Der Herr hat genommen, der Herr hat gegeben: Predigt am letzten Tage der Jahres
 9783111486826, 9783111120218

Table of contents :
Einleitung
I.
II.

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Der Hm hat genommen, der Herr hat gegeben. Predigt am letzten Tage des Jahres, gehalten von

Thomas, ev. Prediger an der Nikolaikirche in Berlin.

(Auf mehrseitiges Verlangen in Druck gegeben.)

Berlin. Druck und Verlag von Georg Reimer.

1866.

(Sieber: Nr. 826,1—5 und Nr. 652.)

*^)err Gott, du bist unsere Zuflucht für und für.

Ehe

denn die Berge worden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Text: Hiob 1, 21: „Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobet!" Der letzte Sonntag, Geliebte im Herrn, ist heut zugleich der letzte Tag des Jahres. Am Schluß eines Jahres aber sind wir wie von selbst genöthigt auf dasselbe im Geist zurückzusehen, die freudigen und schmerzlichen Ereignisse desselben an unserer Seele vorübergehen zu lassen und so gleichsam, wie der Kauf­ mann gewohnt ist, Gewinn und Verlust mit einander abzuwägen, um klar zu sehen, wie wir jetzt stehen. Auch wird keiner unter uns sein, der rein und allein nur von Gewinn oder nur von Verlust im verflossenen Jahre wüßte. Ich denke, einem jeden von uns ist Einiges genommen, ist Vieles gegeben. Darum das ver­ lesene Texteswort, das wir für unsere Betrachtung aus seinem Zusammenhang herauslösen und nur als allgemein gültigen Satz anwenden, eignet sich heut für uns alle. Das aber ist das Ei­ genthümliche dieses Wortes, daß es unsern Gewinn und unsern Verlust auf Gott unsern Herrn zurückführt und so durch beides uns mahnt, daß wir ihn dafür preisen und loben. In diesem

4 Sinne sei es denn auch jetzt der Leitstern für unser Nachdenken und unsere Andacht!

Das uns im Laufe des Jahres Ge­

nommene, das uns in demselben Gegebene stelle sich uns vor die Seele, als von dem Herrn genommen und von dem Herrn gegeben!

I. Was ist uns genommen?

Nicht wahr,

als wir an der

Schwelle dieses Jahres standen, wie wir wußten, daß ein Früh­ ling und Sommer wiederkehrte, in dem Gott seine Sonne werde aufgehen lassen über Böse und über Gute und regnen lassen über Gerechte und Ungerechte; so erwarteten wir auch, daß dieses und jenes Schöne und Liebliche uns erblühen, dieses und jenes Gut uns wachsen und reifen, daß grade in der Erfüllung solcher Hoff­ nungen uns Gottes Güte anlächeln und beglücken werde.

Wie­

derum wie der Landmann, wenn er im Schweiß des Angesichts sein Feld bestellt, seinen Saamen streut und im guten Lande birgt, wie er da

hofft, seiner Saat werde die Erndte folgen,

seiner treuen Arbeit werde zu ihrer Zeit die Frucht nicht fehlen; so jeder von uns, wenn er am Anfang dieses Jahres in die Aufgaben seines Berufes hineinschaute, faßte die Zuversicht, daß auch an seine Berufsarbeit sich Erfolge knüpfen und ihm für seine Mühe den schönsten Lohn gewähren würden.

Ist eö denn nicht

auch natürlich, menschlich schön, von der Zukunft nicht finstere, sondern heitere Bilder uns zu malen, von dem immer neu auf­ gehenden Licht der Sonne zu erwarten, daß auch das Licht der Freude unser Leben durchleuchten werde? Und gehört es nicht zur Sittlichkeit selbst, von treuer Berufsarbeit segensreiches Ge­ lingen zu hoffen?

