Der Jurist in der industriellen Gesellschaft: Ernst Forsthoff und seine Zeit 9783050056395, 9783050051017

"Wir kennen die Welt nicht, in der wir leben". Sein Leben lang hat Ernst Forsthoff (1902-1974) sich als herois

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Der Jurist in der industriellen Gesellschaft: Ernst Forsthoff und seine Zeit
 9783050056395, 9783050051017

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
Erster Teil. Einflüsse und Bedingungen der geistigen Entwicklung Ernst Forsthoffs
Erstes Kapitel. Drei Väter
Zweites Kapitel. Forsthoffs Entscheidung für den totalen Staat
Zweiter Teil. Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft
Drittes Kapitel. Grundfragen
Viertes Kapitel. Die Daseinsverantwortung als Ordnungsidee des modernen Verwaltungsrechts
Dritter Teil. Nach der Utopie
Fünftes Kapitel. Sprache und Institutionen
Sechstes Kapitel. Zur Kritik der deutschen Nachkriegsverfassungen
Vierter Teil. Im Staat der Industriegesellschaft
Siebentes Kapitel. Der Rechtsstaat nach seinem Ende
Achtes Kapitel. Die skeptische Verfassungstheorie Ernst Forsthoffs und die Staatsrechtslehre der Bundesrepublik
Neuntes Kapitel. »Der Jurist in der industriellen Gesellschaft«
Anhang
Personenregister
Sachregister

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Florian Meinel Der Jurist in der industriellen Gesellschaft

Florian Meinel

Der Jurist in der industriellen Gesellschaft Ernst Forsthoff und seine Zeit 2. Auflage

Akademie Verlag

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© 2012 Akademie Verlag GmbH, Berlin Ein Wissenschaftsverlag der Oldenbourg Gruppe www.akademie-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Einbandgestaltung: hauser lacour Herstellung: Christoph Neubarth Satz: Werksatz Schmidt & Schulz, Gräfenhainichen Druck & Bindung: Beltz Bad Langensalza Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706 ISBN 978-3-05-005101-7 eISBN 978-3-05-005639-5

Jürgen Tröger in herzlicher Verbundenheit gewidmet

Inhaltsverzeichnis Einleitung Prolog . . . . . . . Fragestellung . . . . Stand der Forschung Quellen . . . . . . .

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I. Der Weg in den nationalsozialistischen Staat . . . . . . . . . . . . II. Die Auflösung der liberalen Institutionen und die Totalität des Staates: Die Dialektik der Selbstverwaltung als paradigmatische »Krise der Formen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Carl Schmitts Begriff des totalen Staates und die Staatskrise der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Transformation der Selbstverwaltungskörperschaften und die bundesstaatliche Verfassung des Deutschen Reichs . . . . . III. Die nationalsozialistische Revolution als »Liquidierung des 19. Jahrhunderts« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der positive Begriff der Totalität: die innere Ordnung des nationalsozialistischen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Erster Teil Einflüsse und Bedingungen der geistigen Entwicklung Ernst Forsthoffs Erstes Kapitel: Drei Väter I. Das Pfarrhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. »Jahrgang 1902« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Metaphysik der Mobilmachung . . . . . . . . . 2. Politisches Denken als Abbruchunternehmen . III. Bonn, Sommer 1923, Carl Schmitt und die Folgen

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Zweites Kapitel: Forsthoffs Entscheidung für den totalen Staat

VIII

Inhaltsverzeichnis

1. Totalitärer oder autoritärer Staat? . . . . . . . . . . . . . 2. Volkstum und Volksordnung . . . . . . . . . . . . . . . V. Sinnstiftung und Propaganda . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Neubearbeitung des Totalen Staates im Sommer 1934 2. Die Zwischenkriegszeit in Text und Bild . . . . . . . . . VI. Totaler Staat, Richter und Rechtsprechung . . . . . . . . .

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I. Problemstellung und Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zur Situation der Verwaltungsrechtswissenschaft in der Zwischenkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Interventionsstaat und das »Allgemeine Verwaltungsrecht« 2. Die Kritik des konstitutionellen Verwaltungsrechts in Frankreich III. Methodenprobleme einer nachpositivistischen Verwaltungsrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verwaltungsrecht und »Wirklichkeit« . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufgaben einer nichtpositivistischen Verwaltungsrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Allgemeines Verwaltungsrecht als »System« . . . . . . . . . . . . . 1. Die Auflösung der rechtsstaatlichen Axiomatik . . . . . . . . . . a) »System« und »Leben« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das verwaltungsrechtliche System und die soziale Funktion des Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Rekonstruktion des Allgemeinen Teils . . . . . . . . . . . . . a) Das Systemproblem im Verwaltungsrecht der »Daseinsvorsorge« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Systemdualismus im Lehrbuch des Verwaltungsrechts . . 3. Das Scheitern der verwaltungsrechtlichen Systembildung . . . . .

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Zweiter Teil Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft Drittes Kapitel: Grundfragen

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Viertes Kapitel: Die Daseinsverantwortung als Ordnungsidee des modernen Verwaltungsrechts I. Zum Begriff der Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eine Staatsphilosophie der leistenden Verwaltung . . . . . . . . . 2. Die Daseinsverantwortung der Verwaltung und die Aufgabe der Verwaltungsrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die institutionelle Struktur der leistenden Verwaltung . . . . . . . . 1. Die Entwicklung des Verwaltungsrechts der »öffentlichen Anstalt« 2. Die Problematik des Anstaltsbegriffs unter den Bedingungen der Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IX

Inhaltsverzeichnis

3. Grundstrukturen einer Verwaltungsordnung der Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. »Neue Rechtsgarantien der individuellen Existenz« – Eigentum und Privatautonomie in der Ordnung der Daseinsvorsorge . . . . 1. Eigentum und Verwaltung nach dem Ersten Weltkrieg . . . . . 2. Franz Wieackers Materialisierung des Eigentumsbegriffs . . . . 3. Forsthoffs Kritik der dynamisierten Eigentumsordnung und das Problem gesicherter Teilhaberechte . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die heuristische Kraft der »Daseinsverantwortung« und ihre Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Daseinsvorsorge im Staat der Industriegesellschaft . . . . . . . . .

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Dritter Teil Nach der Utopie Fünftes Kapitel: Sprache und Institutionen I. Lebensumstände 1935–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsphilosophie und Naturrecht um 1940 . . . . . . . . . . . . III. Die Krise des Rechts als Krise der Sprache . . . . . . . . . . . . . 1. Naturrecht und Geschichtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Kritik des instrumentellen Sprachbewußtseins . . . . . . . 3. Probleme der juristischen Hermeneutik Forsthoffs . . . . . . . IV. Politische Orientierung im Weltanschauungskrieg . . . . . . . . . 1. Brandenburg-Preußen und die deutsche Verfassungsgeschichte 2. Die konservative »Entscheidung« . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Eine Rechtsphilosophie der Institutionen . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Manuskript Die Institutionen als Rechtsbegriff (1944/1947) und seine werkgeschichtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . 2. Zum juristischen Begriff der Institution . . . . . . . . . . . . . 3. Eine lutherische Rechts- und Gesellschaftslehre . . . . . . . . . 4. Die geschichtliche Aufgabe der Institutionen . . . . . . . . . . 5. Arnold Gehlens Begründung der Institutionen . . . . . . . . .

Sechstes Kapitel: Zur Kritik der deutschen Nachkriegsverfassungen I. Lebensumstände 1945–1952 . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Von Montesquieu über Stein zur deutschen Verfassungsfrage III. Deutsche Verfassungsprobleme nach 1945 . . . . . . . . . . . 1. Der Vorrang der Verwaltungsordnung . . . . . . . . . . . 2. Parlamentarismus und Parteiendemokratie . . . . . . . . . 3. Die Situation des Berufsbeamtentums . . . . . . . . . . . . IV. Das Verfassungsideal der »Verwaltungsdemokratie« . . . . . 1. Die Neuordnung der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . .

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X

Inhaltsverzeichnis

2. Die Verfassungsinstitutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die »Verwaltungsdemokratie« und die Zukunft Deutschlands . . V. Zur Kritik des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vierter Teil Im Staat der Industriegesellschaft Siebentes Kapitel: Der Rechtsstaat nach seinem Ende I. Rechtsstaat – Sozialstaat – Demokratie: Hauptlinien der Diskussion in der frühen Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sozialstaat und soziale Demokratie: Ernst Forsthoff und Wolfgang Abendroth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozialstaat und materialer Rechtsstaat: Hans Peter Ipsen . . . . . II. Zur Situationsbestimmung des Rechtsstaats . . . . . . . . . . . . . . 1. Die politische Aufhebung des Rechtsstaates durch Sozialstaat und Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das demokratische Moment des Sozialstaates . . . . . . . . . . b) Zur Struktur des sozialstaatlichen Rechts . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsprobleme des Sozialstaates . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die technische Rekonstruktion der rechtsstaatlichen Formen . . 4. Zur Problematik des »Systems rechtstechnischer Kunstgriffe« . . 5. Zur Staatstheorie des sozialen Rechtsstaats . . . . . . . . . . . . . III. Der Rechtsstaat im Vollzug: Eigentumsschutz und Gewaltenteilung 1. Eigentumsschutz als verfassungsrechtliches Paradigma . . . . . . 2. Sozialstaatliche Gesetzgebung als Gewaltenteilungsproblem . . .

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Achtes Kapitel: Die skeptische Verfassungstheorie Ernst Forsthoffs und die Staatsrechtslehre der Bundesrepublik I. Eine Festschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Deutsche Wertarbeit: Eine Skizze materialer Verfassungslehren des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zur Kritik des wertmaterialen Verfassungsverständnisses . . . . . IV. »Wer wird schon Richter in Karlsruhe!« . . . . . . . . . . . . . . . V. Probleme der »rechtsstaatlichen« Verfassungsauslegung . . . . . . 1. Die Bedeutung der formalistischen Tradition Max Webers . . . 2. Von der Verfassung zum Verfassungsgesetz . . . . . . . . . . . 3. Verfassungsinterpretation als Gesetzesinterpretation . . . . . .

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I. Gestalt und Macht der »zentrifugalen Tendenzen« . . . . . . . . . . 1. Der Verschleiß der staatlichen Selbstdarstellung . . . . . . . . . .

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Neuntes Kapitel: »Der Jurist in der industriellen Gesellschaft«

Inhaltsverzeichnis

XI

2. »horror vacui« und Sinnsurrogate . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Verunsicherung der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . II. Von »Futurologen, Systemträumern und witternden Hasen« . . . . 1. Zum Begriff der »Industriegesellschaft« . . . . . . . . . . . . . . 2. Aspekte der Epochenschwelle: von der sozialen zur »technischen Realisation« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Abschluß der sozialen Realisation und der Aufstieg der Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Was bedeutet »technische Realisation«? . . . . . . . . . . . . . c) Entfremdung, Terroristen und Techniker . . . . . . . . . . . . III. Beruf und Schicksal des Juristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Jurist als haltende Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Ende der Geschichte: Die »Technisierung« der Institutionen

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Anhang

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Seitenkonkordanz zu Rechtsstaat im Wandel Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . .

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Archive und Sammlungen . . . . . . II. Veröffentlichte Quellen und Literatur 1. Schriften Ernst Forsthoffs . . . . 2. Sonstige veröffentlichte Quellen . 3. Literatur . . . . . . . . . . . . . . Personenregister

Fr. Mich däucht aber, wir müssen das Formelle und das Reale unterscheiden. Das Formelle ist das Allgemeine, das Reale ist das Besondere, Lebendige. Gewisse Formen der Verfassung, – namentlich die, welche eine Beschränkung der persönlichen Willkür bezwecken, – Festsetzungen der Standesverhältnisse mögen allen Staaten nothwendig seyn. Aber sie sind nicht das ursprüngliche Leben, durch welches vielmehr alle Formen erst ihren Inhalt bekommen. Es giebt etwas, wodurch jeder Staat nicht eine Abtheilung des Allgemeinen, sondern wodurch er Leben ist, Individuum, er selber. C. Versteh ich dich recht, so weicht deine Ansicht dadurch von andern ab, daß man gewöhnlich von den Verschiedenheiten der Form ausgeht und aus den Gattungen die man annimmt, das Individuelle hervortreten läßt; du dagegen betrachtest die Formen mehr als ein zweites, untergeordnetes Element: als ursprünglich setzest du das eigenthümlich geistige Daseyn des individuellen Staates, sein Prinzip. Fr. Wir können es uns an dem Beispiele der Sprache deutlich machen. Die Formen in denen sich die Grammatik bewegt, haben eine allgemeine Übereinstimmung: sie kehren immer und überall auf gewisse Weise wieder. Aber der Geist jeder besonderen Sprache bringt eine unendliche Mannigfaltigkeit von Modificationen hervor. Unter dem Prinzip des Staates haben wir nicht eine Abstraction der Meinung, sondern sein inneres Leben zu verstehn: dies Prinzip verleiht jenen Formen der menschlichen Gesellschaft, die, ich leugne es nicht, ihr unentbehrlich sind, erst ihre bestimmende Modification, die Erfüllung der Realität. Leopold von Ranke: Politisches Gespräch (1836)

Einleitung Prolog Sommer 1934. Ernst Forsthoff ist 31 Jahre alt und seit zwei Semestern Ordinarius für Öffentliches Recht in Frankfurt am Main. Er hat eine schnelle Karriere hinter sich. Seine Stimme zählt zu den profiliertesten im neuen Staatsrecht. In Frankfurt unterstützt er den neuen Rektor bei der Gleichschaltung der einst als liberal geltenden Universität. Bei den Studenten hat Forsthoff beachtlichen Erfolg. Sein Fakultätskollege, der Rechtshistoriker Franz Beyerle, schreibt im Juni 1934 in einem Brief an den Dekan: »Forsthoff ist ein ungewöhnlich sicherer, lebendiger und in seinen Formulierungen ansprechender Dozent, den ich in dieser Hinsicht für viel begabter halte als z.B. mich selbst, um von noch Langweiligeren zu schweigen. Er hat von uns allen hier die nächste Fühlung mit der Studentenschaft, weiß ausgezeichnet Lager und dergl. auf die Beine zu stellen und zu lenken.«1 Das studentische »Lager«, auf das der Brief anspielt, fand in der Geländesportschule der Frankfurter Studentenschaft statt. Es ist gut dokumentiert. Die Frankfurter Zeitung berichtete davon in ihrer Ausgabe vom 29. Juli 1934: »Die Frankfurter Studentenschaft veranstaltete im Juni ein dreieinhalbtägiges Wissenschaftslager, das sich auf dem staatsrechtlichen Seminar von Prof. Ernst Forsthoff aufbaute. […] Der Stil des Seminars war durch soldatische Straffheit und kameradschaftliche Verbundenheit gekennzeichnet. Akademische Titel waren aus der Lagersprache verbannt. Auch Sport und Ausmarsch hatten neben der geistigen Arbeit ihren Platz. Der Ablauf des Tages war dienstplanmäßig streng geregelt. […] Die inneren, wesensmäßigen Zusammenhänge zwischen dem Staat und dem geistigen Leben der Nation bildeten den Arbeitszusammenhang des Seminars. […] Es ging darum, die liberale Gegenüberstellung von Staat und Kultur […] zu überwinden durch eine Auffassung, die in dem kulturellen Leben der Nation die geistige Präsenz des Staates erkennt.« 2

Die Themen der Vorträge und Diskussionen des Wissenschaftslagers waren: der Wissenschaftsbegriff und die Wissenschaftsfreiheit, Erziehung und Propa-

1 2

Franz Beyerle an Friedrich Klausing, 9.6.1934, UA Freiburg, NL Beyerle, C 5/40. [Anonymus], Das Wissenschaftslager, in: Frankfurter Zeitung (Handelsblatt) v. 29.7.1934.

2

Einleitung

ganda. Auch die Abendgestaltung war thematisch auf das Programm abgestimmt. Am ersten Abend lasen Studenten aus politischen Dichtungen von Kleist, Hölderlin, Hans Friedrich Blunck, Hans Leifhelm, Edwin Erich Dwinger und Hans Schwarz. Am zweiten Abend wurde, mit verteilten Rollen, das »Spiel vom Kaiserreich und vom Antichrist« aufgeführt, eine eschatologische Dichtung des 12. Jahrhunderts, die Vision eines christlichen Weltreichs der staufischen Kaiser. Der Schriftsteller Gustav Steinbömer, vormals einige Jahre Dramaturg bei Max Reinhardt in Berlin, hielt einen Vortrag über politisches Theater. Der Bericht der Frankfurter Zeitung endet mit Betrachtungen über die Rolle des Dozenten im Wissenschaftslager. Gemeint war natürlich niemand anderes als Forsthoff selbst: »Ein solches Lager ist eine geistige Gemeinschaftsarbeit von höchster Arbeitsintensität. Der Student, der sich aus solcher Gemeinschaftsarbeit ausschließt, in der der Lehrer zum Führer wird, verliert in Wirklichkeit nicht nur quantitativ den Arbeitsvorsprung, den er durch Einzelarbeit zu erlangen hofft, sondern er denkt wissenschaftlich falsch. […] Die Möglichkeit des Wissenschaftslagers ist von Voraussetzungen abhängig, die heute noch keineswegs durchgängig vorhanden sind. Die wichtigste Voraussetzung ist ein neuer Typ des akademischen Lehrers, der heute noch selten und fast nur in den Angehörigen einer jüngeren Generation vorhanden ist. Ein grundsätzliches Hindernis liegt für die Zukunft in diesen Fragen nicht. Das Wissenschaftslager wird sich durchsetzen, wie sich ein neuer Typ des Dozenten durchsetzen wird.« 3

Ganz anders klingt der Bericht von einer Veranstaltung in dem kleinen Ort Ebrach im Steigerwald, mehr als zwei Jahrzehnte später. Man tagte im Gasthof »Klosterbräu«, der neben dem 1127 gegründeten Zisterzienserkloster Ebrach liegt. Das Kloster wurde 1803 säkularisiert und dient dem bayerischen Staat seit 1851 als Gefängnis. Im September 1957 fand hier unter Forsthoffs Leitung das erste von insgesamt fünfzehn Ebracher Ferienseminaren statt, die zu einem Mythos der bundesrepublikanischen Wissenschaftslandschaft werden sollten. Das Bamberger Volksblatt brachte eine kurze Notiz.4 Das Generalthema lautete: »Sicherheit und Gefahr in der modernen Gesellschaft«. Unter den Referenten waren Carl Schmitt, Arnold Gehlen und Hubert Schrade. Auch über den Verlauf dieser Veranstaltung sind wir gut unterrichtet, und zwar durch den Tagungsbericht eines Teilnehmers, des damaligen Studenten Axel von Campenhausen.5 Auch hier wahrte man Distanz zur »offiziellen« Wissenschaft, verstand sich als »Gegen-Universität«6, als Gegen-Öffentlichkeit. Referate wurden frei 3 4

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6

Ebd. Akademisches Ferien-Seminar tagte in Ebrach. Heidelberger Studenten zeigten sich vom Steigerwald begeistert, in: Bamberger Volksblatt, 11.10.1957, Nr. 234. A. von Campenhausen, Sicherheit und Gefahr in der modernen Gesellschaft, in: forum academicum 1957, Nr. 7, 6 f. R. Mehring, Carl Schmitt, 2009, 515.

Einleitung

3

gehalten und später auch meist nicht publiziert, um den Gesprächscharakter nicht zu gefährden. Das bloße Vorlesen von Manuskripten war verpönt. »Wissenschaftssoziologisch«, meinte Forsthoff einmal in einem Brief an seinen Freund Gehlen, »ist Ebrach ein nicht uninteressantes Phänomen, das zeigt, daß Freiheit heute nur noch im Bereich des Privaten und der finanziellen Unabhängigkeit möglich ist. […] Die Zustände an den Universitäten werden immer verworrener und werten meinen Status als Emeritus ständig auf.« 7 Gehlen seinerseits kam oft und gerne nach Ebrach. Nach einem seiner Auftritte schrieb er Forsthoff anerkennend, er wolle ihm »zu dem besonders ausgezeichneten, wirklich bemerkenswerten Kreis der um Sie in Ebrach Versammelten gratulieren, ich war von diesen jungen Leuten sehr beeindruckt. Kein einziger NeoNeandertaler!«8 Joachim Ritter sprach nach seiner ersten Teilnahme sogar von »großer Dankbarkeit«, mit der ihn die Erinnerung an Ebrach erfülle: »Der Kreis junger, weltoffener und kluger, denkender Menschen, den Sie dort um sich gesammelt haben, hat mich recht ermutigt und mir Hoffnung gegeben, daß das, was wir zu tun haben, nicht ganz in der gegenwärtigen Massenuniversität untergehen und schließlich diejenigen finden wird, die es weitergeben. Vielleicht ist es ja immer in der geschichtlichen Welt die Bestimmung des vernünftigen Geistes, in esoterischer Wirkung auf den kleinen Kreis beschränkt zu sein, und wir lassen uns nur durch die bürgerliche Bildung des 19. Jahrhunderts über das täuschen, was an sich normal ist.« 9

Mit den Ebracher Seminaren hat Ernst Forsthoff sich in seiner zweiten, bundesrepublikanischen Karriere ein Forum geschaffen, das seinem Naturell vollkommen entsprach. Für zwei Wochen brachte er im Steigerwald jeden Herbst ungefähr 30 Studenten und Assistenten mit ausgesuchten Referenten zusammen. Aus Gutachtenhonoraren bestritt er den Großteil der Unkosten selbst. Am Tag fand nicht mehr als ein Vortrag statt, umso mehr Platz blieb für Diskussionen, Spaziergänge und abendliche Tischgespräche. Man legte Wert auf die Muße des geistigen Austausches. Die Generalthemen wurden mit Bedacht allgemein gehalten, um Referenten und Diskussionen nicht festzunageln. Sie lauteten etwa: »Natur-Begriff« (1962), »Säkularisation« (1964), »Utopie« (1965) oder »Wesen und Funktion der Öffentlichkeit« (1969). War Ebrach auch, wie Forsthoff beteuerte, »kein akademischer Heiratsmarkt […], wie die Tagungen der Gruppe 47 ein literarischer«10, so waren Begegnungen und Kontaktpflege doch keine bloßen Randaspekte. Zu den Referenten, die im Laufe der Jahre einmal oder mehrmals nach Ebrach kamen, gehören viele große Namen der bundesdeutschen Wissenschaft: neben Schmitt und Gehlen etwa Werner

7 8 9 10

Ernst Forsthoff an Arnold Gehlen, 20.11.1967 (Durchschlag), NL Forsthoff. Arnold Gehlen an Ernst Forsthoff, 17.10.1959, NL Forsthoff. Joachim Ritter an Ernst Forsthoff, 21.10.1960 (Durchschlag), DLA Marbach, NL Ritter. Ernst Forsthoff an Hans-Dietrich Sander, 7.9.1968, Sammlung Sander.

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Einleitung

Conze, Franz Wieacker, Ernst Rudolf Huber, Joachim Ritter, Hermann Lübbe, Robert Spaemann, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Pascual Jordan, Reinhart Koselleck, Christian Meier, Niklas Luhmann oder Dieter Henrich. Für nicht wenige der studentischen Teilnehmer wurde Ebrach zu einem Initiationserlebnis.

Fragestellung Ernst Forsthoffs wissenschaftliches Leben, das sich meist am Rande der offiziellen Universitätswissenschaft abspielte, reicht von den Krisen der Weimarer Republik bis zu den Jahren der Studentenunruhen, begann mit den revolutionären Utopien des Faschismus und endete mit tiefer Skepsis über die Entwicklung der Bundesrepublik. Sein Werk ist der Wissenschaft der Gegenwart zugleich nah und fern. Nah schon deshalb, weil Forsthoff seinem Fach, dem Öffentlichen Recht, durch epochemachende Untersuchungen über das Recht der wohlfahrtsstaatlichen Verwaltung ein bis heute virulent gebliebenes juristisches Problem erschlossen hat. Nah aber auch, weil sein Wort von der »Daseinsvorsorge« aus dem staatspolitischen Ideenhaushalt der Gegenwart nicht wegzudenken ist. Gleichzeitig ist Forsthoffs Werk, fast vier Jahrzehnte nach seinem Tode, in die Ferne gerückt. Die Debatten, die er prägte: um den Rechtsstaatsbegriff in den fünfziger, um die Verfassungsauslegung in den sechziger und um die Bundesrepublik als entideologisierten »Staat der Industriegesellschaft« in den siebziger Jahren, diese Debatten sind historisch, um nicht zu sagen: antiquarisch geworden. Es ist schwer, die verbissene Leidenschaft nachzuempfinden, mit der sie geführt wurden. Die politischen, philosophischen und methodischen Antriebe und die Fragen, die Forsthoffs Werk zusammenhalten, sind nicht mehr ohne weiteres verständlich. Dabei ist die zentrale Stellung Forsthoffs in der Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts und in der Verfassungsgeschichte des 20. Jahrhunderts ganz unbestritten. Als Angehöriger der Kriegsjugendgeneration, aufgewachsen im geistigen Einflußfeld des nationalkonservativen Protestantismus, gehörte er zu den Staatsrechtslehrern, die die nationalsozialistische Revolution zunächst mit hochfliegenden Erwartungen begrüßten und in Hitlers Diktatur einen Ausweg aus der Agonie der Republik sahen. Forsthoffs 1933 erschienene Schrift Der totale Staat war eine der ersten wichtigen staatsrechtlichen und politischen Deutungen des NS-Regimes. Nachdem er aber, bald enttäuscht und abgestoßen vom brutalen Gesicht der Bewegung, zum Nationalsozialismus auf Distanz gegangen war, schrieb er 1938 jene skizzenhafte programmatische Abhandlung Die Verwaltung als Leistungsträger, die den fundamentalsten Paradigmenwechsel in der Verwaltungsrechtswissenschaft des 20. Jahrhunderts vollziehen sollte: die Wendung zur »Daseinsvorsorge«. Der Zenit seines öffentlichen Wirkens lag indessen in den fünfziger und in der ersten Hälfte der

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sechziger Jahre. Einige seiner Werke aus dieser Zeit sind ohne Zweifel schon klassische Dokumente der Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik, etwa sein Vortrag von 1953 über »Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates« oder seine 1959 erschienene Abhandlung »Die Umbildung des Verfassungsgesetzes«. Kurz: Ernst Forsthoff war in seiner Generation der bedeutendste Vertreter des Öffentlichen Rechts in Deutschland. Einer breiteren Öffentlichkeit ist er ferner als Schüler Carl Schmitts bekannt, und auch die neuere Ideengeschichte hat ihn vornehmlich als solchen gesehen.11 Tatsächlich war er vielleicht der einzige unter den Schülern, der es an Bildung, juristischer Begriffsschärfe und Radikalität des Denkens mit dem Lehrer aufnehmen konnte. Nach alledem bedarf der Versuch einer entwicklungsgeschichtlichen Deutung der Ideenwelt Ernst Forsthoffs wohl keiner besonderen Rechtfertigung. Allerdings bleibt das bisher Gesagte noch äußerlich und läßt das in diesem Werk liegende geistesgeschichtliche Problem noch offen: Auf welche Weise und mit welchen Vorverständnissen spiegelt sich in Forsthoffs Werk die deutsche Rechts- und Verfassungsgeschichte des 20. Jahrhunderts? Wie reagierte sein staats- und verwaltungsrechtliches Denken auf die Umbrüche und Zäsuren dieses Jahrhunderts? Wie endlich veränderten sich in diesen Umbrüchen seine Auffassung vom Recht und sein Selbstverständnis als Jurist? Forsthoffs Fragestellung hat sich trotz aller Brüche seines Lebens im Grunde nie verändert: Forsthoffs Frage ist die mit dem Ende der Monarchie und der bürgerlichen Gesellschaft, mit dem Übergang zur Massendemokratie und zum bürokratischen Staat der Daseinsvorsorge entstandene, durch alle Staatsformen hindurch virulent gebliebene Verfassungsfrage des 20. Jahrhunderts: die Auflösung der bürgerlichen Distanz zwischen Individuum und Staat. Diese Verfassungsfrage war für Forsthoff nichts weniger als eine bloß politische; sie ging die Arbeitsweise und das geistige Selbstverständnis des Juristen unmittelbar an. Denn die juristischen Formen des bürgerlichen Jahrhunderts hatten ihre innere Rechtfertigung, ihr »Prinzip« verloren. Und doch bestanden sie fort; mußten fortbestehen, solange ein neues Ordnungsgefüge nicht gewonnen war. Dieses vorläufig nur in knappen Sätzen gefaßte Fundamentalproblem verleiht Forsthoffs gesamtem Werk, wie zu zeigen ist, ein hohes Maß innerer Einheit.

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F. Günther, Denken vom Staat her, 2004; J. W. Müller, A Dangerous Mind, 2003; F. Balke, Der Staat nach seinem Ende, 1996.

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Stand der Forschung Der Stand der Forschung, von dem dabei auszugehen ist, ist für die einzelnen Teilaspekte des Themas höchst unterschiedlich. Die Geschichte des revolutionären Konservativismus in der Spätphase der Weimarer Republik und in der ersten Zeit des Nationalsozialismus ist seit langem umfassend12 und die des konservativen Denkens in der Bundesrepublik mindestens gut erforscht.13 Überhaupt hat die politische Ideengeschichte den fünfziger und sechziger Jahren in der letzten Zeit erhebliche Aufmerksamkeit geschenkt. Aus der dabei vielfach zugrundegelegten Hypothese von der »Westernisierung«14 des deutschen Konservativismus fällt Ernst Forsthoff indessen heraus. Als einer der wenigen Konservativen hat er bis zuletzt mit dem westdeutschen Staat keinen Frieden machen wollen. Bemerkenswerterweise ist dagegen die Zwischenzeit zwischen den dreißiger Jahren und der Adenauer-Zeit, also die Nachgeschichte der Konservativen Revolution in der Zeit des Dritten Reiches und den ersten Nachkriegsjahren, noch immer recht unbekannt.15 Sie fügt sich schließlich auch nicht ohne weiteres in die Meistererzählung von der Westernisierung. Ähnliches gilt für die rechtsgeschichtliche Seite des Themas: Die Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit ist seit Jahrzehnten ergiebig behandelt worden,16 die Erforschung der Staatsrechtslehre des Nationalsozialismus hat in neuerer Zeit den früheren Rückstand aufgeholt.17 Bahnbrechend für die Zeit der frühen Bundesrepublik hat die Arbeit von Frieder Günther gewirkt,18 die sich freilich eines eher professionssoziologischen Zugriffs bedient und deswegen die feh12

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Grundlegend nach wie vor das 1950 erstmals erschienene, mittlerweile in andere Hände übergegangene Werk von A. Mohler/K. Weißmann, Die konservative Revolution in Deutschland 1918–1932, 62005, das alle Literatur zum Thema umfassend und zuverlässig verzeichnet. Ferner S. Breuer, Anatomie der konservativen Revolution, 21995; K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, 41994. Bedeutsam noch immer H. Grebing, Konservative gegen die Demokratie, 1971, und M. Greiffenhagen, Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland (1971), 21986; aus neuerer Zeit vor allem J. Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit, 2006; ferner D. Morat, Von der Tat zur Gelassenheit, 2007; F.-L. Kroll (Hrsg.), Die kupierte Alternative, 2005. A. Doering-Manteuffel, Wie westlich sind die Deutschen?, 1999. Jetzt aber zu Heidegger und den Brüdern Ernst und Friedrich Georg Jünger: D. Morat, Von der Tat zur Gelassenheit, 2007. Siehe aus neuerer Zeit nur M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999; ders., Der Methodenstreit der Weimarer Staatsrechtslehre, 2001; C. Gusy (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, 2000; C. Möllers, Der Methodenstreit als politischer Generationenkonflikt, in: Der Staat 43 (2004), 399 ff. Daneben gibt es eine große Literatur zu einzelnen Staatsrechtslehrern der Weimarer Zeit, namentlich zu Carl Schmitt, Rudolf Smend, Heinrich Triepel, Hans Kelsen und Hermann Heller. O. Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung, 1994; H. Dreier, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, in: VVDStRL 61 (2001), 9 ff.; W. Pauly, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, in: VVDStRL 61 (2001), 73 ff.; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999. F. Günther, Denken vom Staat her, 2004.

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lenden dogmen- und ideengeschichtlichen Untersuchungen nicht zu ersetzen vermag.19 Die vorliegenden Arbeiten zur Geschichte der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft im 20. Jahrhundert zeigen dagegen gerade für die Bundesrepublik ein großes und wachsendes Interesse,20 während das Verwaltungsrecht der Zwischenkriegszeit noch ein weithin unbestelltes Feld ist.21 Die speziellere Literatur über Leben und Werk Ernst Forsthoffs ist dagegen bisher durchaus überschaubar. So gibt es neben den üblichen Glückwünschen,22 Nachrufen23 – darunter ein erst neuerdings gedruckter Nekrolog Roman Herzogs24 – und lexikalischen Skizzen25 drei Lebensbilder aus der Feder seines Schülers Karl Doehring.26 Die ersten Marksteine der Deutungsgeschichte waren in den siebziger Jahren drei größere Abhandlungen von Peter Häberle, der, obwohl der Schule Rudolf Smends entstammend, Forsthoffs Lei-

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Siehe aus neuerer Zeit immerhin M. Stolleis (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, 2006; daneben noch immer D. Simon (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der Bonner Republik, 1994. Siehe etwa W. Meyer-Hesemann, Methodenwandel in der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1981; M. Stolleis, Verwaltungsrechtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland, in: Rechtswissenschaft in der Bonner Republik, hrsg. v. D. Simon, 1994, 227 ff.; C. Bumke, Die Entwicklung der verwaltungsrechtlichen Methodik in der Bundesrepublik Deutschland, in: Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, hrsg. v. E. Schmidt-Aßmann/W. Hoffmann-Riem, 2004, 73 ff.; R. Wahl, Herausforderungen und Antworten, 2006. Neben M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, und den einschlägigen Beiträgen in ders., Recht im Unrecht, 22006, vor allem B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987. C. Heinze, Ernst Forsthoff 70 Jahre, in: DÖV 1972, 639; H. Schneider, Ernst Forsthoff: 70 Jahre, in: NJW 1972, 1654; upr., Ernst Forsthoff 70 Jahre, in: RNZ v. 13.9.1972, 7; W. Weber, Ernst Forsthoff zum 70. Geburtstag, in: AöR 97 (1972), 420 ff. K. Doehring, Ernst Forsthoff †, in: AöR 99 (1974), 650 ff.; K. von der Groeben/R. Koselleck/F. Mayer/F. Ronneberger/R. Schnur/J. Broermann, Ernst Forsthoff 1902–1974, in: Die Verwaltung 11 (1975), 5 f.; H. H. Klein, Zum 10. Todestag von Ernst Forsthoff, in: DÖV 1984, 675 ff.; W. Martini, Selbst in Spanien ist der »Forsthoff« ein Begriff, in: Die Welt v. 15.8.1974, 15; H. Quaritsch, Erinnerung an Ernst Forsthoff, in: NJW 1974, 2120; H. Schneider, Ernst Forsthoff †, in: DÖV 1974, 596 f.; K. Vogel, Ernst Forsthoff †, in: Die Verwaltung 8 (1975), 1 ff. R. Herzog, Gedenkrede auf Ernst Forsthoff (1975), in: Festschrift für Roman Herzog zum 75. Geburtstag, hrsg. v. M. Herdegen u. a., 2009, XXIII ff. F. Herrmann, Forsthoff, Ernst, in: Juristen, hrsg. v. M. Stolleis, 1995, 212 f.; H. H. Klein, Forsthoff, in: Staatslexikon, hrsg. v. der Görres-Gesellschaft, 71986, Sp. 649 ff.; R. Mehring, Forsthoff, in: Politische Theorie der Gegenwart in Einzeldarstellungen, hrsg. v. G. Riescher, 2004, 157 ff.; R. Mußgnug, Forsthoff, August Wilhelm Heinrich Ernst, in: Badische Biographien, Neue Folge Bd. I, hrsg. v. B. Ottnad, 1982, 121 f.; J. C. Papalekas, Forsthoff, Ernst, in: Internationales Soziologenlexikon, Bd. 2, hrsg. v. W. Bernsdorf/H. Knospe, 21984, 246 f.; M. Stolleis, Art. »Forsthoff, Ernst«, in: HRG, 7. Lfg, hrsg. v. A. Cordes u. a., 22008, Sp. 1638 f. K. Doehring, Ernst Forsthoff, in: Festschrift Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Bd. III, hrsg. v. W. Doerr, 1985, 437 ff.; ders., Ernst Forsthoff, in: Juristen im Portrait, hrsg. v. Verlag C. H. Beck, 1988, 341 ff.; ders., Ernst Forsthoff als Hochschullehrer, Kollege und Freund, in: Ernst Forsthoff, hrsg. v. W. Blümel, 2003, 9 ff.

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stungen bei aller Kritik anerkannte.27 Freilich haben gerade Häberles Aufsätze eine bis heute in der Literatur verbreitete Deutung etabliert, die den Zugang zu Forsthoffs Denken eher verstellt als öffnet. Danach habe Forsthoff, der im Verwaltungsrecht so kühn und zukunftsoffen dachte, im Staatsrecht die gleiche Schärfe meist vermissen lassen, wo er sich im Grunde doch nur auf die Bewahrung traditioneller Bestände beschränkt habe.28 Wer so verfährt, macht es sich ein wenig zu leicht und Forsthoff letztlich zu einem harmlosen Nostalgiker. Dreimal ist Forsthoffs Werk unter besonderen Aspekten monographisch behandelt worden. So gibt es zwei ältere Untersuchungen über den Staats- und Verfassungsbegriff in den einzelnen Phasen seines Werks29 sowie eine neuere Arbeit über seine verwaltungsrechtliche Methode und Dogmatik.30 Sie leiden überwiegend daran, daß sie sich zu stark an dogmengeschichtliche Fragen halten, ohne aber zu dem vorzudringen, was gerade als Forsthoffs Kardinalproblem bezeichnet wurde. So gerät jedoch die Dogmengeschichte zu einer zufälligen Bilanzrechnung von Kontinuität und Diskontinuität. Daneben gibt es eine Reihe von Aufsätzen über Forsthoffs Verwaltungslehre, politische Theorie und Verfassungsinterpretation, die bemerkenswerter Weise zu einem beachtlichen Teil aus dem Ausland stammen.31 Grundlegend für Forsthoffs Verwal27

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P. Häberle, Retrospektive Staats(rechts)lehre oder realistische »Gesellschaftslehre«?, in: ZHR 136 (1972), 425 ff.; ders., Lebende Verwaltung trotz überlebter Verfassung?, in: JZ 1975, 685 ff.; ders., Zum Staatsdenken Ernst Forsthoffs, in: ZSR 95 I (1976), 477 ff. P. Häberle, Lebende Verwaltung trotz überlebter Verfassung?, in: JZ 1975, 685 ff. U. Storost, Staat und Verfassung bei Ernst Forsthoff, 1979; ergänzend zum Verwaltungsrecht ders., Die Verwaltungsrechtslehre Ernst Forsthoffs als Ausdruck eines politischen Verfassungsmodells, in: Wissenschaft und Recht der Verwaltung seit dem Ancien Regime, hrsg. v. E. V. Heyen, 1984, 163 ff. Ein problematischer Fall sind die Arbeiten von R. Schuckart, Staatsgewalt als Instrument gesellschaftlicher Disziplinierung, Diss. Hannover 1993, und ders., Kontinuitäten einer konservativen Staatsrechtslehre, in: Erfolgsgeschichte Bundesrepublik?, hrsg. v. S. A. Glienke u. a., 2008, 85 ff. Schuckart legt sich gegen Forsthoff mit großem Aufwand ein etwas gestrig anmutendes theoretisches Rüstzeug zurecht, macht dessen Werk aber dann doch nur zur Projektionsfläche einer ganz allgemeinen Ideologiekritik, wodurch diese selbst ziemlich ins Leere läuft. Aus der Frühzeit der Bundesrepublik stammt die mit ständiger Rücksicht auf Forsthoffs verfassungsrechtliche Schriften geschriebene Arbeit von W. Skuhr, Die Stellung zur Demokratie in der deutschen Nachkriegsdiskussion über den demokratischen und sozialen Rechtsstaat, Diss. Berlin 1961. C. Schütte, Progressive Verwaltungsrechtswissenschaft auf konservativer Grundlage, 2006; dazu J. Kersten, Buchbesprechung, in: Der Staat 47 (2008), 150 ff. Siehe auch D. Scheidemann, Der Begriff Daseinsvorsorge, 1991; am Rande auch D. Paust, Die institutionelle Methode im Verwaltungsrecht, 1997. L. Martín-Retortillo, La Configuración juridica de la Administración publica y el concepto de »Daseinsvorsorge«, in: Revista de Administración Pública 38 (1961), 35 ff.; H. Anders, Der »Daseinssicherer des Monopolkapitals« und »Gehilfe des Führers«, in: Staat und Recht 12 (1963), 981 ff.; P. Römer, Vom totalen Staat zur totalen bürgerlichen Gesellschaft, in: Das Argument 12 (1970), 322 ff.; K.-H. Röder/U. Röder, Ernst Forsthoffs Anpassung an den Imperialismus der siebziger Jahre, in: Staat und Recht 20 (1971), 1145 ff.; R. Saage, Konservatismus und Faschismus, in: PVS 19 (1978), 254 ff.; G. Mauz, Ernst Forsthoff und andere, in: Intellektuelle im Bann des Nationalsozialismus, hrsg. v. K. Corino, 1980, 193 ff.;

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tungslehre ist der Berliner Habilitationsvortrag Jens Kerstens aus dem Jahr 2004.32 Unterschiedlich wiederum ist es um die für eine Werkbiographie Ernst Forsthoffs bedeutsamen »Nebenfiguren« bestellt. Relativ gut sind Leben und Werk seines Studienfreundes und Kollegen Ernst Rudolf Huber erforscht;33 auch über den Verleger und Publizisten Wilhelm Stapel, für Forsthoffs Umfeld zu Beginn der dreißiger Jahre eine Schlüsselfigur, wurde bereits gearbeitet.34 Dagegen fehlt erstaunlicherweise bis heute eine brauchbare werkgeschichtliche Gesamtinterpretation Arnold Gehlens.35 Auch die Biographie von Forsthoffs erstem Schüler Wilhelm Grewe, der nach dem Krieg Leiter der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, Deutscher Botschafter in Washington und als Urheber der »Hallstein-Doktrin« berühmt wurde, bleibt noch zu schreiben.36 Kein geringeres Desiderat wäre schließlich eine Studie über Franz Wieacker, zumal über sein Frühwerk.37

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A. Demirovic´, Staat und Technik, in: Konservativismus in der Strukturkrise, hrsg. v. T. Kreuder/H. Loewy, 1987, 100 ff.; I. Staff, Die Wahrung staatlicher Ordnung, in: Leviathan 15 (1987), 141 ff.; P. C. Caldwell, Ernst Forsthoff and the Legacy of Radical Conservative State Theory in the Federal Republic of Germany, in: History of Political Thought XV (1994), 615 ff.; A. Mangia, Valori e Interpretatione in Ernst Forsthoff, in: JUS. Rivista di Scienze Giuridiche XLI (1994), 5 ff.; ders., L’ultimo Forsthoff, 1995; dazu die wichtige Besprechung von B. Sordi, Il primo e l’ultimo Forsthoff, in: Quaderni Fiorentini XXV (1996), 667 ff.; H. Firsching, Am Ausgang der Epoche der Staatlichkeit?, in: Metamorphosen des Politischen, hrsg. v. A. Göbel u.a., 1995, 203 ff.; M. Herdegen, Ernst Forsthoffs Sicht vom Staat, in: Ernst Forsthoff, hrsg. v. W. Blümel, 2003, 41 ff.; M. Bullinger, Der Beitrag von Ernst Forsthoff zum Verwaltungs- und Verfassungsrecht, in: Festschrift für Reinhard Mußgnug, hrsg. v. K. Grupp/U. Hufeld, 2005, 399 ff.; L. M. Cruz, La desformalización de la Constitución, in: Ciudadanía y derecho en la era de la globalización, hrsg. v. A. de Julios Campuzano, 2007, 61 ff. J. Kersten, Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, in: Der Staat 44 (2005), 543 ff. R. Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, 1997; unter dem Aspekt der Verfassungsgeschichte, aber auch mit vielen biographischen Details E. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, 2005; dazu die ergänzenden Aufsätze: ders., Eine »lautlose« Angelegenheit?, in: Zs. für Geschichtswissenschaft 47 (1999), 980 ff.; ders., Über den Umgang mit Zeitenwenden, in: Zs. für Geschichtswissenschaft 53 (2005), 216 ff. H. Keßler, Wilhelm Stapel als politischer Publizist, 1967; S. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, 1992; ferner ders., Wilhelm Stapel und Carl Schmitt, in: Schmittiana, Bd. V, hrsg. v. P. Tommissen, 1996, 27 ff. Nach der umfassenden Erschließung des Nachlasses im Deutschen Literaturarchiv Marbach eröffnen sich jedoch neue Perspektiven. Die einschlägigsten Arbeiten zu den hier relevanten Aspekten sind: P. Fonk, Transformation der Dialektik, 1983; J. Weiß, Weltverlust und Subjektivität, 1971; F. Jonas, Die Institutionenlehre Arnold Gehlens, 1966. Siehe aber B. Faßbender, Stories of War and Peace, in: EJIL 13 (2002), 479 ff. Von Grewe gibt es eine Autobiographie, die für die hier interessierende frühe Zeit bis 1950 allerdings vollkommen unergiebig ist: W. Grewe, Rückblenden, 1979; siehe auch ders., Ein Leben mit Staats- und Völkerrecht im 20. Jahrhundert, in: Freiburger Universitätsblätter 31 (1992), 25 ff. Einstweilen O. Behrends, Franz Wieacker, in: ZRG Rom. Abt. 112 (1995), XIII ff.; T. Keiser, Eigentumsrecht in Nationalsozialismus und Fascismo, 2005.

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Ein Sonderfall ist die Literatur über Carl Schmitt, Ernst Forsthoffs akademischen Lehrer und jahrzehntelangen Gesprächspartner. Unmittelbar einschlägig sind hier lediglich die Arbeiten über die Schmitt-Rezeption nach dem Zweiten Weltkrieg.38 Im übrigen wird die Schmitt-Literatur immer unüberschaubarer.39 Darin liegt aber aus zwei Gründen kein großes Problem für die vorliegende Arbeit. Einmal ist es nicht ihr Anliegen, den vorhandenen Untersuchungen über »Carl Schmitt und X« eine weitere hinzuzufügen. Vielmehr soll Ernst Forsthoff als eigenständiger Geist sichtbar und verstehbar gemacht werden. Deshalb wird das Verhältnis zwischen Forsthoff und Schmitt hier eher implizit und nur sporadisch thematisiert. Der zweite Grund ist anderer Art: Die Schmittforschung ist in der letzten Zeit zunehmend in die Hände von Nichtjuristen geraten. Infolgedessen wurde die juristische Problemstellung in seinem Denken immer weiter marginalisiert. Was das bedeutet, ist noch nicht voll abzusehen. Jedenfalls schloß es für diese Untersuchung das Thema »Schmitt und Forsthoff« als solches aus. Sie hätte nur vom Juristen Carl Schmitt handeln können. Dabei wäre es aber unvermeidlich gewesen, die neuere Schmittforschung in ihrer Grundtendenz in Frage zu stellen, was natürlich ein Thema für sich ist.

Quellen Die Darstellung stützt sich zunächst auf die veröffentlichten Schriften Ernst Forsthoffs als primäre Quelle, um sie aus sich heraus und im Kontext der zeitgenössischen Diskussionen zu verstehen. Dieses Werk ist nicht sonderlich umfangreich. Mit Ausnahme seines großen, seit 1950 in zehn Auflagen erschienenen Lehrbuchs des Verwaltungsrechts, das Generationen von deutschen Juristen schlicht als »den Forsthoff« kannten, hat er nach seiner Habilitationsschrift keine längere Monographie mehr veröffentlicht. Diese Tatsache ist bereits ein erstes Charakteristikum. Als Konservativer hatte Forsthoff eine ausgeprägte Scheu vor großen systematischen Entwürfen und Darstellungen. Wie das »konkrete Denken« liebte und pflegte er die kleinen Formen: die Skizze, den pointierten Aufsatz, den scharfen Essay, die Glosse, den Vortrag. Neben dem publizierten Oeuvre stützt sich die Darstellung in großem Umfang auf Forsthoffs wissenschaftlichen Nachlaß, der für die vorliegende

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D. van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 22002; J. W. Müller, A Dangerous Mind, 2003. Die neueste Gesamtdarstellung stammt von R. Mehring, Carl Schmitt, 2009, bei dem Ernst Forsthoff kaum mehr als eine kleine Nebenrolle spielt. Einen guten Überblick über das bis 2002 erschienene Schrifttum über Schmitt bietet die Einleitung bei H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität (1964), 42002, V ff.; die neueste Literatur wird von Herrn Dr. Gerd Giesler laufend auf den Seiten der Carl Schmitt-Gesellschaft nachgewiesen: www.carl-schmitt.de.

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Studie erstmals umfassend zugänglich gemacht wurde. Was daraus bisher bekannt wurde, sind die vor kurzem vorzüglich edierten Briefe Carl Schmitts.40 Es handelt sich beim Nachlaß Forsthoffs um einen sehr umfangreichen, fast durchweg ungeordneten Bestand, der im Familienbesitz ist. Sein Erschließungszustand machte eine auch nur annähernd vollständige Erfassung oder gar Bearbeitung von vornherein unmöglich. Nur für die – freilich entscheidenden – Jahre, in denen Forsthoff kaum und vieles Wichtige überhaupt nicht publiziert hat, also zwischen 1935 und 1950, wurde eine relativ vollständige Durchsicht angestrebt. Aus dieser Zeit stammt eine beachtliche Zahl teilweise auch umfangreicher Manuskripte. Einzelne große Sachkomplexe, wie zumal das im Nachlaß gut belegte Kirchenrecht im Nationalsozialismus, mußten aber ausgeklammert bleiben, weil sie in Detailfragen dieses Rechtsgebietes und der Geschichte des Kirchenkampfes führen und zum Thema der vorliegenden Arbeit wenig beigetragen hätten. Zum Nachlaß im weiteren Sinne gehören auch Forsthoffs Hand- und Belegexemplare verschiedener apokrypher Periodika, insbesondere verschiedener Pressedienste, in denen er in der unmittelbaren Nachkriegszeit zahlreiche, meist anonyme Artikel publiziert hat. Diese Pressedienste wurden als Manuskripte gedruckt und oft schon nach kurzer Zeit wieder eingestellt oder umbenannt. Die Mehrzahl der Ausgaben ist – soweit ersichtlich – in keiner deutschen Bibliothek greifbar. Sie konnten sämtlich nur nach den Exemplaren Forsthoffs zitiert werden, was aber von Vorteil war: Anhand der dortigen Kennzeichnungen ließen sich viele Artikel überhaupt erst zweifelsfrei Forsthoff zuordnen. Bei anderen konnte die Autorschaft anhand stilistischer oder inhaltlicher Übereinstimmungen eindeutig geklärt werden. Im übrigen wurde die Quellengrundlage durch eine Reihe von anderen Archivquellen erweitert. Besondere Bedeutung kam insoweit den Nachlässen von Carl Schmitt im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, von Ernst Rudolf Huber und Werner Weber im Bundesarchiv Koblenz, von Gustav Steinbömer und Wilhelm Stapel in Deutschen Literaturarchiv in Marbach sowie denen von Fritz von Hippel und Erik Wolf im Universitätsarchiv Freiburg zu. Andere wichtige Nachlässe ließen sich nicht ermitteln. Sehr zu bedauern ist das etwa bei Friedrich Vorwerk, einem mit Forsthoff befreundeten Verleger, sowie bei dem Göttinger Verwaltungsrechtler Arnold Köttgen, von dem Forsthoff gesagt hat, daß dieser ihm von den Kollegen seiner Generation am allernächsten gestanden habe.41 Das größte Manko ist indessen zweifellos das Fehlen des Nachlasses von Hans Barion.42 Mit dem Bonner Kirchenrechtler stand Forst-

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E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel 1926–1974, 2007. Für spanische Leser hat Francisco Sosa Wagner den Briefwechsel zu einem dramatischen Cento verdichtet: F. Sosa Wagner, Carl Schmitt y Ernst Forsthoff, 2008. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 14.3.1967, BW, Nr. 221. Zu Barion siehe T. Marschler, Kirchenrecht im Bannkreis Carl Schmitts, 2004.

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hoff wohl von 1933 bis zu Barions Tod im Jahre 1973 in ständiger enger Verbindung. Trotz umfangreicher Nachforschungen bei allen irgend in Betracht kommenden Stellen und Personen ließ sich der Verbleib der Hinterlassenschaften nicht aufspüren. Der Nachlaß Barions muß als verschollen gelten.

Erster Teil Einflüsse und Bedingungen der geistigen Entwicklung Ernst Forsthoffs

Erstes Kapitel Drei Väter August Wilhelm Heinrich Ernst Forsthoff stammte aus Laar, einer heute zu Duisburg gehörenden Gemeinde. Sein Vater war dort Pfarrer, als sein erster Sohn am 13. September 1902 geboren wurde. Über Forsthoffs Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. Er wuchs als Einzelkind auf. Sein Bruder Heinz Friedrich starb schon wenige Wochen nach der Geburt im Mai 1910. Heinrich Forsthoff und seine Frau Emmy, geb. Bergfried, zogen 1906 in das nahe Mülheim an der Ruhr. Dort schickten sie ihren Sohn zunächst in die Volksschule, um ihn »mit den Kindern der unteren Volksschichten von Jugend her vertraut« zu machen.1 Von 1912 bis 1921 besuchte Ernst Forsthoff das staatliche Reformgymnasium, 1917 wurde er konfirmiert.2 Die Teilnahme am Ersten Weltkrieg war ihm erspart geblieben, da die Jahrgänge ab 1901 nicht mehr eingezogen wurden. Nach dem Abitur schrieb er sich in Freiburg für das Studium der Rechtswissenschaft ein. Wen hat er dort gehört? Vielleicht die »Einführung in die Rechtsphilosophie« oder »Juristisches Denken« bei Hermann Kantorowicz, einem Vertreter der Freirechtsschule? Vielleicht die Anfängerübungen über »Geschichte und System des römischen Rechts« beim Romanisten Fritz Pringsheim? Oder »Allgemeine Staatslehre« bei Fritz Freiherr Marschall von Bieberstein oder bei Wilhelm van Calker? Jedenfalls wechselte Forsthoff ein Jahr später nach Marburg. Nach einem weiteren Semester dort ging er wiederum für ein Semester nach Freiburg und von dort zum Sommersemester 1923 nach Bonn.3 Beim Kölner Oberlandesgericht bestand er im Juni 1924 das Erste Juristische Staatsexamen

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E. Forsthoff, Lebensbeschreibung, undatiert (1946), Ts., NL Forsthoff, Bl. 1. Konfirmationsbuch der Evangelischen Altstadtkirchengemeinde 1916–1923, KB 193/1917/4, Mitteilung des Evangelischen Kirchenkreises Mülheim an der Ruhr v. 9.5.2006. Ernst Forsthoff, Handschriftlicher Lebenslauf, Archiv der Juristischen Fakultät der Universität Bonn, Promotionsakte Forsthoff, Ernst, Nr. 437, Bl. 6. Das vierte Semester in Freiburg erwähnte Fritz Freiherr Marschall von Bieberstein in seinem Gutachten v. 23.4.1930 über Forsthoffs Habilitationsschrift, UA Freiburg, B110/348, Bl. 4.

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Erster Teil: Einflüsse und Entwicklungsbedingungen

mit dem Prädikat »gut«. Ein Jahr später folgte, ebenfalls in Bonn, die Promotion, im März 1928 in Berlin das Assessorexamen, diesmal nur »ausreichend«.4 Forsthoff trat danach in Bonn in den preußischen Justizdienst ein, ließ sich aber mit dem Ziel der Habilitation alsbald wieder beurlauben.5 Mit einer biographisch fesselnden Jugend haben wir es gewiß nicht zu tun. Keine Bohème, keine Künstlerfreunde, keine Revolte, keine tragischen Liebschaften, keine Skandale, ja noch nicht einmal eine Burschenschaft. Auch von einer Prägung durch die Jugendbewegung kann man wohl kaum sprechen, anders als etwa bei seinem Bonner Studienfreund Ernst Rudolf Huber, dem der Wandervogel zur zweiten Familie wurde. Möglicherweise war Forsthoff als Schüler oder Student Mitglied im Deutsch-völkischen Schutz- und Trutzbund,6 einer Kampforganisation alldeutscher Tendenz. Doch im übrigen war Forsthoff wohl vor allem ein fleißiger Student aus gutem Elternhause. Will man die für Forsthoffs Denken prägenden Einflußfaktoren benennen, so stechen jene drei besonders hervor, von denen das folgende Kapitel handelt: das väterliche Pfarrhaus, die Zugehörigkeit zur Kriegsjugendgeneration und die Begegnung mit Person und Werk seines akademischen Lehrers – Carl Schmitt.

I. Das Pfarrhaus Unter allen Faktoren, die die intellektuelle Entwicklung Ernst Forsthoffs bestimmt haben, war das Elternhaus der stärkste. Dieses Elternhaus war ein evangelisches Pfarrhaus im Ruhrgebiet. Der Vater war ein Mann, der konservativ und national dachte und an den großen theologischen Debatten seiner Zeit lebhaften Anteil nahm. Heinrich Forsthoff stammte aus Gruiten, einem kleinen Dorf zwischen Wuppertal und Düsseldorf, wo er am 1. Februar 1871 als Sohn eines Gutsbesitzers geboren wurde. Er studierte Theologie in Bonn, Tübingen und Straßburg, war eine zeitlang Sekretär des 1886 gegründeten Evangelischen Bundes. Später wurde er Pfarrer; zunächst in Duisburg-Ruhrort, dann in Mülheim an der Ruhr. Seine erste selbständige Publikation ist eine polemische Verteidigung der Amtskirche gegen »sozialdemokratische« Ressentiments.7 Schon Pfarrer, promovierte er 1910 bei dem Tübinger Philosophen Heinrich Maier

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Laut Forsthoffs eigenen Angaben im Fragebogen: LA Schleswig-Holstein, Entnazifizierungsakte Ernst Forsthoff, Abt. 460.19, Nr. 93. E. Forsthoff, Lebenslauf, UA Freiburg, Personalakte Forsthoff, B24/820, Bl. 7. Vgl. den Hinweis von W. Martini, Der Sieger schreibt die Geschichte, 1991, 56; allgemein zum DVSTB U. Lohalm, Völkischer Radikalismus, 1970; W. Jung, Ideologische Voraussetzungen, Inhalte und Ziele außenpolitischer Programmatik und Propaganda in der deutschvölkischen Bewegung der Anfangsjahre der Weimarer Republik, Diss. Göttingen 2000, 46 ff.; S. Breuer, Die Völkischen in Deutschland, 2008, 150 ff. H. Forsthoff, Ein gefährliches Spiel, 1904.

Erstes Kapitel: Drei Väter

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über die Religionstheorie Schleiermachers.8 Mit einer Arbeit über den pietistischen Mystiker Gerhard Tersteegen bei Albrecht Ritschl 9 wurde er 1918 Lizentiat der Theologie.10 In den zwanziger Jahren war er Mitherausgeber der Zeitschrift Biblische Zeugnisse, die unter anderen Karl Barth zu ihren Stammautoren zählte. Von Heinrich Forsthoffs großem Werk über Rheinische Kirchengeschichte erschien 1929 der erste Band; es blieb, wie beim Hauptwerk seines Sohnes, der einzige. Die Bonner Theologische Fakultät verlieh ihm dafür den Ehrendoktor.11 In einer 1926 erschienenen ekklesiologischen Bekenntnisschrift, die einen starken »anti-römischen Affekt« verrät, übte er radikale Kritik an der Säkularisierung des reformatorischen Geistes und an der »Einebnung des Protestantismus in das allgemeine moderne Geistesleben« 12. 1933 veröffentlichte er sein wichtigstes Buch: Das Ende der humanistischen Illusion. Eine Untersuchung über die Voraussetzungen von Philosophie und Theologie. Mit sehr selbstsicheren philosophischen Urteilen vollzog er darin eine an Heideggers Sein und Zeit und Grisebachs Gegenwart angelehnte »Abrechnung«, polemisierte gegen den neuzeitlichen Rationalismus, den Glauben an die rationalistischen Institutionen und die Selbstherrlichkeit der menschlichen Vernunft. Als philosophierender Theologe ist Heinrich Forsthoff heute freilich vergessen. Mit seinem Namen verbindet sich vornehmlich seine kirchenpolitische Wirksamkeit in den dreißiger Jahren. In der Weimarer Zeit Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei,13 hat er nach 1933 eine nicht unwichtige politische Rolle gespielt im zeitweiligen Bündnis des deutschen Protestantismus mit dem Nationalsozialismus. Nicht zuletzt unter dem Einfluß Carl Schmitts 14 hatte er früh Partei für den Nationalsozialismus ergriffen und war nach 1933 bei der Glaubensgemeinschaft der Deutschen Christen (GDC) zu höheren Ämtern gekommen. So wurde er Präses der Rheinischen Provinzialsynode, 1934 Propst der Rheinprovinz 15 und theologischer Führer der rheinischen Lan-

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H. Forsthoff, Schleiermachers Religionstheorie und die Motive seiner Grundanschauung, Diss. Tübingen 1910. Zu ihm siehe nur F. W. Graf, Art. »Albrecht Ritschl«, in: NDB, Bd. 21, 2003, 649 f. H. Forsthoff, Die Mystik in Tersteegens Liedern, Diss. Bonn 1918; auch in: Monatshefte für rheinische Kirchengeschichte 12 (1918), 202 ff. R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 4. H. Forsthoff, Die Kirchennot des Protestantismus, 1926, 8. E. Forsthoff, Lebensbeschreibung, undatiert (1946), Ts., NL Forsthoff, Bl. 1. K. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 2, 1977, 16. Zur Beziehung Heinrich Forsthoffs zu Carl Schmitt siehe R. Gross, Jesus oder Christus?, in: Metamorphosen des Politischen, hrsg. v. A. Göbel u. a., 1995, 89 f.; ferner Carl Schmitt an Ernst Forsthoff, 20.6.1942, BW, Nr. 18, Anm. Reichsbischof an Heinrich Forsthoff, 27.3.1934, Evang. Zentralarchiv Berlin, Evang. Oberkirchenrat, Bestand 7, P359; zu Heinrich Forsthoffs Rolle im Nationalsozialismus auch G. Besier, Die Kirchen und das dritte Reich, Bd. 3, 2001, 45; W. Veit, Zur Geschichte des Kirchenkampfes 1933 bis 1945 im Kirchenkreis Gladbach, in: Zwischen Bekenntnis und Anpassung, hrsg. v. G. van Norden, 1985, 342.

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Erster Teil: Einflüsse und Entwicklungsbedingungen

desgruppe der GDC.16 In dieser Rolle vertrat er einen rigiden Zentralismus und das von der GDC so genannte Führerprinzip in der Kirchenorganisation.17 Sein Engagement für die Deutschen Christen dauerte auch über das kritische Jahr 1934 hinaus an,18 bis er 1936 aus Altersgründen aus seinen Ämtern ausschied.19 Den Nationalsozialismus feierte Heinrich Forsthoff in einer Streitschrift für die GDC als Sieg des deutschen Protestantismus und freute sich, daß die »Deutschen Christen […] heute im nationalsozialistischen Staat ungehindert unseres Glaubens leben können.« 20 Denn der Nationalsozialismus erschien ihm in der Lage, die Fehlläufe des modernen Geistes im christlichen Sinne zu korrigieren. Er war – angesichts des zunächst nicht offen kirchenfeindlichen Kurses der Nationalsozialisten – überzeugt, »daß die nationalsozialistische Bewegung, die den Staat trägt, auf den Boden des positiven Christentums gestellt ist« und daß »Deutschland im Geist des Christentums regiert wird« 21. »Wenn heute die wahre Volksgemeinschaft als ein erstrebenswertes Ziel anerkannt ist, so darf festgestellt werden, daß dieses im letzten Grunde aus christlichem Geist geboren ist.« 22 Diese Selbsttäuschung konnte auch jene Vorbehalte überspielen, die Heinrich Forsthoff naturgemäß gegen den Nationalsozialismus als politische Religion hegte.23 Schon vor 1933 hatte sein Luthertum einen völkischen Einschlag. Christliches Denkens habe sich der »Überfremdung und Neutralisierung deutschen Wesens durch undeutschen Geist« zu erwehren, denn die Reformation habe »dem Christenglauben die deutsche Prägung gegeben, die nur dem deutschen und ihm artverwandten Geiste eingehen konnte.«24 In den frühen Publikationen Ernst Forsthoffs, der ursprünglich dem Beispiel seines Vaters folgen und Theologie oder Philosophie studieren wollte, nimmt die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Christentum und nach dem

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G. Besier, Die Kirchen und das dritte Reich, Bd. 3, 2001, 281; K. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 2, 1977, 26. K. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 2, 1977, 205. H. Forsthoff, Calvin oder Luther, 1936, 16. Von der Tätigkeit Heinrich Forsthoffs für die GDC im Jahre 1938 berichtet W. Veit, Zur Geschichte des Kirchenkampfes 1933 bis 1945 im Kirchenkreis Gladbach, in: Zwischen Bekenntnis und Anpassung, hrsg. v. G. van Norden, 1985, 348. H. Forsthoff, Theologie oder Glaube?, 1934, 12. Ebd., 12. H. Forsthoff, Erläuternde Vorbemerkungen zu dem Entwurf einer Kirchenordnung für die Rheinische Kirchenprovinz, in: Entwurf zur Neubildung der Kirchenordnung für die Rheinprovinz, (Beilage), 1934, 3 f. Siehe H. Forsthoff, Protestantismus und Nationalsozialismus, in: Was wir vom Nationalsozialismus erwarten, hrsg. v. A. E. Günther, 1932, 40 mit deutlicher Abgrenzung gegenüber neuheidnischen Ideen; ähnlich ders., Das Ende der humanistischen Illusion, 1933, 86 ff. H. Forsthoff, Protestantismus und Nationalsozialismus, in: Was wir vom Nationalsozialismus erwarten, hrsg. v. A. E. Günther, 1932, 38; sehr ähnlich noch ders., Theologie oder Glaube?, 1934, 12.

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Schicksal der evangelischen Kirchen nach dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments eine herausragende Stellung ein.25 Wie sein Vater war auch er ein Feind der liberalen Theologie und ein Verächter der »verweltlichten« evangelischen Kirche, in der er eine vom staatlichen Liberalismus korrumpierte Partei sah, die »heute in kirchenpolitischen Fragen zu einem großen Teil versagt« 26. Seine kirchenpolitischen Artikel aus der Zeit zwischen 1926 und 1933 zeigen ihn hin und hergerissen zwischen Dialektischer Theologie und protestantischem Nationalismus, zwischen einer Verklärung der lutherischen Kirche unter dem landesherrlichen Kirchenregiment und radikaler spiritueller Erneuerungssehnsucht. Vermutlich vermittelt durch seinen Vater machte Forsthoff um 1930 dann die persönliche und literarische Bekanntschaft mit drei der für den lutherischen Teil der »Konservativen Revolution« wichtigsten Theologen: Friedrich Gogarten, Hans Schomerus und Wilhelm Stapel. Gogarten, theologisch mit weitem Abstand der bedeutendste von ihnen, gehörte wie Forsthoff eine zeitlang zum Kreis um die jungkonservative Zeitschrift Der Ring,27 für die er in den dreißiger Jahren eine Reihe von Beiträgen verfaßte.28 Gogarten war einer der Begründer der Dialektischen Theologie gewesen, Weggefährte von Karl Barth, mit dem er dann aber brach.29 Er vertrat in seinem 1932 erschienenen politischtheologischen Hauptwerk eine radikalisierte, neulutherische Lehre von der weltlichen Obrigkeit.30 Darin unternahm er den Versuch, in der Krisis der europäischen Kultur den Staat wieder als die das Böse bannende Macht und damit als Teil einer Schöpfungstheologie sinnfällig zu machen, und auf diese Weise einen autoritären Staat christlich zu begründen.31

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Siehe vor allem E. Forsthoff, Zur Konkordatsfrage, in: Reformierte Kirchenzeitung 1927, 130 f.; ders., Die Friedensfrage und die evangelische Kirche (Pseudonym ›Rudolf Langenbach‹), in: Der Ring 3 (1930), 236 f.; ders., Die katholische Kirche und die deutschen Minderheiten (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 3 (1930), 246 f.; ders., Oekumenisches (unter dem Pseudonym ›Rudolf Langenbach‹), in: Die Standarte 1930, 302 ff.; ders., »Die theologischen Voraussetzungen der Politik« (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 903 f. E. Forsthoff, Zur Konkordatsfrage, in: Reformierte Kirchenzeitung 1927, 131. Zur Zeitschrift siehe K. Weißmann, Das »Gewissen« und der »Ring«, in: Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur, hrsg. v. H.-C. Kraus, 2003, 115 ff. Im Nachlaß Gogartens befinden sich zwei Briefe Heinrich Forsthoffs aus dem Jahr 1927 (SUB Göttingen, Cod. Ms. F. Gogarten 400: 169), dagegen nur einer von Ernst Forsthoff aus den sechziger Jahren (Cod. Ms. F. Gogarten 400: 168), der die persönliche Bekanntschaft in den Jahren des Rings erwähnt. M. Kroeger, Friedrich Gogarten, Bd. I, 1997. F. Gogarten, Politische Ethik, 1932. Zu Gogartens politischer Ethik F. W. Graf, Friedrich Gogartens Deutung der Moderne, in: ZKG 100 (1989), 169 ff., 199 ff.; ferner W. Tilgner, Volksnomostheologie und Schöpfungsglaube, 1966, 157 ff., 168 f.; K. Nowak, Evangelische Kirche und Weimarer Republik, 1981, 236 ff. sowie die kurzen Bemerkungen bei H.-G. Drescher, Art. »Gogarten, Friedrich«, in: RGG, Bd. 3, 42004, Sp. 1072.

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Erster Teil: Einflüsse und Entwicklungsbedingungen

Während Forsthoff jedoch Gogarten wohl nur lose kannte, verband ihn mit Stapel und Schomerus eine aus den frühen dreißiger Jahren stammende, enge persönliche Beziehung; im Falle von Schomerus, der ebenfalls aus dem Umfeld Heinrich Forsthoffs stammte,32 eine echte Freundschaft. Stapel, von Hause aus kein Theologe, war Herausgeber des Deutschen Volkstums,33 einer Zeitschrift, an der Forsthoff seit 1930 intensiv mitarbeitete.34 Er war eine der einflußreichsten Gestalten der völkisch-konservativen Publizistik, radikaler Nationalist und Judenhasser 35 mit einem Hang zur Vielschreiberei, zur Phrase und zur kruden Exegese, der mit seiner Theologie vom »imperium teutonicum« als Träger und Vollstrecker des »Volksnomos« 36 sozusagen das Programm der Deutschen Christen entwickelte.37 Schomerus dagegen war ein Mann der Kirche, erst Domprediger in Braunschweig, dann bis 1945 Ephorus des Wittenberger Predigerseminars und seinerseits mit Stapel eng verbunden. Vor 1933 hatte er noch zu den Mitarbeitern der Zeitschrift Zwischen den Zeiten gehört, dem wichtigsten Organ der Barth-Gogarten-Richtung. Doch auch er schwenkte dann unter dem Einfluß Stapels und Gogartens zu einer völkischen Idee des Christentums um 38 und wollte noch 1935 im Nationalsozialismus das »Ende des Säkularismus« erkennen,39 wobei die Parallelen zur Argumentation Heinrich Forsthoffs offensichtlich sind. Die Leitmotive der Kritik sind damit genannt: gegen die Verweltlichung und Vergesellschaftung der Kirche, gegen die liberale Theologie, gegen ihre »abstrakt-humanitaristische« Ethik. Auch Ernst Forsthoff sollte später im Nationalsozialismus eine Chance für eine durchgreifende Reform des evangelischen Kirchentums sehen. Immer wieder hatte er zuvor die Gefahren einer selbständigen, gegen den Staat gerichteten Politisierung der evangelischen Kirche beschworen,40 hatte der politisierten Kirche vorgehalten, sie habe »ihre Würde 32 33

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R. Ziegert, Kirche ohne Bildung, 21998, 453 ff., 456. Zu dieser Zeitschrift und ihrer Bedeutung A. Mohler/K. Weißmann, Die konservative Revolution in Deutschland 1918–1932, 62005, 132. Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 23.9.1942, DLA Marbach, NL Stapel: »Vor zwanzig Jahren, im Wirbel der Inflationsjahre, lernte ich das ›Deutsche Volkstum‹ als junger Student kennen und ließ hinfort keine Zeile mehr ungelesen«. Siehe statt vieler einschlägiger Publikationen nur W. Stapel, Antisemitismus und Antigermanismus, 1928. Dazu etwa L. Dupeux, Der Kulturantisemitismus von Wilhelm Stapel, in: Protestantismus und Antisemitismus in der Weimarer Republik, hrsg. v. K. Nowak/ G. Raulet, 1994, 167 ff. Seine maßgeblichen Schriften sind W. Stapel, Der christliche Staatsmann, 1932, und ders., Die Kirche Christi und der Staat Hitlers, 1933. Siehe W. Tilgner, Volksnomostheologie und Schöpfungsglaube, 1966, 113 ff.; K. Nowak, Evangelische Kirche und Weimarer Republik, 1981, 225, 240 ff. W. Tilgner, Volksnomostheologie und Schöpfungsglaube, 1966, 130 ff. H. Schomerus, Das Ende des Säkularismus, 1935. E. Forsthoff, Zur Konkordatsfrage, in: Reformierte Kirchenzeitung 1927 130 f.; ders., Die Friedensfrage und die evangelische Kirche (Pseudonym ›Rudolf Langenbach‹), in: Der

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[…] an die Afterweisheit unserer Zeit«41 verloren, hatte betont, daß der deutsche Protestantismus, anders als die katholische Kirche, auf den Bestand des Staates angewiesen sei und seine Selbständigkeit nicht gegen den Staat wenden dürfe. Aufgabe der Zeit sei es, »den Staatsgedanken und den christlichen Gedanken wieder zu vereinigen« 42. Noch am 20. Januar 1933, zehn Tage vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, hielt Forsthoff in Heidelberg einen Vortrag zum Thema »Der Protestantismus und der Wandel des heutigen Staates«, in dem er ausführte, der moderne Staat sei »in seinem Aufbau ein organisierter Aufstand gegen die Schöpfungsordnung« und stehe gerade als solcher »unter dem Gericht Gottes«.43 So sollte Forsthoff die Beseitigung der Republik als Fanal erscheinen für die Reinigung des deutschen Protestantismus von den Erscheinungen des Säkularismus. Die künftige Gestalt der Kirche sei nur denkbar in der »Einheit mit diesem Staate Adolf Hitlers« 44. Ja mehr noch: »Nationalsozialistische Revolution und kirchliche Reform sind verschiedene Ausstrahlungen des gleichen geistigen Vorgangs.« 45 Wie sein Vater sah nun auch er in der NSDAP eine Bewegung, »deren positive Einstellung zum Christentum durch Programm und Tat bezeugt und durch den Führer verbürgt ist.« 46 Die gegen den »agnostischen Liberalismus« des Weimarer Staates gerichtete, neolutherische Vorstellung vom Amt der weltlichen Obrigkeit hinderte Forsthoff, das Fassadenhafte der nationalsozialistischen Bekenntnisse zum Christentum wahrzunehmen. Vielmehr unterstellte er nun die institutionelle Autonomie der Kirche, die »als irdische Institution nicht Gegenstand des Glaubens oder kultischer Verehrung« 47 sein sollte, vorbehaltlos dem Zugriff des totalen Staates: Indem »der totale Staat die äußere Kirche ergreift, vollzieht er […] keinen ›Eingriff von außen‹, ›politisiert‹ er nichts, was nicht seiner Natur nach schon politisch wäre.« 48 Denn: »Gibt man den religiös-privaten Menschen und die ihm entsprechende Autonomie der Kirche auf, sieht man den Menschen wieder in der ganzen Fülle seines irdischen Daseins […]. Dann

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Ring 3 (1930), 263 f.; ders., »Die theologischen Voraussetzungen der Politik« (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 904. E. Forsthoff, Die Friedensfrage und die evangelische Kirche (Pseudonym ›Rudolf Langenbach‹), in: Der Ring 3 (1930), 237. Ebd., 237. Bericht über den Vortrag »Der Protestantismus und der Wandel des heutigen Staates« von Dr. Ernst Forsthoff, in: Heidelberger Tagblatt v. 25.1.933. E. Forsthoff, Gegen ein evangelisches Konkordat (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1933, 790. E. Forsthoff, Protestantismus und Reichseinheit, in: Berliner Börsen-Zeitung v. 27.9.1933, 1. E. Forsthoff, Gegen ein evangelisches Konkordat (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1933, 788. E. Forsthoff, Die staatliche Totalität und die evangelische Kirche, in: Dt. Adelsblatt 1933, 826. Ebd., 826.

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stellt sich der Staat wieder dar als das totale irdische Gesetz, und an die Stelle der Kirche tritt das Reich, das nicht von dieser Welt ist. Beide, Staat und Reich Gottes, erscheinen als totale Bereiche, die sich aber nicht ausschließen, weil sie auf verschiedenen Ebenen bestehen und sich darum nicht berühren.«49

Das sah Wilhelm Stapel nicht anders.50 Jedenfalls bis zum Jahr 1935 sind bei Forsthoff keinerlei Gegensätze zur Volkstumstheologie und zur Ekklesiologie der Deutschen Christen erkennbar. Er unterstützte die kirchenpolitische Linie seines Vaters und dessen Kampagne für die Zentralisierung der Deutschen Evangelischen Kirche. In dieser äußeren Neuordnung sah er den »Weg in die Einheit des Protestantismus«, hin zu einer »starke[n] und wirklich geeinte[n] deutschen Reichskirche« 51. Da war die scharfe Ablehnung der Bekennenden Kirche als »Schwärmertum«, das »auf die Länge das Ende des evangelischen Kirchentums« bedeuten müsse,52 nur folgerichtig. Es ist dennoch erstaunlich, wie vorbehaltlos er sich 1933 gegen die »sichtbare« Kirche auf die Seite des totalen Staates stellte. In der Bekennenden Kirche sah er eine »Plattform der politischen Opposition«, deren Zweck es sei, »dem nationalsozialistischen Staat sein umfassendes Lebensrecht zu bestreiten« 53. Ihre Mahnungen zur Freiheit des kirchlichen Bekenntnisses seien »Versuche, gegen den heutigen Staat eine theologisch getarnte politische Opposition zu inszenieren« 54. Mehr noch: Selbst die Befürworter einer gütlichen Verständigung der Kirche mit dem nationalsozialistischen Staat durch ein Konkordat erklärt er zu »pluralistischen Reichsfeinden«. Ihnen gelte es »mit rücksichtsloser Entschlossenheit zu zeigen, daß ihre Zeit endgültig vorbei ist.« 55

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Ebd., 826. Ähnlich E. Forsthoff, Gegen ein evangelisches Konkordat (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1933, 788: »Es ist gelungen, eine Herrschaftsordnung zu errichten, die total ist und gleichwohl den christlichen Bekenntnissen ihr Recht beläßt.« »Jedermann weiß, daß heute kein verantwortlicher Politiker, am wenigsten der Führer selbst, daran denkt, in das eigentliche Recht der evangelischen Kirche einzugreifen.« (790). W. Stapel, Die Kirche Christi und der Staat Hitlers, 1933, 65: »Zum totalen Staat gehört alles, was Recht, und alles, was Sittlichkeit betrifft. Zur Kirche gehört alles, was das Himmelreich betrifft.« E. Forsthoff, Protestantismus und Reichseinheit, in: Berliner Börsen-Zeitung v. 27.9.1933, 2. Weiter heißt es (ebd., 1): »Aber sie [scil: die Reichskirche] wird nur dann zur wirklichen inneren Einheit führen, wenn dieser Weg auch mit dem Elan beschritten wird, der das revolutionäre Geschlecht dieser Tage auszeichnet, wenn der eigentliche Sinn dieser Verfassung, die Reichskirche zu bringen, mit kalter Entschlossenheit vollstreckt wird.« Ernst Forsthoff an Heinrich Forsthoff, 25.2.1935 (Entwurf), NL Forsthoff. E. Forsthoff, Gegen ein evangelisches Konkordat (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1933, 789. Ebd., 790. Weiter heißt es: »Wir sprechen dem Staat im vollen Bewußtsein unserer evangelischen Verantwortung […] das Recht zu, unbeirrt durch alle theologische Tarnung mit dieser Opposition zu verfahren, wie mit jeder anderen auch.« Ebd., 789.

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Das änderte sich indessen sehr bald. Die Hoffnung auf einen christlichen nationalsozialistischen Staat konnte nur Bestand haben, bis die antikirchliche Haltung des Regimes offen zutage trat und damit auch die Aufbruchstimmung bei den Deutschen Christen verflog. Denn die »dialektische« Theologie des totalen Staates und mit ihr die Idee einer gegenüber dem Staat selbständigen »Geistkirche«56 erwiesen sich rasch als naiv. Staat und Partei bekämpften die Kirchen spätestens ab 1935 ganz offen. Als Forsthoff dies klar wurde, begann das aus heutiger Sicht vielleicht charakterlich beeindruckendste Kapitel seines Lebens – und ein schwerer persönlicher Konflikt mit seinem Vater. Denn während dieser bis zuletzt von der »Sache der Deutschen Christen« 57 überzeugt war, reagierte Ernst Forsthoff auf die kirchenfeindliche Politik der Nationalsozialisten mit einem vorsichtigen Wechsel auf die Seite der »sichtbaren« Kirche. Diese Entscheidung war eine Entscheidung gegen Staat und Partei. Gewiß stand er auch jetzt noch der Bekennenden Kirche kritisch gegenüber und suchte nach einem Weg zwischen den »erstarrten kirchlichen Fronten« 58. Doch seine kämpferische Haltung gegenüber der Bekennenden Kirche gab er auf. So war er einem ihrer herausragenden geistigen Vertreter, dem Kirchenlieddichter Rudolf Alexander Schröder, eine zeitlang verbunden, den Schriftsteller Willy Kramp zählte er zu seinen Freunden. Auch widmete er nun einen großen Teil seiner wissenschaftlichen Arbeit dem Kirchenrecht und praktisch der evangelischen Kirche, wurde 1940, obwohl dies eine eindeutige Positionierung war und zuständigen Ortes auch so verstanden wurde, Mitherausgeber des Archivs für evangelisches Kirchenrecht,59 das immerhin entschieden kirchlich gehalten war und einen mäßig kritischen Kurs verfolgte.60 Mit der Deutschen Evangelischen Kirche arbeitete er in seiner Königsberger Zeit sehr eng zusammen. Er war in der Pfarrerausbildung tätig und erstattete der Kirche eine Reihe von Rechtsgutachten. Das heikelste Unternehmen fand 1936 statt. Im Auftrag der DEK versuchte er, mit einem umfangreichen Gutachten die von Himmler und der SS betriebene Umwandlung der Stiftskirche St. Servatius in Quedlinburg, des sogenannten Quedlinburger Domes, in eine germanische Kult- und Weihestätte für Hein-

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E. Forsthoff, Die Verträge zwischen Staat und evangelischer Kirche, in: DRw 1939, 146. H. Forsthoff, Theologie oder Glaube?, 1934. Ernst Forsthoff an Rudolf Smend, 20.9.1950, SUB Göttingen, NL Smend. Vertrag v. 6.7.1940 zwischen Verlag Franz Vahlen und Ernst Forsthoff u.a., NL Forsthoff. P. Landau, Kirchenrechtliche Zeitschriften im 19. und 20. Jahrhundert, in: Juristische Zeitschriften, hrsg. v. M. Stolleis, 1999, 371 f., der dem Archiv für evangelisches Kirchenrecht einen vergleichsweise hohen wissenschaftlichen Anspruch attestiert. Neben Forsthoff firmierten Ernst Engelmann, Otto Friedrich, Kurt Kronenberg und Christhard Mahrenholz als Herausgeber. 1941 wurde die Zeitschrift eingestellt. Gründungsmitherausgeber an Forsthoffs späterer Stelle war zunächst Arnold Köttgen gewesen; s.a. M. Stolleis, Fünfzig Bände »Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht«, in: ZevKR 50 (2005), 168.

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rich I. zu verhindern.61 Genützt hat das bekanntlich nichts, da Himmler seine Pläne trotzdem verwirklichte.62 Nicht erhalten ist dagegen ein 1941 der Kirche in Posen im Streit mit dem dortigen Gauleiter erstattetes Gutachten.63 Ein im Auftrag der DEK angefertigtes großes Gutachten über die Trennung von Staat und Kirche ist Fragment geblieben.64 Forsthoffs Beiträge zum Problem der evangelischen Kirche im »totalen Staat«, zu denen nicht nur seine Gutachten und einige wichtige Aufsätze 65 gehören, sondern auch seine Mitarbeit im Ausschuß für »Religionsrecht« der Akademie für Deutsches Recht,66 sind nicht nur Dokumente der konservativlutherischen Opposition Forsthoffs gegen den Nationalsozialismus, sondern auch für die Rechtsgeschichte des Kirchenkampfes wichtige Zeugnisse. Diese Schriften, zu denen auch eine Reihe von unveröffentlichten Texten zählen, sind ein Thema für sich und müssen aus dieser Untersuchung ausgeklammert bleiben.

II. »Jahrgang 1902« Die kirchliche Familientradition stand bewußt am Anfang der Darstellung von Forsthoffs Prägungen und geistigen Entwicklungsbedingungen. Sie ist von schwer zu überschätzendem Einfluß gewesen auf seine Stellung zum Nationalsozialismus und weit darüber hinaus, wovon noch eingehend die Rede sein wird. Jedoch macht gerade diese Prägung ihn in seiner Generation eher zum Vertreter eines Sonderwegs, wie ja auch der protestantische Flügel der sogenannten »Konservativen Revolution« für diese Bewegung insgesamt keineswegs repräsentativ ist. Dies bedarf besonderer Erwähnung, weil Ernst Forsthoff

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E. Forsthoff, Rechtsgutachten betreffend die Nutzungsüberlassung des Quedlinburger Domes an die SS, Ms. (undatiert, 1936), 55 S., Ev. Zentralarchiv Berlin, Evangelischer Oberkirchenrat, Bestand 7, Nr. 9903. Die juristischen Überlegungen des Gutachtens sind in zwei später Aufsätze eingegangen, die den Anlaß der Ausarbeitung freilich sorgfältig kaschieren: E. Forsthoff, Die Verträge zwischen Staat und evangelischer Kirche, in: DRw 1939, 141 ff.; ders., Res sacrae, in: AöR 70 (1940), 209 ff. Zu den von Heinrich Himmler selbst maßgeblich mitbetriebenen Planungen die eingehende Rekonstruktion der Vorgänge bei G. Besier, Neuheidnische Religiosität und Protestantismus im NS-Staat, in: Religion – Staat – Gesellschaft 1 (2000), 145 ff. Siehe T. Lorentzen, Ideologische Usurpation, 2005. E. Forsthoff, Erläuterungen zum Fragebogen, Anlage 4, 19.8.1947, LA Schleswig-Holstein, Entnazifizierungsakte Ernst Forsthoff, Abt. 460.19, Nr. 93. E. Forsthoff, Gutachen zur Trennung von Kirche und Staat, 1. Teil (unvollendet), 1941, Ts., 46 S., NL Forsthoff. Auf dem Typoskript ist handschriftlich vermerkt: »Vollendung infolge Einziehung zum Wehrdienst unterblieben«. Neben den in Anm. 62 zitierten Aufsätzen noch E. Forsthoff, Die Verkündung und das Kirchenrecht, in: AevKR 4 (1940), 18 ff. Die Protokolle sind seit kurzem vollständig ediert: W. Schubert (Hrsg.), Protokolle der Ausschüsse der Akademie für Deutsches Recht, Bd. XV, 2003.

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jener Generation der kurz nach der Jahrhundertwende Geborenen angehörte, die wie wohl keine andere im 20. Jahrhundert durch eine gemeinsame katastrophische Jugenderfahrung geprägt ist: den Weltkrieg und den Zusammenbruch des Kaiserreichs.67 Durch Ernst Glaesers Roman Jahrgang 1902 von 1928, mit dessen Protagonist Forsthoff allerdings nur den Vornamen teilt, sind ihre widersprüchlichen Jugenderfahrungen in die Literatur eingegangen. Es ist eine Generation, deren ambivalente, aber unbestreitbar zentrale Stellung in der Geistesgeschichte des Jahrhunderts selbst dann unmittelbar einleuchtet, wenn man nur die Juristen aus ihr herausgreift. Zu ihr gehören etwa Ernst Friesenhahn (1901–1984), Theodor Maunz (1901–1993), Arnold Köttgen (1902–1967), Gerhard Leibholz (1901–1982), Ulrich Scheuner (1902–1981) oder Werner Weber (1904–1976). Zur Kriegsjugend zählen sämtliche Protagonisten der »Kieler Schule«: Ernst Rudolf Huber (1904–1990), Karl Larenz (1903–1993), Georg Dahm (1904–1963), Heinrich Henkel (1903–1981) und Friedrich Schaffstein (1905–2001), aber auch so unterschiedliche Gelehrte wie Wolfgang Abendroth (1906–1985), Wolfgang Kunkel (1902–1981), Karl Engisch (1899–1990), Otto Kirchheimer (1905–1965), Hans Morgenthau (1904–1980), Hans Welzel (1904–1977) und, gerade noch, Franz Wieacker (1908–1994). Greift man aus dem Freundeskreis Forsthoffs jene heraus, die seine Generationenerfahrung teilen, so sind zu nennen: Arnold Gehlen (1904– 1976), der Kanonist Hans Barion (1899–1973) und der schon erwähnte Hans Schomerus (1902–1969). Welches aber waren die Jugenderfahrungen, die die spätere Radikalisierung der Kriegsjugend und ihre herausstechende Bedeutung erklären? Wer um 1900 geboren war, kannte das Kaiserreich kaum noch aus eigener politischer Anschauung. Schon als junge Erwachsene hatten viele das Gefühl, ihre Jugend in einer versunkenen Zeit verlebt zu haben.68 Das bürgerliche Sekuritätsgefühl der wilhelminischen Jahre war ihnen unfaßbar und sie haßten es neidvoll. Ihre politische Sozialisation setzte zumeist ruckartig im August des Jahres 1914 ein – oder ließ sich im Nachhinein plausibel auf diesen Augenblick zurückdatieren. Gewiß gehörten die sich ausbreitende Bedrohungserfahrung und die krisenhafte Wahrnehmung sozialökonomischer Transformationsprozesse nicht nur zu den Folgen, sondern schon zur Vorgeschichte des Weltkrieges.69 Doch das entsprach nicht der zeitgenössischen Wahrnehmung.

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Zur historischen Bedeutung des in neuerer Zeit wieder verstärkt beachteten Generationenkonzepts nur J. Reulecke (Hrsg.), Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, 2003. A. Doering-Manteuffel, Mensch, Maschine, Zeit, in: Jb. des Historischen Kollegs 9 (2003), 91. Ebd., 97 m.w.N., 104; W. Hardtwig, Die Krise des Geschichtsbewußtseins in Kaiserreich und Weimarer Republik und der Aufstieg des Nationalsozialismus, in: Jb. des Historischen Kollegs 7 (2001), 70.

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Erster Teil: Einflüsse und Entwicklungsbedingungen

Auch als die Kriegsjugend erwachsen wurde, vollzog sich ihre Integration in die Republik nur unter größten Schwierigkeiten, anders als es für die um 1930 Geborenen für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gilt. Jene traf bei ihrem Eintritt in die Weimarer Gesellschaft auf eine stagnierende Wirtschaft. Die Akademiker unter ihnen stießen an den Universitäten auf verschlossene Türen.70 Detlev Peukert hat sie deswegen als die »überflüssige Generation« bezeichnet.71 Der Kampf, den sie nach 1933 gegen die »Ordinarienuniversität« führten, bezeugt jedenfalls noch etwas von der aufgestauten Zukunftsangst des akademischen Nachwuchses.72 Es ist die Generation, aus der sich die jungen Eliten des Dritten Reichs überwiegen rekrutieren sollten.73 Auch Ernst Forsthoff selbst rechnete sich später zu einer Generation, die »aus der Verbindung von Politik und paramilitärischer Organisation einen neuen Beruf machte, übrigens weithin bona fide«, und die sich durch »Radikalismus« und »Desperadotum« ausgezeichnet habe.74 Denn Soldaten waren sie nicht. Den Krieg, der sie geprägt hatte, kannten sie kaum aus eigener Anschauung. Ihnen war, weil sie nach 1900 geboren waren, die aktive Teilnahme am Krieg erspart – oder, nach eigener Wahrnehmung vielfach: versagt geblieben.75 Ihr »Kriegserlebnis« beschränkte sich auf die Heimatfront. Als Schüler hatten sie nach 1916/17 die Ausrichtung des gesamten wirtschaftlichen und sozialen Lebens auf den Krieg erfahren. Später erlebten sie, wie das angebliche »Versagen der Heimat« zum Teil der Dolchstoßlegende wurde. Die Scham, beim Dienst an der Nation und an den »Ideen von 1914« außen vor geblieben zu sein, kompensierten nicht wenige von ihnen mit übersteigerter Kriegseuphorie und politischer Radikalisierung. Je weniger man selbst erlebt hatte, um so dringlicher mußte man Teil des kollektiv inszenierten Erzählens vom Krieg und seinen Mythen sein.76 Bei Ernst Günther Gründel,

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B. A. Rusinek, Krieg als Sehnsucht, in: Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, hrsg. v. J. Reulecke, 2003, 136 f.; M. Grüttner, Machtergreifung als Generationenkonflikt, in: Wissenschaften und Wissenschaftspolitik, hrsg. v. R. vom Bruch/B. Kaderas, 2002, 342 ff. D. J. K. Peukert, Die Weimarer Republik, 1987, 94 ff. M. Grüttner, Machtergreifung als Generationenkonflikt, in: Wissenschaften und Wissenschaftspolitik, hrsg. v. R. vom Bruch/B. Kaderas, 2002, 346 ff. U. Herbert, Drei politische Generationen im 20. Jahrhundert, in: Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, hrsg. v. J. Reulecke, 2003, 100; ders., »Generation der Sachlichkeit«, in: Zivilisation und Barbarei, hrsg. v. F. Bajohr u.a., 1991, 137 f.; H. Bude, Generationen im 20. Jahrhundert, in: Merkur 54 (2000), 568 f.; D. van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 22002, 18 f. E. Forsthoff, Die sozialen und politischen Verantwortlichkeiten der deutschen Hochschulen, undatiert (1946), Ts., NL Forsthoff, Bl. 1. Vgl. R. Koselleck, Erinnerungsschleusen und Erfahrungsschichten, in: Zeitschichten, 2000, 268. B. A. Rusinek, Krieg als Sehnsucht, in: Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, hrsg. v. J. Reulecke, 2003, 132.

Erstes Kapitel: Drei Väter

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einem seinerzeit vielgelesenen Vertreter der Kriegsjugend,77 heißt es: »Das Fronterlebnis, durch das viele ihrer älteren Brüder tiefer, härter und radikaler geworden sind, fehlt ihnen zwar. Was jene selbst erlebten, können diese sich nur erlesen. […] Das Größte und Tiefste daran hat diese Jugend noch vorwiegend unterbewußt aufgenommen. Und deshalb wird es vielleicht gerade in ihnen am stärksten fruchtbar werden.«78 Ein erlesenes Fronterlebnis: Das war für Ernst Forsthoff und für viele Angehörige seiner Generation der Erste Weltkrieg. In bis dahin beispielloser Weise war dieser Krieg medial erfahrbar: über die Massenmedien der kaiserlichen Bürokratie und die nach 1914 massenhaft produzierte, mehr oder minder anspruchslose Kriegsliteratur,79 durch den Strom der Propagandaschriften und der Frontberichte, der Schlachtlyrik und erstmals auch der Kriegsfotographie.80 So wurde die Repräsentation des Krieges zum bestimmenden Faktor der europäischen Politik der Zwischenkriegszeit.81 Die praktisch unmittelbar nach Kriegsende einsetzende literarische Ästhetisierung des Kampferlebnisses 82 – für die die Kriegserzählungen von Ernst Jünger und Franz Schauwecker stehen – bewahrte das Kriegserlebnis für das Publikum und prägte Weltsicht und geistige Orientierung eines großen Teils der Frontgeneration und gerade auch der Kriegsjugend. Es wurde, wie Helmut Lethen sagt, eine Generation von Intellektuellen, »deren Lektüre der Schriften Sorels und Nietzsches, Marx’, Le Bons und Kierkegaards die Erfahrung von Krieg, Niederschlagung der Arbeiteraufstände und Inflation mitbedingt hatte. Sie waren nur allzu vertraut mit dem Gedanken, daß sich hinter jeder Institution des Legalen der ›ursprüngliche Gewaltcharakter des Rechts‹ verberge, daß in den Gehäusen des Parlaments latent die nicht legitimierte Macht hause. Eine kleine Drehung des Rads der Fortuna genügt, um die ›nackte‹, d.h. nicht mit den Insignien der Legalität geschmückte Gewalt aus den Kulissen des Rechtsstaats zu locken.« 83

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U. Herbert, Drei politische Generationen im 20. Jahrhundert, in: Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, hrsg. v. J. Reulecke, 2003, 97; ders., »Generation der Sachlichkeit«, in: Zivilisation und Barbarei, hrsg. v. F. Bajohr u.a., 1991, 116. E. G. Gründel, Die Sendung der jungen Generation, 1932, 31. H.-H. Müller, Der Krieg und die Schriftsteller, 1986, 11 f., 301; T. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 1992, 858. Dazu eingehend J. Encke, Augenblicke der Gefahr, 2006, 17 ff., 40 ff. B. Weisbrod, Die Politik der Repräsentation, in: Der Erste Weltkrieg und die europäische Nachkriegsordnung, hrsg. v. H. Mommsen, 2000, 22 ff. J. Encke, Augenblicke der Gefahr, 2006, 40 ff. und 108; B. A. Rusinek, Krieg als Sehnsucht, in: Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, hrsg. v. J. Reulecke, 2003, 141; zur späteren Inszenierung in der Weimarer Republik und B. Petzinna, Erziehung zum deutschen Lebensstil, 2000, 34. H. Lethen, Verhaltenslehren der Kälte, 1994, 66.

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Erster Teil: Einflüsse und Entwicklungsbedingungen

1. Metaphysik der Mobilmachung Für Forsthoff bestand das »erlesene Kriegserlebnis« vor allem in der Begegnung mit dem erzählerischen und essayistischen Werk Ernst Jüngers. Wann Forsthoff mit dem Autor und seinen Schriften bekannt wurde, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Jünger war seit seinem 1920 erschienenen Kriegstagebuch In Stahlgewittern und seinem Essay Der Kampf als inneres Erlebnis (1922) zumindest in rechtsgerichteten Kreisen ein bekannter Autor.84 Möglicherweise ist Forsthoff ihm bereits im Berliner Kreis um Carl Schmitt begegnet, der Jünger seit 1930 kannte.85 Nachweisbar ist eine persönliche Begegnung indessen erst Ende 1931 in Freiburg, wo Forsthoff als Privatdozent lehrte und wohin er Jünger zu einem Vortrag einlud.86 Schon 1930 hatte Forsthoff mindestens einmal in der Zeitschrift Die Standarte publiziert,87 die um diese Zeit mit dem Untertitel »Wochenschrift des neuen Nationalismus« als Beilage zum Stahlhelm erschien und die seit Mitte der zwanziger Jahre das publizistische Hauptorgan des Kreises um Jünger gewesen war.88 Es sind aber weniger die Kriegserzählungen als die politischen Essays Ernst Jüngers, die für Forsthoff wichtig geworden sind: der berühmte Aufsatz »Die totale Mobilmachung« aus der 1930 von Jünger herausgegebenen Sammlung Krieg und Krieger 89 und der 1932 erschienene Großessay Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt. In einem Brief an Carl Schmitt bemerkte Forsthoff nach der Lektüre von Jüngers Essay über die totale Mobilmachung, gerade dieser Text habe »großen Eindruck auf mich gemacht und mich in erster Linie veranlaßt, mich mit der Kriegsliteratur zu beschäftigen.« 90 Ernst Jünger offenbare in diesem Aufsatz »mehr politischen Instinkt […] als ihn ein liberaler Staatsrechtsprofessor jemals in seinen sämtlichen Werken erkennbar machen könnte« 91. Der Begriff der totalen Mobilmachung sollte für Forsthoff zu einem Schlüsselbegriff werden. Mit ihm versuchte Jünger nichts geringeres als die weltgeschichtliche Situation Deutschlands nach dem verlorenen Krieg insgesamt zu verstehen. Warum hatte 84

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H. Kiesel, Ernst Jünger, 2007, 206 ff. Die Literatur zur Kriegsästhetik in Jüngers Frühwerk ist unüberschaubar. Siehe noch immer K. H. Bohrer, Die Ästhetik des Schreckens, 1978, und H.-H. Müller, Der Krieg und die Schriftsteller, 1986; neuerdings J. Encke, Augenblicke der Gefahr, 2006. E. Jünger/C. Schmitt, Briefe 1930–1983, 1999. Vgl. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 16.12.1951, BW Nr. 48 mit Anm. 1. E. Forsthoff, Oekumenisches (unter dem Pseudonym ›Rudolf Langenbach‹), in: Die Standarte 1930, 302 ff. H. Kiesel, Ernst Jünger, 2007, 282 ff. E. Jünger, Die totale Mobilmachung, in: Krieg und Krieger, hrsg. v. E. Jünger, 1930, 9 ff. Die Erstfassung ist wieder abgedruckt als E. Jünger, Die totale Mobilmachung (1930), in: Politische Publizistik, 2001, 558 ff. Die überarbeitete Fassung letzter Hand ist E. Jünger, Die totale Mobilmachung, in: Sämtl. W., Bd. 7, 1978, 119 ff. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 21.12.1930, BW, Nr. 6. E. Forsthoff, Krisis des Staatsdenkens (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1931, 177.

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das Reich den Krieg verloren? Was folgte daraus für die künftige deutsche Politik? Jünger antwortete darauf mit Überlegungen zum Verhältnis der am Kriege beteiligten Mächte zur Moderne. Denn in dem industrialisierten Kampf technisch hochgerüsteter nationaler Armeen sah Jünger die paradigmatische Erscheinung der Moderne schlechthin; die Durchdringung des »Genius des Krieges mit dem Geist des Fortschritts« 92. Die europäischen Monarchien seien von Beginn an zur Niederlage verurteilt gewesen, weil sie keinen Zugriff auf das gewaltige militärische Potential rationalisierter Gewalt hatten, das die westlichen Mächte aus der Verbindung von Massendemokratie und industriellem Fortschritt zogen. Die alten Mächte seien unfähig gewesen zur Erfassung aller Kräfte für den Krieg, unfähig zur vollständigen Mobilisierung des Volkes und der Produktion, kurz: zur totalen Mobilmachung. Alles habe deshalb aufseiten des Deutschen Reiches im zurückliegenden Krieg noch den »Charakter einer partiellen Maßnahme«93 gehabt. Jünger glaubte dabei nicht an eine zufällige Kräftekonstellation, sondern war von der weltgeschichtlichen Logik der Technik überzeugt, die den westlichen Mächten zum Sieg verholfen hatte. Die Notwendigkeit der totalen Mobilmachung sei deswegen auch keine bloß taktische Frage, sondern Ausdruck des »geheimnisvollen und zwingenden Anspruchs, dem dieses Leben im Zeitalter der Massen und Maschinen uns unterwirft.« 94 Dieser »geheimnisvolle und zwingende Anspruch« war nun für Jünger nichts anderes als die anonyme Herrschaft einer universellen Zweckrationalität, der universellen Technik und der ihr zugeordneten »abstrakten Formen des Geistes, des Geldes, des ›Volkes‹, kurzum die Mächte der heranwachsenden Nationaldemokratie« 95. Alle bis zum Beginn des Krieges noch vorhandenen geschichtlichen Mächte seinen durch ihn ausgelöscht 96 und der gesamte politische Raum der Erde nun vom Rationalitätspathos der westlichen Demokratien erfüllt: »Die Abstraktheit, also auch die Grausamkeit, aller menschlichen Verhältnisse nimmt ununterbrochen zu.«97 Unter diesem geschichtlichen Gesetz müsse jeder Staat, der den Anspruch auf politische Weltgeltung erheben wolle, in seinem Inneren die Totale Mobilmachung vollziehen, sich zu einer »Demokratie des Todes« umbilden,98 wie es Rußland durch den Sturz des Zaren vorgemacht hatte. 92 93 94 95 96

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E. Jünger, Die totale Mobilmachung, in: Sämtl. W., Bd. 7, 1978, 121. Ebd., 124. Ebd., 128. Ebd., 125. Ebd., 140: »Wenn wir die Welt betrachten, wie sie aus der Katastrophe hervorgegangen ist – welche Einheit der Wirkung, welches Maß an strenger geschichtlicher Folgerichtigkeit! Wirklich, hätte man alle geistigen und körperlichen Bildungen nichtzivilisatorischer Natur, die bis über das Ende des 19. Jahrhunderts in unserer Zeit hineinragten, auf engem Raum versammelt und mit allen Geschützen der Welt das Feuer gegen sie eröffnet, so könnte der Erfolg nicht eindeutiger sein.« Ebd., 140. Ebd., 128.

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Erster Teil: Einflüsse und Entwicklungsbedingungen

»[D]ie Anspannung aller Kredite, die Erfassung auch des letzen Sparpfennigs [ist] notwendig, um die Maschinerie in Gang zu halten. So fließt auch das Bild des Krieges als einer bewaffneten Handlung immer mehr in das weitergespannte Bild eines gigantischen Arbeitsprozesses ein. Neben den Heeren, die sich auf den Schlachtfeldern begegnen, entstehen die neuartigen Heere des Verkehrs, der Ernährung, der Rüstungsindustrie – das Heer der Arbeit überhaupt. In der letzten […] Phase geschieht keine Bewegung mehr – und sei es die einer Heimarbeiterin an ihrer Nähmaschine – der nicht eine zum mindesten mittelbare kriegerische Leistung innewohnt. In dieser absoluten Erfassung der potentiellen Energie, die die kriegführenden Industriestaaten in vulkanische Schmiedewerkstätten verwandelt, deutet sich der Anbruch des Arbeitszeitalters vielleicht am sinnfälligsten an […]. Um Energien von solchem Ausmaß zu entfalten, genügt es nicht mehr, den Schwertarm zu rüsten – es ist eine Rüstung bis ins innerste Mark, bis in den feinsten Lebensnerv erforderlich. Sie zu verwirklichen, ist die Aufgabe der Totalen Mobilmachung, eines Aktes, durch den das weit verzweigte und vielfach geäderte Stromnetz des modernen Lebens durch einen einzigen Griff am Schaltbrett dem großen Strom der kriegerischen Energie zugeleitet wird.«99

Die in diesen Sätzen angedeutete Vision des Staates als Träger der totalen Mobilmachung ist der Inhalt von Jüngers großem Essay über den Arbeiter, einem Buch, das ebenso eine apokalyptische Prophetie wie ein philosophisches Werk, ebenso eine Ästhetik wie eine vergleichende Weltbeschreibung oder Zeitdeutung ist. Jünger stellte die Frage nach der totalen Mobilmachung nun mit Blick auf den Menschen selbst: Welcher kriegerische »Typus«, welche »Gestalt« kann Träger der geschichtlich notwendigen Mobilmachung im Arbeitszeitalter sein? Nachdem mit dem Weltkrieg der »Einbruch elementarer Mächte in den bürgerlichen Raum« 100 begonnen habe, müsse auch der Rest der bürgerlichen Staats- und Gesellschaftsordnung liquidiert, die »Scheinherrschaft des Dritten Standes« zertrümmert werden, die kein Verhältnis zu jenen elementaren Mächten gehabt habe. Das Zeitalter des Arbeiters beginne mit der Vernichtung der bürgerlichen Kultur, der Vernichtung der bürgerlichen Ökonomie, der Vernichtung der bürgerlichen Verfassungen, der Vernichtung des bürgerlichen Typus. Den Anforderungen des neuen Zeitalters sei allein der »Arbeiter« gewachsen als ein elementarer, barbarischer, asketischer, der echten Autorität ergebener und deswegen zur Selbstaufgabe in den »Schmiedewerkstätten« fähiger Typus. Im »Arbeitsgang einer Kette von Kriegen und Bürgerkriegen«101 werde dieser Typus durch heroisches Standhalten zu seiner eigentlichen geschichtlichen Aufgabe geformt: die planetarische Ordnung des Arbeitszeitalters in einer total mobil gemachten Erde, in einem durch Technik und Rüstung bestimmten Raum.102 Jüngers Ideal war ein autoritär gegliederter, industriell und militärisch hochgerüsteter Staat, der alle politischen Energien bei sich zu konzentrieren weiß

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Ebd., 125 f. E. Jünger, Der Arbeiter (1932), in: Sämtl. W., Bd. 8, 1981, 52. Ebd., 83. Siehe dazu und zum folgenden H. Kiesel, Ernst Jünger, 2007, 389 ff.

Erstes Kapitel: Drei Väter

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und sich zum Träger großer sozialer Planungen und Gestaltungen aufschwingen kann.103 Die Unterschiede zwischen der technischen und der natürlichen Landschaft werden vom Arbeitsstaat aufgehoben. Alle liberalen Institutionen des Staates und der Gesellschaft, Parlamente, Rundfunk, Presse, Eigentum und Geld haben im Arbeitsstaat nur noch eine Berechtigung, insofern sie sich transformieren lassen in technische Mittel der totalen Mobilmachung und der Arbeitspläne, und werden allemal einer rigorosen Aufsicht unterworfen. 2. Politisches Denken als Abbruchunternehmen In einer Vielzahl von Artikeln hat sich Ernst Forsthoff zu Beginn der dreißiger Jahre intensiv mit den politischen Schriften Ernst Jüngers auseinandergesetzt und sie immer positiv, manchmal auch begeistert rezipiert. Aus ihnen übernahm Forsthoff nicht nur wesentliche Teile von Jüngers Zeitdiagnosen, sondern er adaptierte auch den Stil seiner Essayistik, das neusachliche Pathos von Authentizität, Wirklichkeitssinn, Illusionslosigkeit und Härte, die »Klarheit und Echtheit«. Jüngers Stil fehle, bemerkte Forsthoff, »jedes dichterische Element, jede Weichheit und jedes Ressentiment. […] Ein geborener Kämpfer bekennt sich mit Leidenschaft zum Kampf als inneres Erlebnis, der den Menschen aufpeitscht bis zu wilder Raserei. […] Der Schilderung seiner Erlebnisse […] ist in ihrer Unmittelbarkeit nichts an die Seite zu stellen.«104 Ganz so soldatisch wie Jünger war Forsthoff indessen nicht: Er publizierte die einschlägigen Artikel zumeist – trotz väterlicher Warnung105 – unter seinen Pseudonymen »Friedrich Grüter«, »Rudolf Langenbach« und »Georg Holthausen« in den ihm nahestehenden konservativ-revolutionären Zeitschriften, in Heinrich von Gleichens Ring und im Deutschen Volkstum von Wilhelm Stapel. Offenbar empfand er doch noch bürgerlich genug, um an seine prekäre akademische Stellung zu denken. Auch Carl Schmitt war anfangs nicht eingeweiht, sondern erfuhr erst im Frühjahr 1931 mündlich von seinem Schüler das im Deutschen Volkstum benutzte Pseudonym »Grüter«.106 Dafür übernahm Forsthoff aber das ganze Arsenal an Schmähungen gegen die Halbheiten der alten bürgerlichen Welt und ihrer Kultur, bekämpfte die Weimarer Verfassung als

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P. Koslowski, Der Mythos der Moderne, 1991, 36 f., 42 f.; H. Kiesel, Wissenschaftliche Diagnose und dichterische Vision der Moderne, 1994, 113 ff. E. Forsthoff, Staatsrechtswissenschaft und Weltkrieg, in: Blätter für Dt. Philosophie 5 (1931/1932), 298. Heinrich Forsthoff an Ernst Forsthoff, 31.7.1931, NL Forsthoff. Eintrag vom 20.3.1931, in: C. Schmitt, Tagebücher 1930–1934, hrsg. v. W. Schuller i. Zus.arb. m. G. Giesler, 2010, 99: »Um 7 Uhr Forsthoff, der von Freiburg erzählte, […] freute mich, dass er der Grüter [ist], der im ›Deutschen Volkstum‹ schrieb. Er aß bei uns, wir tranken Moselwein, dann noch zu Weiß, Bier getrunken, erzählte von Huber […].«

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Restauration einer verstaubten Vorkriegsordnung 107 mit »starke[n] Symptome[n] der Überalterung« 108, die nicht aus den »Verlegenheiten einer interimistischen Lage« herauskomme 109 und der erneuernden Kraft von »Kampfbünden« und »radikalen Flügelparteien« nichts entgegenzusetzen wisse.110 So sprach Forsthoff bei allen Gelegenheiten von einer großen »Krise«, die zur »Entscheidung« zwinge. Er beschwor eine »Krise« des Staatsdenkens, eine Krise des Rechtsstaats 111, eine »Krisis der Grundanschauung«, beklagte die »geistige Desorganisation unserer Zeit, die […] keine Anschauungen hat, sondern zwischen Tarzan und Sinclair Lewis kritiklos hin- und herpendelt« 112, das »gegenwärtige Chaos« 113, sprach vom Leben in einer »Zeit völliger Verwirrung« 114, in einer »trostlosen wirtschaftlichen Desorganisation« 115, in einem »Trümmerfeld«.116 Gleichzeitig feierte er den »heutigen Zerfall der bürgerlichen Welt« 117, die »Liquidierung« 118 des bürgerlichen Rechtsstaats und überhaupt die »Liquidierung des 19. Jahrhunderts« 119 als eines Zeitalters von »Leistungen ohne traditionsbildende Kraft« 120. Im Totalen Staat würde er 1933/34 schreiben: »Das bürgerliche Zeitalter wird liquidiert und es ist die Verheißung einer besseren Zukunft, daß es mit rücksichtsloser Entschlossenheit und dem Mut zu äußerster Konsequenz geschieht.« (TS, 17; TS II, 20) Kurzum: Das Bürgertum hatte im Weltkrieg politisch versagt – nun sollte es auch politisch ausgeschaltet werden.

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E. Forsthoff, Entpolitisierung oder totale Mobilmachung? (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 132. Ebd., 132. E. Forsthoff, Staatsrechtswissenschaft und Weltkrieg, in: Blätter für Dt. Philosophie 5 (1931/1932), 292. E. Forsthoff, »Totale Mobilmachung« (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 5. E. Forsthoff, Der Rechtsstaat in der Krise (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1932. E. Forsthoff, Justizkrise und Krisenjustiz (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 5 (1931), 655. Ebd., 655. E. Forsthoff, Krisis des Staatsdenkens (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1931, 172. E. Forsthoff, Liberaler und totaler Staat, in: Die Dt. Volkswirtschaft 1933, 425. E. Forsthoff, Krisis des Staatsdenkens (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1931, 169. E. Forsthoff, Radikale Politik (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Dt. Volkstum 1932, 811. E. Forsthoff, Presse, Rundfunk und Staat (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Dt. Volkstum 1932, 347. E. Forsthoff, Die Gliederung des Reiches (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Was wir vom Nationalsozialismus erwarten, hrsg. v. A. E. Günther, 1932, 82. E. Forsthoff, Freiherr vom Stein und die Selbstverwaltung (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 483.

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Gefesselt von der Jünger-Lektüre faßte Forsthoff 1931 den Plan, »unter dem Gesichtspunkt des Politischen ganz grundsätzlich« über die Kriegsliteratur zu schreiben.121 Eine größere Arbeit kam jedoch nie zustande. Wohl aber bezeichnete Forsthoff den Begriff der totalen Mobilmachung nun als einen »für die moderne politische Sphäre allgemeingültige[n] Begriff« 122, insofern nämlich die existentielle Hingabe an die Gemeinschaft der Kern des Politischen und dieser Kern nur für einen soldatischen Typus erreichbar sei: Die »Frontkämpfer des Sommers 1918 waren die letzte Auslese der vom Schicksal vor dem Tode bewahrten und durch den Fanatismus der Hingabe in der Zone des Feuers festgehaltenen. Sie repräsentierten die Nation, das Politische, in beispielloser Intensität.« 123 Allgemeingültig sei das Phänomen der totalen Mobilmachung auch insofern, als die Totalität des in ihr liegenden politischen Moments alle »liberalen Scheinoppositionen« und Begrenzungen in der politischen Sphäre beseitigen oder gegenstandslos machen werde: den Glauben an die Grundrechte, die Parteien, die Unterscheidungen von Bürger und Soldat, von Soldat und Arbeiter, von Zivil und Militär, von Öffentlich und Privat, von Staat und Gesellschaft.124 Forsthoffs ausführlichste Auseinandersetzung mit Jünger findet sich in einem – ausnahmsweise nicht pseudonymen – Bericht in den Blättern für Deutsche Philosophie, der zwar den Titel »Staatsrechtswissenschaft und Weltkrieg« trägt, der aber kaum von der Staatsrechtswissenschaft und gar nicht vom Weltkrieg handelt, sondern von der politischen Ästhetik der Kriegsliteratur im allgemeinen und den Werken Ernst Jüngers, Erich Maria Remarques, Werner Beumelburgs, Josef Magnus Wehners und Franz Schauweckers im besonderen. »Das alles zu lesen«, resümierte Forsthoff, »ist qualvoll, aber notwendig.« 125 Der Aufsatz erschien 1931 und damit zu einer Zeit, als sich in Deutschland das literarische Bild des Krieges signifikant veränderte. Der Krieg wurde, zehn Jahre nach seinem Ende, zum Mythos, wurde historisiert, ästhetisiert und damit gleichzeitig stark politisiert.126 Forsthoff war entzückt von dieser Ästhetisierung des Krieges, von der »subversiven geistigen Bewegung« 127, die von ihm ausging. Er beschwor noch einmal die »gewaltige Ausdehnung des politi-

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Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 4.2.1931, BW, Nr. 7. E. Forsthoff, »Totale Mobilmachung« (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 4. Ebd., 4. E. Forsthoff, Staatsrechtswissenschaft und Weltkrieg, in: Blätter für Dt. Philosophie 5 (1931/1932), 294. Ebd., 300. Vgl. dazu H. Kiesel, Wissenschaftliche Diagnose und dichterische Vision der Moderne, 1994, 136 (speziell zu Ernst Jünger); T. Rohrkrämer, Eine andere Moderne?, 1999, 238; J. Herf, Reactionary modernism, 2003, 24 f.; allgemeiner H.-H. Müller, Der Krieg und die Schriftsteller, 1986; zuletzt J. Encke, Augenblicke der Gefahr, 2006, 43 f. E. Forsthoff, Staatsrechtswissenschaft und Weltkrieg, in: Blätter für Dt. Philosophie 5 (1931/1932), 296.

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schen Schauplatzes […], seitdem der Krieg als verarbeitetes Erlebnis in das geistige Leben der Nation eingegangen ist« 128 und sah in den Schilderungen der Materialschlachten den Grund dafür gelegt, »vom Kriegserlebnis aus die Voraussetzung und Möglichkeit der politischen Haltung überhaupt zu entwickeln« 129. Dies nämlich sei »die große Mission der Kriegsgeneration: Sie wird nur politische Bücher schreiben, auch wenn sie sich stofflich vom Kriegserlebnis entfernt.« 130 Ja, das politische Sendungsbewußtsein der Frontkämpferund Kriegsjugendgeneration ging bei Forsthoff so weit, daß er ihr allein die Deutungshoheit über die politische Dimension des Krieges zusprach: »Nicht unmittelbar nach dem Kriegsende, sondern zehn Jahre später meldete sich die Kriegsgeneration zu Wort, fand sie die ihrem Stoff gemäße Sprache, nachdem sie in die Anonymität des bürgerlichen Lebens zurückgesunken war. Nicht Schriftsteller von Rang und Namen, sondern gänzlich unbekannte Männer, gestalteten das Bild des Krieges in Büchern von erschütternder Eindringlichkeit, jetzt fanden sie die Worte, das auszudrücken, was der Krieg als Erlebnis bedeutete. […] Der Krieg ist uns wieder geistig nahegerückt, ja, man darf wohl sagen, er ist uns heute bewußter, als er es seit Kriegsende je gewesen ist.«131

Wie schlug sich diese Haltung im staatsrechtlichen Denken des jungen Ernst Forsthoff nieder? Zunächst im Grundsatz des Frontsoldaten: Erkenne die Lage! Konkret: Erkenne die hohlen Fassaden des Liberalismus und reiße sie nieder! Auch der Staatsrechtslehrer mußte sich also, um das von Ernst Jünger damals oft zitierte Wort Léon Bloys zu gebrauchen, als »Abbruchunternehmer« betätigen. Wie nämlich sah Ernst Forsthoff die konkrete »Verfassungslage« des Deutschen Reiches? Er beschrieb sie in einer ganzen Reihe von polemischen Artikeln als »Selbstaufhebung des liberal-freiheitlichen Rechtsstaates« 132, ganz genau in der Weise, wie Carl Schmitt sie im Hüter der Verfassung gezeichnet hatte:133 Zerfall des Gesetzgebungsstaates, Entleerung der Legalität, Militarisierung der Innenpolitik, Dominanz totalitärer Parteien und Kampfbünde, Politisierung der Justiz, Polykratie, Pluralismus, »totaler Staat aus Schwäche«. Es ist nicht erforderlich, Schmitts Verfassungsanalyse der Weimarer Endzeit hier noch einmal zu referieren.134 Dieser Staat war für Forsthoff nicht anders als für

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Ebd., 293 f. E. Forsthoff, »Totale Mobilmachung« (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 4; zu diesem Beitrag Forsthoffs J. P. Faye, Totalitäre Sprachen, Bd. 1, 1977, 332 f. E. Forsthoff, Krisis des Staatsdenkens (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1931, 177. E. Forsthoff, Staatsrechtswissenschaft und Weltkrieg, in: Blätter für Dt. Philosophie 5 (1931/1932), 296 f. E. Forsthoff, Der Rechtsstaat in der Krise (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1932, 263. C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931, 71 ff. Siehe hierzu E. R. Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise der Weimarer Endzeit, in: Complexio Oppositorum, hrsg. v. H. Quaritsch, 1988, 31 ff.; und unten, 2. Kap., S. 55 ff.

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Schmitt nur noch ein »problematische[r] Funktionalismus«135, ohne politisches Ideal und ohne Gerechtigkeitsidee: »Was steht hinter den Normen dieses Staates, was ist seine Substanz, was macht sein Wesen aus? Gibt es einen soldatischen Treueschwur, der einer wechselnden Koalitionsmehrheit geleistet werden könnte? Unmöglich. […] Das königliche Wort ›l’état c’est moi‹ gilt heute für die Parlamentsmehrheit und wird dadurch zu einer schauerlichen Blasphemie. Immer wieder sieht man sich der Frage gegenüber: Welche verpflichtende Idee steht hinter diesem Staat? Gerechtigkeit? Nationale Ehre? Es muß doch schließlich eine Instanz geben, die darüber autoritär entscheidet.«136

Es gab sie nicht. Und für diesen Mangel machte Forsthoff nicht zuletzt auch die Weimarer Staatsrechtslehre verantwortlich. Mit Ausnahme von Schmitt und Rudolf Smend, auf die er sich immer wieder zustimmend berief, hatte er nur Hohn und Verachtung für sie übrig. Sie, die noch weitgehend vom akademischen Stil und Klima des späten Kaiserreichs geprägt war und überwiegend eine bürgerlich-monarchistische Tradition pflegte, repräsentierte für Forsthoff die im Ersten Weltkrieg gescheiterte politische Haltung. Sie repräsentierte deshalb auch »die Verlegenheiten der heutigen geistig-politischen und praktischpolitischen Lage« 137. So sprach er vom »völlige[n] Bankerott jenes scheinpolitischen liberalen Staatsdenkens, dem die Einheit des Staates über logizistische Spielereien in ein Nichts zerrann«138 und das nach dem Ende dieses Staates nur noch damit befaßt sei, den »Verlegenheiten geschickt auszuweichen«, die durch die »Auflösung der überkommenen Begriffe und Ordnungen wie Staat, Nation, Volk, Recht, Gesetz entstanden sind.«139 Er sah sich einer dem unpolitischen Sekuritätsgefühl der Vorkriegszeit verhafteten Zunft gegenüber, ohne Verständnis für alles, was in Deutschland seit 1918 wirklich geschehen war: »Die Umwälzung des Jahres 1918 hat auch auf dem Gebiet der Staatslehre ein Trümmerfeld geschaffen. Das ist gewiß kein Schaden. Denn kaum ist je eine Wissenschaft, deren Beruf es ist, den politischen Strömungen der Zeit bis in die feinsten Verästelungen nachzuspüren, von den Ereignissen so überrascht und überrannt worden wie die Staatslehre in den Jahren 1918 und 1919. Ohne politisches Sensorium, ohne Sinn für die Verpflichtung der Wirklichkeit hatte sie sich eingesponnen in formaljuristische Konstruktionen, stand sie abseits vom politischen Leben. Darum verschwand sie auch von selbst mit dem alten Reich, ein Produkt jenes liberalen Bürgertums der Vorkriegszeit, das, dank des sich mehrenden Wohlstandes und im Vertrauen auf die Schlagkraft einer ausgezeichneten Armee, der Sorgen um seine politische

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E. Forsthoff, Krisis des Staatsdenkens (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1931, 171. Ebd., 170 f. E. Forsthoff, Von der modernen Staatsrechtslehre (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Berliner Börsen-Zeitung v. 29.5.1932 (Literaturbeilage »Kritische Gänge«), 2. E. Forsthoff, Krisis des Staatsdenkens (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1931, 176. E. Forsthoff, Staatsrechtswissenschaft und Weltkrieg, in: Blätter für Dt. Philosophie 5 (1931/1932), 292.

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Erster Teil: Einflüsse und Entwicklungsbedingungen

Existenz überhoben zu sein glaubte und aus dem Gefühl der Sekurität heraus auf eine wirkliche politische Besinnung mit Nachdruck verzichtete.«140

Konstruktiv war diese Haltung nicht, der es vor allem anderen um die Beseitigung der bestehenden Ordnung ging. Und dann? Was, wenn alle Täuschungen des unpolitischen Staatsdenkens durchschaut, alle brüchig gewordenen Fundamente das rechtsstaatlichen Verfassungsrechts eingerissen sind? Dann mußte aus der »Trümmerlandschaft« von Weltkrieg und Revolution etwas Neues entstehen, ein elementares politisches Denken. In diesem Sinne schrieb Ernst Forsthoff bereits 1931, im Alter von 29 Jahren also, im Vorgriff auf das Kommende: »Ein völlig neuer Einsatz des politischen Denkens ist erforderlich. Wir müssen von vorn anfangen; von vorn – das heißt beim Begriff des Politischen. Wir müssen es uns wieder bewußt machen, was politische Haltung ist, was eine Überzeugung zu einer politischen macht. Denn nur im Politischen kann die Einheit des Staates beschlossen sein, die tiefere Einheit, die hinter den staatlichen Normen steht und auf die es uns allein ankommt. […] Nur vermöge der volklichen Verbundenheit hat man Zugang zu ihr, kann man sie in sich aufnehmen. […] Darauf kommt es an: Das intellektuelle Getue und das scheinpolitische Geschwätz als solches zu erkennen und die elementare Zone aufzusuchen (die nicht nur eine Zone des Feuers ist), aus der alle echten politischen Begriffe wie Volk, Nation, Vaterland, Freund und Feind […] ihren Sinn empfangen, um den uns die völlig substanzlos gewordene, hybride Intelligenz betrogen hat. […] Darüber läßt sich heute nur in Andeutungen sprechen. Denn wir haben erst den Ansatz eines neuen politischen Denkens, ja, streng genommen, erst die Möglichkeit eines solchen Ansatzes. Aber diese Möglichkeit ist uns die Verheißung einer besseren Zukunft.«141

III. Bonn, Sommer 1923, Carl Schmitt und die Folgen Wenn erst zum Schluß dieses Kapitels von Forsthoffs Begegnung mit seinem akademischen Lehrer die Rede ist, so nicht deshalb, weil diese Prägung geringer zu veranschlagen wäre. Im Gegenteil. Aber das Verhältnis Forsthoffs zu Carl Schmitt ist ein ganz eigenes Problem. Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Werkentwicklung und ist hier deswegen zugleich im Vorgriff auf die folgenden Kapitel zu behandeln. Sich über das Verhältnis zu Schmitt klarzuwerden, ist naturgemäß für das Verständnis Forsthoffs von höchster Wichtigkeit. Nicht umsonst wurde er ein ums andere Mal als »orthodoxer Schmittianer«142 bezeichnet, als »intellectual leader« der Schmitt-Schule,143 als »Routinier

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E. Forsthoff, Krisis des Staatsdenkens (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1931, 169. Ebd., 176 f. T. Vesting, Politische Einheitsbildung und technische Realisation, 1990, 185. J. W. Müller, A Dangerous Mind, 2003, 73.

Erstes Kapitel: Drei Väter

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aus der Meisterklasse«144, als »ergebener Musterschüler«145, als »früher und zugleich sehr treuer«146, ja überhaupt als der bedeutendste von Schmitts Schülern.147 Für gewöhnlich wird Forsthoff mit seinem akademischen Lehrer vorbehaltlos identifiziert. Doch das Verhältnis ist komplizierter und widersprüchlicher, als daß es mit solchen Bezeichnungen zu erfassen wäre. Forsthoff ist Carl Schmitt zum ersten Mal als Student in der öffentlichrechtlichen Übung im Sommersemester 1923 in Bonn begegnet, wo Schmitt ein Jahr zuvor, aus Greifswald kommend, die Nachfolge von Rudolf Smend angetreten hatte.148 Schmitt war in dieser Zeit auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Mit den Arbeiten Politische Romantik (1919), Die Diktatur (1921) und Politische Theologie (1922) war er ein berühmter Autor geworden, und schrieb in seiner Bonner Zeit die bedeutendsten seiner verfassungsrechtlichen Werke. In jene Jahre fielen seine prägende Bekanntschaft mit dem Theologen Erik Peterson, der Katholizismus-Essay,149 die Rivalität mit Erich Kaufmann, die großen Auseinandersetzungen Schmitts mit Smend, Kelsen und Heller im sogenannten »Richtungsstreit«, die Abhandlung über den Begriff des Politischen (1927), die Verfassungslehre (1928) und die ersten völkerrechtlichen Arbeiten. Die geistige Anziehungskraft, die gerade in diesen Jahren von Carl Schmitt ausging, muß unvergleichlich gewesen sein. Zum Schülerkreis, dem »legendären Seminar«150, das er in Bonn um sich scharte, gehörten neben Forsthoff unter anderen Ernst Rudolf Huber, Werner Weber, Werner Becker, Ernst Friesenhahn, Otto Kirchheimer und Hans Barion.151 Das nicht bloß juristische, sondern schlechthin geistige Initiationserlebnis, das der Lehrer Schmitt für sie alle bedeutete, ist oft beschrieben worden, nicht zuletzt und immer wieder von Forsthoff selbst. So heißt es in einer Rede, die er auf einer großen Feier der »Academia Moralis« in Düsseldorf zum 65. Geburtstag Schmitts hielt: 152 »Es war vor ziemlich genau dreißig Jahren, als ich – Student im 5. Semester – mir ein Herz faßte, Sie in Ihrer Wohnung in der Meckenheimer Allee in Bonn aufsuchte und Sie fragte, ob Sie mich als Doktorand annehmen würden. Ich hatte, als ich im 5. Semester nach Bonn ging, ein Rechtsstudium hinter mir, das ich mehr aus Pflicht als aus Neigung absolviert hatte, immer

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H. Ridder, Epirrhosis?, in: NPL 16 (1971), 326. F. Balke, Mit diesem Staat ist kein Staat mehr zu machen, in: Literaturen, April 2008, 20 ff. [Anonymus], Herren, die beim »Sie« blieben, in: taz Magazin Nr. 8653 v. 9.8.2008, VII. M. Stolleis, Leiden an der Bundesrepublik, in: Rg 13 (2008), 205; D. van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 22002, 240; siehe dagegen die Marginalisierung Forsthoffs zugunsten Ernst Rudolf Hubers bei R. Mehring, Carl Schmitt, 2009. R. Mehring, Carl Schmitt, 2009, 140 f. C. Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, 1923. R. Mehring, Carl Schmitt, 2009, 177. Dazu neuestens R. Mehring, »ein typischer Fall jugendlicher Produktivität«, in: forum historiae juris 2010, Nr. 1. Siehe die Beschreibung von R. Mehring, Carl Schmitt, 2009, 497 f.; D. van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 22002, 56.

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Erster Teil: Einflüsse und Entwicklungsbedingungen

im Zweifel, ob ich nicht zur philosophischen Fakultät hinüberwechseln sollte. Ich belegte bei Ihnen die Übung im Öffentlichen Recht und bekenne, daß mir damals Ihr Name noch nicht viel sagte. Ich hatte noch keines Ihrer Bücher gelesen. Aber diese Übung wurde für mich zu einem lebensentscheidenden Erlebnis. Zum erstenmale sah ich mich hier dem Geist des Rechts und der Rechtswissenschaft gegenüber. Im Sommer 1923 bin ich zum Juristen geworden, dem noch lernenden zwar, in dem aber ein Bewußtsein von der Aufgabe und der Würde des Rechts und des Juristen wach geworden war. Ich möchte glauben, daß dies ein typisches Erlebnis ist, wie es den meisten Ihrer Schüler in dieser oder jener Form zuteil geworden ist.«153

Der Eindruck war so stark, daß Forsthoff seine Schilderung in mehreren Briefen an Schmitt wiederholte.154 Und noch in einer Ansprache bei seiner eigenen Emeritierung sagte Forsthoff, die Begegnung mit Schmitt sei »ein Glücksfall« gewesen, »eine Sache der geistigen Konstellation, die man nicht bewußt schaffen kann.«155 Nicht anders äußerte sich Ernst Rudolf Huber.156 Von Schmitt erhielt Forsthoff am Ende dieses Sommersemesters 1923 das Thema seiner Doktorarbeit 157 und nachdem er im Juni 1924 das Erste Staatsexamen bestanden hatte, reichte er die Dissertation schon im Februar 1925 ein. Schmitt bewertete sie immerhin »sehr gut«, am 27. Februar folgte die mündliche Prüfung. Carl Schmitt prüfte Staatsrecht im Haupt-, Völkerrecht im Nebenfach. Das Protokoll nennt die Themen »Reichspräsident; Auflösung des Reichstages« sowie »Protektorate, Mandate, Völkerbund«. Ernst Landsberg prüfte Strafrecht im zweiten Nebenfach, unter anderem über Unterschlagung und Mundraub.158

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E. Forsthoff, Geburtstagsansprache am 11.7.1953 in Düsseldorf, zit. n. BW, Nr. 62, Anm. 1. Siehe Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 5.7.1958, BW, Nr. 106; 9.7.1963, BW, Nr. 173: »Es sind jetzt genau 40 Jahre vergangen, seit ich Ihnen zum erstenmale begegnete – ganz einseitig begegnete als Teilnehmer Ihrer öffentlichrechtlichen Übung im Sommersemester 1923. Ich kam damals nach Bonn mit dem peinlichen Gefühl, dass mir das bisherige juristische Studium mehr oder weniger misslungen war, nicht weil ich ihm intellektuell nicht gewachsen gewesen wäre, sondern weil ich zwar allerlei Wissensstoff in mich aufgenommen, aber das dahinter stehende Spezifische des Juristen und seiner Denkweise noch nicht begriffen hatte. […] Unter diesen Umständen werden Sie es verstehen, dass ich mich geradezu befreit fühlte, als mir in Ihrer Übung […] der eigentliche Sinn des Rechtsstudiums und des spezifisch Juristischen erschlossen wurde.« E. Forsthoff, Ansprache an die Teilnehmer des zu Ehren von Prof. Dr. Ernst Forsthoff von der Juristischen Fachschaft der Studentenschaft der Universität Heidelberg am 19. Jan. 1967 veranstalteten Fackelzuges, in: info. Nachrichten für die Studenten der Ruperto Carola Heidelberg v. 16.2.1967, 7. E. R. Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise der Weimarer Endzeit, in: Complexio Oppositorum, hrsg. v. H. Quaritsch, 1988, 33 ff. Handschriftlicher Lebenslauf, Archiv der Juristischen Fakultät der Universität Bonn, Promotionsakte Forsthoff, Ernst, Nr. 437, Bl. 6. Archiv der Juristischen Fakultät der Universität Bonn, Promotionsakte Forsthoff, Ernst, Nr. 437, Bl. 3.

Erstes Kapitel: Drei Väter

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Forsthoffs Dissertation Der Ausnahmezustand der Länder 159 ist eine scharfsinnige Spezialstudie zum Bundesstaatsrecht, wenn sie auch bei weitem nicht an das Niveau seiner späteren Arbeiten heranreicht. Sie galt der Frage, ob die deutschen Länder aus eigenem, das heißt nicht lediglich aus der Reichsverfassung abgeleitetem Recht im Falle von Notständen die Befugnis zu außerordentlichen Maßnahmen besitzen. Carl Schmitt hatte in dieser Frage geradezu die Kernfrage des Bundesstaatsrechts unter der Weimarer Reichsverfassung gesehen: »Wenn die Einzelstaaten nach der herrschenden Auslegung des Artikels 48 [WRV] keine selbständige Befugnis mehr haben, den Ausnahmezustand zu erklären, so sind sie keine Staaten.« 160 Art. 48 Abs. 2 WRV ermächtigte im Falle einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung den Reichspräsidenten zu Maßnahmen ihrer Wiederherstellung, insbesondere zur Suspendierung einzelner Grundrechte, und Abs. 4 sprach das gleiche Recht, bei Gefahr im Verzug, den Landesregierungen für ihr Gebiet zu. Dabei standen Maßnahmen der Landesregierungen nach der Verfassung unter dem Vorbehalt ihrer Aufhebung durch Reichspräsident oder Reichstag, während bei Maßnahmen des Reichspräsidenten nur der Reichstag deren Aufhebung verlangen konnte. Die Unterordnung der Landesdiktatur unter das Reich ging organisatorisch sogar noch weiter: Die Befugnis des Reichspräsidenten, mit Hilfe der Reichswehr einzuschreiten, stützte sich auf seinen militärischen Oberbefehl, während die Landesregierungen insoweit auf Amtshilfe angewiesen waren.161 Der darin angelegte Konflikt war 1923 ausgebrochen, als die bayerische Landesregierung einen Teil der Reichswehr im Wege der Diktaturkompetenz unter eigenes Kommando stellte.162 Dabei zeigte sich das Reich außerstande, diesen Konflikt 159

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E. Forsthoff, Der Ausnahmezustand der Länder, in: AnnDR Jg. 1923–1925 (1926), 138–194. Zuvor schon als Auszug gedruckt bei Hch. Ludwig, Bonn. Die in der Publikation nicht enthaltenen »Leitsätze« des Manuskriptes (Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. 25/408) lauten: »I. Der Ausnahmezustand der Länder hat, anders als die Reichsdiktatur, die bundesstaatliche Struktur des Reiches zur Voraussetzung. Seine Grundlage bilden die Reichsverfassung und die Landesverfassung. Deshalb kann eine Landesregierung nicht die Landesverfassung in toto suspendieren, sondern hat neben dem unantastbaren Minimum organisatorischer Reichsverfassungsnormen ein solches von Landesverfassungsbestimmungen zu wahren. II. Ein Delegationsverhältnis zwischen den Befugnissen des Reichspräsidenten nach Artikel 48 Absatz 2 RV. und dem Ausnahmezustand der Länder waltet nicht ob. Die Diktatur der Länder ist selbständiger Natur. III. Die Landesregierungen handhaben die Diktaturbefugnisse als Landesorgane. Ihre Maßnahmen sind, obgleich auf Reichsrecht beruhend, dem Landesrecht zuzurechnen, da sie von Landesorganen ausgehen und von der Landesgewalt getragen werden. IV. Die Maßnahmen auf Grund des Artikel 48 Absatz 4 RV. sind durch eine Verordnung des Reichspräsidenten gemäß Artikel 48 Absatz 2, nicht aber durch Gesetz oder sonstige Reichsverordnung aufhebbar.« C. Schmitt, Politische Theologie, 21934, 18. G. Anschütz, Die Verfassung des Deutsches Reichs vom 11. August 1919, 141933, Art. 48, Anm. 19c II., 298 f.; R. Grau, Die Diktaturgewalt der Landesregierungen, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, hrsg. v. G. Anschütz/R. Thoma, 1932, 297. Dazu ausführlich E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. VII, 1984, 369 ff.

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Erster Teil: Einflüsse und Entwicklungsbedingungen

aus eigener Kraft zu lösen.163 Die von Art. 48 WRV intendierte Machtverteilung entsprach also nicht der wirklichen bundesstaatlichen Verfassungslage.164 Forsthoff entwickelte durch Analogien zu Schmitts Auslegung des Art. 48 Abs. 2 WRV 165 eine im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung betont föderale Interpretation der Landesdiktatur, sprach auch den Ländern das in der Diktatur enthaltene Recht staatlicher Selbstbehauptung zu, ordnete die Landesdiktatur als Landesstaatsgewalt und ihre Maßnahmen als Landesrecht ein und bestätigte damit im wesentlichen die in den ersten Jahren der Republik extensive Notverordnungspraxis der Landesregierungen: »Sie zeigte zum ersten Mal die in den Voraussetzungen selbständige Natur des Ausnahmezustandes der Länder. Zwar mochte er ursprünglich in seiner Auswirkung anders gedacht sein: seine Handhabung entspricht dem Intensitätsgrade der im Staate wirksamen dynamischen Kräfte.«166 Welches nämlich waren die hier wirksamen Kräfte? Forsthoff sah, daß der Begriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und damit die Handhabung der Notstandsbefugnisse nicht abstrakt begrifflich festzulegen war, sondern daß er auf das engste mit den konkreten Sachaufgaben zusammenhing, die dem jeweiligen Verband – Reich oder Land – gestellt waren. So demonstrierte das unscheinbare Thema die Dynamik des »Sozialen« hinter dem Föderativsystem der Weimarer Reichsverfassung: Da nämlich die Länder als Träger der meisten Verwaltungskompetenzen sehr viel unmittelbarer als das Reich in das wirtschaftliche und soziale Leben eingeschaltet waren, konnten die sozialen Krisen der Nachkriegszeit gerade in den Ländern zur staatlichen Selbstbehauptungsfrage werden, was sich in zahlreichen Notverordnungen zur Bekämpfung von Versorgungskrisen, Lebensmittelaufständen und Streikaktionen zeigte.167 Soweit Forsthoffs Doktorarbeit. Einige Jahre später trennten sich die Wege. Weder war Forsthoff je Schmitts Assistent noch hat er sich bei ihm habilitiert. Zwar blieb er während der Referendarzeit und der Arbeit an seiner Habilitationsschrift in Bonn (Koblenzerstraße 15) und gehörte gewiß auch in dieser Zeit zu seinem Seminar. Dann aber ging Carl Schmitt zum Sommersemester 1928 nach Berlin, wo Forsthoff ihn im Laufe des Jahres 1929 einige Male besuchte. Schmitt wurde in Berlin Nachfolger Walter Schückings auf dem Lehrstuhl von Hugo Preuß an der Handels-Hochschule. Die Handels-Hochschulen besaßen indessen kein Habilitationsrecht. Auf Empfehlung des damals in Berlin lehrenden Rudolf Smend nahm Forsthoff nun mit der Marburger Fakultät Fühlung auf, um sich bei dem Staats- und Kirchenrechtler Victor 163 164 165

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Ebd., 372 f. E. Forsthoff, Der Ausnahmezustand der Länder, in: AnnDR Jg. 1923–1925 (1926), 158. C. Schmitt, Die Diktatur des Reichspräsidenten nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung (1924), in: Die Diktatur, 51989, 213 ff. E. Forsthoff, Der Ausnahmezustand der Länder, in: AnnDR Jg. 1923–1925 (1926), 105 f. Ebd., 171, 174.

Erstes Kapitel: Drei Väter

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Bredt zu habilitieren, wo er auch die anfängliche Unterstützung Hans Gerbers fand.168 Doch Bredt sagte ab: Marburg brauche keinen weiteren Privatdozenten.169 Der Versuch, sich trotz Schmitts Weggang in Bonn bei Richard Thoma zu habilitieren, scheiterte unter unklaren Umständen: Forsthoff zog seinen Antrag zurück. Gegenüber Carl Schmitt nannte er später als Grund dafür Thomas »scharfe Ablehnung meiner ›Begriffsjurisprudenz‹«.170 Das implizierte offensichtlich die Ablehnung Schmitts selbst, denn wen sollte der Vorwurf der Begriffsjurisprudenz sonst treffen? Das rettende Arrangement wurde, wie dem Tagebuch von Carl Schmitt zu entnehmen ist, am 18. Januar 1930, dem Tag der Reichsgründungsfeier, getroffen, als Schmitt in Berlin seinen Vortrag über Hugo Preuß 171 hielt. Forsthoff,

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Ernst Forsthoff an Rudolf Smend, 4.8.1929, SUB Göttingen, NL Smend. Ernst Forsthoff an Rudolf Smend, 10.8.1929, SUB Göttingen, NL Smend. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 9.3.1930, BW, Nr. 5. Siehe auch R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 5. In seinem Antrag auf Erteilung der venia legendi an die Freiburger Fakultät (Brief Ernst Forsthoffs, 19.4.1930, UA Freiburg, B110/348, Bl. 2) gab Forsthoff an, er habe einen in Bonn gestellten Antrag »aus Gründen zurückgezogen, die ich Herrn Geheimrat van Calker und Herrn Professor Freiherr Marschall von Bieberstein mündlich dargelegt habe.« In seinem Gutachten zu Forsthoffs Habilitationsschrift v. 23.4.1930 nahm dann Marschall v. Bieberstein ausführlicher zu den Umständen des Fakultätswechsels Stellung (UA Freiburg, B110/348, Bl. 5): »Eine Habilitation in Bonn bei C. Schmitt wurde bald nach der Promotion ins Auge gefaßt, aber sofort unter beiderseitigem Einverständnis bis nach Erledigung des Assessorexamens vertagt. Bei Erreichung dieses Ziels (März 1928) fand Forsthoff jedoch seinen Lehrer nicht mehr in Bonn vor […]; Schmitts Bonner Nachfolger, R. Thoma, erklärte sich bereit, den Habilitanden zu übernehmen. Nach Fertigstellung seiner – übrigens m. W. noch von C. Schmitt, keinesfalls von Thoma, angeregten – Arbeit über die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat und nach Einleitung der ersten Schriften bei der Bonner Fakultät mehrten sich indes bei Forsthoff die Zweifel, ob es für ihn das Richtige sei, gerade in Bonn seine Habilitation zu versuchen. Rein praktisch schien ihm bedeutsam, daß eine ganze Reihe jüngerer Anwärter dort dasselbe Ziel verfolgt, wodurch für den Einzelnen die Aussicht auf baldige Lehrtätigkeit sich stark verringern muß; und persönlich kam dazu das Gefühl, in wissenschaftlicher und in rechtspolitischer Hinsicht in gewissen grundlegenden Punkten gerade von R. Thoma stark abzuweichen, der sich z.B. in Fragen der Reichsreform neuerdings in unitarisch-zentralistischem Sinn stark festgelegt hat und geradezu leugnet, daß der ›Bundesstaat‹ für Deutschland heute noch ein Problem sei, während Forsthoff (als Schmittschüler) mehr einem gemäßigten Föderalismus zuneigt und gerade in seiner Habilitationsschrift in der ganzen rechtlichen Beurteilung des heutigen Reiches von entsprechender Auffassung ausgegangen ist. Er war daher entschlossen, sich von Bonn zu lösen und hatte sich darüber bereits mit Thoma ausgesprochen, als er vor einigen Wochen durch einen Zufall erfuhr, daß hier in Freiburg durch Liermanns Wegberufung eine fühlbare Lücke entstanden und unserer Fakultät die Habilitation eines öffentlichrechtlichen Privatdozenten nicht unwillkommen sei. Auf den Rat seines Lehrers fuhr er, kurz entschlossen, zu persönlicher Vorstellung und Anfrage bei den beiden Publizisten auf einen Tag hierher; da der persönliche [Eindruck] bei diesen wie auch beim Dekan günstig war, wurde er von uns zur Einsendung seiner Habilitationsschrift ermutigt.« C. Schmitt, Hugo Preuß, 1930.

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Erster Teil: Einflüsse und Entwicklungsbedingungen

der diesen Vortrag offenbar gehört hatte, traf sich am Nachmittag mit Schmitt und erzählte ihm von den Vorgängen in Bonn. Schmitt rief daraufhin Smend an, der Forsthoff umgehend nach Freiburg zu dem dortigen Staats- und Kirchenrechtler Fritz Freiherr Marschall von Bieberstein vermittelte.172 Dieser war 1915 Smends Lehrstuhlnachfolger in Tübingen geworden.173 Im Hinblick auf spätere, scharf geführte Auseinandersetzungen bleibt also zu bedenken, daß Forsthoff Smend in gewisser Weise seine akademische Karriere verdankte und ihm deshalb, trotz allem, lebenslang eine gewisse dankbare Anhänglichkeit bewahrt hat. In Freiburg reichte Forsthoff im Frühjahr 1930 seine Habilitationsschrift über »Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat« ein und hielt am 12. Mai seine Probevorlesung über das Thema: »Verfassungsschranken der Steuergesetzgebung«.174 Forsthoffs venia legendi umfaßte Staatsrecht, Allgemeine Staatslehre und Verwaltungsrecht.175 Er las in Freiburg überwiegend Staats-, Verwaltungs- und Kirchenrecht, daneben zweimal die Vorlesung »Politische Ideenkreise der Gegenwart«. Ferner hielt er »staatsrechtlich-politische« Seminare ab, unter anderem über Film-, Funk- und Presserecht. In Freiburg lernte er Erik Wolf kennen und die Brüder Ernst und Fritz von Hippel, die er fortan freundschaftlich die »Hippolyten« nannte.176 Hier hörte er mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Heidegger.177 Daneben war Forsthoff in seiner Freiburger Zeit spiritus rector der »Freiburger Politischen Gesellschaft«, eines Kreises aus Studenten und jungen Dozenten aller Fakultäten, die Vortragsabende und Diskussionen veranstalteten.178 Einer der Mitarbeiter war der damals 23jährige Franz Wieacker. Zu den Rednern, die die Gesellschaft nach Freiburg holte, gehörten unter anderen der damalige Reichsbankpräsident a.D. Hjalmar Schacht, die Nationalökonomen Edgar Salin, Walter Eucken und Arnold Bergstraesser, der ehemalige Chef der Heeresleitung Hans von Seeckt, der Reichswehrminister a. D. Otto Gessler (über »Reichsreform«), Gustav Steinbömer (über »Staat und Drama«), Hendrik de Man (über »Nationalismus und Sozialismus«), Carl Schmitt (am 22. Juni 1931 über den »Staat des zwanzigsten Jahrhunderts«) 179

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Eintrag vom 18.1.1930, in: C. Schmitt, Tagebücher 1930–1934, hrsg. v. W. Schuller i. Zus.arb. m. G. Giesler, 2010, 6f. A. Hollerbach, Kirchenrecht an der Freiburger Rechtsfakultät 1918–1945, in: ZevKR 23 (1978), 33, Fn. 27. Vgl. Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg an Ernst Forsthoff, 9.5.1930, UA Freiburg, B110/348. UA Freiburg, Habilitationsakte Ernst Forsthoff, B 110/348, Bl. 2. Ernst Forsthoff an Fritz v. Hippel (Postkarte), 27.2.1935, UA Freiburg, NL von Hippel, Nr. 828. Dies vermutet plausibel E. Faye, Heidegger, l’introduction du nazisme dans la philosophie, 2005, 250. Die Akten der Gesellschaft sind im Nachlaß Forsthoffs erhalten. Eintrag vom 22.6.1930, in: C. Schmitt, Tagebücher 1930–1934, hrsg. v. W. Schuller i. Zus.arb. m. G. Giesler, 2010, 118.

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und Ernst Jünger, der am 15. Dezember 1931 über die totale Mobilmachung sprach.180 Forsthoff wohnte von seiner Habilitation 1930 bis zu seiner Berufung nach Frankfurt 1933 in Freiburg (Thurnseestraße 67) und lehrte dort als Privatdozent, wofür er vom Oktober 1930 bis zum September 1933 mit einem Landesstipendium ausgestattet war.181 Nach seiner Beurlaubung 1928 hatte er zunächst von der Unterstützung seines Vaters gelebt, dann aber erlitt Heinrich Forsthoff beim Zusammenbruch der Beamtenbank große Verluste.182 So war Forsthoff auf das Privatdozentenstipendium angewiesen. Ein engeres Verhältnis zu seinem Doktorvater Schmitt scheint Forsthoff in diesen Jahren nicht gehabt zu haben. Gewiß schrieb Forsthoff ihm dann und wann, um ihn von seinen Fortschritten und Publikationen zu unterrichten.183 Auch dankte er ihm im Vorwort zu seiner Habilitationsschrift »für wertvolle Anregungen«. Aber viel persönlichen Umgang hatten sie in dieser Zeit nicht. Was allerdings den wissenschaftlichen Einfluß angeht, so handelte es sich nicht sowohl um »Anregungen« als um eine feste Gefolgschaft. In seinen ersten Schriften zeigte sich Ernst Forsthoff als entschiedener Anhänger der Staatslehre und der Verfassungstheorie seines Lehrers. Forsthoffs Arbeiten zum Bundesstaatsrecht und zur Selbstverwaltung sind, wie im nächsten Kapitel zu zeigen ist, bei aller Selbständigkeit Applikationen von Schmitts Theorie des totalen Staates. Das gilt erst recht für die Broschüre Der totale Staat, mit der Forsthoff 1933 hervortreten sollte. Auch viele andere Fragen, die Forsthoffs Werk bestimmen, lassen ihren Ahnherren erkennen: So nimmt, um nur ein Beispiel zu nennen, Forsthoffs Begriff der Daseinsvorsorge auch Schmitts Formel von der »Wendung zum Wirtschaftsstaat« wieder auf. Erst Mitte der dreißiger Jahre setzte Forsthoff sich von der politischen Doktrin und der Rechtslehre Schmitts ab. Die wichtigsten Zeugnisse dieser kritischen Auseinandersetzung sind Forsthoffs Vortrag über Recht und Sprache (1940) und seine Rezension von Schmitts Buch über den Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes (1938).184 Wechselhaft war auch das persönliche Verhältnis zwischen beiden. Forsthoff gehörte vor 1945 nicht zum engeren Kreis von Carl Schmitt, weder in der Weimarer Zeit noch im Nationalsozialismus. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme profitierte er allerdings sehr erheblich von Schmitts kometenhaftem Aufstieg zum Berliner Ordinarius, zum Preußischen Staatsrat, zum

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Ernst Jünger an Freiburger Politische Gesellschaft, 27.11.1931, NL Forsthoff. Der Minister des Kultus und Unterrichts an die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg, 16.10.1930 (Durchschlag) und 2.9.1932 (Durchschlag), UA Freiburg, B24/820, Personalakte Forsthoff, Bl. 19/21. Dies erwähnte Marschall v. Biebersein in seinem Gutachten v. 23.4.1930 zu Forsthoffs Habilitation, UA Freiburg, B110/348, Bl. 7. BW, Nr. 5–13. Die Briefe Schmitts aus dieser Zeit sind nicht erhalten. E. Forsthoff, Buchbesprechung, in: Zs. für dt. Kulturphilosophie 7 (1941), 206 ff.

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Herausgeber der Deutschen Juristenzeitung und vor allem zum Leiter der Reichsfachgruppe Hochschullehrer des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen.185 Sowohl seine erste Professur in Frankfurt (1933) als auch seine Berufung nach Hamburg 1935 verdankte Forsthoff wohl ganz maßgeblich dem Einfluß Schmitts. Dann aber kam es zum Streit 186 und auch ihre Korrespondenz kam völlig zum Erliegen, abgesehen von drei unbedeutenden Glückwunsch- und Kondolenzschreiben Schmitts 187 und der Übersendung von Sonderdrucken mit Grüßen, Dank und den üblichen Zueignungen. Zwischen 1934 und 1947 sind sie sich nie mehr begegnet. Nur durch gemeinsame Bekannte, vor allem Wilhelm Stapel und Ernst Rudolf Huber, erhielt Forsthoff gelegentliche Berichte über das Ergehen seines Lehrers. Eine enge Beziehung zwischen Forsthoff und Schmitt ist erst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Sie begann mit einem – nicht überlieferten – Brief Forsthoffs im April 1947, also noch vor Schmitts Entlassung aus dem Nürnberger Militärgefängnis am 21. Mai 1947.188 Diese Initiative begründete Forsthoff in einem Brief an Ernst Rudolf Huber lakonisch mit den Worten: »An C.S. habe ich geschrieben, weil alle sich jetzt von ihm geflissentlich distanzieren.«189 Nach Forsthoffs gesamtem Temperament und seiner Persönlichkeit zu urteilen, dürfte dieses Motiv, die ehrliche Empörung über die Schmitt zuteil werdende Behandlung, sehr ernst zu nehmen sein.190 Und er wußte zu berichten: »Ich bekam eine, übrigens auf Depression schließen lassende Antwort von ihm, die mich beeindruckte. Beigefügt war eine Ausarbeitung, Ex captivitate salus, offenbar in der Gefangenschaft geschrieben, eine Art von wissenschaftlichem Selbstbekenntnis von hohem Niveau.«191 Von da an entwickelte sich zwischen beiden ein bis zu Forsthoffs Tod dauernder reger Briefwechsel. Daß aus dieser Wiederbegegnung ein so enges Vertrauensverhältnis resultierte, hängt wohl nicht zuletzt mit einem Zufall zusammen. Als Schmitts zweite Frau, Dusˇka, 1949 schwer krank wurde, ließ sie sich von dem mit Schmitt befreundeten Leiter der Medizinischen Universitätsklinik in Heidelberg behandeln. Während Dusˇka Schmitt in Heidelberg in der Klinik lag, wohnten Carl Schmitt und seine Tochter Anima oft über mehrere

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Siehe R. Mehring, Carl Schmitt, 2009, 319 ff. Dazu noch unten, 5. Kap., S. 228 f. BW, Nr. 16–18. Zu Schmitts damaliger Situation D. van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 22002, 31 ff.; R. Mehring, Carl Schmitt, 2009, 438 ff. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 6.4.1947, BA Koblenz, NL Huber. So die aufgrund seines persönlichen Umgangs mit Forsthoff gültige Einschätzung von E.-W. Böckenförde, Zum Briefwechsel zwischen Ernst Forsthoff und Carl Schmitt, in: AöR 133 (2008), 263. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 6.4.1947, BA Koblenz, NL Huber.

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Wochen bei der Familie Forsthoff.192 Erst von da an gewann die alte Bekanntschaft einen vertrauten Zug. Erst jetzt traf man sich regelmäßig und verbrachte gemeinsame Urlaube. Trotzdem: Auch danach blieb noch vieles ausgeklammert und jeder Erörterung entzogen, so vor allem Carl Schmitts Verhalten zwischen 1933 und 1945.193 Forsthoffs entschiedene Parteinahme zugunsten Carl Schmitts hat bei vielen, die ihm nahestanden, nachhaltige Irritationen ausgelöst,194 nicht nur bei Arnold Gehlen195 und Rudolf Smend 196, sondern auch bei seinem alten Freund, dem inzwischen in Manchester untergekommenen Romanisten Arnold Ehrhardt,197 und seinem Schüler, Lehrstuhlnachfolger und langjährigem Gesprächspartner Karl Doehring.198 Bedenkt man, wie fern Forsthoff Schmitt nach dem Kriegsende wissenschaftlich wie persönlich stand, haftet dem späteren Bündnis mit ihm etwas Demonstratives an. Das Motivgeflecht, auf dem es aufgebaut war, läßt sich nur schwer entwirren. Für Ernst Forsthoff war es – neben dem Bedürfnis, dem Diskriminierten zu helfen – zweifellos vor allem die intellektuelle Brillanz und die immense, oftmals beschriebene Neugierde und die Fähigkeit Schmitts, seinem Gegenüber im Gespräch die entscheidenden Anregungen zu geben. Auch hatte Forsthoff erst jetzt nach dem Krieg mit dem Lehrbuch des Verwaltungsrechts ein Werk aufzubieten, das ihn endgültig aus dem Schülerstatus befreite und ihm halbwegs den Umgang von gleich zu gleich ermöglichte. Schmitt dagegen war nun auf seine Schüler persönlich angewiesen. Er hatte seinen Berliner Lehrstuhl verloren, verweigerte die Entnazifizierung und wurde auch nie mehr in die Staatsrechtslehrervereinigung aufgenommen. So brauchte er Kollegen wie Forsthoff oder Werner Weber, um aus dem sauerländischen Exil wenigstens mittelbar Einfluß nehmen zu können. Auch im übrigen hat Schmitt von Forsthoff nach dem Krieg in vielfältiger Weise profi-

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R. Mehring, Carl Schmitt, 2009, 466 f. W. Schuller, Eine große Rührung, in: F.A.Z. v. 24.12.2007, 37. Siehe H. Quaritsch, Erinnerung an Ernst Forsthoff, in: NJW 1974, 2120. Arnold Gehlen an Ernst Forsthoff, 6.1.1967 (Durchschlag), NL Gehlen. In einem anderen Brief an Ernst Forsthoff (v. 12.7.1973, NL Forsthoff) meinte Gehlen: »Mir fällt ein, daß Sie mich zweimal fragten, ob ich C.S. oder B[arion] für klüger hielt – eine interessante Frage angesichts so verschiedener Bewußtseins-Strukturen. Ich glaube, daß B. insofern voraus war, als er sich selbst ›hinterfragte‹ und skeptisch zu sich selbst stand, das war wohl nicht die Stärke von C.S. Angesichts des nicht dummen Aufsatzes über ihn in der ›Welt‹ [scil: H.-D. Sander, Die Welt v. 11.7.1973] (am gleichen Tag erschien ein wahrhaft sinistres Foto von Horkheimer in der FAZ) habe ich mich gefragt, was mich seit langem von ihm entfernte; ich glaube, es war das Gefühl, daß er nicht nur seine, sondern auch die Gedanken anderer Leute ordnen wollte.« Rudolf Smend an Ernst Forsthoff, 23.9.1950, NL Forsthoff. Arnold Ehrhardt an Ernst Forsthoff, 29./30.1.1947, NL Forsthoff, wo er Forsthoff auch die Freundschaft mit Ernst Rudolf Huber vorhält. K. Doehring, Ernst Forsthoff als Hochschullehrer, Kollege und Freund, in: Ernst Forsthoff, hrsg. v. W. Blümel, 2003, 17 ff.; siehe auch ders., Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union, 2008, 130 f.

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Erster Teil: Einflüsse und Entwicklungsbedingungen

tiert:199 Forsthoff organisierte eine Unterstützungsaktion unter Kollegen, als Schmitt in Geldschwierigkeiten war. Forsthoff brachte ihn mit jüngeren Schülern in Kontakt, er gab Schmitts Festschriften heraus. Er schuf ihm in den Ebracher Ferienseminaren seit 1957 ein Forum, über das Schmitt noch einmal auf Studenten wirken konnte, und stand überhaupt öffentlich in jeder Hinsicht und selbst auf Kosten der eigenen Reputation für Schmitts Werk ein. Schließlich teilten beide nun ihre kleinen und großen Abneigungen, derer sie viele hatten: gegen die Entnazifizierer, gegen den Adenauer-Staat, gegen die Remigranten, gegen die »45er«, gegen die Frankfurter Schule, gegen die Smendianer, gegen die Staatsrechtslehrervereinigung, gegen Bundesverfassungsgericht, Wertejurisprudenz, Justiz- und Parteienstaat. Um es in Schmitts eigenen Kategorien auszudrücken: Die geteilte Feindschaft war in ihrem Verhältnis wohl das Primäre, die Freundschaft dagegen sekundär und reichte nur so weit wie gemeinsame Gegner sie einten. Karl Doehring hat dieses Bündnis wohl mit Recht als eine »Kumpanei der Verfolgten« bezeichnet.200 Oder war es doch eine echte Freundschaft? Wie groß die gegenseitigen Reserven letztlich blieben, läßt sich nur schwer beantworten. Carl Schmitt hat zwar wiederholt und nachdrücklich Ernst Forsthoff als seinen Freund bezeichnet,201 doch das besagt für sich genommen kaum etwas. Forsthoff dagegen hat sich über Carl Schmitt nur bemerkenswert selten ad personam geäußert. In einem Brief an Rudolf Smend aus dem Jahr 1950 heißt es über diese Beziehung nur, sie sei »so differenziert, wie das bei der Verschiedenheit des Alters, der religiösen Überzeugung und der gesamten Individualität selbstverständlich ist.« 202 Weiterhin ist folgender sybillinische Ausspruch Forsthoffs über Schmitt verbürgt: »Wenn ich ihn mit seinen Gegnern vergleiche, dann fällt mir die Wahl nicht schwer.« 203 Über einen Freund äußert man sich anders. Wie auch immer die Dinge persönlich lagen: Über Trennendes ist es zwischen Ernst Forsthoff und Carl Schmitt wohl nie zu einer Aussprache gekommen. Der Kern der Dinge blieb unerörtert, berührte er doch die unterschiedlichen Wege beider durch die nationalsozialistischen Jahre. Spätestens Ende der dreißiger Jahre hatte Forsthoff mit dem Denken Schmitts gebrochen und war eben dadurch zu jener Eigenständigkeit gegenüber seinem Lehrer vorgedrungen, die sein Werk von da an auszeichnet. Erst durch den Bruch mit Schmitt war Forsthoff von einem bloß interessanten zu einem bedeutenden Autor

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D. van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 22002, 200 ff. Im Gespräch mit dem Verfasser am 2.6.2007 in Heidelberg. Carl Schmitt an Armin Mohler, 1.2.1953, in: A. Mohler, Carl Schmitt – Briefwechsel mit einem seiner Schüler, 1995, 137; Carl Schmitt an Ernst Jünger, 27.12.1956, in: E. Jünger/ C. Schmitt, Briefe 1930–1983, 1999, 314, des weiteren in einigen Briefen an Forsthoff, siehe etwa die Briefe vom 10.9.1967, BW, Nr. 230 und vom 24.4.1974, BW, Nr. 356. Ernst Forsthoff an Rudolf Smend (Durchschlag), 28.9.1950, NL Forsthoff. W. Martini, Selbst in Spanien ist der »Forsthoff« ein Begriff, in: Die Welt v. 15.8.1974, 15.

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geworden. Was diese Eigenständigkeit ausmacht, läßt sich nur schwer auf eine griffige Formel bringen; von ihr handelt dieses Buch. Vielleicht kann man das in vielem geradezu gegensätzliche Verhältnis von Forsthoff und Schmitt vorläufig mit der berühmten Unterscheidung Joseph de Maistres 204 einfangen: Carl Schmitt war ein Theoretiker der Gegenrevolution – Ernst Forsthoffs Ideal war das Gegenteil einer Revolution. Oder einfacher: Forsthoff war ein Konservativer, Schmitt nicht. Schmitt hat sich, nachdem seine Hoffnungen auf die nationalsozialistische Legitimitätsrevolution enttäuscht waren, mit dem Nomos der Erde (1950) und mit der Theorie des Partisanen (1963) sogleich wieder auf die Suche nach neuen, nunmehr geschichtlichen und raumhaften Kategorien der Legalitätskritik begeben.205 Forsthoff hat demgegenüber einen anderen, und zwar den eigentlich konservativen Weg eingeschlagen. Seine große Hoffnung für die nachtotalitäre Zeit richtete sich darauf, dem revolutionären Schisma zwischen Legitimität und Legalität überhaupt zu entkommen. Daß Forsthoff in dem Maße, in dem diese Hoffnung enttäuscht wurde, im letzten Viertel seines Lebens auch Carl Schmitt wieder näher rückte, ist folgerichtig, bezeugt jedoch andererseits gerade die Tiefe der Differenz.

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J. d. Maistre, Considérations sur la France (1797), in: Œuvres, Bd. I, 1980, 184. Dazu nach wie vor H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, 1964, 198 ff.

Zweites Kapitel Forsthoffs Entscheidung für den totalen Staat »Wenn [der Konservative] an der Bildung des Neuen teilnimmt, ohne hinreichend Macht zu haben, so gerät er in eine ganz widerwärtige Lage. Auch für den Konservativen gibt es Kompromisse, die in der Beschränkung auf Teilziele bestehen. Aber sie müssen in sich unzweideutige Ganzheiten sein; in allen halben Wahrheiten und halben Zuständen ist er unsicher, während sie seinen Gegnern fast stets zugute kommen: sie können wirken, wo sie auch nur toleriert werden, der Konservative nur, wo er gilt. Zwingen ihn die Umstände dennoch, dauernd in solchem Verhältnis zu leben, so stumpft sich sein Gefühl für ganzheitliche Entscheidungen ab, er paßt sich an und verfällt dem Revisionismus.« (Albrecht Erich Günther, 1932)

Im Jahr 1932 erschien in dem kleinen Heilbronner Salzer-Verlag unter dem mehrdeutigen Titel Was wir vom Nationalsozialismus erwarten eine Sammlung von Essays, die zu den aufschlußreichsten Quellen für die Staatsvorstellungen des jungkonservativen Kreises in den Krisenjahren der Weimarer Republik gehört. Sie unternahm, ähnlich wie das von Fritz Büchner herausgegebene Bändchen Was ist das Reich?,1 eine geschichtliche Deutung der Lage Deutschlands zu Beginn der dreißiger Jahre und die Fixierung einer politischen »Aufgabe« für die kommende Zeit. Herausgeber war der Hamburger Publizist Albrecht Erich Günther. Er war seit 1926 gemeinsam mit Wilhelm Stapel Herausgeber des Deutschen Volkstums und, obschon heute fast vergessen, einer der brillantesten Köpfe der Konservativen Revolution. Im Vorwort beschwor er die »Verantwortung, die jeder von uns gegenüber dem Nationalsozialismus […] als Volksbewegung mit ihrer Kraft und ihrer stürmischen Entwicklung« habe. Günther und seine Autoren sahen den Nationalsozialismus als »bedeutungsvolle[n] Vorgang im gesamtdeutschen Schicksal, dessen sachliche Not-

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F. Büchner (Hrsg.), Was ist das Reich?, 1932.

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wendigkeiten den Mitarbeitern vor Augen stehen und den Lesern vor Augen geführt werden sollen.«2 Zu den Autoren der Beiträge gehörte – versteckt hinter seinem seit 1931 gebrauchten Pseudonym »Dr. Friedrich Grüter« – auch Ernst Forsthoff, neben ihm viele aus seinem damaligem Umfeld: sein Vater Heinrich Forsthoff, Wilhelm Stapel, Gustav Steinbömer und Wilhelm Grewe, der bald darauf in Hamburg Forsthoffs Assistent werden sollte. Daß Forsthoff, anders als alle anderen Autoren, unter Pseudonym schrieb, ist fast erstaunlich, denn sein Essay handelt weder direkt noch indirekt vom Nationalsozialismus, ja erwähnt ihn nicht einmal, sondern erörtert recht sachlich die Perspektiven einer umfassenden Reform des Reiches und der Stellung Preußens zum Reich.3 Auch keiner der anderen Autoren bezog vorbehaltlos Stellung für die NSDAP. Doch soviel war dem Titel des Buches immerhin zu entnehmen: Hier trat eine Gruppe auf, die mit dem Nationalsozialismus als kommender politischer Macht in irgendeiner Form rechnete und die ihn auf ihre Vorstellungen festlegen wollte. Und so ist nicht daran zu deuteln, daß Ernst Forsthoff 1932, der in diesen Jahren die Volkskonservative Partei unterstützte,4 etwas vom Nationalsozialismus erwartete. Nur was? Das folgende Kapitel unternimmt den Versuch zu verstehen, was es mit Forsthoffs zeitweiliger Option für den Nationalsozialismus auf sich hatte. Dies geschieht zunächst in Form einer biographischen Skizze. Die werkgeschichtliche Problematik beschränkt sich indessen nicht auf Forsthoffs berüchtigte Broschüre Der totale Staat aus dem Sommer 1933. Diese Arbeit ist ohne seine Schriften aus der Spätzeit der Weimarer Republik nicht zu verstehen. So läuft etwa bereits Forsthoffs erste große Monographie über Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat (1931) perspektivisch auf die Programmatik des totalen Staates zu. Es gilt also mit anderen Worten, Forsthoffs Staatsvorstellungen zunächst im Zusammenhang der staatstheoretischen Diskussion innerhalb der Konservativen in den Jahren 1930 bis 1933 zu rekonstruieren, um auf diese Weise für seine Positionierung zum neuen, nationalsozialistischen Staatsrecht eine Vergleichsfolie zu gewinnen. Während jedoch der »totale Staat« bei Carl Schmitt und Ernst Forsthoff in den Jahren bis 1933 einen bestimmten verfassungspolitischen Sinn hatte, zog Forsthoffs Versuch, ihn im Nationalsozialismus zu etablieren, seine Bedeutungsentleerung nach sich.

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A. E. Günther, Vorwort, in: Was wir vom Nationalsozialismus erwarten, hrsg. v. A. E. Günther, 1932, 9. E. Forsthoff, Die Gliederung des Reiches (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Was wir vom Nationalsozialismus erwarten, hrsg. v. A. E. Günther, 1932, 81 ff. Vgl. Forsthoffs Angaben im Fragebogen: LA Schleswig-Holstein, Entnazifizierungsakte Ernst Forsthoff, Abt. 460.19, Nr. 93; siehe auch Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 13.12.1947, BA Koblenz, NL Huber. Zur Volkskonservativen Partei, einer recht unbedeutenden Splittergruppe, siehe E. Jonas, Die Volkskonservativen 1928–1933, 1965; M. Schoeps, Der deutsche Herrenklub, Diss. Erlangen-Nürnberg 1974, 122 ff.

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Erster Teil: Einflüsse und Entwicklungsbedingungen

I. Der Weg in den nationalsozialistischen Staat Ernst Forsthoff hatte sich 1930 in Freiburg habilitiert und war seither dort Privatdozent, immer mit unsicherer beruflicher Zukunft und von der jährlichen Verlängerung seines Stipendiums abhängig. Doch gleichwohl scheint er sich in Freiburg ausgesprochen wohl gefühlt zu haben.5 Wichtige Einflüsse und Prägungen empfing Forsthoff in diesen Jahren aus dem Teil der jungkonservativen Bewegung, der gemeinhin nach ihrem maßgeblichen Organ6 unter der Sammelbezeichnung des »Ring«-Kreises zusammengefaßt wird.7 Im Mittelpunkt dieser Bewegung, die in lockerer Organisation männerbündische Traditionen der Jugendbewegung fortführte, standen völkischnationale Publizisten wie Max Hildebert Boehm, Heinrich von GleichenRußwurm, Wilhelm Stapel und Arthur Moeller van den Bruck, dessen vielgelesenes Werk Das dritte Reich (1923) programmatischen Rang besaß. Aus dem »Ring«-Kreis resultierte eine Reihe langfristig bedeutsamer persönlicher und intellektueller Bekanntschaften und Bindungen Forsthoffs, so etwa diejenige mit Friedrich Vorwerk, der Redakteur des Deutschen Volkstums war und Schriftleiter beim Ring.8 Dem Kreis entstammten ferner die Bekanntschaften mit Friedrich Gogarten,9 Wilhelm Grewe 10 und dem schon erwähnten Albrecht

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Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 2.7.1932, BW, Nr. 13. M. Schoeps, Der deutsche Herrenklub, Diss. Erlangen-Nürnberg 1974, 59 ff.; A. Mohler/ K. Weißmann, Die konservative Revolution in Deutschland 1918–1932, 62005, 120 ff. Zur Entwicklung der Zeitschrift eingehend K. Weißmann, Das »Gewissen« und der »Ring«, in: Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur, hrsg. v. H.-C. Kraus, 2003. Zu seiner Prägung durch den »Ring«-Kreis vgl. Brief Ernst Forsthoff an Jean Pierre Faye, 23.1.1966, zit. n. J. P. Faye, Totalitäre Sprachen, Bd. 1, 1977, 340 f: »Die Bezeichnung ›jungkonservativ‹ bezieht sich im wesentlichen auf die Tatsache, daß wir uns um die Zeitschrift ›Der Ring‹ sammelten, deren enger Mitarbeiter ich damals war. ›Der Ring‹ war das Organ des Herrenklubs, dem ich indessen nicht angehörte […]. Wir, die Jungen, waren damals gleichermaßen von Moeller van den Bruck beeinflußt, den ich übrigens nicht gekannt habe. Aber danach ist es gescheitert.« Zum »Ring«-Kreis allgemein Y. Ishida, Jungkonservative in der Weimarer Republik, 1988; B. Petzinna, Erziehung zum deutschen Lebensstil, 2000; s. a. R. Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, 1997, 129 f.; speziell zum Herrenklub M. Schoeps, Der deutsche Herrenklub, Diss. Erlangen-Nürnberg 1974; zur Reichsvorstellung Moeller van den Brucks H.-J. Schwierskott, Arthur Moeller van den Bruck und der revolutionäre Nationalismus in der Weimarer Republik, 1962. A. Mohler/K.Weißmann, Die konservative Revolution in Deutschland 1918–1932, 62005, 344. Im Verlag Friedrich Vorwerks edierte Forsthoff 1938 die Schriften Philipp Otto Runges. Ernst Forsthoff an Friedrich Gogarten, 15.1.1967, SUB Göttingen, NL Gogarten, spricht von den »Jahren[n] des ›Ring‹, über die wir miteinander bekannt wurden«. Wilhelm Grewe gründete im Umfeld der Brüder Günther 1931 die freilich nur über zwei Jahrgänge erschienene, thematisch und politisch Forsthoff aber sehr nahestehende Zeitschrift Die junge Mannschaft. Blätter deutscher Wehrjugend (vgl. A. Mohler/K. Weißmann, Die konservative Revolution in Deutschland 1918–1932, 62005, 344, der Untertitel lautete bald Politische Monatsschrift der deutschen Jugend), zu der wiederum Albrecht Erich Günther eine große Zahl von Beiträgen beisteuerte.

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Erich Günther. Zu jenem Kreis gehörte Theodor Steltzer,11 der nach dem Krieg schleswig-holsteinischer Ministerpräsident wurde und den in Heidelberg entlassenen Forsthoff zu sich holte, ebenso wie der Schriftsteller Gustav Steinbömer.12 Carl Schmitt dagegen pflegte zum »Ring« eine gewisse Distanz.13 Die verfassungspolitischen Ideale des »Ring«-Kreises lagen zumeist in einem auf gestärkter Selbstverwaltung aufsetzenden Präsidialregime, von dem viele eine stärkere Trennung von Staat und Gesellschaft, vor allem die Behauptung eines politischen Primates über die Wirtschaft ebenso erwarteten wie die Beseitigung der Parteienherrschaft und damit die Rückkehr zu einer »substanzvolleren« Demokratie.14 Noch vor der nationalsozialistischen Machtübernahme brach Ernst Forsthoff allerdings mit dem »Ring« und stellte seine Mitarbeit an der Zeitschrift ein. Wie Ernst Rudolf Huber, die Brüder Günther oder auch Friedrich Vorwerk dachte er ausgesprochen antikapitalistisch und war nicht mehr bereit, den zumal unter der Kanzlerschaft Franz von Papens immer industriefreundlicheren Kurs des Rings mitzutragen.15 So entstanden schon 1931 Planungen für eine Konkurrenzzeitschrift zum Ring, an denen neben Friedrich Vorwerk, Arnold Bergstraesser, Max Hildebert Boehm und Ernst Rudolf Huber auch Ernst Forsthoff beteiligt war.16 Wie für so viele seiner Altersgenossen eröffnete Forsthoff dann die Gleichschaltung der Universitäten durch den Nationalsozialismus und das Bekenntnis zu ihm die Chance auf eine schnelle Karriere:17 Die juristische Fakultät in Frankfurt am Main, die mehrheitlich sozialliberal und demokratisch orientiert war, wurde von den Säuberungen des Jahres 1933 besonders heftig getroffen. Außer Friedrich Giese verloren alle Vertreter des Öffentlichen Rechts ihr Amt,18 unter ihnen auch der erst seit 1932 amtierende Sozialdemokrat Hermann Heller.19 Schon im Sommersemester wurde Forsthoff mit der Vertretung 11 12 13

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B. Petzinna, Erziehung zum deutschen Lebensstil, 2000, 150. Ebd., 99 f. Ernst Forsthoff an Jean Pierre Faye, 31.8.1963, zit. n. J. P. Faye, Introduction aux Langages totalitaires, 2003, 64. Zu den sozialökonomischen Orientierungen des Deutschen Volkstums, des Rings und der Deutschen Rundschau siehe S. Breuer, Ordnungen der Ungleichheit, 2001, 214; ferner K. Weißmann, Das »Gewissen« und der »Ring«, in: Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur, hrsg. v. H.-C. Kraus, 2003, 139 f.; A. Mohler/K. Weißmann, Die konservative Revolution in Deutschland 1918–1932, 62005, 121 ff.; R. Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, 1997, 131 f. J. P. Faye, Totalitäre Sprachen, Bd. 2, 1977, 738 f.; ders., Introduction aux Langages totalitaires, 2003, 143. B. Petzinna, Erziehung zum deutschen Lebensstil, 2000, 254 ff. mit Fußn. 61; S. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, 1992, 33 f. M. Stolleis, Im Bauch des Leviathan – Staatsrechtslehre im Nationalsozialismus, in: Recht im Unrecht, 22006, 140 f. M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 265. Ebd., 266; N. Hammerstein, Die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd. I, 1989, 310 ff.

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von Hellers Lehrstuhl beauftragt und bekam im Oktober den Ruf, nachdem Carl Schmitt zu seinen Gunsten und gegen Hans Julius Wolff bei dem zuständigen Referenten im preußischen Wissenschaftsministerium, Wilhelm Ahlmann, interveniert hatte.20 Parallel dazu hielt Forsthoff noch im Winter 1933/34 in Freiburg für Studenten aller Fakultäten die Vorlesung »Das Staatsund Verwaltungsrecht der nationalen Revolution«.21 In Frankfurt ging Forsthoff mit großem Enthusiasmus daran, die Fakultät im nationalsozialistischen Geist umzugestalten.22 Er engagierte sich mit beachtlichem Erfolg in der Lehre und machte sich einen Namen als jugendbewegter Organisator von studentischen Fahrten.23 Bald gab es Pläne, Forsthoff das Amt eines Professors »für die politische Schulung der Studentenschaft« zu übertragen.24 Gemeinsam mit dem Strafrechtler Heinrich Henkel und Arnold Gehlen, der für ein Semester aus Leipzig zur Vertretung des entlassenen Paul Tillich gekommen war, betrieb Forsthoff in Frankfurt aktive Personalpolitik für den neuen Staat.25 Unter anderem schlug er, wenn auch erfolglos, Gustav Steinbömer und Albrecht Erich Günther für Professuren vor. Es gelte, schrieben Henkel, Gehlen und Forsthoff 1933 in einer Denkschrift, einen »Kreis wissenschaftlich und politisch qualifizierter Persönlichkeiten zusammenzubringen […], der in seiner Zusammensetzung die unbedingte Gewähr eines fruchtbaren Zusammenarbeitens bietet.« Vor allem aber sei es geboten, »in den politisch wichtigen Disziplinen Persönlichkeiten zu bezeichnen, die bereits im Kampf um den neuen Staat zusammengestanden haben, die einander kennen und darum auch in der Lage sind, sofort miteinander in eine planmäßige Gemeinschaftsarbeit einzutreten.«26 20

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R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 6; zur Rolle Schmitts in diesem Berufungsvorgang auch A. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, 1995, 377 f. Sie ist im Vorlesungsverzeichnis in einem Nachtrag aufgeführt. Auch später bezeichnete Forsthoff die Frankfurter Fakultät noch als diejenige, »in der ich früher im nationalsozialistischen Sinne tätig gewesen bin« (Ernst Forsthoff an den Frankfurter Dekan Schiedermair, 12.8.1949, zit. n. R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 22); ähnlich Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 1.11.1949, BA Koblenz, NL Huber, über eine Listenplazierung: »Frankfurt (ausgerechnet!)«. Franz Beyerle an Friedrich Klausing (Dekan), 9.6.1934, UA Freiburg, NL Beyerle, C 5/40. N. Hammerstein, Die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd. I, 1989, 311. Aber auch dem damaligen Frankfurter Rektor, Ernst Krieck, einem schon vor 1933 dezidiert pro-nationalsozialistischen Pädagogen, stand Forsthoff nahe, vgl. Brief Ernst Forsthoffs an Rudolf Stadelmann, 8.8.1933, BA Koblenz, NL Stadelmann, Nr. 16, der davon spricht, mit Krieck »universitätspolitisch ziemlich viel zusammen gearbeitet« zu haben. In demselben Brief berichtet Forsthoff auch, Krieck habe sich auch besonders für seine Berufung eingesetzt. Denkschrift von Ernst Forsthoff, Arnold Gehlen und Heinrich Henkel, 1933, zit. n. N. Hammerstein, Die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd. I, 1989, 310.

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Ein Ort solcher »Gemeinschaftsarbeit« war die »Arbeitsgemeinschaft für Rechtserneuerung«, die sich unter Mitwirkung Forsthoffs im Wintersemester 1933/34 gründete und zu der unter anderem Friedrich Giese, der Zivilrechtler Fritz von Hippel und der Romanist Arnold Ehrhardt gehörten. Sie ging aus dem deutschrechtlichen Seminar des Rechtshistorikers Franz Beyerle hervor und verfolgte das Ziel einer »grundlegenden Erneuerung unseres juristischen Denkens« 27. Beyerle war nicht nur Leiter, sondern auch theoretischer Kopf der Gruppe .28 Er war überzeugt von der Notwendigkeit, das juristische Denken von Grund auf und unter Rückgriff auf deutschrechtliche Ideen zu erneuern. Auch er hielt den Umsturz von 1933 für das Aufbruchsignal für eine solche Rechtserneuerung. Die Arbeitsgemeinschaft für Rechtserneuerung verfolgte daher das Ziel, »Gemeinschaftsarbeit zur Gewinnung einer Gesamtschau des Rechts« und »Erneuerungsarbeit im Dienst der neuen Staats- und der künftigen Rechtsordnung« 29 zu leisten. Die Teilnehmer wollten eine »Einheitsfront im Lehrbetrieb der Fakultät« bilden und bei den Studenten zur »Vermittlung einer gesinnungsgemäßen Einstellung« beitragen.30 Allerdings scheinen sich die Dinge nicht in Forsthoffs Sinne entwickelt zu haben. Frankfurt wurde nie zu einer nationalsozialistischen Vorzeigefakultät, sondern eher zum Abstellgleis für Unerwünschte.31 Auch kehrten die interessantesten Köpfe Frankfurt rasch wieder den Rücken: Beyerle und Gehlen gingen 1934 nach Leipzig, Heinrich Henkel nach Marburg. Als Forsthoffs Ordinariat 1935 zum Extraordinariat herabgestuft zu werden drohte,32 wurde es für ihn Zeit zu gehen. Möglichkeiten gab es genug. Schon früher hatten die Universitäten in Leipzig, Kiel und Köln sich um Forsthoff bemüht.33 In Hamburg, wie Frankfurt eine Fakultät mit liberaler Tradition,34 war 1933 unter anderem der Lehrstuhl von Kurt Perels vakant geworden, der sich aus Verzweiflung über

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Schreiben des Dekans Klausing an das REM v. 1.8.1934, zit. n. B. Diestelkamp, Die Rechtshistoriker der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main 1933–1945, in: Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus, hrsg. v. M. Stolleis/D. Simon, 1989, 92. B. Diestelkamp, Franz Beyerle (1885–1977), in: Juristen an der Universität Frankfurt am Main, hrsg. v. B. Diestelkamp/M. Stolleis, 1989, 155; ders., Die Rechtshistoriker der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main 1933–1945, in: Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus, hrsg. v. M. Stolleis/D. Simon, 1989, 92. Zu Beyerle die für diese Zeit allerdings unergiebige Studie von F. G. Dürselen, Franz Beyerle (1885–1977), 2005. Protokoll der Arbeitsgemeinschaft für Rechtserneuerung, UA Freiburg, NL Beyerle, C 5/43. Ebd. R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 8. Ebd., 8. Ebd., 9. Siehe auch Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 13.10.1933, BW, Nr. 15. G. Nicolaysen, Rechtsfakultät 1933 – Juristische Professoren nach der Machtergreifung, in: Festschrift für Werner Thieme, hrsg. v. B. Becker u. a., 1993, 1103 f.

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die gegen ihn gerichteten Diskriminierungen das Leben genommen hatte.35 Die Fakultät interessierte sich zwar zunächst nur wenig für Forsthoff, arrangierte sich aber mit ihm. Der Hamburger Rektor, der parteinahe Historiker Adolf Rein, favorisierte ihn nämlich ebenso wie das Reichserziehungsministerium.36 So wurde Forsthoff zum 1. April 1935 auf einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht nach Hamburg berufen,37 »gegen den geschlossenen Willen der Fakultät«, wie er später angab.38 Wiederum hat Carl Schmitt, der schon vor Perels Tod mit Rein über die Wiederbesetzung des Lehrstuhls korrespondierte,39 zu seinen Gunsten interveniert,40 und wiederum blieb Forsthoff nur kurz, bis er 1936 ins ostpreußische Königsberg versetzt wurde.

II. Die Auflösung der liberalen Institutionen und die Totalität des Staates: Die Dialektik der Selbstverwaltung als paradigmatische »Krise der Formen« Seit im Frühjahr 1930 die große Koalition unter Hermann Müller gescheitert und damit die letzte parlamentarisch getragene Regierung der Weimarer Republik zerbrochen war, sahen sich deren konservative Gegner in ihrer Skepsis gegenüber der Stabilisierungsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie endgültig bestätigt. Die Septemberwahlen brachten eine Mehrheit der verfassungsfeindlichen Kräfte, und von nun an konnte eine Regierung nur noch auf der Basis der Ausnahmebefugnisse des Reichspräsidenten gebildet werden. Mit der (Selbst-)Ausschaltung des Parlaments gewann die innerhalb der republikfeindlichen Rechten seit 1919 geführte Diskussion um die künftige staatliche Ordnung des Deutschen Reiches außerordentlich an Breite und Intensität.41 Nachdem nämlich mit dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg eine konservative Exekutive zum Machtzentrum des Staates geworden war, erschien die antiparlamentarische Umgestaltung des Reiches mit einem Mal als eine greifbare Option, der insbesondere die Papen-Regierung ab Juni 1932 noch einmal erheblich Auftrieb verlieh.

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H. P. Ipsen, Erinnerungen an elf Hamburger Staatsrechtslehrer, in: Festschrift für Werner Thieme, hrsg. v. B. Becker u.a., 1993, 1065 f.; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 273. A. Goede, Adolf Rein und die »Idee der politischen Universität«, 2008, 80 f. (Anm. 193), 139; D. Maaß-Rose, Buchbesprechung, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 70 (1984), 314. REM an Ernst Forsthoff, 11.6.1935, NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an Franz Beyerle, 17.13.1940 (Durchschlag), NL Forsthoff. A. Goede, Adolf Rein und die »Idee der politischen Universität«, 2008, 139 (Anm. 577). Siehe zu Forsthoffs Berufung nach Hamburg im einzelnen H. Weber, »Es ist nichts bekannt, was Respekt abverlangt«, in: uni hh v. April 1984, 6 f. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. VII, 1984, 779 f.; S. Breuer, Anatomie der konservativen Revolution, 21995, 156 ff.

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1. Carl Schmitts Begriff des totalen Staates und die Staatskrise der Weimarer Republik Die einzelnen in den verschiedenen Kreisen und Strömungen diskutierten Staatsvorstellungen und Reichsreformpläne waren freilich sehr disparat und lassen sich hier nicht insgesamt darstellen, sondern nur unter Beschränkung auf die für Ernst Forsthoff wichtigsten Überlegungen und dies auch nur skizzenhaft. Konnte die Präsidialdiktatur eine Dauerlösung sein? Wie sollte mit den Parteien verfahren werden? Wie insbesondere mit den verfassungsfeindlichen? Wie mußte das Verhältnis des Staates zur Wirtschaft geregelt werden? Wie das Verhältnis des Reichs zu den Ländern und besonders zu Preußen? Vor allem aber: Auf welcher geistigen und politischen Legitimitätsgrundlage sollte eine autoritäre Präsidialregierung beruhen? Die revolutionären Nationalisten, allen voran Ernst Jünger und sein Kreis, setzten in den Reichspräsidenten keinerlei Hoffnung und bestanden auf der Notwendigkeit einer revolutionären, gewaltsamen Beseitigung des Staates.42 Wilhelm Stapel hatte dagegen Hindenburgs Entparlamentarisierungsstrategie zunächst unterstützt,43 radikalisierte sich dann aber zusehends und plädierte mit seinem politischen Hauptwerk Der christliche Staatsmann 1932 für die revolutionäre Wendung zum »imperium teutonicum«. Durchaus arrangieren konnte sich mit der Präsidialdiktatur dagegen Heinz Otto Ziegler, dessen vielgelesenes Buch Autoritärer oder totaler Staat (1932) die damalige ideenpolitische Alternative der Konservativen besonders deutlich herausarbeitete. Er wandte sich scharf gegen die Idee eines totalen Staates, dessen plebiszitäre Legitimitätsgrundlage er als die »radikale Möglichkeit der Demokratie«, als »konsequente[n] Jakobinismus« kennzeichnete.44 Demgegenüber stehe der autoritäre Staat für »Personalität, Unabhängigkeit, Autorität und Eigenverantwortung der Regierung« 45 – was recht genau dem Selbstverständnis der Papen-Regierung entsprach. Durchaus ähnlich sahen es auch Albrecht Erich Günther und die ihm nahestanden; auch ihr Leitbild war eher der »autoritäre« als der »totale« Staat.46 Eine verfassungspolitische Strategie eigener Art im Gewand einer Verfassungslehre entwickelte in den letzten Jahren der Weimarer Republik hingegen Carl Schmitt. Er ist es auch gewesen, der Forsthoffs Begriff des totalen Staates damit seine wesentlichen Konturen gab. Schmitts Analyse der deutschen Verfassungslage ist daher als Passepartout der Positionen Forsthoffs zunächst etwas ausführlicher zu rekonstruieren. Carl Schmitt gebrauchte die Wendung

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S. O. Berggötz, Ernst Jünger und die Politik, in: E. Jünger, Politische Publizistik, 2001, 834 ff. S. Breuer, Anatomie der konservativen Revolution, 21995, 158. H. O. Ziegler, Autoritärer oder totaler Staat, 1932, 24. Ebd., 29. U. Storost, Staat und Verfassung bei Ernst Forsthoff, 1979, 52.

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»totaler Staat« erstmals in seinem Werk über den Hüter der Verfassung 47 und dann im Titel eines 1931 veröffentlichten Aufsatzes.48 Der Begriff war seit den zwanziger Jahren im italienischen Faschismus geläufig 49 und Schmitt aus seiner Beschäftigung mit der Entwicklung des italienischen Staates50 gewiß bekannt. Er selbst führte ihn indessen als Analogie zu Jüngers »totaler Mobilmachung« ein. Der Begriff steht bei Schmitt in engstem Zusammenhang mit dem Problem der Neutralität und der Neutralisierungen und der Frage nach dem »Hüter der Verfassung«. Was besagte er? Den Ausgangspunkt bildete Schmitts schon zuvor formulierte Kritik am parlamentarischen Gesetzgebungsstaat:51 Die sozialen und ideologischen Voraussetzungen einer »staatsfreien« Gesellschaft, einer autonomen Wirtschaft, Kultur oder Religion seien im 20. Jahrhundert nicht mehr vorhanden. Damit entfalle die für den Gesetzgebungsstaat konstitutive Differenz von Staat und Gesellschaft. Diese Unterscheidung beruhe nämlich auf der grundsätzlichen Nichtintervention des Staates in die freie Gesellschaft: auf seiner Neutralität. Diese wiederum hänge ab von einem unpolitischen Gesellschaftsbegriff.52 Nun bestehe aber, so Schmitt weiter, das Auszeichnende der politischen Lage nach dem Ersten Weltkrieg darin, daß gerade auf dem Boden jener scheinbar unpolitischen Gesellschaft die intensivsten und eigentlich entscheidenden politischen Fragen erwachsen sind: die Arbeitsverfassung, die Wirtschaftslenkung, die staatliche Fürsorge. Mit der »Wendung zum Wirtschaftsstaat« werde also eben jenes Sachgebiet zum Zentralgebiet des Politischen, das nach liberaler Auffassung autonom sein sollte. Die stärksten politischen Machtmittel, Industrie und Technik, stünden zwar noch auf dem Boden der Gesellschaft, träten aber durch ihre Interessenvertretungen dem Staat längst als autonome Willenssubjekte gegenüber: »Organisiert sich die Gesellschaft selbst zum Staat, sollen Staat und Gesellschaft grundsätzlich identisch sein, so werden alle sozialen und wirtschaftlichen Probleme unmittelbar staatliche Probleme […]. Alle bisher üblichen, unter der Voraussetzung des neutralen Staates stehenden Gegenüberstellungen, die im Gefolge der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft auftreten […], hören auf. Antithetische Trennungen wie: Staat und Wirtschaft, Staat und Kultur, Staat und Bildung, ferner: Politik und Wirtschaft, Politik und Schule, Politik und Religion, Staat und Recht, Politik und Recht, die einen Sinn haben, wenn ihnen gegensätzlich getrennte, konkrete Größen oder Sachgebiete entsprechen, verlieren ihren Sinn und werden gegenstandslos. Die zum Staat gewordene Gesellschaft wird ein Wirtschaftsstaat, Kulturstaat, Für-

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C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931, 79. C. Schmitt, Die Wendung zum totalen Staat (1931), in: Positionen und Begriffe, 31994, 166 ff. L.-A. Bentin, Johannes Popitz und Carl Schmitt, 1972, 105. C. Schmitt, Wesen und Werden des faschistischen Staates (1929), in: Positionen und Begriffe, 31994, 124 ff. C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923), 21926. Zum Begriff des totalen Staates bei Schmitt ausführlich L.-A. Bentin, Johannes Popitz und Carl Schmitt, 1972, 78 ff. C. Schmitt, Die Wendung zum totalen Staat (1931), in: Positionen und Begriffe, 31994, 166 f.

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sorgestaat, Wohlfahrtsstaat, Versorgungsstaat; der zur Selbstorganisation der Gesellschaft gewordene, demnach von ihr in der Sache nicht mehr zu trennende Staat ergreift alles Gesellschaftliche, das heißt alles, was das Zusammenleben der Menschen angeht. In ihm gibt es kein Gebiet mehr, demgegenüber der Staat unbedingte Neutralität im Sinne der Nichtintervention beobachten könnte. […] In dem zur Selbstorganisation der Gesellschaft gewordenen Staat gibt es eben nichts, was nicht wenigstens potentiell staatlich und politisch wäre.«53

Die Totalität des Staates meinte für Schmitt also: allmähliche Aufhebung aller von der bürgerlichen Epoche gegen den Staat erkämpften Autonomiebezirke, Aufhebung aller dem Staat polemisch entgegengesetzten »privaten« Vergesellschaftungsformen. Schmitt hielt die Entwicklung in einem geschichtsphilosophischen Sinne für zwangsläufig:54 »Die gewaltige Wendung läßt sich als Teil einer dialektischen Entwicklung konstruieren, die in drei Stadien verläuft: vom absoluten Staat des 17. und 18. Jahrhunderts über den neutralen Staat des 19. Jahrhunderts zum totalen Staat der Identität von Staat und Gesellschaft.«55 Angesichts dieser zwingenden Entwicklung zur politischen und staatlichen Totalität sah Carl Schmitt den Weimarer Staat vor eine fundamentale Entscheidung gestellt: Bleibe er nach seinem Verfassungsgesetz parlamentarischer Gesetzgebungsstaat, so sei er dazu verurteilt, als »totaler Staat aus Schwäche«, als bloß quantitativ totaler Staat zwischen den pluralistischen Machtträgern der Gesellschaft zerrieben zu werden. »Ein Staat, der in einem ökonomischen Zeitalter darauf verzichtet, die ökonomischen Verhältnisse von sich aus richtig zu erkennen und zu leiten, muß sich gegenüber den sozialen Fragen und Entscheidungen für neutral erklären und verzichtet damit auf seinen Anspruch zu herrschen.«56 Johannes Popitz, dessen Arbeiten zur Reichsreform Schmitt und Forsthoff stark beeinflußt haben, sprach insoweit von einer »Polykratie«.57 Es

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Ebd., 172. H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, 1964, 120 ff. C. Schmitt, Die Wendung zum totalen Staat (1931), in: Positionen und Begriffe, 31994, 173. C. Schmitt, Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen (1929), in: Positionen und Begriffe, 31994, 144. Ferner ders., Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland (1933), ebd., 213: »Diese Art totaler Staat ist ein Staat, der sich unterschiedslos in alle Sachgebiete, in alle Sphären des menschlichen Daseins hineinbegibt, der überhaupt keine staatsfreie Sphäre mehr kennt, weil er nicht mehr unterscheiden kann. Er ist total in einem rein quantitativen Sinne, im Sinne des bloßem Volumens, nicht der Intensität und der politischen Energie. […] Der heutige deutsche Staat ist total aus Schwäche und Widerstandslosigkeit, aus der Unfähigkeit heraus, dem Ansturm der Parteien und der organisierten Interessen standzuhalten.« Siehe vor allem J. Popitz, Der Finanzausgleich und seine Bedeutung für die Finanzlage des Reichs, der Länder und Gemeinden, 1930; ferner ders., Zentralismus und Selbstverwaltung in: Volk und Reich der Deutschen, Bd. II, hrsg. v. B. Harms, 1929, 328 ff. Bemerkenswerterweise fehlt bislang eine gründliche Biographie Johannes Popitz’, der eine der verfassungs- und verwaltungsgeschichtlich faszinierendsten Gestalten der zwanziger und dreißiger Jahre war. Siehe immer noch L.-A. Bentin, Johannes Popitz und Carl Schmitt, 1972, und H. Dieckmann, Johannes Popitz, 1960; daneben neuerdings R. Voß, Johannes Popitz (1884 –1945), 2006.

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komme deswegen, so glaubte Schmitt, alles darauf an, das Reich als qualitativ totalen Staat, als totalen Staat aus Stärke zu verfassen, der in die Lage versetzt ist, sich die aus der Gesellschaft erwachsenen technischen, ökonomischen und sozialen Machtmittel politisch zu eigen zu machen und mit ihrer Hilfe die staatliche Einheit wiederherzustellen: »Hinter der Formel vom totalen Staat steckt also die richtige Erkenntnis, daß der heutige Staat neue Machtmittel und Möglichkeiten von ungeheurer Intensität hat, deren letzte Tragweite und Folgewirkung wir kaum erahnen, weil unser Wortschatz und unsere Phantasie noch tief im 19. Jahrhundert stecken. Der totale Staat in diesem Sinne ist gleichzeitig ein besonders starker Staat. Er ist total im Sinne der Qualität und der Energie, so, wie sich der faschistische Staat einen ›stato totalitario‹ nennt, womit er zunächst sagen will, daß die neuen Machtmittel ausschließlich dem Staat gehören und seiner Machtsteigerung dienen. Ein solcher Staat läßt in seinem Innern keinerlei staatsfeindliche, staatshemmende oder staatszerspaltende Kräfte aufkommen. Er denkt nicht daran, die neuen Machtmittel seinen eigenen Feinden und Zerstörern zu überliefern und seine Macht unter irgendwelchen Stichworten, Liberalismus, Rechtsstaat, oder wie man es sonst nennen will, untergraben zu lassen.«58

Den verfassungspolitischen Ansatz zu einem im positiven Sinne totalen Staat suchte Schmitt bekanntlich bis zum Winter 1932/33 in einer Allianz aus Reichspräsident, Reichswehr und Beamtenschaft. Wo nämlich saßen für Schmitt die Agenten jenes nur polykratischen »totalen Staates aus Schwäche«? Überall dort, wo es innerhalb des Staates Träger öffentlicher Gewalt gab, die mit substantieller Autonomie gegenüber der Reichsexekutive ausgestattet waren: 59 in einem zum »Schauplatz eines pluralistischen Systems« 60 degenerierten Parlament, in dem gegen die einheitliche Führung des Reiches gerichteten, und zum Machtmittel der Parteien gewordenen Föderalismus und schließlich in den Gemeinden, die durch die »fast grenzenlose Ausdehnung der Gemeindewirtschaft« das politische Kapital des Versorgungsstaates in den Händen hätten und dadurch »zu den stärksten Trägern der […] Polykratie« geworden seinen.61 Schmitts staatsrechtliche Lösung bestand darin, den Grundrechtsteil der Verfassung gegen den organisatorischen Teil, den auf die Diktatur des Reichspräsidenten gestellten materiellen »Verfassungskern« gegen den »parlamentarischen Gesetzgebungsstaat«, die Legitimität des einen gegen die bloße Legalität des anderen auszuspielen.62 Den Reichspräsidenten erhob er innerhalb der Weimarer Verfassung zu einem von allen anderen Gewalten existentiell ver58

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C. Schmitt, Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland (1933), in: Positionen und Begriffe, 1994, 212 f. C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931, 71 ff., 91 ff. Ebd., 73. Ebd., 107. D. Grimm, Verfassungserfüllung – Verfassungsbewahrung – Verfassungsauflösung, in: Die deutsche Staatskrise 1930–1933, hrsg. v. H. A. Winkler, 1992, 193 ff. Siehe auch Forsthoffs zustimmende Besprechung von Legalität und Legitimität: E. Forsthoff, Legalität und Weimarer Verfassung, in: Rheinisch-Westfälische Zeitung v. 12.10.1932, 1.

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schiedenen pouvoir neutre und gestand ihm, gestützt auf Art. 48 RV und das Institut eines »spezifisch wirtschaftlichen und finanziellen Not- und Ausnahmezustandes«63, weitreichende Befugnisse zu. So erklärte er ihn für berechtigt, gesetzesvertretende Verordnungen auf finanzrechtlichem Gebiet zu erlassen, was Schmitt selbst noch wenige Jahre zuvor schlechthin ausgeschlossen hatte.64 In demselben Maße, in dem der Charakter des Ausnahmezustandes wirtschaftlich-soziale Züge annehme, müsse dem Reichspräsidenten ein geeignetes Mittel an die Hand gegeben werden, durch gesetzesvertretende Verordnungen, Konfiskationen, Lenkungen und alle Arten von Eingriffe in die Vertrags- und Wirtschaftsfreiheit Stück für Stück diejenige »Einheitlichkeit der Gesamtleitung« 65 in der öffentlichen Wirtschaft zu übernehmen, zu der sich der Parlamentarismus als unfähig erwiesen hatte. Ernst Forsthoff widersprach diesem Kurswechsel bei der Interpretation des Art. 48 WRV bemerkenswert offen. Er verdanke, schrieb er seinem Lehrer, »gerade Ihnen die hohe Meinung, die ich vor der inneren Konsequenz und Notwendigkeit rechtsstaatlicher Unterscheidungen habe, und den Respekt vor rechtsstaatlichen Begriffen, die sich nicht verbiegen und abwandeln lassen, ohne den Rechtsstaat in Frage zu stellen […].«66 Überhaupt scheint Forsthoff die politischen Möglichkeiten des Reichspräsidenten skeptischer beurteilt zu haben. Schmitts Lösung biete jedenfalls »keine in die Zukunft weisende Parole«67. Insbesondere sah Forsthoff sehr klar, daß Schmitts Theorie der Präsidialdiktatur überhaupt keine institutionelle Ordnung darstellte, weil sie mit dem Charisma dieses konkreten Amtsträgers stehen und fallen mußte. Auch im Rückblick schrieb Forsthoff 1933 über die Zeit der Präsidialkabinette: »Die wirkliche Autorität dieser Regierungen im Volke war gering. Das Volk bewies sein feines Empfinden dafür, daß eine bloße Loslösung von einem wirkungsunfähigen Parlament noch keine Autorität begründet, weil sie keinen Rang unter Beweis stellt.« (TS, 30) Offenbar war Forsthoff weitaus weniger als Schmitt von der relativen Integrität der präsidialen Institutionen, Beamtentum und Heer, überzeugt und glaubte deswegen auch nicht an die Befähigung Hindenburgs zum pouvoir neutre.68 So heißt es in einem Brief an Schmitt aus dem Jahr 1932: »Die Diktatur […] kann […] nur von einer legitimen […] Gewalt gehandhabt werden. Nur scheint es mir heute doch tatsächlich so zu sein, daß der Träger der Diktaturgewalt seinem

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C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931, 119. C. Schmitt, Die Diktatur des Reichspräsidenten nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung (1924), in: Die Diktatur, 51989, 247 ff. C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931, 91. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 4.2.1931, BW, Nr. 7. E. Forsthoff, Der Rechtsstaat in der Krise (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1932, 265. Ebd., 265.

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Herkommen und seiner geistigen Struktur nach, die nicht in der geltenden Fundamentalverfassung verwurzelt ist, ausgesprochen legal und nicht legitim ist. Seine auctoritas entstammt einer anderen geistigen Welt, sie ist entlehnt und kann dem heutigen Staate nicht zugerechnet werden, obgleich sie de facto den heutigen Staat aufrecht erhält […].«69

Das lasse »nur die Erkenntnis zu, daß dem heutigen Staat die eigene auctoritas fehlt, sodaß er kein wirklicher Staat, sondern eine interimistische Zwischenlösung ist.« 70 Dennoch sah auch Forsthoff in der Ausschaltung der Legalität durch die Legitimität, in der Zerstörung der formalen Hemmnisse im Namen einer höheren Idee des Reiches den gangbaren Weg zur Umbildung der Weimarer Verfassung. In einem äußerst bemerkenswerten Brief an Carl Schmitt vom 23. Januar 1932 nahm er exakt jene Argumente vorweg, die Schmitt im Sommer 1932 in Legalität und Legitimität für die Suspendierung des gewöhnlichen Gesetzgebungsmechanismus und aller übrigen »staatsgefährdenden« Verfassungsverbürgungen vorbringen sollte.71 Forsthoff berichtete von einem »begonnenen Aufsatz über Legitimität und Legalität«. Er wolle darin die These vertreten, daß »kein Staat […] de jure Freiheiten gewähren [kann], die in ihrer Betätigung zu einer Vernichtung dieses Staates führen. […] Das Maß der Freiheiten, die der Staat überhaupt nur gewähren kann, wird bestimmt durch die Integrität seiner Verfassung […], sobald diese Integrität durch illegitime Angriffe gefährdet wird, gibt es keine Freiheiten mehr.« Daraus wollte Forsthoff eine »substantielle Beschränkung der in den Grundrechten gewährten Freiheiten« ableiten und glaubte, »daß die Friktionen, die sich aus der heutigen Lage für den zweiten Teil der Verfassung und seine Handhabung ergeben, nur auf diesem dogmatischen Wege überwunden werden können.« Und weiter: »Es kommt demnach für mich nicht auf die Legalität, sondern nur auf die Legitimität, die politische Einstellung zur Gesamtverfassung an. Die Auseinandersetzung der extremen Gruppen mit dem Staat wird damit in die revolutionäre Ebene verschoben, in die sie auch gehört.«72 2. Die Transformation der Selbstverwaltungskörperschaften und die bundesstaatliche Verfassung des Deutschen Reichs In engstem Zusammenhang mit dem Verfassungsproblem des totalen Staates und der Politisierung der Gesellschaft stehen auch die ersten beiden staatsrechtlichen Monographien Forsthoffs: 73 seine Freiburger Habilitationsschrift über Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat, 1931 in der gediegenen Reihe 69 70 71

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Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 23.1.1932, BW, Nr. 9. Ebd. E.-W. Böckenförde, Zum Briefwechsel zwischen Ernst Forsthoff und Carl Schmitt, in: AöR 133 (2008), 266. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 23.1.1932, BW, Nr. 9. U. Storost, Staat und Verfassung bei Ernst Forsthoff, 1979, 196 ff.

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»Das öffentliche Recht der Gegenwart« bei Mohr Siebeck erschienen, und seine daraus hervorgegangene kleine Arbeit über Die Krise der Gemeindeverwaltung im heutigen Staat (1932), in denen Forsthoff höchst geschickt seine politische Option für den totalen Staat aus Stärke mit einer Kritik der jüngsten Verfassungsentwicklung verband. Inwieweit Forsthoff dabei auf Schmitts Arbeiten aufbaute, ist schwer zu sagen. Den Hüter der Verfassung kannte er bei der Konzeption jedenfalls nicht 74 – eine erste Niederschrift war im Sommer 1929 abgeschlossen. Vielleicht verdankte sogar umkehrt Schmitts Schrift manchen Gedanken seinem Schüler. Denn unter dem 22.6.1929 notierte Schmitt im Tagebuch: »Um 5 Uhr wach, etwas gelesen, die Arbeit von Forsthoff, die sehr gut ist, Notizen gemacht für meinen Vortrag am Freitag, dann wieder zu Bett, bis 9 geschlafen.«75 Wie dem auch sei: Jedenfalls ist Forsthoffs Buch auf das Stärkste beeinflußt von der Verfassungsanalyse Carl Schmitts und, wie es ein Rezensent ausdrückte, »ein eindringlicher Beweis enger geistiger Verbundenheit zwischen beiden Männern«76. Trotzdem liegt seiner Studie eine eigenständige juristische Idee zugrunde. Wenn Forsthoff den politischen und staatsrechtlichen Strukturwandel des deutschen Bundesstaates zwischen der Reichsgründung und den zwanziger Jahren untersuchte, so tat er es, und darin lag die Pointe, nicht primär unter verfassungs-, sondern unter verwaltungsrechtlichem Aspekt. Er befragte die bundesstaatliche Organisation nicht nach dem Verhältnis von Reich und Ländern untereinander, sondern nach ihrem gemeinsamen Verhältnis zur »Gesellschaft«, konkret: zu den gesellschaftlichen Organisationsformen, die die Reichsverfassung in den Art. 127 und 137 garantiert hatte, den kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften und den Kirchen.77 Genauso ist zur gleichen Zeit Johannes Popitz in seinen Untersuchungen über den Finanzausgleich verfahren.78 Forsthoff ging aus vom traditionellen politischen Begriff der Selbstverwaltungskörperschaften und ihrer Zwischenstellung zwischen Staat und Gesellschaft: Als subjektives Grundrecht gehörte die Selbstverwaltung einerseits in die Sphäre gesellschaftlicher Freiheit, beruhte andererseits auf staatlicher Verleihung: »Die Korporation des öffentlichen Rechts ist die Rechtsform mit 74

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Schmitts schon 1929 unter dem gleichen Titel erschienener Aufsatz dagegen behandelt das hier interessierende Problem noch nicht: C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, in: AöR 55 (1929), 161 ff. Mitteilung von Herrn Dr. Gerd Giesler. F. Morstein Marx, Buchbesprechung, in: AöR 62 (1933), 373 f. Art. 127 WRV lautete: »Gemeinden und Gemeindeverbände haben das Recht der Selbstverwaltung innerhalb der Schranken der Gesetze.« Art. 137 RV lautete auszugsweise: »(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde. […] (5) Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. […]« S. die Nachweise in Fn. 57.

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Publizität, die der Staat dem gesellschaftlichen Leben zu seiner Entfaltung zur Verfügung stellte.« (ÖKB, 22; ähnlich KGV, 12) Sie war, politisch gesehen, eine »Ausgrenzung« eines gesellschaftlichen Freiheitsbereichs aus dem politischen Bereich des Staates, andererseits aber öffentlicher Natur und beruhte als solche, wie Forsthoff darlegte, auf dem Kompromiß der bürgerlichen Gesellschaft mit dem monarchischen Staat: »Die Korporation des öffentlichen Rechts ist eine liberale Erfindung, die in glücklicher Weise ein typisch liberales Kompromiß juristisch fruktifiziert. Dies Kompromiß besteht darin, daß man gewisse Angelegenheiten aus dem eigentlichen politischen Bereich herausnehmen will, ohne sie allerdings der rein privaten Betätigung freizugeben. […] So legte sich im 19. Jahrhundert um den eigentlich politischen, staatlichen Bereich, der sich mehr und mehr verringerte, jener öffentliche Bereich, der weder staatlich noch privat ist.« 79

Nun war aber die Entscheidung darüber, wem dieser öffentliche Status zukam, keine beliebige. Sie betraf die öffentliche Ordnung des Staates unmittelbar. Die Schaffung einer Selbstverwaltungskörperschaft bewirke nämlich, »daß das Entscheidungsobjekt zum Bestandteil der öffentlichen Ordnung wird. Sie ist ein Ausfluß jener besonderen Staatsgewalt, die als Regierung neben der bloßen Vollziehung fungiert […]. Denn die Einbeziehung in die öffentliche Ordnung stellt einen Vorgang dar, der über die bloße Verwaltung weit hinausgreift. Sie bestimmt im eminenten Sinne die gesamte Struktur des Staates […].« (ÖKB, 41) Wem kam im Bundesstaat diese Entscheidung zu? Aus dem von Schmitt80 entwickelten Begriff des Bundes deduzierte Forsthoff: im Grundsatz bei den Gliedstaaten.81 Das gelte zumal für den deutschen Bundesstaat, in dem einerseits die politische Gewalt der Länder vornehmlich auf dem Gebiet der Regierung und Verwaltung liege (ÖKB, 35) und in dem andererseits das Recht zur Schaffung öffentlicher Körperschaften Ausfluß der gesetzesfreien Organisationsgewalt sei. Dieses Recht gehöre zu den wichtigsten Reservatrechten der Länder, und das Reich sei an diese öffentliche Ordnung der Gliedstaaten in einem echten Bundesstaat grundsätzlich gebunden (ÖKB, 44). So sei dem Reich insbesondere der unmittelbare Durchgriff auf die öffentlichen Körperschaften innerhalb eines Gliedstaates versperrt. Wie verhielt sich dazu die Staatspraxis seit der Reichsgründung? Forsthoff untersuchte die rechtliche und politische Entwicklung des Bundesstaates seit

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E. Forsthoff, Entpolitisierung oder totale Mobilmachung? (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 132. C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, 366 ff. ÖKB, 29 f.: »Zu dieser institutionellen Existenz [scil: der Länder] gehört ohne weiteres das Recht der Selbstorganisation und die Freiheit der Entscheidung über das Öffentliche. Nur solange die institutionelle Existenz in diesem Umfange gewahrt ist, kann von der Möglichkeit des existentiellen Konflikts sinnvoll gesprochen werden, der ein Essentiale des Bundesstaatsbegriffs darstellt.«

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1871, wobei ihn im Grunde nicht so sehr die Entwicklung als vielmehr der stetige Zerfall des liberalen Staats- und Gesellschaftsmodells und des ihm zugeordneten Instituts der Selbstverwaltung interessierte. Diesen Strukturwandel faßt er als eine, wie er es später selbst genannt hat, paradigmatische »Krise der Formen«82 auf und als Beweis der Tatsache, daß »mit der Wendung zum totalen Staat alle Grenzen hinfallen« (ÖKB, 185). Die »überkommenen Institutionen sind«, so begann Forsthoff seine kommunalpolitische Programmschrift über die Krise der Gemeindeverwaltung, »im eigentlichen Sinne des Wortes fragwürdig geworden durch eine Wandlung, die das gesamte politische Dasein bis in seine letzten Verzweigungen ergriffen hat.« (KGV, 1) In seiner vergleichenden Untersuchung der alten und der Weimarer Reichsverfassung präparierte Forsthoff fünf Entwicklungstendenzen der Selbstverwaltung heraus, die allesamt auf eine Unitarisierung der Gemeinden durch das Reich und die Verschmelzung ihrer »gesellschaftlichen« Funktion mit den staatlichen Funktionen zuliefen. Da waren, erstens, die den Gemeinden mit der Industrialisierung und der sozialen Frage zugewachsenen, völlig neuen Aufgaben auf dem Gebiet der Sozialfürsorge und der Wohlfahrtsverwaltung: Die Gemeinden waren die Hauptleidtragenden der »Erschütterung der gesamten überkommenen gesellschaftlichen Ordnung durch den Krieg und seine Folgen [und der] Entfaltung sozialer Bestrebungen von weitestem Ausmaß« (KGV, 60). »Die Verschiebung des Bevölkerungsbildes durch den Zuzug zu den Städten, das Wachstum der Bevölkerung überhaupt, stellte die Gemeinden vor Aufgaben, die über ihre Kräfte gingen.« (ÖKB, 70) Andererseits aber hielten die Gemeinden nun, wie auch Schmitt bemerkt hatte, mit den Versorgungseinrichtungen einen erheblichen Machtfaktor in der Hand, der sie zu den Trägern der »Polykratie« machte (ÖBK, 185; KGV, 59 ff.).83 Auch hatten die Gemeinden seit der Reichsgründung ihre finanzielle Unabhängigkeit weitestgehend eingebüßt. Das hing natürlich mit den ihnen zugefallenen Aufgaben der Sozialverwaltung eng zusammen, aber auch mit der Unitarisierung der Finanzbeziehungen zwischen Reich, Ländern und Kommunen durch die Erzbergersche Finanzreform der Jahre 1919 und 1920,84 die das Zuschlagsrecht durch Zu-

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E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 88. Siehe auch ÖKB, 183: »Nachdem der Staat als die den gesellschaftlichen Verbänden gegenüberstehende augenfällige Verkörperung einer existenten Einheit entfallen ist, sind diese Verbände ausschließlich auf ihr Eigenleben und ihre Sonderexistenz verwiesen, die Dualismen Staat-Religion, Staat-Kultur, Staat-Kommunale Selbstverwaltung sind überholt; und damit ist auch die wichtigste substantielle Beschränkung des Eigenlebens der öffentlichen Verbände, die Beschränkung auf die wesentlich unpolitischen Funktionen in Fortfall gekommen. Innerhalb der Verbände entwickelt sich ein politisches Eigenbewußtsein.« Ferner E. Forsthoff, Um die kommunale Selbstverwaltung, in: Zs. f. Politik 21 (1932), 257 f., 260. Dazu siehe nur E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. VI, 1981, 491 ff.; A. Wirsching, Zwischen Leistungsexpansion und Finanzkrise, in: Kommunale Selbstverwaltung – Local Self-Government, hrsg. v. A. M. Birke/M. Brechtken, 1996, 46 ff.

