürfe nämlich die Untätigkeit eines Politikers kritisieren, mögliche Motive für die Untätigkeit bewerten und durch eine Pressekampagne versuchen, das Verhalten des Politikers zu verändern. 78 BAG, NJW 1999, S. 1988, 1989. Die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts folgt aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 d) ArbGG. In dem Verfahren gab es mehrere Beklagte. Das ist in diesem Zusammenhang aber unerheblich. 79 BAG, NJW 1999, S. 1988, 1989. Ähnlich: LG Köln, Urteil vom 14.07.2010, Az.: 28 O 403/10, Rn. 30 ff., zitiert nach juris, wonach die Verdachtsberichterstattung über den Bereich der Sexualität nicht in jedem Fall unzulässig sei, jedoch im vorliegenden Fall der Schutz der Intimsphäre die Pressefreiheit überwiege. 80 Hierzu und zum Folgenden: OVG Saarlouis, NJW 2008, S. 777, 778 f. 81 Das OVG Saarlouis verweist auf: BVerfGE 103, 44, 59 f. (Fernsehaufnahmen im Gericht II). Vgl. auch: BVerfGE 119, 309, 319 (Gerichtsfernsehen).

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2. Kap.: Vorarbeiten und fachgerichtliche Anwendung

Der Kernbereich als „absolute“ Grenze der Informationsfreiheit ist in dem Urteil des OVG Saarlouis das Ergebnis einer umfassenden Abwägung von Persönlichkeitsrecht und Informationsfreiheit. Die dem Persönlichkeitsschutz entgegenstehenden Interessen der Presse- und Informationsfreiheit bildeten den Ausgangspunkt der Prüfung. Das OVG untersuchte, ob der Informationsanspruch der Presse durch den Kernbereichsschutz schwerwiegend beeinträchtigt wird und verneinte dies. Keine der vier Entscheidungen belegt, dass das Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts zu einem absoluten Kernbereichsschutz in dieser Fallgruppe führt. Der BGH und das BAG berücksichtigen die entgegenstehenden Interessen explizit in den jeweiligen Entscheidungsgründen.82 Das OLG Köln und das OVG Saarlouis relativieren den Kernbereichsschutz zwar nicht ausdrücklich. Bei näherer Betrachtung wird aber deutlich, dass in beiden zu beurteilenden Sachverhalten dem Kernbereichsschutz kein berechtigtes Interesse gegenüberstand. Die Gerichte konnten den Kernbereich als unantastbar bezeichnen, weil der Persönlichkeitsschutz offensichtlich überwog. 2. Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebung Die fachgerichtlichen Entscheidungen in dieser Fallgruppe lassen sich in fünf Kategorien einteilen: (1) In zwei Fällen sahen die Gerichte den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als verletzt an. Das BayObLG zählte einen Brief, in dem der Angeklagte einem Arzt seine Drogenabhängigkeit schilderte, zum unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung und hielt ihn deshalb im Strafverfahren für nicht verwertbar.83 Allerdings führt das Gericht anschließend aus, dass nach der Rechtsprechung des BGH auch heimlich hergestellte Tonbandaufnahmen und Tagebuchaufzeichnungen, die den absolut geschützten Kernbereich persönlicher Lebensgestaltung betreffen, in Fällen schwerer Kriminalität verwertbar sein können.84 Danach darf also in Fällen schwerer 82 So auch OLG Dresden, Urteil vom 16.04.2010, Az.: 4 U 127/10, zitiert nach juris. Danach verletzt die Veröffentlichung einer satirischen Nacktdarstellung der Oberbürgermeisterin von Dresden im Zusammenhang mit der politischen Auseinandersetzung um den Bau der Waldschlösschenbrücke nicht die unantastbare Intimsphäre. Vielmehr seien auch im Bereich der Nacktdarstellung Kunstfreiheit und allgemeines Persönlichkeitsrecht abzuwägen. 83 BayObLG, NJW 1992, S. 2370: „Was ein Patient seinem Arzt über sein Leiden anvertraut, hat höchstpersönlichen Charakter und gehört dem unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung an.“ 84 Das BayObLG (NJW 1992, S. 2370) verweist auf die Tagebuchentscheidungen des BGH: BGHSt 19, 325, 332; 34, 397, 401. Vgl. auch LG Koblenz, NJW 2010, S. 2227, 2228, das ein Testament nur deshalb zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zählt, weil es keinen unmittelbaren Straftatenbezug aufweise. Allerdings ist

B. Die Kernbereichsrechtsprechung der Fachgerichte

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Kriminalität in den Kernbereich eingegriffen werden. Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist also nicht gegenüber allen entgegenstehenden Interessen geschützt. Der Bundesfinanzhof sah die unantastbare Intimsphäre von geschiedenen Eheleuten als verletzt an, weil das Finanzgericht in einem Verfahren Ehescheidungsakten unangekündigt beigezogen hatte.85 Ein solches Vorgehen begründe die Befangenheit des Richters. Ehescheidungsakten dürften im Finanzgerichtsprozess nur beigezogen werden, wenn dies im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebotes erfolge. Nicht das Beiziehen der Scheidungsakten, sondern das unangekündigte Vorgehen sei unzulässig. Weil der Bundesfinanzhof Eingriffe für zulässig hält, wenn das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtet wird, geht er nur verbal von einer unantastbaren Intimsphäre aus. In den beiden Entscheidungen, in denen die Fachgerichte den „unantastbaren“ Kernbereich der privaten Lebensgestaltung für verletzt halten, definieren sie den Kernbereich so, dass er keinen absoluten Schutz bietet. (2) In drei Entscheidungen ließen die Fachgerichte offen, ob der Kernbereich betroffen sei, weil die staatliche Maßnahme schon aus anderen Gründen rechtswidrig sei. Der BGH in Zivilsachen urteilte, dass ein Schiedsrichter nicht verpflichtet ist, sich auf Verlangen einer Partei psychiatrisch untersuchen zu lassen.86 Dies gelte auch dann, wenn ernsthafte Zweifel bestehen, ob er infolge krankhaften oder altersbedingten Verfalls seiner Geisteskraft dem Schiedsrichteramt noch gewachsen war, als er den Schiedsspruch vorbereitete und erließ. Eine psychiatrische Untersuchung könne „bis in die Intimsphäre als letzten unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit hineinwirken.“ Ein solcher Eingriff in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung sei unzulässig, „sofern nicht der Betroffene einwilligt oder eine gesetzliche Grundlage besteht“. Jedoch komme es nicht darauf an, ob der unantastbare Kernbereich verletzt ist, weil der Kläger kein berechtigtes Interesse habe, den Schiedsrichter zu einer Untersuchung zu zwingen. Deshalb überwiege das relativ geschützte Persönlichkeitsrecht des Schiedsrichters. Der unantastbare Kernbereich war einerseits nicht entscheidungstragend. Andererseits sind Eingriffe in den „unantastbaren“ Kernbereich demnach zulässig, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage erfolgen.

diese Begründung fragwürdig, weil das Testament eindeutige Hinweise auf mögliche Straftaten nach § 370 Abgabenordnung enthielt. 85 Hierzu und zum Folgenden: BFH/NV 1995, S. 629, 631. 86 Hierzu und zum Folgenden auch zu den Zitaten: BGH, NJW 1986, S. 3077, 3078.

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2. Kap.: Vorarbeiten und fachgerichtliche Anwendung

Laut BGH in Strafsachen ist es unverhältnismäßig, Tagebuchaufzeichnungen zu verwerten, um den Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit gemäß § 99 StGB aufzuklären.87 Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überwiege das Strafverfolgungsinteresse, zumal es sich nur um ein Vergehen handele. Außerdem seien die Aufzeichnungen zur Aufklärung des Sachverhaltes nicht erforderlich, weil drei Zeugen als Beweismittel zur Verfügung stünden. Ob die Aufzeichnungen zum unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gehören, ließ der BGH offen, weil er die Verwertung der Tagebücher für unverhältnismäßig hielt. Auch das OLG Schleswig ließ dahinstehen, ob tagebuchartige Aufzeichnungen zum unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gehören.88 Die Verwertung der Aufzeichnungen sei unzulässig, weil der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus zwei Gründen unverhältnismäßig ist. Einerseits sei die Verwertung nicht erforderlich gewesen, weil schon Zeugenaussagen die dem Angeklagten vorgeworfenen Betäubungsmitteldelikte beweisen. Andererseits sei die Verwertung unangemessen, weil die Betäubungsmitteldelikte nicht so schwerwiegend waren, dass sie den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht rechtfertigen. Diesen drei Entscheidungen folgend, ist auf den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nur bei verhältnismäßigem staatlichem Handeln einzugehen. Aus den zwei strafrechtlichen Entscheidungen ergibt sich nicht, ob das Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts zu einem absoluten Schutz führt. Das Urteil des BGH in Zivilsachen spricht dagegen, weil es Eingriffe in den Kernbereich bei gesetzlicher Grundlage für zulässig hält. Alle drei Entscheidungen zeigen aber, dass dem unantastbaren Kernbereich kaum Relevanz zukommt, weil sich ein Grundrechtsverstoß regelmäßig aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergibt. (3) Der BGH in Strafsachen entschied, dass eine Maßnahme, die in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung eingreift, gerechtfertigt sein kann.89 Der Kernbereich sei betroffen, wenn der Telefonanschluss des Beschuldigten nach § 100a StPO abgehört und dabei ein Telefongespräch der Ehefrau des Beschuldigten mit einem Dritten aufgezeichnet wird. Dennoch sei die Aufzeichnung verwertbar, weil der Eingriff in den Kernbereich gerechtfertigt ist. Das öffentliche Interesse des Staates und seiner Bürger an einer wirksamen Strafverfolgung „kann im Einzelfall ein solches Gewicht haben, daß es von jedem

87 BGH, NJW 1994, S. 1970. Vgl. die kritische Anmerkung von F. L. Lorenz, JR 1994, S. 430 ff. 88 OLG Schleswig, StV 2000, S. 11 f. 89 BGHSt 29, 23 ff.

B. Die Kernbereichsrechtsprechung der Fachgerichte

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Bürger die Hinnahme auch solcher staatlicher Maßnahmen verlangt, die in den sonst geschützten Kernbereich seiner privaten Lebensgestaltung“ eingreift.90 Dieses Urteil erging vor dem zweiten Tagebuchbeschluss, in dem das Bundesverfassungsgericht Sachverhalte erstmals wegen des Straftatenbezuges vom Kernbereich ausschloss.91 Es gab also noch kein verfassungsgerichtliches Vorbild, ein Gespräch nur wegen des Straftatenbezuges nicht zum Kernbereich zu zählen. Der BGH löste den Konflikt zwischen dem Strafverfolgungsinteresse und dem Schutz der Privatsphäre, indem er einen Kernbereichseingriff ausnahmsweise rechtfertigte. Die Entscheidung verdeutlicht, dass die Rechtfertigung des Eingriffs in den Kernbereich durch das Interesse an der Strafverfolgung einerseits und das Ausschlusskriterium des Straftatenbezuges andererseits als funktionale Äquivalente anzusehen sind. (4) In drei Entscheidungen zählten die Fachgerichte einen Sachverhalt wegen seines Sozialbezuges nicht zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Das BayObLG beschäftigte sich mit der Frage, ob eine Zeugenvernehmung über Oralverkehr mit einer Prostituierten den unantastbaren Kernbereich betrifft.92 Das Gericht verneinte dies, weil der Oralverkehr einen starken Sozialbezug habe. Eine Handlung, die auf andere Personen einwirkt, habe immer einen den Kernbereich ausschließenden Sozialbezug, es sei denn es bestehen besondere familienrechtliche Beziehungen. Der Kernbereich sei durch die sozialen Anforderungen an den Menschen begrenzt. Das Bundesverwaltungsgericht sah einen psychologischen Test in einem Auswahlverfahren für Bundeswehroffizier als zulässig an.93 Zwar sei die Intimsphäre in Form eines seelischen Eigenraums eine Bedingung dafür, Persönlichkeit zu entwickeln und zu erhalten und deshalb absolut geschützt. Der unantastbare Intimbereich werde jedoch verlassen, sobald die seelischen Eigenschaften eines Menschen in Beziehung zu anderen Menschen treten. Danach ist eine staatliche Maßnahme nicht schon dann unzulässig, wenn sie den gedanklichen Innenbereich, das sogenannte „forum internum“, berührt, weil sich auch der gedankliche Innenbereich auf andere Menschen auswirken kann. Vielmehr kommt es darauf an, dass das „forum internum“ selbst keinen Sozialbezug hat. Zum unantastbaren Kernbereich gehört folglich nicht das 90 BGHSt 29, 23, 25 (Hervorhebung, I. D.). Das gelte vor allem für die Aufklärung und Verfolgung der in § 100a StPO genannten schweren Straftaten. 91 s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. b) bb). 92 BayObLG, NJW 1979, S. 2624, 2625. 93 BVerwGE 73, 146, 147. Zur häufigen Verwendung der Menschenwürdegarantie durch die Wehrdienstsenate des BVerwG: H. Dreier, in: 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 201, 205 ff.

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2. Kap.: Vorarbeiten und fachgerichtliche Anwendung

gesamte „forum internum“, sondern nur der gedankliche Innenbereich ohne intensiven Sozialbezug.94 Der BGH in Strafsachen entschied, dass der Abschiedsbrief eines Angeklagten an seine ehemalige Partnerin, der nach seiner versuchten Selbsttötung bei ihm gefunden wurde, verwertet werden darf.95 In dem Brief entschuldigte sich der Angeklagte bei der ehemaligen Partnerin dafür, dass er versucht hatte, sie umzubringen. Der Brief gehöre wegen seines Sozialbezuges nicht zum unantastbaren Kernbereich. Der Sozialbezug ergebe sich zum einen daraus, dass der Brief an eine andere Person gerichtet ist und zum anderen aus dem Straftatenbezug seines Inhaltes. Die drei Entscheidungen zeigen, dass der Sozialbezug als Ausschlusskriterium zur weitgehenden Irrelevanz des unantastbaren Kernbereichs führt. Selbst Informationen über sexuelle Handlungen und aus dem gedanklichen Innenbereich sowie ein Abschiedsbrief an die ehemalige Partnerin sind nicht absolut geschützt. (5) Schließlich hielt der BGH in Strafsachen den Kernbereich in vier Entscheidungen für nicht betroffen, weil ein Straftatenbezug bestehe. Unter Bezugnahme auf die zweite Tagebuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zählte der BGH in zwei Fällen Tagebuchaufzeichnungen nicht zum unantastbaren Kernbereich und ließ ihre Verwertung im Strafverfahren zu. Zum einen handelte es sich um Aufzeichnungen der geschiedenen Ehefrau des Angeklagten, die mittlerweile verstorben war.96 In diesen setzte sie sich mit den Berichten ihrer Tochter über die sexuellen Übergriffe des Angeklagten, den dadurch bei dem Mädchen ausgelösten Gefühlen und der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten auseinander. Die Tagebücher gehörten, trotz ihres sehr persönlichen Inhalts, wegen des engen Bezugs zu den abgeurteilten Taten nicht zum unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung. Zum anderen ging es um die Verwertbarkeit von Notiz- und Taschenkalendern in einem Verfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.97 Der BGH rechnete die Aufzeichnungen nicht zum unantastbaren Kernbereich, weil die Beschwerdeführer den höchstpersönlichen Inhalt nicht dargetan hatten und ein konkreter Straftatenbezug nicht auszuschließen sei. In den anderen beiden Entscheidungen ging es um die Verwertbarkeit von Gesprächen, die heimlich im Besucherraum einer Untersuchungshaftanstalt 94

Vgl. auch unten: 5. Kapitel, B. I. 2. BGH, NStZ 1995, S. 79 f. 96 BGH, NStZ 1998, S. 635. Der BGH ging nicht auf die Frage ein, ob sich ein Angeklagter auf die Kernbereichsverletzung bei einem Zeugen berufen kann. 97 BGH, NStZ 2000, S. 383. Vgl. auch: M. Jahn, NStZ 2000, S. 383 ff. 95

B. Die Kernbereichsrechtsprechung der Fachgerichte

93

aufgezeichnet wurden. Im ersten Fall entschied der BGH, dass die Gespräche zwischen dem Angeklagten und seinen Familienangehörigen nicht zum unantastbaren Kernbereich gehören.98 Der Besuch habe unter einer für die Gesprächsteilnehmer erkennbaren Überwachung stattgefunden, der Verdacht einer schweren Straftat habe vorgelegen, und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei gewahrt worden. Deshalb sei der Beweisantrag der Nebenkläger, die Aufzeichnungen abzuspielen, zulässig. Das zweite Verfahren betraf das heimlich aufgezeichnete Gespräch eines Untersuchungshäftlings mit seiner Ehefrau in einem separaten Besuchsraum ohne erkennbare Überwachung.99 In diesem Gespräch gestand der Angeklagte seiner Frau, dass er den ihm vorgeworfenen Mord begangen habe und bat sie, sich als die Täterin auszugeben. Der BGH zählte die Unterhaltung wegen des mittlerweile in § 100c Abs. 4 S. 3 StPO normierten Ausschlusskriteriums des unmittelbaren Straftatenbezuges nicht zum unantastbaren Kernbereich. Allerdings sei die Verwertung unzulässig, weil sie gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoße.100 Die vier Entscheidungen verdeutlichen, dass das Kriterium des Straftatenbezuges dazu führt, dass der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung im Strafverfahren nicht relevant ist und keinen Schutz bietet.

III. Entscheidungen, in denen das Kernbereichskonzept nicht verwendet wird In zwei Entscheidungen erwähnten die Fachgerichte den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht, obwohl im selben Rechtsstreit anschließend das Bundesverfassungsgericht die Kernbereichsbetroffenheit ausführlich prüfte: (1) Zum einen geht es um das Urteil des BGH in Strafsachen, gegen das Verfassungsbeschwerde erhoben wurde, die zum zweiten Tagebuchbeschluss des Bundesverfassungsgerichts führte.101 Der BGH erwähnte den Kernbereich 98 BGH, NJW 1998, S. 3284, 3286. Zwar bestand zum Zeitpunkt des Abhörens noch keine gesetzliche Grundlage zur akustischen Wohnraumüberwachung. Dies war aber unerheblich, weil der BGH den überwachten Besuchsraum der JVA nicht als Wohnung gemäß Art. 13 Abs. 1 GG ansah. 99 BGH, NJW 2009, S. 2463, 2465, Rn. 29 f. Vgl. dazu: P. Hauck, NStZ 2010, S. 17 ff.; K. Rogall, HRRS 2010, S. 289 ff. 100 Ausführlich dazu: 6. Kapitel, A. II. 3., Fn. 102 f. 101 BGHSt 34, 397 ff. Dazu: K. Amelung, NJW 1988, S. 1002 ff.; D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 98. Kritisch dazu, dass der BGH den Kernbereich nicht prüft: K. Geppert; JR 1988, S. 471, 473 f.; G. Küpper, JZ 1990, S. 416, 420; D. Plagemann, NStZ 1987, S. 570; R. Störmer, NStZ 1990, S. 397. Die Verfassungsbeschwerde führte zu: BVerfGE 80, 367, 373 ff.

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2. Kap.: Vorarbeiten und fachgerichtliche Anwendung

der privaten Lebensgestaltung nicht, sondern wog zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Tagebuchschreibers und dem Strafverfolgungsinteresse ab: „Die deshalb gebotene Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten einerseits und den Belangen der Strafrechtspflege andererseits führt hier zur Zulässigkeit der Verwertung der Tagebuchaufzeichnungen.“ 102

Weil das Urteil des BGH vor dem zweiten Tagebuchbeschluss erging, konnte der BGH nicht an die in diesem Beschluss begonnene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausschlusskriterium des Straftatenbezuges anknüpfen. Die Variante, das Interesse an der Strafverfolgung bei der Definition des unantastbaren Kernbereichs zu berücksichtigen, war noch nicht etabliert. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum der BGH den unantastbaren Kernbereich nicht erwähnte. Er hätte den Eingriff in den Kernbereich explizit rechtfertigen müssen, wenn er die Aufzeichnungen zum Kernbereich gezählt hätte.103 Die unterschiedliche Behandlung des Kernbereichs wirkte sich allerdings nicht auf das Ergebnis aus. Sowohl der BGH als auch das Bundesverfassungsgericht hielten die Verwertung der Tagebücher für zulässig.104 (2) Zum anderen handelt es sich um das Urteil des BGH in Zivilsachen, das den Gegenstand der Verfassungsbeschwerde bildete, die zum Esra-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts führte.105 Anders als das Bundesverfassungsgericht setzte sich der BGH nicht mit dem unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung auseinander. In dem Konflikt zwischen der Kunstfreiheit des Autors und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der in dem Roman beschriebenen Personen sei keines der beiden Rechtsgüter von vornherein vorrangig. Entscheidend für die Frage der Rechtmäßigkeit einer Veröffentlichung, selbst von Details aus der Intimsphäre, sei eine umfassende Einzelfallabwägung. Auch in diesem Fall wirkten sich die unterschiedlichen Ansichten dazu, ob der Kernbereich einschlägig ist, nicht auf das Endergebnis aus. Zwar sprach der BGH beiden Klägerinnen einen Unterlassungsanspruch gegen die Veröffentlichung des Romans „Esra“ zu, während das Bundesverfassungsgericht nur den Unterlassungsanspruch der Klägerin zu 1 für verfassungskonform 102

BGHSt 34, 397, 401 verweist auf: BGHSt 19, 325, 334. So noch: BGHSt 29, 23, 25. 104 Zum abweichenden Votum im zweiten Tagebuchbeschluss, s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. b) bb). 105 Hierzu und zum Folgenden: BGH, NJW 2005, S. 2844, 2847, Rn. 20 f. Zum Sachverhalt: s. o. 1. Kapitel, B. III. Vgl. auch: E. Wanckel, NJW 2006, S. 578 f. Zu den Urteilen der Vorinstanzen LG und OLG München: D-A. Busch, AfP 2004, S. 203, 204 f.; J. O. Merten/A. Schäfer, AfP 2004, S. 95, 97. Die Verfassungsbeschwerde führte zu: BVerfGE 119, 1 ff. 103

B. Die Kernbereichsrechtsprechung der Fachgerichte

95

hielt. Diese Differenz beruht jedoch nicht darauf, dass der BGH nicht auf den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung einging. Der Unterschied folgt vielmehr daraus, dass das Bundesverfassungsgericht der Kunstfreiheit des Beklagten im Verhältnis zur Klägerin zu 2 größeres Gewicht beimaß als der BGH. Das Bundesverfassungsgericht ging nur beim Unterlassungsanspruch der Klägerin zu 1 auf den „unantastbaren“ Kernbereich ein. In diesem Punkt kam der BGH aber zum selben Ergebnis, weil er davon ausging, dass das Persönlichkeitsrecht die Kunstfreiheit überwog. Beide Urteile zeigen, dass die Fachgerichte zurückhaltender als das Bundesverfassungsgericht sind, ihre Entscheidungen mit dem unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zu begründen. Die Fachgerichte vertrauen auf die relativ geschützten Grundrechte in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Darüber hinaus deuten die übereinstimmenden Resultate darauf hin, dass dem Konzept der „Unantastbarkeit“ des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung keine rechtliche, sondern rein symbolische Relevanz zukommt.106

IV. Zusammenfassung Die Fachgerichte haben keinen eigenständigen Ansatz eines unantastbaren Kernbereichs ausgearbeitet, sondern diesen Begriff erst im Anschluss an das Bundesverfassungsgericht verwendet. Bis zur Übernahme des verfassungsgerichtlichen Konzepts gingen die Fachgerichte nur von einem relativen Privatsphärenschutz aus. Die Kernbereichsrechtsprechung der Fachgerichte zeigt, dass mit dem Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts ein absoluter Schutz nicht möglich ist. Keine Entscheidung der Fachgerichte, die dem bundesverfassungsgerichtlichen Ansatz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung folgt, belegt dessen Unantastbarkeit. In der Fallgruppe des Kernbereichs als Freiheitsgrenze bestimmen die Fachgerichte den Kernbereich anhand einer Abwägung der jeweils einschlägigen Interessen. In den Entscheidungen, in denen die Gerichte nicht explizit abwägen, ist eine Abwägung nicht erforderlich, weil dem Kernbereichsschutz keine wichtigen Interessen entgegenstehen. In der Fallgruppe des Kernbereichs des Informationsschutzes verneinen die Fachgerichte entweder die Kernbereichsbetroffenheit aufgrund des Sozial- oder Straftatenbezuges, oder sie gehen davon aus, dass Eingriffe in den Kernbereich durch wichtige entgegenstehende Interessen zu rechtfertigen sind. Mitunter lassen die Fachgerichte die Frage der Kernbereichsverletzung dahinstehen, wenn die 106 Dies passt zu dem Befund von K. Sobota, Jahrbuch Rhetorik 15 (1996), S. 115, 129 ff., dass das Bundesverfassungsgericht dazu neigt, seine Urteile durch Pathos zu bekräftigen.

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2. Kap.: Vorarbeiten und fachgerichtliche Anwendung

zu überprüfende Maßnahme schon unverhältnismäßig ist. Selbst die beiden Entscheidungen, die den „unantastbaren“ Kernbereich für verletzt halten, sind der Ansicht, dass Kernbereichseingriffe rechtfertigbar sind. Schließlich sind die Fachgerichte zurückhaltender mit der Anwendung des „unantastbaren“ Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung als das Bundesverfassungsgericht. Die Fachgerichte stützen ihre Entscheidungen grundsätzlich auf die relativ geschützten Grundrechte, kommen aber in der Sache zu denselben Ergebnissen. Der „unantastbare“ Kernbereich hat in diesen Fällen lediglich symbolische Bedeutung.

C. Kernbereichsrechtsprechung der Landesverfassungsgerichte Außer den Fachgerichten haben sich auch die Landesverfassungsgerichte zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung geäußert. Alle Entscheidungen, in denen sich die Landesverfassungsgerichte näher mit dem unantastbaren Kernbereich beschäftigten, sind der Fallgruppe des Schutzes gegen Informationserhebung zuzuordnen. Dabei handelt es sich überwiegend um Verfahren zum präventiven großen Lauschangriff (I.). In zwei Fällen ging es um die Beschlagnahme und Verwertung von Tagebüchern (II.). Nicht erörtert werden Entscheidungen, in denen die Landesverfassungsgerichte den unantastbaren Kernbereich ohne Begründung verneinen107 oder nicht definieren108, weil sich anhand dieser Entscheidungen die Unantastbarkeit des Kernbereichs nicht überprüfen lässt.

I. Kernbereichsschutz beim präventiven großen Lauschangriff (1) Vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff 109 gingen drei Landesverfassungsgerichte von einem unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung beim präventiven großen Lauschangriff aus. In seinem Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des sächsischen Polizeigesetzes zählte der Sächsische Verfassungsgerichtshof Wohnräume zum unantastbaren 107 VerfGH Bayern, NVwZ 1991, S. 671 f.; BayVBl 2005, S. 172, 173; BerlVerfGH, NJW 2006, S. 1416, 1417; VGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28.05.2009, Az: VGH B 45/08, Rn. 77, zitiert nach juris. 108 Zur Unterbringung psychisch Kranker: VerfGH Bayern, NJW 1993, S. 1520, 1522. Zum präventiven großen Lauschangriff: SächsVerfGH, NVwZ 2005, S. 1310, 1314 f. Vgl. dazu: M. Kutscha, NVwZ 2005, S. 1231 ff.; U. Rommelfanger/U. Petersen-Thrö, SächsVBl. 2006, S. 279 ff. 109 BVerfGE 109, 279 ff.

C. Kernbereichsrechtsprechung der Landesverfassungsgerichte

97

Kernbereich der privaten Lebensgestaltung.110 Dem Gesetzgeber sei es aber nicht möglich, den absolut geschützten Kernbereich zu definieren, so dass es auf eine Einzelfallbetrachtung ankomme. Dabei hänge die absolute Schutzwürdigkeit eines Raumes von der jeweiligen Nutzung ab. „Jeder Raum, der nach außen den Anschein absoluter Schutzwürdigkeit weckt, kann in einer Weise genutzt werden, die diesen Schutz nicht verdient.“111

Da sich die Schutzwürdigkeit häufig erst nachträglich ermitteln lässt, genüge zum Schutz des unantastbaren Kernbereichs ein umfassendes Löschungsgebot. Die Konkretisierung des sächsischen Verfassungsgerichtshofs ermöglicht aus zwei Gründen keinen absoluten Kernbereichsschutz.112 Zum einen fordert der Gerichtshof kein Erhebungsverbot, sondern lediglich ein Löschungsgebot für die durch Kernbereichsverletzung erhobenen Daten.113 Der unantastbare Kernbereich ist also nur gegen die Verwertung der Gesprächsaufzeichnungen geschützt und damit nicht eingriffsresistent.114 Zum anderen berücksichtigt der Verfassungsgerichtshof die entgegenstehenden Interessen bei der Kernbereichsdefinition. Der Kernbereichsschutz bestehe nur, wenn sich die in einer Wohnung Anwesenden so verhalten, dass sie den „Schutz verdienen“.115 Folglich sind bei der Kernbereichsbestimmung die Interessen am Schutz der Vertraulichkeit der Wohnung und an der Gefahrenabwehr abzuwägen. Der Kernbereich ist also nicht abwägungsresistent. Das Landesverfassungsgericht Brandenburg prüfte den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung lediglich bei der Wohnraumüberwachung zur vorbeugenden Straftatenverfolgung (§ 33 Abs. 3 Nr. 2 BbgPolG).116 Dabei orientierte sich das Gericht an der soeben erwähnten Entscheidung des sächsischen Verfassungsgerichtshofs. Wie dieser geht das Landesverfassungsgericht zwar verbal von einem unantastbaren Kernbereich aus, differenziert den 110 SächsVerfGH, LKV 1996, S. 273, 291: „Es gibt Räume innerhalb von Wohnungen, die zu diesem absolut geschützten Bereich privater Lebensführung gehören. Es muß Räume geben, in die sich der einzelne so zurückziehen kann, daß er unangetastet von jeglicher staatlichen Einmischung seine Vorstellung von Leben nach seinem Belieben verwirklichen kann und in denen er über sein Verhalten keiner staatlichen Stelle Rechenschaft schuldet und von der Obrigkeit völlig in Ruhe gelassen werden muß.“ 111 SächsVerfGH, LKV 1996, S. 273, 291. 112 So auch: F. L. Lorenz, GA 1997, S. 51, 64 f.; W.-R. Schenke, DVBl. 1996, S. 1393, 1399. Nicht eindeutig: H.-U. Paeffgen, NJ 1996, S. 454, 461, der einerseits vom absoluten Kernbereichsschutz spricht, andererseits davon ausgeht, das Gericht relativiere den Kernbereichsschutz, indem es auf das faktische Verhalten in den Wohnräumen abstellt. 113 W.-R. Schenke, DVBl. 1996, S. 1393, 1399. Vgl. auch: F. L. Lorenz, GA 1997, S. 51, 65. 114 Zur Eingriffs- und Abwägungsresistenz, s. o. 1. Kapitel, A. I. 115 W.-R. Schenke, DVBl. 1996, S. 1393, 1399. 116 LVerfG Brandenburg, LKV 1999, S. 450, 463 f.

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2. Kap.: Vorarbeiten und fachgerichtliche Anwendung

Schutz aber anhand der Schutzwürdigkeit des jeweiligen Verhaltens in der Wohnung. Die akustische Wohnraumüberwachung zur Abwehr von gegenwärtigen Gefahren für Leben, Leib und Freiheit (§ 33 Abs. 3 Nr. 1 BbgPolG) beurteilte das Gericht anhand des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.117 Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern bestimmte den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung anhand des Eingriffszwecks und des Gewichts des mit der staatlichen Maßnahme verfolgten Allgemeininteresses.118 Alle drei Landesverfassungsgerichte knüpfen in ihrer Rechtsprechung an das Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts an.119 In keiner der drei Entscheidungen definieren die Gerichte den Kernbereich so, dass er unantastbar ist. (2) Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff übertrug der Verfassungsgerichtshof von Rheinland-Pfalz den in diesem Urteil entwickelten Kernbereichsschutz auf die präventive Wohnraumüberwachung.120 Der Verfassungsgerichtshof wendete die personen- und raumbezogenen Indikatoren aus dem Urteil zum großen Lauschangriff121 an, um den Kernbereich zu konkretisieren. Ausgeschlossen sei der Kernbereich bei einem unmittelbaren Bezug zu dringenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit (vgl. Art. 13 Abs. 4 GG). Der Verfassungsgerichtshof präzisierte das Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts nicht weiter, so dass die Analyse der Unantastbarkeit zum selben Ergebnis führt. Die personen- und raumbezogenen Indikatoren ermöglichen nur ein Wahrscheinlichkeitsurteil der Kernbereichsbetroffenheit. Ihre Anwendung verhindert nicht, dass im Einzelfall zum unantastbaren Kernbereich gehörende Informationen erhoben werden, so dass der Kernbereich nicht eingriffsresistent ist. Außerdem berücksichtigte der Verfassungsgerichtshof die entgegenstehenden Interessen, indem er Sachverhalte mit Bezug zu dringenden Gefahren für die 117 LVerfG Brandenburg, LKV 1999, S. 450, 461. Das Gericht prüfte Art. 15 der brandenburgischen Verfassung, der eine Art. 13 Abs. 4 GG entsprechende Regelung nicht enthielt. Das Gericht sah davon ab Art. 13 Abs. 4 GG anzuwenden, da der Prüfungsmaßstab das gültige Landesverfassungsrecht sei. 118 LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, LKV 2000, S. 345, 352. Zur Umsetzung des Urteils durch den Landesgesetzgeber: J. Krech, LKV 2003, S. 201, 203 ff. 119 Alle drei verweisen auf BVerfGE 34, 238, 245 (Heimliche Tonbandaufnahme). Die Landesverfassungsgerichte Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zitieren zusätzlich BVerfGE 80, 367, 373 f. (Tagebuch II). 120 Hierzu und zum Folgenden: VGH Rheinland Pfalz, NVwZ-RR 2007, S. 721, 724 ff. 121 s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. b) aa).

C. Kernbereichsrechtsprechung der Landesverfassungsgerichte

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öffentliche Sicherheit vom Kernbereichsschutz ausschloss. Der Kernbereich ist also nicht abwägungsresistent. Allerdings relativiert das Merkmal des unmittelbaren Bezuges zu dringenden Gefahren den Schutz erst bei der Kernbereichsdefinition. Mit dieser Relativierung musste sich der Gerichtshof ebenso wenig wie das Bundesverfassungsgericht auseinandersetzen, weil er sich nur mit dem Kernbereichsschutz auf der abstrakt-generellen Ebene der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beschäftigte. Gegenüber der präventiven akustischen Wohnraumüberwachung ermöglichen die Landesverfassungsgerichte weder vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch danach einen absoluten Kernbereichsschutz.

II. Entscheidungen zur Beschlagnahme von Tagebüchern In zwei Entscheidungen zur Beschlagnahme von tagebuchartigen Aufzeichnungen im Strafprozess beschäftigte sich der Berliner Verfassungsgerichtshof mit dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Im ersten Verfahren ging es um den Verdacht der Beihilfe zur Wahlfälschung gemäß § 107a StGB.122 Im zweiten Fall wurde wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB ermittelt.123 In beiden Fällen wendete der Verfassungsgerichtshof Berlin das bundesverfassungsgerichtliche Kernbereichskonzept an124 und zählte die Aufzeichnungen wegen ihres Bezuges zu begangenen Straftaten nicht zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Der „unantastbare“ Kernbereich bot gegen die Beschlagnahme der Tagebücher keinen Schutz. Dies führte allerdings nicht zur Schutzlosigkeit der Beschwerdeführer, denn der Verfassungsgerichtshof Berlin hielt die Beschlagnahme für unzulässig, weil der Schutz der Privatsphäre das staatliche Strafverfolgungsinteresse überwiege.125

III. Zusammenfassung Die Landesverfassungsgerichte entwickeln keine eigenständigen Kernbereichskonzepte, sondern übernehmen die Definition des Bundesverfassungsgerichts. Die landesverfassungsgerichtliche Kernbereichsrechtsprechung zeigt, warum das 122 123

VerfGH Berlin, NJW 2004, S. 593. VerfGH Berlin, Beschluss vom 21.04.2009, Az.: 170 A/08, Rn. 9 f., zitiert nach

juris. 124 Beide Entscheidungen verweisen auf: BVerfGE 80, 367, 373 (Tagebuch II). Der Beschluss vom 21.04.2009 zitiert auch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26.06. 2008, Az.: 2 BvR 219/08, Rn. 17 ff., zitiert nach juris. 125 VerfGH Berlin, NJW 2004, S. 593; Beschluss vom 21.04.2009, Az.: 170 A/08, Rn. 9 f., zitiert nach juris. Vgl. auch: 6. Kapitel, A. II. 2.

100

2. Kap.: Vorarbeiten und fachgerichtliche Anwendung

Konzept des Bundesverfassungsgerichts keinen absoluten Schutz ermöglicht. Wegen ihres Straftatenbezuges zählte der Berliner Verfassungsgerichtshof Tagebuchaufzeichnungen nicht zum „unantastbaren“ Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Gegenüber der akustischen Wohnraumüberwachung zu präventiven Zwecken gingen zwar mehrere Landesverfassungsgerichte von der Unantastbarkeit des Kernbereichs auf abstrakt-genereller Ebene aus, jedoch relativieren die Merkmale des Sozial- und Straftatenbezuges der überwachten Gespräche den Schutz im Einzelfall.

D. Folgerungen Die Analyse der rechtswissenschaftlichen Vorarbeiten und der Anwendung des bundesverfassungsgerichtlichen Kernbereichskonzepts durch die Fach- und Landesverfassungsgerichte bestätigt das im ersten Kapitel gefundene Ergebnis. Die Definition des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung durch das Bundesverfassungsgericht relativiert den Kernbereichsschutz bei der Einzelfallanwendung. Aus diesem Befund lassen sich drei unterschiedliche Schlüsse ziehen. Die erste Möglichkeit ist es, das Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts so wie es ist zu akzeptieren. Das führt zu einem verbal absoluten und der Sache nach relativen Schutz. In diesem Verständnis kommt der Unantastbarkeit des Kernbereichs vor allem symbolische Bedeutung zu. Zweitens kann das Konzept eines unantastbaren Kernbereichs insgesamt abgelehnt werden. Die dritte Variante ist es, an der Unantastbarkeit des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung festzuhalten und diesen Rechtsbegriff so zu definieren, dass er absoluten Schutz gewährt. Diese Variante vertreten Autoren, die den relativen Grundrechtsschutz anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht für geeignet halten, die Freiheit und die Privatsphäre hinreichend zu schützen. Die Leistungskraft vor allem der Abwägung im Rahmen der Angemessenheitsprüfung sei gering.126 Die Effektivität der Strafrechtspflege und die Sicherheit der Bürger als Gemeinwohlinteressen würden angesichts von Fällen gravierender Kriminalität und großer Bedrohungsgefühle die Interessen an der Wahrung eines freiheitlichen Strafverfahrens immer überwiegen.127 Verfahrensrechtliche Sicherungen wie Löschungs-, Kontroll-, und Benachrichtigungspflichten führten zur Fehleranfälligkeit aufgrund menschlichen oder technischen Versagens.128

126 A. Dix/T. B. Petri, in: Privatheit, 2007, S. 31, 39; O. Lepsius, Jura 2006, S. 929, 936; H. Lisken, ZRP 1993, S. 121, 123; J. Wolter, in: GS Meyer, 1990, S. 493 f. 127 W. Hassemer, in: FS Maihofer, 1988, S. 184, 191; M. Köhler, ZStW 107 (1995), S. 10, 16 f.; O. Lepsius, Jura 2006, S. 929, 936; J. Wolter, in: GS Meyer, 1990, S. 493, 494. 128 E. Denninger, ZRP 2004, S. 101, 103.

D. Folgerungen

101

„Was erlauscht ist, bekommt man, wie die Praxis zeigt, nicht aus den Köpfen heraus, es sei denn, man würde die Wissenden für befangen halten und vom Verfahren ausschließen.“129

Danach sind Freiheit und Privatsphäre im Strafverfahren und bei der Gefahrenabwehr nur durch absolute Rechte, wie den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zu sichern. Im folgenden Kapitel ist zu prüfen, ob in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft alternative Kernbereichsdefinitionen entwickelt wurden, die einen tatsächlich unantastbaren Kernbereich ermöglichen und damit diese dritte Schlussfolgerung als durchführbare Alternative erweisen.

129

H. Lisken, KJ 31 (1998), S. 106, 116.

Drittes Kapitel

Absoluter Schutz durch Kernbereichsdefinitionen, die vom Bundesverfassungsgericht abweichen? Bisher wurde gezeigt, dass das Bundesverfassungsgericht und die ihm folgende Rechtsprechung zwar von der Unantastbarkeit des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung ausgehen, aber dass die Kernbereichsdefinition den Schutz relativiert. Nun werden die Konzepte in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, die den Kernbereichsbegriff anders als das Bundesverfassungsgericht definieren, daraufhin geprüft, ob sie einen absoluten Kernbereichsschutz ermöglichen. Die Begründung des unantastbaren Kernbereichs mit Menschenwürde- und Wesensgehaltsgarantie wird im vierten Kapitel analysiert. Insgesamt bestehen nur wenige Alternativen zur Kernbereichsdefinition des Bundesverfassungsgerichts. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG die Grundrechte letztverbindlich auslegt und der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung auf den Grundrechten beruht. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht bis zu seinem Urteil zum großen Lauschangriff keine Entscheidung auf eine Verletzung des unantastbaren Kernbereichs gestützt.1 Der unantastbare Kernbereich gehörte also regelmäßig weder zur Entscheidungsformel noch zu den entscheidungstragenden Gründen. Insoweit entfaltete die Verwendung der Formel des unantastbaren Kernbereichs in den Entscheidungsgründen selbst dann keine Bindungswirkung gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG, wenn auch die tragenden Entscheidungsgründe als bindend anzusehen sind.2 Die Bedeutung der Verfassungsrechtsprechung erschöpft sich aber nicht in dieser Bindungswirkung. Das Gericht beeinflusst durch seine gesamten Entscheidungsgründe die Entwicklung des Verfassungsrechts.3 1

s. o. 1. Kapitel, B. II. 2. c) aa), Fn. 175. Dafür: BVerfGE 40, 88, 93 f. (Führerschein). Tendenziell dagegen: BVerfGE 104, 151, 197 (NATO-Konzept). Kritisch auch: B.-O. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 413 ff.; C. Gusy, Gesetzgeber, 1985, S. 236 ff.; zum Ganzen: BVerfGE 115, 97, 109 (Halbteilungsgrundsatz); H. Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein, (2008), § 31, Rn. 96 ff., m.w. N. 3 B. Schlink, Der Staat 28 (1989), S. 161, 163 spricht vom „Bundesverfassungsgerichtspositivismus“ der Staatsrechtswissenschaft. Ähnlich: W. Schmidt, in: Rechtswissenschaft, 1994, S. 188, 208. B.-O. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 109 sieht die Gefahr, dass sich die Staatsrechtswissenschaft darauf beschränkt, die Verfassungsrechtsprechung zu kommentieren. 2

A. Maßnahmenbezogene Ansätze in Rechtsprechung/Rechtswissenschaft

103

Die alternativen Konzepte lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Der eine Teil definiert den absoluten Kernbereichsschutz gegenüber bestimmten staatlichen Maßnahmen (A.), während der andere Teil den unantastbaren Kernbereich auf allgemeine Art und Weise präzisiert (B.). Sowohl die maßnahmenbezogenen als auch die allgemeinen Ansätze beziehen sich lediglich auf den Kernbereichsschutz bei der Strafverfolgung (C.). Deshalb ist anschließend zu untersuchen, ob sich die alternativen Konzepte auf die Gefahrenabwehr übertragen lassen (D.).

A. Maßnahmenbezogene Ansätze in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft Mehrere Strafgerichte und das abweichende Votum im Urteil zum großen Lauschangriff definieren den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung bei der Beurteilung einzelner staatlicher Maßnahmen anders als das Bundesverfassungsgericht. Die Gerichte entwickelten ihre alternativen Konzepte anhand des zu entscheidenden Einzelfalls. Auch in der Rechtswissenschaft gibt es Untersuchungen, die sich auf den Kernbereichsschutz gegenüber einzelnen Maßnahmen beschränken. Die alternativen Definitionen beziehen sich auf den Schutz von Tagebüchern und Selbstgesprächen (I.) und den Schutz vor dem großen Lauschangriff (II.), also auf die Fallgruppe des Kernbereichsschutzes gegen Informationserhebung4.

I. Monologische Kernbereichskonzepte Teile der Rechtswissenschaft zählen Tagebücher und Selbstgespräche unabhängig von ihrem Inhalt zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, weil ihnen kein Sozialbezug zukomme (1.). Soweit ersichtlich gibt es nur eine instanzgerichtliche Entscheidung, welche Tagebücher unabhängig von ihrem Inhalt und von einem möglichen Straftatenbezug zum unantastbaren Kernbereich rechnet5 (2.). Zum absoluten Schutz von Selbstgesprächen erging das Krankenzimmer-Urteil des BGH (3.). Im Anschluss an dieses Urteil plädierten eine Reihe von Autoren für die Gleichbehandlung von Tagebüchern und Selbstgesprächen, soweit sie Anders: A. Anter, in: Bundesverfassungsgericht, 2006, S. 307, 319, wonach das Gericht grundsätzlich dem aktuellen theoretischen Stand in der Staatsrechtswissenschaft folge. Zur Deutungsmacht des Gerichts: H. Vorländer, in: Bundesverfassungsgericht, 2006, S. 189, 194 ff. 4 Zu den Fallgruppen des Kernbereichsschutzes, s. o. 1. Kapitel, A. III. 5 Das abweichende Votum in BVerfGE 80, 367, 380 ff. (Tagebuch II) bestimmte den unantastbaren Kernbereich nicht grundlegend anders als das bereits erörterte Konzept des Bundesverfassungsgerichts. Entscheidend sei der höchstpersönliche Inhalt des Tagebuchs (S. 381). Ein Sachverhalt mit unmittelbarem Straftatenbezug gehöre nicht zum unantastbaren Kernbereich (S. 375). Vgl. auch oben: 1. Kapitel, B. II. 1. b) bb).

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3. Kap.: Alternative Kernbereichsdefinitionen

jeweils höchstpersönlichen Inhalt haben (4.). Gegenüber diesen vier Kernbereichsdefinitionen bestehen drei gemeinsame Kritikpunkte (5.). Weil diese Ansätze vor allem Tagebücher und Selbstgespräche, also schriftliche und mündliche Monologe, zum unantastbaren Kernbereich zählen, kann von monologischen Theorien des Kernbereichsschutzes gesprochen werden. Die Bezeichnung als Soliloquium ist noch zutreffender, weil das Soliloquium in der Dramentheorie eine Situation bezeichnet, in der nur eine Person auf der Bühne anwesend ist, während der Monolog auch vor anderen auf der Bühne anwesenden Personen gehalten werden kann.6 Da das Adjektiv zum Soliloquium aber nicht gebräuchlich ist, werden in dieser Untersuchung die Bezeichnungen „Monolog“ und „monologische Theorie“ gewählt. 1. Monologe unabhängig vom Inhalt geschützt Im Anschluss an die Mikrozensus-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts7 zählten einige Autoren nur Sachverhalte ohne jeglichen Sozialbezug zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung.8 Keine Form der Interaktion und der Kommunikation, sei es durch Gespräch, Brief oder jede andere Form der verbalen und nonverbalen Kommunikation, gehöre dazu.9 Der unantastbare Kernbereich beinhalte zum einen die innere Gedankenfreiheit, das sogenannte „forum internum“, das von der äußeren Handlungsfreiheit abzugrenzen sei.10 Zum anderen gehörten Manifestationen des „forum internums“, wie Selbstgespräche oder Tagebuchaufzeichnungen, unabhängig von ihrem Inhalt zum unantastbaren Kernbereich.11 Weil es für die Kernbereichszugehörigkeit nicht auf den Inhalt des Monologs ankommt, dürfen laut Theoharis Dalakouras schriftliche Aufzeichnungen nicht durchgelesen werden, um die Kernbereichszugehörigkeit zu bestimmen. Es sei lediglich zulässig, die Aufzeichnungen äußerlich daraufhin durchzusehen, ob

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G. v. Wilpert, Literatur, 2001 unter den Stichworten „Monolog“ und „Soliloquium“. BVerfGE 27, 1, 6. 8 D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 78 f., 87 und insbesondere 226 f.; K. Vogelgesang, Selbstbestimmung, 1987, S. 90 f.; T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988, S. 86 ff. Ähnlich zuletzt: C. D. Classen, DÖV 2009, S. 689, 697. Zum Gebrauch des Begriffs „Intimsphäre“ s. o. Einleitung, A. 9 D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 227; T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988, S. 88. Diese Theorie vertritt ein ähnliches Menschenbild wie die philosophische Anthropologie von M. Scheler, Wertethik, 1966, S. 548 ff. 10 D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 140; K. Vogelgesang, Selbstbestimmung, 1987, S. 92; G. Küpper, JZ 1990, S. 416, 418. Ähnlich: M. Deutsch, Informationserhebung, 1992, S. 88 f.; K. Rogall, Informationseingriff, 1992, S. 66 f. 11 D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 141, 227 folgert die Eingriffsfreiheit des forum internums als allgemeinen Rechtsgedanken der Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 GG. 7

A. Maßnahmenbezogene Ansätze in Rechtsprechung/Rechtswissenschaft

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sich strafbare Urkunden in ihnen befinden.12 Kein Anhänger dieses Ansatzes äußert sich dazu, ob Monologe zur Gefahrenabwehr verwertet werden dürfen.13 2. Rechtsprechung zum Schutz von Tagebüchern unabhängig vom Inhalt Die Rechtsprechung ist zurückhaltender als die Rechtswissenschaft. Lediglich das LG Saarbrücken zählte in einem Beschluss Tagebücher unabhängig von ihrem Inhalt zum unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung.14 Das LG Saarbrücken erklärte die Beschlagnahme von Tagebüchern der Ehefrau eines Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren, in dem es um nicht näher spezifizierte Betäubungsmitteldelikte ging, für unzulässig. Das Gericht nannte zwei Gründe für die Unzulässigkeit der Beschlagnahme. Zum einen umfasse der Durchsuchungsbeschluss gegenüber dem Beschuldigten nicht die Durchsicht von eindeutig der Ehefrau zuzuordnenden Aufzeichnungen. Zum anderen gehörten die Tagebücher einer Person zu ihrer unantastbaren Intimsphäre, deren Schutz nicht gegen Belange der Strafrechtspflege abzuwiegen sei.15 Ein Straftatenbezug schließe die Kernbereichszugehörigkeit der Tagebücher nicht aus. Bei der Kernbereichsdefinition berücksichtigte das LG Saarbrücken nicht die entgegenstehenden Interessen der Strafverfolgung, so dass der Kernbereich abwägungsresistent ist. 3. Das Krankenzimmer-Urteil (1) Im Krankenzimmer-Urteil zählte der BGH Selbstgespräche unabhängig von ihrem Inhalt zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung.16 Ein Selbstgespräch des Beschuldigten, das bei einer akustischen Wohnraumüberwachung aufgezeichnet wurde,17 dürfe in der Hauptverhandlung eines Mordprozesses nicht verwertet werden. Das Gespräch gehöre zum „Kernbereich der privaten 12 T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988, S. 212, Fn. 52. So auch: D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 86. 13 D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 226 f. Die Untersuchung von T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988 ist auf die strafprozessuale Rechtslage beschränkt (vgl. S. 18). 14 LG Saarbrücken, NStZ 1988, S. 424 f.; zustimmend: M.-E. Geis, JZ 1991, S. 112, 116, Fn. 60. Vgl. auch: K. Ellbogen, NStZ 2001, S. 460, 463, Fn. 50. Die Entscheidung BayObLG, NJW 1992, S. 2370, auf die Ellbogen zusätzlich verweist, geht nicht von der Unantastbarkeit des Kernbereichs aus [s. o. 2. Kapitel, B. II. 2. a)]. 15 LG Saarbrücken, NStZ 1988, S. 424 f. 16 BGHSt 50, 206 ff. 17 Der Beschuldigte wurde während eines stationären Aufenthalts in seinem Krankenzimmer überwacht. Laut BGH schützt Art. 13 Abs. 1 GG das Krankenzimmer, weil dieses, wie eine Privatwohnung, typischerweise als Rückzugsbereich der privaten Lebensgestaltung dient (BGHSt 50, 206, 211 f.).

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3. Kap.: Alternative Kernbereichsdefinitionen

Lebensgestaltung“ gemäß § 100c Abs. 4 StPO. Die Verwertung sei unzulässig, weil das Gespräch selbst dann Teil des unantastbaren Kernbereichs sei, wenn man die restriktiven Maßstäbe anwendet, die das entscheidungstragende Votum im zweiten Tagebuchbeschluss aufstellte.18 Das Bundesverfassungsgericht habe die Tagebuchaufzeichnungen vor allem wegen der Schriftlichkeit vom Kernbereich ausgeschlossen. Ein Selbstgespräch, das nicht schriftlich festgehalten wird, ist nach diesem Kriterium dem unantastbaren Kernbereich zuzurechnen. Darüber hinaus beziehe sich das Ausschlusskriterium des Straftatenbezuges im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff nur auf „Zwiegespräche“, nicht auf Selbstgespräche.19 Deshalb gehörten Selbstgespräche selbst dann zum unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, wenn sie sich auf Straftaten beziehen. Dafür spreche auch die Begründung des Gesetzes zur Umsetzung des Urteils zum großen Lauschangriff.20 Danach zählen Äußerungen des Überwachten, der sich alleine in einer Wohnung befindet, oder Äußerungen, die nicht zur Kenntnisnahme durch andere bestimmt sind, zum absolut geschützten Kernbereich. Selbstgespräche seien „gekennzeichnet durch unwillkürlich auftretende Bewusstseinsinhalte“ und hätten „persönliche Erwartungen, Befürchtungen, Bewertungen, Selbstanweisungen sowie seelisch-körperliche Gefühle und Befindlichkeiten zum Inhalt“.21 Deshalb berührten sie aus sich heraus weder die Sphäre anderer noch die Gemeinschaft und seien höchstpersönlich. Allerdings erwähnte der BGH in einem obiter dictum, dass es bei der Gefahrenabwehr oder bei entlastendem Inhalt zugunsten des Angeklagten Situationen geben könne, in denen abgehörte Selbstgespräche verwertbar seien.22 (2) Die Urteilsbegründung begegnet drei Bedenken. Erstens ist die Auslegung, dass Selbstgespräche keine „Gespräche“ gemäß § 100c Abs. 4 S. 3 StPO sind, nicht zwingend.23 Die vom Krankenzimmer-Urteil zitierte Stelle, in der das Urteil zum großen Lauschangriff von „Zwiegesprächen“ ausgeht, kann 18 BGHSt 50, 206, 212 f. (Krankenzimmer) verweist auf BVerfGE 80, 367 ff. Zustimmend: K. Ellbogen, NStZ 2006, S. 180; A. Kolz, NJW 2005, S. 3248, 3249; M. Lindemann/T. Reichling, StV 2005, S. 650, 652. Der BGH ließ offen, ob ein Erhebungsverbot vorlag, da zumindest die Verwertung unzulässig sei (S. 209 f.). 19 BGHSt 50, 206, 212 (Krankenzimmer) mit Verweis auf: BVerfGE 109, 279, 319, 321 (Großer Lauschangriff). 20 BT-Drs 15/4533, S. 14. 21 BGHSt 50, 206, 213 (Krankenzimmer). 22 BGHSt 50, 206, 214 (Krankenzimmer): Verwertbar seien Selbstgespräche eines Kindesentführers, aus denen sich ergibt, wo er das Kind gefangen hält. Zur Entlastung des Angeklagten: BGH, NJW 2006, S. 1361 f., Rn. 10. C. Roxin/G. Schäfer/G. Widmaier, StV 2006, S. 655, 656 sehen diesen Beschluss als Bestätigung der These, dass Beweisverwertungsverbote Belastungsverbote seien.

A. Maßnahmenbezogene Ansätze in Rechtsprechung/Rechtswissenschaft

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auch so verstanden werden, dass das Verfassungsgericht vertrauliche „Zwiegespräche“ von Äußerungen vor einer größeren Gruppe von Menschen abgrenzt.24 Dann unterscheiden sich nicht Selbstgespräch und Zwiegespräch voneinander, sondern beide sind von nicht vertraulichen Gesprächen mit mehreren anderen Gesprächspartnern abzugrenzen. Außerdem bezieht sich die zitierte Stelle des Urteils nicht auf das Verhältnis zwischen Straftatenbezug und der Anzahl der anwesenden Personen, sondern auf die Unmittelbarkeit des Straftatenbezuges: „Aufzeichnungen oder Äußerungen im Zwiegespräch, die zum Beispiel ausschließlich innere Eindrücke und Gefühle wiedergeben und keine Hinweise auf konkrete Straftaten enthalten, gewinnen nicht schon dadurch einen Gemeinschaftsbezug, dass sie Ursachen oder Beweggründe eines strafbaren Verhaltens freizulegen vermögen. Ein hinreichender Sozialbezug besteht demgegenüber bei Äußerungen, die sich unmittelbar auf eine konkrete Straftat beziehen.“25

Dort, wo das Verfassungsgericht auf den Zusammenhang zwischen der Anzahl der anwesenden Personen und dem Straftatenbezug eingeht, bezieht sich das Merkmal „Gespräche“ auch auf Situationen, in denen der Betroffene alleine in seiner Wohnung ist: „Ein Abhören des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in Wohnungen hat zur Vermeidung von Eingriffen in den Kernbereich privater Lebensgestaltung zu unterbleiben, wenn sich jemand allein oder ausschließlich mit Personen in der Wohnung aufhält, zu denen er in einem besonderen, den Kernbereich betreffenden Vertrauensverhältnis steht (. . .) und es keine konkreten Anhaltspunkte gibt, dass die zu erwartenden Gespräche nach ihrem Inhalt einen unmittelbaren Bezug zu Straftaten aufweisen.“26

Danach schließt ein Straftatenbezug auch Selbstgespräche vom unantastbaren Kernbereich aus. Der BGH konnte mit dem Verweis auf das Urteil zum großen Lauschangriff nicht nachweisen, dass Selbstgespräche keine Gespräche nach § 100c Abs. 4 S. 3 StPO sind. Vielmehr hätte der BGH explizit von der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts abweichen müssen. Zweitens erklärt die fehlende Schriftlichkeit des Selbstgesprächs den Unterschied zur zweiten Tagebuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht hinreichend. Das Verfassungsgericht schloss die Tagebuchaufzeichnungen nicht vorrangig deshalb vom unantastbaren Kernbereich aus, weil sie 23 Dagegen auch: A. Kolz, NJW 2005, S. 3248, 3249; M. Löffelmann, ZIS 2006, S. 87, 92; K. Rogall, in: FS Fezer, 2008, S. 61, 68 ff.; C. Roxin, in: FS Böttcher, 2007, S. 159, 166 f. 24 Das BVerfGE 109, 279 ff. spricht nur auf S. 319 von „Zwiegesprächen“, auf S. 321 ist von „Gesprächen“ die Rede. 25 BVerfGE 109, 279, 319 (Hervorhebung, I. D.). 26 BVerfGE 109, 279, 319 f. (Hervorhebungen, I. D.).

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3. Kap.: Alternative Kernbereichsdefinitionen

schriftlich niedergelegt waren, sondern weil sie einen Bezug zu Straftaten aufwiesen.27 Dem im Krankenzimmer-Urteil behandelten Selbstgespräch kommt, laut BGH in vertretbarer Auslegung, ein Straftatenbezug zu.28 Folglich wäre nach den Kriterien der zweiten Tagebuchentscheidung der unantastbare Kernbereich nicht einschlägig. Die schriftliche Fixierung der eigenen Gedanken ist nicht weniger intim als ein Selbstgespräch.29 In beiden Fällen der Auseinandersetzung mit sich selbst soll der entäußerte Gedankeninhalt anderen Menschen verborgen bleiben. Der BGH begründet nicht, warum Selbstgespräche schutzwürdiger als Tagebuchaufzeichnungen sind. Schließlich deutet der BGH selbst an, dass der Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung nicht gegenüber jeglichen Interessen gilt. Eine Verwertung von abgehörten Selbstgesprächen zur Gefahrenabwehr und zugunsten des Angeklagten sei vorstellbar. Folglich spielt das entgegenstehende Interesse eine Rolle dafür, ob der Kernbereichsschutz eingreift, und der Kernbereich ist nicht abwägungsresistent.30 4. Monologe mit höchstpersönlichem Inhalt Im Anschluss an die Krankenzimmer-Entscheidung des BGH haben einige Autoren auf die vergleichbare Schutzwürdigkeit von Tagebüchern und Selbstgesprächen hingewiesen und als Konsequenz den absoluten Schutz auch von Tagebüchern gefordert.31 Im Gegensatz zum BGH und zu den oben genannten Autoren32 zählen sie Monologe nicht generell zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, sondern nur, wenn sie einen höchstpersönlichen Inhalt haben. Höchstpersönlich sei das Nachdenken über die eigene Persönlichkeitsstruktur.33 Anders als allgemeine Berichte über Straftaten sei die Reflexion über deren Ursachen oder Folgen höchstpersönlich. Die bloße Niederschrift von Gedanken berühre nicht die Sphäre Dritter.34 Weil Monologe keine Außenwirkung hätten, könnten sie auch mit einem konkreten 27

s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. b) bb). So auch K. Rogall, in: FS Fezer, 2008, S. 61, 71 f. BGHSt 50, 206, 212 (Krankenzimmer). 29 K. Ellbogen, NStZ 2006, S. 180; A. Kolz, NJW 2005, S. 3248, 3250; M. Lindemann/T. Reichling, StV 2005, S. 650, 652. 30 Zur Eingriffs- und Abwägungsresistenz: s. o. 1. Kapitel, A. I. 31 Hierzu und zum Folgenden: K. Ellbogen, NStZ 2006, S. 180; A. Kolz, NJW 2005, S. 3248, 3250; M. Lindemann/T. Reichling, StV 2005, S. 650, 652. K. Ellbogen, NStZ 2001, S. 460, 463 ging schon vor dem Krankenzimmer-Urteil von einem absoluten Schutz von höchstpersönlichen Tagebuchaufzeichnungen aus. Ähnlich auch schon: M.-E. Geis, JZ 1991, S. 112, 115 f. 32 s. o. 3. Kapitel, A. I. 1. 33 K. Ellbogen, NStZ 2001, S. 460, 463 nennt als Beispiele: Reflexionen über Gefühle, Schwächen, Ängste, Zwänge und Triebe. 28

A. Maßnahmenbezogene Ansätze in Rechtsprechung/Rechtswissenschaft

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Straftatenbezug zum Kernbereich gehören.35 Um den höchstpersönlichen Inhalt zu überprüfen, dürften Selbstgespräche belauscht bzw. Aufzeichnungen durchgelesen werden. Sei der Kernbereich berührt, so folgt daraus kein Erhebungs-, sondern lediglich ein Verwertungsverbot.36 5. Gemeinsame Kritik der monologischen Konzepte Gegenüber allen monologischen Kernbereichsdefinitionen bestehen drei grundlegende Kritikpunkte: (1) Keiner der Theorien gelingt es, kernbereichsrelevante Tagebücher37 von nicht zum Kernbereich gehörenden schriftlichen Aufzeichnungen überzeugend abzugrenzen und damit den unantastbaren Kernbereich hinsichtlich schriftlicher Aufzeichnungen kohärent zu definieren. Bei den Ansätzen, die auf den Inhalt der Aufzeichnung abstellen, muss diese durchgelesen werden, um entscheiden zu können, ob sie Teil des unantastbaren Kernbereichs ist. Da schon die Kenntnisnahme den Kernbereich beeinträchtigt, müsste in ihn eingegriffen werden, um zu bestimmen, ob er betroffen ist. Folglich wäre der Kernbereich nicht eingriffsresistent. Die Theorien, die den Kernbereich unabhängig vom Inhalt der Aufzeichnung bestimmen, müssten ein geeignetes anderes Abgrenzungskriterium verwenden. Die Bezeichnung als Tagebuch reicht wegen der großen Missbrauchsgefahr nicht aus.38 Damit könnte jede schriftliche Aufzeichnung problemlos der Strafverfolgung entzogen werden. Die äußere Durchsicht ohne Kenntnisnahme vom Inhalt39 ist kein geeignetes Merkmal, weil sie den Tagebuchcharakter nicht hinreichend sicher bestimmt. Durch die äußere Betrachtung lassen sich nur evident unpersönliche Aufzeichnungen vom Kernbereichsschutz ausschließen. Bei vielen Aufzeichnungen steht auch nach äußerer Betrachtung nicht fest, ob sie Tagebücher sind oder nicht. Die äußere Durchsicht würde zwar der Eingriffsresistenz des Kernbereichs gerecht, sie ist aber nicht geeignet, Tagebücher von anderen schriftlichen Aufzeichnungen zu unterscheiden. 34 K. Ellbogen, NStZ 2001, S. 460, 463: „Solange der Autor aber seine Gedanken nur für sich niederschreibt, sind sie genauso ohne Außenwirkung als wären sie noch in seinem Kopf.“ 35 A. Kolz, NJW 2005, S. 3248, 3249 spricht von einer Regelvermutung, dass Selbstgespräche nicht zum Kernbereich gehören. 36 K. Ellbogen, NStZ 2006, S. 180; ders., NStZ 2001, S. 460, 464 f.; M. Lindemann/ T. Reichling, StV 2005, S. 650, 652. 37 Bei Selbstgesprächen stellt sich das Problem nicht in der gleichen Dringlichkeit. 38 K. Amelung, NJW 1990, S. 1753, 1759; ders., NJW 1988, S. 1002, 1005 f.; K. Geppert, JR 1988, S. 471, 474; G. Küpper, JZ 1990, S. 416, 420; R. Störmer, Jura 1991, S. 17, 21. 39 s. o. 3. Kapitel, Fn. 12.

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3. Kap.: Alternative Kernbereichsdefinitionen

(2) Darüber hinaus begründet keine monologische Theorie ausreichend, warum Monologe und Kommunikation verschieden zu behandeln sind.40 Für diese Differenzierung werden vor allem zwei Gründe vorgebracht. Zum einen unterscheiden die Ansätze Handlungen und entäußerte Gedankeninhalte.41 Anders als Handlungen seien Monologe als entäußerte Gedankeninhalte absolut zu schützen, weil die eigenen Überzeugungen noch nicht in Handlungen umgesetzt sind und deshalb im „forum internum“ verbleiben. Jedoch sind Monologe und Kommunikationen in dieser Hinsicht nicht verschieden. Beide setzen sich aus Handlungen und entäußerten Gedankeninhalten zusammen. Bei den Monologen ist die Handlung das Schreiben des Tagebuchs bzw. das Führen des Selbstgesprächs – und bei der Kommunikation das Sprechen oder das Schreiben des Briefes. Diese Handlungen führen in beiden Fällen dazu, dass Gedankeninhalte entäußert werden. Monologe und Kommunikation können entweder als Handlung oder als entäußerter Gedankeninhalt angesehen werden. Zwischen ihnen lässt sich aber nicht mit diesen beiden Kategorien differenzieren. Zum anderen sei die Kundgabe der Gedankeninhalte im Rahmen der Kommunikation entscheidend.42 Die Kundgabe führe zu einem Sozialbezug der Kommunikation, der den Monologen nicht zukomme. Als Bezugspunkt des Sozialbezuges wählt diese Ansicht die Handlung, also das Schreiben des Tagebuchs und der Mitteilung bzw. das Führen des (Selbst-)Gesprächs.43 Damit kann begründet werden, dass Monologe im Gegensatz zur Kommunikation keinen Sozialbezug haben, da die Entäußerungshandlung des Monologs in der Einsamkeit stattfindet. Die Handlung ist aber für die monologischen Theorien, die den unantastbaren Kernbereich unabhängig vom Inhalt definieren,44 kein geeigneter Anknüpfungspunkt, um den Sozialbezug zu bestimmen. Als Handlung gehört der Monolog diesen Ansätzen folgend nicht mehr zum „forum internum“ und damit nicht zum unantastbaren Kernbereich.45 Folglich kommt als Bezugspunkt des Sozialbezuges nur in Betracht, dass es sich um entäußerte Gedankeninhalte handelt. Insoweit unterscheiden sich aber Monolog und Kommunikation nicht.