Wer, der vorher sich sagte: All' dein Thun

und Streben in diesem Kreise ist umsonst, wer möchte noch die Hand regen für die Arbeit, wem würde ein hoffnungsloses Ar-

5 beiten nicht als Thorheit erscheinen? Was aber, theure Freunde, im verflossenen Jahre auch dem Einzelnen wurde, ein jeder von uns wird doch auch bekennen: Dieses oder jenes, was ich beim Beginn des neuen Jahres sehnsüchtig erwartete, es ist mir nicht geworden.

Jeder, wie folgenreich auch sein Thun sein mochte,

wird klagen:

Da und dort habe ich vergeblich gearbeitet, viel­

leicht grade das Gegentheil von dem erwünschten Segen geerndtet. Ist das bei aller Berufsarbeit schmerzlich, so besonders, wenn dieselbe wie beim Vater und Mutter, beim Lehrer und Diener des Wortes u. s. w. auf dem geistigen Gebiet lag, wenn es sich handelte um das Heil und geistige Wohlergehen der Mitmenschen, wenn hier alles Beten und alle Bezeugung ernster und milder Liebe an Herzenshärtigkeit oder Leichtsinn zu Schanden wurde. M. G., wie bitter schmerzlich das ist, wie überhaupt getäuschte Hoffnungen so leicht zum Unmuth führen, unser Text sagt, was uns da auch an Hoffnung und Erwartung genommen wurde: der Herr hat's genommen.

Damit klingt uns daraus die Mahnung

entgegen: Wie du seine regierende Hand erkennst, so demüthige dich unter dieselbe.

Jst's uns von ihm genommen, dann war es

Weisheit und Liebe, die im Versagen für uns wirkte.

Und wäre

das so schwer zu erkennen? O wie oft wird den Menschen das­ jenige, was sie als schönstes Gut sich wünschten, wenn sie es nun erlangen, eine Quelle mannichfacher Uebel und Schmerzen!

Als

Gott diese oder jene deiner Hoffnungen vereitelte, sei sicher, er wollte und will dich damit vor Schlimmem bewahren.

Aber wenn

wir vergebens arbeiteten, namentlich in Beziehung auf das Him­ melreich? des Herrn.

Schmerzlich genug; aber auch darin ist das Walten Wenn immer reicher Erfolg daö menschliche Stre­

ben krönt, wenn namentlich eine bedeutende, geistige Wirksamkeit hervortritt, wie groß ist da die Neigung in uns, dies unserer Trefflichkeit, Tüchtigkeit, Weisheit zuzuschreiben und in uns die

6 Gefühle der Eitelkeit und des Stolzes zu nähren!

Aergeres aber

kann es für uns nicht geben, als Förderung der Eitelkeit und des Stolzes.

Sieh darum läßt hier und dort die weise Liebe

des Höchsten unser Streben des Erfolges verlustig gehen, darum erreichen wir nicht, was uns doch so schön und gut dünkte, da­ mit wir bewahrt, gestärkt, belebt werden in dem kräftigen Ge­ fühl, von der göttlichen Gnade durch und durch abzuhängen, da­ mit in uns bleibe und wachse die heilige Demuth, ohne welche wir nichts sittlich Gutes wirken, ohne welche kein irdisches Gut uns zum Segen gereicht.

Hat zu diesem Zweck aber der Herr

uns genommen, was wir hofften und erwarteten, wie anders könnten wir denn sprechen, als: der Name des Herrn sei gelobet! Aber nicht nur was wir hofften oder erwarteten, verschwand uns manchmal vor unsern Augen;

sondern wir alle haben auch

wohl in diesem Jahre irgendwie Güter verloren, die wir schon früher besaßen, haben einzelne Freuden und Genüsse eingebüßt, an welche uns eine süße Gewohnheit knüpfte.

Höchst verschieden ist

allerdings das Maaß, nach dem die Menschen in einem bestimm­ ten Abschnitt dergleichen erfahren; aber ganz bleibt wohl keiner verschont.