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weisungen ersetzt und die Gemeinden so zu »Kostgängern des Reiches« gemacht hatte (ÖKB, 144 ff.). Bereits in dieser durchgängigen Abhängigkeit der Gemeinden von direkten Mittelzuweisungen des Reiches85 lag eine wesentliche Relativierung der von Forsthoffs Bundesstaatsbegriff her geforderten Mediatisierung der öffentlichen Körperschaften durch die Gliedstaaten. In die gleiche Richtung wies eine sich seit 1871 stetig intensivierende Tendenz der Reichsgesetzgebung zum unmittelbaren Zugriff auf die Kommunen und sonstigen Selbstverwaltungsträger im Wege einer direkten, also nicht über die Länder vermittelten Zuweisung von Pflichtaufgaben und in der Ausweitung der unmittelbaren Reichsaufsicht gegenüber einzelnen Landesbehörden und Kommunen.86 Insofern sah Forsthoff folgerichtig in Bismarcks Sozialgesetzgebung den »stärksten Einbruch unitarischer Momente in die bundesstaatliche Struktur des Reiches unter der alten Verfassung« (ÖKB, 81). Ihren ersten Höhepunkt erreichte diese Entwicklung in der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkriegs, in der in bis dahin unvorstellbarem Umfang die Kommunen reichsunmittelbar zur Erbringung von Kriegsleistungen verpflichtet wurden (ÖKB, 82 ff.). Die »Verschiebungen im Laufe des Krieges [brachten] fast die gesamte öffentliche Verwaltung unter die Kontrolle des Reiches.«87 Schon damals sei »die bundesstaatliche Ordnung durch eine andere verdrängt worden« (ÖKB, 90). Heinrich Triepel hatte bereits in seinem während des Krieges erschienenen berühmten Werk über die Reichsaufsicht darauf aufmerksam gemacht.88 Auch in der 1931 veröffentlichten Studie Arnold Köttgens über Die Krise der kommunalen Selbstverwaltung, die überhaupt mit Forsthoffs Diagnosen viele Gemeinsamkeiten aufweist, war die Entwicklung im gleichen Sinne beschrieben.89 Sie wurde in der Nachkriegszeit nicht etwa korrigiert, sondern vor allem auf dem Gebiet der erwerbswirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden noch verstärkt (ÖKB, 134 f.; KGV, 43). Der Durchgriff des Reiches drückte sich nicht nur in der Aufgabenzuweisung und in der Aufsicht, sondern auch in der Schaffung neuer öffentlicher Körperschaften aus: Neben die originären Selbstverwaltungsträger, die Gemeinden und die Kirchen, traten nun allerlei sonstige Organisationen, denen der Staat aus verschiedensten Gründen das »Recht der Selbstverwaltung« verlieh, ohne daß diese Qualifizierung noch etwas mit dem Ursprung und dem politischen Sinn des Instituts – gesellschaftlich, aber öffentlich – zu tun gehabt hätte: von den Krankenkassen und anderen Versicherungsanstalten über die kriegsbedingten Zwangssyndikate (ÖKB, 88) und die Innungen bis hin zu Zweckverbänden verschiedenster Art (KGV, 1). Die vorfindliche Rechtsform 85 86 87 88 89

E. Forsthoff, Um die kommunale Selbstverwaltung, in: Zs. f. Politik 21 (1932), 255. E. Forsthoff, Die unmittelbare Reichsaufsicht, in: AöR 58 (1930), 82. Ebd., 61. H. Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917. A. Köttgen, Die Krise der kommunalen Selbstverwaltung (1931), in: Kommunale Selbstverwaltung zwischen Krise und Reform, 1968, 1 ff.

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wurde hier auf das Merkmal des rechtsfähigen Verbandes reduziert und – so hat Forsthoff es später einmal formuliert – benutzt als ein »konstruktives Mittel zur Disziplinierung von Sozialbereichen« (Lb, 344).90 Die solchermaßen durchlöcherte bundesstaatliche Struktur und die Reichsunmittelbarkeit der Selbstverwaltungskörperschaften fand ihre Bestätigung schließlich in den politischen Organisationsformen der Gemeinden. Seit der Jahrhundertwende hatten die Städte und Gemeinden sich in kommunalen Spitzenverbänden organisiert 91 und versuchten auf diese Weise, ihren Einfluß auf die Willensbildung des Reiches zu stärken. Solche »Parallelorganisationen […] unter Umgehung der Landesregierungen« (KGV, 47) konnten, wie Forsthoff bemerkte, aufgrund ihrer professionellen Sach- und Rechtskunde, eine »sehr umfassende […] Wirksamkeit« gewinnen (KGV, 48) und beschleunigten auf diese Weise die Mediatisierung aller öffentlichen Körperschaften durch das Reich. Tatsächlich gab es in den späten zwanziger Jahren sogar Bestrebungen, diese Repräsentation von Landeskorporationen auf Reichsebene zu formalisieren 92 und eine einheitliche reichsgesetzliche Regelung des Kommunalrechts zu schaffen,93 wie es dann mit der Deutschen Gemeindeordnung im Jahre 1935 ja auch geschah. Gewiß lag in dieser Argumentation nicht nur eine Idealisierung des von Forsthoff schlechthin als »echt« ausgewiesenen monarchischen Bundesstaates, sondern auch eine sehr apodiktische Subsumtion unter die bundesstaatsrechtlichen Konstruktionen der Verfassungslehre Carl Schmitts. So bemerkte etwa schon Fritz van Calker in seinem Zweitgutachten zur Habilitationsschrift, er denke »nicht professoral genug, um anzunehmen, dass alles, was nicht in den von der Theorie (z. B. Forsthoffs Lehrer Schmitt) aufgestellten Begriff des ›echten‹ Bundesstaats, des ›echten‹ rechtsstaatlichen Gesetzesbegriffs, der ›echten‹ Justiz u.s.w. paßt, abwegig und unzulässig sei« 94. Aber Forsthoffs politische Kritik der Reichsverfassung zeigen die Studien in großer Deutlichkeit.

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Wörtlich gleich bereits E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 86 f. Weiter heißt es, die Selbstverwaltung wurde zu einem »Mittel, Sozialbereiche, die bisher wesentlich sich selbst überlassen waren, jetzt aber einer öffentlichen Ordnung bedurften, zu verfassen und sie zu ordnen, ohne sie der Zuständigkeit unmittelbar staatlicher Behörden zu unterstellen.« (ebd., Bl. 87). Zur Gründung des Deutschen Städtetages im Jahre 1904 siehe W. Hofmann, Aufgaben und Struktur der kommunalen Selbstverwaltung in der Zeit der Hochindustrialisierung, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. III, hrsg. v. K. G. A. Jeserich u.a., 1984, 643. Siehe in diesem Sinne bereits H. Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, 1926, 262 ff.; siehe auch E. Forsthoff, Um die kommunale Selbstverwaltung, in: Zs. f. Politik 21 (1932), 263. E. Forsthoff, Um die kommunale Selbstverwaltung, in: Zs. f. Politik 21 (1932), 24. Fritz van Calker, Zweitgutachten (undatiert, Ende April 1930), UA Freiburg, B110/348.

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Was nämlich bedeutete diese Entwicklung für die Verfassungslage des Deutschen Reiches zu Beginn der dreißiger Jahre? Was insbesondere war das Paradigmatische am Schicksal der Selbstverwaltung? Inwiefern stand sie für eine allgemeine »Krise der Formen«? Was einmal ein vom Staat getrennter Bereich bürgerlicher Autonomie gewesen war, hatte im Verfassungsleben eine völlig andere Bedeutung erlangt: Die den Gemeinden obliegenden Aufgaben waren zum Kern der gesamtstaatlichen Politik geworden. Vor allem die Wohlfahrtsverwaltung war durch »eine bisher in diesem Grade noch nicht erlebte Politisierung der Verwaltungsaufgaben«95 gekennzeichnet. Andererseits waren die Gemeinden nicht bloß die Leidtragenden, sondern ebenso sehr die Agenten dieser Dialektik. Sie hatten durch die Technisierung und Bürokratisierung ihrer Aufgabenwahrnehmung den Rahmen der kleinräumigen Laienverwaltung verlassen und sich durch Zweckverbände und Zusammenschlüsse zu großräumigen Ordnungen fortgebildet (KGV, 50). Die Umgestaltung der Siedlungsformen wiederum zerstörte den Sinn der Gemeinden als Lebensform: den örtlichen Gemeinsinn und damit die »geistig-politischen Voraussetzungen der Selbstverwaltung« (KGV, 59): »Diese Verschichtung der Bevölkerung mußte sich aber auf die innere Struktur der Städte auf das stärkste auswirken. Sie mußte das alte Städtertum, das durch die Stadtbürgerschaft bezeichnete enge Band zwischen dem Bürger und seiner Stadt mehr und mehr auflösen. Denn es konnte nicht mehr gelingen, die großen Menschenmassen, die in die Städte strömten, seßhaft und bodenständig zu machen. Eine solche Seßhaftmachung ernsthaft anzustreben, hätte sogar den Anforderungen der veränderten Situation widersprochen, denn nachdem die wirtschaftlich-industrielle Entwicklung das Besiedelungsbild bestimmte, mußte man mit der Mobilität breiter Volksmassen rechnen, die in ihrer Bewegung der Konjunktur und der Prosperität folgten. […] Die Städte mußten aufhören, universale Raumgenossenschaften zu sein, die alten genossenschaftlichen Elemente der Selbstverwaltungen fielen der Überflutung durch ortsfremde Massenmenschen zum Opfer […].« (KGV, 51)

Nicht anders argumentierte Arnold Köttgen. Die Gemeinden seien politisch gesehen keine umfassenden »Raumgemeinschaften« mehr,96 sondern örtliche Verwaltungsträger mit einer Vielzahl spezieller Aufgaben. Sie hatten keinen »universalen Wirkungskreis« mehr, sondern nur noch eine Reihe von mehr oder weniger technischen, politisch dafür aber um so mehr wichtigeren Funktionen. Infolgedessen werde auch die örtliche Gemeinschaft von diesen interessengebundenen Einzelaufgaben her bestimmt. Ebenso meinte Forsthoff, das integrierende Moment der Zugehörigkeit zur Gemeinde »setzt sich zusammen aus vielen speziellen Gemeinsamkeiten, aus der gemeinsamen Inanspruchnahme der Verkehrsmittel, dem Anschluß an Gas-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung, dem besonderen Interesse an Schule, Theater, kulturellen Veranstaltun-

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E. Forsthoff, Um die kommunale Selbstverwaltung, in: Zs. f. Politik 21 (1932), 256. A. Köttgen, Die Krise der kommunalen Selbstverwaltung (1931), in: Kommunale Selbstverwaltung zwischen Krise und Refom, 1968, 8.

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gen aller möglichen Art und ähnlichem mehr. […] Diese Gemeinsamkeiten sind die Basis der modernen Selbstverwaltung, ein über sie hinausgreifendes, totales genossenschaftliches Bewußtsein gibt es nicht mehr.« (KGV, 53 f.) Köttgen allerdings glaubte, zumal durch die Eliminierung der Parteien aus der Kommunalpolitik und durch die Disziplinierung der Kapitalfreizügigkeit lasse sich etwas von dem genossenschaftlichen Charakter der Gemeinden noch einmal restaurieren.97 Dagegen war Forsthoff vom Ende der Selbstverwaltung in ihrer überkommenen Gestalt überzeugt. Die »Totalität«, die er den Gemeinden absprach, konnte für ihn künftig nur noch beim Reich liegen. Selbstverwaltung sei nämlich nur möglich, »wenn und solange sie der Integration des Staates dient und eine andere, zu dieser Integration geeignetere Verwaltungsform nicht denkbar und nicht zu verwirklichen ist.«98 Doch in dem durch Demokratie, Industrialisierung und soziale Frage zum Zentralismus gezwungenen Reich bestehe diese Voraussetzung nicht mehr: »Das Bürgertum trägt heute den Staat zu einem wesentlichen Teil. Nach dieser Richtung hin hat die Selbstverwaltung keine Aufgabe mehr. Man könnte an die Arbeiterschaft denken, die noch in weitem Umfang für den Staat gewonnen werden muß. Aber auch hier wird man nicht bei den Gemeinden einsetzen können. Die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterschaft […] ist zentralistisch. Darum wird nur eine zentrale staatliche Stelle, also das Reich, berechtigt sein, die Integration der Arbeiterschaft in den Staat als ihre Aufgabe zu betrachten.«99

Die Totalität des Politischen hatte den Staat gezwungen, die Autonomie der Selbstverwaltungsträger in großem Umfang zu beseitigen. Forsthoff hielt das für richtig und unvermeidbar. Nicht weniger skeptisch war er mit Blick auf die »in weitem Umfang noch bestehende föderative Ordnung« alten Gepräges (ÖKB, 180 f.), der er »kaum eine günstige Prognose stellen« wollte (ÖKB, 185). Auch hier wies er auf die Erosion der staatsrechtlichen Selbständigkeit durch die Auflockerung der sozialen Homogenität hin und sah die Entwicklung auf eine noch weitergehende Vereinnahmung der politischen Funktionen der Länder durch das Reich zulaufen (ÖKB, 183 f.). Der verfassungspolitische Standpunkt der Arbeiten Forsthoffs zum Problem der Selbstverwaltung ist damit klar. Er positionierte sich eindeutig in der damals innerhalb konservativer Kreise intensiv diskutierten Frage nach einer durchgreifenden Reichsreform.100 Die Totalität des Politischen drängte zum Reich und stellte das Reich »vor eine Aufgabe […], die es solange nicht bewältigen kann, als es nicht über eine eigene Verwaltung bis in die örtlichen Instanzen hinein verfügt.« (ÖKB, 180) Im gleichen Sinne erklärte zur gleichen Zeit auch Johannes Popitz die »Durchsetzbarkeit des an der Zentrale gebildeten 97 98 99 100

Ebd., 33 ff. und passim. E. Forsthoff, Um die kommunale Selbstverwaltung, in: Zs. f. Politik 21 (1932), 251. Ebd., 265 f. Siehe dazu nur E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. VII, 1984, 1005 ff., 1073 ff., 1116 ff.

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Willens« gegenüber den lokalen Selbstverwaltungsträgern zum vorrangigen Ziel einer künftigen Reichsreform.101 Also hielt Forsthoff es für unvermeidlich, den Gemeinden auf kurze Sicht alle im engeren Sinne politischen Aufgaben, insbesondere sozialer Art, materiell zu entziehen und sie ihnen allenfalls noch als Auftragsangelegenheiten mit unbeschränkter Leitungsgewalt der staatlichen Instanzen zu belassen.102 Für Forsthoff war die Krise der Gemeindeverwaltung, in der sich die Verfassungsprobleme der modernen Gesellschaft bündelten, nach alledem überhaupt nicht mehr auf der organisatorischen Ebene zu lösen, sondern bedurfte einer gesamtstaatlichen Lösung: im totalen Staat.103 Denn mit seiner Interpretation war das Rechtsinstitut der Selbstverwaltung zu dem umgebildet, was alle verfassungsrechtlichen Institutionen liberaler Provenienz im totalen Staat nur noch sein konnten: Ein ausschließlich vom totalen Staat her gedachtes und seinen Zwecken unterstelltes Mittel, ein Instrument etwa der dezentralisierenden Verwaltungsgliederung. In diesem totalen Staat sollte ein »aller spezifisch bürgerlichen Strukturelemente entkleideter«, »ganz neuer Typus« von Selbstverwaltung104 entstehen, hier sollten die Kommunen insbesondere nicht mehr Orte »liberaler«, das heißt gesellschaftlicher Autonomie sein, sondern »Gemeinschaftsformen« innerhalb des nationalsozialistischen Staates.105 Eben dies war dann auch der Grundgedanke der preußischen Kommunalreform des Jahres 1933.106 Forsthoff verband diese Überlegungen mit außerordentlich weitreichenden, ja utopischen Konzeptionen einer umfassenden Sozialreform. Er war sich bewußt, daß das Phänomen, das er als Auflösung der Selbstverwaltung beschrieb, vor allem ein Problem der Großstädte war, denen er die Schuld am Niedergang der Selbstverwaltung zuwies.107 Das war gewiß nicht sonderlich originell und fügte sich in das Bild, das die Stadtsoziologie von Ferdinand Tön-

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J. Popitz, Dem heimlichen Kanzler deutscher Nation zum Gedächtnis, in: DJZ 1931, 791 (mit dem »heimlichen Kanzler« meinte Popitz den Freiherrn vom Stein); ähnlich auch ders., Zentralismus und Selbstverwaltung in: Volk und Reich der Deutschen, Bd. II, hrsg. v. B. Harms, 1929, 356 f.; ders., Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, in: Zeitschrift für Selbstverwaltung 15 (1932), 322 f. Siehe E. Forsthoff, Um die kommunale Selbstverwaltung, in: Zs. f. Politik 21 (1932), 266. J. Kersten, Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, in: Der Staat 44 (2005), 546; B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 242. E. Forsthoff, Der Neubau der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, in: DJZ 1934, Sp. 309. E. Forsthoff, Nationalsozialismus und Selbstverwaltung, in: Deutsches Verwaltungsrecht, hrsg. v. H. Frank, 1937, 176 ff.; dazu B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 287 f. H. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, 1970, 107 ff. E. Forsthoff, Freiherr vom Stein und die Selbstverwaltung (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 484; ders., Die Gliederung des Reiches (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Was wir vom Nationalsozialismus erwarten, hrsg. v. A. E. Günther, 1932, 89.

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nies 108 bis Max Weber 109 und Werner Sombart 110, von Georg Simmel 111 bis Siegfried Kracauer 112 von den Metropolen als den fortgeschrittensten Erscheinungen der industriell-rationalen Massengesellschaft gezeichnet hatte. Die Großstadt galt, mit oder ohne rückwärtsgewandten Beigeschmack, als Inbegriff der Paradoxien der gesellschaftlichen Moderne,113 wie umgekehrt das moderne, bindungslose, hochtechnisierte Leben als Inbegriff großstädtischer Daseinsweise. Die Großstadt stand für Zivilisation gegen Kultur, für Gesellschaft gegen Gemeinschaft. Schon 1925 hatte Hans Julius Wolff aus der sozialen und politischen Entwicklung der Städte den Schluß gezogen, daß die Verwaltung der Metropolen aus dem Begriff der Selbstverwaltung zu lösen sei.114 Von einem totalen Staat sollten aber nach Forsthoffs Hoffnung auch diese sozialen Probleme prinzipiell zu lösen sein. In der Tradition der Großstadtkritik seit der Jahrhundertwende 115 und in Übereinstimmung mit verbreiteten jungkonservativen Planungsutopien 116 und populären Sozialidealen zumal des italienischen Faschismus 117 konzipierte er am Ende seiner Schrift über die Krise der Gemeindeverwaltung die Möglichkeit einer langsamen und planmäßigen »Auflösung der Großstadt«, ihre Diffusion in die Fläche, eine »planmäßige Besiedelung des flachen Landes ohne Wahrung eines engeren örtlichen Zusammenhangs mit der Stadt« (KGV, 58). Noch 1934 sah er die Möglichkeit, auf diese Weise die Selbstverwaltung als Keimzelle einer neuen Sozialordnung des totalen Staates wiederzubeleben. Dazu müsse allerdings erst »die Bevölkerungsbewegung im wesentlichen beendet« werden. Dann könnten »alle zur inneren Ausrichtung des Volkes berufenen Organisationen und Verbände, wie die Partei, die Wehrverbände und die Organisationen der Arbeitsfront mit dazu verhelfen, das Bewußtsein der Verbundenheit in den Bürgerschaften zu wecken und lebendig zu erhalten.«118

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F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, 42005, 33, 203. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 51972, 727 ff. W. Sombart, Der Begriff der Stadt und das Wesen der Städtebildung, in: Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik XXV (1907), 1 ff. G. Simmel, Die Großstädte und das Geistesleben (1903), in: Georg Simmel Gesamtausgabe, Bd. 7, 1995, 116 ff. S. Kracauer, Die Angestellten, 1930. J. Herf, Reaktionäre Modernisten und Berlin, in: Im Banne der Metropolen, hrsg. v. P. Alter, 1993, 237 ff.; A. Doering-Manteuffel, Mensch, Maschine, Zeit, in: Jb. des Historischen Kollegs 9 (2003), 94 f. H. J. Wolff, Die Grundlagen der Organisation der Metropole, Diss. iur., 2 Bde., mschr., 1924. Dazu A. Leendertz, Ordnung schaffen, 2008, 35 ff. D. van Laak, Zwischen »organisch« und »organisatorisch«, in: Griff nach dem Westen, Bd. I, hrsg. v. B. Dietz u. a., 2003, 78. Dazu G. Corni, Die Utopien des Faschismus, in: Utopie und politische Herrschaft im Europa der Zwischenkriegszeit, hrsg. v. W. Hardtwig, 2003, 106 f. E. Forsthoff, Der Neubau der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, in: DJZ 1934, Sp. 310.

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III. Die nationalsozialistische Revolution als »Liquidierung des 19. Jahrhunderts« Über Ernst Forsthoffs Leben in der ersten Hälfte des Jahres 1933 existieren kaum signifikante Quellen. Es läßt sich deswegen nicht sagen, wann er sich auf den Boden der mit dem 30. Januar geschaffenen Wirklichkeit der nationalsozialistischen Revolution gestellt hat. Lange kann es nicht gedauert haben. Nach dem Krieg berichtete Forsthoff, er habe im Oktober 1932 in Berlin mehrere Gespräche mit Johannes Popitz und dem Leiter der Verfassungsabteilung im Reichsministerium des Inneren, Ministerialdirektor Fuchs, geführt.119 Beide hätten ihn davon überzeugt, daß die Verfassung am Ende und Hitler nicht mehr zu verhindern sei. Es gelte nun, das beste daraus zu machen.120 Zur gleichen Zeit, nämlich am 9. Oktober 1932, dem Vorabend des ersten Verhandlungstages vor dem Staatsgerichtshof in Sachen Preußen contra Reich, traf er mit Carl Schmitt in Leipzig zusammen.121 Vielleicht hat Forsthoff der Verhandlung am nächsten Tag beigewohnt und sich dabei ein Bild von der Lage gemacht? Am 16. Oktober traf er Schmitt noch einmal, diesmal in Berlin.122 Ganz gewiß gab Forsthoff sich über die revolutionäre Bedeutung der Ernennung Hitlers keinen Illusionen hin. Während nicht wenige im gewaltsamen Umsturz und der Liquidierung von Gegnern »Kinderkrankheiten« sehen wollten und, ermutigt durch den »Tag von Potsdam«, von der allmählichen Stabilisierung eines »nationalen Rechtsstaates« träumten, während sie oft mit unpolitischem Selbstverständnis auf preußische Traditionen, Beamtentum und Militär vertrauten, kurz: während sie sich die Verhältnisse deutschnational zurechtrückten,123 war Forsthoff die Neuartigkeit des entstehenden nationalsozialistischen Staatsgebildes offensichtlich bewußt. Carl Schmitt hatte unmittelbar nach dem Ermächtigungsgesetz vom 23. März die Parole von der Beseitigung der alten Verfassungsordnung und der Einsetzung einer neuen Legitimität ausgegeben.124 Die Weimarer Verfassung sei beseitigt, Hitler nunmehr plebiszitär legitimierter Führer des deutschen Volkes.125 Folgerichtig stellte Schmitt sich sofort der neuen Regierung mit aller Kraft zur Verfügung.

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E. Forsthoff, Autobiographische Aufzeichnung »Politische Entwicklung und Schriften I«, undatiert (1946), Ms., NL Forsthoff, Bl. 1. E. Forsthoff, Erläuterung zu meinen Schriften (undatiert, 1946), LA Schleswig-Holstein, Entnazifizierungsakte Ernst Forsthoff, Abt. 460.19, Nr. 93. Eintrag vom 9.10.1932, in: C. Schmitt, Tagebücher 1930–1934, hrsg. v. W. Schuller i. Zus.arb. m. G. Giesler, 2010, 223. Eintrag vom 16.10.1932, ebd. 224 f. Siehe nur M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 246 f. C. Schmitt, Das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich, in: DJZ 1933, Sp. 455 ff. C. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, 1933, 5 ff.

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Das tat Forsthoff nicht. Dazu fehlte ihm schon der Einfluß und der Zugang zur Macht. Auch trat er, anders als Schmitt, 1933 nicht in die Partei ein. Er wurde im Winter 1933/34 SA-Anwärter, wozu ihn der Frankfurter Dekan Klausing genötigt habe, trat aber nach dem Röhm-Putsch wieder aus. Zum Parteieintritt (Mitgliedsnummer 5228370) sei er 1937 als Königsberger Dekan von dem ostpreußischen Gauleiter Erich Koch gedrängt worden. Parteiämter besaß er nicht, und er wollte auch überhaupt nur an drei Parteiveranstaltungen teilgenommen haben.126 Wohl aber zeigte er Ehrgeiz, sich als Deuter, Stichwortgeber und Propagandist des Nationalsozialismus einen Namen zu machen. Die Broschüre Der totale Staat, auf die sich die Diskussion um Forsthoffs Haltung zum Nationalsozialismus in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre mit Recht konzentriert hat, erschien Ende Juli 1933.127 Sie gehört zu jenem »Schwall staatsrechtlicher Skizzen und Bekenntnisse«128, der in den ersten beiden Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft das Bild der Staatsrechtslehre prägte und die relative Offenheit einer noch nicht ganz gefestigten nachrevolutionären Lage vor dem Sommer 1934 auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts abbildet. Es handelt sich um ein – vielleicht von Carl Schmitt vermitteltes – Auftragswerk der Hanseatischen Verlagsanstalt 129 und ihres Leiters, Benno Ziegler.130 Die Arbeit ist im späten Frühling oder Frühsommer des Jahres 1933 in sehr kurzer Zeit, wahrscheinlich innerhalb weniger Wochen, in Klausur auf Herrenchiemsee entstanden.131 Im Vor-

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Vgl. Forsthoffs Angaben im Fragebogen: LA Schleswig-Holstein, Entnazifizierungsakte Ernst Forsthoff, Abt. 460.19, Nr. 93. Börsenblatt für den deutschen Buchhandel v. 26.7.1933, zit. n. S. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, 1992, 46 Fn. 17. M. Stolleis, Nachwort, in: Recht im Unrecht, 22006, 336. Zur Geschichte und Rolle des Verlags im »Dritten Reich« s. umfassend S. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, 1992, bes. 111 ff., zu Forsthoffs Totalem Staat: 46; ferner J. P. Faye, Totalitäre Sprachen, Bd. 1, 1977, 340 ff. Siehe Ernst Forsthoff an den Dekan der Juristischen Fakultät der Universität Wien, 3.7.1965, NL Forsthoff: »Die Anregung zu dieser Schrift […] wurde seinerzeit vom damaligen Direktor der Hanseatischen Verlagsanstalt, Herrn Benno Ziegler, an mich herangetragen. Der Anregung lag eine bestimmte Absicht zugrunde. Es war die Zeit, in der die Parteien, außer der nationalsozialistischen, im Begriff standen, sich aufzulösen. Was uns mit dem Verschwinden der Parteien droht, schrieb mir Herr Ziegler, ist die Totalität der Nationalsozialistischen Partei. Wollen Sie nicht eine Schrift über den Totalen Staat schreiben und damit versuchen, die Totalität dem Staat (also nicht der Partei) zu vindizieren? Damals war die NSDAP noch kein fest konsolidiertes Gebilde. Die Entwicklung schien uns noch offen. Wir glaubten eine Chance zu haben, auf die Einfluß nehmen zu können. So sagte ich zu. Angesichts der sich überstürzenden Ereignisse war größte Eile geboten. Ich zog mich auf eine Woche nach Oberbayern zurück und schrieb dort die Schrift in wenigen Tagen nieder. Sie ging sofort in Satz und Druck und erschien kurz darauf.« Ebenso, mit Hinweis auf einen weiteren Brief Ernst Forsthoffs, J. P. Faye, Totalitäre Sprachen, Bd. 1, 1977, 340; ferner A. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, 1995, 458. S. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, 1992, 46; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 332.

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wort zur zweiten Auflage gab Forsthoff an, die erste Fassung sei »während der revolutionären Umwälzung im Mai 1933« (TS II, 7) entstanden. Noch Mitte Juni 1933 schrieb Forsthoff aber an Schmitt, er nutze jetzt »jede Minute für die Arbeit an der Schrift über den totalen Staat«.132 Mit der Publikation der Schrift in der Hanseatischen Verlagsanstalt Wilhelm Stapels war an sich schon ein regimefreundliches Bekenntnis verbunden. Bereits das Deutsche Volkstum, zu dem Forsthoff seit 1930 enge Beziehungen pflegte, war eine Zeitschrift dieses Verlages. Doch nach der schnellen und dezidierten Parteinahme des Hauses für den Nationalsozialismus gewann die Publikation allemal neues Gewicht. Gleichzeitig mit Ernst Forsthoff wechselten auch Carl Schmitt,133 Ernst Rudolf Huber 134 und andere, die die Machtübernahme publizistisch unterstützten, zu den Hanseaten. Die Hava war nach 1933 in einem solchen Maße der Hausverlag des historisch-politischen Nationalsozialismus, daß das »Denken über den ›totalen Staat‹ praktisch zu einer verlagsinternen Angelegenheit der Hava« wurde.135 Aber anders als Carl Schmitt, der nach 1933 nahezu alle seine Schriften der Hava anvertraute,136 und auch anders als Ernst Rudolf Huber, der dem Verlag bis 1943 verbunden blieb,137 kehrte Forsthoff ihm 1935/6 im Streit den Rücken. Nach dem Totalen Staat erschien keine selbständige Schrift mehr bei der Hava. Forsthoff war in seiner Hamburger Zeit wissenschaftlicher Berater von Stapel gewesen, fühlte sich dann aber wegen einer Publikation des Schmitt-Schülers Günther Krauss von Stapel hintergangen. Forsthoff beendete daraufhin seine Beratertätigkeit und empfahl Stapel später sogar die Ausbootung von Schmitt.138

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Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 17.6.1933, BW, Nr. 14. Die spätere Angabe, die Schrift sei »in wenigen Tagen« entstanden (vgl. o. Fn. 129; ebenso Brief Ernst Forsthoff an Jean Pierre Faye, 23.1.1966, zit. n. J. P. Faye, Totalitäre Sprachen, Bd. 1, 1977, 341) ist daher wohl stark untertrieben. Erstmals in der Hava erschien C. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, 1933. E. R. Huber, Die Gestalt des deutschen Sozialismus, 1934. So S. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, 1992, 35; im Anschluß an J. P. Faye, Totalitäre Sprachen, Bd. 1, 1977, 340, ähnlich 474, wo Faye den Begriff des »totalen Staates« als »die ›hanseatische‹ Formel par excellence« bezeichnet. Zur Bedeutung des Verlags für die jungkonservative Bewegung auch A. Mohler/K. Weißmann, Die konservative Revolution in Deutschland 1918–1932, 62005, 115. P. Tommissen, Carl-Schmitt-Bibliographie, in: Festschrift für Carl Schmitt, 1959, Nr. 29–42; zur Beziehung Schmitts zur Hava eingehend S. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, 1992, 48 ff. Zuletzt E. R. Huber, Heer und Staat in der deutschen Geschichte, 21943. Vorgänge geschildert im Brief Ernst Forsthoffs an Wilhelm Stapel, 2.7.1943 (Durchschlag), NL Forsthoff. Über Krauss’ Schrift: Der Rechtsbegriff des Rechts. Eine Untersuchung des positivistischen Rechtsbegriffs im besonderen Hinblick auf das rechtswissenschaftliche Denken Rudolph Sohms von 1935 heißt es in diesem Brief, sie sei »eine unverschämte, gescheit-verlogene Anpöbelung des ehrwürdigen Sohm durch einen Kölner Jesuitenzögling, die der Staatsrat [scil: Schmitt] in momentaner Abwesenheit jeglichen Instinkts als eine wissenschaftliche Grosstat preisen zu sollen meinte.«

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Forsthoffs später geplante, aber nicht mehr vollzogene Wiederannäherung an Stapel und seinen Verlag in den letzten Kriegsjahren stand unter veränderten Vorzeichen; von ihr wird noch zu reden sein.139 Was wollte Forsthoff mit seiner Schrift über den »totalen Staat«? Über die Hälfte des Textes nimmt eine polemische »Abrechung« mit dem »Staat des 19. Jahrhunderts« und dem »Staat von Weimar« ein (TS, 9–28): »Das bürgerliche Zeitalter wird liquidiert, und es ist die Verheißung einer besseren Zukunft, daß es mit rücksichtsloser Entschlossenheit und dem Mut zu äußerster Konsequenz geschieht. Nur akademische Pedanten werden darüber erschrecken, daß diese Auseinandersetzung summarisch erfolgt und dabei auch an traditionelles Gut Hand angelegt wird […].« (TS, 17) Das traditionelle Gut, das waren natürlich Rechtsstaat und Parlamentarismus, es war aber auch die kapitalistische Wirtschaftsweise (TS, 26 f.), die freie Kunst und Wissenschaft, Geist und Kultur einer »zuchtlosen Zeit«140. Kurz: Alles mußte beseitigt werden, was auch nur entfernt an das bürgerliche Jahrhundert erinnerte. Deswegen konnte Forsthoff verkünden: »Mit der nationalsozialistischen Revolution ist das deutsche Volk in das 20. Jahrhundert eingetreten.« (TS, 48; TS II, 51) Diese Sucht nach Zerstörung, dieses Amalgam aus »frontsoldatischer« Haltung, nietzscheanischem Pathos und spenglerscher Prophetie gehörte, davon war schon die Rede, zu den sehr charakteristischen Eigenarten der konservativrevolutionären Literatur in der Weimarer Zeit, die sich bis 1933 immer stärker ausprägten. »Das Alles von heute – das fällt, es verfällt: wer wollte es halten? Aber ich – ich will es noch stoßen!« So dachten sie und kümmerten sich nicht darum, was sie stießen und wer den Stoß mit ihnen führte. So schrieb etwa Gustav Steinbömer 1932 die paradigmatischen Sätze: »Um die Verknüpfung der Welt mit einer höheren Ordnung zu erhalten, muß der Konservatismus heute zerstören und kann gegenüber dem rechnerischen und nihilistischen Wertempfinden und dessen politisch-institutioneller Entsprechung in der Demoplutokratie nur revolutionär sein […]. Denn der Konservatismus ist keine re-aktionäre, re-aktive, sondern eine ursprüngliche Haltung, die erst durch die désordre du coeur re-aktionär, re-aktiv, d. h. re-volutionär wird.« 141

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Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 3.10.1944, DLA Marbach, NL Stapel. Forsthoff und Stapel waren sich einig, Forsthoffs Monographie über Die Institutionen als Rechtsbegriff in das Programm der Hava aufzunehmen. Wegen der Zerstörung der Hava bei den Luftangriffen auf Hamburg und wegen des Kriegsendes blieb der Plan jedoch unausgeführt. Dazu noch unten, 5. Kap., S. 280. E. Forsthoff, Die politische Verantwortung der Justiz, in: Münchner Neueste Nachrichten v. 19.11.1933, 2. G. Steinbömer, Betrachtungen über den Konservatismus, in: Dt. Volkstum 1932, 26 f.

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In diesem Sinne belegte auch Forsthoff die Ereignisse des Jahres 1933 mit Hugo von Hofmannsthals142 Begriff der »konservativen Revolution«143. Seine Schrift über den totalen Staat stehe deshalb auch »nicht im Dienste des historischen Erkennens, sondern der politischen Aktion« (TS, 8), womit der Charakter ihres ersten Teils im wesentlichen richtig getroffen ist.144 Obwohl Forsthoff gerade in den geschichtlichen Kapiteln durchaus scharfsinnig argumentierte, sind nahezu alle Urteile extrem überzeichnet. In der Sache setzte er die kämpferische Polemik gegen das »bürgerliche Zeitalter« fort, wie er sie schon vor 1933 gepflegt hatte. Was er gegen den liberalen »Staat des 19. Jahrhunderts« vorbrachte, war nicht sonderlich originell. Carl Schmitt und andere hatten es lange vorher geschrieben: die Entleerung des Staatsbegriffs (TS, 9), die agnostische Neutralisierung, Funktionalisierung und Dämonisierung des Staates (TS, 10), seine Unfähigkeit zur Unterscheidung von Freund und Feind (TS, 13 f.), die Minimalisierung des Politischen (TS, 11/15), die unpolitische Privatheit des Bourgeois (TS, 7/21), der Siegeszug der bürokratisch-technischen Zweckrationalität, die rechtsstaatlichen Schematisierungen (TS, 12 f.), das Rechtsstaatsideal als »Scheinstaat« und »Prototyp einer Gemeinschaft ohne Ehre und Würde« (TS, 13), die bürgerliche Diskriminierung des Soldatischen (TS, 15) und die Mißachtung des Volkstums (TS, 17). Nicht anders, dafür aber noch polemischer, verfuhr Forsthoff mit dem »Staat von Weimar«. Doch auch dessen Kritik bestand in kaum mehr als einer rhapsodischen Zusammenfassung von allem, was Carl Schmitt im Laufe der Zeit gegen diese »Verfallsform des bürgerlichen Rechtsstaates« (TS, 20), diesen »Funktionalismus ohne einen ihm wesenhaften Gehalt« (TS, 26 f.) geschrieben hatte. Wie Schmitt geißelte auch Forsthoff die Antiquiertheit der rechtsstaatlichen Verfassung und des Parlamentarismus in der »veränderten, technisierten und ökonomisierten Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts« (TS, 19), die »klischeemäßige« Übernahme liberaler Verfassungsinstitutionen (TS, 23), das dem deutschen Volk aufgezwungene »fremde Lebensgesetz« eines »französischen Nomos« (TS, 24), die Unfähigkeit der Gesellschaft zur Autorität (TS, 25), die pluralistische Herrschaft der organisierten Interessen (TS, 26) und die Perversion der Legalität durch die Parteien, an deren Ende »ein hohles Scheinrecht über die Ehre und Würde des Staates einen traurigen Triumph erzielen konnte« (TS, 14): »Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß unter der Geltung der Weimarer Verfassung der deutsche Staat zugrunde ging, weil er zum Raub des gesellschaftlichen Pluralismus wurde.« (TS, 28) In einem Artikel für die Rhei-

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H. von Hofmannsthal, Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation, 1927, 31. E. Forsthoff, Der Totalitätsanspruch des Staates, in: Rheinisch-Westfälische Zeitung v. 6.10.1933, 1. In einem Brief Ernst Forsthoffs v. 8.8.1933 an Rudolf Stadelmann (BA Koblenz, NL Stadelmann) heißt es sogar: »Da ich die Schrift nicht als eine wissenschaftliche Leistung bewerte, versende ich sie nur an persönliche Freunde.«

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nisch-Westfälische Zeitung aus der Reihe »Geistige Führer zur Kulturgestaltung« verkündete Forsthoff schließlich im Oktober 1933: »Der Weimarer Staat ist gefallen, weil er sich gründete auf das platteste Gesetz, das sich denken läßt, das Gesetz der rationalen Zweckmäßigkeit, weil er gestaltet war nicht aus ursprünglichen, zu Opfer und Hingabe drängenden Gefühlen, sondern aus abgeleiteten, reflektierten Gefühlen, aus Ressentiments gegen die Hohenzollern, gegen die Reichen, gegen den Soldaten, gegen die elementaren Regungen ursprünglicher Volkskraft überhaupt.«145

Aber die Rede von der »Liquidierung« der alten Ordnungen war nicht nur metaphorisch, nicht nur »geistig-politisch« gemeint. »Liquidiert« werden sollten auch die Träger dieser alten Ordnung. So heißt es in einem Zeitungsartikel Forsthoffs über »Die politische Verantwortung der Justiz« aus dem November 1933: »In zahlreichen politischen Prozessen, die seit der nationalsozialistischen Revolution durchgeführt wurden, ist mit den Schädlingen des deutschen Volkes abgerechnet worden.«146 Die »Schädlinge« dürften sich nicht beschweren, sondern: »Heute muß sich jeder Deutsche gefallen lassen, daß er für seine Haltungen und seine Taten in früherer Zeit zur Verantwortung gezogen wird.«147 Deshalb mußte sich auch Otto Koellreutter von Forsthoff liberales Denken vorhalten lassen, weil er die Konzentrationslager nicht als rechtsstaatliche Einrichtungen anerkennen wollte.148 Jetzt endlich regierte die junge Elite, »deren Gesinnung der Verführung einer zuchtlosen Zeit standgehalten hat.«149 Jetzt endlich kam das »im Schatten von Versailles« entstandene »harte Geschlecht« zum Zuge, »das gegen Illusionen gefeit ist, das die Gefahr nicht fürchtet, das nüchtern und heroisch zugleich ist.« (TS, 48) Jetzt endlich war Deutschland nach Jahren der »permanenten Überfremdungsgefahr« wieder es selbst. Das Jahr 1933 habe die »Invasion fremden Geistes in den deutschen Raum« beendet und die Gefahr gebannt, zwischen »westeuropäische[r] Zivilisation und russische[m] Bolschewismus«150 aufgerieben zu werden. Und schließlich: Jetzt endlich regierten wieder wirkliche Männer. So heißt es in einem anderen, schon mehrfach zitierten Zeitungsartikel über den »Totalitätsanspruch des Staates«: »Die Revolution erweist sich damit zugleich als ein Aufbruch des männlichen Geistes. Denn das geschichtliche Handeln ist […] dem Manne und dem männlichen Geiste vorbehalten. Der

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E. Forsthoff, Der Totalitätsanspruch des Staates, in: Rheinisch-Westfälische Zeitung v. 6.10.1933, 1. E. Forsthoff, Die politische Verantwortung der Justiz, in: Münchner Neueste Nachrichten v. 19.11.1933, 1. Ebd., 2. E. Forsthoff, Buchbesprechung, in: JW 1934, 538. E. Forsthoff, Die politische Verantwortung der Justiz, in: Münchner Neueste Nachrichten v. 19.11.1933, 2. E. Forsthoff, Der Totalitätsanspruch des Staates, in: Rheinisch-Westfälische Zeitung v. 6.10.1933, 2.

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neue Staat ist Männerwerk und in allen seinen Zellen durchweht von männlichem Geiste. Sein eigentlicher Träger sind Männerbünde, die SA, SS und der Stahlhelm, Formationen, die diesen Staat wirklich erkämpft haben und bestimmt sind, ihn immer aufs neue mit ihrer kämpferischen Gesinnung zu erfüllen. Nichts kennzeichnet das Wesen dieses Staates deutlicher als diese Tatsache. Damit ist ein unauslöschlicher Schlußstrich gezogen unter eine Entwickelung, die […] im Begriff war, in dem ›dritten Geschlecht‹ eine Generation von verweiblichten Männern und vermännlichten Weibern zu züchten. […] Es weht wieder ein kräftiger Wind in Deutschland und fegt die Spreu aus dem Weizen. Dem Wirken elementarer Kraft verbindet sich immer die Gefahr; die Periode bürgerlicher Sekurität hat ihr Ende erreicht. Das Leben in Deutschland kennt wieder Gefahr und echte Verantwortung.«151

IV. Der positive Begriff der Totalität: die innere Ordnung des nationalsozialistischen Staates Ein politischer Begriff verändert bekanntlich seinen Sinn, wenn er seinen Gegner verliert. Als ein abbreviatorisch gegen die ganze liberale Ideenwelt gerichteter Begriff war der Zweck des »totalen Staates« mit der Errichtung des nationalsozialistischen Regimes an sich weggefallen. Der Begriff war jetzt, wie Ernst Rudolf Huber bemerkte, »in ein kritisches Stadium getreten.«152 Diese Tatsache illustriert niemand besser als Carl Schmitt, der zweifellos mit dem feinsten Gespür für solche ideenpolitischen Fragen begabt war. Er benutzte den Begriff letztmalig in einem Anfang 1933 erschienenen Aufsatz153 und führte ihn in einem Rundfunkvortrag, der im März im Deutschen Volkstum erschien, noch einmal der Sache nach weiter.154 Dann aber gab er ihn auf. In seiner ersten großen Deutung des neuen Staatsrechts, Staat, Bewegung, Volk, im Herbst 1933 erschienen, ist zwar noch einmal beiläufig von einem »totalen Führerstaat« die Rede,155 aber der Totalitätsbegriff diente nun nicht mehr zur inhaltlichen Kennzeichnung des Staates. Diese Funktion übernahmen nun die den Staat und das Volk führende Stellung der »staatstragenden Bewegung«156 und die Rechtfertigung der politischen Führung durch die »unbedingte Artgleichheit zwischen Führer und Gefolgschaft«157. Ihr allenfalls sprach Schmitt nun Totalität zu, der Staat aber sollte nur noch »ein Organ des Führers der Bewegung« sein.158 Bemerkenswerterweise hat Schmitt Forsthoffs Formel vom totalen Staat in allen seinen Schriften niemals zitiert.

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Ebd., 1. E. R. Huber, Die Totalität des völkischen Staates, in: Die Tat 26 (1934), 30. C. Schmitt, Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland (1933), in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, 1958, 359 ff. C. Schmitt, Machtpositionen des modernen Staates (1933), in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, 1958, 367 ff.; vgl. R. Mehring, Carl Schmitt, 2009, 305. C. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, 1933, 46. Ebd., 14. Ebd., 42; siehe R. Mehring, Carl Schmitt, 2009, 341 ff. C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (1934), 32006, 55.

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Dabei war der Begriff des totalen Staates nach 1933 durchaus verbreitet, ganz zu schweigen von dem Begriff der »Totalität« im allgemeinen. Die Kategorie der »Totalität« fand, von ihrem idealistischen Ursprung völlig abgelöst, in der Zwischenkriegszeit völlig unspezifisch und ubiquitär Verwendung. Im Jahre 1933 über den totalen Staat zu sprechen und zu schreiben, war so originell wie heute über die »Zivilgesellschaft«. Ernst Rudolf Huber bemühte sich um eine begriffliche Abgrenzung gegenüber der absolutistischen, der massendemokratischen, der bolschewistischen und der faschistischen Totalität und entwickelte einen spezifischen Begriff des totalen völkischen Staates, dessen Totalität in der dialektischen Einheit von Volk und Staat bestehen sollte.159 In Georg Weipperts kurz nach der Machtergreifung erschienener Schrift Umriß der neuen Volksordnung, die so erhebliche Parallelen zu Forsthoff aufweist, daß eine Querverbindung sehr naheliegt, ist der »totale« Staat durchgängig zur Kennzeichnung der nationalsozialistischen Herrschaft gebraucht.160 Erik Wolf sprach 1934 in seiner Freiburger Rede über Richtiges Recht im nationalsozialistischen Staat von der Einheit der Nation und der sozialen Gemeinschaft als den Forderungen der Zeit und bemerkte: »Die Lebenseinheit, in der das geschieht, heißt Staat, totaler Staat. In ihm muß der Aufbau des neuen Rechts sich vollziehen.«161 Auch Martin Heidegger bezog sich in seinem Seminar im Winter 1934/35 positiv auf die Formel des »totalen Staates«.162 Und Gottfried Benn deutete die nationalsozialistische Revolution in seiner Rundfunkrede Der neue Staat und die Intellektuellen im April 1933 mit den Worten: »Im Grunde hat immer nur die Geschichte gedacht. Gedacht wurde auf dem Sinai, als der Dekalog herniederbrach und die Posaune ertönte und der Berg rauchte; gedacht haben die Meilensteine, die nach Rom und Byzanz die Wege wiesen; gedacht hat das jetzige neue Jahrhundert, als es das werdende Gesetz formte: der totale Staat. Immer prägte die Geschichte den Stil, immer war dieser Stil die Verwirklichung eines neuen historischen Seins.«163 1. Totalitärer oder autoritärer Staat? So unternahm nun Ernst Forsthoff den Versuch, das »werdende Gesetz« mit Inhalt zu füllen, aus der Totalität des Staates eine umfassende politische Ordnungsidee zu machen. Es mußte jedenfalls mehr aus dem Begriff gewonnen werden als die geradezu skurril umständliche Definition, mit der Der totale Staat beginnt: »Totaler Staat ist die Entgegensetzung gegen den liberalen Staat;

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E. R. Huber, Die Totalität des völkischen Staates, in: Die Tat 26 (1934), 30 ff. G. Weippert, Umriß der neuen Volksordnung, 1933. E. Wolf, Richtiges Recht im nationalsozialistischen Staate, 1934, 13. E. Faye, Heidegger, l’introduction du nazisme dans la philosophie, 2005, 250. G. Benn, Der neue Staat und die Intellektuellen (1933), in: Ges. W., Bd. I, 1959, 445.

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es ist der Staat mit umfassender inhaltlicher Fülle im Gegensatz zum inhaltlich entleerten, durch Autonomisierungen, d. h. juristische Sicherungen vorausgesetzter Eigengesetzlichkeiten minimalisierten und nihilisierten liberalen Staat.« (TS, 7; TS II, 9) Es galt, wie Forsthoff formulierte, »das Eigenrecht dieses neuen Staates auch über die polemischen Bezüge hinaus« zu erkennen (TS, 7). Dabei warf Forsthoff in seiner gedrängten, thesenhaften Skizze nahezu alle politischen Grundfragen des entstehenden nationalsozialistischen Staates auf: das Verhältnis zur Partei, die Stellung des Führers, das Verhältnis von Staat, Führung und Verwaltung, den Volksbegriff und die Sozialordnung. Es ging ihm, wie Forsthoff mit verblüffender Selbstsicherheit formulierte, um nicht weniger als darum, »aus dem Sinn der Geschichte, aus den Erfahrungen des 19. und 20. Jahrhunderts und den Ereignissen der neuesten Zeit heraus das Ziel der nationalsozialistischen Revolution in dem totalen Staat zu fixieren.« (TS, 29) Den Begriff der Totalität übersetzte Forsthoff dazu in eine politische Metaphysik des Führertums. Konstitutiv für die Herrschaftsordnung des totalen Staates sei die »Unterscheidung von Führung und Geführtsein, von Herrscher und Regierten« (TS, 30), die sich vor allem von der demokratischen Identitätslehre unterscheiden sollte. Während diese die Regierung nämlich aus einem Auftrag ableite und dadurch »immanent« bleibe, beruhe echte Führung auf der existentiellen Andersartigkeit des Ranges der Führung. »Die Unterscheidung von Führern und Geführten […] ist nur metaphysisch vollziehbar.« (TS, 31; fehlt in TS II) Diese Unterscheidung habe nichts mit persönlicher Qualität zu tun, sondern mit Autorität und einem Rang, »der darum gegenüber dem Volke gilt, weil das Volk ihn nicht verleiht, sondern anerkennt.« (TS, 30; ähnlich TS II, 34) In diesem Sinne hatte, um nur ein Beispiel zu nennen, Hans Freyer schon 1925 die Führerschaft als etwas vollendet Irrationales definiert. Seine »Rolle und sein Ruf im Volk, der Rechtsgrund seiner Autorität und der Inhalt seines Wirkens – das alles ist von der unfaßbarsten Unbestimmtheit für Verstandesbegriffe, aber von der unfehlbarsten Eindeutigkeit im metaphysischen Sinn.«164 Einen ebenfalls irrationalistischen, aber dezidiert kulturaristokratischen Begriff der Führung umschrieb Rudolf Borchardt in seiner berühmten Rede von 1931.165 So meinte auch Forsthoff: »Es ist nicht möglich, der Führung als einem der politischen Erlebniswelt verhafteten Vorgang abstrakten Ausdruck zu geben. […] Das Wort Führung läßt sich ebensowenig wie die sonstigen, spezifisch deutsche Empfindungen ansprechenden Worte (Volkstum, Heimat, Blut und Boden, Gemüt) in eine andere Sprache übersetzen.« (TS II, 37) Und: »Der echte Rang erwächst unmittelbar aus den elementarischen Voraussetzungen des Blutes und der Rasse, er ist allen erlernbaren Fertigkeiten des Geistes und des Körpers entzogen.« (TS II, 34)

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H. Freyer, Der Staat, 1925, 113. R. Borchardt, Führung (1931), in: Reden, o.J. (1955), 397 ff., 412 f.

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Was nun die Träger dieses Führungsanspruchs angeht, so ist es bemerkenswert, daß Forsthoff sich alle Mühe gab, diese Frage nicht im Sinne eines plebiszitären Diktators zu beantworten. Die Person Hitlers argumentierte er im Gegenteil ziemlich an den Rand. Sicher: Hitler verdanke »seine Führerstellung unvergleichlichen persönlichen Qualitäten«, aber das zeichne ihn nur als Führer einer Partei aus, nicht als »Führer des Reiches«, denn der Staat sei »mehr als ein persönlicher Führungszusammenhang« (TS, 31). Deshalb sollte der totale Staat nicht eine personale Spitze haben, sondern einen durch eine feste Rangordnung gegliederten aristokratischen »Führerstand« (TS, 34). In einem ähnlichen Sinne spielte für Albrecht Erich Günther die Frage der organischen Elitenbildung eine große Rolle.166 Gefordert war also die Herausbildung einer zur Herrschaft seinsmäßig berufenen Schicht: »Es liegt nahe, hier von der Notwendigkeit einer Elitebildung zu sprechen, aber der Elitegedanke trifft den gemeinten Vorgang nicht vollständig. Denn es handelt sich nicht nur darum, daß eine politisch besonders qualifizierte Schicht in der Volksgemeinschaft umgrenzt werden soll, sondern es ist weiter damit gemeint, daß diese hochqualifizierte, rassisch und geistig überragende Schicht gesehen und begriffen werden muß in ihrer verantwortlichen Funktion, in der alle persönlichen Qualifikationen überragenden staatlichen Ordnung […]. Man kann darum bei der Kennzeichnung der zur staatlichen Führung privilegierten politischen Oberschicht bei dem bloßen Elitegedanken nicht stehen bleiben, der das Besondere des Zur-Staatsregierung-Berufenseins nicht in sich aufnimmt, sondern muß den besonderen Rang der staatlichen Führerschicht in einem aristokratischen Sinne verstehen […]. Das qualitative Anderssein dieser Schicht der Auserlesenen macht sie zu einem wirklichen Stande, der sich aus der Bewährung in einem unerhört zähen, mit gewaltigen Opfern an Blut, Gut und Freiheit durchgeführten Kampf um Staat und Volk gebildet hat.« (TS, 33; fehlt in TS II)

Diese Führungsschicht bedürfe jedoch über ihre existentialontologische Auszeichnung einer eigenen Legitimitätsidee, einer Weltanschauung, einer metaphysischen Rechtfertigung, der der persönliche Führungszusammenhang unterstellt sein sollte. Welcher Art diese staatseigene Weltanschauung sein sollte: »objektiver Geist«, eine christliche Obrigkeits- oder Reichsidee oder aber eine säkulare Weltanschauung, darauf wollte Forsthoff sich nicht festlegen. Klar war ihm allerdings die politische Funktion einer solchen metaphysischen Rechtfertigung: »Jedenfalls kann der Staat nicht darauf verzichten […], im Rahmen seiner Möglichkeiten, nicht im Sinne geistloser Züchtung oder mechanischer Oktroyierung, sondern missionarisch für die Erweckung einer neuen, metaphysisch fundierten Staatsgesinnung tätig zu sein, jedenfalls muß er gerade im Metaphysischen Freund und Feind unterscheiden können. Unter keinen Umständen vermag der heutige Staat aus der notwendig autoritätslosen, individualistischen und positivistischen Haltung noch irgendeine Kraft zu ziehen. Gewiß kann sich der Staat nicht zum Ziel setzen, diese Gesinnung unter Anwendung hoheitlicher Mittel aus den Herzen und Hirnen auszumerzen. […] Aber dort ist die individualistische, an die Wurzeln des neuen Staates greifende Gesinnung zu treffen, wo sie unter den besonderen Bedingungen der

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A. E. Günther, Geist der Jungmannschaft, 1934.

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Amtlichkeit und Öffentlichkeit auftritt. Die Amtlichkeit und die Öffentlichkeit bezeichnen Bereiche, die allerdings dem obrigkeitlichen Zugriff unterliegen, und der Staat gäbe sich selbst auf, wenn er hier nicht alles rücksichtslos ausmerzen würde, was seine Autorität nicht anerkennt.« (TS, 32 f.; fehlt in TS II)

Insofern sei die »neue Staatsgesinnung« das »eigentliche, tragende Fundament«: »die bereitwillige Aufgabe der bisherigen privaten Existenz und die Unterstellung unter das innerlich bejahte neue, totale Lebensgesetz des Staates« (TS, 43; TS II, 46), die »totale Inpflichtnahme des einzelnen für die Nation« (TS, 42; TS II, 46). Diese Inpflichtnahme sollte sich, und darauf kam es Forsthoff sehr wesentlich an, insbesondere auf jene Bereiche der Wirtschaft, der Kultur und Wissenschaft erstrecken, die vom Liberalismus »autonom« gestellt, der freien Gesellschaft überlassen worden waren. Auch sollte über die Gebiete der Kunst, Wissenschaft und Kultur ein persönliches Regiment der Führung errichtet werden (TS, 38), um »im konkreten Falle den Künstler und den Wissenschaftler von dem Demagogen und geistigen Freibeuter zu unterscheiden« und auf diese Weise dem »wirklichen Künstler« und dem »echten Wissenschaftler« zu einer viel höheren Schaffensfreiheit zu verhelfen als durch die »abstrakten und formalen Freiheiten für eine nicht definierbare Kunst und Wissenschaft« (TS II, 41 f.). Allerdings hatte Forsthoffs Begriff der Führung spezifische Grenzen, die sich aus dem Staatsbegriff ergeben sollten. »Staat« und »Führung« fungieren in Forsthoffs Konzeption des totalen Staates als dialektische Gegenbegriffe, die erst zusammen die Totalität der »Herrschaftsordnung« ausmachen. So sollte insbesondere der Staat nicht in der nationalsozialistischen Bewegung, diese nicht im Staat aufgehen können, weil der Staat in der »Sphäre des Geschichtlichen« stehe und deshalb alles nur Persönliche, auch die Führung einer Partei transzendiere. »Die persönliche Führungsgemeinschaft erlischt mit der Person des Führers und ist darum zeitgebunden. Der Staat darf nicht erlöschen; er ist die Form der politischen Existenz des Volkes, und das Volk darf nicht politisch untergehen. Der Staat ist gebunden an Tradition, Gesetz und Ordnung.« (TS, 31; fehlt in TS II) Forsthoff bezog damit gegen die nationalsozialistische Doktrin und die später insbesondere von Carl Schmitt, Reinhard Höhn und anderen vertretene Auffassung Stellung, nach der der Staat im Nationalsozialismus nichts anderes sein sollte als ein »Organ« (Schmitt) oder ein technischer »Apparat« (Höhn) der Bewegung.167 So besaß nach Forsthoffs Vorstellung insbesondere die Verwaltung ein spezifisches Eigengewicht gegenüber der Führung. Diese relative Autonomie ergebe sich aus dem »sozialistischen Anspruch des nationalsozia-

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Siehe nochmals C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (1934), 32006, 55; R. Höhn, Die Wandlung im staatsrechtlichen Denken, 1934.

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listischen Staates«168, aus der öffentlichen Notwendigkeit dessen, was Forsthoff später die »Daseinsvorsorge« nannte. »Ein übervölkerter Staat, der sich den Versorgungsbedürfnissen weitester Kreise gegenübersieht, kann nicht auf die verwaltungsmäßige Präzision und Berechenbarkeit verzichten, die nur eine Bürokratie gewährleisten kann.« (TS, 35; ähnlich TS II, 40)169 Dies gelte auch um der Führung selbst willen, wie Forsthoff etwas scheinheilig behauptete: Schließlich berge das Eindringen des Führungsgedankens in die Verwaltung die Gefahr der »Veralltäglichung und damit der Auflösung des wirklichen Führertums in sich.«170 Deshalb wollte Forsthoff auch in dem Dualismus von bürokratischer und politischer Verwaltung, von Berufsbeamtentum und Kommissaren, ein dem totalen Staat eigentümliches Organisationsprinzip erkennen. Der wichtigste Fall der »kommissarischen« Verwaltung waren die durch das Gesetz vom 7. April 1933 geschaffenen Reichsstatthalter.171 Danach sei das Berufsbeamtentum nicht mehr die einzige Verwaltungsform, sondern: »Neben den Berufsbeamten tritt der Kommissar, als ein nicht neutraler, sondern politisch entschiedener und entscheidender Funktionär, Exponent des politischen Willens, in seiner Tätigkeit auf ein konkretes Ziel gerichtet, dazu mit Vollmachten ausgestattet, für alle seine Handlungen unbedingt verantwortlich, das heißt jederzeit abberufbar, ohne den Schutz wohlerworbener Rechte.« (TS, 36; schärfer TS II, 39)

Forsthoff hielt diese Entwicklung im Prinzip für richtig, drängte jedoch darauf, sie zu begrenzen. Beide Verwaltungstypen müßten »nach den Erfordernissen der staatlichen Aufgaben angesetzt, balanciert und in einer sinnvollen, die Einheit der gesamten Verwaltung verbürgenden Verbindung gehalten werden.« Die Herrschaftsordnung des totalen Staates sollte insoweit eine dualistische Gliederung haben (TS, 37 f.). Aus ihr sollte folgen, »an welcher Stelle und in welcher Form der neue Führerstand an der verantwortlichen politischen Leitung zu beteiligen [!] ist« (TS, 37); nämlich in den Bereichen einer kommissarischen und nicht bürokratischen Aufgabenerledigung. 2. Volkstum und Volksordnung Auch die auf diese Weise ein Ganzes bildende Herrschaftsordnung machte für Forsthoff noch nicht die übergreifende Totalität aus. Es gehörte zum »totalen Staat aus Stärke« ebenso wie zum autoritärem Staat in Zieglers Sinne ja gerade nicht die Vorstellung einer restlosen Etatisierung des Soziallebens, sondern die 168

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E. Forsthoff, Das neue Gesicht der Verwaltung und die Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 333. Siehe auch E. Forsthoff, Führung und Bürokratie, in: Dt. Adelsblatt 1935, 1339 f. Ebd., 1339. Zweites Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 7.4.1933, RGBl. I, S. 173.

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Fähigkeit des Staates, eine bestimmte soziale Ordnung autoritär zu schaffen, diese jedoch in sich lebensfähig zu erhalten. So sagte Erik Wolf 1934 unter ausdrücklicher Berufung auf Ernst Forsthoff: »Der totale Staat ist keine mechanische, sondern eine organische Einheit, er schematisiert nicht, er gliedert.«172 Der totale Staat, schrieb auch Georg Weippert, sei kein »totalistische[r] Staat«173 und erkenne deswegen urwüchsige Sozialgebilde an und bilde auf ihrer Grundlage seine öffentliche Ordnung.174 Der totale Staat setzte für Forsthoff deshalb neben der Herrschaftsordnung auch eine ihm gemäße »Volksordnung« voraus, eine »totale Gemeinschaftsordnung« (TS, 45). Beide, Herrschafts- und Volksordnung seien »nicht voneinander zu trennen, da sie in ihrer Gesamtheit, in ihrem Miteinanderbestehen und Füreinanderbesten den totalen Staat als eine Einheit ausmachen.« (TS, 30) Diese Volksordnung – ein Begriff, den auch Weippert und der Forsthoff ebenfalls nahestehende Rudolf Craemer gebrauchten175 – sollte sich durch alles auszeichnen, was die »Gesellschaft« der Massendemokratie nicht aufwies: innere geistige, politische und rassische Homogenität und eine »organische« Ordnung: »Das deutsche Volk muß durch die Überwindung der Demokratie in der Ausprägung Rousseaus aus seiner Ohnmacht befreit werden. Ihm muß eine seinen sozialen Lebensbeziehungen entsprechende Gliederung gegeben werden.« (TS, 41) Die Grundlage bildete also jener existentielle, vorstaatliche Volksbegriff, von dem aus die deutsche Rechte seit dem Weltkrieg gegen die bestehende Republik argumentiert hatte:176 »Volk ist eine Gemeinschaft, die auf einer seinsmäßigen, artmäßigen Gleichartigkeit beruht. Die Gleichartigkeit geht hervor aus der Gleichheit der Rasse und des volklichen Schicksals. Das politische Volk bildet sich in der letzten Einheit des Willens, die aus dem Bewußtsein seinsmäßiger Gleichartigkeit erwächst. Das Bewußtsein der Artgleichheit und der volklichen Zusammengehörigkeit aktualisiert sich vor allem in der Fähigkeit, die Artverschiedenheit zu erkennen und den Freund vom Feind zu unterscheiden.« (TS, 38; TS II, 42)

Dieser Begriff des Volkes beruhte stets und auch bei Forsthoff auf einer fundamentalen Ambivalenz in seinem Verhältnis zum Staatsbegriff. Einerseits sollte das Volk naturhaft sein, geschichtlich gebildet, nur erfahrbar, schicksalhaft, vorpolitisch, »kein durch menschliche Macht entstandenes Gebilde« (TS, 40 f.), sondern auf Sprache, Geschichte, Heimat und Rasse gegründet. Andererseits bedurfte diese Idee des Volkstums, da sie als gefährdet wahrgenommen wurde, jederzeit einer gewaltsamen Vollstreckung durch den Staat. So sprach Forst-

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176

E. Wolf, Richtiges Recht im nationalsozialistischen Staate, 1934, 24. G. Weippert, Umriß der neuen Volksordnung, 1933, 26. Ebd., 28. R. Craemer, Der Kampf um die Volksordnung, 1933; G. Weippert, Umriß der neuen Volksordnung, 1933. Siehe die umfassenden Nachweise bei R. Koselleck, Art. »Volk, Nation«, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, hrsg. v. O. Brunner u. a., 1992, 407 ff.

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hoff dem Staat die Aufgabe zu, »das Volk nicht nur zu erhalten, sondern es durch Ausmerzung aller undeutschen und das Deutschtum verfälschenden Beimischungen zu erneuern.«177 Was damit gemeint ist, zeigen die scharfen antisemitischen Konsequenzen, die Ernst Forsthoff aus seinem Begriff des Volkes zog. Mit ihnen gesellte er sich denen bei, die, aus angestauten Ressentiments vielfältiger Art gegen eine Minderheit oder aus Charakterlosigkeit, publizistisch den »Bürgerverrat«178 an den Juden begangen haben: Nicht nur schmähte er den »jüdischen Journalismus« (TS, 16; TS II, 19) und bezeichnete den Versailler Vertrag als ein Instrument des »internationale[n] Judentum[s]«, um »mit seiner Hilfe den deutschen Lebensraum weiter zu verengen« (TS, 48; TS II, 51). Es komme, schloß er aus seinem Volksbegriff, insbesondere darauf an, die »Artverschiedenheit dort zu erkennen, wo sie nicht durch die Zugehörigkeit zu einer fremden Nation ohne weiteres sichtbar ist, etwa in dem Juden, der durch eine aktive Beteiligung an dem kulturellen und wirtschaftlichen Leben die Illusion einer Artgleichheit und einer Zugehörigkeit zum Volke zu erwecken suchte und zu erwecken verstand.« (TS, 38; TS II, 42) Die bloße substantielle Artverschiedenheit steigere sich zur Feindschaft, »wenn Artverschiedene von ihrem Anderssein her den territorialen Lebensraum oder das Volkstum, den geistigen Lebensraum des Volkes antasten. Darum wurde der Jude, ohne Rücksicht auf guten oder schlechten Glauben und wohlmeinende oder böswillige Gesinnung zum Feind und mußte als solcher unschädlich gemacht werden. Erst wenn der Jude jeden Versuch einer Beteiligung an dem geistigen und politischen Dasein des deutschen Volkes aufgeben und sich ganz auf sein Judentum zurückziehen würde (wobei die Frage ist, ob er das wirklich in Zukunft will und vermag), erst dann würde der Jude zum bloß Artfremden werden und aufhören, der Feind zu sein.« (TS, 39; TS II, 43)

Darum habe die »Wiedergeburt eines deutschen politischen Volkes« den Juden die »letzte Hoffnung genommen, in Deutschland anders denn im Bewußtsein der Artverschiedenheit, also in dem Bewußtsein, Jude zu sein, leben zu können.« (TS, 38 f.; TS II, 42) Das gleiche galt für Kommunisten und Pazifisten (TS, 39). Die nationalsozialistische Führung sei darum berechtigterweise sogleich dazu geschritten, »in Vollziehung der Unterscheidung von Freund und Feind alle diejenigen auszumerzen, die als Artfremde und Feinde nicht länger geduldet werden konnten.« (TS, 40) Mit Recht seien allerdings die jüdischen Frontkämpfer verschont geblieben, »weil der Einsatz des Lebens im Kriege eine existentielle Zugehörigkeit zum deutschen Volke ebenso begründet, wie die Kriegsdienstverweigerung sie vernichtet.« (TS, 40) Auch polemisierte er gegen den »volks- und staatsgefährlichen Formalismus« im öffentlichen 177

178

E. Forsthoff, Der Totalitätsanspruch des Staates, in: Rheinisch-Westfälische Zeitung v. 6.10.1933, 2. E.-W. Böckenförde, Die Verfolgung der deutschen Juden als Bürgerverrat, in: Staat, Nation, Europa, 1999, 276 ff.

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Recht, der es dem Judentum ermöglicht habe, »jeden Versuch einer Unterscheidung zwischen Deutschen und Juden unter ein öffentliches Verdikt zu stellen und auf solche Weise als gleichberechtigte Glieder des deutschen Volkes aufzutreten«. Schließlich werde durch den Formalismus »die Unterscheidung von Deutschen und Juden sachlich negiert«.179 Wenn das Volk durch die »große Säuberungsaktion« (TS, 40) der nationalsozialistischen Regierung wieder auf sein eigenes Selbst, auf seine Artgleichheit zurückgeführt worden ist, konnte für Forsthoff das Volk wieder als das vorpolitisch Seinsmäßige gelten, wozu es eigentlich bestimmt war. Erst für dieses wiederhergestellte Volk stellte Forsthoff die Frage einer dem totalen Staat gemäßen Sozialordnung. Diese Frage schien umso dringender, als die Entwicklungen des Jahres 1933, die »Kassierung der Gewerkschaften, die Gleichschaltungen und Zusammenfassungen auf allen Gebieten des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens« (TS, 45) zwar den alten Interessenpluralismus oberflächlich beseitigt, aber noch keine neue Gliederung der Volksordnung gebracht hatten. Forsthoff glaubte, daß die Wendung zu dem in seinem Sinne totalen Staat nicht weniger bringen würde als die »Vollendung des Nationalstaates«, und zwar auf innenpolitischem Gebiet, daß jetzt endlich diejenige innere Ordnung der nationalen Gesellschaften geschaffen werde, die das Bürgertum ihnen ein Jahrhundert lang vorenthalten hatte. Der totale Staat sei »die einzig mögliche Daseinsform eines Staates im 20. Jahrhundert überhaupt«180. Dieses Jahrhundert, in das Deutschland mit der nationalsozialistischen Revolution eingetreten sei (TS, 48; TS II, 51), werde darum »das Jahrhundert der Innenpolitik« sein

179

180

E. Forsthoff, Der Formalismus im öffentlichen Recht, in: DR 4 (1934), 347 ff. Nicht immer beließ es Forsthoff bei Äußerungen: Er hatte im Jahre 1933 für das Archiv des öffentlichen Rechts eine Abhandlung über »Wesen und Aufgabe der Selbstverwaltung im neuen Staat« geschrieben (vgl. L. Becker, »Schritte auf einer abschüssigen Bahn«, 1999, 77), die vermutlich später zu einem Beitrag für das offiziöse Verwaltungsrecht Hans Franks umgearbeitet wurde (vgl. E. Forsthoff, Nationalsozialismus und Selbstverwaltung, in: Deutsches Verwaltungsrecht, hrsg. v. H. Frank, 1937, 176). Dann sah Forsthoff aber plötzlich »die Voraussetzungen für unsere fernere Mitarbeit am Archiv« entfallen (Ernst Forsthoff an Johannes Heckel, 14.7.1933, zit. n. L. Becker, »Schritte auf einer abschüssigen Bahn«, 1999, 86). Die Voraussetzung, das war, wie Forsthoff und Carl Bilfinger mit kaum verhohlener Begründung einforderten, die Entfernung Albrecht Mendelssohn Bartholdys von seiner Herausgeberschaft, was auch bald geschah; vgl. dazu neben Becker, ebd., 86 ff. auch G. Gantzel-Kress, Albrecht Mendelssohn Bartholdy, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 71 (1985), 142; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 302 mit Fn. 360; sowie E. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, 2005, 211. Für die Lösung Forsthoffs vom Archiv gibt Becker (ebd., 96 f., 100) als weiteres Motiv an, daß Forsthoff auf die Neugründung einer Zeitschrift durch Carl Schmitt wartete und sich von seinen Bindungen gegenüber der als traditionell geltenden Zeitschrift lösen wollte. E. Forsthoff, Liberaler und totaler Staat, in: Die Dt. Volkswirtschaft 1933, 425.

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und »den Nationen die ihnen gemäße, wirkliche Verfassung bringen, die mehr ist als ein bloßes Verfassungsgesetz […], die eine wirkliche, auf echten Rangverhältnissen beruhende Ordnung des geeinten Volkes sein muß.« (TS, 18; TS II, 21) Deshalb seien auch »die großen politischen Namen der neuesten Zeit […] der Innenpolitik verbunden: Adolf Hitler, Mussolini, Lenin und Stalin«. Sie stünden für die »Abkehr von allen Methoden bürgerlicher Expansion in der Außenpolitik, die in dem Versailler Diktat ihren hoffentlich letzten Triumph feierte.« (TS, 18 f.; TS II, 21 f.) Wie aber sah die Vollendung der Innenpolitik aus, die Forsthoff dem totalen Staat zutraute? Kaum einen Gedanken verschwendete er an einen echt ständischen Aufbau des Staates, wie er in Italien mit der carta del lavoro versucht wurde, wie er 1934 in Österreich propagiert werden sollte und wie er nicht wenigen Autoren auch in Deutschland langfristig vorschwebte.181 Forsthoff wußte sehr gut, daß die korporatistischen »Denkkategorien und Vorbilder […] der Zeit vor der nationalstaatlichen Epoche« entstammten und daß sie sich deshalb »durch einen stark doktrinaristischen, die Wirklichkeit verfehlenden Zug« kompromittierten (TS, 45). »Das rein ständestaatliche Ideal ist in einer Welt, die jene totale Revolutionierung des politischen Raumes erlebte, wie sie durch die Worte Nation und Demokratie bezeichnet ist, nicht mehr zu verwirklichen.« (TS, 46) Denn die Volksordnung müsse, wie Forsthoff 1934 ergänzte, »den modernen deutschen Menschen in allen seinen berechtigten Lebensbedürfnissen umschließen«. Diese Lebensbedürfnisse seien aber nun einmal nicht mehr die einer Agrargesellschaft, sondern die des technischen Zeitalters: »Dieses Volk ist nicht nur ein Bauernvolk, sondern auch und wesentlich ein Volk des Radios, des Sports, des Wochends, der Siedlungen, der Maschinenwerkstätten, der Autobahnen und als solches an besondere, wesentlich durch Technik und Maschine bestimmte Formen und Lebensbedürfnisse gebunden. Dieser außerordentlichen Mannigfaltigkeit muß eine wirkliche Volksordnung gerecht werden.« (TS II, 47)

Nein, der Weg zu einer neuen Sozialordnung lag für Forsthoff durchaus nicht in der korporatistischen »Technik der Organisation« (TS, 43), sondern in der Staatsethik. Die Stichworte, die diese Ethik bezeichnen, sind »Verantwortung«, »Gesinnung« und »Arbeit«. Es ging darum, die totale Mobilmachung nun wirklich total, das heißt bis zum einzelnen hin zu vollziehen und damit das zu schaffen, was Ernst Jünger die »Demokratie des Todes« genannt hatte und was Forsthoff mit dem Motto aus Goethes Drama Pandora zum Ausdruck bringen wollte: »Nur Waffen schafft! Geschaffen habt ihr alles dann, / Auch derbster Söhne übermäßigen Vollgenuß.« Forsthoff übersetzte: »Der totale Staat muß der Staat der totalen Verantwortung sein. Er stellt die totale Inpflichtnahme jedes einzelnen für die Nation dar. Diese Inpflichtnahme hebt den privaten Charakter

181

Siehe nur A. Mazzacane (Hrsg.), Korporativismus in den südeuropäischen Diktaturen, 2005.

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der Einzelexistenz auf. In allem und jedem, in seinem öffentlichen Handeln und Auftreten ebenso wie innerhalb der Familie und häuslichen Gemeinschaft verantwortet jeder einzelne das Schicksal der Nation. Nicht daß der Staat bis in die kleinsten Zellen des Volkslebens hinein Gesetze und Befehle ergehen läßt, ist wesentlich, sondern, daß er auch hier eine Verantwortung geltend machen kann, daß er den einzelnen zur Rechenschaft ziehen kann, der sein persönliches Geschick nicht dem der Nation völlig unterordnet. […] Das eigentliche, tragende Fundament des neuen Staates ist eine neue Staatsgesinnung, die bereitwillige Aufgabe der bisherigen privaten Existenz und die Unterstellung unter das innerlich bejahte neue, totale Lebensgesetz des Staates.« (TS, 42 f.; TS II, 46)

Sichtbares äußeres Zeichen dieser neuen gesinnungshaften Grundlage des Staates war für Forsthoff die am 10. Mai 1933 aus der Gleichschaltung der Gewerkschaften entstandene Deutsche Arbeitsfront. Forsthoff fand sie insofern beispielhaft, als sie durch die Form einer öffentlichen Korporation »dem Staate in besonderer Weise angegliedert [ist], ohne in ihm aufzugehen« (TS, 46). In dieser relativen Selbständigkeit einer durch Geist und Gesinnung dem Staat verbundenen Sozialordnung lag demnach das mustergültige Prinzip der neuen Sozialverfassung: »Die ständische Ordnung wird eine berufsständische sein. Das heißt, sie wird das Volk in seiner verrichtungsmäßigen Differenzierung widerspiegeln und wird die besonderen beruflichen Interessen nicht als partikulare, isoliert gesehene Interessen, sondern in der Mäßigung, wie sie eine totale Verantwortung auferlegt, vertreten und durchsetzen. Die berufsständischen Verbände werden eine totale Arbeitsfront bilden, in ihnen wird der Geist zur Form finden, der in den gewaltigen Aufmärschen des ersten Mai, in denen Deutsche aller Berufe Schulter an Schulter marschierten und sich im Bekenntnis zum nationalen Arbeitsstaat vereinigten, einen mitreißenden und unvergeßlichen Ausdruck fand.« (TS, 46)

Unter expliziter Berufung auf Ernst Jüngers Arbeiter bezeichnete Forsthoff den nationalsozialistischen Staat deshalb als einen »totale[n] Arbeitsstaat«. Das bedeutete: »Sein Ethos erwächst aus der Arbeit und dem Schaffen, die Gemeinschaft dieser Nation ist eine Gemeinschaft des Dienstes und der Leistung, die aufgehört haben, bloße geistige oder bloße körperliche Verrichtungen zu sein, die in einen geistig-politischen, um nicht zu sagen kultischen Rang erhoben sind.« (TS, 47) Die auf diese Weise hergestellte »Gemeinschaft der Schaffenden« (TS, 47; TS II, 49) im Arbeitsdienst sollte für den totalen Staat zweierlei sein: eine der totalen Mobilmachung dienende Kraftreserve und ein Mittel der Erziehung: »Seine erzieherischen Wirkungen liegen in nichts anderem als in der Gemeinsamkeit des Arbeitens. Wer den Glauben nicht teilt, daß aus dieser Gemeinsamkeit eine Gesinnung erwächst, die diesen Staat, den Arbeitsstaat trägt, daß die gemeinsame Arbeit die durch erzwungenen Müßiggang aus der Bahn geworfenen jungen Leute zu disziplinierten und gemeinschaftswilligen Menschen umprägt, der gebe jede Bemühung um den Arbeitsdienst auf.« (TS, 47; TS II, 49)

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V. Sinnstiftung und Propaganda Zumindest was die Erstfassung von 1933 betrifft, sind Forsthoffs Intentionen nach alledem eindeutig identifizierbar. Er erkannte die revolutionäre Legitimität der nationalsozialistischen Staatsführung als unhintergehbare Grundlage jeder noch möglichen Staatstheorie an. Mehr noch: In ihr sah er den jungkonservativen Kampf gegen die Weimarer Republik, gegen Demokratie, Liberalismus, Pluralismus, Parteienstaat und Parlament zum Sieg geführt. Der Nationalsozialismus war ihm eine Bestätigung dessen, wofür die konservativrevolutionären Kräfte seit 1919 gekämpft hatten. Auf der Basis dieser grundsätzlichen Zustimmung versuchte Forsthoff, gegenüber dem politischen Selbstverständnis der nationalsozialistischen Bewegung einige Vorbehalte anzubringen. Aus diesen Vorbehalten ist zu schließen, daß er es offenbar 1933 noch für möglich hielt, die neue Staatsführung auf die in jungkonservativen Kreisen in den Jahren nach 1930 entstandenen Ideen zur künftigen Ordnung des Reiches zu verpflichten.182 Das gilt insbesondere für die im konservativen Denken so unendlich wichtige Idee des Reiches als »Ausdruck der Einigkeit« (R. Borchardt) 183. Forsthoff glaubte daran, daß das Deutsche Reich, »das unzerstörbare Erbe Bismarcks«184, in alter Größe, nach innen durch Volkstum und Christentum geeint, als große hegemoniale Macht in der Mitte Europas185 noch einmal entstehen könnte, wenn es erst die politischen und sozialen Folgen des Weltkriegs hinter sich gelassen hätte. Zu seinen Vorbehalten zählte ferner die unbedingte Überordnung des Staates als einer objektiven, dem politischen Augenblick entzogenen Institution über Partei und Bewegung. Ebenso die Skepsis gegenüber einem plebiszitären Diktator und die Option für einen aristokratischen Führerstand. Hierzu gehörte schließlich auch die von Schmitt in der Endphase der Weimarer Republik verfassungspolitisch forcierte Aufhebung der subjektiven Autonomieansprüche der Gesellschaft und ihre autoritäre Ersetzung durch institutionelle Garantien historisch gewachsener sozialer Ordnungsbereiche, die noch nichts mit der souveränen Diktatur zu tun hatte. Der totale Staat war in allen diesen Fragen eine Bündelung von Thesen und Forderungen, die schon vor 1933 von konservativ-revolutionären Autoren erhoben worden waren.186 Im engeren Sinne enthielt er das gemeinsame Programm der Gruppe um Wilhelm Stapel und Carl Schmitt, die sich schon 1932 zu einer »Politischen Führertagung« getroffen hatten, die seitdem mit einer

182 183 184

185

186

H. H. Klein, »Der totale Staat«, in: Ernst Forsthoff, hrsg. v. W. Blümel, 2003, 27. R. Borchardt, Das Reich als Sakrament, in: Was ist das Reich?, hrsg. v. F. Büchner, 1932, 71. E. Forsthoff, Die Gliederung des Reiches (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Was wir vom Nationalsozialismus erwarten, hrsg. v. A. E. Günther, 1932, 81. E. Forsthoff, Der Totalitätsanspruch des Staates, in: Rheinisch-Westfälische Zeitung v. 6.10.1933, 2. So auch A. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, 1995, 458 ff.

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gewissen Geschlossenheit auftraten187 und zu der neben Forsthoff auch Ernst Rudolf Huber, Rudolf Craemer, Albrecht Erich Günther, Benno Ziegler und Friedrich Vorwerk gehörten.188 Völlig zu Recht hat Armin Mohler den Totalen Staat daher als »eine der zentralen Standortbestimmungen der Konservativen Revolution gegenüber dem Nationalsozialismus«189 bezeichnet. Nicht weniger zutreffend ist aber auch das Urteil Hasso Hofmanns, Forsthoffs Schrift enthalte »bis in alle Einzelheiten eine getreuliche Nachzeichnung der Konsequenzen aus Schmitts Verfassungstheorie und seine politische Doktrin«190. Richtig ist dieses Urteil jedoch nur für Schmitts Verfassungstheorie bis zum Jahr 1933. Es gilt nicht mehr für seine erste Gesamtdeutung des Nationalsozialismus und die Schrift Staat, Bewegung, Volk (1933), in der sich der vielzitierte Satz findet, am 30. Januar 1933 sei Hegel gestorben.191 Der Vergleich zwischen diesen beiden Verfassungsanalysen des Nationalsozialismus zeigt tiefgreifende Unterschiede: Carl Schmitt hat die prinzipielle Tragweite der Vorgänge des Jahres 1933 ohne Zweifel viel schneller, viel klarer und viel richtiger gesehen als Forsthoff und hat sich auch nicht der Träumerei von einer harmonischen Koexistenz von dynamischer Bewegung und preußischem Beamtenstaat, und schon gar nicht der Hoffnung auf eine Erneuerung des christlichen Reichsgedankens hingegeben. Schmitt hat von Beginn an einkalkuliert, daß der Nationalsozialismus die Preisgabe des Staates und aller staatsbezogenen Kategorien des öffentlichen Rechts bedeuten würde. Forsthoffs Begriff des totalen Staates erweist sich demgegenüber eigentlich als ein Widerspruch in sich, als das Gegenteil von »Totalität«: als Kompromiß. Als Kompromiß zwischen der im Prinzip anerkannten Führerstellung der Bewegung einerseits und möglichst vielen Elementen des autoritären Verwaltungsstaates andererseits. Die häufige Ineinssetzung der Begriffe des »autoritären« und des »totalen« Staates zeigt dies besonders deutlich (TS, 30 u.ö.). Der Kompromißcharakter zeigt sich exemplarisch auch an Sätzen wie diesem: »die Totalität des Politischen muß in dem totalen Staat ihre Form finden.« (TS, 29; fehlt in TS II) Was Form hat, kann aber nicht total sein. Dieser Kompromiß war – unabhängig von der tatsächlichen politischen Lage des Jahres 1933 – schon metapolitisch zum Scheitern verurteilt. Denn der Begriff des »totalen Staates« hatte mit der spätbürgerlichen »Gesellschaft« seinen dialektischen Gegensatz verloren. Ihn nach 1933 teilweise auf die »totale Partei« als Gegensatz umzustellen, war unmöglich, weil zwei »Totalitäten« entweder nicht total oder nicht dialektisch gegensatzfähig sind. Es bleibt daher richtig,

187 188 189

190 191

A. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, 1995, 458. Ebd., 165. A. Mohler/K. Weißmann, Die konservative Revolution in Deutschland 1918–1932, 62005, 485. H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, 1964, 118. C. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, 1933, 32.

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was Ulrich Storost über die Aporie gesagt hat, an der Forsthoffs Begriff des totalen Staates leidet: »In [der] Aporie des Versuchs, das aristokratisch-monarchische Modell des autoritären Staates durch das Nadelöhr einer massendemokratisch legitimierten Diktatur hindurch zu verwirklichen, liegt das Dilemma von Forsthoffs Theorie des totalen Staates: Im Widerspruch zwischen politischem Anspruch – konservativer Bewahrung gewachsener Ordnungen – und dem einzig denkbaren politischen Mittel dazu – dem revolutionären Umsturz der bestehenden Verfassungsordnung – wird diese Theorie unfähig, den Umschlag einer kommissarischen in eine souveräne Diktatur zu definieren oder gar zu verhindern. Sie birgt so – gewiß noch ohne Anschauung von einem wirklich totalitären Regime – den Totalitarismus in sich, ohne ihn eigentlich zu wollen.«192

1. Die Neubearbeitung des Totalen Staates im Sommer 1934 Das änderte sich mit der zweiten, vollständig umgearbeiteten Fassung des Totalen Staates von 1934. Die erste Fassung war nicht auf allgemeine Zustimmung gestoßen. Während Wilhelm Stapel sie »denen, die innerlich mit dem neuen Staat nicht fertig werden« im Deutschen Volkstum als eine »Missionsschrift von Rang für den Hitler-Staat«193 empfohlen hatte, wurde sie von Alfred Rosenberg im Völkischen Beobachter, aus Sicht der Parteiideologie völlig zurecht, als überwundener Etatismus angegriffen, ohne allerdings Forsthoff explizit zu nennen.194 Roland Freisler sekundierte ihm in der Deutschen Justiz. Der Ausdruck sei »für diesen nationalsozialistischen Staat sowohl nach seinem Wesen als auch nach seiner Stellung zu Volk und Bewegung ungeeignet«, denn total sei nicht der Staat, sondern die Weltanschauung.195 Aber nicht nur die parteiamtliche Kritik schloß es aus, die Schrift noch einmal unverändert in den Druck zu geben. Die politische Situation hatte sich, als Forsthoff die Überarbeitung abschloß, gegenüber dem Frühsommer 1933 im Hinblick auf Forsthoffs Thesen durchgreifend verändert. Das neue Vorwort ist auf den 31. Juli 1934 datiert, also zwei Tage vor dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Die von Forsthoff bestrittene Einheit von Staat und Partei war im Dezember 1933 gesetzlich eingeführt worden,196 die Deutsche Arbeitsfront wurde nicht etwa Teil der vorpolitischen »Volksordnung«, sondern im Januar 1934 Teil der NSDAP,197 und die Verfolgung der Juden hatte nunmehr gegenüber dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamten192 193 194 195

196 197

U. Storost, Staat und Verfassung bei Ernst Forsthoff, 1979, 63. W. Stapel, Buchbesprechung, in: Dt. Volkstum 1933, 750. A. Rosenberg, Totaler Staat?, in: Völkischer Beobachter v. 9.1.1934, 1 f. R. Freisler, Totaler Staat? – Nationalsozialistischer Staat!, in: Deutsche Justiz 1934, 43 f. Gegen Forsthoffs Begriff des totalen Staates auch, wenn auch aus ganz anderen Gründen, H. Herrfahrdt, Politische Verfassungslehre, in: ARSP 30 (1936/37), 109 f. Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat v. 1.12.1933, RGBl. I, S. 1016. Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit v. 20.1.1934, RGBl. I, S. 45.

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tums eine neue Qualität erreicht. Nun ging es nicht mehr nur um ihre Herausdrängung aus öffentlichen Ämtern, sondern auch um ihre bürgerliche Rechtsstellung. Schließlich lag zwischen der ersten und der zweiten Fassung auch die Mordaktion vom 30. Juni 1934, auf die Forsthoff noch Bezug nahm (TS II, 10). Ihr waren nicht nur Ernst Röhm und die SA-Führung zum Opfer gefallen, sondern auch Kurt von Schleicher, Ferdinand von Bredow oder Edgar Julius Jung. All dies wußte Forsthoff bei der Umarbeitung. Gerade die Beseitigung der konservativen Opposition mußte, wenn sie auch von Hitler propagandistisch geschickt marginalisiert wurde,198 jeden Zweifel über den Charakter des Regimes eigentlich beseitigen. Die Lemuren hatten sich spätestens jetzt zu erkennen gegeben. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen sind in der zweiten Fassung alle 1933 noch gemachten Vorbehalte bis auf kleine Reste beseitigt. Ernst Forsthoff verteidigte sich nun gegen die Kritik an einer angeblich etatistischen Formel. Dabei wies er darauf hin, daß auch Hitler schließlich in seinen Reden die Formel vom totalen Staat gebraucht habe (TS II, 10). Die These von der essentiellen Verschiedenheit von Staat und Bewegung, die vor allem den Anstoß von Freisler und Rosenberg erregt hatte, gab Forsthoff nun sang- und klanglos auf. Zumindest wurden die Vorbehalte gegen die Einheit von Staat und Partei und die Identität der staatlichen Herrschaftsordnung mit der »in der Kampfzeit bewährten Führungsordnung der nationalsozialistischen Bewegung« bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt (TS II, 35), ja diese Einheit im Gegenteil als »das Werk einer überlegenen Staatskunst« (TS II, 36) gefeiert. Eine Staatskunst wohlgemerkt, deren Meisterstück das »Vorgehen des Führers gegen die aufrührerischen SA-Führer« am 30. Juni 1934 war, in dem die »unlösliche« Einheit besonders augenfällig geworden sei (TS II, 10). Diese Einheit sei »eine geistigpolitische und bedeutet die Verbindlichkeit der nationalsozialistischen Weltanschauung und Programmatik für den Staat in allen seinen Daseinsäußerungen.« (TS II, 36) Forsthoff ersetzte die Unterscheidung von Staat und Bewegung nun durch die Unterscheidung von Führung und Berufsbeamtentum. Das Berufsbeamtentum nehme, meinte Forsthoff apodiktisch, »an der Führungsordnung nicht teil.« Die Bürokratie habe »im nationalsozialistischen Staat eine eigene, ihren Struktur- und Arbeitsgesetzen gemäße, unentbehrliche Funktion.« (TS II, 39) Für diese Eigenständigkeit berief er sich nun aber nicht mehr wie zuvor auf das institutionelle Eigenethos des Staates, auf »Gesetz, Tradition und Ordnung«, sondern auf die Bürokratiesoziologie Max Webers.199 Dieser letzte Vorbehalt fällt im Gesamtzusammenhang der Schrift indessen kaum ins Gewicht; er war 198 199

J. C. Fest, Hitler, 1973, 644 ff. TS II, 40: »Dieses zur Sachtreue gewandelte Berufsethos machte es möglich, das Berufsbeamtentum nach gründlicher Säuberung und Reform in den nationalsozialistischen Staat zu überführen. In dieser Sachtreue liegt der Wert und die Grenze der modernen bürokratischen Verwaltung beschlossen.«

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zu schwach und zu wenig überzeugend begründet.200 Mit der Preisgabe der Unterscheidung von Staat und Partei entfiel folgerichtig auch das aristokratische Idealbild, das diese Unterscheidung getragen hatte. Alle Hinweise auf eine neue Elite, eine »überragende Schicht« wurden getilgt und durch den vagen, aber begrenzend gemeinten Hinweis ersetzt, daß die Partei nunmehr »in die Sphäre der unmittelbaren geschichtlichen Verantwortung einbezogen«, daß Hitler selbst nunmehr »Walter des Jahrtausende alten deutschen Staatstums« geworden sei und daß ihm damit die »Verantwortung für die geschichtliche Existenz des deutschen Volkes« obliege (TS II, 35). Im nationalsozialistischen Sinne verschärft wurde auch der Abschnitt über die Volksordnung. Nun hieß es, die Volksordnung sei »grundsätzlich vorpolitisch. Ihre rassischen und geschichtlichen Vorbedingungen, die Lebensgesetze der Familie und des Bauerntums, die Stellung der Frau in einem geordneten politischen Gemeinwesen, die Jungmannschaft und ihre disziplinären Ordnungen – alles das sind vorpolitische Ordnungszusammenhänge, die keine politische Gestaltung straflos zerstören kann.« (TS II, 33) Im Hinblick auf diese »Ordnungszusammenhänge« waren inzwischen jedoch Regelungen in Kraft oder vorhersehbar, die weit über das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums hinausgingen: Forsthoff spekulierte über ein allgemeines Verbot von Mischehen, referierte das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses 201 und das Reichserbhofgesetz 202, das »an den Bauernstand die Anforderung rassischer Reinheit gestellt« hatte (TS II, 44). »Vor allem hat aber die planmäßige Aufklärung des Volkes in Rassefragen durch Staat und Partei in dem Volk ein lebendiges Rassebewußtsein wachgerufen, das die wirksamste Sicherung gegen eine Verfälschung der deutschen Rasse darstellt.« (TS II, 44 f.) Die seit 1933 legale Möglichkeit der Ausbürgerung »Unerwünschter« einschließlich der Konfiskation ihres Vermögens203 kommentierte Forsthoff mit den Worten: »Es gibt wieder Parias in Europa. Stets wenn sich echte politische Gemeinschaften bilden, erfolgt die Ausscheidung von Parias, die in der bürgerlichen Epoche darum nicht anzutreffen sind […].« (TS II, 43 f.) Ausgerechnet hier argumentierte Forsthoff auf einmal genuin naturrechtlich: »Die Erfahrung der Gegenwart und Vergangenheit lehrt, daß es zu allen Zeiten Individuen gegeben hat, die sich ihrer volklichen Bindung entziehen. Die Aberkennung der Volkszugehörigkeit durch den Staat bedeutet nichts anderes als die formelle Bestätigung einer bereits gegebenen Tatsache: daß der Betreffende sich bereits außerhalb der volklichen

200

201 202 203

Siehe J. Kersten, Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, in: Der Staat 44 (2005), 549. Gesetz v. 14.7.1933, RGBl. I, S. 529. Gesetz v. 29.9.1933, RGBl. I, S. 685. Eingeführt durch das Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit v. 14.7.1933, RGBl. I, S. 480.

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Gemeinschaft gestellt hat […]. Der Staatsakt, durch den die Aberkennung ausgesprochen wird, hat darum nicht den Charakter einer Strafe, er ist lediglich deklaratorisch, nicht konstitutiv, deshalb ist er auch unwiderruflich.« (TS II, 44)

Die Eigenart des totalen Staates als »Arbeitsstaat« hob Forsthoff nun noch schärfer hervor und bezeichnete ihn als »deutschen Sozialismus«, der »der mit der Industrialisierung eingetretenen Vermassung entgegenwirken« müsse (TS II, 48). Auch dies war eine sehr verbreitete Bezeichnung, die auf Oswald Spengler 204 und Arthur Moeller van den Bruck 205 zurückging und die unter anderem Werner Sombart 206 und Ernst Rudolf Huber 207 für den Nationalsozialismus gebrauchten. Machte Forsthoff auf diese Weise die Hoffnung auf eine Versöhnung von technisch-industrieller Welt und Nationalismus im Sinne Ernst Jüngers zu einem wesentlichen Impuls seiner Idee der neuen Volksordnung, so strich er doch andererseits den Hinweis auf den mittlerweile bei Joseph Goebbels angeeckten Autor des Arbeiters (TS II, 49).208 2. Die Zwischenkriegszeit in Text und Bild Die zweite Fassung des totalen Staates hat daher keineswegs, wie behauptet wurde, den »erkennbar resignativen […] Charakter einer Deutung« 209. Ganz im Gegenteil: Sie ist eine Anpassung in jeder Hinsicht. Von Resignation oder einem Rückzug kann schon deswegen keine Rede sein, weil Forsthoff dies ganz anders hätte zum Ausdruck bringen können. Er hätte nur zu schweigen brauchen. Aber Forsthoff schwieg nicht nur nicht, sondern ließ dem Totalen Staat ein Jahr später ein weiteres, mindestens ebenso propagandistisches Werk folgen. In einem kleinen Band mit dem Titel Deutsche Geschichte seit 1918 in Dokumenten, der im Alfred Kröner-Verlag in hoher Auflage erschien und 1938 und 1943 noch zweimal neu aufgelegt wurde, illustrierte Forsthoff die historische Mission des totalen Staates. Das Buch ist – trotz seines etwas blutleeren Titels – eines der zeitgeschichtlichen Quellen-, Dokumentations- und Unterhaltungswerke, wie sie damals gerade sehr in Mode gekommen waren. Ernst Jünger etwa hatte schon 1929 mit der Sammlung Der Kampf ums Reich etwas ähnliches vorgelegt; vergleichbar ist auch die Sammlung Das Gesicht der Demokratie (1931) von Edmund Schultz. Die Quellensammlung behandelt in der ersten Fassung die Zeit zwischen der Novemberrevolution 1918 und dem Tod Hindenburgs im August 1934,

204 205 206 207 208 209

O. Spengler, Preußentum und Sozialismus, 1920, 4. A. Moeller van den Bruck, Das dritte Reich (1922), 31931, 67. W. Sombart, Deutscher Sozialismus, 1934. E. R. Huber, Die Gestalt des deutschen Sozialismus, 1934. Vgl. H. H. Klein, »Der totale Staat«, in: Ernst Forsthoff, hrsg. v. W. Blümel, 2003, 32. Ebd., 27.

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enthält aber kaum »offizielle« Quellen. Vielmehr versammelte Forsthoff eine große Palette an Zeitzeugnissen in einem sehr breiten und alltäglichen Sinne. Neben Gesetzen, Reden und Parteiprogrammen finden sich Gerichtsurteile, Flugblätter, Aufrufe, Vorträge, Zeitungsartikel, Briefe, Vereinssatzungen, Schaubilder und Tabellen, Auszüge aus Tagebüchern, literarischen und wissenschaftlichen Werken und dergleichen mehr. Zwischen den Texten stehen jeweils kurze erläuternde Hinweise Forsthoffs, zugeschnitten auf den allgemein Gebildeten und politisch Interessierten. Dramaturgisch ist die Zusammenstellung bemerkenswert geschickt, fast romanhaft. Sie ist aufgelockert durch eine große Zahl von Bildtafeln, die das Vorbild der Jüngerschen Dokumentationen besonders deutlich machen. Fast ausnahmslos sind Szenen aus der totalen Mobilmachung zu sehen: Spartakisten und Freikorps, Separatisten und Kampfbünde, Aufmärsche, Heldengedenken, SA, Reichsparteitag, sowie Beschaulichkeiten aus dem Deutschen Arbeitsdienst. Der Völkische Beobachter empfahl Forsthoffs Quellensammlung folgerichtig auch als ein »für jegliche nationalpolitische Schulung in den Gliederungen der Partei, im Arbeitsdienst und in den Schulen […] wertvolles Hilfsmittel.«210 Ähnlich urteilte Erich Maschke im Reichssender Königsberg.211 Der Zweck des Buches bestand, laut Vorwort, darin, »der Jugend« und dem »politische[n] Mensch[en] unserer Tage, der den Leidensweg des deutschen Volkes von Weimar und Versailles bis Potsdam bewußt mitgegangen ist«, die Erinnerung an die Nachkriegszeit wachzuhalten: als »Jahre des Niedergangs, der Schande und der Ohnmacht«, aber auch als »Jahre der Sammlung, langsamer innerer Reifung und der Erhärtung der nationalsozialistischen revolutionären Kräfte im Kampfe mit den Mächten der Zerstörung.« (DGD, xi). So finden sich in diesem Werk auch sämtliche einschlägigen Klischees über Fall und Erhebung Deutschlands bedient: über den Völkerbund und die Reparationspolitik, über der Parteienstaat, Parteilegenden der NSDAP (DGD, 199 ff.), den Mythos des Arbeiters (DGD, 256), über »das Bauerntum, die biologische Kraftreserve des deutschen Volkes« (DGD II, 416) und den ständischen Aufbau der Volksgemeinschaft (DGD, 269 ff.). Insbesondere aber ritt Forsthoff wiederum scharfe Attacken gegen die Juden und die Träger des »Weimarer Geistes«. So leitete er den Abschnitt über »Blut und Boden« ein mit dem Hinweis auf das Judentum als einen »vom deutschen Volk grundverschiedene[n] rassische[n] Fremdkörper« (DGD, 290), wozu er neben einer Rede Alfred Rosenbergs und Parteidokumenten das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und das

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Ohne Fundstelle abgedruckt auf einer der zweiten Auflage beigegebenen Bauchbinde des Alfred-Kröner-Verlags. Wilhelm Stapel stellte in seiner Besprechung ganz auf den Unterhaltungswert der Sammlung ab, vgl. St., Buchbesprechung, in: Dt. Volkstum 17 (1935), 725. E. Maschke, Bücherstunde: Deutschland, Ts., gesendet am 16.5.1935 im Reichssender Königsberg, NL Forsthoff: »Wer sich in sie vertieft, wer sie liest als ein Ganzes und als eine Einheit, der spürt die Geschlossenheit der Welt, die hier gebaut wird.«

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Erster Teil: Einflüsse und Entwicklungsbedingungen

Erbhofgesetz aufnahm. Dem folgt ein längerer Abschnitt über die Kulturpolitik, und zwar jene des Weimarer kontrastiert mit der des nationalsozialistischen Staates, beginnend mit Gerhart Hauptmann und Thomas Mann. Dessen Deutsche Ansprache von 1930 (DGD, 308 ff.) nannte Forsthoff ein »geradezu klassisches Zeugnis bürgerlich-bildungsmäßiger Selbstgefälligkeit und Verständnislosigkeit für die echten politischen Regungen des deutschen Volkes«, während er im Zusammenhang mit Kurt Tucholsky von »widerwärtigen Auslassungen eines substanzlosen Literatentums jüdischer Herkunft« sprach (DGD, 306). Den Rest des Abschnitts nehmen kulturpolitische Reden von Hitler und Goebbels ein, der Briefwechsel zwischen dem Reichspropagandaminister und Wilhelm Furtwängler sowie, am Schluß, Auszüge aus Heideggers Rektoratsrede, in der Fassung von 1938 neben dem Aufruf der Deutschen Studentenschaft »Wider den undeutschen Geist« vom Sommersemester 1933.212 Diese Abschnitte sind in den folgenden Auflagen, die 1938 und 1943 erschienen, erheblich erweitert worden, wie überhaupt das Buch von der ersten bis zur letzten Auflage mehr als zweihundert Seiten dicker wurde, während die teuren Bildtafeln verschwanden. Die Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des nationalsozialistischen Schrifttums führte das Werk seit der zweiten Auflage in ihrer NS-Bibliographie. Das bedeutet freilich zugleich, daß Forsthoff das nochmalige Erscheinen des Werkes 1943 nicht einfach als Bekenntnis zum Nationalsozialismus ausgelegt werden kann. Er kam damit einer vom Oberkommando der Wehrmacht an den Verlag herangetragenen Bitte nach,213 die er kaum hätte ausschlagen können. Zeitlich ist die Darstellung in der zweiten Auflage um einen neuen vierten Teil »Auf dem Weg zum volksdeutschen Reich« ergänzt, der den Anschluß Österreichs behandelt. Der Blut-und-Boden-Abschnitt wurde nun fortgeschrieben bis zu den Nürnberger Gesetzen, in denen »die Rassengesetzgebung ihren Abschluß gefunden« habe (DGD II, 410, 410 ff.), der kulturpolitische Teil unter anderem um Hitlers Rede über Entartete Kunst erweitert (DGD II, 440 f.). In der dritten und wiederum erweiterten Auflage hingegen, Anfang 1943 erschienen, wiederum ohne Bilder und auf billigstem Kriegspapier gedruckt, führte Forsthoff die Darstellung nicht erneut bis zur Gegenwart fort. Auch änderte er den Titel in Deutsche Geschichte von 1918 bis 1938 in Dokumenten. Denn: »Was nachfolgt, insbesondere die Auseinandersetzungen mit der Tschechoslowakei, gehört bereits der Vorgeschichte des gegenwärtigen Krieges an.« (DGD III, vii)

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Siehe E. Faye, Heidegger, l’introduction du nazisme dans la philosophie, 2005, 92 ff. So jedenfalls Ernst Forsthoff in einer »Eidesstattlichen Erklärung« zum Buch Deutsche Geschichte in Dokumenten vom 9.3.1946, Sammlung Gerd Giesler.

Zweites Kapitel: Der totale Staat

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VI. Totaler Staat, Richter und Rechtsprechung Wenn bisher von Forsthoffs Vorstellung des totalen Staates die Rede war, so blieb dabei eine Frage beständig ausgeklammert: Was bedeutete der Übergang von der Republik zum totalen Staat für den Juristen, was speziell für die Aufgabe von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung? Welche juristischen Interpretationsprobleme konnte das Recht des totalen Staates neben den Gesinnungsfragen überhaupt noch aufwerfen? Diese Fragen sind Schlüsselfragen, will man verstehen, weshalb Forsthoff die Theorie des totalen Staates nach 1934 aufgegeben hat. Zunächst einmal war, wie Forsthoff selbst sogleich feststellte, die Verfassungsfrage des bürgerlichen Rechtsstaates mit der Revolution »erledigt«. Die Verfassung des Führerstaates stelle die Wissenschaft nicht mehr vor jene »Interpretationsprobleme, wie sie das Verfassungsgesetz von Weimar enthielt«, und alle an die spezifische Verfassungsordnung des bürgerlichen Rechtsstaates gebundenen Institute und Begriffe des öffentlichen Rechts seien fortan nicht mehr »erörterungsbedürftig«.214 Man mag diese Aussagen als eine die Situation des Jahres 1935 fraglos treffende Feststellung nehmen. Doch sie bedeuteten weit mehr. Mit der Verfassung, ihrer Auslegung und ihrer strukturprägenden Bedeutung für das gesamte öffentliche Recht war für Ernst Forsthoff die bürgerliche Form des juristischen Denkens überhaupt im Kern getroffen. Dieser Bruch mit dem juristischen Normativismus war von Anfang an im Begriff des totalen Staates mit bedacht und einkalkuliert. Der totale Staat könne nämlich seine Aufgabe nur erfüllen durch den »Bruch mit dem überkommenen formalisierten Rechtsnormensystem«215, also durch die Zerstörung des dem Rechtsstaat eigenen Formalrechts, dessen geistigem Zusammenhang mit der bürgerlichen Epoche Forsthoff 1934 einen besonders polemischen Artikel widmete.216 Der Formalismus, sprich: die Abstraktion der Normen von allen seinsmäßigen, substanzhaften Voraussetzungen der konkreten Rechtsgemeinschaft, habe »im Dienste des liberal-humanitären politischen Gestaltungswillens« und der »Zerstörung der völkischen Basis jeder Gemeinschaftsordnung« gestanden:217 »Die politische Wirksamkeit des Formalismus beruht auf dem Verzicht auf sachliche Unterscheidung. So wird die Unterscheidung von Deutschen und Juden sachlich negiert in dem formalen Begriff des ›Deutschen im Rechtssinne‹, so wurde der Krieg geächtet in einer Zeit,

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E. Forsthoff, Von den Aufgaben der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 398; ders., Das neue Gesicht der Verwaltung und die Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 331. E. Forsthoff, Recht, Richter und nationalsozialistische Revolution, in: Dt. Adelsblatt 1933, 715. E. Forsthoff, Der Formalismus im öffentlichen Recht, in: DR 4 (1934), 347 ff. Ebd., 347.

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Erster Teil: Einflüsse und Entwicklungsbedingungen

die sachlich zwischen Krieg und Frieden nicht mehr zu unterscheiden vermag, so wurde die Freiheit der Kunst und der Wissenschaft proklamiert, ohne Kunst und Wissenschaft von Demagogie und geistiger Libertinage zu unterscheiden, so wurden formale Deliktstatbestände geschaffen, die in formalistischer Anwendung den Femerichter zum Mörder, die Jugendgruppe, die eine Fahne erobert, zu einer Horde von Dieben macht.«218

Überhaupt habe das bürgerliche Denken die Frage nach der übergreifenden sozialen Gerechtigkeit des Rechts durch »formal-organisatorische Garantien eines gewaltenteilenden Verfassungssystems« ersetzt. Der bürgerliche Begriff des gerechten Rechts sei gleichbedeutend mit einer ökonomischen Garantie des status quo und der »bloßen Legalität«.219 Gerechtigkeit sei damit zu einem der Rechtsordnung bloß Äußerlichen geworden. Deshalb sei die Überwindung des Formalismus die »vornehmste Aufgabe der nationalsozialistischen Rechtserneuerung«.220 An seine Stelle habe ein juristisches Denken zu treten, das echte Unterscheidungen zu treffen vermag, das »seinen Ausgang von den fundamentalen Ordnungen des völkischen Lebens nimmt« und das deswegen »alle sachlichen Besonderungen von der politischen Gesamtorientierung aus in ihrem Wert oder Unwert zu würdigen versteht«.221 Nach diesen Prämissen bestimmte Forsthoff auch die Stellung der Justiz zum nationalsozialistischen Staat. Dabei lehnte er sich eng an die Programmschriften seines Frankfurter Kollegen Heinrich Henkel an.222 Die formalisierte Unabhängigkeit der Justiz habe, so meinte Forsthoff, nur im Zusammenhang des bürgerlichen Rechtsstaats ihre Bedeutung gehabt, solange der unabhängige Richter »Garant des status quo, d. h. des bürgerlichen Primats in der kapitalistischen Wirtschaft« gewesen sei.223 Deshalb könne die richterliche Unabhängigkeit im Sinne der rechtsstaatlichen Verfassungen im nationalsozialistischen Staat nicht mehr anerkannt werden. Im totalen Staat könne auch die Rechtsprechung nicht mehr als eine unpolitische Funktion des Staates gedacht werden, sondern nehme an der Totalität des Staates teil, insofern sie nämlich dessen »Lebensgesetze« im Einzelfall vollziehe. Das hieß: »Die Justiz ist dem neuen Staate verpflichtet. Sie ist gebunden an die strengen Maßstäbe, an denen heute die Rechtlichkeit jedes Deutschen gemessen wird. Sie ist insbesondere der Einheit und der inneren und äußeren Integrität des Reiches verpflichtet, wie sie durch die nationalsozialistische Bewegung hergestellt wurde. Die Reichseinheit als unverbrüchliches Lebensgesetz der deutschen Nation duldet keine separatistischen oder föderalistischen Pläne, Programme und Konspirationen. Die politische Verantwortung der Justiz beruht in der Verpflichtung, alle Versuche einer Störung der Reichseinheit und der Rechts- und Friedens-

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Ebd., 349. E. Forsthoff, Über Gerechtigkeit, in: Dt. Volkstum 1934, 969. E. Forsthoff, Der Formalismus im öffentlichen Recht, in: DR 4 (1934), 347. Ebd., 349. H. Henkel, Die Unabhängigkeit des Richters in ihrem neuen Sinngehalt, 1934; ders., Strafrichter und Gesetz im neuen Staat, 1934. E. Forsthoff, Richter und Rechtsprechung, in: Dt. Volkstum 1935, 21.

Zweites Kapitel: Der totale Staat

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ordnung unseres Volkes unnachsichtig zu ahnden. Das kann nur in vollster Übereinstimmung mit den Lebensgesetzen der deutschen Nation geschehen.«224

Zu dieser Aufgabe war für Forsthoff ein anderer Typus des Richters berufen als der am bürgerlichen Formalrecht geschulte und darum seinem Selbstverständnis nach »unpolitische« Jurist. Wie sollte auch die verbindliche Konkretisierung der Unterscheidung von Freund und Feind, von gegenständlichem »Recht« und »Unrecht« mit dessen Mitteln möglich sein? Deshalb seien an den »Richter der Zukunft« »in ungleich höherem Maß als bisher persönliche Anforderungen«225 zu stellen, die der Staat durch seine »außerordentlich vielfältigen Möglichkeiten wissensmäßiger und charakterlicher Erprobung des Richters« überwachen könne. Dazu gehörten für Forsthoff eine »einheitliche Staatsgesinnung, in der Richter und Volk miteinander verbunden sind«226, ferner »ein Charakter ohne Fehl und Tadel« und schließlich die »mit der Artgleichheit gegebene Zugehörigkeit zur Gemeinschaft des deutschen Volkes. Darum können jüdische Richter nur als eine Übergangserscheinung noch geduldet werden.«227 Mit dieser Lehre von der »konkreten Gestalt« des deutschen Richters und der scharfen Formalismuskritik war ein toter Punkt erreicht. Für den Juristen, der alle »bürgerlichen« Züge von sich abgestoßen hatte, blieb nichts mehr zu sagen: Wenn alle wesentlichen Gehalte des Rechts, die »konkreten Lebensordnungen« von Volk und Staat und die »seinsmäßige« Zugehörigkeit des Richters und des Juristen zu ihnen, unformal-substanzhaft sein mußten, dann konnten sie auch nur im einverständnishaften und fraglosen Rückgang auf dieses Sein erfahrbar sein. Das Eigentliche des Rechts blieb dadurch aber jeder begrifflichen Durchdringung, ja überhaupt aller sprachlichen Konkretisierung wesensmäßig entzogen. Die Art, in der Forsthoff das Verhältnis des Juristen zur Totalität des Staates bestimmte, teilte die Ambivalenz der deutschen Existenzphilosophie der dreißiger Jahre. Indessen unternahm er schon um die Jahreswende 1934/35 in zwei kurz hintereinander erschienenen Aufsätzen im Deutschen Volkstum 228 erste, zaghafte Korrekturen an seiner Einordnung der Rechtsprechung in den totalen Staat. Nunmehr suchte er nach einem Weg, die Sonderstellung der Rechtspre-

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E. Forsthoff, Die politische Verantwortung der Justiz, in: Münchner Neueste Nachrichten v. 19.11.1933, 2. E. Forsthoff, Recht, Richter und nationalsozialistische Revolution, in: Dt. Adelsblatt 1933, 715. E. Forsthoff, Richter und Rechtsprechung, in: Dt. Volkstum 1935, 26. E. Forsthoff, Recht, Richter und nationalsozialistische Revolution, in: Dt. Adelsblatt 1933, 715. E. Forsthoff, Über Gerechtigkeit, in: Dt. Volkstum 1934, 969 ff.; ders., Richter und Rechtsprechung, in: Dt. Volkstum 1935, 20 ff.

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Erster Teil: Einflüsse und Entwicklungsbedingungen

chung unter Rückgriff auf die Eigenarten des spezifisch richterlichen Erkenntnisvorgangs neu zu begründen. Er löste den Richter überhaupt aus dem Totalitätsanspruch des Staates heraus, indem er diesen Totalitätsanspruch gegenständlich auf eine »Totalität des Handelns und Gestaltens« beschränkte, an der die »Rechtswahrung« und die »Erkenntnis des Rechts« keinen Anteil hätten.229 Recht verstanden, enthält dieser Satz nicht weniger als das Eingeständnis, daß der zu Ende gedachte totale Staat mit dem Recht auch den Juristen obsolet machen mußte. Damit waren nicht nur die Stichworte gegeben für den Versuch einer Neubegründung der juristischen Hermeneutik, der Forsthoff die zweite Hälfte der dreißiger Jahre eingehend beschäftigen sollte und von dem im dritten Teil dieser Arbeit zu reden sein wird. Auch sonst begannen mit dem Rückzug aus seinem nationalsozialistischen Engagement die wissenschaftlich fruchtbarsten Jahre in Forsthoffs Leben. Erst Mitte der dreißiger Jahre trat er als wahrhaft bedeutender Autor in Erscheinung. Dazu wäre es wohl nicht gekommen, wäre Forsthoff nicht gezwungen gewesen, sich auf seine zerschlagene jungkonservative Utopie des totalen Staates einen Reim zu machen. So setzte auch der epochale Paradigmenwechsel, den Forsthoff im deutschen Verwaltungsrecht mit der kurzen Abhandlung über Die Verwaltung als Leistungsträger von 1938 vollzogen hat und von dem die folgenden Kapitel handeln, beides voraus: die grundstürzende Infragestellung des bürgerlich-rechtsstaatlichen Rechtsverständnisses durch die nationalsozialistischen Erneuerungsutopien und die durch die erschreckende Erfahrung eines nun wirklich totalitären Staates zurückgewonnene kritische Distanz, das juristische Selbstbewußtsein.

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E. Forsthoff, Über Gerechtigkeit, in: Dt. Volkstum 1934, 974.

Zweiter Teil Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

Drittes Kapitel Grundfragen I. Problemstellung und Quellen »Neues wird geschaffen, Überkommenes wird umgeformt und eingeschmolzen in ein neues Bild der Verwaltung. Es ist die große Aufgabe der öffentlichrechtlichen Wissenschaft, diesen außerordentlich vielschichtigen und weitläufigen Prozeß zu verfolgen.«1 Mit diesen Worten zog Ernst Forsthoff 1935 die Bilanz von zwei Jahren des nationalsozialistischen Verwaltungsumbaus und begründete damit zugleich die Forderung nach einer Erneuerung des Verwaltungsrechts und der verwaltungsrechtlichen Methode. Kein Zweifel: Mit der Utopie des totalen Staates verbanden sich für Forsthoff große Hoffnungen auf eine völlige Umbildung der Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen deutschen Verwaltungsrechtsordnung. Gleichwohl gilt Forsthoffs Verwaltungsrechtswissenschaft als eine der kühnsten rechtsdogmatischen Innovationen des 20. Jahrhunderts. Sie scheint damit die in der zeitgeschichtlichen Forschung seit langem kontrovers erörterte These zu bestätigen, nach der die nationalsozialistische Zeit neben allem anderen auch eine Periode fundamentaler Modernisierungsprozesse in Deutschland gewesen ist. Ralf Dahrendorf hat die egalisierende Wirkung der »Volksgemeinschaftspolitik«, der Gleichschaltung und des totalen Krieges früh als eine Modernisierung wider Willen interpretiert.2 Später wurde die Modernitätsthese auch auf die intendierten Erscheinungen der nationalsozialistischen Herrschaft übertragen und die modernen Aspekte der Sozialplanung, der Kirchen-, Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Industrie- und Wissenschaftspolitik im Dritten Reich herausgestellt.3 Die Streitfrage mag hier auf sich

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E. Forsthoff, Von den Aufgaben der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 398. R. Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, 1968, 431 ff. Siehe nur M. Prinz/R. Zitelmann (Hrsg.), Nationalsozialismus und Modernisierung, 1991.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

beruhen.4 Der Zusammenhang mit einzelnen wissenschaftlichen Neuerungen, die durch diese soziale Revolution angestoßen wurden, bleibt ein allenfalls mittelbarer. Dennoch ist die Epoche der klassischen Moderne im Öffentlichen Recht eng mit Forsthoffs Werk verbunden. Kein anderer Problemkomplex markiert im Verwaltungsrecht so scharf das Ende des 19. Jahrhunderts, den Übergang vom Spätkonstitutionalismus zur Demokratie, wie die Rolle der Verwaltung als Leistungsträger, wie die juristische und politische Ambivalenz des Sozialstaats. Forsthoffs »Entdeckung« der Leistungsverwaltung war der zentrale, ja der bis heute entscheidende wissenschaftsgeschichtliche Schritt, der über die verwaltungsrechtlichen Systeme des Spätkonstitutionalismus hinausführte.5 Wie kein anderer hat er dem Öffentlichen Recht zudem die Unhintergehbarkeit der administrativen Dimension der modernen Gesellschaftsordnung zu Bewußtsein gebracht. Mit ingeniösem Scharfsinn registrierte er in der Auflösung der juristischen Systeme des 19. Jahrhunderts einen langfristigen Strukturwandel des Rechts: das Zerfließen der Imperativität, das subkutane Wachstum konsensualer Strukturen, die Zerbröckelung der überkommenen Organisationsformen, die Überlagerung der Rechtsregime, kurz: den unendlich ambivalenten Prozeß der Publifizierung des Privatrechts und der Privatisierung des öffentlichen Rechts.6 Die über die besondere Situation der dreißiger Jahre hinausreichende Bedeutung von Forsthoffs verwaltungsrechtlichem Werk hängt aber natürlich auch mit dem Nationalsozialismus zusammen: So wäre die Neubestimmung der Rolle der Verwaltung und des Verwaltungsrechts nicht denkbar gewesen ohne die revolutionäre Beseitigung der Weimarer Verfassungsordnung, ohne die entgrenzte Sozialtechnologie des Dritten Reichs und ohne die durch sie hergestellte Pseudostabilität des nationalsozialistischen Führerstaates.7 Doch man würde der schillernden These von der »Modernität« des Nationalsozialismus jedenfalls zu weit folgen, verstünde man die Lehre Forsthoffs von der Transformation des Verwaltungsrechts durch die Daseinsvorsorge des modernen Staates allein als Frucht der Erfahrungen der »Volksgemeinschaftspolitik«. Forsthoffs Verwaltungsrechtswissenschaft war ebenso beeinflußt von den frühen und späten Krisenjahren der Republik, die für die einheitsstiftende Funktion der Verwaltung im Sozialstaat kaum weniger Anschauungsmaterial geboten hatten.8 4

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Siehe zum Ganzen aus neuerer Zeit nur P. Nolte, Die Ordnung der deutschen Gesellschaft, 2000, 190 ff. sowie, mit umfassenden Nachweisen, H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. IV, 2003, 781 ff. B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 277. Ebd., 298 f. M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 351 ff. B. Sordi, Il primo e l’ultimo Forsthoff, in: Quaderni Fiorentini XXV (1996), 675; ders., Tra Weimar e Vienna, 1987, 18, 274 f.; N. Magaldi, Procura existencial, Estado de Derecho y Estado Social, 2007, 25 ff.

Drittes Kapitel: Grundfragen

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Um die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung der verwaltungsrechtlichen Arbeiten Forsthoffs einschätzen zu können, muß deshalb der engere zeitgenössische Diskussionskontext der Spätphase der Weimarer Republik und der ersten Zeit des Dritten Reichs ebenso berücksichtigt werden wie der langfristige Bedeutungswandel des Verwaltungsrechts in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nur so ist es möglich, das Ziel und den Gehalt von Forsthoffs Kritik und die Reichweite seiner wissenschaftlichen Leistung zu bewerten. Die Quellenlage für dieses Unterfangen ist günstig. Der Weg Forsthoffs von den Anfängen in der Weimarer Spätzeit über die Programmschrift Die Verwaltung als Leistungsträger bis zu seinem klassischen Lehrbuch des Verwaltungsrechts läßt sich anhand seines Nachlasses relativ lückenlos rekonstruieren. So ist etwa das handschriftliche Manuskript der verwaltungsrechtlichen Vorlesung überliefert, die Forsthoff im Sommersemester 1931 in Freiburg gehalten hat.9 Besonders wichtig ist jedoch ein anderes Manuskript: ein während des Krieges und vornehmlich in Wien verfaßtes Werk mit dem Titel »Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft«. Forsthoff hat diese Studie Ende 1940 begonnen,10 die überlieferte Fassung ist auf das Jahr 1942 datiert.11 Sie ist im Entwurf stehengeblieben und enthält noch vieles an Vorüberlegungen. Aber sie stellt den Versuch dar, das Postulat einer neuen verwaltungsrechtlichen Me-

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Das (unvollständige) Konvolut umfaßt 121 numerierte Seiten. Ernst Forsthoff an Franz Beyerle, 17.12.1940 (Durchschlag), NL Forsthoff. Das Fragment umfaßt 91 unpaginierte Blätter. Im Vorwort zu diesem Manuskript heißt es: »Es hat den Anschein, als bahne sich in der Verwaltungsrechtswissenschaft eine Wandlung an. Begriffe, die in den vergangenen Jahren das Feld beherrschten, klingen ab und neue treten in den Vordergrund. Das Schrifttum der letzten Zeit ist wieder vorzüglich den methodischen Problemen zugewandt. Es bemüht sich um die Wiederbelebung der Verwaltungslehre, Verwaltungstechnik, Staatstechnik und wie die Termini sonst lauten mögen. So abrupt auch dieser offenbar durch die Kriegsereignisse ausgelöste Wandel in manchem erscheinen mag: er ist als Versachlichung unserer Disziplin und als Anknüpfung an die gute Tradition deutscher Verwaltungsrechtswissenschaft durchaus zu begrüßen. Der Zusammenhang dieser Abhandlung mit diesem Schrifttum ist freilich ein rein zeitlicher. Sie ist durch dieses Schrifttum weder angeregt noch beeinflußt, sondern stellt sich als eine Fortsetzung meiner Bemühungen um eine wirklichkeitsgemäße Methodik und Systematik des Verwaltungsrechts dar, deren ersten Ertrag ich in meiner Schrift ›Die Verwaltung als Leistungsträger‹ im Jahre 1938 vorgelegt habe. Die dort und hier verfolgte Methode möchte ich als realistische in dem Sinne bezeichnen, daß sie die sozialen Realitäten zum Ausgang aller ihrer Erwägungen nimmt. Sie verzichtet damit nicht auf ethische Zielsetzungen. […] Aber sie ist darum bemüht, die ethische Zielsetzung aus den Gegebenheiten der sozialen Wirklichkeit heraus einsichtig zu machen und vermeidet es geflissentlich, der sozialen Wirklichkeit ein ideologisches Schema überzuwerfen, ein Fehler, dem die deutsche Wissenschaft oft zu ihrem Schaden erlegen ist. Die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft steht vor der Aufgabe, sich Methode und System neu erarbeiten zu müssen. Diese Schrift will diese Aufgabe nicht lösen, sondern nur einen vielleicht förderlichen Beitrag zu ihrer Bewältigung leisten. Dieser Beitrag bleibt bescheiden, seinen ursprünglichen Absichten entsprechend.«

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

thode auf breiterer Grundlage zu erörtern. Zwischen den Anfängen und dem Lehrbuch nimmt sie damit eine mittlere Stellung ein. Fast die Hälfte des Manuskripts beansprucht eine weit ausholende Einleitung, die Aufgaben, Quellen, Methoden und Gegenstände einer möglichen verwaltungsrechtlichen »Systembildung« problematisiert. Sie beginnt mit einer ausführlichen Erörterung des methodischen Standorts der Verwaltungsrechtswissenschaft und ihres Verhältnisses zur Verwaltungslehre. Einen breiten Raum nimmt daneben die Erörterung der »Eigenständigkeit« der Verwaltung ein, ihre Abgrenzung zur politischen Führung, aber auch zur Gesetzgebung und Justiz. Daneben steht ein kurzes Kapitel über »Verwaltung, Recht und Wissenschaft«, ein »Exkurs: zur Soziologie der modernen Verwaltung«, die Kapitel »Die Aufgaben der Verwaltung und die Gliederung des Verwaltungsrechts« und »Die mittelbare Staatsverwaltung und ihre Gliederung«. Ein Kapitel »Quellen und Struktur des Verwaltungsrechts« ist nur ganz fragmentarisch vorhanden, zu weiteren finden sich nur Stichworte. Das Lehrbuch des Verwaltungsrechts, dessen erster und einziger Band 1950 in erster, 1973 in zehnter und letzter Auflage erschien, ist praktisch unmittelbar im Anschluß an die Arbeit über Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft geschrieben worden, wenn auch die ältesten Textschichten des Werkes wohl schon aus den dreißiger Jahren datieren. Seine Entstehungsgeschichte läßt sich bis in das Jahr 1933 zurückverfolgen. Mehrere Verlage versuchten damals, Forsthoff für eine Darstellung des neuen Verwaltungsrechts zu werben, Mohr Siebeck,12 die Hanseatische Verlagsanstalt, C. H. Beck, Heymanns und Ferdinand Enke.13 Forsthoff lehnte diese Angebote zunächst ausnahmslos ab, weil ihm die Zeit für eine wissenschaftliche Synthese noch nicht gekommen schien.14 Trotzdem gab er später an, seit 1937 an einer systematischen Darstellung gearbeitet zu haben.15 Die zweite Initiative des Beck-Verlages, Ernst Forsthoff für ein großes Lehrbuch des Verwaltungsrechts zu ge-

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15

E. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, 2005, 207. Ernst Forsthoff an Verlag Ferdinand Enke, September 1935 (Entwurf), NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an Verlag Ferdinand Enke, September 1935 (Entwurf), NL Forsthoff: »Ich habe sie alle abgelehnt mit der Begründung, es sei zur Zeit noch in keiner Weise abzusehen, wie die künftige Gestalt der Verwaltung aussehen werde, es sei insbesondere die Entwicklung noch so im Flusse, daß es unmöglich sei, an irgendeine Systematisierung zu denken. Inzwischen hat sich die Richtigkeit dieser Bedenken durch den Verlauf des Parteitages bestätigt […]. Nun, es gibt heute Kollegen, die ungeachtet solcher ›Störungsmomente‹ Darstellungen der Verfassung und Verwaltung übernehmen – die vielen Grundrisse werden ja heute geschrieben – aber ich habe meine Meinung über sie und ich nehme auch nicht an, daß es Ihnen auf Vorläufigkeiten und Voreiligkeiten ankommt. Ich selbst habe in einigen Aufsätzen der letzten Monate die Anforderungen umschrieben, die an eine Darstellung des Verwaltungsrechts von heute gestellt werden müssen. Ich kann am allerwenigsten diese Anforderungen außeracht lassen […].« Lebenslauf, LA Schleswig-Holstein, Abt. 640.19, Nr. 93.

Drittes Kapitel: Grundfragen

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winnen, datiert vom Dezember 1940.16 Besonders während der letzten Kriegsjahre beschäftigte Forsthoff sich intensiv mit dem Vorhaben,17 und im Vorwort zur ersten Auflage erwähnte Forsthoff selbstbewußt, »nahezu die Hälfte des Buches wurde während des Krieges niedergeschrieben. Nach der Kapitulation stellte sich bald heraus, daß an der Gesamtkonzeption nichts geändert zu werden brauchte. Die Notwendigkeiten und die Fragestellungen, wie sie sich bei einer realistischen und nicht ideologischen Betrachtung ergeben, waren die gleichen geblieben.« (Lb, vi) Forsthoffs unerfreuliche Lebensumstände der Nachkriegszeit brachten es mit sich, daß das Werk erst 1950 erscheinen konnte. Sofort war es der große Wurf, mit dem er schon gerechnet hatte.18 Carl Schmitt gratulierte überschwenglich und meinte gar: »Mit diesem Lehrbuch sind Sie die Rechtswissenschaft, daran wird kein Nutznießer des Zusammenbruchs etwas ändern können.«19 Er war »begeistert von der systematischen Kraft, mit der das kaum übersehbare Material zusammengefaßt und geordnet ist, von der Tektonik der Begriffe und Gedanken und der Sicherheit der Linienführung. Es ist ein großes Erlebnis für einen Lehrer des öffentlichen Rechts, in diesem Augenblick der deutschen Geschichte ein solches Werk erscheinen zu sehen […].«20 Ähnlich enthusiastisch reagierte Ernst Rudolf Huber.21 Auch die Rezensenten erkann16

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Mallmann (Beck-Verlag) an Ernst Forsthoff, 16.12.1940, NL Forsthoff. Der vom 13.1.1941 datierende Entwurf (Beck-Verlag an Ernst Forsthoff, NL Forsthoff) eines Verlagsvertrag nimmt das Erscheinen für das Frühjahr 1944 in Aussicht. Am 15.7.1944 schrieb Forsthoff an Wilhelm Stapel (DLA Marbach, NL Stapel), er arbeite »jetzt an dem seit langem in Vorbereitung befindlichen Lehrbuch des Verwaltungsrechts, jedenfalls an den Teilen, denen man längeren Bestand voraussagen kann«. Am 17.9.1944 berichtete Forsthoff erneut von der weiteren Arbeit »an meinen verwaltungsrechtlichen Studien«. Am 16.6.1945 schrieb er an Ernst Rudolf Huber (BA Koblenz, NL Huber): »Ich habe in den letzten Monaten intensiv gearbeitet und bin so weit, daß ich das Ende der ersten Niederschrift absehen kann. Damit wären die allgemeinen Lehren des Verwaltungsrechts abgeschlossen, in vorläufiger, später anhand vollständiger Literatur zu überarbeitender Fassung.« Den Abschluß der Arbeit am Verwaltungsrecht erwähnt auch Hans Barion in seinem Brief an Ernst Forsthoff vom 4.11.1945 (NL Forsthoff). Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 20.6.1949, BA Koblenz, NL Huber: »Gleichgültig, in welchem Grade mein Verwaltungsrecht gelungen ist – es ist seit etwa zwei Jahrzehnten das erste große Lehrbuch, mit einigen originellen Gedanken. Eine Staatsrechtslehrertagung mit einem verwaltungsrechtlichen Thema ohne mich darf ich dann wohl ohne besondere Überhebung als sonderbar empfinden.« Carl Schmitt an Ernst Forsthoff, 20.5.1950, BW, Nr. 37. Carl Schmitt an Ernst Forsthoff, 7.3.1950, BW, Nr. 34. Ernst Rudolf Huber an Ernst Forsthoff, 2.3.1950 (Durchschlag), BA Koblenz, NL Huber: »Ich glaube, es ist Dir gelungen, das fast unlösbare Problem zu bewältigen, eine Darstellung zu schaffen, die für die Wissenschaft, für die Lehre und für die Praxis gleichzeitig dienlich und förderlich ist. Am meisten bewundere ich, daß Du es verstanden hat, gleichzeitig konservativ und modern zu sein, eine Haltung, die ja von je her unseren gemeinsamen Intentionen entspricht, die konkret zu verwirklich aber angesichts der chaotischen Zustände in Recht, Staat und Verwaltung in dieser überzeugenden Form noch nie gelungen ist. […] Ausgezeichnet, was Du über das Verhältnis von Recht und Verwaltung sagst, ich

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ten und würdigten praktisch einmütig den besonderen Rang des Werkes.22 Hans Peter Ipsen lobte »Detailbeherrschung, Stoffbändigung, Sprachgestaltung, Disposition und verwaltungswirkliche Problemfühlung« und bemängelte nur, daß Forsthoffs Behandlung der Leistungsverwaltung »nicht alle dogmatischen Erwartungen« erfüllt habe, »die die Verheißung von 1938 erweckt hatte.«23 Kritisch äußerte sich allein Hans Peters, der Forsthoff insbesondere vorhielt, er habe »kein inneres Verhältnis« zu den naturrechtlichen Grundlagen des Verwaltungsrechts gefunden.24 Für die Rechtspraxis und die Rechtsprechung rückte das Werk alsbald in den Rang einer unangefochtenen Autorität auf.25 Zu Forsthoffs Lebzeiten bekam es keine echte Konkurrenz; weder in Peters’ etwas eigenwilligem Lehrbuch der Verwaltung,26 noch in dem enzyklopädisch ausufernden dreibändigen Verwaltungsrecht Hans Julius Wolffs27 oder dem auf dem Stand von 1931 belassenen Verwaltungsrecht Walter Jellineks,28 ganz zu schweigen von den anderen Darstellungen und Grundrissen der Nachkriegszeit.29 Doch das Lehrbuch des Verwaltungsrechts blieb, gerade auch weil der zweite Band nie vollendet wurde, ein Werk des Jahres 1950, obwohl es im Laufe der Jahre durch Nachträge der Literatur und der Rechtsprechung sowie die Aufnahme neuer Abschnitte 30 um mehr als die Hälfte an Umfang zunahm. Denn es beruhte auf einer Gesamtkonzeption und einer Idee vom Allgemeinen Verwaltungsrecht, die sich der Entwicklung des Verwaltungsrechts der Bundesrepublik aus dem einfachen Grunde nicht anpassen ließ, weil sie ihr gänzlich zuwiderlief. So war das Lehrbuch zuletzt ein unzeitgemäßes Werk.31

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stimme Dir vollkommen zu – um so schlimmer, daß unsere heutige Verwaltung vor dieser Aufgabe der echten Rechtsverwirklichung so völlig versagt.« Hervorgehoben seien H. P. Ipsen, Buchbesprechung, in: AöR 76 (1950/51), 377 f.; ferner F. Giese, Buchbesprechung, in: ZgStW 107 (1951), 543 ff.: »fast übermenschliche Kraft, nicht nur reiches Wissen und Können, sondern Kühnheit und Wagemut«; W. Weber, Buchbesprechung, in: DVBl. 1950, 479 f.; O. Bachof, Das Verwaltungsrecht im Spiegel der Rechtslehre, in: JZ 1951, 540 f. H. P. Ipsen, Buchbesprechung, in: AöR 76 (1950/51), 377, 379. H. Peters, Buchbesprechung, in: Schmollers Jb. 71 (1951), 126 ff., 127. K. Doehring, Ernst Forsthoff, in: Juristen im Portrait, hrsg. v. Verlag C. H. Beck, 1988, 347. H. Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949. H. J. Wolff, Verwaltungsrecht, 3 Bde., 1956–1966. W. Jellinek, Verwaltungsrecht, Neudruck, 31966. Siehe M. Stolleis, Entwicklungsstufen der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, hrsg. v. E. Schmidt-Aßmann u. a., 2006, § 2, Rn. 96 f. Siehe etwa die in der in der neunten Auflage als Ersatz für die weggefallene Darstellung des Verwaltungsprozeßrechts neu hinzugekommene Abschnitt über das Recht der kommunalen Selbstverwaltung (Lb IX, §§ 25–28) oder den in der letzten Auflage hinzugekommenen Abschnitt über Planung (Lb X, § 16), der auf einem gemeinsam mit Willi Blümel verfaßten Rechtsgutachten basierte: E. Forsthoff/W. Blümel, Raumordnungsrecht und Fachplanungsrecht, 1970. A. Voßkuhle, Allgemeines Verwaltungs- und Verwaltungsprozeßrecht, in: Rechtswissenschaft und Rechtsliteratur im 20. Jahrhundert, hrsg. v. D. Willoweit, 2007, 961.

Drittes Kapitel: Grundfragen

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Die folgende Darstellung setzt ihren Schwerpunkt in der Entstehungszeit dieser Konzeption zwischen 1933 und 1950. Sie verfährt nicht in Form einer Begriffs- oder Dogmengeschichte der »Daseinsvorsorge«, sondern versucht zunächst, sich Forsthoffs Verwaltungsrecht aus anderen Perspektiven zu nähern. Auf dogmengeschichtliche Einzelheiten kann dabei nur dort eingegangen werden, wo sie unverzichtbar sind. Sie sind vielfach antiquarisch geworden und hätten den Umfang der Darstellung zu stark vermehrt. So wird in diesem Kapitel zunächst die wissenschaftsgeschichtliche Situation rekonstruiert, in der Forsthoffs verwaltungsrechtliche Fragestellung entstand (II.). Dabei ist nicht nur die deutsche Entwicklung in den Blick zu nehmen (1.). Unverkennbar ist auch der Einfluß der französischen Theorie des Verwaltungsrechts um die Jahrhundertwende (2.). Zu erörtern ist weiter Forsthoffs Verständnis der »juristischen Methode« im Verwaltungsrecht und ihres Verhältnisses zur Verwaltungslehre (III.). Unter diesem Gesichtspunkt läßt sich – entgegen einer verbreiteten Ansicht – aber nicht ausmachen, worin sich Forsthoffs Denken so grundsätzlich vom Verwaltungsrecht des 19. Jahrhunderts unterschied. Denn nach einer kurzen Phase des revolutionären Protests gegen die juristische Methode wandte er sich ihr alsbald wieder zu, wenn auch natürlich nicht dem positivistischen Ideal. Der problemgeschichtliche Topos, unter dem Forsthoffs Bruch mit der Tradition zu würdigen ist, ist ein anderer, nämlich die »systematische« Behandlungsart des Allgemeinen Verwaltungsrechts (IV.) und damit die Möglichkeit einer geschlossenen, von den konkreten Verwaltungszwecken abstrahierenden verwaltungsrechtlichen Begriffsbildung: Sollte die verwaltungsrechtliche Systembildung im zwanzigsten Jahrhundert gelingen, so mußte sie nach Forsthoffs Überzeugung ein den neuen Gegebenheiten entsprechendes Bild der Verwaltung gewinnen und von diesem aus noch einmal ganz neu die Grundbegriffe des Verwaltungsrechts entwickeln. Forsthoffs Konzeption eines solchen nach-rechtsstaatlichen Systems des Verwaltungsrechts wird im vierten Kapitel behandelt.

II. Zur Situation der Verwaltungsrechtswissenschaft in der Zwischenkriegszeit 1. Der Interventionsstaat und das »Allgemeine Verwaltungsrecht« Nimmt man zunächst die deutsche Verwaltungs- und Verwaltungsrechtsgeschichte in den Blick, so steht Ernst Forsthoff am Ende einer Epoche gesellschafts-, rechts- und verwaltungsgeschichtlicher Modernisierungsprozesse, die gemeinhin als das klassische Zeitalter des »Interventionsstaates« bezeichnet wird.32 Wenn das Recht auch über das ganze 19. Jahrhundert hinweg unter dem bestimmenden Einfluß der sozialen Transformation gestanden hatte, die mit 32

Zum Begriff und seinen Problemen L. Gall, Zu Ausbildung und Charakter des Interventionsstaats, in: HZ 227 (1978), 552 ff.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

der industriellen Revolution einsetzte,33 so traten die Modernisierungsprozesse doch etwa zwischen 1880 und 1930 in eine Phase der Beschleunigung ein. Gesellschaftsgeschichtlich sind diese Jahrzehnte in besonderem Maße geprägt durch Industrialisierung und Verstädterung, durch die Auflösung traditionellständischer Milieus und durch den politischen Aufstieg der Arbeiterbewegung. Diese für die Herausbildung des Interventionsstaates maßgeblichen Faktoren waren zugleich wesentliche Determinanten der politischen Entwicklung Deutschlands um die Jahrhundertwende. Mit der »großen Wende« in Bismarcks Innen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik nach dem Ende seines Bündnisses mit den Liberalen begann in Deutschland eine Zeit massiver Verstaatlichung. Viele Sozialbereiche gerieten unter den Zugriff des hoheitlich regulierenden und steuernden Staates.34 Das gestiegene Bewußtsein der politischen Eliten für die »Soziale Frage« löste zwei einander überlagernde, für die deutsche Rechtsentwicklung um 1900 bedeutsame Entwicklungen aus. Zum einen integrierte die Schaffung der Sozialversicherung in den 1880er Jahren zum ersten Mal weite Teile der Bevölkerung unter eine staatliche Zwangsversicherung und bewirkte so einen starken Zentralisierungsschub und eine qualitativ neuartige Bürokratisierung des Sozialen.35 Durch sie gerieten mehr Menschen in die Abhängigkeit von staatlichen Leistungen als je zuvor. Zum anderen war die Jahrhundertwende die Blütezeit des kommunalen Infrastrukturaufbaus.36 Beeinflußt durch die sozialreformerischen Lehren der »fabian society« und die Tätigkeit des 1873 gegründeten »Vereins für Socialpolitik«37 und unter dem Eindruck des Massenelends erweiterten zumal die Städte ihre Aufgaben über die traditionelle Fürsorge hinaus. Sie nahmen sich immer umfassender der Gas-, Wasser- und Energieversorgung, des Verkehrs und der Gesundheitsvorsorge an und versuchten, sozialen Interessen auch im Wege übergeordneter städtebaulicher Planung Rechnung zu tragen.38 33 34

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F. Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. II, 21949, 101 ff., 111. T. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, 1992, 382 ff.; zur Bedeutung der »Zäsur« von 1878 auch M. Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht (1989), in: Konstitution und Intervention, 2001, 281. M. Stolleis, Die Sozialversicherung Bismarcks, in: Konstitution und Intervention, 2001, 226 ff., 245 ff., 251 f.; ders., Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht (1989), in: Konstitution und Intervention, 2001, 262 spricht von einer »neuen Qualität des Staates«, die mit der Sozialgesetzgebung sichtbar wurde; ferner T. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. I, 1990, 367; P. Schiera, Laboratorium der bürgerlichen Welt, 1992, 179. T. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. I, 1990, 367 f.; D. van Laak, InfraStrukturgeschichte, in: GuG 21 (2001), 380 f. F.-X. Kaufmann, Sozialpolitisches Denken, 2003, 55 ff.; E. Pankoke, Sociale Bewegung – Sociale Frage – Sociale Politik, 1970, 165 f.; P. Schiera, Laboratorium der bürgerlichen Welt, 1992, 174 ff. W. Hofmann, Aufgaben und Struktur der kommunalen Selbstverwaltung in der Zeit der Hochindustrialisierung, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. III, hrsg. v. K. G. A. Jeserich u. a., 1984, 583 ff.

Drittes Kapitel: Grundfragen

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Die nunmehr so genannte »Sozialpolitik« betonte im Gegensatz zur liberaleren Jahrhundertmitte gerade die öffentliche Verantwortung für die soziale Frage und überließ sie nicht mehr der gesellschaftlichen Selbstbewegung.39 Mit der Infrastrukturentwicklung und der Sozialbürokratie war deren Trägern jedoch zugleich eine neue und hocheffektive Machtressource zugefallen, die die Innenpolitik von nun an bestimmte. Es war deshalb unausweichlich, daß gerade die Sozialpolitik langfristig zum Motor einer Unitarisierungstendenz wurde, die sich, durch alle Verfassungsumbrüche hindurch, vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und das Dritte Reich bis zur Bundesrepublik fortgesetzt hat. Alle diese Entwicklungen führten zu einer quantitativen Ausbreitung und sachlichen Ausdifferenzierung des Verwaltungsrechts, denn die Industriegesellschaft und der Interventionsstaat hatten aufgrund ihres sozialgestalterischen Anspruchs einen erheblichen Regelungsbedarf.40 So entstanden um 1900 eine Reihe ganz neuer Rechtsmaterien, Eisenbahn-, Energie-, Städtebau-, Sozial- und große Bereich des Wirtschaftsrechts. Sie entwickelten sich aber keineswegs nur als verwaltungsrechtliche Spezialmaterien, sondern repräsentierten in der Überlagerung von öffentlichem und Privatrecht einen durchaus neuartigen Rechtstyp.41 Die im Kaiserreich ausgebildeten interventionsstaatlichen Tendenzen wurden durch den »Kriegsinterventionismus« ab 1914 beispiellos verstärkt.42 Der Krieg erzwang eine völlige Umstellung der Wirtschaft und der Bürokratie auf die Steuerung der Heeresproduktion und bewirkte damit nochmals eine sprunghafte Verstärkung der interventionsstaatlichen Momente.43 Ausgehend vom Kriegsermächtigungsgesetz entwickelte sich rasch ein dichtes Netz von Ausnahmebefugnissen, Ad-hoc-Maßnahmen, Sonderbehörden und halbstaatlichen Zwangskartellen, jenseits aller rechtsstaatlichen Schranken.44 Für die so entstandene Rechtsmasse bürgerte sich bald der Begriff des »Kriegswirtschaftsrechts« ein.45 39 40

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F.-X. Kaufmann, Sozialpolitisches Denken, 2003, 44. M. Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht (1989), in: Konstitution und Intervention, 2001, 266, 281. Ebd., 267 ff., 270 f.; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 65 f. H. Fenske, Die Verwaltung im Ersten Weltkrieg, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. III, hrsg. v. K. G. A. Jeserich u.a., 1984, 873 ff.; M. Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht (1989), in: Konstitution und Intervention, 2001, 276 ff.; ders., Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 1992, 457. J. Kocka, Klassengesellschaft im Krieg, 1988, 121. R. Roth, Staat und Wirtschaft im Ersten Weltkrieg, 1997; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 67 ff.; ders., Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht (1989), in: Konstitution und Intervention, 2001, 276 f. R. Kahn, Rechtsbegriffe der Kriegswirtschaft, 1918; E. Heymann, Die Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft als Grundlage des neuen deutschen Industrierechts, 1921; s. ferner M. Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht (1989), in: Konstitution und Intervention, 2001, 277; ders., Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 70, jeweils m.w.N.

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Das Regelungsinstrumentarium der Kriegsbürokratie verschwand nach 1918 allerdings nicht. Es war nicht nur zur Steuerung der Demobilmachungswirtschaft vonnöten, sondern ließ sich auch für die sozialpolitischen Steuerungsprogramme der Weimarer Republik nutzen, die noch in weitaus höherem Maße als das Kaiserreich ein Wohlfahrtsstaat war.46 Die sich herausbildenden »sozialrechtlichen« Materien, kollektives Arbeitsrecht, soziales Mietrecht, Wohnungszwangswirtschaft und öffentliches Wohnungsbaurecht,47 basierten auf dem selben interventionistischen Rechtstyp wie das Kriegswirtschaftsrecht. Alle sozialgeschichtlichen Faktoren, die die Herausbildung des interventionistischen Rechtstyps im Kaiserreich begünstigt hatten, bestimmten deshalb auch die Rechtsentwicklung der zwanziger Jahre. Zudem machte die politische Schwäche des Weimarer Staates ihn vollends vom stabilisierenden Potential des Verteilens abhängig. Die Entwicklung der Verwaltungsrechtswissenschaft während dieses Zeitraums spiegelt auf paradoxe Weise die interventionsstaatliche Dynamik.48 Angetrieben vom Impuls der rechtsstaatlichen Bewegung bildete sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Verwaltungsrechtswissenschaft heraus, indem sie sich von den älteren Staatswissenschaften emanzipierte. Sie entnahm die Ordnung ihres Stoffes nicht mehr der ressortmäßigen Gliederung der Staatstätigkeit, sondern den Rechtsformen, in denen die Verwaltung nach außen, also gegenüber der Gesellschaft tätig wurde. Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht konstituierte sich also durch die Verrechtlichung des Verhältnisses von Staat und Bürger. Die wichtigsten Stationen auf diesem Weg waren die Werke Friedrich Franz von Mayers 49 und Otto Sarweys,50 bevor Otto Mayer den »Allgemeinen Teil« zum klassischen Abschluß führte.51 Um den Zentralbegriff des Verwaltungsakts herum entwickelte Mayer ein »System von eigenthümlichen Rechtsinstituten der staatlichen Verwaltung«52, deren verfassungsrechtliche Grundlage Vorrang und Vorbehalt des förmlichen Gesetzes bildeten. Für die auf Eingriffe in Freiheit und Eigentum abzielende Staatstätigkeit wurde auf diese Weise das rechtsstaatliche Postulat der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung mit größtmöglicher Konsequenz verwirklicht. Die dem zugrunde liegende

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D. J. K. Peukert, Die Weimarer Republik, 1987, 132 ff. Nach wie vor F. Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), in: Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 1974, 26 ff.; ders., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 21967, 545 ff. Zum folgenden M. Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht (1989), in: Konstitution und Intervention, 2001, 272 ff. F. F. von Mayer, Grundsätze des Verwaltungs-Rechts, 1862. O. von Sarwey, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1884. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 2 Bde., (1895/96) 31924. O. Mayer, Zur Lehre vom öffentlichrechtlichen Vertrag, in: AöR 3 (1888), 3.

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juristische Methode war vom Eindringen teleologischer Momente noch frei und von großer Zuversicht in die Kraft begrifflicher Konstruktion geleitet.53 Indessen beruhte die formal-rechtsstaatliche Konzeption des Allgemeinen Verwaltungsrechts um die Jahrhundertwende, für die auch das an Otto Mayer orientierte Werk von Fritz Fleiner steht,54 auf einer, wie Michael Stolleis gezeigt hat, zumindest in Kauf genommenen Verengung des juristischen Blickes. Die Beschränkung der strengen Rechtsformen auf imperative Eingriffe in die individuelle Rechtssphäre sicherte dieser Konzeption ihre praktische Wirkung und machte sie auf indirekte Weise gerade in der interventionsstaatlichen Epoche zu einer durchaus zeitgemäßen Erscheinung: »Indem sich das Rechtsstaatspostulat auf die eingreifende Seite der Staatstätigkeit erstreckte, bewahrte die intervenierende Seite ihre Aktionsfähigkeit und ihren durch die Parlamente gelenkten politischen Charakter. Die Domestizierung der einen Seite entlastete die andere.«55 Die Gewichtsverhältnisse zwischen beiden Seiten der Staatstätigkeit waren jedoch keineswegs ausgeglichen: Während das rechtsstaatliche Paradigma im Gefolge der sozialen und demokratischen Modernisierung in die Defensive geriet, verband sich der Staatsinterventionismus mit den stärksten politischen Kräften der Zeit. Der Kompromiß, den Otto Mayers Verwaltungsrecht insoweit darstellte, konnte nicht von Dauer sein. Nach dem Weltkrieg und den sozialen Krisen der Weimarer Republik war die intervenierende Seite des Verwaltungsstaates die politisch schlechthin dominierende geworden. Als solche ließ sie sich langfristig auch im System des Allgemeinen Verwaltungsrechts nicht mehr an den Rand der Systematik schieben und der freien Staatstätigkeit überlassen. 2. Die Kritik des konstitutionellen Verwaltungsrechts in Frankreich Die Gleichzeitigkeit von interventionsstaatlicher Dynamik und der Blüte des konstitutionellen, liberal-rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts um die Jahrhundertwende hatte seine Gründe vornehmlich in der besonderen Situation der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft. Sie war spät, nämlich erst mit der Reichsgründung, zu ihrem Gegenstand, einer gesamtdeutschen Verwaltung gekommen.56 Das deutsche Verwaltungsrecht war um die Jahrhundertwende eine junge Wissenschaft, die ihre Methode in der entwickelten Zivilistik ihrer Zeit suchte und fand.

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Siehe M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 1992, 405 f. F. Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, (1911) 81928. M. Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht (1989), in: Konstitution und Intervention, 2001, 275. P. Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, 1967, 11.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

Anders in Frankreich. Das »konstitutionelle« Verwaltungsrecht hatte dort schon früher systematische Gestalt angenommen.57 Weitaus früher als in Deutschland wurde es deswegen allerdings auch zum Ziel einer gesellschaftsund modernisierungstheoretischen Kritik. Sie verbindet sich vor allem mit dem Namen des Bordelaiser Rechtstheoretikers Léon Duguit (1859–1928).58 Zwar ist die Rechtslehre Duguits in Deutschland nie so stark rezipiert worden wie im italienischen Faschismus.59 Doch jedenfalls für Forsthoff war Duguit und mit ihm der juristische Sozialismus Frankreichs eine wichtige Quelle, wenn auch Hinweise auf ihn spärlich sind. Forsthoff hat nicht nur die Verwaltungsrechtslehre von Duguits Schüler Gaston Jèze (1869–1953),60 sondern auch Duguit selbst direkt und nicht nur über den Umweg des italienischen Faschismus rezipiert.61 Duguits Kritik bekämpfte polemisch das »individualistische« Rechtsdenken seiner Zeit, das er insbesondere mit den Begriffen des subjektiven Rechts und der Souveränität identifizierte, wie sie in der deutschen Staatsrechtslehre des Kaiserreichs verstanden wurden.62 Dieser subjektivistisch-psychologisierenden Staatsauffassung hielt er eine »conception réaliste et socialiste«63 des öffentlichen Rechts entgegen. Er stand insoweit in jener Tradition des französischen Sozialismus, die durch Auguste Comte und Émile Durkheim repräsentiert wird.64 Duguit ging wie Durkheim von einem logischen und normativen Pri-

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Als solches hat es insbesondere durch O. Mayer, Theorie des französischen Verwaltungsrechts, 1886 intensiv auf das deutsche Verwaltungsrecht gewirkt, vgl. M. Stolleis, Nationalität und Internationalität, in: Konstitution und Intervention, 2001, 189; B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 6; U. Scheuner, Der Einfluß des französischen Verwaltungsrechts auf die deutsche Rechtsentwicklung, in: DÖV 1963, 714 ff. Die beste Darstellung ist E. Pisier-Kouchner, Le service public dans la théorie de l’État de Léon Duguit, 1972. Zur transnationalen Rezeption der Lehre Duguits vgl. T. Keiser, Eigentumsrecht in Nationalsozialismus und Fascismo, 2005; ders., Formalismuskritik als Bezugsrahmen für den Vergleich faschistischer und nationalsozialistischer Rechtswissenschaft, in: Die andere Seite des Wirtschaftsrechts, hrsg. v. G. Bender u. a., 2006, 328 ff. Gaston Jèze wurde schon deswegen breiter rezipiert, weil er schon früh auf deutsch ein umfangreiches Werk zum französischen Verwaltungsrecht vorlegte, das zudem noch in der renommierten Reihe »Das öffentliche Recht der Gegenwart« erschien: G. Jèze, Das Verwaltungsrecht der französischen Republik, 1913. Zum Verhältnis zwischen Duguit und Jèze s. F. Burdeau, Histoire du droit administratif, 1995, 346 f. Im Nachlaß Forsthoffs finden sich unter den unvollendeten Studien zur Rechtsfindungslehre mehrere Exzerpte aus dem Werk Duguits. Auch Forsthoffs frühe Schüler waren mit der Verwaltungsrechtslehre Duguits wohlvertraut, vgl. nur M. Partsch, Eigentum und Verfügungsbefugnis in der Rohstoffwirtschaft, 1936, und H. Kutscher, Die Enteignung, 1938. Siehe etwa E. Pisier-Kouchner, Le service public dans la théorie de l’État de Léon Duguit, 1972, 12. L. Duguit, Les Transformations du Droit Public, 1913, 280. Dazu E. Pisier-Kouchner, Le service public dans la théorie de l’État de Léon Duguit, 1972, 27 ff.; F. Burdeau, Histoire du droit administratif, 1995, 343. Zum Einfluß Émile Durkheims D. Grimm, Solidarität als Rechtsprinzip, 1973, 40 f.; zu Durkheim Begriff der

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mat der Gesellschaftsordnung über den einzelnen aus. Dies sei eine Konsequenz der industriellen Transformation seit der Revolution.65 Dieser soziale Strukturwandel war für ihn charakterisiert durch die rapide Zunahme der sozialen Differenzierung und Enttraditionalisierung. Dabei steigere sich die Abhängigkeit des einzelnen von den Leistungen und den Strukturen der Gesellschaft: Mit der individuellen Freiheit wachse notwendig auch die »solidarité sociale« 66, die Einbindung des Menschen in soziale Interdependenzen in einem solchen Maße, daß sich die Gesellschaft nicht mehr vom einzelnen, sondern der einzelne nur noch von der Gesellschaft her verstehen lasse. Auch nahm Duguit an, daß der im Zuge fortschreitender Modernisierung wachsenden Abhängigkeit des einzelnen nur im Rahmen von hoheitlichen Interventionen und staatlichen Versorgungsapparaturen zu begegnen sein würde.67 Mit dieser Transformation werde das soziale Ganze in hohem Maße störanfällig: »Cela veut dire que le petit groupe familiale ne peut plus assurer la satisfaction des besoins humains, que de vastes organismes, qui s’étendent sur tout le territoire national et qui demandent le concours d’un grand nombre d’individus, peuvent seuls donner satisfaction à la masse des besoins élémentaires. En outre, par suite des découvertes scientifiques et des progrès industriels, les relations entre les hommes sont devenus si complexes et si nombreuses, l’interdépendance sociale est devenue tellement étroite que le fait seul que quelques-uns ne remplissent pas leur besogne propre réagit sur tous les autres. Enfin, il est beaucoup de besoins d’une importance primordiale, comme, par exemple, les relations postales, les transports par chemin de fer, l’éclairage, dont la satisfaction est assurée par des organismes très vastes et très complexes, besoins tel que si le fonctionnement de ces organismes s’arrête un seul instant il en résulte une perturbation profonde qui met en péril la vie sociale elle-même.« 68

Eine differenzierte industrielle Sozialordnung ging für Duguit logisch jedoch nicht nur dem einzelnen, sondern auch dem Staat vor.69 Das Souveränitätsdenken zählte für ihn zur abgestorbenen Metaphysik der revolutionären Epoche.70 Duguit betrachtete den Staat statt dessen als eine von den sozialen Bedürfnissen her strukturierte und ihnen dienstbare »Funktion«, die sich durch die

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Gesellschaft s. R. Aron, Hauptströmungen des modernen soziologischen Denkens, 1979, 23 ff.; zu dem für Duguit wichtigen Gedanken des Vorrangs der Gesellschaft vor individuellen Rechten bei Comte s. M. Leroy, Histoire des idées sociales en France, Bd. III, 1954, 102 ff.; ein Bekenntnis zu Durkheim findet sich in L. Duguit, Les Transformations Générales du Droit Privé depuis le Code Napoléon, 1912, 28 f. L. Duguit, Les Transformations Générales du Droit Privé depuis le Code Napoléon, 1912, 19. Zum Begriff vgl. A. Wildt, Art. »Solidarität«, in: Hist. Wb. d. Philos., Bd. 9, 1995, Sp. 1006. L. Duguit, Traité de droit constitutionnel, Bd. I, 1911, 100 f.; ders., Les Transformations du Droit Public, 1913, 47, zur notwendig hoheitlichen Beherrschungsform 51. L. Duguit, Les Transformations du Droit Public, 1913, XVII. Siehe D. Grimm, Solidarität als Rechtsprinzip, 1973, 51. Besonders L. Duguit, Souveraineté et liberté, 1922, 1 ff., 10; ferner ders., Les Transformations du Droit Public, 1913, 12 ff., 27; dazu E. Pisier-Kouchner, Le service public dans la théorie de l’État de Léon Duguit, 1972, 60 ff.

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Förderung der »solidarité sociale« legitimiere.71 Daraus und aus den sozialen Bedingungen der industriellen Moderne deduzierte er eine echte Rechtspflicht des Staates »de faire fonctionner toute une série de services industriels et d’empêcher qu’ils ne soient interrompus un seul instant.«72 Deutlich weist diese Formulierung bereits auf Forsthoffs spätere Konzeption der Daseinsvorsorge des modernen Staates hin. Doch die Parallelen gehen weiter. Es gehörte zu Forsthoffs Grundüberzeugungen, daß sich die für das spätkonstitutionalistische Verwaltungsrecht charakteristische Subjekt-ObjektBeziehung von Staat und Gesellschaft mit der Daseinsvorsorge auflöst und daß es deswegen nicht mehr möglich ist, das Objekt der Verwaltungsfunktionen als »außerhalb des Staates bestehend« anzusehen.73 Dieser Gedanke ist bei dem französischen Rechtssoziologen vorweggenommen: Weil der moderne Staat sich in erster Linie als Garant der Erfüllung hochkomplexer sozialer Bedürfnisse beweise, werde er selbst, weil allein zu dieser Garantie technisch imstande,74 zu einem System öffentlicher Leistungen, zu einer »fonction sociale«, die Duguit in umfassender Weise den »service public« nannte.75 Diesen für öffentliche Unternehmungen schon vorher im französischen Verwaltungsrecht gebräuchlichen Begriff machte Duguit zu einem staatstheoretischen Gesamtbegriff.76 Den interventionsstaatlichen Momenten der von ihm beobachteten Rechtsentwicklung verschaffte er auf diese Weise eine weitestgehende rechts- und staatstheoretische Anerkennung, ja der »service public« sollte »la notion fondamentale du droit public moderne« werden, das öffentliche Recht entsprechend »un ensemble de règles déterminants l’organisation des services publics et assurant leur fonctionnement régulier et ininterrompu.«77 Ähnlich meinte kurze Zeit darauf Gaston Jèze: »Le service public est, aujourd’hui, la pierre angulaire du Droit administratif français. Cette notion sert à remodeler toutes les institutions du droit public.«78

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L. Duguit, Les Transformations du Droit Public, 1913, 42 f. Duguits Begriff der »solidarité« entspricht demjenigen Durkheims, ist mithin keine sozialethische Kategorie, sondern meint lediglich die tatsächliche soziale Kohäsion bei gleichzeitiger Ausdifferenzierung der Gesellschaft. Ebd., XVII, ähnlich 279. E. Forsthoff, Das neue Gesicht der Verwaltung und die Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 332. L. Duguit, Les Transformations du Droit Public, 1913, 49 f., 52; ähnlich G. Jèze, Das Verwaltungsrecht der französischen Republik, 1913, 41; ders., Les Principes Généraux du Droit Administratif, 21914, 241. L. Duguit, Traité de droit constitutionnel, Bd. II, 31923, 54: »L’État […] est une cooperation des services publics organisés et contrôlés par les gouvernants.« Dazu R. Schnur, Die Krise des Begriffs der services publics im französischen Verwaltungsrecht, in: AöR 79 (1953/54), 419. L. Duguit, Les Transformations du Droit Public, 1913, 52. G. Jèze, Les Principes Généraux du Droit Administratif, 21914, X.

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Welche verwaltungsrechtliche Programmatik formulierte diese Staatstheorie und inwiefern konnte Forsthoff sie aufgreifen? Duguits Verwaltungsrecht ist rechtsdogmatisch in zwei Hinsichten besonders faßlich. Zum einen schloß er mit seinem antiindividualistischen Rechtsverständnis auf die Entbehrlichkeit subjektiver Rechte und suchte nach anderen rechtlichen Sicherungen der sozialen Stellung des einzelnen. Zum anderen entwickelte er Grundlagen einer Neukonzeption der Staatshaftung, die heute vielleicht zu den anregendsten Teilen seines Werkes gehört. Beides ist Ausdruck eines neuartigen, den Bruch mit dem »liberalen« Verwaltungsrecht deutlich artikulierenden Verständnis von den Aufgaben des Verwaltungsrechts. Die Kategorie subjektiver Rechte sah Duguit in unbehebbarem Widerspruch zu den Funktionsbedingungen moderner Gesellschaften.79 Der einzelne wie auch der Staat seien nicht Inhaber von Fall zu Fall beliebig wahrnehmbarer Rechte, sondern Träger konkreter, aus der Einbindung in die soziale Interdependenz resultierender fonctions sociales,80 die ihnen besondere Pflichten auferlegten.81 Freiheits-, besonders Eigentumsrechte könnten daher nicht mehr als Schutzzonen des individuellen Willens verstanden werden.82 Schutzpositionen gewähre die Rechtsordnung vielmehr lediglich insofern, als dies notwendig sei, um dem einzelnen »imposer l’obligation d’accomplir la fonction sociale qui lui incombe«83. Folglich lasse sich das Verwaltungsrecht auch nicht mehr am Grenzbereich zwischen Freiheitsrechten und hoheitlicher Intervention ausrichten. Den Versuch, die Grenzen lediglich neu und zugunsten stärkerer Staatsinterventionen zu bestimmen, unternahm Duguit ebensowenig wie später Ernst Forsthoff. Das war in beiden Fällen konsequent. Beide verwarfen übereinstimmend die Prämissen eines auf die Vorstellung von innen und außen hin geordneten Verwaltungsrechts als grundsätzlich nicht mehr zeitgemäß.84 Duguit

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L. Duguit, Le Droit social, le droit individuel et la transformation de l’état, 1908, 4; vgl. D. Grimm, Solidarität als Rechtsprinzip, 1973, 35 ff. L. Duguit, Les Transformations du Droit Public, 1913, 24 ff. Besonders deutlich L. Duguit, Les Transformations Générales du Droit Privé depuis le Code Napoléon, 1912, 25: »La règle juridique, qui s’impose aux hommes, n’a point pour fondement le respect et la protection de droits individuels qui n’existent pas […]. Elle repose sur le fondement de la structure sociale, la nécessité de maintenir cohérents entre eux les différents éléments sociaux par l’accomplissement de la fonction sociale qui incombe à chaque individu, à chaque groupe.« Dazu U. K. Preuß, Die Internalisierung des Subjekts, 1979, 25. L. Duguit, Les Transformations Générales du Droit Privé depuis le Code Napoléon, 1912, 21. L. Duguit, Les Transformations du Droit Public, 1913, 280 f: Le »droit public moderne n’a plus pour objet de régler les conflits s’élevant entre le prétendu droit subjectif des individus et le droit subjectif d’un État personnifié, mais simplement de régler accomplissement des fonctions sociales des gouvernants, puisque le recours pour excès de pouvoir, qui domine tout le droit public et qui tend à garantir la légalité de l’acte administratif, n’est point fondu sur la violation de prétendus droits de l’individu, mais sur la violation de la loi qui règle l’organisation et le fonctionnement d’un service public.«

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ging statt dessen von der Existenz eines gegenüber allen sozialen Organismen vorrangigen, objektiv die »fonctions sociales« abbildenden öffentlichen Rechts aus, dem die Aufgabe zufalle, soziale Funktionen – nicht: subjektive Rechte – zu schützen, primär also: die öffentlichen Leistungen zu koordinieren.85 Das gleiche Verständnis des Verhältnisses von Staat, Gesellschaft und Recht findet sich auch in Duguits Überlegungen zur Staatshaftung. Sein Verwaltungsrecht ist gerade in dieser Frage verblüffend modern, man kann es geradezu als Verwaltungsrecht der »Risikogesellschaft« avant la lettre bezeichnen.86 Indem er es nämlich von individuellen Willenssphären – subjektiven Rechten wie staatlicher Souveränität – und dem konstitutionellen Gesetzesbegriff abkoppelte, legte er die Verteilung sozialer Risiken als Grundfrage des modernen Verwaltungsrechts frei. Das liberal-rechtsstaatliche Verwaltungsrecht habe noch auf dem Dogma der Staatshaftung für rechtswidrige Eingriffe in Individualrechte und der gleichzeitigen Freistellung rechtmäßiger Souveränitätsausübung von jeder Verantwortlichkeit beruht.87 Für Duguit war das eine überlebte Konstruktion des bürgerlichen Zeitalters, nämlich die typische Rechtsstruktur der »solidarité sociale« einer Privatrechtsgesellschaft. Individualistisch konzipieren lasse sich das Haftungsrecht aber nur, solange der Zurechnungszusammenhang von Schäden mit individuellem Handeln gewahrt bleibe und der einzelne den »risque du dommage« auch tatsächlich tragen könne.88 Ebenso wie für die Vorstellung subjektiver Rechte sah Duguit auch hierfür die soziologischen und ideologischen Voraussetzungen entfallen. Der sich in services publics auflösende Staat könne sich nicht mehr gleichsam hinter die Legalität zurückziehen, und die anonymen Verteilungsfunktionen seien individueller Zurechnung schlechterdings enthoben.89 Duguit sah sich deswegen veranlaßt, mit dem subjektiven Recht auch die individuelle Zurechnung von Risiken aufzugeben. Tatsächlich konnte ja eine Sozialordnung, die subjektive Rechte nicht kennt, sondern den einzelnen in soziale Funktionen und Pflichtenstellungen einweist, ihm schwerlich die Risiken dieser Gestaltung belassen – um so mehr, als die Hauptrisiken moderner Gesellschaften in den »vastes organismes« der industrialisierten services publics bestehen.90 Das Haftungsrisiko gehe deswegen sukzessive auf die Gesellschaft insgesamt über. Aufgabe des Verwaltungsrechts sei es dabei, die Risiko- und Haftungsverteilung gerecht zu regeln und differenziert festzulegen, »quel est le patrimoine qui supportera définitivement le risque du dommage occasionné par le fonctionnement d’un service public«91. Aus dieser Überlegung leitete Duguit die Grundregel moderner Risikoverwaltung ab: 85 86

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Deutlich L. Duguit, Les Transformations du Droit Public, 1913, 80. So für Ernst Forsthoff J. Kersten, Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, in: Der Staat 44 (2005), 552 f. L. Duguit, Les Transformations du Droit Public, 1913, 228 f. Ebd., 231. Ebd., 231. Ebd., 231 ff. Ebd., 231.

Drittes Kapitel: Grundfragen

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»On voit par là apparaître une conception nouvelle à laquelle va se rattacher tout le droit moderne de la responsabilité étatique. La mise en œuvre d’une activité collective, nous voulons dire d’une activité poursuivant un but collectif, occasionnant un préjudice à un groupe ou à un individu, c’est le patrimoine affecté à ce but collectif qui doit supporter définitivement la charge du préjudice.«92

Speziell für das Verwaltungsrecht folgte daraus, daß »si l’organisation ou le fonctionnement d’un service occasionne à un groupe ou un individu des charges exceptionnelles, un préjudice particulier, le patrimoine affecté à ce service public devra supporter la réparation du préjudice, à la condition toutefois qu’il y ait un rapport de cause à effet entre l’organisation ou le fonctionnement du service et le préjudice.«93

Auf Forsthoff hat diese Theorie des Verwaltungsrechts in mehrfacher Hinsicht einen starken Einfluß ausgeübt, der sich bis in dogmatische Einzelfragen hinein aufzeigen läßt. Hier liegen etwa die dogmengeschichtlichen Ursprünge der von Forsthoff 1935 konzipierten Idee einer abstrakten Risikohaftung für die Leistungen der Daseinsvorsorge. Diese Idee hat er bis zuletzt gegen eine völlig anders verlaufende Rechts-, vor allem Rechtsprechungsentwicklung mit bis heute sehr bedenkenswerten Argumenten weiter verfochten (Lb, 259 ff., Lb X, v, 359 ff.).94 Die Formulierung, mit der Forsthoff das Institut der »Gefährdungshaftung« in die deutsche Literatur einführte, läßt das Vorbild Duguit deutlich erkennen: »Das Risiko fällt dem Träger der sozialen Planung zu. Dieser Grundsatz stellt eine Folgerung aus der Ersetzung der individuellen Verantwortung durch die soziale Verantwortung der im Staate verfaßten Volksgemeinschaft dar«95. Ein weiterer für Forsthoffs Lehre bedeutsamer Gedanke ist bei Duguit zumindest vorbereitet: die konstitutive Unterscheidung zwischen Eingriff und Teilhabe, zwischen rechtsstaatlichem und sozialstaatlichem Verwaltungsrecht. Duguit mußte von seinen methodischen Voraussetzungen den Dualismus zwischen öffentlichem und Privatrecht strikt ablehnen,96 aber an

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Ebd., 232. Ebd., 232 f. Siehe ferner E. Forsthoff, Zur Lage des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, in: Festgabe für Theodor Maunz, hrsg. v. H. Spanner u. a., 1971, 90 ff.; zum Ganzen F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 51998, 363 ff. E. Forsthoff, Von den Aufgaben der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 400 – Hervorhebung im Original. Unveröffentlicht geblieben ist dagegen der blauäugig anmutende Versuch, die Verantwortlichkeit der NSDAP nach Amtshaftungsgrundsätzen aus dem Gesichtspunkt der Gefährdung herzuleiten. Deren Haftung entspreche der der staatlichen Verwaltung und ergebe sich »aus der Erwägung, daß die seit einem Jahrhundert ständig wachsende soziale Bedeutung der Verwaltung die Möglichkeiten einer unerlaubten Schadenszufügung durch schuldhaft falsche Handhabung der öffentlichen Gewalt stark vermehrt hat. Die zunehmende Angewiesenheit des einzelnen auf die hoheitliche Verwaltung setzte diesen infolgedessen ständig höheren Risiken aus.« (E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 12). Siehe etwa L. Duguit, Traité de droit constitutionnel, Bd. I, 31927, 683 u. ö.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

seine Stelle trat bei ihm eine andere Gliederung des Rechtsstoffes. Er unterschied zwischen einem Rechtsbereich, der auf der Abgrenzung individueller Rechtspositionen beruht und in gewisser Weise das überkommene subjektivistische Recht enthält, und einem immer stärker werdenden zweiten, der auf der Ordnung objektiv verselbständigter sozialer Funktionen und der Verteilung ihrer spezifischen Risiken aufgebaut ist.97 Noch wichtiger war freilich die Grundauffassung von der politischen Bedeutung und sozialtheoretischen Stellung des Verwaltungsrechts, die Duguit herausgearbeitet hatte. Sie beruhte auf dem Wegfall der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft und deren Verschmelzung in einer dynamischen Architektur sozialer Funktionen. Das Verwaltungsrecht verstand er dabei als ein Mittel der Verteilung und Zuteilung von Gütern, aber auch von sozialen Risiken. Dennoch darf der Einfluß Léon Duguits auf Ernst Forsthoff nicht überbetont werden. Zwischen beiden Konzeptionen bleiben substantielle Unterschiede. Da ist einmal die implizite Staatstheorie: Auch wenn beide den Schwerpunkt des modernen Staates und also seines Verwaltungsrechts in einer expansiven und mit der Gesellschaft verwachsenden Bürokratie sahen, steht diese Sicht bei Duguit in einem dezidiert staatsskeptischen, ja geradezu anarchistischen Kontext.98 Das latent technokratische Sozialmodell, das Duguit dem französischen Frühsozialismus vor allem Saint-Simons, aber auch dem revolutionären Syndikalismus Georges Sorels entnahm,99 mißtraute politischen Entscheidungen zutiefst: »Oui, l’État est mort«100. Gerade als Kritik an der ungerechtfertigten Machtfülle des modernen Staates wollte Duguit ihn in wissenschaftliche Soziologie, das Recht in technisch-administrative Funktionen auflösen.101 Diese Utopie einer harmonischen Ordnung des industriellen Fortschritts war Forsthoff ganz fremd. Er hoffte vielmehr, daß es dem nachliberalen Staat gelingen würde, die Daseinsvorsorge als Mittel einer gerechten Sozialgestaltung zu erkennen und seiner übergeordneten geistigen Konzeption zu unterwerfen, also die Logik des technischen Prozesses politisch zu überwinden. Dem entspricht ein zweiter, methodischer Unterschied. Duguits Lehre vom »service public« mündete in benennbaren Maßstäben wissenschaftlicher, soziologisch-juristischer Rechtskritik. Alle Normen, die die Entwicklung und die Organisation öffentlicher Dienstleistungen betreffen, sollten sich an ihrer Funktion im sozialen Differenzierungsprozeß, an ihrem Beitrag zur »solidarité sociale« messen lassen, und zwar nicht nur funktional, sondern normativ. Dies

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E. Pisier-Kouchner, Le service public dans la théorie de l’État de Léon Duguit, 1972, 270 ff. Ebd., 152 ff.; F. Burdeau, Histoire du droit administratif, 1995, 342. E. Pisier-Kouchner, Le service public dans la théorie de l’État de Léon Duguit, 1972, 18 f., 226 ff.; D. Grimm, Solidarität als Rechtsprinzip, 1973, 82 f.; zur Theoriegeschichte M. Leroy, Histoire des idées sociales en France, Bd. III, 1954, 84 ff. L. Duguit, Le Droit social, le droit individuel et la transformation de l’état, 1908, 38. F. Burdeau, Histoire du droit administratif, 1995, 344; E. Pisier-Kouchner, Le service public dans la théorie de l’État de Léon Duguit, 1972, 13.

Drittes Kapitel: Grundfragen

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geschah aus zwei Gründen: Erstens erklärte Duguit die Leistungen des service public zu einer echten überpositiven, kraft sozialer Notwendigkeit bestehenden Rechtspflicht des Staates.102 Zweitens traf er zwischen den sozialen Funktionsgesetzen und dem Recht der Gesellschaft keine Unterscheidung. Die methodischen Mittel dieser Rechtskritik fand Duguit im soziologischen Positivismus Émile Durkheims und Auguste Comtes und damit in der Übertragung naturwissenschaftlicher Erkenntnismittel auf das gesellschaftliche Leben.103 Auch insoweit trug sein Programm fraglos technokratische Züge. Forsthoff lehnte es deshalb später explizit als »sozialen Normativismus« ab.104 Dennoch: Es folgte einem Impuls der Kritik staatlicher Herrschaft überhaupt, den die Duguitrezeption in Deutschland vor 1945 nicht nur nicht aufgegriffen, sondern geradezu weginterpretiert hat. Zwar sprach Forsthoff schon bald von einer »Verpflichtung und Bindung des Staates durch die Notwendigkeit einer umfassenden Daseinsvorsorge großen Stils« (VwL, 8), meinte damit aber kein staatlicher Satzung vorgehendes soziales Recht. Die Funktionsgesetze der Gesellschaft konnte er, von seinen methodischen Voraussetzungen her, nicht ohne weiteres in Rechtssätze überführen. Deswegen löste die Daseinsvorsorge als solche für ihn auch keine Rechtspflichten des Staates und der Verwaltung aus (vgl. insbes. RlV, 12 f.).

III. Methodenprobleme einer nachpositivistischen Verwaltungsrechtswissenschaft Will man Forsthoffs verwaltungsrechtliche Arbeitsweise verstehen, so darf man sich nicht von den vielfältigen affirmativen und polemischen Bezeichnungen leiten lassen, die sie im Laufe der Zeit erfahren hat. Man hat von einer »bloß« verwaltungswissenschaftlichen Methode gesprochen, von einer »soziologischen Methode«105, von einem »soziologischen Positivismus der nackten Tatsachen«106, von einer »institutionell-teleologischen Methode«107 und von konkretem Ordnungsdenken.108 Weitgehend einig ist man sich allenfalls darin, daß Forsthoff »die« juristische Methode für die Verwaltungsrechtswissenschaft verworfen habe.109 Die Aussagekraft solcher Bezeichnungen bleibt begrenzt, was mit ihnen gemeint ist, vielfach unklar, und gewiß läßt sich Forsthoffs Verwaltungs-

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E. Pisier-Kouchner, Le service public dans la théorie de l’État de Léon Duguit, 1972, 154 ff. Vgl. R. Aron, Hauptströmungen des klassischen soziologischen Denkens, 1979, 77. E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, NL Forsthoff, Ts., 30. P. Badura, Verwaltungsrecht im liberalen und im sozialen Rechtsstaat, 1966, 22. H. Ehmke, Buchbesprechung, in: ZgStW 115 (1959), 189. W. Meyer-Hesemann, Methodenwandel in der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1981, 82 ff. K. Waechter, Verwaltungsrecht im Gewährleistungsstaat, 2008, 49. Siehe C. Schütte, Progressive Verwaltungsrechtswissenschaft auf konservativer Grundlage, 2006, 79 ff. mit Nachweisen.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

recht nicht anhand des (neukantianischen) Dualismus von »Recht« und »Wirklichkeit« verstehen. Fragt man nur nach ihrem Verhältnis bei Forsthoff, so ist das Ergebnis unbefriedigend; dies freilich allein deshalb, weil der Dualismus als solcher für ihn keine sonderliche Bedeutung besitzt.110 Um Forsthoffs Problem zu verstehen, hat man sich den wissenschaftsgeschichtlichen Kontext zu vergegenwärtigen, aus dem seine Kritik jener Methode entstanden ist, die er gegen Ende der zwanziger Jahre im deutschen Verwaltungsrecht vorfand. Die in der Staatsrechtslehre geführte methodische Diskussion der zwanziger Jahre hat die Verwaltungsrechtswissenschaft erst mit einiger Verzögerung erreicht.111 Während die methodischen Fundamente des von Gerber und Laband geprägten Reichsstaatsrechts spätestens nach der Revolution von 1918/19 nicht mehr trugen, konnte sich das wissenschaftliche System Otto Mayers und seiner Nachfolger im Verwaltungsrecht in der Weimarer Republik noch eine zeitlang behaupten. Erst später wurde die veränderte Wirklichkeit der Verwaltung auf breiterer Basis wissenschaftlich thematisiert. Ja man kann sagen: Die methodische Grundlagenkrise, die im Verfassungsrecht die zwanziger Jahre beherrscht hatte, fiel im Verwaltungsrecht mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten zusammen. Auf diese Weise koinzidierte auf fatale Weise die Abkehr vom liberal-rechtsstaatlichen System Otto Mayers mit dem pompösen Antipositivismus der »nationalen Revolution«. Geradezu ohne Zwischenphase ging das Verwaltungsrecht des Allgemeinen Teils im Aufbruch zur »Deutschen Verwaltung« unter. Gewiß waren in der Weimarer Zeit verwaltungswissenschaftliche Untersuchungen von juristischen Autoren entstanden, die freilich vorrangig Probleme der Kommunalverwaltung betrafen.112 Gewiß war das Bewußtsein für die Diskrepanz zwischen den tradierten Rechtsformen und der modernen Verwaltung gewachsen, und gewiß hatte es Appelle gegeben, auch im Verwaltungsrecht die methodische Öffnung zur »Verwaltungswirklichkeit« zu vollziehen.113 Doch verglichen mit der breiten Ablehnung, die dem Positivismus Anfang der dreißiger Jahre im Staats- und Verfassungsrecht entgegenschlug, waren das Randerscheinungen, die für das Selbstverständnis des Faches noch nicht bestimmend

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B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 277; siehe ferner C. Bumke, Die Entwicklung der verwaltungsrechtlichen Methodik in der Bundesrepublik Deutschland, in: Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, hrsg. v. E. Schmidt-Aßmann/W. Hoffmann-Riem, 2004, 93. M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 210. H. J. Wolff, Die Grundlagen der Organisation der Metropole, 2 Bde., mschr., 1924; H. Peters, Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, 1926; ders., Zentralisation und Dezentralisation, 1928; A. Köttgen, Die Krise der kommunalen Selbstverwaltung (1931), in: Kommunale Selbstverwaltung zwischen Krise und Reform, 1968, 1 ff.; E. Forsthoff, Die Krise der Gemeindeverwaltung im heutigen Staat, 1932. M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 209 f.

Drittes Kapitel: Grundfragen

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geworden waren.114 Auch blieb die Verwaltungslehre als nichtnormative Wirklichkeitswissenschaft noch in den Bahnen, in die sie Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Siegeszug des Allgemeinen Teils geraten war. Ihr Gegenstand war die Lehre von der Organisation und den Aufgaben der öffentlichen Verwaltung, die innerhalb des an den Rechtsformen orientierten Verwaltungsrechts keine Stelle hatte.115 Bedeutung für die juristische Arbeit hatte sie kaum. Wie in der Zwei-Seiten-Lehre Georg Jellineks der Status des empirischen Wissens immer ungeklärt oder doch zumindest in den methodischen Problemen des Neukantianismus befangen blieb,116 blieb auch die Verwaltungslehre rechtswissenschaftlich unfruchtbar.117 Untersucht man im Hinblick darauf die spärlichen Quellen der Beschäftigung Forsthoffs mit dem Verwaltungsrecht vor der Machtübername der Nationalsozialisten, so kann man nicht sagen, daß er damals den methodischen und konzeptionellen Rahmen des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts schon verlassen hätte. Dies gilt insbesondere auch für die 1931 in Freiburg gehaltene Vorlesung über Verwaltungsrecht. Es ist zwar auffällig, in welcher Ausführlichkeit er die organisationsrechtliche Ausdifferenzierung der Verwaltung in den »modernen« Verwaltungszweigen, also insbesondere in der Vorsorgeverwaltung durch Reichspost, Reichsbahn, Reichsarbeitsverwaltung und den kommunalen Versorgungsbetrieben thematisierte.118 Doch er beschränkte sich dabei im wesentlichen auf die Wiedergabe des 1931 erreichten Diskussionsstandes.

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Ebd., 245. P. Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, 1967, 57; ders., Verwaltungsrecht im liberalen und im sozialen Rechtsstaat, 1966, 8 f., 16. C. Schönberger, Der »Staat« der Allgemeinen Staatslehre, in: Eine deutsch-französische Rechtswissenschaft?, hrsg. v. O. Beaud/E. V. Heyen, 1999, 111 ff.; positiver demgegenüber J. Kersten, Georg Jellinek und die klassische Staatslehre, 2000, 145 ff. M. Stolleis, Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungslehre 1866–1914, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. III, hrsg. v. K. G. A. Jeserich u. a., 1984, 102 ff., 104. Vgl. etwa E. Forsthoff, Vorlesung Verwaltungsrecht, Sommersemester 1931, Ms., NL Forsthoff, 38: »daß unsere öffentliche Verwaltung zur Zeit in einem Wandel begriffen ist, der sich kennzeichnet als die Preisgabe des früher ziemlich strikt befolgten Grundsatzes der Nichteinmischung in die Wirtschaft und den Übergang zu einer Beteiligung der öffentlichen Hand am Wirtschaftsleben. Die Anfänge dieser Entwicklung gehen zurück in die Kriegzeit. […] Damals entstanden völlig neue Verwaltungsformen, in denen sich öffentlichrechtliche und zivilrechtliche Elemente in einzigartiger Weise mischten. […] Diese sonderbaren Gebilde fielen aus dem Rahmen der bisherigen Verwaltungsformen völlig heraus. Sie verschwanden natürlich mit dem Ende des Krieges, aber der nun einmal eingeschlagene Weg der Beteiligung des Staates am Wirtschaftsleben wurde nicht mehr verlassen. Seit dem Kriege geht die Entwicklung ganz deutlich dahin, daß Verwaltungszweige, die sich dazu eignen, verselbständigt und in den Formen des Privatrechts geführt werden. Wir haben die Entwicklung am deutlichsten in den sogenannten Versorgungsbetrieben der Kommunen. Als solche Versorgungsbetriebe kommen in Betracht die Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke und die Verkehrsunternehmungen.«

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

1. Verwaltungsrecht und »Wirklichkeit« Umso heftiger wurde die unterbliebene Auseinandersetzung der Verwaltungsrechtswissenschaft mit den eigenen methodischen Grundlagen nach 1933 nachgeholt. Nun waren überall Attacken gegen den zu überwindenden »Positivismus« zu lesen. Jedermann berief sich nun gegen den »Formalismus« auf »die« Wirklichkeit, gegen den »Normativismus« auf die »wirklichen Aufgaben« des Staates. »Wirklichkeit« und »Leben«, »gute«, »gesunde Verwaltung«, »konkrete Ordnung« wurden zu Stereotypen eines alsbald immer formelhafteren Antipositivismus.119 Dazu paßte es, wenn die reformierte Studienordnung des Jahres 1935 die Vorlesung über Verwaltungsrecht in »Verwaltung« umbenannte, mit dem erklärten Ziel, der Verwaltungswirklichkeit mehr Raum zu geben, in Wahrheit natürlich, um den Bruch mit der rechtsstaatlichen Tradition auch terminologisch deutlich zu machen.120 Mit großem propagandistischen Aufwand wurde die Verwaltungslehre neu belebt, und das seit langem kümmerliche Fach erlebte tatsächlich eine äußerliche, wenn auch kaum nachhaltige Aufwertung.121 Die pathetische Berufung auf die »Wirklichkeit« war naturgemäß kein Weg zu einer kritischen Instanz, sondern entsprach den politischen Zielvorgaben der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft und ihrem immer offeneren Soupçon gegen das Rechtselement schlechthin.122 Um ein Diktum Hans Freyers aus den zwanziger Jahren zu zitieren: »Man sagt Wirklichkeit und meint Verwirklichung.«123 Auch Ernst Forsthoff hat sich an dieser Polemik in den ersten Jahren nach der Revolution beteiligt, wenngleich er selbst in dieser Zeit nicht auf das Niveau der lebensphilosophischen Platitüden eines Otto Koellreutter herabsank,124 von den entsprechenden Äußerungen der Regimejuristen Hans Frank oder Wilhelm Stuckart ganz zu schweigen. Wenn Forsthoff allerdings die Be119

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Auswahl: E. R. Huber, Die deutsche Staatswissenschaft, in: ZgStW 95 (1935), 59; T. Maunz, Das Verwaltungsrecht des nationalsozialistischen Staates, in: Deutsches Verwaltungsrecht, hrsg. v. H. Frank, 1937, 44 ff.; O. Koellreutter, Die Bedeutung der Verwaltungslehre im neuen Staat, in: RVBl. 1933, 741 ff.; relativ differenziert hingegen A. Köttgen, Deutsche Verwaltung, 1935, 30 ff.; A. Köttgen, Deutsche Verwaltung, 31944, 12 ff.; zum Ganzen immer noch M. Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974; ferner O. Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung, 1994. M. Stolleis, Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungslehre im Nationalsozialismus, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. IV, hrsg. v. K. G. A. Jeserich u. a., 1985, 722; ders., Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 355 ff. M. Stolleis, Die »Wiederbelebung der Verwaltungslehre« im Nationalsozialismus, in: Recht im Unrecht, 22006, 171 ff., 186 ff. Ebd., 171 ff.; B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 280. H. Freyer, Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts, 1921, 88. Siehe O. Koellreutter, Die Bedeutung der Verwaltungslehre im neuen Staat, in: RVBl 1933, 741 ff.; ders., Deutsches Verwaltungsrecht, 21938, 12; ders., Die Verwaltung als Leistungsträger, in: RVBl. 1941, 649 ff.

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deutung der »Verwaltungskunde« gegenüber einer »normativistische[n] Verwaltungsrechtswissenschaft«125 betonte, wenn er gegenüber dem »Formalismus« ein »echtes Rechtsbewußtsein« einforderte, das »seinen Ausgang von den fundamentalen Ordnungen des völkischen Lebens nimmt«126, und wenn er sich auf dieses »Leben« gegen eine »spätbürgerlich-sterile Rechtswissenschaft«127 berief, so bediente er damit ausgesprochene Gemeinplätze der nationalsozialistischen Literatur. Auch verlangte Forsthoff nach einer »grundlegenden Wandlung der verwaltungsrechtlichen Methode«, die künftig in erster Linie auf die »Kenntnis des Wesens der Verwaltung und ihrer sozialen Funktion« ausgerichtet sein müsse.128 Ziel der Verwaltungsrechtswissenschaft sei es, »die Rechtssätze des nationalsozialistischen Verwaltungsrechts als Ausdruck planvoller realer Ordnungen zu erkennen«129. Der »Verwaltungskunde« sollte insofern die Aufgabe zufallen, die »Ergebnisse soziologischer Forschung […] über die ungeschriebenen Lebensgesetze der modernen Verwaltung« als einen »Erfahrungsraum« für die moderne Verwaltungsrechtswissenschaft zu öffnen.130 Die Verwaltungskunde stelle der Verwaltungsrechtswissenschaft belastbares »Wissen von der sozialen Bedeutung der modernen Verwaltung«131 zur Seite und befördere damit eine realitätsnahe juristische Begriffsbildung: »Denn nun handelt es sich darum, den in seiner äußeren Erscheinung außerordentlich differenzierten, durch recht unterschiedliche Funktionsgesetze bewegten, in seinem Gesamtdasein aber einheitlichen nationalsozialistischen Staat als eine Realität zu begreifen und wissenschaftlich zu bewältigen, ohne in überlebte dogmatische Formeln zurückzufallen.«132 Doch was sich unter dem Begriff der Verwaltungslehre oder Verwaltungskunde in der NS-Zeit etablierte, konnte zur Rechtserkenntnis nicht nur nichts beitragen, sondern hatte überwiegend eine schlicht rechtsfeindliche Tendenz.133 Der Zugriff auf die Wirklichkeit geschah so selektiv, so weltanschaulich verzerrt, daß er leicht als Mittel zu erkennen war, um die Gesetzesgebundenheit der Verwaltung auszuhebeln. Jedenfalls trat für Forsthoff das methodische Problem der Rechtswirklichkeit schon nach wenigen Jahren unter veränderte, teils sogar entgegengesetzte Vorzeichen.

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E. Forsthoff, Von den Aufgaben der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 398. E. Forsthoff, Der Formalismus im öffentlichen Recht, in: DR 4 (1934), 349. E. Forsthoff, Buchbesprechung, in: JW 1934, 1037. E. Forsthoff, Von den Aufgaben der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 398. Ebd., 398. Ebd., 398. Ebd., 398. Ebd., 399. M. Stolleis, Die »Wiederbelebung der Verwaltungslehre« im Nationalsozialismus, in: Recht im Unrecht, 22006, 188.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

Von einer Anreichung der Verwaltungsrechtswissenschaft durch eine Verwaltungskunde war bereits in Die Verwaltung als Leistungsträger keine Rede mehr. Forsthoff erklärte sie nun für erledigt und die Wiederbelebungsversuche für gescheitert (VwL, 2 f.). Seine Analyse bezeichnete er selbst ausdrücklich als eine »wirklichkeitsverbundene Dogmatik des Verwaltungsrechts« (VwL, 14).134 Im selben Sinne heißt es in einem Brief an Smend aus dem Jahr 1939, die Arbeit sei »nicht mehr als ein kleiner, bescheidener Hinweis auf das, was eine realistische Rechtswissenschaft heute zu leisten hätte.«135 Ein erster handschriftlicher Entwurf zur Verwaltung als Leistungsträger trug noch den Untertitel »Zur Methode und Dogmatik«.136 Das Lehrbuch des Verwaltungsrechts, das zunächst nicht den im Nationalsozialismus verpönten Titel Verwaltungsrecht tragen, sondern »Verwaltungslehre« heißen sollte,137 hat er insgeheim nie so, sondern immer mit seinem späteren Titel bezeichnet, den er nach dem Kriegsende auch dem Verlag nannte.138 Dezidiert nahm Forsthoff dann in seinem Fragment gebliebenen Buch zur verwaltungsrechtlichen Methode von 1942 gegen die Verwaltungslehre Stellung, die ihm nun als Beweis dafür erschien, welche Gefahr »die Verwaltungsrechtswissenschaft als Wissenschaft läuft, wenn sie die Bahnen wissenschaftlicher Erkenntnis verläßt und sich direktionslos ihrem Gegenstand, der sozialen und politischen Wirklichkeit, ausliefert.«139 Die alte Verwaltungslehre habe mit der für Lorenz von Stein noch konstitutiven Dialektik von Staat und Gesellschaft ihre Bedeutung verloren, und sie lasse sich auch nicht wiederherstellen.140 Damit fehle einer Verwaltungslehre ein abgrenzbarer Gegenstand. Die allgemeine innere Verwaltung sei durch die Ausdifferenzierung in viele Sonderverwaltungen weithin erodiert. Diese jedoch ließen sich darstellerisch nicht mehr über ihre Funktionen, sondern nur noch über ihre Rechtsformen integrieren.141 Nimmt man diese Begründung beim Wort, so bedeutete sie nicht weniger als die Rehabilitierung wenn auch nicht des Systems, so doch des methodischen Ausgangspunktes Otto Mayers. Denn eben dies war ja die Grundlage seines Verwaltungsrechts gewesen: die Abstrahierung der rechtlichen Handlungsmodalitäten der Verwaltung aus einem nicht mehr syntheti-

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Hervorhebung nicht im Original. Ähnlich auch E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, 8, wo es heißt, die Schrift habe »in skizzenhafter Form einige Gedanken zur Neufundierung der verwaltungsrechtlichen Dogmatik« enthalten. Ernst Forsthoff an Rudolf Smend v. 12.3.1939, SUB Göttingen, NL Smend. Handschriftliches Ms., 4 S., NL Forsthoff. Beck-Verlag an Ernst Forsthoff, 13.1.1941 (mit Entwurf des Verlagsvertrages), NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an Beck-Verlag, 28.9.1945, NL Forsthoff. E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 7. Ebd., Bl. 14. Ebd., Bl. 21.

Drittes Kapitel: Grundfragen

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sierbaren staatswissenschaftlichen Material. Im gleichen Sinne meinte nun auch Forsthoff, die hohe organisatorische und funktionale Komplexität der öffentlichen Verwaltung im Massenstaat sei »ein entscheidendes Hemmnis für die Rückkehr zur staatswissenschaftlichen Darstellungsweise, welche in einem uferlosen Stoff untergehen würde. Andererseits läßt gerade die Ausdifferenzierung des Verwaltungsrechts es als notwendig erscheinen, das den Verwaltungstätigkeiten aller Denominationen Gemeinsame aufzusuchen und damit die Einheitlichkeit der Verwaltung herauszuheben. Dazu ist vorzüglich die juristische Methode geeignet und berufen.«142

Wo man gleichwohl noch eine besondere Verwaltungslehre betreibe, ende man unweigerlich in Banalitäten: »Die Vermutung ist nicht ganz von der Hand zu weisen, daß die neuen Anhänger der Verwaltungslehre in der Praxis eine Art Gebrauchsanweisung für das praktische Verwaltungshandeln […] verstehen. Diesem Ansinnen gegenüber muß mit aller Offenheit und Unbedingtheit ausgesprochen werden, daß es nicht die Aufgabe der Wissenschaft sein kann, exekutivische Rezepte zu geben. […] Die Wissenschaft hat den künftigen Verwalter nicht darüber zu belehren, wozu Telephon und Fernschreiber nützlich sind.«143

Ihre Vertreter hielten sich zudem offenbar für berufen, »der angeblich versagenden Verwaltungsrechtswissenschaft zu Hilfe zu kommen, wenn nicht gar sie zu ersetzen. Sofern die neuen Anhänger der Verwaltungslehre von der Voraussetzung

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Ebd., Bl. 63. Ausführlicher heißt es (Bl. 62): »Aber auch jetzt, nach der Überwindung des Positivismus, besteht für eine besondere Verwaltungslehre mit dem Rang einer wissenschaftlichen Disziplin weder Raum noch Bedürfnis. Die an Stoff und Bedeutung seit Lorenz von Stein immer stärker hervorgetretenen Verwaltungsprobleme sind längst in den Bereich der Volkswirtschaftslehre übergegangen. Die soziologisch-verwaltungswissenschaftliche Forschung, wie sie am klarsten durch Max Weber repräsentiert wird, ist nach Abstreifung der positivistischen Fesseln in den Arbeitsbereich der Verwaltungsrechtswissenschaft einbezogen worden […], die ohne den ihr damit zugewachsenen Stoff nicht arbeitsfähig wäre. Was übrig bleibt, ist neuerdings mehrfach zu einem Arbeitsprogramm der Verwaltungslehre zusammengefaßt worden. Es sind die mehr technischen Fragen des Verwaltens, welche für die Praxis ihre Bedeutung haben, aber schwerlich den Anspruch erheben können, in die Hierarchie der wissenschaftlichen Gegenstände […] aufgenommen zu werden. […] Diese Überlegungen rechtfertigen die Schlußfolgerung, daß die Verwaltungsrechtswissenschaft auf dem Boden der juristischen Methode zu verbleiben hat und keine Nötigung besteht, zu der sogenannten staatswissenschaftlichen Methode zurückzukehren. Unter der staatswissenschaftlichen Methode ist diejenige zu verstehen, welche bei der Gliederung und Darstellung des Stoffes den Verwaltungsfunktionen in der gegebenen kompetenzmäßigen Aufteilung grundsätzlich folgt, während die von Otto Mayer zum erstenmal konsequent durchgeführte Methode das Prinzip der Gliederung den Rechtsförmigkeiten der Verwaltungsfunktionen entnimmt. Hier wird den Rechtsqualitäten der Erscheinungen des Verwaltungslebens das System des wissenschaftlichen Verwaltungsrechts abgenommen.« (Nachweise weggelassen). Ebd., Bl. 18.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

ausgehen, daß das Recht in der Verwaltung seiner beherrschenden Stellung entkleidet und deshalb die wissenschaftliche Bewältigung des Verwaltungsphänomens vom Recht aus nicht mehr möglich sei, bedarf es an dieser Stelle keiner weiteren Ausführungen, nachdem die Rechtssatzgebundenheit der Verwaltung als fortbestehend festgestellt wurde.«144

Die Methodenfrage entschied sich also an der Frage des Gesetzesvorrangs. Forsthoff sah sich gezwungen, umständlich die strikte Rechtsbindung der Verwaltung gegen den unvermittelten Durchgriff auf außerrechtliche Tatsachen und Wertungen und die Existenz einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu verteidigen.145 Während er noch 1938 lapidar die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung als fortgeltenden Grundsatz bezeichnete (VwL, 2), finden sich dazu im Manuskript von 1942 über die Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft weit ausholende Begründungen. Es sei der Verwaltung verwehrt, sich unter Berufung auf die Wirklichkeit und materiale Zwecke ihrer Gesetzesbindung zu entheben. Aus der »zwingenden Natur des Rechtssatzes«, aus der »Struktur der Verwaltung als solcher« und aus den »Bedürfnissen der praktischen Verwaltung« ergebe sich auch nach dem Ende der gewaltenteilenden Verfassung, »daß die rechtssatzmäßige Gebundenheit der Verwaltung fortbesteht, daß im Regelfall heute wie früher für den Eingriff in die private Rechtssphäre die rechtssatzmäßige Deckung erforderlich ist.«146 Die normative Bindung sei unabhängig von dem verfassungsrechtlich verstandenen Vorbehalt des Gesetzes: »Das Prinzip der gesetzmäßigen Verwaltung ist durch das der rechtssatzgebundenen Verwaltung abgelöst, das sich, wie dargetan, nicht sehr wesentlich von ihm unterscheidet.«147 Nach alledem sei die Fortdauer des Gesetzlichkeitsprinzips für die Verwaltungsrechtswissenschaft immer noch »schlechthin grundlegend. Denn sie ist die unerläßliche Voraussetzung für den [Anspruch] der Verwaltungsrechtswissenschaft, vom Recht her das Wesen und [die] Grenzen der Verwaltung erfassen zu können.«148 Gewiß hatte dieses Festhalten an der Rechtssatzgebundenheit etwas Hilfloses. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn Forsthoff sie mit folgenden bürokratiesoziologischen Erwägungen bekräftigen wollte, die sich in ähnlicher Form auch bei Arnold Köttgen149 finden: »Man kann die Bindung an diese Regeln [scil: des gesetzten Rechts] nicht aufheben, ohne zugleich auch die herkömmliche Verwaltung aus ihren Angeln zu heben. Daß eine solche Absicht nicht besteht, ist allein schon durch das Deutsche Beamtengesetz vom 26. Januar 1937

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Ebd., Bl. 60. Zu dieser Diskussion M. Stolleis, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus, in: Recht im Unrecht, 22006, 190 ff. E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 57 unter ausdrücklicher Berufung auf den Legalitätsbegriff Max Webers. Ebd., Bl. 57. Ebd., Bl. 58 f. A. Köttgen, Deutsche Verwaltung, 21937, 35, 38 ff.; ders., Deutsche Verwaltung, 31944, 14, 16 ff.

Drittes Kapitel: Grundfragen

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[…] bezeugt und bedarf weiter keines Beweises. Ist das aber so, dann muß auch an der rechtssatzmäßigen Gebundenheit als einem Funktionselement dieser Art von Verwaltung festgehalten werden. […] Endlich schließt auch die Aufgabe der Verwaltung in dem modernen Massenstaat die Lösung vom Rechtssatz aus. Die Aufgabe der Verwaltung wird durch die Vermassung wesentlich bestimmt. Die Vermassung wirkt entindividualisierend und zwingt die Verwaltung, unter relativ weitgehender Absehung von den Modalitäten des einzelnen Falles, ihr Handeln nach generalisierenden Normen selbständig auszurichten. […] Diese generalisierende Gleichbehandlung wird nicht nur durch die Technik der Verwaltung gefordert, sie entspricht auch der Gerechtigkeit in einer weitgehend entindividualisierten Massenwelt. Der generelle Rechtssatz erhält damit eine neue, in der rechtsstaatlichen Doktrin wenig beachtete Bedeutung.«150

An seiner Ablehnung einer besonderen juristischen Verwaltungslehre neben der Verwaltungsrechtswissenschaft hielt Forsthoff auch in der Bundesrepublik zunächst fest. Heftig kritisierte er etwa Hans Peters für sein 1949 erschienenes Lehrbuch der Verwaltung.151 Darin fand sich eine reiche Zahl von soziologischen, politischen und moralischen Betrachtungen zur Wirklichkeit der Verwaltung. Anders als Forsthoff beharrte Peters auf der methodischen Integration von Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre. Dementsprechend kritisierte er im Gegenzug Forsthoffs Verengung auf das Verwaltungsrecht.152 Was Forsthoff in einem Brief an Peters aus dem Jahre 1949 als allein noch mögliches Anliegen einer zeitgemäßen Verwaltungslehre skizzierte, hatte dann mit der ansonsten unter dieser Bezeichnung betriebenen Forschung nichts mehr zu tun. Die einzige Möglichkeit bestand nach Forsthoff darin, aus der Verwaltungslehre eine Staatslehre zu machen, und zwar die genuine Staatslehre des Verwaltungsstaates. »Bei dem Hegelianer v. Stein hatte sie [scil: die Verwaltungslehre] in einer bestimmten Phase der Dialektik von Staat und Gesellschaft und als Gegenposition gegen den aufkommenden Positivismus einen großartigen Zug. Das hat man später nicht mehr verstanden und so ist sie […] zu einem Konglomerat kameralistischer Platitüden herabgesunken. Ihr wohnt heute wieder eine Sprengkraft inne, sofern man, ausgehend von der These, daß die wahre Verfassung des modernen Staates seine Verwaltung ist, die Verwaltungslehre als moderne Herrschaftslehre entwickelt. Aber wer will das? Die Nationalsozialisten hatten z. T. von diesen Möglichkeiten eine Ahnung, aber sie waren Gottseidank nicht gescheit genug, um das wissenschaftlich auszuführen. Im Rahmen der staatlichen Gegebenheiten, wie wir sie z. T. haben, z. T. wünschen, kommen wir m. E. mit einer nichtpositivistischen Verwaltungsrechtswissenschaft aus,

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E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 57/58. H. Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949; er präzisierte und rechtfertigte sein methodisches Vorgehen später noch einmal, vgl. ders., Die Bedeutung der Verwaltungswissenschaften für die Staats- und Gesellschaftsordnung (1956), in: Verwaltungswissenschaft, hrsg. v. H. Siedentopf, 1976, 267 ff. Zu Peters’ Verwaltungsrechtswissenschaft insgesamt K. J. Grigoleit/J. Kersten, Hans Peters (1896–1966), in: Die Verwaltung 30 (1997), 365 ff. H. Peters, Buchbesprechung, in: Schmollers Jb. 71 (1951), 126.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

die soziologisch exakt zu analysieren und zu interpretieren weiß und damit gegen die Gefahr geschützt ist, bei überlebten Vorstellungen zu verharren.«153

Aber das war nicht das letzte Wort in Sachen Verwaltungslehre. 1958 nahm Forsthoff in einem Vortrag über Anrecht und Aufgabe einer Verwaltungslehre noch einmal ausführlicher Stellung zum methodischen Verhältnis von Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaft (RW, 129 ff. = RlV, 47 ff.) – und änderte seine Position zugunsten einer selbständigen Verwaltungslehre. Nun sprach er von ihr als einer »notwendige[n] Ergänzung der Verwaltungsrechtswissenschaft, die ihren Aufgaben in der heutigen Zeit gerecht werden will« (RW, 146). Ihre Aufgabe sei es, so lautete nun Forsthoffs ebenso vage wie wohl auch wenig kontroverse Beschreibung, »Wirklichkeitsbefunde zu liefern, welche geeignet sind, fortbildend auf das Verwaltungsrecht einzuwirken« (RW, 138). Zwar trage auch die Soziologie zur Erkenntnis des Phänomens Verwaltung bei, doch bleibe es das Anliegen einer originären juristischen Verwaltungswissenschaft, sich der klaffenden Lücke zwischen dem überkommenen verwaltungsrechtlichen System und der modernen Verwaltungswirklichkeit, vor allem der Technisierung der Verwaltung und ihrer Grenzen immer wieder aufs Neue zu vergewissern (RW, 139, 141 ff.). Hatten sich die staatlichen Gegebenheiten geändert, von denen er gegenüber Hans Peters gesprochen hatte? Waren Forsthoffs Erwartungen an eine »nichtpositivistische Verwaltungsrechtswissenschaft« enttäuscht worden? Das auch. Aber das Problem, über das Forsthoff nun eigentlich sprach, war nicht mehr eines der juristischen Methode. Der Vortrag von 1958 trägt deutliche Züge eines Rückzugsgefechtes. Daß die Verwaltungslehre »mehr und mehr in das Fahrwasser der Soziologie«154 geraten würde, hatte er zwar schon 1942 vermutet. Mittlerweile hatten jedoch andere Fächer gewaltige Landgewinne auf den Gebieten zu verzeichnen, die Forsthoff zuvor einfach dem soziologisch geschulten Wirklichkeitssinn des Juristen überlassen hatte und nun einer juristischen Verwaltungswissenschaft übertrug. Die Rolle der Verwaltung in der industriellen Gesellschaft wurde nach dem Zweiten Weltkrieg immer stärker zum genuinen Thema der Soziologie – freilich einer betont westlich oder frankfurterisch orientierten Soziologie. Anders als die historische Soziologie, die Forsthoff einst im Blick gehabt hatte, arbeitete sie nicht mehr hermeneutisch,

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Ernst Forsthoff an Hans Peters, 28.11.1949, BA Koblenz, NL Peters, Nr. 39. Ähnlich, aber weniger deutlich heißt es in dem Aufsatz Der moderne Staat und die Tugend: »Die Aufgabe einer modernen Verwaltungslehre müßte darin bestehen, die Modalitäten des Verwaltungshandelns nach ihren sachlichen und persönlichen Elementen zu entwickeln, auf diese Weise ein Maß zu gewinnen, das die Grenzen des Verwaltens sichtbar macht und innerhalb dieser Grenzen die persönlichen und sachlichen Erfordernisse einer optimalen Verwaltung aufzuweisen.« (RW, 25) und ferner RlV, 47. E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 60.

Drittes Kapitel: Grundfragen

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sondern analytisch.155 Die empirische Bürokratie- und Organisationssoziologie und eine ökonomische und soziologische Planungsforschung entstanden.156 Zudem begann die Wirtschaftswissenschaft ihren Aufstieg zur Leitdisziplin.157 Dabei wanderten jeweils Teilaspekte der früheren Verwaltungslehre in Spezialdisziplinen ab. Die Verwaltungswissenschaften befanden sich also im Prozeß der Ausdifferenzierung und Spezialisierung. Auf diese Entwicklungen reagierte die Verwaltungsrechtswissenschaft der sechziger Jahre – wie von Niklas Luhmann eingefordert 158 – zunächst mit einer stärkeren, demokratietheoretisch induzierten Rückwendung zur Dogmatik,159 für die zwei Werke von überragender Bedeutung sind: Dietrich Jeschs Gesetz und Verwaltung und HansHeinrich Rupps Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre.160 Forsthoff hielt dennoch an einer juristischen Verwaltungslehre fest und verband sie zudem mit einer Verteidigung der Juristenverwaltung. Von Niklas Luhmann mußte er sich deshalb vorhalten lassen, seine Position sei, »milde gesagt, egozentrisch«161. Er hielt Forsthoff entgegen, der gebildete Jurist als Idealtyp werde zu einer »utopischen Ideologie, […] weil die Zentralität dieses Rollenbildes nicht durch eine entsprechende Zentralität des juristischen Fachwissens gestützt wird.«162 Und er – ausgerechnet Luhmann! – kritisierte den »Einbau von empirisch unzureichend abgesicherten sozialwissenschaftlichen Aussagen in das Verwaltungsrecht« als geradezu »typisch für Ernst Forsthoff«.163 Forsthoffs Vortrag machte aber noch etwas anderes deutlich: In welchem Maße sich nämlich die alte, innerjuristische Opposition von Verwaltungsrecht und Verwaltungswirklichkeit auch methodologisch erledigt hatte. Die Integra155

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J. Habermas, Zur Logik der Sozialwissenschaften (1967), in: Zur Logik der Sozialwissenschaften, 51985, 89 ff., 306 ff.; zum Ende der Historischen Schule in der westdeutschen Soziologie ferner V. Kruse, Historisch-soziologische Zeitdiagnosen in Westdeutschland nach 1945, 1994, 38 ff. G. Metzler, Am Ende aller Krisen?, in: HZ 275 (2002), 57 ff.; A. Nützenadel, Stunde der Ökonomen, 2005, 108 ff., 197 ff. G. Metzler, Konzeptionen politischen Handelns von Adenauer bis Brandt, 2005, 35 ff.; s. a. P. Nolte, Die Ordnung der deutschen Gesellschaft, 2000 273 ff.; für die Volkswirtschaftslehre A. Nützenadel, Stunde der Ökonomen, 2005, 164 ff. und passim. N. Luhmann, Theorie der Verwaltungswissenschaft, 1966. F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 259 ff. D. Jesch, Gesetz und Verwaltung (1961), 21968; H.-H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre (1965), 21991; siehe auch O. Bachof, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, in: VVDStRL 30 (1972), 193 ff. N. Luhmann, Theorie der Verwaltungswissenschaft, 1966, 61. Ebd., 13; ferner N. Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung (1966), 21997. N. Luhmann, Theorie der Verwaltungswissenschaft, 1966, 22, ähnlich 59 f. (Anm. 105); Luhmanns Mahnung zur Methodenreinheit stieß allerdings auch bei Vertretern auf Widerspruch, die sonst Forsthoff nicht eben nahestanden, vgl. als typische Äußerung O. Bachof, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, in: VVDStRL 30 (1972), 217 f.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

tion sozialer Zwecke in das juristische und speziell das verwaltungsrechtliche Denken war allgemein vollzogen, die alte methodische Kritik am »Positivismus« damit obsolet. Statt dessen trat nun die Aufgabe in den Vordergrund, die Verwaltung auf verfassungsrechtliche Vorgaben einzustellen, an Stelle der »Wirklichkeit« – welcher auch! – wurde nun »die« Verfassung, wurden vor allem die Grundrechte zur externen Referenz des Verwaltungsrechts.164 Damit war die Verwaltungslehre einstweilen marginalisiert. Daß sie ab den sechziger Jahren unter ganz anderen Vorzeichen wiederbelebt werden würde, hatte andere Ursachen; eine methodisch konsistente Disziplin unter Einschluß der Rechtswissenschaft entstand – vieler Proklamationen ungeachtet 165 – auch später nicht mehr.166 2. Aufgaben einer nichtpositivistischen Verwaltungsrechtswissenschaft Doch zurück zu den Problemen, wie sie sich Forsthoff zu Beginn der vierziger Jahre stellten und wie er sie in seinem Lehrbuch zu lösen versuchte. Was blieb nach der Kritik der Verwaltungslehre und der Verteidigung der strikten Rechtssatzgebundenheit noch übrig von der Forderung nach einer »grundlegenden Wandlung der verwaltungsrechtlichen Methode«167? Die Antwort kann, wie zu erwarten, nur differenziert ausfallen. Einerseits hielt Forsthoff fest an seiner Ablehnung einer ausschließlich »normativistischen«, am Inhalt der Rechtssätze orientierten verwaltungsrechtlichen Methode und suchte nach Wegen, den Rechtsstoff nicht aus sich selbst, sondern aus seinem sozialen »Wirkungszusammenhang«168 zu verstehen. Andererseits sollte dieser Sinnvollzug des Rechts gerade nicht von den Realien des Verwaltungshandelns ausgehen, sondern von den Rechtssätzen. Die Verwaltungsrechtswissenschaft sollte für Forsthoff eine juristische, in rechtlichen Begriffen und Institutionen verfahrende Beschreibungsform der modernen Verwaltung sein. Von der proklamierten Öffnung des Rechts zur »Wirklichkeit« der Verwaltung blieb damit als methodisches Problem seiner Verwaltungsrechtswis164

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Klarsichtig dazu schon H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre (1962), 21980, 276. Siehe etwa die in dem Band H. Siedentopf (Hrsg.), Verwaltungswissenschaft, 1976, enthaltenen Beiträge; ferner K. von der Groeben/R. Schnur/F. Wagener, Über die Notwendigkeit einer neuen Verwaltungswissenschaft, 1966; U. Battis, Juristische Verwaltungslehre, in: Die Verwaltung 11 (1975), 413 ff. M. Stolleis, Verwaltungsrechtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland, in: Rechtswissenschaft in der Bonner Republik, hrsg. v. D. Simon, 1994, 255 f.; ausführlich G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, 44 ff.; mager auch der Befund bei F. Ossenbühl, Die Weiterentwicklung der Verwaltungswissenschaft, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. V, hrsg. v. K. G. A. Jeserich u. a., 1985, 1159 ff. E. Forsthoff, Von den Aufgaben der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 398. E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 59/60.

