Der Gesalbte: Die Grundlagen des Christustitels 3525538332, 9783525538333

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Der Gesalbte: Die Grundlagen des Christustitels
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MARTIN KARRER

Der Gesalbte Die Grundlagen des Christustitels

VANDENHOECK & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Wolfgang Schräge und Rudolf Smend 151. Heft der ganzen Reihe

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Karrer, Martin: Der Gesalbte : die Grundlagen des Christustitels / Martin Karrer. Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht, 1990 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments ; H. 151) Zugl.: Erlangen, Nürnberg, Univ., Habil.-Schr., 1988/89 ISBN 3-525-53833-2 NE: GT Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der theologischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1991 Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesetzt aus Garamond auf Digiset 200 Τ 2 Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Vorliegende Studie wurde im Wintersemester 1988/89 von der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg als Habilitationsschrift angenommen. Zum Druck wurde sie begrenzt überarbeitet. Vielfach ist zu danken. Herr Professor Dr. Jürgen Roloff ermöglichte mir nach der Promotion die Weiterarbeit und gab wichtige Anstöße - wie wichtige Kritik - zur Behandlung des Themas. Ebenso danke ich für wesentliche Hinweise und Förderung Herrn Professor Dr. Otto Merk. Beide Lehrer stellten in je eigener Weise die Weichen meiner wissenschaftlichen Arbeit und begleiten sie seit ihren Anfängen. Dankenswerterweise wurde mit seiner Berufung nach Erlangen Herr Professor Dr. Udo Schnelle zum weiteren Gesprächspartner. Den Herausgebern der Reihe, den Herren Professoren Dr. Wolfgang Schräge und Dr. Rudolf Smend, sowie dem Verleger danke ich für die Aufnahme der Studie in die Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments. Herr Professor Dr. Wolfgang Schräge hat mir überdies wesentliche Hinweise zur Überarbeitung und für die Weiterarbeit gegeben. Ich danke ihm für dieses Engagement und dem Verleger Dr. Arndt Ruprecht für die gute Zusammenarbeit. Bei der Abfassung vorliegender Studie fand ich eine wesentliche Stütze in meiner Familie. Sie bot mir den Raum zur ersten Diskussion meiner Thesen und half mit bis zum letzten Korrekturlesen. Mit ihr begleitete die Arbeit herausragend der Freund und Assistentenkollege Dr. Rudolf Keller. Vielen Dank! Für Hilfe bei Korrekturen und Register danke ich auch Andreas Obermann und Christoph Melchior. Die Zantner-Busch-Stiftung Erlangen, der Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und vor allem die Deutsche Forschungsgemeinschaft haben Druckkostenzuschüsse gewährt, für die ich danke.

Erlangen/Wuppertal, 25.10.1989/16.3.1990

Martin Karrer

Inhalt 1

Einführung

11

1.1

Die Christusbezeichnung als Gegenstand theologischer Untersuchung in der Neuzeit

12

1.1.1

1.1.2 1.1.3

1.2

Die nachreformatorische Einengung der Wurzel auf jüdischherrscherliche Erwartung und ihre Folgen für die Begriffsanalyse Die Abweisung der Antithese christlicher Begriffsbildung im 19. Jh. und die Ambivalenz der Traditionsanalyse Die Bestimmung der frühchristlichen Begriffsgeschichte unter dem Einfluß der religionsgeschichtlichen Schule und ihre Problematisierung

34

Die Christusbezeichnung als Titel und Name im Neuen Testament und der Alten Kirche

48

Die Appositionsverbindungen von „Christus" mit „Jesus" als Schlüssel der philologischen Analyse 1.2.2 Der übergreifende frühchristlich-altkirchliche Gebrauch von „Christus" sowohl als Titel wie als Name 1.2.3 Die Erklärung des Befundes im sprachlichen Zusammenhang von Name und Titel 1.2.4 Die semantische Prägung von „Christus" auch als Name und ihr Kontext in der antiken Namenskultur 1.2.5 Die Weiterentwicklungen zur Variante „Chrestos" und zur Übertragung von „Christos" auf „Christen" 1.2.5.1 Die Entstehung der Variante „Chrestos" 1.2.5.2 Die Übertragung des „Christos"-Titelnamens 1.2.5.3 Ergebnis

13 23

1.2.1

48 53 57 64 70 71 79 80

Ausblick 1 Zur Geschichte der „Chrestiani/Chrestianoi"-Variante des Christennamens

81

1.3

Schlußfolgerungen

87

2

Grundlegung

93

Inhalt

8

2.1

D e r Realienhintergrund

2.1.1 2.1.1.1 2.1.1.2 2.1.1.3 2.1.1.4 2.1.1.5

Die Königssalbung Das gesalbte Königtum in Israel und Juda Die spätvorexilisch-exilische Krise Verschiebungen von Serubbabel bis Nehemia Das theokratische 4. und 3. Jh. v.Chr Der hellenistische Rahmen für die Entwicklung vom späten 3. Jh. v.Chr. bis zum späten 1. Jh. n.Chr Die Nichtwiederaufnahme der Königssalbung im Palästina der hasmonäischen und herodianischen Zeit

95 95 101 105 108

2.1.2 2.1.2.1 2.1.2.2 2.1.2.3

Die Priestersalbung Die nachexilischen Ansätze Die Blütezeit vom 4. bis zum beginnenden 2. Jh. v.Chr Abbruch und Erinnerung - von den Hasmonäern bis zu den Aufständen

147 148 151

2.1.3 2.1.3.1 2.1.3.2 2.1.3.3

Salbung, Olübergießung und Gottnähe im Kult Die jüdische Entwicklung Der pagane Kontext Schlußfolgerungen und Ausblick

172 173 184 209

2.2

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

214

2.2.1

Die Grundlagen für den übertragenen Gebrauch des Gesalbtenbegriffs um die Zeitenwende Die alte Eröffnung individueller Begriffsübertragung Der alte Ansatz zur Begriffskollektivierung Der semantische Rahmen um die Zeitenwende

214 214 217 219

2.1.1.6

2.2.1.1 2.2.1.2 2.2.1.3

95

113 128

161

2.2.2

Gesalbte als herausragend-ideale Träger von Gottes Wirken in der Vergangenheit

222

2.2.3 2.2.3.1 2.2.3.2

Das Gottesvolk als Gottes Gesalbter Der Entwicklungsschwerpunkt in der Diaspora Die Frage einer Ausstrahlung nach Palästina

228 228 236

2.2.4 2.2.4.1

Der eschatologische Laienführer- und Herrschergesalbte . . . . Die Entwicklung bis zur ersten Hälfte des 1. Jh. n.Chr

242 243

Ausblick 2 Messias und Davidssohn

267

2.2.4.2

Die Entwicklung in der zweiten Hälfte des 1. Jh. n. Chr

294

Ausblick 3 Nachneutestamentliche Entwicklungen und neutestamentlich-altkirchliche Christologie

314

2.2.5

Der eschatologische hohepriesterliche Gesalbte

337

2.2.6

Der eschatologische prophetische Gesalbte

351

2.2.7

Das Gesalbtsein des Gottesknechts

363

Inhalt

2.3

9

Die Herausforderung durch griechisch-römische Vorstellungen um Salbung zu Unsterblichkeit und Vergottung . .

377

2.3.1 2.3.2 2.3.3

Das pagane Reflexionsfeld Jüdische Abweisung und Antwort Die Herausforderung fürs Christentum

377 384 388

3

Ertrag

406

Literaturverzeichnis

414

Register

453

1 Einführung Der Gesalbte - der Messias, der Christus dieses Thema führt in einen Ausschnitt aus den Grundlagen heutiger Christologie. Vom Gesamtfeld der Christologie her gesehen, ist dieser Ausschnitt klein. Doch exegetisch und dogmatisch besitzt er Gewicht. Denn im Neuen Testament ist kein anderes Prädikat Jesu auch nur annähernd gleich häufig wie das zu behandelnde vertreten.1 Theologiegeschichtlich prägte es in seiner Ausstrahlung bis zur Neuzeit sogar die Bezeichnung der Disziplin: Nach Luther, der Christus als den entscheidenden Heilsnamen Jesu weit vorrangig vor dem Namen Jesus gebrauchte, 2 entwickelte die protestantische Orthodoxie von Christus aus den bald auch katholischerseits durchgesetzten Begriff Christologie. 3 Mit ihrer Themenstellung gerät daher die vorliegende Arbeit in einen sensiblen Grenzbereich zwischen historischer Analyse und Theologie, in dem sie ihre Aufgabe einschränken muß: Sie orientiert sich an der Prägung des Titels und seiner Vorgeschichte. Dadurch ist sie mit den Grenzen titular fragender Christologieforschung behaftet 4 und gehört, wenn man systematisch-dogmatisch fragt, in das Feld der Voruntersuchungen. 1

Einzelnachweis in der Einführung zu Teil 2 mit Anm. 1. Ein Sachverhalt, der bislang zwar nicht statistisch erfaßt ist, sich aber bis in die Sprachregelung der Lutherforschung auswirkt, wenn diese bevorzugt von dessen Christus Zeugnis spricht (so Lienhard, Christuszeugnis und Peters, Christuszeugnis). 3 S. Th. Mahlmann, Christologie, H W P 1, 1971, 1016f. Als Terminus technicus ist χριστολογία erstmals im Römerbriefkommentar Friedrich Balduins von 1611 nachweisbar (Commentarius in omnes epistolas apostoli Pauli, 1664, 154b). 4 In der Sache begründet, vermittelt das Neue Testament die Größe und das Ganze von Gottes Wirken in, an und durch Jesus über die damals wie heute bewußte Einengung und Vorläufigkeit jedes systematisierenden Begriffs (christologischen Titels) hinaus ebenso und vielleicht sogar stärker narrativ, was in heutiger Diskussion nicht mehr übersprungen werden kann (vgl. den Hinweis bei Ulrich Luz, Christologie 1. im Neuen Testament, EKL 3 I, 714-718, 714). Freilich geht die seit langem in der Luft liegende (vgl. schon Balz, Christologie bes.272 und noch Hurtado, Christology bes.23) Kritik an titularen Untersuchungen inzwischen weit über solch textgemäßes Begrenzungsbewußtsein hinaus. Durch die widerstreitenden Positionen der historischen Kritik verunsichert, gipfelt sie bei George B. Caird (Jesus and Israel: The Starting Point for New Testament Christology, in: Christological Perspectives. FS Harvey Κ. McArthur, ed. R.F. Berkey/S.A. Edwards, New York 1982, 58-68.266f) in der These, da jeder Titel ein Feld äußerster Unklarheit biete, bedeute ein christologisches Rekurrieren darauf überhaupt „to build on sand" (59). Solche Zuspitzung der Kritik provoziert weiterführende, widerlegende Untersuchung. 2

12

Einführung

Die Akzentsetzung fußt auf einem sich andeutenden Umbruch der Forschungslage: Der lange fast selbstverständliche Konsens, unser Titel sei dominant durch herrscherlichen Messianismus geprägt und als Name im griechischen Christentum bald verblaßt, führt in so gewichtige Aporien, daß er zumindest der Modifikation bedarf. 5 Läßt sich aber eine Verschiebung begründen? Um dies festzustellen, müssen wir die philologischen und religionsgeschichtlichen Grundlagen neu prüfen. Darin liegt der Schwerpunkt der Studie nach der Breite des erschlossenen Materials und im Aufbau der Erörterung. Die philologischen und religionsgeschichtlichen Ergebnisse haben ansetzend bei der Feststellung einer sakralen Begriffsbasis im Judenwie Griechentum um die neutestamentliche Zeit sowie einer bleibenden semantischen Wertigkeit von Christos als Name - gewichtige Folgen für die theologische Begriffsauffassung. Der konstruktive Aspekt, diese sichtbar zu machen, bleibt inneres Ziel der Untersuchung. Doch sind die sich abzeichnenden Perspektiven nur anzureißen, eingebettet in die philologische und religionsgeschichtliche Erörterung. Insofern drängt vorliegende Studie nach einer Fortschreibung, die erst die Fülle des neutestamentlichen - und nachfolgend altkirchlichen - Christuszeugnisses erschließen kann. Für die alte Kirche ergibt sich dadurch eine besondere Lage, daß ihr Verständnis unseres Titels erst in jüngerer Zeit überhaupt ins Interesse der Forschung gerät. Vielfach sind daher Quellen - samt solchen zur Variante Chrestos und Varianten Ableitung Chrestiani - noch kaum erschlossen. Das rechtfertigt, sie in die Grundlagenstudie einzubeziehen.

1.1 Die Christusbezeichnung als Gegenstand theologischer Untersuchung in der Neuzeit Unser Thema fand seinem Gewicht gemäß stets hohe Aufmerksamkeit. Dabei entwickelte sich die für die heutige Sachauffassung bestimmend gewordene Forschungsdynamik erst in der Neuzeit, in dieser freilich so ausgeprägt, daß der Eindruck nahezu vollständiger Sacherschließung entstehen konnte. Doch dieser Eindruck trügt. Sowohl die nachreformatorisch-aufklärerische Hauptweichenstellung in puncto Analyseschwerpunkt als auch die Folgeentscheidungen des 19. und frühen 20. Jh. betreffs der Zentraltradition und frühchristlichen Geschichte des Begriffs sind überprüfungsbedürftig: 1 5

S. unter 1.1.

1

Der folgende Forschungsüberblick verbindet Problemorientierung und historische

D i e Christusbezeichnung in der theologischen Forschung

13

1.1.1 Die nachreformatorische Einengung der Wurzel auf jüdischherrscherliche Erwartung und ihre Folgen fiir die Begriffsanalyse Die Hauptweichenstellung war schon Semler so selbstverständlich, daß er sie inhaltlich durchführte, ohne ihre Begründung gegenüber Alternativen für nötig zu halten: die Entscheidung, nicht streng begriffsorientiert die Gesalbtenterminologie in ihrer Breite zu verfolgen, sondern die urchristliche Christusvorstellung vor dem Hintergrund der alttestamentlich-jüdischen Heils-/Retter-Hoffnungen um den Kristallisationspunkt einer königlichen Messiasgestalt aufzuschlüsseln. 2 Dabei war diese Entscheidung für einen reformationsverbundenen Theologen an sich nicht so zwingend, wie heute scheinen mag. Denn die Reformation hatte zunächst breitere etymologisch-biblizistische Impulse zur Erklärung der Christus-Bezeichnung gegeben. So zog Luther zur Aufschlüsselung des Heilsnamens „Christus" (Gesalbter) neben der königlichen die priesterliche Salbungstradition heran; letzterer subsumierte er noch die eigentlich prophetische Salbungsaussage von Jes 61,1 f.3 Oslander präzisierte, es habe eine Dreiheit christo-logisch wichtiger Gesalbtentraditionen gegeben, nämlich die prophetische, die königliche und die hohepriesterliche. 4 Damit stellte er den Anschluß an die erstmals bei Euseb belegte Tradition her, es gebe eine dreilinige hebräische Vorbereitung auf den Gesalbten, Christus, der so Propheten-, Hohepriester- und Königtum erfülle und übersteige. 5 Flacius - der noch Luthers zweiliniger Traditionsaufschlüsselung folgte - bündelte wenig später die begriffsanalytische Grundlage: „Graeca vox [...] significat Unctum. [...] Fuit autem id nomen [...] Domino nostro, non ut proprium, sed ut appellativum, seu vere officii nomen, attributum [...]. Sicut recte Tertullianus adversus Praxeam dicit: Christum non esse nomen, sed appellationem." (D.h. „Christus"/„Gesalbter" sei kein Eigenname, sondern feierliche semantische Benennung). 6

Darstellung. Nur als Einführung zu vorliegender Arbeit gedacht, kann und will er eine breitere forschungsgeschichtliche Untersuchung nicht ersetzen, wie sie noch fehlt. 1 Semler, Untersuchung des Canon 63f; ders., Versuch einer freiem theologischen Lehrart 387-392. 3 Kirchenpostille 3. Advent 1525 zu Mt l l , 4 f f (WA 10/1.2, S.152ff). 4 Oslander, Schirmschrift (1530) in: Werke IV S.82. s Euseb, h. e. I 3 und dem. ev. IV 15,20. B. Schneider weist als Herausgeber von Oslanders Schirmschrift a.a.O. darauf hin, daß sich eine Erwähnung des „dreifachen Amtes" vor Oslander bei Thomas, summa theol. 3, 22,1 ad 3 findet (freilich in abweichender Gliederung und ohne etymologische Reflexion!) und daß ein direkter Einfluß Oslanders auf Calvin, der die Drei-Amter-Lehre durchsetzte (Quellenangabe u. Anm. 8), unwahrscheinlich ist. Die Entwicklung des 16. Jh. verläuft also recht komplex. ' Flacius, Clavis (Erstausgabe 1567) s.v. Christus Sp.116. 116-118 entfaltet er den

14

Einführung

Erscheint hier Christus als „Name des Amts", so bediente sich die Orthodoxie zusätzlich des Salbungsgedankens an zentraler Stelle ihrer Reflexion über die Person Christi. Sie interpretierte das „unguere"/ „unctio" von Ps 45,8 und Hebr 1,9 auf die Mitteilung der Eigenschaften der göttlichen Natur an die menschliche Natur Christi (das genus maiestaticum der communicatio idiomatum). Schon vor seinem Amt ist Christus in seiner Person gesalbt, ließe sich diese Linie bündeln. 7 Allerdings setzte sie sich nicht auf Dauer durch. In der Amterlehre verschob sich schon im 16. Jahrhundert das Interesse zur systematischen Erörterung von Propheten-, Priester- und Königsamt Christi.' Die Orthodoxie z o g darauf die Christus-Etymologie in eine die Christologie nur noch einleitende „Onomatologie" vor, 9 ein Prozeß, der in Hollazens Examen theologicum acroamaticum von 1707 seinen Abschluß fand. 10 Am neuen Behandlungsort entwickelte sie sie nicht über die reformatorischen Anfänge hinaus. 11 1769 wies Ernesti die einseitige Inblicknahme der biblischen Grundlagen durch die Drei-Ämter-Lehre auf. 12 Damit war sie als Basis für kritische Bibelexegese desavouiert, so gewiß sie in der Systematik von Einfluß blieb. 13 Die von

Christusbegriff als überbietende (Er-)Füllung der alttestamentlichen königlichen und priesterlichen Gesalbtentraditionen, schließt erst an diese Grundklärung 118-126 die Behandlung weiterer christologischer Titel und Stichworte an. - Sein Tertullian-Referat ist nicht genau. Gemeint sein muß adv. Prax. 28,1-8, wo Tertullian die Torheit des Patripassianers Praxeas daran aufzuweisen sucht, daß er „Christus" nicht korrekt als „appellatio" identifizieren könne. Als „appellatio" nämlich bedeute „Christus" „unctus", gesalbt näherhin durch Gott (Act 4,27), was eine Identifizierung Christus-Gottvater ausschließe (bes. 28,lf). Sowohl Jesus als auch Christus gelten ihm als „nomina", werden aber als solche unterschieden: Jesus ist „proprium quod ab angelo impositum est" (von einem Engel auferlegter Eigenname), Christus „accidens quod ab unctione conuenit" (aufgrund einer Salbung hinzukommende Appellation: 28,8). 7 S. Johann Gerhard, Loci I 551 (loc. 4, 210,2), Hollaz III, I 3, qu. 47 (p.184) und - mit zusätzlicher Beiziehung von Dan 9,24 sowie Differenzierung zur Salbung ad „officium Messiae": diese treffe Christus „tantum juxta humanitatem" - Quenstedt III, cap. III 1,72 (p.98). ' Beginnend bei Calvin, Inst. II 15 (bes.2), noch einmal gebremst im Heidelberger Katechismus (Edition BSKORK) Fr. 31. Eine Darstellung der Entwicklung von Luther bis Calvin bietet Karin Bornkamm, Die reformatorische Lehre vom Amt Christi und ihre Umformung durch Karl Barth, ZThK.B 6, 1986, 1-32, hier 1-19, freilich unter Vernachlässigung der etymologischen Komponente. 9 So findet sie sich im 4. der Loci Johann Gerhards in Cap.l (p.452), die Behandlung des Amtes Christi erst Cap. 15. 10 Hier wird die Etymologie III 1.3 p.ll3f vor der Gesamtlehre von Christi Person, Naturen und Werk behandelt. 11 Die Kürze der in den letzten Anmerkungen zu nennenden etymologischen Abschnitte dokumentiert das eindrücklich. 12 Ernesti, De Officio Christi triplici passim. 11 Hinweise auf die protestantische Behandlung der Drei-Ämter-Lehre im 19. Jh. gibt Luthardt, Dogmatik 276, auf Barth Bornkamm a. a. O. Keßler, Bedeutung des Todes Jesu

Die Christusbezeichnung in der theologischen Forschung

15

der D r e i - Ä m t e r - L e h r e gelöste etymologische Erörterung der Christusbezeichnung w a r von der Kritik eigentlich nicht mitbetroffen, trat aber auch nicht neu in den Blick, 14 ebensowenig mehr die Salbungsreflexion der communicatio idiomatum.

Zu entscheidender Wirkung kam im 18. Jh. das Denken einer Entwicklung der alttestamentlichen Heilshoffnung zum neutestamentlichen „Messias" hin unter Zentrierung auf die heilsakzentuierte königliche Tradition. Galt nämlich von den Grundlagen reformatorischer Hermeneutik aus, auch das Alte Testament von Christus her zu lesen, 15 und kam als Impuls eine Suche nach Gewinnung von Juden f ü r Jesus als „Christus" hinzu, so lag nahe, zentrale Stellen des Alten Testaments in der Weise zu betrachten, daß sie Christus den Juden als den von ihnen erhofften Messias v o r Augen stellten, an den zu glauben bei rechter Lektüre des Alten Testaments unausweichlich sei. Bereits Luther hatte in seinen sogenannten Judenschriften diesen W e g eingeschlagen, leider in einer Entwicklung zu scharfer Polemik, 1 6 die sich in Auseinandersetzungen der Orthodoxie teils fortsetzte. 1 7 Königtum und Davidssohnschaft spielten f ü r letztere nicht nur wegen des Gesprächs mit dem Judentum eine größere Rolle; hier hinterließ auch die Einbettung in die Zeit des Absolutismus ihre Spuren, in der die Idee hochgeborenen, leuchtenden Königtums über besondere Ausstrahlung verfügte. 1 8 Schließlich erzwang das Systematisierungsdenken der Orthodoxie f ü r jede Lektüre des Alten Testaments - namentlich seiner Zentral-

12ff weist auf die Ausstrahlung in die katholische Dogmatik hin, die auffällig im späten 18. Jh., ζ. Z. der aufklärerisch-protestantischen Infragestellung, beginnt. 14 Unbeschadet dessen, daß natürlich auch Ernesti um das Vorkommen der Gesalbtenbezeichnung für nichtkönigliche Gestalten wußte (s. ζ. B. a. a. O. 428 für die priesterliche Tradition). 15 Was nach Luther maßgeblich Flacius entfaltete: s. Rudolf Keller, Der Schlüssel zur Schrift. Die Lehre vom Wort Gottes bei Matthias Flacius Illyricus, AGTL.NF 5, Hannover 1984 (zusammenfassend bes.183 nach 182). 16 In „Daß Jesus Christus ein geborener Jude sei" (1523) bemühte er sich noch erheblich um gewinnende Argumentation (bes. durch christologische Auslegung von Gen 3,15; 22,18; 2 Sam 7,12f; Jes 7,14: WA 11, 316-320), während er in späteren Jahren polemisch davon ausgeht, die Juden würden wissentlich gegen von ihnen erkannte Christus-Messias-Wahrheit wüten (s. Brosseder, Luthers Stellung zu den Juden 366 innerhalb 345-377). 17 S. Müller, Orthodoxie 482ff. 18 An die Stelle des Umschwungs führt die Ausformulierung von Apk 22,16 in Philipp Nicolais bekanntem Lied „Wie schön leuchtet der Morgenstern" von 1599: Nicolai liest Apk 22,16 nicht mehr wie Luther (zuerst zögernd: s. WA.DB 4,418) nach dem Bibelgrundtext (zu diesem s. Ausblick 2 mit Anm. 245) eine Selbstaussage Jesu als „wurtzel(!) des geschlechts Dauid" (von 1522 zu 1546 leicht variierend: s. WA.DB 7,476 und 477), sondern unter dem Einfluß der Wurzel Jesse-Genealogietradition eine Aussage über den ,,Sohn(!) Davids" (Vers 1), den „hochgeborene(n) König" (Vers 2, nur noch partiell biblisch). - Ergänzend s. S.412 Anm.35 Ende.

16

Einführung

stellen - die Vorgabe einer heilsgeschichtlichen Anlage aufs Christusgeschehen hin, 1 ' bis eine eigene Disziplin „alttestamentliche Christologie" entstand. 20 Der Ausstrahlung so zugespitzter sakraler Hermeneutik konnte sich auch der frühe Reimarus nicht oder nur ansatzweise entziehen: In einer jüngst wiederentdeckten Vorlesung aus dem Jahre 1731 z o g er eine große, sich pädagogisch verdichtende Linie von den alttestamentlichen Weissagungen, die er wie seine Vorgänger ohne Rücksicht auf Vorkommen oder Fehlen des Messiasbegriffs christlich-messianisch deutete, zur neutestamentlichen Erfüllung in Christus. 21 Zu ihrem faszinierenden, in eigener Weise bis heute gültigen Höhepunkt kam die biblische Gesamtschau vom „Messias" her und zum „Messias" hin " Hugo Grotius, der sich noch im frühen 17. Jh. in seinen Annotationes nur bei wenigen Stellen zu christologischer Interpretation durchringen konnte (nach der Diskussion bis Hengstenberg, Christologie des Alten Testaments 354 namentlich bei Gen 49,10; Dan 9,24; Hag 2,7.8; Mal 3,1, aber bei keiner jesajanischen Stelle), wurden konsequent judaisierende Neigungen vorgeworfen (s. G. Müller a.a.O. 485). 20 Als deren ältester Vertreter läßt sich bislang S. Glassius, Christologia mosaica, ex prioribus capitibus Geneseos, ut et christologia Davidica, ex Ps. 110 conscripta, et onomatologia Messiae prophetica, 1678 namhaft machen (nach Th. Mahlmann, Christologie, HWP 1, 1971, 1016f, hier 1017). Die Disziplin reicht mit dem im folgenden noch zu besprechenden Bertholdt und Hengstenberg (a. a. O.) bei all deren Auseinandersetzung ins 19. Jh. weiter. Sie sprengt schließlich die konfessionellen Schranken und wird zuletzt unter Aufnahme der fortgeschrittenen historischen Erkenntnisse durch H. Cazelles, Alttestamentliche Christologie, 1983 (frz. 1978) vertreten. Für die Entstehung der Disziplin wäre noch die These Delitzsch' zu überprüfen, dem Pietismus komme bahnbrechende Funktion für die Auffassung zu, daß „die Anbahnung des Heils in Christo eine zusammenhängende fortschreitende Geschichte habe" (Messianische Weissagungen 16f, Zitat 16). Die Verschiebung gegenüber der frühen Reformation ist auffällig. Denn Luther interpretierte zwar unbefangen alttestamentliche Texte auf Christum hin (z.B. in der Jesaja-Vorrede WA.DB 11/1, 19, Z.27-38), rekonstruierte aber noch keine Weissagungsgeschichte (vgl. Delitzsch a.a.O. 16). Bei aller christologischen Interpretation des Alten Testamentes trug Luther überhaupt übersetzerisch in keinen der später vorzugsweise als messianisch geltenden Texte den Christus-Namen ein. Unbefangen sah er ihn dafür (mit alter christlicher Tradition: vgl. z.B. Origenes, princ. IV 1,5) in den Gesalbten-Ausführungen von Dan 9,25f vorliegen (vgl. Delitzsch a.a.O. 13 Anm. 1 vor 159f; die Dan-Vorrede WA.DB 11/2, bes.29, Z.10-25 zeigt näherhin eine herrscherlich-christologische Textauffassung). In der Orthodoxie trat Dan 9,24 hinzu, mit Luther (falsch) personal übersetzt (der Allerheiligste werde gesalbt; letztlich ein Nachwirken der Vulgata: vgl. Anm. 204 zu 2.1.3), über Luther hinaus für die christologische Personenlehre benützt (s. Anm. 7). Diese Passage verlor aber mit der aufklärerischen Kritik - der noch einmal Hengstenberg (Christologie des Alten Testaments II 401-581, gegen Eichhorn, Ammon, Bertholdt u.a. 569-578) entgegenzutreten suchte - ihren Rang (z.St. unter 2.1.2.2 und 2.1.3.1). 21 Reimarus, Vindicatio; dazu Stemmer, Weissagung und Kritik 59-91, bes.62f, 68,76f,86-91. Ob die Vindicatio so stark wie bei Stemmer in die Orthodoxie einzuordnen ist, ist freilich umstritten; s. die Rez. durch G. Mühlpfordt in ThLZ 113, 1988, 199-204 und Wolfgang Gericke, Zur theologischen Entwicklung von Hermann Samuel Reimarus, ThLZ 114, 1989, 859-862. Die Diskussion macht darauf aufmerksam, daß eine nähere Behandlung unserer Frage die Entwicklung von Grotius über die englischen Deisten (Collins) stärker berücksichtigen müßte.

Die Christusbezeichnung in der theologischen Forschung

17

wie man begriffsidentisch, ja begriffsübergreifend für Christus als Heilsträger sprach - in Hauptwerken der Musik und der Literatur: in Händeis Messias (The Messiah, 1741) und Klopstocks Meßias (Epos in 20 Gesängen, 1748-1773).

Der Schritt zur kritischen, historisch einzeln prüfenden Hermeneutik zerbrach zwar die Annahme einer heilsgeschichtlichen Bruchlosigkeit der Linie. Aber in der geschichtlich-herrscherlichen Orientierung blieb eine modifizierte Kontinuität, verschob sich das Schema nur: Statt Bruchlosigkeit nahm man nun bruchhafte Anknüpfung des Christentums an die alttestamentlich-jüdischen Messiaserwartungen an. Das bezeugen auf ihre Weise gleichermaßen der eingangs genannte Semler und der späte, kritische Reimarus. Denn ihre Abkehr von der Hermeneutica sacra führte sie nicht zu vertieften Begriffsuntersuchungen. Unbefangen trugen sie vielmehr weiterhin den Messiasbegriff in den Zusammenhang von prophetischen Weissagungen, danielischer Menschensohnerwartung und (Josephus sowie Act 5,36f entnommenen) jüdischen Aufstandsbewegungen des l.Jh. ein, der ihnen zur Rekonstruktion der jüdischen Messiaserwartung diente, obwohl keiner der Belegtexte explizit vom „Messias" sprach.22 Korrespondierend verzögerte sich die - an sich schon lange mögliche - Erweiterung der Quellenbasis für Erörterungen unseres Fragenkreises um jüdische Apokryphen über das 18. Jh. hinaus. Die PsSal und die Test XII waren zwar bis 1713 (Fabricius) auch für die deutsche Forschung ediert worden. Aber in der Diskussion unserer Frage traten die PsSal erst 150, die Test XII 200 Jahre später mit Gewicht hervor. 23 4 Esr

22 Semler bleibt dabei in seinem Belegverfahren vergleichsweise pauschal (Untersuchung des Canon 64; Versuch einer freiem theologischen Lehrart 389ff). Reimarus bemüht sich dagegen deutlicher um eine Einzelargumentation (Apologie 2.Teil I 1 § 4 = S.17ff), was eine Einordnung seiner Quellenverweise erlaubt: Sein ältester begrifflich stringenter, dem Judentum entnommener Beleg für die These jüdisch fehlgeleiteter herrscherlicher Messiaserwartung ist die Beurteilung Bar Kochbas durch Rabbi Akiba (100 Jahre nach Jesus!). 23 Näherhin steht die für die Neologie wichtige Sammeledition des Johann Albertus Fabricius (Codex Pseudepigraphus Veteris Testamenti, Collectus Castigatus, Testimoniisque, Censuris & Animadversionibus Illustratus, Hamburg. Leipzig 1713) für die PsSal (a.a.O. 914-972) in der Nachfolge J.L. de la Cerdas, der schon 1626 eine Textedition in Spanien besorgt hatte (Wiedergabe von dessen Scholien a.a.O. 973-999), für die Test XII (a.a.O. 496-759) in einer noch längeren Uberlieferungstradition (s. a.a.O. 758f)· Für unsere Frage bahnbrechend wurden aber erst die Neueditionen der PsSal 1868/69 durch Hilgenfeld (s. unter 1.1.2) und (in der Wirkung begrenzter) der Test XII 1908 durch Charles (vgl. Jürgen Becker, JSHRZ III 1, 1980, 17). Allerdings zeigt eine eingehendere Forschungsuntersuchung, wie sie für Test XII vorliegt (H. Dixon Slingerland, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Critical History of Research, Missoula, Mont. 1977, SBLMS 21), daß für unsere Schriften in keiner Epoche mit einer gänzlichen Forschungs-

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war nach seiner altchristlichen Rezeption nie verlorengegangen; 24 im Gegenteil, es hatte vom späten 16. bis zum frühen 18. Jh. eine solche Wirkung unter den links- und nachreformatorischen Chiliasten entfaltet, daß es die Editoren deutscher Bibeln bis 1715 gegen die Kritik Luthers 25 und eigene Bedenken mehrfach zur Textsicherung in Zusätze zum Alten Testament aufnahmen. 2 6 U m 1712 setzte sich (bis 1781/1811) jedoch in Verbindung mit antichiliastischen Argumentationen eine Beurteilung als nachneutestamentlich-christliche Fälschung („pia fraus") durch, die die Textbehandlung im restlichen 18. Jh. prägte. 27 äth Hen schließlich wurde zwar sukzessive bis zum Ende des 18. Jh. in Europa zugänglich, aber vor dem 19. Jh. nicht wissenschaftlich ausgewertet. 28 In der weichenstellenden Diskussion der Aufklärung blieben somit die zugänglichen „messianischen" Apokryphen vernachlässigt. 29

Vernachlässigung zu rechnen ist (näherhin galten Test XII bis ca. 1700 als zumindest im Kern jüdischer Text, in der Aufklärungsepoche als christlich: Slingerland a.a.O. 6ff). 24 Wurde vielmehr in verschiedenen Sprachen breit überliefert (s. G. Vermes in Schürer, History III/1, 30lff) und löste bis zum Mittelalter das Neuentstehen einer ganzen Reihe von „Esra"-Schriften aus (s. Michael A. Stone, The Metamorphosis of Ezra: Jewish Apocalypse and Medieval Vision, JThS 33, 1982, 1-18). 25 WA 42, 367. 26 S. für die Textausgaben Heimo Reinitzer, Biblia deutsch. Luthers Bibelübersetzung und ihre Tradition, Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 40, Wolfenbüttel-Braunschweig 1983, 231-236,308f sowie Beate Köster, Die Lutherbibel im frühen Pietismus, Bielefeld 1984 (Texte und Arbeiten zur Bibel 1), 29,96,115f, 177 (demnach gab es reformierterseits schon früh eine Ubersetzung Leo Juds, lutherischerseits wesentliche Ubersetzungen von Johann Heyden von Daun 1569, Johann Assenburg 1589 und Cramer 1620, brach die Editionstradition erst mit der 3. Auflage der Cansteinbibel 1715 ab), für die geistesgeschichtlichen Zusammenhänge Johannes Wallmann, Zwischen Reformation und Pietismus. Reich Gottes und Chiliasmus in der lutherischen Orthodoxie, in: Verifikationen. FS Gerhard Ebeling, Hg. E. Jüngel u.a., Tübingen 1982, 187-205, hier 191-193. Interessanterweise konnte die bedeutendste Textzusammenstellung der Epoche, die Biblia Pentapla (Das ist: Die Bücher der Heiligen Schrift des Alten und Neuen Testaments / nach Fünffacher Deutscher Verdolmetschung...) II 2 (Apocryphen), Gottdorf 1712, 358-414 zu 4 Esr nur eine lutherische, eine reformierte und eine holländische Ubersetzung, gegen ihre sonstige Praxis keine römisch-katholische und jüdische Version bieten; d.h. der Veröffentlichungsdruck des 16./17. Jh. beschränkte sich - wie der Schwerpunkt der damaligen chiliastischen Strömungen - auf den protestantischen Bereich. 17 Für die Kritik am Anfang des 18. Jh. s. die Herausgebernotiz in der Biblia Pentapla (s. letzte Anm.) II 2, S.l (dort auch Zitat). Der Neuheranziehung brach Corrodi 178iff die Bahn; theologisch relevant wurde sie ab Bertholdt 1811 (s.u. 1.1.2). 2e Zugänglich wurde es näherhin bis 1777, mit breiterer Wirkung ediert in England ab 1838 (s. S.Uhlig in JSHRZ V 6, 1984, 469f,476), in Deutschland in lateinischer Rückübersetzung ab 1840 (A.F. Gfrörer, Prophetae veteres pseudepigraphi partim ex abyssinico vel hebraico sermonibus latine versi, Stuttgart 1840, 169-266). Danach wurde es zunächst (durch Bruno Bauer: s.u. 1.1.2) in seiner Bedeutung für unsere Frage noch abgewertet. n syrBar wurde im Abendland laut A.F.J. Klijn, JSHRZ V 2, 1976, 108 erst 1866 bekannt.

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Neu gegenüber der Orthodoxie war in erster Linie die kritische Beurteilung der solchermaßen summarisch-deduktiv gewonnenen Sicht der jüdischen „Messias"-Erwartungen zur Zeit Jesu. Semler wie Reimarus zeichneten sie als nationalpolitisch-negativ verengt. 30 Erst das Christentum habe, meinten sie, als moralische Religion, die auf Jesu ethischer Verkündigung fußte, dagegen ein ins Geistige sublimiertes Messiasverständnis entwickelt. Was dessen Füllung angeht, blieben sie - vorstellungsanalog zu den Idealen und Sehnsüchten der spätabsolutistischen Herrschaftsepoche - im Kern ungebrochen der Tradition heilsherrscherlicher Erwartung verpflichtet. 31 Innerhalb dieses Rahmens unterscheiden sich Semler und Reimarus allerdings grundlegend. D e n n während Semler die angebliche Ausbesserung der zu stark am National-Leiblichen orientierten jüdisch-messianischen Glückseligkeitsvorstellungen am von großer Weisheit und Bedächtigkeit getragenen Leben Jesu festmachte, sah Reimarus Jesus selbst - entgegen seiner Lehre der Vernunftreligion - an den nationalen Messiasglauben verfallen, so daß er „Messias der Juden" werden wollte. Da dies zum verbrecherischen Aufruhr führen mußte, scheiterte Jesus zu Recht, was die Jünger in ihrer - deshalb gleichermaßen kritisch zu hinterfragenden - Sublimierung der Messianologie zu überdekken suchten. 32 Semlers Position, die gegenüber Reimarus als sehr gemäßigt erscheinen mußte, 33 setzte sich breit durch, während Reimarus' Position theologischerseits ignoriert wurde. 34

Daß das christliche Verständnis Jesu als Messias (Christus) „quodam modo" aus der jüdischen hoheitlichen Messiaserwartung hervorgegangen sei, stand dem Hauptstrom kritischer Forschung von nun an „certissime" fest, wie Hilgenfeld 1869 im vereinfachenden 35 Rückblick und

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Semler, Untersuchung des Canon 64; Reimarus, Apologie 2.Teil I 1 § 4 (S.17ff), II 1 § 7 (S.135ff); zu Reimarus und dem Wandel der Hermeneutik s. Stemmer, Weissagung und Kritik 147-171. 31 Semler a.a.O. bes. 81f; ders., Versuch einer freiem theologischen Lehrart 387 vor 388ff; Reimarus a.a.O. bes. V 1 §§ iff (S.423ff). 32 Reimarus a.a.O. II 2 Beschluß (S.171-176, Zitat 175), IV 2 § 1,5 (S.344) u.ö.; dazu Stemmer a.a.O. 162-168. 33 Sie sprach auch den prophetischen Weissagungen als jüdisch-sachgemäßen messianischen Artikulierungen noch erhebliches Gewicht zu (Untersuchung des Canon 63; Versuch einer freiem theologischen Lehrart 39 lf). 34 Das gilt - um wenigstens zwei für die weitere Forschung wichtige Gestalten zu nennen - in all ihrer Verschiedenheit ebenso für den Erlanger Bertholdt, der seine Christologia Iudaeorum (1811) mit einer Reverenz an Semler und Ernesti eröffnet (VIII), wie für D. Fr. Strauß, der Leben Jesu I 469-477,689f daran festhält, daß Jesus, der im Laufe seines Wirkens ein messianisches Bewußtsein herausgebildet habe, „durch bestimmte Erklärungen" (469) den Messiasglauben der Jünger vorbereitet habe, der sich um die Vorstellung des Erhöhten, des Sohnes Gottes zentriere; so trifft Strauß' Rationalismuskritik a.a.O. § 143 (II 707ff) den nicht genannten Reimarus mit. 35 In der ersten kritischen Forschungsphase gab es auch die am Anfang von 1.1.2 zu

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als beizubehaltende Forschungsgrundlage nach der - noch zu besprechenden - Krise um Bruno Bauer formulierte 36 und mutatis mutandis noch heute formulieren könnte. Denn die dadurch initiierte Forschungsdynamik bewährte sich nicht nur (bis 1920) in der berechtigten Abweisung von de Lagardes Vorschlag, das neutestamentliche μεσσίας (Joh 1,41;4,25) im Kern auf Reiseprediger zu deuten, es statt von Π'ΡΗ mit ungeschärftem t? über ein postuliertes, im unpunktierten Stamm gleich aussehendes aramäisches Kittil-Substantiv ΚΠ'&η mit geschärftem V von einem angeblich schon damals geläufigen arabischen „missichun" abzuleiten. 37 Sie war auch stark genug, um bis in jüngste Zeit eine nun etymologisch tatsächlich naheliegende Ansatzverschiebung, nämlich die Erhellung des Christus-Verständnisses durch die Heranziehung von Gesalbten- und Salbungstraditionen in deren ganzer Breite, nur rudimentär zum Zuge kommen zu lassen: Nichtjüdisch-griechische Salbungsäußerungen fanden zwar in der Altphilologie bis zum Anfang unseres Jahrhunderts Aufmerksamkeit, 38 philosophisch ausstrahlend bei Nietzsche, der die antik-theologisch interessante Salbung des Opfers als Bild für „des Geistes Glück" verwendete. 39 Aber in der theologischen Forschung setzte sich implizit - gelegentlich explizit - die Überzeugung durch, das griechische χρίειν bezeichne „von Haus aus einen durchaus profanen Vorgang des Alltags" behandelnde Linie radikalerer Infragestellung. H o h e s Gewicht in der Verbreitung des Schemas b r u c h h a f t e r A n k n ü p f u n g dürfte H e r d e r zukommen: In den Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit X V I I 1 bündelt er, das J u d e n t u m habe messianisch „das System von H o f f n u n g e n eines Königs gebildet, der sein verfallenes, dienstbares Volk retten, ihm [ . . . ] goldene Zeiten verschaffen und eine neue Einrichtung der Dinge beginnen sollte" (442), ein System, das Jesus, „über Hirngespinste irdischer Hoheit erhaben", „zur Anlage eines idealischen Reichs" umgeprägt habe (S.443). 36 Hilgenfeld, Messias J u d a e o r u m VII. 37 S. de Lagarde, Bildung der N o m i n a 93ff,109, Nachträge 62ff (62 Zugeständnis, d a ß der älteste Originaltext mit „missih" erst aus dem 11. Jh. stammt), f ü r seine Aufrechterhaltung der - d o r t freilich ungenauer vorgetragenen - These noch den immer wiederholten Abdruck seines Aufsatzes Ueber das Verhältnis des deutschen Staates zu Theologie, Kirche und Religion von 1873 in seinen Deutsche(n) Schriften bis zur Ausgabe letzter H a n d Göttingen (5>1920 (der unsere Frage betreffende Passus dort 58). Als Kritiker seien f ü r die Philologie Dalman, Grammatik 157 (die Schärfung der ersten Silbe im neutestamentlichen μεσσίας ist nur sekundär) und theologisch (mit Hinweis auf die bei einem Reiseprediger-Verständnis im l . J h . n . C h r . unverständliche Einhelligkeit griechischchristlichen Christos = Gesalbten-Verständnisses Jesu) König, Die messianischen Weissagungen 7 genannt. Weinel geht in seiner Kritik an de Lagarde (ntm 14ff) abweichend davon aus, dessen Rekonstruktion bedeute „,einer der wiederholentlich salbt' nämlich mit dem heiligen Geiste" ( a . a . O . 14f). 38

Bis Mayer, Öl (1917; Lit.). „Und des Geistes Glück ist dies: gesalbt zu sein und durch T h r ä n e n geweiht zum Opferthier", schreibt er Zarathustra 130,5f. A . a . O . 380,25 spiegelt er darauf magische Salbungstradition (vgl. auch a . a . O . 317,12; zum antiken Befund u. 2.1.3.2). 39

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und habe „keinerlei sakralen Unterton", 40 sei daher für unseren Zusammenhang nicht näher zu verfolgen. 41 So entstand eine für die Erfassung der griechischen Einbettung und Fortbildung urchristlicher Gesalbten(„Christos"-)Aussagen schwerwiegende Lücke. 42 Auch verbreiternde Inblicknahmen des biblisch-jüdischen Befundes erfolgten nur zögernd. 43 Eine kritisch-präzise philologische Untersuchung des Gebrauchs von Christos im Blick auf das Neue Testament legte erst Moore (1920) vor. Gegen die herrscherlich-titulare Verengung führte diese Untersuchung Jackson und Lake zu dem Ergebnis, man müsse die Christosbezeichnung vor 70 n.Chr. von der allgemeinen Wortbedeutung einer Weihung oder Ernennung durch Gott aus aufschlüsseln, ohne gleich eine spezifische Funktion zu postulieren. 44 Aber diese Forschungsaufsprengung verhallte. 45

Nach 1945 hielt man zwar fest, daß die alttestamentlich-jüdischen Salbungsäußerungen eine große Spannbreite - von Königen über Priester und Propheten bis zu Patriarchen - umfaßten und allgemein „eine engere Beziehung zu Gott" besagten. 46 Aber die näher durchgeführten philologisch-begriffsgeschichtlichen Aufsprengungsversuche beschränkten sich im wesentlichen auf je einen der Teilbereiche prophetischer bzw. hohepriesterlicher Salbungstradition: Die prophetische Titeltradition nach Jes 61,1 betonte Lohmeyer (1945/1953), um darauf 40 K.H. Rengstorf, χριστός , TBLNT II, 1972, 760-767, hier 761. Die Position war schon um die Jahrhundertwende gültig: s. Kattenbusch, Symbol II 547f. 41 Ausstrahlend blieb so selbst Nietzsches Kritik des christlichen Messias/ChristusGlaubens ohne Berücksichtigung seines altphilologischen Wissens dem jüdisch-herrscherlichen Messias-Bezug verhaftet (Antichrist bes. Nr.40 S.212 nach Nr.31 S.200). 42 So konnte Grundmann bei seiner Behandlung des griechischen Sprachgebrauchs von χρίω (in ders. u.a., χρίω κτλ. 484f) auf keinerlei theologische Sekundärliteratur zurückgreifen, mußte sich statt dessen Anm. 1 S.484 auf persönliche Hinweise berufen. Die Forschungslücke wurde auch nach ihm nicht gefüllt, weswegen lexikographisch bei Hahn, χριστός 1148 weiterhin knappste Hinweise auf griechische Sprachbedeutungen genügen konnten und mußten. 43 Kählers Versuch, in Der sogenannte Jesus 41f die Tradition des dreifachen Amtes für das urchristliche Bild des „geschichtlichen" Christus neu zu beleben, war schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil er ihn selbst nicht in seinem Gesamtwerk durchhielt: In seiner Wissenschaft der Christlichen Lehre verband er die „Vorbilder der Versöhnung" (352 hervorgehoben) in Prophetie und Priestertum nicht mit dem Gesalbtenbegriff (§ 42,3) und erörterte korrelierend dazu das dreifache Amt Christi 354f (§ 42,4) ohne Bezug auf die Etymologie der Christus-Bezeichnung, führte also letztlich die Lehre der Orthodoxie fort. 44 G.F. Moore in Jackson/Lake, Beginnings 346-362/363; die Ergebniszusammenfassung 362f stammt von Jackson und Lake. 45 Nicht einmal Moore verfolgte sie in seiner Darstellung der messianischen Erwartungen Judaism II 323-376 wesentlich weiter; vgl. aber immerhin den Hinweis zu O'Neill (1961) u. mit Anm. 171. 46 So z.B. Fohrer, „Christologie" 283.

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sein Gebäude einer gottesknechtlichen Prägung des Messiastitels zu stützen. 47 Anders hob sie Berger 1970-1974 nach der Entdeckung von 1 lQMelch mit dessen Erwähnung einer vom Geist gesalbten Verkündigungsgestalt (Z.18) hervor, um auf diese Weise das Bild eines weisen, heilenden, prophetisch verkündigenden Messias Jesus zu stützen. 48 Friedrich suchte dagegen 1956, wiederum u.a. durch die neuen Qumranfunde angeregt, die hohepriesterliche Messiaslinie zur Geltung zu bringen. 49 Beide, trotz wichtiger Erkenntnisse jeweils einseitige, Linien konnten sich nicht allgemein durchsetzen. 50 Bei aller Anerkennung, daß es im Judentum neutestamentlicher Zeit kein einheitliches Konzept des (oder eines) Messias gab, 51 dominierte und dominiert - weiterhin die herrscherlich-hoheitliche Begriffserarbeitung. Auch de Jonge, der umfassendste Erforscher des Gebrauchs der Salbungsterminologie, entzog sich ihr nicht auf Dauer: 1966 fand er auf einer durch die neuen Textfunde gegenüber Moore erheblich verbreiterten Basis von neuem zu dem Ergebnis, daß das Gesalbtenverständnis zur Zeit Jesu im Kern eine besondere Beziehung zu Gott aussage, die verschiedene Positionen auszeichnen könne. Lediglich ein die neutestamentlichen Aussagen nicht eo ipso bestimmendes Gefälle auf eine besondere königliche Begriffsbindung gestand er damals zu.52 1975 zeichnete er darauf in einem Seminarbericht unter Aufnahme von Anliegen Bergers ein vormarkinisches Bild Jesu als geisterfüllten Lehrers und Predigers in der Tradition des gesalbten Propheten und weisen Königs. 53

In den Folgejahren erweckte die stagnierende Begriffserforschung auch bei de Jonge wieder den Eindruck, 90% der jüdischen Gesalbtenbelege gehörten in das Umfeld davidischer Traditionen. 54 Daher präzi47

Lohmeyer, Gottesknecht bes.98-110. Berger, Hintergrund christologischer Hoheitstitel 393-400 und passim; ders., Messianität Jesu 24f und passim; vgl. ders., Die königlichen Messiastraditionen passim. 49 Friedrich, Beobachtungen passim; vgl. etwas später Coppens, Messianisme sacerdotal passim. 50 Zur Kritik an Berger s. Kim, X P I C T O C 14f, zur Kritik an Friedrich s. Gnilka, Erwartung bes.409-418 und Hahn, Hoheitstitel 231-241. Nicht durchsetzungsfähig zeigte sich auch van Unniks Versuch von 1961/62 (Jesus the Christ passim), die Isolierung einzelner Traditionslinien durch die Rückführung des Verständnisses von Salbung auf einen Kern im Sinne von Geistverleihung zu überwinden: Er war zu stark an einem lukanischen Spezifikum (s. bes. Act 4,26f;10,38; Lk 4,18) orientiert (Kritik bei Kim a. a. O. 5f; de Jonge, Earliest Christian Use of Christos 335f)· 51 Dies formuliert Charlesworth 1979/1985 als wissenschaftlichen Konsens (Pseudepigrapha and N e w Testament 117). 52 de Jonge, Anointed passim, Ergebnis 147. " Ders., Passion Narratives bes. 190. 54 So ders. auf dem SNTS Pseudepigrapha Seminar 1979 (laut Charlesworth a.a.O. 119). 48

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sierte er 1986 seine Position als Ein- und Unterordnung aller prophetischen und heilenden Züge des Bildes Jesu unter die davidisch-herrscherlichen Messiaserwartungen, die er spätestens von der ältesten Gemeinde, wenn nicht schon durch Jesus selbst, souverän aufgenommen sieht.55 Angesichts dieser inneren Dynamik der herrscherlichen Bezugstradition erstaunt nicht, daß es im 20. Jh. gelegentlich sogar Forschungswendungen zur Position des Reimarus gab. Unter ihnen ragt diejenige Eislers (1929) an kritischer Emphase hervor. 56 Nach ihm entfachte Brandon (1967) die Diskussion noch einmal.57 Auf ihre Weise bestätigen auch diese Forscher die außerordentliche Faszinationskraft der aufklärerischen Entscheidung für einen Anschluß des Christus-Verständnisses an die herrscherlich-hoheitliche Erwartungstradition des Judentums. Gerade diese Faszinationskraft aber bedingt andererseits - nicht nur gegenüber Eisler und Brandon - ein Unbehagen. Die Frage drängt sich auf: Wurde die Begriffstradition nicht von vornherein von dieser Vorgabe aus in Blick genommen und deshalb möglicherweise verzerrt?

1.1.2 Die Abweisung der Antithese christlicher Begriffsbildung im 19. Jh. und die Ambivalenz der Traditionsanalyse Die Unscharfe der begrifflichen Analyse zeitigte Folgen in der traditionsgeschichtlichen Untersuchung des „messianischen" Feldes. Als Kristallisationspunkt dafür kann die trotz aller Berechtigung zu undiskutiert vollzogene Abweisung der Antithese Bruno Bauers zur skizzierten frühaufklärerischen Weichenstellung um die Mitte des letzten Jahrhunderts dienen: Philosophisch Hegel verpflichtet, aber aus dem Selbstverständnis eines historisch-kritisch die Quellen prüfenden Exegeten, 58 behauptete er 1841 immerhin nichts Geringeres, als daß die Christolo55

Ders., Earliest Christian Use of Christos bes.333-336. In Weiterführung des Ersttitels von Schweitzers Geschichte der Leben-Jesu-Forschung formulierte er das Motto seines Werks „ V O N REIMARUS - Z U REIMARUS" (ΙΗΣΟΥΣ ΒΑΣΙΛΕΥΣ Bd. I S. VII). 57 Brandon schließt sich Reimarus zwar nicht so emphatisch wie Eisler an, nimmt aber sein Anliegen in der Leitfrage auf, ob Jesus angesichts der Übereinstimmung seiner Worte und Taten mit den umlaufenden Erwartungen nicht notwendig als Messias verstanden werden mußte (Jesus and the Zealots 10 vor 22). Aus der Diskussion nach ihm seien exemplarisch Hengel, War Jesus Revolutionär? passim (als kritische Position) und Greig, Problem of the Messianic Interpretation (als Vermittlungsversuch mit der kritischen deutschen Forschung) genannt. 58 S. die Grundsatzangaben Bauers zu seinem Standpunkt in seiner Kritik der evangelischen Geschichte Bd.I S.XXf. 56

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gie ohne die Vorgabe einer bereits jüdisch verdichteten Messiastradition allein aus der Kraft des christlichen Selbstbewußtseins entstanden sei. 59 Historisch bereitete sich dieser Gegenschlag zum Anknüpfungsdenken der Hochaufklärung schon seit 60 Jahren vor: 1781-83 trieb der Spätaufklärer Corrodi die Differenzierung in jüdische Vorbereitung und christliche Anknüpfung auf eine neue Spitze. Nach den von Lessing veröffentlichten Fragmenten des Reimarus verband sich für ihn mit den irdischen Heilserwartungen des Judentums solches Unbehagen, daß er das moralisch-geistige Christentum, wie er es anstrebte, davon ganz fernhalten wollte. Von den „prophetischen Tröstungen" bis zum „System" des 4 Esr - das er um seiner These willen wieder als jüdisches Werk darstellte - vermochte er nur ein chiliastisches „System fanatischer Erwartungen naher Freuden, und Wollüste" grundgelegt entdecken. Bis in die Varianten seiner christlichen Rezeption ordnete er es letztlich unter die „Pathologie" menschlichen Denkens. 60 1794 gab darauf Ammon - damals noch in Erlangen - Semlers vorsichtige Beurteilung der alttestamentlichen Texte auf und kritisierte die prophetischen Weissagungen bis dahin, daß „ein fester und bestirnter Hinblik der hebräischen Seher auf den göttlichen Stifter unserer Religion, auf seine Person und Schiksale, aus ihren Orakeln unerweißlich bleibe".61 Die Messiasbezeichnung lehnte er als christlichen Fundamentalbegriff ab, sei sie doch jüdisch-pharisäisch und von Jesus angesichts seiner „geistigen Religion" als unrichtig aufgewiesen worden, bleibe für die „christliche Herzensbesserung" unfruchtbar und verdecke wichtigere theologische Betrachtungen. 62 Ammons Erlanger Kollege Bertholdt suchte 1811 diese Radikalität 63 zu entschärfen, ohne Ammon explizit zu widersprechen,64 indem er eine Anknüpfung der Lehre des Neuen Testaments an die zeitgenössische jüdische „Christologia" aufzuweisen suchte.65 Dabei begab er sich in eine Zirkelargumentation: Da er das nun wieder als jüdisch-messianischer Text geltende 4 Esr, das er allein als " Bauer a.a.O. bes. XV,XVIIf,391-410. Corrodi, Chiliasraus I S.XI (erstes Zitat),179-230 (im Titel zweites Zitat),VI (drittes Zitat),V (viertes Zitat) und passim. 61 Ammon, Christologie VI (nach Würdigung Ernestis IV). Die bei Hugo Grotius begonnene philologische Kritik (s.o. Anm. 19) ist hier radikalisiert, ohne daß sich direkte forschungsgeschichtliche Zusammenhänge nachweisen ließen. " Ammon a.a.O. Xf (erstes Zitat X, zweites Zitat XI); ein Recht behalten für ihn „meßianische Untersuchungen" nur noch „in der Geschichte der Einführung des Christenthums unter den Juden und bei dem Bekehrungsgeschäft jüdischer Proselyten" (a.a.O. XI). Zur Einordnung Johann Dietrich Schmidt, Die theologischen Wandlungen des Christoph Friedrich von Ammon [.·.], Diss. Erlangen 1953 (masch.), 20,108f; Ammon bleibt der Grundlinie demnach in seiner weiteren Entwicklung treu (158). 63 Die im rationalistischen Lager neben und nach Ammon sogar noch ausgebaut wurde: s. die (je kritischen) Sach- und Literaturhinweise bei Hengstenberg, Christologie des Alten Testaments I 356f und Delitzsch, Messianische Weissagungen 1 Anm. 1. 64 S. das Proömium seiner Christologia Iudaeorum und die Zitierung von Ammons Werk a.a.O. 6 Anm. 10. 65 Bertholdt a.a.O. X l l l f . 60

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zusätzliche Quelle über Semler hinaus kannte, nach Corrodi nicht zum positiven Maßstab setzen konnte oder wollte, z o g er das N e u e Testament als Primär(!)-Quelle heran, die den jeweiligen Rückschluß aufs Judentum bestimme. 66 In begrifflich-traditionsgeschichtlicher Unschärfe kam er zur Subsumtion fast aller christologischen Titel (außer Kyrios) unter den Messiasnamen. 67 Seine Argumentation überzeugte in keinem Forschungslager. 68 Schleiermacher mochte den christlichen Glauben 1829 in keiner Weise mehr auf Weissagungszusammenhänge gegründet wissen. 6 ' U n d selbst der das Denken in einer Linie von Weissagung und Erfüllung eigenwillig neu begründende Erlanger H o f m a n n knüpfte 1841 in der Sache nicht an Bertholdt, sondern an A m m o n an 70 und verfolgte die Messiastitulatur weder im Weissagungs- noch im Erfüllungsteil. 71 Bauer durchbrach - eine bemerkenswerte Konstellation - im selben Jahr den Begründungszirkel messianischer Re-Konstruktion.

Bauer stellte in seiner Analyse fest, daß die sogenannten messianischen Anschauungen der Propheten „noch nicht zur Einheit und Festigkeit des Reflexionsbegriffes erhoben" seien, die Septuaginta nicht in sich messianisch geprägt sei, die alttestamentlichen Apokryphen (Sir, Makk usw.) „Nichts von dem Messias" wüßten, Philo die Messiasanschauung zwar berühre, aber keine feste Reflexionsgestalt für sie biete, das messianische Prophetentargum in viel spätere Zeit gehöre und die durch ihn neu in die Diskussion kommenden - Bilderreden des äthHen nur unter dem Vorbehalt möglicher christlicher Interpolation, wenn nicht gar christlicher Schöpfung betrachtet werden dürften. 72 Als Ausnahme dieses Befundes gestand er - begrifflich inkonsequent (!) - das Menschensohnwort Dan 7,13 zu, das aber den zerbrechenden jüdischen Messias-Zusammenhang nicht stützen könne. Denn es werde erst im 66

A.a.O. 10. Z.B. König, Sohn Gottes, Sohn Davids, Retter, Prophet (a.a.O. 29ff). 68 Für die Repristinationstheologie Hengstenbergs (a. a. O. passim) blieb Bertholdt ein Vertreter des abzulehnenden rationalistischen Lagers (s. I 358 u.ö.). Bruno Bauer, der ihn als Schlüsselgestalt der Forschung zwischen Hengstenberg und Strauß ansah, verwarf seine Position als an einer „messianische(n) Dogmatik der Juden" festhaltend (Kritik der evangelischen Geschichte I 407 nach 39lf). 69 Schleiermachers Sendschreiben 41f (Werkausgabe 619ff). Diese Haltung machte Schleiermacher im übrigen den gemäßigter kritischen Forschern des späteren 19. Jh. von Hilgenfeld (Messias Judaeorum VII) bis Delitzsch (a.a.O. 2 Anm. 1) suspekt. 70 Schon Ammon formulierte als Alternative zum verworfenen direkten Weissagungsbeweis, „daß der Beweiß [...] für die Wahrheit der christlichen Religion [...] aus der allgemeinen Entwickelung der alttestamentlichen Offenbarungen und aus der ganzen Geschichte des jüdischen Volkes abgeleitet werden müsse, wenn er den Denker befriedigen und die Leitungen einer weisen Vorsicht zum Wohl der Menschen durch Jesum in ein helles Licht setzen soll" (Christologie VI). Ohne daß Hofmann darauf Bezug nähme, ist sein Programm in Weissagung und Erfüllung dazu verwandt (s. bes. I 1-11). 71 Dabei wäre das im Königsteil von a.a.O. I (153-252) und im ganzen Bd. II durchaus möglich gewesen. 72 Bauer a.a.O. I 393-403, Zitate 393,395. 67

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Neuen Testament traditionsbildend, das seinerseits durch die Freiheit seiner christologischen Entwicklungen mit ihrer ganz verschiedenartigen Inanspruchnahme der alttestamentlichen Texte bezeuge, daß es eine jüdisch-messianische Dogmatik noch nicht gegeben habe. 73 Bauer legte damit eine Begründung seiner Position vor, die eine Uberprüfung der Geschichte der messianischen Traditionen hätte auslösen können. Doch seine Impulse waren zu eng mit seiner Person verbunden. 1842 wurde er der Venia legendi enthoben. Seine fortschreitende philosophisch-theologische Radikalität 74 machte ihn für eine Linie sozialistischer Reflexion über das frühe Christentum und seine Christologie bis Kautsky zum wichtigen Gesprächspartner. 75 Theologischerseits wurde er wissenschaftlich ignoriert. 76 Selbst der gleichfalls der hegelianischen Schule nahestehende F.Chr. Baur siedelte 1853 unbefangen weiterhin die ganze vorneutestamentliche jüdische Religionsgeschichte um die „Messiasidee" an, ließ in Jesus „die Erfüllung der alten Verheißung" des „zum Heile des Volks erschienenen Messias" zur Anschauung kommen und das Christentum daran anknüpfen. 77

Erst Volkmar, der 1857 noch einmal versuchte, Bauers Position in gemäßigter, ihrer radikalen Schlußfolgerungen entkleideter Form ins Gespräch zu bringen, löste eine kurzfristige Diskussion aus. Diese knüpfte aber von vornherein an Volkmars Entschärfung an, vorchristlich sei wenigstens die unbestimmte Ausbildung von Namen und Begriff des (eschatologischen) Messias vorauszusetzen: 78 Holtzmann entwickelte darauf 1867 die zur liberalen Theologie führende Position, die so schwach belegte altisraelitische Messiasidee müsse sich bis in neutestamentliche Zeit erschöpft haben, um zu dieser Zeit einen Prozeß der Neubildung neben sich zu erlauben, den Jesus in seinen sittlichen Zügen vollende. 79 Zwei Jahre danach überholte Hilgenfeld auch diese These mit seiner Edition der PsSal, beendete damit deren Vernachlässigung 80 und brachte erstmals einen eschatologisch herrscherlich-messianischen Belegtext aus vorneutestamentlicher Zeit in die Diskussion unserer Frage

73

A . a . O . I 395f (zu Dan), 404-407 (zum Neuen Testament). Bis a.a.O. III 308 läßt er auch alles Wissen vom historischen Jesus (der I 407f noch als eigenständige Größe erscheint) in der Welt der christlichen Vorstellung aufgehen. 75 S. Kautsky, Ursprung V,21ff vor 374ff. 76 Zu Geschick und Wirkung B. Bauers s. J. Mehlhausen, Bruno Bauer, T R E 5, 314-317. 77 Baur, Christenthum 36f (erstes Zitat 37, weitere Zitate 36). 78 Volkmar, Religion Jesu 112ff. " Holtzmann, Messiasidee passim (Bauer erwähnt er 390 immerhin noch). 80 Vgl. o. unter 1.1.1 mit Anm. 23. 74

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ein.81 Die erst christliche Neubildung eines hoheitlichen Messiasbegriffs und damit die Spitze von Bauers These war ausgeschlossen. Eine Uberprüfung der weiteren Beobachtungen Bauers unterblieb freilich auch jetzt. Hilgenfeld ignorierte Bauer in seinen Prolegomena, erneuerte vielmehr programmatisch die Position der gemäßigten Aufklärung. 82 Darauf kehrte die Forschung in ihrer ganzen Bandbreite zwischen konservativem und liberalem Lager zu den alten traditionsgeschichtlichen Thesen zurück, um sie in neuer Dynamik weiterzuführen: Das Lehrbuch von B. Weiß mit seiner unhinterfragten Hinordnung von Davidssohn-, Menschensohn- und Gottessohntradition auf den hoheitlichen Messiasbegriff, der - nach der obligaten anknüpfenden Brechung durch Jesus - die Christologie der Urgemeinde (laut Act-Reden, 1 Petr und Apk!) bestimme,83 konnte weite Verbreitung erfahren. Delitzsch beanspruchte gegen Schleiermacher die sogenannten messianischen Weissagungen des Alten Testaments wieder zum „Selbstbeweis des Christentums". In bemerkenswerter hermeneutischer Klarheit gestand er dabei zu, daß „messianische Hauptweissagungen wie Jes.9,5f. Jer.23,5f. Sach.6,12f." im Neuen Testament noch christologisch „unberücksichtigt bleiben", er also einen im wesentlichen nachneutestamentlichen Denkansatz zu einem „erfüllungsgeschichtlich(en)" Standpunkt nach Hofmann weiterführe. Erst von diesem Standpunkt her galten ihm umfassend „auch die vom Messias schweigenden Weissagungen des schließlichen wesentlichen Heils [ . . . ] als christologisch." 84

Der liberalen Theologie kam das aufklärerische Schema von Anknüpfung und Bruch besonders entgegen, ließ sich so doch ein (Selbst-) Verständnis Jesu als Messias „höherer Ordnung" den entsprechend abgewerteten theokratisch-nationalen Erwartungen des Judentums entgegensetzen. 85

Hilgenfeld, Messias Judaeorum 1-33. A.a.O. VII. Wie wirkungsvoll Bauers Ignorierung war, zeigt Wrede: Er stößt erst nach Abschluß seiner Untersuchung über das Messiasgeheimnis auf ihn. Dann unternimmt er zwar eine Ehrenrettung - „Von einem solchen Manne wird immer etwas zu lernen sein, selbst wo er irrt" (Messiasgeheimnis 280 nach 279) -, aber dieser Impuls verhallt. 83 B. Weiß, Lehrbuch der Biblischen Theologie §§ 18-21,42-45,50-61,70 (zu den Differenzen in der Anknüpfung s. § 18 S.57, § 19 S.59, § 21 S.64ff). In der messianischen Interpretation von Gottessohn- und Menschensohntitulatur setzt er, der Konservative, so die von Semler zu Strauß (Leben Jesu I 463ff,478ff; vgl. o. Anm. 34) reichende Linie fort. 84 Delitzsch, Messianische Weissagungen bes.2 (erstes Zitat und Stellung zu Schleiermacher),15-19 (zweites Zitat 15f, drittes 16, letztes 15; Hofmann-Würdigung 17f). 85 So Wellhausen, Geschichte 314f (Zitat 315). Er zieht diese Position im Blick auf das Judentum gleich noch weiter aus: Jesus „war nicht derjenige [Messias], den sie wünschten, aber er war der wahre, den sie wünschen sollten" (315). Heute sind wir gegenüber 81

82

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Einführung

Im Augenblick der Neuentdeckung apokalyptischer Züge in der Eschatologie Jesu trat dieser stärker in den Zusammenhang jüdischer Erwartungen zurück, um aus ihnen nun wiederum als „Gebieter und Herrscher" hervorzutreten, der stärkste handlungs- und leidensethische Impulse gebe. 86 Das bedeutete insgesamt keine Infragestellung, sondern sachlich eine Verschärfung der hoheitlichen Inblicknahme des Messiasverständnisses Jesu,87 dem der Gebrauch der nun in den Vordergrund rückenden Menschensohn-Wendung gegen schon damals laut werdende traditionsgeschichtliche Einwände weiter zugeordnet wurde. 88 Währenddessen kam es zu einer erheblichen Differenzierung der alttestamentlichen Untersuchungen. 89 Doch trat für unsere Frage eine andere Entwicklung in den Vordergrund: Einsetzend vor, durchschlagend vor allem nach der Jahrhundertwende, 90 vertieften namentlich Dalman, Klausner und Volz sowie in Jerusalem Lagrange die wissenschaftliche Beiziehung des rabbinischen Materials. 91 Eine schier unerschöpfliche Quelle messianischen Denkens tat sich auf. 92 Obwohl sie keinen neuen solchen Äußerungen sensibel geworden; scharf kritisiert Bloch, Atheismus im Christentum 174. 86 Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung 401; vgl. seine Re-Konstruktion des heroischen Lebens Jesu in Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis 98-109. 87 Es erscheint so nicht zufällig, daß der o. mit Anm. 56 genannte Eisler bei allem radikalen Hinausgehen über Schweitzer gerade an dessen historisches Wissenschaftsethos anzuknüpfen versucht (a.a.O. I S. Vlf,XIII-XIX). 88 S. bes. J. Weiß, Predigt Jesu 158-162. 161f stellt er Lietzmanns (und Wellhausens) These, „dass der .Menschensohn' kein Messiasname bei den Juden gewesen sei" (s. Lietzmann, Menschensohn passim), einfach die These gegenüber, „dass man zur Zeit Jesu vielfach die Erscheinung des Messias sich nach Dan 7 1 } vorstellte" (Zitate 162). 89 Hühn, Die messianischen Weissagungen I 134-156 arbeitet als Ergebnis der kritischen Forschung bis 1899 heraus, daß in der Diskussion seit langem zentrale Stellen wie das „Protevangelium" Gen 3,14f, der Judaspruch Gen 49,8-10, der Bileamspruch Num 24,17-19, die ImmanuelverheißungJes 7,14 und die Königspsalmen 2;45;110 (u.a. Stellen mehr) nicht messianisch gedeutet werden dürften. 90 Bis zu der Schürer in seiner Geschichte des jüdischen Volkes die Entwicklung des Diskussionsstandes dokumentierte, zuletzt in 3 II 496-556. 91 S. Dalman, Worte Jesu I 237-247 u. ö. (nach Vorstudien, auf die laut dem Referat in ThLZ 112, 1987, 77 Julia Männchen, Gustaf Dalmans Leben und Wirken in der Brüdergemeine, für die Judenmission und an der Universität Leipzig, 1855-1902, Diss, masch. Greifswald 1985 eingeht), Klausner, Messianic Idea IX (Vorstudienhinweise), Volz, Jüdische Eschatologie passim und Lagrange, Messianisme bes. 137-265 (nach I f vor dem Hintergrund von Loisys eschatologischen Thesen geschrieben, aber im Duktus nicht wesentlich dadurch geprägt). Zeitlich schon vor diesen, aber nicht gleichermaßen wirksam, schrieb Castelli (Messia, 1874; zur jüdischen Traditionsliteratur 167-291,297-355). 92 Umfassendste Originalquellensammlung (mit frz. Übersetzung) in den Studien Brierre-Narbonnes, wirksamste deutsche Materialsammlung in Bill. I-IV (Register der über das ganze Werk verstreuten Bezugnahmen auf rabbinisch-messianische Texte IV 1247f). Zobel, Messias sei als noch 1938 in Deutschland erschienene Quellendurchsicht von jüdischer Seite hervorgehoben.

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Beleg v o r n e u t e s t a m e n t l i c h - j ü d i s c h e r hoheitlicher M e s s i a s e r w a r t u n g beibrachte, verdeckte sie partiell die - bis z u d e n Q u m r a n f u n d e n u n g e b r o c h e n e - historische E i n s a m k e i t des M e s s i a n i s m u s der PsSal 17 u n d 18, die w e g e n der 1910 edierten G e n i z a - F r a g m e n t e der D a m a s k u s schrift mit ihrem a b w e i c h e n d e n messianischen D e n k e n an sich z u s ä t z lich auffallen mußte. 9 3 D u r c h das N a c h w i r k e n der alten F o r s c h u n g s orientierung an d e n V e r h e i ß u n g e n u n d H e i l s t e x t e n des Alten T e s t a ments w u r d e in V e r b i n d u n g mit der Q u e l l e n e r w e i t e r u n g der W e g z u g r o ß e n n e u e n S y n t h e s e n eines m e s s i a n i s c h e n E n t w i c k l u n g s g a n g s g e bahnt, die unter sich w a n d e l n d e n A k z e n t e n bis w e i t nach d e m z w e i t e n Weltkrieg entstanden u n d ausstrahlten. Exponiert formulierte Greßmann (1929) die methodischen Grundlagen der neu vorangetriebenen Zusammenschau alttestamentlich-jüdischer Heilshoffnungen und urchristlich-messianischer Christologie: Das Neue Testament zeige eine „eschatologische Verengung" des Messias-Begriffs, die „sich, wie schon die Beibehaltung des aramäischen Ausdrucks an manchen Stellen lehrt, noch auf semitischem Boden vollzogen haben" müsse, also nachalttestamentlich-jüdisch sei. Inhaltlich setze das Neue Testament - und dieses bilde den wissenschaftlichen Maßstab - den Messias als idealen eschatologischen Heilsbringer voraus, mit dem sich aufgrund des Messiasbegriffs eine politische Komponente verbinde. Die Befragung der jüdischen Tradition erhalte als Vorgabe eine Definition des Messias „als König der idealen Z u k u n f t oder der im Sinne endzeitlicher H o f f n u n g e n idealisierten Gegenwart, obwohl aus dem politischen später mehr und mehr der religiös-sittliche Führer wird." 94 Das durch die Seltenheit strikt messianischer Belege gegebene Dilemma sei nicht überzubewerten: Der Messiasbegriff sei, so gewiß er keine alttestamentliche H e r k u n f t aufweise, „nicht wieder auszurotten, auch wenn wissenschaftliche Pedanterie den Versuch machen wollte." Es komme nur auf die Füllung der „alten N a m e n " „mit einem neuen, richtigen Inhalt" an. 9S Auf neuer Reflexionsebene war Bertholdts Argumentationszirkel - das Aufsuchen alttestamentlich-jüdischer Beziehungskreise um das angenommene Zentrum einer Messiaserwartung nach nicht streng begrifflichen, sondern neutestamentlich-theologisch entworfenen Kriterien - wiederholt. Das messianische Traditionsspektrum zog die alttestamentlichen Heilsvorstellungen sowie die sich um den politischen Messias, den Ebed-Jahwe und den Menschensohn lagernden Erwartungen in aller Breite an sich. 96 D i e T r a d i t i o n s s y n t h e s e n ließen v e r s c h i e d e n e A k z e n t u i e r u n g e n zu. 9 7 Bei W e r n e r u n d Jeremias f ü h r t e n sie gar z u g e g e n s ä t z l i c h e n T h e s e n . 9 8 " Und immer wieder auch auffiel: vgl. Moore in Jackson/Lake, Beginnings 355f nach 354 (vgl. o. bei Anm. 44) und König, Die messianischen Weissagungen 337 (innerhalb 334ff); die Fragmente galten nach der Edition als solche „eines zadokitischen Werkes". ,4 Greßmann, Messias lf (erste zwei Zitate 1, letztes Zitat 2). 95 A . a . O . 13* (erstes Zitat), 16* (zweites und drittes Zitat). " A . a . O . 149-414. 97 Nur deren wichtigste lassen sich hier nennen: Vor Greßmann erstellte König (a. a. O.

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Werner (1941/1953) behauptete unter Ausklammerung des Gottesknechts, Messias, Menschensohn und Gottessohn seien messianische „Wechselbegriffe". Da der Menschensohn der Tradition eine himmlische Gestalt sei, charakterisiere das den Christus des Urchristentums als „Wesen der höhern Engelwelt". Davon leitete er seine These einer urchristlichen Engel-Messianologie ab, die apokalyptischer Herkunft sei." Jeremias (1954) dagegen betonte die Gottesknechtstradition und gelangte zur Vorstellung eines sühneleidenden Messias im Judentum vor- und frühchristlicher Zeit. 100 Bei alledem waren die Textgrundlagen für die These einer breiten jüdischen herrscherlich-hoheitlichen Messiashoffnung zur Zeit Jesu nach wie vor schmal, ja blieb sogar die Erneuerung einer radikalen Traditionskritik möglich. Ab 1954 - und wiederholt bis 1974 - unternahm Zeitlin diese Kritik aus seiner Sicht der jüdischen Quellen (also unter Vernachlässigung der christlichen Entwicklung). Er lenkte alles Augenmerk auf das Fehlen einer Messiaserwartung im Alten Testament, in den Apokryphen und noch in der Mischna - die er einseitig in dieser Richtung las - , sah deshalb das N o m e n „Messias" ausschließlich in apokalyptischer Literatur und noch dazu schwerpunktmäßig nach der Tempelzerstörung. Er folgerte: „Messianic expectations arose only after the depassim, '1922, 21925) eine Untersuchung des alttestamentlichen Entwicklungsgangs in Verbindung von kritischer Exegese und Orientierung am alten Schema einer sich zuspitzenden Verheißungslinie, die auf ihre neutestamentliche Erfüllung in Christus zulaufe (s. bes. 353-369). Kurz nach Greßmann versuchte Bonsirven (1934) eine gleichsam dogmatische Bündelung des jüdisch-messianischen Denkens um die Zeitenwende (Judaism I 341-467). Die verhängnisvolle politische Entwicklung hemmte sodann die Forschung. Klausner konnte seine Untersuchungen aus der ersten Jahrhunderthälfte (s. o.) so erst 1956 (Messianic Idea) - für einen Teilbereich nochmals 1977 (Messianic Idea in the Apocryphal Literature) - bündeln. Als Stütze in der deutschen Auseinandersetzung um das Alte Testament erwies sich Vischer, Christuszeugnis (I 1934, II 1942). In den 50er Jahren setzten Mowinckel, He That Cometh (1951, engl. 21959) und Ringgren, Messiah (1956, 2 1961, vgl. zuvor: König und Messias, 1952) Forschungsimpulse der damaligen skandinavischen Schule wirkungsvoll um (deutsch beeinflußten sie etwa Schubert, Naherwartung, 1964, bes.33). Sie orientierten sich dabei so stark königlich-kultisch, daß sie schon die Möglichkeit hohepriesterlicher und prophetischer Varianten zum königlichen Messianismus ausblendeten (s. Mowinckel a.a.O. 168). Französischsprachig erschien lange kein neues Standardwerk (Chevallier, Messie, 1958, kann ein solches nicht ersetzen; bes. wichtig aber in den 50er Jahren der Artikel A. Gelin, Messianisme, DBS 5, 1957, 1165-1212). Die Bündelungen der 70er Jahre - Coppens, Messianisme und Cazelles, Alttestamentliche Christologie - bleiben bei allen Differenzierungen grundsätzlich der Suche nach einer im breiten (allgemein heilserwartenden) Sinne „messianischen" Entwicklungslinie zum Neuen Testament hin verpflichtet. " Einen nochmals anderen Blickwinkel böte der von Groß, Messias vertretene Versuch, die exegetischen Erkenntnisse zur Heilskönig-, Leidensknecht-, Menschensohntradition aus katholisch-offenbarungsgeschichtlichem Blickwinkel zu sichten. " Werner, Entstehung des christlichen Dogmas 302-311, Zitate 302,311. 100 Jeremias, παις θεοϋ, T h W N T V, 676-698 innerhalb 676-713.