40 So auch: J. Wolter, in: SK-StPO, (1994) Rn. 135 vor § 151, allerdings ohne nähere Begründung. 41 T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988, S. 213; D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 140 f. 42 T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988, S. 213; D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 141, 227. 43 T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988, S. 219; D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 227. 44 s. o. 3. Kapitel, A. I. 1. Dagegen Monologen unabhängig von ihrem Inhalt keinen Sozialbezug zuzusprechen: G. Kleb-Braun, CR 1990, S. 344, 346. 45 T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988, S. 213.

A. Maßnahmenbezogene Ansätze in Rechtsprechung/Rechtswissenschaft

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Die Autoren, welche die Kernbereichszugehörigkeit von Monologen nach ihrem höchstpersönlichen Inhalt bestimmen, können den fehlenden Sozialbezug der Entäußerungshandlung zwar als zusätzliches Abgrenzungskriterium neben dem höchstpersönlichen Inhalt der Monologe verwenden. Aber auch für diese Theorien überzeugt das Merkmal des Sozialbezuges der Entäußerungshandlung nicht. Durch die Kundgabe ändert sich der Status des entäußerten Gedankeninhalts nur gegenüber dem jeweiligen Kommunikationspartner. Gegenüber allen anderen Personen erfolgt keine Kundgabe.46 Für diese bleibt der entäußerte Gedankeninhalt ebenso unzugänglich wie ein Monolog. Möchte der Staat von den entäußerten Gedankeninhalten Kenntnis nehmen, so muss er dies sowohl im Fall der Kommunikation als auch bei Monologen gegen den Willen des Äußernden tun.47 Darüber hinaus kann der Staat eine Kommunikation nicht einfacher erfassen als einen Monolog. In beiden Fällen muss der Staat das Tagebuch oder den Brief beschlagnahmen bzw. die (Selbst-)Gespräche des Betroffenen akustisch überwachen. Aus der faktischen Zugriffsmöglichkeit kann weder bei Monologen noch bei der Kommunikation auf die rechtliche Zulässigkeit geschlossen werden.48 Ein qualitativer Unterschied, der eine unterschiedliche Behandlung aufgrund der Kundgabe rechtfertigen würde, ist nicht ersichtlich. Auch die Kundgabe ist kein sachgerechtes Abgrenzungskriterium. (3) Schließlich sprechen die soziale und kommunikative menschliche Natur und die daraus resultierenden Anforderungen an den Grundrechtsschutz gegen die Privilegierung von Monologen. Aus dem Grundgesetz ergibt sich nicht, dass das isolierte Individuum stärker zu schützen ist als das sozial interagierende.49 Der Rückzug ist nicht schutzwürdiger als der soziale Kontakt. Im Fall des Rückzugs verringert sich lediglich – unter Umständen – die Häufigkeit und die Intensität entgegenstehender Belange, die einen Eingriff in den

46 Etwas anderes gilt nur, wenn ein Gedankeninhalt allgemein veröffentlicht wird. Dies ist bei der kernbereichsrelevanten Kommunikation aber nicht der Fall. 47 Zwar könnte die Polizei oder das Gericht im Fall der Kommunikation auch den Gesprächspartner als Zeugen vernehmen. Dies dürfte aber keinen Unterschied machen, weil dem Zeugen bei vertraulichen Gesprächen regelmäßig ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Zur Unterscheidung des Kernbereichsschutzes im Innen- und Außenverhältnis: P. H. Frank, Tonbandaufnahmen, 1996, S. 107 f. 48 B. Weißer, GA 2006, S. 148, 161. 49 Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass der unantastbare Kernbereich ein kommunikatives Element enthält: BVerfGE 80, 367, 374 (Tagebuch II); 109, 279, 319 (Großer Lauschangriff). G. Rüpke, Schutz der Privatheit, 1976, hat überzeugend begründet, dass Privatheit nicht als Isolation gedacht werden kann. Vgl. auch: C. Gusy, DVR 1984, S. 289, 290 ff.; ders., JuS 1986, S. 89 f. Zum sozialen Bezug des Kernbereichs, s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. a).

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3. Kap.: Alternative Kernbereichsdefinitionen

Rückzugsbereich rechtfertigen können.50 Insbesondere im Vergleich zur intimen und vertraulichen Kommunikation ist der Rückzug in die Einsamkeit des Monologs nicht stärker geschützt. Folglich können die monologischen Ansätze nicht begründen, warum Monologe im Gegensatz zur Kommunikation Teil des unantastbaren Kernbereichs sind. Zwar ist es möglich, dass Monologe zum unantastbaren Kernbereich gehören, ihre Eigenschaft als Monolog ist aber kein geeignetes Zuordnungskriterium. Vielmehr sind weitere Merkmale erforderlich, um zwischen unterschiedlich schutzwürdigen entäußerten Gedankeninhalten zu unterscheiden. Das Kriterium des höchstpersönlichen Inhalts ist dafür ungeeignet, weil es den Kernbereichsschutz relativiert.51 Keinem der monologischen Ansätze gelingt es, den Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung überzeugend zu definieren.

II. Der große Lauschangriff Neben den monologischen Ansätzen definieren Rechtsprechung und Rechtswissenschaft den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung auch beim Schutz gegen den großen Lauschangriff anders als das Bundesverfassungsgericht. Zunächst diskutierten einige Autoren den Kernbereich des Art. 13 GG im Zusammenhang mit der geheimdienstlichen Wohnraumüberwachung (1.). Im Raumgesprächsurteil entschied der BGH in Strafsachen, dass Gespräche zwischen Eheleuten in ihrer Privatwohnung nicht akustisch überwacht werden dürfen, weil sie zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gehören (2.). Im Anschluss an dieses Urteil und anlässlich der Frage, ob die Befugnis zum großen Lauschangriff in die Verfassung aufgenommen werden sollte, intensivierte sich die Diskussion um den Kernbereichsschutz in der Rechtswissenschaft (3.). Schließlich hatte das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden, ob die Verfassungsänderung zur Einführung des großen Lauschangriffs verfassungskonform war. Dabei kam es zu einem abweichenden Votum, in dem zwei Verfassungsrichterinnen den unantastbaren Kernbereich anders bestimmten als das Mehrheitsvotum (4.). 1. Kernbereich des Art. 13 GG? In der Rechtswissenschaft zählten Jürgen Salzwedel und Dieter de Lazzer/ Dietwalt Rohlf den Schutz der Wohnung gegen heimliche Eingriffe des Nachrichtendienstes zum unantastbaren Kernbereich des Art. 13 GG.52 Dabei blieb 50 Zur Diskussion des unantastbaren forum internum bei Art. 4 Abs. 1 GG, s. u. 5. Kapitel, B. II. 1. 51 Dies hat die Analyse der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gezeigt, s. o. 1. Kapitel, B. II. 2. a).

A. Maßnahmenbezogene Ansätze in Rechtsprechung/Rechtswissenschaft

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das Verhältnis zwischen dem Kernbereich des Art. 13 GG und dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung unklar. Salzwedel sprach nur vom Kernbereich des Art. 13 GG und erwähnte den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht. Laut de Lazzer/Rohlf verstößt die heimliche Wohnraumüberwachung gegen den Kernbereich des Art. 13 GG, während der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nur betroffen ist, wenn kein Sozialbezug besteht, z. B. wenn Selbstgespräche abgehört werden.53 Weil der fehlende Sozialbezug der Kommunikationshandlung kein geeignetes Abgrenzungskriterium ist,54 sollte meines Erachtens nicht zwischen einem Kernbereich des Art. 13 GG mit Sozialbezug und einem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ohne Sozialbezug unterschieden werden. 2. Die Raumgesprächsentscheidung des BGH In der Raumgesprächsentscheidung hielt der BGH ein heimlich aufgezeichnetes Gespräch, das Eheleute in ihrem Einfamilienhaus führten und in dem der Ehemann seine bisherigen Heroingeschäfte bilanzierte, im Strafprozess für nicht verwertbar.55 Die Polizei konnte das Gespräch abhören, weil der Hörer eines überwachten Telefons, das sich in dem Raum befand, in dem die Unterhaltung stattfand, nicht richtig aufgelegt war. Die Aufzeichnung des „Raumgesprächs“ sei keine Telefonüberwachung und deshalb nicht von der Eingriffsgrundlage des § 100a StPO gedeckt.56 Mögliche Grundlagen für eine Verwertung des aufgezeichneten Gesprächs seien erstens die Abwägung zwischen Strafverfolgungsinteresse und Persönlichkeitsschutz, zweitens der damalige § 108 StPO57 über die Verwertbarkeit von Zufallsfunden bei Durchsuchungen und drittens der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB.58 Diese drei Eingriffsgrundlagen seien aber nicht weiter zu erörtern, weil die Überwachung in den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung eingreife, und damit in jedem Fall unzulässig sei.

52 J. Salzwedel, in: GS Peters, 1967, S. 756, 780 f.; D. de Lazzer/D. Rohlf, JZ 1977, S. 207, 211. Vgl. auch: H. P. Bull, in: Verfassungsschutz, 1981, S. 133, 146. Kritisch: H. H. Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 53, 97, Fn. 198. 53 D. de Lazzer/D. Rohlf, JZ 1977, S. 207, 211. 54 s. o. 3. Kapitel, A. I. 5. 55 BGHSt 31, 296 ff. Der BGH hob das Urteil des LG Wiesbaden schon deshalb auf, weil das Landgericht das Tatbestandsmerkmal „Handeltreiben mit Betäubungsmitteln“ unrichtig ausgelegt hatte. Die Ausführungen zur Unzulässigkeit der Verwertung waren Hinweise für die erneute Hauptverhandlung. 56 BGHSt 31, 296, 297 f. 57 Entspricht § 108 Abs. 1 StPO n. F. 58 Hierzu und zum Folgenden: BGHSt 31, 296, 299 ff.

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3. Kap.: Alternative Kernbereichsdefinitionen

Der BGH definierte den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung anhand der von außen erkennbaren Merkmale der Gesprächspartner (Eheleute) und des Ortes der Kommunikation (Ehewohnung), ohne auf den Inhalt und den Straftatenbezug des Gesprächs einzugehen. In den unantastbaren Kernbereich muss nicht durch Kenntnisnahme des Kommunikationsinhalts eingegriffen werden, um festzustellen, ob er einschlägig ist. Der Kernbereich ist also eingriffsresistent. Außerdem bestimmte der BGH den Kernbereich unabhängig vom Straftatenbezug, so dass der Kernbereich abwägungsresistent ist. Allerdings sind einige Autoren der Auffassung, dass der BGH nicht mit dem unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung hätte argumentieren müssen.59 Die Verwertung des Gesprächs sei schon deshalb unzulässig gewesen, weil für die Gesprächsaufzeichnung, die nicht im Rahmen eines Telefongesprächs erfolgte, eine gesetzliche Grundlage fehlte.60 Wenn die Strafprozessordnung einen Eingriff nicht erlaubt, bestehe für ein Gericht kein Anlass, das Ergebnis zu korrigieren, auch wenn dies verfassungsrechtlich möglich wäre. Die Rechtsgrundlagen für Ermittlungsmaßnahmen seien abschließend in der Strafprozessordnung normiert. Darüber hinaus ging es in der Raumgesprächsentscheidung um die Aufklärung eines Betäubungsmitteldelikts und einer Steuerhinterziehung. Es handelte sich um nicht besonders schwere Delikte, zumal ein wesentlicher Anteil der betroffenen Betäubungsmittel dem Eigengebrauch diente.61 Ein Verwertungsverbot hätte sich auch aus der Abwägung von Privatsphärenschutz und Verfolgungsinteresse ergeben.62 Unabhängig von dieser Kritik bleibt festzuhalten, dass das Raumgesprächs-Urteil den Kernbereich so definiert, dass er absoluten Schutz gegen Strafverfolgungsmaßnahmen gewährt.63

59 G. Küpper, JZ 1990, S. 416, 422. Ähnlich schon zu BVerfGE 34, 238 ff. (Heimliche Tonbandaufnahme): G. Arzt, JZ 1973, S. 506 f. A. A. K. H. Gössel, JZ 1984, S. 361, 362. Kritisch zur fehlenden verfassungsrechtlichen Begründung des Kernbereichs: Bayerische Staatsregierung, in: Vormbaum, Lauschangriff, 2005, S. 46, 52. 60 Vgl. allerdings BGH, NJW 2003, S. 2034, 2035, wonach § 100a StPO bei einem Gespräch eingreift, das wegen einer versehentlich nicht getrennten Handy-Verbindung zu einer Mailbox aufgezeichnet werden konnte. Der BGH weicht dabei explizit von der Raumgesprächsentscheidung ab. Kritisch dazu: G. Fezer, NStZ 2003, S. 625, 627; E. Weßlau, StV 2003, S. 483, 484. Zustimmend: M. Gercke, JR 2004, S. 347 ff. 61 BGH, Urteil vom 16.03.1983, Az.: 2 StR 775/82, Rn. 6, zitiert nach juris. Dieser Abschnitt des Urteils ist in BGHSt 31, 296 ff. nicht abgedruckt. 62 K. H. Gössel, JZ 1984, S. 361, 362. Zur Systematik der strafprozessualen Verwertungsverbote: F. Dencker, Verwertungsverbote, 1977, passim. 63 Skeptisch zur Verallgemeinerbarkeit des Urteils: M. Koch, ZRP 1995, S. 24, 25.

A. Maßnahmenbezogene Ansätze in Rechtsprechung/Rechtswissenschaft

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3. Alternative Definitionen der Rechtswissenschaft Im Anschluss an das Urteil des BGH zum Raumgespräch und anlässlich der geplanten Einführung einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung beschäftigte sich die Rechtswissenschaft vermehrt mit dem Kernbereichsschutz gegen den repressiven großen Lauschangriff. Einige Autoren definieren den Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung in diesem Zusammenhang anhand räumlicher Kriterien [a)]. Andere schließen „kriminell bemakelte“ Wohnungen vom Schutz aus [b)]. a) Räumliche Abgrenzung Es lassen sich drei Kernbereichsdefinitionen anhand räumlicher Kriterien unterscheiden. Der erste Ansatz zählt die gesamte Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung.64 Die Wohnung dürfe heimlich weder optisch noch akustisch überwacht werden. Die zweite Variante schränkt den weiten Wohnungsbegriff des Bundesverfassungsgerichts65 ein, um den Kernbereichsschutz bei Art. 13 GG zu begrenzen. Laut Horst Hund umfasst der unantastbare Kernbereich nur Räume, die zum engeren Wohnungsbegriff gehören, also keine Betriebs- und Geschäftsräume.66 Dies ist mit dem räumlichen Indikator im Urteil zum großen Lauschangriff zu vergleichen.67 Die dritte Alternative vertritt Sönke E. Schulz. Danach muss zumindest ein Raum innerhalb der Wohnung als Rückzugsbereich unantastbar sein.68 Dabei handele es sich um den Raum, den der Einzelne typischerweise als sein letztes Refugium ansieht. Welcher Raum dies ist, sei anhand des Verwendungszwecks 64 W. Hassemer, DRiZ 1992, S. 357, 358; ders., StV 1994, S. 333, 334; H. Hund, ZRP 1995, S. 334, 335 f.; J. C. Joerden, Jura 1990, S. 632, 644; J. Kretschmer, Jura 1997, S. 581, 587 ff.; M. Kutscha, NJW 1994, S. 85, 88; S. Leutheusser-Schnarrenberger, ZRP 1998, S. 87, 88; H. Lisken, ZRP 1993, S. 121, 123; M. Mozek, Lauschangriff, 2001, S. 189 ff.; B. Raum/F. Palm, JZ 1994, S. 447, 451 f.; J. Seifert, KJ 1992, S. 355, 363. Nach dem Urteil zum großen Lauschangriff: H. Sauer, JA 2005, S. 16, 17 f. Gegen eine Kernbereichsverletzung durch den großen Lauschangriff: D. Binder, Lauschangriff, 1996, S. 215 f.; G. Cassardt, ZRP 1997, S. 370, 373 ff.; V. Krey/ E. Haubrich, JR 1992, S. 309, 313; A. Stümper, ZRP 1998, S. 463 ff.; J. Schwabe, JZ 1993, S. 867, 874; H.-L. Zachert, DRiZ 1992, S. 355, 356. Wohl auch: O. Schily, ZRP 1999, S. 129, 130. 65 BVerfGE 32, 54, 68 ff. (Betriebsbetretungsrecht); 76, 83, 88 (Zwangsvollstreckung III). 66 H. Hund, ZRP 1995, S. 334, 336. Vgl. auch P. Caesar, ZRP 1993, S. 67; O. Bludovsky, Lauschangriff, 2002, S. 79. Zum engen Wohnungsbegriff: BVerfGE 32, 54, 75 (Betriebsbetretungsrecht). 67 s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. b) aa). 68 Hierzu und zum Folgenden: S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 516 ff.

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3. Kap.: Alternative Kernbereichsdefinitionen

und der regelmäßig anwesenden Personen zu bestimmen. Häufig sei das Schlafzimmer dieser unantastbare Kernbereich innerhalb der Wohnung. Gegen die Unterscheidungen, einerseits von Privat- und Geschäftsräumen und andererseits von verschiedenen Räumen in einer Privatwohnung, spricht, dass sie wenig leistungsfähig sind.69 Zum einen können höchstpersönliche Gespräche auch in Geschäftsräumen und in jedem Raum einer Privatwohnung stattfinden. Zum anderen ist es möglich, Gedankeninhalte mit großem Sozialbezug in Privatwohnungen im engeren Sinn oder im Schlafzimmer zu äußern, wie bei der Planung schwerer Straftaten. Ob der jeweilige Raum zu höchstpersönlichem Verhalten genutzt wird, ist zum Zeitpunkt der Durchführung einer Ermittlungsmaßnahme häufig nicht erkennbar. Es entspricht gerade der Rückzugsfunktion der Wohnung, dass sich der Einzelne nicht darauf festlegen muss, welche Handlungen und Gespräche er in welchem Raum vornimmt.70 Diese Rückzugsfunktion der Wohnung würde beeinträchtigt, wenn der Einzelne sein vertrauliches Verhalten nur in einem seiner Wohnräume ungestört ausüben könnte. Abgesehen davon ermöglichen die Autoren, die den Kernbereich anhand räumlicher Kriterien bestimmen, aber einen absoluten Schutz gegen den repressiven großen Lauschangriff. Weder muss in den Kernbereich eingegriffen werden, um ihn zu bestimmen, noch ziehen diese Ansätze die entgegenstehenden Interessen der Strafverfolgung bei der Definition heran. Diese Theorien beziehen sich allerdings nur auf die akustische Wohnraumüberwachung zu repressiven und nicht zu präventiven Zwecken.71 b) Ausschluss „kriminell bemakelter“ Wohnungen Ein anderer Ansatz begrenzt den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, indem er „kriminell bemakelte“ Räume ausschließt. Gemäß der in § 104 Abs. 2 StPO enthaltenen Wertung würden diese Räume nicht zum Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG und damit nicht zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gehören.72 69 Ähnlich: O. Bludovsky, Lauschangriff, 2002, S. 79; K. Schelter, ZRP 1994, S. 52, 55. Gegen den engen Wohnungsbegriff auch: BGHSt 42, 372 ff. 70 O. Bludovsky, Lauschangriff, 2002, S. 80 f. 71 W. Hassemer, DRiZ 1992, S. 357, 358; ders., StV 1994, S. 333, 334; H. Hund, ZRP 1995, S. 334, 335 f., 337; J. C. Joerden, Jura 1990, S. 632, 644; J. Kretschmer, Jura 1997, S. 581, 587 ff.; S. Leutheusser-Schnarrenberger, ZRP 1998, S. 87, 88; H. Lisken, ZRP 1993, S. 121, 123; M. Mozek, Lauschangriff, 2001, S. 189 ff.; B. Raum/ F. Palm, JZ 1994, S. 447, 451 f.; J. Seifert, KJ 1992, S. 355, 363. Vgl. auch: S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 518 f.: Es sei irrelevant, dass die im Raum stattfindende Kommunikation „begangene Straftaten zum Inhalt hat“ (Hervorhebung, I. D.). Der Bezug zu geplanten Straftaten schließt also die Kernbereichszugehörigkeit aus. 72 V. Krey/E. Haubrich, JR 1992, S. 309, 313 f.; U. Eisenberg, NJW 1993, S. 1033, 1037; O. Bludovsky, Lauschangriff, 2002, S. 80.

A. Maßnahmenbezogene Ansätze in Rechtsprechung/Rechtswissenschaft

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Gegen diese Theorie spricht, dass es keine verfassungsrechtliche Grundlage dafür gibt, „kriminell bemakelte“ Räume nicht als Wohnung anzusehen.73 Der Ausschluss kann weder auf den Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 GG noch auf die Wertung des § 104 Abs. 2 StPO gestützt werden. Die unterverfassungsrechtliche Norm kann die Auslegung des Art. 13 Abs. 1 GG nicht leiten, sondern ist ihrerseits im Lichte des Wohnungsgrundrechts auszulegen.74 Auch der einfache Gesetzgeber ist gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden. Darüber hinaus ist der Ausschluss „kriminell bemakelter“ Räume ein innentheoretischer Ansatz, der die Interessen der Strafverfolgung, die dem Kernbereichsschutz entgegenstehen, schon bei der Definition des Schutzbereichs berücksichtigt. Innentheoretische Ansätze führen nicht zur Unantastbarkeit des Kernbereichs.75 4. Das abweichende Votum im Urteil zum großen Lauschangriff Im Urteil zum großen Lauschangriff definierten die Verfassungsrichterinnen Christine Hohmann-Dennhardt und Renate Jaeger den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung in ihrem abweichenden Votum anders als das Mehrheitsvotum.76 Zwar schütze die Menschenwürde nur höchstpersönliche Verhaltensweisen und Kommunikationsinhalte und damit nicht jedes Verhalten und jede Äußerung in der Wohnung absolut. Jedoch ergibt häufig erst die Wohnraumüberwachung, was in einer Wohnung geschieht. Wenn der Kernbereich anhand des Verhaltens in der Wohnung definiert wird, muss mitunter in den absolut geschützten Bereich eingegriffen werden, um zu ermitteln, ob er betroffen ist.77 Deshalb seien Privatwohnungen, in denen sich der zu Überwachende allein oder mit „ersichtlich engen Vertrauten“ aufhält, unabhängig vom konkreten Geschehen in der Wohnung absolut vor einer Überwachung geschützt.78 In diesen Fällen sei unwiderleglich zu unterstellen, dass der Kernbereich betroffen ist. Das abweichende Votum verwendet die räumlichen und personellen Kernbereichsindikatoren aus dem Mehrheitsvotum nicht lediglich zur widerlegbaren 73 So auch J. Kretschmer, Jura 1997, S. 581, 587; F. L. Lorenz, GA 1997, S. 51, 56; S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 511, Fn. 408. 74 Zum Vorrang der Verfassung: R. Wahl, NVwZ 1984, S. 401 ff. 75 s. o. 1. Kapitel, C. 76 BVerfGE 109, 279, 382 ff. Zum Mehrheitsvotum: s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. b). 77 Zu diesem Dilemma, s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. b) aa). 78 BVerfGE 109, 279, 383 f. Ähnlich schon C. Momsen, ZRP 1998, S. 459, 462. Zustimmend: E. Denninger, ZRP 2004, 101, 103; J. Wolter, in: FS Küper, S. 707, 717. Etwas anders: C. Roxin, FS Böttcher, 2007, S. 159, 170 f., der den Kernbereich dann nicht für einschlägig hält, wenn alle anwesenden Vertrauenspersonen der Beteiligung an der Straftat, wegen der ermittelt wird, verdächtig sind.

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3. Kap.: Alternative Kernbereichsdefinitionen

Vermutung der Kernbereichsbetroffenheit, sondern als unwiderlegliche Bestandteile der Kernbereichsdefinition. Damit dehnen die Richterinnen den absoluten Kernbereichsschutz auf die gesamte Kommunikation zwischen Vertrauenspersonen in einer Privatwohnung aus. Diese Gespräche sind auch dann geschützt, wenn sie Äußerungen über begangene Straftaten enthalten. Die beiden Verfassungsrichterinnen weiten die Kernbereichsdefinition, die der BGH im Raumgesprächs-Urteil entwickelte,79 hinsichtlich des geschützten Personenkreises über die Eheleute hinaus auf alle Vertrauenspersonen aus. Der so definierte Kernbereich ist im Bereich der Strafverfolgung eingriffs- und abwägungsresistent.

III. Zusammenfassung Die monologischen Ansätze zum unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung überzeugen aus drei Gründen nicht. Erstens gelingt es ihnen nicht, zum Kernbereich gehörende Tagebücher von anderen schriftlichen Aufzeichnungen abzugrenzen, ohne in den Kernbereich eingreifen zu müssen. Zweitens machen diese Theorien nicht plausibel, warum gerade Monologe im Gegensatz zur Kommunikation zum unantastbaren Kernbereich gehören sollen. Ihnen fehlt ein geeignetes Kriterium, um entäußerte Gedankeninhalte, die zum Kernbereich zählen, von nicht dazugehörenden zu unterscheiden. Schließlich privilegieren diese Ansätze den Rückzug im Gegensatz zum sozialen Kontakt, ohne die soziale und kommunikative Natur des Menschen zu berücksichtigen. Für das Strafverfahren definieren mehrere Ansätze den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung so, dass er gegen die heimliche akustische Wohnraumüberwachung absoluten Schutz gewährt. Dabei handelt es sich um die Raumgesprächsentscheidung des BGH, das abweichende Votum im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff und die Ansätze in der Rechtswissenschaft, die den Kernbereich anhand räumlicher Kriterien bestimmen. Hingegen ist es nicht plausibel, zwischen dem Kernbereich des Art. 13 GG mit sozialem Bezug und dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ohne sozialen Bezug zu unterscheiden. Der innentheoretische Ansatz, der „kriminell bemakelte“ Wohnungen vom Kernbereichsschutz ausschließt, führt nicht zu einem unantastbaren Kernbereich.

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s. o. 3. Kapitel, A. II. 2.

B. Allgemeine Ansätze in der Rechtswissenschaft

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B. Allgemeine alternative Kernbereichskonzepte in der Rechtswissenschaft Zusätzlich zu den maßnahmenbezogenen Ansätzen gibt es auch allgemeine Untersuchungen, die den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung eigenständig definieren. Am lebhaftesten wird der unantastbare Kernbereich im Strafprozessrecht diskutiert. Dies verwundert nicht, weil mit dem zweiten Tagebuchbeschluss und dem Urteil zum großen Lauschangriff zwei der einflussreichsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum unantastbaren Kernbereich im Strafprozessrecht ergingen. Der Kernbereichsschutz beim vornehmlich landesrechtlichen Gefahrenabwehrrecht beschäftigte vor allem die Landesverfassungsgerichte, deren Entscheidungen in der Diskussion um den unantastbaren Kernbereich bisher kein dem Bundesverfassungsgericht vergleichbarer Einfluss zukommt.80 Aus der umfangreichen strafprozessualen Diskussion werden die monografischen Arbeiten von Maximilian Warntjen (I.) und Dirk Lammer (II.) dargestellt. Ansätze, die lediglich verbal von einem unantastbaren Kernbereich ausgehen, aber seinen Inhalt anhand von immanenten Schranken bestimmen,81 Untersuchungen, die keinen absoluten Kernbereichsschutz vorsehen,82 und Arbeiten, die den Inhalt des Kernbereichs nicht über die bundesverfassungsgerichtliche Interpretation hinaus präzisieren,83 werden nicht erörtert. 80

Zur Kernbereichsrechtsprechung der Landesverfassungsgerichte: s. o. 2. Kapitel,

C. 81 P. H. Frank, Tonbandaufnahmen, 1996, S. 50 ff., 93 ff.; W. Klöhn, Intimsphäre, 1984, S. 62, 76ff.; H.-H. Kühne, Beweisverbote, 1970, S. 93 f., 118 f., 121. Verbal absoluter, aber der Sache nach relativer Kernbereichsschutz auch bei: M. Löffelmann, Wahrheitserforschung, 2008, S. 195 f., 201 ff. 82 M. Baldus, JZ 2008, S. 218 ff.; M. Cornils, in: HStR VII, 2009, § 168, Rn. 36; K. Geppert, JR 1988, S. 471, 474; F. v. Hammerstein, Privatsphäre, 1993, S. 121 ff.; E. Hesse, Bindung, 1968, S. 44 ff.; F. Hufen, in: FS 50 Jahre BVerfG, 2001, II, S. 105, 115; O. Kimminich, Die Verwaltung 4 (1971), S. 206, 217; D. Krauß, in: FS Gallas, 1973, S. 365, 378 ff.; H. Kube, in: HStR, VII, 2009, § 148, Rn. 86 f.; S.-C. Lenski, Massenkommunikation, 2007, S. 243 f.; F. L. Lorenz, GA 1992, S. 254, 263 ff.; ders., JZ 1992, S. 1000, 1004 f.; M. M. Meinke, Verbindung, 2006, S. 69 f.; M. Müller, Lauschangriff, 2000, S. 75 ff.; H. Otto, in: FS Kleinknecht, 1985, S. 319, 324 f.; R. Pitschas, in: FS Schnapp, 2008, S. 231, 238 f., Fn. 41; K. Rogall, in: FS Fezer, 2008, S. 61 ff.; H. Scholler, Person, 1967, S. 83 ff., 90; B. Schünemann, ZStW 90 (1978), S. 11, 19 ff., v. a. Fn. 30; H. Schulz-Schaeffer, Art. 2 Abs. 1, 1971, S. 41 ff.; C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, I, 2005, Art. 1 Abs. 1, Rn. 60 ff., 80 und Art. 2 Abs. 1, Rn. 16; B. Wölfl, Bildaufnahmen, 1997, S. 86 ff.; ders., NVwZ 2002, S. 49, 50 f. 83 W. Bär, MMR 2008, S. 215, 217; R. Baum/P. Schantz, ZRP 2008, S. 137 f.; E. Beier, Überwachungsmaßnahmen, 1988, S. 55 ff.; A. Bleckmann, Staatsrecht II, 1997, § 21, Rn. 59 ff.; J. Bosbach, NStZ 2009, S. 177, 178 f.; C. Degenhart, JuS 1990, S. 161 ff.; E. Denninger, StV 1998, S. 401, 404; A. Dix/T. B. Petri, in: Privatheit, 2007, S. 31, 34 ff.; H. Dreier, in: ders., Bd. I, 2004, Art. 2 I, Rn. 61, 87; H.-U. Erichsen, NJW 1976, S. 1721, 1725; ders., Jura 1992, S. 52, 53; ders., in: HStR VI, 2001, § 152,

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3. Kap.: Alternative Kernbereichsdefinitionen

I. Kombination von typologischer Methode und Sphärentheorie Maximilian Warntjen interpretiert den Begriff des Kernbereichs privater Lebensgestaltung auf der Grundlage der Sphärentheorie anhand des Konzepts typologischer Begriffsbildung.84 Warntjen knüpft vor allem an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff an und äußert sich nicht zum Kernbereichsschutz bei präventivem staatlichem Handeln.85 Um den Kernbereichsbegriff zu bestimmen, seien die „Höchstpersönlichkeit“ des Sachverhaltes und die Intensität der staatlichen Untersuchungsmaßnahme typologisch zu analysieren.86 Die „Höchstpersönlichkeit“ hänge von fünf Merkmalen ab. Neben den zwei vom Bundesverfassungsgericht angewendeten Kriterien des Vertrauensverhältnisses der Kommunizierenden und ihres Aufenthaltsortes seien der Kommunikationsinhalt, die Anzahl der Kommunizierenden und die Verwendung von Kommunikationsmedien zu berücksichtigen. Rn. 38; M. A. Ernst, Informationen, 1993, S. 102 ff.; T. Geddert-Steinacher, Menschenwürde, 1990, S. 146 ff.; I. Geis, CR 2004, S. 338, 339 f.; M.-E. Geis, JZ 1991, S. 112, 115 ff.; L. Greco, ZIS 2008, S. 234, 237 f.; A. Guckelberger/K. Hero, LKRZ 2008, S. 206 ff.; E. Gurlit, NJW 2010, S. 1035, 1038 f.; dies., RDV 2006, S. 43, 46 f.; I. Härtel, NdsVBl. 2008, S. 276, 282; W. Hassemer, in: FS Maihofer, 1988, S. 183, 188, 203; J. Haverkamp, Jura 2010, S. 492 ff.; J. Herrmann, in: FS Jescheck, 1985, S. 1291, 1293 f.; B. Hirsch, NJOZ 2008, S. 1907, 1913 f.; W. Höfling, in: Sachs, GG, 2009, Art. 1, Rn. 43; D. Hömig, Jura 2009, S. 207, 212 f.; ders., EuGRZ 2007, S. 633, 635, 640; W. Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1009, 1020 f.; H. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein, 2008, Art. 1, Rn. 50; H.-D. Horn, in: HStR, VII, 2009, Rn. 77 f.; ders., in: Stern/ Becker, 2010, Art. 2, Rn. 110 ff.; G. Hornung, CR 2008, S. 299, 304 f.; B. Huber, NVwZ 2009, S. 1321, 1324 f.; F. Hufen, JuS 2010, S. 1, 3; R. Käß, BayVBl. 2008, S. 260, 263 f.; N. Klass, Realitätsfernsehen, 2004, S. 319 ff.; G. Kleb-Braun, CR 1990, S. 344, 346 f.; H. Kudlich, HFR 19/2007, S. 1, 10 f.; G. Küpper, JZ 1990, S. 416, 418, 420; M. Kutscha, in: Suche, 2009, S. 309, 314 f.; W. Leisner, in: FS Hubmann, 1985, S. 295, 303 f.; A. Leisner-Egensperger, HdbGRe III, 2009, § 70, Rn. 80; O. Lepsius, Jura 2006, S. 929, 935 f.; S. Leutheusser-Schnarrenberger, DuD 2005, S. 323, 324; M. Löffelmann, ZIS 2006, S. 87, 89 ff.; J. Meydam, DuD 1985, S. 12, 13 ff.; H. MeyerMews, NJ 2009, S. 96 f.; I. v. Münch, Staatsrecht II, 2002, Rn. 313, 322; D. Murswiek, in: Sachs, GG, 2009, Art. 2, Rn. 106; T. B. Petri, DuD 2008, S. 443, 447; G. Piltz/ M. Pfister, RuP 2009, S. 4, 5 f.; J. Puschke/T. Singelnstein, NJW 2008, S. 113, 114; F. Rauschenberger, Kriminalistik 2005, S. 654, 655 f.; M. Reiß, StV 2008, S. 539 ff.; F. Roggan, NJW 2009, S. 257, 261; U. Rommelfanger/U. Petersen-Thrö, SächsVBl. 2006, S. 279, 284 f.; M. Ronellenfitsch, JurPC 115/2007, Abs. 99 f.; R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, 2008, Art. 79, Rn. 49a; H. Schäfer, Telekommunikationsüberwachung, 2008, S. 190 ff.; J. Scherer, in: Privatheit, 2007, S. 55, 61 ff.; W. Schmitt Glaeser, in: HStR VI, 2001, § 129, Rn. 35 f.; F. Schoch, Jura 2008, S. 353, 357; R. Scholz, AöR 100 (1975), S. 265 ff.; C. Starck, JZ 1981, S. 457, 458 f., 463; ders., NdsVBl. 2008, S. 145 ff.; J. P. Thurn, KJ 2009, S. 74, 75; T. J. Vollmar, Telefonüberwachung, 2008, S. 131 ff. 84 M. Warntjen, Kernbereich, 2007, S. 49, 82 ff. Zur Typologie: W. Hassemer, Typus, 1968; A. Kaufmann, Analogie, 1982. Zur Sphärentheorie: s. o. Einleitung, A. 85 M. Warntjen, Kernbereich, 2007, S. 17, Fn. 21. 86 M. Warntjen, Kernbereich, 2007, S. 86 ff.

B. Allgemeine Ansätze in der Rechtswissenschaft

121

Die Intensität der staatlichen Maßnahme sei anhand der folgenden vier Faktoren zu ermitteln: Überwachungsdauer, Rundumüberwachungspotential einer Maßnahme, Einbeziehung von Kontaktpersonen des Beschuldigten in die Überwachung und Kumulation mehrerer Überwachungsmaßnahmen. Jedes dieser insgesamt neun Merkmale könne eine positive, negative oder neutrale Merkmalsausprägung haben. Der unantastbare Kernbereich sei betroffen, wenn eine im Mittelwert positive Merkmalsausprägung, also mehr positive als negative Ausprägungen, vorliegt.87 Der Ansatz von Warntjen macht den Begriff des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung operationalisierbar. Anhand der verschiedenen Merkmalsausprägungen lässt sich transparent vorhersagen und nachvollziehen, wann der unantastbare Kernbereich betroffen ist. Allerdings begegnet dieses Konzept drei Kritikpunkten. Erstens ist der Kommunikationsinhalt bei der Gesprächsüberwachung kein geeignetes Kriterium für die Höchstpersönlichkeit. Um den Inhalt zu ermitteln, muss ein Gespräch abgehört werden. Damit wird in den Kernbereich eingegriffen, um zu ermitteln, ob er betroffen ist, so dass der Kernbereich nicht eingriffsresistent ist. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Warntjens Ansatz auch anwendbar ist, wenn der Gesprächsinhalt unbekannt ist. Dann hat dieses Merkmal eine neutrale Ausprägung. Die Kritik an einem einzelnen Kriterium spricht noch nicht gegen den gesamten Ansatz. Grundsätzlicher ist der zweite Einwand. Ob der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung verletzt ist, kann nicht von der Intensität der staatlichen Maßnahme, die den Kernbereichseingriff darstellt, abhängen. Die Unantastbarkeit des Kernbereichs bedeutet, dass keine staatliche Maßnahme in ihn eingreifen darf.88 Der Kernbereich ist ein Freiraum des Einzelnen, der gegen jeden staatlichen Eingriff geschützt ist. Es gibt keinen stärkeren oder weniger starken Eingriff in den unantastbaren Kernbereich; vielmehr ist jede Maßnahme, die den unantastbaren Kernbereich berührt, unzulässig. Die Intensität einer staatlichen Maßnahme ist für eine Kernbereichsverletzung unerheblich, denn nicht nur intensive Kernbereichsverletzungen sind unzulässig. Zählt die Kommunikation zwischen Ehegatten in der Privatwohnung zum unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, dann greift ein Abhören dieser Kommunikation unabhängig von der Länge oder Intensität der staatlichen Maßnahme in den Kernbereich ein. Die Intensität einer Maßnahme spielt bei der vom unantastbaren Kernbereich zu unterscheidenden Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Rolle. Die vier Merkmale, die auf der Eingriffsintensität beruhen, führen dazu, dass der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht eingriffsresistent ist. 87 88

M. Warntjen, Kernbereich, 2007, S. 116. s. o. 1. Kapitel, A. I.

122

3. Kap.: Alternative Kernbereichsdefinitionen

Schließlich führt der von Warntjen vertretene typologische Ansatz mit der Abstufung in positive, neutrale und negative Merkmalsausprägungen in vielen Fällen zu unbefriedigenden Ergebnissen. Sehr ähnliche Sachverhalte werden nur deshalb unterschiedlich behandelt, weil sie in einem Kriterium voneinander abweichen. Kleine Unterschiede zwischen Sachverhalten bekommen eine nicht zu begründende Bedeutung, weil sie darüber entscheiden, ob eine Maßnahme zulässig ist oder nicht. Als Beispiel dient ein Fall, in dem mehr als zwei Personen (negativ) in einer Privatwohnung (positiv) ohne Verwendung von Kommunikationsmedien (neutral) über unbekannte Themen (neutral) reden, ohne dass man weiß, ob die Personen enge Vertraute sind (neutral). Die geplante Wohnraumüberwachung hat Rundumüberwachungspotential89 (positiv) und die Gesprächspartner des Beschuldigten, also die Kontaktpersonen, werden in die Überwachung einbezogen (positiv). Gleichzeitig werden keine anderen Überwachungsmaßnahmen durchgeführt (negativ). Es liegen also drei positive, drei neutrale und zwei negative Merkmalsausprägung vor. Ob eine solche Maßnahme den Kernbereich betrifft, hängt ausschließlich davon ab, ob sie länger als einen Monat dauert (positiv) oder nicht (negativ). Die Polizei kann eine Kernbereichsverletzung verhindern, in dem sie die Maßnahme auf 29 Tage90 begrenzt. Dann ist die Überwachungsdauer negativ zu werten und damit liegt insgesamt keine im Mittelwert positive Merkmalsausprägung vor. Wieso der Kernbereich bei 32 Tagen Überwachung betroffen ist, bei 29 Tagen aber nicht, ist nicht ersichtlich. Zu jedem der Merkmale lassen sich ähnliche Beispiele bilden. Warntjens Abgrenzungen sind zu grob und führen zu unplausiblen Ergebnissen.

II. Höchstpersönlichkeitsmanifestationen und -potentiale Gemäß Dirk Lammer darf der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung im Strafprozess nicht inhaltlich definiert werden, weil der Einzelne das Recht habe, nach eigenen Maßstäben zu bestimmen, was für ihn höchstpersönlich ist.91 Der unantastbare Kernbereich schütze die Bedingungen, unter denen sich Intimität konstituiert. Der Staat habe bestimmte Bereiche freizuhalten, in denen sich der Einzelne unabhängig von gesellschaftlichen Anforderungen und der Einflussnahme durch Dritte entfalten kann. Nicht nur physisch abgegrenzte Räume, wie die Wohnung, gehören dazu, sondern auch andere Tabuzonen, wie Tagebücher.

89 90

M. Warntjen, Kernbereich, 2007, S. 112 f. Außer im Februar, weil insoweit der Monat nur 28 oder in Schaltjahren 29 Tage

hat. 91

Hierzu und zum Folgenden: D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 85 ff.

B. Allgemeine Ansätze in der Rechtswissenschaft

123

Dabei seien Höchstpersönlichkeitsmanifestationen und Höchstpersönlichkeitspotentiale zu unterscheiden.92 Höchstpersönlichkeitsmanifestationen sind auf einem Informationsträger festgehaltene höchstpersönliche Informationen, wie Tagebücher oder Tonaufzeichnungen. Höchstpersönlich sei eine Manifestation, die nicht zur Kenntnisnahme durch andere Menschen bestimmt ist. In Höchstpersönlichkeitsmanifestationen dürfe niemand eingreifen, weder offen noch heimlich. Lediglich die äußere Durchsicht, ohne Kenntnisnahme des Inhalts, sei zulässig, um Schriftstücke, die offensichtlich nicht höchstpersönlich sind, wie Geschäftspapiere, vom Kernbereichsschutz auszuschließen.93 Nicht zu den Höchstpersönlichkeitsmanifestationen gehören Briefe, weil sie zur Kundgabe an Andere bestimmt sind.94 Um Höchstpersönlichkeitspotentiale realisieren zu können, bedürfe der Mensch geschützter Räume, über die er die Herrschaft hat. Höchstpersönlichkeitspotentiale bieten absoluten Schutz nur gegen heimliche Eingriffe. Ein offener Eingriff führe dazu, dass der Betroffene sein Verhalten an die unerwünschte Öffentlichkeit anpassen kann. Er behalte also die Verfügungsmacht über die von ihm produzierten Informationen und kann verhindern, dass der Staat höchstpersönliche Sachverhalte zur Kenntnis nimmt. Eine offene Überwachung sei nur rechtswidrig, wenn sie lückenlos ist und dem Einzelnen überhaupt kein Raum für die persönliche Entfaltung bleibt. Hingegen nehme der Staat bei heimlichen Eingriffen mit hoher Wahrscheinlichkeit von höchstpersönlichen Sachverhalten Kenntnis. Der heimliche Entzug der Herrschaft über die geschützten Räume verletze den unantastbaren Kernbereich.95 Zu den absolut geschützten Höchstpersönlichkeitspotentialen gehörten die Privatwohnung und erkennbar vertrauliche Bereiche in der Öffentlichkeit, wie Telefonzellen und Kraftfahrzeuge. Jeder heimliche Eingriff in ein Höchstpersönlichkeitspotential sei ein Kernbereichsverstoß, unabhängig von der Anzahl der anwesenden Personen, ihrem Verhältnis zueinander und dem jeweiligen Geschehen.96 Lammer definiert den Begriff der Höchstpersönlichkeitsmanifestation nicht überzeugend. Tagebücher lassen sich von anderen entäußerten und festgehaltenen Gedankeninhalten, wie Briefen, nicht anhand der Kundgabe abgrenzen, weil der Sozialbezug der Kommunikationshandlung kein geeignetes Merkmal ist.97 92

D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 88 ff. D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 100 f. 94 D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 120 ff. 95 D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 134. 96 D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 108 f. Der Einsatz von verdeckten Ermittlern in Wohnungen sei hingegen in Grenzen zulässig (S. 109 ff.). 97 Zur Kritik am Sozialbezug der Kommunikationshandlung und an der Durchsicht von Aufzeichnungen: s. o. 3. Kapitel, A. I. 5. 93

124

3. Kap.: Alternative Kernbereichsdefinitionen

Darüber hinaus kann durch die äußere Sichtung einer Aufzeichnung nicht entschieden werden, ob sie höchstpersönlich ist oder nicht. Für Höchstpersönlichkeitspotentiale führt Lammers Ansatz zu einem absoluten Kernbereichsschutz im Strafprozess, da weder in den Kernbereich eingegriffen werden muss, um seine Betroffenheit festzustellen, noch der Umfang des Schutzes von entgegenstehenden Strafverfolgungsinteressen abhängt.

III. Zusammenfassung Aus Warntjens Definition folgt, dass der Kernbereich nicht eingriffsresistent und damit nicht unantastbar ist, weil er mit der Intensität der jeweiligen Maßnahme, also mit Verhältnismäßigkeitsüberlegungen, argumentiert. Darüber hinaus führt dieser Ansatz zu nicht nachvollziehbaren Ergebnissen, weil die Differenzierungskriterien nicht ausreichend leistungsfähig sind. Kleine Unterschiede im Sachverhalt erlangen eine übermäßige Relevanz dafür, ob der Kernbereich betroffen ist. Hingegen definiert Lammer den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung derart, dass Höchstpersönlichkeitspotentiale absolut gegen repressives staatliches Handeln geschützt sind.

C. Gemeinsame Kritik der strafprozessualen Ansätze Eine Reihe von Untersuchungen bestimmt den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung derart, dass er gegen repressives staatliches Handeln absolut schützt. Dazu gehören die maßnahmebezogenen Ansätze zum Schutz gegen den großen Lauschangriff98 und die allgemeine Definition von Dirk Lammer. Jedoch geht keine dieser Untersuchungen von einem absoluten Schutz des Kernbereichs bei der Gefahrenabwehr aus.99 Beim repressiven großen Lauschangriff führte die ursprüngliche Ausgestaltung des grundrechtlichen Schutzes der Wohnung dazu, dass der Kernbereichsschutz im präventiven Bereich wenig Beachtung fand. Neben der Durchsuchung gemäß Art. 13 Abs. 2 GG100 waren weitere Eingriffe in das Wohnungsgrundrecht nach Art. 13 Abs. 3 GG a. F.101 nur zu Zwecken der Gefahrenabwehr und nicht zur Strafverfolgung zulässig. Weil der große Lauschangriff wegen seiner Heimlich98

s. o. 3. Kapitel, A. III. Für den großen Lauschangriff: W. Hassemer, DRiZ 1992, S. 357, 358; B. Raum/ F. Palm, JZ 1994, S. 447, 450; J. Seifert, KJ 1992, S. 355, 362 f. Allgemein: D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 74; M. Warntjen, Kernbereich, 2007, S. 17, Fn. 21. 100 Art. 13 Abs. 2 GG wurde nicht geändert. 101 Heute Art. 13 Abs. 7 GG. 99

D. Kernbereichsschutz bei der Gefahrenabwehr

125

keit nicht als Durchsuchung galt,102 war er nur durch Art. 13 Abs. 3 GG a. F. zu rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund wurde der präventive große Lauschangriff im Gegensatz zur repressiven Wohnraumüberwachung im Rahmen des damals geltenden Verfassungsrechts für zulässig gehalten.103 Folglich bestand beim präventiven Lauschangriff keine Regelungslücke und damit kein unmittelbarer Handlungsbedarf für den verfassungsändernden Gesetzgeber. Dies spiegelt sich in der geringen Intensität der Diskussion wider. Eine Differenzierung nach dem Zweck des Eingriffs ist aber mit der Unantastbarkeit des Kernbereichs nicht ohne weiteres zu vereinbaren. Denn die Eingriffsresistenz bedeutet, dass der Kernbereich gegen jeden Eingriff geschützt ist, unabhängig vom verfolgten Zweck. Um überprüfen zu können, ob die Ansätze zum repressiven staatlichen Handeln einen absoluten Kernbereichsschutz ermöglichen, muss die Gefahrenabwehr in die Untersuchung einbezogen werden.

D. Kernbereichsschutz bei der Gefahrenabwehr Die Ansätze, die den Kernbereich derart definieren, dass er im Strafverfahren unantastbar ist, müssen sich im präventiven Bereich bewähren. Dabei sind zwei Varianten denkbar. Entweder es gibt eine mit der Unantastbarkeit des Kernbereichs zu vereinbarende Erklärung dafür, dass staatliche Maßnahmen, die bei repressiver Zielsetzung in den Kernbereich eingreifen, den Kernbereich nicht verletzen, wenn sie zu präventiven Zwecken erfolgen (I.). Oder die im Strafverfahren entwickelten Kernbereichskonzepte werden auf den präventiven Bereich übertragen, so dass der Kernbereich auch gegen präventive Eingriffe geschützt ist (II.).

I. Differenzierung zwischen repressivem und präventivem Bereich Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist nach wohl herrschender Auffassung auch bei der Gefahrenabwehr geschützt.104 Allerdings halten viele Autoren staatliche Maßnahmen, die sie im repressiven Bereich als Eingriff in den Kernbereich ansehen, bei präventivem staatlichem Handeln für rechtmä102 Jeweils m.w. N.: D. Binder, Lauschangriff, 1996, S. 80; M. Mozek, Lauschangriff, 2001, S. 158 f.; M. Müller, Lauschangriff, 2000, S. 54 f. 103 D. Binder, Lauschangriff, 1996, S. 81 ff.; U. Eisenberg, NJW 1993, S. 1033, 1038, insbesondere Fn. 92a; H. Hund, ZRP 1995, S. 334, 337; J. Kretschmer, Jura 1997, S. 581, 584 f.; M. Kutscha, NJW 1994, S. 85, 88; D. de Lazzer/D. Rohlf, JZ 1977, S. 207, 209; S. Leutheusser-Schnarrenberger, ZRP 1998, S. 87, 88 f.; H. Lisken, ZRP 1993, S. 121, 122 f.; ders., KJ 31 (1998), S. 106, 115. 104 s. o. 1. Kapitel, A. III.

126

3. Kap.: Alternative Kernbereichsdefinitionen

ßig.105 So sei der große Lauschangriff zur Gefahrenabwehr zulässig, obwohl er in den unantastbaren Kernbereich eingreift, wenn er der Strafverfolgung dient. Es bestehen drei unterschiedliche Erklärungen dafür, wie es mit der Unantastbarkeit des Kernbereichs zu vereinbaren ist, dass die Kernbereichsverletzung anhand des Zwecks einer Maßnahme bestimmt wird. Einige Autoren verstehen das Konzept des Bundesverfassungsgerichts so, dass der Kernbereich nur gegen Eingriffe im Allgemeininteresse absolut geschützt ist, nicht aber gegen Eingriffe im Individualinteresse (1.). Andere begründen die unterschiedliche Reichweite des Kernbereichs im präventiven und im repressiven Bereich mit der wertend-bilanziellen Gesamtbetrachtung (2.) und mit der Rechtsfigur der Menschenwürdekollision (3.). 1. Unantastbarer Kernbereich nur bei Maßnahmen im Allgemeininteresse? Das Bundesverfassungsgericht spricht wiederholt davon, dass „selbst überwiegende Allgemeininteressen“ einen Eingriff in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht rechtfertigen.106 Diese Rechtsprechung zeige, dass anders als zum Schutz von Allgemeininteressen, Eingriff in den unantastbaren Kernbereich zur Wahrung entgegenstehender Individualinteressen zulässig ist.107 Der Kernbereich wäre absolut gegen Maßnahmen im ausschließlich staatlichen Interesse geschützt, nicht aber gegen solche im Interesse anderer Menschen. Dieser Ansicht folgend wird die Strafverfolgung im allgemeinen Interesse und nicht unmittelbar zum Schutz der Rechte einzelner Bürger durchgeführt.108 Deshalb sei bei repressivem Vorgehen ein unantastbarer Kernbereich möglich. Die 105 M. Baldus, in: Folgerungen, 2005, S. 9, 21 f.; H. Hund, ZRP 1995, S. 334, 337; A. Kolz, NJW 2005, S. 3248, 3249; D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 138; A. Podlech, Privatheit, 1979, S. 50, 60 ff.; M. Lindemann, JR 2006, S. 191, 198; W. Rudolf, in: FS Delbrück, 2005, S. 607, 613; H. Pinkenburg, Informationsbeschaffung 2000, S. 186; J. Wolter, StV 1990, S. 175, 178. A. A.: K. Ellbogen, NStZ 2006, S. 180; ders., Jura 2005, S. 339, 342; ders., NStZ 2001, S. 460, 463. Zur Abgrenzung präventiven und repressiven polizeilichen Handelns beim Lauschangriff: J. Benfer, NVwZ 1999, S. 237, 238 f.; C. Gusy, NdsVBl. 2006, S. 65, 66 ff. 106 BVerfGE 109, 279, 313 (Großer Lauschangriff) (Hervorhebung, I. D.). Von „überwiegenden Interessen der Allgemeinheit“ sprechen BVerfGE 34, 238, 245 (Heimliche Tonbandaufnahme); 80, 367, 373 (Tagebuch II). 107 M. Baldus, JZ 2008, S. 218, 224. Ähnlich: C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 445, Art. 19 Abs. 2 GG sei für das Verhältnis zwischen Grundrechtsträgern unergiebig. 108 M. Köhler, ZStW 107 (1995), S. 10, 20. H. Otto, in: FS Kleinknecht, 1985, S. 319, 325 ff. differenziert zwischen gerechtfertigten Eingriffen durch Notwehr und zur Entlastung Dritter und nicht rechtfertigbaren Eingriffen nur zu Beweiszwecken im Rahmen der Strafverfolgung.

D. Kernbereichsschutz bei der Gefahrenabwehr

127

Gefahrenabwehr erfolge hingegen unmittelbar zum Schutz von Individualinteressen, wie dem Leben und der Gesundheit, so dass Eingriffe in den Kernbereich zu rechtfertigen sind. Bei präventiven Maßnahmen sei der Kernbereich somit nicht absolut geschützt. Diese Interpretation begegnet allerdings zwei Bedenken. Einerseits setzt sie voraus, dass sich Eingriffe, die lediglich im staatlichen Interesse erfolgen, und Maßnahmen zum Schutz von Individualinteressen unterscheiden lassen. Dies ist in einem demokratischen Rechtsstaat kaum möglich. Das Idealbild eines demokratischen Rechtsstaates besagt, dass öffentliche Interessen nichts anderes sind als das Resultat einer sachlich gerechten Abwägung der Individualinteressen aller Bürger.109 Dieses Idealbild wird in der Praxis der repräsentativen Demokratie wegen der Notwendigkeit von Mehrheitsentscheidungen durch Repräsentanten zwar selten erreicht. Das Grundgesetz ist aber von dem in der Menschenwürdegarantie verankerten Grundsatz geprägt, dass der Staat dem Menschen und nicht der Mensch dem Staat zu dienen hat.110 Daraus folgt, dass der Staat überwiegend im demokratischen Prozess gebündelte Individualinteressen vertritt. Wenn also ein staatlicher Eingriff in ein Grundrecht erfolgt, liegt dem zumindest in der Regel eine Kollision individueller Interessen zugrunde.111 Das Interesse desjenigen, zu dessen Gunsten der Staat handelt, steht dem Interesse des von der Maßnahme Betroffenen entgegen. Selbst öffentliches Recht, wie Straf- oder Verwaltungsrecht, dient zumindest auch dazu, Individualrechtsgüter zu schützen. Das Strafrecht soll den Rechtsfrieden sichern, das menschliche Zusammenleben ermöglichen und die möglichen Opfer von Straftaten schützen.112 Das Verwaltungsrecht in den Bereichen des Bau-, Planungs- und Umweltrechts schützt die Allgemeinheit und damit auch den individuell Betroffenen vor Gesundheits- und Umweltschäden.113 Einem Kernbereichsschutz, der nur vor Maßnahmen schützt, die keinem Individualinte-

109

A. Bleckmann, Staatsrecht II, 1997, § 21, Rn. 8. So schon: Parlamentarischer Rat, Stenographische Berichte, 1949, S. 20; H. Nawiasky, Grundgedanken, 1950, S. 18. C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 22 f. und H. Dreier, in: ders., Bd. I, 2004, Art. 1 I, Rn. 21 ff. weisen daraufhin, dass die Menschenwürdegarantie, wie das gesamte Grundgesetz, von dem Grundgedanken geprägt ist, der in Art. 1 Abs. 1 HChEntw wie folgt formuliert wurde: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.“ 111 R. Alexy, Grundrechte, 1996, S. 424 f.; H. Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977, S. 373; R. Poscher, Grundrechte, 2003, S. 101 f.; D. Suhr, Entfaltung, 1976, S. 135; ders., JZ 1980, S. 166, 167 ff. Für eine prinzipielle Bevorzugung des Aktiven: J. Hellermann, Freiheitsrechte, 1993, S. 231 ff. 112 J. Wessels/W. Beulke, Strafrecht, 2009, Rn. 6 f.; D. Sternberg-Lieben, in: Rechtsgutstheorie, 2003, S. 65 f. 113 Besonders deutlich im Umweltrecht: H.-W. Arndt/K. Fischer, in: Verwaltungsrecht, 2006, VII., Rn. 1 f. Zum Baurecht: W. Krebs, in: Verwaltungsrecht, 2008, 4. Kapitel, Rn. 1. Allgemein: S. Baer, in: Grundlagen, 2006, § 11, Rn. 1. 110

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3. Kap.: Alternative Kernbereichsdefinitionen

resse dienen, kommt deshalb im demokratischen Rechtsstaat keine Bedeutung zu.114 Andererseits verfehlt diese Interpretation der Rechtsprechung die Position des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht unterscheidet nicht zwischen individualschützenden und die Allgemeinheit schützenden Eingriffen in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. In der Fallgruppe des Informationsschutzes schließt das Gericht Sachverhalte mit Bezug zu begangenen und geplanten Straftaten vom unantastbaren Kernbereich aus.115 Auch differenziert das Gericht nicht danach, ob ein Straftatbestand Allgemein- oder Individualinteressen schützt. Ein Sachverhalt ist unabhängig davon vom Kernbereich ausgeschlossen, ob er sich auf eine Straftat bezieht, die gegen Individualgüter oder gegen die allgemeine Ordnung116 gerichtet ist. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist so zu verstehen, dass keine staatliche Handlung, auch nicht zur Wahrung von Individualinteressen, in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung eingreifen darf. Ein unterschiedlicher Kernbereichsschutz bei präventivem und repressivem staatlichem Handeln lässt sich nicht mit der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung begründen. 2. Wertend-bilanzielle Gesamtbetrachtung Das unterschiedliche Niveau des Kernbereichsschutzes bei Strafverfolgung und Gefahrenabwehr begründet Michael Lindemann mit der von Matthias Herdegen117 zur Konkretisierung der Menschenwürdegarantie entwickelten wertend-bilanziellen Gesamtbetrachtung.118 Dieser Methode folgend sind bei der Definition des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Finalität einer Maßnahme, die Zweck-Mittel-Relation und die entgegenstehenden Interessen, zu berücksichtigen. Dies geschehe innerhalb des Merkmals „Intensität des Sozialbezuges“. Danach gehört ein Sach114 In diese Richtung ist auch die Begründung des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung, BT-Drs 16/5846, S. 22, zu verstehen: „Der Gesetzgeber ist weder gehalten noch steht es ihm frei, einzelnen Lebensbereichen den absoluten Vorrang vor wichtigen Gemeinschaftsgütern einzuräumen.“ (Hervorhebung, I. D.) 115 s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. b) bb). Noch weiter geht der SächsVerfGH, LKV 1996, S. 273, 291: „In diesem Bereich vermögen auch schwerstwiegende Interessen der Allgemeinheit oder gar einzelner einen staatlichen Eingriff nicht zu rechtfertigen.“ (Hervorhebung, I. D.) Der SächsVerfGH sieht Eingriffe eher durch Allgemeininteressen als durch Individualinteressen als gerechtfertigt an. 116 Wie die Preisgabe von Staatsgeheimnissen nach §§ 93 ff. StGB. 117 M. Herdegen, in: Maunz/Dürig, (2009), Art. 1, Rn. 46 ff., der die Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Beweis für seinen Ansatz ansieht (Rn. 49, 90 ff.). Grundlegende Kritik: E.-W. Böckenförde, Blätter 2004, S. 1216 ff. 118 M. Lindemann, JR 2006, S. 191, 197 f.

D. Kernbereichsschutz bei der Gefahrenabwehr

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verhalt wegen des intensiven Sozialbezuges nicht zum unantastbaren Kernbereich, wenn ein direkter Bezug zur Abwehr von unmittelbaren Gefahren für besonders wichtige Rechtsgüter besteht.119 Hingegen führe ein unmittelbarer Bezug zu begangenen Straftaten nicht dazu, einen Sachverhalt vom Kernbereich auszuschließen. Die wertend-bilanzielle Gesamtbetrachtung erklärt zwar den Unterschied zwischen dem Kernbereichsschutz im präventiven und im repressiven Bereich. Es handelt sich aber um einen innentheoretischen Ansatz120, der die Abwägung mit entgegenstehenden Interessen lediglich auf die Ebene der Kernbereichsdefinition verlegt. Die wertend-bilanzielle Gesamtschau ermöglicht keinen absoluten Kernbereichsschutz. 3. Menschenwürdekollision Die dritte Begründung für einen unterschiedlichen Kernbereichsschutz im repressiven und im präventiven Bereich beruht auf der Rechtsfigur der Menschenwürdekollision.121 Der durch die Menschenwürde geschützte Kernbereich der privaten Lebensgestaltung dürfe nur zum Schutz der Würde eines anderen Menschen beschränkt werden.122 Im Rahmen der Strafverfolgung sei der Kernbereich ausnahmslos zu wahren. Auch der unmittelbare Bezug zu einer begangenen Straftat könne die Kernbereichszugehörigkeit nicht ausschließen. Die Würde des Beschuldigten und damit der Schutz des Kernbereichs gingen dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse vor, weil die Strafverfolgung nicht die Würde eines anderen Menschen schützt, so dass keine Menschenwürdekollision vorliegt.123 Anders sei es bei der Gefahrenabwehr. Zwar sei der Kernbereich auch im präventiven Bereich geschützt.124 Werde in den Kernbereich zur Abwehr einer konkreten Lebensgefahr oder der konkreten Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsverletzung eingegriffen, stünden sich aber zwei Menschenwürdepositionen gegenüber. Die Menschenwürde schütze einerseits den Kernbereich der privaten 119 M. Lindemann, JR 2006, S. 191, 198. Ähnlich auch: W. Rudolf, in: FS Delbrück, 2005, S. 607, S. 613, der allerdings lediglich von dringender Gefahr spricht, also keine Unmittelbarkeit der Gefahr voraussetzt. 120 Zur Innentheorie: s. o. 1. Kapitel, C. 121 Zur Menschenwürdekollision allgemein: K. Stern, in: ders., Staatsrecht, IV/1, 2006, § 97, S. 95 f. 122 O. Bludovsky, Lauschangriff, 2002, S. 68; U. Guttenberg, NJW 1993, S. 567, 573; H. Hund, ZRP 1995, S. 334, 337; S. Leutheusser-Schnarrenberger, ZRP 1998, S. 87, 88 f.; R. Schmidt, Jura 1993, S. 591, 594; S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 367 ff.; J. Wolter, StV 1990, S. 175, 178; ders., in: GS Meyer, 1990, S. 493, 508; ders., in: FS Küper, 2007, S. 707, 714, 716 f. Sehr weitgehend: A. Henrichs, Kriminalistik 2005, S. 658, 660 f. 123 R. Schmidt, Jura 1993, S. 591, 594; J. Wolter, StV 1990, S. 175, 177, 179. 124 U. Guttenberg, NJW 1993, S. 567, 572 f.; J. Wolter, StV 1990, S. 175, 176; ders., in: FS Küper, 2007, S. 707, 711, 714.

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3. Kap.: Alternative Kernbereichsdefinitionen

Lebensgestaltung. Andererseits folge aus dem Menschenwürdegehalt der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die Pflicht des Staates, den Einzelnen vor Gefahren für Leben und Gesundheit zu schützen.125 Dieser Konflikt ließe sich nicht anhand der Menschenwürde lösen. Vielmehr müssten ausnahmsweise beide Positionen anhand des Grundsatzes der praktischen Konkordanz durch Abwägung zum Ausgleich gebracht werden.126 Dabei dürfe „die strikte Grenze extremer Menschenrechtswidrigkeit im Sinne des ethischen Minimums“ nicht übertreten werden.127 Den Ausnahmecharakter dieser Kollisionsfälle verdeutliche die Bezeichnung als „final-rettende“ Maßnahmen.128 Daraus, dass eine Menschenwürdekollision möglich sei, werden unterschiedliche Konsequenzen gezogen. Einige Autoren weisen daraufhin, dass Menschenwürdekonflikte nur durch Abwägung lösbar sind. Dies zeige, dass ein absoluter Menschenwürdeschutz nicht möglich ist.129 Andere Autoren heben hervor, dass die Menschenwürde auch bei Kollisionen ihren Rang als höchstes Verfassungsgut bewahrt.130 Durch die Kollision würden elementare Interessen anderer Menschen, die der Würde des Betroffenen entgegenstehen, berücksichtigt. Die Menschenwürde setze sich weiterhin gegen alle Allgemeininteressen und alle grundrechtlich, aber nicht durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Positionen durch. Da die Menschenwürde nur durch sich selbst beschränkt wird, könne weiterhin von einem absoluten Menschenwürdeschutz gesprochen werden.

125 J. Wolter, in: FS Küper, 2007, S. 707, 716 f.; A. Henrichs, Kriminalistik 2005, S. 658, 660. Gegen die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen durch Schutzpflichten: O. Lepsius, in: FG Hirsch, 2006, S. 47, 62 ff. 126 R. Schmidt, Jura 1993, S. 591, 594; S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 367 ff.; J. Wolter, in: SK-StPO, (1994), Rn. 140 vor § 151. Dies gilt nicht, wenn der Menschenwürde als Abwehrrecht generell der Vorrang vor der Menschenwürde als Schutzpflicht gebührt (J. v. Bernstorff, Der Staat 47 (2008), S. 21, 34 ff.; C. D. Classen, DÖV 2009, S. 689, 694 f.). Diese Ansicht kann aber ein unterschiedliches Kernbereichsschutzniveau bei repressivem und präventivem staatlichen Handeln nicht begründen. 127 S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 661 f.; J. Wolter, StV 1990, S. 175, 179; ders., in: GS Meyer, 1990, S. 493, 511 f.; ders., in: SK-StPO, (1994) Rn. 140a vor § 151. Zum Beispiel dürfe der Staat auch zur Gefahrenabwehr nicht foltern. 128 J. Wolter, in: FS Küper, 2007, S. 707, 716 f. 129 M. Baldus, JZ 2008, S. 218, 224 f.; W. Brugger, JöR 56 (2008), S. 95, 123; C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 264 f.; C. Enders, in: Friauf/Höfling, 2009, Art. 1, Rn. 66; M. M. Meinke, Verbindung, 2006, S. 70; M. Rothhaar, ARSP 94 (2008), S. 421, 423. 130 In diese Richtung: M. Winkler, Kollisionen, 1999, S. 267 ff.; F. Wittreck, DÖV 2003, S. 873, 879 ff.; C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, I, 2005, Art. 1 Abs. 1, Rn. 35; S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 367 ff. Wohl auch: J. Wolter, in: FS Küper, 2007, S. 707, 716 f.