Drittes Kapitel: Grundfragen

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senschaft nach Die Verwaltung als Leistungsträger nur eine, allerdings fundamentale Aufgabe übrig: der Einbau der sozialen Zwecke und Aufgaben der Verwaltung in das Verstehen des Rechtssatzes. Eine Verwaltungsrechtswissenschaft, die diese Aufgabe befriedigend gelöst hätte, würde nach seiner Vorstellung auch eine selbständige Verwaltungslehre nicht mehr brauchen.169 Was zunächst die Unmöglichkeit der Beschränkung der verwaltungsrechtlichen Erkenntnis auf das positive Recht betrifft, so argumentierte Forsthoff nun mit dessen eigentümlicher Struktur und nicht mehr mit dem angeblich unpolitischen Positivismus. Das Verwaltungsrecht unterscheide sich vom Zivilund Strafrecht von je her dadurch, daß sein positiver Ausdruck immer fragmentarisch gewesen sei. Das aber sei kein etwa durch eine Kodifikation behebbarer Mangel des Verwaltungsrechts (Lb, 130 f.), sondern Folge der institutionellen Komplexität des Phänomens Verwaltung. Es schließe jedoch die Möglichkeit aus, den inneren Zusammenhang des Stoffs im verwaltungsrechtlichen Normenbestand selbst aufzufinden. Auch die klassische rechtsstaatliche Verwaltungsrechtslehre habe, »von unfruchtbaren Leistungen einzelner Außenseiter abgesehen«, nie in diesem Sinne positivistisch gearbeitet.170 Vielmehr sei jede Verwaltungsrechtswissenschaft gezwungen, sich selbst ein aus dem »Wirkungszusammenhang« des Rechtsstoffes gewonnenes »Bild der sozialen Welt«171 aufzubauen, als dessen Ausdruck sie wiederum die verwaltungsrechtlichen Normen und Institutionen verstehen könne. Darin bestehe auch und gerade die epochale Leistung Otto Mayers. Er habe von einem solchen konkreten »Bild der sozialen Welt« ausgehend, vom politisch-sozialen Ideal der Trennung des Staates von der bürgerlichen Gesellschaft (VwL, 43 f.; Lb, 43), den verwaltungsrechtlichen Stoff unter einzelnen, aus dieser Wirklichkeit gewonnenen Begriffen – Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, Eingriff, Anstalt, Enteignung – zu einem Komplex spezifischer Rechtsinstitute organisiert. Nun waren für Forsthoff aber die Elemente dieses bürgerlichen Bildes der sozialen Welt zerfallen: Die Trennung von Staat und Gesellschaft bestand nicht mehr, die Gewaltenteilung war im Führerstaat entfallen. Die paradigmatische Bedeutung des negatorischen Eigentumsschutzes hatte sich aufgelöst. Was Forsthoff in dieser Situation für die Aufgabe der Verwaltungsrechtswissenschaft hielt, kann man ohne Untertreibung als eine Wiederholung des Mayerschen Unternehmens bezeichnen. Der innere Zusammenhang des modernen, nachliberalen Verwaltungsrechts würde sich, so meinte Forsthoff, erst darstellen lassen, wenn es gelänge, ein ebenso konsistentes und juristisch fruchtbares Bild der sozialen Welt aufzubauen wie es sich das Verwaltungsrecht des Konstitutionalismus zu seiner Zeit erarbeitet hatte. Die verwaltungsrechtliche Forschung 169 170

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Ebd., Bl. 16. Ebd., Bl. 59/60. Mit dem Außenseiter war A. Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, gemeint. E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 10.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

müsse sich dazu der die Verwaltung betreffenden Modernisierungsphänomene mit ihren eigenen Mitteln annehmen und sie im Hinblick auf die veränderte Funktion des Verwaltungsrechts »verstehen«: »Ich frage: wo ist bisher die gemeinschaftsbildende Kraft des Raums, das Verhältnis von Stadt und Land, die moderne Technik, das Stammesgefüge des deutschen Volkes, die Besiedelungsdichte, das Problem der Mehrsprachigkeit – um nur einiges beliebige zu nennen – mit dem Ziel einer Bereicherung unseres verwaltungsrechtlichen Wissens zum Gegenstande wissenschaftlicher Untersuchung gemacht worden? Einer Antwort bedarf es nicht. Aber in solchen konkreten Themen stecken heute die Probleme, auf die es ankommt, nicht in den allgemeinen Begriffen, über deren Wert und Unwert man in den letzten Jahren bis zum Überdruß gestritten hat.«172

Nun durfte sich allerdings die Wissenschaft nach Forsthoffs Überzeugung dabei keines bloß empirischen Verfahrens bedienen, wodurch nach Art der erklärenden Sozialwissenschaften nämlich die kausallogisch analysierte Wirklichkeit bereits in einen impliziten Gegensatz zum Recht gesetzt würde. Für notwendig hielt er vielmehr ein wertendes Verfahren: »Schon im Aufbau des Bildes der sozialen Welt, wie es der verwaltungsrechtlichen Forschung nutzbar gemacht wird, vollzieht sich eine selbständige, wertende Leistung, welche dann in den verwaltungsrechtlichen Folgerungen und Auswertungen zur Präzisierung gelangt.«173 Dieses Verfahren nannte Forsthoff mit Wilhelm Dilthey und seinem Königsberger Kollegen Georg Weippert, einem Wirtschaftssoziologen, der Max Webers Soziologie mit Heideggers Hermeneutik verbinden wollte,174 die »verstehende Methode«: »Die verstehende Methode ist auf die Erfassung des Wesens der sozialen Erscheinungen und der unter ihnen obwaltenden Zusammenhänge gerichtet. Sie ist sohin nicht logisch-analytisch in dem Sinne, daß sie die soziale Wirklichkeit sozusagen auf dem Präpariertisch in ihre einzelnen ›Teile‹ ›zerlegt‹. Verstehen bedeutet einen Sinnvollzug, bei dem nicht, wie das bei der logischen Analyse zu denken ist, das analysierende Individuum als Subjekt und die soziale Wirklichkeit als Objekt einander gegenüberstehen.«175

Die verstehende Methode sollte im Verwaltungsrecht vom normativen Rechtsstoff ausgehen, dabei jedoch die rechtsstaatliche Verengung auf das Gesetz vermeiden. Die Rechtssätze seien in ihrem sozialen Sinn und Wirkungszusammenhang zu interpretieren: Aus welchen Zwecken, aus welchen institutionellen Ordnungen gehen die prägenden Rechtssätze hervor? Aus welcher Entwicklung sind sie entstanden? Welche sozialen Kräfte tragen, welche hemmen sie?

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Ebd., Bl. 9. Ebd., Bl. 10. Siehe etwa G. Weippert, Vom Werturteilsstreit zur politischen Theorie (1939), in: Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Bd. I, 1966, 97 ff. Weippert lehrte seit 1937 in Königsberg, und Forsthoff war an seiner Berufung maßgeblich beteiligt. E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 9.

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Doch bei dieser Form der sozialen Sinnerfassung durfte die verstehende Methode des Verwaltungsrechts nicht stehenbleiben. Der Ursprung der Rechtssätze im sozialen Leben »bedeutet […] nicht, daß sie nur ein Teil der Wirklichkeit sind. Denn dann gingen sie in der Wirklichkeit auf und ihre Verletzung würde kein großes Aufhebens verdienen.«176 Der juristische Blick mußte sich dialektisch wieder zu seinem Ausgangspunkt, dem verwaltungsrechtlichen Normativbestand, zurückwenden. Sind die einzelnen rechtlichen Institute als Ausdruck einer konkreten sozialen Situation erkannt, so müssen sie alsdann in feste dogmatische Konturen, in sprachliche Formen und Begriffe gebracht werden. Erst dies, die sprachliche Erfassung des Lebens im Recht, erlaubt es, die verwaltungsrechtlichen Normen dann wiederum gegenüber der sozialen Wirklichkeit in ihrer spezifischen begrifflich-dogmatischen Strenge zur Geltung zu bringen: »Vielmehr ist mit Nachdruck zu betonen, daß dem Verwaltungsrechtssatz gegenüber der sozialen Wirklichkeit eine ganz spezifische Autorität zukommt, welche die Unterwerfung des Sozialgeschehens unter den Verwaltungsrechtssatz in jedem einzelnen Falle fordert. […] Hebt man auf solche Weise die Verwaltungsrechtssätze von der sozialen Wirklichkeit ab, und das mit einer stärkeren Betonung, als dies in den Formulierungen des konkreten Ordnungsdenkens gemeinhin zum Ausdruck kommt, so soll damit andererseits der Verwaltungsrechtssatz nicht nach positivistischer Art der sozialen Wirklichkeit gegenübergestellt und zur alleinigen Grundlage der juristischen Erwägung gemacht werden. Im Gegenteil: Gerade eine Verwaltungsrechtswissenschaft, welche ihre Denkbemühungen bei der Wirklichkeit ansetzt, wird vielfach ohne Anhalt an das Gesetz zu ganz präzisen juristischen Folgerungen und Rechtsaussagen kommen können.«177

Forsthoffs methodisches Programm beinhaltete also weit mehr als nur das letztlich banale Postulat, die »sozialen Realitäten« im juristischen Diskurs zur Kenntnis zu nehmen. Er wollte von den sozialen Realitäten her die Ordnungsstrukturen des Rechts neu bedenken, um die juristischen Formen von innen her auf eine gewandelte Wirklichkeit einzustellen, die gewandelte Wirklichkeit juristisch-dogmatisch auf den Begriff zu bringen.178 Nur um dieser dialektischen Rückwendung zu den Rechtsbegriffen willen sollte für Forsthoff alles juristische Bemühen um die Wirklichkeit betrieben werden. Das ist nicht selten übersehen oder mißverstanden worden. Deshalb wird auch der eigentlich rechtsdogmatische Anspruch zumal seiner Theorie der leistenden Verwaltung in aller Regel sehr unterschätzt.179

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Ebd., Bl. 11. Ebd., Bl. 11. Hervorhebung im Original. B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 279. Stellvertretend für die ältere verwaltungsrechtliche Literatur nur T. Maunz, Grundfragen des Energiewirtschaftsrechts, in: VerwArch 50 (1959), 319: »Das Wort von der Daseinsvorsorge ist eine wissenschaftliche Idee ohne verbindlichen (normativen) Charakter [!]«; ähnlich E. Friesenhahn, Grundgesetz und Energiewirtschaft, in: Ew 56 (1957), 12 ff. Seither ist die Auffassung zum Gemeinplatz geworden, Forsthoff habe zwar mit seiner

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

Eine Instanz blieb in diesem dialektischen Verfahren allerdings planmäßig außen vor: die Gesetzgebung. Die »spezifische Autorität«, die seine Methode der Rechtsgewinnung den verwaltungsrechtlichen Normen verleihen sollte, beruhte auf der praktischen, vor allen Dingen aber der wissenschaftlichen »Anstrengung des Begriffs«, nicht dagegen auf der institutionellen Autorität einer gesetzgebenden Gewalt. Normative gesetzgeberische Zweck-Setzungen verwies Forsthoff stets in den Bereich des Uneigentlichen – und dies rechtsphilosophisch mit voller Absicht.180 Er unterschied dabei auch durchaus nicht nach der ideologischen Legitimation der Gesetzgebung: Was für Forsthoff im Nationalsozialismus ein Mittel war, den Voluntarismus des »Führerbefehls« aus der wissenschaftlichen Rechtsquellenlehre zu eliminieren,181 dichtete die verwaltungsrechtliche Methode später auch gegen den Voluntarismus eines demokratischen Gesetzgebers ab.

IV. Allgemeines Verwaltungsrecht als »System« Unter dem Gesichtspunkt einer »realistischen« Erweiterung der verwaltungsrechtlichen Rechtsfindungslehre betrachtet, läßt sich nach alledem nicht ausmachen, was jenseits aller rechtsdogmatischen Einzelheiten die genuine Modernisierungsleistung Forsthoffs gewesen ist. Man muß, im Gegenteil, auch seine verwaltungsrechtliche Methode als traditionell bewerten. Und dennoch gilt Ernst Forsthoff mit vollem Recht als der Überwinder der klassischen, konsti-

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»Daseinsvorsorge« irgend etwas eminent wichtiges auf den Begriff gebracht, für die verwaltungsrechtliche Konstruktionsarbeit aber wenig bis nichts besagt; vgl. aus dem Schrifttum seither etwa H. Fischerhof, Öffentliche Versorgung mit Wasser, Gas, Elektrizität und öffentliche Verwaltung, in: DÖV 1957, 312 ff.; V. Emmerich, Die kommunalen Versorgungsunternehmen zwischen Wirtschaft und Verwaltung, 1970, 55; H. Gröttrup, Die kommunale Leistungsverwaltung, 21976, 66; J.-C. Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, 359; M. Bullinger, Französischer service public und deutsche Daseinsvorsorge, in: JZ 2003, 599 f.; sehr differenziert dagegen F. Ossenbühl, Daseinsvorsorge und Verwaltungsprivatrecht, in: DÖV 1971, 515 ff.; P. Badura, Die Daseinsvorsorge als Verwaltungszweck der Leistungsverwaltung und der soziale Rechtsstaat, in: DÖV 1966, 627 ff.; J. Kersten, Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, in: Der Staat 44 (2005), 552, 565. Dazu noch unten, 5. Kap., S. 265, 289 f. E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 37/38: »Die heutigen Rechtsquellen (im engeren Sinne): Gesetz, sonstige positive rechtsschöpfende Äußerungen des Führerwillens und die delegierte Rechtssetzung in Verfassung und Verwaltung sind gewiß als ›prinzipielle Grundlage‹ eines wissenschaftlichen Verwaltungsrechts ungeeignet, noch ungeeigneter als das Gesetzesrecht des bürgerlichen Rechtsstaates […]. Unter diesen Umständen muß die Wissenschaft bewußter und planmäßiger als es bisher geschah, diejenigen außergesetzlichen Erkenntnismöglichkeiten erschließen, die ihr die rechtsdogmatische Bewältigung der modernen Verwaltung eröffnen. Diese Erkenntnismöglichkeiten bietet die soziale Wirklichkeit selbst.«

Drittes Kapitel: Grundfragen

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tutionellen Epoche des »Allgemeinen Verwaltungsrechts«,182 wenn man darunter die Periode versteht, die mit der Rechtsstaatsbewegung im Vormärz begann, von Otto Mayer vollendet wurde und die in Fritz Fleiner und Walter Jellinek ihre letzten großen Vertreter hatte. Der Problemaspekt, unter dem die geistesgeschichtliche Zäsur zu würdigen ist, ist der des wissenschaftlichen Systemideals in der Verwaltungsrechtswissenschaft, der Möglichkeiten einer systematischen Ordnungsbildung des Rechtsstoffes zu einem »Allgemeinen Teil des Verwaltungsrechts«. Die Behandlung dieser Frage kennzeichnet die tiefgreifende Differenz, die Forsthoff von den Klassikern des 19. Jahrhunderts trennt, und in der Frage nach dem System lag Forsthoffs großes juristisches Problem, nachdem er die rechtsstaatliche Ordnung hatte zerfallen sehen und nachdem seine Hoffnung auf eine rasche Rechtserneuerung im Dritten Reich enttäuscht worden war: Wie sollte rechts- und insbesondere verwaltungsrechtswissenschaftliche Ordnungsbildung noch möglich sein ohne den verfassungsrechtlichen Rahmen des Rechtsstaats und die »Sinnmitte eines tragenden rechtsdogmatischen Systems«? Wie ließ sich das Auseinanderbrechen des Verwaltungsrechts in »zusammenhanglose Kasuistik« verhindern (RW, 137)? Das Problem und Forsthoffs Lösungsansätze lassen sich im folgenden nur unter einzelnen Aspekten beleuchten; erst im nächsten Kapitel und im Zusammenhang mit der dogmatischen Durchführung kann sich ein schlüssigeres Bild ergeben. In diesem Kapitel gilt es, die Ablösung Forsthoffs von den alten verwaltungsrechtlichen Systemvorstellungen argumentativ zu rekonstruieren (1.), um zu verstehen, welche Ansätze zu einer neuartigen Systematik er im Laufe der Zeit erwogen hat (2.). Diese Vorstellungen waren indessen mit der Entwicklung des Verwaltungsrechts in der Nachkriegszeit inkompatibel. Sie ließen sich in der Bundesrepublik nicht durchführen (3.). 1. Die Auflösung der rechtsstaatlichen Axiomatik a) »System« und »Leben« Die Skepsis oder vielmehr: der Widerwille gegen »Systeme« aller Art und das systematische Denken gehörte zu den festen Glaubensüberzeugungen der jungkonservativen Juristen, die nach 1933 zur Destruktion der überkommenen Dogmatiken schritten. Sie beschränkte sich auch keineswegs auf das Verwaltungsrecht. Man findet Polemiken gegen das »Systemdenken« in Franz Wieackers Wandlungen der Eigentumsverfassung183 und man findet sie in den Pro-

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B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 277. F. Wieacker, Wandlungen der Eigentumsverfassung (1935), in: Zivilistische Schriften (1934– 1942), 2000, 10 (Vorwort), der dann freilich später den Systembegriff rehabilitierte: Zum System des deutschen Vermögensrechts (1941), in: Zivilistische Schriften (1934–1942), 2000, 357 ff.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

grammschriften Ernst Rudolf Hubers.184 Auch war die kämpferische Haltung gegen das »liberalistische« Systemideal nicht sonderlich originell, sondern hatte sich seit der Jahrhundertwende unter anderem in der Freirechtsschule schrittweise entwickelt.185 Sie traf sich mit dem philosophischen Irrationalismus zwischen Nietzsche und Heidegger, der den »Verzicht auf das System« als den Beginn eines neuen Denkens ausgewiesen hatte.186 Natürlich pflegte auch Forsthoff als nationalsozialistisch engagierter Rechtserneuerer jene heftige Abscheu vor aller Systematik, die er als Inbegriff bürgerlicher Rechtswissenschaft, als abstrakten, blutleeren Gegensatz zum »Leben« verwarf: Die Wahrheit ist konkret, das System schon an sich ein Hindernis derselben. Nach dem Zerfall der bürgerlichen Wissenschaft hafte, wie Forsthoff in dem Aufsatz Zur Rechtsfindungslehre im 19. Jahrhundert von 1936 ausführte, allem juristischen Systematisieren etwas Unehrliches an: Es sei »nicht allzu schwer, unter Wahl eines geeigneten Ausgangspunktes, etwa einer besonderen juristischen Logik […] oder einer ›reinen‹ juristischen Methode […], beliebig viele Rechtseinheitssysteme hervorzubringen, denen allen freilich eigentümlich ist, daß sie der Wirklichkeit nicht standhalten.«187 Nichts hielt er daher für verfehlter, als das nationalsozialistische Recht in die äußere Form eines Systems bringen zu wollen. »Voreilige[r] akademische[r] Systematisierungseifer« vermöge allenfalls die »Illusion einer homogenen Ordnung«188 zu nähren. Und auch in der Verwaltung als Leistungsträger heißt es, es könne nicht darum gehen, das Verwaltungsrecht »systematisch zu entwickeln« (VwL, 2), sondern nur darum, »Strukturen« sichtbar zu machen und »Entwicklungen« aufzuzeigen. b) Das verwaltungsrechtliche System und die soziale Funktion des Verwaltungsrechts Dabei konnte es nicht lange bleiben. Wie die antinormativistischen Appelle an die »Verwaltungswirklichkeit« bald eine schlechthin rechtsfeindliche Wendung genommen hatten, zeigte auch der ehedem lebensphilosophische Protest gegen das Systemdenken im Nationalsozialismus bald sein häßliches Gesicht: den Verfall des juristischen Niveaus. Als sich Forsthoff Ende der dreißiger Jahre selbstkritisch mit seiner früheren »Systemfeindlichkeit« auseinandersetzte, mußte er sich eingestehen, daß der vermeintliche Widerspruch »wissenschaftliche Systematik – konkretes Leben« allemal eine »billige Antithese« gewesen

184 185 186 187 188

E. R. Huber, Die deutsche Staatswissenschaft, in: ZgStW 95 (1935), 1 f. F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 21967, 515 f., Anm. 2; 556 f. Siehe C. Strub, Art. »System«, in: Hist. Wb. d. Philos., Bd. 10, 1998, Sp. 848, 850 f. E. Forsthoff, Zur Rechtsfindungslehre im 19. Jahrhundert, in: ZgStW 96 (1936), 63. E. Forsthoff, Das neue Gesicht der Verwaltung und die Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 331.

Drittes Kapitel: Grundfragen

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war.189 Auch enthielt er sich weiterer Polemiken gegen das rechtsstaatliche System. Otto Mayers Gründerleistung wurde nun ohne jeden Sarkasmus in ihrer epochalen Bedeutung gewürdigt (Lb, 44 ff.). In ihr habe das deutsche Verwaltungsrecht einen »bleibenden Besitz« (Lb, 45). Er erkannte an, daß »das deutsche Rechtswesen in Justiz und Verwaltung weder vorher noch später einen solchen Hochstand erreicht und gehalten hat wie in der Epoche des ›klassischen‹ Rechtspositivismus« (RW, 16).190 Ein Zurück zum rechtsstaatlichen System des Verwaltungsrechts konnte es für ihn allerdings auch danach nicht geben. Es stand Forsthoff nach wie vor für eine »Epoche deutscher Verwaltungsrechtswissenschaft […], von der es sich zu lösen gilt« (Lb, 45). Doch wo er zuvor den Anspruch auf ein solches System als Mangel an juristischer Rechtschaffenheit abgetan hatte, fragte er nun nach den immanenten Voraussetzungen der Systembildung und gelangte damit zu weitaus differenzierteren, im Ergebnis aber durchaus vergleichbaren Schlüssen. Otto Mayers Verwaltungsrecht war mit dem Anspruch angetreten, ein »System von eigenthümlichen Rechtsinstituten der staatlichen Verwaltung«191 zu sein, und Forsthoff hob dessen spezifisch »systematischen« Charakter stets hervor.192 Was Forsthoff damit meinte, bedarf allerdings noch einer Klärung. Sein Systembegriff unterschied sich nicht nur sehr wesentlich von heutigen Begriffen verwaltungsrechtlicher Systeme,193 sondern auch vom gängigen Begriff des Systems als einer Einheit »widerspruchsfreier Wertungen«.194 Ja man kann sagen, Forsthoffs Systembegriff war so eng, daß er seine methodi189 190

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E. Forsthoff, Die Rechtsfindung des Richters (Fragment), undatiert, Ms., NL Forsthoff, 2. Weiter heißt es dort: »Die spezifische Verfassungsordnung des bürgerlichen Rechtsstaats vermochte zu dieser glänzenden Entwicklung des praktischen Rechtswesens außer der Sicherung von Freiheit und Eigentum nur ein freilich sehr wesentliches formales Element beizutragen: die systematische Ordnung der Formen des objektiven Rechts in der Hierarchie von dem Verfassungsgesetz über das einfache Gesetz und die Rechtsverordnung bis hinab zu den konkreten Akten des gerichtlichen Urteils und des Verwaltungshandelns. Alles weitere war das Werk der normativ nicht faßbaren persönlichen Leistung, die diese Formen mit den Gehalten des Rechts anreicherte. So sehr auch der Rechtspositivismus geneigt war, selbst die Seite der Sache zu übersehen, so gewiß bleibt er doch unverstanden, sofern man sie bei seiner Würdigung außer Betracht läßt.« O. Mayer, Zur Lehre vom öffentlichrechtlichen Vertrag, in: AöR 3 (1888), 3; dazu M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 1992, 404 ff. E. Forsthoff, Von den Aufgaben der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 398; ferner VwL, 1; Lb, 43 ff., 46, ähnlich 128; RW, 132 f., 135. E. Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, 1982, bes. 8 f. Er distanziert sich auch heute ausdrücklich von allen »Vorstellungen eines geschlossenen Systems mit trennscharfen Außengrenzen und Binnendifferenzierungen« und will unter Systematik vor allem »Typenbildung und […] behutsame Extrapolation belegbarer Entwicklungstendenzen« verstehen (E. Schmidt-Aßmann, Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft – Perspektiven der Systembildung, in: Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, hrsg. v. E. Schmidt-Aßmann/W. Hoffmann-Riem, 2004, 396; ähnlich ders., Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 22004, 3 f.). C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz (1969), 21983.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

sche Kritik schon enthielt. Er bezeichnete ein axiomatisches Lehrgebäude formal logischer, »technischer« Begriffe unter völliger Ausgrenzung materialer, das heißt ethischer und teleologischer Kategorien. Die Logik dieses Systembegriffs sollte ausschließlich deduktiv sein. In gewisser Weise entspricht dieser Systembegriff Max Webers Idealtypus der Rechtsdogmatik.195 Forsthoff meinte, von einem juristischen System lasse sich nur sprechen, wenn die »Sinn- und Formqualitäten« aller vorhandenen rechtlichen Erscheinungen »aus der logischen Struktur des Systems deduzierbar und somit einsichtig« sind (RW, 136). War Otto Mayers verwaltungsrechtliches Denken damit richtig erfaßt? Oder schob Forsthoff ihm nicht auch jetzt noch ein geistesgeschichtliches Gesamturteil über die Eigenart des bürgerlichen Denkens unter? Darauf kommt es hier nicht an. Die Möglichkeit eines in diesem Sinne axiomatischen Systems im Verwaltungsrecht hing für Forsthoff jedenfalls untrennbar mit dem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen Typus des deutschen Rechtsstaats zusammen, und dies in doppelter Hinsicht: Sie war, erstens, nur gegeben mit der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft. Nur, wo der verwaltungsrechtlichen Systembildung eine »in sich selbst ruhende und aus sich selbst bewegte« Gesellschaft (VwL, 44) bzw. ein »aus eigener Initiative und autonom ablaufendes Sozialleben« (Lb, 132; ähnlich RW, 134) zugrunde lag, konnte die Verwaltungsrechtswissenschaft ein geschlossenes dogmatisches System entwickeln, weil es insoweit um die Sicherung der Grenze zwischen beiden Rechtssphären – Staat und Gesellschaft – ging. Forsthoff war überzeugt, daß scharfe, »technische« Begriffe stets solche sind, die eine Grenze markieren und die Voraussetzungen des Ein-Griffs der einen in die andere Sphäre normieren. Nicht nur der Verwaltungsakt, sondern alle prägnanten Begriffe des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts waren für ihn an diesem Axiom der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft gebildet: »die Normenhierarchie von der Verfassung über das einfache Gesetz zur Verordnung und Satzung, die Unterscheidung eines Innen und Außen der Verwaltung […], die Gegenüberstellung von Norm und Einzelakt, die Unterscheidung von Ermessensbetätigung und Rechtsanwendung, von allgemeinem und besonderem Gewaltverhältnis« (RW, 133). Noch in einer zweiten Hinsicht bestand nach Forsthoff zwischen der Lage der deutschen Verwaltung zur Zeit Otto Mayers und ihrer rechtswissenschaftlichen Theorie ein unlösbarer Nexus, der wiederum eng mit der Trennung von Staat und Gesellschaft zusammenhängt. Wenn nämlich das Sozialleben als autonom gegenüber dem Staat gedacht war und der Staat lediglich reaktiv einzelne Fehlläufe beheben sollte, so erlaubte dies eine hochgradige Formalisie-

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M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 51972, 506 ff. Weber hatte die Eigenart juristischer Systematik in der Qualität ihrer Begriffe als abstrakte Normen gesehen, die sich »streng formal und rational durch logische Sinndeutung« gegeneinander abgrenzen und in Beziehung setzen lassen (ebd., 459).

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rung des Verwaltungsrechts. Otto Mayer konnte die Voraussetzungen des staatlichen Eingriffs in die gesellschaftliche Sphäre ausschließlich nach dem Kriterium der Gesetzmäßigkeit bestimmen. So war er imstande, die materialen Gestaltungszwecke des Verwaltungshandelns aus dem Verwaltungsrecht auszuklammern. Darauf beruhte sein gesamtes Kategoriensystem.196 Erich Kaufmann machte daraus schon sehr früh einen prinzipiellen Einwand gegen sein System.197 Naturgemäß bedeutete dies nicht, daß die Verwaltung innerhalb der Rechtsformen nicht zweckhaft handelte. Aber sie konnte sich ihre eigenen Zwecke setzen, ohne daß diese ihr gegenüber zum Gegenstand oder zum Maßstab rechtlicher Beurteilung gemacht wurden. Die damit gewonnene »Zweckfreiheit« des Verwaltungsrechts hielt Forsthoff völlig zu recht für eine implizite Grundlage der verwaltungsrechtlichen Systembildung Otto Mayers und seiner Nachfolger: »Diese Systembildung […] wurde erst ermöglicht durch eine substantielle Beschränkung der Verwaltungsfunktionen, ich meine die Eliminierung des Wohlfahrtszwecks.« (RW, 132) Aber nicht nur die sozialen Zwecke, sondern auch die rechtsethischen Bindungen der Verwaltung waren noch nicht verrechtlicht, sondern in der Verwaltung vorausgesetzt. Das erst ermöglichte die strengen Rechtsformen, »hinter deren Rationalität alle nicht zweckhaften ethischen Substanzen nahezu völlig verschwinden« (Lb, 128). Beide Voraussetzungen des juristischen Systems Otto Mayers, die Autonomie der Gesellschaft und die innere Zweckfreiheit der Rechtsbegriffe, waren für Forsthoff mit dem Übergang zum Sozialstaat und zur Daseinsvorsorge unwiederbringlich entfallen. Die industrielle Gesellschaft trage ihre Funktionsgesetze nicht mehr in sich selbst und weise auch keine Grenze zu Staat und Verwaltung mehr auf. Sie beruhe im Gegenteil existentiell auf dem Vorhandensein einer Verwaltung, die »das Sozialleben nach einem Leitbild sozialer Gerechtigkeit zu gestalten bestimmt ist« und die die gesellschaftlichen Funktionsgesetze überhaupt erst erzeugt (Lb, 128). Für das Verwaltungsrecht bedeutete das: »Wie wenig das moderne Verwaltungsrecht noch ein System von einiger Geschlossenheit und durchgängiger Struktur darstellt, ergibt sich aus dem weiteren Umstand, daß es keine angebbaren, klaren Grenzen mehr hat.« (RW, 136) Damit entfalle aber nicht nur die »Unterscheidung eines Innen und Außen der Verwaltung« (RW, 133) als axiomatische Bedingung technisch präziser verwaltungsrechtlicher Begriffe. Ebensowenig lasse sich die Zweckfreiheit des Verwaltungsrechts unter den neuen Bedingungen aufrechterhalten. Eine nicht mehr in sich selbst zweckhafte Gesellschaft könne die äußeren Zwecksetzungen der Verwaltung nicht mehr deren ungebundenem Ermessen überlassen, sondern stelle folgerichtig das gesamte Recht unter den »Gesichtspunkt seines 196

197

Siehe P. Badura, Verwaltungsrecht im liberalen und im sozialen Rechtsstaat, 1966, 9 ff.; ders., Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, 1967, 38 ff. E. Kaufmann, Art. »Verwaltung, Verwaltungsrecht«, in: Wörterbuch des deutschen Staatsund Verwaltungsrechts, Bd. III, hrsg. v. K. von Stengel/M. Fleischmann, 21914, 717 f.

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praktischen Dienstes an den Lebensverhältnissen«198. Mit dieser das bürgerliche wie das Verwaltungsrecht ergreifenden »Einführung des teleologischen Momentes« in die Rechtsdogmatik 199 aber werde die »Einheit des Rechts« von innen her zerstört.200 Die für das wohlfahrtsstaatliche Verwaltungsrecht typischen Eigenarten, ein von sozialen Zwecken beherrschtes Verwaltungsrecht (RW, 136) und eine »an den Werten einer praktischen Ausrichtung des Rechts (Angemessenheit, Richtigkeit, Zweckmäßigkeit)« 201 orientierte Auslegungspraxis, hielt Forsthoff also für schlechterdings unvereinbar mit dem Systemdenken: »Die Frage stellen, ob das wissenschaftliche System des Verwaltungsrechts, über das wir heute verfügen, der Wirklichkeit der modernen Verwaltung noch entspricht, heißt sie verneinen. […] Das dem Rechtsstaat und damit der Gewährleistung gesetzmäßiger Freiheit zugeordnete System des Verwaltungsrechts mit seiner spezifischen Begrifflichkeit ist dieser modernen wohlfahrtsfördernden Verwaltung inkongruent« (RW, 134 f.).202

2. Zur Rekonstruktion des Allgemeinen Teils Ohne Zweifel erfaßte Ernst Forsthoff damit völlig zutreffend und früher als alle anderen die Tragweite der Transformation, die das deutsche Verwaltungsrecht seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und dem großen Systementwurf Otto Mayers durchgemacht hatte. Auch sah er deutlich, daß hier eine Entwicklung in Gang gekommen war, die sich nicht mehr würde zurückdrehen lassen. Ohne die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft war die Zentralität des Eingriffs- und des rechtsstaatlichen Gesetzesbegriffs nicht mehr zu halten. Noch wichtiger war freilich das andere: die Übermacht der Zwecke über die rechts-

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199 200 201 202

E. Forsthoff, Zur Rechtsfindungslehre im 19. Jahrhundert, in: ZgStW 96 (1936), 62; s. a. ders., Vom Zweck im Recht, in: ZAkDR 4 (1937), 174 ff. E. Forsthoff, Zur Rechtsfindungslehre im 19. Jahrhundert, in: ZgStW 96 (1936), 62. Ebd., 62. Ebd., 62. Vgl. auch Lb, 232, wo es speziell zum Bereich des Staatshaftungsrecht heißt: Sind »der staatliche Funktionsbereich und die Sphäre des einzelnen […] durch Planung und Lenkung miteinander verflochten, dann versagt alle Systembildung« (Lb, 232). Forsthoffs Umgang mit dem Staatshaftungsrecht ist für das Systemproblem überhaupt beispielhaft. Er sprach zwar qua Überschrift von einem »System staatlicher Ersatzleistungen«, obgleich diese begriffliche Klammer der einzelnen Haftungsinstitute auch hätte vermieden werden können, räumte zugleich aber ein, daß mit der Verschränkung von staatlicher und privater Sphäre und damit von administrativer und gesellschaftlicher Risikosphäre die institutionellen Voraussetzungen eines axiomatischen Systems des Haftungsrechts aufgehoben sind (Lb, 232). Auch und gerade in diesem Teil des Lehrbuchs sah Forsthoff sich zu dem paradoxen Verfahren veranlaßt, das »System«-Paradigma aus konstruktiven Gründen aufrechtzuerhalten – bei vollem Eingeständnis in dessen notwendig partiellen, artifiziellen und damit, nach seiner eigenen Terminologie, »technischen« Charakter.

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staatlichen Formen.203 Mit dem Eindringen der Zwecke in das Verwaltungsrecht gab es kein Zurück mehr zu einem geschlossenen System: Es »verbindet sich in der heutigen Verwaltung Altes mit Neuem. Aber das Neue hat die stärkere zwingende Kraft und was vom Alten geblieben ist, vermag das überkommene verwaltungsrechtswissenschaftliche System nicht mehr zu stützen.«204 All das führte Forsthoff zu einer grundstürzenden Infragestellung der Allgemeinheit des Allgemeinen Verwaltungsrechts wie sie Otto Mayer entworfen hatte. Denn dessen Idee beruhte schließlich auch darauf, daß die allgemeinen Lehren in den besonderen verwaltungsrechtlichen Materien applizierbar sein sollten. Sie mußten ihnen wesensähnlich sein. Wenn sich aber diese Spezialmaterien mehr und mehr von ihren spezifischen Zwecken her integrierten, so bewirkte das ihre langsame Abkoppelung von den Lehren des Allgemeinen Teils. Dessen Kategorien verloren ihre normative Funktion für die einzelnen verwaltungsrechtlichen Materien und wurden so von einem schleichenden Prozeß der Auszehrung ergriffen. Worin konnte dann noch die Aufgabe des Allgemeinen Verwaltungsrechts liegen? Wenn die Diagnose richtig war, so mußte ein neuartiger systematischer Allgemeiner Teil ihr in doppelter Weise Rechnung tragen: Er mußte die Zwecke des Verwaltungshandelns und die zweckhaft gebildeten Rechtsformen integrieren.205 Andererseits durfte diese Systembildung nicht bloß wie die alten Staatswissenschaften eine Lehre von den Aufgaben und Zwecken des Verwaltungshandelns sein, da eine solche Lehre notwendigerweise dem Auseinanderdriften der einzelnen Verwaltungszweige wissenschaftlich nichts entgegenzusetzen hätte: »Die Behauptung, daß sich das Verwaltungsrecht in einem geschlossenen System mit eigener Logik und Begriffsbildung zusammenfassen lasse, findet ihre Rechtfertigung in der Tatsache, daß die Verwaltung tatsächlich als ein sinneinheitliches Ganzes existiert. Was in der Wirklichkeit als Einheit vorhanden ist, muß auch wissenschaftlich als solche verstanden und bewältigt werden. […] Je mehr sich die Verwaltung ausdehnt und ausdifferenziert, umso wichtiger werden diejenigen Lehren, Grundsätze und Begriffe, die allen Zweigen gemeinschaftlich sind, in denen sich die Einheit des Verwaltungsganzen manifestiert. Darum wird jede wissenschaftliche Systembildung der Entfaltung eines allgemeinen Teils besondere Aufmerksamkeit zu widmen haben.« 206

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M. Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht (1989), in: Konstitution und Intervention, 2001, 270 f., 280. E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 32. Ebd., Bl. 80: »Inzwischen hat [die] über die bloße Gewährleistung öffentlicher Ordnung hinausgehende Tätigkeit [scil: der Verwaltung] an Umfang und Bedeutung derart zugenommen, daß sie auch innerhalb der verwaltungsrechtlichen Systembildung nicht mehr übergangen werden kann, sofern diese Systembildung der Verwaltungswirklichkeit entsprechen soll.« Ebd., Bl. 36.

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a) Das Systemproblem im Verwaltungsrecht der »Daseinsvorsorge« Den ersten Versuch zu einem neuartigen, die rechtsstaatliche Axiomatik ablösenden Systems des Verwaltungsrechts unternahm Forsthoff in der schon mehrfach zitierten, unvollendeten Schrift über »Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft« aus dem Jahr 1942, wobei sich erste Andeutungen und die entscheidenden Stichworte bereits in der Verwaltung als Leistungsträger finden. Was er zu entwickeln versuchte, war die Möglichkeit, alle verwaltungsrechtlichen Institute vom Schlüsselbegriff der »Daseinsvorsorge« her zu verstehen. Wie stellte Forsthoff sich das vor? Der Allgemeine Teil sollte, in weiterem Umfang als vordem üblich, auf staatswissenschaftliche Lehren über die Aufgaben, die Struktur, die Organisation und die übrigen Eigenarten der öffentlichen Verwaltung in ihren einzelnen Formen zurückgreifen: »Gegenstand des allgemeinen Teils ist zunächst die Lehre von der Verwaltung selbst, das Wesen der verschiedenartigen Verwaltungstypen (berufsbeamtete-bürokratische Verwaltung, ehrenamtliche Verwaltung, Selbstverwaltung usw.) und die Prinzipien horizontaler und vertikaler Verwaltungsgliederung sind hier als verwaltungswissenschaftliche Grundtatsachen darzulegen, welche die einzelnen Verwaltungsfunktionen entscheidend bestimmen.«207 Weil die »Herrschaft des Gesetzes«208 nicht mehr wie bei Otto Mayer als fraglose normative Grundlage der Verwaltungsrechtsordnung vorausgesetzt werden könne, gehöre zum Allgemeinen Teil ferner eine ausgearbeitete Rechtsquellenlehre des Verwaltungsrechts. »In ihr verdichtet sich das Problem einer neuen Systembildung in besonderer Weise, denn es handelt sich hier darum, die Grundlage des wissenschaftlichen Verwaltungsrechts festzustellen.«209 Ein Allgemeiner Teil müsse jedoch vor allem die juristischen »allgemeinen Lehren von den Formen und Modalitäten des Verwaltungshandelns« 210 entfalten. Damit war nun durchaus nichts anderes gemeint als das von Mayer her tradierte Instrumentarium der rechtsstaatlichen Handlungsformen und Rechtsinstitute: »Die moderne Verwaltungsrechtswissenschaft hat keinen Anlaß, diese von Wissenschaft, Rechtsprechung und Gesetzgebung entwickelten allgemeinen Lehren über Bord zu werfen. Da die Verwaltung nach der Machtübernahme […] ihre Struktur nicht im Wesen verändert hat [!], ist auch der Verwaltungsakt im überkommenen Sinne ein zentraler Begriff der allgemeinen Lehren geblieben.«211 Es griffe zu kurz, diese Vorstellung von einem Allgemeinen Teil zu interpretieren als eine mit soziologischen und rechtstheoretischen Zutaten abge207 208 209

210 211

Ebd., Bl. 36. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I, 31924, § 6. E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 37. Ebd., Bl. 36. Ebd., Bl. 36.

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schmeckte, modifizierende Fortschreibung des rechtsstaatlichen Allgemeinen Verwaltungsrechts. Auch das spätere Lehrbuch würde damit in seiner Hauptthese grundlegend mißverstanden. Was Forsthoffs Konzeption von ihren Vorgängerinnen ganz wesentlich unterschied, war die Funktion und die Stellung, die speziell die rechtsstaatlichen Institute innerhalb des Systemganzen einzunehmen bestimmt waren. Anders als im Allgemeinen Teil des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts werden sie in ihm nicht mehr von einer ihnen ideologisch entsprechenden Ordnungsidee integriert. Vielmehr treten sie in ihm gleichsam vereinzelt, isoliert auf. Forsthoff sagte poetisch: als »Trümmer« (VwL, 40). Was er damit meinte, ist folgendes: Während das Verwaltungsrecht des Rechtsstaates über eine axiomatische Grundlage verfügte: die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft und den von ihr abhängigen Gesetzes- und Eingriffsbegriff, die es erlaubten, die einzelnen begrifflichen Elemente zu einem selbstbezüglichen Sinnsystem zusammenzufügen, fehlt dem »modernen«, das heißt bei Forsthoff stets: dem nachrechtsstaatlichen Verwaltungsrecht in Ansehung der überlieferten rechtsstaatlichen Formen diese politisch-ideologische Grundlage, das Bindemittel zwischen den einzelnen Instituten. Doch wenn auch das politische Verfassungsmodell des Konstitutionalismus entfallen war, so blieben die unter ihm ausgebildeten Rechtsformen erhalten. Diese rechtsstaatlichen Dogmen, Begriffe und Institute sollten deswegen nach Forsthoffs Vorstellung gewissermaßen in einer atomisierten Form übernommen werden. Er löste sie aus ihrem ideologischen Kontext und formalisierte sie als »technische« Einzelelemente. Dies gilt für den Begriff des Verwaltungsakts nicht weniger als etwa für den des Eigentums oder die Unterscheidung von Gesetz und Verordnung. Sie durch andere zu ersetzen, hielt er im Grunde für unmöglich, weil er die juristische Präzision des zweckhaften und wertmaterialen Rechts sehr skeptisch beurteilte und annahm, daß es einen vergleichbaren Grad an Rationalität und Formalisierung nicht von selbst erreichen würde. Innerhalb der nachrechtsstaatlichen Verwaltungsrechtsordnung sollten die alten Institute einen festen Ort deshalb dadurch erhalten, daß sie in höhere, aufgaben-, zweck- oder »sachbezogene« (RlV, 12) Ordnungsbereiche des Verwaltungsrechts eingestellt und von diesen her integriert werden. Zu den Beispielen solcher sachbezogenen Ordnungszusammenhänge zählten für Forsthoff etwa die Energiewirtschaft und der Personenverkehr (VwL, 33 ff.). Durch solche von hoheitlichen Lenkungszwecken strukturierten, »übergeordnete[n] Wesenheit[en]« (VwL, 47) würden die verwaltungsrechtlichen Institute dann einen neuartigen Sinn erhalten können. Die verwaltungsrechtliche Systembildung sollte deswegen auch nicht mehr wesentlich normativ verfahren und die einzelnen Rechtssätze in eine logische Relation zueinander bringen, sondern sich der verstehenden Methode in dem oben erläuterten Sinne bedienen. Ihre Aufgabe war nach Forsthoffs Vorstellung die Herausbildung »juristischer Ordnungsverhalte« (VwL, 47) und die Zuordnung der überkommenen Rechtsformen zu ihnen.

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Auf diese Weise hielt Forsthoff es in der Tat langfristig für möglich, gleichsam oberhalb der übernommenen Formelemente ein neues, dem rechtsstaatlichen Dogma vergleichbar geschichtsmächtiges, geistiges Gesamtbild der Verwaltung und des Verwaltungsrechts zu entwickeln, das die Einzelelemente zu einer neuen Einheit verbinden könnte. Diese neue umfassende Ordnungsidee war es, was Forsthoff mit der »Daseinsvorsorge« eigentlich juristisch im Sinn hatte. Davon wird im folgenden Kapitel noch ausführlich zu reden sein. Diese Ordnungsidee, die umfassende »Daseinsverantwortung« der öffentlichen Verwaltung, konnte freilich ebensowenig eine rein normative Gestalt haben wie die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft. Eine bloß höherrangige Norm wäre – abgesehen von den Schwierigkeiten ihrer Begründung – nicht in der Lage gewesen, einen disparaten Rechtsstoff wesensmäßig zu integrieren. Aber die Ordnungsidee mußte so elementar und umfassend sein, daß es durch sie gelänge, den einzelnen verwaltungsrechtlichen Instituten in ihrem jeweiligen Bereich »eine besondere Bestimmtheit« (VwL, 47) zu geben und dadurch das Verwaltungsrecht als wissenschaftliche Einheit zu konstituieren. Auch war Forsthoff überzeugt, daß eine solche Ordnungsidee erst das Ende einer längeren Phase der Konsolidierung sein könne. Alle mit der Daseinsvorsorge zusammenhängenden Verwaltungsbereiche befänden sich, schrieb er 1938, »noch stark im Stadium der Entwicklung« (VwL, 47). Bevor über die »klaren Konturen« hinaus ein geschlossenes Gesamtbild der modernen Verwaltung gewonnen sei, fügte er 1942 hinzu, könne die Systembildung auch nur provisorisch sein: »Die Fügung eines lückenlos geschlossenen Systems des deutschen Verwaltungsrechts ist sohin derzeit nicht möglich. Das soll aber keineswegs bedeuten, daß die Verwaltungsrechtswissenschaft vorderhand auf systematische Arbeit und Systembildung Verzicht zu leisten hätte. Vielmehr ließe sich eine Systematisierung schon heute sehr wohl denken, deren Wert dadurch nicht entscheidend gemindert würde, daß sie sich in der gekennzeichneten Hinsicht offen halten müßte.«212

b) Der Systemdualismus im Lehrbuch des Verwaltungsrechts Forsthoffs Hoffnungen auf eine solche umfassende Ordnungsidee für die expandierende Verwaltung erfüllten sich nicht, weder im nationalsozialistischen Reich noch in der Bundesrepublik. Die sich unmittelbar nach dem Kriegsende abzeichnende Rückkehr zu den rechtsstaatlichen Verfassungsformen konnte zu einer solchen Konzeption in Forsthoffs Sinne schon deshalb nichts beitragen, weil sie das Verhältnis von Gesetz und Verwaltung und damit das des einzelnen zur Verwaltung wieder auf die alten begrifflichen Grundlagen stellte.213 Unter diesen Voraussetzungen bezeichnete Forsthoff die Aufgabe eines einheitlichen verwaltungsrechtlichen Systems in einem Vortrag vor der Staatsrechtslehrervereinigung von 1953 schlicht als »unlösbar« (RW, 33). 212 213

Ebd., Bl. 39. Dazu unten, 6. Kap., S. 327 ff.

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Diese Einschätzung mag verblüffen. Schließlich hatte Forsthoff 1950 den ersten Band einer »systematischen« Darstellung des Verwaltungsrechts vorgelegt. Doch gerade sein Lehrbuch des Verwaltungsrechts enthielt keine Lösung des Problems der Systembildung, sondern eine Übergangslösung von durchaus defensivem Charakter. Daß es sich so verhält, macht nichts deutlicher als der zweite Band des Lehrbuchs, der nie vollendet wurde. Das Gesamtwerk blieb ein Torso. Forsthoffs Scheitern am zweiten Band hat seine Gründe. Wie nämlich verhielt er sich nun zum überlieferten rechtsstaatlichen System? Er machte es sich weitgehend zueigen.214 Und zwar so weitgehend, daß darüber der irrige Eindruck entstehen konnte, Forsthoff habe sich der »Illusion« hingegeben, »mit der tradierten Dogmatik die Veränderungen der Verwaltungswirklichkeit in den Griff zu bekommen.«215 In der Tat: Forsthoff gab sich im Hinblick auf das alte System aufreizend konservativ. Er vermerkte schon im Vorwort zur ersten Auflage, er habe »auf die Wahrung der wissenschaftlichen Tradition besonderes Gewicht gelegt und keine Regel, keine Institution, keinen Begriff verworfen oder verändert, soweit sie sich mit der Wirklichkeit der modernen Verwaltung irgend vereinbaren lassen, auch dann nicht, wenn ich glaubte, sie durch bessere ersetzen zu können.« (Lb, vii) In allen zentralen Bereichen gliederte er die Darstellung strikt nach Rechtsformen und nicht nach Zwecken oder Aufgaben der Verwaltung. Auch wies er den »Systemelementen« ihren angestammten Platz zu: der Normenhierarchie (Lb, 100, 101 ff.), der Dialektik von Norm und Einzelakt (Lb, 156), weiten Teilen der Ermessenslehre (Lb, 64 ff., 74 ff.), der strikten Abgrenzung zwischen Enteignung und Ausgestaltung (Lb, 241 ff.) und schließlich auch der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis (Lb, 102 ff.). Doch damit nicht genug: Forsthoff arbeitete im Lehrbuch mit dem rechtsstaatlichen Verwaltungsrecht gerade auch unter dem Aspekt seiner systematischen Qualität. Er übernahm gerade jene axiomatische Geschlossenheit der rechtsstaatlichen Institute, deren Auflösung er vordem so stimmig dargelegt hatte. Die Rationalität rechtsstaatlicher Formen sollte nun wieder gerade von ihrer logischen Zuordnung abhängen, also von der Aufeinanderbezogenheit aller seiner Teile (RW, 174). Was Forsthoff für das rechtsstaatliche Verfassungssystem formulierte (RW II, 162), galt ihm genauso für das System des Allgemeinen Verwaltungsrechts: daß sich nämlich die »festgelegten Formen der rechtsstaatlichen Verwaltung nicht verändern lassen, ohne das gesamte Strukturgefüge des Rechtsstaates ins Wanken zu bringen.« (RlV, 12) Die Gründe für diese Rückkehr zur Geschlossenheit des rechtsstaatlichen Systems hängen auf das engste zusammen mit Forsthoffs Gesamturteil über die

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Dazu C. Schütte, Progressive Verwaltungsrechtswissenschaft auf konservativer Grundlage, 2006, 115 ff. m.w.N. So etwa A. Voßkuhle, Allgemeines Verwaltungs- und Verwaltungsprozeßrecht, in: Rechtswissenschaft und Rechtsliteratur im 20. Jahrhundert, hrsg. v. D. Willoweit, 2007, 959.

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politische und geistige Situation der Bundesrepublik. Je deutlicher er sah, daß es ihr als einem »introvertierten Rechtsstaat« nicht gelingen würde, eine eigene geistige Konzeption des modernen Verwaltungsstaates hervorzubringen, umso dezidierter stellte Forsthoff sich auf die Seite des rechtsstaatlichen Systems, das er nunmehr gegen jeden Versuch einer materialen Überformung verteidigte. Wenn die zusammenfassende Synthese schon nicht gelungen war und angesichts der Lage der Verwaltung auch nicht mehr zu erwarten war, so mußte gerade deswegen die logische Formalqualität des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts besonders rigoros gehegt werden. – Faute de mieux und obwohl in soziologischer Hinsicht »das ganze überkommene rechtsstaatliche Gefüge […] weithin außer Kraft gesetzt« (Lb, 62) war. Gegenüber diesem gleichsam restaurierten System pflegte ausgerechnet sein größter Kritiker Forsthoff bald die Rolle eines Hüters der reinen Lehre. Jedem Versuch einer – zumal verfassungsrechtlich induzierten – Umdeutung trat er scharf entgegen. Er beharrte etwa, um nur zwei berühmte Streitfragen zu nennen, ganz im Sinne der alten Lehre auf dem Eingriffscharakter der Enteignung (Lb, 244) und, noch bekannter, auf der gebundenen Entscheidung über die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte ohne Rücksicht auf etwaiges Vertrauen des Betroffenen (Lb, 211; Lb VII, V; Lb X, 261 ff.). Das waren nicht zufällig Fallgruppen, in denen die Rechtsprechung, gestützt auf eine sozialstaatliche Auslegung des Grundgesetzes, ein materiales Kriterium in das jeweilige Institut eingezogen hatte. Daß Forsthoff in beiden Fällen seine wissenschaftlichen Gegner mit einer Kampfeslust anging, die selbst für seine Verhältnisse beachtlich war,216 macht deutlich, wie weitreichend die Streitfrage war, die er hier immer unausgesprochen mitverhandelte. Es ging ihm um nicht weniger als darum, ob die sozialstaatlich-demokratische Verfassung der Bundesrepublik jene neue Ordnungsidee enthalten könnte, die es allein zulassen würde, den folgenreichen Schritt einer Preisgabe des rechtsstaatlichen »Systems« zu vollziehen. Konnte und durfte mit einem wertmaterialen Verständnis des Grundgesetzes gelingen, woran Forsthoff selbst in den vierziger Jahren gescheitert war? – Insbesondere zwei Schüler Otto Bachofs, Dietrich Jesch und Hans-Heinrich Rupp, trieben zu Beginn der sechziger Jahre eine demokratietheoretische Revision der verwaltungsrechtlichen Dogmatik voran, und zwar explizit mit dem Anspruch, für das Verwaltungsrecht die normativen Folgerungen aus dem

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Wer einen weiten, d.h. nicht am Kriterium der Finalität orientierten Enteignungsbegriff vertrat, dem bescheinigte Forsthoff, er habe »den auflösenden Tendenzen der modernen Rechtsentwicklung Raum gegeben« (Lb X, v). Wer dem Begünstigten Vertrauensschutz auch bei rechtswidrigen Verwaltungsakten gegenüber der Aufhebung durch die Behörden gewähren wollte, sah sich mit dem Verdacht konfrontiert, »Tendenzen« zu nähern, »welche den Rechtsstaat im Kern auflösen« (Lb VII, v). Beide Bemerkungen wurden wirkungsvoll in Vorworten zu Neuauflagen plaziert.

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Grundgesetz zu ziehen.217 Auf der anderen Seite entwickelte Peter Badura wenig später in einer Reihe bedeutender programmatischer Schriften und Aufsätze Umrisse eines neuen, systematischen Verwaltungsrechts der »sozialen Demokratie«.218 Auch er berief sich dabei auf das durch das Grundgesetz geschaffene neue normative Umfeld des Verwaltungsrechts und der sozialen Aufgaben der Verwaltung.219 Forsthoff indessen sah solche Versuche von Beginn an zum Scheitern verurteilt und meinte nur: »[…] wo wäre der ideologische und begriffliche Baustoff für ein neues, zeitgerechtes, nachbürgerliches System des Rechtsstaats zu finden? Er wäre nirgends zu finden, weil es ihn nicht gibt. Es gibt Einzeleinsichten und Teilerfahrungen, es gibt Überbrückungen durch sachgerechte Fiktionen und vieles andere mehr. Aber es fehlt gegenwärtig jede neue systematische Konzeption oder auch nur ein Ansatz dazu.« (RW II, 162)

Welche Sicht des Grundgesetzes und der politischen Verfassung der Bundesrepublik dem zugrunde lag, wird noch zu erörtern sein.220 Hier kommt es zunächst nur darauf an, welchen rechtsdogmatischen Preis Forsthoff dafür einkalkulierte, die Systemfrage unter den Bedingungen der Nachkriegsordnung als »unlösbar« behandeln zu wollen. Naturgemäß war ihm klar, daß das provisorisch restaurierte rechtsstaatliche Verwaltungsrecht nicht das Ganze, ja nicht einmal das Wesentliche des die Verwaltung betreffenden Rechtsstoffs erfassen konnte, sondern nur einen strukturell im Abbau begriffenen Teilbereich, während sich die sozialstaatliche Dynamik der Rechtsentwicklung außerhalb dieses Begriffssystems entwickelte. Forsthoff erklärte nunmehr die logische und strukturelle Verschiedenheit beider Teilbereich des Verwaltungsrechts zu einer rechtstheoretischen Notwendigkeit. Der gesamte Stoff müsse in zwei selbständige Teile zerfallen und diese Teile müßten säuberlich geschieden bleiben: das rechtsstaatliche und das moderne, das formale und das unformale Verwaltungsrecht, das Recht des Eingriffs und das Recht der Teilhabe, das Recht des Rechtsstaats und das Recht des Sozialstaats, jedes mit seiner eigenen Logik.221

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D. Jesch, Gesetz und Verwaltung (1961), 21968, 171 ff.; H.-H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre (1965), 21991, 273; dazu M. Stolleis, Entwicklungsstufen der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, hrsg. v. E. Schmidt-Aßmann u. a., 2006, § 2, Rn. 98; O. Lepsius, Wiedergelesen, in: JZ 2004, 350 f. Siehe insbesondere P. Badura, Verwaltungsrecht im liberalen und im sozialen Rechtsstaat, 1966; ders., Die Daseinsvorsorge als Verwaltungszweck der Leistungsverwaltung und der soziale Rechtsstaat, in: DÖV 1966, 624 ff.; ders., Auftrag und Grenzen der Verwaltung im sozialen Rechtsstaat, in: DÖV 1968, 446 ff. P. Badura, Die Daseinsvorsorge als Verwaltungszweck der Leistungsverwaltung und der soziale Rechtsstaat, in: DÖV 1966, 627 ff. Siehe unten, 8. und 9. Kap. Daß in diesem dilatorischen Verzicht auf ein übergreifendes System geradezu die Hauptthese des Lehrbuchs lag, ist von Zeitgenossen selten bemerkt worden. Charakteristisch ist H. Peters, Buchbesprechung, in: Schmollers Jb. 71 (1951), 126: »M.E. sollte man freilich die dualistische Struktur des Verwaltungsrechts nicht, wie der Verf. [scil: Forsthoff] es tut,

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

3. Das Scheitern der verwaltungsrechtlichen Systembildung Während Forsthoff die rechtsstaatliche Axiomatik des Allgemeinen Teils noch einmal in einer überzeugenden Gestalt zur Darstellung brachte, blieb die Frage nach der systematischen Konzeption des zweiten, unformalen Rechtsbereichs ungelöst. Forsthoff warf sie im ersten Band des Lehrbuchs auf, beantwortete sie aber nicht. Es heißt dort, die gestaltende Verwaltung erfordere und erzeuge »Rechtsstrukturen […], die mit den herkömmlichen methodischen Mitteln der Verwaltungsrechtswissenschaft nicht voll erfaßt werden können.« (Lb, 61; Lb X, 73). Es bleibe die große Herausforderung der Verwaltungsrechtswissenschaft, auch diesen Rechtsstoff ordnend zu durchdringen und die »Herausarbeitung der Rechtsbegriffe, Formen und Methoden des gestaltenden Verwaltungsrechts« in Angriff zu nehmen. Insbesondere sei dazu die »Korrektur der bisherigen wissenschaftlichen Stoffeinteilung« (Lb, 63) vonnöten, womit Forsthoff das Verhältnis von Verwaltungs- Wirtschafts- und Sozialrecht meinte. Was der erste Band an Ansätzen zu einer systematischen Konzeption enthielt, waren bestenfalls Vorüberlegungen. Darüber kann auch der »Die Verwaltung als Leistungsträger« betitelte fünfte Abschnitt (Lb, 263 ff.) nicht hinwegtäuschen, der das öffentliche Sachenrecht enthält. Die Lösung sollte der zweite Band bringen, den Forsthoff gut fünfzehn Jahre lang immer wieder ankündigte, aber nicht abschloß.222 Gewiß gab es dafür eine Vielzahl äußerer Gründe;

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verstärken, sondern überwinden und in einem einheitlichen System zusammenführen usw.« Siehe auch O. Bachof, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, in: VVDStRL 30 (1972), 223 f., ferner B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 306 ff. Schon 1951 hatte er ihn für das kommende Jahr angekündigt (Lb II, V) und stellte ihn nochmals 1956 für »so bald wie möglich« in Aussicht (Lb VI, V). Vom Fortgang der Arbeit am Besonderen Teil berichtete er fortlaufend Ernst Rudolf Huber (15.11.1952; 14.7.1953, BA Koblenz, NL Huber), der parallel dazu an der Neubearbeitung seines Wirtschaftsverwaltungsrechts arbeitete. Am 26.2.1954 schrieb er ihm, der zweite Band werde im Frühsommer erscheinen, wenn auch die Arbeit eine »sehr erhebliche Schinderei« sei. Dabei schwebte ihm eine gleichzeitige Totalrevision auch den ersten Bandes vor, über die er am 24.3.1954 an Huber schrieb: »Mit der 3. Auflage meines ersten Bandes bin ich nicht mehr sonderlich zufrieden. Wie ein Theaterstück, das à la suite gespielt wird, nach einiger Zeit einer regiemäßigen Überholung bedarf, so ist es auch mit diesem Buch. Ich kann aber erst daran gehen, wenn der zweite Band heraus ist, weil ich eine Umverteilung des Stoffes auf die beiden Bände für zweckmäßig halte. So möchte ich das Beamtenrecht im ersten Band unterbringen, im Anschluß an das Organisationsrecht, wo es m.E. hingehört, dagegen das Recht der öffentlichen Sachen in den zweiten Band nehmen. Im übrigen würde ich den ersten Band gerne einmal ganz durcharbeiten und in einigen Teilen neu schreiben. Die Aspekte haben sich doch gegen 1949, als ich abschloß, vielfach geändert.« In einem Brief an Carl Schmitt vom 26.9.1952 (BW, Nr. 55) heißt es: »Die Schwierigkeit liegt darin, zu vermeiden, daß der besondere Teil in mehr oder weniger unverbundene, nebeneinander gestellte Stoffmassen auseinander fällt. Dazu bedarf es einer aus der Sache gewonnenen systematischen Konzeption, für die es seit Lorenz von Stein kein Vorbild gibt und um die ich mich bemühe«. Lange tat sich nichts, zumal Forsthoff in diesen Jahren vornehmlich verfassungsrechtlichen Themen nachging, und erst einige Jahre später, während der Vor-

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arbeitsökonomische zumal, aber auch entmutigende Vorbilder: Ernst Rudolf Huber 223 und Hans Julius Wolff 224 hatten sich an eine solche Systematisierung gewagt. Beide waren, jeder auf seine Weise, auf tausenden von Seiten in der Fülle des Stoffes schier untergegangen. Zu einer eigenständigen »Ordnungsidee« war keiner von beiden vorgedrungen. Doch das Scheitern am Besonderen Teil des Verwaltungsrechts lag auch in der Natur der Sache, wie die überlieferten Entwürfe beweisen. Ausgearbeitete Manuskripte existieren zwar nur zum ersten, das Standeswesen betreffenden Teil.225 Dagegen läßt die erhaltene Gesamtgliederung erkennen, welchen immensen Stoff Forsthoff unter welchen Aspekten in diesem Band abzuhandeln gedachte. Bedenkt man die Komplexität, die viele der in den Besonderen Teil fallenden Rechtsmaterien schon etwa 1960 erreicht hatten, dürfte der Plan – zumindest in einer dem ersten Band auch nur annähernd entsprechenden konzeptionellen Dichte – eigentlich undurchführbar gewesen sein. Die vermutlich letzte Fassung der Grobgliederung und damit Forsthoffs letzter Versuch einer »aus der Sache gewonnenen systematischen Konzeption, für die es seit Lorenz von Stein kein Vorbild gibt«226, lautet: »I. Der Mensch und das menschliche Zusammenleben A. Der Mensch. 1. Standeswesen (Zivilehe) 2. Staatsangehörigkeit und Fremdenwesen 3. Der fürsorgebedürftige Mensch: a) Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten usw. (Gesundheitswesen) b) Sonstige Formen der Fürsorge: Armut, Arbeitslosigkeit, Alter, Invalidität, Vertreibung usw.

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bereitungen zur 9. Auflage, griff er das Vorhaben des zweiten Bandes wieder auf. Am 21.10.1963 schrieb er an Carl Schmitt (BW, Nr. 177): »Hoffentlich enttäuscht es Sie nicht zu sehr, daß ich mich nun doch entschlossen habe, den zweiten Band in Angriff zu nehmen. […] Nach wie vor bin ich der Überzeugung, daß heute das Verwaltungsrecht [scil: und nicht das Verfassungsrecht] die wichtigere Materie ist, in der die eigentlichen und wesentlichen Fragen dieser Zeit […] zur Entscheidung stehen. Dazu kommt, daß mir zum besonderen Teil vieles eingefallen ist, mit dem ich Ihre Befürchtungen zu zerstreuen hoffe, daß der Band nur spezielle und technische Dinge bringen werde. […] Ich möchte unter allen Umständen im Frühjahr 1965 fertig sein.« Auch 1966 begründete er sein vorzeitiges Emeritierungsgesuch mit der Arbeit an diesem Stoff: »Mein zweites großes Arbeitsvorhaben ist der zweite Band meines Lehrbuchs der Verwaltungsrechts, auf den man seit langem wartet und dessen Abschluß um so dringlicher ist, als der erste Band soeben in neunter Auflage erscheint.« (Ernst Forsthoff an Kultusministerium Baden-Württemberg, 30.9.1966, UA Heidelberg, PA 3788). E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2 Bde., 21953/4. H. J. Wolff, Verwaltungsrecht, 3 Bde., 1956–1966. Unter dem Titel »Die Person im Verwaltungsrecht« finden sich in einem Kv. »Skizzen zu Verwaltungsrecht Bd. II« neben einer »Vorbemerkung« die folgenden, teils hand-, teils maschinenschriftlichen Teile: »1. Das öffentliche Namensrecht«, »2. Personenstandsrecht«, »3. Der Wohnsitz«, »4. Meldepflicht« und »Das Ausweiswesen«. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 26.9.1952, BW, Nr. 55.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

B. Die Ordnung des menschlichen Zusammenlebens (Polizei) 1. Historische Einleitung 2. Aufgabe der Polizei (allgemein) 3. Polizeipflichtige Personen 4. Einschreiten der Polizei (Polizeibefehl) (Anforderungen der Verhältnismäßigkeit usw.) 5. Besondere Arten der Polizei (Schiffahrts-, Bahn-, Luftverkehrs- usw. Polizei) II. Die Ordnung der Berufe A. Die Berufsvorbildung a) Schule b) Universität c) Handel und Handwerk B. Die Berufe a) Allgemeine Übersicht (staatlich, staatlich gebunden, frei) b) Das Beamtenrecht c) Staatlich gebundene Berufe d) Freie Berufe III. Gewerbe und Wirtschaft a) Gewerbeordnung b) Neues: Wirtschaftslenkung, Kartell-Gesetz, Preisrecht, Import-Export usw. IV. Der Raum, Erschließung, Ordnung, Nutzung A. Allgemeiner Teil: Darstellung der Mittel: Verkehr – Nutzungen (Baurecht) – Natur- und Landschaftsschutz – Das Koordinierungsmittel: der Plan – die Planfeststellung B. Die einzelnen Gebiete 1. Baurecht 2. Wasserrecht 3. Naturschutz 4. Verkehrsrecht a) Straße b) Bahn c) Wasserstraße d) Post e) Luftverkehr f) Leitungen (Öl)« 227

Das Desiderat nach einer ordnenden Konzeption des sozialstaatlichen Verwaltungsrechts findet sich im Lehrbuch nur bis zur achten Auflage (Lb VIII, 71 f.). In der neunten Auflage von 1966 ist die Passage gestrichen. An der gleichen Stelle fand sich nun eine Zusammenfassung seiner Überlegungen zum Verhältnis von Staat, Verwaltung und Industriegesellschaft (Lb IX, 72 ff.; Lb X, 74 ff.). Darin kann man, auch wenn Forsthoff es so nicht ausgesprochen hat, auch eine letzte Antwort auf die Frage nach der wissenschaftlichen Systembildung sehen. Sie erledigte sich für ihn in dem Maße, in dem er sah, wie die technisch formierte Gesellschaft sich den Staat und die Verwaltung zu ihren Funktionen machte. In paradoxer Weise entstand damit zwar wieder eine sich selbst tragende Sozialordnung (RlV, 20 f.), wie Forsthoff sie 1936 als Bedingung des ver227

Gliederung (undatiert) in Kv. »Skizzen zu Verwaltungsrecht Bd. II«, NL Forsthoff.

Drittes Kapitel: Grundfragen

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waltungsrechtlichen Systemdenkens identifiziert hatte. Doch das industriellbürokratische »System der Verteilung« (RW, 103) war nicht die alte bürgerliche Gesellschaft: Ihre Gesetze waren technische Funktionsgesetze, die der Staat nur noch zu legalisieren hatte.228 Mit der erwiesenen Überlegenheit der industriellen Technik über das Recht stand für Forsthoff fest, daß eine ordnende Konzeption des Besonderen Verwaltungsrechts nicht mehr gelingen würde. Die Entwicklung des Verwaltungsrechts und der Verwaltungsrechtswissenschaft in der Bundesrepublik hat ihm in dieser Skepsis in gewisser Weise Recht gegeben. Was er als aussichtslos aufgab, ist auch von anderen nicht weitergeführt worden. Zwar hatte zumal Peter Badura in seinen schon erwähnten frühen Arbeiten das Ziel der »Herausarbeitung spezifischer Grundsätze des wohlfahrtsstaatlichen Verwaltungsrechts«229 ausgegeben. Aber es blieb bei der Proklamation; eine systematische Ausarbeitung ist ihr nicht gefolgt.230 Das hat Gründe: Was nämlich in Forsthoffs Überlegungen stets nur eine ganz untergeordnete Rolle gespielt hatte, wurde immer mehr zum Dreh- und Angelpunkt des deutschen Verwaltungsrechts: der gerichtliche Rechtsschutz.231 Zur großen Gegenbewegung gegen die sozialstaatliche Entformalisierung des Verwaltungsrechts und seiner Handlungsformen wurde nicht, wie es Forsthoff einmal vorgeschwebt hatte, die Entwicklung eines andersartigen Systems des materiellen Rechts, sondern, entsprechend der starken Betonung des gerichtlichen Rechtsschutzes im Grundgesetz, die Ausdifferenzierung eines eigenständigen, dem materiellen Recht gegenüber selbständigen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrechts. Dadurch gelang es zumindest zeitweise und in gewissem Umfang, die ehedem durch die Rechts- und Handlungsformen erbrachten Formalisierungsleistungen auf die prozedurale Ebene zu verlagern.232

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Zum ganzen siehe das 9. Kap. P. Badura, Auftrag und Grenzen der Verwaltung im sozialen Rechtsstaat, in: DÖV 1968, 446 ff., Zitat: 455; neben diesem wichtigen Aufsatz v. a. ders., Verwaltungsrecht im liberalen und im sozialen Rechtsstaat, 1966; ders., Die Daseinsvorsorge als Verwaltungszweck der Leistungsverwaltung und der soziale Rechtsstaat, in: DÖV 1966, 624 ff. Vgl. M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 369, Fn. 98. R. Wahl, Herausforderungen und Antworten, 2006, 26 ff., 39 f. Zukunftsweisende Bemerkungen dazu bei P. Badura, Auftrag und Grenzen der Verwaltung im sozialen Rechtsstaat, in: DÖV 1968, 454: »Insofern ist das Verwaltungsverfahren, neben dem verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz, eine der Vorkehrungen, durch die der Wohlfahrtsstaat zeigt, daß er Rechtsstaat zu sein vermag.« Ferner O. Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Bd. I, 31966, 7; wichtige sozialphilosophische Impulse erhielt die Diskussion von N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969; einflußreich dann E. SchmidtAßmann, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: VVDStRL 34 (1976), 221 ff., bes. 239 ff.; ferner ders., Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, 1982, 35 ff.; P. Lerche/W. Schmitt Glaeser/E. Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984.

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Forsthoffs prinzipielle Vorbehalte gegen die Vorherrschaft der Rechtsprechung im Verwaltungsrecht waren zu stark, als daß er zu dieser Entwicklung etwas hätte beitragen können. Aber er mußte sie anerkennen und die Darstellung des behördlichen und gerichtlichen Verfahrensrechts 1966 aus seinem Lehrbuch entfernen (Lb IX, v), nachdem sie durch die Rechtsentwicklung anachronistisch geworden war: Im Jahre 1960 hatte die Einführung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel durch die Verwaltungsgerichtsordnung 233 der von Verfassungs wegen ohnehin starken Stellung der Justiz in Verwaltungssachen weiteren Auftrieb gegeben.

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Siehe § 40 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung v. 21.1.1960 (BGBl. I, 17); zur Vorgeschichte und Bedeutung der VwGO umfassend E. Schmidt-Aßmann, Einleitung, in: Verwaltungsgerichtsordnung, Loseblattsammlung, hrsg. v. F. Schoch u. a., (Stand 2008), Rn. 89 ff.; G.-C. von Unruh, Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. V, hrsg. v. K. G. A. Jeserich u. a., 1985, 1189 ff.

Viertes Kapitel Die Daseinsverantwortung als Ordnungsidee des modernen Verwaltungsrechts Das vorige Kapitel hat gezeigt, daß die zwei Hauptprobleme des modernen, nachrechtsstaatlichen Verwaltungsrechts für Forsthoff auf das engste miteinander zusammenhingen: das Vordringen der Verwaltung in die gesellschaftliche Sphäre und der Siegeszug der Wohlfahrtszwecke einerseits sowie andererseits die Gestalt des Allgemeinen Verwaltungsrechts als ein wissenschaftliches System. Forsthoff war überzeugt, daß die Erosion des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts ihren Grund in der zur Hauptfunktion der staatlichen Verwaltung gewordenen Daseinsvorsorge hatte. Die Qualität des Verwaltungsrechts als wissenschaftliches System war demnach nur mit einem von der Daseinsverantwortung der Verwaltung her entwickelten völligen Neuansatz zu sichern. Das folgende Kapitel rekonstruiert nun Forsthoffs Konzeption eines solchen verwaltungsrechtlichen »Systems« der Daseinsvorsorge in seinen rechtsphilosophischen und rechtsdogmatischen Grundpositionen. Aber was bedeutete der Begriff der Daseinsvorsorge eigentlich (I.)? Ungeachtet des spektakulären Erfolges, den er in der Verwaltungsrechtswissenschaft hatte, ist sein Gehalt zumal für Forsthoffs ursprüngliche Konzeption des »modernen« Verwaltungsrechts nämlich noch keineswegs hinreichend geklärt. Dazu hat Forsthoff selbst manches beigetragen. Er hat seine Konzeption nach dem Zweiten Weltkrieg nicht unerheblich verändert und dadurch ihre frühere Bedeutung zumindest partiell kaschiert (IV.). Dabei verschwand einiges von der gedanklichen Kühnheit, die den Begriff wissenschaftsgeschichtlich eigentlich auszeichnet. Die rechtsdogmatischen Konsequenzen, die sich für Forsthoff mit der Daseinsvorsorge verbanden, sind sowohl im Hinblick auf die Binnenstruktur der Verwaltung und das Organisationsrecht zu erörtern (II.), als auch im Hinblick auf die Rechtsstellung des einzelnen und speziell das Verhältnis von Daseinsvorsorge und Eigentum (III.).

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

I. Zum Begriff der Daseinsvorsorge Will man verstehen, was der Begriff der »Daseinsvorsorge« in der Verwaltungsrechtswissenschaft Ernst Forsthoffs bedeutet, so muß man ihn von dem der »Daseinsverantwortung« unterscheiden. In Forsthoffs Konzeption aus dem Jahre 1938 treten »Daseinsvorsorge« und »Daseinsverantwortung« nämlich noch als Begriffspaar auf, auch wenn er selbst die Unterscheidung nicht mit völliger Konsequenz durchgeführt hat. Wenn nur die »Daseinsvorsorge«, nicht aber die »Daseinsverantwortung« im Verwaltungsrecht der Nachkriegszeit zur dogmatischen Leitkategorie geworden ist, so hat das seine tiefere, noch zu thematisierende Bedeutung. Für Forsthoff gehörten sie dagegen ursprünglich logisch zusammen. Daseinsvorsorge war eigentlich nicht als normativer, sondern als ein beschreibender Begriff gemeint. Er beinhaltete eine bestimmte soziologische Modernisierungshypothese und eine Staatstheorie des Verwaltungsstaates. Demgegenüber war die »Daseinsverantwortung« der eigentliche verwaltungsrechtswissenschaftliche Kardinalbegriff. Er sollte die neue, nachrechtsstaatliche Gerechtigkeitsidee des Verwaltungsrechts enthalten, zum Grundbegriff eines neuen Systems des Verwaltungsrechts werden und war insofern Forsthoffs Versuch, dem Verwaltungsrecht der industriellen Gesellschaft eine »geistige Ordnung« zu geben. 1. Eine Staatsphilosophie der leistenden Verwaltung Die soziologische Hypothese, die den Ausgangspunkt der Studie über die Verwaltung als Leistungsträger bildet, ist denkbar abstrakt. Die Entwicklung der arbeitsteiligen industriellen Gesellschaft bewirke, so Forsthoff, die fortschreitende »Trennung des Menschen von den Lebensgütern« (VwL, 4). Infolge der Vermehrung der europäischen Bevölkerung im Verlaufe des 19. Jahrhunderts, der Verstädterung, der Spezialisierung der industriellen Arbeit, der Weiträumigkeit der Wirtschaftweise, kurz: infolge der Zunahme der sozialen Differenzierung könnten immer mehr Menschen immer weniger von den Erzeugnissen ihrer eigenen Arbeit leben. Wie ist das zu verstehen? Forsthoff hat seine Hypothese mit der sehr anschaulichen Unterscheidung zwischen dem »effektiven« und dem »beherrschten« Lebensraum illustriert: Der Mensch der für das politische Leben bestimmenden Schichten habe in der Agrargesellschaft wie noch im bürgerlichen Zeitalter in einer Umwelt gelebt, die man »als sein Eigen betrachten« könne: »Der Hof, der Acker, der ihm gehört, das Haus, in dem er lebt« (VwL, 4), das heißt in einer ihm durch Eigentumsrechte zugeordneten Lebensbasis: dem »beherrschten Lebensraum« (VwL, 4). Die Güter des beherrschten Lebensraums konnten für ihn »eine vergleichsweise gesicherte Lebensbasis darstellen« (VwL, 5), weil er in seiner subjektiven Sphäre frei über sie verfügen konnte.

Viertes Kapitel: Daseinsverantwortung als Ordnungsidee

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Mit dem Übergang zu einer modernen, also arbeitsteiligen Wirtschafts- und Lebensweise ist der Mensch nun genötigt, sich stärker über seinen beherrschten Lebensraum hinaus zu bewegen, um sich mit Lebensgütern zu versorgen. Forsthoff nannte die Sphäre, in der der Mensch sich bewegt, die ihm aber nicht persönlich »gehört«, den »effektiven Lebensraum«. Man kann auch einfach vom vergesellschafteten oder sozialen Lebensraum sprechen.1 Die Lebensgüter, auf die der Mensch in seinem effektiven Lebensraum zugreifen kann, unterscheiden sich von denen des eigenen Lebensraumes nun dadurch, daß sie typischerweise nicht das Produkt eigener Arbeit sind, sondern eines spezialisierten arbeitsteiligen Erzeugungsprozesses. Auch muß sie der einzelne nicht notwendig zu Eigentum erwerben, um von ihnen zu leben. Oftmals gebraucht er sie bloß faktisch oder aufgrund obligatorischer Rechte. Er muß sie, wie Forsthoff mit Max Weber formulierte: »appropriieren« (VwL, 5).2 Solange die bürgerliche Verkehrsgesellschaft die Güterverteilung reguliert, sind die Formen der Appropriation privatrechtlich: Kauf, Miete, Dienstleistung. Was aber, wenn nicht? In diesem Moment wird die Appropriation zur Angelegenheit der Verwaltung. In dem Maße, in dem die »reibungslose Appropriation« durch den freien Güterverkehr nicht mehr funktioniert, übernimmt der Staat selbst die Verteilung. Der einzelne lebt dann ganz wesentlich von dem komplexen Verwaltungssystem und seinen Leistungen. Er benutzt öffentliche Verkehrs- und Kommunikationseinrichtungen, nimmt an der Gas- und Energieversorgung teil und an der öffentlichen Gesundheitsvorsorge (VwL, 4 f., 7) oder ist eingebunden in die Institutionen der Sozialversicherung. Nicht, daß der Staat selbst alle Leistungen bereithält. Aber er wird zum allgegenwärtigen Garanten der Appropriation. So war bereits in Ernst Jüngers Arbeiter zu lesen, es würden »neun Zehntel aller Dinge, über die der moderne Mensch verfügt, sofort wertlos, wenn man sie vom Vorhandensein des Staates abstrahiert.« 3 Nun wirkt das vergesellschaftete Leben in der industriellen Gesellschaft aber auf den beherrschten Lebensraum zurück. Mit der Erweiterung des effektiven Lebensraums erweitert der Mensch zwar seinen Freiheitsraum, insofern er die Möglichkeit zu einer »weiträumigen Lebensweise« (VwL, 5) erhält, wird aber andererseits in steigendem Maße »sozial bedürftig«, ist also darauf angewiesen, daß die Güter, die er zum Leben braucht, im arbeitsteiligen Prozeß erzeugt werden. Störungen des arbeitsteiligen Produktionssystems bedrohen ihn stärker als Ereignisse im beherrschten Lebensraum: »Schon ein kurzer Verdienstausfall […] macht öffentliche Hilfe notwendig. Ein Stocken etwa der Wasserversorgung einer Großstadt oder die Stillegung der Verkehrsmittel führt zur

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So D. Suhr, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, in: Der Staat 9 (1970), 83 ff. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 51972, 23. Weber benutzt den Begriff der Appropriation als Allgemeinbegriff für die soziale Zuteilung von Chancen und definiert alsdann: »Appropriierte Chancen sollen Rechte heißen.« E. Jünger, Der Arbeiter (1932), in: Sämtl. W., Bd. 8, 1981, 292.

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Katastrophe.«4 Je mehr nun aufgrund der fortschreitenden Industrialisierung und Spezialisierung diese typischerweise großstädtische Form der Lebens- und Güterordnung die sozial bestimmende wird, um so mehr schrumpft der beherrschte Lebensraum in sich zusammen. Die Tendenz ist die »bis zur Minimalisierung gehende Verengung des beherrschten Lebensraums« 5. Die Sphäre, die dem modernen Menschen auf absolute Weise zugeordnet bleibt, schwindet dahin und schließlich gehört ihm nur noch »die Etage, das möblierte Zimmer, die Schlafstelle« (VwL, 5). Die dieser Beschreibung zugrundeliegende Modernisierungstheorie war keineswegs neu. Schon Émile Durkheim hatte analysiert, wie mit der fortschreitenden Differenzierung des arbeitsteiligen Prozesses die Freiheit, die ja den Differenzierungsprozeß überhaupt erst vorantreibt, zu einer nachgelagerten Funktion der gesellschaftlichen Strukturen wird.6 Der Mensch muß in der industriellen Welt jeden Freiheitsgewinn durch die Steigerung seiner Abhängigkeit bezahlen. In neuerer Zeit hat Dieter Grimm den Tatbestand wie folgt beschrieben: »Aufgrund der fortschreitenden Differenzierung der sozialen Strukturen und Funktionen wird der Bereich, in dem der Einzelne von den grundrechtlich gesicherten Freiheiten mit seinen natürlichen Mitteln Gebrauch machen kann, immer enger. Im selben Maß wächst der Bereich, in dem die Nutzung rechtlicher Freiheiten von gesellschaftlichen oder staatlichen Vorleistungen materieller oder organisatorischer Natur abhängt.« 7 Infolgedessen vermindert sich die »existenzverbürgende Funktion des Sachbesitzes« und geht über auf das Arbeitseinkommen und die vom ihm ableitbaren Ansprüche.8 Die »Trennung des Menschen von den Lebensgütern« meint also zunächst einmal nichts anderes als die Ausbreitung einer spezialisierten Art der Gütererzeugung, in der der einzelne sich nicht mehr oder nur noch in einem hochabstrakten Sinne als der Schöpfer und Verwalter seiner Lebensgüter wissen darf. Die Trennung wird vollzogen durch eine politisch-gesellschaftliche Sphäre, in der er sich die Bedarfsgüter beschaffen muß und die ihn zwingt, sich ihren Verkehrsregeln zu unterwerfen. Bereits an dieser Stelle wird deutlich, daß Forsthoffs Begriff der Daseinsvorsorge das alte Thema der »Entfremdung« oder »Entzweiung« aufnimmt, wie es Hegel zuerst in die Gesellschaftstheorie eingeführt hat.9 Die in der modernen industriellen Welt vollzogene Herauslösung des Menschen aus seinen alten

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E. Forsthoff, Führung und Bürokratie, in: Dt. Adelsblatt 1935, 1339. E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 81. É. Durkheim, De la division du travail social (1893), 51926. D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des Rechtsstaats, in: Die Zukunft der Verfassung, 1991, 170. D. Grimm, Die Entwicklung des Enteignungsrechts unter den Einfluß der Industrialisierung, in: Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, 284. G. Lukács, Der junge Hegel (1948), Werke, Bd. 8, 31967, 656 ff.

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gewachsenen Bindungen setzt ihn zwar in den äußeren Stand, frei zu sein. Aber sie bringt es zugleich mit sich, daß das Ziel der selbstbewußten Freiheit auch verfehlt werden kann: das konkrete »Beisichselbstsein des Menschen«. Das Risiko der Selbstbehauptung innerhalb der Gesellschaft, vormals im ererbten Stand eingeschlossen, wird dem einzelnen Menschen voll aufgebürdet. Die Abstraktheit der modernen gesellschaftlichen Verhältnisse wirkt auf diese Weise zugleich befreiend und entzweiend. Die bürgerliche Tauschgesellschaft mit ihrem formalen Rechtssystem absorbiert den Menschen, entzieht ihn damit seiner häuslich-familiären Sphäre der Lebensführung und zerreißt die wirtschaftlich-soziale Einheit des häuslichen Lebens.10 Die Abstraktheit der Tauschbeziehungen nämlich, sagt Hegel, »vervollständigt […] die Abhängigkeit und die Wechselbeziehung der Menschen für die Befriedigung der übrigen Bedürfnisse zur gänzlichen Notwendigkeit.«11 Und Forsthoff schloß daraus: Die »Auslieferung des Menschen in seiner Daseinsbehauptung an seine Umwelt ist von allen Arten der Entfremdung wohl die elementarste« (RW, 116). Der für Forsthoff zwischen der Daseinsvorsorge und der gesellschaftlichen Entfremdung bestehende Zusammenhang wird aber erst dann ganz deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, was sich für ihn seit dem bürgerlichen Zeitalter insoweit verändert hatte. Die Hegelsche Lehre von der Entzweiung konnte Forsthoff nicht einfach fortschreiben, denn sie hatte ja die Dialektik der bürgerlichen Gesellschaft zu ihrer Voraussetzung. Die Veränderung ist durch einen Aspekt bezeichnet, dem Forsthoff allerhöchste Bedeutung beimaß. Gemeint ist die Ökonomisierung, Technisierung und Industrialisierung des Lebensraums, die »große Verwandlung des Daseins durch Technik und Großstadt«12. Das 19. Jahrhundert als das Zeitalter der Verwissenschaftlichung, der Industrie und der Technik hatte, so war Forsthoff überzeugt, die Lebensformen jener bürgerlichen Gesellschaft selbst tiefgreifend verändert, deren Konstituierung einmal die Voraussetzung für den Aufstieg von Wissenschaft, Technik und Industrie gewesen war. Die Dialektik der industriellen Technik hatte jedoch nicht nur das Erscheinungsbild der bürgerlichen Gesellschaft verändert und die soziale Frage heraufbeschworen. Sie hatte – und dies war für Forsthoff der entscheidende Gesichtspunkt – zugleich die Mechanismen sozialer Kohäsion und die Formen staatlichen Handelns im Vergleich mit dem bürgerlichen Sozialmodell wesentlich verändert. Forsthoff verband mit seinem Begriff der Technik geschichtsphilosophische und zeitdiagnostische Vorstellungen, wie sie nicht nur in der Zwischenkriegs-

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Vgl. J. Ritter, Subjektivität und industrielle Gesellschaft (1961), in: Metaphysik und Politik, 2003, 373 f. G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), Werke, Bd. 7, 1970, § 198. E. Forsthoff, Führung und Bürokratie, in: Dt. Adelsblatt 1935, 1339.

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zeit zwischen Oswald Spengler,13 Karl Jaspers,14 José Ortega y Gasset,15 Hans Freyer 16 und Ernst Jünger 17 überhaupt sehr gängig waren, sondern wie sie schon zu Beginn der industriellen Revolution von den französischen Frühsozialisten geprägt worden waren. Henri de Saint-Simon etwa hatte in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts der bürgerlichen Gesellschaft den Untergang in einer kommenden, durch die Technik geschaffenen Ordnung des »industralisme« prophezeit. In dieser gesellschaftlichen Ordnung der Zukunft werde eine »classe industrielle« aus Ingenieuren und Arbeitern eine neue harmonische Sozialordnung hervorbringen, die Technik werde die soziale Frage lösen und schließlich auch auf den Staat nicht mehr angewiesen sein.18 In Deutschland hatte kurz nach der Jahrhundertmitte Bruno Bauer das Ende des europäischen Staatensystems und seiner Metaphysik und die Herrschaft des Ingenieurs verkündet.19 Doch der Mythos von der Technik hatte, davon war schon die Rede, im Gedankengut der deutschen Rechten zwischen den Weltkriegen zumeist eine andere Stoßrichtung. So sehr man auch überzeugt war von der weltverändernden Macht der Technik, so wenig teilte man doch die Fortschrittsgläubigkeit und die Utopie des Saint-Simonismus von einer harmonischen Ordnung des Industrialismus, die das hoheitlich-staatliche Element nach und nach absorbieren würde. Zunächst verband sich mit ihr noch, zumal bei Hans Freyer und Ernst Jünger, die Hoffnung auf eine neue und intensivere Form des Politischen. Auch Forsthoff hatte den »totalen Staat« in diesem Sinne gekennzeichnet.20 Bei vielen wich diese Hoffnung jedoch einer skeptischen Haltung zum Phänomen der Technik.21 Bei Forsthoff nahm die Bewertung der Technik zu Beginn der vierziger Jahre eine besonders pessimistische Wendung. So finden sich unter den nachgelassenen Aufzeichnungen aus dieser Zeit auch längere Überlegungen über die Technik und ihr Verhältnis zum Staat, in denen von der Utopie einer Versöhnung von Technik und politischer Ordnung nichts mehr zu lesen ist.22 Viel13 14 15 16

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O. Spengler, Der Mensch und die Technik, 1931. K. Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, 51932. J. Ortega y Gasset, Der Aufstand der Massen (1930, dt. 1931), 1955. H. Freyer, Zur Philosophie der Technik (1929), in: Herrschaft, Planung und Technik, 1987, 7 ff. E. Jünger, Der Arbeiter, 1932. C. H. de Saint-Simon, Le système industriel, 1821; vgl. M. Leroy, Histoire des idées sociales en France, Bd. II, 21950, 202 ff. B. Bauer, Rußland und das Germanenthum, 1853, 44 ff. S.o., 2. Kap., S. 85 f. D. Morat, Von der Tat zur Gelassenheit, 2007, 205 ff. E. Forsthoff, Fragmentarisches zum Thema Technik, datiert 1942, Ms., NL Forsthoff, 9 S. Über den Aufzeichnungen stehen folgende vier Buchtitel, mit denen Forsthoff sich in erster Linie auseinandersetzte: O. Spengler, Der Mensch und die Technik, 1932; O. Veit, Die Tragik des technischen Zeitalters, 1935; C. Weise, Kultur und Technik, 1935; Th. Lüddecke, Meisterung der Maschinenwelt, 1931.

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mehr faßte er das Problem der Technik nun in erster Linie als ein anthropologisches und erst in zweiter Linie als ein politisches auf. »So liegt auch das Problem der Technik nicht in den Sachgegebenheiten der technischen Welt, sondern […] in den Beziehungen, die zwischen den Sachgegebenheiten der Technik und dem Menschen stattfinden.« 23 Das Selbstverhältnis des Menschen unter dem Bann der Technik deutete Forsthoff als eines der vollständigen »Überwältigung«. Die Entfremdung des einzelnen an die technische Außenwelt ist hier bis zum äußersten gesteigert: »Die Dämonie der Technik haftet überhaupt nicht dem einzelnen technischen Objekt an, sondern sie ist eine Qualität der Technik als Ganzes. Es ist ihre Ruhelosigkeit, ihre Maßlosigkeit, ihre Blindheit gegen Gut und Böse, die Überwältigung des Menschen, die sie vollbringt, mit einem Wort: der magische Bann, welchen die Technik (als Ganzes) dem menschlichen Verstande, Herzen und Gemüt auferlegt. […] Das Dämonische in der Technik […] ist die Dämonie im Menschen, gewandet in eine objektive Sphäre.«24

Interessanterweise taucht nun gerade in diesem Zusammenhang bei Forsthoff zum ersten Mal der schroffe Gegensatz von technischem Prozeß und politischer Ordnung auf, der aus seinen späten Schriften bekannt ist. Der Staat als Element der Ordnung und der Tradition, als Institution, und die Technik als ruheloser Fortschritt erscheinen nun als absolute Gegensätze, die Verbindung aus Staat und Technik als unaufhaltsame Überwältigung des Staates durch die Logik der Technik: »Technik ist […] Unruhe und folglich ist auch ein Staat, der sich auf der Technik aufbaut oder die Technik als ein wesentliches Element in sich aufgenommen hat, notwendig ein nie zur Ruhe kommender Staat.« 25 Auch den nationalsozialistischen Staat charakterisierte Forsthoff nun als einen solchen ruhelosen Staat, der er als allein verantwortlicher, aller rechtsstaatlichen Vorbehalte gegen die Lenkung lediger Träger des technischen Prozesses werden mußte: »sowohl in Deutschland wie auch in Rußland [sind] Staaten entstanden […], die ihre eigentliche Stoßkraft aus ihrem Verhältnis zur Technik ziehen. Es sind, in einem entscheidenderen Sinne als die Vereinigten Staaten[,] die durchtechnisierten Staaten des 20. Jahrhunderts.« 26 Denn: »[M]it der Machtübernahme fiel […] die Entscheidung für die Technik, das heißt für die Wiederbelebung des mit der Wirtschaftskatastrophe zum Erliegen gekommenen technischen Prozesses. Diese Entscheidung vermochte sich sehr schnell mit außerordentlicher Wirkung dem allgemeinen Bewußtsein einzuprägen, das alsbald alle Anwandlungen der Skepsis gegenüber der Technik ablegte […]. Die Entscheidung wurde in der Weise realisiert, daß sich der Staat selbst – anstelle der Wirtschaft – zum Träger des technischen Prozesses gemacht hat. Die Durchführung dieses Vorgangs, die Indienstnahme der Wirtschaft für die staatsgelenkte Produktion, welche den Staat zum industriellen Auftraggeber größten Stils werden ließ, darf im

23 24 25 26

E. Forsthoff, Fragmentarisches zum Thema Technik, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 1. Ebd., Bl. 6. Ebd., Bl. 5. Ebd., Bl. 4.

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allgemeinen als bekannt gelten. Seine nachhaltige Wirkung erklärt sich daraus, daß die mit ihm eingeleitete Umsteuerung des Sozialablaufs starke Nötigungen in sich selbst trägt, die, nachdem der Anfang gemacht ist, den Fortgang der Dinge bestimmen, weil das eine das andere nach sich zieht.« 27

Forsthoff zog aus dieser durch die Technik gesteigerten Entfremdung sehr weitreichende Konsequenzen für die Psychologie der politischen Assoziation. In den psychischen Folgen der Daseinsvorsorge lagen für ihn die tieferen Gründe für den »inneren« Zusammenbruch des bürgerlichen Staates zwischen den Weltkriegen. Wo nämlich die Verwaltung eine umfassende Vorsorge für das Dasein leistet, da gelingt die vom bürgerlichen Sozialideal eingeforderte Vermittlung von subjektiver Freiheit und objektiver Bindung und damit die Vermittlung eines durch Bildung und Besitz geschaffenen beherrschten Lebensraums mit der gesellschaftlichen Sphäre nicht mehr. Wenn der Staat in umfassender Weise über die Subsistenzmittel des Menschen entscheidet, kann dieser seine Subjektivität nicht mehr gegen die äußeren Strukturzwänge behaupten. Wenn für diese Form der Versorgung technische Infrastrukturen notwendig sind, die der einzelne nicht durchschaut, erleben die Menschen ihr Dasein nur als »auf eine sehr künstliche Weise gesichert und entsprechend empfindlich« (VwL, 48). Die Künstlichkeit der Daseinssicherung bedingt die »innere Aushöhlung des Menschen« (RW, 13). Auf diese Weise brach für Forsthoff mit der Vermittlung von subjektiver Freiheit und objektiver Bindung auch der politische Impetus der bürgerlichen Subjektivität zusammen: Das bürgerliche Freiheitsstreben verlor an die Daseinsvorsorge den soziologischen Ort, von dem aus es seine politische Dynamik gewann. Sie ist das »Feld, auf dem sich das liberale Freiheitsanliegen mit seiner Tendenz nach Entmachtung des Staates von selbst totlief.« (VwL, 19) Die Grundlage der bürgerlichen Daseinsform und ihres Freiheitsanliegens war die auf freier Selbstbestimmung innerhalb der Gesellschaft gegründete »individuelle Daseinsverantwortung« (VwL, 6), die Möglichkeit, innerhalb des beherrschten Lebensraumes und durch freie, ungelenkte Appropriation für sich selbst zu sorgen.28 Im späten 19. Jahrhundert, so Forsthoff, habe sich diese individuelle Daseinsverantwortung zunächst noch in Form der »kollektiven Daseinsverantwortung« behaupten können. Die entstehenden Massenorganisationen, die Gewerkschaften, Verbände und Parteien hätten in der Krise des bürgerlichen Sozialmodells die Daseinsverantwortung zwar organisatorisch 27

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E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 27. GrR, 17: »Die Rechtsordnung des frühen 19. Jahrhunderts sah sich vergleichsweise einfachen Lebensverhältnissen gegenüber. Der Überfluß an Lebensgütern, der ständig gemehrte Wohlstand, der rege Austausch von Land zu Land ermöglichten jedem, der Hand und Geist zu rühren wußte, eine im wesentlichen gesicherte Existenz. Die Rechtsordnung konnte diese Existenz als eine soziale Gegebenheit voraussetzen. Sie durfte sich darauf beschränken, den Rechtsgenossen in seiner Teilhabe am Rechtsverkehr zu schützen.«

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kollektiviert, seien aber auf der Basis einer im Prinzip individualistischen Gesellschaft geblieben und daran als krisenhafte Übergangserscheinungen erkennbar. »Diese Sozialverfassung erfuhr in der Weimarer Zeit ihre äußerste Zuspitzung« (VwL, 6).29 Erst mit der nationalsozialistischen Revolution sei der in der Polykratie der Massenorganisationen noch vorhandene Rest der individuellen Daseinsverantwortung überwunden worden durch eine umfassende »politische« »Daseinsverantwortung der Träger der politischen Gewalt (Staat und Partei)« (VwL, 6). Das bedeutete: Nachdem durch die Industrialisierung und Technisierung des sozialen Raumes die individuelle Selbstbehauptung unmöglich geworden ist, bringt der Staat, der sich selbst zum Träger des technisch-industriellen Prozesses gemacht hat, nur eine langfristige Entwicklung folgerichtig zuende, wenn er die bloß gesellschaftlichen Organisationsformen der Daseinsverantwortung auch politisch aufhebt, sie in seinen Machtbereich integriert und dadurch sich selbst zum mehr oder weniger allein verantwortlichen Träger der Daseinsvorsorge macht.30 Kehrt man von dieser These zurück zum Problem der bürgerlichen Freiheit und ihrem Verhältnis zum Staat, so bedeutete sie: Dem abstrakt-subjektiven Freiheitsbegriff entspricht unter den Bedingungen der Daseinsvorsorge keine soziale Chance mehr, der Freiheit zur Entfaltung zu verhelfen. Der Weg von der formalen zur realen Freiheit, vom abstrakten Recht zur Sittlichkeit ist durch die existentielle Abhängigkeit von der Daseinsvorsorge versperrt. Konnten Hegel und seine Nachfolger den Staat überhaupt aus der neuzeitlichen Dialektik der bürgerlichen Freiheit heraus verstehen, so gilt dies für den modernen Staat nicht mehr. Diese Dialektik ist hier an ihr Ende gekommen.31 Für Ernst Forsthoff war damit der ideologische Kern des bürgerlichen Staates entfallen: die Trennung oder »Distanz« von Individuum und Staat.

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30

31

Die gleiche Deutung der sozialpolitischen Entwicklung findet sich bereits in Rudolf Craemers für die zeitgenössische Diskussion grundlegender Darstellung: R. Craemer, Der Kampf um die Volksordnung, 1933, 237 ff. Siehe bereits TS, 45: »Alles, was bisher zur Errichtung einer ständischen Ordnung geschehen ist, die Kassierung der Gewerkschaften, die Gleichschaltungen und Zusammenfassungen auf allen Gebieten des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens, hat darin seine Berechtigung, daß die bisher rein interessenmäßig und gruppenmäßig vertretenen Anliegen in Zukunft nicht ignoriert werden, sondern als berufsständische Anliegen im Rahmen einer totalen Gemeinschaftsordnung und der Daseinserfordernisse dieser Gemeinschaft ihre Vertretung haben und ihre Berücksichtigung finden müssen.« Dies ist ganz übersehen bei E. R. Huber, Vorsorge für das Dasein (1972), in: Bewahrung und Wandlung, 1975, 319 ff., 339 ff. Allenfalls für den späteren Forsthoff – und auch für ihn nur eingeschränkt – kann deshalb auch Jürgen Habermas’ Einordnung unter die »rechtshegelianischen Kompensationstheorien« Gültigkeit haben: J. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, 1985, 86 ff. Zwischen der bürgerlichen Freiheit und ihren negativen Folgen gibt es bei Ernst Forsthoff, wie gezeigt, nichts mehr zu kompensieren. Die Subjektivität hat sich technologisch totgelaufen.

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»Im modernen Staate behauptet sich der Mensch nicht durch eine ihm garantierte individuelle Freiheit, sondern durch Teilhabe. Da die Ausdehnung der hoheitlichen Sphäre eine Behauptung außerhalb derselben nicht mehr zuläßt, wird die Behauptungsfrage zur Teilhabefrage, zur Frage nach der Behauptung innerhalb der reichgegliederten hoheitlichen Sphäre in der Form der Teilhabe.« (VwL, 45)

Was war politisch das Entscheidende an diesem Wandel im Verhältnis von Individuum und Staat? Forsthoff machte die zutiefst beunruhigende Entdeckung, daß die Mentalität der Teilhabe der politischen Funktionsweise des Staates der Daseinsvorsorge ebenso genau entsprach wie dem bürgerlichen Freiheitsideal der Rechtsstaat entsprochen hatte. Im Zeichen der Daseinsvorsorge vollzog sich die »Angleichung des Menschen an die technisierte Welt« (VwL, 39), die sich in einem aus Sicht der rationalistischen Attitüde des bürgerlichen Jahrhunderts unbegreiflichen, blinden Vertrauen der Massen in die Apparaturen äußerte, denen sie ihre Existenz verdankt. »Die völlige Wandlung in dem Verhältnis des Menschen zu den Dingen, welche seinen technisierten und ökonomisierten Lebensraum bestimmen, ist nur auf dem Hintergrunde psychischer Veränderungen zu verstehen, welche ein neues Lebensgefühl heraufgeführt haben. Dieses neue Lebensgefühl spricht sich vor allem in einem starken, unreflektierten Vertrauen zu den Einrichtungen der Daseinsvorsorge aus. Der Mensch, dessen Lebensexistenz an der öffentlichen Daseinsvorsorge hängt, hat sich auch damit abgefunden, und es liegt ihm ganz fern, sich durch die Risiken beunruhigen zu lassen, denen er damit ausgesetzt ist. Die Vorstellung, daß heute die lebensnotwendigsten Dinge nicht mehr der verantwortlichen Verfügung des Einzelnen selbst, sondern öffentlicher Bewirtschaftung unterstehen, daß der Mensch sie aus der Hand geben und einem System öffentlicher Institutionen von ebenso großer Differenziertheit wie Empfindlichkeit überlassen mußte […], regt niemanden auf, sondern ist eine Selbstverständlichkeit.« (VwL, 17 f.)

Was also die der Daseinsvorsorge zugeordnete politische Mentalität auszeichnet, ist ihre im Vergleich zur bürgerlichen geradezu umgekehrte Haltung zur Staatlichkeit: Der einzelne verlangt nicht mehr nach dem ungestörten Gebrauch oder auch nur dem Erwerb privater Subsistenzmittel, sondern nach der Eingliederung in die hoheitlichen Institutionen der Daseinssicherung: nach Teilhabe. Dieses Daseinsgefühl hatte für Forsthoff das bürgerliche Freiheitsideal im 20. Jahrhundert vollständig abgelöst und bildete nunmehr die »wesentliche, nicht wegdenkbare psychische Grundlage der modernen völkischen Lebensform« (VwL, 18) und den »Inhalt jenes politischen Bewußtseins der Verbundenheit […], welches die politische Gemeinschaft konstituiert« (VwL, 19). Wie ist das staatstheoretisch zu verstehen? Es liegt nahe, in Forsthoffs Argumentation eine soziologisch modernisierte Wiederholung der Staatsbegründung des Thomas Hobbes zu erkennen. Dann wäre jenes Verlangen nach Teilhabe an den staatlichen Leistungen und nach Risikovorsorge vergleichbar dem Bedürfnis nach Schutz, das in der Vertragstheorie Hobbes’ den allseitigen Gehorsam begründet – unter neuen Bedingungen und Gefährdungen des einzelnen. Man würde mit dieser Lesart den rechtsphilosophischen Antisubjektivis-

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mus und Antiindividualismus der Daseinsvorsorge jedoch völlig verfehlen. Denn vom instrumentellen Charakter der Staatsgründung bei Thomas Hobbes, vom Gehorsam bloß um der rationalen Selbsterhaltung willen,32 ist hier mit keinem Wort mehr die Rede. Forsthoff behauptete ja gerade, daß es in der modernen Sozialordnung kein vorstaatliches Interesse an Sekurität, an bürgerlicher Selbsterhaltung mehr geben kann. Der von der Aufklärung reklamierte, aus dem Staat ausgegrenzte moralische Innenraum des Individuums wird über die Daseinsvorsorge vom Staat wieder vereinnahmt. So erledigt sich naturgemäß auch jede kontraktualistische Staatsbegründung. Und deshalb war die Daseinsvorsorge für Forsthoff auch niemals eine Frage der politischen Legitimität des modernen Staates, sondern ausschließlich eine Frage seiner Verfassung. Diese Unentrinnbarkeit, die nicht durch einen vorgegebenen Staatszweck begrenzt ist, machte auch die politische Sprengkraft der Daseinsvorsorge als Grundlage der politischen Verfassung aus. Sie lag in der gegenseitigen Verstärkung beider in der Gesellschaft wirksamen psychologischen Momente, der Entfremdung und des Verlangens nach Teilhabe. Schließlich weiß der einzelne ja darum, daß sein Leben »auf eine sehr künstliche Weise gesichert und darum entsprechend empfindlich« (VwL, 48) ist. Alle bürokratisch-technischen Sicherungen der Existenz, die das entfremdete Leben verlangt, verstärken deshalb das Gefühl des Ausgeliefertseins nur noch weiter, und die Entfremdung bleibt jederzeit virulent. Sie wird durch die Daseinsvorsorge nicht aufgehoben, sondern nur in der Schwebe gehalten. »Die Daseinsvorsorge macht den modernen Staat stabil und verletzlich zugleich.« 33 So entsteht eine hochgradig fragile sozialpsychologische Gemengelage: Wird das »Gefühl des Gesichertseins« und damit die Grundlage der politischen Gemeinschaft in Frage gestellt, so ist dies die denkbar schwerste (Selbst-)Gefährdung des Staates: In diesem Fall nämlich kommen die »verborgenen Mächte der Panik« (VwL, 19) wieder zu ihrem Recht, die durch die Entzweiung ausgelöste Angst: »[O]hne dieses Gefühl des Gesichertseins würde das Volksleben in Gefahr sein, sich in Panikvorstellungen aufzulösen.« (VwL, 18) 34 Nachdem das Verlangen nach Teilhabe so zur politisch dominierenden Mentalität geworden ist, befindet sich die staatliche Verwaltung als Herrscherin über das prekäre Gleichgewicht aus Entfremdung und Teilhabe in einer völlig 32 33 34

Leviathan, c. 17. E. Forsthoff, Allmacht der Verwaltung, in: Wirtschafts-Zeitung v. 13.8.1949, 1. In dem Vortrag »Die Daseinsvorsorge und die Kommunen« von 1957 heißt es (RW, 114): »In dem Maße nämlich, in dem der Mensch sich der Veränderung seiner Daseinsverhältnisse bewußt wird […], in diesem Maße muß der Zwang nach Stabilisierung seiner Daseinsverhältnisse zunehmen und schließlich prädominierend werden. In ungleich höherem Maße als je in der Geschichte aber sind diese Daseinsbedingungen durch die Umwelt bestimmt. Deshalb ist der Drang nach Umweltstabilisierung heute elementar bedingt und damit eine der stärksten Potenzen aller Politik, soweit die Politik mit individuellen Meinungen und Bedürfnissen unmittelbar zu tun hat.«

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veränderten Situation. Ihre Hoheit über die Daseinsvorsorge ist unangreifbar, weil niemand anders als die bürokratisch-technisch arbeitende Verwaltung der Aufgabe gewachsen ist. Wo sie sich zuvor der bürgerlichen Freiheitsidee antagonistisch gegenüber sah, begegnet sie im kollektiven Teilhabeverlangen keinen Widerständen mehr, ja wird von ihm sogar noch zu einer weiteren Steigerung ihrer Wirksamkeit genötigt. Diese strukturelle Veränderung des politischen Kräftefeldes zieht eine beispiellose Steigerung der administrativen Macht nach sich. Der durch die Daseinsvorsorge eintretende Machtgewinn der Verwaltung ist aber nicht nur ein quantitativer, sondern zugleich ein qualitativer: Die Verwaltung verfügt fortan nicht mehr nur über die äußeren Rechtsschranken der bürgerlichen Existenz, sondern über die Daseinsgrundlagen selbst. Wenn sie der Rechtssubjektivität des Menschen regulativ gegenübertritt, hat sie bereits vorab und vielfach ganz unbemerkt über dessen Lebensgrundlagen verfügt, kurz: Die Verwaltung zieht ihre ungeheuren »Möglichkeiten der Formung und Umgestaltung des Daseins«35 aus der »Verankerung in der Vitalsphäre der Bevölkerung« (SIG, 79). Ihr erschließt sich auf diese Weise ein Machtpotential, das man heute im allgemeinen mit Michel Foucault als »BioMacht« oder mit Giorgio Agamben als souveräne Macht über das »nackte Leben« bezeichnet: 36 »So hat der Staat bereits unter der Herrschaft liberaler Ideen und Verfassungsordnungen einen außerordentlichen Machtzuwachs erfahren. Und zwar ist ihm die Verfügung über die wesentlichen Voraussetzungen des Einzellebens in einem Umfang zugefallen, der dem absoluten Polizeistaat durchaus fremd sein mußte. Dieser absolute Polizeistaat konnte zwar das berufliche Leben reglementieren, er konnte Kant tadeln, Schiller zensurieren und die Verbreitung deterministischer Lehren verbieten, er konnte gewiß bis in die Einzelheiten hinein bestimmen, wie gelebt werden sollte. Aber die Vorsorge dafür, daß überhaupt gelebt werden kann, lag nicht annähernd in gleichem Umfang bei ihm, wie heute.« (VwL, 8)

Diese Macht über die Daseinsgrundlagen manifestierte sich für Forsthoff keineswegs nur in Form jener direkten oder indirekten staatlichen Leistungen, von denen Die Verwaltung als Leistungsträger vornehmlich handelt. Er verstand sie, wie viele spätere Äußerungen und insbesondere die Einleitung zur Neuausgabe seiner Schrift (RlV, 9 ff.) zeigen, in einem ganz umfassenden Sinne. In einem Vortrag aus dem Jahr 1950 heißt es: »Die Daseinsvorsorge ist also nicht mehr nur die Befriedigung örtlich fixierter Bedürfnisse kommunaler Siedlungsgemeinschaften. Sie bedeutet vielmehr die Organisierung großer wirtschaftlicher und sozialer Räume.«37 Gewiß gehörten hierzu in erster Linie die

35 36

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E. Forsthoff, Von den Aufgaben der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 399. Vgl. M. Foucault, Geschichte der Gouvernementalität II, 2004; G. Agamben, Homo sacer, 1995. E. Forsthoff, Daseinsvorsorge als Aufgabe der Sozialgestaltung in Staat und Gemeinde (Vortrag im Rahmen des 11. Staatswissenschaftlichen Fortbildungskurses der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer), 21.10.1950, NL Forsthoff, Ts., 6.

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Leistungen der Versorgungsbetriebe, die Infrastruktur- und die Gesundheitsverwaltung, also die sanfte Macht durch Wohltaten aller Art (»wer betreut, beherrscht auch!«, RW, 65). Aber Forsthoff rechnete zur Daseinsvorsorge auch die gestaltende, nicht durch Einzeleingriffe in subjektive Rechte handelnde Verwaltung im weitesten Sinne: die Wirtschaftsplanung, die Arbeitsmarktsteuerung und die Raumordnung, die ideologische Steuerung der Bevölkerung durch Propaganda und Massenmedien, die »Bändigung und Lenkung der emotionalen Energien der modernen Massen« 38 sowie schließlich das ganze Feld der psychologischen, eines Tages auch der genetischen Beeinflussung und Vorsorge, auf die der Staat schon deswegen nicht verzichten kann, weil er als Staat der Industriegesellschaft zur Generierung von Wachstum gezwungen ist und die Menschen deshalb der industriellen Arbeitsverfassung optimal dienstbar machen muß (RlV, 15 f.). Bevor die verwaltungsrechtsdogmatische Problemstellung der Daseinsvorsorge erörtert werden kann, sind zunächst die Rückwirkungen auf die Struktur des öffentlichen Rechts zu bedenken, die sich für Ernst Forsthoff mit der Daseinsvorsorge verbanden. Dabei soll hier nur auf einige besonders wichtige Aspekte hingewiesen werden. Das übrige muß die Darstellung des Verwaltungsrechts der Daseinsvorsorge selbst zeigen (III., IV.). Die erste strukturelle Auswirkung ist eine schleichende Entsubjektivierung des modernen Verwaltungsrechts. Diese zeigte sich für Forsthoff am deutlichsten im Rechts der Wohlfahrtsleistungen und an der Verdrängung der Fürsorge durch die Vorsorge. Der liberalen Rechtskonzeption der staatlichen Wohlfahrtsförderung hatte seit je her das Prinzip zugrunde gelegen, daß öffentliche Hilfe in der Regel nur bei einer individuellen Notlage oder Hilfsbedürftigkeit zu leisten ist. »Öffentliche Fürsorge« hatte dabei eine bestimmte verwaltungsrechtliche Bedeutung und bezeichnete solche Leistungen der Armenunterstützung und der Sozialversicherung, die bei individueller Unterstützungsbedürftigkeit des Betroffenen zur Abwehr einer Notlage gewährt werden und durch die Notlage begrenzt sind.39 Fürsorgeleistungen folgten im Prinzip einer versicherungsrechtlichen Logik, basierten also auf einem individualisierbaren Versicherungsfall und dienten der Kompensation der erlittenen persönlichen Nachteile. Noch 1937 definierte Arnold Köttgen, Fürsorge setze »immer erst ein, wo eine ›Hilfsbedürftigkeit‹ besteht« 40.

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E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 69. So etwa W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 31931, 535 f., 537 f.; ähnlich auch noch A. Köttgen, Deutsche Verwaltung, 1935, 158; ausführlich C. Sachße/F. Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Bd. 2, 1992, 142 ff.; C. Sachße/F. Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Bd. 3, 1992, 84 ff. A. Köttgen, Deutsche Verwaltung, 21937, 170.

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Mit dem Übergang zur Daseinsvorsorge wurde dieses Paradigma für Forsthoff antiquiert, korrespondierte es doch mit dem bürgerlichen Sozialideal. Es war, in Forsthoffs Terminologie, das Komplementärinstitut einer »individuellen Daseinsverantwortung« und setzte voraus, daß zwischen der freien Entscheidung des einzelnen und seiner sozialen Bedürftigkeit ein Zurechnungszusammenhang etabliert werden kann.41 Im Zustand der »politischen Daseinsverantwortung« des Staates liegen die Dinge anders. Die Lebensrisiken hatten sich durch Arbeitsteilung, Verstädterung und Technisierung in solchem Maße gesteigert, daß keinem einzelnen mehr die Bedürftigkeit individuell zugerechnet werden und das Risiko des Scheiterns seines Lebensentwurfes belassen werden kann. Auch ist jeder moderne Mensch kraft seiner Lebenssituation unmittelbar von vielfältigen Vorleistungen der Verwaltung abhängig oder, wie Forsthoff es formulierte: »sozial bedürftig« (VwL, 5). Die Verwaltung schirmt ihn sozusagen geräuschlos und prospektiv von den Risiken des modernen Lebens ab, denen er anderenfalls hilflos ausgesetzt wäre und die seine »psychischen Belastungsgrenzen« allemal übersteigen würden (VwL, 19). Die Vorsorge der öffentlichen Verwaltung ist also »überindividuell« (VwL, 40) zu verstehen und dadurch mehr und etwas anderes als die Fürsorge.42 Sehr viel früher als alle anderen hat Ernst Forsthoff die prinzipielle juristische Tragweite dieses Vorgangs begriffen: der Umstellung der Staatstätigkeit von der Zustandswahrung auf die Zukunftsplanung 43 und damit der Einführung der Kategorie des Risikos ins Verwaltungsrecht. Ist nicht mehr der konkrete Schaden, sondern das abstrakte Risiko der rechtliche Anknüpfungspunkt, so wird auf diese Weise eine ungewisse und zudem gestaltbare Zukunft zum Entscheidungsmaßstab gemacht, über den die Definitionshoheit letztlich niemand anderem zufallen kann als eben der Verwaltung, die über die mit der Technik einhergehenden Risiken herrscht. Zudem lassen sich Risiken, anders als Gefahren und Schäden, niemandem individuell zurechnen.44 Sie sind virtuell 41

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E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 68: »Während [die Wohlfahrtsverwaltung] im überschaubaren Raum einer Landgemeinde in ihren Mitteln und Leistungen durch den konkreten Fall individueller Notlage bestimmt wird, gewinnt sie in den anderen Maßstäben der Großstadt den durchrationalisierten Charakter einer unter Zugrundlegung standardisierter Bedürfnisse mit generell festgelegten Sätzen arbeitenden Bürokratie. Das ist unvermeidlich so. Es entspricht auch den Gerechtigkeitsvorstellungen einer durch Vermassung bestimmten Sozialordnung, daß hier nach quantifizieren Bedürfnissen und konstanten und gleichen Tarifen verfahren wird. Dieser Vorgang ist aber nicht auf die Wohlfahrtsverwaltung beschränkt, er gilt für die Verwaltung als Ganzes, weil sich das Gesetz der Zahl allenthalben auswirken muß.« VwL, 47: »Jedenfalls wird sich die Daseinsvorsorge als eigenständiger Rechtsbegriff neben der Fürsorge behaupten müssen. […] Es muß wohl beachtet werden, daß die Daseinsvorsorge zwar die Fürsorge in sich schließt, aber nicht in ihr aufgeht.« Formulierung bei D. Grimm, Die Zukunft der Verfassung, in: Die Zukunft der Verfassung, 1991, 417. E. Forsthoff, Von den Aufgaben der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 400.

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und stehen jenseits der subjektiven Rechtssphären. Beide Prozesse, die Zukunftsrichtung des Rechts und die Auflösung der individualisierbaren Zurechnungszusammenhänge, stellen damit die Idee der Rechtssubjektivität und überhaupt die Vorstellung abgrenzbarer Rechtssphären fundamental in Frage. Die Folge ist das, was Forsthoff als den im Gegensatz zum Rechtsstaat nicht mehr vor allem rechtsförmigen, sondern existentiellen Zugriff auf den Menschen durch die Daseinsvorsorge beschrieben hat, und was Michel Foucault und François Ewald viel später die unentrinnbare »Entrechtlichung« genannt haben, die mit der Entstehung der Biopolitik und des Vorsorgestaates einhergeht.45 Mit der technisch-industriellen Transformation der Gesellschaft verlor daher für Forsthoff das formal-juridische Element überhaupt an Bedeutung, sowohl für die Formen der sozialen Kohäsion der Gesellschaft als auch für die Formen des staatlichen Handels und die Modalitäten seiner Interventionen gegenüber der Gesellschaft. Man kann gegen diese entsubjektivierende Tendenz mit den ehrenwertesten Gründen opponieren,46 aber sie gehört offenbar, was Forsthoff wohl überhaupt als erster in seiner ganzen beunruhigenden Schärfe gesehen hat, zu den unvermeidlichen Eigenarten der modernen Rechtsordnungen. Das gleiche Phänomen zeigte sich für Forsthoff auch in anderen Bereichen des Rechts. Während die Beziehungen innerhalb der Gesellschaft in der vor der industriellen Revolution entstandenen bürgerlichen Sozialordnung durch Recht maßgeblich bestimmt waren, weil ihnen die Figur des Vertrages als die Koordination subjektiver Rechtssphären immer als rechtsethische Idee zugrunde lag (VwL, 39 f.), galt dies Forsthoff für seine Zeit nicht mehr im gleichen Maße. Mit der Auflösung des beherrschten Lebensraums und dem Aufstieg der Technik bilden andere Strukturen zunehmend die Basis der sozialen Ordnung: die Infrastrukturen des Verkehrs, der Kommunikation und der Vorsorge, deren Funktion und Entwicklung technischen Gesichtspunkten gehorcht, für die aber das Recht nicht mehr bestimmend ist. Gleiches gilt für die Formen der staatlichen Sozialgestaltung. Auch insoweit wird mit der Technik das für die bürgerliche Gesellschaft typische Rechtselement, der formalisierte »Eingriff« in die subjektive Rechtssphäre, durch andersartige, zugleich subtilere und existentiellere Formen abgelöst. Der Staat wird gezwungen, selbst mit im weitesten Sinne technischen Mitteln in die gesellschaftlichen Abläufe einzugreifen, sich mit technischem Wissen auszustatten und eine großangelegte Planung zu betreiben. Die Entsubjektivierung betraf indessen nicht nur die individuellen Rechtspositionen. Sie erstreckte sich auch auf die Rechtssubjektivität des Staates selbst und seiner Gliederungen. Forsthoff war sich völlig im Klaren darüber, 45

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M. Foucault, Geschichte der Gouvernementalität I, 2004; F. Ewald, Der Vorsorgestaat, 1993, 489 f. Siehe zuletzt O. Lepsius, Risikosteuerung durch Verwaltungsrecht, in: VVDStRL 63 (2004), 264 ff.

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wie genau die von Georg Jellinek zur Blüte gebrachte Vorstellung von der subjektiven »Willensfähigkeit« des Staates den Bedürfnissen des bürgerlichen Jahrhunderts entsprochen hatte (SIG, 13–15; s. a. TS, 9). Die Gegenüberstellung von individueller und staatlicher Subjektivität war seine staatsrechtliche Logik, weil so die Aufrichtung scharfer Grenzen wie die zwischen Staat und Gesellschaft mittels zivilistischer Analogien erst möglich wurde. Mit dieser Logik verlor sie für Forsthoff allerdings auch ihre Berechtigung. Ist die moderne, leistende Verwaltung in ihrem Wesen als ein alles umfassender »Arbeitsvorgang« erkannt, wird die Zurechnung ihres Handelns zum Staatswillen unsinnig.47 Wenn es nämlich die Verwaltung selbst ist, die den Staat als politische Einheit ständig überhaupt erst hervorbringt, kann sie unmöglich zugleich als Ausdruck eines staatlichen »Willens« gedacht werden.48 Für die Dogmatik des Verwaltungsrechts hatte das äußerst weitreichende Folgen. Denn so gut wie alle Institute des rechtsstaatlichen Systems beruhten unmittelbar oder mittelbar auf dem Dogma von der Willensfähigkeit des Staates: der Verwaltungsakt zumal, aber auch die Institute der Anstalt und der Körperschaft des öffentlichen Rechts sowie das Recht der Behördenorganisation. Die Revision der verwaltungsrechtlichen Grundbegriffe mußte sich deswegen die Frage stellen, was von diesen Figuren auch nach der Überwindung des Willensdogmas zu retten war. Dem entspricht eine zweite, für Forsthoff mit der Daseinsvorsorge gegebene Eigenart der Rechtsstruktur moderner Staaten, die allerdings in den Überlegungen von 1938 noch keine große Rolle spielte, sondern erst in Forsthoffs

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Lb, 314 f.: Nach dem Willensdogma »liegt die besondere Eigenart der organisatorischen Vorschriften in der Tatsache beschlossen, daß diese Normen bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Willensakte bestimmter physischer Personen dem Staate als Staatswillensakte zuzurechnen sind.« Die Lehre vermöge aber nicht zu befriedigen, weil sie nicht »das Wesentliche der modernen Verwaltung« treffe. Es müsse »endgültig mit der Vorstellung gebrochen werden – die vielleicht vor fünfzig Jahren noch eine gewisse Berechtigung hatte –, als sei die Produktion solcher [scil: Willens-] Akte der Inbegriff der Verwaltung […].« Zwar erzeuge die Verwaltung rechtsrelevante Willensakte. »Aber sie baut außerdem Straßen und Eisenbahnen, unterhält Verkehrsunternehmungen größten Stils, sie führt in der Sozialversicherung eine umfassende Fürsorge in allen wichtigen Fällen der Bedürftigkeit durch, sie erzeugt wichtige Versorgungsgüter […] und verteilt sie, sie unterhält Schulen und Bildungsinstitute aller Art, sie verteilt Bedarfsgüter, sofern eine Mangellage dazu zwingt, steuert die Erzeugung und den Verbrauch, sie lenkt die Währung und das ihr eng verbundene Kreditwesen – kurzum, die Verwaltung ist, von der Wirklichkeit her und nicht in der Perspektive einer abgelebten Dogmatik gesehen, eine Arbeitsinstitution großen Stils. In weiten Bezirken dieses Arbeitsvorgangs kommt es auf die Produktion von Willensakten um nichts mehr und nichts weniger an als überall anderwärts, wo arbeitsteilig und in organisierter Form gearbeitet wird. Die Qualifizierung der Verwaltung als Arbeitsvorgang und der Verwaltungsorganisation als Arbeitsinstitution ist auch der juristischen Bewertung zugrunde zu legen.« (Hervorhebung nicht im Original). Siehe B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 304.

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und Arnold Gehlens späteren Schriften zur Theorie des Sozialstaats ihre volle Bedeutung erhielt. Das bürgerliche Freiheitsideal war zugleich das Ideal staatsbürgerlicher Gleichheit, und die auf Rechtsgleichheit basierende Gesellschaft war der »Gegenstand« des Verwaltungshandelns. Dem rechtsstaatlichen Verwaltungsrecht entsprach deshalb, wie Forsthoff etwas umständlich formulierte, die »staatsbürgerliche Gesellschaft auf der Basis staatsbürgerlicher Gleichheit als Objekt der nach innen gewendeten Staatsfunktionen« 49. Auch diese Vorstellung konnte mit der Daseinsvorsorge nicht zu halten sein. Entfällt die Trennung der Gesellschaft vom Staat und damit aus Sicht des Staates ihre einheitliche Objektqualität, so löst sich damit auch die formale Gleichheitsbasis der Gesellschaft auf. Das Leistungsrecht der modernen Verwaltung beruht deshalb gerade nicht auf der staatsbürgerlichen Gleichheit, sondern auf der Ungleichheit sozialer Gruppen. Diese Gruppen zeichnen sich dadurch aus, daß sie auf verschiedene Weise am staatlichen Leistungs-, Verteilungs- und Legalisierungsapparat hängen und gerade deswegen als Kollektiv auftreten müssen, um ihre Teilhabeansprüche wirkungsvoller an den Staat herantragen zu können. Die Daseinsvorsorge hebt auf diese Weise den Status der Gleichheit der Bürger auf. Ihre normative Grundkategorie ist nicht der Bürger, sondern der »Berechtigte«, der durch seine Berechtigungen existentiell erfaßt wird: Berechtigt als Verbraucher oder als Unternehmer, als Land- oder Stadtbewohner, als Verkehrsteilnehmer, als Mieter, als Kranker, als Arbeiter, als Angestellter und so fort. Der Staat der Daseinsvorsorge ist nicht mehr der Staat einer Gesellschaft, sondern der Staat der sozialen Gruppen.50 Was das Phänomen der Daseinsvorsorge für die Theorie des modernen Staates nach Forsthoffs Überzeugung bedeutete, reicht aber noch weiter. Was die Staaten des 20. Jahrhunderts von ihren historischen Vorgängern unterschied, war mehr als die Art ihres Handelns und ihr Verhältnis zum sozialen Leben. Wenn die Daseinsvorsorge den bürgerlichen Freiheitsbegriff aufhob, so machte sie dadurch nach Forsthoffs Überzeugung auch die ganze neuzeitliche, im Horizont des bürgerlichen Freiheitsstrebens seit der Aufklärung entstandene Frage nach der Rechtfertigung und dem Sinn des Staates gegenstandslos, die Dialektik von Legalität und Legitimität hinfällig. Diese letzte und radikalste Konsequenz aus der Totalität des modernen Staates ist zwar in Die Verwaltung als Leistungsträger noch nicht ausdrücklich gezogen, und es will fast scheinen als habe Forsthoff sich gescheut, sie offen auszusprechen. Denn in der Sache hatte er sie bis zu Ende durchdacht. Dies tat er im Rahmen eines verfassungstheoretischen Phänomens, dem er in seiner

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50

E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 44. A. Gehlen, Zur Problematik des Sozialstaates, in: 11. Hessische Hochschulwochen, 1956, 54 f.

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Begründung der Daseinsvorsorge ausführliche Beachtung schenkte: der »legalen Revolution«. Es ist in diesem Zusammenhang nicht uninteressant, daß Forsthoff die Überlegungen hierzu in einem Vortrag wiederholte, den er auf der Tagung der Reichsfachgruppe Hochschullehrer im NS-Rechtswahrerbund über »Demokratie und Diktatur« im Juni 1938 unter dem Titel »Sozialverfassung und politische Verfassung« hielt.51 Die Überlegung war folgende: Wenn jeder einzelne vom Funktionieren der staatlich gesteuerten Versorgung in derart existentieller Weise abhängig ist, daß eine ernsthafte Störung der Apparatur sozial unerträglich wird, dann muß dies für die »Technik des Staatsstreichs« einschneidende Folgen haben. Für die Revolution alten Stils, die die Verfassungskämpfe des 19. Jahrhunderts bestimmt hatte, bestand die Herausforderung darin, unter Berufung auf eine höhere Legitimität den privilegierten Raum der Macht zu usurpieren, den Monarchen zu beseitigen oder »die Regierung zu verjagen« (VwL, 10). Auf diese Weise war es dem Revolutionär möglich, die alte Legalität zu durchbrechen und gewaltsam den Grund für eine neue Legalität zu setzen. Das aber setzte nach Forsthoffs Überzeugung eine gewisse räumliche und institutionelle Begrenztheit des Staates und seiner Funktionen voraus, einen außerstaatlichen Raum der Gesellschaft, von dem aus die Revolution operieren kann, sowie schließlich eine vom konkret bestehenden Staat abstrahierende revolutionäre Ideologie, in deren Namen der Angriff auf den bestehenden Staat geführt wird. Mit der Daseinsvorsorge war diese Lage entscheidend verändert. Den Mechanismen und Institutionen dieser Sozialordnung fehlt das Moment der Begrenztheit. Hier gibt es kein Innen und Außen staatlicher Herrschaft mehr. Die Daseinsvorsorge ist eine anonyme und deshalb ortlose Macht, deren Funktionsmodus die bürokratische Legalität ist. Sie vollendet die in der rechtsstaatlichen Legalität angelegte unpersönliche Herrschaft und transformiert sie ins technische Medium. Als solche bietet sie dem Revolutionär keinen externen Ansatzpunkt. Sie läßt sich deshalb weder stürmen noch verjagen: »Die Verpflichtung und Bindung des Staates durch die Notwendigkeit einer umfassenden Daseinsvorsorge großen Stils hat, wie mir scheint, den Ablauf der neueren Verfassungsent-

51

Siehe die Tagungsberichte von E. Freiherr von Medem, Demokratie und Diktatur, in: DR 8 (1938), 252 ff. und E. von Tippelskirch, Demokratie und Diktatur, in: Kieler Blätter 1938, 194 ff. Unter den anderen Referenten der hochrangig besetzten Veranstaltung waren Erwin Noack (»Führer und Volk als Grundlagen deutscher Demokratie«), Gustav Adolf Walz (»Die NSDAP und die Forderungen der Demokratie«), Walther Schönfeld (»Freiheit und Persönlichkeit in der Lebensordnung des deutschen Volkes«), Paul Ritterbusch (»Wesen, Wirklichkeit und Konsequenz des westeuropäischen Parteienstaates«), Reinhard Höhn (»Darstellungen der Demokratie in der westeuropäischen Staatsrechtsliteratur«) sowie der Reichsminister und Präsident der Akademie Hans Frank. Zu den Zuhörern gehörte auch Ernst Rudolf Huber, vgl. die Reminiszenz in dem Forsthoff gewidmeten Aufsatz E. R. Huber, Vorsorge für das Dasein (1972), in: Bewahrung und Wandlung, 1975, 319.

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wicklung, und das nicht nur in Deutschland, auf eine entscheidende Weise bestimmt. Denn jeder moderne Staat, er mag noch so schlecht verfaßt und aus guten Gründen bekämpft sein, erhält dadurch eine gewisse Stabilität, daß er aus Gründen der Daseinsvorsorge, die er leistet, nicht ohne weiteres als Organisation vernichtet werden kann, ohne die Lebensgrundlagen des Volkes anzutasten. Man muß ihn in die Hand bekommen. Aber man darf ihn nicht zerstören. Die Revolution ist nur noch als Machtübernahme, das heißt in legalen Formen möglich. […] Die Notwendigkeit, die Organisation der Daseinsvorsorge in die Hand zu bekommen, zwingt jeden Eroberer der Staatsgewalt und jeden, der die Staatsverfassung revolutionär verändert, legal an die Macht zu kommen und legal an der Macht zu bleiben. Damit haben Revolution und Staatsstreich sozusagen eine neue Technik erhalten.« (VwL, 8 ff.)

Dieser Gestaltwandel der Revolution, den Forsthoff unter anderem mit dem gescheiterten Kapp-Putsch und der erfolgreichen Revolution des Nationalsozialismus belegte, führte ihn zu einer sehr grundsätzlichen Einsicht. Die Unmöglichkeit eines gegen den konkreten Staat als solchen gerichteten revolutionären Angriffs, im Namen welcher Legitimität auch immer, war in seinen Augen nur ein Teilaspekt eines größeren Problems: der Unmöglichkeit irgendeines den Staat transzendierenden politischen Standpunktes überhaupt. Als Schlüssel zur Staatstheorie der Verwaltung als Leistungsträger erweist sich deshalb die gegen Ende des Buches gestellte Frage: »Wie kommt es, daß die Menschen des 20. Jahrhunderts mit Betonung und Bewußtsein die individuellen Freiheiten, die ein Zeitalter als die höchsten und unverlierbaren Errungenschaften feierte, zurückweisen und sich in Bindungen begeben, welche diesem Zeitalter unerträglich gewesen wären. Man kann sie nicht von dem inzwischen notwendigerweise abgelegten Fortschrittsglauben her beantworten und die in diesem Zusammenhang immer wieder auftretende Erklärung: das individualistische Denken sei durch das Gemeinschaftsdenken überwunden, erklärt in Wahrheit nichts, sondern sie ist nur eine fraglos richtige Feststellung.« (VwL, 43)

Forsthoffs Antwort findet sich einige Seiten vorher: »Das Gefühl des Angewiesenseins auf den Staat ist in dem allgemeinen politischen Bewußtsein der Verbundenheit mit der Nation und ihrem Schicksal ununterscheidbar aufgegangen. Darauf beruht zu einem wesentlichen Teil die Intensität des Staatlichen und der gesamtpolitischen Ordnungen, deren Einwirkung auf das Leben des Einzelnen kaum je stärker waren als heute. Der hier angedeutete Zusammenhang ist auch das Feld, auf dem sich das liberale Freiheitsanliegen mit seiner Tendenz nach Entmachtung des Staates von selbst totlief. Denn wie kann dieser Entmachtung das Wort reden, wer in seiner gesamten Existenz auf die Integrität der gesamtpolitischen Ordnungen verwiesen ist und sich auch darauf verwiesen weiß.« (VwL, 18 f.)

Wenn sich der beherrschte Lebensraum und mit ihm das bürgerliche Ideal einer »staatsfreien Daseinsführung« (VwL, 44) auflöst, so verschwindet damit auch der geistige Ort, von dem aus im bürgerlichen Denken die Frage nach dem Zweck, nach der moralischen oder vernunftrechtlichen Rechtfertigung und nach der Begrenzung des Staates überhaupt gestellt werden konnte. Die indirekten Gewalten des bürgerlich-privaten Räsonnements brechen in sich zusammen: die Arkana, die Logen, der ganze Raum der Gesellschaft, kurz: die

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Kritik.52 Die Frage nach der Legitimität des Staates, das heißt nach dem Grund seines umfassenden Gehorsamsanspruchs, kann sich nicht mehr stellen, wo der Gehorsam zur Lebensgrundlage dessen zählt, der die Legitimitätsfrage aufwerfen will. Wer sie unter diesen Bedingungen noch stellt, nimmt notwendig einen – und zwar im präzisen Sinne – utopischen Standpunkt ein. Noch in der im Sommersemester 1965 gehaltenen Vorlesung Ernst Forsthoffs über Allgemeine Staatslehre heißt es unter dem Stichwort der Rechtfertigung des Staates lapidar, sie sei »heute keine Frage« mehr.53 Diese Einsicht in die Unmöglichkeit eines nicht geschichtlichen, das heißt über den konkreten Staat hinausreichenden Legitimitätsdenkens unter den Bedingungen der industriellen Moderne ist das Fundament der von Ernst Forsthoff in den vierziger Jahren entwickelten Staats- und Rechtsphilosophie. Nicht zufällig war diese Staatsphilosophie in großen Teilen eine schöpferische Restauration der konservativen Staatsphilosophie, die im 18. und 19. Jahrhundert den Kampf gegen die Revolution und die revolutionäre Entzweiung von Legitimität und Legalität geführt hatte. Auch ist nach dem Gesagten klar, weshalb Forsthoffs Staatsphilosophie zutiefst im Gegensatz stehen mußte zum Neuhegelianismus, der vielleicht mächtigsten Strömung der Zeit, wie ihn Julius Binder, Ernst Rudolf Huber, Karl Larenz oder Franz Wieacker repräsentierten. Eine Rechtsphilosophie, die die Fehler des Neuhegelianismus vermeiden wollte, mußte wahrhaft konkret werden, und zwar so, wie Forsthoff es in der Verwaltung als Leistungsträger versucht hatte. Anders die Neuhegelianer, die vor allem viel von der Konkretheit redeten. An dieser Stelle besteht eine bemerkenswerte Parallele zum Werk Arnold Gehlens. Ebenso wie Gehlen zur gleichen Zeit mit dem philosophischen Existentialismus seines Frühwerks und dem Neuidealismus seiner Theorie der Willensfreiheit (1933) brach und mit Der Mensch (1940) den entscheidenden Schritt zur konkreten Philosophie der »Kategorienforschung« vollzog, gab auch Forsthoff den metaphysischen Existentialismus des Staatsdenken auf, das die Phase des »totalen Staates« gekennzeichnet hatte und das Forsthoff später selbst – zu recht oder zu unrecht – als ein neuhegelianisches einordnen wollte.54 Eine Wiederanknüpfung an die idealistische Tradition, wie sie Huber betrieb, hielt Forsthoff jetzt für »unmöglich, weil das dialektische Verfahren den Dualismus von Staat und Gesellschaft voraussetzt, den es nicht mehr gibt.«55 Anders als viele Hegelianer seiner Zeit war Forsthoff sich über den bürgerlichen und revolutionären Grund von Hegels Staatsphilosophie stets im Klaren.

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54

55

R. Koselleck, Kritik und Krise (1959), 1973. E. Forsthoff, Vorlesung Allgemeine Staatslehre, Sommersemester 1965, Ms., NL Forsthoff, Bl. 6. Ernst Forsthoff an Jean-Pierre Faye, 31.8.1963, zit. n. J. P. Faye, Introduction aux Langages totalitaires, 2003, 64. E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 91.

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Welches nach Forsthoff die der Wirklichkeit der Daseinsvorsorge entsprechende Staatstheorie war, wird im nächsten Kapitel noch zu erörtern sein. Für das Verständnis von Forsthoffs Verwaltungsrechtswissenschaft kommt es zunächst nur darauf an, das Ende der bürgerlichen Subjektivität, ihres Gesellschafts-, Staats- und Legitimitätsbegriffs, diesen scharfsinnigen Abgesang auf die bürgerliche Staatsidee, als die rechtsphilosophische Quintessenz der Lehre von der Daseinsvorsorge im Blick zu behalten. 2. Die Daseinsverantwortung der Verwaltung und die Aufgabe der Verwaltungsrechtswissenschaft Worin bestand angesichts der Daseinsvorsorge für Ernst Forsthoff die Aufgabe der Verwaltungsrechtswissenschaft? Das ist nicht ohne weiteres zu erkennen. Man hat seine Haltung vielfach so verstanden, als habe sie lediglich festzustellen, »was ist«, und die bürokratisch-technologische Transformation des bürgerlichen Rechtsmodells in ihren Konsequenzen auszuweisen. Insbesondere Wilhelm Hennis hat Forsthoff in diesem Sinne eine Faszination »durch die ›Fakten‹, die möglichst primitiven, elementaren Handgreiflichkeiten des ›Lebens überhaupt‹« vorgehalten. Forsthoffs Verwaltungsrechtslehre sei die »Kehrseite einer geistigen Desillusionierung, die Blindheit für die aufgegebene Bestimmung von Staat und Politik mit Realismus verwechselt«. Dieser Pseudorealismus habe einzig dazu gedient, die »eigentlich entscheidenden qualitativen Fragen als sekundär oder gar ideologisch abzuwerten«56. Ja: Forsthoff habe mit seiner Theorie der Daseinsvorsorge die »gesamte ältere [scil: aristotelische] Tradition in ihrem Grundansatz in Frage« gestellt und die »radikale Zerstörung des Telos« 57 betrieben, der Legitimation des Verwaltungshandelns aus seinem Beitrag zur menschlichen Persönlichkeitsentfaltung. Dieser Einwand ist nicht unzutreffend. Mit einer vorstaatlich gedachten Staatszwecklehre war das Problem der Daseinsvorsorge für Forsthoff nicht zu begreifen, ja Forsthoffs ganze Lehre war im Kern gegen den aufklärerischen Gedanken der normativen Rechtfertigung des Staates gerichtet. Doch sofern Hennis den ethischen Anspruch der Theorie der Daseinsverantwortung schlechthin bestreitet, beruht seine Kritik mindestens auf einem verkürzten Verständnis dessen, was Forsthoff im Sinn hatte. Offensichtlich ist bei dieser Kritik die sozialexistentialistische Begründung der Daseinsvorsorge sehr betont, während die Folgerungen unbeachtet bleiben, die Forsthoff aus ihr zog.58 Das gleiche gilt erst recht für den auch neuerdings wieder gemachten Versuch, 56

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W. Hennis, Politik und praktische Philosophie (1963), in: Politikwissenschaft und politisches Denken, 2000, 65. Ebd., 63 f. Vgl. P. Badura, Die Daseinsvorsorge als Verwaltungszweck der Leistungsverwaltung und der soziale Rechtsstaat, in: DÖV 1966, 628.

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Forsthoffs verwaltungsrechtlicher Doktrin einfach das preiswerte Etikett des Totalitarismus anzuheften59 oder sie als bloße Applikation einer Theorie der Diktatur auszuweisen.60 Gleichwohl ist dieser Kritik gewiß manches zuzugeben und zumal der geschichtliche Horizont der Sozialphilosophie der staatlichen Daseinsverantwortung. Was Forsthoff beobachtete, war jene tiefgreifende Transformation der deutschen Sozialpolitik, die in den dreißiger und vierziger Jahren zur Herausbildung des »autoritären« bzw. des »völkischen« Wohlfahrtsstaates geführt hat. Die Form des Sozialstaates, die sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts herausbildete, diente neben der Sicherung individueller Subsistenz immer stärker und immer vorrangiger der Gewährleistung kollektiver Ordnungsinteressen. Demgegenüber erlebte das Sozialstaatsmodell des Kaiserreichs nach 1929 eine große Krise.61 Nach 1933 wurden seine wesentlichen Elemente zerschlagen. Die Selbstverwaltungskörperschaften wurden in Staat und Partei integriert,62 große Teile der Fürsorge- und Gesundheitsverwaltung sahen sich der autokratischen Willkür der halbstaatlichen NS-Volkswohlfahrt unterstellt.63 Die Tarifautonomie der Weimarer Verfassung wurde vernichtet und der Arbeitsmarkt in die reichsunmittelbare »Deutsche Arbeitsfront« integriert. Am Ende standen die Totalbewirtschaftung der Produktion als Strategie »innerer Kriegsführung« und die totale Inanspruchnahme 59

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L. Jellinghaus, Zwischen Daseinsvorsorge und Infrastruktur, 2006, 15, 20 ff. Die bürgerliche Verwaltungsrechtswissenschaft des späten 19. Jahrhunderts habe, so Jellinghaus, die veränderte Funktion der Verwaltung bereits erkannt und auch schon ein in allen wesentlichen Belangen überlegenes dogmatisch-begriffliches Rüstzeug für ihre juristische Domestizierung bereitgestellt. Überlegen sei diese Tradition nicht nur ihres spezifisch rechtsstaatlichen Charakters wegen, sondern auch, weil Otto Mayers Deutsches Verwaltungsrecht das für den Verfassungsstaat zentrale Problem der Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft bereits zum Systemkriterium gemacht habe. Das mache es auf einzigartige Weise für heutige Fragestellungen anschlußfähig (ebd., 253 ff., 274 f.). Ernst Forsthoff dagegen habe durch seine »schillernde, in den Grundzügen totalitäre Verwaltungslehre« (ebd., 15) den ausentwickelten Rechtsrahmen des modernen Verwaltungsrechts verlassen und in weltanschaulich verzerrten Begriffen von »Verwaltungswirklichkeit« aufgelöst. Er müsse nach der Rückkehr zum Verfassungsstaat und einem eigentlichen Verwaltungsrecht ein rechtshistorischer Zwischenfall ohne Folgen bleiben. – Jellinghaus ist zudem der Auffassung, daß die spätwilhelministische Verwaltungsrechtslehre des »liberalen Rechtsstaats« sich als historischer Modellfall eines heutigen Infrastrukturverwaltungsrechts rekonstruieren läßt. Die These setzt freilich zum einen voraus, daß das heutige Verhältnis von Verfassungs- und Verwaltungsrecht mit der Zeit um 1900 in irgendeiner relevanten Hinsicht vergleichbar ist. Zum anderen müßte das damalige Aufgabenverständnis der öffentlichen Leistungsträger auch das heutige sein. Zu alledem findet sich bei Jellinghaus nichts. So entgeht er der eigentlichen Problematik, über die die historische Auseinandersetzung mit Forsthoff redlicherweise zu führen gewesen wäre. So U. Storost, Die Verwaltungsrechtslehre Ernst Forsthoffs als Ausdruck eines politischen Verfassungsmodells, in: Wissenschaft und Recht der Verwaltung seit dem Ancien Regime, hrsg. v. E. V. Heyen, 1984, 163 ff., bes. 187 f. C. Sachße/F. Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Bd. 3, 1992, 45 f. Nach wie vor H. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, 1970. C. Sachße/F. Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Bd. 3, 1992, 110 ff.

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des einzelnen für die wirtschaftliche Mobilmachung im Rahmen des Reichsleistungsgesetzes vom September 1939, ganz zu schweigen von der Rolle, die die »Einrichtungen der Daseinsvorsorge« bei der Organisation der Menschenvernichtung gespielt haben,64 und von den Verbrechen, die die Nationalsozialisten auch im Namen des »Sozialen« begangen haben: die Ausgrenzung von Minderheiten, Kranken und Schwachen aus den Wohlfahrtsleistungen, letztlich: die Beseitigung der Unterschiede zwischen Polizei, Sozialverwaltung und totalem Krieg. Und dennoch ist es eine Fehlinterpretation, Forsthoff als Theoretiker oder »Vordenker« der entgrenzten Sozialtechnologie des Totalitarismus zu lesen. Ganz im Gegenteil ist Die Verwaltung als Leistungsträger die ambitionierteste Warnung vor den juristischen Konsequenzen der fortschreitenden Entformalisierung des Sozialen, die in der Zeit des deutschen Faschismus und lange danach zu hören gewesen ist. Das Erkenntnisinteresse von Forsthoffs verwaltungsrechtlicher Fragestellung war im Kern überhaupt nicht analytisch auf die Machttechniken der nachrechtsstaatlichen Administration gerichtet. Was ihn antrieb, war das rechtsethische Problem, das diese spezifisch modernen Herrschaftsformen aufwarfen: Wenn es richtig war, daß sich die bürgerliche Freiheitsidee in der technischen Welt ideologisch erledigt hatte, wenn es richtig war, daß das Verwaltungsrecht seine rechtsethische Substanz nicht mehr aus der Gewährleistung der individuellen Freiheitssphäre beziehen konnte, und wenn es deshalb unmöglich war, diesen modernen Staat auf die Einhaltung äußerer Rechtsschranken zu verpflichten, dann war dieser Zustand nur unter einer Bedingung überhaupt zu ertragen: Es mußte gelingen, diesem totalen Staat gleichsam von innen heraus eine neue, nachbürgerliche Gerechtigkeitsidee abzugewinnen, inhaltliche Kriterien für die Erfüllung der der Verwaltung zugewachsenen Daseinsverantwortung, einen Maßstab für die Ordnungen des gesellschaftlichen Lebens zu entwickeln und von dort aus eine neue Rechtsethik und schließlich auch das neue Verwaltungsrecht als System zu entwickeln. Als einer der wenigen hat Ernst Rudolf Huber diesen Aspekt in seiner Besprechung der Verwaltung als Leistungsträger genau gesehen.65 Was vielleicht ideengeschichtlich das bemerkenswerteste an dieser Wendung ist: Forsthoff setzte hier zugleich Carl Schmitts am äußeren Kriterium der »Feindschaft« orientiertem, aber nach innen hin bedeutungsarmen Begriff des Politischen 66 wieder eine inhaltlich, von der dem Staat aufgegebenen »Gestaltung des Daseins« her bestimmte Konzeption des Politischen entgegen. Daß Forsthoff dies zumindest auch beabsichtigte, zeigt die im gleichen Jahr wie Die 64 65

66

R. Hilberg, Sonderzüge nach Auschwitz, 1981. E. R. Huber, Buchbesprechung, in: ZgStW 101 (1941), 411 f.; s. dazu auch U. Storost, Die Verwaltungsrechtslehre Ernst Forsthoffs als Ausdruck eines politischen Verfassungsmodells, in: Wissenschaft und Recht der Verwaltung seit dem Ancien Regime, hrsg. v. E. V. Heyen, 1984, 184 ff. H. Hofmann, Feindschaft – Grundbegriff des Politischen?, in: Recht – Politik – Verfassung, 1986, 216.

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Verwaltung als Leistungsträger erschienene Schrift Daseinsgestaltung seines Königsberger Freundes und Kollegen Georg Weippert, der die Auseinandersetzung mit Schmitt unter genau diesem Aspekt offen führte.67 Die Beseitigung der liberalen Grundrechte sei, so sagte Forsthoff den Hörern seiner Vorlesung über Allgemeine Staatslehre im Winter 1943/44 in Heidelberg, nur dann richtig und sinnvoll, wenn »das Personsein auf andere Weise gewahrt ist«, das heißt durch die Gewährleistung einer inhaltlich bestimmten Daseinsverantwortung der Verwaltung und Teilhaberechte des einzelnen an den Leistungen der Daseinsvorsorge. Er gestand sich aber zugleich ein, daß eine solche neue Lösung »noch nicht verwirklicht« war.68 In der nachgelassenen Studie über die Aufgaben der Verwaltungsrechtswissenschaft heißt es im selben Sinne: »Die Verwaltung kann den Anspruch zu derart weit ausgreifender Wirksamkeit nur unter der Voraussetzung erheben, daß sie einem sozialen Ideal, einer als Regel verstandenen Sozialordnung dient. Damit ist das Recht selbst zum Zweck der Verwaltung geworden. Dies ist die Logik der Verwaltungsentwicklung seit der Überwindung des gewaltenteilenden bürgerlichen Rechtsstaats. Für ihn lagen die Verhältnisse insoweit anders, als hier weniger der Staat als die freie bürgerliche Gesellschaft den Schauplatz der Verwirklichung sozialer Ideale bildete. […] Für die moderne Verwaltung kann es jedoch keinem Zweifel unterliegen, daß sie nicht nur gewisse äußere Ordnungstatbestände schaffen und aufrecht erhalten, sondern daß sie einen bestimmten Zustand sozialer Gerechtigkeit verwirklichen will. […] Ohne die Annahme eines solchen die gesamte Verwaltung umfassenden Rechts würde das Verwaltungsrecht nicht mehr sein als eine Zusammenfassung von Zuständigkeitsfestlegungen und Ermächtigungen zu mehr oder weniger technischen Zwecken.«69

Auch im Lehrbuch ist diese Überzeugung ausgedrückt, wenn Forsthoff im Vorwort gegen die überkommene Auffassung Stellung bezog, »daß das Recht nur die Schranken, nicht aber den Inhalt des Verwaltungshandelns bestimme« (Lb, v). Ferner heißt es: »Ist aber die Sozialordnung für den Staat nicht Gegebenheit, sondern Aufgabe und Gegenstand der Gestaltung, so ist die Lage eine völlig andere. Denn in diesem Falle liegt dem staatlichen Handeln die Voraussetzung zugrunde, daß die sozialen Zustände der Verbesserung bedürfen, daß sie nicht als grundsätzlich gerecht gelten können. Diese Voraussetzung kann sich nur realisieren, wenn ein Maßstab vorhanden ist, ein soziales Ideal, eine Vorstellung gerechter Daseinsgestaltung. Erst recht aber kann die staatliche Tätigkeit mit dem Ziele der Verbesserung der bestehenden Daseinsverhältnisse ohne eine konkrete Vorstellung von der richtigen und gerechten Sozialordnung nicht gedacht werden.« (Lb, 57 f.)

Die Rechtsethik, die für Forsthoff der Daseinsvorsorge entsprach, war naturgemäß nicht individualistisch und sie widersprach der Rechtsethik des auf dem Eingriff in subjektive Rechte aufgebauten rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts. 67 68

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G. Weippert, Daseinsgestaltung, 1938, 70 ff. E. Forsthoff, Vorlesung Allgemeine Staatslehre, Wintersemester 1943/44, Ms., NL Forsthoff, Bl. 24. E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 48 (Hervorhebung nicht im Original).

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Subjektive Rechte konnten und sollten, das sprach Forsthoff in der Verwaltung als Leistungsträger deutlich aus, im modernen Verwaltungsrecht keine tragende Rolle mehr spielen. Der Satz: »Die Grundrechte gehören der Geschichte an« (VwL, 1) war durchaus keine weltanschauliche Konzession, kein ideologisches Beiwerk, das ebensogut hätte wegbleiben können, auch wenn Forsthoff selbst ihn später so verstanden wissen wollte.70 Er ist nicht weniger als das Zentralstück der ganzen Rechtsphilosophie und Dogmatik der »Leistungsverwaltung«.71 Wonach Forsthoff nämlich suchte, war die Rechtsethik einer institutionellen Sozialordnung:72 »Es ist eine Gerechtigkeit, deren materiale Werthaltigkeit nicht auf individuelles Tun oder Unterlassen, nicht auf Geschick und Mißgeschick des einzelnen Rechtsgenossen gerichtet ist; ihr Gegenstand ist vielmehr die Stellung und das Anrecht des Rechtsgenossen in der Gemeinschaft schlechthin. Die Gerechtigkeit ist hier die unerläßliche Wertqualität der Volksordnung.« (GrR, 19) Dieses Ideal einer menschlichen Ordnung der technischen Welt beinhaltete das langfristige Ziel, »das Dasein der Menschen durch Bindungen an Ordnungen zu verfestigen und auf sich zu stellen«, und zwar an solche Ordnungen, »die ohne eine weitere Zutat des Staates als die Behütung und Wahrung in sich selbst ruhen, aus sich heraus leben und wirken« (VwL, 48). Einen anderen Weg aus der politischen Entfremdung als die Rückführung der Menschen in feste Sozialbindungen hat Forsthoff nie gesehen. Die Überwindung des bürgerlichen Rechtsstaates konnte nur sinnvoll und richtig sein, wenn sie zugleich die »Wiederherstellung des Ranges des Menschen durch Wiedererrichtung seines Primates über die Dinge« (VwL, 16) bedeutete, sprich: die Aufhebung der Entfremdung. In diesem Sinne nannte Forsthoff es »die im weitesten Sinne entscheidende und wichtigste Aufgabe aller politischen Gestaltung im 20. Jahrhundert, die Vorherrschaft des Menschen vor den Dingen (Technik, Wirtschaft usw.) zurückzugewinnen.« 73 Ungeachtet solcher langfristigen Perspektiven – Forsthoff sah Deutschland 1938 von »wirklichen Ordnungen« nirgends weiter entfernt als auf dem Feld der Daseinsvorsorge (VwL, 48) – mußte das Verwaltungsrecht sich schon jetzt an einem bestimmten sozialen Persönlichkeitsideal messen lassen. Wenn schon die vom bürgerlichen Zeitalter hinterlassene »Rationalisierung des sozialen Raumes« und die weitgehende Rationalisierung des Rechts sich unter den poli-

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Im Vorwort zu Neuausgabe der Verwaltung als Leistungsträger von 1959 äußerte sich Forsthoff dahingehend, der Satz sei »auf die Situation des Jahres 1938 hin formuliert« und die Thesen zum Energiewirtschafts- und Personenbeförderungsrecht seien »Exemplifikationen auf das damals geltende Recht […] ohne eigenes, rechtsdogmatisches Interesse« (RlV, 5). Treffend B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 301; s. a. N. Magaldi, Procura existencial, Estado de Derecho y Estado Social, 2007, 75 f. Dazu unten, 5. Kap., S. 291 ff. E. Forsthoff, Fragmentarisches zum Thema Technik, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 4.

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tischen Gegebenheiten der Moderne nicht mehr überwinden lasse, so müsse diese Rationalität in umfassender Weise der ganz anderen Aufgabe der sozialen Gerechtigkeit dienstbar gemacht werden. Geboten war eine »Verschmelzung von ratio und Ethos«, über die es in dem 1941 gehaltenen Vortrag über Grenzen des Rechts heißt: »Die massentümliche Lebensgestaltung, das Schicksal der modernen Völker auf beengtem Raum, verweist die Pflege dieser sozialen Gerechtigkeit in die rational-rechenhaften Formen, in denen sich die überkommene Rechtsordnung darbietet. Nur in generellen Regeln, abgestuft nach klassifizierten sozialen Bedürfnissen, in Sätzen und Tarifen, ist diese Art der Daseinsbetreuung möglich. Die Rationalisierung des sozialen Raumes, die im 19. Jahrhundert entstand […], dient heute der sozialen Gerechtigkeit im Sinne einer gerechten Zuteilung der Lebensgüter. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, diese scheinbar paradoxe Verschmelzung von ratio und Ethos als Tatsache hinzunehmen, wenn wir die moderne soziale Wirklichkeit begreifen wollen.« (GrR, 19)

Dabei gehe es keineswegs um ein kollektivistisches Gerechtigkeitsverständnis: »Die Verwirklichung der Ethik im Recht erschöpft sich nicht in dem, was ich als soziale Gerechtigkeit bezeichnet habe. Im Bereich der sozialen Gerechtigkeit sehen wir uns den Organisationen, Gebilden und Regelungen der modernen Volksverfassung gegenüber, wir treffen hier nicht auf den konkreten Menschen mit seinen Ansprüchen und Pflichten, Wünschen und Leidenschaften, Tugenden und Lastern im Umgang mit der Umwelt. Hier aber, beim Menschen, liegt das vordringliche Problem. Vordringlich müssen wir es nennen, weil heute alles darauf ankommt, in einer notwendig rationalisierten und technisierten volklichen Umwelt den Raum nicht des Individuums, aber der Persönlichkeit zu behaupten. Wir dürfen die Augen nicht vor der Gefahr verschließen, daß die gewaltigen technischen Mittel, mit denen wir heute als Volk und als einzelne unser Dasein ermöglichen müssen, den Dämonien der Vermassung leicht zur Beute werden können, daß wir genötigt sind, uns auf einem schmalen Grat am Rande der äußersten Möglichkeiten zu bewegen.« (GrR, 20)

Das bedeutete konkret: »Der heutige Staat ist etwa von dem des 18. Jahrhunderts darum so grundlegend verschieden, weil er über die elementaren Lebensbedingungen jedes einzelnen auf eine Weise verfügt, wie es früher niemals der Fall war. Von hier aus stellt sich auch das Problem der persönlichen Freiheit gänzlich anders als früher. Es geht heute zunächst um die Freiheit des überhaupt existieren Könnens. Diese Freiheit ist verwirklicht, wenn sich der Rechtsgenosse in den gesicherten Stand versetzt sieht, seine elementaren Lebensbedürfnisse befriedigen zu können. Davon kann jedoch nur dann die Rede sein, wenn die Rechtsordnung auf die in der Daseinsvorsorge eingeschlossenen Leistungen einen klagbaren Anspruch gewährt, so daß diese Leistungen nicht von Gefälligkeiten, einem außer der Sache liegenden Wohlverhalten oder sonstigen schikanösen Zumutungen abhängig gemacht werden können. Diese Freiheit braucht der Mensch, sofern er noch als Persönlichkeit gelten und sich entfalten will. Es ist der unzerstörbare Rest von Freiheit, ohne den es kein Volk, sondern nur Masse geben kann, ohne den jedes gesunde Selbstbewußtsein ersticken muß. Es scheint mir die große Aufgabe der künftigen Sozialgestaltung und der Verwaltungsrechtswissenschaft, dieser Freiheit zur Verwirklichung zu verhelfen.«74

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E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 41.

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Die Frage nach den Aufgaben der Verwaltungsrechtswissenschaft ist damit beantwortet: Ihr fiel nach dem Ende des gewaltenteilenden Verfassungsstaates eine, ja vielmehr die im eigentlichen Sinne verfassungsschöpferische Mission zu. Zwar bezeichnete Forsthoff die Verfassungsfrage im Jahre 1935 in einem berühmten Diktum als »erledigt« 75 und die Verwaltungsrechtswissenschaft als die Wissenschaft der Zukunft.76 Doch war damit nur der Verfassungsbegriff gemeint, der das Zeitalter der bürgerlichen Verfassungskämpfe bestimmt hatte: die Normativverfassung.77 Nicht »erledigt« war natürlich die Verfassungsfrage als das Problem einer guten Ordnung der Staatsfunktionen. Das Ende der Normativverfassung schuf für Forsthoff sogar erst die Voraussetzungen für die »Rückkehr zu einem echten Verfassungsdenken« (VwL, 17), das sich nicht mehr mit Legitimitätsfragen aufhalten durfte. Dieses Denken sollte lernen, die Verfassungsfrage wieder konkret zu stellen und unterhalb abstrakter Verfassungsprinzipien nach der angemessenen Organisation der staatlichen Machtfunktionen und der Stellung des einzelnen in ihnen zu fragen: »denn Verfassunggebung bedeutet nicht zuletzt, den Menschen in ein ihm angemessenes Verhältnis zu den Dingen zu setzen.« (VwL, 17) Im Verwaltungsrecht lag der Schlüssel zu einem solchen »echten« Verfassungsdenken, davon war Forsthoff zutiefst überzeugt, weil ihm die Verwaltung als »die wahre Verfassung des modernen Staates«78 galt. Die verfassungsschöpferische Aufgabe der Verwaltungsrechtswissenschaft bestand demnach darin, das politische Ordnungsprinzip der Daseinsverantwortung in handhabbare 75

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E. Forsthoff, Das neue Gesicht der Verwaltung und die Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 331; dazu M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 351 ff.; B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 295 f. E. Forsthoff, Otto Mayer (Rundfunkvortrag), 1939, Ms., NL Forsthoff, 10: »innerhalb des öffentlichen Rechts ist der Primat des Verfassungsrechts gebrochen. Dem Verwaltungsrecht gehört die Zukunft.« E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 28: »Indem der Staat dieses [scil: das bei Lorenz von Stein der Gesellschaft zugeschlagene] tätige Leben des Volkes in sich einbezog und sich zu seinem Träger machte – und das geschah schrittweise und unter dem Zwang der Verhältnisse auf einzelnen Gebieten bereits unter der Weimarer Verfassung, bewußt und planmäßig jedoch erst nach 1933 – wurde der Normativverfassung und überhaupt dem bisher zwischen Verfassung und Verwaltung bestehenden Rangverhältnis der Boden entzogen. Die notwendige Folge war nämlich nicht allein eine außerordentliche Ausdehnung des Verwaltungsvolumens, sondern auch eine solche der Verwaltungsintensität, wenn wir darunter den Grad der Handlungsbereitschaft des Staates verstehen. Die Zusammenfassung insbesondere der ökonomischen Abläufe unter der Leitung des Staates mit der dadurch erforderlich gewordenen umfassenden Planung und Lenkung gebot die Entfaltung einer elastischen Verwaltung mit weitgehender Handlungsfreiheit. Das mußte notwendig die Sprengung des normativen Verfassungssystems zur Folge haben, das der Geschichte angehört. Natürlich wird damit nicht die Möglichkeit bestritten, daß weite Gebiete des Rechtslebens normativ geregelt werden. Nur kann diese normative Regelung nicht mehr im früheren Sinne als auszeichnendes Merkmal des heutigen Staates gelten.« Ernst Forsthoff an Hans Peters, 28.11.1949, BA Koblenz, NL Peters, Nr. 39.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

juristische Formen zu überführen. Das stellte die Rechtswissenschaft vor zwei aufeinander bezogene Kardinalprobleme. Die Verwaltung mußte zum einen organisatorisch in die Lage versetzt werden, ihre Daseinsverantwortung effektiv wahrzunehmen, und die Daseinsverantwortung mußte zum anderen durch individuelle Rechtsgarantien nach der Seite des einzelnen hin abgesichert werden. In rechtsdogmatischer Hinsicht mußte die Verwaltungsrechtswissenschaft also, erstens, eine institutionelle Struktur jenseits der an die rechtsstaatliche Verfassung gebundenen Rechtsformen für die leistende Verwaltung herausarbeiten, um sie nicht dem ungegliederten bürokratischen Zentralismus zu überlassen. Und sie mußte, zweitens, die Außenrechtsbeziehungen der Träger der Leistungsverwaltung von neuen Voraussetzungen her konstruieren und dabei neuartige Rechtsgarantien der individuellen Existenz für das Feld der Daseinsvorsorge entwickeln, auf dem die alten Grundrechte vorläufig keine Bedeutung mehr hatten.

II. Die institutionelle Struktur der leistenden Verwaltung Es ist mit Recht bemerkt worden, daß wenige andere juristische Kategorien im Verwaltungsrecht der Zwischenkriegszeit mit so vielen dogmatischen Grundproblemen behaftet waren wie die der öffentlichen Anstalt.79 Die Anstalt war die Rechtsform, die Otto Mayer der leistenden Verwaltung gegeben hatte. Doch kaum ein anderer Begriff war so eng mit der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft und dem Dogma von der Willensfähigkeit des Staates verbunden. Um das Problem zu verstehen, das sich für Ernst Forsthoff unter dem Gesichtspunkt der Daseinsvorsorge mit dem Rechtsinstitut der öffentlichen Anstalt verband, ist es erforderlich, den Ursprung der Lehre bei Otto Mayer und ihre Entwicklung bis zum Ende der Weimarer Republik noch einmal skizzenhaft zu rekapitulieren. 1. Die Entwicklung des Verwaltungsrechts der »öffentlichen Anstalt« Es waren in der Hauptsache die Begriffe der »verliehenen öffentlichen Unternehmung« und der »gewährten Anstaltsnutzung«, mit denen Otto Mayer im 1896 erschienenen zweiten Band seines Deutschen Verwaltungsrechts das Recht der staatlichen Leistungen systematisierte und mit denen er das Regime der Leistungsverwaltung ins öffentliche Recht überführte. In den durch Mayer gewiesenen Bahnen sollte sich die Diskussion bis in die dreißiger Jahre hinein fast ausschließlich bewegen. Zu den öffentlichen Unternehmungen, die Otto Mayer, sobald sie eine gewisse institutionelle Verfestigung zeigten, »öffentliche

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B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 250.

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Anstalten« nannte,80 zählte er alle diejenigen Verwaltungszweige, die Ernst Forsthoff später als Einrichtungen der »Daseinsvorsorge« bezeichnete, nämlich Straßenbau, Eisenbahn, Telegraphenanstalten, Banken, die staatlichen oder kommunalen Gasanstalten und Wasserwerke, sowie ferner Friedhöfe, Schulen, Gefängnisse, aber auch das Militär und das Gerichtswesen.81 Die Eigenschaft als Anstalten erlangten sie, soweit es sich nicht von vorneherein um Staatsunternehmen handelte, mit der Indienststellung für einen bestimmten öffentlichen Zweck durch Verwaltungsakt.82 Durch ihn sollte einerseits der private Betreiber zum Betrieb verpflichtet werden und sich der Aufsicht des Staates unterwerfen, ihm sollte andererseits insoweit ein gewisser Schutz zuteil werden, als ihm ohne gesetzliche Grundlage seine öffentliche Unternehmung, seine öffentliche Anstalt nicht mehr entzogen werden konnte.83 Mayer bewerkstelligte diese Rechtsfolge, indem er aus der Verleihung im Regelfall ein subjektives öffentliches Recht des Betreibers an dem öffentlichen Unternehmen ableitete, das sich in das rechtsstaatliche Schema des Vorbehalts des Gesetzes eingliedern ließ. Wie faßte Mayer die rechtlichen Beziehungen des einzelnen Benutzers zur öffentlichen Anstalt? 84 Die Leistungen der Anstalt unterstanden außer im Fall eines Benutzungszwangs nicht dem Vorbehalt des Gesetzes.85 Folgerichtig kannte Mayer ohne besondere gesetzliche Grundlage auch keinen strikten Anspruch auf die Leistungen der öffentlichen Anstalt.86 Der Einzelne unterstand, insofern er Leistungen der Anstalt in Anspruch nahm, dem »besonderen Gewaltverhältnis«. Leitend war hier die Vorstellung, daß der Benutzer einer Anstalt mit dem Beginn der Benutzung aus dem allgemeinen Gewaltverhältnis innerhalb der Gesellschaft in den Innenraum des Staates hinübertritt und sich damit der Verfügungsgewalt des Staatswillens freiwillig unterstellt. Zu weiten Teilen blieb die Anstaltsnutzung deshalb außerhalb des Verwaltungsrechts im

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O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. II, 1896, 318; ders., Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. II, 31924, 268; dazu B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 251. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. II, 1896, 297 ff.; ders., Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. II, 31924, 246 ff. Zum notwendig unspezifischen Gehalt des Anstaltsbegriffs bei Mayer P. Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, 1967, 41 f. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. II, 31924, 355: »Verleihung«. S. schon O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. II, 1896, 312; deutlicher dann ders., Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. II, 31924, 261. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. II, 31924, 284. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. II, 1896, 333; ähnlich ders., Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. II, 31924, 281 f., 284: »Die Ordnung des Nutzungsverhältnisses der Verwaltungsanstalt trägt mit voller Absichtlichkeit nicht das Gepräge des Rechtsstaates. Sie vermeidet Rechtssatz und Verwaltungsakt. Eben deshalb kommen dabei richtige subjektive Rechte nicht notwendig zum Vorschein.« Dazu W. Rüfner, Die Nutzung öffentlicher Anstalten, in: Die Verwaltung 17 (1984), 23 f. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. II, 31924, 292 f.

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eigentlichen Sinne.87 Mayer täuschte sich nicht darüber, welche Bedeutung der Zugang für den einzelnen haben konnte.88 Doch der Gedanke an eine mißbräuchliche Handhabung der Anstaltsgewalt lag ihm ganz fern, und er verfügte innerhalb seines Anstaltsbegriffs auch über kein Instrument, die so entstandene Lücke zu schließen. Immerhin konstruierte Mayer für den Regelfall eine Bindung der Anstaltsverwaltung an die Anstaltsordnung, die freilich folgenlos blieb, weil die Ordnung vom Muttergemeinwesen »jederzeit abgeändert und auch im Einzelfall durchbrochen werden« 89 durfte. Der Begriff der öffentlichen Anstalt hatte deswegen vor allem ausgrenzende Funktion. Er bezeichnete nicht einen eigenen Rechtsbereich des Verwaltungsrechts, sondern, wie Forsthoff selbst es später formulierte, die »Lücke des Rechtsstaates« (Lb, 104). Der nicht eingreifende, sondern auf Leistung, Lenkung und Verteilung abzielende Teil der Staatstätigkeit wurde mit seiner Hilfe von den strikten Bindungen des Allgemeinen Verwaltungsrechts dispensiert. Das lag durchaus in der Logik des Interventionsstaates: Indem die formalen, rechtsstaatlichen Sicherungen auf die Eingriffsverwaltung begrenzt blieben, konnte sich die intervenierende Seite um so freier entfalten.90 In der Nachfolge Otto Mayers änderten sich einzelne Koordinaten, das organisationsrechtliche Lehrgebäude im Ganzen blieb aber erhalten. Die Lehrbücher nach ihm schrieben sein Verwaltungsrecht der öffentlichen Anstalt weitgehend fort. Dies gilt insbesondere für Fritz Fleiners 1911 erschienene Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts.91 Nur an einem allerdings besonders interessanten Punkt modifizierte Fleiner die Konstruktion geringfügig. In der Frage der subjektiven Benutzungsrechte wollte er im Gegensatz zu Otto Mayer den Zugang zu öffentlichen Anstalten bzw. die Teilhabe an ihren Leistungen nicht bloß an die Ausgestaltung durch die Anstaltsordnung verweisen, sondern auch in Fällen, in denen es an einem gesetzlich verliehenen subjektiven Recht fehlte, durch einen »allgemeinen Anspruch auf Gesetzesvollziehung« 92 gewährleisten. Dieser Anspruch sollte immer dann eingreifen, wenn die Anstaltsverwaltung

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P. Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, 1967, 46, 54 f.; ders., Verwaltungsrecht im liberalen und im sozialen Rechtsstaat, 1966, 17. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. II, 31924, 279, wo es heißt, es sei für die einzelnen »eine sehr wichtige Sache, ob sie auf die Leistungen der öffentlichen Anstalt rechnen können oder nicht«. Dieser Satz fehlt in den Vorauflagen. Ebd., 279. M. Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht (1989), in: Konstitution und Intervention, 2001, 275. Zum Einfluß Otto Mayers auf die Institutionen Fritz Fleiners allgemein M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 1992, 408 f.; zuvor schon ders., Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungslehre 1866–1914, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. III, hrsg. v. K. G. A. Jeserich u. a., 1984, 101; R. Müller, Verwaltungsrecht als Wissenschaft, 2006, 135 f., 139 f. F. Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 81928, 335.

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unter Verletzung der öffentlichrechtlichen Zweckbestimmung der Anstalt oder anderen objektiven Rechts dem einzelnen ihre Leistungen vorenthielt.93 Dies galt allerdings nur, wenn die Anstalt öffentlichrechtlich organisiert war. Entschied sich die jeweilige Trägerkörperschaft für ein privatrechtliches Benutzungsregime, wozu sie völlig frei sein sollte,94 so entfielen diese Bindungen.95 Noch strenger an die Tradition Otto Mayers hielt sich Walter Jellinek.96 Auch er unterstellte die Leistungen öffentlicher Anstalten nicht dem Vorbehalt des Gesetzes und blieb, was Zugangs- und Teilhabeansprüche anging, deutlich hinter Fritz Fleiner zurück.97 Er entsprach darin der Darstellung Julius Hatscheks, der strikte Rechte auf Zulassung zu einer öffentlichen Anstalt ebenfalls für die Ausnahme hielt; im Regelfall sah Hatschek die erfolgte Zulassung »bloß als Reflexwirkung«98 objektivrechtlicher Pflichten der Anstaltsorgane. Drang sie auch nicht bis in die Lehrbuchdarstellungen vor, so war doch bereits in der Weimarer Zeit auch entschiedene Kritik an der Zentralität der öffentlichen Anstalt für das Recht des Leistungsstaates wahrzunehmen. Die Wertungen verschoben sich unter dem Eindruck einer breiten ordnungspolitischen Debatte um die Berechtigung der erwerbswirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand.99 Das zeigt sich insbesondere an der Diskussion über das Recht der öffentlichen Anstalt, die 1929 auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Frankfurt am Main geführt wurde. Der Leipziger Extraordinarius Lutz Richter erarbeitete eine breite Bestandsaufnahme des tatsächlichen Umfangs und der Motive der erwerbswirtschaftlichen Betätigung besonders des Reichs.100 Die Expansion einer auf Wirtschaftssteuerung und soziale Verteilung ausgerichteten Bürokratie bezeichnete er als eine Tendenz, die »geeignet ist, das überlieferte Gefüge der rechtswissenschaftlichen Begriffe aufzulockern« 101, vor allem also die Unterscheidung von öffentlichem

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Ebd., 172 ff. Ebd., 326. Besonders deutlich ebd., 336. W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 31931, 514. Dazu B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 231 f.; allgemein zu Jellineks Verwaltungsrecht M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 238 ff. Vgl. W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 31931, bes. 515. J. Hatschek, Lehrbuch des deutschen und preußischen Verwaltungsrechts, 7/81931, 498, 500. A. Köttgen, Die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand und das öffentliche Recht, 1928, 3 meinte, die Fragen der öffentlichen Wirtschaft stünden »zur Zeit im Brennpunkt des allgemeinen Interesses«; s. ferner H. Göppert, Staat und Wirtschaft, 1924; H. Staudinger, Der Staat als Unternehmer, 1932; zu dieser Diskussion C. Zacher, Die Entstehung des Wirtschaftsrechts in Deutschland, 2002, 200 f.; umfassend ferner G. Upmeier, in: Kommunale Finanzpolitik in der Weimarer Republik, hrsg. v. K.-H. Hansmeyer, 1973, 90 ff. L. Richter, Verwaltungsrecht der öffentlichen Anstalt, in: VVDStRL 6 (1929), 70 ff. Ebd., 102.

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und Privatrecht zu verwischen.102 Rechtsdogmatisch allerdings blieb er durchweg konventionell 103 und behalf sich hier und da mit generalklauselartigen Grundsätzen, um der rechtstatsächlichen Entwicklung Rechnung zu tragen.104 Einen Neuansatz versuchte dagegen in ausdrücklicher Abgrenzung von Otto Mayer 105 der erst 27jährige Privatdozent Arnold Köttgen.106 Er sah, daß die Verwaltungsträger in »Abkehr von den Prinzipien des Liberalismus und im Banne der Sozialpolitik […] in zunehmendem Umfang zur Übernahme wirtschaftlicher Aufgaben übergegangen« waren,107 und daß deshalb dem Anstaltsrecht »innerhalb dieses Fragenkomplexes zur Zeit eine zentrale Bedeutung«108 zukomme. Ziel sei es, »durch den Ausbau einer der Besonderheit ihrer Aufgabe angepaßten Anstaltsverwaltung die öffentlich-rechtliche Verwaltungsorganisation auch für diejenigen Verwaltungsaufgaben zu einem vollwertigen Instrument werden zu lassen, auf die sie ursprünglich unter dem Einfluß des Liberalismus nicht berechnet war, die jedoch im Zeitalter der sozialen Demokratie ihre unbedingt Gleichberechtigung gegenüber den altehrwürdigen Verwaltungszweigen errungen haben, ohne allerdings bisher gleich ihnen über eine vollwertige Organisation zu verfügen«109.

Dem Außenrechtsverhältnis der Anstalt zum Benutzer verlieh Köttgen zwar keine schärferen Konturen. Auch versuchte er noch, die Kategorie des Verwaltungszwecks vom Begriff der Anstalt fernzuhalten. Was Köttgen aber gelang, war wohl dogmengeschichtlich sogar der bedeutendere Schritt: Er löste das Verwaltungsrecht der öffentlichen Anstalt aus dem engen systematischen Zusammenhang mit dem Problem von Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes. Er hatte nämlich bemerkt, daß die Kategorie der »Anstaltsnutzung« durch die Flucht der Verwaltung ins Privatrecht und durch die immer größere Komplexität der öffentlichen Verwaltung ihre ursprüngliche Bedeutung verloren

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M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 209. S. C. Zacher, Die Entstehung des Wirtschaftsrechts in Deutschland, 2002, 201 ff., bes. 205 f. Siehe etwa L. Richter, Verwaltungsrecht der öffentlichen Anstalt, in: VVDStRL 6 (1929), 99, wo von einem »längst entwickelten Grundsatz« die Rede ist, daß die öffentlichrechtlichen Unternehmensformen »den Interessen des ganzen Gemeinwesens zu dienen bestimmt sind und deshalb jedem Bürger zu gleichen Bedingungen zugänglich sein müssen.« Hinzukommt, daß er dem Grundsatz eine generalklauselartige Ausnahme zugunsten öffentlicher Interessen entgegenstellte, wenn etwa nach den tatsächlichen Umständen der gleiche Zugang »erhebliche Belastung[en]« (ebd., 100) der Versorger bedeuten würde. Zudem ließ auch er ohne weiteres die öffentliche Anstalt in privater Rechtsform zu, deren Benutzungsverhältnisse den »allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts« einschließlich des deliktischen Schutzes gegen Monopole unterstehen sollten (ebd., 101). A. Köttgen, Verwaltungsrecht der öffentlichen Anstalt, in: VVDStRL 6 (1929), 108. Ebd., 105 ff.; zuvor bereits A. Köttgen, Die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand und das öffentliche Recht, 1928. A. Köttgen, Verwaltungsrecht der öffentlichen Anstalt, in: VVDStRL 6 (1929), 105. Ebd., 107. Ebd., 141.

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hatte.110 Er wollte, wie gleichzeitig auf andere Weise auch Adolf Merkl,111 die Anstalt von einem Kompetenztitel gesetzesfreier Verwaltung in einen feste Grenzen aufweisenden verwaltungsrechtlichen Organisationstyp umwandeln.112 Angesichts der Verwaltungsrechtsentwicklung bis zum Ende der zwanziger Jahre war diese dogmatische Verschiebung geradezu zwingend: Der bei Otto Mayer mit der Anstalt verfolgte Zweck, die leistende Verwaltungstätigkeit dem Privatrecht zu entziehen und den Regeln des öffentlichen Rechts zu unterstellen, war durch die allgemeine Expansion des öffentlichen Rechts völlig obsolet geworden.113 Wie sollte zudem die axiomatische Bedeutung der rechtsstaatlichen Unterscheidung von gesetzesakzessorischer und gesetzesfreier Verwaltung zu rechtfertigen sein, wo es tatsächlich ein ausdifferenziertes Haushalts-, Verwaltungsorganisations- und Wirtschaftsverwaltungsrecht gab? Die Verrechtlichung des Binnenraums der Anstalt entzog dem Institut seine einstige Grundlage. Indem Köttgen die Bedeutung dieser verwaltungsrechtlichen Sondermaterien betonte,114 war der Weg vorgezeichnet, die Leistungsverwaltung von den sich entwickelnden einzelnen Referenzgebieten des Verwaltungsrechts her zu bewältigen,115 den Forsthoff später auch ging. Ein weiterer Schritt zur endgültigen Preisgabe des konventionellen Anstaltsbegriffs kam nicht aus dem Allgemeinen Verwaltungsrecht selbst, sondern gleichsam von außen aus der neu entstandenen Wissenschaft des Wirtschaftsrechts.116 Es war Ernst Rudolf Huber, dem mit seiner 1932 erschienenen Habilitationsschrift der Durchbruch zu einem öffentlichrechtlichen Wirtschaftverwaltungsrecht gelang.117 Seine dogmatische Leistung bestand darin, das teil nur im Privatrecht behandelte, teils in öffentlichrechtliche Sondermaterien abgedrängte Wirtschaftsrecht sowohl materiell- als auch organisations- und verfahrensrechtlich zu systematisieren, indem er die positiven Rechtsbestände unter basalen Rechtsformen neu zu integrieren versuchte.118 Sein Wirtschaftsverwaltungsrecht ging über eine Reihe von Grundunterscheidungen der älteren Lehre hinweg oder relativierte sie doch stark,119 namentlich die Unterscheidung zwi-

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Ebd., 109. A. Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, 306 ff. B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 260. Vgl. R. Breuer, Die öffentlichrechtliche Anstalt, in: VVDStRL 44 (1986), 214. Siehe schon A. Köttgen, Die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand und das öffentliche Recht, 1928, 20 ff.; dazu auch B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 267. A. Köttgen, Verwaltungsrecht der öffentlichen Anstalt, in: VVDStRL 6 (1929), 114 ff.; ders., Buchbesprechung, in: AöR 56 (1929), 306 f. Hierzu C. Zacher, Die Entstehung des Wirtschaftsrechts in Deutschland, 2002. E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1932; parallel dazu ders., Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, 1931. Vgl. C. Zacher, Die Entstehung des Wirtschaftsrechts in Deutschland, 2002, 283, der Huber treffend eine »absichtsvolle Freizügigkeit im Ungang mit dem Material« attestiert. Ebd., 286 ff.

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schen Staatswirtschaft und Selbstverwaltung,120 zwischen privatrechtlichen und öffentlichrechtlichen Verbänden 121 und überhaupt zwischen spezifisch verwaltungsrechtlichen und anderen Formen der staatlichen Intervention in die Wirtschaft. Das Phänomen der leistenden Verwaltung im weitesten Sinne ergab auf diese Weise ein völlig neues Bild, eine abgestufte Skala staatlicher Einflußnahmen auf die Wirtschaft. Damit trat zugleich ein anderer Typ von Verwaltung in den Vordergrund, der sich in mehrfacher Hinsicht von den Leitbildern des Spätwilhelminismus unterschied und eher dem Leitbild des totalen Wirtschaftsstaates entsprach, das Carl Schmitt im Hüter der Verfassung entworfen hatte.122 Dieser Typus trug stark zentralistische Züge, war geprägt vom Ineinander staatlicher und wirtschaftlicher Funktionen, stellte das Wirtschaftsverwaltungsrecht bewußt in den Dienst sozialpolitischer Gestaltungszwecke und ähnelte damit schon dem Staatsmodell, das Huber 1934 als »Deutschen Sozialismus« bezeichnete.123 Indem Huber so den konventionellen verwaltungsrechtlichen Dualismus von gesetzesgebundener und gesetzesfreier Verwaltung an den Rand und damit die Lehre von der Anstalt beiseite schob, lenkte er den Blick auf das, was durch sie verstellt gewesen war: die organisatorische und funktionelle Binnendifferenzierung der interventionistischen Verwaltung.124 2. Die Problematik des Anstaltsbegriffs unter den Bedingungen der Daseinsvorsorge Es sei dahingestellt, ob das lange Festhalten am Anstaltsbegriff Otto Mayers wirklich eine, wie Forsthoff später meinte, »besonders folgenreiche Verfehlung der Wirklichkeit durch die Verwaltungsrechtswissenschaft« (Lb, 45) war. Geht man vom rechtsdogmatischen Entwicklungsstand aus, den der Begriff der öffentlichen Anstalt Mitte der dreißiger Jahre erreicht hatte, so wird jedenfalls deutlich, daß es für Forsthoff nicht wenige in der Sache liegende Gründe gab, das Recht der Leistungsverwaltung vom Begriff der Anstalt zu lösen. Es war dabei keineswegs so, daß der Begriff im nationalsozialistischen Verwaltungsrecht nicht vorkam. In den Darstellungen von Arnold Köttgen 125 und Otto Koellreutter 126 war das Institut der Anstalt ebenso prominent vertreten wie im

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E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1932, 13. Ebd., 6 ff. B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 237 ff. E. R. Huber, Die Gestalt des deutschen Sozialismus, 1934. B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 254. A. Köttgen, Deutsche Verwaltung, 21937, 119 ff. O. Koellreutter, Deutsches Verwaltungsrecht, 21938, 153 ff.

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offiziösen Handbuch von Hans Frank.127 Die Argumente, die aus Forsthoffs Sicht gegen die Konzeption der Anstalt sprachen – und zwar zur Zeit des Nationalsozialismus ebenso wie nach dem Kriege – lassen sich von zwei unterschiedlichen Ebenen her rekonstruieren. Die erste betrifft die Außenrechtsverhältnisse der Anstalt und die Verrechtlichung des Benutzungsverhältnisses, die zweite die Einbettung des Anstaltsrechts in die Verfassungs- und Verwaltungsorganisation im Ganzen. Was die Außenrechtsbeziehungen angeht, so faßte Forsthoff seine Position mit dem Satz zusammen: »Die Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts mit öffentlichrechtlicher Nutzungsordnung gibt als solche Schutzrechte für den einzelnen Benutzer nicht her.« (VwL, 24) Was war damit gemeint? Schutzrechte konnte die Anstalt nur vermitteln als Rechtsinstitut innerhalb einer Gesamtrechtsordnung, die auf einer »wesentlich durch den Gesetzesbegriff vermittelte[n] Technik der Gewährleistung individueller Freiheit« (VwL, 42 f.) basiert. Das bedeutete: im Rechtsstaat, in dem das gesellschaftliche Leben grundsätzlich als autonom gedacht werden kann, in dem die Inanspruchnahme von Anstaltsleistungen gegenüber der gesellschaftlichen Selbstorganisation die Ausnahme bleibt und in dem deswegen die Unterwerfung unter die Anstaltsgewalt im besonderen Gewaltverhältnis als freiwillige Aufgabe der individuellen Freiheit kein Rechtfertigungsbedürfnis auslöst. Volenti non fit iniuria. Auf diese Weise war die Anstaltskonstruktion gebunden an die rechtsstaatliche »Generalunterscheidung von obrigkeitlicher Gewalt und privater Autonomie« (VwL, 21) oder, wie Forsthoff es später allgemeiner nannte, an »die Vorstellung eines Innen und Außen« (Lb, 360) sowie an das Gesetz im formellen und materiellen Sinne, das die Grenze zwischen Innen und Außen zieht. Diese Axiomatik war, wie Forsthoff richtig bemerkte, durch die Rechtsentwicklung bereits in vielfältiger Weise aufgelockert worden. Gerade für die auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge besonders bedeutsamen Anstaltsleistungen bestanden bereits spezielle gesetzliche Schutzbestimmungen, etwa der Anspruch auf die Benutzung kommunaler Einrichtungen nach § 17 der Deutschen Gemeindeordnung des Jahres 1935 (VwL, 24 f.). Hierzu gehörten auch weite Bereiche der Sozialverwaltung und die schon Otto Mayer bekannten Regelungen der Post- und Telegraphengesetze und der Gewerbeordnung.128 Diese gesetzlichen Sicherungen der Teilhabe an Anstaltsleistungen knüpften zwar einerseits an dieses Institut an, zerstörten aber andererseits seine dogmatischen Voraussetzungen, weil durch die mit ihnen bewirkte Verrechtlichung die am Rechtssatz ausgerichtete Unterscheidung von Innen und Außen der Verwaltung, von allgemeinem und besonderem Gewaltverhältnis immer stärker in

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F. W. Jerusalem, Das Recht der öffentlichen Anstalt, in: Deutsches Verwaltungsrecht, hrsg. v. H. Frank, 1937, 282 ff. L. Jellinghaus, Zwischen Daseinsvorsorge und Infrastruktur, 2006, 267 m.w.N.

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Frage gestellt wurde. Mit dem Ende der rechtsstaatlichen Rechtsquellenlehre nach 1933 wurde diese Unterscheidung vollends undurchführbar.129 Aber nicht nur die Rechtsentwicklung, sondern auch die soziologische Stellung des einzelnen zur Verwaltung entsprach nicht mehr dem rechtsstaatlichen Verfassungsmodell. Unvereinbar mit der Idee Daseinsvorsorge war die Konzeption der Anstalt insofern, als sie eine außerstaatliche subjektive Rechtssphäre voraussetzte, von der aus die Benutzung der Anstalt erfolgt. Lebt nun aber der moderne Mensch immer auch von der Verwaltung und dadurch gleichsam in ihr, so wird der Sinn der Anstaltskonstruktion ins Gegenteil verkehrt. Die Nutzung der Anstalt und der Übertritt ins besondere Gewaltverhältnis ist nun nicht mehr als ausnahmsweise Preisgabe der individuellen Freiheit zu verstehen und zu rechtfertigen, sondern markiert eine vom Anstaltsträger beliebig setzbare Grenze zwischen verrechtlichtem Außen- und rechtsfreiem Innenverhältnis, ohne daß in der Sache zwischen beidem noch ein Unterschied bestünde. Hinzu kam etwas anderes. Der Anstaltsbegriff Otto Mayers ermangelte jeglicher organisationsrechtlicher Konturen. Weder Rechtsfähigkeit noch Rechtsregime des Leistungsträgers waren mit der Rechtsform der Anstalt festgelegt. Dabei handelte es sich jedoch, was in diesem Zusammenhang zumeist übersehen wird, nicht um einen Mangel, sondern um die Pointe der Konzeption.130 Die Anstalt bezog ihre Rechtsnatur und ihre Kompetenzen von Fall zu Fall aus dem freien Willen des »Muttergemeinwesens«, also des jeweiligen Verwaltungsträgers. Das hieß zugleich: die Anstalt war untauglich als eine Organisationsform der Verwaltungsgliederung. Sie setzte einen gegliederten Staats- und Verwaltungsaufbau vielmehr immer schon voraus, etwa die Unterscheidung des Reiches von den Ländern und den kommunalen Gebietskörperschaften, die je für sich als Träger eines subjektiven Willens gedacht waren und als solche Träger öffentlicher Anstalten sein konnten. Die institutionelle Gliederung der leistenden Verwaltung folgte damit nach der Konzeption Otto Mayers logisch der verbandsmäßigen Gliederung des Staatsaufbaus überhaupt. Gerade in dieser Hinsicht war die Lage in den vier Jahrzehnten, die zwischen Mayer und Forsthoff liegen, eine völlig andere geworden. Drei massive Zentralisierungsschübe hatten von der föderalen Verwaltungsgliederung, wie Otto Mayer sie im Deutschen Reich vorgefunden hatte, nichts mehr übrig gelassen. Forsthoff selbst hatte die Entwicklung in seiner Studie von 1931 über Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat klar gesehen. Bereits im Weltkrieg waren die Landesverwaltungen stark unitarisiert worden, in der Weimarer

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Zur parallelen Kritik am Institut der Körperschaft des öffentlichen Rechts E. Forsthoff, Nationalsozialismus und Selbstverwaltung, in: Deutsches Verwaltungsrecht, hrsg. v. H. Frank, 1937, 178 f. R. Breuer, Die öffentlichrechtliche Anstalt, in: VVDStRL 44 (1986), 216 f.

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Republik verschärfte sich dieser Trend unter dem Druck der sozialen Notlagen weiter und führte insbesondere zur Annäherung der kommunalen und funktionalen Selbstverwaltungsträger an das Reich. Die nationalsozialistische Gleichschaltungspolitik trieb diese Entwicklung auf die Spitze. Wenn der Staatsaufbau aber Züge eines bürokratischen Zentralismus demokratischer oder diktatorischer Prägung trug, so entfiel damit die von Mayer vorausgesetzte Aufgliederung der Verwaltung. Wenn es nur noch einen einzigen Träger des Staatswillens gab, wurde die Anstaltskonzeption vollends bedeutungslos. Sie besagte nun juristisch gar nichts mehr oder jedenfalls nicht mehr, als was offensichtlich ohnedies galt: daß dieser Zentralstaat öffentliche Unternehmungen beliebiger Rechtsform und Ausgestaltung durch Gesetz oder Einzelakt ins Werk setzen durfte. Mit dieser Zentralisierung bedingte sich gegenseitig ein weiterer, nicht weniger tiefgreifender Strukturwandel der deutschen Verwaltung. Der fortschreitende Kompetenzzuwachs der Reichsverwaltung gerade auf den Gebieten der »Daseinsvorsorge«, der Wirtschaft- und Sozialverwaltung, machte es unmöglich, die damit anfallenden Verwaltungsaufgaben ausschließlich durch die innere Ministerialverwaltung alten Stils erledigen zu lassen. So entstand seit dem Ersten Weltkrieg eine unübersehbare Vielzahl von reichsunmittelbaren Sonderverwaltungen unterschiedlichster Form und Bedeutung. Forsthoff erkannte die Logik dieser Entwicklung: »Während […] in Hinsicht auf die bundesstaatlichen Ausdifferenzierungen die Entwicklung der Vereinheitlichung zustrebt, läßt sich in der allgemeinen Gliederung der Verwaltung eine gegenläufige Tendenz feststellen, welche in der Vermehrung der Sonderverwaltungen auf Kosten der allgemeinen inneren Verwaltung ihren Ausdruck findet. Unter diesen Umständen wird auch bei fortschreitender Abschleifung der zwischen den Landesverwaltungen obwaltenden Unterschiede, die auf dem Gebiet des Gemeinderechts sogar zur vollständigen Rechtseinheit gediehen ist, ein auf wenige große Konturen zusammengezogenes Bild deutscher Verwaltung nicht zu erwarten sein.«131

Die Sonderverwaltungen waren nur zu einem kleinen Teil in den klassischen Formen der mittelbaren Staatsverwaltung organisiert, überwiegend aber in Form von »Stellen« und Zwangsgesellschaften,132 die eng mit der Industrie verzahnt und teils privatrechtlich, teils öffentlichrechtlich organisiert waren. Der Konzeption der Anstalt entzogen diese Lenkungsinstitutionen sich in insofern, als sie in der Mehrzahl nicht mehr die ausschließliche Zuordnung zu einem bestimmten Verwaltungsträger erlaubten, sondern es sich um halbstaatliche

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E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 63. Dazu noch einmal M. Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht (1989), in: Konstitution und Intervention, 2001, 276 f. und E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. V, 1978, 73 ff., bes. 82 f., 91 f.

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Zwischenformen handelte.133 Vor allem aber waren ihre institutionelle Struktur, ihre Befugnisse und Außenrechtsbeziehungen, ihr Verhältnis zur Staatsaufsicht und zu privaten Trägern derart uneinheitlich, daß ihre Zusammenfassung unter dem Rechtsinstitut der Anstalt nicht mehr gewesen wäre als eine Blankettformel.134 Angesichts der Ausdifferenzierung der öffentlichen Verwaltung im Interventionsstaat hatte die Mantelkategorie der Anstalt damit letztlich immer weniger für sich.135 3. Grundstrukturen einer Verwaltungsordnung der Daseinsvorsorge Während Forsthoff der Kritik der überlieferten Systematik in der Schrift von 1938 relativ viel Raum widmete, finden sich zu einer dogmatischen Neukonzeption lediglich eine Reihe von Anmerkungen, aber keine Ausarbeitung. Forsthoff hielt die Zeit dafür auch noch nicht für gekommen und wollte mit Die Verwaltung als Leistungsträger zunächst nur die Voraussetzungen einer Neukonzeption erörtern. Dennoch lassen sich seinen Ausführungen Grundstrukturen jenes Ordnungsmodells entnehmen, das für ihn an die Stelle des Mayerschen treten sollte. Diese Idee läßt sich am klarsten anhand seiner Würdigung zweier Reichsgesetze nachvollziehen, in denen er einen vorbildlichen Rechtsrahmen für die Daseinsverantwortung des Staates geschaffen sah: im Energiewirtschaftsgesetz

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E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 71: »Die Assimilation der Wirtschaft an die Struktur der staatlichen Verwaltung hat für die neuere Zeit insofern ihre besondere Bedeutung, als sie zu einer Annäherung der Funktionen und Organisationen von beiden Seiten her geführt hat, die vielfach den Charakter einer Arbeitsteilung angenommen hat. […] Es entstanden zahlreiche Organisationsformen der Wirtschaft, teils privaten, teils hoheitlichen Charakters […], welche in das überkommene Rechtsschema nicht paßten und Rechtstheorie und -praxis vor neue Aufgaben stellten. Vollends nach 1933 und erst recht im Laufe des zweiten Weltkrieges hat dann die arbeitsteilige Verbindung von staatlicher, halbstaatlicher und privater Bürokratie außerordentliche Fortschritte gemacht, so daß eine Art stufenloser Übergang von der privaten Bürokratie zur staatlichen entstanden ist. Die herkömmliche Unterscheidung des öffentlichen und privaten Rechts ist dadurch stark verwischt worden und die staatlichen Lenkungsinstitutionen erreichen über die hergestellten Verbindungen auch die privaten Wirtschaftsbürokratien. Gerade auf diesem Gebiet ist der Stoff im Zustande voller Bewegung, sodaß abschließende wissenschaftliche Feststellungen noch nicht möglich sind.« Kritik an der kriterienlosen Ausdehnung bereits bei J. Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, 1932, 46 ff. Siehe B. Sordi, Tra Weimar e Vienna, 1987, 253, der zudem darauf hinweist (ebd., 255), daß die Ablösung der öffentlichen Anstalt als Rechtsinstitut der leistenden Verwaltung keineswegs nur eine deutsche Angelegenheit war. In ganz ähnlicher Weise vollzog sich auch in anderen Ländern im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert der Abschied von einer auf den staatlichen Willen ausgerichteten Dogmatik.

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von 1935136 und im Personenbeförderungsgesetz von 1934.137 Das aus seiner Sicht Mustergültige beider Regelungen lag darin, daß sie je einen Sachbereich der leistenden Verwaltung »unter Absehung von den Rechtsformen« und »als einheitliche Materie mit einer einheitlichen Dogmatik« (VwL, 34) verfaßten. Was damit gemeint war, zeigen die Gesetze selbst. Sowohl das Energiewirtschafts- wie auch das Personenbeförderungsgesetz zogen alle Unternehmen, die entsprechende Leistungen anboten, unter dem Begriff des Energieversorgungsunternehmens bzw. des Verkehrsunternehmens zusammen, unabhängig davon, ob es sich um Staatsbetriebe oder Privatunternehmen handelte und in welcher Rechtsform sie auftraten (§ 2 EnWG; §§ 1, 2 PBefG). Die vorhandenen Rechts- und Organisationsformen wurden also nicht durch andere ersetzt, sondern blieben bestehen. Aber sie wurden in ein dichtes Netz hoheitlicher Gestaltungsbefugnisse eingebunden. Forsthoff bezeichnete dies später als die »Indienststellung einer sozialen Einheit als Ganzes« (Lb, 267). So hatte nach dem Energiewirtschaftsgesetz der Reichswirtschaftsminister die Kompetenz zur Festsetzung der Endverbrauchertarife (§ 7 Abs. 1), zur Durchsetzung der Betriebspflicht und der allgemeinen Anschluß- und Versorgungspflicht (§§ 8 Abs. 1, 6 Abs. 1) sowie zur Anordnung der erforderlichen Enteignungen. Das Energiewirtschaftsgesetz ging aber noch weiter. Es gab der Reichsverwaltung die Möglichkeit, aus wehrwirtschaftlichen Gründen den Bau neuer Anlagen anzuordnen (§ 13 Abs. 1) und sicherte ihr weitestgehenden Einfluß auf die technischen Leistungsstrukturen im engeren Sinne, insbesondere ermächtigte es sie zur Regelung von technischen Standards, Betriebssicherungspflichten, Leitungswegeführung und ähnlichem mehr (§ 13 Abs. 2).138 Das Gesetz unterstellte also die gesamte Elektrizitäts- und Gasversorgung einer nahezu vollständigen Staatsaufsicht,139 man könnte auch sagen: es machte sie zum Objekt einer geräuschlosen Sozialisierung. Forsthoffs Schüler Hans Kutscher bemerkte mit Recht: »Durch die Stellung der Energiewirtschaft unter die Aufsicht des Reiches wird dieser Sektor der deutschen Volkswirtschaft einbezogen in den Wirtschaftsraum, der […] der Aufsicht, Leitung und Planung des Staates unterliegt.«140 Politisch richteten die Gesetze sich vor allem gegen die Autonomie

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Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft v. 13.12.1935, RGBl. I, 1451. Gesetz über die Beförderung von Personen zu Lande v. 4.12.1934, RGBl. I, 1217. B. Stier, Staat und Strom, 1999, 470 ff.; H. D. Hellige, Entstehungsbedingungen und energietechnische Langzeitwirkungen des Energiewirtschaftsgesetzes von 1935, in: Technikgeschichte 53 (1986), 134, 138 ff. Zur Rechtslage nach dem EnWG s. die Forsthoffs Einschätzung verpflichtete Darstellung von E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I, 21953, 579 ff.; aus heutiger Sicht B. Stier, Zwischen kodifikatorischer Innovation und materieller Kontinuität, in: Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus, hrsg. v. J. Bähr/R. Banken, 2006, 285 f. H. Kutscher, Anmerkungen zum Energiewirtschaftsgesetz, in: DJZ 1936, Sp. 1011.

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der kommunalen Versorgungsbetriebe, deren Betätigungsspielraum schon durch die Deutsche Gemeindeordnung gleichzeitig stark eingeengt worden war.141 Sehr ähnlich verfuhr auch das Personenbeförderungsgesetz, das Forsthoff ebenfalls für beispielhaft hielt (VwL, 36 f.). Das Gesetz habe »für das Gebiet der Beförderung […] die staatliche Führung in vollem Umfang verwirklicht« und die Verwaltung zum »verantwortlichen Garanten einer gerechten Verkehrsordnung« (VwL, 37) gemacht. Auch in diesem Falle mache die Unabhängigkeit von bestimmten Rechtsformen das Bemerkenswerte der Regelung aus. Sie kümmere sich nicht in erster Linie um die Eigentumsverhältnisse, sondern der »Verkehr tritt als tragender und umfassender Oberbegriff auf, dem die einzelnen Verkehrsunternehmen und Verkehrsmittel zugeordnet werden.« (VwL, 36 f.) Auch auf diesem Gebiet wurden den Genehmigungsbehörden weitreichende Einflußrechte auf die Netzgestaltung und die Leistungsbedingungen eingeräumt. Es ist gewiß kein Zufall, daß beide Neuregelungen rüstungspolitische Bedeutung besaßen und, wie Forsthoff offen aussprach, den »Interessen einer das ganze Reich erfassenden Planung« sowie »wehrwirtschaftlichen und wehrpolitischen Anforderungen« (VwL, 49) dienten. Sie waren sinnfälliger Ausdruck der massiven Verstaatlichungs- und Zentralisierungstendenzen in der Energieund Wirtschaftspolitik des Dritten Reiches.142 Und sie dienten, aller Rede von der Volksgemeinschaft zum Trotz, der Homogenisierung, Mobilisierung und Technisierung des deutschen und des unter deutscher Besatzung stehenden Wirtschaftsraumes, seiner restlosen Erfassung mit Verkehrs-, Leitungs- und Nachrichtennetzen, auf die die Wehrmacht im totalen Krieg, wie Forsthoff selbst betonte,143 unbedingt angewiesen sein würde.

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B. Stier, Zwischen kodifikatorischer Innovation und materieller Kontinuität, in: Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus, hrsg. v. J. Bähr/R. Banken, 2006, 287. M. Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 187; D. van Laak, Infra-Strukturgeschichte, in: GuG 21 (2001), 371 f.; B. Stier, Zwischen kodifikatorischer Innovation und materieller Kontinuität, in: Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus, hrsg. v. J. Bähr/R. Banken, 2006, 288 f.; H. D. Hellige, Entstehungsbedingungen und energietechnische Langzeitwirkungen des Energiewirtschaftsgesetzes von 1935, in: Technikgeschichte 53 (1986), 147; s.a. J. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, 409 ff. E. Forsthoff, Kriegswirtschaft und Sozialverfassung, in: Kriegswirtschaftliche Jahresberichte, hrsg. v. K. Hesse, 1936, 51: »Zwei Wirtschaftsfaktoren sind als unmittelbar kriegswichtig […] herauszuheben: die Verkehrsmittel und die sogenannten Versorgungsbetriebe (insbesondere sind dies die Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke). Vor allem die staatliche Kontrolle der Kraftgewinnung, die sich im Ernstfall unschwer in einer Leitung verwandeln läßt, sichert dem Reich die Möglichkeit eines planmäßigen Einsatzes der technisch erfaßten Naturkräfte.«

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Doch die Energie- und Verkehrspolitik des Dritten Reiches steht auch für langfristige Modernisierungsprozesse und einen sich im Zuge der Industrialisierung ohnehin vollziehenden Strukturwandel. Sie bezeugt den konzeptionellen Übergang hin zu einem über die Rüstungsfrage weit hinausreichenden, spezifisch modernen Verständnis von Raumordnungspolitik durch Infrastruktur,144 das sich in Deutschland ebenso wie in allen industrialisierten europäischen Staaten schon in den zwanziger Jahren in Ansätzen etabliert hatte.145 Beispielhaft dafür ist ebenfalls das Energiewirtschaftsgesetz von 1935, dessen ordnungspolitische Grundkonzeptionen und rechtstechnische Instrumentarien auf alte Überlegungen aus dem Kaiserreich und vor allem der Weimarer Republik zurückgingen, denen die Interessen der nationalsozialistischen Rüstungspolitik dann aber die nötige Durchsetzungskraft verliehen.146 Nicht umsonst blieben sowohl das Energiewirtschaftsgesetz wie auch das Personenbeförderungsgesetz nach 1945 für lange Zeit Bestandteil der deutschen Wirtschaftsrechtsordnung, und nicht umsonst ähnelten sich die zeitgenössischen Regelungskonzeptionen in vielen westlichen Staaten.147 Verallgemeinert man die Aspekte, die Ernst Forsthoff an den energie- und verkehrsrechtlichen Gestaltungen für vorbildlich hielt und die in seinen Augen ihre spezifische Modernität ausmachten, so ergeben sich zugleich erste Konturen dessen, was er für einen angemessenen Rechtsrahmen der Daseinsverantwortung der staatlichen Verwaltung überhaupt hielt. Hier ging es ihm zuvörderst um die rechtliche Anknüpfung an die Sachaufgabe, an die »neuartigen sozialen Ordnungsbereiche« einer »gebundenen Wirtschaft«148. Auf diese Weise sollte die Frage der überkommenen Rechtsformen zu einer nachgeord-

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Grundlegend nunmehr A. Leendertz, Ordnung schaffen, 2008, bes. 92 ff.; ferner D. van Laak, Zwischen »organisch« und »organisatorisch«, in: Griff nach dem Westen, Bd. I, hrsg. v. B. Dietz u. a., 2003, 82 f.; ders., Der Begriff »Infrastruktur« und was er vor seiner Erfindung besagte, in: Archiv für Begriffsgeschichte XLI (1999), 296 f.; ders., Infra-Strukturgeschichte, in: GuG 21 (2001) 378 ff., 388 f.; ders., Garanten der Beständigkeit, in: Strukturmerkmale der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, hrsg. v. A. DoeringManteuffel, 2006, 172 ff. D. van Laak, Zwischen »organisch« und »organisatorisch«, in: Griff nach dem Westen, Bd. I, hrsg. v. B. Dietz u. a., 2003, 83; ausführlich H. D. Hellige, Entstehungsbedingungen und energietechnische Langzeitwirkungen des Energiewirtschaftsgesetzes von 1935, in: Technikgeschichte 53 (1986), 124 ff. B. Stier, Zwischen kodifikatorischer Innovation und materieller Kontinuität, in: Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus, hrsg. v. J. Bähr/R. Banken, 2006, 289 ff. spricht von einer »Kodifizierung energiepolitischer ›Vermächtnisse‹ des Kaiserreichs und Weimars«; ausführlich schon ders., Staat und Strom, 1999, 442 ff., 443. B. Stier, Zwischen kodifikatorischer Innovation und materieller Kontinuität, in: Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus, hrsg. v. J. Bähr/R. Banken, 2006, 299 ff. E. Forsthoff, Kriegswirtschaft und Sozialverfassung, in: Kriegswirtschaftliche Jahresberichte, hrsg. v. K. Hesse, 1936, 52.

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neten werden. Die alte Problematik der Abgrenzung zwischen staatlichen, kommunalen und privaten Trägern öffentlicher Wirtschaft sollte dadurch ihre Schärfe verlieren, Konstruktionen wie die »Anstalt in Privatrechtsform« überflüssig werden. Abstrakt gesprochen ging es also um die Ersetzung eines stratifikatorischen Differenzierungsmodells im Rahmen eines gestuften Staatsaufbaus durch ein Modell sektoral-funktionaler Differenzierung. Die durch den übergeordneten Sachbezug hergestellte Einheitlichkeit der Rechtsmaterie werde dann »nicht mehr durch die Wahl besonderer Unternehmensformen gesprengt werden« (VwL, 34) können. Die überkommenen Rechts- und Organisationsformen sollten aber nicht beseitigt werden. Sie konnten ja aus anderen Gründen durchaus noch ihren Sinn und Zweck haben. Nur durften sie für die Art der Aufgabenwahrnehmung nicht mehr ausschlaggebend sein. Weiterhin mußte für den jeweiligen Sozialbereich die »staatliche Führung« verwirklicht (VwL, 37) und die Verwaltung in den Stand gesetzt werden, die gesamten Leistungsverhältnisse auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge ihrer Daseinsverantwortung entsprechend zu gestalten (VwL, 33). Das ließ die eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung durch nichtstaatliche Träger zwar zu, erforderte aber in weitestem Umfang staatliche Aufsichts-, Überwachungsund Planungsbefugnisse. Man darf Forsthoffs Würdigung der neueren Wirtschaftsgesetzgebung freilich nicht in allen Teilen für bare Münze nehmen. Denn wenn er auch den bürokratischen Zentralismus, dem das Wirtschaftsrecht des nationalsozialistischen Staates entgegensteuerte, nach dem Stand der politisch-sozialen Entwicklung im Prinzip für unvermeidlich hielt – politisch mißtraute er ihm seit je her zutiefst (TS, 34 f.). Das entsprach tradierten konservativen Ordnungsvorstellungen. So wird auf den letzten Seiten der Verwaltung als Leistungsträger die rechtpolitische Frage nach den Chancen einer Dezentralisierung und Entbürokratisierung der Daseinsvorsorge aufgeworfen. Für wie entscheidend er sie hielt, läßt sich indessen erst aus seinen Stellungnahmen zur deutschen Nachkriegsverfassung ganz ersehen.149 Forsthoff gab sich über die politischen Perspektiven einer Dezentralisierung im Dritten Reich keinerlei Illusionen hin. Er wußte, daß jedenfalls im Angesichts des totalen Krieges an einen Rückzug des Staates aus der Daseinsvorsorge nicht zu denken war (VwL, 48 f.). Langfristig wollte er sich damit aber nicht abfinden. Wenn schon an der Notwendigkeit einer umfassenden Daseinsvorsorge an sich nichts zu ändern war,150 so sollte diese – bei einigermaßen 149 150

Dazu 6. Kap., S. 336 ff. VwL, 48: »Die Entwicklung der Daseinsvorsorge […] zeigt starke Momente der Zwangsläufigkeit. […] Nur eine wesentliche Umgestaltung des Besiedlungsbildes, insbesondere die Zurückdrängung der großstädtischen Lebensweise könnte hier eine Umwandlung anbahnen. Andererseits wird man kaum daran denken wollen, einer weiteren Entfaltung der Technik und technischer Versorgungsformen Einhalt zu gebieten. Die technischen

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konsolidierten sozialen Verhältnissen (VwL, 49) – wenigstens so weit wie möglich entstaatlicht werden. Als mögliche Träger der Daseinsvorsorge nannte er »genossenschaftlich zu denkende Gemeinschaft[en]« (VwL, 48), wobei er zugleich skeptisch war gegenüber einer Wiedereinsetzung der Gemeinden (VwL, 49). Er dachte also wohl an lokale Formen einer funktionalen Selbstverwaltung. Diese Genossenschaften sollten freilich auch langfristig nicht die staatliche Verwaltung aus der Daseinsverantwortung entlassen. Zwischen beiden Ebenen sollte vielmehr ein Regime der Verantwortungsteilung entwickelt werden, wobei die staatliche Verwaltung nicht selbst als Leistungsträger fungieren, sondern nur eine Gewährleistungsverantwortung übernehmen sollte: »Jedenfalls könnte der Rückzug des Staates aus der Daseinsvorsorge unter keinen Umständen je ein vollständiger sein. Die ihn heute teils explicit, teils implicit belastende Verantwortung für eine angemessene, insbesondere auch sozialgerechte Gestaltung der Leistungsbeziehungen ließe sich aber aus einer erststelligen in eine subsidiäre verwandeln, in dem Sinne, daß sich der Staat auf eine Oberaufsicht über unterstaatliche, gemeinschaftsförmige Leistungsträger beschränkt. Aber auch in diesem Falle würde eine staatliche Regelung nicht zu entbehren sein, welche die allgemeinen Grundsätze für die Gestaltung der Leistungsverhältnisse einheitlich festzulegen hätte, um der Autonomie der Leistungsträger gewisse notwendige Schranken zu setzen, die Rechtseinheit für das ganze Reich in einem gewissen Rahmen zu gewährleisten und den sonstigen, übergreifenden Interessen des Staates Genüge zu tun.« (VwL, 49)

So nahm Forsthoff einen Gedanken vorweg, der ein halbes Jahrhundert später und in einer völlig veränderten politischen Situation in der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft zur Entfaltung kommen sollte. Erst in den neunziger Jahren begann, angestoßen durch Aufgabenkritik und Steuerungsdiskussion, die Idee des verantwortungsteilenden Gewährleistungsstaates ihren Siegeszug.151 Sie gab der Verwaltungsrechtswissenschaft die Entwicklung eines gewährleistungstauglichen Rechtsrahmens auf und stellte sie dadurch vor eine neue, heute noch keineswegs abgeschlossene Aufgabe.152

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Versorgungsformen aber bedingen technische Anlagen, die schon aus ökonomischen Gründen kaum mehr von Einzelpersonen errichtet werden können, so daß eine Vorsorgebedürftigkeit des einzelnen in hohem Maße bestehen bleiben dürfte.« Siehe G. F. Schuppert, Die öffentliche Verwaltung im Kooperationsspektrum staatlicher und privater Aufgabenerfüllung, in: Die Verwaltung 31 (1995), 415 ff.; ders., Der Gewährleistungsstaat, in: Der Gewährleistungsstaat – ein Leitbild auf dem Prüfstand, hrsg. v. G. F. Schuppert, 2005, 11 ff. m.w.N. Grundlegend G. F. Schuppert, Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft, in: Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, hrsg. v. E. Schmidt-Aßmann u. a., 1993, 65 ff.; ders., Wandel der Staatsaufsicht, in: DÖV 1998, 831 ff.; ders., Verwaltungswissenschaft, 2000; ferner E. Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 22004, 172 ff.; A. Voßkuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, in: VVDStRL 62 (2003), 310 ff.

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III. »Neue Rechtsgarantien der individuellen Existenz« – Eigentum und Privatautonomie in der Ordnung der Daseinsvorsorge Die Kritik und die Ablösung der vom konstitutionellen Verwaltungsrecht geprägten Handlungs- und Organisationsformen war nur die eine Seite des rechtsdogmatischen Programms, mit dem Ernst Forsthoff der Daseinsverantwortung der öffentlichen Verwaltung juristische Formen geben wollte. Die andere Seite betraf die Frage nach der individuellen Rechtsstellung im Verwaltungsrecht, nach der Bedeutung der subjektiven Rechte. So wie das rechtsstaatliche Axiom vom Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes und mit ihm die Anstalt durch neue Gestaltungsformen der Leistungsverwaltung abgelöst werden sollte, so sollten neue Sicherungen der individuellen Existenz die überkommenen Grundrechte ersetzen. Die subjektiven öffentlichen Rechte hatten für das rechtsstaatliche System eine in jeder Hinsicht konstitutive Rolle bei der Verrechtlichung des StaatBürger-Verhältnisses gespielt.153 Der Rechtssatzbegriff und mit ihm das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes) waren in gewisser Weise Zweckschöpfungen, um Eingriffe in Freiheit und Eigentum zu begrenzen und in ein formalisiertes Verfahren zu verweisen. Das subjektive Eigentumsrecht und seine Beschränkungsformen bildeten so das Paradigma des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts. Diese strukturprägende Funktion der subjektiven Rechte zeigte sich negativ auch dort, wo es am Eingriff fehlte: Im besonderen Gewaltverhältnis existierte gerade keine gesicherte Rechtsstellung, weil sie sich nicht als eigentumsanaloges subjektives öffentliches Recht konstruieren ließ. Wie sollte nun die individuelle Rechtsstellung im Verwaltungsrecht gedacht werden, wenn die für das Paradigma des subjektiven Rechts bestimmende Verfassungsstruktur des Rechtsstaats nicht mehr existierte? Danach wird im folgenden gefragt, wobei insbesondere das Verhältnis von Forsthoffs Begriff der »Teilhabe« zum verwaltungsrechtlichen Eigentumsschutz in den Blick zu nehmen ist. 1. Eigentum und Verwaltung nach dem Ersten Weltkrieg Auch insoweit kam die Kritik Forsthoffs an der überlieferten Dogmatik nicht aus dem Nichts, wenn man die lange Diskussion um das Verhältnis von Eigentum, Vertragsfreiheit und Verwaltung bis 1933 zugrundelegt. Sowohl der Beginn wie auch das Ende des Weltkriegs hatten das Verhältnis von Eigentum und Verwaltung tiefgreifend umgestaltet. Die kriegswirtschaftliche Gesetzgebung hatte in einem bis dahin nicht gekannten Umfang Eingriffe in Eigen-

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tum und Vertragsfreiheit mit sich gebracht.154 Sie hatte die freie Wirtschaft mit einem dichten Netz an Lenkungsmaßnahmen überzogen, zu denen Ablieferungs-, Melde- und Verkaufspflichten gehörten, Beschlagnahmen, Zwangsstillegungen, Zwangskartelle und Massenenteignungen. Bald sprach man vom »Kriegssozialismus«155. Es begann jener Prozeß, den Franz Wieacker später als »Zerfall der inneren Einheit des Privatrechts« beschrieben hat.156 Der normative Ausgangspunkt des § 903 BGB: die freie Verfügung des Eigentümers in den Grenzen der Gesetze und der Rechte Dritter, wurde dadurch in hohem Grade fiktiv, der Vorbehalt des Gesetzes zum Hebel einer wesentlichen Veränderung der Eigentumsordnung. Nach dem Ende des Krieges änderte sich die Lage durch die Revolution und die Reichsverfassung noch einmal fundamental. Zwar nahm Art. 153 WRV die klassisch liberale Form der Eigentumsgewährleistung auf. Doch zum einen blieb ein großer Teil der durch den Krieg geschaffenen Eigentumsbeschränkungen in Kraft. Zum anderen stand die Eigentumsgarantie nun in einem gegenüber der Vorkriegszeit völlig neuen verfassungsrechtlichen Kontext. Das bürgerliche Eigentumsverständnis hatte im Kaiserreich in Justiz, Verwaltung und Monarchie mächtige Garanten gehabt. Mit deren Entmachtung und der Parlamentarisierung des Reichs wurde der Weg geöffnet für eine umfassende soziale Gestaltung der Wirtschafts- und Eigentumsordnung.157 Gerhard Anschütz sprach deshalb schon für die Weimarer Republik von einer »völlig geänderte[n] Lage des Verhältnisses der Staatsgewalt zum Einzelrecht« und stellte fest, »daß das Privateigentum der Staatsgewalt heute tatsächlich in weit höherem Maße ausgeliefert, also schutzbedürftiger ist als in den Zeiten vor der Staatsumwälzung und dem Weltkrieg. Der Krieg hat eine bis dahin niemals dagewesene Unterwerfung aller privaten Vermögensinteressen unter die Gebote des Staatswohls herbeigeführt, und dieser Kriegs- und Nachkriegssozialismus dauerte noch lange – er dauert, kann man sagen, auch heute noch – in anderen und wechselnden Formen, aber in wenig verminderter Stärke fort.«158 Im selben Maße also, in dem politische Zweckmomente unter dem Druck der sozialen Probleme und der staatlichen Notwendigkeiten in die Rechtsstruktur eindrangen, wurde das formale Verständnis des Eigentums als Autonomiegewährleistung geschwächt.159

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F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 21967, 545. T. Heuß, Kriegssozialismus, 1915. F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 21967, 543 ff.; s. a. H. Dörner, Erster Weltkrieg und Privatrecht, in: Rechtstheorie 17 (1986), 397 ff. unter Einbeziehung der Rechtsprechung; K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, 1988, 16 ff. H. Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 1975, 252 f. G. Anschütz, Die Verfassung des Deutsches Reichs vom 11. August 1919, 141933, 710. M. Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht (1989), in: Konstitution und Intervention, 2001, 276 f.