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struction of the Second Temple. During the Second Commonwealth the Apocalyptists expected a messiah, but the Judaeans, in general, [ . . . ] had no ideas about the coming of a messiah." 101

Die Funde von Qumran erweiterten das Quellenmaterial, komplizierten aber zugleich den Befund. 102 So verfiel der traditionsgeschichtlich mit breiten Querlinien arbeitende Forschungsansatz bis 1963 selbst in Jeremias' theologisch ansprechender Gottesknecht-Messias-Verknüpfung der Kritik.103 1964 erhob Dinkier forschungswirksam die Forderung nach einer klaren „Eingrenzung der Messiasvorstellungen". Denn: „Was in der Sekundärliteratur alles an vorchristlichen Begriffen der ,messianischen' Konzeption subsumiert wird, dient vielfach nicht der sachlichen Klärung, sondern der Mystifizierung." 104 Der Prozeß einer methodisch engeren Untersuchung setzte sich durch. Bis Anfang der 80er Jahre sicherte er - freilich immer noch nicht unumstritten 105 - die Erkenntnis, daß die sogenannten messianischen Texte des Alten Testaments (Jes 8,23-9,6; 11,l-5bzw.l0; Mi 4,14-5,5; Jer 23,5f; Ez 17,22-24;34,23f;37,24f; Hag 2,20-23; Sach 3,8;6,12;9,9f; vgl. Jes 7,10-17; Ps 2 und Ps 110) in keinem einzigen Falle eine „ge-

101

Zeitlin, Studies II, S. XXVIf (Einführung von 1974, Zitat XXVII), vgl. 357-393 (The Essenes and Messianic Expectations, geschrieben 1954 noch ohne Kenntnis der Qumranfunde) und 394-406 (The Origin of the Idea of the Messiah, 1963), zur unmessianischen Sicht der Mischna noch U l f . 102 Ihr Erscheinen regte die Diskussion außerordentlich an: s. eröffnend Brown, Messianism; van der Woude, Die messianischen Vorstellungen (1957 bewußt - s. bes.7 auch noch Heilstexte ohne Messiasbegriff einbeziehend); Liver, Two Messiahs; Starcky, messianisme. Weitere Lit. bei den Einzelbehandlungen unter 2.2. Unter dem Einfluß der neuen Entdeckungen orientierte sich die Forschung zur zwischentestamentlichen Literatur nun gern an den drei Modellen Königs-Messias, PriesterMessias und transzendenter Menschensohn-Messias (s. Grelot, Messie passim). Gegebenenfalls wurde als dritte eine prophetische Linie vertreten, so bei Kuhn, Messiahs 64 (der für das Neue Testament an der Prädominanz davidischen Messiasdenkens festhielt; erst bei Euseb [vgl. am Anfang von 1.1.1] könne man von einer Dreiheit der Ämter KönigPriester-Prophet sprechen, die essenisch präfiguriert sei). 103 S. Rese, Uberprüfung passim. 104 Dinkier, Petrusbekenntnis 136f (erstes Zitat 136, zweites Zitat 136f). Er wendet sich dabei in erster Linie gegen Cullmann, Christologie l l l f , der aufs ganze gesehen schon wieder zu den gemäßigten Spätvertretern der oben genannten Synthesen gehört (er behandelt Messias- und Menschensohntitel lllff,138ff getrennt etc.). 105 S. Klaus-Dieter Schuncks Rezension zu der im folgenden referierten Arbeit Strauß', Messianisch ohne Messias, ThLZ 111, 1986, 813-815, hier bes. 814, in Verbindung mit Schunck, Messias passim. Doch erkennt auch Schunck uneingeschränkt an, „daß in den sog. messianischen Texten des AT niemals das hebr. Wort masiah = Messias gebraucht wird" (am erstgenannten Ort 813); so darf die Forschungsdifferenz nicht überschätzt werden.

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nuine .Messias'-Vorstellung" belegen, geschweige denn in ihrer Gesamtheit eine messianische Verheißungsreihe bilden. 106 Selbst wenn man weiterhin eine davidisch-königliche Ausprägung alttestamentlich-messianischer Vorstellungen sucht, wagt man gegenwärtig nur einen indirekten, keinen direkten Zugang mehr von deren Erörterung zum Neuen Testament. 107

Die Septuaginta allerdings blieb trotz ihrer Bedeutung für das frühe Christentum Stiefkind der Forschung, 108 während sich das Gros der in ihrer Ubersetzungszeit entstandenen Schriften immer deutlicher als nicht „messianisch" geprägt erwies. 109 Beharrlich hielt sich gegen das Fehlen eindeutiger Quellenbelege und eine deshalb schwer zu widerlegende Forschungsopposition die messianische Interpretation von Zentralgestalten der jüdischen Aufstandsbewegung des 1. Jh. n.Chr. 110 Stärker wirkte sich das neue Nachfragen auf das titulare Bezugsfeld aus. Neben der bereits berichteten Trennung von Messias- und Gottesknechtstradition erwies sich auch eine nur lose mit messianischer Begrifflichkeit verknüpfte eigene Betrachtung der Gottessohntradition als sinnvoll. 111 Desgleichen erfaßte die begriffliche Schärfe die Behandlung der Menschensohntradition. Colpe mochte 1972 die Bezeichnung des Menschensohns als „messianische Gestalt" nur noch im Sinne größter Verallgemeinerung zugestehen: „er ist weder ein König noch ein Priester noch ein Prophet noch ein Gesalbter, und vielleicht ist es nur die historische Nähe seiner Bezeugung zu der des königlichen Messias aus

106

Strauß, Messianisch ohne Messias, Erg. 96 (Zitat). So bei Waschke, Vorstellungen 177 (nach passim); vgl. ders., Messias 328f. 10B Die Behandlungslinie prägte Volz, Jüdische Eschatologie 208f, als er in ungenauer Interpretation von N u m 24,7.17ff; Gen 49,10; Ps 110; D a n 7,13 und Ps 71,17 (je L X X ) eine postulierte Messiashoffnung des hellenistischen Judentums zu belegen suchte. D e r T e n d e n z folgen bei allem Zögern noch van der W o u d e im T h W N T IX, 50lf und Kellermann, Messias 53. Die verstreuten Untersuchungen zu Einzeltexten werden unter 2.1.1.5 berücksichtigt. " " Scharf akzentuiert bei Green, Messiah 2ff. 110 Die Dynamik, mit der Hengel sie im Zusammenhang seiner klassischen Zelotenthese gegen die Hauptquelle Josephus (der den Messiasbegriff seiner Ansicht nach polemisch vermeidet) durchsetzte (Zeloten bes. 296-306), überdauerte die amerikanische Kritik an seiner Sicht der Zeloten: s. Horsley, Messianic Movements passim, allgemeiner G o o d m a n , Judaea 92f nach l l f , 9 0 f f . Für die Forschungsopposition s. z.B. Enslin, Messiah 52ff nach 49. 111 Herausragend ist hier Hengel, Sohn Gottes zu nennen (religionsgeschichtliche Erörterung 35-89): Im zum Urchristentum zeitgenössischen Judentum ist ein titularer Gebrauch von „Gottessohn" f ü r den herrscherlich-hoheitlichen Messias nicht sicher nachweisbar ( a . a . O . 99 nach bes.68-73). 4Q246 ( = 4 Q p s D a n A a ) erweist überhaupt erstmals, daß der Titel im aramäischsprechenden J u d e n t u m Palästinas geläufig war, läßt aber zugleich messianische Begrifflichkeit missen (Fitzmyer, Aramaic and N e w Testament 14f). Näheres unter 2.2.4.1/2. 107

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Davids Stamm gewesen, welche die Anwendung der erweiterten Bedeutung von Messias nahegelegt hat."112 Ab 1968 begann die Hinterfragung des Davidssohntitels. Denn vorneutestamentlich lag in Heilsherrschererwartung auch nach den Qumranfunden nur der eine Beleg in PsSal 17,21 vor, der seit Lohmeyer (1945, 2 1953) unter dem Verdacht stand, nicht mehr als „Herkunftsangabe" zu sein. 113 Und Billerbecks Verweis auf die nachneutestamentliche jüdische Literatur erwies sich als zu global, war er doch nur durch einen talmudischen Belegtext (bSan 97-98) abgedeckt. 114 In der neuen Kritik traten salomonische Bezüge des Titels (s. bes. TestSal 1,7 und in einer Handschrift - 20,1) in den Vordergrund; die Diskussion ist nicht abgeschlossen. 115 Bislang von der kritischen Nachfrage noch nicht erreicht ist allein der Basileus-Titel, dessen messianischer Bezug im Kreuzestitulus von einem breiten Strom der Forschung seit Dahl (1960) angenommen wird, obwohl es sich zunächst um einen realpolitischen Titel handelt. 116 Bei alledem bleibt natürlich möglich, den Messiasbegriff in einem allgemeinen Sinne zu gebrauchen, namentlich wenn man für die Antike von einem nicht analytisch-differenzierenden, sondern kombinierendakkumulativen Denken im Bereich des Mythos ausgeht. 117 Insofern läßt sich weiter von Jesus als einem messianischen Weisheitslehrer, christologisch von einer Präexistenz des Messias etc. reden, wie das in neuen Arbeiten geschieht. 118 Auch gesamtbiblische Integrationsversuche unter

112

Colpe, Der Begriff „Menschensohn" 253. Zum Forschungsgang bis zum Ende der 60er Jahre s. U.B. Müller, Messias 14ff (bei selbst anderer Position), f ü r eine ergänzende (kritische) Spezialskizze der „messianischen" Deutungsgeschichte von Dan 7,13 bis in jüngste Zeit M. Müller, „Menschensohn" 33-38. Von einem neuen Konsens läßt sich freilich nicht sprechen. Etwa erwägt eine Forschungslinie weiter über Vermittlung Johannes des Täufers Einfluß von „Menschensohn-Messias"-Denken auf Jesus (vgl. zuletzt Stuhlmacher, Jesus 27). Auf die jüdischen Texte zur Frage wird unter 2.2.4.2 einzugehen sein (auf äthHen 48 schon unter 2.2.3.2), auf Johannes d . T . am Ende von 2.2.4.1. 113 Lohmeyer, Gottesknecht 67f (Zitat 68). 114 Bill. I 525. Die Lücke einer Davididenerwartung in der Mischna war dabei auch zu seiner Zeit schon bekannt (s. König, Die messianischen Weissagungen 344). Zu knapp geht noch 1970 Burger, Davidssohn (16-24) darüber hinweg. 115 Als wesentlichste Beiträge seien Fisher, Son of David; Berger, Die königlichen Messiastraditionen; Lövestam, Fils de David und Duling, Solomon genannt. Näheres in Ausblick 2. 116 S. bei Dahl, Der gekreuzigte Messias bes.l59ff. Von der Kritik Dahls als spekulativ-deduktiv bei Kim, X P I C T O C (1981) 3-5 ist der Schritt zur Infragestellung der Basileus-Messias-Deutung freilich nicht mehr weit. Sachentscheidung in Ausblick 3 nach 2.1.1.6 und 2.2.4.1/2. 117 Vgl. Hengel, Sohn Gottes 90. 118 Namentlich sei hingewiesen auf Hengel, Jesus als messianischer Lehrer der Weisheit und Schimanowski, Weisheit und Messias.

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dem Leitbegriff Messias bleiben faszinierend. 119 Und doch: was die Untersuchung des Christusbegriffs im engen Sinn angeht, wird die Forschung immer stärker allein auf die Salbungstradition zurückgeworfen. Kim, die sich in der breitesten jüngeren Studie zu unserem Titel 1981 solch enger Rahmensetzung zu stellen versuchte, begegnete herausragend einer Schwierigkeit: Im ältesten, sich um die Sterbeformel (χριστός άπέθανεν ύπέρ ο. ä.) zentrierenden neutestamentlichen Material stieß sie auf eine gegenüber der hoheitlichen Messiastradition irritierende Leidens-Rettungs- statt Herrschafts-Fixierung. 120 Um trotzdem einen Anschluß an herrscherlich-messianische Tradition herzustellen, entwickelte sie in einer eigenwilligen Interpretation von 4 Esr 13,26 (einem ,,Menschen"-Text!) nach 12,34 die These einer religiös-existentiellen Tendenz in der Entwicklung des jüdischen Messiasglaubens. Deren frühneutestamentliches Vorhandensein rekonstruierte sie über die „Retter"( !)-Aussage Rom 11,26b.121 Ihr V o r g e h e n erwies sich n a c h der Kritik d e J o n g e s 1 2 2 b e g r i f f l i c h u n d m e t h o disch nicht durchhaltbar.

Folgt man Kims Lösung nicht, stellt sich angesichts des Zusammenhangs von begriffs- und traditionsgeschichtlicher Grundentscheidung von neuem die Frage: War die forschungsgeschichtliche Zentrierung der Christus-Begriffstradition auf ihre herrscherlich-hoheitliche Komponente sachgemäß, oder verengte, verzerrte sie den Befund?

1.1.3 Die Bestimmung der frühchristlichen Begriffsgeschichte unter dem Einfluß der religionsgeschichtlichen Schule und ihre Problematisierung Nach den Weichenstellungen des 18. und 19. Jh. bildete sich um 1900 verstärkt das Bewußtsein, daß ein messianisches Verständnis jüdischherrscherlicher Konnotate in der Alten Kirche nicht wie nach den bisherigen Entscheidungen gefordert als Wurzel des Gebrauchs von Christus hervortrat. Man reagierte mit der Ansicht, im griechisch-römischen Raum habe nachapostolisch ein semantisch verblaßter Gebrauch von Christus/Jesus Christus als Personenname vorgeherrscht. 123 Bald

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Vgl. bes. Gese, Messias. Kim a.a.O. bes.l27f (nach den Einzeluntersuchungen von 21-125). 121 Ergebnis a.a.O. 190f (nach bes.170-186). 122 de Jonge, Earliest Christian Use 341 Anm. 67. 123 Dokumentiert etwa bei Kattenbusch, Symbol II (1900) 547ff; dort ist diese Entscheidung insofern folgenreich, als Kattenbusch im Symbolum Romanum noch einen se120

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brachte man das philologisch ebenso für Paulus in Anschlag (v. Dobschütz 1909). 124 Parallel erwuchs der religionsgeschichtlichen Schule in Anknüpfung an die und Differenzierung gegenüber der liberalen Theologie die Uberzeugung, „der entscheidende und gar nicht wegzudeutende Einschnitt des Christentums" liege „bei seinem Ubertritt vom palästinensischen auf hellenistisches Gebiet".125 Das führte zu einer folgenreichen Festlegung der Begriffsentwicklung von Christos im Urchristentum. Denn hier schien sich exemplarisch artikulieren zu lassen, daß ein auf dem Boden jüdischer Hoffnungen erwachsener Titel auch nur auf solchem Boden seine Sinnhaftigkeit behielt, daß er dagegen beim Übertritt des Christentums in den hellenistischen Raum verblaßte. 1913/1921 bündelte Bousset das entstehende Bild der „Geschichte des Christusglaubens": Auf den urgemeindlichen Messiasglauben - der sich der Forschungslage der Zeit gemäß näherhin als Messias-MenschensohnGlaube darstellte 126 - folgte mit dem Ubertritt ins Heidenchristentum „schon im paulinischen Zeitalter" der Verlust selbständigen Lebens des Christustitels. Auf hellenistischem Boden unverständlich geworden, wurde er zum Eigennamen, um an Gewicht und Aussagefähigkeit von Kyrios als neuem Titel abgelöst zu werden. 127 Dieses theologiegeschichtliche Bild wurde außerordentlich wirksam. mantisch bewußten Begriffsgebrauch entdeckt (54Iff) und darauf wesentlich dessen (nicht haltbare) Frühdatierung (auf ca. 100) gründet (958f). 124 v. Dobschütz, Thessalonicher-Briefe 60f. 125 Bousset, Kyrios Christos XII (1913). Querlinien zur liberalen Theologie zeigen sich etwa bei einem Blick auf Harnacks zwei Jahre vorher erschienene Act-Studien: Auch dort findet sich das diastatische Argumentationsraster, einem vom Judentum her geprägten Urchristentum mit vollem Messiasbegriff stehe das hellenistische Christentum mit einem bereits bei Paulus entstehenden abgeschliffenen Namensgebrauch von Christos gegenüber (Untersuchungen zur Apostelgeschichte 72ff). Freilich benützt Harnack dieses Argumentationsraster, um damit das hohe Alter der Act mit ihrem titularen Christus-Gebrauch zu erweisen (a. a. O.), während Bousset letzteren vernachlässigt und die Act einschließlich ihrer Reden für eine der Urgemeinde fernstehende lukanische Schöpfung hält (Kyrios Christos 2,80). Zudem ist bei Harnack ein Zusammenhang mit seiner abwertenden Sicht jüdisch geprägten Denkens unübersehbar (s. a.a.O. 33f). 126 S. unter 1.1.2 und vgl. bei Bousset selbst die Studien Die jüdische Apokalyptik, ihre religionsgeschichtliche Herkunft und ihre Bedeutung für das Neue Testament, Berlin 1903, 32ff und Die Religion des Judentums im neutestamentlichen Zeitalter, Berlin 2 1906, bes.255-264,297-308. 127 S. Bousset, Kyrios Christos passim, erstes Zitat Titel, zum urgemeindlichen Messiasglauben Iff, zweites Zitat (Paulus) 77, Übergang zum Kyriostitel 77f. Auf die nach der Erstausgabe dieses Werks ausbrechende Diskussion hin verfaßte Bousset die „Nachträge" J e s u s der Herr" (zum Messiastitel bes.3f,7,15). - Einiges aus dem Umfeld skizziert Gunnar Sinn, Interpretation und Konzeption der paulinischen Christologie in der Theologie Rudolf Bultmanns und deren Voraussetzungen in der religionsgeschichtlichen Schule, Diss. Erlangen 1987 (masch.), 58ff,l 13-120.

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Die hier nicht zu verfolgende Forschung zum Kyriostitel löste sich erst ab dem Ende der 60er Jahre aus seinem Bann,128 und nicht minder bestimmte es die Forschung zum messianischen Verständnis Jesu. Die Auffassung, der urgemeindlich-hoheitliche Messiastitel habe sich ab Paulus zum Namen abgeschliffen, wurde international - um wenigstens paradigmatische jüngere Belege zu nennen - von Taylor 1954 aufgenommen 1 2 9 und prägte noch 1985 Rowlands Darstellung der christlichen Ursprünge. 150

Die weichenstellenden Anfänge der redaktionsgeschichtlichen Forschung zu den Evangelien ließen sich von der Abschleifungsthese beeinflussen, 131 mit der Folge, daß eine Übersichtsdarstellung des neutestamentlichen Christustitelgebrauchs bis heute vor den neutestamentlichen Spätschriften abbrechen kann. 132 Für Paulus vertieften Dahl 1953 und Kramer 1963 sogar das Urteil. 133 Für die Alte Kirche schließlich bündelte Stuiber trotz Irritationen durch den Sprachbefund - etwa die Wortstellung Christus Jesus in der römischen Kirche - den Forschungsstand von 1957 unverändert dahingehend, etwaige Semantisierungen täten „dem [sei. asemantischen] Eigennamen Christus keinen Eintrag".134 128 Noch zögernd bei Stegemann, KYPIOC (bes.376-397), stärker ab Fitzmyer, Hintergrund des Kyriostitels (1975, passim). Bemerkenswert ist die frühe Kritik des genannten v. Dobschütz (Κύριος Ίησοϋς 105f und passim). 129 Taylor, Names 18-22. Taylor versteht sich übrigens als Harnackschüler (a.a.O. Vf), womit sich von neuem Querlinien zur liberalen Schultradition zeigen. 130 Rowland, Christian Origins bes.92-97,179-182,245. 131 So ging für das Mt Strecker, Weg der Gerechtigkeit 126 davon aus, der Christustitel habe dort eine weitere „Depravation zum Namen" erfahren (bei aller Auflockerung weiterwirkend bis Wolfgang Schenk, Die Sprache des Matthäus. Die Text-Konstituenten in ihren makro- und mikrostrukturellen Relationen, Göttingen 1987, 300). Für das Mk vernachlässigte Marxsen, Markus den Christustitel überhaupt und widmete auch Schreiber, Christologie 163f ihm nur wenige Zeilen (er bezeichne „nicht das volle Wesen Jesu": 163). Für Lk/Act schließlich bemerkte Conzelmann, Mitte der Zeit 159 zwar, daß Christos „seinen Titelcharakter [...] weithin gewahrt (oder wiederbekommen)" habe, führte dies aber inhaltlich nicht weiter aus. 132 So Traugott Holtz, Christologische Hoheitstitel, EKL 3 I, 1985, 741-744, hier 742 und ähnlich 10 Jahre früher Hengel, Hoheitstitel 107ff; von vornherein auf die Anfänge der Christologie zugeschnitten sind die Darstellungen Emsts (Anfänge der Christologie 31-39) und Gnilkas (Jesus Christus 61-78). 133 Dahl, Messianität Jesu bei Paulus bes. 88; Kramer, Christos bes. 211 innerhalb 203-214. 134 A. Stuiber, Christusepitheta, RAC III 24-29, hier 25. - Gelegentlich wirkt die These an Schlüsselstellen bis zur Gegenwart weiter, so, wenn Arens' Analyse des Tomus Leonis von 1982 den dortigen Gebrauch von „Christus" mit der Begründung vernachlässigt, dieses sei „ein Bestandteil des Eigennamens geworden" (Tomus an Flavian 171 Anm. 2). Analog liegt, soweit ich feststellen kann, der Sachverhalt bei der Untersuchung des Bekenntnisses von Chalcedon. Selbst Grillmeier, der 1979/1982 wesentliche neue Akzente für die Erfassung von „Christus" als Titel im 2. Jh. setzte (Jesus der Christus 57-72), analysierte das Chalcedonense a. a. O. 759-764 nicht auf eine Fortführung dieser Tradition hin.

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Zu erklären ist diese Wirkung zum einen durch die Einfachheit und logische Konsequenz der Hypothese, zum andern durch ihre Anwendbarkeit bei sich der Forschung aufdrängenden Problemen. So bot sich hier ein vorzügliches Raster zur Erfassung spezifisch judenchristlicher Christologie: Dank der Zuordnung von titularem Bewußtsein und Judenchristentum ließ sich die „Christos"-Tradition der Act-Reden, des Mt und der johanneischen Literatur - bei übrigens auffälliger Vernachlässigung von Jud, Jak und 2 Petr - in die Untersuchung judenchristlichen Messiasdenkens einbeziehen. 135 Von Ps-Clem Ree I 43,lf aus ließ sich schließlich das „Christusbekenntnis" als Konstitutivum des frühkirchlichen Judenchristentums überhaupt in Anschlag bringen. 136 Vor allem aber schien sich auf der Basis des urgemeindlichen H o heits-Messias-Glaubens ein Schlüssel zur Lösung des seit Anfang unseres Jahrhunderts wohl meistdiskutierten christologischen Problems finden zu lassen: Verstand und bekannte der irdische Jesus sich selbst als Messias? Die Diskussion wurde, katholischerseits seit 1907 durch die Sätze 27 und 28 von Pius' X. Antimodernismusurteil (DS 3427f) verhindert, evangelisch ausgetragen. Dort erfuhr sie um die Jahrhundertwende eine doppelte exegetische Eröffnung: Der Alttestamentler Meinhold spitzte 1896 die liberale Annahme eines Bruchs zwischen alttestamentlich-jüdischer Erwartung eines weltlich-herrscherlichen Messias und neutestamentlicher Erfüllung dahin zu, „Christus sei nicht der vom Alten Testament verheißene Messias", denn er biete „eben keine Erfüllung des alttestamentlichen Messiasbildes!" 137 Und der Neutestamentier Wrede Schloß aus seiner Untersuchung der Messiasgeheimnisvorstellung im Mk und der vormarkinischen Tradition (1901), dort wirke eine alte „Anschauung, dass die Auferstehung der Anfang der Messianität ist", nach. Folgerichtig spreche - auch wenn die Frage nicht zum Abschluß zu bringen sei - alles dafür, „dass sich Jesus thatsächlich nicht für den Messias ausgegeben hat."138

Für Bousset galt die Frage bis an sein Lebensende als unentschieden. 139 Aber Bultmann mochte hier keine Entschärfungen mehr zulassen, ordnete 1919/20 das für die Sachentscheidung zentrale Petrusbekenntnis (Mk 8,27-30 par) in seinem überlieferungsgeschichtlichen Kern als österliche Szene ein und summierte: „vor Tod und Auferste-

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Durch Longenecker 1970 (Christology bes.74-82). Wirkend bis Strecker 1980 (Judenchristentum und Gnosis 263, Zitat dort hervorgehoben), allerdings mit zunehmender Auflockerung: Bis ders., Judenchristentum, T R E 17, 1988, 310-325 gilt das Bekenntnis „in verschiedenen christologischen Titeln und Vorstellungen ausgesprochen" (311). 137 Meinhold, Jesus 99 (beide Zitate). 138 Wrede, Messiasgeheimnis 228f nach 219-221 (Zitate 228,229 jeweils hervorgehoben). 139 Bousset, Kyrios Christos 1. 136

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hung ist Jesus weder vom Volk noch von seinen Jüngern als der Messias [...] erkannt worden". 140 Wirkungsvoll bündelte er seine Position, „daß das Leben und Wirken Jesu, gemessen am traditionellen Messiasgedanken, kein messianisches war", nochmals in seiner Theologie des Neuen Testamentes (ab 1948). 141 Aber auch weit über seine Schule hinaus wurde die Auffassung wirksam. In unabhängiger Argumentation kam selbst sein Antipode Stauffer 1956 zu dem Ergebnis: „Jesus hat sich nicht als den Messias bezeichnet. [ . . . ] Der Grund ist klar: Die Messiashoffnung war vor allem die Hoffnung der jüdischen Widerstandsbewegung, die Zukunftshoffnung der politischen Religion. Jesus will mit dieser Messiashoffnung nichts zu schaffen haben."142

Cullmann ging 1957 noch einen Schritt weiter, gab dem Petrusbekenntnis einen Haftpunkt im Wirken Jesu, nahm aber Mk 8,33 hinzu und folgerte, „daß Jesus die Messiasauffassung, welche Petrus hier vertritt [...], als satanische Versuchung betrachtet." 143 Eine schwerwiegende Forschungsaporie entstand: Wie ließ sich der urchristlich-positive Gebrauch des Messiastitels für Jesus erklären, wenn Jesus selbst ihn nicht gebraucht, ja sogar abgelehnt haben sollte? Korrekturen entweder am Bild des urchristlichen Glaubens oder am Bild Jesu waren unausweichlich. 1960 unternahm Dahl die Lösung des Knotens von der Seite des traditionellen Forschungskonsenses aus, also auf der Basis urgemeindlichen Hoheits-Messias-Glaubens, von dem er in zwei Schritten zurückschloß: Da der urgemeindliche Messiasglaube eine Stütze an der Lebensgeschichte Jesu haben müsse - so der erste Schritt -, der zentrale Rang des Messiastitels aber „nicht aus der Verkündigung Jesu erklärt werden kann, bleibt nur die eine Möglichkeit: Der Titel Messias ist deshalb mit dem Namen Jesu unlösbar verbunden worden, weil Jesus als angeblicher Messias verurteilt und gekreuzigt wurde." Dem entspreche es, wenn der Kreuzestitulus einen Königs-Vorwurf erhebe, der sich als Transponierung des Messiastitels erkläre. 144 Der zweite Schritt folgte konsequent: „Die Kreuzesinschrift setzt voraus, daß Jesus vor Pilatus auf Grund von Ansprüchen auf königlich-messianische Würde angeklagt war. Das hat aber wiederum zur Voraussetzung, daß Jesus, vor

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Bultmann, Petrus-Bekenntnis passim, Zitat 166f. Bultmann, Theologie § 4 S.26-34 (Zitat 28 teilweise hervorgehoben). 142 Stauffer, Messias 102. 143 Cullmann, Christologie 123. Vorbereitet ist diese These übrigens bereits bei Stauffer a.a.O. 83, weiterentfaltet wird sie verschieden bei Dinkier, Petrusbekenntnis (1964) und Hahn, Hoheitstitel (1963) 226-230. 144 Soweit Dahl, Der gekreuzigte Messias 159-163, Zitat 163. 141

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die Anklage gestellt, ob er der Messias sein wolle, jedenfalls durch sein Schweigen eingestanden hat, daß dem so sei."145 Eine Problemlösung war gefunden, der sich weite Teile der Forschung anschließen konnten, so gewiß sie deduktiv, nicht analytisch gewonnen war.146 Es entstand eine Gegendynamik zur vorangegangenen Infragestellung des Messiasbewußtseins Jesu, die zwar die kritische Analyse der synoptischen Christos-Perikopen nicht behinderte - diese erreichte mit Fleddermanns nur markinisch-redaktionell orientierter Analyse des Petrusbekenntnisses (Mk 8,27-30) 1978 einen neuen H ö hepunkt 147 -, gleichwohl wieder mit größerer Zuversicht von einem messianischen Wirken und Bewußtsein Jesu zu sprechen erlaubte.148 Auch Dahls Titelstichwort vom „gekreuzigte(n) Messias" wurde gerne aufgegriffen, 149 obwohl es explizit neutestamentlich allenfalls an 1 Kor 1,23 verifiziert werden kann, an einem Text des Paulus also, dem Dahl selbst einige Jahre zuvor lediglich einen (asemantischen) Eigennamen-Gebrauch von Christos konzediert hatte. 150

145 A.a.O. 166f, Zitat 166. - Anders und weniger wirksam als Dahl formulierte Betz 1963 die These eines messianischen Selbstbewußtseins Jesu neu (Frage bes,154[34]-168[48]). 146 Vgl. o. Anm. 116. Bemerkenswert ist in der Frühzeit immerhin die Kritik Hahns a.a.O. 212f Anm. 3 (vgl. u. mit Anm. 182). 147 Fleddermann, Mark 8:29 bes.86-89,177-193. Seine Arbeit stellt gewissermaßen das Gegenstück zu Peschs Versuch einer Ansiedlung des Bekenntnisses im Wirken des irdischen Jesus dar (Messiasbekenntnis, bes.1974, 20-28). 148 Zentrale Neuerarbeitungen des Gesamtsachverhalts fanden dabei (außer den erwähnten Arbeiten) über lange Zeit hin nicht statt (vgl. die Berichte Kümmels, Jesusforschung 333-340,519f). Paradigmatisch für die oft stillschweigende Nachwirkung von Dahls Deduktion seien Kremer, Christus (der bes.28 eine analoge Deduktion ohne Erwähnung Dahls vollzieht), Ernst, Anfänge der Christologie 38 (dito) und Hengel, Sühnetod 15f (mit nachdrücklichem Verweis auf Dahl), vgl.21 genannt. Folge war eine gewisse Annäherung der kritischen Forschungsentwicklung an konservative Positionen, die Moule 1977 - bemerkenswerterweise unter Ausklammerung des Kreuzestitulus-Arguments - eingestand (Origin 31-35; vgl. umgekehrt für das Ringen eines eher konservativen Forschers mit der kritischen Exegesetradition Marshall, Origins 85-91; zum Vergleich beider Berkey, Christological Perspectives 13f). Im übrigen war diese Entwicklung wohl schon in dem Augenblick vorbereitet, als Käsemann 1953 aus der Bultmannschule heraus konzedierte, daß die Kategorie des Messias Jesu Anspruch in jedem Fall gerecht werde (Problem des historischen Jesus 206). 149 In jüngerer Zeit neben Hengel a.a.O. 14ff z.B. von Ruppert, Skandalon (Titel u.ö.). 150 S.o. mit Anm. 133. Manches spricht dafür, daß der Begriff des „gekreuzigten Messias" nicht unmittelbar aus der Exegese gewonnen ist, sondern ein Erbe der dialektischen Theologie darstellt (vgl. z.B. Schlier, Untersuchungen zu den Ignatiusbriefen 81 und Barth, KD II/2, 218, je ohne Bezugnahme auf 1 Kor 1,23). Pesch, Entstehung des Glaubens an die Auferstehung Jesu. Ein neuer Versuch 77 nennt auch einen Beleg D. Fr. Strauß', den zu verifizieren mir aber nicht gelang. Die Vorstellung der Kreuzigung Jesu als Messias/Messiasprätendent ist zuletzt Vorgabe Reimarus' (vgl. o. unter 1.1.1). Führt

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Der neue Forschungsstand strahlte über die Theologie hinaus. Bloch griff in seinen Aufspürungsbemühungen um einen „Atheismus im Christentum" die Position auf, Jesus habe - wenn auch zunächst zögernd schließlich den Messiastitel akzeptiert, und schlug ihn der revolutionär-messianischen Entwicklungslinie zu: „Jesus hat sein Amt nie als abgeschwächtes, nämlich unweltliches aufgefaßt" - anders als Paulus, der um der Heidenmission willen das „Paradoxstück von Wendung" aufgebracht habe, Jesus sei „nicht trotz, sondern wegen des Kreuzes der Messias", ein Paradox, mit dem er die negativ zu beurteilende „Geduld des Kreuzes" begründete. 151 Erheblich schwerer tat sich im Gegenüber dazu die systematischtheologische Reflexion mit der Entwicklung der Exegese.152 Denn die neutestamentlich-traditionsgeschichtliche Basis für das im Begriff „Christologie" festgeschriebene Verständnis der Disziplin als „Lehre vom gesalbten Heilsbringer" wurde schmal und verschob sich, wenn man konzedierte, daß der zu den altkirchlichen Bekenntnissen führende Weg von der hellenistischen Urchristenheit an „Christus nicht als Titel, sondern als Eigenname" benutzte und semantisch nicht auszuwerten sei.153 Ein Aufgeben semantisch-titularen Verständnisses von „Christus" kam aber nicht in Frage, wollte man eine Entleerung der christo-logischen Aussagen vermeiden. 154 Eine Problemreduktion ergab sich, wenn man ganz allgemein das Feld heilsgerichteter Eschatologie als „messianisch" skizzierte. 155 Ansonsten war der verbleibende Traditionskern - die herrscherlich-hoheitliche Messiaskonzeption jüdischer Provenienz samt ihrer Umprägung durch die Leidens-Aufnahme Jesu - als Grundlage der Christologie zu interpretieren. die Begriffsgeschichte also auf ein Ringen um die positive Aufarbeitung von dessen Position zurück? 151 Bloch, Atheismus Titel (erstes Zitat),173,177 (zweites Zitat),220 (drittes, viertes Zitat),224 (letztes Zitat, dort hervorgehoben). 152 Das gilt übrigens für den umgreifenden Kreis der Nachfrage nach Person und Bedeutungjesu überhaupt (vgl. Slenczka, Geschichtlichkeit und Personsein Jesu Christi passim). 155 Vgl. Balz, Christologie 13 (alle Zitate). 154 S. bes. Tillich, Theologie II 107f und Sauter, Christus 329. 155 In eigener Weise ist hier Jürgen Moltmann zu nennen, wenn er ein spezielles „Messiasbewußtsein" Jesu nicht als „Ursprung der Christologie" sehen will (s. bes. Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie, München 1972, 142), so gewiß er vom „Messias Jesus" reden kann (z.B. Schöpfungslehre 231), das Messianische vielmehr als Horizont aller Christustitel setzt (ζ. B. Theologie der H o f f nung. Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie, BEvTh 38, 184) und bes. in die Schöpfungslehre ausstrahlen läßt (Schöpfungslehre 23Iff nach 21ff und 78ff). In letztere Richtung orientiert er auch seine BlochRezeption (z.B. Trinität und Reich Gottes. Zur Gotteslehre, München 1980, 220ff). Erst nach Manuskriptabschluß wurde mir seine weiterführende Studie „Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen", 1989 zugänglich.

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Tillich a k z e n t u i e r t e ihn auf das B r i n g e n d e s „ N e u e ( n ) Sein(s)". 1 5 6 P a n n e n berg b e t o n t e seine der C h r i s t o l o g i e eine breite u n d o f f e n e Basis g e b e n d e „ W e i t e u n d W a n d l u n g s f ä h i g k e i t " , 1 5 7 Sauter s c h l i e ß l i c h d i e mit d e m L e i d e n s haftpunkt verknüpfbare kreuzestheologische Dimension.158

Andererseits eröffneten sich neue Möglichkeiten christlich-jüdischen Gesprächs. Denn weithin konzedierten - und konzedieren - jüdische Jesusforscher einen ins damalige Judentum eingebetteten messianischen Anspruch oder zumindest ein solches Verständnis Jesu durch seine Umgebung. Damit schien sich eine gute Gesprächsbasis abzuzeichnen, auch wenn die jüdischen Gesprächspartner in einem messianischen Anspruch um Jesus keinerlei Gottheitsmomente präjudiziert sehen wollten und kritisch darauf beharrten, die jüdisch erwartete messianische Heilsfülle stünde noch aus.159 Direkt und indirekt ergaben sich Einflüsse auf den Fortgang christlich-theologischer Reflexion. Katholischerseits forderte Frankemölle 1978, entgegen der altkirchlich-dogmatischen Begriffsentleerung seien „die jüdische Messiaserwartung und das damit implizit gegebene Wissen um die Erlösungsbedürftigkeit der Gegenwart [...] als bleibende jüdische Glaubenselemente integrierte bzw. wieder zu integrierende christliche Glaubenselemente beim Bekenntnis zu Jesus als dem Christus." 160 Die Christo-logie, seit alters Differenzpunkt zwischen Judentum und Christentum, erhielt scheinbar integrative Züge. 161 Zwei Jahre danach beschloß evangelischerseits die Rheinische Landessynode ein Bekenntnis „zu Jesus Christus, dem Juden, der als Messias Israels der Retter der Welt ist und die Völker der Welt mit dem Volk Gottes verbindet." 162 Das Verständnis des Christus-Begriffs war als „Messias Israels" gebündelt, in einer von Billerbeck popularisierten, von Vischer nach 1933 für die christliche Aneignung des Alten Testaments benutzten, schließlich von Karl Barth eindringlich reflektierten Formulierung 163 , aber neben Barths dialektischer, Israel als

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Tillich a.a.O. 107. Pannenberg, Christologie 24f, Zitat 25. 158 Sauter a.a.O. bes.333-344. Die für die Diskussion wesentlich gewordene jüdische Jesusforschung seit Montefiore (Enelow, Cohon, Schoeps, Sandmel, Zeitlin, Schonfield, Maccoby, Flusser, Kohler, Ben-Chorin, Lapide, Vermes) berichtet Hagner, Jewish Reclamation 242-252 (313-318 die Quellen); wichtig zu ergänzen ist Katz, Christology. 160 Frankemölle, Messiasglaube passim, Zitat 109. 161 Voranging die das Verhältnis zum Judentum wesentlich entkrampfende Stellungnahme des 2. Vaticanums Nostra Aetate 11, die aber eine Äußerung zur jüdischen Messiaserwartung nach Christus vermied (wie überhaupt das latinisierte Wort „Messias"). 162 Text des Beschlusses in Klappert/Starck, Umkehr und Erneuerung 264-266, Zitat 265 (Punkt 4.3). 163 S. Bill. I 11 u.ö., Vischer, Christuszeugnis I 31 u.ö. und Barth, K D II/2, 218-222. 157

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Heilsvolk zugleich erkennender und in Frage stellender Spitze. Auffällig ist das angesichts des 164 Sachverhalts, daß die Formulierung „Messias Israels"165 ein Korrelat aus neutestamentlicher Zeit in spezifischer jüdischer Tradition aufweist: ^ΧΊ®' Π'Ρϋ erscheint allein außerbiblisch, in den Qumranfunden (lQSa II 14.20 u.ö.), und zwar als Bezeichnung einer dem Priester aaronitischer Herkunft untergeordneten Gestalt, was eine urchristliche Übernahme der Begriffsvorstellung und damit des Begriffs ausschloß. 166 Exemplarisch zeigt sich die Virulenz vertiefter Nachfrage nach dem religionsgeschichtlichen Befund. 167 Allerdings entstehen bei der Bemühung um religions- und theologiegeschichtliche Weiterarbeit erhebliche Komplikationen. Denn die Pfeiler, die die aufgezeigte Forschungsentwicklung bestimmten, die zwei Thesen herrscherlich-jüdisch geprägten Messiasglaubens der Urgemeinde und hellenistischen Verblassens von Christus zum bloßen Namen, zeigen sich bei einer Betrachtung der fortschreitenden Sachanalyse keineswegs fest gegründet. Beginnen wir bei letzterer: Ältere zu Bedeutung gelangte christliche Belege der Begriffskombination „Messias Israels" konnte ich nicht finden. D e r Rheinische Synodalbeschluß k n ü p f t positiv an die Bekennende Kirche an. 164 In die Diskussion noch einzubringenden. - Für die Spannweite der bisherigen Kritik seien die Bonner „Erwägungen zur kirchlichen H a n d r e i c h u n g z u r Erneuerung des Verhältnisses von Christen und J u d e n " ( e p d - D o k u m e n t a t i o n Nr.42/80, 14-17), Luz (Zur Erneuerung passim, zum Stichwort „Messias Israels" 205), Erich Gräßer (mehrere Beiträge und N a c h w o r t S.312-315 in: D e r Alte Bund im Neuen. Exegetische Studien z u r Israelfrage im N e u e n Testament, W U N T 35, Tübingen 1985) und Lapide (Messias Israels, 24Iff mit scharfer Kritik an der christlichen Vorgabe, wer der Messias Israels sei) genannt. 165 Die als religionsgeschichtliche Kategorie zur Erfassung der Christologie ältesten toratreuen Christentums gelegentlich selbst bei Kritikern der Rheinischen Synode (reflektiert) akzeptiert wird, so bei Hübner, „Messias Israels" 232 nach 230ff. 166 In der gesamten von mir darauf durchsehbaren altchristlichen Literatur. Näheres unter 2.2.4.1 u n d am Anfang von 2.2.4.2. Joh 4,22.25 könnte christliche Reflexion aber auf „Messias aus den Juden" weisen. O h n e Berücksichtigung des religionsgeschichtlichen Befundes unternahm Theobald 1981, Paulus eine reflektierte A u f n a h m e der Kategorie des „Messias Israels" zuzuschreiben: Er gebe Rom l,3f dem Juden die Priorität, da „Christus zunächst Messias Israels ist", und universalisiere überbietend erst in einem zweiten Schritt zum H e r r n der Heidenvölker („Dem J u d e n zuerst" bes. 387f, Zitat 388). Mußner, dem Theobalds Beitrag gewidmet ist, spricht vorsichtiger erst in der hermeneutischen Bündelung einer um A n k n ü p f u n g des christlichen Messiasglaubens an jüdisch-messianische Traditionen bemühten Studie von Jesus als dem „verheißene(n) Messias Israels und der Völker" (Messias Jesus 103). 167 Dabei ist die gewisse Entspannung der christlich-jüdischen Diskussion um die Messiasfrage grundsätzlich zu begrüßen. U b e r h a u p t stellt Borowitz, Christologies von jüdischer Position aus ein Schwinden antisemitischer Züge bei den christlichen Systematikern fest (liest daher 185f auch Ruether, Antisemitismus unter diesem Vorzeichen). Den Hintergrund f ü r letzteren V o r g a n g bildet eine breitere Erkenntnis der Einseitigkeit der liberalen Zuspitzung des religionsgeschichtlichen Schemas von A n k n ü p f u n g und Bruch des Christentums gegenüber dem Judentum.

Die Christusbezeichnung in der theologischen Forschung

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Sprünge werden bereits bei Bousset erkennbar. Seine religionsgeschichtliche Position von Kyrios Christos - die scharfe Scheidung zwischen Christentum auf jüdisch-palästinischem und auf hellenistischem Boden - trat in gewisse Spannung zu seiner 1895 im Durchbruchswerk über den „Antichrist" noch vorausgesetzten Kontinuität der Tradierung und Entwicklung eines vorchristlichsemitischen Mythos in die altkirchliche Literatur hinein. 168 Die in den 60er Jahren durchgesetzten Differenzierungen in der Erforschung des Urchristentums, die eine Hellenisierung auch des Judentums anerkennen und für das Urchristentum ein N e b e n - und Nacheinander nicht-bruchhaft aufeinander folgender Traditionsschichten rekonstruieren, geben hier in aller Verschiebung des religionsgeschichtlichen Ansatzes eher Boussets älterer Position recht, 1 " so sehr sie weiterhin einem zu einlinigen Entwicklungsdenken wehren. 170 Bemerkenswert fiel zeitlich mit diesen Differenzierungen die - bislang in Einzeluntersuchungen vorangetriebene - Neuerfassung eines titularen Christos-Gebrauchs in den späteren neutestamentlichen Schriften zusammen:

Die hellenistischen Act zeigten sich - um herausragende Beispiele zu nennen - 1961 als Entwurf eines christlichen Messianismus in Auseinandersetzung mit dem Judentum nach 70. 171 Bis 1972 wurde - gipfelnd in einer nur spanisch veröffentlichten Studie Sabugals - Christos als zentraler Titel des Joh zur Geltung gebracht. 172 Anfang der 80er Jahre

168 S. bes. Antichrist 18f nach 8, als ein Exempel summierender Beiordnung jüdischer und christlicher Mythosentwicklung 122 (politische Anwendung der Sage vom Antichrist). Freilich nicht in der speziellen Sachfrage des Antichrist-Mythos: Hier ist Boussets Argumentation durch den unscharfen Gebrauch des Antichristbegriffs belastet, den er trotz der Erkenntnis seiner erst neutestamentlichen Bildung und schmalen Bezeugung (nur 1 Joh 2,18.22;4,3; 2 Joh 7) - s. Antichrist 86ff - auch dem vorchristlichen Mythos als Integrationspunkt gibt. 170 Die Erkenntnis einer bereits vorneutestamentlichen Hellenisierung des palästinischen Judentums setzte Hengel, Judentum und Hellenismus durch. Die Differenzierung urchristlich-christologischer Traditionsschichten trieben in den 60er Jahren - unter Vermeidung von Kritik an Bousset - Hahn, Hoheitstitel 11 f und Fuller, Foundations (differenzierte Wiederholung in ders./Perkins, Christ 50f Anm. 5) voran. Die Methodendiskussion suchte darauf Balz, Christologie zu bündeln (zur religionsgeschichtlichen Differenzierung des Urchristentums 129-145), auf den Hahn nochmals antwortete (Methodenprobleme; 24 nach 19ff Warnung vor zu einfachen Entfaltungs- und Entwicklungsschematas). Zur expliziten Bousset-Kritik schritt schließlich Hengel 1972 (Christologie 48ff) fort, zugleich das griechisch sprechende Christentum bis in die älteste Jerusalemer Urgemeinde zurückverfolgend (54f). 171 O'Neill, Theology of Acts 119-129, bemerkenswerterweise unter gleichzeitiger Rezeption der bis dato wenig beachteten Begriffsanalyse Moores (vgl. o. mit Anm. 44f). Als Exponent der weitergehenden Lukasforschung sei Jervell, Messias genannt. 172 Ohne daß bislang die Sachfragen abschließend geklärt wären: Sabugal spitzte die Hervorhebung des Christus-Gebrauchs des Joh (nach Vorläufern, ζ. Β. K.H. Rengstorf s.v. im TBLNT II, 31972, 764) einseitig zu, indem er eine ungebrochene Linie von den „Messias"-Vorstellungen des Alten Testaments (incl. Menschensohn, Gottesknecht usw.) über das Urchristentum und die weiteren neutestamentlichen Schriften zum joh Schrift-

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ließ sich vor den Deuteropaulinen keine Namens-Grenze mehr ziehen; für den Eph wurde „das Erbe der jüdischen Messianologie" hervorgehoben. 173 Zugleich wurde der Übergang zwischen Neuem Testament und alter Kirche fließend. Denn nach langdauernder Forschungsstagnation wird seit den 70er Jahren ein semantischer Gebrauch von Christos zumindest für das 2. Jh. zunehmend erschlossen. 174 Die Hypothese eines semantisch abgeschliffenen Namengebrauchs von Christos im Christentum auf hellenistischem Boden kommt in große Schwierigkeiten.175 Nicht minder ist die Hypothese eines anfänglich hoheitlich-herrscherlichen Messiasglaubens der Urgemeinde durch die fortschreitenden Analysen der Forschung betroffen. Das Grunddilemma wird bereits bei Bousset sichtbar: die für die Hypothese aporetische Quellenlage. Denn zwar sei - so Bousset - der Christus-Glaube der Urgemeinde grundsätzlich belegt (durch Mk 8,29 usw.), aber damit über die spezifische Aussage des ältesten Christus-Bekenntnisses „noch wenig gesagt." 176 Die Act-Reden dürften als „fast rein literarische Erzeugnisse von ganz und gar stereotyper N a tur" nicht zu deren Rekonstruktion beigezogen werden. 177 U n d die Evangelien belegten den Davidssohntitel, der eine Stütze herrscherlicher Messianitätsauffassungen bieten könnte, auffällig selten, Mk 12,35ff par sogar noch kritisch. 178 Für den ältesten angenommenen Christus-Glauben - nach dem „Jesus erst der kommende Messias [ . . . ] bzw. der von Gott durch die Auferweckung zum Messias erhöhte" sei - konnte sich Bousset daher lediglich auf Rom 1,3 (genauer

tum postulierte, das den integrativen Gipfelpunkt der ganzen messianischen Traditionsentwicklung darstelle (ΧΡΙΣΤΟΣ 4ff und passim). Deutschsprachig unterblieb eine Auseinandersetzung, legte jüngst Bittner in einer seinerseits diskutierbaren Herausstellung der „messianischen" Christologie des Joh (Zeichen, 1987) den Akzent auf deren Prägung durch die Verheißungstradition von Jes 11 und den Tat-Erweis von Jesu Messianität (Ergebnis bes. 287). 175 Gebündelt bei Mußner, Epheser 22ff (Zitat 23). - Für Paulus selbst werden dagegen die alten Positionen nur zögernd aufgelockert; zum Stand MacRea, Messiah 170ff. 174 S. Grillmeier, Jesus der Christus I 57-72. 175 Dieser Forschungsfortgang spiegelt sich bis in die Lexikographie: Grundmann (1973) in ders. u.a., χρίω κτλ. ging 519 grundsätzlich noch von der Namensverblassung von Christos außerhalb des Judenchristentums aus, Schloß aber bereits eine differenziertere Sacherfassung an (519-576), in der paradoxerweise Jak, Jud und 2 Petr (nicht etwa das Corpus Paulinum oder Lk/Act) zu den Hauptbelegen für die Namensverblassung wurden (560f,570). Hahn, Χριστός (1983) öffnete die Sacherfassung weiter: Unter Modifikation auch seiner eigenen Position von 1963 (Hoheitstitel bes.223) geht er a. a. Ο. 1149 davon aus, selbst bei einem namenartigen Gebrauch von Christos bleibe durchs Neue Testament hindurch „die titulare Bedeutung [...] durchaus erhalten". 176 Bousset, Kyrios Christos 1 vor 3f. 177 A.a.O. 2 unter Begründung der zu Wilckens, Missionsreden führenden Forschungslinie (gegen Harnack: vgl. o. Anm. 125). 178 A.a.O. 3,4f.

Die Christusbezeichnung in der theologischen Forschung

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l,3f: einen Text, der in sich „Christos" nicht enthält!) und Act 2,36 (gegen seinen eigenen quellenkritischen Vorbehalt!) stützen. 179 Folgerichtig lenkte er in der Rekonstruktion zum Aussagekomplex des Menschensohntitels. 1 8 0

Die Quellenproblematik blieb danach lange Zeit unbemerkt. 181 Sie kam erst in dem Augenblick zu Bewußtsein, als Hahn 1963 eine genauere Rekonstruktion der ältesten Christologiegeschichte versuchte und feststellte, „daß die palästinische Urgemeinde anfänglich die Anschauung vom königlichen Messias völlig gemieden" habe, wenn sie und nun bricht wieder das Erbe der herkömmlichen Forschungslinie durch - die Christus-Erhöhungs-Vorstellung auch bald „im Rahmen einer apokalyptischen Gesamtkonzeption aufgenommen" und vielfach mit der Menschensohnerwartung verschmolzen habe. 182 Die von Vielhauer vorgetragene Kritik an Hahn vergrößerte die Lücke des Anfangs, traf gerade Hahns Belege für die angebliche alte Erhöhungsvorstellung (Mk 13,21f.26;14,61f; Act 3,20.21a; Mt 25,31-46; Apk ll,15;12,10;20f) mit „dem Ergebnis, daß sie zwar eine apokalyptische Ausgestaltung des Messiasbegriffs zeigen, aber schon aus chronologischen Gründen nicht das älteste Stadium der Rezeption des Messiasbegriffes repräsentieren können." 183 Zugleich hinterfragte sie den von Hahn in Erweiterung des traditionsgeschichtlichen Materials behaupteten titularen Charakter von Christos in der - dank 1 Kor 15,3b(ff) und weiteren Sterbeformelguts nachweislich vorpaulinischen184 - Christos-Passionstradition. 185 Das leitet zu einer Diskussion, die in den folgenden Jahren zwischen Güttgemanns und Jeremias 186 geführt wurde. Unter der Überlegung, ob 179

A.a.O. 3. A.a.O. 5ff,vgl.34 u.ö. Vgl. auch ders., Jesus der Herr 7, wo er in der Auseinandersetzung die „Mannigfaltigkeit" der messianischen Auffassungen und Titel in der Urgemeinde stärker betont. Als „Hauptthese" hält er daran fest, das zentrale Messiasbild der Urgemeinde sei - auch wenn es daneben andere Bilder gegeben habe - das „des von oben kommenden Menschensohnes" gewesen (a.a.O. hervorgehoben). 181 1951/52 konnte Bultmann den Forschungsstand ohne Beleg und mit gegenüber Bousset sogar undifferenziertem Einbezug des Davidssohntitels bündeln: „In der alten palästinischen Urgemeinde heißt Jesus - man möchte sagen selbstverständlich - der .Messias', d.h. ,der König der Endzeit', und zwar ist er der König der Endzeit als der künftige, der demnächst als König kommen wird. Gleichbedeutend damit ist die Bezeichnung ,Sohn Davids', was [...] ein Titel ist, eben ein Titel des Königs [...]" (Bekenntnis 249). 182 Hahn, Hoheitstitel 189 als Ergebnis des Abschnitts 179-189. 183 Vielhauer, Prüfung der Thesen Hahns 176f (54f). Seine Kritik war sehr wirksam: vgl. ζ. B. Gnilka, Jesus Christus 69f. 184 Das Vorkommen von Christos in altem Sterbeformelgut wurde etwa gleichzeitig zu Hahn (a.a.O. 193-213) genauer von Kramer, Christos 15-40 (bes.22ff) erschlossen. 185 Vielhauer a.a.O. 186 Samt dessen Schülerin I. Plein; gegen diese, Zu E. Güttgemanns wendet sich Güttgemanns, Artikelloses rrpa . 180

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der Sprachgebrauch von 1 Kor 15,3b dem palästinischen Judenchristentum zugeordnet werden könne, behandelte sie zugleich die Frage: Wie ist zu erklären, daß Christos ausgerechnet an dieser zentralen alten Stelle nicht durch den Artikel als Titel gekennzeichnet ist, sondern indeterminiert erscheint? Jeremias suchte die 187 Lösung durchzusetzen, ΠΈΗ sei im jüdischen Sprachgebrauch des neutestamentlichen Palästina bereits artikellos-verdichtet eingebürgert gewesen. 188 Seine Belege konnten Güttgemanns' Kritik aber nicht standhalten. 189 Jeremias mußte konzedieren, daß Joh 4,25 seinen ältesten und zugleich einzigen Beleg bis mindestens Bar Kochba darstellt.190 Obwohl das ein spätneutestamentlich-christlicher Text von fraglich palästinischer Herkunft ist, hielt er an seiner These fest. 191 Die Diskussion brach ab, so daß die angesichts des analytischen Sprachbefunds an sich notwendige Folgefrage, ob im ältesten Sterbeformel-Gut (neben 1 Kor 15,3b noch Rom 5,6.8; 14,15 usw. 192 ) nicht ein vortitular-appellativer Gebrauch von Christos (Gesalbter) vorliege, ausgeblendet blieb.193 Damit ist die Forschungslage auch an dieser Stelle noch - oder wieder - offen. Problematisch bleiben die Versuche, die entstandene irritierende „Unkenntnis über das Verständnis des Messiastitels für Jesus in frühester urchristlicher Zeit" durch einen Rückgriff auf umgebende bekannte „Konstanten" zu überwinden, näherhin „von diesen Konstanten her die möglicherweise unterschiedlichen Messiasverständnisse hypothetisch zu rekonstruieren" 1 ' 4 : Wählt man als Rekonstruktionsrahmen die Entwicklung des Verhältnisses der Gemeinde zu Israel und zum Gesetz, so ist damit doch nur ein sehr allgemeines Beziehungsgefüge gegeben, das begriffsgeschichtlich mit zusätzlichen Fakten gefüllt werden muß. 195 Sucht man solche zusätzlichen Fakten im umgebenden titularen 187

Schon ältere: s. Rengstorf, Auferstehung 129ff. Jeremias, Artikelloses Χριστός passim. Güttgemanns, Χριστός in 1 Kor 15,3b passim. Auch seine Position war nicht neu: s. Dalman, Worte Jesu I 240f. 1.0 S. Güttgemanns a.a.O. 13. Folgen wir der neuen Belegübersicht bei Beyer, Die aramäischen Texte 631, so fehlen palästinische Belege noch übers 2. Jh. hinaus. 1.1 Jeremias, Nochmals: Artikelloses Χριστός passim (zu Joh 4,25 S.218; zu bSan 93b als auf die Bar Kochba-Zeit zurückgeführtem Beleg 216f). 1.2 Eine Belegzusammenstellung auf jüngstem Forschungsstand bietet Kim, XPICTOS 91f. 1.3 Sie ist, soweit ich sehe, bis heute nicht gestellt worden, so gewiß der Streit JeremiasGüttgemanns bewußt blieb (z.B. bei Pokorny, Christologie 52f mit Anm.4 S.53). Eher wurde zur traditionsgeschichtlich gewaltsamen Alternative gegriffen, das vorpaulinischurchristlich irritierende Christos im Formelgut paulinischer Redaktion zuzuschreiben: s. Kloppenborg, 1 Cor 15:3b-5 S.356f. 1.4 Ein methodisch grundsätzlich schon von Hübner, „Messias Israels" (1981) 229 (alle Zitate) eingestandener Sachverhalt. 1.5 Zu Hübner a. a. O. 228-236, dessen methodische Klarheit weiterhin bemerkenswert bleibt. So kennzeichnet er deutlich, daß der von ihm gezeichnete Entwicklungsgang - die aramäische Urgemeinde bringe in die aufgenommene Messiastradition einen soteriologi188

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Feld - also in Querlinien zu Davidssohn-, Gottessohn-, Menschensohn-Aussagen - , so verwischt sich das Spezifikum gerade der Christos-Tradition in diesem Feld, auf dessen Herausarbeitung aber die begriffsgeschichtliche Forschung drängen muß. 1 ' 6 Greift man deshalb wieder auf die Christos-Traditionen der Act-Reden zurück, so ist die seit Bousset auf dem Tische liegende Frage nach dem Alter dieser Traditionen zu stellen. 197

Das durch diese Forschungslage vor einigen Jahren provozierte Eingeständnis „Man kann für die ersten Jahre nur raten"198 bleibt unbefriedigend. Der jüngste Versuch, den Knoten zu zerschlagen - Juel 1988 setzt wieder bei Dahl an, zieht dessen Position im Blick auf die frühe Kirche aus: Nach Dahls historischer Eruierung lasse sich doch das Bekenntnis zu Jesus als gekreuzigtem und auferstandenem Messias-König („Messiah-King") an den Anfang aller christologischen Entwicklung setzen. Vom Exegeten zu leisten sei dessen Entfaltung und Aufweis an der messianischen Exegese der Urchristenheit. 199 Ein solcher entfaltend demonstrierender Weg hat Ausstrahlung. Aber vorliegender Arbeit scheint nach allen aufgezeigten Problemen vorab eine Analyse der philologischen und religionsgeschichtlichen Grundlagen unseres Titels nötig.

sehen Akzent ein, den die hellenistische Urgemeinde universalisiere, an die anschließend Paulus die Universalisierung zunächst gegen Israel wende (im Gal), bevor er im Rom den „Messias auch und gerade als Messias für Israel" herausstelle (Zitat 234) - jedenfalls für die ältesten Stadien nur aus umgebenden Daten rekonstruiert ist (229,230ff). 1.6 S.o. am Ende von 1.1.2. Hier liegt die Problematik von Merkleins Rekonstruktion der Christologie der aramäisch sprechenden Urgemeinde, die er unter Hervorhebung der herrscherlichen Salbungstradition in Verbindung mit der Gottessohn-Titulatur als königlich-messianisch zeichnet, um anschließend die Königsfunktionen als solche des „Menschensohnes" näher zu füllen (Anfänge der Christologie passim). - Eine noch engere Titelverschränkung nahm Pesch (Entstehung des Glaubens an die Auferstehung Jesu. Ein neuer Versuch 89ff) vor, wenn er eine urgemeindliche „Menschensohnmessianologie" unter der Voraussetzung erschloß, die in ihr integrierte frühjüdische Menschensohnerwartung stelle „Transformation und Erweiterung" „der herkömmlichen davidischen Messianologie" dar (erstes Zitat 89, weitere Zitate 90). 1.7 Vgl. o. mit Anm. 177; als Vertreter des Act-Rückgriffs in jüngerer Zeit seien Vermes (Jesus bes.l49ff) und Fuller (in Fuller/Perkins, Christ 44) genannt. 1.8 Hübner a.a.O. 229. Juel, Messianic Exegesis 1-3 (Zitat 2) und passim. Der Weg der Entfaltung erlaubt Juel, seine Durchführung - im einzelnen differenziert - über den Christus-(Messias-)Titel hinaus zu verbreitern.

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1.2 D i e Christusbezeichnung als Titel und N a m e im N e u e n Testament und der Alten Kirche Sucht man nach einem Kriterium, mit dessen Hilfe sich das Feld der zu leistenden begriffsgeschichtlichen Analyse abstecken und begrenzen läßt, so stößt man spätestens seit v. Dobschütz, Harnack und Bousset 1 auf die Unterscheidung zwischen dem Gebrauch von Christos als Titel und als Eigenname. Gegenstand der Untersuchung ist dann der Titel mit seiner Vorgeschichte, während der tendenziell als Asemantem (Nicht-Bedeutungsträger) 2 beurteilte Eigenname aus der semantischen Untersuchung entfällt. Aber wann ist der asemantisierte Eigennamengebrauch erreicht? Stand der älteren Forschung fest, dieser Fall sei auf hellenistischem Boden spätestens bei Paulus eingetreten, so ist diese Bewertung inzwischen - wie dargestellt - weit über Paulus hinaus obsolet geworden, 3 und dies mit philologischem Recht:

1.2.1 Die Appositionsverbindungen von „Christus" mit „Jesus" als Schlüssel der philologischen Analyse 1946 wandte McCasland 4 sich der besonders stereotyp scheinenden Verbindung von Christos mit Jesus in „Jesus Christos" (Rom 1,6.8 usw.) bzw. „Christos Jesus" (Rom 1,1;6,3 usw.) zu und stellte fest, daß gerade hier, wo sich die (Doppel-) Namen-These in herausragender Weise aufzudrängen scheint, kein asemantischer Eigennamensgebrauch von Christos vorliegen kann. Denn die griechisch-römische Sprachpraxis kennt den gleichzeitigen Gebrauch eines Doppelnamens in einer Grundform - in unserem Beispiel Jesus Christos - und deren Inversion - in unserem Beispiel Christos Jesus - nicht. 5 1

S. am Anfang von 1.1.3. Begriff nach Güttgemanns, Artikelloses rrtm 26. S. unter 1.1.3. 4 McCasland, „Christ-Jesus". Die Publikation unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg verhinderte eine größere Wirkung. 5 Entsprechend stereotyp ist im. Neuen Testament - um ein Beispiel McCaslands (a.a.O. 383) aufzugreifen - etwa die Wortfolge bei „Pontios Pilatos" (Mt 27,2; Lk 3,1; Act 4,27; 1 Tim 6,13). Letzteres dokumentiert genauerhin die römische Doppelnamenentstehung durch Verkürzung der spätrepublikanischen fünfteiligen Bürgerbezeichnung (bestehend aus Praenomen, Gentile, Patronym, Tribusbezeichnung und Cognomen) auf zwei Glieder (Gentile, Cognomen) in der frühen Kaiserzeit. Übersichten über die griechisch-römische Namengebung in den von H.Rix verfaßten Art. Personennamen im LAW (Sp.2267-2269) und KP (IV Sp.657-661; Lit.). 2 3

Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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Die zur Entschärfung seit v. Dobschütz 6 vorgetragene These, die Inversion diene zur Auflösung der Undeutlichkeit von Jesus in den obliquen Casus Genitiv und Dativ (jeweils Ίησοϋ), scheitert: Die Inversion ist auch in Nominativ 7 und Akkusativ 8 belegt. Das zahlenmäßige Ubergewicht des Dativs geht weithin auf die Formel έν Χριστφ ΊησοΟ9 zurück, die in ihrem Casus schon durch die Präposition festgelegt ist, daher zur Kennzeichnung des Dativs der Voranstellung von Christos nicht bedarf. Im Genitiv schließlich wird bei Paulus wie weiter im N e u e n Testament nicht d ^ Inversion, sondern die Normalstellung ΊησοΟ ΧριστοΟ bevorzugt. 1 0 Im hellenistischen Osten kam es, nachdem die griechische Tradition nur die Einnamigkeit kannte, aus anderen Wurzeln zur Zweinamigkeit, nämlich durch die sogenannte Mutatio nominis: Beginnend im 3. Jh. v.Chr. in Ägypten, dann breit ausstrahlend, wurden zu den einheimischen Namen zusätzlich griechische - später auch römische - Namen angenommen, die im Falle gleichzeitiger Nennung der Erstnamen im Normalfall durch eine Anfügungskopula (bevorzugt καί, ό καί) als Zweitnamen gekennzeichnet wurden (s. Doer, Namengebung 179-201). Im Neuen Testament dient zur Zweitnamen-Kennzeichnung auch die Formel ό λεγόμενος (für Simon, der Petros „heiße" Mt 4,18; 10,2; für Thomas, der Didymos „heiße" Joh 11,16 u.ö.; für Jesus, der Iustus „heiße" Kol 4,11), sofern der Zweitname nicht gar ausdrücklich durch έπεκλήθη ο. ä. eingeführt wird (wie Act 1,23; vgl. Mk 3,16 u.ö.). Die Verdichtung zum Doppelnamen ist etwa bei „Simon Petros" (Mt 16,16; Lk 5,8 u.ö.) und „Titios Ioustos" Act 18,7 erreicht. Eine Inversion von griechischem bzw. lateinischem Zweitnamen und heimischem Erstnamen findet an keiner Stelle statt. 6 v. Dobschütz, Thessalonicher-Briefe 61. 7 Paulinisch Rom 8,34; deuteropaulinisch 1 Tim 1,15.16;2,5. 8 Paulinisch Gal 4,14 u.ö.; nachpaulinisch Act 24,24 u.ö. ' Mit 47 der insgesamt 48 neutestamentlichen Belege des Dativs (nach McCaslands Zählung a.a.O. 380ff nach den Tabellen 377ff). 10 McCasland zählt a.a.O. neutestamentlich insgesamt 48 gegenüber 102 Belegen, von letzteren 42 in den unumstrittenen Paulinen. Allerdings können sich die Zahlen durch die variae lectiones etwas ändern (vgl. die Zusammenstellung in VKGNT I 1330-1337; Normalwortstellungsbelege dort durch a oder b, Belege der Inversion durch c gekennzeichnet). Kramer, der 1963 unter Unkenntnis McCaslands die These v. Dobschütz' erneuerte (Christos 204-206), erstellte für „Christos Jesus" 204 folgende Belegverteilung in den unumstrittenen Paulinen (wahrscheinliche Belege in Klammern): Nominativ 0 (+1), Genitiv 6 ( + 5), Dativ 0 ( + 0), Akkusativ 1(+ 1). Hinzu kommen an präpositionalen Wendungen mit dem Genitiv 0 ( + 2), mit Dativ 25 ( + 2), mit Akkusativ 0 ( + 3). Demnach ist der Dativ, sehen wir von den präpositionalen Wendungen ab, keineswegs häufiger belegt als der Nominativ (mit Rom 8,34 als wenigstens wahrscheinlichem Beleg), bleibt dem Akkusativ in jedem Falle ein Beleg (Gal 4,14), sticht auch der Genitiv nur dann signifikativ hervor, wenn das Gegenüber der Normalwortstellung unbeachtet bleibt, dem Kramer allein unter den Fällen mit variae lectiones 4 + 3 = 7 sichere ( + 2 wahrscheinliche) Belege zuordnet. Kramers Bündelung des „Gesamtbefund(s) [...], dass Paulus im Nominativ von Jesus Christos' spricht, während er in den casus obliqui .Christos' voranstellt" (205 teilweise hervorgehoben), ist gegenüber seiner eigenen Tabelle ungenau. Wie schwierig im übrigen die textkritischen Entscheidungen sind, zeigt exemplarisch Gal 3,14: Κ und Β bieten dort die Normalstellung selbst im Dativ nach der Präposition έν, wo Paulus sonst die Inversion setzt (s.o.). Zeigt sich auch hier also die Freiheit seines Sprachgebrauchs in puncto Wortstellung, oder ist - wie bei Nestle-Aland 2 ' gegen Nestle 25 - mit p 46 zur Inversion zu korrigieren?

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Damit ist eine Erklärung gefordert, die der Gleichzeitigkeit von Normalwortstellung und Inversion Rechnung trägt. McCasland fand sie im Verständnis von Christos als Appellativ. Denn bei Appellativen ist griechisch-römisch die Wortstellung offen, wie sich bis ins Neue Testament belegen läßt. Mt bietet - als Beispiel der Verbindung eines Namens mit einem durch Artikel hervorgehobenen Appellativ - 2,1.3 unmittelbar nacheinander die Wortstellungen Ήρφδης ό βασιλεύς und ό βασιλεύς Ήρφδης, Lk - als Beispiel der Verbindung eines Namens mit einem artikellosen Appellativ - Καίσαρ Αύγοϋστος (2,1) neben Τιβέριος Καίσαρ (3,1). 11

Grammatisch fällt das Hinzutreten eines Appellativs zu einem Namen oder einem Namensäquivalent unter die Kategorie der Apposition. Tatsächlich erschließt die Appositionssyntax genau das Zusammentreten von Christos und Jesus im ur- und frühchristlichen Sprachgebrauch: Die Apposition wird im allgemeinen nachgestellt, kann jedoch durch Voranstellung stärkeres Gewicht erhalten. 12 Dem entspricht die größere Häufigkeit der Normalstellung Jesus Christos 13 wie das gleichzeitige Vorkommen der Inversion bis weit in die Alte Kirche (z.B. in der bis zum Tomus Leonis zitierten Fassung des Symbolum Romanum/ Apostolicum, man glaube „in Christum Iesum").14 Weiterhin entspricht der Appositionssyntax, daß Christos auch in der Verbindung mit Jesus gelegentlich den Artikel annimmt (in der Inversion Gal 5,24; Eph 3,1; Kol 2,6; in der Normalstellung 1 Clem 42,1; IgnEph 18,2 und in variae lectiones neutestamentlicher Schriften, namentlich bei 1 Kor 3,11; Act 5,42;9,34). 15 Denn die Apposition zu Eigennamen kennt Artikellosigkeit wie Artikelhaftigkeit. 11 Beispiele nach McCasland 382f. Die nachantike orthographische Differenzierung in den Textausgaben zwischen „basileus" (durchwegs Minuskel) und „Kaisar" (in einer Verbindung von Majuskel und Minuskel geschrieben) ist philologisch zu vernachlässigen. 12 Blaß-Debrunner-Rehkopf § 268 Anm. 1. 13 McCasland findet a.a.O. 379 für sie 125 neutestamentliche Belege, a.a.O. 378 für die Inversion 91. 14 Tomus Leonis Z.16; die Apostolicums-Aufnahme an dieser Stelle arbeitet Arens, Tomus an Flavian 171 (nach der Textwiedergabe 170) heraus. Im allgemeinen freilich tritt die Inversionsstellung von den apostolischen Vätern an (dortige - meist formelhafte - Belege von 1 Clem 32,4 bis IgnPhld 11,2 sind über CPA 458-461 auffindbar; einen nominativischen Beleg bietet immerhin Polyk 8,1) im Osten zurück. Das hindert aber nicht, daß sie etwa Origines, c. Celsum prooem.4 nach einem Pauluszitat (aus Rom 8,35-39 in prooem.3) für eigene Artikulationen adaptiert. Als Bindeglied zwischen Ost und West bietet Irenäus die Inversion häufiger (adv.haer. I 10,1;27,4 u.ö.; Belege bei McCasland a.a.O. 378). Im Westen behält sie bis zu den Symbolen von Aquileja und Ravenna hohen Rang (s. A. Stuiber, Christusepitheta, RAC III, 24-29, hier 25 mit noch weiteren Belegen). 15 Hengel, Sprachgebrauch von Χριστός 138 erkennt zwar richtig, daß bei Paulus (außer in variae lectiones) ΊησοΟς ö Χριστός nie belegt ist, übergeht aber den Beleg der artikelhaltigen Inversion in Gal 5,24, der durch 8, Β u. a. (gegen p 4 t ) gut bezeugt ist.

Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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Zu letzterer kommt es namentlich, „wenn eine bekannte Person von andern gleichnamigen unterschieden werden soll".16 Eine solche zusätzliche Hervorhebung des Propriums der Person Jesu gegenüber anderen Trägern dieses Namens, der in neutestamentlicher Zeit häufig war, 17 wurde also gelegentlich noch über das Neue Testament hinaus vollzogen. Und wenn dies nur selten geschah, dann deshalb, weil bereits seit den ältesten Quellen die Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit Jesu feststand. 18 Zur Appositionskonstruktion gibt es wichtige Parallelen: Das Merkmalsyndrom einer Zuordnung von Jesus-Namen und Apposition unter V o r - und Nachstellung, Artikellosigkeit und Artikelhaftigkeit der Apposition wird so im Aussagekomplex über den „Herrn Jesus" bis auf die Variante artikelloser Nachstellung der Apposition vollständig abgedeckt: ό κύριος Ίησοϋς findet sich Act 8,16; 2 Thess 1,7 u.ö., κύριος ΊησοΟς Kol 3,17 u.ö., Ίησοϋς ό κύριος Rom 4,24 u . ö . " Die fehlende Variante des artikellos nachgestellten „Kyrios" tritt zumindest in der Reihung ΊησοΟς Χριστός κύριος 2 Kor 4,5 hervor. 20 Verlassen wir den Namen Jesus, so stellt die Verbindung von θεός - das den in neutestamentlicher Zeit nicht mehr ausgesprochenen Namen Gottes vertritt - mit πατήρ eine besonders signifikante Parallele dar. Denn hier tritt nicht nur eine vergleichbare Bandbreite der Appositionsverbindungen auf - θεός πατήρ Gal 1,1 u.ö.; (εις) θεός ό πατήρ 1 Kor 8,6 (vgl. 2 Thess 2,16); ό πατήρ ό θεός Joh 6,2721 -, sondern steht die Grundform θεός πατήρ an markanten Stellen auch noch in unmittelbarem sprachlichem Zusammenhang mit der Grundform ΊησοΟς Χριστός, namentlich im von Paulus aufgenommenen Christushymnus 16

Blaß-Debrunner-Rehkopf § 268.1. Hinweise zur Verbreitung - allein Josephus kennt 19 verschiedene Träger - und Lit. bei G. Friedrich, Jesus, B H H II, 858f. 18 Den wenigen angeführten Artikel-Verbindungen stehen so allein im Neuen Testament über 200 Verbindungen ohne Artikel gegenüber. Die genaue Zahl hängt an Variantenentscheidungen (s. V K G N T I 1330-1337 Buchstaben a,b,c). " Die Belege sind übers Neue Testament verstreut ausgewählt, um den Sachverhalt für dieses als ganzes zu verifizieren; für die Variantenbreite beim Schlüsselautor Paulus vgl. noch etwa 2 Kor 4,10 und Rom 10,9; 14,14. Für eine Gesamtzusammenstellung der Belege sei auf V K G N T I 707-714 Buchstabe h verwiesen. 20 Wenn dort nicht sogar Χριστός ΊησοΟς κύριος zu lesen ist (nach Β u.a). Die Seltenheit der Nachstellungsvariante erklärt sich aus der urchristlich hier noch stärker als bei Χριστός bevorzugten betonten Voranstellung der Apposition (Belege in V K G N T a. a. O. ; zum Befund bei Paulus vgl. auch Kramer, Christos 215ff nach 149ff). Weitere Titel (z.B. σωτήρ : s. V K G N T I 1240 Buchstabe b) sind mit ΊησοΟς seltener verbunden, so daß sich kein ähnlich signifikanter Befund ergibt. Nicht unmittelbar zum Vergleich heranziehbar sind die zweigliedrigen Titel (Davidssohn, Gottessohn, Menschensohn), da in ihnen eine vom genitivischen zweiten Glied ausgehende innere Determinierung hebräischen Erbes vorliegt oder zumindest vorliegen kann, die auf den Artikelgebrauch bei der Apposition ausstrahlt (s. Blaß-Debrunner-Rehkopf § 268 Anm. 3 nach 5 259). 21 An letzterer Stelle ist die Apposition zusätzlich durch das Verb vom Grundnomen getrennt. Für vollständige Belege sei wieder auf die V K G N T verwiesen (I 1104-1108 Buchstabe b). 17

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Einführung

(Phil 2,11) und im paulinischen Briefpräskript (Gal 1,1; vgl. 1 Thess 1,1), nachpaulinisch weiterhin Eph 6,23; 1 Petr 1,2; Jud 1." Grammatisch weist also alles auf einen bewußt appositioneilen Charakter der Verbindungen von Christos (Gesalbter) mit Jesus im N e u e n Testament und darüber hinaus in weiten Teilen der Alten Kirche hin. Die ältesten überkommenen christlich-aramäischen Inschriften, die den Namen Jesus mit dem Appellativ Gesalbter kombinieren, bestätigen den Sachverhalt noch fünf bis sieben Jahrhunderte nach der Entstehung der neutestamentlichen Schriften. Es handelt sich um eine Inschrift der Kirche von el-Quweisme (bei Amman) um 718 n.Chr. - mit ΚΠ'»» DID' - und eine Inschrift der Kirche von Mird (südöstlich von Jerusalem) aus dem 6.-8. Jh. - mit ΚΠ'&η 010' ma. 2 3 Beide Inschriften führen das griechische Ίησοϋς nicht auf seine hebräische Ursprungswurzel J i r zurück, sondern translitterieren es. Demnach fassen sie es als semantisch nicht mehr in hebräisch-aramäischer Rettungs-Tradition aufschlüsselbares Nomen proprium auf. Anders bei Christos: Hier übersetzen sie ins Aramäische zurück, falls sie nicht gar eine nur durch die schlechte Quellenlage nach Joh 1,41 unsichtbar gewordene christlich-aramäische Titeltradition fortführen. ΚΠ'β» bieten sie näherhin im Status emphaticus, in der Inschrift von Mird sprachlich parallel zu NIM („der Herr"); sie fassen es also wie letzteres als betonte Qualifizierung Jesu auf. Zu übersetzen wäre demnach „Jesus, der Gesalbte" bzw. „der Herr, Jesus, der Gesalbte". So gewiß sich die Wortstellung „Jesus, der Gesalbte" gegenüber der Inversion allein durchgesetzt hat,24 läßt sich nicht von einer Asemantisierung der Gesalbten-(Christus-, Messias-)Apposition sprechen.25

22 Vgl. außerdem 2 Joh 3. Bemerkenswert ist der Befund der Past: In ihrem Briefformular tritt die Inversion „Christos Jesus" neben die Grundform „theos pater" (1 Tim 1,2; 2 Tim 1,2; Tit 1,4). Die Beobachtung der Appositionssyntax in „theos pater"-Verbindungen weitete Delling, Zusammengesetzte Gottes- und Christusbezeichnungen 66f noch auf die θεός και πατήρ-Verbindungen aus. Als Parallele verfolgte er a. a. O. 67ff freilich nicht die Grundverbindung Jesus Christos, sondern lediglich die erweiternde Zusammensetzung von Jesus Christos mit Kyrios. 23 Vollständige Texte der Inschriften bei Beyer, Die aramäischen Texte 402f (ccAM 1), 404 (ccMI 2). 24 Jedenfalls soweit sich dies von zwei Belegen aus sagen läßt. 25 Hinzuweisen ist hier auf einen wesentlichen Unterschied des Sprachgebrauchs unserer Inschriften zu der jüdischen xn'tTO-Namenstradition, die gleichzeitig in Babylonien gepflegt wird (Belege bei Dalman, Worte Jesu I 240f, historisch-lokal großzügiger bei Jeremias, Artikelloses Χριστός [vgl. o. unter 1.1.3 mit Anm. 189f]; Beyer a.a.O. 631 bündelt das jüdische Belegmaterial wieder klar als babylonisch-targumisch, unterscheidet aus lexikographischen Übersichtsinteressen freilich nicht scharf vom Sprachgebrauch der christlichen Belege): In unseren christlich-aramäischen Inschriften vertritt ΚΠ'Ρ» nicht den Namen, sondern tritt zum Namen (Jesus) hinzu, als Apposition eben wie „(der) Herr".