D. Kernbereichsschutz bei der Gefahrenabwehr

131

Beide Positionen beruhen auf einer unterschiedlichen Betrachtungsweise. Die erste konzentriert sich auf die tatsächlichen Konfliktfälle, während die zweite die Wirkung der Menschenwürde unabhängig von Konfliktfällen in den Vordergrund rückt. Ein absoluter Kernbereichsschutz lässt sich nur mit der zweiten Sichtweise begründen. In Bezug auf den unantastbaren Kernbereich begegnet diese Sichtweise allerdings zwei Einwänden. Zum einen führt die Rechtfertigung von Eingriffen in den Kernbereich durch entgegenstehende Menschenwürdepositionen dazu, dass der Kernbereich nicht eingriffsresistent ist. Wenn der Kernbereich unantastbar ist, kann auch die Menschenwürde eines anderen Menschen keinen Eingriff rechtfertigen.131 Zum anderen lässt sich die Logik des Menschenwürdekonflikts nicht auf bestimmte Aspekte des Menschenwürdeschutzes beschränken. Art. 1 Abs. 1 GG würde seine Funktion als absoluter Maßstab auch in anderen Bereichen verlieren. Zwischen „normalen“ Menschenwürdeverletzungen und „extremen Menschenrechtswidrigkeiten im Sinne des ethischen Minimums“ lässt sich nicht unterscheiden. Es bestehen keine Kriterien dafür, wie das „ethische Minimum“ zu bestimmen ist. Für eine Unterteilung der Menschenwürde in unterschiedlich schutzwürdige Bereiche finden sich weder Anhaltspunkt im Text des Grundgesetzes noch in einer historischen oder systematischen Betrachtung. Die Menschenwürde ist nicht weiter differenzierbar, sondern insgesamt unantastbar.132 Von der Abwägung bei einer Menschenwürdekollision kann also kein Aspekt, wie das Folterverbot,133 ausgeklammert werden. Hält man Menschenwürdekonflikte für möglich, so verlieren die Menschenwürde und damit der Kernbereich ihre Funktion als letzte, absolute Grenze staatlichen Handelns.134 Unabhängig von diesen beiden Bedenken beruht die Kollisionstheorie darauf, dass eine Menschenwürdekollision vorliegt. Einerseits müsste die jeweils zu überprüfende staatliche Maßnahme, wie der große Lauschangriff, gegen die Menschenwürde verstoßen. Andererseits müsste das mit der Maßnahme verfolgte Interesse, wie die Abwehr von Lebensgefahren, von Art. 1 Abs. 1 GG gefordert 131 So auch: G. Cassardt, ZRP 1997, S. 370, 374; K. Ellbogen, NStZ 2001, S. 460, 463; H. Schlehofer, GA 1999, S. 357, 363 f. Gegen Menschenwürdekollisionen schon J. M. Wintrich, BayVBl. 1957, S. 137, 139. 132 A. Podlech, in: AK-GG, (2001), Art. 1 Abs. 1, Rn. 73 ff.; H. Dreier, in: 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 201, 213; ders., in: Dreier, Bd. 1, 2004, Art. 1 I, Rn. 134. 133 Für ein absolutes Folterverbot aus der Menschenwürde: H. Bielefeldt, in: Menschenwürde, 2007, S. 105 ff.; K. Ellbogen, Jura 2005, S. 339 ff.; K. Lüderssen, in: FS Rudolphi, 2004, S. 691, 700 ff.; J. O. Merten, JR 2003, S. 404, 405 f.; T. Stemmler, Neminem-laedere, 2004, S. 215 ff.; P. Tiedemann, Menschenwürde, 2007, S. 322 ff.; A. K. Weilert, Folterverbot, 2009, S. 178 ff. Dagegen: R. D. Herzberg, JZ 2005, S. 321, 322 ff.; F. Wittreck, DÖV 2003, S. 873, 879 ff. Zu den klassischen Argumenten für ein ausnahmsloses Verbot der Folter: C. Gusy, JZ 2005, S. 239, 240 f. 134 J. M. Wintrich, Grundrechte, 1957, S. 18; S.-C. Lenski, Massenkommunikation, 2007, S. 209.

132

3. Kap.: Alternative Kernbereichsdefinitionen

sein. Ob beide Voraussetzungen vorliegen, kann erst beantwortet werden, nachdem das Verhältnis von Kernbereich und Menschenwürde untersucht wurde.135 Obwohl die genannten Einwände dagegen sprechen, muss an dieser Stelle noch offen bleiben, ob die Figur der Menschenwürdekollision den unterschiedlichen Kernbereichsschutz im repressiven und präventiven Bereich mit der Unantastbarkeit des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung kompatibel macht.

II. Gleiches Schutzniveau im repressiven und präventiven Bereich Die andere Möglichkeit, die Unantastbarkeit des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung zu ermöglichen, besteht darin, die Ansätze, die zu einem absoluten Kernbereichsschutz im Strafverfahren führen, auf präventives staatliches Handeln zu übertragen. Demnach wäre das Gespräch zwischen Ehegatten und anderen Vertrauenspersonen in der Privatwohnung, die gesamte Wohnung oder einzelne Räume innerhalb der Wohnung auch gegen den großen Lauschangriff zu präventiven Zwecken geschützt.136 Dem Ansatz von Dirk Lammer entsprechend dürfte der Staat weder in Höchstpersönlichkeitsmanifestationen noch in Höchstpersönlichkeitspotentiale zu präventiven Zwecken eingreifen.137 Soweit ersichtlich schließt in der Rechtswissenschaft lediglich Klaus Ellbogen auch im präventiven Bereich Eingriffe in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung vollständig aus. Eine Gefahrenabwehr um jeden Preis dürfe es nicht geben.138 Absolut geschützt seien ausschließlich Monologe mit höchstpersönlichem Inhalt, nicht aber die Kommunikation.139 Jedoch führt der Ansatz von Ellbogen dazu, dass der Kernbereich nicht eingriffsresistent ist, weil es danach auf den Inhalt der Monologe ankommt.140 Darüber hinaus begründet Ellbogen nicht, warum Monologe im Gegensatz zur Kommunikation absolut geschützt sind.

III. Zusammenfassung Ein unterschiedliches Niveau des Kernbereichsschutzes im präventiven und repressiven Bereich lässt sich nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfas135

s. u. 4. Kapitel, C. Zu diesen alternativen Ansätzen des Kernbereichsschutzes bei der Strafverfolgung, s. o. 3. Kapitel, A. II. 137 s. o. 3. Kapitel, B. II. 138 K. Ellbogen, NStZ 2001, S. 460, 463: „Soll es einen unantastbaren Kernbereich geben, so muss dies ausnahmslos gelten.“ 139 K. Ellbogen, NStZ 2001, S. 460, 463; ders., Jura 2005, S. 339, 342; ders., NStZ 2006, S. 180. 140 Zur Kritik an den monologischen Ansätzen: s. o. 3. Kapitel, A. I. 5. 136

E. Folgerungen

133

sungsgerichts begründen. Das Gericht differenziert nicht zwischen Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit einerseits und im Individualinteresse andererseits, sondern sieht den Kernbereich als gegenüber allen staatlichen Maßnahmen geschützt an. Außerdem dient die Strafverfolgung zumindest auch dem Individualschutz, so dass sich Strafverfolgung und Gefahrenabwehr in dieser Hinsicht nicht grundlegend unterscheiden. In einem demokratischen Rechtsstaat sind Maßnahmen im ausschließlich staatlichen Interesse kaum vorstellbar. Die Theorie der wertenden Gesamtbetrachtung begründet zwar ein unterschiedliches Niveau des Kernbereichsschutzes bei der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr, ist aber mit der Unantastbarkeit des Kernbereichs nicht zu vereinbaren. Die Rechtsfigur der Menschenwürdekollision ist zumindest aus einer Perspektive in der Lage, Ausnahmen vom Kernbereichsschutz im präventiven Bereich mit der Unantastbarkeit des Kernbereichs zu vereinbaren. Dazu müssten aber zwei Menschenwürdepositionen kollidieren. Ob dies der Fall ist, lässt sich erst auf der Grundlage des folgenden Kapitels, in dem das Verhältnis von unantastbarem Kernbereich und Menschenwürde geklärt wird, beantworten. Ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist auch möglich, wenn die Konzepte, die einen absoluten Kernbereichsschutz im strafprozessualen Bereich ermöglichen, auf präventives staatliches Handeln übertragen werden. Eine solche Konsequenz hat bisher in der Rechtswissenschaft niemand gezogen. Ellbogen geht zwar von einem weitreichenden Kernbereichsschutz auch im präventiven Bereich aus, aber sein Konzept führt dazu, dass der Kernbereich nicht absolut geschützt ist.

E. Folgerungen Keiner der Ansätze in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung anders als das Bundesverfassungsgericht definieren, ermöglicht für sich genommen einen absoluten Schutz. Nur wenn mehrere Ansätze kombiniert werden, ist ein unantastbarer Kernbereich denkbar. So könnten die Ansätze, die zum absoluten Schutz vor dem großen Lauschangriff zu repressiven Zwecken führen, mit dem Ansatz von Ellbogen, dass es keine Gefahrenabwehr um jeden Preis geben darf, verbunden werden. Eine solche Kombination der Ansätze ist nur dann sinnvoll, wenn ein unantastbarer Kernbereich mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Dies wird im fünften Kapitel überprüft. Im folgenden vierten Kapitel ist zu untersuchen, ob der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung überzeugend mit Menschenwürde- und Wesensgehaltsgarantie begründet wird.

Viertes Kapitel

Begründung des unantastbaren Kernbereichs Bisher hat die Untersuchung ergeben, dass weder die Rechtsprechung noch die Rechtswissenschaft den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung so definieren, dass er gegen jeden staatlichen Eingriff schützt. Nun wird untersucht, ob der unantastbare Kernbereich nachvollziehbar auf das Grundgesetz gestützt wird. Weil der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht explizit in der Verfassung normiert ist, muss er mit Normen des Grundgesetzes begründet werden, wenn er entscheidungsrelevant sein soll. Auf eine Begründung durch das Bundesverfassungsgericht könnte nur verzichtet werden, wenn das Gericht keiner Kontrolle unterliegen würde, weil es bei der Verfassungsinterpretation wegen seiner Letztentscheidungskompetenz in Verfassungsrechtsstreitigkeiten nicht verfassungswidrig handeln kann.1 Dann wäre jede seiner Verfassungsauslegungen geltendes Verfassungsrecht und die autoritative Entscheidung würde die Begründung ersetzen. Dies ist aber in einem demokratischen Rechtsstaat, in dem das Volk der einzige Souverän ist, nicht denkbar.2 Auch das Bundesverfassungsgericht ist an die Verfassung gebunden. Diese Bindung wird vor allem durch die Verpflichtung des Gerichts verwirklicht, seine Entscheidungen zu begründen (§ 30 Abs. 1 S. 2 BVerfGG).3 Mit seiner Begründung weist das Gericht nach, dass es nicht eigenmächtig, sondern verfassungsgemäß entschieden hat und macht seine Rechtsprechung kontrollierbar. Bei der Begründung handelt es sich wegen der sprachlichen und inhaltlichen Offenheit der Verfassungsnormen, insbesondere auch der Grundgesetzartikel, zumeist nicht um eine Deduktion.4 Trotz der Unterschiede zwischen den einzelnen Methoden der Verfassungsinterpretation besteht jedoch ein Grundkonsens darü1 So wohl: K. Doehring, Staatsrecht, 1984, S. 136, 209 f.; T. Oppermann, JZ 1971, S. 301. In diese Richtung auch: H. Bethge, Grundrechtskollisionen, 1977, S. 409 f., Fn. 570. 2 B.-O. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 350; C. Starck, Verfassungsauslegung, 2006, S. 24 ff. 3 Vgl. C. Gusy, Gesetzgeber, 1985, S. 136 f. zum Normenkontrollverfahren. Zur Methodenvielfalt des Bundesverfassungsgerichts: U. Kranenpohl, Der Staat 48 (2009), S. 387, 390 ff. 4 E.-W. Böckenförde, NJW 1976, S. 2089, 2091; R. Dreier, in: Verfassungsinterpretation, 1976, S. 13, 14, 22 ff.; B.-O. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 89 ff. Zur Offenheit jeder Art von Recht grundlegend: J. Esser, Grundsatz, 1956, S. 253 ff. Zu einer leitbildorientierten Verfassungsanwendung: U. Volkmann, VVDStRL 67 (2008),

4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

135

ber, was diese Interpretation zu leisten hat. Ein neuer Verfassungsrechtsbegriff muss zumindest durch eine rational nachvollziehbare, in sich schlüssige Interpretation der bestehenden Verfassungsnormen aus dem Text des Grundgesetzes entwickelt werden.5 Diese Minimalforderung setzen auch Ansätze voraus, die eine noch strengere Bindung an den Verfassungstext fordern und davon ausgehen, dass es die einzige Aufgabe der Interpretation sei, den historischen Willen des Verfassungsgebers zu ermitteln.6 Selbst äußerst kritische Rechts- und Interpretationstheorien, wie der Dekonstruktivismus7, die Critical Legal Studies8 oder die prozedurale Rechtstheorie9 benötigen als Maßstab ihrer Kritik das Ideal eines begründbaren, „richtigen“ Rechts.10 Übertragen auf den Gegenstand dieser Untersuchung bedeutet dies, dass eine überzeugende Begründung den Begriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung durch eine rational nachvollziehbare, in sich schlüssige Interpretation der Grundrechte an den Text des Grundgesetzes anzubinden hat. Im Folgenden wird überprüft, ob der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft dies gelungen ist. Dazu wird zunächst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts untersucht, weil diese den Begriff des unantastbaren Kernbereichs maßgeblich geprägt hat (A.). Selbst die inhaltlich abweichenden Ansätze begründen den unantastbaren Kernbereich regelmäßig mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.). Die Rechtswissenschaft stützt den unantastbaren Kernbereich häufig auf die Menschenwürde (C.). Nachdem das Verhältnis von unantastbarem Kernbereich und Art. 1 Abs. 1 geklärt wurde, lässt sich die Rechtsfigur der Menschenwürdekollision und damit die Unantastbarkeit des Kernbereichs bei der Gefahrenabwehr abschließend beurteilen (D.). Schließlich fundieren einige Ansätze S. 57 ff.; ders., AöR 134 (2009), S. 157 ff. Zur Deduktion als Methode der Rechtsanwendung: D. Looschelders/W. Roth, Juristische Methodik, 1996, S. 112 ff. 5 E.-W. Böckenförde, NJW 1976, S. 2089, 2099; M. Kriele, Rechtsgewinnung, 1976, S. 167 ff.; F. Müller, in: Verfassungsinterpretation, 1976, S. 248, 261; C. Gusy, Gesetzgeber, 1985, S. 137; ders., JZ 1989, S. 505, 513 ff.; M. Vocke, Verfassungsinterpretation, 1995, S. 13 ff.; C. Starck, in: FS Söllner, 2000, S. 1109, 1122; ders., Verfassungsauslegung, 2006, S. 25 f.; P. Lerche, in: FS 50 Jahre BVerfG, 2001, I, S. 333, 336 ff. Für die juristische Methodik allgemein: R. Alexy, Argumentation, 1991, S. 17 ff.; U. Neumann, in: Rechtsphilosophie, 2008, S. 233, 239 ff. Vgl. auch: R. Christensen/ M. Sokolowski und N. Forgó/A. Somek, in: Theorien, 2009, S. 285, 302 ff. und S. 253, 264 f. In der politischen Philosophie sieht R. Forst, Recht, 2007, S. 291 ff. das Recht auf Rechtfertigung als Grundlage der Menschenrechte an. 6 M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung, 1999, S. 328 ff.; C. Hillgruber, VVDStRL 67 (2008), S. 43 ff. 7 Zu Jacques Derrida: T.-M. Seibert, in: Theorien, 2009, S. 27, 40 ff. 8 Vgl. dazu: G. Frankenberg, in: Theorien, 2009, S. 93 ff. 9 Zu Rudolf Wiethölter: A. Fischer-Lescano/G. Teubner, in: Theorien, 2009, S. 75 ff. 10 G. Frankenberg und A. Fischer-Lescano/G. Teubner, in: Theorien, 2009, S. 93, 107 und S. 75, 86.

136

4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

den unantastbaren Kernbereich auch mit der Wesensgehaltsgarantie (E.). Die Analyse der Kernbereichsbegründungen von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft bildet die Grundlage für die im fünften Kapitel erfolgende allgemeine Prüfung, ob der absolute Kernbereichsschutz grundgesetzkonform ist.

A. Begründung des Bundesverfassungsgerichts In neueren Entscheidungen begründet das Bundesverfassungsgericht den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung mit seiner ständigen Rechtsprechung und einem pauschalen Verweis auf Art. 1 Abs. 1 GG, ohne diese Norm auszulegen.11 Der Rückgriff auf die ständige Rechtsprechung überzeugt nur, wenn das Gericht den unantastbaren Kernbereich in einer seiner Entscheidungen plausibel auf Normen des Grundgesetzes gestützt hat. (1) Im Elfes-Beschluss führte das Gericht aus: „Vor allem dürfen die Gesetze daher die Würde des Menschen nicht verletzen, die im Grundgesetz der oberste Wert ist, aber auch die geistige, politische und wirtschaftliche Freiheit des Menschen nicht so einschränken, daß sie in ihrem Wesensgehalt angetastet würde (Art. 19 Abs. 2, Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 GG). Hieraus ergibt sich, daß dem einzelnen Bürger eine Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräftig vorbehalten ist, also ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit besteht, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist.“

Das Gericht verwies auf Menschenwürde- und Wesensgehaltsgarantie, ohne beide Grundgesetzartikel zu interpretieren. Es blieb unklar, welchen Inhalt diese Normen haben und warum aus ihnen ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung folgen soll. (2) Nachdem das Gericht im ersten Homosexualitätsurteil den unantastbaren Kernbereich nur mit dem Elfes-Beschluss begründete,12 ging es im Mikrozensus-Beschluss genauer auf das Verhältnis von Menschenwürde und Kernbereich ein: „Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren (. . .) und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder Beziehung zugänglich ist.“13 11 BVerfGE 113, 348, 390 f. (Niedersächsisches SOG); 119, 1, 29 f., 34 (Esra); 120, 274, 335 (Online-Durchsuchung); BVerfG, NJW 2007, S. 1865, 1867, Rn. 16 ff. (Gefängnisseelsorger); NJW 2007, S. 2753, 2754 ff., Rn. 39 ff. (Neuregelung Wohnraumüberwachung); NJW 2009, S. 2431, 2436 f., Rn. 90 (Email-Beschlagnahme); Nichtannahmebeschlüsse vom 26. Juni 2008, Az.: 2 BvR 219/08, Rn. 17 ff. und vom 10.06. 2009, Az.: 1 BvR 1107/09, Rn. 25, jeweils zitiert nach juris. 12 BVerfGE 6, 389, 433.

A. Begründung des Bundesverfassungsgerichts

137

Das Gericht stellte also zunächst auf die Objektformel14 ab, um die Menschenwürde auszulegen. Daneben, also unabhängig von der Objektformel, zog es den unantastbaren Kernbereich heran: „Ein solches Eindringen in den Persönlichkeitsbereich durch eine umfassende Einsichtnahme in die persönlichen Verhältnisse seiner Bürger ist dem Staat auch deshalb versagt, weil dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen ein ,Innenraum‘ verbleiben muß, in dem er ,sich selbst besitzt‘ und ,in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt‘“.15

Das Gericht stellte keinen Zusammenhang zwischen unantastbarem Kernbereich und Objektformel her, sondern sah beide als eigenständige Kategorien des Menschenwürdeschutzes an. Den unantastbaren Kernbereich stützte das Bundesverfassungsgericht einerseits auf den Elfes-Beschluss und das erste Homosexualitätsurteil sowie andererseits auf die Ausführungen von Günther Dürig und Josef M. Wintrich zum unantastbaren Kernbereich.16 Wie gesehen, führen die Ansätze von Dürig und Wintrich nicht zu einem absoluten Kernbereichsschutz.17 Weder mit den Gerichtsentscheidungen noch mit der Argumentation der beiden Autoren konnte das Gericht darlegen, dass sich ein unantastbarer Kernbereich aus dem Grundgesetz ergibt. Auch im Mikrozensus-Beschluss blieb der unantastbare Kernbereich eine unbegründete These. (3) In den Folgeentscheidungen zum unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ging das Bundesverfassungsgericht nicht näher auf Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 2 GG ein, sondern knüpfte an die vorherige Kernbereichsrechtsprechung an.18 (4) Laut Urteil zum großen Lauschangriff verletzt der Staat die Menschenwürde dadurch, dass er bei der heimlichen Überwachung in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung eingreift.19 Das Gericht interpretierte Art. 1 Abs. 1 13

BVerfGE 27, 1, 6. Zur Objektformel und ihrem Verhältnis zum Kernbereich ausführlich: s. u. 4. Kapitel, C. I. 15 BVerfGE 27, 1, 6 (Hervorhebung, I. D.). C. Gusy, JuS 2004, S. 457, 458, Fn. 14 weist zu Recht daraufhin, dass die Terminologie „Bürger“ an sich ungeeignet ist, um die Menschenwürdegarantie zu konkretisieren. Das Gericht nutzt diese Bezeichnung in der Praxis aber häufig als Äquivalent zum Begriff „Mensch“. 16 J. M. Wintrich, Grundrechte, 1957, S. 15 f.; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, 1958, Art. 1, Rn. 37. 17 s. o. 2. Kapitel, A. I. 1. 18 BVerfGE 32, 373, 378 f. (Patientenkartei); 34, 238, 245 (Heimliche Tonbandaufnahme); 80, 367, 373 f. (Tagebuch II); 89, 69, 82 f. (Cannabis I); 90, 145, 171 (Cannabis II). 19 Hierzu und zum Folgenden: BVerfGE 109, 279, 312 f. 14

138

4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

GG zunächst anhand der Objektformel. Die Aussagekraft dieser Formel sei aber begrenzt, weil nicht jede heimliche Beobachtung den Menschen zum Objekt staatlichen Handelns macht. Erst im Anschluss an diese Ausführungen und ohne den Kernbereich auf die Objektformel zu stützen, argumentierte das Gericht, dass bei Observationen ein unantastbarer Kernbereich zu wahren ist: „Dabei führt ein heimliches Vorgehen des Staates an sich noch nicht zu einer Verletzung des absolut geschützten Achtungsanspruchs. Wird jemand zum Objekt einer Beobachtung, geht damit nicht zwingend eine Missachtung seines Wertes als Mensch einher. Bei Beobachtungen ist aber ein unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren (zu dessen Garantie vgl. BVerfGE 6, 32, 41; 27, 1, 6; 32, 373, 378 f.; 34, 238, 245; 80, 367, 373). Würde der Staat in ihn eindringen, verletzte dies die jedem Menschen unantastbar gewährte Freiheit zur Entfaltung in den ihn betreffenden höchstpersönlichen Angelegenheiten.“20

Das Gericht wies zwar daraufhin, dass es gegen die Objektformel verstoßen würde, bei heimlichen Beobachtungen in den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung einzugreifen. Jedoch verwendete das Gericht die negative, am Eingriff orientierte Menschenwürdedefinition der Objektformel,21 um an die Modalität des staatlichen Eingriffs, nämlich das heimliche Vorgehen des Staates, anzuknüpfen. Der unantastbare Kernbereich schützt nach den Ausführungen des Gerichts hingegen die unantastbar gewährte Entfaltungsfreiheit in höchstpersönlichen Angelegenheiten und ist damit eine positive, am Schutzgut der Freiheit und der Privatsphäre orientierte Menschenwürdedefinition. Die zitierte Urteilspassage zeigt, dass das Gericht die jeweils eigenständigen Menschenwürdekonkretisierungen in Form der eingriffsorientierten Objektformel und des schutzgutorientierten Kernbereichskonzepts kombinierte,22 um den großen Lauschangriff an der Menschenwürdegarantie zu prüfen. Weil es sich um zwei unterschiedliche Ansätze der Konkretisierung der Menschenwürdegarantie handelt, konnte das Gericht den unantastbaren Kernbereich nicht mit der Objektformel begründen. Vielmehr stützte es das Konzept des unantastbaren Kernbereichs ausschließlich auf seine vorangegangenen Entscheidungen zum Kernbereich.23 An den übrigen Stellen im Urteil zum großen Lauschangriff, an denen das Gericht den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung er-

20

BVerfGE 109, 279, 313 (Hervorhebung, I. D.). s. u. 4. Kapitel, C. I, Fn. 60. 22 Ausführlich zu den Unterschieden von Objektformel und Kernbereich der privaten Lebensgestaltung: s. u. 4. Kapitel, C. I. und II. 23 BVerfGE 109, 279, 313 verweist auf: BVerfGE 6, 32, 41 (Elfes); 27, 1, 6 (Mikrozensus); 32, 373, 378 f. (Patientenkartei); 34, 238, 245 (Heimliche Tonbandaufnahme); 80, 367, 373 (Tagebuch). 21

A. Begründung des Bundesverfassungsgerichts

139

wähnte, konkretisierte es den Kernbereichsbegriff, ohne ihn weiter zu begründen.24 Das Bundesverfassungsgericht nutzt den Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung, ohne ihn in einer seiner Entscheidungen aus dem Grundgesetz überzeugend hergeleitet zu haben. Die Argumentation bleibt lückenhaft, weil das Gericht lediglich feststellt, dass Menschenwürdeund Wesensgehaltsgarantie einen unantastbaren Kernbereich schützen, ohne diese Feststellung zu begründen.25 Dieses Begründungsdefizit blieb relativ verdeckt, weil innerhalb des Bundesverfassungsgerichts in keiner Entscheidung umstritten war, dass ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung aus dem Grundgesetz folge. Meinungsverschiedenheiten bestanden, wenn überhaupt, nur darüber, ob ein Sachverhalt zum unantastbaren Kernbereich gehört. Im zweiten Tagebuch-Beschluss waren sich die Richter uneinig, ob die Beschlagnahme und Verwertung eines Tagebuchs in den unantastbaren Kernbereich eingreift.26 Im Urteil zum großen Lauschangriff war umstritten, wie die Unsicherheit bei der Kernbereichsprognose zu behandeln ist.27 In beiden Entscheidungen bestand aber Einigkeit darüber, dass sich ein unantastbarer Kernbereich aus dem Grundgesetz ergibt. Weil das Gericht den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Konsensbegriff verwendete, konnte es sich mit einem allgemeinen Verweis auf die Menschenwürde- und Wesensgehaltsgarantie begnügen.28 Der Konsens tritt an die Stelle einer Konkretisierung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 2 GG. Dies ist unproblematisch, wenn der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung entweder nicht einschlägig oder der Inhalt und Umfang des absoluten Kernbereichsschutzes tatsächlich konsentiert ist. Wenn hingegen kein Konsens über den Kernbereichsschutz besteht, dann kann der unantastbare Kernbereich nicht als Konsensbegriff verwendet werden, sondern bedarf einer weiteren Begründung durch Normen des Grundgesetzes. In den Sachverhalten, in denen es auf den Kernbereichsschutz ankommt, wie beim Schutz von Monologen und beim Schutz vor heimlichen Ermittlungsmaßnahmen, besteht kein Konsens über Inhalt und Reichweite des unantastbaren Kernbereichs. In diesen Fällen kann das Gericht nicht auf Konsensdefinitionen zurückgreifen und der Verweis auf die eigene ständige Rechtsprechung ersetzt nicht die Auslegung der Art. 1 Abs. 1 und 19 Abs. 2 GG, um den Kernbereichsschutz zu ermitteln. 24

BVerfGE 109, 279, 314 ff., 319 ff., 328 ff. So auch: D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 83. 26 BVerfGE 80, 367, 373 (Tagebuch II). 27 Mehrheitsvotum: s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. b) aa); abweichendes Votum: s. o. 3. Kapitel, A. II. 4. 28 Zur Menschenwürde als Konsensbegriff: T. Geddert-Steinacher, Menschenwürde, 1990, S. 29. Zum Kernbereich als Konsensbegriff: s. u. 4. Kapitel, C. III. 25

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

B. Auf das Bundesverfassungsgericht verweisende Ansätze Weite Teile der Rechtsprechung und der Rechtswissenschaft begründen den unantastbaren Kernbereich nicht eigenständig mit dem Grundgesetz. Dies gilt zunächst für die meisten Ansätze, die dem Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts folgen.29 Aber auch die inhaltlich abweichenden Gerichtsentscheidungen verweisen zur Legitimation des Kernbereichs zumeist auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Im Raumgesprächsurteil stellte der BGH unter Verweis auf die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zum Mikrozensus und zur heimlichen Tonbandaufnahme fest, dass ein Kernbereich der privaten Lebensgestaltung aus der Menschenwürde- und der Wesensgehaltsgarantie folgt.30 Auch das abweichende Votum im Urteil zum großen Lauschangriff begründete den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht näher.31 Die beiden Richterinnen erläuterten lediglich ihre Differenzen zum Mehrheitsvotum. Da auch das Mehrheitsvotum von einem unantastbaren Kernbereich ausging,32 bestand für sie keine Notwendigkeit, den Kernbereich selbständig zu fundieren. Im Krankenzimmer-Urteil musste der BGH das Verhältnis von Menschenwürde und Kernbereich nicht erörtern, weil er den neugeschaffenen § 100c Abs. 4 StPO anwenden konnte, in dem der Kernbereichsschutz normiert ist.33 Auch die Autoren, die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Teil der Sphärentheorie ansehen, begründen nicht, warum aus Art. 1 Abs. 1 bzw. Art. 19 Abs. 2 GG die Sphärentheorie und damit ein unantastbarer Freiheitsraum folgt.34 Sie verweisen lediglich auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum unantastbaren Kernbereich. Damit setzt sich das Begründungsdefizit des Bundesverfassungsgerichts auch in den meisten Ansätzen in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft fort. Im Folgenden sind die Theorien, die den unantastbaren Kernbereich eigenständig auf die Menschenwürde- und die Wesensgehaltsgarantie stützen, zu untersuchen. 29

So etwa die Rechtsprechung der Fachgerichte: s. o. 2. Kapitel, B. II. BGHSt 31, 296, 299 f. verweist auf: BVerfGE 27, 1, 6 (Mikrozensus); BVerfGE 34, 238, 245 (Heimliche Tonbandaufnahme). 31 BVerfGE 109, 279, 382 ff. 32 BVerfGE 109, 279, 313 f. 33 BGHSt 50, 206, 210. 34 P. H. Frank, Tonbandaufnahmen, 1996, S. 102 ff.; M.-E. Geis, JZ 1991, S. 112, 115; D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 64 f., 72 ff.; B. Raum/F. Palm, JZ 1994, S. 447, 451; M. Warntjen, Kernbereich, 2007, S. 48 ff.; J. Wolter, StV 1990, 175, Fn. 1; ders., in: FS Küper, 2007, S. 707, 711 ff. Ähnlich: M. H. W. Möllers, JBÖS 2004/2005, S. 51, 59; J. Salzwedel, in: GS Peters, 1967, S. 756, 765. Zur Sphärentheorie: s. o. Einleitung, A. 30

C. Begründungen des Kernbereichs mit der Menschenwürde

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C. Begründungen des unantastbaren Kernbereichs mit der Menschenwürde An dieser Stelle wird geprüft, ob es in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft Ansätze gibt, die den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung stichhaltig mit der Menschenwürdegarantie begründen.35 Daraus ergeben sich zwei Beschränkungen der Diskussion:36 (1) Zum einen kann der Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs nur auf einer absolut geschützten Menschenwürde mit unmittelbarer Rechtswirkung beruhen. Deshalb werden Ansätze, welche die Menschenwürde nicht als unmittelbar anwendbare Rechtsnorm37 oder als Leerformel38 ansehen, an dieser Stelle nicht behandelt.39 Gleiches gilt für Interpretationen, die den Inhalt der Menschenwürde durch Abwägung ermitteln.40 Dabei können drei Ansätze unterschieden werden. Erstens hält die Theorie der wertenden Gesamtbetrachtung die Menschenwürde zwar für nicht einschränkbar. Ihr Schutzbereich sei aber durch Abwägung aller einschlägigen Interessen zu bestimmen.41 Zweitens wenden einige Autoren auf Art. 1 Abs. 1 GG die dreiglied35 Skeptisch zur Begründung des Kernbereichsschutzes mit der Menschenwürde: C. Gusy, DuD 2009, S. 33, 41. 36 Umfassend zu Inhalt und Funktion der Menschenwürdegarantie: C. Enders, Menschenwürde, 1997; T. Geddert-Steinacher, Menschenwürde, 1990. 37 Dabei variiert die Terminologie: C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 502 f.: Allgemeine Anerkennung des Menschen als Rechtsubjekt bzw. „Recht auf Rechte“, ähnlich: C. Hillgruber, in: Gesellschaft, 2007, S. 25, 36 ff.; U. Palm, Der Staat 47 (2008), S. 41, 54. Die Formulierung: „ein Recht, Rechte zu haben“ geht auf H. Arendt, Die Wandlung 4 (1949), S. 754 ff., vor allem S. 760 f. zurück. Es erstaunt, dass Enders diesen Ursprung nicht erwähnt. J. Isensee, AöR 131 (2006), S. 173, 209 ff.: „absolute Idee“ mit „relativen handlungspraktischen Folgen“. V. Neumann, KritV 76 (1993), S. 276, 288: „Regulatives Prinzip der Grundrechtsinterpretation“. R. Gröschner, Menschenwürde, 1995, S. 45 f.; ders., in: Menschenwürde, 2005, S. 17 ff.: „Konstitutionsprinzip der Grundrechte“; P. Kirchhof, in: FS Starck, 2007, S. 275, 290 ff. Aus rechtsphilosophischer Sicht: M. Rothhaar, ARSP 94 (2008), S. 421, 432. 38 E. Denninger, Staatsrecht I, 1973, S. 25 ff. spricht den Leerformeln die Funktion der Legitimitätsgewährung und der politischen Integration zu. Vgl. auch: N. Hoerster, JuS 1983, S. 93 ff. 39 Auf ihre Argumentation ist bei der Kritik des absoluten Kernbereichsschutzes einzugehen, s. u. 5. Kapitel, B. 40 Laut O. Lepsius, Jura 2005, S. 433, 440 relativiert eine realistische Definition der Menschenwürde, im Gegensatz zu einer ideellen, zwangsläufig den Menschenwürdeschutz. Gegen jede Menschenwürdedefinition wegen der Gefahr der Begrenzung, Ausschließung und Differenzierung: J. F. Lindner, DÖV 2006, S. 577, 582 f.; H. Ottmann, in: FS Alfred Schöpf, 1998, S. 167, 178. Skeptisch zur Realisierbarkeit einer Menschenwürdedefinition: C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 5, 11. 41 M. Herdegen, in: Maunz/Dürig, (2009), Art. 1 Abs. 1, Rn. 46 ff.; S. Tornow, Art. 1, 2008, S. 115 f. Ähnlich: H. Schlehofer, GA 1999, S. 357, 364. Laut Herdegen gibt es einen rein gegenständlich-modal zu bestimmenden, abwägungsfesten Menschenwürde-

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

rige Grundrechtsprüfung mit Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung an, so dass sich Eingriffe in die Menschenwürde rechtfertigen lassen.42 Drittens geht die Prinzipientheorie davon aus, dass die Menschenwürde als absolut geltende Regel aus der Anwendung des relativen Prinzips der Menschenwürde folgt.43 Um festzustellen, ob die Menschenwürde als Prinzip verletzt ist, seien alle betroffenen Rechtsgüter abzuwägen. Die Menschenwürde als Regel sei das Ergebnis dieser Abwägung. (2) Zum anderen ist der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ein Freiraum für menschliches Verhalten, der gegen jede Art von Beeinträchtigung, auch durch Informationserhebung, geschützt ist.44 Es geht also um das Verhältnis von Menschenwürde und Freiheit. Theorien, die von einem mehrdimensionalen Menschenwürdeschutz ausgehen, aber die Dimension, die sich auf den Freiheitsschutz bezieht, nicht für absolut geschützt halten, können keinen unantastbaren Kernbereich begründen.45 Das Gleiche gilt für Ansätze, die von einem absoluten Menschenwürdeschutz ausgehen, aber den Inhalt der Menschenwürde in Bezug auf den Freiheitsschutz nicht konkretisieren.46 Schließ-

kern (Rn. 47). Dieser sei auf „das Trauma des nationalsozialistischen Terrors, auf zwingendes Völkerrecht und den rechtsvergleichenden Befund“ zu stützen“ und beinhalte das Verbot von Folter, Massenvertreibung und Genozid, aber keinen Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Zum ius cogens im Völkerrecht: s. u. 4. Kapitel, E. IV. 42 M. Kloepfer, in: FG 25 Jahre BVerfG, 1976, S. 405, 411 ff.; ders., in: FS 50 Jahre BVerfG, 2001, II, S. 77, 97 f.; T. Elsner/K. Schobert, DVBl. 2007, S. 278, 285 f. 43 R. Alexy, Grundrechte, 1996, S. 95 ff.; M. Borowski, Grundrechte, 2007, S. 280 ff.; C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 261 ff.; M. Schefer, Kerngehalte, 2001, S. 80 f. K.-E. Hain, Grundsätze, 1999, S. 224 f.; ders., Der Staat 45 (2006), S. 189 ff.; ders., in: Menschenwürde, 2007, S. 87, 98 ff. sieht die Menschenwürde nur als Prinzip und nicht als Regel an. Noch anders: R. D. Herzberg, JZ 2005, S. 321, 323 f.; ders., in: FS Schnapp, 2008, S. 103, 112 ff.: Die Menschenwürde werde durch vorsätzlich-rechtswidrige Eingriffe verletzt, insbesondere wenn keine gesetzliche Grundlage vorliegt, so dass es auf die einfache Rechtsordnung ankommt. Diese Ansicht ist mit Art. 1 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren, weil der Menschenwürdeschutz nicht von der einfachen Rechtsordnung abhängt. K. Möller, Der Staat 46 (2007), S. 109, 121 vertritt unter Berufung auf Frances Myrna Kamm, Morality, Mortality, Bd. 2: Rights, Duties and Status, Oxford, 2001, eine Statustheorie, die aber nicht zu einem absoluten Schutz, sondern nur zu einer „qualifizierten Abwägung“ führt. 44 Auch in der Fallgruppe des Informationsschutzes geht es um den Schutz von Verhalten, nämlich gegen Informationserhebungen. 45 M. Nettesheim, AöR 130 (2005), S. 71, 103 ff. 46 Dabei können fünf Ansätze unterschieden werden: 1. Menschenwürde als modale Gewährleistung: A. Blankenagel, KJ 1987, S. 379, 387; W. Höfling, JuS 1995, S. 857, 858. 2. Menschenwürde als Tabu: R. Poscher, JZ 2004, S. 756, 758 ff.; ders., in: Menschenwürde, 2006, S. 215 ff. 3. Menschenwürde als soziale Erkennbarkeit: E. Schmidt-Jortzig, DÖV 2001, S. 925, 927.

C. Begründungen des Kernbereichs mit der Menschenwürde

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lich lässt sich mit der Menschenwürde als Verbot bestimmter staatlicher Zwecke kein unantastbarer Freiheitsraum begründen.47 Wenn danach bestimmte Maßnahmen nur zum Zweck der Gefahrenabwehr und nicht zur Strafverfolgung zulässig sind, resultiert daraus kein Bereich des menschlichen Lebens, der gegen jegliche Eingriffe geschützt ist. Hingegen lässt sich ein unantastbarer Kernbereich auf die Menschenwürde sowohl als Grundrecht als auch als objektiver Rechtssatz stützen. Als objektiver Rechtssatz ermöglicht Art. 1 Abs. 1 GG den absoluten Schutz von Menschenwürdegehalten der speziellen Grundrechte. Deshalb kann für diese Arbeit dahinstehen, ob Art. 1 Abs. 1 GG ein Grundrecht ist.48 Um den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zu begründen, wird die Menschenwürdegarantie unterschiedlich ausgelegt. Einige Autoren wenden die traditionelle (I.) oder die modifizierte (II.) Objektformel an. Häufig werden Konsensdefinitionen verwendet (III). Einem weiteren Ansatz folgend schützt die Menschenwürde die Voraussetzungen dafür, dass sich der Mensch zum Subjekt entwickeln kann. Zu diesen Voraussetzungen gehöre ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung (IV.). Schließlich wird der unantastbare Kernbereich auf die Menschenwürde als Ausdruck der gegenseitigen Achtung gestützt (V.).

4. Menschenwürde als gegenseitige Zuschreibung: H. Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353, 365 ff.; U. Neumann, ARSP 84 (1998), S. 153, 165 f.; T. Hörnle, ARSP 89 (2003), S. 318, 323 f. 5. Abwehrdimension geht Schutzpflichtendimension vor: J. v. Bernstorff, Der Staat 47 (2008), S. 21, 34 ff.; C. D. Classen, DÖV 2009, S. 689, 694 f. 47 Zur Menschenwürde als Zweckverbot: C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 80 ff.; ders., in: Stern/Becker, 2010, Art. 1, Rn. 61 f. In diese Richtung auch: W. Klöhn, Intimsphäre, 1984, S. 59 ff. 48 Explizit als Grundrecht: BVerfGE 1, 97, 104 (Hinterbliebenenrente); 15, 283, 286; 28, 243, 263 (Kriegsdienstverweigerung); 51, 97, 105 (Zwangsvollstreckung I); 72, 105, 114 ff. (Aussetzung lebenslanger Freiheitsstrafe); 102, 370, 393 (Zeugen Jehovas); 109, 133, 151 (lebenslange Sicherungsverwahrung). Offen gelassen: BVerfGE 109, 279, 310 (Großer Lauschangriff); 30, 1, 24 f. (Abhörurteil). Gegen den Grundrechtscharakter: G. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117, 119; T. GeddertSteinacher, Menschenwürde, 1990, S. 57, 172 f.; H. Dreier, in: ders., Bd. I, 2004, Art. 1 I, Rn. 127 ff.; S. Lenz, Freiheitsrechte, 2006, S. 27 f. Für den Grundrechtscharakter: P. Häberle, in: HStR II, 2004, § 22, Rn. 74; M. Herdegen, in: Maunz/Dürig, (2009), Art. 1 Abs. 1, Rn. 29; W. Höfling, in: Sachs, GG, 2009, Art. 1, Rn. 5; H. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, 2005, Art. 1, Rn. 3; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, 2009, Art. 1, Rn. 3; W. Krawietz, in: GS Klein, 1977, S. 245, S. 267 ff.; P. Kunig, in: von Münch/Kunig, 2000, Bd. I, Art. 1, Rn. 3 und 8; A. Podlech, in: AK-GG, (2001), Art. 1 Abs. 1, Rn. 61; E. Schmidt-Jortzig, DÖV 2001, S. 925, 926; C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, I, 2005, Art. 1 Abs. 1, Rn. 28 ff.; K. Stern, in: ders., Staatsrecht, III/1, 1988, § 58, S. 26 f.; S. Tornow, Art. 1, 2008, S. 68; R. Zippelius, in: BK, (1995), Art. 1 Abs. 1 u. 2, Rn. 24 ff.

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

I. Kernbereich und Objektformel (1) Die Objektformel entstand aus dem Versuch, die idealistische Philosophie, insbesondere Immanuel Kants, vom Selbstzweck des Menschen und vom Instrumentalisierungsverbot49 für die Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG fruchtbar zu machen. Zwar war Günter Dürig nicht der erste Autor, der nach dem Zweiten Weltkrieg an die Gedanken Kants anknüpfte.50 Dürig brachte die Objektformel aber in ihrer noch heute verwendeten Fassung auf den Punkt.51 Einige Autoren bezweifeln, dass sich der kantischen Philosophie Anregungen dafür entnehmen lassen, wie die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes auszulegen ist.52 Die Zweifel beruhen darauf, dass Kant den Achtungsanspruch der Menschenwürde als Tugendpflicht und nicht als Rechtspflicht entwickelt hat.53 Tugendpflichten sind Pflichten gegen sich selbst, wie sie aus dem Begriff eines vernünftigen Begehrens folgen, und deren Erfüllung niemandem geschuldet ist.54 Hingegen dienen Rechtspflichten einer vernünftigen Regelung des menschlichen Zusammenlebens und der Bewältigung von Konflikten zwischen Menschen.55 Der Staat könne lediglich Rechtspflichten zwangsweise durchsetzen. Aus Tugendpflichten ließen sich Rechtspflichten nicht ableiten.56 Die Einheit von Recht und Pflicht wäre der Preis für die bruchlose Umsetzung einer Tugendpflicht in eine Rechtspflicht.57 Danach

49 I. Kant, Grundlegung, in: Werkausgabe, VII, S. 68 f. und Tugendlehre, § 37 f., in: Werkausgabe, VIII, S. 600 f. Würde bezeichne den inneren Wert, der nicht bloß relativ ist und damit einen Preis hat, sondern unbedingt und unvergleichbar ist. Dieser Wert beruhe darauf, dass „etwas Zweck an sich selbst sein kann“. Zu Kants Verbindung von praktischer Vernunft und Menschenwürde: P. Tiedemann, Menschenwürde, 2007, S. 157 ff. 50 G. Radbruch, SJZ 1947, Sp. 131, 132; F. Münch, Menschenwürde, 1952, S. 9; J. M. Wintrich, in: FS Laforet, 1952, S. 227, 235 f. Ohne Kant zu erwähnen, spricht H. Coing, Grundsätze, 1947, S. 41 davon, dass die soziale Ordnung den „Eigenwert des Menschen“ achten und „ihn niemals zum bloßen Mittel zur Erreichung eines Zweckes erniedrigen“ darf. Vgl. zum Ganzen auch: C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 20. 51 G. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117, 127. Vgl. nur H. Dreier, in: ders., Bd. I, 2004, Art. 1 I, Rn. 53; P. Häberle, in: HStR II, 2004, § 22, Rn. 38; G. Luf, in: Freiheit, 1999, S. 27, 28. 52 V. Neumann, KritV 76 (1993), S. 276, 285 f.; R. Gröschner, Menschenwürde, 1995, S. 39 f.; T. Hörnle, in: Gesellschaft, 2007, S. 170, 178. Zur reinen Innerlichkeit der Menschenwürde bei Kant: C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 198 ff. Zum Status der Menschenrechte in kantischer Tradition: T. Wihl, Der Staat 48 (2009), S. 193 ff. Zu Kants Rechtsphilosophie allgemein: W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 1984; P. Unruh, Vernunft, 1993. 53 I. Kant, Tugendlehre, § 37 f., in: Werkausgabe, VIII., S. 600 f. 54 I. Kant, Tugendlehre, Einleitung, in: Werkausgabe, VIII., S. 525 f. 55 V. Neumann, KritV 76 (1993), S. 276, 285. 56 T. Hörnle, in: Gesellschaft, 2007, S. 170, 178. 57 V. Neumann, KritV 76 (1993), S. 276, 286.

C. Begründungen des Kernbereichs mit der Menschenwürde

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lassen sich aus der Anerkennung der Menschenwürde als Tugendpflicht bei Kant keine unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen ziehen. Demgegenüber argumentieren andere Autoren, dass die Verpflichtung, den Menschen als Selbstzweck zu behandeln, sowohl eine ethische als auch eine rechtliche Pflicht ist.58 Die rechtliche Pflicht beziehe sich auf ein Minimum, nämlich den Menschen auch als Selbstzweck zu behandeln, während die ethische Pflicht das Maximum fordere, nämlich den Menschen nur als Selbstzweck zu behandeln. Diese Autoren treten der gewöhnlichen Unterscheidung entgegen, dass das Recht das Äußere und die Moral das Innere betrifft. Im Rahmen dieser Untersuchung kann dahinstehen, welche der beiden Interpretationen der kantischen Philosophie besser gerecht wird. Dadurch, dass das Bundesverfassungsgericht Art. 1 Abs. 1 GG in ständiger Rechtsprechung mit Hilfe der Objektformel auslegt,59 erübrigt sich für das Verfassungsrecht die Frage, ob die Objektformel mit den Gedanken Kants zu begründen ist. (2) Laut Bundesverfassungsgericht verbietet es Art. 1 Abs. 1 GG, den Menschen „zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt“. Das Gericht definiert die Menschenwürde vom Eingriff her also „negativ“.60 Allerdings sieht es die Objektformel und den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als voneinander unabhängige Konkretisierungen der Menschenwürde an.61 Jedoch verknüpfen einige Autoren beide Kategorien, indem sie den Menschenwürdegehalt der Grundrechte, den sie mit der Objektformel bestimmen, zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zählen.62 Dies geschieht in der Regel am Beispiel des großen Lauschangriffs, der den arglos Betroffenen zum Objekt staatlichen Handelns mache, weil er nicht an der Überwachung

58 G. Prauss, Moral, 2008, S. 61 ff. Vgl. auch G. Luf, in: Freiheit, 1999, S. 27, 28, allerdings ohne Begründung. Für eine Parallelität der Menschenwürde bei Kant und im Rahmen des Grundgesetzes: R. A. Lorz, Menschenrechtsverständnis, 1993, S. 287 ff. 59 Hierzu und zu dem folgenden Zitat: BVerfGE 109, 133, 149 f. (lebenslange Sicherungsverwahrung); 115, 118, 153 (Luftsicherheitsgesetz) jeweils m.w. N. 60 K. H. Auer, ARSP 93 (2007), S. 493, 516 f.; U. Di Fabio, Programmgrundsätze, 2000, S. 23; H. Dreier, in: Biopolitik, 2001, S. 232, 234; ders., in: Menschenwürde, 2004, S. 33, 35; C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 20 ff.; T. Geddert-Steinacher, Menschenwürde, 1990, S. 26; F. Hufen, JZ 2004, S. 313, 317; R. Will, in: FG Hirsch, 2006, S. 29, S. 38. 61 s. o. 4. Kapitel, A. 62 U. Guttenberg, NJW 1993, S. 567, 570 f.; A. Kowalczyk, Datenschutz, 1989, S. 40 f.; M. H. W. Möllers, JBÖS 2004/2005, S. 51, 64. Ähnlich: S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 474; M. Köhler, ZStW 107 (1995), S. 10, 25, 32; J. Wolter, in: SK-StPO, (1994) Rn. 114 vor § 151. Vgl. auch: O. Bludovsky, Lauschangriff, 2002, S. 60 m.w. N.

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

teilnehmen und nicht bewusst auf sie reagieren kann.63 Anders als bei anderen heimlichen Maßnahmen, wie der Telefonüberwachung, rechne der Betroffene nicht damit, dass seine Wohnung möglicherweise abgehört wird. Je weniger der Einzelne damit rechne, überwacht zu werden, desto mehr mache ihn eine trotzdem stattfindende Überwachung zum Objekt.64 Außerdem dürfe der Wohnungsinhaber darauf vertrauen, dass die Wohnung unverletzlich ist.65 Deshalb komme dem großen Lauschangriff im Gegensatz zu anderem heimlichem Vorgehen eine spezifische Menschenwürderelevanz zu. (3) Mit der Objektformel lässt sich der Zusammenhang zwischen unantastbarem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung und Menschenwürdegarantie aus drei Gründen nicht herstellen. Zunächst ist die Objektformel nicht konkret genug, um einen unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zu begründen. Es bleibt unklar, wann der Mensch bloßes Objekt staatlicher Handlungen ist.66 Ohne weitere Konkretisierung kann die Objektformel den Begriff des unantastbaren Kernbereichs nicht mit Inhalt füllen.67 Zweitens überzeugt der große Lauschangriff als Beispiel für den Zusammenhang von unantastbarem Kernbereich und Objektformel nicht. Dass lediglich der große Lauschangriff – im Gegensatz zu anderem heimlichem Vorgehen – den Betroffenen zum Objekt macht, ist nicht begründbar.68 Mit dem Argument, der Betroffene werde zum Objekt staatlichen Handelns gemacht, weil er sich zum großen Lauschangriff nicht verhalten kann, lässt sich heimliches Vorgehen insgesamt als menschenwürdewidrig werten. Diesen Schluss zieht aber keiner der Autoren. Er liegt auch nicht nahe, weil in diesem Fall keine heimliche Maßnahme, auch nicht die Telefonüberwa63 U. Eisenberg, NJW 1993, S. 1033, 1038 f.; U. Guttenberg, NJW 1993, S. 567, 571; J. Kretschmer, Jura 1997, S. 581, 589; D. de Lazzer/D. Rohlf, JZ 1977, S. 207, 211; M. Mozek, Lauschangriff, 2001, S. 189 f.; J. Seifert, in: Datenschutz, 1987, S. 261, 271; ders., KJ 1992, S. 355, 363. 64 U. Guttenberg, NJW 1993, S. 567, 571; B. Hirsch, in: Vormbaum, Lauschangriff, 2005, S. 62, 65. 65 Vgl. z. B. M. Löffelmann, ZStW 118 (2006), 358, 383 ff., der allerdings nicht auf die Objektformel, sondern auf eine existentialistisch begründete „Geborgenheit“ abstellt, die nur in der Wohnung und nicht am Telefon vorliege. 66 E. Grabitz, Freiheit, 1976, S. 110 f.; C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 384 f.; R. Will, Blätter 2004, S. 1228, 1238 f.; W.-R. Schenke, in: FG Hirsch, 2006, S. 75, 85; S. Tornow, Art. 1, 2008, S. 98. Für eine ausreichende Bestimmtheit der Objektformel: M. Mahlmann, Grundrechtstheorie, 2008, S. 282 ff. 67 D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 64; G. Duttge, Zwangsmaßnahme, 1995, S. 178 f. Zum Beispiel des Verhältnisses von Objektformel und nemo-tenetur-Prinzips: N. Bosch, Nemo-tenetur, 1998, S. 41 ff. 68 So auch: B. Schünemann, ZStW 90 (1978), S. 11, 19 ff., Fn. 30.

C. Begründungen des Kernbereichs mit der Menschenwürde

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chung oder die Observierung außerhalb der Wohnung, gerechtfertigt werden könnte. Um an der Objektformel festhalten zu können und trotzdem zwischen heimlichen Maßnahmen zu differenzieren, benötigt dieser Ansatz ein zusätzliches Kriterium. Dies sehen die Autoren in der Wahrscheinlichkeit, mit der der Einzelne damit rechnet, überwacht zu werden. Durch dieses Kriterium verliert die Menschenwürde aber jegliche Maßstabsfunktion für staatliches Handeln. Der Staat könnte einen Menschenwürdeverstoß verhindern, indem er neue Eingriffsbefugnisse veröffentlicht, so dass der Betroffene mit den Eingriffen rechnen muss. Die Kenntnis von einer Überwachungsmöglichkeit ermöglicht als faktische Gegebenheit keine normativen Rückschlüsse. Es kann auch nicht darauf ankommen, ob der Einzelne auf die Unverletzlichkeit der Wohnung vertrauen darf, obwohl eine Maßnahme gesetzlich vorgesehen ist. In diesem Fall würde das normative Kriterium des „Vertrauendürfens“ herangezogen, das sich nicht aus der Objektformel ergibt. Es wäre eine zusätzliche Begründung erforderlich, die das unterschiedliche Vertrauendürfen bei verschiedenen heimlichen Maßnahmen erklärt. Drittens bezieht sich die Objektformel darauf, ob eine bestimmte staatliche Maßnahme gegen die Menschenwürde verstößt. Sie knüpft als „negative“ Definition an den Eingriff an. Der Rechtsbegriff des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung besagt hingegen, dass dem Einzelnen ein bestimmter Mindestfreiheitsraum zusteht und bezieht sich damit auf die Rechtsposition des Einzelnen, also den Schutzbereich. Beide Interpretationen beleuchten unterschiedliche Aspekte der Menschenwürde.69 Neben der Objektformel ist der unantastbare Kernbereich entbehrlich. Wenn feststeht, dass eine Maßnahme den Menschen zum bloßen Objekt degradiert und deshalb gegen die Menschenwürde verstößt, ist es unerheblich, ob sie auch den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung berührt. Nachdem geklärt ist, dass sich der unantastbare Kernbereich nicht mit der Objektformel begründen lässt, kann das Verhältnis des Lügendetektor-Urteils des BGH in Strafsachen zur Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts70 abschließend bewertet werden. Der BGH begründete sein Urteil maßgeblich mit den Auswirkungen des Lügendetektors auf die Subjektstellung des Angeklagten im Strafverfahren, also mit der Objektformel, von der der Kernbereich 69 Zur Position des Bundesverfassungsgerichts: s. o. 4. Kapitel, A. Vgl. auch: G. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117, 128 ff.; J. M. Wintrich, BayVBl. 1957, S. 137, 138 f.; D. de Lazzer/D. Rohlf, JZ 1977, S. 207, 211; P. Krause, DB 1983, Beilage 23, S. 1, 8; B. Raum/F. Palm, JZ 1994, S. 447, 451; Bayerische Staatsregierung, in: Vormbaum, Lauschangriff, 2005, S. 46, 51 f. Ähnlich: T. Geddert-Steinacher, Menschenwürde, 1990, S. 27. A. A.: M. H. W. Möllers, JBÖS 2004/2005, S. 51, 64. 70 BGH, NJW 1954, S. 649 f., s. o. 2. Kapitel, B. I.

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

der privaten Lebensgestaltung zu unterscheiden ist. Der BGH entwickelte also kein eigenes Kernbereichskonzept vor der bundesverfassungsgerichtlichen Kernbereichsrechtsprechung.

II. Kernbereich und modifizierte Objektformel Wegen ihrer geringen Leistungskraft hat das Bundesverfassungsgericht die Objektformel sowohl im Abhörurteil als auch im Urteil zum großen Lauschangriff modifiziert. Der Mensch sei „nicht selten bloßes Objekt nicht nur der Verhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern auch des Rechts“, dem er sich zu fügen habe.71 Die Menschenwürde sei nur verletzt, wenn die Subjektqualität des Menschen prinzipiell in Frage gestellt wird oder im Einzelfall eine willkürliche Missachtung der Menschenwürde vorliegt, wenn also der Wert, der einem Menschen kraft seines Personseins zukommt, verachtet wird. Mit der modifizierten Objektformel ist aus drei Gründen ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht zu begründen. Erstens macht die modifizierte Objektformel eine weitere Konkretisierung nicht entbehrlich. Es fehlt an eindeutigen Kriterien dafür, wann der Personenwert missachtet oder verachtet und damit die Subjektqualität eines Menschen prinzipiell in Frage gestellt wird. Außerdem ist eine Missachtung der Menschenwürde per se willkürlich und damit rechtswidrig.72 Weder kann eine gute Absicht eine objektive Würdeverletzung heilen, noch genügt die Herabwürdigungsabsicht, wenn die Intensität des Eingriffs noch nicht den für eine Würdeverletzung erforderlichen Grad erreicht.73 Zweitens führt die modifizierte Objektformel nicht zu einem absoluten Menschenwürde- und Kernbereichsschutz. Im Abhörurteil verneinte das Gericht eine Menschenwürdeverletzung, weil der Ausschluss des Rechtsschutzes durch den Schutz der demokratischen Ordnung und des Bestandes des Staates gerechtfertigt sei. Die Abwägung zwischen individuellen Rechtsschutz- und Staatsschutzinteressen erfolgte anhand des Merkmals der „verächtlichen Behandlung“.74 Das Gericht berücksichtigte bei der Konkretisierung der modifizierten Objektformel die entgegenstehenden Interessen. Drittens ist die modifizierte ebenso wie die ursprüngliche Objektformel eine vom Kernbereich verschiedene Methode, um die Menschenwürde zu interpretie71

BVerfGE 30, 1, 25 f. (Abhörurteil); 109, 279, 312 (Großer Lauschangriff). H. Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353, 360; K. Stern, in: ders., Staatsrecht, IV/1, 2006, § 97, S. 20; R. Will, in: FG Hirsch, 2006, S. 29, S. 37. Kritisch zur Argumentation mit der Motivation des Handelnden auch: E. Denninger, Staatsrecht I, 1973, S. 23 f. 73 W. Höfling, JuS 1995, S. 857, 860. 74 BVerfGE 30, 1, 26 f. (Abhörentscheidung). 72

C. Begründungen des Kernbereichs mit der Menschenwürde

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ren.75 Im Urteil zum großen Lauschangriff zitierte das Bundesverfassungsgericht zwar die modifizierte Formel aus dem Abhörurteil.76 Jedoch subsumierte das Gericht den Sachverhalt unter den Menschenwürdebegriff anhand des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung, ohne Bezug zur modifizierten Objektformel.77

III. Kernbereich als Konsens: Fallgruppenbildung Um die Objektformel handhabbar zu machen, bildet das Bundesverfassungsgericht Fallgruppen typischer Menschenwürdeverletzungen, wie „Diffamierung, Diskriminierung, Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und grausame Bestrafung“.78 Entscheidend für eine Verletzung seien die spezifischen Umstände des Einzelfalls.79 Die Fallgruppenbildung beruht darauf, dass es bestimmte Gewissheiten gebe, wann die Menschenwürde verletzt wird. Letztlich bestimmt also der gesellschaftliche Konsens, welche Maßnahmen menschenwürdewidrig und damit absolut verboten sind.80 Der absolute Menschenwürdeschutz sei sinnvoll, auch wenn er auf einem variablen moralischen Konsens beruht.81 Zumindest dieser variable Konsens sei für die Zeit seines Bestehens absolut geschützt. Werde von vorneherein eine Abwägungslösung verwendet, bleibe für den absoluten Konsensschutz kein Raum. Das geläufigste Beispiel für eine Konsensdefinition beim Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung ist das Verbot von Persönlichkeitsprofilen.82 Der unantastbare Kernbereich sei verletzt, wenn die gesamte menschliche Persönlichkeit informationell erfasst wird. Dem Menschen würden sämtliche Ver75

Für die Objektformel: s. o. 4. Kapitel, Fn. 69. BVerfGE 109, 279, 312 f. 77 R. Will, in: FG Hirsch, 2006, S. 29, S. 42. 78 BVerfGE 107, 275, 284 (Benetton-Schockwerbung) unter Verweis auf BVerfGE 1, 97, 104 (Hinterbliebenenrente). Vgl. aus der Literatur: H. Dreier, in: Biopolitik, 2001, S. 232, 234; W. Höfling, JuS 1995, S. 857, 859; F. Hufen, JZ 2004, S. 313, 317; W. Graf Vitzthum, ZRP 1987, S. 33, 34; R. Will, in: FG Hirsch, 2006, S. 29, 43. 79 BVerfGE 109, 279, 311 (Großer Lauschangriff); 115, 118, 153 (Luftsicherheitsgesetz). 80 M. Schefer, Kerngehalte, 2001, S. 117 ff.; R. Will, Blätter 2004, S. 1228, 1240. Ähnlich: M. Löffelmann, Wahrheitserforschung, 2008, S. 195 f., demzufolge Art. 1 Abs. 1 GG intersubjektiv und traditionell verfestigte „Menschenwürdeerfahrungen“ erfasst. 81 W. Leisner, Grundrechte, 1960, S. 155. 82 Grundlegend: BVerfGE 27, 1, 6 (Mikrozensus). Aus der Rechtswissenschaft: E. Benda, HdbVerfR, 1994, § 6, Rn. 28 ff.; M. Leist, Schranken, 2000, S. 12; S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 478 ff.; J. Welp, Überwachung, 1974, S. 33 ff. Zu Persönlichkeitsprofilen allgemein: H. P. Bull, ÖVD 1979, S. 3; C. Sasse, Datenschutz, 1976, S. 12 f. Vgl. auch: W. Steinmüller u. a., BT-Drs. VI/3826, 1971, S. 96 f., die allerdings den Kernbereich nicht mit der Menschenwürde sondern mit Art. 19 Abs. 2 GG begründen. 76

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

haltensalternativen genommen, wenn sein Verhalten vollständig prognostizierbar wird, beispielsweise durch die Decodierung des menschlichen Genoms.83 Aufgrund einer Rundumüberwachung sei es möglich, Persönlichkeitsprofile zu erstellen, so dass sie in den unantastbaren Kernbereich eingreift.84 1. Allgemeine Kritik an der Konsensdefinition Dieser Ansatz begegnet zunächst vier Argumenten allgemein gegen Konsensdefinitionen. Erstens verliert die Menschenwürdegarantie als Bestandteil der geschriebenen Verfassung ihre spezifisch juristische Normativität, wenn der Konsens in der Gesellschaft die Auslegung bestimmt.85 Nicht mehr der Text der Verfassung, sondern der Konsens würde darüber entscheiden, welchen Inhalt eine Verfassungsnorm hat. Die verfassungsjuristische Aufgabe wäre es nicht mehr, die Verfassung zu interpretieren. Vielmehr käme es darauf an, den gesellschaftlichen Konsens zu bestimmen. Dies führt unmittelbar zum zweiten Kritikpunkt. Es bleibt nämlich unklar, wie der Konsens zu ermitteln ist und wie Änderungen in der gesellschaftlichen Anschauung zu behandeln sind. Soll es auf den Konsens der gesamten Gesellschaft, aller Juristen oder der Verfassungsjuristen ankommen? Und welches Verfahren sollte angewendet werden, um den Konsens zu bestimmen? Wenn dem Bundesverfassungsgericht diese Aufgabe zugewiesen wird, müsste nachgewiesen werden, dass das Gericht besonders geeignet ist, den Konsens zu ermitteln. Drittens ist in einem demokratischen Rechtsstaat der absolute Schutz des gesellschaftlichen Konsenses nicht erforderlich. Wenn eine Norm konsentiert ist, kann der Konsens über die parlamentarische Mehrheit zum Gesetz und regelmäßig sogar Verfassungsbestandteil werden.86 Die Grund- und Menschenrechte und damit auch die Menschenwürde haben in einer pluralen, demokratischen Gesellschaft vor allem die Aufgabe des Minderheitenschutzes.87 Zu dieser Aufgabe 83 A. Podlech, in: AK-GG, (2001), Art. 2 Abs. 1, Rn. 59d. In diese Richtung auch: J. Wolter, in: SK-StPO, (1994), Rn. 128 vor § 151. 84 M. Warntjen, Kernbereich, 2007, S. 65 f. 85 C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 386 f., 457. Normativität im philosophischen Sinn kann auch bei Konsensdefinitionen bestehen, da es aus philosophischer Sicht um die Abgrenzung zu deskriptiven Aussagen geht. Vgl. dazu: J. Ritter/K. Gründer, Historisches Wörterbuch, Bd. 6, 1984, Stichwort: normativ/deskriptiv. 86 O. Lepsius, in: Online-Durchsuchungen, 2008, S. 21, 44. Konsens beruht auf Einstimmigkeit, zur Änderung der Verfassung ist nach Art. 79 Abs. 2 GG nur die ZweiDrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich, so dass für konsentierte Positionen in der Regel eine verfassungsändernde Mehrheit vorliegt. 87 So schon: R. Thoma, in: Grundrechte, 1929, Bd. 1, S. 8 f. Vgl. auch: C. Gusy, Prüfungsrecht, 1985, S. 126 f.; ders., ZNR 15 (1993), S. 163, 164; C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 388; C. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 138; A. Kaufmann, in: Menschenbild, 2002, S. 23, 26; O. Lepsius, in: Online-Durchsuchungen, 2008, S. 21, 44; K. Günther, in: Rechtsphilosophie, 2008, S. 338, 340.