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Die Rechtswissenschaft und die Rechtsprechung der Weimarer Republik reagierten auf diese für die bürgerlichen Interessen so überaus bedrohliche Lage mit einem der wohl folgenschwersten dogmatischen Manöver in der Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts.160 In einem sofort berühmt gewordenen Aufsatz entwickelte Martin Wolff 161 eine Auslegung von Art. 153 WRV, nach der diese Bestimmung einen eigenständigen, vom bürgerlichen Recht unabhängigen Begriff des Eigentums enthalten sollte.162 Dieser umfasse nicht nur Eigentumsrechte im engeren Sinne, sondern auch andere absolute und obligatorische Privatrechte. Zudem sollte das Eigentum in diesem Sinne nicht nur gegen finale Eingriffe durch die Verwaltung, sondern auch gegen andere Beeinträchtigungen und, dies vor allem, gegen Beschränkungen der Eigentümerrechte durch den Gesetzgeber geschützt sein. Die Befugnis des Gesetzgebers sollte sich darauf beschränken, innerhalb des privatrechtlichen Systems den Inhalt des Eigentums auszugestalten, ohne dabei grundlegende Eigentümerinteressen zu verletzen.163 Das Reichsgericht und Rechtswissenschaft haben diese neue Lehre rasch aufgegriffen und mit der Zeit noch erheblich erweitert.164 Selbst Gerhard Anschütz hat sich ihr nach anfänglichen Bedenken angeschlossen.165 Die dogmatischen Folgen betrafen vor allem das Enteignungsrecht.166 Die für das Sacheigentum geprägte Form der Enteignung durch finalen Einzelakt aufgrund Gesetzes war für andere vermögenswerte Rechte weniger brauchbar, da solche Rechtspositionen kaum je durch finalen Einzelakt entzogen wurden, sondern unmittelbar im Wege der Gesetzgebung geschaffen und ausgestaltet wurden und wieder entfielen oder als bloße Nebenfolge des Verwaltungshandelns beeinträchtigt wurden. Um die Möglichkeit einer entschädigungspflichtigen Enteignung auch für solche schlichten Vermögensrechte konstruktiv zu

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Schon C. Schmitt, Die Auflösung des Enteignungsbegriffs (1929), in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, 1958, 110, bemerkte, daß durch die Spruchpraxis »ein völlig neues Rechtsinstitut entstanden« sei, und H. Rittstieg, Art. 14/15 (2001), in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Loseblattsammlung, Rdnr. 13 spricht mit Recht von einer »radikale[n] Auf- und Umwertung« der Eigentumsgewährleistung unter der Weimarer Reichsverfassung«. Siehe ferner A. von Brünneck, Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, 1984, 39 ff. Siehe T. Hansen, Martin Wolff (1872–1953), 2009. M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum, in: Festgabe der Berliner Juristischen Fakultät für Wilhelm Kahl, 1923, Teil IV. Zuerst aufgegriffen hat diesen Gedanken das bezeichnenderweise in Auseinandersetzung mit der Inflationsgesetzgebung entstandene Rechtsgutachten von H. Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, 1924. M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum, in: Festgabe der Berliner Juristischen Fakultät für Wilhelm Kahl, 1923, Teil IV, 5 f. Siehe die Nachweise bei W. Weber, Eigentum und Enteignung, in: Die Grundrechte, Bd. II, hrsg. v. F. L. Neumann u. a., 1954, 339 ff. G. Anschütz, Die Verfassung des Deutsches Reichs vom 11. August 1919, 141933, 708 ff. unter ausdrücklicher Abweichung von seiner zuvor vertretenen Ansicht. D. Grimm, Die Entwicklung des Enteignungsrechts unter den Einfluß der Industrialisierung, in: Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, 286.

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bewerkstelligen, mußte deswegen zum einen die Enteignung durch Gesetz neben der Enteignung aufgrund Gesetzes zugelassen werden.167 So sollte es eine Entschädigungspflicht auslösen, wenn der Gesetzgeber in unzumutbarer Weise den Kern des Eigentumsinstituts berührte oder wenn Beeinträchtigungen durch die Verwaltung den Betroffenen in unzumutbarer Weise belasteten. Folgerichtig gestand sich insoweit die Rechtsprechung ein Prüfungsrecht gegenüber formellen Gesetzen zu.168 Als materiellen Maßstab der Zulässigkeit der Enteignung zog sie mehr und mehr die vagen Kategorien des »öffentlichen Interesses« und der »Zumutbarkeit« heran.169 Carl Schmitt konnte diese Rechtsprechung 1929 als Auflösung des substantiellen Eigentums- und des ihm zugeordneten Enteignungsbegriffs charakterisieren.170 Man kann ohne Übertreibung feststellen, daß damit – an der Verfassung vorbei – wiederum eine den Interessen des Bürgertums durchaus entsprechende Eigentumsordnung etabliert wurde. Martin Wolff hatte seine neue Auslegung ausdrücklich mit der Begründung versehen, sie biete Schutz gegen »linksliberale« und »kommunistische« Gesetzgebung.171 Und Otto Kirchheimer bemerkte in einer Streitschrift gegen die Enteignungsrechtsprechung des Reichsgerichts völlig zu Recht: »Da das Bürgertum fürchten muß, daß im Parlament heute eine seinen Privatinteressen feindliche Eigentumsgesetzgebung zustande kommt, wird die diesbezügliche Gesetzgebung einer Instanz unterworfen, die dem Bürgertum günstiger schien.« 172 Denn dieses Bürgertum befand sich in einer durch Krieg und Inflation durchgreifend veränderten Lage. Die Krisenjahre hatten den ökonomisch-sozialen Strukturwandel in Deutschland dramatisch beschleunigt und einen für die moderne Gesellschaft prägenden Sachverhalt schnell zu Bewußtsein gebracht: die Bedeutungszunahme bloß obligatorischer zulasten von absoluten Rechten. In diesem Sinne verstand auch Ernst Forsthoff die Bedeutung der neuen Lehre Martin Wolffs, wenn er sie rückblickend als »eine Induktion« bewertete, »welche folgerichtig einer neuen Sachlage Rechnung trug. Gewiß dürfte es für die neue Interpretation des Eigentumsschutzes nicht ohne Bedeutung gewesen sein, daß in der Zeit ihrer Entstehung die Stabilität der Sachwerte […] und die Labilität der bloßen, an den jeweiligen Geldwert gebundenen Forderungsrechte, das typische Merkmal der Währungskrisen, zum

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Dazu C. Bumke, Eigentum, in: Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht, hrsg. v. H. Münkler/K. Fischer, 2002, 196 ff. RGZ 111, 320 (322 ff.). M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 212. C. Schmitt, Die Auflösung des Enteignungsbegriffs (1929), in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, 1958, 110. M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum, in: Festgabe der Berliner Juristischen Fakultät für Wilhelm Kahl, 1923, Teil IV, 6. O. Kirchheimer, Die Grenzen der Enteignung (1930), in: Funktionen des Staats und der Verfassung, 1972, 268 f.

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ersten Male in Erscheinung trat. Die Situation legte es nahe, für die obligatorischen Rechte den gleichen Eigentumsschutz zu fordern, der den dinglichen Rechten mit der Eigentumsgarantie gewährt war. Dies um so mehr, als die Vermögensstrukturen sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts eindeutig von den dinglichen Rechten weg und hin zu den obligatorischen Rechten entwickelt haben.« (Lb VI, 278)

Nimmt man dies hinzu, so war der Befund Kirchheimers zutreffend, der von einer »ungeheure[n] Erstarrung« 173 der Idee des Privateigentums sprach und meinte: »Der Schutz vor individuellen Expropriationsakten wandelt sich in einen Schutz aller erworbenen Rechte überhaupt, in eine richterliche Sanktionierung des Status quo.« 174 Dies nämlich war mit Blick auf die später von Forsthoff gezogenen Konsequenzen das Entscheidende der Entwicklung der Eigentumsgarantie unter der Weimarer Reichsverfassung. Sie war der Versuch, das Ganze der vermögensrechtlichen Beziehung des einzelnen zur Verwaltung noch einmal auf der Basis eines einheitlichen Eigentumsinstituts abzubilden und für die Gestaltung dieser vermögensrechtlichen Beziehungen an einem einheitlichen subjektivrechtlichen Ausgangspunkt festzuhalten. Denn vom so verstandenen Eigentumsbegriff her war auch kein Grund mehr ersichtlich, nicht auch öffentlichrechtliche Rechtsstellungen, etwa rentenversicherungsrechtliche Ansprüche unter Enteignungsschutz zu stellen, da diese für die individuelle Existenz kaum von minderer Bedeutung waren. Zwar hat die Rechtsprechung bis zum Ende der Weimarer Republik diese Konsequenz nicht mehr gezogen.175 Doch sie hatte sich kräftig angedeutet176 und wurde alsbald nach dem Krieg nachgeholt.177 2. Franz Wieackers Materialisierung des Eigentumsbegriffs Die dynamische Entwicklung des verfassungsrechtlichen Eigentumsinstituts fand 1933 ein vorläufiges Ende. Die nationalsozialistische Rechtswissenschaft fand sich in der Mehrheit rasch zusammen zu einer an der differenzierten Problematik des Eigentumsbegriffs nicht mehr interessierten, jedoch um so aggres173

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Ebd., 293. Kirchheimers Kritik betraf vor allem die Verunmöglichung demokratischer Sozialgestaltung durch den Gesetzgeber durch die Enteignungsrechtsprechung und ihre Tendenz, »alle erworbenen Rechte wahllos und ohne Beziehung zu den Notwendigkeiten und Bedürfnissen der Gegenwart mit einer unverbrüchlichen Sanktion, mit einem Panzer gegen den Gesetzgeber auszustatten« (ebd., 293 f., Hervorhebung nicht im Original); zu dieser Kritik C. Bumke, Eigentum, in: Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht, hrsg. v. H. Münkler/K. Fischer, 2002, 199, 202 f. O. Kirchheimer, Reichsgericht und Enteignung (1930), in: Von der Weimarer Republik zum Faschismus, 1976, 81. Dazu W. Weber, Öffentlich-rechtliche Rechtsstellungen als Gegenstand der Eigentumsgarantie in der Rechtsprechung, in: AöR 91 (1966), 382. R. Stödter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, 1933, 159 ff. BGHZ 6, 270 (276).

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siveren Kampagne gegen subjektive Rechte im allgemeinen und das »liberalistische« Eigentumsverständnis im besonderen.178 Auch stellte sie namentlich die Enteignungsdogmatik fast vorbehaltlos in den Dienst der diskriminierenden Konfiskationen des Regimes oder deduzierte ihr Eigentumsverständnis schlicht aus der gängigen Bauernmythologie.179 Doch unterschwellig ging die nach dem Ersten Weltkrieg begonnene Debatte unter veränderten Vorzeichen natürlich weiter. Wie hätte es auch anders sein sollen? Schließlich war das sachliche Problem einer angemessenen juristischen Konzeption des Vermögensschutzes in einer nicht mehr durch Sachbesitz, sondern durch Arbeit und die durch sie erworbenen Forderungsrechte strukturierten Gesellschaft mit einer die Vermögensverfassung dauernd beeinflussenden und regulierenden Verwaltung durch das Ende der alten Verfassung nicht beseitigt. Rechtsgeschichtlich verhält es sich im Gegenteil so, daß durch die starke Ausweitung, Entformalisierung und also Politisierung des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes unter der Weimarer Reichsverfassung die umgekehrte Politisierung in der nationalsozialistischen Zeit in gewisser Weise überhaupt erst vorbereitet worden war. So konnten die »Rechtserneuerer« die seit dem Ersten Weltkrieg das Eigentums- und Enteignungsrecht beherrschenden begrifflichen Probleme als »Rückzugsgefecht des späten Individualismus«180 verhöhnen und das wirtschafts- und sozialpolitische Scheitern der Republik der hemmenden Wirkung ihrer »liberalistischen« Eigentumsverfassung anlasten.181 Zugleich aber sahen sie in der Nachkriegsentwicklung ein

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Statt vieler H. Krüger, Volksgemeinschaft statt subjektiver Rechte, in: Dt. Verwaltung 1937, 37; T. Maunz, Das Ende des subjektiven öffentlichen Rechts, in: ZStW 96 (1936), 71; s.a. W. Schönfeld, Der Kampf wider das subjektive Recht, in: ZAkDR 4 (1937), 107; vgl. die Nachweise bei M. Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 114 ff.; H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, 108 ff.; B. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 62005, 336 ff. Dazu K. Kroeschell, Die nationalsozialistische Eigentumslehre, in: Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus, hrsg. v. M. Stolleis/D. Simon, 1989, 51 ff.; J. Weitzel, Nationalsozialistische Agrarideologie und Landwirtschaftsrecht, in: Wirtschaftskontrolle und Recht in der nationalsozialistischen Diktatur, hrsg. v. D. Gosewinkel, 2005, 157 ff. m. umf. Nachw.; U. Mai, Gesteuerte Tradition, in: Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus, hrsg. v. J. Bähr/R. Banken, 2006, 425 ff.; M. Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 111 ff.; aus der anspruchsvolleren nationalsozialistischen Literatur sind zu nennen W. Weber, Der Weg zum neuen Enteignungsrecht, in: W. Weber/ F. Wieacker, Eigentum und Enteignung, 1935, 11 f.; F. Wieacker, Eigentum und Enteignung, in: F. Wieacker/W. Weber, Eigentum und Enteignung, 1935, 52 f.; E. R. Huber, Die Rechtsstellung des Volksgenossen, in: ZgStW 96 (1936), 457; ders., Verfassung, 1937, 223 f.; A. Köttgen, Deutsche Verwaltung, 31944, 196. F. Wieacker, Eigentum und Enteignung, in: F. Wieacker/W. Weber, Eigentum und Enteignung, 1935, 46. E. Forsthoff, Kriegswirtschaft und Sozialverfassung, in: Kriegswirtschaftliche Jahresberichte, hrsg. v. K. Hesse, 1936, 49 f.; ferner W. Weber, Der Weg zum neuen Enteignungsrecht, in: W. Weber/F. Wieacker, Eigentum und Enteignung, 1935, 12 f.; s. a. F. Wieacker, Eigentum und Enteignung, in: F. Wieacker/W. Weber, Eigentum und Enteignung, 1935, 5.

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»Signal für die beginnende radikale Umwertung der Grundbegriffe« 182, aus dem heraus sie ihr eigenes rechtspolitisches Programm begründeten. Es ist weder möglich noch erforderlich, die unter diesen Vorzeichen stehende eigentumsrechtliche Diskussion der nationalsozialistischen Zeit insgesamt zu erörtern.183 Einzugehen ist hier lediglich auf die theoretisch anspruchsvollste Neukonzeption des Eigentums während des Dritten Reichs, die der damals noch keine dreißig Jahre alte Franz Wieacker entwickelte, und auch dies nur unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses von Eigentum und Verwaltung. Vor der Folie seines Eigentumsverständnisses wird Forsthoffs abweichende Lösung am deutlichsten. Die Ausgangspunkte unterschieden sich nicht. Auch Wieacker nahm in seiner 1935 erschienen Schrift Wandlungen der Eigentumsverfassung selbstverständlich an, daß zum formalen Sacheigentumsschutz unter den Bedingungen einer hoheitlich regulierten Sozialordnung kein Weg mehr zurückführen würde.184 Die moderne Sozialordnung beruhe vielmehr auf einer umfassenden »Indienststellung« des Eigentums für politische Ordnungsaufgaben. Die dadurch angestoßene Entwicklung des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes seit dem Ersten Weltkrieg bewertete er allerdings nicht so skeptisch wie es Carl Schmitt und Ernst Forsthoff taten, sondern hob die sozialpolitischen Funktionen hervor, die das Eigentums- und das Enteignungsinstitut in dieser Zeit angenommen hatten. Da das Erfordernis einer totalen Beplanung der Wirtschaft mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht mehr zu kontrollieren gewesen sei, sei der Bedarf an andersartigen Sicherungen der persönlichen wirtschaftlichen Stellung des nun vom Staat immer abhängigeren einzelnen entstanden. Das zeige etwa die Lehre von der generellen Enteignung.185 Zwar sei die jüngere Entwicklung des Eigentumsrechts noch in den rechtsstaatlichen Formen befangen geblieben und daher nicht folgerichtig gewesen. Sie könne aber »auch bereits versorgungsstaatlich [!] im Sinne einer allgemeinen Wohlfahrtsgarantie für den in seiner Existenz bedrohten einzelnen verstanden werden.«186 Wieackers Ziel war es daher, den sozialstaatlichen Impuls der jüngeren Entwicklung des Eigentumsrechts festzuhalten, die rechtsstaatlichen Formen jedoch abzustreifen und so zu juristischen Grundbegriffen einer »material ge182

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F. Wieacker, Eigentum und Enteignung, in: F. Wieacker/W. Weber, Eigentum und Enteignung, 1935, 47. Zu ihr neuerdings vor allem T. Keiser, Eigentumsrecht in Nationalsozialismus und Fascismo, 2005. F. Wieacker, Wandlungen der Eigentumsverfassung (1935), in: Zivilistische Schriften (1934– 1942), 2000, 25; s. a. ders., Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), in: Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 1974, 13. F. Wieacker, Eigentum und Enteignung, in: F. Wieacker/W. Weber, Eigentum und Enteignung, 1935, 45 f. Ebd., 47.

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rechte[n] gebundene[n] Eigentumsordnung einer regenerierten Gemeinschaft«187 zu gelangen. Den »liberalen« ersetzte er durch einen »lebensnahen«, »gebundenen«, teils auch kurz: »deutschen« oder »volksgenössischen«188 Eigentumsbegriff.189 Dem Begriff des Eigentums, das er mit der bürgerlichrechtlichen Tradition als »Garantie einer positivistischen Legalität«190 verstand, stellte er mit dem »Eigen« 191 einen dialektischen Gegenbegriff zur Seite, der eine höhere, intensivere Form der persönlichen Zugehörigkeit meinen sollte, eine substantielle »Ordnungslage«, die ihren Grund in der besonderen Aufgabe und Stellung des einzelnen »Eigners« innerhalb hoheitlicher Ordnungen habe.192 Das »Eigen« wurde dadurch zum Zentralbegriff des Verhältnisses von Eigentum und Verwaltung. Denn die rechtlichen Gehalte des »Eigens« entwickelte er bereichsspezifisch aus der jeweiligen Eingliederung des Eigentums in besondere Sozialbereiche,193 also aus dem, was Carl Schmitt die konkreten Ordnungen und Gestaltungen des Staates genannt hatte.194 Grund und Grenze des Eigentumsschutzes war so die jeweilige soziale Funktion des Trägers, aus der sich die Zuweisung von Sachgütern an den einzelnen als Eigentum für Wieacker legitimierte.195

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F. Wieacker, Wandlungen der Eigentumsverfassung (1935), in: Zivilistische Schriften (1934– 1942), 2000, 27. E. R. Huber, Verfassung, 1937, 211 ff., 221 ff.; ders., Die Rechtsstellung des Volksgenossen, in: ZgStW 96 (1936), 458; ähnlich ders., Die Gestalt des deutschen Sozialismus, 1934, 23; dazu T. Keiser, Eigentumsrecht in Nationalsozialismus und Fascismo, 2005, 93. Dazu m.w.N. T. Keiser, Formalismuskritik als Bezugsrahmen für den Vergleich faschistischer und nationalsozialistischer Rechtswissenschaft, in: Die andere Seite des Wirtschaftsrechts, hrsg. v. G. Bender u. a., 2006, 318. F. Wieacker, Wandlungen der Eigentumsverfassung (1935), in: Zivilistische Schriften (1934– 1942), 2000, 29; schwächer, aber ähnlich ders., Eigentum und Enteignung, in: F. Wieacker/ W. Weber, Eigentum und Enteignung, 1935, 51 f. Neben F. Wieacker, Eigentum und Enteignung, in: F. Wieacker/W. Weber, Eigentum und Enteignung, 1935, 48 ff. s. ders., Eigentum und Eigen, in: DR 1935, 496 ff.; dem folgte K. Larenz, Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens, 1938, 50; dazu T. Keiser, Formalismuskritik als Bezugsrahmen für den Vergleich faschistischer und nationalsozialistischer Rechtswissenschaft, in: Die andere Seite des Wirtschaftsrechts, hrsg. v. G. Bender u. a., 2006, 338. F. Wieacker, Eigentum und Enteignung, in: F. Wieacker/W. Weber, Eigentum und Enteignung, 1935, 50 f., 54. besonders deutlich ders., Wandlungen der Eigentumsverfassung (1935), in: Zivilistische Schriften (1934–1942), 2000, 31: »Von hier aus erscheint aus Eigentum nicht als totale Sachherrschaft, sondern als Zuweisung zu eigenverantwortlichem und sachgerechtem Verfahren mit dem Gegenstand.«; s. a. M. Brandt, Eigentum und Eigentumsbindung, in: Staatsrecht und Staatsrechtslehre im Dritten Reich, hrsg. v. E.-W. Böckenförde, 1985, 220 f. F. Wieacker, Wandlungen der Eigentumsverfassung (1935), in: Zivilistische Schriften (1934–1942), 2000, bes. 37 f.; ders., Eigentum und Enteignung, in: Zivilistische Schriften (1934–1942), 2000, 144 f. C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (1934), 32006. Vgl. B. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 62005, 352 f.

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Mit dieser Dialektik, die die überkommene Antinomie von subjektiver Berechtigung und objektiven Schranken auf der höheren Ebene des Eigens zusammenführte, schien für Wieacker auch das alte Problem der Enteignung sachgerecht lösbar. So sollten »Eigentumsbeanspruchungen« durch die Verwaltung ohne Unterschied ihrer juristischen Form bloße »Gestaltungen« 196 der jeweiligen Sozialbereiche sein, die grundsätzlich keine Kompensationspflichten auslösen sollten. Dem »gesteigerten Krafteinsatz des völkischen Lebens« durch »Wehrpflicht, Luftschutz, Arbeitsdienst, Autobahnen und andere gemeinnützige Unternehmen« sollte deswegen regelmäßig nichts entgegenzusetzen sein.197 Das galt, wie Ernst Rudolf Huber mit Wieacker behauptete, sowohl für dingliche Lasten aller Art als auch für Eingriffe in den Güterverkehr wie Preisfestsetzungen, administrativ diktierte Lieferungsbedingungen, Investitionspflichten und sogar für alle Ablieferungspflichten.198 Wieacker wollte auf diese Weise Entschädigungen nicht generell abschneiden. Kompensiert werden sollte allerdings nicht mehr der Verlust einer formalen Rechtsposition, sondern unzumutbare Einwirkungen auf die wirtschaftlichsoziale Stellung des einzelnen überhaupt.199 Auch sollte die Entschädigung nicht auf den wirtschaftlichen Wert der entzogenen Rechtspositionen lauten, weil »die Funktion der erschütterten Existenz nicht durch einen Kapitalwert vertretbar ist.« 200 Statt dessen schulde der Staat die Garantie der sozialen Stellung oder doch zumindest eine reale Kompensation für ihren Verlust, also die »Erhaltung der gliedschaftlichen Einordnung in einer entsprechenden konkreten Ordnungslage« beziehungsweise »die Wiederherstellung der erschütterten Ordnungslage in ihren alten Funktionen« 201, konkret etwa durch Zuweisung einer vergleichbaren beruflichen Stellung, eines anderen Betriebes oder durch Umsiedelung.202 Was hatte dies mit der Daseinsvorsorge zu tun? Franz Wieackers Neubestimmung des Verhältnisses von Eigentum und Verwaltung lief darauf hinaus, 196

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F. Wieacker, Eigentum und Enteignung, in: F. Wieacker/W. Weber, Eigentum und Enteignung, 1935, 55. Damit war, wie bereits A. Köttgen, Deutsche Verwaltung, 31944, 198, festhielt, die Unterscheidung von Enteignung und Eigentumsbindung aufgegeben. F. Wieacker, Eigentum und Enteignung, in: F. Wieacker/W. Weber, Eigentum und Enteignung, 1935, 60. E. R. Huber, Verfassung, 1937, 226 f. F. Wieacker, Eigentum und Enteignung, in: F. Wieacker/W. Weber, Eigentum und Enteignung, 1935, 62 spricht von der »Erschütterung der gliedschaftlichen Einordnung des Enteigneten«. Die Rechtsfolgen blieben freilich sehr unbestimmt, weitestgehend stellte Wieacker die Kompensationsleistungen in das freie Ermessen der Verwaltung, vgl. ebd., 61; ähnlich aus verwaltungsrechtlicher Sicht A. Köttgen, Deutsche Verwaltung, 31944, 200 unter besonderer Betonung der Kriegsopferentschädigungen, die Köttgen ebenfalls von der Lenkungsfunktion des Entschädigungsinstituts her verstand. F. Wieacker, Eigentum und Enteignung, in: F. Wieacker/W. Weber, Eigentum und Enteignung, 1935, 62. Ebd., 62 (Hervorhebung nicht im Original). Ebd., 62 f.

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die jeweils administrativ bestimmte Kategorie der sozialen Pflichtigkeit in den Begriff des Eigens selbst hineinzunehmen. Die Aufgabe der Verwaltung bestand darin, die Eigentumsbindungen durch Sach- und Funktionszuweisungen zu konkretisieren und so eine gerechte Eigentumsordnung durch hoheitliche Beplanung überhaupt erst zu erzeugen. Zutreffend nannte Arnold Köttgen dies im Anschluß an Wieacker die »unmittelbare Einschaltung der Verwaltung in die Eigentumsordnung«. Die Verwaltung stehe nunmehr als »Garant der neuen Eigentumsordnung« nicht mehr »außerhalb der Eigentumsordnung, in die sie lediglich ausnahmsweise in den Formen der Enteignung einzubrechen vermöchte, sondern nimmt unter den Gestaltungsfaktoren des modernen Wirtschaftslebens eine wesentliche Rolle ein.« 203 Das Eigentumsinstitut wurde dadurch umgedeutet zu einer Funktion hoheitlicher Verteilung und Gestaltung. Eine ähnliche Konzeption lag auch Ernst Rudolf Hubers Begriff der »volksgenössischen Rechtsstellung« 204 zugrunde. Die Rechtsstellung, die Wieacker dem einzelnen zusprach, war aufgeladen mit den Bindungen derjenigen Aufgaben, die er im Gesamt einer dem Staat dienstbaren dynamisierten Wirtschaft erfüllen sollte. Nur auf diese Weise erschien es Wieacker möglich, die vermögensrechtliche Stellung des einzelnen im Sozialgefüge weiterhin unter einem Gesamtbegriff wie dem es Eigens zu bündeln und ein Privatrecht auch jenseits des subjektiven Eigentumsbegriffes zu retten. Die vermögensrechtliche Stellung des einzelnen innerhalb einer auf totaler Indienstnahme durch den Staat beruhenden Wirtschaftsverfassung sollte konstruktiv mit spezifisch eigentumsrechtlichen Mitteln bewältigt werden, die übergreifende Ordnungsfunktion der Eigentumsidee sollte als solche bestehen bleiben.205 3. Forsthoffs Kritik der dynamisierten Eigentumsordnung und das Problem gesicherter Teilhaberechte Nicht, daß Forsthoff das Ideal einer dynamisierten Wirtschaftsrechtsordnung nicht geteilt hätte. Ganz wie Wieacker erblickte auch er im Festhalten an einer umfassenden bürgerlichen Eigentumskonzeption ein wesentliches Hindernis einer den modernen Verhältnissen angemessenen Daseinsverantwortung der Verwaltung. Doch schon von der Entwicklung der Eigentumsverfassung während der Zwischenkriegszeit zeichnete Forsthoff ein wesentlich anderes Bild, in

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A. Köttgen, Deutsche Verwaltung, 31944, 196. E. R. Huber, Die Rechtsstellung des Volksgenossen, in: ZgStW 96 (1936), 438 ff., 457; ders., Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, 1939, 371 ff. Ausführlich T. Keiser, Eigentumsrecht in Nationalsozialismus und Fascismo, 2005, 87 ff.; ders., Formalismuskritik als Bezugsrahmen für den Vergleich faschistischer und nationalsozialistischer Rechtswissenschaft, in: Die andere Seite des Wirtschaftsrechts, hrsg. v. G. Bender u. a., 2006, 333 ff., 337 f.

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dem seine dogmatische Position bereits angelegt ist. Wieacker hatte diese Entwicklung als Ausweitung der unformalen hoheitlichen Bindungen, als Materialisierung des Eigentums gedeutet. Forsthoff dagegen bestritt, daß sich die Veränderung überhaupt vom Privatrecht her verstehen und einordnen lasse. Er sah diese »Bindungen« als eine dem Eigentum gegenüber ganz selbständige Rechtsschicht, die sich neben den privaten Rechten entwickelt habe und einer eigenen Logik folge. Diese andere, auf Lenkung gerichtete Rechtsschicht zeichnete sich für ihn dadurch aus, daß sie das Eigentumsregime nicht modifiziert, sondern gleichsam nur überlagert, ohne sich mit ihm systematisch und begrifflich, etwa in Form von »Schrankenbestimmungen«, zu verbinden. Die dynamische Verteilungsfunktion des Verwaltungsrechts siedelte Forsthoff so in gegenüber den Eigentumsrechten selbständigen Rechtsmaterien an. Es ist dies im wesentlichen der Rechtsbereich der Daseinsvorsorge, der nicht nach dem Prinzip des subjektiven Rechtsschutzes, sondern nach dem Prinzip der Teilhabe strukturiert sein sollte. In dem sehr wichtigen Aufsatz von 1936 über Kriegswirtschaft und Sozialverfassung heißt es: »Der Übergang von der freien zur gebundenen Wirtschaft hat sich nicht durch eine Verlagerung der Eigentumsverhältnisse vollzogen. Die Eigentumsordnung ist an dem Vorgang […] so gut wie gar nicht beteiligt. Die neuartigen sozialen Ordnungsbereiche, die sich zu der gesamten Sozialverfassung zusammenfügen, zeichnen sich durch einen hohen Grad an Selbständigkeit gegenüber den Eigentumsrechten aus. Nicht in dem Sinne, daß sie über die Eigentumsrechte hinweggehen, sondern insofern, als die Eigentumsrechte für die Art ihres Funktionierens nicht mehr ausschließlich bestimmend sind. Es mag zur Verdeutlichung auf die Arbeits- und Betriebsverfassung verwiesen werden […]. Die zentrale Ordnungseinheit […] ist nicht mehr das Unternehmen, sondern der Betrieb, das heißt eine Wirtschaftseinheit, die nicht mehr von den Eigentumsrechten her begriffen werden kann, sondern von der planmäßig in Leistung umgesetzten Gemeinschaftsarbeit her verstanden werden muß. Der Betriebsbegriff ist also dadurch gewonnen worden, daß das Unternehmen im überkommenen Sinne lediglich in seiner sozialen Funktion begriffen wird. Die Bedeutung der Eigentumsverhältnisse für die Arbeitsverfassung erfuhr damit eine starke und prinzipiell wichtige Relativierung.« 206

Auch rechtsdogmatisch verfuhr Forsthoff anders als Wieacker. Eine direkte Kritik an dessen Lehre findet sich bei ihm indessen nicht. Aber ihm dürften die kritischen Standpunkte zuzurechnen sein, die zwei seiner Schüler gegen Wieacker bezogen und die geradewegs auf Forsthoffs Position zuliefen. Gemeint sind die 1936 und 1938 erschienenen Königsberger Dissertationen von Marianne Partsch 207 und Hans Kutscher.208 Marianne Partsch war in Königsberg wissenschaftliche Hilfskraft Ernst Forsthoffs und heiratete später Wilhelm Grewe. Hans Kutscher (1911–1993) war ab 1935 gemeinsam mit Wilhelm Grewe

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E. Forsthoff, Kriegswirtschaft und Sozialverfassung, in: Kriegswirtschaftliche Jahresberichte, hrsg. v. K. Hesse, 1936, 52. M. Partsch, Eigentum und Verfügungsbefugnis in der Rohstoffwirtschaft, 1936. H. Kutscher, Die Enteignung, 1938.

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Assistent Ernst Forsthoffs in Hamburg und Königsberg, ging nach der Promotion ins Reichswirtschaftsministerium, war 1955 bis 1970 Bundesverfassungsrichter, anschließend Richter, später bis 1976 Präsident des Europäischen Gerichtshofs.209 Marianne Partsch unterzog alle Versuche, der »modernen wirtschaftlichen und sozialen Wirklichkeit im Hinblick auf den Eigentumsbegriff […] gerecht [zu] werden« 210, einer eingehenden Kritik. Die bürgerliche Verkehrswirtschaft sei nun einmal zerschlagen und dem Staat gänzlich untergeordnet.211 Damit ende auch die Zentralität des Eigentums. Wieacker hielt sie vor, mit seiner Bindung des Eigentümers an die »konkrete Ordnung« der jeweiligen Sache die Schwierigkeiten »formale[r] und abstrakte[r] Begriffe« des Gesetzesvorbehalts lediglich auf eine andere Ebene zu verschieben.212 Damit verschleiere Wieacker den Ursprung der eigentlichen Bindungen wirtschaftspolitisch relevanter Ressourcen, nämlich die »von außen kommenden [d. h. eben nicht aus der Sache selbst ableitbaren] Anordnungen« der jeweiligen Verwaltungsstellen,213 also Herstellungs- und Dokumentationspflichten, Verarbeitungs- und Verwendungsverbote, Preisfestsetzungen, Einfuhr- und Handelsbeschränkungen.214 Ein materialisierter Begriff des Eigentums sei deswegen in keiner Weise geeignet, »die unvergleichlich komplizierteren Tatbestände der modernen Welt, d. h. der Welt des industrialisierten und rationalisierten Staates mit seinem ständig wachsenden bürokratischen Verwaltungsapparat und seiner sich ständig intensivierenden hochkapitalistischen Wirtschaft juristisch zu erfassen.« 215 Ähnlich argumentierte Hans Kutscher. In einer Rechtsordnung, die auf umfassender staatlicher Planung und Vorsorge beruhe, spiele »die Regelung der Frage, wer Eigentümer ist, eine geringe Rolle«216. Die staatliche Steuerung der Verteilung vollziehe sich nicht durch die Beschränkung subjektiver Rechte, sondern durch die Verteilung von einzelnen, nicht mehr an die Eigentumssubstanz gebundenen Verfügungsbefugnissen.217 Der »Ansatzpunkt für die Regelung, die eine geordnete Wirtschaft erfordert, [ist] nicht die Substanz des

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W. Grewe, Hans Kutscher, in: Festschrift für Hans Kutscher, hrsg. v. W. Grewe u. a., 1981, 9 f.; U. Everling, Hans Kutscher †, in: JZ 1994, 35. M. Partsch, Eigentum und Verfügungsbefugnis in der Rohstoffwirtschaft, 1936, 66. Ebd., 50. Ebd., 67 f. Ebd., 68 f. Ebd., 52 ff., 69: »Die Verpflichtung zu einem bestimmten Handeln […] entspringt nicht dem Eigentum – ist auch nicht Inhalt des Eigentums –, sondern ist aus diesbezüglichen Wirtschaftsgesetzen und Anordnungen der Überwachungsstellen herzuleiten.« Ebd., 66. H. Kutscher, Die Enteignung, 1938, 109. Ebd., 61: »In der Regel wendet sich […] das Interesse des Staates […] nicht der Eigentumssubstanz, sondern der Verfügungsbefugnis zu«; ähnlich M. Partsch, Eigentum und Verfügungsbefugnis in der Rohstoffwirtschaft, 1936, 63 f.

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Eigentums […], sondern die Verfügungsmacht über das Eigentum.« 218 Die vielfältigen, in der Kriegswirtschaft entstandenen und über das Eigentum hinweggehenden Interventionsformen 219 hätten sich völlig außerhalb der Eigentumsrechte bewegt und seien insofern »die ersten Anzeichen der grundsätzlichen Wandlung der Wirtschaftsverfassung« gewesen, »die ein Teil des Gesamtprozesses der Ablösung und Zerstörung der Werte des 19. Jahrhunderts ist.« 220 Zwischen Bedürfnisbefriedigung und Eigentum bestehe kein notwendiger Zusammenhang mehr, seit »unsere Bedürfnisse in zunehmendem Maße mit Hilfe von ›Anschlüssen‹ befriedigt werden.« 221 Auf diese Weise ging auch Ernst Forsthoff vor. Er gab sich keine Mühe, die Bindungen des Eigentums in den Begriff desselben hineinzunehmen oder die Teilhabe aus den subjektiven Rechten abzuleiten. Er identifizierte den Eigentumsbegriff und den des subjektiven Rechts schlechthin mit der liberalen Idee des Privateigentums, wie sie sich in der verfassungsrechtlichen Tradition bis zum 19. Jahrhundert herausgebildet hatte. Eigentum beruhe danach wie alle »echten« subjektiven Rechte auf der Sicherung einer substantiellen Sphäre der Autonomie und sei auf einen spezifisch rechtsstaatlichen Begriff der Enteignung aufgrund Gesetzes ausgerichtet. Es verschließe sich deshalb auch der Aufladung durch materiale Gehalte. Das Eigentum blieb in Forsthoffs Terminologie eine Rechtsfigur des beherrschten Lebensraums, die ihre Bedeutung in dem Maße verliert, in dem der effektive Lebensraum sich ausdehnt. Folglich konnte die Verteilungsfunktion der Rechtsordnung ihren Ort nur außerhalb des Eigentumsrechts erhalten. Andererseits aber setzte die Wahrnehmung der Daseinsverantwortung eine Umgestaltung der privaten Eigentumsverhältnisse nicht voraus, sondern lediglich die Einbindung des Eigentums in andersartige Disziplinierungen. Diese Überlegungen erstreckten sich neben dem Eigentum auch auf das andere Rechtsprinzip des beherrschten Lebensraums: die Vertragsfreiheit. Seit dem Weltkrieg hatte sich eine umfangreiche Literatur und Rechtsprechung zu den immanenten Grenzen der Privatautonomie entwickelt. So war der Kontrahierungszwang für monopolistische Anbieter bestimmter lebenswichtiger Güter von der Wissenschaft 222 und in mehreren Entscheidungen auch vom Reichsgericht 223 anerkannt worden.224 Die Argumente, die Forsthoff gegen 218 219

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H. Kutscher, Anmerkungen zum Energiewirtschaftsgesetz, in: DJZ 1936, 1011. H. Kutscher, Die Enteignung, 1938, 57: »Ablieferungszwang, Absatzzwang, Verwendungsverbote, Verwendungsgebote, Freigabe, Pflicht zur Erhaltung oder Bearbeitung, Verbote des Anschlusses von Verträgen über die beschlagnahmten Gegenstände usw.« Ebd., 66. Ebd., 119, Fn. 134. Grundlegend H. C. Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920. RGZ 132, 276; 143, 24, 32. Zu dieser Diskussion umfassend J. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, 162 ff., 183 ff.

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solche Versorgungsgarantien durch die Materialisierung des Vertragsrechts aufbot, entsprachen durchaus denen gegen die Materialisierung des Eigentumsrechts. Nicht nur sei der »soziale Raum des Vertrages […] in neuerer Zeit fraglos stark verengt« (VwL, 30) worden und der Ansatz bei der Rechtsfigur des Vertrages deswegen notwendig bloß defensiv. Das »Gebäude freier Vertragssysteme« stehe »heute nicht mehr in der alten Geschlossenheit da«. Auch könne im Bereich der Daseinsvorsorge von Privatrecht überhaupt »nicht mehr oder nur noch sehr bedingt gesprochen werden« (VwL, 28). Vor allem aber war die Privatautonomie genau wie das Eigentum für Forsthoff unlösbar gebunden an das Sozialmodell der subjektiven Freiheit, das sie durch alle Materialisierungen und Objektivierungen nicht abstreifen könne. Kontrahierungspflichten und Inhaltskontrollen konnten deswegen keinen angemessenen Rechtsrahmen für die Daseinsverantwortung des Staates abgeben. Hier gehe es um »Bindungen und Verantwortungen, welche der Vertrag vermöge seiner gesamten Struktur nicht in sich aufnehmen kann, welche also auf anderem Wege gesichert werden müssen.« (VwL, 31) 225 All dies bedeutete aber nicht, daß das künftige, entsubjektivierte Verwaltungsrecht die subjektiven Eigentumsrechte und die Figur des Vertrages nicht mehr brauchen würde und sie deswegen zu beseitigen wären. Überhaupt hat Forsthoff keines der rechtsstaatlichen Institute als solches dogmatisch verworfen. Wie im vorigen Kapitel erörtert, hätte dies auch nicht der Vorstellung entsprochen, die er von einer neuen verwaltungsrechtlichen Systembildung hatte.226 Die Institute des bürgerlichen Rechts konnten sehr wohl als untergeordnete »Gestaltungsvarianten innerhalb einer einheitlichen Ordnung« (VwL, 40) ihren Platz haben. Jedoch nur als Gestaltungsvarianten, aus denen alle mit dem Eigentums- und Vertragsbegriff verbundenen Konnotationen von subjektiver Freiheit entfernt sind und die unter der neuen Ordnungsidee der Daseinsverantwortung integriert werden. Die rechtsstaatlichen Institute werden dadurch, wie der bei Forsthoff stetig wiederkehrende Terminus lautet, zu technischen Instituten.227 Sie bringen bestimmte Rechtsfolgen hervor und sind

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Hervorhebung nicht im Original. S.o., 3. Kap., S. 142 ff. VwL, 31: »Es soll hier nicht einer Beseitigung der Vertragsform überhaupt das Wort geredet werden; sie leistet auch dort noch brauchbare Dienste, wo das gekennzeichnete soziale Substrat des Vertrages [scil: die Autonomie innerhalb der Gesellschaft] fehlt, denn der Vertrag ist insoweit ein technisches Institut unserer Rechtsordnung, dessen Auftreten sozusagen automatisch gewisse Rechtsfolgen (wie die Zulässigkeiten des Rechtswegs) auslöst und darum seinen Nutzen hat. Aber es ist wohl notwendig, die Grenzen dessen, was ein solchermaßen zu einem technischen Institut erstarrter Begriff leistet, zu erkennen.« Im gleichen Sinne und unter unmittelbarer Bezugnahme auf Forsthoff schrieb später F. Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1953), in: Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 1974, 24, den Tendenzen der neueren Vertragsrechtsdogmatik sei »gemeinsam, daß der Vertrag nicht mehr als individuelle und spontane Willensbetätigung, sondern als Vollzug

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

dadurch bestimmten Zwecken dienlich, aber die geistige Konzeption des Rechts bestimmen sie nicht mehr. Die Eigentumsordnung und das Vertragsrecht bleiben also nach Forsthoffs Vorstellung im Übergang zur Daseinsverantwortung der Verwaltung formal unverändert, werden aber in den »Gesamtzusammenhang der Leistungsnotwendigkeiten und Leistungsbedingungen« der Daseinsvorsorge (VwL, 40) eingestellt und dadurch ihrer alten konstitutiven Bedeutung enthoben. So heißt es über die Funktion der Vertragsfreiheit für das Recht der Leistungsverwaltung: »Aus den Trümmern der entleerten Privatautonomie und den öffentlichen Gestaltungsnotwendigkeiten entsteht eine hoheitliche Ordnung. In diese hoheitliche Ordnung ist die rechtsgeschäftliche Privatautonomie in dem verbleibenden Rest einbezogen. Dieser Rest beschränkt sich auf die dem einzelnen überlassene Entscheidung, ob er die ihm gebotene Gelegenheit, Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge in Anspruch zu nehmen, ergreifen will oder nicht. Ergreift er sie, so geschieht dies normalerweise, aber nicht notwendig, im Wege eines Vertrages, auf dessen Ausgestaltung er grundsätzlich keinen Einfluß zu nehmen vermag. Dadurch, daß der Vertrag in seinem Inhalt bis in die Einzelheiten festliegt, ergibt sich auch hier eine weitgehende Annäherung an die in obrigkeitlichen Formen gewährte Anstaltsnutzung. Der wesentliche Unterschied liegt in der Verschiedenartigkeit der Zuständigkeiten. Der Vertrag führt die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte herbei, während für die Durchführung der obrigkeitlich gewährten Anstaltsnutzung die Verwaltungsbehörden zuständig sind.« (VwL, 40)

Warum Forsthoff so strikt auf dem Dualismus von formalisierten, »technisch« verstandenen subjektiven Rechten einerseits und den objektiven Regelungen der Teilhabe andererseits bestand, hat seine Gründe zuletzt auch in einer handfesten institutionellen Option gegen die anderenfalls notwendige Erweiterung der Rechtsprechungszuständigkeiten. Forsthoff hat zweifellos klarer als andere gesehen, daß die Aufhebung dieser Unterscheidung in einer höheren Kategorie wie der des »Eigen« oder die Unterstellung der verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisse unter einen extensiven Maßstab der »guten Sitten« (§ 826 BGB) nur um den Preis einer weitreichenden Entformalisierung des Verwaltungsrechts zu haben sein würde und daß diese Entformalisierung eine massive Ausweitung der Erkenntnis- und Gestaltungsmöglichkeiten des Richters zur Folge haben würde. Umgekehrt war es genau diese Ausweitung der richterlichen Gestaltungsbefugnisse, auf die Franz Wieackers Materialisierung des Eigentums- und des Vertragsrechts hinauslief und die er auch prinzipiell als richtig befürwortete.228 Er hielt die Übernahme von gestaltend-administrativen Funktionen durch die

228

einer typischen, überindividuellen Sozialfunktion erscheint; ihr gemeinsamer Hintergrund ist die Wendung von einer – wenn man will – individualistischen Wirtschaftsgesellschaft zu einer sozialtypisch strukturierten Gesellschaft der ›Daseinsvorsorge‹« (Hervorhebung nicht im Original). So vor allem F. Wieacker, Richtermacht und privates Rechtsverhältnis, in: AöR 68 (1938), 1 ff., trotz der für wirtschaftspolitische Vorgänge gemachten Einschränkungen (ebd., 35 f.).

Viertes Kapitel: Daseinsverantwortung als Ordnungsidee

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Rechtsprechung für eine notwendige Folgerung aus der Überwindung des »positivistischen Normativismus«.229 Forsthoff hatte gegen die graduelle Aufhebung der institutionellen Unterschiede zwischen Justiz und Verwaltung größte Bedenken, auf die er in seiner unvollendet gebliebenen verwaltungsrechtlichen Monographie ausführlich zu sprechen kam. Die von Wieacker befürwortete Gestaltungsmacht der Justiz »würde eine Veränderung der Rechtspflege von durchaus prinzipieller Reichweite bedeuten. Es bleibt offen, ob die Justiz bei einer solchen Annäherung an die Verwaltung der gewinnende Teil sein würde.« 230 Denn davon war Forsthoff überzeugt: Das Recht der Daseinsvorsorge würde nicht über die Ausweitung von Gerichtszuständigkeiten auf dem Feld der Leistungsbeziehungen zu entwickeln sein. Es »handelt sich hier nicht um den Rechtsschutz allein. Es kommt ebenso darauf an, eine Gewähr dafür zu schaffen, daß die Leistungsverhältnisse der öffentlichen Daseinsvorsorge ihren sozialen Verpflichtungen entsprechend gestaltet werden. Dafür ist aber nicht der Richter, sondern die Verwaltung selbst zuständig.« (VwL, 33) Wie aber sollte die Teilhabe dann rechtlich gesichert werden, wenn nicht durch eine Materialisierung der überkommenen Rechtsbegriffe? Den ersten Anhaltspunkt bietet erneut Forsthoffs Würdigung der einschlägigen Regelungen des Energiewirtschafts- und des Personenbeförderungsgesetzes sowie der Deutschen Gemeindeordnung. In unterschiedlicher Weise verwirklichten diese Gesetze, was Forsthoff eine nicht rechtsformen-, sondern sachbezogene Regelung und Sicherung der Leistungsverhältnisse nannte. So verlieh § 17 der Deutschen Gemeindeordnung vom Januar 1935231 jedem Gemeindeeinwohner das Recht, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen ohne Rücksicht darauf, in welcher Rechtsform diese betrieben wurden. Umgekehrt wurde der Gemeinde in § 18 die Möglichkeit eingeräumt, im Hinblick auf jene Einrichtungen durch Satzung einen Anschluß- und Benutzungszwang festzuschreiben. Deutlicher als in diesen benachbarten Bestimmungen der Gemeindeordnung konnte der für Forsthoff so grundlegende Zusammenhang von Teilhabe und Disziplinierung gar nicht ausgedrückt werden. Freilich hatte die Regelung Grenzen: Sie galt nur für Einwohner und nicht für rechtlich von der Gemeinde unabhängige Einrichtungen. Das Energiewirtschaftsgesetz ging insofern weiter. Es verpflichtete alle Energieversorger ohne Ansehung ihrer jeweiligen Rechtsform, jedermann nach öffentlich bekanntgemachten Bedingungen an ihre Netze anzuschließen und zu versorgen (§ 6 Abs. 1). Vor allem mit der Anschluß- und Versorgungspflicht

229 230

231

Ebd., 37. E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 49. Gesetz vom 30.1.1935, RGBl. I, 49.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

für die »daseinswichtigen Leistungsverhältnisse« (VwL, 49) bot das Gesetz, wie Forsthoff meinte, eine neuartige Sicherung des einzelnen gegenüber monopolartiger wirtschaftlicher Macht und gab der Verwaltung andererseits die »Handhaben, auf dem Gebiet der Energiewirtschaft die wirtschaftlichen Anforderungen der Unternehmungen und die sozialen Ansprüche der Verbraucher zu einem verständigen Ausgleich zu bringen« (VwL, 35). Für Forsthoff hatte damit der allgemeine Rechtsgedanke der Daseinsverantwortung – die »staatliche Garantierung bestimmter Leistungsverhältnisse […], mag es sich um Leistungen des Staates oder solche Dritter handeln« 232 – erstmals »vorbildlich« (VwL, 33) Gestalt angenommen. Der Sozialbereich der Energieversorgung sei hier verfaßt als »einheitliche Materie mit einer einheitlichen Dogmatik […], welche nicht mehr durch die Wahl besonderer Unternehmensformen gesprengt werden kann. Dieses Hinübergreifen über die Unternehmensformen macht sinnfällig, daß die besondere Struktur der Leistungsverhältnisse innerhalb der Energieversorgung durch die Unternehmensformen nicht berührt wird. Das Gesetz zieht hier das Fazit aus der Entwicklung der letzten fünfzig Jahre.« (VwL, 34)

Forsthoff hielt es für geboten, das auf diese Weise entstandene Rechtsregime auf alle anderen Gebiete der Leistungsverwaltung zu erstrecken. Die Entwicklung, schrieb er 1942, »drängt hier zur Anerkennung eines Rechtes auf Teilhabe, die bereits in einzelnen Gesetzen ausgesprochen ist, aber in einem allgemeinen Ausspruch des Gesetzgebers sanktioniert werden sollte.« 233 Dieses allgemeine Recht auf Teilhabe schien Forsthoff in einem durch Technik und Industrialisierung bestimmten Gemeinwesen ethisch unbedingt gefordert. In einem solche Staat werde das Recht auf Zugang zur Daseinsvorsorge eine Frage von »Stellung und das Anrecht des Rechtsgenossen in der Gemeinschaft schlechthin« und damit eine unerläßliche »Wertqualität der Volksordnung« (GrR, 19). Im gleichen Sinne formulierte er 1950, die »Unterstellung der Daseinsvorsorge unter eine allgemeine Rechtspflicht« bedeute »ihre Neutralisierung im politischen Kampf. […] Diese strikte Grenzziehung scheint mir eines der wesentlichen Anliegen zu sein, das gerade in politisch bewegten Zeiten an die Sozialgestaltung gerichtet werden muß.« 234 Der institutionelle Rahmen eines solchen Rechtes auf Teilhabe war für Forsthoff natürlich der staatliche Einfluß auf die Leistungsbedingungen und die Versorgungspflicht des Leistungsträgers. Das Recht selbst sollte sich jedoch nicht gegen die staatlichen Behörden richten, etwa in Form eines Anspruchs auf polizeiliches Einschreiten, sondern unmittelbar gegen den Leistungsträger 232

233 234

E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 41. Ebd., Bl. 41. E. Forsthoff, Daseinsvorsorge als Aufgabe der Sozialgestaltung in Staat und Gemeinde (Vortrag im Rahmen des 11. Staatswissenschaftlichen Fortbildungskurses der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer), 21.10.1950, NL Forsthoff, Ts., 14 f.

Viertes Kapitel: Daseinsverantwortung als Ordnungsidee

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als solchen, sei er in staatlicher, privater, kommunaler oder sonstiger Hand. Auch ging es nicht etwa um einen zivilrechtlich bereits anerkannten Anspruch aus § 242 oder § 826 BGB auf Vertragsabschluß bei mißbräuchlicher Weigerung, sondern, wie es Günter Haupt in präziser Aufnahme von Forsthoffs Thesen darlegte, um einen Anspruch auf die Leistung schlechthin.235 Weitere Grundelemente waren eine am Gedanken der individuellen Versorgungssicherheit statt an dem des vertraglichen Synallagmas ausgerichtete, sozial gerechte Regelung der Leistungsverweigerungsrechte des Versorgers (VwL, 50) sowie die Absicherung der Rechtsstellung des einzelnen gegenüber dem Versorger durch Vorschriften eines »geordneten Rechtsschutzes« (VwL, 50). Dabei hielt Forsthoff es für gleichgültig, ob dieser bei den ordentlichen oder den Verwaltungsgerichten angesiedelt werde, weil sich die Materie ohnedies »völlig außerhalb der so umstrittenen Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht« (VwL, 38) bewege. Forsthoff sah wohl, daß er damit in die Nähe eines, wenn auch gleichsam leistungsstaatlichen, Grundrechtsbegriffes geriet. Dagegen verwahrte er sich jedoch ausdrücklich. Zwar biete »eine rechtlich gesicherte Teilhabe an der Daseinsvorsorge, funktionell betrachtet, eine Art von Ersatz für jene überholten Sicherungen […], welche die Grundrechte in sich beschlossen.« Doch keinesfalls solle das Recht auf Daseinsvorsorge im juristischen Sinne »als ein Grundrecht an die Stelle der früheren Grundrechte« treten (VwL, 46). Trotzdem sah er sich gezwungen, später die Vereinbarkeit seiner Konzeption der Teilhabe mit der Ablehnung subjektiver Rechte im nationalsozialistischen Verwaltungsrecht noch einmal ausführlich zu begründen.236 235

236

G. Haupt, Über faktische Vertragsverhältnisse, in: Festschrift für Heinrich Siber, Bd. II, 1943, 22. E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 40–41: »Er mag so scheinen, daß sich eine solche Gewährleistung einer individuellen Rechtsposition den Tendenzen schwerlich wird einfügen lassen, welche seit 1933 das Gefüge der Verwaltung so nachhaltig verändert haben, ja man könnte argwöhnen, als handele es sich um einen Rückfall in die Struktur des bürgerlichen Rechtsstaates, den die nationalsozialistische Revolution überwunden hat. Nachdem die ideologischen Fluten in unserem Fach verebbt und einer realistischeren Sicht der Dinge gewichen sind, wird es möglich sein, in dieser für das gesamte Verwaltungsrecht grundlegenden Frage zu einer Verständigung zu kommen. Zunächst wäre es abwegig, die Anerkennung der Teilhabe ein bloßes Wiederaufleben der Grundrechte in neuer Form zu sehen. Das ergibt sich schon daraus, daß die gesetzlich verbriefte Teilhabe und der mit ihr gegebene Anspruch nicht gegen den Staat, sondern gegen den Leistungsträger gerichtet ist. Zwar tritt auch der Staat als Leistungsträger auf, aber das ist keinesfalls die Regel; häufig sind es Gemeinden und Zweckverbände oder auch private Unternehmer. Jedenfalls zielt die gesetzlich gewährleistete Teilhabe nicht gegen den Staat als solchen. Sie hat überhaupt – und darin liegt der prinzipielle Unterschied zu den Grundrechten – mit der für die Verfassungsstruktur des bürgerlichen Rechtsstaates so entscheidend wichtigen Relation Staat-Individuum nichts zu tun. Dagegen aber, daß in der modernen Rechtsordnung auch im Rahmen des öffentlichen Rechts Ansprüche und Leistungsverhältnisse des Rechtsgenossen, und zwar in klagbarer

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

IV. Die heuristische Kraft der »Daseinsverantwortung« und ihre Grenzen Was macht nun die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung dieser verwaltungsrechtlichen Konzeption aus? Welche Chance besaß das dogmatische Unterfangen, die »Teilhabe« zum strukturprägenden Grundbegriff des gesamten nicht oder nicht mehr durch die Grundbegriffe »Freiheit« und »Eigentum« erfaßten Bereichs zu entwickeln? Eine abgewogene Kritik muß sich hier auf die immanenten juristischen Fragwürdigkeiten beschränken und kann insbesondere nicht von den Gegebenheiten der rechtsstaatlichen Verfassung ausgehen. Nähme man den bürgerlichen Verfassungsstaat zum Maßstab, so wäre das Urteil rasch gefällt, aber man verführe gänzlich unhistorisch. Denn der Zusammenbruch der bürgerlich-rechtsstaatlichen Ordnung und die ungeheure Expansion der Verwaltung in der Zwischenkriegszeit war nun einmal der historische Hintergrund, vor dem die von Forsthoff aufgeworfene Frage überhaupt erst ihren Sinn erhielt. Es muß hier ebensowenig diskutiert werden, inwiefern Forsthoffs Strukturanalyse der modernen Herrschaftsverfassung empirisch zutreffend war. Vielleicht waren die vermeintlich neuartigen Phänomene der leistenden Verwaltung und der Technisierung so neuartig nicht, und vielleicht verfügte auch der Spätkonstitutionalismus schon über ein Recht der Leistungsverwaltung.237 Das hat aber jedenfalls nichts zu tun mit der Frage nach den inneren Gründen für den Zerfall der bürgerlichen Ordnung im 20. Jahrhundert und nach der Bedeutung der »Verwiesenheit des Einzelnen auf die Verwaltung […] für die Struktur des modernen politischen Lebens« 238, die Forsthoff umtrieb.239 Eher grundsätzlicher Natur sind auch die ideologiekritischen Einwände gegen die Idee der Daseinsvorsorge. Danach ist diese selbst eine Reflexionsgestalt bestimmbarer Klasseninteressen, insofern sie unter einem einheitlichen Begriff die Vielfältigkeit der staatlichen Interventionsformen und Einflußnahmen auf den gesellschaftlichen Prozeß verbirgt und damit insbesondere die hinter ihnen stehenden privatkapitalistischen Interessen verschleiert. Diese von Jürgen Habermas 240 vorgebrachte Kritik richtet sich indessen ebenfalls weniger

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Form, aberkannt und festgelegt werden, wird man schwerlich Einwendungen zu erheben vermögen, wenn man sich die Struktur des modernen Staates vergegenwärtigt.« – Hervorhebung nicht im Original. So eine verbreitete Kritik, s. etwa O. Bachof, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, in: VVDStRL 30 (1972), 193 ff., 207 ff.; H. J. Wolff, Verwaltungsrecht, Bd. I, 41961, § 6 IV b; L. Jellinghaus, Zwischen Daseinsvorsorge und Infrastruktur, 2006, passim. E. Forsthoff, Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1942, Ms., NL Forsthoff, Bl. 24. F. Meinel, Der Verfassungsumbruch bei Kriegsende in der Staatsrechtslehre 1918–1939, in: Demokratie in der Krise, hrsg. v. C. Gusy, 2008, 136 f. J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962), 1990, 233.

Viertes Kapitel: Daseinsverantwortung als Ordnungsidee

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gegen die juristische Funktion der Kategorie der Teilhabe als gegen die ihr zugrundeliegende Gesellschaftstheorie. Sie beharrt darauf, daß der Staat der Daseinsvorsorge eben nicht, wie Forsthoff annahm, als ein aus der Zerstörung des bürgerlichen Sozialmodells hervorgegangener Staat zu verstehen ist. Nach wie vor seien in ihm die bourgeoisen Klasseninteressen bestimmend geblieben. In der Formel von der Daseinsvorsorge drücke sich lediglich eine bestimmte krisenhafte Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaftsweise aus. Auf diese Kritik ist im Zusammenhang mit Forsthoffs Rechtsstaatsbegriff in den fünfziger Jahren noch genauer einzugehen. Was aber war das eigentliche juristische Problem? Forsthoff war, darauf wurde schon mehrfach hingewiesen, zumindest in der Zeit von Die Verwaltung als Leistungsträger und auch noch bis weit hin die Bundesrepublik hinein, überzeugt, daß es im Prinzip möglich sei, den Rechtsbereich der Daseinsvorsorge und damit die Institute der öffentlichen Daseinsverantwortung mit ähnlicher systematischer Kohärenz wissenschaftlich zu ordnen wie es dem 19. Jahrhundert für das Recht der Eingriffsverwaltung gelungen war. Er hielt es für aussichtsreich, die »Teilhabe« als Grundbegriff des gesamten nicht oder nicht mehr eingriffsbezogenen Verwaltungsrechts zu etablieren.241 Das war jedoch von Voraussetzungen abhängig, die schon in den dreißiger Jahren wohl nicht gegeben waren, die auch die Ausarbeitung des Programms in der Bundesrepublik erschwerten und die erklären, warum das Verwaltungsrecht der Daseinsvorsorge in dieser Form nicht gelingen konnte. Die Vorstellung einer strukturellen Einheit des Rechtsbereichs der Daseinsvorsorge setzte, wie vor allem Peter Badura gezeigt hat, ein hinreichendes Maß an Gleichartigkeit oder zumindest Ähnlichkeit der in ihm zum Tragen kommenden rechtlichen Mechanismen voraus.242 Sollten die Ideen der Teilhabe des einzelnen und der Daseinsverantwortung der öffentlichen Verwaltung tatsächlich fachrechtsübergreifend als Ordnungsideen fruchtbar sein, so mußten über die einzelnen Zweige der Daseinsvorsorge hinweg mehr als nur triviale Strukturgleichheiten in den rechtlichen Handlungs-, Organisationsformen und Rechtsregimen der Verwaltung existieren. Nur unter dieser Bedingung konnte der Begriff der Teilhabe überhaupt als Maßstab taugen. Wenn Forsthoff allerdings glaubte, hier wie Otto Mayer verfahren zu können, der aus den besonderen Bereichen des Ordnungsrechts, aus dem Gebühren- und Steuerrecht die

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Vgl. RlV, 9: »Der Begriff der Daseinsvorsorge sollte und soll dazu dienen, in den leistenden Funktionen des modernen Staates […] ein öffentlichrechtliches Element aufzuweisen und damit zugleich das Grundverhältnis des einzelnen zum Staat den Gegebenheiten entsprechend neu zu bestimmen. Ist dieses Grundverhältnis im Bereich der rechtsstaatlichen Eingriffsverwaltung durch die Freiheit bestimmt, so beruht es bei der Leistungsverwaltung auf der Teilhabe.« P. Badura, Die Daseinsvorsorge als Verwaltungszweck der Leistungsverwaltung und der soziale Rechtsstaat, in: DÖV 1966, 629 f.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

Gemeinsamkeiten der in Eigentum und Freiheit eingreifenden Staatstätigkeit herausgeschält hatte, so hat er damit die Einheitlichkeit der nachklassischen Rechtsmaterien wohl gravierend überschätzt. Die schon um die Jahrhundertwende einsetzende Ausdifferenzierung der Sonderdogmatiken des Sozial-, Arbeits-, Wirtschafts- oder Versicherungsrechts war sicherlich weniger dem Fehlen eines einheitlichen ideologischen Paradigmas für die aus dem Typus des bürgerlichen Formalrechts ausscherenden Materien anzulasten als der von Forsthoff richtig beobachteten Vermehrung und Veränderung der Verwaltungsaufgaben und -funktionen. Sie zog unvermeidlich eine Komplexität des Rechtsstoffes nach sich, die ein Globalparadigma wie das der Teilhabe schlechterdings nicht mehr zuließ. Dies hat Forsthoff nicht oder erst sehr spät in Betracht gezogen. Die historische Bedeutung der Lehre vom Verwaltungsrecht der Daseinsvorsorge wird dadurch nicht geschmälert. Das gilt vielleicht am meisten für Forsthoffs Dekonstruktion des rechtsstaatlichen Paradigmas. Indem er die politisch-soziale Funktion seiner Institutionen und ihre Transformation in der industriellen Gesellschaft analysierte, machte er den »blinden Fleck« des liberalen Verwaltungsrechts sichtbar, der neben der vermeintlichen Totalität des rechtsstaatlichen Systems immer vorhanden gewesen war. Er ermöglichte damit die juristische Erfassung jenes Machtbereichs der Verwaltung, der so ganz anders geartet war als die bekannten Formen des Eingriffs in subjektive Rechte. Ob Forsthoffs Lösungsansätzen dabei gefolgt wurde oder nicht: Hinter das Problem als solches führte nun kein Weg mehr zurück.243 Der Raum der leistenden Verwaltung war begrifflich erschlossen und mußte juristisch durchdrungen werden. Und selbst wenn Forsthoff an einer konstruktiven Bewältigung des Verwaltungsrechts der Daseinsvorsorge in seinem Sinne letztlich gescheitert ist, läßt sich auch der rechtspolitische Gehalt der Schrift über Die Verwaltung als Leistungsträger schwerlich unterschätzen. Sie enthielt mit der Warnung vor den Konsequenzen der Entformalisierung im Bereich der sozialen Verwaltung und dem Appell, ihr juristisch etwas Neues entgegenzusetzen, wohl das Maximum an kritischer Auseinandersetzung mit der herrschenden Praxis der »Daseinsvorsorge«, das unter den Bedingungen des Jahres 1938 möglich war.

V. Daseinsvorsorge im Staat der Industriegesellschaft Es ist nicht selbstverständlich, daß sich ein so sehr auf die Struktur der nichtrechtsstaatlichen Verwaltung gemünztes Konzept wie die Daseinsvorsorge nach dem Zweiten Weltkrieg und der Restauration des rechtsstaatlichen Verfassungs- und Verwaltungsrechts überhaupt als anschlußfähig erwies, ja, daß es

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Siehe etwa die Bemerkungen bei P. Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, 187 ff.

Viertes Kapitel: Daseinsverantwortung als Ordnungsidee

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nun erst seinen großen Siegeszug antrat.244 Gewiß: Das rechtsdogmatische Problem der leistenden Verwaltung bestand auch nach dem Ende der nationalsozialistischen Zeit fort. Auch die Expansion der Verwaltung in die »Gesellschaft«, Wachstum und Veränderung der Verwaltungsaufgaben und die Ausbildung der Sonderverwaltungen setzten sich kontinuierlich fort. Aber die juristische Idee, die Forsthoff in den dreißiger Jahren ausgearbeitet hatte, ließ sich in der Bundesrepublik so nicht weiterverfolgen. Die Entfaltung des Begriffs der Daseinsvorsorge im bundesrepublikanischen Recht der Leistungsverwaltung konnte offensichtlich nur dadurch gelingen, daß der Begriff einen wesentlich veränderten Inhalt erhielt. Das ließe sich nicht nur an der Wirkungsgeschichte demonstrieren, sondern zeigt sich auch an Forsthoffs eigenem Umgang mit dem Begriff der »Daseinsvorsorge« in der Bundesrepublik. Forsthoff ist seiner Konzeption keineswegs in allen Belangen treu geblieben.245 Der erste Band des Lehrbuchs des Verwaltungsrechts, geschrieben vor der Gründung der Bundesrepublik, brachte keine Neuerungen. Forsthoff rekapitulierte noch einmal seine Begründung aus dem Jahre 1938 (Lb, 57 ff., 263 ff.). Das Verwaltungsrecht der Daseinsvorsorge sollte ja im wesentlichen erst der zweite, nie vollendete Band des Lehrbuchs bringen.246 Erst zehn Jahre später – die Entwicklung des Verwaltungsrechts in der Bundesrepublik zeichnete sich jetzt in groben Zügen ab – griff Forsthoff die Frage der Daseinsvorsorge in drei in kurzer Folge entstandenen Texten noch einmal grundsätzlich auf. Zunächst in einem Ende 1957 gehaltenen Vortrag über »Die Daseinsvorsorge und die Kommunen« (RW, 111 ff.),247 dann in einem weiteren Vortrag aus dem Herbst 1958 über »Anrecht und Aufgabe einer Verwaltungslehre« (RlV, 47 ff. = RW, 129 ff.) und schließlich in der Einleitung zur Neuausgabe von Die Verwaltung als Leistungsträger, die 1959 erschien (RlV, 9 ff.).

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245 246 247

M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 367; W. Pauly, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, in: VVDStRL 61 (2001), 97 ff. Die angesichts des weitgehenden Stillstands des wissenschaftlichen Betriebes während des Krieges auch kaum zu erwartende Rezeption von Forsthoffs Thesen vor 1945 beschränkte sich abgesehen von einigen Rezensionen, unter denen in erster Linie E. R. Huber, Buchbesprechung, in: ZgStW 101 (1941), 411 f., und O. Koellreutter, Die Verwaltung als Leistungsträger, in: RVBl 1941, 649 f., hervorzuheben sind, auf A. Köttgen, Deutsche Verwaltung, 31944, und G. Haupt, Über faktische Vertragsverhältnisse, in: Festschrift für Heinrich Siber, Bd. II, 1943, 1 ff. N. Magaldi, Procura existencial, Estado de Derecho y Estado Social, 2007, 93 ff. Oben, 3. Kap., S. 148 ff. Zu diesem Vortrag bemerkte Ernst Forsthoff in einem Brief an Carl Schmitt (22.12.1957, BW, Nr. 104), er sei »eine Gelegenheit, einige neue Gedanken zu dem Thema Daseinsvorsorge vorzutragen und implicite gegen manchen Unsinn Stellung zu nehmen, der mit diesem Wort, das nun einmal an mir hängt, getrieben wird.« Zu diesem wichtigsten Nachkriegstext Forsthoffs zum Thema Daseinsvorsorge siehe insbesondere J. Kersten, Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, in: Der Staat 44 (2005), 558 f.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

Die gesellschaftstheoretischen Aspekte, unter denen Forsthoff das Phänomen der Daseinsvorsorge nun betrachtete, hatten sich in den zwei Jahrzehnten stark verändert. Das ist nicht überraschend. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders, und die Bundesrepublik begann, sich, wie Forsthoff fand, in einer unpolitischen, entideologisierten Technokratie einzurichten. Was hieß das für die Verfassung der Daseinsvorsorge? Würde sich bald »die Frage nach der daseinsrichtigen Organisation in ein Konglomerat technischer Probleme auflösen«? Würde es eines Tages »für die richtige Organisation der Daseinsvorsorge auf nichts anderes als die technische Perfektion« mehr ankommen? Befand sich die Bundesrepublik gar in einer von der Daseinsvorsorge angetriebenen »Entwicklung in eine staatenlose, aber total und technisch perfekt administrierte Welt« (RW, 128)? In diesen Fragen wird deutlich, welche neuen Gegner Forsthoffs Ordnungsidee der staatlichen Daseinsverantwortung nach dem Ende des Nationalsozialismus erwachsen waren: die Technokraten,248 der Perfektionsdrang des Managements in der öffentlichen Verwaltung, der Zwang zur Angleichung an die Effizienz der privaten Wirtschaft, die eudämonistische, passive Mentalität des »perfekt bedienten Endverbrauchers« (RW, 117 ff.), kurz: die Mechanismen dessen, was Forsthoff den westdeutschen Staat der Industriegesellschaft nannte. Davon ist im letzten Kapitel noch zu reden. Es ist unter diesen Prämissen bemerkenswert, daß Forsthoff nun gleichwohl die prinzipiellen Chancen der Aufhebung der Entfremdung des einzelnen an die Daseinsvorsorge optimistischer sah als zuvor. Was unter der zentralistischen Diktatur undenkbar gewesen war, war in der Bundesrepublik wieder eine politische Option: die Verbindung der Daseinsvorsorge mit einem aktiven Bürgerstatus und vor allem die Rückholung der Daseinsvorsorge in die Selbstverwaltung und ihre Ausgliederung aus der zentralistischen Logik der Industriegesellschaft.249 So kehrte er 1957 noch einmal zum Ausgangspunkt seiner Frage nach dem Ursprung der politischen Entfremdung zurück und formulierte nun: »Die Entfremdung an die Umwelt ist dann aufgehoben, wenn der Mensch an der Umwelt, an die er entfremdet ist, gestaltend beteiligt ist, wenn diese Umwelt seiner aktiven Mitgestaltung in solchem Maße anheimgegeben ist, daß er sich selbst in dieser Umwelt erkennt und sie als seine eigene anerkennt. Die ganze demokratische Ideologie, wie sie Rousseau klassisch formulierte, hat dieses Ziel, den Staat – ein wesentliches Stück Umwelt – so zu ordnen, daß der Staat für den Bürger sein vom ihm mitgestalteter Staat wird, so daß die Entfremdung, welche jede Unterwerfung unter einen fremden Willen bedeutet, durch diesen Umstand aufgehoben wird. […] Freiheit ist Selbstbestimmung und in der modernen, arbeitsteiligen Welt, die dem individuellen Belieben nur noch geringen Auslauf läßt, zu einem guten Teil nur noch in dieser Form möglich.« (RW, 121)

248 249

E. Forsthoff, Stadt und Bürger in der modernen Industriegesellschaft, 1965, 16, 20. J. Kersten, Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, in: Der Staat 44 (2005), 559.

Viertes Kapitel: Daseinsverantwortung als Ordnungsidee

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Es brauche deshalb auch in der entwickelten industriellen Gesellschaft »bei dieser Entfremdung nicht sein Bewenden zu haben«, ja es sei möglich, »sie durch richtig gesetzte Ordnungen aufzuheben« (RW, 129), und zwar durch eine mit politischen Aktivrechten verknüpfte bürgernahe Aufgabenerledigung der Leistungsverwaltung: »Je größer die Nähe des Staatsbürgers zur öffentlichen Obliegenheit ist, umso mehr besteht die Möglichkeit, die bürgerliche Selbstbestimmung in die Abwicklung der Obliegenheit hineinzunehmen und damit die Entfremdung aufzuheben.« (RW, 123) Aber das war keine Beschreibung der Lage, sondern eine verfassungspolitische Perspektive. Forsthoff sah wohl, daß sie im Gegensatz stand zu den herrschenden Sachzwängen zu großräumiger Planung und großtechnischer Administration (RW, 125), die die Wirklichkeit der Daseinsvorsorge in der Bundesrepublik bestimmten. Wie anders er diese Wirklichkeit der Bundesrepublik bewertete, zeigt sich an seinem verwaltungsrechtlichen Umgang mit der Kategorie der Daseinsvorsorge. Er löste nämlich den für ihn einst so grundlegenden Zusammenhang auf zwischen dem politisch-sozialen Begriff der Daseinsvorsorge und der rechtlichen Ordnungsidee einer Daseinsverantwortung der öffentlichen Verwaltung. Wie das? Forsthoff reduzierte die juristische Bedeutung des Begriffs der Daseinsvorsorge in seiner Einleitung von 1959, in der bezeichnenderweise der Begriff der »Daseinsverantwortung« gar nicht mehr vorkommt, auf eine in die Gegebenheiten des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts ohne weiteres passende Konzeption. Der Begriff der Daseinsvorsorge habe die Aufgabe gehabt, »in den leistenden Funktionen des modernen Staates […] ein öffentlichrechtliches Element aufzuweisen« (RlV, 9), um auf diese Weise »die Schutzfunktionen des öffentlichen Rechts, insbesondere der Grundrechte, unabhängig von der im einzelnen Fall gegebenen rechtlichen Ausgestaltung zum Zuge zu bringen. Nur das und nicht mehr sollte der Begriff der Daseinsvorsorge leisten.« (RlV, 10) 250 Überall, wo gesetzliche Bestimmungen existierten, die diesen Schutz gewährleisten, verliere der Begriff »zwar nicht seinen Sinn, aber seine praktische Bedeutung« (RlV, 10, 11). Im übrigen schloß Forsthoff aus ihm, daß die Verwaltung im Bereich der Daseinsvorsorge nicht den Vorschriften des Wettbewerbsrechts unterstehen könne (RlV, 11).251 Dabei hatte es aber sein Bewenden. Gewiß lagen die Gründe für diesen Rückbau der juristischen Gehalte seiner Lehre von der Daseinsvorsorge in erster Linie in der nun wieder in Geltung befindlichen rechtsstaatlichen Verfassung, die die Frage nach anderen »Rechtsgarantien der individuellen Existenz« teilweise obsolet gemacht hatte. Doch die Gründe lagen auch in der Entwicklung des Verwaltungsrechts in der Bundesrepublik. In der Konstitutionalisierung und der umfassenden grundrechtlichen

250 251

Hervorhebung nicht im Original. Siehe auch E. Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, 1963, 27 ff.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

Subjektivierung, die Rechtsprechung und Rechtswissenschaft der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik prägten,252 drückte sich gerade das Gegenteil des institutionellen verwaltungsrechtlichen Denkens aus, das Forsthoff eingefordert hatte und bis zuletzt verfocht. Mit dieser Umstellung des Verwaltungsrechts auf eine extensive Konzeption subjektiver öffentlicher Rechte war die juristische Idee der Daseinsvorsorge einstweilen erledigt. Auch damit ist aber noch nicht völlig erklärt, warum Forsthoff sein Konzept der Daseinsvorsorge nicht mehr im alten Sinne fortführte. Die Antwort hängt schließlich auch mit dem Verhältnis von Staat und industrieller Gesellschaft in der Bundesrepublik zusammen. Dieses Verhältnis war nach Forsthoffs Auffassung ein völlig neuartiges, insofern es auf die ordnende Kraft des Staates weniger als früher angewiesen war. Vielmehr hatte innerhalb der Bundesrepublik der industriell-technische Prozeß selbst »die Dimension einer sozialordnenden Kraft gewonnen« (RlV, 15). Die Industriegesellschaft hatte vom Staat die Funktion des Ordnungsgaranten übernommen, sie selbst traf Vorsorge für eine ihren Zwecken dienstbare Sozialgestaltung. Der Staat dagegen wurde zu einer Funktion dieser Gesellschaft (RlV, 17 f.), die ihn noch zu einzelnen Zwecken benötigte, die aber nicht mehr im Ganzen auf den Staat angewiesen war. In dieser neuen Konstellation sah Forsthoff keine andere Möglichkeit, als das Phänomen der Daseinsvorsorge teilweise aus seiner Bezogenheit auf den Staat herauszulösen. In der Bundesrepublik sei es nicht mehr zulässig, »den Begriff der Daseinsvorsorge auf den Staat zu beschränken«, denn in ihr sei »das ganze organisierte moderne Sozialwesen auf Daseinsvorsorge hin angelegt« (RlV, 14). So werde jetzt »ein nicht unwichtiger Teil der Daseinssicherung von der modernen industriellen Gesellschaft wahrgenommen […]. Die moderne industrielle Gesellschaft kann sich nur in der Weise stabilisieren, daß sie zugleich die Existenz der in ihr Tätigen mitstabilisiert. Indem das in weitem Umfange geschehen ist, ist auch dem Dasein des einzelnen in spezifischer Weise vorgesorgt. […] [Die] Stabilisierung, welche die industrielle Gesellschaft leistet, wird von dem einzelnen als Umweltstabilisierung erfahren und wirkt sich damit als Sicherung des individuellen Daseins aus.« (RlV, 19 f.) 253

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Dazu insbesondere C. Schönberger, »Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht«, in: Das Bonner Grundgesetz, hrsg. v. M. Stolleis, 2006, 53 ff. sowie R. Wahl, Herausforderungen und Antworten, 2006, 23 f. und passim; M. Stolleis, Entwicklungsstufen der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, hrsg. v. E. Schmidt-Aßmann u. a., 2006, § 2, Rn. 107 ff.; ders., Verwaltungsrechtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland, in: Rechtswissenschaft in der Bonner Republik, hrsg. v. D. Simon, 1994, 241 f.; F. Ossenbühl, Die Weiterentwicklung der Verwaltungswissenschaft, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. V, hrsg. v. K. G. A. Jeserich u. a., 1985, 1146 f.; G. F. Schuppert/C. Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000. Hervorhebung nicht im Original.

Viertes Kapitel: Daseinsverantwortung als Ordnungsidee

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Gegenüber dieser Form der Sicherung des Menschen durch die Eigengesetzlichkeiten einer industriell-bürokratischen Gesellschaft komme der staatlichen Daseinsvorsorge nur die Rolle einer ergänzenden Auffangverantwortung zu, die dort einspringt, wo die Mechanismen der Industriegesellschaft versagen oder wohin sie nicht reichen. So stellt der Staat seine Abhängigkeit von dieser Industriegesellschaft vollends unter Beweis: »Die Daseinsvorsorge erweist sich damit als eine staatliche Komplementärfunktion, welche der Daseinsstabilisierung durch die gesellschaftlichen Kräfte auf das engste verbunden ist, indem sie sie jeweils ergänzt. Gesellschaftliche Daseinsstabilisierung und staatliche Daseinsvorsorge haben sich in hohem Maße aufeinander eingespielt.« (RlV, 21) Forsthoff unterschied mithin sehr genau zwischen der nach wie vor eigentlich nur durch den Staat zu leistenden Daseinsvorsorge und der Daseinsstabilisierung durch die Industriegesellschaft. Diese Unterscheidung war von unmittelbarer Bedeutung für das Recht der Daseinsvorsorge. Während Forsthoff die bloße Daseinsstabilisierung als eine sozusagen unbeabsichtigte Nebenfolge des industriellen Prozesses einordnete, blieb die Daseinsvorsorge im engeren Sinne an ein öffentlichrechtliches Element gebunden (RlV, 20). Forsthoff konnte sie nicht anders verstehen als eine nur vom Staat wahrzunehmende Gestaltungsaufgabe, wie er sie unter dem Begriff der Teilhabe rechtlich zu konturieren versucht hatte. In dem Maße, in dem sich die Gewichte zwischen Staat und Industriegesellschaft verschoben, verringerten sich für Forsthoff aber die Chancen, daß der Staat einer solchen Gestaltungsaufgabe überhaupt gewachsen sein würde. Der zu einer Komplementärfunktion der Gesellschaft gewordene Staat nämlich nimmt die Sorge für das Soziale zwar wahr, wo es die gesellschaftlichen Fehlläufe erfordern, aber er ist unter den neuen Bedingungen keine objektive geistige Wirklichkeit mehr (RlV, 13) und bringt deswegen auch aus sich selbst keine geistige Konzeption einer sozialen Ordnung mehr hervor. Der Staat hört auf, Träger einer Idee des Sozialen zu sein. Er hat, wie Arnold Gehlen es zur gleichen Zeit im gleichen Sinne formulierte, »kein Sozialbild […], er stellt auch keines in sich her.« 254 Der einer geistigen Konzeption des Sozialen ermangelnde Staat muß sich deshalb darauf beschränken, dem »Vorsprung der sozialen Notstände« ausbessernd hinterherzulaufen: »Der Sozialstaat ist ein reaktiv, aus der jeweiligen Situation heraus handelnder Staat. Dieses Handeln folgt mehr den Anforderungen der Lage als allgemeinen politischen Konzeptionen.« (Lb VII, 59) 255 Die staatliche Daseinsvorsorge war für Forsthoff unter den Bedingungen der Bundesrepublik also in Wahrheit eine Daseins-Nachsorge.256 Dazu paßte 254 255

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A. Gehlen, Zur Problematik des Sozialstaates, in: 11. Hessische Hochschulwochen, 1956, 62. In der ersten bis sechsten Auflage fehlt dieser Satz. Sehr ähnlich ist die Argumentation von A. Gehlen, Zur Problematik des Sozialstaates, in: 11. Hessische Hochschulwochen, 1956, 57 ff. D. Suhr, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, in: Der Staat 9 (1970), 77.

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Zweiter Teil: Verstehende Verwaltungsrechtswissenschaft

es, wenn er den Begriff der Daseinsvorsorge nun nicht mehr auf die existenznotwendigen Leistungen beschränken wollte, sondern auf das ganze Instrumentarium der fortschreitenden Wohlstandsverteilung erweiterte (RlV, 12): »Die Daseinsvorsorge kann nur von dem jeweiligen status quo her interpretiert werden.« (RlV, 13) Damit war die Idee der Daseinsvorsorge auch vom Gegenstand her dem Primat der Industriegesellschaft über die Daseinssicherung angeglichen. Aber das rechtswissenschaftliche Problem der Daseinsverantwortung der öffentlichen Verwaltung war für Forsthoff – so paradox es klingt – mit dem »Wirtschaftswunder« unlösbar geworden.

Dritter Teil Nach der Utopie

Fünftes Kapitel Sprache und Institutionen Der vorige zweite Teil mußte in zeitlicher Hinsicht deutlich vorgreifen, um die Verwaltungsrechtswissenschaft Forsthoffs in ihrem Zusammenhang darstellen zu können. Es gilt nun, den werkgeschichtlichen Bezug wiederzugewinnen und die biographische, politische und geistige Situation Forsthoffs zu rekapitulieren, wie sie sich Mitte der dreißiger Jahre darstellte. Was Forsthoff geglaubt hatte, den »totalen Staat« der konservativen Revolution nennen zu sollen, hatte sich in seinen Augen als das glatte Gegenteil entpuppt: Nicht der Staat war wiedererstanden, sondern eine Partei hatte sich seiner bemächtigt; nicht die Ordnung herrschte, sondern eine Massenbewegung, nicht der Geist, sondern eine Weltanschauung, die dezidiert antikonservativ auftrat, zudem und vor allem zutiefst antichristlich. Die Wiederherstellung des Reiches und seiner Institutionen, auf die die Jungkonservativen gehofft hatten, fand nicht statt, sondern die rasante Vernichtung von Institutionen nahm ihren Lauf. »Im Mangel an echten Institutionen sehe ich unser eigentliches Verfassungsproblem«, schrieb Ernst Rudolf Huber Weihnachten 1940 an Carl Schmitt.1 Die Enttäuschung rechtskonservativer Kreise war groß, auch wenn sie vor 1945 kaum jemand offen aussprach.2 Die »Ideen von 1933« waren schal geworden, und anders als zu Beginn des Ersten Weltkriegs gab es auch keine »Ideen von 1939«.3 Albrecht Erich Günther etwa, der für Forsthoff in seiner Hamburger Zeit der vielleicht wichtigste Gesprächspartner war, schrieb 1935 an seinen Bruder Gerhard: »[V]ieles ist mir zur Last geworden. Und ich kann mir nicht

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Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, 23.12.1940, HStA Düsseldorf, NL Schmitt. S. hierzu etwa J. Solchany, Vom Antimodernismus zum Antitotalitarismus, in: VfZ 44 (1996), 382; J. Hacke, Die Rechte und die Revolution, in: Griff nach der Deutungsmacht, hrsg. v. H. A. Winkler, 2004, 177; J. Z. Muller, The Other God That Failed, 1987, 267 ff. C. Tilitzki, Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Tl. II, 2002, 1098 ff.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

verhehlen, dass ich vieles von dem, was mich heute bedrückt und für die Zukunft besorgt macht, habe mit heraufführen helfen«4. Die enttäuschten Konservativen mußten sich neu auf die Suche machen. Das gilt auch für Ernst Forsthoff. Von seiner Neuorientierung handelt das folgende Kapitel. Nach einer biographischen Skizze (I.) geht es zunächst um Forsthoffs Auseinandersetzung mit den vorherrschenden Tendenzen des juristischen Denkens während der nationalsozialistischen Zeit (II.). Ihnen gegenüber versuchte er zunehmend, aus einer Rückbesinnung auf das konservative Denken des späten 18. und 19. Jahrhunderts Maßstäbe für eine Kritik der Rechtsentwicklung im Nationalsozialismus zu gewinnen (III.). Seine so entstandene Rechtsphilosophie der Institutionen hatte zwar eine eminent kritische Funktion, mußte jedoch ambivalent bleiben. Gemessen an moderneren konservativen Institutionenlehren war das Sozialideal, das sie voraussetzte, nämlich zu restaurativ (IV.). Es ist wohl kein Zufall, daß dieser Teil von Forsthoffs Denken zu einem großen Teil nur aus nachgelassenen, meist fragmentarischen Schriften erschlossen werden kann.

I. Lebensumstände 1935–1945 Kaum ein Datum in Forsthoffs Leben wirkt in der Rückschau so deutlich als Zäsur wie der Wechsel von Hamburg nach Königsberg. In Hamburg hatte Forsthoff kaum ein Jahr gelehrt, hatte es sich aber in dieser Zeit durch kritische öffentliche Auftritte mit den örtlichen Stellen der Partei – und wohl auch mit der Fakultät – verdorben und mußte Ende 1935 seinen Lehrstuhl räumen. Bei einem Vortrag über »Richter und Gesetz« vor dem Hamburger Rechtswahrerbund im September 1935 hatte er den Gauführer und Präsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts, Curt Rothenberger,5 in einem Streit über die Frage der Rechtsverbindlichkeit des NSDAP-Parteiprogramms mit ironisch-hintersinnigen Bemerkungen gegen sich aufgebracht. Ernst-Wolfgang Böckenförde hat diese Begebenheit wie folgt wiedergegeben: »Forsthoff nahm hier zu der in Parteikreisen verbreiteten, auch vom Gauleiter wohl selbst vertretenen These Stellung, das Parteiprogramm müsse im NS-Staat Gesetzesrang erhalten. Er fragte, was dies denn letztlich bedeuten würde. Es würde bedeuten, so seine These, dass über die Interpretation des Parteiprogramms in letzter Instanz das Reichsgericht zu entscheiden hätte. Dies sei aber mit den Prinzipien des nationalsozialistischen Staates unvereinbar, nur der Führer könne verbindlich über

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Dieser Ausspruch Günthers ist zitiert in einem Brief seines Bruders Gerhard Günther an Carl Schmitt v. 15.1.1975, HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-5421 ff. Ich danke Herrn Dr. Gerd Giesler für den Hinweis auf diesen Brief. S. Schott, Curt Rothenberger, Diss. Halle (Saale) 2001.

Fünftes Kapitel: Sprache und Institutionen

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die Interpretation des Parteiprogramms entscheiden.«6 Rothenberger erzwang daraufhin Forsthoffs Versetzung nach Königsberg. Ohne den politischen Druck der Partei wäre Forsthoff zum Wechsel in das eher abseitige Ostpreußen, wo er Nachfolger von Paul Ritterbusch als Direktor des Instituts für Politik, ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht wurde,7 wohl kaum bereit gewesen. Königsberg war kein besonders ehrenvoller Ruf. Die Fakultät konnte es an Renommee nicht aufnehmen mit den großen, mit Berlin, Köln, Leipzig oder Heidelberg. Und doch erwies sich der Wechsel als ausgesprochen glückliche Wendung. Als Forsthoff Hamburg verließ, begannen die wissenschaftlich entscheidenden Jahre seines Lebens. Seine bedeutendsten Schriften sind Früchte der Königsberger Jahre oder doch zumindest in dieser Zeit entworfen. Hier entstanden Die Verwaltung als Leistungsträger und die Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, hier wurde das Lehrbuch des Verwaltungsrechts konzipiert, hier wurden die Vorträge Recht und Sprache und Grenzen des Rechts gehalten. Das intellektuelle Klima der von je her skeptisch nach Berlin blickenden Kant-Stadt Königsberg und das wissenschaftliche Umfeld der Albertina dürften einiges zu dieser ungemein schöpferischen Periode beigetragen haben. In Königsberg lehrten in den dreißiger und vierziger Jahren eine ganze Reihe bedeutender Köpfe, unter ihnen die Historiker Alfred Heuß, Hans Rothfels, Rudolf Craemer, Theodor Schieder und Werner Conze,8 der Biologe Konrad

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E.-W. Böckenförde, Zum Briefwechsel zwischen Ernst Forsthoff und Carl Schmitt, in: AöR 133 (2008), 265. Ernst Forsthoff schilderte die Begegnung mit Rothenberger ohne die ironische Spitze in einem Brief an Gustav Radbruch vom 2.7.1945 (Durchschlag), NL Forsthoff: »Den ersten Konflikt mit der Partei hatte ich im Herbst 1935. Ich war inzwischen von Frankfurt nach Hamburg berufen worden und hielt vor dem dortigen n.s. Rechtswahrerbund einen Vortrag über Gesetz und Richter. Ich betonte mit Nachdruck die Gesetzesgebundenheit des Richters und sprach mich scharf dagegen aus (dies war die eigentliche Absicht meines Vortrages), dass das Parteiprogramm und Hitlerworte zur Maxime des Rechtsprechung gemacht würden, was damals vielfach gefordert, zum Teil als selbstverständlich hingestellt wurde. Der Vortrag fand bei der Hamburger Richterschaft stärksten Beifall. Wenige Tage später wurde ich vor den damaligen Führer des Hamburger Rechtswahrerbundes und Justizsenator Rothenberger zitiert. Die Unterredung mit ihm verlief insofern resultatlos, als ich natürlich auf meinem Standpunkt beharrte. Mir wurde daraufhin unzweideutig zu verstehen gegeben, dass mein weiteres Wirken in Hamburg nicht erwünscht sei. Ziemlich gleichzeitig und offenbar im Zusammenhang damit begann die Telefon- und Postüberwachung. Ich nahm daraufhin nach nur einsemestrigem Wirken in Hamburg zum Frühjahr 1936 eine Berufung nach Königsberg an.« Siehe auch R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 11; H. Quaritsch, Carl Schmitt – Antworten in Nürnberg, 2000, 115 f.; ders., Erinnerung an Ernst Forsthoff, in: NJW 1974, 2120. REM an Ernst Forsthoff, 15.4.1936, NL Forsthoff. Vgl. T. Etzemüller, Sozialgeschichte als politische Geschichte, 2001, 21 ff.; I. Haar, »Volksgeschichte« und Königsberger Milieu, in: Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften, Bd. 1, hrsg. v. H. Lehmann/O. G. Oexle, 2004, 169 ff.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

Lorenz, der Nationalökonom Georg Weippert und die Philosophen Arnold Gehlen mit seinem Schüler Helmut Schelsky, Eduard Baumgarten, Gunther Ipsen und Walther Ziesemer.9 Engere Freundschaften verbanden Forsthoff mit Heuß, mit dem Alttestamentler Martin Noth10 und mit dem Schriftsteller Willy Kramp. Als besonders folgenreich erwies sich die Nachbarschaft mit Ziesemer in der Königsberger Walterstraße,11 der zu dieser Zeit im Auftrag der Königsberger Gelehrten Gesellschaft an der großen Edition der Briefe Johann Georg Hamanns arbeitete: Forsthoffs Begegnung mit Hamann war der Impuls für seine intensive Beschäftigung mit der juristischen Sprachphilosophie.12 Ebenso wichtig war die Freundschaft mit Weippert. Von der Nähe seiner Schrift über Daseinsgestaltung zu Forsthoffs Verwaltung als Leistungsträger war bereits die Rede. Vielleicht war er es auch, der Forsthoff mit einem der für ihn fortan wichtigsten Denker vertraut machte: Paul Yorck von Wartenburg, über den Weippert damals arbeitete.13 Dagegen war die Gruppe der Schüler Carl Schmitts schon bald nach 1933 an den nationalsozialistischen Exzessen und der nunmehr grenzenlosen Geltungssucht des Meisters auseinandergebrochen. Sein langjähriger Assistent Ernst Friesenhahn kehrte sich von ihm ab; ebenso sein Schüler Werner Becker. Selbst mit Ernst Rudolf Huber, bis dahin sein treuester Weggefährte, kam es 1935 zum Streit.14 Der Kontakt zwischen Forsthoff und Schmitt brach wohl 1934 ab. Anfang Februar hatten sie sich in Berlin noch mindestens einmal getroffen.15 Der erste Anlaß für die wachsende Entfremdung zwischen beiden war aber wohl schon vorher Arnold Ehrhardt gewesen, ein mit Forsthoff befreundeter Frankfurter Romanist jüdischer Herkunft, dessen Amtsenthebung Forsthoff abzuwenden versuchte.16 Nach dem Krieg hat Forsthoff angegeben, daß seine Intervention zugunsten Ehrhardts ihn »in eine scharfe Auseinanderset-

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Zur Universität Königsberg im Dritten Reich zunächst nur F. Gause, Die Geschichte der Stadt Königsberg in Preußen, Bd. III, 21996, 139 ff.; C. Tilitzki, Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Tl. II, 2002, 789 ff. und dessen demnächst erscheinendes Werk über die Geschichte der Albertina. Mitteilung von Herrn Professor Georg-Christoph von Unruh im Gespräch mit dem Verfasser am 20.12.2006 in Kiel; zu Noth vgl. R. Smend jun., Martin Noth (1902-1968), in: Martin Noth – aus der Sicht der heutigen Forschung, hrsg. v. U. Rüterswörden, 2004, 1 ff.; H. Seebass, Martin Noth (1902–1968), in: Jb. der Albertus-Universität zu Königsberg XXIX (1995), 827 ff. Walther Ziesemer an Ernst Forsthoff, 18.1.1946, NL Forsthoff. Ernst Forsthoff wohnte zunächst in der Probstheidastraße 8. Später zog er in die Walterstraße 13. Ziesemer wohnte Walterstraße 9. Ernst Forsthoff an Fritz von Hippel, 3.12.1939, UA Freiburg, NL von Hippel, Nr. 828. G. Weippert, Gustav von Schmoller im Urteil Wilhelm Diltheys und Yorck von Wartenburgs (1938), in: Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Bd. I, 1966, 11 ff. R. Mehring, Carl Schmitt, 2009, 310, 314. Eintrag vom 1.2.1934 in: C. Schmitt, Tagebücher 1930–1934, hrsg. v. W. Schuller i. Zus.arb. m. G. Giesler, 2010, 325. R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 9.

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zung mit dem damaligen Fachgruppenleiter der Hochschullehrer im Juristenbund, Prof. Carl Schmitt« gebracht habe. »Sie hatte den Abbruch aller persönlichen und kollegialen Beziehungen mit ihm zur Folge.«17 Aus dem Jahr 1933 existieren darüber nur indirekte Quellen. In seinem Tagebuch notierte Schmitt am 19.10.1933: »Forsthoff rief von Frankfurt an, scheusslicher Kerl, Ekel und Wut«.18 Und an Ernst Rudolf Huber schrieb Carl Schmitt, gerade als die Auseinandersetzung um Ehrhardt stattfand: »Die Reaktion macht einen großen konzentrischen Angriff, als dessen erstes Opfer Forsthoff ausersehen zu sein scheint. Es ist daher nötig, daß wir uns gut wehren.«19 Auch Huber hielt es für geboten, Forsthoff »wieder einzureihen«20. Die Gründe der wachsenden Distanz Forsthoffs zu seinem Lehrer lagen zweifellos in der Qualität von Schmitts Engagement für die Nationalsozialisten. Seine schrille Eloge auf die Röhm-Morde21 hielt Forsthoff, zumindest später, für eine Grenzüberschreitung,22 wenngleich auch er selbst der Aktion ursprünglich seine Reverenz nicht versagt hatte (TS II, 10). Als abstoßend empfunden hat er, wie Bernd Rüthers berichtet,23 auch die von Carl Schmitt in der Reichsgruppe Hochschullehrer des NS-Rechtswahrerbundes veranstaltete Tagung über »Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist«.24 Forsthoff war zwar wohl nicht persönlich, aber doch sicherlich als Mitglied der Reichsgruppe Hochschullehrer eingeladen, und hat die Einladung gegenüber Schmitt förmlich ausgeschlagen.25 Auf der von Carl Schmitt sorgsam aufbewahrten Anwesenheitsliste fehlt sein Name deswegen.26

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Ernst Forsthoff an den Öffentlichen Kläger bei der Spruchkammer Heidelberg, 9.9.1945 (Durchschlag), Sammlung Giesler. C. Schmitt, Tagebücher 1930–1934, hrsg. v. W. Schuller i. Zus.arb. m. G. Giesler, 2010, 306. Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, 24.5.1934, BA Koblenz, NL Huber. Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, 4.9.1934, HStA Düsseldorf, NL Schmitt. C. Schmitt, Der Führer schützt das Recht (1934), in: Positionen und Begriffe, 31994, 227 ff. Mitteilung von Herrn Professor Georg-Christoph von Unruh, der in Königsberg wissenschaftliche Hilfskraft Forsthoffs war, im Gespräch mit dem Verfasser am 20.12.2006 in Kiel. B. Rüthers, Überlebende und überlebte Vergangenheiten, in: myops 4 (2008), 68; B. Rüthers, Entartetes Recht, 21989, 140. Zu ihr H. Hofmann, »Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist«, in: Geschichte und Kultur des Judentums, hrsg. v. K. Wittstadt/K. Müller, 1988, 223 ff. Siehe die auf persönliche Mitteilungen Forsthoffs gestützten Darstellungen von B. Rüthers, Entartetes Recht, 21989, 140, und H. Quaritsch, Carl Schmitt – Antworten in Nürnberg, 2000, 116. Anwesenheitslisten für die Sitzungen vom 3. und 4.10.1936, HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-21745. Die von den Teilnehmern eigenhändig ausgefüllten Listen weisen so berühmte Namen auf wie Hermann von Mangoldt, Walter Hallstein, Theodor Maunz, Ernst Heymann, Hans Gerber, Justus Wilhelm Hedemann, Friedrich Giese, Hermann Jahrreiß, Werner Weber, Carl Bilfinger, Hermann Klausing, Alfred Manigk, Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld, Heinrich Stoll, Erich Schwinge und Karl Larenz.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

Wichtiger als Freund und Gesprächspartner in den Königsberger Jahren war ein anderer: Wilhelm Ahlmann (1895–1944). Ahlmann stammte aus einer Kieler Bankiersfamilie, war Jurist und Philosoph und eine zeitlang Schüler Hans Freyers.27 Nach seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg erblindete er 1916 bei einem Unfall. Im Frühjahr 1933 wurde er Hilfsreferent in der Hochschulabteilung des preußischen Wissenschaftsministeriums, wo er mit Forsthoff zuständigkeitshalber bekannt wurde. Schon im Herbst desselben Jahres wurde er aus politischen Gründen wieder entlassen. Ahlmann wohnte in einer Villa in der Berliner Tiergartenstraße und empfing dort seine Freunde meist zu Einzelgesprächen, die nach den Berichten von einer großen Intensität gewesen sein müssen. »Das große Thema waren die haltenden Mächte und, wenn man es recht versteht, die Tugenden und nicht das Politische.«28 Ernst Forsthoff hat Ahlmann von Königsberg aus bei seinen regelmäßigen Berlin-Aufenthalten oft aufgesucht. Der innere Zusammenhang von Verfassungs- und Tugendlehre war das Thema ihrer letzten Unterredungen,29 Forsthoffs große Auseinandersetzung mit der Staatslehre Montesquieus und der französischen Moralisten ist also wohl eine Frucht des Austausches mit Ahlmann gewesen. Zu dessen Freundeskreis gehörten neben anderen Hans Barion, Hermann Kasack, Jens Jessen, Carl Schmitt, Gustav Steinbömer, Johannes Popitz, Peter Suhrkamp, Konrad Weiss und Werner Weber. »Sicher war es kein politischer Kreis, der sich da bildete – kein Konventikel, keine Verschwörung, trotz der einschneidenden Kritik, die an absoluten Normen maß.«30 Da aber Ahlmann nicht nur mit Jessen, sondern auch mit Stauffenberg Verbindungen hatte, nahm er sich im Dezember 1944 das Leben, um Verhaftung und Verhör zu entgehen. Ende 1944 schrieb Forsthoff an Wilhelm Stapel: »Gestern las ich mit tiefer Bewegung die Todesanzeige von Dr. Ahlmann in Kiel. […] Wir waren uns in den letzten zehn Jahren sehr nahe gekommen und sein Hinscheiden bedeutet für mich einen unersetzlichen Verlust.«31 Forsthoff genoß in Königsberg hohe akademische Anerkennung, war von 1939 bis zu seinem Weggang praktisch ununterbrochen Dekan der Juristischen Fakultät,32 seit 1938 Mitglied,33 von 1940 bis 1941 auch Sekretär der Geisteswissenschaftlichen Klasse der Gelehrten Gesellschaft. Zudem hatte er mit dem

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Hierzu und zum folgenden die von Johann Daniel Achelis verfaßte biographische Miniatur: [Anonymus], Wilhelm Ahlmann, in: Tymbos für Wilhelm Ahlmann, 1951, IX ff.; ferner H. Freyer, Art. »Ahlmann, Wilhelm«, in: Schleswig-Holsteinisches biographisches Lexikon, Bd. 1, 1970, 26 f. [Anonymus], Wilhelm Ahlmann, in: Tymbos für Wilhelm Ahlmann, 1951, XII. Ernst Forsthoff an Ernst von Hippel, 4.4.1951, UA Köln, NL von Hippel. [Anonymus], Wilhelm Ahlmann, in: Tymbos für Wilhelm Ahlmann, 1951, XII. Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 19.12.1944, DLA Marbach, NL Stapel. R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 11. Königsberger Gelehrte Gesellschaft an Ernst Forsthoff, 22.12.1937, NL Forsthoff.

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von einem anderen Freund, Paul Gerhardt, geleiteten Reichssender Königsberg ein Forum, das er für öffentliche Vorträge nutzte. Königsberg war nach alledem für Forsthoff ein Ort relativer äußerer Ruhe und eine Zeit großer intellektueller Produktivität.34 In einem Brief an Franz Beyerle schrieb er: »Um mich herum ist Harmonie und eine auf echter Kollegialität aufgebaute Vertrauenssphäre.«35 Zu einem ostpreußischen »Exil« oder auch nur zu einem Rückzug aus der offiziellen Wissenschaft läßt sich die Zeit aber nicht verklären. Forsthoff nahm nach wie vor aktiven Anteil am wissenschaftlichen Leben und sagte auch seine Beteiligung am »Kriegseinsatz der deutschen Geisteswissenschaften« zu: Als sich im Oktober 1940 die amtierenden Staatsrechtslehrer in Leipzig zu einer Tagung trafen – in bewußter Anknüpfung an die Weimarer Tradition der Staatsrechtslehrervereinigung – war Forsthoff dabei.36 Eingeladen hatte Ernst Rudolf Huber, und heraus kam das offiziöse zweibändige Werk Idee und Ordnung des Reiches.37 Forsthoff selbst sollte erst zu einem dann nicht mehr realisierten weiteren Band des Gemeinschaftswerks mit einer Abhandlung über »Die deutsche Staatstheorie und der französische Geist« beitragen.38 Zwar wurde er nie Mitglied der Akademie für Deutsches Recht, beteiligte sich aber trotzdem an verschiedenen Vorhaben. Zu nennen ist hier in erster Linie seine Mitarbeit im Ausschuß für Religionsrecht.39 In die Königsberger Zeit fällt auch eine umfangreiche Tätigkeit Forsthoffs für die Deutsche Evangelische Kirche. Forsthoff war in der Pfarrerausbildung tätig, erstattete der Kirche eine Reihe von Gutachten, das prominenteste gegen die Profanierung des Quedlinburger Domes, und wurde 1940 zudem Stellvertreter des Vorsitzenden des Diszipli-

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M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 285. Ernst Forsthoff an Franz Beyerle, 17.13.1940 [sic!] (Durchschlag), NL Forsthoff. Zur Leipziger Tagung F.-R. Hausmann, »Deutsche Geisteswissenschaft« im Zweiten Weltkrieg, 32007, 250 f. Von seiner Teilnahme an der Leipziger Tagung spricht Ernst Forsthoff in einem Brief an Rudolf Smend vom, 20.9.1950, SUB Göttingen, NL Smend. E. R. Huber (Hrsg.), Idee und Ordnung des Reiches, 2 Bde., 1942; zum Selbstverständnis der Tagung als Staatsrechtslehrertagung s. das Vorwort von Ernst Rudolf Huber im ersten Band. Deutsche Geisteswissenschaft, o.J. (1941), 33 f. zit. n. F.-R. Hausmann, »Deutsche Geisteswissenschaft« im Zweiten Weltkrieg, 32007, 251 mit Anm. 414. Zu den anderen Beiträgern gehörten Rudolf Smend, Otto Koellreutter, Ulrich Scheuner, Paul Ritterbusch, Reinhard Höhn, Carl Schmitt und Georg Dahm. Im Rahmen der »Aktion Ritterbusch« sollte Forsthoff sich ferner an einem indogermanistischen Sammelband über »Sprachwissenschaft in ganzheitlicher Betrachtung« mit dem Thema »Sprache und Recht« beteiligen, der ebenfalls nicht zustande kam (Hausmann, ebd., 273, Anm. 466). Ob an eine andere Akzentsetzung gedacht war als in Recht und Sprache, ist den Quellen nicht zu entnehmen. Die Tätigkeit des Ausschusses ist umfassend dokumentiert in: W. Schubert (Hrsg.), Protokolle der Ausschüsse der Akademie für Deutsches Recht, Bd. XV, 2003.

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narhofes der DEK.40 Allerdings übte er das Amt nicht aus.41 Doch er war auch bei der Akademie durchaus nicht nur als Kirchenmann, sondern auch als Hauptreferent anderer Ausschüsse brauchbar, so etwa, als er dem von Ulrich Scheuner geleiteten Ausschuß für Luftschutzrecht im November 1940 Bericht über »Das Verhältnis des Luftschutzrechts zum Wehrrecht und Polizeirecht« erstattete.42 Nach dem Beginn des Krieges wollte Forsthoff aus Sorge um seine Familie Ostpreußen wieder verlassen und begann, sich nach einer Stellung im Westen des Reichs umzusehen. Offenbar hatte er es eilig. Ein Brief an Beyerle, in dem Forsthoff diese Sorgen aussprach, ist mit Ausrufezeichen auf den »17.13.1940!« datiert.43 Schon 1938 hatte sich die Kieler Fakultät bemüht, Forsthoff zum Nachfolger des inzwischen nach Leipzig gegangenen Ernst Rudolf Huber zu machen.44 Forsthoff lehnte den Ruf jedoch ab,45 ebenso einen Ruf nach Jena zwei Jahre später.46 Der Beginn des Rußlandfeldzugs machte den Wechsel dann noch einmal dringender. Eine von Forsthoff und der Straßburger Fakultät in Aussicht genommene Berufung an die dortige Reichsuniversität 47 zerschlug sich. An seiner Stelle ging Ernst Rudolf Huber ins Elsaß. Ende 1941 erhielt Forsthoff schließlich den Ruf auf die verwaltungsrechtliche Lehrkanzel des

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Forsthoff wurde von der Deutschen Evangelischen Kirche Ende 1939 für das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden des Disziplinarhofes der DEK in Aussicht genommen. Mit Brief vom 29.11.1939 bat der Leiter der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei (DEKK) das Reichsministerium für die kirchlichen Angelegenheiten um Zustimmung, die mit Schreiben vom 5.12.1939 erteilt wurde. Der Leiter der DEKK fragte am 13.12.1939 bei Forsthoff an, ob er bereit sei, eine Berufung zum Stellvertreter des Vorsitzenden des Disziplinarhofes der DEK anzunehmen. Forsthoff antwortete am 20.12.1939, er würde die Berufung »mit Dank für das in mich gesetzte Vertrauen und dem Willen annehmen, an dieser Stelle dem Recht und der evangelischen Kirche nach besten Kräften zu dienen. Allerdings vermag ich mir noch keine Vorstellung davon zu machen, wie groß die Inanspruchnahme durch das Amt sein wird.« (Alle Korrespondenzen finden sich im Evangelischen Zentralarchiv Berlin, Best. 1/2301 – Kirchenkanzlei). Forsthoffs Ernennung wurde im Gesetzblatt der Deutschen Evangelischen Kirche, Ausg. B (Altpreußen) v. 4.3.1940, Nr. 3, S. 9, bekanntgemacht. Seine Amtszeit endete am 22.1.1943 (erwähnt in einem Brief des Vorsitzenden des Disziplinarhofes der DEK an den Vorsitzenden der DEKK v. 28.5.1942, EZA Berlin, Best. 1/2301 – Kirchenkanzlei). Laut Forsthoffs eigenen Angaben: LA Schleswig-Holstein, Entnazifizierungsakte Ernst Forsthoff, Abt. 460.19, Nr. 93. Das Manuskript des Referates findet sich nebst einem Wortlautprotokoll der Diskussion bei den Akten der Akademie für Deutsches Recht, BA Berlin, R 61/233, Bl. 28-42. Durchschlag, NL Forsthoff. Beyerle hatte zuvor sondiert, ob Forsthoff zu einem Wechsel nach Freiburg bereit sein könnte. REM an Ernst Forsthoff, 25.6.1938, NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an den Rektor der Universität Kiel (Abschrift), 28.6.1938, NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an Fritz von Hippel, 6.6.1940, UA Freiburg, NL von Hippel, E7/1908. Georg Dahm (Dekan) und Schmidt (Rektor) an Ernst Forsthoff, 21.2.1941, NL Forsthoff.

Fünftes Kapitel: Sprache und Institutionen

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Kelsen-Schülers Adolf Merkl in Wien.48 Er trat das Amt noch im Winter 1941/1942 an.49 Doch mit dem Abschied aus Königsberg begann für Forsthoff ein gutes Jahrzehnt ohne gesicherte Stellung. Sein Wiener Kollege Erich Schwinge schrieb Forsthoff später, Wien sei wohl »ein schlimmer, wüster Traum« für ihn gewesen.50 Die Vorgänge um die Berufung Forsthoffs nach Wien sind mehr als nur biographisch interessant und verworren. Sie sind ein Lehrstück zum Verhältnis von Staat und Partei im Nationalsozialismus. Immerhin nahm die NSDAP den von ihr so genannten »Fall Forsthoff« zum Anlaß für Erwägungen, den Einfluß der Partei gegenüber halsstarrigen Universitätsdekanen überhaupt zu stärken.51 Später hat man versucht, aus den Wiener Ereignissen einen Untadeligkeitsausweis für Forsthoff zu machen.52 Inwiefern allerdings gerade seine Person den Stein des Anstoßes bildete und er nicht eigentlich nur den Anlaß abgab für Rivalitäten zwischen staatlichen und Parteistellen, erscheint zumindest zweifelhaft. Gerade die Quellen aus dem Bereich der NSDAP sprechen eher dagegen. Unmittelbar nach seinem Eintreffen in Wien geriet Forsthoff mit dem dortigen Gauleiter und Reichsstatthalter aneinander: Baldur von Schirach hatte sich mit seinen weltanschaulichen Einwänden gegen Forsthoffs Berufung nicht durchsetzen können. Aber er zwang das Reichserziehungsministerium, Forst48

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REM an Ernst Forsthoff, 13.11.1941, UA Heidelberg, PA 3787 (1941-1959). Mit Forsthoff wurde (vor Werner Weber und Erich Becker) primo et aequo loco Hans Gerber vorgeschlagen, gegen den es jedoch innerhalb der Fakultät Widerstände gab, vgl. Norbert Gürke an Ernst Schönbauer (Dekan) v. 8.4.1941 und REM an den Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen Wien v. 3.7.1941, beide in Österr. Staatsarchiv, Bestand 03/Kurator (Forsthoff, Ernst). Die Motive für die Berufung Forsthoffs nach Wien lagen sicherlich nicht darin, daß Forsthoff als »der nationalsozialistische Verfassungstheoretiker« vom Reichserziehungsministerium durchgesetzt wurde. So aber O. Rathkolb, Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien zwischen Antisemitismus, Deutschnationalismus und Nationalsozialismus 1938, davor und danach, in: Willfährige Wissenschaft, hrsg. v. G. Heiß u.a., 1989, 212. Daß Forsthoff als Protestant ein Gegengewicht gegen die katholische Wiener Fakultät bilden sollte, trifft dagegen zu; s.a. die – freilich im einzelnen ebenfalls nicht unzweifelhafte – Darstellung von E. C. J. Wiesmann, Die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien im Nationalsozialismus, 2001, 179 ff. Zunächst kommissarisch, dann durch Ernennung vom 16.2.1942 rückwirkend zum 1.12.1941, vgl. REM an den Leiter der Parteikanzlei v. 12.3.1942, BA Berlin, R4901-13438. Erich Schwinge an Ernst Forsthoff, 14.7.1943, NL Forsthoff. Der Beauftragte für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung an die Parteikanzlei, 7.8.1942, Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, München, MA 601-1, Bl. 54752 ff. S. etwa K. Doehring, Ernst Forsthoff, in: Festschrift Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Bd. III, hrsg. v. W. Doerr, 1985, 438 f.; ders., Ernst Forsthoff, in: Juristen im Portrait, hrsg. v. Verlag C. H. Beck, 1988, 341; H. H. Klein, Forsthoff, in: Staatslexikon, hrsg. v. der Görres-Gesellschaft, 71986, Sp. 649; R. Mußgnug, Forsthoff, August Wilhelm Heinrich Ernst, in: Badische Biographien, Neue Folge Bd. I, hrsg. v. B. Ottnad, 1982, 121; E.-W. Böckenförde, Zum Briefwechsel zwischen Ernst Forsthoff und Carl Schmitt, in: AöR 133 (2008), 265.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

hoff zurückzuziehen, indem er sich an die höchsten Parteistellen wandte und ein förmliches Lehrverbot gegen Forsthoff in Aussicht stellte. Die Partei hatte bereits im laufenden Berufungsverfahren Bedenken gegen Forsthoff bekundet: Forsthoff komme nur für eine Universität in Betracht, die »nicht als eine besonders wichtige und exponierte Universität anzusprechen ist«, im übrigen sei er »unerwünscht und nicht vertretbar«.53 Zunächst versuchte die Partei mehrfach, beim Reichserziehungsminister einen Aufschub des Berufungsverfahrens zu erreichen.54 Begründet wurden die Bedenken der NSDAP mit Forsthoffs Nähe zu Carl Schmitt, mit seinem »Etatismus« und mit seiner konfessionellen Bindung, konkret: seiner Freundschaft mit Hans Schomerus, dem damaligen Ephorus des Wittenberger Predigerseminars.55 Baldur von Schirach schrieb nach Berlin, Forsthoff habe »über seine äussere Zugehörigkeit zur NSDAP kein inneres Verhältnis zu den völkischen Grundfragen des Nationalsozialismus gefunden. Seine betont kirchliche Einstellung und seine engen Beziehungen zu Rechtslehrern mit gleichen konfessionellen Bindungen sind für seinen Wiener Auftrag besonders stark belastend.«56 Zudem habe Forsthoff sich durch seine Mitarbeit im Arbeitskreis für die Neuordnung der Angelegenheiten der evangelischen Kirche beim Reichskirchenministerium untragbar gemacht.57 Forsthoff hat sich gegen diese Vorwürfe ausgesprochen geschickt und mit der ihm eigenen Ironie verteidigt. Mit einem Brief, den er im Juni 1942 an das Berliner Ministerium richtete, bat Forsthoff um die Einleitung eines Dienststrafverfahrens gegen sich selbst und schrieb zur Begründung, er sei vom Reichskirchenminister Hanns Kerrl zum Mitglied des durch ein Reichsgesetz vorgeschriebenen Arbeitskreises ernannt worden und habe es für seine »staatsbürgerliche und durch mein Amt gebotene Pflicht« gehalten, an ihm mitzuarbeiten. Im übrigen sehe er sich solange als berechtigt an, sich zum evangeli-

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NSDAP/Partei-Kanzlei an Reichserziehungsminister v. 17.11.1941, BA Berlin, R490113438, Bl. 10; ebenso NS-Dozentenbund/Reichsdozentenführer an Reichserziehungsminister v. 20.11.1941, BA Berlin, R4901-13438, Bl. 11/12. Die Bedenken des Dozentenbundes waren dem Dekanat der Juristischen Fakultät der Universität Wien bekannt (Schreiben an REM v. 10.8.1941, ferner Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen Wien an REM, 3.10.1941, bei Österr. Staatsarchiv, Bestand 03/Kurator (Forsthoff, Ernst)). Partei-Kanzlei der NSDAP an REM v. 28.2.1942, BA Berlin, R4901-13438). Der Totale Staat galt als »Mißgriff«, Recht und Sprache sowie die Verfassungsgeschichte hingegen als gelungene Abwendung von etatistischem Denken. Zudem wies die Wiener Fakultät das REM darauf hin, daß es »1933 zwischen Schmitt und Forsthoff zum Bruch gekommen« sei. Dieser »Vorwurf« hatte seinen Hintergrund in einer Besprechung von Recht und Sprache (H. Brandt, Buchbesprechung, in: DR 1941, 1665), in der das Buch mit dem Hinweis auf die Widmung an Schomerus geradezu als Manifest des Protestantismus interpretiert wurde, was sich die Partei gerne zueigen machte. Brandt hat sich für die Konsequenzen dieser Besprechung bei Forsthoff förmlich entschuldigt (Brief an Ernst Forsthoff, 2.4.1942, NL Forsthoff). Baldur von Schirach an das REM (R. Mentzel), 25.3.1942, BA Berlin, R4901-13438. Chef der Sicherheitspolizei und des SD an REM (R. Mentzel), 16.5.1942, BA Berlin, R4901-13438.

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schen Glauben zu bekennen, »als die Partei sich in ihrem Parteiprogramm zum positiven Christentum und zur Glaubens- und Gewissensfreiheit bekennt.«58 Dann fuhr er fort: »Das damit entstehende Bild wird allerdings etwas ungewöhnlich: die Erfüllung eines von einem Reichsminister erteilten, gesetzlich verbrieften Auftrages und die freundschaftliche Beziehung zu einem honorigen Mann, der freilich Theologe ist – ich muss gestehen, ich kann mir das als Gegenstand eines Dienststrafverfahrens noch nicht recht vorstellen und bin mir im Zweifel, ob sich eine Dienststrafkammer findet, die auf Grund eines solchen Sachverhaltes das Verfahren in Gang bringen wird. Aber wenn Sie nach dieser Richtung irgendwelche Aussichten sehen, soll es mir sehr willkommen sein. […] Zudem würde ein solches Verfahren – wohl das erste dieser Art – mit Notwendigkeit zu einer prinzipiellen Klärung in einer Frage von eminenter Bedeutung für viele Beamten führen und hätte schon aus diesem Grunde seinen Nutzen.«59

In Berlin hatte man keinen Sinn für diese Art von Humor oder hatte ihn verloren, als der Ernst der Lage deutlich wurde. Schirach war von vorneherein entschlossen gewesen, größtmöglichen Widerstand gegen das Ministerium zu leisten, sobald die Berufung zustande käme. Bereits am 3.3.1942 schrieb der Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen Wien an das REM, die Berufungsangelegenheit werde »weitere Kreise ziehen […]. Kürzlich erhielt ich die vertrauliche Mitteilung, daß der Reichsleiter auf Grund neuen Materials seinen Einspruch aufrecht erhalten werde […]. Der Reichsleiter will gegen [die endgültige Berufung Forsthoffs] alle geeigneten Schritte unternehmen.«60 Die Reichsleitung der NSDAP deutete daraufhin zum ersten Mal die Möglichkeit an, daß die Sache auf eine höhere Ebene, gar zu Hitler persönlich gelangen könnte: »Trotz unseres Widerspruchs hat das REM nun doch Prof. Forsthoff nach Wien berufen. Ich darf dazu feststellen, daß in dieser Sache vor einigen Tagen eine Besprechung bei Gauleiter Baldur von Schirach stattgefunden hat. Dieser hat etwa folgendes erklärt: ›Er müsse feststellen, daß gegen die Berufung Forsthoffs nach Wien sämtliche in Betracht kommenden Parteistellen, die Reichsdozentenführung, die Gaudozentenführung in Wien, die Partei-Kanzlei, das Reichssicherheitshauptamt und in seinem Auftrag noch besonders der Leitabschnitt Wien des SD und schließlich er selbst als Hoheitsträger im Reichsgau Wien in seinem Schreiben an den REM, […] Stellung genommen haben. Wenn sich das Reichserziehungsministerium über diese Stellungnahme hinwegsetzt, so liege darin eine schwere Brüskierung der Partei, die aus grundsätzlichen Erwägungen und im Hinblick auf das Prestige der Partei unerträglich sei und unter keinen Umständen hingenommen werden könne. Er habe deswegen gestern den Kurator zu sich gebeten und ihm zur Weitergabe nach Berlin eröffnet, daß er (der Reichsleiter) nicht dulden werde, daß Forsthoff auch nur einen Tag seine Lehrtätigkeit an der Universität ausübe. Er werde ihm dies gegebenenfalls in aller Form verbieten. Sein nächster Schritt werde ein neuerlicher Brief an den Reichserziehungsminister sein […]. Sollte dies noch immer nicht

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Ernst Forsthoff an REM (Prof. Groh), 30.6.1942, BA Berlin, R4901-13438. Ernst Forsthoff an REM (Prof. Groh), 30.6.1942, BA Berlin, R4901-13438. BA Berlin, R4901-13438. Ähnlich bereits Kurator der wissenschaftlich Hochschulen Wien an REM v. 3.10.1941, Österr. Staatsarchiv, Bestand 03/Kurator (Forsthoff, Ernst).

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Dritter Teil: Nach der Utopie

genügen, so sei er entschlossen, die Angelegenheit persönlich dem Führer vorzutragen, weil es sich nunmehr nicht mehr um eine mehr oder weniger belanglose Personalsache, sondern um eine grundsätzliche, den Führungsanspruch der Partei betreffende Frage handele.‹«61

Auch wenn man in Betracht zieht, daß ein Teil der Drohung lediglich der ausgesprochenen Großmannssucht Baldur von Schirachs zuzuschreiben sein könnte, war damit für das REM eine mißliche Lage geschaffen, und zwar umso mehr, als von Schirach seine Drohungen tatsächlich in einem eigenhändigen Schreiben an den Reichserziehungsminister kurze Zeit später erneuerte.62 Eigentlich hatte letzterer Forsthoff von Anfang an verteidigt und versucht, ihn der Partei als protestantisches und norddeutsches Gegengewicht gegen die österreichisch-katholische Mehrheit in Wien schmackhaft zu machen.63 Auch war er lange Zeit bereit gewesen, sich in der Angelegenheit zu exponieren – immerhin ging es stets auch um die Eigenständigkeit der staatlichen Verwaltung gegenüber der Partei. Nachdem von Schirach allerdings mit Adolf Hitler und Martin Bormann gedroht hatte, lenkte das REM sofort ein. Obwohl inzwischen niemand irgendwelche neuen Gesichtspunkte gegen Ernst Forsthoffs Eignung vorgebracht hatten, schrieb das REM nun an den Reichsleiter: »Ihr Schreiben […] läßt die Angelegenheit Forsthoff in einem anderen Lichte erscheinen als ich sie bisher gesehen habe. Ich werde deshalb meinem Herrn Minister vorschlagen, Professor Forsthoff von Wien nach Königsberg zurückzuberufen.«64 Auch Bormann bekam eine beruhigende Mitteilung. Forsthoff eröffnete man, »daß verschiedene Dienststellen der Partei, insbesondere der Herr Reichsleiter von Schirach sich nachdrücklich gegen eine Aufnahme Ihrer Tätigkeit als Hochschullehrer an der Universität Wien gewendet haben. Unter diesen Umständen erscheint es dem Reichserziehungsministerium in Ihrem eigenen Interesse gelegen, wenn Sie Ihrer Rückberufung nach Königsberg zustimmen wollten.«65

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NSDAP (Reichsleitung) an den Reichsdozentenbundführer, 6.3.1942, BA Berlin, R490113438. Baldur v. Schirach an den Reichserziehungsminister Bernhard Rust, 25.3.1942, BA Berlin, R4901-13438: Forsthoff sei »für die Universität Wien aus politischen und weltanschaulichen Gründen nicht tragbar […]. Darüber hinaus kann ich die in diesem Fall geübte Übergehung meiner Wünsche als Hoheitsträger des Gaues Wien nicht hinnehmen. Da meine Versuche, Sie von der Berufung Prof. Forsthoffs nach Wien abzubringen, leider fruchtlos geblieben sind, habe ich die Angelegenheit dem Leiter der Partei-Kanzlei, Reichsleiter Martin Bormann […] vorgetragen. Ich wäre dankbar, wenn Sie selbst einen Weg finden würden, diese Angelegenheit zu einer für den Gau Wien befriedigenden Lösung zu bringen.« Ebenso Privatschreiben Baldur von Schirach an R. Mentzel (REM), 25.3.1942 und Baldur von Schirach an Martin Bormann, 25.3.1942, beide BA Berlin, R4901-13438. REM an Reichsdozentenführer, 14.1.1942, BA Berlin, R4901-13438; nochmals ausführlich REM an Baldur von Schirach, 21.3.1942 (Entwurf). REM an Baldur von Schirach, 14.4.1942, BA Berlin, R4901-13438. REM an Ernst Forsthoff, 14.4.1942, NL Forsthoff; Abschrift v. 2.11.1946 auch in LA Schleswig-Holstein, Abt. 460.19, Nr. 93 (Forsthoff).

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Das entsprach auch den Wünschen der Königsberger, wo man sich sehr für die Rückkehr einsetzte.66 Doch als Gescheiterter zurück nach Königsberg, das wollte Forsthoff unter keinen Umständen mehr – »um meiner Selbstachtung willen«, wie er gegenüber dem REM betonte.67 Wahrscheinlich spielte bei dieser Weigerung auch die militärische Lage an der Ostfront eine gewisse Rolle. Um in Wien dem Zugriff der Partei zu entgehen, ließ er sich zum Militär einziehen und verbrachte mehrere Monate in einem Ausbildungslager der Wehrmacht.68 Eine zeitlang erwog er, die Universität ganz zu verlassen und in die Dienste der Deutschen Evangelischen Kirche einzutreten.69 Freilich saß er auch dort zwischen den Stühlen. Den Deutschen Christen stand er kirchenpolitisch fern, der Bekennenden Kirche war er verhaßt, als bekannter Vertreter der Lehre vom »totalen Staat« und vor allem anderen seines Vaters wegen. Seine Lebensumstände in Wien waren alles andere als angenehm. Eine Wohnung bekam er nicht, das wußte von Schirach zu verhindern.70 So mußte er mit seiner Frau und seinen vier Kindern in beengten Verhältnissen im Dachgeschoß der Pension Atlanta wohnen, dem heutigen Hotel Atlanta in der Währinger Straße 33, in der Nähe der Universität. Das Ministerium bemühte sich daraufhin, andere Fakultäten für Forsthoff zu erwärmen:71 Köln72, Münster73 und schließlich Heidelberg,74 wo der öffentlichrechtliche Lehrstuhl von Herbert Krüger durch dessen Weggang nach Hamburg vakant geworden war.75 Die 1943 ausgesprochene Berufung nach Heidelberg auf den alten Lehrstuhl von Gerhard Anschütz verbesserte seine 66

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Schiedermair (Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät) und von Grünberg (Rektor) an REM, 4.5.1942, BA Berlin, R4901-13438. Ernst Forsthoff an das REM, 30.6.1942, BA Berlin, R4901-13438. Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen Wien an das REM, 3.3.1942, BA Berlin, R4901-13438: »Zunächst ist Forsthoff zur Wehrmacht in ein Ausbildungslager eingerückt, sodaß ein offener Konflikt wegen der Ausübung der Lehrtätigkeit vermieden ist.« Anders als R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 14, meinen, lag in der Aufhebung der UK-Stellung mit Sicherheit kein Akt der Repression, sondern eine freiwillige Entscheidung, sich dem Machtbereich der Partei zu entziehen (Mitteilung von G.-Chr. v. Unruh an den Verf.). Ernst Forsthoff an Gustav Radbruch (Abschrift), 2.7.1945, NL Forsthoff. R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 14. Vermerk von Prof. Groh (REM) in der Angelegenheit Forsthoff, 15.6.1942, BA Berlin, R4901-13438. REM an den Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Köln (Ernst von Hippel), 20.8.1942, BA Berlin, R4901-13438. REM an Ernst Forsthoff, 21.12.1942, BA Berlin, R4901-13438. REM an Kultusministerium Karlsruhe, 17.7.1942, BA Berlin, R4901-13438. REM an Ernst Forsthoff, 16.3.1943 (Entwurf), BA Berlin, R4901-13438. Forsthoff gab später an, die Berufung einer Intervention seines Freundes Wilhelm Ahlmann beim REM zu verdanken, vgl. UA Heidelberg, PA 3790 (1946), Anl. 3 zum Fragebogen; sicher ist, daß die Heidelberger Fakultät Forsthoff zunächst nur an zweiter Stelle hinter Arnold Köttgen und vor Gerhard Wacke vorschlug (Dekan an das REM, 30.7.1942, BA Berlin, R490113438).

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Dritter Teil: Nach der Utopie

persönliche Situation kurzzeitig sehr. Über seine neue Heimat schrieb Forsthoff im Herbst 1943 in einem Brief an Willy Kramp: »Heidelberg ist für die wissenschaftliche Arbeit ein guter Boden; die Ausstattung der Universitätsinstitute ist glänzend. Der Lehrkörper läßt den alten Glanz vermissen. Aber man ist schon zufrieden, wenn einigermaßen brav und regelmäßig gearbeitet wird. Das Studentenmaterial ist an sich nicht schlecht, nur erschreckend schlecht vorgebildet, sodaß man so gut wie nichts voraussetzen kann. Dabei aber viel guter Wille und Einsicht in die eigenen Wissensmängel.«76 Zwar ging das universitäre Leben immer mehr, spätestens im Winter 1944/45 im Chaos des heranrückenden Krieges unter,77 und Forsthoff hatte als Universitätsbeauftragter für die wissenschaftliche Betreuung der Akademiker bei der Wehrmacht neben seinen anderen Aufgaben in dieser Zeit den Unterricht im Feld zu koordinieren.78 Dennoch hatte er jetzt wieder Zeit für seine größeren Vorhaben, insbesondere das Lehrbuch des Verwaltungsrechts ist zu großen Teilen in den letzten Kriegsjahren in Heidelberg geschrieben worden. Dort lebte zu dieser Zeit noch der fast achtzigjährige Gerhard Anschütz. Mit seinem Amtsvorgänger verband Forsthoff bald eine enge persönliche Beziehung, ja Freundschaft.79 Anschütz fand in Forsthoff einen Gesprächspartner, der seinen Ansprüchen genügte und schrieb in einem Brief über ihn: »Er ist der beste von meinen verschiedenen Amtsnachfolgern, der mir – wissenschaftlich wie menschlich – restlos gefällt.«80 Forsthoff wollte ihm die Freundschaft danken und sein Lehrbuch des Verwaltungsrechts der Erinnerung an den 1948 verstorbenen Anschütz widmen. Doch nachdem in der Heidelberger Fakultät Gerüchte aufgekommen waren, Forsthoff habe Anschütz’ Zeugnis im Entnazifizierungsverfahren durch betrügerische Machenschaften erlangt, gab er das Vorhaben auf. So blieb Forsthoffs Hauptwerk ohne Widmung. Zur Biographie jener Jahre gehört schließlich auch die Verschwörung des 20. Juli 1944. Inwiefern gehörte Forsthoff zu deren erweitertem Kreis, wie er selbst später angegeben hat? Die Frage ist intrikat und ausgesprochen schwierig zu beurteilen. Die Quellen und Indizien sind spärlich. Zum Teil stammen sie aus Entnazifizierungsverfahren und sind deswegen mit Vorsicht zu genießen.

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Ernst Forsthoff an Willy Kramp, 9.9.1943 (Entwurf), NL Forsthoff. Eingehende Schilderung: Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 3.9.1944, DLA Marbach, NL Stapel. S. etwa E. Forsthoff, Der fehlerhafte Verwaltungsakt, in: Feldpostbrief der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg, Folge 1, o. J. (1941), 21 ff. (Exemplar im NL Forsthoff); E. Forsthoff, Die Unterscheidung des öffentlichen und des privaten Rechts, Ts., 19 S., Feldpostbrief Nr. 3, NL Forsthoff. Gerhard Anschütz an Ernst Forsthoff, 7.10.1945, NL Forsthoff, erwähnt wöchentliche Mittagessen. Gerhard Anschütz an Alexander Graf zu Dohna, 8.9.1944, zit. n. W. Pauly, Zu Leben und Werk von Gerhard Anschütz, in: G. Anschütz, Aus meinem Leben, 1993, VLIV.

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Belastbar ist allerdings eine Äußerung Forsthoffs in einem Brief an Ernst Rudolf Huber aus dem Mai 1946, in der es heißt: »In München traf sich der Kreis, über den ich mit den Ereignissen des 20.7.44 zusammen hing. Darunter Kapitän Bindig, der engste politische Mitarbeiter von Canaris und der Sohn des Generals Oster. Es war ein interessanter Tag. Der Kreis ist entschlossen, in irgendeiner Form zusammenzubleiben und eine Wirksamkeit in späterer Zukunft anzustreben. Demnächst wird mich Oster besuchen, wahrscheinlich zusammen mit dem jungen v. Witzleben.« 81

Ohne Zweifel hatte Forsthoff über seine Berliner Freunde und Bekannten enge Verbindungen zum persönlichen Umfeld der Verschwörer. Wilhelm Ahlmann kannte Forsthoff seit 1933.82 Auch mit dem ehemaligen preußischen Finanzminister Johannes Popitz war er gut bekannt, wohl auch mit Adolf Reichwein.83 Forsthoff gab nach dem Krieg an, im August 1942 durch seinen Freund und Verleger Friedrich Vorwerk von den Planungen Becks und Goerdelers für einen Staatsstreich erfahren zu haben.84 »Ich erfuhr, wo die Dokumente, Verfassungsentwürfe, ersten Aufrufe an die Bevölkerung usw. verborgen waren

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Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 10.5.1946, BA Koblenz, NL Huber. Ähnliche Schilderung in Ernst Forsthoff an Alfred Heuß, 30.5.1946, Landeshauptarchiv Brandenburg/Deutsches Archäologisches Institut, Berlin, NL Heuß. Ernst Forsthoff, Bericht »Zur Tätigkeit des Herrn Professor Dr. Achelis als Hochschulreferent 1933/34«, 25.7.1945, NL Forsthoff. Vgl. BW, Nr. 26, Anm. 9. Zu Adolf Reichwein siehe H. Mommsen, Adolf Reichweins Weg in den Widerstand und den Kreisauer Kreis, in: Alternative zu Hitler, 2000, 352 ff. E. Forsthoff, Anlage 4 zum Fragebogen, o.D., NL Forsthoff, 1; ferner ausführlich Ernst Forsthoff an den Öffentlichen Kläger bei der Spruchkammer Heidelberg, 9.9.1945 (Durchschlag), Sammlung Giesler: »Anfang 1942 wurde ich Mitglied einer Widerstandsgruppe, die in mehrfach variierten Plänen die Beseitigung Hitlers im Wege der Gewalt und den Abbruch des Krieges vorbereitete, Bestrebungen, die dann mit dem 20. Juli 1944 endgültig fehlschlugen. Ich wurde durch Herrn Friedrich Vorwerk, damals Berlin, in die Pläne eingeweiht und über die Arbeit der Gruppe fortlaufend unterrichtet. Ich habe mich nach besten Kräften im Sinne einer Vorbereitung der Widerstandshaltung eingesetzt. Der Gruppe gehörten als mir bekannt an: Prof. Adolf Reichwein (Sozialdemokrat), Dr. Ahlmann, Berlin, Prof. Schmid-Noerr, Percha; Kapitän z.S. Liedig in der Abteilung Abwehr (Canaris). Teils unmittelbar, teils durch Vermittlung von Herrn Vorwerk kam ich mit Gesinnungsfreunden in Österreich in Verbindung, so z.B. mit Dr. Mika, Prof. Paris v. Gütersloh, Hans Löschinger, Dr. Chaloupka, Dr. Steinhardt u.a. Die Gruppe war am 20. Juli bereits durch die vorher erfolgte Verhaftung von Reichwein und Liedig schwer getroffen worden. Prof. Reichwein wurde am 20. Oktober 1944 gehängt, während Liedig nach Dachau kam und dort von den Amerikanern befreit wurde. Dr. Ahlmann stand vor dem Attentat in persönlicher Verbindung mit Stauffenberg. Als der Beweis dafür mit dem Fahrtenbuch des militärischen Fahrers von Stauffenberg in die Hände der Gestapo gefallen war, nahm sich Dr. Ahlmann unmittelbar vor der Verhaftung das Leben. Dass unter diesen Umständen die übrigen Mitglieder der Gruppe in grosser Gefahr schwebten, bedarf keines weitern Wortes. Die Indizienkette zu ihnen hin wurde wesentlich durch den Freitod Dr. Ahlmanns unterbrochen.«

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Dritter Teil: Nach der Utopie

und mir wurde ihr wesentlicher Inhalt berichtet.«85 Zwar taucht Forsthoffs Name in den Untersuchungen, die über die Verschwörung des 20. Juli 1944 vorliegen, nirgends auf. Doch mindestens Forsthoffs Kenntnis von den Verfassungsplänen des Goerdeler-Kreises kann als einigermaßen sicher gelten. Sie ist zudem durch die persönliche Bekanntschaft mir dem Freiburger Historiker Gerhard Ritter, der für die Staatsvorstellungen des Goerdeler-Kreises maßgeblich verantwortlich war, biographisch plausibel. Forsthoff kannte Ritter seit seiner Privatdozentenzeit86 und hat ihn 1941 in Freiburg besucht,87 um mit ihm über eine Mitarbeit am Archiv für evangelisches Kirchenrecht zu sprechen, dessen Herausgeberschaft Forsthoff damals gerade übernommen hatte. Forsthoffs verfassungspolitische Publizistik der Nachkriegsjahre, von der im folgenden Kapitel noch zu reden ist, läßt die Vertrautheit mit diesen Plänen zur Neuordnung Deutschlands nach dem Krieg einigermaßen zuverlässig vermuten. Äußerungen Forsthoffs gibt es dazu, wie überhaupt zum Komplex des 20. Juli, nur wenige. Seine zwiespältige Haltung läßt sich aus einem Brief an Carl Schmitt vom September 1949 ersehen. Darin umriß er von Stauffenbergs gescheitertem Attentat aus eine ganze Theorie der Revolution. Eine konservative Revolution erschien ihm nun als ein Widerspruch in sich, weil der Revolutionär stets gezwungen sei, »in den technischen Begriffen der Macht« zu denken und so die traditionalen Substanzen des Staates zerstöre. Stauffenbergs Scheitern sei daher zwangsläufig gewesen, »weil der Edlere in der Rolle des Revolutionärs notwendig unterliegt.«88 Der Edlere, das heißt: der Konservative. Nicht anders hatte es Ernst Jünger 1939 in seinem Roman Auf den Marmorklippen an der Figur des Fürsten von Sunmyra dargestellt. Doch gleichviel. Mehr als eine lose und passive Mitwisserschaft verband Forsthoff auf keinen Fall mit dem Putschversuch. Mehr nahm Forsthoff für sich allerdings auch nicht in Anspruch. In einem Brief an Gustav Radbruch heißt es in diesem Zusammenhang: »Nach meinen allgemeinen ethischen und politischen Überzeugungen bin ich nicht zum Verschwörer geschaffen und rechne es mir selbst nicht zum Ruhme an, ein solcher gewesen zu sein.«89

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Ernst Forsthoff an Gustav Radbruch (Durchschlag), 2.7.1945, NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 30.11.1931, BW, Nr. 8. Ernst Forsthoff an Erik Wolf (Durchschlag), 8.11.1945, NL Forsthoff. Im Nachlaß Gerhard Ritters, der im Bundesarchiv Koblenz aufbewahrt wird, finden sich keine Hinweise auf Forsthoff. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 18.9.1949, BW, Nr. 26. Ernst Forsthoff an Gustav Radbruch (Durchschlag), 2.7.1945, NL Forsthoff.

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II. Rechtsphilosophie und Naturrecht um 1940 In welcher Lage befand sich die Rechtsphilosophie in den vierziger Jahren, als Forsthoffs Arbeiten entstanden? Die Zeit der großen Debatten, Entwürfe und Deutungen war zu Ende.90 Die zwischen der Kieler Schule, vor allem Karl Larenz, Julius Binder und Franz Wieacker, Carl Schmitt sowie Philipp Heck und anderen Traditionalisten heftig geführte Auseinandersetzung um die Auslegung, die Bindung des Richters an das Gesetz und die »konkret-allgemeine« juristische Begriffsbildung91 kam zumindest öffentlich zum Erliegen. Philipp Hecks Rechtserneuerung und juristische Methodenlehre (1936) und Larenz’ Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens (1938) markierten hier jeweils die Schlußpunkte. Schon 1937 hatte Julius Binder seine Synthese in endgültiger Gestalt veröffentlicht.92 Die neuhegelianische Staatsphilosophie und Staatslehre hatte mit Hubers Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches93 einen sichtbaren äußeren Abschluß gefunden. Ernst Forsthoff hatte dem Neuhegelianismus von Anfang an ferngestanden, auch wenn er zu ihren Protagonisten, insbesondere zu Ernst Rudolf Huber freundschaftliche Beziehungen unterhielt. Zwar bezeichnete er selbst die Betrachtungsweise, der er sich in seiner Schrift über den totalen Staat bedient hatte, später als eine hegelianische.94 Doch wie er zu dieser Einschätzung kam, bleibt sein Geheimnis, sieht man einmal vom bloßen Begriff der Totalität ab, den er freilich anders als Hegel95 völlig unspezifisch gebrauchte. Auch ansonsten hing Forsthoff durchaus nicht der neuhegelianischen Methode der »konkret-allgemeinen Begriffsbildung« an. Bereits im Zusammenhang mit Forsthoffs Lehre von der Daseinsvorsorge wurde darauf hingewiesen, daß Forsthoff auf eine durchaus andere Art von Rechtsphilosophie aus war: den spekulativen Idealismus lehnte er als eine Form des Subjektivismus ab, den es durch eine konkretere Form des Denkens zu ersetzen galt.96 Einen Wendepunkt der rechtsphilosophischen Diskussion markierte dann der Beginn des Krieges. Was danach noch geschrieben wurde, waren die staatsphilosophischen Traktate der »Hundertprozentigen«, als die Paul Ritter-

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C. Tilitzki, Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Tl. II, 2002, 1074 f.; A. Voigt, Die Staatsrechtslehrer und das Dritte Reich, in: ZRGG 31 (1979). Hierzu noch einmal B. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 62005, 270 ff. J. Binder, System der Rechtsphilosophie, 1937. E. R. Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, 1939. Ernst Forsthoff an Jean-Pierre Faye, 31.8.1963, zit. n. J. P. Faye, Introduction aux Langages totalitaires, 2003, 64. G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), Werke, Bd. 7, 1970, § 275; Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), Teil III, Werke, Bd. 10, 1970, § 541. S.o., 4. Kap., S. 172.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

busch97, Reinhard Höhn98 oder Wilhelm Stuckart gelten müssen. Die ernstzunehmenden Autoren wandten sich nun in der Mehrheit anderen Gegenständen zu, von denen aus sich die Lage indirekt kommentieren ließ. Ernst Rudolf Huber beschäftigte sich nach 1939 vor allem mit Militärverfassungsgeschichte99 und der Geschichte des Staatsdenkens,100 Carl Schmitt, dessen Lehre vom »konkreten Ordnungsdenken« immer ein bloßes Schlagwort geblieben war, mit politischer Geistesgeschichte und Völkerrecht.101 Nur Karl Larenz setzte die neuhegelianische Rechtsphilosophie noch länger fort.102 Auch entstand jetzt vieles, was erst nach dem Krieg erschien. Franz Wieackers Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (1952) ist dafür ein Beispiel,103 Schmitts Nomos der Erde (1950) ein anderes. Es ist unmöglich, die verschiedenen Ansätze und Strömungen hier zu referieren, ganz zu schweigen von den staats- und rechtsphilosophischen Impulsen, die aus der Fachphilosophie kamen,104 etwa durch Autoren wie Arnold Gehlen, Alfred Bäumler und Hans Freyer. Interessant ist jedenfalls, mit welchem Unbehagen Forsthoff selbst die Lage der Rechtsphilosophie beschrieb. In einem Brief an Wilhelm Stapel aus dem Jahr 1943 heißt es in bemerkenswerter Offenheit folgendermaßen: »Die Kieler Richtung ist fertig: entweder sie harft weiter auf der Leyer der Volksgemeinschaft, dann ist sie auf dem Mond oder im Wolkenkuckucksheim, oder sie stösst auch mit in die Grossraumposaune – und entlarvt sich damit als eine pseudowissenschaftliche Literaturgattung, die allen Moden folgt und nur von dem Bestreben beherrscht ist, immer up to date zu sein. Beides ist gleich fatal. Die Rolle des wissenschaftlichen à la mode-Cavaliers kann ich nur dem Staatsrat [scil: Carl Schmitt] zuerkennen, der sie mit so viel Grazie und vor allem Klugheit zu spielen weiss. Höhns Ablehnung der juristischen Staatsperson war 1933 ein diskutabler Einfall, der dann zu einer spezifisch deutsch-ideologischen Donquichoterie aufgeplustert wurde. Alles das ist an seinem ideologischen Endpunkt angelangt, wo nur noch die Selbstbewegung ohne jeden Effekt übrig bleibt.«105

Eine rechtsphilosophische Strömung ist hier allerdings etwas ausführlicher zu erwähnen, weil Forsthoff sich mit ihr am intensivsten auseinandergesetzt hat. 97 98

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P. Ritterbusch, Demokratie und Diktatur, 1939. R. Höhn, Frankreichs demokratische Mission in Europa und ihr Ende, 1940; ders., Reich, Grossraum, Grossmacht, 1942. E. R. Huber, Heer und Staat in der deutschen Geschichte, 21943. E. R. Huber, Friedrich Christoph Dahlmann und die deutsche Verfassungsbewegung, 1937; ders., Goethe und der Staat, 1944. C. Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte, 1939; ders., Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes (1938), 32003. Ausf. H. H. Jakobs, Karl Larenz und der Nationalsozialismus, in: JZ 1993, 805 ff. V. Winkler, Moderne als Krise, Krise als Modernisierung, in: forum historiae iuris (Juli 2005). Hierzu C. Tilitzki, Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Tl. II, 2002, 1074 ff. Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 2.7.1943 (Durchschlag), NL Forsthoff.

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Die Rede ist von naturrechtlichen Rechtsbegründungen, die es auch vor 1945 in nicht geringer Zahl gegeben hat. Den Kontext von Forsthoffs Auseinandersetzung mit dem Naturrecht richtig zu erfassen, ist allerdings nicht leicht, denn das naturrechtliche Denken während des »Dritten Reichs« ist bisher nicht systematisch untersucht worden.106 Die Verfechter des Naturrechts nach dem Krieg haben jedenfalls die naturrechtlichen Ansätze vor 1945 im Interesse der Glaubhaftigkeit der »Positivismus-Legende« zumeist sorgfältig kaschiert.107 Und doch ist schon 1942 von einer »Renaissance des Naturrechts«108 gesprochen worden. Freilich waren Naturrechtslehren für die Rechtsphilosophie der nationalsozialistischen Zeit kaum repräsentativ, und selbst für sie trifft noch die Bemerkung von Jürgen Habermas zu, daß das Naturrecht im allgemeinen unter dem Niveau der zeitgenössischen Philosophie bleibt.109 Zum einen war die katholische Naturrechtstradition nie völlig abgebrochen. So hatte der später ins Exil gegangene Katholik Heinrich Rommen 1936 einen anspruchsvollen Versuch zur »Erneuerung« des Naturrechts unternommen.110 Die Enzyklika Mit brennender Sorge Pius’ XI. berief sich 1937 gegenüber der nationalsozialistischen Weltanschauung auf naturrechtliche Maßstäbe. Sie hat im deutschen Katholizismus einen gewissen Einfluß gehabt111 und etwa das Staatsdenken des Kreisauer Kreises mitgeprägt.112 Auch innerhalb der reichsdeutschen Staatsrechtslehre gab es Naturrechtsvertreter. Hier ist neben Herbert Krüger113 vor allem Ernst von Hippel zu nennen, ein Kollege Forsthoffs in

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S. jetzt aber F. Wittreck, Nationalsozialistische Rechtslehre und Naturrecht, 2008, sowie bereits O. Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung, 1994, 286 ff. So vor allem die einflußreiche Dokumentation von W. Maihofer (Hrsg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus?, 1962, deren 42seitige Bibliographie keinen einzigen vor 1945 erschienenen Beitrag nennt. K. Muhs, Die Idee des natürlichen Rechts und der moderne Individualismus, in: ZgStW 102 (1942), 401 f., 442 f. J. Habermas, Naturrecht und Revolution (1963), in: Theorie und Praxis, 1971, 118. H. Rommen, Die ewige Wiederkehr des Naturrechts, 1936, bes. 151 ff., 256 ff.; dazu C. M. Scheuren-Brandes, Der Weg von nationalsozialistischen Rechtslehren zur Radbruchschen Formel, 2006, 43 ff. H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. IV, 2003, 815 f.; zur vorherigen katholischen Naturrechtsdiskussion nur F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 21967, 600; s. a. W. Schubert, Einleitung, in: Protokolle der Ausschüsse der Akademie für Deutsches Recht, Bd. XV, hrsg. v. W. Schubert, 2003, XXI. Die katholische Naturrechtslehre war auch die einzige, der Forsthoff bei aller Distanz die Anerkennung nicht versagte, weil sie im Gegensatz zu allen anderen Lehren in der Tradition eines »echten«, nämlich des thomistischen Naturbegriffes stehe (E. Forsthoff, Zur Problematik der Rechtserneuerung, in: Zeitwende 19 (1947/1948), 685). S. etwa L. von Trott zu Solz, Hans Peters und der Kreisauer Kreis, 1997, 149 f., 165 ff.; K. von Klemperer, Naturrecht und der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus, in: VfZ 40 (1992), 323 ff.; deutlich ist der Einfluß noch in H. Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949. H. Krüger, Naturrecht in Gegenwart und Vergangenheit, in: ZgStW 99 (1939), 554.

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Königsberg, der ein rational-metaphysisch fundiertes Naturrecht lehrte.114 Auch und zumal im Völkerrecht kam es während des »Dritten Reichs« zu einer Neubelebung naturrechtlichen Gedankenguts.115 Allerdings gab es auch Bestrebungen, den Begriff des Naturrechts umgekehrt gerade für das nationalsozialistische Recht geltend zu machen. So haben etwa Walther Schönfeld und Hans-Helmut Dietze ein konkretes »Naturrecht aus Blut und Boden« gelehrt.116 Auch Carl Schmitts »konkretes Ordnungsdenken« ist naturrechtlich interpretiert worden.117 Es kommt hier auf die großen Unterschiede im einzelnen nicht an. Es war jedenfalls nicht völlig aus der Luft gegriffen, wenn Forsthoff naturrechtliche Denkströmungen in der Rechtswissenschaft 1940 als eine bedeutende Tendenz wahrnahm (RuS, 13). Die direkten Impulse zu Forsthoffs Kritik des Naturrechts gingen wohl von Publikationen zweier seiner Bekannten aus: Fritz von Hippel und Franz Beyerle. Der Freiburger Zivilist von Hippel führte seit 1930118 einen etwas wunderlichen, jedenfalls aber hochpolemischen Feldzug gegen den »Formalismus« der Begriffsjurisprudenz, ihren »Pseudopositivismus« und ihre angebliche »scholastische Wortkunst«.119 Demgegenüber versuchte er, Problemkreise wie die testamentarischen Formvorschriften120 oder die Rechtsgeschäftslehre121 unter Rückgriff auf ihre »immanenten Aufgaben« und »vorgegebene Problemzusammenhänge« zu einem »natürlichen System« des Privatrechts zu bringen.122 Beyerle hatte sich schon 1937 innerhalb der Akademie für Deutsches Recht für eine Neubefassung mit dem Naturrecht stark gemacht123 und forderte in einem im Jahr darauf auf einer Sitzung der Abteilung für Rechtsforschung in

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F. von Hippel, Das Problem der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, 1936; ders., Formalismus und Rechtsdogmatik, 1935. M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1999, 398 f. m.w.N. W. Schönfeld, Vom Rechte, das mit uns geboren, 1940; ders., Zur geschichtlichen und weltanschaulichen Begründung des Rechts, in: DRw 4 (1939), 201 ff.; H.-H. Dietze, Naturrecht in der Gegenwart, 1936, bes. 262 ff.; R. Eberhard, Modernes Naturrecht, 1934; dazu C. M. Scheuren-Brandes, Der Weg von nationalsozialistischen Rechtslehren zur Radbruchschen Formel, 2006, 83 ff.; F. Wittreck, Nationalsozialistische Rechtslehre und Naturrecht, 2008, 37 ff. H. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 21955, 194 f., dagegen allerdings bereits H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, 1964, 187; hierzu auch F. Wittreck, Nationalsozialistische Rechtslehre und Naturrecht, 2008, 22 f. mit Anm. 12. F. von Hippel, Zur Gesetzmäßigkeit juristischer Systembildung, 1930. F. von Hippel, Formalismus und Rechtsdogmatik, 1935. Ebd., III. Teil. F. von Hippel, Das Problem der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, 1936. So etwa F. von Hippel, Das Problem der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, 1936, V. Vgl. die Niederschrift über die 1. Sitzung der Klasse I der Abteilung für Rechtsforschung, 19.6.1937, BA Berlin, Akademie für Deutsches Recht, R 61/77, Bl. 9.

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München gehaltenen Vortrag die Aktualisierung naturrechtlichen Denkens.124 Ernst Forsthoff hat in seiner Eigenschaft als Dekan der Königsberger Fakultät an der »streng internen«125 Sitzung teilgenommen,126 auf der es, wie der Sitzungsbericht knapp vermerkt, zu heftigen Diskussionen gekommen ist.127 Mit Franz Beyerle verband Forsthoff eine gemeinsame Zeit in der Frankfurter Arbeitsgemeinschaft für Rechtserneuerung,128 deren Zielsetzung freilich auch Beyerle nicht mehr uneingeschränkt vertrat.129 Statt dessen bekannte er sich – wie auch sein Schüler Hans Thieme130 – nun zum Naturrecht. Zwischen Rückgriffen auf das vorkritische Naturrecht und einem weltanschaulich aufgeladenen Neonaturrecht verfocht Beyerle eine mittlere Linie. Sein Vortrag stellt nicht nur wegen seiner rhetorischen Brillanz einen der anspruchsvolleren einschlägigen Beiträge während des »Dritten Reichs« dar. Beyerle verband seine Verteidigung des Naturrechts mit einer zeittypischen Philippika gegen die Historische Schule und den juristischen Positivismus. Dessen dogmatisches Ideal galt ihm als »idealistisch hochgetriebene und doch versponnene Gelehrsamkeit abseits der eigenen Welt und ihrer Fragen«. Das naturrechtliche Ziel, »das Recht zum stilgerechten Ausdruck unserer völkischen Kultur zu prägen«, dürfe sich, so Beyerle, nicht scheren um das »Koordinatennetz einer schon gestrigen Begriffssprache«131. Savigny vor allem habe mit romantisierenden Halbheiten zwar das Naturrecht »bis aufs Mark durchhöhlt«132, doch sein Ideal sei bloß die begriffstechnische Konstruktion gewesen. Savigny sei deshalb haftbar »für das Fehlen einer Rechtskultur des 19. Jahrhunderts«133! Beyerle ging es freilich nicht um die schlichte Restauration neuzeitlicher Naturrechtslehren; im Gegenteil: die klassische Lehre sei individualistisch,

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F. Beyerle, Der andere Zugang zum Naturrecht, in: DRw 4 (1939), 3 ff. Werner Weber an Hans Peter Ipsen, 7.12.1938, BA Berlin, Akademie für Deutsches Recht, R 61/78, Bl. 113. Werner Weber an Fritz van Calker, 8.11.1938, BA Berlin, Akademie für Deutsches Recht, R 61/78, Bl. 100. Da Forsthoff nicht Mitglied der Akademie war, beschränkte sich seine Teilnahme an den Sitzungen auf die Zeit, in der er das Dekanat innehatte. Von der Teilnahme berichtet auch Ernst Forsthoff an Rudolf Smend, 12.3.1939, SUB Göttingen, NL Smend. Niederschrift über die 3. Sitzung der Klasse I der Abteilung für Rechtsforschung, 9.12. 1938 in Berlin, BA Berlin, Akademie für Deutsches Recht, R 61/77, Bl. 27. Dazu oben, 2. Kap., S. 53. Vgl. B. Diestelkamp, Franz Beyerle (1885–1977), in: Juristen an der Universität Frankfurt am Main, hrsg. v. B. Diestelkamp/M. Stolleis, 1989, 157 ff., der Beyerles Arbeiten nach 1935 jedoch m. E. zu unkritisch sieht. H. Thieme, Die Zeit des späten Naturrechts, in: ZRG Germ. Abt. 66 (1936), 202 ff., ders., Die preußische Kodifikation, in: ZRG Germ. Abt. 67 (1937), 355 ff. F. Beyerle, Der andere Zugang zum Naturrecht, in: DRw 4 (1939), 20. Ebd., 11. Ebd., 13.

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»ihrer Zeit verhaftet und durch sie begrenzt«134. Sie stehe damit im Widerspruch zum völkisch-kollektiven Sozialideal der Gegenwart. Damit sei aber noch nicht der Stab gebrochen über den überzeitlichen Anspruch des Naturrechts auf einen »Maßstab außerhalb des positiven Rechts oder (mit anderen Worten) das Idealbild des erstrebten Rechts«135. Maßstäbe solcher Art hielt Beyerle nun tatsächlich mit einer organisch-konkreten Naturrechtslehre für erreichbar. Die klassischen naturrechtlichen Schriftsteller befragte er konsequenterweise vor allem auf Ansätze einer überindividualistischen sozialen »Pflichtenlehre«136. So hielt Beyerle etwa die Lehre vom iustum pretium für einen bleibenden »naturrechtliche[n] Maßstab«137 für jedes, auch für das moderne Privatrecht, ebenso eine pflichtbetonte Eigentumslehre. Beides habe sich im »nationalen Sozialismus« vornehmlich im Arbeitsrecht und in den »beiden großen Ordnungen der Güternutzung und des Güterumsatzes« zu entfalten.138 Ein naturrechtliches Rechtsbewußtsein habe hier die praktische Aufgabe, »die tatsächliche Sozialordnung als richtig oder falsch, […] als notwendig oder überlebt zu zeigen.«139 Ein erneuertes Naturrecht müsse beweisen können, »daß sozialen Forderungen auch bestimmte Leitsätze des Rechts entsprechen« und eine normative »Rangfolge unserer Daseinswerte«140 entwickeln.

III. Die Krise des Rechts als Krise der Sprache Die Auseinandersetzung mit Beyerle und von Hippel ist deswegen so aufschlußreich, weil in ihr Forsthoffs rechtsphilosophisches Grundproblem nach dem Ende seiner Utopie von einer weltanschaulich geschlossenen Rechtsordnung zum ersten Mal voll zum Tragen kam. War nicht der Übergang zum Naturrecht nur eine Wiederholung des Fehlers, die rechtlichen Institutionen einer revolutionären Ideologie und ihrem Beherrschungsanspruch zu unterstellen? Ein Jahr nach Beyerles Akademievortrag trat Forsthoff mit seiner Rede über Recht und Sprache in die Kontroverse ein, vermied dabei aber eine direkte Auseinandersetzung. Statt dessen ging er daran, die naturrechtlichen Bestre134

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Ebd., 10. Zu dieser Kritik eingehend F. Wittreck, Nationalsozialistische Rechtslehre und Naturrecht, 2008, 25 ff. F. Beyerle, Der andere Zugang zum Naturrecht, in: DRw 4 (1939), 10; s. a. 24: »Nicht ein System ist unsere vornehmste Aufgabe, sondern die Durchgestaltung, Grundlegung und Sinnerfüllung eines eindeutigen Rechtsbewußtseins. An seiner Formulierung wird die Sprache einer neuen Wissenschaft vom Recht zuerst vernehmlich werden. Sie wird […] vom klassischen Naturrecht manches lernen können.« Ebd., 6. Ebd., 22. Ebd., 21. Ebd., 10. Ebd., 23.

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bungen nicht als Ausweg, sondern als Zeichen einer umfassenden geistigen Krise des Rechts zu verstehen und insofern eine Art »Metakritik« der zeitgenössischen Rechtsphilosophie zu formulieren. Die methodische Krise des Rechts war in Wahrheit eine Krise seiner Sprache. Ihre Bewältigung konnte nur bei der Frage nach der Sprache ansetzen und zu einer Rückbesinnung auf die in ihr liegende Kraft führen. Das ist die Essenz des extrem abstrakten, ja teils geradezu hermetischen Vortrages Recht und Sprache,141 der allerdings ein Schlüsseltext zum Verständnis Forsthoffs ist. In einem Brief an von Hippel heißt es: »Mein Anliegen ist ein rechtsphilosophisches und geht um die Grundlegung und Entfaltung der juristischen Methode nach dem Stande der heutigen (d.h. natürlich nicht der vordergründig-heutigen) philosophischen Einsichten. Und von diesem Anliegen aus habe ich gegen die von Ihnen eingeschlagene [scil: naturrechtliche] Methode ein grundsätzliches Bedenken, das ich freilich nur von einer Seite her, der sprachlichen […], entwickeln möchte.«142

Was bedeutete nämlich die Rückwendung zum vermeintlich naturrechtlichen Denken für die Funktion der Rechtsdogmatik? Was für das Verhältnis des Rechts zur Sprache? Es gilt zunächst zu erörtern, was aus Forsthoffs Sicht grundsätzlich gegen die Rückkehr zum Naturrechtsideal sprach (1.), um so zu verstehen, warum Forsthoff ihr die Rückbesinnung auf die Sprache und die hermeneutische Kunst entgegensetzen wollte (2.). Forsthoffs sprachtheologische Rechtsbegründung erweist sich dabei als Schlüssel zum Verständnis seiner Rechtsphilosophie (3.). Gegen Beyerle und von Hippel verteidigte er dabei nicht nur das philologische Wissenschaftsideal der Historischen Schule, sondern empfahl trotz nicht unerheblicher Vorbehalte die Rückwendung zu Savignys juristischer Hermeneutik als Ausweg aus der Krise. 1. Naturrecht und Geschichtlichkeit Was Forsthoff über die politische Funktion des Naturrechts sagte, war eine Rekapitulation von Max Webers These vom spezifischen und notwendigen Zusammenhang von naturrechtlichem Denken und revolutionärer Weltanschauung. Moderne naturrechtliche Normen müßten sich, so hatte Weber gesagt, als Wertsetzungen stets aus einem gegenüber dem positiven Recht absolut selbständigen und vorrangigen Inhalt legitimieren, ihre Geltung »kraft rein immanenter Qualitäten« behaupten. Sie stünden damit in einem unauflöslichen Widerspruch zur Eigenrationalität des positiven Rechts und seiner formalistischen Dogmatik. Deshalb eigne sich, so Weber, der Appell an das Naturrecht 141

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Vgl. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 4.6.1950, BW, Nr. 38: »Ich […] stehe nach wie vor zu dem, was das eigentliche Anliegen des Vortrags ist. Das konstitutive Element in der Sprache und im öffentlich gesprochenen, verkündeten Wort ist mir heute noch ebenso wichtig wie damals und ich bin von der Richtigkeit dessen nach wie vor überzeugt.« Ernst Forsthoff an Fritz von Hippel, 17.12.1939, UA Freiburg, NL von Hippel, Nr. 828.

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in besonderer Weise zur Begründung revolutionärer Veränderungen des Rechts.143 Deren Stoßrichtung hing für Weber allerdings vom jeweils impliziten Naturbegriff ab. Nach dem endgültigen Zerfall des »rationalistischen« Naturbegriffs des formalen frühneuzeitlichen Naturrechts sei es unweigerlich zu einem »Umschlag zum materialen Naturrecht«144 gekommen. In dieser Spielart könne naturrechtliches Denken zum Träger von gesellschaftspolitischen Programmen aller Art werden und damit zur Gefahr für die rationale Funktionsweise des positiven Rechts.145 Beyerles organisch-konkretes Naturrecht und von Hippels natürliches Rechtssystem boten Forsthoff gutes Anschauungsmaterial, um Webers Kritik zu aktualisieren. Wie Weber bestritt auch er, daß es in der Moderne ein »natürliches Recht« geben könne. Jedes naturrechtliche Postulat erweise sich bei näherer Betrachtung vielmehr als eine »absolute Setzung« (RuS, 16). Echtes naturrechtliches Denken, hielt er Beyerle entgegen, müsse von dem rationalistischen Glauben an die Möglichkeit getragen sein, einem inhaltlich als richtig erkannten Recht »einen klaren, jedem Zweifel entrückten Ausdruck zu geben.« (RuS, 16) Nur aus einem intakten Vernunftglauben lasse sich sein revolutionärer Anspruch auf »absolute Setzungen« überhaupt legitimieren. Das folgte für Forsthoff schon aus der Neigung des Naturrechts zur Ausbildung eines »Systems«146. Nun müsse aber ein neues naturrechtliches Denken am Problem der Geschichtlichkeit des Rechts scheitern. Insoweit sei die Naturrechtskritik der Historischen Schule endgültig und unwiderruflich (RuS, 14). An Fritz von Hippel schrieb Forsthoff dazu: »Daß etwa das Naturrecht des 18. Jahrhunderts an dem Phänomen der Geschichtlichkeit zerbrochen ist, […] daß alles neue Naturrecht sich nur in der Auseinandersetzung mit der Geschichtlichkeit neu konstituieren könnte, ist nach dem Gang der deutschen Geistesgeschichte seit 1800 so klar, daß man es im einzelnen nicht zu belegen braucht. Ich habe aus den Phänomenen, in denen sich die Geschichtlichkeit manifestiert, eines der subtilsten herausgenommen: die Sprache und habe von da aus einen konkreten Schluß auf die Möglichkeit eines neuen Naturrechts gezogen. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen und warte ab, ob man etwas dawider setzen wird.«147

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M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 51972, 497: Das Naturrecht sei die »spezifische Legitimitätsform der revolutionär geschaffenen Ordnungen. Berufung auf ›Naturrecht‹ ist immer wieder die Form gewesen, in welcher Klassen, die sich gegen die bestehende Ordnung auflehnten, ihrem Verlangen nach Rechtsschöpfung Legitimität verliehen, sofern sie sich nicht auf positive religiöse Normen und Offenbarungen stützten.« Ebd., 499. Ebd., 501. Ernst Forsthoff an Fritz von Hippel, 24.8.1940, UA Freiburg, NL von Hippel, Nr. 1908: »Alles Naturrecht ist nicht Doktrin, sondern System. Und partikuläres System eines größeren systematischen Ganzen.« Ähnlich auch E. Forsthoff, Zur Problematik der Rechtserneuerung, in: Zeitwende 19 (1947/1948), 685, 687. Ernst Forsthoff an Fritz von Hippel, 24.8.1940, UA Freiburg, NL von Hippel, Nr. 1908.

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Eine »Dispensation vom historisch-kritischen Sprachverständnis« (RuS, 16) und eine Rückkehr zum Naturrecht könne es danach nur um den Preis eines allgemeinen wissenschaftlichen Niveauverlustes geben, denn mit ihr werde »der Weg zu einer ausgegliederten, zulänglichen Rechtsdogmatik […] in verhängnisvoller Weise verstellt« (RuS, 13). Damit hat Forsthoff die Stoßrichtung irrationalistischer Natur- und ihnen nachgelagerter Rechtsbegriffe in der nationalsozialistischen Zeit recht genau getroffen.148 Bemerkenswerterweise bezeichnete er das Naturrecht geradezu als Versuchung zur Absolutheit, der es standzuhalten gelte (RuS, 13). Worin bestand die Versuchung? Forsthoff meinte damit die Übernahme leicht zu handhabender allgemeiner weltanschaulicher Sätze in die Rechtssprache. Darum nämlich handelte es sich für ihn auch dort, wo von Naturrecht die Rede war. Wo kein rationalistischer Naturbegriff mehr zugrundegelegt werden könne, sei das Denken in natürlichen Systemen nichts als eine weltanschauliche, d.h. subjektive Setzung. Und welche Weltanschauungen und welcher Naturbegriff sich nunmehr der naturrechtlichen Blankettformeln bedienen könnten, war Forsthoff nicht zweifelhaft, auch wenn er es nur in einem Brief an Fritz von Hippel aussprach: »Das Thema [scil: Recht und Sprache] ist von mir in einem prinzipiellen Sinne gemeint, es geht mir um die Bestimmung des Standorts des Rechts und der Rechtswissenschaft im System der Geisteswissenschaften, im besonderen auch um die Abwehr des Biologismus im Recht, den ich freilich nicht expressis verbis nenne.«149

Von dieser Zielsetzung her ist es leicht verständlich, weshalb Forsthoff in seiner Kritik zwischen im engeren Sinne naturrechtlichen und anderen weltanschaulichen Rechtsbegründungen keinen wesentlichen Unterschied machte. Er bezeichnete sie gemeinsam als »grundsätzliches Denken«, d.h. als Rechtsbegründung aus übergeordneten normativen Grundsätzen, und identifizierte sie in ihrer politischen und rechtslogischen Funktionsweise. Noch deutlicher wurde Forsthoff in einer Rede über Die Grenzen des Rechts, die er nach einer Tradition der Königsberger Universität im Februar 1941 zum Todestag Immanuel Kants hielt und in der er seine in Recht und Sprache vorgetragene Kritik des naturrechtlichen und weltanschaulichen Denkens erneuerte und wesentlich erweiterte. In diesem Vortrag fragte er zunächst nach der geistigen Situation, in der die Frage nach den metaphysischen Grundlagen des Rechts überhaupt eine solche Aktualität gewinnen konnte. Das deutsche Rechtswesen stehe, so führte er aus, am Ende einer langfristigen krisenhaften Entwicklung des positivistischen Legalitätsglaubens. Das normativistische Ideal des Rechtspositivismus sei nur solange geeignet gewesen, das Recht gegen die »Beunruhigungen« der modernen Massengesellschaft abzu148 149

Vgl. F. Wittreck, Nationalsozialistische Rechtslehre und Naturrecht, 2008, 53 ff. Ernst Forsthoff an Fritz von Hippel, 3.12.1939, UA Freiburg, NL von Hippel.

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schotten, wie eine intakte Rechtsethik der Interpreten und das Vertrauen auf den im positiven Recht ausgedrückten Gerechtigkeitsgehalt, also das Vertrauen auf die Gerechtigkeit des konkreten Staates den moralischen Gehalt der Rechtsordnung insgesamt verbürgen konnten. Nun seien aber an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die ethischen Voraussetzungen des Positivismus zerbrochen: Die individuelle Rechtsethik habe ihre »ergänzende Funktion neben der Legalität« (GrR, 15) aber verloren, nachdem sie infolge von »Verstädterung und Technisierung, […] Psychologismus und Historismus« von den »Schwankungen des Wertbewußtseins« ergriffen worden sei. So sei das Vertrauen in die ethischen Qualitäten der Rechtsordnung verloren gegangen (GrR, 16). Die sozialen Krisen nach dem Ersten Weltkrieg hätten deshalb das Bedürfnis ausgelöst, das Recht metaphysisch neu zu begründen, was sich an den seither entstandenen rechtsphilosophischen Bestrebungen zeige.150 Forsthoff bestritt nun allerdings, daß die Rückanbindung an überpositive Grundsätze oder – wie er selbst es etwas rätselhaft formulierte – ein neuer »Positivismus unter Vertauschung des Objekts« (RuS, 42) irgendeinen Beitrag zur Stabilisierung des in Unruhe geratenen Rechts leisten könne. Forsthoff erweiterte seine Kritik des Naturrechts deshalb nun schlechthin auf alle Versuche, die »Rechtsordnung wieder als materiale ethische Weltordnung sinnfällig zu machen und ihren Vollzug weniger den logisch-technischen Qualitäten des Rechts als dem unverbildeten ethischen Wertbewußtsein anzuvertrauen« (GrR, 17). Sie alle seien im Kern eine unzulässige »Dispensation vom Gesetz« (GrR, 21), Gefährdungen der Rationalität des positiven Rechts, methodisch nicht domestizierbar – letztlich »Ausfluß einer primitiven Dorflindenromantik« (GrR, 21). Damit war, verhältnismäßig ungeschützt, auch die Überformung des Rechts mit den Kategorien der herrschenden Weltanschauung (»Volksgemeinschaft« usw.) gemeint, auch wenn er sie bloß vage als »Ethik« bezeichnete. Anders konnten die folgenden Sätze im Winter 1941 nun einmal nicht verstanden werden: »Keinesfalls ist uns heute mit dem kategorischen Diktat geholfen, Recht und Ethik falle jetzt in eins, und der Rechtswahrer habe sich deshalb an seinem persönlichen ethischen Bewußtsein auszurichten, sofern es mit den Rechtsnormen in Widerspruch trete. Dieses kurzschlüssige Verfahren läßt die Verwiesenheit auf generell normative Satzungen außer Rücksicht, die den modernen Rechtsordnungen eigentümlich sein muß. […] Wir können den Rechtswahrer nicht von der strikten Gesetzesfolge dispensieren, ohne dem Chaos den Weg freizugeben.« (GrR, 21)

Auch nach 1945 setzte Forsthoff seine Kritik naturrechtlicher Rechtsbegründungen fort. Bemerkenswert ist insbesondere die Rolle, die er von Anfang an 150

Vgl. GrR, 16: »Das Ringen um die Überwindung des Dualismus von Gesetz und Ethos, Rechtsordnung und materiale Gerechtigkeit begann. Dieses Ringen, zunächst wesentlich auf die Wissenschaft beschränkt, gewann mit dem Jahr 1933 außerordentlich an Breite. Wir stehen heute noch in ihm.«

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als Verteidiger des Rechtspositivismus und seines historischen Rechts gegen »billige Besserwisserei« spielte,151 natürlich ohne ihm selbst anzuhängen. An seiner Ablehnung des Naturrechts änderte es nichts, daß die Naturrechtler nun wieder Anschluß an das alte, vorkritische Naturrecht suchten152 – im Gegenteil. Er sah sich in seiner Haltung nun völlig bestätigt und hielt die »Naturrechtsrenaissance« für nichts anderes als die »Verlegenheitsstammelei der Einfallslosen von heute«153. Nachdem die eine Weltanschauung erledigt war, so meinte er, werde das Gegeneinander oberster Rechtsgrundsätze erst recht losgehen. Das Naturrecht sei über kurz oder lang doch nichts als ein »politische[s] Kampfmittel«, »dessen Handhabung sich zu der Raserei steigern kann, deren die weltanschaulichen Pseudoreligionen fähig sind«154. Man könne schließlich, wie er provokativ formulierte, »mit dem Naturrecht alles beweisen und rechtfertigen – bis zu den Gaskammern von Auschwitz; es kommt nur darauf an, 151

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SIG, 15. S.a. RW 16 u.ö.; s. a. Ernst Forsthoff an Hans Paeschke, 13.12.1953, DLA Marbach, Best. Merkur/»Deutscher Geist zwischen gestern und morgen«: »Die […] Lage der Rechtswissenschaft nach 1945 ist die, daß sie nicht am Ende einer 12jährigen Kontinuitätsunterbrechung stand und steht, deshalb auch nicht bei 1932 etwa wieder anknüpfen konnte. Der Abbruch der Kontinuität liegt für die Rechtswissenschaft bereits viel früher, in den ersten Jahren der Weimarer Republik. Mit dem Zusammenbruch des Rechtspositivismus, der an der Inflation und ihren Problemen scheiterte, begann für die deutsche Rechtswissenschaft eine Periode des Suchens und der Bemühung um neue Fundierung, die 1933 noch in vollem Gange war und in nationalsozialistischen Theorien – die jedenfalls im Anfang durchaus noch die Merkmale dieser Periode des Suchens trugen – sich fortsetzten, bis diese Bewegung im Kältehauch des autoritären Regimes einfror und wissenschaftlich uninteressant wurde. Es ist das Merkmal der Entwicklung nach 1945, daß sie keinen festen Boden hatte, auf den sie treten konnte. Daher […] der müßige Zeitvertreib, den längst toten Positivismus noch einmal zu töten (nicht ohne ihn vorher für alles […] verantwortlich gemacht zu haben)« Die wesentlichen Beiträge zur Naturrechtsdebatte von 1945 bis zum Ende der fünfziger Jahre sind dokumentiert in: W. Maihofer (Hrsg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus?, 1962. Zunächst hatte Gustav Radbruch 1946 seinen berühmten Aufsatz über gesetzliches Unrecht publiziert (G. Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: SJZ 1 (1946), 105 ff.), bald darauf unternahm Helmut Coing seinen Versuch zur Neubegründung des Naturrechts (H. Coing, Die obersten Grundsätze des Rechts, 1947, bes. 134 ff.). Von Beginn an bekannte sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, unter dem maßgeblichen Einfluß seines Präsidenten Hermann Weinkauff, offen zum Naturrecht (vgl. F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 21967, 603 f. m.w.N.; H. Weinkauff, Das Naturrecht in evangelischer Sicht, in: Zeitwende 23 (1951/52), 95 ff.; ders., Der Naturrechtsgedanke in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, in: NJW 1960, 1689 ff.). Zum ganzen zunächst K. Kühl, Art. »Naturrecht« (V.), in: Hist. Wb. d. Philos., Bd. 6, 1984, Sp. 614 ff.; ders., Rückblick auf die Renaissance des Naturrechts nach dem 2. Weltkrieg, in: Freundesgabe für Alfred Söllner, hrsg. v. G. Köbler u.a., 1990, 331 ff.; I. Kauhausen, Nach der »Stunde Null«, 2007, 26 ff.; A. Künnecke, Auf der Suche nach dem Kern des Naturrechts, 2003; H. Grebing, Konservative gegen die Demokratie, 1971, 263 ff.; D. Simon, Zäsuren im Rechtsdenken, in: Zäsuren nach 1945, hrsg. v. M. Broszat, 1990, 154 f. Ernst Forsthoff an Ernst von Hippel, 4.4.1951, UA Köln, NL von Hippel. E. Forsthoff, Zur Problematik der Rechtserneuerung, in: Zeitwende 19 (1947/1948), 684 f.

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den Ausgangsbegriff der vorausgesetzten Natur entsprechend zu fassen.«155 Schließlich sei das Naturrecht den Beweis seiner ethischen Kraft schuldig geblieben, denn den Niedergang des deutschen Rechts habe der Kampf um überpositive Maximen nicht aufhalten können, der schließlich schon vor dem Nationalsozialismus in vollem Gange gewesen seien.156 Auch seinen Befund von einer Sprachkrise des Rechts radikalisierte Forsthoff nun noch weiter. Denn wo 1940 noch die Besinnung auf die Sprachtradition der Rechtswissenschaft als Ausweg empfohlen worden war, hieß es nun: »Wir leben in einer Zeit der Entmächtigung des Worts. Gerade der Jurist wird dieser Tatsache täglich inne. Er macht die Erfahrung, daß freiheitlich gemeinte Normen kein Hindernis mehr bilden für bürokratische Diktatur […]. Man kann sich heute auf Worte einigen, ohne gegensätzliche Standpunkte im mindesten aufzugeben. Das Wort hat seine verbindliche und verpflichtende Kraft verloren.«157

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Ebd., 684. In einer ausführlich begründeten Absage an den Veranstalter einer Tagung der evangelischen Kirche über Naturrechtsfragen schrieb Forsthoff 1950: »Ich stehe den heutigen Erörterungen über das Naturrecht in der evangelischen Welt fern. […] Ich bin ferner der Meinung, daß uns heute mit Grundsätzen, seien sie ethischer oder naturrechtlicher Art (was nicht ganz dasselbe ist) in keiner Weise geholfen wird. Wenn wir Christen glauben, allein mit solchen Grundsätzen der Wurzel des Übels beizukommen, so können wir es erleben, daß andere uns mit Grundsätzen bedienen, vor denen uns Hören und Sehen vergeht. Das hat der Nationalsozialismus mit seinem rassischen Naturrecht, das bei den Gaskammern von Auschwitz endete, schon einmal gemacht. Die ganze Realität der ideologisch verseuchten modernen Massendemokratie ist ja – politisch gesehen – nicht anderes als ein tödlicher Kampf um die Anerkennung und Durchsetzung solcher Grundsätze, wobei es auf die Qualität dieser Grundsätze erst in zweiter Linie ankommt, weil die Modalitäten dieses Kampfes, die primär entscheidend sind, das eigentliche Übel sind.« (Ernst Forsthoff an W. Menn, 12.6.1950, NL Forsthoff). E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 16. Mit dem Verweis auf seine Anfälligkeit für den Mißbrauch verwarf nun auch Ernst Rudolf Huber jede Rückkehr zu einem Naturrecht. In einem Brief an Carl Schmitt heißt es in vollkommener Übereinstimmung mit Forsthoff und bemerkenswert expliziter Kritik an Schmitt: »Bei aller Polemik gegen die legalitäre Instrumentalisierung darf nicht vergessen werden, daß in dieser Endphase der Dekomposition nicht nur das ›Gesetz‹, sondern auch das ›Naturrecht‹ zu einem Werkzeug der Willkür, der Diskriminierung und des Terrors wird. Die Berufung auf ›konkrete Ordnung‹, auf ›gesundes Recht- und Volksempfinden‹, auf irrationale Energien, auf Natur oder Vernunft, auf Gerechtigkeit und Menschlichkeit, auf christliches Naturrecht oder göttliches Rechtsgebot wird so gut wie das ›Gesetz‹ zu einer Waffe der planmäßigen Diskriminierung, Entrechtung, Vernichtung. So wird die Dekomposition erst vollendet, indem sich zur offenen Brutalität pseudolegalitärer Setzungen das Gift pseudolegitimer Beteuerungen gesellt, immer unter dem Beistand einer beflissenen Jurisprudenz. Es fragt sich, wo es in einem Zustand noch ein Asyl des unverfälschten Rechtsbewußtseins geben kann.« (Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, 16.6.1950, HStA Düsseldorf, NL Schmitt – Das »Asyl des Rechtsbewußtseins« ist eine Anspielung auf C. Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (1943/44), in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, 1958, 386 ff.) E. Forsthoff, Zur Problematik der Rechtserneuerung, in: Zeitwende 19 (1947/1948), 690.

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Ernst Forsthoff machte nun, nach dem Kriege, zusätzlich die spezifisch theologischen Einwände gegen das Naturrecht geltend, die zwar der Argumentation in Recht und Sprache mit der Opposition von Naturrecht und Schriftverständnis bereits zugrunde lagen und die er gegenüber Wilhelm Stapel auch schon 1944 zum Ausdruck gebracht hatte,158 doch die er erst jetzt explizit machte. Zu recht teile zwar auch der lutherische Christ die »Sehnsucht des heutigen Menschen nach klaren, griffigen Lösungen, mit denen man dieser unselig zerrissenen Welt Herr werden kann«, doch gerade er müsse wissen, »daß er dieser Situation standhalten muß«159. Vom evangelischen Schriftverständnis lasse sich kein Naturbegriff gewinnen, »aus dem ein Rechtssystem logisch abgeleitet werden könnte«160. Im Horizont von Luthers Sündenlehre sei die »Stellung des Menschen in der Welt und in der Geschichte« allemal nicht eingebettet in eine ihm vorgegebene natürliche Ordnung, sondern »disharmonisch; sie ist Quelle dauernder Störung durch den Abfall von Gottes Gebot, durch Verleugnung von Recht und Sitte. […] Damit wird auch die äußere Ordnung menschlichen Gemeinschaftslebens letztlich zum Werk Gottes, zum Geschenk der Gnade. Jeder Versuch, auf dem Boden evangelischen Schriftverständnisses zu einem Naturbegriff als Ausgang und Gegenstand vernunftmäßiger Systematisierung zu gelangen, würde zu einer Harmonisierung führen, die mit den Grundanschauungen Luthers notwendig in Widerspruch treten müßte«161. 2. Zur Kritik des instrumentellen Sprachbewußtseins Doch zurück zu Recht und Sprache und Grenzen des Rechts und damit zur Lage der Jahre 1940/41. Forsthoffs Analyse war auf den ersten Blick ausweglos. Für die Rechtswissenschaft und ihre Methode ergab sie die doppelte Unmöglichkeit eines nur normativen Rechtsdenkens: Der »Funktionalismus« des positivistischen Legalitätsglaubens war – wie Forsthoff meinte – an geistige und soziale Voraussetzungen gebunden, die im 20. Jahrhundert nicht mehr bestanden. Der Rückgriff auf überpositive Normbegründungen hingegen sollte die Eigenständigkeit der Rechtswissenschaft überhaupt in Frage stellen. Man konnte zwar, wie Forsthoff in seinen Vorträgen, provisorisch für die Legalität optieren, das aber nur, um dem Chaos der Legitimitäten zu entgehen. Wie aber sollte die »Krise der Legalität« dann überwunden werden, wenn weder weltanschaulich noch naturrechtlich noch positivistisch? Wie sollte die Forderung nach der Wiederannäherung von positiver Rechtsordnung und materialer Gerechtigkeit erfüllt werden, zu der auch Forsthoff sich bekannte (GrR, 16)?

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Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 7.6.1944, DLA Marbach, NL Stapel. E. Forsthoff, Zur Problematik der Rechtserneuerung, in: Zeitwende 19 (1947/1948), 690. Ebd., 685. Ebd., 686.

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Forsthoffs Hoffnungen zielten in seinen beiden großen Königsberger Vorträgen auf nicht weniger als eine Wiederholung, man könnte auch sagen: eine »schöpferische Restauration« (Rudolf Borchardt) des Wissenschaftsprogramms der Historischen Rechtsschule. Forsthoff verteidigte engagiert die existentielle Bindung des juristischen Verstehens an eine geschichtliche Sprachauffassung. Das mußte, wie sich zeigen wird, in der Tat die Möglichkeiten des Rückgriffs auf überpositive Rechtsgrundsätze stark verengen und bot gegenüber einer problematisch gewordenen Legalität auch Ansatzpunkte für ein kritisches rechtswissenschaftliches Selbstverständnis. Als Ausweg aus dem Dilemma zweier Positivismen war damit für Forsthoff in erster Linie eine Rückbesinnung geboten: auf die historisch-kritische Hermeneutik der Historischen Schule. Lapidar schrieb er dazu in einem Brief an Rudolf Smend: »die Achtung vor dem 19. Jahrhundert steigt bei mir in dem Maße, in dem ich das Niveau unserer Rechtswissenschaft sinken sehe«162. Die Krise der juristischen Sprache war, so meinte Forsthoff, die unvermeidliche Konsequenz der Durchsetzung des formal-technischen, d.h. positiven Rechtstyps. Die Historische Schule habe auf die Bewahrung der »irrational-ethischen Substanz« (GrR, 13) der Sprache im Recht als Gegengewicht gegen das wissenschaftliche Ideal begrifflicher Konstruktion nicht genügend Aufmerksamkeit verwandt. So habe sich die Jurisprudenz im 19. Jahrhundert vom geschichtlichen Sprachbewußtsein zugunsten eines instrumentellen losgesagt. Damit habe sie sich in den Dienst des modernen Staates gestellt, der die Sprache vornehmlich als ein bloßes Mittel zu seinen jeweiligen politischen Zwecken handhabe. Zwar geschah dies im Rechtsverständnis der Historischen Schule zunächst noch, wie Forsthoff zugestand, im Vertrauen auf das »Ethos« der bürgerlichen Bildungswelt.163 Doch sie machte sich dadurch wehrlos gegen die Usurpation des formalen Rechtstyps durch den »ökonomisch-technischen Entwickelungsprozeß«164: Das Recht folgte, »indem es nunmehr eine streng normative, das heißt rationale Form annahm, den Bedürfnissen der ökonomischen Lage im 19. Jahrhundert.« (GrR, 13) Auf diese Weise verlor das geschichtliche Rechtsverständnis seinen Halt im Stoff. Das Recht wurde zur Funktion, zum technischen Instrument und nahm den Charakter eines »bloßen Regulativs sozialer Abläufe« (GrR, 13) an. So erkläre sich die geistige Usurpation des Rechtsdenkens durch die Kategorien der technischen und ökonomischen Lebenswelt, die Forsthoff als Werk der Interessenjurisprudenz Rudolph von Jherings und Phi-

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Ernst Forsthoff an Rudolf Smend, 12.3.1939, SUB Göttingen, NL Smend. E. Forsthoff, Vom Zweck im Recht, in: ZAkDR 4 (1937), 174 ff.; ders., Zur Rechtsfindungslehre im 19. Jahrhundert, in: ZgStW 96 (1936), 53 f. E. Forsthoff, Zur Rechtsfindungslehre im 19. Jahrhundert, in: ZgStW 96 (1936), 58; ähnlich GrR, 16 f.

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lipp Hecks scharf anprangerte.165 Das juristische Denken habe sich immer mehr an die Sachzwänge einer expansiven industriellen Sozialstruktur ausgeliefert und auf diese Weise seine eigene Sprache verloren. Die Kritik an der vermeintlichen geistigen Leere des Spätpositivismus entsprach nun freilich verbreiteter Ansicht und las sich bei Carl Schmitt oder Franz Wieacker ganz ähnlich.166 Weitaus interessanter sind seine gegen den Wissenschaftsbegriff der Historischen Schule und seine langfristigen Folgen vorgebrachten Einwände und die aus ihnen entwickelte Rechtskritik, die ihr erkennbares Vorbild in der Kritik des Grafen Yorck und Heideggers am Historismus und seinem Begriff der Geschichtlichkeit hatten.167 Aber auch über das Schema der Positivismuskritik ging Forsthoff hinaus. In weiterer dialektischer Zuspitzung machte Forsthoff sie nämlich nun für eine implizite Kritik auch der nationalsozialistischen »Rechtserneuerung« fruchtbar. Habe sich das juristische Sprachvermögen und Sprachbewußtsein, so setzte Forsthoff seine Argumentation fort, an einen technischen Funktionalismus erst einmal ausgeliefert, könne es nun auch einer ideologischen Umpolung des Funktionalismus nichts mehr entgegensetzen. Es müsse dann gegenüber dem Wandel der Weltanschauung und überhaupt jeder »Veränderung der Wertskala der Zwecke« (RuS, 11) im eigentlichen Sinne sprach-los bleiben. Die formalistische Sprache mache das Recht zur leichten Beute für »Sinnverschiebungen und Bedeutungsentleerungen« (RuS, 11) jeder Art. Der späte Positivismus, die weltanschauliche Rechtsbegründung und das Naturrecht fielen somit unter sprachkritischem Aspekt für Forsthoff in eins. Überall drückte sich für ihn ein bloß instrumentelles Verhältnis zur Rechtssprache und damit zum

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Vgl. nur E. Forsthoff, Zur Rechtsfindungslehre im 19. Jahrhundert, in: ZgStW 96 (1936), 67: »Die Funktionsgesetze der bürgerlichen Verkehrsgesellschaft liegen der Heckschen Kennzeichnung des Gesetzes ersichtlich zugrunde. Das Leben wird hier unter dem spezifisch bürgerlichen Gesichtspunkt der Konkurrenz, des Wettbewerbs der Interessen angesehen, wobei diese ursprünglich ökonomische Denkweise totalisiert […] wird. Die Eroberung des ganzen sozialen Lebens durch das wirtschaftliche Denken ist in Heck vollendet.« Vgl. einerseits F. Wieacker, Rudolf von Jhering, 1942, insbes. 42; andererseits C. Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (1943/44), in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, 1958, 404 ff. Siehe insbesondere den Brief des Grafen Yorck an Wilhelm Dilthey v. 4.12.1887, in: Briefwechsel zwischen Wilhelm Dilthey und dem Grafen Paul Yorck v. Wartenburg, 1923, 68 f. Yorck stellt zunächst fest, daß »das Zeitalter des Mechanismus: Galilei, Descartes, Hobbes virtuell Gegenwart ist. Die Denkrichtung, die Problemstellung ist eine aktuelle.« Dann fährt er fort: »Denn z.B. die s.g. historische Schule halte ich für eine bloße Nebenströmung innerhalb desselben Flußbettes und nur ein Glied eines alten durchgehenden Gegensatzes repraesentirend. Der Name hat etwas Täuschendes. Jene Schule war keine historische sondern eine antiquarische, aesthetisch konstruirend, während die große dominirende Bewegung die der mechanischen Konstruktion war. Daher was sie methodisch hinzubrachte, zu der Methode der Rationalität nur Gesammtgefühl.«; Aufnahme des Yorckschen Verständnisses der Geschichtlichkeit bei M. Heidegger, Sein und Zeit (1927), Ges.-Ausg., Abt. 1, Bd. 2, 1977, § 77.

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Recht aus. Überall wurde für ihn die geistige Eigenständigkeit des Rechts verfehlt, indem es zum bloßen Mittel äußerer Setzung gemacht wurde, sei es nun im Dienst von praktischen Zwecksetzungen, Werten, Weltanschauungen oder eben einem Naturrecht. Wie sollte die als Grund der Rechtskrise diagnostizierte »Indifferenz gegenüber dem Element der Sprache« (RuS, 3) aber zu überwinden sein und wie die Rechtswissenschaft von einem funktionalistischen zu einem existentiellen Begriff von Sprache zurückfinden? Hier ist zunächst eine kurze Bemerkung zum Hintergrund des Vortrags »Recht und Sprache« vonnöten. Den Leitfaden seiner Frage nach dem juristischen Sprachverständnis fand Forsthoff in der Sprachphilosophie Johann Georg Hamanns (1730–1788). Hamann stammte aus Königsberg, wo er ein bescheidenes Leben als Zollbeamter führte. Er war Zeitgenosse Kants, Lehrer Herders und führte sein Leben lang einen leidenschaftlichen Kampf gegen den Rationalismus insbesondere der Berliner Aufklärung, aber auch gegen Kant, dem er eine unzulässige Abstraktion von der Sprachgestalt der Vernunft vorhielt.168 Hamann erlebte in den 1920er und 1930er Jahren geradezu eine Wiederentdeckung. Bei Arnold Gehlen,169 Martin Heidegger170 und Carl Schmitt,171 zumal aber bei Ernst Jünger172 spielte Hamann eine wichtige Rolle. Hamanns Heimat Königsberg war zeitweilig der Mittelpunkt der Renaissance. Josef Nadler hatte dort schon früh eine lebendige Hamann-Tradition begründet173 und mit der Arbeit an der erst 1957 abgeschlossenen historisch-kritischen Edition von Hamanns Schriften begonnen.174 Walther Ziesemer – Forsthoffs Nachbar175 – arbeitete seit den dreißiger Jahren im Auftrag der Königsberger Gelehrten Gesellschaft an der Herausgabe von Hamanns Briefwechsel.176 Mit der Brief168

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J. G. Hamann, Metakritik über den Purismum der Vernunft (1784), in: Sämtl. W., Bd. III, 1951, 281 ff.; hierzu O. Bayer, Vernunft ist Sprache, 2002. Vgl. nur A. Gehlen, Der Mensch (1940/1950), Ges.-Ausg., Bd. 3, 1993, 228. Vgl. zuletzt K.-M. Stünkel, Zusage, in: NZSTh 46 (2004), 26 ff. C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes (1938), 32003, 93 f. B. Gajek, Ernst Jünger und Johann Georg Hamann, in: Études Germaniques 4 (1996), 677 ff. K. Gründer, Geschichte der Deutungen, in: Johann Georg Hamanns Hauptschriften erklärt, Bd. 1, hrsg. v. F. Blanke/L. Schreiner, 1956, 84 ff. J. G. Hamann, Sämtliche Werke, 6 Bde., 1949–1957; dazu K. Gründer, Geschichte der Deutungen, in: Johann Georg Hamanns Hauptschriften erklärt, Bd. 1, hrsg. v. F. Blanke/ L. Schreiner, 1956, 82 ff. S.o. bei Fn. 11. J. G. Hamann, Briefwechsel, 7 Bde., 1955–1979; über das dramatische Schicksal der Königsberger Briefedition s. den Bericht des späteren Herausgebers A. Henkel im Vorwort zum ersten Band und in zwei Briefen an Ernst Forsthoff v. 22.4.1946 und vom 6.6.1946, NL Forsthoff; siehe dazu ferner K. Gründer, Geschichte der Deutungen, in: Johann Georg Hamanns Hauptschriften erklärt, Bd. 1, hrsg. v. F. Blanke/L. Schreiner, 1956, 16 f.; ferner J. Peters, Walther Ziesemer (1882–1951), in: Jb. der Albertus-Universität zu Königsberg XXIX (1995), 203 ff.

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edition hatte Forsthoff als Sekretär der Geisteswissenschaftlichen Klasse selbst bisweilen zu tun.177 Und so war es wohl nicht zuletzt die gegenwärtige Bedeutung ihres großen Editionsvorhabens, über die Forsthoff der Gelehrten Gesellschaft in seinem Vortrag aus Sicht seines Faches Auskunft gab. An diesem engen, auf Königsberg hin formulierten Bezugsrahmen lag es wohl auch, daß die Schrift trotz mehrfacher Nachdrucke zumal in der rechtswissenschaftlichen Diskussion kaum rezipiert worden ist.178 Worin bestand die »bestimmte, nicht nur zufällige, sondern ins Wesen treffende Verbindung des Rechts zur Sprache« (RuS, 1), auf die es sich erneut zu besinnen galt? Die Sprache sei, so rekapitulierte Forsthoff Hamann und Herder, die »Verlautbarung des Geistes und also dem Menschen von Anbeginn gegeben« (RuS, 4), mithin göttliche Stiftung. Sprache und Denken sind ein und dasselbe. Der Mensch könne deshalb in Selbstauslegung und Selbstverständnis niemals hinter das »Geheimnis« seiner Sprache zurückgehen, da er nicht von ihr als dem Medium des Denkens zu abstrahieren vermöge: »Das Sprachverständnis [ist] zugleich immer Selbstverständnis des Geistes« (RuS, 15). Die Sprache sei die allein sinnlich wahrnehmbare, konkrete Gestalt des Geistes, seine Verbindung mit der Welt, durch die sprachlichen Formen werde der Geist als geschichtlicher Geist im sozialen Leben wirksam (RuS, 4). Die Sprache verstand Forsthoff damit nicht als Medium oder objektive Vor-Gegebenheit des Denkens, sondern er weigerte sich überhaupt, die sprachlich vermittelte Erkenntnis und die Gestalt der Sprache auseinanderzureißen. Gerade dadurch ergäben sich aber echte Bindungen, denen sich das um seine Sprachgebundenheit wissende Denken nicht entziehen könne: »Das Wort, das geäußerte Wort, ist zwar Schöpfung und Ausdruck des Geistes und insofern ihm zu Diensten. Es dient ihm aber nicht als mechanisches Mittel […]. Da der Geist sich seiner selbst nur im Worte bewußt werden kann und Gegenstände nur im sprachlichen Ausdruck wahrnimmt und aufnimmt, geht von dieser Ausdrucksform eine bindende Wirkung auf den Geist aus. Denn es ist diese Ausdrucksform, in welcher der fremde Gedanke dem Geist zukommt. […] Die Sprache hat, wie man im Gleichnis sagen darf, eine eigene geistige Energie.« (RuS, 8)

Wenn Forsthoff der theologischen und anthropologischen Dimension der Sprache – wie er sie etwa bei Julius Stenzel oder Martin Heidegger finden konnte179 – so großen Raum gab, so wollte er dadurch die Sprache als solche in einer bestimmten juristisch relevanten Qualität zur Geltung bringen. Nicht als ein »mechanisches Mittel«, sondern als gestalthafte Ausprägung des Denkens

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Vgl. Ernst Forsthoff an Julius Petersen, 22.12.1940; Forsthoff an Petersen, 1.3.1941; ferner Ernst Forsthoff an Anton Kippenberg, 9.12.1940, alle DLA Marbach, NL Petersen. Vgl. andererseits H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode (1960), Ges. W., Bd. 1, 61990, 332. J. Stenzel, Philosophie der Sprache (1934), 1964, 110; M. Heidegger, Sein und Zeit (1927), Ges.-Ausg., Abt. 1, Bd. 2, 1977, § 34.

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verstanden, glaubte Forsthoff, lasse sich nämlich die der Sprache eigene Energie der Instrumentalisierung und Funktionalisierung im juristischen Gebrauch als Widerstand entgegensetzen. Besinne sich also der Jurist auf die ihm vorgegebene Sprache, so müsse er einsehen, daß er, ohne sein juristisches Selbstverständnis zu verleugnen, grundsätzlich keinen Standpunkt außerhalb der sprachlichen Überlieferung beziehen könne, daß er also nicht von einer höheren Vernunft, Natur oder auch nur von höheren Zwecken her denken könne. Die Rechtswissenschaft müsse sich deshalb der »Belehrung durch die Sprache selbst überlassen« (RuS, 5). Das bedeutete: Sie sollte wieder von neuem lernen, den inneren Wahrheitsgehalt der tradierten juristischen Begriffe anschaulich zu machen und die Begriffe aus den Institutionen heraus zu verstehen, in die sie eingebunden sind. Es ging Forsthoff somit, wie man in Abwandlung einer Formulierung Gadamers sagen kann, um die »Sprachgebundenheit« gerade auch der juristischen Welterfahrung.180 »Die genealogische Priorität der Sprache macht alle Versuche, formulierte Einsichten, Sätze und Grundsätze des Rechts zur ewigen Wahrheit, zur zeitlosen Gültigkeit zu erheben, von vornherein zunichte« (RuS, 15). Die Resistenz gegenüber der Verzweckung verbürgte für Forsthoff aber nicht jede beliebige Rechtssprache. Gerade der formalistischen Rechtssprache, die bloß auf die »logische Qualität« normativer Sätze vertraut, sollte sie fehlen. Gerade in ihr sah Forsthoff ja die Tendenz am Werk, sich der Sprache als bloßes Instrument so oder so zu bedienen, ohne sie als eigene geistige Potenz zu pflegen. Die innere und allen Instrumentalisierungen widerstrebende Wahrheit einer wirklichen Rechtssprache beruhte für Forsthoff zum einen auf ihrem gleichsam literarischen Rang (RuS, 4). Wichtiger war ihm aber noch etwas anderes: Die Sprache beruhte für ihn auch auf der Bindung des sprachlichen Geschehens an menschliches Verhalten und objektive Institution. Schon 1936 hatte Forsthoff notiert, »daß das Gerechte, die Gerechtigkeit nicht von einer rein idealischen Setzung aus wirksam zu werden vermag. […] [Sie] erhält eine inhaltliche Bestimmung erst aus einer Lebensordnung, in der sie zur Wirksamkeit gebracht wird.«181 Die Bindung alles juristischen Denkens an den existentiellen Vorgang des Verstehens sollte für die Rechtsauslegung wie die Rechtsetzung gleichermaßen bestehen. Was die Auslegung betrifft, so beschrieb Forsthoff den Vorgang der Rechtsfindung als einen ethischen Akt des Exegeten, der aus eigener und freier Verantwortung für die inhaltliche Richtigkeit der getroffenen Rechtsentscheidung geschehe. Dafür führte Forsthoff eine äußerst anspruchsvolle Lehre von der Rechtsprechung an. In dem Ur-Akt der Verkündung des Urteils lag für ihn eine »personhafte Entäußerung des Menschen« (RuS, 5). Diese Entäußerung

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Vgl. H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode (1960), Ges. W., Bd. 1, 61990, 452. E. Forsthoff, Zur Gerechtigkeit (Kv. »Die Rechtsfindung des Richter«), um 1936, Ms., NL Forsthoff, Bl. 1.

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geschehe nicht in exegetischer Willkür. Das hermeneutische Geschehen sei vielmehr eingebunden in die überpersönlichen Institutionen des Gerichtswesens. Erst solche gültigen, ethisch verpflichtenden Institutionen – »urtümliche Ordnungszusammenhänge« (RuS, 6) – verbürgten die Richtigkeit des hermeneutischen Vorgangs: »Die Verkündung hat […] zur Voraussetzung, daß sie öffentlich innerhalb einer Ordnung geschieht. Denn erst innerhalb einer Ordnung gewinnt sie konstitutive Kraft, hat sie den Charakter eines konstitutiven Geschehnisses.« (RuS, 6) Indem Forsthoff das Urteil phänomenologisch auf den Akt der Verkündung zusammenraffte, wurde aus ihm ein Geschehen sprachlicher Objektivierung: »Der zum Rechtsurteil erhobene Gedanke verleiblicht sich im Wort, er tritt mit ihm, mit dem gesprochenen Wort, in die Existenz.« (RuS, 2) Forsthoff gewann diese Erkenntnis durch eine Analogie zwischen der Auslegung der Schrift in der Verkündigung und der Gesetzesauslegung durch den Richter und nahm insoweit Gadamers spätere These von der hermeneutischen Verwandtschaft von Theologie und Rechtswissenschaft vorweg.182 Die konstitutive Kraft des Richterspruchs beruhte danach neben seiner normativen Bindung an das Gesetz wesentlich darauf, daß der Richter »ein persönliches Erkenntnis von sich gibt, für das er, indem er es ausspricht, auch personhaft eintritt. Ein Erkenntnis also, dessen er sich entäußert, um sich zugleich verantwortlich mit ihm zu verbinden.« (RuS, 5) Voraussetzung der konstitutiven Kraft des richterlichen Erkenntnisaktes war für Forsthoff vor allem die richterliche Unabhängigkeit, in der Forsthoff einen jener »urtümlichen Ordnungszusammenhänge« sah.183 Im Prinzip das gleiche sollte auch für die Gesetzgebung gelten. Auch das Gesetz sei nicht bloß Norm. Auch in der »Verkündung« des »Ge-setzes« in sprachlicher Form liege ein konstitutiver Akt der »Stiftung«, im besten Fall sogar ein der Dichtung vergleichbarer »schöpferischer Akt« (RuS, 9), durch den der im Gesetz enthaltene Rechtsgedanke »Sinnlichkeit, Kontur und Form« gewinne (RuS, 8): »Im gesetzten Recht tritt der Rechtsgedanke dem Geist in einer festen Kontur, in einer durch das Wort bewirkten Gestalt gegenüber.« (RuS, 9) Die Rechtsetzung dürfe nicht als bloßes Vollzugsorgan eines höheren Rechts verstanden und auf diese Weise »bagatellisiert, wenn nicht gar igno182

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R. Herzog, Vergleichende Bemerkungen zur theologischen und juristischen Applikation, in: Text und Applikation, hrsg. v. M. Fuhrmann u.a., 1981, 375. Um so unredlicher ist es, wenn U. Wesel, Fast alles, was Recht ist, 41993, 27, Forsthoff unterstellt, er habe mit seiner Bindung des Richters an den existentiellen Vorgang des Verstehens »elitäre und autoritäre Vorstellungen« propagiert, vollends, wenn er Forsthoffs Beharren auf der verstehenden Aufgabe und der persönlichen Freiheit des e¬rmhneúv (RuS, 3, 18, 32 ff.) als »Führerprinzip, im Gewand der Antike« diffamiert. Forsthoffs Darlegungen, selbst de lege ferenda sei es unmöglich, den Richter einer Kontrolle politischer Instanzen zu unterwerden, wolle man nicht die Rechtsprechung substantiell vernichten und durch ein bloßes »Diktat« ersetzen (RuS, 6 f. mit Anm. 2), lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

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riert« werden (RuS, 9). Auch in ihr sah er – wie Savigny – ein originäres hermeneutisches Geschehen, nämlich die Auslegung des sozialen Lebens durch das Auffinden von in ihm entwickelten Bedeutungszusammenhängen. Wie aber, wenn es dem Gesetz nun an der sprachlichen »Faßlichkeit« fehlt? Unter modernen Verhältnissen war schließlich der Umgang mit dem »technischen« Formalrecht auch von der Sprache her betrachtet die eigentlich entscheidende Frage. Es wurde bereits gesagt, warum für Forsthoff hier die Gründe der rechtswissenschaftlichen Sprachnot lagen. Seine Hermeneutik war aber von romantischem Subjektivismus und von einfacher Gemeinschaftslyrik gleich weit entfernt. Er räumte ein, daß er mit den »urtümlichen Ordnungszusammenhängen« und dem aus ihnen hervorgehenden »faßlichen« juristischen Ausdruck weite Bereiche des modernen Rechts verfehlte. Die dem Staat der Daseinsvorsorge eigene Sprache sei notwendigerweise nicht »sinnfällig«, sondern artifiziell, nicht poetisch, sondern logisch und zweckrational. Die Instrumentalisierung des Rechts durch die Zwecke der »Lenkung sozialer Vorgänge« schreibe es modernen Rechtsordnungen vor, sich »der Sprache in einer besonderen technischen Zurichtung« (RuS, 11) zu bedienen. All dies hielt Forsthoff für das unumkehrbare »Ergebnis eines schicksalhaften Ablaufs« (GrR, 20), weshalb er auch die zu dieser Zeit mit großem propagandistischen Aufwand betriebene184 »Schaffung eines volksnahen Rechts« weithin für ein Ding der Unmöglichkeit hielt (RuS, 11). Die besondere Anfälligkeit des modernen Formalrechts für die Vergewaltigung durch politisch-weltanschauliche Absolutismen konnte also nicht einfach durch die Rückkehr zu einem trivialen »Volksrecht« zu bewältigen sein. Doch was bedeutete dies konkret? Forsthoff forderte dazu auf, sich das Problematische, das Prekäre der technischen Legalität als Problem der Sprache und der Auslegung bewußt zu machen. Er betonte die Empfindlichkeit eines professionell gehegten Formalrechts und die Gefahren des Einbruchs materialer Umwertungen. Die tragenden Begriffe des modernen, im 19. Jahrhundert entstandenen Rechtssystems beruhten auf äußerster »Stilisierung« (RuS, 11), als »Kunstgebilde« (RuS, 10) ertrügen sie den unvermittelten Rückgriff auf ein vulgäres Sprachempfinden und auf »unverbildete ethische Sinnfälligkeit« überhaupt nicht. Eine wissenschaftlich zulängliche juristische Auslegung und überhaupt alles juristische Verstehen seien vermittelt durch die vorgegebenen sprachlichen Strukturen des Rechts, die ihrerseits nur historisch, also aus der hermeneutischen Wirkungsgeschichte heraus verstanden werden könnten. Die juristische Arbeit an der Sprache könne sich nicht kurzerhand der »Tradition des Rechtsdenkens« (RuS, 12) entledigen: »Der Fleiß und die Gelehrsamkeit von Jahrtausenden liegen in den Denkformen, Distinktionen und Begriffen beschlossen, denen wir in [der] Sphäre des Rechts begegnen.« (RuS, 10) Der 184

Siehe nur M. Stolleis, Art. »Volksgesetzbuch«, in: HRG, Bd. 5, hrsg. v. A. Erler u.a., 1998, Sp. 990 ff.

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Jurist müsse demgegenüber der Versuchung des »grundsätzlichen Denkens« widerstehen und habe als »Hüter und Bewahrer der Tradition des Rechtsdenkens […] das Fortleben des Rechts als ein Kontinuum in sich zu vollziehen, Überkommenes und Erworbenes organisch zu verschmelzen, den Zusammenhang des Rechtsdenkens mit dem Gesetz zu bezeugen und auf solche Weise der Mittler zwischen dem Gesetz und seinem Vollstrecker zu sein.« (RuS, 12) Nur aus dem selbstbezüglichen »Sinngefüge des Rechts« (RuS, 11) könne deshalb der Sinn der technisch zugerichteten Rechtssprache erschlossen werden. So mündete Forsthoffs Beschreibung der Sprachkrise des Rechts vorläufig in der Hoffnung auf eine Erneuerung der Ethik des Rechtsanwenders – und in einer präzisen Kritik an der Verfachlichung und Verflachung des Rechtsstudiums.185 Jedem Juristen, so schloß er den Vortrag auf der Kant-Feier 1941, erlege die brüchig gewordene Legalität eine »ernste Verpflichtung auf« (GrR, 23). Die »Pflicht loyaler, d. h. auch ethisch angeleiteter Gesetzesbefolgung« (GrR, 22) könne sich nicht mehr in einem Denken in normativen Sätzen erschöpfen, sondern nur als bildende Arbeit an der Sprache erfüllt werden: als »nachschaffender Sinnvollzug« (RuS, 15). Das exegetische Ethos setze beim einzelnen Juristen »Geist, Können und Persönlichkeit«, sowie vor allem »eine vollendete Beherrschung der formalen Mittel und der Technizität des Rechts voraus. Denn erst sie ermöglicht es, die logischen und technischen Qualitäten des Rechts im Dienste der gerechten Entscheidung anzusetzen, während sich der Dilettant von ihnen überwältigen läßt.« (GrR, 23) 3. Probleme der juristischen Hermeneutik Forsthoffs Die Beurteilung dieser Programmatik muß differenziert ausfallen. Da ist zunächst die unverkennbare politische Bedeutung: Forsthoffs Appell an die Sprache und das Ethos des Juristen hatte einen eminent kritischen Impuls. Die Erinnerung an die Bindung der juristischen Welterfahrung durch den »Stoff« des positiven Rechts, an die »logischen und technischen Qualitäten« der Rechtsdogmatik sowie vor allem an eine nach juristischen Kriterien gebildete und gepflegte Sprache war der Versuch, den Rekurs auf jede überpositive Legitimation methodisch abzuschneiden und wandte sich insofern deutlich gegen die absolut vorherrschende Tendenz der Verweltanschaulichung juristischer Begriffe. Jeder, der es hören wollte, konnte den Königsberger Reden eine Ermahnung an das juristische Selbstbewußtsein und eine gradlinige Zurückweisung der »lingua tertii imperii« entnehmen.186 185

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E. Forsthoff, Über das Studium des öffentlichen Rechts, Vortrag, Leipzig, 5.10.1940, Ms., NL Forsthoff. Drei Jahre nach Ernst Forsthoff vollzog auch Carl Schmitt, jedenfalls zeitweise und wenn auch mit anderen Akzentsetzungen als Forsthoff, seinen Kniefall vor Savigny: C. Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (1943/44), in: Verfassungsrechtliche Auf-

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Wissenschaftsgeschichtlich überaus bemerkenswert ist zudem schon die Fragestellung von Recht und Sprache an sich, gleichgültig, wie überzeugend man Forsthoffs Art der Behandlung des Themas und seine Schlußfolgerungen findet. Indem Forsthoff nämlich die juristische Hermeneutik als einen Ausweg aus dem Kampf zwischen Positivismus und »grundsätzlichem Denken« skizzierte, war er der Rechtswissenschaft seiner Zeit um zwanzig Jahre voraus. Erst nach Hans-Georg Gadamers Grundlegung der Philosophischen Hermeneutik durch Wahrheit und Methode (1960) wurde die juristische Hermeneutik zu einem breiten Forschungsfeld und brachte schließlich genau das fertig, was Forsthoff sich von ihr erhofft hatte: Sie setzte der nach dem Krieg so heftig betriebenen Beschäftigung mit dem Naturrecht ein Ende. Wie zwiespältig Forsthoff zu dieser hermeneutischen Diskussion der sechziger Jahre gleichwohl stand, wird später noch zu erörtern sein.187 Worin lag aber das Problem? Forsthoffs Beschwörung der Bildungswelt des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts hatte entgegen seinem kritischen Anspruch etwas Affirmatives an sich, das in seiner Begründung gleichsam eine ideologiekritische Flanke offenließ. Nicht das sprachkritische Programm als solches ist damit gemeint, wohl aber die ostentative Berufung darauf. Etwas zu umstandslos führte Forsthoff gegen den die Sprache mißbrauchenden modernen Staat die romantische Lehre vom Volksgeist als Träger des Rechts ins Felde. Etwas zu umstandslos behauptete Forsthoff, auch hinter der Aufspaltung der Sprache in einzelne technische Funktionszusammenhänge, über die er

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sätze aus den Jahren 1924–1954, 1958, bes. 408 ff. Er pries Savignys Einsetzung der Rechtswissenschaft zur eigentlichen Rechtsquelle jetzt als »erste bewußte Distanzierung von der Welt der Setzungen« (ebd., 417), als paradigmatischen Protest gegen die Auflösung des Rechts in leere Legalität. Den Sieg des Positivismus und seiner »zersetzenden Setzungen« über Savigny nannte Schmitt deshalb eine »geistesgeschichtliche Gesamt-Katastrophe« (ebd., 419). Angesichts ihrer doppelten Bedrohung durch die Instrumentalisierung durch einen theologischen Absolutismus und durch den Weg in einen »leeren, legalitären Technizismus« (ebd., 425) empfahl Schmitt der Rechtswissenschaft die existentielle Selbstbesinnung auf ihre Eigenständigkeit und Notwendigkeit (dazu H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, 1964, 254 ff.; P. Landau, Rechtsphilosophie unter der Diktatur, 2002, 13 ff.). Solche Selbstbesinnung allein führe zur Anerkennung schlechthin konstitutiver Rechtsformen als »unzerstörbaren Kern allen Rechts«, etwa des due process of law, und schärfe den »Sinn für Logik und Folgerichtigkeit der Begriffe und Institutionen« (Schmitt, ebd., 423). In der ihrer Lage allein entsprechenden »existentiellen« Wiederholung Savignys (Hofmann, ebd., 255) könne die Rechtswissenschaft wieder zum »letzten Asyl des Rechtsbewußtseins« (Schmitt, ebd., 420 ff.) werden. Daß Schmitts Vortrag über die Europäische Rechtswissenschaft von Forsthoffs Recht und Sprache immerhin mit angeregt gewesen sein könnte, hat Schmitt (ebd., 427 f., Nachbem. 2) später etwas versteckt angedeutet. Schmitt hat den Vortrag jedenfalls nach seinem Erscheinen gelesen: vgl. Carl Schmitt an Ernst Forsthoff, 20.5.1950, BW, Nr. 37. Forsthoff wiederum wollte nach der Lektüre von Schmitts Vortrag nicht mehr im Ganzen an seiner Kritik an Savigny als einem Vollstrecker der Verwissenschaftlichung wider Willen festhalten (Brief an Carl Schmitt, 16.3.1950, BW, Nr. 35). S. u., 8. Kap., S. 435 ff.