Die Christusbezeichnung als Titel und N a m e

1.2.2 Der übergreifende frühchristlich-altkirchliche „ Christus" sowohl als Titel wie als Name

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Gebrauch von

Der festgestellte ursprüngliche Appositionscharakter von Christos in der Verbindung mit Jesus darf aber nicht gegen eine Verwendung von Christos als Name ausgespielt werden. Charakteristisch für den urchristlich-altkirchlichen Sprachgebrauch ist vielmehr, daß die Appellatiwerbindung Jesus Christos/Christos Jesus (Jesus der Gesalbte/Gesalbter Jesus), der titulare Gebrauch von (der) Christos (Gesalbte) und die Setzung von (der) Christos (Gesalbte) in Vertretung des Eigennamens bzw. die von Jesus Christos/Christos Jesus als eine Art Doppelname weitgehend spannungsfrei nebeneinander bestehen und öfter sogar ineinander übergehen. Um bei Paulus als dem ältesten christlichen Autor zu beginnen, von dem ein größeres Werkcorpus überkam: Bei ihm, der durch die Wortstellungsvariationen von Jesus mit Christos sein appellatives Bewußtsein so deutlich dokumentiert, 26 sind gleichzeitig alle Voraussetzungen für einen Gebrauch von Christos als Eigenname gegeben. Denn Christos ist „immer nur Bezeichnung einer einzigen Person, d.h. Jesu". Nirgendwo findet sich eine prädikative Aussage im Sinne von „Jesus ist der Gesalbte", ebenso an keiner Stelle die Anfügung eines namensprengenden Genitivglieds (etwa θεοϋ, κυρίου aus der Gesalbter-Gottes-Tradition). 27 Mehr noch, (ό) Χριστός vertritt die Stelle des Eigennamens als Satzsubjekt (1 Kor 1,13; 10,4; 11,3 usw.28) wie in den Casus obliqui, 1 Kor 1,12 genitivisch sogar in einer Reihung mit den Eigennamen Paulus, Apollos, Kefas. 29 Mit Jesus rückt es gelegentlich so eng zusammen, daß die artikellose Normalkombination gleichzeitig vor- und nachgestellt expandierte Appositionen an sich ziehen kann (toß υίοϋ αύτοΰ Ίησοϋ Χριστού τοΰ κυρίου ήμων 1 Kor 1,9).30 Und nicht einmal beim alleinigen Gebrauch von Christos ist eine auf philologischen Kriterien aufbauende eindeutige Isolierung titularer Stellen gegenüber solchen mit einer Namensvertretung möglich. Denn die einzige scheinbare Differenzierungsmöglichkeit, die Unterscheidung zwischen Belegen mit dem Artikel und solchen ohne Artikel, ist für unsere Frage nicht aussa26

S.o. unter 1.2.1. Argumente nach Hengel, Sprachgebrauch von Χριστός 137f (Zitate 137, Hervorhebung dort); nur Hengeis zusätzliches Argument, bei Paulus fehle „die appositionelle Form ΊησοΟς ό Χριστός " (138), war Anm. 15 in seinem Gewicht zu relativieren. 28 Weitere Belege außer in der Konkordanz auch bei Kramer, Christos 209 Anm. 730 (209f inhaltlich diskutiert). 29 Vgl. für den Dativ z.B. Röm 14,18, für den Akkusativ z.B. Rom 10,6f (weitere Belege sind über die Konkordanzen auffindbar). 30 Häufiger freilich sind die alleinigen Kombinationen mit κύριος, ό κύριος : s. Hengel a.a.O. 136,138 mit Anm.13 S.150. 27

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Einführung

gekräftig: Zentrale Appellationen (Titel), die den Eigennamen vertreten können und ihm insofern nahekommen, bedürfen im neutestamentlichen Griechisch der Determination durch den Artikel nicht, so gewiß sie diese (wie Christos bei Paulus) häufig vorweisen. 31 Umgekehrt werden Eigennamen - angefangen bei Jesus - immer wieder anaphorisch durch den Artikel hervorgehoben, obwohl sie dieser - griechisch „vulgär" erscheinenden - Zusatzdetermination (wiederum wie Christos bei Paulus) nicht bedürfen. 32 Gerade das Verschwimmen etwaiger Grenzen zwischen Titel und Eigenname kennzeichnet demnach den paulinischen Sprachgebrauch von Christos, und dies bis in die bekannteste Vorkommensstelle eines nominativischen ό Χριστός hinein, Rom 9,5, wo Paulus die Herkunft Christi als des Gesalbten schlechthin aus dem israelitischen Volke beschwört. 33 S c h w i m m e n d ist a u c h die letzte g e l e g e n t l i c h g e n a n n t e 3 4 G r e n z e , die ein C h r i s t o s v o m E i g e n n a m e n a b h e b e n d e s s e m a n t i s c h - a p p e l l a t i v e s B e w u ß t s e i n des P a u l u s d o k u m e n t i e r e : d a ß P a u l u s K y r i o s z u C h r i s t o s nicht w i e z u J e s u s a p p o niere. D i e s s t i m m t i n s o f e r n , als die K u r z v e r b i n d u n g κύριος Χ ρ ι σ τ ό ς bei P a u l u s fehlt; aber R o m 16,18 k o m m t ihr mit τ φ κ υ ρ ί φ ή μ ώ ν Χ ρ ι σ τ φ s o n a h e , d a ß philologisch keine Kluft aufgebaut werden kann.

Eine Generation nach Paulus zeigen sich die Konturen jeweilig onomastischen bzw. appellativ-titularen Sprachgebrauchs schärfer, aber ihr grundsätzlich spannungsfreies Nebeneinander setzt sich fort. Einerseits erscheint so der bei Paulus fehlende eindeutig titulare Prädikationssatz, Jesus sei „der Gesalbte", quer durch die Evangelien (Mk 8,29 par; Joh 11,27 u.ö.). Andererseits finden sich - jedenfalls im Mt, Lk und Joh nach philologischen Kriterien klar onomastische Belegstellen: Mt und Joh verwenden vor Christos gelegentlich die Einführungsformel ό λεγόμενος (Mt 1,16 u.ö.; Joh 4,25), die im Neuen Testament wie außerhalb 31 S. Blaß-Debrunner-Rehkopf § 254 mit den Beispielen θεός, κύριος, διάβολος, σατανας, καΐσαρ (dessen Charakterisierung als „noch halb Eigenname" freilich philologisch merkwürdig ist), εθνη und sogar έκκλησία (1 Kor 14,4); Belege a.a.O. und in den Konkordanzen. 32 Blaß-Debrunner-Rehkopf § 260 (Zitat § 260.1) suchen im übrigen, nach dem vorgetragenen Befund unglücklich, zwischen (der) Christos als „eigentlich Appellativ" und Christos Jesus/Jesus Christos als Eigenname zu unterscheiden. Sie stehen damit im Zusammenhang der breiteren Forschungsbemühungen um Differenzierungskriterien, deren aporetischen Charakter Kramer, Christos (bes.206-211) vorführte (freilich im Bemühen, zugleich einen titularen Gebrauch auszuschließen). 33 Rom 9,5 ist die für titulare Aussagen bei Paulus wohl meisterwogene Stelle, die Stelle auch, bei der sich die Positionen im allgemeinen titelkritischer und titelfavorisierender Forscher am stärksten annähern (vgl. exemplarisch Kramer a.a.O. 210 und Sabugal, ΧΡΙΣΤΟΣ 139). Nach dem vorgetragenen Befund exponiert die Stelle den paulinischen Gesamtsprachgebrauch, stellt sie philologisch keine Exzeption dar (wozu die Forschung auch Kramer und selbst Sabugal a. a. O. - immer wieder neigt). 34 Vgl. Hengel a.a.O. 139 mit Anm. 36 S.153.

Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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als Namenseinführungsformel ausgewiesen ist,35 und Lk bildet die bei Paulus noch fehlende Normalwortstellung der Appositionsverbindung χριστός κύριος mit Christos als Grundglied (Lk 2,11). 36 An keiner Stelle tritt dabei ein etwaiger Gegensatz zwischen N a m e n - und Titelgebrauch auf. Mt 1,16 ist vielmehr in einen 1,1 beginnenden Erzählduktus eingebettet, der Christos ab 1,17 mit dem Artikel versieht und bis 2,4 von „der Messias" ununterscheidbar werden läßt. Lk läßt auf 2,11 in 2,26 die semantisch-titulare Variante (ό) χριστός κυρίου aus der jüdischen Tradition (vgl. PsSal 17,32 u.ö.) folgen. U n d Joh bietet vor 4,25 in 1,41 den ausdrücklichen Hinweis, Christos sei (auch artikellos!) die Übersetzung von „der Messias".

Zu den Beobachtungen fügt sich, wenn sich von dieser Generation an deutliche Vorlieben für je eine Wortstellungsvariante von Jesus Christos ausbilden, ohne daß in den Varianten der philologische Grundcha35

Das matthäische „Jesus, der (griechisch) Christos heißt" (1,16;27,17.22) findet so im selben Evangelium eine unmittelbare namensstrukturelle Parallele in „Simon, der (griechisch) Petros heißt" (Mt 4,18;vgl.l0,2), das johanneische „(der) Messias kommt, der (griechisch) Christos heißt" sogar eine mit dem Jesusnamen: „der Mensch, der Jesus heißt" (Joh 9,11). Weitere wichtige Belege des Neuen Testaments für die nameneinführende „legomenos"-Formel waren schon o. in Anm. 5 zu zitieren; vollständig sind sie in VKGNT I 724-735 Buchstabe g erfaßt. Außerhalb des Neuen Testaments ist der Sachverhalt dank Concordance to Flavius Josephus III 16-24 für Josephus gut erschlossen: Er variiert unsere „legomenos"-Formel gern, etwa indem er sie nachstellt (z.B. ant. 13,370) und erweitert (z.B. ant. 13,10 und ant. 1,38), bietet aber ebenso - wie Mt 1,16 usw. - die Zwischenstellung zwischen den Namen (z.B. Ap. 2,48). Nahtlos reiht sich in letzteres der berühmteste Josephusbeleg ein, ant. 20,200 mit 'Ιησούς ό λεγόμενος Χριστός. Er ist daher für unser Christos nicht eigentlich Reflex noch onomastisch zurückhaltenden jüdisch-vorchristlichen Sprachgebrauchs (anders z.B. P. Winter in Schürer, History I 431). Da Josephus, der bei anderen Personen namens Jesus die Patronyme aramäisch-hebräischer Tradition setzt - Belege Concordance to Flavius Josephus Suppl.60f -, an unserer Stelle beim griechischen Zweitnamen bleibt, geht er näherhin von einer Mutatio nominis im Sinne der Anm. 5 besprochenen Tradition aus. Die Knappheit seiner Aussage - er kommentiert Christos nicht - drückt seine Distanz zu Jesus ihm an dieser Stelle genügend aus; das von der Forschung gern gelesene (vgl. Wolfgang A. Bienert, NTApo 51, 1987, 387) „der sogenannte Christus" schwingt nur untergründig, nicht philologisch explizit, mit. Den Sachverhalt sprach übrigens bereits Dalman, Worte Jesu I 248 an. Nicht unproblematisch differenzieren die geläufigen Bibeleditionen die Schreibung von Ίησοϋς (mit anfänglicher Majuskel) und χριστός (Minuskel) in den „legomenos"-Verbindungen gegenüber der Antike. 36 Diese Textlesart (deren Minuskelschreibung wieder als nachantik zu vernachlässigen ist) ist aufgrund der Bezeugung - die v.l. κυρίου bieten erst lateinische Codices des 7. Jh., die den Appositionscharakter von Kyrios nicht tangierende Inversion nur W und syrische Übersetzungen - zu belassen (s. schon Dalman a.a.O. 249). v. Dobschütz, Κύριος Ίησοϋς 116 Anm. 1 machte auf die sprachliche Verbindungslinie nicht nur zum späteren 2 Clem - mit Χριστός, ό κύριος 9,5 -, sondern auch schon zu den OdSal - mit der κύριε Χριστέ-Anrede 17,15 und verwandten Formulierungen 29,6;39,10 - aufmerksam. Zur Diskussion nach diesen Weichenstellungen s. die Kommentare.

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rakter von Christos als Apposition zu Jesus verlorenginge: Die Normalwortstellung dominiert weithin (bei Mt; Mk; Joh; 2 Thess; 1/2 Petr; Jak; Jud; nachneutestamentlich in 1 Clem; Ign; Polyk; 2 Clem), aber die Inversion verschwindet keineswegs (dominant ist sie in der zweiten Generation in den Past, wenigstens weiter vorhanden in der dritten Generation in 1 Clem; Ign; Polyk). 37 Während deshalb die Stereotypisierung (seit spätestens 2 Thess 1,1 u.ö.; 38 Mk 1,1; Mt 1,1) nahelegt, vom „Doppelnamen" Jesus Christos zu sprechen, spricht der philologische Appositionscharakter für einen semantischen Gebrauch von Christos in allen Verbindungen. 39 Der unentschiedene - oder besser gleichzeitige - Sachverhalt setzt sich tief in die Alte Kirche hinein fort. So nehmen - um wenigstens Beispiele zu nennen - die Ps-Clem nicht nur die Anabathmoi Jacobi mit ihrer titularen Vertiefung von Christos zum „Christus aeternus" (Ree I 43;44,2;53,4)40 auf, sondern in einem Beisatz der Homilien ebenso die Simon (Magus) zugesprochene, aber später nicht korrigierte - Aussage, Jesus würde bei den Christen Christus heißen (Horn XVIII 4,5).41 Tertullian, der wegen seiner Berufung auf den appellativen Charakter von Christus gegen Praxeas (adv. Prax. 28,1-8) schon zu zitieren war,42 spricht in der Wiedergabe der Glaubensregel am Eingang dieser Schrift ganz selbstverständlich davon, daß der Sohn Gottes den Namen Jesus Christus trage (er sei „cognominatum Iesum Christum" 2,1).43 Und selbst Laktanz, der in seiner Gottes-Unterweisung altkirchlich - soweit ich sehen kann - am härtesten einschärft, daß im Unterschied zur menschlichen Bezeichnung Jesus „Christus non proprium nomen est, sed nuneupatio" (für ihn feierliche Benennung näherhin von Macht und Königsherrschaft: div.inst. IV 7,4), vollzieht eine solche Unterscheidung von Jesus und Christus in der Kurzfassung des Unterrichts nicht, ordnet dort vielmehr beide Nomina als „vocabula" - (Ruf-)Namen - gleich, mit denen man den Gottessohn näherhin aufgrund seines 37 Für die Einzelbelege der Wortstellungsvarianten sei auf die Konkordanzen (VKGNT I 1330-1337 Buchstaben a-c; CPA 458-461) verwiesen; auf die wichtigsten und den Gesamtverhalt war o. unter 1.2.1 schon einzugehen. 38 2 Thess bindet „Christos" in 9 der insgesamt 10 Belege nachgestellt an „Jesus" an (s. V K G N T I 1335) und wird dadurch der markanteste Zeuge des Neuen Testaments für die Normalverbindung Jesus Christus. 39 Selbst 2 Thess löst „der Christos" einmal aus der Verbindung mit Jesus" (3,5; vgl. die v.l. 2,2) und verrät dadurch sein Wissen um den Appositionscharakter. 40 Dazu Strecker, Pseudoklementinen 234,243. 41 Simon tut τοϋ Ίησοϋ τοϋ καθ' ύμας λεγομένου Χριστοϋ Erwähnung, bedient sich also zur Namenseinführung der o. mit Anm. 35 (nach Anm. 5) besprochenen „legomenos"-Formel. 42 O. unter 1.1.1 mit Anm. 6. 43 Darauf wird am Ende von 1.2.3 zurückzukommen sein.

Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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Retter- und seines Königseins feierlich benenne („nuncupare" hier auf beides bezogen: inst.epit. 37,9). Als Schlußpunkt diene das Chalcedonense, das einerseits in Stichon 3 und 24 (vgl. 26) das stereotypisierte „Jesus Christos" aufweist, dem Titel eigenen Charakters (κύριος, θεός usw.) nicht nach-, sondern vorangestellt werden, andererseits in Stichon 16 Christos (Gesalbter) von Jesus löst und am Anfang einer ausschließlichen Titelreihe (ενα και τον αυτόν Χριστόν υίόν κύριον μονογενή)44 bietet. Es bleibt also: Im Neuen Testament und der Alten Kirche ist Christos/Christus als Name wie als Titel aktualisierbar. Wie ist das zu erklären? 1.2.3 Die Erklärung des Befundes im sprachlichen Zusammenhang von Name und Titel Der Befund - Christus sowohl Name als auch Titel - , der systematisch-theologischem Sprachempfinden entgegenkommt, 45 dagegen von der neutestamentlich-altkirchlichen Forschungsentwicklung nach v. Dobschütz und Bousset her irritieren mag, läßt sich linguistisch-onomastisch ohne Schwierigkeit erklären. Denn das Nomen proprium hängt sprachlich eng mit dem Nomen appellativum zusammen. Geht man von einer Gliederung der Nomina in Konkreta und Abstrakta aus, so ist das Proprium nämlich nicht isoliert - als Ausprägung des Konkretum - dem Appellativum - als Ausprägung des Abstraktum - entgegenzusetzen, sondern ist eine Verbindungslinie zu ziehen: Ein Abstraktum wird individuell bezogen zum Appellativum und dieses in einer zunächst bedeutungserhaltenden Konventionalisierung zum Namen. Nur sekundär kann der Name semantisch verblassen, muß dies aber nicht. 46 Zur Verdeutlichung sei ein deutsches Beispiel erlaubt (sit venia exemplo!): Findet die Berufsbezeichnung „Müller" (Gattungs-Abstraktum) im Einzugsbereich einer einzelnen Mühle individuelle Anwendung auf deren Betreiber, so wird sie für diesen zum Appellativum. Verfestigt sich dieses Appellativum schließlich im Umkreis dieses einen Müllers zu seiner individuellen Bezeichnung, so geht es ins Nomen proprium Müller über. Vom Appellativum trennt sich dieses Nomen proprium aber erst, wenn es, etwa im Generationenwechsel, 44 Wieder darf die nachantike Majuskel-Minuskel-Differenzierung (der Ausgabe ACO II 1,2 p,129f) nicht irritieren. Die Stichen-Angabe folgt I. Ortiz de Urbina (vgl. Grillmeier, Jesus der Christus 754f); in A C O II 1,2 finden sich die angeführten Sachverhalte einerseits 129,24 und 130,lf, andererseits 129,30. 45 Vgl. o. unter 1.1.3 bei Anm. 152ff. 46 Vgl. zur Definition des Appellativums Blaß-Debrunner-Rehkopf § 252 Anm. 1, zum Gesamtschema Debus, Onomastik 187.

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Einführung

auf Personen übertragen wird, auf die das Abstraktum - die Berufsbezeichnung - nicht mehr anwendbar ist.

Im kulturgeschichtlichen Umfeld des entstehenden Christentums waren Namensbildungsprozesse dieser Art in breitem Umfang im Gange. Denn von Ägypten bis Rom herrschte aufgrund eines ausgeprägten semantischen Namensinteresses die Praxis, dem ererbten und dadurch im appellativen Ursprungscharakter oft verblaßten Namen einen semantisch aussagekräftigen Zweitnamen appellativen Wertes beizugesellen und ersteren tendenziell dadurch zu ersetzen. Wir nennen die bewußten Namensetzungen: Die hellenistischen Herrscher liebten, in einem eigenen Namen ihren besonderen Charakter - etwa als Wohltäter („Euergetes"), ja sogar als Gott („Theos") - herauszustellen. 47 Die der hellenistischen, später römischen Herrschaft untergebene Bevölkerung paßte sich dem griechischen, später ergänzend lateinischen Sprachsuperstrat (der in der Herrschaftsstruktur überlegenen Sprache) durch die Ausbildung von zusätzlichen, in diesen Sprachen verständlichen Namen an. Die „mutatio nominis" entstand, die im neugewählten Namen zugleich eine ideale (Selbst-)Charakterisierung des Namensträgers erlaubte (bei Juden und Gottesfürchtigen etwa als „gerecht": vgl. die Iusti von Act 1,23; 18,7; Kol 4,11). Von der römischen Obrigkeit wurde die Mutatio nominis für den Fall eines Eintritts ins Heer zwingend vorgeschrieben. Immer wieder führte sie zur völligen Verdrängung des ursprünglichen Namens. 48 Innerrömisch schließlich ergänzte und ver-

47 Nur zwei Beispiele aus Josephus seien hier genannt: Πτολεμαίος, ό λεγόμενος Εύεργέτης Αρ. 2,48 und Άντίοχος... ό παρά τοις "Ελλησιν Θεός λεγόμενος ant. 12,125. Josephus verwendet in beiden Fällen die „legomenos"-Nameneinführungsformel (s.o. mit Anm. 35 nach Anm. 5), geht also davon aus, daß der appellative Zweitname auch allein als Nomen proprium verwendet wurde (im zweiten, für jüdische Ohren blasphemischen, Fall bei den Griechen). Eine Bestätigung bieten die in die LXX aufgenommenen jüdisch-griechischen Schriften: Der Enkel-Editor von Sir spricht in seinem prooem. (27) von Euergetes für den Ptolemäer dieses „Namens"; 2 Makk 10,13 setzt einfaches Eupator für den Seleukiden Antiochos mit diesem „Namen" (nach 10,9); vgl. weiterhin 2 Makk 4,21. 48 S. Doer, Namengebung bes.l80ff. - Bemerkenswert dringt die Verdrängung einheimischer palästinischer Namengebung durch einen griechischen Neunamen auch in die hohepriesterliche Familie Hannas' ein: Neben seiner Tochter, die Kajafas heiratete, hatte er fünf Söhne, die Hoherpriester wurden. Vier von ihnen sind uns mit ihren heimischen Namen überliefert (Eleazar, Jonatan, Mattias, Ananus/Hanan), einer lediglich mit dem griechischen (Neu-)Namen Theophilos (Josephus, ant. 18,123f). Dank der Inschrift auf dem Ossuar seiner Enkeltochter Yehohanah (ed. D. Barag/D. Flusser, The Ossuary of Yehohanah Granddaughter of the High Priest Theophilus, IEJ 36, 1986, 39-44) wissen wir, daß jener diesen Namen sogar in der Verbindung mit der Hohepriesterbezeichnung hebräischer Tradition durchsetzte, denn dort lautet die Namen-Titel-Verbindung, das griechische „Gottesfreund" transkribierend: VfJH jron ΟΊ^ΟΠ. Zum neutestamentlichen Befund vgl. schon o. Anm. 5. Im Sinne einer Mutatio nominis wurde im griechischen Christentum offenbar bald auch „Petros" verstanden, das sich ab

Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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d r ä n g t e als dritte a n z u f ü h r e n d e E r s c h e i n u n g ab d e r s p ä t e n R e p u b l i k das aus A p p e l l a t i v e n n e u e n t w i c k e l t e C o g n o m e n als I n d i v i d u a l n a m e d a s altererbte P r a e n o m e n . 4 9 In all d i e s e n Fällen k o n n t e n d o p p e l g l i e d r i g e 5 0 N a m e n s r e i h u n g e n e n t s t e h e n ( ζ . B. P t o l e m a i o s E u e r g e t e s , S i m o n P e t r o s , P o n t i u s Pilatus), aber s p r a c h p r a g m a t i s c h s e t z t e s i c h im K o n t e x t d e s g r i e c h i s c h - r ö m i s c h e n S u perstaats in der R e g e l d a s s e m a n t i s c h n e u g e b i l d e t e G l i e d a l l e i n s t e h e n d d u r c h ( ζ . B. E u e r g e t e s , P e t r o s / P e t r u s , P i l a t u s ) . 5 1 D a n k s e i n e r appellativ e n H e r k u n f t w a r d i e s e s a u c h f ü r e i n e n G e b r a u c h als T i t e l o f f e n . So stark war das semantische Namensbewußtsein um die Zeitenwende ausgebildet, daß Caius Octavius Thurinus (geb. 63 v.Chr.) im Laufe seines Herrschaftsaufstiegs in Rom sukzessive alle Glieder seines auf eine nicht sehr vornehme Familie (die Octavier) weisenden Namens ersetzte: Nach der Adoption durch den Julier Caesar (44 v.Chr.) benannte er sich in Gentile und Filiation nach diesem, nach der Konsekration Caesars (42 v.Chr.) theophor erweitert C(aius) Julius Caesar 52 Divi f(ilius). U m 38 v.Chr. schied er das semantisch nicht mehr aussagekräftige Praenomen Caius aus, um an seine Stelle ein bis dato nicht als N a m e verwendetes Appellativ höchsten militärischen Ranges zu setzen, Imperator (was ihn nicht daran hinderte, Imperator zusätzlich als Titel zu beanspruchen). 53 27 v.Chr. schließlich nahm er als neues, gleichfalls vorgängerloses Cognomen Augustus an, dadurch den historisch-religiösen Mythos eines Mehrers von Rom als Stadt und Reich evozierend. Als Imperator Caesar Divi filius Augustus - so das Namensbild mit Praenomen, fortgebildeter Gentil-Filiation und Cognomen - , kurzhin Augustus, ging er in die Geschichtsschreibung ab dem 1.Jh. n.Chr. ein. 54 D i e N a m e n w e r d u n g v o n C h r i s t u s f ü g t sich als a p p e l l a t i v - p r o p r i a l e B i l d u n g in d i e s e n Z u s a m m e n h a n g , sticht aber - w e n n w i r auf d i e Erstellung des B e f u n d e s z u den Varianten des „ D o p p e l n a m e n s " Jesus Chriden Evangelien beherrschend für Simon durchsetzte (zur Belegverteilung R. Pesch, Πέτρος κτλ., EWNT III, 193-201, bes.194). 49 S. H. Rix, Personennamen, KP IV, 657-661, hier 660. Seine Beispiele reichen von „Wunschnamen" wie Felix bis zu Spitznamen wie Pansa („Plattfuß"); die Idealisierungstendenz ist also weniger ausgeprägt als bei der Mutatio nominis. 50 Im Falle aramäischen Sprachsubstrats aufgrund der dort gleichzeitig fortgeführten Pflege des Patronyms auch dreigliedrige: ζ. B. Josef-Barsabbas-Justus Act 1,23. 51 An Belegen ist nach den bisherigen Verweisen nur alleinstehendes Pilatos nachzutragen: Josephus, bell. 2, 169.171 u.ö. 52 „Caesar" steht bereits an dieser Stelle am Ubergang vom Cognomen der julischen Familie zum Titel: Als Filiationsangabe hätte es (s. Rix a. a. O. 659,660) im Genitiv stehen müssen (Caesaris filius). Bis zur Abfassung des Lk hat es sich dann als Titel voll durchgesetzt (s.o. unter 1.2.1 bei Anm. 11). Der Vorgang ist insofern onomastisch von besonderem Interesse, als er das Gegenstück zur Bildung eines Eigennamens aus einem Appellativum, nämlich die Entstehung eines Appellativums aus einem Eigennamen, dokumentiert (dazu Debus, Onomastik 187). 53 CIL 11, 367: „Imp. Caesar Divi f. Augustus [...] Imp. XX". 54 Vgl. Cancik, Christus Imperator 113-115.

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stus zurückblicken - zugleich aus ihm hervor. D e n n alle g e n a n n t e n zeitgenössischen N a m e n s e t z u n g s m u s t e r führen z u einer s t e r e o t y p - e i n heitlichen N a m e n s f o l g e , die ihrem offiziellen o d e r zumindest halboffiziellen C h a r a k t e r im g r i e c h i s c h - r ö m i s c h e n K u l t u r r a u m entspricht: D e r neu gesetzte N a m e wird, ob es sich u m eine H e r r s c h e r a t t r i b u i e r u n g , ein N o m e n m u t a t u m o d e r ein lateinisches C o g n o m e n handelt, im Falle ein e r V e r b i n d u n g mit d e m ererbten o d e r heimischen N a m e n stets n a c h gestellt. Diese Stereotypisierung setzte sich j e d o c h f ü r die V e r b i n d u n g v o n Jesus mit C h r i s t o s / C h r i s t u s w e d e r im N e u e n T e s t a m e n t n o c h in d e r Alten K i r c h e d u r c h . 5 5 Das ist um so bemerkenswerter, als sich für das späte 1. Jh. ein Einfluß des Mutatio nominis-Rasters auf einreine Autoren nachweisen läßt: Nach diesem Muster gestaltet Josephus seine Erwähnung Jesu in der Nachricht über das Jakobusmartyrium, indem er dem jüdisch herkömmlichen Namen Jesus unkommentiert mit der Namenseinführungsformel das griechische Christos beifügt (ant. 20,200). 5 6 Und Mt paßt seine Darstellung im Blick auf die Verhandlung des Prozesses Jesu vor der römischen Obrigkeit dem hellenistisch-römischen Sprachsuperstrat mit seiner Mutatio nominis an, läßt Pilatus deshalb 27,17.22 offiziell den hebräisch-aramäischen und den griechischen Namen nebeneinander nennen (ΊησοΟς ό λεγόμενος Χριστός wie bei Josephus). In den Augen des Mt ist diese Sprachregelung korrekt, wird sie schon zu Beginn des Evangeliums eingeführt (1,16). 57 Aber auch später findet sich die der Mutatio nominis-Erklärung widersprechende Inversion Christus Jesus. 58 Selbst die christliche Überarbeitung des Josephus akzeptiert die Mutatio nominisFormulierung nur in ant. 20,200, biegt vorab ant. 18,63 auf die rein titulare Aussage Ίησοΰς... ό Χριστός οδτος ήν hin.59 Die zur Mutatio nominis alternativen Namensetzungsraster der Herrscher-

S.o., neben vorliegendem Abschnitt bes. 1.2.1 mit Anm. 5. S. Anm. 35. 57 Vgl. o. mit Anm. 35; entsprechend bietet M t stets nur die Normalform des Doppelnamens Jesus Christus (1,1.18; 16,21 v.l.). 58 Z . B . IgnMagn 8,2; Polyk 8,1. Weiteres unter 1.2.1 und 1.2.2 bei Anm. 37. " Dabei kann offenbleiben, ob ant. 18,63 (im sogenannten Testimonium Flavianum) ganz christlich formuliert oder nur christlich überarbeitet ist. Als bibliographische Ubersichten über die neu entbrannte Debatte sei auf Feldman, Josephus 6 8 0 - 6 9 1 , 9 5 8 und Wolfgang A. Bienert, N T A p o 5 1, 1987, 387f verwiesen (hält letzterer bei Josephus auch eine neutrale Behandlung des Christentums für möglich, so bietet dazu ein Gegenstück ohne Schwerpunkt auf unserer Stelle - Andre Paul, Flavius Josephus' .Antiquities of the Jews': an Anti-Christian Manifesto, N T S 31, 1985, 4 7 3 - 4 8 0 ) . Mit geringen christlichen Eingriffen kommt Ernst Bammel, Zum Testimonium Flavianum (Jos Ant 18,63-64), in: Josephus-Studien [ . . . ] . FS O t t o Michel, hg. v. O . Betz u.a., Göttingen 1974, 9 - 2 2 aus (im zitierten Christos-Passus sei nur ijv ergänzt, ohne das „die Wendung einen spöttischen, ironischen Klang" habe: 19). Ganz christliche Schöpfung vertritt zuletzt J . Neville Birdsail, T h e Continuing Enigma o f Josephus's Testimony about Jesus, B J R L 67, 1985, 6 0 8 - 6 2 2 . Interessant ist, daß der T e x t wie ant. 20,200 bis zur Endgestalt keinen spezifisch herrschaftlichen Akzent um den Christustitel setzt. 55

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Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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selbstattribuierung und der lateinischen Cognomenbildung werden neutestamentlich nicht zur Deutung des „Christos"-Befundes herangezogen. 6 0

Damit müssen wir die genannten Namenieizwngiraster einen kleinen, freilich gewichtigen Schritt verlassen, um den erhobenen Befund einer lang währenden Aktualisierbarkeit von Christus sowohl als Name als auch als Titel zu erklären: Wir können nicht von einer Namensetzung in einem einmaligen, stereotypisierende Verbindlichkeit schaffenden Akt ausgehen, sondern finden eine fließende onomastische Verdichtung des Appellativs vor, die dessen weitere Anwendung in semantisch-titularem Sinn erlaubte. Diese Vorgangsvariante ist linguistisch die einer volkstümlichen, nicht oder nur wenig gelenkten Namensentstehung. 61 Auch dafür gibt es religionsgeschichtliche Beispiele. So dürfte hierher die von Hengel angeführte Verdichtung des Appellativums „marnä" („Herr") zum Namen des Stadtgotts von Gaza in hellenistischer Zeit gehören. 6 2 Dichter ins Umfeld des Vorgangs zu Christos führt die Entwicklung der Kyrios-Attribuierung Jesu. Sie bietet sogar die um Christos beobachtete Variabilität, das Nebeneinander von titularer und onomastischer Zuspitzung sowie gelegentliches sprachpragmatisches Übergehen beider ineinander: Die Konkretisierung des sprachlichen Abstraktums „Herr" - dessen religionsgeschichtlichen Hintergründen hier nicht nachzugehen ist63 - zum Appellativum mit klarer

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Die sprachkulturellen Gründe liegen auf der Hand: Die Cognomensetzung war ein spezifisch römischer, in der Entstehung an die lateinische Sprache gebundener Brauch (wichtigste Lit. neben der genannten: Iiro Kajanto, The Latin Cognomina, Commentationes humanarum litterarum 36,2, Helsinki 1965). Die Verbindung Jesus Christus" war ihr schon aufgrund ihrer unlateinischen Bilingualität nicht zuzuordnen. Auch als Tertullian das Cognomenraster, soweit ich sehe, erstmals anzuwenden versuchte, faßte er (onomastisch schon problematisch) daher nur die Gesamtbezeichnung „Iesus Christus" als Cognomen für den „Filius" auf (adv.Prax. 2,1; vgl. am Ende dieses Abschnitts), v. Dobschütz (Thessalonicher-Briefe 61) überging das allerdings und brachte in die neuere Forschung die Auffassung ein, Christos stelle in der Verbindung mit Jesus ein Cognomen dar (nachwirkend bis Hahn, Χριστός 1149 und Hengel, Sprachgebrauch von Χριστός 139). Die Herrscherattribuierung war gleichfalls an das Sprachsuperstrat gebunden. Für die Christologie wird erst nachneutestamentlich eine ihrer Entwicklungen interesssant: In Rom stereotypisierte sich bis Marc Aurel die Herrscherattribuierung „imperator Caesar", und zwar dem Eigennamen vorangestellt (s. J. Bleicken, Imperator, KP II, 1377-1381, hier 1380). Tertullian bildete dazu das christliche Gegenstück „Christus imperator" (nicht: „imperator Christus"; de fuga 10,1). Christus wirkt, von der staatlichen Parallele her gesehen, titular, erhält aber aufgrund der Inversion zugleich den Charakter des von einem Titel gefolgten Namens; also: der christlich geglaubte Gesalbte heißt Imperator und ist Imperator. Weiteres bei Peterson, Christus als Imperator bes.75ff und Cancik, Christus Imperator bes.119-122. 61 Vgl. allg. die Hinweise - mit Lit. - bei Debus, Onomastik 196. 62 Hengel, Christologie 56f (bes. Anm. 43 und 46). 6J Linguistisch gesehen, dient die religionsgeschichtliche Nachfrage der Klärung, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Prozeß das sprachliche Abstraktum „Herr" speziell zum auf Jesus bezogenen Appellativum wurde, füllt also den hier behandelten lin-

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Einführung

Tendenz zu titularer Verdichtung findet sich ab dem von Paulus zitierten Grundbekenntnis κύριος Ίησοϋς (1 Kor 12,3; R o m 10,9), die personale Verdichtung zum semantisch gefüllten Namen - im Anschluß an den Namen Gottes herausragend im Hymnus Phil 2,11 (ονομα 2,9 explizit). 64 Paulus gebraucht Kyrios sodann o f t zwischen N a m e n und Titel schwebend. Immer wieder setzt er es als Satzsubjekt, läßt es in Formeln und gelegentlich sogar im nicht-formelhaften Casus obliquus die Stelle einnehmen, die er anderweitig Christos bzw. Jesus gibt (vgl. z.B. σύν κυρίφ 1 Thess 4,17 mit σύν Ίησοΰ 2 Kor 4,14 und συν Χριστφ Phil 1,23; τω κυρίφ δουλεύετε Rom 12,11 mit δουλεύων τφ Χριστφ Rom 14,18). 65 Nach Paulus läßt sich auch bei Lk, der Kyrios mit Vorliebe titular verwendet, 66 eine ähnliche Schwebeformulierung ausmachen (έν τφ ονόματι τοϋ κυρίου Act 9,28 nach έν τφ ονόματι τοϋ Ίησοδ 9,27). N o c h in der Alten Kirche bleibt Kyrios als N a m e aktualisierbar (Ps-Clem Horn XVIII 4,3), 67 so gewiß sich mit der Zeit der von Anfang an dominante titulare Gebrauch 68 allein durchsetzt. 69

guistischen Grundvorgang. Exponenten der Spezialforschung waren in Anm. 128 zu 1.1 zu nennen. 64 Zur Exegese der Einzelstellen sei auf die Kommentare verwiesen. Das genaue Alter von Kyrios-Bekenntnis und Philipper-Hymnus kann hier offenbleiben (Schenk, Philipperbriefe 336 möchte letzteren als erst philippisches Produkt beurteilen). Die Verbindung von „onoma..." Phil 2,9 mit „Kyrios" 2,11 ist Gemeingut der Forschung (s. neben den Kommentaren z.B. Hofius, Christushymnus 51 u.ö.). „Onoma" weist aber im Griechischen eine klare Linie zur Bezeichnung des Nomens proprium auf (s. δνομα I, III bei Liddell-Scott 1232). Nur in semantisch-onomastischer Vermittlung, nicht direkt, läßt sich daher Kyrios 2,11 als „Rangbezeichnung", „Titel" (Stegemann, KYPIOC 400,401) deuten. Die Irritationen lösen sich bei Beachtung des semantischen Charakters von Namen in der Antike. 65 Weitere Parallelbelege (z.B. mit έν) sind über VKGNT I s.v. Ίησοϋς, κύριος, Χριστός auffindbar. Auf die Analogie des Sprachbefunds zwischen Kyrios und Christos machte schon Hengel, Sprachgebrauch von Χριστός bes. 139 mit Anm. 36 S.153 aufmerksam, ohne sie noch wie hier vorgetragen auszuwerten. 66 Aus der Lit. zum lukanischen Sachverhalt seien nur D.L. Jones, The Title Kyrios in Luke-Acts, SBL Seminar Papers 1974 II (ed. G. MacRea), 85-101 und Gerhard Schneider, Gott und Christus als κύριος nach der Apostelgeschichte (1980), in: ders., Lukas, Theologe der Heilsgeschichte. Aufsätze zum lukanischen Doppelwerk, Bonn 1985 (BBB 59), 213-226 genannt. 67 In Simons Wendung τφ αύτοΟ υίφ τφ και,κυρίφ' λεγομενφ mit der onomastischen „legomenos"-Formel; der Beleg ist insofern bemerkenswert, als ihm fast unmittelbar (4,5) die o. Anm. 41 zitierte analog onomastische Einführung von Christos folgt. " Der auch in den o. bei Anm. 17 besprochenen Varianten der Appositionswortstellung hervortritt. " Das Chalcedonense etwa gebraucht Kyrios nur als Titel (Stichon 3 u.ö.; zur Textangabe vgl. o. Anm. 44). Es liegt nahe, für die Erklärung der Entwicklung ein durch Hans v. Campenhausen anderweitig (nämlich für das Fehlen von Kyrios in frühaltkirchlichen Bekenntnisformulierungen) beigebrachtes Argument aufzugreifen: Es gab in der heidnischen Welt zu viele Kyrioi, in deren Reihe der Kyrios schlechthin dann hätte eingefügt werden können (Der Herrentitel Jesu und das urchristliche Bekenntnis, 1975, in: ders., Urchristliches und Altkirchliches. Vorträge und Aufsätze, Tübingen 1979, 273-277, hier 273f).

Die Christusbezeichnung als Titel und N a m e

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An dieser Stelle gewinnen Jeremias' Beobachtungen zur jüdischen Sprachgeschichte von Messias ihre Bedeutung: Ab dem 2./3.Jh. 7 ° wird jüdisch das Appellativ Gesalbter (Gottes o. ä.) immer wieder so stark individuell verdichtet, daß es gleichzeitig den Eigennamen der erwarteten Heilsgestalt vertreten kann; das artikellose, unemphatische Π'®» verbreitet sich.71 Aber eine sozialrechtliche Durchsetzung von Messias als Eigenname findet auch hier nicht statt; weiterhin können zugleich verschiedene Namen des erwarteten Gesalbten erwogen werden (so bSan 98b).72 Linguistisch stellt dies die nächste Parallele zu unserem Christos-Vorgang dar. Sprachgeschichtlich freilich vollzog sich die Entwicklung nach allen vorhandenen Daten nach der Ablösung des Christentums vom Judentum. Daher sind der jüdische Gebrauch von Messias und der christliche Gebrauch von Christus als titularer Name nicht gleichzusetzen. Der sprachgeschichtliche Befund läßt sich nunmehr ordnen: Den linguistischen Daten nach entstand titulares wie onomastisches Christos nicht in einer einmaligen Setzung, sei es durch Jesus oder durch eine normative Instanz des frühen Christentums. Vielmehr verdichtete sich hier im nicht oder nur wenig gelenkten Sprachgebrauch der Gemeinden sukzessive die Beziehung des Abstraktums „Gesalbter" auf die eine Person Jesu. Linguistisch läßt diese Verdichtung eine Anfangsstufe erwarten, in der das Abstraktum „Gesalbter" zum Appellativum diente, ohne noch die spezifische Verfestigung eines entfalteten Hoheitstitels oder die Individualität eines Personennamens zu zeigen. Diese Stufe - „Gesalbter" ist verdichtete, aber noch nicht eindeutig determinierte Prädikation schien bei der Besprechung der Forschungsgeschichte für das älteste Christos-Formelgut um den Kern der Sterbeformel auf. Das dortige Fehlen einer Determination von Christos erklärt sich an dieser Stelle.73 Bis zur Abfassung der Paulusbriefe wird - das zeigen die weiteren Daten - die Frühstufe um einen beträchtlichen Schritt überwunden; ein Stadium fließenden Ubergangs des Appellativums („der Gesalbte") zum Nomen proprium wird erreicht. Eine Generation später treten in den Evangelien die Konturen von Namen- und Titelgebrauch stärker hervor, doch weiterhin sind beide nicht gegeneinander ausspielbar. Ein sprachgeschichtlicher Abschluß, der grundsätzlich in der einen 70 Jeremias' Frühdatierung des Vorgangs ließ sich nicht halten: s.o. unter 1.1.3 mit Anm. 188ff. 71 Belege bei Jeremias, Artikelloses Χριστός und ders., Nochmals: Artikelloses Χριστός, jeweils passim. 72 Weitere Hinweise auf rabbinische Namen-Erwägungen für den Messias bietet Goldberg, Namen des Messias passim. 75 S.o. unter 1.1.3 (bei Anm. 187).

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Einführung

oder anderen Richtung entschiede, bleibt aus, und dies auch in der Alten Kirche. Allenfalls läßt sich um 200 insofern noch einmal von einem Einschnitt sprechen, als nun - bei Tertullian - eine souveräne Handhabung des linguistischen Befunds beginnt, die die onomastische wie die titulare Komponente als klassifizierbaren Fundus voraussetzt. .Jesus Christus" wird dabei insgesamt als Cognomen des Sohnes Gottes bestimmt, .Jesus" in dieser Verbindung näherhin als Proprium, „Christus"als appellatives Accidens (adv.Prax. 2 in Verbindung mit 28,l-8). 74 Der einfache Charakter dieser Klassifizierung, der ihr etwas Bestechendes gibt, darf freilich nicht über ihre Grenzen hinwegtäuschen: Die nichtlateinisch-bilingue Doppelbezeichnung Jesus Christus ist dem lateinischen, eingliedrigen Cognomengebrauch nur onomastisch gewaltsam zuzuordnen, und nicht einmal Tertullian. scheut sich, „Christus" im bewußten onomastisch-titularen Spiel auch allein zur Vertretung des Eigennamens zu setzen (so de fuga 10,1).75 Der Einschnitt bei Tertullian betrifft also nur eine neue linguistisch-onomastische Bewußtheit, bringt aber nicht die Durchsetzung einer das sprachsystematische Feld verbindlich abdeckenden Lösung. Die Ambivalenz des Befundes bleibt, läßt etwa Laktanz „Christus" einerseits als „vocabulum" - wie „Jesus" -, andererseits als „nuncupatio" - im Gegensatz zu ,Jesus" - klassifizieren.76 Ortlich scheint sogar - wenn Perlers Deutung der Inschrift 18 des Baptisteriums von Dura Europos (zwischen 232 und 256) zu folgen ist - die Umkehrung möglich gewesen zu sein: „Christus" als Nomen proprium und „Jesus" als dazu apponiertes Appellativum zu setzen (in der Beschwörungsformel Τον Χ(ριστό)ν - spatium - Ί(ησοΟ)ν ύμΐν = „Bei Christus, eurem Heiland"). 77

1.2.4 Die semantische Prägung von „Christus" auch als Name und ihr Kontext in der antiken Namenskultur Wenden wir uns noch einmal dem Namen zu: Christos(-us) konventionalisierte sich nicht einlinig, sondern in den Varianten Christos(-us), Jesus Christos(-us) und Christos(-us) Jesus. Alle drei Konventionalisierungen begannen in neutestamentlicher Zeit: Christos finden wir, wie gezeigt, bereits bei Paulus in Vertretung des Namens. 78 Je74

Vgl. o. in Anm. 6 zu 1.1 und 1.2 bei Anm. 42. Vgl. Anm. 60. 76 S.o. am Ende von 1.2.2. 77 Perler, Inschriften 176 (Text der Inschrift), Erläuterung 185 (mit dem deutschen Zitat). Perlers Argumentation (185) scheint stichhaltig: Das Pronomen steht nach dem Spatium und im eigentlichen Dativ, wie er für Retter-/Rettungsaussagen kennzeichnend ist (vgl. z.B. Tit 2,11 und - der Aussage der Inschrift bes. nahe - Athanasius, Sermo maior de fide 2, PG 26, 1276); und „Jesus" war dank Mt 1,21 in seiner Etymologie als Retterbezeichnung altkirchlich bekannt (bis Athanasius a.a.O.; vgl. dazu auch die weiteren Hinweise unter 1.2.4 mit Anm. 98f). 78 S.o. unter 1.2.2. 75

Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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sus Christos setzte sich am stärksten in dem durch 2 Thess bezeugten paulinischen Gemeindestrang durch, verbreitete sich aber als appositioneile Normalverbindung von Christos mit Jesus zugleich über die ganze Weite der neutestamentlichen Spätschriften. 79 Christos Jesus schließlich wurde durch die Past favorisiert, erhielt aber auch im Kol und Eph den Vorzug. 8 0 Alle drei Konventionalisierungen blieben sodann die ganze Alte Kirche hindurch lebendig. Christos(-us), das auch die nichtchristlichen Autoren ab Tacitus und Plinius d.J. setzten, 81 wurde so - um jeweils in die Spätantike hinabzugehen - von Augustin bevorzugt, 82 Christus Jesus in den altlateinischen, 83 Jesus Christos in den ökumenischen Bekenntnisformulierungen. 84

Nehmen wir hinzu, daß als Nomen proprium zugleich Jesus bewußt blieb,85 dann ergibt sich eine auch für eine volkstümliche Namenentwicklung bemerkenswerte Variationsbreite. Um sie und zugleich die urchristlich-altkirchliche Fortführung von Christus als Titel voll zur Geltung bringen zu können, ist das unter 1.2.3 eingeführte und schon erstmals präzisierte onomastische Grundschema als ganzes in komplexer Weise zu füllen: Der Seite des Konkretum/Nomen proprium sind die vier Sprachvarianten zuzuordnen, die sich aus dem Zusammentreffen eines neu konventionalisierten Nomen proprium (Christus) mit einem bereits vorgegebenen (Jesus) ergeben. Der Seite des Abstraktums verbleibt der Hoheitstitel „der Gesalbte" (Christos/Christus), der als Wort mit der Propriumsvariante Christos/Christus zusammenfällt (s. Abbildung S.66). Dieses komplexe Erscheinungsbild ist, so gewiß sich Vorlieben ausbilden, nicht durch eine räumliche oder zeitliche Differenzierung der Varianten aufzulösen. 86 Es wird aber verständlich, sobald man für die " S.o. unter 1.2.2 mit Anm. 37f. 80 Laut VKGNT I 1334-1336 führen der Kol fünfmal, der Eph elfmal, die Past 23mal die Inversion, dagegen nur einmal (Kol), siebenmal (Eph) und sechsmal (Past) die Normalwortstellung. 81 Tacitus, ann. 15, 44,3; Plinius min., ep. 10, 96,5ff. 82 Z.B. in seiner christologischen Zentralformel „Una persona est Christus Deus et homo" (in Joh.Ev. tract. 27,4 u. ö.; Belegliste bei van Bavel, Christologie 24 Anm. 38). 83 S.o. unter 1.2.1 mit Anm. 14. 84 S.o. am Ende von 1.2.2 zum Chalcedonense; vgl. schon die Eröffnungszeile des christologischen Teils im Nicänum. Hausherr, Noms du Christ 36-119 listet die altkirchliche Verteilung der Namenvarianten nach Texten bzw. Textgruppen auf, verzichtet aber zur Bewältigung der Fülle des Materials oft auf Stellenangaben. 85 Beherrschend als menschengesetzter Name (Laktanz, div.inst. IV 7,4: „Iesus quippe inter homines nominatur"). In der Volksfrömmigkeit spielte das alleinstehende Jesus im allgemeinen eine geringere Rolle, wie Hausherr a.a.O. 82-86 eruierte. Aber eine feste Regel gibt es auch da nicht: Die von Hausherr noch nicht berücksichtigten Dura-Europos-Inschriften sind Dokumente einer Christus-/ei«s-Volksfrömmigkeit (s. am Ende von 1.2.3). 86 Um den genannten Daten noch ein markantes Beispiel zuzufügen, finden sich bei Augustin allein in einem Kapitel von civ. Dei (17,4) drei der Namensvarianten - das be-

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Einführung Konkretum: Einzelperson

Abstraktum: „Gesalbter" überindividuell

Individualbezeichnung (Nomen proprium) in erster Namensetzung: Jesus

Konkretisierung im Appellativum: „Gesalbter" gleichzeitig individuell bezogen |

ι

Konventionalisierung als Individualbezeichnung Zusammentreffen der Namensetzung Jesus und der Konventionalisierung Christus Fortführung von JESUS als Propri-

Verbindung von Jesus mit Christus als Proprium: | JESUS CHRISTUS

Semantisch verdichtete Fortführung des Appellativs als H o heitstitel („der Gesalbte schlechthin"): CHRISTUS als Titel

Gebrauch von CHRISTUS als Proprium

CHRISTUS JESUS

frühe Christenheit auch beim Namengebrauch ein hohes semantisches Bewußtsein in Rechnung stellt: Das fortdauernde Nebeneinander der Varianten Christos(-us) Jesus und Jesus Christos(-us) erklärt sich dann sehr einfach als semantisch-onomastische Fortführung der beiden Appositionswortstellungen, in denen sich das Appellativum „Gesalbter"/„der Gesalbte" dem Grundnomen Jesus verbinden konnte. 87 Die phonetisch-graphische Identität des alleinstehenden Christos(-us) in der Verwendung als Name und als Titel enthüllt sich als durch die gemeinsame semantische Basis im Appellativ „der Gesalbte" bedingt, ein Sachverhalt, der seine letzte Bestätigung darin findet, daß „Christus" ohne weiteres lateinisch als „unctus" verstanden werden konnte (s. z.B. Hieronymus, ep. 65, 13,7). Mit anderen Worten, die Varianten Jesus Christus/Christus Jesus/Christus stellen sich insofern als Namensvarianten dar, als sie der Identifikation ein- und derselben Person dienen und sich in dieser Funktion konventionalisieren. 88 Aber sie verlieren in diesem Konventionalisierungsvorgang nicht die Kraft, die identifizierte

vorzugte „Christus", daneben „Christus Jesus" und Jesus" - , denen das Folgekapitel (17,5) die vierte Variante - J e s u s Christus" - hinzufügt. 87 S. schon die grammatische Analyse o. unter 1.2.1. 88 Vgl. die Diskussion der Namenfunktion bei Debus, Onomastik 194 nach 187.

Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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Person zugleich in ihrer Einzigartigkeit unter Belebung von Christos (der Gesalbte) als Appellativum zu charakterisieren. Dieser Sachverhalt ist deshalb zu betonen, weil sich im 20. Jh. weithin die Auffassung ausgebildet hat, eine Eigennamenwerdung bedeute nicht nur eine Konventionalisierung, sondern zugleich einen Bedeutungsschwund des ursprünglichen Appellativums, 89 eine Auffassung, die für die Antike erheblich modifiziert werden muß. Denn es gab zwar Fälle, in denen der Name zum - wenn man so will - „bloßen Namen" verblaßte, auch damals. 90 Aber diese Fälle beherrschten die onomastische Entwicklung in den uns interessierenden Jahrhunderten des späten Hellenismus und der römischen Kaiserzeit nicht, sondern stießen dort auf eine überaus kräftige Gegenströmung, die von der Repräsentanz der Person durch den Namen ausging. 91 Der Name identifizierte die Person demnach durch eine Evokation ihrer besonderen Züge und Fähigkeiten. 92 Schon der ererbte, dem Kind gegebene N a m e konnte daher semantisch aktualisiert werden, wie Mt dies 1,21 für den Namen Jesus vorführt. 93 In noch höherem Maße galt dies für die Namensneubildungen. 9 4

Die Einzigartigkeit eines Namens, wie sie bei Christos(-us) vorliegt, bedeutete keine Behinderung seiner Aussagefähigkeit, sondern umgekehrt deren individuelle Steigerung. Das war schon am Beispiel des Caius Octavius mit seiner Aneignung von Imperator als Praenomen und Augustus als Cognomen aufzuzeigen, 9 5 läßt sich aber ebenso christlich beobachten: Wie Christos ist Petros vorneutestamentlich 89 Mehr freilich im Allgemeinbewußtsein als in der theoretischen Onomastik: s. Debus a.a.O. 193 vor 194 (Lit.). 90 Das hervorstechendste Beispiel in unserem Zusammenhang stellen die am Ende von 1.2.1 besprochenen aramäischen Inschriften dar (s. aber u. Anm. 103). Parallel konnte ονομα gelegentlich die Bedeutung „Name und nichts sonst" annehmen (s. Liddell-Scott s.v. 1232). " „Onoma" kann so auch für Person stehen, im Neuen Testament sowohl beim hellenistisch verwurzelten Lukas (Act 1,15) wie in der von semitischem Erbe zehrenden Apk (3,4; vgl.l 1,13). Liddell-Scott nennen 1232 s.v. IV 2 weitere griechische Belege. A.S. van der Woude, a® , THAT II, 935-963 (bes.937ff,947ff) bietet einen Überblick über den hebräisch-vorderorientalischen Vorstellungshintergrund (Lit.). 92 Eine besondere Nuance erhält dies im vorderorientalischen Raum, der von alters her die wirkkräftige Namenverwendung kennt (van der Woude a.a.O. 947ff nach 938). Dort machen sich Exorzisten des 1. Jh. diese Tradition zu eigen, treiben Dämonen unter Nennung der Namen von exorzistisch besonders wirksam geltenden Personen aus, wie Josephus für einen Salomo-Exorzisten berichtet (ant. 8, 45-49) und das Neue Testament für einen sich des Namens Jesu bedienenden Exorzisten reflektiert (Mk 9,38ff par). 93 Mit einem Vorläufer in Sir 46,1. Zum neutestamentlichen Zusammenhang allg. L. Hartman, δνομα, EWNT II, 1268-1277, hier bes.l269f. 94 S.o. unter 1.2.3. 95 S.o. unter 1.2.3 mit der Anm. 53 angegebenen Lit.

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Einführung

nicht als N a m e belegt." Die „Fels"-Bezeichnung konnte daher als singulare Auszeichnung Petri verstanden werden, worauf sich etwa Leo der Große um der Bekräftigung der Vormacht des römischen Bischofsstuhles willen vorzüglich zu berufen verstand. 97

Für die Bemühungen, den personalen Sinn eines Namens zu finden, stellten Sprachgrenzen keine Hindernisse dar. Denn der etymologische Ursprungskern eines Namens ließ sich weitertradieren, ja der Name sich sogar bedeutungsgemäß in die neue Sprache transponieren, ein Sachverhalt, der uns christlich wiederum weit über das genannte Beispiel Christus-Unctus hinaus bezeugt ist. So begegnen uns für Jesus gleich die beiden Varianten etymologischer Erläuterung („Jesus" bedeute σωτήρ , „salvator")' 8 und direkter Ersetzung des semitischen Namens durch das griechische Äquivalent: Jesusgut wird PapOxyrh VIII 1081,27 zu Σωτήρ-Erzählgut." Auch konnte man den vorfindlichen Namen der eigenen Volkssprache integrieren und in dieser neue Etymologien bilden, ein Vorgang, der uns für Petrus nicht nur lateinisch begegnet - w o man ein „paratus in omni re" (der in jeder Hinsicht Wohlgerüstete) mithörte - , sondern weiterhin aramäisch - in der D e u tung auf naiD (Befreier, sei. vom Gesetz). 100

Bei Christus blieb näherhin auch lateinisch die griechische Provenienz ausgeprägt bewußt. Noch eine lateinische Handschrift des Neuen Testaments aus dem 4.-5. Jh. schreibt so „Christi" χρι und „Christo" χρο. 101 Eine lateinische Etymologie größerer Relevanz entsteht nicht. W o man zusätzliche Nuancen erschließen will, bedient man sich statt dessen des Wortspiels.

" S. Lampe, Petrusname 228 (der im folgenden - 238ff - eine interessante Theorie zur Genese des Petrusnamens als Art Spitzname im Sinne von „Stein", „Klumpen" entwikkelt). " Leo d. Gr., serm. 3 und 4; weitere Belege für das hohe Gewicht der Petros-PetraEtymologie von Origenes bis zu den Akten des Chalcedonense (ACO 2.1.2 p.29.16) PGL, πέτρα 3e (S.1079). ,β Ζ. B. Irenaus, adv.haer. II 24,2: „Iesus ... graeco vocabulo soter"; weitere Beispiele (von Justin, I apol. 33,7f bis Athanasius, Ar. 4,36) im PGL 1386f (s.v.) und bei Perler, Inschriften 185 (vgl. o. Anm. 77). Kattenbusch, Symbol II 561 weiß für Kyrill von Jerusalem sogar von einer doppelten etymologischen Erläuterung des ,Jesus"-Namens zu berichten: durch σωτήρ (cat.myst. X 12) und ϊώμενος (helfender Heiler von Seele, Leib, Geist: a.a.O. 13). " Weitere Belege von Justin, dial. 8,2 bis Athanasius, Ar. 2,8 im PGL a. a. O. 100 S. Lampe a. a. O. 243,229 mit den Belegen Acta Petri XXIII (ed. Lipsius-Bonnet I 71 Z.19-21) und andererseits BHM 6,155 (bei Bill. I 535). Jüdisch blieb immer die KefaWurzel des Namens bewußt, so daß auch BHM a. a. Ο. die „Befreier"-Deutung nur als interpretatio Christiana anführt (s. Bill. I 530-535). 101 Hs. 286 = P.S.I. XIII 1306 bei Paap, Nomina Sacra (dazu dort 54f,110).

Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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So erscheint in einer Augustinpredigt das Spiel „Christus"-,.citharista", das Christus als David überbietenden gottmenschlichen Lautenspieler vorstellt, der den Klang erleuchte, der allen zu Ohren kommen soll. 102

Die semantische Grundaufschlüsselung von Christos/Christus wird man folglich nach dem Hebräisch-Aramäischen vom Griechischen aus vorzunehmen haben. Ihr onomastischer Rahmen ist abgesteckt: Der Name ist Erkenntnismedium und hat daher hohes Aussagegewicht. 103 Grenze der Aussagefähigkeit ist weniger ein Verblassen des Namens als - der Antike wohl bewußt - das Ungenügen alles menschlichen Erkenntnisringens. Letzteres erhält für unsere Frage zusätzlich einen eschatologischen Aspekt: Gottes und Christi Wirklichkeit liegt nach neutestamentlich begründeter Auffassung in ihrer Fülle jenseits aller Erfaßbarkeit durch menschlich-irdische Namen, wird sich erst vollends enthüllen, wenn Jesus Christus die allen menschlichen Bezeichnungen überlegenen „neuen Namen" einschließlich seines eigenen bekanntmacht (so Apk bes. 2,17; 3,12). Auch die Christus-Benennung ist, so gesehen, vorläufig. 104 102 Augustin, Sermo ex Bibl. Casin. II 76 (ed. G. Morin, Sancti Augustini sermones post Maurinos reperti [...], Miscellanea Agostiniana 1, Rom 1930, p.414, 17f). Erste Hinweise zum Umfeld bei J. Danielou, David, RAC III, 1957, 594-603, hier 602. 103 Eine Regel, die auch über den Christusbegriff hinaus weiterfragen läßt: Die Inschriften von el-Quweisme und Mird bieten „Jesus" dem Anschein nach als aus dem Griechischen translitterierten „bloßen Namen" (s. am Ende von 1.2.1 und Anm. 90). Aber mag sich nicht eines Tages auch für 010' eine christlich-aramäische Etymologie finden? 104 Ab dem 2. Jh. setzt dann, zuerst randkirchlich, auch sprachphilosophische, im Kern einer neuzeitlich-begriffsnominalistischen Denkweise vermittelbare, Reflexion ein: Alle in der Menschenwelt gegebenen Namen, selbst „Vater", „Sohn", „Geist", „Leben" etc., seien - so das EvPhil log. 11 - an die Vorläufigkeit der Welt gebunden und daher unzureichend, ja gegenüber dem nichtweltlich Feststehenden letztlich irreführend. Dieses Aussagedilemma sei - fahren log. 12f fort - nicht einmal durch ein Aussprechen des unweltlich vom Vater dem Sohn gegebenen Namens überwindbar, denn würde er ausgesprochen, verfiele er wieder weltlichem Aussagen, würde ununterscheidbar von nicht-wahren Aussagen und selbst zur Irreführung mißbrauchbar. Trotzdem bleiben theologische Aussagen möglich, denn - so die sich einem gemäßigten Begriffsrealismus öffnende Lösung des EvPhil (log. 12; S.54,13-18) - die Wahrheit selbst begab sich in die Vielheit der Nomina, brachte Namen in der Welt hervor, damit wir sie mit Hilfe dieser Namen kennenlernen können. Die Sprachreflexion (dazu Koschorke, „Namen" 308ff) ist trotz gnostischen Einschlags des EvPhil nicht aus dem großkirchlichen Rahmen gelöst. Die menschliche Unaussprechlichkeit und Unkenntnis des im Vollsinn wahren christologischen Namens wird etwa auch Laktanz, inst.epit. 37,8 betonen. Besonders interessant sind die sprachphilosophischen Erörterungen des Basilius, die Hausherr, Noms du Christ 52-55 referiert. Demnach findet Basilius darin, daß die Namen den Sachen nachfolgen, die Lösung für die Vielfalt der Jesus Christus beigelegten Benennungen (Tor, Hirte, Licht usw.): Alle diese (je aussagekräftigen) Namen bezögen sich auf Eigenschaften des einen Subjekts Jesus Christus, das trotzdem eines bleibe und nicht in der Vielnamigkeit aufgehe (s. bes. adv. Eunom. I 7, PG 29, 524C-525A).

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Einführung

1.2.5 Die Weiterentwicklungen zur Variante „Chrestos" und zur Übertragung von „Christos" auf „Christen" Als Ausdruck vorläufigen, gleichwohl nicht gering zu achtenden menschlichen Erkenntnis- und Aussagebemühens findet die bedeutungsgefüllte, nahtlos in die titulare Aussage übergehende Benennung Jesu als Christus ihren Ort in der antiken Namenskultur. Das ist die Basis, auf der zwei Weiterentwicklungen altkirchlicher Zeit in Blick zu nehmen sind: das Aufkommen der in der griechisch-spätantiken Aussprache identischen 105 Lesart Chrestos - als antiker Name in heutiger Philologie in der Regel Χρήστος (mit vorgezogenem Akzent) geschrieben - und die Übertragung der Grundlesart Christos zur Christenbezeichnung. Letztere Entwicklung blieb Stiefkind der Forschung. So ist die Breite des altkirchlichen Christus-Namensfeldes m.W. bislang nur lexikographisch erfaßt. 106 Anders fand die Chrestos-Variante Beachtung, seit französische und niederländische Humanisten sie aufgrund der Chrestus-Erwähnung Sueton, Caes. 5, 25,4 postulierten. 107 Am Ende des letzten Jahrhunderts verallgemeinerte Blaß unter Konjekturen an den paganen Quellen, „dass die Heiden nicht Christiani, sondern Chrestiani, und nicht Christus, sondern Chrestus sagten". 108 Im 20. Jh. kam aufgrund der Erwartung, Christus und die Christen wären römischerseits sozial deklassiert gewesen, die Einschätzung von Chrestus als Sklavenname hinzu. 109 D a sich das nicht belegen ließ, 110 trat es in jünge

105 Die Aussprache-Identität von η und ι ist dank Buchstabenverwechslungen in Papyri seit der Mitte des 2. Jh. v.Chr. nachweisbar; in der frühchristlichen Zeit dürfte in beiden Fällen langes „i" gesprochen worden sein (s. Blaß-Debrunner-Rehkopf § 24 und Tabbernee in Horsley, New Documents 1978, 129; Lit.). So im PGL s.v. χριστός J (S.1532). 107 S. Gercke, Christenname 362 mit dem Verweis auf Pierre Pithous Adversaria 1565 (II 3 p.41 b ff) und van der Beckes Sueton-Kommentar 1578 (in der Ausgabe Brüssel 1591 S.262). 108 Blaß, ΧΡΗΣΤΙΑΝΟΙ 466ff (Zitat 466, dort teilweise hervorgehoben). Die zuvor die Diskussion eröffnende Studie Lipsius', Ursprung des Christennamens beschränkte sich auf die Ableitung „Christiani". 109 Deutsch von Gercke a. a. O. 370 bis Grundmann, χρίω κτλ. 575 Anm. 546 (nachwirkend noch Hengel, Sprachgebrauch von Χριστός 145), italienisch ungebrochen bis Montevecchi, Nomen christianum 496 u.ö. 110 Gercke und Montevecchi nennen je a. a. O. überhaupt keine Belege, und der Verweis bei Grundmann a.a.O. auf K. Weiß, χρηστός κτλ., T h W N T IX 472-481, hier 473,40ff, trügt: Die Namensbelege Weiß' betreffen einen Hegemon (PapGrenfell I 49,11), eine epigraphisch rechtsfähige Jüdin (CIJ I 683,5; dazu s. u. mit Anm. 116), einen Bischof (Euseb, h.e. X 5,21) und den Chrestus, den Sueton, Caes. 5, 25,4 als Unruhestifter unter den Juden in Rom namhaft macht, ohne einen Hinweis auf seine soziale Stellung zu ge-

Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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rer Zeit in den Hintergrund. Eine neue Gesamtaufarbeitung erfolgte aber nicht. 111

1.2.5.1 Die Entstehung der Variante

„Chrestos"

Die Variante Chrestus(-os) gewinnt gerade dann scharfe Konturen, wenn wir die überkommenen Texte in ihrer vorliegenden Gestalt, ohne

ben, was er bei einem Sklaven aus seinem Kritikanliegen heraus in Erinnerung an die alten Sklavenaufstände kaum unterlassen hätte. Bei Bauer, Wb. s.v. Χριστός 2 (Sp.1754) ist das Belegmaterial auf der gleichen Linie angesehener Personen erweitert (u.a. um den wohl bedeutendsten Träger unseres Namens, einen Herodes Atticus-Schüler des 2. Jh. n.Chr.). Wir stoßen also statt auf eine Sklaven- auf eine soziale Hochwertung des Namens. Sie ergibt sich aus dem (bis Ceslas Spicq, Notes de lexicographie neo-testamentaire II, OBO 22/2, Fribourg/Göttingen 1978, 971-976 gut erschlossenen) Charakter des „chrestos"-Attributs: Es markiert „Güte" vorzugsweise als Eigenschaft von Personen, die vom Rang her gütig sein können (auch das Gütigsein von Herren gegenüber Sklaven: Liddell-Scott s.v. II 4). In der späthellenistischen und römisch-imperialen Zeit überspannt es ehrende Anrede, Herrscherepithet und ehrendes Attribut (umfangreiche Belege bei Stachowiak, Chrestotes 23-30; aufgrund des Drucks der Forschung hielt er trotzdem 122 an Chrestos als Sklavenname fest). Häufig tritt es in der Verstorbenenanrede und im Lebensrückblick von Grabinschriften auf (worauf Weiß a.a.O. 473,3Iff und Louis Robert, Stüdes Anatoliennes. Recherches sur les inscriptions Grecques de l'Asie Mineure, EtOr 5, Paris 1937, 369f hinweisen; Rohde, Psyche II 346f vermutet einen Einbezug der Macht des Totengeistes, den man unter Aufnahme einer alten apotropäischen Tradition mit ehre). Auf letzteren begegnet es in der Spätantike auch bei Fremden, die sich so wohl um eine Äquivalenz zum Bürgerprädikat „chrestos" bemühten - χρηστούς ποιεΐν konnte „zu Bürgern machen" bedeuten (s. Jeanne Robert/Louis Robert, Bulletin epigraphique, REG 59/60, 1946/ 47, 298-372, dort Nr.175 S.346f, bes. zu Aristoteles, fr. 592R) -, und schließlich bei (ehemaligen?) Sklaven, die das Recht auf die Setzung eines Epitaphs erwerben konnten. Dem verdanken wir, daß spät auch eine Sklaven-„Güte" sichtbar wird, am markantesten auf einem Epitaph des 4.Jh. n.Chr. aus Thasos, wo sich ein gewisser Manes rühmt, er sei [χρίηστός [τοις δ]εσπόταις gewesen (Inschrift bei Robert, Etudes Anatoliennes 469, weitere Belege 470). Aber unübersehbar ist dieses „chrestos"-Prädikat, so gewiß sich in ihm ein Sklave ein Stück ehrender Vollbürger-Ethik anzueignen vermochte, vom Namen (Manes) zu unterscheiden. Dafür, daß Chrestos einem Sklaven als Sklavenname gegeben worden wäre oder daß es sich ein Sklave als solchen hätte aneignen können, haben wir nicht einmal in dieser Spätzeit einen Beleg. Umgekehrt könnte unser ältester Beleg für „Chrestianus" (CIL VI 24944: Faustus Antoniae Drusi ius[su] emit Iucundi Chrestiani oll[am], Rom, spätestens 37 n.Chr. - s. Montevecchi a.a.O. 491) den darin erwähnten Iucundus als Sklaven eines - Avitianus etc. - hin; schon zeitlich unhaltbar, versucht sie freilich zusätzlich einen Christen-Bezug zu finden). Als Bürgername ist Chrestus in Rom seit Cicero, ep. (ad fam.) 2, 8,1 belegt. Weitere Chrestus-Namensbelege noch bei Benko, Instigator Chrestus 41 Of, Koestermann, Irrtum des Tacitus 460 und (lateinisch) im Thesaurus linguae Latinae, Suppl. Onomast. II 407f (Schwering). 111 Symptomatisch dafür übergeht das E W N T unsere Frage sowohl s.v. χρηστός (J. Zmijewski: III 1138) wie s.v. Χριστός (Hahn: III 1147-1165).

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Einführung

Blaß' Postulat einer heidnischen Prägung von Chrestus und seine entsprechenden Konjekturen. 112 lesen: Die nichtchristlichen Autoren faßten, zeigen die unkorrigierten Quellen, im Gegensatz zu Blaß' Postulat keineswegs Chrestus als das Nomen mutatum Jesu auf. Die ältesten lateinischen Namensbelege Plinius d. J. juristische Anfrage an Trajan 113 und Tacitus' erzählerischer Rückblick auf den unter Pontius Pilatus Hingerichteten 114 - bieten vielmehr Christus. Und noch vor ihnen verfaßte Josephus für römisches Publikum seine Antiquitates, in denen auch er jedenfalls in einer Randnotiz Christos als Nomen mutatum Jesu verwendete (20,200). 115 Aus diesem Befund schert bei näherem Hinsehen der vielberufene Sueton nicht aus: Er erwähnt zwar einen Chrestus, ordnet diesen aber ausdrücklich den „Iudaei" zu (Caes. 5, 25,4), von denen er die „Christiani" (nicht „Chrestiani"!) wohl zu unterscheiden weiß (Caes. 6, 16,2). Er hielt Chrestus also für einen römischen Juden und nicht einmal einen unbekannten, da er auf eine „quidam"-Einführung der als Unruhestifter unter Claudius gezeichneten Gestalt verzichtet. Weil uns zudem aus anderer Quelle wenigstens die feminine Namensform Chreste („die Tüchtige, Gutgesinnte") als jüdische (Ideal-)Namensetzung im griechischen Sprachsuperstrat des 1. Jh. n.Chr. bekannt ist (CIJ I 683,5), 116 ist Suetons Bericht die Glaubwürdigkeit nicht leicht abzusprechen. 117 112

S. Blaß a.a.O. bes.467. Plinius min., ep. 10, 96,5ff. 114 Tacitus, ann. 15, 44,3. us Z.St. o. unter 1.2.3. 116 Bis Peter Lampe, Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten, W U N T II 18, Tübingen 1987, 6 Anm. 16 zu Unrecht abgewertet. Übrigens ist Chreste eine Herrin, die sich gegenüber einem Sklaven gütig erweist (vgl. die Namenshinweise in Anm. 110), indem sie ihn freiläßt. 117 Nicht einmal Blaß stützt sich auf ihn (a.a.O. 468; gegen die bis G. Lüdemann, Paulus der Heidenapostel I [...], FRLANT 123, Göttingen 1980, 193 mit Anm. 89 wirkende Berufung auf Blaß zur Stützung der These, Suetons Chrestus meine Christus). Freilich darf nun der wahrscheinliche Sachverhalt jüdischer Unruhen um einen Chrestus in Rom seinerseits nicht überstrapaziert werden: Zu kühn zieht Koestermann (a. a. O. passim) eine Linie zwischen den Chrestus-Unruhen, die er als jüdisch-aufrührerisch beurteilt (soweit nicht allein: vgl. Benko a. a.O. 413-418), und der (noch zu besprechenden) Bezeichnung der Verfolgten als „Chrestiani" in Tacitus' Schilderung der neronischen Verfolgung (ann. 15, 44,2 Codex Mediceus II), um letztere auf eine Verfolgung der Chrestus-Anhänger bzw. allgemein radikaler Juden interpretieren zu können. Die neronische Christenverfolgung beim Brand Roms wird - gegen die (als taciteische Verfälschung gedeutete) Christusangabe in 44,3 - eine durch einen Irrtum Tacitus' bedingte Legende; Sueton, Caes. 6, 16,2 wird ebensowenig auf die Ereignisse um den Brand Roms beziehbar wie 1 Clem 5f (a.a.O. 466ff). - Ebensowenig ist Marcus Borg, A New Context for Romans XIII, NTS 19, 1972/73, 205-218, hier 21 Iff zu folgen, der Chrestus jüdischen Charakter beläßt, jedoch als Verlesung für Christus = Messias, und so die jüdischen Unruhen unter Claudius als „messianic" (212) charakterisiert. 113

Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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W e n n er sich trotzdem irren sollte und die Unruhen in der jüdischen Gemeinde unter Claudius auf das Vordringen des Christentums zurückgingen, belegte sein T e x t zuallererst die Möglichkeit eines solchen Irrtums im R o m des frühen 2. Jh., also die Fortdauer der relativen Unbekanntheit Christi im römischen Adel noch nach den ersten Verfolgungen der Christiani. 118 Suetons Chrestus schiede auch dann als zufällige Namensverwechslung zum Beleg einer gezielten nichtchristlichen Schreibtradition Chrestus für Jesus aus.

Auch später ist eine Chrestus(-os)-Schreibtradition des Christusnamens in nichtchristlich-lateinischen oder -griechischen Quellen nicht nachweisbar. 119 Das bedeutet nun freilich nicht, daß es eine solche Tradition überhaupt nicht gegeben hätte. Aber ihre Belege verweisen auf einen christlichen Entstehungskern, von dem aus sie sich über verschiedene, lokal nicht zusammenhängende randkirchliche Gruppen verbreitete und vielleicht in den Manichäismus ausstrahlte. Setzen wir bei den den Mittelvokal ausschreibenden und daher klar erkennbaren Belegen ein, so läßt sie sich am wohl weitesten zurückgehend in zwei Schriften des Fundes von N a g Hammadi nachweisen. Beide sind nur in koptischer Ubersetzung erhalten, geben aber Chrestos jeweils griechisch wieder, heben es lediglich durch koptische Determination (ΠΕ) zusätzlich als semantisch aussagekräftig hervor: 120 D e r Rheginusbrief ( N H C I 4), der auf diese Weise eine griechische Grundschrift des wohl späten 2. Jh. subachmimisch im 4. Jh. bewahrt, 121 bietet sowohl die auf eine Titelreihe folgende Namenverbindung i H C ' n E X P H C T O C (48,19) wie alleiniges n E X P H C T O C (wiederum nach einer Titelreihe und dadurch als Vertreter des in seiner Grundform mit „i" im Brief konsequent fehlenden N a m e n s Christi ausgewiesen: 43,37). D e r koptische

119 Immerhin ist auffällig, daß Sueton, Caes. 6, 16,2 nur die Christiani, nicht Christus erwähnt und daß Tacitus sich, als er seine Leser auf Christus als den Begründer des Christennamens hinweist, genötigt sieht, ihn stichwortartig zu charakterisieren (ann. 15, 44,3). Freilich entschärft sich der Befund für Sueton dadurch, daß er mit Plinius d. J. eng befreundet war und jenen womöglich nach Bithynien begleitete (s. dessen Sueton betreffende ep. 10, 94 unmittelbar vor der angeführten ep. 10, 96 und dazu A.N. SherwinWhite, The Letters of Pliny, Oxford 1966, 689f). Daher ist nicht auszuschließen, daß Sueton über Plinius oder eigene Erfahrung den korrekten Christus-Namen kannte und lediglich zufällig an unserer Stelle nicht nannte, womit die Verwechslungsthese für Caes. 5, 25,4 vollends zusammenbräche. Dabei existiert jedenfalls fürs Lateinische eine umfassendere Belegübersicht durch Schwering im Thesaurus linguae Latinae, Suppl. Onomast. II s.v. Christus 409-412. 120 Die Übersetzung ist jeweils schwierig: Das in der Regel bevorzugte onomastische „Christus" (zum Rheginusbrief z.B. bei Malcolm Lee Peel, Gnosis und Auferstehung. Der Brief an Rheginus von Nag Hammadi, Neukirchen-Vluyn 1974, 63,98 u.ö.) verdeckt den semantischen Akzent von „chrestos", die deshalb von Bentley Layton (The Gnostic Treatise on Resurrection from Nag Hammadi, H T h R . H D R 12, Ann Arbor, Mich. 1979, 44f) bevorzugte appellative Wiedergabe als „the Excellent" verdeckt die Konventionalisierung in der Identifikation Christi. Daher seien im folgenden Übersetzungen zurückgestellt. 121 Zu den Einleitungsfragen s. Peel a.a.O. 14-16,185-187.