C. Begründungen des Kernbereichs mit der Menschenwürde

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könnten die Menschenwürde und damit auch der unantastbare Kernbereich als Konsensprinzip nicht beitragen, da Minderheitenpositionen gerade nicht konsentiert sind. Schließlich hilft der Konsens bei der Interpretation von offenen Normen in strittigen Entscheidungen nicht weiter, weil sich (noch) kein Konsens gebildet hat.88 Über den Inhalt des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung besteht kein Konsens.89 So bleibt umstritten, ob und wann Tagebücher im Strafverfahren verwertet werden dürfen, sowie ob und wann der große Lauschangriff zulässig ist. In den Fällen, in denen es auf den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ankommt, ist die Menschenwürde als Konsensbegriff nicht geeignet, ihn zu begründen. 2. Kritik am Beispiel der Persönlichkeitsprofile Über diese allgemeinen Kritikpunkte gegen Konsensdefinitionen hinaus bestehen zwei Bedenken gegenüber dem Beispiel der Persönlichkeitsprofile als Eingriff in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Zum einen kommt dem Schutz vor Persönlichkeitsprofilen kaum praktische Relevanz zu. Der Begriff des Persönlichkeitsprofils ist wenig aussagekräftig.90 Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass das menschliche Verhalten jemals komplett erfassbar, geschweige denn prognostizierbar sein wird. Zu komplex erscheinen die Vorgänge allein im menschlichen Gehirn. Auch kann eine Fremdbeschreibung der Persönlichkeit wegen der Pluralität der Beobachterperspektiven niemals vollständig sein.91 Selbst die Zusammenführung aller gespeicherten Informationen ergibt kein Persönlichkeitsprofil, mit dem sich das Verhalten eines Individuums vorhersagen lässt. Bisher ist kein einziges Beispiel dafür bekannt, dass in der Praxis ein verbotenes Persönlichkeitsprofil erstellt wurde.92 Zum anderen lässt sich mit der Fallgruppe des Persönlichkeitsprofils der Inhalt des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung nicht konkretisieren, weil es sich Zur Entwicklung der Menschenrechte: G. Oestreich, Menschenrechte, 1978; N. Bobbio, in: Menschenrechte, 2000; E. Wolgast, Menschenrechte, 2009. Vgl. auch die Beiträge in: S. Gosepath/G. Lohmann, Menschenrechte, 1998. Für die Entstehung von Menschenrechten durch öffentliche Skandalisierung untragbarer Zustände: N. Luhmann, Unverfügbare Normen, 1993, S. 28. Zum Zusammenhang von Menschenrechten und Demokratie: J. Habermas, Einbeziehung, 1999, S. 298 ff.; H. Hofmann, JZ 2001, S. 1 ff. 88 T. Geddert-Steinacher, Menschenwürde, 1990, S. 28. 89 M. Baldus, JZ 2008, S. 218, 222. 90 K. Rogall, Informationseingriff, 1992, S. 60; K. Vogelsang, Selbstbestimmung, 1987, S. 165 ff. 91 H.-H. Trute, in: Datenschutzrecht, 2003, S. 171. 92 H.-H. Trute, Die Verwaltung 2009, S. 85, 99 f. bezeichnet Persönlichkeitsprofile als „eine immer wieder gern berufene Mystifikation“, deren Realisierung im staatlichen Bereich bisher nicht beobachtet werden konnte.

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

um unterschiedliche Kategorien des Menschenwürdeschutzes handelt. Der unantastbare Kernbereich ist jeder staatlichen Einwirkung verschlossen, so dass die Kernbereichsrelevanz jeder einzelnen Maßnahme zu prüfen ist. Hingegen kommt es bei einem Persönlichkeitsprofil nicht darauf an, dass einzelne staatliche Datenerhebungen den unantastbaren Kernbereich verletzen. Ob ein unzulässiges Persönlichkeitsprofil gegeben ist, ergibt sich erst aus einer Gesamtbetrachtung, bei der es nicht auf die besondere Schutzwürdigkeit einzelner Bereiche der menschlichen Lebensgestaltung ankommt. Dieser Unterschied zwischen Kernbereichsschutz und dem Verbot von Persönlichkeitsprofilen zeigt sich im bundesverfassungsgerichtlichen Urteil zum großen Lauschangriff am Beispiel der Rundumüberwachung: „Eine zeitliche und räumliche ,Rundumüberwachung‘ wird regelmäßig schon deshalb unzulässig sein, weil die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass dabei höchstpersönliche Gespräche abgehört werden. Die Menschenwürde wird auch verletzt, wenn eine Überwachung sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und derart umfassend ist, dass nahezu lückenlos alle Bewegungen und Lebensäußerungen des Betroffenen registriert werden und zur Grundlage für ein Persönlichkeitsprofil werden können (zu diesem Risiko vgl. BVerfGE 65, 1 [42 f.]).“93

Das Bundesverfassungsgericht argumentiert in den beiden zitierten Sätzen auf unterschiedliche Weise. Im ersten Satz geht das Gericht auf das Verhältnis von Rundumüberwachung und möglichem Eingriff in den unantastbaren Kernbereich ein. Den Bezug zum Kernbereich stellt es durch das Risiko her, dass „höchstpersönliche Gespräche“ abgehört werden. Die Rundumüberwachung greift demnach nur dann in den unantastbaren Kernbereich ein, wenn höchstpersönliche Gespräche abgehört werden. Im zweiten Satz führte das Gericht aus, dass die Rundumüberwachung „auch“, also zusätzlich und unabhängig von der Kernbereichsbetroffenheit, gegen die Menschenwürde verstoße, wenn und weil sie zu einem Persönlichkeitsprofil führt. Dabei kommt es auf die Höchstpersönlichkeit der erfassten Gespräche nicht an. Hingegen ist Maximilian Warntjen der Ansicht, das Bundesverfassungsgericht habe im Urteil zum großen Lauschangriff entschieden, dass eine Rundumüberwachung in den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung eingreift.94 Dabei stellt Warntjen das Urteil verkürzt dar, in dem er die Ausführungen des Gerichts wiedergibt, ohne das Wort „auch“ zu zitieren.95 Dadurch ent93

BVerfGE 109, 279, 323 (Hervorhebung, I. D.). M. Warntjen, Kernbereich, 2007, S. 65, Fn. 297. 95 Bei M. Warntjen, Kernbereich, 2007, S. 65 lautet das Zitat: „Eine zeitliche und räumliche „Rundumüberwachung“ wird regelmäßig schon deshalb unzulässig sein, weil die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass dabei höchstpersönliche Gespräche abgehört werden. Die Menschenwürde wird (. . .) verletzt, wenn eine Überwachung sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und derart umfassend ist, dass nahezu lückenlos alle Bewegungen und Lebensäußerungen des Betroffenen registriert werden und zur Grundlage 94

C. Begründungen des Kernbereichs mit der Menschenwürde

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steht der Eindruck, das Bundesverfassungsgericht bezöge sich im gesamten Abschnitt auf den Zusammenhang von Rundumüberwachung, Kernbereich der privaten Lebensgestaltung und Persönlichkeitsprofil. Vollständig gelesen zeigt das Urteil zum großen Lauschangriff, anders als von Warntjen vertreten, dass der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung einerseits und die Persönlichkeitsprofile andererseits zwei unterschiedliche Kategorien des Menschenwürdeschutzes sind.96

IV. Kernbereich als Voraussetzung der Persönlichkeitsentwicklung Um Art. 1 Abs. 1 GG nicht nur negativ auszulegen, argumentieren einige Autoren, dass die Menschenwürde die Voraussetzungen schützt, die erforderlich sind, damit der Mensch sich zum Subjekt entwickeln und eine Identität herausbilden kann. Der Schutz des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung ergebe sich aus der Menschenwürdegarantie, weil der Kernbereich eine Mindestbedingung der Identitätsbildung sei.97 Um Persönlichkeit und Identität zu entwickeln, bedürfe der Mensch eines Bereichs, in dem er sich ohne Einwirkung von außen entfalten kann. Dieser Ansatz macht die Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG von der empirischen Forschung zu den Voraussetzungen menschlicher Subjektivität abhängig. Welches die notwendigen Bedingungen für eine Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung sind, lässt sich empirisch anhand von sozialwissenschaftlichen und psychologischen Methoden beschreiben und untersuchen. Dadurch macht die Theorie transparent, wann der Menschenwürdeschutz erforderlich ist. Gleichzeitig stellt sie jedoch hohe Anforderungen an den Begründungszusammenhang zwischen Menschenwürde und absolutem Kernbereichsschutz. Diesen Anforderungen wird sie nur gerecht, wenn sich empirisch belegen lässt, dass gerade ein unantastbarer

für ein Persönlichkeitsprofil werden können (zu diesem Risiko vgl. BVerfGE 65, 1 [42 f.]).“ (Hervorhebung, I. D.) 96 Aus der Rechtsprechung: BGHSt, NJW 2009, S. 3448, 3456 f., Rn. 69 ff. (Kernbereich) und S. 3457 ff., Rn. 88 ff. (Rundumüberwachung). Aus der Rechtswissenschaft: E. Gurlit, in: Privatheit, 2007, S. 52; P. Krause, DB 1983, Beilage 23, S. 1, 8; M. Kutscha, in: Online-Durchsuchungen, 2008, S. 157, 168; ders., in: Suche, 2009, S. 309, 314 f.; M. Mittag, Grundrechtseingriffe, 2009, S. 166; F. Roggan, in: FG Hirsch, 2006, S. 153, 165; S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 472 ff.; J.-Y. Son, Eingriffe, 2006, S. 155 ff.; J. Wolter, GA 2007, S. 183, 198. 97 D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 226; T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988, S. 87; D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 81 f.; U. Guttenberg, NJW 1993, S. 567, 571 f.; G. Duttge, Zwangsmaßnahme, 1995, S. 176, 179; P. Tiedemann, Menschenwürde, 2007, S. 389 ff. Ähnlich: M. Warntjen, Kernbereich, 2007, S. 76 ff. In diese Richtung auch: BVerfGE 109, 279, 312 (Großer Lauschangriff). Vgl. dazu: C. Gusy, JuS 2004, S. 457, 458.

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

Kernbereich für die Herausbildung menschlicher Persönlichkeit und Identität notwendig ist. Die Befürworter vertreten diese Theorie vor allem in Bezug auf den großen Lauschangriff (1.) und die staatliche Kenntnisnahme von Monologen (2.) sowie allgemein im Strafprozessrecht (3.). Im Folgenden geht es darum, ob sich mit dieser Interpretation der absolute Kernbereichsschutz plausibel machen lässt. Hingegen wird nicht untersucht, ob die Ansicht, dass die Menschenwürde die Bedingungen der Persönlichkeitsentwicklung sichert, allgemein zutrifft, weil es in dieser Untersuchung um den Zusammenhang von unantastbarem Kernbereich und Menschenwürde geht. 1. Unüberwachte Wohnung als Bedingung der Persönlichkeitsentwicklung Mehrere Autoren sind der Auffassung, das Beispiel des großen Lauschangriffs zeige, dass ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung notwendig ist, um Identität zu entwickeln.98 Für die Persönlichkeitsentwicklung sei es unerlässlich, dass der Einzelne in seiner Privatwohnung unter Ausschluss jeder Öffentlichkeit allein sein oder mit Vertrauten persönliche Dinge besprechen kann. Durch eine heimliche Überwachung werde der Mensch gezwungen, sein Leben vollständig der Gemeinschaft zu öffnen. Weil es selbst in der Privatwohnung nicht mehr möglich sei, die potentielle Öffentlichkeit auszuschließen, sei das Individuum ausweglos auf sich selbst zurückgeworfen, wenn es Sachverhalte verbergen will. Eine solche Isolierung beeinträchtige die Identitätsfindung des Menschen. Um dies zu verhindern, müsse zumindest die Privatwohnung eingriffsfest bleiben. Dabei kann der große Lauschangriff auf zweierlei Arten in die als unantastbarer Kernbereich gewertete Wohnung des Betroffenen eingreifen und damit dessen Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigen.99 Zum einen ist es möglich, den tatsächlich durchgeführten großen Lauschangriff als Eingriff in den unantastbaren Kernbereich anzusehen [a)]. Zum anderen könnte die Zulässigkeit des Lauschangriffs eine Furcht vor Überwachung auslösen, die dann als Eingriff zu werten ist [b)].

98 Hierzu und zum Folgenden: U. Guttenberg, NJW 1993, S. 567, 571 f.; ihm folgend: M. Mozek, Lauschangriff, 2001, S. 190; S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 512. Vgl. auch: P. Tiedemann, Menschenwürde, 2007, S. 394 ff., 397. Ähnlich: M. Mahlmann, Grundrechtstheorie, 2008, S. 197. 99 Keine Unterscheidung bei: U. Guttenberg, NJW 1993, S. 567, 571 f.; D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 108 f.; D. de Lazzer/D. Rohlf, JZ 1977, S. 207, 210 f.; S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 510 ff.

C. Begründungen des Kernbereichs mit der Menschenwürde

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a) Eingriff durch den großen Lauschangriff selbst Soweit ersichtlich ist niemand der Ansicht, dass die heimliche Wohnraumüberwachung selbst die Identität des Betroffenen beeinträchtigt. Dagegen spricht schon, dass der Betroffene von der heimlichen Überwachung nicht weiß. Die heimliche Maßnahme wirkt sich weder auf ihn noch auf sein Verhalten unmittelbar aus und kann deshalb seine Persönlichkeitsentwicklung nicht beeinträchtigen. Dementsprechend legen die Anhänger dieses Ansatzes ihr Augenmerk auf die indirekten Folgen durch die Furcht vor einer heimlichen Überwachung. b) Eingriff durch die Furcht vor Überwachung Die Furcht vor Überwachung beeinträchtige die Identität des Betroffenen und greife deshalb in den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ein.100 Die Privatwohnung erbringe ihre Funktion für die Persönlichkeitsbildung nur, wenn der Einzelne darauf vertrauen kann, dass er in seiner Wohnung nicht überwacht wird. Die Furcht vor einer Überwachung entwerte die Wohnung als Rückzugsbereich. Wenn eine heimliche Überwachung zulässig wäre, dann müsste jeder damit rechnen, umfassend belauscht zu werden,101 auch deshalb, weil eine Überwachung aufgrund einer falschen Verdächtigung stattfinden kann.102 Ohne absolut geschützte Bereiche der Vertraulichkeit könne aber kein Mensch innerlich überleben.103 Diese Argumentation beruht auf drei Annahmen. Erstens führe die rechtliche Zulässigkeit der akustischen Wohnraumüberwachung dazu, dass sich jedermann davor fürchtet, jederzeit in seiner Wohnung überwacht zu werden. Zweitens beeinträchtige die Furcht vor Überwachung der Wohnung die menschliche Identität. Drittens lasse sich diese Furcht (nur) durch ein generelles Verbot des großen Lauschangriffs beseitigen. Diese drei Annahmen vermögen nicht zu überzeugen: (1) Schon die erste Annahme ist fraglich. Die rechtliche Zulässigkeit des großen Lauschangriffs bewirkt nicht zwingend eine allgemeine Furcht vor dauernder Überwachung. Keiner der Befürworter legt dar, dass eine solche Furcht tatsächlich in der Bevölkerung verbreitet ist.104 Dirk Lammer und Jürgen Wol100 U. Guttenberg, NJW 1993, S. 567, 571 f.; S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 512; P. Tiedemann, Menschenwürde, 2007, S. 394 ff. 101 So schon: J. Welp, Überwachung, 1974, S. 34. Vgl. auch: U. Guttenberg, NJW 1993, S. 567, 570; W. Hassemer, DRiZ 1992, S. 357, 358; M. Kutscha, NJW 1994, S. 85, 88; D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 108 f.; D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 161; S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 513 f.; J. Wolter, in: SK-StPO, (1994), Rn. 114 vor § 151. 102 M. Kutscha, NJW 1994, S. 85, 88. 103 H. Lisken, KJ 31 (1998), S. 106, 115. 104 U. Guttenberg, NJW 1993, S. 567, 571 f.; S. E. Schulz, Grundrechte, 2008, S. 510 ff.; P. Tiedemann, Menschenwürde, 2007, S. 394 ff. geben keine Belege.

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

ter geben zwar einige Belege zur Freiheit von Furcht vor Ausforschung.105 Aber die genannten Untersuchungen legen nicht dar, dass eine Überwachungsangst in der Bevölkerung verbreitet ist, sondern setzen diese ihrerseits als gegeben voraus.106 Dabei liegt die allgegenwärtige Überwachungsfurcht nicht besonders nahe, weil die bisherigen Fallzahlen der akustischen Wohnraumüberwachung einen sehr begrenzten Anwendungsbereich aufzeigen.107 Insgesamt ist die Argumentation mit dem subjektiven Bedrohungsgefühl unsicher.108 Es fehlen verbindliche Maßstäbe dafür, wann eine Furcht vor Überwachung ernst zu nehmen und wie sie zu messen ist. (2) Darüber hinaus bleibt unklar, inwiefern die Furcht vor einer Wohnraumüberwachung die Mindestbedingungen der Identitätsbildung beeinträchtigt. Es liegen keine empirischen Befunde von erhöhten Persönlichkeitsentwicklungsstörungen oder Identitätsbeeinträchtigungen aufgrund der Überwachungsangst vor. Wiederum verweisen Lammer und Wolter auf die Arbeiten zur Freiheit von Furcht vor Ausforschung.109 Die von ihnen zitierten Autoren beziehen sich aber weder auf die Auswirkungen von heimlichen staatlichen Maßnahmen auf die Identitätsentwicklung, noch gehen sie von einem absoluten KernZur mangelnden empirischen Grundlage der Argumentation: M. Kötter, Pfade, 2008, S. 335; K. Rogall, in: FS Fezer, 2008, S. 61, 62. L. Gräf, Privatheit, 1993, S. 260 ff. weist in seiner soziologischen Untersuchung darauf hin, dass es keine ausreichenden empirischen Untersuchungen zum Bedrohungsgefühl der Bevölkerung durch Datenerhebung gibt. Vgl. auch C. Gusy, in: Suche, 2009, S. 321, 327: „Die damit [mit der Furcht vor staatlichen Sicherheitsmaßnahmen, I. D.] einhergehenden Fragestellungen sind eher literarisch dargestellt als sozialwissenschaftlich untersucht.“ 105 D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 108, Fn. 50 und J. Wolter, in: SK-StPO, (1994), Rn. 114 vor § 151 verweisen auf: A. Arndt, NJW 1961, S. 897, 898 und G. Strate, StV 1989, S. 406, 410. Lammer nennt zusätzlich K. Amelung/H. Schall, JuS 1975, S. 565, 570. Im Zusammenhang mit den Berufsverboten führt E. Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7, 27 ff. aus, dass es die Freiheit von Furcht beeinträchtigt, wenn der Staat vom Bürger „Gewissensproben, Überzeugungen und Gesinnungen“ verlangt. 106 G. Strate, StV 1989, S. 406, 410 verweist auf A. Arndt, NJW 1961, S. 897, 898, und dieser gibt keinerlei Belege, sondern stellt fest, dass vor dem Hintergrund der geheimdienstlichen Tätigkeit während der Zeit der deutschen Teilung das Belauschen ein „Jedermannsproblem“ ist. K. Amelung/H. Schall, JuS 1975, S. 565, 570 geben keine Fundstellen zur Überwachungsfurcht. 107 BVerfGE 109, 279, 337: Im Zeitraum von 1998 bis 2001 bundesweit lediglich 87 Strafverfahren, in denen die akustische Wohnraumüberwachung angeordnet wurde. Vgl. auch: H. Meyer-Wieck, Lauschangriff, 2005, S. 20 ff. 108 In Form der Furcht vor Straftaten oder Terrorismus wird das Bedrohungsgefühl auch verwendet, um damit staatliche Maßnahmen zu begründen, z. B. S. Meyer, in: Freiheit, 2009, S. 111 ff. Vgl. auch: U. Di Fabio, NJW 2008, S. 421, 422, für den die Abwesenheit von Furcht die Grundbedingung der Freiheit ist. Dazu, dass die Freiheit von Furcht sowohl zur Staatsbegründung als auch zur Staatsbegrenzung verwendet wird: E. Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7, 27 f. 109 s. o. 4. Kapitel, Fn. 105.

C. Begründungen des Kernbereichs mit der Menschenwürde

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bereichsschutz aus.110 Die Belege sind demnach nicht geeignet, den Zusammenhang zwischen der Furcht vor Überwachung und der Notwendigkeit eines unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung herzustellen. Weshalb es absolut geschützte Bereiche menschlicher Vertraulichkeit geben muss, damit der Mensch innerlich überleben kann, bleibt unklar. Das Bundesverfassungsgericht ist zwar der Auffassung, dass die Furcht vor Überwachung zu einer Befangenheit der Kommunikation führen kann.111 Diesen Effekt erörtert das Gericht aber nicht im Zusammenhang mit einem möglichen Eingriff des großen Lauschangriffs in die Menschenwürde oder den Kernbereich. Vielmehr sieht das Gericht diese Furcht als Ausdruck der Intensität des Eingriffs im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Überwachungsangst zieht es heran, um zu begründen, warum sich der Lauschangriff nicht nur auf den Einzelnen, sondern auf die gesamte Gesellschaft auswirkt. Laut Gericht ist die Überwachungsangst also nicht menschenwürde- und kernbereichsrelevant. Eine gewisse Plausibilität erlangt die Hypothese, dass die Furcht vor heimlichen Wohnraumüberwachungen die Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigt, allenfalls für Situationen, in denen es möglich ist, dass der Einzelne für einen unüberschaubaren Zeitraum dauerhaft und durchgehend überwacht wird, ohne dass er durch sein Verhalten Anlass zu einer Überwachung gibt. Von derart düsteren Szenarien, eindrucksvoll dargestellt etwa in George Orwells Roman „1984“, ist die eng begrenzte Zulässigkeit des großen Lauschangriffs gemäß Art. 13 Abs. 3 bis 6 GG und §§ 100c ff. StPO weit entfernt.112 (3) Die dritte Annahme, dass nur ein generelles Verbot die Angst vor dem großen Lauschangriff beseitigen kann, ist aus zwei Gründen problematisch. Zum einen sind andere Vorkehrungen, die gezielt auf die gefühlte Bedrohung in 110 K. Amelung/H. Schall, JuS 1975, S. 565, 570 und G. Strate, StV 1989, S. 406, 410 wenden sich gegen heimliche Ermittlungsmaßnahmen als rechtsstaatliches Problem. A. Arndt, NJW 1961, S. 897, 900 sieht H.-U. Evers, Privatsphäre, 1960, S. 59 folgend Nachforschungen unter größtmöglicher Zurückhaltung und bei Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als zulässig an. Keiner der Autoren erwähnt den unantastbaren Kernbereich oder Auswirkungen der Überwachungsangst auf die menschliche Persönlichkeitsentwicklung. 111 BVerfGE 109, 279, 353 f. (Großer Lauschangriff). Vgl. dazu: C. Gusy, JuS 2004, S. 457, 458. 112 Einen Vergleich des großen Lauschangriffs mit dem Roman „1984“ ziehen: J. Salzwedel, in: GS Peters, 1967, S. 756, 781; D. de Lazzer/D. Rohlf, JZ 1977, S. 207, 211. Ähnlich: A. Kolz, NJW 2005, S. 3248, 3249. Diesen Vergleich für verfehlt halten: B. Schünemann, ZStW 90 (1978), S. 11, 21 f., Fn. 31; E. Denninger, StV 1998, S. 401, 404. Vgl. auch: M. Albers, in: Grundlagen, II, 2008, § 22, Rn. 75. Zur Verwendung des Romans „1984“ als Argument im Zusammenhang mit dem Volkszählungsurteil: F. Hufen, JZ 1984, S. 1072 f.

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

der Bevölkerung reagieren, denkbar und werden schon praktiziert.113 In Betracht kommen z. B. strenge Anforderungen an die Zulässigkeit und das Verfahren der Wohnraumüberwachung. So führt ein eng begrenzter Anlasstatenkatalog dazu, dass ein weiter Bereich von Verhaltensmöglichkeiten bleibt, bei denen die Menschen davon ausgehen dürfen, dass sie nicht überwacht werden.114 Dieses Vertrauen lässt sich durch Verfahrensgarantien und Sanktionsmöglichkeiten für den Fall, dass ein unzulässiger Lauschangriff durchgeführt wird, sicherstellen. Schon jetzt prüft ein unabhängiges Richtergremium vor der Anordnung, ob die Überwachung zulässig ist.115 Eine ausführliche und personalisierte Begründungspflicht der anordnenden Richter soll vorschnelle Genehmigungen verhindern und die Richter für die jeweils betroffenen Rechtsgüter sensibilisieren.116 Zusätzlich sind die anordnenden Richter gemäß § 100d Abs. 4 StPO über das Ergebnis der Überwachung zu informieren, um ihnen eine Evaluation der eigenen Anordnung zu ermöglichen. Darüber hinaus ist eine möglichst umfassende Transparenz im Wege der nachträglichen Mitteilungspflicht und durch eine allgemeine Information der gesamten Bevölkerung über das Ausmaß heimlicher Maßnahmen sicherzustellen.117 Die Transparenz hilft, Gerüchten und Ängsten vorzubeugen.118 Wenn der Betroffene wegen konkreter Gefahren, die von seiner Benachrichtigung ausgehen, nicht informiert wird, könnte eine unabhängige Instanz, z. B. ein „Bürgeranwalt“, benachrichtigt werden, um eine unabhängige Kontrolle sicherzustellen und die Interessen des Betroffenen zu wahren.119 Wird jemand unberechtigterweise belauscht, so sollte er die realistische Möglichkeit eines Schadensersatzanspruches gegen den Staat haben,120 schon wegen der disziplinierenden Wirkung auf die anordnenden Stellen. Bis auf einzelne Aspekte121 wird das Verfahren des großen Lauschangriffs in der StPO diesen

113 Vgl. A. Podlech, DVR 5 (1976), S. 23, 35, der ausführt, wie die Furcht vor Überwachung durch den Verfassungsschutz begrenzt werden kann. 114 So auch H. Lesch, StV 1995, S. 612, 613. 115 Vgl. § 100d Abs. 1–4 StPO. Zu Defiziten bei der richterlichen Kontrolle im Bereich der Telefonüberwachung: O. Backes/C. Gusy, Richtervorbehalt, 2003. 116 Vgl. § 100d Abs. 2–3 StPO. Dazu auch: A. Böttger/C. Pfeiffer, ZRP 1994, S. 7, 13, 16. 117 Vgl. § 100d Abs. 8–10 StPO. 118 J. Kretschmer, Jura 1997, S. 581, 589; A. Böttger/C. Pfeiffer, ZRP 1994, S. 7, 16. 119 H. Geiger, Rechtsschutz, 2008, S. 8 ff. 120 Ähnlich: M. Wilfling, in: Privatheit, 2007, S. 42. Kritisch: M. Ronellenfitsch, in: Privatheit, 2007, S. 44. Zum Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung bei rechtswidriger Anordnung des großen Lauschangriffs: BGH, NJW 2003, S. 3693, 3695 ff. 121 Bisher nicht vorgesehen ist es, einen unabhängigen „Bürgeranwalt“ zu informieren, wenn der Betroffene nicht benachrichtigt wird.

C. Begründungen des Kernbereichs mit der Menschenwürde

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Anforderungen gerecht, jedenfalls nach den Änderungen in der Folge des Urteils zum großen Lauschangriff. Ein generelles Verbot des Lauschangriffs ist nicht die einzige Möglichkeit, die Furcht der Bevölkerung vor Überwachung zu verringern. Zum anderen beseitigt auch das generelle Verbot des großen Lauschangriffs das subjektive Bedrohungsgefühl nicht vollständig, weil ein Verbot seine Befolgung nicht sicherstellt. Wer mit dem Bedrohungsgefühl argumentiert, muss einbeziehen, dass sich Menschen davor fürchten könnten, dass eine staatliche Stelle das Verbot missachtet und trotzdem überwacht. Die Bindung des Staates an die gesetzlichen Vorgaben ist sowohl bei einem generellen Verbot als auch bei der begrenzten Zulässigkeit des großen Lauschangriffs sicherzustellen. Es überzeugt nicht, der Exekutive einerseits zu vertrauen, sie werde ein generelles Verbot einhalten, und gleichzeitig davon auszugehen, dass sie Teilverbote der Maßnahme und strenge Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht einhalten wird. Den Autoren gelingt es nicht, den Zusammenhang zwischen der Furcht vor dem großen Lauschangriff, den von der Menschenwürde geschützten Bedingungen der menschlichen Persönlichkeitsentwicklung und dem unantastbaren Kernbereich herzustellen. 2. Unantastbare Monologe und Persönlichkeitsentwicklung Als weiteres Beispiel neben dem großen Lauschangriff diskutieren Vertreter dieser Menschenwürdeinterpretation auch den Schutz von Monologen. Die Möglichkeit des Einzelnen, sich ohne Kenntnisnahme durch andere mit der eigenen Persönlichkeit auseinanderzusetzen, gehöre zu den Mindestbedingungen geistigseelischer Identität und persönlicher Entwicklung.122 Deshalb verletze es die Mindestbedingungen der Identitätsfindung, in eine monologische Auseinandersetzung einzugreifen.123 Wie im Falle des großen Lauschangriffs sind zwei Begründungswege möglich. Zum einen kann die Kenntnisnahme124 von Monologen die Identität beeinträchtigen. Zum anderen kommt die Furcht vor der staatlichen Kenntnisnahme in Betracht.

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D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 226; T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988, S. 87. G. Duttge, Zwangsmaßnahme, 1995, S. 181 f. unter Verweis auf: E. Benda, HdbVerfR, 1994, § 6, Rn. 25. Zu Bendas relativierendem Kernbereichskonzept, s. o. 1. Kapitel, C. Ähnlich wie Duttge: P. Krause, DB 1983, Beilage 23, S. 1, 9, der das Recht sich zurückzuziehen als Existenzminimum ansieht. 124 Da schon die Kenntnisnahme in den Kernbereich eingreift, wird im Folgenden nicht zwischen Informationserhebung und -verwertung unterschieden. 123

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

a) Die Kenntnisnahme als Beeinträchtigung Dietwalt Rohlf und Theoharis Dalakouras gehen davon aus, dass die Kenntnisnahme von Tagebüchern die Persönlichkeitsbildung beeinträchtigt.125 Allerdings liefern beide keine Belege dafür, dass es die über Jahre hinweg aufgebaute Identität zerstört oder die persönliche Entwicklung in der Zukunft verhindert, wenn ein Monolog einmalig zu Zwecken der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr erfasst wird. Die von Rohlf genannten Belege für die Notwendigkeit eines unantastbaren Kernbereichs126 beziehen sich auf den Schutz der Privatsphäre insgesamt. Sie begründen nur die Tatsache, dass die Privatsphäre überhaupt grundrechtlich geschützt ist, nicht aber, dass ein absoluter Schutz bestehen muss.127 Einzig Gerhard Klier geht von einem absolut geschützten „forum internum“ bei Art. 4 Abs. 1 GG aus.128 Klier äußert sich aber nicht dazu, ob dieses unantastbare „forum internum“ eine Mindestbedingung menschlicher Persönlichkeitsentwicklung ist und stellt keinen Zusammenhang zur Menschenwürdegarantie her. Darüber hinaus ist das „forum internum“, laut Klier, nicht deshalb unantastbar, weil es besonders schutzwürdig ist, sondern weil es in diesem Bereich zu keinem Konflikt mit entgegenstehenden Interessen kommen kann.129 Mit diesem Ansatz lässt sich der Zusammenhang zwischen Menschenwürde und Kernbereichsschutz also nicht herstellen. Es dürfte auch nicht nachzuweisen sein, dass die einmalige Kenntnisnahme eines Monologs die Persönlichkeitsentwicklung verhindert. Dass ein Monolog erfasst und verwertet wird, entzieht dem Betroffenen nicht die Möglichkeit, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.130 Die Auseinandersetzung findet statt, während der Einzelne sein Tagebuch oder das Selbstgespräch führt. Die nachträgliche

125 s. o. 3. Kapitel, A. I. 1. Diese Ansicht dürfte sich auch auf Selbstgespräche und damit auf Monologe insgesamt beziehen. 126 D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 226, Fn. 182, verweist auf: A. F. Westin, Privacy, 1967, S. 31, 34 ff.; ders., IBM-Nachrichten 1970, S. 189, 195 f.; G. Klier, Gewissensfreiheit, 1978, S. 165 ff.; O. Mallmann, Zielfunktionen, 1977, S. 47 ff. 127 Der Abschnitt über die Identität von O. Mallmann, Zielfunktionen, 1977, S. 47 ff. befindet sich im Kapitel 2.5, in dem Mallmann die Funktion der relativ geschützten Privatsphäre erläutert und nicht auf einen absoluten Schutz eingeht. Mallmann verneint einen schlechthin unantastbaren Kernbereich auf S. 25. A. F. Westin, IBM-Nachrichten 1970, S. 189, 195 sagt, dass „nur sehr gewichtige soziale Gründe überhaupt die Zerstörung der Privatsphäre rechtfertigen können“. Ders., Privacy, S. 34: „. . . only grave social need can ever justify destruction of the privacy . . .“ Der Schutz der Privatsphäre müsse mit den entgegenstehenden Werten abgewogen werden (S. 370 ff.). Westin geht also nicht von einer unantastbaren Privatsphäre aus. 128 Hierzu und zum Folgenden: G. Klier, Gewissensfreiheit, 1978, S. 169 f. 129 Zu Kliers Konzept auch unten: 5. Kapitel, B. II. 1. 130 C. Enders, in: Friauf/Höfling, 2009, Art. 1, Rn. 98; ders., Menschenwürde, 1997, S. 466 f.

C. Begründungen des Kernbereichs mit der Menschenwürde

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Kenntnisnahme hindert niemanden daran, einen Monolog zu führen. Die psychische Entlastung durch die Aussprache mit sich selbst bleibt möglich. Dementsprechend argumentieren andere Autoren mit den Auswirkungen der Furcht vor Kenntnisnahme eines Monologes. b) Der Eingriff durch die Furcht vor Kenntnisnahme Die Furcht vor einer staatlichen Kenntnisnahme von Monologen ziehen Gunnar Duttge und Paul Tiedemann als Begründung heran. Danach schützt die Menschenwürde Tagebuchaufzeichnungen absolut, weil die Möglichkeit der Beschlagnahme die Identitätsbildung des Betroffenen gefährdet.131 Wer einmal erlebt hat, dass sein Tagebuch beschlagnahmt wird, habe eine „Schere im Kopf“ und werde bestimmte Gedanken nicht mehr zu Papier bringen und damit nicht mehr denken können.132 Jedoch weisen Duttge und Tiedemann nicht nach, dass sich die rechtliche Zulässigkeit der Kenntnisnahme von Monologen auf die menschliche Identität auswirkt. Sie geben weder Belege für die Furcht vor einer Kenntnisnahme, noch für einen daraus folgenden Verzicht darauf, Monologe zu führen.133 Darüber hinaus setzen sich beide nicht damit auseinander, dass der Freiraum des Einzelnen, seine Identität zu entwickeln, auch dann umfangreich gewährleistet ist, wenn Monologe grundrechtlich, aber nicht absolut geschützt sind.134 Monologe erfahren eine nicht gerechtfertigte psychologische Aufladung.135 Die Argumentation dieser Menschenwürdeinterpretation beruht aber darauf, dass die Furcht vor Kenntnisnahme von Monologen tatsächlich die Persönlichkeitsbildung beeinträchtigt. Deshalb benötigt dieser Ansatz empirische Analysen, um den Zusammenhang zwischen dem Schutz von Monologen und der Identitätsbildung und damit der Menschenwürde herzustellen. Weil diese fehlen, lässt sich anhand der Furcht vor der Kenntnisnahme von Monologen die Unantastbarkeit des Kernbereichs nicht überzeugend mit der Menschenwürde begründen.

131 G. Duttge, Zwangsmaßnahme, 1995, S. 182; P. Tiedemann, Menschenwürde, 2007, S. 398 ff. Beide beziehen sich nur auf Tagebücher. Die Argumentation ist aber auf alle Arten der Auseinandersetzung mit sich selbst, also alle Monologe übertragbar. 132 P. Tiedemann, Menschenwürde, 2007, S. 392. 133 Zur Diskussion um die Furcht vor Lauschangriffen, s. o. 4. Kapitel, C. IV. 1. 134 In diese Richtung: W. Maihofer, Menschenwürde, 1968, S. 63, 68. Die Menschenwürde erfordere die „größtmögliche und gleichberechtigte individuale Freiheit“, nicht aber einen absolut geschützten Kern. 135 K. Rogall, in: FS Fezer, 2008, S. 61, 72 f. Allgemein gegen den Menschenwürdeschutz von Tagebüchern: C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, I, 2005, Art. 1, Rn. 61, allerdings ohne Begründung.

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

3. Allgemeine strafprozessuale Begründungen Wie schwierig die Mindestbedingungen der menschlichen Existenz für die Begründung des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung handhabbar zu machen sind, zeigen die Untersuchungen von Maximilian Warntjen und Dirk Lammer: (1) Warntjen übernimmt Duttges Konzept der Mindestbedingungen der Kommunikation und Selbstbestimmung als Grundlage für den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung.136 Den Inhalt des unantastbaren Kernbereichs bestimmt Warntjen aber ausschließlich anhand der Höchstpersönlichkeit eines Sachverhaltes und der Eingriffsintensität.137 Dabei stellt Warntjen keinen Zusammenhang zwischen der Höchstpersönlichkeit und der Eingriffsintensität einerseits und den Mindestbedingungen der Kommunikation andererseits her. Die abstrakte Menschenwürde(gehalt)formel138 und der Kernbereichsinhalt bleiben unverbunden, und dem von Warntjen konkretisierten unantastbaren Kernbereich fehlt die Rückbindung an die Menschenwürde. (2) Laut Lammer schützt die Menschenwürde die Bedingungen, die erforderlich sind, damit der Mensch Persönlichkeit entwickeln kann.139 Die Theorie der autonomen Selbstdarstellung, die Rollentheorie und die Kommunikationstheorie würden zeigen, dass der Mensch absolut geschützter Freiräume bedarf, in denen er sich selbst verwirklichen und entfalten kann, um Persönlichkeit entwickeln zu können.140 Diese Freiräume seien identisch mit dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung. Jedoch stützen weder die Theorie der autonomen Selbstdarstellung noch die Rollen- oder die Kommunikationstheorie einen absoluten Kernbereichsschutz.141 Diese Ansätze begründen das Schutzgut des Privatsphären- bzw. Persönlichkeitsschutzes insgesamt.142 Sie weisen nach, dass ein grundrecht136 M. Warntjen, Kernbereich, 2007, S. 76 ff. unter Verweis auf: G. Duttge, Zwangsmaßnahme, 1995, S. 180 ff. 137 M. Warntjen, Kernbereich, 2007, S. 86 f. 138 Duttge geht von der Identität von Menschenwürde und Menschenwürdegehalt aus, so dass auf den Begriff Menschenwürdegehalt verzichtet werden könne (G. Duttge, Zwangsmaßnahme, 1995, S. 192). 139 D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 81 f., 85. 140 D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 82 verweist auf D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 47 ff. (autonome Selbstdarstellung) und S. 55 ff. (Rollentheorie), sowie auf G. Rüpke, Privatheit, 1976 (Kommunikationstheorie). 141 Für die Theorie der autonomen Selbstdarstellung: A. Podlech, DVR 1 (1972/ 1973), S. 149, 156, Fn. 30; W. Schmidt, JZ 1974, S. 241, 247, Fn. 56. Für die Kommunikationstheorie: G. Rüpke, Privatheit, 1976, S. 93 f. Für die Rollentheorie: P. J. Müller, Privatsphäre, 1974, S. 63 ff. 142 D. Rohlf erörtert diese Theorien zu Recht unter dem Gliederungspunkt „Privatsphärenkonzeption in der Literatur“ unabhängig von der Frage des unantastbaren Kern-

C. Begründungen des Kernbereichs mit der Menschenwürde

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licher Schutz der Privatsphäre notwendig ist, nicht aber, dass dieser Schutz absolut ist. Vielmehr darf der Staat gemäß dieser Theorien in die Privatsphäre eingreifen, um legitime öffentliche Ziele zu erreichen. Kein Vertreter dieser Menschenwürdeinterpretation macht plausibel, dass aus Art. 1 Abs. 1 GG, der die notwendigen Bedingungen dafür schützt, dass der Einzelne seine Persönlichkeit entwickeln und aufrechterhalten kann, ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung folgt.

V. Kernbereich als Ausdruck der Achtung? Ralf Poscher stützt den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung auf die Menschenwürde als Achtungsanspruch. Im Anschluss an Hasso Hofmann geht Poscher davon aus, dass die Menschenwürde die gegenseitige soziale Anerkennung als Mitglieder eines Gemeinwesens und damit einen Achtungsanspruch bezeichne.143 Die Würde sei weder eine Eigenschaft oder Qualität des Individuums noch eine Substanz oder ein Raum. Dies zeige sich daran, dass nur ein anderer Mensch die Menschenwürde verletzen kann, nicht hingegen die Natur. Eine staatliche Handlung verletze die Menschenwürde nur, wenn sie den Wert des Menschen missachte, wie die willkürliche Tötung und die Folter. Letztere negiere die vernünftige Willensbildung und damit das Merkmal, das den Menschen als Gattung auszeichnet. Laut Poscher ist der unantastbare Kernbereich als Ausdruck der Menschenwürde nicht räumlich oder substantiell zu verstehen. Die Menschenwürde sei nicht immer verletzt, wenn der Staat auf Sachverhalte zugreift, die dem unantastbaren Kernbereich zuzuordnen sind. Vielmehr müsse die „Missachtung der Würde“ hinzutreten.144 Nur wenn die Kenntnisnahme mit dem Ziel erfolgt, die erlangten Informationen zu verwenden, instrumentalisiere der Staat alle Bereiche der menschlichen Persönlichkeit und ordne sie seinen Zwecken unter. Hingegen verletze es die Menschenwürde nicht, höchstpersönliche Sachverhalte nichtintendiert zur Kenntnis zu nehmen, wenn die handelnde Stelle hinreichende Vorkehrungen getroffen hat, um einen Eingriff in den Kernbereich zu vermeiden.

bereichs. Vgl. auch: W. Schmidt, JZ 1974, S. 241, 243; A. Podlech, DVR 1 (1972/1973), S. 149, 156; G. Rüpke, Privatheit, 1976, S. 21. 143 R. Poscher, JZ 2009, S. 269, 274, mit Verweis auf H. Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353, 369 f. Für die Menschenwürde als Achtung auch: U. Neumann, ARSP 84 (1998), S. 153, 165 f. 144 R. Poscher, JZ 2009, S. 269, 275: „Nur wenn in einer Substanzverletzung gerade die Missachtung der Würde zum Ausdruck kommt, liegt in der Substanz- auch eine Würdeverletzung.“ (Hervorhebung, I. D.) Ähnlich: J. Hofmann, NVwZ 2010, S. 217, 221.

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

Wie das Bundesverfassungsgericht schließt Poscher Sachverhalte mit unmittelbarem Bezug zu geplanten oder begangenen Straftaten vom unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung aus.145 Dass die Menschenwürde nicht räumlich oder substantiell zu verstehen ist, leuchtet ein. Poscher gelingt es aber aus drei Gründen nicht, den Zusammenhang zwischen der Menschenwürde als Achtungsanspruch und dem unantastbarem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung überzeugend herzustellen. Erstens bleibt unklar, inwiefern der unantastbare Kernbereich neben der Missachtung der Würde noch eigenständige Bedeutung hat. Jede Missachtung der Würde, aber nicht jeder Eingriff in den Kernbereich sei eine Menschenwürdeverletzung. Das entscheidende Merkmal ist also nicht die Kernbereichsbetroffenheit, sondern die Missachtung der Würde, die zum Eingriff in den Kernbereich hinzutreten muss. Zweitens legt Poscher Art. 1 Abs. 1 GG als Achtungsanspruch aus, ohne zu konkretisieren, wann der Staat die Würde missachtet. Poscher ersetzt lediglich das Verb „verletzen“ durch das Verb „missachten“. Wie die Kritik an der modifizierten Objekt-Formel gezeigt hat, besteht kein geeignetes Kriterium dafür, wann der Staat die Würde missachtet.146 In Betracht käme die Negierung der Willensbildung, wie im Beispiel der Folter. Mit diesem Merkmal lassen sich aber die anderen Beispiele von Poscher nicht erklären. Weder die intendierte Kenntnisnahme von zum Kernbereich gehörenden Informationen noch die willkürliche Tötung negieren den menschlichen Willen. Vieles deutet auf eine Konsensdefinition der Menschenwürde und damit des Kernbereichs hin.147 Drittens nimmt Poscher nur zur Eingriffsresistenz des Kernbereichs Stellung. Der Kernbereich sei nicht verletzt, wenn der Staat ohne Verwertungsabsicht in ihn eingreift. Damit ist das Dilemma entschärft, dass in den Kernbereich eingegriffen werden muss, um festzustellen, ob der Kernbereich betroffen ist.148 Zur Abwägungsresistenz, wonach der Kernbereich allen entgegenstehenden Interessen vorgeht, äußert sich Poscher nicht. Dem Bundesverfassungsgericht folgend, schließt er alle Sachverhalte mit Straftatenbezug vom Kernbereich aus. Damit ordnet er den Kernbereichsschutz dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung unter. Folglich führt sein Ansatz nicht zur Unantastbarkeit des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung.

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R. Poscher, JZ 2009, S. 269, 276, bei Fn. 72. s. o. 4. Kapitel, C. II. 147 Zur Kritik am Kernbereich als Konsensbegriff, s. o. 4. Kapitel, C. III. 1. und 2. In diese Richtung deuten auch Poschers weitere Ausführungen zur Menschenwürde: R. Poscher, JZ 2004, S. 756, 758 ff.; ders., in: Menschenwürde, 2006, S. 215 ff. 148 Zu Eingriffs- und Abwägungsresistenz, s. o. 1. Kapitel, A. I. 146

D. Konsequenzen für den Kernbereichsschutz im präventiven Bereich

165

VI. Zusammenfassung Keiner der fünf Ansätze legt überzeugend dar, dass aus der Menschenwürde ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung folgt. Die traditionelle und die modifizierte Objektformel einerseits und der unantastbare Kernbereich andererseits sind verschiedene, eigenständige Arten, Art. 1 Abs. 1 GG zu interpretieren. Durch eine Konsensdefinition verliert die geschriebene Verfassung ihre Normativität und die Grundrechte können ihre Funktion des Minderheitenschutzes nicht mehr erfüllen. Darüber hinaus besteht in den Sachverhalten, in denen es auf den Kernbereichsschutz ankommt, kein Konsens. Der Ansatz, die Menschenwürde so auszulegen, dass sie die notwendigen Voraussetzungen für die menschliche Persönlichkeitsentwicklung schützt, macht die Interpretation der Menschenwürde abhängig von empirischen Erkenntnissen und Belegen. Dadurch steigert er die Anforderungen an die Begründung von Menschenwürdeverletzungen bis an die Grenzen des von den Rechtsanwendern Leistbaren. Den Anforderungen an die Begründung der Menschenwürdeverletzung wird diese Theorie in Bezug auf den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht gerecht. Dass der Kernbereich absolut geschützt sein muss, um die menschliche Identitätsbildung zu ermöglichen, bleibt eine nicht abgesicherte Behauptung. Der Zusammenhang zwischen der Furcht vor Überwachung der Wohnung bzw. vor staatlicher Kenntnisnahme von Monologen und der Persönlichkeitsentwicklung wird nicht überzeugend hergestellt. Schließlich ist unklar, wann die Menschenwürde als Achtungsanspruch verletzt ist und wie der unantastbare Kernbereich neben der Missachtung der Würde eigene Bedeutung erlangen soll. Darüber hinaus ist der Kernbereich als Ausdruck der Achtung nicht absolut geschützt.

D. Konsequenzen für den Kernbereichsschutz im präventiven Bereich Nachdem das Verhältnis von Kernbereichsschutz und Menschenwürdegarantie untersucht wurde, ist auf die Rechtsfigur der Menschenwürdekollision zurückzukommen.149 Wie gesehen, rechtfertigt eine Reihe von Autoren präventive Maßnahmen, die sie zu repressiven Zwecken als Kernbereichsverstoß ansehen, mit dem Konzept der Menschenwürdekollision. Staatliche Maßnahmen, die der Abwehr einer konkreten Lebensgefahr150 dienen, seien von der Menschenwürde gefordert. Ebenso folge der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung aus der Menschenwürde. Kommt es zu einer Kollision dieser Menschen149

s. o. 3. Kapitel, D. I. 3. Dies gilt in der Regel auch für die konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsverletzung. 150

166

4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

würdepositionen, sei ein Eingriff in den Kernbereich ausnahmsweise zu rechtfertigen. Die trotz der schon geäußerten Bedenken bisher offen gelassene Frage, ob diese Rechtsfigur den unterschiedlichen Kernbereichsschutz bei repressivem und präventivem staatlichem Handeln bei gleichzeitiger Unantastbarkeit des Kernbereichs erklärt, lässt sich nun verneinen. Eine Menschenwürdekollision liegt nämlich nicht vor. Die Untersuchung hat ergeben, dass Rechtsprechung und Rechtswissenschaft den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht plausibel mit der Menschenwürde begründen. Folglich indiziert ein Eingriff in den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht, dass auch die Menschenwürde verletzt ist. Außerdem überzeugt es nicht, dass bei Lebensgefahren151 eine staatliche Handlungspflicht aus Art. 1 Abs. 1 GG folgt. Dies würde voraussetzen, dass jede Lebensgefahr die Menschenwürdegarantie betrifft. Die beiden Rechtsgüter Leben und Menschenwürde wären nicht mehr zu unterscheiden. Dagegen sprechen aber Wortlaut und Systematik des Grundgesetzes, wonach es sich um zwei unterschiedliche Rechtsgüter handelt.152 Das menschliche Leben steht explizit unter einfachem Gesetzesvorbehalt, während die Menschenwürde nicht einschränkbar ist. Folglich besteht bei drohender Lebensgefahr keine zwingende Handlungspflicht aus Art. 1 Abs. 1 GG. Weil die Rechtsfigur der Menschenwürdekollision Eingriffe in den Kernbereich nicht rechtfertigt, ermöglichen die Theorien, die zu einem absoluten Kernbereichsschutz im repressiven Bereich führen,153 nur dann einen unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, wenn sie ausnahmslos auf den präventiven Bereich übertragen werden. Die Ansätze, die sich mit dem Kernbereichsschutz ausschließlich im Strafprozessrecht beschäftigen, verdeutlichen ein grundlegendes Problem. Sie untersuchen verfassungsrechtliche Normen nur für ein bestimmtes einfachgesetzliches Rechtsgebiet und laufen damit Gefahr, Bereichsdogmatiken des Menschenwürdeschutzes zu entwickeln, die sich mit dem allgemeinen Anwendungsbereich des Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbaren lassen. Die Menschenwürdegarantie bietet absoluten Schutz gegenüber jedem staatlichen Eingriff unabhängig vom Zweck des 151

Das Folgende gilt a maiore ad minus auch für schwere Gesundheitsgefahren. Vgl. auch: C. D. Classen, DÖV 2009, S. 689, 693; G. Duttge, in: Lebensrecht, 2007, S. 39, 40 f., 51 f.; C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 461; W. Höfling, JuS 1995, S. 857, 859; T. Hörnle, ARSP 89 (2003), S. 318, 319 f.; F. Hufen, JZ 2004, S. 313, 317; O. Lepsius, in: FG Hirsch 2006, S. 47, 59 ff.; U. Neumann, ARSP 84 (1998), S. 153, 159; P. Lerche, in: FS Mahrenholz, 1994, S. 515, 519; W.-R. Schenke, in: FG Hirsch, 2006, S. 75, 85; E. Schmidt-Jortzig, DÖV 2001, S. 925, 926. Für den Unterschied von Menschenwürde- und Lebensschutz in der Ethik: J. Nida-Rümelin, in: Menschenwürde, 2005, S. 86, 100. 153 s. o. 3. Kapitel, A. II. und B. II. 152

E. Unantastbarer Kernbereich und Wesensgehaltsgarantie

167

Handelns. Deshalb ist ein Eingriff in die Menschenwürde im Bereich des Strafrechts nicht anders zu behandeln als im Gefahrenabwehrrecht. Bereichsdogmatische Menschenwürdedefinitionen führen deshalb leicht zu Wertungswidersprüchen.

E. Unantastbarer Kernbereich und Wesensgehaltsgarantie Außer der Menschenwürde- wird auch die Wesensgehaltsgarantie herangezogen, um den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zu begründen. Darüber, wie die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG auszulegen ist, herrscht Dissens.154

I. Eingrenzung der Untersuchung Einem objektiven Ansatz folgend, schützt Art. 19 Abs. 2 GG die Grundrechte als solche in ihrem Bestand.155 Der Wesensgehalt ist nur angetastet, wenn dem jeweiligen Grundrecht nach einem Eingriff keine Bedeutung mehr für „das soziale Leben im Ganzen“ zukommt.156 Ob dem Einzelnen der Schutz eines Grundrechts vollständig entzogen wird, ist danach irrelevant. Hingegen gehen subjektive Theorien davon aus, dass sich Art. 19 Abs. 2 GG auf die Grundrechte des Einzelnen bezieht. Die subjektiven Ansätze werden in einer relativen und in einer absoluten Variante vertreten.157 Laut subjektiv-relativem Ansatz ist der Wesensgehalt nur durch Abwägung der jeweils kollidierenden Interessen bestimmbar.158 Aus Sicht der subjektiv-absoluten Theorien ist eine grundrechtliche Min154 U. Battis/C. Gusy, Staatsrecht, 1999, Rn. 485 f.; E. Denninger, AK-GG, 2001, Art. 19 Abs. 2, Rn. 4 ff.; H. Dreier, in: ders., Bd. I, 2004, Art. 19 II, Rn. 11 ff.; C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 62 ff.; B. Remmert, in: Maunz/Dürig, (2008), Art. 19 Abs. 2, Rn. 36 ff. Einen rechtsvergleichenden Überblick gibt: P. Häberle, in: FS Wildhaber, 2007, S. 313, 315 f. Gegen den Begriff des „Wesens“ aus der Sicht des Pragmatismus: R. Rorty, Hoffnung, 1994, S. 59. 155 G. Duttge, Zwangsmaßnahme, 1995, S. 174 f.; G. Herbert, EuGRZ 1985, S. 321, 324; E. Hesse, Bindung, 1968, S. 47; R. Herzog, in: FS Zeidler, 1987, S. 1415, 1424 f.; A. Kowalczyk, Datenschutz, 1989, S. 37 ff.; H. Jäckel, Grundrechtsgeltung, 1967, S. 57, 111 ff.; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, 2009, Rn. 9; S. Lenz, Freiheitsrechte, 2006, S. 70 f.; P. Lerche, in: FS Mahrenholz, 1994, S. 515, 517; M. Mahlmann, Grundrechtstheorie, 2008, S. 376 f. Eher objektiv auch: E. R. Huber, DÖV 1956, S. 135, 142 f. 156 BVerfGE 2, 266, 285 (Notaufnahmegesetz). 157 Hingegen wird der objektive Ansatz, soweit ersichtlich, nur in der absoluten Variante vertreten. Die objektiven Theorien können auch als „generell-absolut“ bezeichnet werden. 158 R. Alexy, Grundrechte, 1996, S. 267 ff.; M. Borowski, Grundrechte, 2007, S. 289 f.; H. Dreier, in: ders., Bd. I, 2004, Art. 19 II, Rn. 16; C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 294 ff.; P. Häberle, Wesensgehaltgarantie, 1983, S. 31 ff., 51 ff.; K. Hesse, Verfassungsrecht, 1995, Rn. 332; E. v. Hippel, Wesensgehalt, 1965, S. 47 ff.; W. Höfling, Jura 1994, S. 169, 172; H. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann, 2008,

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

destposition der Abwägung mit entgegenstehenden Interessen entzogen und damit absolut gegen Eingriffe geschützt. Mitunter werden auch der objektiv-absolute und der subjektiv-relative Ansatz kombiniert.159 Schließlich gibt es Autoren, die Art. 19 Abs. 2 GG als rein symbolisch ansehen160 oder den besonderen Schutz dieser Norm darin sehen, dass sie eine bestimmte Zielrichtung staatlichen Handelns verbietet.161 Die zuletzt genannte Richtung orientiert sich an einer der wenigen Entscheidungen, die das Bundesverfassungsgericht auf eine Verletzung des Wesensgehalts stützte. Im Jugendhilfe-Urteil hielt das Gericht §§ 72–74 des Bundessozialhilfegesetzes für verfassungswidrig.162 Diese Normen ermöglichten es, Erwachsene, die mangels innerer Festigkeit nicht in der Lage sind, ein geordnetes Leben zu führen, zwangsweise in eine Anstalt einzuweisen, um sie an ein geordnetes Leben zu gewöhnen. Diese Befugnis verstoße gegen den Wesensgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Die Einweisung sei nur zum Schutz der Allgemeinheit oder des Betroffenen, nicht aber zu dessen Besserung zulässig. Laut Bundesverfassungsgericht verstieß nicht die Beschränkung der Freiheit als solche gegen den Wesensgehalt, sondern nur die Tatsache, dass der Zweck der Vorschriften den Freiheitsentzug nicht rechtfertigen konnte. Es handelt sich also um einen Aspekt, den die herkömmliche Grundrechtsdogmatik im Rahmen der Verhältnismäßigkeit prüft.163 Der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist eine Schutzposition des Einzelnen. Objektive, relative und symbolische Ansätze können einen solchen unantastbaren Kernbereich nicht begründen. Gleiches gilt für Theorien, die dem Jugendhilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichts folgen und den Schutz des Wesensgehalts als Verbot bestimmter staatlicher Zwecke sehen. Denn der unantastbare Kernbereich ist gegen jeden Eingriff, unabhängig vom Zweck, geschützt. Ein unantastbarer Kernbereich lässt sich auch nicht auf den absoluten Wesensgehaltsschutz in Form des Menschenwürdegehalts der Grundrechte stützen,164 da mit der Menschenwürde ein absoluter Kernbereichsschutz nicht überArt. 19, Rn. 17 f.; F. Hufen, Staatsrecht II, 2009, S. 127, Rn. 29; M. Mayer, Untermaß, 2005, S. 176; M. Nierhaus, in: BK, 2008, Art. 19 Abs. 2, Rn. 78; B. Remmert, in: Maunz/Dürig, (2008), Art. 19 Abs. 2, Rn. 46. Nicht eindeutig: D. Krausnick, JuS 2007, S. 1088, 1092 f. 159 H.-U. Erichsen, NJW 1976, S. 1721, 1724. 160 A. Kaufmann, in: Menschenbild, 2002, S. 23, 33. 161 C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 459, 465; E. Zivier, Wesensgehalt, 1962, S. 77 f. 162 BVerfGE 22, 180, 218 ff. 163 M. Stelzer, Wesensgehaltsargument, 1991, S. 51. 164 So: G. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117, 136 ff.; E. Denninger, AK-GG, 2001, Art. 19 Abs. 2, Rn. 10 (beide unter der Bezeichnung „Menschenrechtsgehalt“); G. Herbert, EuGRZ 1985, S. 321, 332; P. M. Huber, v. Mangoldt/Klein/Starck, I, 2005, Art. 19

E. Unantastbarer Kernbereich und Wesensgehaltsgarantie

169

zeugend begründet wird.165 Schließlich kann Art. 19 Abs. 2 GG den unantastbaren Kernbereich nicht fundieren, wenn der Wesensgehalt nicht absolut geschützt ist, weil er unter immanente Schranken gestellt wird.166 Deshalb werden die genannten Theorien nicht näher untersucht.167 Im Folgenden werden die verbleibenden individuell-absoluten Wesensgehaltstheorien daraufhin untersucht, ob sie einen unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung begründen. Dabei lassen sich vier Ansätze unterscheiden. Mehrere Autoren beschreiben den Wesensgehalt abstrakt, ohne ihn für den Einzelfall zu konkretisieren (II.). In zwei weiteren Varianten schützt Art. 19 Abs. 2 GG existentielle Interessen (III.) bzw. umfasst das ius cogens des Völkerrechts (IV.). Schließlich werden die Theorien des notwendigen Grundrechtsrestes vertreten (V.).

II. Keine Abwägung wegen Abstraktion der Kernbereichsdefinition Klaus Stern folgert aus Wortlaut und dem Sinn und Zweck des Art. 19 Abs. 2 GG einen absoluten Wesensgehaltsschutz.168 Nur so sei die Wesensgehaltsgarantie neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz relevant. Geschützt seien die identitätsbestimmenden Bestandteile eines Grundrechts. Der Wesensgehalt sei verletzt, wenn nach dem Eingriff nicht mehr von demselben Grundrecht gesprochen werden kann.169 Dies sei für alle Grundrechte einzeln zu ermitteln.170 Bei „aktiven“ Freiheitsrechten sei die Grenze erreicht, wenn der Freiheitsgebrauch fremdbestimmt wirkt. Auch Georg Herbert bestimmt den Wesensgehalt für jedes Grundrecht einzeln. Nur durch eine „sorgfältige Normbereichsanalyse“ ließen sich die „wesensgemäßen“ Modalitäten des jeweiligen Freiheitsgebrauchs ermitteln.171 Beispiele für den Wesensgehalt seien die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Intimsphäre im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und die Drei-Stufen-Theorie bei Art. 12 GG. Abs. 2, Rn. 132, 155 ff.; W. Krebs, in: v. Münch/Kunig, Bd. 1, 2000, Art. 19, Rn. 25; B. Remmert, in: Maunz/Dürig, (2008), Art. 19 Abs. 2, Rn. 44; C. Brüning, in: Stern/ Becker, 2010, Art. 19, Rn. 41. Für den großen Lauschangriff: O. Bludovsky, Lauschangriff, 2002, S. 58. 165 s. o. 4. Kapitel, C. 166 So: O. Pohl, Verhältnismäßigkeit, 1959, S. 54 ff.; L. Schneider, Wesensgehalt, 1983, S. 231 ff. 167 Ausführlich zum Streit zwischen objektiver und subjektiver Interpretation: C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 140 ff. 168 Hierzu und zum Folgenden: K. Stern, in: ders., Staatsrecht, III/2, 1994, § 85, S. 864 ff., vor allem S. 875 f. 169 Stern folgend: M. Middendorf, Jura 2003, S. 232, 236. 170 K. Stern, in: HStR V, 2000, § 109, Rn. 86. 171 G. Herbert, EuGRZ 1985, S. 321, 331.

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

Stern und Herbert vertreten auf abstrakter Ebene einen absoluten Wesensgehaltsschutz, weisen ihn im Einzelfall aber nicht nach.172 Bei Stern bleibt unklar, was zur Identität eines Grundrechts gehören soll. Wann der Freiheitsgebrauch so eingeschränkt wird, dass er fremdbestimmt wirkt, steht nicht fest. Herbert definiert den Wesensgehalt als „wesensgemäße“ Modalitäten der Freiheitsausübung und damit tautologisch. Die Beispiele von Herbert weisen auf einen relativen Schutz hin. Die Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führt zu einem lediglich relativen Schutz,173 und die Drei-StufenLehre bei Art. 12 GG ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips.174 Sowohl bei Stern als auch bei Herbert würde erst die weitere Konkretisierung des Wesensgehalts offenbaren, ob ihr Konzept einen absoluten Schutz ermöglicht, oder ob sie bei der Auslegung des Art. 19 Abs. 2 GG abwägen.175 Beide Ansätze sind nicht konkret genug, um die Unantastbarkeit des Kernbereichs überzeugend zu begründen.

III. Schutz existentieller Interessen Martin Hochhuth beschäftigt sich mit Art. 19 Abs. 2 GG als Grenze des Systemdenkens im öffentlichen Recht.176 Der absolute Wesensgehaltsschutz begrenze den fiktiven Gesellschaftsvertrag.177 Dieser ließe sich nur für Situationen aufrechterhalten, in denen vom Einzelnen keine existenziellen Opfer verlangt werden. Bei existentiellen Opfern versage der Gesellschaftsvertrag, so dass dem Individuum ein „natürliches“ Widerstandsrecht verbleibe. Ob Rechtsgüter und Interessen existentiell sind und deshalb zum Wesensgehalt gehören, bestimme der Betroffene. Jedoch müsse dieser seine existentielle Empfindung „vernünftig darlegen“.178 Existentielle Güter seien zum einen „sehr per172 Ähnlich abstrakt bleiben: P. Grosskreutz, Normwidersprüche, 1966, S. 26 f.; F. Klein, DÖV 1973, S. 433, 436 f.; R. v. Krauss, Grundsatz der Verhältnismässigkeit, 1955, S. 51; W. Leisner, Grundrechte, 1960, S. 152 ff.; H.-J. Papier, in: FS Wildhaber, 2007, S. 523, 534; F. Raue, AöR 131 (2006), S. 79, 93 ff.; M. Sachs, in: ders., GG, 2009, Art. 19, Rn. 44. 173 s. o. 1. Kapitel, B. 174 Grundlegend zur Drei-Stufen-Lehre: BVerfGE 7, 377, 400 ff. (Apotheker-Urteil). Vgl. auch: R. Scholz, in: Maunz/Dürig, (2006), Art. 12, Rn. 335 ff.; B. Pieroth/ B. Schlink, Grundrechte, 2009, Rn. 916 ff. 175 So auch: C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 237. 176 M. Hochhuth, ARSP 92 (2006), S. 382, 392 ff., der in seiner „Relativitätstheorie des öffentlichen Rechts“ aus dem Jahr 2000 den Existentialismus und das rationale Systemdenken im dialektischen Prozess für das Verfassungsrecht versöhnen möchte. 177 M. Hochhuth, ARSP 92 (2006), S. 382, 391 ff. Vor allem unter Verweis auf T. Hobbes, Leviathan, (1651), Kapitel 14. 178 M. Hochhuth, ARSP 92 (2006), S. 382, 393 f.; ders., Relativitätstheorie, 2000, S. 174 f.: „. . . wegen der gezeigten Offenheit des Begriffs „existentiell“ [kann] alles

E. Unantastbarer Kernbereich und Wesensgehaltsgarantie

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sönlichkeitsnah“ und zum anderen lägen sie den technischen und intellektuellen Werkzeugen des Menschen, wie der Gesellschaft und dem Staat, voraus.179 Dazu gehörten das Leben, die „existentielle Freiheit“ gegenüber Maßnahmen des Freiheitsentzuges und der Schutz vor schweren Körperverletzungen. Auf den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung geht Hochhuth nicht ein. Obwohl Hochhuth die „vernünftige existentielle Empfindung“ zum obersten Maßstab des Wesensgehalts erhebt, bleibt die Definition sehr allgemein. Eine Verbindung zum unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung lässt sich aus zwei Gründen nicht herstellen. Einerseits gehören die beispielhaft genannten „existentiellen Rechtsgüter“, nämlich das Leben, der Schutz vor schweren Körperverletzungen und vor Maßnahmen des Freiheitsentzuges, nicht zum unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Andererseits betreffen Maßnahmen, die in der Regel als Verstoß gegen den Kernbereich angesehen werden, keine „existentiellen“ Rechtsgüter im Sinne von Hochhuth. Die Kenntnisnahme von Tagebüchern betrifft schriftliche Aufzeichnungen und damit die Ebene der „intellektuellen Werkzeuge“ des Menschen. Das heimliche Abhören von Gesprächen in Wohnräumen beeinträchtigt die Freiheit der Betroffenen nicht unmittelbar. Keine der kernbereichsrelevanten Maßnahmen führt zum Tod, zu schweren Körperverletzungen oder zum Freiheitsentzug. Sie wirken sich nicht unmittelbar auf „existentielle Rechtsgüter“ aus.