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sich nicht täuschte, die eine, geisterfüllte Sprache zu erkennen, »die für uns dichtet und denkt« (Schiller, zit. RuS, 9, Anm.). Woher nahm Forsthoff die Zuversicht, daß hinter der weltanschaulich mißbrauchten Sprache eine wahre Sprache noch auffindbar sein müsse? Der Rekurs auf die angeblich selbst denkende Sprache ist schließlich in politischer Hinsicht nicht weniger dem Mißbrauch ausgesetzt als das zum Grund allen Übels erklärte »technische« Sprachverständnis. Die Auslegung kann sich durch die eigene geistige Energie der Sprache nicht exkulpieren; der Interpret muß die Spannung zwischen seiner eigenen Begrenztheit und der in der Sprache liegenden Wahrheit auszuhalten lernen. Insofern ist Forsthoffs Erinnerung an die Tugenden der geschichtlich gebildeten Rechtsdogmatik als philosophische Antwort auf die Krise der Rechtssprache weniger überzeugend denn als Strategema, als juristische Durchhalteparole im Weltbürgerkrieg der Ideologien. Als Beispiel läßt sich hier eine spätere Äußerung Ernst Rudolf Hubers anführen, der Carl Schmitt für dessen Berufung auf Savigny in der Endphase des Krieges188 kritisierte und meinte: »Seit dem Anbruch der modernen Welt steht unser Zeitalter in einer Kette von Rechtskrisen. Jede Rechtskrise aber kann nicht anders als im Entschluß zur rationalen und bewußten Reform überwunden werden, und der Appell an die absichtslosen und stillwaltenden Kräfte ist in einer kritischen Situation nichts anderes als ein von Absichten bestimmtes und daher paradoxes Programm.«189 Noch deutlicher fiel die Gegenkritik Fritz von Hippels aus, dessen naturrechtliches Programm Forsthoff in Recht und Sprache erwähnt und ausdrücklich verworfen hatte. Nachdem Forsthoff ihm das Buch übersandt hatte,190 antwortete von Hippel mit einem langen, empörten Brief. Er war sich mit Forsthoff zwar einig darin, daß »wir in einer Zeit [leben], die – seit langem! – infolge vielfältiger, aber aufzuhebender Hintergründe das ›Wort‹ ständig mißbraucht. Man hat es sich allerseits gleichsam angewöhnt, zu reden, ohne hinreichend anzugeben, worüber man eigentlich redet, ja, ohne es auch nur für die eigene Person wirklich zu wissen.«191 Und auch von Hippel hielt diese Situation für eine Erbschaft des 19. Jahrhunderts.192 Aber

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S.o., Fn. 186. Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, 16.6.1950, HStA Düsseldorf, NL Schmitt. In UA Freiburg, NL von Hippel, Nr. 1908 findet sich ein Exemplar von Recht und Sprache mit einer Vielzahl teils erbitterter Randbemerkungen. Fritz von Hippel an Ernst Forsthoff, 6.8.1940 (Entwurf, Original des abgesandten Briefes nicht erhalten), UA Freiburg, NL von Hippel, Nr. 1908, Hervorhebungen im Original. Fritz von Hippel an Ernst Forsthoff, 6.8.1940 (Entwurf, Original des abgesandten Briefes nicht erhalten), UA Freiburg, NL von Hippel, Nr. 1908: »Die Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts, Rivalin der großen Schwester Naturwissenschaft, bewirkte eine solche völlige Sprachverwirrung und keineswegs ein ›kritisches Sprachbewußtsein‹. Von romantischen ›Emanationen‹ zum ausgewachsenen Schein-Subjektivismus fortschreitend, vermag sie Tatsache und Tatsachenbehauptung, Wirklichkeitsschilderung und Anforderung nicht mehr zu unterscheiden und landet schließlich in Zuständen, in denen das Wort in der Tat nicht mehr ›bezeichnet‹, sondern ›Verleiblichung‹ ist von Ideen und Vorstellungs-Knäueln,

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Forsthoff gehe den dritten Schritt vor dem ersten, trage nichts zur Überwindung der juristischen Sprachkrise bei, sondern verschlimmere sie noch. Denn durch seine Rückwendung zur romantischen Hermeneutik drücke er sich vor der eigentlichen, viel bescheideneren Aufgabe: einer präzisen juristischen Sprachkritik: »Diese Sprachverwirrung, die sich seit langem fröhlich selbst als ›Rechtssprache‹ bezeichnet, gilt es nun vor allem weiteren aufzuheben. Und zwar ist das – nicht nur für mich, sondern genauso für Sie und für jeden Denker – die erste und nächstliegende Sprach-Aufgabe! Und zwar eine Aufgabe, die mit Anerkennung und Nicht-Anerkennung eines ›Naturrechtes‹ noch gar nichts zu tun hat, sondern lediglich mit dem Willen zu reinlichem Wortgebrauch. […] Alles in allem halte ich Ihren Vortrag danach für bedauerlich. Statt Echtes und Nötiges zu fordern, vermehrt er die vorhandene Verwirrung. Kein Wort über das echte, notwendige, in Angriff genommene Problem unserer babylonischen Sprach- und Begriffsverwirrung. Bagatellisierung des Strebens, unter wirklicher Lebensbeachtung und -erforschung (›Historie‹) rechtswissenschaftlich zu arbeiten (›Natur-Recht‹), dafür als zentral eine Sprachfrage, deren bloßer Bestand mit ganz anderen Mitteln [durchdacht werden] müßte […].«193

Eines übersahen aber sowohl Ernst Rudolf Huber als auch von Fritz von Hippel. Forsthoff skizzierte mit Recht und Sprache im Grunde gar keine sprachmetaphysische, sondern eine theologische Rechtsbegründung, die freilich, wie Forsthoff gegenüber Carl Schmitt zugestand, nur dem etwas sagen konnte, »der mit Hamann vertraut ist.«194 Um zu verstehen, was hier gemeint ist, muß man Forsthoffs mehrfache Berufung auf Hamann (RuS, Vorwort, 4, 15) in der Tat streng beim Wort nehmen. Für Hamann war die Sprache nicht sowohl geschichtlichen als göttlichen Ursprungs, Selbstoffenbarung Gottes, der sich in der Sprache zur Welt und zu den Menschen herabläßt.195 Zugleich aber zeigte sich für Hamann in der Sprache die unendliche Distanz zwischen Gott und Mensch, und nur durch das Wort der geoffenbarten Schrift – unter der Hamann die ganze Schöpfung verstand – hat der Mensch einen bescheidenen

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die, ihrerseits von jeder echten Wirklichkeit abgelehnt, aber auch von fern hindeutend auf eine Mehrheit selbständiger und zu differenzierender Gehalte, ein seltsames, in sich widerspruchsvolles Scheinleben zu führen beginnen. Wobei schließlich alles auf dem Kopfe steht, die Abfolge als der Ur-Grund erscheint und alle Beteiligten gleichsam ›in Zungen reden‹ und in diesem fatalen Sinne ›künden‹. Mag es sich dabei auch um den Begriff ›des‹ Rechtsgeschäfts handeln oder um den ›der‹ Strafe, ›des‹ Volkes, ›des‹ Staates u.s. f., es ist immer wieder ganz das gleiche Bild: keine exakte Bezeichnung und Erforschung der jeweils zu besprechenden Wirklichkeit, keine exakte Analyse oder auch nur Angabe der dabei verwandten Bewertungen und ihrer […] Hintergründe, sondern immer wieder babylonische Sprachverwirrung. ›Recht‹ hat dabei schließlich, wer am wirksamsten schreit und die anderen ermattet. […]« Alle durch von Hippel in Anführungszeichen gesetzten Begriffe und Wendungen stammen aus Forsthoffs Vortrag. Fritz von Hippel an Ernst Forsthoff, 6.8.1940 (Entwurf, Original des abgesandten Briefes nicht erhalten), UA Freiburg, NL von Hippel, Nr. 1908, Hervorhebungen im Original. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 4.6.1950, BW, Nr. 38. J. G. Hamann, Des Ritters von Rosencreuz letzte Willensmeynung über den göttlichen und menschlichen Ursprung der Sprache (1772), in: Sämtl. W., Bd. III, 1951, 25 ff., 32.

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Schlüssel zur Erkenntnis.196 Und so ging es auch Forsthoff letztlich nicht um ein methodisches, die praktische Handhabung des in sprachlicher Gestalt auftretenden Rechts betreffendes Problem, sondern um die Stellung des Exegeten zum Recht schlechthin, um die Möglichkeit, auch gegenüber einer modernen, von sozialen Zwecken bestimmten Rechtssprache den religiösen Ernst des hermeneutischen Berufs festzuhalten. Forsthoffs hermeneutische Rückanknüpfung an Hamanns Theologie der Sprache erweist sich für Forsthoffs Rechtsphilosophie als außerordentlich wichtig und folgenreich. Er verband Savignys wissenschaftliches Methodenideal mit der Sprachphilosophie Hamanns und Herders nämlich gerade deshalb, um nicht die Fehler der Historischen Schule zu wiederholen und sozusagen in die Falle der positivistischen Legalität zu tappen. So verknüpfte er die hermeneutische Tradition mit einer entschieden konservativen Vorstellung von der Bedeutung der Sprache für das Recht. Diese Vorstellung besagte ja, daß die gerechte Auslegung nur innerhalb einer zuvor »gestifteten«, nicht gemachten Sprache und Ordnung gelingen kann. Das führte Forsthoff zu einer umfassenden »Vorordnung der Sitte vor das Gesetz«197 und zu sehr weitreichenden, prinzipiellen Vorbehalten gegen das gesetzte und also gemachte Recht, insofern es lediglich als Norm auftritt und nicht als äußere Gestalt einer institutionellen Ordnung zu begreifen ist. Die bloße Positivität des Rechts, die ja mit seinem instrumentellen Charakter, seiner Verfügbarkeit zu beliebigen Zwecken auf das engste zusammenhängt, mußte ihm nun als das Ergebnis eines die Fundamente angreifenden Verfallsvorgangs erscheinen, als Zivilisationsschuld, als Abfall vom Eigentlichen der geschichtlich wirkenden Sprache. Im Lehrbuch des Verwaltungsrechts klingt das noch schwach nach in der Kritik an der teleologischen Methode der Rechtsfindung (Lb, 128 f.; Lb X, 160 f.).198 Forsthoff wiederholte damit die für den politischen Konservativismus seit seinen Anfängen so überaus charakteristische Ablehnung der – gemeinhin als französisch verstandenen! – »Gesetzemacherei«, die im 19. Jahrhundert schon Ernst Ludwig von Gerlach zu dem famosen Ausspruch gebracht hatte, die dümmste Sitte sei besser als das klügste Gesetz.199 So ist es auch nicht verwunderlich, daß Forst-

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Zur Sprachphilosophie Hamanns nur B. Gajek, Sprache beim jungen Hamann (1959), 1967, bes. 64 ff., 81 ff.; O. Bayer, Vernunft ist Sprache, 2002. E. Forsthoff, Die Entstehung des Konservatismus, Ts., NL Forsthoff, 9. Dort heißt es: »Die teleologische Methode […] leistet im einzelnen ausgezeichnete Dienste, dort nämlich, wo das Recht sich in zweckhaft bestimmten Ausprägungen darbietet. […] Aber es kann keineswegs davon die Rede sein, daß diese Rationalisierung das Recht zur Gänze zu erfassen vermöge. […] Es sprechen auch Anzeichen dafür […], daß der Rationalisierungsprozeß sein Ende erreicht hat und einer gegenläufigen Bewegung gewichen ist. […] Jedenfalls bleibt zu beachten, daß das Anrecht der teleologischen Methode soweit reicht, wie die Rationalisierung des Rechtes geht. Nur was zweckhaft gestaltet ist, kann auch nach Zweckgesichtspunkten begriffen werden. Wo es um die ethische Substanz des Rechts geht, muß das Rechtsbewußtsein sprechen.« E. L. von Gerlach, Aufzeichnungen aus seinem Leben und Wirken 1795–1877, Bd. I, 1903, 40.

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hoff selbst bei denen nicht auf reine Zustimmung stieß, die seine Intention im Grunde teilten. In einem Brief an Fritz von Hippel heißt es über Recht und Sprache: »Ob ich mir mit dieser Schrift, die sich durch den Engpass zwischen Naturrecht und konkretem Ordnungsdenken einen Weg zu bahnen versucht, viele Freunde gewinne, möchte ich bezweifeln und wenn es der Fall ist, ob ich mich dieser Freunde freuen kann. Der gute Wieacker knurrte brieflich etwas ob meiner konservativen Grundhaltung […].«200

IV. Politische Orientierung im Weltanschauungskrieg 1. Brandenburg-Preußen und die deutsche Verfassungsgeschichte Die geistige Richtung, die in den Vorträgen der Jahre 1940/41 zum ersten Mal nach außen in Erscheinung trat, kennzeichnet Forsthoffs Schriften der mittleren, in Königsberg beginnenden Werkperiode im allgemeinen. Zeigen läßt sie sich auch an seiner Deutschen Verfassungsgeschichte der Neuzeit. Das 1940 erstmal erschienene Buch ist ein für das Studium konzipierter Grundriß. Eine in den beiden letzten Kriegsjahren gründlich umgearbeitete Auflage, die die Zeit von 1871 bis 1933 behandelte, war bei Kriegsende abgeschlossen,201 konnte aber nicht mehr erscheinen. Erst 1961 erschien eine Neuauflage, die die Zeit von der Reichsgründung bis zum Ende der Weimarer Republik behandelte, die älteren Partien aber von stilistischen Kleinigkeiten abgesehen unverändert ließ. Rang und Originalität von Forsthoffs Verfassungsgeschichte im Ganzen zu würdigen, liegt außerhalb der Fragestellung dieser Arbeit.202 Beachtlich ist freilich, daß Forsthoffs verfassungsgeschichtlicher Grundriß sich mindestens in dreierlei Hinsicht vom vorherrschenden Diskurs der Verfassungshistoriographie des »Dritten Reichs« unterschied. Erstens gehorchte er nicht dem Metho-

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Ernst Forsthoff an Fritz von Hippel, 6.6.1940, UA Freiburg, NL von Hippel, Nr. 1908. Ernst Forsthoff an Erik Wolf, 4.1.1945, UA Freiburg, NL Wolf, C 130/450: »Von meinem ursprünglichen Plan, das Ganze noch einmal zu überarbeiten und hier und dort zu ergänzen, habe ich mit Rücksicht auf die schwierigen Arbeitsverhältnisse Abstand genommen und mich damit begnügt, eine Fortführung bis zum Jahr 1933 anzufügen; das ist für die Zeit nach 1918 ein verdrießliches Geschäft, weil hier die gebotene Sachlichkeit leicht in Widerspruch zu allgemeinen Vorurteilen tritt, zumal wenn man sich des Jargons nicht bedienen will, auf den Feine in den entsprechenden Partien seines Buches herabgekommen ist.« Zur deutschen verfassungsgeschichtlichen Forschung im 20. Jahrhundert liegt eine Untersuchung von Ewald Grothe vor (E. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, 2005), die auch Forsthoffs Verfassungsgeschichte einer eingehenden Würdigung unterzieht und sie sorgfältig in den damaligen Kontext einordnet. Forsthoffs Buch gehörte zu einer Reihe für den Lehrbetrieb geschriebener Grundrisse zur deutschen Verfassungsgeschichte, die notwendig geworden waren, nachdem die juristische Studienreform von 1935 das Fach Verfassungsgeschichte zum Pflichtfach gemacht hatte (ebd., 190 ff.).

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denpostulat der »Volksgeschichte«, wie es vor allem Otto Brunner und Ernst Rudolf Huber propagierten.203 Im Gegenteil ist seine Darstellung im Vergleich zu ihnen durchaus »etatistisch«. Zweitens grenzte Forsthoff sich gegen die weltanschauliche Nationalisierung der Verfassungsgeschichte deutlich ab und wahrte ihr gegenüber – im damals gegebenen Rahmen – stärker den europäischen Zusammenhang.204 Drittens schließlich setzte Forsthoff den zeitlichen Schwerpunkt der Darstellung ganz dem damals Üblichen zuwider. Die Legitimationsaufgabe der Verfassungsgeschichte verlangte in erster Linie die Würdigung des »Zweiten Reiches« und der »Verfallszeit«205, mithin der Vorgeschichte des »Dritten Reiches« seit 1871. Davon findet sich bei Forsthoff nichts,206 im Gegenteil. Drehund Angelpunkt der verfassungsgeschichtlichen Argumentation Forsthoffs, die mit einer Würdigung der Bismarckverfassung endete, war die zweite Hälfte des 18. und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, genauer: die Geschichte des preußischen Staates im gesamteuropäischen Kontext. Forsthoff machte den Beginn der modernen deutschen Verfassungsgeschichte an der preußischen Rezeption der französischen Aufklärung fest, die er als ursprünglich glückliche Fügung begriff. Ihr verdanke der preußische Staat des aufgeklärten Absolutis203

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Zu Brunner s. insofern E. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, 2005, 256 ff., 298 ff., bes. 301; zu E. R. Huber s. R. Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, 1997, 254 ff. E. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, 2005, 202. Diese beiden Grundauffassungen brachte er selbstbewußt in einem Memorandum für das Reichserziehungsministerium Anfang der vierziger Jahre zum Ausdruck, in dem er die Ausweitung der verfassungsgeschichtlichen Ausbildung zu einer umfangreichen Vorlesung zur »Verfassungs- und Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts« anregte, um »eine Verbindung zwischen der Verfassungsgeschichte und der Staats- und Rechtssoziologie her[zu]stellen.« Diese Vorlesung sollte »sich nicht auf die deutschen Verhältnisse beschränken, sondern in großen Zügen die Sozialgeschichte der wesentlichen europäischen und außereuropäischen Staaten behandeln.« GStA Berlin, Rep. 76, Nr. 192 (o. Datum), zitiert nach E. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, 2005, 202, der es auf den Anfang der vierziger Jahre datiert, dort 204 f. zu einer teilweisen Verwirklichung von Forsthoffs Vorschlags im Jahre 1944. Besonders in der bemerkenswertesten verfassungsgeschichtlichen Kontroverse der nationalsozialistischen Zeit um den deutschen Konstitutionalismus zwischen Carl Schmitt, Ernst Rudolf Huber und Fritz Hartung, vgl. dazu wiederum eingehend E. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, 2005, 270 ff. Eine eingehende Würdigung des deutschen Konstitutionalismus findet sich auch bei Forsthoff (VfG, 180 ff.), bemerkenswerterweise allerdings zum einen im Widerspruch zu Carl Schmitt (bemerkt auch von G. Dahm, Buchbesprechung, in: Straßburger Monatshefte 5 (1941), 772) und zum anderen ohne die zwischen Schmitt, Huber und Hartung damals so streitige Bedeutung seiner Einordnung für die Verfassungsentwicklung bis 1918 auch nur zu erwähnen. Aufschlußreich dazu Ernst Forsthoff an Franz Beyerle, 17.13.1940, NL Forsthoff: »Carl Schmitt […] ließ mir neben Komplimenten [scil: über die Verfassungsgeschichte] sein Bedauern darüber aussprechen, dass ich mich nicht ausdrücklich gegen die Historiker in der Verfassungsgeschichte verwahrt und ihre Kompetenz in Abrede gestellt habe. Das ist nun ein Gedanke, den ich weit von mir weisen müsste, der aber der Neigung vieler Kollegen entspricht, welche die Materie ganz für das öffentliche Recht vereinnahmen möchten.«

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mus die »sich nach und nach verbreiternd[e] Sozialpolitik«, seinen »soziale[n] Grundzug« (VfG, 74 ff., u. bes. 98). Diesen Staat sah Forsthoff im 18. Jahrhundert in eine verheißungsvolle Allianz mit der bürgerlichen Bewegung eintreten. Die bürgerliche Bewegung jener Zeit sei nämlich in ihren Ursprüngen eine geistig-literarische, eine »Bildungsbewegung« gewesen (VfG, 98). In ursprünglicher Harmonie mit dem Staat207 habe sie in der deutschen Romantik wesentlich auf philologischem und sprachphilosophischem Wege, die »deutschen Grundlagen des deutschen Nationalbewußtseins« (VfG, 101) geschaffen208 und mit der »Entdeckung der Geschichtlichkeit« einen »tödlich treffenden Angriff auf den Rationalismus dieser Zeit« (VfG, 100) geführt. In einem solchen Bund aus frühromantischer Bürgerlichkeit und preußischem Absolutismus sah Forsthoff die Macht, die imstande gewesen wäre, dem ökonomischpolitischen Aufstieg der Industrie und den Folgen der französischen Revolution ihre zerstörerische Wirkung zu nehmen und statt dessen die »geistigen Bewegungen des vorrevolutionären Frankreichs« (VfG, 102) – sprich: Montesquieu – evolutionär in sich aufzunehmen. Die große deutsche Tragödie des 19. Jahrhunderts lag nach Forsthoffs Sicht darin, daß Preußen, obschon aus den Revolutionskriegen mit »ungebrochener Kraft« (VfG, 104) hervorgegangen, letztlich seine Aufgabe verfehlt habe, auf der Basis einer sozialen Monarchie das politische Bürgertum organisch an sich zu binden. Folgerichtig habe sich die konservative preußische Opposition gegen die großen Entwürfe der Reformzeit und gegen die sich radikalisierende bürgerliche Bewegung auf die Seite der Reaktion schlagen müssen (VfG, 110 ff., bes. 134 f.).209 In der Reformzeit sah Forsthoff die Wurzel des späteren sozialen Übels, weil dem Staat das Heft des gestaltenden Handelns aus der Hand geglitten sei. Im selben Maße, in dem die Gesellschaft vom Staat zum handelnden

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E. Forsthoff, Die Entstehung des Konservatismus, Ts., NL Forsthoff, 1 spricht ebenfalls von dem »ungleichen Bündnis romantischer Literaten und des durch Amt oder Boden verwurzelten Junkertums«, das die Romantiker »nach einer Phase des rauschhaft-ungebundenen Subjektivismus« geschlossen hätten. Darin liegt zugleich ein zunächst zaghaft vorgetragener (VfG, 101, Anm.), später, in einem nachgelassenen Manuskript über Die Institutionen als Rechtsbegriff noch weiter ausgeführter Widerspruch gegen Carl Schmitts Kritik der Romantik. Gegenkritik: E.-W. Böckenförde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert, 1961, 77 f., Fn. 14a. VfG, 111; E. Forsthoff, Zur Rechtsfindungslehre im 19. Jahrhundert, in: ZgStW 96 (1936), 52. E. Forsthoff, Die Entstehung des Konservatismus, Ts., NL Forsthoff, 8 charakterisiert diese Reaktion als gerichtet gegen »den intensiven Gebrauch, den Hardenberg von der Gesetzgebung machte, gegen die Beseitigung ehrwürdiger, überkommener Verhältnisse und ihre Ersetzung durch die Mechanik von oben diktierter Ordnungen.« Ähnlich E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 52: »In Preußen war der von den märkischen Ständen unter Führung von Finckenstein und von der Marwitz geleistete Widerstand gegen das Hardenberg’sche Finanzedikt der letzte öffentliche Protest der institutionellen Sozialordnung gegen die Entmachtung durch die landesherrliche Souveränität.«

Fünftes Kapitel: Sprache und Institutionen

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Subjekt gemacht geworden sei, habe sich die bürgerliche Bewegung vom Staat entfremdet (VfG, 152 f.). Während auf diese Weise die politische Substanz des preußischen Staates ungenutzt blieb, hätten französische Verfassungsideale vor allem auf die süddeutschen Staaten übergegriffen. Zum »Unglück für die neuen, bürgerlichen Verfassungsideale« (VfG, 146) habe dort aber die politische Größe Preußens gefehlt. Der süddeutsche Liberalismus sei zu einer organischen Rezeption der revolutionären Ideale außerstande gewesen und zu einem »üppig ins Kraut schießenden, weltfremden Doktrinarismus« (VfG, 148) degeneriert. Auf diese Weise sei das Herzstück der Revolution, der Parlamentarismus, nach Deutschland gekommen als – treffliche Formulierung! – »spießerhafte Mißform […], in welcher sich die allgemeinste Weltverbesserungsideologie mit den begrenztesten Kirchturminteressen und ödem Kantönligeist verband« (VfG, 146). Betrachtet man die Ausgangslage, die Forsthoff für das deutsche Verfassungsproblem des 19. Jahrhunderts entwickelte, wird das Geschichtsbild deutlich, das sie in sich schloß. Denn Forsthoff konnte nun die bürgerliche Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts als Folge der verpaßten Chance der preußischen Monarchie verstehen, als »soziales Königtum« die bürgerliche Welt unter ihrem ordnenden Zugriff zu behalten. Das galt insbesondere für die Revolution von 1848: »War die bürgerliche Bewegung im ganzen bisher von dem nationalen Empfinden getragen und von dem Gedanken der deutschen Einheit belebt worden, so traten daneben jetzt das Ressentiment, der Haß und der ungezügelte Intellekt. Es ergriffen also die geistigen Merkmale der Verstädterung von ihr Besitz und übten ihre verwandelnde Wirkung aus.« (VfG, 153; gestrichen in VfG II)

An die Stelle der »alten nationalen und liberalen Haltung« sei »intellektuelle Dreistigkeit« (VfG, 153; gestrichen in VfG II) getreten. Das alte Ziel, die »organische Fortentwicklung deutschen Staatstums aus deutscher Kraft und deutschem Wesen« (VfG, 154) habe damit unerreichbar werden müssen. Im Gegenteil sei die Sozialordnung nun insgesamt vom »ökonomisch-technischkapitalistische[n] Prozeß« (VfG, 154) erfaßt worden. Dessen Nutznießer, das Bürgertum, habe sich immer stärker als staatsfeindliche Macht entpuppt, die »gegen die überkommenen politischen Ordnungen zu absoluten Setzungen schritt.« (VfG, 207) Man mag Forsthoff seine Engführung von Bürgertum und kapitalistischer Wirtschaft im 19. Jahrhundert vorhalten oder sein Beharren auf der metaphysischen Legitimität der preußischen Monarchie; darauf kommt es hier nicht an. Wichtiger ist, daß in der Verfassungsgeschichte neue Orientierungsmaßstäbe sichtbar werden. Forsthoffs Sympathie in der Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts gehörte den Verteidigern des monarchischen Prinzips und den Protagonisten eines sozialen Staates ständischer Prägung. Sie waren, meinte er, »mehr als die Verfechter einer politischen Ansicht, sie waren die Verteidiger einer christlich-konservativen, metaphysischen Weltansicht, nach der es den

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Dritter Teil: Nach der Utopie

Menschen nicht zustehen konnte, die ihm aufgegebene politische Formwelt aus eigenem Gutdünken zu verändern.« (VfG, 207) Die Zerrissenheit der modernen Welt, von der her er die Verfassungskonflikte des 19. Jahrhunderts als Tragödie begriff, mündete bei Forsthoff nun jedenfalls nicht mehr in die Hoffnung auf ihre revolutionäre Überwindung. Von der Erneuerung der politischen Formenwelt aus dem Geist des Frontsoldatentums, von der ideologischen Integration der sozialen Spannungen, auf die er in seiner nationalrevolutionären Phase Hoffnungen gesetzt hatte, war jetzt keine Rede mehr. Zu dem utopischen Ziel, die Antinomien der modernen Gesellschaft auf dem Boden einer totalen Weltanschauung politisch zu integrieren, führte nun für Forsthoff kein Weg mehr zurück.210 Daß in Forsthoffs Apologie des alten Preußens das Ideal eines totalen Staates endgültig zurückgenommen wurde, beweist auch seine Auseinandersetzung mit Carl Schmitts 1938 erschienenem Werk Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes in Form einer sehr ausführlichen Rezensionsabhandlung.211 Schmitt hatte den von Hobbes errichteten Vorbehalt zugunsten der inneren Überzeugung, die Unterscheidung zwischen dem forum externum und dem forum internum zum Geburtsfehler der ganzen neuzeitlich rationalistischen Staatskonstruktion erklärt. Mit diesem geheimen Rückzugsraum der Subjektivität begann nach Schmitt die langsame Überhandnahme des Innerlichen und der sich beschleunigende Prozeß der Auflösung des Staates als Ordnungsidee. Nur scheinbar gegen Hobbes, in Wahrheit natürlich gegen Schmitt stellte Forsthoff in seiner Rezension zunächst die rhetorische Frage, »ob es 210

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Forsthoffs historiographische Überhöhung der geschichtlichen »Aufgabe« des preußischen Staates und seine unverhohlene Bewunderung für die politische Rolle der bürgerlichen Bildungsbewegung des 18. Jahrhunderts wurden von Heinrich Muth, einem völkisch ausgerichteten Verfassungshistoriker und Mitarbeiter des SS-Juristen Reinhard Höhn, dann auch folgerichtig bemerkt, vgl. H. Muth, Grundlinien der neueren deutschen Verfassungsentwicklung, in: DR 11 (1941), 1271. Diese Darstellung wurde ebenso als Angriff auf die offizielle Linie der Verfassungsgeschichte im Dritten Reich aufgefaßt wie die allzu positive Einschätzung der Reichsverfassung von 1871, hinter der Muth die »alte, heute aber in keiner Weise mehr gebotene dynastische Rücksichtnahme auf das Haus Hohenzollern« vermutete (H. Muth, Grundlinien der neueren deutschen Verfassungsentwicklung, in: DR 11 (1941), 1269). Vor allem aber lasse sich der »plötzliche Abbruch« der Darstellung mit der Reichsgründung »durch nichts rechtfertigen« (ebd., 1271). Für die akademische Lehre hielt Muth Forsthoffs Verfassungsgeschichte folgerichtig für gänzlich ungeeignet, weil sie »einer falschen Tradition« angehöre und den studentischen Leser nicht hinführe »auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Gegenwart.« (ebd., 1271 f.). Im übrigen waren die Rezensionen der Verfassungsgeschichte, insbesondere insoweit sie von wissenschaftlich besser ausgewiesenen Rezensenten stammten, allerdings in ihrer Mehrzahl voll des Lobes, so beispielsweise H. G. Kugelmann, Buchbesprechung, in: ZöR XXIII (1943/44), 361, der von einer »schöpferischen Leistung hohen Ranges von bedeutender Gestaltungskraft« sprach; ähnlich positiv U. Scheuner, Buchbesprechung, in: ZgStW 102 (1942), 736 ff.; C. H. Ule, Buchbesprechung, in: AöR 72 (1943), 296 f.; insbesondere G. Dahm, Buchbesprechung, in: Straßburger Monatshefte 5 (1941), 768 ff. E. Forsthoff, Buchbesprechung, in: Zs. für dt. Kulturphilosophie 7 (1941), 206 ff.

Fünftes Kapitel: Sprache und Institutionen

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möglich ist, die politische Formgebung de extremis zu entwickeln, ob sie nicht in der Mitte der Lebenswirklichkeiten ihren geistigen Ort haben müßte«212. Von dieser Frage aus setzte er dann dazu an, den preußischen Staat, den die Unterscheidung von Innen und Außen und die Achtung vor dem Gewissen geradezu charakterisiert habe (GrR, 9), in Schutz zu nehmen. Er sei allemal mehr als eine Durchgangsphase der subjektivistischen Auflösung des Staates gewesen. Nein: Dieser Staat verdanke seine Größe gerade der Achtung vor dem individuellen Gewissen und seiner Fähigkeit, »Mensch und Tier zu unterscheiden«. Der letzte Absatz der Rezension ist dann so zentral, auch für das Verhältnis Forsthoffs zu Schmitt, daß er hier vollständig wiederzugeben ist: »Ist der Epilog auf den Leviathan zugleich der Epilog auf den Staat? Schmitt äußert sich dazu nicht prinzipiell, aber die letzten Kapitel seines Buches legen die Vermutung nahe, daß er so verstanden werden will. Das wäre freilich nur unter der Voraussetzung einleuchtend, daß sich das Phänomen Staat, wie es seit dem 17. Jahrhundert für die europäische Geistesgeschichte bestimmend wird, geistesgeschichtlich auf die von Hobbes entwickelten Lehren reduzieren ließe. Die subtilsten Untersuchungen über die Beeinflussungen der geistesgeschichtlichen Abläufe durch die Staatstheorie im allgemeinen und Hobbes im besonderen würden an den Unkontrollierbarkeiten und Dunkelheiten scheitern müssen, in denen die Geschichte ihre Geheimnisse verbirgt. Welchen Anteil die Gedanken des Hobbes etwa an der Entstehung des brandenburgisch-preußischen Staates über Pufendorf oder auf anderem Wege genommen haben, ob ein solcher Anteil in nennenswertem Umfang überhaupt bestanden hat, alles das wissen wir nicht präzise und können es nicht wissen. Jedenfalls aber bietet dieses Brandenburg-Preußen das Beispiel eines Staatswesens dar, das die Unterscheidung des Innen und Außen von Beginn an nicht nur gekannt, sondern mit äußerster Sorgfalt entwickelt und beachtet hat. Der rückschauende Blick fällt hier freilich in der Regel auf die brillanten Bonmots, die uns in großer Zahl von Friedrich dem Großen überliefert sind [scil: und auf die Schmitt sich im fünften Kapitel seines Werkes allein bezogen hatte]. Wesentlich fruchtbarer sind hier aber die zahlreichen Auslassungen des Großen Kurfürsten und etwa noch Friedrich Wilhelms III., welche die Grenzscheide zwischen dem Innen und Außen zum Gegenstande haben. Vor allem die des Großen Kurfürsten, der sozusagen den Raum des brandenburgischen Staates ohne traditionale Vorgegebenheiten und ohne direktes Vorbild erst abstecken mußte, sind Zeugnisse einer ständigen Zwiesprache mit dem Gewissen und von einer dem konkreten Anlaß durchaus entrückten Gültigkeit. Wenn uns von Friedrich Wilhelm III. überliefert ist, daß er mit tiefem Unmut den Bürgern von Elbing verwehrte, die Pferde seines Wagens auszuspannen, und ihn im Triumph in die Stadt einzuholen (›Ist unter des Menschen Würde, Dienste von Tieren zu verrichten. Habe meine Untertanen zu lieb, kann und darf solche Erniedrigung nicht annehmen.‹), so bricht in diesem harmlosen Zwischenfall eine ganze, und zwar die genuin preußische Staatsmetaphysik hervor. Und es war nicht die geringste Weisheit dieser Staatsmetaphysik, daß sie Mensch und Tier zu unterscheiden wußte. Aber auch dieses Preußen ist tot. Es ist mit, vielleicht sogar an Hobbes gestorben. Wer kann es wagen, dem Staate eine Prognose zu stellen?«213

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Ebd., 212. Ebd., 213 f.; ähnlich bereits E. Forsthoff, Zur Lage der heutigen Staatstheorie (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Adelsblatt 56 (1938), 1432; zur Würdigung siehe J. Kersten, Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, in: Der Staat 44 (2005), 555.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

2. Die konservative »Entscheidung« Vollends deutlich wird Forsthoffs Bruch mit der politischen Utopie der Jungkonservativen allerdings in jenen Arbeiten aus dieser Zeit, die er nicht vollendete. Nach der Fertigstellung der Verfassungsgeschichte der Neuzeit hatte er große Pläne. Rudolf Smend und Fritz von Hippel berichtete er, eine Geschichte der Staatstheorie seit dem Wiener Kongreß schreiben zu wollen.214 Dieses Projekt scheint er als solches nie in Angriff genommen zu haben; nach dem Weggang aus Königsberg fehlten dazu wohl auch die äußeren Bedingungen. Was daraus wurde, ist ein ganz anderes Thema, das 1943, kurz nach dem Wechsel nach Heidelberg, in seinen Überlegungen auftaucht. Jetzt verfolgte er das Vorhaben einer umfangreichen Arbeit über die Geschichte und das Wesen des konservativen Denkens. Das ging zurück auf einen Vorschlag Hans Zehrers,215 der zuvor Herausgeber der berühmten Zeitschrift »Die Tat« gewesen war und in der Zeit des Krieges den Berliner Stalling-Verlag leitete. Mit ihm vereinbarte Forsthoff ein Werk über den Konservativismus und besuchte ihn Anfang März 1943 deswegen in Berlin.216 Forsthoff berichtete später über dieses Gespräch: »Ich hatte schon vor Jahren mit Hans Zehrer […] über die voraussichtliche geistige Nachkriegslage gesprochen und mich mit ihm in der Überzeugung gefunden, dass dann alles auf die Bewahrung und erneute Verlebendigung der grossen abendländischen geistigen Traditionen ankommt. Z. war entschlossen, die ganze Verlagsarbeit nach dem Kriege in den Dienst dieser Aufgabe zu stellen […]. Er trug mir an, meine Gedanken in einem Buch zusammenzufassen, das den programmatischen Auftakt zu dieser Verlagsarbeit darstellen solle. Diesen Auftrag nahm ich an […].«217

Das war kein kleines Ziel, und Forsthoff hatte nicht weniger im Sinn als das konservative Denken überhaupt auf eine neue Grundlage zu stellen. Der Konservativismus, so schrieb er an Zehrer, befinde sich gegenwärtig »an einem Wendepunkt seiner Entwickelung«: »Ich würde den bisherigen Konservativismus, welcher durch bestimmte Schichten existentiell repräsentiert wurde, als naiven Konservativismus bezeichnen. Seine geschichtliche Rolle halte ich für endgültig beendet. Die Schichten, welche die Träger dieses Konservativismus waren, gehören der Geschichte an oder sind sozial entmachtet (Adel). Das heutige Beamtentum und die heutige Armee bewegen sich auf der Ebene eines großen Funktionärtums. Ein solches kann nicht Repräsentant des Konservativismus sein.

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Ernst Forsthoff an Rudolf Smend, 12.3.1939, SUB Göttingen, NL Smend; Ernst Forsthoff an Fritz von Hippel, 6.6.1940, UA Freiburg, NL von Hippel, Nr. 1908. Zu Zehrer s. E. Demant, Von Schleicher zu Springer, 1971; K. Fritzsche, Politische Romantik und Gegenrevolution, 1976; ferner S. Breuer, Anatomie der konservativen Revolution, 21995, passim. Hans Zehrer an Ernst Forsthoff, 15.2.1943, NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an Wilhelm Emanuel Süskind, 27.10.1945 (Durchschlag), NL Forsthoff.

Fünftes Kapitel: Sprache und Institutionen

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Der künftige Konservativismus kann nur ein bewußter sein. Ihm muß eine geistige Entscheidung zugrunde liegen. In der Vorbereitung dieser Entscheidung liegt die Rechtfertigung des geplanten Buches.«218

Über die mit seinen Studien verfolgte Absicht schrieb er 1944 an Wilhelm Stapel, es gehe ihm darum nachzuweisen, »daß der Konservativismus keine Weltanschauung im landläufigen Sinne ist«219. Gerade in der Andersartigkeit gegenüber den politischen Parteien und Ideologien sah Forsthoff die geschichtliche Aufgabe des Konservativismus. In einem Entwurf zur Einleitung des Buches heißt es: »Den Anstoß zu diesem Buch hat die Tatsache gegeben, daß die kontinentale, insbesondere die west- und mitteleuropäische Staatenwelt seit der französischen Revolution keine feste Verfassung mehr besitzt. Diese Feststellung mag dem einen oder anderen übertrieben erscheinen, sie ist es jedoch nicht. […] Man darf […] mit gutem Recht den mit der französischen Revolution beginnenden Abschnitt der Geschichte als Epoche der Revolutionen bezeichnen. Sie stellt […] eine Epoche permanenter Labilität der öffentlichen Zustände dar. […] Diese Epoche kann nicht mit einer neuen Revolution – welche nur ihre Fortsetzung darstellen würde – sondern nur mit der Selbstauslöschung durch den Verbrauch aller in ihr wirksamen Antriebe zu Ende gehen. Die Rückkehr zu geordneten und dauerhaften Verfassungszuständen kann nicht das Werk einer systematischen Ideologie sein. Sie wird jedoch auch nicht ohne den tätigen Anteil des Geistes gelingen können. Alle in dieser Richtung tätige Bemühung wird sich der Frage gegenüber sehen, ob die moderne Massenwelt überhaupt Verfassungsfähigkeit [besitzt], welche Institutionen und Präformationen ihr innewohnen, die einer Verfassunggebung dienstbar gemacht werden können.«220

Der wissenschaftliche Ertrag, den Forsthoff sich von einer solchen Untersuchung versprach, sollte entsprechend dieser Zielsetzung auch »weniger ein ausgebreitetes geistiges System als eine Darstellung der Grundstrukturen des konservativen Denkens und der Verhaltensweisen des konservativen Menschen«221 sein. Der erste Teil des Werkes sollte eine »Geschichte des konservativen Gedankens« werden, der zweite eine »Konservative Anthropologie«, der dritte eine »Soziologie der konservativen Lebensmächte«.222

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Ernst Forsthoff an Hans Zehrer (Durchschlag), 24.2.1943, NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 13.2.1944, DLA Marbach, NL Stapel. E. Forsthoff, [Fragment zu einer Einleitung zum Buch über den Konservativismus], o. D., hschr., Ms., NL Forsthoff, 2 S. Ernst Forsthoff an Hans Zehrer (Durchschlag), 24.2.1943, NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an Hans Zehrer, 24.2.1943, NL Forsthoff; s.a. Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 13.2.1944, DLA Marbach, NL Stapel: der erste Teil seiner Arbeiten solle »eine breiter angelegte Geschichte des K[onservatismus] bringen […], die es von gänzlich unzulänglichen Versuchen abgesehen noch nicht gibt«; Ernst Forsthoff an Willy Kramp, 9.9.1943 (Entwurf), NL Forsthoff: »Meine privaten Studien gelten einer Darstellung des Konservatismus (im weiteren Sinne verstanden als Inbegriff derjenigen geistigpolitischen Bestrebungen, die man als bewahrende bezeichnen kann), wobei mich die immer fragwürdiger werdende Verfassungsfähigkeit der modernen Massenwelt besonders beschäftigt.«

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Dritter Teil: Nach der Utopie

Forsthoff hat vor allem in den letzten Kriegsjahren in Heidelberg an seinen Konservativismusstudien gearbeitet: Im November 1945 berichtete er Zehrer von großen Fortschritten.223 Um 1950 scheint er die Sache endgültig aufgegeben zu haben. Bedenkt man die politische Situation zu Beginn der vierziger Jahre, als Forsthoff das Konservativismusthema in Angriff nahm, so hat er eigentlich erstaunlich lange daran gearbeitet. Das Vorhaben bezweckte schließlich nicht weniger als eine eigene staats- und gesellschaftspolitische Konzeption, eine Alternative zum Nationalsozialismus. Dieser geistige Anspruch hatte den konservativen Widerstand im allgemeinen ausgezeichnet.224 Aber mit dem Scheitern des Widerstands gegen Hitler am 20. Juli 1944 verlor, worum es Forsthoff ging, seine programmatische Bedeutung. Der Stand der nachgelassenen Arbeiten läßt die Ideen zu jener Erneuerung den Konservativismus, die Forsthoff vorschwebte, nur in Umrissen erkennen. Halbwegs fertig ausgearbeitet sind lediglich einzelne Stücke des ersten der drei Teile, die sich mit der Entstehung des deutschen Konservativismus im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert beschäftigen. Zu den weiteren Teilen finden sich Gliederungen und Exzerpte. Weiter existiert ein nachgelassener Vortrag »Zur geistigen Struktur des frühen deutschen Konservativismus«,225 den Forsthoff 1953 auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Bad Herrenalb gehalten hat.226 Forsthoff bot ihn der katholischen Zeitschrift Hochland an, die das Manuskript aber aus inhaltlichen Gründen ablehnte.227 Zum Umkreis der Konservativismusstudien gehört noch ein in drei Fassungen ausgearbeiteter Essay Weltanschauung als Geschichtsmacht, der sich auf den Herbst 1946 datieren läßt und eine größere Schrift Die Institutionen als Rechtsbegriff, die zwischen 1944 und 1947 entstanden ist. Alle diese Arbeiten sind unveröffentlicht geblieben. Erschienen ist 1951 lediglich der freilich sehr wichtige228 Aufsatz Der moderne Staat und die Tugend aus dem Gedenkbuch für Wilhelm Ahlmann (RW, 13 ff.). Die Entwürfe zu den ideengeschichtlichen Kapiteln beginnen bei den »Vorläufern« geschichtlichen Denkens: bei Johann Georg Hamann, Johann Gott-

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Ernst Forsthoff an Hans Zehrer (Durchschlag), 1.11.1945, NL Forsthoff. Siehe H. Mommsen, Gesellschaftsbild und Verfassungspläne des deutschen Widerstandes (1966), in: Alternative zu Hitler, 2000, 53 u. pass. E. Forsthoff, Zur geistigen Struktur des frühen deutschen Konservativismus, Ts., 16 S., NL Forsthoff. Vgl. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 21.4.1953, BW, Nr. 61, wo Forsthoff diesen Vortrag bezeichnet als Bericht »aus meinen Konservativismus Studien, die mich in den letzten Kriegsjahren beschäftigten«. Das Thema lautete »Konservatismus«. Neben Forsthoff sollten Hans Schomerus, Hans Freyer und Carl Schmitt sprechen. Carl Schmitt wurde jedoch nach Intervention verschiedener politischer, kirchlicher und universitärer Stellen wieder ausgeladen (BW, Nr. 61 Anm. 1). Einen ausführlichen Bericht der Vorgänge gibt Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 19.5.1953, BA Koblenz, NL Huber. Franz Josef Schöningh an Ernst Forsthoff, 28.12.1953, NL Forsthoff. Vgl. E.-W. Böckenförde, Rechtsstaat im Wandel, in: NJW 1976, 1385.

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fried Herder, Justus Möser, August Wilhelm Rehberg und dem Freiherrn vom Stein, widmen sich dann sehr ausführlich Edmund Burkes Kritik der revolutionären Weltanschauung und vor allem der deutschen Burke-Rezeption durch Friedrich von Gentz. Sie fahren fort mit Bemerkungen zum politischen Weltbild Goethes, zum politischen Denken Novalis’, Friedrich Schlegels und anderer Frühromantiker und zu ihrem Einfluß auf Savigny und Ranke.229 Friedrich Meineckes Entstehung des Historismus war soeben erschienen und diente als Basis.230 Typologisch unterschied Forsthoff für das 19. Jahrhundert drei »Spielarten« des Konservativismus. Während der »diplomatische Konservativismus« Gentz’, Metternichs und Bismarcks ebenso wie der »feudale Konservativismus« von der Marwitz’ und Finckensteins an eine soziale Trägerschaft und ererbten Grundbesitz gebunden gewesen sei und deshalb auch mit der vorrevolutionären Ordnung Europas untergehen mußte, habe der »bürgerliche Konservativismus« Goethes und Rankes sich zum ersten Mal davon freimachen können. Bei ihnen zeigte sich für Forsthoff zum ersten Male jener Konservativismus aus einer bewußten Entscheidung. Wer waren die Gegner der Konservativen? Das ist leicht zu erraten: Wie bei Carl Schmitt231 waren es die Romantiker und alle politischen Subjektivisten nach ihnen. Zwar verdanke der Konservativismus der Romantik das »organische Denken, die Erkenntnis der Sozialgebilde als Organismen«232. Jedoch habe sich die Romantik politisch verbraucht, insoweit sie sich mit der »bürgerlich-rechtsstaatlichen Bewegung« verbündete.233 Wie vor ihm Schmitt deutete Forsthoff die epochale Verbindung von subjektiver Innerlichkeit und rechtsstaatlicher Bewegung als Angriff auf die Sphäre staatlicher Hoheit: »Indem sie [scil: die Frühromantik] das fühlende, phantasierende, poetisierende und als solches (nach romantischer Ansicht) auch politisierende Individuum frei setzte, räumte sie alle Schranken zwischen den Menschen hinweg. Die Revolutionäre von 1789 beschränkten sich auf den politischen Willen als Basis der Demokratie. Sie ließen dem Menschen Bildung und Besitz als ihm eigen und gestatteten ihm, sich auf sich selbst zurückzuziehen, sofern er es für gut befand. Erst die Romantik tat […] den folgenreichen Schritt über die Vergemeinschaftung des politischen Willens hinaus zur Sozialisierung der Gefühle und der gesamten Innerlichkeit. Das war unzweifelhaft die stärkste Negation des achtzehnten Jahrhunderts, denn sie traf es nicht in irgendwelchen politischen Verfassungsgestaltungen, sondern in seiner politischen Lebensform schlechthin. […] Aus der Perspektive dieses barocken Europas betrachtet war die Frühromantik ein plebejischer Exzeß, die Zerstörung eines der wesentlichsten Elemente wie aller feudalen Ordnung so auch der des 18. Jahrhunderts: der Distanz. Distanz und Distanzbewußtsein sind Voraussetzung jedes sozialen Ranges. […] Indem die Romantiker den ganzen Menschen politisch ins Spiel setzten, negierten sie die Distanz und ersetzten sie durch das, was sie Gemeinschaft nannten. […] [I]n Novalis’ Diskreditierung der Tugend ist der Haß

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E. Forsthoff, Die Frühromantik, Ts., NL Forsthoff, 16 S. F. Meinecke, Die Entstehung des Historismus (1936), Werke, Bd. III, 1959. C. Schmitt, Politische Romantik, 21925. E. Forsthoff, Die Frühromantik, Ts., NL Forsthoff, 11. Ebd., 6.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

gegen Distanz und Aristokratie deutlich bemerkbar. Die Tugend ist ein aristokratischer Begriff, welcher auf Distanz beruht.«234

Die Motive der geistesgeschichtlichen Erzählung sind damit umrissen. Versucht man, den programmatischen Gehalt von Forsthoffs Neubegründung des Konservativismus aus den Fragmenten zu rekonstruieren, so wird bald deutlich, daß es sich bei der bewußten Entscheidung für ein neues »substantielles« Denken235, die er vorbereiten wollte, im wesentlichen um die Entscheidung zur Erneuerung des konservativen Denkens handelte, wie es sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei seinen bürgerlichen Vertretern gebildet hatte, sieht man einmal ab von der Verehrung, die Forsthoff dem Grafen Paul Yorck von Wartenburg als konservativem Geist entgegenbrachte.236 Ein theoretischer Neuansatz zu einer konservativen Politik und Anthropologie, wie er sich zur gleichen Zeit insbesondere bei Arnold Gehlen andeutete, gelang Forsthoff in seinen Studien nicht. Das zeigt einmal das organische Sozialideal, die Vorstellung des Staates als lebendiger Organismus, die Mitte des 19. Jahrhunderts zum politischen Leitbegriff der Konservativen geworden war.237 In Übereinstimmung mit diesen Vorstellungen betonte Forsthoff den Vorrang der langsamen geschichtlichen Entwicklung vor der planmäßigen Umgestaltung, der die Kontinuität wahrenden behutsamen Reform vor der Revolution: »Nicht die Vernunft, sondern die unübersehbare Fülle der geschichtlich-politischen Faktoren bringt den Staat hervor und bildet ihn weiter.«238 Konstituierend und charakteristisch für das

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Ebd., 7 f. Ernst Forsthoff an Frau Lohmann (Frau von Karl Lohmann), September 1945 (Durchschlag), NL Forsthoff. Siehe auch Ernst Forsthoff an Hans Zehrer, 1.11.1945 (Durchschlag), NL Forsthoff: »Ich denke, Sie werden damit einverstanden sein, wenn ich auf die Herausarbeitung des modernen K[onservatismus] besonderen Wert lege. Schon für den K. des vorigen Jahrhunderts lege ich das Hauptgewicht auf den Nachweis, dass er nicht, wie alle sonstigen politischen Strebungen dieser Zeit, Weltanschauung war und deshalb sich weder in der Form einer Partei noch in einer Programmatik manifestieren konnte. Dieser Gedanke leitet in die Gegenwart hinüber und es wird zu zeigen sein, wie nicht nur innerhalb der Theologie […], sondern auch in der Philosophie (Ontologie und Existenzialphilosophie) das Bewusstsein mehr und mehr hervortritt, dass es eine Welt objektiver Gegebenheiten gibt, über die der Mensch nicht verfügt, oder vielleicht besser: verfügen darf, vor der er sich bescheiden muss. Dieses Sich-Bescheiden ist ja das anthropologische Grundphänomen der konservativen Haltung. Also die Rückkehr von einer totalen Funktionalisierung zu einem substanziellen Denken.« E. Forsthoff, Paul Yorck von Wartenburg. Eine zeitgemäße Erinnerung, undatiert (1945/ 46), Ms., NL Forsthoff. Zu Yorcks politischer Philosophie siehe K. Gründer, Zur Philosophie des Grafen Paul Yorck von Wartenburg, 1970, 56 ff. A. Meyer, Mechanische und organische Metaphorik politischer Philosophie, in: Archiv für Begriffsgeschichte XIII (1969), 155 ff.; s.a. E.-W. Böckenförde, Art. »Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper«, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, hrsg. v. O. Brunner u.a., 1978, 587 ff., 602 ff. E. Forsthoff, Die Entstehung des Konservatismus, Ts., NL Forsthoff, 13.

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konservative Denken war demnach der Protest gegen die »Beseitigung ehrwürdiger, überkommener Verhältnisse und ihre Ersetzung durch die Mechanik von oben diktierter Ordnungen«239. Eng damit zusammen hängt das »Mißtrauen in das Vermögen der Menschen«240 und die aus ihm folgende Auflehnung »gegen die Ideologen und Metaphysiker in der praktischen Politik«.241 Auch insofern maß Forsthoff der konservativen Kritik der französischen Revolution eine einmalige, paradigmatische und endgültige Bedeutung bei. Er war überzeugt, daß »die Eigentümlichkeit und die spezifische Überlegenheit des Konservativismus gerade darin bestand […], eine solche Ideologie nicht zu haben«242, daß der wahre Konservativismus deshalb auch nur zu verstehen ist, »wenn man alles Parteimäßige daraus eliminiert.«243 Überhaupt dürfe der Konservativismus niemals zur Partei herabsinken. »[N]ichts ist dem Konservativismus unerträglicher als die Ausmünzung in irgendeine Programmatik.«244 Das aber bedeutete die Rückkehr zu jenem konservativen Selbstverständnis, das noch nicht im Vormärz zur Partei der Gesellschaft geworden war. Denn: »Der preußische Konservativismus gab sich in dem Augenblick auf, in dem er die Legitimitätsfragen ernst nahm.« Deshalb sei der »Totengräber« des konservativen Denkens niemand anderes als der »vielgepriesene [Friedrich Julius] Stahl«.245 Soweit die Exzerpte und Gliederungen es erkennen lassen, wollte Forsthoff von dieser Überlegung aus das Dilemma des konservativen Denkens seit dem 19. Jahrhundert und seine Perspektiven entfalten: Sobald der Konservativismus sich, so meinte Forsthoff, auf die Logik der bürgerlichen Gesellschaft einlasse, dem »Zwang zur Selbstorganisation« nachgebe und zur Partei werde, sei es um ihn geschehen. Dann werde er zu einer »wesentlich reaktionären Potenz« und komme über die Opposition nicht hinaus. Deshalb werde sich nach dem Ende der bürgerlichen Gesellschaft der Konservativismus nur als eine nicht parteipolitische Kraft neu errichten lassen.246 Was er damit meinte, erfuhren zuerst die Hörer von Forsthoffs Vorlesung über Allgemeine Staatslehre im Wintersemester 1943/44 in Heidelberg – eine Vorlesung, die er übrigens bewußt und der Studienordnung zuwider nicht »Volk und Staat« nannte.247 »Als konservativ«, heißt es im Manuskript, »ist

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Ebd., 8. Ebd., 9. Ebd., 12. E. Forsthoff, Die gescheiterte Revolution, in: Zeitwende 20 (1948), 403. Ernst Forsthoff an Wilhelm Emanuel Süskind, 27.10.1945, NL Forsthoff. E. Forsthoff, Die Struktur des frühen deutschen Konservativismus, Ts., NL Forsthoff, 16. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 18.9.1949, BW, Nr. 26. E. Forsthoff, [Gliederung zu einem Kapitel über Konservativismus und Parteibegriff], Ms., hschr., 2 S., NL Forsthoff. E. Forsthoff, Vorlesung Allgemeine Staatslehre, Wintersemester 1943/44, Ms., NL Forsthoff, Bl. 1: Er habe, so sagte er seinen Hörern, »diese Regelung nicht begrüßen können.« Es sei »unerläßlich für eine wirkliche Einführung in das Recht, daß Sie auch mit dem Staat als derjenigen Instanz vertraut gemacht werden, welche in der modernen Welt zum eigent-

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derjenige zu bezeichnen, der die innere Assimilation des 19. Jahrhunderts an [die] Revolution nicht mitgemacht hat. Geistig zeichnet ihn aus: Vorordnung des Seins vor dem Bewußtsein, der Substanz vor der Relation und Funktion, Bevorzugung einer konkreten, Vermeidung einer systematischen, generalisierenden Anschauung, stärkere Neigung zum Realismus.«248 Forsthoff verschwieg seinen Studenten nicht, welches die weltgeschichtlichen Perspektiven waren, unter denen er die Frage nach der Zukunft des konservativen Denkens selbst betrachtete. Am Ende der Vorlesung stellte Forsthoff die Frage: »Wie stehen wir z[um] Zeitalter der Revolution? Sind wir am Abschluß oder stehen wir i[n] e[iner] Durchgangsphase? Das ist e[ines] der Grundprobleme dieser Zeit, auch des Krieges – das Urteil ist nicht leicht.«249 Forsthoff war davon überzeugt, daß die Triebkräfte des Revolutionszeitalters – Liberalismus, Sozialismus, Demokratie – »verbraucht« waren, wie er es im Vorwort zum Konservativismusbuch formulierte.250 Nach dem Krieg würde die Stunde des Konservativismus schlagen. Seine Aufgabe war die denkbar schwerste. Er würde es schließlich mit der vom Revolutionszeitalter hinterlassenen, entzauberten technischen Welt zu tun bekommen, mit den lebensweltlichen Konsequenzen des 19. Jahrhunderts. So wenden sich die letzten Stichworte der Vorlesung Allgemeine Staatslehre dem Thema der Technik zu, das Forsthoff 1941 »die erregendste und dunkelste Frage unseres Zeitalters«, ja »die Frage nach dem Schicksal unseres Erdteils und der übrigen durch die Technik hindurchgegangenen Völker«251 genannt hatte. Ließen sich, fragte er 1943, »Technik, Imperialismus und Krieg voneinander trennen?«252 Das Thema sollte sich bis in Forsthoffs letzte Schriften fortsetzen. »Die Technik [ist] das letzte revolutionär-dynamische Element des Revolutionszeitalters. Die Frage: nur ein zeitl[ich] begrenztes Zweckbündnis – Aufrüstung, Krieg? Oder konstitutionell. Wenn das der Fall [ist], dann wären wir nicht über das Revolutionszeitalter hinaus, sondern i[n] seine letzte Phase eingetreten. Und [dann ist] alles vorläufig u[nd] von [der] Fortentwicklung d[er] Technik abhängig. Diese Frage [ist] nicht zu beantworten. Sie ist d[ie] offene Frage an die Zukunft.«253

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lichen Urgrund und Träger allen Rechts geworden ist. Im Staat haben die unter den einzelnen Rechtsgebieten obwaltenden Sinnzusammenhänge ihren Ort, hier werden sie sichtbar und greifbar.« Ebd., Bl. 52. Ebd., Bl. 65. E. Forsthoff, [Fragment zu einer Einleitung zum Buch über den Konservativismus], o.D., hschr., Ms., NL Forsthoff, 2 S. E. Forsthoff, Buchbesprechung, in: Zs. für dt. Kulturphilosophie 7 (1941), 208 f. E. Forsthoff, Vorlesung Allgemeine Staatslehre, Wintersemester 1943/44, Ms., NL Forsthoff, Bl. 63. Ebd., Bl. 65.

Fünftes Kapitel: Sprache und Institutionen

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V. Eine Rechtsphilosophie der Institutionen Zu dieser Zeit arbeitete Ernst Forsthoff bereits an einem neuen Werk, das in gewisser Weise die rechtsphilosophischen und historischen Studien der Kriegsjahre zusammenfassen sollte, und in dem Forsthoff seine Rechtsauffassung zu einer geschlossenen Darstellung bringen wollte. Es ist wie das meiste andere aus jener Zeit unveröffentlicht geblieben, aber im Manuskript unter dem Titel Die Institutionen als Rechtsbegriff. Ein Beitrag zur Begründung der institutionellen Rechtslehre in zwei Fassungen im Nachlaß überliefert. Neben dem Essay über »Weltanschauung als Geschichtsmacht« ist dies die geschlossenste nachgelassene Schrift und die einzige Darstellung seiner Rechtsphilosophie nach Recht und Sprache. Das Manuskript verdient deswegen eine ausführlichere Würdigung. Dazu muß Anlaß, Aufbau und Inhalt der Schrift kurz referiert werden (1.), bevor der Rechtsbegriff der Institutionen (2.), das ihm zugeordnete Staatsverständnis (3.) und die Aufgabe des institutionellen Rechtsdenken (4.) erörtert werden können. Ein Vergleich mit der zeitgleich entstandenen Institutionenlehre Arnold Gehlens (5.) zeigt die Problematik und die Grenzen von Forsthoffs Entwurf. 1. Das Manuskript Die Institutionen als Rechtsbegriff (1944/1947) und seine werkgeschichtliche Bedeutung Warum Forsthoff seine nachgelassene Schrift über die Institutionen zwar zum Druck fertigstellte, dann aber nie veröffentlichte, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Die Studie ging zurück auf einen Vortrag, den Forsthoff im Sommer 1944 in Leipzig gehalten hat.254 Dieser Vortrag, der mit der älteren erhaltenen Fassung wohl identisch ist,255 sollte Teil der größeren Arbeit über das konservative Denken werden, zuvor jedoch separat in einer Festschrift für den preußischen Finanzminister Johannes Popitz erscheinen,256 ebenso wie Schmitts Vortrag »Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft«.257 Doch dazu kam es nicht. Popitz wurde als Mitverschwörer des 20. Juli 1944 verhaftet, zum Tode

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Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 15.7.1944, DLA Marbach, NL Stapel. E. Forsthoff, Die Institution als Rechtsbegriff. Zugleich ein Beitrag zur Soziologie des institutionellen Denkens, o.D. (1944/45), Ts., 30 S., NL Forsthoff. In einer Anmerkung heißt es, daß der Beitrag »in wenig veränderter Fassung« einen Vortrag wiedergebe, ohne daß Vortragsort und -zeit genannt würden. Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 7.6.1944, DLA Marbach, NL Stapel. Siehe auch R. Mehring, Carl Schmitt, 2009, 433 f. Vgl. C. Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (1943/44), in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, 1958, 426 f. (Nachbem.).

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verurteilt und im Februar 1945 in Plötzensee hingerichtet.258 Auf Anregung Wilhelm Stapels259 plante Forsthoff nun die selbständige Veröffentlichung einer erweiterten Fassung des Vortrages im Programm der Hanseatischen Verlagsanstalt, mit der er nach seiner frühen Parteinahme für den Nationalsozialismus im Totalen Staat gebrochen hatte.260 Doch das Kriegsende machte auch diesen Plan zunichte. In der folgenden Zeit hat Forsthoff den Text noch einmal grundlegend überarbeitet. Das spätere erhaltene Manuskript datiert vom Herbst 1947 und trägt eine Widmung an Franz Beyerle »in Erinnerung an die Frankfurter Jahre«. Auch danach äußerte Forsthoff mehrfach, er sei unzufrieden mit dem Manuskript und wolle es noch nicht endgültig aus der Hand geben.261 Forsthoff war noch lange Zeit entschlossen, eine letzte Fassung in Angriff zu nehmen und hat auch öffentlich immer wieder eine Arbeit über das institutionelle Rechtsdenken angekündigt.262 Dazu kam es aber nicht mehr, obwohl er noch 1956 gegenüber Roman Schnur eine spätere Veröffentlichung nicht völlig ausschließen wollte.263 So blieb Forsthoff zeitlebens die eigentliche Begründung schuldig für die aus sich heraus nur schwer verständlichen, kaum acht Seiten umfassenden methodischen Bemerkungen in dem den »Grundsätzen der

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Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 3.9.1944, DLA Marbach, NL Stapel: »Die Veröffentlichung ist […] aus manchen Gründen in Frage gestellt. Nicht nur wegen der allgemeinen Beschränkungen, sondern auch, weil sich der Adressat der Festschrift, zu der der Aufsatz einen Beitrag darstellen sollte, dem Vernehmen nach in Haft befindet.« Wilhelm Stapel an Ernst Forsthoff, 15.7.1944, NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 3.10.1944, DLA Marbach, NL Stapel, spricht zunächst von »gewisse[n] Publikationsrichtungen der Hava […], die ich nicht billigen konnte« und fährt fort: »Ich […] würde eine Veröffentlichung bei der Hava nicht nur aus dem begreiflichen Grund begrüßen, weil ich die Mühe nicht vergebens aufgewandt haben möchte, sondern weil ich gerade jetzt unter den Autoren der Hava, der Hava in statu renovandi, gerne wieder erscheine.«; ferner Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 20.11.1944, DLA Marbach, NL Stapel. In einem Brief von Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 6.7.1948, BW, Nr. 19, heißt es, die Arbeit sei fertig, »befriedigt mich aber in einigen Teilen noch nicht ganz, sodaß ich sie noch einmal überarbeiten möchte« (ähnlich Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 16.11.1947, BA Koblenz, NL Huber), gleichwohl schickte er jedenfalls Schmitt das Manuskript zu, vgl. Carl Schmitt an Ernst Forsthoff, 10.11.1948, BW, Nr. 21. Carl Schmitt hat einige undatierte Notizen zu diesem Manuskript hinterlassen (HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-19785), die sich auf Forsthoffs Bezugnahme auf Maurice Hauriou und den Begriff der Institution im Gegensatz zu dem der Anstalt beziehen. Schmitts Exemplar des Manuskripts (RW 265-19786) zeigt recht intensive Lesespuren. Bis zur achten Auflage des Lehrbuchs hieß es dort im Zusammenhang mit er Erläuterung der institutionellen Methode: »Eine systematische Darstellung des Wesens und der Grundzüge institutioneller Rechtsauffassung behalte ich mir an anderer Stelle vor.« (Lb, 132 Anm.; Lb VIII, 151). In der neunten und zehnten Auflage hieß es nur noch: »Eine Darstellung des Wesens und der Grundzüge institutioneller Rechtsauffassung steht im deutschen Rechtsschrifttum noch aus.« (Lb IX, 159 Anm.; Lb X, 165 Anm.). Ernst Forsthoff an Roman Schnur, 24.10.1956, BA Koblenz, NL Schnur.

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Rechtsanwendung« gewidmeten Kapitel seines Lehrbuchs des Verwaltungsrechts (Lb, 126–134; Lb X, 158–167) – sieht man einmal ab von dem an entlegener Stelle erschienenen Aufsatz von 1947 »Zur Problematik der Rechtserneuerung«, die einige Überlegungen aus dem Entwurf der Institutionen übernahm. Da half es auch wenig, wenn Forsthoff mitteilte, sein Werk sei »als Ganzes selbst eine Erläuterung der institutionellen Methode« (Lb, 134). Vermutlich lagen die Gründe für sein Zögern tatsächlich in der Anlage des Textes. Die Einleitung und das erste Kapitel (»Das Schicksal der Institution in der neueren Rechtsentwicklung«) entwickeln die These, daß mit dem Siegeszug des Souveränitätsdenkens und des Positivismus der Sinn für die institutionellen Qualitäten der Rechtsordnung verkümmern mußte, daß jedoch Positivismus und Souveränitätsdenken mit dem 19. Jahrhundert ihre Voraussetzungen verloren hätten und das institutionelle Denken damit eine neue Chance habe. Das zweite (»Die Institution in der wesentlichen Literatur«) referiert den dogmengeschichtlichen Bestand, das dritte (»Institutionelle und organische Rechtstheorie«) postuliert einen Zusammenhang zwischen institutioneller Rechtstheorie und universalen Organismusvorstellungen. Den gedanklichen Schwerpunkt bilden das vierte (»Zur Anthropologie der institutionellen Rechtstheorie«) und das fünfte Kapitel (»Zur Soziologie der Institution«). Das gerade einmal gut sechzig Seiten umfassende Manuskript hat jedoch nicht zu übersehende Schwächen. Gemessen an seinem immensen theoretischen Anspruch, gleichsam eine Summe seiner rechtsphilosophischen Arbeit der Kriegsjahre zu sein, ist die theoretische Ausarbeitung in weiten Teilen nur thesenhaft, die methodisch-dogmatische Durchführung bleibt teils in Andeutungen stecken, teils erschöpft sie sich ganz in Kritik. Ähnliches gilt für die dogmengeschichtliche Ausarbeitung, die nach dem äußeren Umfang den Hauptteil des Manuskripts bildet und es gegenüber den systematischen Schlußkapiteln etwas kopflastig macht. Sie streift einen gewaltigen Stoff juristischer Geistesgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, behandelt ihn dann aber im Bezug auf das gestellte rechtsphilosophische Problem nur vergleichsweise kursorisch. Ein weiterer Grund für Forsthoffs Zögern lag vermutlich in seiner Theorie der Institution selbst. Sie war, wie zu zeigen ist, in sich nicht ohne Widersprüche und wenig originell, bestenfalls: unzeitgemäß. Die konservative Theorie der »Institutionen« nahm bald jene Wendung zur sozialphilosophischen Kategorienforschung, die sich mit dem Namen Arnold Gehlens verbindet. Anders als Forsthoffs versuchte Rückwendung zur organischen Soziallehre hatte Gehlens Theorie der Institutionen methodisch Neues zu bieten. Forsthoff hingegen mußte bald einsehen, daß die konservative Staats- und Gesellschaftslehre der Bundesrepublik sich nicht noch einmal um die theoretischen Leitbegriffe des Vormärz würde versammeln lassen, und er ist bald, wovon noch die Rede sein wird, selbst auf Gehlens Kategorien eingeschwenkt. Noch etwas unterscheidet den unveröffentlichten Text von 1947 negativ von anderen Texten Forsthoffs. Die Institutionen gehören trotz ihrer primär fachwissenschaftlichen Thematik zu einem problematischen Genre: der konserva-

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Dritter Teil: Nach der Utopie

tiven Besinnungs- und Erbauungsliteratur, die in den ersten Nachkriegsjahren in Deutschland in großen Mengen produziert worden ist. Diese Erscheinung wird, um nur einige zufällige Beispiele zu nennen, unter anderem charakterisiert von der Zeitschrift Neues Abendland,264 der Publizistik Hans Zehrers,265 Giselher Wirsings Schritt aus dem Nichts (1951), Winfried Martinis Ende aller Sicherheit (1954), Gerhard Nebels Tyrannis und Freiheit (1947) oder von Gerhard Ritters Büchern Geschichte als Bildungsmacht (1946) und Europa und die deutsche Frage (1948). Repräsentativ sind ferner Carl-Hermann MüllerGraafs vielgelesene Betrachtungen Irrweg und Umkehr,266 oder Alfred MüllerArmacks Diagnose unserer Gegenwart (1949). Auch unter Juristen hatte das Genre seine Vertreter. Paradigmatisch sind Hans Peters »Betrachtungen zur heutigen Kulturlage«267 sowie einige Schriften der Brüder Fritz und Ernst von Hippel.268 Charakteristisch für diese publizistische Gattung ist eine Mischung aus weltgeschichtlicher Spekulation, spiritueller Einkehr und Katzenjammer. Ihre wiederkehrenden Themen und Motive sind: meist etwas vage Reflexionen auf den Menschen, das Menschliche und das Menschenbild, der Niedergang der Bildung, ein allgemeiner Abscheu vor Ideologien und Weltanschauungen, wobei hier zumeist die geschichtliche Kontinuität von französischer Revolution, Liberalismus, Demokratie und Nationalsozialismus stark betont ist, und schließlich ein diffuser Antitotalitarismus, der primär auf das antikonservative und antichristliche Wesen der nationalsozialistischen Massenbewegung abhebt. Überhaupt: die Ideologien und die Massen! Das Schreckgespenst der »Masse« spukt heftig durch dieses Schrifttum, das den Nationalsozialismus durchgängig als Einbruch der Massen in die Geschichte versteht.269 Die Heroen der hier gemeinten konservativen Erbauungsschriftsteller sind – etwa in dieser Reihenfolge – Goethe, Ranke, Luther und Burckhardt, ihr Gottseibeiuns dagegen der zuverlässig in der Rolle Hitlers glänzende Rousseau-Robespierre. Forsthoffs Die Institutionen als Rechtsbegriff und seine Nachkriegsaufsätze aus der Zeitwende haben nun einiges mit dieser Gattung gemein. Wovon noch die Vortragsfassung des Jahres 1944/45 ganz frei ist, tritt nun auf einmal in Forsthoffs Darlegungen auf: ein gewisser, euphemistisch gesprochen: sentimen264 265 266

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Dazu A. Schildt, Zwischen Abendland und Amerika, 1999, 39 ff. Etwa H. Zehrer, Der Mensch in dieser Welt, 1948. C.-H. Müller-Graaf, Irrweg und Umkehr (unter dem Pseudonym: ›Constantin Silens‹), 1946. H. Peters, Zwischen Gestern und Morgen, 1946; auch H. Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949 darf streckenweise hierzu gezählt werden. F. v. Hippel, Die nationalsozialistische Herrschaftsordnung als Warnung und Lehre, 1945; E. v. Hippel, Künder der Humanität, 1946; F. v. Hippel, Vorbedingungen einer Wiedergesundung heutigen Rechtsdenkens, 1947; E. v. Hippel, Rechtsgesetz und Naturgesetz, 21949; F. v. Hippel, Gustav Radbruch als rechtsphilosophischer Denker, 1951; F. v. Hippel, Die Perversion von Rechtsordnungen, 1955. J. Solchany, Comprendre le nazisme dans l’Allemagne des années zéro, 1997, 216 ff.

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taler Tonfall, ein allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz ziemlich unlutherisches Selbstmitleid. Der Schrift fehlt durchaus der für Ernst Forsthoff im übrigen typische kalte Blick. Auch hier herrscht die Klage über die »durchrationalisierte Massenwelt«, über die »Mechanik der modernen Daseinsführung« und den »modernen Massenmenschen«, über den inhumanen »Nihilismus« der modernen Bürokratien, auch hier werden Kategorien beschworen wie das christliche Menschenbild oder die »sittlichen Daseinsordnungen«, und auch hier mündet alles schließlich in die Rede von der konservativen »Erneuerung« und »Gesundung« von Staat, Gesellschaft und Recht. Diese Aspekte erklären vielleicht, wieso Forsthoff die Schrift über Die Institutionen als Rechtsbegriff letztlich nie veröffentlich hat. An ihrer werkgeschichtlichen Bedeutung ändern sie jedoch nichts. Diese Arbeit zeigt die Fruchtbarkeit und die Ambivalenz der Rechtsphilosophie, die Forsthoff seit der Königsberger Zeit entwickelte. Sie zeigt aber auch, weshalb die universale juristische Ordnungsidee und das juristische Wissenschaftsideal, die ihr zugrunde lagen, letztlich scheitern mußten. 2. Zum juristischen Begriff der Institution Die theoretische Stoßrichtung von Forsthoffs Schrift ist eine dreifache: Erstens ging es ihm um eine substantiierte historische Kritik des Rechtspositivismus, zweitens um einen Gegenentwurf zu den verbreiteten naturrechtlichen Strömungen. Die Abkehr vom Positivismus und die Hinwendung zum Naturrecht hielt er, das war schon in Recht und Sprache zu lesen (RuS, 42), für ein Nullsummenspiel, in dem nur immer wieder »eine als verderbt erkannte Art von Normativismus durch eine andere« ersetzt werde (RW, 14). Forsthoff wollte also nicht weniger als die pendelschwüngigen Bekenntniskonjunkturen zwischen Positivismus und Naturrecht überhaupt durchbrechen. Gelingen sollte das mit einem »Denken in Gebilden, in überindividuellen Einheiten«270, mit dem er »der noch tief eingewurzelten normativen Rechtsauffassung die Elemente einer gebildehaften, institutionellen Rechtsanschauung«271 entgegenstellen wollte: »Naturrecht und institutionelle Rechtstheorie stehen […] gegen den Positivismus in einem Verhältnis polemischer Ergänzung, haben aber im übrigen keine notwendige Verbindung untereinander.«272 Drittens schließlich sollte das institutionelle Rechtsverständnis die Fronten innerhalb des eigenen methodischen Spektrums abstecken. Dabei suchte Forsthoff natürlich in erster Linie die Auseinandersetzung mit dem konkreten Ordnungsdenken Carl Schmitts, 270 271 272

E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 32. Ebd., 5. E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, 1. Fassung, Ts., 4c, HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-19786, gestrichen in E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff.

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dem Forsthoff zwar schon in Recht und Sprache widersprochen hatte (RuS, 42), dessen enge Verwandtschaft mit Forsthoffs »institutioneller« Methode aber auf der Hand liegt und auch oft zu ihrer Identifikation geführt hat.273 Dogmengeschichtlich beruhen die Institutionen auf den Studien zur Geschichte des politischen Konservativismus; Stoff und Art der Darstellung gleichen sich. Forsthoff orientierte sich vor allem an der Rechtshermeneutik Savignys, dem »eigentlichen Urheber der institutionellen Rechtsauffassung«274. Was er bei Savigny zu finden glaubte, war ein dreigliedriger Institutionenbegriff. Jede einzelne Norm erhält danach ihren Sinn erst aus einem aufeinander bezogenen Komplex von Rechtssätzen. Daraus folgt die hermeneutische Priorität des Instituts vor der einzelnen Norm, insofern sich »erst von der Anschauung des Rechtsinstituts her das volle Verständnis der Rechtsregel erschließt«275. Daraus wiederum folgt der zweite Bestandteil des Institutionenbegriffs. Wenn das Institut einen die einzelne Norm übergreifenden Status haben sollte, konnte es nicht selbst Normcharakter haben, sondern mußte sich wesensmäßig von den Normen unterscheiden. Forsthoff bestimmte das Institut daher nicht als »die Summe der in den institutionellen Komplex fallenden Rechtsregeln (Normen)«, sondern als »mehr, ein aliud, ein gefügtes Gebilde mit spezifischen immanenten Relationen und Sinnzusammenhängen.«276 Damit vollzog er begrifflich den Übergang vom Rechtsinstitut zur metarechtlichen Institution, die er schließlich in einem dritten Schritt noch weiter anreicherte. Die institutionellen Formationen des Rechts beruhten nämlich ihrerseits auf realen sozialen Ordnungszusammenhängen, die die spezifischen Sinnzusammenhänge überhaupt erst vorgäben. Erst sie, die sozialen Ordnungen, verbänden den rechtlichen Stoff zu einem hierarchischen »Gesamtsystem« von Institutionen (ähnlich Lb, 132). Das Rechtsinstitut in seiner beispielhaften Ausdeutung durch Savigny sei insofern »seinem Wesen nach auf ein umfassenderes Ganzes hin orientiert, als dessen gliedhafter Teil es verstanden werden muß.«277 Zwar sei die Institution kein »begrifflicher Generalnenner, auf den sich das gesamte Recht […] gründen ließe.«278 Aber: »Sie ist eines der Gestaltungselemente, aus denen die Rechtsordnung geformt ist. Die neuere Rechtswissenschaft hat es wesentlich von Savigny übernommen. Schon diese Tatsache läßt erkennen, daß die Institution einen konservativen Faktor innerhalb der Rechtsordnung darstellt. Diese Tatsache bestimmt das Gewicht, mit dem die Institution an der praktischen

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Erstmals wohl K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1960, 138; ferner etwa H. Hofmann, Was ist uns Carl Schmitt?, in: Festschrift für Wilhelm Hennis, hrsg. v. H. Maier u. a., 1988, 549. E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 21. Ebd., 22. Ebd., 23. Ebd., 23. E. Forsthoff, Die Institution als Rechtsbegriff. Zugleich ein Beitrag zur Soziologie des institutionellen Denkens, o.D. (1944/45), Ts., NL Forsthoff, 30.

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Rechtsgestaltung und an der theoretischen Rechtsbesinnung jeweils beteiligt ist. Im übrigen ist ihr methodischer Wert ein hermeneutischer. Das vorzüglich den Institutionen zugewandte Rechtsdenken verbindet die konkreten Ausgestaltungen des Rechts mit den ihnen zugeordneten Wirklichkeiten des Lebens und erweist sich in ihrem Realismus dem abstrakten Normativismus überlegen.«279

Die damit angedeutete Ambivalenz zwischen einem faktischen und einem normativen Institutionenbegriff ist also bei Forsthoff beabsichtigt (Lb, 133) und kein »Synkretismus«280. Sie hat einen rechtstheologischen Grund, von dem schon die Rede war. Die Sprache und also auch die Rechtssprache ziehen als Teil der Schöpfung ihre konstitutive Kraft niemals nur aus ihrem normativen Inhalt, sondern, weil das Denken nicht hinter sie zurückgehen kann, immer auch aus den gültigen Ordnungen oder eben: aus Institutionen, in denen sie artikuliert wird: »Eindeutigkeit kann heute das Wort nur durch die Einbindung in den Realvollzug gewinnen, der seiner Verfälschung feste Schranken entgegenstellt. Dem entspricht die Akzentverlagerung von der Predigt auf das Sakrament im evangelischen Kultus. Im Recht führt sie zur Vorordnung der Institution – die eine empirische Realität hat – vor der bloßen Norm.«281 Gegenüber Recht und Sprache betonte Forsthoff die Bedeutung der die Sprache tragenden Ordnungen nun stärker und relativierte den Gesichtspunkt der geistigen Eigenenergie der Rechtssprache beträchtlich. Damit wird deutlich, daß die institutionelle Rechtstheorie für Forsthoff jenem Sozialideal und Staatsbegriff »organischer Gliederung« zugeordnet war, den er als konservativen Leitbegriff herausgearbeitet hatte. Diese Zuordnung war für Forsthoff insofern eine notwendige, als eine institutionelle Rechtsauffassung ohne einen organischen Wirklichkeitsbegriff zum Positivismus entarte, während umgekehrt eine organische Weltauffassung ohne institutionelle Rechtstheorie zur bloßen Sozialromantik werden muß – wie etwa in den ständestaatlichen Lehren. Forsthoff leitete aus dem Zusammenhang des Institutionellen und des Organischen zugleich ein qualitatives Kriterium für die Institutionen ab. In echten Rechtsinstituten seien »Form und Stoff in eine harmonische Proportion gebracht«282. Was Forsthoff an der Organismusvorstellung so anzog, wurde bereits im Zusammenhang mit Forsthoffs verwaltungsrechtlicher Methode und dem Systemproblem in seiner Lehre von der Daseinsverantwortung der Verwaltung gestreift:283 Dem positivistischen Ideal einer ausschließlich normativen Einheit des Rechts setzte Forsthoff mit der Kategorie des Institu-

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Ebd., 30. So eine verbreitete Kritik an der juristischen Kategorie des Institutionellen; statt aller: B. Rüthers, »Institutionelles Rechtsdenken« im Wandel der Verfassungsepochen, 1970. E. Forsthoff, Zur Problematik der Rechtserneuerung, in: Zeitwende 19 (1947/1948), 690. E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 41. Die gleiche Wendung findet sich bereits in der Untersuchung von G. von Busse, Die Lehre vom Staat als Organismus, 1928, 12, die Forsthoff kannte. S.o., 4. Kap., S. 175 f.

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tionellen eine grundlegend andere Auffassung von juristischer Systematik entgegen. Den inneren Zusammenhang des Rechts konnte nach dieser Vorstellung nur eine von dem normativen Ausdruck des Rechts wesentlich verschiedene organische Konsistenz des Wirkungszusammenhanges verbürgen. Die normativen Einzelelemente (»Stoff«) mußten sich demnach von ihrem institutionellen Bindemittel (»Form«) substantiell unterscheiden. So jedenfalls läßt sich Forsthoffs Hinweis auf die Beschreibung organischer Bildung in Goethes Morphologie verstehen.284 Es war neben Savigny vor allem der preußische Konservative Friedrich Julius Stahl, in dessen Rechtsphilosophie Forsthoff noch die »Totalität« institutioneller Rechtsanschauung vorfand. Zwar wandte er sich gegen die unmittelbar theistische Begründung der Institutionen bei Stahl285 und seinen Begriff der Legitimität,286 wollte jedoch insofern auf ihn zurückgreifen, als dieser auf der »Objektivität« der Institutionen, ihrer »Selbständigkeit gegenüber der subjektiven Willenssphäre« beharrt hatte.287 So verstand auch Forsthoff die Kategorie des Institutionellen. »Die Institution stellt […] ein Objektivierungsphänomen innerhalb der Rechtsordnung dar, welches die Variationsbreite der individuellen Willensautonomie einschränkt. Diese Einschränkung wirkt sich aus in der Unterwerfung unter das Recht und die Disziplin korporativer Institutionen wie in der Verweisung auf gewisse Typenformen des rechtlich relevanten Handelns; mag diese Typenförmigkeit durch die Institute der Güterzuteilung und des Rechtsverkehrs oder durch die Entelechie anstaltlicher Funktionsbereiche vermittelt werden.« 288

Zieht man in Betracht, welche Bedeutung Forsthoff dem durch institutionelle Gehalte vermittelten Moment historischer Kontinuität beimaß, wird plausibel, weshalb das konkrete Ordnungsdenken Carl Schmitts für ihn nicht zum dog-

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J. W. von Goethe, Ideen über organische Bildung (1817), in: Sämtl. W., Frankfurter Ausg., I. Abt., Bd. 24, 1987, 392 f.: »Jedes Lebendige ist kein Einzelnes, sondern eine Mehrheit; selbst insofern es uns als Individuum erscheint, bleibt es doch eine Versammlung von lebendigen selbständigen Wesen, die der Idee, der Anlage nach gleich sind, in der Erscheinung aber gleich oder ähnlich, ungleich oder unähnlich werden können. Diese Wesen sind teils ursprünglich schon verbunden, teils finden und vereinigen sie sich. Sie entzweien sich und suchen sich wieder und bewirken so eine unendliche Produktion auf alle Weise und nach allen Seiten. Je unvollkommener das Geschöpf ist, desto mehr sind diese Teile einander gleich oder ähnlich, und desto mehr gleichen sie dem Ganzen. Je vollkommner das Geschöpf wird, desto unähnlicher werden die Teile einander. In jenem Falle ist das Ganze den Teilen mehr oder weniger gleich, in diesem das Ganze den Teilen unähnlich. Je ähnlicher die Teile einander sind, desto weniger sind sie einander subordiniert. Die Subordination der Teile deutet auf ein vollkommneres Geschöpf.« Diese Stelle ist zitiert in: E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 35 f. F. J. Stahl, Die Philosophie des Rechts, Bd. II/2, 51878. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 18.9.1949, BW, Nr. 26. E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 27 f. E. Forsthoff, Die Institution als Rechtsbegriff. Zugleich ein Beitrag zur Soziologie des institutionellen Denkens, o.D. (1944/45), Ts., NL Forsthoff, 14.

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mengeschichtlichen Erbe der Institutionenlehre gehörte. Forsthoff war überzeugt, Schmitt habe ungeachtet anderslautender Beteuerungen »wesentliches von der Sache des institutionellen Denkens aufgegeben«289. Worin lag Schmitts Abkehr vom institutionellen Denken? Er hatte es vorgezogen, vom »Ordnungsdenken« statt von Institutionen zu sprechen, weil letzteres unweigerlich »den Stempel einer bloß [!] konservativen Reaktion gegen Normativismus, Dezisionismus und den aus beiden zusammengesetzten Positivismus des letzten Jahrhunderts«290 trage. Institutionelles Denken führe, so meinte Schmitt 1934, »in den Pluralismus eines souveränitätslosen, feudal-ständischen Wachstums.«291 Auch politisch hatte Schmitt sich mit den Drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens nicht unter eine geschichtlich vermittelte Kontinuität, sondern in den Dienst einer, wie Schmitt selbst sagte, revolutionären »Änderung des gesamten Staatsgefüges«292 gestellt.293 Das Ordnungsdenken war als methodisches Mittel gemeint, sich unter Berufung auf das höhere »gute Recht der deutschen Revolution«294 über die Kontinuität des gesetzten Rechts hinwegzusetzen, indem insbesondere die Generalklauseln als Einbruchstellen überpositiven Rechts gehandhabt werden sollten. Das empfand übrigens nicht nur Forsthoff so. Bereits 1940 hatte Ernst Rudolf Huber, womöglich sogar unter dem Eindruck von Recht und Sprache, an Carl Schmitt geschrieben: »Sie hätten richtiger getan, 1934 an dem Begriff des institutionellen Denkens festzuhalten, statt vom konkreten Ordnungsdenken zu sprechen.« Der »Mißbrauch […], dem das Wort vom Ordnungsdenken preisgegeben war«, wäre vermieden worden.295 Forsthoffs scharfe Anklage gegen das Ordnungsdenken Schmitts, die sich bemerkenswerter Weise nur in der Fassung von 1944/45, nicht aber in der von 1947 findet, lautete jedoch nicht auf Fahrlässigkeit, sondern auf Absicht: »Die Konkretheit der Rechtsanwendung, welche durch den ausdehnenden Gebrauch der Generalklauseln erreicht wird, ist mit einer Entwertung der institutionellen Ordnungen des bürgerlichen Rechts erkauft. Es fehlt dem konkreten Ordnungsdenken […] die Beziehung auf das Moment der Dauer und die Orientierung an der Gebildehaftigkeit der Rechtserscheinun-

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E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 19. C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (1934), 32006, 48. C. Schmitt, Politische Theologie, 21934, 8. C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (1934), 32006, 55. H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, 1964, 181 ff. C. Schmitt, Das gute Recht der deutschen Revolution, in: Westdeutscher Beobachter v. 12.3.1933, 1. Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, 23.12.1940, HStA Düsseldorf, NL Schmitt. Ganz ähnlich bemerkte Hans Barion zu Forsthoffs in den Institutionen geäußerten Vorbehalten gegen das konkrete Ordnungsdenken, auch er könne Schmitts »Abhandlung über die 3 Arten […] nicht so recht schätzen. Hier hat er m.E. einmal ausnahmsweise flüchtig gearbeitet oder besser gesagt, sein Wissen, seinen Stil und seine Assoziationsfähigkeit dazu benutzt, um die schwachen Stellen dieser Attacke zu verschleiern.« Hans Barion an Ernst Forsthoff, 5.2.1946, NL Forsthoff.

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gen, welche das besondere Merkmal des institutionellen Denkens bildet. […] Ordnung ist in der neueren Rechtswissenschaft zu einem der Allerweltswörter geworden, deren Gebrauch nicht immer an […] konkrete Sinnvorstellungen gebunden erscheint.«296

Was wollte Forsthoff mit seinem Begriff der Institutionen erklären oder begründen? Im Unterschied zu einem lediglich aus den einzelnen Normen abstrahierten Begriff der juristischen Institution, den er in der späten Begriffsjurisprudenz vorherrschen sah,297 glaubte Forsthoff mit der Engführung von »Institution« und einem universalen Organismusbegriff zwei Probleme lösen zu können. Zum einen sollte der organische »Zusammenhang alles Seienden« (Lb, 132 Anm.) den Zusammenhang aller rechtlichen Institutionen, damit die Einheit des Rechts und schließlich mittelbar auch die Einheitlichkeit des institutionellen Denkens begründen. Der Titel des Manuskripts zeigt ja bereits an, daß es hier nicht um den Rechtsbegriff der Institution, sondern um einen Begriff des Rechts überhaupt ging. Die Rechtsordnung als ganze stellte Forsthoff sich nämlich vor als ein »sinnvolles Gefüge von Institutionen, d. h. von gestalthaften Rechtsgebilden« (Lb, 132), insofern »unbeschadet aller Differenzierungen jeder Teil des Gebildes [scil: der Gesamtrechtsordnung] auf das Ganze hin orientiert ist, mit ihm im Zusammenhang steht und aus diesem Zusammenhang überhaupt existiert. […] Es gehört zur inneren Logik der Institution, daß sie das Moment der differenzierenden Gliederung und das der Einheit – der Einheit sowohl in sich selbst wie in einem höheren, umfassenden Ganzen – in gleicher Weise zur Geltung bringt. Diese immanente Logik der Rechtsinstitution ist zugleich ein wesensbestimmendes Prinzip der institutionellen Rechtstheorie. Auch sie ist auf Gliederung und Einheit hingerichtet und hebt sich selbst auf, wenn sie für das eine oder das andere optiert.«298

Zum anderen hielt Forsthoff den Begriff des Organischen nicht etwa nur für eine Apologie des Bestehenden, sondern für einen echten Maßstab einer immanent – statt naturrechtlich – argumentierenden Rechtskritik. Er bezog, wovon noch die Rede sein wird, den Begriff des Institutionellen auf ein bestimmtes Menschenbild, von dem aus er meinte, Anforderungen für eine dem Maß des Menschen entsprechende Gesetzgebung ableiten zu können. Jede Institution beruhe nämlich – im Gegensatz zur bloß zweckrationalen Organisation – auf einem Nebeneinander personaler und sachlicher Elemente.

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E. Forsthoff, Die Institution als Rechtsbegriff. Zugleich ein Beitrag zur Soziologie des institutionellen Denkens, o.D. (1944/45), Ts., NL Forsthoff, 24 f. E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 23 f: »Der so wichtige Gedanke Savignys, daß das Rechtsinstitut in einer höheren Ebene der rechtlichen Erscheinungen über den Normen des positiven Rechts seinen Ort habe […] ist bereits bei Puchta verloren gegangen; für ihn ist das Institut bloßer Inbegriff von Rechtsnormen, die eine bestimmte Materie regeln. […] Damit ist der Begriff positivistisch verflacht und ohne besonderes dogmatisches Interesse. In diesem Sinne wird er auch in dem Schrifttum der späteren Zeit bis an die Gegenwart heran vielfach gebraucht.« E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 42 f.

Fünftes Kapitel: Sprache und Institutionen

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»Unter den personalen sind diejenigen zu verstehen, die sich aus der besonderen Qualität der beteiligten Personen ergeben, als sachliche haben diejenigen zu gelten, die durch die objektiven Sachgegebenheiten des sozialen Raumes bedingt sind. Die Verbindung dieser Elemente in der Einheit des Gebildes Institution bedeutet somit, daß die in der Institution enthaltene Ordnung nicht lediglich die zweckrationale Befriedigung eines sozialen Bedürfnisses ist, sondern daß in sie ein bestimmtes Menschenbild eingeprägt ist.«299

Die Idee des Institutionellen fordere die Ausmittlung eines harmonischen Verhältnisses zwischen beiden Elementen, zwischen den Bedürfnissen des Menschen und den überindividuellen Ordnungen: »die ›Vermenschlichung‹ dieser Ordnungen, also ihre Gestaltung nach dem Menschenbild«300. Eine in feste Formen und Begriffe gefügte harmonische Beziehung zwischen subjektiver Freiheit und institutioneller Bindung sei schlechthin Voraussetzung einer freiheitlichen Rechtsordnung. Ein Recht dagegen, »dessen Gebildehaftigkeit der Auflösung verfällt, [wird] zum Mittel für die Unterdrückung der individuellen Freiheit.«301 Die Aufforderung zur »Vermenschlichung« war nun allerdings kein Appell an einen etwaigen demokratischen Gesetzgeber. Sie wiederholte im Gegenteil die Legalitätskritik aus Recht und Sprache in leicht abgewandelter Form. Die institutionelle Gestaltung mußte für Forsthoff nämlich immer »konkret« verfahren: So müsse sich jede Gesetzgebung unter dem Gesichtspunkt ihrer institutionellen Qualitäten daran messen lassen, ob sie, wo dies möglich ist, organisch »an den gewordenen Gebilden weiterbaut« und sich, wo nicht, bei ihren Regelungen am tatsächlichen Gefüge der in der Wirklichkeit relevanten Kräfte leiten läßt – oder ob sie sich im Gegenteil nur »von abstrakten Einsichten leiten läßt«302. Die Auffassung, die Gesetzgebung dürfe den vorhandenen Institutionen gleichsam nur bei der Entwicklung zusehen, bezeichnete er zwar als einen

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Ebd., 53. Ebd., 60. Ebd., 7. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Äußerung Forsthoffs aus einem Brief an Rudolf Smend vom 28.9.1950 (Durchschlag, NL Forsthoff): »Die Beobachtung des Nationalsozialismus hat mich die juristischen Kunstgriffe des Terrors erkennen lassen. Das wesentlichste Mittel ist die Verschleierung durch Auflösung der Begriffe. So war es für die NSDAP wichtig, daß ihre Amtswalter nicht unter den Beamtenbegriff […] rubriziert sondern als ›etwas ganz anderes‹, als Funktionsträger ›sui generis‹ anerkannt wurden. Ich habe die gleiche Verschleierung nach 1945 wiedergefunden, z.B. in dem Bemühen, die Verfahren vor den Rechtsausschüssen weder als Strafverfahren noch als Dienststrafverfahren, sondern wiederum als ›etwas ganz anderes‹, als Verfahren ›sui generis‹ gewertet zu wissen. […]. Man mag [alte Begriffe und Unterscheidungen] durch bessere ersetzen. Aber man kann nicht auf sie verzichten, ohne aufzuhören, Jurist zu sein und ohne vor Tendenzen zu kapitulieren, die weder für den Staat noch für die Kirche heilsam sein können.« E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 41. Weiter heißt es ebd: »Der evidente Beweis dafür ist die [scil: nationalsozialistische] Erbhofgesetzgebung, der Versuch, ein Rechtsgefüge völlig eigener, der modernen Wirtschaftsstruktur widersprechender Prägung, inselhaft in eine ihm fremde rechtliche Umwelt einzulassen.«

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Dritter Teil: Nach der Utopie

»romantischen Irrtum«303. Trotzdem war auch Forsthoff nicht frei davon. Er teilte die Gesetzgebung anhand institutioneller Gesichtspunkte in einen eigentlichen, institutionenbildenden und einen uneigentlichen, bloß normativen Teil, wobei der letztere zur ethischen Qualität des Rechts wenig beitragen konnte: »Die Erneuerung des Rechts verlangt primär nicht neue Normen, sondern die Wiederherstellung von Ordnungen und Institutionen.«304 Es ist nicht schwer, in den Schlußfolgerungen die Gesetzeskritik aus Recht und Sprache wiederzuerkennen: »Diese Erwägungen verweisen den Gesetzgeber auf den Boden des Realismus. […] Der so verstandenen Aufgabe des Gesetzgebers sind relativ enge Grenzen gezogen. Trotzdem wäre es unrichtig, darin eine unzulässige Drosselung der gesetzgeberischen Funktion zu finden. Sie führen vielmehr diese Funktion auf das Maß des Wirklichen zurück. Sie zeigen auf, was der Gesetzgeber zu allen Zeiten nur leisten kann. Greift er über diesen Rahmen hinaus, so reglementiert er, aber er ordnet nicht, er schafft Normen, aber keine Institutionen. Auch das hat seine Notwendigkeit und damit seine Berechtigung. Die Vorsorge für die Lebensbedürfnisse stellt an den Gesetzgeber täglich Anforderungen, denen er sich nicht entziehen kann.« 305

Das hieß: Unter dem Gesichtspunkt eines institutionellen Rechtsverständnisses handelt der Gesetzgeber entweder unter dem Druck von Anforderungen, die ihm von außen, von der gesellschaftlichen Entwicklung her aufgezwungen sind und die ihn zur wesenswidrigen Gesetzgebung »im Sinne einer zweckrationalen Operation« nötigen. Oder aber die Gesetzgebung handelt »im Maße des Wirklichen« und baut an stabilen Institutionen. Selbst dann aber ist sie auf eine rein dienende Funktion reduziert, hat nichts anderes zu leisten, als das geschichtliche Kontinuum der Institutionenentwicklung fördernd zu gewährleisten: »Die Wiederherstellung einer institutionell geformten Sozialordnung setzt freilich eine Art von Gesetzgebung voraus, die höheren Anforderungen unterworfen ist, als man sich gemeinhin bewußt macht. Die Einbeziehung des personalen Elements, des Menschenbildes, in den Gesetzgebungsvorgang entspricht nicht den Vorstellungen von der Gesetzgebung im Sinne einer zweckrationalen Operation. […] [Die] Kongruenz von Form und Stoff, die das Wesen der Institution ausmacht, gelingt der Gesetzgebung nur dann, wenn sie sich der Belehrung durch die Wirklichkeit in weitestem Maße öffnet. Diese Wirklichkeit ist sowohl die des Menschen wie die der sozialen Verhältnisse. Beide aber, der Mensch in seinem wechselnden geistigen und sozialen Habitus, mit seinen sich wandelnden individuellen und sozialen Ansprüchen, die die sozialen Verhältnisse [prägen,] sind Gegebenheiten im Flusse der Geschichte und nur in diesem Zusammenhang zu verstehen. Revolutionen und soziale Katastrophen, die den kontinuierlichen Ablauf der Geschichte unterbrechen, machen Menschen und Dinge problematisch und erschweren deshalb die Entstehung von Institutionen.«306

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Ebd., 41. E. Forsthoff, Zur Problematik der Rechtserneuerung, in: Zeitwende 19 (1947/1948), 689. E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 58 f. Ebd., 57 f.

Fünftes Kapitel: Sprache und Institutionen

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3. Eine lutherische Rechts- und Gesellschaftslehre Es kennzeichnet die Schrift über die Institutionen, daß ihre im engeren Sinne rechtsphilosophischen Positionen mit diesen wenigen Bemerkungen referiert sind. Forsthoffs Interesse zielte weniger auf eine Bestimmung des Verhältnisses zwischen positivem Recht und Institutionen als vielmehr auf eine rechtsanthropologische und rechtstheologische Begründung der Institutionen. So vermerkte auch Carl Schmitt in seinem Exemplar des Manuskriptes ganz richtig, Forsthoff habe entgegen dem Titel in Wahrheit eine »Theologie der Institutionen« geschrieben.307 Man kann sogar noch weitergehen und sagen: eine veritable Sündenlehre des Anti-Institutionellen. Es nimmt deswegen nicht wunder, daß auch seine Begründung der Institutionen in jeder Hinsicht ein »Zurück!« war. Zurück von der Massendemokratie zu einer konkret-institutionellen Sozial- und Rechtsordnung, zurück vom Massenmenschen zu einem echten christlichen Menschenbild, schließlich zurück von einem funktionalen zu einem substantiellen staatsrechtlichen Denken. Eben dieser Zug reiht die Schrift in die literarische Modeerscheinung der Erbauungsliteratur ein. Forsthoffs Begründung der Institutionen war ihrem Anspruch nach eine christliche Rechts-, Staats- und Gesellschaftslehre, die sich an Martins Luthers Lehre von der weltlichen Obrigkeit und vom Amt orientierte.308 Forsthoff leitete die institutionelle Rechtsauffassung ab aus dem Menschenbild des Reformators. Der durch den Sündenfall von seiner eigenen göttlichen Natur entfremdete und in der Sünde lebende Mensch könne »auf eine institutionelle Verfestigung der im Recht gegebenen Daseinsformen nicht verzichten.«309 Es sei mithin »der zwar unvollkommene, aber innerhalb der menschlichen Grenzen tugendhafte Mensch, den die Institution als anthropologische Entsprechung fordert.«310 In seiner Unvollkommenheit habe der Mensch ein Grundbedürfnis nach ihm vorgegebenen Bindungen, ohne die er sein Leben nicht führen kann und die darin ihre ethische Rechtfertigung haben: »Ein ungebrochenes Zutrauen in den guten, sittlichen Menschen, in die menschliche Selbstherrlichkeit wird der Willensautonomie die Bahn frei lassen, die Rechtsordnung dem Spiel der subjektiven Willenstriebe möglichst offen halten. In dem Maße jedoch, in dem der Mensch als böse, fehlsam, erlösungsbedürftig, endlich gewußt wird, wächst das Bestreben, ihn objektiven Gegebenheiten, überindividuellen Bindungen einzuordnen und seiner Willkür auf diese Weise Schranken zu setzen. Nicht die ihrer Freiheit überlassene Willensautonomie, sondern ein System objektiver Schranken und Formen, innerhalb deren die Willensautonomie zur Entfaltung kommt, wird alsdann zur Gewähr für die angemessene Sozial- und Rechtsordnung. Darin findet die Objektivität der Institutionen und Institute ihre anthropologische Rechtfertigung.«311 307 308 309 310 311

HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-19786, Bl. 2. E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 45 ff. Ebd., 45. Ebd., 49. Ebd., 44.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

Deshalb sei die Errichtung menschlicher Institutionen nicht zu erreichen durch eine bloße »Intensivierung des Zwangs« (RW, 26) im Sinne einer lediglich äußerlichen Beschränkung der individuellen Freiheit. Sondern die zu schaffenden Ordnungen müßten ethisch gerade auf den Menschen als simul iustus et peccator bezogen sein: »[E]ine durchgreifende Erneuerung des Rechts [kann] kein Vorgang sein […], der sich auf den engeren Begriff des Rechts beschränkt und für dessen Vollzug die Juristen allein verantwortlich wären. Die Gesundung des Rechtswesens kann nur im Zusammenhang der Wiederherstellung gesunder Gesamtordnungen gelingen. Dieses Ziel wird in dem Maße erreicht werden, in dem die ›Vermenschlichung‹ dieser Ordnungen, also ihre Gestaltung nach dem Menschenbilde gelingt. Daß es darauf entscheidend ankommt, zeigen die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit in dem beziehungslosen Nebeneinander eines vom wirklichen Menschenbild gelösten wilden Personalismus und einer nihilistischen Rationalität. Dadurch wurde der Mensch zum wertblinden Funktionär degradiert, der vielfach allenfalls noch nach der Kompetenz, nicht aber nach dem Inhalt der an ihn ergangenen Befehle fragte. […] Das Menschenbild ist nichts Normatives, es ist ebensowenig etwas Juristisches […]. Das Menschenbild ist von allgemeiner Gültigkeit, es verlangt überall dort sein Recht, wo es um den Menschen geht, sei es, daß es sich um die Gestaltung menschlicher Dinge handelt, wie in Politik, Recht und Wirtschaft, sei es, daß etwas Gültiges über den Menschen ausgesagt werden soll, wie in der Wissenschaft und der Kunst. Selbstverständlich kann das Menschenbild, auf das es hier allein ankommt, keine Photographie des modernen Massenmenschen sein. Er bedeutet einen Abfall von dem integralen Menschenbild, das allen menschlichen Ordnungen voranleuchten muß.«312

Forsthoffs Institutionenlehre war aber nicht nur eine christliche Tugendlehre. Sie sollte darüber hinaus die Grundlage einer positiven Staats- und Gesellschaftslehre bilden und sich in jeder Hinsicht von den Erfahrungen der nationalsozialistischen Zeit unterscheiden. Wie Forsthoff diese Abgrenzung vollzog, zeigt in den Institutionen in erster Linie die Negativfolie, die Forsthoff für das Ideal einer institutionellen Rechtsordnung gebrauchte: die antiinstitutionelle Macht der »modernen Massendemokratien«, die Forsthoff an anderer Stelle auch als »massendemokratische Diktaturstaaten« bezeichnete und mit denen ausdrücklich auch der nationalsozialistische Staat gemeint war. »Die Tatsache, daß die modernen Massendemokratien dahin tendieren, sich und damit dem Staat eine personale Spitze zu geben […], beruht […] nicht darauf, daß hier die Verschmelzung des personalen und des sachlichen Elements gelungen wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade diese modernen Massendemokratien mit personaler Spitze sind Entartungserscheinungen, deren Besonderheit darin besteht, daß die Verschmelzung des personalen und des sachlichen Elements nicht gelungen, ja nicht einmal versucht ist. In der Verfallenheit an die Vermassung und an die Weltanschauung ermangeln sie des Menschenbildes überhaupt. So kommt es dazu, daß sie einen hemmungslosen Personalismus und eine durch keine Gefühlsregung gemilderte, eiskalte Rationalität in sich vereinigen können.« 313

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Ebd., 60 f. Ebd., 54; ähnlich bereits die Vorfassung: E. Forsthoff, Die Institution als Rechtsbegriff. Zugleich ein Beitrag zur Soziologie des institutionellen Denkens, o. D. (1944/45), Ts., NL

Fünftes Kapitel: Sprache und Institutionen

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Für Ernst Forsthoff war die krisenhafte Auflösung der institutionellen Ordnungen das Ergebnis fortschreitender rechtsstaatlicher Rationalisierung und insbesondere exzessiver demokratischer Gleichheit. Jacob Burckhardt, von dessen immensem Einfluß auf die deutschen Nachkriegskonservativen bereits die Rede war, hatte die »sogenannte Demokratie« als diejenige Weltanschauung bezeichnet, die »alles beständig diskutabel und beweglich erhalten will«314, und in genau diesem Sinne sah sie auch Forsthoff als das Gegenteil des Institutionellen. Die politische Entwicklung seit 1918 sei geprägt vom Verlust und der Zerstörung institutioneller Ordnungen und Formen, vom Ineinandergreifen von geistiger und sozialer Auflösung,315 für die das demokratische Element vor allem Verantwortung trage. Denn die europäischen Massendemokratien hätten nach und nach alle überkommenen Institutionen, alle mäßigenden Zwischengewalten beseitigt, die wirkliche Ordnung noch verbürgen konnten. Am logischen Endpunkt aller massendemokratischen Revolutionen stand für Forsthoff die Vernichtung der wichtigsten rechtlichen Institutionen,316 denn, so heißt es schon 1944 in einem Brief an Stapel: »In Zeiten des Herrenkults und der Verherrlichung des Menschen gehen die Institutionen und damit die objektiven Daseinsstützen zum Teufel.«317 Damit war keineswegs nur der Faschismus gemeint, sondern das ganze »Zeitalter der Revolutionen«. Die nationalsozialistische Staatspraxis habe »die Deformierung und den Zerfall von Institutionen der Verfassungssphäre«318 lediglich »mit besonderer Kraßheit«319 fortgesetzt. Dieser Begriff von Demokratie als Nihilismus, von dem aus der Nationalsozialismus sich folgerichtig als im Kern demokratische Verfassung begreifen ließ, war nicht sonderlich originell. Die Einordnung des Faschismus als eine der vielen Spielarten des ideologischen Radikalismus seit der französischen Revolution war geradezu identitätsstiftend für den intellektuellen Konservatismus zumal nach dem Ende des Dritten Reichs.320 Sie fand sich, um nur einige zu nennen, in den maßvoll abgewogenen geschichtlichen Analysen eines Ger-

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Forsthoff, 16: »Mächtige Intentionen dieser Zeit [scil: der Aufklärung] laufen jedoch in anderer Richtung. Die durch Renaissance und Humanismus vorbereitete, in der cartesianischen Philosophie zur Vollendung gebrauchte Absolutsetzung des Ich kommt in der absolut gesetzten Herrscherpersönlichkeit ebenso wie in dem radikalen Demokratismus Rousseaus zu politischer Wirkung. Hier wie dort auf Kosten der Institution und des institutionellen Denkens.« J. Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, 1935, 197. E. Forsthoff, Zur Problematik der Rechtserneuerung, in: Zeitwende 19 (1947/1948), 679; ders., Die deutsche Staatskrise und das Grundgesetz, in: Zeitwende 21 (1949), 321 ff. E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, Ts., NL Forsthoff, 8. Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 7.6.1944, DLA Marbach, NL Stapel. E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 8. Ebd., 60. D. van Laak, »Nach dem Sturm schlägt man auf die Barometer ein«, in: WerkstattGeschichte 17 (1997), 34; J. Solchany, Vom Antimodernismus zum Antitotalitarismus, in: VfZ 44 (1996), 389; ders., Comprendre le nazisme dans l’Allemagne des années zéro, 1997, 285 f.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

hard Ritter,321 in den Schriften Giselher Wirsings322 oder bei Ernst Jünger.323 War auch der geschichtliche Befund communis opinio, so gilt dies durchaus nicht für die positiven Konzeptionen einer neuen institutionell gegliederten Sozialordnung, die Forsthoff gleichzeitig entwickelte. Die Rückkehr zu wirklichen Institutionen gebot für Forsthoff vor allem die Rückkehr zu einem Staatsaufbau von unten nach oben anstelle des demokratischen »Zentralismus mit personaler Spitze«, ferner die Stärkung »konkreter« Formen der Selbstverwaltung und der gesellschaftlichen Selbstorganisation. Diese verfassungspolitischen Konzeptionen werden im folgenden Kapitel im einzelnen zu erörtern sein; hier ist lediglich ihre Begründung aus der Theorie der Institutionen von Interesse. 4. Die geschichtliche Aufgabe der Institutionen Worin liegt nun die Bedeutung von Forsthoffs Theorie der Institutionen innerhalb seines Werks? Zweifellos nicht in dem Rechts- und Sozialideal, das er positiv mit dem institutionell-organischen Denken verband. Es ist so eng mit der Situation um 1945 verbunden, daß es schon ein paar Jahre später recht weltfremd wirken mußten und auch für Forsthoff keine bedeutende Rolle mehr spielte. Was jedoch das institutionelle Denken bei Forsthoff zusammenhält und was in den Schriften der Bundesrepublik eine bruchlose Fortsetzung findet, ist das rechtsphilosophische Grundthema der Institutionen: die Immunisierung des Rechts gegen die austauschbaren Legitimitätsbegründungen, gegen Ideologien und Weltanschauungen. Die »Institution« ist Forsthoffs Versuch, das juristische Denken dem Kampf der Ideologien zu entziehen. Um zu verstehen, was Forsthoff damit im Sinn hatte, ist zunächst zu klären, was er mit dem Kampf der »Ideologien« und »Weltanschauungen« im Hinblick auf das juristische Denken meinte – umso mehr, als diese Begriffe in der Nachkriegszeit allgemein zum Jargon gehörten und vielfach völlig unspezifisch gebraucht wurden. Zwei nachgelassene Texte sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Das ist zum einen ein 1953 vor der Theologischen Fakultät der Heidelberger Universität gehaltener Vortrag »Über Toleranz«324 und zum anderen und vor allem der bereits erwähnte geschichtsphilosophische oder vielmehr geschichtstheologische Essay »Weltanschauung als Geschichtsmacht«,

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G. Ritter, Europa und die deutsche Frage, 1948, 41 ff. G. Wirsing, Schritt aus dem Nichts, 1951, bes. 153 ff. E. Jünger, Der Waldgang (1951), in: Sämtl. W., Bd. 7, 1978, 281 ff. E. Forsthoff, Über Toleranz, Vortrag auf dem Dozententreffen auf Einladung der Theologischen Fakultät Heidelberg am 31.1.1953 in Haarlass, Ms., NL Forsthoff, 8 S.

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der bereits Ende 1946 entstanden ist.325 Dieser Essay kann hier nicht als ganzer gewürdigt werden, sondern nur im Hinblick auf die Frage, worin Forsthoff das an und für sich Rechtsfeindliche dessen sah, was er die Weltanschauung bzw. den »Weltanschauungsstaat« nannte. Forsthoff hielt die Abhängigkeit von Weltanschauungen für ein Kennzeichen des Staates im 20. Jahrhundert. Alle Staaten hätten sich der verbreiteten Weltanschauungsgläubigkeit zur Machtsteigerung bedient und sich mit bestimmten Weltanschauungen identifiziert. Auch das Recht sei in diesem Prozeß mehr und mehr a-institutionell, material und daher ideologisch geworden. Dies, nicht der zufällige Inhalt einer bestimmten, richtigen oder falschen Weltanschauung, stelle den eigentlich fundamentalen Bruch innerhalb der Geschichte des neuzeitlichen Staates dar. Forsthoff definierte die Weltanschauung als den spezifisch modernen Typus des politischen Denkens, der einem revolutionären, aktivistischen Habitus und Typus politischen Handelns zugeordnet ist: »Weltanschauung ist die deutende Weltorientierung der sich zum Handeln aufgerufen wissenden Menschen.«326 Entstanden bei den Dogmatikern der französischen Revolution und im Liberalismus, Kommunismus und Nationalsozialismus zur Vollendung gelangt, besitze jede Weltanschauung neben einem umfassenden Legitimitätsprinzip eine ihr zugeordnete, totalitäre Geschichtsphilosophie, die unter dem Gesichtspunkt des »Fortschritts« zur Verwirklichung der jeweiligen ideologischen Utopie dränge und deshalb zur radikalen Vernichtung der bestehenden Ordnung und zur Entwertung der Tradition tendiere. Ihre nihilistische Wucht bezögen die Weltanschauungen daraus, daß ihr utopisches Denken von aller Erfahrung abgelöst sei. Die weltanschaulichen Utopien beruhten vielmehr auf einem verweltlichten christlichen Geschichtsbild: »Die Weltanschauung ist eine Hervorbringung des abendländischen christlichen Raumes […]. So ist ein spezifisches Element des Christentums in die Weltanschauung mit eingegangen: die Eschatologie. Freilich in einer wesentlichen, und, wie zu zeigen sein wird, gefährlichen Abwandlung: nämlich in säkularisierter Gestalt. Die dem Christentum wesentliche Lehre von den letzten Dingen tritt innerhalb der Weltanschauung als Vorstellung von einem Ideal- oder Perfektionszustand auf. Die vom Christentum durchaus als geschichtstranszendent verstandene Eschatologie wird zum anzustrebenden, das Tun orientierenden, in die Geschichte verlegten verpflichtenden Weltbild. Allen Weltanschauungen sind solche Leitbilder eigentümlich: dem liberalen Fortschritte gewaltloser Harmonie der Individualbeziehungen, dem Nationalismus die Kongruenz der nationalen und politischen Grenzen, dem Marxismus die klassenlose Gesellschaft, der Demokratie die Identität von Gesamtwillen und Individualwillen, dem

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Überliefert sind drei teilweise stark voneinander abweichende handschriftliche Fassungen: Fassung A, 10 S., Fassung B, 16 S., Fassung C, 16 S. Aus dem Nachlaß ergibt sich, daß Forsthoff im Oktober 1946 in privatem Kreis in Heidelberg über dieses Thema referiert hat. E. Forsthoff, Weltanschauung als Geschichtsmacht, 1946, Fassung C, Ms., NL Forsthoff, 11.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

Nationalsozialismus das tausendjährige Reich mit dem konsolidierten Primat der arischen Rasse und so fort. Die Weltanschauung hat somit eine quasireligiöse Signatur.«327

Diese These ist durch Karl Löwiths Meaning in History (1949)328 und die durch dieses Buch ausgelöste große Kontroverse später sehr populär geworden, und wie Löwith ordnete Forsthoff auch das technische Denken, die Ingenieursutopien und ihre Perfektionsideale zu den säkularen Eschatologien.329 Doch das soll hier nicht weiter verfolgt werden. Warum Forsthoff alle diese politischen Religionen an und für sich für rechtsfeindlich hielt, ist von seinem Begriff der Weltanschauung aus auch so leicht zu sehen: Alle seien sie stets bereit, die gegenwärtige Ordnung der Utopie zu opfern und zerstörten deshalb jede Chance zur Bewahrung der vorhandenen Ordnung und ihrer Institutionen. Doch mehr noch: Im Amalgam von Recht, Staat und Weltanschauung entstehe auch zwangsläufig eine Art von ideologisch ausgerichtetem Recht, das seine eigenen Begriffe an die Weltanschauung und damit überhaupt seine geistige Selbständigkeit verliere: »Denn das Recht, das sich eine weltanschauliche Rüstung genommen hat […], kann sich einer anderen nicht vorenthalten.«330 So stellte sich für Forsthoff die Frage nach der Rolle der Weltanschauung als denkbar ernste Frage nach der Rolle und dem Selbstverständnis des Juristen. Im Vortrag über Toleranz heißt es: »Dürfen wir hoffen, daß heute […] die Rechtswissenschaft berufen und fähig ist, einen Ausweg aus dem vernichtenden Ringen der weltanschaulich-politischen Mächte zu weisen? Ich stelle die Frage, aber ich wage sie nicht zu beantworten. Auch das Recht ist in dieses Ringen auf das tiefste verstrickt. Je unbedingter diese Mächte auftreten, umso mehr leidet das Recht Not. Gerade die elementaren Tugenden und Einsichten des Juristen, das audiatur et altera pars und der Sinn für die Notwendigkeit geordneter Verfahren im weitesten Sinne des Wortes,

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E. Forsthoff, Weltanschauung als Geschichtsmacht, 1946, Fassung B, Ms., NL Forsthoff, 10; ähnlich E. Forsthoff, Über Toleranz, Vortrag auf dem Dozententreffen auf Einladung der Theologischen Fakultät Heidelberg am 31.1.1953 in Haarlass, Ms., NL Forsthoff, 8: »Die modernen Weltanschauungsparteien haben eine säkularisierte, in die Geschichte verlegte Eschatologie, sei es die klassenlose Gesellschaft von Karl Marx, das Dritte Reich, der Staat der Werktätigen ohne Not, mit Vollbeschäftigung und dem vollen Genuß des technischen Fortschritts für alle. Das erklärt den hektischen Taten- und Perfektionsdrang dieser Weltanschauungen, ihre Bereitschaft, Glück und Leben ganzer Generationen dieser Perfektion zu opfern. Immer geht in diesem Perfektionsdrang die Achtung des Menschen unter und die Toleranz wird zu einem bloßen Vorurteil.« K. Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen (1953), in: Sämtl. Schr., Bd. 2, 1983. E. Forsthoff, Weltanschauung als Geschichtsmacht, 1946, Fassung C, Ms., NL Forsthoff, 13: »Das technische Denken, dessen Prävalenz immer noch ungebrochen scheit, ist der reine Fall eines solchen weltanschaulich bestimmten Denkens, das den Problemen des Erkennens völlig entrückt ist: Das Phänomen der Technik, das in neuerer Zeit mehr und mehr zum Gegenstand eines spekulativen Interesses wird, ist unter diesem Gesichtspunkt ein Problem von eminenter Bedeutung, in dem sich die ganze Fragwürdigkeit der Weltanschauung schlüsselt. Und nur unter diesem Aspekt ist die Technik wirklich ein Problem.« Ebd., 3.

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werden von den modernen absoluten Weltanschauungsmächten als unbequem beiseite getan oder als überholt verworfen.«331

Von solchen weltgeschichtlichen Perspektiven her läßt sich nun verstehen, welche – man muß sagen: irreal großen – Hoffnungen Forsthoff in die Rückbesinnung auf die institutionelle Struktur des Rechts setzte. Es ging ihm, um eine Wendung des Grafen Yorck zu zitieren, um die »Bodenlosigkeit des Denkens«332 in der Moderne überhaupt. Wenn es stimmte, daß die existentielle Verbindung des Staatlichen mit der Weltanschauung auf eine Aufhebung des Rechts als Recht hinauslief, dann konnte die Rettung des Rechtsverständnisses nur dadurch gelingen, daß die Ordnungsstrukturen des Rechts – die Institutionen – jener eschatologischen Dynamik entzogen werden. Da aber der Begriff der Weltanschauung so weit gefaßt war, hieß das: Rechtliche Institutionen können nur dann von Dauer sein, wenn sie weder dem Vorbehalt einer außerrechtlichen normativen Begründung unterstehen – also im eigentlichen Sinne legitimiert sind –, noch an einem funktionalen sozialen Zweck bemessen werden, dem sie dienen, sondern als solche hingenommen, erlebt und erfüllt werden. Was war damit gemeint? Zunächst mußten die Institutionen im denkbar strengsten Sinne objektiv verstanden werden. Ihre Verbindlichkeit muß aller subjektiven oder intersubjektiven Anerkennung vorgeordnet sein: »Wir sprechen der Institution eine eigene Würde zu. Sie findet ihren Ausdruck darin, daß man die Institution respektiert, weil es sie gibt, nicht weil man sie billigt.«333 Das hört sich an wie ein volkspädagogischer Appell, ist aber ganz erst und wörtlich gemeint. Die Institution fordern Gehorsam, nicht Anerkennung. Im Raum der Institutionen herrscht damit geradezu ein Reflexionsverbot: Wird ihre Anerkennungswürdigkeit in Zweifel gezogen, so ist die Integrität der Institution schon verloren. Doch mit diesem Reflexionsverbot ist es noch nicht getan. Institutionen ließen sich für Forsthoff auch nicht funktionalistisch aus sozialen Bedürfnissen oder sozial vorgegebenen Zwecken begründen. Wären sie durch die »zweckrationale Befriedigung eines sozialen Bedürfnisses«334 hinreichend legitimiert, wären sie ja dem Optimierungszwang der weltanschaulichen Dynamik unterworfen. Gerade den Funktionalismus eines jeder Ideologie dienstbaren Rechts wollte Forsthoff aber gerade um jeden Preis vermeiden: »Die Würde der Institution ist […] von dem ihr innewohnenden Zweck her nicht abzuleiten. Sie beruht vielmehr auf dem kosmischen Bezug, welcher der institutionell geformten Rechtsordnung innewohnt. Dieser kosmische Bezug ist bereits mit dem Menschenbilde, das der Institution zum Grunde liegt, angesprochen. Es ist der endliche, begrenzte, unvollkommene

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E. Forsthoff, Über Toleranz, Vortrag auf dem Dozententreffen auf Einladung der Theologischen Fakultät Heidelberg am 31.1.1953 in Haarlass, Ms., NL Forsthoff, 8. Graf Yorck an Wilhelm Dilthey, 4.3.1884, in: W. Dilthey/Graf Paul Yorck von Wartenburg, Briefwechsel, 1923, 39. E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 50. Ebd., 53.

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Mensch, den die Institution voraussetzt. Die Unvollkommenheit, Endlichkeit und Begrenztheit erfährt der Mensch, indem er sich im kosmischen Raum weiß. […] Es macht die Würde der Institution aus, daß sie nicht eine beliebige Abhilfe ist, welche durch die Endlichkeit, Begrenztheit und Unvollkommenheit des Menschen gefordert ist, sondern daß sie in Übereinstimmung steht mit der Einordnung des Menschen in das kosmische Ganze und daß sie durch diese Art der Einordnung gefordert wird. […] Die Institution hat eine ihr eigentümliche Theologie oder Metaphysik.«335

Daraus ergibt sich die dritte und rechtsphilosophisch wichtigste Folgerung aus dem Institutionenbegriff. Die Institution darf keiner übergeordneten normativen Begründung, keinem Legitimitätsprinzip unterstellt und dadurch in ihrer Objektivität relativiert werden: »Die Weltanschauung hat keinen Zugang zur Würde der Institution. Der ihr [scil: der Weltanschauung] innewohnende Perfektionsdrang ist auf Dynamik gerichtet. Dieser Dynamik werden auch die Gestaltungen des Rechts unterworfen. So verwirklichte die französische Revolution zwar die Gewaltenteilung. Aber indem sie zugleich die Lehre vom pouvoir constituant annahm, relativierte sie die gewaltenteilende Verfassung zum Ausdruck des jeweiligen politischen Gemeinwillens und nahm ihr damit die spezifische Würde, ohne die eine solche Institution nicht denkbar ist. Und diese Würde ist eine solche, die nicht durch die Legitimation an einem außer ihr liegenden Wert, wie der volonté générale, vermittelt wird, sondern ihr als solcher und unmittelbar zukommt.«336

Die rechtsphilosophische Problematik des Institutionenbegriffs ist nicht zu verkennen: Forsthoff hatte sich mit seiner schroffen Entgegensetzung von Institution und Legitimität in einen echten und nicht zu behebenden Widerspruch verwickelt. Denn auch wenn Forsthoff die Institutionen »als solche und unmittelbar« zur Geltung bringen wollte, so stand dahinter doch unvermeidlich ein eigenes Legitimitätsdenken und Legitimitätsprinzip: das geschichtliche. Hier eben lag das Problem. Die Heiligung der Institutionen mag im Rahmen des geschichtlichen Legitimitätsdenkens noch plausibel sein, solange die vorhandenen Institutionen tatsächlich als unvordenklich überkommene Ordnungen verstanden werden können. Insofern war Friedrich Julius Stahl nun einmal in einer günstigeren Lage als der genau hundert Jahre nach ihm geborene Ernst Forsthoff. Forsthoffs geisterfüllter Begriff der Institutionen vertrug sich nur schwer mit der eigenen Lagebeschreibung des »Nullpunkts« und des völligen Institutionenverschleißes. Die Normativierung geschichtlicher Institutionen verfehlt selbst den Anspruch geschichtlichen Denkens. Der Institutionenbegriff vertrug sich auch nicht mit dem erklärten Ziel der »Wiederherstellung von Ordnungen und Institutionen«337. Schließlich hätte die Wiedererrichtung echter Institutionen einhergehen müssen mit der konstitutiven Zusprechung von Objektivität. Das aber wäre nichts anderes gewesen als ein Vorgang der Anerkennung und hätte folglich den Begriff der Institution selbst unterlaufen. 335 336 337

Ebd., 50. Ebd., 51, Hervorhebung nicht im Original. E. Forsthoff, Zur Problematik der Rechtserneuerung, in: Zeitwende 19 (1947/1948), 689.

Fünftes Kapitel: Sprache und Institutionen

299

5. Arnold Gehlens Begründung der Institutionen Solche Widersprüche ließen sich offenbar nur vermeiden, indem man vom Institutionenbegriff das Pathos des Geschichtlichen und der »organischen Entwicklung« abzog und ihn auch sonst wesentlich anders faßte als die staatsphilosophische Tradition. Wie das möglich war, zeigt Arnold Gehlens um die gleiche Zeit entstandene Philosophie der Institutionen,338 zu der Forsthoff sich alsbald bekannt hat.339 Sie kann hier zwar nicht als solche erörtert werden, sondern nur thesenhaft und im Hinblick auf die Institutionenlehre Forsthoffs. Doch mehr ist für den Abschluß dieses Kapitels auch gar nicht erforderlich.340 Anders als die konventionellen Institutionentheorien setzte Gehlen bei der biologischen, nicht der geistigen Konstitution des Menschen an. Er konzipierte keine Geistlehre, sondern eine Naturlehre der Institutionen.341 Seine Begründung läßt sich wie folgt skizzieren: Im Unterschied zum Tier ist der Mensch in seinen Handlungen nicht vollständig über seine Instinkte in seine natürliche Umwelt eingebunden und dadurch mit einer konstitutionellen Orientierungsschwäche belastet. Allerdings ist er dazu imstande, sich durch Werkzeuge und alle Arten von technischen Behelfen, die er zu beherrschen lernt, eine eigene, künstliche Umwelt zu schaffen. Die ritualisierte Handhabung technischer Hilfen gewinnt, sobald sie arbeitsteilig erfolgt, eine zwingende Selbständigkeit gegenüber ihrem ursprünglichen Zweck. Sie schlägt um in Eigengesetzlichkeit und verselbständigt sich zu einem »Stabilisierungsgefüge«342 oder einer »überpersönlichen Ordnung«343. Damit ist die Institution bereits definiert. Institutionen in diesem Sinne sind stets ambivalent: Sie steuern den Menschen, und »entlasten« ihn von seiner natürlichen Entscheidungs- und Motivationsun338

339

340

341 342 343

Erstmals formuliert sind die wesentlichen Kategorien in der 1950 vorgenommenen Neubearbeitung seines 1940 erschienenen Hauptwerks: A. Gehlen, Der Mensch (1940/1950), Ges.-Ausg., Bd. 3, 1993, 44. Kap., 452 ff.; wichtig ist ferner der Aufsatz Über die Geburt der Freiheit aus der Entfremdung (1952), in: Ges.-Ausg., Bd. 4, 1983, 366 ff. und ders., Urmensch und Spätkultur (1956), 62004; ferner ders., Moral und Hypermoral, 1969, 7., 8. Kap. Vgl. Lb IX, 159 Anm. 1. Forsthoff schrieb in einem 1959 für eine (gescheiterte) Berufung Gehlens nach Heidelberg verfaßten Gutachten über Urmensch und Spätkultur, dieses Buch enthalte »den bedeutendsten, weil fundiertesten und anregendsten Beitrag zum Begriff der Institutionen, der zur Zeit in deutscher Sprache vorliegt. Ich glaube mir in diesem Punkte ein fundiertes Urteil erlauben zu dürfen. Ich habe mich in meinem Verwaltungsrecht zu einer institutionellen Rechtsauffassung bekannt und deren nähere Darlegung in Aussicht gestellt. Seit mehr als 10 Jahren habe ich eine umfangreiche, einschlägige Abhandlung im Manuskript abgeschlossen, ohne daß ich mich zu einer Veröffentlichung hätte entschließen können. Gehlens Buch bietet für die Institutionen, vor allem auch für die Rechtsinstitutionen, völlig neue fruchtbare und überzeugende Perspektiven.« (E. Forsthoff, Zu den Schriften Arnold Gehlens, datiert: 29.6.1959, Ms., NL Forsthoff, 3 f.). Zu Gehlens Institutionenlehre nach wie vor F. Jonas, Die Institutionenlehre Arnold Gehlens, 1966; J. Weiß, Weltverlust und Subjektivität, 1971. F. Jonas, Die Institutionenlehre Arnold Gehlens, 1966, 2. A. Gehlen, Urmensch und Spätkultur (1956), 62004, 46. Ebd., 67.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

sicherheit.344 Der Mensch kann sich nicht jederzeit neu für oder gegen die Regeln der Institution entscheiden. Deswegen bleibt auch die Frage nach Sinn von Institutionen zwangsläufig »suspendiert«345, während diese ihr je eigenes Ethos, und zwar ein »Dienst- und Pflichtethos« ausbilden,346 das die Dauerhaftigkeit jedes sozialen Gefüges garantiert. Zur Entfaltung seiner Produktivität und also zu einer gewissen Freiheit kann der einzelne Mensch innerhalb seiner künstlichen institutionellen Umwelt nur gelangen, wenn er sich den objektiven Gesetzmäßigkeiten der Institutionen unterwirft, wenn er »entfremdet« lebt, das heißt: wenn er ihr Ethos fraglos akzeptiert und sich von den Institutionen »konsumieren« läßt. Es macht, meint Gehlen, geradezu die Würde des Menschen aus, daß er sich an eine zweite, selbstgeschaffene und nicht an die erste, rohe Natur verliert.347 All dies gilt nun gleichermaßen für die basalen Institutionen archaischer Gesellschaften wie für die großen Institutionen: Staat, Kirche, Beamtentum, Heer, Eigentum. Auch sie erklärt Gehlen zunächst zweckhaft, etwa den Staat aus der organisierten Selbsterhaltung, läßt sie aber dann zu vollkommener Selbständigkeit gegenüber dem Entstehungszweck wie dem in ihnen lebenden einzelnen umschlagen. Auch solche Großinstitutionen sind nicht zweckhaft oder werthaft zu verstehen und schon gar nicht kontraktualistisch. Der Staat etwa hat sich in seinen Funktionen solchermaßen verselbständigt, und der Mensch ist in diese Funktionen so existentiell verflochten, daß die Frage nach einem allgemeinen Zweck des Staates oder nach seinem Wesen uninteressant oder ideologisch wird.348 In einem aber unterscheiden sich die großen Institutionen von den primitiven Formen. Der Grad der erreichten individuellen Daseinsentlastung (»Hintergrunderfüllung«) kann in ihnen ein extrem hohes Maß erreichen. Der Mensch gerät dann in Gefahr, von seiner Entfremdung an die Institutionen zu abstrahieren, sich als schlechthin frei zu empfinden, und gegen die Institutionen zu rebellieren. Mit fatalen Konsequenzen für das Sozialgefüge: Das Freiheitspathos zerstört das Eigenethos der Institutionen, die Daseinsstabilisierung wird prekär und der Mensch sieht sich wieder seiner ungehemmten Reflexionslast ausgesetzt, die ihn existentiell verunsichert. So ist bei Gehlen ganz wie bei Forsthoff die von den sozialen Ordnungen nicht mehr gebundene, freigesetzte Subjektivität der eigentliche Anlaß der Frage nach den Institutionen.349 Obwohl Gehlen allenthalben als Anthropologe argumentiert, hat er die staatstheoretischen Implikationen und Potentiale seines Institutionenbegriffs stets 344 345 346 347

348 349

Ebd., 47 f. Ebd., 68. A. Gehlen, Moral und Hypermoral, 1969, 110. A. Gehlen, Über die Geburt der Freiheit aus der Entfremdung (1952), in: Ges.-Ausg., Bd. 4, 1983, 378. A. Gehlen, Urmensch und Spätkultur (1956), 62004, 40. Vgl. J. Weiß, Weltverlust und Subjektivität, 1971, 209 ff.

Fünftes Kapitel: Sprache und Institutionen

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hervorgehoben und sein Schüler Helmut Schelsky hat ihn, wenn auch mit Abwandlungen, bald in dieser Hinsicht fruchtbar gemacht.350 Gehlen selbst hat in seinem letzten Werk – übrigens unter häufiger Berufung auf Forsthoff – von seinem Begriff der Institution her eine politische Ethik entwickelt.351 Worin lagen deren spezifische Vorzüge gegenüber den konventionellen Institutionentheorien, von denen Gehlen352 sich ausdrücklich distanzierte? Zum einen war sein Begriff der Institution weiter und voraussetzungsloser. Gehlen mußte nicht vorab auf die ethische Qualität bestimmter Institutionen rekurrieren und lief weniger Gefahr, einen kontingenten geschichtlichen Institutionenbestand bloß zu verallgemeinern, wie man es Stahl ebenso wie Hegel vorgehalten hat. Er verfuhr vielmehr gerade umgekehrt, indem er die habituellen Verfestigungsprozesse primär und das von ihnen ausgebildete und geforderte Ethos sekundär setzte. Gehlen brauchte zu einer solchen Begründung des institutionellen Ethos auch keinen Rückgriff auf ein heilsgeschichtlich bestimmtes Menschenbild, sondern eine philosophische Analyse der organischen Unfertigkeit und »Plastizität« des Menschen, dem seine Werkzeuge und Institutionen zum »Organersatz« geworden sind. Der Institutionenbegriff wurde auf diese Weise herausgelöst aus der übergreifenden Vorstellung einer hierarchischen Gesamtordnung der Institutionen, die noch Forsthoff für unerläßlich gehalten hatte. Auch die Vorstellung von einem geisterfüllten Akt der Stiftung oder Schaffung der Institutionen erübrigte sich. Anders als die traditionelleren staatsphilosophischen Lehren konnte Gehlen schließlich auch auf den Dualismus von institutioneller Objektivität und subjektiver Freiheit verzichten. Er ließ diesen Gegensatz im Begriff der Institution hinter sich,353 worin wohl sozialphilosophisch seine bedeutendste Leistung überhaupt liegt. Er faßte den institutionellen »Verpflichtungsgehalt«, wie gezeigt, als das Resultat einer konstitutionell notwendigen Selbstauslieferung des einzelnen an seine Umwelt. So brachte Gehlen das Problem mit anderen Mitteln wieder zum Ausgangspunkt von Hegels Rechtsphilosophie zurück: Freiheit gibt es nur aus den Institutionen. Freiheit und Entfremdung sind Anschauungsweisen des selben Tatbestandes. Auf diese Weise ließ sich auch Forsthoffs Kardinalproblem, die Auflösung der rechtlichen Institutionen und der Einstrom des weltanschaulichen Raisonnements, als Gleichgewichtsstörung und damit viel schärfer fassen. Das eine ließ sich aus dem anderen erklären. Der revolutionäre Subjektivismus, der die Institutionen zersetzt, kommt nicht von ungefähr: Die zu weitgehende Daseinsentlastung durch die Institutionen macht in der Moderne der Subjektivität erst den Raum frei, aus dem jene utopische, affektbeladene Kritik entstehen kann, die die Institutionen schließlich zerstört. 350

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H. Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen, insbesondere von Verfassungen (1949), in: Auf der Suche nach Wirklichkeit, 1979, 33 ff. A. Gehlen, Moral und Hypermoral, 1969, 95 ff., 103 ff. A. Gehlen, Urmensch und Spätkultur (1956), 62004, 18 f. Ebd., 26.

Sechstes Kapitel Zur Kritik der deutschen Nachkriegsverfassungen Das Ende des Krieges erlebte Ernst Forsthoff in Heidelberg, das am 30. März, dem Karfreitag des Jahres 1945, ohne Widerstand von den amerikanischen Truppen eingenommen wurde. Anders als das benachbarte Mannheim, das nach dem Luftkrieg in Trümmern lag, war Heidelberg nahezu unzerstört. Die Wohnung im Röderweg 7 (dem heutigen Hölderlinweg), auf der Rückseite von Max Webers Villa Fallenstein gelegen, wurde im Sommer 1946 beschlagnahmt. Die Familie mußte in eine viel kleinere, bescheidene Wohnung im Waldgrenzweg in Heidelberg-Schlierbach umziehen, bevor Forsthoff 1949 ebenfalls in Schlierbach ein großes Haus anmietete und später kaufte, in dem er bis zu seinem Tode lebte. Das Anwesen Wolfsbrunnensteige 13 ist eine alte Mühle in wunderschöner Lage über dem Neckar. So sehr er über das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft erleichtert war, seine politischen Zukunftsaussichten waren düster, und zwar von Beginn an. Im Juli 1945 schrieb er an Ernst Rudolf Huber: »Es ist offenbar ein geschichtliches Gesetz, daß jeder Krieg ein Wertgefälle auslöst. 1918 sanken wir von Wilhelm II. auf Ebert, wohin mag der Absturz jetzt gehen?«1 Zwar war das alte Regime, anders als 1918, restlos in Verruf, die NS-Eliten wurden sofort kaltgestellt und eine neue Dolchstoßlegende konnte gar nicht erst aufkommen. Doch den politischen und geistigen Kräften, die sich des entstandenen Machtvakuums mit alliierter Hilfe bemächtigten, begegnete Forsthoff mit tiefem Mißtrauen. Es waren Kräfte, von denen er keinen Beitrag zum Neuaufbau erwartete: »Die hervortretende Tendenz ist die Diskreditierung des Staatlichen.«2 In einer zu Beginn des Jahres 1946 verfaßten Aufzeichnung »Zur geistigen Lage« notierte er: »Die Zeitungen sind so uniform wie zur Zeit des Nationalsozialismus. Hier kommt nur eine bestimmte Richtung zu Wort, die durch Namen wie [Ernst] Gläser [sic!], [Erich] Kestner

1 2

Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 28.7.1945, BA Koblenz, NL Huber. E. Forsthoff, Bemerkungen zur politischen Lage (Mai 1946), NL Forsthoff, Bl. 1.

Sechstes Kapitel: Zur Kritik der deutschen Nachkriegsverfassungen

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[sic!], [Johannes R.] Becher, Thomas Mann, Alfred Kerr usw. gekennzeichnet ist. Repräsentiert sie die geistigen und kulturellen Substanzen des heutigen Deutschland? Sicherlich nicht – selbst wenn zugegeben wird, daß die Träger dieser Namen nicht bei ihrer Qualität von 1932 stehen geblieben sind. Die Träger der großen Namen schweigen, oder man zwingt sie zum Schweigen. Es gibt also keine Publizität für alle wesentlichen Regungen und Richtungen des deutschen Geisteslebens. Auch die Kirchen stehen hier, trotz der ihnen zurückgegebenen Freiheit, recht am Rande. Die Gewerkschaften haben dagegen eine enge Verbindung zur Presse und auch geistig dürftige Einlassungen von dieser Seite werden in großer Aufmachung gebracht.« 3

So pessimistisch Forsthoff von Beginn an die Nachkriegssituation bewertete, so sehr zwang er sich andererseits zu der Hoffnung, Deutschland könne sogar innerlich gestärkt aus der beispiellosen Niederlage hervorgegangen sein, ja es könne vielleicht geradezu zu sich selbst gefunden haben – wie das in seinen Überlegungen nun immer mehr zum Paradigma werdende Preußen nach den Revolutionskriegen: »Denken wir daran, daß die hoffnungsvollen Wege, auf denen sich das deutsche Geistesleben bis 1933 befand, nicht abgeschnitten sind, daß sie sich, freilich in der Stille und vom Lärm des Pöbels unbeachtet, bis zur Gegenwart fortgesetzt haben. […] Aber noch ahnen wir nicht, was ganz in der Stille entstand und uns bekannt werden wird, wenn einmal wieder Bücher gedruckt werden können. Alles das ist den ergreifendsten äußeren und inneren Erfahrungen abgerungen und gegen die Ungunst der Zeit ertrotzt: ich denke, das sind keine geringen Proben der Lebenskraft deutscher Geistes- und Bildungstraditionen. Vergleiche ich sie mit dem Kulturgepräge früherer Jahrzehnte, so bin ich der guten Zuversicht, daß unsere Kultur und unser Geist, als Tradition und lebendiger Besitz, nicht schwächer, sondern stärker geworden sind, weil sie ihre Wurzeln in tiefere Schichten einsenkten und ihre Gehalte wesentlicher wurden.« 4

Aber der Geist der deutschen Rechten, das wußte Forsthoff wohl, war durch den Nationalsozialismus schwer beschädigt.5 Welche Chancen sah er jetzt, nach dem völligen Zusammenbruch des Reiches, für die politische Neuordnung Deutschlands? Welche verfassungsrechtlichen Gestaltungen befürwortete er? Darum geht es in diesem Kapitel. Ihm vorangestellt ist ein Bericht über die 3 4

5

E. Forsthoff, Zur geistigen Lage (undatiert, Anfang 1946), NL Forsthoff, Bl. 1. Ernst Forsthoff an Frau Lohmann (Frau von Karl Lohmann), September 1945 (Durchschlag), NL Forsthoff. E. Forsthoff, Zur geistigen Lage (undatiert, Anfang 1946), NL Forsthoff, Bl. 2: »Es ist eine unbestreitbare und auch von der damaligen Linken […] offen zugegebene Tatsache, daß vor 1933 auf der Rechten eine neue politische Intelligenz entstanden war, die es bis dahin nicht gegeben hatte. Nur wurde von der Linken, die dieser Intelligenz der Rechten sozusagen ihre Reverenz erwies, eines übersehen: diese Intelligenz der Rechten war nicht aus der Kritik entstanden, obgleich sie auch kritisch war, sondern sie hatte sich gebildet mit und an einem neuen, von ihr wesentlich erarbeiteten, kulturellen, religiösen und politischen Gedankengut, das im prononcierten Sinne ihr Eigentum war. Sie hatte sich nicht auf irgendeinen ›Boden‹ gestellt, wie die Intelligenz der Linken auf den des Marxismus oder Pazifismus, sondern sie hatte sich eine Position erarbeitet. Daher war etwas im Werden, das der Nationalsozialismus ebenso unerbittlich ausgerottet hat wie den Marxismus und alles andere, das nicht er selbst war.«

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Dritter Teil: Nach der Utopie

Lebensumstände Forsthoffs in den ersten Jahren nach 1945 bis zur Wiedererlangung des Heidelberger Lehrstuhls. Etwas ausführlichere biographische Schilderungen mögen hier noch einmal am Platz sein, verdeutlichen sie doch den Kontext, in dem Forsthoffs umfangreiche Publizistik zur deutschen Nachkriegsverfassung angesiedelt ist (I.). In diese Zeit fällt Forsthoffs intensive Beschäftigung mit dem Werk Montesquieus und dem geschichtlichen Verfassungsdenken, das er für die deutsche Nachkriegsordnung fruchtbar zu machen versuchte (II.). Vor diesem Hintergrund sind Forsthoffs Überlegungen zur Problematik und Gestalt der westdeutschen Verfassung zu würdigen (III., IV.) Das Kapitel schließt mit Forsthoffs erster Kritik des Grundgesetzes (V.).

I. Lebensumstände 1945–1952 Forsthoffs Lebensumstände der Nachkriegszeit waren geprägt vom Verlust seines Amtes und vom Hin und Her eines mehr oder weniger durchschnittlich verlaufenden Entnazifizierungsverfahrens, das erst 1952 mit der Rückerlangung seines Heidelberger Lehrstuhls endgültig abgeschlossen war.6 Zunächst hatte es noch den Anschein gehabt, als wollten die Amerikaner an Forsthoff festhalten. Nur Karl Engisch und Eugen Ulmer wurden an der Heidelberger Fakultät sofort entlassen. Forsthoff dagegen konnte, als die Universität im Winter 1945/46 wieder eröffnet wurde, seine Vorlesungen über Verfassungsgeschichte und Kirchenrecht wieder aufnehmen.7 Damit hatte er nicht unbedingt gerechnet. Eine im September 1945 begonnene Aufzeichnung »Über den Frieden« beginnt mit dem Satz: »Für den Fall, daß es mir vergönnt sein sollte, weiter an der Universität zu wirken […], beschäftigt mich der Gedanke, daß die Hörer mit der Erwartung die Universität beziehen werden, hier nicht nur eine Berufsvorbildung zu bekommen, sondern auch eine geistige Wegführung zu finden.«8 Die Entwicklung, die das universitäre Leben unter der amerikanischen Besatzungsmacht und unter dem neuen Rektor Karl Jaspers (»JasperleTheater«)9 nahm, gefiel ihm jedoch ganz und gar nicht. Forsthoff fühlte sich von der Fakultät und ihrem Dekan Gustav Radbruch ausgegrenzt10 und sah sich beständig Intrigen Walter Jellineks ausgesetzt. Über den Neubeginn des universitären Lebens schrieb Forsthoff Anfang 1946 an den Althistoriker Alfred Heuß, den er aus Königsberg kannte:

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7 8 9 10

R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 18 ff.; E. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, 2005, 312 ff.; F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 63 ff.; D. van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 22002, 243 f. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 13.1.1946, BA Koblenz, NL Huber. E. Forsthoff, Über den Frieden, Ms., 1 S., datiert September 1945, NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 18.4.1948, BA Koblenz, NL Huber. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 19.8.1945, BA Koblenz, NL Huber.

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»Ansonsten lebt der alte Heidelberger Geist wieder auf, etwas mit stars and stripes durchsetzt, was die einzige Variante ist, die sich mir bei einem Vergleich mit 1932 als sicher ergeben hat. Alles andere bleibt abzuwarten. Ich stehe dem fern. Die Erneuerung des Geistes stelle ich mir anders vor. Doch, noch eine Variante: man hat sich ziemlich verchristlicht. Selbst Jaspers soll – zum ironischen Vergnügen seiner Frau – seine Vorlesungen mit Bibelsprüchen schmücken. […] Auch wenn man jedem das Recht zubilligt, sich nach seinen inneren Erfahrungen zu verhalten (und bei Radbruch hat man den Eindruck einer echten Sinneswandlung aus den tragischen persönlichen Erlebnissen), – man wird den Eindruck eines gewissen Theaters, von Flitter und Talmi nicht ganz los, und das seit 15 Jahren. Vielleicht geht es Ihnen ähnlich. Jedenfalls habe ich das Weltgetriebe satt bis oben hinaus und freue mich meines Eremitentums, zu dessen Wahrung ich freilich keinen großen Abwehrwillen zu entfalten brauche. (Denn am liebsten wäre man mich hier natürlich doch los.)«11

Damit hatte er recht. Im Februar 1946 wurde Ernst Forsthoff auf Anordnung der Militärregierung entlassen,12 obwohl sich für seinen Verbleib unter anderem sogar Erich Kaufmann eingesetzt hatte, mit dem Forsthoff später noch manchen Strauß ausfocht.13 Daß ausgerechnet er sein Amt verlor, empfand Forsthoff als große Ungerechtigkeit und beantragte sogleich seine Wiedereinsetzung.14 An Heuß schrieb er, als sich die Entlassung anzudeuten begann: »Meine kirchliche Betätigung gilt nichts mehr, da ich nicht der Bekennenden Kirche angehört habe. Die Tatsache, daß mein sicher sorgfältig durchgeschnüffeltes Schrifttum seit 1935 auch nicht in einer Zeile Anstoß erregen kann (was für einen Staatsrechtler gewiß nicht leicht ist), gibt man zwar zu, aber nur mit einem Achselzucken.«15 Und in einem Brief an Fritz von Hippel heißt es kurz nach der Amtsenthebung: »Außerdem ist man auch bald an dem Punkt, an dem man die Lust verliert. 1941–1943 war ich in Wien aus dem Amt und unter Gestapo-Bewachung. Dann kam der 20. Juli 1944; zwei von den vier Gesinnungsfreunden, mit denen ich in die Sache verwickelt war, verloren das Leben und ich mußte jeden Tag darauf gefaßt sein, zu dem Gang abgeholt zu werden, von dem kaum einer wiederkehrte, dann kam die Besatzung, die mich nun als Nazi ›entlarvt‹ hat. Das geht nun so seit 4 1/2 Jahren. Da kommt man doch in Gefahr, die Lust zu verlieren.«16 11

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Ernst Forsthoff an Alfred Heuß, 30.1.1946, LHA Brandenburg/Deutsches Archäologisches Institut Berlin, NL Heuß. Rektor der Universität Heidelberg an Ernst Forsthoff, 18.2.1946, UA Heidelberg, PA 3787; vgl. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 28.2.1946, BA Koblenz, NL Huber. Erich Kaufmann an Juristische Fakultät der Universität Heidelberg, 13.1.1946 (Abschrift), UA Heidelberg, PA 3790: »Nicht daß er [scil: Ernst Forsthoff] der Partei beitrat, sondern ein Sammelbuch über die Zeit der Weimarer Republik mit Abbildungen, das ganz auf den Ton ›14 Jahre der Schmach‹ gestimmt war und dieses Schlagwort ›wissenschaftlich‹ bestätigen sollte, hat mich sehr geärgert. Aber ich weiß seit 1937, wo er mit meinem Schwager in Oberbayern zusammen war, daß er geheilt war, und das hat mich auch wieder sehr gefreut. Wenn auf ein fortiter peccare eine starke Reue einsetzt, so finde ich, daß das Gleichnis vom verlorenen Sohn Anwendung fordert.« (Hervorhebungen im Original). Ernst Forsthoff an die Militärregierung, 8.3.1946 (Durchschlag), Sammlung Giesler. Ernst Forsthoff an Alfred Heuß, 18.11.1945, LHA Brandenburg/Deutsches Archäologisches Institut Berlin, NL Heuß. Ernst Forsthoff an Fritz v. Hippel, 25.2.1946, UA Freiburg, NL v. Hippel, Nr. 828.

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Um seine Rückkehr an die Universität bemühte Forsthoff sich in der folgenden Zeit eher halbherzig, was auch den tatsächlichen Erfolgsaussichten entsprach. Den Heidelberger Protagonisten jener Jahre – Alfred Weber, Karl Jaspers, Gustav Radbruch – stand er ganz fern. Am universitären Leben der Stadt in den ersten Nachkriegsjahren, dessen Atmosphäre Nicolaus Sombart in seinen Heidelberger Reminiszenzen festgehalten hat,17 nahm er kaum Anteil. Vielmehr verzichtete er im Mai 1947 förmlich auf sein Lehramt: Er habe »nicht die Absicht […], in den Lehrkörper der Universität Heidelberg zurückzukehren.«18 Auch verfolgte er die allgemeine Entwicklung der Hochschulen mit Abneigung.19 Kurz nach seiner Amtsenthebung teilte er Alfred Heuß seinen feststehenden »Entschluß« mit, »den Sattel zu wechseln und mir das Schicksal der deutschen Universitäten zunächst einmal von außen anzusehen. Geht es so weiter, tritt nicht endlich Ruhe ein, dann ist es mit den Universitäten eben zuende.«20 Nicht anders sah es Werner Weber in Leipzig, der sich angesichts der dortigen Säuberung der Universität fragte, »ob die Pflege der Rechtswissenschaft in unserer Landschaft überhaupt noch einen Sinn hat. Man wird diese Frage nicht leichthin bejahen können.«21 Beide mußten und wollten sich nun nach anderen Erwerbsmöglichkeiten umsehen. Nur der freilich ein paar Jahre jüngere Franz Wieacker, auch er zuletzt in Leipzig, berichtete unmittelbar nach seiner Rückkehr aus der englischen Kriegsgefangenschaft: »Ich fühle mich, nachdem an die Stelle der jahrzehntelangen, lemurenartigen Drohung das klare, nüchterne Leid über den Ruinen getreten ist, zur geistigen Arbeit rüstiger wie je«22. Forsthoff dagegen schrieb an Heuß: »So halte ich meine juristische Laufbahn vorerst einmal für abgeschlossen. Der Abschied von ihr wird nun freilich

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N. Sombart, Rendezvous mit dem Weltgeist, 2000. Ernst Forsthoff an den Dekan der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg, 10.5.1947, Sammlung Giesler. E. Forsthoff, Die gefährdete Universität (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik o. Nr. (o.J. (1948)), 10 f. Ähnlich äußerte sich Ernst Rudolf Huber in einem Brief an Ernst Forsthoff vom 14.3.1946, NL Forsthoff: »So wie man in den zwölf Jahren die Universität, bei aller äußeren Anpassung, deren sie sich befleißigte, als Zelle geistigen Widerstandes mit Mißtrauen, geheimer Furcht und Haß betrachtete, so entwickelt sich jetzt von den Parteien her ein Kameltreiben gegen eine Einrichtung, deren geistige Selbständigkeit man nicht dulden wird – trotz aller schönen Bekenntnisse zur Freiheit der Wissenschaft.« Nicht anders heißt es auch in einem Brief von Franz Wieacker an Ernst Forsthoff vom 11.3.1946 (NL Forsthoff): Gegen die neuste Entwicklung der Universitäten im östlichen Teil Deutschlands »wäre ja gar nichts einzuwenden, wenn das Ganze nicht praktisch auf die Verwirklichung dessen hinausliefe, was wir in den letzten 10 Jahren im Großen und Ganzen mit Erfolg bekämpft haben: nämlich die Verwandlung der Universität in eine politisch hörige, totalitäre Fachschule. Der Kampf gegen das volksfremde römische Recht darf hier natürlich auch nicht fehlen. Wohl bekomms!« Ernst Forsthoff an Alfred Heuß, 14.11.1946, LHA Brandenburg/Deutsches Archäologisches Institut Berlin, NL Heuß. Werner Weber an Ernst Forsthoff, 22.4.1946, NL Forsthoff. Franz Wieacker an Ernst Forsthoff, o.D. (1945), NL Forsthoff.

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demjenigen heute sehr erleichtert, der das Recht im Sinne der dikaiosúnh verstanden hat wie ich.« Denn, so meinte er mit Blick auf seine Heidelberger Erfahrungen: »Ich sehe sogar einen Vorzug darin, im gegenwärtigen Augenblick nicht meine Fächer ex cathedra vertreten und mich an den Expektorationen beteiligen zu müssen, mit denen sich jetzt nicht wenige Fachkollegen um ihren wissenschaftlichen Ruf, à la longue vielleicht um Kopf und Kragen reden. Die zwölfjährige Karenz erzeugte bei vielen, vielleicht den meisten, eine neben den intellektuellen Fähigkeiten angesiedelte Einfältigkeit, die ich mit Interesse an einigen hiesigen Objekten studiere.«23

Die Suche nach einer neuen Stellung führte Forsthoff nach Kiel. Dort wurde er 1947 Oberregierungsrat in der Staatskanzlei des damaligen Ministerpräsidenten, seines Königsberger Bekannten Theodor Steltzer.24 Steltzer hatte dem Kreisauer Kreis angehört, aus dem in den Nachkriegsjahren die konservative Gesellschaft Imshausen hervorging,25 war Mitbegründer der CDU in Berlin und Schleswig-Holstein, Widersacher Konrad Adenauers und wurde kurzzeitig als möglicher Kandidat für eine Zentralregierung des Weststaates gehandelt. In Steltzers Umfeld bildete sich nach dem Krieg ein Kreis, zu dem unter anderem Gerd Bucerius, Hans Werner Richter, Wilhelm Grewe und Graf Kielmannsegg gehörten.26 Im Oktober 1946 hatte Steltzer sich an Forsthoff gewandt und ihn um Mitarbeit bei der Schaffung einer schleswig-holsteinischen Verfassung und einer neuen Verfassung der evangelisch-lutherischen Landeskirche gebeten.27 Forsthoff rechnete sich zunächst Chancen aus auf eine politische Karriere an seiner Seite,28 doch die Hoffnung ging mit dem politischen Stern Steltzers unter.

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Ernst Forsthoff an Alfred Heuß, 30.5.1946, LHA Brandenburg/Deutsches Archäologisches Institut Berlin, NL Heuß. Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein an Ernst Forsthoff, 22.8.1947, NL Forsthoff. Eine Würdigung Steltzers findet sich bei E. Forsthoff, Theodor Steltzer (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o.D. (1948)), 3: »Fern von allem Doktrinarismus, ein erklärter Feind aller ›Weltanschauungen‹, läßt er sich von der Einsicht leiten, daß allererst darauf ankomme, daß die Dinge im Grundsätzlichen, im Metaphysischen richtig angefaßt werden. […] Er stellt damit den Typus des Politikers dar, der uns in Deutschland in hohem Grade fehlt.« W. E. Winterhager, Der Kreisauer Kreis, 1985, 62 ff.; L. von Trott zu Solz, Hans Peters und der Kreisauer Kreis, 1997, 135, 139 ff.; zur Gesellschaft Imshausen s. W. M. Schwiedrzik, Träume der ersten Stunde, 1991, bes. 109, 120 ff. W. Grewe, Ein Leben mit Staats- und Völkerrecht im 20. Jahrhundert, in: Freiburger Universitätsblätter 31 (1992), 30. Theodor Steltzer an Ernst Forsthoff, 17.10.1946, NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 6.4.1947, BA Koblenz, NL Huber; Ernst Forsthoff an Hermann Krawinkel (Abschrift), 19.2.1948, NL Forsthoff.

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In der Kieler Staatskanzlei bekleidete Forsthoff das Amt eines Referenten für Verfassungs- und Kirchenrecht29 und war daneben mit der Gründung einer Akademie in Tremsbüttel betraut, auf halbem Weg zwischen Hamburg und Lübeck.30 Sie sollte ein Forum für wissenschaftliche Gesprächskreise auf konfessioneller Grundlage darstellen – in bewußter Opposition zu den Universitäten.31 Die Themen, über die man beriet, trugen deutlich Forsthoffs Handschrift.32 Aus diesem Vorhaben gingen die wiederum unter Steltzers Leitung stehende Tremsbüttler Studiengesellschaft »Mundus Christianus« und eine gleichnamige Zeitschrift hervor.33 Gemeinsam mit dem wie Steltzer aus dem Kreisauer Kreis stammenden Carl-Dietrich von Trotha wurde Forsthoff 1948 wissenschaftlicher Sekretär von Mundus Christianus.34 Die Gesellschaft verstand sich als

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Ernst Forsthoff an Alfred Heuß, 14.11.1946, LHA Brandenburg/Deutsches Archäologisches Institut Berlin, NL Heuß: »Die Aufgaben, vor die ich jetzt gestellt bin, sind außerordentlich verlockend. Ich habe das Verfassungsreferat und das Referat in Kirchensachen. In den nächsten Monaten wird die Fertigstellung eines Verfassungsentwurfs meine Hauptarbeit sein – neben einer gewissen Hilfestellung bei der Schaffung der Kirchenverfassung. Es hat großen Reiz, nun in der Praxis zu erproben und zu verwirklichen, was man in der Theorie erarbeitet hat.« Vgl. Bericht Forsthoffs, LA Schleswig-Holstein, NL Steltzer, Nr. 238; ferner W. M. Schwiedrzik, Träume der ersten Stunde, 1991, 121 f. Über das Profil der Tremsbüttler Gesellschaft unterrichtet ein Grundsatzreferat, das Steltzer 1948 auf einer der ersten Tagungen hielt und für das nach Inhalt und Anlage die Voroder Mitarbeit Ernst Forsthoffs als zumindest wahrscheinlich gelten kann: T. Steltzer, Grundsatzüberlegungen (Tremsbüttel 1948), in: Reden, Ansprachen, Gedanken 1945–1947, 1986, 169 ff. S. ferner Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 26.4.1947, BA Koblenz, NL Huber: »Diese Stiftung will der wissenschaftlichen Forschung auf christlicher Grundlage dienen. Ursprünglich dachten wir daran, sie in […] Distanz zu den Kirchen zu konstituieren, was jedoch Widerstände hervorrief, denen wir nachgeben mußten. So ist es eine evangelische Gründung geworden, die aber für alle christlichen Konfessionen offen ist. Dort soll im Stil wissenschaftlicher Akademien gearbeitet werden. […] Ich verspreche mir sehr viel von dieser Gründung, da sie in die Lücke eintreten wird, die durch die Zerschlagung der Universitäten entstanden ist.« Thema der ersten Arbeitstagung im Mai 1947 war »Das Menschenbild«; über sie existiert ein Bericht Ernst Forsthoffs, LA Schleswig-Holstein, NL Steltzer, Nr. 238. Referenten waren u.a. Johann Daniel Achelis und Kurt Ballerstedt. Weitere geplante Tagungsthemen waren »Die Sprache«, »Die Geschichte« und schließlich »Die Bildung«. Die Zeitschrift »Mundus Christianus« erschien in zwei Heften im August und November 1948 und wurde damit eingestellt. Vgl. weiter den Bericht über die Tätigkeit der Informationen für die Mitglieder, Förderer und Mitarbeiter der Gesellschaft »Mundus Christianus«, als Ms. gedruckt, undatiert (1948?), LA Schleswig-Holstein, NL Steltzer, Nr. 41; E. Forsthoff, Theodor Steltzer (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o.D. (1948)), 3: das Ziel der Gesellschaft lag darin, »auf überkonfessioneller Grundlage am der Wiederherstellung echter Ordnungen auf allen Lebensgebieten im Geiste der christlichen Wahrheiten mitzuwirken«; ferner die Erinnerungen von T. Steltzer, Sechzig Jahre Zeitgenosse, 1966, 196 f., der berichtet, das Grundanliegen von »Mundus Christianus« sei die »Erneuerung des christlichen Menschenbildes« gewesen. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 6.7.1948, BW, Nr. 19 mit Anm. 4.

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»freie Akademie […], in der Wissenschaftler aller Fakultäten mit Menschen aus der Wirklichkeit des praktischen und kulturellen Lebens zusammengeführt werden.«35 Höhepunkt der Tätigkeit war im Januar 1948 eine Tagung zum Thema: »Deutung der Gegenwart und Gestaltung der Zukunft«, die viele maßgebliche Stimmen der Nachkriegspublizistik zusammenbrachte, unter anderem Walter Dirks, Hans Werner Richter, Alfred Andersch, Gerd Bucerius und Eugen Kogon.36 Auch Walter Hallstein und Helmut Schelsky zählten zu den Teilnehmern der Tagungen von Mundus Christianus.37 Überhaupt zeigte Forsthoff in den ersten Jahren nach 1945 eine immense Neigung, sich allerlei politischen »Kreisen«, »Bünden« und Studiengesellschaften anzuschließen, kleinen, bald wissenschaftlichen, bald allgemein-politischen Zirkeln konservativer Tendenz. Neben dem Kreis um Theodor Steltzer sind hier zu nennen: die Deutsche Union, ein 1949 von August Haußleiter gegründeter sozial- und verfassungspolitischer Arbeitskreis,38 ferner ein Münchener Zusammenschluß in der Tradition des 20. Juli, ein wissenschaftlicher Gesprächskreis in Hamburg, zu dem unter anderem der Publizist Gerhardt Günther, der Theologe Hans Schomerus und der Physiker Pascual Jordan gehörten,39 die »Dogmatische Sozietät« in Heidelberg unter ihrem Spiritus Rector, dem Neutestamentler Edmund Schlink sowie endlich der alte Freundeskreis Wilhelm Ahlmanns, zu dem unter anderem Carl Schmitt, Hans Freyer, Hans Barion, Hillard Steinbömer und Werner Weber gehörten. Forsthoff setzte auf solche halböffentlichen Kreise eine große, freilich nur allzu bald enttäuschte Hoffnung und sah in ihnen geradezu die politische Organisationsform der Zukunft, die einmal das Erbe der diskreditierten Parteien antreten sollte. In einem Brief an Huber heißt es: »Die Frage, ob die konservativen Elemente eine Parteiform anstreben sollen, ist […] für die nächste Zukunft im äußerlichen Sinne wohl inaktuell. […] Jedenfalls bin ich nach wie vor der Meinung, daß die Konservativen nicht Partei werden sollten, sondern als Sauerteig wirken sollten, und zwar bis in die SPD hinein. Dem Parteiwesen gebe ich keine Zukunft. Noch erhalten die Parteien Stimmen, aber sie bekommen keine Mitglieder. […] Nicht mit Unrecht

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[Anonymus], Ausgangspunkt, Ziel und Arbeitsweise, in: Mundus Christianus Heft 2 (1948), 2. In einem Brief an Ernst Rudolf Huber vom 26.4.1947 (BA Koblenz, NL Huber) bemerkte Forsthoff zu Mundus Christianus: »Alle diese kleinen Ansätze, hinter denen als nicht eigentlich beabsichtigtes, aber aus der Logik der Dinge sich ergebendes Ziel in noch weiter Ferne sichtbar wird: die christliche, staatlich unabhängige Universität. Man mag darüber denken, wie man will, jedenfalls würde die damit geschaffene Konkurrenz-Situation für die staatlichen Universitäten entweder heilsam – oder vernichtend sein.« W. M. Schwiedrzik, Träume der ersten Stunde, 1991, 121, und die Anmerkungen des Herausgebers in T. Steltzer, Reden, Ansprachen, Gedanken 1945–1947, 1986, 246. D. van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 22002, 45. Forsthoff arbeitete unter anderem mit Herbert Krüger im »Verfassungspolitischen Ausschuß« der Deutschen Union. Überliefert ist ein auf den 13.4.1950 datierter vierseitiger Arbeitsbericht Forsthoffs »Zur Verfassungslage«, Arbeitsprogramme und Mitarbeiterverzeichnisse (Ts.e, NL Forsthoff). Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 13.12.1947, BA Koblenz, NL Huber.

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sagt man sich deshalb, daß die ganze Wählerei, von deren Ergebnissen gar nichts abhängt, nicht mehr ist als ein Spaziergang, bei dem mitzumachen niemand Lust hat. Ich wäre sehr dagegen, in dieses überlebte Spiel das konservative Gedankengut offiziell und unter seinem Namen hineinzutragen. Es muß für Zeiten reserviert bleiben, in denen ein Minimum an Sachlichkeit und Konsequenz in unserem politischen Leben wieder gewährleistet erscheint, und auch dann ist es mir zweifelhaft, ob man die Parteiform anstreben soll – oder vielmehr: ich bin gewiß, daß ich nicht dafür sein werde. Der gegebene Ansatzpunkt für die Entfaltung von politischem Einfluß ist jetzt und in Zukunft nicht das Parlament, sondern die Verwaltung, also nicht ein öffentlicher, sondern ein der Öffentlichkeit entzogener, man darf sagen: geheimer Ort. Deshalb hat sich die Partei überlebt und die geheime Gesellschaft nach Art der Logen wäre unserer heutigen Wirklichkeit gemäß. Nimm dies bitte als bloße Situationsanalyse. Ich habe nicht die Absicht, Logenbruder oder ähnliches zu werden, aber in späterer Zukunft müßte die organisierte Vertretung des konservativen Gedankens […] auf einer solchen Linie gesucht werden.«40

Der Neigung zum Arkanum entsprach es, daß Forsthoffs publizistische Möglichkeiten sehr begrenzt waren. Er mußte sich in der für die intellektuelle Rechte nach 1945 typischen Halböffentlichkeit bewegen. Wilhelm Stapels Hanseatische Verlagsanstalt, mit deren Wiedereröffnung Forsthoff die Hoffnung auf ein neues altes Forum gesetzt hatte,41 überstand das Kriegsende nicht. Forsthoff wollte daraufhin in Zusammenarbeit mit der badischen Landeskirche42 eine eigene Zeitschrift gründen. Was ihm vorschwebte, war eine prononciert evangelische Monatsschrift, der nach langem Hin und Her vorläufig in Aussicht genommene Titel lautete: »Der Neue Mensch«. Als Herausgeber fungierte Rudolf Kehr, damals Pfarrer der Heidelberger Heiliggeistkirche. Für das erste Heft gewannen er und Forsthoff durchaus namhafte Autoren, unter anderem Otto von Taube, Hans von Campenhausen, Rudolf Alexander Schröder und Kurt Ballerstedt.43 Aber die Herausgeber erhielten von der Militärregierung keine Lizenz,44 und die Zeitschrift erschien letztlich kein einziges Mal.45 Ansonsten lebte Forsthoff von kleineren Arbeiten für den Nord-Westdeutschen Rundfunk46 und schrieb überwiegend tagespolitische, aber auch 40 41 42 43

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Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 10.5.1946, BA Koblenz, NL Huber. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 13.1.1946, BA Koblenz, NL Huber. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 20.3.1946, BA Koblenz, NL Huber. Ernst Forsthoff an Otto von Taube, 14.6.1946, Münchener Stadtbibliothek/Monacensia, NL Taube; Ernst Forsthoff an Rudolf Alexander Schröder, 11.4.1946, DLA Marbach, NL Schröder: »Die Zeitschrift ist für gebildete Leser gedacht, sie soll thematisch für alle Fragen des Geisteslebens offen sein, mit evangelischer Grundhaltung, aber ohne erbauliche und vulgär missionarische Tendenz.«; Kurt Ballerstedt an Ernst Forsthoff, 29.6.1946 und 29.7.1946, NL Forsthoff. Grundsätzlich bereit zur Mitarbeit war auch Walther Ziesemer (Brief an Forsthoff, 22.4.1946, NL Forsthoff). Ernst Forsthoff an Otto von Taube, 26.10.1946, Münchener Stadtbibliothek/Monacensia, NL Taube. Das einzige erhaltene Heft ist ein »Probeheft zur Vorlage bei der Amerikanischen Militärregierung«, August 1946, NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 6.4.1947, BA Koblenz, NL Huber; R. Mußgnug/ D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 20.

Sechstes Kapitel: Zur Kritik der deutschen Nachkriegsverfassungen

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grundsätzlichere Artikel für verschiedene, zumeist im Umkreis Steltzers entstandene Zeitungen, Zeitschriften und Pressedienste, die in der allgemeinen Zeitschriftenkonjunktur der Nachkriegsjahre47 entstanden, aber meist recht kurzlebig waren und immer wieder in finanzielle Schwierigkeiten kamen.48 Die Namen sind längst vergessen, wenn sie je bekannt waren: Die deutsche Wirklichkeit, Realpolitik,49 der Pressedienst für undoktrinäre Politik, Das andere Deutschland50 sowie die Europa-Briefe Hans Christoph von Stauffenbergs. In diesen randständigen, meist als Manuskript gedruckten, heute in der Mehrzahl nicht einmal mehr bibliographierbaren Blättern publizierte Ernst Forsthoff seine Kritik der Nachkriegsverfassungen und seine eigenen Vorstellungen für die politische Neuordnung. Über etwa drei Jahre verteilen sich dutzende, meist anonyme Artikel. Ihre Verbreitung dürfte vernachlässigbar gering gewesen sein. Irgendeinen direkten Einfluß auf die Verfassungsberatungen hatten sie wohl nie, wie überhaupt die Staatsvorstellungen aus den Kreisen des konservativen Widerstandes für die Gründung der Bundesrepublik bedeutungslos geblieben sind.51 Allenfalls höchst mittelbar haben Forsthoffs Ideen Zugang zu den Beratungen des Parlamentarischen Rates gehabt, nämlich über eine verfassungspolitische Denkschrift Theodor Steltzers. Sie stand in enger Querverbindung mit den Staatsvorstellungen Forsthoffs, war aber doch gemäßigter.52 Die absehbare Wirkungslosigkeit hat sich in Forsthoffs Publizistik deutlich niedergeschlagen. Sie ist von der dem Überhörten eigenen Radikalität und Unversöhnlichkeit. Ihr Duktus erweckt beständig den Eindruck, als stünde Deutschland unter der Besatzungsherrschaft das Schlimmste eigentlich noch bevor. Bemerkenswert sind auch vielfältige persönliche Schmähungen der handelnden Akteure (»hoffnungslos Geschlagene ohne Zukunft«53). 47

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I. Laurien, Politisch-kulturelle Zeitschriften in den Westzonen 1945–1949, 1991; I. Vielberg/ I. Laurien/G. Boehringer, Politisch-kulturelle Zeitschriften in den deutschen Besatzungszonen 1945–1949, 1986. Siehe Ernst Rudolf Huber an Ernst Forsthoff, 17.7.1949, BA Koblenz, NL Huber. Carl Schmitt immerhin gab an, den Pressedienst »mit lebhaftester Teilnahme« zu lesen (an Ernst Rudolf Huber, 10.1.1949, BA Koblenz, NL Huber). Ständige Mitarbeiter waren neben Forsthoff Pascual Jordan, Max Hildebert Boehm, Hans von Hentig und Graf Kielmannsegg (R. Dohse, Der Dritte Weg, 1974, 86). Forsthoff konnte vielfach auf Ernst Rudolf Huber für die Mitarbeit gewinnen (vgl. etwa Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 26.4.1948, BA Koblenz, NL Huber). Der Herausgeber, Wolf Schenke, berichtet über die Arbeit des Pressedienstes in seinen Lebenserinnerungen: W. Schenke, Siegerwille und Unterwerfung, 1988, 196 f. Vgl. R. Dohse, Der Dritte Weg, 1974, 87. H. Mommsen, Neuordnungspläne der Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944, in: Alternative zu Hitler, 2000, 182. T. Steltzer, Diskussionsbeitrag zum deutschen Verfassungsproblem (1948), in: »Bewegt von der Hoffnung aller Deutschen«, hrsg. v. W. Benz, 1979, 193 (mit Anm. d. Hrsg.); dazu H. Mommsen, Der lange Schatten der untergehenden Republik, in: Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft, 1991, 383 f. E. Forsthoff, Neuer Nationalismus? (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 41 (1948), 2.

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Dem Entnazifizierungsverfahren, das ab Herbst 1946 in Heidelberg,54 nach seinem Umzug in Kiel gegen ihn geführt wurde,55 unterzog Forsthoff sich nur widerwillig und mit wachsender Verbitterung. Während die Spruchkammer, vor allem gestützt auf den Totalen Staat und die Deutsche Geschichte in Dokumenten und, wie Forsthoff wütend unterstellte, aufgehetzt durch seinen Fakultätsrivalen Walter Jellinek,56 zunächst immerhin erwog, die Einstufung als Hauptschuldiger und die Verhängung von Lagerhaft beantragen,57 wurde er einstweilen zur Gruppe der »Belasteten (Aktivisten, Militaristen, Nutznießer)« 54

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Spruchkammer Heidelberg, Az. 59/1/10807-7472, Klageschrift 25.11.1946, UA Heidelberg, PA 3789. S. LA Schleswig-Holstein, Entnazifizierungsakte Ernst Forsthoff, Abt. 460.19, Nr. 93. Der dortige Entnazifizierungsausschuß erteilte seine Zustimmung zu Forsthoffs Berufung als Referent für Kirchenrecht in der Staatskanzlei (2.1.1947). Das Entnazifizierungsverfahren wurde aufgrund einer Anfrage der Heidelberger Spruchkammer (10.2.1947) eingestellt. In der genannten Akte findet sich auch eine Abschrift der Heidelberger Entnazifizierungsakte. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 14.11.1946, BA Koblenz, NL Huber; ausführliche Schilderung der Kabale: Ernst Forsthoff an Alfred Heuß, 14.11.1946, LHA Brandenburg/Deutsches Archäologisches Institut Berlin, NL Heuß. Einen wohl zuverlässigen Eindruck von der zwischen Forsthoff und Jellinek herrschenden Atmosphäre gibt ein Brief Forsthoffs an Ernst Rudolf Huber v. 23.2.1949 (BA Koblenz, NL Huber): »Gestern hatte ich übrigens eine Aussprache mit Jellinek. Ich wußte schon, daß er inzwischen kalte Füße bekommen hat und jetzt in Versöhnung und guten menschlichen Beziehungen machen will. So kam mir seine Bitte um Aussprache nicht überraschend, diese Aussprache war das Tollste, was ich in dieser Art erlebt habe. Ich hatte vorher mit [scil: Johann Daniel] Achelis taktisch die Lage genau durchgesprochen und wir hatten uns dahin schlüssig gemacht, daß jetzt Terror das richtige wäre. Die Formulierungen hatte ich mir genau überlegt, mir auch einen Fahrplan für das Gespräch zurechtgelegt. Als ich ihm dann gegenüber saß, war ich nach zwei Minuten so in Rage, daß ich den Fahrplan vergaß und ihm alles, was ich gegen ihn auf dem Herzen hatte, mit einer Schärfe, ich muß schon sagen Hemmungslosigkeit um die Ohren schlug, daß ihm Hören und Sehen verging. Ich sagte ihm, daß ich mir weitreichende publizistische Möglichkeiten geschaffen habe, daß ich jede Zeile besitze, die er seit 1933 geschrieben hat, daß der Fall Forsthoff zu Ende sei und der Fall Jellinek begonnen habe, daß ich ein verbessertes MG34 auf ihn gerichtet habe, während er nur über einen Vorderlader verfüge, daß er heute schon isoliert sei und in der Fakultät allein stehe, daß sogar die Entnazifikatoren ihn eines Tages fallen lassen würden um die eigene Haut zu retten, daß er sich für einen erledigten Mann halten dürfe, da nur noch der Zeitpunkt des öffentlichen Eklats offen stehe usw. […] Zum Schluß sagte ich ihm, wenn er es wagen sollte, gegen mich oder einen der im Gespräch Genannten auch nur das Geringste zu unternehmen, würde der Nervenkrieg sofort in Schießkrieg übergehen. Alles das hörte er mit geradezu hündischer Beflissenheit an. Als ich den Raum verließ, lief er mir nach und drückte mir die Hand mit der Erklärung, wir wollten doch wenigstens bei dieser kollegialen Form bleiben!!! Er war weiß und hatte das Gesicht eines alten, müden Mannes. Achelis meint, J. würde der Belastung durch einen solchen massiven Terror nicht gewachsen sein. Er prognostizierte Erkrankung. Warten wir ab. Jedenfalls bin ich entschlossen, die Rechnung mit ihm endgültig zu begleichen, nehme mir aber Zeit. Noch ist es zu früh.« Klageentwurf, undatiert (Mitte 1946), UA Heidelberg, PA 3789; vgl. auch D. Mußgnug, Die Juristische Fakultät, in: Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus, hrsg. v. W. U. Eckart u.a., 2006, 312 f.

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gerechnet.58 Dabei hatte Forsthoff nicht wenige namhafte Fürsprecher aufzubieten: Neben den Kollegen von Hippel, Heuss, Noth und Weippert vor allem Gerhard Anschütz und Wolf-Ulrich von Hassell, der älteste Sohn Ulrich von Hassells, der in Königsberg bei Forsthoff studiert hatte.59 Anschütz schrieb in seiner Erklärung über Forsthoff: »Heute nenne ich mich mit Betonung seinen Freund. […] Herr Forsthoff ist der erste meiner Nachfolger, mit dem ich restlos übereinstimme. Dass durch ihn der Gedanke des Rechtsstaates wieder mit dem von mir in langen Jahren bekleideten Amte verbunden worden ist, erfüllt mich mit größter Freude.«60 Nach vielen Ehrenerklärungen und Verhandlungen wurde Ernst Forsthoff schließlich für »entlastet« erklärt. Forsthoffs Erklärungen in eigener Sache waren von einer bemerkenswerten Gradlinigkeit. Er machte nie einen Hehl aus seiner anfänglichen Begeisterung für den Nationalsozialismus und präsentierte auch keine verquollenen Selbstauslegungen, um sich im Nachhinein als Held des Widerstandes darzustellen. Schuldbekenntnisse gab er dagegen nicht ab, und das wiederum rechnete er sich zur Ehre. Er hielt auch nicht zurück mit seiner Meinung über »opportunistische Bußrufe neutraler säkularisierter Seelenpriester« und »persönlichkeitszerbrechende Zerknirschung vor falschen Altären«61. Er verachtete alle, die sich in, wie er fand: allzu billige Schuldbekenntnisse und in einen »landläufigen Antifaschismus« flüchteten.62 »Bekenntnisse«, meinte er einmal, »sind billig. Je charakterloser jemand ist, desto leichter fallen sie ihm. Der Untüchtige ›bekennt‹ am ›entschiedensten‹; denn berufliche Fehlleistungen lassen sich ja auf diese Weise ohne besondere geistige Unkosten ausgleichen.«63 So legte Forsthoff auch in der Lehre Wert darauf, seine Vorlesungen »ohne jeden einleitenden Hinweis auf die Zeitverhältnisse zu beginnen«64. Diese Haltung hatte aber auch eine andere Seite: Sie war nie weinerlich. Forsthoff wußte, daß er mit seinem nationalsozialistischen Engagement einen schweren politischen Fehler gemacht hatte, und er wußte auch, daß er mit seinen Parolen gegen die Juden charakterlich versagt hatte.65 Nie zeigte er indessen die etwa für Carl Schmitt so 58

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Spruchkammer Heidelberg, Az. 59/1/10807-7472, Klageschrift 25.11.1946, UA Heidelberg, PA 3789. Alle Erklärungen finden sich in LA Schleswig-Holstein, Entnazifizierungsakte Ernst Forsthoff, Abt. 460.19, Nr. 93. G. Anschütz, Erklärung v. 7.11.1945 (Durchschlag), LA Schleswig-Holstein, Entnazifizierungsakte Ernst Forsthoff, Abt. 460.19, Nr. 93 Ernst Forsthoff an Frau Lohmann, September 1945 (Durchschlag), NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 21.9.1949, BW, Nr. 28. E. Forsthoff, Das Ende des Berufsbeamtentums (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1948)), 7. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 13.1.1946, BA Koblenz, NL Huber. K. Doehring, Ernst Forsthoff, in: Festschrift Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Bd. III, hrsg. v. W. Doerr, 1985, 442; ders., Ernst Forsthoff, in: Juristen im Portrait, hrsg. v. Verlag C. H. Beck, 1988, 342; R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/ C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 5; R. Mußgnug, Forsthoff, August Wilhelm Heinrich Ernst, in: Badische Biographien, Neue Folge Bd. I, hrsg. v. B. Ottnad, 1982, 121 f.

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kennzeichnende Neigung, sein eigenes »Schicksal« im Nationalsozialismus zum Mythos zu machen. Weder hat Forsthoff sich für das Opfer einer allgemeinen Tragik gehalten noch hat er, wie Schmitt in seinen Gefängnisheften, mit der Rolle des Benito Cereno kokettiert.66 Auch sonst verwandte er keine Mühe darauf, seinem politischen Irrtum noch zum Ruhm zu verhelfen. Es verdroß Forsthoff zutiefst, daß er bis zum Ende seines Lebens in der Öffentlichkeit neben Carl Schmitt geradezu als paradigmatischer Fall der Allianz von Staatsrechtslehre und Nationalsozialismus galt. Daran konnte auch seine späte öffentliche Distanznahme gegenüber dem Totalen Staat nichts ändern (SIG, 49 f.).67 Er vermutete darin eine gewisse Diskrepanz der Wahrnehmung und sah sich zumal im Vergleich mit anderen ungerecht behandelt, die sich entweder tatsächlich mehr vorzuwerfen hatten, wie Johannes Heckel68 und Theodor Maunz, oder die, wie Karl Larenz, Ulrich Scheuner und Hans Peter Ipsen, eine geschmeidige bundesrepublikanische Kehre vollzogen hatten. Verglichen mit dem, was manche geschrieben hatten, bemerkte Forsthoff 1961 gegenüber Ernst-Wolfgang Böckenförde, komme er sich selbst »im Hinblick auf den Totalen Staat […] wie ein Nazi-Waisenknabe« vor.69 Mit dieser Einschätzung hatte Forsthoff so unrecht gewiß nicht, doch die Wahrnehmungsunschärfen waren wohl einfach der Preis seiner exponierten Stellung im Fach in der Nachkriegszeit. Schließlich konnte er in der Bundesrepublik nahtlos wie wenige andere an seine Werke aus den Jahren des Dritten Reiches anknüpfen. Nicht nur beherrschte er mit seinem Lehrbuch lange das verwaltungsrechtliche Feld, und das, obschon er im Vorwort selbstbewußt auf die Entstehung während des Krieges hinwies (Lb, VI). Die Verwaltung als Leistungsträger wurde 1959 in wesentlichen Teilen, Recht und Sprache 1964 und 1972 vollständig nachgedruckt und die Verfassungsgeschichte der Neuzeit erschien bis 1972 in drei neuen Auflagen, die die Darstellung bis zum Ende der Weimarer Republik fortsetzten. Von Aus66 67

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C. Schmitt, Ex captivitate salus, 1950, 75, 21 f. Nachweise zum damaligen publizistischen Echo bei J. Kersten, Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, in: Der Staat 44 (2005), 568 f. Charakteristisch für Forsthoffs Verhältnis zu diesem Werk ist ein Schreiben Forsthoffs an die Juristische Fakultät der Universität Wien vom 3.7.1965, NL Forsthoff: »Der ›Totale Staat‹ ist […] eine in politischer Absicht geschriebene Schrift, die nicht als eine wissenschaftliche Darstellung des neuen Regimes gemeint war, für die im übrigen im Mai 1933 die Zeit noch nicht gekommen war, da sich alles im Flusse befand. Mit dieser Wiedergabe der Entstehungsgeschichte und Absicht der Schrift möchte ich jedoch keinesfalls den Eindruck erwecken, als habe ich mit ihr so etwas wie eine oppositionelle Position beziehen wollen. Sie ist aus bejahender Haltung heraus geschrieben worden. Immerhin galt ich seither bei der NSDAP als ein Etatist, der den Sinn des Nationalsozialismus nicht begriffen hat und ich bekam das immer wieder zu spüren. […] In dem dargelegten Sinne stehe ich zu der Schrift, wie man als Mann von Selbstachtung auch zu seinen Irrtümern stehen muß.« Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 12.9.1948, BA Koblenz, NL Huber: »Er war doch einer der übelsten mit seinem Staatsrecht im Panzerschrank.« Ernst Forsthoff an Ernst-Wolfgang Böckenförde, 12.2.1961, Sammlung Böckenförde.

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nahmen abgesehen erhob sich kein Widerspruch.70 Forsthoff erfüllte das mit grimmigem Stolz.71 Auch ansonsten reklamierte er, in einer für die »Belasteten« nicht untypischen Weise,72 die wissenschaftliche Kontinuität über das Jahr 1945 hinweg. So weigerte er sich etwa gegenüber dem Verleger seines Lehrbuches strikt, Schrifttum aus der NS-Zeit aus seinen Nachweisen zu tilgen, wie es von ihm verlangt worden war, und wetterte gegen jene, die ihre wissenschaftlichen Publikationen nunmehr zur nachholenden »Abrechnung« mit dem Nationalsozialismus nutzten.73 Das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, führte 1950 auch zu einer heftigen Auseinandersetzung mit Rudolf Smend, der einer von Forsthoffs akademischen Mentoren gewesen war und den Forsthoff zeit Lebens sehr verehrte. Sie kannten sich spätestens seit 1929 persönlich, als Smend, der engeren Umgang mit Heinrich Forsthoff hatte, den Sohn an den in Freiburg lehrenden Marschall v. Bieberstein zur Habilitation vermittelt hatte. Auch während der nationalsozialistischen Zeit bestand zwischen beiden ein wenn auch lockerer brieflicher Kontakt. Zum Konflikt kam es erst nach dem Kriege. Es gibt einen langen, sehr emotionalen Brief Forsthoffs an Smend aus dem September 1950,74

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Zur Kritik an der Neubearbeitung der Verfassungsgeschichte s. E. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, 2005, 359 f. Ernst Forsthoff an den Dekan der Juristischen Fakultät der Universität Wien, 3.7.1965, NL Forsthoff. S. dazu D. Morat, Von der Tat zur Gelassenheit, 2007, 308 ff. Ernst Forsthoff an Carl Hoeller, 11.7.1949, NL Forsthoff (hier zit. n. BW, Nr. 23 Anm. 4); dazu auch Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 2.9.1949, BA Koblenz, NL Huber: »Mit dem Verwaltungsrecht gab es eine lästige Verzögerung, weil der Verlag wegen meiner Zitate (Literatur und Judikatur) aus der Zeit nach 1933 im Hinblick auf das bekannte Kontrollratsgesetz Bedenken hatte. Die Ängstlichkeit ist grotesk. Ich habe erwidert, daß ich es ablehne, auf eine Freiheit zu verzichten, die der Wissenschaftler im Dritten Reich gehabt hätte. Es gab ein zeitraubendes Hin und Her, in dem ich dann gesiegt habe, bis auf die Zitierung von Franks Deutschem Verwaltungsrecht. In diesem Falle weigert sich der Verlag kategorisch, letztlich mit Berufung auf den Namen Frank. Leider kann ich es mir nicht leisten, die Sache scheitern zu lassen, da ich von dem Buch lebe.« Ähnlich heißt in einem Brief an Carl Schmitt vom 30.8.1949 (BW, Nr. 23): »Ich hatte mit dem Verlag noch eine Kontroverse, weil er darauf Wert legte, daß ich noch eine summarische Abrechnung mit dem Nationalsozialismus einfügte und mich in den Zitaten heutigen Wünschen anpaßte. Beides habe ich natürlich abgelehnt.« Gegenüber Hans Peters, der eine solche »summarische Abrechnung« in seinem Lehrbuch vorgenommen hatte (H. Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949, vi, 29), äußerte er sich entsprechend kritisch (Ernst Forsthoff an Hans Peters, 28.11.1949, BA Koblenz, NL Peters): »Ein Buch, das in aller Ausführlichkeit gegen den historischen Nationalsozialismus polemisiert, aber den aktuellen Bolschewismus […] überhaupt nicht erwähnt, muß in dem unbefangenen Leser den Eindruck einer Option hervorrufen.« Deutlicher heißt es in dem Brief an Ernst Rudolf Huber (2.9.1949, BA Koblenz, NL Huber): Das Buch von Peters »ist inhaltlich so dürftig, wie man es von dem Mann erwarten durfte. Die Polemik gegen den NS, vor allem gegen C.S., ist eine glatte Lumperei. Dabei steht in dem Buch über den Bolschewismus kein Sterbenswort. Wohin sind wir herabgekommen!« Ernst Forsthoff an Rudolf Smend, 20.9.1950, SUB Göttingen, NL Smend.

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eine Antwort auf Smends an ihn gerichtete Einladung zur redaktionellen Mitarbeit an der Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht,75 in dem Forsthoff von seiner »Bestürzung« darüber sprach, daß Smend nach dem Krieg »ein Eintreten für mich unter Hinweis auf meinen Vater und meinen Lehrer Carl Schmitt abgelehnt und damit meine Entfernung von der Universität gutgeheißen« habe. Forsthoff sprach weiter von der »besonderen Wertschätzung, die ich Ihnen als Gelehrtem entgegenbringe und die ich bei jeder Gelegenheit bezeugt habe« und fuhr fort: »Ich kann nicht glauben, daß [Ihre Einstellung] die Reaktion auf mein Verhalten nach 1933 ist, denn dann hätte sie ja viel früher hervortreten müssen. Die Annahme, daß sachliche Meinungsverschiedenheiten, die in der Tat vorhanden sind, eine solche persönliche Akzentuierung erfahren sollten, würde für Sie geradezu kränkend sein.«

In seiner Antwort bestritt Smend, je gegen Forsthoffs Restituierung votiert zu haben. Tatsächlich hatte Smend sich in Göttingen wohl nur deshalb gegen Forsthoff ausgesprochen, weil mit Werner Weber schon ein anderer prominenter Schüler Carl Schmitts der Fakultät angehörte und die Berufung Forsthoffs Göttingen in Smends Augen zum Nest der Schmittianer gemacht hätte. Im übrigen meinte Smend: »Eine Kraft wie die Ihre wegen irgendwelcher Tatbestände vor 1945 brach liegen zu lassen, halte ich für unverantwortlich.« Smend warf ihm allerdings eine »seltsame Fremdheit gegenüber der heutigen Wirklichkeit« vor und eine »Abdichtung von der Gegenwart auch unseres Rechts, deren Überwindung von Ihnen dringend zu erbitten mir allerdings als ein notwendiges Stück jeder Berufung an Sie erscheinen würde«.76 Daraufhin verteidigte Forsthoff ausführlich seine kirchenrechtlichen Positionen und sich selbst gegen die Vorwürfe. Er schrieb, es falle ihm schwer, die »Differenzen einfach ad acta zu legen« und erklärte sich vorläufig zur Mitarbeit an der ZevKR außerstande.77 Noch einmal unternahm Smend darauf hin einen Anlauf: »So liegt kirchenrechtlich wohl nicht mehr allzu viel zwischen uns. Mehr wahrscheinlich in der Bewertung des Dritten Reiches und des gebotenen Bruchs mit seinen Thesen und Errungenschaften. Ich weiss einerseits, dass ich hier meine tiefe Erbitterung aus den Kampfzeiten noch nicht genug gezähmt habe. Ich glaube andererseits, dass Sie für diese Haltung derer, die immerhin von Anfang an richtiger gesehen haben, noch nicht ganz das Verständnis haben, das wir gerne bei Ihnen fänden. Könnten wir nicht diese beiderseitigen […] Mängel aufrechnen – und Sie machten mit?«78

Forsthoff gab sich nun versöhnt und erklärte sich zur Mitarbeit an der Zeitschrift bereit. Allerdings gab er Smend zu bedenken: 75 76 77

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Rudolf Smend an Ernst Forsthoff, 10.9.1950, NL Forsthoff. Rudolf Smend an Ernst Forsthoff, 23.9.1950, NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an Rudolf Smend, 28.9.1950 (Durchschlag), NL Forsthoff, nicht überliefert im NL Smend. Rudolf Smend an Ernst Forsthoff, 17.10.1950, NL Forsthoff.

Sechstes Kapitel: Zur Kritik der deutschen Nachkriegsverfassungen

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»Ich glaube bei aller selbstkritischen Beobachtung nicht, daß ich noch den Thesen und Errungenschaften des Dritten Reiches anhänge, von denen ich mich lange vor dem Krieg entfernt hatte. Aber die völlige Existenzvernichtung mit dem Verlust von Amt, Einkommen und Wohnung brachte mich geradezu unvermeidlich in eine abseitige Stellung und in die natürliche Bundesgenossenschaft mit Menschen und Gruppen, die mir weltanschaulich fernstanden. […] Es gehört ein nicht alltägliches Maß von Kraft der Selbstüberwindung dazu, um sich angesichts einer solche Behandlung die volle innere Freiheit zu wahren. Es mag sein, daß ich diese Kraft nicht habe oder nicht in genügendem Maß mobilisiert habe und daß ich in gewissem Grade verhärmt bin. Jedenfalls will ich mir das, was Sie nach dieser Richtung schreiben, mit Dank gesagt sein lassen.«79

Es muß als sicher gelten, daß Forsthoff aus dieser Auseinandersetzung mit Smend trotz aller wissenschaftlichen Hochschätzung einen Groll gegen ihn und die ihm Nahestehenden bewahrt hat, zumal mit Blick auf deren vermeintliche Überheblichkeit in Sachen »Belastung«. Schließlich hatte Smend auch das Stuttgarter Schuldbekenntnis unterzeichnet, was Forsthoff mit heftiger Abneigung registrierte. Nachdem Forsthoffs Versuche, außerhalb der Universität Fuß zu fassen, ausnahmslos gescheitert waren, setzte Forsthoff nun doch wieder auf die Rückkehr ins Lehramt. Er mußte sich auch eingestehen, daß er für die Arbeit in der Verwaltung wohl nicht die rechte Begabung hatte: »Wir sind Wissenschaftler und kommen aus unserer Haut nicht heraus. Alles andere ist Selbsttäuschung oder Übergangsregelung«80. Der bloße Abscheu gegen Ideologie und Metaphysik macht eben noch keinen Praktiker und kann Erfahrung nicht kompensieren. Ab 1948 schickten sich einige Fakultäten an, Forsthoff wieder zu einem Ordinariat zu verhelfen, und setzten ihn an die Spitze ihrer Berufungsvorschläge: Köln,81 Speyer82 und Frankfurt83 oder zogen ihn, wie Marburg,84 zumindest in Erwägung. Doch stets zerschlugen sich solche Initiativen am Wider-

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Ernst Forsthoff an Rudolf Smend (Durchschlag), 18.10.1950, NL Forsthoff, nicht überliefert im NL Smend. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 23.2.1949, BA Koblenz, NL Huber. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 6.7.1948, BW, Nr. 19, Anm. 7 m. w. N.; Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 12.9.1948, BA Koblenz, NL Huber. Vgl. R. Morsey, Berufungspolitik in der französischen Besatzungszone, in: Von Windthorst bis Adenauer, 1997, 134. Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt a. M. (Coing) an Ernst Forsthoff, 14.11.1950, NL Forsthoff, versichert Forsthoff, daß die Fakultät an ihm festhalten will. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 16.9.1949, BA Koblenz, NL Huber: »Frankfurt (ausgerechnet)«; ebenso Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 18.9.1949, BW, Nr. 26. Kritisch äußerte sich dazu Wolfgang Abendroth in einem Brief an den Hessischen Minister für Erziehung und Wissenschaft v. 5.11.1952 (zit. n. G. Kritidis, Linkssozialistische Opposition in der Ära Adenauer, 2008, 128 f.)

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Dritter Teil: Nach der Utopie

stand der zuständigen politischen Instanzen. Eine Gastprofessur, die ihm in Kiel angeboten worden war, lehnte er ab.85 Im Laufe des Jahres 1950 kamen allerdings in Heidelberg die Dinge ins Rollen. Nachdem das Entnazifizierungsverfahren endgültig eingestellt worden war,86 konnte Forsthoff ab dem Wintersemester vertretungsweise auf seinen alten Lehrstuhl zurückkehren. Er begann seine zweite Universitätskarriere in der Bundesrepublik im Wintersemester 1950/51 mit einer Vorlesung über sein damaliges Paradethema: »Französische Einflüsse auf die moderne Verfassungslehre«87. Als er 1952 einen Ruf auf ein Ordinariat in Kiel88 erhalten hatte, besaß er endlich ein Mittel, um in Heidelberg die Verhandlungen um seine endgültige Reaktivierung entscheidend zu beschleunigen. So war es nur eine Frage der Zeit, daß er im April 1952 neu ernannt wurde,89 unter Wahrung aller früheren Rechte. »Dem Absturz 1945 folgte in den letzten beiden Jahren ein jäher Aufstieg – es ist schon eine groteske Zeit«, schrieb er Neujahr 1953 an Hillard Steinbömer und fuhr fort: »Trotzdem täusche ich mich keinen Augenblick darüber, daß es hier eine ›Wiedereinsetzung in den vorigen Stand‹, wie der juristische terminus technicus lautet, nicht geben kann. Vieles ist endgültig zerstört und verschüttet und es ist auch mein Wunsch, daß es dabei verbleibt. Ein unbefangenes Verhältnis zur hiesigen Universität als ganzes werde ich deshalb schwerlich mehr gewinnen […] und ich lege auch keinen Wert mehr darauf. Die Außenseiterstellung, die sich damit ergeben hat, ist mir in jeder Weise gemäß und ich empfinde sie keineswegs als mißlich, zumal ich in der Studentenschaft sehr schnell wieder eine Resonanz gefunden habe, mit der ich nur zufrieden sein kann.«90

II. Von Montesquieu über Stein zur deutschen Verfassungsfrage Vor dem Hintergrund der institutionellen Rechts- und Soziallehre, mit der Forsthoff seine rechtsphilosophischen Arbeiten der Kriegsjahre abgeschlossen hatte, kann es nicht überraschen, wenn er dem Prozeß der Verfassunggebung und der politischen Neuordnung, der in den Westzonen sogleich nach dem Ende des Krieges begann und mit dem Grundgesetz endete, skeptisch bis

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Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 7.8.1948, BA Koblenz, NL Huber. Spruchkammer Heidelberg, Einstellungsbeschluß v. 17.8.1950, UA Heidelberg, PA 3787. R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 24. Innenministerium Schleswig-Holstein an Ernst Forsthoff, 28.2.1952, NL Forsthoff. Mit Schreiben an den Dekan der Rechtswissenschaft Fakultät der Universität Kiel, 13.8.1952, NL Forsthoff, erläuterte Forsthoffs die Ablehnung des Ruf nach der endgültigen Wiedereinstellung in Heidelberg. Ernennungsurkunde vom 24.4.1952, UA Heidelberg, PA 3787; R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 25. Ernst Forsthoff an Hillard Steinbömer, 1.1.1953, DLA Marbach, NL Steinbömer; ähnliche Bemerkungen finden sich in einem Brief von Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 25.5.1952, BW, Nr. 53.

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ablehnend gegenüberstand. Es war schließlich die staatsphilosophische Quintessenz seines Institutionenbegriffs gewesen, daß eine in sich folgerichtige Entwicklung von der abstrakten »Mechanik« der rechtsstaatlichen Rationalisierung des Staates über die Unterwerfung seiner Herrschaftsfunktionen unter das Legitimitätsprinzip der Volkssouveränität zu der im Nationalsozialismus zum Durchbruch gelangten »Revolution des Nihilismus« (H. Rauschning) verlief.91 »Ein Staat, in dem angeblich die Gesetze und nicht Menschen herrschen, wird notwendig dem Menschenbilde gegenüber indifferent.«92 Umso verfehlter, ja geradezu aberwitzig erschien es Forsthoff deshalb, mit welcher Schnelligkeit sich der Typus der parlamentarisch-rechtsstaatlichen Verfassung nun wieder durchsetzte. Bevor Forsthoffs Kritik des westdeutschen Verfassungsprozesses und seine Vorstellungen für die politische Ordnung Nachkriegsdeutschlands erörtert werden können, ist zunächst der von Forsthoff zugrundegelegte Verfassungsbegriff zu präzisieren. Dieser Verfassungsbegriff verbindet sich mit den Namen Montesquieus und des Freiherrn vom Stein, Forsthoffs beiden großen Gewährsmännern in dieser Zeit. Seine nähere Beschäftigung mit der französischen Staatstheorie des 18. Jahrhunderts und speziell mit Montesquieu hatte bereits in der Königsberger Zeit begonnen.93 Ein für Ernst Rudolf Hubers Idee und Ordnung des Reiches zugesagter Beitrag über »Die deutsche Staatstheorie und der französische Geist«94 war damals nicht mehr zustande gekommen, doch schon in der in Heidelberg 1943/44 gehaltenen Vorlesung über Allgemeine Staatslehre präsentierte Forsthoff seinen Hörern recht ausführlich die Grundzüge seiner späteren Montesquieu-Interpretation.95 Vermutlich 194696 hat Forsthoff dann damit begonnen, Montesquieus Hauptwerk, De l’Esprit des Lois von 1748 vollständig ins Deutsche zu übersetzen, um es zum zweihundertsten Jubiläum neu herauszubringen.97 Dieser Plan schlug fehl; Forsthoffs 91

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E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 55: »Das maßlose Hervorbrechen eines wüsten Personalismus in den modernen Massendemokratien verdient auch unter dem Gesichtspunkt gewürdigt zu werden, daß es eine Reaktion auf die angedeutete Fehlentwicklung darstellt. Eine Reaktion freilich, die sich spezifischer Möglichkeiten bedient, die in der vorangegangenen Fehlentwicklung wurzeln. Denn erst die Rationalisierung des Staates, das Fehlen der Bezogenheit auf ein konkretes Menschenbild, brachte die Entleerung aller für den Staat in gewissem Grade unentbehrlichen Autoritätsverhältnisse hervor, die sich in dem blinden Gehorsam gegenüber jedem Befehl bekundete.« E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 60. Mündliche Mitteilung von Georg-Christoph von Unruh, vgl. auch VfG, 101 f. Deutsche Geisteswissenschaft, o.J. (1941), 33 f. zit. n. F.-R. Hausmann, »Deutsche Geisteswissenschaft« im Zweiten Weltkrieg, 32007, 251 mit Anm. 414. E. Forsthoff, Vorlesung Allgemeine Staatslehre, Wintersemester 1943/44, Ms., NL Forsthoff, Bl. 18 f. Datierung nach Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 6.7.1948, BW, Nr. 19. Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 25.10.1947, DLA Marbach, NL Stapel; Ernst Forsthoff an Hillard Steinbömer, 8.12.1947, DLA Marbach, NL Steinbömer.

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außerordentlich schöne zweibändige Edition erschien nach langer Verzögerung erst 1951. Zum Jahrestag trug er dann immerhin einen kleinen Gedächtnisaufsatz in der Deutschen Rechts-Zeitschrift bei.98 Forsthoffs bis heute maßgebliche Übersetzung ist schlicht und sprachlich glänzend.99 Zur intensiven deutschen Montesquieu-Renaissance nach dem Zweiten Weltkrieg100 leistete er mit ihr einen herausragenden Beitrag. Von Carl Schmitt erhielt er ein überschwengliches Lob für seine Leistung.101 Forsthoff hat dieser Montesquieu-Übertragung und besonders seiner über fünfzig Seiten langen Einleitung eine Bedeutung beigemessen wie kaum einem anderen Text aus dieser Zeit.102 Immer wieder hat er betont, was die »Neu-Entdeckung« Montesquieus für ihn bedeutet habe.103 Nicht nur empfand Forsthoff »seinen« Montesquieu als das staatsphilosophische Gegenstück zu seinem Verwaltungsrecht,104 sondern auch als einen »indirekte[n] Kommentar zum Grundge-

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E. Forsthoff, Montesquieus Esprit des Lois, in: DRZ 1948, 405 ff. S. nur H. Mohnhaupt, Deutsche Übersetzungen von Montesquieus »De l’esprit des lois«, in: Montesquieu – 250 Jahre »Geist der Gesetze«, hrsg. v. P.-L. Weinacht, 1998, 150. Siehe neben Forsthoffs Beiträgen etwa E. Schmidt, Montesquieus »Esprit des lois« und die Problematik der Gegenwart von Recht und Justiz in: Festschrift für Wilhelm Kiesselbach, 1947, 177 ff.; E. von Hippel, Gewaltenteilung im modernen Staate, 1948; O. Küster, Das Gewaltenproblem im modernen Staat, in: AöR 75 (1949), 397 ff.; M. Imboden, Montesquieu und die Lehre der Gewaltentrennung, 1959; F. A. F. von der Heydte, Einleitung, in: Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 1950, 1 ff.; F. Schalk, Montesquieu und die europäischen Traditionen, in: Forschungsprobleme der vergleichenden Literaturgeschichte, hrsg. v. K. Wais, 1951, 101 ff. Zur Montesquieu-Rezeption in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. P.-L. Weinacht, Montesquieu und die Wiederherstellung des Rechtsstaates in Deutschland (1946–1949), in: Zwischen Tradition und Moderne, hrsg. v. E. Mass/A. Volmer, 2005, 47 ff.; E. Mass, Montesquieu und die Entstehung des Grundgesetzes, in: Gewaltentrennung im Rechtsstaat, hrsg. v. D. Merten, 1989, 47 ff.; ferner E. Mass/P.-L. Weinacht, Einleitung, in: Montesquieu-Traditionen in Deutschland, hrsg. v. E. Mass, Weinacht, Paul-Ludwig, 2005, 16 ff.; A. Voigt, Art. »Gewaltenteilung«, in: Hist. Wb. d. Philos., Bd. 3, 1974, 573. Carl Schmitt an Ernst Forsthoff, 10.11.1948, BW, Nr. 21: »Ich sehe wieder an Ihrer Montesquieu-Einleitung, wie außerordentlich Ihre verfassungsgeschichtliche Begabung, Ihr Blick für die geistesgeschichtliche Linie und Ihr einem so unendlich vielseitigen Stoff adäquates Darstellungsvermögen ist. Montesquieu ist ein herrliches Thema für die ›souplesse‹ Ihres Geistes, ein Thema und gleichzeitig Nahrung und Steigerung.« Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 4.11.1948, BW, Nr. 20; 9.5.1950, BW, Nr. 36; 4.6.1950, BW, Nr. 38; Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 16.11.1947 und 21.3.1948, BA Koblenz, NL Huber; s.a. Ernst Forsthoff an Rudolf Smend, 20.9.1950, SUB Göttingen, NL Smend. Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, 25.10.1947, DLA Marbach, NL Stapel; Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 16.11.1947, BA Koblenz, NL Huber; Ernst Forsthoff an Hillard Steinbömer, 8.12.1947, DLA Marbach, NL Steinbömer; Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 6.7.1948, BW, Nr. 19. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 20.6.1949, BA Koblenz, NL Huber; ebenso die Deutung bei J. Kersten, Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, in: Der Staat 44 (2005), 556.

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setz«105. Und schließlich trug sich Forsthoff in diesen Jahren mit Plänen zu einer eigenen Staatslehre, für die er Montesquieu als eine Vorarbeit ansah.106 Forsthoffs ideengeschichtliche Einordnung Montesquieus muß hier als solche im wesentlichen auf sich beruhen. Für Forsthoffs Verfassungsbegriff ist lediglich von Bedeutung, daß er heftig gegen jene Interpretation polemisierte, die Montesquieu zum Urheber einer revolutionären Gewaltenteilungslehre und damit zum »Vorläufer« der französischen Revolution gemacht habe.107 Statt dessen versetzte er ihn ganz in die Tradition der französischen Mora-

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Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 3.12.1949, BW, Nr. 30. Angedeutet bei Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 3.12.1949, BW, Nr. 30. Zu Forsthoffs Vorhaben einer eigenen Staatslehre läßt sich aus den Quellen folgendes sagen: In einem Brief an Karl Engisch vom 22.10.1949 (NL Forsthoff) teilte Forsthoff mit, der Plan einer Allgemeinen Staatslehre beschäftige ihn »seit langem« und er habe »vor einigen Jahren« ein entsprechendes Angebot des Verlags Mohr Siebeck angenommen. Zu den Vorstellungen von einem solchen Werk heißt es in diesem Brief weiter: »Die psychologisierende Methode [scil: Jellineks] hat heute keine Anhänger mehr. Wenn das Werk trotzdem nach dem Tode des Verfassers immer wieder unverändert aufgelegt worde ist […], so findet das seine Erklärung darin, daß es in seinen geschichtlichen Teilen brauchbares Material enthält und in dem weiteren Umstand, daß seit 1911 kein Werk erschienen ist, das an seine Stelle hätte treten können. Die Allgemeine Staatslehre Hans Kelsens (1925) bleibt im Bereich formaler Aussagen und das Werk Ludwig Waldeckers (1927) hat sich wegen seines abseitigen Standpunktes nicht durchgesetzt. Das nachgelassene Werk Hermann Hellers (1934) kommt im Umfang nicht über einen Grundriß hinaus. Die Verfassungslehre von Carl Schmitt (1928), auch heute noch bedeutend, deckt sich thematisch nicht mit einer Staatslehre und kann sie deshalb nicht ersetzen. Kürzere Darstellungen der späteren Zeit von Helfritz, Koellreutter u.a. können nicht als wissenschaftlich befriedigend anerkannt werden.« Deshalb müsse die Staatslehre als »Lehre vom modernen Staat«, die Forsthoff vorschwebte, andere methodische und thematische Schwerpunkte setzen: »1. Die Ergebnisse der modernen Soziologie und Psychologie sind der Staatstheorie in ungleich höherem Maße dienstbar zu machen, als dies bisher geschehen ist. 2. Bestimmte Begriffe und Theorien, vor allem solche des 18. Jahrhunderts, die in der Zeit des bürgerlichen Rechtsstaats mehr und mehr in Vergessenheit geraten sind, wären wieder ins Bewußtsein zu heben und in ihrer Aktualität einsichtig zu machen. Es handelt sich vor allem um den Begriff des gouvernement modéré und die mit ihm zusammen hängenden Theorien von den pouvoirs intermédiaires und vom pouvoir neutre. Hinzu kommt die im 19. Jahrhundert entfallen Verbindung von Staatstheorie und politischer Tugendlehre, die für das 17. und 18. Jahrhundert charakteristisch ist […]. Dazu bedarf es eingehender Untersuchungen des staatstheoretischen Schrifttums bis etwa 1830 (Constant, Guizot).« Forsthoff war noch vor seiner Wiedereinstellung in Heidelberg zur Arbeit an einer Staatslehre ein Stipendium von der Heidelberger Akademie bewilligt worden: Protokoll der Sitzung der Philosophisch-Historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, 14.01.1950, UA Heidelberg, HAW 858/14. Zur Auszahlung dieses Stipendiums kam es nicht mehr, vermutlich, weil er seit 1950 in Heidelberg seinen alten Lehrstuhl vertrat. E. Forsthoff, Zur Einführung, in: Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, Bd. 1, 1951, V f., XXVIII ff.

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listen.108 Den Esprit des Lois las er folglich nicht als eine systematische Staatslehre, sondern als ein »Traktat über das richtige verfassungspolitische Handeln«109, das freilich einen »Schlüssel zum Verständnis der Verfassungen und Verfassungsentwicklungen« enthalte.110 Denn als verfassungspolitischer Moralist liefere Montesquieu nicht weniger als das »Paradigma einer Verfassungslehre untechnisch-gegenständlichen Charakters«111. Gemeint war damit ein Typus jenes Verfassungsdenkens, das sich nicht wie das »technisierte Verfassungsbewußtsein« des bürgerlichen Zeitalters der »formalen Systematik und Begriffsbildung«112 hingibt, sondern sich primär für den eigentlichen Gegenstand jeder Verfassung interessiert: den Menschen und seine Lebensumstände. Montesquieu stehe noch vor der Epoche der Verwissenschaftlichung, in der die Staatslehre ihren genuinen Stoff an Wirtschaftswissenschaft, Soziologie, Anthropologie und Psychologie verlor.113 Er lehre deshalb auch ein Bild vom Menschen, das sich noch nicht in die technische Abstraktion des »Bürgers« entleert habe.114 Aber eben dies, meinte Forsthoff, sei das Verhängnisvolle am technisierten Verfassungsbewußtsein des 19. Jahrhunderts: Es wisse nicht mehr, was hinter allen Rechtsformen der eigentlich entscheidende verfassungspolitische Faktor ist:115 der Mensch, der die Macht mißbraucht und die Verfassungen entarten läßt, die Lebensumstände des Volkes nach Wirtschaftsordnung, Bevölkerungsdichte, Charakter, Sitte oder Religion. So bedeute auch Verfassunggebung nach Montesquieu etwas durchaus anderes als für das technisierte Verfassungsbewußtsein, das sich »in der politischen Antithetik der Verfassungsformen erschöpft«116. Eine stabile Verfassung schaffe man durch die Ermittlung der sozialen und geistigen Bedingungen der politischen Einheit, durch die Einbindung der vorhandenen pouvoirs intermédiaires und durch die Ausmittlung der im Staat wirksamen Kräfte. Erst zum Schluß gehe es um die »Herstellung des sozialen Gleichgewichts und Mäßigung der Gewalten« durch ein »System sinnvoll verteilter Vetorechte«117, das heißt um die Aufgliederung 108

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Ebd., IX. Noch deutlicher schrieb er an Ernst Rudolf Huber (Brief v. 16.11.1947, BA Koblenz, NL Huber), es gehe ihm darum, Montesquieu »aus seiner allgemeinen Bewertung als Vorkämpfer der Revolution und Wortführer der bürgerlichen Bewegung mit aller Entschiedenheit heraus[zu]reißen«; ähnlich Ernst Forsthoff an Hillard Steinbömer, 8.12.1947, DLA Marbach, NL Steinbömer: »In der Einleitung, die ich beigebe, wird es darauf ankommen, Montesquieu seinen Ort weniger unter den Vorläufern der Revolution, als in der Tradition der Moralisten zuzuweisen – möge es die Gnade des französischen Zensors finden.« E. Forsthoff, Zur Einführung, in: Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, Bd. 1, 1951, XX. Ebd., XVIII. Ebd., XXXIV. Ebd., LII. Ebd., LIII. Ebd., XXIX. Ebd., XXVIII. Ebd., LVI. Ebd., LIV.

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der Staatsfunktionen in ein institutionelles Gefüge.118 Nur auf diese Weise sei, schrieb Forsthoff 1948, das deutsche Verfassungsproblem überhaupt zu lösen. Wenn »die über dem politischen Leben Deutschlands liegende Lähmung und mit ihr die restaurative Erstarrung gewichen sein werden[,] […] wird es darauf ankommen, von neuen Voraussetzungen aus ein Verfassungssystem der Mäßigung und des sozialen Ausgleichs aufzurichten. Dann hat Montesquieus Werk eine neue Stunde.«119 So klar hier schon ein bestimmter Verfassungsbegriff hervortritt: Institutionelle Vorbilder ließen sich natürlich im vorrevolutionären Frankreich für das Deutschland des 20. Jahrhunderts nicht finden. Hier war es auch nicht Montesquieu, sondern einer seiner deutschen Anhänger, der Forsthoffs Überlegungen zur Nachkriegsverfassung maßgeblich inspirierte: der Freiherr vom Stein. Preußen nach der Katastrophe von Jena und Auerstedt, Deutschland nach Hitler – hier waren die Parallelen schon größer.120 Damals wie jetzt war man Besiegter in einem Weltanschauungskrieg, damals wie jetzt lag ein an Inkompetenz gescheiterter bürokratischer Zentralismus in Trümmern, damals wie jetzt blieb nur die Hoffnung auf einen Wiederaufstieg durch gemeinschaftliche Kraftanstrengung. Bereits in konservativen Überlegungen zur Reichsreform aus der Weimarer Zeit, vor allem aber für die Verschwörer des 20. Juli hatten die Verfassungsideen Steins eine herausgehobene Rolle gespielt, zumal im Kreisauer Kreis und für Carl Friedrich Goerdeler.121 Forsthoff war mit diesen Plänen wohl bereits während des Krieges vertraut gemacht worden122 und kannte über Theodor Steltzer zweifellos auch die entsprechenden Überlegungen der Kreisauer. Jedenfalls lehnten sich seine im folgenden noch zu erörternden Verfassungsvorstellungen eng an die Goerdelers an. So eng, daß nicht anzunehmen ist, Forsthoff habe erst 1946 mit der deutschen Öffentlichkeit Bruchstücke dieser Konzeptionen kennengelernt.123 Ganz ähnliche Vorstellun118

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E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 48. S.a. E. Forsthoff, Die deutsche Staatskrise und das Grundgesetz, in: Zeitwende 21 (1949), 323: »Die gemäßigte Regierungsform beruht also auf einer Verfassung, die auf eine überlegte Weise die politischen Potenzen in ein Verhältnis der Partnerschaft bringt. Für diese Partnerschaft ist es wesentlich, daß sie die Möglichkeit in sich trägt, zum Widerpart zu werden, sobald einer der Partner den Versuch macht, sich über die ihm zugeteilten Funktionen zu erheben. E. Forsthoff, Montesquieus Esprit des Lois, in: DRZ 1948, 408. F. Tomberg, Weltordnungsvisionen im deutschen Widerstand, 2005, 80 f. H. Mommsen, Gesellschaftsbild und Verfassungspläne des deutschen Widerstandes (1966), in: Alternative zu Hitler, 2000, 107 f.; ders., Der lange Schatten der untergehenden Republik, in: Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft, 1991, 376 ff.; G. Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, 1954, 274 ff.; F. Tomberg, Weltordnungsvisionen im deutschen Widerstand, 2005, 80 ff. S. o., 5. Kap., S. 240 ff. Zur Rezeption der Pläne Goerdelers nach dem Krieg G. Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, 1954, 274.