Hier wird an irdischem Gut eingebüßt, dort muß die

Gesundheit der Krankheit weichen, einem Dritten wird gar seine Ehre gekränkt und so fort.

Was man aber als ein Erfreuliches,

Erquickliches, ja Erhebendes lange besessen und genossen hatte, das entbehrt sich auf's Schmerzlichste, über dessen Verlust ist man besonders geneigt, sich zu beklagen.

Auch hier, was uns in die-

sem Jahre entzogen wurde, welche Verknüpfung der Verhältnisse dem Augenschein nach auch den Verlust herbeiführte, im letzten Grunde hat sich darin nur Gottes Wille vollzogen. hat's genommen."

„Der Herr

Wir dürfen auch nicht lange uns besin­

nen, weshalb Gott lieb gewordenes Gut, Genüsse, die uns er-

7 freuten, uns wieder nimmt. Ist bei reichem ungestörten Besitz nicht die Gefahr, daß wir im irdischen Gut allein unser Gut, unsern Schatz, sehen, daß es uns zum Mammon wird? Ist bei ungestörter Fülle irdischen Genusses nicht die Gefahr für uns, daß wir allein denselben lieben und suchen lernen, daß dann der bloße Sinnengenuß der Schlamm wird, in welchem jedes edlere Streben unserer Seele untergeht? Ist bei ungestörtem Besitz und Genuß uns nicht die Gefahr nahe, gewisse Hoffnung eben auf's Ungewisse, auf's Vergängliche zu setzen? Siehe wir sind Verwalter über das irdische Gut, wir haben einst Rechenschaft vor Gott von unserer Verwaltung zu geben. O wir werden nur treu sein, wenn wir es behalten: Alles, was in unsere Hände gelegt wird, ist und bleibt Gottes Eigenthum. Daran mahnt uns der treue Gott, wenn er dieses und jenes uns wieder nimmt. — Unsere Bestimmung auf Erden ist nicht, möglichst viel irdische Freude zu genießen, möglichst wenig zu leiden; son­ dern herauszubilden die Persönlichkeit nach der Aehnlichkeit Got­ tes, daß der Geist zur Selbständigkeit, zur Beherrschung der Sinnlichkeit gelangt, daß der inwendige Mensch seine Schönheit in der Geduld, in der Ergebung, im lebendigen Gottvertrauen entfaltet. Gewinnen wir daran, dann sind alle anderen Verluste nur Gewinn. Siehe, um darin uns zu üben und zu stählen, darum hat Gott der Herr dasjenige genommen, was wir ver­ loren. Gewiß er hat uns auch darin gesegnet, gewiß auch hier sprechen wir: Der Name des Herrn sei gelobet. Wo wird häufiger von unserm Textesworte Gebrauch ge­ macht, als am Sarge oder Grabe unserer Entschlafenen. Wer­ den wir aber an den Sarg unserer Geliebten gestellt, da trifft uns eine Beraubung, welche das Herz verwundet, oft wie zerreißt. Auch im Kreise unserer engeren und weiteren Gemeine ist in die­ sem Jahre der Tod an einzelne Familien herangetreten, hat dort