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Einführung

Schreiber des etwa gleichzeitig entstandenen Tractatus tripartitus (NHC I 5) variiert souverän in den Abkürzungen des Chrestos-Namens - worauf zurückzukommen sein wird -, schreibt aber einmal FIEXPHCTOC auch voll aus (122,19), einmal den Kernstamm ÜEXPflC (136,1).122 Hinzu kommt mit X P H C T O C für den Christustitel noch die Valentinianische Exposition N H C XI 2 (26,22;28,24;33,17;39,30).l2} Verlassen wir das Nag Hammadi-Schrifttum, so tritt IH[COYC] X P H C T O C in einer Inschrift von Lebaba (Syrien) aus dem Jahre 318 in markionitischem Umkreis hervor.124 Ein Gebetspapyrus aus dem Fayum belegt um 300 die Schreibform IflC[OYC] XPflC[TOC]. 1 2 5 Die Volksfrömmigkeit dokumentieren eine magische Grußformel, die der aus Ägypten stammende große Pariser Zauberpapyrus im 4. Jh. mit IHCOYC n i X P H C T O C überliefert, 126 eine römische Katakombeninschrift, nach der sich die Seele (Psyche) der Verstorbenen unsterblich ΠΑΡΑ ΧΡΗΟΤΩ befindet, 127 und IHCOYC X P H C T O C auf einem undatierten Amulett aus Fanum (Italien). 12 ' Unklar bleibt, wieweit die Chrestos-Namensvariante manichäisch rezipiert wurde. Denn einer entsprechenden Behauptung Alexanders von Lykopolis, der die Manichäer im späten 3. Jh. von (nichtchristlich-)platonischer Warte aus kritisierte,129 steht entgegen, daß sich im überkommenen (Anfang des 4. Jh. in Ägypten geschriebenen) Exemplar der Kephalaia ein ausgeschriebenes XPI[CT]OC finden läßt.130 Somit finden sich die das η ausschreibenden und dadurch eindeutig erkennbar machenden Belege vor allem randkirchlich und volkstümlich. 131 Trotzdem dürften sie die Spitze eines breiteren gesamtchristli-

122 Der Traktat könnte selbständig der westlichen Schule des Valentinianismus im späten 2. Jh. zugehören: vgl. Ulrich Luz, Der dreiteilige Traktat von Nag Hammadi, T h Z 33, 1977, 384-392, hier 384f. 123 S. Clemens Schölten, Martyrium und Sophiamythos im Gnostizismus nach den Texten von Nag Hammadi, JAC.E 14, Münster 1987, 159f, Anm. 27. 124 Text bei Blaß a.a.O. 467 (nach Le Bas III 582 nr.2558). 125 Herausgestellt bei Paap, Nomina Sacra 28f,l 10. Der Text ist ediert durch Theodor Hopfner, Ein neuer griechischer Zauberpapyrus (Pap. Wessely Pragens. Graec. N ° 1), ArOr 7, 1935, 355-366 (Text 356f) und bietet unsere Namenkombination in leichten grammatischen Varianten Z.26f und 41, dazu im Vokal zerstört Z.8. 126 PGrM IV 1233; vgl. Blaß a.a.O. (der, noch an die Erstedition Wesselys gebunden, eine ungenaue, von Labriolle, Christianus 86 Anm. 3 übernommene, Stellenangabe machte). 127 Text bei Simon, fitude 194. 128 IG 14 (Italiae et Siciliae), nr.2413,7; vgl. Blaß ebd. 129 Und ihnen hier eine bewußte Sinnänderung vorwarf: c. Man. opin. 24 (p.34,18-21 in der Edition Brinkmanns BiTeu 1024). 130 Kephalaia 117,30f (Kap.46, ed. C. Schmidt; Datierung des Codex nach Ibschers Vorwort a.a.O. XI). Der Kölner Mani-Codex (ed. L. Koenen/C. Römer, PTA 35, Bonn 1985) ist für unsere Frage nicht aussagekräftig, da er stets die XC-Abkürzung verwendet (s. a.a.O. XVI). 131 Anzumerken ist, daß die vorliegende Quellendurchsicht angesichts der Fülle des

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chen Sprachempfindens selbst über Sprachgrenzen hinweg darstellen. Denn Laktanz sieht sich in seinen Institutiones zu Anfang des 4. Jh. veranlaßt, dem Vordringen der Variante sogar in die lateinische Sprachpraxis (ins lateinische „dicere") zu wehren. Dieses dürfte durch die zum Griechischen gegenläufige phonetische Entwicklung im spätantiken Latein gefördert worden sein, „i" als geschlossenes „e" auszusprechen. 132 Dementsprechend schreibt Laktanz den Gebrauch von Chrestus keineswegs Irrlehren, sondern lediglich dem Irrtum Unkundiger („ignorantium") zu. 133 Die Schreibkonvention ließ zudem die Vokalisation weithin offen. In der Regel wurde Christus nicht ausgeschrieben, sondern - auch auf Inschriften etc. - mit den Eckbuchstaben abgekürzt (bevorzugt als X C , aber auch als X , X P C , selten in weiteren Varianten). 134 Die Zusammenziehungen X C und X P C waren aber bei ägyptischen Schreibern gleichzeitig für X P H C T O C verwendbar, wie etwa in Septuagintahandschriften135 und in den Handschriften zum Protrepticus des Clemens Alexandrinus hervortritt. 136 Clemens zitiert so dort 9, 88,1 einen Abschnitt aus LXX Ps 33,9, der in der bei ihm vorausgesetzten Textfassung die Aussage χρηστός ό θεός enthält. Μ* und Ρ geben χρηστός in dieser Aussage abgekürzt wieder (mit XC). Erst ein M-Korrektor (M 2 ) verdeutlicht durch Ausschreiben, daß tatsächlich dieses Wort gemeint ist.137

überkommenen Materials nicht vollständig sein konnte. Weitere aufzufindende Belege dürften aber die Belegverteilung kaum grundsätzlich ändern. 132 S. Montevecchi, Nomen christianum 499. 153 Laktanz, div.inst. IV 7,5. 134 S. Ludwig Traube, Nomina Sacra. Versuch einer Geschichte der christlichen Kürzung, Darmstadt 1967 ( = München 1907), 113-116, 156-164, Hausherr, Noms du Christ 82f und Paap a.a.O. 1 0 9 f , l l l . 135 So in der Textfassung von LXX Ps 13,3 im Psalter Berlin Ρ 3259, geschrieben um 400: s. Alfred Rahlfs (Hg.), Die Berliner Handschrift des sahidischen Psalters, AGWG.PH NS 4,4, Berlin 1901, 13 (Datierung), 56 (Textwiedergabe). Die Zusammenziehung X P C für „chrestos" wie „christos" beherrscht - worauf Rahlfs a.a.O. 18 Anm. 2 ergänzend hinweist - in dem (von ihm so genannten) Psalm-Compendium das Feld. Seine christologische Spitze findet der Sachverhalt laut Paap a.a.O. 110 (nach 36f,94) im Leipziger Psalterpapyrus (P.Leipz. 39), setze dieser doch für „chrestos" eindeutig christologisch intendiert X C . 136 Mutatis mutandis gilt der Sachverhalt auch beim ^ - M o n o g r a m m : Es erscheint nach der plausibelsten Identifizierung bereits im l . J h . n.Chr. als profanes X P H C T O C - W a r e n z e i c h e n auf Amphoren und wurde in der Folgezeit als Abkürzung für weitere mit χρ beginnende Worte (z.B. χρηματίζειν, χρησθαι, aber auch χρίειν) gebräuchlich, bevor es - nachweisbar in konstantinischer Zeit - in eigener Weise als Christus-Monogramm angeeignet wurde (Einzelnachweise Dinkier,

Denkmäler 141ff). 137

Text und Handschriftenangabe nach Stählins GCS-Ausgabe: Clemens I 65, Z.20 und Apparat.

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Einführung

Immerhin signalisiert seine Korrektur, daß die Bemühung um sprachliche Klarheit nicht außer Acht gelassen werden darf. In den großen Bibelcodices der konstantinischen Zeit schlägt sich das im Verzicht auf eine Abkürzung von X P H C T O C nieder. So bleiben das Adjektiv X R H C T O C und die XC-Abkürzung des Christusnamens schreibkonventionell selbst in der prima manus des Codex Sinaiticus unterscheidbar, die sich dem Verdacht des itazistischen Mithörens der η-Variante im Stamm „christ" besonders aussetzt, da sie in der Ableitung des Christennamens stets χρηστιανοί schreibt (Act 11,26;26,28; 1 Petr 4,16).138 Andererseits haben wir inzwischen dank des N a g Hammadi-Schrifttums den Nachweis, daß ein ägyptischer Schreiber nicht nur das Adjektiv, sondern ebenso die Christusnamen-Variante „Chrestos" mit X C (o.ä.) abkürzen konnte. 139 Der Schreiber des Tractatus tripartitus (NHC I 5) bietet alle damals geläufigen Abkürzungsformen des Christusnamens, XC (132,28; im Genitiv 87,9), XPC (132,18; in Verbindung mit IHC weiter 117,15) und selbst das ungewöhnliche X P (134,13). Aber aus schreibt er ihn - wie erwähnt - als X P H C T O C (einmal ganz und einmal halb: 122,19; 136,1) Sogar das bewußte paronomastische Spiel mit den beiden itazistisch lautidentischen und abgekürzt schreibidentischen Worten läßt sich finden. Am weitesten ausgeführt ist es im Johannesapokryphon, das bereits Irenäus (in adv.haer. I 29) als Quelle benützte: Alle vier überkommenen Handschriften140 verwenden XC (so BG 8502,2) bzw. XPC (so N H C II 1, III 1, IV 1) gleichzeitig zur Abkürzung von XPICTOC und XPHCTOC. U 1 So können sie - bei Wahrung des griechischen Sprachsubstrats in der koptischen Weiterüberlieferung - unter Kontinuität der Abkürzung aussagen, das Pneuma salbe das Licht mit seiner Güte (XC bzw. XPC), so daß es gütig - oder Christus - sei (wieder XC bzw. XPC), der personalen Struktur des Folgetextes nach Christus, der nun (weiterhin XC bzw. XPC abgekürzt) mit dem Nous zusammen das Pneuma preist (BG 30,14-31,9 par N H C II 1, 6,23-7,2; N H C III 1, 9,24-10,13;

138

Was zu korrigieren ein nachfolgender Schreiber für nötig hält: Dieser Sachverhalt Sinaiticus ist seit langem bekannt (s. ζ. B. den Hinweis bei Blaß-Debrunner-Reh§ 24 Anm. 2). Die sprachkonventionelle Unterscheidung zeigt sich wiederum bes. LXX Ps 33,9-Zitat, nun in 1 Petr 2,3. Worauf von anderer Warte aus auch der o. Anm. 135 angeführte Befund des LeipPsalters weist. 140 Deren Stemma früh auseinandergeht: s. S0ren Giversen, Apocryphon Johannis. The Coptic Text of the Apocryphon Johannis in the Nag Hammadi Codex II with Translation, Introduction and Commentary, A T h D 5, Copenhagen 1963, 282. 141 Belegzusammenstellungen in den Ausgaben: Walter C. Till, Die gnostischen Schriften des koptischen Papyrus Berolinensis 8502, T U 60, Berlin 1955, 326 Und Martin Krause/Pahor Labib, Die drei Versionen des Apokryphon des Johannes im Koptischen Museum zu Alt-Kairo, A D ΑΙ. Κ 1, Wiesbaden 1962, 289,293.

beim kopf beim 1} ' ziger

Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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in N H C IV 1 nur im zweiten Teil - in 10,8-18 - erhalten). Gesalbtsein, pneumatisch-theologisch gefülltes Gütigsein und Christus gehen ineinander über. 142

Großkirchlich 143 findet die Paronomasie einen markanten Zeugen im Bibeltext des Bodmer-Papyrus p 72 aus dem 3./4. Jh., wenn dieser das Zitat aus LXX Ps 33,9 ( χρηστός ό κύριος ) in 1 Petr 2,3 mit X P C Ο RC wiedergibt und X P C zugleich (z.B. in 2,21) als Abkürzung für XPICT O C verwendet. 144 Der Schreiber hörte und verstand demnach an dieser Stelle nicht allein mit der Septuagintatradition „gütig ist der Herr", sondern zugleich in Vertiefung der christologischen Komponente „Christus ist der Herr".145 Dieser Befund des p 72 ist aber bereits durch den Autor des 1 Petr vorbereitet, selbst wenn dieser Autor im obigen Psalmzitat noch klar vom Gottesprädikat χρηστός ausgegangen sein sollte, 146 wofür die Uberlieferung der Hauptcodices Vaticanus und Sinaiticus spricht.147 Denn er bindet das Psalmzitat in einen Kontext ein, der zu christologischer Interpretation zwingt: Der Herr, dessen gütige Zuwendung die Briefadressaten nach 2,3 schmeckten, ist nach dem Fortgang in v.4 Christus als der lebendige, von Gott auserwählte, wertvolle „Stein", zu dem die Christen kommen sollen. 148 Folgerichtig spannt sich der Duktus des Petrusbriefs von der Grundaussage έγεύσασθε δτι χρηστός ό κύριος 2,3 weiter zu 3,15 mit der Aufforderung κύριον 142 In der Formulierung des Irenaus (adv.haer. I 29,1): Et videntem Patrem lumen hoc, unxisse (!) illud sua benignitate (!) ut perfectum fieret; hunc autem dicunt esse Christum (!). - Zum Sachverhalt vgl. Sevrin, dossier bes.41f. 143 In der Gnosis legt sich laut Schölten (am Anm. 123 a.O. 92f Anm. 18) noch für den 2. Logos des Großen Seth (NHC VII 2) nahe, X(P)C christusbezogen (49,26f;52,4f; 59,26;63,12;65,18;69,21) teils zu XPICTOC, teils zu X P H C T O C aufzulösen. 144 S. PapyBod VIII 7,2;10,13 und passim. 145 Eine nähere Besprechung des p 72 zu 1 Petr 2,3 bietet Quinn, Notes 243ff. 146 Als Gottesprädikat eignete sich „chrestos" - etwa: „der, der sich gütig den Bedürfnissen der Menschen zuwendet" - auch im Bereich der römisch-griechischen Religionen (Belege Liddell-Scott s.v. II 3, Stachowiak, Chrestotes 30 und Weiß, T h W N T IX s.v. A 4, S.474; Spicq am Anm. 110 a. O. 972 Anm. 1 erweitert um den in der Zyrenaika häufig belegten Personennamen „Gott ist gütig" [Θεόχρηστος]). Nach zu überprüfender Forschungsauffassung weist die biblische (LXX-)Tradition über Gottes Güte dorthin nur lose Querlinien auf (Stachowiak a.a.O. 8-18). Christlich wird die Prädikatsaufnahme bei Paulus vorbereitet (Rom 2,4) und tritt gegen Ende des 1. Jh. stärker hervor (neben 1 Petr in 1 Clem 60,1; vgl. auch Lk 6,35). Frühe außerneutestamentliche Belege bieten die Fassung des Weinberggleichnisses im EvThom log.65 und OdSal 25,12. Erstere Stelle charakterisiert als χρη[στό]ς den Weinbergbesitzer von Mk 12,1 par (NHC II 2, 45,1); Siegert möchte (Nag-Hammadi-Register 325 s.v.) kaum berechtigt - einen Anklang an Christos mithören. OdSal 25,12 bewahrt der koptische Codex Α χρηστός griechisch (vgl. χρηστότης κυρίου in PapyBod XI zu OdSal 11,15[.21]; die neuen Hss. sind in der Edition durch M. Lattke 1979 berücksichtigt). 147 S. die textkritische Entscheidung bei Nestle-Aland 26 z. St. 148 Für Näheres s. die Kommentare z.St., z.B. Goppelt, Petrusbrief 137ff.

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Einführung

δέ τον Χριστόν αγιάσετε, die christologisch eine Aufforderung Jesajas (Jes 8,13) zur Heiligung Gottes als Herrn der Heerscharen umprägt. 2,3 wie 3,15 liegt also eine christologische Aneignung alttestamentlicher Gottestradition vor, einmal durch die explizite Einfügung von Christos (3,15), einmal durch die christologische Interpretation der Gottesgüte, die im itazistisch gleichklingenden χρηστός ausgesagt wird (2,3).

Ein itazistisches Wortspiel Chrestos-Christos in dem Sinne, daß der Gesalbte gerade insofern der Herr ist, als Gottes Gütigsein in ihm sichtbar wird, ist damit für den Autor des 1 Petr nicht mehr von der Hand zu weisen. 149 Bereits in spätneutestamentlicher Zeit beginnt die Möglichkeit, den „Gesalbten" und Gottes „Gütigsein" sprachlich eng miteinander zu korrelieren. Ein analoger Sachverhalt deutet sich Eph 2,7 Gott zeige den Reichtum seiner χρηστότης (Güte) uns gegenüber in Χριστός Jesus - an.150 Die neutestamentlichen Hinweise bleiben auch damit schmal. 151 Doch genügen sie, um die Wurzeln der χριστόςχρηστός-Reflexion bis zur spätneutestamentlichen Christo-logie zurückzuführen. 152 Zu einem sprachgeschichtlichen Verdrängungsprozeß der alten durch die neue, erweiternd hinzugekommene Etymologie führte die Entwicklung - damit ist zu schließen - in keiner Phase der Reflexion. Aber die Bedeutungserweiterung blieb lebendig, so lange sich das spätantike Sprachbewußtsein hielt. Im 10. Jh. bündelte prägnant die Suda („Suidas") samt einem dort tätigen Glossator: Χριστός sei Name „unseres) Herr(n) und Gott(es)", bedeute „der in Ol Gesalbte" (ό κεχρισ149

In der Literatur wird die Möglichkeit eines Wortspiels in der Regel unter Isolierung von 2,3 verhandelt (positiv beschieden etwa bei Quinn a. a. O. 244 und Benko, Instigator Chrestus 410, negativ beschieden bei Brox, Petrusbrief 93 Anm. 311). Zwingend wird es, wie dargestellt, in Verbindung mit 3,15. 150 Dazu Sevrin, dossier 42 und die Kommentare. 151 So ist mir kein Indiz der Textüberlieferung bekanntgeworden, aufgrund dessen der Hinweis Jesu im Heilandsruf, sein Joch sei χρηστός (Mt 11,30 par EvThom log.90), schon im 1. Jh. χριστο-logisch zu interpretieren wäre (auch J.-έ. Menard, L'fevangile Selon Thomas, NHS 5, Leiden 1975, 192, bringt, soweit er ausgreift, dafür keinen Beleg bei); erst in der Rezeption des Textes erwächst (bis Clemens Alex., protrept. 12, 120,5-121,1; s. unter 2.3.3) ein Wortspielbewußtsein. Ebenso ist Gibsons Vorschlag (Inscriptions 16), in der Aussage über Gottes Güte Lk 6,35 ein christo-logisches Wortspiel mitzuhören, bei all seinem Reiz an der ältesten Textüberlieferung nicht verifizierbar. 152 Nachneutestamentliche Sprachspiele um den itazistischen Gleichklang zwischen „chrestos" und „Christos" sind der Forschung seit langem bekannt (s. ζ. B. Blaß, ΧΡΗΣΤΙANOI 469f - der den Befund freilich durch Konjekturen verzerrt - und Benko a. a. O. 410). Justin beklagte so, daß die Juden τον Χριστόν [...] παρεχρήσαντο (I apol. 49). Theophilus von Antiochien betonte, das Wort χριστόν sei ευχρηστον (Autol. I 12). Clemens Alex, schließlich stellte heraus, das Leben derer, die Χριστόν kennten, sei χρηστός (protrept. 12, 123,1 = GCS Clemens I 86,23), was übrigens als ethische Weisung schon Eph 4,32 vorbereitete (eine Stelle, auf deren Wortspielcharakter etwa Tabbernee in Horsley, New Documents 1978, 129 hinwies).

Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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μένος έν έλαίφ ) und beziehe in der Querlinie Χρηστός ein, welch letzteres „der Gute" bedeute 153 , näherhin der Gute „aus Liebe"154. 1.2.5.2 Die Übertragung des

„Christos"-Titelnamens

Als die Übertragung des Christusnamens auf weitere Träger begann, setzte sie nicht bei der itazistischen Sprachvariante Chrestos ein - so gewiß sich die Christen als tüchtige, gütige („chrestoi") Leute verstanden155 - , sondern bei Christos und erfolgte unter bewußter Entfaltung des Salbungsbezugs. Vorläufig unentscheidbar ist die Frage, ob die Erstübertragung im christlich-gnostischen oder im großkirchlichen Raum anzusiedeln ist. Bei der gegenwärtigen Quellenlage hängt die Antwort an der Datierung des in den valentinianischen Gedankenkreis gehörenden 156 Philippusevangeliums gegenüber dem ansonsten ältesten Zeugen Origenes. Entstand das EvPhil im 2. Jh. - noch vor Origenes' Wirken - , so wird es unser erster überkommener Zeuge, Zeuge näherhin einer werbenden gnostischen Begriffsbildung gegenüber den Gliedern der Großkirche, von der sich der Valentinianismus noch nicht getrennt hat: Das EvPhil verwirft die Bezeichnung der Christen als Christianoi - also mit einer Suffixbildung von Christos - nicht, aber hält sie nicht für vollendet. Denn - so die Argumentation - die Person, die die Salbung der Macht des Kreuzes in vollendeter Aneignung empfange, sei nicht länger mehr nur ein Salbungs- (bzw. Christus-)Verbundener (ein ,,[Christi]anos"), sondern selbst ein Gesalbter, ein „Christos" (XPC). 157 Entstand das EvPhil erst nach Origenes 158 - der im Johanneskommentar herausstellt, daß durch den einen Christos viele zu Gesalbten („christoi") würden, die nämlich, die Christi Nachahmer und Gestaltteilhaber seien159 - , so eignete es sich überbietend einen kirchlichen Begriff an. 153

Suda s.v. (ed. Adler IV 827,120So ergänzend s.v. Χρηστός (ed. Adler IV 826,40155 S. schon etwa die Zielangabe bei 1 Clem 14,3f; einen Gipfel erreicht diese Selbsteinschätzung bei Clemens Alex., ström. II 4, 18,3 (GCS Clem. II 122,8f; dazu s. den Text u. bei Anm. 196). 156 S. etwa Koschorke, „Namen" 319 und Isenberg in Nag Hammadi Library 131. 157 EvPhil N H C II 3, 67,19-27, Zitate Z.26 und 27 (zugleich log.67); zur näheren Interpretation s. Koschorke a.a.O. 315ff (der von der Frühdatierung ausgeht). 158 Also etwa in der 2. Hälfte des 3. Jh. in Syrien, wie Isenberg a.a.O. meint. Auf den ersten Blick scheint das Schwanken des EvPhil zwischen einer Wiedergabe des Christennamens in der Grundform „Christianos" (so sicher 74,14;75,34) und der itazistischen Nebenform „Chrestianos" (so sicher 52,24;62,31;64,24) für diese Spätdatierung zu sprechen. Denn Belege für eine christliche Aneignung letzterer finden sich erst im 3. Jh. (s. Ausblick 1). Doch kann sie ins EvPhil auch im Laufe der Abschriften bis zur erhaltenen Nag Hammadi-Hs. gewachsen sein. 159 Origenes, Joh. 6,6 (GCS Or. IV 115,17ff)154

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Einführung

In jedem Fall überließ die Großkirche die Begriffsübertragung nicht der Gnosis. Vielmehr erscheint sie in der Folgezeit sowohl im griechischen Christentum (von Methodius bis Johannes Damascenus) 1 6 0 wie etwas zeitverschoben - im lateinischen (z.B. bei Augustin und - ins „unctus/uncti"-Wortspiel übertragen - bei Hieronymus). 1 6 1 Eine Grenze beachten freilich alle Autoren: Sie nehmen die Übertragung als Gattungsqualifizierung („Christ") vor. Gegebenenfalls weiten sie sie aufs Gottesvolk als Kollektivum aus. 162 N i e lassen sie dagegen - vor und nach der konstantinischen Wende - Christus zum Individualnamen von Personen neben dem einen Christus werden. 1 6 3 Christos/Christus/ Unctus als Christenbezeichnung bleibt so singulare Hervorhebung der engen Bindung der Christen an den Christus, die sich durch ihre Geistsalbung, konkret auch ihre - ungefähr gleichzeitig zur Begriffsübertragung (um 200) aufkommende 1 6 4 - Taufsalbung in der Kirche, dem Leib Christi, konstituiert. 165 Konsequent wird die geläufigere ChristianoiBezeichnung der Christen dadurch nicht verdrängt. 166 1.2.5.3

Ergebnis

„Christus" als Name, das enthüllt sich bei Einbezug der onomastischen Weiterentwicklungen als facettenreicher Gegenstand. Eines bleibt aber Grundlage aller Facetten, ob sie Gottes Güte in Christus 160

Belege im PGL s.v. χριατός J (S.1532; so bei Methodius, symp. 8,8 und Johannes Damasc., de fide orth. 4,9). 161 Augustin, civ. Dei 17,4;20,10; Hieronymus, ep. 65, 13,7; weitere Belege im Thesaurus linguae Latinae, Suppl. Onomast. II s.v. Christus (S.412). 162 Das sich nach Athanasius, exp. in Pss. 27:8 (PG 27,152A) insofern als „Christos" bezeichnen läßt, als es zur königlichen Priesterschaft von Ex 19,6 LXX gesalbt (χρισθείς ) ist. 163 Diese Fehlanzeige geht für das Griechische aus der Ubersicht des PGL s.v. (a.a.O.), für das Lateinische aus der Namensammlung des Thesaurus linguae Latinae a.a.O. hervor. 164 Älteste sichere Zeugen der Taufsalbung sind Tertullian (bapt.7 u.ö.) und Origenes (sei. in Ez. 16; PG 13,812). Etwas früher läßt sich Theophilus, Autol. 112 noch auf ein übertragenes Salbungsverständnis deuten (s. Gaffron, Studien 140f, u.a. in Auseinandersetzung mit Dinkier, Taufterminologie 106). 1 Joh 2,20 zwingt nicht zur Annahme einer Taufsalbung in spätneutestamentlicher Zeit (sehr weit öffnet sich Strecker, Johannesbriefe 126ff). 165 Prägnant formuliert Augustin im letzten Abschnitt von civ. Dei 17,4: Alle mit dem Chrisma Christi Gesalbten ließen sich als Christus bezeichnen, aber nur in der Weise, wie der Leib mit seinem Haupt den einen Christus bilde. - In fast allen Belegen, die das PGL und der Thesaurus linguae Latinae (Schwering) je a.a.O. sammelten, finden sich Salbungshinweise. 166 S. nur die zahlreichen Belege im PGL s.v. (S.1530). Anzumerken ist aber, daß es noch zu einer weiteren christophoren Christenbezeichnung kam: Der Thesaurus Graecae Linguae verzeichnet J IX 1684 einige Belege für Χριστεπώνυμος , dadurch von neuem bestätigend, daß die Christen spätantik den „Beinamen" Christos zu tragen vermochten.

Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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( X P H C T O C ) , Christi Gesalbtsein ( X P I C T O C ) o d e r die T e i l h a b e der Christen ( X P I C T O I ) an d i e s e m Gesalbtsein hervorheben: D e r k o i n e griechisch-itazistisch mit Τ , l a t e i n i s c h - u m g a n g s s p r a c h l i c h mit g e s c h l o s s e n e m e a u s g e s p r o c h e n e N a m e C h r i s t o s / C h r i s t u s trägt - o b m a n ihn abkürzt (als X , X C , X P C o. ä.), mit ι o d e r η ausschreibt - in j e d e m Falle A u s s a g e n , die seinen T r ä g e r identifizieren und charakterisieren. D a s sich einer neutestamentlich-altkirchlichen N a m e n s u n t e r s u c h u n g stellende P r o b l e m ist nicht das eines B e d e u t u n g s s c h w u n d e s des Christusnamens, s o n d e r n das der s a c h g e m ä ß e n Erkenntnis der v e r s c h i e d e n e n B e d e u t u n g s f a c e t t e n u n d ihres E n t w i c k l u n g s z u s a m m e n h a n g s .

Ausblick 1 Zur Geschichte der „Chrestiani/Chrestianoi"Variante des Christennamens Gleichsam als Gegenkontrolle zum erstellten Befund einer semantischen, die itazistische Chrestos-Variante einbeziehenden Entwicklung des Christusnamens bietet sich die Sprachgeschichte seiner zentralen Namensableitung Christianoi an. Denn auch dort findet sich die itazistische Variante Chrestianoi, lateinisch Chrestiani. Doch dürfen die Sprachvarianten Chrestos und Chrestian(o)i nicht vorschnell miteinander verbunden werden. 167 Denn während Chrestos sich als christliche Fortbildung des Christusnamens erwies, entstand Chrestian(o)i den überkommenen Quellen nach tatsächlich aus Ressentiments gegen die Christen: Bis ins frühe 3. Jh. fehlt jeder positive christliche Beleg. 168 Dagegen kennt die nichtchristliche Literatur des 2. Jh. eine Ausnahme aus dem ansonsten auch dort von Plinius d. J. und Trajan über Sueton bis zu Lukian 169 herrschenden Gebrauch der Variante Christiani/Christianoi: Die Annalen des Tacitus bieten 15, 44,2 in der Lesart erster Hand ihrer Haupthandschrift, des Codex Mediceus II, „Chrestiani".170 Diese Ausnahme stützt zwei Generationen später Tertullian: 167

Gegen Blaß' am Eingang von 1.2.5 zitierte Hypothese in ΧΡΗΣΤΙΑΝΟΙ 466. Die von Montevecchi, N o m e n christianum 491f,493 angeführten Inschriften CIL 6, 24944 und 6, 1056 r.83 mit Chrestianus lassen sich nicht als christliche Belege behaupten, erstere schon aus Datierungsgründen (vgl. o. Anm. 110), letztere, da es sich um eine Militärinschrift (ein „Herennius Chrestianus" sei Mitglied einer Wachkohorte) aus einer Zeit gerade aktueller Christenverfolgung handelt. Sie zeigen f ü r uns interessant, daß der polemische Wortgebrauch, der gleich zu behandeln sein wird, nicht so stark wurde, um eine unbefangene Cognomen-Bezeichnung einer Person als zum Sklaven- oder Klientelkreis eines Chrestus gehörig (vgl. o. Anm. 110) mit dem gleichen W o r t auszuschließen. 168

169 Plinius min., ep. 10, 96 (1 u.ö.); Trajans Reskript a . a . O . 97,1; Sueton, Caes. 6, 16,2 und Lukian, Alex. 38; Peregr. 11-13. - Auch die 1862 entdeckte, kurz danach verschwundene Kohle-Kritzelei aus Pompeji (spätestens 79 n.Chr.), die in einem Teil der Forschung (nicht in CIL 14, 679) - wohl fälschlich - auf Christen bezogen wurde, böte allenfalls die Lesart „Christiani" (s. die Diskussion bei Dinkier, Denkmäler 138ff, weniger kritisch Montevecchi a . a . O . 490). 170 Z u r Bevorzugung dieser Lesart vgl. Wlosok, R o m und die Christen 9, die freilich

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Einführung

apol. 3,5 (vgl. nat. 1, 3,9) verweist er seine nichtchristlich-römischen Adressaten in der Diskussion über ihre Christenverfolgung darauf, bei ihnen bestünde nicht einmal über den Christennamen Klarheit, werde er bei ihnen doch auch (!) in der „Chrestianus"-Form öffentlich bekanntgemacht („pronuntiatur").171 Zu Christiani gab es also - vorab im Volksmund, nicht im Rechtsdokument,172 und römisch, nicht griechisch 173 - die nichtchristliche Sprachvariante Chrestiani. Wie ist sie zu erklären? Tacitus bietet den Schlüssel, wenn er ann. 15, 44,2f formuliert, Nero habe diejenigen angeklagt und ausgesucht bestraft, die das Volk als durch Übeltaten Verhaßte Chrestianer nannte („Nero subdidit reos et quaesitissimis poenis adfecit quos per flagitia invisos vulgus Chrestianos appellabat"), um als wissender Autor nachzuschicken, der Name leite sich eigentlich von Christus ab („auctor nominis eius Christus"): Es handelt sich um eine Volksetymologie, die sich der griechisch-itazistischen Lautidentität von ι und η in Verbindung mit der lateinisch-umgangssprachlichen Abschleifung von i zu einem geschlossenen e 174 bedient, um die Christen als Leute zu brandmarken, die im Euphemismus mit der Wurzel χρηστός (gütig) ihr tatsächliches Ungütig-, ja Niederträchtigsein versteckten; d.h. im römischen Wortspiel vertritt das wurzelhaft griechische „Chrestiani" das lateinisch eigentlich sachgemäß erachtete „Flagitiosi". Tacitus treibt das Wortspiel noch einen Schritt weiter und evoziert zusätzlich die Grundbedeutung von χρηστός = brauchbar, die schon vor ihm gelegentlich die Bedeutung „zum Tode brauchbar, vogelfrei" zuwachsen ließ:175 Die dem Volk als Flagitiosi geltenden Christen waren - so sein

etwas zu selbstverständlich eine gute Bezeugung von Chrestiani als „vulgäre N a m e n s f o r m " f ü r die Christen über Tacitus hinaus behauptet. 171 Blaß a . a . O . 466 liest fälschlich, es habe nur (!) „Chrestiani" als römische Namensform gegeben. 172 Als Rechtsdokument ist uns aus der Frühzeit einzig das o. mit Anm. 169 genannte Reskript T r a j a n s mit „Christiani" überkommen. O b bereits N e r o die Christenverfolgungen rechtlich absicherte, ist umstritten (bejahend Molthagen, Staat und Christen 21-27, ablehnend J a k o b Speigl, D e r römische Staat und die Christen. Staat und Kirche von D o mitian bis C o m m o d u s , Amsterdam 1970, 251 u.ö.), ebenso die Korrektheit von Justins Wiedergabe eines nachfolgenden Hadrian-Reskripts betreffs der „Christiani" (I apol. 68, aufgenommen durch Euseb, h.e. IV 9,1-3, sehr weitgehend ausgewertet bei Speigl a . a . O . 98-108). Laut Molthagen wird eine römische V e r o r d n u n g erst wieder in den Akten des Apollonius zitiert, der sein Martyrium unter C o m m o d u s im späten 2. Jh. erlitt; weiterhin wird dort gefordert, „keine C h r i s t e n zu sein" (a. a. O . 28 mit Anm. 81 unter Berufung auf MartApoll, Gebhardt VI § 23). Den Befund runden die weiteren Märtyrerakten ab, wenn sie das Bekenntnis, „Christianos" zu sein, in den Mittelpunkt rücken (am wichtigsten MartPol 10,1 ;vgl.l2,l. Adalbert H a m m a n , La confession de la foi dans les premiers Actes des martyrs, in: Epektasis, FS Jean Danielou, Paris 1972, 99-105, weist 103 außerdem auf die Acta procons. Cypriani 1 und die Acta Carpi 5;25 hin. Schließlich kommen die Belege aus dem Vienner/Lyoneser Verfolgungsbrief Euseb, h.e. V 1,10 u . ö . hinzu). 173

Für den östlichen Reichsraum fehlt im 2. Jh. nicht nur jeder Chrestianos-Beleg, sondern haben wir umgekehrt den positiven Hinweis auf eine bei der Christianoi-Variante einsetzende Volksetymologie des Christennamens: s. u. mit Anm. 193. 174 Zur lateinischen Lautgeschichte s.o. mit Anm. 132. 175 Aristoteles, fr. 592; dazu s. Liddell-Scott, Suppl. 151 s.v.

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Gesamttenor - schon durch die Provokation ihres Namens in vorzüglicher Weise für die Anklagen Neros und dessen ausgesuchteste Strafen brauchbar. 176 Bei einer solchen Volksetymologie wird Tertullians Einspruch sehr verständlich. Als Christ, der die generationenlange Erfahrung aufzuarbeiten hat, daß schon sein „nomen ipsum" todeswürdig ist 177 - eine äußerste Zuspitzung semantischer Namenwertung! - , setzt er alles daran, dieses N o m e n positiv zu füllen, selbst in der nichtchristlichen, an sich irrigen Variante Chrestiani: Wenn diese Variante schon sein müsse, meint er, möge man sich doch daran erinnern, daß sie sich von „Freundlichkeit, Güte" („suavitas vel benignitas" = χρηστότης in seiner positiven Grundbedeutung) ableite, also gerade einen schuldfreien N a men („nomen innocuum") ergebe (apol. 3,5 vor 3,8). Erst nach Tertullian verschiebt sich die Entwicklung. Denn nun tritt die Sprachvariante Chrestianoi griechisch hervor und geht von den Nichtchristen für die PapOxyrh XLIII 3119 einen Verfolgungsbeleg wohl aus den späten 50er Jahren des 3. Jh. 178 bietet 179 - auf christliche und dem Christentum verbundene Gruppierungen über. Zwei Zentren des Begriffsgebrauchs - der die Hauptlesart Christianoi aber nirgends verdrängt 180 - schälen sich heraus: der kleinasiatische Raum, in dem der Inschriftenkreis um unsere Variante noch in die vordecianische Zeit (aber jedenfalls nach 212) zurückführen dürfte, 181 und der ägyptische Raum, w o die im N a g Hammadi-Schrifttum aufbewahrten Schreibtraditionen 176 Daß bei Tacitus ein ironisch-boshaftes Wortspiel vorliegt, ist seit längerem bekannt (s. z.B. Wlosok a.a.O. 10, neuerdings auch - freilich flächig - D. Lührmann, SUPERSTITIO - die Beurteilung des frühen Christentums durch die Römer, ThZ 42, 1986, 193-213, hier 202f); es wurde hier nur präzisiert. 177 Erstmals bei Plinius min., ep. 10, 96,2f (dort freilich mit Christiani-Begrifflichkeit). 178 Dazu Judge-Pickering, Papyrus Documentation 59 (Anm. 54 Lit.) und Snyder, Ante Pacem 159 (Lit.). in PapOxyrh XLII 3035 vom 28.2.256 bietet die Schreibvariante χρησιανός (JudgePickering a.a.O. 59,67). Das Datum liegt der valerianischen Verfolgung etwas voraus, was den Bezug auf einen Christen unsicher scheinen läßt (s. Snyder a.a.O. 158). 180 Auch die antiken Christianoi-Belege vermehren sich durch Inschriftenfunde (verzeichnet im SEG). Für die direkte Umgebung der kleinasiatischen Chrestianoi-Inschriften s. Gibson, Inscriptions (zusammenfassend 17; sie ordnet die dort zusätzliche χρειστιανοί -Variante der Christianoi-Grundlesart zu, die etwa MAMA VI 234 - bei ihr Nr.40 belegt). Für den ägyptischen Raum kommen die zahlreichen Papyri hinzu. Dabei ist der Sprachgebrauch im Nag Hammadi-Schrifttum nicht einheitlich (s.o. bes. Anm. 158), dominiert Christianos in den sukzessive edierten Berliner koptischen Urkunden (s. Helmut Satzinger Bearb., ÄgU.K 3, 1968, Reg. 217 s.v.). Verschiedene weitere Papyri sah Montevecchi, Nomen christianum 487f durch (Tabellen 489f,491). 181 Belege nach W.M. Calder, Philadelphia and Montanism, BJRL 7, 1922/23, 309-354 und MAMA I 170; IV 313.320; VI 234/236 mit Lit. bei Judge-Pickering a.a.O. 67 Anm. 78 und erweitert Gibson a.a.O. passim (Strobel, Montanismus 118f fand zusätzlich nur noch eine Inschrift der Schreibung mit „ei"). Der bis Gibson a.a.O. 4 vertretene Ansatz des Belegbeginns im frühen 3. Jh. stützt sich auf eine Rekonstruktion der Datumsangabe in der „Chreistianoi"-Inschrift Gibson Nr.22, die W. Tabbernee in Horsley, New Documents 1978, 13lf anficht. Trotzdem ist der Belegbeginn in dieser Zeit weiterhin möglich, zumal die meisten Inschriften auf Datumsangaben verzichten; aber auch ein Hinabgehen ins späte 3. Jh. (wohin der Umfeldbeleg Gibson Nr.42 gehört) und für das Gros der Belege in die konstantinische Zeit ist debattabel.

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ins 3. Jh. zurückreichen könnten 1 8 2 und die Variante sogar in manichäisches Schrifttum eindringt. 183 Die Variante weist eine starke Ausstrahlungsdynamik auf und verbreitete sich über die genannten Räume hinaus: In einem Grabepigramm ist sie fürs thrakische Philippopolis belegt, 184 weiter nördlich inschriftlich für Tomis. 1 8 5 Blaß fand sie ebenso auf griechisch-christlichen Grabinschriften von Syrakus. 186 Horsley berichtete von einer Ausstrahlung nach Rom. 1 8 7 Schließlich eignete sie sich auch das lateinische Christentum in Einzelfällen an (zwischen Syrakus und dem Noricum, in den Schreibweisen „chrestianus", „crestianus", „cressianus" und - mit i - e - U m l a u t - „cresteanus"). 188 Der Forschung fiel an dieser neuen Entwicklungsphase am stärksten der Einsatz im kleinasiatisch-phrygischen Raum auf. Phrygien war Kernland des Montanismus, so daß gefragt wurde: Waren Montanisten die Hauptträger unserer Variante, und dies über Phrygien hinaus? D o c h verbieten sich Globalisierungen. Schon die phrygischen Belege können ebenso montanistisch wie großkirchlich sein. 189 Bei den ägyptischen Belegen fehlt jede montanistische Ten182 Neben dem EvPhil (s.o. Anm. 158) ist hier das TestVer N H C IX 3 zu nennen („Chrestianoi" 31,25), über dessen Alter freilich noch keine Sicherheit gewonnen ist (s. nur die Hinweise Pearsons in Nag Hammadi Library 406). 183 Manichäische Homilien (ed. H.J. Polotsky, 1934, laut Ibschers Einleitung a.a.O. X eine Hs. des späten 4. Jh.) 72,9. 184 Im Epigramm 530 bei Georg Kaibel ed., Epigrammata Graeca ex lapidibus conlecta, Berlin 1878. 185 Laut W. Tabbernee a.a.O. 129 (nach IGLR 1976, 10). 186 Blaß a. a. O. 467; Quellennachweise vollständiger bei Montevecchi a. a. O. 489 (IG 14, 79.154.191.196); vgl. für Catania χρησιανός IG 14, 550. 187 Horsley, New Documents 1977, 173 (mit Rückverweisen). 188 „Chrestianus" findet sich in Rom (ILCV I 584 und, schlecht erhalten, in einem Graffito im Valerier-Mausoleum unter St. Peter [Text Snyder a.a.O. 145f]), in Syrakus (ILCV I 1331) und Cemenelium (ebd.1335). Für „Crestianus" sammelte Schwering im Thesaurus linguae Latinae, Suppl. Onomast. II 413f drei Inschriften (Nachweise dort). „Cressianus" findet sich in Aquileia (ILCV I 1337), „Cresteanus" in Salma (a.a.O. II 3870). Montevecchi a.a.O. 491 u.ö. erweckt den Eindruck, als seien diese Belege nicht seltener als diejenigen mit i, doch ist das aufgrund der Gesamtquellenlage nicht gerechtfertigt (vgl. Anm. 180) und läßt sich auch durch die a.a.O. 499 berufene scheinbare Kontinuität des „e" ins frz. chretien nicht stützen. Letztere überschätzte schon der von Montevecchi nicht benützte Labriolle (Christianus 87), der das lat. Crestianus im nordgallischen Raum (in dem es m.W. nicht belegt ist!) die Sprachentwicklung über crestiien zu cretien in Gang setzen sah, die die Humanisten zur heute gültigen Form chretien korrigierten. Aber die frz. Sprachentwicklung ist durch eine frz.-mittelalterliche i-e-Lautverschiebung zu erklären (s. Walther v. Wartburg, Französisches etymologisches Wörterbuch II, Tübingen 1949 = Leipzig 1940,654). Schwierig zu beantworten ist die Frage semantischen Bewußtseins in der lateinischen Variante mit „e". Da sie in Syrakus und Rom parallel zum griechischen χρηστιανός auftritt, wird man aber zumindest dort mit einer „gütig"-Bedeutungsnuance rechnen müssen. 18 ' Lit. ο. Anm. 181 und bei Horsley a.a.O. 1977, 173; umfangreiche Diskussion bei Gibson a.a.O. bes.125-144, Strobel a.a.O. 104-117 und Tabbernee a.a.O. 130ff,139; vorsichtige Bündelung bei Snyder a.a.O. 137.

Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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denz und spricht alles für einen ausstrahlenden großkirchlichen Sprachgebrauch: Das gnostische TestVer ( N H C IX 3) wirft der Großkirche das unzureichend gedeckte Bekenntnis vor, „Chrestianoi" zu sein (31,25), und Hauptzeuge der Variante im 4. Jh. wird der großkirchliche Codex Sinaiticus (zu Act 11,26; 26,28; 1 Petr 4,16).190 Übergreifend für einen großkirchlichen Sprachgebrauch spricht die angeführte weite Streuung und hohe 191 Zahl der Belege. Aber auch die These einer einlinigen christlichen Übernahme der Namensvariante aus dem vorhergehenden nichtchristlichen Gebrauch stößt auf Schwierigkeiten. Dabei sind weniger die Probleme räumlicher Korrelation der Belege ausschlaggebend - daß ein nichtchristliches Chrestianos ausgerechnet für Kleinasien im 3. Jh. noch fehlt, kann Zufall sein - als der bis Tertullian so klar spürbare Vorbehalt gegen eine christliche Akzeptanz der im christenkritischen sozialen Umfeld gebrauchten Fremdbezeichnung. Es müssen also positive christliche Impulse hinzugekommen sein, um ab dem 3. Jh. eine vom östlichen Mittelmeerraum ausgehende und sich bald ausweitende Aneignung von Chrestianos neben Christianos (und Christos) als christliche Selbstbezeichnung zu ermöglichen. Der Schlüssel für solche Impulse liegt wiederum im Sprachgebrauch von χρηστός. Anders als im Westen des Reichs haben wir nämlich im Osten von Kleinasien bis Ägypten keinen Hinweis, daß die Christen im 2. Jh. unter einer „chrestos"-Persiflage ihres Namens zu leiden gehabt hätten. Nichtchristlicher Spott hielt sich hier, wie wir Theophilus entnehmen können, statt dessen an die Grundlesart Christianoi (im Sinne von „die Eingeschmierten" - in heutiger Umgangsprache etwa „die Eingeseiften"). 192 Umgekehrt konnten die Christen in ihrer Antwort darauf 193 oder in allgemeiner positiver Entfaltung ihres Namens das itazistische Mitschwingen von „chrestos" in ihrem Namen unbelastet zur Geltung bringen: Was ihren römischer Anklage unterliegenden Namen angehe, zeigten sie sich - meint so Justin doch als die vortrefflichsten, gütigsten Leute (als χρηστότατοι). 194 Theophilus dokumentiert die gleiche Selbsteinschätzung in einer Kombination der „chrestos"-Aussage mit einer positiven Vorsilbe, setzt so dem Spott der Umwelt seine Hoffnung entgegen, seinem gottgeliebten Christennamen entsprechend für Gott in vortrefflicher Weise brauchbar, gütig (εύχρηστος) zu sein.195 Im itazistischen Wortspiel zwischen „Christos" als Namen Christi und „Chrestoi" als Namen der Christen bei Clemens Alex, erreicht die Linie ihren Höhepunkt. Die zum Glauben an den Χριστός Gekommenen seien - formuliert er - Gute/Gütigliche und würden auch so heißen (χρηστοί τέ είσι και λέγονται), analog der 1.0

Horsley a.a.O. 173 weist noch auf einen bischöflichen Beleg der Variante im 8. Jh. hin: P. Lond. 1 (1893), 77. 1.1 Bei Einbezug der Ableitungen χρηστιανικός κτλ. sogar noch vermehrbare (s. die Hinweise bei Montevecchi a.a.O. 498 Anm. 30). 1.2 S. Theophilus, Autol. 1 1 2 (die Nuance des Eingeschmiertseins spiegelt der Einsatz der Erwiderung beim Eingeschmiertsein eines Schiffes - sei. dessen Teerung - und eines Bauwerks - sei. dessen verputzendem Streichen). 1.3 Spott über den „Christianoi"-Namen blieb in der östlichen Reichshälfte noch bis zum Ende des 4. Jh. virulent: s. Chrysostomus, hom. 15,8 in Mt; 18,2 in Eph. 1.4 Justin, I apol. 4,l;vgl.4,5. 1.5 Theophilus, Autol. I 1.

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Bezeichnung „Königliche" für „dem König Angegliederte" usw. 196 Sogar das knappe „chrestoi" verdichtet sich damit um 200 punktuell zum Christennamen. 1 , 7 Freilich setzt es sich als solcher in der Folgezeit nicht durch. 198 Aber dafür verdichtet sich nun der positive Ausdruck christlichen Selbstbewußtseins gelegentlich in die figurae etymologicae χρηστή χρησσιανή 199 oder χρηστιανοί συγχρηστοί .2°° Korrelieren wir die sich ergebenden onomastischen Vorgänge, zeigt sich an einer Stelle ein Zusammenhang: Die Chrestoi-Variante des Christennamens verleugnet die Christos-Bezugswurzel ebensowenig wie später die ChrestianoiVariante Christianoi verdrängt. M.a.W., die Christen wollten beide, die Salbungs- wie die Tüchtigkeitsnuancen, hören. Das findet eine unmittelbare Bestätigung darin, daß eine der phrygischen „Christen für Christen"-Grabinschriften diese Formel unter Wechsel der Varianten als Χριστιανοί Χρηστιανοΐς schreibt. 201 In der Regel akzentuierte man den „christ"-Kern stärker (bis hin zur besprochenen Christoi-Namenszuspitzung ab Origenes), aber örtlich konnte sich der Schwerpunkt auch umkehren. Reizvoll hinzu tritt die Erwägbarkeit einer Korrelation der Chrestianoi-Namensvariante mit dem Auftreten von Chrestos als Christus-Namensvariante ab dem späten 2./frühen 3. Jh. Immerhin ist sowohl chronologisch wie aufgrund der Wortbildung ein Zusammenhang möglich. Denn christliches Chrestianoi setzte sich erst nach Chrestos durch (nach 212; s.o.) und kann in seiner Wortbildung mit dem „(i)anos"-Suffix auch als Ableitung von jenem verstanden werden. 202 Es ließe sich dann an dieser Stelle ein zusätzliches Indiz dafür fin-

1.6

Clemens Alex., Strom. II 4, 18,3 (GCS Clem. II 122,8f). Die geschilderte christliche Aufnahme der „chrestos"-Charakteristik findet übrigens (mit weiteren Belegen) seit langem in der Forschung Beachtung, wenn auch in der Regel unter ungenügender Differenzierung der westlichen und östlichen Begriffsentwicklung: s. bes. Blaß a.a.O. 469f; Labriolle a.a.O. 83ff und Peterson, Christianus 84f (mit wichtigen Nachweisen für εύχρηστος im Sinne von „Bürgertugenden besitzend" und χρηστός im Sinne von „sozial nützlich"). 1.7 Man beachte, wie nahe Clemens' zitierte Formulierung in ihrer Struktur den „legomenos"-Namenseinführungen steht, auf die o. unter 1.2.2 einzugehen war. 1.8 Nach Clemens konnte ich keinen Beleg gleich zugespitzter Aussage finden. Dies mit der Konkurrenz der stärkeren „Chrestos"-Besetzung durch eine Variante des Christusnamens zusammenzubringen, liegt nahe, läßt sich aber bislang nicht verifizieren. So in der bei S. Agnello, Silloge di iscrizioni paleocristiane della Sicilia, Rom 1953, 34 verzeichneten Syrakusaner Inschrift, die Tabbernee a.a.O. 129 zitiert. 200 S. P. Lond. 6 (1919), r.l6f.32 (von ca. 330/340), zitiert bei Montevecchi a.a.O. 487. 201 Die Inschrift Nr.4 bei Gibson a.a.O. 15 (dort erstpubliziert), a.a.O. 15-17 abhängig von Blaß diskutiert. Gibsons Ergebnis - im oberen Tembristal gebe es eine Verwirrung der Sprachformen - ist philologisch korrekt, aber sachlich zu vertiefen. Denn die Verwirrung hat Methode: Man akzentuierte zwar den „chrest"-Kern, erhielt aber zugleich den „christ"-Bezug (weshalb auch „Christianoi"-Inschriften vorhanden sind, s. o. Anm. 180). 202 Die Wortbildung mit „(i)anus", „(i)anos" setzt als Stamm nicht nur bei „Christiani", sondern durchweg ein Nomen appellativum voraus (häufig in der Verdichtung zum Nomen proprium). Die nach wie vor umfassendste Belegzusammenstellung dafür bietet Lip-

Die Christusbezeichnung als Titel und Name

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den, wie stark man christlich die Gütigkeitsaussage in den einzigartigen Namen Christi eingebunden empfand. Freilich enthalten die Belege für Chrestos und Chrestianoi bislang keinen Schlüsseltext, der sie eindeutig in der Weise einer Namensableitung miteinander verbände. 203 Es ist daher vielleicht wahrscheinlicher, daß das vom Osten ausstrahlende „chrestoi"-Selbstbewußtsein der Christen die entscheidenden Impulse dafür gab, daß sie ab dem frühen 3. Jh. die Variante Chrestianoi zu ihrem Christianoi-Namen positiv aufgriffen. Der Vorgang wurde dann durch seine Korrelierbarkeit mit der Güte-Nuance des Christusnamens nur gefördert. Vielleicht werden weitere Quellenfunde noch eine genauere Klärung erlauben. Bis dahin ist festzuhalten: Die itazistischen Entwicklungen des Christusund des Christennamens dürfen nicht vorschnell vereinheitlicht werden. Sie sind vielmehr so facettenreich wie das in ihnen aufgegriffene griechische „chrestos"-Prädikat. An dessen Tradition als Gottesepithet knüpft die christologische Chrestos-Variante an, an seine ironische Umkehrung die römische Chrestiani-Volksetymologie, an seine positive Aussage sozialer und religiöser Güte - sekundär gefördert durch die Verbindbarkeit mit christozentrischen Gütevorstellungen - die christliche Aneignung von Chrestianos als Selbstbezeichnung. Freilich, eines ist wieder allen Fällen gemeinsam: das hohe semantische Namensbewußtsein, das wir als Kennzeichen der Antike schon grundsätzlich beobachteten. Eine Lösung für das wohl meistdiskutierte Problem des Christennamens, nämlich ob er als Fremd- oder Selbstbezeichung der Christen entstand, ergibt sich aus der Variantenanalyse nicht.

1.3 S c h l u ß f o l g e r u n g e n Die Vorstellungen, die sich das frühe Christentum von Jesus als „Gesalbtem" machte, konnten bis vor kurzem als durch die großen Forschergenerationen von Semler über Hilgenfeld zu Bousset und Dahl im wesentlichen geklärt scheinen. Denn das Bild der Aufnahme und Bresius, Ursprung des Christennamens 12-16; in neuerer Zeit kommt am wichtigsten Peterson, Christianus 69-73 hinzu. 203 Am nächsten führt TestVer ( N H C IX 3) 31,22-32,5 an ein Ableitungsdenken heran: Die großkirchlichen Christen würden bekennen, „Chrestianos" zu sein, ohne sich aus der Unwissenheit zu lösen, in der sie nicht wüßten, wer X C (32,2) sei. Der Text ist aber aufgrund des Unausgeschriebenseins von „Christus"/,,Chrestus" nicht eindeutig. Analoges gilt für die phrygischen Inschriften: Eindeutige Belege für „Christos" wie „Chrestos" fehlen, so daß wir auf indirekte Evidenz angewiesen sind. Diskutierbar als solche ist vor allem die Ableitung φιλοχρήστορες in Gibsons Chrestianoi-Inschrift Nr.27 Z.l, aber deren christologische Beziehung ist bislang nicht zwingend erwiesen (Diskussion bei Gibson a.a.O. 73, die entscheidet, es sei wahrscheinlich sowohl „Christos" als auch „chrestos" intendiert). Schließlich bleiben auch die Anm. 199 angeführte Syrakusaner Inschrift und der Anm. 200 genannte Beleg im P. Lond. durch den Verzicht auf eine Ausschreibung des Christusnamens offen.

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chung jüdischer Heilshoffnungen im Christus-(Messias-)Denken des frühen Christentums, das diese Forschergenerationen entwarfen, war in sich stimmig und beanspruchte hohe religionsgeschichtliche Plausibilität. Der „Gesalbte" war demnach die zentrale jüdische Erwartungsgestalt, um die sich zur Zeit Jesu alle Sehnsüchte auf eine neue Zukunft Gottes für sein Volk sammelten. Als herrscherlich-hoheitliche Figur sollte er Gottes machtvolles Handeln repräsentieren, wobei nur offenblieb, wieweit er selbständig, wieweit in strikter Abhängigkeit von Gott wirken würde. Als nun die Umgebung Jesu Gottes Handeln in ihm zentriert erfuhr, identifizierte sie - oder spätestens die nachösterliche Gemeinde - Jesus als diesen eschatologisch-herrscherlichen Gesalbten, als den „Messias". Freilich war er ein Messias, der alle menschlichen Hoheitsfestlegungen mit seinem Leiden konfrontierte, sie vollends am Kreuze zerbrach. So mußte die Urgemeinde seine Messianität neu definieren. Sie erkannte in ihm den für uns gekreuzigten Messias, dessen herrscherliche Hoheit sich durch seine Auferweckung erwies und im strengen Sinne auch erst konstituierte. Paulus, der geborene Jude, mochte mit dieser messianischen Tradition und ihrer Umprägung noch vertraut sein, seine Leser jedoch lebten schon in einer anderen Welt, im griechisch-römischen Hellenismus, der keine Gesalbten-, keine Messiastradition kannte. Daher konnten sie die urgemeindlich-judenchristliche Rede vom Messias Jesus nicht mehr in ihrer theologischen Bedeutung verstehen, lasen sie in den Paulusbriefen Christus als asemantischen Namen. 1 Ihre Christologie bedurfte einer anderen Ausdrucksweise, etwa des Kyriostitels. Und da die Alte Kirche sich zunehmend in ihrer Gesamtheit hellenisierte, traten in ihr allmählich auch die zunächst noch verbliebenen judenchristlichen Bewußtseinsstränge zurück, war bald überall in ihr Christus nur noch Name zwar zentralen Ranges, aber vernachlässigbarer Aussagekraft. 2 So geschlossen dieses Bild ist und so einleuchtend es erscheinen mag, wurde es doch in den letzten Jahrzehnten zunehmend brüchig. Denn in der ihr eigenen Fähigkeit zur Selbstkritik und Verpflichtung zur methodisch immer strengeren Erfassung des Gegenstandes machte die historische Analyse vor keinem der traditionellen Forschungspfeiler Halt. Sie zerbrach durch die Erschließung eines breiteren, vielfältigeren Gebrauchs der Gesalbtenterminologie im Judentum um die Zeitenwende die Selbstverständlichkeit, mit der der Gesalbtenbegriff herkömmlich 1 Wohl prägnantester Vertreter dieser Differenzierung zwischen Paulus und seinen Lesern ist Grundmann (in ders. u.a., χρίω κτλ. 533). 2 Soweit eine idealtypische Zusammenfassung des über den Lauf der Jhh. entstandenen Forschungsbildes (zu Semler s. unter 1.1.1, zu Hilgenfeld 1.1.2, zu Bousset und Dahl 1.1.3).

Schlußfolgerungen

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auf eine herrscherliche Erwartungsmessianität hin zentriert wurde. Zugleich problematisierte sie die Erhellung des neutestamentlichen Christustitels durch andere Titel Jesu, namentlich die des Gottesknechts, des Gottes-, Menschen- und Davidssohnes. Sie isolierte ihn damit von den titularen Feldern, die lange zur Abstützung seines postulierten herrscherlich-hoheitlichen Charakters und zur traditionsgeschichtlichen Erhellung seines urchristlichen Leidensakzents gedient hatten. Schließlich stellte die fortschreitende historische Analyse das bis Anfang unseres Jahrhunderts gewonnene Bild der Geschichte des Christus-Glaubens fast auf den Kopf: Die ehedem so gesichert scheinenden Anfänge mit einem hoheitlichen Messiasglauben der Urgemeinde verschwammen bis zur Unerkennbarkeit. Immer klarer trat dagegen ein ehedem für unmöglich gehaltener semantischer Begriffsgebrauch von Christos (Gesalbter) im griechischen Heidenchristentum hervor, und dies ohne Grenze zwischen Neuem Testament und Alter Kirche. 3 Das eingangs zusammengefaßte herkömmliche Bild des ChristusGlaubens der frühen Kirche und seiner Entwicklung kann daher schwerlich mehr aufrechterhalten werden. Aber gibt es eine Alternative? Nach der sprachgeschichtlichen Voruntersuchung ist dies ernsthaft in Betracht zu ziehen. Denn deren erste, philologische Sichtung der uns zur Verfügung stehenden Quellen vom Neuen Testament bis in die späte Alte Kirche führte zu Ergebnissen, die sich als Alternativhypothese bündeln lassen:4 Der Titel und der Name Christus sind in diesem gesamten Zeitraum nicht als einerseits Bedeutungsträger, andererseits Asemantem gegeneinander auszuspielen, dienen vielmehr beide gleichermaßen der Identifizierung und Charakterisierung der einzigartigen Gestalt Jesu. Ihre gemeinsame Wurzel haben sie im Appellativum Gesalbter, mit dem die älteste Christenheit - wie mit anderen Appellativa (Menschensohn, Herr usw.) - ihre Erfahrung des besonderen Gottesbezuges Jesu zu artikulieren suchte. Gesalbter war dabei, wie in der ältesten Sterbeformeltradition sichtbar wird (s. Rom 5,6.8; 14,15; 1 Kor 15,3b u.ö.), zunächst indeterminiert und damit nicht auf einen einzelnen Strang der Gesalbtentradition - etwa den eschatologischer Hoffnung auf einen herrscherlich-hoheitlichen Gesalbten - festgelegt. Vielmehr knüpfte das Urchristentum, zuerst in der Umgebung des Judentums, mit dem Prädikat an die begriffliche Tiefe der damals geläufigen Gesalbtenvorstellung(en) überhaupt an. Sehr schnell adaptierte es das griechischspra3

Soweit eine Zusammenfassung der unter 1.1.1, 1.1.2 und 1.1.3 je am Ende der Paragraphen berichteten Analysefortschritte. 4 S. zum Einzelnachweis der folgenden Zusammenfassung von 1.2 die dortigen Erörterungen.

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chige Juden- und Heidenchristentum. In einem bis zur Abfassung der Paulusbriefe schon abgeschlossenen Prozeß verdichtete es sich im hellenistischen Gemeindebereich zur zentralen, in den unumstrittenen Paulinen 270mal nachgewiesenen 5 Benennung Jesu, die ohne Verlust an Bedeutsamkeit dessen Namen vertreten konnte (daher in den modernen Textausgaben in der Regel durch eine den alten Handschriften noch fremde Kombination von Majuskel und Minuskel als Name gekennzeichnet wird). In der Jesus-Erzähltradition schlug sich der Prozeß erst verzögert nieder; denn im Logienquellengut von Mt und Lk findet sich noch kein Beleg für Christos, und Mk bietet es (einschließlich Redaktion) nur siebenmal 6 . Immerhin finden wir vom Mk an in den Evangelien einen zunehmenden, wie bei Paulus gleichermaßen onomastischen und titularen Begriffsgebrauch (für Tradition und Redaktion insgesamt bei Mt 16, Lk/Act 12 und 26, Joh 19 Belege).7 An den Einzelstellen tritt nun deutlicher hervor, wieweit jeweils die identifikatorische Aufgabe des Namens oder die charakterisierende Aufgabe des Titels stärker im Vordergrund steht. Aber nach wie vor charakterisiert der Name zugleich und identifiziert der Titel seinen christlich singular erachteten Träger: Jesus, den Gesalbten. 8 Anklingend im Eph (2,7) und ausgeführt im 1 Petr wird etwa zur gleichen Zeit, eine Generation nach Paulus, die bemerkenswerteste sprachgeschichtliche Innovation der nachpaulinischen Zeit dokumentierbar, die Paronomasie von Christos mit dem griechisch-itazistisch gleichklingenden Herren-Prädikat χρηστός (1 Petr 2,3 in Verbindung mit 3,15). Die Traditionen des Gesalbten und des Gütigseins Gottes verschmelzen, bis ab dem späten 2. Jh. (ό) Χρηστός - der, der einzigartig Gottes Güte zeigt, ja ist - gelegentlich sogar onomastisch an die Stelle von (ό) Χριστός tritt. Dominanter Vorstellungskern freilich bleibt die Salbungsvorstellung, die bis zum Verständnis der Christen als in die Salbung Jesu Hineingezogener, schließlich - explizit wiederum ab dem späten 2., zumindest frühen 3. Jh. - als selbst Gesalbter (Χριστοί) ausstrahlt. 9 Mit dieser Begriffsübertragung sind die sprachgeschichtlichen Innovationen um Christos im wesentlichen abgeschlossen, so gewiß der Χρηστός-Mitklang des Christusnamens im 3./4. Jh. noch die Durchsetzung einer zweiten Va-

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S. V K G N T II 300f. S. die Konkordanzen und Wortstatistiken (Zahl der markinischen Belege nach V K G N T II 300; das Fehlen von „Christos" in Q wird in der Regel nicht eigens thematisiert, geht aber aus jeder Besprechung der M t - und Lk-Belege - ζ. B. bei Kim, X P I C T O C 40-55 - mit hervor). 7 Belegzahlen wieder nach V K G N T II 300. 8 S.o. unter 1.2.2. 9 S. im einzelnen o. unter 1.2.5. 6

Schlußfolgerungen

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riante des Christennamens erleichtert, die der Variante Χρηστιανοί. 10 Auch aus anderer Warte ergibt sich um die Wende vom 2. zum 3. Jh. ein gewisser sprachgeschichtlicher Einschnitt, insofern nämlich um diese Zeit bei Tertullian erstmals eine rückblickende onomastisch-titulare Klassifizierung der Christus-Tradition auftritt.11 Die linguistische Reflexion greift jedoch nicht direkt in die Begriffsgeschichte ein. Bis über das Chalcedonense hinaus erscheint Christos/Christus weiter semantisch gefüllt sowohl als Name(nsbestandteil) wie als Titel. 12 Zweifelsohne bedeutet diese vorläufig philologisch erstellte Entwicklungslinie eine erhebliche Verschiebung gegenüber dem bis zur Mitte unseres Jahrhunderts entstandenen Forschungsbild: Die dem Christusbegriff zugrundeliegende Gesalbtentradition wird entschränkt; denn „Gesalbter" muß nicht eo ipso den eschatologisch erwarteten jüdischhoheitlichen Messias herrscherlicher Provenienz meinen. Zugleich wird das umgebende Begriffsfeld eingeschränkt; denn die Titulaturen des Gottesknechts, des Gottes-, Davids-, Menschensohns und Königs sind wie alle anderen Titel in das direkte Aussagefeld des Gesalbtenbegriffs nur soweit einzubeziehen, wie eindeutige Querlinien dies erzwingen. Schließlich wird der christliche Weg bewußt semantischer Verwendung des Christusbegriffs um Jahrhunderte verlängert; denn der ChristusNamensgebrauch dokumentiert durch die ganze Alte Kirche hindurch nur eine Konventionalisierung der Bedeutung, nicht deren Schwund. 13 10

S. im einzelnen Ausblick 1. S. bes. adv.Prax. 2 in Verbindung mit 28,1-8, dazu am Ende von 1.2.3. 12 S. am Ende von 1.2.2 (Chalcedonense) und am Ende von 1.2.1 (noch spätere christlich-aramäische Inschriften). 13 Es fragt sich sogar, wieweit dies noch im Mittelalter der Fall war: Für den Osten wird man angesichts der am Ende von 1.2.5.1 angeführten Sachvermittlung der Suda ernsthaft damit rechnen müssen. Für den Westen ergibt eine erste, notwendig rudimentäre Quelleneinsicht einen ambivalenten Befund. Denn einerseits tritt die Gesalbten-/Salbungsetymologie zur Deutung des Christusnamens dort allem Anschein nach zurück. So kann etwa Bernhard von Clairvaux selbst in einer Predigt über das Wort „oleum effusum nomen tuum" aus Cant 1,2 Jesus" und „Christus" gleichermaßen - wenn nicht sogar vorrangig Jesus" - als Ol-Namen interpretieren, ohne einen Bezug zur „chrisma"-Wurzel des Christusnamens herzustellen (sermo XV in Cant., in: Opera I, rec. J. Leclerq e.a., Rom 1957, 82-88). Thomas von Aquin nimmt - wie bereits in Anm. 5 zu 1.1 angemerkt - auch bei seiner Formulierung eines dreifachen Amtes Christi (summa theol. 3, 22,1 ad 3) dem Anschein nach nicht auf Salbungstraditionen Bezug und nennt ohne Bemühung um etymologische Begründung an erster Stelle das Amt eines Gesetzgebers („legislator"; vgl. aber immerhin Anm. 67 zu Ausblick 3). Und Eckhart springt im Johanneskommentar von 1,39 zu 1,43, also über die unausweichlich etymologische Stelle 1,41 hinweg (s. Meister Eckhart, Lat. Werke III, ed. K. Christ/J. Koch, 187ff). 11

Andererseits läßt sich schwer von einer Asemantisierung sprechen, wenn „Christus" und „gratia" so eng zusammengebracht werden wie bei den letztgenannten beiden Autoren in der unmittelbaren Umgebung der genannten Stellen: Thomas erläutert a. a. O., die

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Diese Verschiebung ist aber keine Erledigung der bisherigen Erkenntnisse. Denn die Entschränkung der Gesalbtentradition bedeutet nicht den Ausschluß von deren hoheitlich-herrscherlicher Komponente, die Einschränkung ihres Begriffsumfeldes nicht die grundsätzliche Leugnung möglicher Querlinien zu anderen Titeln, die Ausweitung ihrer christlich-semantischen Fortführung nicht die Behauptung fortlaufender, je neu zu erschließender semantischer Innovation. Daher können die analytischen Ergebnisse der bisherigen Forschung auch in eine neue Synthese des Gesamtentwicklungsgangs eingehen. Dies für die religions-, traditions- und theologiegeschichtlichen Grundaspekte so fruchtbar wie möglich durchzuführen, ist Aufgabe des zweiten Teils vorliegender Arbeit.

drei Amtstraditionen liefen „in Christo" zusammen „tanquam in fonte omnium gratiarum", und Eckhart definiert im Johanneskommentar zu 1,17 (a.a.O. 154,2) geradezu, „Christus" sei „perfectio, gratia, Veritas". Die Tradition des wahren, vollkommenen Heils-Namens tritt hier so stark hervor, daß von einem Bedeutungsabbruch gegenüber der altkirchlich (unter 1.2.5.1) sichtbar gewordenen Linie, in „Christus" Gottes Güte („chrestotes", wozu als lateinisches Äquivalent auch „gratia" in Frage käme) mitzuhören, nicht gesprochen werden kann. Hinzu kommt die Disputation mit den Juden des Mittelalters um das Gekommensein des „Messias" (dazu Ersthinweise bei Erwin J. Rosenthal, Jüdische Antwort, in: KuS I, 1968, 307-362, hier 311 u.ö. und Schoeps, Religionsgespräch 72-76; vgl. Maier, Erwartung 159f), die darauf zu überprüfen wäre, wieweit sie ein onomastisches Bewußtsein in Beanspruchung alttestamentlicher Gesalbten-Linien aufrechterhielt. Aber wieweit die Fäden sich verwoben, wieweit sie zumindest akzenthaft getrennt blieben, können nur Spezialerhebungen überprüfen. Diese müßten m.E. ihr Augenmerk auch auf Querlinien zwischen der systematisch reflektierten Christologie und mittelalterlichen Christuslegenden richten - so ist laut Quinn, Quest of Seth 2 in der Set-Legende des Cursor Mundi Christus bereits im Paradies als der vorhanden, der das Öl der Gnade (!) sein werde. Des weiteren verdiente die Frage besondere Beachtung, wieweit der frühe Humanismus (vor Luther) die Christusetymologie wiederentdeckte und die volkssprachliche Verkürzung von „Christus"/„Christen" zu einem endungslosen, gegebenenfalls mit k geschriebenen „Krist" (so deutsch: s. F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearb. W. Mitzka, Berlin 201967, 117f) etymologisch bewußt korrigierte.

2 Grundlegung Abgesehen vom 3 Joh begegnet Christos in allen Schriften des Neuen Testaments und ist damit die in ihm verbreitetste christologische Bezeichnung. 1 Unter den 26 Einzelschriften mit insgesamt 531 Belegen2 erinnert allein das Joh seine Leser und Hörer daran, daß Christos die Übersetzung eines aramäischen, griechisch als μεσσίας zu transkribierenden Wortes sei (Joh 1,41). Aber auch dort ist die griechische Form Christos so eingebürgert, daß sie als Titelname der einen Person Jesu das aramäische xn'tfa/n'Pa, das sie übersetzt, gänzlich zu substituieren vermag. Die Samaritanerin am Jakobsbrunnen artikuliert 4,25 ihr Wissen um das Kommen einer einzigartigen gesalbten Gestalt 3 so in einem aussagelogischen Sprachwechsel: Nur allgemein bezeichnet sie die erwartete Gestalt noch mit dem aramäischen Sprachsubstrat als „Messias". Was den (aussagekräftigen) Namen des „Messias" angeht, greift sie direkt aufs Griechische - unser „Christos" - zurück. 4 „Christos" findet sich folgerichtig noch 17mal im Joh, 5 während „Messias" in ihm - und damit überhaupt im Neuen Testament - auf die genannten beiden Stellen beschränkt bleibt.

Anders als beim Herrentitel 6 ist ein aramäisches Messias-Sprachsubstrat in der christlichen Überlieferung auch in keiner Formelverbindung erhalten geblieben. So müssen wir hier religionsgeschichtlich von einer sehr frühen und starken griechischen Aneignung eines sich zunächst aus aramäisch-jüdischer Tradition ableitenden Titelnamens ausgehen. Daß für diese Aneignung das Verbaladjektiv des griechischen Verbs χρίειν gewählt wurde, ist nicht zufällig. Denn die semantischen Felder von n&a und χρίειν - „einstreichen, einstreichend oder übergießend salben, an der Oberfläche tangieren" - decken sich weitgehend, 7 eine

1 Der gleichfalls sehr weit verbreitete Kyriostitel fehlt immerhin in vier Schriften (Tit, 1-3 Joh), und „Sohn" ist, selbst wenn man nicht zwischen allgemeinem und christologischem Gebrauch unterscheidet, gar in sieben Schriften nicht belegt (Phil, Past, Phlm, 3 Joh, Jud); s. die Verteilungsangaben V K G N T II 166f,282f,300f. 2 Belegzahl nach V K G N T II 301. 3 „Messias" steht hier anders als in 1,41 artikellos. 4 Mit der o. unter 1.2.2 mit Anm. 35 besprochenen Namenseinführungsformel. 5 Belegzahl nach V K G N T II 300. 6 Mit dem sich das Maranatha verbinden läßt (s. 1 Kor 16,22 neben Apk 21,20). 7 Vgl. die Bedeutungshinweise zu χρίω bei Liddell-Scott 2007 mit denen Seybolds zu ΠΒ» im T h W A T V, 47f.

94

Grundlegung

Äquivalenz, auf die schon die Septuaginta-Übersetzer zurückgriffen: 8 Wo sie ΠΠ&η- oder n&a-Aussagen frei passivisch ins Griechische übertrugen, setzten sie χριστός in Vertretung eines präterital-passivischen Partizips (LXX Lev 21,10.12; 2 Chr 22,7). Von da abgeleitet, benutzten sie es weiterhin und vor allem als Äquivalent zu n'tfö, bürgerten so Christos als personbezogenes Stereotyp den vorhandenen Belegen nach neu ins Griechische ein.9 So kommen über die aramäisch-palästinischen Anfänge hinaus das griechischsprachige Judentum, das sich um die Zeitenwende im ganzen Mittelmeerraum finden läßt, und das von daher geprägte griechischsprachige Judenchristentum maßgeblich als Vermittler der jüdischen Gesalbtentradition in das bald dominierende griechische Heidenchristentum in Frage. Doch verbietet sich eine religionsgeschichtliche Beschränkung darauf. Denn schon das Judentum um die Zeitenwende war in seine hellenistische Umgebung eingebettet. Noch stärker gilt dies für das entstehende Christentum, da bereits Paulus in seinen Briefen auf eine an pagane Adressaten gerichtete Mission zurückblickt, ohne deshalb seine Vorliebe für die Gesalbtenprädizierung Jesu irgend zurückzunehmen, also offenbar die Verständlichkeit dieses Begriffs für pagane Ohren voraussetzt. Daher ist der Einbezug pagan-religiöser Salbungsriten und Salbungsvorstellungen als Bezugsbereich der Traditionsentwicklung in unsere Untersuchung unabdingbar, auch wenn die Forschungslage dafür nicht günstig ist.10 Der Aufbau der folgenden Abschnitte ist durch die aufgezeigten Determinanten bestimmt. Sie setzen mit einem Überblick über die Geschichte religiöser Salbungsvollzüge und -Vorstellungen im Judentum bis zur neutestamentlichen Zeit ein und ziehen dabei an entscheidender Stelle die Querlinie zur Entwicklung von religiösen Salbungsriten in der paganen Umwelt, um die Realienbasis für das Verständnis des verdichteten Begriffs „Gesalbter" in den uns entscheidend interessierenden Jahrhunderten um die Zeitenwende zu schaffen. Den Verständnisverzweigungen des Begriffs selbst im Judentum des genannten Zeitraums geht sodann in seiner Relevanz fürs frühe Christentum der Mittelabschnitt des Kapitels nach. Der dritte Abschnitt schließlich gilt in aller Knappheit derjenigen Zuspitzung der griechisch-römischen Salbungstradition, die vor allem zur zusätzlichen Herausforderung für das frühe Christentum werden konnte, der Tradition göttlicher Salbung singulärer Gestalten zur Hereinnahme in den göttlichen Bereich, zur Unsterblichmachung und Vergottung. 8 S. Seybold a.a.O. 58. ' S. Grundmann in ders. u.a., χρίω κτλ. 485; Belege bei Hatch-Redpath s.v. 1475f. 10 S. o. unter 1.1.1 mit Anm. 38ff.

D e r Realienhintergrund

95

D i e bisherige F o r s c h u n g s z e n t r i e r u n g auf die herrscherliche S a l b u n g s t r a d i t i o n u n d G e s a l b t e n e r w a r t u n g e r z w i n g t , w a s diese angeht, e i n e D a r s t e l l u n g nicht nur d e s positiven, s o n d e r n a u c h d e s n e g a t i v e n B e f u n d e s . D e r Leser sei u m N a c h s i c h t f ü r die s o e n t s t e h e n d e n U n g l e i c h g e w i c h t e in der D a r s t e l l u n g s b r e i t e der f o l g e n d e n A b s c h n i t t e g e b e t e n .