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gen wie Forsthoff und Goerdeler hat nach dem Krieg vor allem Giselher Wirsing in seiner 1951 erschienenen politischen Streitschrift Schritt aus dem Nichts vertreten, die zwar recht geschwätzig ist, aber auffällige Parallelen zu Forsthoffs Positionen aufweist und die neben Winfried Martinis 1954 erschienenem Werk Das Ende aller Sicherheit für die konservative Kritik der Nachkriegsordnung als paradigmatisch gelten kann. »Verfassungen bilden«, hatte Stein gesagt, heißt, »den vorhandenen Zustand der Dinge untersuchen, um eine Regel aufzufinden, die ihn ordnet; und allein dadurch, daß man das Gegenwärtige aus dem Vergangenen entwickelt, kann man ihm eine Dauer in Zukunft versichern, sonst erhält die neue Institution ein abenteuerliches Dasein ohne Vergangenheit und ohne Bürgschaft für die Zukunft.«124 Eine Verfassung müsse darum notwendig etwas Geschichtliches sein. Man könne Verfassungen nicht erfinden, sondern nur erneuern, indem man ihre Elemente in den Lebensgesetzen des Volkes neu auffindet.125 Stein hatte damit in der preußischen Verfassungsfrage für die Priorität der Verwaltungsreform und gegen die »demokratischen Phantasten«126 und ihren Wunsch nach einer repräsentativen Verfassung nach revolutionärem Vorbild gestritten.127 Aus dem gleichen Geist und mit teils identischen Formulierungen wiederholte Forsthoff die Kritik an einem nur normativen und das Plädoyer für einen geschichtlich-organischen Verfassungsbegriff. »Eine Verfassung geben heißt«, so definierte Forsthoff 1948, »die innere, den Verhältnissen bereits innewohnende Ordnung oder Ordnungstendenz treffen und in Normen und Institutionen befestigen.«128 Die Leistung einer wirklichen Verfassung bestand für Forsthoff nicht in der Begründung und Legitimierung von Herrschaft durch dieses oder jenes Prinzip, sondern in »Ausgleich und Balancierung der im Staat wirksamen Kräfte«129. Jede Verfassung sei vor allem anderen an eine konkrete

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Freiherr vom Stein, Denkschrift für den Großherzog von Baden »Über die Herrenbank« (1816), in: Ausgewählte politische Briefe und Denkschriften, 1955, 371. Freiherr vom Stein, Denkschrift (1816), in: Ausgewählte politische Briefe und Denkschriften, 1955, 377. Freiherr vom Stein an Ernst Moritz Arndt, 5.1.1818, in: Freiherr vom Stein, Ausgewählte politische Briefe und Denkschriften, 1955, 388. R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, 31981, 163 f.; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 1992, 62; G. Ritter, Stein, 31958, 484 f. E. Forsthoff, Der Irrtum der Verfassunggeber (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 31 (1948), 1 (Hervorhebung nicht im Original); s.a. E. Forsthoff, Tendenzen und Kräfte im heutigen Verfassungsleben, Vortrag vom 25.9.1951 vor dem Verband der nordrheinischen Textilindustrie, Ts., NL Forsthoff, 2: »Die Aufgabe der Verfassungsgebung besteht darin, die im Staate wirksamen Kräfte zu erfassen, ins Spiel zu setzen und sie zu einer handlungsfähigen politischen Einheit zu verbinden.« Ähnlich auch E. Forsthoff, Die deutsche Staatskrise und das Grundgesetz, in: Zeitwende 21 (1949), 322. E. Forsthoff, Die Grundzüge der Verwaltungsdemokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 31 (1948), 5.

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soziale Situation gebunden.130 Dazu allerdings dürfe die Verfassung nicht nach weltanschaulichen Präferenzen konstruiert, sondern müsse »der Wirklichkeit abgelauscht sein.«131 Insbesondere gebe es »kein einheitliches europäisches Verfassungsschema«, das zu allen Zeiten und für alle Staaten gültig ist: Die »Mittel und Wege werden sich nach den geistigen und Sozialstrukturen unterscheiden müssen.«132 Diese wenigen Äußerungen genügen, um den allem weiteren zugrundeliegenden Verfassungsbegriff Ernst Forsthoffs in seinen Umrissen erkennbar zu machen und das heißt insbesondere, wogegen er gerichtet war: gegen das revolutionäre Pathos der Verfassung als Gründungsakt oder schlimmer noch: Gesellschaftsvertrag, gegen das alle Konservativen seit Burkes Zeiten mit besonderer Verve polemisiert hatten.133 Was Forsthoff die zu schaffende Verfassung nannte, war also das Gegenteil dessen, was der revolutionäre Begriff immer implizierte: die politische Proklamation, die normative Begründung von Herrschaft.134 Gemeint war vielmehr, mit Montesquieu und Stein, die »organische« Entwicklung der Verfassungsordnung aus dem Bestehenden, die sinnvolle Zuordnung bereits im sozialen Gefüge vorhandener Mächte und die Schaffung eines Mißbrauch verhütenden Ausgleichs zwischen ihnen, und dies aus der konservativen Überzeugung heraus, daß keine Verfassungsform an sich ihren Übergang zur Despotie verhindern kann, sondern nur praktisch-konkrete Humanität.135 So wundert es nicht, wie scharf Forsthoff gerade unter dem Gesichtspunkt des Verfassungsverständnisses die politische Neuordnung Deutschlands angriff. Beispielsweise warnte er in einem zur Hundertjahrfeier der Revolution von 1848 erschienenen Artikel davor, den Vorstellungen der Paulskirchenverfassung mit hundert Jahren Verspätung noch zum Sieg verhelfen zu wollen. In ihr habe die bürgerliche Verfassungsbewegung als »Verbindung von gutem Willen, akademischer Pedanterie, wirklichkeitsfremdem Schwärmertum, starrem Dok-

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E. Forsthoff, Verfassung und Wirklichkeit (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 30 (1947), 1. Ebd., 1. E. Forsthoff, Verfassungsprobleme (anonym), in: Der Neue Mensch 1 (1946), 67 (NL Forsthoff). M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 1992, 121 ff., bes. 125 f. H. Arendt, Über die Revolution, 1963, 187 f. E. Forsthoff, Zur Einführung, in: Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, Bd. 1, 1951, XXVI; ebenso E. Forsthoff, Über Toleranz, Vortrag auf dem Dozententreffen auf Einladung der Theologischen Fakultät Heidelberg am 31.1.1953 in Haarlass, Ms., NL Forsthoff, 7.

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trinarismus und gelegentlicher Gewalttätigkeit«136 ihr wahres Gesicht gezeigt. Die klassische Epoche der bürgerlichen Verfassungen sei spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg unwiderruflich vorbei.137 Daß man sich sofort wieder auf die Kategorien des 19. Jahrhunderts bezogen habe, zeige nur, »welchen Grad der Verschleiß der politischen Begriffe erreicht hat. Sie sind in solchem Maße entleert, daß sie mit jedem beliebigen Inhalt gefüllt werden können.«138 Und hart fielen auch Forsthoffs Urteile über die Verfassungsberatungen zum Grundgesetz aus, die bald auf eben das zuliefen, was er für eine ideenlose Restauration bürgerlicher Verfassungsideale hielt.139 Je nach Tagestemperament sprach er von »politischen Wunschzetteln«140, »Ideologien«, »Wunschbildern« und Utopien,141 »Denkschablonen«142, schematischen »Restaurationen«143, »idealistischen Daseinsbeschönigungen«144, von einer »Verschleuderung der Wortsubstanzen«145 oder einfach von Niveaulosigkeit.146 Vom Parlamentarischen Rat sprach Forsthoff nur als von der »Bonner Pädagogischen Akademie«147 und stellte fest: »Es ist doch eine unvergleichlich miserable Gesellschaft, die heute den Verfassunggeber spielt.«148 Noch Ende 1948 meinte Forsthoff, die Verfassungsberatungen seien offenbar »in den Vordergründigkeiten einer parlamenta136

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E. Forsthoff, Die gescheiterte Revolution, in: Zeitwende 20 (1948), 397; s. a. E. Forsthoff, Das tragische Jahr (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o.J. (1948)), 4: »es ist gut, daß sie [scil: die Revolution] scheiterte. Wer politische Phantasie besitzt, mag sich ausmalen, was aus einem geeinten großdeutschen Staat geworden wäre, dessen Schicksal in den Händen eines doktrinären bürgerlichen Nationalismus gelegen hätte. […] Die Revolution von 1848 […] ist der Höhepunkt in der durchgängigen politischen Tragik des deutschen Bürgertums. Das Jahr 1848 ist das tragische Jahr. Grund zum Feiern? Wir sehen ihn nicht – umso mehr aber Anlaß zur Besinnung.« E. Forsthoff, Verfassung und Wirklichkeit (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 30 (1947), 1. E. Forsthoff, Verfassungsehrlichkeit (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 32 (1947), 3. E. Forsthoff, Die kopflastige Demokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 37/38 (1948), 1. E. Forsthoff, Verfassungsehrlichkeit (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 32 (1947), 4. E. Forsthoff, Verfassung und Wirklichkeit (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 30 (1947), 1; ders., Der Irrtum der Verfassunggeber (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 31 (1948), 1. E. Forsthoff, Der Irrtum der Verfassunggeber (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 31 (1948), 1. E. Forsthoff, Die kopflastige Demokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 37/38 (1948), 1. E. Forsthoff (?), Das Bonner »Als-Ob« (anonym), in: Pressedienst für Undoktrinäre Politik Nr. 44 (1948), 3. E. Forsthoff, Verfassungsehrlichkeit (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 32 (1947), 3. E. Forsthoff, Die letzte Chance, in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 49 (1948), 3. E. Forsthoff, Von der Freiheit des Besiegten, in: Die Deutsche Wirklichkeit v. 14.5.1949, 2. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 5.12.1948, BA Koblenz, NL Huber.

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rischen Kompromißsuche stecken geblieben« und drohten, »jeden Zusammenhang mit den eigentlichen verfassungspolitischen Notwendigkeiten zu verlieren«149.

III. Deutsche Verfassungsprobleme nach 1945 Was waren die eigentlichen verfassungspolitischen Notwendigkeiten? Für Forsthoff war es im allerweitesten Sinne des Wortes die Daseinsvorsorge als politische, soziale und anthropologische Vor-Gegebenheit jeder künftigen Verfassung. Alle fundamentalen Strukturprobleme des deutschen Staates nach dem Ende des Kaiserreichs – Bürokratisierung, Verweltanschaulichung, Propaganda, Parteien, Verbände – kreisten in seinen Augen um das gleiche Phänomen: die dauernde Angewiesenheit des einzelnen auf den Leistungsapparat des Staates und die dadurch geschaffene Machtressource eines über die Daseinsvorsorge herrschenden Zentralstaates. Als Verfassungsfrage stellte sich die Daseinsvorsorge für Forsthoff zumindest auf drei voneinander zu unterscheidenden Ebenen: erstens im Hinblick auf die Rechtsgarantien des einzelnen gegenüber der Verwaltung und die Möglichkeiten einer Rückkehr zu den rechtsstaatlichen Verfassungsformen, zweitens im Hinblick auf die Restauration des Parlamentarismus und der Parteiendemokratie sowie drittens im Hinblick auf die zukünftige Rolle des Berufsbeamtentums. 1. Der Vorrang der Verwaltungsordnung Für die künftige deutsche Verfassung war es nach Forsthoff vor allem von Bedeutung, ob es gelingen würde, der Umgestaltung der Herrschaftsfunktionen durch die Daseinsvorsorge angemessen Rechnung zu tragen. Dabei knüpfte er unmittelbar an seine Strukturanalyse von 1938 an und spitzte sie für die Situation der Zusammenbruchsgesellschaft noch weiter zu. Daß auch nach dem Ende der nationalsozialistischen Sozialtechnologie die existentielle Abhängigkeit des einzelnen von der Daseinsvorsorge fortbestand, daß angesichts der Kriegszerstörungen und der Lebensmittelknappheit das Funktionieren der Versorgungseinrichtungen Lebensgrundlage der Gesellschaft war, all dies waren ja kaum zu bestreitende Tatsachen. Allerdings präsentierte Forsthoff sie mit einer nur journalistisch plausiblen Dramatisierungsstrategie, etwa, wenn er meinte, angesichts der allgegenwärtigen Herrschaft von Wirtschaftsamt, Arbeitsamt und Wohnungsamt könne in Deutschland »von irgendeiner persönlichen Freiheit des Staatsbürgers nicht die Rede sein«, vielmehr sei der »alles persönliche

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E. Forsthoff, Die letzte Chance, in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 49 (1948), 2.

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Leben bestimmende Tatbestand die Diktatur der Verwaltung.«150 Oder gar, wenn er im Sommer 1947 fragte: »Wann sind die Menschen je derart in der Gewalt des Staates gewesen wie heute, wo der Staat durch das Zusammenwirken von Ernährungsamt – Arbeitsamt – Wohnungsamt die individuelle Lebensgestaltung restlos reglementiert?«151 Worauf Forsthoff damit verfassungspolitisch hinauswollte, war die Priorität der Verwaltungsreform vor der Verfassung der staatlichen Repräsentativorgane. Verfassungspolitik ist Verwaltungspolitik, Verwaltungsgestaltung ist Verfassunggebung – das war die Grundidee. Es galt, »die Verfassungsfragen von der Verwaltungsebene aus zu betrachten«152. Die Aufteilung der Staatsleitungsfunktionen hielt Forsthoff für eine durchaus nachgeordnete Frage. Vorrangig war die Neugestaltung des Verhältnisses den einzelnen zum Staat und der Art seiner »Teilhabe« an der politischen Herrschaft. »Jeder Aufriß einer aus den wirklichen Verhältnissen und nicht aus Ideologien entwickelten Verfassung wird von zwei Grundeinsichten auszugehen haben: er muß bei der Verwaltung beginnen […] und er muß unten ansetzen, weil der Verwaltungsaufbau in seinen unteren Gliederungen auf das reale Leben sozusagen aufgesetzt ist.«153 Dies entsprach für ihn auch den sozialen Vorbedingungen der Verfassunggebung. Weil der moderne Mensch täglich vom Staat lebe, verlange er vom Staat nicht mehr in erster Linie die gute Gesetzgebung, sondern gute Verwaltung.154 »Der gerechte Staat des 19. Jahrhunderts war der Staat der gerechten Gesetze, der gerechte Staat der Gegenwart muß der Staat der gerechten, das heißt heute vor allem der den sozialen Rücksichten entsprechenden Verwaltung sein. Selbstverständlich muß diese Verschiebung auch in der verfassungsrechtlichen Gestaltung ihren Ausdruck finden. […] Eine moderne Verfassung muß daraus entschlossen die Konsequenzen ziehen: die Parlamente sind nicht mehr Kern- und Angelpunkte des modernen Verfassungslebens.«155

Die Herausforderung bestand also darin, der Stellung des Menschen gegenüber der Verwaltung den heteronomen Charakter des Ausgeliefertseins zu nehmen und dadurch seinem elementaren, durch die Daseinsvorsorge bewirkten Ent-

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E. Forsthoff, Der kleine Bürger und die große Verwaltung (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg., Nr. 34 (1947), 1. E. Forsthoff, Verfassung und Wirklichkeit (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 30 (1947), 2. E. Forsthoff, Die Grundzüge der Verwaltungsdemokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 31 (1948), 6. Ebd., 4. E. Forsthoff, Das Recht zwischen gestern und morgen, in: Christ und Welt v. 29.12.1949, 6; ders., Die Alternative (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 42 (1948), 2. E. Forsthoff, Der Irrtum der Verfassunggeber (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 31 (1948), 2 f.

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fremdungsgefühl entgegenzuwirken. Die Daseinsvorsorge fordere »ganz neuartige Rechtsgarantien der individuellen Existenz, die durch die traditionellen Grundrechte nicht mehr zulänglich gesichert ist.«156 Die rechtsstaatliche Verfassungsform beruhe auf soziologischen Voraussetzungen, die »heute nicht mehr gegeben sind«157. Rechtsstaat und Grundrechte seien nun einmal die Verfassung reicher Völker.158 Die liberalen Grundrechte böten keinen Schutz gegen die »Verwaltungsdiktatur« und seien deswegen nach Lage der Dinge »kaum etwas anderes als Märchen«159. Die rechtsstaatlichen Verfassungen seien ohne Unterschied wohlfeile Versprechungen, die »die Wirklichkeit der Beziehung des einzelnen zum modernen Staat nicht treffen, weil sie in den verfassungstheoretischen Denkschablonen des vorigen Jahrhunderts befangen bleiben.«160 Forsthoff war zudem überzeugt, daß die Rückkehr zu den rechtsstaatlichen Verfassungsformen das mit der Daseinsvorsorge aufgeworfene Verfassungsproblem nicht nur nicht lösen, sondern geradezu verschärfen würde. Denn auf diese Weise werde unterhalb der Verfassungsebene ein Herrschaftsbereich offengelassen, in dem sich die Daseinsvorsorge frei aller Bindungen als ein soziales Disziplinierungsinstrument formieren könne. Dieses Machtreservoir stünde dann jedem offen, der sich durch den schönen Schein der Verfassungen nicht blenden lasse und seine politische Taktik auf die Verwaltung richte. So heißt es in einem Brief Forsthoffs an Joachim Moras: »Während in den süddeutschen Ländern Verfassungen in Kraft getreten sind […], die mit überkommenen Begriffen und Institutionen versuchen, den Rechtsstaat wesentlich in der Form der Vergangenheit wieder herzustellen, werden die vom Nationalsozialismus entwickelten Verwaltungsmethoden von einer immer mächtiger werdenden Bürokratie nach wie vor gehandhabt und der Staat hat zwar die menschenverachtende Brutalität, nicht aber seine Mechanik und das erdrückende Übergewicht verloren, mit dem er auf jedem einzelnen lastet.«161

Wer wohl die Macht sein würde, die sich am besten auf die Sozialdisziplinierung versteht, daran hatte Forsthoff keinen Zweifel. Alfred Heuß berichtete er schon Ende 1945 über seine Heidelberger Erfahrungen: »Hier antichambrieren bei den Amerikanern alte, eisgraue Männchen, die sich dann als Gründer der neuen Parteien darstellen. […] Und während diese Figuren aus der Mottenkiste ohne

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Ebd., 2. Ebd., 1. E. Forsthoff, Verfassungsehrlichkeit (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 32 (1947), 3. E. Forsthoff, Der kleine Bürger und die große Verwaltung (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg., Nr. 34 (1947), 1. E. Forsthoff, Verfassung und Wirklichkeit (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 30 (1947), 2. Ernst Forsthoff an Joachim Moras, 22.9.1947, DLA Marbach, Best. Merkur.

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den Anflug einer neuen Idee die Situation von 1932 oder 1918 wiederherstellen wollen, haben sich die Kommunisten der Schlüsselstellungen – Wohnungsamt, Arbeitsamt, Bürgermeisterämter in den Landgemeinden – bemächtigt und praktizieren weiter die nationalsozialistischen Methoden.«162

2. Parlamentarismus und Parteiendemokratie Daseinsvorsorge als Verfassungsfrage bedeutete für Forsthoff aber noch wesentlich mehr. Er hielt es auch für ein Gebot der Stunde, das Problem des Parlamentarismus und der Parteiendemokratie von der Daseinsvorsorge her neu zu bedenken. Forsthoffs Begriff der Daseinsvorsorge als der Grundbedingung politischer Ordnung schloß mehr ein als die kollektive Abhängigkeit. Er besagte auch, daß die sich ausbreitende künstliche und deshalb heteronome Lebensführung die Bevölkerung anfällig macht für Panikerscheinungen, die sich zudem infolge der weiträumigen Lebensweise und über die Massenmedien rasch ausbreiten können: Die Undurchschaubarkeit der eigenen Lebensbedingungen führt zu Verunsicherung und mit ihr wächst die Empfänglichkeit für Weltanschauungen und Propaganda.163 Das allerdings hieß für Forsthoff nichts anderes, als daß der zentralistischen Demokratie ihre aus dem 19. Jahrhundert überkommene normative Grundlage entzogen ist: »die Aktivierung der Technik, insbesondere der modernen Kommunikationsmittel, [ist] in den modernen Herrschaftsformen eine Tatsache von außerordentlicher Wichtigkeit für die Verfassunggebung. […] Mit der Ausdehnung dieser technischen Mittel vervielfacht sich ihre politische Ambivalenz. An sich sehr wohl dazu geeignet, eine echte unmittelbare Verbindung zwischen Regierenden und Regierten herzustellen, werden sie zu Mitteln der Täuschung und zur Aufrichtung unwahrhaftiger propagandistisch-politischer Räume. Die Entwurzelung des Menschen in der Vermassung, seine Kritiklosigkeit und seine emotionale Reizsamkeit führen dazu, daß er allen möglichen Täuschungen dieser technischen Mittel zum Opfer fällt und sich kritiklos von dem gefangen nehmen läßt, was ihm in der gehörigen Ausdauer und Intensität mit diesen technischen Mitteln nahegebracht wird. Nachdem genügend Beispiele aus der neuesten Vergangenheit dafür vorliegen, daß aus dem Gemeinwillen eines Volkes das wird, was eine geschickte, den technischen Apparat bespielende Propaganda aus ihm zu machen

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Ernst Forsthoff an Alfred Heuß, 18.11.1945, LHA Brandenburg/Deutsches Archäologisches Institut Berlin, NL Heuß. E. Forsthoff, Politische Massenreklame (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 40 (1947), 4: »Die abnorme Beeinflußbarkeit des modernen Menschen sichert politischer Reklame unvergleichlich höhere Erfolgsaussichten, als dies je zuvor der Fall war. Diese Empfänglichkeit für die kritiklose Übernahme konfektionierter Ansichten ist nicht zuletzt eine Folge der Undurchsichtigkeit unseres öffentlichen Lebens. Die Quellen des Wissens sind […] so unübersichtlich geworden, daß es nur zu gern in Form des geistigen Suppenwürfels entgegengenommen wird, und sei es, daß ganze ›Weltanschauungen‹ auf diese Weise unter die Menge gebracht werden. Das geistige Eigenleben ist bis zu dem Grad verkümmert, der es dem geschickten Massenpsychologen erlaubt, die Denkfreiheit außer Kraft zu setzen.«

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wünscht, ist der Volkswille als Grundlage der politischen Ordnung endgültig diskreditiert. Im Zeitalter der Vermassung und der technisierten Propaganda hat die volonté générale […] aufgehört zu bestehen.«164

Rechnet man den von Forsthoff diagnostizierten strukturellen Bedeutungsverlust der parlamentarischen Gesetzgebung hinzu, wird nachvollziehbar, weshalb er ein souveränes Parlament für hochgefährlich hielt. Ihm würde es an einer für den Staat hinreichend bedeutsamen praktischen Aufgabe fehlen und es würde deswegen zum Schauplatz eines »Narrenspiels der Ideologien«165 werden. Außerdem werde es ständig versucht sein, sich der Daseinsvorsorge zu bemächtigen und sie in den Dienste der Mehrheitsideologie zu stellen. So komme es darauf an, zu verhindern, »daß das Parlament allmächtig wird«166 und in den Stand versetzt wird, sich die Daseinsvorsorge als Machtmittel zu unterwerfen. Die Gegengewichte gegen den Parlamentarismus sollten möglichst stark gemacht werden. »Absolutistische Parlamente, vor allem solche massendemokratischer Prägung, sind nicht humaner und freiheitlicher als absolutistische Monarchien. Im Gegenteil, vor die Wahl gestellt, würden wir den absolutistischen Monarchen wahrscheinlich vorziehen.«167 Eng damit zusammen hängt Forsthoffs Kritik der Parteien und des »Parteienstaates«. Was er in den Nachkriegsjahren in seinen anonymen Artikeln gegen die Parteien publizierte, war ausgesprochen radikal, teilweise fanatisch und schoß beträchtlich über das gesunde Maß an konservativer Parteienskepsis hinaus. Es schloß nahtlos an die Parteienfeindschaft an, die insbesondere in den letzten Jahren von Weimar die konservative Programmatik ausgezeichnet hatte, womit Forsthoff freilich keineswegs eine Ausnahme war.168 Die Existenz von Parteien hielt er überhaupt nur für gerechtfertigt, sofern es noch echte soziale Gliederungen gebe, die sich durch Klassen-, Schichten- oder Konfessionsparteien repräsentieren lassen.169 Doch das Zeitalter der Massendemokratie und der Industrialisierung habe die repräsentationsfähigen Gliederungen vernichtet und damit auch die Voraussetzungen eines funktionierenden Parteiwesens.170 Die industrielle Gesellschaft bringe keine Interessenparteien mehr hervor, son164

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E. Forsthoff, Der Irrtum der Verfassunggeber (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 31 (1948), 2. E. Forsthoff, Narrenspiel der Ideologien (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o.J. (1946)), 1 f.; ähnlich ders. (?), »Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, nur ihrem Gewissen verantwortlich« (anonym), in: Die Deutsche Wirklichkeit v. 28.5.1949, 13 f. E. Forsthoff, Die letzte Chance, in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 49 (1948), 4. Ebd., 4. Vgl. H. Mommsen, Der lange Schatten der untergehenden Republik, in: Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft, 1991, 381 ff. E. Forsthoff, Der Irrtum der Verfassunggeber (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 31 (1948), 3 f. E. Forsthoff, Die Alternative (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 42 (1948), 1.

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dern nur noch weltanschauliche Fronten. Eine parlamentarische Massendemokratie ohne eine »integre Sozial- und Staatsordnung«171 entarte zu einem reinen Funktionärswesen, Staat und Verwaltung zu »Apparaturen der ideologischen Managerparteien«172. Da machte er zwischen SPD173 und CDU174 kaum einen Unterschied. Den Exponenten der großen Parteien unterstellte er gleichermaßen, das demagogische Erbe Hitlers an sich reißen zu wollen.175 Die Parteien »sind […] die Schrittmacher eines neuen Totalitarismus. Wir wollen die Parteien mit dieser Feststellung nicht nach billiger antifaschistischer Manier beschimpfen; wir ziehen nur die unausweichliche Konsequenz aus den Tatsachen.«176 Die »autoritätssüchtigen Massen« hätten ihren neuen Führer nach dem Krieg »in dem unverheirateten, unbehausten, magenkranken Parteidiktator Schumacher« gefunden.177 Von Konrad Adenauer dachte Forsthoff kaum besser.178 Über kurz oder lang werde es rebus sic stantibus wieder zum »totalitären Einparteienstaat« kommen, wenn die Bedingungen seiner Machtentfaltung nicht beseitigt würden.179 Einstweilen hoffte Forsthoff auf eine möglichst zersplitterte und möglichst korrupte Parteienlandschaft: »Parteien sind bei uns nur erträglich, wenn sie sich gegenseitig auf die Finger schauen und wenn sie bis zu einem gewissen Grade korrupt sind, sodaß sie nicht mehr sind als ein notwendiges Übel. Im anderen Falle vermag ihnen die Bürokratie nicht das

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Ebd., 1. Ebd., 3. Ernst Forsthoff an Alfred Heuß, 30.5.1946, LHA Brandenburg/Deutsches Archäologisches Institut Berlin, NL Heuß: »Der Sozialismus stört mich nicht mehr. In einigen Hinsichten – z. B. Großindustrie – kommt die Verstaatlichung zwangsläufig, schon als Folge der Entartung der Eigentumsordnung. Und darüber hinaus ist der Sozialismus passé! Ersetzt durch die Wirkungen des Krieges, vor allem des Luftkrieges. Was nicht heißen soll, daß sich die Parteikläffer in diesen leeren Sack noch beträchtlich verbeißen werden.« Ernst Forsthoff an Alfred Heuß, 30.5.1946, LHA Brandenburg/Deutsches Archäologisches Institut Berlin, NL Heuß: »Ob [der Erfolg der CDU] ein Segen sein wird, bleibt abzuwarten. Ich habe meine Bedenken gegen das Christentum, wenn es zum politischen Programm wird. Dann wird nämlich eine Weltanschauung daraus – genauso terror-lüstern wie alle früheren. Man darf sich da nichts vormachen.« E. Forsthoff, Der Wirtschaftsrat arbeitsfähig? (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1947)), 2. E. Forsthoff, Die Alternative (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 42 (1948), 3; ferner ders., Neuer Nationalismus? (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 41 (1948), 2. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 13.12.1947, BA Koblenz, NL Huber. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 21.3.1948, BA Koblenz, NL Huber: »Den ganzen Frankfurter Institutionen gebe ich keine Chance. Man kann wirklich an der politischen Begabung unseres Volkes verzweifeln, dessen negative Qualitäten durch die Besatzungspolitik noch potenziert werden. Ich habe meiner Skepsis im letzten Leitartikel des PresseDienstes deutlich genug Ausdruck gegeben, und ich nehme an, man wird merken, daß ich Adenauer meine, wenn ich Schumacher nenne.« E. Forsthoff, Die Alternative (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 42 (1948), 2.

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notwendige Gleichgewicht zu halten und es besteht zudem die Gefahr, daß der Partei-Größenwahn wieder von vorn beginnt, wovor uns der Himmel bewahren möge.«180 3. Die Situation des Berufsbeamtentums Das dritte mit der Daseinsvorsorge zusammenhängende Verfassungsproblem schließlich betraf das Berufsbeamtentum. Es war in Deutschland bis 1933 neben dem Militär ein gewichtiger Gegenspieler des Parlamentarismus gewesen und sollte dies nach Forsthoffs Willen wieder werden. Doch er war weit davon entfernt zu glauben, daß dies ohne eine tiefgreifende Reform möglich sein könnte. Forsthoff sah ohne Zweifel viel klarer als die meisten, daß das vom Nationalsozialismus hinterlassene Beamtentum mit seinen historischen Vorgängern kaum mehr als den Namen gemein hatte, daß die im Dritten Reich erklärte »Einheit von Staat und Partei« das Ende des Berufbeamtentums gewesen war181 und daß es entweder grundlegend reformiert werden oder als Verfassungsfaktor ausfallen mußte. Die seit der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkriegs stetig vorangeschrittene Entkommunalisierung der Daseinsvorsorge und ihre Übernahme durch den Staat habe eine »plötzliche, unorganische Ausweitung des Verwaltungsapparats und eine damit verbundene Aufblähung des Beamtenkörpers«182 nach sich gezogen. Im Zuge der Bürokratisierungswellen habe sich auch die soziologische Struktur der Beamtenschaft in Richtung auf eine allgemeine »Subalternität«183 verändert. Der Staatsdienst rekrutiere sich mittlerweile größtenteils aus dem Kleinbürgertum und damit aus einer »Schicht mit starken Geltungsansprüchen, die in hohem Grade aus Minderwertigkeitsgefühlen und dem Bewußtsein sozialer Ortlosigkeit hervorgehen.«184 Diese Schicht sei nicht nur für die »parteipolitischen Zersetzung« des Beamtentums durch die Nationalsozialisten besonders anfällig gewesen, sondern zudem mangels Bildung, Besitz und Prestige außerstande, sich als eigenständige geistige Potenz im Staat zu artikulieren. Die Herausforderung bestand also darin, eine »kleine, intensiv arbeitende, von einem höchst qualifizierten, parteipolitisch

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Ernst Forsthoff an Alfred Heuß, 30.5.1946, LHA Brandenburg/Deutsches Archäologisches Institut Berlin, NL Heuß. E. Forsthoff, Das Ende des Berufsbeamtentums (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1948)), 7 f.; ders., Die Angst vor dem Parlament (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 48 (1948), 4. E. Forsthoff, Niedergang und Reform der Bürokratie (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1946)), 3. E. Forsthoff, Der kleine Bürger und die große Verwaltung (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg., Nr. 34 (1947), 2. E. Forsthoff, Niedergang und Reform der Bürokratie (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1946)), 3.

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neutralisierten Berufsbeamtentum getragene Verwaltung«185 neu entstehen zu lassen.

IV. Das Verfassungsideal der »Verwaltungsdemokratie« Faßt man die Diagnosen zusammen, so ergibt sich das folgende Bild: Was für Forsthoff das zentrale Problem der deutschen Nachkriegsverfassung darstellte, war die Erbschaft eines dreifachen Zentralismus: des bürokratischen Zentralismus einer weitestgehend verstaatlichten Daseinsvorsorge, des weltanschaulichen Zentralismus der Massenparteien sowie des sozialen Zentralismus einer egalisierten Demokratie ohne gesellschaftliche Gliederungen, ohne intermediäre Gewalten. Was also Not tat, waren solche stabilisierenden, »zwischen das Volk und die Träger der Herrschaft eingeschalteten ausgleichenden und verbindenden Zwischenkräfte«186. Die sozialen Voraussetzungen der Verfassunggebung hatten sich für Forsthoff damit gegenüber früheren Zeiten geradezu ins Gegenteil verkehrt: Während die rechtsstaatlichen Verfassungen im 19. Jahrhundert gegen ein Übergewicht indirekter ständischer Gewalten durchgesetzt werden mußte, lag das Hindernis nunmehr gerade umgekehrt im faktischen Übergewicht der zum Zentralismus und zur sozialen Nivellierung neigenden Einflußfaktoren: »Gewiß stimmt die Zielsetzung der heutigen Verfassunggebung mit der des 19. Jahrhunderts im allgemeinen überein. Sie wird durch die Worte Demokratie und Freiheit bezeichnet. Aber ihre Verwirklichung erfordert angesichts der heutigen politischen und sozialen Wirklichkeit andere organisatorische und institutionelle Mittel als damals.«187 Das Problem war freilich, daß eigenständige Kräfte im gesellschaftlichen Leben kaum ohne weiteres vorhanden waren: »Die überlieferten ›intermediären Gewalten‹ […] sind in den großen Umwälzungen, durch die wir hindurchgegangen sind, zerrieben worden. Es gibt keine gewachsene gesellschaftliche Hierarchie, keinen unabhängigen Bildungs- und Besitzstand, kein in sich gefestigtes Beamtentum, keine autonome Wissenschaft, keine ›freien Berufe‹ mehr.«188 Aber was dann? Das politische Ideal, das Forsthoff für Nachkriegsdeutschland vorschwebte, kann man als einen dezentralisierten Verwaltungsstaat auf genossenschaftlicher Grundlage bezeichnen. Er sollte auf einer kleinräumigen Gliederung demokratisch verfaßter Selbstverwaltungskörperschaften aufgebaut sein und auf diese Weise beitragen zu einer »institutionellen« Sozialordnung in 185

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E. Forsthoff, Die Alternative (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 42 (1948), 3 (Hervorhebung weggelassen). E. Forsthoff, Die Angst vor dem Parlament (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 48 (1948), 4. E. Forsthoff, Verfassung und Wirklichkeit (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 30 (1947), 1. E. Forsthoff, Die Angst vor dem Parlament (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 48 (1948), 4.

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der für Forsthoff mit dem Begriff der Institution verbundenen Bedeutung.189 Dieses Ideal stimmte weitgehend überein mit der Staatsvorstellung seines Förderers Theodor Steltzers, der in seiner schon erwähnten Denkschrift für den Parlamentarischen Rat von einem »genossenschaftlichen Aufbau des Staates von unten nach oben« im Sinne einer »gegliederten Demokratie«190 sprach. Auch Carl Friedrich Goerdeler hatte formuliert, der Staatsaufbau müsse »von unten nach oben erfolgen.«191 Das politische Prinzip dieses Staates bestand nach Forsthoff darin, die Bürger aktiv an die Verwaltung zu binden, um das politische Gewicht auszugleichen, das diese gegenüber der Gesetzgebung im Zeitalter der Daseinsvorsorge gewonnen hatte. Damit glaubte Forsthoff, der Idee der Demokratie einen den posttotalitären Verhältnissen angemessene Gestalt geben zu können: »In den Maße […], in dem sich das Bewußtsein von der Bedeutung der modernen Verwaltung durchsetzt, wird man die Notwendigkeit erkennen, daß es ganz neuer Lösungen bedarf, um diese Verwaltung mit dem Volk in Verbindung zu bringen. Es könnte sein, daß man eines Tages erkennt, daß die Verwirklichung der Demokratie heute weniger auf dem Wege über Parlament und Gesetzgebung als auf dem der Verbindung von Verwaltung und Volk zu geschehen habe.«192

Auch hielt er es für eine notwendige Konsequenz aus der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung, »daß die Demokratie als Identität der Regierenden und Regierten nicht mehr nur in der Gesetzgebung und im Parlamentarismus, sondern vor allem auch in der Verwaltung realisiert werden muß, daß man sie heute wesentlich als Identität der Verwaltenden und Verwalteten verstehen muß.«193 Zudem entspreche diese Form der Demokratie im Unterschied zum westeuropäischen Parlamentarismus in besonderem Maße den deutschen Verhältnissen: »Diese Art der Demokratisierung ist der politischen Mentalität des Deutschen allein gemäß. Denn der Deutsche hat zwar die unglückliche Neigung […] sich weltanschaulich zu verunreinigen, er hat aber zugleich in hohem Maße die Fähigkeit und Bereitschaft sich zu versach-

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E. Forsthoff, Die Institutionen als Rechtsbegriff, 1947, Ts., NL Forsthoff, 52: Das Institutionelle ist besonders »den Rechtsordnungen eigentümlich […], die sich von den unteren Zellen des Sozialgefüges her zur Staatsspitze hin gliedern, während zentralistische Gestaltungen eine institutionelle Ausformung nur in geringerem Maße aufweisen.« T. Steltzer, Diskussionsbeitrag zum deutschen Verfassungsproblem (1948), in: »Bewegt von der Hoffnung aller Deutschen«, hrsg. v. W. Benz, 1979, 195, 204. C. F. Goerdeler, Das Ziel (1941), in: Politische Schriften und Briefe Carl Friedrich Goerdelers, Bd. 2, 2003, 930: »Alle dezentralisierten Aufgaben sind bei den Gemeinden, Stadtund Landkreisen und bei den Gauen zusammenzufassen. Diese Verwaltungen sind wieder voll als organische Selbstverwaltungen auszubauen.« E. Forsthoff, Sinn und Anrecht der Parteien (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 26 (1947), 2; ebenso ders., Brauchen wir noch Parteien? (anonym), in: CDU-Echo v. 9.8.1947, 2. E. Forsthoff, Die deutsche Staatskrise und das Grundgesetz, in: Zeitwende 21 (1949), 332.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

lichen und ideologische Gegensätze zu vergessen, wenn er vor konkrete Aufgaben gestellt wird.«194

Die institutionellen Gestaltungen, mit denen Forsthoff dies erreichen wollte, liefen auf eine durchgreifende Entparlamentarisierung durch die Umstellung der spezifisch demokratischen Verfassungselemente auf die Verwaltung hinaus. Die Hauptelemente dieser Verbindung von Verwaltung und Volk bildeten erstens die Einbindung von Laien in die Erledigung öffentlicher Aufgaben und die Aktivierung der Bürger für die Kontrolle der Verwaltung, zweitens die möglichst umfassende Überführung der Funktionen der Daseinsvorsorge in genossenschaftliche Selbstverwaltungsformen sowie schließlich drittens die Sicherung der subjektiven Rechtsstellung durch echte soziale Grund- und Teilhaberechte. Zu den Trägern des Staatsaufbaus hatte Forsthoff die lokalen Selbstverwaltungskörperschaften ausersehen. Eine »organische Verbindung von Bevölkerung und Verwaltung« lasse sich am ehesten auf der regionalen Stufe der Stadtund Landkreise, nicht aber gesamtstaatlich gewährleisten.195 Statt einer »kopflastigen« Demokratie mit bürokratischer Zentrale und weltanschaulich gesteuertem Parlament sollte auf diese Weise eine »Verwaltungs-Demokratie« entstehen: »eine andere Form von Demokratie […], welche auf eine vielfältige Gliederung des Soziallebens unter aktiver Mitwirkung der unmittelbar Beteiligten hinzielt«196. Im gleichen Sinne plädierte auch Theodor Steltzer für die »Heranziehung der Bevölkerung und der unmittelbar beteiligten Wirtschaftsgruppen bei den Verwaltungsentscheidungen«, um dadurch »neben der politischen Demokratie eine lebendige wirtschaftliche und soziale Demokratie zu verwirklichen.«197 1. Die Neuordnung der Verwaltung Bedingung für die Dezentralisierung war eine substantielle Stärkung der kommunalen und funktionalen Selbstverwaltungen. Die Verwaltung sollte dezentralisiert und auf kleine, nichtstaatliche und rechtlich selbständige Träger mit substantiell erweiterten Kompetenzen überführt werden, die die staatliche Verwaltung lediglich im Wege der Staatsaufsicht überwachen sollte. Dafür gebe es neben den Gemeinden »eine ganze Skala bewährter Rechtsformen«, nämlich 194

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E. Forsthoff, Die Grundzüge der Verwaltungsdemokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 31 (1948), 6. E. Forsthoff, Föderalismus – Theorie und Wirklichkeit, in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1948)), 2. E. Forsthoff, Die kopflastige Demokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 37/38 (1948), 3. T. Steltzer, Diskussionsbeitrag zum deutschen Verfassungsproblem (1948), in: »Bewegt von der Hoffnung aller Deutschen«, hrsg. v. W. Benz, 1979, 195.

Sechstes Kapitel: Zur Kritik der deutschen Nachkriegsverfassungen

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Anstalten, Stiftungen, Zweckverbände, Genossenschaften und schließlich auch »die zahlreichen in den letzten Jahren entwickelten Organisationstypen, die auf der Grenzlinie des öffentlichen und privaten Rechts liegen«198. Die bislang überwiegend staatliche Bürokratie müsse ihre »Aufgabe darin sehen, alle irgend dazu geeigneten Verwaltungsaufgaben an selbstverantwortliche, der Staatsaufsicht unterstellte Träger abzugeben, die für diesen Zweck aus dem gesellschaftlichen Leben zu entwickeln wären und wofür gerade das deutsche Recht eine Fülle von Organisationsformen zur Verfügung stellt. Um das zu erreichen, muß die Tendenz zur gesellschaftlichen Selbstorganisation ermutigt und durch staatliche Hilfen gesetzgeberischer, unter Umständen auch finanzieller Art gefördert werden. Nur auf diese Weise kommen wir im Laufe der Zeit zu einem sich selbst leidlich tragenden Sozialgefüge, das nicht ausschließlich von Gnaden der staatlichen Macht existiert.« 199

Diese genossenschaftliche Form der Verwaltungsorganisation leiste zudem eine bessere Form der Verwaltungskontrolle als sie ein zentrales Parlament.200 Als Trägerin der der Daseinsvorsorge entziehe sich die Bürokratie nämlich der parlamentarischen Steuerung weitgehend. Die »Verwirklichung der Demokratie« zwinge deshalb zu einer »unmittelbareren« Form der Kontrolle.201 So wollte Forsthoff den demokratisch gewählten Organen der Selbstverwaltungskörperschaften die Aufgabe der Verwaltungskontrolle zuweisen: »In allen Stufen der Verwaltung, vor allem aber bei den verselbständigten Verwaltungen in der Form der Zweckverbände, Genossenschaften usw. muß der Bürger mitbeschließend und kontrollierend beteiligt werden. Diese Bürger zu bestimmen ist Aufgabe der direkt gewählten oder durch indirekte Wahl gebildeten Gremien.«202 Doch nicht nur das. Forsthoff plädierte auch für die Einbeziehung von Laien in die Führung der aktiven Verwaltungsgeschäfte, deren Auswahl ebenfalls den gewählten lokalen Gremien obliegen sollte.203 In deutlich abgeschwächter Form hat er später in seinem mit Recht vielbeachteten Vortrag Die Daseinsvorsorge und die Kommunen von 1958 noch einmal auf diese Gedanken zurückgegriffen (RW, 111 ff.).204

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E. Forsthoff, Die Grundzüge der Verwaltungsdemokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 31 (1948), 5. E. Forsthoff, Die Alternative (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 42 (1948), 3 (Hervorhebung nicht im Original). E. Forsthoff, Die Grundzüge der Verwaltungsdemokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 31 (1948), 6. E. Forsthoff, Der Irrtum der Verfassunggeber (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 31 (1948), 3. E. Forsthoff, Die Alternative (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 42 (1948), 3; ähnlich ders., Der Irrtum der Verfassunggeber (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 31 (1948), 3. E. Forsthoff, Die Grundzüge der Verwaltungsdemokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 31 (1948), 4. Dazu insbesondere J. Kersten, Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, in: Der Staat 44 (2005), 558 f.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

Forsthoff täuschte sich nicht über die Reichweite seiner Postulate zur Neuordnung der Verwaltung. Ihm war klar, daß sie massive Eingriffe in die überkommene deutsche Verwaltungsstruktur bedeuteten, wie sie sich seit der Entstehung des Interventionsstaates in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatte. Wenn er für die weitgehende Rekommunalisierung der Leistungsverwaltung, für die Rückholung der vielen Sonderverwaltungen in die allgemeine innere Verwaltung, für die Entkopplung von Regierung und Verwaltung und schließlich für die Entbürokratisierung durch die Stärkung der Bürgerbeteiligung plädierte, bedeutete das nicht weniger als die Umkehrung aller Tendenzen der Verwaltungsentwicklung seit der Reichseinigung. Aber er war nun einmal überzeugt, daß die Bewegung zur zentralistischen Diktatur nur die andere, sichtbare Seite dieser Entwicklung war. Alle Korrekturen an der Fassade hielt er für müßig ohne die Veränderung der administrativen Struktur. Sollte der Bürger selbst zum aktiven Element innerhalb der Verwaltung werden, so mußte er ihr gegenüber auch materiellrechtlich mit subjektiven Rechtsgarantien ausgestattet werden. Deswegen sollten die Verfassungen neben den klassischen Freiheitsrechten auch »soziale« Grundrechte enthalten, etwa ein Recht auf Arbeit und vor allem Rechtsgarantien der Teilhabe an den Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge.205 Der Verwaltung werde es dadurch erschwert, den einzelnen namentlich durch die Vorenthaltung von Leistungen fügsam zu machen. Insofern mußte für Forsthoff auch die persönliche Freiheit nicht mehr ausschließlich unter klassisch rechtsstaatlichen Aspekten gewährleistet werden: »Für die Verfassungen des 19. Jahrhunderts ging die Beziehung des einzelnen zum Staat in dem Begriff Freiheit auf. Er kann heute nicht mehr genügen. Gewiß ist die Freiheit ein ewiges menschliches Anliegen gegen den Staat. Es gibt menschliche Bezirke […], vor denen die Macht des Staates enden muß. […] Diesen Freiheitsbereich haben die überkommenen Grundrechte in klassischer Weise umschrieben, und es ist selbstverständlich, daß sie heute wieder in Kraft gesetzt werden. Aber es ist ein großer Irrtum zu glauben, daß damit die verfassungsmäßige Sicherung einer menschenwürdigen Existenz bereits geschaffen wäre. […] Hier liegt die zentrale Aufgabe der modernen Verfassunggebung. Sie läßt sich allgemein dahin ausdrücken, daß die Verfassung, die jedem Staatsbürger eine menschenwürdige Existenz sichern soll, ihm einen gesetzlich gesicherten Anteil an den staatlichen Leistungen garantieren muß, deren er zur Bestreitung seines Daseins bedarf. Neben die Forderung nach Freiheit tritt also mit gleichem Gewicht die Forderung nach gesetzlich gesicherter Teilhabe.«206

Noch ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Grundgesetz erneuerte Forsthoff diese Forderung. Mit Blick auf die sozialen Grundrechte in den Landesverfas205

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E. Forsthoff, Die Grundzüge der Verwaltungsdemokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 31 (1948), 6. Auch Ernst Rudolf Huber bemängelte, daß der Bonner Grundrechtskatalog kein Recht auf Arbeit enthalte: E. R. Huber, Der Grundrechtskatalog (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 45 (1948), 4. E. Forsthoff, Verfassung und Wirklichkeit (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 30 (1947), 1 f.

Sechstes Kapitel: Zur Kritik der deutschen Nachkriegsverfassungen

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sungen rügte er die Rechtsprechung, die ihnen nicht mehr als eine programmatische Bedeutung abgewinnen wollte. »Ich bedauere das«, sagte er im Herbst 1950 in einem Vortrag in Speyer, »denn die Logik des Rechtsstaats, den wir als sozialen Rechtsstaat verstehen müssen [!], nötigt m.E. dazu, derartigen Vorschriften den intensivsten Grad rechtlicher Wirkung abzugewinnen.«207 Ja mehr noch: »Erst wenn […] die Sicherheit der Teilhabe jedem Einzelnen das Bewußtsein höchstmöglicher Daseinssicherung verleiht, wird der Schritt vom liberalen zum sozialen Rechtsstaat getan sein.«208 2. Die Verfassungsinstitutionen Wenn oben festgestellt wurde, daß Forsthoff die Neuordnung der Verwaltung und des Verhältnisses von Bürger und Verwaltung gegenüber dem Neuaufbau der Staatsorgane für vorrangig hielt, so nicht nur in dem Sinne, daß er darin die dringendere Aufgabe sah. Das auch. Doch der Vorrang der Verwaltungsfrage kommt in Forsthoffs Vorschlägen weiter darin zum Ausdruck, daß die Institutionen der Staatsspitze dieser neugeordneten Verwaltung politisch und verfassungsrechtlich nachgeordnet, der Staat also von den lokalen Selbstverwaltungskörperschaften aus »organisch« aufgebaut sein sollte. Nicht ohne Pathos heißt es zur Begründung dieses Ansatzes in einem Artikel Forsthoffs: »Am Beginn aller Diskussion steht hier die Erkenntnis, daß dem absolutistischen, totalitären und damit zwangsläufig zentralistischen Machtstaat, den wir soeben in Deutschland im Exzeß erlebten und der mit dem Ende des Nationalsozialismus noch keineswegs in Europa und der Welt ausgestorben ist, ein grundlegend anderer Ordnungsgedanke entgegengesetzt werden muß. Es ist der Aufbau von unten nach oben, der gegen jedweden monopolitischen Herrschaftsanspruch des Staates dem Recht der Glieder und damit auch dem Verlangen des einzelnen auf Freiheit und Würde gesunde Wirkungsmöglichkeiten eröffnet.«209

Forsthoff glaubte, mit dem Staatsaufbau »von unten nach oben« die neuerliche Herausbildung einer bürokratischen Zentralmacht verhindern zu können, die in der Lage wäre, sich die lokalen Einflußsphären wieder einzuverleiben. Er

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E. Forsthoff, Daseinsvorsorge als Aufgabe der Sozialgestaltung in Staat und Gemeinde (Vortrag im Rahmen des 11. Staatswissenschaftlichen Fortbildungskurses der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer), 21.10.1950, Ts., NL Forsthoff, 13. Weiter heißt es dort (Hervorhebung nicht im Original): »Sozialer Rechtsstaat bedeutet in diesem Zusammenhang einen Staat, der sowohl die persönliche Freiheit wie die Teilhabe an der Daseinsvorsorge umfassend, das heißt in der Weise rechtlich gewährleistet, daß wie die Freiheit so auch die Teilhabe grundsätzlich zugestanden ist und die Verweigerung der Teilhabe dem Eingriff in die Freiheit juristisch gleichgestellt ist. Das bedeutet also eine Umkehrung der Beweislast.« Ebd., 17. E. Forsthoff, Föderalismus – Theorie und Wirklichkeit, in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1948)), 1.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

plädierte deshalb ebenso wie auch Steltzer210 für den Verzicht auf alle plebiszitären Elemente und zumal auf gesamtstaatliche direkte und allgemeine Wahlen: »Wir können uns […] einen Staatsaufbau vorstellen, der sich auf unmittelbare Wahlen in der untersten Stufe, der Kreisebene, beschränkt und im übrigen nur eine indirekte Wahl kennt.«211 Das sei »für die demokratische Fundierung des Staatsaufbaus […] ausreichend. Denn von den hier gewählten Gremien aus lassen sich die übrigen Institutionen den Verfassung und Verwaltung entwickeln.«212 In kleinen, übersichtlichen Gemeinschaften und Verbänden werde die der Demokratie innewohnende Tendenz zum Zentralismus gebannt und der Einfluß der Parteien zwangsläufig begrenzt bleiben. Daneben hielt er mit einem zentral vom Volk gewählten Staatspräsidenten ein zweites echt demokratisches Verfassungselement für möglich, aber nicht für unverzichtbar. Hier lasse sich die allgemeine Wahl rechtfertigen, weil eine Personenwahl nicht im selben Maße zur Beute der Parteien werden könne.213 Oberhalb der Ebene der Gemeinden und Kreise schlug Forsthoff einen zweistufigen Staatsaufbau vor mit einem Zentralstaat und einer Mittelinstanz von der Größe der größeren deutschen Länder. Die Repräsentationskörperschaften dieser höheren Ebenen sollten im Wege der Personenwahl aus den Vertretungen der jeweils unteren Instanzen gebildet werden, also die Parlamente der Mittelinstanz aus den kommunalen Vertretungen, die Vertreter des Zentralparlaments aus den Regionalparlamenten. Auch dieser Vorschlag findet sich bereits in den Verfassungsdenkschriften Goerdelers aus der Kriegszeit.214 Alle Vertreter sollten für die Dauer der Wahlperiode unabhängig und weisungsfrei gestellt werden.215 Föderalistisch kann man diesen Staatsaufbau gleichwohl nicht nennen. Es fehlte dazu an der Eigenstaatlichkeit der Mittelinstanz. Überhaupt stand Forsthoff der bundesstaatlichen Struktur der ent-

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Dazu H. Mommsen, Der lange Schatten der untergehenden Republik, in: Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft, 1991, 383 f. E. Forsthoff, Gefährliche Wahlen (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik o. Nr. (o.J. (1948)), 1; ders., Die Alternative (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 42 (1948), 3; deutlicher noch Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 12.12. 1947, BA Koblenz, NL Huber: »Ich könnte mir einen Staat vorstellen, in dem es direkte Wahlen nur noch auf der Ebene der Kreise gibt, während die Vertretungen der höheren Stufen durch indirekte Wahlen gebildet werden, die Verwaltung in allen Stufen durch Laienkollegien kontrolliert, denen gewisse Rechtsschutzfunktionen zu übertragen wären.« E. Forsthoff, Die Grundzüge der Verwaltungsdemokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 31 (1948), 4; ders., Die Alternative (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 42 (1948) 3; deutlich auch Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 13.12.1947, BA Koblenz, NL Huber. E. Forsthoff, Die Grundzüge der Verwaltungsdemokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 31 (1948), 5. C. F. Goerdeler, Das Ziel (1941), in: Politische Schriften und Briefe Carl Friedrich Goerdelers, Bd. 2, 2003, 942. E. Forsthoff, Die Grundzüge der Verwaltungsdemokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 31 (1948), 5.

Sechstes Kapitel: Zur Kritik der deutschen Nachkriegsverfassungen

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stehenden Bundesrepublik zurückhaltend gegenüber. Wie viele andere Konservative216 mißtraute er den Ländern als unorganischen Kunstgebilden,217 ihrer Eigenstaatlichkeit als einer von den Alliierten »aufgenötigten« Schwächung Deutschlands.218 Der Neoföderalismus werde so bald zu einem Kryptozentralismus führen, da echte partikuläre Kräfte gar nicht vorhanden seien.219 Das doppelt indirekt gewählte Parlament sollte in seiner ideologischen Komponente dadurch entschärft sein, daß es nicht nur die politische, sondern zugleich auch die regionale Gliederung des Wahlvolkes zu repräsentieren hätte.220 Doch es erschien Forsthoff immer noch als zu mächtig. Als ausschließliche Zuständigkeit durfte ihm nach Forsthoffs Vorstellungen nur die parlamentarische Kontrolle der Regierung zustehen, und dies auch nur, weil eine wirksame Kontrolle sinnvollerweise nur von einem allein verantwortlichen Träger ausgeübt werden könne.221 Die Gesetzgebungskompetenz dagegen sei auf zwei gleichgeordnete Kammern zu verteilen, die nur gemeinsam tätig werden durften. Die zweite Kammer sollte nicht die regionale, sondern die »beruflich-soziale« Gliederung des Volkes repräsentieren. In ihr sollten die »wesentlichen Denominationen des Soziallebens (Religion, Bildung und Wirt216

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Vgl. etwa W. Weber, Weimarer Verfassung und Bonner Grundgesetz (1949), in: Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 31970, 17; ders., Fiktionen und Gefahren des westdeutschen Föderalismus (1951), in: Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 31970, 57 ff., 83; W. Grewe, Antinomien des Föderalismus, 1948; ders., Das bundesstaatliche System des Grundgesetzes, in: DRZ 1949, 349 ff.; G. Wirsing, Schritt aus dem Nichts, 1951, 242 ff., 243: »Was […] unter Föderalismus gemeinhin verstanden wird, ist Länderzentralismus nach unten mit einer möglichst schwachen Bundesspitze darüber.« Zur Diskussion T. Nipperdey, Der Föderalismus in der deutschen Geschichte, in: Nachdenken über die deutsche Geschichte, 1990, 120; S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, 1998, 143 ff. Zum Wiederaufbau des westdeutschen Föderalismus zuletzt G. A. Ritter, Föderalismus und Parlamentarismus in Deutschland in Geschichte und Gegenwart, 2005, 46 ff. E. Forsthoff, Die Frankfurter Dokumente (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik o. Nr. (o.J. (1948)), 4; ders. (?), Föderalismus – Theorie und Wirklichkeit, in: Union-Pressedienst o. Nr. (o.J. (1948)), 2; K. Ballerstedt/R. Dahlgrün/E. Forsthoff/O. A. Friedrich/C. Neumann/H. Premer/T. Steltzer, Mitbestimmungsrecht und Bundeswirtschaftsrat, o.J. (1950), 23. E. Forsthoff, Von der Freiheit des Besiegten, in: Die Deutsche Wirklichkeit v. 14.5.1949, 1; ferner ders., Einleitung zum Bonner Grundgesetz, 1953, 4; schwächer ders., Die deutsche Staatskrise und das Grundgesetz, in: Zeitwende 21 (1949), 324; ders., Föderalismus – Theorie und Wirklichkeit, in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1948)), 1: »Eben weil wir in der Idee des Föderalismus mehr als eine bestechende Konzeption sehen, nämlich den konstruktiven Weg zu einem neuen Deutschland und neuen Europa, erscheint uns der gegenwärtige Rückfall in die Kleinstaaterei besonders verhängnisvoll.«; ähnlich W. Grewe, Antinomien des Föderalismus, 1948, 14 ff. E. Forsthoff, Föderalismus – Theorie und Wirklichkeit, in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1948)), 2. E. Forsthoff, Die Grundzüge der Verwaltungsdemokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 31 (1948), 5. Ebd., 5.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

schaft) vertreten« sein,222 wobei Forsthoff sich nicht darüber äußerte, wie solche Vertreter zu bestellen seien oder was ihr rechtlicher Status sein sollte. Die Idee einer berufsständischen zweiten Kammer als Gegengewicht gegen den Parlamentarismus war verbreitet und findet sich auch in anderen Stellungnahmen der Verfassungsdiskussion.223 Sie knüpfte an ältere ständestaatliche Vorstellungen an, die auch dem Weimarer Reichswirtschaftsrat zugrunde gelegen hatten. Im Gegensatz zu Ernst Rudolf Huber allerdings, der zur gleichen Zeit und ebenfalls anonym eine echte Ständekammer befürwortete,224 verwahrte sich Forsthoff ausdrücklich gegen die Assoziation mit korporatistischem Sozialkitsch.225 Ihm schwebte eher eine Vertretung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verbände und der gesellschaftlichen Organisationen vor. Im gleichen Sinne sollte Forsthoff noch in den fünfziger Jahren im Streit um die Einrichtung eines »Bundeswirtschaftsrates« argumentieren, in dem sich die Verfassungsdiskussion der Nachkriegszeit in mancher Hinsicht fortsetzte. Der Bundeswirtschaftsrat sollte den wirtschaftlichen Verbänden und Interessengruppen in der Bundesrepublik eine mehr oder weniger feste Organisation und Repräsentation geben. Im Zusammenwirken mit den zuständigen Bundesorganen sollte er die deutsche Wirtschaftspolitik lenken und koordinieren. Den Gewerkschaften schien ein Bundeswirtschaftsrat geeignet, ihren Forderungen nach überbetrieblicher Mitbestimmung, den Arbeitgebern, ihrem Drängen auf eine »Versachlichung« der Wirtschaftspolitik entgegenzukommen, der katholischen Kirche als Postulat ihrer Soziallehre.226 Auch Ludwig Erhard war ein Freund dieses Vorhabens, in dem er etwas von dem sah, was er später mit Rüdiger Altmann227 die »formierte Gesellschaft« nannte.228 Die ordoliberale Schule und ebenso die Mehrheit gerade der Staatsrechtslehrer wandte sich jedoch von Anfang an gegen eine außerparlamentarische Wirtschaftsvertretung.229 222

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Ebd., 5; E. Forsthoff, Die Alternative (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 42 (1948), 3. H. Mommsen, Der lange Schatten der untergehenden Republik, in: Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft, 1991, 389. E. R. Huber, Ein- oder Zweikammersystem? (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik o. Nr. (o. J. (1948)), 4. E. Forsthoff, Die Grundzüge der Verwaltungsdemokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 31 (1948), 5. Als Exponent der katholischen Richtung insbes. H. Peters, Nichtwirtschaftliche Organisationen im Bundeswirtschaftsrat?, in: DÖV 1952, 556 ff. R. Altmann, Die formierte Gesellschaft (1965), in: Abschied vom Staat, 1998, 61 ff. A. Nützenadel, Wirtschaftliche Interessenvertretung in der parlamentarischen Demokratie, in: VfZ 51 (2003), 231. Etwa G. Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, 31967, 309, 336. U. Scheuner, Der Staat und die intermediären Kräfte, in: Zs. f. evangelische Ethik 1 (1967), 35, sprach von sozialromantischen Vorstellungen, und Wilhelm Grewe warnte, die Errichtung einer berufsständischen Kammer müsse einen neuen Syndikalismus, ja einen »Dualismus des Staatsaufbaus« hervorrufen und auf diese Weise die staatliche Einheit zerstören (W. Grewe, Parteienstaat – oder was sonst?, in: Der Monat 3 (1950/51), 575.

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So befand sich Ernst Forsthoff in dieser Debatte, an der er sich mehrfach literarisch beteiligte230 und in der er den Bundesverband der deutschen Industrie beriet,231 in einer denkwürdigen Koalition mit Gewerkschaften und katholischen Sozialpolitikern, die, wenn auch jeweils mit ganz unterschiedlicher Zielsetzung, auf einen Bundeswirtschaftsrat drängten. In einer von Ernst Forsthoff gemeinsam mit Kurt Ballerstedt, Theodor Steltzer und anderen verfaßten Denkschrift von 1950 heißt es, der Bundeswirtschaftsrat könne als »Vertretung der wesentlichen Sozialpartner auf dem Gebiete der Wirtschaft«232 ein Mittel sein, die Diskrepanz zwischen realer Verfassungslage und Verfassungsrecht zu entschärfen, eine Meinung, der sich unter anderem Ernst Rudolf Huber und Herbert Krüger anschlossen.233 Ein solches Gremium könne, glaubte Forsthoff, auf die oligarchischen Mächte der Gesellschaft disziplinierend wirken, und zwar durch Publizität und die Einbindung in ein geordnetes Verfahren der Willensbildung.234 Das galt zumal für die Hemmung von gewerkschaftlichen Forderungen nach überbetrieblicher Mitbestimmung.235 Der Bundeswirtschaftsrat sollte deshalb in Forsthoffs Augen gerade kein politisches Nebenparlament sein.236 Vielmehr sollte er lediglich ein Gesetzesinitiativrecht haben und zudem die Tarifverträge aushandeln.237 Auch so würde er in der Lage sein, die »schweren Friktionen« zu beheben, »die unter der Geltung des Grundgesetzes zwischen den Verfassungsorganen des Bundes und den ständischen Mächten entstanden sind.«238 Forsthoff hoffte, daß der Staat mit der de-jure-Anerkennung der Sozialpartner

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K. Ballerstedt/R. Dahlgrün/E. Forsthoff/O. A. Friedrich/C. Neumann/H. Premer/T. Steltzer, Mitbestimmungsrecht und Bundeswirtschaftsrat, o.J. (1950); E. Forsthoff, Zur Problematik des Bundeswirtschaftsrates, in: DÖV 1952, 714 ff.; ders., Die Wirtschaftsverfassung im Rahmen der Gesamtverfassung, in: Ratgeber von Parlament und Regierung, hrsg. v. Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten, 1951, 127 ff. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 16.12.1951, BW, Nr. 48. K. Ballerstedt/R. Dahlgrün/E. Forsthoff/O. A. Friedrich/C. Neumann/H. Premer/T. Steltzer, Mitbestimmungsrecht und Bundeswirtschaftsrat, o.J. (1950), 18. H. Krüger, Der Bundeswirtschaftsrat in verfassungspolitischer Sicht, in: DÖV 1952, 545 f., 556; E. R. Huber, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 1958, 48 ff. E. Forsthoff, Zur Problematik des Bundeswirtschaftsrates, in: DÖV 1952, 716. K. Ballerstedt/R. Dahlgrün/E. Forsthoff/O. A. Friedrich/C. Neumann/H. Premer/T. Steltzer, Mitbestimmungsrecht und Bundeswirtschaftsrat, o.J. (1950), 20 ff.; H. Krüger, Der Bundeswirtschaftsrat in verfassungspolitischer Sicht, in: DÖV 1952, 552 f. E. Forsthoff, Zur Problematik des Bundeswirtschaftsrates, in: DÖV 1952, 715: die Etablierung einer wirklichen Wirtschaftsdemokratie würde »die gesamte Verfassungskonzeption des Grundgesetzes ins Wanken bringen, das als parlamentarische Demokratie nur den mit der Wahl ansetzenden Prozeß der staatlichen Willensbildung anerkennt und einen doppelten Parlamentarismus nicht anerkennen kann, ohne sich dualistisch aufzuspalten.« K. Ballerstedt/R. Dahlgrün/E. Forsthoff/O. A. Friedrich/C. Neumann/H. Premer/T. Steltzer, Mitbestimmungsrecht und Bundeswirtschaftsrat, o.J. (1950), 23. E. Forsthoff, Zur Problematik des Bundeswirtschaftsrates, in: DÖV 1952, 715.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

ihnen gegenüber wieder die Rolle einer neutralen Gewalt annehmen würde.239 Ein Staat, der seine Souveränität als Entscheidungszentrum verloren hatte, konnte nach seiner Vorstellung auf diesem Wege Autorität wenigstens als Mediationsinstanz wiedergewinnen: »Ein solches Organ kann gerade in der gegen Weimar so tiefgreifend veränderten heutigen Verfassungslage seinen Nutzen haben.«240 Insofern berührten sich seine Überlegungen stark mit Altmanns Idee der »formierten Gesellschaft«. Zur Einrichtung eines Bundeswirtschaftsrates kam es bekanntlich nicht. Was von der Idee übrig blieb, ging in den sechziger Jahren ein in den »Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung«,241 der in jeder Hinsicht eine zeitgemäßere Erscheinung war. Er wurde paradigmatisch für den Bedeutungsgewinn der Wirtschaftswissenschaften242 und überhaupt für ein gewandeltes Verhältnis von Staat und Interessenverbänden, das sich vom korporatistischen Modell des Bundeswirtschaftsrates substantiell unterschied: das »scientific policy consulting«.243 Eine Verfassungsgerichtsbarkeit spielte als Kontrollinstanz in Forsthoffs Überlegungen zur deutschen Nachkriegsverfassung dagegen nie eine Rolle. Justizfunktionen seien, so wiederholte er Montesquieu, auf Einzelfälle und juristische Maßstäbe angewiesen, könnten aber nicht an die Stelle einer fehlenden Kontrollinstanz treten.244 Sie sei damit eben als politische Gewalt »en quelque façon nulle«245. Wer statt ihrer in diesem Verfassungsmodell auf der Ebene des Zentralstaats der eigentliche »Ordnungsfaktor« sein sollte, war nach Forsthoffs Vorstellungen ein erneuertes, zu einer schlagkräftigen Elite verkleinertes und auf seine Kernaufgaben reduziertes Berufsbeamtentum.246 Entstehen sollte es durch starke institutionelle Vereinfachungen innerhalb der Zentralverwaltung einerseits sowie andererseits durch »rücksichtslose Personaleinsparung mit dem Ziel, nur die besten Kräfte zu behalten und alles weniger Brauchbare

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E. Forsthoff, Die Wirtschaftsverfassung im Rahmen der Gesamtverfassung, in: Ratgeber von Parlament und Regierung, hrsg. v. Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten, 1951, 135 f. E. Forsthoff, Tendenzen und Kräfte im heutigen Verfassungsleben, Vortrag vom 25.9.1951 vor dem Verband der nordrheinischen Textilindustrie, Ts., NL Forsthoff, 12. Dazu eingehend A. Nützenadel, Wissenschaftliche Politikberatung in der Bundesrepublik, in: VSWG 89 (2002), 288 ff.; G. Metzler, Versachlichung statt Interessenpolitik, in: Experten und Politik, hrsg. v. S. Fisch/W. Rudloff, 2004, 127 ff. Dazu A. Nützenadel, Stunde der Ökonomen, 2005. Umfassend G. Metzler, Konzeptionen politischen Handelns von Adenauer bis Brandt, 2005, passim, bes. 154 ff., 170 ff.; dies., Am Ende aller Krisen?, in: HZ 275 (2002), 81 ff. E. Forsthoff, Die deutsche Staatskrise und das Grundgesetz, in: Zeitwende 21 (1949), 328. Montesquieu, De l’Esprit des Lois, Œuvres complètes, Tome II, 1951, 401. E. Forsthoff, Die Alternative (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 42 (1948), 2; ders., Die letzte Chance, in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 49 (1948), 3.

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abzustoßen«247. Dieses Berufsbeamtentum sollte dann das Scharnier zwischen der Zentralregierung und den lokalen Körperschaften bilden, es sollte die Rechtsaufsicht ausüben und für die dezentralisierte Daseinsvorsorge eine Art Gewährleistungsverantwortung über die gesellschaftliche Selbstorganisation wahrnehmen.248 3. Die »Verwaltungsdemokratie« und die Zukunft Deutschlands Will man dieses Verfassungsmodell der historischen Kritik unterziehen, so muß man sich zunächst bewußt machen, daß Forsthoffs Überlegungen zur »Verwaltungs-Demokratie« im Kern in den Jahren 1946/47 entstanden sind. Wenig war zu diesem Zeitpunkt über die Zukunft Deutschlands absehbar. Man lebte in der kleinräumigen Lebenswelt der unmittelbaren Nachkriegszeit, in der vom wirtschaftlichen Aufschwung noch nichts spürbar war. Der Morgenthau-Plan geisterte noch in den Köpfen herum, und Forsthoff ging, wie viele andere auch, davon aus, daß Deutschland »für alle absehbare Zukunft […] das ärmste aller Kulturvölker« bleiben werde.249 Sicherlich hat all dies dazu beigetragen, daß Forsthoff die auch nach 1945 weiterwirkende Kraft der nationalen und vor allem supranationalen Unitarisierungstendenzen massiv unterschätzt hat, die es völlig unwahrscheinlich machten, daß ein auf kleinen Genossenschaften aufgebauter Staat eine reelle Chance gehabt hätte. Damit stand er freilich nicht allein. Auch die föderativen Elemente des Grundgesetzes standen schließlich von Beginn an unter Zentralisierungsdruck.250 Daß die Entwicklung auch in der Nachkriegszeit in die Richtung planetarischer Ordnungen wies, zeigte sich rasch. Schon 1950 stellte Forsthoff in einem Vortrag fest, daß mit dem Marshall-Plan und dem Molotow-Plan sogar »Instrumente der Daseinsvorsorge auf der völkerrechtlichen Ebene« im Entstehen begriffen seien.251 So modern einzelnes an diesem Verfassungsmodell auch wirkt, etwa die Idee der Verwaltungsdezentralisierung bei bleibender staatlicher Gewährleistungsverantwortung, muß man sagen, daß Forsthoffs Vorstellungen nicht minder restaurativ, um nicht zu sagen: einfallslos waren als die von ihm so heftig kritisierten parlamentarisch-rechtsstaatlichen Verfassungen. Nur setzte er eben den 247

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E. Forsthoff, Niedergang und Reform der Bürokratie (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1946)) 4. E. Forsthoff, Die Alternative (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 42 (1948), 3. E. Forsthoff, Verfassungsehrlichkeit (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 32 (1947), 3. S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, 1998, bes. 157 ff., 259 ff.; S. Boysen, Gleichheit im Bundesstaat, 2005, 61 ff. E. Forsthoff, Daseinsvorsorge als Aufgabe der Sozialgestaltung in Staat und Gemeinde (Vortrag im Rahmen des 11. Staatswissenschaftlichen Fortbildungskurses der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer), 21.10.1950, Ts., NL Forsthoff, 4.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

Bezugspunkt der geschichtlichen Rückanknüpfung anders. Der Unterschied war freilich bedeutend: Das positive Identifikationspotential der »organischen« Selbstverwaltungsideen Steins, die in Preußen nach den Befreiungskriegen die ungelöste Verfassungsfrage hatten offenhalten sollen,252 und einer genossenschaftlich »gegliederten Demokratie« war nach dem Zweiten Weltkrieg außerhalb kleiner konservativer Kreise gleich null. Auch der rigide Antizentralismus, der sie trug, konnte sich nach 1945 nicht nachhaltig im konservativen Staatsdenken behaupten, sondern blieb eine kurze Übergangserscheinung der Nachkriegsjahre.253 Er hatte sich ebenso wie das ganze organische Staatdenken in den Verfassungskämpfen den 19. Jahrhunderts politisch verbraucht. Forsthoffs Ideal hatte darüber hinaus nach dem Scheitern des konservativen Widerstands gegen Hitler in Deutschland auch keine soziale Basis mehr: Ein bis zur Schimäre reduziertes Parlament, ein mächtiges und auf soziales Prestige gestütztes Berufsbeamtentum und ein auf die Selbstverwaltungskörperschaften beschränktes Wahlrecht als »wirkliche« Demokratie – all dies waren gängige altkonservative Verfassungsvorstellungen gewesen, und gängig gewesen war seit je auch ihre polemische Wendung gegen das »westliche« Demokratieideal. Solche Einwände wirken indes geradezu oberflächlich gegen die in Forsthoffs Verfassungsvorstellung zum Ausdruck kommende Auffassung über die künftige Rolle des deutschen Staates. Denn welche Art von Politik sollte in dieser Verfassung schon möglich sein? Der Typus des Politikers, den sie auf allen Ebenen vor Augen hatte, stand nicht zufällig in der Tradition der großen Bürgermeister und Landräte des späten Kaiserreichs. Aber die Stelle der monarchischen Spitze, die bei Stein vorausgesetzt war und für die auch Goerdeler noch eintrat,254 blieb leer. Verfaßt war damit eine Politik, die sich im Grunde in der Vorsorge für die elementare Lebensbewältigung unter modernen Bedingungen erschöpft. Alle utopischen Züge des Politischen, ja jeder prospektive Gestaltungsanspruch ist aus dieser Verfassung institutionell eliminiert. Was Forsthoff als politische Neuordnung empfahl, trug damit nur allzu deutlich die Züge einer tiefgreifenden Desillusionierung. Man wird kaum sagen können, daß er große Hoffnungen auf die deutsche Nachkriegsordnung setzte.

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R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, 31981, 217 ff. T. Nipperdey, Der Föderalismus in der deutschen Geschichte, in: Nachdenken über die deutsche Geschichte, 1990, 119. C. F. Goerdeler, Das Ziel (1941), in: Politische Schriften und Briefe Carl Friedrich Goerdelers, Bd. 2, 2003, 943 f.; dazu G. Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, 1954, 290 ff.

Sechstes Kapitel: Zur Kritik der deutschen Nachkriegsverfassungen

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V. Zur Kritik des Grundgesetzes Wie nach alledem Forsthoffs Urteil über das Grundgesetz ausfiel, ist nicht erstaunlich. Diese Verfassung, meinte er, löse nicht die Probleme der Gegenwart, sondern der Vergangenheit. Man habe sich aus Einfallslosigkeit oder Verlegenheit an das Vorbild der Weimarer Reichsverfassung geklammert255 und bloß versucht, die Möglichkeiten einer legalen Beseitigung der Verfassung kautelarjuristisch auszuschließen. Schon während der Beratungen schrieb Forsthoff, die Verfassungsschöpfer dächten offenbar, »der Teufel komme immer durch die gleiche Tür, so daß es genüge, diese Tür durch ein Sicherheitsschloß zu verwahren, um allen Gefahren entronnen zu sein.«256 Am heftigsten kritisierte Forsthoff, daß man sich nicht auf ein vorläufiges Organisationsstatut beschränkt, sondern eine Vollverfassung geschaffen habe, die in Art. 79 Abs. 3 GG zudem materielle Revisionsschranken enthielt, die ihr ewige Geltung verleihen sollten. In diesem weitreichenden Ausgriff des Grundgesetzes auf die Zukunft konnte er nichts anderes erkennen als eine völlige Selbsttäuschung über die Situation, in der sich die deutsche Verfassunggebung nach dem Krieg befand. Ende 1948 bemerkte er über die Arbeit des Parlamentarischen Rates: »wenn erst der Bonner Verfassungsentwurf, wie er heute vorliegt, Gesetz geworden ist, wird auch der Wissenschaftler die Wahrheit unter die Treue zur Verfassung zu beugen haben. Dann wird das ganze Volk in schweigender Treue um die Verfassungskadaver stehen und einem Verwesungsprozeß beiwohnen, der nach ausdrücklicher Anordnung der Verfassung kein Ende haben darf.«257 Und zwei Wochen vor seinem Inkrafttreten verfaßte Forsthoff eine Würdigung des Grundgesetzes, in der es resignierend heißt: »Das Verfassungswerk konnte nicht gelingen, weil die deutsche Verfassung heute ein unlösbares Problem ist. Das eigentliche Unglück des Bonner Werkes ist die ihm zugedachte Dauer. Schon heute läßt sich mit Sicherheit voraussagen, daß es bald zum Gefängnis werden wird und daß es dann die vordringliche Sorge aller gutwilligen und aufrichtigen Demokraten sein wird, wie man diesem Gefängnis so schnell und so legal wie möglich wieder entrinnen kann. Das so stark lädierte Verfassungsbewußtsein wird dadurch erneut schweren Schaden nehmen.«258

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E. Forsthoff, Tendenzen und Kräfte im heutigen Verfassungsleben, Vortrag vom 25.9.1951 vor dem Verband der nordrheinischen Textilindustrie, Ts., NL Forsthoff, 2: »Es war weithin ein Weg zurück nach Weimar, zur Verfassung vom 11. August 1919.« E. Forsthoff, Die Angst vor der Demokratie, in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 50/51 (1948), 1. Ebd., 2. E. Forsthoff, Bunker für 1000 Jahre (unter dem Pseudonym ›Richard Seefeldt‹), in: Die Deutsche Wirklichkeit v. 7.5.1949, 2. Weiter heißt es dort: »Eine Notbehausung zu vorübergehendem Gebrauch wollte man bauen. Aber die Baumeister hatten kein Vertrauen zu ihrem Werk und seiner Statik. So haben sie immer wieder die Wände verstärkt, Stützen und Träger eingezogen und Fugen abgedichtet. Darüber ist ein Bunker entstanden, mehr zum eigenen Schutz denn als allgemeine Behausung und, wie wir fürchten, auf einem nicht tragfähigem Grunde. Zu tausendjährigem Gebrauch?«

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Dritter Teil: Nach der Utopie

Klassisch geworden ist diese Kritik ein Jahr später durch Werner Webers im Juni 1949 gehaltene Göttinger Antrittsvorlesung Weimarer Verfassung und Bonner Grundgesetz, die alle diese Einwände ebenfalls enthielt.259 Im Grundgesetz lebe, so Weber, die alte Verfassung fort wie »die geisterhafte Erscheinung eines nach verfehltem Leben unglücklich Abgeschiedenen«260. Man habe versucht, ein »Gespenst zu bannen« und die vermeintlichen Konstruktionsfehler von einst zu vermeiden. So habe man die Exekutive entmachtet, den Ausnahmezustand aufgelöst, das Volk durch die Parteien mediatisiert und die Verfassungstreue durch »Paragraphenlist«261 sichern wollen. Die Frucht der Mutlosigkeit sei ein »dünnwandiges Beziehungssystem von gläserner Sprödigkeit«262. Während das Gebot der Stunde ein Provisorium gewesen sei, enge das Grundgesetz den Spielraum für die künftige Entwicklung unverantwortlich ein. Die Änderungsschranke des Art. 79 Abs. 3 verleihe dem Verfassungswerk das täuschende Äußere eine »perfekten Verfassung mit allen ihren Prätentionen«263. Die Pointe von Webers Verfassungskritik war nicht die skeptische Bewertung des Grundgesetzes, sondern der Rückblick auf die Weimarer Verfassung.264 Sie, die so heftig bekämpft worden war, erschien nun mit einem Mal als die bessere und flexiblere Verfassung. Nicht so stark, aber in der Tendenz doch ähnlich sah es Forsthoff. Auch er hielt das Grundgesetz für ein Werk von »peinlicher Niveaulosigkeit«265. Vor allem vermißte er jeden Ansatz zur Wiederherstellung einer echten Gewaltengliederung, die in der Weimarer Verfassung mit dem Dualismus zwischen Reichstag und Reichspräsident immerhin noch in Ansätzen vorhanden gewesen war. Nachdem das Grundgesetz das Bundesparlament zum »Mittelpunkt und eigentlich entscheidenden Faktor innerhalb des […] Regierungssystems«266 gemacht habe, gebe es keine andere Gewalt mehr, die nicht direkt von ihm abhänge: nicht den parlamentarisch gewählten Staatspräsidenten und auch nicht den ebenfalls parlamentarisch gewählten Bundeskanzler. Damit gebe es auch keine institutionelle Partnerschaft verschiedener politischer Faktoren.

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Dazu ausführlich J. Kersten, Parlamentarische oder stabile Regierung, in: Weimars lange Schatten – »Weimar« als Argument nach 1945, hrsg. v. C. Gusy, 2003, 299 ff.; W. E. Scheuermann, Unsolved Paradoxes, in: Confronting Mass Democracy and Industrial Technology, hrsg. v. J. P. McCormick, 2002, 223 ff. W. Weber, Weimarer Verfassung und Bonner Grundgesetz (1949), in: Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 31970, 9. Ebd., 35. Ebd., 34. Ebd., 15. J. Kersten, Parlamentarische oder stabile Regierung, in: Weimars lange Schatten – »Weimar« als Argument nach 1945, hrsg. v. C. Gusy, 2003, 301. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 4.11.1948, BW, Nr. 20. E. Forsthoff, Die deutsche Staatskrise und das Grundgesetz, in: Zeitwende 21 (1949), 325.

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»Mit dem Zusammenbruch des Jahres 1945 hätte die Möglichkeit bestanden, zur gemäßigten Regierungsform zurückzukehren. Das ist nicht geschehen. Man wollte eine freiheitliche Verfassung mit organisatorischer Gewaltenteilung und Grundrechten, aber man machte sich nicht klar, daß nur die gemäßigte Regierungsform auch eine freiheitliche sein kann.«267

Für Forsthoff stand damit das Urteil zunächst fest. Auch das Grundgesetz würde nur eine weitere Episode sein in der seit dem Ersten Weltkrieg herrschenden deutschen Staatskrise und der stetigen Auflösung der Institutionen. Auch das Grundgesetz habe der Maßlosigkeit der demokratischen Nivellierung nichts entgegenzusetzen gewußt und beweise mit der Konzentration aller Macht beim Parlament nur ein weiteres Mal, »daß in der modernen Massenwelt die echte Partnerschaft überhaupt einigermaßen problematisch ist. Denn die Partnerschaft setzt […] das Anerkenntnis der Eigenständigkeit und des Eigenrechts der verschiedenen innerhalb eines politischen Gemeinwesens wirksamen Faktoren [voraus]. Sie verträgt sich deshalb nicht mit der Nivellierung, die das auszeichnende Merkmal aller Vermassung ist. Das Schwinden echter Partnerschaften im Laufe der Verfassungskrise ist ein Gradmesser für die Durchsetzung der modernen Massenwelt im Bereich der Verfassung.«268

Was aber folgte für Ernst Forsthoff langfristig aus dieser extremen Skepsis gegenüber im Grundgesetz vorgesehenen deutschen Nachkriegsordnung? Wenn das Grundgesetz in seinen Augen vor der Aufgabe versagt hatte, die verschiedenen politischen Potenzen des Soziallebens mäßigend einander zuzuordnen, wenn das Grundgesetz nicht Ausdruck der »Balancierung« sondern der »Nivellierung« und deshalb ein labiles Gefüge war, kurz: wenn es innerhalb des Institutionengefüges des Grundgesetzes keine wirkliche Gewaltengliederung gab, so konnte sich die Stabilität des neuen Staates nicht aus dieser Verfassung ergeben. Sie mußte, wenn überhaupt, parakonstitutionell errungen werden. Außerhalb, ja der geschriebenen Verfassung zum Trotz sollte sich eine gemäßigte Verfassung entwickeln. Darin sah Forsthoff die einzige Perspektive für die Dauerhaftigkeit der Gründung oder – hart formuliert – die einzige Chance, die vollzogene Rückkehr zu den überlebten Verfassungsformen des parlamentarischen Rechtsstaates politisch folgenlos zu stellen. Diese Möglichkeit der Stabilisierung der Bundesrepublik hat er wohl erstmals in einem im September 1951 vor einem Industrieverband gehaltenen Vortrag über »Tendenzen und Kräfte im heutigen Verfassungsleben« mit allen Konsequenzen erwogen.269 Er nahm in diesem Vortrag vieles zurück, was er in 267 268 269

Ebd., 324. Ebd., 325. E. Forsthoff, Tendenzen und Kräfte im heutigen Verfassungsleben, Vortrag vom 25.9.1951 vor dem Verband der nordrheinischen Textilindustrie, Ts., NL Forsthoff, 16 S. Eine Kurzfassung dieses Vortrags hat das Deutsche Industrieinstitut als Nr. 18 seiner »Vortragsreihe« hektographiert herausgegeben. Eines der wenigen Exemplare befindet sich in der Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

den Nachkriegsjahren über das deutsche Verfassungsproblem geschrieben hatte. Er räumte ein, daß ein anderer als der dann beschrittene Weg kaum gangbar und die Rückkehr zum Typus der westlichen Verfassung im Grunde »zwangsläufig« gewesen sei.270 Er revidierte sogar seine Warnungen vor einem neuen Parteientotalitarismus. Es habe, so meinte er nun, nach dem Ende des Nationalsozialismus keine Partei mehr gegeben, die imstande gewesen wäre, das Politische noch einmal in vergleichbarer Weise zu monopolisieren.271 Doch nicht nur das: Forsthoff begann in diesem Vortrag auch, seine in den Nachkriegsjahren vertretene Verfassungskonzeption und den ihr zugrundeliegenden Staatsbegriff zu überdenken. War er stets zumindest implizit davon ausgegangen, daß die gelungene Verfassung die Totalität der im Staat wirksamen politischen Kräfte erfassen und verbinden müsse, so gab er diese Vorstellung jetzt Stück für Stück auf. Was nämlich an Staatlichkeit in Deutschland noch bestehe, sei keine objektive Instanz oberhalb der Gesellschaft mehr. »Die Uhr des souveränen, objektiv-neutralen Staates ist abgelaufen.«272 Deshalb lasse sich die wirkliche Herrschaftsverfassung des Staates als ganze offenbar auch nicht mehr in den Formen einer Verfassung darstellen.273 Das »Staatswesen ist nicht einschichtig und, wie das Grundgesetz es will, auf den Parteien aufgebaut, sondern es ist vielschichtig, pluralistisch, eine subtile Kombination der überkommenen Verfassungselemente mit den kollektiven Gebilden, den neuen Trägern einer in den Parteien nicht aufgefangenen politischen Dynamik.«274 Wenn nun aber der begriffsimmanente Totalitätsanspruch der Verfassung über dem Zerfall des Subjektes Staat notwendig fiktiv werde, so werde die Verfassung damit zugleich ein bloßer Teilaspekt einer hauptsächlich außerhalb der Verfassung sich einpendelnden Gewaltenbalancierung zwischen den maßgeb-

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Ebd., 2: »Die Aufgabe der Verfassungsgebung besteht darin, die im Staate wirksamen Kräfte zu erfassen, ins Spiel zu setzen und sie zu einer handlungsfähigen politischen Einheit zu verbinden. Die Schwierigkeit, ja die Tragik unserer Verfassungsgebung nach 1945 bestand darin, dass zu ihrer Zeit solche politischen Kräfte nicht auf dem Plan waren. Die Verlegenheiten dieses Vakuums trafen sich mit konkreten Absichten der Besatzungsmächte, die ihre Aufgabe darin erblickten, das deutsche Volk auch verfassungspolitisch in die westeuropäische Völkerfamilie zurückzuführen. Dazu war die Bevölkerung der westlichen Besatzungszonen auch gewiss bereit. Aber die westlichen, freiheitlichen Verfassungsideale lassen der Verwirklichung einen weiten Spielraum. Die Umstände erlaubten es nicht, diesen Spielraum zu nutzen. So ging der Weg von den Lizenzparteien zu den Landesverfassungen und von ihnen zum Grundgesetz.« Ebd., 15. Ebd., 5. Ebd., 5. Weiter heißt es (ebd., 8): »Ich bin nun der Auffassung, dass man sich von den Begriffen des Souveränitätsstaates bewusst lösen muss, wenn man zu einer angemessenen Beurteilung unserer gegenwärtigen Verfassungslage gelangen will. Tut man das, so wird man die kollektiven Gebilde, die heute verfassungspolitisch ein so gewichtiges Wort mitreden, nicht mehr als indirekte Gewalten ansprechen, sondern man wird sie als die Formung neuer, ständischer oder berufsständischer Gewalten ansehen.« Ebd., 6.

Sechstes Kapitel: Zur Kritik der deutschen Nachkriegsverfassungen

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lichen Kräften.275 Dies wiederum habe zur Folge, das die »konkrete Verfassung« wesentlich »das jeweilige Kompromiss [ist], das die Oligarchien in wechselnden Kombinationen und Antithesen untereinander schließen. Sie beruht auf einer Balancierung dieser oligarchisch geführten Kräfte und setzt ein relatives Gleichgewicht dieser oligarchisch geführten Kräfte voraus, das in gewissen Grenzen manipulierbar ist.«276 So verlagere sich auch die politische Aufgabe der Verfassung in den außerverfassungsgesetzlichen Raum: Nicht nur die individuelle Freiheit werde künftig durch die Funktionsfähigkeit dieser arkanen Gewaltenbalancierung und ihren disziplinierenden Zwang zum Kompromiß gewährleistet,277 sondern auch die politische Stabilität des Staates selbst: »Das Schicksal des Grundgesetzes wird davon abhängen, ob das Verhältnis echter Partnerschaft, das das Grundgesetz nicht anerkennt, auf dieser mehr anonymen Ebene des politischen Kräftespiels zustande kommen und sich bewähren wird.«278 Die gegenüber dem Verfassungsgesetz verselbständigte, sich selbst stabilisierende Ordnung eines »Staates der Industriegesellschaft« war damit als eine paradoxe Möglichkeit verfassungstheoretisch konzipiert. Gewiß: Forsthoffs skeptische Bewertung des Grundgesetzes änderte sich durch diese neue Einschätzung der Lage nicht. Auch später noch hielt er eine rasche Verfassungsreform für notwendig, wie er sie etwa 1953 in einer pseudonym publizierten Denkschrift für die Gesellschaft für Neue Staatspolitik darlegte.279 Die Mängelliste war die alte: Da war einmal der Bundestag, seine »Überforderung« durch Angelegenheiten der Verwaltung und seine Instrumentalisierung durch die Parteien, da war die im »parteienbundesstaatlichen Pseudoföderalismus«280 problematische Stellung des Bundesrates, und da war der »mißglückte Justizstaat«281, in dem die Autorität der Rechtsprechung in ihrer Allzuständigkeit Schaden zu nehmen drohte. Forsthoff forderte deshalb die Einführung eines selbständigen Gesetzgebungsrecht der Exekutive nach dem Vorbild des Weimarer Notverordnungsrechts, die Reduzierung des Parteieinflusses im Bundesrat, die Begrenzung gerichtlicher Zuständigkeiten zugunsten der Verwaltung und erneut die Stärkung eines parteipolitisch neutralen Berufsbeamtentums.282

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Ebd., 1. Ebd., 15. Ebd., 11: »Die Individualrechte werden heute durch zweierlei gesichert: Durch die Vorkehrungen der geschriebenen Verfassung und durch die wechselseitige Hemmung der Verfassungsfaktoren, die einen Totalitarismus ausschliesst.« E. Forsthoff, Die deutsche Staatskrise und das Grundgesetz, in: Zeitwende 21 (1949), 330. Hervorhebung nicht im Original. E. Forsthoff, Notwendigkeit und Möglichkeit einer Verfassungsreform (anonym ›Von einem Staatsrechtslehrer‹), in: Blätter für neue Staatspolitik 2 (1953), 7 ff. Ebd., 9. Ebd., 10. Ebd., 8 ff.

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Dritter Teil: Nach der Utopie

Die Verfassungsreform, für die Forsthoff 1953 plädierte, hatte allerdings gegenüber den ersten Nachkriegsjahren erheblich an Radikalität verloren. Das ist nicht erstaunlich, denn für Forsthoff hing angesichts einer neuartigen Struktur der Verfassungswirklichkeit nun auch weniger von diesen Fragen ab. Hatte Forsthoff es zuvor als das fundamentale Paradox der Nachkriegsverfassungen angesehen, daß sie zu den Verfassungsformen des bürgerlichen Jahrhunderts zurückkehrten, obwohl die Voraussetzungen des bürgerlichen Verfassungsbewußtseins entfallen waren,283 so wollte er dieser Entwicklung die innere Logik, ja sogar die hintergründige »Vernünftigkeit« nun nicht mehr absprechen.284 Das freilich forderte, wie im vierten Teil zu zeigen ist, einen hohen verfassungstheoretischen Preis. Die neuen alten Verfassungen konnten in der so grundlegend veränderten Wirklichkeit nicht mehr das gleiche bedeuten.

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E. Forsthoff, Zur Einführung, in: Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, Bd. 1, 1951, XXXIII. E. Forsthoff, Tendenzen und Kräfte im heutigen Verfassungsleben, Vortrag vom 25.9.1951 vor dem Verband der nordrheinischen Textilindustrie, Ts., NL Forsthoff, 9.

Vierter Teil Im Staat der Industriegesellschaft

Siebentes Kapitel Der Rechtsstaat nach seinem Ende »Inzwischen sind wir ja durch die Erfahrung genug darüber belehrt worden, daß es für konservative Kräfte eine unbedingte Notwendigkeit ist, sich auf den Boden des Rechtsstaates zu stellen, weil sie sich nur so vor der Ausrottung schützen können. […] Interessant ist mir ja, daß nirgendwo, soweit ich sehe, sich ein Versuch bemerkbar macht, diese Idee des Rechtsstaates wieder als Programmpunkt und Feldgeschrei zu erheben […].« (Hans Barion an Ernst Forsthoff, 4.1.1946)

Als Ernst Forsthoff aus der durch Amtsverlust und Erwerbsnöte verordneten Halböffentlichkeit in die offizielle Wissenschaft zurückkehrte, waren die verfassungspolitischen Entscheidungen der Bundesrepublik gefallen. Die Ideale der Konservativen, die Forsthoff so vehement vertrat, hatten im Verfassungsprozeß der Nachkriegszeit kaum eine Rolle gespielt, weil sie praktisch ohne jede Durchsetzungschance waren. Die deutschlandpolitischen Entscheidungen des Jahres 1948 hatten die Weichen für das Grundgesetz gestellt. Nach den Frankfurter Dokumenten war deutlich geworden, daß die Alliierten eine ihren Vorstellungen von Demokratie widersprechende Verfassung des Weststaates nicht akzeptieren würden.1 Es kam nun darauf an, sich zum Grundgesetz zu positionieren, das noch weniger als die Weimarer Reichsverfassung ein Werk der Staatsrechtslehre war. Kein einziger intellektuell bedeutsamer Fachvertreter war an der Entstehung direkt beteiligt. Viele, wohl die meisten standen dem Grundgesetz mit Skepsis gegenüber. Wäre nicht ein provisorisches Organisationsstatut die ehrlichere Antwort auf die offene deutsche Frage gewesen? Wie schwer würde die Hypothek des verlorenen Krieges auf dem Grundgesetz lasten? Welches eigene Gewicht konnte der neue Staat gegenüber den allmäch-

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P. Graf Kielmannsegg, Nach der Katastrophe, 2000, 61 ff.; H. Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, 1990, 311 ff.; R. Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes und Entstehen der Bundesrepublik, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, hrsg. v. J. Isensee/ P. Kirchhof, 32003, § 8, Rdnr. 53.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

tigen Besatzern schon haben? Welche Rolle würden die Parteien spielen? Sollte sich das Schicksal der ungeliebten Weimarer Verfassung am Ende wiederholen? War das Bonner Grundgesetz nicht auch bloß ein ideenloser Abklatsch westeuropäischer Verfassungsvorstellungen oder ein zweiter Aufguß der Weimarer Verfassung? Die Staatsrechtslehre der fünfziger Jahre stand überall im Zeichen solcher Zweifel.2 Erst allmählich nahmen die Vorbehalte gegen das Grundgesetz ab, erst mit der Zeit bildeten sich innerhalb der wissenschaftlichen Schulen die Ordnungsideen und Leitbegriffe heraus, unter denen die neue Verfassung und das neue Recht sich darstellen, systematisieren und begründen ließen. Ernst Forsthoff hat sich auf das Grundgesetz nie ernsthaft eingelassen. Er hielt wenig vom vielbeschworenen »Geist« dieser Verfassung, wie er ja überhaupt die Epoche geschriebener Verfassungen für beendet erachtete. Noch 1968 stellte er lapidar fest: »Das Grundgesetz enthält nichts, das es verdiente, als Errungenschaft bezeichnet zu werden.« (RW II, 189) Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen haben die mit dem kalten Blick des Ungläubigen verfaßten Arbeiten Forsthoffs über das Grundgesetz in der staatsrechtlichen Diskussion der fünfziger und sechziger Jahre eine einzigartige Rolle gespielt. In den beiden ersten großen Verfassungskontroversen um den Sozialstaat und die Verfassungsauslegung war er es, der den Ton und die Stichworte vorgab. Diese herausgehobene Stellung paßte zwar nicht zur Attitüde des überhörten Außenseiters, mit der er sich zu umgeben pflegte. Denn jedenfalls in beruflicher Hinsicht war er keineswegs ein Ausgestoßener, sondern avancierte nach 1950 zu einem der gefragtesten und erfolgreichsten Rechtsgutachter und Regierungsberater in seinem Fach.3 Doch offenbar war diese Attitüde ihm geradezu eine Arbeitsbedingung. Wenn es im folgenden darum geht, Forsthoffs verfassungsrechtliche Schriften der frühen Bundesrepublik in ihrer Zeit zu verorten, so sind dafür zwei Vorbemerkungen vonnöten. Die erste betrifft die rasch so genannte ForsthoffAbendroth-Kontroverse um die Bedeutung des Sozialstaatssatzes des Grundgesetzes. Diese Kontroverse hatte weder nur die Sozialstaatsfrage zu ihrem Gegenstand, noch beschränkte sie sich auf jene zwei Protagonisten, Ernst Forsthoff und Wolfgang Abendroth, den nach dem frühen Tode Hermann Hellers profiliertesten Vertreter einer sozialistischen Staats- und Verfassungstheorie, der nach dem Krieg kurze Zeit in der sowjetischen Zone gelehrt hatte

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3

M. Stolleis, Die Staatsrechtslehre der fünfziger Jahre, in: Das Lüth-Urteil aus (rechts-) historischer Sicht, hrsg. v. T. Henne/A. Riedlinger, 2005, 298; F. Günther, Ein Jahrzehnt der Rückbesinnung, in: Das Lüth-Urteil in (rechts-) historischer Sicht, hrsg. v. T. Henne/ A. Riedlinger, 2005, 303 ff. Die wichtigsten gedruckten Gutachten sind nachgewiesen bei W. Blümel/H. H. Klein, Bibliographie Ernst Forsthoff, in: Festschrift für Ernst Forsthoff zum 70. Geburtstag, hrsg. v. R. Schnur, 1972, 495 ff., die freilich nur einen kleinen Ausschnitt aus Forsthoffs Gutachtertätigkeit darstellen.

Siebentes Kapitel: Der Rechtsstaat nach seinem Ende

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und seit 1950 Professor für wissenschaftliche Politik in Marburg war.4 Die Streitfrage war vielmehr denkbar weit: Die juristische Bedeutung der Verfassung überhaupt stand zur Diskussion und nicht weniger das Selbstverständnis der Staatsrechtslehre. Was konnten Verfassung und Verfassungsrechtswissenschaft in der »Trümmergesellschaft« leisten? Was bedeutete die Restauration des liberal-rechtsstaatlichen Verfassungstyps nach den Erfahrungen seit 1919? In vielerlei Hinsicht setzte sich damit der 1933/34 jäh abgebrochene Richtungsstreit fort, wenn auch unter anderen Vorzeichen und zumeist eher unterschwellig.5 Solche Aspekte erklären die geistige und politische Intensität, mit der die Kontroverse ausgefochten wurde und die scheinbar paradoxe Tatsache, daß der Streit um den Sozialstaat endete, als es mit dem deutschen Sozialstaat wieder aufwärts ging. Die Debatte endete ohne viel Aufhebens, als sich Mitte der fünfziger Jahre – Pariser Verträge, Godesberger Programm, »Wirtschaftswunder«, Rentenreform6 – die Verfassung und die politischen Verhältnisse der Bundesrepublik stabilisierten. Während die Staatsrechtslehre in den Grundrechten für Jahrzehnte ihr großes Thema fand,7 ebbte die Diskussion über die politische Verfassungsstruktur des Grundgesetzes ab oder nahm juristisch eine ganz andere Wendung.8 Erst seit dem Ende der sechziger Jahre zog das Verfassungsprinzip des Sozialstaates als solches wieder Interesse auf sich – nun allerdings nahezu ausschließlich von seiten der Politischen Wissenschaft,9 während sich auf der anderen Seite das Sozialrecht als eigenständige juristische Disziplin etablierte.10 Die juristische Komplexität dieser Verfassungsdiskussion der fünf-

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Zur Biographie Abendroths vgl. nur F.-M. Balzer (Hrsg.), Wolfgang Abendroth, 2001; A. Diers, Arbeiterbewegung – Demokratie – Staat, 2006 sowie die Einleitungen der Herausgeber in den ersten beiden Bänden der Ges. Schr. (2007/8). P. C. Caldwell, Is a »Social Rechtsstaat« Possible?, in: From Liberal Democracy to Fascism, hrsg. v. P. C. Caldwell/W. E. Scheuermann, 2000, 136 ff.; s.a. E. R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht (1956), in: Bewahrung und Wandlung, 1975, 257. G. Metzler, Konzeptionen politischen Handelns von Adenauer bis Brandt, 2005, 91 ff. M. Stolleis, Die Staatsrechtslehre der fünfziger Jahre, in: Das Lüth-Urteil aus (rechts-) historischer Sicht, hrsg. v. T. Henne/A. Riedlinger, 2005, 298 f.; O. Lepsius, Die Wiederentdeckung Weimars durch die bundesdeutsche Staatsrechtslehre, in: Weimars lange Schatten, hrsg. v. C. Gusy, 2003, 390. Hierfür kann die Entwicklung der grundrechtlichen »Teilhaberechte« als paradigmatisch gelten. Die Meilensteine sind: P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), 43 ff.; BVerfGE 33, 303 ff. (»Numerus Clausus«-Beschluß, Juli 1972). Sehr früh R. Kraus, Sozialstaatlichkeit und soziale Marktwirtschaft, Diss. Basel 1962; bloß »ideologiekritisch« dagegen W. Skuhr, Die Stellung zur Demokratie in der deutschen Nachkriegsdiskussion über den demokratischen und sozialen Rechtsstaat, Diss. Berlin 1961; die eigentlichen Inzitamente kamen später: H.-H. Hartwich, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher status quo, 1970; C. Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, 1972; J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 1973; W.-D. Narr/ C. Offe (Hrsg.), Wohlfahrtsstaat und Massenloyalität, 1975; M. Spieker, Legitimitätsprobleme des Sozialstaats, 1986, um nur die wichtigsten Werke zu nennen. M. Stolleis, Geschichte des Sozialrechts in Deutschland, 2003, 307 ff.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

ziger Jahre läßt sich infolgedessen jedenfalls nicht auf der Ebene des Sozialstaatsbegriffes allein einfangen, sondern nur mit Blick auf die Verfassungsstruktur im Ganzen. Die Problemanalyse muß stets zumindest das dreipolige Verhältnis von Rechtsstaats-, Sozialstaats- und Demokratieverständnis im Blick behalten sowie das implizite Verständnis des Verhältnisses von Verfassungsund einfachem Gesetzesrecht. Auf diese Weise wird die Diskussion der frühen Bundesrepublik zu rekonstruieren sein (I.). Die zweite Vorbemerkung betrifft die Verortung von Forsthoffs Position innerhalb dieser Diskussion. Seine Stellungnahmen zu deutschen Verfassungsfragen waren nie systematisch, immer polemisch gegen eine bestimmte Lesart des Grundgesetzes gerichtet,11 außerordentlich vielschichtig, oft geradezu abgründig. Sie erlauben keine einfache Bestimmung seines politischen Standpunktes, doch bündeln sie in zugespitzter Form Forsthoffs Kritik an den Nachkriegsverfassungen, seine Sorge um das Normative des öffentlichen Rechts und die Stellung der juristischen Wissenschaft. Seit seinem berühmten Vortrag über Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates auf der Staatsrechtslehrertagung 1953, die – ausgerechnet! – in Bonn stattfand, hat Forsthoff einen spezifischen Begriff des Rechtsstaates ins Zentrum seiner Verfassungsinterpretation gestellt. Mit diesem Begriff hat es eine schwer zu durchschauende Bewandtnis, weil er sich von beinahe allem unterscheidet, was sonst in der Bundesrepublik darunter verstanden wurde. Auch taucht der Begriff sehr plötzlich im Zentrum von Forsthoffs Schriften auf und scheint auf einen konzeptionellen Bruch hinzudeuten: Hatte Forsthoff nicht zuvor immer wieder auf die Antinomie von bürgerlichem Rechtsstaatsbegriff und moderner Staatswirklichkeit hingewiesen? Hatte er nicht dargelegt, daß die Daseinsvorsorge der Verwaltung das überkommene Verständnis von Gewaltenteilung und Grundrechtsschutz ausschloß? Hatte er nicht von diesem Standpunkt aus für eine am Schutz sozialer Teilhabe orientierte Verfassung und Verwaltung optiert? Und mußte es nicht dazu im Widerspruch stehen, wenn er sich nun, nach 1949, umgehend und zwar mit Betonung auf den Standpunkt jenes »bürgerlichen« Rechtsstaates stellte? Legt man nur den Begriff des Rechtsstaates zugrunde, ist das folgerichtig.12 Wie in diesem Kapitel zu zeigen ist (II.), setzte Forsthoff jedoch mit seiner Ver11

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Das gilt zumal für den Staatsrechtslehrervortrag Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, mit dem er es sehr bewußt auf eine Auseinandersetzung angelegt hatte. Drei Wochen vor seinem Auftritt schrieb er voller Vorfreude an Carl Schmitt: »Ich lasse vom sozialen Rechtsstaat auf der Ebene der Verfassung nichts mehr übrig. Gewiß wird es lebhaften Widerspruch geben und der irenische Scheuner wird schließlich die complexio oppositorum vollziehen.« (Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 20.9.1953, BW, Nr. 63). So argumentiert namentlich U. Storost, Staat und Verfassung bei Ernst Forsthoff, 1979, 21 f.; ähnlich schon W. Skuhr, Die Stellung zur Demokratie in der deutschen Nachkriegsdiskussion über den demokratischen und sozialen Rechtsstaat, Diss. Berlin 1961, 74 ff., 85. Um aus dem ganzen Forsthoff einen orthodoxen Nationalsozialisten zu machen, bestreiten dagegen H.-D. Bamberg, Zu Ernst Forsthoffs Staat der Industriegesellschaft, in:

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fassungslehre des Rechtsstaats sein rechtsdogmatisches und rechtsphilosophisches Programm fort, das er seit der Verwaltung als Leistungsträger entwickelt hatte. Er konnte dies, gerade weil er überzeugt war, daß die Zeit geschriebener Verfassungen vorbei (RW, 50) und die strukturbestimmende Substanz des Rechts auch künftig unterhalb der Verfassung zu suchen sei. So besetzte Forsthoff, um ein Beispiel vorwegzunehmen, das Begriffspaar Rechtsstaat und Sozialstaat mit der Kardinalunterscheidung seiner Rechtsdogmatik: Eingriff und Teilhabe. Mit welcher Konsequenz er das tat und wie radikal und neuartig der dadurch gewonnene Begriff des Rechtsstaates war, ist bisher wenig gewürdigt worden. Was diesen Begriff des Rechtsstaates trug, ist die nicht weiter auflösbare Paradoxie, daß es einen echten Rechtsstaat nach der Zerstörung der bürgerlichen Welt nicht mehr geben kann, daß aber gerade deswegen alles darauf ankommt, mit den Mitteln des Rechts einen unechten, künstlichen Rechtsstaat fungibel zu halten: den Rechtsstaat nach seinem Ende.

I. Rechtsstaat – Sozialstaat – Demokratie: Hauptlinien der Diskussion in der frühen Bundesrepublik Den Verlauf der Diskussion um den Charakter des Grundgesetzes im allgemeinen und die Bedeutung des Sozialstaatsartikels im besonderen zu rekonstruieren, ist insofern nicht ohne Schwierigkeiten, als theoretisch-programmatische Äußerungen der Beteiligten die Ausnahme waren,13 ganz im Gegensatz zu den letzten Jahren von Weimar. »Auf programmatische Aufsätze und Erklärungen wurde bewußt verzichtet. Bestimmend war die Absicht, schlicht und ohne große Worte wieder an die Arbeit zu gehen.«14 Mit diesen Sätzen eröffnete das Archiv des öffentlichen Rechts seinen ersten Nachkriegsjahrgang und traf damit eine verbreitete Stimmung.15 Doch so unprogrammatisch, so bescheiden positivistisch wie man sich gab, waren die wenigsten. Integrierend wirkte allemal der antimarxistische Konsens, die in den ersten Jahren noch wache Angst, man könnte doch noch das Schicksal des Ostens teilen. Dagegen waren die Stimmen von Abendroth oder auch Martin Drath (»unser Draht nach Moskau«) die Stimmen von Außenseitern.16 Forsthoff hatte über Abendroth kaum mehr zu

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Demokratie und Recht 1 (1973), 74 u. passim sowie R. Schuckart, Staatsgewalt als Instrument gesellschaftlicher Disziplinierung, Diss. Hannover 1993, 200 ff., einen konzeptionellen Bruch. C. Möllers, Der vermisste Leviathan, 2008, 31. Herausgeber und Verlag, Zum neuen Jahrgang, in: AöR 74 (1948), 2. F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 63 ff. Ebd., 96; D. van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 22002, 166 ff.; Zu Leben und Werk Martin Draths siehe M. Henkel/O. W. Lembcke (Hrsg.), Moderne Staatswissenschaft, 2010.

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sagen hatte als: »Er ist ein jugendbewegter Phantast und in keinem Sinne ein Jurist.«17 Trotzdem läßt sich gerade Abendroths Bedeutung als radikaler Herausforderer kaum unterschätzen (1.). Die breite Ablehnung, die ihm entgegenschlug, beruhte aber nicht auf einer geschlossenen Gegenposition. Vielmehr bildete sich bald der Gegensatz eines formalen und eines materialen Verfassungsdenkens heraus, der danach jahrzehntelang die Diskussion dominierte.18 Eine breite Mehrheit argumentierte auf der Basis eines materialen Verfassungsbegriffs (2.), in den ganz unterschiedliche Strömungen einflossen: naturrechtliche Ideen, christliche Soziallehren, halbverdaute Gemeinschaftsvorstellungen, aber auch anspruchsvolle rechtsethische Konzeptionen. Dagegen operierte Forsthoff mit einem hochgradig formalisierten Konzept des rechtsstaatlichen Verfassungsrechts. Die Stoßrichtung seiner Kritik des materialen Verfassungsdenkens berührte sich wiederum mit späteren Auffassungen der staatsrechtlichen Linken, wie sie insbesondere von Helmut Ridder und Ulrich K. Preuß vertreten wurden.19 1. Sozialstaat und soziale Demokratie: Ernst Forsthoff und Wolfgang Abendroth Was zunächst die Verfassungsinterpretation Wolfgang Abendroths angeht, so läßt sie sich vortrefflich anhand eines Falles erläutern. Dieser Fall ist umso interessanter als auch Forsthoff in ihm eine Rolle spielt. Gemeint ist der vom Deutschen Gewerkschaftsbund im Frühling 1952 initiierte Streik gegen den Regierungsentwurf eines Mitbestimmungsgesetzes, der eine heftige politische Krise zwischen Parlament, Regierung und Gewerkschaften auslöste.20 Die Gewerkschaften sahen in dem Vorhaben eine nicht hinnehmbare Schwächung der Mitbestimmung. Es war die auf lange Zeit heftigste Auseinandersetzung um die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik. Im Mittelpunkt der juristischen Auseinandersetzung stand die Frage, ob die Gewerkschaften auch dann zum Streik berechtigt sein sollten, wenn sie nicht Tarifforderungen im engeren Sinne, sondern allgemeine arbeitspolitische Ziele verfochten. Auf theoretischer Ebene wurde vor allem um den verfassungsrechtlichen Begriff der Demokratie

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Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 18.6.1954, BW, Nr. 74. Dazu 8. Kap., S. 410 ff. P. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, 26; s.a. V. Neumann, Rechts- und verfassungstheoretische Positionen der staatsrechtlichen Linken, in: Der Staat 21 (1982), 556. Dazu T. Ramm, Pluralismus ohne Kodifikation, in: Rechtswissenschaft in der Bonner Republik, hrsg. v. D. Simon, 1994, 467 f.; C. Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung, 1982, 236 ff.; K. W. Nörr, Die Republik der Wirtschaft, Tl. I, 1999, 119 ff.; X. Rajewsky, Arbeitskampfrecht in der Bundesrepublik, 1970, 29 ff.; G. Kritidis, Linkssozialistische Opposition in der Ära Adenauer, 2008, 40 ff., 124 ff.

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gestritten.21 Ernst Forsthoff und Wolfgang Abendroth standen sich dabei als Rechtsgutachter gegenüber, und gerade diese Gegenüberstellung macht Abendroths Position besonders deutlich. In Forsthoffs Rechtsgutachten für die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände tauchen eine ganze Reihe von Positionen auf, die seine Verfassungsinterpretation später prägen sollten. Es machte sich im Kern den Rechtsstandpunkt Konrad Adenauers zu eigen22 und wurde von den Gerichten auch zunächst befolgt.23 Seine Argumentation zielte darauf ab, den Gewerkschaften die Berufung auf ihre »demokratische« Legitimation und überhaupt auf »wirtschaftliche Demokratie« aus der Hand zu schlagen. Schon früher hatte Forsthoff sich in einer Denkschrift, die auf Überlegungen aus dem Tremsbüttler Kreis um »Mundus Christianus« zurückging,24 für eine eng begrenzte und dezidiert gewerkschaftsfeindlich konzipierte Arbeitnehmermitbestimmung ausgesprochen.25 Aus dem demokratischen Prinzip des Grundgesetzes deduzierte Forsthoff ein Monopol des Gesetzgebers, »das politische Volk zu repräsentieren und namens des Volkes oder kraft des demokratischen Prinzips zu handeln und zu beschließen«26. Die Demokratie des Grundgesetzes beschränke die politischen Aktivrechte des Staatsbürgers auf Wahlen und Abstimmungen, ja, es habe »den Rahmen und die Formen der staatsbürgerlichen politischen Aktivität im Vergleich zur Weimarer Verfassung bewußt reduziert.«27 Die Antinomie zwischen staatlicher Repräsentation und gesellschaftlicher Pluralität lebe in ihr als ein »nicht zu behebender Widerspruch«28 fort. Deshalb greife ein gegen die autonome Willensbildung des Parlaments gerichteter Arbeitskampf die Neutralität des Staates in verfassungswidriger Weise

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J. Perels, Die Rechtmäßigkeit des politischen Demonstrationsstreiks, in: Demokratie und soziale Emanzipation, 1988, 64 ff. T. Ramm, Pluralismus ohne Kodifikation, in: Rechtswissenschaft in der Bonner Republik, hrsg. v. D. Simon, 1994, 468; vgl. J. Kaiser (Hrsg.), Der Deutsche Gewerkschaftsbund 1949 bis 1956, 1996, 316, und die Stellungnahme Adenauers, abgedruckt bei C. Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung, 1982, 485 ff.; X. Rajewsky, Arbeitskampfrecht in der Bundesrepublik, 1970, 31 f. X. Rajewsky, Arbeitskampfrecht in der Bundesrepublik, 1970, 37 f.; J. Perels, Die Rechtmäßigkeit des politischen Demonstrationsstreiks, in: Demokratie und soziale Emanzipation, 1988, 69. S. nur [Anonymus], Leitsätze zur Frage des Mitbestimmungsrechts, in: Mundus Christianus Heft 2 (1948), 2 f. K. Ballerstedt/R. Dahlgrün/E. Forsthoff/O. A. Friedrich/C. Neumann/H. Premer/T. Steltzer, Mitbestimmungsrecht und Bundeswirtschaftsrat, o. J. (1950), 8 f., 13 f. E. Forsthoff, Rechtsgutachten, in: E. Forsthoff/A. Hueck, Die politischen Streikaktionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes anläßlich der parlamentarischen Beratung des Betriebsverfassungsgesetzes in ihrer verfassungs- und zivilrechtlichen Bedeutung, 1952, 5. Ebd., 24. E. Forsthoff, Die Wirtschaftsverfassung im Rahmen der Gesamtverfassung, in: Ratgeber von Parlament und Regierung, hrsg. v. Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten, 1951, 130 (Hervorhebung weggelassen).

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an:29 »Das aber bedeutet die Ersetzung des Verfahrens geordneter Staatswillensbildung durch den Machtkampf organisierter Gruppen und damit das Ende der Verfassung.«30 Das Grundgesetz dulde keine »oligarchischen Herrschaftsgruppen«31 wie die Gewerkschaften, die außerhalb der parlamentarischen Formen nach politischer Macht strebten. Die Anerkennung des funktionellen Zusammenhangs von Demokratie und Sozialstaatlichkeit führe notwendig zur Prävalenz solcher indirekter Gewalten, weil sie die Monopolisierung der Ausbildung politischer Herrschaft beim Staat in Frage stelle.32 Man kann es kurz machen: Forsthoff zog alle Register gegen »gesellschaftliche« Demokratisierung. Doch nicht deswegen ist das Gutachten bemerkenswert. Der restriktive Demokratiebegriff war derjenige Carl Schmitts aus der Weimarer Zeit,33 den auch Werner Weber in der frühen Bundesrepublik gegen einen »Pluralismus politischer Stände«34 mobilisiert hatte. Bemerkenswert ist vielmehr, daß Forsthoff zu den Ergebnissen seines Gutachtens nur mit einer strikten Unterscheidung zwischen staatlicher Repräsentation und gesellschaftlicher Freiheit kommen konnte. Er verteidigte also mit besonderer Betonung eben jene Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, die er verwaltungsrechtlich und staatstheoretisch zuvor immer wieder für erledigt erklärt hatte. Wenn sie auch fiktiv war, so mußte sie gerade als eine künstliche Unterscheidung umso strenger beachtet werden. Das dagegen für den DGB erstattete Rechtsgutachten Abendroths setzte an dieser Stelle an und nahm die Auseinandersetzung zum Anlaß für sehr grundsätzliche Erwägungen über die Verfassungsstruktur der Bundesrepublik.35 Abendroth bestritt jede Trennung zwischen staatlicher und gesellschaftlicher Willensbildung; die sozialstaatlichen Massendemokratien hätten legitimerweise »plebiszitären Charakter«, das freie Mandat sei demgegenüber bloße

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E. Forsthoff, Rechtsgutachten, in: E. Forsthoff/A. Hueck, Die politischen Streikaktionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes anläßlich der parlamentarischen Beratung des Betriebsverfassungsgesetzes in ihrer verfassungs- und zivilrechtlichen Bedeutung, 1952, 5, 18. Ebd., 22. Ebd., 30. Ebd., 27. C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, 239 ff.; ders., Der Hüter der Verfassung, 1931, II. Teil, 71 ff.; ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923), 21926, 13 ff. W. Weber, Der Einbruch politischer Stände in die Demokratie (1951), in: Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 31970, 36 ff., bes. 51 ff. Die Aufsatzsammlung Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem steht in seiner politischen Deutung des Grundgesetzes Forsthoff in jeder Hinsicht besonders nahe, und Forsthoff schätzte das Buch außerordentlich: Ernst Forsthoff an Werner Weber, 18.10.1970, BA Koblenz, NL Weber: »ein wahres Vademecum […], das mich bei allen verfassungsrechtlichen Überlegungen begleitet hat.« S. X. Rajewsky, Arbeitskampfrecht in der Bundesrepublik, 1970, 40 ff. Eine weitere, auf mittlerer Linie liegende theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema ist die Antrittsvorlesung von J. H. Kaiser, Der politische Streik, 1955.

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Fiktion.36 Der ganze parlamentarische Komplex legitimiere sich, so Abendroth, nur als »technisches Mittel der plebiszitären Selbstgestaltung des Volkes«37. Die Gewerkschaften seien die Protagonisten der emanzipatorischen Selbstgestaltung und Träger des Gesamtinteresses an »demokratischer Organisation der Gesellschaft und der Ausschaltung privilegierter Machtpositionen«38. Der politische Kampf um das Mitbestimmungsrecht war bald entschieden. Er endete mit einer eklatanten und nachhaltigen Niederlage der Gewerkschaften.39 Doch hatte er Ernst Forsthoff und Wolfgang Abendroth Gelegenheit gegeben, ihre politischen Positionen abzustecken, so daß sich die Sache später leicht ins Grundsätzliche ziehen ließ. Im Mai 1954 schon hatte Abendroth Forsthoff nach Marburg zu einem öffentlichen Streitgespräch über den politischen Streik eingeladen.40 Ob es stattgefunden hat, ist nicht überliefert. Den Auftakt bildete dann Abendroths bedeutende Abhandlung über das Sozialstaatsprinzip, die 1954 in der Festschrift für den Sozialdemokraten Ludwig Bergsträsser erschien. Sie war ursprünglich als Korreferat für die Staatsrechtslehrertagung über »Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates« gedacht,41 und es wäre dann zu einer direkten Konfrontation mit Forsthoff gekommen. Aber wie Abendroth selbst angegeben hat, wollte man ihn dort nicht vortragen lassen, obschon er seinerzeit sogar dem Vorstand angehörte. In Form eines ausführlichen Diskussionsbeitrags42 war er gleichwohl vertreten. Abendroth machte eine gesellschaftstheoretisch begründete Verknüpfung von Demokratie und Sozialstaat zur Grundlage für eine extrem reformistische Auslegung des Grundgesetzes.43 Er sah im Sozialstaatspostulat, unter Berufung

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W. Abendroth, Die Berechtigung gewerkschaftlicher Demonstrationen für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft (1953), in: Ges. Schr., Bd. 2, 2008, 247. Ebd., 237. W. Abendroth, Zur Funktion der Gewerkschaften in der westdeutschen Demokratie (1952), in: Ges. Schr., Bd. 2, 2008, 228 f. C. Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung, 1982, 238; K. Sontheimer, Die Adenauer-Ära, 21996, 90; G. Kritidis, Linkssozialistische Opposition in der Ära Adenauer, 2008, 42 f. Wolfgang Abendroth an Ernst Forsthoff, 19.5.1954, NL Forsthoff. W. Abendroth, Ein Leben in der Arbeiterbewegung, 1976, 213 f: »Als im Jahre 1953 auf der Jahrestagung dieser Vereinigung über den Sozialstaat verhandelt werden sollte, lehnte der Vorstand bereits ein Referat von mir ab. […] An meiner Stelle referierten Ernst Forsthoff, der den Faschismus juristisch voll unterstützt hatte, und Otto Bachof, der nicht ganz so konservativ war wie Forsthoff und einer jüngeren Generation angehört, die sich allerdings widerspruchslos von jenen Älteren in wissenschaftliches Denken hatte einführen lassen.« Dazu J. Perels, Zur Aktualität der Sozialstaatsinterpretation von Wolfgang Abendroth, in: »Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie«, hrsg. v. H.-J. Urban u. a., 2006, 101. W. Abendroth, Diskussionsbemerkung zu ›Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates‹, in: VVDStRL 12 (1954), 85 ff. (nicht in den Ges. Schr.). J. Habermas, Vorwort zur Neuauflage, in: Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962), 1990, 26.

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auf die Staatslehre Hermann Hellers,44 ein dialektisches Teilstück einer vom Grundgesetz errichteten, aber noch zu vollendenden Gesamtordnung, in der sich Rechtsstaat, Sozialstaat und Demokratie als »drei gedankliche Elemente zu einer Einheit« verbänden. Alle drei Elemente seien innerhalb der Gesamtverfassung nur Momente, die »einander durchdringen und isolierter Interpretation nicht mehr zugänglich sind.«45 Diese Sinneinheit solle bindend für die gesamte Auslegung des einfachen Gesetzesrechts sein,46 zumal der Eigentumsregelungen. Der Sozialstaatssatz ermögliche es, die Eigentums- und Produktionsverhältnisse zu politisieren und auf diese Weise zu revolutionieren: »Der demokratisch organisierte Staat der modernen industriellen Gesellschaft kann seine soziale Verpflichtung nur dadurch erfüllen und gleichzeitig seine eigene Existenz nur dadurch sichern, daß er sein eigenes zunächst nur politisches Prinzip der Willensbildung auf die Gesellschaft und damit auf die Führung ihrer ökonomischen Grundlage überträgt.«47 In der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung zum Sozialstaat komme zum Ausdruck, daß der »Glaube an die immanente Gerechtigkeit der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aufgehoben ist«48. Anders als Forsthoff schlug er die so eröffnete Gestaltungskompetenz jedoch voll und ganz dem sich selbst emanzipierenden Subjekt »Gesellschaft« zu und wandte sich radikal gegen die für Forsthoff mit dem Sozialstaat verbundene autonome Ordnungskompetenz der staatlichen Verwaltung.49 Mit dem demokratischen Prinzip sei nämlich die gesamte Sozialordnung dem Gestaltungswillen der demokratischen Selbstbestimmung unterworfen:

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H. Heller, Rechtsstaat oder Diktatur? (1930), in: Ges. Schr., Bd. II, 1971, 443 ff.; dazu I. Maus, Hermann Heller und die Staatsrechtslehre der Bundesrepublik, in: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, 1986, 195 f.; dies., Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus, 21980, 67 f.; W. Skuhr, Die Stellung zur Demokratie in der deutschen Nachkriegsdiskussion über den demokratischen und sozialen Rechtsstaat, Diss. Berlin 1961, 39 ff., 47 ff. Zum Begriff des sozialen Rechtsstaats im Denken der Weimarer Linken siehe C. M. Herrera, La social-démocratie et la notion d’État de droit à Weimar, in: Figures de l’État de droit, hrsg. v. O. Jouanjan, 2001, 343 ff. W. Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (1954), in: Ges. Schr., Bd. 2, 2008, 339. Ebd., 339. Es dürfte die Polemik zusätzlich angeheizt haben, daß Abendroth der Staatsrechtslehre überhaupt die Interpretationskompetenz über Sozialstaatlichkeit und soziale Gleichheit abspenstig machte und sie der »Wissenschaft von der Politik« zusprach. Der Formalismus der Juristen müsse schließlich in Sachen Sozialstaat zu »illusionären Ideologisierungen« führen (ebd., 356 f.). W. Abendroth, Zur Funktion der Gewerkschaften in der westdeutschen Demokratie (1952), in: Ges. Schr., Bd. 2, 2008, 222 f. W. Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (1954), in: Ges. Schr., Bd. 2, 2008, 341. S. dazu P. C. Caldwell, Is a »Social Rechtsstaat« Possible?, in: From Liberal Democracy to Fascism, hrsg. v. P. C. Caldwell/W. E. Scheuermann, 2000, 146.

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»Das Bekenntnis des Grundgesetzes zum demokratischen und sozialen Rechtsstaat öffnet deshalb nicht nur den Weg zu gelegentlichen Staatsinterventionen, um eine in ihrem Gleichgewicht bedrohte, aber als grundsätzlich feststehend und gerecht anerkannte Gesellschaftsordnung zu balancieren, sondern stellt grundsätzlich diese Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung selbst zur Disposition der demokratischen Willensbildung des Volkes. Es ermöglicht deshalb nicht nur gelegentliche ad hoc-Eingriffe der Staatsgewalt, sondern weist der im demokratischen Staat repräsentierten Gesellschaft die Möglichkeit zu, ihre eigenen Grundlagen umzuplanen.«50

Auf diese Weise markiere das Grundgesetz den Beginn einer »langen Periode der Umwandlung der bestehenden Gesellschaft in diejenige der sozialen Demokratie«51. Dagegen ließ er auch das auf der Hand liegende Argument des klassisch liberalen Grundrechtskataloges nicht gelten. Durch Grundrechte gesicherte wirtschaftliche Machtpositionen stünden vielmehr, als parlamentarisch nicht rückgebundene Herrschaft, im Widerspruch zur sozialen Demokratie.52 Abendroth löste den Widerspruch ganz vom Sozialstaat her auf. Grundrechte seien sozialstaatlich zu interpretieren und böten keine Gewähr gegen die gesellschaftliche Selbstemanzipation. Ganz im Gegenteil postulierte er einen universellen demokratischen Gesetzesvorbehalt, vor allem für die Eigentumsgarantie. Dadurch sollte »dem demokratischen Staat, der nunmehr zur Gesellschaft in selbstbestimmter Aktion geworden ist, die Möglichkeit eröffnet werden, die Umformung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ohne die Schranken, die durch die Notwendigkeit von Verfassungsänderungen gebildet würden, in die eigene Hand zu nehmen.«53 Wenn Abendroth zugleich gegen die »Ideologie« der staatlichen Neutralität und gegen den vom Grundgesetz noch nicht überwundenen Klassencharakter der Bundesrepublik zu Felde zog,54 so lag damit der sozialrevolutionäre Kern von Abendroths Verfassungsinterpretation offen zutage. Es ging ihm nicht um die soziale Verpflichtung des bestehenden Staates, sondern, wie lange vorher von der reformistischen Richtung der Arbeiterbewegung vorgedacht,55 um die Usurpation und Instrumentalisierung seiner Herrschaftsfunktionen als Instrument einer emanzipatorischen Gesellschaft.56 Abendroth bestand auch später noch darauf, »daß das Grundgesetz […] die Chance garantiert, es mit gesetz-

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W. Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (1954), in: Ges. Schr., Bd. 2, 2008, 346 f. Ebd., 345; ähnlich argumentierten noch vor Verabschiedung des Grundgesetzes einige Aufsätze von Adolf Arndt, vgl. A. Arndt, Planwirtschaft, in: SJZ 1946, 169 ff.; ders., Das Problem der Wirtschaftsdemokratie in den Verfassungsentwürfen, in: SJZ 1946, 137 ff. W. Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (1954), in: Ges. Schr., Bd. 2, 2008, 347. Ebd., 344, Nachweise weggelassen. Ebd., 348 f. H. Heller, Sozialismus und Nation (1925), in: Ges. Schr., Bd. I, 1971, 482 ff. Ausführlich A. Diers, Arbeiterbewegung – Demokratie – Staat, 2006, 34 ff.; M. Spieker, Legitimitätsprobleme des Sozialstaats, 1986, 157 ff.

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lichen Mitteln und ohne Grundgesetzänderung durch Entscheidung der Majorität der Legislative, die durch die Wähler erzwungen werden kann, in eine sozialistische Ordnung zu verwandeln.«57 Dem Recht und speziell dem Verfassungsrecht kam demnach ein wesentlich transformatorischer Charakter zu beim legalen Übergang zum Sozialismus. 2. Sozialstaat und materialer Rechtsstaat: Hans Peter Ipsen Für den herrschenden Sozialstaatsdiskurs der Staatsrechtslehre der fünfziger und sechziger Jahre war Wolfgang Abendroths demokratische Rückbindung des Sozialen naturgemäß keineswegs repräsentativ; ja, das Verhältnis von Demokratie und Sozialstaat spielte in dieser Zeit kaum eine konstitutive Rolle. Es setzte sich statt dessen weitgehend eine Interpretation durch, für die das soziale Staatsziel eine materiale Anreicherung des Rechtsstaatsprinzips bedeutete, aber keine eigenständigen, konkret greifbaren Rechtswirkungen entfalten sollte.58 Zwar hielt etwa auch Helmut Ridder es für die sozialstaatliche »Verpflichtung aller staatlichen Organe […], durch Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung für die Adaptierung solcher sozialrechtlichen Institute an die jeweiligen Erfordernisse zu sorgen«, weshalb er dem Sozialstaatsprinzip eine »unmittelbar eingreifende Einwirkung auf die grundrechtlichen Positionen […] der Rechtsgenossen« zusprach.59 Doch solche Stimmen waren die Ausnahme. Gewöhnlich äußerte man sich viel zurückhaltender. So bemerkte etwa Otto Bachof, der Rechtsstaat sei »der auf Verwirklichung und Sicherung der Gerechtigkeit zielende Staat, und seine formalen Elemente dienen nur zur Gewährleistung dieses materialen Gehalts.«60 Bei der inhaltlichen Bestimmung jenes Gehalts spielten demokratische Gesichtspunkte für Bachof dagegen keine Rolle. Bei Christian-Friedrich Menger hieß es, den sozialen Rechtsstaat verwirklichen bedeute nichts anderes, »als dem höchsten Ideal dienen […], der Gerechtigkeit.«61 Ähnlich diffuse Postulate entnahm Friedrich Giese62 dem Sozialstaatsgrundsatz, und Theodor Maunz schloß aus ihm, »daß der Staat nach den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit aufgebaut sein« und »daß das gesamte Recht eine soziale Tendenz haben soll.« Im übrigen fand er es »be57 58 59

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W. Abendroth, Das Grundgesetz, 1966, 68. F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 204. H. Ridder, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften im Sozialstaat nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1960, 10 f. O. Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates (1954), in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, hrsg. v. E. Forsthoff, 1954, 203. C.-F. Menger, Der Begriff des sozialen Rechtsstaates im Bonner Grundgesetz (1953), in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, hrsg. v. E. Forsthoff, 1954, 72. F. Giese, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, 41955, 46: Art. 20 GG enthalte die Forderung nach »einer sozialen Grundhaltung bei allen öffentlichen Organen und Funktionen«.

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dauerlich«, »daß das Programm der Sozialstaatlichkeit im GG selbst nur unvollkommen durchgeführt ist.«63 Konrad Hesse schrieb, der Rechtsstaat habe »die Ausschließlichkeit seines Geltungsanspruchs verloren und bedarf eines neuen, lebendigen Inhalts, der nur unter materialen Gesichtspunkten gefunden werden kann.«64 Ulrich Scheuner stellte den Grundsatz auf, die Auslegung müsse sich »von dem Gedanken leiten lassen, daß [die Verfassung] ein geschlossenes Ganzes bildet, und es bedarf daher angesichts der Gegebenheit solcher verschiedenen [scil: sozialen und rechtsstaatlichen] Elemente einer kombinatorischen Interpretation«65. Und selbst bei Ernst Rudolf Huber liest man: »Beide Prinzipien [scil: Rechtsstaat und Sozialstaat] haben den gleichen Rang, indem sie sich wechselseitig bestimmen und begrenzen. Das aber führt zu einer doppelten Modifikation: Die Verwirklichung der Sozialstaats muß sich in den Schranken der formalen Rechtsstaatlichkeit halten; das Wertprinzip des (materialen) Rechtsstaats ist soziale Gerechtigkeit.«66 Vielleicht hat bei diesen Auslegungen der zur gleichen Zeit populär gewordene Begriff der »sozialen Marktwirtschaft« Pate gestanden, der vielfach auf eine ähnlich unspezifische Weise gebraucht wurde wie der des sozialen Rechtsstaats. Die hinter solchen Deutungen sichtbare Verfassungskonzeption verbindet sich insbesondere mit dem Namen des Hamburger Staatsrechtslehrers Hans Peter Ipsen. Er vollzog in zwei die Nachkriegsdiskussion prägenden Reden von 1949 und 1951 jene exegetische Verklammerung von Rechtsstaats- und Sozialstaatsgrundsatz, und Ipsen war es dann auch in erster Linie, gegen den sich Forsthoffs Thesen richteten.67 Das Grundgesetz, so heißt es in Ipsens Hamburger Universitätsrede von 1949, sei »mit der nur rechtsgrundsätzlichen Zielbestimmung eines Sozialstaates«68 dem nicht gerecht geworden, was der reale soziale Ausnahmezustand Deutschlands von der Verfassunggebung erwarten durfte. Mehr als je gewährleiste das Grundgesetz den status quo, wirtschaftlich wie sozial. Ipsen hielt das für verfehlt. Die Chance, die »soziale, nicht mehr nur liberale Funktion der Grundrechte« verfassungsrechtlich auszugestalten, sei vertan,69 und das Grundgesetz gehe damit »an der Realität unserer […] Daseinsweise vorüber.«70 Es war für Ipsen eine Legitimitätsfrage des Grundgesetzes, daß es zur Daseinsbewältigung nicht mehr anbot als eine

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T. Maunz, Deutsches Staatsrecht, 1951, 45 f. K. Hesse, Der Gleichheitssatz im Staatsrecht, in: AöR 77 (1951/52), 214. U. Scheuner, Die staatliche Intervention im Bereich der Wirtschaft, in: VVDStRL 11 (1954), 20 f. – Hervorhebung nicht im Original. E. R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht (1956), in: Bewahrung und Wandlung, 1975, 262 unter direkter Ablehnung von Forsthoffs Position. Vgl. nur H. Gerber, Die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes, in: AöR 81 (1956), 6 f. H. P. Ipsen, Über das Grundgesetz, 1950, 17. Ebd., 19 f. unter deutlicher Bezugnahme auf Forsthoffs und Köttgens Beschreibung des Verwaltungsstaates. H. P. Ipsen, Enteignung und Sozialisierung, in: VVDStRL 10 (1952), 74.

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vage Verfassungsproklamation. Überzeugende Legitimität hätte das Grundgesetz nur dadurch gewinnen können, »daß es in dem ausdrücklichen Bereitschaftsbekenntnis, diese konkreten sozialen Notstände meistern zu wollen, in rechtsgrundsätzlichen Direktiven zu ihrer Behebung, in der Begründung außerordentlicher Kompetenzen vor allem des Bundes in Gesetzgebung, Verordnungsrecht und Bundesaufsicht über die Länder […] und selbst in der Hintansetzung rechtsstaatlicher Gewährleistungen des status quo Beiträge zur Realisierung seiner proklamierten Sozialstaatlichkeit leistete.«71

Gemeinsam war Ipsen und den anderen Vertretern eines materialen Rechtsstaatsbegriffs die Vorstellung von einer Legitimierung des Rechtsstaat durch Sozialstaatlichkeit. Die Erfüllung sozialstaatlicher Aufgaben stellte danach gleichsam die rechtsethische Basis der rechtsstaatlichen Rechtsverfassung dar. Und umgekehrt: die rechtsstaatlichen Verfassungselemente sollten einer höheren sozialen Legitimität der Verfassung gegenüber zu rechtfertigen oder zu beschränken, jedenfalls von ihr aus zu interpretieren sein. Dabei war das Soziale hier vorwiegend nicht demokratisch gedacht wie bei Abendroth, sondern vom Staat her. Folgerichtig wurde insbesondere eine dialektische Wechselbeziehung von Grundrechten und Sozialstaatlichkeit im Sinne Ipsens bald zur allgemeinen Meinung.72 Jeweils wurde der Verpflichtungsgehalt formaler rechtsstaatlicher Postulate relativ gesetzt zu einer vorausgesetzten materialen Legitimationsgrundlage; durchaus, um ihnen besondere Dignität zu verleihen, aber eben doch relativ gesetzt. Ipsens »Proklamation zum Sozialstaat« ist dafür nur das prägnanteste Beispiel. Zwei Jahre nach seiner Hamburger Rede münzte Ipsen seine Bedenken in harte dogmatische Währung um und ging daran, die Legitimitätsdefizite via interpretationis zu korrigieren. Die »Entscheidung des Grundgesetzes zum Sozialstaat« sei, meinte Ipsen in seinem Staatsrechtslehrervortrag, »etwas Wesentliches und Tieferes […] als eine wohlfeile Formel aus Kompromiß und Konzession oder auch nur eine unverbindliche Verheißung«. Sie sollte unmittelbar praktisch werden.73 Wie, das zeigt sich exemplarisch an der Interpretation der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG), die Ipsen aus dem Sozialstaatsgrundsatz deduzierte. Das Sozialstaatsprinzip impliziere die »Ermächtigung zur Modifizierung des Eigentums«74. Der Verfassungsrang des Sozialstaats fordere

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73

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H. P. Ipsen, Über das Grundgesetz, 1950, 18 f. K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1977, § 21 I 4 d; vgl. schon H. Gerber, Die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes, in: AöR 81 (1956), 12 m.w.N. H. P. Ipsen, Enteignung und Sozialisierung, in: VVDStRL 10 (1952), 74. Weiter heißt es (ebd., 74 f.): »Ich spreche […] nachdrücklich einer Ausdeutung und Auslegung des Grundgesetzes das Wort, […] dort, wo dies mit den verfügbaren [sic!] Erkenntnismitteln irgend erreichbar und vertretbar ist, die grundgesetzliche Entscheidung für den Sozialstaat im Sinne der Gestaltung der Sozialordnung zu vertiefen und zu verbreitern.« Ebd., 85.

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die »Neu- und Anders-Gestaltung der Eigentumsherrschaft bis hin zu ihrer Neu-Verteilung«75 und lasse eine exklusiv abwehrrechtliche Eigentumskonzeption nicht mehr zu. Ipsen forderte, die Eigentumsgarantie solle »begrifflich und dogmatisch […] unter Berücksichtigung aller Wandlungen und Friktionen verstanden und gedeutet werden, die das Institut bis 1949 und darüber hinaus erfahren hat.«76 Ipsen galt folglich Art. 14 Abs. 2 GG, der Vorbehalt näherer Regelung des Eigentumsinhalts, als Schlüsselnorm einer sozialstaatlichen Wirtschaftsverfassung. Sie enthalte eine weitreichende »Ermächtigung zur Modifizierung des Eigentums«, mit dem Ziel, »daß die Sozialstaatlichkeit, verstanden als Berufung zur Gestaltung der sozialen Ordnung, nicht farb- und inhaltlos verblaßt und verkümmert, sondern positiv-lösend den Weg der Gesetzgebung bestimmt.«77 Die situationsgebundene, sozialen Entwicklungsprogrammen verpflichtete Regulierung war damit die »vornehmste und wesentlichste Handhabe des Grundgesetzes zur Entfaltung [der] Sozialstaatlichkeit«78, und zwar auch neben der förmlichen Sozialisierung von Produktionsmitteln nach Art. 15 GG.79

II. Zur Situationsbestimmung des Rechtsstaats Forsthoffs Interpretation des Grundgesetzes und des Verhältnisses von Rechtsstaat, Sozialstaat und Demokratie war damit von Anfang an durch eine doppelte Opposition bestimmt. Sie richtete sich gleichermaßen gegen die von Wolfgang Abendroth behauptete normative Verbindung von Sozialstaat und gesellschaftlicher Demokratie wie gegen die Erhebung des sozialen Auftrags zu der legitimitätsbildenden Verfassungsnorm, als die ihn die Mehrzahl der Interpreten verstand. Doch die Kritik dieser beiden Auslegungen allein macht Forsthoffs Rechtsstaatsverständnis noch nicht im Ganzen nachvollziehbar. Um seine Fragestellung zu rekonstruieren, ist zunächst zu klären, was Forsthoff eigentlich genau unter dem Sozialstaat verstand (1.). Daraus erschließt sich, wieso er die Rückkehr zu einem materialen Rechtsstaatsbegriff durch dessen sozialstaatliche Aufladung für unmöglich hielt. Umso heftiger kämpfte er gleichzeitig um die verfassungstheoretische und rechtsdogmatische Neubestimmung des Rechtsstaatsbegriffs, der sich einer entscheidend veränderten Wirklichkeit gewachsen erweisen könnte (2.). Die Schlüsseltexte dieser Interpretation sind zwei Vorträge. Zum einen das bereits mehrfach erwähnte Referat über Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1953, 75 76 77 78 79

Ebd., 75. Ebd., 84. Ebd., 85. Ebd., 85. Ebd., 104 f.

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zum anderen ein Vortrag über Verfassungsprobleme des Sozialstaates, den Forsthoff vier Wochen nach dem ersten auf einer öffentlichen Veranstaltung der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft in Essen gehalten hat. Während der erste die verfassungsrechtliche Dogmatik des »sozialen Rechtsstaates« skizziert, liefert der zweite die staatssoziologische Begründung der Thesen nach. Deshalb sind beide erst zusammen recht verständlich.80 1. Die politische Aufhebung des Rechtsstaates durch Sozialstaat und Demokratie Forsthoff ist mehr als einmal vorgehalten worden, er habe die innere Verbindung von Sozialstaatlichkeit und Demokratie zur sozialen Demokratie »verkannt«, »übersehen«,81 so, als wäre die Antinomie von Rechtsstaat und Sozialstaat einfach falsch gesetzt gewesen. Schon 1955 stellte Wolfgang Abendroth mit Blick auf die Staatsrechtslehrertagung von 1953 resignierend fest, sie sei ein Symbol gewesen dafür, wie in der Staatsrechtslehre nach den Gründerjahren aller »Sinn für [die] Grundfragen der Demokratie längst wieder erloschen«82 war. Auf der ganzen Tagung, so resümierte Abendroth, sei leider – natürlich mit Ausnahme seines eigenen Beitrags – »von Gedankenwelt und Problematik der Demokratie nicht mehr die Rede«83 gewesen. Insbesondere habe Forsthoff »die demokratische Funktion des sozialen Rechtsstaats mit keinem Wort« erwähnt.84 An dieser Kritik ist manches richtig, und sie enthält zugleich den Schlüssel zu Forsthoffs Sozialstaatsbegriff, wenn auch vielleicht in anderer Weise als Abendroth meinte. Richtig ist natürlich, daß Forsthoff einen grundsätzlich anderen Begriff von Demokratie hatte als Abendroth. Richtig ist aber auch, daß Forsthoff das Kind der Demokratie nicht bei seinem vollen Namen nannte. Vermutlich wollte er eine offene Debatte um den verfassungsrechtlichen Status des Demokratieprinzips zu Beginn der fünfziger Jahre bewußt vermeiden.85 Jedenfalls hat er in seinem Staatsrechtslehrervortrag das Problem der Demo80

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Ausdrücklich als ergänzend bezeichnet ihn Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 2.11.1954, BW, Nr. 75. Warum Forsthoff diesen zweiten Vortrag nicht in die erste Auflage von Rechtsstaat im Wandel übernommen hat, ist nicht auszumachen (s. aber RW II, 153 ff.). H.-H. Hartwich, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher status quo, 1970, 283, 295. Der demokratiekritische Aspekt ist auch bei U. Storost, Staat und Verfassung bei Ernst Forsthoff, 1979, 514, außer acht gelassen. W. Abendroth, Staatsverfassung und Betriebsverfassung (1955), in: Ges. Schr., Bd. 2, 2008, 549. W. Abendroth, Zehn Jahre gewerkschaftlicher Kampf für soziale Demokratie (1955), in: Ges. Schr., Bd. 2, 2008, 573. W. Abendroth, Staatsverfassung und Betriebsverfassung (1955), in: Ges. Schr., Bd. 2, 2008, 549. Vgl. G. Frankenberg, Art. 20 Abs. 1–3 IV. (Rechtsstaat), in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, 32001, Rdnr. 23.

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kratie sozusagen nur teichoskopisch behandelt. Geäußerten Zweifeln, es könne ihm in Wahrheit um ein Problem des Demokratieverständnisses gehen, trat Forsthoff in der Diskussion mit einem geradezu läppischen Hinweis entgegen: »Ich kann gegen die rechtsstaatliche Konzeption auch nicht die Berufung auf die Demokratie gelten lassen. Das demokratische Prinzip, wie es im Grundgesetz enthalten ist, ist ein Verfahrensprinzip, nach dem sich die Staatswillensbildung zu vollziehen hat. Dieses Prinzip hat Grenzen, die in Art. 79 Abs. 3 GG gezogen sind, aber es hat keinen materiellen Gehalt.«86

Das konnte nach allem, was er vor Inkrafttreten des Grundgesetzes über die Demokratie geschrieben hatte, kaum ernst gemeint gewesen sein. Forsthoff wollte das Demokratieproblem aber in der Tat nicht im Rahmen der Formeln diskutieren, die das Grundgesetz aus dem – wie er meinte – »klassischen« Parlamentarismus übernommen hatte. Denn: »Wer das Verfassungsgefüge der Bundesrepublik analysierend beschreiben will, tut gut daran, nicht von den verbalen Gegebenheiten des Grundgesetzes auszugehen.« (RW II, 25) Gleichwohl stand die Verbindung von Sozialstaat und Demokratie im Mittelpunkt dieses Vortrags. Sein Thema war die politische und verfassungsrechtliche Vehemenz dieser Verbindung und seine große Frage betraf die stabilisierenden Gegenkräfte. Anders gesagt: Forsthoffs restriktive Auslegung des Sozialstaatssatzes galt von Anfang an dem Ziel, die Unterwerfung des von ihm selbst in der Verwaltung als Leistungsträger beschriebenen sozialen Elements der Rechtsordnung unter den Zugriff partikulärer gesellschaftlicher Kräfte mit rechtsdogmatischen Mitteln zu verhindern. Das ist im folgenden zu begründen. a) Das demokratische Moment des Sozialstaates Die Engführung von Sozialstaat und Demokratie vollzog Forsthoff, indem er den vom Grundgesetz gebrauchten Begriff des »sozialen Staates« (Art. 20 Abs. 1; 28 Abs. 1) gegen Ipsen, aber auch gegen Abendroth zunächst radikal denormativierte. Sozialstaatlichkeit sollte kein materialer Rechtsgrundsatz und auch kein das Staatshandeln leitendes »Prinzip« sein. Selbst die so oder so ähnlich unzählige Male bemühte Formel, der Sozialstaatsgrundsatz diene der »materialen Gerechtigkeit« – eigentlich geradezu eine verfassungsrechtliche Kostenlosigkeit – findet sich bei Forsthoff an keiner Stelle. Statt dessen bezeichnete er mit dem Begriff des Sozialstaats genau den Institutionen- und Funktionsbereich, aber auch das sozialpsychologische Moment, das er im weiteren Sinne seit 1938 als »Daseinsvorsorge« bezeichnet hatte: »Die Leistungen des Staates auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge […] machen den modernen Staat notwendig zum Sozialstaat.« (RW II, 52) Auch und gerade die Bundes-

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E. Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: VVDStRL 12 (1954), 127 f., Diskussionsbemerkung, Hervorhebung nicht im Original, insoweit nicht in RW; ähnlich RW, 43: Das demokratische Verfassungsprinzip bereite »der Auslegung keine besonderen Schwierigkeiten«, weil es im Grundgesetz »hinreichend präzisiert sei«.

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republik habe den sozialen Staat »in einer zwar noch nicht abgeschlossenen, aber doch weit fortgeschrittenen Formung« (RW, 33) vorgefunden. Der Sozialstaat bezeichnete also den Inbegriff aller vom Staat im Hinblick auf die gesellschaftliche Entwicklung gemachten Anstalten, und zwar abschließend. Das Adjektiv »sozial« war für Forsthoff deswegen sinnvoll nur als Wesens- oder Funktionsbezeichnung des modernen Staates, dessen Gesamtverantwortung für die Daseinsvorsorge zu seinem unwiderruflichen Schicksal geworden ist. Das Strukturproblem eines demokratischen Sozialstaats lag nun für Forsthoff in der Verbindung von Daseinsvorsorge und Parlamentarismus, auf deren Gefahren er schon vor 1949 immer wieder hingewiesen hatte. Auch dem Sozialstaat der Bundesrepublik attestierte er das 1938 in der Verwaltung als Leistungsträger formulierte sozialpsychologische Moment der Daseinsvorsorge: die existentielle Bindung des Staatsbürgers an den staatlichen Verwaltungsapparat und die dadurch ausgelöste politische Revolutionierung des Herrschaftsverhältnisses. Der moderne Mensch, heißt es in dem Vortrag vor der Stein-Gesellschaft, »weiß sich vom Staate abhängig und trägt an den Staat das Bedürfnis nach Sicherung und Gewährleistung seiner Existenz heran, das er in seinem labilen Individualbereich nicht mehr befriedigt findet. Die modernen Staaten haben allem Anlaß, diesem Bedürfnis in höchstem Maße zu entsprechen, weil sonst die breiten Massen einer politisch außerordentlich gefährlichen Anfälligkeit für Panikerscheinungen aller Art aus Existenzangst ausgeliefert sind.« (RW II, 53) Auch in der Bundesrepublik, hieß das, funktioniert soziale Kohäsion vornehmlich über die Befriedigung von Leistungserwartungen und gruppenspezifischen Interessen, weil so die Existenzangst des Menschen gedämpft wird. Auch in der Bundesrepublik ist die Vorsorgeleistung gegen die existentiellen Lebensrisiken die alles andere überwölbende politische Substanz des Staates. Dies also war für Forsthoff der »demokratische« Gehalt des Sozialstaats: das unmittelbare Interesse jedes einzelnen Menschen am Funktionieren der Verwaltung, durch das der Sozialstaat von jedem einzelnen aus legitimiert ist, dem er die Teilhabe an der sozialen und ökonomischen Dynamik sichert. Die demokratische Legitimität des Sozialstaats lag für Forsthoff demnach der Verfassung voraus, in der politisch-sozialen Umwelt, die der Staat vorfindet und die schon deshalb nichts Normatives, sondern etwas Existentielles ist.87 Diese existentielle Verbindlichkeit des Sozialstaats und der logische Vorrang vor dem Verfassungsgesetz waren gemeint mit den etwas rätselhaften Sätzen, die Sozialstaatsfrage sei nur verständlich »von einem Standort aus, der sich außerhalb des geschriebenen Verfassungstextes befindet« (RW, 27) und sie könne »nur von einem außerverfassungsrechtlichen Bereich aus einen spezifischen Sinngehalt bekommen« (RW, 44).

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Ähnlich W. Weber, Das Kräftesystem in der wohlfahrtsstaatlichen Massendemokratie (1956), in: Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 31970, 128.

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Von dieser Sozialpsychologie der durch die Daseinsvorsorge integrierten Massendemokratie aus erschien die institutionelle Verbindung von Sozialstaatlichkeit und Parlamentarismus und damit die verfassungsnormative Demokratisierung der Daseinsvorsorge als die eigentliche Gefahr. Forsthoff griff hier auf den von Carl Schmitt in den zwanziger Jahren postulierten Gegensatz von Demokratie und Parlamentarismus und seinen Begriff des »totalen Staates aus Schwäche« zurück und reformulierte diese Überlegungen sozialstaatlich. Schmitt hatte bekanntlich ein aus dem legitimitätsbildenden Glauben an Diskussion und Öffentlichkeit abgeleitetes Ideal des Parlamentarismus konfrontiert mit den totalitären Zügen moderner Massendemokratien.88 Forsthoff übernahm diesen idealtypischen Parlamentarismusbegriff, um die parlamentarische Willensbildung zum verfassungsrechtlichen Kardinalproblem des Sozialstaats zu machen. Der Raum öffentlicher Diskussionen drohe im Sozialstaat von indirekten Gewalten besetzt zu werden, die die existentielle Legitimität des Sozialen repräsentieren.89 Jürgen Habermas hat diesen Sachverhalt später als »Refeudalisierung« der sozialstaatlichen Öffentlichkeit bezeichnet.90 Im Sozialstaat werde, so glaubte Forsthoff, das Budgetrecht zum primären Beuteobjekt organisierter gesellschaftlicher Kräfte, das Parlament zur Fassade der Willensbildung halbstaatlicher Interessenverbände. »Soweit der moderne Staat ein Staat der Verteilung ist und als Steuerstaat das Sozialprodukt verteilt, werden damit alle staatlichen Funktionen von Grund auf andere. Das Gesetz wird zu einem Verteilungsplan. Die parlamentarische Funktion wird zu einer Verteilungsfunktion. Der Abgeordnete wird Verteiler. Die Macht wird Verteilungsmacht!« (RW, 72; s.a. RW II, 57; SIG, 91) Die Willensbildung sei deshalb »das Kernproblem des Sozialstaates […]. Die Verbindung des Sozialen mit dem Staat kann nur gelingen, wenn dieses Problem gelöst ist. Kein Wort ist vieldeutiger und dem Mißbrauch leichter zugänglich wie das Wort sozial. Kein Staat ist mehr in Gefahr, im Dienste der jeweils Mächtigen instrumentalisiert zu werden wie der Sozialstaat.« (RW II, 63)91 b) Zur Struktur des sozialstaatlichen Rechts Forsthoffs Begriff des Sozialstaats hatte neben der verfassungspolitischen eine zweite, rechtstheoretische Ebene. Er unterschied Rechtsstaat und Sozialstaat nicht nur in Bezug auf den jeweiligen organisatorischen Schwerpunkt und die 88

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C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923), 21926; ders., Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland (1933), in: Positionen und Begriffe, 1994, 213. Sehr ähnlich W. Weber, Das Kräftesystem in der wohlfahrtsstaatlichen Massendemokratie (1956), in: Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 31970, 128 f. J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962), 1990, 336 f. Hierzu weiter ein in Stichworten erhaltener Vortrag über »Rechtsstaat und Wirtschaft« vom 17.10.1953 vor dem Verband der weiterverarbeitenden Industrie in Lüdenscheid (Ms., NL Forsthoff).

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Qualität der Staatstätigkeit. Er ordnete ihnen auch je einen eigentümlichen Rechtstyp zu. Dabei bediente er sich seines im Verwaltungsrecht erprobten Begriffspaars Eingriff und Teilhabe, das er auf den im Grundgesetz kaum als solchen enthaltenen Gegensatz von Rechtsstaat und Sozialstaat projizierte. Die so gewonnene Begrifflichkeit war juristisch höchst anschaulich: Während der an der Figur des Eingriffs aufgehängte Rechtstyp sich auszeichnet durch einen hohen Grad der Formalisierung, der rechtslogischen Durchdringung und der begrifflichen Technizität und während er die Gewährleistung von etwas Bestehendem zum Gegenstand hat, ist der auf die Teilhabe bezogene Rechtstyp material und zweckbezogen, nicht systematisch, sondern werthaft und dient der Gewährleistung von Dynamik. Freilich beruhte dieser Dualismus auf einer doppelten Verabsolutierung oder Stilisierung. Der Begriff des Rechtsstaats war im Wege einer Verallgemeinerung der rechtlichen Mechanismen des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes gewonnen, und ideologiekritisch könnte man sagen: Forsthoffs Rechtsstaat ist der Staat, der die tradierten Mechanismen des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes aufrechterhält. Dagegen bezog sich sein Begriff des Sozialstaats eng auf den Teilbereich des Rechts und der Verwaltung, der planend und lenkend aktiv wird. Kurz und bündig: »Die rechtsstaatliche Verfassung ist auf Freiheit angelegt, sie sozialstaatliche auf Leistung und Sicherheit.« (RW II, 209) Die Verengung des sozialstaatlichen Rechts auf unformales administratives Binnenrecht war allerdings aus damaliger Sicht plausibler als aus heutiger. Die massive Verrechtlichung des Sozialen in den sechziger und siebziger Jahren war noch kaum im Gange, geschweige denn in ihrer Bedeutung abzusehen. Indem Forsthoff die unformalen Rechtstypen – Pläne und Programme – zu den typischen rechtlichen Instrumenten des Sozialstaats machte, wurde damit dieser Sozialstaat zwangsläufig zur Angelegenheit der Verwaltung: »Die Verwaltung sieht sich der sozialen Wirklichkeit am unmittelbarsten gegenüber und kann ihren Anforderungen nicht ausweichen. Nahezu alle Institute unseres öffentlichen Rechts, die den Staat zum Sozialstaat geprägt haben, sind das Werk der Gesetzgebung und Verwaltung. […] Nicht im Bereich der Verfassung, sondern der Verwaltung hat der Sozialstaat Eingang in die Wissenschaft vom öffentlichen Recht gefunden. […] Unter sozialstaatlichem Aspekt betrachtet bieten somit das Verfassungsrecht und das Verwaltungsrecht ein durchaus unterschiedliches Bild. Während sich die überkommene, rechtsstaatliche, gewaltenteilende Verfassung gegenüber den Bestrebungen einer sozialstaatlichen Fortbildung im wesentlichen abweisend zeigt, hat das Verwaltungsrecht einen seine gesamte Systematik ergreifenden, in die Tiefe gehenden Prozeß der Umbildung durchlaufen, als dessen Ergebnis heute der Sozialstaat in einer zwar noch nicht abgeschlossenen, aber doch weit fortgeschrittenen Formung vor uns steht.« (RW, 32 f.)92

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Dem entspricht die Mitteilung von W. Skuhr, Die Stellung zur Demokratie in der deutschen Nachkriegsdiskussion über den demokratischen und sozialen Rechtsstaat, Diss. Berlin 1961, 32, wonach der entsprechende Leitsatz von Forsthoffs Referat in den hekto-

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Es lohnt sich, kurz bei den Konsequenzen dieser Argumentation zu verweilen, die für das Verfassungsverständnis Ernst Forsthoffs von außerordentlicher Wichtigkeit sind. In neuerer Zeit ist das verfassungsrechtliche Zusammenspiel von Rechtsstaat und Sozialstaat im deutschen Verfassungsrecht vorwiegend als Konflikt kollidierender »Prinzipien« oder Verfassungsgrundsätze behandelt worden. Forsthoff verstand unter dieser strukturellen Verschiedenheit etwas völlig anderes.93 Er behauptete nämlich keine normative oder wertmäßige Relation zwischen rechtsstaatlichem und sozialstaatlichem Recht. Er stritt demzufolge auch nicht für die »Höherwertigkeit« des rechtsstaatlichen Paradigmas. Er behauptete vielmehr, daß der Sozialstaatssatz und das ihm zugeordnete Rechts- und Institutionenfeld nach Geltungsgrund und normativer Struktur auf einer ganz anderen Ebene angesiedelt sei als das rechtsstaatliche Formalrecht. Rechtsstaat und Sozialstaat seien »prinzipiell verschiedene, je eigene Rechtsstrukturen bedingende Erscheinungen« und insofern schlechterdings inkommensurabel.94 Jede Interferenz zwischen ihnen geht auf Kosten der jeweiligen Funktionslogik. »Rechtsstaat und Sozialstaat sind zwei bestimmende Komponenten unseres Staatslebens, die sich auf verschiedenen Ebenen rechtlicher Formgebung entfaltet haben.« (RW, 33) Aus dieser qualitativen Verschiedenartigkeit folgte für Forsthoff jedoch ein Trennungsgebot. Er bestritt jetzt nicht nur, daß sich die beiden verwaltungsrechtlichen Bereiche von Eingriff und Teilhabe zu einem Ganzen integrieren lassen; auch zwischen rechtsstaatlichem und sozialstaatlichem Verfassungs- und Rechtsbereich hielt er eine strikte Scheidung für zwingend notwendig: »Die moderne Verfassungswirklichkeit stellt sich […] in zwei Teilen dar: dem förmlichen Verfassungsgesetz und denjenigen Normen und Institutionen, die mit der generellen Kennzeichnung Sozialstaat gemeint sind […]. Beide Teile sind strukturell verschieden.« (RW II, 209) 2. Verfassungsprobleme des Sozialstaates All diese Aspekte, die nach Forsthoff den Sozialstaat ausmachten, erklären freilich noch nicht ganz, weshalb er die Konstitutionalisierung des Sozialen durch die Integration sozialstaatlicher Gehalte in das rechtsstaatliche Verfassungsge-

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graphierten Thesen ursprünglich nur lautete: »Der Entfaltungsraum des Sozialstaates ist die Verwaltung.« Die »Gesetzgebung« (RW, 56; Leitsatz XV.) kam demnach erst in der Druckfassung dazu. Beispielhaft das Mißverständnis bei G. Haverkate, Rechtsfragen des Leitungsstaates, 1983, 47 f., der Forsthoffs Interpretation auf den »Vorrang des Rechtsstaats im Kollisionsfalle« reduziert, um dann festzustellen, Forsthoff liege »gar nicht so weit von der h.M. entfernt«. Cum grano salis läßt sich sagen, daß sich in dieser Lesart genau die Art des juristischen Denkens ausdrückt, die Forsthoff für die eigentliche Gefahr des Sozialstaates hielt. E. Forsthoff, Verfassungsprobleme des Sozialstaats, 1954, 3 (insoweit nicht in RW II); hierzu L. M. Cruz, La desformalización de la Constitución, in: Ciudadanía y derecho en la era de la globalización, hrsg. v. A. de Julios Campuzano, 2007, 65.

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setz so scharf ablehnte. Seine Skepsis gegenüber der sozialstaatlichen Anreicherung der rechtsstaatlichen Verfassung hing zunächst unmittelbar mit dem demokratischen Charakter des Sozialstaats zusammen. Die Herrschaft über die Daseinsvorsorge verleihe dem Staat, der die Leistungserwartungen zu befriedigen weiß, eine ganz umfassende demokratische Legitimität, die derart stark wirke, daß es auf eine normative Legitimation durch das Verfassungsgesetz daneben nicht mehr ankomme. Forsthoff hielt diese Legitimität, weil existentiell-anthropologischer Natur, für weitaus bestandskräftiger als jede positive Normierung. Denn das sozialstaatliche Element der Rechtsordnung beruhe auf der existentiellen Grundsituation des modernen, staatsabhängigen Menschen: »Für ein realistisches Denken kann […] das Fehlen einer verfassungsnormativen Bestandsgarantie der Sozialverfassung nicht ins Gewicht fallen. Denn die alltägliche Erfahrung zeigt die unwiderstehliche Kraft, mit welcher der soziale Prozeß sich selbst produziert. Er hat alle Verfassungsumbrüche überdauert, und längst weiß man, daß er irreversibel ist. Die sozialstaatliche Verfassung trägt also ihre Bestandsgewähr in sich selbst und ist darin der kodifizierten rechtsstaatlichen Verfassung, die ihr insoweit keine zusätzliche Sicherheit bieten kann, eindeutig überlegen.« (RW II, 209 f.) 95

Daraus schloß Forsthoff: »Wer glaubt, den sozialen Errungenschaften unserer Tage auch nur ein Tüttelchen an Bestandssicherung dadurch hinzufügen zu können, daß er sie unter das Dach der Verfassung bringt und an den Vorteilen der erschwerten Abänderlichkeit teilnehmen läßt, muß sich entgegenhalten lassen, daß er die Realität der sozialen Komponenten der gegenwärtigen Daseinsordnung noch nicht begriffen hat.« (RW II, 166)

Im Staat der Industriegesellschaft heißt es noch deutlicher: »Die Daseinsvorsorge ist der politischen Verfassung existentiell überlegen.« (SIG, 79) Sozialstaatsklauseln oder soziale Verfassungsrechte könnten deswegen kaum mehr bewirken, als die ohnedies bestehenden Anforderungen an den Staat zu bekräftigen (RW, 48). Obwohl Forsthoff also behauptete, der Sozialstaat sei kein verfassungsrechtlicher Begriff (RW, 46/56) und berühre die Verfassungsform der Bundesrepublik nicht (RW, 49),96 lief seine Argumentation keineswegs darauf 95

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Ähnlich bereits E. Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: VVDStRL 12 (1954), 127 (Diskussionsbemerkung): »Aber ich möchte vor dem Irrtum warnen, der vielleicht durch die gegenwärtigen politischen Zustände befördert wird, als sei der Rechtsstaat ein gesicherter Besitz, mit dem der Verfassungsinterpret sorglos und großzügig verfahren könne. Man verkennt das politische Gewichtsverhältnis zwischen Rechtsstaat und Sozialstaat, wenn man die ungeheure Macht der Impulse unterschätzt, die welche den Sozialstaat tragen und seine weitere Perfektion anstreben. Was diesen Impulsen an verfassungsrechtlicher Gewähr fehlt, gleichen sie durch die Kraft ihrer Dynamik mindestens aus.« Vgl. den Leitsatz XV (RW, 56): »Sozialer Rechtsstaat ist die typusbestimmende Kennzeichnung eines Staates, die Verfassung, Gesetzgebung und Verwaltung umgreift. Er ist kein Rechtsbegriff.«

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hinaus, daß die soziale Aufgabe des Staates unterverfassungsrechtlich zur Disposition stehen sollte, so, als ließe der Sozialstaat sich »abschaffen«.97 Gewiß: Forsthoff wollte die sozialstaatliche Gesellschaftsordnung nicht frei heraus begrüßen, sondern betrachtete sie »mit einem gewissen konservativen Schauer« (RW II, 63). Schließlich ging sie einher mit dem Abbau souveräner Staatlichkeit (RW II, 33) und allen negativen Folgeerscheinungen der Modernität, mit »Vermassung«, Bürokratisierung und industrieller Verödung.98 Doch die bürgerlich-konservativen Ressentiments gegen den Sozialstaat, wie sie die Weimarer Rechte gekennzeichnet hatten99 und wie sie in anderer Form in den fünfziger Jahren etwa die Ökonomen Wilhelm Röpke und Alfred MüllerArmack100 formulierten, fehlen bei Forsthoff nahezu vollständig. Er hielt die sozialstaatliche Entwicklung im Prinzip für irreversibel (RW, 167), eine substantielle Verringerung der Daseinsvorsorge des Staates einstweilen für utopisch.101 Trotzdem sollte der Sozialstaat in der Verfassung ein institutionelles Gegengewicht erhalten, gemäßigt werden und gerade nicht noch einen juristischen Überbau erhalten, der die Zwangsläufigkeiten gleichsam mit normativem Höchstrang prämiert. Die Unmöglichkeit einer sozialstaatlichen Anreicherung der Verfassung folgte aber gleichzeitig auch aus der eigenartigen normativen Struktur des sozialstaatlichen Rechts, wie Forsthoff es beschrieben hatte. Es diente nicht der Sicherung des status quo, sondern der Teilhabe an einer dynamischen Entwicklung, der Vorsorge für die Zukunft. Das aber widersprach für Forsthoff schon an sich 97 98

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101

So aber offenbar G. Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 1997, 165. Zu dieser Ambivalenz P. Noack, Technischer Fortschritt als konservative Aufgabe?, in: Die Herausforderung der Konservativen, hrsg. v. G.-K. Kaltenbrunner, 1974, 74 f. S. Breuer, Ordnungen der Ungleichheit, 2001, 217 u.ö. Dazu G. Metzler, Konzeptionen politischen Handelns von Adenauer bis Brandt, 2005, 94; P. Nolte, Konservatismus in Deutschland, in: Merkur Nr. 627 (2001), 563. Am Schluß es Vortrags über Verfassungsprobleme des Sozialstaates (RW II, 63 f.) heißt es: »Die Tatsache, daß unsere derzeitigen Lebensbedingungen uns am allerwenigsten gestatten, die künstliche Lebensform des Sozialstaats abzuwerfen, sondern im Gegenteil dazu zwingen, den Sozialstaat zu hegen und vielleicht zu noch größerer Leistungsfähigkeit zu entwickeln, ist kein Grund, diese [scil: über den Sozialstaat hinausreichenden] Zielsetzungen zu vergessen oder gering zu achten. […] Was […] geschieht, um den Menschen wieder einen beherrschten Lebensraum zu geben und damit ihr Dasein staatsunabhängiger zu machen, weist über den Sozialstaat hinaus und ist Verwirklichung von Volksordnung. Soweit sie gelingt, wird der Sozialstaat überflüssig. Freilich scheiden sich hier die Geister: der Sozialist wird den Sozialstaat bejahen, um ihn zu behalten, der Liberale wird ihn hinnehmen in der Hoffnung, daß das freie Spiel der Kräfte ihn absorbieren werde, der Konservative wird ihn bejahen mit dem Willen, ihn zu überwinden. Diese Überwindung – in den durch die Verhältnisse gesetzten Grenzen – wird nur einer Politik gelingen, die mit der realistischen Sicht der Dinge eine konkrete Vorstellung vom Maße des Menschen und menschlicher Ordnung zu verbinden weiß, die sich in einer Zeit der Organisation, des Künstlichen und Manipulierten den Sinn für das Echte, das Heile und Unversehrte bewahrt hat. Denn ab integro nascitur ordo.«

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der Idee der rechtsstaatlichen Verfassung. Auch hier wird deutlich, welche paradigmatische Bedeutung dabei der Eigentumsgarantie zukam. Rechtsstaatliche Verfassungsgarantien konnten, so Forsthoff, ausschließlich aus zwei Gründen einen relativ hohen Grad an Formalisierung erreichen: Zum einen, weil sie der Sicherung von jura quaesita, d.h. von vorhandenen und nicht erst zukünftigen Rechtsbestände dienen (RW, 36 f.), zum anderen, weil sie sich nach der Logik des Eingriffsbegriffs auf die Ziehung fester Grenzen zwischen Rechtssphären beschränken können. Die ganze »zwingende Logik« des Rechtsstaats stehe und falle deshalb mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung autonomer sozialer Funktionen und insbesondere legal erworbener Positionen. Der Rechtsstaat sei insofern seiner normativen Struktur nach »in hohem Maße an den gesellschaftlichen status quo gebunden.« (RW, 37) Dieses Legalitätsprinzip des rechtsstaatlichen Rechts habe im Rahmen sozialstaatlicher Sicherungen von Teilhabe keinen sinnvollen Platz, weil »nur Bestehendes, nicht aber ein Plan oder ein Programm […] gewährleistet werden kann« (RW, 37). Deswegen sei es auch sinnlos, soziale Programme zu konstitutionalisieren und mit der Vorrangrelation des Verfassungsrechts auszustatten, weil ihr Schutzgegenstand – das Soziale – sich nicht anhand eines Bestehenden definieren und sich die Verfassungsbestimmung also nicht »vollziehen« lasse. Sehr früh hatte schon Wilhelm Grewe die Sozialstaatsklausel aus diesem Grunde als einen »substanzlose[n] Blankettbegriff«102 bezeichnet. Forsthoff meinte: »Die Unmöglichkeit, sozialstaatliche Gehalte rechtsstaatlich zu verbürgen, ergibt sich aus der Struktur der rechtsstaatlichen Norm. Deshalb glaube ich nicht, daß die sozialstaatlichen Interpretationsverlegenheiten gegenüber rechtsstaatlichen Verfassungen […] temporärer Natur sind und bei weiterem Durchdenken der Probleme überwunden werden können.«103 Jeder Versuch einer Konstitutionalisierung der Sozialstaats müsse daher zwangsläufig »an den formalen strukturellen Gegebenheiten der Verfassungsnorm und der Problematik ihrer Vollziehbarkeit scheitern« (RW, 31). 3. Die technische Rekonstruktion der rechtsstaatlichen Formen Was besagte diese Verhältnisbestimmung von Rechtsstaat und Sozialstaat über den Begriff der rechtsstaatlichen Verfassung selbst? Wie sollte redlicherweise überhaupt noch von einem Rechtsstaat gesprochen werden können angesichts der faktischen Übermacht aller gegen ihn wirksamen Tendenzen? Wenn der Rechtsstaat in seiner im 19. Jahrhundert entstandenen deutschen Eigenart gegen den Ansturm der sozialen und demokratischen Elemente nicht zu halten

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W. Grewe, Das bundesstaatliche System des Grundgesetzes, in: DRZ 1949, 349. E. Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: VVDStRL 12 (1954), 128 (Diskussionsbemerkung).

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war, dann mußte die ganze Konzeption radikal verändert werden. Forsthoffs Antwort auf dieses Problem bestand darin, den Rechtsstaatsbegriff aus jedem Zusammenhang mit einer Legitimitätsgrundlage der Verfassung herauszulösen und seine Einzelbestandteile als »technische« Verfassungsinstitutionen völlig zu verselbständigen. Zwar hat Forsthoff den darin enthaltenen Bruch mit dem klassischen rechtsstaatlichen Denken nicht offengelegt, sondern betont im Rahmen dieser Tradition argumentiert. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß Forsthoffs Konzeption des Rechtsstaats viel weniger traditionell ist als er dies vorgab. Was zunächst den Geltungsgrund des Rechtsstaats betrifft, so sprach Forsthoff der rechtsstaatlichen Verfassung die Beziehung zu einer soziologischen Legitimitätsgrundlage nicht schlichtweg ab. Auch das Rechtsstaatsideal war ursprünglich einmal Ausdruck des Sozialideals und der sozialen Träger der bürgerlichen Revolutionen. Ursprünglich hatte es deshalb in den »geistigen und soziologischen Dispositionen« (RW, 35), d.h. in Bildung und Besitz des Bürgertums eine immanente Geltungssicherung – ebenso wie die sozialstaatliche Komponente der modernen Rechtsordnungen in den soziologischen Dispositionen der demokratischen Massengesellschaft eine immanente Geltungssicherung findet. Doch die Epoche, in der soziale Kräfte den Rechtsstaat trugen, war für Forsthoff unwiderruflich beendet. »Diese Dispositionen gehören der Vergangenheit an und seitdem ist die Entwickelung fortgeschritten, durch sehr unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Formungen hindurch, deren jede auf ihre Weise den Rechtsstaat für sich in Anspruch nahm, indem sie glaubte, ihn für ihre Zwecke zuschneiden zu können.« (RW, 35). Damit sei notwendig auch das gesamte rechtsstaatliche Gefüge in seiner anthropologisch-sozialen Rückanbindung außer Kraft gesetzt (Lb, 62). Wenn nun aber mit der Rückanbindung an eine spezifische soziale Schicht der rechtsstaatlichen Verfassung die politische Legitimitätsgrundlage entzogen war, so ließ sich diese Verfassung auch nicht mehr aus höheren autonomieoder freiheitstheoretischen Grundsätzen oder einer bürgerlichen Sozialmoral begründen, da solche Grundsätze gegenüber dem sozialstaatlichen Imperativ ihre Plausibilität verloren hatten. In einer solchen Gesamtsituation könne das rechtsstaatliche Gefüge der Verfassung ausschließlich auf einer ohne oder vielleicht sogar gegen die Schubwirkung der gesellschaftlichen Bewegung getroffenen »Entscheidung« (RW, 34) beruhen. Das bedeutete: auf reiner Satzung, auf einer bloß instrumentell verstandenen Normierung. Diese veränderte Geltungsgrundlage gab Forsthoff als geschichtliche Beobachtung einer notwendigen Entwicklung aus: »Die westliche Welt hat den Rechtsstaat, der von Hause aus ein bürgerlicher und der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts verbunden war, für die gegenwärtige, in vielem grundlegend anders gewordene Wirklichkeit bewahrt und ihn wieder hergestellt, wo er zerstört war. Das war nur möglich, weil sich erwies, daß die Institutionen des Rechtsstaates sich in der Tat von der ursprünglichen gesellschaftlichen Wirklichkeit, der sie zugeordnet waren, ab-

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lösen ließen. Die Selbständigkeit der rechtsstaatlichen Institutionen gegenüber dem Wechsel der Ambiance war nur erreichbar durch die Technisierung dieser Institutionen. […] In der Isolierung vom Wechsel der Ambiance werden die Elemente der rechtsstaatlichen Verfassung zum Eigenwert.« (RW, 50 f.)104

Um eine notwendige Entwicklung handelte es sich hier freilich nicht im geringsten. Was meinte Forsthoffs These? Offenkundig ist zunächst die freilich etwas plumpe antimarxistische Stoßrichtung dieses Rechtsstaatsbegriffs, wenn man die Begriffe der »Ambiance« und der »Wirklichkeit« gedanklich durch den der gesellschaftlichen Basis ersetzt. Insofern schloß Forsthoff es aus, den Rechtsstaat im Rahmen konventioneller Ideologiekritik noch als theoretischen Überbau der Klassenstruktur zu begreifen, indem er die zwischen Basis und Überbau wirksame Dialektik kurzerhand für historisch überholt erklärte. Doch damit ist der Sinn der These nicht erschöpft. Sie sagt zugleich etwas sehr Entscheidendes über das zugrundeliegende Verfassungsverständnis. Da die rechtsstaatliche Verfassung sich auf keine soziologische Geltungssicherung mehr stützen konnte, durfte sie auch keine konstitutive Begründung mehr besitzen. Schließlich sollte sie ja zum »Eigenwert« geworden sein. Folgerichtig wurde für Forsthoff nun die fortgesetzte Reflexion auf solche »Grundsätze« des Rechtsstaats, die die Eigenwertigkeit aufheben, zum dessen eigentlichem und vordringlichem Problem. Das klingt paradox, ist es aber nicht, wenn man Forsthoffs Institutionenbegriff zugrundelegt, in dem die normative Überwölbung der Institution zum Keim des Institutionenzerfalls erklärt worden war.105 Auch die rechtsstaatliche Verfassung, kraft einer Entscheidung hineingestellt in eine ihr soziologisch und anthropologisch fremde Umwelt, beruhte demnach auf Formen und Institutionen, die durch subjektive Legitimitätserwägungen nicht nur nicht begründet, sondern nur zerschlissen werden können. Die Institutionen des Rechtsstaats werden um so wirkungsloser, je mehr man sich auf ihre rechtsstaatliche »Legitimität« beruft. Nur wenn man sich ganz auf die »zwingende Logik« der rechtsstaatlichen Verfassung verläßt, können deren Institutionen noch ein Stück Ordnung stiften, und ihre Logik muß deswegen »um so ernster genommen werden […], weil sich Sinn, Rechtfertigung und Funktion dieser Verfassung in ihr erschöpft.« (RW, 37) Nun behauptete Forsthoff allerdings, damit dem Wesen der rechtsstaatlichen Verfassung überhaupt zu entsprechen. Ihr sei es von je her eigentümlich gewesen, »daß sie sich auf ethische Begriffe […] nicht einläßt« (RW II, 205) und sich mit »sozialstaatlichen Präambeln, Programmsätzen und Bekenntnissen« (RW, 50) nicht gemein macht. Das strikt rechtsstaatlich verstandene Grundgesetz sei daher bloß »die« rechtsstaatliche Verfassung an sich. Ja, mehr noch: Es gebe durch alle nationalen und geschichtlichen Unterschiede hindurch überhaupt nur diese »eine rechtsstaatliche Verfassung […], die […] 104 105

Hervorhebungen nicht im Original. S.o., 5. Kap., S. 297 f.

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strukturell mehr oder weniger immer die gleiche ist« (RW, 50), weil sie eine »systematische Konzeption in der logischen Verknüpfung ihrer Elemente« bilde, »an der es nichts mehr zu verbessern gab« (RW II, 26). Eine solche Verfassung lasse höchstens für kleine Differenzierungen Spielraum. Aber der Rechtsstaat könne nicht wesentlich verändert werden, »ohne seine Logik zu tangieren und damit seine spezifische Wirkungsweise zu verändern.« (RW II, 202) Forsthoff leitete daraus ab, jede beliebige rechtsstaatliche Verfassung sei außerstande, »sich soziale Leitbilder, soziale Pläne, Programme oder ähnliches einzuverleiben oder aus sich heraus hervorzubringen.« (RW, 103)106 Anders als eine organisch gebildete sei, so meinte Forsthoff, die rechtsstaatliche Verfassung nicht einmal »das Ergebnis einer historischen Entwicklung in dem Sinne, daß sie nach und nach im Zuge eines geschichtlichen Prozesses entstanden wäre.« (RW II, 202) Vielmehr sei sie – als reine »Schöpfung des Geistes« – seit ihrer revolutionären Inkraftsetzung »fertig und in sich abgeschlossen« gewesen. So brüchig die Thesen verfassungsgeschichtlich auch sind, so klar zeigen sie, welche Bewandtnis es mit dem Begriff der rechtsstaatlichen Verfassung bei Forsthoff hat. Er ist herausgelöst aus dem legitimierenden Begründungszusammenhang seiner aufklärerischen Genese, begriffslogisch verselbständigt, institutionell formalisiert und gegen jede gegenläufige Begründung abgeschottet. Noch etwas war mit der »Isolierung vom Wechsel der Ambiance« über den rechtsstaatlichen Verfassungsbegriff gesagt. Dieser Aspekt ist umso bemerkenswerter, als Forsthoff zuvor immer wieder betont hatte, daß Verfassungen keine abstrakten Konstruktionen des Geistes, sondern »der Wirklichkeit abgelauscht« sein müßten. Genau das sollte für die rechtsstaatliche Verfassung nicht mehr gelten, ja es sollte nicht einmal mehr zu erstreben sein. Allen Versuchen, die sozialstaatliche Wirklichkeit auf der Ebene der Verfassung abzubilden, liege der »Gedanke zugrunde, die Verfassung müsse sozusagen ein Spiegel der gesamten wesentlichen, rechtlich geordneten Staatswirklichkeit sein. Es bleibe dahingestellt, ob in früheren Zeiten die rechtsstaatlichen Verfassungen ein solcher Spiegel gewesen sind. […] Jedenfalls muß diese Vorstellung für die moderne rechtsstaatliche Verfassung gänzlich aufgegeben werden.« (RW, 52).107 Zwar sei, wie Forsthoff 1951 in einem Vortrag formulierte, die Entfremdung zwischen rechtsstaatlichem Verfassungsgesetz und moderner Staatswirklichkeit »eine Tatsache, die unsere gesetzes- und verfassungsgläubigen Vorväter in Verwirrung, ja in tiefe Bestürzung versetzt haben würde«108. Die Situation des

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Ähnlich N. Luhmann, Politische Verfassungen im Kontext des Gesellschaftssystems, in: Der Staat 12 (1973), 4. Ähnlich zuvor bereits E. Forsthoff, Allmacht der Verwaltung, in: Wirtschafts-Zeitung v. 13.8.1949, 1: »Die Verfassungen sind nicht mehr das, was sie im vorigen Jahrhundert waren: Spiegel der Wirklichkeit. Das ist eine beunruhigende Tatsache, denn sie stellt die tiefere Verbindlichkeit der Verfassungen in Frage.« E. Forsthoff, Tendenzen und Kräfte im heutigen Verfassungsleben, Vortrag vom 25.9.1951 vor dem Verband der nordrheinischen Textilindustrie, Ts., NL Forsthoff, 1.

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Rechtsstaats lasse etwas anders aber überhaupt nicht mehr zu. So wird der »fiktive Charakter« des Rechtsstaats, »das ›als-ob‹ verfassungsrechtlicher Normen« zum unvermeidlichen Bestandteil jeder einstweilen noch möglichen politischen Ordnung.109 Die produktive Dialektik zwischen Verfassung und Verfassungsgesetz, zwischen Verfassung und Verfassungsrecht und damit die Geschichtlichkeit der Verfassung selbst ist suspendiert. In diesem vollends künstlichen Wirklichkeitsbezug lag für Forsthoff das eigentlich Neue der rechtsstaatlichen Ordnungen der Nachkriegszeit. Und in diesem prägnanten Sinne ist auch der Titel der Sammlung Rechtsstaat im Wandel zu verstehen, wenn er mehr als einen völlig banalen Sinn haben soll. Aber Forsthoff beließ es nicht dabei, das rechtsstaatliche Verfassungsgesetz gleichsam äußerlich gegen den Zugriff sozialer Legitimitätsansprüche abzuschotten. Die rechtsstaatlichen Formen selbst mußten sich radikal verändern, das innere Prinzip dieser Formen und Begriffe mußte von Grund auf ein anderes werden, wenn sie gegen die entformalisierende Wirkung der »demokratisch-sozialen Tendenzen der Zeit« (RW, 172) abgedichtet werden sollten. Auch dieses rechtsdogmatische Programm präsentierte Forsthoff als geschichtliche Zwangsläufigkeit. »Die Selbständigkeit der rechtsstaatlichen Institutionen gegenüber dem Wechsel der Ambiance war nur erreichbar durch die Technisierung dieser Institutionen. In der modernen Massendemokratie, deren Gleichheitsdenken der Anerkennung eigenständiger politischer Kräfte entgegensteht, nehmen die Strukturen der rechtsstaatlichen Verfassung notwendig einen technischen Charakter an. Diese Technisierung läßt sich an allen Institutionen des Rechtsstaates nachweisen. […] Ein in dem angedeuteten Sinne technisch gewordenes Verfassungssystem […] erhebt […] den Anspruch, in seinen Institutionen besonders streng genommen zu werden. In der Isolierung vom Wechsel der Ambiance werden die Elemente der rechtsstaatlichen Verfassung zum Eigenwert.« (RW, 50 f.)110

Was war mit dem etwas esoterisch wirkenden Begriff der »Technisierung« gemeint? Besonders aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang eine Diskussionsbemerkung Forsthoffs, in der er die rechtsstaatlichen Institutionen als ein »technisches Gerüst des Handelns«111 bezeichnete. Als »technisches Gerüst des Handelns« sollte die rechtsstaatliche Verfassung zur Sozialordnung in einem Verhältnis stehen, das hinsichtlich des Gesetzesbegriffs, der Orientierung am »Eingriff« und der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zu einem guten Teil auf Konstruktionen, Fiktionen und Stilisierungen beruht. Die stilisierten rechtsstaatlichen Formen sollten deswegen so konstruiert werden, daß sie in der sozialstaatlich veränderten Welt weiterhin ihre spezifischen rechtstechni-

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Ebd., 1. Hervorhebungen nicht im Original. E. Forsthoff, Diskussionsbemerkung zu ›Das Gesetz als Norm und Maßnahme‹, in: VVDStRL 15 (1957), 85.

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schen Wirkungen hervorbringen und das rechtsförmige Handeln in ihr Korsett zwängen. Sie werden auch juristisch gegen ein ihnen nicht mehr entsprechendes rechtliches Umfeld abgeschottet und begrifflich verselbständigt: »Der Rechtsstaat ist seinem Wesen nach nicht eine organisierte Gesinnungs- oder Erlebniseinheit, sondern ein institutionelles Gefüge oder, um es kraß zu formulieren, ein System rechtstechnischer Kunstgriffe zur Gewährleistung gesetzlicher Freiheit.« (RW, 174) 4. Zur Problematik des »Systems rechtstechnischer Kunstgriffe« Dies war offensichtlich keine Rechtsstaatstheorie des Grundgesetzes mehr, sondern eine Rechtsstaatstheorie über das Grundgesetz. So ist es auch zu erklären, weshalb Forsthoff mit ihr zu seiner Zeit so wenig Gefolgschaft fand. Viele der Einwände, die vom Standpunkt des Grundgesetzes aus gegen Forsthoff vorgebracht wurden, sind deshalb in sich stichhaltig und doch wieder nicht, weil sie auf einem gänzlichen anderen Verständnis von Verfassungsrecht beruhten. Diente die antinomische Konstruktion einzig und allein dazu, die leistende Verwaltung aus dem Vorbehalt des Gesetzes herauszuhalten?112 Verkannte die abwehrrechtliche Zentrierung nicht die Vielschichtigkeit der Grundrechte des Grundgesetzes?113 Vollzog nicht Forsthoffs restriktive Theorie des Rechtsstaats im Grunde bloß dessen »effektive Anpassung an herrschende Planungsbedürfnisse«114? Nichts davon ist eigentlich falsch. Tatsächlich schuf Forsthoffs »Logik des Rechtsstaates« Freiräume für eine rechtsstaatlich nicht gehegte Planung und Lenkung. Doch von seiner Position aus ist das kein echter Einwand. Forsthoff war überzeugt, daß gegen »herrschende Planungsbedürfnisse« von Verfassungs wegen ohnedies wenig auszurichten sei. Er konnte deshalb mit einiger Folgerichtigkeit die rechtsstaatlichen Sicherungsfunktionen auf – dann immerhin durchzuhaltende – Teilordnungen begrenzen.115 Zum Kern der Dinge führt die Kritik, die Jürgen Habermas 1962 in seinen Untersuchungen über den Strukturwandel der Öffentlichkeit gegen Forsthoffs Verfassungsmodell erhoben hat. Forsthoff verweigere der rechtsstaatlich verfaßten Massendemokratie genau das, was er selbst am historischen Typus der liberal-rechtsstaatlichen Ordnung stets hervorhob: die spezifische Aufeinan-

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So O. Lepsius, Die Wiederentdeckung Weimars durch die bundesdeutsche Staatsrechtslehre, in: Weimars lange Schatten, hrsg. v. C. Gusy, 2003, 379. So einerseits A. Hollerbach, Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung?, in: AöR 85 (1960), 253 ff.; andererseits I. Staff, Die Wahrung staatlicher Ordnung, in: Leviathan 15 (1987), 159 ff. I. Maus, Entwicklung und Funktionswandel der Theorie des bürgerlichen Rechtsstaats (1978), in: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, 1986, 50. E.-W. Böckenförde, Rechtsstaat im Wandel, in: NJW 1976, 1385 f.

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derbezogenheit von rechtlicher, sozialer und politischer Verfassung.116 Er wolle den sozialstaatlichen Gesellschaften schlicht eine ihnen gemäße Verfassungsstruktur und damit letztlich die Anerkennung ihrer politischen Legitimität vorenthalten. So ist es in der Tat. Forsthoffs Theorie des sozialen Rechtsstaats ist die Kehrseite seiner Zweifel an der generellen »Verfassungsfähigkeit der modernen Massenwelt«, wenn mit der Verfassung »etwas anderes gemeint [ist] als die Herstellung bloßer Legalitätsbeziehungen, wie sie jedes kodifizierte Gesetzesinstrument schaffen kann, und die Aufrichtung einer bloßen Machtsituation«117. Zur konsistenten Zuordnung von Rechtsverfassung und Gesellschaftsverfassung glaubte er nur eine wirkliche gesellschaftliche Ordnung imstande, aber nicht das amorphe Gebilde der Massendemokratie, die immer auf äußere, ihr nicht wesensmäßig entsprechende Kompensationsstrukturen angewiesen bleibe.118 Was demgegenüber die dem Sozialstaat innerlich gemäße Verfassung sein würde, daran bestand für Forsthoff kein Zweifel: die »Vernichtung des Rechtsstaates« (RW, 46), konkret: die Auslieferung des staatlichen Legalisierungsapparates an die jeweiligen gesellschaftlichen Mächte, bedarfsgesteuerte Umschichtungen, soziale Programme und die totale Verplanung des Lebens, kurz: »unübersehbare Diskriminierungen und Verwirkungen« (RW, 46). Ob man nun die Prämissen teilt oder nicht: Es trifft die Sachlage höchstens zum Teil, wenn Forsthoff vielfach vorgehalten wurde, sein Verständnis des Rechtsstaats sei eine »Abstraktion von gesellschaftlichen Inhalten überhaupt«119, so, als habe er sich bloß an einen Anachronismus geklammert, der mit »der Wirklichkeit« nichts mehr zu tun hatte, »dem Rechtsstaatsbegriff des 19. Jahrhunderts« gehuldigt,120 »unkritisch« überkommene Denkweisen über116 117

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J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962), 1990, 328 ff. E. Forsthoff, [Fragment über die »Verfassungsfähigkeit der modernen Massenwelt«], undatiert (um 1945), Ms., 1 S., NL Forsthoff. Siehe auch die bereits oben, 5. Kap., S. 273 zitierte Einleitung aus Forsthoffs unvollendetem Konservativismusbuch. Siehe dazu J. Habermas, Die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik, in: Merkur Nr. 413 (1982), 1053 f. I. Maus, Entwicklung und Funktionswandel der Theorie des bürgerlichen Rechtsstaats (1978), in: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, 1986, 53 f.; dies., Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus, 21980, 72; W. Nitsch/U. Gerhardt/ C. Offe/U. K. Preuß, Hochschule in der Demokratie, 1965, 188. U. Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaats in Deutschland (1960), in: Staatstheorie und Staatsrecht, 1978, 218 ff. Besonders deutlich äußerte sich Ulrich Scheuner in einem Brief an Ernst Forsthoff vom 15.2.1964 (NL Forsthoff): »Das Rechtsstaatsdenken des 19. Jahrhunderts kann nicht erneuert werden, weil es auf historisch verloren gegangenen Voraussetzungen beruht. Der moderne Staat ist nicht dualistisch, wie der konstitutionelle, das Gesetz hat nicht mehr die souveräne Stellung wie damals. Der Eingriff vor allem ist – Sie selbst haben dies mit der Daseinsvorsorge deutlich dargetan – nur mehr ein Teilbereich des staatlichen Wirkens. Die Förderung, Vorsorge, Hilfe lässt sich vom Eingriff her nicht fassen. Daher hat der soziale Rechtsstaat notwendig andere Masstäbe neben den alten nötig. Eine Verfassung, die sich selbst in so dezidierter Weise den Vorrang beilegt wie das Grundgesetz, kann man nicht mit den Methoden erfassen, die für ein

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nommen121 oder doch zumindest alle Veränderungen der sozialen Wirklichkeit für unmaßgeblich erklärt.122 In dieser etwas verharmlosenden Lesart liegt vielleicht überhaupt das folgenreichste Mißverständnis, mit dem Forsthoffs Werk bis heute behaftet ist. Nicht zu halten ist deswegen auch Peter Häberles einflußreiche These, Forsthoffs Verfassungs- und Rechtsstaatsbegriff habe zu seiner Verwaltungslehre im Widerspruch gestanden.123 Ganz im Gegenteil war es gerade die sozialstaatlich organisierte und demokratisch verfaßte Gesellschaft, die in ihr wirksamen massiven Kräfte der Entformalisierung und die Ausbreitung des materialen Rechtstyps, die Folgen der Daseinsvorsorge, die Forsthoff zu seiner grundstürzenden Revision des Rechtsstaatsbegriffs zwangen: zu der, wie ein früher Kritiker es zutreffend genannt hat, »Logifizierung des bürgerlichen Rechtsstaats«124, zu seiner Verwandlung von einer »politischen« in eine »technische« Ordnung. Forsthoff sah im monarchischen Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts den »einzige[n] wirkliche[n] Rechtsstaat« auf deutschem Boden (RW, 64) und glaubte letztlich nicht, daß sich für die Zukunft mehr als feingeschliffene Bruchstücke dieser Ordnung würden bewahren lassen. Kein »wirklicher« Rechtsstaat mehr, sondern ein unwirklicher, das heißt: der Rechtsstaat nach seinem Ende. Der uneingestandene Preis war juristischer Ästhetizismus. Der Rechtsstaatsbegriff wurde bei Forsthoff mehr und mehr zum Paradigma einer radikalen Autonomisierung der Ausdrucksmittel des juristischen Geistes, mit Gottfried Benn, der diesen Ausweg lange zuvor konzipiert hatte, eine »Steigerung des Konstruktiven« zur »gezüchteten Absolutheit der Form«.125 Darauf ist im letzten Kapitel zurückzukommen.

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Denken ausreichte[n], das die Verfassung nur als eine Art Gesetz, bestenfalls als Programm ansah.« Ferner P. Häberle, Retrospektive Staats(rechts)lehre oder realistische »Gesellschaftslehre«?, in: Verfassung als öffentlicher Prozeß, 1972, 247; I. Maus, Aspekte des Rechtspositivismus in der entwickelten Industriegesellschaft (1972), in: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, 1986, 212; K. Sontheimer, Das Ende der konservativen Staatslehre, in: F.A.Z. v. 24.8.1971; H. Ridder, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften im Sozialstaat nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1960, 5; C. Schütte, Progressive Verwaltungsrechtswissenschaft auf konservativer Grundlage, 2006, 165 f. u. passim; ähnlich auch F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 136 f. K. Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes (1962), in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, hrsg. v. E. Forsthoff, 1968, 559. A. Hollerbach, Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung?, in: AöR 85 (1960), 247. P. Häberle, Lebende Verwaltung trotz überlebter Verfassung?, in: JZ 1975, 685 ff.; ders., Zum Staatsdenken Ernst Forsthoffs, in: ZSR 95 I (1976), 477 ff. P. Lerche, Stil, Methode, Ansicht, in: DVBl. 1961, 692. G. Benn, Nach dem Nihilismus (1932), in: Ges. W., Bd. I, 1959, 161.

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5. Zur Staatstheorie des sozialen Rechtsstaats Was bedeutete diese dualistische Rechts- und Verfassungsstruktur, wie sie Forsthoffs gesamte Verfassungsinterpretation durchzieht, nun für den Staat selbst? Für die Staatsgewalt, die angeblich »in allen Verfassungen gleich« (RW II, 50; ähnlich RW, 222 f.) sein sollte? Ernst Forsthoff hat bis zuletzt daran festgehalten, daß der Staat selbst als »reale, souveräne Macht« (SIG, 47) in diesem Dualismus von Rechtsstaat und Sozialstaat nicht selbst aufgehen darf, sondern daß er über allen gesellschaftlichen Interessen und hinter aller Legalität »›der Staat‹ und nichts weiter« (SIG, 105) zu sein habe. Der Staat durfte sich für ihn nicht in perfektionierter Rechtsstaatlichkeit erschöpfen (RW, 51; SIG, 46 f.). Und natürlich durfte er erst recht nicht in der Sozialstaatlichkeit aufgehen und zur bloßen Funktion des ethisierten »Massenlebenswertes« (Gehlen)126 werden (RW, 108): »Man darf es als ein ehernes Gesetz betrachten, daß die Staatlichkeit in dem Maße abgebaut wird, in dem sie sich in Sozialstaatlichkeit verwandelt.« (RW II, 33)127 Forsthoffs Staatsbegriff stand nicht etwa in einem Widerspruch zu seiner Analyse des sozialstaatlichen Prozesses und des Auseinanderfallens von rechtsstaatlicher und sozialstaatlicher Ordnung. Dem Staat fiel die Aufgabe zu, die Sonderung beider Bereiche überhaupt erst zu ermöglichen.128 Die Aufgabe war gegenüber einer dualistischen Rechtsstruktur eine doppelte. Es galt zum einen zu verhindern, daß der rechtsstaatliche Geltungsmodus und das rechtsstaatliche Formprinzip durch material-soziale Gehalte unterlaufen werden (RW, 35 f.). Umgekehrt bestand die Herausforderung aber auch darin, die Funktionalität des materialen und gestaltungsoffenen sozialstaatlichen Rechtstyps gegenüber dysfunktionalen rechtsstaatlichen Bindungen offenzuhalten. Zur Aufgabe des Staates, der nach dem geschichtlichen Ende des Rechtsstaats noch Rechtsstaat sein will, machte Forsthoff es demnach, die Überlagerung beider Formprinzipien und Rechtsschichten zu verhindern. Dazu bedarf der Staat der inneren Souveränität. Damit ist freilich bei Forsthoff nie die bloße Machtfülle gemeint, sondern die Fähigkeit des Staates, sich – wie das für ihn so überaus charakteristische Adjektiv lautet: – als »geistig-politische« Potenz zu artikulieren. Damit zeigt sich zugleich etwas anderes: Forsthoff betrachtete die rechtsstrukturelle und institutionelle Unterscheidung von rechtsstaatlichem und sozialstaatlichem Komplex nicht als eine von selbst, sozusagen evolutionär ablaufende »Ausdifferenzierung des Rechts«. Sie läßt sich nicht systemtheoretisch umformulieren, ohne einen wesentlichen Aspekt zu unterschlagen. Im Dualismus von Rechtsstaat und Sozialstaat sah Forsthoff eine spezifische, dauernd zu erbringende institutionelle Leistung des konkreten Staates, die von 126 127 128

A. Gehlen, Moral und Hypermoral, 1969, 67. Dazu eingehend U. Storost, Staat und Verfassung bei Ernst Forsthoff, 1979, 107 ff. J. Habermas, Faktizität und Geltung, 1994, 556.

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nicht weniger abhing als von seiner geistigen Selbständigkeit gegenüber allen gesellschaftlichen Kräften.129 Der Staat, der stetig konfrontiert ist mit der Gleichzeitigkeit zweier antinomischer Prinzipien, des rechtsstaatlichen und des sozialstaatlichen, mußte aus seiner Sicht deshalb nicht die sich ganz von selbst einstellende (RW, 53) Verbindung, sondern die Unterscheidung von Rechtsstaat und Sozialstaat herstellen (RW, 54/56). In diesem Grundaxiom von Forsthoffs Staatslehre nach dem Krieg liegt eine durchaus originelle Wiederaufnahme der Staatslehre Lorenz von Steins, auf den er sich auch stets berief.130 Von Stein hatte es dem Staat zur Aufgabe gemacht, sein eigenes Prinzip, die staatsbürgerliche Gleichheit, gegen die Bewegungsgesetze der Gesellschaft und also gegen die Entstehung gesellschaftlicher Ungleichheit zu behaupten.131 Ebenso erklärte Forsthoff es nunmehr zur Aufgabe des als sozialer Rechtsstaat verfaßten Staates, seine Rationalität, juristische Formalstruktur und damit letztlich die individuelle Freiheit, insofern er Rechtsstaat sein will, gegen den situativen Zugriff sozialer Ansprüche und, insofern er Sozialstaat sein will, seine freie Gestaltungskompetenz gegen Formalisierungen zu schützen. Deutlich ausgeführt ist dieser Zusammenhang im Konzept zu einem 1953 gehaltenen Vortrag: »Lorenz v. Stein hatte Recht: Das Soziale [ist] nur außerhalb der d[er] Sphäre d[er] gesellschaftlichen Interessen bestimmbar. […] Folgerung: [Der] Sozialstaat fordert [die] Unabhängigkeit der hoheitlichen Entscheidung. Nur [ein] Staat, der nicht Besitz d[er] jeweils stärksten Interessengruppen [ist], kann auch Sozialstaat sein.«132

Carl Schmitt hatte zu dieser Zeit den Staat als politisches Entscheidungszentrum in einem solchen metaphysischen Sinne seit eineinhalb Jahrzehnten aufgegeben. Das Zeitalter der Staatlichkeit ging für ihn zu Ende,133 weil der Staat nicht mehr imstande war, das Politische nach innen zu monopolisieren. Herrschaftsleistungen, wie Forsthoffs Sozialstaat sie voraussetzte, traute er dem Staat schlechthin nicht mehr zu. Das Politische löste sich für ihn von seinem alten Träger ab und konnte wieder von irregulären Mächten reklamiert werden, wie Schmitt 1963 in der – sicherlich nicht zufällig Ernst Forsthoff gewidmeten134 –

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E. Forsthoff, Art. »Etatismus«, in: Hist. Wb. d. Philos., Bd. 2, 1972, Sp. 759. R. Herzog, Gedenkrede auf Ernst Forsthoff (1975), in: Festschrift für Roman Herzog zum 75. Geburtstag, hrsg. v. M. Herdegen u.a., 2009, XXVII. Besonders deutlich L. von Stein, Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands, in: Gesellschaft – Staat – Recht, hrsg. v. E. Forsthoff, 1972, 446 f. E. Forsthoff, Der Staat und die Verbände, Vortragsmanuskript (Herrenalb, 2.11.1953), NL Forsthoff. C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), 21963, 10; dazu H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, 1964, 198 ff.; C. Möllers, Staat als Argument, 2000, 78 ff. Zur Widmung an Forsthoff zum 60. Geburtstag bemerkte Carl Schmitt (Brief an Ernst Forsthoff, 13.9.1962, BW, Nr. 168), das Buch sei »ein Gespräch mit Ihnen, Hans Schomerus und […] Albrecht Erich Günther«.

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Theorie des Partisanen hervorhob.135 Forsthoff dagegen war hier zurückhaltender, wenn auch er zumindest die Staatlichkeit der Bundesrepublik im Abbau begriffen sah, die so wenig in der Lage war, »das Soziale« aus ihrer rechtsstaatlichen Verfassung fernzuhalten. Er wollte die Frage nach dem Staat offenhalten.136 Jedenfalls scheint Schmitt Forsthoffs Festhalten am Staat als »souveräner Macht« mit einem Unbehagen gesehen zu haben, was auf einen tiefgründigen Dissens mit seinem Schüler hinweist.137 Noch im selben Jahr, in dem auch Carl Schmitts Neuausgabe der Begriffsschrift erschien, schrieb Forsthoff: »Es gibt ja nicht wenige Stimmen, die das Ende der überkommenen Staatlichkeit behaupten. Und in der Tat fehlt es nicht an Entwicklungstendenzen und konkreten Tatsachen, auf die man sich in diesem Sinne berufen könnte. […] Denn gewiß wird man sich das Ende des Staates nicht in der Form eines datierbaren Ereignisses vorstellen dürfen. Die Auf- und Ablösung eines Ordnungsbegriffs […] kann sich nur als ein Prozeß von Dauer vollziehen. In welcher Phase dieses Prozesses wir uns gegenwärtig befinden, läßt sich in keiner Weise ausmachen. […] Angesichts einer solchen Lage wäre es ein Akt der Selbstzerstörung, wenn die Staatstheorie den Staatsbegriff preisgeben würde, da die heutige Wirklichkeit keine Anhalte für die Entwicklung eines logischen Bezugssystems bietet, welches das am Staat orientierte ersetzen könnte. Das gilt insbesondere für die Bundesrepublik.« (RW, 224)

Eine direkte Antwort Carl Schmitts dazu ist nicht erhalten. Doch vielleicht sind es die folgenden Verse: »Zum Staate drängt, / am Staate hängt / doch alles – / auch wir daran?«138 Sie finden sich, von Schmitts Hand eingetragen, in seinem Exemplar von Forsthoffs Buch Der Staat der Industriegesellschaft.

III. Der Rechtsstaat im Vollzug: Eigentumsschutz und Gewaltenteilung Es gilt nunmehr, Forsthoffs rechtsphilosophische Standortbestimmung des Rechtsstaates juristisch anschaulich zu machen. Dazu bietet sich erneut ein Fall an, und zwar einer, dem Forsthoff selbst paradigmatische Bedeutung beigemessen hat und der daher gleichsam als das Urszenario seines Rechtsstaatsbegriffs gelten kann. Gemeint ist das höchst umstrittene Gesetz über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft139 von 1952. Mit ihm reagierte die Bundesregierung auf die Finanzschwäche der Kohle- und Eisenindustrie und erlegte den aufgrund ausländischer Hilfen vergleichsweise besser ausgestatteten Bran135 136

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C. Schmitt, Theorie des Partisanen, 1963. H. Firsching, Am Ausgang der Epoche der Staatlichkeit?, in: Metamorphosen des Politischen, hrsg. v. A. Göbel u. a., 1995, 207. Siehe jedoch die Identifikation der Staatstheorie Forsthoffs und Schmitts bei E.-W. Böckenförde, Zum Briefwechsel zwischen Ernst Forsthoff und Carl Schmitt, in: AöR 133 (2008), 266. HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-25519. Bundesgesetzblatt 1952 I, 7–14.

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chen zwangsweise eine gewinnabhängige Geldleistungspflicht in Form von Zwangsanleihen in Milliardenhöhe auf, um den Investitionsbedarf der Schwerindustrie zu stillen.140 Die betroffenen Unternehmen sahen sich in ihren Eigentumsrechten verletzt und griffen das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht an. Ernst Forsthoff hat in das Verfahren mit einem dem Verband der weiterverarbeitenden Industrie erstatteten großen Gutachten141 eingegriffen, an dem er just zu der selben Zeit arbeitete wie an seinem Referat über den sozialen Rechtsstaat. Carl Schmitt hatte den Verband zuvor schon beraten142 und Ernst Forsthoff für ein Gutachten ins Gespräch gebracht.143 Zuvörderst bot die Investitionshilfe ein Lehrstück zum Verhältnis von Staat, Verbänden und Parlament und dürfte insofern von maßgeblichem Einfluß auf Forsthoffs pessimistische Rede über Verfassungsprobleme des Sozialstaats (1954) gewesen sein. Was aber war das verfassungsrechtliche Problem der Investitionshilfe, für das Forsthoff sich so brennend interessierte?144 Es lag in der Regelungstechnik des Gesetzes. Ohne die aufzubringenden Geldmittel zunächst in Form von Steuern oder Abgaben dem Staat zuzuleiten, bewirkte es eine zwangsweise Kapitalumlenkung und also Vermögensumschichtung unmittelbar zwischen Privatrechtssubjekten. In zweifacher Hinsicht lag darin für Forsthoff ein Konflikt mit hergebrachten Formen: Einmal waren die Zwangsanleihen nach dem Investitionshilfegesetz ein sonderbares Mischwesen aus transitorischer Enteignung, Sonderabgabe und Eigentunsausgestaltung und nicht recht in den Kategorien des Finanzverfassungsrechts unterzubringen.145 Zudem wollte die Form des parlamentarischen Gesetzes nicht zu einer reinen Ad-hoc-Maßnahme passen, die in jeder Hinsicht den Charakter einer administrativen Einzelentscheidung trug. Beides veranlaßte Forsthoff in seinem Gutachten zu dem Ergebnis: »Die Abschöpfung von Mitteln in einem Sektor der Wirtschaft und ihre unmittelbare Über-

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Eine eingehende Schilderung des Sachverhalts bei H. R. Adamsen, Investitionshilfe für die Ruhr, 1981. E. Forsthoff, Die Verfassungswidrigkeit des Investitionshilfegesetzes, o.J. (1953). S. a. E. Forsthoff, Ergänzende Bemerkungen zur Rechtswidrigkeit des Investitionshilfegesetzes, o. J. (1954). Ein Exemplar dieses nicht bibliographierbaren Ergänzungsschriftsatzes befindet sich in der Sammlung Carl Schmitt, HStA Düsseldorf, RWN 260-363. C. Schmitt, Hinweise zu dem Plan, das Bundesgesetz über Investitionshilfe vom 7.1.1952 durch Anrufung des Bundesverfassungsgerichts ausser Kraft zu setzen (datiert: Plattenberg, 24.1.1952), HStA Düsseldorf, Sammlung Carl Schmitt, RWN 260-334. Carl Schmitts verfügte über enge Verbindungen zu Wilhelm Schulte, der damals in leitender Stellung für den Verband tätig war. S. dazu die einschlägigen Materialien des Arbeitgeberverbandes der Metall- und Elektroindustrie (Rechtsnachfolgerin des Verbands der weiterverarbeitenden Industrie) im HStA Düsseldorf, Sammlung Carl Schmitt, RWN 260-363. Vgl. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 5.1.1953, BW, Nr. 59. E. Forsthoff, Die Verfassungswidrigkeit des Investitionshilfegesetzes, o.J. (1953), 25.

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führung auf einen anderen Sektor der Wirtschaft überschreitet die Möglichkeiten der Lenkung, die das Grundgesetz dem Staate zugesteht.«146 Die Argumentation blieb erfolglos, das Gericht ließ das Gesetz im Juli 1954 in einem aufsehenerregenden Urteil unbeanstandet.147 Für Forsthoff ließ die Begründung alle wichtigen und grundsätzlichen Fragen offen: Die politische Notwendigkeit von situativen Eingriffen in die Wirtschaftsordnung war als Teil einer staatlichen Gesamtverantwortung für die Sozialordnung schließlich nicht zu bestreiten; am allerwenigsten von Forsthoff selbst. Der Gesetzestyp der unmittelbaren Sozialgestaltung war mit der Macht sozialstaatlicher Zwangsläufigkeiten ausgestattet und auch keine Neuigkeit.148 Doch was bedeutete er für das Verhältnis von Gesetzgebung, Vollzug und gerichtlicher Kontrolle unter dem Grundgesetz? Die damit aufgeworfene Frage hatte der damalige Heidelberger Privatdozent Kurt Ballerstedt, mit dem Forsthoff seit Königsberger Zeiten in enger persönlicher und wissenschaftlicher Verbindung stand,149 schon 1948 in seiner Heidelberger Antrittsvorlesung formuliert: »Kann ein Staat, der die Wirtschaft planen und lenken will, Rechtsstaat sein?«150 Auch zu einer einfachen Dichotomie von Enteignung und Besteuerung führte selbstverständlich kein Weg mehr zurück. Blieb es also dabei, »daß sich viele Lenkungsmaßnahmen dem Ordnungsgehalt der rechtsstaatlichen Normativverfassung von vornherein entziehen«151? 1. Eigentumsschutz als verfassungsrechtliches Paradigma Das mit dem Investitionshilfegesetz aufgeworfene Eigentumsproblem war natürlich kein neues. Die für die bürgerliche Rechtsordnung konstitutive Unterscheidung von absoluten und obligatorischen Rechten, von Eigentum und Vermögen war im Sozialstaat weithin fiktiv geworden. Forsthoff selbst hatte seit den dreißiger Jahren immer wieder darauf hingewiesen. Er wußte nur allzu gut, daß damit auch die Unterscheidung zwischen der Enteignung, also der Entziehung konkreter Eigentumsrechte, und der Besteuerung, das heißt der Abschöpfung bloßen Vermögens, hochgradig fiktiv, zumindest aber »hauchdünn« (RW, 70) werden mußte. Fiktiv, weil der Staat die Eigentumsordnung nicht vorfindet, sondern durch subtile Mechanismen selbst erst erzeugt. Der Sozialstaat sei geradezu dadurch definiert, »daß auch die Eigentumsordnung nicht mehr feststeht, sondern der Staat durch Vorkehrungen aller Art ver146 147

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E. Forsthoff, Zur verfassungsrechtlichen Problematik der Investitionshilfe, in: BB 1953, 421. BVerfGE 4, 7 ff.; dazu R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1990, 68 f.; s.a. F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 206. C. Möllers, Das parlamentarische Gesetz als demokratische Entscheidungsform, in: Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, hrsg. v. C. Gusy, 2000, 462 ff. Vgl. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 21.9.1949, BW, Nr. 28. K. Ballerstedt, Rechtsstaat und Wirtschaftslenkung, in: AöR 74 (1948), 131. E. Forsthoff, Zur verfassungsrechtlichen Problematik der Investitionshilfe, in: BB 1953, 421.

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ändernd in die Vermögensverhältnisse eingreift.« (Lb II, 255) Wie umfassend Forsthoff sich dieses Ineinandergehen von Staat und Eigentumsordnung im planenden Sozialstaat dachte, zeigt ein Vortrag von 1956, in dem vom Sozialstaat als gigantischem Verteilungsmechanismus die Rede ist. Es heißt dort: »dieser Verteilungsvorgang steckt nun sozusagen in allem, was dieser Staat macht, er steckt beispielsweise in der Währung, in der Einregulierung einer bestimmten Kaufkraft der Mark, er steckt im Wechseldiskont, er steckt in der Lenkung der Arbeitskraft, er steckt sehr wesentlich in der Steuer, er steckt in den Verkehrstarifen, im sozialen Wohnungsbau, in den offenen Leistungen verteilender Art, wie sie die Sozialversicherung, Lastenausgleich und vieles andere darbringen, kurzum, unser ganzes Gemeinwesen […] ist bis in die Einzelheiten hinein durchzogen von diesem Gedanken und Prinzip der Verteilung.« (RW, 103)

Wie aber ließ sich der Freiheitsgehalt des Eigentumsschutzes dann aufrechterhalten? Wenn die soziale Entwicklung die einzelnen vermögensrechtlichen Institute ineinander verschwimmen ließ, so ließ dies für den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz zwei – idealtypische – Lösungswege zu. Einmal die Anpassung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs an die sozialstaatliche Rechtsentwicklung, wie Hans Peter Ipsen sie aus dem Sozialstaatsgrundsatz deduziert hatte. Forsthoff entschied sich für das Gegenteil, nämlich für die teilweise Entkopplung von Eigentumsschutz und sozialer Vermögensordnung. Und zwar mit der charakteristischen Begründung, daß, wo angesichts der einfachgesetzlichen »Labilität« der Eigentumsordnung (Lb V, 260) eine konsistente Lösung ohnehin nicht zu erreichen ist,152 die bürgerlich-rechtsstaatlichen Kategorien immerhin den Vorteil fester Kriterien böten. Forsthoff beharrte deshalb auf einer strikten Trennung von Eigentumsschutz und allgemeiner Vermögensordnung, auf der Trennung zwischen Bestandsschutz und sozialstaatlicher Verteilung, von Enteignung und Besteuerung. Sein zentrales Argument aus dem Investitionshilfegutachten, mit dem er jegliche Zwischenformen zwischen Eigentum und Besteuerung für verfassungswidrig erklärte, baute er somit aus zu einer Funktionsbedingung des Rechtsstaats schlechthin (RW, 52 f.). Sollte also die Eigentums- und Vermögensordnung nicht überhaupt der sozialstaatlichen Aufweichung überlassen werden, mußte in der Eigentumsgarantie ein abgegrenzter Bereich rechtsstaatlicher Sicherungen isoliert und die Eigentumsentziehung an vielleicht fiktive, immerhin aber feste Grenzen gebunden werden. Das war nicht gegen sozialstaatliche Umverteilungen gerichtet, im Gegenteil. Als dialektisches Gegenstück zum Eigentumsschutz brauche der Staat eine starke, von rechtlichen Schranken freie Besteuerungsgewalt, die ihn überhaupt erst in den Stand versetzt, Sozialstaat zu sein.153 Die Steuerhoheit dürfe keinerlei grundrechtlichen Schranken unterwor-

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E. Forsthoff, Anmerkung zu BGH, Beschl. v. 9./10.6.1952, in: JZ 1952, 627. E. Forsthoff, Eigentumsschutz öffentlich-rechtlicher Rechtsstellungen, in: NJW 1955, 1250: Der »rechtsstaatlichen, weitestgehenden Bindung des Staates im Hinblick auf das individuelle Vermögen […] entspricht die sozialstaatlich gebotene Freiheit der Finanz-

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fen werden. Sonst nämlich beraube man den Staat der Mittel zur Erfüllung der sozialstaatlichen Aufgaben (RW, 70). »Die rechtsstaatliche Verfassung ermöglicht in der Tat den Sozialstaat und stellt für seine Entfaltung spezifische rechtliche Handhaben zur Verfügung. Es sind die Handhaben, die in der Steuerhoheit des Staates beschlossen sind. Der moderne Rechtsstaat ist Sozialstaat wesentlich in seiner Funktion als Steuerstaat. Die rechtlich unbeschränkte Befugnis des Staates, Steuerquellen auszuschöpfen, setzt ihn in den Stand, einen beträchtlichen Teil seiner sozialen Aufgaben in der Weise zu erfüllen, daß er durch Abschöpfung und Vergebung von Barmitteln das System der Güterverteilung korrigiert. Dadurch ist die Entfaltung des Sozialstaates in eine bestimmte Richtung gedrängt worden, die dem Rechtsstaat gemäß ist.« (RW, 52)

Mit dieser scharfen Unterscheidung von Eigentum und Besteuerung war allerdings etwas sehr Entscheidendes über die gesellschaftspolitische Funktionsweise dieses Steuerstaates ausgesagt: Wenn der Staat über seine Steuerhoheit das »System der Güterverteilung« lediglich korrigieren durfte, so bedeutete das zugleich, daß es ihm verwehrt bleiben sollte, die Güterordnung selbst grundlegend zu ändern. Ihr gegenüber sollte sich der Sozialstaat neutral verhalten. Im selben Sinne stellte Werner Weber apodiktisch fest: »In einer rechtsstaatlichen Verfassung hat eine ›soziale Umschichtung‹ (Sozialentwährung) keinen legitimen Standort.«154 Was beide meinten, war sehr konkret: keine legale Revolution der Eigentumsordnung: »Die sozialstaatliche Beweglichkeit hat aber ihre Grenze vor der sozialen Verschichtung durch unmittelbare Entziehung oder Entwertung grundrechtlich geschützter Rechtspositionen. Die rechtsstaatliche Verfassung läßt nur den indirekten Weg über die Steuerhoheit offen« (RW, 53).155 Der direkte Weg über die Eigentumsneuordnung war damit von Verfassungs wegen versperrt: »Der Rechtsstaat ist Sozialstaat im Wege der Verteilung aus dem Sozialprodukt, also auf der Basis eines bestehenden Systems der Güterverteilung, an dem nichts geändert wird.« (RW, 103)

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hoheit in Hinsicht auf die steuerliche Erfassung des Sozialprodukts. Der Besteuerung des Sozialprodukts ist eine Verfassungsschranke nicht gezogen. Diese Regelung: strenge Bindung an die Verteilung des Volksvermögens bei unbeschränkter Möglichkeit des Zugriffs auf das Sozialprodukt kennzeichnet den Typus des sozialen Rechtsstaates, den die Bundesrepublik verkörpert.« »Wenn diese Schranke fällt, praktisch gesprochen, wenn einmal der Gedanke sich durchsetzen sollte, daß die Finanzhoheit gleichen Beschränkungen unterworfen wäre, wie der Staat in Ansehung des Eigentums, dann glaube ich, würde dieser Sozialstaat als Rechtsstaat zusammenbrechen. Dann würde nicht mehr die Möglichkeit bestehen, die für die Sozialleistungen erforderlichen Mittel im Wege der Finanzhoheit aufzubringen, und der Staat würde einem sozialen Druck ausgesetzt sein, gegen den die Grundrechte, wie wir sie heute haben, wohl nicht mehr zu halten wären.« (RW, 70) W. Weber, Die Entschädigung in der westdeutschen Bodenreform, in: DÖV 1953, 354; ebenso ders., Eigentum und Enteignung, in: Die Grundrechte, Bd. II, hrsg. v. F. L. Neumann u. a., 1954, 365. Ebenso E. Forsthoff, Eigentumsschutz öffentlich-rechtlicher Rechtsstellungen, in: NJW 1955, 1250.