IV. Wesensgehalt als ius cogens des Völkerrechts Juliane Kokott zählt das ius cogens des Völkerrechts zum unantastbaren Wesensgehalt der Grundrechte.180 Um diesen zu bestimmen, seien die völkerrechtlichen Verträge auf absolut geschützte Rechte und absolute Verbote zu untersuchen. Aus Art. 15 Abs. 2 EMRK ergibt sich etwa, dass Folter, Sklaverei und rückwirkende Strafgesetze absolut verboten sind.181 Anhand des Ansatzes von Kokott ist ein absoluter Wesensgehaltsschutz gegenüber einzelnen staatlichen Handlungsweisen möglich. Jedoch lässt sich die Unantastbarkeit des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung nicht mit dem Wezum letzten und wichtigsten Freiheitsgehalt werden und den Grundrechtsträger zu äußersten Verteidigungen drängen.“ 179 M. Hochhuth, ARSP 92 (2006), S. 382, 395, Fn. 51; ders., Relativitätstheorie, 2000, S. 179 f. 180 J. Kokott, HdbGRe, I, 2004, § 22, Rn. 91 ff. In diese Richtung schon: G. Herbert, EuGRZ 1985, S. 321, 332. Ähnlich für grundrechtliche Kerngehalte: M. Schefer, Kerngehalte, 2001, S. 177 ff. Zum zwingenden Völkerrecht allgemein: S. Kadelbach, Völkerrecht, 1992. 181 Vgl. auch: P. Mastronardi, in: Rechtsstellung, 2003, S. 55, 63. Zur Bindungswirkung der EGMR-Rechtsprechung: C. Gusy, JA 2009, S. 406, 408 ff.

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

sensgehalt in Form des völkerrechtlichen ius cogens begründen. Im Völkerrecht ist keine Norm des ius cogens ersichtlich, die den unantastbaren Kernbereich oder einen vergleichbaren Rechtsbegriff absolut schützt.182 Ein absoluter Schutz bestimmter Bereiche der privaten Lebensgestaltung ist insbesondere dem europäischen Menschenrechtsschutz fremd. Der Katalog, der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten notstandsfesten Rechte, ist abschließend.183 Eine Erweiterung ist nur durch explizite Einigung der Vertragsparteien möglich.184 Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK wird in Art. 15 Abs. 2 EMRK nicht genannt, auch nicht für einen Teilbereich. Vielmehr steht Art. 8 EMRK, der als Grundlage für einen unantastbaren Kernbereich in Betracht käme, unter dem in Absatz 2 genannten Vorbehalt. Danach darf der Staat in das Privatleben eingreifen, um eine Reihe von Zielen, wie den Schutz von Sicherheit und Ordnung, zu verfolgen, soweit dies in einer demokratischen Gesellschaft185 notwendig ist. Dies führt zu einer Verhältnismäßigkeitsprüfung und nicht zu einem absoluten Verbot von Eingriffen.186 Weder der EGMR noch der EuGH haben in ihrer Rechtsprechung ein dem absoluten Kernbereichsschutz des Bundesverfassungsgerichts vergleichbares Konzept verwendet.187 Bei sehr intimen Angelegenheiten, wie der sexuellen Ausrichtung, müssen „besonders triftige Gründe“ für einen Eingriff vorliegen.188 Infor182 E. Klein, in: FS Ress, 2005, S. 151, 155 ff.; S. Oeter, in: FS Wildhaber, 2007, S. 499, 512 ff.; ders., in: HdbGRe, VI/2, 2009, § 180, Rn. 22. 183 H. Krieger, in: Grote/Marauhn, 2006, Kap. 8, Rn. 30. H.-E. Kitz, Notstandsklausel, 1982, S. 71 ff. hält das Diskriminierungsverbot nach Art. 14 EMRK für ein weiteres notstandsfestes Recht. 184 Durch Art. 4 Abs. 3 des 7. Zusatzprotokolls vom 22. November 1984 ist der „ne bis in idem“-Grundsatz und durch Art. 2 des 13. Zusatzprotokolls vom 3. Mai 2002 ist das Verbot der Todesstrafe absolut gesichert. 185 Zum Begriff „demokratischen Gesellschaft“ im Rahmen der EMRK: A. Logemann, Grenzen, 2004, passim. 186 S. Breitenmoser, Neuere Rechtsprechung, 2005, S. 121, 128 ff.; C. Grabenwarter, EMRK, 2009, § 22, Rn. 32 ff.; N. A. Moreham, EHRLR 2008, S. 44, 47 f.; R. Uerpmann-Wittzack, in: Ehlers, 2009, § 3, Rn. 20 ff.; L. Wildhaber/S. Breitenmoser, in: EMRK, 1992, Art. 8, Rn. 4. Vgl. auch: C. Gusy, DVR 1984, S. 289, 306 ff.; E. Stieglitz, Grundrechtsverständnis, 2002, S. 85 ff.; K. Stern, in: FS Ress, 2005, S. 1259, 1274 f.; E. Wiederin, in: HdbGRe, VII/2, 2009, Rn. 47. 187 Für den EGMR: J. A. Frowein, in: Frowein/Peukert, 2009, Art. 8, Rn. 15 f., 50 f.; J. Meyer-Ladewig, EMRK, 2006, Art. 8, Rn. 42 ff. m.w. N.; T. Marauhn/K. Meljnik, in: Grote/Marauhn, 2006, Kap. 16, Rn. 91 ff. Für den EuGH: M. Knecht, in: Schwarze, 2009, Art. 7 GRC, Rn. 11; T. Marauhn, in: Heselhaus/Nowak, 2006, § 19, Rn. 39 f.; F. Schorkopf, in: Ehlers, 2009, § 16.1, Rn. 30. Zur Wesensgehaltsgarantie: C. Eisner, Schrankenregelung, 2005, S. 59 ff.; E. Stieglitz, Grundrechtsverständnis, 2002, S. 135 ff. Für einen abstrakt-generellen Wesensgehalt: P. Szczekalla, in: Heselhaus/Nowak, 2006, § 7, Rn. 49 ff. Vgl. auch: E. Gurlit, in: Datenschutz, 2007, S. 15, 21 ff.

E. Unantastbarer Kernbereich und Wesensgehaltsgarantie

173

mationen über HIV-Infektionen dürfen nur aus besonders wichtigen Gründen veröffentlicht werden.189 Auch diese sehr intimen Angelegenheiten sind aber nicht absolut geschützt. Die Anordnung, einen HIV-Test durchzuführen, um die körperliche Eignung für einen Arbeitsplatz zu überprüfen, greift in das Recht des Betroffenen am Schutz seines Privatlebens ein.190 Die Weigerung führt aber dazu, dass die Behörde die Einstellung verweigern darf. Heimliche Überwachungsmaßnahmen und Informationserhebungen sind aus Gründen der nationalen Sicherheit oder zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung erlaubt, wenn genügend Vorkehrungen gegen den Missbrauch der jeweiligen Maßnahme getroffen werden.191 Ein unantastbarer Kernbereich ist auch im europäischen Datenschutzrecht nicht anerkannt. Schutz gewähren der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, die Zweckbindung und verfahrens- und organisationsrechtliche Vorgaben.192

V. Notwendiger Grundrechtsrest Der absolute Wesensgehalt wird häufig so definiert, dass bei jedem staatlichen Eingriff ein Grundrechtsrest übrig bleiben muss. Dabei lassen sich ein quantitativer (1.) und mehrere qualitative Ansätze (2.) unterscheiden. 1. Quantitativer Ansatz Dem quantitativen Ansatz folgend, ist Art. 19 Abs. 2 GG verletzt, wenn ein Eingriff den Schutz eines Grundrechts für einen individuellen Grundrechtsträger vollständig aufhebt. Diese Theorie wird für den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zumeist am Beispiel des großen Lauschangriffs diskutiert. Dieser verletze den Wesensgehalt des Art. 13 Abs. 1 GG, weil er den Schutz der Wohnung als Rückzugsbereich und damit die räumliche Privatsphäre insgesamt entwerte.193 Der Betroffene verliere durch die heimliche Überwachung die Herr188 EGMR, Rep. 1999-VI, Smith and Grady v. UK, Rs. 33985/96, 33986/96, § 89 = NJW 2000, S. 2089, 2092, Rn. 89; EGMR, Lustig-Prean and Beckett v. UK, Rs. 31417/ 96 u. a., §§ 80 ff. 189 EGMR, Rep. 1997-I, Z v. Finnland, Rs. 22009/93, §§ 95 ff. 190 EuGH, Rs. 404/92 P, X/Kommission, Slg. 1994 I-4737, Rn. 17 ff. 191 EGMR, Klass v. Deutschland, Rs. 5029/71, 28-A (1978), §§ 42 ff.; Leander v. Schweden, Rs. 9248/81, 116-A (1987), §§ 58 ff. Vgl. auch: N. A. Moreham, EHRLR 2008, S. 44, 55 ff. 192 G. Britz, EuGRZ 2009, S. 1, 9 ff. Vgl. auch: B. Siemen, Datenschutz, 2006, S. 138 ff., 227 ff.; V. Mehde, in: Heselhaus/Nowak, 2006, § 21, Rn. 42. 193 M. Kutscha, NJW 1994, S. 85, 88; ders., DuR 1992, S. 247, 250 f.; D. de Lazzer/ D. Rohlf, JZ 1977, S. 207, 210 f.; S. Leutheusser-Schnarrenberger, ZRP 1998, S. 87, 88; J. Seifert, in: Datenschutz, 1987, S. 261, 271; J. Wolter, in: SK-StPO, (1994), Rn. 114 vor § 151.

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

schaft über seine Wohnung. Die Maßnahme lege das gesamte Innenleben des Betroffenen offen, und seine „tiefsten Seufzer“ könnten mitgehört werden. Die Überwachung nehme dem Betroffenen jede Rückzugsmöglichkeit zu einer „unüberwachten“ Kommunikation.194 Die Theorie des notwendigen quantitativen Grundrechtsrestes begründet den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht überzeugend. Zum einen begegnet das Beispiel des großen Lauschangriffs zwei Bedenken. Zum anderen lässt sich die Theorie nicht mit der Verfassungswirklichkeit vereinbaren. a) Kritik am Beispiel des großen Lauschangriffs Auch beim Wesensgehaltsschutz kann zwischen dem Eingriff durch den großen Lauschangriff selbst und durch die Furcht vor Überwachung differenziert werden. Unabhängig von der Eingriffsart überzeugt das Beispiel des großen Lauschangriffs aber aus zwei Gründen nicht.195 Zum einen setzt diese Theorie voraus, dass eine heimliche Überwachung der Kommunikation den Schutz der Wohnung insgesamt aufhebt. Die Wohnung erfüllt aber weiterhin eine Reihe von Aufgaben. Sie bietet Schutz gegen eine allgemeine Öffentlichkeit.196 Gegenüber den Ermittlern schützt sie zumindest vor optischer Kenntnisnahme und vor deren körperlicher Anwesenheit. Weitgehend betroffen ist lediglich die unbeobachtete Kommunikation in der Wohnung, die aber nur einen Bestandteil des Schutzes von Art. 13 Abs. 1 GG bildet. Der große Lauschangriff entwertet die Wohnung als Rückzugsbereich nicht vollständig.197 Zum anderen entkräften die Autoren ihre eigene Argumentation, indem sie den präventiven großen Lauschangriff als zulässig erachten.198 Diese Schlussfolge194 J. Kretschmer, Jura 1997, S. 581, 589; B. Raum/F. Palm, JZ 1994, S. 447, 452; M. Mozek, Lauschangriff, 2001, S. 190, unter Verweis auf: D. H. Flaherty, Surveillance, 1989, S. 375. Flaherty geht aber nicht von einem unantastbaren Kernbereich, sondern von einer notwendigen Abwägung zwischen dem Interesse am Schutz der Privatheit und den entgegenstehenden öffentlichen Interessen aus (S. 9 f., 12, 379). 195 Anders als bei der Frage, ob der große Lauschangriff die Voraussetzungen der Identitätsbildung beeinträchtigt (s. o. 4. Kapitel, C. IV. 1.), ist die Unterscheidung der Eingriffsarten für die Theorie des notwendigen quantitativen Grundrechtsrestes also irrelevant. 196 Ähnlich: G. Cassardt, ZRP 1997, S. 370, 375, der meint, dass der Wesensgehalt nur verletzt sei, wenn jede staatliche Stelle von den Vorgängen in einer Wohnung heimlich Kenntnis nehmen dürfe. 197 G. Cassardt, ZRP 1997, S. 370, 375. So auch: J. Schwabe, JZ 1993, S. 867, 873, der allerdings den Wesensgehalt der Wohnung zu restriktiv als „Schutz vor den Unbilden der Witterung“ sieht. 198 M. Kutscha, NJW 1994, S. 85, 88; D. de Lazzer/D. Rohlf, JZ 1977, S. 207, 209, insbesondere Fn. 37; S. Leutheusser-Schnarrenberger, ZRP 1998, S. 87, 88 f.

E. Unantastbarer Kernbereich und Wesensgehaltsgarantie

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rung ist mit der Theorie des quantitativen Grundrechtsrestes nicht zu vereinbaren. Wenn der repressive große Lauschangriff gegen Art. 19 Abs. 2 GG verstößt, weil nichts von Art. 13 Abs. 1 GG übrig bleibt, dann ist auch der präventive Lauschangriff als Wesensgehaltsverstoß anzusehen. Beide Maßnahmen greifen gleich intensiv in das Wohnungsgrundrecht ein. Nur das rechtfertigende Interesse ändert sich. Die Theorie des quantitativen Grundrechtsrestes kann den unterschiedlichen Zweck aber nicht berücksichtigen, weil sie nur die grundrechtliche Position des Betroffenen und nicht das entgegenstehende Interesse betrachtet. Der große Lauschangriff ist aus dieser Perspektive entweder insgesamt unzulässig oder zulässig. b) Allgemeine Kritik Neben diesen Bedenken gegen das Beispiel des großen Lauschangriffs spricht allgemein gegen die Theorie des notwendigen quantitativen Grundrechtsrestes die Verfassungswirklichkeit.199 Ein Eingriff, der von einem Grundrecht nichts übrig lässt, wäre danach ein Wesensgehaltsverstoß. Es gibt aber staatliche Maßnahmen, die als verfassungsrechtlich zulässig angesehen werden, obwohl sie die Grundrechte des Betroffenen vollständig entziehen. Das Recht auf Leben steht nach Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG unter einfachem Gesetzesvorbehalt. Wie der finale Rettungsschuss zeigt, können staatliche Tötungshandlungen verfassungsrechtlich zulässig sein. Dabei bleibt vom Lebensrecht des Betroffenen nichts mehr übrig.200 Dies verdeutlicht auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz. Danach verletzt die gezielte Tötung von Flugzeugentführern nicht den Wesensgehalt des Lebensrechts.201 Die lebenslange Freiheitsstrafe und die lebenslange Sicherungsverwahrung heben das Recht auf Bewegungsfreiheit des Betroffenen restlos auf.202 Die Theorie des notwendigen quantitativen Grundrechtsrestes kann diese Fallgruppen nicht erklären. Ohne Modifizierungen lässt sich mit dieser Theorie ein 199 H. Dreier, in: ders., Bd. I, 2004, Art. 19 II, Rn. 15; C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 186; M. Mayer, Untermaß, 2005, S. 177; E. Schwan, VerwArch 66 (1975), S. 120, 149. 200 Für eine umfangreiche Diskussion: C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 226 ff. Drews entkräftet das Argument, die Schranke des Lebensrechtes in Art. 2 Abs. 2 S. 3 nehme als lex specialis das Lebensrecht vom absoluten Schutz des Art. 19 Abs. 2 GG aus. 201 s. o. 1. Kapitel, D. I. 202 s. o. 1. Kapitel, D. I. Vgl. auch: A. Kaufmann, ARSP 70 (1984), S. 384, 387 f. Umfassend: C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 187 ff. Es gibt vor allem zwei unterschiedliche Argumente, um die lebenslange Freiheitsstrafe und die Theorie des notwendigen Grundrechtsrestes miteinander zu vereinbaren. Zum einen sei die lebenslange Freiheitsstrafe eine Ausnahme zu Art. 19 Abs. 2 GG. Zum anderen entziehe die lebenslange Freiheitsstrafe die Bewegungsfreiheit nicht vollständig. Drews widerlegt beide Argumente überzeugend.

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

absoluter Schutz des Wesensgehaltes und damit auch des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung nicht begründen. 2. Qualitative Ansätze Um die Mängel der rein quantitativen Betrachtung zu beheben wurden qualitative Theorien des notwendigen Grundrechtsrestes entwickelt. Im Folgenden werden drei verschiedene Interpretationen des Wesensgehalts als qualitativer Grundrechtsrest dargestellt: (1) Herbert Krüger ermittelt den Wesensgehalt zunächst quantitativ. Jede staatliche Maßnahme müsse dem Bürger einen Freiheitsrest belassen.203 Dabei komme es aber zusätzlich auf eine qualitative Betrachtung an. Der Zweck, um dessentwillen ein Freiheitsgrundrecht gewährt wird, müsse jederzeit erreichbar bleiben.204 So verstoße ein Gesetz, das zwar Versammlungen zulasse, aber die Diskussion auf ihnen verbiete, gegen den Wesensgehalt des Art. 8 Abs. 1 GG. Eine qualitative Untersuchung des Art. 2 Abs. 1 GG sei allerdings wegen dessen Allgemeinheit nur schwer durchführbar.205 Krüger zeigt nicht auf, wie der Wesensgehalt der Grundrechte, die wie Art. 2 Abs. 1, 10, 13 GG für den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung relevant sind, zu bestimmen ist. Vielmehr geht er davon aus, dass der qualitative Wesensgehalt des Art. 2 Abs. 1 GG kaum zu ermitteln ist. (2) Laut Ekkehart Stein erschwert jede Einschränkung eines Freiheitsrechts die Selbstentfaltung. Der Wesensgehalt sei verletzt, wenn der Einzelne seine grundrechtlich geschützten Interessen überhaupt nicht mehr verfolgen kann, wenn ihm jeder Weg, seine Interessen zu verwirklichen, versperrt wird.206 Der Wesensgehalt von Art. 2 Abs. 1 GG umfasse die vertrauliche Kommunikation und intime Interaktion, soweit nicht einer der Beteiligten eine überlegene Macht besitzt und die Gefahr des Machtmissbrauchs besteht.207 Den Wesensgehalt von Art. 10 und 13 GG verletze nicht jede, sondern erst eine ständige heimliche Überwachung.208

203 H. Krüger, DÖV 1955, S. 597, 600 f. Krüger folgend: W. Leisner, Grundrechte, 1960, S. 154, 156 f. 204 So auch: A. Bleckmann, Staatsrecht II, 1997, § 12, Rn. 152, allerdings ohne weitere Konkretisierung. 205 H. Krüger, DÖV 1955, S. 597, 602. 206 E. Stein, Staatsrecht, 1998, S. 243. 207 E. Stein, Staatsrecht, 1998, S. 252 f. Zum Begriff der Macht: P. M. Blau, Power, 1964; K. O. Hondrich, Herrschaft, 1973. 208 E. Stein, Staatsrecht, 1998, S. 287 (Art. 13 GG), 296 (Art. 10 GG). Bei der Briefund Fernmeldeüberwachung liege eine absolute zeitliche Grenze bei etwa drei Monaten.

E. Unantastbarer Kernbereich und Wesensgehaltsgarantie

177

Die Beispiele von Stein zeigen, dass der Wesensgehaltsschutz bei der Anwendung relativiert wird. In den intimen Bereich darf eingegriffen werden, wenn die Gefahr eines Machtmissbrauchs besteht. Wann dies der Fall ist, lässt sich nicht ermitteln, ohne die Vorgänge in diesem Bereich zur Kenntnis zu nehmen und die betroffenen Interessen abzuwägen. Damit ist der Kernbereich weder eingriffs- noch abwägungsresistent. Die ständige Überwachung ist wegen ihrer gesteigerten Intensität in Form der langen Dauer rechtswidrig. Die Intensität ist einer der wesentlichen Abwägungsgesichtspunkte im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung.209 Worin die eigenständige Bedeutung eines so verstandenen „absoluten“ Wesensgehalts besteht, bleibt unklar. Außerdem lässt sich mit dieser Wesensgehaltsdefinition der unantastbare Kernbereich nicht begründen. Die ständige Überwachung bezieht sich auf eine Kumulation mehrerer für sich genommen nicht kernbereichsrelevanter Maßnahmen. Der Kernbereich ist aber gegen jeden Eingriff geschützt. Es handelt sich also um unterschiedliche Perspektiven des Grundrechtsschutzes. (3) Die Autoren um Wilhelm Steinmüller gehen in ihrem Gutachten zum Datenschutz für das Bundesinnenministerium davon aus, dass der Wesensgehalt von Art. 2 Abs. 1 GG verletzt ist, wenn dem Menschen keine autonomen Entscheidungsspielräume mehr bleiben.210 Dies sei bei der Informationserhebung und -verarbeitung dann erreicht, wenn ein umfassendes Persönlichkeitsbild erstellt wird. Ein solches Bild mache das zukünftige Verhalten eines Menschen prognostizierbar und den Wechsel des Einzelnen zwischen verschiedenen Rollen unmöglich. Wann ein derart umfassendes Persönlichkeitsbild vorliegt, sei eine schwierige Einzelfallentscheidung.211 Gegen das von Steinmüller u. a. genannte Beispiel spricht, dass in der Praxis die Bildung eines Persönlichkeitsprofils bisher nicht nachgewiesen werden konnte.212 Auch handelt es sich bei dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung und den Persönlichkeitsprofilen um verschiedene Kategorien des Persönlichkeitsschutzes. Während der unantastbare Kernbereich bei jeder einzelnen Maßnahme beachtet werden muss, ergibt sich das Persönlichkeitsprofil erst aus einer Gesamtbetrachtung. Das Verbot von Persönlichkeitsprofilen folgt nicht aus der Unantastbarkeit des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung.

209 A. Bleckmann, Staatsrecht II, 1997, § 12, Rn. 151: Die Intensität eines Eingriffs sei nur für die Verhältnismäßigkeit, nicht für den Wesensgehalt relevant. Vgl. auch: C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 239. 210 W. Steinmüller u. a., BT-Drs. VI/3826, 1971, S. 89. 211 W. Steinmüller u. a., BT-Drs. VI/3826, 1971, S. 97. 212 s. o. 4. Kapitel, C. III. 2.

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4. Kap.: Begründung des unantastbaren Kernbereichs

Keiner der drei Ansätze definiert den qualitativen Aspekt des Wesensgehaltes präzise genug, um überprüfen zu können, ob der Wesensgehalt und damit ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung absolut geschützt sind.213 Darüber hinaus kommt dem absoluten Wesensgehaltsschutz in der Konkretisierung durch Stein und Steinmüller u. a. keine praktische Relevanz neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu.

VI. Zusammenfassung In der Rechtswissenschaft begründet kein Ansatz den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung überzeugend mit Art. 19 Abs. 2 GG. Die Theorien, die lediglich abstrakte Aussagen zum absoluten Wesensgehalt treffen, bedürfen ebenso wie die Theorie des qualitativen Grundrechtsrestes weiterer Konkretisierung, um nachweisen zu können, dass sie einen absoluten Kernbereichsschutz ermöglichen. Der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist weder ein existentielles Interesse im Sinne des Ansatzes von Hochhuth, noch gehört er zum völkerrechtlichen ius cogens. Das Konzept, den notwendigen Grundrechtsrest quantitativ zu ermitteln, ist nicht mit der Verfassungswirklichkeit zu vereinbaren. Darüber hinaus ist das Beispiel des großen Lauschangriffs nicht geeignet, den unantastbaren Kernbereich als quantitativen Grundrechtsrest zu verdeutlichen.

F. Ergebnis und Folgerungen Keinem der untersuchten Ansätze aus Rechtsprechung und Rechtswissenschaft gelingt es, den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung überzeugend mit der Menschenwürde- oder der Wesensgehaltsgarantie zu begründen. Dies gilt sowohl für das Bundesverfassungsgericht als auch für die ihm inhaltlich folgenden und abweichenden Ansätze. Die Hauptbegründung ist der Verweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das aber in keiner Entscheidung plausibel gemacht hat, dass aus dem Grundgesetz ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung folgt. Diese fehlende grundgesetzliche Fundierung ist eine grundlegende Schwäche aller bestehenden Kernbereichskonzepte. Dieses Ergebnis deckt sich mit einem allgemeinen normtheoretischen Befund. Absolute rechtliche Regelungen setzen hinreichend konkretisierte Normen voraus, weil die Interpretation eines nicht eindeutigen Verfassungs- oder Gesetzestextes zwingend Abwägungen beinhaltet, auch wenn diese als Auslegung 213 Gleiches gilt für den Ansatz von: A. Leisner-Egensperger, HdbGRe, III, 2009, § 70, Rn. 73 ff.

F. Ergebnis und Folgerungen

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bezeichnet werden.214 Selbst die vermeintlich abwägungsfreie Gesetzesauslegung215 der historischen liberalen Rechtsstaatsschule des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts war auf Annahmen und Wertungen angewiesen, um unbestimmte Rechtsvorschriften und Rechtsprinzipien auszufüllen. Dies blieb nur deshalb relativ verdeckt, weil ein stillschweigender Konsens herrschte, so dass der Rückgriff auf die Wertungen nicht thematisiert werden musste.216 Nur soweit der Verfassungstext eindeutig ist, bleibt kein Raum für Abwägung.217 Art. 1 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 2 GG sind nicht derart eindeutig, dass sich ein absoluter Kernbereichsschutz ohne Abwägungen aus ihnen ergibt. Daraus, dass der absolute Kernbereichsschutz nicht mit Art. 1 Abs. 1 GG begründet werden kann, folgt, dass bei den kernbereichsrelevanten staatlichen Maßnahmen keine Menschenwürdekollision besteht. Mit dieser Rechtsfigur ist ein unterschiedlicher Kernbereichsschutz im präventiven und im repressiven Bereich nicht zu rechtfertigen. Ein absoluter Kernbereichsschutz ist also nur möglich, wenn die Ansätze, die einen absoluten Kernbereichsschutz gegenüber repressiven Maßnahmen ermöglichen, ohne Abstriche auf den präventiven Bereich übertragen werden. Ob eine solche Übertragung des Kernbereichsschutzes, die niemand in der Rechtswissenschaft fordert, grundgesetzkonform ist, wird im nächsten Kapitel untersucht.

214 Vgl. zur Äquivalenz von Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Auslegung von offenen Gesetzestexten: L. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 190 f., 200 ff. 215 So noch E. Forsthoff, in: FS Schmitt, 1959, S. 35, 36, 39. 216 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 308. 217 N. Luhmann, MLR 58 (1995), S. 285, 290.

Fünftes Kapitel

Kritik des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung Die bisherige Analyse hat zweierlei gezeigt. Zum einen hat weder die Rechtsprechung noch die Rechtswissenschaft den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung so definiert, dass er unantastbar ist. Die fehlende Bestimmtheit ist einer der Hauptkritikpunkte am unantastbaren Kernbereich.1 Zum anderen hat niemand den unantastbaren Kernbereich überzeugend mit den Vorschriften des Grundgesetzes begründet. Kein Ansatz legt die Menschenwürde- und/oder die Wesensgehaltsgarantie derart aus, dass sie einen absoluten Kernbereichsschutz ermöglichen. Allerdings stehen diese beiden Ergebnisse unter dem Vorbehalt, dass eine überzeugende Definition und Herleitung aus dem Grundgesetz möglich ist und nur noch nicht gefunden wurde. In diesem Sinne argumentieren Befürworter des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung, dass Abgrenzungsprobleme die rechtliche Existenz des unantastbaren Kernbereichs nicht widerlegen können.2 Jedoch spricht die Fülle der bisherigen Stellungnahmen dagegen, dass sich ein neuer Ansatz finden lässt, der aus dem Grundgesetz einen unantastbaren Kernbereich herleitet. Diese These wird nun argumentativ unterlegt. Dazu werden zunächst die Kritikpunkte am Konzept des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung analysiert. Am weitesten geht die Kritik, die einen Privatsphärenschutz gegenüber dem Staat insgesamt für überflüssig hält (A.). Ausschlaggebend ist aber, dass sich ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht grundgesetzkonform definieren lässt (B.). Die große Bedeutung, die das Kernbereichskonzept dennoch erlangt hat, erklärt sich dadurch, dass der Begriff des unantastbaren Kernbereichs auf unterschiedlichen 1 E. Forsthoff, in: FS 45. DJT, 1964, S. 41, 46; E. Grabitz, Freiheit, 1976, S. 108; F. v. Hammerstein, Privatsphäre, 1993, S. 49; 122; R. Kamlah, DÖV 1970, S. 361, 362; G. Jensen, DVR 6 (1977), S. 1, 6 f.; W. Schmidt, JZ 1974, S. 241, 243 f.; S. Simitis, NJW 1971, S. 673, 675; ders., DVR 2 (1973), S. 138, 145; C. Starck, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, I, 2005, Art. 2, Rn. 16. Zum Begriff des Wesensgehalts: A. Kaufmann, in: Menschenbild, 2002, S. 23 ff. 2 O. Bludovsky, Lauschangriff, 2002, S. 68; T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988, S. 52 f.; W. Klöhn, Intimsphäre, 1984, S. 39 ff.; B. Laber, Tagebuchaufzeichnungen, 1995, S. 63; W. Rudolf, in: FS Delbrück, 2005, S. 607, S. 612; R. Störmer, Jura 1991, S. 17, 20.

A. Kein Privatsphärenschutz gegenüber dem Staat?

181

Ebenen verwendet wird (C.). Das Untersuchungsergebnis wird anschließend durch Seitenblicke auf den Begriff des unantastbaren Kernbereichs in anderen verfassungsrechtlichen Zusammenhängen und aus einer rechtsvergleichenden und staatsphilosophischen Perspektive überprüft (D.). Schließlich wird untersucht, ob der „unantastbare“ Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Idee, die die Rechtsanwendung leitet, zu verstehen ist (E.).

A. Kein Privatsphärenschutz gegenüber dem Staat? Einige Autoren kritisieren nicht nur den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, sondern jeglichen Privatsphärenschutz im Verhältnis des Einzelnen zum Staat. Der Schutzbereich der Privatsphäre sei nicht überzeugend zu definieren.3 Dieser Argumentation folgend, kann es auch einen unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht geben. Im Folgenden werden drei Begründungen dargestellt: (1) Ernst Forsthoff lehnte in einem einflussreichen4 Text aus dem Jahre 1964 eine unantastbare Intimsphäre5 gegenüber dem Staat aus drei Gründen ab. Erstens schütze die Intimsphäre nur davor, dass die Massenmedien intime Details veröffentlichen. Im verwaltungsrechtlichen Verfahren kommt es nicht zu einer solchen Veröffentlichung, so dass ein besonderer Schutz nicht erforderlich sei.6 Zweitens sei die Intimsphäre gegenüber der gesellschaftlichen Öffentlichkeit im Verhältnis der Bürger untereinander geschützt, weil der Einzelne der Gesellschaft mit seiner gesamten Persönlichkeit ausgesetzt ist. Hingegen müsse der Bürger dem Staat lediglich einzelne Eigenschaften für einen bestimmten Zweck und nicht die gesamte Persönlichkeit offenbaren. Der Betroffene werde durch die verfassungsrechtlichen Anforderungen an staatliches Handeln, insbesondere die Bindung der Verwaltung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ausreichend geschützt. Ein relativer Privatsphärenschutz sei daneben nicht erforderlich. Schließlich ende der Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG an den strafrechtlichen Gesetzen.7 Art. 2 Abs. 1 GG könne den Strafgesetzgeber nicht binden. 3 E. Forsthoff, in: FS 45. DJT, 1964, S. 41, 45 f.; D. Krauss, in: FS Gallas, 1973, S. 365, 378 ff.; B. Schlink, Amtshilfe, 1982, S. 176, 183, 191; ders., Der Staat 25 (1986), S. 233, 241 f. 4 Das entscheidungstragende Votum der Tagebuchentscheidung zitiert Forsthoffs Ansatz an prominenter Stelle: BVerfG 80, 367, 376. 5 E. Forsthoff, in: FS 45. DJT, 1964, S. 41 ff. differenzierte nicht zwischen der unantastbaren Intimsphäre und der relativ geschützten Privatsphäre. Seine Argumentation bezieht sich auf die aus Art. 1 GG folgende unantastbare Intimsphäre, die mit dem unantastbaren Kernbereich identisch ist. 6 E. Forsthoff, in: FS 45. DJT, 1964, S. 41, 46 ff, 50 f. 7 E. Forsthoff, in: FS 45. DJT, 1964, S. 41, 43 f., insbesondere Fn. 7. Zu Forsthoffs allgemeiner Grundrechtslehre: E. Forsthoff, in: FS Carl Schmitt, 1959, S. 35 ff. Kritisch

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

Bei Forsthoff überzeugt die enge Kopplung von Intimsphäre und Massenmedien nicht.8 Zwar ist die Intimsphäre besonders intensiv betroffen, wenn Massenmedien intime Details veröffentlichen, aber jede fremde Kenntnisnahme beeinträchtigt die Zurückgezogenheit und Vertraulichkeit einer Situation. Die Anzahl der Kenntnisnehmenden betrifft die Intensität des Eingriffs und nicht die Frage, ob ein Eingriff vorliegt.9 Darüber hinaus beruht die Ablehnung des Privatsphärenschutzes auf der Prämisse, dass Art. 2 Abs. 1 GG nicht an den Strafgesetzgeber gerichtet sei. Dies widerspricht Art. 1 Abs. 3 GG, der die gesamte Staatsgewalt, also auch den Gesetzgeber, an die Grundrechte bindet.10 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass Forsthoffs Text aus einer Zeit stammt, in der die grundrechtliche Erfassung von Informationseingriffen noch unklar war.11 (2) Detlef Krauss sieht Forsthoff folgend das Private nicht als eigenständiges Rechtsgut an. Die Privatsphäre beinhalte nur diejenigen menschlichen Verhaltensmöglichkeiten, die nicht durch legitime staatliche Regelung erfasst werden.12 Es gebe keinen feststehenden Bereich des Privatlebens, der grundrechtlich geschützt ist. Die Privatsphäre binde die staatliche Gewalt nicht inhaltlich, sondern nur formal an den Gesetzesvorbehalt und das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Krauss Kritik beruht maßgeblich darauf, dass die Privatsphäre lediglich Sachverhalte ohne Sozialbezug umfasst.13 Diese Argumentation ist mit der heutigen Position des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr zu vereinbaren.14 Die Privatsphäre ist auch dann geschützt, wenn sie einen Sozialbezug aufweist. (3) Auch Bernhard Schlink führt die Gedanken Forsthoffs weiter aus.15 Die Privatsphäre habe lediglich im Verhältnis der Bürger untereinander eine sinn-

dazu: E. Hesse, Bindung, 1968, S. 40; A. Hollerbach, AöR 85 (1960), S. 241 ff.; K. Larenz, Methodenlehre, 1991, S. 361 ff. 8 H.-U. Evers, in: Verfassungsschutz, 1966, S. 93, 100 f.; H.-H. Kühne, Beweisverbote, 1970, S. 49; D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 23. Vgl. auch: D. Krauss, in: FS Gallas, 1973, S. 365, 382 f., Fn. 57. 9 H.-H. Kühne, Beweisverbote, 1970, S. 49. 10 M.-E. Geis, JZ 1991, S. 112, 116; W. J. Habscheid, in: GS Peters, 1967, S. 840, 857; P. Krause, DB 1983, Beilage 23, S. 1, 8 f.; G. Küpper, JZ 1990, S. 416, 419, Fn. 35. Kritisch auch: H.-U. Evers, JZ 1965, S. 661, 664, der Forsthoff vorwirft, einen zu engen Menschenwürdebegriff zu verwenden. 11 Ausführlich zu den Informationseingriffen und ihrer grundrechtlichen Erfassung: s. u. 6. Kapitel, A. II. 1. 12 D. Krauss, in: FS Gallas, 1973, S. 365, 384 f. Ähnlich: S. Simitis, DVR 2 (1973), S. 138, 153: Eine Privatsphäre existiere nur insoweit, als die Kontrolle der Informationsverarbeitung Freiräume erzeugt. Kritisch: W. Klöhn, Intimsphäre, 1984, S. 38 f. 13 D. Krauss, in: FS Gallas, 1973, S. 365, 370 ff., 384 f. 14 s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. a).

A. Kein Privatsphärenschutz gegenüber dem Staat?

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volle Funktion. Nicht ohne Grund habe zunächst die Zivilrechtsprechung das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Privatsphärenkonzeption entwickelt.16 Die Privatsphäre ermögliche die Selbstdarstellung der Bürger in der Gesellschaft. Durch Wahrnehmungs-, Kommunikations- und Interaktionsschranken würden Bereiche geschaffen, in denen der Einzelne Nichtdarstellbares tun, sich von der Selbstdarstellung ausruhen und diese vorbereiten kann. Die Selbstdarstellung sei wiederum Voraussetzung und Mittel der Persönlichkeitsentwicklung in der Gesellschaft. Gegenüber dem Staat könne und müsse der Bürger keine Selbstdarstellung leisten.17 Das Bürger-Staat-Verhältnis sei kein freier Kommunikations- und Interaktionszusammenhang, sondern gesetzlich normiert und damit an festen Erwartungen ausgerichtet. Der Staat dürfe sein Verhalten – anders als die Bürger – nicht davon abhängig machen, ob die Selbstdarstellung gelingt, weil er sich an den gesetzlichen Vorgaben zu orientieren hat. Der Schutz der Privatsphäre sei als Mittel zur Sicherung der Selbstdarstellung dem Staat gegenüber nicht erforderlich. Um seine Position zu rechtfertigen, stellt Schlink auf ein idealtypisches Bild des unpersönlichen Bürger-Staat-Verhältnisses ab.18 Dieses sei in der Praxis zwar häufig nicht gegeben, denn im Verwaltungsalltag spielt der konkrete Kommunikations- und Interaktionszusammenhang für die staatliche Reaktion eine entscheidende Rolle. Aber die allgemeine Rechtsordnung begrenze den Umfang, in dem die Selbstdarstellung berücksichtigt werden darf, auf ein Minimum. Gegenüber dem Staat sei deshalb nicht die Privatheit, sondern nur die Freiheit geschützt. Die Freiheit sei erst dann betroffen, wenn der Staat die erlangten Informationen in einen Eingriff gegenüber dem Einzelnen umsetzt. Bei allen drei Autoren setzt die Kritik am Schutz der Privatsphäre gegenüber der Verwaltung ein nicht der praktischen Erfahrung entsprechendes, positives Staatsbild voraus. Dies wird besonders deutlich bei Schlinks Voraussetzung des idealtypisch unpersönlichen Bürger-Staat-Verhältnisses. Dieses Bild lässt sich – wie Schlink zugesteht – in der Praxis nicht aufrechterhalten. Jedem Amtsträger verbleiben Einschätzungs- und Ermessensspielräume, die nicht vollständig justi15 Hierzu und zum Folgenden: B. Schlink, in: Datenschutz, 1973, S. 155, 156 ff., 163 ff.; ders., Amtshilfe, 1982, S. 193 ff. 16 Zu dieser Entwicklung beginnend mit BGHZ 13, 334 (Leserbrief-Entscheidung): s. o. 2. Kapitel, B. I. 17 Zur Bedeutung der Selbstdarstellung: N. Luhmann, Grundrechte als Institution, 1965, S. 53 ff. Luhmann bezog sich nur auf die Privatheit und Selbstdarstellung in der Gesellschaft, so dass das von ihm eingeführte Konzept der Selbstdarstellung nicht auf das Verhältnis des Bürgers zum Staat übertragbar ist (B. Schlink, Amtshilfe, 1982, S. 196, Fn. 73). Kritisch zu Luhmanns Theorie, weil sie keinen Maßstab biete das Bestehende zu hinterfragen: H. Willke, Grundrechtstheorie, 1975, S. 202 f. 18 Hierzu und zum Folgenden: B. Schlink, Amtshilfe, 1982, S. 197 f.

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

ziabel sind. In diesen Bereichen kommt es auf das persönliche Verhältnis der Beteiligten und die jeweilige Selbstdarstellung an. Der Grundrechtsschutz muss sich an der Praxis orientieren, will er der Wirklichkeit gerecht werden. Deshalb lässt sich mit dem idealtypischen Staat-Bürger-Verhältnis das Bedürfnis des Privatsphärenschutzes nicht bestreiten. Außerdem ist jeder Amtsträger gleichzeitig gewöhnlicher Bürger. Trotz Geheimhaltungsvorschriften ist nicht auszuschließen, dass in der amtlichen Funktion erworbenes Wissen in den gesellschaftlichen Bereich gelangt. Insofern ist der Unterschied zwischen der Kenntnisnahme durch Mitbürger und durch Amtsträger allenfalls ein gradueller. Eine komplett unterschiedliche Behandlung hinsichtlich des Privatsphärenschutzes rechtfertigt diese graduelle Differenz nicht. Ebenso wenig spricht es gegen den staatsgerichteten Privatsphärenschutz, dass die allgemeine Rechtsordnung die Berücksichtigung der Selbstdarstellung begrenzt. Vielmehr ist der Privatsphärenschutz selbst ein Mittel, dessen sich die Rechtsordnung bedient, um die Unpersönlichkeit des Bürgers gegenüber dem Staat sicherzustellen. Dass auch gegenüber dem Staat ein Bedürfnis nach Privatsphärenschutz besteht,19 zeigt die umfangreiche Diskussion um den notwendigen Schutz gegen Informationseingriffe.20 Danach steht fest, dass staatliche Informationserhebung grundrechtsrelevant sein kann. Gegen Informationserhebungen schützt laut Bundesverfassungsgericht die grundrechtlich gewährleistete Privatsphäre.21 Der von den drei Autoren geäußerten Kritik ist insoweit zuzustimmen, als die Unantastbarkeit des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung voraussetzt, dass sein Inhalt hinreichend bestimmt wird. Jedoch gehen die Kritiker zu weit, wenn sie den gesamten staatsgerichteten Privatsphärenschutz verneinen. Die entscheidende Frage ist demnach, ob ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung grundgesetzkonform zu definieren ist.

19 So auch: H.-H. Kühne, Beweisverbote, 1970, S. 68 f.; D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 23; R. Scholz/R. Pitschas, Selbstbestimmung, 1984, S. 74, Fn. 261; C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 454. 20 R. Kamlah, DÖV 1970, S. 361 ff.; U. Seidel, NJW 1970, S. 1581, 1582 f.; W. Steinmüller u. a., BT-Drs VI/3826, 1971, S. 85 ff.; S. Simitis, NJW 1971, S. 673, 675; A. Podlech, Datenschutz, 1973, S. 11 f., 15 ff., 55 f.; E. Schwan, VerwArch 66 (1975), 120, 128. Vgl. auch: C. Gusy, DÖV 1980, S. 431, 433; ders., VerwArch 74 (1983), 91, 96; F. Hufen, JZ 1984, S. 1072, 1074 f.; M. Deutsch, Informationserhebung, 1992, S. 86; M. Albers, in: Grundlagen, II, 2008, § 22, Rn. 72. Ausführlich zu den Informationseingriffen, s. u. 6. Kapitel, A. II. 1. 21 Eine mögliche Alternative ist es allerdings, die Informationseingriffe als Freiheitsgefährdungen im Rahmen der Freiheitsrechte zu erfassen. Vgl. dazu: H.-U. Gallwas, Der Staat 18 (1979), S. 507, 510 f. Dann ist die Privatsphäre nicht erforderlich, um Grundrechtsschutz zu ermöglichen.

B. Ein relevanter, unantastbarer Kernbereich ist grundgesetzwidrig

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B. Ein relevanter, unantastbarer Kernbereich ist grundgesetzwidrig Der Rechtsbegriff des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung lässt sich hinsichtlich der entgegenstehenden Interessen auf drei verschiedene Arten definieren. Der Kernbereich kann unabhängig von den entgegenstehenden Interessen bestimmt werden (I.). Es ist möglich, ihn so zu konkretisieren, dass er keine Interessenkonflikte beinhaltet (II.) Schließlich lassen sich die entgegenstehenden Interessen bei der Definition berücksichtigen (III.).

I. Kernbereichsschutz unabhängig von entgegenstehenden Interessen Wenn der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung unabhängig von den entgegenstehenden Interessen bestimmt wird, ist er unantastbar, weil sein Schutz in jedem Fall vorgeht und kein staatlicher Eingriff zulässig ist. Innerhalb eines solchen Kernbereichs darf der Einzelne sowohl die Rechte anderer verletzen als auch gegen die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz verstoßen, ohne dass der Gesetzgeber oder Gesetzesanwender dagegen vorgehen könnte.22 Auf die Sozialschädlichkeit des jeweiligen Verhaltens käme es nicht an. Der Einzelne hätte das Recht, nach eigenen Maßstäben zu bestimmen, was für ihn höchstpersönlich ist. Der Umfang des Kernbereichsschutzes würde vornehmlich auf dem Selbstverständnis des Grundrechtsträgers beruhen. Ein solcher unantastbarer Kernbereich hätte einen eigenständigen Anwendungsbereich neben dem relativen Grundrechtsschutz. In diese Richtung gehen die Ansätze von Dirk Lammer zum Menschenwürdegehalt der Grundrechte und von Herbert Krüger zur Auslegung der Wesensgehaltsgarantie.23 Dieser Ansatz wird für den Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit (1.), den Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebung (2.) und den Kernbereich als Freiheitsgrenze (3.) beurteilt. 1. Bewertung für den Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit Gegen eine solche Interpretation des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung im Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit sprechen fünf Gründe. 22 H. Krüger, DÖV 1955, S. 597, 599. Krüger folgend: W. Leisner, Grundrechte, 1960, S. 154, Fn. 91. Dagegen: H. Otto, in: FS Kleinknecht, 1985, S. 319, 325. 23 D. Lammer, Ermittlungen, 1992, S. 88 ff.; H. Krüger, DÖV 1955, S. 597, 599. Vgl. allerdings H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 536 f.: Art. 19 Abs. 2 GG setze die Entschlossenheit voraus, lieber unterzugehen, als den Wesensgehalt aufzuopfern. Im Ernstfall werde von einer solchen Entschlossenheit nicht viel übrig bleiben. Ähnlich: K. Ellbogen, NStZ 2001, S. 460, 463; ders., Jura 2005, S. 339, 342; ders., NStZ 2006, S. 180.

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

Erstens entspricht ein absoluter Freiheitsschutz nicht der Systematik der Freiheitsgrundrechte. Das Grundgesetz beinhaltet nur relative Freiheitsrechte. Selbst die nach dem Wortlaut unantastbaren Grundrechte, wie Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 3 GG, sind aufgrund anderer Verfassungsgüter beschränkbar. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Bundesverwaltungsgericht haben entschieden, dass es keine schlechthin schrankenlosen Rechte geben kann.24 Eine Sphäre der Gesetzesfreiheit ist im Grundgesetz nicht vorgesehen.25 Das Gesetz ist vielmehr das vorrangige Mittel, um unterschiedlichen Freiheitsgebrauch zu vereinbaren. Freiheitsrechte, die auch dem Gesetzgeber gegenüber absolut schützen, sind dem Grundgesetz fremd. Zweitens spricht gegen einen absoluten Freiheitsschutz die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes. Zwar wurde der Vorbehalt der allgemeinen Rechtsordnung gemäß Art. 21 Abs. 3 HChEntw. nicht in das Grundgesetz aufgenommen. Jedoch sollte die traditionelle Freiheitsgrenze des Rechtsprinzips in Form der gleichen Freiheit aller im Grundgesetz gelten.26 Die Grundrechte sollten keine ungezügelte Freiheit garantieren, sondern eine in das Gemeinwesen eingebundene Freiheit schaffen. Auf den Vorbehalt der allgemeinen Rechtsordnung wurde laut der Erörterungen im Grundsatzausschuss des Parlamentarischen Rates nur deshalb verzichtet, weil schon bei den Einzelgrundrechten spezielle Vorbehalte eingefügt wurden.27 Nicht dass die allgemeine Rechtsordnung die Grundrechte begrenzt, war umstritten, sondern nur wie die Begrenzung im Grundgesetz formuliert werden sollte. Drittens lässt sich das Schutzgut der Freiheit nicht in einen relativ und einen absolut geschützten Bereich unterteilen.28 Sowohl der unantastbare Kernbereich als auch der relativ geschützte Bereich privater Lebensgestaltung beziehen sich auf einen einheitlichen Freiheitsbegriff.29 Art. 1 Abs. 3 GG bindet die gesamte Staatsgewalt an die Grundrechte. In Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz führt dies dazu, dass die grundrechtliche Freiheit als Kontinuum zu denken ist. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bezieht sich als allgemeines Abwägungsgebot auf die Freiheit insgesamt.30

24 BVerfGE 28, 243, 261 (Kriegsdienstverweigerung); 30, 173, 193 (Mephisto); 41, 29, 50 (Simultanschule); 49, 24, 56 (Kontaktsperregesetz). BVerwGE 49, 202, 209. 25 C. Möllers, NJW 2005, S. 1973, 1979, allerdings ohne Begründung. 26 H. Nawiasky, Grundgedanken, 1950, S. 22 ff. Vgl. auch: C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 472 f.; ders., in: Friauf/Höfling, GG, 2009, vor Art 1, Rn. 114; M. Kötter, Pfade, 2008, S. 349. 27 Parlamentarischer Rat, Stenographische Berichte, 1949, S. 20, 47; K.-B. v. Doemming/R. W. Füsslein/W. Matz, JÖRNF 1 (1951), S. 177. 28 A. Kaufmann, in: Menschenbild, 2002, S. 23, 25; C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 76 ff. E. Hesse, Bindung, 1968, S. 45 f. 29 C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 76. 30 C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 445.

B. Ein relevanter, unantastbarer Kernbereich ist grundgesetzwidrig

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Bei Freiheitsrechten einen Kernbereich festzustellen, ist auch deshalb nicht möglich, weil das prägende Strukturprinzip dieser Rechte darin besteht, zwischen Entscheidungs- und Verhaltensalternativen wählen zu können. Diese Wahlmöglichkeit besteht aber bei allen Verhaltensweisen, die in den Schutzbereich eines Freiheitsrechts fallen, gleichermaßen. Das Strukturprinzip der Freiheit ermöglicht keine Differenzierung besonders schutzwürdiger Bereiche.31 Viertens wird das Selbstverständnis des Grundrechtsträgers, der sich auf den unantastbaren Kernbereich beruft, übermäßig berücksichtigt. Zwar ist es unproblematisch, dass das Selbstverständnis die Definition des Schutzbereichs von Freiheitsrechten prägt. Dies ist aber nur möglich, weil auf einer zweiten Ebene, den Schranken der Grundrechtsausübung, objektive bzw. inter-subjektive Kriterien korrigierend eingreifen.32 Ohne inter-subjektive Kriterien sind Konflikte zwischen dem Grundrechtsgebrauch des Einzelnen einerseits und den Grundrechten anderer oder Gemeinwohlbelangen andererseits nicht grundgesetzkonform lösbar.33 Schließlich führt das tägliche Leben zwingend zu Interessenkonflikten zwischen Bürgern untereinander und der Allgemeinheit: „Da im Zusammenleben in einer großen Gemeinschaft sich notwendig ständig Interessen- und Rechtskollisionen zwischen den einzelnen ergeben, hat im sozialen Bereich ständig ein Ausgleich und eine Abwägung der einander entgegenstehenden Rechte nach dem Grade ihrer Schutzwürdigkeit stattzufinden.“34

Im demokratischen Rechtsstaat werden diese Interessenkonflikte mit Hilfe des Rechts gelöst. Deshalb beinhaltet jede Rechtsanwendung eine Interessenabwägung.35 Absolute Freiheitsrechte können nicht alle einschlägigen Interessen und Umstände berücksichtigen, so dass lediglich relative Freiheitsrechte gesellschaftsverträglich sind.36 Ein Grundrecht gilt nur, wenn dem geschützten Interesse keine höherwertigen Interessen oder Rechtsgüter entgegenstehen.37 Absolute Freiheitsrechte sind demnach auch in einem Kernbereich nicht möglich.38 31

C. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 114, Fn. 423. M. Kloepfer, in: FG 25 Jahre BVerfG, 1976, S. 405, 407; M. Morlok, Selbstverständnis, 1993, S. 423 ff. 33 M. Morlok, Selbstverständnis, 1993, S. 425. 34 BVerfGE 7, 198, 220 (Lüth). 35 H. Hubmann, JZ 1957, S. 521, 523; H. H. Klein, Grundrechte, 1972, S. 62 f.; C. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, 1998, S.101; P. Kirchhof, in: FS Starck, 2007, S. 275, 290 ff.; M. Kötter, Pfade, 2008, S. 350. A. Podlech, AöR 95 (1970), S. 185, 209 meint, dass es eine „wertungsfreie Rechtsanwendung nicht oder kaum gibt“. 36 W. Klöhn, Intimsphäre, 1984, S. 69; W. Brugger, Menschenwürde 1997, S. 28. 37 E. v. Hippel, Wesensgehalt, 1965, S. 30, Fn. 34; D. Suhr, Entfaltung, 1976, S. 135 ff.; ders., JZ 1980, S. 166, 173 f. 38 V. Neumann, KritV 76 (1993), S. 276, 285; W. Brugger, Menschenwürde 1997, S.20, 27 f.; C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 390, 448; ders., in: Friauf/Höfling, 2009, Art. 1, Rn. 63; ders., in: Stern/Becker, 2010, Art. 1, Rn. 67; H. Dreier, in: ders., 32

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

Bei einem unantastbaren Kernbereich drohen elementare Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG und Gefahren für die soziale Ordnung.39 Allgemeininteressen würden außer Betracht bleiben, selbst wenn im Einzelfall die besseren Gründe für sie sprechen würden.40 Die Interessen der Grundrechtsträger, die in Konflikt mit dem Kernbereichsschutz geraten, würden nicht in die Entscheidung einbezogen. Die Notwendigkeit der Abwägung zeigt sich am deutlichsten in Situationen, in denen sich unterschiedliche Personen auf den unantastbaren Kernbereich berufen können.41 Mit Ansätzen, die entgegenstehende Interessen nicht berücksichtigen, sind diese Konflikte nicht befriedigend zu lösen. Derjenige, der sich zuerst vor Gericht auf seinen unantastbaren Kernbereich beruft, hätte Erfolg. Der Interessenkonflikt würde einseitig zu seinen Gunsten gelöst. Ein solches Ergebnis wäre willkürlich. Das Konzept des unantastbaren Kernbereichs ist nur dann mit dem Grundgesetz zu vereinbaren, wenn es im Kernbereich nicht zu Interessenkonflikten kommen kann. Dazu muss der unantastbare Kernbereich so definiert werden, dass er nur konfliktfreies Verhalten erfasst.42 2. Bewertung für den Kernbereichsschutz gegen Informationserhebung In der Fallgruppe des Schutzes gegen Informationserhebung sprechen zwei Argumente dagegen, den Kernbereich zu definieren, ohne die entgegenstehenden Interessen zu berücksichtigen: (1) Zunächst führt ein absoluter Schutz gegenüber Informationseingriffen zu nicht begründbaren Wertungsdifferenzen im Verhältnis zu anderen Eingriffsarten. So werden körperliche Eingriffe von hoher Intensität anders als Eingriffe in die psychische Integrität nicht am Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gemessen.43 Die Kernbereichsdogmatik kann diese unterschiedliBd. I, 2004, Art. 1 I, Rn. 127; J. Isensee, AöR 131 (2006), S. 173, 209; P. Kirchhof, in: FS Starck, 2007, S. 275, 290 ff.; M. Baldus, JZ 2008, S. 218, 224 f.; M. Rothhaar, ARSP 94 (2008), S. 421, 423. Zur moralphilosophischen Diskussion: Für absolute Rechte: A. Gewirth, Philosophical Quarterly 31 (1981), S. 1 ff.; ders., Philosophical Quarterly 32 (1982), S. 348 ff. Kritisch dazu: J. Levinson, Philosophical Quarterly 32 (1982), S. 73 ff. Gewirth diskutiert keine absoluten Freiheitsrechte, sondern das Recht einer Mutter, nicht von ihrem Sohn zu Tode gefoltert zu werden. Kritisch zur Absolutheit der Menschenwürde schon: A. Schopenhauer, in: Werke, 1860, S. 459, 523. 39 D. Suhr, Entfaltung, 1976, S. 135 ff.; ders., JZ 1980, S. 166, 173 f. 40 R. Alexy, Grundrechte, 1996, S. 95, Fn. 64; W. Brugger, Menschenwürde, 1997, S. 28; C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 264. 41 Für den Wesensgehalt der Grundrechte: C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 235. 42 s. u. 5. Kapitel, B. II.

B. Ein relevanter, unantastbarer Kernbereich ist grundgesetzwidrig

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che Behandlung nicht erklären, weil auch körperliche Eingriffe tiefstmöglich in Geheimhaltungsbezirke der Person eingreifen können.44 Die körperlichen Eingriffe zeigen, dass sich ein absoluter Schutz bestimmter Bereiche der menschlichen Existenz unabhängig vom Zweck und der Intensität der jeweiligen Maßnahme nicht durchhalten lässt. (2) Das zweite Argument ist, dass es im Rahmen des Grundgesetzes keine absolut geschützten Informationen und damit keine von Natur aus geheimen Bereiche des menschlichen Lebens gibt.45 Jede staatliche Informationserhebung, auch hinsichtlich persönlichster Details, ist durch einen legitimen Zweck zu rechtfertigen. Diese Argumentation lässt sich auf zwei Wegen führen. Einige Autoren verweisen auf die bestehenden einfachgesetzlichen Ermächtigungen zur Informationserhebung.46 Weil in einfachen Gesetzen, wie der StPO, Befugnisse bestehen, um auch intimste Daten zu erheben, könne es keine grundrechtlich geschützte Intimsphäre geben. So sind psychologische und psychiatrische Eingriffe in die Persönlichkeit des Angeklagten im Strafverfahren rechtmäßig, um dessen Zurechnungsfähigkeit festzustellen.47 Im Strafprozess darf jede Information durch andere Beweismittel, wie Zeugenaussagen, in den Prozess eingeführt werden. Eine Information wird aber nicht dadurch höchstpersönlich, dass sie vom Betroffenen selbst und nicht von einem Zeugen stammt. Außerdem bestehen bei einer Reihe von Krankheiten Auskunfts- und Meldepflichten.48 Kriegsdienstverweigerer müssen ihre Gewissensentscheidung ausführlich darlegen und begründen.49 Obwohl es kaum 43 Körperliche Eingriffe: BVerfGE 16, 194, 198 ff. (Liquorentnahme); 17, 108, 114 ff. (Hirnkammerluftfüllung). Psychische Eingriffe: BVerfGE 80, 367 ff. (Tagebuch II). 44 K. Amelung, NJW 1990, S. 1753, 1756 f. 45 R. Kamlah, DÖV 1970, S. 361, 362; S. Simitis, DVR 2 (1973), S. 138, 144 f.; B. Schlink, in: Datenschutz, 1973, S. 155, 164; ders., Der Staat 25 (1986), S. 233, 241 ff.; ders., Amtshilfe, 1982, S. 192 f.; W. Schmidt, JZ 1974, S. 241, 244, 247; D. Lorenz, DÖV 1975, S. 151, 152; E. Schwan, VerwArch 66 (1975), S. 120, 149; G. Jensen, DVR 6 (1977), S. 1, 7 f.; O. Mallmann, Zielfunktionen, 1977, S. 25; E. Benda, DuD 1984, S. 86, 88; H. Heußner, SGb 1984, S. 279, 281; F. L. Lorenz, GA 1992, S. 254, 267; F. v. Hammerstein, Privatsphäre, 1993, S. 122; A. Podlech, in: AK-GG, (2001), Art. 2 Abs. 1, Rn. 37, 59d; E. Wiederin, in: Privacy, 2003, S. 53. 46 Hierzu und zu den folgenden Beispielen: R. Kamlah, DÖV 1970, S. 361, 362; W. Schmidt, JZ 1974, 241, 244; G. Jensen, DVR 6 (1977), S. 1, 8, Fn. 27; O. Mallmann, Zielfunktionen, 1977, S. 25, Fn. 64; E. Benda, DuD 1984, S. 86, 88; B. Schlink, Der Staat 25 (1986), S. 233, 244. 47 BVerfGE 16, 194, 200 f. (Liquorentnahme); 17, 108, 117 (Hirnkammerluftfüllung). 48 § 3 ff. Bundesseuchengesetz und §§ 10, 12 ff. GeschlKrG. Das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) hat seit dem 1. Januar 2001 das GeschlKrG und das Bundesseuchengesetz abgelöst. Das Infektionsschutzgesetz schränkt die Ermittlungsbefugnisse der Gesundheitsbehörden ein (§§ 6 ff. IfSG), so dass diese Beispiele nicht mehr in vollem Umfang passen. 49 §§ 2, 6 KDVG.

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

intimere Angaben als solche über das eigene Eheleben gebe, nimmt zumindest das Familiengericht in einem Ehescheidungsverfahren davon Kenntnis.50 Die Argumentation mit den bestehenden Eingriffsbefugnissen zeigt, wie häufig und zu welchen Zwecken der Staat Informationen über höchstpersönliche Angelegenheiten erheben darf. Allerdings bestimmen die Autoren auf diesem Weg die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Maßnahme anhand der bestehenden einfachgesetzlichen Regelungen. Diese Begründung berücksichtigt nicht hinreichend, dass die Verfassung dem einfachen Gesetz übergeordnet ist.51 Der Umfang des Grundrechtsschutzes hängt wegen der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers nach Art. 1 Abs. 3 GG nicht davon ab, ob es einfachgesetzlich erlaubt ist, höchstpersönliche Informationen zu erheben. Wenn die Grundrechte eine einfachgesetzliche Informationserhebung verbieten, dann ist eine dennoch bestehende einfachgesetzliche Regelung verfassungswidrig. Zwar besteht bei traditionellen Gesetzen, wie der StPO, eine gewisse Vermutung dafür, dass sie der Verfassung entsprechen. Jedoch sind die einfachgesetzlichen Befugnisse lediglich ein Indiz und kein zwingendes Argument gegen die Unantastbarkeit des Kernbereichs bei der Informationserhebung. Darüber hinaus ist selbst die Indizwirkung der einfachen Gesetzeslage beschränkt, weil sich bei der Informationserhebung und -verarbeitung in den letzten Jahren in allen Rechtsgebieten, auch im Verfassungsrecht, die Rechtslage erheblich geändert hat.52 Demgegenüber ist der zweite Begründungsweg ausschlaggebend. Dieser beruht auf dem informationsrechtlichen Grundsatz, dass Informationen nur soweit schutzwürdig sind wie das Verhalten, auf das sie sich beziehen.53 Nur Informationen, die sich auf ein Verhalten beziehen, das selbst absolut geschützt ist, lassen sich absolut schützen. Weil keine Verhaltensweise dem 50 BVerfGE 27, 344, 350 f. (Scheidungsakten). Wegen des Untersuchungsgrundsatzes in Ehesachen (§ 616 ZPO) kann es auch zur Erhebung von Informationen gegen den Willen der Parteien kommen, so dass die Kernbereichszugehörigkeit nicht zwingend wegen freiwilliger Offenbarung der Informationen ausgeschlossen ist. Zum Geheimhaltungswillen als notwendige Bedingung des Kernbereichsschutzes: 1. Kapitel, B. II. 1. c). Das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976 stellte das Scheidungsrecht vom Schuld- auf das Zerrüttungsprinzip um, um zu verhindern, dass Ehegatten ihre Intim- und Privatsphäre gerichtlicher Nachprüfung unterwerfen müssen (W. Schlüter, Familienrecht, 1998, Rn. 168). Dieses Beispiel ist seitdem nur noch eingeschränkt verwendbar. 51 So auch: W. Klöhn, Intimsphäre, 1984, S. 40 f. 52 Zu denken ist an das Recht auf informationelle Selbstbestimmung seit dem Volkszählungsurteil (BVerfGE 65, 1 ff.) oder das Recht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme seit dem Urteil zur Online-Durchsuchung (BVerfGE 120, 274 ff.). Für die einfache Gesetzeslage: Das geänderte Infektionsschutzgesetz und die Reform des Ehescheidungsrechts (s. o. 5. Kapitel, Fn. 48, 50). 53 A. Podlech, in: AK-GG, (2001), Art. 2 Abs. 1, Rn. 37.

B. Ein relevanter, unantastbarer Kernbereich ist grundgesetzwidrig

191

staatlichen Zugriff zu jeder Zeit und unter allen Umständen entzogen ist,54 gilt dies auch für Informationen darüber.55 Selbst im höchstpersönlichen Bereich kann es zu existenziellen Konflikten kommen. Um diese Konflikte in einer Weise lösen zu können, dass alle betroffenen Interessen und Grundrechte berücksichtigt werden, muss der Staat Informationen aus dem höchstpersönlichen Bereich erheben. Einen unantastbaren Kernbereich im Bereich des Informationsschutzes kann es nur geben, wenn dieser lediglich Informationen über konfliktfreies Verhalten erfasst.56 3. Bewertung für den Kernbereich als Freiheitsgrenze Die Fallgruppe des Kernbereichs als Freiheitsgrenze zeigt am deutlichsten, dass der Kernbereich nicht unabhängig von den entgegenstehenden Interessen geschützt werden kann. In diesen Fällen bildet der unantastbare Kernbereich der einen Person die Schranke des Freiheitsrechts einer anderen Person. So beschränkt der Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin im Esra-Beschluss die Kunstfreiheit des Romanautors.57 Wenn in diesen Entscheidungen der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung bestimmt würde, ohne die entgegenstehenden Interessen zu berücksichtigen, dann würden die Interessen der anderen Person nicht in die Entscheidung einbezogen. Derjenige, der sich auf den unantastbaren Kernbereich beruft, könnte seine Interessen immer durchsetzen. Beide Grundrechtsträger haben aber ein gleiches Recht darauf, dass ihre Interessen berücksichtigt werden. Deshalb ist eine einseitige Vorrangentscheidung nur sinnvoll und begründbar, wenn die Interessen desjenigen, dessen Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betroffen ist, den Interessen der anderen Person vorgehen. Diese Vorrangrelation ist eine Frage der Abwägung. Auch in dieser Fallgruppe ist die Konstruktion des unantastbaren Kernbereichs nur mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn lediglich Sachverhalte ohne Interessenkonflikte erfasst werden.

II. Kernbereich ohne Interessenkonflikte Einwänden dagegen, den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung unabhängig von den entgegenstehenden Interessen zu definieren, entgeht ein zweiter Ansatz, der den Kernbereich derart bestimmt, dass er sich von vorneherein nicht auf Interessenkonflikte bezieht. In diese Richtung interpretieren den Kernbereich so54 55 56 57

s. o. 5. Kapitel, B. I. 1. Im Ergebnis ebenso die Autoren aus oben 5. Kapitel, Fn. 43. Dazu: s. u. 5. Kapitel, B. II. 2. BVerfGE 119, 1 ff., s. o. 1. Kapitel, B. III.