2.1 D e r Realienhintergrund 2.1.1

Die

Königssalbung

Einzusetzen ist, was die Geschichte der Salbungsvollzüge im Raum Israels und Judas angeht, mit einem negativen Befund: Spätestens das Ende der davidischen Königsherrschaft über Juda im frühen 6. Jh. v.Chr. 1 bedeutete das Ende einer jüdischen Königssalbung, und diese die nach dem herkömmlichen Forschungsduktus den nächsten Realienbezug der urchristlichen Christusvorstellung bilden müßte - wurde bis einschließlich der hasmonäischen und herodianischen Zeit nicht wieder aufgenommen. 2.1.1.1

Das gesalbte

Königtum

in Israel

und

Juda

Schon ob eine Königssalbung nach David und Salomo im N o r d - und Südreich oder doch zumindest im Südreich durchgängig vollzogen wurde, ist unsicher. 2 Denn bereits für das 10./9. Jh. wird alttestamentlich nur bei wenigen Herrschergestalten explizit auf eine Salbung hingewiesen (vor den Genannten bei Saul, neben oder nach ihnen bei Abschalom, Jehu und Joasch von Juda). 3 Nach Joasch brechen solche Hinweise bis einschließlich Joschija (2. Hälfte 7. Jh.) völlig ab. Die in dieser Zeit entstandenen Prophetenworte Amos', Hoseas, Jesajas, Michas sowie noch Zefanjas und Nahums, die man in Sammlungen und auf mannigfache Weise angereichert überlieferte/ kennen - und kritisieren - zwar eine Festsalbung der Großen des 1 Zu den Datierungsfragen um den Untergang Judas im einzelnen s. Ernst Kutsch, Die chronologischen Daten des Ezechielbuches, OBO 62, Göttingen 1985. 2 S. für eine genauere Erörterung des historischen Sachverhalts etwa Kutsch, Salbung 52-60 und Mettinger, King and Messiah 194-208, für umgebende Differenzierungen (Nord-/Südreich, Volks-/Prophetensalbung) jüngst Waschke, Vorstellungen 12-79. 3 Die Belege im einzelnen (nach Seybold, Π®» 49): für Saul 1 Sam 9,16; 10,1; 15,1.17; für David 1 Sam 16,3.12f; 2 Sam 2,4.7;3,39;5,3.17;12,7; Ps 89,21; 1 Chr 11,3;14,8; für Abschalom 2 Sam 19,11; für Salomo 1 Kön 1,34.39.45;5,15; 1 Chr 29,22; für Jehu 1 Kön 19,16; 2 Kön 9,3.6.12; 2 Chr 22,7; für Joasch 2 Kön 11,12; 2 Chr 23,11. 4 Eine Behandlung der schwierigen literarischen Fragen um die Entstehung der Pro-

96

Grundlegung

Volkes (Am 6,6) und vermögen weiterhin das Bild einer kultisch-militärischen Salbung von Kriegsschilden zu evozieren (Jes 21,5; 2 Sam 1,21),5 aber von einer Königssalbung schweigen sie. Selbst die in sie eingebundenen oder an sie angefügten, in ihrer kirchlichen Wirkungsgeschichte messianisch genannten Heilsverheißungen Jes 7,10-17; 8,23aß-9,6;ll,l-5(.6-8.9); 6 Mi 4,14-5,5 7 kommen gänzlich ohne eine Bezeichnung der in ihnen anvisierten jeweiligen Herrschergestalt als gesalbt/Gesalbter aus,8 ebenso der Judaspruch Gen 49,8-12, das 4. Bilephetenbücher erübrigt sich hier, da sie in jedem Falle vorneutestamentlich abgeschlossen sind. s Zur Erklärung der Stellen sei auf die Kommentare verwiesen, z.B. Hans Walter Wolff, Dodekapropheton 2: Joel und Amos, BK 14/2, Neukirchen 21975, 321 und Wildberger, Jesaja II, 779f. Wenig überzeugend bleibt der Versuch, religiöse Aspekte aus der Schildsalbung zu entfernen (A.R. Millard, Saul's Shield Not Anointed with Oil, BASOR 230, 1978, 70 zu 2 Sam 1,21). 6 Zum ergänzten Jes 11,10 s. Anm. 245 zu Ausblick 2. 7 Im Kern: Auf die Ergänzung Mi 5,2.3b wird bei der Besprechung des Königsbilds der exilischen Zeit zurückzukommen sein. ' Wobei hier offenbleiben kann, wieweit diese Texte auf die Propheten selbst zurückgehen, denen sie alttestamentlich zugeschrieben sind (was für den Kern der Jes-Texte etwa Koch, Propheten I 145-153 annimmt), wieweit sie sekundär erweitert wurden (was Hermann Barth, Die Jesaja-Worte in der Josia-Zeit. Israel und Assur als Thema einer produktiven Neuinterpretation der Jesajaüberlieferung, WMANT 48, Neukirchen 1977, 176f namentlich für Jes 8,23b-9,6 annimmt: 9,5f seien als überragende Qualifizierung Joschkas zugewachsen) oder überhaupt erst in jüngerer Zeit entstanden (so für Jes 9,1-6; 11,1-9; Mi 5,1-5 Werner, Jesaja 81 u.ö.). Ausschlaggebend für unsere Untersuchung ist allein, daß in keinen der Texte zwischen Entstehung und abschließender hebräischer Redaktion ein Gesalbter-Jahwes-Motiv aufgenommen oder eingetragen wurde. Auch die Jes-Texte lassen sich so nur in einem von ihrer nachalttestamentlichen Rezeption rückblickenden Sinn als „messianisch" charakterisieren, nicht philologisch streng als Entstehungsgrund der Messiaserwartung beschreiben (zur Diskussion allg. Schmidt/ Becker, Zukunft 46f). Schwierig ist daher dem am wichtigsten von Rehm, Messias vertretenen Ansatz bei Jes 7,10-17 zu folgen: Dieser Abschnitt - dessen Entstehung messianismusfern einem einmaligen und konkreten Ort in der Auseinandersetzung Jesajas mit Ahas zuzuordnen ist, an dem er auf nahe Zukunft blickt (vgl. bei allen Einzeldifferenzen A.H.J. Gunneweg, Heils- und Unheilsverkündigung in Jes. 7, VT 15, 1965, 27-34; Rüdiger Bartelmus, Jes 7,1-17 und das Stilprinzip des Kontrastes [...], ZAW 96, 1984, 50-66; Dohmen, Immanuelzeichen 307-319 und Höffken, Grundfragen 41) - erhält zwar im Lauf seiner alttestamentlichen Überlieferung einen Heilston (v.15), doch mit diesem noch keine messianische Deutung (bei Dohmen 322 wie Höffken 32 u.ö. etwas überspielt). In der Umgebung des Urchristentums wurde er jüdisch vornehmlich geschichtlich auf Hiskija gedeutet (s. Justin, dial. 68,7 u. ö., zum Umfeld bes. u. Ausblick 3); ob dies schon durch Jesaja begründet war, was sich bei einer Grundtextdeutung nach Manfred Görg, Hiskija als Immanuel. Plädoyer für eine typologische Identifikation, Biblische Notizen 22, 1983, 107-125 ergäbe, muß offenbleiben. Aus der kaum mehr überschaubaren Lit. zum Gesamtbereich seien Herrmann, Heilserwartungen (bes.92-103,126-144), Schmidt, Messias (bes.19-25), Kellermann, Messias (bes. 19-32), Seybold, Königtum (bes.26-45,79-98,106-115), Becker, Messiaserwartung (bes.20-26,32-41) und Strauß, Messianisch ohne Messias (bes.33-60) herausgehoben. Ein

Der Realienhintergrund

97

amsorakel Num 24,15-24 und die Überlieferung der Natansverheißung (von 2 Sam 7,5-16 bis zur späten Fassung in 1 Chr 17,4-14). 9 Das ist umso auffälliger, als sich die Herrscherbezeichnung „Gesalbter Jahwes" - mit ihren grammatischen Varianten „sein Gesalbter" usw. 10 - in der Geschichtsüberlieferung mit einiger Sicherheit zu den Erzählungen von Davids Thronnachfolge (2 Sam 19,22) und Aufstieg (1 Sam 24,7.11;26,9.11.16.23; 2 Sam 1,14.16 und evtl. 1 Sam 16,6) zurückverfolgen läßt, daher ihre Wurzeln in der Königstheologie vor der Zeit der Schriftpropheten haben kann. 11 Die Hauptbelege finden sich in Forschungskonsens ist nicht erreicht. Zuletzt orientiert sich Schunck, Messias (1986) positionell an einer großen alttestamentlichen „messianischen" Entwicklungslinie (zu unseren Stellen 643ff). 9 Zu diesen vieldiskutierten Texten s. jeweils zunächst die Kommentare. Eine die Problematisierung des Jahwisten einbeziehende Besprechung bot zuerst Becker, Messiaserwartung 20-25,27-31. Im einzelnen dürfte der Kern der Bileamsprüche (unter denen noch Num 24,3-9 hervorragt) kaum in vorstaatliche Zeit zurückreichen (so Vetter, Bileam-Sprüche 9ff,27ff,44ff,82f); nach der Entdeckung der Bileaminschrift von Teil Der 'Allä tendiert die Forschung eher zu später Datierung (Klaas A.D. Smelik, Historische Dokumente aus dem alten Israel, Göttingen 1987, 80f zu 6. Jh.). Wann immer sie entstanden, in ihrer biblischen Uberlieferung bleiben sie ohne Gesalbtenterminologie. Auf ihre Interpretätionsgeschichte bis ins 2. Jh. n.Chr. werden wir aber zurückkommen müssen (bis Anm. 28 zu Ausblick 3). Die Natansverheißung läßt sich selbst in der jüngsten auf einen alttestamentlichen Messianismus gerichteten Untersuchung - bei Waschke a.a.O. 143 nach 90-100 u.ö. dem „messianischen Vorstellungskreis" nur vermittelt, nämlich als „davidische Dynastiezusage", zuordnen, v. Rads wirksame These, in ihr liege dank ihrer Neuinterpretationen und Aktualisierungen „der geschichtliche Ursprung und die Legitimation auch aller messianischen Erwartungen" (Theologie I 309), ist inzwischen breiter problematisiert (vgl. Schmidt/Becker a.a.O. 46f). Die Uberlieferungs- und Rezeptionsgeschichte (zur Diskussion Ernst-Joachim Waschke, Das Verhältnis alttestamentlicher Uberlieferungen im Schnittpunkt der Dynastiezusage [...], ZAW 99, 1987, 157-179) muß aber, wo sie uns berührt, im folgenden einbezogen werden (am Ende von 2.1.1.4, unter 2.2.4.1 und Ausblick 3). Das sog. Protevangelium Gen 3,15 wird heute von der Forschung (mit wenigen Ausnahmen) zu Recht überhaupt aus der Messianismusdebatte herausgelöst. Denn es wird im Judentum bis zur neutestamentlichen Zeit bei allem Wandel des Verständnisses nie auf ein Tun des „Messias" interpretiert und auch im ältesten Christentum ohne eine individuell-messianische Deutung aufgenommen (Lk 10,19 wie Apk 12,17 verstehen es in der Linie des alttestamentlichen Textes vielmehr kollektiv): Nachweis bei Michl, Weibessame 371-401. Zum LXX-Befund s. ergänzend u. Anm. 105, zur differenzierten Auffassung der Targume - die das Uberwinden der Schlange auf Torabefolgung beziehen und nur in zwei Fällen (TFrag und TPsJ) überhaupt einen Ausblick auf die messianische Zeit anschließen - Levey, Messiah 2f. 10 Zu den Varianten gehört Davids Bezeichnung als „der Gesalbte des Gottes Jakobs" 2 Sam 23,1, die eine Gottesprädizierung der Väterzeit einbezieht. Ist dies ein Indiz für relativ hohes Alter? Zur Diskussion Seybold, npn 56 und Waschke a. a. O. 74ff. 11 S. etwa Seybold a.a.O. 53f (Lit.) und Waschke a.a.O. 70. Freilich sind die Datierungsfragen heftig umstritten. So läßt sich für den Schlüsseltext 1 Sam 16,1-13 ebenso sa-

98

Grundlegung

der Folgezeit neben der wachsenden Geschichtsüberlieferung in Psalmen (Ps 2,2; 18,51 par 2 Sam 22,51; Ps 20,7;28,8;84,10;[89,39.52;]132,10 par 2 Chr 6,42; Ps 132,17), die freilich nach Alter und Aussage erheblich zu differenzieren sind. 12 Erstmals in der Krisenzeit am Ende des 7. Jh. verdichtet sich eine in die Sammlung von Sprüchen eines kritischen Propheten hineinwachsende Schau (Hab 3,3-15) dahin, daß Jahwe im Rettungsakt für sein bedrohtes Volk seinem Gesalbten zu Hilfe ziehe (v.13 in der steigernden Formulierung eines synthetischen Parallelismus). 13 Um diese Zeit bezeugt auch die Geschichtsüberlieferung wieder die Salbungseinsetzung eines Königs. Diese nimmt freilich kein Vertreter Jahwes, sondern das Volk - bestehend aus den judäischen Vollbürgern - an Joschijas Sohn Joahas vor, um die Herrschaft in Juda zu sichern (2 Kön 23,30). Pharao Necho, gegen den Joschija fiel, billigt den neuen König nicht, nimmt ihn gefangen und setzt ohne Salbungsakt seinen älteren Bruder Eljakim, dessen Namen er in Jojakim ändert, zum König ein (2 Kön 23,33f). Der Versuch, ein selbstbestimmtes judäisches Königtum durch die Fortführung bzw. Neuaufnahme der Volks-Salbungstradition zu erhalten, scheitert. 14

Für die nachfolgenden Könige Jojachin und Zidkija hören wir von keiner Salbung mehr. Eine solche geht auch in die deuteronomistischen lomonische (ζ. B. Mettinger, King and Messiah 204) wie frühexilische Zeit (ζ. B. Veijola, Verheißung 69-72) erwägen, um nur die Gegenpole zu nennen (weitere Positionen bei Schmidt, König 85 Anm. 52). 12 Aus der Geschichtsüberlieferung versucht Knierim, Messianic Concept 20-41 eine Untersuchung der vordeuteronomistischen Sicht Sauls in 1 Sam. Was die Psalmen angeht, sind oben alle Belege außer Ps 105,15 (par 1 Chr 16,22) angeführt, wo aufgrund des Parallelismus Gesalbte Jahwes/Propheten und der in v.14 vorangehenden Königskritik mit Sicherheit keine herrscherlichen Gesalbten gemeint sind (dazu unter 2.2.1.1). Auf die herrscherlichen Psalmen wird gleich zurückzukommen sein, auf den eingeklammerten, da genauer kollektiv zu deutenden Ps 89 unter 2.2.1.2. Um begrifflicher Strenge willen ist eine Ausweitung auf die Königspsalmen in ihrer Gesamtheit zu vermeiden. Das aber bedeutet, von keinem kultischen Rahmenkonzept als sicherer Basis ausgehen zu können und deshalb auf eine Fortführung der Linie der skandinavischen (Uppsala-)Schule (Lit.-Hinweise in Anm. 97 zu 1.1) zu unserer Fragestellung zu verzichten. 13 Zur Interpretation neben den Kommentaren (z.B. Rudolph, Micha-Zephanja, bes.237,245f) Jörg Jeremias, Kultprophetie und Gerichtsverkündigung in der späten Königszeit Israels, WMANT 35, Neukirchen-Vluyn 1970, 101-103. Der Text stellt einen „Theophaniehymnus" dar, der wohl auf die Zeit Habakuks, aber kaum auf diesen selbst zurückgeht (Eckart Otto, Die Theologie des Buches Habakuk, VT 35, 1985, 274-295, hier 282). Später wurde er gewichtig überarbeitet, worauf zurückzukommen sein wird (s. unter 2.2.3.1 und 2.2.3.2). 14 Näheres in den Kommentaren (z.B. Ernst Würthwein, Die Bücher der Könige: 1 .Kön. 17-2.Kön.25, ATD 11,2, Göttingen 1984, 466f). Hesse hält (in Grundmann u.a. χρίω κτλ. 489) als Hintergrund der Joahassalbung auch einen Machtkampf zwischen Hofpartei und Landesvolk für möglich.

Der Realienhintergrund

99

Bestimmungen für die Königseinsetzung (Dtn 17,14f) nicht ein.15 Doch bleibt das Verständnis der Könige als Gesalbte Jahwes: Gerade der glücklose Zidkija wird noch nach dem Zusammenbruch seiner Herrschaft und seiner Gefangennahme im Klagelied des Volkes als Gesalbter Jahwes bezeichnet, von dessen Atem das Volk lebe (Thr 4,20). Er wird so erhöht in fast göttlichen Rang; denn Gott ist es Gen 2,7 und Ps 104,29, von dessen Odem alles Leben abhängt. 16 Uberblicken wir diese Geschichtsentwicklung, so sind Salbungsrealität und Bezeichnung des Königs als Gesalbter, der Jahwe sein Gesalbtsein verdankt, zumindest am Ende der Königszeit nicht mehr unmittelbar korreliert. Selbst, wenn die Lücken zwischen den berichteten Salbungsvollzügen keine Abbrüche in der realen Salbungspraxis signalisieren sollten und wenn die Königssalbung in der älteren Königszeit teils von Propheten, 17 teils von einem Priester in Stellvertretung Jahwes vollzogen worden wäre - was sich unter Berufung auf 1 Kön 1,28-53 (bes. 34.39.45) behaupten läßt18 - , damals die Bezeichnung Gesalbter Jahwes also durch einen speziell darauf gerichteten kultischen Akt begründet worden wäre, muß für die spätere Königszeit ein Wandel der Praxis konzidiert werden. Schon der Bericht über die Königseinsetzung Joasch' 2 Kön 11,12 geht nämlich nach der Diadem- und Urkundenüberreichung durch den Priester Jojada für die Angabe des Subjekts der Salbung in ein unbestimmtes „sie" über. In 2 Kön 23,30, bei der danach einzig berichteten, eben besprochenen Salbung Joahas', bleibt dieses „sie" nicht mehr offen, erscheint eindeutig das Volk, nicht ein Priester, als Salbungssubjekt.

„Gesalbter Jahwes" ist also spätestens bis dahin zu einer in erster Linie theologischen Aussage, zu einem Theologumenon, geworden. 19 Als solches wird es von den großen Schriftpropheten weithin nicht geteilt, sondern ignoriert. Gerade als solches erhält es aber zuletzt in der angeführten Klage von Thr 4,20 an eine Apotheose grenzenden Rang: Zidkija bleibt, weil er seinen Gesalbtenstatus unmittelbar Jahwe verdankt, für Autor und Sänger dieses Klagelieds selbst dann noch dessen Reprä15 Obwohl diese in wichtigen Teilen ältere Wurzeln haben können. Zum Stand der Diskussion führt Felix G. Lopez, Le roi d'Israel: D t 17,14-20, in: Norbert Lohfink ed., Das Deuteronomium [...], BEThL 68, Leuven 1985, 277-297. 16 Vgl. Wilhelm Rudolph, Das Buch Ruth. Das Hohelied. Die Klagelieder, ΚΑΤ 17,1-3, Gütersloh 1962, 254f und Kraus, Klagelieder 81 £; in der Deutung zurückhaltender Bo Johnson, Form and Message in Lamentations, ZAW 97, 1985, 58-73, hier 70. 17 S. Waschke a.a.O. 49-59 u.ö. 18 So von Schmidt, König 84f Anm. 51 gegen eine etwa von Kutsch (zuletzt in Wie David König wurde 78ff) vertretene Forschungslinie, die 1 Kön 1 als singulare Ausnahme betrachtet und ansonsten allein das Volk als Subjekt der Königssalbung namhaft macht. " Waschke bringt dies unter Differenzierungen von Nord-/Südreich und V o l k s - / Prophetensalbung (vgl. o. Anm. 2) in die These, Gesalbter Jahwes sei „die titularische Okkupation der prophetischen Legitimation des Nordreiches in davidischer Auslegung" (a.a.O. 73).

100

Grundlegung

sentant, als er von den Mächtigen der Erde in der Grube gefangen ist. Geht man von da auf den Kern der königlichen Salbungsvorstellung zurück, so stößt man in der paradigmatischen Vorstellungsumsetzung der Jotamfabel Jdc 9,7-15 auf ein Verständnis von Salbung (mit Öl) als Mitteilung von „Kabod" (Gewicht, Macht, Kraft, Ansehen, Ehre: 9,9).2° Verfolgt man zudem die im Gesalbter Jahwes-Attribut angesprochene Relation Jahwe-Salbung-König weiter, so treten altorientalische Vorstellungen über die Salbung als performativen (Wirklichkeit setzenden) Akt in der Rechtssetzung hervor, die auf ein kontraktuales Denken weisen: Jahwe hat sich den König erwählt. Er nimmt ihn dadurch besonders in Pflicht. Zugleich verleiht und sichert er ihm seine Ehre, Würde und Macht. 21 In diesem Rahmen waren die herrscherlichen Salbungs- und Gesalbtentexte Israels und Judas, die in der Umgebung des Hofes und Tempels entstanden, stärker an der Huldgewährung Jahwes als an der Inpflichtnahme des Königs interessiert, besangen oder erbaten vorrangig Jahwes Hilfe, Schutz, Fürsorge für seinen Gesalbten (z.B. Ps 18,51; 20,7; 28,8). 22 Schon vor Thr 4,20 stellte sich so ein enger Konnex Salbung-Segen-Gottbezug des Königs ein. Am vorzüglichsten dokumentiert dies der wohl im Juda des 7. Jh. - vielleicht zu Ehren Joschijas entstandene, zumindest zu dieser Zeit tradierte,23 Ps 45: Er hält bewußt, daß der König als Bedingung seines Gottgesalbtseins das Recht zu lieben und das Unrecht zu hassen hat (v.8a). Aber der Ton liegt nicht auf dem Imperativ - auch v.8a ist nicht als Pflicht, sondern als Realitätsfest20 S. Kutsch, Salbung 13f. In seinen Grundkategorien ist dieses Verständnis von Salbung, wie immer man die Wurzeln der Königssalbung näher bestimmt (zur Diskussion s. neben der bei Seybold a. a. O. 50 angegebenen Lit. ζ. Β. Weisman, Anointing passim und Waschke a.a.O. 12f), in den religiösen Traditionen des Vorderen Orients verankert (vgl. ζ. B. Eva Martin-Pardeys Charakterisierung des ägyptischen Salbungsverständnisses nach den Komponenten Macht/Legitimation/Schutz in LÄ 5, 1984, 367ff s.v. [Lit.]); eine Übersicht der Umweltbelege bietet zuletzt (mit neuerer Lit. zum Befund von Ebla) Kutsch, Wie David König wurde 8Iff. 21 So der Versuch einer knappen und daher notwendig verkürzenden Zusammenfassung der Diskussionsentwicklung von Kutsch, Salbung (bes.52-63) und de Vaux, roi (passim, 300f Anm. 5 schon Auseinandersetzung mit Kutsch) zu Mettinger, King and Messiah (bes.208-304). Schmidt, Menschlicher Erfolg und Jahwes Initiative sieht zwar in der ältesten Königssalbungstradition noch keine Pflichtsetzung, konzediert diese aber für die weitere Entwicklung (185f innerhalb 172-188). Überhaupt geht ein gegenwärtiger Forschungstrend dahin, die Verpflichtungslinie in den Hintergrund treten zu lassen, dagegen ein sakrales Königsverständnis und die Dynastiezusage in den Vordergrund zu rücken (Waschke a . a . O . 69-73,136-143 und passim). 22 Vgl. Schmidt, König 84 und pointierter Waschke a.a.O. 69f u.ö. 23 Zur Ansiedlung des Psalms in der Umgebung Joschijas s. Mulder, Psalm 45, 158. Seybold a. a. O. 51f möchte den Psalm ins Nordreich zurückführen; aber selbst dann muß er nach dessen Zusammenbruch im Südreich tradiert worden sein.

Der Realienhintergrund

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Stellung formuliert - , vielmehr auf dem Jubel über das Ausgegossensein der Huld Gottes über den König. Der Jubel blickt über die Inthronisation, deren Motive - Thron und Zepter sowie Bestätigung der Dynastieerhaltung in v.7, Inpflichtnahme und Salbung in v.8 - den Kern des Psalms bilden, hinaus. Er stellt den König gleichzeitig beim Höhepunkt der Lebensfeste, der Hochzeit, dar (v.10).24 Gott (nicht ein Mensch, etwa der sich zum Fest bereitende König) ist der Salbende, beginnend mit der das Passivum divinum vertretenden Hofal-Form von pX' in v.3a. Anmut ist, besagt sie, von ihm „ausgegossen" über die Lippen des Schönheit besitzenden Königs - und mit den Lippen über die Worte, die sie bilden -, wie an der nächstvergleichbaren Stelle Lev 21,10 Salböl ausgegossen ist.25 v.3b zieht die Folgerung, Gott habe den König für immer gesegnet. Die Formulierung ist bis auf das Verb mit v.8b, dem Abschluß des durch unseren v.3 eröffneten Psalmteils, identisch.26 So interpretieren sich w.3b und 8b gegenseitig: „Gott hat gesegnet für immer" bedeutet „Gott hat gesalbt mit dem Öl der Freude" und umgekehrt (s. v. 3a vor 3b). Die Salbung mit dem Öl der Freude vertieft den Heilsakzent der Königsaussagen. Denn wer mit solchem Ol gesalbt ist, bei dem ist alle etwaige Minderung der Freude durch Trauer oder Leid ausgeschlossen, 27 der ist selber Freudens-, Segensträger für sein Volk. 28 Sein Thron wird in jedweder Hinsicht unantastbar, ist Gottes Thron für immer und ewig (v.7). 29

2.1.1.2 Die spätvorexilisch-exilische

Krise

Die Verherrlichung des Königs als Gesalbter Jahwes noch in der Klage Thr 4,20 war also in der vorangegangenen Entwicklung der Königstheologie gut vorbereitet. Trotzdem wäre verkehrt, sie für die spät24 Das Mulder a.a.O. 24 u.ö. auffallende Verweben von Hochzeits- und Inthronisationsmotiven ist demnach wohl gezielt erfolgt. Ob der Psalm als Hochzeitslied gesungen wurde (Kraus, Psalmen I 493), kann offenbleiben. 25 S. Matthias Augustin, Der schöne Mensch im Alten Testament und im hellenistischen Judentum, Beitr. zur Erf. des A T und des ant. Judentums 3, Frankfurt/Main 1983, 153. 26 S. Mulder a.a.O. 11. 27 Vgl. den Gegensatz Ol der Freude - Trauer Jes 61,3 und den Gipfel solchen Gegensatzes im Verbot von Selbstminderungsriten für den gesalbten Priester Lev 10,6 (vor 10,7). 28 Eine Linie zwischen unserem Psalm und Ps 21,7 entsteht, die schon Kutsch, Salbung 64 hervorhebt. 29 So nach der zurückhaltenden Textinterpretation Mulders a.a.O. bes.73-80. Grundsätzlich könnte der hebräische Text auch ein Verständnis von „Elohim" (Gott) als Königsanrede erlauben, womit eine noch weitergehende Königsapotheose als in Thr 4,20 vorläge (s. die Kommentare z.St. und Allen, Psalm 221-231).

102

Grundlegung

vorexilisch-exilische Literatur zu globalisieren. Vielmehr blieb der erwähnte Habakuk - genauer wohl sein Zeitgenosse, dem wir Hab 3,3-15 verdanken - unter der überlieferten Prophetie seiner Zeit ein Einzelgänger. Alle Propheten neben ihm, deren Worte Tradentenkreise fanden, enthielten sich wie ihre Vorgänger einer judäisch orientierten Aufnahme der Terminologie vom Gesalbten Jahwes: Kein einziges Mal findet sich diese Bezeichnung für einen herrschenden, gestürzten oder erhofften König Judas im Buche Jeremia, ebensowenig bei Ezechiel, Deuterojesaja und Obadja. Das ist kein zufälliger Befund, wie die komplementäre Übertragung von Salbungsterminologie auf nichtjudäisches Königtum zeigt, die Jes 45,1 zur Bezeichnung gerade und ausschließlich des Fremdkönigs Kyrus als Gesalbter Jahwes führt. 30 Eine wesentliche Wurzel der Distanz zur Verherrlichung judäischen Königtums liegt im Nachwirken alten 31 königskritischen Denkens. Aus solchem heraus findet sich bei Ezechiel sogar ein markantes Gegenstück zum Zidkija—Bild von Thr 4,20: Ez 21,30 (innerhalb 21,30-32) wird dieser „Fürst Israels" nicht als Jahwe-Repräsentant, sondern als aus dem Heilsraum gänzlich Herausgefallener angeredet, als „Entweihter" (Wn ) statt als „Gesalbter", als einer, der Strafe und Minderung - also das, was Ps 45 für den gottgesalbten König grundsätzlich ausschloß - zu erwarten habe (w.30b.31). Heilshoffnung für Israel (Juda) wird dadurch nicht gänzlich ausgeschlossen, doch muß sie, so gewiß der Nachtrag unseres Textes das königliche Motiv eines kommenden Rechtsträgers (oder Recht-Täters) aufnimmt, den depravierten Gesalbtenbegriff vermeiden (v.32b; vgl. dagegen Ps 45,8).32 Sicher ist dies eine Extremposition. Aber Jeremia oder sein Ergänzer, auf den Jer 23,5f (vgl. 33,14-16) zurückgeht, verzichtet ebenso auf eine Bezeichnung des von Jahwe für kommende Tage angesagten Sprosses Davids als Gesalbter/ Gesalbter Jahwes. Daß dieser Sproß Davids königlich regieren und weise handeln, d.h. mit dem Ideal von Ps 45,8a Recht und Gerechtigkeit üben werde, läßt sich auch ihm nicht mehr in den Titelnamen der herkömmlichen Königstheologie bündeln, sondern nur in die Korrektur „Jahwe (ist) unsere (!) Gerechtigkeit" (23,6; vgl.33,16).33 Die deuteronomistische Redaktion des (zweiten) Königsbuches rundet den Befund, wenn sie sich auch durch den Salbungsbericht 2 Kön 23,30 nicht abhalten läßt, Joahas negativ zu beurteilen „wie seine Väter" 30

Vgl. unter 2.2.1.1. Hinweise dazu etwa bei Becker, Messiaserwartung 10-13 u. ö. " Zur Interpretation von Ez 21,30-32 neben den Kommentaren z.B. Kellermann, Messias 32f, zum Verständnis von bbn v.30 vgl. die Verbanalyse durch Dommershausen, ThWAT II 972-981, bes.978. 33 Dazu neben den Kommentaren z.B. Kellermann a.a.O. 33ff und Strauß, Messianisch ohne Messias 61-66. Der neue Titelname stellt sich als Gegenbild zum Namen des letzten Königs Judas, Zidkijas ( J a h w e [ist] meine Gerechtigkeit"), dar. - Ein Gesamtbild der jeremianischen Sicht des davidischen Königtums sucht Seybold, Königtum 115-132 zu erstellen. 31

Der Realienhintergrund

103

(23,32) und Nachfolger (vgl. 23,37;24,9.19). Die geschichtliche Realität ent-täuschte demnach beide komplementären Aussageglieder von Ps 45,7f - der König liebe das Recht, und sein Thron stehe als Gottes Thron auf immer und ewig. Sie enthüllte im Gegenteil, wieder komplementär, königliches Unrecht und göttlichen Zorn (s. die Linie zu 2 Kön 24,19f).34 Das Königsbild Judas geriet also mit dem staatlichen Zusammenbruch in eine Zerreißprobe zwischen Apotheose und Verdikt. Dazu fügt sich, daß große Heilsverheißungen nach dem Zusammenbruch dritte Wege gehen. Im Buche Jeremia lenken sie den Blick auf eine umfassende neue Heilssetzung Jahwes für Israel und Juda, in deren Perspektive sich über ein erneuertes Königtum schweigen läßt, da alles Gewicht allein auf einem neuen Leben des Gesetzes und uneingeschränkter Erkenntnis Jahwes liegt (Jer 31,31-34). 35 Bei Deuterojesaja entschränken sie den Blick noch über Israel und Juda hinaus, dient die Erinnerung an die Huld Jahwes gegen den ohne Titel eingeführten David nur als Bürgschaft dafür, daß das Gottesvolk - das im „ihr" und im „du" ohne Erwähnung eines künftigen Königs angeredet wird - zum Zentrum des Gottesheils und so zum Zentrum eines Zustroms der Völker werde (Jes 55,l-5). 36 Freilich war das Königtum zu stark verwurzelt, um aus dem H o f f nungsgut der Zeit ganz verschwinden zu können. Aber in einen überkommenen verheißungsorientierten Psalm um Zion und den Gesalbten Jahwes wurde eher eine Konditionalisierung als eine Verheißungsverlängerung eingefügt (die w . l l b - 1 2 in Ps 132).37 Und wo sich neues 34 Zur deuteronomistischen Königsbeurteilung vgl. die Kommentare, für ergänzende Differenzierungen bes. Timo Veijola, Das Königtum in der Beurteilung der deuteronomistischen Historiographie. Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung, STAT 198, Helsinki 1977, Erg.l 15-122 nach ders., Die ewige Dynastie. David und die Entstehung seiner Dynastie nach der deuteronomistischen Darstellung, STAT 193, Helsinki 1975, Erg. 127-142 (Scheidung von DtrG, DtrP und DtrN; nur DtrP gilt Veijola als radikal kritisch, DtrG und DtrN spricht er bei allem Schuldaufweis auch tendenziell - nicht begrifflich! - messianische Hoffnung zu). 35 Ob der Text auf Jeremia oder eine Redaktion zurückgeht, kann offenbleiben. Zu seiner Beurteilung und der Jeremias überhaupt s. neben den Kommentaren Herrmann, Heilserwartungen 159-241, zum Ausschreiten der Linie der „Bundes"-Verheißung Christoph Levin, Die Verheißung des neuen Bundes: in ihrem theologiegeschichtlichen Zusammenhang ausgelegt, FRLANT 137, Göttingen 1985. 36 Dazu s. neben den Kommentaren bes. Seybold a.a.O. 152-162 und Herrmann a. a. O. 297f; Waschke, Vorstellungen 157-161 bietet eine Gesamtdurchsicht Deuterojesajas. 37 Der Psalm dürfte seine Grundausprägung vorexilisch erfahren haben (wenn ihn Kraus, Psalmen II, 1056-1061 dort auch kultisch etwas zu pointiert verankert). Er wurde deuteronomistisch entscheidend durch die Einfügung der w . l lb-13 redigiert, deren Kern unsere Konditionalisierung bildet (s. die Literarkritik bis Waschke a.a.O. 127-130). Dis-

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Grundlegung

herrscherliches Hoffnungsgut herauskristallisierte, blieb es, was die Königstheologie angeht, spröde: Das im Amosbuche nachgetragene Heilswort 9,1 lf sagt eine Restitution der „Hütte Davids" - seiner Dynastie und seines Reichs - an, aber keinen einzelnen Heilsherrscher. 38 Verwandt dazu legt die Fortführung der Verheißungstradition von Jer 33,14-16 in den w . 1 7 - 2 6 zwar Gewicht auf die Kontinuität sich neu konstituierender davidischer Herrschaft, aber nur parallel zur kaum weniger wichtig erachteten Kontinuität des levitischen Priestertums.·" Selbst die wohl in dieselbe Zeit fallende Expansion der Verheißung von Mi 4,14-5,5* um 5,2.3b, die dem neuerstandenen Herrscher größte Macht und Souveränität zuspricht,40 verzichtet auf die Eintragung des Titels Gesalbter Jahwes. 41 Die in die theokratischen Zukunftsvisionen des Buches Ezechiel eingesprengten oder integrierten Ausblicke auf eine neue davidische Hirtenschaft über Jahwes Volk schließlich prägen die Königsterminologie intensiv um. „Fürst" („Nasi") verdrängt ab 34,24 das herkömmliche „König" - das auch 37,24 nur noch vor dem weiterführenden „Nasi" (v.25) bewahrt wird - , bis die Ez-Tora der Kap.40-48 nicht einmal mehr eine notwendige davidische Bindung dieses „Fürsten" (44,3;46,2 usw.) voraussetzt. 42 Und „Jahwes (in den Gottesreden: mein) Knecht" nimmt - wie in der eben erwähnten nachjeremianischen Erweiterung Jer 33,17-26 (v.21 u.ö.) 43 - die Stelle ein, an kutierbar ist, ob die Konditionalisierung durch den eingeschalteten Relativsatz in v.12 teilweise aufgehoben wird, der Jahwe als Lehrer der Davididen vorstellt und daher an ihn jenseits allen Gerichts auch als Bürgen davididischen Gehorsams denken läßt. In diesem Falle könnte man in unserem Psalm auch ein Stück restaurativer K ö n i g s h o f f n u n g hören (so die Linie von Waschke a . a . O . bes,133f). Allerdings eignet der Psalm sich selbst dann nur begrenzt als Bindeglied zwischen vorexilischer Königstradition und späterer messianischer Erwartung (als welches ihn Waschke a . a . O . bes.l36ff mit Ps 89 zusammen darzustellen versucht). Denn seine Überlieferung in den nachexilischen Jhh. läßt kein besonderes Interesse an seiner Restaurationskomponente erkennen, tendiert vielmehr in andere Richtung (s. u. Anm. 69). 58

Z.St. s. neben den Kommentaren z.B. Kellermann a . a . O . 38. Vgl. o. und die Anm. 33 angegebene Lit., f ü r eine kurze Einordnung der Stelle in den historischen Entwicklungsgang auch Lang, Messias 112. 40 Z.St. s. neben den Kommentaren die in Anm. 8 genannte Lit. (z.B. Kellermann a . a . O . 39f). 41 Wenn ins 6. Jh. gehörig (s. Anm. 9), würden hier die Bileamsorakel angrenzen. Sie würden mit N u m 24,7, ohne Königsbegriff auch 24,17, zu herausragenden Zeugen restaurativer Königshoffnung, doch weiter ohne Erneuerung von Gesalbtenterminologie. 42 Stärker als wir hält Waschke a . a . O . 162 an der davidischen Orientierung Ezechiels/ der Ezechielschule fest. Mit ihm d ü r f t e „Nasi" zwar kein „Antititel" zu „Melech" („König") sein (s. a . a . O . 163), doch bleibt an der begrifflichen Fortentwicklung von der alten „Königs"-Zeit festzuhalten (Näheres zum Nasi-Begriff bei H . Niehr s.v., T h W A T V, 647-657, bes.651-655). 43 U n d 2 Sam 3,18; 1 Kön 11,13.32-38; Ps 89,4. - Für Veijola, Dynastie (s. Anm. 34) 127ff wurde der Titel erstmals von D t r G auf David übertragen, und zwar als höchstes, 39

D e r Realienhintergrund

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der ein der älteren Königstheologie verpflichteter Autor Jahwes Gesalbter hätte setzen können, die Stelle der zentralen Titulatur Davids (34,23f;37,24f).44 2.1.1.3

Verschiebungen

von Serubbabel bis

Nehemia

Als nach dem Ende des Exils neue staatliche Hoffnungen keimen konnten und mit Serubbabel ein Davidide zum höchsten Staatsrepräsentanten in Jerusalem wurde, verdichtete sich bei Haggai und Sacharja noch einmal das Herrscherbild. Doch die geschilderte Entwicklung in den Jahrzehnten des Exils erlaubte ihnen keine ungebrochene Restitution der vorexilischen Gesalbter Jahwes-Königstheologie, zwang vielmehr zur Anknüpfung an die zurückhaltenderen Herrschervorstellungen der (deutero)jeremianischen und ezechielischen Verheißungstexte: Haggai griff 520 den Knechtstitel Davids von Ez 34,23f usw. auf, um ihn 2,23 (in 2,20-23) auf Serubbabel, den von Jahwe Erwählten, zu übertragen. Dessen Rang charakterisierte er bei der von ihm geschauten Theophanie näher mit dem jeremianischen Bild (vgl. Jer 22,24) des Siegelrings an Jahwes Hand. 45 Sacharja Schloß sich der Sproß-Terminologie aus Jer 23,5f (und 33,14-16) an (Sach 3,8).46 Vor allem jedoch näherte er sich - neu auch gegenüber Haggai - kurzzeitig wieder der Königssalbungstradition: Er vermied zwar weiterhin den Begriff eines Gesalbten Jahwes und brachte ein gesalbtes Hohepriestertum neu ins Spiel - worauf zurückzukommen sein wird -, wagte aber 4,1-14 ein Idealbild Serubbabels und des gleichzeitig wirkenden Hohenpriesters Jeschua als „Söhne des Ols" (4,14).47 Als Serubbabel scheiterte, hielt er freilich nur an seiner Grundvision fest, ein kommender „Sproß" werde den Tempelbau leiten und ihn Mose und Josua parallellisierendes Ehrenprädikat. Das kann man freilich nicht nur als Dynastiebegründung, sondern auch als Herausnahme Davids aus der Reihe der Könige bewerten, denen DtrG das Prädikat verwehrt. 44 Zur differenzierenden Diskussion des Befundes in Ez s. ergänzend Herrmann a.a.O. 241-291, Strauß a.a.O. 67-73 und Kellermann a.a.O. 40-42, schließlich Seybold a.a.O. 132-152. Mit ihnen ist noch auf Ez 17,22-24 hinzuweisen: dieser zentrale Heilstext ersetzt bilderstark die gesamte personale Königsterminologie (einschließlich „Fürst", „Knecht"). 45 Zur Interpretation s. neben den Kommentaren bes. Strauß a.a.O. 74-79 und Kellermann a. a. O. 44-46, zur Einordnung der Herrschererwartungen Haggais ergänzend Beyse, Serubbabel bes.63f. Daß der Knechtstitel in unserem Text „dem Messiastitel praktisch gleichkommt" (Lang a.a.O. 112), bestätigt sich nicht. 46 S. zur Begriffsgeschichte S. Amsler, nnx, T H A T II, 563-566, hier 565, zum SachText bes. Strauß a.a.O. 79-81. 47 Dazu neben den Kommentaren (Rudolph, Haggai-Maleachi spricht freilich 108 unbefangen vom „Messias designatus" und setzt „Ölsohn" gleich „Gesalbter") ζ. B. Kellermann a.a.O. 58f.

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Grundlegung

im Einvernehmen mit dem Hohenpriester herrschen. Auf Öl-/Salbungsassoziationen verzichtete er und hob den Hohenpriester stärker hervor (6,9-14 im für Sacharja restituierten Text). 48 Das Nachtgesicht und seine Interpretation in Sach 4,1-14 sollte der letzte Versuch bleiben, einen aktuellen, namentlich bekannten Herrscher des judäischen Restvolkes mit der Linie des vorexilischen Königtums als gesalbtem Königtum zu verknüpfen und damit die herrscherliche Salbungstradition in der historischen Realität der nachexilischen Zeit zu erneuern, obwohl das Gesalbter Jahwes-Attribut der vorexilischen Könige nicht in Vergessenheit geriet,49 sich sogar königstheologisch grundsätzlich neu beleben ließ. Letzteres dokumentiert Ps 2. Manches - namentlich das Eindringen des Aramäischen in die w . l und 9 - spricht dafür, daß er nachexilisch entstand. Aber auch, wenn er bis zu dieser Zeit von einem vorexilischen Kern aus wuchs,50 markiert er in seinem nachexilisch überlieferten Duktus von den w . l - 9 zu den w . l 0 - 1 2 die Weise, in der Gesalbter Jahwes-Aussagen in den königslosen Jahrhunderten für die Gegenwart wachzuhalten waren: als Mahnung an die (Fremd-) Könige der Erde, welche Potentialität Jahwes Zorn in sich bergen könne. Denn - so stellt es der Psalm den Königen der Erde vor Augen, die er ab v.10 direkt anredet - wenn ihre Völker toben, ihre Nationen sich feindlich erheben sollten (w.l-2b), dann wird dies ein Toben, ein Sich-Erheben gegen Jahwe und seinen Gesalbten sein (v.2c). Im Ansturm wird Jahwe die Tradition seines geweihten ("|03 v.6) Königs erschreckend (s. v.5b) beleben bis dahin, daß dieser König die feindlichen Völker zerschlagen wird können mit eiserner Keule, zerschmeißen wie Töpfergeschirr (v.9). Diese Potentialität ist eindrücklich vorausvergegenwärtigend formuliert - die w . l - 9 stehen ja den w . l 0 - 1 2 voran - und doch historisch offen. Denn verborgen bleibt, ob und wann „Jahwes erklärter Herr48 Nach Rudolph a.a.O. 127-133. Dessen Textrestitution, die Jiniay v.ll als ungewöhnlichen Singular auffaßt und im folgenden mit einer Korrektur des Π'Πΐ ν. 13b zu Ji'm auskommt (s. bes.l27f; Jeschua trägt danach eine Krone, aber nur neben dem „Sproß"), scheint gegenüber der herkömmlichen (z.B. Kellermann a.a.O. 59f nach Beyse a.a.O. 77ff) Eintragung von zwei Kronen entsprechend dem dyarchischen Denken Sacharjas z.Zt. Serubbabels zu bevorzugen. Weitere Interpretationsmodelle nennt Seybold, Sacharja 15f mit Anm. 12. - Auf den endredigierten Text (MT) wird unter 2.1.2.2 zurückzukommen sein. 4 ' Etwa in den - nun redigierten - Geschichtsbüchern und Psalmen an den vorexilischen-exilisch geprägten Stellen tradiert wurde. so Zur Entstehungsdiskussion s. neben den Kommentaren (Kraus, Psalmen I, 143 vertritt eine undatierte „Hinzufügung" in v.2c, der das Gesalbter Jahwes-Motiv enthält) bes. Strauß, Messianisch ohne Messias 25-31 (Wachstum von einem vorexilischen Kern der w . 1 - 9 aus) und Deißler, Psalm 2, 284-290 (auf noch weitere sprachliche Indizien und Zusammenhänge mit Ps 1 gestützte These nachexilischer Entstehung des ganzen Psalms).

Der Realienhintergrund

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schaftsanspruch über die Völker sich [ . . . ] derart manifestieren wird, wie es die Verse 1-9 feiern."51 Wohl deshalb konnte der Psalm über viele Änderungen der Zeiten hinweg an die Spitze des Psalters rücken und interpretatorisches Vorzeichen für dessen Königspsalmen werden. 52 Der Realgeschichte aber beließ die Potentialitätsbeschwörung einen erheblichen Raum eigener Dynamik. Sie führte immer weiter von einem gesalbten Königtum Israels (Judas) weg: Nach dem Scheitern Serubbabels fehlt für gut zwei Generationen jeder Hinweis auf einen königlichen Restaurationsversuch. Dann kam es dem Anschein nach zu einem kurzen Aufflackern eines davidischen Royalismus, da Nehemia Davidide gewesen sein kann,53 um den sich ca.440 im Zusammenhang mit der Neubefestigung Jerusalems noch einmal Gerüchte rankten, er wolle sich zum König ausrufen lassen, w o doch nur einer, nämlich der Großkönig Artaxerxes I., König sein könne (Neh 6,6f). Wie sehr Nehemia in die von diesen Gerüchten kolportierten Umtriebe verstrickt war, muß offenbleiben, da sein Dementi v.8 von durchsichtiger politischer Rücksichtnahme diktiert worden sein kann. 54 Jedenfalls werden keine unmittelbaren Folgen für seine Person sichtbar, konnte er nach v.9c sein Werk fortführen.

51 Diese Interpretation versucht aus der umfangreichen Lit. wesentlich Beobachtungen Kraus' (a.a.O. 142-155), Strauß' (a.a.O. 25-31, dort 31 Zitat) und Deißlers (a.a.O. passim) zu vereinen. Auch wenn sie in der Datierung mit Deißler nachexilischer Zeit zuneigt, ist dessen Schluß auf eine dann angeblich notwendige messianische Interpretation (a.a.O. 291 nach 284) zu präzisieren: Der Psalm stellt in seiner hier besprochenen hebräischen Fassung eine Potentialität vor Augen, in der die königliche Salbungsmotivik eine gewichtige Rolle spielt (dem Königsbezug von v.6 nach gegen Becker, Messiaserwartung 69f,72 [noch] nicht kollektiviert ist), und ist insofern herrscherlich-,.messianisch" im engen, sich auf das Auftreten eines gesalbten Königs beziehenden Sinn. Aber die Rezeptionsgeschichte des Psalms wird das Gesalbtenmotiv in der LXX und sehr wahrscheinlich ebenso 4QFlor I 18f kollektiv brechen (s. unter 2.1.1.5 und 2.2.3.1, 2.2.3.2). Und sogar PsSal 2,32 wird Motivik unseres Psalms - die Anrede der Mächtigen der Erde (vgl. Ps 2,10) - aufnehmen können, ohne Jahwe, dem König im Himmel (PsSal 2,30), einen gesonderten gesalbten König auf Erden beizuordnen: Gott selbst richtet nach dortiger Auffassung als großer und gerechter (alleiniger) König alles, was unter dem Himmel ist (2,32 nach 2,30b). Das zwingt zu differenzierter Betrachtung sogar der Rezeption in PsSal 17: s. unter 2.2.4.1. 52

Vgl. Strauß a.a.O. 31. " S. bes. Kellermann, Nehemia 156-159 und In der Smitten, Nehemias Davidizität passim. Belastet sind die Eruierungen freilich je durch eine unnötig enge Verbindung zwischen Davidizitäts- und Messianitätserwägungen. Dabei hebt In der Smitten 46ff sogar die Distanz der Schilderungen des Neh-Buches zu allen messianischen Traditionen hervor (bes.46f innerhalb 43-47). Doch interpretiert er dies als eine apologetische Verschleierung des Sachverhalts, „um messianische Assoziationen abzuwehren" (47). 54 Vgl. die vorsichtige Sachbeurteilung bei Becker, Messiaserwartung 6lf.

108

Grundlegung

Die laut den Gerüchten geplante Königserhebung bricht in entscheidenden Punkten mit der alten Königseinsetzungstradition Israels. Vergleicht man Neh 6,7 mit der vielleicht vollständigsten Angabe letzterer in 2 Kön 11,12, fällt nicht nur der Verzicht auf eine Ubergabe von Königsinsignien auf, der dem Verlust des Thronschatzes Rechnung trägt. Daneben sind auch keine Anstalten dafür zu bemerken, das Volk oder die Priester für eine öffentliche Königssalbung und -akklamation zu gewinnen. Allein dazu bestellte „Propheten" („Nebiim") sollen die Akklamation übernehmen - eine Akklamation aber, die von jedem Salbungsbezug gelöst ist. Das erweckt den Eindruck einer gelenkten Revolte, die weder mit einer spontanen Erhebung des Königsprätendenten durch das Volk noch dessen priesterlicher Salbung rechnete und die Gotteskünder auftreten ließ, um der Bevölkerung wenigstens das göttliche Erwähltsein des neuen Königs vor Augen zu stellen.55

Insgesamt ist so selbst bei den Insurgenten der Bruch mit der Tradition größer als die angestrebte Kontinuität. Im Blick auf die Emphase des Ps 2 wirkt ihr Vorgehen eher kläglich. Den Bedeutungsschwund der davidischen Dynastie hält es nicht auf; ab der 2. Hälfte des 5. Jh. verliert sich deren Geschichtswirksamkeit. 56 2.1.1.4

Das theokratische

4. und 3. Jh.

v.Chr.

Nach Nehemia dauerte es nicht nur wie vor ihm ca. 80, sondern über 250 Jahre, bis in Juda wieder Anstalten entstanden, ein eigenes Königtum zu entwickeln. Einen repräsentativen Autor für die Haltung des fremdregierten Landes zu den persischen bzw. hellenistischen (Groß-)Königen der Zeit bis dahin findet man vielleicht in Kohelet: bei aller Skepsis rät er zur Unterordnung unter den (Fremd-)König (Koh 8,2 in 8,2-9). Weiter geht der Redaktor, der zu Kohelets trotzdem ungeschminkter Lagebeurteilung von 5,7 - unter der Fremdverwaltung herrsche Unterdrückung des Armen und Raub an Recht und Gerechtig" Zur Auslegung von Neh 6,7 s. die Kommentare (knapp Antonius H. J. Gunneweg, Nehemia [...], ΚΑΤ, Berlin 1987, 95). Der von Baltzer (Messias-Frage 42 mit Anm. 53) vorbereiteten, von Kellermann a.a.O. 157 (Zitat) ausgebauten These, das Auftreten der Propheten diene der „Designation des messianischen Königs", ist im messianischen Akzent nicht zu folgen. 56 Trotz der Anm. 53 genannten Lit. ist schon nicht zu vergessen, daß weder die Genealogie von 1 Chr 3,1-24 noch die von Frank Moore Cross, A Reconstruction of the Judean Restoration, Interp. 29, 1975, 187-203, hier 203 unter zusätzlicher Heranziehung von APFC 30,19 entworfene spätdavidische Prinzenlinie eine sichere Einordnung Nehemias erlauben. Cross' Rekonstruktion führt neben/nach Nehemia bis zu 'Anani (geb. ca. 445) und bricht dort ab. 1 Chr 3,1-24 führt zwar noch ein Stück weiter, aber auf keinen der Prinzen nach Serubbabel kommt die chronistische Geschichtsdarstellung (einschließlich Esr, Neh) zurück, was nichts anderes als geschichtliche Irrelevanz besagen kann.

D e r Realienhintergrund

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keit - in 5,8 nachträgt, es sei doch alles in allem ein Gewinn für das Land, wenn es einen König habe.57 Die Erinnerung an die Vergangenheit bleibt inzwischen lebendig und wird für die Zusammenbruchszeit in neu entstehenden legendarischen Erzählungen gepflegt (Jdt, Est). Aber die Motivik eines gesalbten Königtums nehmen diese Erzählungen nicht auf. Unmittelbar vor dem Makkabäeraufstand gipfelt vielmehr das Buch Tobit in einem Psalm, der Gottes himmlisches Königtum ohne jeden Seitenblick auf ein etwaig komplementäres irdisches Königtum preist (Kap. 13 im Duktus von v.2 über w.9 und 13 zu v.17).58 Uberhaupt stellt theokratisches Denken eine wesentliche Komponente des Zeitraums dar. 59 Selbst wenn sich noch einmal alle Hoffnung auf einen umjubelt in Jerusalem einziehenden König richtet wie bei dem unbekannten Propheten, auf den Sach 9,9f zurückgeht, hängt so das Wohl dieses Königs allein an Gottes Tun: Nicht salbungswürdig wird er durch seine Gerechtigkeit, sondern hilfsbedürftig (v.9d). Auf einem Esel, dem Tier des zeptertragenden Juda von Gen 49,1 Of, reitet er ein, doch ohne Judas alte schreckenerregende Ausstrahlung. Die Schlachtrosse Jerusalems, auf die er eigene Macht bauen könnte, werden von Gott ebenso vernichtet wie die Streitwagen Efraims und überhaupt der Kriegsbogen (w.9e.l0a.b). Das Löwenbild aus Gen 49,9 ist auf ihn nicht anwendbar, da sich seine universale Herrschaft einzig auf Gottes universales Wirken gründet, nicht auf die Festigkeit einer am Genick der Feinde ruhenden Königshand (v.lOc.d nach lOa.b; vgl. dagegen Gen 49,8). Kein Wort ist bei ihm, der aller eigenen Kabod entbehrt, schließlich zu einem etwaigen Gesalbtenstatus zu verlieren. Die seit den vorexilischen prophetischen Weissagungen verfolgbare Linie, die erhoffte Herrschergestalt vom erlebten oder erinnerten gesalbten Königtum abzulösen, statt dessen Jahwe in eigener Weise unter- und zuzuordnen, findet einen Gipfelpunkt. 60 57 Vgl. bes. Aarre Lauha, Kohelet, BK 19, Neukirchen-Vluyn 1978, 103-105 (zu 5,7-8), 146ff (zu 8,2[-9]). (Pseudo-)Hekataios fand gar - wenn wir dem Referat des Josephus über sein verlorenes Geschichtswerk folgen - eine Teilnahme von Juden als Soldaten an Feldzügen Alexanders und seiner Nachfolger eher ruhmwürdig denn problematisch (Josephus, Ap. 1,200-204). 58 Zur Gesamtlinie Vawter, Messianism 279, zu T o b Camponovo, Königtum Gottes 129-133. " Den Begriff Theokratie prägte Josephus, Ap. 2,164-166 voller Sympathie für diese (nach seiner Erläuterung) Gott - nicht Königen, Dynasten oder Volksmengen - die Herrschaft und Macht anheimstellende Staatsverfassung. Die moderne Kategorienbildung geht auf Otto Plöger, Theokratie und Eschatologie, W M A N T 2, Neukirchen 1959 (ohne Behandlung unserer speziellen Frage) zurück; zur neueren Diskussion ζ. B. Im, Davidbild 164ff. 60 Zur Interpretation s. neben den Kommentaren namentlich Schmidt, Messias

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Grundlegung

Bei dem (wohl anderen) unbekannten Propheten, 61 auf den Sach 12,1-14* zurückgeht, bricht die Linie vollends um: Jahwe rettet Juda in der vom Propheten geschauten Situation des Völkersturms (w.4a.9). D o c h begleitet die Rettung kein jubelgetragener Königseinzug. Vielmehr hat sich das Gottesvolk nach Uberzeugung des Propheten keineswegs geringer als die Fremdvölker vergangen. Es hat, indem es eine - weder mit Namen noch mit Titel benannte - Gestalt 62 tötend durchbohrte, Jahwe selbst getroffen. 6 3 Daher ist schon ein Akt äußerster Gnade, wenn Jahwe statt Vernichtung einen „Geist des Gnadeflehens" über sein Volk ausgießt, der ihm einen neuen Blick auf seinen Gott in einer Klage ermöglicht, die der Totenklage um den Erstgeborenen vergleichbar ist (w.lOf). Sucht man hier nach einer Auszeichnung des Hauses David, dann liegt sie zugespitzt darin, daß es an erster Stelle der klagend ihre Minderung (!) bekundenden Häuser Israels benannt wird ( w . 1 2 - 1 4 ) . 6 4

Das bis ins 3. Jh. wachsende Werk des Chronisten (bzw. der chronistischen Redaktorenfolge) 65 zieht die Linie einer Reduktion von Salbungsvorstellungen für das Königtum sogar in die Darstellung der vorexilischen Zeit zurück: Nur noch David (1 Chr 11,3; 14,8), Salomo (1 Chr 29,22) und Joasch (2 Chr 23,11) gelten als zum Königtum gesalbt. 28-30,33f, weiterhin etwa Strauß, Messianisch ohne Messias 82-88, knapp zuletzt Sauer, Messias-Erwartung 90 (je Lit.). Weder von der Erhaltung des Textes noch um seiner Verständlichkeit willen sind Konjekturen nötig, die die Aussage auf eine eigene Hoheit des Königs verändern. Mehrere Korrekturen bietet zuletzt Schunck, Messias 646: in v.9 versteht er statt „hilfsbedürftig" „heilbringend" und statt „arm" „Bescheid tuend", in v.10 ersetzt er Gottes „Ich" durch ein königbezogenes „Er". Ein Teil der Korrekturen führt sich auf die LXX zurück, die unter 2.1.1.5 zu besprechen sein wird. 61 Zu den Einleitungsfragen Rudolph, Haggai-Maleachi 161-164. 62 Die Gestalt wird in der Forschung gern als messianisch erachtet (auch bei Rudolph a. a. O. 160,223f) - gegebenenfalls wegen des Leidensakzents unter Annahme einer Querlinie zum Gottesknecht (so sehr vorsichtig noch Schmidt in Schmidt/Becker, Zukunft 65) -, gelegentlich noch weitergehend als endzeitlicher Davidide (so Hanhart, Septuaginta 405). Doch gibt der Text ihr weder einen Gesalbtenstatus noch eine davidische Herkunft, ebensowenig eine nachweisbare Ausrichtung an den Gottesknechtsliedern oder schließlich eine spezifische Endzeitfunktion. Daher muß auf eine Identifikation verzichtet werden, sofern man nicht den in der nächsten Anm. vorgeschlagenen Deutungsweg beschreitet. 63 So der masoretische Text von v.10, den zu korrigieren zwar alte Tradition besitzt (s. schon die weitgehende Textänderung in der LXX), aber vom Text nicht oder allenfalls in möglichst gering zu haltendem Maße gefordert ist. Selbst - oder gerade - auf Jahwe bezogen, erhält er einen äußerst prägnanten Sinn: So sehr hat das Volk sich vergangen, daß dieses Vergehen einem Tötungsakt an seinem Gott gleichkommt. 64 Der Ergänzer, der einen Teil von 4b und 5-8 nachtrug (s. Rudolph a.a.O. 221-223), suchte die Minderung des Hauses David zu entschärfen, indem er ihm v.8 für die Heilszukunft einen gleichsam göttlichen Charakter ansagte. Aber auch er präzisierte dies nicht auf ein neues davidisches Königtum, konzedierte vielmehr, daß in dieser Zukunft selbst der schwächste, strauchelndste Jerusalemit sein werde wie David (ebd.). 65 Zu den Einleitungsfragen z.B. Cross am Anm. 56 a.O. 198-201, zur Datierung auch Peter Welten, Geschichte und Geschichtsdarstellung in den Chronikbüchern, WMANT 42, Neukirchen-Vluyn 1973, 199f.

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Jehus Salbung wird 2 Chr 22,7 als Auftragssalbung Jahwes gezeichnet, die ihn zur Ausrottung des Hauses Ahab bestimmt, ohne ihm den Königstitel zu verleihen. 66 Von Saul, Abschalom und Joahas wird gegenüber der älteren Geschichtsdarstellung keine Salbung mehr berichtet. D.h. Jahwesalbung erhält einen Auftragsakzent. Salbung und Königserhebung sind nicht mehr notwendig verbunden. 67 Zu letzterer genügt am Ende der Königszeit ein Einsetzungsakt durchs Volk: s. 2 Chr 36,1 gegenüber 2 Kön 23,30.

Noch enger wird der Befund für den Titel Gesalbter Jahwes. 68 Als solcher darf sich unter den Königen ausschließlich Salomo prädizieren, und selbst er nur im psalmistisch vorgeformten Bittgebet (s. Ps 132,8-10, bes. v.10) bei einer einmaligen Gelegenheit, der Tempelweihe (2 Chr 6,42). 69 Vergleichen läßt sich die Psalterredaktion, die herrscherliche Psalmen mit Gesalbtenbegriff nun bevorzugt David zuschreibt (Ps 18,1 par 2 Sam 22,1 unter Situationsangabe, weiter Ps 20,1;28,1). Sie verleiht ihnen damit größte Autorität und distanziert sie doch zugleich, nicht unähnlich dem (den) Chronisten, von der eigenen Gegenwart. 70

66 Nicht nur im Kontext unserer Stelle (in 2 Chr 22,7-9) wird Jehu der Königstitel vorenthalten, sondern auch bei seiner einzigen weiteren Erwähnung 2 Chr 25,17. " Was ein Blick auf die 1 Chr 29,22 direkt neben der Königssalbung Salomos berichtete Salbung Zadoks zum Priester zusätzlich stützt; aber darauf ist erst unter 2.1.2.2 einzugehen. " Auf die an Patriarchen denkende Stelle 1 Chr 16,22 ( = Ps 105,15) ist erst später zurückzukommen. " Der Plural "prTBH des Codex Leningradensis in 2 Chr 6,42 ist mit der Mehrzahl der Manuskripte und Versionen für die älteste Texttradition zum Singular "|Π>ρη zu korrigieren (s. den Apparat z. St. in BHS; dem Forschungskonsens entzieht sich auch Becker, Königspsalmen 576 Anm. 83 nicht. Auf die Variantenentstehung ist unter 2.2.3.2 zurückzukommen). Dieser Singular aber meint dem Sprecherrückbezug des Textes nach Salomo. Der Vorgang erhellt das Verständnis des rezipierten Ps 132 mit seinen zwei Belegen des herrscherlichen Gesalbter Jahwes-Motivs (w.10.17) in unseren nachexilischen Jhh.: Selbst wenn die o. mit Anm. 37 angeführte deuteronomistische Redaktion dieses Psalms Raum für restaurative Königserwartung ließ, sang man ihn nicht zu deren Belebung, sondern als tempelorientiertes Erinnerungslied. Näherhin erinnerte man sich als Wallfahrer (s. die Überschrift in v.la) an die Tempelgründung durch Salomo nach David und in diesem Zusammenhang auch an die davidisch-salomonische Königsgeschichte, über der eine große Verheißung (w,17f; vgl. 1 Kön 11,36) gestanden hatte. Aber Spekulationen über eine königliche Fortführung dieser Verheißung nach dem Untergang der Davididen trug man nicht nach. 70 Daß die Psalmüberschriften in die Überlieferungs- und Sammlungsgeschichte der Psalmen gehören und Bezüge zum chronistischen Geschichtswerk aufweisen, stellte Kraus, Psalmen I, 28f (vgl. 71,73) heraus. Im Einzelfall dürften sie noch in vorchronistische Zeit zurückgehen, so bei Ps 18 par 2 Sam 22 (s. Jean-Luc Vesco, Le Psaume 18, Lee-

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Grundlegung

Die Linie bestätigt die Darstellung des Kyrus und der nachexilischen Zeit im chronistischen Geschichtswerk: Kyrus gilt 2 Chr 36,22f nicht minder als bei Deuterojesaja durch Jahwe zum Herrschaftsvollzug legitimiert. 71 Für die innerisraelitische Restauration unter Kyrus' Nachfolgern verweist Esr 5,lf zwar auf die im Namen des Gottes Israels ergangene Prophetie Haggais und Sacharjas, sieht sie aber lediglich den Tempelbau unterstützen, nicht mehr ein Bild zweier O l - S ö h n e entwerfen (Sach 4,14 wird übergangen). Serubbabel bleibt bei all seiner Wichtigkeit Esr 5,2 wie schon 3,2 ohne Titel; allenfalls wird er in Linie der ezechielisch-priesterlichen Terminologie als Nasi vorgestellt. 72 Nach ihm schließlich gelten die Davididen nur noch genealogisch zu verfolgen (1 Chr 3,19-24); Nehemia wird jenseits ihrer Reihe als treuer Untertan Persiens dargestellt. 73

Schwierig ist von da her die Weiterbildung der Natansverheißung von 2 Sam 7 in 1 Chr 17 richtig zu gewichten, die - theokratisch eingebunden 74 - gerade die Davididenhoffnung lebendig hält.75 Aber eines steht fest: Da auch 1 Chr 17 auf jede Kennzeichnung des angesagten Herrschers als zu salbende Gestalt oder als Gesalbter Jahwes verzichtet, ist die Tendenz dieses Textes - und damit des chronistischen Ge-

ture Davidique, RB 94, 1987, 5-62, bes.56, freilich unter unzulässiger Verallgemeinerung). Desgleichen möglich ist, daß sie bis l l Q P s weiterwuchsen (wo ihre Existenz übereinstimmend mit MT etwa Ps 122,1 bezeugt [in der Edition J.A. Sanders S.38; S.20 weitere Überschriftenhinweise]): vgl. B. Childs, Psalm Titles and Midrashic Exegesis, JSSt 16, 1971, 137-150. In der Rolle ist leider keiner der Anfänge von Psalmen mit dem herrscherlichen Gesalbtenbegriff erhalten. James L. Mays' (The David of the Psalms, Interp. 40, 1986, 143-155) These, aufgrund der Davidszuschreibung wäre „unausweichlich", daß die Psalmen „im Lichte der Verheißungen eines künftigen davidischen Messias" gelesen würden (154, übersetzt), geht über die Aussagestruktur der Texte hinaus, in die an keiner Stelle futurische Gesalbtenerwartungen nachgetragen wurden. 71 Nur wird dies nicht mit dem Gesalbter Jahwes-Titel ausgedrückt (wie Jes 45,1), sondern mit der Aussage des Kyrus, Jahwe habe ihm alle Königreiche der Erde gegeben: vgl. bes. Baltzer, Messias-Frage 40. 72 Vgl. allg. Baltzer a.a.O. 39f, für die Einzelexegese Gunneweg, Esra 49 (zu Esr 1,8), 71 (zu Esr 3,2 - mit Verweis auf die chronistische Identifizierung Scheschbazzars und Serubbabels, in deren Fall sich die Nasi-Vorstellung überträgt), 96 (zu Esr 5,2). 73 Zu ersterem vgl. o. Anm. 56, zu letzterem Gunneweg, Nehemia (s. Anm. 55) 96 (bei Neh 6,5-9). 74 Analog zur Darstellung der älteren Königsgeschichte (s. bes. 1 Chr 28,5; vgl. 1 Chr 29,23; 2 Chr 9,8; 13,8) ist v. 14 - unter Änderung der Vorlage von 2 Sam 7,16 - Jahwe der eigentliche Inhaber der Königsherrschaft, läßt diese durch den Davididen jedoch (oder nur) repräsentieren: s. die gleichzeitig nahen und differierenden Auslegungen durch Ringgren in seinem David-Art., ThWAT II, 167-181, hier 180 und Im, Davidbild bes,164f; vgl. auch Camponovo, Königtum Gottes 90f (der 1 Chr 17 freilich zu sehr auf Salomo konzentriert). 75 V.ll personal und zugleich zeitlich auf einen unbestimmten Nachkommen („Samen", „Sohn") Davids ausgeweitet, was etwa Ringgren a.a.O. 180 und Dexinger, Messianismus 17 betonen.

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schichtswerks überhaupt - allenfalls in einem unpräzisen Sinn als „messianisch" zu bestimmen. 76 Alles in allem: Bis zum Abschluß des chronistischen Geschichtswerks verlor die Tradition einer durchgehenden Königssalbung ihre Lebendigkeit für das Verständnis der vorexilischen Vergangenheit Israels und Judas, ohne diesen Verlust durch eine gesteigerte Bedeutsamkeit im Zusammenhang der Entwürfe einer zukünftigen Königsrestauration a b zugleichen. 2.1.1.5

Der hellenistische Rahmen für die Entwicklung vom späten 3. Jh. v. Chr. bis zum späten 1. Jh. n. Chr.

Die weitere Entwicklung vollzog sich in einer Zeit, in der den ganzen östlichen Mittelmeerraum eine griechische Kulturschicht überzog, die die amtsbegründende Salbung von Herrschern nicht kannte. 77 Schlüsseldokument für unsere Frage wird die Septuaginta. Das zu ihr führende Übersetzungswerk begann im 3. Jh. v.Chr. mit der Tora und gelangte bis ca. 140 v.Chr. jedenfalls bis zum Jesajabuch.78 Dazwischen 76 Die neuere Diskussion um diese Frage, unter der Caquot, messianisme du Chroniste? hervorragt, ist bei Im a . a . O . 164 Anm. 3 (Lit.), 167-179 dokumentiert und sinnvoll weitergeführt (freilich 179 zu offene Benennung als „theokratische(r) Messianismus"). D a n k eines Inhaltsreferats in Hebräische Beiträge zur Wissenschaft des Judentums deutsch angezeigt 1, 1985, 123-130 ist auch die Sachauffassung von Sarah Japhet, Die Theologie der Chronikbücher und ihre Stellung innerhalb des biblischen Denkens, hebr. Jerusalem 1977 international zugänglich, C h r sei ein „uneschatologisches Buch" (413-422, im Referat 129). 77 Soweit wir feststellen können, ist griechisch nie eine Herrschersalbung praktiziert worden und wird sie in alter griechischer Literatur ignoriert. Mayer, Ol 46ff b e r u f t als Ausnahme Plato, polit. 3,398 A, in den griechischen Poleis gebühre einem genial vielseitigen M a n n zwar große Verehrung, nicht aber politische Heimat, so daß er in ein fremdes Staatswesen zu geleiten sei, wobei sein H a u p t mit Ol übergössen werden dürfe. Sie hört hier einen kritisch-abweisenden Reflex auf „die barbarische Königssalbung" (47). Doch dürfte Plato eher an eine religiös-nichtherrscherliche, griechisch akzeptable Erhebung der in Blick genommenen Gestalt denken (s. die kommentierte Textausgabe von James Adam, Cambridge 1920, I 154 z.St.).

U m die Zeitenwende stand eine Fürstensalbung m.W. überhaupt nur an einer einzigen Stelle in Pflege, nämlich als - damals weniger als heute fremdartige - M e n n i g e - E i n schmierung der A n f ü h r e r der Äthiopen (s. Plinius maior, nat.hist. 33,11 lf, mit „tingere"). Für den persischen Raum läßt sich ein negativer Befund aus Athenaios, deipnosoph. II 67a.b erschließen; er konnte der ihm vorliegenden Literatur nur eine persisch-königliche Olverwendung im täglichen Lebensvollzug entnehmen. 78 Diese beiden Eckdaten können (mit Robert H a n h a r t , Z u m gegenwärtigen Stand der Septuagintaforschung. FS J o h n William Wevers, ed. A. Pietersma e. a., Mississauga, Ont., C A N 1984, 3-18, hier 16f) als gesichert gelten: der Beginn der Übersetzung mit der T o r a unter Ptolemaios Philadelphos aufgrund Aristobul, fr.3 (Euseb, praep.ev. XIII 12,2; dazu Nikolaus Walter, Jüdisch-hellenistische Literatur vor Philon von Alexandrien [...], A N R W II 20.1, 1987, 67-120, hier 73) und Arist, die Übersetzung des Jesajabuches z.Zt.

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Grundlegung

wurden die Geschichtsbücher erfaßt, soweit sich feststellen läßt, in zwei Wellen: Zuerst dürfte, gegen Ende des 3. Jh., das deuteronomistische Geschichtswerk übersetzt sein. 79 Etwa eine Generation später begann die Ubersetzung des chronistischen Geschiehtswerks, indirekt bezeugt dadurch, daß Eupolemos um 158 v.Chr. auf eine griechische Version der Chronikbücher zurückgegriffen haben dürfte. 80 Sir prol.24f setzt sodann (nach 130 v.Chr.) die Ubersetzung „der Prophetien" und „übrigen Schriften" voraus, wenn auch ohne Einzel textangaben. 81 Sicher ist also die Ubersetzung um diese Zeit weit vorangeschritten. Der Abschluß freilich zieht sich hin. Als jüngster Teiltext geht die L X X Version von Koh allem Anschein nach erst auf Aquila (Anfang 2. Jh. n.Chr. ) zurück. 82 Für die Übersetzung der Psalmen bleibt Spielraum zwischen frühmakkabäischer und herodianischer Zeit. 83 D i e vergleichsweise große N ä h e in Umfang und Anordnung zum MT-Psalter 8 4 spricht dabei eher für letztere, ebenso, daß der über M T hinausschießende Davidspsalm L X X Ps 151 zwei hebräische Psalmen sekundär zusammenzieht, die in der Psalmrolle aus 11Q 85 noch getrennt erhalten sind (Ps 151 Α vollständig, 151 Β im Anfang). Schon die beiden hebräischen Psalmen, die für uns interessant Salbungsterminologie aufnehmen, sind relativ jung. Sie sprechen nicht über David, sondern der seleukidischen Religionsverfolgungen bzw. in frischem Rückblick auf sie aufgrund zeitgeschichtlicher Bezüge (s. Arie van der Kooij, Die alten Textzeugen des Jesajabuches. Ein Beitrag zur Textgeschichte des Alten Testaments, OBO 35, Freiburg/Schweiz. Göttingen 1981, 60-73 nach I.L. Seeligmann, The Septuagint Version of Isaiah. A Discussion of its Problems, MEOL 9, Leiden 1948). Wichtig sind die Ubersetzungsbedingungen: Da alles darauf weist, daß die Gesetzesübersetzung von Seiten des ptolemäischen Hofes angeregt wurde, müssen hoforientierte Ubersetzung und jüdisch-alexandrinische Rezeption zeitlich nicht zusammenfallen. Letztere mag erst um die Mitte des 2. Jh. v.Chr. erfolgt sein (wie Arye Kasher, The Jews in Hellenistic and Roman Egypt. The Struggle for Equal Rights, Texte und Studien zum antiken Judentum 7, Tübingen 1985, 5f meint), also in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur LXX Jes-Entstehung. 79 Denn Demetrios dürfte (verifizierbar leider nur an der etwas ausführlicher erhaltenen Pentateuchbearbeitung) am Ende des Jh. eine vom Pentateuch bis zu den Königsbüchern gewachsene LXX-Übersetzung benützt haben (Näheres bei Nikolaus Walter, JSHRZ III 2, 1980, 280ff). Nach fr.6 (Clemens Alex., ström. I 141,1) schrieb er u.a. „Über die Könige in Judäa". 80 S. Walter, Jüdisch-hellenistische Literatur (Anm. 78) 74 Anm. 17 (Lit.). 81 Dazu etwa a. a. O. 74f. Emanuel Τον, Die griechischen Bibelübersetzungen, ANRW II 20.1, 1987, 121-189, hier 135 bezieht die „Schriften" auf Weisheitsbücher. 82 S. Τον a.a.O. 135. 83 Später sollte nicht datiert werden, da LXX Ps noch nichts von dem Wandel in der Übersetzung von rt'BB erkennen läßt, der - nach neuerer Auffassung (Hanhart, Septuaginta 410) unabhängig vom Aufkommen des Christentums - bis zu Aquilas Übersetzung (um 125 n.Chr. ) zur Ersetzung von χριστός durch ήλειμμενος führt (s. zu letzterem aber auch Τον a.a.O. 178). 84 Umfang und Anordnung des Psalters bildeten sich nur allmählich bis ins l.Jh. n. Chr. aus, wie die Psalmrollenfragmente aus Qumran zeigen (s. Sanders, Psalms Scroll 10-14). 85 Aus dem 2. Viertel oder der Mitte des l.Jh. n.Chr.: s. Sanders a.a.O. 10.