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Wenn Forsthoff für seine Auffassung anführte, der deutsche Sozialstaat in seiner historisch gewordenen Ausprägung beruhe nun einmal auf dieser bloß indirekten Umverteilung über die Besteuerungsgewalt (RW, 52 f.), so traf das zwar zu. Aber in dieser Tradition der »Socialpolitik« mit ihrer durchaus etatistischen Antwort auf die soziale Frage lag in der Bundesrepublik das gesellschaftspolitische Problem.156 Denn der »Paternalismus« des deutschen Sozialstaats war der demokratischen Linken schon seit je als Bollwerk der spätkapitalistischen Ökonomie verhaßt gewesen.157 Die Steuergewalt war natürlich niemals »neutral« gegenüber der gesellschaftlichen Vermögensverteilung gewesen und war es schon gar nicht im Staat der Industriegesellschaft.158 Mochte Forsthoff auch hier rechtsdogmatisch den Grundsatz auf seiner Seite haben: besser ein fiktives Kriterium als keines, so hatte er doch eine konsistente dogmatische Lösung des Eigentumsproblems ebensowenig anzubieten wie sonst irgend jemand. Sein »sozialer Rechtsstaat« hatte als Steuerstaat jedenfalls für jeden halbwegs kundigen Marxisten seinen ideologischen Charakter enthüllt. Es liegt nicht zuletzt daran, daß Ernst Forsthoff aus marxistischer Perspektive in den sechziger Jahren geradezu zum Musterfall des »spätkapitalistischen« Rechtsideologen wurde – was man auch im östlichen Teil Deutschlands sogleich freudig ausschlachtete.159 Mehr noch als in der Gewerkschaftsfrage wird hier die handfeste praktisch-politische Option von Forsthoffs Verfassungslehre deutlich, die es seinen Gegnern leicht machte, ihm die geschickte Objektivierung eines Klassenstandpunktes vorzuhalten.160 Ihnen ging es dagegen gerade um die Schritte, die Forsthoff ausschloß, nämlich um die Umgestaltung der Erzeugungsbedingungen des gesellschaftlichen Reichtums selbst

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U. K. Preuß, Nachträge zur Theorie des Rechtsstaats, in: KJ 1971, 24. S. nur U. K. Preuß, Rechtsstaat – Steuerstaat – Sozialstaat, in: Ordnungsmacht?, hrsg. v. D. Deiseroth u. a., 1981, 53 ff. Ebd., 55 f., 58 f. H. Anders, Der »Daseinssicherer des Monopolkapitals« und »Gehilfe des Führers«, in: Staat und Recht 12 (1963), 981 ff.; K.-H. Röder/U. Röder, Ernst Forsthoffs Anpassung an den Imperialismus der siebziger Jahre, in: Staat und Recht 20 (1971), 1145 ff.; L. Elm, Hochschule und Neofaschismus, 1972, bes. 51, 128 f. So, wenn auch ohne namentliche Nennung, W. Abendroth, Der Kampf um das Streikrecht (1953), in: Ges. Schr., Bd. 2, 2008, 308 ff., 313; ferner O. H. von der Gablentz, Staat und Gesellschaft, in: PVS 2 (1961), 10; besonders aggressiv H.-D. Bamberg, Zu Ernst Forsthoffs Staat der Industriegesellschaft, in: Demokratie und Recht 1 (1973), 67 und passim; vorsichtiger H.-H. Hartwich, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher status quo, 1970, bes. 298 f., 314 ff. und P. Häberle, Retrospektive Staats(rechts)lehre oder realistische »Gesellschaftslehre«?, in: Verfassung als öffentlicher Prozeß, 1972, 259; R. Schuckart, Kontinuitäten einer konservativen Staatsrechtslehre, in: Erfolgsgeschichte Bundesrepublik?, hrsg. v. S. A. Glienke u. a., 2008, 105 ff.; I. Maus, Entwicklung und Funktionswandel der Theorie des bürgerlichen Rechtsstaats (1978), in: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, 1986, 64 f.; J. Perels, Die Rechtmäßigkeit des politischen Demonstrationsstreiks, in: Demokratie und soziale Emanzipation, 1988.

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und nicht lediglich die Umverteilung von deren Ergebnissen.161 Man müsse, schrieb Wolfgang Abendroth, »mit dem Gedanken der Demokratisierung der Gesellschaft und der Kontrolle der jeweils am Produktionsprozeß Beteiligten über solche Produktionsgüter, mit denen gesellschaftlich produziert wird und die in der bisherigen Wirtschafts- und Sozialordnung privater Verfügungsgewalt unterstanden haben oder noch unterstehen, in vollem Maße Ernst machen«162. Konkret bedeutete das: Demokratisierung der Produktionsmittel, Sozialisierung der Schlüsselindustrien, Beendigung des Klassenkampfes durch Aufhebung der Klassen, legaler Übergang zum demokratischen Sozialismus.163 Im selben Sinne konnte auch Jürgen Habermas gegen die strikte Trennung von Enteignung und Besteuerung einwenden, sie zementiere einen Zwischenzustand der sozialstaatlichen Entwicklung, in der sich bürgerliche Herrschaftsreservate noch behaupten und die einen vergesellschafteten Sozialstaat verhindert, in welchem »alle soziale Macht eines politisch relevanten Wirkungsgrades auch demokratischer Kontrolle unterstellt wäre.«164 Ernst Forsthoff freilich hielt derlei Einwände allesamt für veraltet und den ganzen westlichen Marxismus für ein ideologisches Nachhutgefecht (SIG, 48), wie er überhaupt mit Arnold Gehlen165 und Helmut Schelsky166 bestritt, daß die Gesellschaftsstruktur der Bundesrepublik noch etwas mit Klassengegensätzen zu tun habe (SIG, 164).167 Wie dem auch sei: Es ist jedenfalls offenkundig, wie genuin bürgerlich Forsthoffs Rechtsstaat denen erscheinen mußte, die die

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W. Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (1954), in: Ges. Schr., Bd. 2, 2008, 352 ff.; ihm folgend J. Habermas, Zum Begriff der politischen Beteiligung (1958), in: Kultur und Kritik, 1973, 46 f.; dazu H.-H. Hartwich, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher status quo, 1970, 348 ff. W. Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (1954), in: Ges. Schr., Bd. 2, 2008, 354. Ebd., 354. J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962), 1990, 336; ebenso bereits ders., Zum Begriff der politischen Beteiligung (1958), in: Kultur und Kritik, 1973, 46 f.; ähnlich I. Maus, Entwicklung und Funktionswandel der Theorie des bürgerlichen Rechtsstaats (1978), in: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, 1986, 52; dies., Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus, 21980, 117: »Die hervorragende Bedeutung der rechtsstaatlichen Organisationsform« bilde bei Forsthoff nur eine »vorläufige und zusätzliche Sicherung der bürgerlichen Verfassungsmaterialien gegen eine […] funktionsfähige Legislative«; ferner dies., Aspekte des Rechtspositivismus in der entwickelten Industriegesellschaft (1972), in: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, 1986, 214: Forsthoff nehme die Verfassung überhaupt nur insofern ernst, als sie der Absicherung gegen Eingriffe in Freiheit und Eigentum diene. A. Gehlen, Moral und Hypermoral, 1969, 72. H. Schelsky, Die Bedeutung des Schichtungsbegriffes für die Analyse der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft (1953), in: Auf der Suche nach Wirklichkeit, 1979, 326 ff.; zu dieser Debatte der fünfziger Jahre P. Nolte, Die Ordnung der deutschen Gesellschaft, 2000, 330 ff. Dazu noch unten, 9. Kap., S. 458.

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Klassenfrage im »Spätkapitalismus« nicht einfach für erledigt hielten,168 wie sehr die erklärtermaßen vom »Wechsel der Ambiance«, das heißt von der gesellschaftlichen Basis isolierte Verfassung noch als Überbau verstanden werden konnte. Daran konnte auch die Versicherung nichts ändern, der Rechtsstaat sei keine »Schutzburg der beati possidentes« (RW, 54). 2. Sozialstaatliche Gesetzgebung als Gewaltenteilungsproblem Forsthoffs begriffliche Strategie läßt sich vielleicht am eindrucksvollsten anhand der zweiten durch das Investitionshilfegesetz aufgeworfenen Kardinalfrage des Rechtsstaates zeigen: der Gewaltenteilung. Daß es im Sozialstaat keine organische Gewaltengliederung zwischen den einzelnen Staatsfunktionen geben konnte, davon war Forsthoff zutiefst überzeugt. Das Machtreservoir der Daseinsvorsorge mußte die substantielle Eigenständigkeit der Staatsfunktionen aufheben, und zwar speziell die der Gesetzgebung. Anders als der bürgerliche Rechtsstaat, der auf einer vorgefundenen Sozialordnung aufbaue, beruhe der Daseinsvorsorge leistende Sozialstaat auf seiner Fähigkeit zur prospektiven Gestaltung, zur Manipulation der sozialen Abläufe, zum auf Dauer gestellten Eingriff in die Verhältnisse. Damit verschwinde die soziologische Grundlage der für den Rechtsstaat an sich konstitutiven Dialektik von allgemeinem Gesetz und individuellem, punktuellem Eingriff; die Unterscheidung von Rechtsetzung und Vollzug werde schwimmend: »Es gehört zu den Merkmalen des modernen Staates, daß seine Formtypik nicht mehr von dem Gegensatz des Individuellen und Generellen her begriffen werden kann. Das gilt insbesondere vom Gesetz.« (Lb VII, 300) Dieser Aufgabenwandel verändere nun unwiderruflich auch die Eigenart der Gesetzgebung. Mit dem Vordringen des sozialstaatlichen Paradigmas träten an die Stelle allgemeiner Gesetze zunehmend »Maßnahmegesetze«, Gesetze also, die nicht auf eine im Prinzip selbstläufige Gesellschaft, sondern auf einen konkreten Lenkungserfolg hin berechnet sind. Forsthoff hat diesen Begriff erstmals in einem Nachtragsschriftsatz zur Verfassungsbeschwerde gegen das Investitionshilfegesetz gebraucht169 und ihn dann 1955 in einem aufsehenerregenden Beitrag zur Gedächtnisschrift für seinen Fakultätskollegen Walter Jellinek mit Konturen versehen (RW, 78 ff.). 168

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In die gleiche Richtungen weisen eine Reihe von dogmatischen Ableitungszusammenhängen: E. Forsthoff, Ist die Bodenreform in der Deutschen Demokratischen Republik im Falle der Wiedervereinigung als rechtswirksam anzuerkennen?, 1954 (Antwort: nein); E. Forsthoff, Der Entwurf eines Zweiten Vermögensbildungsgesetzes, in: BB 1965, 387 f.; ausführlich das diesem Aufsatz zugrundeliegende Rechtsgutachten: E. Forsthoff, Der Entwurf eines Zweiten Vermögensbildungsgesetzes. Eine verfassungsrechtliche Würdigung, Ts., o. D. (1964?), HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-19775, 30 ff., 34 (gegen die Belastung von Arbeitgebern durch die Regelung vermögenswirksamer Leistungen). E. Forsthoff, Ergänzende Bemerkungen zur Rechtswidrigkeit des Investitionshilfegesetzes, o. J. (1954), 8.

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Das Vordringen jenes neuen Gesetzestyps war unzweifelhaft zutreffend beschrieben, und der Befund als solcher wurde auch von niemandem recht bezweifelt.170 Je mehr der sozialstaatliche Gesetzgeber die vormals exekutivische Gestaltungsaufgabe übernimmt, umso stärker nehmen seine Gesetze, um eine Formulierung Werner Webers zu gebrauchen, den »Charakter verwaltender Detaildispositionen an.«171 Forsthoff war der Auffassung, daß Maßnahmegesetze mit einem konventionellen Verständnis der Gewaltenteilung nicht einzufangen sind: Sie beträfen weder einen einzelnen individuell und seien deshalb keine apokryphen Verwaltungsakte wie sie Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG verbot, noch bedürften sie andererseits einer eigenständigen administrativen Konkretisierung. Vielmehr seien Maßnahmegesetze bestimmt von technischen Zwecksetzungen, die oberhalb des Dualismus von Allgemeinem und Individuellem angesiedelt sind und deswegen auch institutionell die Gewaltenteilung überspielen. Für die Maßnahme ist der außerrechtliche Zweck primär, so hatte schon Carl Schmitt Jahrzehnte zuvor den Maßnahmebegriff bestimmt,172 und Forsthoff verband diesen Gedanken der Zweckakzessorietät nun mit dem Gesetzesbegriff: »Das Maßnahmegesetz ist dahin zu kennzeichnen, daß es logisch vom Ziel und Zweck zum Mittel gelangt. Es ist Aktion, die nichts konstituieren soll und kann, sondern Regelungen trifft, die einer Zweckverwirklichung dienen und untergeordnet sind. Das Maßnahmegesetz entwächst deshalb einer bestimmten Situation und steht zu ihr in einem überschaubaren und logisch vollziehbaren Verhältnis.« (RW, 85, ähnlich 93) 173

Warum aber sollte sich die Frage nach dem Gesetzesbegriff unter dem Grundgesetz in so ganz neuartiger Weise stellen? Hatte nicht Ulrich Scheuner recht, der die Entwicklung für unvermeidlich und auch für im Prinzip unproblematisch hielt und alles verfassungsrechtliche Gegensteuern als illusionär bezeichnete?174 Auch hier sah Forsthoff sich der Paradoxie eines verfassungsnormativ vollendeten Rechtsstaates gegenüber, der nicht zur zerstörten und deshalb existentiell sozialstaatsabhängigen Gesellschaftsordnung passen wollte. Einerseits habe die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik ein vitales »Bedürfnis nach Maßnahmen« (RW, 87; ähnlich Lb X, 61) in nie da-

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Ganz im selben Sinne etwa J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962), 1990, 271 f.; vgl. ferner die Referate auf der Staatsrechtslehrertagung C.-F. Menger, Das Gesetz als Norm und Maßnahme, in: VVDStRL 15 (1957), 20 ff.; H. Wehrhahn, Das Gesetz als Norm und Maßnahme, in: VVDStRL 15 (1957), 35 ff. W. Weber, Das Kräftesystem in der wohlfahrtsstaatlichen Massendemokratie (1956), in: Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 31970, 129. C. Schmitt, Die Diktatur des Reichspräsidenten nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung (1924), in: Die Diktatur, 51989, 248. Hervorhebung nicht im Original. U. Scheuner, Diskussionsbemerkung zu ›Das Gesetz als Norm und Maßnahme‹, in: VVDStRL 15 (1957), 76.

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gewesenem Umfang, weil ökonomische und soziale Krisen jederzeit den Bedarf nach plötzlichem Umsteuern auslösen können. Andererseits treibe das Grundgesetz den Rechtsstaat auf die Spitze: Ihm fehle ein der gewöhnlichen Gesetzgebung komplementäres Institut der Maßnahmekompetenz ratione necessitatis wie die Präsidialdiktatur nach Art. 48 WRV.175 Die Exekutive war nach dem Grundgesetz auch im Ausnahmefall außerstande, mit Gesetzeskraft zu handeln. Auf diese Weise sei, meinte Forsthoff, die an das feste Institut der kommissarischen Diktatur gebundene Handlungsform von Maßnahmen mit Gesetzesrang gleichsam frei geworden. Sie könne nach dem Grundgesetz nur vom Gesetzgeber wahrgenommen werden, was der Unterscheidung von Gesetz und Maßnahme ihre institutionelle Entsprechung in der Gewaltenteilung entziehe. Offenbar hatte Forsthoff mit seiner Problembeschreibung einen neuralgischen Punkt getroffen, wie die sofort einsetzende Diskussion beweist.176 Es liegt auf der Hand, daß auch in dieser Konstruktion eine Idealtypisierung des rechtsstaatlichen Verfassungsrechts und speziell des Gesetzesbegriffs lag, wie sie die Verfassungslehre Carl Schmitts auszeichnet.177 Für die hier interessierende Frage nach der Verfassungsdogmatik des Forsthoffschen Rechtsstaats kommt es nur auf die Schlüsse an, die er aus der Aufhebung der Gewaltenteilung durch die Maßnahmegesetze zog. Ein Rechtsproblem warf das Maßnahmegesetz für Forsthoff nämlich insofern auf, als von der Unterscheidung von allgemeiner Norm und individuellem Normvollzug eine spezifische institutionelle Vermittlungsleistung abhing: die Zuweisung des Rechtsschutzes. Nach überkommener und seinerzeit noch herrschender Auffassung war Rechtsschutz überwiegend nur gegen administrative Einzelfallentscheidungen (Verwaltungsakte) statthaft. Was schlug er vor? Um die Vermittlungsleistung der Unterscheidung von Norm und Vollzug möglichst weitgehend aufrechterhalten zu können und das Verhältnis von Rechtsetzung, Vollzug und Kontrolle wieder stimmig zu machen, zog er ein neues Kriterium in den Gesetzesbegriff ein, das die Unterscheidung von Allgemein und Individuell bewußt vermied. Er abstrahierte auch von der institutionellen Gegenüberstellung von Gesetzgebung und Ver-

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Ebenso W. Weber, Weimarer Verfassung und Bonner Grundgesetz (1949), in: Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 31970, 26. C.-F. Menger, Das Gesetz als Norm und Maßnahme, in: VVDStRL 15 (1957), 3 ff.; H. Wehrhahn, Das Gesetz als Norm und Maßnahme, in: VVDStRL 15 (1957), 35 ff.; K. Ballerstedt, Über wirtschaftliche Maßnahmegesetze, in: Festschrift für Walter SchmidtRimpler, 1957, 369 ff.; E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 1958; K. Zeidler, Maßnahmegesetz und »klassisches« Gesetz, 1961; K. Huber, Maßnahmegesetz und Rechtsgesetz, 1963, um nur die wichtigsten Beiträge zu nennen. H. Hofmann, Das Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes (1987), in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, 1995, 260 f. S. die Parallelstellen bei C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, 139, 151 f.; ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923), 21926, 56 f.

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waltung und ging zurück auf eine hinter ihr stehende »konstitutive Unterscheidung zwischen Normieren und Handeln« (RW, 80). Von einer institutionellen gelangte er auf diese Weise zu einer phänomenologischen Unterscheidung, die es erlaubte, den rechtstechnischen Gehalt der rechtsstaatlichen Begriffe auch dann zur Geltung zu bringen, wenn ihre institutionellen und kompetenzmäßigen Voraussetzungen entfallen sind. Er nahm weiter an, daß es im Verhältnis von Staat und Gesellschaft unterschiedliche Gesetzestypen geben müsse, die sich anhand des Dualismus Normieren und Handeln voneinander unterscheiden lassen. So gebe es auf der einen Seite »konstituierende Gesetze« (RW, 84), die nicht durch ihre bloß formale Allgemeinheit, sondern dadurch ausgezeichnet seien, daß sie einen bestimmten Bereich sozialer Ordnung rechtsförmig gestalten und dadurch im ausgezeichneten Sinne normieren. Forsthoff hatte 1938 dem Energiewirtschaftsgesetz diese Eigenschaft zugesprochen (VwL, 34). Solche Gesetze empfingen ihre rechtliche Substanz aus dem institutionellen Zusammenhang mit der von ihnen geschaffenen Ordnung. In dieser Begriffsbestimmung kehrt erkennbar jene Auszeichnung der gesetzten Norm als substantielle »Stiftung« von Ordnungszusammenhängen wieder, mit der Forsthoff in Recht und Sprache einem rein instrumentellen Rechtsbegriff entgegengetreten war (RuS, 9).178 Und entsprechend scharf fiel der Gegensatz aus zum Typus des Maßnahmegesetzes, das eben nichts Rechtsförmiges stiftet, ordnet oder schafft, sondern sekundär bleibt hinter einem rein instrumentellen Lenkungszweck: »Es ist Aktion, die nichts konstituieren soll und kann, sondern Regelungen trifft, die einer Zweckverwirklichung dienen und untergeordnet sind.« (RW, 85) Weil das Maßnahmegesetz von einem technischen Zweck her ganz und gar bestimmt sei, hielt Forsthoff es auch nicht für interpretierbar im Wege anerkannter juristischer Auslegung: Die inhaltliche Gestaltung der Norm sei hier völlig von einer Zweck-Mittel-Relation beherrscht; deren Überprüfung sei aber kein Akt eigentlich juristischer Hermeneutik, sondern ein von einem konkreten Gestaltungszweck beherrschter, also nach konventionellem Verständnis im Grunde administrativer Erkenntnisakt.179 Anhand der Unterscheidung von Normieren und Handeln, von konstituierendem Gesetz und Maßnahmegesetz bestimmte Forsthoff auch den Umfang

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S. o., 5. Kap., S. 254 ff. K. Ballerstedt, Über wirtschaftliche Maßnahmegesetze, in: Festschrift für Walter SchmidtRimpler, 1957, 376, griff wenig später diesen Gedanken Forsthoffs auf und sprach ganz apodiktisch vom »Gegensatz zwischen Maßnahme und Recht […]: Die Maßnahme empfängt ihren Sinn, ihren sozialen Wertgehalt von dem ihr begrifflich äußerlichen Zweck her; das Recht […] trägt seinen Sinn in sich […]. Das Recht ist um seiner selbst willen da, die Maßnahme ist es nicht.« Daß es überhaupt ernsthafte Schwierigkeiten mache, zwischen beidem zu unterscheiden, beweise bereits, daß sich die Rechtswissenschaft schon weitgehend auf ein schematisches Denken in Zweckmäßigkeitskategorien eingelassen und auf diese Weise die eigentlich juristischen Kriterien desavouiert habe (ebd., 402).

Siebentes Kapitel: Der Rechtsstaat nach seinem Ende

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der (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle neu. Wenn das Maßnahmegesetz typologisch administratives Handeln und nicht Normieren sei, so sei es nur sachgerecht, ihm gegenüber die für die Überprüfung administrativer Vollzugsentscheidungen geltenden Regeln zur Geltung zu bringen, um auf diese Weise die mit dem Übergang vollziehender Funktionen auf das Parlament verbundenen Rechtsschutzlücken auszugleichen (RW, 96). Gegen Maßnahmegesetze wollte Forsthoff deshalb auch im Verfahren der individuellen Verfassungsbeschwerde eine verfassungsgerichtliche Normenkontrolle am Maßstab der Zweck-Mittel-Relation zulassen,180 mit der er wichtige Topoi der späteren Verhältnismäßigkeitsdogmatik vorwegnahm. Dagegen sollte bei »konstituierenden Gesetzen« eine solche Verhältnismäßigkeitsprüfung entfallen, da sie insofern richtigerweise im Rahmen der Rechtsmittel gegen Vollzugsentscheidungen stattfinde.181 Wenn Forsthoff gegen sozialstaatliche Maßnahmegesetze beim sonst eher nicht ins Bündnis gerufenen Bundesverfassungsgericht Zuflucht suchte, so kann man das mit guten Gründen als antiparlamentarische Option bezeichnen.182 Forsthoff hielt den Übergang sozialstaatlicher Gestaltungskompetenzen auf die Parlamente in der Tat für eine schwerwiegende Fehlentwicklung. Die spätere, damals noch kaum absehbare Entwicklung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung relativiert dieses Urteil allerdings beträchtlich. Das Gericht hat sich nämlich zu Forsthoffs Thesen zwar ablehnend, aber auf seine Weise sehr konsequent verhalten. Es hat die Kategorie des »Maßnahmegesetzes« in brüskem Ton als »verfassungsrechtlich irrelevant«183 beiseitegeschoben. Aber es hat die Kontrolle von Gesetzen am Maßstab der verhältnismäßigen ZweckMittel-Relation in allen grundrechtlich relevanten Fällen und auch weit darüber hinaus für sich in Anspruch genommen und zum allgemeinen Prüfungsprogramm für Gesetze gemacht, ohne zwischen Gesetzestypen und ohne

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Erstmals E. Forsthoff, Ergänzende Bemerkungen zur Rechtswidrigkeit des Investitionshilfegesetzes, o. J. (1954), 8. Charakteristisch für die Ersetzung des institutionellen Verständnisses der Gewaltenunterscheidung durch ein qualitativ-rechtsnormatives ist die für die Reichweite der gerichtlichen Befugnisse gegebene Begründung: »Die Auffassung, daß das gewählte Parlament als Exponent des demokratischen Volkswillens in Ausübung seiner gesetzgeberischen Funktion ein Anrecht auf größere Freiheit von Kontrollen habe als die Verwaltung, findet weder im Grundgesetz eine Stütze, noch ist sie überhaupt rechtsstaatlich zu begründen. Daß die Emanationen der gesetzgebenden Gewalt in weiterem Maße unkontrolliert bleiben als die Verwaltungsakte, hat seinen Grund ausschließlich in der Rechtsnatur und Struktur des Gesetzes.« (RW, 98) O. Lepsius, Die Wiederentdeckung Weimars durch die bundesdeutsche Staatsrechtslehre, in: Weimars lange Schatten, hrsg. v. C. Gusy, 2003, 379; F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 199; I. Maus, Entwicklung und Funktionswandel der Theorie des bürgerlichen Rechtsstaats (1978), in: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, 1986, 53. BVerfGE 25, 371, 396 – Lex Rheinstahl.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

zwischen der Verhältnismäßigkeit von Rechtsgütern und der von sonstigen Zwecken klar zu unterscheiden. Implizit hat es dadurch die »Maßnahme«Qualität prinzipiell jedes Gesetzes anerkannt. Ironischerweise war und ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wenigstens in ihrem Ausgangspunkt weitaus »parlamentsfeindlicher« als der Ansatz Forsthoffs, der immerhin noch ein Kriterium enthielt, welche Gesetze überhaupt einer Verhältnismäßigkeitskontrolle fähig sind und welche nicht.

Achtes Kapitel Die skeptische Verfassungstheorie Ernst Forsthoffs und die Staatsrechtslehre der Bundesrepublik Zu Forsthoffs Deutung der rechtsstaatlichen Verfassung gehört auch die von ihm initiierte Auseinandersetzung um die Methoden der Verfassungsauslegung und besonders um das Verständnis der Verfassung als »Werteordnung«. Diese Debatte war die zweite große staatsrechtliche Kontroverse in der Bundesrepublik, und in ihren Kontext gehören die meisten von Forsthoffs bundesrepublikanischen Schriften, vom Aufsatz über Die Umbildung des Verfassungsgesetzes (1959) über die kleine Broschüre Zur Problematik der Verfassungsauslegung (1961) und die Abhandlungen Der introvertierte Rechtsstaat und seine Verortung (1963) und Zur heutigen Situation einer Verfassungslehre (1968) bis hin zum Spätwerk über den Staat der Industriegesellschaft (1971). Worum ging es Forsthoff in dieser Diskussion, in der er nach zwei Jahrzehnten noch einmal auf das Problem seiner Studien über Recht und Sprache zurückkam? Es ging ihm um eine Demonstration des methodischen Preises, den eine Verfassungsrechtswissenschaft zu zahlen hatte, die sich seiner Rechtsstaatsidee nicht anzuschließen bereit war: Denn die Expansion des Sozialstaats und die Art der Verfassungsinterpretation waren für ihn zwei Seiten derselben Sache.1 Was mit der sozialstaatlichen Entformalisierung begann, vollendete sich mit der »wert«-betonten Verfassungsinterpretation. Die These jener Schriften läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß die Zerstörung des juristischen Formbewußtseins durch technisches Denken und Metaphysik unter dem Grundgesetz eine neue Phase erreicht habe, in der sich die institutionellen Abbauprozesse in einem Maße beschleunigt haben, das Kritik überhaupt nicht mehr zuläßt, sondern nur noch die »Verortung« im geistesgeschichtlichen Prozeß (RW, 163 f.). Dagegen verfehlt man die ideengeschichtliche Bedeutung von Forsthoffs Fragen an die westdeutsche Staatsrechtslehre, wenn man sie bloß als

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Siehe nur Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 5.6.1958, BW, Nr. 105.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

Rückstände antiwestlicher Ressentiments abtut.2 Die Verfassungstheorie Ernst Forsthoffs ist eine negative oder skeptische Verfassungstheorie. Sie kreist nicht um die Möglichkeiten, sondern um die Unmöglichkeit von Verfassung. Bevor Forsthoffs Einwände gegen die in der Bundesrepublik praktizierten Methoden der Verfassungsauslegung erörtert werden (II., III.), muß zunächst die besondere Stellung Forsthoffs in der westdeutschen Staatsrechtslehre der 1960er Jahre kurz umrissen und die Entwicklung materialer Verfassungslehren des Grundgesetzes, die den Hintergrund der Schriften Forsthoffs bilden, rekapituliert werden.

I. Eine Festschrift Erstmals war das Problem der Verfassungsinterpretation schon bald nach Gründung der Bundesrepublik akut geworden. Im Zusammenhang mit der Implementierung der später gescheiterten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft sollte auch der westdeutsche Staat wieder eigene Truppen aufstellen.3 Die SPD unter Kurt Schumacher war strikt gegen die deutsche Wiederbewaffnung und blockierte jede Verfassungsänderung. Die Regierung Konrad Adenauers konnte den Beitritt zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft deshalb zunächst nur durch einfaches Gesetz bewerkstelligen.4 Doch ließ das Grundgesetz die Wiederbewaffnung zu? Die Bundesregierung berief sich teils auf eine »ungeschriebene«, weil mit der Staatlichkeit schon ipso jure gegebene Wehrhoheit des Bundes, teils auf eine zwischenzeitliche »Verfassungswandlung« durch den Koreakrieg.5 Das Bundesverfassungsgericht wurde von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zur Klärung der Kompetenzfrage angerufen.6 Für die Regierung traten viele prominente Namen als Gutachter auf, unter anderem Ulrich Scheuner, Erich Kaufmann, Richard Thoma, Werner Weber und Hans Julius Wolff.7 Ernst Forsthoff dagegen unterstützte die 2 3

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F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 127 u.ö. Dazu etwa H. Hofmann, Die Entwicklung des Grundgesetzes nach 1949 (1987), in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, 1995, 227 ff.; O. Lepsius, Die Wiederentdeckung Weimars durch die bundesdeutsche Staatsrechtslehre, in: Weimars lange Schatten, hrsg. v. C. Gusy, 2003, 376 ff.; D. Gosewinkel, Adolf Arndt, 1991, 280 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, 855 f. Ausführlich H.-P. Schwarz, Adenauer, 31986, 728 ff., 766 ff. Siehe H. Hofmann, Die Entwicklung des Grundgesetzes nach 1949 (1987), in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, 1995, 228. Siehe zu den einzelnen Etappen des letztlich ohne Sachentscheidung beendeten Verfahrens: BVerfGE 1, 281 (keine einstweilige Anordnung gegen den EVG-Vertrag); BVerfGE 1, 396 (prozessuale Unzulässigkeit eines präventiven Normenkontrollantrags gegen den EVGVertrag); BVerfGE 2, 79 (prozessuale Fragen des vom Bundespräsidenten initiierten Gutachtenverfahrens); BVerfGE 2, 143 (Unzulässigkeit des Organstreitverfahrens). Alle Gutachten sind abgedruckt in: Institut für Staatslehre und Politik in Mainz (Hrsg.), Der Kampf um den Wehrbeitrag, Teilbd. 2, 1953.

Achtes Kapitel: Forsthoffs skeptische Verfassungstheorie

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Rechtsauffassung der SPD-Bundestagsfraktion,8 und zwar in einem denkwürdigen Tandem mit dem nach Amerika emigrierten Karl Loewenstein.9 Forsthoff schrieb Gustav Steinbömer zu seiner Zusammenarbeit mit der SPD, dies sei »gewiß, von außen her betrachtet, eine seltsame Partnerschaft, da ich natürlich der SPD im übrigen durchaus fernstehe.«10 Doch heilige der Zweck ausnahmsweise die Allianz: »Wogegen ich auftrete, das ist eine Methode der Behandlung des Grundgesetzes durch die Bundesregierung, die ich nicht nur als Jurist für unmöglich, sondern auch politisch für gefährlich halte. […] Die geradezu manische Art, in der Adenauer seine Nahziele zu erreichen sucht, ohne zu bedenken, was die Folgen sein werden, wenn er das an sich schon fragile Grundgesetz dermaßen mißhandelt, erfüllt mich mit größter Besorgnis und ich halte es für taktisch außerordentlich wichtig, daß jetzt die SPD als Hüterin der exakten Verfassungsauslegung auftritt und sich damit selbst festlegt. Jedenfalls ist das ganze ein höchst instruktives Lehrstück in Sachen Justizstaat und der Weise von Plettenberg, dessen warnende Rufe man im Parlamentarischen Rat mit Verachtung beiseite schob, kann sich jetzt die Hände reiben.«11

So beharrte Forsthoff in seinem Gutachten auf der Notwendigkeit einer förmlichen Änderung des Grundgesetzes.12 Die rechtsstaatliche Verfassung sei »in ihrem Bestand positiver Normen grundsätzlich erschöpfend und als System geschlossen«13. Behaupte man darüber hinaus ungeschriebene Hoheitsrechte, so vermische man Verfassungsrecht und Allgemeine Staatslehre und gebe auf diese Weise »den Verfassungs- und Rechtsstaat praktisch preis.«14

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E. Forsthoff, Wehrbeitrag und Grundgesetz, in: Der Kampf um den Wehrbeitrag, Bd. 2, hrsg. v. Institut für Staatslehre und Politik in Mainz, 1953, 312 ff. K. Loewenstein, Erfordert der Eintritt der Deutschen Bundesrepublik in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gemäß dem Vertrag vom 27. Mai 1952 eine Änderung oder Ergänzung des Wortlauts des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949?, in: Der Kampf um den Wehrbeitrag, Bd. 2, hrsg. v. Institut für Staatslehre und Politik in Mainz, 1953, 337 ff. Ernst Forsthoff an Gustav Steinbömer, 1.1.1953, DLA Marbach, NL Steinbömer. Ernst Forsthoff an Gustav Steinbömer, 1.1.1953, DLA Marbach, NL Steinbömer; ähnlich auch Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 26.9.1952, BW, Nr. 55: »Die Verfassung bedarf heute des Schutzes gegen die okkasionalistische Zweckauslegung der Bundesregierung. Das scheint mir der einzige Verfassungsschutz, der heute geboten ist.« E. Forsthoff, Wehrbeitrag und Grundgesetz, in: Der Kampf um den Wehrbeitrag, Bd. 2, hrsg. v. Institut für Staatslehre und Politik in Mainz, 1953, 319 ff. Ebd., 320. Ebd., 321 und 322 f.: »Diese Vermischung findet überall dort statt, wo der unbefriedigende Befund des positiven Rechts durch Schlußfolgerungen ergänzt wird, welche aus Begriffen wie ›Wesen des Staates‹, ›Natur des Staates‹, ›Begriff der Demokratie‹, ›Naturrecht‹ usw. gezogen werden. Gedankenführungen dieser Art sind methodisch unzulässig […].« Hans Barion sekundierte Forsthoff in einem anonymen Beitrag für eine katholische Seelsorgerzeitschrift: »Hier kommt es nicht darauf an, was die SPD tut, ob sie klagt oder nicht klagt, sondern hier gilt das Wort des griechischen Dichters Pindar, daß das Gesetz der König ist.« (H. Barion, Staatskrise? (unter dem Pseudonym ›Dr. Johannes Heinrich‹), in: Priester und Arbeiter 3 (1953), 78).

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

Ähnlich kritisch äußerte Forsthoff sich auch in seinem Staatsrechtslehrervortrag.15 Doch der Verfassungsstreit verlief im Sande16 und mit ihm die Frage der Verfassungsauslegung. Es dauerte ein halbes Jahrzehnt bis das Thema in den Mittelpunkt des Interesses rückte. Auslöser der großen, etwa zwanzig Jahre anhaltenden Kontroverse über das Verfassungsverständnis und die Methoden der Verfassungsauslegung war eine Publikation Ernst Forsthoffs, die so heftige Reaktionen ausgelöst hat wie keine andere: die Abhandlung über Die Umbildung des Verfassungsgesetzes.17 Der Sprengstoff lag nicht nur in Forsthoffs Thesen, sondern auch in den Umständen der Veröffentlichung. Der Aufsatz erschien 1959 in der von Forsthoff ganz maßgeblich gestalteten Festschrift zum 70. Geburtstag von Carl Schmitt.18 Dies war – nachdem eine erste Festschrift 1953 ungedruckt geblieben war19 – die erste öffentliche Ehrung Schmitts in Deutschland nach 1945. Die Bühne für die Attacke hätte Forsthoff besser nicht wählen können, um die Fehde auszulösen, auf die er es offenbar von Anfang an abgesehen hatte: Er erwartete »auf Seiten der Betroffenen erbitterte Reaktionen« und »Verunglimpfungen«.20 Die gab es in der Tat. So verband sich der Streit um Forsthoffs verfassungsrechtliche Thesen untrennbar mit dem Streit um den Geehrten und die Tatsache dieser Festschrift keine fünfzehn Jahre nach Kriegsende. Forsthoff war darüber hocherfreut, »weil sich nun zeigt, daß der

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E. Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: VVDStRL 12 (1954), Diskussionsbemerkung, 128 (nicht in RW). »Meine Bedenken, der Sozialstaatsformel einen selbständigen normativen Charakter zu geben, gründen nicht zuletzt in den immer bescheideneren Vorstellungen, die ich von dem Beruf des Juristen in dieser Zeit habe. Es ist nicht erst seit heute die Gefahr des Juristen, zumal des Verfassungsjuristen, daß er vorzeitig den Boden exakter Verfassungsexegese verläßt und sich moralischen, metaphysischen, theologischen und sonstigen Erwägungen hingibt.« Die Bundestagswahlen 1953 brachten CDU/CSU, FDP, DP und BHE eine Zweidrittelmehrheit gegen die SPD. So kam 1954 eine Verfassungsänderung doch noch zustande: Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes v. 26.3.1954, BGBl. I, 45. R. Dreier, Zur Problematik und Situation der Verfassungsinterpretation, in: Probleme der Verfassungsinterpretation, hrsg. v. R. Dreier/F. Schwegmann, 1976, 45. Die redaktionelle Arbeit lag wohl nahezu ausschließlich bei Ernst Forsthoff und seinen Assistenten und nicht bei den Mitherausgebern, Werner Weber und Hans Barion, vgl. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 6.5.1958, BA Koblenz, NL Huber; Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 5.6.1958 und 5.7.1958, BW, Nr. 105, 106. Das einzige gebundene Exemplar des bereits unter dem späteren Titel »Epírrwsiv« firmierenden Sammelwerkes befindet sich im HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 26521368. Ernst Forsthoff war darin mit keinem eigenen Beitrag vertreten. Es existiert lediglich ein Platzhalter für einen Beitrag Ernst Forsthoffs mit dem Titel »Die Einheit der Justiz? Ein Beitrag zur Auslegung des Art. 92 GG«. Zu diesem Aufsatz existiert unter dem Titel »Die Einheit der Justiz im Grundgesetz« ein vier Seiten umfassendes Fragment in Forsthoffs Nachlaß, das jedoch nicht mehr enthält als die schon in der Einleitung zur Montesquieu-Ausgabe erarbeitete Problembeschreibung. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 5.6.1958, BW, Nr. 105.

Achtes Kapitel: Forsthoffs skeptische Verfassungstheorie

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Versuch der Tabuisierung der Festschrift an meinem Beitrag scheitert.«21 Es wurde der erste Konflikt der Staatsrechtslehre um die »Vergangenheitsbewältigung«. Ob Ernst Forsthoff allerdings einen solchen Aufruhr vorausgesehen hat?22 Anstoß hatte Forsthoff schon ein Jahr vor der Festschrift mit einem Glückwunschartikel erregt, den er zum siebzigsten Geburtstag von Carl Schmitt im Juli 1958 in der damals verbreiteten Zeitung Christ und Welt publizierte.23 Darin feierte er Schmitt als Gelehrten, in dessen Werk sich »die bedeutenden Gedanken einer dreihundertjährigen Epoche europäischer Ordnung noch einmal mit großer Leuchtkraft versammeln.« Seine Rolle im »Dritten Reich« hingegen tat er mit der folgenden, auf Schmitt offenkundig unzutreffenden und deswegen peinlichen Bemerkung ab: »Während Mediokritäten jeder Sinn und Unsinn nachgesehen wird, stellt man die erlauchten Geister unter ein Sonderrecht der Diskriminierung, indem man ihnen anlastet, klarer als andere erkannt zu haben, was ist.«24 Noch bevor die Festschrift überhaupt erschienen war, organisierte sich daraufhin der Protest gegen das Projekt, der sich überwiegend auf Ernst Forsthoff konzentrierte, obschon auch Werner Weber und Hans Barion als Herausgeber auftraten.25 Das lag an Erich Kaufmann, der Forsthoffs Glückwunschadresse zum Anlaß für einen kritischen Brief an Forsthoff nahm,26 den er im Kollegenkreis zirkulieren27 und bald darauf als »Offenen Brief an Ernst Forsthoff« unter dem kollektivebildenden Titel »Carl Schmitt und seine Schule« in der Deutschen Rundschau drucken ließ.28 Forsthoff habe mit seinem Glückwunsch »weder Carl Schmitt noch sich selbst einen Dienst erwiesen. Aber es werden Ihnen alle, die dem Werk von Carl Schmitt kritisch gegenüberstehen, dankbar dafür sein, daß Sie durch die Deutlichkeit Ihrer Formulierungen wesentlich dazu beigetragen haben, die Fronten abzustecken und zu klären.«29 Forsthoff hat auf die Vorhaltungen nie reagiert. Er empfand es als ausgesprochen stillos, daß Kaufmann seinen Brief ohne Rücksprache mit ihm publizierte30 und verübelte ihm die Sache im Stillen.31 Ein noch größerer Skandal war dann 1959 die Festschrift. Die Gegnerschaft gegen dieses Unternehmen war sofort massiv. Einige Kollegen bemühten sich, 21 22 23 24 25 26 27 28

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Ernst Forsthoff an Ernst-Wolfgang Böckenförde, 22.10.1960, Sammlung Böckenförde. F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 216 ff. E. Forsthoff, Der Staatsrechtler im Bürgerkrieg, in: Christ und Welt v. 17.7.1958, 14. Ebd., 14. Vgl. F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 216 f. Erich Kaufmann an Ernst Forsthoff, 18.10.1958, NL Forsthoff. Vgl. dazu Rudolf Smend an Walter Mallmann, 27.10.1958, SUB Göttingen, NL Smend. E. Kaufmann, Carl Schmitt und seine Schule, in: Dt. Rundschau 84 (1958), 1013 ff.; wieder in: Ges. Schr., Bd. 3, 1960, 375 ff. E. Kaufmann, Carl Schmitt und seine Schule, in: Ges. Schr., Bd. 3, 1960, 375. Ernst Forsthoff an Ernst Rudolf Huber, 12.12.1958, BA Koblenz, NL Huber. Vgl. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 21.12.1958, BW, Nr. 113.

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das Plenum der Staatsrechtslehrervereinigung oder wenigstens den Vorstand zu einer distanzierenden Stellungnahme zu bewegen. Helmut Ridder hegte die Hoffnung, die kollektive Empörung über die Ehrung Schmitts könne zu einem »Wendepunkt für den ganzen Verein« werden.32 Walter Strauß schrieb, die Beteiligung an dem Projekt lasse »auf eine bedenkliche Erkrankung im Moralischen schließen.«33 Vor allem Rudolf Smend wurde von vielen seiner Kollegen bedrängt, sich in seiner Rolle als integrer Nestor des Faches öffentlich gegen Schmitt und die von Forsthoff initiierte Ehrung zu stellen.34 Smend hat das, aus im einzelnen schwer zu durchschauenden Gründen, stets abgelehnt,35 obwohl es zwischen ihm und Schmitt in der Festschriften-Affäre zum endgültigen Bruch kam36 und er über Kaufmanns Angriff gegen Forsthoff und Schmitt »Genugtuung« äußerte.37 Immerhin hatte Smend bis dahin die ganze Zeit über in einem wenigstens kollegialen Verhältnis zu Carl Schmitt gestanden.38 Gleichwohl nannte auch er Forsthoffs Parteinahme für seinen Plettenberger Lehrer »peinlich« angesichts der »Unwahrhaftigkeit des ganzen Schmittschen Gebäudes«39. An Walter Mallmann schrieb Smend: »Der Meister und die Schüler sind sämtlich zu kleine Leute, um ihre tiefe moralische Dummheit einzusehen, zu gestehen, und dadurch in gewissem Sinne gut zu machen. Da liegt mein aktueller Vorwurf.«40 Zur Rolle Forsthoffs als Initiator der Ehrung meinte er allerdings, »daß man es einem so klugen Fachgenossen wie Forsthoff nicht glauben kann, daß er selbst das nicht wisse – daß man seine

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Helmut Ridder an Wolfgang Abendroth, 4.4.1959, zit. n. F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 96. Walter Strauß an Adolf Schüle, 24.11.1959 (Abschrift), SUB Göttingen, NL Smend. Walter Mallmann an Rudolf Smend, 1.11.1958; Otto Bachof an Rudolf Smend, 8.1.1960; Ulrich Scheuner an Rudolf Smend, 3.12.1959; Walter Mallmann an Rudolf Smend, 23.12.1959; Otto Bachof an Rudolf Smend, 8.1.1960; Ulrich Scheuner an Rudolf Smend, 16.1.1960, alle SUB Göttingen, NL Smend. Smend wollte nur eine kollektive Reaktion mehrerer Kollegen oder wenigstens der Redaktion des Archivs des öffentlichen Rechts unterstützen, die freilich nicht zustande kam: Rudolf Smend an Walter Mallmann, 27.10.1958 (Durchschlag); Rudolf Smend an Ulrich Scheuner, 1.11.1958 (Durchschlag); Rudolf Smend an Erich Kaufmann, 10.11.1958 (Durchschlag); Rudolf Smend an Otto Bachof, 11.1.1960 (Durchschlag); Rudolf Smend an Walter Mallmann, 12.1.1960 (Durchschlag), alle SUB Göttingen, NL Smend. Zum Teil berief er sich dabei auch auf seine eigene Verbindung mit Schmitt, zum Teil auf die wegen der Anwesenheit Werner Webers schwierige Situation in Göttingen. F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 217. Rudolf Smend an Erich Kaufmann, 10.11.1958 (Durchschlag), SUB Göttingen, NL Smend. Ihr Korrespondenz beschränkte sich auf höfliche und anerkennende Geburtstagsbriefe: C. Schmitt/R. Smend, Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts, 2010. Rudolf Smend an Walter Mallmann, 27.10.1958 (Durchschlag); ebenso Walter Mallmann an Rudolf Smend, 1.11.1958 (»Ein peinliches Elaborat!«); beide SUB Göttingen, NL Smend. Rudolf Smend an Walter Mallmann, 21.11.1959 (Durchschlag), SUB Göttingen, NL Smend. Hervorhebung im Original.

Achtes Kapitel: Forsthoffs skeptische Verfassungstheorie

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bombastischen Byzantinismen nur als Ausdruck seiner eigenen Unsicherheit, seines nicht ganz sauberen Selbstrechtfertigungsbedürfnisses verstehen kann.«41 Der einzige öffentliche Angriff auf das Festschriftenprojekt kam vom Tübinger Verwaltungsrechtler Adolf Schüle. Er schrieb in einer wütenden – freilich lange vorher mit Mallmann und Bachof taktisch geplanten42 – Glosse in der Juristenzeitung, die Festschrift stehe »in einem gewissen sachlich-wissenschaftlichen Zusammenhang mit den Lehren« eines Mannes, der sich durch seine »völlige Indifferenz gegenüber den substantiellen Werten des Rechts« auszeichne.43 Die Publikation habe »in weiten Kreisen der deutschen Staatsrechtswissenschaft und wohl auch darüber hinaus geradezu Erschrecken hervorgerufen«44. Und mit Blick auf Ernst Forsthoff fragte Schüle, »wie man heute etwa über den demokratischen und sozialen Rechtsstaat lehren und sich im gleichen Atemzug mit einem Mann identifizieren kann, der das Recht und den Rechtsstaat auf das Grausamste mißachtet hat.«45 Das saß. Schüle erreichten jede Menge begeisterte Zuschriften.46 Ernst Friesenhahn gratulierte: »Bravo, bravissimo! Ihr Glosse in der JZ zur Festschrift Carl Schmitt ist eine befreiende Tat«, und bot Schüle seinen »reichen Bestand an Schmittiana« für weitere Polemiken an.47 Forsthoffs Heidelberger Kollege Gönnenwein meinte: »Endlich einmal ein offenes, freies Wort zu dieser den Ruf der deutschen Rechtswissenschaft schon wieder gefährdenden makabren Angelegenheit!«48 Karl Loewenstein schrieb aus Amerika: »In einem Lande mit besseren revolutionären Sitten als sie in Deutschland […] üblich sind, wäre dieser Mensch [scil: Schmitt] durch die Guillotine oder den Strick erledigt worden, in Deutschland bezieht er seine Pension, legt unverdrossen seinen alten Unrat in neuen Ausgaben vor und fühlt sich als Märtyrer.« Für seinen Bruch des Schweigens habe Schüle sich deswegen »den Orden bene merenti verdient.«49 Walter Strauß, Mitglied des Parlamentarischen Rates, Staatssekretär

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Rudolf Smend an Walter Mallmann, 27.10.1958 (Durchschlag); ebenso Walter Mallmann an Rudolf Smend, 1.11.1958 (»Ein peinliches Elaborat!«); beide SUB Göttingen, NL Smend. Adolf Schüle an Walter Mallmann, 5.8.1958, UA Tübingen, NL Schüle. A. Schüle, Eine Festschrift, in: JZ 1959, 731, 730. Ebd., 731. Ebd., 731. Im Nachlaß Schüles (UA Tübingen) finden sich u. a. beistimmende Zuschriften von Kurt Ballerstedt (21.11.1959), Fritz Ernst (5.12.1959), Ernst Friesenhahn (24.11.1959), Otto Gönnenwein (19.11.1959), Gerhart Husserl (28.11.1959), Karl Loewenstein (23.12.195), Hans Carl Nipperdey (20.11.1959), Ulrich Scheuner (25.11.1959) und Eberhard Schmidt (24.11.1959). Die einzige Äußerung aus dem Kreise Carl Schmitts stammt von Günther Krauss (23.12.1959; 1.3.1960). Ernst Friesenhahn an Adolf Schüle, 24.11.1959, UA Tübingen, NL Schüle. Otto Gönnenwein an Adolf Schüle, 19.11.1959, UA Tübingen, NL Schüle. Karl Loewenstein an Adolf Schüle, 23.12.1959, UA Tübingen, NL Schüle.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

im Bundesjustizministerium50 und wegen einer offenen Kampagne gegen Schmitt in dessen Kreis verhaßt,51 meinte, Forsthoffs Analysen hätten »eine ähnlich zersetzende Tendenz […], wie sie dem Jubilar [scil: Carl Schmitt] von je her eigen war.«52 Rudolf Smend bemerkte in einem Brief an Mallmann: »In der bedrückenden Spannung, in der wir Alle uns ja im Grunde seit 1933, weiter seit 1945, vollends seit den ersten Nachrichten von der Carl-Schmitt-Festschrift und nunmehr seit ihrem Erscheinen befunden haben, ist der Aufsatz von Herrn Schüle in der Juristenzeitung eine Befreiung.«53 Und selbst der ehedem mit Forsthoff so befreundete Kurt Ballerstedt schrieb an Schüle, es sei ihm »unbegreiflich, daß Leute wie Werner Weber und Forsthoff das geistige und politische Unheil, das eine solche öffentliche Ehrung für CS anrichten kann, nicht gesehen haben sollten.«54 Werner Flume soll so empört über die Festschrift gewesen sein, daß er deswegen einen Ruf nach Heidelberg ablehnte.55 Forsthoff tat, was er in solchen Fällen zu tun pflegte: Öffentlich schwieg er und hegte heimlichen Groll. Daß ausgerechnet der nicht eben als Dissident aufgefallene Schüle einen Vorstoß zur wissenschaftlichen Vergangenheitsbewältigung unternahm, verbuchte er indes sofort als moralischen Punktsieg.56 Im übrigen meinte er: »Mich hat die Glosse ganz kalt gelassen. Sie ist wirklich nur eine Vulgärkritik, in dem Sinne, daß sie keinen Gedanken enthält, den man nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten mußte. […] [S]o wird das heute gemacht.« Zwar wollte Forsthoff nichts gegen Schüle unternehmen, denn: »Angesichts der Meinung, die ich von unserer öffentlichen Meinung habe, bin ich der festen Überzeugung, daß man durch eine polemische Replik die Sache nicht verbessern würde.«57 Trotzdem kam aus dem Kreis um Schmitt eine anonyme Gegenglosse, in der Schüles wissenschaftliche und

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F. Utz, Preuße, Protestant, Pragmatiker, 2003. Hans Schomerus, der Leiter der Evangelischen Akademie Bad Herrenalb hatte Carl Schmitt zu einer Tagung über »Konservative und Reaktionäre« eingeladen, auf der – neben Ernst Forsthoff und Hans Freyer – Schmitt über das Thema »Der Antichrist und was ihn aufhält« sprechen sollte. Walter Strauß intervenierte beim Badischen Landesbischof gegen Schmitts Teilnahme, dem sich unter anderem Adolf Arndt und Gustav Heinemann anschlossen. Schomerus mußte Schmitt wieder ausladen. Zu diesem Vorgang siehe den Brief Schmitts an Forsthoff vom 19.4.1953 (BW, Nr. 60) und Forsthoffs Antwort vom 21.4.1953 (Nr. 61) sowie die dortigen Erläuterungen (mit Auszügen aus Strauß’ Brief). Siehe ferner R. Mehring, Carl Schmitt, 2009, 489 f. Walter Strauß an Adolf Schüle, 24.11.1959 (Abschrift), SUB Göttingen, NL Smend. Rudolf Smend an Walter Mallmann, 21.11.1959 (Durchschlag), SUB Göttingen, NL Smend. Kurt Ballerstedt an Adolf Schüle, 21.11.1959, UA Tübingen, NL Schüle. So Rudolf Smend an Ulrich Scheuner, 12.2.1960 (Durchschlag), SUB Göttingen, NL Smend. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 12.12.1959, BW, Nr. 125. Beide Zitate: Ernst Forsthoff an Ernst-Wolfgang Böckenförde, 3.12.1959, Sammlung Böckenförde; ähnlich Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 12.12.1959, BW, Nr. 125: »Vulgärkritik, wie man sie kennt, ohne neue Argumente.«

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moralische Legitimation in Zweifel gezogen wurde.58 Die Duplik von Otto Bachof, Günter Dürig, Ernst Friesenhahn, Hermann Mosler, Hans Peters und anderen folgte wenig später.59 Die geistige Atmosphäre, in der die Diskussionen um Wertbegründung und Verfassungsauslegung stattfanden, war also von Beginn an außerordentlich vergiftet und aggressiv. Im Jahre 1965 eskalierte die Lage. Zunächst stieß die Wiener Universität mit ihrem Versuch, Forsthoff die Ehrendoktorwürde zu verleihen, auf parlamentarischen und öffentlichen Widerstand.60 Forsthoff mußte sich schriftlich über den Totalen Staat erklären,61 was aber nichts half. Erst Jahre später konnte die Zeremonie in Heidelberg privatissime nachgeholt werden.62 Gleichzeitig kam es zum Bruch zwischen Forsthoff und der Staatsrechtslehrervereinigung. Er hatte auf Einladung des Vorstandes auf der in Basel stattfindenden Jahrestagung als Referent über das Thema »Gesetzgeber und Verwaltung« sprechen sollen. Einige Schweizer Mitglieder aber, unter der Führung von Max Imboden, erhoben Einspruch gegen einen Auftritt des – wie sie meinten – »militanten Antisemiten« Forsthoff in der Schweiz.63 Forsthoff verzichtete, die Tagung wurde nach Würzburg verlegt, und an seiner Stelle referierte Klaus Vogel neben Roman Herzog.64 Doch der Eklat war da. Forsthoff fand, die Vereinigung habe ihm die nötige Solidarität verweigert. Es könne nicht angehen, daß es eine Zweiklassengesellschaft der Staatsrechtslehrer gebe von solchen, die im Ausland sprechen dürfen und solchen, denen das versagt ist.65 Forsthoff erklärte dem Vorstand daraufhin seinen Austritt. In einem Brief an Herbert Krüger heißt es: »Wenn die Vereinigung den auch in ihrem Namen ausgedrückten, wie immer begründeten Anspruch erhebt, die Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer zu sein, dann kann die Mitgliedschaft nur als ein Verhältnis wechselseitiger Berechtigungen und Verpflichtungen verstanden werden. Dann trifft die Vereinigung die Verpflichtung, für ihre Mitglieder gegebenenfalls solidarisch einzutreten. Meine Erwartung, daß dies in meinem Falle geschehen werde,

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[Anonymus], Schüle und Schmitt, in: Dt. Zeitung v. 24.2.1960, 3. Schüles Legitimation, in: Deutsche Zeitung v. 23.3.1960, 2. Otto Bachof bat Smend, diese Gegenglosse ebenfalls zu unterzeichnen (Brief vom 9.3.1960, SUB Göttingen, NL Smend), was dieser aber wie auch alle anderen Stellungnahmen ablehnte. R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 27. Ernst Forsthoff an die Juristische Fakultät der Universität Wien vom 3.7.1965, NL Forsthoff. Eine Schilderung der Auseinandersetzungen um die Ehrenpromotion enthält die Laudatio des damaligen Wiener Dekans, Günter Winkler, die er 1967 bei der Verleihung in Heidelberg gehalten hat: Eine Kopie des Ts. findet sich im HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-19789. F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 218; R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 27. Dazu R. Herzog, Gedenkrede auf Ernst Forsthoff (1975), in: Festschrift für Roman Herzog zum 75. Geburtstag, hrsg. v. M. Herdegen u. a., 2009, XXIII f. Siehe die Schilderung von K. Doehring, Ernst Forsthoff als Hochschullehrer, Kollege und Freund, in: Ernst Forsthoff, hrsg. v. W. Blümel, 2003, 15.

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war umso berechtigter, als die Vereinigung, gewiß bona fide, mich in die Lage gebracht hatte, die durch die Komplikationen um die Baseler Tagung für mich entstand. Daß es nicht dazu kam, hat seinen Grund in der Zerrissenheit der Vereinigung, deren Einheit offenbar ständig durch Kompromisse erkauft werden muß. (Ich nehme für mich in Anspruch, keinem Mitglied der Vereinigung je persönlich Anlaß gegeben zu haben, mir diese Solidarität zu verweigern.) […] Über den Grad der Wertschätzung, die ich für diese Einheit hege, kann unter solchen Umständen kein Zweifel bestehen.«66

Der Schritt verursachte großen Aufruhr; bald war von einem möglichen Proteststreik für Forsthoff und sogar von einer Spaltung der Staatsrechtslehrervereinigung die Rede.67 Roman Schnur etwa bestärkte Forsthoff in seinem Austritt, der »vermutlich für die Vereinigung sogar sehr heilsam sein« werde.68 Forsthoff konnte nur nach langem Hin und Her durch bittenden Beschluß der Vereinigung schließlich zum Verbleib und zur »Erneuerung« seiner Mitgliedschaft bewogen werden.69

II. Deutsche Wertarbeit: Eine Skizze materialer Verfassungslehren des Grundgesetzes Obwohl es also persönliche und vergangenheitspolitische Motive gab, wäre die Reaktion auf Forsthoffs Thesen über die »Umbildung des Verfassungsgesetzes« gewiß weniger giftig ausgefallen, hätte er nicht mit der material-wertethischen Verfassungslehre einen Komplex angegriffen, der das Selbstverständnis der jungen bundesrepublikanischen Staatsrechtslehre unmittelbar betraf und eine entsprechend integrierende Wirkung hatte. Die immense Bedeutung, die die Vorstellung von der im Grundgesetz enthaltenen »Werteordnung« für die Staatsrechtslehre und insbesondere für die Verfassungsgerichtsbarkeit der ersten Nachkriegsjahrzehnte besaß,70 hatte mehrere Gründe. Das Werttheorem bot angesichts der prekären staatlichen Lage Deutschlands den Ansatz zu einer integrierenden materialen Verfassungsethik auf der Basis der Grundrechte des Grundgesetzes. Gleichzeitig konnten die verschiedenen naturrechtlichen 66

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Abschrift eines Briefes von Ernst Forsthoff an Herbert Krüger, 27.12.1965, HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-3748. F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 218; R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 28. Roman Schnur an Ernst Forsthoff, 2.1.1967 (Durchschlag), BA Koblenz, NL Schnur. Im einzelnen R. Mußgnug/D. Mußgnug, Einleitung, in: E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel, 2007, 28 f.; K. Doehring, Ernst Forsthoff als Hochschullehrer, Kollege und Freund, in: Ernst Forsthoff, hrsg. v. W. Blümel, 2003, 14 f. Neuestens T. Henne/A. Riedlinger (Hrsg.), Das Lüth-Urteil in (rechts-)historischer Sicht, 2005; F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 193 ff.; E.-W. Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, in: Der Staat 29 (1990), 3 ff.; ders., Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts (1988), in: Recht, Staat, Freiheit, 1991, 67 f., 87 f.; D. Grimm, Rückkehr zum liberalen Grundrechtsverständnis?, in: Die Zukunft der Verfassung, 1991, 221 ff.; daneben immer noch H. Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, 1973, 30 ff., 140 ff. u. passim.

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Rechtsbegründungen der Nachkriegsjahre, zu »Werten« umgebogen, auf ein weniger wackeliges Fundament gestellt werden.71 Aber die Wertetheorie hatte auch eine große rechtsdogmatische Bedeutung. Sie stellte ein Gegengewicht dar zur fortschreitenden Ausdifferenzierung der Rechtsordnung in Spezialmaterien, insofern sich diese mit Hilfe eines werthaften Grundrechtsverständnisses als Ausdruck verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen darstellen und so zu einer neuen konstruktiven Einheit verbinden ließen. Nach der These von den Grundrechten als »objektiven Werten« sollten insbesondere die als negatorische Rechte gegen den Staat ausgestalteten Grundrechte des Grundgesetzes, aber auch andere Verfassungsbestimmungen neben ihrer strengen Regelhaftigkeit zugleich eine allgemeine, rechtsethische Bedeutung für das staatliche und gesellschaftliche Zusammenleben besitzen. Dieser »Wert« des Grundrechts für die verfassungsmäßige Grundordnung sollte deshalb bei der Auslegung des Grundgesetzes und des einfachen Rechts Berücksichtigung finden. Die Werttheorie erlaubte es auf diesem Umweg über eine ethisch verstandene Grund- oder Gesamtordnung, die Grundrechte insgesamt zu einem deduktionsfähigen »Wert- und Anspruchssystem« zu integrieren.72 Als »Werte« sollten die Grundrechte auch auf Beziehungen zwischen Privaten anzuwenden sein. Beides verlieh den Grundrechten nicht bloß eine Ergänzung, sondern eine völlig neue Qualität.73 Ihre klassische Formulierung fand die Wertidee im Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1958. Das Grundgesetz wolle »keine wertneutrale Ordnung« sein, sondern es habe »in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet«. Sie müsse »als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten«.74 Wer waren die Vertreter der Wertlehre und gegen wen richtete sich also Forsthoffs massive Kritik an der »geisteswissenschaftlich-werthierarchischen Methode«? Diese Frage ist umso entscheidender, als Forsthoff selbst das werthafte Verfassungsverständnis polemisch mit dem Werk und der Schule Rudolf Smends identifizierte (RW, 149 ff.).75 Smend hatte zwar in den zwanziger Jah-

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E.-W. Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, in: Der Staat 29 (1990), 3; O. Lepsius, Die Wiederentdeckung Weimars durch die bundesdeutsche Staatsrechtslehre, in: Weimars lange Schatten, hrsg. v. C. Gusy, 2003, 365; J. W. Müller, A Dangerous Mind, 2003, 70 f.; F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 97, 193 ff. Wegweisend G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, in: AöR 81 (1956), 117 ff., bes. 122; vgl. dazu zuletzt E.-W. Böckenförde, Schutzbereich, Eingriff, verfassungsimmanente Schranken, in: Der Staat 42 (2003), 171 f. E.-W. Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, in: Der Staat 29 (1990), 7; S. Oeter, »Drittwirkung« der Grundrechte und die Autonomie des Privatrechts, in: AöR 119 (1994), 532 ff. BVerfGE 7, 198 ff., 205. Zur Bedeutung und Vorgeschichte dieser Entscheidung die Beiträge in: T. Henne/A. Riedlinger (Hrsg.), Das Lüth-Urteil in (rechts-)historischer Sicht, 2005. F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 130.

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ren ein Verfassungsverständnis entwickelt, das die Grundrechte als Formen der staatlichen Integration auffaßte, in denen ein verfassungsrechtlich beachtliches »Wert-, Güter- und Kultursystem« zum Ausdruck komme.76 Allerdings spielten gerade bei Forsthoffs Attacken auf Smend wohl nicht nur im engeren Sinne wissenschaftliche Gründe eine Rolle, sondern auch lang aufgestauter Groll und das insgesamt schwierige persönliche Verhältnis zwischen Forsthoff und Smend, von dem schon die Rede war.77 Die verfassungstheoretische Kontroverse war auch ansonsten etwas anderes als eine Auseinandersetzung um Smends wissenschaftliches Werk. Überhaupt speiste sich auch die Werterechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weitaus weniger aus einer direkten Smend-Rezeption als Forsthoff 1959 behauptet hatte. Das ist nicht nur in neueren Untersuchungen wiederholt betont worden,78 sondern auch Smend hat sich nicht in einem solchen Sinne als geistiger Vater des Bundesverfassungsgerichts begriffen. In einem Brief an Ernst Forsthoff schrieb er 1961, dieser Vorwurf »könnte mich zum Größenwahn verleiten, angesichts der von Ihnen angenommenen Weitund Fernwirkung meiner Thesen von 1928. Aber ich fühle mich nicht so verantwortlich – die sachliche Unvermeidbarkeit des von Ihnen angegriffenen Denkens ist der Schuldige. Gewiß ist es unkritisch und läßt es an sorgfältiger Begründung und damit Begrenzung weithin fehlen, und diesen Vorwurf mache ich mir vollends selbst.«79

Forsthoff hat dies schließlich, öffentlich etwas verklausuliert (RW, 220), Smend selbst gegenüber aber recht deutlich eingeräumt und diesen von seinen ursprünglichen Vorwürfen weitestgehend entlastet: »Ich habe es bald nach dem Erscheinen meines Beitrages als einen Mangel empfunden, Ihr Buch von 1928 und die Folgewirkungen nach 1950 nicht deutlicher voneinander getrennt zu haben. […] Ich bin weit davon entfernt, Sie für die Weiten- und Fernwirkung Ihrer Thesen von 1928 verantwortlich zu machen […]. Ich habe Ihr Buch nur insoweit herangezogen, als es notwendig war, um zu erklären, wie es zu einer solchen Rechtsprechung kommen konnte, von der ich an anderer Stelle gesagt habe, daß sie die Emanzipation von den traditionellen Formen juristischen Denkens mit dem Verlust an institutioneller Form und damit an Niveau bezahlt hat.«80

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R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 260 ff. S. o., 6. Kap., S. 315 ff. S. Ruppert, Geschlossene Wertordnung?, in: Das Lüth-Urteil aus (rechts-)historischer Sicht, hrsg. v. T. Henne/A. Riedlinger, 2005, 343; O. Lepsius, Die Wiederentdeckung Weimars durch die bundesdeutsche Staatsrechtslehre, in: Weimars lange Schatten, hrsg. v. C. Gusy, 2003, 364; s. a. E.-W. Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, in: Der Staat 29 (1990), 5. W. Hennis, Integration durch Verfassung?, in: Regieren im modernen Staat, 1999, 356, nennt Rudolf Smend hingegen den »Hausgott« des frühen Bundesverfassungsgerichts. Rudolf Smend an Ernst Forsthoff, 18.2.1961 (Durchschlag), SUB Göttingen, NL Smend. Ernst Forsthoff an Rudolf Smend, 13.3.1961, SUB Göttingen, NL Smend. 31994,

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Nachdem aber Forsthoffs Polemik gegen Smend in der Welt war, wurde die Kontroverse zu einem Schulenstreit zwischen den Gefolgsleuten Carl Schmitts und Rudolf Smends aufgebaut. Der Festschrift für Schmitt folgte die Festschrift für Smend als Gegenveranstaltung,81 der Vorherrschaft der Smend-Richtung im Archiv des öffentlichen Rechts folgte mit der Zeitschrift Der Staat im Jahr 1962 die Gegengründung.82 Indessen hat die so beliebte Deutung als Schulenstreit enge Grenzen. Sie ignoriert, wie sehr sich die Verfassungstheorie Smends etwa von der seines Schülers Konrad Hesse unterschied, und umgekehrt, daß die Haltung der üblicherweise so genannten »Schmittianer« zu Forsthoffs Thesen alles andere als geschlossen war. Gewiß hatten der Lehre Smends verbundene Autoren wie Konrad Hesse und Günter Dürig eine große Bedeutung für die Fortsetzung von Smends Verfassungstheorie in der Bundesrepublik. Trotzdem war die Entfaltung der Verfassung als »Werteordnung« in den ersten Jahren insbesondere ein Werk der Rechtsprechung, namentlich der obersten Bundesgerichte und des Bundesverfassungsgerichts. Hans Carl Nipperdey, der einflußreiche Präsident des Bundesarbeitsgerichts, hatte als Richter einen erheblichen gestalterischen Anteil an der Werterechtsprechung.83 Seine Lehrbücher hatten zudem großen Einfluß auf die Durchsetzung der Lehre von der Drittwirkung der verfassungsrechtlichen Werteordnung im Zivil- und Arbeitsrecht.84 Auch der zweite Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Josef Wintrich, hing der Lehre vom »einheitlichen Wertsystem der Grundrechte« an.85 Diese Konstellation macht deutlich, daß es Forsthoff vor allem um eine Kritik der Rechtsprechung und erst in zweiter Linie um eine Kritik der dieser Rechtsprechung gegenüber aufgeschlossenen Staatsrechtslehre ging. Es griffe jedoch viel zu kurz, die materiale Verfassungstheorie des Grundgesetzes zu verengen auf die Begründung der Verfassung auf »Werte«. Von weitaus größerer Bedeutung waren langfristig die mit der Wertelehre zwar ver-

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Staatsverfassung und Kirchenordnung, 1962. Dazu ausführlich F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 225 ff. Nachdem die Zeitschrift gegründet war, unternahm Horst Ehmke den Versuch, Forsthoff für eine Abhandlung im Archiv zu gewinnen (Brief v. 18.8.1964, NL Forsthoff). Er solle einen Beitrag über den »Vorbehalt des Verwaltungsakts« schreiben. Zu ihm T. Hollstein, Die Verfassung als »Allgemeiner Teil«, 2007. Gerade an Nipperdeys Beispiel erweist sich die geschichtliche Ambivalenz der Werttheorie im Übergang vom Nationalsozialismus zur Bundesrepublik: Mit ähnlicher Begründung hatte er schon vor 1945 die nationalsozialistische Weltanschauung zur für alle Bereiche des Rechts geltenden »Grundlage« erklärt; ohne viel Federlesen sattelte er dann auf die Grundrechte als Bezugspunkt um, vgl. Hollstein, ebd., 224 m.w.N. L. Enneccerus/H. C. Nipperdey, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Bd. I, 141952; A. Hueck/ H. C. Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. I, 61959. J. M. Wintrich, Zur Problematik der Grundrechte, 1957, 13; ders., Ansprache bei der Amtseinführung am 9. Juni 1954, in: Das Bundesverfassungsgericht, hrsg. v. Bundesverfassungsgericht, 1963, 6 ff.

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wandten, aber nicht identischem materialen Verfassungstheorien. Sie lassen sich in ihren Spielarten hier nicht einmal skizzieren, weil sie nahezu die gesamte nach 1945 in der Bundesrepublik entwickelte Verfassungstheorie umfassen müßten.86 Als einigermaßen repräsentativ können immerhin Ulrich Scheuner und Konrad Hesse gelten. Beide haben ihre Verfassungstheorie gerade auch in Auseinandersetzung mit Ernst Forsthoff entwickelt. Für sie hatten die wertphilosophischen Traditionen der Zwischenkriegszeit und die für Smend so wichtige materiale Staatsethik Theodor Litts keine konstitutive Bedeutung mehr. Mit Hans Carl Nipperdeys autoritärem Wertverständnis verband sie wissenschaftlich kaum mehr als die Gegnerschaft Ernst Forsthoffs.87 Ohne sich methodisch auf eine »Werteordnung« einzulassen, hat vor allem Scheuner in zahlreichen Schriften die Auffassung vertreten, das Grundgesetz basiere auf einem materialen, auf sittlichen Idealen basierenden Verfassungsbegriff, den es bei der Auslegung und Anwendung der einzelnen verfassungsrechtlichen Institute zu aktualisieren gelte. Immer wieder betonte Scheuner, die formalistischen Auffassungen seien eine spezifisch Schwäche der deutschen Tradition.88 In einer sehr einflußreichen Darstellung Scheuners heißt es: »Die Wiederherstellung der Einrichtungen des Rechtsstaates nach 1945 hat […] die Abwendung von einer formalen Auffassung mit sich gebracht. Es ist klar geworden, daß mit der bloßen Gesetzmäßigkeit noch kein zureichendes Fundament gelegt ist. Es gilt, die tieferen und weiteren Schichten offenzulegen, in denen die Idee des Rechtsstaates wurzelt und mit deren Erhaltung sie untrennbar verbunden bleibt. Der Rechtsstaatsbegriff kann nicht nur auf die Form staatlichen Handelns, auf die äußere Legalordnung bezogen werden, er bedeutet ein Bekenntnis zu ganz bestimmten materialen Grundwerten der europäischen Rechtsentwicklung […].«89

Bei Konrad Hesse und seinem Schüler Horst Ehmke stand viel stärker als bei Scheuner der Gedanke einer normativen Einheit von Rechtsstaat und parlamentarischer Demokratie im Vordergrund. Diese Einheit war für sie das Zentrum des grundgesetzlichen Verfassungsbegriffs.90 Hesse verband dies mit

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Vorzüglich nach wie vor P. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, 24 ff.; ferner H. SchulzeFielitz, Art. 20 (Rechtsstaat), in: Grundgesetz, hrsg. v. H. Dreier, 1996, Rdnr. 15; E. SchmidtAßmann, Der Rechtsstaat, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, hrsg. v. J. Isensee/P. Kirchhof, 32004, § 26, Rdnr. 18 f. Siehe etwa Horst Ehmkes Polemik gegen Nipperdeys Konzept der »Wirtschaftsverfassung« in H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, 18 ff. U. Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaats in Deutschland (1960), in: Staatstheorie und Staatsrecht, 1978, 191 ff. Ebd., 205. K. Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes (1962), in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, hrsg. v. E. Forsthoff, 1968, 583: »Demokratie als Ordnung eines freien und offenen politischen Lebensprozesses […] beruht auf den gleichen Grundwerten wie der Rechtsstaat, nämlich der autonomen Persönlichkeit, der Freiheit und Gleichheit und ihrer legitimierenden Kraft.«

Achtes Kapitel: Forsthoffs skeptische Verfassungstheorie

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einem dialektischen Modell einer von der geschichtlich-sozialen Wirklichkeit geprägten, ihr gegenüber aber dennoch normativ selbständigen Verfassung.91 Für ihn bildeten die rechtsstaatlichen Verfassungselemente die institutionellen Grundlagen einer freien politischen Willensbildung. Dazu müsse der Rechtsstaat freilich »nicht nur funktionelle, sondern auch substantielle Rationalität«92 gewährleisten. Deswegen könne der Rechtsstaat sich nicht in technischen Mechanismen erschöpfen, sondern sei gebunden an bestimmte, aus der Einheit der Verfassungsordnung ableitbare Rechtsinhalte: »[Z]ur materiell rechtsstaatlichen Ordnung wird die Ordnung des Grundgesetzes erst durch die Positivierung konkreter sachlicher Grundprinzipien, welche die Grundlagen und Aufgaben dieser Ordnung bestimmen: die Würde des Menschen, Freiheit und Gleichheit in der Ausgestaltung, welche sie in den Grundrechten gefunden haben.«93 Aufgabe der Verfassungsauslegung war es danach, den einzelnen Elementen und dem Gesamt der normativen Verfassungsordnung zu »optimaler Verwirklichung« zu verhelfen. Direkt gegen Forsthoff und mit erstaunlicher Herablassung: »Daß diesem Gebot mit den Mitteln logischer Subsumtion oder begrifflicher Konstruktion nicht gerecht zu werden ist, versteht sich von selbst.«94 Um zu verstehen, wie weit Forsthoff in seiner Kritik des legitimitätsorientierten Verfassungsdenkens ging, müssen schließlich noch zwei ganz andere Interpretationen des Grundgesetzes erwähnt werden. Ihnen ist gemeinsam, daß sie nicht auf der Wertbegründung der Grundrechte aufsetzten und auch der Verfassungstheorie Hessescher Prägung durchaus fernstanden. Gleichwohl teilten sie aus Forsthoffs Sicht deren Grundfehler, weil sie es nicht fertig brachten, die formale Legalität der Verfassung abzukoppeln von allgemeinen und juristisch nicht zu fassenden Legitimitätserwägungen. Dies gilt einmal für das freilich erst in den sechziger Jahren wichtig gewordene Verfassungsverständnis Jürgen Habermas’, der ein entschiedener Gegner der Wertphilosophie war und ist.95 Er wies es als ein Gebot der den Grundrechten immer schon eigenen Dialektik aus, sie ihres liberal-abwehrrechtlichen Gehaltes zu entkleiden. Sie könnten »nur mehr aus dem Zusammenhang einer Staat und Gesellschaft umfassenden Gesamtrechtsordnung ihren spezifischen Sinn herleiten«96. Die Grundrechte müßten deswegen im Hinblick auf den gewandelten Sinn, der ihnen in einer sozialstaatlichen Gesamtordnung zukommt, »umfunktioniert« werden zu Mitteln der Verrechtlichung gesellschaft-

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K. Hesse, Die normative Kraft der Verfassung (1959), in: Ausgewählte Schriften, 1984, 12 ff. K. Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes (1962), in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, hrsg. v. E. Forsthoff, 1968, 573. Ebd., 565 (Nachweise weggelassen). K. Hesse, Die normative Kraft der Verfassung (1959), in: Ausgewählte Schriften, 1984, 12. J. Habermas, Naturrecht und Revolution (1963), in: Theorie und Praxis, 1971, 118; zuletzt ders., Faktizität und Geltung, 1994, 309 ff. J. Habermas, Naturrecht und Revolution (1963), in: Theorie und Praxis, 1971, 121.

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licher Gewaltbeziehungen.97 Sie seien nicht negatorisch, sondern als positive Garantien der Teilhabe am sozialstaatlichen Fortschritt zu interpretieren.98 Dadurch verkehre sich der Sinn der Grundrechte nicht, sondern dies sei im Gegenteil die einzige Möglichkeit, ihrer ursprünglichen Intention treu zu bleiben, nämlich der Auflösung gewaltförmiger politischer Herrschaft und sozialer Macht.99 Forsthoffs Kritik erfaßte aber auch Ernst Rudolf Huber, der ebenfalls kein Anhänger der Wertelehre war, und der in der Bundesrepublik eine rechtshegelianische und also in der Stoßrichtung von Habermas gänzlich verschiedene, im methodischen Vorgehen aber vergleichbare Verfassungsinterpretation entwickelte, teils in ausdrücklichem Widerspruch zu Ernst Forsthoff. Auch Huber hielt es für notwendig, der dialektischen Bewegung zum Sozialstaat Konsequenzen für die Verfassungsauslegung zu entnehmen und die »Schutzobjekte des Sozialstaats«: »Existenzsicherung, Vollbeschäftigung, Erhaltung der Arbeitskraft«100 als regulatives Interpretationsprinzip im Rahmen der Gesamtverfassung einzusetzen.101 Die Verfassung habe der sozialen Integration zu dienen, und diese fordere das »Einswerden der industriellen Gesellschaft, ihr Einswerden in ständiger Überwindung des in ihr angelegten spezifischen Klassenkonflikts.«102 Insbesondere forderte Huber, die liberalen Grundrechte mit einem offenen Vorbehalt sozialstaatlicher Gestaltungseingriffe zu versehen, damit sie – so lautete die dialektische Wendung bei ihm – ihren ursprünglichen rechtsethischen Gehalt behalten: die Sicherung personaler Freiheit.103

III. Zur Kritik des wertmaterialen Verfassungsverständnisses Nach alledem war Forsthoffs Beitrags über Die Umbildung des Verfassungsgesetzes gegen einen denkbar großen Kreis von Gegnern gerichtet. Daraus und aus Forsthoffs Situation innerhalb des Faches erklärt sich einiges von Stil und Tonfall dieses Aufsatzes. Trotzdem war die Art und Weise der Auseinandersetzung seiner Sache wenig förderlich. Die Kritik war sehr pauschal, teils wahllos. So gut wie jeder, der seinerzeit Rang und Namen hatte, bekam auf den knapp dreißig Seiten des Aufsatzes etwas ab. Im Florilegienstil zog Forsthoff her über 97

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Ebd., 122; ders., Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962), 1990, 331; ders., Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, 1981, 530. J. Habermas, Zum Begriff der politischen Beteiligung (1958), in: Kultur und Kritik, 1973, 38. J. Habermas, Naturrecht und Revolution (1963), in: Theorie und Praxis, 1971, 122; ders., Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962), 1990, 331. E. R. Huber, Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft, in: Nationalstaat und Verfassungsstaat, 1965, 257 f. Ebd., 259. Ebd., 260. Ebd., 270.

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die Auslegung der Grundrechte als »System« von Rechten (RW, 151 ff.), über die Drittwirkungsrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (RW, 158 ff.), über Einzelfragen der Grundrechtskonkurrenz (RW, 162 f.) und sogar des Verfassungsprozeßrechts.104 Peter Lerche nannte das mit Recht eine »Karikatur der gegnerischen Ansichten«105, und auch Rudolf Smend hatte leichtes Spiel, diesen Angriffen unzulässige Vereinfachungen vorzuhalten.106 Es kommt deswegen darauf an, von der Polemik zu abstrahieren, die von der Situation her verständlich ist, und den sachlichen Gehalt von Forsthoffs Kritik der Werterechtsprechung und der materialen Verfassungstheorie zu ermitteln. Daß er zwischen beiden, der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts und der sie stützenden Lehre, keine wesentlichen Unterscheidungen zu treffen bereit war, macht sowohl die Stärke als auch die Schwäche, damit jedenfalls die Eigenart seiner Position aus. Zu seiner scharfen Ablehnung der materialen Verfassungstheorie veranlaßten Forsthoff sehr grundsätzliche staats- und rechtstheoretische Argumente. Mit einer Schärfe wie kaum in einer anderen Frage beharrte er darauf, daß der Streit um das Verfassungsverständnis und die Verfassungsinterpretation mehr sei als eine dogmatische Kontroverse, sondern unmittelbar um die politische Potenz der Bundesrepublik als Staat und um das Selbstverständnis der Staatsrechtslehre als Wissenschaft geführt werden müsse. Es ging für ihn um nicht weniger als den »Verlust an Rationalität« und »wissenschaftlichem Niveau« (RW II, 224). Seinen Gegnern verweigerte er geradezu die kollegiale Anerkennung, wenn er sie dieser grundsätzlichen Dimension des Verfassungsproblems nicht gewachsen glaubte. Forsthoff hat es andererseits nicht als seine Aufgabe angesehen, seine methodische Kritik in systematischer Art darzulegen. Die entscheidende Frage, was die materiale Verfassungstheorie eigentlich so verdammungswürdig machte, läßt sich deswegen nur aus verstreuten Bemerkungen entnehmen. Sie machen deutlich, daß Forsthoff die Wertbegründung der Verfassungsauslegung als speziellen Fall eines allgemeinen Problems ansah, welches er längst vor dem Grundgesetz formuliert hatte: die Preisgabe der juristischen Formalstrukturen an materiale Legitimitätserwägungen. Wer Verfassungsrechtssätze als »Werte« verstand, betrieb für ihn nichts anderes als »normfremde Hypostasierungen« (RW, 152).

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E. Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, in: Festschrift für Carl Schmitt, hrsg. v. H. Barion u. a., 1959, 56 f.; gestrichen in RW, 169, ferner RW, 171 f. P. Lerche, Stil, Methode, Ansicht, in: DVBl. 1961, 690; ähnlich auch H.-J. Koch, Seminar: Die juristische Methode im Staatsrecht, 1977, 120 f. Rudolf Smend an Ernst Forsthoff, 18.2.1961 (Durchschlag), SUB Göttingen, NL Smend; s. a. A. Hollerbach, Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung?, in: AöR 85 (1960), 252; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1967, 22; H. Ridder, Schmittiana (I), in: NPL 12 (1967), 7.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

Was Forsthoff damit meinte, war folgendes: Die materialen »Wertgehalte« der Grundrechte könnten nur scheinbar objektiv sein, denn ebenso wie dem Naturrecht fehle auch den Wertelehren eine verbindliche außerrechtliche Grundlage (RW II, 223 f.). In Wirklichkeit geschehe etwas ganz anderes: In Anschlag gebracht werde nämlich, wo vom »Wert« die Rede ist, lediglich die funktionelle Bedeutung eines Grundrechts für bestimmte implizierte staatliche oder gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen. Im Auge hatte er dabei wohl zum einen Smend, der die Grundrechte nach ihrem spezifischen Beitrag zur »Legitimierung der positiven Staats- und Rechtsordnung«107 bzw. zur staatlichen »Integration« juristisch hatte hierarchisieren wollen. Gemeint war aber auch das Bundesverfassungsgericht, das im Lüth-Urteil solchen Grundrechten, denen es eine »konstituierende Bedeutung« für die Demokratie zusprach, einen besonderen Rang einräumte.108 Forsthoff bestritt nicht, daß den Instituten des Verfassungsrechts objektiv ein so verstandener »Wert« für die Staats- und Gesellschaftsordnung zukommen kann. Er selbst hatte dies schließlich für die Eigentumsgarantie präzise durchbuchstabiert (Lb, § 17). Nur habe die Ermittlung dieses spezifischen Wertes »mit der juristischen Sinnerfassung einer Norm nichts mehr zu tun« (RW, 153; s.a. 8 f.). Vielmehr werde mit der juristischen Operationalisierung der Wertbedeutung der Grundrechte »der zentrale Orientierungsgesichtspunkt für die Auslegung der Verfassungsnormen außerhalb der Normen und der mit den Mitteln der Exegese zugänglichen Gehalte« (RW, 150) gesucht. Weil Forsthoff der objektivierenden Kraft des gesetzten Wortlauts eine so hohe Stellung einräumte, gab es für ihn in seinem Rechtsverständnis keinen Weg, diesem funktionellen Aspekt des Rechts und schon gar nicht den – wie er überzeugt war – unsprachlichen »Methoden wertmaterialer Sinnerfassung« (RW, 160) irgendeine konstitutive Bedeutung zu verleihen.109 Aus dieser Paradoxie der Wertbegründung folgten weitere, mit der juristischen Logik des Verfassungsrechts unvereinbare Aspekte. Nicht nur sei die Bestimmung der funktionellen Bedeutung für den Integrationszusammenhang von juristisch nicht zu erhellenden ideologischen Vorannahmen aller Art abhängig. Sie müsse zudem für jedes einzelne Grundrecht, jedes verfassungsrechtliche Institut verschieden ausfallen. Forsthoff schloß daraus, die Werttheorie sei gezwungen, zwischen den einzelnen »Verfassungswerten« eine hierarchische »Wertrangordnung« zu etablieren und zwischen den einzelnen Werten in eine Abwägung einzutreten, so, wie es das Bundesverfassungsgericht

107

108 109

R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 265. BVerfGE 7, 198 ff., 208. Besonders klar: RW, 219: »Unverkennbar sind unter dem Grundgesetz die Art. 3, 12 und 14 zu den grundlegenden Rechtsverbürgungen des gegenwärtigen gesellschaftlichen status quo geworden, was natürlich in rechtlicher Hinsicht über den Rang dieser drei Grundrechte nichts besagt.« 31994,

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nach dem Vorbild Günter Dürigs ja wirklich getan hatte.110 Dem hielt Forsthoff den Widerspruch der auf diese Art und Weise erzeugten Hierarchisierungen zu den immanenten Hierarchisierungen des Rechtssystems entgegen, wie beispielsweise zum Vorrang der Verfassung, zum Vorrang des Gesetzes oder zu horizontalen oder vertikalen Derogationsgrundsätzen (RW, 150; s.a. RW II, 159). Die Abstufung und Systematisierung von Wertaspekten sei zwar eine eigene »geistige Dimension, aber keine solche, die im Bereich juristischer Norminterpretation ihre Stelle haben könnte« (RW, 152). Eine auf »exegetische[n] oder logische[n] Erwägungen« (RW II, 206) aufgebaute Verfassungsinterpretation unterscheide sich in jeder Hinsicht von »Prozeduren der Wertverwirklichung durch Wertanalyse und Wertabwägung« (RW, 153). Nun beließ Forsthoff es allerdings nicht dabei, solche Wertanalysen und Wertabwägungen als falsche Methode der Verfassungsauslegung auszuweisen, neben der der redliche Exeget bloß auf der richtigen zu beharren brauche. Er meinte, es mit einer unterschwelligen Tendenz der Zerstörung von Institutionen zu tun zu haben, die das Festhalten der »juristischen« Methode mit der Zeit unmöglich machen werde. Der einmal zugelassene »Verzicht auf Begrifflichkeit im Sinne der juristischen Logik« (RW II, 190) könne eines Tages endgültig werden. Das Wertesystem einerseits und die innerjuristischen Rangabstufungen andererseits müßten nämlich in ein Konkurrenzverhältnis treten und mit ihnen auch wertanalytische und hermeneutische Verfahren der Verfassungsauslegung (RW, 150). Dieses Konkurrenzverhältnis war für Forsthoff zum Nachteil der formalen juristischen Elemente und zum Schaden der juristischen Hermeneutik vorentschieden. Denn es führte in seinen Augen zum Widerstreit zwischen den formalen und den unformalen Elementen innerhalb ein und derselben Norm bzw. ein und desselben Begriffs. Wenn etwa innerhalb des Rechtsstaatsbegriffs (Art. 20 Abs. 3 GG) zwischen der formalen Kategorie des Gesetzes und der materialen Kategorie des Rechts unterschieden wurde, so bedeutete dies nicht weniger als die »Vernichtung des Rechtsstaates« (RW, 34/46). Ebenso meinte er nun, mit der »Forderung nach Rangunterschieden im Rechtssinne« zwischen verschiedenen Werten werde »das Verfassungsgesetz von innen zerstört« (RW, 150). Warum aber war Forsthoff so von der zerstörerischen Überlegenheit jener unformalen Prozeduren der Wertabwägung überzeugt? Was zunächst die gegen den Wertbegriff überhaupt gerichteten Einwände angeht, so unterschieden sich Werte aus Forsthoffs Sicht fundamental von den Hierarchien des Rechtssystems durch ihren umfassenden Geltungsanspruch. Während Grundrechte als abwehrrechtliche Garantien sich nur innerhalb institutioneller Vermittlungen und bestehender Rechtsbeziehungen entfalteten, müsse das Grundrecht, so Forsthoff, als Wert verstanden, schlechthin Geltung besitzen und sich

110

BVerfGE 7, 198 ff., 215; zuvor G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, in: AöR 81 (1956), 119 ff.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

alle Vermittlungen und institutionellen Sinnbegrenzungen unterordnen (RW, 221; SIG, 149). Ihnen eigne scheinbar eine von der Durchsetzung unabhängige Geltung, während rechtsförmige Garantien stets in einem festen Verfahren vollzogen werden müßten. Mit der Konzeption als Werte gewönnen die Grundrechte deshalb »den Charakter absoluter Wertsetzungen. Ihr Sinngehalt kann nicht mehr vom Eingriff [d.h. einer institutionellen Form] her verstanden werden« (RW, 221). Sprich: Der »Wert« ist die spezifische juristische Ausdrucksform des massendemokratischen Sozialstaats. Forsthoff faßte die Verschiedenartigkeit von Wertverständnis und Rechtsverständnis in dem vielzitierten Satz zusammen: »Der Wert hat seine eigene Logik.« (RW, 158) Dieses Diktum hat kurz darauf Carl Schmitt zum Ausgangspunkt seines Essays Die Tyrannei der Werte gemacht. Ganz in Forsthoffs Sinne umriß er darin eine rechtsphilosophische Wertkritik. Eine als Werteordnung verstandene Verfassung sei, meinte Schmitt, schlechthin das Gegenteil einer auf fester Satzung und geordneten Verfahren beruhenden rechtsstaatlichen Verfassung. Das Denken in Werten sei ein Mittel, den »juristisch sinnvollen Vollzug« durch einen »unmittelbaren Wert-Vollzug« zu überspielen.111 Ebenso wie Forsthoff bewertete auch er die politische Funktion der Wertelogik für den Sozialstaat der Bundesrepublik. Im geistigen Medium des Wertedenkens bahne sich die Umwandlung der rechtsstaatlichen in eine aggressive ökonomisch-technische Verteilungsordnung an: Eine »multiple, d.h. überentwickelt pluralistische, aus zahlreichen heterogenen Gruppen sich integrierende Gesellschaft muß die ihr adäquate Öffentlichkeit in ein Übungsfeld wertlogischer Demonstrationen verwandeln. Die Gruppen-Interessen treten dann als Werte auf, indem sie wesentliche Rechtskategorien zu Stellenwerten irgendeines ihnen adäquaten Wert-Systems machen. Die Verwandlung in Werte, die ›Ver-Wertung‹, macht das Inkommensurable kommensurabel. Ganz beziehungslose Güter, Ziele, Ideale und Interessen, etwa von christlichen Kirchen, sozialistischen Gewerkschaften, Landwirte-, Ärzte-, Opfer-, Geschädigten- und Vertriebenen-Verbänden, kinderreichen Familien usw. usw. werden dadurch vergleichbar und kompromißfähig, so daß eine Quote bei der Verteilung des Sozialprodukts errechnet werden kann.«112

Das Inkommensurable kommensurabel machen, bedeutete für Forsthoff nichts anderes als die pflichtige Inbeziehungsetzung aller mit allen und damit das Ende des rechtsstaatlichen Freiheitsschutzes. So verwandele die Drittwirkungsthese »einen ganzen Komplex von wichtigen Verfassungsnormen aus reinen Freiheitsverbürgungen in Pflichten enthaltende Rechtssätze, wobei das Ausmaß der Pflichten offen bleibt. Das be-

111 112

C. Schmitt, Die Tyrannei der Werte (1960/67), in: Säkularisation und Utopie, 1967, 45. Ebd., 39 (Hervorhebung nicht im Original); M. Heidegger, Nietzsches Wort »Gott ist tot« (1943), in: Ges.-Ausg., I. Abt., Bd. 5, 22003, 228, sagt im selben Sinne: »Wert steht im inneren Bezug zu einem Soviel, zu Quantum und Zahl. Werte sind daher […] auf eine ›Zahlund Maß-Skala‹ bezogen.«

Achtes Kapitel: Forsthoffs skeptische Verfassungstheorie

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deutet verfassungspolitisch die Umdeutung der Grundrechte in wesentlich sozial determinierte Pflichtbindungen unter weitgehender Eliminierung ihres liberalen Gehalts. Unter diesen weiteren geschichtlichen Perspektiven muß der Vorgang gesehen werden.« (RW, 160)

Die dahinterstehende Überlegung war keine andere als die hinter Forsthoffs Deutung des Verhältnisses von Rechtsstaat und Sozialstaat. Forsthoff hatte die sozialstaatliche Materialisierung der Rechtsstaatsbegriffs scharf kritisiert, weil er überzeugt war, daß solche Materialisierungen keine Stärkung, sondern in Wirklichkeit die demokratische Aufhebung des Rechtsstaats bedeuteten. Und so glaubte er auch nicht, daß die Werttheorie etwas über die vorpositive Verbindlichkeit der Verfassung aussagen könne: »Die auf eine überpositive Verfestigung der rechtsstaatlichen Verfassung gerichteten Bestrebungen müssen ein konsolidiertes Wertbewußtsein und eine dadurch, somit außerrechtlich gesicherte Verbindlichkeit naturrechtlicher oder sonstiger ethischer Gehalte voraussetzen, denn nur dann ist die Annahme sinnvoll, daß diese Gehalte im kritischen Augenblick – und nur auf ihn kommt es an – eine Chance haben, wirksam zu werden.« (RW, 177)

Von einem konsolidierten Wertbewußtsein konnte für Forsthoff in der Bundesrepublik keine Rede sein. Deshalb sah er in allen Spielarten des unformalen Verfassungsverständnisses letztlich nur Einbruchstellen der demokratischen und sozialstaatlichen Bestrebungen. Das grundrechtliche Wertedenken sei unerklärlich »ohne die Schubwirkung des sozialen trends« (RW, 160). Forsthoff meinte deswegen, daß von der werthierarchischen Auslegungsmethode stets gerade die Teile der Verfassung besonders einschneidend ergriffen werden müßten, »in denen die demokratisch-sozialen Tendenzen der Zeit wirksam sind.« (RW, 172) Hinter der vermeintlich objektiven Geltung der Werte standen für ihn immer konkrete soziale Zwecke und Interessen. Carl Schmitt sprach von Interessengruppen und sozialen Mächten »mit wertphilosophischem Visum«.113 Daran wird deutlich, weshalb ein Vertreter der Kritischen Theorie wie Ulrich K. Preuß später eine analoge Kritik der materialen Wertordnung formulieren konnte:114 Die Verschleierungsthese konnte er von Forsthoff übernehmen, nur Träger und Widersacher der subkutanen Interessen mußte er anders bestimmen. Nach Forsthoffs Deutung des Verhältnisses von Rechtsstaat und Sozialstaat ist klar, daß er bei den »demokratischen Tendenzen« im Gegensatz zu formalen Sicherungen eine unvergleichliche Mächtigkeit vermutete. Auch die vermeintlich objektiven »Werte« könnten sich deswegen nur behaupten, wenn und soweit sie mit der Jeweiligkeit der öffentlichen Meinung identisch sind: »Auf diese Weise wird die Verfassung zum Repositorium der gängigen Werte.« (RW II, 172) Für die Staatsrechtswissenschaft bedeute das die »Auflösung klarer

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C. Schmitt, Die Tyrannei der Werte (1960/67), in: Säkularisation und Utopie, 1967, 38. U. K. Preuß, Legalität und Pluralismus, 1973; ders., Die Internalisierung des Subjekts, 1979, bes. 150 ff.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

Begrifflichkeit im Gerede« (SIG, 69), die folgerichtig die Entmachtung des Juristen im Raum der Verfassung überhaupt zur Folge haben müsse.115 Auch Carl Schmitt sprach von einem sich ausbreitenden »kümmerliche[n] Gerede«116. Gerade durch ihre Anbindung an die weltanschaulichen Präferenzen der Tagesmeinung aber führe sich die Materialisierung der Verfassung, die doch deren Regelungen zusätzlichen Bestand sichern wollte, selbst ad absurdum: »Die geisteswissenschaftliche Methode, welche die Grundrechte in objektive Ordnungen umdeutet und als Werte versteht, kann diese Objektivation und das Wertverständnis nur im Ausgriff auf die jeweilig umlaufenden und anerkannten Anschauungen und Überzeugungen gewinnen. Es läßt sich nicht bestreiten, daß sich auf diese Weise ethische und sittliche Gehalte in die Verfassung hineinlegen lassen. Kategorisch zu verneinen ist jedoch, daß der Verfassung auf diese Weise zu einer größeren Gewähr verholfen wird. Wer daran glaubt, muß sich entgegenhalten lassen, daß er die Besonderheit dieses Jahrhunderts (das noch nicht zu Ende ist) mit seinen Ab- und Umwertungen, seinen Hosiannah und Crucifige, seinen unendlichen geistigen Fluktuationen noch nicht begriffen hat.« (RW II, 224)

Er variierte damit einen Gedanken, den Ernst-Wolfgang Böckenförde, seinerseits mit Bezug auf Forsthoff, in seinem später berühmt gewordenen Ebracher Seminarvortrag Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation formuliert hatte.117 Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, wie wenig es für Forsthoffs Verfassungsverständnis auf den Unterschied zwischen Wertbegründung und anderen Legitimitätsbehauptungen ankam. Denn der Hinweis auf die »geistigen Fluktuationen« als Verfassungsproblem macht deutlich, daß für Forsthoff nach Lage der Dinge jede beliebige unter dem Grundgesetz ins Spiel tretende Legitimitätsvorstellung nur eine massendemokratisch begründete und getragene sein konnte – und zwar völlig unabhängig davon, ob sie mit wertphilosophischer, naturrechtlicher, sozialstaatlicher oder sonstiger Begründung auftrat. Da half es auch wenig, daß Arnold Gehlen Forsthoff zu trösten versuchte, indem er ihm im Sommer 1968 schrieb: »In der Soziologie geht die Auflösung

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117

Diese »Depossedierung der Rechtswissenschaft und des Juristen im Raum der Verfassung« (RW, 174) hat Peter Häberle über ein Jahrzehnt später aufgenommen und zu seinem – emphatisch gemeinten und vielzitierten – Diktum von der »offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten« umgewertet: P. Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, in: JZ 1975, 297 ff.; zuvor schon im selben Sinne H. Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 (1963), 71 f. Carl Schmitt an Hans-Dietrich Sander, 23.10.1967, in: C. Schmitt/H.-D. Sander, Werkstatt-Discorsi, 2009, Nr. 13. E.-W. Böckenförde, Die Entstehung des modernen Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Säkularisation und Utopie, 1967, 93: »Nach 1945 versuchte man, vor allem in Deutschland, in der Gemeinsamkeit vorhandener Wertüberzeugungen eine neue Homogenitätsgrundlage zu finden. Aber dieser Rekurs auf die ›Werte‹, auf seinen mitteilbaren Inhalt befragt, ist ein höchst dürftiger Ersatz; er öffnet dem Subjektivismus und Positivismus der Tageswertungen das Feld, die, je für sich objektive Geltung verlangend, die Freiheit eher zerstören als fundieren.«

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strengerer Denkforderungen zugunsten von emotionalem Gerede (›Werte‹) in noch schnellerem Tempo vor sich als bei Ihnen.«118 In der Auflösung der Formen und Begriffe zeigten Sozialstaat und Wertejurisprudenz ihre ganze nihilistische Wucht. Geradezu anstößig an dieser Sicht der Dinge war natürlich, wie pauschal Forsthoff alle materialen Verfassungsverständnisse für untereinander beliebig austauschbar erklärte. Alexander Hollerbach ist dem – auf Anregung Konrad Hesses, dessen Assistent er war119 – mit einer sehr ausführlichen Abhandlung entgegengetreten, die sofort berühmt wurde und gleichsam als »Stellungnahme« der Smend-Schule empfunden wurde.120 Darin verteidigte er die Verbindung formal-technischer und unformal-werthafter Elemente als fruchtbare Dialektik. Aufgabe der Interpretation sei es gerade, die »Verschränkung« der einzelnen Normen mit ihrem verfassungspolitischen und geistigen und deswegen geisteswissenschaftlich zu verstehenden »Gesamtzusammenhang« herzustellen, andererseits aber den einzelnen Normen in ihrer Technizität ihr »relatives Recht« zu belassen.121 Ganz ähnlich formulierte Ulrich Scheuner.122 Hollerbach sah, daß Forsthoffs Beharren auf der Formalität der Verfassung die Absicherung der Legalität zum Ziel habe. Aber, gab er zu bedenken, die verfassungsmäßige Legalität könne niemals die »Grundlage für umfassende Legitimität sein […]. Von einem technisch-formalistischen Verfassungsverständnis aus kann es […] keinen positiven Ansatz zu einer Verfassungsethik geben.«123 Damit hatte Hollerbach den Grund des Dissenses benannt, doch seine Kritik mußte gleichzeitig eine äußerliche bleiben. Daß mit seinem Verfassungsverständnis keine Legitimität zu haben war und erst recht keine »Verfassungsethik«, hätte Forsthoff ja frei zugestehen können. Zudem lag der politische Horizont seiner methodischen Kritik völlig außerhalb der bundesdeutschen Verfassungslage der sechziger Jahre. So meinte er mit Blick auf die Einwände Hollerbachs in einem Brief an Ernst-Wolfgang Böckenförde nur: »Wollte ich hierauf erwidern, so würde ich in aller Kraßheit sagen, daß ich die schöne ethische Infrastruktur, die sich unsere Justiz mit Hilfe der ›geisteswissenschaftlichen Methode‹ zusammengebastelt hat, auf der gegenwärtigen Stufe der industriell-gesellschaftlichen Entwickelung für einen Anachronismus halte – einen der vielen in unserer Zeit – und daß ich nichts darauf gebe, wenn es einmal hart auf hart kommen sollte.«124

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Arnold Gehlen an Ernst Forsthoff, 9.7.1968, NL Forsthoff. A. Hollerbach, Begegnungen in und mit Heidelberg, in: Ausgewählte Schriften, 2006, 553. F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 220. A. Hollerbach, Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung?, in: AöR 85 (1960), 251. U. Scheuner, Verfassung (1963), in: Staatstheorie und Staatsrecht, 1978, 182 f. A. Hollerbach, Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung?, in: AöR 85 (1960), 250 (Nachweise weggelassen). Ernst Forsthoff an Ernst-Wolfgang Böckenförde, 22.10.1960, Sammlung Böckenförde.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

Solange die günstigen Bedingungsfaktoren der deutschen Verfassungslage andauern, hieß das, kann sich die industrielle Gesellschaft die Irrationalismen einer werthaften Verfassungsethik leisten.125 Doch jede ernsthafte Krise würde sie sofort außer Kurs setzen (RW, 224, 226). Ja mehr noch: Am Tag der Krise würde sich die geisteswissenschaftlich-werthierarchische Methode als Dienerin einer beispiellosen, autoritären Umwertung der verfassungsrechtlichen Werte entpuppen. Trotz aller Bekenntnisse zu Freiheit und Würde liefere sie langfristig »intellektuelle Begleitmusik« beim »Marsch in den Kollektivismus« (RW II, 211). Denn wenn der Geltungsanspruch der Verfassung erst einmal durch die Verfassungsethik unterminiert ist, lasse er sich auch leicht wiederum in eine andere Richtung umbiegen. Und die Übertragung der Grundrechte auf den gesellschaftlichen Bereich könne sich langfristig als normatives Medium erweisen, dessen sich der sozial Mächtige im Wege der freien Wertsetzung bedienen kann. So würden sich, davon war Forsthoff überzeugt, bei einer Störung der wirtschaftlichen Prosperität die gesellschaftlichen Mächte der Industrie selbst zu den maßgeblichen Wertsetzern aufschwingen. Die Industriegesellschaft werde eines Tages die Wertirrationalismen der Verfassungsjuristen nicht mehr hinnehmen können und sich im selben Moment gezwungen sehen, ihre spezifischen Werte gegen die alten Werte mit ihrem sozialen Machtpotential durchsetzen. »Bisher waren es die Interpreten, welche die Werte und Objektivierungen bestimmten, die sie in die Verfassung hineinlegten. Das braucht nicht so zu bleiben. Die weitere Entwicklung

125

Dazu heißt es in einem Brief Forsthoffs an Rudolf Smend v. 13.3.1961 (SUB Göttingen, NL Smend): »Das vollkommen Neue und nach den Erfahrungen unter der Weimarer Verfassung ganz Unerwartete ist, daß die industriell-bürokratische Gesellschaft auf der jetzigen Stufe ihrer Entwicklung sich selbst integriert […]. Mein erster Einwand gegen die heutige Verfassungsjustiz ist der, diese grundlegende Veränderung nicht verifiziert und deshalb auch die veränderte Aufgabe der Staatsgerichtsbarkeit nicht erkannt zu haben. […] Ist das aber so, dann ist der dynamischen Staatsrechtstheorie, praktiziert durch die Verfassungsgerichtsbarkeit, insofern der Boden entzogen, als sie da integrieren will, wo nicht mehr viel zu integrieren ist und wo mit den Mitteln der herkömmlichen Verfassungsauslegung zum Ziele zu kommen wäre. […] Eine politisch inspirierte und emotionale Rechtsgemeinschaft, wie sie unter der Weimarer Verfassung bestand, mag eine dynamische Rechtsprechung gefordert haben – die heutige Lage ist anders, und es ist Gegenstand meiner staendigen und schon mehrfach oeffentlich ausgesprochenen Sorge, dass zwischen der sich rationalisierenden Gesellschaft (mit immer deutlicher hervortretenden Gesetzmaessigkeiten) und der immer irrationaler werdenden Rechtsprechung eine Kluft entstehen wird, die für die Rechtsprechung wie das ganze Rechtswesen nachteiligste Folgen haben muss.« Smend antwortete ihm daraufhin am 17.5.1961 (Durchschlag), SUB Göttingen, NL Smend: »Sachlich finde ich ebenso wie Sie, daß die heutige Lage in vielfacher Hinsicht das Gegenteil von der der zwanziger Jahre ist. Ich würde angesichts dessen heute kein Integrationsbuch mehr schreiben, sondern ein ganz andersartiges, rechtstheoretisches. Aber diese Rechtstheorie würde eine andere sein als die des CarlSchmitt-Kreises, und in wesentlichen Dingen würde ich auch die geschichtliche Lage anders sehen, als Sie.«

Achtes Kapitel: Forsthoffs skeptische Verfassungstheorie

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könnte einen Punkt erreichen, […] an dem die Industriegesellschaft neue und andere Werte setzt und auf ihnen beharrt. Mit welchem Recht dann den Wertsetzungen der Interpreten der Vorrang gebühren sollte, ist schlechterdings nicht einzusehen« (RW II, 224).

Welche »Werte« die Industriegesellschaft auf diesem Wege implementieren würde, stand für Forsthoff außer Zweifel: solche einer rein technischen Rationalität. Sie würde, sobald sie in ihrem Funktionieren ernstlich gefährdet wäre, über die grundrechtlichen Wertungen einfach die Realisationsbedingungen des technischen Fortschritts und der Produktion diktieren.126 Der logische Endpunkt der Materialisierung der Verfassung lag also dort, wo die Verfassungsordnung zu einem bloßen Epiphänomen industriegesellschaftlicher Selbststeuerung herabgesunken und der Staat zur Legalisierungsmaschine der innerhalb der Industriegesellschaft wirksamen autoritären Mechanismen der Selbstdisziplinierung geworden ist.

IV. »Wer wird schon Richter in Karlsruhe!« Forsthoffs formalistischer Verfassungsbegriff hatte dabei stets einen sehr konkreten politischen Gegner vor Augen: Er war gerichtet gegen das Selbstverständnis und die Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts. Forsthoff führte die Karriere der wertmaterialen Verfassungsauslegung nicht zuletzt auch darauf zurück, daß sie dem politischen Machtanspruch der bundesdeutschen Verfassungsgerichtsbarkeit einen passenden Überbau anbot, ja geradezu eine »Standesideologie der Bundesverfassungsrichter« (RW, 170) lieferte. Die »Entformalisierung der Verfassung« und die »Entfaltung des Justizstaates« (RW, 172) hielt Forsthoff deswegen für Teilaspekte eines einheitlichen geschichtlichen Vorgangs, der auf eine »Globalermächtigung an die Verfassungsinterpreten« (RW II, 207) zulaufe. Die Beschränkung auf einen formal-rationalen Verfassungsbegriff gewährleiste nämlich zugleich strukturelle Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit: die strenge Bindung ihrer Rechtsprechung an einen vorgegebenen, im strengen Sinne objektiven Verfassungsrechtsstoff. So hatte Forsthoff es schon früher von jeder juristischen Hermeneutik gesagt (RuS, 12, 46 f.), und so sollte es auch für das Bundesverfassungsgericht gelten. Die wachsende Bedeutung unformaler Elemente innerhalb der Verfassungsrechtsprechung stellte für Forsthoff eine Verfassungswandlung ersten Ranges dar. Indem das Bundesverfassungsgericht seine Begründungen »mit den schweren ideologischen Gewichten der Ethik, des Naturrechts, der Sozialstaatlichkeit usw.« (RW, 183) auflade, betreibe es eine allgemeine »Diskreditierung der Legalität« (RW, 182). Jede formale Geltung werde auf diese Weise unter den latenten Vorbehalt des Durchgriffs unvorhersehbarer unformaler Legi-

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E. Forsthoff, Von der sozialen zur technischen Realisation, in: Der Staat 9 (1970), 150.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

timitätsgesichtspunkte gestellt. Das Bundesverfassungsgericht tat also mit Hilfe der geisteswissenschaftlich-werthierarchischen Methode in Forsthoffs Augen nichts anderes, als die Verfassung spekulativ zu zerreden. Hinter der ethischen Fassade dieser Rechtsprechung vollzog sich demnach eine institutionelle Machtverschiebung zur Dritten Gewalt, die, methodisch getarnt, jene Macht übernahm, die sie dem Gesetzgeber und der Verwaltung vorher durch die »Diskreditierung der Legalität« genommen hatte. Nach Forsthoffs Urteil machte die materiale Verfassungstheorie die Verfassung also sozusagen sturmreif für die Einnahme durch eine situativ bis frei verfahrende Verfassungsgerichtsbarkeit. Die durch den ständigen Rückgriff auf unformale Elemente verfahrende »Situationsjurisprudenz« (RW II, 168) und die durch sie bewirkte »Verunsicherung ist ohne Schaden für das Staatsganze nur zu ertragen, wenn sie einen Ausgleich an anderer Stelle findet. Dieser Ausgleich ist die Machterweiterung, die sich die rechtsprechende Gewalt, indem sie die Bindung des Art. 20 Abs. 3 GG verunsichert, damit zugleich, und zwar zwangsläufig, selbst zuspricht. Darüber, wann er an das Gesetz gebunden ist, wann er unter Berufung auf das Recht von der Gesetzgebundenheit frei ist, entscheidet heute der Richter selbst.« (RW, 183 f.)

Die Gegenreaktion auf derlei Vorwürfe ließ natürlich nicht lange auf sich warten. Rudolf Smend hatte Forsthoff bereits nach dessen Beitrag zur SchmittFestschrift eine Erwiderung angekündigt.127 Die Gelegenheit ergab sich, als Smend eingeladen wurde, einen Festvortrag zum zehnjährigen Bestehen des Bundesverfassungsgerichts im Januar 1962 zu halten.128 Kein anderer Rahmen hätte sinnfälliger sein können. Zumal, nachdem zwei Jahre vorher bereits der zum zehnjährigen Bestehen des Bundesgerichtshofs von dessen Präsidenten Robert Fischer gehaltene Festvortrag in heftigen Vorwürfen gegen den angeblichen Positivisten und Wertverächter Forsthoff geendet hatte.129 Rudolf Smend gestand Forsthoff zwar zu, er habe mit seiner Kritik an der Verfassungsauslegung die »Frage nach der Bestimmung des Orts des Bundesverfassungsgerichts in der geistig-politischen Welt unserer Tage überhaupt« aufgeworfen.130 Seine »Angriffe« seien sogar »fruchtbar, sofern sie die deutsche Staats- und Rechtstheorie zu neuer nachdrücklicher Überprüfung ihrer Grundlagen anregen.« Allerdings blieben sie um nichts weniger »vergeblich, sofern sich die 127

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129 130

Rudolf Smend an Ernst Forsthoff, 18.2.1961 (Durchschlag), SUB Göttingen, NL Smend: »Ihre Gegenposition ist für mich […] nicht akzeptierbar, vollends nicht in der Vereinfachung, die Sie ihr hier geben. Und so müssen wir, die wir anders denken, an meinem Teile auch ich, uns offenbar auch einmal äußern – für mich wird es in meinen Jahren dazu auch höchste Zeit.« R. Smend, Das Bundesverfassungsgericht, in: F.A.Z. v. 14.2.1962, 11 f. (Teilabdruck); erstmals vollständig in der vom Bundesverfassungsgericht herausgegebenen Festschrift: Das Bundesverfassungsgericht, 1962; wieder in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 31994, 581 ff. R. Fischer, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, 1960, 33 f. R. Smend, Das Bundesverfassungsgericht (1962), in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 31994, 590.

Achtes Kapitel: Forsthoffs skeptische Verfassungstheorie

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Praxis, vorweg das Bundesverfassungsgericht, durch sie nicht beirren läßt.«131 Smend verteidigte im Ergebnis die Werterechtsprechung als Teil einer nach dem Ende des Positivismus um materiale Gerechtigkeit ringenden Rechtsordnung. Ähnlich hatte er es zuvor in einem Brief an Forsthoff formuliert: »Eine Apologie des Bundesverfassungsgerichts liegt mir fern. Aber es hat es nicht leicht, und ich muß seine Gesamthaltung doch billigen, freilich nicht deren Begründung.«132 Mit seiner Rechtsprechung trage das Verfassungsgericht, fuhr Smend fort, wesentlich zur »Legitimierung des Grundgesetzes«133 bei. Es habe recht, wenn es das Grundgesetz nicht als »formale Ordnung um der Ordnung willen«, sondern als »Ordnung im Dienste von Gerechtigkeit und Menschenwürde« verstehe, denn nur von diesem Verständnis her könne es richtig ausgelegt werden.134 Den Einwendungen Ernst Forsthoffs gegen die Verfassungsrechtsprechung fehle dagegen die vom Bundesverfassungsgericht ausgehende »Aufbauwirkung«135. Forsthoffs »der Praxis fremde Begrifflichkeit einer skeptischen Theorie«136 könne zum Verfassungsproblem der jungen Bundesrepublik nichts beitragen, da es die »Schwäche einer nur legalen Ordnung ohne tiefere Legitimität« teile, an der schon einmal eine deutsche Demokratie zugrundgegangen sei.137 Durch den zweiten Redner wurde der Karlsruher Festakt vollends zu einer Anti-Forsthoff-Veranstaltung. Auch Hans Carl Nipperdey nutzte die Gelegenheit, auf Forsthoffs Polemiken zu antworten. Er sprach von einem »eigenartigen Anachronismus« der Forsthoffschen Kritik, von »pessimistischen« und »relativistischen« Thesen, denen gegenüber sich die Rechtsprechung unbeirrt zu »dem objektiven, materialen Wertsystem [bekennen muß], das durch die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Rechtsbereiche gilt.«138 Noch deutlicher hatte er sich über Forsthoffs Beitrag zur Schmitt-Festschrift zuvor in einem Leserbrief an Christ und Welt geäußert: »Dieser höchst oberflächliche Aufsatz mit seiner Leugnung der den Grundrechten immanenten Werte ist das Nihilistischste, was je über unsere Verfassung gesagt worden ist. Vielleicht fragen Sie darüber einmal Professor Smend in Göttingen, der der evangelischen Kirche besonders verbunden ist.«139

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Ebd., 591. Rudolf Smend an Ernst Forsthoff (Durchschlag), 17.5.1961, SUB Göttingen, NL Smend. R. Smend, Das Bundesverfassungsgericht (1962), in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 31994, 588. Ebd., 591 f., 593. Ebd., 592. Ebd., 591. Ebd., 588, 593. H. C. Nipperdey, Das Bundesverfassungsgericht, in: Deutsche Richterzeitung 1962, 73 f. H. C. Nipperdey, Leserbrief, in: Christ und Welt v. 8.10.1959, 23; eine Abschrift des Brieforiginals v. 8.9.1959 befindet sich im NL Smend (SUB Göttingen). Siehe auch Hans Carl Nipperdey an Adolf Schüle, 20.11.1959, UA Tübingen, NL Schüle: »Besonders hat es

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

Natürlich konnte Forsthoff den Vorwurf des Nihilismus mit Recht als schlichtweg »ignorant« zurückweisen (RW, 8). Wer sich frei vom Nihilismus wähnt, so hätte er mit Heidegger einwenden können, betreibt seine Entfaltung am gründlichsten.140 Wenn Forsthoff die »heilsame Strenge« juristischer Formen gegen das Auf und Ab der Umwertung aller Werte zum Dreh- und Angelpunkt der Verfassungsinterpretation machte, so war Nihilismus das Letzte, was man ihm vorwerfen konnte. An Carl Schmitt schrieb Forsthoff, die Stellungnahme von Nipperdey sei »ein wahrhaft klassisches Dokument: der Vorwurf des Nihilismus und die schliessliche Anrufung der Kirche in einer juristischen Methodenfrage – alles das könnte nicht sprechender sein. Ich nehme an, dass Sie diese Zeilen ebenso geniessen werden, wie ich es getan habe.«141 Aber auch Smends Entgegnungen waren ihm »eine einzige Enttäuschung«. Seine, Forsthoffs, Einwände seien nicht widerlegt worden, sondern Smend habe lediglich journalistische Plattheiten von sich gegeben und es bei einem unoriginellen Lob des Bundesverfassungsgerichts belassen.142 Forsthoffs Kritik der Stellung und Rolle des Bundesverfassungsgerichts nahm in den folgenden Jahren an Radikalität immer mehr zu. Selbstverständlich hatte er, wie die Mehrheit seiner Kollegen, schon das Beamtenurteil des Jahres 1953, in dem alle Beamtenverhältnisse des nationalsozialistischen Staates für erloschen erklärt wurden,143 als skandalöse Zerstörung eines Treueverhältnisses empfunden.144 Danach ließ er kaum ein gutes Haar mehr an der Rechtsprechung. Je mehr sich die Linie des Gerichts abzeichnete, desto weniger gefiel sie Forsthoff. Ihm schien sie nur aus der Schwäche der Bundesrepublik als Staat erklärbar. Das Gericht hielt er für unpolitisch und realitätsblind (RW II, 194). Nachdem er es in seinem Beitrag zur Festschrift für Carl Schmitt so scharf angegriffen hatte, schrieb er an Schmitt, er habe sich für Prozeßvertretungen und Gutachten damit wohl disqualifiziert, aber: »Das ist auch kein Ver-

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mich gefreut, daß Sie zwischen den Zeilen auch den wertverleugnenden nihilistischen Aufsatz von Forsthoff getroffen haben, und ich bin sehr froh, daß auch Dürig, wie ich höre, diesen Aufsatz ähnlich beurteilt.« M. Heidegger, Nietzsches Wort »Gott ist tot« (1943), in: Ges.-Ausg., I. Abt., Bd. 5, 22003, 219. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 14.9.1959, BW, Nr. 122. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 17.2.1962, BW, Nr. 164. BVerfGE 3, 58 ff. E. Forsthoff, Das Bundesverfassungsgericht und das Berufsbeamtentum, in: DVBl 1954, 69 ff.; ders., Diskussionsbemerkung zu ›Das Berufsbeamtentum und die Staatskrisen‹, in: VVDStRL 13 (1955), 161 f.; noch einmal SIG, 107: »Damit wurde die Axt an die Wurzel des Berufsbeamtentums gelegt und der Staat auf die Jeweiligkeit seiner Verfassungsform reduziert. Damit ist dem Beamten in einer kritischen Verfassungssituation die Rückversicherung bei dem etwaigen künftigen Machthaber empfohlen.« Zur Diskussion um die Beamtenfrage in den fünfziger Jahren eingehend K. J. Grigoleit, Bundesverfassungsgericht und deutsche Frage, 2004, 184 ff.; speziell zur Wahrnehmung im Kreis um Carl Schmitt D. van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 22002, 123 ff.

Achtes Kapitel: Forsthoffs skeptische Verfassungstheorie

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lust. Denn die Rechtsprechung des Gerichts wird immer übler […].«145 Und: »Schon die Tatsache des Justizstaates als solche hat eine Korruption der juristischen Methode und Logik zur Folge, wie sie sich in den Urteilen des BVerfG immer unverhüllter zeigt.«146 Durch seine Rechtsprechung zu den sogenannten Verfassungsaufträgen, meinte Forsthoff, handhabe es die Verfassung in seltsamer Introvertiertheit als »juristisches Weltenei, aus dem alles hervorgeht vom Strafgesetzbuch bis zum Gesetz über die Herstellung von Fieberthermometern« (SIG, 144). Ganz und gar nicht anfreunden konnte er sich zum Beispiel auch mit der Art, in der das Bundesverfassungsgericht den Instanzgerichten den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Maßstab der verfassungskonformen Auslegung an die Hand gab. Wenn »solchermaßen die niederen Chargen des Rechtswesens die Brüste der Justitia befingern«, reformulierte er ein böses Wort von Karl Kraus über Heinrich Heine, »dann war es die Verfassungsgerichtsbarkeit, die ihr das Mieder gelockert hat.« (SIG, 140) Die Entscheidungspraxis in Normenkontrollverfahren bedachte er mit der Einschätzung, die Verfassungsorgane seien erst durch sie endgültig in die politische Resignation getrieben worden.147 Mit der Entwicklung grundrechtlicher Teilhaberechte im Numerus-Clausus-Urteil von 1972148 habe das Gericht sich ins Utopische begeben und zu einer durch und durch »diffusen Verfassungsrechtslage« beigetragen.149 Und als 1970 nach dem Vorbild des amerikanischen Supreme Court die offenen »dissenting votes« beim Bundesverfassungsgericht durch Gesetz eingeführt worden waren,150 stellte Forsthoff kaum ein halbes Jahr später resignierend fest, daß »sich das Gericht durch die Sondervoten selbst ruiniert. Beschluss und Sondervoten stimmen methodisch überein, indem sie sich auf dem Boden der Werterei bewegen. Nur die Akzente werden unterschiedlich gesetzt. Natürlich gibt es für jede Akzentsetzung auch plausible Gründe des Wertes. So haben sie alle recht und die Beschlussfassung ist nur noch arithmetischer Zufall. Das ist aus unserer Verfassungsjustiz geworden. Aber wer wird schon Richter in Karlsruhe!«151

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Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 5.6.1958, BW, Nr. 105. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 8.7.1957, BW, Nr. 100. E. Forsthoff, Von der sozialen zur technischen Realisation, in: Der Staat 9 (1970), 157. BVerfGE 33, 303. E. Forsthoff, Einiges über Geltung und Wirkung der Verfassung, in: Festschrift für Ernst Rudolf Huber, hrsg. v. E. Forsthoff u. a., 1973, 3 ff., 15. Eingeführt durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht v. 21.12.1970, Bundesgesetzblatt, Teil I, 1765; seither geregelt in § 30 Abs. 2 S. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 24.6.1971, BW, Nr. 326.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

V. Probleme der »rechtsstaatlichen« Verfassungsauslegung Durch diese Art der Gerichtsschelte hat Forsthoff sich in Sachen Verfassungsauslegung mit der Zeit in eine Außenseiterstellung gebracht. Der Grimm, mit dem er dem Gericht den Ruin des deutschen Rechtswesens ankreidete, entsprach der Radikalität seiner eigenen methodischen Position. Was Forsthoff gegenüber der perhorreszierten »geisteswissenschaftlich-werthierarchischen Methode« aufzubieten hatte, war vor allem eine tiefgründige Kritik, der er aber keine positive Ausarbeitung folgen ließ. Gerade die als Klarstellung gemeinte152 Abhandlung Zur Problematik der Verfassungsauslegung, aber auch sein geschliffener Verriß von Martin Krieles topischer Theorie der Rechtsgewinnung (1967)153 zeigen, wie er zwar die Paradoxien der praktizierten Auslegungsverfahren scharf analysierte, einen eigenen, konstruktiven Beitrag zum Methodenproblem bis auf ein paar ganz vage Bemerkungen aber schuldig blieb. Das wird deutlich, wenn man sich Forsthoffs Alternative zur herrschenden Auslegungspraxis vergegenwärtigt: den geforderten Rückweg zur – wie er meinte – »klassischen« juristischen Hermeneutik. Dieser Rückweg hatte in der Rechtssoziologie Max Webers ein wichtiges Vorbild, unterschied sich aber doch wesentlich von dessen formalistischem Ideal. 1. Die Bedeutung der formalistischen Tradition Max Webers Alexander Hollerbach hat Forsthoffs Thesen als eine Fortsetzung des Rechtsformalismus Max Webers interpretiert,154 und der Weberianische Ausgangspunkt ist in der Tat bedeutsam, um zu verstehen, wie Forsthoff zu seiner überaus schroffen155 Entgegensetzung von begrifflich exakter »Verfassungsauslegung alten Stils« (RW, 163) und »geisteswissenschaftlich-werthierarchischer« bzw. »geistesgeschichtlich-soziologischer« (RW, 163) Verfassungsrechtswissenschaft gelangen konnte. Das ideengeschichtliche Verhältnis Ernst Forsthoffs zu Max Weber ist jedoch um so schwieriger zu bestimmen, als jeder Versuch einer Antwort in weitverzweigte Kontroversen der Weber-Forschung führt, die hier nicht einmal skizziert werden können.156 152 153

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E. Forsthoff, Zur Problematik der Verfassungsauslegung, 1961, 9 (nicht in RW II). E. Forsthoff, Buchbesprechung, in: Der Staat 8 (1969), 523 ff., mit dem charakteristischen Schlußsatz (526): »Das Buch Krieles läßt erkennen, wie weit die Entwicklung vom Rechtsstaat zum Justizstaat bereits fortgeschritten ist.« A. Hollerbach, Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung?, in: AöR 85 (1960), 268 ff. R. Dreier, Zur Problematik und Situation der Verfassungsinterpretation, in: Probleme der Verfassungsinterpretation, hrsg. v. R. Dreier/F. Schwegmann, 1976, 15; C. Graf von Pestalozza, Kritische Bemerkungen zu Methoden und Prinzipien der Grundrechtsauslegung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Der Staat 2 (1963), 435. Sie hängen wesentlich zusammen mit dem seit langem zutiefst umstrittenen Verhältnis Max Webers zu Carl Schmitt und folglich auch zu dessen Kritik der juristischen »Wert-

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Auch Weber hatte den juristischen Formalismus einer reinen Legalität, d.h. die von einem fachlich geschulten Juristenstand gewährleistete logische Qualität des modernen, positiven Rechts, entschieden gegen alle Tendenzen der Rematerialisierung verteidigt. Er hielt die Tendenz zum Rechtspositivismus, d.h. zur »fachmäßig juristische[n], also logische[n] Rationalität und Systematik und damit […] zu einer zunehmend logischen Sublimierung und deduktiven Strenge des Rechts« für ein unvermeidliches Schicksal.157 Nur der juristische Positivismus korrespondiere mit der allgemeinen fortschreitenden gesellschaftlichen Rationalisierung. Jeden Versuch, ihm gegenüber wieder zu normativ verbindlichen sittlichen Grundsätzen zu gelangen, hielt er methodisch für unmöglich und deshalb wissenschaftlich für unredlich. Solche Versuche erklärte sich Weber mit uneingestandenen Ressentiments des zum subalternen technischen Spezialisten gewordenen Juristen und mit dem »sehnsüchtige[n] Gedanke[n] an ein überpositives Recht«158. Die Rematerialisierung stelle den ganzen Prozeß der juristischen Formalisierung in Frage und hindere die Funktion formaler Legalität.159 Weber insistierte damit gegenüber philosophischen Wertlehren auf dem subjektiv-irrationalistischen Grundzug aller materialen »Werte«.160 Mit der Formel von der »Entformalisierung der Verfassung« (RW, 165), auf die Forsthoff die herrschende Auslegungspraxis brachte, schloß er an die Diagnosen Max Webers an. Der laufende Rekurs auf eine in der Verfassung enthaltene Werteordnung »verunsichere« die Verfassung, indem sie die Normativität des Verfassungsgesetzes in eine am gerechten Einzelfall orientierte »Situationsjurisprudenz« (RW II, 168) verwandele. Der Verfassungsauslegung werde auf diese Weise ihre »Rationalität« und »Evidenz« (RW, 169) genommen. Auch Forsthoff verwies auf den allgemeinen gesellschaftlichen und geistigen Rationalisierungsprozeß, dem nur eine streng durchrationalisierte und »logische« Verfassungsauslegung und -rechtsprechung langfristig gerecht werden könne (RW, 165/180/222). Und in einem Brief an Rudolf Smend bezeichnete er die »logischen« Mittel der Interpretation als »umso mehr geboten […], als eine so streng durchrationalisierte Gesellschaft wie die heutige eine rationale Rechtsprechung verlangt und eine andere auf die Dauer gar nicht erträgt.«161 Zwischen dem Rechtsformalismus Max Webers und der Position Ernst Forsthoffs bestehen jedoch trotz einer gewissen Parallelität der Argumentation überwiegend gewichtige Unterschiede, ja die Stoßrichtung ist in vielem gerade-

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philosophie«. Über das Verhältnis Schmitts zu Weber W. J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, 1959, 414 ff.; anders vor allem K. Löwith, Max Weber und seine Nachfolger (1939/40), in: Sämtl. Schr., Bd. 5, 1988, 408 ff.; ebenso F. Loos, Zur Wert- und Rechtslehre Max Webers, 1970, 87 ff. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 51972, 504 f., 513. Ebd., 508. Weber bezog das auf naturrechtliche, sozialethische und soziologische Entformalisierungstendenzen gleichermaßen. Ebd., 507. Ebd., 99. Ernst Forsthoff an Rudolf Smend, 13.3.1961, SUB Göttingen, NL Smend.

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zu gegensätzlich. Bereits Forsthoffs Begriff der »exakten« Verfassungsauslegungsauslegung weist Divergenzen gegenüber dem viel umfassenderen Rechtsformalismus Max Webers auf. Während Weber – auch wenn er natürlich wesentlich das Zivilrecht vor Augen hatte162 – seinen Formalismus unterschiedslos auf den gesamten positiven Rechtsstoff erstreckte, ist Forsthoffs Verfassungsformalismus ebenso wie sein Formalismus des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts ein durchaus partieller. Er ist bestimmt und begrenzt durch die überwölbende Zweiteilung des gesamten Rechtsstoffes in einen formalrationalen, auf die Sicherungen des status quo bezogenen und einen materialoffenen, auf Gestaltung und »Wertverwirklichung« (Lb, 68 ff.) bezogenen Teil, in dem die formalistische Logik gerade nicht galt. Ein solcher Dualismus ist von Webers Voraussetzungen her aber ganz unsinnig. Die effektive Gestaltungsfähigkeit durch bürokratische Herrschaft war für ihn gerade das stärkste Argument für, nicht gegen den formaljuristischen Rationalismus. Max Weber kannte auch den Widerspruch zwischen Zweckrationalität und formaler Strenge nicht, der sich für Forsthoff als so konstitutiv erwiesen hat. Während für Forsthoff ein auf reine Zweckrationalität gestelltes Recht mit dessen restloser Ideologisierung korrespondierte, war dieser instrumentelle Charakter des Formalrechts, seine Verfügbarkeit »zu beliebigen Zwecken« für Weber ein Garant der Immunität gegenüber den antiformalen Tendenzen. Forsthoff kam es, anders gesagt, darauf an, der Legalität die »freie Fungibilität zu nehmen und sie an eine unverrückbare Kernsubstanz der Verfassung zu binden« (RW II, 164). Dagegen war es Webers Sorge, der Legalität diese Fungibilität zu erhalten. Schließlich bestimmten Ernst Forsthoff und Max Weber auch die Aufgabe des Juristen im Prozeß der Rationalisierung völlig gegensätzlich. Während für Weber die »Standesideologien der Rechtspraktiker« die größte Gefahr für die Rationalität des Rechts darstellten und er es für das unentrinnbare Schicksal des Juristen hielt, sich in sein Fachmenschentum zu fügen, residierte die Standesideologie für Ernst Forsthoff vornehmlich nur in Karlsruhe. Im übrigen war ihm der Jurist als Hüter organischer Ordnungen zum Schluß der einzige glaubhafte Widersacher der Rationalisierung und der »technischen Realisation«.163 2. Von der Verfassung zum Verfassungsgesetz Fragt man nun nach Forsthoffs eigener Methode der Verfassungsauslegung, so ist der Befund erstaunlich mager. Seine Grundposition resümierte Forsthoff in den folgenden Sätzen: »Die Verfassungsauslegung sollte […] einem vorsichtigen Konservativismus huldigen. Sie sollte sich bewußt halten, was die Technizität der Verfassung und die Formtypik des Rechts 162 163

W. Gephart, Gesellschaftstheorie und Recht, 1993, 421 ff. Dazu 9. Kap., S. 470 ff.

Achtes Kapitel: Forsthoffs skeptische Verfassungstheorie

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unter den angegebenen Verhältnissen bedeutet. In dieser Zeit sind die Dinge oftmals klüger als der Geist, und eine empirische Kasuistik vermag besser weiterzuführen als theoretische Einsicht.« (RW II, 162)

Doch was folgte daraus im einzelnen? Forsthoff mußte, was zunächst den Gegenstand der Verfassungsauslegung betrifft, zu einer starken Begrenzung des Verfassungsbegriffs selbst kommen, sollte sich das Programm extremer exegetischer Zurückhaltung schlüssig durchführen lassen. Was damit gemeint ist, zeigt bereits der Titel des Aufsatzes aus der Carl-Schmitt-Festschrift, in dem vom »Verfassungsgesetz« und gerade nicht von der »Verfassung« schlechthin die Rede ist. Forsthoff reklamierte darin einen notwendigen und unaufgebbaren »Zusammenhang zwischen Gesetzesbegriff und Hermeneutik« (RW, 148), und zwar zwischen einem bestimmten, rationalen Gesetzesbegriff und einem bestimmten, rationalen (axiomatischen) hermeneutischen Verfahren. Das Verfassungsrecht sollte danach nur insofern mit den Mitteln juristischer Logik handhabbar sein, wie es dem Typus des begrifflich exakten und im Einzelfall auch vollziehbaren Gesetzesrechts entspricht, insofern es also »scharf, klar und logisch voraussehbar« (RW, 225) ist. Von verfassungsrechtlichen Normen oder Normbehauptungen, die eine solche Struktur nicht aufweisen, könne dagegen mit »Mitteln der Sinnerfassung« kein Gebrauch gemacht werden, »den man noch als juristische Interpretation gelten lassen kann.« (RW, 152) Die »Evidenz und Stabilität« des Verfassungsrechts hänge davon ab, daß »die Gesetzesform der Verfassung ernst genommen wird.« (RW, 148) Forsthoff brachte diesen Sachverhalt auf die dramatische Formel: »Die Jurisprudenz vernichtet sich selbst, wenn sie nicht unbedingt daran festhält, daß die Gesetzesauslegung die Ermittlung der richtigen Subsumtion im Sinne des syllogistischen Schlusses ist.« (RW, 153) Helmut Ridder hat dieses Verfahren als »Reduktion der Verfassung auf ein möglichst schmales und materiell irrelevantes Segment des Gesamtpoliticums«164 bezeichnet. Dieter Grimm spricht, vorsichtiger, von einer »Zerlegung« der Verfassung in einen normativen und einen deklaratorischen, normativ unbeachtlichen Teil.165 Und tatsächlich. Schon ein Vergleich des positiven Verfassungsgesetzes mit Forsthoffs Ideal der Verfassungsnorm zeigt: Vom juristischen Erkenntnisgegenstand, dem Grundgesetz, ließ er nur einen Torso übrig.166 Das bedeutete zugleich, wie Ingeborg Maus kritisiert hat, daß Forsthoffs spezifischer Rechtsstaatsbegriff selber die Funktion einer die einzelnen Verfassungsgesetze relativierenden »Supernorm« besaß.167 164 165 166

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H. Ridder, Epirrhosis?, in: NPL 16 (1971), 330. D. Grimm, Verfassungsfunktion und Grundgesetzreform, in: AöR 97 (1972), 497. K. Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes (1962), in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, hrsg. v. E. Forsthoff, 1968, 565; I. Maus, Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus, 21980, 73. I. Maus, Entwicklung und Funktionswandel der Theorie des bürgerlichen Rechtsstaats (1978), in: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, 1986, 52.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

Worauf dieser Rechtsstaatsbegriff das Verfassungsrecht reduzierte, waren die Grundrechte, und auch diese nur, insofern sie als Abwehrrechte bestimmte Sachbereiche mit Eingriffsverboten für den Staat belegten. Normtypologisch andere Grundrechte wie namentlich die Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG), soziale (Art. 6 Abs. 2 GG) oder sonstige Programmsätze (Art. 6 Abs. 4 und 5 GG, vgl. ausdrücklich RW II, 250) blieben dem hermeneutischen Vollzug des Verfassungsgesetzes verschlossen. Zum relevanten Verfassungskorpus zählten ferner die ohne weiteres vollziehbaren staatsorganisatorischen Regelungen, nicht hingegen – wie das Sozialstaatsprinzip – alle Arten von programmatischen Regelungen und Staatszielbestimmungen, die sich in der Bundesrepublik seit je her großer Beliebtheit erfreuten.168 Es ist sehr aufschlußreich, daß Ernst Forsthoff sich für diese Reduktion des Verfassungsbegriffs auf die Verfassungslehre Carl Schmitts berief, in der sie angeblich bereits vollzogen sei (RW II, 202 ff.; RW, 148). Forsthoff behauptete unter Berufung auf Schmitt, mit der Interpretation der Verfassung als »Gesetz« einer strukturellen Eigenart des Verfassungsrechts zu entsprechen. Der rechtsstaatlichen Verfassung sei es von je her eigentümlich gewesen, »daß sie sich auf ethische Begriffe […] nicht einläßt« (RW II, 205) und sich mit »sozialstaatlichen Präambeln, Programmsätzen und Bekenntnissen« (RW, 50) nicht gemein macht. Die Berufung auf Schmitt ging ins Leere und war für Schmitt sogar Anlaß zu einer regelrechten Zurechtweisung, wie sie sonst kaum je zwischen beiden geäußert wurde. Ernst Forsthoff hatte in seinem Aufsatz über den »introvertierten Rechtsstaat« (RW, 213 ff.) die These von der Gesetzesform der Verfassung und ihren methodischen Konsequenzen noch einmal aufgegriffen. Nachdem er Carl Schmitt das Manuskript zugänglich gemacht hatte,169 schrieb dieser ihm: »Ich fasse sie [scil: die Verfassung] nicht als Gesetz auf und unterscheide sie auch vom Verfassungsgesetz.«170 Auch von Ernst-Wolfgang Böckenförde kam alsbald deutlicher Widerspruch gegen Forsthoffs Verfassungsbegriff171 und zumal gegen die Inanspruchnahme der Verfassungslehre Schmitts.172 Forsthoff versuchte daraufhin, die Sache als »törichtes Mißverständnis« abzutun, versprach die Änderung seines Manuskriptes173 und ruderte 168

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Teils implizit, teils explizit kritische Bemerkungen über Forsthoffs Skeptizismus finden sich bereits bei U. Scheuner, Staatszielbestimmungen, in: Festschrift für Ernst Forsthoff, hrsg. v. R. Schnur, 1972, 325 ff., 346. E. Forsthoff, Der introvertierte Rechtsstaat, Ts., 1963, HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-19771. Carl Schmitt an Ernst Forsthoff, 12.8.1963, BW, Nr. 175; ähnlich Carl Schmitt an Roman Schnur, 14.8.1963, zit. n. F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 131, Anm. E.-W. Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung (1964), 21998, 17. E.-W. Böckenförde, Die Methoden der Verfassungsinterpretation (1976), in: Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, 60. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 14.8.1963, BW, Nr. 176.

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begrifflich zurück (RW, 213 f.). Das ändert nichts an der sachlichen Differenz. Schmitts Grundbegriffe waren und blieben bezogen auf den absoluten Gegensatz von Legitimität und Legalität, dadurch auf die Dialektik von materialer (positiver) Verfassung und Verfassungsgesetz. Es war überhaupt die Pointe dieser Dialektik, daß sie das Verfassungsgesetz unter einen allzeit latenten dezisionistischen Vorbehalt des Durchgriffs jener »positiven« Verfassung stellte.174 Worauf Forsthoff dagegen hinauswollte, war der von Carl Schmitt 1928 so genannte »Idealbegriff der bürgerlich-rechtsstaatlichen Verfassung«175. Das aber war nun wirklich nicht »der« Verfassungsbegriff Carl Schmitts,176 von dem Forsthoff gleichsam nur die Hälfte übernahm. Dessen Verfassungsbegriff hatte sich zwar schon immer vom Weimarer Dezisionismus Carl Schmitts unterschieden. Doch nun trat der Gegensatz erstmals offen zutage, was Horst Ehmke im einzelnen und nicht ohne Süffisanz darlegte.177 3. Verfassungsinterpretation als Gesetzesinterpretation Das gleiche Problem zeigt sich an Forsthoffs Ideal des Interpretationsverfahrens. Er behauptete zwar, als Gesetz werde »die Verfassung den für die Gesetze geltenden Regeln der Auslegung unterstellt.« (RW, 148) Doch diese Regeln waren, als Forsthoff sich auf sie berief, so kontrovers wie nie zuvor, also nicht etwa »bewährt« (RW II, 169), sondern prekär.178 Fast durchgängig betonte zumal die privatrechtliche Methodendiskussion der Nachkriegszeit die Unzulänglichkeit der deduktiven Subsumtionslogik.179 Es genügt, auf die Diskussionen zu verweisen, die durch die Arbeiten Josef Essers und Theodor Viehwegs ausgelöst wurden,180 und rasch auf die Verfassungsauslegung übergriffen.181 Hinzu kommt die Herausforderung der Rechtswissenschaft durch die

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H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, 1964, 156 ff. C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, 37 ff.; vgl. R. Mehring, Carl Schmitt und die Verfassungslehre unserer Tage, in: AöR 120 (1995), 189. H. Ridder, Schmittiana (I), in: NPL 12 (1967), 8; E.-W. Böckenförde, Die Methoden der Verfassungsinterpretation (1976), in: Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, 60; s. a. R. Mehring, Carl Schmitts Lehre von der Auflösung des Liberalismus, in: ZfP 38 (1991), 200 ff.; anders offenbar F. Günther, Denken vom Staat her, 2004, 128. H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, 45 ff. R. Dreier, Zur Problematik und Situation der Verfassungsinterpretation, in: Probleme der Verfassungsinterpretation, hrsg. v. R. Dreier/F. Schwegmann, 1976, 27 ff. Vgl. nur K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 41979, 139. J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 1956; T. Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 1953. H. Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 (1963), 54 ff.; M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967; F. Müller, Juristische Methodik, 1971, 68 ff.

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hermeneutische Bewegung in der Philosophie der sechziger Jahre nach Emilio Betti und Hans-Georg Gadamer.182 Was sollte es in diesem Zusammenhang etwa bedeuten, wenn Forsthoff dem Bundesverfassungsgericht die Vorhaltung machte, das Niveau der Rechtsprechung bestimme sich »nach der von ihr geübten Methode, und diese Methode hat eine große, im römischen Recht verwurzelte Tradition« (RW II, 254)? Was besagte der Verweis auf die »alten bewährten Regeln der juristischen Hermeneutik« (RW II, 169), die »das Kernstück der abendländischen Rechtskultur darstellen« (RW, 153)? Was ihr Ursprung in einer »zweitausendjährigen Tradition juristischen Denkens« (RW II, 190)? Was endlich die Berufung auf die angeblich unüberholbare Klassizität Savignys (RW, 148; RW II, 173, 244)? Nicht mehr im Grunde als die Erinnerung an die vier klassischen Topoi – die grammatische, logische, historische und systematische Gesetzesauslegung –, von denen es heißt, sie seien »nicht mehr und nicht weniger als das organon, das Werkzeug jedes Juristen, und sie galten auch längst, ehe Savigny sie formulierte.« (RW II, 173). Forsthoff verband sie mit Belehrungen über elementare Denkgesetze wie die lex-specialis-Regel (RW, 156). Nach alledem sollte auch die Verfassungsinterpretation nichts anderes und vor allem nicht mehr sein als die »Ermittlung der richtigen Subsumtion im Sinne des syllogistischen Schlusses« (RW, 153). Durch die strenge Beachtung der klassischen Auslegungsregeln bleibe die Verfassungsauslegung an eine doppelte Objektivität gebunden: an die des gegebenen Falles (RW II, 174) und an die des gesetzten Verfassungswortlautes. Auf diese Weise sei sie davor geschützt, »im schlechten Sinne akademisch« (RW II, 172) bzw. »im anspruchslosen Sinne« philosophisch (RW, 153) zu werden. Dieses Interpretationsideal hing auf das engste zusammen mit Forsthoffs besonderem Begriff des Rechtsstaates, von dem im vorigen Kapitel gesagt wurde, daß er auf einer starken Stilisierung institutioneller Teilbereiche der Verfassung beruhte. Die Erneuerung der klassischen Canones der Auslegung war insofern der Versuch, auch die Auslegung der Verfassung auf deren spezifischen Geltungsmodus legitimitätsloser Satzung zu verpflichten. Wenn die rechtsstaatliche Verfassung ein von normativen Begründungen emanzipiertes »technisches Gerüst des Handelns«183 sein sollte, mußte sie auch »technisch«, nämlich formal-logisch ausgelegt werden. Forsthoff hat deshalb die »exakte« Methode an anderer Stelle auch schlicht als »rechtsstaatliche Verfassungsauslegung« (RW II, 168) bezeichnet. Die »exakte« Methode vollzog einmal mehr,

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H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode (1960), Ges. W., Bd. 1, 61990; E. Betti, Teoria generale della interpretazione, 1955; dt. Die Hermeneutik als allgemeine Methodik der Geisteswissenschaften, 1972; zur juristischen Rezeption der Philosophischen Hermeneutik D. Simon, Zäsuren im Rechtsdenken, in: Zäsuren nach 1945, hrsg. v. M. Broszat, 1990, 157, 159 ff. E. Forsthoff, Diskussionsbemerkung zu ›Das Gesetz als Norm und Maßnahme‹, in: VVDStRL 15 (1957), 85.

Achtes Kapitel: Forsthoffs skeptische Verfassungstheorie

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sozusagen als Rückversicherung, die Abgrenzung der rechtsstaatlichen Formelemente von sozialstaatlichen Materialisierungen, die sich jedenfalls nicht im Wege logischer Subsumtion juristisch handhaben lassen (RW, 42 ff.). In einem Brief Forsthoffs an Schmitt heißt es deshalb: »Im Mischmasch von Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit […] sind der Phantasie, die sich als Auslegung bezeichnet, kaum noch Schranken gesetzt.«184 Das auszeichnende Merkmal der »exakten Verfassungsauslegung« war deshalb ein striktes Immanenzgebot: Auf den Rückgriff auf hinter den Verfassungsnormen stehende Legitimitätsvorstellungen mußte um jeden Preis verzichtet werden. Ging es also Forsthoff um die Anpassung der verfassungsrechtlichen Hermeneutik an das »technische Gerüst« der Verfassung, so war seine Inanspruchnahme Savignys lediglich insofern folgerichtig und wohl auch wesentlich in dieser Hinsicht gemeint, als dessen Methodenlehre die revolutionäre Entzweiung von Legalität und Legitimität noch nicht kannte.185 Abgesehen von diesem ideenpolitischen Aspekt war es nicht zwingend, daß ausgerechnet Savigny ein Gewährsmann für die Verengung der Interpretation auf »technisch exakte« Begrifflichkeiten sein sollte. Karl Larenz hat Savigny jedenfalls gleichsam gegen Forsthoff verteidigt: Gerade er stehe schließlich für die Einheit von Rechts- und Geisteswissenschaften.186 Auch Ernst-Wolfgang Böckenförde wollte Forsthoff in der Übertragung von Savignys Auslegungslehre auf die Verfassung nicht folgen. Was für den bei Savigny vorausgesetzten, inhaltlich geprägten und gebundenen Gesetzgeber richtig sei, gelte nicht für die moderne Verfassungsinterpretation.187 Ebensowenig konnte Forsthoff sich wohl mit dem Autor von Wahrheit und Methode einig wissen, obwohl er sich an entscheidender Stelle auf Gadamer berief (RW II, 174). Aus Sicht der universalen Hermeneutik Gadamers gibt es keinen rechten Ansatzpunkt für Forsthoffs Versuch, einen beachtlichen Teil des dialektischen Aneignungs- und Verstehensprozesses einfach, um der Ordnung willen, vorneweg zu suspendieren. Kein Wunder also, wenn Forsthoffs Gegner ihm nach diesem Rückzug ins Elementare das Etikett des »Pseudo-« oder »Neo-Positivisten«, des »Formalisten« oder »Pseudoformalisten« angeheftet haben,188 wie es Stimmen der Kriti-

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Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 3.3.1972, BW, Nr. 335. So schon E. Forsthoff, Zur Rechtsfindungslehre im 19. Jahrhundert, in: ZgStW 96 (1936), 58 f. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 41979, 149 f. E.-W. Böckenförde, Die Methoden der Verfassungsinterpretation (1976), in: Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, 58 ff. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 41979, 496; J. Habermas, Faktizität und Geltung, 1994, 555 f.; I. Maus, Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus, 21980, 72; dies., Aspekte des Rechtspositivismus in der entwickelten Industriegesellschaft (1972), in: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, 1986, 52.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

schen Theorie taten,189 aber auch der Kreis um Konrad Hesse190 und Arthur Kaufmann191 – ja selbst Karl Larenz192 und Ernst Rudolf Huber.193 Forsthoff konnte zumindest den Vorwurf des Positivismus zwar mit vollem Recht als eine »oberflächliche« Diskriminierung zurückweisen.194 Schließlich stand und fiel seine Lehre von der Verfassungsauslegung mit einer bestimmten inhaltlichen Qualität und logischen Struktur des Verfassungsgesetzes.195 Doch seine Position blieb in der weitverzweigten juristischen Methodendiskussion der sechziger Jahre mißverstanden. Warum? Die seinerzeit so kontrovers erörterte Frage, ob er verfassungsrechtlich eine Art Neopositivismus lehrte, ist recht besehen für das Verständnis von Forsthoffs Spätwerk ohne große Bedeutung. Von dieser Bezeichnung hängt nichts ab und sie besagt nichts. Aber es spricht in gewisser Weise für die Stimmigkeit der Analysen Forsthoffs, daß seine Kritik vielfach als Problem der Rechtsgeltung diskutiert wurde, während es ihm um die institutionellen Bedingungen der Rechtsanwendung und die Situation des Juristen ging. Die tragenden Motive dieser Kritik, von denen im letzten Kapitel zu reden ist, lagen jenseits der mit dem Begriff des Positivismus umfaßten Problematik.

189

190

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192 193

194 195

I. Maus, Aspekte des Rechtspositivismus in der entwickelten Industriegesellschaft (1972), in: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, 1986, 205 ff., 212 ff.; dies., Die Basis als Überbau oder: »Realistische Rechtstheorie« (1975), in: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, 1986, 248 f.; dies., Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus, 21980, 71 ff.; H. Ridder, Ex oblivione malum, in: Festschrift für Wolfgang Abendroth, hrsg. v. H. Maus u. a., 1968, 308. U. Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaats in Deutschland (1960), in: Staatstheorie und Staatsrecht, 1978, 218; H. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, 45 ff.; ders., Prinzipien der Verfassungsinterpretation (1963), in: Probleme der Verfassungsinterpretation, hrsg. v. R. Dreier/F. Schwegmann, 1976, 174 f: »Rückzug in das Wetterhäuschen des Positivismus«; ferner O. H. von der Gablentz, Staat und Gesellschaft, in: PVS 2 (1961), 11; R. Fischer, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, 1960, 34. A. Kaufmann, Gesetz und Recht, in: Festschrift für Erik Wolf, hrsg. v. T. Würtenberger u. a., 1962, 393. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 41979, 149. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. III, 1963, 1010 (Anm.); der Kritisierte reagierte angesichts der höchst oberflächlichen Argumentation Hubers verständlicherweise verschnupft: Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 12.1.1964, BW, Nr. 180. E. Forsthoff, Zur Problematik der Verfassungsauslegung, 1961, 9 (insoweit nicht in RW II). E.-W. Böckenförde, Die Methoden der Verfassungsinterpretation (1976), in: Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, 57.

Neuntes Kapitel »Der Jurist in der industriellen Gesellschaft« »Merkwürdiger noch: starke Staatsgefühle, wie die Zeitalter von Stein und Bismarck sie hatten, sind überall in der Abnahme begriffen, ich bemerke das auch bei den bravsten Menschen, die meisten sind inficirt von der zersetzenden Persönlichkeitsphilosophie und sehen die politische Welt als ein Schauspiel an. So gesehen kann es ja nichts unterhaltenderes geben als diese Auflösung einer politisch gesellschaftlichen Ordnung […].« (Wilhelm Dilthey an den Grafen Yorck, Mai 1897)

Der innere Zusammenhang der von Ernst Forsthoff in der Bundesrepublik erarbeiteten Verfassungstheorie erschließt sich nicht methodologisch. Das tragende Motiv jener Verfassungstheorie ist auch kein juristisches Dogma, keine theoretische Lehre, sondern eine tiefe Skepsis über die geschichtliche Stellung und den Beruf des Juristen im industriellen Sozialstaat, ja über die bleibende Bedeutung von Recht und Rechtswissenschaft überhaupt gegenüber einem sich beschleunigenden industriellen Prozeß und dem stetigen Abbau der staatlichen Ordnung. Erschließt man Forsthoffs Werk von diesen Fragestellungen her, so wird auch die Denkhaltung seiner späten Phase nachvollziehbar. Ernst Forsthoff zeigte sich am Verlauf der weitgespannten Auseinandersetzung um seine eigenen Thesen merkwürdig desinteressiert.1 Das kam nicht von ungefähr. Von

1

Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 3.2.1962, BW, Nr. 163: er sei »weit entrückt« gegenüber aller Kritik an seinen Thesen zur Verfassungsauslegung; Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 17.2.1962, BW, Nr. 164; »entschlossen […], von allen Repliken Abstand zu nehmen«, da sich »in dieser Sache jeder urteilsfähige Leser seine Meinung bilden kann, ohne dass es einer Nachhilfe von meiner Seite bedürfen würde«; Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 14.7.1962, BW, Nr. 165 berichtet von einem Freiburger Streitgespräch über Fragen der Verfassungsauslegung: »Natürlich kam nicht viel dabei heraus. […] Persönlich benahm man sich nobel und die Sache endete mit einem harmonischen Abendessen.« Ferner den Brief Forsthoffs vom 4.6.1963 (BW, Nr. 171): »Ich habe keine Absichten auf dem Gebiet des Verfassungsrechts. Die Verfassung selbst bietet keine mich nachhaltig interessierenden Probleme. Was ich zur Methode der Verfassungsauslegung zu sagen habe, habe ich gesagt.«

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

Anfang an ging es Forsthoff weniger um richtig oder falsch einer bestimmten Methodologie als um eine Demonstration der Verfallenheit des juristischen Denkens an das »Gerede« (SIG, 69) und an die »Tendenzen« und »Bestrebungen« der Zeit (RW II, 208). Die Rekurse auf »Werte« oder auch die »freiheitliche demokratische Grundordnung« waren für ihn letztlich kaum mehr als untereinander beliebig austauschbare Chiffren für »weithin labile und diffuse Züge« der Staatsrechtswissenschaft und die verweigerte Anstrengung des Begriffs schlechthin (RW II, 197). Was auch immer seine Gegner gegen Forsthoff einwenden mochten, aus seiner Sicht bestätigten sie nur seine Zeitdiagnose, die er immer wieder mit unterschiedlichen Akzentuierungen publizierte: »in welchem Grade der Abbau der Staatlichkeit bereits von der Rechtswissenschaft Besitz ergriffen hat.« (RW II, 37) Es ist unverkennbar, daß mit dieser Gleichgültigkeit gegenüber jedweder Verständigung Forsthoffs Stil und Denkhaltung in den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens weltabgewandte Züge annahmen. Alle seine bedeutenden späten Werke variieren einen identischen Grundgedanken und eine tiefe Skepsis gegenüber dem politischen Anspruch der Bundesrepublik. Es sind ganz überwiegend kräftige Polemiken gegen die westdeutsche Staatsrechtslehre und gegen das Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft, die auf diese Weise entstanden sind. Das Polemische und das Bruchstückhafte gehören allerdings nicht nur zur eigenartigen Physiognomie des Werkes, sondern machen Forsthoffs Gegenwartsanalysen, wie das letzte Kapitel zeigen soll, in ihren tragenden Motiven überhaupt erst verständlich. Dazu ist noch einmal zu fragen, worin für Forsthoff das Besondere der politischen Lage Nachkriegsdeutschlands lag (I.). Daraus erschließt sich auch, welche Bedeutung und welche Funktion seine Analysen der Industriegesellschaft und sein etwas esoterischer Begriff der »technischen Realisation« hatten (II.) und warum diese Analysen Forsthoff am Ende seines Lebens geradewegs in einen extremen Rechtspessimismus hineinführten: Je dominanter die sozialstaatlichen und technischen Strukturen wurden, umso bedeutungsloser am Ende das Recht. Dem Juristen blieb die »Realanalyse« in polemischer Absicht – und die existentielle Wiederholung eines verlorenen Ideals (III.).

I. Gestalt und Macht der »zentrifugalen Tendenzen« Für Ernst Forsthoff kam die Vorherrschaft einer materialen Verfassungstheorie in der Bundesrepublik nicht von ungefähr. Sie hing auf engste mit der einmaligen geschichtlichen Situation des deutschen Staates zusammen, mit einem grundlegend gestörten »Verhältnis von Staat und Geist« (SIG, 53). Forsthoff brachte diese Situation auf den Begriff der »staatsideologischen Unterbilanz« (RW, 224; RW II, 153).

Neuntes Kapitel: »Der Jurist in der industriellen Gesellschaft«

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1. Der Verschleiß der staatlichen Selbstdarstellung Was war damit gemeint? Die Situation der staatsideologischen Unterbilanz beruhte zunächst auf der »Diskreditierung der Staatlichkeit« durch die Revolutionen der ersten Jahrhunderthälfte. Diese Umstürze der Verfassungsordnung – 1918, 1933, 1945 – sah Forsthoff als das eigentliche Problem der staatlichen Lage an. Die Spätphase des Revolutionszeitalters habe ein politisches Denken hinterlassen, das keinen Sinn für den Staat als Institution entwickeln könne. In einem Brief an Carl Schmitt meinte Forsthoff schon 1949: »Die Technik des revolutionären Vollzugs zwingt zu einem politischen Denken, das den Staat skelettiert, das Fleisch der Hoheit, Würde, der traditional angereicherten Substanzen entfernt und nur das Machtgerippe übrigläßt. […] Ein die Revolution als legitim prinzipiell einbeziehendes politisches und staatsrechtliches Denken ist deshalb notwendig ein Plädoyer für ein menschliches Gefälle, wie es sich 1918, 1933, 1945 stufenförmig abzeichnet.«2 Insofern stand die Bundesrepublik als Staat für Forsthoff unter der Nachwirkung eines beispiellosen Verschleißes seiner institutionellen Substanz. Ähnlich haben es Arnold Gehlen3 und Rüdiger Altmann4 formuliert. In dem schon mehrfach zitierten Vortrag aus dem Jahr 1951 über »Tendenzen und Kräfte des heutigen Verfassungslebens« hat Forsthoff erstmals öffentlich auf diesen Autoritätsverfall hingewiesen und ihn als das grundsätzliche Verfassungsproblem der Bundesrepublik bezeichnet: »Wenn im Laufe eines Menschenalters dreimal das Verfassungssystem zerschlagen wird, wenn dreimal das abgetretene Wirtschaftssystem – sei es mit Recht, sei es mit Unrecht, darauf kommt es hier nicht an – als der Schuldige an allem Unheil erscheint, dann muss die Staatsautorität an sich und als solche unheilbaren Schaden erleiden. In diesem Falle befinden wir uns.«5

Auch die Bundesrepublik war aber für Forsthoff auf diese Autorität weiter angewiesen. Freiheitlich könne der Staat nur sein, wenn sein Gehorsamsanspruch aus freiwilliger sittlicher Verpflichtung des einzelnen erfüllt werde 2 3

4 5

Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 18.9.1949, BW, Nr. 26. A. Gehlen, Moral und Hypermoral, 1969, 99: »Nach dem Jahr 1933 ist die Integrität der Institution ›Das deutsche Reich‹ nicht nur verletzt, das Reich selbst ist von innen und außen her zerstört worden, sowohl von den Nationalsozialisten wie von ihren Gegnern. Folglich können sich diejenigen, die dabei aktiv mitwirkten, von dieser Folge nicht entlasten, auch wenn ihnen das Unrechtsbewußtsein fehlte oder sie sogar im Bewußtsein eines höheren, etwa humanitären Rechts handelten.« Diese Bemerkung trug ihm und seinem »Freund« Ernst Forsthoff eine gemeinsame Rüge im Spiegel ein: Weg zur Würde, in: DER SPIEGEL v. 30.9.1969, 195. R. Altmann, Die formierte Gesellschaft (1965), in: Abschied vom Staat, 1998, 61 f. E. Forsthoff, Tendenzen und Kräfte im heutigen Verfassungsleben, Vortrag vom 25.9.1951 vor dem Verband der nordrheinischen Textilindustrie, Ms., NL Forsthoff, 14; ähnlich E. Forsthoff, Die Rückkehr zum Rechtsstaat, in: Deutscher Geist zwischen gestern und morgen, hrsg. v. J. Moras/H. Paeschke, 1954, 341. Siehe zu diesem Topos bei Ernst Forsthoff auch P. Nolte, Die Ordnung der deutschen Gesellschaft, 2000, 378 f.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

(RW, 26). Dazu bedürfe er »des geistigen Fundaments und der Bestätigung in der Breite der Staatsgenossen.« (SIG, 49) Er müsse in der Lage sein, sich selbst als »geistig-sittliche« Potenz zu artikulieren – mit Hegel (Rechtsphilosophie, § 258, Zusatz) gesprochen: als das sittliche Ganze –, um die Gehorsamsleistung ethisch zu begründen.6 Forsthoff nannte diesen Vorgang die »geistige Selbstdarstellung des Staates« (SIG, 51 ff.). Gewiß hatte jeder der drei Umstürze zum Verschleiß der staatlichen Institutionen und zur Erosion der staatlichen Selbstdarstellungsfähigkeit sein Scherflein beigetragen. Doch Forsthoff wußte wohl, daß die Diskreditierung der Staatlichkeit hauptsächlich ein Werk des Nationalsozialismus war (SIG, 54). Trotzdem wies er den »Hauspostillen des intellektuellen Mittelstandes« (SIG, 54) eine Mitschuld zu, die den Staat nach 1945 weiter unter Totalitarismusverdacht gestellt und dadurch die Zerstörung des Staatsbewußtseins noch weiter vorangetrieben hätten: »Nachdem alle geistigen Gehalte des Staates im Hexenkessel des Nationalsozialismus ausgebrannt sind und alle Versuche, sie im Maße der Vernunft wiederherzustellen, als reaktionär und antidemokratisch diskriminiert und erstickt worden sind, steht der Staat nun mit leeren Händen da. […] [Er] ist außerstande, sich als eine geistig-politische Potenz zu artikulieren.« (RW II, 31)

Führt man diese Bemerkung auf ihren staatstheoretischen Gehalt zurück, so bedeutet sie folgendes: Der Staat muß, um als geistige Potenz Folgebereitschaft erlangen zu können, mehr sein als ein »Not- und Verstandesstaat« und mehr als eine Machtmaschine. Dieses Mehr kann er nur aus seiner Einbindung in eine ununterbrochene geschichtliche Entwicklung heraus sein, insofern sich in ihm das Kontinuum der sozialen, politischen und Geistesgeschichte vollzieht. Folgebereitschaft erlangt der Staat gegenüber dem einzelnen dadurch, daß er ihn in dieses geschichtliche Kontinuum hineinstellt und an ihm teilhaben läßt. Das war gut hegelianisch gedacht, und Forsthoff, der diese Begrifflichkeit ansonsten nicht pflegte, stellte bündig fest: »der Staat hat aufgehört, objektiver Geist zu sein.« (RW, 74) Das aber hieß im Zusammenhang des Hegelschen Staatsbegriffes nichts anderes als: der Staat hat aufgehört, überhaupt Staat in einem »substantiellen« Sinne zu sein.7 Nichts anderes besagt auch die doppelsinnige Überschrift des ersten Kapitels des Staates der Industriegesellschaft: »Erinnerung an den Staat«. Insofern bemerkte Hans-Dietrich Sander in seiner Besprechung des Werkes nicht zu unrecht: »Es ist völlig unbegreiflich, wie dieses Staatsbegräbnis erster Klasse in konservativen Kreisen als Traktat über die Wiedergeburt des Staates gepriesen werden kann. Wer das tut – es sind

6 7

J. Tröger, Erinnerung an den Staat, in: Studium Generale 24 (1971), 970. Am deutlichsten in dieser Richtung E. Forsthoff, Technische Realisation und politische Ordnung, in: Auf dem Weg zur hörigen Gesellschaft?, hrsg. v. O. Schatz, 1973, 191, freilich unter Hinweis nicht auf Hegel, sondern Bruno Bauer, was auf das Gleiche hinausläuft.

Neuntes Kapitel: »Der Jurist in der industriellen Gesellschaft«

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berühmte Namen darunter –, hat das Buch von Forsthoff nicht verstanden, nicht ganz gelesen oder er streut sich und anderen Sand in die Augen«8. 2. »horror vacui« und Sinnsurrogate Diese Situation eines durch permanent latente Revolutionen und totalitären Mißbrauch ruinierten und trotzdem allgemein beargwöhnten Staates war für Forsthoff die Entstehungsbedingung des materialen Verfassungsdenkens. Denn Herrschaft werde natürlich nach wie vor ausgeübt, und zwar in einem von den Zwangsläufigkeiten der Sozialstruktur her vorgegeben hohem Maße. Die Bundesrepublik bedürfe der Herrschaft eher noch mehr, weil die gesellschaftlichen Bindungskräfte erlahmt und die Menschen auf Außensteuerung angewiesen seien. Weil jedoch die Unterwerfung unter diese Herrschaft ohne die Selbstdarstellung des Staates als »geistig-politische Potenz« ihren ethischen Grund verliert, also fundamental sinnlos wird, entstehe beim einzelnen Menschen ein »horror vacui« (RW, 224). Der Mensch steht vor der ausweglosen Situation, daß er einerseits die sinnlos gewordene Herrschaft nicht mehr erträgt, daß er andererseits seinen politischen Sinnbedarf nicht bei sich selbst befriedigen kann, indem er sich auf sich selbst zurückzieht. Denn das Leben jedes einzelnen vollzieht sich »in einer Umwelt, die von Großstrukturen besetzt ist und beherrscht wird« (SIG, 159), die also von der Daseinsvorsorge bestimmt und die deswegen auf eine kollektive Befriedigung des Sinnbedürfnisses angewiesen ist. Kurz gesagt: Konservative Anarchen und Waldgänger bleiben Ausnahmeerscheinungen in der Industriegesellschaft. In dieser Lage entstehe nun innerhalb der räsonierenden, aber in ihren Daseinsformen verunsicherten Gesellschaft Panik und infolgedessen ein gewaltiges Bedürfnis nach der Wiederherstellung »werterfüllter Staatlichkeit« (RW, 218). Einfacher könnte man auch sagen: nach politischer Sinnstiftung. Da der Staat selbst aber außerstande ist, dieses Bedürfnis zu decken, komme es zur »Ersatzbefriedigung«9 des Bedarfs nach einer die sich beständig intensivierende Herrschaft rechtfertigenden Ideologie. Das einzige Kriterium des aus solcher Lage heraus geborenen »Surrogats einer Staatsideologie«, ist ihre Fähigkeit, die Panik, den »horror vacui« der entstaatlichten Lage zu bekämpfen, aus dem die surrogatäre Ideologie zugleich ihre ganze Kraft bezieht.10 8

9 10

H.-D. Sander, Grundgesetz und Industriegesellschaft, in: Neue Deutsche Hefte 137 (1973), 110. E. Forsthoff, Von der sozialen zur technischen Realisation, in: Der Staat 9 (1970), 159. In einem Brief Ernst Forsthoffs an Joachim Moras, 26.5.1960, DLA Marbach, Best. Merkur, heißt es, »daß die ab 1945 entstandene Ordnung des sozialen Ganzen auf das Überleben in einer Situation angelegt ist, die innenpolitisch zunächst durch den Nullpunkt, außenpolitisch durch den Ausschluß von der Beteiligung an ernsten Entscheidungen bestimmt ist. Das deutsche Volk hat sich damit von der Geschichte verabschiedet. Diese Verabschiedung kann nur eine solche auf Zeit sein. Eines Tages wird die Geschichte wieder ihre Ansprüche an uns stellen. Dann wird auch die Ordnung des sozialen Ganzen neue Züge annehmen – welche, vermag niemand zu sagen.«

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

Jedoch müßten alle diese innerhalb der Gesellschaft entstandenen und nicht vom Staat selbst aus seinem geistigem Vermögen hervorgebrachten Ideologien »unpolitisch und surrogatär« (RW, 224) bleiben. Zum Wesen surrogatärer Ideologien gehöre es nämlich, daß sie ihren Ursprung aus der Angst vor dem Nichts zum Tabu erklären und in einer Art heiterer Belanglosigkeit verharren müssen. Die Surrogate des Staatsbewußtseins könnten niemals in den Abgrund des »horror vacui« blicken, den zu kaschieren ihre Entstehungsbedingung war, weil sie, einmal mit diesem Äußersten konfrontiert, in sich zusammenfallen würden: »Daraus erklärt sich die Immunität [scil: der surrogatären Ideologie] gegenüber politischen, logischen und systematischen Einwänden. Sie kann sich damit begnügen, solche Einwände als interessant, dankenswert oder erwägenswert abzuwerten. Ihr unpolitischer Charakter verurteilt sie zur Problemlosigkeit. Sie kann sich mit den Problemen begnügen, die sie sich selbst stellt – und deshalb auch löst. Deshalb sind in der heutigen deutschen Staatsrechtslehre auch Polemiken, die ein Streitgespräch auslösen, so selten geworden.« (RW, 225)

Carl Schmitt hat diese – von Ernst Forsthoff wohl erstmals in einem im Rahmen des Ebracher Ferienseminars im Herbst 1959 gehaltenen Vortrag über »Tugend und Wert in der Staatslehre«11 formulierten – Einwände gegen die Wertejurisprudenz in dem bereits erwähnten Aufsatz Die Tyrannei der Werte aufgegriffen.12 Auch seine Angriffe richteten sich gegen den nicht durch die staatliche Ordnung gebundenen, surrogatären Subjektivismus des »Wertens«. In der Rede von den Werten sei, so Schmitt, der Versuch gemacht worden, die verlorene Freiheit des Menschen in einem Reich »idealer Setzungen« noch einmal zu etablieren. Der subjektive Charakter solcher Setzungen und ihre im ökonomischen Denken befangene Herkunft13 bleibe für das Denken in Werten immer bestimmend. Insofern widerspreche es dem Denken in objektiven, substanz- und gestalthaften Ordnungen.14 Werte sind relativistisch, ihr Geltungsmodus ist gleitend und entbehrt jeder Orientierung: »Die Verwandlung in

11

12

13 14

Vgl. R. Mehring, Carl Schmitt, 2009, 519 f.; siehe auch D. van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 22002, 207. Carl Schmitt pflegte die Ebracher Diskussionen stenographisch zu notieren und hat dies auch bei der Diskussion über Forsthoffs Vortrag getan (HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-19805). Der überlieferten Mitschrift ist jedoch ohne Kenntnis der Alt-Gabelsberger Stenographie nichts weiter zu entnehmen, als daß die Diskussion maßgeblich von Ernst-Wolfgang Böckenförde und Konrad Huber bestritten wurde. C. Schmitt, Die Tyrannei der Werte, Privatdruck, 1960. Dieser Erstdruck trug als Motto Forsthoffs Satz: »Der Wert hat seine eigene Logik.« (Ein Exemplar und eine große Menge ergänzenden Materials findet sich im HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-21755 Bd. I. Schmitt hat den Forsthoffschen Satz handschriftlich ergänzt: »… nämlich den Unwert.«). In der späteren Druckfassung von 1967 aus der Ebracher Festschrift für Ernst Forsthoff fehlt das Motto. C. Schmitt, Die Tyrannei der Werte (1960/67), in: Säkularisation und Utopie, 1967, 40. Ebd., 45.

Neuntes Kapitel: »Der Jurist in der industriellen Gesellschaft«

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einen Wert ist ja nichts anderes als eine Versetzung in ein System von StellenWerten. Sie ermöglicht fortwährende Umwertungen, sowohl der Wertsysteme wie auch innerhalb eines Wertsystems durch fortwährende Umstellungen in der Wert-Skala. […].«15 3. Die Verunsicherung der Rechtsordnung Das gemeinsame Manko, das Forsthoff allen aus dem Mangel an Staatsideologie geborenen, »unpolitischen, surrogatären, ideologischen Hypostasierungen« (RW, 214) anlastete, war ihr anti-institutioneller Zug, ihr fehlender Beitrag zu irgendeiner neuen Form von Ordnung, ja die durch sie noch verstärkte Erschütterung jeder bestehenden Ordnung. Damit war zunächst natürlich die gemeinkonservative Lehre gemeint, daß Gesellschaft und Verfassung noch keinen Staat machen. Damit war natürlich auch die der Liberalismuskritik von Marx16 bis Schmitt17 geläufige These gemeint, daß Staatsgesinnung nicht aus Freiheit erwächst und eine bindungslose, bloß subjektive Freiheit nichts »konstituiert«, wie Forsthoff immer wieder betont hat (RW, 66, 105, 214 f.). Seine These von der Verunsicherung der Verfassung ging indes weiter. Nach Forsthoff waren alle aus dem »horror vacui« geborenen Ersatzideologien zugleich Resultate und beschleunigende Katalysatoren des Prozesses der Auflösung der Institutionen. Das galt für Forsthoff in besonderem Maße für die Berufung auf der Verfassung zugrundeliegende »Werte«. Deshalb boten für ihn die Wertejudikatur und die geisteswissenschaftliche Methode das Paradigma einer »surrogatären« Ideologie. Der »Wert« sei als verfassungsrechtlicher Begriff ein »Faktor der Instabilität ersten Ranges« (RW II, 254). »Was soll auch ein Wertsystem zur Stabilisierung der Verfassung im juristischen Sinne beitragen in einer Zeit, der die Vertauschbarkeit der Werte so oft demonstriert worden ist, was das Naturrecht, das zu einer Chiffre werden kann, hinter der sich Vieles und Unkontrollierbares zu verbergen vermag. Mit der Legalität steht es anders.« (RW II, 164)

Indem Werte gesetzt werden, d.h. indem sie von außen, nämlich aus der Krisensituation der »staatsideologischen Unterbilanz«, an den Verfassungsrechtsstoff herangetragen werden, überträgt sich der »horror vacui«, aus dem heraus dies geschieht, auf den Staat. »Nur eine Auslegungsmethode, der die disziplinierende Ausstrahlung der Staatlichkeit fehlt, kommt in die Lage, mit der Verfassung so zu verfahren.«18

15 16 17 18

Ebd., 42. K. Marx, Zur Judenfrage (1844), in: Marx-Engels-Werke, Bd. 1, 1972, 356. C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, 200. E. Forsthoff, Zur heutigen Situation einer Verfassungslehre, in: Epirrhosis, Bd. I, hrsg. v. E. Forsthoff u. a., 1968, 211 (fehlerhaft wiedergegeben in RW II, 225).

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

Diese Überlegungen begegnen sich mit einem Gedanken Martin Heideggers, der den Hintergrund von Forsthoffs Argument deutlich erkennen läßt. »Das Denken gegen ›die Werte‹«, sagt Heidegger am Ende einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit der Wertphilosophie im Brief über den »Humanismus«, »behauptet nicht, daß alles, was man als ›Werte‹ erklärt – die ›Kultur‹, die ›Kunst‹, die ›Wissenschaft‹, die ›Menschenwürde‹, ›Welt‹ und ›Gott‹ – wertlos sei. Vielmehr gilt es endlich einzusehen, daß eben durch die Kennzeichnung von etwas als ›Wert‹ das so gewertete seiner Würde beraubt wird. Das besagt: durch die Einschätzung von etwas als Wert wird das Gewertete nur als Gegenstand für die Schätzung des Menschen zugelassen. […] Alles Werten ist, auch wo es positiv wertet, eine Subjektivierung. […] Die absonderliche Bemühung, die Objektivität der Werte zu beweisen, weiß nicht, was sie tut. […] Das Denken in Werten ist die größte Blasphemie, die sich dem Sein gegenüber denken läßt.«19 Alles Wertdenken, heißt es in Heideggers Nietzsche-Vorlesungen, ist notwendig auf die Machtsteigerung und Machterhaltung des Subjekts bezogen, das sich gegenüber den Dingen zum Wertsetzer aufschwingt und sie damit immer zugleich zerstört.20 Ernst Forsthoff hat seit dem 1963 erschienenen wichtigen Aufsatz Der introvertierte Rechtsstaat und seine Verortung immer weniger verhehlt, für was er im Grunde die materiale Verfassungstheorie der Bundesrepublik verantwortlich machte: für die kritiklose Fortsetzung der verheerenden »Verfassungsbewegungen dieses Jahrhunderts [mit] ihren Revolutionen, Umbrüchen, Bürgerkriegen und Diktaturen« (RW, 227). Im Horizont von Heideggers Diktum gesagt: Forsthoff hielt diese Verfassungstheorie und -jurisprudenz für die Fortsetzung des Zerstörungswerks einer in das Recht hineinragenden entleerten Subjektivität, die er, mit ihren »Ab- und Umwertungen«, ihrem »Hosiannah und Crucifige« und ihren »unendlichen geistigen Fluktuationen« (RW II, 224), kurz: ihrem Willen zur Macht, als innersten Kern des Totalitarismus verstand. Ganz deutlich wird das an einem Satz aus seinem Beitrag zur zweiten Festschrift für Carl Schmitt, mit dem Forsthoff endgültig zur unverblümten Polemik überging: »Hätte der Nationalsozialismus 1933 die Grundrechte als Werte vorgefunden, dann hätte er sie nicht abzuschaffen brauchen.« (RW II, 207; ähnlich RW II, 163) Eine Staatsrechtslehre wie die in der Bundesrepublik herrschende, die ihre wesentlichen Kategorien aus »ethisch aufgeladenen, pausbäckigen Begriffen« (RW II, 211) entnehme, sei überhaupt nur zu erklären als Folge der »jahrzehntelange[n] Abwertung des Formalen und [der] damit entstandene[n] Unfähigkeit, formale Strukturen in ihrer handgreiflichen, praktischen Bedeutung zu würdigen« (RW, 8). Mit den dem Wertverständnis imma-

19

20

M. Heidegger, Brief über den »Humanismus« (1947), in: Ges.-Ausg., I. Abt., Bd. 9, 1976, 349; ähnlich: ders., Nietzsches Wort »Gott ist tot« (1943), in: Ges.-Ausg., I. Abt., Bd. 5, 22003, 258 f., 260. M. Heidegger, Nietzsche II (1961), 72008, 87 ff.

Neuntes Kapitel: »Der Jurist in der industriellen Gesellschaft«

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nenten »manipulatorischen Möglichkeiten des Auf-, Ab- und Umwertens« (RW II, 207) ließen sich die Grundrechte auch zum Vehikel jedes beliebigen Machtanspruches umbiegen, einschließlich eines extremen Kollektivismus. Als Wert verstanden, könne etwa auch die Garantie der Menschenwürde »umgewertet« werden zur Pflicht aufopferungsvoller Hingabe an den Staat. Da die Verfassungsrechtsprechung das Bewußtsein für die formalen Tugenden, die »Technizität« des Rechts verloren habe, erreiche sie stets das genaue Gegenteil des Freiheitsschutzes, den sie sich auf die Fahnen schreibe. Denn sie sei außerstande, die notwendigen objektiven institutionellen Bindungen der Freiheit zu bedenken. Forsthoff hielt deshalb die unter dem Grundgesetz üblich gewordene extensive Grundrechtsauslegung ebenfalls für eine »Reflexwirkung« der staatsideologischen Unterbilanz (RW II, 160). Ein geistig entleertes Rechtsbewußtsein könne sich von einer sinnvollen Ordnung schließlich keine andere Vorstellung mehr machen als die immer weitere Ausdehnung des Grundrechtsschutzes auf alle gesellschaftlichen Beziehungen und die Intensivierung des gerichtlichen Individualrechtsschutzes (RW, 189). Dadurch entstehe aber nicht ein höherer Freiheitsschutz, sondern das genaue Gegenteil: »Wohlmeinende, ethisch hochgreifende, aber juristisch wolkige Begriffe, an denen es im Grundrechtsteil des Grundgesetzes nicht fehlt, erweitern den Grundrechtsschutz nicht nur nicht, sondern sind ihm abträglich, weil sie ihn verunsichern.« (SIG, 152) Jede normative Erweiterung der Grundrechtsgeltung und des Grundrechtsschutzes bewirke zwangsläufig eine Verringerung der formellen Gesetzesbindung und überhaupt der institutionellen Formen, insofern sich so für jeden Rechtsanwender die Möglichkeit ergebe, sich gegenüber dem formalen Gesetzesrecht auf höherrangiges, notwendig aber unformales Verfassungsrecht zu berufen. Die normative Überordnung »juristisch wolkiger« Begriffe spiele neben der Justiz vor allem der Verwaltung in den Hände, die sich nun durch die Berufung auf höchstrangige Verfassungsgehalte von ihrer Gesetzesbindung befreien kann und – List der Unvernunft! – als die eigentliche Gewinnerin dasteht.21

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»Art. I Abs. 3 GG verwandelt einen großen Teil der zwischen Staat und Einzelnem denkbaren Streitigkeiten in Streitigkeiten über die Auslegung der Verfassung. Sie hebt das Verhältnis von Legislative und Exekutive aus den Angeln, indem sie die Exekutive in die Stelle der Legislative einweist, wo diese ihres Amtes noch nicht gewaltet hat. […] So hat Art. I Abs. 3 GG notwendig eine Verstärkung der Selbständigkeit und Macht der Verwaltung zur Folge […]. Man darf wohl bezweifeln, daß die Urheber des Grundgesetzes diese Wirkung […] in ihrer vollen Tragweite bedacht haben. Die Absicht des Satzes: den Grundrechtsschutz mit höchster Wirksamkeit auszustatten, droht in ihr Gegenteil umzuschlagen.« (RW, 41)

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II. Von »Futurologen, Systemträumern und witternden Hasen« War der geschichtliche Nullpunkt des Jahres 1945 für Ernst Forsthoff auch die Geburtsstunde der Bundesrepublik als ein durch labile Subjektivismen ersetzter Nicht-Staat, so war für ihn damit die Analyse der deutschen Zustände noch keineswegs abgeschlossen. Mit wachsender Faszination beobachtete Forsthoff nämlich, daß sich aus dem »machtpolitischen Leerraum«22 – sozusagen im Sog des geistigen Nullpunktes – eine völlig neuartige Form von sozialer und politischer Ordnung entwickelte, die seine eigene Überzeugungen der Nachkriegsjahre Lügen strafte, ohne feste staatliche Institutionen könne es überhaupt keine stabile Ordnung geben. Die westdeutsche Industriegesellschaft war für Forsthoff eine erstaunliche Sache. In einer paranormalen Situation und nach einem restlosen Institutionenverschleiß hatte sie sich gleichwohl zu einer bemerkenswerten Stabilität gemausert. Die Selbstorganisationskräfte der im Wirtschaftswunder entstandenen Industriegesellschaft waren für Forsthoff zugleich ein Rätsel und eine große theoretische Herausforderung. Vom Erstaunen über eine scheinbar paradoxe Entwicklung zeugt es, wenn er Anfang der siebziger Jahre im Rückblick auf das Jahr 1949 feststelle, damals seien »[w]ie in einer Vorahnung […] die Grundlagen des Staates der modernen Industriegesellschaft geschaffen« worden (SIG, 106). 1. Zum Begriff der »Industriegesellschaft« Forsthoff hat das, was er die Industriegesellschaft nannte, nie definiert. Bedenkt man, wie allgemein und wie unspezifisch dieser auf Henri de SaintSimon zurückgehende23 Begriff in der Nachkriegszeit zur Bezeichnung der erreichten Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung gebraucht wurde,24 ist das auch nicht weiter erstaunlich. Arnold Gehlen machte den Begriff seit seinen 1949 erschienenen Sozialpsychologischen Problemen in der industriellen Gesellschaft zu einem Schlüsselkonzept seiner Soziologie,25 ebenso wie Hans

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E. Forsthoff, Von der sozialen zur technischen Realisation, in: Der Staat 9 (1970), 157. H. Klages, Art. »Gesellschaft, industrielle«, in: Hist. Wb. d. Philos., Bd. 3, 1974, Sp. 475; L. Hölscher, Art. »Industrie«, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, hrsg. v. O. Brunner u. a., 1982, 289. Gegen den unspezifischen Gebrauch eines »Modells« der industriellen Gesellschaft bereits R. Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, 1965, 55 ff., der freilich den Begriff selbst sehr an zentraler Stelle gebrauchte: R. Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, 1957. A. Gehlen, Einblicke, Ges.-Ausg., Bd. 7, 1978.

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Freyer.26 Es handelte sich auch nicht um ein deutsches Phänomen: Raymond Aron sprach in seinen berühmten Vorlesungen von der »société industrielle«27 und gab dadurch, wie Ralf Dahrendorf in der Rückschau festgehalten hat, dem Begriff »Substanz und Dignität«.28 John Kenneth Galbraiths Werk The new industrial state, eine Analyse der Konvergenz von Staat und Industriesystem erschien auf deutsch unter dem Titel: Die moderne Industriegesellschaft.29 Ebensowenig war der Begriff ideologisch auf einen bestimmten Teil des politischen Spektrums begrenzt. Auch Neomarxisten konnten ihn eine zeitlang gebrauchen,30 jedenfalls bis Theodor W. Adorno ihn 1969 auf dem Deutschen Soziologentag als einen Begriff verwarf, der die wahren Herrschaftsverhältnisse hinter technologischen Mythen verschleiere, und statt dessen – wie auch Habermas – vom »Spätkapitalismus« sprach.31 Die komplexe Begriffsgeschichte32 macht es schlechthin unmöglich, Forsthoffs spezifischen Begriff der Industriegesellschaft und seine Problematik hier erschöpfend zu erörtern. Die Bedeutung des Konzeptes kann im folgenden nur insoweit skizziert werden, als dies erforderlich ist, um die Veränderung des juristischen Blickwinkels zu verstehen, die sich bei Forsthoff aus der Funktionsweise der Industriegesellschaft ergab. Näher einzugehen ist ansonsten lediglich auf Arnold Gehlens Analyse der westdeutschen Industriegesellschaft. Die Abhängigkeit Forsthoffs von Gehlen ist in diesen Fragen ganz beträchtlich, und auch umgekehrt gibt es einen spürbaren Einfluß. Forsthoff selbst hat einmal bemerkt, er arbeite mit Gehlen »seit einiger Zeit, natürlich ganz unverabredet, parallel.«33 Die wesentlichen Stationen von Ernst Forsthoffs Analyse und Kritik des bundesdeutschen Staates der Industriegesellschaft sind die im Merkur erschienenen Essays »Die Bundesrepublik Deutschland – Umrisse einer Realanalyse« (1960)34 und »Verfassung und Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik« 26

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H. Freyer, Entwicklungstendenzen und Probleme der modernen Industriegesellschaft, in: Die Industriegesellschaft in Ost und West, o. J. [1966], 9 ff.; ders., Gedanken zur Industriegesellschaft, 1970. R. Aron, Dix-huit leçons sur la société industrielle, 1962. R. Dahrendorf, Über Grenzen, 2002, 178. J. K. Galbraith, The new industrial state, 1967. H. Marcuse, Der eindimensionale Mensch, 1967. T. W. Adorno, Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft? (1969), in: Ges. Schr., Bd. 8, 1972, 354 ff. Adorno hatte insbesondere Arnold Gehlens Begriff der industriellen Gesellschaft im Auge. Vgl. dazu aus jüngerer Zeit G. Metzler, Konzeptionen politischen Handelns von Adenauer bis Brandt, 2005; P. Nolte, Die Ordnung der deutschen Gesellschaft, 2000, Teil IV. Ernst Forsthoff an Hans Paeschke, 2.5.1960, DLA Marbach, Bestand Merkur. Forsthoff maß diesem Aufsatz den Rang einer sehr grundsätzlichen Positionierung zu den Verhältnissen der Bundesrepublik bei. In einem Brief von Forsthoff an Joachim Moras, den Mitherausgeber des Merkurs, vom 17.6.1960 (Best. Merkur, DLA Marbach) heißt es: »Der Aufsatz ist das Resumé mehrjähriger Studien, die ich fortlaufend mit meinem Privatseminar durchgeführt habe. Ich rechne auf Widerspruch vor allem im Hinblick auf

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(1968). Zusammen mit dem erstmals 1969 in der Festgabe für Hans Barion publizierten Aufsatz »Von der sozialen zur technischen Realisation«35 bilden diese Texte die Vorstufen zu jenem zusammenfassenden Abgesang auf den westdeutschen Staat, den er 1971 unter dem Titel Der Staat der Industriegesellschaft veröffentlichte. Forsthoffs letzte Monographie erschien in einer beachtlich hohen Auflage in der »Beck’schen Schwarzen Reihe«, die gleichsam die politische Gegenveranstaltung zur Frankfurter »edition suhrkamp« darstellte. Das kommt auch im Inhalt der Schrift zum Ausdruck. Sie ist vielleicht deswegen in jeder Hinsicht ein merkwürdiges Zwischending: zwischen gelehrten staatstheoretischen Erörterungen und Pointen von durchaus journalistischem Niveau, zwischen einer Summe, in der noch einmal alle Hauptmotive eines Lebenswerks versammelt sind, und einer Kampfschrift gegen »Ideologen und Terroristen« in der deutschen Innenpolitik der frühen siebziger Jahre.36 Wer damit gemeint war, verstand sie jedenfalls so. Wegen eines großen Gutachtens, das er im Frühjahr 1968 dem Axel-Springer-Verlag erstattet hatte,37 hatte gerade Ernst Forsthoff

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die Methode, die ich die realanalytische genannt habe. Man macht sich mit ihr allein schon bei manchen verdächtig, die dann mit dem Stigma ›zersetzend‹ schnell bei der Hand sind. Ich bin darauf gefaßt, obgleich ich mir einbilde, die List der Idee zu bewundern, die eine derart maßgerecht den Umständen angepaßte Ordnung hervorbrachte, die ich nicht kritisiere, sondern lediglich in ihren Grenzen darstelle. Der intelligente Leser wird natürlich bemerken, daß ich an die Wiedervereinigung als einen Gegenstand intendierter und wirksamer bundesrepublikanischer Politik nicht glaube, aber das ist ja eigentlich nichts Neues. Andere haben es mit den westlichen Bindungen Adenauers begründet. Für mich folgt es aus der Struktur unseres sozialen Ganzen, die außenpolitische Belastungen nicht verträgt. Man kann nicht auf allen Hochzeiten tanzen und alles zugleich haben. Aller Einwendungen gegen den Epikureismus des Wirtschaftswunders unerachtet, halte ich die gegenwärtige Ordnung für einen durchaus unverächtlichen Modus des Überdauerns. Ich bin nun selbst einigermaßen gespannt darauf, wie der Aufsatz beim Leser ›ankommen‹ wird und auf die von Ihnen angekündigte ›leidenschaftliche Erwiderung‹ gefaßt.« E. Forsthoff, Von der sozialen zur technischen Realisation, in: Eunomia (Freundesgabe für Hans Barion zum 16. Dezember 1969), Privatdruck, 1969, 23 ff.; ders., Von der sozialen zur technischen Realisation, in: Der Staat 9 (1970), 145 ff. Der Aufsatz war ursprünglich als Auftragsarbeit für den Merkur geschrieben, die Herausgeber lehnten ihn dann aber wegen inhaltlicher Schwächen ab (Hans Paeschke an Ernst Forsthoff, 10.11.1969, DLA Marbach, Best. Merkur). Daraufhin kam es zum Bruch der aus den dreißiger Jahren stammenden Verbindung Forsthoffs zu Paeschke und Joachim Moras: Ernst Forsthoff an Armin Mohler, 4.12.1971, DLA Marbach, NL Mohler: »Ich habe [Paeschke] natürlich nicht mehr geantwortet. […] P. ist im Grunde ein armer Teufel, der in der ständigen Angst lebt, in der Herausgeberschaft links überholt zu werden.« H.-D. Sander, Grundgesetz und Industriegesellschaft, in: Neue Deutsche Hefte 137 (1973), 110. E. Forsthoff, Pressekonzentration und Pressefreiheit. Rechtsgutachten für das Verlagshaus Axel Springer (Berlin-Hamburg), datiert: März 1968, Ms., 90 S., HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-19776. Der wesentliche Inhalt des Gutachtens wurde veröffentlicht in E. Forsthoff, Der Verfassungsschutz der Zeitungspresse, 1969.

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ohnehin schon eine denkbar schlechte Presse bei den Feinden Springers38 und rechnete deswegen »mit heftigen Reaktionen.«39 Die kritischen Besprechungen, die Forsthoffs Schrift als »Fundgrube« für das Gesellschaftsbild der »Rechtsradikalen« und Streitschrift für den Staat als »Garanten der kapitalistischen Gesellschaftsordnung« entlarvten, folgten der Publikation auf dem Fuße.40 Anderen wiederum erschien das Buch als eine Verteidigung der Bundesrepublik gegen die Studenten; Hans-Dietrich Sander empfand einen »loyalen Zug«41 und hielt Forsthoff »Anpassung« vor.42 Auch Arnold Gehlen propagierte sie in seiner von sich aus angebotenen,43 mit Forsthoff abgesprochenen und vorab aus den Druckfahnen erarbeiteten Besprechung in der Welt vor allem im Sinne einer Kampfschrift und meinte, Forsthoff habe nicht weniger als eine Ermahnung an den Staat im »Zeitalter der Kraftproben« geschrieben, das mit den Studentenprotesten begonnen habe. »Die Resultate […] dürften den Futurologen, Systemträumern und den witternden Hasen, die die Löffel nach vorn nehmen, wenig gefallen.«44 Die früheste Beschreibung einer neuen Konstellation von Staat und industrieller Gesellschaft findet sich jedoch in dem im Herbst 1955 vor der evangelischen Akademie Baden gehaltenen Vortrag »Das politische Problem der Autorität«. Nahezu gleichzeitig hielt Arnold Gehlen an der Speyerer Hochschule für Verwaltungswissenschaften und bei einer staatswissenschaftlichen Fortbildung in Bad Wildungen zwei Vorträge über politische Probleme der Industriegesellschaft.45 Forsthoff hat den ersten dieser Vorträge selbst gehört und mit Verwunderung die Parallelität der Überlegungen registriert.46 Die ana-

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Scheibe ab, in: DER SPIEGEL v. 20.5.1968, 66; G. Härdle, Ernst Forsthoff, in: Rote Robe 1971, 140 ff. Ernst Forsthoff an Hans-Dietrich Sander, 7.1.1971, Sammlung Sander. Eine besonders gehässige Besprechung ist H.-D. Bamberg, Zu Ernst Forsthoffs Staat der Industriegesellschaft, in: Demokratie und Recht 1 (1973), 65 ff.; ferner R. Saage, Konservatismus und Faschismus, in: PVS 19 (1978), 263 f.; J. Seifert, Buchbesprechung, in: KJ 1972, 120 ff. H.-D. Sander, Grundgesetz und Industriegesellschaft, in: Neue Deutsche Hefte 137 (1973), 108. Hans-Dietrich Sander an Carl Schmitt, 4.11.1975, in: C. Schmitt/H.-D. Sander, WerkstattDiscorsi, 2009, Nr. 293. Arnold Gehlen an Ernst Forsthoff, 9.1.1971, NL Forsthoff. A. Gehlen, Wie stark darf der Staat sein?, in: Die Welt (Beilage »Die geistige Welt«) v. 27.2.1971, III. Zur Abstimmung der Rezension existieren verschiedene Briefe: Arnold Gehlen an Ernst Forsthoff, 9.1.1971, 4.2.1971, NL Forsthoff; Ernst Forsthoff an Arnold Gehlen, 11.1.1971, 23.2.1971 und 2.3.1971, NL Gehlen. A. Gehlen, Soziologische Voraussetzungen im gegenwärtigen Staat (1956), in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, hrsg. v. E. Forsthoff, 1968, 320 ff.; ders., Zur Problematik des Sozialstaates, in: 11. Hessische Hochschulwochen, 1956, 51 ff. Ernst Forsthoff an Arnold Gehlen, 8.2.1957, NL Gehlen. Das vermutlich erste Zusammentreffen Forsthoffs und Gehlen nach dem Krieg fand im Rahmen des 11. Staatswissenschaftlichen Fortbildungskurses der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

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lytische Kongruenz der beiden Vorträge ist in der Tat frappant, doch auch Arnold Gehlen hat später betont, die Ähnlichkeit beruhe nicht auf Verabredung oder gemeinsamer Arbeit. Umso mehr sei freilich »die Übereinstimmung […] beiden Autoren ein willkommener Beweis der Richtigkeit und Aktualität ihrer Ansichten« gewesen.47 Forsthoff ging in diesem Vortrag von der bereits der Verwaltung als Leistungsträger zugrundeliegenden Überlegung aus, daß die arbeitsteilige Gesellschaft die Bedingungen staatlicher Autoritätsbildung und -ausübung von Grund auf verändert habe (RW, 100). Je mehr der »industriell-technische Prozeß« die Arbeitsteilung vorantreibe, umso mehr bildeten sich innerhalb des sozialen Ganzen partielle Funktionsbereiche heraus – Gehlen sagte: »autonome soziale Fronten«, Luhmann später etwas milder, aber das gleiche meinend: »Teilsysteme« –, denen wiederum bestimmte soziale Gruppen entsprächen. Die so entstehenden Funktionsbereiche seien gegenüber der Gesellschaft als ganzer in wachsendem Maße autonom. Die gesellschaftliche Differenzierung sei folglich in der Industriegesellschaft nicht mehr hierarchischer, sondern funktioneller Natur. Mit dieser fortschreitenden Ersetzung von Hierarchie durch Funktionen werde allerdings die Autorität der staatlichen Herrschaft über die Gesellschaft zu einer problematischen Größe: »[Es] gibt keine Autorität der Buchhalter, der Fräser, der Schlosser, der Chauffeure, der Fleischbeschauer, da es sich hier um partielle Funktionen handelt, in denen die Ganzheit des Menschen nicht in Erscheinung tritt. Deshalb tritt in dem Maße, in dem die Welt arbeitsteilig wird, ein Schwund der Autorität ein« (RW, 101).48 Die Bewegungsgesetze der Industriegesellschaft trügen also mit der Zeit von selbst zum Abbau der Autorität einer zentralen staatlichen Herrschaftsinstanz bei. Daraus folgte für Forsthoff jedoch keineswegs, daß innerhalb der industriellen Gesellschaft in Ermangelung einer zentralen Instanz Chaos ausbrechen müßte. Die arbeitsteilige Gesellschaft bilde nämlich parallel zum staatlichen Autoritätsschwund »eigene Gesetze der Konsistenz« (RW, 101) aus, die nicht mehr wesentlich von der Ordnungsmacht des Staates getragen sind, sondern von der Bewegung der industriellen Gesellschaft selbst. Diese Gesetze der Konsistenz gruppierte Forsthoff um das Phänomen der sozialstaatlichen »Verteilung«, die infolgedessen zum deskriptiven Grundbegriff der industriegesellschaftlichen Verfassung avancierte: »[Der] Verteilungsvorgang steckt […] in

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statt, bei dem am 21.10.1950 Forsthoff und Gehlen unmittelbar hintereinander vortrugen; Gehlen über »Probleme der Personalauslese« und Forsthoff über »Daseinsvorsorge als Aufgabe der Sozialgestaltung in Staat und Gemeinde«. Das Programm und Forsthoffs Vortragsmanuskript sind in seinem Nachlaß erhalten. A. Gehlen, Studien zur Anthropologie und Soziologie, 1963, 344. Ganz ähnlich A. Gehlen, Industrielle Gesellschaft und Staat (1956), in: Ges.-Ausg., Bd. 7, 1978, 118: Es gebe innerhalb funktional spezialisierter Sozialbereiche nur noch eine »Anweisungsbefugnis«. »Dies als Herrschaft zu bezeichnen, wäre dann übertrieben, wenn man unter diesem Wort doch irgendwie eine existentielle Inpflichtnahme des Menschen zu denken hat.«

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allem, was dieser Staat macht, […] unser ganzes Gemeinwesen […] ist bis in die Einzelheiten hinein durchzogen von diesem Gedanken und Prinzip der Verteilung.« (RW, 103) Die Industriegesellschaft und Staat überwölbende Verteilungsordnung bilde mit der Zeit eine intensive funktionelle Verzahnung aus, gleichsam Querverstrebungen und Loyalitäten zwischen den einzelnen Verteilungsfunktionen, wobei die Schlüsselfunktionen bei den Großverbänden der Gewerkschaften und Arbeitsgebervertretungen liegen, die die größte Macht zur Einwirkung auf das Budget haben. Forsthoff und Gehlen befürchteten deshalb in wachsendem Maße die Machtergreifung der Gewerkschaften, den »Gewerkschaftsstaat«.49 Diskussionsprägend geworden sind diese Thesen durch Rüdiger Altmann und seinen Essay über die »formierte Gesellschaft«. Altmann sah in den Konflikten innerhalb der Industriegesellschaft deshalb etwas völlig Neues, weil sie nie auf eine Entscheidung, sondern von vornherein auf einen quantitativen Ausgleich abzielten.50 So werde der Haushaltsplan das eigentliche Zentrum, das »Logbuch der formierten Gesellschaft«. Auch werde die Gesellschaft nicht mehr durch »soziale Konflikte alten Stils« gefährdet, »sondern durch das funktionslose Wuchern der organisierten Interessen. Einige der großen Verbände […] gleichen bereits Sauriern, die sich hilfsweise von ihren eigenen Fäkalien ernähern müssen.«51 Die Bundesrepublik gleiche »einem kastrierten Kater, der an Umfang zunimmt – was ihm fehlt, ist die Potenz.«52 Forsthoff benutzte zwar weniger drastische Bilder, zog aber die gleiche Konsequenz: Das Gesamtsystem der Industriegesellschaft sei inzwischen geradezu statisch geworden: »Es ist wie ein Fahrplan, aus dem Sie nicht eine Hauptverbindung herauslösen können, ohne daß alle Nebenanschlüsse nicht mehr funktionieren. Die Folge ist die Immobilisierung unserer Daseinsverhältnisse, die Immobilisierung unserer Innenpolitik schlechthin.« (RW, 103 f.; ähnlich SIG, 99) Prägnant heißt es bei Gehlen: »In der modernen Gesellschaft ist alles von allem abhängig«53. Die staatssoziologische Pointe dieses immobil gewordenen sozialen Ganzen bestand für Forsthoff und Gehlen nun in seinem veränderten Verhältnis zu den noch verbliebenen »Rudimente[n] echter Herr-

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Dazu etwa Arnold Gehlen in einem Brief an Ernst Forsthoff vom 5.2.1974 (NL Forsthoff): »Hier wie in England scheint mit in der Tat eine Revolution am Laufen zu sein, die man in dieser Form nicht erwartet hatte: der Gewerkschaftsstaat. Eines Tages werden wir die Marine-Gewerkschaft haben, die Pfarrer-Gewerkschaft Sektor EKD usw. Niemand hat diese Entwicklung, gerade Folge der Daseinsvorsorge, eher gesehen als Sie.« Siehe auch E. Forsthoff, Sind die Gewerkschaften jetzt verfassungsfeindlich?, in: Die Welt (Beilage »Die geistige Welt«) v. 30.12.1972, V. R. Altmann, Die formierte Gesellschaft (1965), in: Abschied vom Staat, 1998, 69 f. Ebd., 62. R. Altmann, Späte Nachricht vom Staat (1967), in: Abschied vom Staat, 1998, 72. A. Gehlen, Soziologische Voraussetzungen im gegenwärtigen Staat (1956), in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, hrsg. v. E. Forsthoff, 1968, 321; ebenso E. Forsthoff, Technischer Prozeß und politische Ordnung, in: Studium Generale 27 (1969), 855.

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schaft«54. Dieses Verhältnis hielt Forsthoff für schlicht »präzedenzlos« (RW II, 90). Es sei auf Autorität im hergebrachten Sinne nicht nur nicht mehr existentiell angewiesen, ja es lasse die Ausübung von politischer Herrschaft durch eine zentrale Instanz überhaupt nicht mehr zu, weil sie von den Funktionsgesetzlichkeiten als »Störungsfaktor« empfunden werde (RW, 101). Auf der Basis dieser Vorstellung hat Niklas Luhmann einige Zeit später den Staat überhaupt zu einem bloßen Subsystem der Gesellschaft erklärt: die Differenziertheit und Komplexität der modernen Gesellschaft lasse die Vorstellung ihrer hierarchischen Steuerung nicht mehr zu; wo sie versucht werde, erzeuge sie Dysfunktionalitäten.55 Gehlen erklärte sich mit der Unverträglichkeit der Industriegesellschaft gegen eine zentralistische Steuerung auch die sozialpsychologische Neigung, direkte Herrschaft überhaupt moralisch zu perhorreszieren,56 und sprach von einer geradezu systemischen »Patt-Stellung«.57 Insbesondere schließe die Struktur der Industriegesellschaft alle grundsätzlichen Reformen und Kursänderungen aus. Möglich seien, wie auch Forsthoff meinte, allenfalls Detailkorrekturen: »Die betonierte Wirklichkeit unserer Daseinsverhältnisse verleiht allen Vorschlägen grundsätzlicher Reformen einen Anflug von Donquichoterie. […] Wer dieser immobilisierten Daseinsordnung künstlicher Art […] mit dem Anspruch gegenübertritt, hier wirklich zu herrschen, hier wirklich etwas von Grund auf zu verändern, kann nur als störender Staats- und Sozialfeind empfunden werden.« (RW, 108) Das durchrationalisierte Ganze sei nämlich von solcher Empfindlichkeit, daß »die Marge der vertretbaren politischen Risiken drastisch eingeengt« (SIG, 79) sei. Infolgedessen nähmen die noch zu treffenden Entscheidungen mehr und mehr technokratischen Charakter an. Die Politik werde im allgemeinen »notwendig zur Sache des Fachwissens« (SIG, 19), auch die parlamentarische Arbeit verlange »nicht mehr den Überzeugungspolitiker, sondern den Experten« (SIG, 97). Im administrativen Vollzug würden technische Probleme vorrangig; ja, schon erkannte Forsthoff Vorboten einer durch »Elektronenhirne«, »Automation« und »Schaltstellen« ersetzen Verwaltung (RW, 128). Der innerhalb der unveränderlich gewordenen Verteilungsordnung gefaßte Beschluß sei oft nicht mehr als »die sachverständig zu ermittelnde Resultante einer Kombination komplexer Fakten« (RW II, 79). Alle wesentlichen staatlichen Funktionen seien »dem Beurteilungsvermögen des Wahlbürgers entrückt« (SIG, 103) Diese 1964 in einem Berliner Vortrag über die Strukturwandlungen der modernen Demokratie getroffene Feststellung griff zurück auf Helmut Schelskys einflußreiche These von der allgemeinen Verwissenschaftlichung der Poli-

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A. Gehlen, Soziologische Voraussetzungen im gegenwärtigen Staat (1956), in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, hrsg. v. E. Forsthoff, 1968, 325. N. Luhmann, Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, 1981. A. Gehlen, Soziologische Voraussetzungen im gegenwärtigen Staat (1956), in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, hrsg. v. E. Forsthoff, 1968, 325. Ebd., 339.

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tik und dem Substanzverlust der Demokratie. Der Staat der von Technik und Wissenschaft beherrschten Zivilisation, meinte Schelsky 1961, sei im Begriff, ein »universaler technischer Körper« zu werden, in dessen Inneren nicht mehr die demokratisch zu fällende Entscheidung, sondern die anonymen Gesetze des »Sachzwangs« herrschten.58 Sicher trauten Forsthoff und Gehlen dem technokratischen Frieden weniger als Schelsky, aber seiner Beurteilung der Lage stimmten sie zu.59 Die ideologischen Fronten der politischen Auseinandersetzung verschwänden (RW, 202), wie auch die sozialen Unterschiede an politischem Gewicht verlieren würden. »Die Emotionalität, die utopische Verve, die ideologische Aufladung des Politischen nimmt zur Zeit ab, die Reserven an Enthusiasmus sind erschöpft, die Arenastimmung der Wahlen ist vorbei.«60 Der Staat wird »eine Sache des Fachmanns«, der Staatsbürger verwandelt sich »aus einem Bürger in einen Laien«.61 Gehlen prognostizierte 1956: »Die Entwicklung führt offenbar in die Richtung einer pluralistischen stationären Subventionsordnung der Gesamtgesellschaft, deren vorwärtstreibende Kräfte in der steigenden Produktivität der Wirtschaft liegen, eine Ordnung, die im prägnanten Sinne herrschaftsarm wäre und in der die Gleichheit auch im Sinne der Nivellierung der Einkommen zügig unterwegs ist. Das wäre eine rational gestaltete, unter dem Vorrang von Verteilungsfragen bei steigendem Sozialprodukt stehende herrschaftsarme, die staatliche Initiative minimisierende Arbeitswelt.«62

Das bedeutete natürlich durchaus nicht, daß Herrschaft gegen den einzelnen nicht mehr ausgeübt wird. Allerdings würden die wesentlichen Herrschaftsleistungen nunmehr innerhalb der Industriegesellschaft, nicht von einer übergeordneten Instanz erbracht. Die industriegesellschaftlichen Akteure hätten, so meinte Forsthoff, den Wegfall der staatlichen Autorität durch die Ausbildung immenser Fähigkeiten zur Selbstdisziplinierung und Selbstorganisation kompensiert und würden dies noch weiter tun. Die Industriegesellschaft entwickele einen gewaltigen Anpassungsdruck und sei in der Lage, jeden einzelnen zu »Adaption, Disziplin und Solidarität« 63 zu zwingen, der nicht in der Asozialität enden will (RW II, 30). Auf diese Weise entstehe also eine Ordnung, die »sich die klassische Staatlichkeit nicht einmal mehr vorstellen kann – und auch nicht mehr vorzustellen braucht.«64 58

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H. Schelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation (1961), in: Auf der Suche nach Wirklichkeit, 1979, 467 f. H. Firsching, Am Ausgang der Epoche der Staatlichkeit?, in: Metamorphosen des Politischen, hrsg. v. A. Göbel u. a., 1995, 216 f. A. Gehlen, Soziologische Voraussetzungen im gegenwärtigen Staat (1956), in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, hrsg. v. E. Forsthoff, 1968, 337. E. Forsthoff, Stadt und Bürger in der modernen Industriegesellschaft, 1965, 20. A. Gehlen, Soziologische Voraussetzungen im gegenwärtigen Staat (1956), in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, hrsg. v. E. Forsthoff, 1968, 329. E. Forsthoff, Von der sozialen zur technischen Realisation, in: Der Staat 9 (1970), 154. F. Balke, Der Staat nach seinem Ende, 1996, 378.

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Allerdings führe ihr prekäres Verhältnis zur staatlichen Herrschaft die industrielle Gesellschaft in eine konstitutionelle Paradoxie hinein. Ihre selbstbezügliche Logik basierte, wie Forsthoff und Gehlen auch mitten im »Wirtschaftswunder« immer wieder betonten, auf der Verdrängung des Ernstfalles, auf der Ausblendung der Möglichkeit, daß die Industriegesellschaft ihre Existenzgrundlage: Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum eines Tages nicht mehr erzeugt (RW, 107).65 Auch im Grundgesetz sei »der Ernstfall ausgeklammert, und damit entspricht die Verfassung dem sozialen Substrat, das sie regelt.«66 Sobald es aber zu ernstlichen Störungen des Wachstums und des Arbeitsmarktes komme, werde die Wirtschaft in ungekanntem Maßstab angewiesen sein auf Herrschaftsfunktionen des Staates, dessen Autorität sie ja andererseits gar nicht vertrage. Das Fehlen einer zentralen Entscheidungsinstanz bewirke schließlich die Osmose von Staat und Industrie in einem Mischwesen (RW II, 29, 210). Beide seien voneinander nur als verschiedene Funktionen eines Komplexes unterscheidbar. Die Bundesrepublik sei nie etwas anderes gewesen als eine komplementäre »Funktion der Gesellschaft« (RlV, 18), die den Staat nach 1945 zu ihren Zwecken aus dem Nichts geschaffen habe (RW, 188, 198 f.) und auf ihn ausschließlich als Inhaber des »Legalisierungsmonopols« (RW II, 34) und für andere begrenzte Hoheitsfunktionen (RW, 201) angewiesen bleibe. Währenddessen werde umgekehrt die Industrie zu einer Komplementärfunktion des Staates (RW II, 210), der auf sie seinerseits zur Gewährleistung seiner ratio essendi: allgemeiner ökonomischer Prosperität angewiesen ist. Infolgedessen komme es auf breiter Front zu einer Konvergenz aller staatlichen Funktionen im Hinblick auf den Bedarf der Industrie sowie zur Adaption der Industrie an die Globalsteuerung des Staates. Staat und Industriegesellschaft standen für Forsthoff also in dem paradoxen Verhältnis einer gegenseitigen Unterordnung. Diese Paradoxie meint wohl der doppelsinnige Genitiv: »Staat der Industrie65

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In dem Aufsatz Die Bundesrepublik Deutschland von 1960 heißt es (RW, 210 f.): »Der Ausnahmezustand der im Grundgesetz geordneten Staatlichkeit […] tritt dann ein, wenn die Wohlstandsentwicklung unterbrochen wird und durch das Abfallen des Sozialprodukts das System der Umverteilungen nicht mehr funktioniert. Ein solcher Vorgang würde die Staatsfunktionen in allen ihren Verzweigungen ergreifen und Maßnahmen umfassendster Art auslösen, die auf hartumkämpften Entscheidungen beruhen würden.« Ähnlich auch in dem Vortrag Das politische Problem der Autorität (1955, RW, 107) und ebenso zur gleichen Zeit auch A. Gehlen, Soziologische Voraussetzungen im gegenwärtigen Staat (1956), in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, hrsg. v. E. Forsthoff, 1968, 330: »Es ist klar, daß das störungsfreie Funktionieren des […] Gebildes von der störungsfreien Steigerung des Sozialproduktes abhängt. Insofern war die marxistische Analyse mit ihrer Lehre von der Krisenbedrohtheit des sogenannten kapitalistischen Staates höchst scharfsinnig. […] Ganz offen ist die Frage, ob im Krisenfalle die dann eintretenden Veränderungen von Notstandsverwaltungen aufgefangen werden können, oder ob notstandsbezogene Herrschaftsfunktionen engeren Sinnes ins Spiel treten müssen […].« E. Forsthoff, Wandlung oder Ende des Staates? (Vortrag in Konstanz, 12.1.1973), NL Forsthoff, Ts., 12.

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gesellschaft«. Carl Schmitt notierte dazu die Formel: »Kapitalismus mit integrierter Sozialstaatlichkeit«67. Auch Arnold Gehlen schien das Verhältnis von Staat und Industrie nur noch im Bild eines »Kreisprozesses« faßbar: Der »Staat ist eine der aktiven Kräfte, welche das Sozialprodukt weitertreiben, von der Wirtschaft her gesehen Produktionsfaktor ersten Ranges. Umgekehrt zieht er Großteile des Sozialprodukts an sich, um sie weiter zu verteilen, er löst damit bestimmte, sonst gefährliche Spannungen in der Gesellschaft wie in Zuckerwasser auf, und die große Industrie richtet sich gerade auf dieser Voraussetzung ein, sie zieht sie unter ihre Füße, denn sie braucht den ›sozialen Frieden‹, der selbst eines ihrer Produktionsmittel ist, das auf der Kostenseite wiederum als Steuerbelastung entsprechend in Erscheinung tritt. Damit entfällt […] die Trennung von Staat und Gesellschaft.« 68

Es ist bemerkenswert, wie sehr sich diese Gesellschaftsanalyse mit einer anderen traf, die unter dem Begriff des »Spätkapitalismus« antrat. Jürgen Habermas beschrieb den Spätkapitalismus durch die funktionelle Konvergenz von »ökonomischem«, »administrativem« und »legitimatorischem System«, die sich zur Abwehr der systemimmanenten Krisentendenzen in einem Großverbund zusammengeschlossen hätten.69 Helmut Ridder fand Forsthoffs Beschreibung der Industriegesellschaft »diagnostisch scharf und zutreffend«: »Ein kommunistischer Bericht zur Lage der Nation […] könnte sich den Inhalt nahezu vollständig zu eigen machen. Er brauchte nur einige Vokabeln auszutauschen (etwa den bewußten ›Verbund‹ durch den ›staatsmonopolitischen Kapitalismus‹ zu ersetzen) und ein paar Exemplifizierungen vorzunehmen.«70 Allerdings paßte Ridder die politische Stoßrichtung der Forsthoffschen Analyse natürlich nicht. Bei Forsthoffs vermeintlichen »Sachzwängen« der Industriegesellschaft handele es sich in Wahrheit um einen »weiteren kupierenden Handgriff aus der antiemanzipatorischen Trickkiste des Hauses C.S., das seinen Kunden vieles unterschlägt, was manche andere eh nicht wissen«71. Forsthoff verschweige nämlich, daß sich in Wahrheit an Basis und Überbau der alten Klassengesellschaft kaum etwas verändert habe: Die sich selbst stabilisierende Industriegesellschaft bediene sich nach wie vor des handlungsmächtigen Staates als eines klassenspezifischen Legalisierungs- und Herrschaftsinstruments. Damit kaschiere Forsthoff zugleich den Ansatzpunkt für eine progressive Kritik dieser Herrschaftsverhältnisse. Also: falsches Bewußtsein. Forsthoff verfahre, stellte Ridder ebenso elegant wie feindselig fest, in einer bloß »fragmentbezogenen Ehrlichkeit […] wie jemand, der BRD mit ›Pornographicum 67

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Einlage mit handschriftlichem Zusatz in Schmitts Exemplar von Forsthoffs Staat der Industriegesellschaft, HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-20448. A. Gehlen, Soziologische Voraussetzungen im gegenwärtigen Staat (1956), in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, hrsg. v. E. Forsthoff, 1968, 328 f.; ähnlich ders., Industrielle Gesellschaft und Staat (1956), in: Ges.-Ausg., Bd. 7, 1978, 116 f. J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 1973, 50 ff. H. Ridder, Epirrhosis?, in: NPL 16 (1971), 333. Ebd., 327.