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treu liebende Gatten getrennt und den Kindern den treuesten Va­ ter oder die zärtliche und sorgsame Mutter genommen, hat hier ein blühendes theures Kind den Armen der Eltern entrissen, hat Geschwister oder Freunde von einander geschieden, hat auf man« nichfache Weise heilige Bande der Liebe zerschnitten. Kein Schmerz trifft das Menschenherz härter als ein solcher, und wenn wir in solchen Fällen die tief Gebeugten trösten und aufrichten möchten; wie erhebt sich so leicht in unserm Innern die bange, zweifelnde Frage: Warum mußte hier gerade ein so schönes Glück zermalmt werden? wie klingt es da so leicht in dem nicht selbst getroffenen sondern nur mitfühlenden Herzen: das ist allzu hart und allzu schwer! Aber hier erst recht; dieselbige Hand, welche die Wun­ den schlägt, verbindet und heilet sie. „Der Herr hat'S ge­ nommen," das ist unser Letztes im tiefsten Schmerz. Nicht dem Stoff und seiner Alles auflösenden Gewalt sind unsere Gelieb­ ten, die im Herrn entschlafen, mit ihrem eigentlichen Leben ver­ fallen, nicht dem herzlosen, kalten, unbegreiflichen Geschick, unter dem nach der Heiden Meinung nicht nur die Menschen, sondern auch die Götter standen, nicht einem Gott, der allein Allmacht wäre, oder auch allein Gerechtigkeit und Heiligkeit, wie wir Men­ schen sie uns denken. Wir haben den Gott ewiger Liebe in Christo als den Gott und Vater des Lebens gewonnen. Er hat in sei­ ner heiligen Liebe die von uns Geschiedenen ehemals nach seinem Gleichniß geschaffen, hat ihnen Versöhnung und Erlösung durch Christum geboten, hat mit seinem Geist auf ihren innern Men­ schen eingewirkt, um sie zu Gottesmenschen heranzubilden, hat ihnen das Erbe seiner Herrlichkeit versiegelt. Nun, Er hat seine Kinder gerufen, der Herr hat sie genommen, hat sie vollendet. Uns aber hat Er gleichfalls das Bürgerrecht im Himmel berei­ tet, wo wir mit unsern Verklärten den Erlöser einst sehen sollen wie er ist. Ja wir können am Grabe der im Glauben oder in

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der Liebe Vollendeten rühmen: „Selig die Todten, die in dem Herrn sterben, ja der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Ar­ beit und ihre Werke folgen ihnen nach." So Geliebte, denen etwa im Laufe dieses Jahres oder früher auch die Theuersten schieden, versenkt euch recht fest für die Zukunft in das Wort: der Herr hat sie genommen, und auch ihr schließt das Jahr so, daß ihr in wehmüthiger Freude sprecht: Der Name des Herrn sei gelobet. II. Doch nun zum zweiten Theil unserer Betrachtung! Ist je­ dem unter uns im verflossenen Jahre etwas genommen, ganz gewiß ist uns allen täglich viel, sehr viel gegeben. Das tägliche Brod, das uns nährt, die Kleidung, welche uns erwärmt, das HauS, das uns schützt, — jeden Tag durften wir uns derselben freuen, und freuten wir uns nicht daran, so war's nur ein Zeug­ niß von der Härtigkeit, der Unzufriedenheit und dem Undank unserer Herzen. Alle die Herrlichkeit der Natur, wie sie so mannichfach in den verschiedenen Zeitläuften des Jahres wechselt, zu unsern Herzen hat sie gesprochen, daß sie aufjauchzen möchten über alle diese Wunder der Schönheit und Größe. Jubelten wir nicht innerlich, nur unsern Stumpfsinn haben wir dann bekun­ det, welcher den köstlichsten Gaben so thöricht wie schlecht den Rücken kehrt. Die Gesundheit des Leibes und der Seele ist uns Tag für Tag geworden, und welch köstliches Gut dir darin ge­ geben wird, das laß dir an den Krankenbetten klar werden, höre es aus dem Munde deiner Brüder und Schwestern, die unter heftigen Schmerzen wimmern! Oder du warst krank, sorgsame Pflege ward dir in deiner Schwachheit, man hat dich nicht ver­ säumt noch verlassen! O wie köstliches Gut, wenn bei allen Leiden doch nach Möglichkeit menschlicher Trost und menschliche