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lassen David selbst sprechen, der sich Ps 151 A , l f näherhin als Hirtensänger mit der Lyra vorstellt. Damit setzen sie die oben angesprochene davidische Redaktion des Psalters voraus und führen sie weiter. Theologisch leiten sie die historisierende, David erhebende Tendenz der Psalterredaktion zu einem Verständnis Davids als Herrscher (s. 151 A,7) hin, der von Samuel gesalbt und groß gemacht wurde, weil er Gott in einzigartiger Weise die Ehre gab (151 A,5 nach v.3; in 151 B,1 wohl vorausgesetzt). David wurde gesalbt, das erweist sich hier als nach einzigartiger Begründung rufende Aussage. Das Prädikat Gesalbter Jahwes wird nicht aufgenommen. 8 6

Überblickt man den zur vorliegenden Gesamtgestalt der Septuaginta führenden Ubersetzungsgang, so kann sie - nach Ausscheidung der christlichen Interpolationen und Textänderungen 87 - zur übergreifen" Zum Bild Davids als Dichter und Sänger in der Redaktion des Psalters s. Kraus, Psalmen I 71, zur Diskussion um den Ps 151 Sanders a.a.O. 94-103 (hebräischer Text 88); Adam Simon van der Woude, JSHRZ IV 1, 21977, 31-37; Pierre Auffret, Structure litteraire et interpretation du Psaume 151 de la Grotte 11 de Qumran, RdQ 34 = 9/2, 1977, 163-188; Jean Magne, „Seigneur de l'Universe" ou David-Orphee?, a.a.O. 189-196 (für uns wichtig 195: Thema des Psalms ist, daß David Jahwe Ehre erwies und Jahwe ihn groß machte) und Frank Moore Cross, David, Orpheus, and Psalm 151:3-4, BASOR 231, 1978, 69-71 (Abweisung der orphischen Interpretation). Obwohl die Pss 151 A,B uns erstmals in der Qumranüberlieferung sichtbar werden, sind sie nicht dort entstanden, und dies nicht nur wegen ihrer Nähe zum alttestamentlichen Psalter (vgl. van der Woude a. a. O. 34f) und aus sprachlichen Gründen (vgl. Cross a.a.O. 70), sondern auch wegen ihres Bildes Davids: So wichtig der Qumrangemeinde David war, spricht sie doch in ihren eigenen Schriften (mit den Belegen 1QM XI 2; 4QpIsa D 1; 4QPB 2.4; 4QFlor I 7.11.12.13; CD V 2.5; VII 16) nicht von der Salbung Davids (obwohl sich 1QM XI 2 sogar wie Ps 151 Β auf den Goliatkampf bezieht). CD V 5 enthüllt den Grund für diese Zurückhaltung: Davids Blutschuld an Uria, in der er diametral gegen ein Gott-die-Ehre-Geben verstieß. 87 Diese christlichen Eingriffe bleiben bemerkenswert spärlich, was in der Tendenz wenn auch nicht im Detail - die These Hanharts (a.a.O. 41 Off) bestätigt, die Christen hätten in die LXX wenig eigene Interpretationen eingetragen. Vor allem fügen die frühen Christen unseren Gesalbtentitel in keinen der großen Verheißungstexte des Alten Testaments ein, brechen hier also die Linie der jüdischen LXX-Redaktion nicht. Wo sie anderweitig Texte ändern, bleibt dies - wie die christlichen Glossen und Interpretamente in der LXX überhaupt (s. Hanhart a.a.O. 41 Of) - in fast allen Fällen daran zu erkennen, daß nur ein Teil der Hss. die Änderungen trägt: so in LXX 2 Reg 23,3 - wo die Furcht Christi eingetragen wird -, in Cant 1,7 - wo die folgende Rede als sich an den Bräutigam Christus wendend charakterisiert wird -, in Sir 46,19 - wo Samuel nun Zeugnis ablegt vor dem Herrn und Christus - und 47,11 - wo die Vergebungstat Christi eingetragen wird -, schließlich in Ez 16,4 - wo das im hebräischen Text erwähnte Wasser auf das Wasser Christi und somit die Taufe gedeutet wird. Hinzu kommt für den von vornherein griechisch abgefaßten Teil der LXX 2 Makk 3,30, wo ein Teil der Hss. Christus statt Herr liest. Nur bei zwei Texten sind wir, da die griechische Textüberlieferung einheitlich von M T differiert, für die Entscheidung auf rein inhaltliche Indizien angewiesen: bei LXX Thr 4,20 und LXX Am 4,13. An ersterer Stelle lasen die frühen Christen eine Klage um „Christus den Herrn" statt „den Gesalbten des Herrn", wahrscheinlich ohne sich einer Textänderung bewußt zu sein. Denn jüdische LXX-Hss. schrieben, wie wir aus Fragmen-

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den Erfassung des Denkens des griechisch sprechenden Judentums zwischen dem 3. Jh. v.Chr. und dem l.Jh. n.Chr. dienen. Aufgrund ihrer Schichtung erlaubt sie auch die Erkenntnis etwaiger Verschiebungen während des Zeitraums. Weichenstellend ist zu konstatieren, daß in keinen der großen Verheißungstexte des Alten Testaments, die der neuzeitlichen Forschung als „messianisch" galten und z.T. gelten, das Motiv des Gesalbten Jahwes nachgetragen wurde, namentlich nicht in Jes 9 , 1 - 6 ; l l , l - 5 b z w . 10; Mi 4,14-5,5; Jer 23,5f; Ez 17,22-24;34,23f;37,24f; Hag 2,20bzw.21-23; Sach 3,8;6,12;9,9f. 88 Die sehr beschränkte 89 Expansion von Äußerungen zur herrscherlichen Salbungs- und Gesalbtenvorstellung setzt vielmehr im Rahmen älterer Vorgaben bei der Geschichtsüberlieferung an. Sie zeichnet ein bemerkenswertes geschichtliches Gefälle: In der Rekonstruktion der Anfänge des Königtums ist die Ubersetzergruppe der Sam-Kön-Bücher (LXX 1-4 Reg) eher königsfreundlich. Laut dem Gros der Handschriften erweitert sie den Segensspruch Davids über die Bestatter Sauls 2 Sam 2,5 (LXX 2 Reg 2,5) um einen Verweis auf die gleichfalls von jenen vollzogene Bestattung seines Sohnes Jonatan und tituliert Saul zusätzlich als Gesalbten des Herrn. 90 Für Salomo ergänzt sie 3 Reg (par M T 1 Kön) 5,15 laut den wichtigsten Textzeugen eine zusätzliche Salbung im Auftrag des Nachbarkönigs Hiram von Tyrus, die die Basis für ein gegenseitiges Vertragsverhältnis mit diesem lege. 91 Auf Saul bis Salomo zentriert sie ihr Salbungsverten wissen, in unmittelbar vor- und frühchristlicher Zeit für den Gottesnamen in Unterbrechung der griechischen Satzstruktur noch (oder wieder) das indeklinable Tetragramm, das die Christen hier offenbar unbefangen als Ketib für ein nominativisches Qere „kyrios" betrachteten (s. Hanhart a.a.O. 411). An letzterer Stelle entsteht durch die Neueinbettung des Gesalbtenhinweises in eine Rede Gottes, die zur Übertragung des göttlichen Schlußprädikats auf den Gesalbten führt, ein jüdisch zerbrechender, wegen der Einheitlichkeit der Überlieferung nicht als zufällige Verlesung erklärbarer Text (gegen van der Woude in Grundmann u.a., χρίω κτλ. 501), der eine ausgeprägte christologische Hoheitstendenz bezeugt (Kellermann, Messias 54 übergeht die Probleme). - Weiteres gegen Ende von Ausblick 3. 88 Textauswahl nach Strauß, Messianisch ohne Messias 33-88. 89 Die Zeugnisse sind über Hatch-Redpath, Concordance s.v. leicht auffindbar und werden sämtlich im folgenden besprochen. 90 Namentlich die Rezensionen Origenes' und Lukians suchen diese doppelte Textänderung wieder rückgängig zu machen (s. die kritischen LXX-Ausgaben). Es darf aber nicht übersehen werden, daß die Übersetzer von 1 Sam überhaupt saulfreundlich waren: Von der Hervorhebung göttlicher Wahl Sauls in (LXX 1 Reg) 9,16 führt eine Linie über 10,1 zu 11,15, Samuel habe Saul zum König gesalbt, nicht einfach - wie M T - das Volk ihn dazu gemacht. 91 Wieder sucht die Rezension des Origenes die Änderung rückgängig zu machen, deren motivgeschichtlicher Ort bemerkenswert ist: Um einen Einsetzungsakt eines fremden Herrschers durch Ölübersendung/Salbung historisch belegt zu finden, müssen wir weit in

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ständnis. 92 Danach verliert sich ihre freundliche Haltung. Die Darstellung über das Ende des Königtums folgt schließlich ganz den deuteronomistisch königskritischen Vorgaben der hebräischen Vorlage. 93 LXX Chr vertieft die Deutung des Endes des Königtums. 94 Entgegen M T fügen die Übersetzer in die Darstellung von Joahas' Einsetzung 2 Chr 36,1 das Motiv der Volkssalbung aus 2 Kön 23,30 ein, um in einer zweiten Ergänzung (36,2b LXX) Joahas' Schlechtigkeit zu kontrastieren (vgl. 2 Kön 23,32). So zeigen sie am Ende des Königtums betont die Herrschersalbung wegen der Schlechtigkeit der Könige 95 depraviert, zur Ablösung durch fremde Königsverfügung verurteilt.96 L X X Sir bestätigt die Verbreitung des Urteils. 49,4f kritisiert es, alle Könige (Judas) hätten sich - außer David, Hiskija und Joschija - vergangen. Sie hätten ihre Macht (wörtlich: ihr Horn) selbst (!) Fremden übertragen. Die L X X zu Hos, die 8,4 eine prophetische Kritik der Depravation der altisraelitischen Königseinsetzung vorfindet, zieht den Vorgang noch in die Zeit des Nordreichs zurück. In H o s 8,10 hört sie Jahwe schon damals ansagen, in Kürze werde Efraim/Israel aufhören, einen König und Führer (PI.) zu salben. 97

die Geschichte des Gastlands der LXX-Übersetzer zurückgehen, zu Vasalleneinsetzungen der Pharaonen der 12.Dynastie (Quellenhinweise bei Wolfgang Helck, Amtseinsetzung, LÄ I, 227f). Die Erinnerung an die alte Geschichtspraxis ist in unserem Text freilich, dem historischen Abstand gemäß, nur gebrochen gewahrt. Denn die Salbung begründet keine Vasallität, sondern dient als Freundschaftsausdruck (v. 15) und Vertragsbasis (w.16-25). 92 Dabei verbinden sich Salbung und damalige Macht der Könige. Negativ gesagt: Wo David im MT über eine der Königssalbung widersprechende Machtlosigkeit klagt, ist keine Salbungsaussage möglich; 2 Sam (LXX 2 Reg) 3,39 wird gänzlich umformuliert. 91 S. bes. LXX 4 Reg (par M T 2 Kön) 23,30.32;24,19f. 94 Zuvor erfolgt eine Expansion unserer Begrifflichkeit nur bei Jehu, den die hebräische Uberlieferung, wie im letzten Paragraphen gezeigt, von Jahwe zu besonderem Auftrag (nicht eigentlich zum Königtum) gesalbt verstand: LXX verstärkt 2 Chr 22,7, wo es um diese Machttat Jehus aus Gottes Auftrag gegen das Haus Ahabs geht, (laut einem Teil der Hss.) das vorgegebene Salbungsmotiv zur Bezeichnung Jehus als Gesalbter des Herrn. 95 Joahas' wie seiner Väter: s. LXX 2 Chr 36,2b par 2 Kön 23,32. 96 Der Duktus von LXX 2 Chr 36 bringt dies im Kontrast von 36,4 zu 36,1 zur Geltung: 36,4 wiederholt das Einsetzungsmotiv von 36,1, aber eine Salbung findet nicht mehr statt, und Subjekt der Einsetzung (nun Eljakims) ist nicht mehr das Volk, sondern der Fremdkönig. " LXX Hos 8,10 läuft parallel zu (LXX) Hos 1,4, wo Jahwe ansagt, er werde in Kürze (μικρόν) die Königsherrschaft des Hauses Israel beenden. Das stellt klar, daß mit μικρόν in 8,10 nicht „auf kurze Zeit"/„eine Weile", sondern „in Kürze" gemeint ist (gegen Wilhelm Rudolph, Hosea, ΚΑΤ XIII/1, Gütersloh 1966, 160). Die Aussage über das Salbungsende wird von den LXX-Ubersetzern neu in den Text eingebracht, der in seiner MT-Fassung kaum verständlich ist; wieso van der Woude ihre Redaktion „in den Zshg der messianischen Erwartungen" einzuordnen vermag (a. a. O. 502), bleibt mir völlig unklar.

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Grundlegung

Sacharjas Nachtgesicht des göttlichen, von zwei Ölbäumen eingerahmten (in LXX: überragten) Leuchters (Sach 4,2f innerhalb 4,1-14), das nachexilisch noch einmal zur Hoffnung auf eine Restitution des gesalbten Königtums neben dem Hohenpriestertum geführt hatte, konnte bei einem solchen Geschichtsbild nicht unangetastet bleiben. Die Übersetzer gliedern es schärfer als ihre Vorlage in Vision (w.1-3), Deutung des Gesamtbildes (w.4-10) 98 und Deutung speziell der Olmotive (w. 11-14). Die Ölbäume belassen sie deutend in Gottes Sphäre: sie stünden - weitab von irdisch-personalen Gesalbtentraditionen - als Heiligkeitssymbole beim Herrn der ganzen Erde (v.14).99 So zeigt ihnen die Vision Gott in seiner Heiligkeit und mahnt Serubbabel, sich nicht an Kategorien der Macht und der Kraft, sondern an Gottes Geist zu orientieren (w.4-6). 100 An Kategorien der Macht und der Kraft orientierten sich aber die Aufstandspläne, die sich zwei Generationen nach Sacharja um Nehemia rankten. Die LXX verschärft kritisch ihr Bild: Die Stärkedemonstration des Mauerbaus tritt ins Zentrum (LXX 2 Esr 16,6f; vgl. M T N e h 6,6f)· Die Prophetenaufstellung wird außerdem 101 getroffene Maßnahme der Insurgenten, die Nehemias Selbsteinsetzung (!)102 zum König in Juda zu begleiten habe; unverblümt auf Nehemia, nicht mehr auf eine Gotteskündung hin sind die Propheten orientiert.103 Von Salbung weiterhin kein Wort.

Die LXX-Übersetzer gehen also in großer Breite davon aus, daß der Zusammenbruch des N o r d - und Südreichs von Gott gesetzt das Ende des vormalig gesalbten Königtums bedeutete, das auf eigene Macht und Kraft setzte und diese doch an Fremdvölker verlor. Nur in diesem Rahmen tradieren und entwickeln sie die ihnen von der hebräischen Tradition vorgegebenen Herrscherhoffnungen weiter, dies in einem bemerkenswerten Prozeß: In der ptolemäisch protegierten oder zumindest von ptolemäischer Rücksichtnahme bestimmten Anfangszeit der Übersetzung verlängern sie die Erwartungen des hebräischen Pentateuchtextes beim Judaspruch 98 V.4 gilt die Anfrage an den Engel nicht mehr wie in M T speziell den Ölbäumen, sondern allem Gesehenen. " Wegen des Motivs des Stehens können v.14 nur die Ölbäume von v . l l , nicht die in Händen gehaltenen Ölzweige von v.12 gemeint sein. - In der Gesamtlinie der Interpretation schlägt sich ein sakrales Verständnis des von den ölbäumen stammenden Fettes/ Öles nieder, auf das unter 2.1.3.1 zurückzukommen sein wird. 100 Nach den Rahmenänderungen rezipierten sie v.6 M T im wesentlichen unverändert, ein Zeichen, daß sie hier das bleibende Anliegen hören. 101 προς τούτοις . 102 καθίσης in der 2. Person gemäß der Vorstellung, die Insurrektionsvorwürfe richteten sich direkt an Nehemia. 103 LXX v.7 ersetzt die speziellen Kündungsaufträge von M T v.7 durch ein schlichtes „für dich" (zur 2. Person s. letzte Anm.).

Der Realienhintergrund

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Gen 49,10 auf eine unbestimmte Zukunft hin, personalisieren sie im Bileamorakel Num 24,17 sogar (nach 24,7) eine in der hebräischen Tradition noch unpersönlich gehaltene Erwartung. Zugleich entschärfen sie aber Herrschafts- und Gewaltzüge der erwarteten Gestalt, um sie akzeptabel zu halten und als „Erwartung der Völker" (Gen 49,10 LXX) darzustellen. Vor allem trägt sie nicht den Titel eines βασιλεύς wie die hellenistischen Großkönige, sondern vorzugsweise den eines ηγούμενος oder άρχων (Gen 49,10; Dtn 33,5). In N u m 23,21 wird letzterer Titel, der in etwa die „Nasi"-Tradition fortführt, sogar pluralisiert, der individuellen Zuspitzung beraubt. 104 In N u m 24,17, dessen Härte man nur begrenzt zu entschärfen vermag, auch wenn man das tötende Vernichten Moabs und Sets aus dem hebräischen Text zu einer Vernichtung der Herrscher und Plünderung der Söhne differenziert, spricht man (wie zuvor in N u m 24,7) nur von άνθρωπος. 105

Vielleicht eine Generation nach der Pentateuchübersetzung erwächst beim Fortschreiten zur Königsgeschichte 106 aus solcher Rücksichtnahme eine vereinzelte Futurisierung der Gesalbter Jahwes-Herrscherbezeichnung: In der hebräischen Tradition gipfelte Hannas Lobgesang 1 Sam 2,1-10, als Uberleitung zur altisraelitischen Königsdarstellung gedacht, 107 v.10 im synonym parallel formulierten Wunsch (oder Aus104

Wichtige Beobachtungen zu Num 23,21 und Dtn 33,5 - die beide in der LXX futurisiert werden - bei Camponovo, Königtum Gottes 386f. Er deutete die auffällige Ubersetzung von hebräisch „Melech" (König) mit „Archon" als Absetzung „von den irdischen Königen der Umwelt" und zog eine Linie im Sprachgebrauch zur Übersetzung von Ez 37,22.24. Er berücksichtigte aber nicht, daß Archon in LXX Ez vor allem zur Übersetzung von „Nasi" dient (Belege bei Hatch-Redpath mit 17 gekennzeichnet), also die besprochene Absetzung Ezechiels von der alten Königstheologie fortsetzt, und erklärte sich deshalb bereit, den genannten Texten evtl. „messianisches" Denken zu konzedieren (386,387). 105 Knappe Hinweise zu LXX Gen 49,10; Num 24,7.17 bietet Kellermann, Messias 54; weiter zu LXX Gen 49,10 Leo Prijs, Jüdische Tradition in der Septuaginta, Leiden 1948 (repr. Hildesheim usw. 1978), 67-70, zu LXX Num 24,7 Vetter, Bileam-Sprüche 39. Je wird freilich ins „Messias"-Feld eingebunden. Fraglich ist, ob die LXX-Fassung des sog. Protevangeliums Gen 3,15 (zum M T o. Anm. 9) den angeführten individuell-herrscherlichen Zukunftstexten zugesellt werden darf. Denn das maskuline αύτός nach dem neutrischen σπέρμα bekundet zwar, daß dieser „Same" personal verstanden wurde (vgl. die Übersetzung von 1 Sam 1,11; 2 Sam 7,12f; 1 Chr 17,1 lf; Ez 17,13). Es läßt aber offen, ob personal individuell oder personal kollektiv. Eine Gestaltung zur Heilsverheißung unterbleibt; vielmehr spricht LXX von einem wechselseitigen „zupackenden Beobachten" (τηρεΐν ) von Schlange und Samen. Letzterer wird nicht als Herrscher, geschweige denn als „Messias" spezifiziert. Trotzdem interpretiert Martin, Genesis 3,15 messianisch; zur Kritik Vinzenz Hamp, Psalm 110,4b und die Septuaginta, in: Neues Testament und Kirche. FS Rudolf Schnackenburg, Hg. J. Gnilka, Freiburg usw. 1974, 519-529, hier 526f. 106 Zur Datierung s.o. 107 Vgl. Stoebe, Samuelis 105 nach 102 Anm. e zu v.10.

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Grundlegung

blick)108, Jahwe möge (oder werde) seinem König Stärke geben, möge (oder werde) das Horn seines Gesalbten erhöhen. Die Übersetzer nutzen den Zwang, die hebräische Schwebe der Syntax zwischen Imperfekt (griechisch: Präsens, Futur) und Jussiv auflösen zu müssen, für eine Umprägung zum synthetischen, die politische Lage ihrer Gegenwart einfangenden Parallelismus. Sie nehmen einen krassen Anachronismus der Geschichtsdarstellung 109 in Kauf und lassen Hanna sagen: Der Herr „gibt gegenwärtig (δίδωσιν präs.) Stärke unseren Königen (τοις βασιλεϋσιν ημών) und erhöht zukünftig (ύψώσει fut.) das Horn seines Gesalbten" (LXX 1 Reg 2,10 l.m). So entsteht noch einmal eine futurisch-herrscherliche Gesalbtenerwartung in einem Lied, das ähnlich Ps 2 den Mächtigen der Erde zu Gehör kommen will (s. LXX v.lOd). Doch tritt an die Stelle der Antithese zwischen feindlichen Königen und herrscherlichem Gesalbten Jahwes, die den hebräischen Ps 2 bestimmte, die Weiterführung eines „und"-Satzes, die die gegenwärtige Macht „unserer Könige" nicht antastet, sondern ebenso als gottgegeben akzeptiert wie die unbestimmt zukünftige Erhöhung des neuen Gesalbten Jahwes. Daher wirkt die Neuformulierung eher durch das apologetische Anliegen bedingt, das drängende Evozieren eines eigenen jüdischen Königtums aus dem hebräischen Hanna-Text in einer Zeit der Herrschaft ungesalbter Fremdkönige zu entschärfen, denn als programmatisch-messianisch. 110 Die Wirkungsgeschichte des Textes bestätigt dieses Urteil. Er zieht weder im Fortgang der Ubersetzung des deuteronomistischen Geschichtswerks 111 noch bei irgendeiner späteren Übersetzung altbiblischer Literatur für die Septuaginta eine weitere Futurisierung herrscherlicher Gesalbtenüberlieferung nach sich. Und obwohl er so mit seiner Ansage eines zukünftig neuen gesalbten Herrschers in der Septuaginta singulär bleibt,112 erhält er darin nicht einmal für das frühe Christentum Relevanz. Dabei ließ sich letzteres von ihm bei der Formu10

» S. Stoebe ebd. Die sich, wie angemerkt, eigentlich erst dem Entstehen eines Königtums in Israel nähert (dabei M T v.10 wohl auf David ausblickt: s. Stoebe a.a.O. 105). 110 Vgl. das freilich sehr knappe Urteil Stoebes a.a.O. 102: „nicht eschatologisch". Im Fortgang der LXX-Übersetzung gesehen, nimmt „Gesalbter des Herrn" hier die Funktion ein, die in den Zukunftsausblicken der Pentateuchübersetzung dem Archontentitel zukam: den Lesern/Hörern einen Alternativtitel zu König zu bieten, der eine eigene herrscherliche Zukunftshoffnung aufrechtzuerhalten erlaubt, ohne einen Konflikt mit den gegenwärtigen (Fremd-)Königen zu provozieren. 111 Mit wichtigen Gesalbten-Psalmen noch in 2 Sam 22 (par Ps 18) und 2 Sam 23,1-7 (mit einer - fragmentarischen - Parallelüberlieferung in l l Q P s a Kol. 27,1). 112 Die PsSal, die Rahlfs in seine Septuaginta-Ausgabe Stuttgart 1935 (Bd. II) aufnahm, fehlen in sämtlichen alten LXX-Hss. Erst christlich-mittelalterlich wuchsen sie gelegentlich in Bibelcodices ein (s. Svend Holm-Nielsen, JSHRZ IV 2, 1977, 52). 109

D e r Realienhintergrund

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lierung eines seiner zentralen Hymnen, des Magnifikats (Lk 1,46-55), mit anregen. 113 Der verbalen Nähe zwischen dem „Christos Kyriou"-Begriff des LXX-Psalms und dem „Christos"-Prädikat Jesu zum Trotze ignorierte es dort aber die herrscherliche Gesalbtenansage von v.10. Es bog diese auch in der etwaigen weiteren Anspielung des Benedictus zu einer Aussage über „das Horn unserer Rettung" um (Lk 1,69). Überaus auffällig verzichtet so das frühe Christentum darauf, die einzige herrscherlich-futurische Gesalbtenaussage der Septuaginta als messianische Verheißung auf Christus aufzugreifen, ein Sachverhalt, der eine erhebliche Irritation gegenüber der These eines nahtlosen Anschlusses des frühen Christentums an die herrscherliche Gesalbtenerwartung des Judentums bedeutet. Doch zurück zur Septuaginta: Nicht lange nach der Übersetzung des deuteronomistischen Geschichtswerks kommt es 200/198 v.Chr. zur seleukidischen Herrschaftsübernahme in Judäa, die in eine religiös-politische Krise führt. LXX Jes entsteht unter deren Eindruck 114 und beläßt doch die einzige Erwähnung des Titels Gesalbter des Herrn beim Fremdkönig Kyrus.115 Für die eigene Hoffnung gibt es dem Titel - parallel zur Wirkungslosigkeit von LXX 1 Reg 2,10 - keine Rolle. D i e Ü b e r s e t z e r p r ä g e n d a f ü r e i n e n n e u e n Titel: In 9,5 e r s e t z e n sie die ü b e r s c h w e n g l i c h e n T h r o n n a m e n der über die Krise h i n w e g w e i t e r erwarteten H e r r schergestalt aus der h e b r ä i s c h e n U b e r l i e f e r u n g ( v o n 8 , 2 3 a ß - 9 , 6 ) d u r c h „ B o t e des g r o ß e n Rates", d e s R a t e s nämlich, aus d e m heraus der H e r r Z e b a o t Frieden s o w i e H e r r s c h a f t u n d G e r e c h t i g k e i t des K ö n i g t u m s k o n s t i t u i e r e n w e r d e . 1 1 6 G o t t e s b e v o l l m ä c h t i g t e r B o t e z u sein, ist d e m n a c h wichtiger, als die T i t e l „ K ö nig" o d e r „ G e s a l b t e r d e s H e r r n " z u tragen. 1 1 7 11,1—5(.6—8) L X X f ü h r e n dies fort 1 1 8 u n d verstärken in der Charakteristik

u ' S. neben den Kommentaren z.St. z.B. Brown, Birth 335 u.ö. und - für eine sehr vorsichtige Position, die die Texte eher formal als inhaltlich verbindet - Farris, Hymns 116. Auffälligerweise konnte ich noch bis Bemile, Magnificat 79-84 keine nähere Erörterung der Auslassung des Gesalbtenmotivs in Lk 1,55 finden. 114 S.o. mit Anm. 78. 115 LXX Jes 45,1 sieht den Titel sogar als Teil der Gottesrede („mein Gesalbter"). 116 So die am Wechsel zur 1. Person Singular erkennbare Gottesrede, in die LXX v.5 (entgegen MT) übergeht, und deren Entfaltung im grammatisch komplexen v.6, dessen Nachsatz den Sachverhalt prägnant bündelt: „Der Eifer des Herrn Zebaot wird dieses tun". - Kellermann a. a. O. 54 sieht den theokratischen Akzent des Textes, liest aber das Botenmotiv anders als Degradierung zu einer „irdischen Ratgebergestalt". Die genaue Aufhellung des Prädikats steht noch aus; falls van der Kooij mit seiner Rückführung der Übersetzung auf einen Priester (am Anm. 78 a. O. 60-73) Recht hat, wird man priesterliche Einflüsse (zu „Bote Jahwes" als Priesterbezeichung vgl. Anm. 143) nicht ausschließen dürfen. 117

Beide Titel vermeidet unser Text. Man beachte die Aufnahme des „Rat"-Motivs in v.2 (nach MT).

122

Grundlegung

der erwarteten Gestalt die Wortelemente der hebräischen Überlieferung von v.4 auf das (hellenistische) Bild eines geistgetragen sprechenden Ekstatikers hin. 119

In 25,5f erreicht - innerhalb des stark umformulierten Abschnitts 25,1-12 - die theokratische Linie von LXX Jes ihren Höhepunkt. Aus der gegenwärtigen Armut und Niedrigkeit, 120 zu der man sich von Gott an gottlose Menschen übergeben weiß, 121 blickt man lobpreisend 122 auf eine Zukunft, in der der Herr Zebaot allen Völkern eine Richtung auf den Berg Zion geben werde. Dort würden sie „Freude trinken" wie das über seine Rettung jubelnde Gottesvolk. 123 Doppelt entfalte sich ihre Freude, als festlicher Weingenuß und als Salbung mit Myronöl. Letztere gesteht man den Völkern gezielt über den hebräischen Text hinaus zu. Ein sakraler Festraum entsteht, der unsere Motivik wesentlich einbezieht: die Völker feiern gesalbt am Ort des Herrn. 124 So entsteht in L X X Jes insgesamt das Zukunftsbild einer Theokratie, in der sich Gott durch einen bevollmächtigten Boten repräsentieren läßt und die die Fremdvölker jubelnd in Gottes Heil einbezieht. Nicht Ressentiment, sondern Heilszusage antwortet auf die seleukidische Krise. 125

Die Ubersetzer des Sacharjabuches reagieren anders. Gleichfalls vor dem Hintergrund des Konflikts mit der griechischen Überfremdung in

1,9 S. Seeligmann am Anm. 78 a. 0.118f. Er hält 119f sogar eine noch weitergehende hellenistische Prägung von LXX Jes für möglich, wenn nämlich die Übersetzung von „almah" in 7,14 als „parthenos" kein Versehen, sondern eine Angleichung an hellenistischmythologische Vorstellungen der Geburt eines göttlichen Kindes aus einer Jungfrau wäre. - Auf 11,10 LXX wird in Anm. 245 bei Ausblick 2 gesondert einzugehen sein. 120 Auf die hin v.3 geändert wird. 121 So die Neuformulierung der Situation in v.5. 122 S. das Eulogiemotiv in den w.3.5. 123 S. die Parallele zwischen v.6 und v.9. LXX betrachtet das Kap. als Einheit und prägt die w.8-12 als Entfaltung der Heilszusagen der w.6f: Man blickt aus auf eine Zeit, in der der Tod die (gegenwärtig) Starken verschlungen und Gott jede Träne abgewischt haben wird, so daß das Volk rehabilitiert über seine Rettung jubeln kann (w.8f). Gott wird da dem wiedererhöhten (s. v.l 1) Zion Ruhe geben, während die Moabitis von Füßen zerstampft werden wird (v.10), die auch die Höhe der Zionsmauer niedertreten werden bis auf den Grund (v.l2 in passivischer Formulierung) - ein überwältigendes Bild der Völkerwallfahrt in Parallele zur Restitution des Gottesvolks. 124 Die Salbungsartikulation beim Fest überspannt die Kulturen: vgl. sprachlich parallel zu unserer Stelle Achaeus, fr. 17 Nauck im Zusammenhang einer Festmahl-SymposionBeschreibung (ferner steht „Myrongesalbter" Euripides, Cyc. 501). Auf den Rahmen der sakralen Konnotation wird unter 2.1.3 einzugehen sein. - Ein wirkungsvoller Kontrast entsteht zu Am 6,6 (MT wie LXX), wo ein Prophet festlichen Weingenuß und Myronsalbung selbst Israels verwarf, da dies ein Augenverschließen vor dem Untergang Josefs bedeute. 125 Theozentrik bestimmt auch die weiteren Heilsänderungen der LXX Jes in 13,22; 51,14 (dazu, allerdings mit breitem Messiasbegriff, Joseph Ziegler, Untersuchungen zur Septuaginta des Buches Isaias, ATA 12/3, Münster 1934, 112f).

Der Realienhintergrund

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Palästina schreibend, 126 intensivieren sie die mit der Erwähnung eines rettenden Eingreifens Jahwes (des Herrn: s. bes. v.16) verbundene Vision eines neu in Jerusalem einziehenden Königs von Sach 9,9f M T (innerhalb 9,9-17): Dieser König Zions/Jerusalems, nicht wie in M T Gott selbst, wird ihrer Überzeugung nach den Krieg beenden und die Kriegsmittel Efraims wie Jerusalems vernichten, so daß Fülle und Friede von den Völkern her herrschen wird. 127 Bei diesen Übersetzern bildet sich also ein neues königsorientiertes Selbstbewußtsein aus. Aber Königsorientierung bedeutet auch bei ihnen keineswegs Orientierung an einer Vorstellung des Königs als Gesalbter Jahwes. Sach 9,9-17 wird ihnen nicht zum messianischen Text (übrigens ebensowenig noch den sehr viel späteren Prophetentargumen 128 ). Sie halten allein am Königstitel fest, ein Indiz, daß sich die Königslinie nun, in der Mitte des 2. Jh. v.Chr., nach jahrhundertelanger Vorbereitung vollends gegenüber der alten königstheologischen Gesalbter Jahwes-Linie verselbständigt hat. Dem entspricht die weitere Entwicklung der jüdisch-hellenistischen 126 Schon Sach 9,13 hebräisch war in der Wendung gegen die „Söhne Jawans" griechenkritisch (s. die Kommentare z. St.). LXX präzisiert dies auf „Griechen", wie Dan 8,21; 10,20; 11,2 die Seleukiden bezeichnet. Das spricht dafür, daß LXX Sach zu den während der seleukidischen Krise und im Blick darauf übersetzten Büchern gehört, auf die Sir prol.24f zurückblickt. 127 V. 10. Der Text stellt vor besondere Probleme, da christliche Überarbeitung bei aller gebotenen Zurückhaltung zwingend erkennbar ist: v.12 blickt neu auf eine Situation aus, in der die Angeredeten als Gefangene der Synagoge im Bollwerk sitzen, nachdem v.ll (unter geringfügiger Änderung von MT) das Herausführen aus wasserloser Grube als im Diatheke-Blut - vgl. Mt 26,28f! - erfolgenden Vorgang benannte. Die w . l lf ringen also im Anschluß an die Zionsansage der w.9f (die in der Du-Anrede v.ll fortgeführt wird) mit dem Verhältnis (Zions-)Kirche-Synagoge. Auch v.9 ist ein christlicher Eingriff erkennbar, weil mit einem christlich sich auflösenden Bruch im jüdischen Text verbunden: Während nach M T der König hilfsbedürftig ist und Jahwe - im Qere „der Herr" - hilft (vgl. v.16; im Targum bleibt das Verständnis der Königscharakteristik „hilfsbedürftig" in v.9 mit der Interpunktion offen: s. Rudolph, Haggai-Maleachi 177), trägt LXX v.9 ein, der einziehende König sei selbst der rettende. Er erhält in der Linie zum (unveränderten) v.16 die Funktion des Herrn (MT Elohim), verschmilzt mit diesem in jüdisch kaum vollziehbarer, bei Identifizierung des Kyrios und Basileus christlich in Jesus, dem „Herrn", jedoch stringenter Weise. Daher muß ein Heranziehen dieser Spitze des v.9 - deren Herausfallen aus der LXX-Entwicklung auch Kellermann, Messias 54 auffiel (ohne daß er die hier vorgetragene Konsequenz zog) - für die jüdische Vorstellungsentwicklung Vorbehalten begegnen. Bei v.10, der in den Einzugsperikopen der Evangelien (bes. Mt 21,5) nicht rezipiert wurde, liegt dagegen kein Hinweis auf christliche Textgestaltung vor; daher stützt sich unsere Skizze der jüdischen Interpretationsentwicklung vornehmlich auf ihn. 128 Auch diese verzichten auf eine Einfügung der Gesalbten-Motivik (vgl. Levey, Messiah 100). Die scheinbare Fülle jüdisch-messianischer Interpretationsbelege zu unserem Text bei Bill. I 842ff zeigt so nur einen für die Umgebung des Neuen Testaments nicht direkt relevanten, späteren Interpretationsstrang.

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Grundlegung

Geschichtsüberlieferung: In der Septuaginta fällt im Vaticanus-Strang der Uberlieferung von Chr das τοϋ χριστοϋ σου im Tempelweihgebet Salomos 2 Chr 6,42 aus. In letzter Reduktion gegenüber dem hebräischen Text ist nun also auch Salomo nur „König". 129 Das Geschichtswerk Eupolemos' 130 vermeidet in den erhaltenen Fragmenten noch weitergehend selbst die Salbungsaussagen bei den Angaben zur Königwerdung Sauls, Davids und Salomos (überliefert in Euseb, praep.ev. IX 30,2.3.8). Es bezeichnet sie durchweg mit (hellenistischer) Königs-/Großkönigsterminologie ( a . a . O . 30,2;31,1;32,1;33,1;34,1.10;39,5). Danach entsteht eine durch die Uberlieferungslage bedingte Lücke für die Entwicklung der Königsdarstellung bei jüdisch-hellenistischen Historikern. 131 Aber daß die Linie im Kern ungebrochen bleibt, wird indirekt dadurch bestätigt, daß Philos umfangreiches Werk keinerlei Interesse an der Aufnahme, geschweige denn Verstärkung altisraelitisch-herrscherlicher Salbungsaussagen verrät. 132

Erst Josephus referiert in den Antiquitates wieder - etwa in Darstellungsweise der Chronisten - die biblischen Salbungsberichte Sauls, Davids, Salomos, Jehus und Joasch'.133 Doch weiterhin bezeichnet er keinen der Könige als Gesalbten (Jahwes).134 Die Darstellung der Adonija-Episode in ant. 7,351f verrät sogar, daß er schon in der Davidszeit eine einfache, durch ein Festmahl dokumentierte Herrschaftsübergabe für möglich hielt.

Ohne regionale Grenzen lassen sich dem die übrigen Quellen der Zeit zuordnen: So oft die Autoren der neutestamentlichen Schriften auch von den herausragenden altisraelitischen Königen David und Salomo sprechen, verwenden sie doch an keiner Stelle den Gesalbter Jah-

129 Der Anm. 92 zu Jehu berichtete Befund ist nach der in MT (s. unter 2.1.1.4) eröffneten Linie nur begrenzt gegenläufig. 130 Das um 158 v.Chr. in der palästinischen Umgebung der Makkabäer entstanden sein dürfte: s. 1 Makk 8,17f (vgl. 2 Makk 4,11) und dazu Nikolaus Walter in JSHRZ I 2, 1980, 95f. 131 Deren Fragmente (ed. Carl R. Holladay, Fragments from Jewish Hellenistic Authors I: Historians, SBLTT 20, Chico, Cal. 1983) enthalten keinen königlichen Salbungs-/ Gesalbtenhinweis. Sie sind jedoch zu rudimentär, um gesicherte Schlüsse zu erlauben. 152 Es weist keinen einzigen „christos"-Beleg auf; zum Begriffsrahmen s. den Index Philoneus s.v. χρίω. Auf weitere Aspekte bei Philo wird zurückzukommen sein. 133 Nicht mehr (wie in Chr) also eine Salbung Abschaloms und Joahas'; nur die SaulSalbung geht über Chr hinaus. 134 χρίειν findet sich ant. 6,83.157.357.382;9,106.149. χριστός dagegen verwendet Josephus nur als partizipiales Verbaladjektiv (ant. 8,137) und als Nomen mutatum Jesu (s.o. unter 1.2.3), kein einziges Mal als Königsattribut. Wie bei Philo ist auf weitere Werkaspekte zurückzukommen.

Der Realienhintergrund

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wes-Titel. 1 3 5 Nicht einmal das palästinisch-hebräische oder -aramäische Schrifttum bis zur Zerstörung des zweiten Tempels bietet ein anderes Bild. So wahrte die Gemeinschaft von Qumran durchaus eine Erinnerung an die alte Königsgeschichte (s. 1QM XI 3) mit herausragender Stellung Davids (a.a.O. XI 2). Aber sie drückte auch Davids Stellung im eigenen Schrifttum nie durch das Gesalbter Jahwes-Prädikat aus.136 Sinnfällig wird das bis llQPs a : An die - leider nur im Schluß erhaltene - Wiedergabe des Abschiedspsalms Davids aus 2 Sam 23,1-7, in dessen v.l David nach dem M T als „Gesalbter des Gottes Jakobs" vorgestellt wurde, schließt sie ein Davidapokryphon an (Kol.27,2-11), das David aufs höchste preist - als weisen, ethisch vollkommenen Geistträger, der nicht weniger als 3600 Psalmen und 450 Lieder gedichtet bzw. komponiert habe -, ihm aber in all diesem Preis unseren Titel vorenthält. 137 Sogar die PsSal behalten den Gesalbtentitel bei aller Erinnerung an Davids Erwählung zum König und an Davids Thron (17,4.6) allein der zukünftig erwarteten Herrschergestalt (17,32; 18,7) vor (in einem Hoffnungsentwurf, auf den später einzugehen ist). So müssen wir, um in neu entstehender Literatur wenigstens David wieder als Gesalbten (Jahwes) benannt zu sehen, ans äußerste Ende der neutestamentlichen Zeit springen, zu dem anders als Josephus' Antiquitates wohl in Palästina entstandenen, später fälschlich Philo zugeschriebenen Liber antiquitatum biblicarum (51,6;59,3f). 138 Für Salomo und alle anderen Könige ist der Vorgang auch dann noch nicht wieder erreicht. Koh kennzeichnet Salomo, der nun als Autor („Versammlungsredner") dieses Werks gilt, so bis zur Endredaktion (Ende 1./Anfang 2.Jh. n.Chr. )139 in

135 Für die Einzelverifizierung des negativen Befundes s. die Konkordanzen s.v. (in V K G N T I S.198f,1207). 136 Vgl. Anm. 86. Unsere Stelle bezeichnet David genauerhin in der Linie der Literatur der Exilszeit als Jahwes Knecht (XI 2). Das Gesalbter Jahwes-Prädikat überträgt ihr Fortgang (Z. 7f) auf (nichtkönigliche) Seher. 137 Den Text und eine - auf die Weisheit Davids abhebende - Besprechung des Apokryphons bietet Sanders, Psalms Scroll 86f,134f. Wieweit es älter ist als die Psalmrolle, läßt sich bislang nicht entscheiden. 138 Aus dem späten 1., frühen 2. Jh. n.Chr.; zu den Einleitungsfragen Christian Dietzfelbinger, JSHRZ II 2, 1979, 91-101, bes.95f. - Die überkommene palästinische Rezension des 18-Bitten-Gebets mit der Erwähnung Davids als Jahwes gerechten Gesalbten in der 14. Bitte dürfte auf die gleiche Zeit zurückgehen und erweitert für diese dann das Belegmaterial (vgl. u. Ausblick 2). 139 Die Aufhellung des sich wohl in zwei Stufen hinziehenden Redaktionsvorgangs ist schwierig (s. Aarre Lauha, Kohelet, BK.AT 19, Neukirchen 1978, bes.6f), der Duktus auf ein salomonisches Verständnis Kohelets (Ubersetzung a.a.O. 1) jedoch eindeutig (a.a.O. 2,29).

126

Grundlegung

1,1.12 (LXX wie MT) lediglich als König und Davidssohn, nicht als Gesalbten des Herrn. 140 Die Nuancen der übrigen LXX-Schriften in der Skizzierung der Gestalt Davids fügen sich in die Zusammenhänge: W o sie David als Herrscher besonders hervorheben wollen - namentlich in dem Ubersetzungsstrang von Rut 4,22, der im Stammbaum Jesu Mt 1,6 aufgenommen wird - , wählen die Ubersetzer den Titel „König", nicht „Gesalbter des Herrn". 141

Komplementär greifen die Ubersetzer der makkabäisch-hasmonäischen bis herodianischen Zeit in den Psalm 151 (A) deutlich ein, der singulär unter den überkommenen hebräischen Psalmen Davids Salbung zum Herrscher näher beschrieben hatte. 142 Sie lassen in v.4 die Salbung statt Samuel gesteigert (?) „den Boten/Engel" („Aggelos") des Herrn vollziehen, 143 streichen den hebräischen Vers 7 mit der Angabe über das Herrscher- und Fürstentum Davids und integrieren dafür den Philisterkampf des hebräischen Ps 151 B144. Die Salbung Davids erhebt so David auch nach dem entstehenden neuen Bild (s. v.4b), aber seine Erhebung bedeutet nicht mehr eine Bestellung zum Herrscher. Noch stärker als im hebräischen Text ist sie eine singulare Wohlgefallenskundgebung Gottes (vgl. v.5b). Aus ihr schöpft David, der kleine Hirte (s. v.l), 145 die Kraft, dem „Andersstämmigen" (so v.6 für Goliat) entgegenzuziehen. Zu Davids Königtum schreitet der Text nicht fort. Als Gesalbter (Jahwes) wird er weiterhin nicht bezeichnet. Die alte psalmistische Linie, von der Salbung Stärke verleihende Hilfe, Schutz und Fürsorge Jahwes zu erwarten,146 hat sich auch bei seiner Gestalt gegen-

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Der Befund wird durch ein weiteres Salomo-Pseudepigraphon bestätigt: Auch TestSal - ein freilich schwierige Einleitungsfragen bergender Text (s. Charlesworth, Pseudepigrapha and Modern Research 197ff) - versteht Salomo lediglich als König und Davidssohn (z.B. l,4f.7;20,l). 141 Auch das Targum zu Rut 4,22 spezifiziert lediglich den Königstitel auf „König Israels" (s. Wilhelm Rudolph, Das Buch Ruth. Das Hohe Lied. Die Klagelieder, ΚΑΤ 17/1-3, Gütersloh 1962, 71). 142 Zur Charakteristik des hebräischen Ps 151 o. bei Anm. 86. 145 Dieser Akzent ist nicht abschließend zu klären. Möglich sind auch Querlinien zur priesterlichen Orientierung der Zeit: „Bote Jahwes" konnte damals auch für „Priester" gebraucht werden (Mal 2,7 MT/LXX; Koh 5,5 und Abschiedsrede Amrams R 7 [ed. Beyer, Die aramäischen Texte S.213f]). Eine solche Priester-Verallgemeinerung hier einzutragen, konnte durch die Erinnerung, daß Samuel Priester war (s. z.B. Sir 46,13), erleichtert werden. 144 Nach der Überschrift l l Q P s 1 Kol.28,13 die erste Tat Davids in der (Herrscher-) Stärke nach seiner Salbung; LXX streicht diese Uberschrift. 145 Der Hirtenstatus Davids wird anders als im hebräischen Text nicht mehr konterkariert, ein Sachverhalt, auf den Adam Simon van der Woude in JSHRZ IV 1, 2 1977, 35 hinweist. 146 S.o. unter 2.1.1.1 zu Ps 18,51;20,7;28,8.

Der Realienhintergrund

127

über der vormals königlich dominierenden Orientierung der Salbung auf einen speziellen Einsetzungssakt in den Vordergrund geschoben. 147 Verwandt dazu betrifft der einzige Fall, in dem die LXX-Ubersetzer einen „Psalm Davids" neu „vor dem Gesalbtwerden" einordnen (LXX Ps 26,1), einen Psalm (MT Ps 27), der keine Gesalbter Jahwes-Aussage und keine Anspielung auf eine Königssalbung enthält, in dem der Sänger statt dessen wiederum Jahwes Beistand gegenüber Feinden sucht, freilich nun im Tempel und nicht angesichts Andersstämmiger, sondern angesichts falscher Zeugen (v.12 nach w.2.11). Die letzte zu besprechende Korrektur der Septuaginta-Übersetzer am Psalter rundet den Befund ab. Wie sie nämlich am Ende ihres Psalters (im Ps 151) den Salbungsakt an David vom Königtum lösen, lösen sie am Anfang (Ps 2) das Königtum des von Jahwe her den Völkern drohend geschauten Königs von einem besonderen Weiheakt: 2,6 lesen sie nicht mehr wie der hebräische Text die Aussage Jahwes, er habe seinen König „geweiht" auf Zion. 148 Vielmehr äußert nun der König, er sei als solcher - als „Basileus" - „eingesetzt" vom Herrn (κατεστάθην pass.div.). Ein unspezifischer Einsetzungsakt 149 genügt zur Legitimation, so gewiß der König sich nach wie vor als Gottes Repräsentant 150 zum Schrecken der Fremdvölker und ihrer Könige befugt sieht (w.8f vor 10-17), falls sie sich gegen Gott und sein Volk zusammentun und Aufstellung beziehen sollten ( w . l f ) . LXX setzt nach v.2 einen scharfen Einschnitt, ein Diapsalma. v.3 wird dadurch entgegen M T von einem Verschwörungsaufruf der Fremdvölker zu einem Aufruf der Psalmsprecher (im Text „wir"), die sich dessen versichern, der Herr werde die Fremdvölker und ihre Könige verlachen und erschüttern (w.4f in nahtlosem Anschluß an v.3), weshalb dann unter den Psalmsprechern ein König so vollmächtig auftreten kann, wie in den w.6-9 geschildert. Der sachliche wie syntaktische Bezugspunkt zum Gesalbter Jahwes-Motiv des v.2 ist in diesem neuen Duktus das „Wir" des v.3, das den Psalm sprechende Gottesvolk, wie deshalb oben im Haupttext - in für die LXX keineswegs ungewöhnlicher, nur bislang noch nicht zu besprechender Verschiebung des Gesalbter JahwesBegriffsgebrauchs 151 - zu deuten war. 147 Ein Vorgang, der von einer Konnotationslinie der psalmistischen Salbungsvorstellung jenseits königlicher Texte schon länger vorbereitet war: Auch Ps 23,5;92,11 und mit Übertragung der Gesalbter Jahwes-Begrifflichkeit auf die großen Gestalten von Israels Vorzeit - Ps 105,15 par 1 Chr 16,22 evozieren Schutz-, Stärke- und Hilfsvorstellungen mit Salbungsmotivik. 14β Vgl. dagegen die Besprechung von Ps 2 M T o. unter 2.1.1.3. 149 Der Gebrauch von καθιστάναι ist nicht einmal königsgebunden; vgl. o. Anm. 93 zu LXX 2 Reg 3,39 und allg. die Übersicht von Oepke s.v. im T h W N T III, 447-449, hier 447. 150 In v.7 wie in M T zugespitzt auf göttliche Sohnschaft. 151 S. unter 2.2.3.1.

128

Grundlegung

Dadurch, daß die Septuaginta-Übersetzer ihren Psalter nach der Gesetzes- und Gerechtigkeitsbesinnung des Ps 1 zwischen die Pss 2 und 151 einspannen, werfen sie ein bemerkenswertes Schlaglicht auf das jüdische Selbstbewußtsein zwischen dem antiseleukidischen Befreiungskrieg des 2. Jh. v.Chr. und den antirömischen Befreiungskriegen des späten l./frühen 2. Jh. n.Chr.: Ihr Ps 2 betont vorab, daß im Fall eines Zusammenschlusses der Völker gegen den Herrn und sein Volk ein Aufstand berechtigt sei (v.3) und vom Herrn getragen sein werde (w.4f), so daß sich jedenfalls dann ein am Zion residierender König als von Gott eingesetzter Künder und Vollstrecker seines Willens werde verstehen können ( w . 6 - 9 ) . Im korrespondierenden Psalterschluß bekräftigt ihr Blick auf die alte Geschichte, in der durch Gottes Befähigung der kleine Hirte David den haushoch überlegenen Andersstämmigen vernichtend treffen konnte (Ps 151 LXX), daß ein solches Vorgehen auch in ihrer Zeit in der Macht Jahwes stehe. 152 2.1.1.6

Die Nichtwiederaußiahme der Königssalbung der hasmonäischen und herodianischen Zeit

im Palästina

Damit befinden wir uns freilich schon in der letzten zu besprechenden Geschichtsepoche: der Zeit des hasmonäischen und anschließend herodianischen Königtums in Palästina. International eingebettet, wie 152

Freilich darf der Duktus nicht vorschnell als Aufruf zur Revolte in der Diaspora verstanden werden: Die Könige der Fremdvölker sind und bleiben in LXX Ps 2 trotz der Aktualisierung der w . l f (Aorist!) Gesprächspartner. Sie behalten den Königstitel wie der König am Zion (vgl. v.10 mit v.6). w.10-12 vermitteln ihnen, das (potentielle) Aufstandsund Gewaltgeschehen der w . 3 - 9 sei als Zuchtmaßnahme Gottes zu sehen (als „paideia": v.12, vgl. v.10), die sie nur davon abhalten solle, aus dem gerechten Weg heraus- und dem Zorn Gottes anheimzufallen. Durch die Anpassung der Terminologie von v.l2b an Ps 1,6 wird ihnen entsprechend (noch stärker als in MT) die Möglichkeit konzediert, einen in Jahwes Augen gerechten Weg zu gehen und dann zu denen zu gehören, die nach v,12d selig zu preisen sind. Rezeptionsliteratur zu (LXX) Ps 2 erweitert das Bild: Weish 6,1 eröffnet mit einer an Ps 2,10 angelehnten, wenn nicht von dort entlehnten Anrede an die Fremdkönige eine Gerichtsrede, die ihnen Gottes Züchtigung ansagt (6,1-8, übrigens wieder vor einem versöhnlichen Abschluß: 6,9-11), ohne in dieses Züchtigungshandeln einen jahwegesetzten (Gegen-)König einzubeziehen. D.h. theonomes Gericht war in der Diaspora noch längere Zeit auch ohne Fixierung auf einen eigenen jüdischen König vorstellbar. Freilich war der Weg Roms mit den Juden zumindest in der ägyptischen Diaspora für jüdische Augen zunehmend kein gerechter Weg mehr, so daß es 115-117 n.Chr. dort dann doch zum schwerwiegenden Aufstand kam (besprochen etwa bei Hengel, Messianische H o f f n u n g 658-665). In Palästina kam es zum Aufstand vielleicht schon vor dem Abschluß der Kanonsbildung am hebräischen Psalter. Der in 1 l Q P s a noch überlieferte Ps 151 wird in jener jedenfalls übergangen. Statt mit einem politisch verstehbaren Davidspsalm schließt sie den Psalter mit einem großen Hymnus, der alles, was atmet, ohne jeden politischen T o n zum Einstimmen in das Lob Jahwes auffordert (Ps 150).

Der Realienhintergrund

129

dieses Königtum von seiner Vorbereitung und Entstehung im Verlauf des 2.Jh. v.Chr. bis zu seinem Ausklang im l.Jh. n.Chr. stets war,153 hätte es einer starken palästinisch-jüdischen Gegenströmung bedurft, um den geschilderten Sog weg von der ehemaligen Salbungskonstituierung judäischen Königtums zu einer Einsetzungskonstituierung umzukehren. Eine solche Gegenströmung erlangte im für die Entwicklung ausschlaggebenden 2. Jh. v. Chr. 154 kein Gewicht. Die „apokalyptische" Reflexions- und Literaturentwicklung (seit der ausgehenden Ptolemäerzeit) verdichtete in ihren frühen Werken - Z e h n - W o c h e n Apokalypse, Astronomisches Buch, Buch der Wächter und Buch der Traumvisionen in äthHen 1 " sowie Dan - die theozentrischen Ansätze der vergangenen Jahrhunderte und setzte im Zukunftsbild auf Gottes überirdisches Eingreifen. Ein neues Königtum nahm sie jedenfalls nicht als gesalbtes in den Blick. 156 Unter der daneben oder kurz danach entstehenden palästinisch-hebräischen Reflexionsliteratur über die U r - und Vätergeschichte betonte Jub 157 zwar 31,12-20 neben dem Segen Israels über Levi 158 denjenigen über Juda als Repräsentanten des Herrschertums. D o c h verzichtete es darin auf Salbungsassoziationen. 159

153

Übersichten bieten etwa Schürer, History I 125-483 (T.A. Burkiii, H.A. Kennedy, G. Ogg und P. Winter) und Schäfer, Geschichte 43-133, einen ergänzenden Literaturbericht Mor/Rappaport, Survey 59-61. 154 Dessen Revolutionsepoche in der jüngsten Zeit besondere Aufmerksamkeit fand: s. bes. Fischer, Makkabäer und Bringmann, Hellenistische Reform. 15s Zur Datierung der genannten Teile aus äthHen (l-36;52-91*;93 + 91*) s. Siegbert Uhlig in JSHRZ V 6, 1984, 494 u. ö., für einen Überblick über deren eschatologische Vorstellungen nach gegenwärtigem Forschungsstand Nickelsburg, Salvation 49-56. 156 Die Distanz der genannten Texte zu einer herrscherlichen Messiaserwartung ist seit langem erkannt: s. ζ. B. Hengel, Judentum und Hellenismus 347, Dexinger, Messianismus 19 und Kim, XPICTOC 129f. Auch die von Hengel a.a.O. als etwaige Ausnahme zugestandene, von U.B. Müller, Messias 81 - vgl. Reese, Geschichte 54 - sekundären messianischen Ausstrahlungen zugeordnete, schließlich von Barnabas Lindars, A Bull, a Lamb and a Word: 1 Enoch XC.38, NTS 22, 1975/76, 483-486 debattierte, unter den aramäischen Qumranfragmenten bislang nicht gefundene eschatologische Vision äthHen 90,37f gebraucht nicht das Bild eines Gesalbten. Der in ihr erscheinende Bulle gehört in die Wiederherstellung uranfänglicher Zustände nach dem Gericht. Sein Gewicht liegt „in this patriarchal status and not in any explicit messianic function" (Nickelsburg a.a.O. 56). Eine Einordnung in davidischen Messianismus (vgl. zuletzt Goldstein, Promises 72f) ist nur gezwungen möglich. 157 Übersicht über die Einleitungsdiskussion bei Charlesworth, Pseudepigrapha and Modern Research 143f (mit Verweis auf die neuen Qumranfunde). James C. VanderKam, Textual and Historical Studies in the Book of Jubilees, HSM 14, Missoula, Mont. 1977 datiert um 160 v.Chr., vor Jonatans Ernennung zum Hohenpriester und Gründung der Qumrangemeinschaft. 158 Vgl. unter 2.1.2.3 mit Anm. 100. Eine detaillierte Exegese unseres Textes unternahm Gene L. Davenport, The Eschatology of the Book of Jubilees, StPB 20, Leiden 1971, 57-66. Klarer als er stellt Vander-

130

Grundlegung

Besonders interessant tradierte die Qumran-Gemeinschaft vom späten 2./beginnenden l.Jh. v.Chr. an,160 also etwa ab der Zeit, als die Hasmonäer den Königstitel annahmen, einen Verfassungsentwurf, 161 der ein ausführliches Königsrecht beinhaltete, ohne einen Salbungsakt oder Gesalbtenstatus für den König zu erwähnen ( l l Q T e m p 56,12-59,21 oder 60,?). Rechtsgeschichtlich knüpft das - wie der Entwurf überhaupt - ans deuteronomische Königsgesetz (Dtn 17,14-20) an.162 Der erste Schreiber von l l Q T e m p verstärkte dessen Einsetzungs-Struktur,163 indem er 56,14 das Erwählungsmotiv für den König aus Dtn 17,15 überging. Ein Korrektor fügte es zwar wieder ein (ebd.) und restituierte so den Zusammenhang von Königseinsetzung und Erwählung des Königs durch Jahwe. Aber weiter verzichtete er auf eine Dokumentation der Erwählung durch einen Salbungsakt. 164

Schwer ist zu sagen, ob und wieweit dieser einzig überkommene jüdische Verfassungsneuentwurf unserer Epoche außerhalb der Qumrangemeinschaft Wirkung entfaltete. 165 Interessant ist in jedem Fall seine Grundlinie: In einer Zeit der staatlichen Verselbständigung oder gerade erreichten staatlichen Selbständigkeit lehnte er sich an ein älteres

Kam a.a.O. 280 das Fehlen einer messianischen Hoffnung heraus; er sieht 31,18 auf die judäische Herkunft der (vergangenen) Dynastie Davids gerichtet. 160 ]\j u r s o v i e | [äßt sich aufgrund der Tempelrollenfragmente in 4Q mit einiger Sicherheit sagen. Nach wie vor ist dagegen die besonders interessierende Frage nicht entschieden, ob der Text noch in eine Zeit zurückreicht, die erst Ansätze zur hasmonäischen Herrschaftsverfestigung kannte, und so etwa Hyrkans Hohepriestertum zu beeinflussen trachtete, oder ob er erst formuliert wurde, als Aristobul oder Alexander Jannai den Königstitel schon angenommen hatten, und darauf antwortet: s. für den Diskussionsstand (bis 1984) Yadin, Tempelrolle 238-242. 161 Wenn sie ihn nicht gar selbst formulierte: auch diese Frage ist umstritten. Exponent der qumranischen Verortung ist Yadin (zuletzt a.a.O. 242-254), dem etwa Dimant, Qumran Literature 527 folgt. Lawrence H. Schiffman, The Temple Scroll in Literary and Philological Perspective (in: W.S. Green ed., Approaches to Ancient Judaism II, Brown Judaic Studies 9, Chico, CA 1980, 143-158) sucht dagegen eine Entstehung außerhalb Qumrans zu begründen. Auch in letzterem Fall setzt die Tradierung eine gewisse Akzeptanz des Verfassungsentwurfs durch die Qumrangemeinschaft, wenn nicht weitergehende Kontakte zur Verfasserschaftsgruppe, voraus. 162 Die Einsatzstelle l l Q T e m p 56,12 zitiert Dtn 17,14. Im folgenden wird das deuteronomische Gesetz durch Zusätze bereichert: s. Maier, Tempelrolle 119(f) und Yadin a.a.O. 214-226. Yadin benennt 215 als weiteren Anknüpfungspunkt 1 Sam 10,25 und interpretiert anschließend die Königsverfügungen, jedoch unter Ubergehen der hier interessierenden Frage der Königseinsetzung. 163 Vgl. o. unter 2.1.1.1. 144 Auf Qumran bezogen, führt das die dortige Distanz zu Salbungsaussagen für das alte Königtum fort (vgl. o. bei Anm. 136f nach Anm. 86). 165 Yadin, Tempelrolle 24 lf sieht einen Einfluß auf Johannes Hyrkans I. Tempelgestaltung. Das ist aber nur in Verbindung mit einer frühen Datierung des Textes haltbar.

Der Realienhintergrund

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Gesetz an, das dem Volk das Recht der Königserhebung zusprach und dadurch indirekt eine Selbsterhebung der in der Revolution führend gewordenen Familie ausschloß. In Weiterführung des Gesetzes akzentuierte er die Rolle der Priester ( l l Q T e m p 57,lf, leider fragmentarisch). Eine verwandte Grundlinie ist vor dem Einsatz der 11 QTemp-Überlieferung hinter dem ersten, noch nicht zum Königtum führenden Erhebungsakt spürbar, den der Makkabäer Simon nach den Revolutionserfolgen 166 140 v.Chr. für sich und seine Familie seitens der judäischen Bürger erreichte, nachdem sein Bruder Jonatan die Hohepriesterwürde zuvor 167 vom seleukidischen Gegenkönig Alexander Balas angenommen hatte (1 Makk 10,20): Laut 1 Makk 14,25-49 erhielt er168 das Ethnarchen-, Hohepriester- und Heerführeramt eben unter führender Rolle der Priester durch einen Beschluß des Volkes (s. bes. w.41f zwischen v.28 und v.46). 169 Die Verleihung war beschränkt, bis ein „zuverlässiger Prophet" auftrete (v.41 Ende), was sich in gewissem Grade als oppositioneller Vorbehalt gegen eine zu weitgehende Machtvollkommenheit der Hasmonäer deuten läßt.170 Es konnte aber, mit den Augen der zum Königtum strebenden Hasmonäer gesehen, auch auf eine weitere Erhebung abzielen: „Zuverlässiger Prophet" konnte derjenige Gotteskünder sein, der Gottes Erwählung für ihr Haus bestätigte und damit eine (erhoffte) theonome Basis für die Erhebung ins Königtum legte. 171

166

Hinter denen in der Forschung gelegentlich messianische Züge gesehen werden. In der jüngsten Variante erhält bei Nodet, Dedicace 321 u.ö. das Tempelneuweih-(Hanukka-)Fest ein messianisches Ambiente. Doch geben dies die Quellen für vorchristliche Zeit nicht her: Erst und nur Joh 10,22f läßt eine Messias-Frage (!) am Tempelweihfest stellen, kein jüdischer Text bis dahin. 167 Eher 150 als 152 v.Chr.: J.G. Bunge, Zur Geschichte und Chronologie des Untergangs der Oniaden und des Aufstiegs der Hasmonäer, JSJ 6,1975, 1-46, hier 27-34,39ff. 168 Ob erblich, ist unklar: Nach Joseph Sievers, The High Priesthood of Simon Maccabeus: An Analysis of 1 Macc 14:25-49, SBL 1981 Seminar Papers, 309-318, hier 314 kann εις τον αίωνα v.41 statt einer Erblichkeitszusage auch eine Begrenzung auf die Lebenszeit Simons meinen (vgl. die Formel in Dtn 15,17 u.ö.). Der Text ist im übrigen nicht ohne Probleme. So ist unsicher, wieweit 14,27-45 wirklich ihren Anspruch einlösen, eine Urkundenabschrift zu bieten, und aufgrund der Schwierigkeit des Textübergangs zu v.41 wird auch die Rolle des nunmehrigen Seleukidenkönigs Demetrius II. nicht ganz klar (vgl. Schürer, History I 193f Anm. 13 und 15). Spiegeln sich im Text mehrere Stadien des Erhebungsprozesses Simons (so Sievers a.a.O. bes.312)? Nur die Kernaussagen der w.41-45 sind so prägnant formuliert, daß Zweifel an ihrer Korrektheit schwerfallen. 170 So bei Schäfer, Geschichte 76 und Schürer a.a.O. 193. 171 Letztere Position begründete Wolf Wirgin, Simon Maccabaeus and the Prophetes Pistos, P E Q 1971, 25-41. Er nahm als Movens freilich ausschließlich die Erinnerung an

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Grundlegung

Arenhoevel erwog, ob der Volksbeschluß weitergehend auf ein messianisches Denken der Makkabäerzeit weise, der „zuverlässige Prophet" demnach eine messianische Sicht der Makkabäer bestätigen sollte. Aber auch er konzedierte, daß es sich dann nur um einen „Messianismus" im weitesten Sinne der Suche nach einer theokratischen Heilszeit handeln könne, da messianische Motive im engeren Sinn in 1 Makk völlig fehlen. 172 Eine Erneuerung der Königssalbung dürfte schon deswegen nicht im Blick sein, weil 1 Makk 2,57, ganz im beschriebenen Strom der Literatur der Zeit, nicht einmal David den Status eines Gesalbten Jahwes gibt, so pointiert es an dessen Thronverheißung erinnert. 173

Wie immer der Volksbeschluß von 140 v.Chr. gemeint war, beim Ubergang vom hasmonäischen Fürsten- zum Königtum spielte ein Prophet keine Rolle, geschweige denn altjudäische Salbungsmotive. Folgen wir Josephus, so begründete Aristobul (104-103 v.Chr.) sein Königtum statt dessen, indem er sich aus eigener Machtvollkommenheit das Diadem aufsetzte, und wurde es von da an durch familiäres Erbe und familiäre Einsetzung übertragen, erstmals auf Alexander Jannai (103-76

die Begründung der davidischen Königsherrschaft durch Samuel in den Blick und identifizierte den „zuverlässigen Propheten" daher als (wiederkehrenden) Samuel (37). Dazu besteht keine Notwendigkeit: Für die Makkabäerbrüder ist 1 Makk 4,46 eine analoge Erwartung verläßlicher Prophetenauskunft belegt, die in keiner Weise mit Samuel in Verbindung gebracht werden kann (sie gilt dem Umgang mit den Steinen des seleukidisch entweihten Brandopferaltars). Goldstein, Promises 75 denkt an eine redaktionsgeschichtliche Lösung: Der 1 MakkAutor habe, unter dem König (!) Alexander Jannai schreibend, an dessen Vater Johannes Hyrkan gedacht, der, genau an der Stelle des Umbruchs vor dem Königtum stehend, als Prophet galt (vgl. Josephus, bell. 1,68). Interessant weist schließlich die prophetische Königsausrufung mit Neh 6,6f in Judäa eine nachexilisch-revolutionäre Tradition auf und wissen wir von einer breiteren Beschäftigung mit Nehemia unter den Makkabäern (s. unter 2.1.2.3 mit Anm. 106). Doch ist zu beachten, daß 1 Makk 14,41 die Funktion des Propheten nicht benennt. Auch diese Querlinie ist also nicht zu sichern (die Betonung der „Zuverlässigkeit" des Propheten ließe sich in ihrem Rahmen als Antwort auf die unter 2.1.1.3 geschilderte Problematik der Insurrektionspläne um Nehemia hören). 172 Arenhoevel, Theokratie 59-69 nach 58f. Eine Variante der Position trug Kellermann, Messiashoffnung 437f vor, indem er 1 Makk 14,41 dadurch zu ergänzen suchte, daß die Hasmonäer den Gesalbtentitel bereits als Hohepriester getragen hätten; doch trifft letzteres nicht zu (vgl. u. 2.1.2.3). 173 Interessant ist in letzter Zeit auch 1 Makk 2,57 in die Diskussion geraten. Goldstein will a.a.O. 75,88 und Anm. 34 S.92 (Lit.) erweisen, das εις αιώνας dort meine „only ,for ages', not forever" (88), d.h. der hasmonäische Propagandist, auf den 1 Makk zurückgehe, begrenze, um Raum fürs hasmonäische Königtum zu schaffen, die Dauer der Erwählung von Davids Dynastie. Philologisch wie nach der skizzierten Entwicklung des Geschichtsbildes Israels ist die Position möglich. Wirft man ergänzend einen Blick auf 2 Makk, so findet sich auch dort kein im engeren Sinne messianischer Akzent, sondern herrscht eine ausgesprochene Tempelorientierung vor (herausgearbeitet durch Robert Doran, Temple Propaganda: The Purpose and Character of 2 Maccabees, CBQ.MS 12, Washington, DC 1981).

Der Realienhintergrund

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v.Chr.). 174 Halten wir uns an Strabo und den Münzbefund, 1 7 5 verschiebt sich der Konstituierungsvorgang auf Alexander Jannai. Scharf kristallisieren die Münzen den hellenistischen Charakter der Annahme des Königstitels heraus. Wo Alexander Jannais Münzen nur hebräisch beschriftet sind, beansprucht er lediglich den Hohepriestertitel in Verbindung mit seinem hebräischen Namen (Jonatan), sobald er sie zweisprachig beschriftet - hebräisch-griechisch bzw. aramäisch-griechisch -, dagegen den Königstitel (griechisch βασιλεύς, hebräisch l^nn, aramäisch KD1?» ), aramäisch wie griechisch mit dem griechischen Herrschernamen Alexander. D.h. er geht hebräisch vom Status eines Hohenpriesters aus, griechisch dagegen von dem eines hellenistischen Königs, der sich nach dem größten der griechischen Könige benennt, und versucht letztere Tradition aramäisch an sein Volk zu vermitteln.176 Aus nicht sicher geklärten Gründen 177 ließ Alexander freilich einen Teil seiner den Königstitel tragenden Münzen wieder mit dem H o h e priestertitel überprägen. Das gibt eine nach seinem T o d sich verstärkende Richtung an. Denn seine Nachfolger Salome Alexandra, Aristobul II. und Hyrkan II. verzichteten, soweit sich feststellen läßt, von vornherein auf Königsmünzen. 1 7 8 In ihrer Zeit spitzte sich die römische Einflußnahme auf Palästina zu, bis es 63 v.Chr. zur militärischen Besetzung Jerusalems durch Pompeius kam, eine Krise, in der eine Gruppe hebräischer Psalmschreiber nun tatsächlich ein Herrschaftsgegenbild verdichtete, das gegen alle menschlich-königlich erlebte Ungerechtigkeit auf einen König hoffte, der „der Gesalbte des Herrn" sei (PsSal 17; 18). Aber die Politik ging über dieses Gegenbild - das daher wie die Begriffsentwicklung der Qumrangemeinschaft erst an späterer Stelle zu besprechen ist - hinweg: Mattatias Antigonos (40-37 v.Chr.) suchte in seinem sich auf die Parther stützenden Gegenzug gegen die neu entstehende römisch-herodianische Verbindung eine Belebung der Ansprüche seiner Dynastie 174 S. Josephus, bell. 1,70.85 par ant. 13,301.320. Die Nahtstellen für die weiteren Übertragungen seien hier wenigstens noch aus bell, angeführt: 1,107.120-122. 175 Strabo, geogr. XVI 2,40. Über die Existenz einer hasmonäischen Münzprägung vor Alexander Jannai besteht kein Konsens; soweit Münzen in Frage kommen, tragen sie nur den Hohenpriestertitel (s. Mor/Rappaport, Survey 60 und die dort angegebene Lit.). 176 Vgl. J. Naveh, Dated Coins of Alexander Janneus, IEJ 18, 1968, 20-25, weiter Malcolm C. Doubles in Schürer, History I 604 und Meshorer, Coinage I 118-134. 177 Innenpolitischer Rücksichtnahme nach dem Konflikt mit den Pharisäern? Zur Diskussion Doubles a.a.O. versus Meshorer a.a.O. 77f. 178 S. Doubles ebd. und Meshorer a.a.O. 134-155. Alexandra verzichtete allem Anschein nach überhaupt auf eine eigene Münzprägung (Meshorer a.a.O. 81), und Hyrkan mag davon ausgegangen sein, daß er unter ihr, der „Königsmutter", nur die Hohepriesterwürde erhielt (s. Michael Krupp, Die Münzen Jonatan Hyrkanos II, in: „Wie gut sind deine Zelte, J a a k o w . . F S Reinhold Mayer, hg. v. E.L. Ehrlich u.a., Gerlingen 1986, 12-28, hier 22 nach 12f).

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Grundlegung

auf eine internationale Geltung als Könige. Noch einmal prägte er wie Alexander Jannai zweisprachige Münzen, noch deutlicher als jener in einer Weise, die verrät, daß sich sein Königs(!)-Anspruch griechisch, nicht an heimischer Tradition orientierte. In den hebräischen Münzaufschriften gebrauchte er ausschließlich den Namen Mattatias (Matatja) und den Titel Priester/Hoherpriester, sofern er nicht ganz auf einen Titel verzichtete, in den griechischen Aufschriften dagegen den griechischen Königstitel und den griechischen Namen Antigonos. 179 Mit der so entstehenden Dualität König-Priester überbot er den gleich zu besprechenden herodianischen Königs-Anspruch. 180 Vor allem aber parallelisierte er hebräisch-jüdischen Hohepriester- und griechischen Königsstatus, so daß sie als verschiedenen Kulturkreisen zuzuordnende Funktionsäquivalente erscheinen mußten, vielleicht ein Versuch, der Kritik des Volks am eigenmächtigen hasmonäischen Königtum entgegenzukommen. Denn immerhin war es 63 v.Chr. zu einer das vormalige gesalbte Königtum Judäas souverän übergehenden und die PsSal in ihrer Zeit fast isolierenden Stellungnahme von Volksvertretern vor Pompeius gekommen, die maßgebliche Tradition des Landes sei die priesterlicher, nicht die königlicher, das Volk versklavender Herrschaft. 181

Mattatias Antigonos' hasmonäischer Restaurationsversuch scheiterte. Aber auch das bedeutete keine Rückkehr zu altjudäischen Herrschaftsoder gar Herrschersalbungstraditionen, vielmehr umgekehrt eine nochmalige Vertiefung der Integration Judäas in die zeitgenössische, nunmehr römische Herrschaftsstruktur. Denn im Gegenzug zu Antigonos' Beanspruchung des Königstitels ernannte Ende des Jahres 40 v.Chr. der römische Senat auf Betreiben von Antonius und unter Billigung Octavians den Idumäer Herodes zum König. Dessen Einsetzung erfolgte ohne jede Berücksichtigung jüdischer Traditionen und ohne Beteiligung des jüdischen Volkes als römischer Rechtsvorgang, bestehend aus Senatsbeschluß, anschließendem Opfer auf dem Capitol (!) und (von Antonius ausgerichtetem) Bankett. 182 Staatsrechtlich begründete sie ein

17 ' S. Doubles a.a.O. 605. - Die hebräische Grabaufschrift für einen „Mattatias, Sohn des Judas" aus Giv'at Hamivtar (ed. E.S. Rosenthal, IEJ 23, 1973, 72-81 und J. Naveh, ebd. 82-91) ist nicht auf ihn zu beziehen (Diskussionsstand bei Tal Ilan, The Greek Names of the Hasmoneans, JQR 78, 1987, 1-20, hier 12f). 180 Darauf legt Meshorer a.a.O. 88 den Akzent. 181 Die Volksstellungnahme ist durch Diodorus Sic. (40,2) und mit nur geringen Modifikationen nochmals durch Josephus (ant. 14,41-45) überliefert, verdient daher quellenkritisch Glaubwürdigkeit. Politisch fügt sie sich zum auch anderweitig belegbaren Bild einer wachsenden Kritik an den Hasmonäern (s. ζ. B. Schäfer, Geschichte 92). Verfassungsgeschichtlich ist sie ein Versuch der Restitution der in der 1. Hälfte des 2. Jh. v.Chr. errungenen Souveränität des jüdischen Ethnos; Näheres bei Thomas Fischer, Zum jüdischen Verfassungsstreit vor Pompeius (Diodor 40,2), Z D P V 91, 1975, 46-49, bes.48. Unter 2.1.2.3 wird sich noch eine Vertiefung des Zusammenhangs ergeben. 182 Josephus, ant. 14,381-393; bell. 1,282-285; vgl. Schürer, History I 281 mit Anm. 3

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römisches Klientelkönigtum, das sich noch stärker als seine Vorgänger am griechisch-römischen Kultur- und Herrschaftssuperstrat orientierte.183 So ließ Herodes seine Münzen nunmehr ausschließlich in der griechischen Sprache der Herrschaftsschicht beschriften, mit seinem griechischen 184 Namen und dem griechischen Königstitel. 185 A u c h die M ü n z b i l d e r z e i g e n kein e i n z i g e s e i n d e u t i g jüdisches S y m b o l , s o n dern sind e n t w e d e r d o p p e l d e u t i g o d e r gar h e l l e n i s t i s c h - p a g a n g e h a l t e n . 1 8 6 Letzteres f ä n d e d a n n eine b e s o n d e r e Spitze, w e n n ein M ü n z t y p das S y m b o l d e s Pilos, der K o p f b e d e c k u n g der D i o s k u r e n , z e i g t e u n d s o b e k u n d e t e , d a ß H e r o des sich im V o l l z u g seiner H e r r s c h a f t i n s b e s o n d e r e d e r e n B e g l e i t u n g unterstellt hätte. 1 8 7 E i n e w e i t e r e N u a n c e k o m m t durch die T h e s e M e s h o r e r s ins Spiel, H e r o d e s habe nicht, w i e bisher a n g e n o m m e n , auf e i n e S i l b e r m ü n z p r ä g u n g verzichtet, s o n d e r n h i e r f ü r d i e alte tyrische P r ä g u n g ü b e r n o m m e n u n d f o r t g e -

(28lf). N a c h der Schlacht von Actium wurde die Ernennung laut Josephus, ant. 15,183-197; bell. 1,386-393 durch Octavian bestätigt (30 v. Chr.). 183 Vgl. z.B. Schäfer, Geschichte 101-106,112-114 und Stern, H e r o d 237-261 u . ö . 184 Sich von „Heros" ableitenden: s. Schürer a . a . O . 294 Anm. 20. 185 S. Meshorer, Coinage II 17. 186 Meshorer a . a . O . 18ff. 187 Meshorer, Coins 65 empfahl, was dieses Münzsymbol angeht, besondere Vorsicht. Auch die Alternativdeutung auf ein Thymiaterion bliebe aber im Rahmen hellenistischer Kultbezüge (ebd.; noch vorsichtiger freilich ders., Coinage II 19). David M . Jacobson, King H e r o d ' s „Heroic" Public Image, RB 95, 1988, 386-403, hier 402f greift die Pilosdeutung auf und vermutet in ihr eine Referenz auf H e r o d e s als „hero" (403). Eine messianische Richtung gab, durch Schallt (bes. König Herodes 450-482) angeregt, Wirgin, Herod's Messianism 153f der Pilosdeutung. Danach zog Hammerschmidt a . a . O . 508f durch keine Münzinschrift abgedeckte Schlußfolgerungen auf einen hellenistisch-messianischen Soteranspruch Herodes', der zu seinem Versuch gehöre, im doppelten Anschluß an jüdische und hellenistische Traditionen „die Messiasidee in seiner Person zu verwirklichen" (509; weitere Lit. zum T h e m a bei Feldman, Josephus 297f). Auch abgesehen von der M ü n z d e u t u n g läßt sich diese Forschungslinie nicht halten: Die diskussionseröffnende Zeichnung Schalits von H e r o d e s ' Königsbild stellte sich als aus den Quellen nicht hinreichend begründbar heraus (die wichtigsten Kritiken bei N o lan, Son of G o d 156 Anm. 3f). Nach wie vor fehlt jeder Hinweis in P r i m ä r - und Sekundärquellen der Zeit auf einen Gesalbtenanspruch H e r o d e s ' (und seiner Nachfolger), eine Lücke, die sich (gegen Betz, Frage 156 [ = 36] Anm. 1 nach Schalit) selbst durch späteres rabbinisches Schrifttum nicht füllen läßt, da dieses nur H e r o d e s ' Königtum als solches auch bBB 4a ohne Gesalbtenquerlinien - thematisiert. Vollends verbietet sich (gegen Hammerschmidt a. a. O . 507f) ein Rückschluß aus der Verketzerung der H e r o d i a n e r bei Epiphanius, haer. 20,1 (GCS 25,224 Z.lOff) als solcher, die Herodes als „Christos" betrachtet hätten. Denn der zeitliche Abstand Epiphanius' ( + 403) ist zu groß, um sein H e rodianerbild ohne eine Stützung durch zuverlässigere Quellen als korrekte Erinnerung werten zu können; vielmehr findet es als polemische Rekonstruktion aus dem Gegenüber der Christianer seinen O r t in der Spätantike: vgl. die korrespondierende Herodianerbeschreibung im anonymen altkirchlichen Ketzerkatalog adversus omnes haereses I 1 (von Kroymann im CChr.SL II 2 mit dem Hauptstrang der Uberlieferung im Anschluß an T e r tullians W e r k ediert, die angegebene Stelle dort 1401,1 l f ) .

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Grundlegung

führt. Denn diese orientiert sich auch in seiner Zeit an Herakles und bezeichnet T y r u s (!) als heilige Stadt. 1 8 8

Nach Herodes' T o d wahrten die Herodessöhne die Dominanz Roms. Sie wandten sich dorthin, nicht an eine jüdische Instanz, um über ihre herrscherlichen Erbansprüche entscheiden zu lassen. 1 8 9 Für eine gleichfalls die römische Rechtsobrigkeit anerkennende jüdische Volksdelegation war das Anlaß, auf dem Palatin Klage gegen die nach ihren Maßstäben eine Verkehrung des Königtums zur frevlerischen Tyrannis darstellende herodianische Herrschaftsweise zu führen. 1 9 0 Beide Positionen lassen sich in ihrer Kategorienbildung vom römischen Adressaten bestimmen.