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Foederale‹ übersetzen würde: Man trifft etwas nicht Unwesentliches, in mancher Hinsicht sogar Bezeichnendes, und doch nicht das Wesentliche, noch weniger das Ganze.«72 Darin bestand in der Tat der wesentliche Unterschied zwischen den Theorien der Industriegesellschaft und des Spätkapitalismus. Habermas war der Auffassung, daß es den spätkapitalistischen Gesellschaften gelungen sei, den in ihnen angelegten Klassenkonflikt durch ökonomische Planung lediglich für eine Weile latent zu halten und durch die sozialstaatliche Bildung von Berechtigtengruppen das Klassenbewußtsein zu »fragmentieren«.73 Nichtsdestoweniger basiere die spätkapitalistische Gesellschaft unverändert auf dem Grundwiderspruch zwischen einer politisch-administrativ vergesellschafteten Produktion und der privaten Aneignung des Profits. Die Industriegesellschaft Forsthoffs und Gehlens dagegen kannte allenfalls noch soziale »Spannungen«, die sich jedoch durch Verteilung auflösen lassen. Klassenkonflikte kannte sie nicht mehr. Sie war, mit Helmut Schelsky gesprochen, »nivelliert«.74 2. Aspekte der Epochenschwelle: von der sozialen zur »technischen Realisation« Forsthoffs Blick auf die sozialstaatliche Industriegesellschaft hat sich mit der Zeit grundlegend verändert und dabei im kritischen Gehalt zugleich radikalisiert. Was Forsthoff noch 1955 als eine in ihren Grundstrukturen feststehende »Daseinsordnung« erschienen war, betrachtete er fünfzehn Jahre später nur noch als ein Durchgangsstadium zu einer noch tiefgreifenderen Daseinsveränderung durch die Technik. a) Der Abschluß der sozialen Realisation und der Aufstieg der Technik Er ging jetzt über die für seine Analysen der fünfziger Jahre charakteristische Immobilisierungsthese hinaus und behauptete nunmehr, die Epoche, die den Sozialstaat hervorgebracht habe, sei überhaupt beendet. Die »soziale Realisation« als Gegenstand und Triebkraft staatlicher Politik sei zu einem Abschluß gekommen und von der »technischen Realisation« beerbt worden. Welche Bewandtnis es mit dem merkwürdigen Begriff der »Realisation« hat, ist noch zu erörtern. Vorläufig kann »soziale Realisation« gleichbedeutend mit »soziale Bewegung« verstanden werden. Forsthoff führte für seine These vom Ende dieser sozialen Bewegung im wesentlichen zwei Gründe an. Der eine war die mit Gehlen geteilte Überzeugung, die sozialstaatliche Entwicklung habe 72 73 74

Ebd., 326. J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 1973, 58. H. Schelsky, Die Bedeutung des Schichtungsbegriffes für die Analyse der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft (1953), in: Auf der Suche nach Wirklichkeit, 1979, 326 ff.

Neuntes Kapitel: »Der Jurist in der industriellen Gesellschaft«

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alle substantiellen Klassenunterschiede innerhalb der Gesellschaft eingeebnet und damit auch das politische Problem des Klassenkonflikts erledigt. Es gebe, meinte Forsthoff Ende der sechziger Jahre, »keine staatstragende Schicht mehr«, sondern der Sozialstaat habe, indem er jeden einzelnen durch seine Leistungen zu seinem Nutznießer gemacht habe, auch jeden einzelnen zu seinem Legitimitätsgaranten gemacht.75 Zum anderen sei die soziale Frage im deutschen Sozialstaat einer stabilen und mehr oder minder endgültigen Lösung zugeführt worden. Diese Lösung – Gehlen hatte sie die »stationäre Subventionsordnung« genannt – existiere nunmehr in »logischer Geschlossenheit« (SIG, 32) und sei, ungeachtet aller Gestaltungsdetails, im Prinzip vollendet:76 »Die Situation wird dadurch charakterisiert, daß sie selbstverständlich geworden ist.«77 Arnold Gehlen stimmte diesem Befund im wesentlichen zu: Die sozialen Veränderungen dürften sich wohl, so meinte er in seiner bereits erwähnten Rezension des Staates der Industriegesellschaft, künftig auf vergleichsweise Randständiges beschränken: »Natürlich haben die sozialen Realisierer noch einige Überraschungen vor, die in dem Begriff der ›Demokratisierung‹ stecken würden, wenn man darunter mit dem Bundeskanzler den ›zielstrebigen Abbau von Privilegien auf allen Gebieten‹ versteht. Ich denke aber, daß man auch angesichts so weitgehender Vorsätze die Fassung behalten darf, denn die Privilegien zum Beispiel der Rundfunkanstalten werden ganz sicher nicht ›demokratisiert‹ werden, so etwas bleibt den Hochschulen vorbehalten.«78

Aus der Stabilisierung des Sozialen folgte für Forsthoff nun aber nicht mehr die Unbeweglichkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse; Stabilität bedeute nicht Stagnation.79 Vielmehr seien die Antriebskräfte der hauptsächlichen politischen Dynamik nunmehr auf ein anderes Feld übergegangen: die Technik und die sich beschleunigende technische Entwicklung. Sie sei jetzt die stärkste innenpolitische Potenz, der gegenüber alle nur sozialen Belange unwesentlich oder zweitrangig erschienen. Die technische Realisation sei, »vermöge der ungeheuren Akzeleration und Intensitätssteigerung, die sie in den letzten Jahrzehnten erfahren hat, praedominant geworden« (SIG, 33). Was das Verhältnis der technischen Entwicklung zu sozialen Problemen betrifft, so meinte Forsthoff, die Technik erledige solche Probleme, indem sie sie »obsolet« mache (SIG, 34). Das heißt: Sie entzieht ihnen ihr gesellschaftliches Substrat und 75 76

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E. Forsthoff, Von der sozialen zur technischen Realisation, in: Der Staat 9 (1970), 147. Ebd., 146: »In der Sozialversicherung, den Institutionen des Arbeitsrechts und der Sozialhilfe, vor allem aber in den mannigfaltigen Formen sozialer Umverteilung steht ein ausgebildetes und bewährtes Instrumentarium sozialer Zweckverwirklichung zur Verfügung, das der Verbesserung in dieser oder jener Hinsicht bedürfen mag, das aber im großen und ganzen als abgeschlossen gelten kann.« Ebd., 148. A. Gehlen, Wie stark darf der Staat sein?, in: Die Welt (Beilage »Die geistige Welt«) v. 27.2.1971, III. E. Forsthoff, Von der sozialen zur technischen Realisation, in: Der Staat 9 (1970), 147.

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macht damit mittelbar auch die geistigen Kategorien bedeutungslos, in denen die Probleme sich bisher artikuliert hatten.80 Gegen die These vom Ende der sozialen Frage ist Kritik billig zu haben. Die Schwächen der geschichtsphilosophischen Spekulation sind allzu offenkundig. War es nicht eine grandiose Überschätzung der Planungszuversicht der sechziger Jahre, wenn man ihr zutraute, soziale Kämpfe mehr oder weniger nachhaltig kaltzustellen? Und war es nicht auch eine seltsame Verabsolutierung von Kontingenzen der deutschen Geschichte?81 Forsthoff erklärte sowohl die deutsche Sozialstaatsentwicklung von Karl Marx und Lorenz von Stein über Bismarck bis zu Ludwig Erhard als auch die relative Stabilität des deutschen Sozialstaats in einem begrenzten historischen Zeitraum beispielloser wirtschaftlicher Prosperität zum schlechthin »paradigmatischen Fall«82 eines weltgeschichtlich bedeutsamen Vorgangs. Das tat in ähnlicher Weise sonst nur der auf Feststellungen dieser Reichweite geradezu spezialisierte Hans Freyer.83 Entsprechend wenig drang Forsthoff mit diesem Teil seiner These durch. Schon 1973 erklärte Hartmut von Hentig im Merkur, Forsthoff verwechsele den Gestaltwandel sozialer Probleme mit ihrem Ende.84 Und nach dem Clubof-Rome-Bericht von 1972 über die Grenzen des Wachstums und dem Ölpreisschock bald darauf schien überhaupt vieles am westdeutschen Sozialstaat nicht mehr so selbstverständlich.85 Allerdings: Der staatstheoretische Gehalt von Forsthoffs Überlegungen fällt dabei nur allzu leicht unter den Tisch und läßt sich auch durch Erwägungen solcher Art nicht wegwischen. Versteht man mit Forsthoff die »soziale Bewegung« und die »soziale Frage« nur konsequent genug in den Kategorien des Hegelianers Lorenz von Stein, und damit das Soziale auch nicht im trivialen, sondern im prägnanten Sinne, so ist die Schlußfolgerung im Grunde folgerichtig: Die geschichtliche soziale Frage, wie sie mit dem Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft um 1800 entstand, setzte für Lorenz von Stein wie für Forsthoff (Lb, 39) immer beides voraus: sowohl die »Bewegungsgesetze« einer auf individuelle Freiheit gegründeten staatsbürgerlichen Gesellschaft als auch die objektive Instanz des über der Gesellschaft stehenden Staates als allein möglicher Träger der sozialen Reform.86 Wenn nun aber der Staat »aufgehört« hatte, »objektiver Geist zu sein« (RW, 74)? Wenn er zur »Funktion der Gesellschaft« geworden war? Dann fehlte dem mit sich allein gelassenen

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H.-D. Sander, Marxistische Ideologie und allgemeine Kunsttheorie, 21975, 369 mit Fn. 15. H. Firsching, Am Ausgang der Epoche der Staatlichkeit?, in: Metamorphosen des Politischen, hrsg. v. A. Göbel u. a., 1995, 212. E. Forsthoff, Von der sozialen zur technischen Realisation, in: Der Staat 9 (1970), 147. H. Freyer, Schwelle der Zeiten, 1965, 261 ff. H. von Hentig, Mehr Staat?, in: Merkur 304 (1973), 807 f. S. die Bemerkungen von M. Stolleis, Quellen zur Geschichte des Sozialrechts, 1976, 60 ff. E.-W. Böckenförde, Lorenz von Stein als Theoretiker der Bewegung von Staat und Gesellschaft zum Sozialstaat (1963), in: Recht, Staat, Freiheit, 1991, 183 f.

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Subjekt der Gesellschaft die zentrale Instanz, in der sie ihre Antagonismen aufheben kann. Dann mußte jedenfalls die soziale Bewegung, wie sie das 19. Jahrhundert hervorgebracht hatte, in der Tat mit der Dialektik von Staat und Gesellschaft aufhören. Das Ende der sozialen Realisation bedeutete insofern den Übergang zu einer neuartig polyzentrischen, weil nur noch innerhalb der Gesellschaft austragbaren Form des sozialen Konflikts, dessen Medium das »Bewegungsgesetz« der industriellen Gesellschaft, nämlich die Technik ist. Offensichtlich ist allerdings, wogegen sich die These vom Ende der sozialen Bewegung in der Situation der späten sechziger Jahre richtete. Sie besagte ja nicht weniger, als daß die Gesellschaft der Bundesrepublik für alle Arten von marxistischer Kritik nichts mehr hergebe und bezog damit Stellung gegen die kritische Theorie des »Spätkapitalismus«. Wo das Soziale in ein nivelliertes Kontinuum überführt ist, wo ein stationärer Zustand der um sich greifenden Industriekultur behauptet wird, findet Ideologiekritik und überhaupt Kritik logischerweise keinen Gegenstand mehr. Folgerichtig behauptete Forsthoff deswegen, wer die gegenwärtige Gesellschaft nicht von der Technik, sondern noch von den Produktionsverhältnissen her zu analysieren versuche, befinde sich in einem Irrtum über die geschichtliche Lage der deutschen Gesellschaft, weil »das ganze aus der sozialen Realisation entnommene Vokabular gegenstandslos« geworden sei (SIG, 164). Das bedeutete zugleich: »Umgestaltungen auf dem Gebiet der sozialen Realisation bieten für das, was auf dem Gebiert der technischen Realisation gefordert ist, keinerlei Hilfe.«87 Seinen Beitrag über die technische Realisation hatte Forsthoff den Herausgebern des Merkur als »eine Position jenseits von Habermas und Bloch«88 – sprich: jenseits von Kritik und Utopie! – angekündigt. Und den Lesern des rechtsradikalen Deutschen Studenten-Anzeigers schärfte er in einem Interview ein, was diese zweifellos ohnehin gerne glauben wollten: »Wer heute noch von Marx redet, hat die Wirklichkeit nicht verstanden.«89 Es war Theodor W. Adorno, der auf dem Deutschen Soziologentag des Jahres 1968 eine große Brandrede gegen das angebliche Ende der sozialen Frage hielt, insbesondere gegen Gehlens Soziologie der Industriegesellschaft. Die ganze Rede von der Industriegesellschaft und ihrer angeblichen Lösung von den Produktionsverhältnissen habe offenbar keinen anderen Zweck als den, die Kritik an einer fortgeschrittenen Entwicklungsstufe des Kapitalismus durch einen neuen Mythos von der selbstläufigen Technik hinfällig oder unglaubwürdig zu machen.90 Noch weiter ging Jacob Taubes in seinem anschließenden Vortrag, in dem er Gehlen vorhielt, er liefere mit dem Begriff der vermeintlich 87

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E. Forsthoff, Schlußvortrag auf dem Ebracher Ferienseminar, 9.10.1970, Bandnachschrift, Ts., NL Forsthoff, 24. Ernst Forsthoff an Hans Paeschke, 25.8.1969, DLA Marbach, Best. Merkur. Der Staat ohne Ethos, in: Dt. Studenten-Anzeiger v. Mai 1971, 3. T. W. Adorno, Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft? (1969), in: Ges. Schr., Bd. 8, 1972, 354.

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unentrinnbaren Industriekultur geradezu eine Theodizee der Vernichtung, indem er es als Lebensweisheit ausgebe, sich vom Gewaltcharakter der industriellen Institutionen fraglos konsumieren zu lassen.91 b) Was bedeutet »technische Realisation«? Was aber war gemeint mit dem Begriff der technischen Realisation? Warum konnte Forsthoff von der geschichtlichen Abfolge von sozialer und technischer Realisation sprechen? Auf einer eher oberflächlichen Ebene ging es Forsthoff zunächst um das politische Problem der staatlichen Kontrolle und Begrenzung von Technik und Technikfolgen, wie es sich aus der Sicht der frühen siebziger Jahre darstellte. Dazu zählten neben der Kerntechnik und der Raumfahrt die Umweltzerstörung, die Vermachtung der Öffentlichkeit durch die Nachrichtentechnik, die Möglichkeiten der Manipulation des menschlichen Genoms (SIG, 25 ff.) und sogar schon die Persönlichkeitsgefährdung durch die elektronische Datenverarbeitung.92 Das »Neue an der gegenwärtigen Lage ist«, schloß Forsthoff aus diesem Arsenal des Fortschritts, »daß nun zum ersten Male in der Menschheitsgeschichte Anlaß besteht, eine Gefährdung der elementaren Lebensbedingungen in Betracht zu ziehen.«93 In ihren avanciertesten Erscheinungsformen zeige sich die moderne Technik nicht nur als Zerstörerin individueller Freiheit.94 Sie sei schlechthin »indifferent gegenüber dem Humanen« (SIG, 45). Deshalb laute die Grundfrage der politischen Ordnung, ja der Selbstbehauptung des Staates als Staat, ob es ihm noch gelinge, gegenüber dem selbstläufigen technischen Prozeß als »Hüter der Humanität« aufzutreten (SIG, 168). Forsthoff versicherte zwar immer wieder, daß ihm jede banale »Maschinenstürmerei« und auch eine gewöhnliche kulturkritische Behandlungsart des Problems Technik ganz und gar fernliege.95 Doch selbstverständlich bediente er in seiner kategorialen Gegenüberstellung von technischem Prozeß und politischer Ordnung eine verbreitete Skepsis gegenüber den sichtbar werdenden ökologischen Nebenfolgen der technischen Zivilisation.96 Seit dem Krieg war die kul-

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J. Taubes, Kultur und Ideologie, in: Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, hrsg. v. T. W. Adorno, 1969, 130 ff., 137 f. E. Forsthoff, Technische Realisation und politische Ordnung, in: Auf dem Weg zur hörigen Gesellschaft?, hrsg. v. O. Schatz, 1973, 194. Ebd., 198. E. Forsthoff, Von der sozialen zur technischen Realisation, in: Der Staat 9 (1970), 158 f., 160. E. Forsthoff, Von der sozialen zur technischen Realisation, in: Der Staat 9 (1970), 149, 160; ferner E. Forsthoff, Wandlung oder Ende des Staates?, Vortrag, 12. Januar 1973, Ms., NL Forsthoff, 16. V. Neumann, Der harte Weg zum sanften Ziel, in: Recht und Technik im Spannungsfeld der Kernenergiekontroverse, hrsg. v. A. Roßnagel, 1984, 88 ff. Schon aus diesem Grund dürfte die von Martin Greiffenhagen geprägte (M. Greiffenhagen, Das Dilemma des Kon-

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turkritische Rede von »der« Technik ein allgegenwärtiges Schlagwort,97 aber unter dem Gesichtspunkt der Ökologie entdeckte eine wichtige Strömung des westdeutschen Konservatismus die Technikkritik erst in den sechziger und siebziger Jahren wieder als Teil der konservativen Programmatik.98 Dafür stehen so unterschiedliche Erscheinungen wie Ernst Jüngers Erzählung Gläserne Bienen oder die 1971 von seinem Bruder Friedrich Georg Jünger und Max Himmelheber gegründete »Jahresschrift für skeptisches Denken« Scheidewege, an der Forsthoffs Mitarbeit noch ins Auge gefaßt, aber nicht mehr realisiert wurde. Dafür steht aber auch das Spätwerk Gerhard Nebels99 oder schließlich die Debatte um die »Grenzen des Wachstums«. Armin Mohler hat die Erscheinung einmal abschätzig mit der Sammelbezeichnung »Gärtnerkonservatismus« belegt.100 Um zu verstehen, was Ernst Forsthoff mit dem Begriff der technischen Realisation meinte, muß man jedoch seine These von der geschichtlichen Abfolge von sozialer und technischer Realisation ernstnehmen. Was bedeutete es also, daß er den Übergang von der sozialen zur technischen Realisation als »Rangwechsel« von einer »geschichtsmächtigen Potenz«101 zur anderen innerhalb eines übergreifenden »Zeitalters der Realisationen« (SIG, 31/33) bezeichnete?

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servatismus in Deutschland (1971), 21986; ders., Technokratischer Konservatismus, in: APuZ B 31 (1971), 29 ff.), von Jürgen Habermas modernisierungstheoretisch ausgefüllte und vielfach aufgegriffene Formel vom »technokratischen Konservatismus« (s. J. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, 1985, 89 ff.; s.a. A. Demirovic´, Staat und Technik, in: Konservativismus in der Strukturkrise, hrsg. v. T. Kreuder/H. Loewy, 1987, 100 ff.; I. Staff, Die Wahrung staatlicher Ordnung, in: Leviathan 15 (1987), 141 ff.) für Forsthoff nicht von Bedeutung sein. Diese Wendung besagt, daß eine Strömung des Konservatismus in der Bundesrepublik sich zum Zwecke der Abwehr der emanzipatorischen »kulturellen Moderne« mit den Kräften der technisch-industriellen Moderne »versöhnt« habe. (S. zuletzt D. van Laak, From the Conservative Revolution to Technocratic Conservatism, in: German Ideologies since 1945, hrsg. v. J. W. Müller, 2003, 147 ff.) Die dieser Vorstellung einer Zweckallianz mit einer normativ entleerten Moderne zugrundeliegende Unterscheidung von normativ-kultureller und wissenschaftlich-technischer Moderne ist jedoch sozusagen ein hausgemachtes Theorieproblem von Habermas und enthält keinen Forsthoffs Denken in der Bundesrepublik eigentümlichen Zug. Gerade im Gegenteil ist es für Forsthoff charakteristisch, in welchem Maße er bis zuletzt an der konservativen Kritik der Moderne in allen ihren Erscheinungsformen festgehalten hat und damit für die politische Rechte der Bundesrepublik gerade nicht typisch ist. P. Nolte, Die Ordnung der deutschen Gesellschaft, 2000, 273 ff.; D. Morat, Von der Tat zur Gelassenheit, 2007, 455. R. Graf, Die Grenzen des Wachstums und die Grenzen des Staates, in: Streit um den Staat, hrsg. v. D. Geppert/J. Hacke, 2008, 207 ff. Eine Sammlung der einschlägigen Essays ist der Band: G. Nebel, Schmerz des Vermissens, 2000. A. Mohler, Deutscher Konservatismus seit 1945, in: Die Herausforderung der Konservativen, hrsg. v. G.-K. Kaltenbrunner, 1974, 40; ders., Tendenzwende für Fortgeschrittene, 1978, 40. E. Forsthoff, Technische Realisation und politische Ordnung, in: Auf dem Weg zur hörigen Gesellschaft?, hrsg. v. O. Schatz, 1973, 198.

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Offenbar, daß sie für ihn vieles gemeinsam, sogar den gleichen Ursprung hatten: Beide nämlich, die soziale Bewegung und der technische Prozeß, teilten in Forsthoffs Augen einen gegen alles Bestehende, gegen die Ordnung als solche gerichteten Impuls. Die gesamte soziale Realisation habe – so Forsthoff – darauf abgezielt, »die öffentlichen Zustände unter sozialen Gesichtspunkten zu verändern« (SIG, 31) und habe insofern immer als Feindin jeder bestehenden Ordnung agiert. Diese zersetzende Tendenz des »Sozialen« hat Forsthoff nie deutlicher benannt als in einem Brief an Carl Schmitt, in dem er bezeichnenderweise von einem »Sozialbazillus«102 sprach. In gleicher Weise richte sich nun der technische Prozeß in seiner eisigen Rationalität auf einen erst noch zu erreichenden »Zustand der Perfektion« (RW, 60), sei insofern gleichfalls utopisch und feindlich den Unvollkommenheiten des Bestehenden. »Der technische Prozeß produziert sich selbst, und das um keines anderen Zweckes als um seiner selbst willen. Sein Motor ist […] der dem Menschen innewohnende Drang, das, was als machbar erkannt ist, auch zu machen.«103 Dabei sei der Fortschrittsglaube des Aufklärungszeitalters am Ende und die ihn überlebende Perfektionsvorstellung des technischen Denkens damit ohne ethischen Sinn.104 Die Produktion schaffe, betonte Forsthoff nun wiederum ganz im Einklang mit landläufiger Kulturkritik, im »Marketing« überhaupt erst die Bedürfnisse, die sie alsdann befriedige.105 »Das Zeitalter der Aufklärung«, hatte Gehlen im gleichen Sinne gesagt, »scheint uns abgelaufen, ihre Prämissen sind tot, aber ihre Konsequenzen laufen weiter, einschließlich der Selbstverständlichkeiten, die seit dieser Epoche in uns sich eingewurzelt haben.«106 Welche immense Bedeutung Forsthoff diesem Gesichtspunkt, also der nach dem Ende des liberalen Fortschrittsglaubens sich selbstbezüglich fortsetzenden technischen Entwicklung beimaß, zeigt ein Brief an seinen alten Bekannten Theodor Steltzer, in dem Forsthoff 1966 von ihr ausgehend eine Gesamtschau der Bundesrepublik darbot: »Der Liberalismus, der 1932 am Ende war, ist dank der Todeserklärung Hitlers nach 1945 noch einmal auferstanden. Aber da die ihn tragenden Gehalte, insbesondere eine konkrete Vorstellung von Freiheit (und was damit sinnvoll anzufangen ist), nicht mehr existieren, war das Ergebnis der wilde Funktionalismus von heute, an dem sich nun auch die Theologen beider couleurs in der panischen Angst beteiligen, nicht auf der Höhe der Modernität zu sein. Dieser Funktionalismus ohne Ethos stiftet keine Ordnung, sondern ein sekundäres System

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Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 30.9.1967, BW, Nr. 231. E. Forsthoff, Technische Realisation und politische Ordnung, in: Auf dem Weg zur hörigen Gesellschaft?, hrsg. v. O. Schatz, 1973, 187. E. Forsthoff, Technischer Prozeß und politische Ordnung, in: Studium Generale 27 (1969), 849. E. Forsthoff, Technische Realisation und politische Ordnung, in: Auf dem Weg zur hörigen Gesellschaft?, hrsg. v. O. Schatz, 1973, 185. A. Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter, Ges.-Ausg., Bd. 6, 2004, 84.

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(im Sinne Freyers), mit dem verglichen die Weimarer Republik ein rocher de bronce war. Das wird man bei der nächsten Krise merken und in Bonn beginnt man das zu ahnen. Auch Erhard. Aber er ist nicht intelligent und gebildet genug, um die Tragweite zu übersehen und zu wenig Politiker, um etwas daraus zu machen. Dass unter solchen Umständen auch das kulturelle Leben darnieder liegt, ist klar. Auch die Kunst braucht die Gegebenheiten einer wirklichen Ordnung, und sei es auch, um wie Wedekind dagegen Sturm zu laufen. So experimentieren Maler und Dichter in einem nihilistischen Leerraum. Dieses funktionalistische System bietet keinen Ansatzpunkt für immanente Kritik. Es muss sich selbst ad absurdum führen und das könnte die historische Rolle sein die Erhard – sicher ungewollt – noch zu spielen hat.«107

Solchermaßen zirkulär und sinnlos stehe die Technik zugleich in einem intimen Verhältnis zur Macht, denn »da die Technik keine Zwecke außer ihr selbst hat, ist sie beliebig instrumentalisierbar.« (SIG, 42) So habe der Staat kein Interesse, die Entwicklung zu korrigieren. Das sah auch Arnold Gehlen so, der gegenüber Forsthoff zu dessen Aufsatz über die technische Realisation folgendes bemerkte: »ich halte den Grundgedanken für sehr bedeutsam – ich verstehe nun einmal, warum der ›Aussagewert‹ soziologisch richtiger Sätze sinkt, und daß die Technik sich von den Produktionsverhältnissen emanzipiert hat. Das verrückte ›Eingriffsdenken‹ der ungebildeten Studenten könnte bereits ein Derivat der technisch gesteuerten Aufklärung sein. […] Sie fragen sehr richtig, ob der heutige Staat noch in der Lage ist, der Technik Grenzen zu setzen. Für mich ist das eine offene Frage. Denn einmal produziert er ja gerade an den arriviertesten technischen Fronten selbst: Raketenwaffen, Weltraumraketen, Satelliten, Atomenergie und, wie ich zufällig weiß, auch in der neuesten Nachrichtentechnik (Fernmeldewesen). Hinter der Riesenproduktion der ›freien‹ Technik steht, wie die verrückte Autobauerei zeigt, der Zwang zur Produktionsvermehrung, und gerade der ist nicht mehr sozialer Art (Bevölkerungsvermehrung, Massenarmut o.ä.), sondern immanenter, aber ich kenne die Gründe nicht. Sie müssen weitgehend ökonomischer Art sein«.108

Sowohl die soziale wie auch die technische Realisation waren also für Ernst Forsthoff Phänomene eines ursprünglich revolutionären Aktivismus, der sich nach dem Absterben der revolutionären Ideologie in seiner zerstörerischen Arbeit gegen die bestehenden Verhältnisse erschöpft: die »permanente Diskreditierung der sozialen Wirklichkeit durch das Vorgaukeln von Systemverbesserungen«109. Realisation meint also: Perfektionismus, Wendung und schließlich Haß gegen das unvollkommene Bestehende.

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Ernst Forsthoff an Theodor Steltzer, 14.3.1966, LA Schleswig-Holstein, NL Steltzer. Arnold Gehlen an Ernst Forsthoff, 17.7.1970, NL Forsthoff. So in seiner Besprechung von Helmut Schelskys 1973 erschienener Aufsatzsammlung Systemüberwindung, Demokratisierung und Gewaltenteilung: E. Forsthoff, Mehr Demokratie, weniger Freiheit?, in: Die Welt (Beilage »Die geistige Welt«) v. 5.1.1974, I.

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c) Entfremdung, Terroristen und Techniker Für ein politisches Problem hielt Forsthoff jedoch nicht die technische Realisation selbst, sondern ihre »die Mentalität verändernde Wirkung« (SIG, 47). Weil das technische Denken alles Bestehende als nur vorläufig, als optimierungsbedürftig entwerte, komme es zur Diskreditierung der Phänomene, die an den Eigenwert des Bestehenden gebunden und damit auch für den Bestand des Staates unverzichtbar sind. Oft zitierte Forsthoff jetzt das Wort aus Jacob Burckhardts Historischen Fragmenten vom um sich greifenden »Gefühl des Provisorischen«.110 So vollziehe sich auf breiter Front ein »Abbau geistiger Gehalte und Traditionen«, ein Abbau von Tugend, Bildung und menschlichem Maß (SIG, 47). »Die moderne metaphysikfreie Mentalität […] ist für die technische Realisation bestimmend.«111 Doch mehr noch. Das Tempo technischer Weltveränderung habe die menschlichen Möglichkeiten intellektueller Verarbeitung längst überschritten. Auf diese Weise werde auch die an das Bestehende geknüpfte Erfahrung wertlos: »wir wissen noch nicht, in welcher Welt wir leben; wir wissen nur, daß es eine Welt noch nicht übersehbarer Veränderungen ist.«112 Die Umgestaltung seiner Umwelt, das Leben in undurchschaubaren Daseinsverhältnissen und den Abbau der Tradition könne der Mensch nicht anders denn als sich beschleunigende »Entfremdung« (RW, 116) erleben. Wiederum ist dieser Begriff der Entfremdung hier nicht im Sinne entfremdeter Arbeit zu verstehen. Forsthoff gebrauchte ihn wie schon in der Verwaltung als Leistungsträger so, wie ihn Hegel in der Phänomenologie des Geistes geprägt hat und von wo er sich in veränderter Form bis zu Heidegger,113 Gehlen und Freyer fortsetzt.114 Entfremdung bezeichnet hier abstrakt gesprochen die Entzweiung des persönlichen Selbstbewußtseins mit einer nicht begriffenen äußeren Wirklichkeit, oder, in der kulturkritischen Wendung des Begriffs, das

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E. Forsthoff, Einiges über Geltung und Wirkung der Verfassung, in: Festschrift für Ernst Rudolf Huber, hrsg. v. E. Forsthoff u. a., 1973, 4 f.; SIG, 15; soweit ersichtlich erstmal zitiert in dem nachgelassenen Text: E. Forsthoff, Die Institution als Rechtsbegriff. Zugleich ein Beitrag zur Soziologie des institutionellen Denkens, o. D. (1944/45), Ts., NL Forsthoff, 22. E. Forsthoff, Technische Realisation und politische Ordnung, in: Auf dem Weg zur hörigen Gesellschaft?, hrsg. v. O. Schatz, 1973, 191. E. Forsthoff, Das Elend der Subjektivität, in: Die deutsche Universitätszeitung v. Okt. 1969, 5; ähnlich SIG, 164: »Wir kennen die Welt nicht, in der wir leben.« M. Heidegger, Sein und Zeit (1927), Ges.-Ausg., Abt. 1, Bd. 2, 1977, § 38. A. Gehlen, Über die Geburt der Freiheit aus der Entfremdung (1952), in: Ges.-Ausg., Bd. 4, 1983, 366 ff.; H. Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, 1955, 220 ff., 234 ff. Eine ausdrückliche Verwahrung gegen den marxistischen Begriff der Entfremdung als »von der Entwicklung großen Teils überholt« findet sich an anderer Stelle: H. Freyer, Das soziale Ganze und die Freiheit des Einzelnen unter den Bedingungen des industriellen Zeitalters (1957), in: Herrschaft, Planung und Technik, 1987, 107 f.; ders., Probleme der Gesellschaftsordnung, in: Die Struktur der europäischen Wirklichkeit, hrsg. v. W. F. Mueller, 1960, 97.

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Sich-Verlieren des einzelnen an die herrische Komplexität seiner alltäglichen Lebenszusammenhänge, die Entwertung der Erfahrung und den Anpassungsdruck einer sich ausbreitenden »Massenkultur«. Freyer sprach von »sekundären Systemen«, die die Entfremdung zur Vollendung trieben und im Begriff stünden, in den letzten Winkel der Menschheit vorzudringen und die gesamte Erde in ein von gefühllosen Technokraten und entorteten Managern gesteuertes Raumschiff zu verwandeln.115 Für Ernst Forsthoff lebte die solchermaßen entfremdete industrielle Gesellschaft in der permanenten Gefahr utopischer Ausbruchsversuche. Die Unübersichtlichkeit der Industriegesellschaft machte in seinen Augen die kollektive Flucht in die Irrationalität wieder zu einer politisch relevanten Gefahr, die nunmehr von links ausging. Denn mit wachsender Entfremdung sinke die Fähigkeit des Bürgers, die »Grenzen seiner Zuständigkeit« (RW, 206) und seines Beurteilungsvermögens zu erkennen. Insofern habe die Entfremdung an die technische Realisation die »paradoxe Folge, daß jeder sich berufen fühlt mitzureden, da ihm die Erkenntnis fehlt, wo die Realität aufhört und die Utopie beginnt.«116 Dies umso mehr, als mit der sich ausbreitenden Komplexität auch die Möglichkeit entfalle, den technischen Prozeß in eine grundsätzlich andere Richtung zu lenken. »Der technische Prozeß läßt nur Raum für Utopien.«117 Die Wiederbelebung von ideologischen Programmen könne deswegen aber umgekehrt auch nur gelingen um den Preis der Abschottung gegenüber jeder praktischen Erfahrung. Sie verliere sich deswegen unvermeidlicherweise »in reinen Klamauk und in bare Utopie«118. Die Erfahrung, daß solche unvernünftigen Utopien in der technischen Welt gänzlich folgenlos sind, wirke allerdings auf lange Sicht auf die emotionalisierten jugendlichen Gemüter stark verbitternd und lasse schließlich nur noch einen Weg offen: den Übergang zum offenen Terrorismus. Die studentische Opposition könne, schrieb Forsthoff im Januar 1968 an Paeschke, »dem Utopismus nur entgehen, indem sie sich in die Fronten des Weltbürgerkrieges einreiht: Moskau – Mao – Castro.«119 Rüdiger Altmann hatte schon 1965 prophezeit, daß den Radikalen in der westdeutschen Gesellschaft »ohnehin nur die Rolle marodierender Arrièregarden« bleibe.120 Gehlen sah es genauso: »die Opposition muß utopisch werden. Man hat den Eindruck, daß nicht nur die Bundesrepublik, sondern Europa von der Zukunft ausgeschlossen [ist], oder

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H. Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, 1955, 79 ff., 259 f. E. Forsthoff, Mehr Demokratie, weniger Freiheit?, in: Die Welt (Beilage »Die geistige Welt«) v. 5.1.1974, I. E. Forsthoff, Technischer Prozeß und politische Ordnung, in: Studium Generale 27 (1969), 856. Ernst Forsthoff an Hans Paeschke, 11.11.1967, DLA Marbach, Best. Merkur. Ernst Forsthoff an Hans Paeschke, 5.1.1968, DLA Marbach, Best. Merkur. R. Altmann, Die formierte Gesellschaft (1965), in: Abschied vom Staat, 1998, 64.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

besser: dieser Eindruck verstärkt sich zunehmend.«121 Ob der Weltbürgerkrieg der saturiert frustrierten deutschen Studenten seine »terroristische Taktik« dann auf die Hochschulen beschränken würde (SIG, 162 f.)? Für Forsthoff war das zuletzt eine offene Frage. Die Logik der technischen Realisation diente Forsthoff hier lediglich dazu, den Studenten die tiefe Sinnlosigkeit von Auflehnung und Terror entgegenzuhalten. Denn ihr antiautoritärer Affekt führe nur zu einer »widerstandslose[n] Auslieferung an den technischen Prozeß und die durch ihn entstehenden Machtverhältnisse« (SIG, 105), also zur Beschleunigung und Vertiefung der Entfremdung. Schließlich müßten ja auch die Jungrevolutionäre sich beständig der technischen Mittel bedienen, durch die sie sich entfremdet fühlen.122 Forsthoff beruhigte sich mit dem Gedanken, bei der Revolte des Jahres 1968 handele es sich um nicht mehr als vorübergehende Schwierigkeiten bei der »Anpassung an die Daseinsformen« der technischen Realisation, und die industrielle Gesellschaft werde schon bald dafür sorgen, die »psychischen Dispositionen« der Studenten wieder an ihre Sachzwänge anzupassen (SIG, 163). Arnold Gehlen freilich war der Ansicht, Forsthoff verharmlose mit dieser strukturalistischen Interpretation die Studentenproteste erheblich; »schließlich ist auch eine ranzige Ideologie wirksamer als gar keine, wenn sie nur Gegner definiert.«123 Vielleicht hätte Ernst Forsthoff in der aufgeheizten Situation um »Achtundsechzig« die Rolle des Bösewichts einnehmen können. Vielleicht hätte er einen guten Gegenspieler Herbert Marcuses abgegeben, des offiziellen Revolutionsphilosophen der Studenten. Aus dessen Werk Der eindimensionale Mensch (1967) hatte Forsthoffs Theorie der technischen Realisation uneingestanden manche Anregung gezogen. Aber offiziell blieb Marcuse für ihn »ein Utopist, der sich im Grunde als Sammler alter Hüte betätigt«124. Hinter der öffentlichen Wirkung zumal Arnold Gehlens und Helmut Schelskys blieb Forsthoff indessen zu seinem Verdruß weit zurück.125 Dazu ermangelte es ihm

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124 125

Arnold Gehlen an Ernst Forsthoff, 31.5.1968, NL Forsthoff. E. Forsthoff, Demokratisierung ohne Demos, in: Zeitbühne v. April 1974, 29: »Die Zeiten, in denen die innenpolitischen Machtfragen auf den Barrikaden mit Kanonen und Gewehren entschieden wurden, sind vorüber. Was heute die innenpolitischen Machtkonstellationen bestimmt, sind die ideologischen Formeln und die Utopien: Marx, Lenin, Mao, Allende usw. Die Technik hat eine Fülle von Möglichkeiten hervorgebracht, um die Parolen pausenlos bis in die letzte Hütte zu tragen – ›Demokratisierung der Gesellschaft‹.« A. Gehlen, Wie stark darf der Staat sein?, in: Die Welt (Beilage »Die geistige Welt«) v. 27.2.1971, III. Ernst Forsthoff an Hans Paeschke, 11.11.1967, DLA Marbach, Best. Merkur. Vor allem von dem Aufsatz Verfassung und Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik hatte Forsthoff sich in dieser Hinsicht einiges erhofft, vgl. Ernst Forsthoff an Hans Paeschke, 31.12.1967: »vielleicht werde ich von den Studenten angegriffen – was ich […] gelassen hinnehmen kann«; 5.1.1968: »Studentische Reaktionen sind auch dann möglich, wenn die Studenten nicht ausdrücklich angesprochen sind. Warten wirs also ab.« beide DLA Marbach, Best. Merkur.

Neuntes Kapitel: »Der Jurist in der industriellen Gesellschaft«

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gewiß nicht an journalistischem Talent. Aber ihm fehlte das Naturell, es fehlte ihm ein ins Feuilleton eingegangener Bestseller wie Gehlens Seele im technischen Zeitalter (1957), und es fehlte ihm auch die Bereitschaft, sich noch einmal ernsthaft auf eine neue Zeit einzulassen. Nichtsdestoweniger drängten ihn die Herausgeber des Merkur bisweilen in die Rolle des Bösewichts: »Vor allem sollten Sie Ihrem Pessimismus etwas mehr die Zügel lassen!«, schrieb ihm Hans Paeschke Anfang 1968 und bat ihn, doch bitte »nicht den Eindruck hervorzurufen, Sie seien mit dem gegenwärtigen Zustand der Bundesrepublik, dem Sie ja force majeur zusprechen, zufriedener als Sie es in Wahrheit sind.«126 Er forderte von Forsthoff »Sorgenartikel also, mit Warnungen nach allen Seiten«, damit »die politische Soziologie unserer 40er-Generation keine Gelegenheit erhält, in einer Diskussion Sie einfach nur als laudator temporis acti abzustempeln. Deshalb die Bitte, mit Ihrer Skepsis bzw. Illusionslosigkeit […] nicht hinter dem Berg zu halten.«127

III. Beruf und Schicksal des Juristen Was Forsthoff in der Situation der Kulturrevolution anzubieten hatte, war für öffentliche Polemiken völlig ungeeignet. Seine Lehre paßte so wenig in diese Zeit, daß sie kaum wahrgenommen, geschweige denn in »Teach-Ins« angegriffen wurde. Die eigentliche Gegenmacht gegen die Entfremdung an die technische Welt waren und blieben für Forsthoff die »traditionellen geistigen Gehalte« einer durchsetzungsmächtigen staatlichen Ordnung und einer traditionellen Bildungswelt. Er blieb auf seine Weise, wie Paeschke geschrieben hatte, »laudator temporis acti«. Für ihn mußten alle Proteste gegen die technische Zivilisation vergeblich bleiben, weil sie auf einer Fehlvorstellung beruhten über die in der Entfremdung wirksamen Kräfte und Gegenkräfte. Eine Fehlvorstellung, die Forsthoff einmal mehr der »staatsideologischen Unterbilanz« anlastete. Was Forsthoff erarbeitete, war eine Mythologie des Juristen und des juristischen Denkens. Sie entwickelte Forsthoff zuerst in zwei Aufsätzen aus den Jahren 1955 und 1960, die ganz unscheinbar in juristischen Fachzeitschriften publiziert wurden,128 und sie liegen allen seinen Schriften zur technischen Realisation und dem Staat der Industriegesellschaft zugrunde. Forsthoffs Ortsbestimmung des juristischen Denkens, in der alle Motive seines Werkes noch einmal zusammenlaufen und mit der diese Untersuchung endet, macht zugleich deutlich, wie falsch die Behauptung ist, er habe sich mit dieser Industriegesellschaft und ihren gegen die Studenten wirksamen Herrschaftsfunktion politisch identifiziert. Gemessen an seinem epochalen Gegenbild, seiner mythischen 126 127 128

Hans Paeschke an Ernst Forsthoff, 8.2.1968, DLA Marbach, Best. Merkur. Hans Paeschke an Ernst Forsthoff, 14.11.1967, DLA Marbach, Best. Merkur. E. Forsthoff, Der lästige Jurist, in: DÖV 1955, 648 ff.; ders., Der Jurist in der industriellen Gesellschaft, in: NJW 1960, 1273 ff.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

Gestalt des Juristen, standen beide, Kulturrevolutionäre und Industriegesellschaft, für ihn auf einer Seite. 1. Der Jurist als haltende Macht Was hat es mit diesem Gegenbild des Juristen auf sich? Mit dem Übergang zur Sozialgestaltung durch den Staat werde der Staat selbst – so Forsthoff – von der geistigen Logik der sozialen und der technischen Realisation ergriffen. Zur Gestaltung der industriellen Gesellschaft sei er auf einen völlig anderen Typ von Verwaltung angewiesen. Die Stelle der allgemeinen inneren Verwaltung mit ihrem faktischen Juristenmonopol nähmen in immer weiterem Umfang fachlich spezialisierte Sonderverwaltungen ein wie die Wirtschaftsverwaltung, die Gesundheitsverwaltung, die Sozialverwaltung usw. Unvermeidlich war diese Entwicklung, insofern sich der Staat in der modernen Gesellschaft »allenthalben höchst differenzierten und komplizierten Ausstattungen und Apparaturen gegenüber« sieht, die sich nur über Spezialverwaltungen beeinflussen lassen.129 Doch diese Sonderverwaltungen entpuppten sich für Forsthoff nun als »Einbruchstelle der Technokratie in den Staat«130. Durch sie hänge der Staat von dem innerhalb der Gesellschaft erzeugten und vorhandenen technischen Wissen ab. In der Technik »ist ein Phänomen von überwältigender Kraft in das moderne Leben eingetreten, das der Staat selbst nicht mehr fachmännisch beherrscht. Diese Situation ist neu.«131 Die Sonderverwaltungen seien deswegen zur Erfüllung ihrer Aufgaben personell angewiesen auf den Fachmann, den Experten, den Techniker. Sie hielten nun in großem Umfang Einzug in die Verwaltung, die vordem Monopol des akademisch gebildeten Juristen gewesen war. Die in der Verwaltung tätigen oder von ihr beigezogenen Techniker – zu denen Forsthoff selbstverständlich auch die Pädagogen rechnete (RW, 58 f.; SIG, 110) und, horribile dictu, die Vertreter der »Political Science in der westlichen Hemisphäre« (RW, 61) – veränderten nun jedoch die ganze »Mentalität« (SIG, 110), man kann auch sagen: Handlungslogik der Verwaltung im Sinn und Geiste der technischen Realisation.132 Mit dem Aufstieg der Realisierer wurde die Verwaltung in Forsthoffs Augen schließlich zu einem Instrument, das sich überhaupt gegen die bestehende Ordnung richtet: »Fachwissen ist engagiertes Wissen. Der Experte fühlt sich natürlicherweise den Fortschritten seines Faches verpflichtet. Ihm wird das Gute zum Feind des Besseren. Er kennt

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E. Forsthoff, Technisch bedingte Strukturwandlungen des modernen Staates, in: Technik im technischen Zeitalter, hrsg. v. H. Freyer u.a., 1965, 221. Ebd., 229. Ebd., 222. E. Forsthoff, Technischer Prozeß und politische Ordnung, in: Studium Generale 27 (1969), 853.

Neuntes Kapitel: »Der Jurist in der industriellen Gesellschaft«

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keine Ruhelagen.« (SIG, 110) So reißen die Techniker die Verwaltung hinein »in den großen Prozeß der Weltveränderung im Großen wie im Kleinen« (SIG, 111). Forsthoff hielt es überdies für ausgeschlossen, daß die staatliche Verwaltung insoweit noch substantiell eigene Steuerungsziele verfolgen könne. Die im Raum der Verwaltung operierenden Techniker würden vielmehr strukturell als Agenten der industriellen Gesellschaft fungieren, die deren technischen Bedarf entgegennehmen und umsetzen (SIG, 109; RW, 61). Schließlich gebe es in diesem hochgradig dynamisierten Kreislaufprozeß nur noch eine Störungsquelle, einen letzten Hemmschuh der totalen Technokratie: den Juristen. Denn gegenüber dem Perfektionismus der Machbarkeit beharrt er auf geordneten Verfahren, auf festen Kompetenzen und auf langsamer Entwicklung (RW, 58 f.). Die Techniker aber dulden den Juristen nicht, da er als Verbündeter des Bestehenden ihr Werk gefährdet. Sie empfinden ihn deshalb bald als »sonderbare Figur« (SIG, 111), bald als »lästig« (RW, 61). Schließlich degradieren sie ihn selbst zum Fachmann, indem sie ihn mit dem »technischen Geist« affizieren, ihn zum bloßen Justitiar machen und auf diese Weise aus der aktiven Verwaltung verdrängen (SIG, 111). Das »Rechtselement«, die festen Ordnungen und Verfahren, gehen schließlich zwangsläufig auf die gerichtlichen Kontrollinstanzen über, wo sie sich jedenfalls zunächst noch behaupten (RW, 61). Gegen diese Thesen Forsthoffs sind alle Arten von wissenssoziologischen und verwaltungswissenschaftlichen Einwänden gemacht worden. Das ist nur zu verständlich, denn seine Beweisführung lief schließlich darauf hinaus, daß es für die Freiheit im Staat keine größere Gefahr gibt als Weltverbesserer: Soziologen, Politologen und Pädagogen. Für sich genommen sind solche Einwände ebenso zutreffend wie die Kritik an einer ausgesprochenen Standesideologie des Juristenmonopols in der Verwaltung.133 Doch der Gegensatz, den Forsthoff zwischen der Figur des Juristen und der des Technikers aufbaute, ist ein so elementar gedachter, daß man seinen Ort nicht im Soziologischen suchen darf. Soziologisch ist die Sache so klar wie uninteressant. Die Gestalt des Juristen stand Forsthoff für weitaus mehr als für ein konservatives Berufsbeamtenideal. Es ging ihm um einen Gesamttypus des Denkens und Handelns, der jedem technischen Perfektionsdrang schlechthin entgegengesetzt ist. Der Gegensatz zwischen dem »Juristen« und dem »Techniker« ist infolgedessen ein ontologischer Gegensatz der »Gestalt«. Es handelt sich, anders gesagt, um einen echten Mythos. Jener Gegensatz ist ein wiederkehrendes Motiv der Prosa Ernst Jüngers. Am klarsten tritt er hervor an einem im zwanzigsten Kapitel seines Romans Auf den Marmorklippen auftretenden ungleichen Paar,134 mit dem der Erzähler ein Attentat auf einen plebejischen Gewaltherrscher, den Oberförster, verübt. Da

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N. Luhmann, Theorie der Verwaltungswissenschaft, 1966, 13. E. Jünger, Auf den Marmorklippen (1939), in: Sämtl. W., Bd. 15, 1978, 313 ff.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

ist einmal der Techniker: Braquemart, der Vertreter einer »wurzellosen Intelligenz« und kalten Machtmechanik, Atheist und Menschenverächter mit einem Hang zu wilden Utopien; »alle Züge des späten Nihilismus« sind an ihm »sehr ausgeprägt«. Braquemart ist ein »grober Theoretiker«, der sich »in den Begriffen einer zweiten und künstlichen Natur« ergeht. Er faßt »wie alle seinesgleichen das Leben als ein Uhrwerk auf«. Sein Gefährte, zugleich aber sein Gegenspieler ist der junge Fürst von Sunmyra, ein Repräsentant alten Adels, in dem »die Kenntnis des wahren und legitimen Maßes« noch lebendig ist und der deswegen in ständiger Melancholie lebt. Sunmyra ist voller Teilnahme am Leiden des Volkes unter der Gewaltherrschaft, aber gewaltsamer Aktivismus ist ihm innerlich fremd; vielmehr lebt er aus einer »angeborenen Désinvolture« heraus, worunter Jünger, wie im Abenteuerlichen Herzen zu lesen ist, eine aristokratische Distanz des gebildeten Geistes zum äußeren Geschehen versteht.135 Soweit Jüngers Roman. Alle wesentlichen Elemente des mit dem Fürsten Sunmyra und Braquemart beschworenen Gestaltgegensatzes finden sich auch in Forsthoffs Apologie des Juristen gegen den Techniker wieder. Der »Juristentypus alten Stils« (RW, 194) repräsentiert in seinem Denken über die industriellen Gesellschaft die legitimen Mächte von Tradition, Bildung und Ordnung. Demgegenüber erscheint der Techniker als Träger einer zwar hohen Intelligenz, die sich aber zynisch jeder Macht dienstbar anbietet (SIG, 47) und dazu anfällig für surrogatäre Ideologien ist. Forsthoffs Jurist wiederum ist nach dem Ende der Monarchie, nach dem Ende von Beamtentum und Heer der letzte noch verbliebene Gegenspieler gegen die Realisierer einer nihilistischen Technik. Auch er lebt aus der spezifischen »désinvolture« gegenüber dem äußeren Ablauf des Geschehens – Forsthoff bezeichnet sie als ein »Distanzgefühl«, das sich »aus einem außerordentlichen Vertrauen in das Vermögen des Geistes« nährt (RW, 185 f.). Diesem Distanzgefühl entspricht eine besondere Bindung des Juristen an die Ordnung des Bestehenden und seine Bewahrung. Nur der Jurist halte deshalb das rechte Wissen »vom Gang des Geistes durch die Geschichte« (RW, 193) in sich lebendig.136 In dem kurzen Artikel mit dem vielzitierten Titel Der lästige Jurist heißt es: »Der Jurist ist weder Eroberer, noch Reformer, noch Sozialgestalter, sondern Ordner von Lebensverhältnissen, und auch das in einem besonderen Sinne. […] Er weiß sich der Ordnung verbunden, wie sie durch Gesetz und Recht geformt ist, und er kennt schließlich die große Bedeutung, die dem geordneten Verfahren, dem audiatur et altera pars,

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E. Jünger, Das Abenteuerliche Herz (Zweite Fassung, 1938), in: Sämtl. W., Bd. 9, 1979, 260 f. E. Forsthoff, Ansprache an die Teilnehmer des zu Ehren von Prof. Dr. Ernst Forsthoff von der Juristischen Fachschaft der Studentenschaft der Universität Heidelberg am 19. Jan. 1967 veranstalteten Fackelzuges, in: info. Nachrichten für die Studenten der Ruperto Carola Heidelberg v. 16.2.1967, 7, wo Forsthoff die Studenten davor warnte, sich nur auf das Technisch-Normative des Rechts zu verlassen, und dann fortfuhr: »Was Sie selbst hinzu tun müssen, das ist die Ausbildung Ihrer selbst in der Teilhabe an dem geistigsittlichen Weltgeschehen.«

Neuntes Kapitel: »Der Jurist in der industriellen Gesellschaft«

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zukommt.« (RW, 58 f.) Auch vertritt der Jurist innerhalb der geistigen Welt kein bestimmtes Fach, sondern steht inmitten der allgemeinen Verfachlichung als der letzte verbliebene akademischen Nicht-Fachmann.137 Nicht zuletzt verdankt der Jurist seiner aristokratischen »désinvolture« auch eine schlechthin einzigartige Denkweise: »Der Jurist ist in den Motivationen seines Handelns ohne Engagement. Das gibt ihm eine Freiheit, die ihn den Wert von Ruhelagen richtig einschätzen läßt. Der Jurist hat die Geduld für das aus sich Werdende. […] Er hat ein freies, unverstelltes Verhältnis zu den Menschen und Dingen. Er denkt deshalb auch bescheiden über die Vollmacht des Staates zu wirklicher Ordnung.« (RW, 60) Wie Ernst Forsthoff in diesen Aufsätzen die Gestalt des Juristen zeichnete, lag ihr, eher unausgesprochen, aber doch deutlich, eine Voraussetzung zugrunde, die die Gestalt vollends zum Mythos macht: die legitimen geschichtlichen Mächte und Ordnungen müssen auch wirklich bestehen. Wie sollte der Jurist sonst die Einheit von Institutionen, Sprache und Bildung in sich verkörpern? Die geschichtliche Lage in der Bundesrepublik war ja für Forsthoff das glatte Gegenteil von alledem: Die legitimen Mächte? Aufgerieben im Zuge der Revolutionen. Die Bildungswelt der Historischen Schule? Zerrüttet im »Weltbürgerkrieg der Ideologien«. Dennoch blieb der Mythos vom Juristen als Bewahrer für Ernst Forsthoff auf eine bestimmte Art und Weise verbindlich. Er diente ihm dazu, in seiner Zeit wenigstens Bruchstücke der alten Ordnungen fungibel zu halten, solange eine Alternative zu ihnen nicht in Sicht ist und solange die Techniker mit der ihnen verfallenen Wertejurisprudenz am Zuge sind. Dies könnte man als den Kern seiner »Rechtsphilosophie« bezeichnen, wenn es nicht bereits irreführend wäre, im fachmäßig akademischen Sinne von einer Rechtsphilosophie zu sprechen. Was Forsthoff hier in Ansätzen entwickelte, ist eigentlich etwas anderes: eine »Verhaltenslehre« des Juristen in der industriellen Gesellschaft. 2. Das Ende der Geschichte: Die »Technisierung« der Institutionen Dieses Ideal des Juristen war Forsthoffs große Frage an die Zukunft. Der Bundesrepublik freilich maß er dabei nur den Rang einer Zwischenphase bei. Er wähnte sich bereits 1961 in einer »Übergangsepoche […], deren Ende weder zeitlich noch sachlich abzusehen ist«, in der aber die »Konturen einer neuen, Dauer verheißenden Ordnung des sozialen Ganzen« (RW II, 161) bereits langsam sichtbar werden. 1968 sagte er in einem vor der Münchener Siemens-Stiftung gehaltenen Vortrag, er gehe »davon aus, daß wir uns in einer Zeit befinden, die zwar viele Merkmale des Übergangs in neue Ordnungen aufweist, die sich aber noch nicht aus der Epoche gelöst hat, an deren Anfang die französi137

E. Forsthoff, Technisch bedingte Strukturwandlungen des modernen Staates, in: Technik im technischen Zeitalter, hrsg. v. H. Freyer u. a., 1965, 224.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

sche Revolution steht.« (RW II, 195) Forsthoff erkannte diese Zeit des Übergangs zwar ausdrücklich als eine relative »Normallage« an. Es habe gegenüber der Zwischenkriegszeit, »alles in allem, eine Normalisierung stattgefunden.« (RW II, 169). Die Phase der offenen Legitimitätskämpfe ist vorbei, die Rede vom Ausnahmezustand ist diffus und nichtssagend geworden (RW, 210 f.). Das Geschäft des redlichen Juristen in dieser Übergangszeit war, was Forsthoff die »Technisierung« der rechtlichen Institutionen (RW, 50) nannte. Was ist damit gemeint? Nachdem im Zusammenhang mit Forsthoffs Rechtsstaatsbegriff die rechtsdogmatischen Grundstellungen dieser »Technisierung« erörtert worden sind, ist zum Schluß noch einmal nach ihren Prämissen zu fragen. Es galt zunächst, die Rechtswissenschaft aus dem Sog der Legitimitätskonflikte zu befreien, in denen sie sich, wie Forsthoff nicht müde wurde zu betonen, seit 1918 als Wissenschaft innerlich aufgerieben hatte. Der Sturz der Monarchie, nicht 1933 oder 1945, war aus dieser Sicht die kardinale Zäsur.138 Nur unter den Bedingungen einer relativen Normalität, in der die Legitimitätsfrage nicht ernsthaft gestellt wird, würden die rechtsstaatlichen Institutionen überhaupt noch eine Chance haben, fungibel zu bleiben (RW II, 169). Insofern diente auch die Anerkennung der Gegenwart als »Normallage« und der zugrundegelegte Normalitätsbegriff dem Ziel, von der Legitimitätsfrage absehen zu können und waren insofern gezielt artifiziell.139 »Normalität« sollte nach den Umständen nur denen entgegengehalten werden können, die die Situation als überwindungs-, wenn nicht gar umsturzbedürftig ansahen. Der Kampf der weltanschaulichen Bekenntnisse, der in die Katastrophe des Nationalsozialismus geführt hatte, durfte um keinen Preis fortgesetzt werden. So heißt es bereits im Sozialstaatsvortrag von 1953: »In der Tat liefert die Geschichte der letzten 40 Jahre bemerkenswerte und warnende Beispiele dafür, daß Begriffe und Institutionen, als sie in ihrem Bestand gefährdet waren, mit allen möglichen adjektivischen Etiketten versehen wurden, wie der liberale, bürgerliche, soziale, nationale und schließlich nationalsozialistische Rechtsstaat. Sie alle bezeichneten Stationen des Untergangs.« (RW, 35)

– Ein von Carl Schmitt in seinem Sonderdruck naturgemäß mit einer Unmutsbezeugung bedachter Satz.140 Als das Credo der Staatslehre Forsthoffs nach dem Zweiten Weltkrieg kann deshalb eine Randbemerkung aus dem Essay Der introvertierte Rechtsstaat gelten, die Feststellung, daß »die mit dem Verhältnis von Legalität und Legitimität bezeichnete Verfassungsproblematik zur Zeit obsolet ist« (RW, 214). 138

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E. Forsthoff, Die Rückkehr zum Rechtsstaat, in: Deutscher Geist zwischen gestern und morgen, hrsg. v. J. Moras/H. Paeschke, 1954, 335. F. Balke, Der Staat nach seinem Ende, 1996, 379 ff.; H. Firsching, Am Ausgang der Epoche der Staatlichkeit?, in: Metamorphosen des Politischen, hrsg. v. A. Göbel u. a., 1995, 215 f. HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-26958.

Neuntes Kapitel: »Der Jurist in der industriellen Gesellschaft«

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Wenn das aber richtig sein sollte, dann waren alle Positionen und Begriffe aus der Zeit vor der Katastrophe, Schmitts Legitimitätsdenken ebenso wie die geisteswissenschaftliche Richtung und nicht zuletzt Forsthoffs eigene Begriffe aus der Zeit des Totalen Staates, der Lage nicht mehr adäquat: »Unter den Gegebenheiten des Jahres 1961 den geisteswissenschaftlichen Faden von etwa 1930 weiterzuspinnen, ist ein Anachronismus, dessen Wirklichkeitsverfehlung dem Verfassungsjuristen am wenigsten erlaubt ist.« (RW II, 169) Darauf beruhte zuletzt auch Forsthoffs Einwand gegen Smend und seine Schüler: Der politische Raum, der damals noch offen war für über das positive Verfassungsgesetz hinausreichende Legitimitäten, sollte nun durch die neue Stabilität einer sich formierenden Ordnung verschlossen sein. Wozu Forsthoff eine zeitlang geglaubt hatte, mit den Mitteln der Hermeneutik und einem organischen Rechtsverständnis durchdringen zu können, war dahin. Die organische Ganzheit des Rechts zerfiel ihm in ein Konglomerat »technischer« Formen. Die juristischen Konsequenzen, die er aus dieser verwandelten Situation zog, waren denkbar radikal. Sie betrafen alle seine wesentlichen dogmatischen Begriffe. Weil Ernst Forsthoff es vorerst ausschloß, daß sich die Fragmente der rechtsstaatlichen Epoche noch einmal zu einem sinnhaften Ganzen würden zusammenfügen lassen, mußten die Fragmente streng für sich bewahrt werden. »Wir leben […] in einer gefährdeten Wirklichkeit. In dieser Wirklichkeit sind uns die entscheidenden Hilfen die Formalhilfen, die technischen Hilfen, die sozusagen das technische Gerüst des Handelns sind, die das Grundgesetz enthält. Darum habe ich seinerzeit in Bonn die Formel vom sozialen Rechtsstaat aus dem Verfassungsbereich ausklammern wollen, weil sie mir die Fungibilität der Verfassungstechnik der Freiheitsverbürgung zu gefährden schien. Darum bin ich beunruhigt über die Maßnahmegesetze […], weil ich die Befürchtung habe, daß diese institutionellen Formen der Freiheitsverbürgung, auf denen unsere Ordnung und Freiheit beruhen, ins Gleiten kommen, und wir möglicherweise diesem Prozeß tatenlos und mit leeren Händen zusehen.«141

Jedes Institut, jeder tragende Rechtsbegriff des rechtsstaatlichen Verfassungsund Verwaltungsrechts mußte danach so bestimmt werden, daß er gegen das Einströmen konkurrierender materialer Vorstellungen aller Art hermetisch abgedichtet ist. Das hieß, noch einmal thesenhaft formuliert: Was immer an juristischen Institutionen die Zeitläufe überstanden hat und was an »praktizierbare[n] Formalstrukturen« noch vorhanden ist, erfüllt »in der gegenwärtigen Zeit mit ihren nur innerhalb gewisser Grenzen durchschaubaren Wandlungen und Übergängen« (RW II, 162) seine Sicherungsfunktion nur in einer rigiden begrifflichen Technizität. »Es kommt alles darauf an, diese Zeit in geordneter

141

E. Forsthoff, Diskussionsbemerkung zu ›Das Gesetz als Norm und Maßnahme‹, in: VVDStRL 15 (1957), 85 f.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

Entwicklung zu überstehen.«142 Nur höchste begriffliche Strenge kann eine Zeitlang den Wegfall echter Autorität auffangen.143 Nur in der Begriffstechnik bewahrt der Jurist seine Souveränität über eine diffuse Zeit. Nur, indem er sich der »heilsamen Strenge« der bestehenden Formalstrukturen unterordnet, entgeht er dem offenen Nihilismus der austauschbaren Legitimitätsbehauptungen und der Gefahr, »daß die Weltanschauung zur Ausflucht eines juristischen Unvermögens wird« (Lb, 131 f.). Wer sich noch Reflexionen auf Legitimitäten oder »Werte« hingibt, täuscht sich über seine eigene Situation. Er hat schon verloren. Helfen kann dem Juristen nur, um noch einmal die Formulierung Gottfried Benns zu zitieren, die »gezüchtete Absolutheit der Form«. Folgerichtig ist all dies letztlich nur unter der Voraussetzung, daß die gegenwärtige geschichtliche Phase, in der nur der technische Prozeß sich selbst reproduziert, keinerlei neue anerkennungswürdige Ordnungen hervorbringt. Ob Ernst Forsthoff gut daran tat, die Frage nach dem Recht und dem Juristen unter Vorbehalte solcher Reichweite zu stellen, mag man bezweifeln. Doch er hat diese Voraussetzung jedenfalls ausdrücklich akzeptiert: »Die Zeiten des Übergangs«, schrieb er 1961 in Zur Problematik der Verfassungsauslegung, »in denen alles in Frage gestellt scheint und nichts als vordringlicher empfunden wird als die Grundlegung neuer Fundamente, auf denen sich sicher bauen läßt, sind vorbei. Der industriell-bürokratische Prozeß hat eine neue Stufe der […] Daseinsformung erreicht.« (RW II, 167) Diese Daseinsformung folgte, davon war Forsthoff überzeugt, den Gesetzen der »technischen Realisation« und stand außerhalb des Rechts. Niklas Luhmann hat einige Jahre später von der »Nichtjuridifizierbarkeit der großen Probleme unseres Zeitalters« gesprochen.144 Von der desillusionierten Perspektive einer Zeit, zu deren großen Fragen der Jurist nichts mehr beitragen kann und in der er deshalb zu einer sinnlosen Existenz wird, stellt sich noch einmal neu die Frage nach den tragenden Motiven von Forsthoffs Spätwerk. Diese Perspektive erweist dessen geradezu unheimliche Radikalität: Forsthoff glaubte am Schluß wohl kaum noch, das Verhältnis des Juristen zu seinem »Stoff« würde sich noch einmal auf das der Zeit Savignys einstellen lassen oder das kritisch-philologische Ideal der Historischen Schule könnte auch dem Juristen der Bundesrepublik ein professionelles Selbstverständnis anbieten. Er dachte wohl auch nicht mehr, daß die hermeneutische Kunst in der Lage sein könnte, die »demokratisch-sozialen Tendenzen der Zeit« (RW, 172), die technische Realisation und ihren instrumentellen Zugriff auf das Recht aufzuhalten. Die epochale Möglichkeit zu einer solchen 142

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E. Forsthoff, Grundgesetz und soziale Marktwirtschaft, o. D., NL Forsthoff, Ts., 7. Es handelt sich um einen für die Wirtschaftswoche geschriebenen Beitrag. E. Forsthoff, Einiges über Geltung und Wirkung der Verfassung, in: Festschrift für Ernst Rudolf Huber, hrsg. v. E. Forsthoff u. a., 1973, 8. N. Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 2, 1972, 338.

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»schöpferischen Restauration« (R. Borchardt) war in seinen Augen verspielt. Auch wenn er das nie ausgesprochen hat, war Ernst Forsthoff vermutlich klar, welchen Teil er selbst und seine Generation dazu beigetragen hatten. Es ist kein Wunder, daß Forsthoff über solchen Perspektiven am Ende in einen abgründigen Pessimismus, in eine »wilde Schwermut« verfiel. Gleichwohl sah er zu seinem bildungsaristokratischen Ideal von Rechtswissenschaft vorerst keine Alternative. Sein Standpunkt wurde dadurch mehr und mehr zum verlorenen Posten, wie die Attitüde des überhörten Mahners, des »lästigen Juristen« (RW, 57) und des »unbelehrbaren Etatisten«145 unschwer erkennen läßt. Für den Spott brauchte er da nicht zu sorgen. Helmut Ridder meinte: »Forsthoff hat sich als Jurist zum letzten Ritter der Normativität aufgeschwungen. Die Folgen der Quijotterie können nicht ausbleiben.«146 Sicherlich. Doch auf verlorenem Posten schärft sich die Wahrnehmung, sagt Ernst Jünger.147 Und die geistige Schärfe von Forsthoffs Kritik kam gerade daher, daß sie etwas zu halten suchte, was nicht zu halten war. Er hatte nicht selten das überlegene juristische Formempfinden für, doch die Geschichtsmächtigkeit der Rechtswissenschaft eines demokratischen Staates gegen sich. Für sie trat die Katastrophenerfahrung des »aktiven Nihilismus«, aus der sich Forsthoffs Rechtsdenken und Geschichtsbild gebildet hatten, mit der Zeit in den Hintergrund. Er erkannte das schließlich und sah ein, daß sich die zerstörerische Entzweiung von Legalität und Legitimität nicht hatte überwinden lassen. Er erkannte, daß die staatliche Herrschaft nicht ohne eine gesellschaftlich erzeugte Begründung auskam, kurz: daß der zweiten deutschen Demokratie gar nichts anderes übrig blieb, als die juristischen Formen und Institutionen zu ihren neuen Zwecken umzubilden. In der Bonner Republik wurde, konstatierte Luhmann nach ihrem Ende, die Zerstörung der unnennbar gewordenen deutschen Traditionen geradezu zum Arbeitsprinzip der intellektuellen Entwicklung.148 Was tat Forsthoff angesichts des Scheiterns seiner juristischen Lebensideen? Er wandte sich ab von dem, was in der Bundesrepublik den Konservatismus repräsentierte. Die Bezeichnung »konservativ« hatte für ihn jeden Sinn verloren. Das war konsequent für einen, der noch wußte, daß der Konservatismus sich aufgibt, sobald er Legitimitätsfragen ernst nimmt.149 Was konservativ in der Bundesrepublik bedeutete, bestimmten jetzt andere, die in diesem deutschen Staat, alles in allem, eine gelungene Ordnung erkennen konnten.150 Ernst

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E. Forsthoff, Dankesrede, gehalten bei der Entgegennahme des Adenauer-Preises der Deutschland-Stiftung in Saarbrücken, datiert 6.5.1972, Ms., NL Forsthoff. H. Ridder, Epirrhosis?, in: NPL 16 (1971), 331. E. Jünger, Das Abenteuerliche Herz (Zweite Fassung, 1938), in: Sämtl. W., Bd. 9, 1979, 263. N. Luhmann, Dabeisein und Dagegensein (1990), in: Short Cuts, 2000, 82. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 18.9.1949, BW, Nr. 26. J. Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit, 2006.

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Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

Forsthoff fand sich darin ebensowenig wieder wie etwa Arnold Gehlen, der verbittert feststellte, Konservatismus und Progressismus würden wohl bald ununterscheidbar werden.151 Mit dem sogenannten Neo-Konservativismus der »Tendenzwende«-Zeit, der für »Mut zur Bürgerlichkeit«, »Mut zur Erziehung« und »Freiheit der Wissenschaft« stritt, hatte Forsthoff nichts mehr zu tun – auch wenn Jürgen Habermas genau das wirkungsvoll behauptete.152 Sein Ausflug in die Staatspraxis war schon einige Jahre vorher unglücklich verlaufen: Durch eine Reihe von Vortragsreisen nach Griechenland und in die Türkei in den fünfziger Jahre war Forsthoff unter den dortigen Fachkollegen bekannt geworden. So kam es, daß sie ihn im Jahre 1961 für das Amt des Präsident des Verfassungsgerichtshofes der Republik Zypern nach der Unabhängigkeit vorschlugen. Art. 133 Abs. 1 der zypriotischen Verfassung von 1960 schrieb nämlich vor, daß dieses Amt von einem zwischen Griechen und Türken neutralen Inhaber bekleidet werden mußte. Forsthoffs Nominierung führt zu heftigen internationalen Kontroversen um seine Person.153 Der Spiegel brachte über die Affäre einen ausführlichen Artikel.154 Ernst Fraenkel nannte Forsthoffs Berufung einen »internationalen Skandal«155. Auch sonst war es wie immer: »Deutsche Kollegen haben mobil gemacht, was sie konnten, um meine Berufung zu Fall zu bringen.«156 Mit umso mehr Energie widmete Forsthoff sich der neuen Aufgabe und verbrachte nun das halbe Jahr in Nikosia.157 Er hatte 1960 seine Frau verloren und empfand die Herausforderung als eine willkommene Ablenkung. Doch in der Verfassungskrise des Jahres 1963 kam es zum Konflikt zwischen Staatspräsident und Verfassungsgericht, und Forsthoff trat zurück.158 Zurück in Heidelberg ließ Ernst Forsthoff sich 1967 auf eigenen Antrag vorzeitig emeritieren.159 »Dank Hitlers Hochschulgesetz«, schrieb er Gehlen, 151

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A. Gehlen, Die gesellschaftliche Kristallisation und die Möglichkeiten des Fortschritts (1967), in: Ges.-Ausg., Bd. 6, 2004, 333. J. Habermas, Die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik, in: Merkur Nr. 413 (1982), 1053. Eine große Sammlung mit Presseberichten zum Wechsel Forsthoffs nach Zypern hat Carl Schmitt angelegt: HStA Düsseldorf, NL Carl Schmitt, RW 265-21581. Zypern: Forsthoff/Gefahr für alle, Der Spiegel, Nr. 41/1960, 74 ff. Vgl. Personalien, Der Spiegel, Nr. 32/1960, 58. Ernst Forsthoff an Gustav Steinbömer, 20.8.1960, DLA Marbach, NL Steinbömer. Über Forsthoffs dortige private Lebensumstände unterrichtet eine rührende »home story« der Fernseh-Illustrierten Kristall: Der Richter von Zypern. Kristall bei Prof. Ernst Forsthoff, Kristall Nr. 22/1961, 20 ff. Dort finden sich auch eindrucksvolle Bilder, von denen Carl Schmitt so begeistert war, daß er Armin Mohler die Anschaffung des Heftes aufgab (Brief vom 3.11.1961, in: A. Mohler, Carl Schmitt – Briefwechsel mit einem seiner Schüler, 1995, 311 f.). Siehe den Bericht: Zypern: Forsthoff-Rücktritt/Unter Druck, in: Der Spiegel, Nr. 23/ 1963, 64. I.B.S., »Bleiben Sie bei uns!«, in: Rhein-Neckar-Zeitung v. 21./22.1.1967.

Neuntes Kapitel: »Der Jurist in der industriellen Gesellschaft«

479

gehe das erfreulicherweise.160 Sein letztes großes wissenschaftliches Vorhaben, eine mehrbändige Deutsche Verwaltungsgeschichte, die er als federführender Herausgeber betreuen wollte, zerbrach, weil die Förderung eines »unverbesserlichen Nazis« von der Thyssen- und der Volkswagen-Stiftung abgelehnt wurde.161 Forsthoff zog sich nach dieser Entscheidung von dem Unternehmen zurück.162 Noch einmal hielt er seine Vorlesung Allgemeine Staatslehre. Sie war in Heidelberg jahrzehntelang eine über die Fakultäten hinweg berühmte Veranstaltung gewesen, zu der »man ging«.163 Doch der Zuspruch ließ auch hier rasch nach.164 Während die Studenten im Sommer 1967 gegen den Schahbesuch protestierten, beschloß der Heidelberger AStA die kostenfreie Ausgabe von Anti-Baby-Pillen.165 Für Ernst Forsthoff war die Universität damit an ihrem geistigen Ende angekommen. 1972 mußten auch die Ebracher Ferienseminare aus Mangel an Teilnehmern eingestellt werden.166 Mehr und mehr zog Forsthoff sich aus der Öffentlichkeit zurück. »Der Tod meiner Frau, die Jahre auf Zypern und politische Anfeindungen aller Art haben an meinen Kräften gezehrt und mich mehr auf mich selbst zurückgeworfen als es meiner im Grunde geselligen Natur entspricht.«167 Ende 1972 erkrankte Forsthoff schwer. Seine letzten Arbeiten gingen nur noch mühsam voran, weil sie der immer schwächeren Gesundheit abgerungen werden mußten. Auch mußte er noch mit Entsetzen registrieren, wie sein uralter Lehrer Carl Schmitt gewisse Sympathien für den politischen Linksradikalismus der Studentenrevolte entwickelte, die die Legalitätskritik in seinem Sinne wieder auf die Tagesordnung setzte. »Die Nachrichten über die Linksschwenkung von C. S.«, die Forsthoff 1971 an Armin Mohler weitergab, »werden immer erstaunlicher.

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162 163

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Ernst Forsthoff an Arnold Gehlen, 19.1.1961, NL Gehlen. Kurt G.A. Jeserich an Ernst Forsthoff, 25.10.1967, BA Koblenz, NL Jeserich. Im Nachlaß Jeserichs, des langjährigen Leiters des Kohlhammer-Verlages, finden sich umfangreiche Korrespondenzen zu diesem Vorhaben. Die Planungen zu einer großen »Deutschen Verwaltungsgeschichte« hatten um 1960 begonnen. Träger des Vorhabens sollte ein Viererkollegium aus Ernst Forsthoff, Kurt G. A. Jeserich, Reinhart Koselleck und Gerhard Oestreich werden. Doch Koselleck und Oestreich sagten ihre Mitarbeit wegen anderer Belastungen ab, und Forsthoff wurde von der um Unterstützung gebetenen Volkswagenstiftung als »unverbesserlicher Nazi« abgelehnt (s. die Schilderung von K. G. A. Jeserich, Entstehungsgeschichte der »Trilogie«, 1997, 150 ff.). An der später von Jeserich, Hans Pohl und Georg-Christoph von Unruh realisierten Deutschen Verwaltungsgeschichte (6 Bde., 1983 ff.) war Forsthoff nicht mehr beteiligt. Ernst Forsthoff an Kurt G. A. Jeserich, 30.7.1968, BA Koblenz, NL Jeserich, Nr. 22. D. van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 22002, 200; M. Greiffenhagen, Jahrgang 1928, 1988, 82 f. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 4.2.1968, BW, Nr. 241. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 26.7.1967, BW, Nr. 227. D. van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 22002, 208. Ernst Forsthoff an Hillard Steinbömer, 8.5.1967, DLA Marbach, NL Steinbömer.

480

Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

Die neueste Formulierung […]: Mao, der Katechon dieser Zeit. Halten wir das vertraulich, denn es ist nicht unsere Sache, seinen Namen zu ruinieren.«168 Forsthoffs innere Abwendung vom bundesrepublikanischen Konservatismus ist nur brieflich bezeugt. Er war für den Staat der Industriegesellschaft im Mai 1972 mit dem Konrad-Adenauer-Preis der nationalkonservativen Deutschland-Stiftung ausgezeichnet worden. Die Preisverleihung an Forsthoff beschrieb der Journalist Winfried Martini als eine »Demonstration gegen den roten Untergang«.169 Dagegen erhob sich Widerstand aus der CSU, weil Forsthoff als Rechtsgutachter angeblich gegen sudentendeutsche Interessen votiert hatte.170 Auch Ernst-Wolfgang Böckenförde machte Forsthoff die Annahme des Preises zum Vorwurf, freilich aus ganz anderen Gründen. Er sah in der Ehrung eine parteipolitische Vereinnahmung durch eine »pseudo-konservative« Stiftung. Forsthoff antwortete ihm gelassen: »Ich bin nicht ›vereinnahmbar‹, weder durch die Deutschland-Stiftung noch durch irgend jemand sonst. Gehlen schrieb mir, der Preis habe seinen Wert als ein Testimonium der Unbeugsamkeit. So fasse auch ich ihn auf. Ich bin und bleibe, der ich bin, und meine Verachtung der ›Strömungen der Zeit‹ wird von Jahr zu Jahr größer. Es geht mir nicht darum, eine konservative Position zu begründen. Das Wort ›konservativ‹ kommt seit Jahrzehnten in meinem Sprachschatz nicht mehr vor (ohne daß ich mir den antikonservativen Affekt von C[arl] S[chmitt] zueigen mache), weil es mir nichts mehr sagt. Ich beschäftige mich seit ›Verwaltung als Leistungsträger‹ mit realistischen Analysen, um ihre Ergebnisse für eine gute politische Ordnung nutzbar zu machen. Das ist alles. Konservativismus provoziert heute niemanden mehr. Das Wort ist ein Mittel geworden, eine Position durch Verharmlosung unwirksam zu machen – siehe die Besprechung meiner Schrift durch Sontheimer in der FAZ.«171

Das letzte Buch Arnold Gehlens, Moral und Hypermoral, das überhaupt viele Ähnlichkeiten mit Forsthoffs Staat der Industriegesellschaft besitzt, endet mit einem Kapitel »Über Sprachlosigkeit und Lüge«, einer verbitterten Klage über die politische Öffentlichkeit der Bundesrepublik. Differenzierte Gedankengänge hätten in ihr keinen Platz mehr, moralische Großvokabeln brächten

168 169

170

171

Ernst Forsthoff an Armin Mohler, 4.12.1971, DLA Marbach, NL Mohler. W. Martini, Eine Demonstration gegen den roten Untergang, in: Deutschland-Magazin Nr. 3 (1972), 44. Fritz Wittmann (Vorsitzender des Arbeitskreises Deutschland- und Ostpolitik der CSU) an die Deutschland-Stiftung, 12.4.1972 (Kopie), NL Forsthoff. Ernst Forsthoff an Ernst-Wolfgang Böckenförde, 9.5.1972, Sammlung Böckenförde. Gemeint ist die Rezension von Der Staat der Industriegesellschaft durch K. Sontheimer, Das Ende der konservativen Staatslehre, in: F.A.Z. v. 24.8.1971. Der von Forsthoff erwähnte Brief Arnold Gehlens ist im Nachlaß Forsthoffs nicht überliefert. Ernst Jünger bemerkte zu Sontheimers Besprechung in einem Brief an Carl Schmitt: »Ihr Schüler Forsthoff muß etwas Vortreffliches publiziert haben – ich schließe das ex negativo: aus der Kritik eines Herrn Sontheimer, der mir schon öfters in dieser Hinsicht aufgefallen ist.« (Ernst Jünger an Carl Schmitt, 6.10.1971, in: E. Jünger/C. Schmitt, Briefe 1930–1983, 1999, 378).

Neuntes Kapitel: »Der Jurist in der industriellen Gesellschaft«

481

jeden Sachwiderspruch zum Schweigen, der Weg führe unaufhaltsam von der Sprachlosigkeit zur Sprachzerstörung.172 Wie Gehlen sah auch Ernst Forsthoff sich zum Schluß einer »durch Utopien und Anarchismen verbiesterten Öffentlichkeit«173 gegenüber. Doch in einer wachsenden Sprachlosigkeit, ja in Resignation endet auch sein eigenes Werk. Im Verwaltungsrecht zog Forsthoff sich zurück auf die Pflege eines begrifflich hochaggregierten Allgemeinen Teils formaler Institute, während er die Arbeit am materialen Rechtsstoff des Besonderen Verwaltungsrechts als vergeblich verwarf.174 Auch sein Verfassungsrecht schloß mit dem Eingeständnis, etwas substantiell Neues sei überhaupt nicht mehr zu sagen (RW II, 203). Staatsrechtswissenschaft beschränkte sich damit vorläufig auf die erinnernde Wiederholung technisierter Institutionen, auf den geschichtslosen Vollzug jenes »Systems rechtstechnischer Kunstgriffe«. Auch das aber sind »Kristallisationen«, Phänomene des Posthistoire. Solche Erscheinungen, sagt Gehlen, sind Zeichen dafür, daß die geschichtlichen Möglichkeiten mit all ihren Beständen ausentwickelt und keinerlei neue große Konzeptionen mehr zu erwarten sind. Die politischen Avantgarden werden epigonal und sterben ab (RW, 106), obschon Zahl und Tempo oberflächlicher Variationen stark zunehmen. Nichtsdestoweniger sinkt die Wahrscheinlichkeit fundamentaler geistiger Veränderungen.175 Ein sinnlos gewordener technischer Prozeß umkreist in immer schnellerer Bewegung einen geistig entleerten Staat. Unter den Augen verblüffter Utopisten kündigt sich das Ende der bisherigen Geschichte an (SIG, 39). Alle Arten von Revolutionen, ja selbst einschneidende Umgestaltungen der Lage werden so zu fernen Erinnerungen an eine frühere weltgeschichtliche Epoche.176 Was hat diese radikale Skepsis für den späten Forsthoff bedeutet, der sich nun mehr und mehr als letzter »Jurist in der industriellen Gesellschaft« empfand? Die geschichtsphilosophischen Zweifel am Sinn von Rechtswissenschaft verengten seine Perspektive auf zwei konträre Pole: Polemik und Erinnerung. Der eine Ausweg aus der aussichtslosen Situation führte Forsthoff über die »Realanalyse« jener politisch-gesellschaftlichen Strukturen, denen er als Jurist seine geistige Not und Sprachlosigkeit zu verdanken glaubte. So ist es in gewisser Weise konsequent, daß sein Werk mit der scharfsinnigen Dystopie des Staates der Industriegesellschaft endete. Denn diese Analysen kennzeichneten nur noch eine sich in abnormer Normalität stabilisierende Lage. Aus der Sicht eines wirklichen »Juristen« hingegen sollten und konnten sie nichts Neues mehr besagen.

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176

A. Gehlen, Moral und Hypermoral, 1969, 177 ff. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 3.9.1972, BW, Nr. 341. S.o., 3. Kap., S. 150 f. A. Gehlen, Die gesellschaftliche Kristallisation und die Möglichkeiten des Fortschritts (1967), in: Ges.-Ausg., Bd. 6, 2004, 333. A. Gehlen, Über kulturelle Kristallisation (1961), in: Ges.-Ausg., Bd. 6, 2004, 307 f.

482

Vierter Teil: Im Staat der Industriegesellschaft

Und was schließlich den anderen Ausweg angeht, so bestand er darin, in immer neuen Wiederholungen den Zerfall der juristischen Bildungswelt und den Verlust des festen geistigen Grundes in der deutschen Rechtswissenschaft seit dem Ende des 19. Jahrhundert zu bedenken, wie, um sich am Plan einer zerstörten Stadt zu orientieren. Hiervon zeugt einer der nachdenklichsten und dadurch eindrucksvollsten Texte Ernst Forsthoffs überhaupt: der Vortrag, den er im Januar 1967 seinem Heidelberger Amtsvorgänger Gerhard Anschütz zum hundertsten Geburtstag widmete.177 An Persönlichkeit und Werk dieses ungleichen Freundes schilderte er noch einmal die Tugenden, die den wahrhaft großen Juristen auszeichnen: geschichtliches Bewußtsein, Vertrauen in die Verläßlichkeit der Normalität, redlicher Dienst an der Praxis, festes Staatsethos und unverstellte, freie Vaterlandsliebe. So habe Gerhard Anschütz in den Verfassungsumbrüchen des Jahrhunderts, 1918 ebenso wie 1933, »ohne Schwanken zu den Grundüberzeugungen gestanden, die sein großes wissenschaftliches Werk getragen und durchwaltet haben.« Und Ernst Forsthoff schloß seine Rede mit jenen oft zitierten Sätzen, die auch am Ende dieser Untersuchung stehen: »Wir leben in einer Zeit, der es beschieden ist, nicht der Sieger, sondern der Besiegten ehrend zu gedenken. Sie sind es, die Beispiele gegeben und Maße gesetzt haben, denen wir uns verpflichtet wissen.«178

177 178

E. Forsthoff, Gerhard Anschütz, in: Der Staat 6 (1967), 139 ff. Ebd., 150.

Anhang

Danksagung Diese Arbeit hat der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin im Sommersemester 2010 als Dissertation vorgelegen. Für den Druck wurde der Text durchgesehen und gestrafft. Es ist mir eine große Freude, meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Gunnar Folke Schuppert, für das in mich gesetzte Vertrauen und für die Freiheit zu danken, die er mir bei meinen Studien gewährt hat. Ich hätte das Thema nie in Angriff genommen ohne die Anregung und den Zuspruch von Herrn Professor Dr. Jens Kersten, der zudem das Zweitgutachten übernommen hat. Meine Frau und Gefährtin, Dr. Sigrid Boysen, war mir eine verläßliche Ratgeberin und unentbehrliche Hilfe. Sie hat meine Entwürfe gelesen und sie durch ihre treffsichere Kritik entscheidend verbessert. Ich hatte das Glück, mit etlichen Männern sprechen zu dürfen, die Ernst Forsthoff gekannt und ihn mir durch ihre Erzählungen lebendig gemacht haben, namentlich Herrn Bundesverfassungsrichter a. D. Professor Dr. Dr. h.c. mult. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Herrn Professor Dr. Georg-Christoph von Unruh †, Herrn Professor Dr. Dres. h.c. Karl Doehring sowie Herrn Bundesverfassungsrichter a.D. Professor Dr. Hans-Hugo Klein. Für Anregungen, Unterstützung sowie für bereitwillig erteilte mündliche und schriftliche Auskünfte danke ich ferner Professor Dr. Dr. h.c. Axel v. Campenhausen, Dr. Klaus Frey, Professor Dr. Bernhard Gajek, Professor Dr. Hans-Joachim Gehrke, Professor Dr. Dres. h.c. Dieter Grimm, Priv.-Doz. Dr. Ewald Grothe, Dr. Christian Heinze, Professor Dr. Reinhard Mehring, Susanne Müller, Professor Dr. Ulrich K. Preuß, Professor Dr. Karl-Siegbert Rehberg, Dr. Hans-Dietrich Sander, Professor Dr. Bernhard Schlink, Professor Dr. Piet Tommissen sowie dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Professor Dr. Andreas Voßkuhle. Auch stehe ich in der Schuld der Mitarbeiter der Bibliothek des Berliner Wissenschaftszentrums. Herr Professor Dr. Dr. h.c. mult. Michael Stolleis hat mir die Gelegenheit gegeben, meine Überlegungen in seinem Frankfurter Doktorandenseminar zur Diskussion zu stellen. Herr Dr. Gerd Giesler hat an der Entstehung der Arbeit von Beginn an den freundlichsten Anteil genommen, mich ermutigt, mir unzählige Hinweise gegeben und mir eine vorzügliche verlegerische Betreuung zuteil werden lassen.

486

Anhang

Schließlich und ganz besonders danke ich Herrn Dr. Martin Forsthoff und Herrn Jürgen Tröger. Sie haben mir die Benutzung des wissenschaftlichen Nachlasses Ernst Forsthoffs ohne Vorbedingung gestattet. Ohne Herrn Jürgen Tröger hätte ich dieses Buch in seiner jetzigen Gestalt nicht schreiben können. Er stand mir bei der Erschließung des umfangreichen Materials unermüdlich zur Seite und half mir mit seiner außergewöhnlichen Kenntnis des geistesgeschichtlichen Stoffes, die richtigen Fragen zu stellen. Berlin, Januar 2011,

F. M.

Siglen Aufsätze, die in einer der beiden Auflagen der Sammlung Rechtsstaat im Wandel (RW, RW II) enthalten sind, sind, soweit unverändert, grundsätzlich nach dieser späteren Fundstelle zitiert, in beiden Auflagen enthaltene Texte nach der ersten (dazu die Konkordanz auf S. 491). BW DGD, II, III GrR KGV Lb, Lb II–X ÖKB RlV RuS RW, RW II SIG TS, TS II VfG, VfG II VwL

E. Forsthoff/C. Schmitt, Briefwechsel 1926–1974, hrsg. v. D. Mußgnug/ R. Mußgnug/A. Reinthal, Berlin 2007 (zit. n. Datum und Nr.). Deutsche Geschichte seit 1918 in Dokumenten. Mit verbindendem Text, Leipzig 1935; Stuttgart 21938; 31943 u.d.T. Deutsche Geschichte von 1918 bis 1938 in Dokumenten. Grenzen des Rechts, Königsberg 1941. Die Krise der Gemeindeverwaltung im heutigen Staat, Berlin 1932. Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I: Allgemeiner Teil, München u.a. 1950; 21951; 31953; 41954 (unv. Nachdr.); 51955 (unv. Nachdr.); 61956; 71958; 81961; 91966; 101973. Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat. Eine Untersuchung über die Bedeutung der institutionellen Garantie in den Artikeln 127 und 137 der Weimarer Verfassung, Tübingen 1931. Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, Stuttgart 1959. Recht und Sprache. Prolegomena zu einer richterlichen Hermeneutik, Halle (Saale) 1940; Darmstadt 21964 (unv. Nachdr.); 31971 (unv. Nachdr.). Rechtsstaat im Wandel. Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1950–1964, Stuttgart 1964; München 21976, hrsg. v. K. Frey u.d.T. Rechtsstaat im Wandel. Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1954–1973. Der Staat der Industriegesellschaft. Dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, München 1971; 21971 (unv. Nachdr.). Der totale Staat, Hamburg 1933; 21934. Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, Berlin 1940; 21961 u.d.T. Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit. Ein Abriß; 31967 (unv. Nachdr.); 41972 (unv. Nachdr.). Die Verwaltung als Leistungsträger, Stuttgart 1938.

Abkürzungen AevKR AnnDR AöR BA BB Best. BGHZ BVerfGE DLA DÖV DR DRw DRZ DV DVBl DZ EvStL Ew FG FHI GDC GLA GStA GuG GWU HdSW HPB HRG HStA HZ JZ KJ Kv. LA LHA Ms. NJW NL NPL

Archiv für evangelisches Kirchenrecht Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung und Wissenschaft Archiv des öffentlichen Rechts Bundesarchiv Betriebs-Berater Bestand Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Deutsches Literaturarchiv Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Recht Deutsche Rechtswissenschaft Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitung Evangelisches Staatslexikon Energiewirtschaft Festgabe Forum Historiae Juris Glaubensgemeinschaft Deutscher Christen Generallandesarchiv Geheimes Staatsarchiv Geschichte und Gesellschaft Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Das Historisch-Politische Buch Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Hauptstaatsarchiv Historische Zeitschrift Juristenzeitung Kritische Justiz Konvolut Landesarchiv Landeshauptarchiv Manuskript Neue Juristische Wochenschrift Nachlaß Neue Politische Literatur

490 NZSTh PVS REM Rg RGZ RJ s.p. SJZ Sp. Tl. Ts. UA VfZ VSWG VVDStRL ZAkDR ZevKR ZfP ZgStW ZKG ZöR Zs.

Anhang Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie Politische Vierteljahresschrift Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Rechtsgeschichte (Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte) Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rechtshistorisches Journal ohne Seitenzählung Süddeutsche Juristenzeitung Spalte Teil Typoskript Universitätsarchiv Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zeitschrift für Politik Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift

Seitenkonkordanz zu Rechtsstaat im Wandel 1. Aufl. 1964 2. Aufl. 1976 (RW) (RW II)

Titel

Ort des Erstdruckes

13–26



Der moderne Staat und die Tugend

Tymbos für Wilhelm Ahlmann, Berlin 1950, 80–91.

27–56

65–89

Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates

VVDStRL 12 (1954), 8–36.

57–62

227–231

Der lästige Jurist

DÖV 1955, 648–650.

63–77



Haben wir zuviel oder zuwenig Staat?

Selbständigsein und Staat, Bonn 1955, 25–40.

78–98

105–121

Über Maßnahme-Gesetze

Forschungen und Berichte aus dem Öffentlichen Recht. Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, 1955, 221–236.

99–110

14–24

Das politische Problem der Autorität

Horizonte, Bd. 1, 1956, 1–9.

111–128



Die Daseinsvorsorge und die Kommunen

Köln 1958.

129–146



Anrecht und Aufgabe einer Verwaltungslehre

Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, Stuttgart 1959, 47–63.

147–175

130–152

Die Umbildung des Verfassungsgesetzes

Festschrift für Carl Schmitt, Berlin 1959, 35–62.

176–184

122–129

Die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG)

DÖV 1959, 41–44.

185–196

232–242

Der Jurist in der industriellen Gesellschaft

NJW 1960, 1273–1277.

197–212

1–13

Die Bundesrepublik Deutsch- Merkur 151 (1960), 807–821. land

212–227

175–187

Der introvertierte Rechtsstaat Der Staat 2 (1963), 385–398. und seine Verortung

492

Anhang



25–38

Verfassung und Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik

Merkur 241 (1968), 401–414.



39–49

Wer garantiert das Gemeinwohl?

Zeitwende 6 (1973), 404–413.



50–64

Verfassungsprobleme des Sozialstaats

Münster 1954.



90–104

Strukturwandlungen der modernen Demokratie

Berlin 1964.



153–174

Zur Problematik der Verfassungsauslegung

Stuttgart 1961.



188–201

Von der Staatsrechtswissenschaft zur Rechtsstaatswissenschaft

Studium Generale 21 (1968), 692–704.



202–226

Zur heutigen Situation einer Verfassungslehre

Epirrhosis, Berlin 1968, Bd. I, 185–211.



243–256

Rechtsstaat oder Richterstaat? Vorträge auf der Tagung Evangelischer Juristen 1969, München 1970, 7–21.

Quellen und Literatur I. Archive und Sammlungen 1. Nachlaß Ernst Forsthoff, Privatbesitz, Heidelberg a) Unveröffentlichte Schriften Die Macht und die kirchliche Ordnung (undatiert, 1933/34), mschr., 10 S. Gutachten zur Trennung von Staat und Kirche. 1. Teil (unvollendet), datiert 1941, mschr., 46 S. [darauf hschr. vermerkt: »Vollendung infolge Einberufung zum Wehrdienst unterblieben«]. Aufgabe und Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft (Fragment), hschr., 91 Bl., datiert: Wien, April 1942. [Manuskripte zur Geschichte des Konservatismus, alle Mitte der 1940er Jahre]: Gliederung, hschr., 2 Bl.; Einleitung (Fragment), hschr., 9 Bl.; Die Entstehung des Konservatismus, mschr., 30 S.; Klassik und Romantik, mschr., 11 S.; Die Frühromantik, mschr., 16 S.; Die Entstehung des altständischen Konservatismus, mschr., 7 S. Weltanschauung als Geschichtsmacht, 3 Fassungen, hschr., nach 1945: Fassung A: 10 Bl., Fassung B: 16 Bl., Fassung C: 17 Bl. Die Institutionen als Rechtsbegriff. Ein Beitrag zur Begründung der institutionellen Rechtslehre [Franz Beyerle gewidmet], 1947, mschr., 61 S.; frühere Fassung u.d.T.: Die Institution als Rechtsbegriff. Zugleich ein Beitrag zu Soziologie des institutionellen Rechtsdenkens, o. D. (1944), Ts., 30 S. Graf Paul Yorck von Wartenburg. Eine zeitgemäße Erinnerung, hschr. Fragment, undatiert, 1 Bl. Allgemeine Ratschläge für das Studium, hschr., undatiert, nach 1945, 21 Bl. Zur Reform des Wirtschaftsrats, mschr., undatiert (Anfang 1948), 4 S. Vom Sinn des Föderalismus, mschr., undatiert (1947/48), 6 S. Die Neuordnung Deutschlands nach der Rüdesheimer Konferenz, mschr., datiert Hamburg, den 22. Juli 1948, 7 S. Die Einheit der Justiz nach dem Grundgesetz (Fragment, 1952/53), vorgesehen für eine Festschrift für Carl Schmitt zum 65. Geburtstag, hschr., 5 Bl. Der Bundespräsident (Fragment, 1950er Jahre), mschr., 3 S. Die Technik des Terrors, undatiert (1940er Jahre), mschr., 6 S. Grundgesetz und soziale Marktwirtschaft (Beitrag, geschrieben für die Wirtschafts-Woche), mschr., 1974, 7 S. b) Vorlesungsmanuskripte Verwaltungsrecht, datiert: »S[ommer]-S[emester] 1931«, hschr., 78 Bl. Staatslehre (Volk und Staat), Wintersemester 1943/44, hschr., 65 S.

494

Anhang

Französische Einflüsse auf die moderne Verfassungslehre, Wintersemester 1950/51, hschr. Konzept, 10 Bl. Verwaltungsrecht I und Verwaltungsrecht II, ca. 200 S., unsortiert. Allgemeine Staatslehre, Sommersemester 1965, hschr. Konzept, 36 Bl. c) Vortragsmanuskripte Die Krise des Völkerrechts (Vortrag in Dorpat und Reval (Estland) im November 1937), teilw. mschr., teilw. hschr. Konzept, 9 S. Friedrich Karl v. Savigny (Vortrag im Reichssender Königsberg am 3. März 1939), mschr., 8 S. Otto Mayer (Vortrag im Reichssender Königsberg am 6. April 1939), mschr., 11 S. Rudolf Ihering (Vortrag im Reichssender Königsberg am 20. März 1939), mschr., 12 S. Das Studium des öffentlichen Rechts (Vortrag in Leipzig am 5.10.1940), hschr., 7 S. Daseinsvorsorge als Aufgabe der Sozialgestaltung in Staat und Gemeinde (Vortrag im Rahmen des 11. staatswissenschaftlichen Fortbildungskurses der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer 16.–27. Oktober 1950), mschr., 17 S. Tendenzen und Kräfte im heutigen Verfassungsleben (Vortrag vor dem Verband der nordrheinischen Textilindustrie in Düsseldorf am 25.9.1951), mschr., 16 S. Der Staat und die Verbände (Vortrag in Herrenalb am 2.11.1953), hschr. Konzept., 5 Bl. Rechtsstaat und Wirtschaft (Vortrag in Lüdenscheid am 17.10.1953), hschr. Konzept., 6 Bl. Über Toleranz (Vortrag auf dem Dozententreffen auf Einladung der Theologischen Fakultät Heidelberg am 31.1.1953 in Haarlass), hschr., 8 S. Zur geistigen Struktur des frühen deutschen Konservativismus (Vortrag vor der Evangelischen Akademie Baden am 8. Mai 1953), mschr., 16 S. Rechtsfragen der leistenden Verwaltung (Vortrag vor der Verwaltungsakademie Baden), undatiert (1950er Jahre), mschr., 12 S. Die Situation der rechtsstaatlichen Verfassung (Vortrag in Ebrach, o.D.), mschr., 2 S. Eine Gefahr für den sozialen Rechtsstaat? (Vortragsmanuskript für den Deutschlandfunk), undatiert, mschr., 8 S. Vortrag über die Industriegesellschaft, Ebrach, 9.10.1970 (Mitschrift), 25 S. Wandlung oder Ende des Staates? (Vortrag in Konstanz am 12. Januar 1973), mschr., 17 S. d) Korrespondenzen Briefwechsel Ernst Forsthoffs mit Gerhard Anschütz, Kurt Ballerstedt, Hans Barion, Paul Bockelmann, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Hans Brandt, Willi Brundert, Bodo Dennewitz, Arnold Ehrhardt, Karl Engisch, Verlag Ferdinand Enke, Horst Ehmke, Arnold Gehlen, Paul Gerhard, Friedrich Giese, Wilhelm Grewe, Gerhard Günther, Else Hann, Hermann Harleß, Alfred Heuß, Fritz von Hippel, Ernst Rudolf Huber, Willy Kramp, Verlag W. Kohlhammer, Karl Lohmann, Frau Lohmann, Walter Mallmann, Karl Heinz Mende, Wilhelm Menn, Günther Müller, Martin Noth, Karl Pfannkuch, Gustav Radbruch, Helmut Ridder, Ulrich Scheuner, Friedrich Alfred Schmid-Noerr, Hans Schomerus, Erich Schwinge, Wolfgang Siebert, Rudolf Smend, Hans Spanner, Edmund Spohr, Wilhelm Stapel, Gustav Hillard Steinbömer, Theodor Steltzer, Wilhelm Emanuel Süskind, Hans Thieme, Georg-Christoph von Unruh, Friedrich Vorwerk, Werner Weber, Georg Weippert, Franz Wieacker, Erik Wolf, Hans Zehrer, Benno Ziegler und Walther Ziesemer. e) Aufzeichnungen und Skizzen Konvolut »Zwangsläufigkeit der Technik« (datiert 1942), hschr., 10 S. Mitte der Dinge (datiert August/September 1942) [notiert: »zu: Fritz Klatt, Sieg über die Angst. Die Weltangst des modernen Menschen und ihre Überwindung durch Rainer Maria Rilke, Berlin 1940«], hschr., 6 S.

495

Quellen und Literatur

Historismus und Tradition (undatiert, 1943?) [notiert: »zu Eberhard Grisebach, Die Schicksalsfrage des Abendlandes. Sturmzeit, Grundlagenbesinnung, Aufbaugedanken, BernLeipzig 1942«], hschr., 5 S. Fragmentarisches zum Thema Technik (1942), hschr., 10 S. Über den Frieden. Zur geistigen Lage. Bemerkungen zur politischen Lage (1945/46), hschr., 7 S. Ideen und Analekten (Aufzeichnungen und Skizzen, begonnen Mai 1945), hschr., 17 S. Kv. »Rechtsfindung des Richters«: Fragmente und Entwürfe, entstanden zwischen 1933 und 1938, überw. hschr., ca. 200 S. Die Verwaltung als Leistungsträger. Zur Methode und Dogmatik (Entwurf), undatiert, hschr., 4 S. Skizzen zum zweiten Band des Lehrbuchs der Verwaltungsrechts (undatiert, 1950er/60er Jahre), teilw. hschr., teilw. mschr., 1 Kv. f) Sonstige Materialien Schriftsätze aus dem Entnazifizierungsverfahren. Der Neue Mensch. Eine evangelische Zeitschrift (Probeheft zur Vorlage bei der Amerikanischen Militärregierung), August 1946. Verschiedene Belegexemplare der Zeitschriften Pressedienst für undoktrinäre Politik, UnionPressedienst, Das Andere Deutschland (Unabhängiges Organ für entschiedene demokratische Politik), CDU-Echo, Die deutsche Wirklichkeit. Akten und Korrespondenz zu den Ebracher Ferienseminaren, ungezählte Konvolute, 1957– 1973. 2. Sammlung Professor Dr. Dr. Dres. h.c. mult. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Au b. Freiburg Briefwechsel Ernst Forsthoff/Ernst-Wolfgang Böckenförde 1957–1972 3. Privatsammlung, Augsburg NL Arnold Gehlen (nach Transkriptionen von Prof. Dr. K.-S. Rehberg, Dresden) 4. Sammlung Dr. Hans-Dietrich Sander, Fürstenwalde/Spree Briefwechsel Ernst Forsthoff/Hans-Dietrich Sander 1968–1973 5. Sammlung Dr. Gerd Giesler, Berlin Briefwechsel Ernst Forsthoff/Otto v. Braunbehrens 1947–1957 sowie andere Schriftwechsel im Zusammenhang mit Forsthoffs Entnazifizierungsverfahren 6. Bundesarchiv Koblenz N 1183 N 1220 N 1402 N 1472 N 1529 N 1550

Rudolf Stadelmann Hans Peters Kurt G. A. Jeserich Roman Schnur Werner Weber Ernst Rudolf Huber

7. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde NS 16 R 61 R 4901

Nationalsozialistischer Deutscher Rechtswahrerbund Akademie für Deutsches Recht Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung

496

Anhang

8. Deutsches Literaturarchiv Marbach A: Hillard Gustav Hillard Steinbömer A: Mohler Armin Mohler A: Ritter Joachim Ritter A: Schröder Rudolf Alexander Schröder A: Petersen Julius Petersen A: Stapel Wilhelm Stapel Best. Luchterhand-Verlag Best. Merkur Best. Merkur (›Deutscher Geist zwischen gestern und morgen‹) 9. Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Berlin-Mitte HA IX/11, PA 4173

Forsthoff, Ernst

10. Archiv des Diakonischen Werkes, Berlin-Kreuzberg Best. Friedrich Vorwerk Verlag HGSt 6925

Gutachterliche Äußerung von Ernst Forsthoff in Sachen Pfarrer Fiebig gegen evangelische Kirchengemeinde

11. Evangelisches Zentralarchiv, Berlin-Kreuzberg Best. 7, Nr. 9903 Best. 1/2301 Best. 68, Nr. 28

Evangelischer Oberkirchenrat: Ernst Forsthoff, Rechtsgutachten in Sachen des Domes zu Quedlinburg, 1936. Kirchenkanzlei: Disziplinarhof der DEK Disziplinarhof der DEK

12. Österreichisches Staatsarchiv Kurator für die wissenschaftlichen Hochschulen Wiens: Akte Forsthoff, Ernst 13. Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, München MA 607-1

Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung

14. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam NL Alfred Heuß 1 15. Landesarchiv Schleswig-Holstein Abt. 399.55 Abt. 460.19 Nr. 93 Abt. 460.19 Nr. 397

Theodor Steltzer Entnazifizierungsakte Ernst Forsthoff Personalakte Ernst Forsthoff (Landesbesoldungsamt)

16. Generallandesarchiv Karlsruhe 465a/Ztr.Spr.K/B/Sv/2235 Entnazifizierungsakte Ernst Forsthoff

1

Zur Zeit zur Bearbeitung im Deutschen Archäologischen Institut, Berlin-Dahlem. Ich danke dem Direktor, Herrn Professor Hans-Joachim Gehrke, für die freundliche Erlaubnis, die Briefe Heuß’ einzusehen.

497

Quellen und Literatur 17. Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv Düsseldorf/Landesarchiv NordrheinWestfalen, Abteilung Rheinland RW 265 RW 260 RW 579

Carl Schmitt Sammlung Carl Schmitt Sammlung Tommissen

18. Bonn, Archiv der Juristischen Fakultät Dekanat Nr. 437

Promotionsakte Ernst Forsthoff

19. Universitätsarchiv der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg PA 2670, 3787–3790 UAH HAW 858

Personalakte Ernst Forsthoff Heidelberger Akademie der Wissenschaften

20. Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main NL 7

Wilhelm Grewe

21. Universitätsarchiv der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau B 17 B24/820 B 110 C5 C 130 E7

Akademische Quästur Personalakte Ernst Forsthoff Dekanat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Franz Beyerle Erik Wolf Familie von Hippel (Fritz von Hippel)

22. Universitätsarchiv der Justus-Liebig-Universität Gießen NL Herbert Krüger 23. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Cod. Ms. R. Smend Cod. Ms. F. Gogarten

Rudolf Smend Friedrich Gogarten

24. Universitätsarchiv Tübingen UAT 652

Adolf Schüle

25. Universitätsbibliothek der Universität zu Köln Zugang 493/1

Ernst von Hippel

26. Münchener Stadtbibliothek/Monacensia NL Otto Freiherr von Taube

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Anhang

II. Veröffentlichte Quellen und Literatur 1. Schriften Ernst Forsthoffs a) Selbständige Schriften Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat. Eine Untersuchung über die Bedeutung der institutionellen Garantie in den Artikeln 127 und 137 der Weimarer Verfassung, Tübingen 1931. (mit Tula Simons) Die Zwangsvollstreckung gegen Rechtssubjekte des öffentlichen Rechts, Berlin 1931. Die Krise der Gemeindeverwaltung im heutigen Staat, Berlin 1932. Der totale Staat, Hamburg 1933; 21934. Deutsche Geschichte seit 1918 in Dokumenten. Mit verbindendem Text herausgegeben von Ernst Forsthoff, Leipzig 1935; 21938; 31943. Öffentliches Recht. Textsammlung, zusammengestellt von Ernst Forsthoff, Hamburg 1935. Die Verwaltung als Leistungsträger, Stuttgart 1938. Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, Berlin 1940, 21961, 31967, 41972. Recht und Sprache. Prolegomena zu einer richterlichen Hermeneutik, Halle (Saale) 1940, 21964, 31971. Grenzen des Rechts. Vortrag gehalten auf der Kant-Feier der Albertus-Universität am 12. Februar 1941, Königsberg 1941. Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, München u.a. 1950, 21951, 31953, 41954, 51955, 61956, 71958, 81961, 91966, 101973. (mit Kurt Ballerstedt, Rolf Dahlgrün. Otto A. Friedrich, Carl Neumann, H. Premer und Theodor Steltzer) Mitbestimmungsrecht und Bundeswirtschaftsrat. Vorschläge für ihre Regelung, o.O. (Privatdruck) o. J. (1950). Verwaltungsorganisation, in: Die Verwaltung, Heft 18, hrsg. v. Friedrich Giese, 1951. Gutachten über die rechtliche Stellung der Technischen Überwachungs-Vereine, 21952. (mit Alfred Hueck) Die politischen Streikaktionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes anläßlich der parlamentarischen Beratung des Betriebsverfassungsgesetzes in ihrer verfassungs- und zivilrechtlichen Bedeutung. Zwei Rechtsgutachten, Köln 1952. (mit Andrew Grapengeter, Ludwig Gebhard, Herbert Jensen, Georg Lindemann und Hermann Stroebel) Gutachten über die Erfordernisse der Bau- und Bodengesetzgebung (Weinheimer Gutachten), Hamburg 1952. Einleitung zum Bonner Grundgesetz, Gerabonn 1953. Die Verfassungswidrigkeit des Investitionshilfegesetzes. Rechtsgutachten für den Verband der weiterverarbeitenden Industrie, Lüdenscheid o.J. (1953). Ergänzende Bemerkungen zur Rechtswidrigkeit des Investitionshilfegesetzes, Lüdenscheid o. J. (1954). Ist die Bodenreform in der Deutschen Demokratischen Republik im Falle der Wiedervereinigung als rechtswirksam anzuerkennen? Rechtsgutachten für die Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzerverbände Bonn, Heidelberg 1954. Verfassungsprobleme des Sozialstaats, Münster 1954. Fragen der Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des Wasserrechts. Rechtsgutachten vom 16. Januar 1956, 1956. Die Daseinsvorsorge und die Kommunen. Ein Vortrag, Köln 1958. (mit Paul Berkenkopf) Die gemeinwirtschaftliche Verkehrsbedienung der Deutschen Bundesbahn, Darmstadt 1958. Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, Stuttgart 1959. Die Verfassungswidrigkeit der Zweigstellensteuer. Rechtsgutachten, Köln u.a. 1960. Zur Problematik der Verfassungsauslegung, Stuttgart 1961. Der Staat als Auftraggeber. Unter besonderer Berücksichtigung des Bauauftragswesens, Stuttgart 1963.

Quellen und Literatur

499

Rechtsstaat im Wandel. Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1950–1964, Stuttgart 1964. Strukturwandlungen der modernen Demokratie, Berlin 1964. Stadt und Bürger in der modernen Industriegesellschaft, Göttingen 1965. Rechtsgutachten betreffend Entschädigungsansprüche der durch die Rückerstattung betroffenen loyalen Erwerber, Linz am Rhein 1966. Der Verfassungsschutz der Zeitungspresse, Frankfurt am Main u.a. 1969. (mit Willi Blümel) Raumordnungsrecht und Fachplanungsrecht, Stuttgart 1970. (mit Werner Weber) Der Rechtsstreit vor den Verwaltungsgerichten über die Verbotsverfügung der Innenminister der deutschen Länder gegen den Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff). 2 Rechtsgutachten, Pähl 1970. Der Staat der Industriegesellschaft. Dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland München 1971. Rechtsstaat im Wandel. Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1954–1973, hrsg. v. Klaus Frey, München 21976. Ernst Forsthoff/Carl Schmitt, Briefwechsel 1926–1974, hrsg. v. Dorothee Mußgnug/Reinhard Mußgnug/Angela Reinthal, Berlin 2007. b) Herausgegebene Werke Philipp Otto Runge, Schriften, Fragmente, Briefe, hrsg. v. Ernst Forsthoff, Berlin 1938. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 2 Bde., in neuer Übertragung eingeleitet und hrsg. v. Ernst Forsthoff, Tübingen 1951. Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit. Aufsätze und Essays, hrsg. v. Ernst Forsthoff, Darmstadt 1968. Lorenz von Stein, Gesellschaft – Staat – Recht, hrsg. und eingeleitet von Ernst Forsthoff, mit Beiträgen von Dirk Blasius, Ernst-Wolfgang Böckenförde und Ernst Rudolf Huber, Frankfurt am Main u. a. 1972. c) Abhandlungen, Aufsätze und Essays Der Ausnahmezustand der Länder, in: AnnDR Jg. 1923–1925 (1926), 138–194. Zur Konkordatsfrage, in: Reformierte Kirchenzeitung 1927, 130–131. Die unmittelbare Reichsaufsicht, in: AöR 58 (1930), 61–82. Die Friedensfrage und die evangelische Kirche (unter dem Pseudonym ›Rudolf Langenbach‹), in: Der Ring 3 (1930), 236–237. Die katholische Kirche und die deutschen Minderheiten (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 3 (1930), 246–247. Oekumenisches (unter dem Pseudonym ›Rudolf Langenbach‹), in: Die Standarte 1930, 302–305. Politische Geschichtsschreibung ohne Staatsidee? (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 3 (1930), 335–337. Die Krisis des Staatsdenkens (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1931, 169–177. Bismarcks Sozialpolitik (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 175–176. Der Volksbegriff der Weimarer Reichsverfassung (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 67–68. Die geistigen Grundlagen der politischen Parteien (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 78–79. »Die theologischen Voraussetzungen der Politik« (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 903–904. Entpolitisierung oder totale Mobilmachung? (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 132–133.

500

Anhang

Freiherr vom Stein und die Selbstverwaltung (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 483–484. Justizkrise und Krisenjustiz (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 5 (1931), 653–655. Neues staatsrechtliches Schrifttum (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1931, 228–231. »Totale Mobilmachung« (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 4–5. Staatsrechtswissenschaft und Weltkrieg, in: Blätter für Dt. Philosophie 5 (1931/1932), 292– 301. Der Rechtsstaat in der Krise (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1932, 260–265. Die Gliederung des Reiches (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Was wir vom Nationalsozialismus erwarten, hrsg. v. Albrecht Erich Günther, Heilbronn 1932, 81–89. Presse, Rundfunk und Staat (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Dt. Volkstum 1932, 347–353. Um die kommunale Selbstverwaltung. Grundsätzliche Bemerkungen, in: Zs. f. Politik 21 (1932), 248–267. Die Rundfunkreform (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Dt. Volkstum 1932, 766–767. Radikale Politik (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Dt. Volkstum 1932, 811– 812. Liberaler und totaler Staat, in: Die Dt. Volkswirtschaft 1933, 423–427. Die staatliche Totalität und die evangelische Kirche, in: Dt. Adelsblatt 1933, 825–826. Gegen ein evangelisches Konkordat (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Volkstum 1933, 788–790. Recht, Richter und nationalsozialistische Revolution, in: Dt. Adelsblatt 1933, 714–715. Über Gerechtigkeit, in: Dt. Volkstum 1934, 969–974. Der Neubau der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, in: DJZ 1934, Sp. 308–311. Der Formalismus im öffentlichen Recht, in: DR 4 (1934), 347–349. Das neue Gesicht der Verwaltung und die Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 331–333. Hitlers Friedenspolitik und das Völkerrecht, in: Dt. Adelsblatt 1935, 840–841. Führung und Bürokratie. Einige grundsätzliche Erwägungen, in: Dt. Adelsblatt 1935, 1339– 1340. Nationale Friedenspolitik. Zu dem gleichnamigen Buch Heinrich Rogges, in: Europäische Revue XI (1935), 99–103. Richter und Rechtsprechung, in: Dt. Volkstum 1935, 20–26. Von den Aufgaben der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DR 5 (1935), 398–400. Kriegswirtschaft und Sozialverfassung, in: Kriegswirtschaftliche Jahresberichte, hrsg. v. Kurt Hesse, Hamburg 1936, 46–55. Zur Rechtsfindungslehre im 19. Jahrhundert, in: ZgStW 96 (1936), 49–70. Die Aufsicht der Zentralgewalt über die örtlichen Gewalten und die öffentlichen Einrichtungen, in: Deutsche Landesreferate zum II. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung im Haag 1937, hrsg. v. Ernst Heymann, Berlin und Leipzig 1937, 492–501. Führung und Planung, in: DR 7 (1937), 48–49. Nationalsozialismus und Selbstverwaltung, in: Deutsches Verwaltungsrecht, hrsg. v. Hans Frank, München 1937, 176–184. Über kollektive Sicherheit. Grundsätzliche Anmerkungen, in: Europäische Revue XIII (1937), 151–121. Vom Zweck im Recht, in: ZAkDR 4 (1937), 174–177. Vom Ethos des Ernstfalles (unter dem Pseudonym ›Dr. Friedrich Grüter‹), in: Dt. Adelsblatt 1938, 1462–1463.

Quellen und Literatur

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Zur Lage der heutigen Staatstheorie (unter dem Pseudonym ›Friedrich Grüter‹), in: Dt. Adelsblatt 56 (1938), 1431–1433. Die Verträge zwischen Staat und evangelischer Kirche. Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom öffentlich-rechtlichen Vertrag, in: DRw 1939, 141–155. Die Verkündung und das Kirchenrecht, in: AevKR 4 (1940), 18–30. Res sacrae, in: AöR 70 (1940), 209–254. Die neueste Rechtsentwicklung in der evangelischen Kirche (anonym), in: Der Neue Mensch 1 (1946), 62–67. Zur Problematik der Rechtserneuerung, in: Zeitwende 19 (1947/1948), 679–691. Die gescheiterte Revolution, in: Zeitwende 20 (1948), 397–407. Montesquieus Esprit des Lois. Zum Gedächtnis des Erscheinens im November 1748, in: DRZ 1948, 405–408. Die deutsche Staatskrise und das Grundgesetz, in: Zeitwende 21 (1949), 321–332. Die Schwerbeschädigten-Ablösung in der amerikanisch besetzten Zone, in: BB 1950, 677–679. Zur verfassungsrechtlichen Stellung und inneren Ordnung der Parteien, in: DRZ (1950), 313– 318. Der moderne Staat und die Tugend, in: Tymbos für Wilhelm Ahlmann, Berlin 1951, 80–91. Das Elternrecht juristisch beleuchtet, in: Christen und Nichtchristen in der Rechtsordnung, hrsg. v. d. Studiengemeinschaft der Evangelischen Akademie in Deutschland, Bad Boll o.J. (1950), 63–83. Die Wirtschaftsverfassung im Rahmen der Gesamtverfassung, in: Ratgeber von Parlament und Regierung, hrsg. v. Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten, Frankfurt am Main 1951, 127–149. Verfassungsrechtliche Prolegomena zu Art. 33 Abs. 5 GG, in: DÖV 1951, 460–461. Zur Einführung, in: Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, hrsg. v. Ernst Forsthoff, Bd. 1, Tübingen 1951, V–LVI. Zur Rechtsgültigkeit der Westfälischen Ordnung für das Verfahren bei Verletzung der Amtspflichten von Geistlichen vom 1.9.1945, in: ZevKR 1 (1951/52), 287–301. Die Sozialgebundenheit des Eigentums auf dem Gebiet des Baurechts, in: BBauBl 1952, 179–181. Die Verkehrssicherungspflicht in Ansehung öffentlicher Sachen im Gemeingebrauch, in: DVBl 1952, 164–167. Zur Gültigkeit und Rücknehmbarkeit von Zuweisungsverfügungen. Bemerkungen zu dem Beschluß des OVG. Münster vom 21. August 1951, in: ZMR 1952, 53–55. Zur Problematik des Bundeswirtschaftsrates, in: DÖV 1952, 714–717. Rechtsgutachten über die Zulässigkeit des von der Bundestagsabgeordneten Luise Albertz und anderen Mitgliedern des Bundestages eingebrachten Antrags auf Normenkontrolle, in: Der Kampf um den Wehrbetrag, Bd. 1, hrsg. v. Institut für Staatslehre und Politik in Mainz, München 1953, 354–365. Wehrbeitrag und Grundgesetz. Rechtsgutachten über die Frage, ob die Verabschiedung des Gesetzes betr. den EVG-Vertrag (Art. 59 Abs. 2 GG) eine Änderung des Grundgesetzes erfordert, in: Der Kampf um den Wehrbeitrag, Bd. 2, hrsg. v. Institut für Staatslehre und Politik in Mainz, München 1953, 312–336. Zur verfassungsrechtlichen Problematik der Investitionshilfe, in: BB 1953, 421–423. Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: VVDStRL 12 (1954), 8–36. Das Bundesverfassungsgericht und das Berufsbeamtentum, in: DVBl 1954, 69–72. Die Rückkehr zum Rechtsstaat, in: Deutscher Geist zwischen gestern und morgen, hrsg. v. Joachim Moras/Hans Paeschke, Stuttgart 1954, 334–346. Über Maßnahme-Gesetze, in: Forschungen und Berichte aus dem Öffentlichen Recht. Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, München 1955, 221–236. Der lästige Jurist, in: DÖV 1955, 648–650. Die Kostenlast bei der Wiederherstellung kriegszerstörter Kreuzungsanlagen von Schiene und Straße, in: DÖV 1955, 97–100. Eigentumsschutz öffentlich-rechtlicher Rechtsstellungen, in: NJW 1955, 1249–1251.

502

Anhang

Haben wir zuviel oder zuwenig Staat?, in: Ernst Forsthoff/Josef Windschuh, Selbständigsein und Staat, Bonn 1955, 25–40. Verfassungsrechtliche Bemerkungen zum Bausperren-Urteil des Bundesgerichtshofs, in: DÖV 1955, 193–196. Das politische Problem der Autorität, in: Der Horizont. Eine Auswahl von Vorträgen aus der Arbeit der Evangelischen Akademie Baden (Herrenalb), Bd. 1, Herrenalb 1956, 1–9. Zur neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: DÖV 1956, 513–517. Norm und Verwaltungsakt im geltenden und künftigen Baurecht, in: DVBl 1957, 113–116. Rechtsfragen der Werbesendungen im Fernsehen, in: DÖV 1957, 97–99. Die Bedrohung der Freiheit durch die Macht der Beamten, in: Freiheit der Persönlichkeit, Stuttgart 1958, 99–113. Die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG). Strukturanalytische Bemerkungen zum Übergang vom Rechtsstaat zum Justizstaat, in: DÖV 1959, 41–44. Die Rechtsstellung des Bauunternehmers gegenüber dem Staat als Auftraggeber, in: Die Bauwirtschaft 1959, 659–664. Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, in: Festschrift für Carl Schmitt, hrsg. v. Hans Barion/ Ernst Forsthoff/Werner Weber, Berlin 1959, 35–62. Der Jurist in der industriellen Gesellschaft, in: NJW 1960, 1273–1277. Die Bundesrepublik Deutschland. Umrisse einer Realanalyse, in: Merkur 14 (1960), 807–821. Probleme der Staatsordnung, in: Die Struktur der europäischen Wirklichkeit, hrsg. v. Walter Felix Mueller, Stuttgart 1960, 59–65. Rechtsfragen zur Neuregelung der Sonntagsarbeit, in: BB 1960, 1135–1138. Erziehungsfürsorge in der modernen Verwaltung, in: Grundfragen des Jugendhilferechts, hrsg. v. Arbeitskreis Jugendwohlfahrtsrecht, Köln 1962, 107–113. Der introvertierte Rechtsstaat und seine Verortung, in: Der Staat 2 (1963), 385–398. Tagespresse und Grundgesetz, in: DÖV 1963, 633–635. Verfassungsmäßiger Eigentumsschutz und Freiheit des Berufs (am Beispiel des Apothekenprivilegs), in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd. II, hrsg. v. Helmut Külz/Richard Naumann, Karlsruhe 1963, 19–29. Der Persönlichkeitsschutz im Verwaltungsrecht, in: Festschrift für den 45. Deutschen Juristentag, hrsg. v. d. Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe, Heidelberg 1964, 41–60. Heilmittelwerbung und Grundgesetz. Rechtsfragen betreffend den Gesetzentwurf zur Heilmittelwerbung, in: Film und Recht 1964, 2–8. Der Entwurf eines Zweiten Vermögensbildungsgesetzes. Eine verfassungsrechtliche Würdigung, in: BB 1965, 381–392. Die öffentlich-rechtliche Vorteilsausgleichung, in: DÖV 1965, 289–292. Technisch bedingte Strukturwandlungen des modernen Staates, in: Technik im technischen Zeitalter, hrsg. v. Hans Freyer/Johannes Chr. Papalekas/Georg Weippert, Düsseldorf 1965, 211–231. Neue Aspekte der Pressefreiheit, in: Der Staat 5 (1966), 1–16. Gerhard Anschütz, in: Der Staat 6 (1967), 139–150. Regierungskrise und Regierungsbildung im Herbst 1966, in: Der Horizont 10 (1967), 133–140. Verfassung und Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik, in: Merkur 241 (1968), 401–414. Über Mittel und Methoden moderner Planung, in: Planung III, hrsg. v. Joseph H. Kaiser, Baden-Baden 1968, 21–38. Von der Staatsrechtswissenschaft zur Rechtsstaatswissenschaft, in: Studium Generale 21 (1968), 692–704. Zur heutigen Situation einer Verfassungslehre, in: Epirrhosis, Bd. I, hrsg. v. Ernst Forsthoff/ Hans Barion/Ernst-Wolfgang Böckenförde/Werner Weber, Berlin 1968, 185–211. Technischer Prozeß und politische Ordnung, in: Studium Generale 27 (1969), 849–856. Von der sozialen zur technischen Realisation, in: Eunomia (Freundesgabe für Hans Barion zum 16. Dezember 1969), Privatdruck, Wiesbaden 1969, 23–38; wieder in: Der Staat 9 (1970), 145–160.

Quellen und Literatur

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Rechtsstaat oder Richterstaat?, in: Vorträge auf der Tagung Evangelischer Juristen 1969, München 1970, 7–21. Verfassungsrechtliche Prüfung der in § 12 des Entwurfs des Städtebauförderungsgesetzes vorgesehenen Eigentumsbeschränkungen, in: Deutsche Wohnungswirtschaft 1971, 76–79. Zur Lage des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, in: Festgabe für Theodor Maunz, hrsg. v. Hans Spanner/Peter Lerche/Hans Zacher/Peter Badura/Axel Frhr. v. Campenhausen, München 1971, 89–101. Freiheit, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit, in: Freiheit und Bindung im Recht der sozialen Sicherheit, hrsg. v. Deutschen Sozialgerichtsverband, Bonn 1972, 20–31. Staat und Technik, in: Estudios en Homenaje al Profesor López Rodó, Vol. III, Madrid 1972, 176–185. Technische Realisation und politische Ordnung, in: Auf dem Weg zur hörigen Gesellschaft?, hrsg. v. Oskar Schatz, Graz 1973, 183–198. Wer garantiert das Gemeinwohl?, in: Zeitwende 6 (1973), 404–413. Einiges über Geltung und Wirkung der Verfassung, in: Festschrift für Ernst Rudolf Huber, hrsg. v. Ernst Forsthoff/Werner Weber/Franz Wieacker, Göttingen 1973, 3–15. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, in: Ernst Forsthoff/Ingo von Münch/Walter Schick/Werner Thieme/Carl Hermann Ule/Franz Mayer, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, Baden-Baden 1973, 17–70. Bemerkungen zur Situation der Verwaltung, in: Festschrift für Arnold Gehlen, hrsg. v. Ernst Forsthoff/Reinhard Hörstel, Frankfurt am Main 1974, 41–51. Demokratisierung ohne Demos, in: Zeitbühne, April 1974, 24–30. d) Zeitungsartikel (Auswahl) Legalität und Weimarer Verfassung, in: Rheinisch-Westfälische Zeitung, 12.10.1932, 1. Von der modernen Staatsrechtslehre (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Berliner Börsen-Zeitung, 29.5.1932 (Literaturbeilage »Kritische Gänge«), 2. Der Totalitätsanspruch des Staates, in: Rheinisch-Westfälische Zeitung, 6.10.1933, 1–2. Die politische Verantwortung der Justiz, in: Münchner Neueste Nachrichten, 19.11.1933, 1–2. Protestantismus und Reichseinheit, in: Berliner Börsen-Zeitung, 27.9.1933, 1–2. Unabhängigkeit des Richters, in: Fränkischer Kurier, 6.12.1934, 1. Die neue Selbstverwaltung, in: Kreuz-Zeitung, 87. Jg., Nr. A33, 8.2.1935, 1–2. Universität und Volk, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, 12.2.1939, 3. Beibl. Verwaltung und Verwaltungsrecht, in: Neues Wiener Tagblatt, 2.9.1944, 3. Verfassungsprobleme (anonym), in: Der Neue Mensch 1 (1946), 67–72. (?), Bändigung des »Fortschritts« (anonym), in: Union-Pressedienst Nr. 17a (o. J. [1946]), 12–13. Der parteiische Richter (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1946)), 2. Destruktive Justizkritik (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1946)), 8. Erwarten wir Mitleid? (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1946)), 1–2. Narrenspiel der Ideologien (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1946)), 1–2. Niedergang und Reform der Bürokratie (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1946)), 3–4. Ein Scherz – und doch mehr (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1946)), 3–4. Brauchen wir noch Parteien? Sinn und Anrecht der Parteien in der künftigen Staatsordnung (anonym), in: CDU–Echo, 9.8.1947, 1–2. Der kleine Bürger und die große Verwaltung (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg., Nr. 34 (1947), 1–2. Politische Massenreklame (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 40 (1947), 4–6. Sinn und Anrecht der Parteien (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 26 (1947), 1–2. Verfassung und Wirklichkeit (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 30 (1947), 1–2.

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Anhang

Verfassungsehrlichkeit (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 32 (1947), 3–4. (?) Dreimal Dolchstoßlegende (anonym), in: Union-Pressedienst 2. Jg. Nr. 30 (1947), 1–2. Der Wirtschaftsrat arbeitsfähig? (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1947)), 1–2. Die Krise der unpolitischen Universität (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1947)), 9. (?), Das Bonner »Als-Ob« (anonym), in: Pressedienst für Undoktrinäre Politik Nr. 44 (1948), 3–5. (?), Wahlsystem und politische Auslese (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1948)), 5–6. Berliner Wahlen (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 44 (1948), 1–2. Der Irrtum der Verfassunggeber (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 31 (1948), 1–4. Die Alternative (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 42 (1948), 1–3. Die Angst vor dem Parlament (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 48 (1948), 3–4. Die Angst vor der Demokratie, in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 50/51 (1948), 1–2. Die Grundzüge der Verwaltungsdemokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 31 (1948), 4–6. Die kopflastige Demokratie (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 37/38 (1948), 1–3. Die letzte Chance, in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 49 (1948), 2–3. Eine ernüchternde Bilanz (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 36 (1948), 1–2. Gefahr für den Lastenausgleich (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 41 (1948), 1–2. Goethepreis 1948 (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 39 (1948), 11. Lebensrechte, in: Das Andere Deutschland (Unabhängiges Organ für entschiedene demokratische Politik), 15.10.1948, 1. Moralische Metamorphosen (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 33 (1948), 1–2. Neuer Nationalismus? (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 41 (1948), 1–2. Parteipolitik (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 40 (1948), 4. So geht es nicht (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik (Ms.) Nr. 44 (1948), 2. Das Dilemma des Pazifismus (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1948)), 1–2. Das Ende des Berufsbeamtentums (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1948)), 6–8. Das tragische Jahr (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o.J. (1948)), 3–4. Die Frankfurter Dokumente (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik o. Nr. (o. J. (1948)), 3–5. Die gefährdete Universität (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik o. Nr. (o. J. (1948)), 10–11. Föderalismus – Theorie und Wirklichkeit, in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1948)), 1–3. Gefährliche Wahlen (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik o. Nr. (o. J. (1948)), 1–2. Nicht Weststaat, sondern Besatzungsstatut (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1948)), 1–3. Theodor Steltzer. Das Portrait (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1948)), 3. Um das freie Wort (anonym), in: Pressedienst für undoktrinäre Politik o. Nr. (o. J. (1948)), 8–9. Um die Nationaldemokraten (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1948)), 1–2. Wahlbetrachtung auf lange Sicht (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1948)), 3–4.

Quellen und Literatur

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Zum Frankfurter Universitätskonflikt (anonym), in: Union-Pressedienst o. Nr. (o. J. (1948)), 4. Allmacht der Verwaltung, in: Wirtschafts-Zeitung, 13.8.1949, 1–2. (?), »Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, nur ihrem Gewissen verantwortlich« (anonym), in: Die Deutsche Wirklichkeit, 28.5.1949, 13–14. Kapituliert die evangelische Kirche? Priestertum oder Pastoren-Kirche? – Die Frage der »Schmutzigen Hände«, in: Die Deutsche Wirklichkeit, 30.4.1949, 9–11. Bunker für 1000 Jahre (unter dem Pseudonym ›Richard Seefeldt‹), in: Die Deutsche Wirklichkeit, 7.5.1949, 1–2. Das Recht zwischen gestern und morgen, in: Christ und Welt, 29.12.1949, 6. Die neue Welle des Deutschenhasses, in: Pressedienst für undoktrinäre Politik Nr. 6 (1949), 1–2. Von der Freiheit des Besiegten, in: Die Deutsche Wirklichkeit, 14.5.1949, 1–2. Vor der Gegengründung, in: Realpolitik-Tagesdienst, 12.9.1949. Zur Verfassungslage (Arbeitsberichte der Deutschen Union), in: Europa-Briefe, 13.4.1950, 2–4. Notwendigkeit und Möglichkeit einer Verfassungsreform (anonym ›Von einem Staatsrechtslehrer‹), in: Blätter für neue Staatspolitik 2 (1953), 7–11. Preußen als geschichtsmächtiger Raum (unter dem Pseudonym: ›Friedrich Grüter‹), in: Blätter für neue Staatspolitik 1 (1953), 8 f. Grenzen und Gefahren sozialer Macht. Der Staat als Vermittler oder als Gegner, in: Industriekurier, 7.4.1955, 14. Hat der Staat noch Autorität?, in: Christ und Welt 1955, Nr. 46, 8. Walter Jellinek †, in: Ruperto Carola 7 (1955), 16. Der Staatsrechtler im Bürgerkrieg. Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, in: Christ und Welt, 17.7.1958, 14. Die Rechtsordnung gilt nicht nur für Demonstranten, in: Die Welt, 4.12.1968, 20. Das Elend der Subjektivität. Zur Situation der Studenten, in: Die deutsche Universitätszeitung, Okt. 1969, 4–5. Staatsqualität mehr zur Geltung bringen. Dringlichkeit eines Hüters der Verfassung, in: Bayernkurier, 14.6.1969, 29. Diese Art von Justizreform brauchen wir nicht, in: Die Welt (Beilage »Die geistige Welt«), 27.3.1971, II. Sind die Gewerkschaften jetzt verfassungsfeindlich? Syndikalistische Mitbestimmungsmodelle untergraben die Demokratie, in: Die Welt (Beilage »Die geistige Welt«), 30.12.1972, V. Neue Konflikte rufen nach dem Staat. Die Aushöhlung der politischen Ordnung durch die technische Realisation, in: F.A.Z., 28.10.1972, 12–13. Die Last, die uns trägt. Mehr Versorgung durch den Staat mindert die Lebensqualität, in: DZ/Christ und Welt, 28.12.1973, 2. Ein Volkspräsident? Das höchste Amt der Bundesrepublik sollte im Volk verankert sein, in: DZ, 15.2.1974. Grenze des Sozialstaats. Das Grundgesetz verbürgt vor allem den Rechtsstaat, in: DZ, 7.6.1974, 2. Mehr Demokratie, weniger Freiheit? Schelskys provokante Thesen zur Strategie der Systemüberwindung, in: Die Welt (Beilage »Die geistige Welt«), 5.1.1974, I. Privileg für Radikale? Aus Schutzformeln des Grundgesetzes wurden Freibriefe, in: DZ, 19.3.1974. Sind Staatsdiener überflüssig? Eine streitbare Demokratie braucht das Berufsbeamtentum, in: Die Welt (Beilage »Die geistige Welt«), 1.9.1973, I.

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Anhang

e) Rezensionen (Auswahl) Besprechung von S. Rudolf Steinmetz, Soziologie des Krieges, Leipzig 1929, in: Blätter für Dt. Philosophie 5 (1931/1932), 367–369. Besprechung von Kurt Wahl, Die deutschen Länder in der Außenpolitik, Stuttgart 1930, in: ZgStW 92 (1932), 308–310. Besprechung von Franz W. Jerusalem, Die Staatsgerichtsbarkeit, Tübingen 1930, in: AöR 62 (1933), 364–369. Besprechung von Reinhard Höhn, Die Wandlung im staatsrechtlichen Denken, Hamburg 1934, in: JW 1934, 3050. Besprechung von Carl Schmitt, Politische Theologie, 2. Aufl., Hamburg 1934, in: JW 1934, 1037. Besprechung von Otto Koellreutter, Der deutsche Führerstaat, Tübingen 1934, in: JW 1934, 538. Besprechung von Herbert Zech, Die Rechtfertigung des Staates in der normativen Staatstheorie und der Integrationslehre, Hamburg 1934, in: JW 1934, 2531. Besprechung von Gustaf Klemens Schmelzeisen, Das Recht im nationalsozialistischen Weltbild, Leipzig 1934, in: JW 1934, 1231–1232. Besprechung von Philipp Heck, Rechtserneuerung und juristische Methodenlehre, Tübingen 1936, in: ZgStW 97 (1937), 371–372. Besprechung von Werner Weber, Die politische Klausel in den Konkordaten, Hamburg o. J. (1939), in: AevKR 4 (1940), 137–138. Besprechung von Joseph Adam Lortz, Die Reformation in Deutschland, 2 Bde., Freiburg 1939/40, in: AevKR 4 (1940), 419–421. Besprechung von Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, Hamburg 1938, in: Zs. für dt. Kulturphilosophie 7 (1941), 206–214. Besprechung von Werner Weber, Die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, 2. Aufl., München und Berlin 1943, in: AöR 73 (1944), 204–208. Besprechung von Heinrich Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1950, in: DÖV 1951, 157. Besprechung von Otto Naß, Verwaltungsreform durch Erneuerung der Verwaltungswissenschaft, Tübingen 1950, in: AöR 77 (1951/52), 507–510. Besprechung von Peter Schneider, Ausnahmezustand und Norm, Stuttgart 1957, in: HPB V (1957), 307–308. Besprechung von Joseph H. Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, Berlin 1956, in: DVBl. 1958, 295. Besprechung von Carl Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, 1958, in: HPB VI (1958), 246. Besprechung von Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, Stuttgart 1963, in: DÖV 1964, 645. Besprechung von Collegium Philosophicum. Studien. Joachim Ritter zum 65. Geburtstag, Basel und Stuttgart 1965, in: Der Staat 6 (1967), 134–135. Besprechung von Hans Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, Neuwied 1966, in: HPB XV (1967), 205–206. Besprechung von Helmut Kuhn, Der Staat. Eine philosophische Darstellung, München 1966, in: HPB XVI (1968), 227–228. Besprechung von Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, entwickelt am Problem der Verfassungsinterpretation, Berlin 1967, in: Der Staat 8 (1969), 523–526. Besprechung von Hugo Ball, Kritik der deutschen Intelligenz, hrsg. v. Gerd-Klaus Kaltenbrunner, München 1970, in: HPB XIX (1971), 80–81. Besprechung von Arnold Köttgen, Kommunale Selbstverwaltung zwischen Krise und Reform, Stuttgart 1968, in: Die Verwaltung 4 (1971), 507. Besprechung von Wilhelm Merk, Deutsches Verwaltungsrecht, 2. Bd., Berlin 1970, in: Die Verwaltung 4 (1971), 485–486.

Quellen und Literatur

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Besprechung von Felix Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1970, in: Die Verwaltung 4 (1971), 382–383. Besprechungen von Theodor Eschenburg, Herrschaft der Verbände?, Stuttgart o. J. (1955) und ders., Staat und Gesellschaft in Deutschland, Stuttgart 1956, in: ARSP XLIV (1958), 456–458. f) Sonstiges, Miszellen Der »Fall Dehn« (Zuschrift) (unter dem Pseudonym ›Georg Holthausen‹), in: Der Ring 4 (1931), 387–388. Der fehlerhafte Verwaltungsakt, in: Feldpostbrief der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg, Folge 1, Heidelberg o. J. (1941), 21–38. Anmerkung zu OVG Niedersachsen/Schleswig-Holstein, Urt. v. 19.6.1950 und v. 4.7.1950, in: AöR 76 (1950/51), 369–376. Anmerkung zu BGH, Beschl. v. 9./10.6.1952, in: JZ 1952, 627–628. Anmerkung zu LVG Düsseldorf, Urt. v. 29.4.1952, in: BB 1952, 931. Diskussionsbemerkung zu ›Das Berufsbeamtentum und die Staatskrisen‹, in: VVDStRL 13 (1955), 161 f. Art. »Ausnahmezustand«, in: HdSW, Bd. 1, 1956, 455–457. Anmerkung zu BVerwG, Urt. v. 24.10.1956, in: DVBl 1957, 724–726. Diskussionsbemerkung zu ›Das Gesetz als Norm und Maßnahme‹, in: VVDStRL 15 (1957), 83–86. Montesquieu und sein Geist der Gesetze, in: Ruperto Carola 23 (1958), 63–69. Art. »Subjektives öffentliches Recht«, in: HdSW, Bd. 10, 1959, 234–236. Art. »Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de la Brède et de«, in: HdSW, Bd. 7, 1961, 452–454. Art. »Verwaltungsfunktionen«, in: HdSW, Bd. 11, 1961, 274–276. Der Zeithistoriker als gerichtlicher Sachverständiger, in: NJW 1965, 574–575. Moderne Wertverwirklichung, in: DÖV 1965, 619–620. Erwiderung, in: DÖV 1966, 88. Ansprache an die Teilnehmer des zu Ehren von Prof. Dr. Ernst Forsthoff von der Juristischen Fachschaft der Studentenschaft der Universität Heidelberg am 19. Jan. 1967 veranstalteten Fackelzuges, in: info. Nachrichten für die Studenten der Ruperto Carola Heidelberg, 16.2.1967, 7. Statt einer Stellungnahme, in: Braune Universität, Bd. 6, hrsg. v. Rolf Seeliger, München 1968, 26. Anmerkung zu BVerfG, Urt. v. 24.02.1971 (»Mephisto«), in: AfP 1971, 126–127. Ansprache, in: Hesperus. Festschrift für Gustav Hillard Steinbömer zum 90. Geburtstag am 24. Februar 1971, Hamburg 1971, 17. Art. »Ausnahmezustand«, in: Hist. Wb. d. Philos., Bd. 1, Basel 1971, Sp. 669–670. Der Staat ohne Ethos. DSA-Interview mit Professor Ernst Forsthoff, in: Dt. StudentenAnzeiger, Mai 1971, 3. Art. »Etatismus«, in: Hist. Wb. d. Philos., Bd. 2, 1972, Sp. 758–759. Zur Selbstqualifizierung eines Presseorgans als »unabhängig« und »überparteilich«, in: Archiv für Presserecht 1973, 402–403. Deutsches Reich (Verfassungsgeschichte), in: EvStL, Bd. 1, 1987, Sp. 561–588. 2. Sonstige veröffentlichte Quellen [Anonymus], Bericht über den Vortrag »Der Protestantismus und der Wandel des heutigen Staates« von Dr. Ernst Forsthoff, in: Heidelberger Tagblatt, 25.1.933, 6. [Anonymus], Das Wissenschaftslager, in: Frankfurter Zeitung (Handelsblatt), 29.7.1934. [Anonymus], Ausgangspunkt, Ziel und Arbeitsweise. Aus einer programmatischen Darlegung, in: Mundus Christianus Heft 2 (1948), 1–2.

508

Anhang

[Anonymus], Leitsätze zur Frage des Mitbestimmungsrechts, in: Mundus Christianus Heft 2 (1948), 2–3. [Anonymus], Neuer Selbstmord der Demokratie?, in: Pressedienst für undoktrinäre Politik o. Nr. (o. J. (1948)), 1–2. [Anonymus], Wilhelm Ahlmann, in: Tymbos für Wilhelm Ahlmann, Berlin 1951, IX–XII. [Anonymus], Schüle und Schmitt, in: DZ, 24.2.1960, 3. [Anonymus], Scheibe ab. Unkontrollierte Kräfte schicken sich an, Lebenswerke großer Persönlichkeiten zu zersetzen – mit fadenscheinigen Absichten, in: DER SPIEGEL, 20.5. 1968, 66. [Anonymus], Deutsche Abschiede 1974. Beiträge zu einer künftigen National-Biographie, in: Dt. Annalen 4 (1975), s.p. Abendroth, Wolfgang, Diskussionsbemerkung zu ›Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates‹, in: VVDStRL 12 (1954), 85–92. – Das Grundgesetz. Einführung in seine politischen Probleme, Pfullingen 1966. – Ein Leben in der Arbeiterbewegung. Gespräche, Frankfurt am Main 1976. – Gesammelte Schriften, Bd. I und II, Hannover 2007–2008. Adorno, Theodor W., Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft? Einleitungsvortrag zum 16. Deutschen Soziologentag (1969), in: Ges. Schr., Bd. 8, Stuttgart 1972, 354–370. Altmann, Rüdiger, Das Problem der Öffentlichkeit und seine Bedeutung für die moderne Demokratie, Diss. Marburg 1954. – Zur Rechtsstellung der öffentlichen Verbände, in: ZfP N.F. 2 (1955), 211–227. – Späte Nachricht vom Staat. Politische Essays, Stuttgart 1968. – Abschied vom Staat. Politische Essays, Frankfurt am Main 1998. Anders, Helmut, Der »Daseinssicherer des Monopolkapitals« und »Gehilfe des Führers«. Prof. Dr. Ernst Forsthoff, in: Staat und Recht 12 (1963), 981–995. Anschütz, Gerhard, Die Verfassung des Deutsches Reichs vom 11. August 1919, Berlin 1921; 141933. – Aus meinem Leben, hrsg. u. eingeleitet von Walter Pauly, Frankfurt am Main 1993. Arendt, Hannah, Über die Revolution, München 1963. Arndt, Adolf, Das Problem der Wirtschaftsdemokratie in den Verfassungsentwürfen, in: SJZ 1946, 137–141. – Planwirtschaft, in: SJZ 1946, 169–171. – Rechtsdenken in unserer Zeit. Positivismus und Naturrecht, Tübingen 1955. Aron, Raymond, Dix-huit leçons sur la société industrielle, Paris 1962. Bachof, Otto, Das Verwaltungsrecht im Spiegel der Rechtslehre, in: JZ 1951, 538–542. – Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Bd. I, Tübingen 31966. – Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, in: VVDStRL 30 (1972), 193–244. Badura, Peter, Die Methoden der neueren Allgemeinen Staatslehre, Erlangen 1959. – Das Verwaltungsmonopol, Berlin 1963. – Die Daseinsvorsorge als Verwaltungszweck der Leistungsverwaltung und der soziale Rechtsstaat, in: DÖV 1966, 624–633. – Verwaltungsrecht im liberalen und im sozialen Rechtsstaat, Tübingen 1966. – Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates. Methodische Überlegungen zur Entstehung des wissenschaftlichen Verwaltungsrechts, Göttingen 1967. – Auftrag und Grenzen der Verwaltung im sozialen Rechtsstaat, in: DÖV 1968, 446–455. – Die Verwaltung als soziales System. Bemerkungen zu einer Theorie der Verwaltungswissenschaft von Niklas Luhmann, in: DÖV 1970, 18–22. Ballerstedt, Kurt, Rechtsstaat und Wirtschaftslenkung, in: AöR 74 (1948), 129–157. – Das Eigentum in der wirtschaftsrechtlichen Entwicklung der Gegenwart, in: Der Arbeitgeber 24/1 (1950/51), 62 ff. – Staatsverfassung und Wirtschaftsfreiheit, in: DÖV 1951, 159–161.

Quellen und Literatur

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Anhang

Borchardt, Rudolf, Reden, Stuttgart o. J. (1955). Bracher, Karl Dietrich, Staatsbegriff und Demokratie in Deutschland, in: PVS 9 (1968), 2–27. Brohm, Winfried, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, in: VVDStRL 30 (1972), 245–312. Brunner, Emil, Gerechtigkeit. Eine Lehre von den Grundgesetzen der Gesellschaftsordnung, Zürich 1943. Büchner, Fritz (Hrsg.), Was ist das Reich? Eine Aussprache unter Deutschen, Oldenburg 1932. Burckhardt, Jacob, Weltgeschichtliche Betrachtungen (1905), Stuttgart 1935. Burke, Edmund, Betrachtungen über die französische Revolution (1790), Frankfurt am Main 1967. von Busse, Gisela, Die Lehre vom Staat als Organismus. Kritische Untersuchungen zur Staatsphilosophie Adam Müllers, Berlin 1928. von Campenhausen, Axel, Sicherheit und Gefahr in der modernen Gesellschaft. Tagungsbericht vom Ebracher Ferienseminar der juristischen Fakultät, in: forum academicum 1957, Nr. 7, 6–7. Canaris, Claus-Wilhelm, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz. Entwickelt am Beispiel des deutschen Privatrechts (1969), Berlin 21983. Coing, Helmut, Die obersten Grundsätze des Rechts. Ein Versuch zur Neugründung des Naturrechts, Heidelberg 1947. von Coudenhove-Kalergi, Richard Nikolaus, Revolution durch Technik, Wien u. a. 1932. Cr., Der Bundeswirtschaftsrat und die Wirtschaftsordnung, in: Wirtschaftspolitische Chronik 1952, 8–17. Craemer, Rudolf, Der Kampf um die Volksordnung. Von der preußischen Sozialpolitik zum deutschen Sozialismus, Hamburg 1933. Dahm, Georg, Deutsches Recht. Die geschichtlichen und dogmatischen Grundlagen des geltenden Rechts, Stuttgart u.a. 1951. Dahrendorf, Ralf, Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft, Stuttgart 1957. – Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965. – Der moderne soziale Konflikt. Essay zur Politik der Freiheit, Stuttgart 1992. – Über Grenzen. Lebenserinnerungen, München 2002. Darmstaedter, Friedrich, Die Grenzen der Wirksamkeit des Rechtsstaates. Eine Untersuchung zur gegenwärtigen Krise des liberalen Staatsgedankens, Heidelberg 1930. Dennewitz, Bodo, Die Systeme des Verwaltungsrechts. Ein Beitrag zur Geschichte der Verwaltungswissenschaft, Hamburg 1948. Deutsche Geisteswissenschaft. Gemeinschaftsarbeit deutscher Hochschullehrer im Kriegseinsatz, Leipzig o. J. (1941). Dietze, Hans-Helmut, Naturrecht in der Gegenwart, Bonn 1936. Dilthey, Wilhelm, Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte, Stuttgart 91990. – Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Leipzig u.a. 81992. – Briefwechsel zwischen Wilhelm Dilthey und dem Grafen Paul Yorck v. Wartenburg. 1877– 1897, Halle (Saale) 1923. Doehring, Karl, Ernst Forsthoff †, in: AöR 99 (1974), 650–653. – Ernst Forsthoff. Leben und Werk, in: Semper Apertus. Festschrift Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Bd. III, hrsg. v. Wilhelm Doerr, Berlin 1985, 437–463. – Ernst Forsthoff, in: Juristen im Portrait, hrsg. v. Verlag C. H. Beck, München 1988, 341–349. – Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union. Erinnerungen, Berlin 2008. Drath, Martin, Der Staat der Industriegesellschaft. Entwurf einer sozialwissenschaftlichen Staatstheorie, in: Der Staat 5 (1966), 273–284.

Quellen und Literatur

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– Rechts- und Staatslehre als Sozialwissenschaft. Gesammelte Schriften über eine soziokulturelle Theorie des Staats und des Rechts, hrsg. v. Ernst E. Hirsch, Berlin 1977. Dreier, Ralf, Zur Problematik und Situation der Verfassungsinterpretation, in: Probleme der Verfassungsinterpretation, hrsg. v. Ralf Dreier/Friedrich Schwegmann, Baden-Baden 1976, 13–47. Duguit, Léon, Le Droit social, le droit individuel et la transformation de l’état, Paris 1908. – Traité de droit constitutionnel, Bd. I, Paris 1911. – Les Transformations Générales du Droit Privé depuis le Code Napoléon, Paris 1912. – Les Transformations du Droit Public, Paris 1913. – Souveraineté et liberté, Paris 1922. – Traité de droit constitutionnel, 3 Bde., Paris 31923–1927. Dürig, Günter, Zum hessischen Sozialisierungsproblem, in: DÖV 1954, 129–131. – Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde. Entwurf eines praktikablen Wertsystems der Grundrechte aus Art. 1 Abs. I in Verbindung mit Art. 19 Abs II des Grundgesetzes, in: AöR 81 (1956), 117–157. Durkheim, Émile, De la division du travail social. Étude sur l’organisation des sociétés supérieures (1893), Paris 51926. Dürselen, Florian G., Franz Beyerle (1885–1977). Leben, Ära und Werk eines Rechtshistorikers, Frankfurt am Main u.a. 2005. Eberhard, Raimund, Modernes Naturrecht. Ein rechtsphilosophischer Versuch, Rostock 1934. Ehmke, Horst, Wirtschaft und Verfassung. Die Verfassungsrechtsprechung des Supreme Court zur Wirtschaftsregulierung, Karlsruhe 1961. – Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 (1963), 53–102. – »Staat« und »Gesellschaft« als verfassungstheoretisches Problem (1962), in: Beiträge zur Verfassungstheorie und Verfassungspolitik, hrsg. v. Peter Häberle, Frankfurt am Main 1981, 300–328. Elm, Ludwig, Hochschule und Neofaschismus. Zeitgeschichtliche Studien zur Hochschulpolitik in der BRD, Berlin (Ost) 1972. Emmerich, Volker, Die kommunalen Versorgungsunternehmen zwischen Wirtschaft und Verwaltung. Zur Stellung der Gemeinden in der Energieversorgung, Frankfurt am Main 1970. Enneccerus, Ludwig/Nipperdey, Hans Carl, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Bd. I, Tübingen 141952. Eschenburg, Theodor, Staat und Gesellschaft in Deutschland, Stuttgart 1956. Esser, Josef, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts. Rechtsvergleichende Beiträge zur Rechtsquellen- und Interpretationslehre, Tübingen 1956. Feine, Hans Erich, Das Werden des deutschen Staates seit dem Ausgang des Heiligen Römischen Reiches 1800 bis 1933. Eine verfassungsgeschichtliche Darstellung, Stuttgart 1936. Fischer, Robert, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Ein Rückblick auf die ersten zehn Jahre (Vortrag, gehalten auf der Feier anläßlich des zehnjährigen Bestehens des Bundesgerichtshofes am 15. Oktober 1960), Karlsruhe 1960. Fischerhof, Hans, Öffentliche Versorgung mit Wasser, Gas, Elektrizität und öffentliche Verwaltung, in: DÖV 1957, 305–316. – »Daseinsvorsorge« und wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden, in: DÖV 1960, 41–49. Fleiner, Fritz, Über die Umbildung zivilrechtlicher Institute durch das öffentliche Recht. Akademische Antrittsrede, Tübingen 1906. – Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, Tübingen 1911; 21912; 81928. Forsthoff, Heinrich, Ein gefährliches Spiel. Offener Brief an Herrn Pastor a.D. Dammann in Eisenach, Essen 1904. – Schleiermachers Religionstheorie und die Motive seiner Grundanschauung, Diss. Tübingen 1910. – Die Mystik in Tersteegens Liedern, Diss. Bonn 1918; wieder in: Monatshefte für rheinische Kirchengeschichte 12 (1918), 202–246. – Die Kirchennot des Protestantismus, Elberfeld 1926.

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Anhang

– Rheinische Kirchengeschichte, Bd. I, Essen 1929. – Das Ende der humanistischen Illusion. Eine Untersuchung über die Voraussetzungen von Philosophie und Theologie, Berlin 1933. – Erläuternde Vorbemerkungen zu dem Entwurf einer Kirchenordnung für die Rheinische Kirchenprovinz, in: Entwurf zur Neubildung der Kirchenordnung für die Rheinprovinz (Beilage), Neuwied 1934. – Theologie oder Glaube? Zur Sache der Deutschen Christen, Bonn 1934. – Calvin oder Luther. Ein Wort zur Neugestaltung der Deutsch-evgl. Kirche, Bonn 1936. Fraenkel, Ernst, Der Doppelstaat (1974), in: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Alexander von Brünneck, Bd. 2, Baden-Baden 1999. Frank, Hans (Hrsg.), Deutsches Verwaltungsrecht, Berlin 1937. Freiherr vom Stein, Ausgewählte politische Briefe und Denkschriften, Stuttgart 1955. – Denkschrift »Über die zweckmäßige Bildung der obersten und der Provinzial-, Finanzund Polizei-Behörden in der Preußischen Monarchie« (Nassauer Denkschrift, 1807), in: Briefe und Amtliche Schriften, Bd. II/1, Stuttgart 1959, 380–398. Freiherr von Medem, Eberhard, Demokratie und Diktatur, in: DR 8 (1938), 252–255. Freisler, Roland, Gedanken zum Erbhofrecht. Vom Werden eines volkstümlichen Gesetzes, Berlin 1933. – Totaler Staat? – Nationalsozialistischer Staat!, in: Dt. Justiz 1934, 43–44. Freund, Julien, Die industrielle Konfliktgesellschaft, in: Der Staat 16 (1977), 153–170. Freyer, Hans, Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1921. – Der Staat, Leipzig 1925; 21926. – Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955. – Probleme der Gesellschaftsordnung, in: Die Struktur der europäischen Wirklichkeit, hrsg. v. Walter Felix Mueller, Stuttgart 1960, 81–101. – Schwelle der Zeiten. Beiträge zur Soziologie der Kultur, Stuttgart 1965. – Gedanken zur Industriegesellschaft, Mainz 1970. – Art. »Ahlmann, Wilhelm«, in: Schleswig-Holsteinisches biographisches Lexikon, Bd. 1, Neumünster 1970, 26–27. – Herrschaft, Planung und Technik. Aufsätze zur politischen Soziologie, hrsg. v. Elfriede Üner, Weinheim 1987. – Entwicklungstendenzen und Probleme der modernen Industriegesellschaft, in: Die Industriegesellschaft in Ost und West, Mainz o. J. (1966), 9–32. Fritzsche, Klaus, Politische Romantik und Gegenrevolution. Fluchtwege in der Krise der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1976. von der Gablentz, Otto Heinrich, Staat und Gesellschaft, in: PVS 2 (1961), 2–23. Gadamer, Hans-Georg, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (1960), Ges. W., Bd. 1, Tübingen 61990. Galbraith, John Kenneth, The new industrial state, Boston 1967. Gehlen, Arnold, Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Berlin 1940; 41950. – Zur Problematik des Sozialstaates, in: 11. Hessische Hochschulwochen, Homburg 1956, 51–65. – Die Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft, Reinbek 1957. – Asyle. Von der Zuflucht des verfolgten Menschen, in: Wort und Wahrheit XVII (1962), 657–670. – Studien zur Anthropologie und Soziologie, Neuwied u.a. 1963. – Die Säkularisierung des Fortschritts, in: Säkularisation und Utopie, Stuttgart u.a. 1967, 63–72. – Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik, Frankfurt am Main 1969. – Wie stark darf der Staat sein? Wer im Zeitalter der Kraftproben das Hissen der weißen Fahne zum Ritual erhebt, gibt sich selbst auf, in: Die Welt (Beilage »Die geistige Welt«), 27.2.1971, III.

Quellen und Literatur

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– Gesamtausgabe, hrsg. v. Karl-Siegbert Rehberg, 10 Bde., Frankfurt am Main 1978–2004. – Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen (1956), Frankfurt am Main 62004. Gerber, Hans, Die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes, in: AöR 81 (1956), 1–54. von Gerlach, Ernst Ludwig, Aufzeichnungen aus seinem Leben und Wirken 1795–1877, Bd. I, 1903. Giese, Friedrich, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949. Kommentar, Frankfurt am Main 41955. Goerdeler, Carl Friedrich, Das Ziel (1941), in: Politische Schriften und Briefe Carl Friedrich Goerdelers, hrsg. v. Sabine Gillmann/Hans Mommsen, Bd. 2, München 2003, 873–944. Goerlich, Helmut, Wertordnung und Grundgesetz. Kritik einer Argumentationsfigur des Bundesverfassungsgerichts, Baden-Baden 1973. Gogarten, Friedrich, Politische Ethik. Versuch einer Grundlegung, Jena 1932. Göppert, Heinrich, Staat und Wirtschaft, Tübingen 1924. Graf von Pestalozza, Christian, Kritische Bemerkungen zu Methoden und Prinzipien der Grundrechtsauslegung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Der Staat 2 (1963), 425–449. Grebing, Helga, Konservative gegen die Demokratie. Konservative Kritik an der Demokratie in der Bundesrepublik nach 1945, Frankfurt am Main 1971. Greiffenhagen, Martin, Technokratischer Konservatismus, in: APuZ B 31 (1971), 29–40. – Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland (1971), Frankfurt am Main 21986. – Jahrgang 1928. Aus einem unruhigen Leben, München 1988. Grewe, Wilhelm, Generalklauseln und neues Recht, in: Dt. Volkstum 1934, 146–151. – Gnade und Recht, Hamburg 1936. – Wehrbereitschaft und Verfassungsrecht, in: ZAkDR 4 (1937), 110–113. – Staatsform und Planung, in: Jb. der Deutschen Hochschule für Politik 1 (1938), 35–54. – Antinomien des Föderalismus, Schloss Bleckede a. d. Elbe 1948. – Das bundesstaatliche System des Grundgesetzes, in: DRZ 1949, 349–352. – Parteienstaat – oder was sonst?, in: Der Monat 3 (1950/51), 563–577. – Rückblenden. 1976–1951, Frankfurt am Main 1979. – Hans Kutscher, in: Festschrift für Hans Kutscher, hrsg. v. Wilhelm Grewe/Hans Rupp/ Hans Schneider, Baden-Baden 1981, 9–16. – Ein Leben mit Staats- und Völkerrecht im 20. Jahrhundert, in: Freiburger Universitätsblätter 31 (1992), 25–40. von der Groeben, Klaus/Koselleck, Reinhart/Mayer, Franz/Ronneberger, Franz/Schnur, Roman/Broermann, Johannes, Ernst Forsthoff 1902–1974, in: Die Verwaltung 11 (1975), 5–6. von der Groeben, Klaus/Schnur, Roman/Wagener, Frido, Über die Notwendigkeit einer neuen Verwaltungswissenschaft, Baden-Baden 1966. Gröttrup, Hendrik, Die kommunale Leistungsverwaltung. Grundlagen der gemeindlichen Daseinsvorsorge, Stuttgart 21976. Gründel, Ernst Günther, Die Sendung der jungen Generation. Versuch einer umfassenden revolutionären Sinndeutung der Krise, München 1932. Günther, Albrecht Erich, Die Krise des Konservatismus, in: Dt. Volkstum 1930, 900–905. – (Hrsg.), Was wir vom Nationalsozialismus erwarten. Zwanzig Antworten, Heilbronn 1932. – Geist der Jungmannschaft, Hamburg 1934. Häberle, Peter, Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), 43–141. – Retrospektive Staats(rechts)lehre oder realistische »Gesellschaftslehre«? Zu Ernst Forsthoff: Der Staat der Industriegesellschaft, in: Verfassung als öffentlicher Prozeß, Berlin 1972, 246–270. – Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, in: JZ 1975, 297–305. – Lebende Verwaltung trotz überlebter Verfassung? Zum wissenschaftlichen Werk von Ernst Forsthoff, in: JZ 1975, 685–689. – Zum Staatsdenken Ernst Forsthoffs, in: ZSR 95 I (1976), 477–489.

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Anhang

– Die Wesensgehaltgarantie des Artikel 19 Abs. 2 Grundgesetz. Zugleich ein Beitrag zum institutionellen Verständnis der Grundrechte und zur Lehre vom Gesetzesvorbehalt (1962), Heidelberg 31983. Habermas, Jürgen, Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien, Frankfurt am Main 1971. – Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt am Main 1973. – Kultur und Kritik. Verstreute Aufsätze, Frankfurt am Main 1973. – Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde., Frankfurt am Main 1981. – Die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik. Über eine Bewegung von Intellektuellen in zwei politischen Kulturen, in: Merkur Nr. 413 (1982), 1047–1061. – Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt am Main 1985. – Zur Logik der Sozialwissenschaften (1967), Frankfurt am Main 51985. – Philosophisch-politische Profile. Erweiterte Ausgabe, Frankfurt am Main 1987. – Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (1962), Frankfurt am Main 1990. – Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt am Main 1994. Hamann, Johann Georg, Sämtliche Werke, 6 Bde., Wien 1949–1957. – Briefwechsel, 7 Bde., Wiesbaden 1955–1979. Härdle, Gerhard, Ernst Forsthoff. Apologet des Kapitalismus, in: Rote Robe 1971, 140–145. Hartung, Fritz, Deutsche Verfassungsgeschichte vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Leipzig/Berlin 31928. Hartwich, Hans-Hermann, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher status quo, Köln u.a. 1970. Hatschek, Julius, Institutionen des deutschen und preußischen Verwaltungsrechts, Leipzig u.a. 1919; 7/81931. Haupt, Günter, Über faktische Vertragsverhältnisse, in: Festschrift für Heinrich Siber, Bd. II, Leipzig 1943, 1–37. Haverkate, Görg, Rechtsfragen des Leitungsstaates. Verhältnismäßigkeitsgebot und Freiheitsschutz im leistenden Staatshandeln, Tübingen 1983. Heck, Philipp, Die Interessenjurisprudenz und ihre neuen Gegner, in: AcP 142 (1936), 129–202, 297–332. – Rechtsphilosophie und Interessenjurisprudenz, in: AcP 143 (1937), 129–196. Hedemann, Justus Wilhelm, Das bürgerliche Recht und die neue Zeit. Rede, gehalten bei der Gelegenheit der akademischen Preisverleihung in Jena am 21. Juni 1919, Jena 1919. Heffter, Heinrich, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen, Stuttgart 21969. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), Werke, Bd. 7, Frankfurt am Main 1970. Heidegger, Martin, Brief über den »Humanismus« (1947), in: Ges.-Ausg., I. Abt., Bd. 9, Frankfurt am Main 1976, 313–364. – Sein und Zeit (1927), Ges.-Ausg., Abt. 1, Bd. 2, 1977. – Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 41978. – Unterwegs zur Sprache, Stuttgart 81986. – Nietzsches Wort »Gott ist tot« (1943), in: Ges.-Ausg., I. Abt., Bd. 5, Frankfurt am Main 22003, 209–267. – Nietzsche II (1961), Stuttgart 72008. Heinze, Christian, Ernst Forsthoff 70 Jahre, in: DÖV 1972, 639. Helfritz, Hans, Verwaltungsrecht, Hannover 1949. Heller, Hermann, Gesammelte Schriften, 3 Bde., Leiden 1971. Henkel, Heinrich, Die Unabhängigkeit des Richters in ihrem neuen Sinngehalt, Hamburg 1934. – Strafrichter und Gesetz im neuen Staat. Die geistigen Grundlagen, Hamburg 1934.

Quellen und Literatur

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Personenregister Kursive Ziffern verweisen auf Fußnoten. Abendroth, Wolfgang 25, 317, 356, 357, 359–366, 369–371, 393, 394, 406 Achelis, Johann Daniel 230, 239, 308, 312 Adamsen, Heiner R. 389 Adenauer, Konrad 307, 332, 361, 402, 450 Adorno, Theodor W. 449, 461 Agamben, Giorgio 164 Ahlmann, Wilhelm 52, 230, 237, 239, 274, 309 Allende, Salvador 468 Altmann, Rüdiger 342, 344, 441, 453, 467 Anders, Helmut 8, 393 Andersch, Alfred 309 Anschütz, Gerhard 39, 197 f., 237 f., 313, 482 Arendt, Hannah 325 Arndt, Adolf 365, 408 Arndt, Ernst Moritz 324 Aron, Raymond 113, 119, 449 Bachof, Otto 106, 129, 146, 148, 151, 214, 363, 366, 406, 407, 409 Badura, Peter 111, 119, 121, 134, 139, 147, 151, 173, 181 f., 215 f. Balke, Friedrich 5, 37, 455, 474 Ballerstedt, Kurt 308, 310, 341, 343, 361, 390, 397 f., 407, 408 Balzer, Friedrich-Martin 357 Bamberg, Hans-Dieter 358, 393, 451 Barion, Hans 11 f., 25, 37, 45, 105, 230, 287, 309, 355, 403, 404 f., 450 Barth, Karl 17, 19 f. Battis, Ulrich 130 Bauer, Bruno 158, 442 Bauer, Hartmut 201 Baumgarten, Eduard 228 Bäumler, Alfred 242

Bayer, Oswald 256, 265 Becher, Johannes R. 302, 303 Beck, Ludwig 239 Becker, Erich 233 Becker, Lothar 84 Becker, Werner 37, 228 Behrends, Okko 9 Benn, Gottfried 77, 385, 476 Bentin, Lutz-Arwed 56 f. Berggötz, Sven Olaf 55 Bergstraesser, Arnold 42, 51 Besier, Gerhard 18 f., 24 Betti, Emilio 436 Beumelburg, Werner 33 Beyerle, Franz 1, 52, 53, 54, 103, 231 f., 244–248, 267, 280 Bieberstein, Fritz Freiherr Marschall von 15, 41, 42, 43, 315 Bilfinger, Carl 84, 229 Binder, Julius 172, 241 Bismarck, Otto von 64, 87, 108, 275, 460 Bloch, Ernst 461 Bloy, Léon 34 Blümel, Willi 106, 356 Blunck, Hans Friedrich 2 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 4, 44, 60, 83, 226, 227, 233, 268, 274, 276, 314, 383, 388, 397, 405, 408, 410–412, 422 f., 434, 435, 437, 438, 444, 460, 480 Boehm, Max Hildebert 50 f., 311 Bohrer, Karl Heinz 28 Boldt, Hans 355 Borchardt, Rudolf 78, 87, 254, 477 Bormann, Martin 236 Boysen, Sigrid 345 Brandt, Hans 234

544 Brandt, Martin 203 Bredow, Ferdinand von 90 Bredt, Victor 41 Breuer, Rüdiger 185, 188 Breuer, Stefan 6, 16, 51, 55, 272, 377 Broermann, Johannes 7 Brünneck, Alexander von 198 Brunner, Otto 267 Bucerius, Gerd 307, 309 Büchner, Fritz 48 Bude, Heinz 26 Bullinger, Martin 9, 134 Bumke, Christian 7, 120, 199 f., 220 Burckhardt, Jacob 282, 293, 466 Burdeau, François 112, 118 Burke, Edmund 275, 325 Busche, Jan 192, 208 Busse, Gisela von 285 Caldwell, Peter C. 9, 357, 364 Calker, Fritz van 65, 245 Calker, Wilhelm van 15, 41 Campenhausen, Axel Freiherr von 2 Campenhausen, Hans von 310 Canaris, Claus-Wilhelm 137, 239 Castro, Fidel 467 Chaloupka, Eduard 239 Coing, Helmut 251 Comte, Auguste 112, 119 Constant, Benjamin 321 Conze, Werner 4, 227 Corni, Gustavo 69 Craemer, Rudolf 82, 88, 161, 227 Cruz, Luis María 9, 375 Dahlgrün, Rolf 341, 343, 361 Dahm, Georg 25, 231 f., 267, 270 Dahrendorf, Ralf 101, 448, 449 Demant, Ebbo 272 Demirovic´, Alex 9, 463 Dieckmann, Hildemarie 57 Diers, Andreas 357, 365 Diestelkamp, Bernhard 53, 245 Dietze, Hans-Helmut 244 Dilthey, Wilhelm 132, 255, 297, 440 Dirks, Walter 309 Doehring, Karl 7, 45 f., 106, 233, 313, 409 f. Doering-Manteuffel, Anselm 6, 25, 69 Dohse, Rainer 311 Dörner, Heinrich 197 Drath, Martin 359 Dreier, Horst 6 Dreier, Ralf 404, 430, 435 Drescher, Hans-Georg 19 Duguit, Léon 112–119

Personenregister Dupeux, Louis 20 Dürig, Günter 409, 411, 413, 419 Durkheim, Émile 112, 114, 119, 156 Dürselen, Florian G. 53 Dwinger, Edwin Erich 2 Eberhard, Raimund 244 Ebert, Friedrich 302 Ehmke, Horst 119, 413, 414, 422, 435, 438 Ehrhardt, Arnold 45, 53, 228 f. Elm, Ludwig 393 Emmerich, Volker 134 Encke, Julia 27 f., 33 Engelmann, Ernst 23 Engisch, Karl 25, 304, 321 Enneccerus, Ludwig 413 Erhard, Ludwig 342, 460, 465 Ernst, Fritz 407 Erzberger, Matthias 63 Esser, Josef 435 Etzemüller, Thomas 227 Eucken, Walter 42 Everling, Ulrich 207 Ewald, François 167 Faßbender, Bardo 9 Faye, Emmanuel 42, 77, 94 Faye, Jean Pierre 50 f., 71 f., 241 Feine, Hans Erich 266 Fenske, Hans 109 Fest, Joachim C. 90 Finckenstein, Friedrich L. K. Graf von 268, 275 Firsching, Horst 9, 388, 455, 460, 474 Fischer, Robert 426, 438 Fischerhof, Hans 134 Fleiner, Fritz 111, 135, 182 f. Flume, Werner 408 Fonk, Peter 9 Forsthoff, Emmy 15 Forsthoff, Heinrich 15–22, 23, 31, 43, 49, 315 Foucault, Michel 164, 167 Fraenkel, Ernst 478 Frank, Hans 84, 122, 170, 187, 315 Frankenberg, Günter 370, 377 Freisler, Roland 89 f. Freyer, Hans 78, 122, 158, 230, 242, 274, 309, 408, 448 f., 460, 465–467 Friedrich II. (Preußen) 271 Friedrich Wilhelm (Brandenburg) 271 Friedrich Wilhelm III. 271 Friedrich, Otto A. 341, 343, 361 Friedrich, Otto 23 Friesenhahn, Ernst 25, 37, 133, 228, 407, 409

Personenregister Fritzsche, Klaus 272 Fuchs (?) 70 Furtwängler, Wilhelm 94 Gablentz, Otto Heinrich von der 393, 438 Gadamer, Hans-Georg 257, 259, 262, 436 f. Gajek, Bernhard 256, 265 Galbraith, John Kenneth 449 Gall, Lothar 107 Gantzel-Kress, Gisela 84 Gause, Fritz 228 Gehlen, Arnold 2 f., 9, 25, 45, 52 f., 169, 172, 221, 228, 242, 256, 276, 279, 281, 299–301, 386, 394, 422, 423, 441, 448 f., 451–459, 461, 464–469, 478, 479, 480 f. Gentz, Friedrich von 275 Gephart, Werner 432 Gerber, Hans 41, 120, 229, 233, 368 Gerhardt, Paul 231 Gerhardt, Uta 384 Gerlach, Ernst Ludwig von 265 Gessler, Otto 42 Giese, Friedrich 51, 53, 106, 229, 366 Giesler, Gerd 10, 61, 226 Glaeser, Ernst 25, 302 Gleichen-Rußwurm, Heinrich von 31, 50 Goebbels, Joseph 92, 94 Goede, Arnt 54 Goerdeler, Carl Friedrich 239 f., 323 f., 335, 340, 346 Goerlich, Helmut 410 Goethe, Johann Wolfgang von 85, 275, 282, 286 Gogarten, Friedrich 19 f., 50 Gönnenwein, Otto 407 Göppert, Heinrich 183 Gosewinkel, Dieter 402 Gottl-Ottlilienfeld, Friedrich von 229 Graf, Friedrich Wilhelm 17, 19 Graf, Rüdiger 463 Grau, Richard 39 Grebing, Helga 6, 251 Greiffenhagen, Martin 6, 462 Grewe, Wilhelm 9, 49 f., 206, 207, 307, 341 f., 378 Grigoleit, Klaus Joachim 127, 428 Grimm, Dieter 58, 112 f., 115, 118, 156, 166, 198, 410, 433 Grisebach, Eberhard 17 Groeben, Klaus von der 7, 130 Gross, Raphael 17 Grothe, Ewald 9, 84, 104, 266 f., 304, 315 Gröttrup, Hendrik 134 Grünberg, Hans-Bernhard von 237

545 Gründel, Ernst Günther 26, 27 Gründer, Karlfried 256, 276 Grüttner, Michael 26 Guizot, François 321 Günther, Albrecht Erich 48, 49 f., 51 f., 55, 79, 88, 225, 387 Günther, Frieder 5, 6, 129, 304, 356, 359, 366, 385, 390, 399, 402, 405 f., 409–411, 413, 423, 434 f. Günther, Gerhard 50, 51, 225, 226, 309 Gürke, Norbert 233 Gusy, Christoph 6 Gütersloh, Paris von 239 Haar, Ingo 227 Häberle, Peter 7 f., 357, 385, 393, 422 Habermas, Jürgen 129, 161, 214, 243, 363, 373, 383, 384, 386, 394, 396, 415 f., 449, 457 f., 461, 463, 478 Hacke, Jens 6, 225, 477 Hallstein, Walter 229, 309 Hamann, Johann Georg 228, 256 f., 264 f., 274 Hammerstein, Notker 51 f. Hansen, Thomas 198 Hardenberg, Karl August von 268 Hardtwig, Wolfgang 25 Hartung, Fritz 267 Hartwich, Hans-Hermann 357, 370, 393 f. Hassell, Ulrich von 313 Hassell, Wolf-Ulrich von 313 Hatschek, Julius 183 Haupt, Günter 213, 217 Hauptmann, Gerhart 94 Hauriou, Maurice 280 Hausmann, Frank-Rutger 231, 319 Haußleiter, August 309 Haverkate, Görg 375 Heck, Philipp 241, 255 Heckel, Johannes 84, 314 Hedemann, Justus Wilhelm 229 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 88, 156 f., 161, 172, 241, 301, 442, 466 Heidegger, Martin 17, 42, 77, 94, 132, 136, 255–257, 420, 428 f., 446, 466 Heinemann, Gustav 408 Heinze, Christian 7 Helfritz, Hans 321 Heller, Hermann 6, 37, 51 f., 321, 356, 364, 365 Hellige, Hans Dieter 191–193 Henkel, Arthur 256 Henkel, Heinrich 25, 52 f., 96 Henkel, Michael 359

546 Henne, Thomas 410 f. Hennis, Wilhelm 173, 412 Henrich, Dieter 4 Hentig, Hans von 311 Hentig, Hartmut von 460 Herbert, Ulrich 26 f. Herdegen, Matthias 9 Herder, Johann Gottfried 256 f., 265, 274 f. Herf, Jeffrey 69 Herrera, Carlos Miguel 364 Herrfahrdt, Heinrich 89 Herrmann, Florian 7 Herzog, Roman 7, 259, 387, 409 Hesse, Konrad 367, 385, 413–415, 417, 423, 433, 438 Heuß, Alfred 227 f., 239, 304–306, 307 f., 312, 313, 329, 330, 332 f. Heuß, Theodor 197 Heydte, Friedrich August Freiherr von der 320 Heymann, Ernst 109, 229 Hilberg, Raul 175 Himmelheber, Max 463 Himmler, Heinrich 23 f. Hindenburg, Paul von 54, 59, 89, 92 Hippel, Ernst von 42, 230, 243, 251, 282, 313, 320 Hippel, Fritz von 11, 42, 53, 228, 232, 244, 246–249, 263 f., 264, 266, 272, 282, 305 Hitler, Adolf 21, 70, 79, 85, 90 f., 94, 235 f., 274, 282, 323, 332, 346, 464 Hobbes, Thomas 162 f., 270 f. Hoeller, Carl 315 Hofmann, Hasso 10, 47, 57, 88, 175, 229, 244, 262, 284, 287, 387, 397, 402, 435 Hofmann, Wolfgang 65, 108 Hofmannsthal, Hugo von 74 Höhn, Reinhard 80, 170, 231, 242, 270 Hölderlin, Friedrich 2 Hollerbach, Alexander 42, 383, 385, 417, 423, 430 Hollstein, Thorsten 413 Hölscher, Lucian 448 Horkheimer, Max 45 Huber, Ernst Rudolf 4, 9, 11, 16, 25, 34, 37 f., 39, 44, 49, 51, 52, 54, 63, 67, 72, 76 f., 88, 92, 105, 122, 136, 148, 149, 161, 170, 172, 175, 185 f., 189, 191, 201, 203, 204 f., 215, 217, 225, 228 f., 231 f., 239, 241 f., 252, 263 f., 267, 274, 280, 287, 302, 305–308, 309, 310–314, 317 f., 319, 320, 322, 326, 332, 338, 340, 342 f., 357, 367, 404 f., 416, 438

Personenregister Huber, Konrad 397, 444 Hueck, Alfred 361 f., 413 Husserl, Gerhart 407 Imboden, Max 320, 409 Ipsen, Gunther 228 Ipsen, Hans Peter 54, 106, 245, 314, 367–371, 391 Ishida, Yuji 50 Jahrreiß, Hermann 229 Jakobs, Horst Heinrich 242 Jasper, Karl 158, 304–306 Jellinek, Georg 121, 168 Jellinek, Walter 106, 135, 165, 183, 304, 312, 321, 395 Jellinghaus, Lorenz 174, 187, 214 Jerusalem, Franz W. 187 Jesch, Dietrich 129, 146, 147 Jeserich, Kurt G. A. 479 Jessen, Jens 230 Jèze, Gaston 112, 114 Jhering, Rudolph von 254 Jonas, Erasmus 49 Jonas, Friedrich 9, 299 Jordan, Pascual 4, 309, 311 Jung, Edgar Julius 90 Jung, Walter 16 Jünger, Ernst 6, 27–31, 33, 43, 46, 55 f., 85 f., 92 f., 155, 158, 240, 256, 294, 463, 471 f., 477, 480 Jünger, Friedrich Georg 6, 463 Kahn, Richard 109 Kaiser, Joseph H. 362 Kaiser, Josef 361 Kant, Immanuel 164, 249, 256 Kantorowicz, Hermann 15 Kasack, Hermann 230 Kästner, Erich 302 Kaufmann, Arthur 438 Kaufmann, Erich 37, 139, 305, 402, 405 f. Kaufmann, Franz-Xaver 108 f. Kauhausen, Ilka 251 Kehr, Rudolf 310 Keiser, Thorsten 9, 112, 202 f., 205 Kelsen, Hans 6, 37, 233, 321 Kerr, Alfred 303 Kerrl, Hanns 234 Kersten, Jens 8, 9, 68, 91, 116, 121, 127, 134, 217 f., 271, 314, 320, 337, 348 Keßler, Heinrich 9 Kielmannsegg, Johann Adolf Graf von 307, 311 Kielmannsegg, Peter Graf von 355 Kierkegaard, Sören 27

Personenregister Kiesel, Helmuth 28, 30 f., 33 Kippenberg, Anton 257 Kirchheimer, Otto 25, 37, 199 f. Klages, Helmut 448 Klausing, Friedrich 1, 52 f., 71 Klausing, Hermann 229 Klein, Hans Hugo 7, 87, 92, 233, 356 Kleist, Heinrich von 2 Klemperer, Klemens von 243 Kleßmann, Christoph 360 f., 363 Koch, Erich 71 Koch, Hans-Joachim 417 Kocka, Jürgen 109 Koellreutter, Otto 75, 122, 186, 217, 231, 321 Koenen, Andreas 52, 71, 87 f. Kogon, Eugen 309 Koselleck, Reinhart 4, 7, 26, 82, 324, 346, 479 Koslowski, Peter 31 Köttgen, Arnold 11, 23, 25, 64, 66 f., 120, 122, 126, 165, 183, 184–186, 201, 204, 205, 217, 237 Kracauer, Siegfried 69 Kramp, Willy 23, 228, 238, 273 Kraus, Karl 429 Kraus, Rudolf 357 Krauss, Günther 72, 407 Krawinkel, Hermann 307 Krieck, Ernst 52 Kriele, Martin 430, 435 Kritidis, Gregor 317, 360, 363 Kroeger, Matthias 19 Kroeschell, Karl 201 Kroll, Frank-Lothar 6 Kronenberg, Kurt 23 Krüger, Herbert 201, 237, 243, 309, 343, 409, 410 Kruse, Volker 129 Kugelmann, Heinrich (?) G. 270 Kühl, Kristian 251 Kunig, Philip 360, 414 Kunkel, Wolfgang 25 Künnecke, Arndt 251 Kutscher, Hans 112, 191, 206 f., 208 Laak, Dirk van 10, 26, 37, 44, 46, 69, 108, 192 f., 293, 304, 309, 359, 428, 444, 463, 479 Laband, Paul 120 Landau, Peter 23, 262 Landsberg, Ernst 38 Larenz, Karl 25, 172, 203, 229, 241 f., 284, 314, 435, 437 f.

547 Laurien, Ingrid 311 Le Bon, Gustave 27 Leendertz, Ariane 69, 193 Leibholz, Gerhard 25, 342 Leifhelm, Hans 2 Lembcke, Oliver W. 359 Lenin 85, 468 Lepsius, Oliver 122, 167, 243, 357, 383, 399, 402, 411 f. Lerche, Peter 151, 385, 417 Leroy, Maxime 113, 118 Lethen, Helmut 27 Liedig, Franz-Maria 239 Liermann, Hans 41 Litt, Theodor 414 Loewenstein, Karl 403, 407 Lohalm, Uwe 16 Lohmann, Karl 276, 303 Lokatis, Siegfried 9, 51, 71 f. Loos, Fritz 431 Lorentzen, Tim 24 Lorenz, Konrad 227 f. Löschinger, Hans 239 Löwith, Karl 296, 431 Lübbe, Hermann 4 Lüddecke, Theodor 158 Luhmann, Niklas 4, 129, 151, 381, 452, 454, 471, 476 f. Lukács, Georg 156 Luther, Martin 253, 282, 291 Maaß-Rose, Dörte 54 Magaldi, Nuria 102, 177, 217 Mahrenholz, Christhard 23 Mai, Uwe 201 Maier, Heinrich 16, 130 Maihofer, Werner 243, 251 Maistre, Joseph de 47 Mallmann, Walter 105, 405, 406–408 Man, Hendrik de 42 Mangia, Alessandro 9 Mangoldt, Hermann von 229 Manigk, Alfred 229 Mann, Thomas 94, 303 Mao Tse-tung 467, 468, 480 Marcuse, Herbert 449, 468 Marschler, Thomas 11 Martini, Winfried 7, 16, 46, 282, 324, 480 Martín-Retortillo, Lorenzo 8 Marwitz, Friedrich Ludwig August von der 268, 275 Marx, Karl 27, 296, 445, 460 f., 468 Maschke, Erich 93 Mass, Edgar 320

548 Matzerath, Horst 68, 174 Maunz, Theodor 25, 122, 133, 201, 229, 314, 366, 367 Maus, Ingeborg 433, 437 f., 364, 383–385, 393 f., 399 Mauz, Gerhard 8 Mayer, Franz 7 Mayer, Friedrich Franz von 110 Mayer, Otto 110 f., 112, 120, 124, 125, 131, 135, 137–142, 174, 180–190, 215 Mazzacane, Aldo 85 Medem, Eberhard Freiherr von 170 Mehring, Reinhard 2, 7, 10, 37, 44 f., 76, 228, 279, 406, 408, 435, 444 Meier, Christian 4 Meinecke, Friedrich 275 Mendelssohn Bartholdy, Albrecht 84 Menger, Christian-Friedrich 366, 396 f. Menn, W. 252 Merkl, Adolf 185, 233 Metternich, Fürst 275 Metzler, Gabriele 129, 344, 357, 377, 449 Meyer, Ahlrich 276 Meyer-Hesemann, Wolfgang 7, 119 Moeller van den Bruck, Arthur 50, 92 Mohler, Armin 6, 20, 46, 50 f., 72, 88, 463, 478, 479, 480 Mohnhaupt, Heinz 320 Möllers, Christoph 6, 359, 387, 390 Mommsen, Hans 239, 274, 311, 323, 331, 340, 342 Mommsen, Wolfgang J. 431 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de 230, 268, 304, 318–323, 325, 344 Moras, Joachim 329, 443, 449 f. Morat, Daniel 6, 158, 315 Morgenthau, Hans 25 Morsey, Rudolf 317 Morstein Marx, Fritz 61 Möser, Justus 275 Mosler, Hermann 409 Muhs, Karl 243 Müller, Friedrich 435 Müller, Hans-Harald 27 f., 33 Müller, Hermann 54 Müller, Jan Werner 5, 10, 36, 411 Muller, Jerry Z. 225 Müller, Roger 182 Müller-Armack, Alfred 282, 377 Müller-Graaf, Carl-Hermann 282 Mußgnug, Dorothee 17, 41, 52 f., 227 f., 230, 237, 304, 310, 312 f., 318, 409 f.

Personenregister Mußgnug, Reinhard 7, 17, 41, 52 f., 227 f., 230, 233, 237, 304, 310, 313, 318, 355, 409 f. Mussolini, Benito 85 Muth, Heinrich 270 Nadler, Josef 256 Narr, Wolf-Dietrich 357 Nebel, Gerhard 282, 463 Neumann, Carl 341, 343, 361 Neumann, Volker 360, 462 Nicolaysen, Gert 53 Nietzsche, Friedrich 27, 136, 446 Nipperdey, Hans Carl 208, 407, 413 f., 427 Nipperdey, Thomas 27, 108, 341, 346 Nitsch, Wolfgang 384 Noack, Erwin 170 Noack, Paul 377 Nolte, Paul 102, 129, 377, 394, 441, 449, 463 Nörr, Knut Wolfgang 197, 360 Noth, Martin 228, 313 Novalis 275 Nowak, Kurt 19 f. Nützenadel, Alexander 129, 342, 344 Oestreich, Gerhard 479 Oeter, Stefan 341, 345, 411 Offe, Claus 357, 384 Ortega y Gasset, José 158 Ossenbühl, Fritz 117, 130, 134, 220 Oster, Hans 239 Paeschke, Hans 251, 449 f., 461, 467, 468, 469 Pankoke, Eckart 108 Papalekas, Johannes Chr. 7 Papen, Franz von 54, 55 Partsch, Marianne 112, 206, 207 Pauly, Walter 6, 217, 238 Paust, Dirk 8 Perels, Kurt 53 f. Perels, Joachim 361, 363, 393 Pestalozza, Christian Graf von 430 Peters, Hans 65, 106, 120, 127 f., 147, 179, 243, 282, 315, 409 Peters, Jelko 256 Petersen, Julius 257 Peterson, Erik 37 Petzinna, Berthold 27, 50, 51 Peukert, Detlev J. K. 26, 110 Pielow, Johann-Christian 134 Pisier-Kouchner, Evelyne 112 f., 118 f. Pius XI. 243 Pohl, Hans 479 Popitz, Johannes 57, 61, 67, 68, 70, 190, 230, 239, 279

Personenregister Premer, H[ermann?] 341, 343, 361 Preuß, Hugo 40, 41 Preuß, Ulrich K. 115, 196, 360, 384, 393, 421 Pringsheim, Fritz 15 Prinz, Michael 101 Puchta, Georg Friedrich 288 Pufendorf, Samuel von 271 Quaritsch, Helmut 7, 45, 227, 229 Radbruch, Gustav 227, 237, 240, 251, 304–306 Rajewsky, Xenia 360–362 Ramm, Thilo 360, 361 Ranke, Leopold von 275, 282 Rathkolb, Oliver 233 Rauschning, Hermann 319 Rehberg, August Wilhelm 275 Reichwein, Adolf 239 Rein, Adolf 54 Reinhardt, Max 2 Remarque, Erich Maria 33 Reulecke, Jürgen 25 Richter, Hans Werner 307, 309 Richter, Lutz 183, 184 Ridder, Helmut 37, 360, 366, 385, 406, 417, 433, 438, 457, 477 Riedlinger, Arne 410 f. Ritschl, Albrecht 17 Ritter, Gerhard A. 341 Ritter, Gerhard 240, 282, 293 f., 323 f., 346 Ritter, Joachim 3 f., 157 Ritterbusch, Paul 170, 227, 231, 241 f. Rittstieg, Helmut 197, 198 Röder, Karl-Heinz 8, 393 Röder, Ursula 8, 393 Röhm, Ernst 90 Rohrkrämer, Thomas 33 Römer, Peter 8 Rommen, Heinrich 243 Ronneberger, Franz 7 Röpke, Wilhelm 377 Rosenberg, Alfred 89, 90, 93 Roth, Regina 109 Rothenberger, Curt 226, 227 Rothfels, Hans 227 Rousseau, Jean-Jacques 218, 282 Rüfner, Wolfgang 181 Runge, Philipp Otto 50 Rupp, Hans-Heinrich 129, 146, 147 Ruppert, Stefan 412 Rusinek, Bernd A. 26 f. Rust, Bernhard 236 Rüthers, Bernd 201, 203, 229, 241, 285 Saage, Richard 8, 451

549 Sachße, Christoph 165, 174 Saint-Simon, Henri de 118, 158, 448 Salin, Edgar 42 Sander, Hans-Dietrich 3, 45, 422, 442, 443, 450, 451, 460 Sarwey, Otto 110 Savigny, Friedrich Carl von 245, 260, 261 f., 263, 265, 275, 284, 286, 288, 436 f., 476 Schacht, Hjalmar 42 Schaffstein, Friedrich 25 Schalk, Fritz 320 Schauwecker, Franz 27, 33 Scheidemann, Dieter 8 Schelsky, Helmut 228, 301, 309, 394, 454 f., 458, 465, 468 Schenke, Wolf 311 Scheuermann, William E. 348 Scheuner, Ulrich 25, 112, 231, 232, 270, 314, 342, 358, 367, 384, 396, 402, 406 f., 414, 423, 434, 438 Scheuren-Brandes, Christoph M. 243, 244 Schieder, Theodor 227 Schiedermair, Gerhard 52, 237 Schiera, Pierangelo 108 Schildt, Axel 282 Schiller, Friedrich 164, 263 Schirach, Baldur von 233–237 Schlegel, Friedrich 275 Schleicher, Kurt von 90 Schleiermacher, Friedrich 17 Schlink, Edmund 309 Schmid-Noerr, Friedrich Alfred 239 Schmidt, Eberhard 320, 407 Schmidt, Rainer 390 Schmidt-Aßmann, Eberhard 137, 151 f., 195, 414 Schmitt Glaeser, Walter 151 Schmitt, Anima 44 Schmitt, Carl 2 f., 5, 6, 10 f., 16 f., 28, 31, 34–47, 49, 51 f., 54–62, 65, 70–72, 74, 76, 80, 87 f., 105, 148 f., 175, 186, 198, 199, 202 f., 217, 225, 226, 228–230, 231, 234, 240–242, 244, 247, 252, 255 f., 261, 262–264, 267 f., 270 f., 274, 275, 277, 279, 280, 283, 286 f., 291, 308, 309, 311, 313 f., 315, 316, 317–319, 320, 321, 343, 348, 358, 360, 362, 370, 373, 387–389, 390, 396 f., 401, 403–408, 413, 420–422, 424, 427 f., 429 f., 433–435, 437, 438, 440 f., 444–446, 451, 457, 464, 474 f., 478, 479 f. Schmitt, Dusˇka 44 Schnabel, Franz 108 Schneider, Hans 7

550 Schnur, Roman 7, 114, 130, 280, 410, 434 Schoeps, Manfred 49 f. Scholder, Klaus 17 f. Schomerus, Hans 19 f., 25, 234, 274, 309, 387, 408 Schönbauer, Ernst 233 Schönberger, Christoph 121, 220 Schönfeld, Walther 170, 201, 244 Schöningh, Franz Josef 274 Schott, Susanne 226 Schrade, Hubert 2 Schröder, Rudolf Alexander 23, 310 Schubert, Werner 24, 231, 243 Schuckart, Rainer 8, 359, 393 Schücking, Walter 40 Schüle, Adolf 406, 407 f., 427 Schuller, Wolfgang 45 Schulte, Wilhelm 389 Schultz, Edmund 92 Schulze-Fielitz, Helmuth 414 Schumacher, Kurt 332, 402 Schuppert, Gunnar Folke 130, 195, 220 Schütte, Christian 8, 119, 145, 385 Schwarz, Hans-Peter 402 Schwarz, Hans 2 Schwiedrzik, Wolfgang Matthias 307–309 Schwierskott, Hans-Joachim 50 Schwinge, Erich 229, 233 Seebass, Horst 228 Seeckt, Hans von 42 Seifert, Jürgen 451 Siedentopf, Heinrich 130 Simmel, Georg 69 Simon, Dieter 7, 251, 436 Skuhr, Werner 8, 357 f., 364, 374 Smend, Rudolf (jun.) 228 Smend, Rudolf 6, 7, 23, 35, 37, 40, 41, 42, 45 f., 124, 231, 245, 254, 272, 289, 315–317, 320, 405, 406, 407, 408, 409, 411–414, 417 f., 424, 426–428, 431, 475 Sohm, Rudolph 72 Solchany, Jean 225, 282, 293 Sombart, Nicolaus 306 Sombart, Werner 69, 92 Sontheimer, Kurt 6, 363, 385, 480 Sordi, Bernardo 7, 9, 68, 102, 112, 120, 122, 133, 135, 148, 168, 177, 179–181, 183, 185 f., 190 Sorel, Georges 27, 118 Sosa Wagner, Francisco 11 Spaemann, Robert 4 Spengler, Oswald 92, 158 Spieker, Manfred 365

Personenregister Stadelmann, Rudolf 52, 74 Staff, Ilse 9, 383, 463 Stahl, Friedrich Julius 277, 286, 298, 301 Stalin, Josef 85 Stapel, Wilhelm 9, 11, 19 f., 22, 31, 44, 48–50, 55, 72, 73, 87, 89, 93, 105, 230, 238, 242, 253, 273, 279, 280, 293, 310, 319 f. Staudinger, Hans 183 Stauffenberg, Hans Christoph von 230, 239, 240, 311 Stein, Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom 275, 318 f., 323–325, 346 Stein, Lorenz von 124, 127, 148, 149, 179, 387, 460 Steinbömer, Gustav (Hillard) 2, 11, 42, 49, 51 f., 73, 230, 309, 318, 319 f., 322, 403, 478 f. Steltzer, Theodor 51, 307–309, 311, 323, 335 f., 341, 343, 361, 464, 465 Stenzel, Julius 257 Stern, Klaus 368, 402 Stier, Bernhard 191–193 Stödter, Rolf 200 Stoll, Heinrich 229 Stolleis, Michael 6 f., 23, 37, 51, 70 f., 84, 102, 106, 108–110, 111, 112, 120–123, 126, 130, 137, 141, 147, 151, 179, 182–184, 189, 192, 197, 199, 201, 217, 220, 231, 244, 260, 324 f., 356 f., 460 Storost, Ulrich 8, 55, 60, 89, 174 f., 358, 370, 386 Strauß, Walter 406 f., 408 Strub, Christian 136 Stuckart, Wilhelm 122, 242 Stünkel, Knut-Martin 256 Suhr, Dieter 155, 221 Suhrkamp, Peter 230 Süskind, Wilhelm Emanuel 272, 277 Taubes, Jacob 461, 462 Taube, Otto von 310 Tennstedt, Florian 165, 174 Tersteegen, Gerhard 17 Thieme, Hans 245 Thoma, Richard 41, 402 Tilgner, Wolfgang 19 f. Tilitzki, Christian 225, 228, 241 f. Tillich, Paul 52 Tippelskirch, Egloff von 170 Tomberg, Friedrich 323 Tommissen, Piet 72 Tönnies, Ferdinand 68, 69 Triepel, Heinrich 6, 64, 198 Tröger, Jürgen 442

Personenregister Trotha, Carl-Dietrich von 308 Trott zu Solz, Levin von 243, 307 Tucholsky, Kurt 94 Ule, Carl Hermann 270 Ulmer, Eugen 304 Unruh, Georg-Christoph von 152, 228 f., 237, 319, 479 Upmeier, Gisela 183 Utz, Friedemann 408 Veit, Otto 158 Veit, Wilhelm 17, 18 Vesting, Thomas 36 Viehweg, Theodor 435 Vielberg, Iris 311 Vogel, Klaus 7, 409 Voigt, Alfred 241, 320 Vorwerk, Friedrich 11, 50, 239 Voß, Reimer 57 Voßkuhle, Andreas 106, 145, 195 Wacke, Gerhard 237 Waechter, Kay 119 Wagener, Frido 130 Wahl, Rainer 7, 151, 220 Waldecker, Ludwig 321 Walkenhaus, Ralf 9, 50 f., 267 Walz, Gustav Adolf 170 Weber, Alfred 306 Weber, Hermann 54 Weber, Max 69, 90, 126, 132, 138, 155, 247 f., 302, 430–432 Weber, Werner 7, 11, 25, 37, 45, 106, 198, 200 f., 203, 229, 230, 233, 245, 306, 309, 316, 341, 348, 362, 372 f., 392, 396, 397, 402, 404, 405, 406, 408 Wedekind, Frank 465 Wehler, Hans-Ulrich 102, 243 Wehner, Josef Magnus 33 Wehrhahn, Herbert 396 f. Weinacht, Paul-Ludwig 320

551 Weinkauff, Hermann 251 Weippert, Georg 77, 82, 132, 176, 228, 313 Weisbrod, Bernd 27 Weise, C. 158 Weiß, Johannes 9, 299 f. Weiss, Konrad 230 Weißmann, Karlheinz 6, 19 f., 50 f., 72, 88 Weitzel, Jürgen 201 Welzel, Hans 25, 244 Wesel, Uwe 259 Wieacker, Franz 4, 9, 25, 42, 110, 135, 136, 172, 197, 201, 202–207, 209, 210, 241 f., 243, 251, 255, 266, 306 Wiesmann, Elmar C. J. 233 Wildt, Andreas 113 Wilhelm II. 302 Winkler, Günter 409 Winkler, Viktor 242 Winterhager, Wilhelm Ernst 307 Wintrich, Josef 413 Wirsching, Andreas 63 Wirsing, Giselher 282, 294, 324, 341 Wittmann, Fritz 480 Wittreck, Fabian 243 f., 246, 249 Witzleben, v. (Sohn des Erwin v. W.) 239 Wolf, Erik 11, 42, 77, 82, 240, 266 Wolff, Hans Julius 52, 69, 106, 120, 149, 214, 402 Wolff, Martin 198 f. Yorck von Wartenburg, Paul Graf 228, 255, 276, 297, 440 Zacher, Christian 183–185 Zehrer, Hans 272, 273, 274, 276, 282 Zeidler, Karl 397 Ziegert, Richard 20 Ziegler, Benno 71, 81, 88 Ziegler, Heinz Otto 55 Ziesemer, Walther 228, 256, 310 Zitelmann, Rainer 101

Sachregister Kursive Ziffern verweisen auf Fußnoten. Werke Ernst Forsthoffs sind kursiv gesetzt. »20. Juli« 238–240, 274, 323 »Aktion Ritterbusch« 231 Anschluß- und Versorgungszwang 191, 211 f. Anstalt, öffentliche 180–190 Arbeiter, Arbeitsstaat 30 f., 67, 86, 92 f., 154–156, 168 Arbeitskampf s. politischer Streik Arbeitsteilung 155–157, 452 Auslegung s. Hermeneutik, Verfassungsauslegung Ausnahmezustand 39 f., 59 f., 397, 456 Autorität 59, 78, 441 f., 452–456 Beamtentum, Bürokratie 81, 90, 126 f., 333 f., 344 f., 428, 470 f. Biographische Orte – Berlin 41 f., 70, 230 – Bonn 37 f., 40 f. – Frankfurt 1 f., 43 f., 51–53 – Freiburg i. Br. 15, 41–43, 50, 240, – Hamburg 53 f., 226 f. – Heidelberg 44, 237 f., 302–307, 318, 479 – Königsberg 226–232, 236 f., 256 f. – Kiel 307 f. – Marburg 15, 40 f. – Wien 233–237, 409 – Zypern 478 Bundesstaat s. Föderalismus Bundesverfassungsgericht 389 f., 399 f., 402 f., 412, 425–429 Bundeswirtschaftsrat 342–344 Bürgertum, bürgerliche Sozialordnung 5, 154–157, 160–164, 167 f., 171–173 (s. a. Rechtsstaat, Liberalismus) – Bürgerhaß der Kriegsjugend 30–32, 73 f. – Eigentumsbegriff 197–199

– bürgerlicher Rechtstypus 95 f. – bürgerliches Verwaltungsrecht 131, 138 – Verfassungsbegriff 325 f., 379 – Verhältnis zum Staat 268 f., 275 CDU/CSU 332, 480 Daseinsvorsorge 153–180 – als Verfassungsfrage 327–331, 371–373 – Bundesrepublik 216–222 – Daseinsverantwortung der Verwaltung 154, 160 f., 175–180, 193–195, 221 f. – Dezentralisierung 194 f., 218, 334–336, 345 – Individualrechte 211–213 – juristische Problematik 214–216 – Organisation 193–195 – systembildende Funktion 144, 175–180 – im »totalen Staat« 80 f. – Verhältnis zur Selbstverwaltung 66 f. Demokratie 269, 278, 330–333 – als totale Mobilmachung 29 – demokratisches Verwaltungsrecht 129, 146 – Demokratisierung der Daseinsvorsorge 218, 337 f. – im Grundgesetz 349, 360–366, 414 f. – Substanzverlust durch Technik 454 f. – Verfassungsfähigkeit 383 f. – Verhältnis zu Institutionen 291–294 – Verhältnis zum Rechtsstaat 370–373, 376 – »Verwaltungsdemokratie« 334–346 Der Staat der Industriegesellschaft 450 f. Der totale Staat 71–92 Deutsche Gemeindeordnung 1935 (DGO) 65, 187, 211 Deutsche Geschichte seit 1918 in Dokumenten 92–94

554 Deutsche Verwaltungsgeschichte 479 Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat 60–67 Diktatur 39 f., 58–60, 78 f., 292 f. Ebracher Ferienseminare 2–4, 46, 444, 479 Eigentum, Enteignung 154 f., 196–211 – und Daseinsvorsorge 204–210 – »Eigen« 203 f. – sozialstaatliche Auslegung 365, 368 f. – Verhältnis zum Rechtsstaatsbegriff 374, 389–395 – Verhältnis zur Steuer 391–393 Energiewirtschaftsgesetz (1935) 190–193, 211 f. Entfremdung 156–160, 163, 177, 218 f., 466 f. Entnazifizierungsverfahren 305, 312–314, 318 Ernstfall s. Ausnahmezustand Festschrift für Carl Schmitt 405–408 Föderalismus 39 f., 60–65, 340 f. Formalismus, Formalrecht 95–97, 122 f., 147, 254 f., 260 f., 373–375, 430–432 »formierte Gesellschaft« 342, 344, 453 Freiheit 60, 156 f., 160 f., 178, 300 f., 445 Führung, Führertum 78–81, 90 Gesellschaft s. Staat und Gesellschaft Gesellschaft für Neue Staatspolitik 351 Gesellschaft Imshausen 307 Gesetz 259 f., 265 – Gesetzgeber 134, 198 f., 259 f., 265, 289 f., 335, 395–400 – Gesetzesbindung, Vorrang des Gesetzes 110, 123, 126 f., 133, 419, 447 (s. a. Legalität) – Maßnahmegesetze 395–400 – Verfassung als Gesetz 432–437 – Verhältnis zum Anstaltsbegriff 187 Gewaltenteilung 96, 322–325, 348 f., 395–400 Gewerkschaften 86, 160, 342 f., 360–363, 453 Grundgesetz 146 f., 347–352, 355 f. (s.a. Verfassung) Grundrechte 196, 391 f., 415 f. – Abwehrrechte 434 – als »Werte« 410–412, 446 f. – Selbstverwaltungsrecht 61 f. – soziale Grundrechte, Leistungsrechte 338 f. – Verhältnis zur Demokratie 365 – Verhältnis zum Staat 60

Sachregister – Verhältnis zur Daseinsvorsorge 176 f., 213, 328 f. Hanseatische Verlagsanstalt 71–73, 104, 280, 310 Hermeneutik 97 f., 254–266, 284, 419, 430–438 Historische Schule 245, 248, 254 f., 262 f., 274 f. Industrielle Gesellschaft 448–458 (s.a. Technik) – als Problem verwaltungsrechtlicher Systematik 150 f. – als Trägerin der Daseinsvorsorge 220–222 – als Wertsetzerin 424 f. – Ursprung der Daseinsvorsorge 113 f., 154–158 Institutionen 279–301, 441 f., 473–477 – als Bindungen der Sprache 258 – als organische Gefüge 285 f. – anthropologische Begründung 299–301 – Demokratie 292–294 – des Rechtsstaats 380–383, 419 f. – Geschichtsphilosophie 294–297, 473–477 – im Grundgesetz 349 – institutionelle Methode 119, 132 f., 280 f., 398 f. – juristischer Begriff 284–290 – Legitimierung 297 f. – Theologie 291 f. – Verhältnis zur Gesetzgebung 289 f. Interventionsstaat 107–111 (s. a. Sozialpolitik) Investitionshilfegesetz 388–390, 395 Juden 83 f., 93–97, 228 f., 313 Justiz s. Rechtsprechung Kirche, Kirchenrecht 11, 17–23, 61, 64, 231 f., 234 f. 237, 240, 289, 307 f., 316 – Bekennende Kirche 22 f., 237, 305 – Deutsche Christen (GDC) 17–23, 237 – Kirchenkampf 11, 23 f. Kommunen s. Selbstverwaltung Königsberger Gelehrte Gesellschaft 230, 256 f. Konkretes Ordnungsdenken 97, 119, 133, 203 f., 242, 266, 283–288 Konservativ, Konservativismus 6, 47, 268–270, 272–278, 477–480 – Jungkonservative Bewegung 50 f., 87 – Juristentypus 471–473 – Konservative Revolution 24, 73 f., 225, 240 – Legalitätskritik 265 f.

Sachregister – Nachkriegszeit 281–283, 293 f., 309 f., 346 – Technikkritik 462 f. Körperschaften 61 f. (s. a. Selbstverwaltung) Korporatismus, Ständestaat 85 f., 161, 342 f. Kreisauer Kreis 243, 307 f., 323 Krieg 26 f., 28–30 – Kriegsliteratur 27, 33 f. – Kriegswirtschaftsrecht 109 f., 196 f. – und Daseinsvorsorge 174 f., 192 f. – Zweiter Weltkrieg 278, 302 Kriegsjugend 24–27, 34 Legalität/Legitimität 47, 58–60, 79 f., 169, 172, 249 f., 423–426, 437, 474 f. Lehrbuch des Verwaltungsrechts 104–106, 124, 144–152 Liberalismus 34 f., 56–58, 445, 464 f. (s. a. Bürgertum) – »totaler Staat« als Antithese 74, 77 f. – liberale Theologie 19–21 – und Daseinsvorsorge 216 – Verkehrsgesellschaft 160 Marxismus 393–395, 461 Masse, Massendemokratie 29, 282 f., 292 f., 330–332 (s. a. Demokratie) – Konstituierung durch Daseinsvorsorge 160–165, 178, 372 – Verfassungsfähigkeit 273, 383 f. – Zerstörung der Selbstverwaltung 66 Mobilmachung s. Totale Mobilmachung Monarchie 268 f., 346, 472 »Mundus Christianus« (Studiengesellschaft) 308 f. Naturrecht 243–253, 283 Neuhegelianismus 172, 241 f. Nihilismus 427 f., 443, 446 f., 472 Normativismus 95–97, 123, 179, 283 NSDAP 21, 71, 78 f., 90 f., 117, 226 f., 233–236 Öffentlich, Öffentlichkeit 2–3, 61 f., 171 f., 310 f., 373, 408, 420, 468 f., 480 f. Öffentliches Recht/Privatrecht 117, 180–187, 219 Ordnungsdenken s. konkretes Ordnungsdenken Organismus, organisches Denken 276, 285 f., 288, 324 f. Parlamentarischer Rat 311, 326, 347 Parlamentarismus 58 f., 269, 328, 330 f., 336 f., 340, 372 f. (s.a. Demokratie) – Zweikammernsystem 341–344 Parteien 71, 276, 277, 309 f., 331–333 Personenbeförderungsgesetz (1934) 191–193 Politische Romantik 268, 275 f.

555 Politischer Streik 360–363 Positivismus 249–251, 255, 283, 431, 437 f. Präsidialkabinette 55, 59 f. Preußen 70, 266–271, 323 f. Quedlinburger Dom 23 f., 231 Recht und Sprache 256 f. »Rechtserneuerung« (Nationalsozialismus) 53, 95 f., 201 Rechtsethik 175–177, 250, 261 Rechtsprechung – richterliche Hermeneutik 258 f. – im totalen Staat 95–98 – und Verwaltung 151 f., 210 f., 447 – Verfassungsrecht 425–429, 431 Rechtsstaat – Begriff bei Forsthoff 59, 358 f., 374–388 – Funktion für die verwaltungsrechtliche Systematik 143–147 – im 19. Jahrhundert 110 f., 137–139 – Restauration nach 1945 329, 414 f. – soziale Umdeutung 338 f. – »sozialer Rechtsstaat« 366–370 – Verhältnis zur Rechtsprechung 95 f. Reich, Reichsreform 48 f., 55, 67 f., 87, 441 – Kaiserreich (1871) 25, 107–109 Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) 54, 233–238 Revolution 47, 55, 293, 321, 441, 468 – »20. Juli« 240 – Gegensatz zum Konservativismus 47, 277 f. – legale 170 f. – nationalsozialistische 70, 73–76 – Verhältnis zum Staatsbegriff 169–172 Richterliche Unabhängigkeit 96 f., 259 »Ring«-Kreis 50 f. Selbstverwaltung 60–69, 195, 336–340 – Großstädte 68 f. Service public 113–119 Sozialpolitik, soziale Frage 63, 108–111, 160 f., 174 f., 393, 460 f. Sozialstaat (s. a. Daseinsvorsorge) – Gruppenpluralismus 168 f. – als materialer Rechtsstaat 366–369 – als Steuerstaat 392–395 – demokratischer Sozialismus 360–366 – juristische Struktur 373–375 – soziale Bewegung, soziale Realisation 458–461 – sozialstaatliches Verwaltungsrecht 150 f. – Sozialstaatskontroverse 356–369 – Staatsbegriff 386–388

556 – und Demokratie 371–373, 375–377 – und Grundrechtsauslegung 420 f. – Verhältnis zum Rechtsstaatsbegriff 370–375 – Verhältnis zur staatlichen Daseinsverantwortung 221 f. Soziologie 118 f., 125, 128 f., 422 f., 471 »Spätkapitalismus« 393, 449, 457 f. SPD 332, 402 f. Sprache, Sprachphilosophie 246–266, 480 f. Staat 159–165, 167–173, 270 f., 321, 386–388, 460 f. (s. a. Rechtsstaat, Sozialstaat) – Auflösung 387 f., 439–443 – autoritärer Staat 19, 55, 81 f., 88 f. – Daseinsvorsorge und Staatsbegriff 159–173, 220 f. – geistige Selbstdarstellung des Staates 441–443 – im Nationalsozialismus 88 f. – Neutralität 56 f., 361 f. – Staat und Geist 440–442 – Staatsgesinnung, Staatsethos 79 f., 97, 300 f., 441–445, 482 – Staatslehre 35, 127, 321, 479 – Ständestaat s. Korporatismus – Steuerstaat 390–394 – totale Mobilmachung 30 f., 34 f. – totaler Staat 21 f., 43, 55–58, 60 f., 67–69, 73–98, 175 – und Gesellschaft 56 f., 61 f., 118 f., 124, 127, 138, 143 f., 171 f., 180 f., 362, 460 f. – Verhältnis zur Industriegesellschaft 455–457, 460 f. Staatshaftungsrecht 116 f., 117, 140 »staatsideologische Unterbilanz« 440 f. Studentenrevolte 467–469, 479 Subjektives Recht 115 f., 154 f., 165–167, 176 f. – Anstaltsverwaltung 181–183 – im Nationalsozialismus 200 f. – Verhältnis zur Daseinsvorsorge 208–210, 219 f. Subjektivität 445–447 – Daseinsvorsorge 160 f., 165–168 – neuzeitlicher Staatsbegriff 270 f. – Verhältnis zu Institutionen 286, 291 f., 300 f. System, Systembildung 110 f., 134–151, 209 f., 215 f., 285 f., 383 Technik, technische Welt 29–31, 278, 296, 470–472 – im totalen Staat 85 – Sachzwang 454 f.

Sachregister – technische Realisation 458–465 – »Technisierung«, »technische« Rechtsinstitute 143, 209 f., 382 f., 473–476, 481 – Typus des Technikers 466, 470–472 – und Daseinsvorsorge 157–161, 166 f., 218 – und Demokratie 330 f. Technokratie 118 f., 218, 454 f., 463, 470 f. Teilhabe 162–164, 211–213, 215 f., 338 f. (s.a. Daseinsvorsorge) »Tendenzwende« 478 Terrorismus 467 f. Theologie 16 f., 19–22, 253, 264 f., 291 Totale Mobilmachung 28–36, 56, 85 f., 93, Tremsbüttel 308 Unitarisierung 63–65, 188 f., 334, 345 (s.a. Daseinsvorsorge: Dezentralisierung) Urbanisierung 68 f., 155–157 Utopie 172, 461, 467 f., 481 Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (VDStRL) 45 f., 363, 406, 409 f. Verfassung 319–327, 347–349, 352 – »Erledigung« der Verfassungsfrage im Nationalsozialismus 95, 179 – existentieller Verfassungsbegriff 58 f. – gemäßigte Verfassung 321–325, 349 – konkrete Verfassung 179 – materialer Verfassungsbegriff 410–425 – Sozialstaatlichkeit und Verfassung 375–378 – »technischer« Verfassungsbegriff 380 f., 383–385, 432–438 – Verfassunggebung 179, 322–325, 328, 334, 350 – Verfassungsauslegung 366 f., 401–404, 416–425, 430–438 – Verfassungsgerichtsbarkeit s. Bundesverfassungsgericht – Verfassungsgesetz 432–438 – Verwaltung als wahre Verfassung 127, 179, 327–330 Verfassungsgeschichte 266–270 Vergangenheitsbewältigung 313–315 Verteilung, Umverteilung 116, 155, 169, 221 f., 373, 391 f., 420, 452 f. (s.a. Sozialstaat) Vertrag, Vertragsfreiheit 196 f., 208–210 Verwaltung – dezentrale Gliederung 194 f. – als Verfassungsproblem 335–339 – Funktionswandel in der industriellen Gesellschaft 113 f., 452–455 – Juristenverwaltung 470 f.

Sachregister – als Trägerin der Daseinsvorsorge 155, 160–168, 175 f. – im Konstitutionalismus 138 f. – Verhältnis zur Staatsführung 80 f., 90 – Sonderverwaltungen 124, 189, 470 – Verwaltung und Eigentum 205–211 Verwaltungsgerichtsordnung 152 Verwaltungslehre 103, 120–130 Verwaltungsrecht 99–222 – Allgemeines Verwaltungsrecht 110 f., 124 f., 135–151 – Besonderes Verwaltungsrecht 148–151, 215 f. – französisches 111–119 – Interventionsstaat 110 f., 182 – Methode 110 f., 119–121, 123–133, 175 (s.a. System, Systembildung) – öffentliche Anstalt 180–190 – Subjektivierung des Verwaltungsrechts 219 f.

557 – verfassungsschöpferische Funktion der Verwaltungsrechtswissenschaft 179 f. – Verwaltungsprozeßrecht 151 f. – Wirtschaftsverwaltungsrecht 185 f. – Zwecke 139–141, 254 f., 396, 398 Volk 81–86 Volkskonservative Partei 49 Weimarer Republik, Weimarer Reichsverfassung 31 f., 34 f., 39 f., 54–59, 62–68, 74 f., 92–94, 197–199, 348 Weltanschauung 79, 89 f., 246–251, 255 f., 261, 294–298, 330 Werte, Werteordnung 410–425, 443–447 Wiederbewaffnung 402 f. Willensdogma 167 f., 180 Wirtschaftsverwaltungsrecht 185 f. Wirtschaftswunder 221 f., 357, 448, 455 f. (s.a. Verteilung, Sozialstaat)