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

wohl das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungen zum Mikrozensus und zum Zeugnisverweigerungsrecht von Sozialarbeitern als auch einige monologische Ansätze aus der Rechtswissenschaft.58 Danach gehören zum unantastbaren Kernbereich nur Sachverhalte ohne Sozialbezug, in denen kein rechtlicher Regelungsbedarf besteht, weil kein sozialer Konflikt möglich ist.59 Auf die entgegenstehenden Interessen kommt es nicht an. Ein absoluter Kernbereichsschutz ist demnach möglich. Dieser Ansatz wird für den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung im Bereich der Verhaltensfreiheit (1.) und des Informationsschutzes (2.) bewertet.60 1. Bewertung für den Kernbereich der Verhaltensfreiheit Einem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ohne Sozialbezug kommt im Bereich der Verhaltensfreiheit aus zwei Gründen keine Relevanz zu.61 Zum einen sind menschliche Verhaltensweisen kaum vorstellbar, die keinen Sozialbezug haben, weil sie sich nicht auf die Mitmenschen auswirken, potentiell zu Konflikten führen und damit regelungsbedürftig sind. Selbst die innere Entscheidungsfreiheit hat regelmäßig einen sozialen Bezug. Dies zeigte frühzeitig die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Berufsfreiheit.62 Das Bundesverfassungsgericht entschied im Apotheker-Urteil, dass selbst die innere Freiheit der Berufswahl eingeschränkt werden darf. Zwar bedürfe die Freiheit, die Berufswahl zu in die Tat umzusetzen, umso größeren Schutzes, je mehr zugleich in die Freiheit der inneren Entscheidung eingegriffen wird.63 Jedoch würde ein komplettes Eingriffsverbot „der Lebenswirklichkeit nicht entsprechen und deshalb auch rechtlich nicht zu einleuchtenden Ergebnissen führen.“ 64 Selbst die innere Entscheidungsfreiheit kann sich auf die Außen58 BVerfGE 27, 1, 6 (Mikrozensus); 33, 367, 377 (Zeugnisverweigerungsrecht Sozialarbeiter). Monologische Ansätze: D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 226 f.; K. Vogelgesang, Selbstbestimmung, 1987, S. 90 f.; T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988, S. 86 ff. Ähnlich: C. D. Classen, DÖV 2009, S. 689, 697 f.; U. Sieber, NStZ 2009, S. 353, 360. Vgl. auch oben: 3. Kapitel, A. I. 1. 59 M. Albers, Selbstbestimmung, 2005, S. 194, die sich auf die Wesensgehaltsgarantie bezieht. 60 Hier geht es um den Unterschied zwischen Verhaltensfreiheit und Informationsschutz und nicht um die drei Fallgruppen des Kernbereichsschutzes aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, s. o. 1. Kapitel, A. III. 61 M. Stelzer, Wesensgehaltsargument, 1991, S. 52; A. Bleckmann, Staatsrecht II, 1997, § 12, Rn. 48; C. Gusy, in: FS Folz, 2003, S. 105 f.; C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 267; M. M. Meinke, Verbindung, 2006, S. 70. Ähnlich: H. Kube, in: HStR, VII, 2009, § 148, Rn. 87. Aus zivilrechtlicher Perspektive: M. Baston-Vogt, Persönlichkeitsrecht, 1997, S. 195 ff. 62 R. Herzog, DVBl. 1969, S. 718, 721. 63 BVerfGE 7, 377, 400 ff. 64 BVerfGE 7, 377, 401.

B. Ein relevanter, unantastbarer Kernbereich ist grundgesetzwidrig

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welt auswirken. Wenn eine innere Entscheidung aber Außenwirkung zeitigt, ist ihr Schutz nur durch Abwägung mit den entgegenstehenden Interessen zu ermitteln. Zum anderen ist das Recht ein Instrument zur Regelung menschlicher Interessenkonflikte.65 Wenn keine Interessenkonflikte vorhanden sind, dann bedarf es in einem Rechtsstaat auch keiner rechtlichen Regelung. Eine solche Regelung ist schon mangels eines legitimen Zwecks im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung rechtswidrig. Es gibt keinen Grund für den Staat, in Grundrechte einzugreifen, wenn weder die Rechte anderer, noch Gemeinschaftsbelange betroffen sind.66 Wird der unantastbare Kernbereich bei jedem Sozialbezug ausgeschlossen, so gewährt er keinen zusätzlichen Grundrechtsschutz im Vergleich zu den relativ geschützten Freiheitsrechten. Diesen Befund verdeutlichen die Untersuchungen, die von einem „absolut“ geschützten „forum internum“ bei Art. 4 Abs. 1 GG ausgehen.67 Der „absolute“ Schutz des „forum internums“ ist nur möglich, weil die Autoren alle regelungsbedürftigen Interessenkonflikte von diesem Schutz ausklammern. Zwar sei die Gewissensfreiheit als Geheimsphäre des Menschen absolut geschützt,68 jedoch gelte dies nur für das sittlich konforme Gewissen.69 Der Mensch habe kein Recht auf Gewissenlosigkeit, sondern sei sowohl zur Achtung der Freiheit des Anderen als auch zur Verantwortung für die Existenz Anderer verpflichtetet. Art. 4 Abs. 1 GG biete keinen Schutz, wenn eine Ausübung der Gewissensfreiheit die allgemeinen Gesetze verletze. Das „forum internum“ müsse nicht beschränkt werden, weil es nicht mit anderen Verfassungsnormen kollidiert.70 Sobald es zu Kollisionen zwischen Verfassungsgütern kommt, ist eine schrankenlose Freiheit nicht möglich und das „forum internum“ verlassen.71 Absolut geschützt sind lediglich konfliktfreie Sachverhalte. Das „forum internum“ ist nicht deshalb unantastbar, weil es besonders schutzwürdig ist, sondern weil keine entgegenstehenden Interessen einen Eingriff erfordern und damit kein Regelungsbedarf besteht. Wenn ein Sachverhalt hinge65 R. Zippelius, Rechtsphilosophie, 2007, S. 3. Aus moralphilosophischer Sicht folgt erst aus dem „unvermeidlichen Nebeneinander“ der Menschen und der Möglichkeit gegenseitiger Gewalttätigkeit das Gebot, aus dem Naturzustand in den (öffentlich-)rechtlichen Zustand überzugehen, vgl. I. Kant, Rechtslehre, §§ 42, 44, in: Werkausgabe, VIII., S. 424 f., 430 f. 66 So auch: R. Alexy, Grundrechte, 1996, S. 328; C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 267; H.-D. Horn, in: Stern/Becker, 2010, Art. 2, Rn. 104. 67 H. Scholler, Freiheit, 1958, S. 133 ff.; G. Klier, Gewissensfreiheit, 1978, S. 165 ff.; D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 136 ff. Vgl. auch: T. Dalakouras, Intimsphäre, 1988, S. 52 f. Kritisch zum forum internum: H. Bethge, in: HStR VII, 2009, § 158, Rn. 37. 68 H. Scholler, Freiheit, 1958, S. 134. 69 Hierzu und zum Folgenden: H. Scholler, Freiheit, 1958, S. 195 f., 202. 70 G. Klier, Gewissensfreiheit, 1978, S. 169; D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 140. 71 G. Klier, Gewissensfreiheit, 1978, S. 172 ff.

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

gen einer rechtlichen Regelung bedarf, weil ein Sozialbezug besteht, dann gehört er nicht zum „forum internum“ und genießt keinen absoluten Schutz. 2. Bewertung für den Kernbereichsschutz gegen Informationserhebung Beim Schutz gegen Informationserhebung überzeugt es aus zwei Erwägungen nicht, den Kernbereich ohne Sozialbezug zu definieren: (1) Gegen diese Definition spricht zunächst die Relativität der Privatsphäre, die sich aus zwei Aspekten zusammensetzt. Die persönliche Relativität der Privatsphäre bedeutet, dass vergleichbare Sachverhalte und Informationen von einer Person als intim und von einer anderen als öffentlich angesehen werden.72 Sie bezieht sich auf ein jeweils unterschiedliches Bedürfnis der Menschen nach Privatsphäre. Diese persönliche Relativität schließt einen unantastbaren Kernbereich nicht zwingend aus. Der Kernbereich lässt sich anhand allgemeiner Kriterien, unabhängig von den persönlichen Präferenzen der jeweils Betroffenen, bestimmen. Über den Geheimhaltungswillen als notwendige Bedingung des Kernbereichs wird das Selbstverständnis des Grundrechtsträgers ausreichend berücksichtigt.73 Der Geheimhaltungswille ist als Definitionsmerkmal mit dem absoluten Kernbereichsschutz zu vereinbaren.74 Der unantastbare Kernbereich ist aber wegen der situativen Relativität der Privatsphäre nicht ohne Sozialbezug definierbar. Die situative Relativität bedeutet, dass es vom jeweiligen Kontext, nämlich von den beteiligten Personen und der Art ihrer Beziehung abhängt, ob Sachverhalte privat sind.75 Bei der Informationserhebung beruht sie darauf, dass der Informationsgehalt von entäußerten Gedanken keine intrinsische, feststehende Eigenschaft, sondern abhängig von der Beobachtungsperspektive und dem Interpretationskontext ist.76 So wird es wenige Menschen beunruhigen, wenn das Gesundheitsamt medizinische Befunde registriert, während eine Weitergabe an Versicherun72

G. Jensen, DVR 6 (1977), S. 1, 7; O. Mallmann, Zielfunktionen, 1977, S. 26. Zum Geheimhaltungswillen, s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. c). Zum Selbstverständnis: M. Morlok, Selbstverständnis, 1993. 74 s. o. 1. Kapitel, B. II. 2. 75 A. Podlech, DVR 1 (1972/1973), S. 149, 156, Fn. 30; S. Simitis, DVR 2 (1973), S. 138, 144 f.; P. J. Müller, Privatsphäre, 1974, S. 63, 65; W. Schmidt, JZ 1974, S. 241, 244; D. Lorenz, DÖV 1975, S. 151, 152; E. Schwan, VerwArch 66 (1975), S. 120, 147; O. Mallmann, Zielfunktionen, 1977, S. 26; B. Schlink, Amtshilfe, 1982, S. 200; ders., Der Staat 25 (1986), S. 233, 242. Deshalb sollte die Zulässigkeit der staatlichen Erhebung nicht davon abhängen, aus welcher Sphäre der Privatheit eine Information stammt. Vielmehr seien der Zweck der staatlichen Tätigkeit und der konkrete Verwendungszusammenhang entscheidend. Vgl. auch: E. Benda, DuD 1984, S. 86, 88; E. Denninger, KJ 1985, S. 215, 220; E. Wiederin, in: Privacy, 2003, S. 53. 76 M. Albers, Selbstbestimmung, 2005, S. 216. 73

B. Ein relevanter, unantastbarer Kernbereich ist grundgesetzwidrig

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gen oder Arbeitgeber gravierende Folgen haben kann.77 Das Gespräch mit dem Arzt ist eine Privatsache im Verhältnis zum Beruf, aber nicht zur Familie. Die politische Gesinnung ist privat gegenüber den Nachbarn oder dem Vermieter, aber nicht gegenüber Parteigenossen.78 Jedem entäußerten Gedankeninhalt lässt sich durch die Wahl der Interpretationsperspektive eine soziale Bedeutung abgewinnen, ohne dass dies ausschließt, dass ihm aus einer anderen Perspektive eine höchstpersönliche Bedeutung zukommt.79 Das Merkmal des Sozialbezuges ist demnach nicht in der Lage, den unantastbaren Kernbereich im Bereich der Erhebung entäußerter Gedankeninhalte verlässlich zu bestimmen. (2) Darüber hinaus kommt einem Kernbereich ohne Sozialbezug auch beim Schutz gegen Informationserhebung keine Relevanz zu.80 Dies liegt einerseits daran, dass entäußerte Gedankeninhalte regelmäßig einen Sozialbezug haben, wie die Diskussion der monologischen Kernbereichstheorien gezeigt hat.81 Dies verdeutlicht auch ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts.82 Das Gericht hielt psychologische Tests, mit denen staatliche Stellen prüfen, ob der Betroffene geeignet ist, Kraftfahrzeuge zu führen, für zulässig. Zwar dringen diese Tests in den geistig-seelischen Eigenraum des Probanden ein, dies sei aber wegen des Sozialbezuges der Teilnahme am Straßenverkehr rechtmäßig. Wegen des Sozialbezuges der Informationen, die durch den Test erlangt werden sollen, ist der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht betroffen. Auch Informationen aus dem geistig-seelischen Eigenraum kommt je nach Kontext und Verwendungszweck ein rechtlich relevanter Sozialbezug zu. Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ohne Sozialbezug konnte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur deshalb als relevant erscheinen, weil der Sozialbezug von Sachverhalten nicht überzeugend definiert wurde. Entäußerten Gedankeninhalten, wie Tagebuchaufzeichnungen, wurde ohne stichhaltige Begründung jeglicher Sozialbezug abgesprochen.83 Entäußerte Gedankeninhalte, die sich auf begangene oder geplante Straftaten 77

O. Mallmann, Zielfunktionen, 1977, S. 26. B. Schlink, Amtshilfe, 1982, S. 200. 79 M. Albers, Selbstbestimmung, 2005, S. 273. 80 M. Stelzer, Wesensgehaltsargument, 1991, S. 52; C. Gusy, in: FS Folz, 2003, S. 105 f.; C. Enders, in: Friauf/Höfling, 2009, Art. 1, Rn. 88; M. M. Meinke, Verbindung, 2006, S. 70. 81 s. o. 3. Kapitel, A. I. Vgl. auch: C. Enders, in: Stern/Becker, 2010, Art. 1, Rn. 67. 82 BVerfG, VBlBW 1985, S. 212 f. unter Verweis auf: BVerfGE 6, 389, 433 (Homosexualität I). 83 Kritisch dazu: K. Amelung, NJW 1988, S. 1002, 1005: Die Ansicht, die vom absoluten Schutz des forum internums ausgeht, habe weder die schriftliche Niederlegung der Gedanken, noch die Benutzbarkeit solcher Aufzeichnungen zur Abwehr konkreter Lebensgefahren bedacht. 78

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

beziehen, haben aber einen äußerst intensiven Sozialbezug. Die Grenze des Sozialbezuges verläuft nicht zwischen äußerem Verhalten und entäußerten Gedankeninhalten, sondern jeweils innerhalb der beiden Kategorien. Andererseits ist es für das Schutzniveau irrelevant, dass entäußerte Gedankeninhalte ohne Sozialbezug zum Kernbereich gehören. Wenn entäußerte Gedankeninhalte keinen Sozialbezug haben, dann besteht kein legitimes staatliches Interesse an ihrer Erhebung und Verwertung. Dennoch stattfindende staatliche Informationseingriffe sind unverhältnismäßig und deshalb unzulässig. Ein zusätzlicher Schutz ist nicht erforderlich.

III. Berücksichtigung entgegenstehender Interessen bei der Kernbereichsdefinition Als dritte Möglichkeit kommt in Betracht, den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung so zu definieren, dass er zwar Sachverhalte mit Sozialbezug, aber keine sozialschädlichen Verhaltensweisen erfasst. Dieser Ansatz berücksichtigt die entgegenstehenden Interessen bei der Kernbereichsdefinition.84 Der private Bereich ist dann betroffen, wenn keine Rechtsgüter anderer Personen oder der Allgemeinheit unmittelbar beeinträchtigt werden. Der Kernbereich endet mit dem öffentlichen Interesse.85 Ohne dies explizit zu machen, verfolgt das Bundesverfassungsgericht diesen Interpretationsansatz. Einerseits zählt das Gericht auch Sachverhalte mit Sozialbezug zum Kernbereich. Andererseits berücksichtigt das Gericht anhand der Intensität des Sozialbezuges und des Ausschlusskriteriums des Straftatenbezuges die entgegenstehenden Interessen.86 Dieser Ansatz führt zu rationalen, gut begründbaren Ergebnissen, indem er alle einschlägigen Interessen einbezieht. Jedoch ist ein derart definierter Kernbereich nicht unantastbar. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen verschiebt sich lediglich von der Ebene der Rechtfertigung auf die Ebene der Schutzbereichsbestimmung.

84 H.-U. Evers, Privatsphäre, 1960, S. 59; ders., JZ 1965, S. 661, 665; R. Herzog, DVBl. 1969, S. 718, 722; H. Schulz-Schaeffer, Art. 2 Abs. 1, 1971, S. 101; E. Benda, in: FS Willi Geiger, 1974, S. 23, 31; ders., Menschenwürde 1975, S. 20 ff.; ders., Handbuch Verfassungsrecht, 1994, § 6, Rn. 25, 28; W. Klöhn, Intimsphäre, 1984, S. 37; K. Rogall, in: FS Fezer, 2008, S. 61, 67. Auch: D. Krauß, in: FS Gallas, 1973, S. 365, 381 ff., der sich auf die gesamte Privatsphäre bezieht. 85 K. Rogall, in: FS Fezer, 2008, S. 61, 75. 86 s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. b). Für die Menschenwürde: U. Battis/C. Gusy, Staatsrecht, 1999, Rn. 339: „Die Menschenwürde garantiert so nicht nur ein Sein, sondern auch elementares Handeln der Menschen, das andere nicht schädigt, da es in ihre Rechte nicht eingreifen kann.“ [Hervorhebung, I. D.]

C. Unterschiedliche Begriffsebenen des unantastbaren Kernbereichs

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IV. Zusammenfassung und Folgerung Keine der drei denkbaren Interpretationsweisen ermöglicht einen grundgesetzkonformen, relevanten und unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Der erste Ansatz führt zwar zu einem unantastbaren Kernbereich, weil er die entgegenstehenden Interessen nicht berücksichtigt. Mit ihm lassen sich jedoch Interessenkonflikte nicht rational lösen. Außerdem verstößt dieser Ansatz gegen die Gleichheit der Grundrechtsträger nach Art. 3 Abs. 1 GG. Ein solcher Kernbereich ist in keiner der drei Fallgruppen mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies gilt auch für den Kernbereichsschutz gegen Informationserhebung, weil Informationen nicht weitergehend geschützt werden können als das Verhalten, auf das sie sich beziehen. Ein Kernbereich ohne jeglichen Sozialbezug lässt sich grundgesetzkonform konstruieren, er ist jedoch irrelevant. Insbesondere kommt ihm neben den im Grundgesetz normierten Grundrechten in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz weder im Bereich der Verhaltensfreiheit noch beim Schutz gegen Informationserhebung eigenständige Bedeutung zu. Werden die entgegenstehenden Interessen in die Definition einbezogen, so ist der Kernbereich nicht absolut geschützt. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich der Versuch, einen absoluten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung dadurch zu ermöglichen, dass der absolute Kernbereichsschutz im repressiven Bereich auf den präventiven Bereich ohne Einschränkung übertragen wird.87 Diese theoretisch denkbare Kombination verschiedener Ansätze ist nicht sinnvoll, weil ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist.

C. Die unterschiedlichen Begriffsebenen des unantastbaren Kernbereichs Rechtsprechung und Rechtswissenschaft sprechen regelmäßig vom „unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung“, obwohl dieser Rechtsbegriff nicht verfassungskonform definierbar ist. Dieser Befund lässt sich damit erklären, dass der Begriff des „unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung“ auf zwei verschiedenen Ebenen verwendet werden kann.88 Einerseits ist es möglich, den Kernbereich als unmittelbar anwendbaren Rechtsbegriff zu verstehen. Der unantastbare Kernbereich als Rechtsbegriff stellt Anforderungen an das staatliche Handeln. Eine staatliche Maßnahme, die in den unantastbaren Kernbereich in diesem Sinne eingreift, ist verfassungswidrig. 87 88

s. o. 3. Kapitel, D. II. Ähnlich: H.-D. Horn, in: HStR, VII, 2009, Rn. 72.

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

Andererseits kann der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung den Freiraum bezeichnen, der dem Bürger nach Abzug aller legitimen staatlichen Eingriffe bleibt. Insofern hat er lediglich eine deskriptive und keine normative Bedeutung. Ein deskriptiver Kernbereichsbegriff trägt nicht dazu bei, verfassungsrechtliche Streitigkeiten zu entscheiden und die Entscheidungen zu begründen. Eine staatliche Maßnahme kann nicht in den deskriptiven Kernbereich eingreifen. Der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Deskription bezeichnet den effektiven Freiheitsschutz, der aus der Bindung der staatlichen Gewalt an das gesamte Grundgesetz folgt. Die Grundrechte, die Staatsstrukturprinzipien und die formalen Anforderungen an die Ausübung staatlicher Gewalt sollen sicherstellen, dass jedem Bürger ein Freiraum zur eigenverantwortlichen Lebensführung zusteht. Dieser Freiraum lässt sich als Kernbereich der privaten Lebensgestaltung bezeichnen. Der deskriptive Begriff des unantastbaren Freiraums des Einzelnen hat eine lange geistesgeschichtliche Tradition. Schon Thomas Hobbes ging davon aus, dass die Freiheit, die dem Einzelnen innerhalb des Staates zukommt, in den Bereichen besteht, die nicht gesetzlich geregelt sind.89 Dazu zählte Hobbes die Freiheit, seinen Wohnsitz, seine Ernährungsweise und seinen Beruf zu wählen, sowie die Vertragsfreiheit. Diese gesetzes- und staatsfreien Freiräume bezeichnen, wie der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, Bereiche, in denen der Einzelne ohne staatliche Einmischung über sein Verhalten entscheiden darf. Allerdings resultiert die Freiheit laut Hobbes lediglich daraus, dass es dem Herrscher faktisch unmöglich ist, alle Bereiche der menschlichen Existenz zu regeln.90 Welche Bereiche der menschlichen Existenz der Souverän gesetzlich regelt, hänge allein von seinem Gutdünken ab.91 Normativ begrenzt die menschliche Freiheit die Herrschaftsmacht nicht.92 Der Einzelne habe gegenüber der 89 T. Hobbes, Leviathan, (1651), 2. Teil, 21. Kapitel, S. 189 f. Zum Freiheitsbegriff von Hobbes aufschlussreich: Q. Skinner, Freiheit, 2008. Zu Hobbes Paradigmenwechsel, indem er im Gegensatz zur aristotelischen und stoisch-christlichen Naturrechtstradition den Einzelnen in den Mittelpunkt seines Denkens stellte: D. Hüning, Hobbes, 1998, S. 15; W. Kersting, in: Geschichte, 2007, S. 212; P. Schröder, Naturrecht, 2001, S. 23. Eine sehr instruktive Interpretation von Hobbes bei: C. B. Macpherson, Besitzindividualismus, 1980, S. 108 ff. 90 „For seeing there is no commonwealth in the world, wherein there be rules enough set down, for the regulating of all the actions, and words of men; as being a thing impossible . . .“ T. Hobbes, Leviathan, (1651), 2. Teil, 21. Kapitel, S. 190. Vgl. auch: J. Habermas, Theorie, 1982, S. 72 f. 91 T. Hobbes, Leviathan, (1651), 2. Teil, 21. Kapitel, S. 196 f. Vgl. auch: P. Schröder, Naturrecht, 2001, S. 105 ff. 92 Hobbes Theorie diente vor allem der Rechtfertigung des absolutistischen Territorialstaates und der ungeteilten Souveränität des Herrschers. W. Kersting, in: Geschichte, 2007, S. 212, 221, spricht von einem „Herrschaftsbegründungs“- und nicht „Herrschaftsbegrenzungsvertrag“. Vgl. auch: J. Habermas, Theorie, 1982, S. 73 f.: „Die liberale Raison des Staates wird von dessen Absolutismus verschlungen . . .“

D. Unantastbarer Kernbereich aus anderen Perspektiven

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Staatsgewalt nur die Rechte, das eigene Leben zu verteidigen und sich selbst nicht anklagen zu müssen.93 Hobbes kannte einen dem Staat gegenüber geschützten Freiheitsraum nur insofern, als es faktisch Bereiche der menschlichen Existenz gibt, die nicht gesetzlich geregelt sind. Dies ist mit einem als deskriptiv verstandenen unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zu vergleichen. Der „unantastbare“ Freiheitsraum ist nicht als normative Grenze der staatlichen Regelungsbefugnis, sondern als Beschreibung der aus faktischen Gegebenheiten (Hobbes) bzw. verfassungsrechtlichen Begrenzungen (deskriptiver Kernbereichsbegriff) resultierenden Freiheit zu verstehen. Die bisherige Untersuchung hat sich auf den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Rechtsbegriff beschränkt. Dabei hat sich ergeben, dass der unantastbare Kernbereich als Rechtsbegriff verfassungswidrig ist.94 Der Begriff des unantastbaren Kernbereichs ist nur verfassungskonform, wenn er als Deskription das Ergebnis der Anwendung des gesamten Verfassungsrechts bezeichnet. Allerdings werden die Begriffsebenen verwechselt, wenn der deskriptive unantastbare Kernbereich zur Entscheidung verfassungsrechtlicher Streitfragen oder auf der Ebene des einfachen Gesetzes verwendet wird. Um eine solche Verwechslung zu vermeiden, muss die Abgrenzung zum Kernbereich als Rechtsbegriff hinreichend deutlich gemacht werden, wenn der Begriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung weiterhin deskriptiv verwendet wird. Übersicht 3 Ebenen des Kernbereichsbegriffs Unantastbarer Kernbereich als Rechtsbegriff

verfassungswidrig

Unantastbarer Kernbereich als Deskription

verfassungskonform, aber ohne rechtliche Wirkung

D. Unantastbarer Kernbereich aus anderen Perspektiven Die bisherige Analyse wird nun durch Seitenblicke auf den Kernbereichsbegriff aus anderen Perspektiven erweitert. Dem Befund, dass ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Rechtsbegriff verfassungswidrig ist, entspricht es, dass das Bundesverfassungsgericht den Begriff „Kernbereich“ 93 T. Hobbes, Leviathan, (1651), 2. Teil, 21. Kapitel, S. 189 ff. Für ein Widerstandsrecht lediglich des Einzelnen: D. Hüning, Hobbes, 1998, S. 224 ff.; P. Schröder, Naturrecht, 2001, S. 119 f. Für ein kollektives Widerstandsrecht als kollektives Selbstverteidigungsrecht: P. C. Mayer-Tasch, Hobbes, 1965, S. 98 f. 94 s. o. 5. Kapitel, B.

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

auch in anderen Zusammenhängen verwendet, ohne einen absoluten Schutz zu ermöglichen (I.). Aus rechtsvergleichender Perspektive sind der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung oder vergleichbare Rechtsfiguren der US-Verfassung fremd95 (II.). Der naturrechtliche Ansatz von John Finnis ermöglicht keinen absoluten Kernbereichsschutz (III.). Schließlich ist das Konzept des unantastbaren Kernbereichs selbst für staatskritische politische Philosophen nicht anschlussfähig und hat keine Vorbilder in der zeitgenössischen Sozialphilosophie (IV.).96

I. Seitenblick in andere Kernbereichsdiskurse Das Bundesverfassungsgericht verwendet den Rechtsbegriff des Kernbereichs vor allem in zwei weiteren Konstellationen. Zum einen gebe es einen Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung gemäß Art. 28 Abs. 2 GG (1.). Zum anderen geht das Gericht von einem Kernbereich der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG aus (2.). An dieser Stelle wird lediglich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts analysiert.97 Auf den Kernbereich der allgemeinen Vereinigungsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 GG ist nicht näher einzugehen, da sich die Diskussion nicht vom Kernbereich der Koalitionsfreiheit unterscheidet.98 1. Der Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung Laut Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ist den Gemeinden das Recht gewährleistet, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Dabei handelt es sich bei Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG nach der noch vorherrschenden Meinung um eine institutionelle Garantie mit drei Garantiegehalten.99 Die institutionelle Rechtssubjektsgarantie schützt die bloße 95 Außerdem wird das Konzept des unantastbaren Kernbereichs weder im Völkernoch im Europarecht vertreten, s. o. 4. Kapitel, E. IV. 96 Der verfassungsrechtlichen Fragestellung dieser Arbeit entsprechend bleiben die rechtsvergleichenden und philosophischen Seitenblicke notwendig skizzenhaft. Sie dienen der Vergewisserung, dass das Ergebnis dieser Untersuchung, dass es einen unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Rechtsbegriff im Rahmen des Grundgesetzes nicht geben kann, keinen offensichtlichen Mindeststandard des Menschenrechtsschutzes unterschreitet oder mit Minimalforderungen der staatsphilosophischen Diskussion nicht zu vereinbaren ist. 97 Der Niedersächsische Staatsgerichtshof sah den Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung in der Papenburg-Entscheidung als verletzt an: NdsStGH, NJW 1979, S. 2301 f. Diese Entscheidung beruht aber auf Verhältnismäßigkeitsüberlegungen, vgl. J.-D. Kühne, in: FS Faber, 2007, S. 35, 43 f. Zur Kernbereichsrechtsprechung der Landesverfassungsgerichte allgemein: A. Schmehl, BayVBl. 2006, S. 325 ff. 98 BVerfGE 30, 227, 241 (Vereinsname); 80, 244, 253 (Vereinsverbot).

D. Unantastbarer Kernbereich aus anderen Perspektiven

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Existenz von Gemeinden. Die objektive Rechtsinstitutionsgarantie sichert den eigentlichen Inhalt und Umfang der kommunalen Selbstverwaltung. Schließlich ist die subjektive Rechtsstellungsgarantie die Grundlage für gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten der einzelnen Gemeinden. Das kommunale Selbstverwaltungsrecht steht insgesamt unter dem Vorbehalt des Gesetzes. Um die kommunale Selbstverwaltung vor zu weit gehenden gesetzlichen Beschränkungen zu schützen, hat das Bundesverfassungsgericht schon früh100 und seitdem in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass ein Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung unberührt bleiben muss.101 Dieser Kernbereich wird vor allem im Rahmen der objektiven Rechtsinstitutionsgarantie diskutiert. Die Institutionsgarantie beinhaltet die beiden Bestandteile des eigenen Aufgabenkreises und der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung.102 Der Kernbereichsschutz bezieht sich auf beide Bestandteile. Seit der Rastede-Entscheidung bestimmt das Bundesverfassungsgericht den Kernbereich des kommunalen Aufgabenkreises nicht als gegenständlich bestimmten oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbaren Aufgabenkatalog. Zum Kernbereich gehöre lediglich die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen.103 Damit schützt der Kernbereich nur noch davor, dass der Gesetzgeber das Aufgabenfindungsrecht der Gemeinde explizit abschafft oder die kommunale Selbstverwaltung insgesamt faktisch beseitigt.104 Einen effektiven Schutz gegen gesetz99 BVerfGE 9, 268, 289 (Bremer Personalvertretung); 56, 298, 312 (Flugplatz Memmingen). Vgl. dazu: J. Hellermann, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 28, Rn. 34 ff. m.w. N.; S. Magen, JuS 2006, S. 404, 405. Mit beachtlichen Argumenten gegen die Notwendigkeit der institutionellen Garantie im Rahmen des Grundgesetzes: D. Ehlers, DVBl 2000, S. 1301 ff.; W. Schmidt, in: FS Faber, 2007, S. 17, 31 ff. Kritisch auch: I. Gebhardt, Selbstverwaltungsrecht, 2007, S. 50 f. 100 BVerfGE 1, 167, 178 (Gemeindliche Selbstverwaltung) spricht vom „Kern der Selbstverwaltung“. BVerfGE 7, 358, 364; 9, 268, 289 (Bremer Personalvertretung) sprechen vom „Wesensgehalt“ der Selbstverwaltung. BVerfGE 8, 332, 359 (Wartestandsbestimmung) sieht das „Wesen der Selbstverwaltung“ als geschützt. Den Begriff „Kernbereich“ der kommunalen Selbstverwaltung verwendet erstmals BVerfGE 11, 266, 274 (Wählervereinigung). 101 BVerfGE 17, 172, 182 (Freiburger Polizei); 22, 180, 205 (Jugendhilfe); 23, 353, 265 (Breitenborn-Gelnhausen); 26, 228, 238 (Sorsum); 38, 258, 278 (Magistratsverfassung); 50, 195, 201 (Rheda-Wiedenbrück); 79, 127, 146 (Rastede); 103, 332, 365 (Naturschutzgesetz Schleswig-Holstein); 107, 1, 12 (Verwaltungsgemeinschaften); 110, 370, 402 (Klärschlamm); 119, 331, 355 (ALG II). Vgl. auch: C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 173, Fn. 149 f., m.w. N. 102 J. Hellermann, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 28, Rn. 41 f. 103 BVerfGE 79, 127, 146 (Rastede). Vgl. dazu: T. Clemens, NVwZ 1990, S. 834 ff. Allgemein: J. Hellermann, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 28, Rn. 47. 104 BVerfGE 79, 127, 148. Vgl. auch: J. Hellermann, Daseinsvorsorge, 2000, S. 173 f.; C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 175 f.; S. Magen, JuS 2006, S. 404, 407.

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

liche Aufgabenzuweisungen an andere Verwaltungsträger bietet der Kernbereich nicht.105 Der Kernbereich der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung ist nur dann betroffen, wenn „eine eigenständige organisatorische Gestaltungsfähigkeit der Kommunen im Ergebnis“ erstickt wird. Dies sei erst dann der Fall, „wenn die Organisation der Gemeinden durch staatliche Behörden beliebig steuerbar wäre“.106 In keiner einzigen Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die Verletzung des Kernbereichs der kommunalen Selbstverwaltung bejaht.107 Der „unantastbare“ Kernbereich hat in der Rechtsprechung des Gerichts vor allem symbolische Bedeutung. Die eigentliche Kontrolle erfolgt, indem das Gericht regelmäßig prüft, wie intensiv ein Gesetz die kommunale Selbstverwaltung beeinträchtigt, und eine „reduzierte Angemessenheitsprüfung“ durchführt.108 Jeder Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung kann durch Gemeinwohlbelange gerechtfertigt werden.109 Bei der Frage, ob der Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung verletzt ist, werden die entgegenstehenden Interessen berücksichtigt. Der Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung ist folglich nicht unantastbar, sondern erscheint als der Bereich, der übrig bleibt, wenn alle gerechtfertigten staatlichen Beschränkungen abgezogen werden.110 Ansätze in der Rechtswissenschaft, die am unantastbaren Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung festhalten, bestimmen diesen anhand einer objektiven Betrachtungsweise. Ein Eingriff in die Selbstverwaltung einer einzelnen Gemeinde sei nicht kernbereichsfähig.111 Vielmehr müsse die Institution der Selbstverwaltung betroffen sein. Dies sei nur der Fall, wenn die Selbstverwaltung mehrerer Gemeinden beeinträchtigt wird. Eine objektive Theorie des Kernbe-

105 So auch: M. Falk, Aufgaben, 2006, S. 140; I. Gebhardt, Selbstverwaltungsrecht, 2007, S. 44 ff. 106 BVerfGE 91, 228, 239 (Gleichstellungsbeauftragte). Vgl. auch: J. Hellermann, Daseinsvorsorge, 2000, S. 174 f. 107 BVerfGE 17, 172, 182 (Freiburger Polizei); 22, 180, 205 (Jugendhilfe); 23, 353, 265 (Breitenborn-Gelnhausen); 26, 228, 240 f. (Sorsum); 38, 258, 279 f. (Magistratsverfassung); 50, 195, 201 (Rheda-Wiedenbrück); 79, 127, 146 (Rastede); 103, 332, 365 (Naturschutzgesetz Schleswig-Holstein); 107, 1, 12 f. (Verwaltungsgemeinschaften); 110, 370, 402 (Klärschlamm); 112, 216, 221 ff. (Gewerbesteuer); 119, 331 ff. (ALG II): S. 352 ff. (eigener Aufgabenkreis) und S. 373 ff. (eigenständige Aufgabenwahrnehmung). Vgl. auch: C. Drews, Wesensgehaltsgarantie, 2005, S. 173, Fn. 149 f.; I. Gebhardt, Selbstverwaltungsrecht, 2007, S. 46, Fn. 135; H. A. Wolff, VerwArch 2009, S. 280, 299, jeweils m.w. N. 108 H. A. Wolff, VerwArch 2009, S. 280, 297 f. 109 J.-D. Kühne, in: FS Faber, 2007, S. 35, 55 f. 110 Das Gericht verwendet den Kernbereichsbegriff also deskriptiv, s. o. 5. Kapitel, C. 111 J.-D. Kühne, in: FS Faber, 2007, S. 35, 43.

D. Unantastbarer Kernbereich aus anderen Perspektiven

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reichs der kommunalen Selbstverwaltung lässt sich nicht auf den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung übertragen, da letzterer subjektiv zu bestimmen ist.112 2. Der Kernbereich der Koalitionsfreiheit Der zweite Fall, in dem das Bundesverfassungsgericht den Rechtsbegriff des „Kernbereichs“ verwendet, ist der Kernbereich der Koalitionsfreiheit. Die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG ist ein Sonderfall der allgemeinen Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG.113 Besonders geschützt sind Vereinigungen mit dem Zweck, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern. Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG erfasst zum einen das Individualgrundrecht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Koalitionen zu bilden. Zum anderen beinhaltet die Norm die kollektive Freiheit, die sich auf den Bestand der Koalition und auf die koalitionsmäßige Betätigung bezieht.114 Das Bundesverfassungsgericht prägte den Begriff des Kernbereichs der Koalitionsfreiheit, um den Umfang der geschützten Betätigungsfreiheit der Koalitionen zu bestimmen.115 Dabei war nicht immer eindeutig, welche Bedeutung das Gericht diesem Begriff beimaß. In seiner ersten Entscheidung in diesem Zusammenhang verwendete das Gericht den Kernbereich als Grenze der Befugnis des Gesetzgebers, die Koalitionsfreiheit zu beschränken.116 Diese Entscheidung wird so interpretiert, dass der Kernbereich den Wesensgehalt der Koalitionsfreiheit darstellt.117 In späteren Entscheidungen führte das Gericht aus, dass Art. 9 Abs. 3 GG nur einen Kernbereich der Koalitionsbetätigung schützt.118 Diese Formulierung ist auf zweierlei Arten interpretierbar. Einerseits könnte der Kernbereich den effektiven Grundrechtsschutz bezeichnen, der nach Abzug der gerechtfertigten Beschränkungen tatsächlich übrigbleibt. In diesem Fall hätte das Gericht keine Aussage dazu getroffen, wie weit der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG reicht. Andererseits lässt sich der Kernbereich mit dem Schutzbereich der Koalitionsfreiheit insgesamt gleichsetzen. Dann würde Art. 9 Abs. 3 GG außerhalb des Kernbereichs die Betätigungsfreiheit der Koalitionen nicht schützen. Auf diese 112

Für die Wesensgehaltsgarantie: s. o. 4. Kapitel, E. I. Zum Begriff der Koalition: R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, (1999), Rn. 193 ff. 114 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, (1999), Rn. 239 ff. 115 BVerfGE 57, 220, 245 f. (Bethel), m.w. N. 116 BVerfGE 4, 96, 106, 108 (Hutfabrikant). 117 L. Zechlin, NJW 1985, S. 585, 590 f. Ähnlich: R. Caspar, Gewerkschaften, 1980, S. 77 ff. 118 BVerfGE 19, 303, 321 (Dortmunder Hauptbahnhof); 28, 295, 304 (Mitgliederwerbung I); 38, 281, 305 (Arbeitnehmerkammern); 38, 386, 393 (Aussperrung Betriebsratsmitglieder); 50, 290, 368 (Mitbestimmung); 57, 220, 245 f. (Bethel). 113

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

Weise deuteten das Bundesarbeitsgericht und eine Reihe von Autoren die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.119 In seinem zweiten Beschluss zur Mitgliederwerbung aus dem Jahre 1995 entschied sich das Bundesverfassungsgericht für die erste Variante. Der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit als Betätigungsfreiheit sei nicht auf einen Kernbereich beschränkt.120 Auch außerhalb des Kernbereichs schütze die Koalitionsfreiheit die Betätigung der Koalitionen. Die Folgerechtsprechung bestätigte diese Interpretation.121 Der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit ist also nicht auf den Kernbereich beschränkt.122 Einen „unantastbaren“ Kernbereich der Koalitionsfreiheit erwähnte das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungsgründen nur in zwei Beschlüssen.123 Im Aussperrungs-Beschluss definierte es den als „unantastbar“ bezeichneten Kernbereich nicht weiter. Vielmehr verwies das Gericht auf vier vorangegangene Entscheidungen zum Kernbereich.124 In drei dieser Entscheidungen äußerte sich das Gericht nicht dazu, wann der Kernbereich verletzt ist.125 In der vierten Entscheidung sah das Gericht den Kernbereich nur dann als verletzt an, wenn in ihn eingegriffen wird, ohne dass dies „zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten“ ist.126 Damit sind Eingriffe in den Kernbereich möglich, so dass dieser antastbar ist. Der letztgenannten Interpretation schloss sich das Gericht im zweiten Mitgliederwerbungs-Beschluss an.127 Das Gericht bestimmt den Kernbereich der Koalitionsfreiheit in den beiden Entscheidungen, in denen es von einem „unantastba119 BAG vom 23.02.1979, AP Nr. 30 zu Art. 9 GG; BAG, NJW 1982, S. 2890, 2891; NZA 1992, S. 690, 691. L. Zechlin, NJW 1985, S. 585, 590 ff. Kritisch dazu: R. Caspar, Gewerkschaften, 1980, S. 77 ff.; G. Lübbe-Wolff, DB, Beilage 9/1988, S. 2 f. 120 BVerfGE 93, 352, 358 ff. (Mitgliederwerbung II). M. Brock, Betätigung, 2002, S. 101 ff. spricht von der Aufgabe der Kernbereichslehre durch das Bundesverfassungsgericht. 121 BVerfGE 94, 268, 283 (Wissenschaftliches Personal); 100, 214, 221 f. (Gewerkschaftsausschluss); 100, 271, 282 (Lohnabstandsklausel). Zuletzt: BVerfG, NZA 2007, S. 394, 395. 122 M. Brock, Betätigung, 2002, S. 106 ff. sieht den Kernbereich nicht als Grenze staatlicher Befugnisse an, sondern als den Bereich, in dem der Staat zur gesetzlichen Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit verpflichtet ist. 123 BVerfGE 84, 212, 228 (Aussperrung); 93, 352, 360 (Mitgliederwerbung II). 124 BVerfGE 84, 212, 228 (Aussperrung) verweist auf: BVerfGE 4, 96, 106 (Hutfabrikant); 17, 319, 333 f. (Bayerische Bereitschaftspolizei); 38, 386, 393 (Aussperrung Betriebsratsmitglieder); 58, 233, 247 (Deutscher Arbeitnehmerverband). 125 BVerfGE 4, 96, 106 (Hutfabrikant); 17, 319, 333 f. (Bayerische Bereitschaftspolizei); 38, 386, 393 (Aussperrung Betriebsratsmitglieder). 126 BVerfGE 58, 233, 247 (Deutscher Arbeitnehmerverband). 127 BVerfGE 93, 352, 359 (Mitgliederwerbung II) verweist auf BVerfGE 57, 220, 246 (Bethel).

D. Unantastbarer Kernbereich aus anderen Perspektiven

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ren“ Kernbereich spricht, anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Demnach führt keine seiner Entscheidungen zu einem absoluten Kernbereichsschutz.128 Darüber hinaus zeigt die Rechtsprechung zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit, zu welchen Missverständnissen die unterschiedliche Verwendungsweise des Kernbereichsbegriffs führen kann.129 Das Bundesverfassungsgericht benutzte den Begriff in seiner frühen Rechtsprechung als Deskription, um den effektiven Schutz der Koalitionsfreiheit zu bezeichnen. Danach umfasst der Kernbereich den Grundrechtsschutz, der nach Berücksichtigung aller entgegenstehenden Interessen auch gegenüber dem Gesetzgeber wirkt.130 Der deskriptive Kernbereichsbegriff bezeichnet das Ergebnis der Grundrechtsprüfung, ohne dass er selbst rechtliche Wirkung entfaltete. Das Bundesverfassungsgericht machte die deskriptive Verwendungsweise aber nicht hinreichend deutlich. Deshalb konnte das Bundesarbeitsgericht den Kernbereich als Rechtsbegriff verwenden, um den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit zu bestimmen, obwohl es an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anknüpfte. Damit verkürzte das Bundesarbeitsgericht den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG. Um diese Unklarheiten zu vermeiden, muss der Rechtsanwender jeweils angeben, auf welcher Begriffsebene er den Kernbereichsbegriff nutzt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung und zum Kernbereich der Koalitionsfreiheit spricht gegen einen subjektiv zu bestimmenden absoluten Kernbereichsschutz. Der Seitenblick zeigt, dass der Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung eine Ausnahme von der Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur kommunalen Selbstverwaltung und zur Koalitionsfreiheit wäre.

II. Ein rechtsvergleichender Seitenblick in die USA In der US-Verfassung weisen die Grundrechte in den Verfassungszusätzen keine geschriebenen Einschränkungsmöglichkeiten auf. Die Freiheitsrechte des ersten Verfassungszusatzes, also Religions-, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, sind sogar explizit gegen jede gesetzliche Einschränkung geschützt. Dies legt einen absoluten Grundrechtsschutz nahe. Dementsprechend ging etwa Justice Black davon aus, dass die Rechte des ersten Verfassungszusatzes tatsäch-

128 So auch: M. Cornils, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 9, (2009), Rn. 90.2.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, (1999), Rn. 266. 129 Das Gericht äußert sich zu der Ansicht, dass der Kernbereich den Schutzbereich begrenzt, „wegen der – nicht fernliegenden – Mißverständnisse, zu denen die früheren Entscheidungen geführt hatten“ (BVerfGE 93, 352, 360, Hervorhebung, I. D.). 130 BVerfGE 93, 352, 359 (Mitgliederwerbung II).

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

lich absolut geschützt sind.131 Dieser Ansatz hat sich aber weder in der Rechtsprechung noch in der Rechtswissenschaft durchsetzen können.132 Vielmehr hat der Supreme Court seit Beginn des 20. Jahrhunderts ungeschriebene Schranken für die Rechte des ersten Verfassungszusatzes entwickelt. Alle geschriebenen und ungeschriebenen Grundrechte sind dem „balancing approach“ folgend durch überwiegende entgegenstehende Interessen beschränkt. Das Gericht unterscheidet zwar zwischen Freiheitsrechten, die aufgrund jedes zulässigen öffentlichen Interesses beschränkt werden dürfen (rational basis-Ansatz) und fundamentalen Freiheitsrechten, in die nur wegen eines überragenden Gemeinschaftsgutes eingegriffen werden darf (strict scrutiny test).133 Aber diese Unterscheidung bezieht sich nur auf die Anforderungen an das rechtfertigende Interesse und nicht darauf, ob ein Eingriff überhaupt zulässig ist. In alle Grundrechte, auch in die fundamentalen Freiheitsrechte, darf also zu legitimen Zwecken eingegriffen werden. Ein absoluter Grundrechts- oder Kernbereichsschutz ist nicht anerkannt.134 Auf einen absolut geschützten Bereich gehen Rechtsprechung und Rechtswissenschaft in den USA auch in der Diskussion um den verfassungsrechtlichen Schutz der Privatsphäre nicht ein.135 Selbst bei der heimlichen Wohnraumüberwachung werden absolut geschützte Lebensbereiche nicht erörtert. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen stattdessen strikte Anforderungen an das Verfahren. Nach den sogenannten „minimization procedures“ dürfen Gespräche, die für den Maßnahmezweck nicht relevant sind, nicht abgehört und aufgezeichnet werden.136 Darüber hinaus bestehen richterliche Genehmigungspflichten, strenge Löschungspflichten und Einschränkungen der Informationsweitergabe an andere 131 Abweichendes Votum von Justice Black in: Konigsberg v. State Bar of California, 366 U.S. 36 (1961), S. 60 f. Allerdings zeigt das abweichende Votum selbst, dass sich mit guten Argumenten eine Verletzung der Meinungsfreiheit auch durch Abwägung begründen lässt (S. 71 ff.), so dass Justice Black sein Ergebnis auch ohne absolute Rechte hätte fundieren können. In Cox v. Louisiana (II) 379 U.S. 536 (1965) S. 578 zeigt sich, wie eng die Rechte des ersten Verfassungszusatzes ausgelegt werden müssen, um an einem „absoluten“ Schutz festhalten zu können. 132 Hierzu und zum Folgenden: K. Meinert-Brockmann, Einschränkung, 1985, S. 119 ff.; A. Rohloff, Grundrechtsschranken, 2008, S. 114 ff. 133 W. Brugger, AöR 108 (1983), S. 25, 36 f. 134 K. Meinert-Brockmann, Einschränkung, 1985, S. 107 ff.; A. Rohloff, Grundrechtsschranken, 2008, S. 106 ff. 135 K. Lehnig, Würde, 2003, S. 198 ff. Grundlegend zum verfassungsrechtlichen Privatsphärenschutz: Griswold v. Conneticut 381 U.S. 479 aus dem Jahre 1965. Die Formulierung „right of privacy“ geht auf einen Aufsatz zum amerikanischen Deliktsrecht aus dem Jahre 1890 zurück [S. D. Warren/L. D. Brandeis, 4 Harvard Law Review 193 (1890)]. Einen Überblick über verschiedene Ansätze zur Konkretisierung des Konzepts der Privatheit liefert W. A. Parent, American Philosophical Quarterly 1983, S. 341 ff. 136 E. Beier, Überwachungsmaßnahmen, 1988, S. 146 f.

D. Unantastbarer Kernbereich aus anderen Perspektiven

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Behörden. Anstelle eines absoluten Kernbereichsschutzes besteht ein effektiver Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung. Damit werden die Anforderungen an das Verfahren, die das Bundesverfassungsgericht aus dem Konzept des „unantastbaren“ Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung entwickelt,137 in den USA aus dem relativen Grundrechtsschutz der Privatsphäre gefolgert. Der rechtsvergleichende Seitenblick zeigt, dass in den USA das Konzept eines unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung unbekannt ist. Es ist demnach keine Besonderheit des deutschen Verfassungsrechts, dass ein absoluter Kernbereichsschutz nicht möglich ist. Im Gegenteil deutet der Seitenblick an, dass ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung für einen leistungsfähigen Grundrechtsschutz der Freiheit und der Privatsphäre nicht erforderlich ist.138

III. Absolute Freiheitsrechte aus naturrechtlicher Perspektive? Der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung könnte auf einem absoluten Menschenrechtsschutz beruhen. Exemplarisch für eine mögliche naturrechtliche Begründung des absoluten Menschenrechtsschutzes steht der Ansatz von John Finnis. Dieser geht aus einer naturrechtlichen Perspektive davon aus, dass absolute Rechte möglich sind.139 Absolut geschützt seien das Recht nicht zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks, abgesehen von der Selbstverteidigung, getötet zu werden, das Recht, nicht belogen zu werden, und das Recht, nicht wider besseren Wissens verurteilt zu werden.140 Ein grundlegendes Merkmal der absoluten Rechte sei, dass derjenige, der die Rechte verletzt, vorsätzlich handelt. Die bewusste Entscheidung die grundlegenden Rechte eines anderen zu verletzen, sei immer unangemessen. Unabhängig von den allgemeinen Bedenken gegen naturrechtliche Menschenrechtsbegründungen,141 lässt sich mit Finnis Konzept aus zwei Gründen ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht begründen. Zum einen knüpft Finnis nicht an das Schutzgut, etwa das Leben oder die Freiheit, an.

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Grundlegend: BVerfGE 109, 279, 328 ff. (Große Lauschangriff). Ausführlich zu den Alternativen, die einen effektiven Grundrechtsschutz der Freiheit und der Privatsphäre darstellen: s. u. 6. Kapitel, A. 139 J. Finnis, Natural Law, 1980, S. 223 ff. Zur Renaissance des Naturrechts zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland: U. Neumann, in: Rechtswissenschaft, 1994, S. 145 ff.; M. Klatt, ARSP 93 (2007), S. 519, 520 f. 140 J. Finnis, Natural Law, 1980, S. 225. 141 Zur Ungeeignetheit des Naturrechts, um die Menschenrechte zu begründen: N. Luhmann, Unverfügbare Normen, 1993, S. 8 ff. Zu einem auch für Positivisten anschlussfähigen Verständnis des Naturrechts: H. L. A. Hart, Concept, 1961, S. 189 ff. Zu modernen Begründungen der Menschenrechte, vgl. die Beiträge in: S. Gosepath/ G. Lohmann, Menschenrechte, 1998. 138

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

Vielmehr verfolgt er eine Art wertender Gesamtbetrachtung, in die er Modalität und Finalität der Maßnahme einbezieht. Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist aber ein schutzgutorientiertes Konzept, das bestimmte Bereiche der privaten Lebensgestaltung als besonders schutzwürdig ansieht. Zum anderen berücksichtigt Finnis bei der Definition der „absoluten“ Rechte die entgegenstehenden Interessen, die einen Eingriff rechtfertigen können. Das Recht auf Leben ist nicht insgesamt geschützt, sondern nur gegenüber der Tötung zu anderen Zwecken als der Selbstverteidigung. Die persönliche Freiheit ist nicht umfassend gegen Verurteilungen gesichert, sondern lediglich gegen wissentliche Fehlurteile. Finnis verfolgt also ein innentheoretisches Konzept, das die erforderlichen Abwägungen lediglich auf die Ebene der Definition des jeweiligen Rechts verschiebt. Überzeugende naturrechtliche Begründungen absoluter Menschenrechte als Grundlage des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung sind nicht ersichtlich.

IV. Seitenblicke in die politische Philosophie und die Sozialphilosophie Der philosophische Seitenblick gilt zunächst – beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollzähligkeit – drei einflussreichen Theorien der politischen Philosophie, die von einem äußerst begrenzten Umfang staatlicher Kompetenzen und einem weiten Freiheitsbereich des Menschen ausgehen142 (1.). Diese Theorien zeigen, dass das Konzept eines unantastbaren Freiheitsraumes selbst für Philosophen, die dem Staat und staatlichen Kompetenzen gegenüber äußerst skeptisch eingestellt sind, nicht anschlussfähig ist.143 Außerdem wird untersucht, ob die sozialphilosophische Untersuchung zur Privatheit von Beate Rössler Anhaltspunkte für einen absoluten Kernbereichsschutz liefert (2.).144 1. Theorien, die die Rolle des Staates beschränken (1) Wilhelm von Humboldt untersuchte, auf welche Aufgaben sich ein „guter“ Staat beschränken sollte.145 Von Humboldt ging es darum, den Bürgern den 142 Diese Ansätze können als „libertär“ bezeichnet werden, angelehnt an die in den USA gebräuchliche Bezeichnung des „Libertarianism“, die allerdings nur für Nozicks Ansatz verwendet wird. Vgl. W. Kymlicka, Philosophy, 2001, S. 102 ff. 143 Nicht eingegangen wird auf anarchistische Theorien. Vgl. dazu: A. v. Borries/ I. Weber-Brandies, Anarchismus, 2007. Der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung setzt als staatsgerichtetes Abwehrrecht die Existenz des Staates voraus und lässt sich mit anarchistischen Theorien nicht begründen. 144 B. Rössler, Wert, 2001. Dafür: M. Kötter, Pfade, 2008, S. 333. 145 Von Humboldt setzt die Existenz des Staates in seiner Untersuchung zu den Grenzen des Staates voraus und begründet diese nicht gesondert. Vgl. J. Petersen, Rechtsphilosophie, 2007, S. 22.

D. Unantastbarer Kernbereich aus anderen Perspektiven

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Freiraum zu sichern, den der Einzelne benötigt, um „die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen“ als „wahren Zweck des Menschen“ zu erreichen.146 Der Hauptzweck des Staates sei es, die äußere und innere Sicherheit zu garantieren.147 Menschliche Handlungen, die unmittelbar oder durch ihre Folgen in fremde Rechte eingreifen, müsse der Staat verbieten und zu verhindern suchen.148 Dazu habe der Staat Polizei-, Zivil- und Kriminalgesetze zu erlassen und durchzusetzen. Wenn lediglich eine Gefahr für ein fremdes Rechtsgut besteht, dann hänge die Zulässigkeit einer staatlichen Intervention von einer Einzelfallbetrachtung ab. Entscheidend seien die Größe des möglichen Schadens, die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und die Intensität, mit der eine staatliche Maßnahme die Freiheit beeinträchtigt. Um die Aufgaben zu bestimmen, die der Staat wahrnehmen soll, differenziert von Humboldt nach den jeweiligen Zwecken der staatlichen Tätigkeit. (2) Laut John Stuart Mill darf die individuelle Freiheit durch den Staat nur beschränkt werden, um Schaden von anderen Menschen abzuwenden.149 Der staatsfreie Bereich, der auch als Privatsphäre bezeichnet werden kann,150 beziehe sich nur auf menschliches Verhalten, das die Interessen und Rechte anderer Menschen nicht beeinträchtigt.151 Schon beim bloßen Risiko der Schädigung eines Mitbürgers ende die geschützte Freiheit.152 Die Freiheit umfasst also lediglich sozialverträgliches Verhalten. Hingegen sei die Gewissens- und Gedankenfreiheit, zu der auch die Meinungsäußerungsfreiheit als „praktisch untrennbar“ zähle, absolut geschützt.153 Mit dem absoluten Schutz wollte Mill allerdings nicht zulassen, dass Gedanken- und Meinungsäußerungsfreiheit andere Personen schädigt. Vielmehr war es für Mill nicht vorstellbar, dass diese Freiheiten einem anderen Menschen 146

W. v. Humboldt, Ideen, (1792), II., S. 22. W. v. Humboldt, Ideen, (1792), IV., S. 57 ff. Vgl.: J. Petersen, Rechtsphilosophie, 2007, S. 90 f. 148 Hierzu und zum Folgenden: W. v. Humboldt, Ideen, (1792), X., S. 119 ff. Vgl.: J. Petersen, Rechtsphilosophie, 2007, S. 133 f. 149 J. S. Mill, On Liberty, (1859), Introduction., S. 16 f. Vgl.: B. Gräfrath, Mill, 1992, S. 16 f. Kritisch zur utilitaristischen Begründung der Freiheit: H. Jacobs, Mill, 1965, S. 218. 150 So: B. Gräfrath, Mill, 1992, S. 89. 151 J. S. Mill, On Liberty, (1859), IV., S. 83 ff., 104. Zum Verhältnis von bürgerlicher Freiheit und politischer Selbstbestimmung bei Mill: P. Rinderle, in: Nutzen, 2009, S. 183, 204, der von einer mittleren Position zwischen „vollständiger Abhängigkeit“ und „unüberbrückbarem Widerspruch“ ausgeht. 152 J. S. Mill, On Liberty, (1859), IV., S. 91. Zu den Schwierigkeiten schädigende und nicht schädigende Handlungen zu unterscheiden: P. Rinderle, in: Geschichte, 2007, S. 435, 438 f. 153 J. S. Mill, On Liberty, (1859), Introduction, S. 16 f. und II., S. 20 ff. Vgl. auch: P. Rinderle, in: Geschichte, 2007, S. 435, 444 f. 147

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

schaden können. Auf Sachverhalte, die eine solche Schädigung nahe legen, wie beleidigende oder verleumdende Meinungsäußerung, geht Mill nicht ein. Auch setzt er sich nicht damit auseinander, wie entäußerte Gedankeninhalte, die sich auf die Planung und Durchführung von Straftaten beziehen, zu behandeln sind. (3) Robert Nozick entwarf seine „minimale“ Staatsvariante als Gegenentwurf zu Theorien, die von einem staatlichen Umverteilungsauftrag ausgehen, vor allem der „Theorie der Gerechtigkeit“ von John Rawls.154 Nozick legt dar, wie sich aus dem Naturzustand der Minimalstaat als faktisches Monopol einer privaten „Schutzvereinigung“ auf moralisch zulässige Weise ergibt, ohne jemandes Rechte zu verletzen.155 Der Einzelne habe das natürliche Recht, dass ihn niemand an seinem Leben, seiner Gesundheit, seiner Freiheit oder seinem Eigentum schädigen darf. Der Minimalstaat habe die Aufgabe, die Bürger gegen Rechtsverletzungen wie Gewalt, Diebstahl und Betrug zu schützen und für die Durchsetzung privater Verträge zu sorgen. Dabei dürfe „nicht jede Handlung, die anderen Schaden bringt, einfach verboten werden“. Vielmehr müsse die „Grenzlinie des Rechts anderer“ überschritten werden, damit ein Verbot gerechtfertigt ist.156 In jedem Fall ist der Staat aber berechtigt, in die Freiheit des Einzelnen einzugreifen, um die Rechte der anderen Bürger zu schützen. Die Kriterien, die von Humboldt, Mill, und Nozick einführten, um die Grenzen der staatlichen Kompetenz zu ermitteln, beziehen sich durchweg auf eine folgenorientierte Betrachtungsweise. Damit unterscheiden sich diese Ansätze grundlegend vom Konzept des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung, das am Schutzgut orientiert ist und nicht zwischen den Zwecken staatlichen Handelns differenziert, sondern bestimmte Lebensbereiche vor jeglichen staatlichen Eingriffen schützt. Darüber hinaus verdeutlichen die staatskritischen Ansätze, dass die Gewährleistung des sozialverträglichen Zusammenlebens der Bürger – anders als die Regulierung wirtschaftlicher Aktivität und die Herstellung sozialer Gerechtigkeit –157 unumstritten zu den grundlegenden Aufgaben des Staates zählt.158 Da sich der

154 R. Nozick, Staat, 1974, S. 141 ff. Dazu kritisch: W. Kymlicka, Philosophy, 2002, S. 102 ff. Zu einem Vergleich der Staatsphilosophien von Humboldts und Nozicks: J. Petersen, Rechtsphilosophie, 2007, S. 276 ff. 155 Hierzu und zum Folgenden: R. Nozick, Staat, 1974, S. 25 ff. Zur einseitig ökonomischen Sichtweise Nozicks: H. Hofmann, Staatsphilosophie, 2006, S. 62. 156 Hierzu und zum Folgenden: R. Nozick, Staat, 1974, S. 72 ff. 157 Für einen guten Überblick über die Diskussion der Verteilungsgerechtigkeit in der modernen politischen Philosophie: W. Kymlicka, Philosophy, 2002. 158 Vgl. aus staatsrechtlicher Sicht mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung: W. Brugger und C. Gusy, VVDStRL 63 (2004), S. 101 ff. und S. 151 ff.

D. Unantastbarer Kernbereich aus anderen Perspektiven

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unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gegen staatliche Eingriffe zu jeden Zwecken, also auch zur Strafverfolgung und zur Gefahrenabwehr, richtet, ist er in der politischen Philosophie selbst für staatskritische Strömungen nicht anschlussfähig. Des Weiteren vertritt Mill einen wirkungsmächtigen Ansatz, um zwischen schädigendem und nichtschädigendem Freiheitsgebrauch zu unterscheiden. Weil seiner Ansicht nach Freiheit nur geschützt ist, wenn sie sozialverträglich ausgeübt wird, sucht Mill Bereiche des menschlichen Lebens, die per se keine Auswirkungen auf andere Menschen haben, so dass kein legitimes staatliches Regelungs- und Eingriffsinteresse besteht.159 Dabei unterscheidet Mill zwischen Gewissens-, Gedanken-, und Meinungsäußerungsfreiheit, die sich nicht auf andere Menschen auswirkt, und der Verhaltensfreiheit, die konfliktträchtig ist. Diese Differenzierung stimmt jedoch nicht mit der Unterscheidung zwischen sozialverträglich und sozialschädlich überein. Offensichtlich ist das für die Meinungsäußerungsfreiheit, deren soziale Auswirkungen vielfältige Einschränkungen, wie das Verbot von Beleidigungen und Verleumdungen, erfordern. Aber auch nicht kommunizierte entäußerte Gedankeninhalte können einen intensiven Sozialbezug haben, wenn sie sich auf geplantes oder begangenes sozialschädliches Verhalten beziehen. Um die Freiheit des Menschen sozialverträglich zu schützen, lassen sich demnach nicht bestimmte Bereiche des menschlichen Lebens als unantastbar deklarieren. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der jeweils widerstreitenden Interessen zu ermitteln, welches Verhalten sozialverträglich ist. 2. Zeitgenössische Sozialphilosophie als Vorbild des Kernbereichs? Matthias Kötter ist der Ansicht, Beate Rössler habe die Idee eines absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung in ihrer grundlegenden sozialphilosophischen Untersuchung der Privatheit entwickelt.160 Rössler habe den Zusammenhang zwischen Privatheit und Autonomie hergestellt. Jedoch begründet Rössler nicht einen absolut geschützten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, sondern die Schutzwürdigkeit der Privatsphäre insgesamt. Eine Unterteilung in mehr oder weniger stark oder sogar absolut geschützte Bereiche nimmt sie nicht vor. Im Gegenteil spricht Rössler von der in jedem Fall notwendigen Abwägung zwischen dem individuellen Interesse am Privatsphärenschutz einerseits und dem öffentlichen Sicherheitsinteresse bzw. entgegenstehenden wirtschaftlichen Interessen andererseits.161 Das Konzept eines unantastbaren Kernbe159

Dies ist mit dem Kernbereich ohne Sozialbezug zu vergleichen: s. o. 5. Kapitel,

B. II. 160 M. Kötter, Pfade, 2008, S. 333 verweist auf B. Rössler, Wert, 2001, S. 218, 232 ff. und 260 ff. 161 B. Rössler, Wert, 2001, S. 230 (Sicherheitsinteresse), S. 231 (wirtschaftliche Interessen).

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

reichs der privaten Lebensgestaltung kann gerade nicht auf die Untersuchung von Rössler gestützt werden.162

V. Zusammenfassung Die Seitenblicke zeigen, wie wenig anschlussfähig der Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung ist. Das Bundesverfassungsgericht definiert sowohl den Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung als auch den Kernbereich der Koalitionsfreiheit derart, dass sie nicht absolut vor Eingriffen schützen. In den USA ist der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung oder eine vergleichbare Rechtsfigur unbekannt. Ein absoluter Grundrechtsschutz besteht selbst dort nicht, wo die Verfassung Grundrechte ohne Einschränkungsmöglichkeiten gewährleistet. Vielmehr ergibt sich der Grundrechtsschutz dem „balancing approach“ folgend durch Abwägung. Mit dem naturrechtlichen Konzept „absoluter“ Rechte von Finnis lässt sich die Unantastbarkeit des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung nicht begründen, weil dieser innentheoretische Ansatz weder schutzgutorientiert ist noch einen absoluten Schutz ermöglicht. In der politischen Philosophie ist das Konzept eines unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung selbst für von Humboldt, Mill und Nozick, die von einer äußerst begrenzten Rolle des Staates ausgehen, nicht anschlussfähig. Diese Theorien differenzieren den Schutz des Einzelnen danach, ob er sich sozialverträglich oder sozialschädlich verhält. Diese Unterscheidung ist mit dem Begriff des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung nicht zu leisten. Insbesondere sind die Differenzierungen zwischen sozialschädlich und sozialverträglich einerseits und Gewissens- bzw. Gedankenfreiheit und Verhaltensfreiheit andererseits nicht deckungsgleich. Der zeitgenössischen, sozialphilosophischen Arbeit von Rössler, die den Zusammenhang zwischen Privatheit und Autonomie begründet, ist ein absolut geschützter Kernbereich der privaten Lebensgestaltung fremd.

162 Skeptisch dem Recht auf Privatheit insgesamt gegenüber: R. Geuss, Privatheit, 2002, S. 124 ff.: Die unter dem Begriff Recht auf Privatheit zusammengefassten Güter seien nicht einheitlich und beruhten nicht auf einem einheitlichen Grund, so dass es keinen Erkenntnisgewinn bringe, sie unter einen Begriff zusammenzufassen. Die Pflicht zur Nichteinmischung müsse im Einzelfall unabhängig davon begründet werden, ob ein Sachverhalt als privat deklariert wird. Aus sozialpsychologischer Perspektive skeptisch zum absoluten Schutz einer Intimsphäre: L. Kruse, Privatheit, 1980, S. 46 f.