Zu einer gravierenderen, freilich in sich aufgesplitterten Insurrektionswelle kam es währenddessen in Palästina. 191 In Jerusalem aus dem Anlaß eines Festes zusammengekommene Volksmassen ballten sich zusammen, um „die väterliche Unabhängigkeit" wiederzuerlangen. 192 Daneben bildeten sich auf dem Lande Aufstandsgruppen. Laut Josephus 1 9 3 scharten sie sich in Galiläa um Judas, den Sohn des vormaligen „Räuberführers" Ezechias, in Peräa um den herodianischen Sklaven Simon und in Judäa um den Hirten Athronges und schufen eine Form aufrührerischen Königtums. Denn Simon wie Athronges - nach Tacitus, der von Athronges und Judas schweigt, jedenfalls Simon 194 - beanspruchten den Königstitel, ohne aufgrund ihres Standes dazu berechtigt zu erscheinen und ohne Jerusalem mit dem Tempel als Herrschaftsbasis zu besitzen. Josephus verwarf das als „Briganten"-Königtum. 1 9 5 Doch erklärt sein Urteil 196 nicht, warum die Banden sich dann nicht weiterhin auf „Räuberführer" wie einst den genannten Ezechias beschränkten. Der Forschung stellte sich die Frage, ob sich ein „messianisches Szenarium" ausbilde. 197 S. M e s h o r e r , C o i n a g e II 5 - 8 . » " J o s e p h u s , ant. 17,219-227; bell. 2,14-22. Für Weiteres z . B . Schürer, H i s t o r y I 330f und H o e h n e r , Antipas 18-39. 1 . 0 J o s e p h u s , ant. 17,300-314; bell. 2,80-91; N i c o l a u s D a m . ( F G H 90), fr.136,9. Z u m Historischen Stern, H e r o d 279 mit Anm. 3. 1 . 1 B e z e u g t bei J o s e p h u s im Z u s a m m e n h a n g von bell. 2,39-79 und ant. 17, 2 5 0 - 2 9 8 sowie bei Tacitus, hist. 5, 9,2. 1 . 2 S o die Zielsetzung nach bell. 2,53. 1 . 3 bell. 2 , 5 5 - 6 5 par. 1 . 4 S. J o s e p h u s , bell. 2,57ff.60ff par und T a c i t u s a . a . O . ; f ü r J u d a s sind die A n g a b e n in J o s e p h u s , bell. 2,56; ant. 17,271f deutlich zurückhaltender. " s ant. 17,285. 1 . 6 S o gewiß es bis heute gelegentlich ü b e r n o m m e n wird: s. Schürer, H i s t o r y I 332 (rev. Τ . Α . Burkiii). 1 . 7 Bei aller Vorsicht bejaht etwa von Dexinger, „messianisches S z e n a r i u m " 2 4 8 f f nach dem f ü r die neuere F o r s c h u n g grundlegenden Beitrag von Hengel, Zeloten 297ff 188

Der Realienhintergrund

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Ein amerikanischer Forschungsstrang modifiziert aufgrund des nach wie vor ungebrochenen Fehlens von Salbungs-/Gesalbtenterminologie: Man müsse die Anknüpfung an eine alte jüdische Tradition des Volkskönigtums annehmen, die den zwischendurch ruhenden Duktus „messianischer Bewegungen" seit Saul und David fortführe. 198

Einer Korrektur an Josephus in Richtung auf einen herrscherlichen Messianismus im engeren Sinn sind die verfügbaren Daten jedoch nicht günstig. Denn es gibt keinerlei Hinweis auf eine Pflege von herrscherlichen Gesalbten-, Salbungs- wie auch von Davids- 199 oder verwandten Traditionen bei den Aufständischen. 200 Vielmehr läuft ihre Beanspruchung des Königstitels weit vor den Toren der Davidsstadt einer Aufnahme solcher Traditionen entgegen. In sich gelesen, legen die Quellen einen dritten Weg nahe, nämlich eine Orientierung an der einst so erfolgreichen makkabäischen Erhebung, die sich im hasmonäischen Königtum verdichtet hatte: Laut Josephus legen Simon und Athronges, um ihren Königsstatus zu begründen, das königliche Diadem an wie einst Aristobul. 201 Tacitus sieht den Vorgang wenigstens bei Simon mit römischen Augen schlicht als Usurpation des „regium nomen", 202 als welche bei strenger historischer Betrachtung auch die Beanspruchung des Königstitels durch Alexander Jannai und Mattatias Antigonos gelten muß. 203

(vgl.334f,343), dagegen als Umdeutung der Quellen scharf verneint etwa von Kreißig, Zusammenhänge des Judäischen Krieges 114f (gegen den Hengel, Zeloten und Sikarier 176 Anm. 3 seine Position jedoch festhält). Zum forschungsgeschichtlichen Gesamtzusammenhang o. unter 1.1.2. 1.8 Horsley, Messianic Movements 484ff nach 473ff (und passim); vgl. für die Gesamtthese ders./Hanson, Bandits bes.48-117. Die stärkere Berücksichtigung sozialgeschichtlicher Faktoren in der Hypothese überzeugt; der Begriff „messianisch" ist jedoch unpräzise gebraucht. 1.9 Die Hirtenangabe Josephus' für Athronges (bell. 2,60 par) dürfte nur dann als Indiz benutzt werden, wenn sie als - gegebenenfalls durch Josephus verzerrtes - Theologumenon nachweisbar wäre. Das ist jedoch nicht der Fall: Kein Quellenhinweis überschreitet direkt oder indirekt den Charakter einer Sozialstatusangabe parallel zur Sklavenangabe für Simon a.a.O. 57 par (dies etwa zu Dexinger a.a.O. 260). 200 Hengel, Zeloten 298 weist noch auf die Körperstärke der Aufstandsführer und den Athrongesnamen hin, der die Etrogfrucht evoziere. Doch ist die Etrogfrucht bislang nicht als im strengen Sinne messianisches Motiv nachgewiesen (auch a. a. O. Anm. 3 nicht) und schließt die Körperstärke der Aufrührer sie in erster Linie der alten Heldentradition (Jdc 6,12) an, falls nicht wieder lediglich eine historisch korrekte Angabe vorliegt. 201 bell. 2,57.62 (par) nach bell. 1,70 (vgl. dazu obige Besprechung). 202 hist. 5,9. 203 S.o. Tacitus zeichnet die frühen, mit Rom noch halb verbündeten Hasmonäer a. a. O. 8 wohl bewußt positiver als volksgesetzte Könige.

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Grundlegung

Der Versuch der Aufrührer, 204 den Erfolg der antiseleukidischen Insurrektion zu wiederholen, scheiterte.205 Unterdessen zeichnete Augustus in Rom den von Herodes als Haupterben vorgesehenen Archelaos lediglich als Ethnarchen vor seinen Brüdern Antipas und Philipp aus, die er unter Aufteilung des herodianischen Herrschaftsgebiets als Tetrarchen einsetzte. 206 Eine königslose Zeit begann, die bis 37 n.Chr., also über das Wirken Jesu hinaus, andauerte. In ihr wandelte sich das Verwaltungssystem Judäas nochmals, als 6 n.Chr. Archelaos seines Ethnarchenamtes enthoben und nach Vienne verbannt wurde. Denn nun wurde dieses jüdische Kernland zur römischen Provinz, die in einer stets labilen Abstimmung zwischen römischem Präfekten und jüdischer Eigenverwaltung durch Sanhedrin und Hohepriestertum „aristokratisch" regiert wurde. 207 Gleichzeitig ging unter den Herodianern die erstmals von Archelaos - vielleicht als Ausgleich zum Verlust des Königstitels - beanspruchte Auszeichnung, sich Herodes wie der große Vater nennen zu dürfen, an Antipas über, den Tetrarchen von Galiläa und Peräa, Johannes des Täufers und Jesu Landesherrn. 208 Die Münzsprache blieb bei Herodianern wie Präfekten 209 rein griechisch und wahrte in den Titelangaben strikt die römisch gesetzten Grenzen. 2 1 0

Freilich gibt es Indizien, daß Antipas bei aller offiziellen Respektierung der römischen Regierungsentscheidungen dem Königs(!)-titel keineswegs abhold war. 204 Nicht mehr entscheidbar ist die Frage, ob und wo unter den Aufständischen die Herodes-Verwandten einzuordnen wären, von denen Josephus, bell. 2,78 als Insurgenten spricht. Hasmonäische Beziehungen des vielleicht mit dem Ezechiassohn zu identifizierenden Judas Galilaios sind wohl negativ zu bescheiden (s. Matthew Black, Judas of Galilee and Josephus's .Fourth Philosophy', in: Josephus-Studien. Untersuchungen zu Josephus, dem antiken Judentum und dem Neuen Testament, hg. v. O. Betz u. a., Göttingen 1974, 45-54). 205 Varus ließ schließlich laut Josephus, bell. 2,75 par ant. 17,295 2000 der Aufständischen kreuzigen. 206 Josephus, ant. 17,317-320; bell. 2,93-100. 207 Judäa als römischer Provinz und der (begrenzten) jüdischen Selbstverwaltung sind je eigene Beiträge im C R I I 1 gewidmet: M. Stern, The Province of Judaea, 308-376 und S. Safrai, Jewish Self-government, 377-419. Ergänzende Aspekte (bis 66 n.Chr.) bietet Goodman, Judaea passim. Das Urteil, es sei die Verfassung einer „Aristokratie" entstanden, prägte Josephus, ant. 20,251. 208 S. Hoehner, Antipas 105-109. 209 Erst seit Claudius Prokuratoren (s. die bei Feldman, Josephus 318ff dokumentierte Diskussion nach dem Fund der Pilatus-Inschrift von Caesarea); zu den Präfekten- und Prokuratorenmünzen Meshorer, Coins 102ff,170ff und ders., Coinage II 172-187. 210 Die Münzen Archelaos' tragen den Namen Herodes und den Titel Ethnarch, diejenigen Antipas' gleichfalls den Namen Herodes, nun aber den Titel Tetrarch (Meshorer, Coinage II 31-41). Neu widmete letzterer seine späten Münzen Gaius Caligula (!) (a.a.O. 41). Philipp, der sich nie Herodes nannte (nennen durfte?), prägte seine Münzen gar mit Kaiserkopf und heidnischem Tempel auf der Rückseite (a.a.O. 42-47).

Der Realienhintergrund

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Auf Inschriften außerhalb seines Herrschaftsgebiets ließ er sich nicht nur als Tetrarchen, sondern vorab als „Herodes, des Königs Herodes Sohn" ehren. 211 N o c h stärker dürfte er die Tendenz innerhalb seines Herrschaftsbereichs geduldet, wenn nicht gefördert haben. Denn in die Überlieferung über den T o d Johannes des Täufers ging er direkt und uneingeschränkt als „König" ein (Mk 6,14.22.25-27 par), und Joh 4,46 bezeichnet einen seiner Bediensteten oder Soldaten als „Königlichen". 212

Als Caligula 37 η. Chr. Antipas' Halbneffen Agrippa (I.) die Tetrarchie seines 33/34 verstorbenen Halbbruders Philipp und die des Lysanias im Libanon 213 unter Rangaufstufung zum „König" übertrug, überspannte Antipas den Bogen und suchte gleichfalls offiziell in Rom (!) den Königstitel zu erhalten. Wie vorab sein Bruder Archelaos wurde er darauf nach Gallien, nun nach einem Lugdunum, 214 verbannt.215 Agrippa überstand diese Krise, ja vermochte das Reich Herodes des Großen bis 41 n.Chr. wieder zu vereinen und bis zu seinem jähen Tod 44 n. Chr. zu behalten. 216 Für Josephus und die rabbinische Uberlieferung hinterließ er den Eindruck eines rühmenswerten Wahrers jüdischer Traditionen, 217 aber das erlaubt auch bei ihm keineswegs den Rückschluß auf eine Rückkehr zu altjudäischer Königstradition. Vielmehr kennzeichnet ihn sein Name als römischen Bürger, der auf einen hebräisch-aramäischen Zweitnamen verzichtete. 218 Seine Münzen beschriftete er wie seine Vorgänger griechisch. Außerhalb Jerusalems ließ er sie in einer römisch angeregten Neuerung nicht nur mit dem die römische Obrigkeit signalisierenden Kaiserbild, sondern immer wieder auch mit seinem eigenen Porträt versehen. In Jerusalem, w o er die jüdischen Vorbehalte gegen personale Bilder

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So die Inschriften OGIS 416 (von Kos) und 417 (von Delos). Für Näheres s. die Kommentare zu den genannten Stellen. Die Linie reicht zur Passionsschilderung des EvPetr weiter, die Antipas 1,2 König Herodes nennt. - Laut Philo, leg. Gai. 300 galten dem Volk z.Zt. Pilati gar vier Herodessöhne königsgleich. 213 Zur historisch-geographischen Bestimmung der Lysanias-Tetrarchie s. M. Wilcox in Schürer, History I 567ff. 214 Wohl das pyrenäennahe Lugdunum Convenarum: s. Schürer a.a.O. 352 mit Anm. 41 (T.A. Burkiii). 215 Josephus, ant. 18,240-252; bell. 2,181-183. Eine Antipas-freundliche Darstellung der Vorgänge bietet Hoehner, Antipas 257-263, der übrigens (260f nach 103-109) unter Berufung auf Dio Cassius LV 27,6 schon nach Archelaos' Amtsenthebung einen ersten Vorstoß Antipas' zum Erhalt des Königstitels annimmt. 216 Freilich unterliegt sein plötzlicher Tod dem Verdacht römisch-gewaltsamer Verursachung: s. Schäfer, Geschichte 128. 217 S. bes. Josephus, ant. 19,331 und mSot 7,8, dazu Stern, Herod 293f (294 Anm. 2 noch weitere Belege). 218 S. die Namenshinweise bei Schürer a.a.O. 442 Anm. 1 und 452 Anm. 41 (rev. T.A. Burkiii); die Athener Inschrift OGIS 428 nennt ihn in zweigliedriger römischer Namengebung Iulius Agrippa. 212

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Grundlegung

respektierte, setzte er an die Stelle des Porträts weitab von altjüdischen Salbungsmotiven (Salbgefäß, Salbhorn o. ä.) neben Kornähren das gemeinorientalische Monarchiesymbol eines Baldachins.219 Nach Agrippas T o d fiel das „ius regium" in der Provinz Judäa (samt Galiläa und Peräa) direkt ans römische Imperium zurück, das es durch Prokuratoren teils ritterlichen, teils libertinen Standes ausüben ließ. 220 Die Machtbasis der herodianischen Familie verlagerte sich in vorwiegend nichtjüdische Gebiete. Den Grund dazu hatte Claudius 41 n.Chr. gelegt, als er aus Anlaß seiner Thronbesteigung ein zum Königtum aufgewertetes Chalkis - wohl das nordsyrische, bei Aleppo gelegene, nicht dasjenige des Beka-Tales 221 - an Agrippas Bruder Herodes (von Chalkis) verlieh, der sich deshalb „Basileus" nennen konnte und sich auf seinen Münzen der historischen Lage gemäß als „Claudiusfreund" rühmte. In der Neudisposition der Machtverhältnisse in Judäa nach Agrippas Tod gewährte Claudius ihm die Jerusalemer Tempelaufsicht, freilich ohne das Prokuratorenrecht zu beschneiden.222 4 8 n. Chr. starb auch er. Ca. 50 belehnte Claudius Agrippas römisch erzogenenen Sohn Marcus Iulius Agrippa (II.) mit den herodianischen Herrscher- und Tempelaufsichtsrechten.223 Inschriften verraten, welches Ziel Agrippa II. verfolgte, nämlich nicht Kleinpotentat, sondern „Groß-König" (βασιλεύς μέγας) zu sein, und auf welchem Weg er das erreichen wollte, nämlich als „Kaisar- und Römerfreund". 224 Folgerichtig stellte er, der bald auf Chalkis verzichten mußte, dafür aber auf Galiläa ausgreifende Gebiete erhielt, sich im Jüdischen Krieg auf die römische Seite. So ging er aus der jüdischen Niederlage ungeschwächt hervor. Erst unter Domitian (oder Trajan?) endete sein Königtum. 225 In der Zeit nach Agrippa I., in der die römische Verfügung über das „ius regium" die Gestaltung des jüdischen Lebens direkt in der Verwaltung der Provinz Judäa durch nicht einmal dem Stande nach königliche Prokuratoren und indirekt in der Aufsicht des Tempels durch nicht einmal mehr pro forma als Herrscher Judäas fungierende herodianische Könige kontrollierte, spitzte sich die Lage politisch und religiös zu. Bewußte oder unbewußte Ungeschicklichkeiten der Prokuratoren und

2

" S. Meshorer, Coins 78ff (111 Anm. 49 Lit.) und weiterdiskutierend ders., Coinage II 51-64. 220 Tacitus, hist. 5, 9,3 (dort auch Zitat). 221 S. Götz Schmitt, Zum Königreich Chalkis, Z D P V 98, 1982, 110-124, bes.118. 222 Nachweise in Schürer, History I 571f (Max Wilcox). 223 Nachweise bei Schürer a.a.O. 47If (T.A. Burkiii). 224 Zitate nach OGIS 419; weitere Belege bei Schürer a.a.O. 475 Anm. 15. Auf Münzen trägt Agrippa gern den Basileus-Titel und orientiert sich stark an den Caesaren: s. Meshorer, Coinage II 65-95 und die bei Mor/Rappaport, Survey 61 genannte Lit. 225 Für Näheres s. Schürer a.a.O. 472-483. Die letzten Jahre seines Königtums sind unklar (s. auch Stern, Herod 304).

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eine Hungersnot in der zweiten Hälfte der 40er Jahre brachten eine erhebliche Verschlechterung der äußeren Bedingungen. 226 Verschiedenartige „prophetische" Gestalten, die vor einer politischen Provokation der Römer nicht zurückschreckten, 227 fanden starken Zulauf. Sie orientierten ihr Handeln, soweit sich den Quellen entnehmen läßt, vor allem an altisraelitischen Wüsten- und Einzugstraditionen, deren „Zeichen" sie zu wiederholen suchten, 228 griffen also auf die vorkönigliche Zeit Israels als Gegenmodell zur gegenwärtig erfahrenen königlichen Herrschaftsdepravation zurück. Obwohl sie so als Träger jüdisch-königlicher, „messianischer" Gegentraditionen nicht ernsthaft in Frage kommen, 229 signalisiert ihr Auftreten und Zulauf eine neue Intensität jüdischer Traditionsbelebung. Parallel formierte sich in zunehmender Dynamik von neuem die nach Herodes d. Gr. Tod aufgebrochene Widerstandsbewegung, die auf einen revolutionären Sturz der Fremdherrschaft hinarbeitete. 230 Wieder stellte sich der Forschung die Frage, ob nunmehr ein herr226

Sachverhalte, die etwa bei Schürer a. a. O. 455-470 (Burkiii) näher geschildert sind. Das gilt namentlich für den „Ägypter", von dem Josephus, bell. 2,261-263 und ant. 20,169-172 spricht. Daneben sind zu nennen: die „Irreführer", die Josephus, bell. 2,258-260 recht pauschal verurteilt (vgl. ant. 20,167f), der Theudas von ant. 20,97-99, der vielleicht mit dem Theudas von Act 5,36 zu identifizieren ist (freilich nur unter historischen Korrekturen an einem der beiden Berichte; s. Dexinger, „messianisches Szenarium" 261), und der „Gaukler" von ant. 20,188. 228 de Jonge, Josephus 218f sprach daher von „mosaische(n) Propheten" (Zitat 218), in deren Zusammenhang er noch die Berichte des Josephus über die samarische Unruhe unter Pilatus (ant. 18,85-87) und über Jonatan in Kyrene (bell. 7,437ff) einordnete, P.W. Barnett weiterführend von „Zeichenpropheten" (Sign Prophets passim, nach seiner mir nicht zugänglich gewordenen Diss. The Jewish Eschatological Prophets A.D. 40-70 in their Theological and Political Setting, Univ. London 1977). 22 ' Selbst das Vorgehen des „Ägypters", der von Josephus am stärksten mit herrscherlichen Motiven in Verbindung gebracht wird (bell. 2,262), entschlüsselt sich, wie der ant.Bericht zeigt (20,169-172), vom Modell Josuas her, der die Mauern Jerichos zum Einsturz brachte, hat also kein königliches Vorbild (wie Josephus denn auch in beiden Berichten korrekt auf das „Königs"-Begriffsfeld verzichtet); dazu de Jonge a.a.O. 218f (219 mit Anm. 39 Kritik an königlicher oder gar [pseudo-]messianischer Deutung der „Propheten"-Gestalten). Horsley/Hanson, Bandits behandeln daher die prophetischen Bewegungen 135-189 von denen königlicher Orientierung (die sie fließend „messianisch" nennen; dazu s.o. Anm. 198) getrennt (vgl. nochmals Richard A. Horsley, Popular Prophetic Movements at the Time of Jesus. Their Principal Features and Social Origins, JSNT 26, 1986, 3-27). 230 Wobei nach dem gegenwärtigen Forschungsstand offenbleiben muß, wieweit es eine durchgängige Kontinuität dieser Widerstandsbewegung gab, wieweit innerhalb ihrer zu differenzieren ist und wieweit sich ihr Wachstum auf die 50er und beginnenden 60er Jahre verteilt oder erst durch die ersten Kriegsaktionen evoziert wurde. Aus der teilweise heftig geführten Diskussion, in deren Zusammenhang schon die Anm. 197 genannte Lit. gehört, seien ergänzend nur Rhoads, Israel in Revolution; Horsley, Sicarii; ders., Zealots und Baumbach, Freiheitsbewegung genannt. 227

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Grundlegung

scherlicher Messianismus im engeren, sich an einem gesalbten Königtum orientierenden Sinn politisch durchschlug. 231 Schon ein Rahmendatum rät zu Vorsicht: N o c h bis nach den Krieg dauert die festgestellte Vernachlässigung des Gesalbtenstatus altisraelitisch-altjudäischer Könige in der jüdischen (und frühchristlichen) Literatur. 232

Beginnen wir vor dem Krieg: Die Suche nach einer Weissagung der Schrift über eine unmittelbar anstehende Herrschaftsumwälzung verdichtet sich bis zum Aufstandsausbruch 233 zum Orakel auf einen aus Judäa kommenden Weltherrscher. Aber das Orakel läßt dessen Titel offen und ist daher nicht in strengem Sinn messianisch. Das Orakel ist bei Josephus (bell. 6,312), Tacitus (hist. 5, 13,2) und Sueton (Vesp. 4,5) überliefert. Dabei stehen die beiden lateinischen Textfassungen einander näher als Josephus, so daß für sie eine von letzterem unabhängige oder für Josephus und sie eine gemeinsame dritte Quelle angenommen werden muß. D a die römischen Autoren einen stärkeren Einfluß der nicht spezifisch jüdischen Orient-Okzident-Thematik verraten, kann eine gemeinorientalische Vorform des Orakels nicht ausgeschlossen werden. Für die Textrekonstruktion im jüdischen Feld kommt gleichwohl Josephus das größte Gewicht zu. 234 Das ist insofern wichtig, als nur Josephus die Herrschaftsansage singularisch faßt: [τις] αρξει. Mit wie ohne das textkritisch unsichere τις muß dabei im Grundorakel die Identität der Herrschergestalt offengeblieben sein. Denn nur das ermög231 Die Frage ist sehr intensiv diskutiert worden; umfassende Bibliographie bei Feldman, Josephus 484-49l,670ff,942f,956f. 232 S.o. unter 2.1.1.5. 233 Die politischen Ansagen einzelner Gestalten oder Gruppen in der Zeit davor, von denen Josephus berichtet (z.B. bell. 2,113f; ant. 17,41-43), zeigen keine Affinität zu im engeren Sinne herrscherlich-messianischen Vorstellungen; s. im einzelnen de Jonge a.a.O. 219 Anm. 40. 234 Wichtige Eruierungen zur Quellenfrage bieten nach Eduard Norden (Josephus und Tacitus über Jesus Christus und eine messianische Prophetie [1913], in: ders., Kleine Schriften zum klassischen Altertum, Berlin 1966, 241-275, hier 263-275) bes. Michel/ Bauernfeind, Josephus II/2, 191f, Fischer, Eschatologie 161-167 und Kippenberg, Orient 4Iff. Kippenberg eröffnete, nachdem sich bis dahin die Priorität Josephus' für die Textrekonstruktion insgesamt durchzusetzen schien (s. Fischer a. a. O.), die Möglichkeit einer gemeinorientalischen Vorlage, die er bei Tacitus besser gewahrt sieht als bei Josephus. Helmut Schwier, Tempel und Tempelzerstörung. Untersuchungen zu den theologischen und ideologischen Faktoren im ersten jüdisch-römischen Krieg (66-74 n.Chr.), NTOA 11, Göttingen 1989, 238-244 führte seine These modifiziert fort. Der Interpretatio Judaica, die beim Aufgreifen des Orakels in Judäa vorauszusetzen ist und uns besonders interessiert, verbleiben bei Schwier (243f) zwei Schritte: die Konkretisierung, von „ihrem Land" ( = Judäa) gehe der Herrschaftsumbruch aus, und die individuelle Personalisierung, ein „Heimischer" werde herrschen. Für diese Konkretisierungen (zumindest die zweite) bleibt Josephus zentral. Ein Abschluß der Diskussion ist abzuwarten. Auszuschließen ist aber die These von F. Lucrezi (Un' ambigua profezia in Flavio Giuseppe, in: Atti della Accademia di Scienze morali e politiche della Societä nazionale di Scienze, Lettere ed Arti di Napoli 90, 1979, 589-634), Josephus habe das Orakel erst sekundär selbst gebildet.

Der Realienhintergrund

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lichte Josephus (wie den römischen Rezipienten), ein „zweideutiges Orakel" (χρησμός αμφίβολος ) zu vernehmen, das nicht auf einen Erfolg der Aufständischen, sondern auf Vespasian und Titus gezielt habe. 235 Die Aufständischen dagegen bezogen den Chresmos auf einen der Ihren; „auch viele Weise täuschten sich" laut bell. 6,313 „im Urteil". In dieser Zielrichtung erhielt das Orakel seine zum Krieg aufstachelnde Wirkung (a.a.O. 312), wurde es also gebildet oder (bei anderer quellenkritisch-traditionsgeschichtlicher Entscheidung) vor dem Jüdischen Krieg aufgenommen.

Inhaltlich verbindet das Orakel Zeit- und Herrscheransage in einer Weise, die nur bei einer Kombination disparater alttestamentlicher „Weissagungs"-Texte - namentlich des Judaspruchs Gen 49,10, der Bileamsorakel Num 24,7.17 und evtl. der Menschensohnansage von Dan 7,13f, dazu für die Zeitberechnung vielleicht Dan 9,24-27 236 - als „gleichermaßen 237 in den heiligen Schriften gefunden" gelten kann, wie das Josephus (a.a.O. 312; vgl. Tacitus a.a.O.) angibt. In dieser Eigenart könnte es für die Stimmungslage zu Beginn des Aufstandes charakteristisch sein: Eschatologische Hoffnungen verdichteten sich unter Einbezug alttestamentlicher Herrschererwartungen. In deren Horizont bildete man unser Orakel oder eignete es sich an. Ihren Rezipienten erlaubt die Verdichtung neben einer allgemein herrscherlichen eventuell auch eine im strengen Sinne messianische Deutung. Aber sie setzt letztere in der Formulierung nicht voraus. 238 Wenden wir uns der Aufstandszeit selbst zu, so verraten die Münzen, was die Aufständischen als ihr Hauptziel ansahen: die Restitution eines hebräischen, von der griechisch-römischen Überfremdung befreiten Israel, in dem die Heiligkeit Jerusalems wiederhergestellt sei, so daß der 235

Josephus, bell. 6,313; vgl. 3,402 und die genannten lateinischen Quellen, zusätzlich bei Sueton Vesp. 5,6. 236 S. Michel/Bauernfeind a.a.O. 191, Fischer a.a.O. 159f und de Jonge a.a.O. 209f. Hahn, Josephus 172-175 sucht die Zeitberechnung näherhin in Qumran zu verankern, jedoch ohne zwingende Gründe (auch Dan 9,24-27 spielte für verschiedenste Gruppen eine Rolle: s. Beckwith, Daniel 9 passim). Damit zerbricht jede Basis für die noch weitergehende, unseren Quellen widersprechende Behauptung Kreißigs, mit ihrer Qumranverankerung falle die „.Prophezeihung' als ein das Volk erfassendes und entflammendes Programm aus" (Zusammenhänge des Judäischen Krieges 129). 237 Dieses όμοίως ist für Schwier a.a.O. 240f (nach Kippenberg a.a.O. 41) ein wesentliches Indiz, daß erst durch die Deutung, noch nicht im Orakel der Schriftbezug hergestellt wurde (falls die Angabe sich nicht überhaupt nur auf eine außerbiblische Orakelsammlung beziehe); die Schwierigkeit der Forschung, den Schriftbezug eindeutig auszumachen, löse sich hier. 238 In letzterem Punkt wäre auch Schwier a. a. O. 243 zu präzisieren. Die Entscheidung vertieft sich, wenn wir die Rezeptionsgeschichte der genannten alttestamentlichen Texte beiziehen: Wie im folgenden (bis Ausblick 3, dort bes. Anm. 24 und Text bei Anm. 75f) zu behandeln sein wird, werden die Texte in unserer Zeit jeweils noch nicht messianisch interpretiert.

144

Grundlegung

Dienst Gottes das Leben bestimme. Um dies auszudrücken, brachen sie in Sprache - nun hebräisch - und Symbolik - nun judäisch, kultisch mit der herodianischen und römischen Münzprägung. Sie konterkarierten pointiert deren Herrscherorientierung durch eine Eliminierung aller Herrschaftssymbolik wie durch einen Verzicht auf jedwede Namennennung von Einzelpersonen (einschließlich Aufstandsführern). 239 Nimmt man hinzu, daß unter den neuen Münzsymbolen nach wie vor Salbungsmotivik fehlt, 240 so wird der Schluß unausweislich, daß die Restauration eines gesalbten Königtums als jüdischer Zentralinstanz kein primäres Ziel der den Aufstand dominierenden Gruppen war. Dazu kongruent weiß Josephus so wenig wie die römischen Historiker von einem Unterfangen der Aufständischen zu berichten, einen ihrer Führer zu salben. Dabei hätte er auf einen solchen Bericht nicht verzichtet, geißelt er doch die Aneignung des heiligen Ols durch die Aufständischen in der letzten Krise des Aufstands aufs schwerste (bell. 5,565f). 241 Angesichts dieses stimmigen Primär- und Sekundärquellenbefundes fällt schwer, die Glaubwürdigkeit von Josephus' Schweigen über messianische Ansprüche selbst derjenigen Aufstandsführer zu erschüttern, denen die Forschung am verbreitetsten messianische Ambitionen zuschreibt,242 nämlich Menahems und Simons bar Giora. Vielmehr bleiben Josephus' Berichte über deren „königsgleiches" Auftreten und Ende 239 Näherhin heben die Münzen inschriftlich hervor, Schekel Israels zu sein, dokumentieren auch im Rückgriff auf das Prägmaterial Silber (neben Bronze) Selbständigkeit gegenüber dem römischen Gesetz und zählen die Jahre nach der am 1. Nisan 66 erlangten „Freiheit des Zion". Inschriften betonen weiter die Heiligkeit Jerusalems und die „Erlösung" des Zion (worauf zurückzukommen sein wird). Die Münzsymbole orientieren sich, soweit sie sich zuordnen lassen (die Diskussion dazu dauert an: s. Meshorer, Coinage II 96-131), primär am (Tempel-)Gottesdienst und jüdischen Fest - der Kelch wohl am Weinopfer, der Erstlingsfruchtkorb wohl am Schebuothfest und das Etrog-Lulav(?)-Bild wohl am Laubhüttenfest -, daneben am Land Juda, auf das die Palme und (unter Betonung seiner Fruchtbarkeit) die Granatäpfel weisen könnten: s. neben der genannten Lit. Meshorer, Coins 88-81,154-158 (dort 88 Hervorhebung des Verzichts auf Namennennungen auf Münzen), M. Doubles in Schürer, History I 605f und Matthiae/SchönertGeiß, Münzen 26,42f (vor allem zur nichtherrscherlichen Symbolidentifikation). 240 Jedenfalls in einer personal beziehbaren Ausprägung (wie sie etwa ein Salbhorn darstellte). Denn es ist zwar diskutierbar, ob ein auf den Münzen sich findender Amphorentyp ein kultisches Olgefäß wiedergibt (alternativ zu den Deutungen auf ein Weinoder Wasserbehältnis), aber auch dann kämen wir nicht zu einer Benutzung in personalen Salbungsvorgängen, sondern lediglich zu einer solchen im Tempelkult; vorgeschlagen wurde namentlich das Aufbewahren von Ol für die Flammen der Tempelmenorah (s. die Diskussion bei Meshorer, Coinage llOff; auf Öl im Tempelkult wird unter 2.1.3.1 zurückzukommen sein). 241 Worauf am Ende von 2.1.3.1 zurückzukommen sein wird. 242 S. z.B. Hengel, Zeloten 299-304, Schäfer, Geschichte 136,140 und die in seinem Literaturbericht durchscheinende Position Feldmans, Josephus (bes.490,671).

Der Realienhintergrund

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auch und gerade ohne im präzisen Sinn messianische Deutung stringent. Menahem zog am Anfang des Aufstandes nach Jerusalem „in der Weise eines Königs" (!) von Masada, der bedeutendsten Burg der bisherigen - herodianischen - Könige, deren Zeughaus er geplündert hatte (bell. 2,433f). Die Macht in Jerusalem eignete er sich unter anderem unter Hinrichtung des (ehemaligen) Hohenpriesters Ananias an (a.a.O. 434-441), ein Vorgehen, das schwer als „messianisch" erklärt werden kann, Menahem aber beim hohepriesterfreundlichen Teil der Bevölkerung als „Despoten", „Tyrannen" verhaßt machen mußte, wie Josephus beschreibt (a.a.O. 442,443). Gewalt zeugte Gegengewalt; als Menahem im „königlichen Gewand" zum Tempelgebet schritt, töteten ihn die „Männer um Eleasar" unter Unterstützung des Volkes (a.a.O. 444ff). Die Opposition fügt sich zur Zeit, die, wie dargestellt, in der beginnenden Münzprägung die Heiligkeit Jerusalems betonte, ein Herrschertum aber ignorierte. Nichts weist auf eine Ausstrahlung Menahems hin, die über eine aufständische, jedoch dem neuen Aufstandscharakter nicht gemäße Usurpation der Königsherrschaft hinausgegangen wäre.243 In die spätere Aufstandszeit fällt das Hervortreten Simons. Als Proselytensohn ( = bar Giora) kann er schon seinem Namen nach nicht mit speziell davidischen Traditionen verbunden werden.244 Was ihn auszeichnete, waren laut Josephus, bell. 4,503 vor allem Körperkraft und Wagemut, Charakteristika, die seine Wirkung am ehesten von der alten Vorstellungslinie „des ,Gibbor', des .starken Helden'" her erklären lassen (vgl. bes. Jdc 6,12; 1 Sam 16,18; Jes 9,5),245 die vielleicht schon im Aufstandskönigtum nach Herodes des Großen Tod eine Wiederbelebung erfahren hatte.246 „Wie einem König" gehorchten ihm seine

243 Das „königliche Gewand", das Menahem anlegt, ist zeitgenössisch nicht als im strengen Sinn messianisches Motiv überliefert und spricht daher - wenn Josephus zu glauben ist - am ehesten für eine neue Variante des Aufstands-„Königtums", das sich an der inzwischen beschönigten Erinnerung der Hasmonäer-Erhebung orientierte, wenn es nicht gar direkt hellenistische Königssitten imitiert (vgl. Kreißig, Zusammenhänge des Judäischen Krieges 133,144). Vor allem bei Hengel a.a.O. 30lf und in der von Feldman a.a.O. 490 referierten Dissertation von William L. Lane, Times of Refreshment: Α Study of Eschatological Periodization in Judaism and Christianity, Cambridge, Mass. 1962 wurde noch die rabbinische Tradition zur Stützung einer messianischen Deutung des Auftretens Menahems herangezogen. Doch bezieht sich die rabbinische Legende nicht weiter als bis zu einem am Tag der Tempelzerstörung geborenen (!) Menahem zurück (EkhaR 1,16; yBer 5a,12ff; zitiert bei Hengel a. a. O. 301; vgl. noch bSan 98) und erklärt sie sich leichter aufgrund Thr 1,16 („Fern von mir ist der Tröster, Menahem, der meine Seele erquicke"; so de Jonge, Josephus 216) oder aufgrund einer dritten Tradition (so Goldberg, Namen des Messias bes.32-35). 244

Bezeugt eher, wie offen die jüdische Gesellschaft noch bis zum Jüdischen Krieg für Proselyten und deren Nachkommen war (vgl. eine entsprechende Anmerkung Feldmans a.a.O. 671). 245 S. Michel, Simon bar Giora 403. C. Roth, Simon bar Giora, Ancient Jewish Hero, Com. 29, 1960, 52-58 verfolgt den ganzen Weg Simons als Helden-Weg. 246 S.o. Anm. 200.

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Grundlegung

Anhänger, urteilt Josephus, ohne ihm deshalb einen direkten königlichen Anspruch unterzuschieben (a.a.O. 510). Irritierend hellenistisch, gleichwohl bei einem Proselytensohn und angesichts der langdauernden Hellenisierung Palästinas auch von Seiten der Jerusalemer Bevölkerung historisch möglich, 247 erfolgte sein Einzug in die heilige Stadt - so wir Josephus a.a.O. 573-575 folgen - auf ein religiös durchscheinendes Schutzflehen von deren Bürgern hin, das gerade griechisch und jüdisch-hellenistisch Parallelen findet. 248 Entsprechend umjubelten ihn die Bürger bei seiner Einholung in jüdisch-hellenistischer, keineswegs altisraelitischer Manier als Retter („Soter") und zu jedweder Fürsorge für die Stadt fähigen Verwalter („Kedemon"). 24 ' Der römischen Verhaftung stellte er sich nach der Niederlage in fürstlichem Ornat (bell. 7,29 - 31), 250 wurde für den Triumph in Rom aber nicht als besiegter Gegenkönig, sondern als leitender Feldherr („Strategos") mitgeführt, um dort als Opfer und gleichzeitig Verbrecher getötet zu werden (bell. 6,434; 7,118.153-155). Alles in allem ergibt das ein vielschichtiges Bild, in dem eine Belebung altjüdischer Traditionen und nach wie vor starke Einflüsse hellenistischer Handlungsmuster zusammenstoßen, ohne in einer einzelnen Richtung - schon gar nicht einer solchen herrscherlich-messianischen Charakters - aufgelöst werden zu dürfen. 251

Besonderes Interesse verdienen die Münzen mit Jl^KJ-Inschrift. Bis vor kurzem kannte man sie nur aus dem 4. Kriegsjahr (69 n. Chr.) in Jerusalem (in der Fassung p'X fl^mV). Seit 1980 ist ein Exemplar schon 247

M a n beachte, d a ß bei näherer Betrachtung nicht einmal die oppositionelle M ü n z prägung der Aufständischen aus dem Gegenüber zum römisch-hellenistischen Kontext herauslösbar ist: Die Aufstandsschekel übernehmen vom lyrischen Schekel - dessen Prägung seit H e r o d e s d.Gr. f ü r jüdischen Gebrauch bestimmt gewesen sein dürfte, jedenfalls 66 abbricht (s. Meshorer, Coinage II, 97f nach 5ff; vgl. den Hinweis o. im Text bei Anm. 188) - nicht nur die Münzqualität, sondern spiegeln in ihrer Inschrift „Heiliges Jerusalem" über den Gegensatz auch dessen Inschrift „Vom Heiligen Tyrus" (s. Meshorer a . a . O . 104f). 248 Das Motiv der ίκετηρίαι (der Zeichen der um Schutz Flehenden) f ü h r t tief in den hellenistischen Bereich religiöser und Kalbreligiöser Bittsteller hinein; s. die Belege f ü r den Stamm bei Liddell-Scott 826 und Bauer, Wb. 740f. 249 Das Soter-Motiv wird im hellenistischen Judentum vornehmlich religiös f ü r G o t t gebraucht, nur gelegentlich f ü r Menschen ( L X X Jdc 3,9; 12,3; 2 Esr 19,27), nie f ü r den herrscherlichen „Messias" im strengen Begriffssinn (s. K . H . Schelkle s.v., E W N T III, 781-784, hier 781f). Das Kedemon(ia)-Motiv wird, nachdem es eine längere griechische Geschichte hat (s. die Belege bei Liddell-Scott s.v. 946), jüdisch erst in der sog. zwischentestamentlichen Literatur aufgegriffen, beschreibt dort im Rückblick auf die makkabäisch-seleukidische Zeit die leitenden Fürsorger der Stadt sowohl p r o - wie antiseleukidisch (s. die LXX-Belege f ü r das Wortfeld bei H a t c h - R e d p a t h 763, bes. 2 M a k k 4,2 und 4 M a k k 4,4.20 SR). N u r bei Aufgabe jedweder Begriffsstrenge ist daher die Folgerung Lanes (nach Feldmans Referat; s. o. Anm. 243) aus der R e t t e r - und Kedemon-Akklamation, Simons Bewegung sei „messianisch" gewesen, zu rechtfertigen. 250 Dazu s. Hengel, Zeloten 303 (mit Verweis auf die Parallelen in M k 15,17ff; Lk 23,11). 251 Zu einseitig ist auch Kreißigs Versuch, Simon im Gegenzug gegen die messianische Interpretation nur als nicht religiös bestimmten Sozialrevolutionär zu verstehen (Zusammenhänge des Judäischen Krieges 140-144).

D e r Realienhintergrund

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für das 2. Kriegsjahr (67 n. C h r . ) in Gamala nachgewiesen, das damals verzweifelten - und vergeblichen - Widerstand gegen die Römer leistete (s. Josephus, bell. 4,11-83). Die wahrscheinlich in Gamala selbst geschlagene Münze trägt neben dem Kelchbild einen von den Jerusalemer Aufschriften etwas abweichenden Text, obv. nVmV, rev. "τρ D^tn', insgesamt „für die Wiederherstellung/Erlösung des heiligen Jerusalem". Auch auf ihr fehlt der Name einer irdischen (aufständischen) Herrscherpersönlichkeit, so daß alles dafür spricht, hier - und ebenso im Jerusalem des Krisenjahres 69 - im Rückgriff auf die religiöse ViO-Tradition ein Setzen auf Gottes rettendes Eingreifen zu hören. 252 Wenn deshalb im Jüdischen Krieg Raum für eine Messiaserwartung bleibt, dann von einem die irdischen Möglichkeiten übersteigenden Tun Gottes her. Aber das wird an anderer Stelle zu verfolgen sein.253 Hier ist zunächst festzuhalten: So facettenreich sich das Bild des Aufstandes vom anfänglichen Orakel über die Münzprägung bis hin zu den am Aufstand beteiligten Strategen und deren Gruppen gestaltet, fehlt ihm die Facette einer menschlichen Neukonstituierung jüdisch-gesalbten Königtums. Eine Wiederaufnahme der Herrschersalbung wurde, soweit sich erkennen läßt, nicht einmal erwogen. Weitergehend entstand, wie schon bei Hasmonäern und Herodianern, auch in keiner der Aufstandsbewegungen eine Äquivalenz Gesalbter ( Π ' Ρ » , χριστός) Jahwes - aktueller Träger oder Prätendent für das Amt eines jüdischen Königs (η^η, βασιλεύς). Gesalbter Jahwes begegnet in der Zeit Jesu und der ersten christlichen Generation nicht als politisch-königlich aktualisierter Begriff.

2.1.2 Die

Priestersalbung

Eine Komponente, die wesentlich zum realpolitischen Verblassen der Tradition der Königssalbung in der nachexilischen Zeit beitrug, ist nachzutragen: das Entstehen der Hohepriestersalbung, die sich bis ca. 200 v.Chr. mehr und mehr als entscheidende personale Salbungstradition Israels (Judäas) durchsetzte. Freilich, auch diese Tradition bestand als Realvollzug nicht bis in die neutestamentliche Zeit. Vielmehr brach " 2 S. Meshorer, Coinage II 129f (zur Münze aus Gamala) nach 122f (Deutung der Jerusalemer Münzen auf das Erhoffen einer „heavenly redemption"). Falls die Jerusalemer Münzen von Simon bar Giora autorisiert wurden, erledigten sich auch nach dem Münzzusammenhang messianische Prätentionsrückschlüsse für dessen Person (gegen Hengel, Zeloten 303f). Simon, der nicht mit Gamala in Verbindung zu bringen ist, nähme vielmehr bewußt eine seinem Wirken vorgängige Münztraditon auf. 253 S. unter 2.2.4.2.

148

Grundlegung

sie in Jerusalem im Zusammenhang mit der seleukidisch verursachten Krise um 170 v.Chr. ab und wurde trotz aller bleibenden Erinnerung, ja erinnernden Überhöhung, bis zum Ende des zweiten Tempels nicht mehr aufgenommen. 2.1.2.1

Die

nachexilischen

Ansätze

An keiner einzigen Stelle berichtet die vorexilische Geschichtsschreibung und ihre deuteronomistische Redaktion (Jos bis 2 Kön) von der Salbung eines Priesters am Jerusalemer oder einem anderen Heiligtum des Landes. Noch der Ez 40-48 sich findende Neuentwurf einer Sakralverfassung aus der exilischen Zeit sieht eine solche Salbung - wie überhaupt ein verdichtetes Hohepriesteramt - nicht vor. 1 So sind wir, was die Entstehung der Hohepriestersalbung angeht, auf die nachexilische Zeit verwiesen. Viele Forscher sehen sie als Übertragung der vorexilischen Königssalbung auf die neue jüdische Zentralinstitution. 2 Die Quellen sprechen für eine Präzisierung: Sacharja, unser erster Zeuge für einen Konkretisierungsversuch der Hohepriestersalbung, entwarf in der frühnachexilischen Schlüsselsituation für Jeschua, den ersten Hohenpriester, den Status eines Ölsohns parallel zum Olsohn Serubbabel, nicht an dessen Stelle (Sach 4,14 innerhalb 4,1-14*).3 Nicht eine Substitution des Königtums war demnach sein Ziel, sondern dessen priesterliche Ergänzung in der Staatsleitung, freilich auch das vor dem Hintergrund der Zeit schon ein gravierender Vorgang. D e n n in der N a c h b a r s c h a f t Judäas hatte der persische S u p r e m a t s o e b e n in S i d o n die N e u e r r i c h t u n g e i n e s P r i e s t e r k ö n i g t u m s erlaubt, 4 g e s c h w e i g e d e n n die T r a d i t i o n d e s P r i e s t e r k ö n i g t u m s in Ä g y p t e n g e b r o c h e n . 5 U n d a u c h J u d ä a k a n n t e in seiner W e i s e die T r a d i t i o n eines sakralen, priesterlich t ä t i g e n K ö nigs,' am stärksten a u s g e d r ü c k t in Ps 110. 7 Sie strahlte n o c h in d e n e x i l i s c h e n

1

Vgl. Cazelles, Alttestamentliche Christologie 120 und Beyse, Serubbabel 75 Anm. 23. Z.B. Hesse in Grundmann u.a., χρίω κτλ. 489f und Schmidt, Menschlicher Erfolg und Jahwes Initiative 186; selbst Kutsch, der in Salbung 22ff königliche und hohepriesterliche Salbungstradition grundlegend unterschieden hatte, schließt sich inzwischen der Forschungsmajorität an (Wie David König wurde 85 Anm. 46). 3 Auch nach dem Scheitern Serubbabels hielt er bei aller Aufwertung des Hohenpriesters an der Dyarchie fest (6,9-14): s.o. unter 2.1.1.3. 4 Das geht aus der Inschrift Tabnits von Sidon KAI 13 hervor, wo jener sich und seinen Vater am Ende des 6. Jh. „Priester der Astarte, König der Sidonier" (usw.) nennt (Z.lf). 5 Sie bestand dort noch bis in ptolemäisch-römische Zeit: s. Winfried Barta, Kult, LA III, 839-848, hier 839. 6 S. etwa 1 Sam 13,9; 2 Sam 6,12-21; 1 Kön 8 und für die Begründung der Tradition Gen 14,18; weitere Hinweise zum Sachverhalt etwa bei Poulssen, König und Tempel 17,142-144 u.ö. 2

Der Realienhintergrund

149

Verfassungsentwurf Ezechiels aus, wenn dieser 45,17 den Nasi, nicht den Priester, zum Opferherrn legitimierte." Vor solchem Hintergrund hatte mit Serubbabel ein Davidide als persischer Statthalter die Führung bei der Neuerrichtung des sakralen Zentrums, des Tempels, übernommen.' Der wohl nie ganz darniederliegende 10 Kult war zwar schon vorab oder zumindest gleichzeitig durch den Zadokiden Jeschua neu organisiert worden. 1 1 Jedoch war dieser keineswegs unangefochten, wenn nicht sogar schuldbeladen (s. Sach 3,2), u konnte die älteste und vielleicht wichtigste vorexilische Priesteraufgabe, das Orakelerteilen, nicht aufnehmen (impliziert in Esr 2,63; N e h 7,65). 13 Daher ist nicht erstaunlich, daß Haggai Serubbabel als Erwählten des Herrn weit vor Jeschua favorisierte (Hag 2,21-23). 1 4 Sacharja dagegen mußte erst in einer groß angelegten Visionsszene Jeschuas himmlische Rehabilitation schauen (Sach 3,1-7), bevor er im Bild der beiden Olsöhne die von der spätvorexilisch-exilischen Prophetie ererbte Linie, jede Eigen-Mächtigkeit eines neu erhofften Herrschers zu unterbinden (s. Sach 4,6b 15 ), mit einer zum Herrscher verwandten Statusaufwertung des Priestertums verbinden konnte. 16

Suchen wir nach dem Kontext für Sacharjas Hohepriesteraufwertung, so weisen Sach 1,1.7 und seine besondere Vertrautheit mit Tempelmotivik auf priesterliche Herkunft. 17 Von seiner Verfassungsvision laufen, dies bestätigend, traditionsgeschichtliche Querlinien zu den frühen Teilen der priesterlichen Schicht des Pentateuch, die um seine Zeit

' Dazu neben den Kommentaren bes. Strauß, Messianisch ohne Messias 17-22: Der Text mit seinem Zentrum in v.4 ist an einem priesterlich fungierenden Jerusalemer Königtum orientiert und in seinem programmatischen Charakter nicht auf die frühe Königszeit zu beschränken. ' S. Michel, Hebräer 555. Auch Jeremias Verheißung über das Gottnahen des von ihm angesagten neuen Fürsten (Jer 30,21) dürfte dieses Nahen „in priesterlicher Weise" gedacht haben (s. Stadelmann, Ben Sira 169, der allerdings das Umfeld entschärft, und vgl. schon Mowinckel, He That Cometh 179f). ' S. bes. Hag 1,14;2,2.4, dazu Beyse, Serubbabel bes.33ff. 10 S. Beyse a.a.O. 17 bes. unter Berufung auf Jer 41,5. 11 S. Beyse a.a.O. 22 u.ö., zur Person Jeschuas ergänzend etwa Gunneweg, Esra 71. u Ohne daß die dort angeführte Schuld im einzelnen feststellbar wäre: s. Beyse a. a. Ο. 47. 13 Zum Einzelgeschehen Baltzer, Messias-Frage 42 Anm. 51 und Gunneweg a.a.O. 64f, zum Ort in der Geschichte des Priestertums Dommershausen, ]Π3 II-VIII, ThWAT IV, 68-79, hier 69f. 14 Dazu s.o. unter 2.1.1.3 mit Anm. 45. 15 Sach 4,6b ist Teil wohl eines eigenen Sacharjaspruchs an Serubbabel (4,6aß-4,7b: s. Kurt Galling, Serubbabel und der Hohepriester beim Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem, in: ders., Studien zur Geschichte Israels im persischen Zeitalter, Tübingen 1964, 127-148, hier 137f), der primär Serubbabels Tempelbau im Blick hat, aber darüber hinaus dessen gesamte Herrschaftsweise tangiert (so in Modifikation Gallings a. a. O. 138-142). " Vgl. Seybold, Sacharja 96. 17 S. für die Einzelnachweise Seybold a.a.O. ll,76ff.

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Grundlegung

entstanden sein dürften: 18 Auch dort finden wir eine hohepriesterliche Salbung projektiert, nun in den großen Einsetzungsentwürfen von Ex 29,1-37 (v.7) und Lev 8 (v.12) in einer Salbung Aarons begründet. 19 Und auch dort führt dies zu einer Gewaltenteilung, dargestellt nun in der Übertragung von Gewand und Amt Aarons bei dessen Tod an Eleasar (Num 20,28), von der politischen Gemeindeleitung dagegen an Josua (Num 27,15-23). 20 Die Hohepriestersalbung erhält als eigenen Akzent den der Verleihung von Heiligkeit (s. bes. Lev 8,12). Er orientiert sie auf den Kult hin 21 und läßt nur einen besonderen Beauftragten Gottes, nicht wie in der spätvorexilischen Königssalbung Joahas' das Volk, 22 zum Salbenden befähigt gelten (Ex 29,1-37 wie Lev 8). Bei Sacharja wird das Ol-Bild 4,2f vor 4,14 verwandt von vornherein der Sphäre Gottes zugeordnet (übrigens auch für Serubbabel) und trotz des Fehlens einer expliziten Heiligkeitsmotivik für Jeschua wiederum eine Kultzentrierung vorgesehen (s. 3,7 vor 4,14 und 6,13). 23 18 Bekanntlich ist auch die „Priesterschrift" von der neuen Pentateuchkritik erfaßt worden, die nur noch priesterliche Bearbeitungen, aber keine eigene Quellenschrift mehr erkennen will (s. grundlegend Rolf Rendtorff, Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch, BZAW 147, Berlin.New York 1977, 112-142,160-163). Der Sachverhalt ist bislang nicht entschieden, obwohl starke Argumente dafür sprechen, doch an der Priesterschrift als eigenem (wenn auch gewachsenem) Werk exilisch-frühnachexilischer Zeit festzuhalten (s. neben den Einleitungen ζ. B. L. Schmidt in Boecker u. a., Altes Testament 87ff nach 85f). Für die folgenden Ausführungen scheint es angesichts dieser Forschungslage am sinnvollsten, davon auszugehen, daß jedenfalls das Grundkonzept der priesterlichen Pentateuchteile in der angegebenen Zeit entstand, ob es sich nun gleich in einer geschlossenen Schrift oder allmählich in einer Überarbeitung verschiedener Traditionen niederschlug. Abzulehnen ist der Versuch, alles Material der „Priesterschrift" vorexilisch zu verankern (so Haran, Temples V,3 und passim). " Die als Kopfübergießung vollzogen wird wie die - der Fiktion nach spätere - Königssalbung (1 Sam 10,1; 16,13; 1 Kön 1,39; 2 Kön 9,3.6). 20 Vgl. bes. Cazelles, Alttestamentliche Christologie 124 (nach 121ff). Wollte man die allgemeine Inhaltsanalyse der Priesterschrift durch Norbert Lohfink, Die Priesterschrift und die Geschichte, in: VT.S 29 Congress Volume Göttingen 1977 (1978), 189-225 aufnehmen, handelte es sich bei unseren komplementären Einsetzungsstellen um Schwerpunkte des letzten „theologischen" Textbereichs in P 8 (205 vor 206). 21 Vgl. Kutsch, Salbung 24f. Auch wenn sich seine strikte Differenz der Salbungsvorstellungen a. a. O. 22 als zu scharf erwies (vgl. o. Anm. 2), ist die Signifikanz seiner Beobachtung, daß die Königssalbung im Alten Testament nie, die (Hohe-)Priestersalbung dagegen ganz dominant mit dem Heiligkeitsmotiv verbunden wird (s. im Pentateuch noch Ex 28,41;30,30;40,13), unleugbar. 22 Vgl. o. unter 2.1.1.1. " Vgl. grundlegend Kutsch a.a.O. 25f. Beyse, Serubbabel 76f korrigiert diesen zu stark, wenn er aufgrund der Parallelität in Sach 4,14 divergierende Akzente für Serubbabel und Jeschua ausschließen will. Interessant wäre ein Einzelvergleich zwischen dem Zusammenarbeitsmodell von Herrscher und Priester in Sach 6,13 und in Num 27,21 (innerhalb 27,15-23). Falls Sacharja einmal die Orakelsteine in die Hand Serubbabels geben sollte und diesem demnach die angezielte Investitur des Hohenpriesters mit Urim und Tummim zuspräche (so Galling a.a.O. 145f aufgrund Sach 4,10), ein andermal dagegen

D e r Realienhintergrund

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Verbinden wir den Befund zu Sacharja mit den priesterlichen Pentateuchtraditionen, kristallisiert sich als Wurzel f ü r die Konzeptionsbildung im 6. Jh. v. Chr. ein vor allem priesterlich getragenes, bei Sacharja prophetisch übernommenes Bemühen heraus, bei der zu erwartenden staatlichen Restitution kultische und politische Funktionen stärker zu trennen als in der alten Königszeit, es entgegen den umgebenden Staatskulten in Judäa nicht mehr zu einem priesterlichen Herrschertum kommen zu lassen. 24 Dabei wurde nicht nur ursprünglich königliche Salbungsmotivik an die neue priesterliche Zentralgestalt abgegeben, sondern spielte auch ein eigener kultischer Heiligkeitsakzent eine Rolle. 25 S u c h t m a n nach d e s s e n B e z u g s r a h m e n , w i r d m a n an die V e r b i n d u n g v o n Kult u n d S a l b u n g s v o r s t e l l u n g e n v e r w i e s e n , auf die u n t e r 2.1.3.1 e i n z u g e h e n sein wird.

2.1.2.2 Die Blütezeit vom 4. bis zum beginnenden 2. Jh. v.Chr. Freilich führte erst ein längerer Weg zur Realisierung der H o h e priestersalbung. Weder Sacharja noch die genannten Pentateuchtexte schritten über einen visionären bzw. urbildlichen Entwurf fort. In den Investituranspielungen der himmlischen Rehabilitationsszene Sach 3,1-7 fällt das Salbungsmotiv vielmehr wieder aus, ebenso in der urbildlichen Amtsübergabedarstellung N u m 20,28. Statt dessen dominieren jeweils Bekleidungsmotive, wie sie der ezechielische Verfassungsentwurf von vornherein allein benutzte, wo es ihm um einen Ausdruck der Heiligtumsorientierung der Priester ging (Ez 44,17-19). Das macht die Annahme eines Salbungsvollzugs an den frühen Hohenpriestern unwahrscheinlich. 26 Z u d e r e n Z e i t ließ sich d a s priesterliche V e r f a s s u n g s k o n z e p t n o c h ü b e r h a u p t diskutieren. S c h o n die Priesterbilder E z e c h i e l s , d e r f r ü h e n priesterlichen P e n t a Kron- (6,11) und Siegelstein-Motive (3,9) auf Jeschua übertrüge (vgl. zu ersterem o. unter 2.1.1.3, zu letzterem Galling a.a.O. 146f; vgl. Ex 28,36ff vor 29,6), zeigte das, wie fließend die Möglichkeiten der Funktionsverteilung zu seiner Zeit waren. 24 Um die Jahrhundertwende gab es übrigens auch die These, Jeschua (!) habe nach dem Priesterkönigtum gestrebt und sei nur durch das Auftreten Serubbabels daran gehindert worden (Weinel, ΠΒ» 64). Diese These bricht dadurch zusammen, daß selbst Sach 4,14 Jeschuas Salbung nur neben der Serubbabels ansiedelt, nicht als bereits vollzogene um des letzteren willen korrigiert. Erst die weitere Entwicklung wird das Hohepriestertum in solche Richtung führen (s. unter 2.1.2.2). 25 So in Modifizierung von Kutsch a.a.O. 26f. Der Vermittlungsposition Martin Noths (Das zweite Buch Mose. Exodus, A T D 5, Göttingen 1959, 188) - die Übertragung des Salbungsakts gehe auf die Übernahme der „kultischen Funktionen des Königs" durch den Hohenpriester zurück - gegenüber ist zu beachten, daß sich die Königssalbung nicht an den kultischen Funktionen des Königs orientierte (vgl. zuletzt Anm. 21). 26 Vgl. Haupt, Testament des Levi 57.

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Grundlegung

teuchteile und Sacharjas sind bei allen Querlinien positiv-priesterlicher Orientierung 27 nicht einfach zu vereinheitlichen. Bei Tritojesaja kommt noch die grundlegende Alternatiwision hinzu, daß nicht eine einzelne Personengruppe, sondern das ganze V o l k „Priester Jahwes" genannt werde (Jes 61,6). 2 8

Die priesterliche Zentralgestalt ging in die Geschichtsquellen (auch die Elephantine-Papyri) denn auch zunächst nur als hoher/großer, nicht als gesalbter Priester ein.29 Noch bis zum Wirken Maleachis (s. Mal 1,6-2,9;3,6-12) und Esras müssen wir eher mit priesterlichen Mißständen als einer priesterlichen Konsolidierung rechnen. 30 So spricht alles dafür, daß die Hohepriestersalbung lange das Ideal nur einzelner Gruppen blieb. Erst zum 4. Jh. hin setzte sie sich allmählich real durch. W a n n genau, läßt sich nicht mehr feststellen. Denn der Nachtrag in den priesterlichen Teilen des Pentateuch, der in Ex 30,30 den Vollzug der priesterlichen Salbung demjenigen der Tempelgeräte mit dem heiligen Ol zuordnet und dadurch konkretisiert, und die Korrekturen in Lev 4,3.5.16;vgl.6,15, die eine ursprünglich unbestimmte Priesterangabe (s. Lev 4,7.10) zur Angabe „gesalbter Priester" präzisieren, sind in sich nicht genau zu datieren. Sie belegen nur, daß sich in einem bestimmten Geschichtsstadium tatsächlich die Salbung der Hohenpriester durchsetzte und daß sie dann näherhin mit dem heiligen Tempelöl vollzogen wurde. 3 1 Immerhin bleibt die zeitüberspannende Asylterminierungsangabe Num 35,25 zu beachten, die den Hohenpriester über eine längere T o desfolge hinweg mit heiligem Öl gesalbt sieht. 32 Ebenso scheint 2 M a k k 1,10 zu implizieren, daß es vor der seleukidischen Krise eine längere Reihe gesalbter

27 Die etwa auch bei Ezechiel trotz seiner vorhohepriesterlichen Position zu einer besonderen Wertschätzung der Zadokiden führen (Ez 40,46b;44,15). 28 S. neben den Kommentaren bes. Schüßler Fiorenza, Priester 155-166. Es mag sein, daß auch Ex 19,6 zu dieser Zeit in ähnlichem Sinne verstanden wurde, doch sind die sich dazu stellenden Probleme fast unlösbar (s. a.a.O. 120-125ff). 29 S. z.B. APFC 30,18; Neh 3,1 u.ö.; selbst Sach 3,1 u.ö.; für Weiteres vgl. Dommershausen am Anm. 13 a. 0 . 7 5 . 30 Vgl. ζ. B. J.M. Schmidt in Boecker u. a., Altes Testament 68f. Esras Gesetz war nicht mit dem Pentateuch oder einem von dessen Teilen (ζ. B. der „Priesterschrift") identisch (s. Wilhelm Th. In der Smitten, Esra. Quellen, Uberlieferung und Geschichte, Diss. Bonn 1972 = SSN 15, bes.140). Noch die Esr-Redaktion, die dort 6,18 die Priesterbestellung seit 515 v.Chr. nach der Vorschrift Moses geschehen läßt, muß sich nicht unbedingt auf die uns vorliegende Gestalt des Pentateuch oder Teile davon beziehen (s. Gunneweg, Esra 115). 31 Zu den angeführten Stellen s. jeweils die Kommentare. Daß in Ex 30,30; Lev 4,3.5.16;6,15 Nachträge bzw. Korrekturen älterer Rahmentexte vorliegen, erkannte schon Noth (am Anm. 25 a . 0 . 1 9 5 und in ders., Das dritte Buch Mose. Leviticus, ATD 6, Göttingen 1962, 28), ohne daß deswegen seinen Altershinweisen (je a.a.O.) notwendig gefolgt werden müßte. 32 Der Text geht von der traditionellen Bezeichnung „der große Priester" aus (vgl. o.) und bietet die Salbungsangabe im Relativsatz dazu, hält so das Traditionswachstum sichtbar.

Der Realienhintergrund

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(Hohe-)Priester (χριστών Ιερέων; vgl. die Lev-Terminologie!) gab. Daher wird man für den Realvollzug jedenfalls bis ins 4. Jh. zurückgehen können. 1 3

Bemerkenswerterweise dürfte das priesterliche Salbungsprogramm nach Erreichen dieses Ziels von neuem über die historische Realität hinausgeschossen sein, insofern die in jungen priesterlichen Pentateuchergänzungen vorgesehene Erweiterung der Salbung auf alle Priester (s. Ex 28,41;30,30;40,14f; Lev 7,36; Num 3,3) allem Anschein nach nie vollzogen wurde. 34 Ihre Forderung weist aber auf ein starkes Ausgreifen priesterlicher Theokratie in unseren Jahrhunderten, in denen ein innerjüdisch-herrscherliches Gegenüber von Gewicht fehlte. 35 Korrespondierend änderte sich das Geschichtsbild. Die chronistische Redaktorenfolge reduzierte nicht nur - wie besprochen - die königlichen Salbungsvorgänge und Gesalbtenvorstellungen der Tradition, sondern setzte zugleich priesterliche Akzente. Sie ergänzte in 1 Chr 29,22 parallel zur Salbung Salomos anachronistisch eine Salbung des als damalige priesterliche Zentralfigur in Erinnerung gebliebenen Zadok und schlug so die Brücke zwischen der urbildlichen Salbung Aarons und seiner Söhne in den angeführten Pentateuchtraditionen und den gesalbten Hohenpriestern der spätpersisch-frühhellenistischen Gegenwart, die Zadok als ihren Stammvater betrachteten. 36 Zudem wertete sie Würde und Funktion schon der alten Priester auf. Die Volks-Salbung eines Königs ließen die Chronisten nur noch vor Zadok (für David: 1 Chr 11,3) uneingeschränkt zu. Schon bei Salomo verbanden sie sie mit Opfermotiven (1 Chr 29,2 l f ) . Bei Joasch schlossen sie sie zugunsten einer Salbung durch den Hohenpriester Jojada und dessen Söhne überhaupt aus (2 Chr 23,11). 37 D i e noch am Rande erwähnte nichtpriesterliche Salbung Jehus 33

Gegen ein noch weiteres Zurückgehen könnte die hohepriesterliche Mordtat und anschließende Opferunterbrechung von 411-404 sprechen (s. Josephus, ant. 11,297, zur Diskussion Feldman, Josephus 452). 34 S. Kutsch, Salbung 23 und Hesse in Grundmann u. a., χρίω κτλ. 490. Das Programm war von vornherein ambivalent formuliert, da die „Söhne Aarons", von deren Salbung es sprach, leicht auf die Hohenpriester eingegrenzt werden konnten: s. Ex 29,30 nach 29,29 (dazu Hesse a.a.O. 489 Anm. 39). Sir 45,15 bestätigt diese Eingrenzung außerhalb der Gesetzesliteratur (vgl. Kutsch a.a.O. 24). Wurde die allgemeine Priestersalbung nie vollzogen, löst sich das Problem des unklaren Verhältnisses von Salbung und Handfüllung in Ex 29; Lev 8; 16,32 u.ö., mit dem Snijders, 8i>n, ThWAT IV, 876-886, hier 881 (unter starken Integrationsbemühungen) ringt. 35 Vgl. unter 2.1.1.4 (nach den Hinweisen zum Zurücktreten der Davididen am Ende von 2.1.1.3). 36 S. die Genealogien und Hinweise in 1 Chr 5,27-41 ;6,35;24,3; Hag 1,1 und Sir hebr. 51,12. Die Bruchlosigkeit der Genealogie ist historisch fraglich, doch die Vehemenz, mit der Robert Eisenman, Maccabees, Zadokites, Christians and Qumran. A New Hypothesis of Qumran Origins, StPb 34, Leiden 1983, 7ff ein genealogisches Verständnis der Zadokiden überhaupt aufgeben möchte, gegen die Quellen kaum zu begründen. 37 Vgl. Kutsch, Wie David König wurde 80 mit Anm. 24.

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prägten sie darauf zur Auftragssalbung um (2 Chr 22,7). Die nicht umprägbare Volks-Salbung Joahas' eliminierten sie gänzlich. 38 Jojada, den einzigen namentlich mit einer Königssalbung verbundenen Priester, skizzierten sie 2 Chr 24,15f königsgleich. 39 Auf andere Hauptpriester suchten sie wenigstens das Herrscherprädikat des Nagid (Fürsten) zu übertragen (2 Chr 31,13; 1 Chr 9 , 1 1 / N e h 11,II). 4 0 Für den nachexilischen Altarbau schließlich nannten sie Jeschua und die Priester vor Serubbabel (Esr 3,2). In der Liste über den Mauerbau zur Zeit Nehemias führten sie den Hohenpriester Eljaschib an erster Stelle auf (Neh 3,l.vgl.20). 4 1

Die Dynamik priesterlicher Orientierung der einstigen Königssalbung strahlte in die Diaspora aus. Auch die LXX-Ubersetzer des deuteronomistischen Geschichtswerks korrigierten das unbestimmte Salbungssubjekt bei der Salbung Joaschs 2 Kön 11,12 zugunsten Jojadas (nun im Singular). 42 Schon vorab ersetzten sie Sauls 43 Königserhebung durch das Volk in L X X 1 Reg 11,15 ohne Rücksicht auf historische Widersprüche durch einen (zweiten) Salbungsakt Samuels. Zugleich zeichneten sie Samuel als Subjekt der begleitenden Opfer, also in der Rolle eines Priesters. Damit ließen sie das Bild einer legitimen priesterlichen Königssalbung an Nahtstellen der Geschichte bis Joasch entstehen. 44 Bei der Salbung Joahas' 2 Kön 23,30 dagegen bedurfte es für sie keiner Korrektur des Salbungssubjekts Volk: Hier, w o der Niedergang des Königtums unaufhaltbar war, wäre für ihre Linie eine priesterliche, also gottgetragene Salbung unangemessen gewesen. 45

38 Diese o. unter 2.1.1.4 nach 2.1.1.1 schon berichteten Sachverhalte finden hier also ihre vertiefte Erklärung. 39 Vgl. Matthias Augustin, Beobachtungen zur chronistischen Umgestaltung der deuteronomistischen Königschroniken nach der Reichsteilung (in ders. u. a. Hg., Das Alte Testament als geistige Heimat. FS H.W. Wolff, EHS.T 177, Frankfurt usw. 21984, 11-50) 41. 40 Zum Prädikat s. Hasel s.v., ThWAT V, 203-219. 41 Die vorexilische königliche Tempelverantwortung, die Poulssen, König und Tempel bes.l80f als Anliegen des/der Chronisten hervorhebt, zwingt nicht zur Korrektur dieses Bildes (etwa zum Einbezug eines königlichen Messianismus: vgl. a. a. Ο. 182), sondern bereichert es um eine Schattierung. Denn die Tempelverantwortung kennzeichnet, wie auch Poulssen erkennt, gerade die „mustergültigen Könige" bis Joschija, die die Theokratie begründen. 42 Auch darauf wies Kutsch a. a. O. hin. Daß Jojadas Söhne hier nicht erscheinen, zeigt die Unabhängigkeit der LXX-Übersetzer (Datierung unter 2.1.1.5 bei Anm. 79) von den chronistischen Redaktoren, ist somit ein zusätzliches Indiz für die Stärke der priesterlichen Orientierung bis ca. 200 v.Chr. 43 Den sie sehr positiv werteten: s.o. unter 2.1.1.5 mit Anm. 90. 44 S. noch bes. die schon von der hebräischen Uberlieferung vorgegebene Salbung Salomos durch Zadok 1 Kön l,38f. 45 Die LXX Chr-Ubersetzer gingen sogar noch einen Schritt weiter, wenn sie durch die Neuaufnahme der Salbung Joahas' entgegen ihrer hebräischen Vorlage geradezu den Eindruck eines inneren Konnexes depravierter Volkssalbung und depravierten König-

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Der so in der Geschichtsüberlieferung zutage tretende komplementäre Zusammenhang eines Vordringens von Priestersalbungsvorstellungen und Aufwertung des Priestertums auf der einen, Gewichtsrücknahme des vormaligen gesalbten Königtums auf der anderen Seite vertieft sich bei einer Beiziehung des Ps 133. In diesem eignete man sich einen älteren Weisheitsspruch an, der das einträchtige Beisammenwohnen von Brüdern mit köstlichem Salböl und mit vom Hermon herabfließendem Tau verglichen hatte, um den auf ihm liegenden Segen Jahwes zu verdeutlichen (Ps 133,lb-2a.3*).46 Man bezog ihn nun als Wallfahrtslied (s. v.la) auf das Beisammensein der Tempelpilger am Kultort und ließ den Vergleich des v.2 auf unsere Hohepriestersalbung als einen Höhepunkt kultischen Geschehens zielen. Dazu präzisierte man das Niederrinnen des köstlichen Öls als Niederrinnen auf das Haupt Aarons und weiter auf dessen Bart, der niederwalle bis zum Rocksaum - die durch Kleidung, Bart und Salbung ausgezeichnete prototypische Hohepriestergestalt trat ins Zentrum des Psalms. 47 In v.3 las man folgerichtig als taubenetzten Ort die Berge48 des Zion, wo 49 Jahwe den Segen entbiete und Leben auf Ewigkeit - eine Anspielung auf den hohepriesterlichen, im Namen Jahwes ausgesprochenen Segen.50 Eine zusätzliche Nuance erhielt die kultisch-priesterliche Aneignung des Ps 133 durch seine Zuschreibung an David im redaktionellen Endstadium des v.la. 51 Denn kein Geringerer als David, der größte der vormaligen gesalbten Könige, steht so an der Spitze der Pilger, die die Salbung Aarons und dessen Segensmitteilung preisen. Der Geschehensanachronismus ist noch einen Schritt über die Chronisten zurückverlegt, läßt auch in der historisch tempellosen Zeit zwischen Aaron und Salomo keine Lücke eines gesalbten Hohepriestertunis und kultischer - statt königlicher 52 - Segenszentrierung mehr zu.

Die zentrale Säule des gesalbten Hohenpriestertums war, das macht unser Ps 133 deutlich, der Tempel auf dem Zion und die dortige kultitums erweckten, der zu nichts anderem als zur Aufhebung dieser Salbung wie dieses Königtums führen konnte (LXX 2 Chr 36,lf). Vgl. o. unter 2.1.1.5. 46 Zur Rekonstruktion s. Kraus, Psalmen II, 1067(ff). Othmar Keel, Kultische Brüderlichkeit - Ps 133, FZPhTh 23, 1976, 68-80 sucht den Psalm als von vornherein kultisch orientierte Einheit zu erweisen; das führte noch direkter zur im folgenden vorgetragenen Interpretation. 47 Weinel, n®n 66 sieht Ps 133,2 sogar eine Augenzeugenschaft hohepriesterlicher Salbung verraten. - Das Bartmotiv dient als Zeichen besonderer Dignität und Macht: Keel a.a.O. 74. 48 Der Plural ergibt sich aus der vorgegebenen Tradition, ist aber auch intensivierendemphatisch zu verstehen: vgl. Ps 36,7;87,1. 49 Zumindest die Textendfassung bietet am Anfang von v.3b ein „dort". 50 Vgl. Dtn 10,8;21,5; 1 Chr 23,13; Sir 50,20. 51 Zur Davidsredaktion des Psalters s. schon o. unter 2.1.1.4 mit Anm. 70. " Vgl. o. unter 2.1.1.1.

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sehe Segensmitteilung. Zusätzlich erlangte es von der spätpersischen Zeit an eine politische Aufwertung. In deren Verlauf dürfte es ihm nach neuen Erkenntnissen vorübergehend gelungen sein, das Münzrecht als wesentliches Hoheitssymbol an sich zu ziehen. 53 Die im Einzelfall nicht auszuschließende Mitübernahme der Statthalterfunktion bleibt dagegen weniger wahrscheinlich. 54

Es wurde neben der Kult- auch Machtinstanz. Das konnte zu weitreichenden politischen Zielsetzungen führen, wie sich wiederum in einem gewichtigen Eingriff in überkommene Literatur spiegelt: Das Gotteswort von Sach 6,9-14, das ursprünglich eine Koregentschaft des H o henpriesters Jeschua mit einem Herrscher-„Sproß" in den Blick nahm,55 verstand man jetzt auf ein in einer Hand befindliches Herrscher- und Priestertum nach Jeschua gerichtet (v. 13 in der korrigierten, heute vorliegenden hebräischen Textfassung nach den im Bestand beibehaltenen w . l l f ) . 5 6 D.h., man näherte sich im politischen Leitentwurf einem Verfassungskonzept priesterlichen Herrschertums, aber von priesterlicher Seite aus,57 ein Sachverhalt, der sich weit über die Sach-Redaktion hinaus belegen läßt.58

" Zur Diskussion (nach Meshorer, Coinage I 13-33) s. D. Barag, A Silver Coin of Yohanan High Priest, Qadmoniot 17, 1984, 56-61 (hebr.) und das Referat bei Mor/Rappaport, Survey 58. 54 S. die Diskussion um den am Ende der persischen Zeit wirkenden Hiskija bei Schäfer, Geschichte 26 und Meshorer a.a.O. 33f. 55 S.o. unter 2.1.1.3. 56 Der v.13 steht vorliegend durchgängig in der 3. Person, so daß sein Priester-Glied auf den zuvor genannten Sproß-Tempelbauer-Hoheitsträger zu beziehen ist: er „wird Priester sein auf seinem Thron, und Friedensrat wird sein zwischen dem beiden (nämlich seiner Hoheit und seiner Priesterschaft)". Rudolph, Haggai-Maleachi stellt zutreffend fest, daß der „jetzige Text entstand [...], als tatsächlich der Hohepriester das weltliche Regiment übernahm" (Zitat 128, vgl.132). Nichts zwingt mehr zu einem Verständnis des Sprosses als Davidide: Schon Sacharja hatte letzteres nicht expliziert, ja vielleicht bewußt aufgegeben, bietet sein Text doch in sich eine völlig zureichende Erklärung des Sproßnamens, nämlich - je nach Verständnis der hebräischen Formulierung - „es sprosse unter ihm" (als Heilsansage) oder „er sprosse von unter sich selbst" (als Aussage über seine genealogische Selbständigkeit). Die Beanspruchung des Endtextes für eine davidisch-messianische Priesterkönigtumsvorstellung scheidet aus (gegen Stadelmann, Ben Sira 170ff). 57 Gegen Stadelmann a. a. O. und Loader, Sohn und Hoherpriester 223 sollte man dabei messianische Begrifflichkeit vermeiden, denn Gesalbtenmotive wurden in unseren Text von der Redaktion nicht eingetragen. Zur größeren Verortung verdienten Querlinien zu priesterherrscherlichen Vorstellungen in der Umgebung Palästinas (etwa die Inschrift KAI 11 aus Byblos Mitte 4. Jh.) Interesse. 58 Auch wenn wir hierfür Ex 19,6 ausklammern, einen Text, der grammatisch zwar auf eine Königsherrschaft von Priestern in einem heiligen Volk verstanden werden konnte (s. die Ubersetzung Aquilas!) und dann der unmittelbarste Beleg unseres Sachverhalts wäre,

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Das Erscheinungsbild des Hohenpriesters mit Goldreif/Krone (s. Sir 45,12 vor 45,13) und auserlesener, der Königstradition verbundener Kleidung (s. Ex 28;3959 und Sir 45,8ff) paßte sich dem eines Herrschers an. Gefördert durch die Zentrierung von Jahwes Kabod auf den Tempel,60 verband sich weiter mit ihm Kabod (s. Ex 28,2.40; Sir 45,7.20 hebr.), wie sie in anderer Weise einst das Zentrum der königlichen Salbungsvorstellung gebildet hatte. 61 Bis zum Anfang des 2.Jh. v.Chr. verfestigte sich dieser Vorgang, schien auch sein mit dem Tobiadenaufstieg und dem außenpolitischen Wandel seit dem späten 3. Jh. drohender Verfall durch Simon II. (um 200 v.Chr.) noch einmal abgewendet. 62 Unter dem Eindruck dieses letzten großen zadokidischen Hohenpriesters 63 verschob der Siracide um 190 v.Chr. 64 die Akzente des Geschichtsbildes ein weiteres Mal: Die Vätergeschichte richtete er auf die hohepriesterliche Einsetzung Aarons und danach nochmals diejenige Pinhas' aus (Sir 45,6-24). Die Einsetzung Aarons schilderte er als grundlegenden Vorgang gemäß der priesterlichen Pentateuchtradition (vgl. bes. Lev 8,1-13) mit Handfüllung und Salbung und verband sie mit dem Segnen als zentraler Aufgabe (45,15). Die Königssalbung ordnete er 46,13 als historisch später nach. Ihre Durchführung beschränkte er auf die singulären Gestalten Samuels, des Propheten, Richters und Priesters, und Elijas, des Propheten wie Feuer (46,13 und 48,8 nach 48,1). Nur im Zusammenhang mit Samuel zitierte er einen herrscherlichen Gesalbter Jahwes-Text der älteren biblischen Uberlieferung (1 Sam 12,3f in Sir 46,19), danach nicht mehr. Vielmehr zentrierte er, so gewiß er zweimal von ferne auf die Natansverheißung (2 Sam 7) anspielte, deren Zusage auf David und seine unmittelbare Nachfolge, nicht auf ein neues Zukunftsgeschehen (45,25;47,lld vor 12).65 Scharf hob er das Ende des davidischen Königtums hervor, den Entzug seiner Macht nach Joschija aufgrund des Frevels der Könige (49,4f hebr.).66

von dem wir aber nicht wissen, ob er dieses Verständnis im 4./3.Jh. v.Chr. erhielt (s. Schüßler Fiorenza, Priester bes. 117f,89). 59 Dazu Hesse in Grundmann u.a., χρίω κτλ. 489 mit Anm. 41. 60 Dazu Weinfeld, m a , ThWAT IV, 23-40, hier 32ff, als Belege z.B. Ps 26,8;29,9. " Vgl. o. unter 2.1.1.1. 62 Für Näheres s. die Geschichtsdarstellungen, z.B. Schäfer, Geschichte 35-49. 63 Der wahrscheinlich sogar den Beinamen „der Gerechte" erhielt: s. Feldman, Josephus 452 (Lit. und Quellen). 64 S. Georg Sauer in JSHRZ III 5, 1981, 488-490. Im folgenden halte ich mich weitmöglichst an die hebräischen Fragmente; LXX-Rückgriffe werden entsprechend gekennzeichnet. 65 Caquot, Ben Sira et le messianisme 54(ff) will nicht einmal mehr den Anspielungscharakter dieser Stellen gelten lassen und geht darin wohl zu weit. Aber sein Gesamturteil, daß die Eschatologie des Siraciden nichts Messianisches habe (67), ist sicher berechtigt. 66 Auf die LXX-Fassung der Stelle war schon unter 2.1.1.5 hinzuweisen. Auch 51,12 (nur hebr.) geht über eine preisende Erinnerung an die (vergangene) Machtverleihung

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Grundlegung

Nur dem Priestertum sah er, ausdrücklich und wiederholt, ewige Dauer verliehen (45,15.24;vgl.45,13;50,24), w o z u korrespondiert, daß für ihn Simon II. selbst beim täglichen Ganzopfer 6 7 den Königspalast 68 überstrahlte wie die aufgehende Sonne (50,7). In 45,25 bündelte er gleichsam sein Priester- und Königsbild, indem er einen kurzen Hinweis auf Jahwes Davidsetzung in den priesterlichen Zusammenhang der w.6-26 einfügte. Immer wieder wurde diese Passage auf eine Würdeparallelisierung des davidischen Herrschertums und des aaronidischen, an Pinhas und seine Söhne weitergegebenen Priestertums im Sinne etwa der Jeremia-Redaktion (s. Jer 33,17-26) gedeutet. 69 Doch gibt unser Text letzterem klar das Übergewicht, ob man das 08 im dritten Stichon nun zu 'Ts („Mann") oder zu 'es („Feuer") vokalisiert. Im schwächsten Falle mit „Mann" sagt er aus, Jahwes Setzung für David gelte als Erbe (nur) einem Manne vor Gottes Herrlichkeit (entsprechend einer direkten Mannesfolge, vgl. 2 Sam 7,12), diejenige für Aaron all dessen Nachkommen. 70 Der Satzgrammatik nach wäre freilich auch in diesem Falle im Anschluß an die Aussagen zur Pinhassetzung der w.23f eher zu lesen: „Auch Jahwes ( = Seine) Setzung mit David, dem Sohn Isais, in bezug auf den Stamm Juda, das Erbe eines Mannes vor dem Angesicht Seiner Herrlichkeit, ein Erbe Aarons ist es in Bezug auf all seinen Samen." Mit „Feuer" vertieft sich der Akzent, ist von vornherein kein Davididenerbe mehr zu lesen, sondern betont schon das dritte Stichon, Jahwes Davidsetzung in bezug auf Juda sei ein Erbe des Feueropfers (weniger wahrscheinlich: der Vernichtung) 71 vor Jahwes Herrlichkeit. Das Textgefälle läuft also eindeutig darauf zu, die Nachkommen Aarons hätten die davidische Heilssetzung übernommen. 72 In dieser Weise, als Nachfolgeregelung, verstand den Text auch - von der „Mann"-Variante aus - die LXX mit ihrer Formulierung: „Und die Setzung für David, den Sohn Isais aus Jahwes an das Haus David nicht hinaus, der sofort die Erwählung der Söhne Zadoks zu Priestern nachzuschieben ist. 67 S. Fearghas Ο Fearghail, Sir 50,5-21: Yom Kippur or the Daily Whole-Offering, Bib. 59, 1978, 301-316, Erg.316. Für den Versöhnungstag zuletzt Mack, Wisdom 23. 68 Nicht übertragen das Heiligtum des himmlischen Königs, wie Sauer a.a.O. 631 meint. - Weitere Züge königlicher Zeichnung Simons sieht Mack a.a.O. 21 in 50,1-4. " S. noch Sauer a. a. O. 620 mit Anm. b zum Vers. Priest, Ben Sira 45,25 (passim) baute darauf die These auf, Sir bereite das Zwei-Messias-Denken von Qumran vor. - Zu Jer 33,17-26 vgl. o. unter 2.1.1.2; der Text stellt eine am ehesten frühnachexilische (vgl. Sach!) Aktualisierung des Jeremia-Verständnisses dar (s. neben den Kommentaren Zerafa, Priestly Messianism 331). 70 Vgl. Zerafa a.a.O. 336f. Eine leichte Textkorrektur bei Collins, Messianism 106 Anm. 6. 71 Vgl. Friedrich V. Reiterer, „Urtext" und Übersetzungen. Sprachstudie über Sir 44,16-45,26 als Beitrag zur Sira-Forschung, Münchener Universitätsschriften. ATS 12, St. Ottilien 1980, 227. Die Vokalisierung zu 'es bevorzugten die Ersteditoren A.E. Cowley/A. Neubauer, The Original Hebrew of a Portion of Ecclesiasticus ( X X X I X 15 XLIX 11), Oxford 1897, 28f. 72 Vgl. Stadelmann, Ben Sira 151-167 (mit „Mann"-Deutung). Die weitere Lit. referiert Reiterer a. a. O. 226 Anm. 2.