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Hülfe unserer gewärtig sind! Und wie vor Allem köstlich, wenn dir in den Tagen der Krankheit die Genesung kam und du wie­ der erstandest zu neuer Kraft und wie zum neuen Leben! Es wird die Gemeinschaft der Menschen angeklagt, daß sie für den Einzelnen mancherlei Uebel erzeuge! Wir können die Wahrheit solcher Anklage nicht leugnen, müssen aber der Wahrheit zur Ehre hinzufügen, daß für «uns aus der Gemeinschaft doch viel mehr Güter als Uebel erwachsen. Jeder von uns hat während des verflossenen Jahres im Zusammenleben mit seinen Neben­ menschen Gut und Freude in Fülle gewonnen. Nicht wahr, ein großer Reichthum dessen, was uns wurde, dessen, was uns noch jetzt geblieben ist? Woher ist das Alles gekommen? Laßt es uns von Neuem beherzigen: Der Herr hat'S gegeben, alle gute und alle vollkommene Gabe kam uns von oben herab, von dem Vater des Lichtes und der Liebe. Wolltest du das in Ge­ dankenlosigkeit vergessen, aus allem Guten und Schönen würde dir der Segen entschwinden, du würdest den Kern verlieren und nur die Schaale behalten, ja was dir zum Heil bestimmt war, eS würde sich dir zum Verderben wenden. Bekommt eine Gabe nicht ihren wahren Werth erst durch den Geber, welcher sie spen­ det? Siehe die tiefste, treueste Liebe hat dir Alles gereicht, wollte durch Alles sich an dir verherrlichen, und erst von ihr genommen wird Alles wahrhaft süß, erst von ihr genommen wird auch das Vergängliche Nahrung des ewigen Lebens. Laßt uns alles Genossene stellen unter das Wort: der Herr hat'S ge­ geben, auf daß es stets aus unsern Herzen klinge: der Name des Herrn sei gelobet! Wir gedachten im ersten Theile unserer Betrachtung dessen, daß wir vielleicht alle in unserem Beruf hier oder dort einmal ohne Erfolg und Frucht gearbeitet haben. Aber gewiß, wo recht­ schaffen gestrebt, wo treu gearbeitet, wo anhaltend gerungen wurde,

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da ist zu anderer Zeit auch wieder Erfolg und Segen hervorge­ treten. Wir alle, haben wir irdisch und geistig recht gearbeitet, wir haben auch zu mancher Zeit Früchte gesammelt, es gilt noch immer das Wort: die Erndte richtet sich nach der Saat. Gerade der Erfolg in der Berufsarbeit ist so überaus wohlthuend. Aber was uns da wurde, woher ist es gekommen? Sicherlich nicht ohne unser Thun und Streben, wie sich das von selbst versteht. Aber bleiben wir bei uns stehen, führen wir das auf unsere Weisheit und Tüchtigkeit zurück und sonnen uns im Glanz unse­ rer Selbstherrlichkeit, o dann wäre uns besser, es hätte sich nie ein Segen mit unserm Thun verknüpft! Wie bald wird's ge­ schehen, daß deine Weisheit, der du dich rühmst, dir zur Thor­ heit umschlägt und dich die verkehrtesten Wege führt, daß deine Kraft und Tüchtigkeit dir versagt und daß du dich im Verarmen und Verkommen wieder findest! O laßt uns auch die Erfolge unseres Thuns, den Segen unseres Berufs von Gottes Gnade nehmen! Und hat Er denn nicht alle Kräfte für unsere Thätig­ keit uns verliehen, haben wir seiner Führung und Regierung nicht alle unsere Bildung zu danken, hat er uns nicht in unsere Ver­ hältnisse gesetzt und uns mit den Mitteln des Wirkens versorgt? Kommt von ihm nicht das Licht und die Liebe und das Leben zu einer gedeihlichen Erfüllung unserer Berufspflichten? Ach nimm deine Erfolge aus Gottes Baterhand, der da wirket das Wollen und das Vollbringen, sprich zu ihm: nicht mir, nicht mir, son­ dern deinem Namen allein die Ehre; dann wird er ferner mit dir sein auf deinen Berufswegen, denn den Demüthigen läßt er's gelingen. Der Herr hat's uns gegeben, der Name des Herrn sei gelobet. Aber noch ganz besonders schöner Freuden laßt uns geden­ ken, eines besonderen köstlichen Gutes. Wie lieblich, sagt die Schrift, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen. Dasselbe

12 gilt von allen Verbindungen der Liebe.