E. „Unantastbarer‘‘ Kernbereich als Idee?

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E. „Unantastbarer“ Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Idee? Vor dem Hintergrund, dass sich der absolute Kernbereichsschutz bei der praktischen Umsetzung nicht durchhalten lässt, sieht Manfred Baldus den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Idee an, die wie jede politische Idee niemals vollkommen verwirklicht werden kann.163 Der „unantastbare“ Kernbereich bezeichne das durch Abwägung gefundene Ergebnis der Grundrechtsprüfung. Sowohl in Bezug auf die verfassungsrechtliche Grundlage als auch hinsichtlich der Definition folgt Baldus dem Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts. Der Kernbereich bezeichne den Menschenwürdegehalt der Grundrechte. Nur höchstpersönliche Sachverhalte, also solche ohne unmittelbaren Straftatenbezug, gehörten zum Kernbereich. Trotz dieser faktischen Relativität hält Baldus an der Idee des absoluten Kernbereichsschutzes fest. Diese Idee leite die Rechtsanwendung und verhindere, dass Individualinteressen prinzipiell den Kollektivinteressen untergeordnet werden. Die Idee bewirke, dass bei den notwendigen Abwägungsvorgängen der Kernbereich nur ausnahmsweise und zum Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter beschränkt wird.164 Diese Ansicht vermag aus den folgenden acht Gründen nicht zu überzeugen. Dabei richten sich die Argumente nicht nur gegen den Ansatz von Baldus. Allgemein führt es zu bedenklichen Ergebnissen, dass das Bundesverfassungsgericht den Kernbereich einerseits anhand des Straftatenbezuges eines Sachverhaltes definiert und ihn andererseits mit Art. 1 Abs. 1 GG begründet. Erstens gelingt die Abwägung zwischen dem Schutz des Höchstpersönlichen und den entgegenstehenden Interessen anhand des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung nicht so differenziert und individualrechtsfreundlich, wie von Baldus erwünscht. Anhand des Kriteriums des unmittelbaren Straftatenbezuges werden alle Sachverhalte vom Kernbereichsschutz ausgenommen, die einen Bezug zu jeder denkbaren Straftat aufweisen. Die Schwere der Straftat und die Art des Deliktes findet keine Berücksichtigung. So würde ein Tagebucheintrag selbst bei einem Bezug zum Erschleichen von Leistungen gemäß § 265a StGB nicht vom Kernbereich erfasst. Dieser Eintrag wäre zwar nicht schutzlos, weil er vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geschützt wäre. Aber der Kernbereich, der laut Baldus den Schutz des Individuums im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erhöht, würde keinen Schutz bieten.

163 Hierzu und zum Folgenden: M. Baldus, JZ 2008, S. 218, 223 ff. Ähnlich für die Menschenwürde insgesamt: A. v. Arnauld, Freiheit, 1999, S. 46 f. 164 M. Baldus, JZ 2008, S. 218, 225.

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

Dies führt unmittelbar zum zweiten Kritikpunkt. Baldus legt nicht dar, in welchen Fällen die besondere Schutzwirkung der Idee des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung neben den Grundrechten in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingreift und das Schutzniveau erhöht. Baldus verzichtet nicht auf Abwägungen, sondern verlegt diese nur in die Kernbereichsdefinition. Dies ist ein innentheoretischer Ansatz, der dazu führt, dass der „unantastbare“ Kernbereich keinen effektiveren Schutz als die relativ geschützten Grundrechte gewährleistet.165 Hohe Anforderungen an die Rechtsgüter, die einen Eingriff in den Kernbereich rechtfertigen, lassen sich zumindest ebenso gut bei einer offenen Abwägung durchsetzen. Wenn eine Abwägung in jedem Fall erforderlich ist, spricht viel dafür, sie offen und transparent durchzuführen.166 In engem Zusammenhang damit steht drittens eine rechtspolitische Erwägung. Dadurch, dass Baldus symbolisch am „unantastbaren“ Kernbereich festhält, können falsche Vorstellungen darüber entstehen, wie die Grundrechte effektiv zu schützen sind. Der effektive Grundrechtsschutz beruht auch bei diesem Kernbereichskonzept auf Wertungen, Abwägungen und Verfahrensregelungen. Durch den vermeintlich absoluten Schutz gerät diese Erkenntnis in den Hintergrund. So erscheint es als Stärkung des Grundrechtsschutzes, dass der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung auf der einfachen Gesetzesebene, wie in der StPO, normiert wird. Der Grundrechtsschutz wird aber vor allem durch strenge Anlasstatenkataloge, Richtervorbehalte, Löschpflichten und weitere Anforderungen an das Verfahren effektiviert.167 In dem Vertrauen, dass zumindest ein Kernbereich der privaten Lebensgestaltung unantastbar ist, könnten die Rechtsanwender die Mechanismen, welche die Privatsphäre tatsächlich schützen, weniger strikt handhaben oder ganz vernachlässigen.168 Dann würde der „unantastbare“ Kernbereich den Grundrechtsschutz sogar verringern. Wenn nur der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung „unantastbar“ ist, besteht viertens die Gefahr, dass sich der Schutz für alle privaten Sachverhalte schwächt, die nicht zum Kernbereich zu zählen sind.169 Der Schutz nicht kernbereichsrelevanter Sachverhalte wäre nicht mehr wichtig, weil ein Sachverhalt zum

165

Zur Innentheorie: s. o. 1. Kapitel, C. A. v. Arnauld, Freiheitsrechte, 1999, S. 15 ff., 41 ff.; W. Kahl, Schutzergänzungsfunktion, 2000, S. 21, 39; W. Höfling, in: FS Rüfner, 2003, S. 329, 333, 339. 167 Vgl. dazu ausführlich: 6. Kapitel, A. II. 2. und 3. 168 Ein solches „falsches Sicherheitsgefühl“ erörtert D. H. Flaherty, Surveillance, 1989, S. 11 als mögliche Folge, wenn das Amt des Datenschutzbeauftragten eingeführt wird, aber diesem Amt keine ausreichenden Kompetenzen übertragen werden. 169 M. Ronellenfitsch, in: Privatheit, 2007, S. 52 f. verweist auf die Möglichkeit, dass Verbindungsdaten weniger geschützt werden, weil sich der Kernbereichsschutz nur auf den Inhalt der Kommunikation bezieht. Vgl. auch: U. Volkmann, AnwBl 2009, S. 118, 123. 166

E. „Unantastbarer‘‘ Kernbereich als Idee?

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„unantastbaren“ Kernbereich gehören würde, wenn der Schutz eines Sachverhaltes wirklich von Bedeutung wäre. Fünftens begründet Baldus nicht überzeugend, weshalb der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung aus Art. 1 Abs. 1 GG folgt. Die Verbindung zwischen den Beispielen des Kernbereichsschutzes, wie dem Schutz von Tagebuchaufzeichnungen und von höchstpersönlichen Gesprächen mit Vertrauenspersonen, und der Menschenwürdegarantie bleibt unklar. Baldus stützt den Kernbereich ausschließlich auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.170 Diese Rechtsprechung weist aber selbst ein Begründungsdefizit auf.171 Sechstens begegnet die Kernbereichsdefinition anhand des Straftatenbezuges grundlegender Kritik. Es erodiert den Menschenwürdeschutz strafbaren Verhaltens und von Straftätern, wenn der Kernbereich einerseits mit der Menschenwürde begründet wird und andererseits alle Sachverhalte mit einem Straftatenbezug vom Kernbereich ausgeschlossen werden. Die Menschenwürde wäre in den kernbereichsrelevanten Fällen nur bei fehlendem Straftatenbezug anwendbar. Wird diese Interpretation konsequent fortgeführt, kann sich der Straftäter nicht mehr auf die Menschenwürde berufen.172 Die Menschenwürde würde zu einer verhaltensbezogenen Gewährleistung, auf die sich nur derjenige berufen kann, der sich an die allgemeine Rechtsordnung hält. Diese Tendenz steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, wonach die Menschenwürde jedem Menschen unabhängig von seiner Leistung, seinem Verhalten und seinem Status zukommt.173 Gerade Menschen am Rande der Gesellschaft benötigen den Schutz der Menschenwürde.174 Sollen nicht einzelne Menschen vom Menschenwürdeschutz ausgeschlossen werden, kann Art. 1 Abs. 1 GG nur das beinhalten, was jedem Menschen unabhängig von seiner potentiellen Sozialschädlichkeit zukommt.175 Der Kernbereich als Idee lässt sich nicht mit der Menschenwürde begründen, wenn deren Universalitätsanspruch beibehalten werden soll. Darüber hinaus ist das Ausschlusskriterium des Straftatenbezuges problematisch, weil die Grundrechte in ihrer Funktion des Minderheitenschutzes gerade auch von den Vorstellungen der Mehrheit abweichendes Verhalten schützen sollen. Das abweichende Verhalten der Minderheit wird von der Mehrheit häufig als beeinträchtigend angesehen und nur ungern toleriert. Ein anhand des Straftaten170

M. Baldus, JZ 2008, S. 218, 219, 222 ff. s. o. 4. Kapitel, A. 172 Kritisch dazu: O. Lepsius, Jura 2005, S. 433, 440. Vgl. auch: M. Kötter, Pfade, 2008, S. 357. 173 BVerfGE 115, 118, 152 (Luftsicherheitsgesetz) m.w. N. 174 E. Benda, in: Biopolitik, 2001, S. 247 f. 175 O. Lepsius, Jura 2005, S. 433, 440. 171

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

bezuges konkretisierter Kernbereich der privaten Lebensgestaltung bereitet den Weg für ein Recht, das nur für den Normalfall gilt und nur, wenn der Bürger seiner Nichtstörungspflicht nachkommt. Zudem stünde Art. 1 Abs. 1 GG zur Disposition des einfachen Gesetzgebers, weil sich in einem Rechtsstaat erst aus den Gesetzen ergibt, welche Straftaten und Nichtstörungspflichten bestehen. Dies ist wegen der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers nach Art. 1 Abs. 3 GG verfassungswidrig. Siebtens relativiert die Begründung des „unantastbaren“, aber abwägungsoffenen Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung mit Art. 1 Abs. 1 GG den Menschenwürdeschutz insgesamt.176 Dies wäre unschädlich, wenn feststünde, dass die Menschenwürde ein reines Symbol ist und keinen absoluten Schutz gewährt. Andere Untersuchungen zeigen aber, dass aus der Menschenwürde zumindest das Recht des Menschen auf Rechte177, also seine Rechtssubjektivität, und der gleiche elementare Rechtsstatus jedes Menschen als unantastbare Positionen folgen.178 Die Menschenwürde kann zwar keinen absoluten Freiheitsschutz bewirken, sie begründet aber auf der Ebene der Rechtssubjektivität eine absolute Berechtigung. Die Absolutheit des Kernbereichs symbolisch zu verstehen, relativiert diese Ebenen des Menschenwürdeschutzes. Dass eine solche Relativierung nicht vollkommen ausgeschlossen erscheint, zeigen die Stimmen in der Rechtswissenschaft, die von einem „Feindstrafrecht“ ausgehen und dabei zwischen Bürgern und „Feinden“ des Rechtsstaates unterscheiden.179 Ebenso besteht die Gefahr, dass die Relativierungstendenz auf andere absolute Verbote im Grundgesetz übergreift. Dieser Ansatz stellt den „unantastbaren“ Kernbereich der privaten Lebensgestaltung und die zur Begründung notwendige Menschenwürde unter die immanente Schranke, dass kein Straftatenbezug besteht. Mit derselben Methode können absolut formulierte Verbotsnormen, wie Art. 102 GG, der die Todesstrafe abschafft, relativiert werden. Es ließe sich argu176 So auch: B. Wölfl, Bildaufnahmen, 1997, S. 87 f.; ders., NVwZ 2002, S. 49, 50 f.; C. D. Classen, DÖV 2009, S. 689, 691, 697 f. Laut Classen sind die allgemein zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gezählten Sachverhalte nur vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützt, so dass die Menschenwürde nicht relativiert wird. Vgl. auch R. Poscher, JZ 2009, S. 269, 273. 177 C. Enders, Menschenwürde, 1997, S. 501 ff. Die Formulierung stammt von: H. Arendt, Die Wandlung 4 (1949), S. 754, 760 f. Dazu: P. Birmingham und S. Gosepath, in: Arendt, 2007, S. 269 ff. und S. 279 ff. 178 H. Dreier, in: ders., Bd. 1, 2004, Art. 1 I, Rn. 59; G. Duttge, in: Biopolitik, 2007, S. 39, 40; P. Kirchhof, in: FS Ress, 2005, S. 1449, 1459 f.; E.-J. Lampe, in: FS Maihofer, 1988, S. 253, 267 f.; A. Podlech, in: AK-GG, (2001), Art. 1 Abs. 1, Rn. 17 ff.; H. J. Sandkühler, in: Menschenwürde, 2007, S. 57, 76. Aus systemtheoretischer Perspektive: K.-H. Ladeur/I. Augsberg, Menschenwürde, 2008, S. 10. 179 Vgl. dazu die kritische Analyse von: G. L. Morguet, Feindstrafrecht, 2009. Kritisch auch: K. T. Barisch, Bekämpfung, 2009, S. 93 ff.; H. Kube, in: HStR, VII, 2009, § 148, Rn. 152.

F. Ergebnis

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mentieren, dass diese Norm nicht für Feinde der Verfassung oder bei der Bestrafung besonders renitenter Sexualmörder gilt. Ebenso wäre argumentierbar, dass das Folterverbot des Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG nicht gilt, wenn Lebensgefahren nur durch eine Folterung abgewendet werden können.180 Zwar argumentiert Baldus nicht in diese Richtung, aber die Logik der relativierenden Argumentation dürfte sich kaum auf die Diskussion um den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung beschränken lassen. Schließlich ist der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, konsequent zu Ende gedacht, auch als Ideal im demokratischen Rechtsstaat nicht erstrebenswert. Dies haben die Kritikpunkte an einem unantastbaren Kernbereich als Rechtsbegriff gezeigt.181 In einer Gemeinschaft, in der allen Menschen das gleiche Recht auf Freiheitsgebrauch zukommt, ohne dass der Freiheitsgebrauch inhaltlich an vorrechtliche Prinzipien der Sozialverträglichkeit gebunden ist, kommt es notwendigerweise zu Konflikten. Die Regelung dieser Konflikte zusammen mit der Verteidigung gegenüber äußeren Gefahren ist in den Theorien des Gesellschaftsvertrages gerade der Grund für den staatlichen Zusammenschluss der Menschen.182 Eine der Hauptaufgaben des demokratischen Rechtsstaates ist es also, zwischenmenschliche Konflikte rechtlich so zu regeln, dass allen Bürgern ein gleiches Recht auf Freiheit zukommt. Die Grundrechte als staatsgerichtete Garantien schützen die Freiheit im demokratischen Rechtsstaat und nicht die Freiheit von einem solchen Staat.183 Vor diesem Hintergrund vermag das Konzept eines unantastbaren Kernbereichs menschlicher Freiheit, der jedem staatlichen Zugriff versperrt und damit ein staats- und gesetzesfreier Bereich ist, selbst als Idee nicht zu überzeugen.

F. Ergebnis Die Kritik am unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung geht zu weit, wenn sie sich gegen den Privatsphärenschutz insgesamt, also auch gegen den relativen Schutz wendet. Dieser Ansatz geht von einem unrealistisch positiven Staatsbild aus und ermöglicht keinen ausreichenden Grundrechtsschutz gegen Informationseingriffe.

180 Dagegen: C. Enders, in: Stern/Becker, 2010, Art. 1, Rn. 73. Vgl. auch: C. Gusy, JZ 2005, S. 239, 240 f. 181 s. o. 5. Kapitel, B. 182 T. Hobbes, Leviathan, (1651), 2. Teil, 17. Kapitel, S. 151 ff.; I. Kant, Rechtslehre, § 44, in: Werkausgabe, VIII., S. 430 f. 183 K. Hesse, DÖV 1975, S. 437, 441 f.; D. Suhr, Entfaltung, 1976, S. 123; D. Grimm, in: Grundrechte, 1982, S. 39, 51 ff.; P. Häberle, Wesensgehaltgarantie, 1983, S. 225 f.; W. Schmidt, in: Rechtswissenschaft, 1994, S. 188, 214 ff.; E. Stein, Staatsrecht, 1998, S. 198 ff.

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5. Kap.: Kritik des unantastbaren Kernbereichs

Jedoch lässt sich der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung im Rahmen des Grundgesetzes nicht so definieren, dass er relevant und unantastbar ist. Wird der Kernbereich derart bestimmt, dass er unantastbar ist, dann ist er relevant, aber seine Anwendung führt zu grundgesetzwidrigen Ergebnissen. Wenn der Kernbereich grundgesetzkonform definiert wird, kommt ihm entweder keine Relevanz zu oder er ist lediglich relativ geschützt. Der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung lässt sich verfassungskonform nur als Deskription und nicht als Rechtsbegriff verwenden. Wenn an dem deskriptiven Kernbereichsbegriff festgehalten wird, ist die beschreibende Verwendungsweise hinreichend deutlich zu machen, um eine Verwechslung der Begriffsebenen zu verhindern. Die Seitenblicke zeigen, dass die Unvereinbarkeit des unantastbaren Kernbereichs mit dem Grundgesetz keine begründungsbedürftige Ausnahme von einem allgemein anerkannten Rechtsgedanken des unantastbaren Kernbereichs ist. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führt auch bei der kommunalen Selbstverwaltung und der Koalitionsfreiheit nicht zu einem absoluten Kernbereichsschutz. Die Rechtsfigur des unantastbaren Kernbereichs wird in den USA nicht diskutiert. Für die politische Philosophie ist das Kernbereichskonzept nicht anschlussfähig, und der sozialphilosophischen Arbeit von Rössler zur Privatheit ist ein solches Konzept fremd. Schließlich überzeugt der „unantastbare“ Kernbereich der privaten Lebensgestaltung auch nicht als Idee, welche die Rechtsanwendung leitet. Es steht weder fest, dass dieses Konzept den Grundrechtsschutz der Privatsphäre verstärkt, noch mit welchen Grundgesetzvorschriften es sich begründen lässt. Entscheidend ist aber, dass eine solche Interpretation den Menschenwürdeschutz insgesamt relativiert und dass in einem demokratischen Rechtsstaat die Idee eines staats- und gesetzesfreien Kernbereichs nicht überzeugt. Im abschließenden sechsten Kapitel sind die Folgen, die sich daraus ergeben, dass der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Rechtsbegriff verfassungswidrig ist, zu untersuchen.

Sechstes Kapitel

Folgerungen Die bisherige Analyse hat gezeigt, dass ein relevanter unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Rechtsbegriff verfassungskonform nicht möglich ist. Diese Kritik am unantastbaren Kernbereich dürfte in Teilen der Rechtswissenschaft, insbesondere bei Autoren, die für einen effektiven Grundrechtsschutz gegen staatliche Informationserhebung eintreten, wenig anschlussfähig sein. Dies liegt nicht unwesentlich an der Art und Weise, in der die Diskussion um Maßnahmen zum Schutz der inneren Sicherheit geführt wird. Sowohl im repressiven als auch im präventiven Bereich ist sie von Polarisierungen geprägt.1 Dies zeigt sich an der Diskussion um die Zulässigkeit des großen Lauschangriffs. Die Kritik am Kernbereich der privaten Lebensgestaltung wird häufig nicht neutral, sondern mit einer deutlichen Parteinahme für die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung formuliert.2 Volker Krey spricht von einem „Krieg gegen die Organisierte Kriminalität“ und wirft dem Bundesverfassungsgericht vor, es habe im Urteil zum großen Lauschangriff die Gefahren des Terrorismus „völlig vernachlässigt“.3 Das Leben der Menschen werde weniger durch heimliche staatliche Maßnahmen, sondern durch „die schlimmen Folgen verbrecherischen Handelns Krimineller“ beeinträchtigt.4 Die Kritiker suchen in der Regel nicht nach Äquivalenten des „absoluten“ Kernbereichsschutzes, sondern folgern daraus, dass sie den „unantastbaren“ Kernbereich nicht für betroffen halten, die weitgehende Zulässigkeit der heimlichen Ermittlungsmaßnahmen.5 Es entsteht der Eindruck, dass nur der „unan1 F. Rauschenberger, Kriminalistik 2005, S. 654, 657; R. Weyand, DRiZ 2004, S. 167. Erfrischend neutral: R. Zaczyk, StV 1993, S. 490, 491. 2 So schildert F. L. Lorenz, GA 1997, S. 51, 52 ff., zu Beginn seiner Ausführungen die großen Gefahren der organisierten Kriminalität und sieht die Gegner des Lauschangriffs als naiv im Umgang mit diesen Gefahren an. Vgl. auch V. Krey/E. Haubrich, JR 1992, S. 309, 313 f.; H. Lesch, StV 1995, S. 612, 614, der einem feindstrafrechtlichen Ansatz zu folgen scheint. 3 V. Krey/E. Haubrich, JR 1992, S. 309, 314; V. Krey, Großer Lauschangriff, 2005, S. 15; ders., in: FS Schwind, 2006, S. 725, 732. 4 A. Stümper, ZRP 1998, S. 463, 464. 5 Einer der schärfsten Kernbereichskritiker, F. L. Lorenz, GA 1997, S. 51, 69 f., lässt heimliche Maßnahmen schon weit im Vorfeld des unmittelbaren Straftatenverdachts zu. Der Vorschlag der Grundgesetzänderung durch G. Cassardt, ZRP 1997, S. 370, 376 lässt den großen Lauschangriff ohne Beschränkung auf die Verfolgung schwerer Straf-

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6. Kap.: Folgerungen

tastbare“ Kernbereich der privaten Lebensgestaltung wirksam Schutz vor heimlichen Ermittlungsmaßnahmen bietet. Wer den Kernbereich ablehnt, scheint damit zwangsläufig auch ein liberales Strafprozess- und Polizeirecht abzulehnen. Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, dass ein Verzicht auf den Rechtsbegriff des „unantastbaren“ Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung ohne Einbuße an Grundrechtsschutz möglich ist. Dazu ist zu untersuchen, zu welchen Zwecken der Kernbereichsbegriff vom Bundesverfassungsgericht entwickelt wurde und ob er zu diesen Zwecken noch erforderlich ist (A.). Wenn ein absoluter Schutz gegen bestimmte staatliche Maßnahmen rechtspolitisch erwünscht ist, so ist dies nur durch maßnahmebezogene Normierung und nicht anhand des Kernbereichskonzeptes möglich (B.). Schließlich wird geprüft, wie sich ein relativer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung bestimmen lässt und ob einem relativen Kernbereich Relevanz zukommt (C.).

A. Funktionen des Kernbereichs und wirksame Alternativen Das Bundesverfassungsgericht entwickelte den Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit (I.) und den Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebung (II.) zu unterschiedlichen Zwecken. Bei der Analyse werden für jede Fallgruppe zunächst die Funktionen des Kernbereichs aufgezeigt und anschließend die Alternativen zur jeweiligen Kernbereichsfunktion dargestellt und auf ihre Wirksamkeit überprüft. Der „unantastbare“ Kernbereich als Freiheitsgrenze6 ist an dieser Stelle nicht mehr ausführlich zu behandeln, weil auf ihn ohne Einbuße an Grundrechtsschutz verzichtet werden kann. Im Verhältnis der Grundrechtsträger untereinander bestimmt das Bundesverfassungsgericht den Kernbereich durch eine umfassende Abwägung der betroffenen Interessen.7 Dieses Vorgehen unterscheidet sich nicht von der Anwendung des Grundsatzes der praktischen Konkordanz, kombiniert mit der Technik der Fallgruppenbildung. Der „unantastbare“ Kernbereich erscheint als eine Fallgruppe von gefestigten Abwägungsergebnissen. Insoweit bietet der „unantastbare“ Kernbereich als Freiheitsgrenze keinen zusätzlichen Schutz im Vergleich zu den relativ geschützten Freiheitsrechten.

taten und auf bestimmte Verdachtsgrade zu. Vgl. auch: H.-L. Zachert, DRiZ 1992, S. 355, 356. Anders: J. Schwabe, JZ 1993, S. 867, 873 f., der für die Wohnraumüberwachung zu präventiven Zwecken eine umfangreiche Verhältnismäßigkeitsprüfung als Alternative ansieht. 6 Zu den Fallgruppen des Kernbereichsschutzes: s. o. 1. Kapitel, A. III. 7 s. o. 1. Kapitel, B. III.

A. Funktionen des Kernbereichs und wirksame Alternativen

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I. Der Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit Seinen Ursprung hat der Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit in zwei Entscheidungen aus dem Jahre 1957.8 Im Elfes-Beschluss legte das Gericht den Schutzbereich der „freien Entfaltung der Persönlichkeit“ und den Gesetzesvorbehalt der „verfassungsmäßigen Ordnung“ des Art. 2 Abs. 1 GG aus. Dabei setzte es sich mit drei verschiedene Interpretationsmöglichkeiten auseinander, die es schon im Investitionshilfe-Urteil erwähnt hatte.9 Nach der ersten Möglichkeit, der sogenannten Persönlichkeitskerntheorie, umfasst Art. 2 Abs. 1 GG nur das „Mindestmaß menschlicher Handlungsfreiheit, ohne das der Mensch seine Wesensanlage als geistig-sittliche Person überhaupt nicht entfalten kann“.10 Den anderen beiden Auslegungsvarianten folgend, die sich nur bei der Interpretation des Gesetzesvorbehaltes unterscheiden, schützt Art. 2 Abs. 1 GG hingegen die allgemeine Handlungsfreiheit. Gemäß der zweiten Variante ist die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung eng zu verstehen. Um den gesetzlichen Handlungsspielraum dennoch zu wahren, bestehe ein impliziter Gemeinschaftsvorbehalt, der aus dem Menschenbild des Grundgesetzes folgt.11 Die dritte Alternative sieht die verfassungsmäßige Ordnung als Gesamtheit der formell und materiell verfassungskonformen Rechtsnormen an. Danach steht Art. 2 Abs. 1 GG unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt.12 Im Elfes-Beschluss lehnte das Gericht die Persönlichkeitskerntheorie ab und entschied sich für die allgemeine Handlungsfreiheit.13 Die „verfassungsmäßige Ordnung“ sah es, der dritten Variante im Investitionshilfe-Urteil folgend, als die allgemeine Rechtsordnung an.14 Mit der zweiten Auslegungsmöglichkeit, also dem engeren Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung“ und der Schranke des Menschenbildes, setzte sich das Gericht nicht explizit auseinander.15 Den Kern8

BVerfGE 6, 32 ff. (Elfes); 6, 389 ff. (Homosexualität I). BVerfGE 4, 7, 15 f. Das Gericht ließ offen, welche Variante es für richtig hält. 10 H. Peters, in: FS Laun, 1953, S. 669, 672 ff.; ders., Entfaltung, 1963, S. 47 ff. Ähnlich: W. Hamel, Grundrechte, 1957, S. 30 f. Ausführlich zur Persönlichkeitskerntheorie: s. o. 2. Kapitel, A. II. 11 BVerfGE 4, 7, 15 f. Zum Menschenbild: s. o. 1. Kapitel, D. I. 12 BVerfGE 4, 7, 16. 13 BVerfGE 6, 32, 36 f. Diese Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG bestätigte BVerfGE 80, 137, 152 ff. (Reiten im Walde). Kritisch: Abweichendes Votum des Richters Grimm: BVerfGE 80, 137, 164 ff. Im Anschluss an Grimm: G. Duttge, NJW 1997, S. 3353 ff. Dagegen: F. E. Schnapp, NJW 1998, S. 960; J. F. Lindner, NJW 1998, S. 1208 ff. 14 BVerfGE 6, 32, 37 ff. Kritisch dazu: G. Dürig, JZ 1957, S. 169, 171 f. Vgl. auch: R. Alexy, Grundrechte, 1996, S. 312. 15 Das Gericht greift in BVerfGE 27, 1, 7 (Mikrozensus); 27, 344, 351 f. (Scheidungsakten); 65, 1, 43 f. (Volkszählungsurteil) auf die im Investitionshilfe-Urteil entwickelte Schranke des Menschenbildes zurück, ohne zu berücksichtigen, dass sich das Gericht in der Elfes-Entscheidung für die dritte und damit gegen die zweite Ausle9

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6. Kap.: Folgerungen

bereich der privaten Lebensgestaltung erwähnte es lediglich in einem obiter dictum, als Argument dafür, dass der Vorbehalt der „verfassungsmäßigen Ordnung“ in der Auslegung als allgemeine Rechtsordnung nicht dazu führt, dass der Grundrechtsschutz des Art. 2 Abs.1 GG leer läuft.16 Auch der Gesetzgeber müsse sich an die grundrechtlichen Grenzen des Art. 1 und 19 Abs. 2 GG halten, wenn er die allgemeine Rechtsordnung gestaltet.17 Das Gericht nutzte das Konzept des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung nicht, um den Einzelfall zu entscheiden, sondern als Argument, um einen wirksamen Grundrechtsschutz gegen den Gesetzgeber zu begründen. Der Kernbereich diente dazu, das ungeklärte Problem der Grundrechtsbindung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zu lösen. 1. Das ungelöste Problem der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers Während die grundrechtliche Bindung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers im Konstitutionalismus verneint wurde,18 war sie in der Weimarer Republik grundsätzlich anerkannt.19 Es blieb aber unklar, wie die Grundrechte den Gesetzgeber binden können, wenn der Gesetzgeber seinerseits über die Gesetzesvorbehalte die Grundrechte einschränken darf.20 Vor allem bestand kein Konzept, die Bindung bei Grundrechten mit einfachem Gesetzesvorbehalt umzusetzen.21 Für normgeprägte Grundrechte, wie das Eigentumsgrundrecht, bei denen nicht nur die Schranken, sondern auch der Inhalt gesetzlich festgelegt wird,22 entwigungsmöglichkeit entschieden hatte. Damit reißt das Gericht die Schranke der Gemeinschaftsgebundenheit aus ihrem Kontext. 16 BVerfGE 6, 32, 40 f. Vgl. dazu auch: D. Krauß, in: FS Gallas, 1973, S. 365, 378. 17 Das Gericht differenzierte nicht zwischen den Absätzen des Art. 1 GG. 18 R. Poscher, Grundrechte, 2003, S. 25. Vgl. aber: U. Eisenhardt, in: FS Söllner, 2000, S. 255, 262 ff., für Beispiele, in denen Abgeordnete die Pressefreiheit im Gesetzgebungsprozess als Argument für die Verfassungswidrigkeit von Pressegesetzen geltend machten. Die Bindung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers an die Grundrechte wurde zumindest als Forderung schon formuliert. 19 E. Forsthoff, in: FS Schmitt, 1959, S. 35, 46; C. Gusy, ZNR 15 (1993), S. 163, 167 ff.; C. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 111. A. A.: G. Herbert, EuGRZ 1985, S. 321, 322. Zum schlechten Image der Weimarer Reichsverfassung: C. Gusy, RuP 2009, S. 74 ff. Allgemein zur Rezeption des Weimarer Verfassungsrechts durch das Bundesverfassungsgericht und die bundesdeutsche Staatsrechtswissenschaft: C. Gusy und O. Lepsius, in: „Weimar“, 2003, S. 395 ff. und S. 354 ff. 20 G. Herbert, EuGRZ 1985, S. 321 f.; C. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 109 ff.; K.-E. Hain, Grundsätze, 1999, S. 91; R. Poscher, Grundrechte, 2003, S. 36 ff. 21 R. v. Krauss, Verhältnismässigkeit, 1955, S. 48. Vgl. auch: H. Dreier, in: ders., Bd. I, 2004, Art. 19 II, Rn. 1. Bei den qualifizierten Gesetzesvorbehalten verhindert die Qualifikation ein Leerlaufen des Grundrechtsschutzes gegenüber dem Gesetzgeber (C. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 116).

A. Funktionen des Kernbereichs und wirksame Alternativen

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ckelten einige Autoren die Einrichtungsgarantie als Schutzmechanismus.23 Danach durfte der Gesetzgeber die Strukturprinzipien einer einmal erfolgten Einrichtung, also der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts, nicht verändern. Gustav Giere übertrug diesen Gedanken auf die nicht normgeprägten Grundrechte und sprach dabei von einem Kernbereich des Grundrechts, der Eingriffen entzogen ist.24 Allerdings blieb in der Weimarer Republik ungeklärt, wie bei den nicht normgeprägten Grundrechten die Strukturprinzipien der Einrichtung zu ermitteln sind.25 Anders als bei den normgeprägten Grundrechten konnte dazu nicht die einfache Rechtsordnung analysiert werden. Auch andere in der Weimarer Republik vertretene Ansätze füllten die grundrechtliche Bindung des Gesetzgebers nicht mit Inhalt. Walter Jellinek unterschied, ob ein Grundrecht lediglich einschränkt oder insgesamt aufgehoben wird.26 Dem Gesetzgeber sei nur verboten, ein Grundrecht vollständig abzuschaffen. Jedoch ließ sich mit dieser Unterscheidung der Gesetzgeber im weiten Bereich der Einschränkung von Grundrechten nicht binden.27 Laut Rudolf Smend muss der Gesetzgeber den „Wert“ einer grundrechtlichen Gewährleistung beachten.28 Der Wert eines Grundrechts bleibe unangetastet, wenn ein Grundrecht beschränkt wird, um ein höherrangiges öffentliches Interesse durchzusetzen. Damit führte Smend den Gedanken der Güterabwägung ein, ohne allerdings einen Maßstab für die Abwägung zu bieten. Dieser Ansatz blieb 22 R. Herzog, in: FS Zeidler, 1987, S. 1415, 1416 ff. Zur normgeprägten Freiheit allgemein: R. Poscher, Grundrechte, 2003, S. 116 ff., 132 ff. 23 M. Wolff, in: FG Kahl, 1923, S. 1, 5 f.; R. Thoma, in: Nipperdey, Grundrechte, Bd. I, 1929, S. 33; allgemein zu Einrichtungsgarantien: C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 170 ff., der allerdings die Grundrechte gerade nicht als Institutionen ansieht. In Abgrenzung zu öffentlichrechtlichen Institutionsgarantien werden privatrechtliche Einrichtungsgarantien auch Institutsgarantien genannt. Zur Begriffsgeschichte: W. Schmidt, in: FS Faber, 2007, S. 17 ff. Allgemein: U. Mager, Einrichtungsgarantien, 2003, passim. Zum Grundrechtsschutz durch Einrichtungsgarantien: G. Herbert, EuGRZ 1985, S. 321, 322; C. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 113, Fn. 417, m.w. N. Zur relativen Inhaltsarmut der Institutsgarantie: C. Gusy, ZNR 15 (1993), S. 163, 165. 24 G. Giere, Problem, 1932, S. 116 ff. Dagegen: C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 170 f.: Die Institution sei ihrem Wesen nach begrenzt, während das natürliche Freiheitsrecht unbegrenzt sei. Zur destruktiven Zielrichtung von Schmitts Analyse der Weimarer Verfassung: R. Smend, in: Abhandlungen, (1933), S. 307, 314 f.; E. Grabitz, Freiheit, 1976, S. 183; H. Dreier, VVDStRL 60 (2001), S. 9, 13, Fn. 19. 25 C. Gusy, ZNR 15 (1993), S. 163, 165 f.; C. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 113 f. 26 W. Jellinek, Verwaltungsrecht, (1931), S. 204; ders., DRZ 1946, S. 4, 5. 27 C. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 112. 28 R. Smend, in: Abhandlungen, (1928), S. 89, 96 ff.; Ähnlich: E. Kaufmann, in: Schriften I, (1930), S. 450, 453 f.; A. Hensel, HdbDStR II, 1932, § 84, S. 313, 316, Fn. 2; G. Giere, Problem, 1932, S. 116 ff. N. Luhmann, Normen, 1993, S. 18 ff. sieht den Wertbegriff als Reflexions- und Begründungsstopp.

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6. Kap.: Folgerungen

„undeutlich“ und drückte nicht viel mehr als den Willen zur stärkeren Kontrolle des Gesetzgebers aus.29 Schließlich ging Carl Schmitt vom rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip aus, wonach die Freiheit die Regel und die Beschränkung die Ausnahme ist.30 Mit diesem Ansatz lässt sich die Bindung des Gesetzgebers an die Freiheitsrechte aber nicht überprüfen. Auch wenn sehr viele Gesetze die Freiheit beschränken, bleiben in der Regel unzählige Verhaltensmöglichkeiten und damit die Freiheit als Wahlmöglichkeit bestehen.31 Der Zeitpunkt, an dem der Gesetzgeber die Freiheit soweit beschränkt, dass sie zur Ausnahme wird, ist nicht bestimmbar. Der Verfassungskonvent und der Parlamentarische Rat strebten die grundrechtliche Bindung des Gesetzgebers auf unterschiedliche Weise an.32 Die praktisch wirksamste Errungenschaft war es, mit dem Bundesverfassungsgericht ein spezialisiertes Organ zu bestimmen, welches die grundrechtliche Bindung des Gesetzgebers effektiv kontrolliert.33 Als formelle Sicherungen dienen das Verbot der Einzelfallgesetzgebung und das Zitiergebot in Art. 19 Abs. 1 GG.34 Darüber hinaus konzipierte der Parlamentarische Rat eine Reihe von qualifizierten Gesetzesvorbehalten35 und als inhaltliche Bindung des Gesetzgebers die Wesensgehaltgarantie.36 Allerdings stand nur die Aufgabe des Art. 19 Abs. 2 GG, nämlich den Gesetzgeber an die Grundrechte zu binden, fest. Unklar waren sein Inhalt und seine Funktionsweise.37 Folglich war das Bundesverfassungsgericht zu Beginn seiner Rechtsprechung mit einem nur teilweise gelösten Problem konfrontiert. Es musste die Bindung 29

C. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 114. C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 126 f., 158 f., 166. Auch das Verteilungsprinzip verfasste Schmitt in polemischer Absicht, s. o. 6. Kapitel, Fn. 24. Das RegelAusnahme-Verhältnis griff W. Jellinek, DRZ 1946, S. 4, 5 nach dem 2. Weltkrieg auf. Dieses Prinzip ist als Argumentationslastregel zu verstehen: B. Schlink, EuGRZ 1984, S. 457, 467; R. Poscher, Grundrechte, 2003, S. 123. 31 C. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 115. 32 Vgl. zum Folgenden die kritische Analyse von: H. Nawiasky, Grundgedanken, 1950, S. 20 ff. 33 G. Herbert, EuGRZ 1985, S. 321, 322; R. Poscher, Grundrechte, 2003, S. 45. Allerdings wurde die Verfassungsbeschwerde erst 1951 auf einfachgesetzlicher Ebene und 1969 ins Grundgesetz eingefügt. Zum Streit in der Weimarer Republik, ob die Gerichte den Gesetzgeber kontrollieren dürfen: C. Gusy, Prüfungsrecht, 1985, S. 74 ff.; ders., ZNR 15 (1993), S. 163, 169 f. 34 Dafür schon: W. Jellinek, DRZ 1946, S. 4, 5. 35 Jedoch trat das Bemühen, die Grundrechte und ihre Vorbehalte zu konkretisieren, häufig hinter die Forderung nach Prägnanz und Kürze der Verfassung zurück: C. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 123 f.; R. Poscher, Grundrechte, 2003, S. 45. 36 G. Herbert, EuGRZ 1985, S. 321, 322; W. Schmidt, in: Rechtswissenschaft, 1994, S. 188, 197; K.-E. Hain, Grundsätze, 1999, S. 91. 37 E. v. Hippel, Wesensgehalt, 1965, S. 22; C. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 125; H. Dreier, in: ders., Bd. I, 2004, Art. 19 II, Rn. 2. 30

A. Funktionen des Kernbereichs und wirksame Alternativen

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des Gesetzgebers an Grundrechte mit einfachem Gesetzesvorbehalt verwirklichen.38 Dabei zog das Bundesverfassungsgericht zum Zeitpunkt des Elfes-Beschlusses noch nicht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz heran, um Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen.39 Diesen Grundsatz verwendete das Gericht im Bereich der Grundrechte erstmals etwa anderthalb Jahre nach dem Elfes-Beschluss im Apotheker-Urteil gegenüber dem Gesetzgeber.40 Deshalb war in der Elfes-Entscheidung ein anderer Schutzmechanismus gegenüber dem Gesetzgeber erforderlich.41 Diesen sah das Gericht im unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, den es mit der Wesensgehalts- und der Menschenwürdegarantie begründete, die beide ausdrücklich auch gegenüber dem Gesetzgeber gelten. Auch in der ersten Homosexualitätsentscheidung und im Beschluss zum Preisgesetz ging es um die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers.42 Im Homosexualitäts-Urteil prüfte das Gericht anhand des Kernbereichs, ob die gesetzlich angeordnete Strafbarkeit der Homosexualität gegen das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verstößt. Im Beschluss zum Preisgesetz hielt das Gericht fest, dass das Preisgesetz die wirtschaftliche Freiheit und die Vertragsfreiheit nicht in ihrem Wesensgehalt berühre. Der Kernbereich diente in diesen Entscheidungen dazu, den Gesetzgeber, unabhängig vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, an Art. 2 Abs. 1 GG zu binden. 38 R. v. Krauss, Verhältnismässigkeit, 1955, S. 48; C. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 143 f. 39 P. Lerche, Übermass, 1961, S. 26 ff.; K. Stern, in: FS Lerche, 1993, S. 165, 172; K.-E. Hain, Grundsätze, 1999, S. 91. Laut L. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 2 ff., beruht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum einen auf dem im Polizeirecht schon im Konstitutionalismus entwickelten Grundsatz der Erforderlichkeit, wonach eine Maßnahme geeignet und erforderlich sein muss, um den jeweiligen Zweck zu erreichen. Zum anderen gehe er auf die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn, also eine Güterabwägung zwischen angestrebtem Zweck und beeinträchtigtem Rechtsgut, zurück. Dieser Grundsatz wurde erst in der Bundesrepublik vollständig entwickelt. Zur Geschichte des Verhältnismäßigkeitsprinzips auch: B. Remmert, Grundlagen, 1995. 40 BVerfGE 7, 377, 406 ff. Das Gericht prüft einerseits, ob das Gesetz übermäßig belastend und nicht zumutbar ist (S. 406), also die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und andererseits, ob der Eingriff „zwingend geboten ist“ (S. 409), also die Erforderlichkeit der Maßnahme. Vgl. auch: P. Lerche, Übermass, 1961, S. 253 f.; L. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 17; W. Schmidt, in: Rechtswissenschaft, 1994, S. 188, 199. Eine Güterabwägung führte das Gericht schon im Lüth-Urteil (BVerfGE 7, 198, 212) durch. Dabei handelte es sich aber noch nicht um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im heutigen Sinn. Das Gericht erwähnte den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor dem Elfes-Beschluss in BVerfGE 3, 383, 399 (Gesamtdeutscher Block). Dabei ging es aber nicht um die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers. 41 Noch 1959 lehnte O. Pohl, Verhältnismäßigkeit, passim, eine Bindung des Gesetzgebers an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ab. 42 BVerfGE 6, 389, 433 (Homosexualität I); 8, 274, 328 f. (Preisgesetz).

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6. Kap.: Folgerungen

2. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Alternative Um den Gesetzgeber auf die Grundrechte mit einfachem Gesetzesvorbehalt zu verpflichten, ist der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung heute nicht mehr erforderlich. Mittlerweile wendet das Bundesverfassungsgericht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in ständiger Rechtsprechung mit den Unterpunkten des legitimen Zwecks, der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit43 auch gegenüber dem Gesetzgeber an.44 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hat die Funktion des Kernbereichs bei der Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte übernommen.45 Dies zeigt sich auch daran, dass das Gericht in allen weiteren Entscheidungen in dieser Fallgruppe eine Kernbereichsverletzung verneinte und nur die Verhältnismäßigkeitskontrolle rechtliche Wirkung entfaltete.46 Dass der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht erforderlich ist, um den Strafgesetzgeber an die Grundrechte zu binden, verdeutlicht der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Geschwisterinzest. Das Gericht benennt zu Beginn der Entscheidungsbegründung den Prüfungsmaßstab für die Verfassungsmäßigkeit materiellen Strafrechts. Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folge, dass das Strafrecht als „ultima ratio des Rechtsgüterschutzes“ dazu dient, Verhalten, das „in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich“ ist, zu verhindern.47 Ein Strafgesetz ist also verfassungsrechtlich daraufhin zu überprüfen, ob das inkriminierte Verhalten besonders sozialschädlich und für das Zusammenleben unerträglich ist. 43 Auch Proportionalität, Zumutbarkeit oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne genannt, vgl. L. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 75 ff. Kritisch zur Angemessenheitsprüfung bei Gesetzen: U. Battis/C. Gusy, Staatsrecht, 1999, Rn. 499; B. Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, 2001, II, S. 445, 458 ff.; F. Raue, AöR 131 (2006), S. 79, 97 ff. Zur Verschiebung von Abwägungsüberlegungen in das Merkmal der Erforderlichkeit, wenn auf die Angemessenheitsprüfung verzichtet wird: L. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 174 f. 44 U. Battis/C. Gusy, Staatsrecht, 1999, Rn. 493 ff.; E.-W. Böckenförde, Grundrechtsdogmatik, 1990, S. 18 f.; E. Hesse, Bindung, 1968, S. 102 ff.; L. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 35 f.; L. Michael, JuS 2001, S. 148 ff.; T. Reuter, Jura 2009, S. 511, 513; B. Schlink, EuGRZ 1984, S. 457, 460; ders., in: FS 50 Jahre BVerfG, 2001, II, S. 445 ff.; C. Starck, Verfassungsauslegung, 2006, S.19 ff.; K. Stern, in: ders., Staatsrecht, IV/1, 2006, § 104, S. 956 f. 45 Eine Strukturierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 2 Abs. 1 GG führt M. Cornils, in: HStR VII, 2009, § 168, Rn. 103 f. durch. 46 BVerfGE 54, 143, 146 (Taubenfütterungsverbot); 80, 137, 153 (Reiten im Wald); 90, 145, 171 (Cannabis II); 120, 224, 239 (Inzestverbot); BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.06.2005, Az: 2 BvR 1772/02, Rn. 12, zitiert nach juris. 47 BVerfGE 120, 224, 239 f. Vgl. auch: B. Noltenius, ZJS 2009, S. 15, 17; C. Roxin, StV 2009, S. 544, 545 f. Zur Rechtsguttheorie: W. Bottke, in: FS Volk, 2009, S. 93, 105 ff. Zum Verhältnis von Rechtsgutstheorie und Verfassungsrecht: W. Hassemer und D. Sternberg-Lieben, in: Rechtsgutstheorie, 2003, S. 57, 59 ff. und S. 65 ff.

A. Funktionen des Kernbereichs und wirksame Alternativen

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Daneben bleibt für den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung kein eigenständiger Anwendungsbereich. Um einen weitergehenden Schutz zu bieten, müsste der Kernbereich auch besonders sozialschädliche oder für ein geordnetes Zusammenleben unerträgliche Verhaltensweisen umfassen. Eine solche Wertung wäre mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren.48

II. Der Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebung Neben der Funktion, den Gesetzgeber an die Grundrechte zu binden, verwendete das Bundesverfassungsgericht den Rechtsbegriff des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung auch bei der Beurteilung von staatlicher Informationserhebung für unterschiedliche Zwecke. Zunächst diente der Kernbereich dazu, den Grundrechtsschutz gegen Informationseingriffe zu ermöglichen (1.). In der zweiten Tagebuchentscheidung ging das Gericht davon aus, dass der Kernbereich besonders gegen offene Informationserhebung geschützt ist (2.). Seit dem Urteil zum großen Lauschangriff gebraucht das Gericht den Kernbereich, um besonderen Schutz gegen heimliche Informationserhebung zu gewähren (3.). In diesem Urteil kontrollierte das Gericht auch die Verfassungsmäßigkeit einer Verfassungsänderung anhand des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung (4.). 1. Die Ermöglichung des Grundrechtsschutzes In den Entscheidungen zum Mikrozensus und zu den Ehescheidungsakten aus den Jahren 1969 und 1970 musste das Gericht erstmals entscheiden, wie Informationseingriffe verfassungsrechtlich zu behandeln sind.49 Informationseingriffe liegen vor, wenn Informationen gegen den Willen des Betroffenen erhoben, verarbeitet oder weitergeben werden.50 Im Mikrozensus-Beschluss ging es darum, ob die bußgeldbewehrte Pflicht, Fragen zu Urlaubs- und Erholungsreisen zu statistischen Zwecken beantworten zu müssen, gegen Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG verstößt. Die Auskunftspflicht ließ sich zwar als Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit erfas48

s. o. 5. Kapitel, B. BVerfGE 27, 1 ff. (Mikrozensus); 27, 344 ff. (Scheidungsakten). Das Bundesverfassungsgericht sprach nicht vom Informationseingriff. Die Rechtswissenschaft entwickelte diese Bezeichnung. 50 E. Schwan, VerwArch 66 (1975), S. 120, 128 ff. Vgl. auch: H. P. Bull, ÖVD 1979, S. 3, 4, Fn. 7; C. Gusy, VerwArch 74 (1983), S. 91 ff.; ders., CR 1989, S. 628, 632 ff.; A. Podlech, Leviathan 12 (1984), S. 85, 92 f. Kritisch: H.-U. Gallwas, Der Staat 18 (1979), S. 507, 510 f., der die Informationserhebung nicht als Freiheitseingriff, sondern als bloße Gefährdungen ansieht. Ihm geht es aber nicht darum, ob grundrechtlicher Schutz gegen die Informationserhebung besteht, sondern um die Reichweite der Gesetzesvorbehalte. Zu den Informationsbeziehungen zwischen Staat und Bürger allgemein: C. Gusy, in: Grundlagen, II, 2008, § 23. 49

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6. Kap.: Folgerungen

sen, da sie die Verhaltensfreiheit unmittelbar betraf.51 Das Gericht musste sich aber mit der Problematik der Informationseingriffe beschäftigen, weil das vorlegende Amtsgericht (Art. 100 Abs. 1 GG) nicht den gesamten Fragebogen des Mikrozensus als grundrechtswidrig ansah, sondern nur die Fragen zu den privaten Reisen. Der entscheidende Punkt war also nicht die Auskunftspflicht als solche, sondern die Art der Informationen, die erhoben werden sollten. Eine Differenzierung zwischen unterschiedlich schutzwürdigen Informationen war im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit als Verhaltensfreiheit nicht möglich. Der Ehescheidungsakten-Beschluss betraf die Frage, ob die Akten eines familienrechtlichen Scheidungsverfahrens gegen den Willen des Betroffenen in einem beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren verwertet werden dürfen. Die innerstaatliche Informationsweitergabe ließ sich nicht an der allgemeinen Handlungsfreiheit messen. Die Informationseingriffe stellten die verfassungsrechtliche Dogmatik in zwei eng zusammenhängenden Bereichen vor große Probleme. Zum einen war unklar, in welches Rechtsgut die Maßnahmen eingreifen. Die Informationseingriffe beeinträchtigen die von der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützte Verhaltensfreiheit nicht unmittelbar.52 Der Einzelne kann auch dann tun und lassen was er möchte, wenn der Staat oder Privatpersonen darüber Informationen erheben oder verarbeiten.53 Seine Verhaltensfreiheit wird erst durch Maßnahmen beeinträchtigt, die aufgrund der Informationserhebung und -verarbeitung ergehen oder durch die Furcht vor solchen Maßnahmen.54 Zum anderen konnte das Bundesverfassungsgericht die Informationseingriffe mit dem zum damaligen Zeitpunkt vorherrschenden Eingriffsbegriff nicht erfassen, weil nur rechtliche Ge- und Verbote als Grundrechtseingriffe anerkannt waren.55 Faktische Beeinträchtigungen, wie die heimliche Informationserhebung, 51 R. Scholz/R. Pitschas, Selbstbestimmung, 1984, S. 28; M. Deutsch, Informationserhebung, 1992, S. 44 f. 52 So OLG Köln, NJW 1953, S. 1846: „Die Angabe steuerlich relevanter Tatsachen und Ergebnisse hindert aber niemanden daran, zu denken und zu handeln, wie es seiner Überzeugung entspricht.“ Vgl. auch: H.-U. Evers, in: Verfassungsschutz, 1966, S. 93, 95; J. Salzwedel, in: GS Peters, 1967, S. 756, 760; W. Steinmüller u. a., BT-Drs. VI/ 3826, 1971, S. 85; H. P. Bull, ÖVD 1979, S. 3, 4; C. Gusy, DÖV 1980, S. 431, 433. 53 M. Deutsch, Informationserhebung, 1992, S. 86. Vgl. auch: H.-U. Gallwas, Der Staat 18 (1979), S. 507, 514, der deshalb von der Abwehr von Freiheitsgefährdungen spricht. 54 C. Gusy, DÖV 1980, S. 431, 433. 55 Zum Problem des Eingriffsbegriffs: H.-U. Evers, Privatsphäre, 1960, S. 21; ders., in: Verfassungsschutz, 1966, S. 93, 96, der wegen der notwendigen Vergeistigung des Freiheits- und Eingriffsbegriffs auf W. Jellinek, Gesetz, 1913, S. 205 und ders., Verwaltungsrecht 1931, S. 258 verweist. Vgl. auch: J. Salzwedel, in: GS Peters, 1967, S. 756, 760. Erst nach den Mikrozensus- und Scheidungsakten-Beschlüssen sahen es einige Autoren als Grundrechtseingriffe an, wenn Informationen erhoben, verarbeitet und weiterge-

A. Funktionen des Kernbereichs und wirksame Alternativen

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stellten mangels Befehlscharakter keinen Eingriff dar. Das Gericht konnte nur die sogenannten Begleiteingriffe erfassen, also Maßnahmen, die erforderlich sind, um eine Information zu erlangen, wie das bußgeldbewehrte Gebot, die im Mikrozensus gestellten Fragen zu beantworten.56 Wegen dieser beiden Beschränkungen der damaligen Grundrechtsdogmatik konnte das Gericht die Informationseingriffe nicht an der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG messen, obwohl es diese Norm schon zu einem umfassenden Freiheitsrecht weiterentwickelt hatte.57 Das Bundesverfassungsgericht benötigte folglich eine andere Grundlage des Grundrechtsschutzes gegen Informationseingriffe. Es entschied sich in den Mikrozensus- und Scheidungsakten-Beschlüssen für den Privatsphärenschutz.58 Die Privatsphäre ist ein vor jeder Art von Beeinträchtigung, auch durch faktische Eingriffe wie die Informationserhebung, geschützter Bereich.59 Damit konnte das Gericht die Informationserhebung als Grundrechtseingriff in die Privatsphäre ansehen.60 Da aber das Grundgesetz außerhalb des Schutzes der Wohnung und des Post- und Fernmeldegeheimnisses kein allgemeines Privatsphärengrundrecht enthält,61 musste das Gericht den allgemeinen Schutz der Privatsphäre verfassungsrechtlich begründen. Dazu zog das Gericht in beiden Entscheidungen den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung heran. Zunächst stellte es unter Verweis auf den Elfes-Beschluss und das erste Homosexualitätsurteil fest, dass das Grundgesetz den Kernbereich absolut schützt.62 In diesen Bereich könne der Staat bereits durch eine bloße Einsichtnahme eingreifen, welche die freie Entfaltung der Persönlichkeit geben werden: R. Kamlah, DÖV 1970, S. 361 ff.; U. Seidel, NJW 1970, S. 1581, 1582 f.; W. Steinmüller u. a., BT-Drs VI/3826, 1971, S. 85 ff.; S. Simitis, NJW 1971, S. 673, 675; A. Podlech, Datenschutz, 1973, S. 11 f., 15 ff., 55 f.; E. Schwan, VerwArch 66 (1975), S. 120, 128. Vgl. auch: C. Gusy, VerwArch 74 (1983), S. 91, 96; F. Hufen, JZ 1984, S. 1072, 1074 f., die allerdings beide die Informationserhebung aus der Rechtssphäre des Bürgers als mit dem überkommenen Eingriffsbegriff vereinbar ansehen und nur die staatliche Informationsverarbeitung problematisieren. 56 Vgl. BVerfGE 27, 1 ff. (Mikrozensus). Vgl. auch: E. Schwan, VerwArch 66 (1975), 120, 129 f. 57 M. Albers, Selbstbestimmung, 2005, S. 195. 58 C.-E. Eberle, DÖV 1977, S. 306, 307; C. Gusy, DÖV 1980, S. 431, 432. Auch D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, sieht den Privatsphärenschutz vor allem als Schutz gegen staatliche Informationserhebung an (vgl. S. 18 f.). 59 D. Lorenz, DÖV 1975, S. 151, 152; M. Albers, Selbstbestimmung, 2005, S. 197. Kritisch zum Recht auf Privatheit aus soziologischer Sicht: L. Gräf, Privatheit, 1993, S. 145 ff.; aus sozialphilosophischer Perspektive: R. Geuss, Privatheit, 2002, S. 124 ff. 60 Zu den Grenzen des Privatsphärenkonzepts im Bereich des Informationsschutzes: M. Albers, Selbstbestimmung, 2005, S. 198, 203 f. 61 Vgl. F. Hufen, in: FS 50 Jahre BVerfG, 2001, II, S. 105, 108. 62 BVerfGE 27, 1, 6 f. (Mikrozensus); 27, 344, 350 f. (Scheidungsakten) verweisen auf: BVerfGE 6, 32, 41 (Elfes). Auf BVerfGE 6, 389, 433 (Homosexualität I) verweist der Mikrozensus-Beschluss.

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6. Kap.: Folgerungen

durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme zu hemmen vermag.63 Allerdings sei nicht der gesamte Bereich der privaten Lebensgestaltung absolut geschützt. Der gemeinschaftsgebundene Bürger, von dem das Grundgesetz ausgeht, müsse die für das Gemeinwohl erforderlichen und verhältnismäßigen Eingriffe hinnehmen. Das Gericht folgerte aus dem absoluten Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung, dass auch der weitere Bereich der privaten Lebensgestaltung64 zumindest relativ geschützt ist. Der unantastbare Kernbereich dient als tragendes Element der Begründung des allgemeinen Privatsphärenschutzes.65 Diesen Ansatz wählte das Gericht auch in den Folgeentscheidungen zur Privatsphäre.66 Anders als in der Elfes- und der Homosexualitätsentscheidung geht es in dieser Fallgruppe nicht darum, gesetzgeberische Grundrechtseingriffe absolut zu begrenzen. Vielmehr verwendet das Gericht den Kernbereich, um Grundrechtsschutz gegen Maßnahmen der staatlichen Informationsverarbeitung überhaupt zu ermöglichen.67 Dass das Bundesverfassungsgericht den Privatsphärenschutz mit dem unantastbaren Kernbereich begründete, erklärt, warum das Gericht auf das Menschenbild des Grundgesetzes als Schranke der Privatsphäre rekurrierte und nicht auf den Soweit-Halbsatz des Art. 2 Abs. 1 GG.68 Als Ausgangspunkt der Argumentation diente der aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 2 GG abgeleitete unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung und nicht das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Art. 2 Abs. 1 GG. Um den Bereich der privaten Lebensgestaltung einschränken zu können, musste das Gericht zeigen, dass nicht die gesamte Privatsphäre unantastbar ist. Dazu diente die Gemeinschaftsgebundenheit des Menschen, da eine insgesamt unantastbare Privatsphäre nicht mit der sozialen Natur des Menschen zu vereinbaren sei. Das Bundesverfassungsgericht hat den Schutz vor Informationseingriffen kontinuierlich weiterentwickelt. Zum einen hat das Gericht den Eingriffsbegriff auf 63

BVerfGE 27, 1, 6 f. Als Synonym der Privatsphäre oder der Privatheit. Zur Terminologie: s. o. Einleitung, A. 65 C.-E. Eberle, DÖV 1977, S. 306, 307 kritisiert dies als Begründungsdefizit. Seiner Meinung nach schützt die negative Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) vor Informationseingriffen. Kritisch dazu: K. Vogelsang, Selbstbestimmung, 1987, S. 96. Zur Entwicklung des Privatsphärenschutzes: M. Albers, Selbstbestimmung, 2005, S. 193 ff. 66 BVerfGE 32, 373, 378 (Patientenkartei); 33, 367, 376 f. (Zeugnisverweigerungsrecht Sozialarbeiter); 34, 238, 245 (Heimliche Tonbandaufnahme); 35, 35, 39 f. (Brief an Ehegatten I); 35, 202, 219 f. (Lebach); 44, 353, 372 (Drogenberatungsstelle). 67 Vgl. auch: D. Grimm, in: Persönlichkeitsschutz, 1997, S. 3, 9; M. Albers, Selbstbestimmung, 2005, S. 194. 68 BVerfGE 27, 1, 7 (Mikrozensus); 27, 344, 351 (Scheidungsakten). 64

A. Funktionen des Kernbereichs und wirksame Alternativen

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jede nachteilige Einwirkung auf einen grundrechtlichen Schutzgegenstand erweitert.69 Zum anderen erkennt es seit dem Eppler-Beschluss das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch im Verfassungsrecht an.70 Die Privatsphäre sieht es als Ausprägung des Persönlichkeitsrechts an. Im Volkszählungsurteil konkretisierte das Gericht das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch die Fallgruppe des informationellen Selbstbestimmungsrechts.71 Damit beendete das Gericht den Streit darum, wann ein Informationseingriff vorliegt, zugunsten eines weiten Informationseingriffsbegriffs.72 Selbst die Kritiker eines „informationellen Totalvorbehalts“ erkennen den Grundrechtsschutz gegen Informationseingriffe grundsätzlich an.73 Aufgrund dieser beiden Neuerungen der Grundrechtsdogmatik ist es nicht mehr erforderlich, den Grundrechtsschutz gegen Informationseingriffe mit dem unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zu begründen. Dies verdeutlicht die spätere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Schon im Volkszählungsurteil erwähnte das Gericht den unantastbaren Kernbereich nicht mehr, obwohl der Sachverhalt eine große Nähe zum Streit um den Mikrozensus aufwies, so dass ein Eingehen nahe gelegen hätte.74 Auch danach verwendete das Gericht den unantastbaren Kernbereich nicht, um den grundrechtlichen Schutz gegen Informationseingriffe herzuleiten.75 Erst im zweiten Tagebuchbeschluss ging es wieder auf ihn ein, allerdings in einer anderen Funktion.

69 M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht, III/2, 1994, S. 81 f.; W. Höfling, in: FS Rüfner, 2003, S. 329, 339; vgl. auch: W. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 137, 151. 70 BVerfGE 54, 148, 153 f. Im Soraya-Beschluss hatte es zuvor schon das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht bestätigt (BVerfGE 34, 269, 280 f.). Zur zivilrechtlichen Entwicklung, s. o. 2. Kapitel, B. I. 71 BVerfGE 65, 1, 41 ff. Zum informationellen Selbstbestimmungsrecht allgemein: K. Vogelsang, Selbstbestimmung, 1987; M. Albers, Selbstbestimmung, 2005; C. Gusy, KritV 83 (2000), S. 52 ff.; F. Schoch, Jura 2008, S. 353 ff. Kritisch zum informationellen Selbstbestimmungsrecht im Volkszählungsurteil: P. Krause, JuS 1984, S. 268, 269 ff.; K. Rogall, Informationseingriff, 1992, S. 56 ff. 72 So: E. Denninger, KJ 1985, S. 215, 221. Zu diesem Streit: E. Schwan, VerwArch 66 (1975), 120, 127 ff.; B. Schlink, Amtshilfe, 1982, S. 169 ff. Vgl. auch: H. P. Bull, in: Verfassungsschutz, 1981, S. 133, 136 f. 73 K. Rogall, Informationseingriff, 1992, S. 56 ff., der den Umfang des Schutzes gegen Informationseingriffe lediglich restriktiver als das Bundesverfassungsgericht bestimmt. 74 BVerfGE 65, 1 ff. 75 BVerfGE 80, 137, 153 (Reiten im Walde) verneint die Kernbereichsbetroffenheit ohne Begründung. Dabei ging es um die allgemeine Handlungsfreiheit und nicht den Schutz vor Informationseingriffen. Auch: BVerfG, VBlBW 1985, S. 212 f. verwendet den Kernbereichsbegriff nicht, um den Grundrechtsschutz gegen Informationseingriffe zu begründen.

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6. Kap.: Folgerungen

2. Der verstärkte Schutz vor offener Informationserhebung Anstatt auf den Kernbereich privater Lebensgestaltung fortan zu verzichten, weil es den Grundrechtsschutz gegen Informationseingriffe weiterentwickelt hatte, verwendete das Bundesverfassungsgericht das Kernbereichskonzept auch im zweiten Tagebuchbeschluss. Dabei kommt dem Kernbereich nicht mehr die Funktion zu, den Schutz gegen die staatliche Informationserhebung zu begründen. Dazu zieht das Gericht das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung heran.76 Neben diesen beiden Grundrechten in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist der Kernbereich nur relevant, wenn er den Schutz vor staatlicher Informationserhebung erhöht. Neben dem relativen Grundrechtsschutz ist das nur der Fall, wenn der Kernbereich absolut geschützt ist. Ein absoluter Kernbereichsschutz ist jedoch, wie gezeigt, im Grundgesetz nicht möglich.77 Damit verliert der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung seine Relevanz. Zur Begründung des Grundrechtsschutzes ist er nicht mehr erforderlich; die ihm zugedachte Sicherung eines unantastbaren Bereichs kann er nicht leisten. Diese Erkenntnis wird im zweiten Tagebuchbeschluss verdeckt, weil sowohl das entscheidungstragende als auch das abweichende Votum die notwendige Abwägung zwischen Persönlichkeitsschutz und Strafverfolgungsinteresse anhand des Ausschlusskriteriums des Straftatenbezuges in die Kernbereichsdefinition verlagern.78 Ein absoluter Schutz scheint weiterhin möglich, weil das Gericht den „unantastbaren“ Kernbereich und die ihm entgegenstehenden Interessen nicht explizit anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes abwägt. Ein absolut geschützter Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist aber auch nicht erforderlich, um einen effektiven Grundrechtsschutz gegenüber der offenen Informationserhebung im persönlichen Bereich zu ermöglichen. Dazu stehen drei Alternativen zur Verfügung, die ein hohes Schutzniveau sicherstellen: (1) Zunächst kann der Schutz, den das allgemeine Persönlichkeitsrecht bietet, im Einzelfall durch die speziellen Freiheitsrechte verstärkt bzw. ersetzt werden. So hat das Gericht für die „beleidigungsfreie Sphäre“ sowohl zwischen Ehegatten als auch zwischen Kindern und Eltern anerkannt, dass der Schutz der ehelichen Privatsphäre durch Art. 6 GG erhöht wird.79 Knut Amelung weist zu Recht darauf hin, dass Tagebücher, in denen sich der Betroffene mit seinem eigenen Gewissen auseinandersetzt, auch von Art. 4 Abs. 1 GG ge-

76 77 78 79

BVerfGE 80, 367, 373. s. o. 5. Kapitel, B. s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. b) bb). BVerfGE 42, 234, 236 (Brief an Ehegatten); 57, 170, 178 (Brief an Eltern).

A. Funktionen des Kernbereichs und wirksame Alternativen

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schützt werden.80 Aus den speziellen Grundrechtsgarantien lassen sich präzisere Vorgaben für die notwendigen Abwägungsentscheidungen gewinnen. (2) Davon abgesehen gewährt schon das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz weitreichenden Schutz gegen offene Informationserhebung. Dies zeigt eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Berlin. Dieser erklärte die Beschlagnahme von Tagebüchern nicht wegen ihrer Kernbereichszugehörigkeit für unzulässig, sondern weil der Privatsphärenschutz das Strafverfolgungsinteresse überwiegt.81 Wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB) im Sommer 2007 beschlagnahmten die Ermittler tagebuchartige Aufzeichnungen des Beschuldigten aus den Jahren 1994 bis 2000 und 2005 bis 2008. Die nicht aus dem Jahre 2007 stammenden Aufzeichnungen begründeten den vorher nicht bestehenden Verdacht weiterer Straftaten, u. a. des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176a Abs. 2 und 3 StGB). Der Verfassungsgerichtshof hielt die Beschlagnahme der Aufzeichnungen aus den Jahren 1994 bis 2000, 2005, 2006 und 2008 für unzulässig, weil sie in keinem Zusammenhang mit der Verdachtstat stünden. Eine Beschlagnahme sei verfassungswidrig, wenn nur die Persönlichkeit des Beschuldigten erforscht werden soll. Dass sich aus den Aufzeichnungen Hinweise auf weitere Straftaten ergeben, sei unerheblich, zumindest soweit es nicht um schwerste Verbrechen geht, da der Staat Tagebücher nicht systematisch nach „Zufallsfunden“ durchsuchen darf.82 Hingegen sei die Beschlagnahme der Aufzeichnungen aus dem Sommer 2007 zulässig, weil sie einen Bezug zur Verdachtstat aufweisen. Diese Entscheidung verdeutlicht, wie sich anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Rechtsgüter des Privatsphärenschutzes und der effektiven Strafverfolgung in einen stimmigen Ausgleich bringen lassen. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts führt dazu, dass die Beschlagnahme den Verdacht einer bestimmten Straftat voraussetzt.83 Die Gesichtspunkte, die dafür sprechen, 80 K. Amelung, NJW 1990, S. 1753, 1758 f.; ders., NJW 1988, S. 1002, 1004 f. Vgl. auch: M. Albers, in: Grundlagen, II, 2008, § 22, Rn. 72. 81 Hierzu und zum Folgenden: Beschluss des VerfGH Berlin vom 21.04.2009, Az.: 170 A/08, Rn. 9 ff., zitiert nach juris. 82 Beschluss des VerfGH Berlin, 21.04.2009, Az.: 170 A/08, Rn. 14 f. unter Verweis auf: Beschluss des VerfGH Berlin vom 6. Juli 2005, Az.: VerfGH 32/05, im Internet unter www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de, Rn. 57 m.w. N. 83 O. Lepsius, in: FG Hirsch, 2006, S. 47, 71 f., hält die Notwendigkeit eines bestimmten Verdachtes für einen der wichtigsten Aspekte des Grundrechtsschutzes. Zum Grundrechtsschutz durch das System der Eingriffsschwellen, das das Bundesverfassungsgericht im Bereich der Gefahrenabwehr geschaffen hat: R. Poscher, Die Verwaltung 2008, S. 345 ff. Zu den Herausforderungen für den Gefahrbegriff im Polizeirecht bei einer Entwicklung hin zur Risikosteuerung: U. Volkmann, JZ 2006, S. 918 ff.