Das Beste, was dir als

Menschenkind werden kann, es ist die Liebe treuer Herzen. hat sie nicht im vergangenen Jahre beglückt? habe sie gänzlich entbehrt,

Wen

Wer da klagt, ich

ach wollte er in sich schauen,

ob er

das nicht allein verschuldet, ob er es nicht durch seine Selbstsucht sich bereitete, daß ihm die Liebe derer, die ihm die Nächsten sind, nicht wohlthun konnte, wie sehr sie es auch wünschte!

Aber ich

denke, es ist keiner unter uns, der diese Klage erhebt.

Gatten­

liebe oder Elternliebe oder Kinderliebe oder Geschwisterliebe oder Freundesliebe ist uns Trost, Freude, seliger Genuß gewesen! wie steht es da?

Mußten

wir nicht

jeden Tag,

an

Nun

dem

die

Unsern des Morgens uns wieder gesund begrüßten, eigentlich sa­ gen: Sie sind uns von Neuem geschenkt?

Hätte die verflossene

Nacht sie nicht urplötzlich dahin nehmen können?

Nun,

wenn

dein armes Leben im verflossenen Jahre durch die Liebe der Dei­ nen reich und schön wurde,

wem verdanktest du es?

rechnest du dir es zu, deiner Liebenswürdigkeit.

Vielleicht

Ach betrachte dich

einmal recht, ist nicht auch Manches an dir, was, wenn es recht erkannt wird, vielleicht eher abstieße als anzöge? Möchtest du nicht lieber der Aufrichtigkeit gemäß sprechen: Ohne mein Verdienst und Würdigkeit?

Hast du nicht manche Mängel und Fehler, die mit

viel Geduld getragen werden müssen? Aber es sei, deine Liebens­ würdigkeit erweckt dir die Liebe in den Gemüthern.

Was ist sie?

Wie wir sagen, entweder Natur- oder Gnadengabe, d. h. entweder das, was als ein Liebliches in der ursprünglichen Eigenthümlich­ keit liegt, oder das, was durch die Erziehung in christlicher Ge­ meinschaft, durch die Einwirkung des göttlichen Geistes heraus­ gebildet wurde.

Nun, ist nicht beides deines Gottes Gabe? Ihm

hast du es zu danken, wenn dir Herzen treu entgegenschlagen. Wohl ist hier und da ein Einzelner aus dem Kreise der Liebe ge­ schieden; aber jedem von uns sind liebende Wesen zur Seite ge-

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blieben. Wer hat sie erhalten, daß sie uns Tröster und segnende Gottesengel waren und blieben? Doch allein der treue Gott. Ach alle Gaben und edlen Freuden des verflossenen Jahres, wie sie aus der Liebe treuer Seelen uns wurden, wie sie im gegen­ seitigen Geben und Nehmen uns beseligten, von dem, welcher der ewige, unerschöpfliche Brunnen der Liebe ist und bleibt, sind sie gekommen. Der Herr hat's gegeben, der Name des Herrn sei gelobet. Wir haben der verschiedensten Seiten des Lebens gedacht und doch noch von dem Wichtigsten geschwiegen. Eins muß von unö genommen, Eins uns gegeben werden, dann nur Friede und Freude, die ewiglich bleiben. Das uns zu Nehmende ist unsere Sünde und Schuld, das uns zu Gebende ist unsere Heiligung. O auch hier, Gott nur kann hinwegnehmen die Sünde und Schuld, denn niemand kann die Sünde vergeben ohne allein Gott; Gott allein kann gewähren die Heiligung des Herzens und Lebens, denn er wirket das Wollen und das Vollbringen. Selig, welche wissen, daß auch nach dieser Seite im vergangenen Jahre ihnen genommen und gegeben wurde! Wem aber ist die Schuld nicht vom Gewissen genommen, wem ist die Sünde seines Herzens nicht verringert, wer ist nicht fröhlich und freudig geworden im Bewußtsein, daß ihm der Bund des Friedens aufgerichtet ist, wem hat das Herz nicht voll Liebe und Dankbarkeit geschlagen gegen seinen Gott, wer ist nicht offen und fröhlich, dienstfertig und dankbar, geduldig und sanftmüthig, versöhnlich und freund­ lich gegen die Seinen geworden? Wer ist nicht gewachsen in Ge­ duld und Ergebung und Gottvertrauen? Wer ist nicht gestählt zum Kampf gegen die Reize der eigenen Begierden und gegen die Versuchungen der Welt? Wollen wir sagen: der Unglückliche, den Gott in seinem Zorn auf ewig verstoßen hat? O nimmermehr! Vielmehr nur der, welcher sich selbst der göttlichen Liebe ver-

14 schlossen, sich selbst in der Selbstsucht verhärtet hat.

Ach es ist

auch in diesem Jahre uns erschienen, was die Episteln des letz­ ten schönen Festes uns rühmen, die Gnade Gottes in Christo, die uns züchtigt, erzieht, daß wir verleugnen das ungöttliche We­ sen und die weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt, die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unseres Heilandes, die als Barmherzigkeit uns selig macht und den heiligen Geist reichlich über uns ausgießt durch Christum unsern Heiland.

Ja Gottes Gnade hat im verflossenen Jahre

unter uns weggenommen Sünde und Schuld von den Gewissen mittelst seines Wortes und seiner Stiftungen, und dadurch uns mit seinem Frieden erfüllt, er hat ausströmen lassen die Kräfte des erlösenden Lebens und Sterbens Christi, er hat seinen Sohn den Seinen zu ihrem Weinstock gemacht, durch den sie Frucht tragen in Geduld.

Noch einmal, bist du nicht ledig der Last,

und nicht selig in dem höchsten Gut, du hast das Jahr nicht gut gebraucht. so gehen!

Siehe ein neues kommt, ach laß es nicht wieder

Schließe dich deinem Gott auf, daß seine Liebe in

Christo deine Schuld und Sünde verzehre, deine Selbstsucht über­ winde und mit heiliger Liebe dich durchdringe.

Wir alle aber,

denen durch die Versöhnung die Schuldgefühle genommen, denen Wollen und Vollbringen im Kampfe gegen Selbstsucht und Sünde in irgend welchem Maaße gegeben wurden, wir sprechen in An­ betung: Der Herr hat's genommen, der Herr hat'S ge­ geben, der Name des Herrn sei gelobet in Ewigkeit! Amen.

Im Verlage von Georg Reimer in Berlin sind erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:

Glaube an Christus. Eine

Sammlung von Predigten, gehalten von

Thomas, evangelischem Prediger an der Nikolaikirche zu Berlin.

Broch. 1 Thlr. 15 Sgr.

Die

/eiertage -er evangelischen Kirche. vierzig Festpredigten in den Jahren

vor der St. Jakobigemeinde zu Greifswald gehalten

1850—1861

von

Dr. A. G. F. Schirmer, weil. Konsistorialrath, Superintendent, Professor der Theologie und Pastor zu St. Jacobi zu Greifswald.

Anhang: Bier Gedächtnißpredigten. Broch. 1 Thlr. 10 Sgr.

Predigten über

den

christlichen

Hausstand,

von

Dr. Fr. Schleiermacher. Vierte Auflage. 25 Sgr.

Predigten von Dr. Friedrich Schleiermacher. Neue Ausgabe. Bier Bände.

5 Thlr. 10 Sgr.