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6. Kap.: Folgerungen

dass ein Sachverhalt zum „unantastbaren“ Kernbereich der privaten Lebensgestaltung gehört, können im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ebenso gut berücksichtigt werden.84 Hingegen hätte das Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts nicht weitergeholfen. Wegen des intensiven Sozialbezuges der Aufzeichnungen durch den Straftatenbezug wären diese nicht Bestandteil des „unantastbaren“ Kernbereichs. Der Schutz durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lässt sich besser vorhersehbar machen, indem der Gesetzgeber Anlasstatenkataloge und Anforderungen an den Verdachtsgrad für die Beschlagnahme von persönlichen Dokumenten, wie Tagebücher oder private Briefe, aufstellt. Wird der Gesetzgeber nicht tätig, kann auch die Rechtsprechung, insbesondere das Bundesverfassungsgericht, weitere Typisierungen vornehmen, die den Fachgerichten als Richtlinien für die Einzelfallabwägung dienen können. Damit lassen sich solche Bedenken gegen die Abwägung zerstreuen, die sich auf den Verlust an Rechtssicherheit und eine zu starke Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verhältnis zum demokratisch legitimierten Gesetzgeber beziehen.85 (3) Schließlich ist bei offener Informationserhebung der Grundrechtsschutz durch Verfahren86 zu berücksichtigen, der sich aus den Grundrechten, wie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergibt, ohne dass es auf den unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ankäme. Konkretisierungen dieses Grundrechtsschutzes durch einfachgesetzliche Absicherungen, wie der ehemalige § 110 StPO, demzufolge der Ermittlungsrichter für die Durchsicht der beschlagnahmten Papiere zuständig war, stellen adäquate Mittel dar, wenn rechtspolitisch eine Effektivierung des Grundrechtsschutzes gewollt ist.87 Ein weiteres Beispiel ist das Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO, der die schriftliche Kommunikation mit Vertrauenspersonen (§§ 52, 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b StPO) schützt. Das ist eine einfachgesetzliche Umsetzung des Grundrechtsschutzes in Bezug auf die Vertrauensbeziehungen u. a. in der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG), zu Geistlichen (Art. 4 Abs. 1 GG) und zu Rechtsanwälten (Art. 19 Abs. 4 GG). Die Pflicht zur unverzüglichen Rückgabe von Aufzeichnungen ohne Straftatenbezug ergibt sich schon aus dem allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch, der aus den relativen Freiheitsrechten bzw. dem

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H.-U. Gallwas, Der Staat 18 (1979), S. 507, 517. Skeptisch sind: W. Leisner, in: FS Hubmann, 1985, S. 295, 299 f.; E.-W. Böckenförde, Grundrechtsdogmatik, 1990, S. 52 ff.; F. Ossenbühl, DVBl. 1995, S. 904, 908 ff.; B. Rusteberg, Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 64 ff. 86 BVerfGE 53, 30, 65 (Mühlheim-Kärlich) m.w. N.; 65, 76, 94 (Offensichtlichkeitsentscheidung). Zum hohen Wert des Grundrechtsschutzes durch Verfahren: C. Gusy, JuS 2004, S. 457, 461. 87 H. Dahs, in: Wahrheitsfindung, 1989, S. 122, 130; G. Küpper, JZ 1990, S. 416, 420; B. Laber, Tagebuchaufzeichnungen, S. 85 f.; F. L. Lorenz, GA 1992, S. 254, 277; R. Störmer, Jura 1991, S. 17, 21 f. 85

A. Funktionen des Kernbereichs und wirksame Alternativen

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Rechtsstaatsprinzip folgt.88 Zur Klarstellung könnte diese Pflicht aber in der StPO explizit normiert werden. Diese einfachgesetzlichen Absicherungen sind Ausdruck des Grundrechtsschutzes durch Verfahren. 3. Der verstärkte Schutz vor heimlicher Informationserhebung Eine weitere Funktion soll der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung in den Urteilen zum großen Lauschangriff, zum niedersächsischen SOG und zur Online-Durchsuchung erfüllen. In diesen Urteilen verwendete das Gericht den unantastbaren Kernbereich als Grenze der heimlichen staatlichen Informationserhebung. Aus dem Kernbereichsschutz folgert es zum einen Anforderungen an den erforderlichen Verdachts- bzw. Gefahrengrad und an die Wichtigkeit des Interesses, das der Staat mit der heimlichen Maßnahme verfolgt: „Verfassungsrechtlich hinzunehmen ist [das Risiko einer Kernbereichsverletzung] allenfalls bei einem besonders hohen Rang des gefährdeten Rechtsguts und einer durch konkrete Anhaltspunkte gekennzeichneten Lage, die auf einen unmittelbaren Bezug zur zukünftigen Begehung der Straftat schließen lässt.“89

Zum anderen seien strenge Verfahrensvorkehrungen notwendig.90 Wenn zu erwarten ist, dass eine heimliche Überwachung den Kernbereich verletzt, greife ein Erhebungsverbot ein. Außerdem sei die Überwachung abzubrechen, wenn kernbereichsrelevante Gespräche erfasst werden. Schließlich seien kernbereichsrelevante gespeicherte Gedankeninhalte unverzüglich zu löschen. Es sei untersagt, solche Gedankeninhalte weiterzugeben und zu verwerten. Um diese beiden Aspekte des Grundrechtsschutzes gegen heimliche Informationserhebung zu ermöglichen, bestehen vier Alternativen zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Diese Alternativen stellen einen effektiven Grundrechtsschutz gegen heimliche Informationserhebung sicher: (1) Das Bundesverfassungsgericht hat aus den Freiheitsrechten in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hohe Anforderungen an den erforderlichen Verdachtsgrad und das Interesse, das einen Eingriff in den Privatsphärenschutz rechtfertigt, entwickelt.91 Aus dem Kriterium der Angemessenheit 88 C. Gusy, StV 2005, S. 80; W.-R. Schenke, DVBl. 1996, 1393, 1396; J.-Y. Son, Eingriffe, 2006, S. 170 f. 89 BVerfGE 113, 348, 392 (Niedersächsisches SOG) (Hervorhebung, I. D.). 90 BVerfGE 109, 279, 318 ff., 328 ff. (Großer Lauschangriff); 113, 348, 392 (Niedersächsisches SOG); 120, 274, 336 (Online-Durchsuchung). 91 Hierzu und zum Folgenden: BVerfGE 109, 279, 343 ff. (Großer Lauschangriff); 113, 348, 382 ff. (Niedersächsisches SOG); 120, 274, 318 ff. (Online-Durchsuchung); BVerfG, Urteil vom 02.03.2010, Az.: 1 BvR 256/08 u. a. (Vorratsdatenspeicherung), zitiert nach juris. Vgl. auch: R. Erd, KJ 2008, S. 118, 133; C. Gusy, JuS 2004, S. 457, 460 f.; ders., in: Folgerungen 2005, S. 35, 39 ff.; ders., NdsVBl. 2006, S. 65, 69 f.; H. Meyer-Wieck, Lauschangriff, 2005, S. 333; M. Mittag, Grundrechtseingriffe, 2009,

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6. Kap.: Folgerungen

folgt, dass das mit der Überwachung angestrebte Ziel äußerst wichtig sein muss. Gespräche in der Wohnung darf der Staat nur zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten abhören, weshalb die Anlasstatenkataloge restriktiv zu formulieren sind.92 Die Anordnung ist außerdem nur dann angemessen, wenn eine über den bloßen Anfangsverdacht hinausgehend konkretisierte Verdachtslage besteht. Weil die heimliche Informationserhebung nur verhältnismäßig ist, wenn besonders wichtige Interessen verfolgt werden und konkrete Verdachts- und Gefahrenlagen bestehen, ist der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht erforderlich, um diesen Schutz sicherzustellen. Der Schutz durch die Freiheitsrechte in Kombination mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist sogar effektiver als der Schutz durch das Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts. Heimliche Überwachungen sind nur zur Verfolgung schwerer Straftaten und zur Abwehr von Gefahren für besonders wichtige Rechtsgüter verhältnismäßig. Demgegenüber ist das Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts nicht geeignet, hohe Anforderungen an das rechtfertigende Interesse der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr zu stellen. Der Kernbereichsschutz ist diesem Konzept entsprechend bei einem unmittelbaren Bezug zu jeder Straftat ausgeschlossen. Einen Bezug zu besonders schweren Straftaten oder zu Gefahren für besonders wichtige Rechtsgüter kann das Bundesverfassungsgericht mit dem Kernbereichskonzept nicht fordern. (2) Strenge Verfahrensvorkehrungen ergeben sich aus dem Grundrechtsschutz durch Verfahren.93 Diese Schutzwirkung ist Bestandteil jedes Freiheitsrechts, also auch des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.94 Die Ermittler dürfen für das jeweilige Verfahren irrelevante Informationen nicht erheben. Dieser Grundsatz ist nicht auf den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung beschränkt, sondern bezieht sich auf alle personenbezogenen Daten, die für das Verfahren keine Bedeutung S. 167 f.; M. Möstl, DVBl. 2007, S. 581, 587 f.; C. Pohlmann, NWVBl. 2008, S. 132 ff.; R. Poscher, Die Verwaltung 2008, S. 345, 356 ff.; K. Rogall, in: FS Fezer, 2008, S. 61, 79; U. Volkmann, NVwZ 2009, S. 216, 219 f. 92 H. Meyer-Wieck, Lauschangriff, 2005, S. 318 ff., 329 ff. zeigt, dass die Wohnraumüberwachung gegenüber konspirativ vorgehenden Banden im Bereich der Rauschgiftkriminalität relativ erfolgreich ist, während sie bei Mord und Totschlagsdelikten im personalen Nahbereich ineffizient ist. Rechtspolitisch sollte die Zulässigkeit nicht nur von der abstrakten Schwere eines Delikts, sondern auch von einem konspirativen Täterkreis abhängen (H. Meyer-Wieck, NJW 2005, S. 2037, 2038). 93 s. o. 6. Kapitel, Fn. 86. Vgl. auch M. Mittag, Grundrechtseingriffe, 2009, S. 167 f.; K. Rogall, in: FS Fezer, 2008, S. 61, 79; U. Volkmann, JZ 2006, S. 918, 920. Skeptisch zur Wirksamkeit der Verfahrensanforderungen im Polizeirecht: U. Volkmann, NVwZ 2009, S. 216, 221. Allgemein für eine Prozeduralisierung des Persönlichkeitsschutzes: K.-H. Ladeur, in: Götting, 2008, § 8, Rn. 76 ff. Zum Verfahrensschutz auf europäischer Ebene: R. Uerpmann-Wittzack, in: Ehlers, 2009, § 3, Rn. 28 f. 94 R. Scholz/R. Pitschas, Selbstbestimmung, 1984, S. 80 f.

A. Funktionen des Kernbereichs und wirksame Alternativen

237

haben. Ausdruck des Grundrechtsschutzes durch Verfahrensgestaltung ist § 160 Abs. 2, 3 StPO, der strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen auf Sachverhalte mit Straftatenbezug begrenzt. Die Eingriffsermächtigungen umfassen nur die Ermittlung von Lebenssachverhalten, die nötig sind, um den jeweiligen Tatverdacht aufzuklären.95 Weder besteht an Informationen ohne Straftatenbezug im Strafverfahren ein Interesse, noch dürfen sie erhoben werden.96 Die Erhebung und Verwertung von Informationen ohne Straftatenbezug ist im Rahmen der Strafverfolgung unabhängig vom Kernbereich der privaten Lebensgestaltung unzulässig. Aus dem Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung ergeben sich auch Beweisverwertungsverbote. Zum Schutz der Kommunikation mit Vertrauenspersonen lassen sich Verwertungsverbote aus den Zeugnisverweigerungsrechten (§§ 52, 53 StPO) und den jeweils einschlägigen Grundrechten, wie Art. 6 Abs. 1 GG im Fall der Familie oder Art. 4 Abs. 1 GG bei Gesprächen mit Geistlichen, ableiten. Die Ermittler können die Zeugnisverweigerungsrechte durch eine heimliche Überwachung umgehen, so dass ein Umgehungsverbot im Sinne des § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO für die heimliche Informationserhebung naheliegt.97 Die Vorschriften der §§ 100c Abs. 6 und 160a StPO, die Ermittlungsmaßnahmen gegen Zeugnisverweigerungsberechtigte beschränken, sind besser aus dem Gedanken des Umgehungsverbotes als aus der Idee des Kernbereichsschutzes erklärbar. Darüber hinaus ist bei heimlichen Informationseingriffen, die die Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen erheblich beeinträchtigen, ein Richtervorbehalt notwendig.98 Zusätzlich erfordert der Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung Vorkehrungen bei der Überwachung, die es verhindern, dass Gespräche ohne Bezug zum Überwachungszweck erhoben und gespeichert werden. Schließlich folgt aus dem allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch die Pflicht zur unverzüglichen Löschung nicht verfahrensrelevanter Daten.99 Aus dem Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts folgt, dass selbst bei Gesprächen zwischen Vertrauenspersonen in der Privatwohnung dann kein Erhebungsverbot eingreift, wenn ein Bezug zu Straftaten oder zu abzuwehrenden Gefahren erwartet wird. Ebenso wenig besteht ein Abbruchgebot, wenn die Ermittler Unterhaltungen mit Straftaten- oder Gefahrenbezug 95

BVerfGE 113, 29, 52 (Anwaltsdaten). K. Rogall, in: FS Fezer, 2008, S. 61, 72 f. 97 B. Weißer, GA 2006, S. 148, 155. 98 C. Gusy, DuD 2009, S. 33, 40. Zur Realität der Richtervorbehalte bei der Telekommunikationsüberwachung: O. Backes/C. Gusy, Telekommunikationsüberwachung, 2003; H.-J. Albrecht/C. Dorsch/C. Krüpe, Rechtswirklichkeit, 2003. Dazu, wie sich der Grundrechtsschutz durch Richtervorbehalte effektivieren lässt: C. Gusy, ZRP 2003, S. 275, 276 ff. 99 s. o. 6. Kapitel, Fn. 88. 96

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6. Kap.: Folgerungen

überwachen. Solche Gespräche müssen auch nicht gelöscht werden. Geschützt ist also lediglich die Kommunikation ohne Straftaten- oder Gefahrenbezug. Diese ist jedoch schon durch die Freiheitsrechte geschützt, weil sie für den Ermittlungszweck irrelevant ist. Das Problem der „Mischgespräche“, die sich nur teilweise auf Straftaten beziehen, stellt sich beim Schutz sowohl durch den Kernbereich als auch durch die Freiheitsrechte. Ob insoweit ein „Live-Abhören“100 oder ein automatisches Richterband101 der weniger intensive Eingriff ist, kann an dieser Stelle dahinstehen. Entscheidend ist, dass sich die Anforderungen an die Verfahrensgestaltung in der gleichen Effektivität aus den relativ geschützten Freiheitsrechten ergeben. Das grundgesetzkonforme Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts ermöglicht keinen weitergehenden Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung gegen die heimliche Informationserhebung als die Freiheitsrechte. (3) Des Weiteren ist der Grundsatz des fairen Verfahrens aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG102 sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK103 eine Alternative zum Kernbereichsschutz, wie eine Entscheidung des BGH verdeutlicht. Das heimlich aufgezeichnete Gespräch zwischen einem Untersuchungshäftling und seiner Ehefrau in einem separaten Besuchsraum ohne erkennbare Überwachung zähle wegen seines unmittelbaren Straftatenbezuges nicht zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung.104 Allerdings verstoße die Verwertung des Gesprächs gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Dieser sei verletzt, wenn rechtsstaatlich zwingende Forderungen nicht gezogen werden oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wird.105 Die Ermittlungsbehörden hatten dem Angeklagten gezielt den Eindruck vermittelt, dass er eine Sonderbehandlung erhält und sich ohne Überwachung mit seiner Ehefrau in der gemeinsamen marokkanischen Muttersprache unterhalten darf. Dazu wurde den Eheleuten nicht der gewöhnlich verwendete Besuchsraum, sondern ein separater Raum zugewiesen. Außerdem fanden die Besuche – abweichend von der üblichen Praxis – stets ohne offene Überwachung durch einen Vollzugsbeamten und Dolmetscher statt. 100 In diese Richtung: BVerfGE 109, 279, 331 (Großer Lauschangriff), denn ein Abbruchgebot ist nur bei einem „Live-Abhören“ sinnvoll. 101 Dafür: VGH Rheinland Pfalz, NVwZ-RR 2007, S. 721, 726; L. Brocker/M. Zartmann, DRiZ 2005, S. 108, 109; M. Löffelmann, ZStW 118 (2006), S. 358, 386; W. Rudolf, in: FS Delbrück, 2005, S. 607, 613. 102 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18.03.2009, Az.: 2 BvR 2025/07, Rn. 13 f., zitiert nach juris. 103 Vgl. dazu: K. Gaede, Fairness, 2007; P. Hauck, NStZ 2010, S. 17, 20 ff. 104 BGH, NJW 2009, S. 2463, 2465, Rn. 29 f. Zu diesem Urteil auch oben: 2. Kapitel, Fn. 99. 105 BGH, NJW 2009, S. 2463, 2465 f., Rn. 35.

A. Funktionen des Kernbereichs und wirksame Alternativen

239

Dies überschreite die zulässige kriminalistische List und sei eine mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbare, bewusste Irreführung des Angeklagten.106 Weil sich der Grundsatz des fairen Verfahrens gerade auf Sachverhalte mit Straftatenbezug erstreckt, schützt er den Beschuldigten und Angeklagten auch in Situationen, in denen das Kernbereichskonzept des Bundesverfassungsgerichts nicht eingreift. Das Recht auf ein faires Verfahren, das auf einer umfassenden Gesamtabwägung beruht, ist am besten durch präzise Regelungen in der StPO umzusetzen. (4) Schließlich setzt das Rechtsstaatsprinzip der verstärkten Anwendung von heimlichen Überwachungsmaßnahmen Grenzen. Um der objektiven Dimension des Freiheitsverlustes im „Präventionsstaat“ zu begegnen, sind laut Oliver Lepsius die subjektiven Grundrechte nicht besonders geeignet.107 Es bestehe die Gefahr, dass die Kontrollfunktion und der Minderheitenschutz der Grundrechte geschwächt werden. Sinnvoller sei es, die Freiheitseinbußen durch Heimlichkeit, Streubreite und Summierung der Überwachung auf objektiv-rechtlicher Ebene durch das Rechtsstaatsprinzip zu begrenzen. Der heimlich handelnde Staat müsse die Ausnahme bleiben, mit engen zeitlichen und räumlichen Grenzen. Außerdem seien die Anforderungen an den Tatsachennachweis für die Zulässigkeit der Überwachung streng zu handhaben. Die Freiheitsrechte in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Grundrechtsschutz durch Verfahren übernehmen die dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zugedachte Funktion, der heimlichen Informationserhebung grundrechtliche Grenzen zu setzen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens und auf objektiv-rechtlicher Ebene das Rechtsstaatsprinzip tragen zum Schutz des Einzelnen bei. Daneben ist der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht erforderlich, um einen effektiven Grundrechtsschutz gegen heimliche Informationserhebung sicherzustellen. 4. Die Überprüfung von Verfassungsänderungen Im Urteil zum großen Lauschangriff prüfte das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 79 Abs. 3 GG anhand des aus der Menschenwürde folgenden Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung, ob die Verfassungsänderung zur Einführung der repressiven akustischen Wohnraumüberwachung inhaltlich verfassungs-

106 BGH, NJW 2009, S. 2463, 2467, Rn. 50 f. Kritisch allerdings P. Hauck, NStZ 2010, S. 17, 19 ff., der meint, dass der BGH einen höheren Fairnessmaßstab anlegt als der EGMR und dies nicht ausreichend reflektiert. 107 Hierzu und zum Folgenden: O. Lepsius, in: Online-Durchsuchungen, 2008, S. 21, 54 f. U. Volkmann, NVwZ 2009, S. 216, 222, sieht die Entwicklung des Polizeirechts zum „Steuerungsrecht“ als „permanentes Rechtsstaatsproblem“.

240

6. Kap.: Folgerungen

konform war.108 Die Freiheitsrechte, wie Art. 2 Abs. 1 oder Art. 13 GG, konnte das Gericht nicht heranziehen, da diese den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht binden. In dieser Funktion ist der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht erforderlich. Das Bundesverfassungsgericht hätte nach Art. 79 Abs. 3 GG untersuchen können, ob die Menschenwürde bzw. der Menschenwürdegehalt einzelner Grundrechte verletzt ist, ohne auf den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung einzugehen. Dies zeigt der Vergleich mit dem ersten Abhörurteil des Bundesverfassungsgerichts. In diesem ging weder das entscheidungstragende noch das abweichende Votum auf einen unantastbaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Grenze der heimlichen Telefonüberwachung ein.109 Trotzdem war es dem Gericht möglich, die Verfassungsmäßigkeit der Verfassungsänderung zu überprüfen. Ausschlaggebend ist aber, dass die Untersuchung gezeigt hat, dass sich der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht überzeugend mit der Menschenwürde begründen lässt.110 Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung kann ohne Rückbindung an die Menschenwürde nicht als Maßstab dienen, um Verfassungsänderungen anhand von Art. 79 Abs. 3 GG zu kontrollieren.

III. Zusammenfassung Die Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeigt, dass sich das Niveau des Grundrechtsschutzes nicht dadurch verringert, dass der Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung grundgesetzwidrig ist. Das Bundesverfassungsgericht entwickelte den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ursprünglich, um die Bindung des Gesetzgebers an Grundrechte mit einfachem Gesetzesvorbehalt zu ermöglichen. Diesen Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit hat das Gericht dadurch ersetzt, dass es auch Gesetze auf ihre Verhältnismäßigkeit prüft. In der zweiten Fallgruppe verwendete das Gericht den Kernbereich, um den Grundrechtsschutz gegen Informationserhebung zu begründen. In dieser Funktion ist der Kernbereich nicht mehr erforderlich, weil das Gericht den Grundrechtsschutz in zwei Richtungen weiterentwickelt hat. Erstens dehnte das Gericht 108 BVerfGE 109, 279, 313 f. Zur unterschiedlichen Auslegung des Art. 79 Abs. 3 GG in beiden Voten: C. Gusy, JuS 2004, S. 457, 459; M. Sachs, JuS 2004, S. 522 ff.; C. Spielmann, Konkurrenz, 2008, S. 154 ff. Zur Diskussion über materielle Grenzen der Verfassungsänderung in der Weimarer Republik: C. Gusy, ZNR 18 (1996), S. 44, 53 ff. 109 BVerfGE 30, 1, 26 ff. (Mehrheitsvotum); 30, 1, 39 ff. (abweichendes Votum). Zu möglichen Gründen dafür: M. Kötter, Pfade, 2008, S. 81 f. 110 s. o. 4. Kapitel, C.

B. Absoluter Schutz gegen staatliches Handeln nur modal möglich

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den Eingriffsbegriff auf tatsächliche Beeinträchtigungen aus. Zweitens konkretisierte es den Schutz der Persönlichkeitsentfaltung durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist auch nicht notwendig, um einen effektiven Grundrechtsschutz gegen offene oder heimliche Informationserhebungen sicherzustellen. Als wirksame Alternativen bestehen die Freiheitsgrundrechte in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der Grundrechtsschutz durch Verfahren, der Grundsatz des fairen Verfahrens und gegenüber heimlichem Vorgehen zusätzlich das Rechtsstaatsprinzip. Schließlich ist der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zur Überprüfung von Verfassungsänderungen anhand von Art. 79 Abs. 3 GG weder geeignet noch neben der Menschenwürdegarantie erforderlich.

B. Absoluter Schutz gegen staatliches Handeln nur modal möglich Weil der unantastbare Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als Rechtsbegriff verfassungswidrig ist, lässt sich ein absoluter Schutz gegen staatliche Maßnahmen nicht mit dem Kernbereichskonzept begründen. Die Verfassungswidrigkeit des unantastbaren Kernbereichs beruht aber nicht darauf, dass absolute Verbote staatlichen Handelns generell verfassungswidrig sind. Vielmehr ist es gerade der Kernbereichsansatz, der ungeeignet ist, absoluten Schutz zu ermöglichen. Dieses Konzept gewährt dem Einzelnen einen Freiheitsbereich, den er nach seinem freien Belieben nutzen kann. Dies führt zwangsläufig zu regelungsbedürftigen Konflikten zwischen den Menschen und damit zur Verfassungswidrigkeit des staats- und gesetzesfreien Freiraums.111 Der absolute Schutz kann also nicht an die individuelle Freiheit und damit an eine freiheitsrechtliche Mindestposition anknüpfen. Absoluter Schutz ist nur gegenüber bestimmten staatlichen Maßnahmen möglich. So verbieten die Art. 102, 104 Abs. 1 S. 2 GG die Todesstrafe und die Misshandlung von Gefangenen absolut, also bestimmte Modalitäten staatlichen Handelns. Dies ist auch der richtige Ansatz der negativen Menschenwürdedefinition vom Verletzungsvorgang her.112 In diesem Sinne folgt laut Christoph Enders aus Art. 1 Abs. 1 GG das Verbot eines dauerhaft heimlichen Informationseingriffs ohne Benachrichtigung.113 Der Betroffene würde de facto rechtlos gestellt, wenn er sich nicht zumindest im Nachhinein gegen die Maßnahme zur Wehr setzen kann, was eine Benachrichtigung voraussetzt. 111 112 113

s. o. 5. Kapitel, B. I. s. o. 4. Kapitel, C. I. C. Enders, in: Stern/Becker, 2010, Art. 1, Rn. 69.

242

6. Kap.: Folgerungen

Wenn rechtspolitisch absoluter Schutz gegen bestimmte staatliche Maßnahmen erwünscht ist, muss also ein modaler Ansatz gewählt werden. So ist es verfassungsrechtlich möglich, den repressiven großen Lauschangriff absolut zu verbieten. Dieser Schutz lässt sich aber nicht mit dem Konzept des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung begründen.

C. Relativer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung? Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts trotz der verbalen Bekräftigung der Unantastbarkeit zu einem relativen Kernbereichsschutz führt. Zudem wurde deutlich, dass der Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung grundgesetzwidrig ist. Darüber hinaus überzeugt es nicht, an der Idee eines unantastbaren Kernbereichs festzuhalten. Um zu einem verfassungskonformen und in sich schlüssigen Rechtsbegriff des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung zu gelangen, bleibt lediglich die Möglichkeit, den Kernbereich offen als relativ geschützt zu behandeln. Der Rechtsbegriff des relativen Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung könnte die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Privatsphärenschutzes strukturieren, indem er als kategorisierender Sammelbegriff für besonders schutzwürdige Bereiche der privaten Lebensgestaltung verwendet wird.114 In den Kernbereich dürfte ausschließlich zum Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter eingegriffen werden. In dieser Funktion ähnelt der relative Kernbereich der privaten Lebensgestaltung der Stufentheorie im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG, mit der das Bundesverfassungsgericht die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Berufsfreiheit strukturiert.115 Das relative Kernbereichskonzept kann nur sinnvoll verwendet werden, wenn bei seiner Begründung und Definition zwei Aspekte berücksichtigt werden (I.). Unabhängig davon dürfte dem relativen Kernbereich allerdings keine Relevanz zukommen (II.).

I. Anforderungen an ein relatives Kernbereichskonzept Wird der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung auf diese Weise als relativ geschützt verstanden, dann ist zwei grundlegenden Anforderungen Rechnung zu tragen. Erstens darf ein relativ geschützter Kernbereich nicht mit der Menschen114

In diese Richtung: C. Gusy, DuD 2009, S. 33, 41. Grundlegend: BVerfGE 7, 377, 405 ff. (Apotheken). Vgl. auch: U. Battis/C. Gusy, Staatsrecht, 1999, Rn. 508 ff.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, (2006), Art. 12, Rn. 335 ff.; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, 2009, Rn. 916 ff. Kritisch: D. Merten, HdbGRe, III, 2009, § 68, Rn. 79. 115

C. Relativer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung?

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würde begründet werden, weil sonst der Menschenwürdeschutz relativiert wird.116 Als Grundlage eines relativen Kernbereichs lassen sich die speziellen Grundrechte, wie Art. 2 Abs. 1, Art. 10 oder 13 GG, in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz heranziehen. Darüber hinaus kann auch die Wesensgehaltsgarantie herangezogen werden, wenn sie subjektiv-relativ verstanden wird.117 Zweitens ist auf anderem Wege als bisher herauszuarbeiten, welche Bereiche der privaten Existenz besonders schutzwürdig sind.118 Das Bundesverfassungsgericht und die ihm folgenden Autoren und Gerichte stellen auf die Höchstpersönlichkeit von Sachverhalten und die Intensität des Sozialbezuges ab.119 Die Höchstpersönlichkeit besagt aber lediglich, dass ein Sachverhalt nur den Betroffenen und nicht die Allgemeinheit etwas angeht. Warum der Sachverhalt nur den Grundrechtsträger betrifft, wird dadurch nicht geklärt. Die Kernbereichsrechtsprechung privilegiert höchstpersönliches Verhalten nicht deshalb, weil es schützenswerter als anderes Verhalten ist, sondern weil ihm weniger Interessen entgegenstehen, die eine rechtliche Regelung und staatliche Eingriffe erfordern. Dieser verringerte Regelungsbedarf wird in der klassischen abwehrrechtlichen Dogmatik120 aber auf der Ebene der Rechtfertigung von Eingriffen berücksichtigt, nachdem geklärt ist, welches Verhalten aus welchem Grund grundrechtlich geschützt ist. Auch das Ausschlusskriterium des Straftatenbezuges orientiert sich an den Interessen, die dem Kernbereichsschutz entgegenstehen. Beide Kriterien besagen nichts über die intrinsische Schutzwürdigkeit einzelner Bereiche der persönlichen Lebensgestaltung, sondern koppeln die Schutzwürdigkeit an die Frage der Eingriffsnotwendigkeit. Folglich steht nicht fest, welches Interesse am Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung besteht und damit gegen einen staatlichen Eingriff besonders geschützt werden soll. Der Rechtsanwender kann die widerstreitenden Interessen nicht abwägen, weil das zu schützende Interesse unklar bleibt. Das Kriterium des Straftatenbezuges ist auch deshalb ungeeignet, weil es dazu führt, dass der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung im Bereich der Strafverfolgung irrelevant ist.121 Geschützt sind lediglich solche Sachverhalte, die wegen des fehlenden Straftatenbezuges auch keine Bedeutung für die Strafverfol116

s. o. 5. Kapitel, E. Dafür: C. Gusy, DuD 2009, S. 33, 41. 118 In diese Richtung auch: H.-D. Horn, in: HStR, VII, 2009, Rn. 73; ders., in: Stern/ Becker, 2010, Art. 2, Rn. 104. 119 s. o. 1. Kapitel, B. II. 1. b). 120 Dazu: G. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, 1988, passim; R. Poscher, Grundrechte, 2003, passim. 121 K. Rogall, in: FS Fezer, 2008, S. 61, 77 ff.; vgl. auch: C. Enders, in: Friauf/Höfling, 2009, Art. 1, Rn. 88. 117

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6. Kap.: Folgerungen

gung haben. Dies zeigt sich daran, dass die dem Bundesverfassungsgericht folgende Rechtsprechung der Fachgerichte keine einzige Entscheidung auf die Verletzung des Kernbereichs gestützt hat.122 Für den Bereich der Gefahrenabwehr gilt wegen des Ausschlusskriteriums des Bezuges zu geplanten Straftaten dasselbe.123 Dies verdeutlicht die Kernbereichsdefinition von Manfred Baldus: „Es muss dem Einzelnen möglich sein, durch sein Verhalten den Staat auf Distanz zu halten, indem er es unterlässt, eine Gefahr zu verursachen oder einen Tatverdacht hervorzurufen.“124

Wenn der Einzelne aber keine Gefahr verursacht und keinen Tatverdacht hervorruft, dann ist schon nach den bestehenden Regeln des Strafprozess- und Polizeirechts eine Ermittlung gegen ihn unzulässig.125 Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung umschreibt in diesem Fall lediglich die allgemein bestehenden Grenzen der Ermittlung. Er wird als Symbol verwendet, ohne den Einzelnen gegenüber Maßnahmen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Einzelfall zu schützen. Wegen des Ausschlusskriteriums des Straftatenbezuges kann der Kernbereich schließlich den (Straf-)Gesetzgeber nicht binden. Der ursprüngliche Grund dafür, die entgegenstehenden Interessen schon bei der Definition des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung zu prüfen, lag darin, dass das Bundesverfassungsgericht von einem „unantastbaren“ Kernbereich ausging. Um den Kernbereich grundgesetzkonform bestimmen zu können, musste das Gericht die entgegenstehenden Interessen bei der Definition berücksichtigen. Dieser Grund entfällt, wenn der Kernbereich relativ verstanden wird, weil dann Eingriffe gerechtfertigt werden können. Es besteht keine Notwendigkeit mehr, von der erprobten Dogmatik des Abwehrrechts abzuweichen. Einzelnen Bereichen der persönlichen Lebensgestaltung eine besondere Schutzwürdigkeit zuzusprechen, erscheint nur dann sinnvoll, wenn diese aus sich heraus, ohne Berücksichtigung der entgegenstehenden Interessen bestimmt werden. In Betracht kommt eine Definition besonders geschützter Bereiche anhand der Theorien, die zu den Schutzgütern der Privatsphäre bestehen.126 122

s. o. 2. Kapitel, B. BVerfGE 113, 348, 391 (Niedersächsisches SOG). 124 M. Baldus, NVwZ 2003, S. 1289, 1295. 125 Zum Erfordernis des strafprozessualen Tatverdachts allgemein: § 160 Abs. 3 StPO und für besondere Ermittlungsmaßnahmen beispielsweise: § 100a Abs. 1 und 2 StPO und § 100c Abs. 1 und 2 StPO. Zum Erfordernis der Gefahr bzw. des Gefahrenverdachts im Polizeirecht: O. Lepsius, in: FG Hirsch, 2006, S. 47, 71 f. Vgl. auch: R. Poscher, Die Verwaltung 2008, S. 345 ff. 126 In Betracht kommen: 1. Rollentheorie (vgl. dazu: P. J. Müller, Privatsphäre, 1974, S. 63 ff.; O. Mallmann, Zielfunktionen, 1977, S. 36 ff.), 2. Kommunikationstheorie (G. Rüpke, Privatheit, 1976, passim; C. Gusy, DVR 1984, S. 289, 290 ff.; C. Gusy/ K. Ziegler, JRP 1996, S. 193, 199 f.) und 3. Theorie der autonomen Selbstdarstellung (N. Luhmann, Grundrechte, 1965, S. 53 ff.). 123

C. Relativer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung?

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II. Relativer Kernbereich ist nicht relevant Selbst wenn diesen beiden Anforderungen an den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung entsprochen wird, ist aus zwei Gründen zweifelhaft, dass ein relativ geschützter Kernbereich Relevanz erlangt. Zum einen entfällt einer der Hauptgründe für die Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dadurch, dass der Zusammenhang von Menschenwürde und Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht aufrecht erhalten werden kann. Seit dem Urteil zum großen Lauschangriff stützt das Gericht den Kernbereich neben den Privatsphärengrundrechten nicht mehr auf die Wesensgehaltsgarantie, sondern nur noch auf Art. 1 Abs. 1 GG.127 Der Kernbereich dient dem Gericht dazu, die Menschenwürdegarantie zu konkretisieren. Ein relativ geschützter Kernbereich ist für diese Aufgabe nicht geeignet. Zum anderen lässt sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Privatsphärenschutzes auf andere Weise effektiver strukturieren. Zum Kernbereich als schutzgutorientiertem Konzept gehören die Bereiche privater Lebensgestaltung, die besonders schutzwürdig sind. Der Kernbereich ist außerdem ein generelles Konzept, das gegen jeden staatlichen Eingriff, unabhängig von Modalität und Zielsetzung, schützen soll.128 Eine Alternative zum Kernbereichsbegriff ist die Fallgruppenbildung in Bezug auf jeweils unterschiedliche staatliche Maßnahmen. Die ausformulierten Anlasstatenkataloge der § 100a StPO für die Überwachung der Telekommunikation und des § 100c StPO für die akustische Wohnraumüberwachung zeigen, wie solche maßnahmespezifischen Fallgruppen aussehen können. Der Gesetzgeber hat in beiden Fällen den Begriff der „besonders schweren Straftaten“ im Sinne des Art. 13 Abs. 3 GG konkretisiert. Dazu hat er auf abstrakt-genereller Ebene zwischen dem Interesse an der Strafverfolgung und an dem Schutz der Privatsphäre abgewogen und die Ergebnisse in den Straftatenkatalogen normiert. Nur bei den in den Vorschriften aufgezählten Straftaten überwiegt das Strafverfolgungsinteresse, das Interesse am Schutz der Wohnung gegen heimliche Überwachung. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum großen Lauschangriff gezeigt, wie es diese Abwägung des Gesetzgebers überprüft. Es hat den Straftatenkatalog des § 100c Abs. 2 StPO korrigiert, weil dieser nicht auf „besonders schwere Straftaten“ beschränkt war.129 Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist als ein rein schutzgutorientiertes Konzept im Vergleich dazu weniger gut geeignet, Fallgruppen des PrivatZu diesen Theorien: D. Rohlf, Privatsphäre, 1980, S. 22 ff.; W. Schmitt Glaeser, in: HStR VI., 2001, § 129, Rn. 14. 127 s. o. 1. Kapitel, A. II. 3. 128 s. o. 1. Kapitel, A. III. 129 BVerfGE 109, 279, 343 ff. (Großer Lauschangriff).

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6. Kap.: Folgerungen

sphärenschutzes zu ermitteln. Nur durch maßnahmespezifische Fallgruppen lassen sich die Besonderheiten des staatlichen Vorgehens, vor allem die unterschiedliche Eingriffsintensität, berücksichtigen. Zwar lassen sich maßnahmespezifische Fallgruppen zum Kernbereich der privaten Lebensgestaltung terminologisch zusammenfassen. Dies bringt aber keinen Erkenntniszugewinn, weil sich diese Fallgruppen an den Charakteristiken der jeweiligen Maßnahme und nicht wie das Kernbereichskonzept an der erhöhten Schutzwürdigkeit bestimmter Bereiche der privaten Lebensgestaltung orientieren. Ein relativ verstandener Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, der nicht mit Art. 1 Abs. 1 GG begründet wird, ist grundgesetzkonform. Er ist aber nur dann sinnvoll, wenn bestimmte Bereiche der privaten Lebensgestaltung ohne Berücksichtigung der entgegenstehenden Interessen als besonders schutzwürdig ermittelt werden könnten. Insgesamt erscheint allerdings eine maßnahmenspezifische Fallgruppenbildung besser geeignet zu sein, um den effektiven Grundrechtsschutz der Privatsphäre sicherzustellen.

D. Ergebnis Wie bereits erörtert, kann der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung auf zwei verschiedenen begrifflichen Ebenen, nämlich einerseits als Rechtsbegriff und andererseits als Deskription verwendet werden. Als Rechtsbegriff stellt der Kernbereich Anforderungen an das staatliche Handeln. Dabei ist zwischen dem absoluten und dem relativen Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zu unterscheiden. Während der unantastbare Kernbereich als Rechtsbegriff nicht verfassungskonform ist, ist ein relativer Kernbereich zwar verfassungskonform begründbar, wenn er nicht auf Art. 1 Abs. 1 GG gestützt wird. Jedoch kommt dem relativen Kernbereich neben maßnahmespezifischen Fallgruppen des Privatsphärenschutzes keine eigenständige Bedeutung zu. Dass der Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs verfassungswidrig ist, verringert allerdings nicht das Niveau des Grundrechtsschutzes. In den Funktionen, in denen das Bundesverfassungsgericht den Rechtsbegriff des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung verwendet, ist dieser nicht (mehr) erforderlich. Die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers verwirklicht das Gericht anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes anstelle des Kernbereichs der Verhaltensfreiheit. Den Grundrechtsschutz gegen Informationserhebung ermöglicht es durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das informationelle Selbstbestimmungsrecht und einen erweiterten Eingriffsbegriff. Dafür benötigt das Gericht den Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebung ebenso wenig wie für einen effektiven Grundrechtsschutz gegen offene oder heimliche Informationserhebungen. Diesen stellen die relativen Freiheitsgrundrechte, der Verhältnismäßigkeits-

D. Ergebnis

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grundsatz, der Grundrechtsschutz durch Verfahren, der Grundsatz des fairen Verfahrens und gegenüber heimlichem Vorgehen das Rechtsstaatsprinzip sicher. Verfassungsänderungen lassen sich inhaltlich anhand der Menschenwürdegarantie in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG kontrollieren. Den Konflikt zwischen den Freiheitsrechten und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht löst das Gericht durch eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen, ohne dass es des Kernbereichs als Freiheitsgrenze bedürfte. Auch führt die Verfassungswidrigkeit des unantastbaren Kernbereichs nicht dazu, dass absoluter Schutz gegen bestimmtes staatliches Handeln im Rahmen des Grundgesetzes unmöglich ist. Der absolute Schutz ist aber nur modal ausgerichtet als Verbot einzelner Maßnahmen verfassungskonform. Wenn der Begriff des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung deskriptiv verwendet wird, bezeichnet er den Freiraum, der dem Bürger nach Abzug aller legitimen staatlichen Eingriffe bleibt.130 Als Deskription ist der Kernbereich nur sinnvoll, wenn er einen unantastbaren Bereich bezeichnet. Das, was von der privaten Lebensgestaltung als Freiheit übrigbleibt, nachdem die entgegenstehenden legitimen Interessen umfassend berücksichtigt wurden, ist nicht weiter antastbar. Übersicht 4 Begriffsebenen und Differenzierung des Schutzniveaus Kernbereich als Rechtsbegriff

Kernbereich als Deskription

Absolut geschützt

verfassungswidrig

sinnvoll

Relativ geschützt

verfassungskonform, aber keine Relevanz

nicht sinnvoll

130

s. o. 5. Kapitel, C.

Schluss Der Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung soll dem Einzelnen einen unantastbaren individuellen Freiheitsraum sichern. Dieses Konzept steht im Rahmen des Grundgesetzes vor einem grundlegenden Problem. Einerseits ist es Aufgabe des demokratischen Rechtsstaates, das friedliche Zusammenleben der Menschen zu ermöglichen und den Einzelnen vor Angriffen und Verletzungen durch andere zu bewahren. Der Rechtsstaat muss also sozialschädliches Verhalten verbieten und versuchen, dieses zu verhindern. Andererseits bedeutet individuelle Freiheit, dass sich der Einzelne dazu entschließen kann, beliebig, also auch sozialschädlich, zu handeln. Dieses Problem lässt sich überzeugend nur lösen, indem Gesetzgeber und Gesetzesanwender zwischen sozialschädlichem und sozialverträglichem Verhalten differenzieren. Diese Differenzierung bedeutet aber zwingend, dass schädliche Verhaltensalternativen verboten und damit die individuelle Freiheit beschränkt wird. Unantastbarkeit und Differenzierung lassen sich zwar auf den ersten Blick anhand von innentheoretischen bzw. präformierten Freiheitsbegriffen vereinbaren, weil diese ethisch und moralisch aufgeladen und schon begrifflich auf sozialverträgliches Verhalten begrenzt sind. Ein so verstandener Freiheitsbegriff muss nicht weiter beschränkt werden. Das innentheoretische Vorgehen begrenzt die individuelle Beliebigkeit aber ebenso, wie eine offene Berücksichtigung der entgegenstehenden Interessen. Die Beschränkung erfolgt nur auf einer rechtstechnisch anderen Ebene, nämlich dem Schutzbereich im Vergleich zur Rechtfertigung. Der innentheoretische Freiheitsbegriff ist weder mit der Eingriffs-, noch mit der Abwägungsresistenz bestimmter Bereiche des menschlichen Lebens zu vereinbaren. Darüber hinaus verliert dieser Begriff die Maßstabsfunktion für Streitfragen, in denen es gerade darauf ankommt, ob ein Verhalten derart sozial unverträglich ist, dass es verboten werden sollte. Ein unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als schutzgutorientiertes Konzept wäre nur möglich, wenn es bestimmte Kategorien menschlichen Verhaltens gäbe, die aus sich heraus andere Menschen nicht betreffen bzw. ihnen zumindest nicht schaden. Die Analyse der bestehenden Kernbereichskonzepte hat gezeigt, dass dies nicht der Fall ist. In jedem Bereich der menschlichen Existenz sind Interessenkonflikte denkbar, die so elementar sind, dass sie einer rechtlichen Regelung bedürfen. Dies gilt sowohl für die menschliche Sexualität, als auch für den Bereich entäußerter Gedankeninhalte, die nicht weitergehend geschützt werden können, als das Verhalten, auf das sie sich beziehen. Verzichtet der Staat auf eine Regelung dieser Konflikte, so verstößt er damit sowohl gegen

Schluss

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den elementaren Grundsatz, die Bürger gleich zu behandeln als auch gegen seine Zweckbestimmung, ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen. Ein rechtlich relevanter unantastbarer Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist demnach verfassungswidrig. Die Seitenblicke auf andere Kernbereichsbegriffe in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und auf den Grundrechtsschutz in anderen Rechtsordnungen haben gezeigt, dass der absolute Kernbereichsschutz kein allgemein anerkannter Rechtsgedanke ist. Darüber hinaus ist das Konzept des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung in der politischen Philosophie selbst für Theorien, die von sehr begrenzten staatlichen Kompetenzen ausgehen, nicht anschlussfähig. Aus der Verfassungswidrigkeit des unantastbaren Kernbereichs lassen sich auch Rückschlüsse auf das Verhältnis von Menschenwürde- und Wesensgehaltsgarantie und dem grundrechtlichen Schutz der Freiheit ziehen. Weder Art. 1 Abs. 1 noch Art. 19 Abs. 2 GG schützen einen Teilbereich eines Freiheitsrechts absolut. Auf dem Sphärengedanken beruhende, verräumlichende Konzepte des Wesensgehalts- und Menschenwürdeschutzes sind mit der Unantastbarkeit beider Garantien nicht zu vereinbaren. Menschliche Freiheit ist im demokratischen Rechtsstaat auch nicht in Teilbereichen absolut geschützt. Diesen Ergebnissen entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung weder den Kernbereich der Verhaltensfreiheit, noch den Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebung oder den Kernbereich als Freiheitsgrenze so definiert, dass er zugleich unantastbar und rechtlich relevant ist. Entweder schloss das Gericht Sachverhalte mit Sozialbezug vom Kernbereichsschutz aus, so dass dieser irrelevant war, oder es relativierte den Schutz, indem es die entgegenstehenden Interessen bei der Kernbereichsdefinition berücksichtigte. Dem Gericht ist also nicht vorzuhalten, dass es ein verfassungswidriges Kernbereichskonzept verwendet, sondern lediglich, dass es verbal an einem solchen festhält und somit kein rational begründbares und in sich schlüssiges Konzept vertritt. Die Verfassungswidrigkeit des unantastbaren Kernbereichs erklärt auch, warum die Ansätze in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, die den Kernbereich anders als das Bundesverfassungsgericht definieren, keinen absoluten Schutz ermöglichen. Die zwingende Folge der Verfassungswidrigkeit ist, dass das Bundesverfassungsgericht und die Fachgerichte auch verbal auf den unantastbaren Kernbereich als Rechtsbegriff verzichten. Angesichts der wirksamen Alternativen zum Kernbereichsbegriff, die zur Verfügung stehen, sollte den Gerichten dieser Verzicht nicht schwerfallen. Gleiches gilt für Bundes- und Landesgesetzgeber, die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zukünftig nicht mehr normieren sollten. Vielmehr kommt es für einen effektiven Grundrechtsschutz gegen Informationserhebung darauf an, dass die Gesetzgeber strenge Anlasstatenkataloge, präzise Anforderungen an den Verdachts- und Gefahrbegriff sowie individual-

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schützende Verfahrensvorkehrungen normieren. Letztere, wie Richtervorbehalte, Benachrichtigungs- und Löschpflichten, folgen schon aus dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und der speziellen Freiheitsrechten in der Form des Grundrechtsschutzes durch Verfahrensgestaltung. Der Verzicht auf den Rechtsbegriff des unantastbaren Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung verringert demnach nicht das Niveau des Grundrechtsschutzes. Hält das Bundesverfassungsgericht weiterhin verbal an der Unantastbarkeit des Kernbereichs fest und begründet diesen gleichzeitig mit Art. 1 Abs. 1 GG, dann trägt es zur Relativierung des Menschenwürdeschutzes bei. Damit würde die Funktion des Kernbereichs, den Grundrechtsschutz zu verstärken, in sein Gegenteil verkehrt. Eine bedenkliche Tendenz angesichts elementarer Bedrohungen der durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten menschlichen Rechtssubjektivität, etwa durch Bestrebungen, ein Feindstrafrecht einzuführen, oder durch Aufweichung des Folterverbots. Hingegen ist der Rechtsbegriff eines relativen Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung verfassungskonform. Ein solches Konzept weist aber keine Besonderheiten zum relativen Privatsphären- und Persönlichkeitsschutz auf. Diesen relativen Schutz können maßnahmespezifische Fallgruppen leistungsstärker und präziser konkretisieren. Schließlich ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung deskriptiv zu verwenden. Der Kernbereich als Deskription bezeichnet das durch die gesamte Rechtsordnung angestrebte Ergebnis, dass jedem Menschen, nach Berücksichtigung aller legitimen Interessen, ein Freiraum zur individuellen Beliebigkeit zusteht, soweit er nicht seinen Mitmenschen schadet. In dieser beschreibenden Verwendungsweise kommt dem Kernbereichsbegriff eine hohe Symbolkraft, aber keine normative Wirkung zu.

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Sachwortverzeichnis Abhör-Urteil 67 ff., 240 absoluter Grundrechtsschutz 241 f. absoluter Kernbereichsschutz – abstrakt-generell 54 f. – Abwägungsresistenz 20, 62 f., 97 – Bereich der Sexualität 57 f. – Einfluss des gesellschaftlichen Wandels 21 – Eingriffsresistenz 20, 62 f., 97, 109, 131, 164 – Geheimhaltungswille 49 – Kernbereich der Verhaltensfreiheit 35 f. – Kernbereich des Informationsschutzes 49 ff. – Verhältnis zum absoluten Recht im Zivilrecht 79 – Volkszählungsurteil 21 f. Abwägung – Abwägungsskepsis 100 – Verhältnis zur Interpretation 178 f. Abwägungsresistenz 20, 62 f., 97, 177 abwehrrechtliche Dogmatik 243 f. allgemeine Handlungsfreiheit 23 ff., 221 f., 227 f. – Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung 221 f. allgemeines Persönlichkeitsrecht 23 ff., 231, 233 – im Zivilrecht 78, 80 f. Allgemeininteressen 126 ff. Anlasstatenkatalog 234, 236, 245 Apotheker-Urteil 225 Außentheorie 59 ff. Begründung des Kernbereichs – Achtungsanspruch 163 f.

– – – – – –

BVerfG 136 ff. Lammer 162 f. Menschenwürde 141 ff. Objektformel 144 ff. Schutz existenzieller Interessen 170 f. Theorie des notwendigen Grundrechtsrestes 173 ff. – Voraussetzungen der Persönlichkeitsentwicklung 153 ff. – Warntjen 162 – Wesensgehaltsgarantie 167 ff. Begründungspflicht 134 „beleidigungsfreie Sphäre“ 68 ff., 232 Berufsfreiheit 192 f. Beweisverwertungsverbote 237 Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG 102 Bürgeranwalt 158 BVerfGG – § 30 Abs. 1 134 – § 31 Abs. 1 102 Critical Legal Studies 135 Deduktion 134 f. Dekonstruktivismus 135 Drei-Stufen-Lehre 169 f., 242 Ehescheidungsakten 89, 228 Eingriffsbegriff 230 f. Eingriffsresistenz 20, 62 f., 97, 109, 164, 177 einheitlicher Freiheitsbegriff 186 Einrichtungsgarantie 223 Elfes-Beschluss 34, 136, 221 f.

Sachwortverzeichnis EMRK – Art. 6 93, 238 f. – Art. 8 172 – Art. 15 171 f. entäußerter Gedankeninhalt 38, 110 f. – Informationsgehalt 194 f. – Sozialbezug 195 f. Erhebungsverbot 235, 237 Esra-Beschluss 56 f., 94 f. europäisches Datenschutzrecht 173 Fallgruppen des Kernbereichsschutzes 24 f., 31 f. – Abgrenzung Kernbereich der Verhaltensfreiheit und Kernbereich des Schutzes gegen Informationserhebungen 24 ff. – Kernbereichsschutz im Bereich der Drittwirkung der Grundrechte 31 f. Feindstrafrecht 216 Festhalten von entäußerten Gedankeninhalten 47 Folgenbeseitigungsanspruch 234 f., 237 Folterverbot 131, 171 forum internum 91 f., 104, 110, 193 f. – Klier 160 Furcht vor Überwachung 155 ff., 174 – Wohnung 155 ff. Gefängnisseelsorger 53 Geheimhaltungswille 45 f. geistig-seelischer Eigenraum 195 Gesellschaftsvertrag 217 Gesetzesvorbehalt 222 ff. großer Lauschangriff – Abbruchgebot 235 – abweichendes Votum 117 f. – alternative Kernbereichsdefinitionen 112 ff. – Anlasstatenkatalog 158 – Begriff 16 – Fallzahlen 156 – Gefahrenabwehr 124 f.

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– „kriminell bemakelte“ Wohnungen 116 f. – Landesverfassungsgerichte 96 ff. – Live-Abhören 238 – Mischgespräche 238 – Mitteilungspflicht 158 – notwendiger Grundrechtsrest 174 f. – Prognoseentscheidung zur Frage der Kernbereichsbetroffenheit 40, 50, 98 – Schadensersatzanspruch 158 – Selbstgespräche 106 ff. – Urteil des BVerfG 26 f., 39 ff., 43, 47, 50, 107 f., 239 f. – Verfahrensgarantien 158 – zur Gefahrenabwehr 96 ff. Grundrechtsbindung des Gesetzgebers 222 ff. – Giere 223 – Jellinek, Walter 223 – Schmitt 224 – Smend 223 f. Grundrechtsschutz durch Verfahren – heimliche Informationserhebung 236 ff. – offene Informationserhebung 234 f. Grundsatz des fairen Verfahrens 93, 238 f. Herrenchiemsee-Entwurf 186 Hobbes – Freiheitsbegriff 198 f. Höchstpersönlichkeit – eines Monologs 108 f. – eines Sachverhaltes 33 f., 243 Höchstpersönlichkeitsmanifestation 122 ff. Höchstpersönlichkeitspotential 122 ff. Homosexualitätsurteil I 15, 34 f., 225 Humboldt, Wilhelm von 208 f. immanente Freiheitsschranken 60 f., 75 f., 169 Individualinteressen 126 ff. Induktion 63

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Sachwortverzeichnis

informationelles Selbstbestimmungsrecht 231 Informationen nur so schutzwürdig, wie das Verhalten, auf das sie sich beziehen 190 f. Informationseingriffe 182, 227 ff. – Begleiteingriffe 229 – einfachgesetzliche Grundlagen 189 f. Innentheorie 59 ff., 77, 117, 129, 208, 214 innere Freiheit 192 f., 211 Institutionsgarantie 200 f., siehe auch Einrichtungsgarantie Instrumentalisierungsverbot 144 Intensität des Sozialbezuges 33 f., 37 ff., 128 f., 243 Intimsphäre 14 ff. – BAG 84, 87 – BFH 84 – BGH in Strafsachen 83 – BGH in Zivilsachen 81 f. – BSG 84 – BVerwG 83 f. Investitionshilfe-Urteil 221 Inzestverbot-Beschluss 25 f., 35, 226 f. ius cogens 171 ff. Jugendhilfe-Urteil 168 „Kannibale von Rothenburg“ 45 f. Kant – Instrumentalisierungsverbot 144 f. Kernbereich als Grenze des Freiheitsgebrauchs – BVerfG 55 ff. – Fachgerichte 86 ff. – Kritik 191 Kernbereich der Koalitionsfreiheit 203 ff. Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung 200 ff. – eigener Aufgabenkreis 201 f. – eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung 201 f.

Kernbereich der privaten Lebensgestaltung – als Idee 213 ff. – Anwendungsbereich 30 ff. – Begriffsebenen 197 ff., 205 – Begründungen 136 ff. – bei der Gefahrenabwehr 124 ff., 165 f. – bei der Telekommunikationsüberwachung 27 – BGH in Strafsachen 82 f. – BGH in Zivilsachen 80 ff., 86 – Brief an den Arzt 88 f. – deskriptiver Begriff 198 f. – Eingriff zu rechtfertigen 90 f. – Funktionen 220 ff. – Gesetzesmaterialien 73 – Indikatoren beim großen Lauschangriff 40 f., 50, 98 – ius cogens 171 ff. – Kombination mehrerer Ansätze 133 – kommunikativer Bezug 111 f. – Konsensbegriff 139, 149 ff. – Landesverfassungsgerichte 96 ff. – ohne Sozialbezug 192 ff. – Persönlichkeitsprofil 149 ff. – politische Philosophie 208 ff. – Rechtsbegriff 197 ff. – relativer Schutz 242 ff. – Schutzgutorientierung 147, 241, 245 – Sozialphilosophie 211 f. – Unantastbarkeit 19 ff., 62 f. – Verhältnis zu Art. 2 Abs. 1 GG 27 f. – Verhältnis zu den speziellen Freiheitsrechten 26 ff., 232 f. – Verhältnis zum Naturrecht 207 f. – Verhältnis zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 226 f., 232 – Verhältnis zur Intimsphäre 15 ff. – Verhältnis zur Menschenwürde 17, 28 ff., 144 ff., 215 f. – Verhältnis zur Objektformel 54, 82 f., 137 ff., 144 ff.

Sachwortverzeichnis – Verhältnis zur Wesensgehaltsgarantie 17, 28 ff., 167 ff. – Voraussetzung der Persönlichkeitsentwicklung 153 ff. – wertend-bilanzielle Gesamtbetrachtung 128 f. – zweistufiges Schutzkonzept 41 f., 50 f. Kernbereich der Verhaltensfreiheit 33 ff. – Funktion 221 ff. – Kritik 185 ff., 192 ff. Kernbereich des Art. 13 GG 112 f. Kernbereich des Informationsschutzes – Ausdrucksformen der Sexualität 52 f. – Begründung des Privatsphärenschutzes 229 f. – Beichtgeheimnis 53 f. – Definition 38 ff. – Fachgerichte 88 ff. – funktionale Äquivalente 232 ff. – Funktionen 227 ff. – Gespräch mit Strafverteidiger 54 – Kritik 188 ff. – Landesverfassungsgerichte 96 ff. – Sozialbezug 36 ff. – Tagebücher 103 ff. Kernbereichsdefinition – abweichendes Votum im Urteil zum großen Lauschangriff 117 f. – Dürig 74 f., 137 – Geheimhaltungswille 45 f. – großer Lauschangriff 112 ff. – Heimlichkeit der staatlichen Maßnahme 48 – Kommunikationsmedium 47 f. – Krankenzimmer-Urteil des BGH 105 ff. – Lammer 122 ff. – monologische Definitionen 103 ff. – räumliche Abgrenzung 115 – Raumgesprächsentscheidung des BGH 114 – Schriftlichkeit 47, 106 f. – Selbstgespräche 106 ff.

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– Urteil zum großen Lauschangriff 39 ff. – Warntjen 120 ff. – Wintrich 75 f., 137 Koalitionsfreiheit 203 ff. kommunale Selbstverwaltung 200 ff. Kommunikationstheorie 14, 162 f. Krankenzimmer-Urteil des BGH 105 ff. Kritik am Kernbereich 185 ff. – als Idee 213 ff. – Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes 186 – Gefahr des rein symbolischen Schutzes 214 – Interessenkonflikte 187 – keine absolut geschützten Informationen 189 ff. – keine absoluten Freiheitsrechte 187 – Relativierung 196 – Relativierung des Menschenwürdeschutzes 215 ff. – Relativität der Privatsphäre 194 f. – Straftatenbezug 215 f. – Systematik der Freiheitsgrundrechte 186 lebenslange Freiheitsstrafe-Urteil 64 ff. Löschpflicht 235, 237 Lügendetektor-Entscheidung des BGH 82 f., 147 f. Luftsicherheitsgesetz-Urteil 66 f. Macht 176 Menschenbild des Grundgesetzes 64 f., 221, 230 Menschenwürde – Abwägung 141 f. – Achtungsanspruch 163 f. – „ethisches Minimum“ 130 f. – extreme Menschenrechtswidrigkeit 130 f. – Grundrechtscharakter 143 – Leerformel 141 – mehrdimensionale Ansätze 142

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Sachwortverzeichnis

– nicht unmittelbar anwendbare Rechtsnorm 141 – Prinzipientheorie 142 – Rechtssubjektivität 216 – Verhältnis zum Privatsphärenschutz 78 – Verhältnis zum relativen Kernbereich 242 f. – Verhältnis zum Schutz des Lebens 166 – wertend-bilanzielle Gesamtbetrachtung 128 f., 141 f. – Zweckverbot 143 Menschenwürdedefinitionen – Dürig 74 f. – Fallgruppenbildung 149 ff. – Konsens 149 ff., 164 – modifizierte Objektformel 148 f. – Objektformel 144 ff. – Voraussetzungen der Persönlichkeitsentwicklung 153 ff. Menschenwürdegehalt der Grundrechte 28 f., 145 f., 168 f., 240 Menschenwürdekollision 129 ff., 165 f. Mephisto-Beschluss des BVerfG 70 f. Mephisto-Urteil des BGH 82 Mikrozensusbeschluss 36, 136 f., 192, 227 f. Mill, John Stuart 209 ff. Minderheitenschutz 150 f. Missachtung der Würde 163 f. mittelbare Drittwirkung der Grundrechte 31 f., 78 f. monologische Theorien 103 ff., 132 – Begriff 104 – gleicher Schutz von Tagebüchern und Selbstgesprächen 108 f. – Kritik 109 ff. – Verhältnis zum Schutz von Kommunikation 110 f. nachträgliche Sicherheitsverwahrungs-Urteil 64 ff. Naturrecht 207 Niedersächsisches SOG-Urteil 47 f. Normativität 150

normgeprägte Grundrechte 222 f. Nozick, Robert 210 Objektformel 137 f., 144 ff. – BVerfG 145 ff. – großer Lauschangriff 145 f. – Immanuel Kant 144 f. – modifizierte 148 f. – traditionelle 144 ff. Online-Durchsuchungsurteil 41 f., 47 f. Orwell 157 Persönlichkeitskerntheorie 77, 221 Persönlichkeitsprofil 149 ff., 177 – Kritik 151 ff. präformierter Freiheitsbegriff 60 Presseauskunftsanspruch 87 f. Prinzipientheorie 142 Privatsphäre – Entwicklung des Schutzes 229 f. – kein Schutz gegenüber dem Staat 181 ff. – Massenmedien 181 f. – persönliche Relativität 194 – Schutzwürdigkeit 243 – situative Relativität 194 f. – Theorien zur Begründung 14, 162 f., 244 prozedurale Rechtstheorie 135 psychologische Aufladung 161 Raumgesprächsentscheidung des BGH 83, 113 f. Recht auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme 29 f. Recht auf Rechte 141 rechtsstaatliches Verteilungsprinzip 224 Rechtsstaatsprinzip 239 Relativierung des Kernbereichsschutzes – Höchstpersönlichkeit entäußerter Gedankeninhalte 49 ff. – Straftatenbezug 51 f. Richterband 50, 238

Sachwortverzeichnis Richtervorbehalt 237 Rössler 211 f. Rollentheorie 14, 162 f. Rundumüberwachung 150, 152 f. Rundumüberwachungspotential 121 f. Selbstdarstellung 183 Selbstverständnis der Grundrechtsträger 187 Soliloquium 104 Sozialbezug – Bezugspunkt Handlung/Gedankeninhalt 38 – Intensität siehe Intensität des Sozialbezuges – Kritik an BVerfG 195 f. – Rechtsprechung der Fachgerichte 91 f. Sozialsphäre 17 Sphärentheorie 14 ff., 120, 140 – im Zivilrecht 78, 81 StPO – § 97 234, 237 – § 100c Abs. 2 245 – § 100c Abs. 4 106 f., 140 – § 100d 158 – § 104 Abs. 2 117 – § 110 a. F. 234 – § 160 Abs. 2, 3 237 Straftatenbezug 232, 243 f. – mittelbarer 52 – Krankenzimmer-Urteil 107 f. – Rechtsprechung der Fachgerichte 92 f. – unmittelbarer 42 ff., 51 f. Strauß-Karikatur-Beschluss 56 subjektives Bedrohungsgefühl 156, 159 Subjektstellung im Strafverfahren 82 Tagebuchaufzeichnungen – Fachgerichte 90, 92 – Furcht vor Kenntnisnahme 161 – Kenntnisnahme als Beeinträchtigung der Persönlichkeit 160 f.

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– Landesverfassungsgerichte 99 – monologische Kernbereichsdefinitionen 104 f. – Schutz durch Art. 4 GG 232 f. – Sozialbezug 195 f. Tagebuchbeschluss II 37 f., 39, 42 f., 47, 93 f., 107 f., 232 Theorie der autonomen Selbstdarstellung 14, 162 f. Tonbandaufnahme-Beschluss 39 typologische Begriffsbildung 120 f. Überwachung Untersuchungshaftanstalt 92 f. USA – balancing approach 206 – Beschränkung von Freiheitsrechten 205 ff. – minimization procedures 206 – Privatsphärenschutz 207 f. – rational basis-Ansatz 206 – strict scrutiny test 206 Vaterschaftsauskunfts-Beschluss 57 f. Verdachtsgrad 234, 236 Verfassungsinterpretation 134 f. – Wille des Gesetzgebers 135 Verfassungsmäßigkeit von Verfassungsänderungen 29, 239 f. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 186, 225 ff., 245 – Schutz vor heimlicher Informationserhebung 235 f. – Schutz vor offener Informationserhebung 233 f. Verwertungsverbot 114 Volkszählungsurteil 21 f., 231 Voraussetzungen der Persönlichkeitsentwicklung 153 ff. – Tagebücher 159 ff. – unüberwachte Wohnung 154 ff. Wesensgehaltsgarantie 167 ff. – absolute Theorie 167

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Sachwortverzeichnis

– ius cogens 171 ff. – objektive Interpretation 167 f. – relative Theorie 167 – Schutz existenzieller Interessen 170 f.

– Theorie des notwendigen Grundrechtsrestes 173 ff. – Verfassungswirklichkeit 175 – Zweckverbot 168 Widerstandsrecht 170

– subjektiv-relative Theorie 167 f., 243 – subjektive Interpretation 167 f.

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