D e r Realienhintergrund

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d e m S t a m m e Juda, k ö n i g l i c h e s Erbe nur in der direkten S o h n e s l i n i e : ein Erbe ist sie f ü r A a r o n u n d s e i n e n Samen." 7 3 N a c h g u t 2 0 0 Jahren D a u e r h a t die aaron i d i s c h e H e g e m o n i e ihre stärkste A f f i r m a t i o n erfahren. 7 4

Vom 4. bis zum beginnenden 2. Jh. v.Chr. setzte sich - so läßt sich bündeln - nicht nur der Realvollzug einer Hohepriestersalbung durch, sondern zugleich die Vorstellung, dies sei schon immer so gewesen und legitimiere die Hohenpriester auf der Basis der ihrem kultischen Tun von Gott verliehenen Heiligkeit und Würde auch zur Übernahme herrscherlicher Funktionen in Nachfolge des vormaligen Gesalbten-Königtums. Ja, die Institution der „gesalbten Priester" ließ sich als im SinaiGesetz lange vor Saul und David begründete nach Alter und Würde der einstmaligen königlichen „Gesalbter Jahwes"-Institution vorordnen. Eine letzte Verdichtung der Gesalbtenterminologie wurde möglich: Dem Trägerkreis des Danielbuches (um 165/160 v.Chr. 75 ) reichte schon die absolute Angabe „Gesalbter" aus, um im Rückblick (geschichtsfiktiv: Vorblick) auf die Geschehnisse von der Rückführung aus dem Exil bis zur Krise des Hohenpriestertums unter Antiochos IV. (175/170 v.Chr.) die für seine Geschichtssicht zentralen Hohenpriester als solche zu markieren (9,25f). Entsprechend dem nunmehrigen Stand der Geschichtserinnerung galt ihm die mit dem frühnachexilischen Wiederaufbau verbundene Hohepriestergestalt unter Fortführung eines vom chronistischen Geschichtswerk vertrauten Begriffsgebrauchs zusätzlich als Nagid, gleichsam mon-arch also als Gesalbter und Fürst (TJJ Π'&η, Θ χριστός ήγούμενος). Bei dem analog dazu anderweitig (11,2276) als Fürst (Nagid) des Bundes bezeichneten Nachfolger Simons II. am Ende der 62. (von Beginn der Zählung an 69.) Jahrwoche, Onias III. (um 175 v.Chr.), genügte ihm 9,26 überhaupt schon die knappe Kennzeichnung mit einem indeterminierten Π'ΦΗ („Gesalbter": so MT; auf die griechischen Versionen wird unter 2.1.2.3 zurückzukommen sein). Innerhalb des s o w e i t klaren R a h m e n s 7 7 bietet der T e x t I n t e r p r e t a t i o n s p r o bleme: D i e J a h r w o c h e n s p e k u l a t i o n ist historisch n i c h t g a n z genau, 7 8 l ö s t e d a h e r 73

LXX v.25 (wie zuvor der hebr. Text) in meiner Übersetzung. Vawter, Messianism 279 entschärft etwas. Stadelmann a.a.O. 150f ist nur in der Beobachtung zu folgen, schon v.24 gebe dem Pinhasbund neben der religiösen die politische Vorherrschaft, nicht für v.25. 71 Vgl. Rivkin, Messiah 386ff. 75 Entgegen der herkömmlich dominierenden Datierung vor der Tempelneuweihe (164) läßt sich auch eine solche kurz danach vertreten: s. Fischer, Makkabäer 140ff. 76 S. die Kommentare z. St. Selbst wenn hier eine Glosse vorläge, wie Keil, Onias III. 228 (m.E. nicht überzeugend) behauptet, änderte das die Deutung auf Onias III. nicht (s. ebd.). 77 Daß Π'©» v.25 und v.26 jeweils einen Hohenpriester meint, wird historisch-kritisch seit langem vertreten (s. schon Weinel, nun 66 und Moore in Jackson/Lake, Beginnings 350ff). Einmal ergibt es sich aus der Verbindung mit der Nagid-Terminologie, die im

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Grundlegung

schon in der Antike eine Vielfalt von Deutungsmustern aus. 79 v.25 ist der Verzicht auf eine Namennennung für den „Gesalbten, Fürsten" zu respektieren, so nahe es liegt, hier auf Jeschua zu deuten. U n d in v.26 ist zwar die Identifizierung der gemeinten Gestalt auf Onias III. nicht zweifelhaft, der die Gesalbtenangabe umgebende hebräische Text jedoch (gegebenenfalls unter Rückgriff auf Konjekturen) verschieden deutbar. 80 Trotzdem ist soviel eindeutig:

Der Gesalbte von v.26 ist von einer eschatologischen Krise betroffen, von endzeitlich erscheinendem Verderben. Wie immer dieses Verderben ausgesehen haben mag - d.h. ob nun Π 3 ' in v.26 schon von Anfang an eine Ermordung oder zunächst nur ein Verschwinden aussagte - , in den Hauptstrang der weiteren Geschichtserinnerung ging Onias III. als Exilierter und anschließend Ermordeter ein (s. 2 Makk 4,30-38). 81 Wie am Ende der Epoche des gesalbten Königtums 82 begegnet uns von neuem an einem Krisenpunkt der jüdischen Geschichte die Erfahrung größter Leidbegegnung für einen Gesalbten.

Dan - s. 11,22 - ein Argument gegen königliche Deutung darstellt (gegen eine von älterer Forschung - z.B. König, Die messianischen Weissagungen 321 - vertretene Deutung des ersten Gesalbten auf Kyrus), zum anderen aus der priesterlichen Prägung des Kontextes: Dieser zentriert die aufgenommene Tradition von Jer 25,llf;29,10 (s. Dan 9,2) auf Jerusalem und dort den heiligen Berg hin (w,16ff), siedelt die zentrale Audition um die Zeit des Abendopfers an (v.21) und läßt auch sie um die heilige Stadt, Sühne, Hochheiliges kreisen (v.24), bleibt bei entsprechenden Heiligtums- und Opfermotiven schließlich in der Deutung (noch bis v.27). Nur bei einer unzulässigen Zusammenziehung der Aussagen von v.25 und v.26 und einer Eintragung der Determination bei der jeweiligen Gesalbtenerwähnung zu „the Messiah par excellence" läßt sich in den Text ein eschatologisches Messias-Heilsdenken eintragen, wie es nach einer alten und langen kirchlichen Tradition (vgl. schon Anm. 20 zu 1.1) trotz ansonsten guter Beobachtungen noch Doukhan, Seventy Weeks unternimmt (bes.18,21, Zitat 21 mit Hervorhebungen). Noch stärker verläßt Rosenberg, Messiah den Text (9,26), wenn er in ihm eine Exegese jüdischer Sektierer gespiegelt sieht, die hier den herrscherlich-davidischen (!) Messias erschlagen sein ließen, um ihn so vom kommenden Zeitalter auszusondern, in dem allein ein Priestermessias herrschen werde. 78 S. schon Moore a.a.O. 352. 79 Behandelt etwa von Beckwith, Daniel 9 passim. 80 Man vergleiche nur die Textrestitutionen bei König a.a.O. 317, Otto Plöger, Das Buch Daniel, ΚΑΤ 18, Gütersloh 1965, 133f und Keil a.a.O. 228. 81 Diejosephus-Berichte (bell. 1,31-33; 7,420-432; ant. 13,62-73) sind nicht eindeutig. Interessant, doch mit Unsicherheiten belastet, ist die These Keils, die Ermordungslegende sei nachträglich entstanden, um ein zum gewünschten positiven Bild nicht passendes Verhalten Onias III. zu überdecken, nämlich seine Flucht (oder freiwillige Exilierung) vor Antiochos IV. nach Ägypten. Dort habe er - nicht, wie sonst angenommen, ein nächster Oniade (der sog. Onias IV.) - den Tempel von Leontopolis gegründet (a. a. O. passim, zusammenfassend 23 lf). 82 S.o. unter 2.1.1.1 (zu Thr 4,20).

Der Realienhintergrund

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2.1.2.3 Abbruch und Erinnerung - von den Hasmonäern bis zu den Aufständen Zu einem Ende der Geschichte, wie es die Verfasser des Dan erwarteten, führte diese Krise nicht, sehr wohl aber zu einem Ende der H o hepriestersalbung in Jerusalem. Denn nicht nur wird uns nach Onias III. kein einziger Salbungsvollzug mehr berichtet. 83 Die aus klarerem Abstand auf das Geschehen zurückblickenden jüdisch-antiken Ubersetzer unseres Textes Dan 9,24-27 (LXX-Erstrezension wie Θ) sagen den Abbruch in der seleukidisch bedingten Krise sogar explizit aus, indem sie 9,26 statt χριστός neu χρίσμα („Salbung") lesen. 84 85

Dieser Geschehenszusammenhang fand bislang wenig Forschungsinteresse. M.C. Doubles führte das in Schürer, History II 244f über die (bei ihm unberücksichtigte) Richtigstellung Caquots (investiture de Levi 158) hinweg dazu, zwar Umfeldlit. und die neugefundene Quelle 1QM IX 9 zu nennen, aber die bald ein Jahrhundert alte Linie Schürers (Geschichte II 284f) beizubehalten, die bis Dan 9,26 belegte Hohepriestersalbung müsse von den Hasmonäern fortgeführt worden sein. 84 Θ glättet dabei den umgebenden schwierigen M T vergleichsweise wenig, greift vor allem dessen in der Jahrwochenzählung implizierte Fixierung des Geschehens auf die Ereignisse unter Antiochos IV. nicht an. Schwieriger ist die Textfassung der LXX, die seit A. Bludau, Die alexandrinische Ubersetzung des Buches Daniel und ihr Verhältnis zum masoretischen Text, BSt (F) 2/ 2-3, Freiburg 1897, 107-128 und G.Jahn, Das Buch Daniel nach der Septuaginta hergestellt ..., Leipzig 1904, z.St. diskutiert wird. Sie bietet in den uns interessierenden w.25f und noch dem ersten Teil von v.27 einen teilweise neuen Text, der um der Übersichtlichkeit willen in (eigener) Ubersetzung geboten sei: „ 25 Erkenne und verstehe und freue dich (sei. Daniel): Du wirst Worte (προστάγματα wie v.23) zur Antwort (pap. 967: zu verstehen) finden, und du wirst Jerusalem als Stadt für den Herrn aufbauen, " u n d nach 7 und 70 und 62 wird Salbung aufhören und nicht mehr sein, und eine Herrschaft (pap. 967: ein König) von Fremdvölkern wird die Stadt und das Heilige mit dem Gesalbten (dem grammatischen Zusammenhang mit Syiov und der Objektabhängigkeit von φθερεΐ - parallel zu πόλις - nach Neutrum; vgl. schon van der Woude in Grundmann u.a., χρίω κτλ. 501 Anm. 74) zerstören, und es wird sein ( = des Heiligen mit dem Gesalbten) Ende kommen mit Zorn und bis zum Augenblick der Vollendung; vom Krieg wird es zerstört werden. 27 Und herrschen wird die Setzung für Viele, und wieder wird sie (sei. die Stadt von w.25f) umkehren und wieder erbaut werden in die Breite und in die Tiefe, und gemäß der Vollendung der Zeit - und (zwar) nach 77 Zeiten (pap. 967: Jahren) und 62 Jahren (pap. 967: Zeiten) bis zum Zeitpunkt der Vollendung des Kriegs - , da wird weggenommen werden die Verwüstung/Zerstörung in dem Starkmachen der Setzung auf viele Wochen hin [...]." Die erste Auffälligkeit der Version besteht in der Entnahme der Zeitangabe aus v.25 und deren Neuformulierung zu 7 + 70 + 62 ( = 139) ohne begleitendes Nomen in v.26a. Eine einleuchtende Erklärung bietet F.F. Bruce, The Earliest Old Testament Interpretation, OTS 17, 1972, 37-52, hier 44: Die Ubersetzer stellten die Zeitangabe auf die seleukidische Ära um, in deren 137. Jahr Antiochos Epiphanes zu regieren begann. Das sich v.26a ergebende Datum (ca. 173 v.Chr.) weist dann auf den Ubergang des Hohenpriesteramts von Onias III. an Jason. Die LXX-Ubersetzer skizzierten ihn - was uns an dieser Stelle besonders interessiert - als Ende von (personaler) Salbung. Nun wäre ein genauerer Bezug auf die Geschehnisse unter Antiochos IV. auch für den verbleibenden Text der w.26bf zu erwarten. Das ist jedoch nicht der Fall: Weit über die

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Grundlegung

Eine düstere Zeit f ü r das Hohepriestertum begann, das die Erhaltung seiner Befugnisse - der Repräsentantschaft der jüdischen Gemeinde einschließlich des Rechts, die Tributzahlungen mit dem Fremdkönig zu vereinbaren 8 5 - in den Jahrzehnten seleukidischer D o m i n a n z bis ins Wortwörtliche teuer erkaufte. D e n n nun ü b e r n a h m der F r e m d h e r r s c h e r die in seinen A u g e n zeitliche, nicht wie bisher (s. 4 M a k k 4,1) lebenslängliche A m t s v e r g a b e und ließ sich d a b e i auch von finanziellen V e r g ü n s t i g u n g e n leiten: J a s o n , O n i a s III. B r u d e r , erlangte d a s A m t d u r c h B e s t e c h u n g (2 M a k k 4,7f) u n d g i n g seiner f o l g e r i c h t i g w i e d e r verlustig, als d e r wohl nicht einmal m e h r o n i a d i s c h e ( z a d o k i d i s c h e ) M e n e l a o s eine h ö h e r e S u m m e b o t (2 M a k k 4,23ff). N a c h M e n e l a o s ' u n r ü h m l i c h e m E n d e (2 M a k k 13,3-8) w u r d e d a s A m t noch einmal an einen O n i a d e n , A l k i m o s , verliehen. 8 6 A u f ihn f o l g t e in den 150er J a h r e n die H o h e p r i e s t e r v a k a n z , d e r e n Füllung durch d e n Lehrer der G e r e c h t i g k e i t v o n Q u m r a n e r w o g e n wird, 8 7 aber bisl a n g nicht verifiziert ist.

Mit J o n a t a n ging das Amt (152/150) an die M a k k a b ä e r ( H a s m o n ä e r ) über, durch Verleihung nun von Seiten eines seleukidischen G e g e n k ö nigs, der d a z u u. a. durch Gelder günstig gestimmt worden sein mag. 8 8 Entscheidender Akt der Amtsübernahme wurde die Anlegung des heiliGeschehnisse unter Antiochos IV. hinaus trugen die Übersetzer dort eine gänzliche Kriegszerstörung der Stadt und des Tempels ( = des Heiligen mit dem gesalbten Allerheiligsten: s. unter 2.1.3.1) ein, um danach eine heilvolle Zukunft unbegrenzter Dauer („viele Wochen") zu erhoffen. Wollen wir den Text nicht entschärfen - wie die Lit. bis PierreMaurice Bogaert, Relecture et refonte historicisante du Livre de Daniel attestees par la premiere version grecque (Papyrus 967), in: fetudes sur le Judaisme hellenistique. Congres de Strasbourg (1983), ed. R. Kuntzmann e.a., LeDiv, Paris 1984, 197-224, hier bes.215fsind wir von dieser Sachbeschreibung aus auf die Geschehnisse des Jüdischen Kriegs (66-70 n.Chr. ) verwiesen. Wir haben also eine aktualisierende „relecture" aus dem späten 1. oder frühen 2. Jh. n.Chr. vor uns (so auch über Sharon A. Pace, The Old Greek Translation of Daniel 7-12, Diss. Phil. Notre Dame, Ind. 1984, 282-296 hinaus). Dazu fügt sich die Differenzierung der Zeitangabe in v.27, die die Addition von v.26 in Zeiten und Jahre trennt. Hören wir die 77 auf Jahrwochen, die 62 auf Jahre bezogen (bei einer Beurteilung des Tausches der Nomina καιροί-ετη in pap. 967 als Sprach-, nicht als Sachvariante), so ergeben sich insgesamt - vom auf Daniel zurückgeführten Wiederaufbau Jerusalems nach dem Exil aus gerechnet - 77x7 + 62 = 601 Jahre, eine in damalige Zeitrechnung gut eingefügte (von 531 v.Chr. bis 70 n.Chr. reichende) historische Angabe. Hohes theologisches Interesse verdiente diese „relecture", wenn sie sich - wofür die Rede von der Diatheke für die Vielen in v.27 (vgl. Mt 26,28!) spricht - als christlicher Herkunft erwiese; denn dann hätten wir hier eine christliche Bewältigung der Katastrophe des Jüdischen Kriegs durch ihre Heilsüberbietung vor uns. 85 S. Bringmann, Hellenistische Reform bes.91f (der allerdings den Einsetzungswandel zur vorhergehenden Zeit überspielt). 86 Den 1 Makk 7 vielleicht zu negativ darstellt. Vgl. Bunge am Anm. 167 zu 2.1.1 a.O. passim, Erg. 44f. 87 S. Hartmut Stegemann, Die Entstehung der Qumrangemeinde, Diss. Bonn 1965 (Diss.-Druck Bonn 1971), 198-246a (Erg.250f) und nach ihm Bunge a . a . O . 27ff. 88 S. Bunge a. a. O. 45f nach 27-43, zum Geschehenszusammenhang aus anderer Warte schon o. unter 2.1.1.6.

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gen Gewands (1 Makk 10,21). Mutatis mutandis kehrte man also zu der vor der hohepriesterlichen Salbungsdurchsetzung geübten Praxis zurück. 89 Der Umbruch war gravierend und brachte zumindest zwei priesterliche Oppositionszentren hervor, die die Erinnerung und das Ideal eines gesalbten Priestertums weiterpflegten, auch wenn sie es fernab vom Jerusalemer Tempel nicht in die Realität vollzogener Salbung umsetzen konnten: Noch in der ersten Zeit der Krise siedelte Onias' III. Sohn Onias IV. - wenn nicht Onias III. selbst90 - nach Ägypten über und gründete dort, am ehesten während der Entweihung des Jerusalemer Tempels in den frühen 160er Jahren, den Tempel von Leontopolis, der noch bis kurz nach dem Jüdischen Krieg (bis 72/73 n.Chr.) bestand (Josephus, bell. 7,420-436). 91 Weder der Bericht des Josephus noch die freilich ungenügenden - archäologischen Daten 92 legen eine dortige Fortführung der Priestersalbungspraxis nahe. Aber das ägyptische Oniadengeschlecht brach nicht vor der ersten Hälfte des 1. Jh. v.Chr. ab,93 und der (wohl fiktive) Brief der Juden in Jerusalem an die Ägyptens 2 Makk l,10b-2,18 setzt an der betonten Stelle der Adresse (1,10b) voraus, daß man dort „das Geschlecht der gesalbten Priester" sich fortsetzen sah.94 Hinzu kam als Zentrum zadokidisch orientierter Opposition in Palästina die Gründung der Qumran-Gemeinschaft. Auch bei dieser fehlt es an positiver Evidenz für die Fortführung einer eigenen - dann gegenüber Jerusalem oppositionellen - Salbungspraxis. 95 Aber sie organisierte sich priesterlich 96 und entwarf zumindest in ihrer Kriegsrolle ein

" Vgl. o. am Anfang von 2.1.2.2. S.o. mit Anm. 81. 91 Näheres bei Jochen Gabriel Bunge, Untersuchungen zum Zweiten Makkabäerbuch [...], Diss. Bonn 1971 (Diss.-Druck), 555-583. Kasher am Anm. 78 zu 2.1.1 a.O. weist freilich (bes. 132-135) darauf hin, daß das Problem des Tempelgründungsdatums nach wie vor nicht endgültig gelöst ist, auch eine Gründung um 150/145 v.Chr. - aus besonderem Ehrgeiz der Oniaden - in Frage kommt. 92 S. die Diskussion bei Kasher a.a.O. 119-135. ,J S. Bunge a.a.O. (Untersuchungen) 580ff. 94 In seinen überdifferenzierenden literarkritischen Urteilen konnte sich Bunge (zum Gesamtkomplex a.a.O. 32-152) nicht durchsetzen (Diskussion bei Christian Habicht, JSHRZ I 3, 1979, 199f,201f). Bei Fiktivität des ganzen Briefs zeigt sich das Gewicht, das man von Judäa und den Hasmonäern aus der Existenz von Nachfahren des gesalbten Priestergeschlechts in Ägypten beimaß, nicht minder als bei seiner Echtheit und für jüngere Zeit (Goldstein, Promises datiert auf 103 v.Chr.). 95 Stegemann findet a. a. O. 236f positive Evidenz nur für Tauchbäder, kultische Mahlzeiten und die Verbrennung der roten Kuh nach Num 19 für die Bereitung des Reinigungswassers. 96 Vgl. Moshe Weinfeld, The Organizational Pattern and the Penal Code of the Qum90

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Grundlegung

Bild der Priester als Partizipatoren einer Salbung, die sie zur Distanz vom unreinen Blut der Schlacht zwinge (1QM IX 8f). 97 Das ungesalbte makkabäisch-hasmonäische Heerführer-, Hohepriester- und (binnen Kürze) Fürstengeschlecht strebte dagegen zuvörderst politisch nach einer neuen Legitimation durchs Volk. Jonatans Nachfolger Simon erlangte sie unter Vorordnung der staatlichen Führungsfunktion. 98 Eine zusätzliche Absicherung bot eine Umakzentuierung der Geschichtserinnerung, die hasmonäerfreundliche Kreise in zwei zueinander in Spannung stehenden Traditionskomplexen vorantrieben. Der erste Komplex legitimierte die Hasmonäerherrschaft von priesterlicher Basis aus. In Antwort auf den Wechsel des Priestergeschlechts verschob er die priesterliche Ahnherrnlinie von vormals Zadok auf nunmehr Pinhas, den seit N u m 25,10-13; Sir 45,23f als Träger priesterlicher Gottessetzung anerkannten „Eiferer", der bislang nicht explizit mit Salbungsmotiven in Verbindung gebracht worden war (1 Makk 2,54): dessen Nachkommen seien die Makkabäer (Hasmonäer). 99 Zusätzlich gewann Levi besonderes Interesse, der auch in nicht unbedingt hasmonäerfreundlichen Kreisen des 2. Jh. v.Chr. zum herrscherliche Macht mit umfassenden Segensträger für „ewige Generationen" avanciert war und als solcher Juda in den Schatten stellte (Jub 31,13-17 vor 31,18-20) :100 Levis Investitur war nach allgemeinem Bewußtsein lange vor der Begründung der Salbung durch Gewandanlegung und Handfüllung erfolgt (Jub 32,3), eine Tradition, die ein hasmonäerfreundliches, spätestens im Blick auf Simons Nachfolger Johan-

ran Sect: Comparison with Guilds and Religious Associations of the Hellenistic-Roman Period, NTOA 2, Göttingen 1986, bes. 19ff. 97 Die Stelle findet seit Kutsch, Salbung 24 Forschungsinteresse. Die für unsere Frage sonst entscheidendere Stelle l l Q T e m p 15,15f ist für Schlüsse zu zerstört. " 1 Makk 14,25-49 nach 13,1-9; dazu o. unter 2.1.1.6, ergänzend an Lit. Clemens Thoma, Religionsgeschichtliche und theologische Bedeutsamkeit der jüdischen Hohenpriester von 175 bis 37 v.Chr., BiLi 45, 1977, 4-22, hier 13ff. " Näheres bei Thoma a. a. O. 11. Die Traditionsverschiebung fand im Siraciden-Enkel einen Sympathisanten (s. Robert Hayward, Phinehas - the Same is Elijah: The Origins of a Rabbinic Tradition, JJS 29, 1978, 22-34, hier 30f): Er verstärkt in LXX Sir gelegentlich noch priesterliche Motivik, so in der Eintragung des aaronitischen Segens 36,16, dissoziiert aber zugleich nach 45,23ff Pinhas und die Zadokiden durch Neuformulierung von 50,24, Iäßt schließlich den Zadokidenpreis des hebr. Textes von 51,12 aus (falls letzterer nicht überhaupt erst im Zuge der hebr. Überlieferung in Qumran eingefügt wird). 100 Schon Jub 31,12 ergreift Isaak Levi mit der rechten, Juda lediglich mit der linken Hand. 31,15 spricht den Nachkommen Levis sodann Richter-, Anführer-, Königsamt zu, was die Herrscherzusage an Juda 31,18 überbietet (zu dieser vgl. unter 2.1.1.6). Entsprechend bezieht der Fortgang die Tradition von Ex 19,6 auf eine priesterherrscherliche Zentrierung des Volkes (33,20 nach 16,18; vgl. die Anm. d zu 33,20 bei Klaus Berger, JSHRZ II 3, 1981, 490). Dabei ist Jub eher makkabäerkritisch als makkabäerfreundlich (Berger a. a. O. 298-300), die Entstehung der Levi-Tradition in jedem Fall vormakkabäisch (Näheres bei Hultgard, Testaments des Douze Patriarches I 41-43).

Der Realienhintergrund

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nes Hyrkan I. (135-104 v.Chr.) verfaßtes Levi-Apokryphon betonte (aram. TestLev 33,19f). 101

Das politische und kultische Macht vereinende hasmonäische Hohepriestertum konnte in diesem Komplex altisraelitisch scheinen. 102 Doch der Blick trügt. Der Wegfall der Hohepriestersalbung beseitigte ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal von den umgebenden hellenistischen (samt hellenistisch-römischen) Kulten, die religiöse Salbungsvollzüge, so hohen Rang sie ihnen einräumten,103 nicht priesterlich fixierten. 104 Der zweite prohasmonäisch neu gestaltete Traditionskomplex zielte überhaupt statt auf eine priesterliche Dominanz der Herrschaft auf eine herrscherliche Dominanz der Priesterschaft. Die Verfasser des schon erwähnten Werbebriefs für die ägyptischen Juden 2 Makk 1,10b—2,18, der diese im Wissen um die ägyptische Emigration des vormaligen gesalbten Hohepriestergeschlechts von der trotzdem bestehenden Legitimität des Jerusalemer Tempelkults zu überzeugen suchte, beanspruchten unter Inkaufnahme eines krassen Anachronismus Nehemia, den einzigen ernst101

Die erhaltenen Fragmente des Testaments sind inzwischen bei Beyer, Die aramäischen Texte 188-209 gut zugänglich ediert (dort 188f Behandlung der Einleitungsfragen). Sie zeichnen in 32-33,13 eine Vision Levis, die Priestertum und Schwertamt in seiner Hand vereint, eine Vorwegnahme hasmonäischer Realität seit Jonatan. 102 Gelegentlich ist auch eine Aneignung der Melchisedek-Tradition erwogen worden: Seit v. Gall (ΒΑΣΙΛΕΙΑ 374 vor 389), dem exponierten Vertreter einer Forschungsauffassung, die - gewissermaßen in Überspitzung der priesterlichen Hasmonäerlegitimationslinie - eine priesterköniglich-messianische Würdigung der Hasmonäer entdecken wollte (a.a.O. 388-394), findet sich die These, Ps 110 sei erst in ihrer Zeit verfaßt worden (erneuert durch Marco Treves, Two Acrostic Psalms, VT 15, 1965, 81-90, hier 85-90). Eher erwägbar ist eine prohasmonäische Interpretation des Psalms (vgl. etwa Loader, Sohn und Hoherpriester 223f). Beides wird negiert von M. Delcor, Melchizedek from Genesis to the Qumran Texts and the Epistle to the Hebrews, JSJ 3, 1971, 115-135, hier 123. 103 Dazu s. unter 2.1.3.2. 104 Ich konnte hellenistisch und römisch keinen Beleg eines Salbungsvollzugs an Priestern zur Begründung ihres Status finden. Eine besondere 01-(Heiligkeits-)Auszeichnung der Priester kannte man dabei auch römisch. Man brachte sie jedoch mit Ölzweigen zum Ausdruck: Im Latium knüpften sich Juno-Priesterinnen Ölzweige ins Haar (vgl. Vergil, aen. 7,418ff). In Rom trugen die Hauptpriester der einzelnen Götter, die Flamines, am Apex (Priesterhut) einen Ölzweig (s. - je mit Lit. - W.H. Groß, Öl, KP IV, 244-246, hier 246 und W. Eisenhut, Flamines, KP II, 560-562, hier 561). Vergil weitet den Vorgang noch stärker aus (z.B. aen. 7,751; Weiteres bei Beringer, Kultworte 147f). Interessanterweise dringen Ölzweige im Zug der Hellenisierung Jerusalems bis Alkimos (um 162 v.Chr.) in den dortigen Tempelgebrauch ein (s. 2 Makk 14,4). Das noch zu besprechende TestLev 8,4-10 sieht eine Ölzweigausstattung darauf sogar (ergänzend zur Salbung) bei der Weihe Levis vor. Es wurde versucht, die Vorstellungsentwicklung mit königlicher Tradition zu verbinden (ζ. B. Ahlström in ThWAT II, 568), doch ohne stringente Belege. Wahrscheinlicher sind Einflüsse der umgebenden - hier römischen - Kultur, deren Effizienz demnach auch in einer Zeit jüdischer Selbständigkeitsbemühungen in Rechnung zu stellen ist. Leider fehlen Quellen, um den Realienbereich in der späthohepriesterlichen Praxis bestimmen zu können.

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Grundlegung

haften Königsprätendenten der nachexilischen Zeit, 105 als Erbauer des zweiten Tempels und des Opferaltars sowie ersten Opfervorstand (1,18 vor 1,20-1,32). An seiner primär politischen Legitimierung änderten sie nichts (s. 1,20). 106 N e hemia begründete so für sie den Geschichtsgang, den sie auf eine eigenwillige Aktualisierung der Gesetzesverheißung von Ex 19,6 zulaufen sahen: Königtum und Priesterschaft, einst Gesamtcharakteristik des heiligen Volks (vgl. noch LXX: βασίλειον ίεράτευμα), realisierten sich als Doppelinstitution (τό βασίλειον και τό ίεράτευμα) im wiedergegebenen Erbland unter Vorordnung des Königtums (2,17 vor 2,18). 107 D e r W e g d e r H a s m o m ä e r e n t s c h i e d die A m b i v a l e n z z w i s c h e n priesterlichem u n d herrscherlichem Primat zugunsten des letzteren. W i e dargestellt, e i g n e t e n sie s i c h u m die J a h r h u n d e r t w e n d e d e n K ö n i g s t i t e l an. 1 0 8 D i e i h n e n f r e u n d l i c h e n M a k k a b ä e r b ü c h e r z e i c h n e t e n sie f o l g e richtig v o n A n f a n g an p r i m ä r als p o l i t i s c h e A u f s t a n d s - , n i c h t als K u l t träger. V e r r ä t e r i s c h w ä h l t e n sie als g r i e c h i s c h e s Ä q u i v a l e n t z u r n a c h der A u f g a b e gesalbten Priestertums wieder ausschlaggebend g e w o r d e nen Hohepriesterbezeichnung ]Π3Π („der g r o ß e Priester", g e g e b e n e n f a l l s v e r k n a p p t z u |Π3Π „der Priester") 1 0 9 d o m i n a n t n i c h t m e h r ό ιερ ε ύ ς ό μ έ γ α ς ( w i e N u m 3 5 , 2 5 L X X u . ö . ) , s o n d e r n ά ρ χ ι ε ρ ε ύ ς (1 M a k k 10,20; 13,36 u . ö . ) . 1 1 0 Diese Prädizierung war im umgebenden Kulturraum seit ptolemäisch-seleukidischer Zeit zum Oberpriesterprädikat paganer Kulte geworden. Vorzugsweise bezeichnete sie die den Fremdkönigen verantwortlichen Oberpriester. 111 Im 2./1. Jh. v.Chr. ging die Anwendung auch auf Herrscher über: Etwa gleichzeitig wurde das Prädikat jüdisch von den Hasmonäern und pagan durch die benachbarten, gelegentlich als „Könige" geltenden Herrscher des Ituräerreichs angeeignet. 112 So liegt alles andere als ein jüdisches Spezifikum vor. 105

S.o. unter 2.1.1.3. Diese Umprägung der Geschichtstradition fand bes. bei Kellermann, Nehemia 115-124 und Bunge am Anm. 91 a. 0.95-148 Beachtung. Beide nehmen die Vorlage eines Nehemia-Apokryphons an (ersterer 124-128, letzterer 114-128), das dann am ehesten frühmakkabäisch entstanden sein dürfte (Sir 49,12f unterscheidet noch genau Jeschuas/ Serubbabels und Nehemias Tätigkeit). Nach Kellermann ist von einer breiteren makkabäisch-hasmonäischen Nehemiarenaissance auszugehen, in deren Zusammenhang er äth Hen 89,72f und eine Redaktion des chronistischen Werks einordnet (bes.l48f). 107 Vgl. Schüßler Fiorenza, Priester 90f. Goldstein, Promises 83f sieht näherhin einen Reflex der Bestrebungen Alexander Jannais. 108 S.o. unter 2.1.1.6. 109 S. die Münzinschriften, wie sie M.C. Doubles in Schürer, History I 604f zusammenfaßt, und die Anm. 48 zu 1.2 zitierte Ossuar-Inschrift. Als aramäisches Äquivalent läßt sich aus aram. TestLev in Verbindung mit Josephus, ant. 3,151 831 Χ3Π3 erschließen (vgl. Doubles a.a.O. II 275 nach 22 Anm. 76). 110 Für die Belege im einzelnen und die Ansetzung der jüdischen Begriffsübernahme nicht vor 150 v.Chr. s. Gottlob Schrenk, ιερός κτλ., T h W N T III, 221-284, hier 266. 111 Schrenk a.a.O. 266f. 112 S. Max Wilcox in Schürer, History I 564-566; vgl. historisch Schmitt am Anm. 221 106

Der Realienhintergrund

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In einem zusätzlichen Punkt verlor damit das hasmonäische Hohepriestertum seine Unterscheidbarkeit von fremdreligiösen Kulten. Die aus anderem Blickwinkel schon erwähnte, 113 bei Diodorus Sic. (40,2) und Josephus (ant. 14,41-45) bezeugte Volksstellungnahme vor Pompeius (63 v.Chr.) nahm es nicht mehr als Hohepriestertum eigener jüdischer Tradition wahr. 114 Auch die römisch-herodianische Zeit brachte keine Rückkehr zum alten zadokidischen, gesalbten und lebenslangen Hohenpriestertum. 115 Politische und priesterliche Zentralfunktionen wurden vielmehr, fern den Traditionen von Primat oder zumindest Eigenständigkeit des H o henpriesters,116 unter Einfluß der Suprematsmacht geordnet. Die politische Zentralinstanz - Herodianer und von 6-41 n.Chr. Römer - behielt sich das Recht der Hohepriestereinsetzung vor. Aus dem Zusammentreffen der fremdkulturellen Vorstellung von der zeitlichen Begrenzung des Amtes - dessen Träger weiterhin Archiereis genannt wurden 117 - mit der jüdischen Vorstellung von dessen Lebenslänglichkeit resultierte eine eigentümliche Schwebe zwischen dem Primat eines einzelnen - des gegenwärtigen oder angesehensten - Hohenpriesters und der Entscheidungsverantwortung durch deren Kollegium. N e u e hohepriesterliche Familien entstanden, die aufgrund der Anlage ihres Amtes eher zur Kollaboration mit dem politischen Herrschaftsträger als zur Opposition neigen mußten. Amts- und Investi-

zu 2.1.1 a.0.112. - In den Bezugsraum gehört auch die ab dem 2. Jh. v.Chr. belegte römische Äquivalenz von „Archiereus" zum zunächst bei einem Konsul, später bei Cäsar und den Kaisern liegenden Amt des Pontifex maximus. 113 S.o. unter 2.1.1.6 mit Anm. 181. 114 Die weitere Geschichtserinnerung verlieh ihm Züge religiöser Perversion: Die Ass Mos (1. Jh. n.Chr.) zeichnete die Hasmonäer als Könige, die entgegen ihrem Titel „sacerdotes summi dei" im/am Allerheiligsten gottlos handelten (6,1; dazu Dekor am Anm. 102 a. 0.123f). Die rabbinische Legende steigerte zu einer Perversion des Tempelkults durch Schweineopfer (bSot 49b; dazu Thoma am Anm. 98 a. 0.20). 115 Zum ganzen Bereich s. ergänzend Daniel R. Schwartz, Priestertum, Tempel, Opferkult: Gegnerschaft und Vergeistigung in der Spätzeit des Zweiten Tempels, Jerusalem 1979 (hebr.; Inhaltsreferat in Hebräische Beiträge zur Wissenschaft des Judentums deutsch angezeigt 1, 1985, 2-7). 114 Man denke neben der gerade angeführten Volksstellungnahme etwa an den Verfassungsentwurf der Tempelrolle llQTemp 58,18-21. Sogar das Sacharjawort Sach 6,9-14, in dessen hebräischen Uberlieferungsstrang die Priesterherrschaft so gewichtig eingegriffen hatte (s.o. unter 2.1.2.2), lief in der uns interessierenden Zeit, wie wir dank der LXX erkennen können (dort v.13: der Priester werde zur Rechten des Herrschers sein), gleichzeitig in einer Fassung um, die eine Ämterteilung vorsah. 117 Wie sich die „Archiereus"-Tradition auch anderweitig unter römischer Herrschaft fortsetzte. Für Kleinasien gelang R.A. Kearsley, Asiarchs, Archiereis, and the Archiereiai of Asia, GRBS 27, 1986, 183-192 sogar der Nachweis einer Expansion (ab dem späten 1. Jh. n.Chr. ) auf Frauen.

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Grundlegung

tursymbol blieb allein die hohepriesterliche Bekleidung, auf deren Kontrolle daher die politische Obrigkeit besonderes Gewicht legte. 118

Daß es ein gesalbtes Priestertum gab, rückte fürs allgemeine Bewußtsein in die Ferne archetypischer Vergangenheit. Mit einem negativen Bild der Geschichtsentwicklung bis zum Exil und der Tempelentweihung von 168 v.Chr. verband sich dies in der kleinen Jubiläenapokalypse, die wahrscheinlich noch in hasmonäischer Zeit entstand und in TestLev 17,l-8(.9) Eingang fand. 119 Lediglich für das erste und das zweite Jubiläum bestimmte sie das Hohepriestertum unter Rückgriff auf die Gesalbtentradition. Der erhaltene griechische Text bildet dort für das vorausgesetzte hebräische oder aramäische, absolut stehende itn'&a/n'lpan die Ubersetzungsvariante ό χριόμενος, faßt es also als präsentisch intendiertes Partizip Passiv („der [Priester], der gesalbt wird") auf (w.2f 1 2 0 ).

Schon seit dem dritten Jubiläum (v.4), also mindestens fünf Jubiläen vor der Gegenwart, gilt der Hohepriester in Zeiten zunehmender Ungerechtigkeit und Dunkelheit nur mehr als ιερεύς (ΙΠ3). Offenbleibt, wann das erste Jubiläum anzusetzen ist, ob mit der besprochenen bisherigen Priestersalbungstradition bei Mose/Aaron oder weiter zurück bei Levi.121 Der Trägerkreis des TestLev zwischen hasmonäischer und spätherodianischer Zeit, 122 der die Apokalypse aufnahm und bewahrte, ent118 Nachweise und Diskussion bei Schrenk a. a. O. 268-272; M. Stern, Aspects of Jewish Society: The Priesthood and Other Classes, CRI 1/2, 561-630, hier 600-612; Ε. Mary Smallwood, High Priests and Politics in Roman Palestine, JThS 13, 1962, 14-34; Richard A. Horsley, High Priests and the Politics of Roman Palestine. A Contextual Analysis of the Evidence in Josephus, JSJ 17, 1986, 23-55; schließlich Busink, Tempel II 1438f. u ' Zu den Einleitungsfragen s. bes. Haupt, Testament des Levi 105f: Die schlechte Einbindung in den Kontext und der Gebrauch der dritten statt der von der Testamentssituation gebotenen zweiten Person in v.9 verraten die Aufnahme eines Quellenstücks, das, da es die Geschehnisse um Pompeius nicht mehr erwähnt, vor 63 v.Chr. entstanden sein dürfte. Hultgard stellt das semitische Substrat des Stücks fest und erwägt näherhin eine Zuordnung zum o. angeführten aram. TestLev (Testaments des Douze Patriarches II 118,120; griechische Edition 247), doch fehlen für letzteres sichere Indizien; die Angaben bei Hollander/de Jonge, Testaments 174f bleiben allerdings umgekehrt zu offen. 120 Ohne die christliche Interpolation am Ende von v.2. 121 S. Haupt a.a.O. LXIV Anm. 41 (Lit.). 122 Die Einleitungsfragen zu den TestXII werden kontrovers diskutiert: Ubersicht bei Jürgen Becker, JSHRZ III 1, 1980, 16-29. Prononciert vertritt vorchristliche Entstehung (in verschiedenen Wachstumsphasen) Hultgard a.a.O. I und II passim (gebündelt im Blick auf die Eschatologie bei dems., Ideal „Levite" passim). Dagegen plädieren für christliche Entstehung (in der 2. Hälfte des 2. Jh. n. Chr.) unter Rückgriff nur auf ältere jüdische Traditionen Hollander/de Jonge a.a.O. 82-85 (entsprechend kritisiert de Jonge Hultgard in seiner Rez. JSJ 14, 1983, 70-80). Vorläufig zeichnet sich ab, daß Hultgards

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schied für letzteres. Da er zugleich das zeitgenössische, sich ohne Salbungsvollzug auf Levi zurückführende Priestertum vor Augen hatte, ließ er Levi (im Traum) zwei Investiturvorgänge schauen (TestLev 8). Deren erster zentrierte sich - schon seinerseits in Betonung von Gerechtigkeit, Einsicht, Wahrheit und Treue des Priestertums - auf die Bekleidung und führte zum Ziel, von dieser Investitur an solle Levi Priester sein, er und sein Same (w.1-3). Der zweite Vorgang erweiterte die Investitur über alle Realisierbarkeit hinaus um Heiligkeits- und Machtsymbole. Er zentrierte auf Levis Reinheit und Heiligkeit ein ganzes Syndrom von Salbung mit heiligem Ol, ritueller Waschung, Olzweigausstattung sowie Handfüllung. Die gleich am Anfang (v.4) neben der Salbung eingeführte Stabausstattung (vgl. Ps 45,7 u.ö.) dokumentierte Levis Herrschaftsbefähigung (w.4-10). Im gesalbten Levi bündelte sich so die Fülle des Priestertums, die die kultischen, rechtsetzenden und schriftgelehrten Ämtertraditionen Israels vereine ( w . l 1-17*). 123 Leider ist nicht ganz klar, ob dieser Doppeltraum freundliche oder kritische Intentionen gegenüber der ihm zeitgenössischen Amtspraxis verfolgte: Wurde er in der Hasmonäerzeit formuliert, so kann man den Akzent auf die w . 1 - 3 legen und die erstere Position befürworten; w . 4 - 1 7 * bleiben dann im HinterRekonstruktion in ihrer Stadienfestlegung - 1. Hälfte 2.Jh. v.Chr. Levi-Apokryphon, frühes l.Jh. v.Chr. Redaktion der TestXII, in der Kaiserzeit nachträgliche Eintragung des Retterpriesterkonzepts - verlockend, aber (jedenfalls bislang) nicht verifizierbar ist (vgl. de Jonge, Two Messiahs 160). Ebensowenig gibt es jedoch einen zwingenden Grund für eine christliche Ansetzung, da die von de Jonge und Hollander/de Jonge (je a.a.O.) nachgewiesenen Querlinien zur christlichen Theologieentwicklung seit dem späten 2. Jh. n.Chr. nicht mehr zeigen als eine Basis für die christliche Rezeption der TestXII in dieser Zeit. Zudem sieht auch de Jonge die Traditionslinien zu den Qumranfunden, beim Test Lev weiter zum auch außerhalb Qumrans belegten Levi-Apokryphon (ζ. B. Two Messiahs 152 und in seiner o. angeführten Hultgärd-Rezension 75f). Daß keine Fragmente der Endfassung von TestXII in Qumran gefunden wurden, siedelt sie jenseits der dortigen Gemeinde an (in der griechischen Diaspora?: vgl. Becker a.a.O. 16), nicht notwendig nach deren Niedergang (70-100 n.Chr., wie Beyer, Die aramäischen Texte 191 meint). Alles in allem scheint im Augenblick geboten, an jüdischer Entstehung der TestXII festzuhalten, doch ihr Entstehungsdatum zwischen dem 2.Jh. v.Chr. und dem l.Jh. n.Chr. offenzulassen, und sich nur in klaren Fällen (wie TestLev 17) auf Quellen und Entwicklungen festzulegen (weshalb auch offenbleibe, ob TestLev vor der Aufnahme in die Test XII schon eine Zeitlang gesondert umlief, was Haupt a.a.O. 123 und passim annimmt). Weitere Erörterungen und Lit. bei Charlesworth, Pseudepigrapha and Modern Research 211-220,305-307. 123 TestLev 8, in dessen w,14f wieder mit christlichen Eingriffen gerechnet werden muß, ist von verschiedenen Positionen aus erschlossen (Widengren, Sakrales Königtum 50ff, Haupt a. a. O. 49-66, Caquot, investiture de Levi passim, Hultgard, Testaments des Douze Patriarches II 114-117 und Hollander/de Jonge a.a.O. 150-155). Die vorgeschlagene Erklärung der Investiturdoppelung präzisiert die Komplementaritätsbeobachtungen der Forschung (z.B. Hultgards a.a.O. 115). Im Detail waren Anm. 103 ergänzend religionsgeschichtliche Querlinien zur Ölzweigausstattung zu nennen.

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Grundlegung

grund. 124 Wahrscheinlicher - und bei einer Ansetzung in die herodianisch-römische Zeit zwingend - verläuft das Gefalle des Textes umgekehrt, stellen die w.4-17* sein Ziel dar. Gegenüber den Hasmonäern und der nachfolgenden herrscherlichen Priesteramtsverfügung liegt dann eine doppelt (in w . 1 - 3 und 4-10) geißelnde Vision vor. Zugleich gehen Urbild und - letztlich eschatologisches - Erwartungsbild gegen die Machtverhältnisse der Gegenwart ineinander über.125 Wir nähern uns der unter 2.2.5 zu verfolgenden Erwartung eines eschatologisch-neuen gesalbten Hohepriestertums.

In der Diaspora pflegte um die Zeitenwende Philo die hohepriesterliche Salbungstradition. Er widmete der Bekleidungs- und Salbungsinvestitur Aarons durch Mose im „Leben Moses" großen Raum, ließ dabei den Salbungsritus als Blut- bzw. Blut-Salböl-Besprengungritus auf die Verleihung von Reinheit an alle Priester ausstrahlen (vit.Mos. II [III] 142-153). Der mangelnde Vollzug in der Gegenwart erleichterte ihm die allegorische Interpretation. So übertrug er fug. 110126 das hohepriesterliche Salbmotiv von Lev 21,10 auf den göttlichen (s. 108f) Logos: Es zeige dessen Lichtglanz (φως αύγοειδής) in der Leitungsfunktion (ήγεμονικόν) an und befähige ihn (lasse ihn als άξιόχρεως gelten), in Allegorese des priesterlichen Kleides den Kosmos zum Kleide zu nehmen. Josephus verzichtete ein bis zwei Generationen später in seinen Geschichtswerken auf solche Allegorese. Er gab der Salbung im Zusammenhang der Begründung israelitischen Priestertums hohen Rang als Weiheritus, der über die Reinigung eine Gottübereignung (ein τοϋ θεοϋ γίνεσθαι) der Aaroniden ausdrückte. Wie Philo dehnte er die Salbung in der Grundszene 127 zudem auf alle damaligen Priester aus, nun in engerer Bindung an die vormalige priesterliche Pentateuchexpansion 128 als Salbung mit demselben Salböl wie Aaron (ant. 3,197f.205f). Die Interpretationen übergreifend, zeichnet sich die Grundlinie theonomen Salbungsverständnisses zwischen dem 2.Jh. v.Chr. und dem 1. Jh. n. Chr. ab: Mit der Salbung eröffnet sich der Zugang zum engsten Bereich von Gottes Heiligkeit, zu Gottes lichtglänzendem und würdeverleihendem Herrlichkeitsraum. Das zwischen den jüdischen Aufständen geschriebene pseudo-philonische LibAnt setzt den konsequenten Schlußpunkt, trägt in einer letzten Traditionserweiterung eine Salbung

124

Vgl. Haupt a.a.O. 122f. Vgl. Caquot a.a.O. bes.158. 126 Nachdem er 107 eine menschliche Einsetzungshandlung (ein καθίστασθαι) für die irdischen Hohenpriester voraussetzte. 127 Nach der er nicht mehr zur Priestersalbung zurückkehrt (auch bei Zadok in ant. 7 nicht). Ihm liegt also am Urbild, nicht an einer Traditionsverfolgung durch die Geschichte. 128 Vgl. o. unter 2.1.2.2 zu Ex 28,41 u.ö. 125

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des weit über die Hasmonäer hinaus höchst verehrten 129 Pinhas nach und läßt diese Salbung durch Gott selbst vollzogen sein. So garantiert nun Gott selbst als einsetzender Salber die Legitimität des sich auf Pinhas zurückführenden Priestertums Schilos und nachfolgend Jerusalems (48,2). 1 3 0

Vielleicht war es das Drängen dieser Linie nach Gottes eigenem Handeln, das die Aufständischen des Jüdischen Krieges beim Umsturz der Priesterordnung vor einer von ihnen verantworteten Priestersalbung zurückschrecken ließ. Schon die Wahl des neuen Hohenpriesters innerhalb einer der altpriesterlichen Familien vollzogen sie durch einen Losentscheid, der Gott die letzte Verfügung ließ, übrigens auf einen Pinhas (Phanni) fiel. Ihr eigenes Tun beschränkten sie auf die Kleidungsinvestitur. 131

Ein kurzer Ausblick schließt den Befund: Im Bar Kochba-Aufstand kam Jerusalem mit dem Tempel - genauer dessen Ruine - dem dort fast vollständigen Fehlen von Aufstandsmünzen nach nicht in den Besitz der Aufständischen. Sofern Bar Kochba im ersten und nochmals wohl im dritten (teilweise auch im zweiten?) Aufstandsjahr dem Priester Eleasar eine hohe kultische Funktion zusprechen wollte, mußte er sich - dokumentiert auf seinen Münzen - daher mit dem Postulat begnügen, Eleasar sei „der

129 S. etwa Bernd Jankowski, Psalm CVI 28-31 und die Interzession des Pinchas, VT 33, 1983, 237-248, hier bes.238f. 1,0 Zum LibAnt vgl. schon unter 2.1.1.5 mit Anm. 138. Der von Guido Kisch, PseudoPhilo's Liber Antiquitatum Biblicarum, PMS 10, Notre Dame, Ind. 1949 edierte (nur lat. überkommene) Text gibt klar Gott („Dominus" v.2a) als Einsetzungs-/Salbungssubjekt für v.2b vor. Die bis Christian Dietzfelbinger, JSHRZ II 2, 1979, 231 Anm. a zum Text vorgeschlagene Konjektur in eine Salbung Elis durch Pinhas hat keinen Anhalt, wie auch der Fortgang des LibAnt keine Salbung Elis bei seiner Einsetzung voraussetzt (s.50,3; vgl. 52,2). In der Betonung der göttlichen Salbung ist eventuell zusätzlich eine Überbietung der samaritanischen Pinhas-Tradition zu hören, die durch die Schilo- (statt Samaria-, Garizim-)Bindung Pinhas' konterkariert wird (s. Abram Spiro, The Ascension of Phinehas, American Academy of Jewish Research. Proceedings 22, 1953, 91-114, hier bes. 102 Anm. 25). Am meisten Forschungsinteresse am Text fand, daß er Pinhas' Würde noch durch eine Ansage seiner elijagleichen Entrückung steigert (48,1; dazu z.B. Hayward am Anm. 99 a.O,26ff). 131 Josephus beschreibt die Insurgenten-Priesterwahl (bell. 4,155f innerhalb 147-157) äußerst kritisch (worin ihm Smallwood am Anm. 118 a. 0 . 2 9 folgt; Kreißig, Zusammenhänge des Jüdischen Krieges 136f favorisiert eine rein politische Deutung noch stärker). Doch hat der Gottesentscheid durchs Los biblische Tradition (Belege und Lit. etwa bei R. Preß/L. Rost/C. v. Gablenz, Los, BHH II, 1103f; bes. interessant 1 Chr 24,5ff und urchristlich Act 1,26) und spricht auch die Vorgabe einer alten priesterlichen (zadokidischen?) Familie für die Suche nach neuer Reinheit und Gottgesetztheit des Tempelkults (s. z.B. Baumbach, Freiheitsbewegung 105f und Horsley, Zealots 181 ff; weitere wichtige Hinweise bei Schwier am Anm. 234 zu 2.1.1 a.0.139ff).

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(Hohe-?)Priester" (pan). 1 3 2 Eine Erneuerung der Hohepriestersalbung stand aufgrund der politischen und der Realienlage nicht zur Debatte. Sodann wahrte die Mischna die Erinnerung, daß es sowohl durch das Salböl wie durch die Amtskleidung geweihte Hohepriester gab, und behielt die Bezeichnung „Gesalbter" ausschließlich ersteren vor (mHor 3,4; vgl. mMak 2,6). 133 Sie dachte gelegentlich wohl auch an eine Erneuerung der Realtradition. 134 Diese kam nicht zustande. Schließlich beschränkte als Abschluß der im 2. Jh. v.Chr. begonnenen Veränderung des Geschichtsbildes die talmudische Reflexion bHor IIb die Hohepriestersalbung entgegen den historischen Tatsachen auf die Zeit des ersten Tempels; aber das ist hier nicht mehr zu verfolgen.

Insgesamt besteht kein Zweifel: Die Tradition der Hohepriestersalbung hatte sich in spätalttestamentlicher Zeit nicht minder als diejenige der Königssalbung zu Gesalbten-Aussagen verdichtet und war in der neutestamentlichen Zeit jüdisch sogar eher stärker in Erinnerung als jene. Eine sehr lebendige Vorstellung von Reinheit, Heiligkeit, Zugang zur Herrlichkeit Gottes verband sich mit ihr. Freilich, auch diese Vorstellung wurde seit dem Vollzugsabbruch im 2. Jh. v.Chr. nur als Ideal entwickelt, nicht mehr als Realie erneuert.

2.1.3 Salbung, Ölübergießung und Gottnähe im Kult Wesentliches Bezugsfeld der Hohepriestersalbung war der Kult, für den man jüdisch wohl von alters her, jedenfalls aber nachexilisch Salbungssakralisierungen von Kultraum und -gegenständen pflegte. Salbungssakralisierungen strahlten darüber hinaus von der Gestaltung des

132

S. bes. Meshorer, Coinage II 134,136ff und vgl. Mildenberg, Coinage 29f. Auch mMeg I 9a unterscheidet den durch Salböl geweihten (mit ΠΒ») vom durch die Kleidungsinvestitur erhöhten (nur Π31) Hohenpriester. 134 S. Nodet, Dedicace 370 zu mMak 2,6. Ergänzt man mSot 8,1 nach 7,2, so wird noch eine bisher im Hintergrund gebliebene (Ideal-)Aufgabe des Hohenpriesters - um den es sich aufgrund der Rezeption von Dtn 20,1-9 im Text handeln muß - sichtbar: als „Kriegsgesalbter" (nan^an men) Jahwes Beisein in der Schlacht anzusagen (s. Nodet a.a.O. 366-371). Wagt man, diese Stelle mit 1QM IX 8f zu verbinden, so ergibt sich das Bild einer das Schlachtgeschehen aus Reinheitsgründen nur im Abstand mit ihren Trompeten begleitenden (gesalbten) Priesterschaft, deren führender Exponent gleichwohl die Zentralfunktion der Kriegseröffnung besitzt (in dieser Richtung ist Hans Bietenhard, Sota [Die des Ehebruchs Verdächtige] = Die Mischna III 6, Berlin 1956 zu präzisieren). bTaan 31a bringt die Kriegsgesalbtenreflexion schließlich in talmudische Reflexion ein. Wieweit sich in späterer Literatur eine Konkurrenz oder Querlinie zum kriegführenden Messias ben Efraim ergibt, ist, soweit ich sehen kann, noch nicht erforscht (nur als Anstoß wichtig Ginzberg, Sekte 344f; rein negativ der Hinweis bei Bill. II 292). 133

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Jerusalemer Opfervorgangs bis zur Bewahrung jüdischer Toter vor letzter Gottferne durch eine Salbung ihrer Gebeine aus. So lebendig war ihr Bewußtsein, so groß ihr Gewicht, daß sie bis zum Ende des zweiten Tempels einen steten Wandel in den Einzelbereichen und nie einen Abbruch erfuhren, vielmehr umgekehrt eher eine Steigerung zum übergreifenden Blickwinkel jüdischer Salbungsbewertung. In breiten Bevölkerungskreisen beeinflußten sie sogar den täglichen Umgang mit Öl. Religionsgeschichtlich stoßen wir in diesem Bereich auf eine überaus breite Basis: Die Grundvorstellung, daß die Salbung als zentraler Ritus der Reinigung und Heiligung Gottesgegenwart bekunde - gegebenenfalls erzwinge und die entsprechenden Salbungsvollzüge zur Gottnäherung und Gottübergabe waren unbeschadet aller Differenzen in Einzelvollzügen über den ganzen antiken Kulturraum verbreitet. Um den Vorstellungsrahmen abzustecken, ist im folgenden keine Begrenzung der Begrifflichkeit allein auf hebräisch-aramäisch ΠΡ» und griechisch χρίειν möglich. Die Sachäquivalente sind einzubeziehen, u. a. im Griechischen das Synonym άλείφειν und die Bezugsaussage ελαιον (μύρον, νάρδον κτλ.) καταχεϊν, έπιχεΐν κτλ. (vgl. die Linie von LXX Gen 28,18 bis Josephus, bell. 5,565). Lateinisch stellt ung(u)ere mit seinen Ableitungen des Hauptäquivalent dar (vgl. die Vulgata-Übersetzung der alttestamentlichen Salbungsstellen Gen 31,13 usw.).

2.1.3.1 Die jüdische Entwicklung Ihren Anfang nahm die israelitische Salbung sakraler Gegenstände der Erinnerung unserer Quellen nach in der Väterzeit, in Jakobs Salbung der Massebe von Bet-El (Gen 31,13; vgl.28,18;35,14). Solche Masseben waren samt ihrer Salbung kein israelitisches Proprium und verfielen seit Hosea (10,1) und Micha (5,12) der prophetischen Kritik, bis das deuteronomistische Gesetz sie endgültig ausschloß (Dtn 16.22).1 Die zentrale Rolle des Kultes übernahm in zunehmender Zentralisation der Tempel von Jerusalem. Auf diesen muß sich daher das vorexilische Sachinteresse zentrieren, ohne die unbefriedigende Quellenlage überspringen zu können. Denn wir haben, so nahe eine solche religionsgeschichtliche Entwicklung liegt, keine zwingende Evidenz f ü r einen Wandel der frühisraelitischen Kultsteinsalbung zur Heiligtumssalbung am ersten Tempel. Daß die Jotamfabel Jdc 9,9 (MT) davon ausgeht, das Öl des Ölbaums diene der Kabod-Verleihung 2 wie bei Menschen so vorgängig bei „Elohim", kann alternativ zu Israels Gott („Elohim" in singularischer Interpretation) auch auf 1 S. Cothenet, Onction 726 mit den religionsgeschichtlichen Querverweisen bes. 702 und 714. 2 Vgl. o. unter 2.1.1.1 mit Anm. 20.

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Grundlegung

umgebende Götterkulte („Elohim" in pluralischer Interpretation) bezogen werden. 3 Als weitere Stelle könnte Ez 28,14 eine vorexilische Salbung der Keruben im Inneren des Heiligtums voraussetzen, aber diese Interpretation des schwierigen hebräischen Textes ist nicht sicher, denn schon die alten Versionen leiten das dortige Π®»» nicht einhellig von Π®» = salben ab. 4 Immerhin verbindet die Beschreibung des salomonischen Tempels in 1 Kön 6 die „Gotteswohnung", das Allerheiligste, stark mit Ölmotivik: Ihre Türen bestehen aus Olivenholz, ebenso die den ezechielischen Bezugspunkt bildenden Keruben in ihrem Inneren. Olbaum und Allerheiligstes wurden demnach in jedem Fall von alters her miteinander verbunden. 5 D e n kultischen Salbungstraditionen im Pentateuch (Ex 30,29 u. ö.) dagegen steht das Fehlen solcher Traditionen betreffs der Altarweihe im ezechielischen Verfassungsentwurf entgegen (Ez 43,18-27). Mehr als sakrale Assoziationen der Ölmotivik ist somit für die erste Tempelzeit nicht zu belegen. 6 Nachexilisch g e l a n g e n w i r auf f e s t e r e n B o d e n . D e n n n u n läßt s i c h v o n einer a l l m ä h l i c h e n D u r c h s e t z u n g d e r p r i e s t e r l i c h e n P e n t a t e u c h t r a d i t i o n e n als t h e o n o m e r W e i s u n g a u s g e h e n . U n t e r i h n e n g i b t d e r S c h l ü s s e l t e x t E x 3 0 , 2 2 - 3 3 e i n e detaillierte, o f f e n b a r auf e i n e R e g u l a t i o n der Praxis b e d a c h t e A n w e i s u n g f ü r die H e r s t e l l u n g d e s „ h e i l i g e n Salböls" ( w . 2 3 - 2 5 ) u n d g e h t in s e i n e r K e r n s c h i c h t v o n e i n e m u m f a s s e n d e n S a l b u n g s v o l l z u g an d e n G e g e n s t ä n d e n d e s H e i l i g t u m s aus ( w . 2 6 - 2 8 ) . S o s e h r ist die A n w e n d u n g d e s h e i l i g e n Ö l s auf d i e s e G e g e n s t ä n d e z e n triert, d a ß es auf m e n s c h l i c h e K ö r p e r n i c h t g e g o s s e n w e r d e n darf (v.32); n u r B e r ü h r u n g m i t d e n h e i l i g e n G e g e n s t ä n d e n v e r m i t t e l t ihre H e i l i g k e i t w e i t e r (v.29). D . h . , der T e x t s p i e g e l t in s e i n e r G r u n d f a s s u n g

3 Im benachbarten Ägypten spielten Salbungen im Tempelkult eine große Rolle, gespiegelt bis in die Einrichtung eigener Salbenkammern in den Tempeln (s. Eva MartinPardey, Salbung, LÄ V, 367-369) und zentriert auf Vorgänge an den Bildern der Götter (s. Winfried Barta, Kult, LÄ III, 839-848, hier bes.841ff). Im späten Neuen Reich bieten dabei die Wandbilder von Abydos einen Ritualverlauf, der die Szenen der Übergabe der heiligen Öle und der Salbung sowie der Krönung des Kultbilds als Höhepunkt des Rituals unmittelbar aufeinander folgen ließ, Salbung demnach als einsetzenden, Ehre und Macht begründenden Ritus verstand (s. Hartwig Altenmüller, Die abydenische Version des Kultbildrituals, MDAI.K 24, 1969, 16-25, hier bes.24). Etwas jünger ist die Skizze des Amun-Rituals in Pap. Berlin 3055, die Ernst Klausen in TUAT II 3, 393-405 übersetzt (s. bes. 402ff). 4 Versionenbefund bei Walther Zimmerli, Ezechiel II, BK.AT 13/2, Neukirchen 1969, 675 vor 684, wichtigste Diskussion bei Kaiman Yaron, The Dirge over the King of Tyre, ASTI 3, 1964, 28-57, bes.32. 5 Wie Öl, Ölbaum, Ölholz noch in breiterem Maße mit religiösen Vorstellungen verbunden sind: s. z.B. Ahlström, ΠΊ, ThWAT II, 564-569, hier 567f. ' Die Frage wird kontrovers entschieden: Für einen späten Salbungsbeginn plädiert etwa Cothenet a. a. O. 727, für frühe Kontinuitäten Kutsch, Salbung 26f. Sicher verfehlt sind die Extrempositionen Weineis, der die Salbung kultischer Gegenstände für die ganze Tempelzeit in Frage stellt (n®a 67f), wie Harans, der eine lediglich vorexilische Salbungspraxis postuliert (Temples 3f).

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eine Situation vor Durchsetzung der Hohepriestersalbung. 7 Demnach ist die Heiligtums-/Kultsalbung der Hohepriestersalbung vorgängig, muß sie sich spätestens frühnachexilisch aus älteren Wurzeln verdichtet haben. Eine ganze Reihe von Belegen weist auf ihre Bedeutung in den folgenden Jahrhunderten hin (Ex 29,36;40,9ff; Lev 8,10f; Num 7,1.10.84.88). Ihr Zentrum blieb der schon vorexilisch am stärksten mit Olmotivik verbundene Ort, das im Gesetz als Gotteswohnung gespiegelte Allerheiligste (Ex 40,9; Lev 8,10; Num 7,1).8 Öl, Salbung und Gottnähe traten aufs engste zusammen, am auffälligsten dokumentiert in der Bezeichnung des Salböls als „Salböl Jahwes/Gottes" (Lev 10,7; 21,12).9

Die LXX-Übersetzer führten die Linie ungebrochen fort, steigerten sie eher noch. Denn statt aus einer größeren Ferne heraus zu kürzen, expandierten sie die Belege für die Salbung am Heiligtum im urbildlichen Gesetzestext von Lev 8,10f um eine Salbung des (seit langem nicht mehr existierenden) „Zeltes". Die Olbäume von Sach 4,1-14 versetzten sie - wie beobachtet - als Heiligkeitssymbole in Gottes Sphäre (v.14).10 In Jdc 9,9 lasen sie unter Umakzentuierung des Textes Gott als entscheidenden Urheber für die Kraft der Olsymbolik.11

Die Entweihung des Heiligtums unter Antiochos IV. bedeutete hier anders als für die abgeleitete Hohepriestersalbung nur einen Einschnitt, kein Ende. Denn gegen Antiochos' „Greuel der Verwüstung" (Dan 9,27; 11,31; 12,11) ließ sich - so Dan 9,24 - eine von Gott angesagte und aller Evidenz nach bei der Tempelrückgabe vollzogene (Neu-) Salbung des Allerheiligsten setzen. 12 7 Erst Korrekturen fügen die Salbung Aarons und seiner Söhne ein (v.30) und entschärfen v.32 durch v.33 - nur ein Laie dürfe nicht gesalbt werden; vgl. o. unter 2.1.2.2 mit Anm. 31. 8 Vgl. soweit Hesse in Grundmann u.a., χρίω κτλ. 491; als Belege für heiliges Öl/Ol der Salbung kommen Ex 25,6;31,11;35,8;37,29 hinzu. ' Beide Belege sind gemäß ihrer Abfassung in der Zeit hohepriesterlicher Dominanz in Aaroniden-/Hohepriesteranweisungen eingebunden. 10 S. o. unter 2.1.1.5 mit Anm. 99; für die im Text sich dokumentierende Vorliebe der LXX, mit Ol „Fettigkeit" zu verbinden, vgl. z.B. ihre Ubersetzung von Mi 6,7. 11 Sie setzten v.9c entgegen dem o. angeführten M T ins Aktiv. Dadurch wird Gott (nun eindeutig sing.) vorrangig vor den danach noch genannten Menschen Subjekt der Doxa-(Kabod-)Verleihung am Ölbaum und seiner Fettigkeit. 12 Zur Interpretation s. die Kommentare und Cothenet a. a. O. 727. Jeder Zweifel am Realvollzug der Allerheiligstensalbung ist - selbst für den überkritischen Weinel (am Anm. 6 a.O. 68) - ausgeschlossen, wenn Dan - wie durchaus wahrscheinlich zu machen ist (s. Anm. 75 zu 2.2) - erst nach der Tempelneuweihe geschrieben wurde. Entstand Dan vor ihr, so bleibt die indirekte Evidenz durch den dann als Zielvorgabe zu lesenden Text Dan 9,24 M T und die Implikationen der gleich zu skizzierenden weiteren Entwicklung.

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Grundlegung

Die überkommenen Zeugnisse sprechen bei einer wiederum nicht sehr befriedigenden Quellenlage dafür, daß das Allerheiligste nun noch stärker als zuvor zum Zentrum kultischer Salbung wurde. Denn wir hören in der kommenden Epoche von keiner Salbung heiliger Geräte mehr.13 Auch für den Altar läßt sich nur noch ein Salbungsreflex nachweisen, das Bestreichen (χρίειν [καί έπαλείφειν]) seiner „Hörner" mit dem Blut des Opfertiers beim Sündopfer vor dem Darbringen der Opferstücke (Philo, spec.leg. I 231.233). 14 Im allgemeinen Bewußtsein wurde das Allerheiligste bis zu seiner Zerstörung 70 n.Chr. wohl der gesalbte Ort, „das Gesalbte" schlechthin: το χριστόν (Dan 9,26b LXX). 15 In seinem unmittelbaren Ausstrahlungsbereich befand sich der siebenarmige Leuchter (s. z.B. 1 Makk 4,49f; Josephus, bell. 7,148f), dessen Licht als Symbol für die Anwesenheit des nicht bildlich darstellbaren Gottes T a g und Nacht nicht verlöschen durfte (vgl. Pseudo-Hekataios bei Josephus, Ap. l,198f) und dem Ol als gleichzeitig nährendes und weihendes Brennmaterial diente (ein nach Josephus, ant. 3,199 schon mosaisch begründeter Vorgang). 1 6 Philo inter-

13 Das hebt, vor allem unter Berufung auf 1 Makk 4,36-39, Weinel a. a. O. 67f hervor. Die Bewahrung der alten Salbtradition bei Philo (vit.Mos. II [III] 146) und Josephus (ant. 3,197f) läßt sich nicht dagegen anführen, da sie jeweils - eng mit der beschriebenen Hohenpriestersalbung verwoben - als Grundlegung, nicht als Beschreibung der Gegenwart angelegt ist. 14 Der Sache nach eine Sicherung der Altarweihe vor ihrer Tangierung durch die schuldtragenden Tierteile. 15 Auf den LXX-Text von Dan 9,24-27 war schon o. unter 2.1.2.3 mit Anm. 84 einzugehen. Der Genitiv τοΟ χριστοΟ steht nach der Ansage des personalen Salbungsendes von v.26a und wird daher über die dort vorgetragene grammatische Argumentation hinaus auch sachlich nur dann stimmig, wenn man ihn nicht auf eine neue gesalbte Person, sondern auf einen weiterhin als gesalbt geltenden Ort, „das Gesalbte" im Heiligtum bezieht. Die Interpretation auf das Allerheiligste (und dessen Zerstörung, wie sie nach 587 v.Chr. erst wieder 70 n. Chr. stattfand,) wird flankiert dadurch, daß das Judentum das Allerheiligste überhaupt als gesalbten Ort einzigartigen Ranges in Erinnerung behält: s. bes. bShevu 16b; bKer 5b; bHor IIb. Für Dan 9,24-27 LXX ergeben sich dadurch weitere Überlegungen, daß eine nachträgliche christliche Aneignung nicht ausgeschlossen werden kann (s. am Ende von Anm. 84 zu 2.1.2). Das wirft die Frage auf, was eine Pflege von Tempelsalbungserinnerungen in einer christlichen Gemeinde für deren Christus-Verständnis bedeutete: Empfand man dadurch, daß es kein Konkurrenz-Gesalbtes zu ihm, dem Gesalbten, mehr gab, endgültig den Weg für die Durchsetzung der Heilssetzung für die Vielen eröffnet? Leider ist unser Text zu rudimentär, um eine sichere Antwort zu erlauben. 16 Epiphane Symbolik haftet analog dem Leuchter im Oniastempel an, wie Josephus ihn bell. 7,429 - abweichend von Jerusalem als Hängeleuchter - beschreibt (s. Michel/ Bauernfeind, Josephus II/2, 284 Anm. 204; Lit.). Hintergrund ist eine Verbindung von Licht und Jahwe, wie sie etwa Ps 27,1 und 43,3 bezeugen. Im theonomen Bezugsfeld wird der Leuchter-Öl-Zusammenhang in Sach 4,11-14 LXX entfaltet: Der Duktus bindet die Leuchterbeschreibung v.12 in den Olbaumrahmen der w . 11.14 ein, insofern v.12 den Leuchter in einer gewagten Konstruktion von seiner

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pretierte das Licht des Leuchters als Symbol der Weisheit („Sophia"), die mit nichts irgend Fremdem, sondern nur mit zu ihr gehörigem reinstem (Oliven-) Ol zu speisen sei (quaest. in Ex. 10317)·

Für die Gemeinde sichtbar spielte Ol eine zentrale Rolle bei den Opfern. So war für das priesterliche Gesetz eine Olübergießung (in LXX mit έπιχεΐν) bei den Speiseopfern unabdingbar, ob es sich um das Grundopfer Grieß oder um Erstlingsopfer handelte (Lev 2,1.6.15). Wohl ausgehend von einer schon älteren Verbindung zwischen dem täglichen Speise- und Tieropfer erhielt Ol eigenen Rang auch beim täglichen Brandopfer (s. die Parallelisierung von Lamm, Speiseopfer und Öl für das Brandopfer - LXX ολοκαύτωμα - in der späten Ergänzung 18 Ez 46,15). Ab dem 2. Jh. v.Chr. verdichtete sich dies durch einen zunächst fließenden Wandel der Opferpraxis wesentlich. Hielt das aram. TestLev in dieser Zeit Speise- und Tiergabe bei all ihrem Zusammentreffen in der Darbringung noch getrennt (L 35,22-38 19 ), so stellte das etwa gleichzeitige Jub sich schon eine Art Verknetung der Opfergaben vor (6,3; 7,5;21,7). Den nächsten Schritt der Entwicklung projektierte unter den überkommenen Quellen die bei Qumran gefundene Tempelrolle: In der Brandopferkombination von Tier- (hier Jungstier-), Speise- und Weinopfer stellte sie sich das Ol (]B®) über ersterem (l'^S) vor ( l l Q T e m p 34,13), ging sie also von einer Olübergießung des Ganzopfers aus.20

Das Endstadium der Entwicklung berichtet Josephus: Im l . J h . n. Chr. hielten die Priester das Tempelöl vor allem für die Ganzopfer in Verwahrung, nach der aufgrund der Handschriftenlage wahrscheinlichsten, der geschilderten Dynamik der Sachentwicklung entsprechenden Rekonstitution unseres Belegtextes bell. 5,565 näherhin, um es über sie zu gießen (τοις όλοκαυτώμασιν έπιχεΐν). 21 Im Übergießen mit Öl (έπιχεΐν, in der LXX Äquivalent vor allem zu pS') verdichteten sich demnach unter Fortführung uralter Traditionen schon die Massebensalbung erfolgte laut Gen 28,18;35,14 als Olübergießung - die Sakralisierungsvorgänge im jüdischen Kult des l . J h . Ölzufuhr aus betrachtet, und setzt zugleich für die Olbäume den Schlußakzent, sie stünden bei Jahwe. Eine menschliche Vermittlung der Speisung des Leuchters mit Öl liegt außerhalb jedes Interesses. (Ergänze noch u. Anm. 22.) 17 In der Übersetzungsedition durch Ralph Marcus, LCL Philo Suppl. II 150-152. 18 S. die Kommentare z.St., z.B. Zimmerli am Anm. 4 a . 0 . 1 1 7 5 nach 1169. 19 Nach der Edition Beyers, Die aramäischen Texte (dort S.199ff). 20 Allerdings läßt sich die Rezeption der Tempelrolle außerhalb Qumrans schwer ermessen: s.o. unter 2.1.1.6 mit Anm. 165. 21 Zur Textkritik s. Michel/Bauernfeind a. a. O. II/l, 200 mit Anm. 362 z. St. In Verbindung mit Josephus, ant. 3,233f läßt sich als nunmehriger Gesamtritus beim blutigen Opfer eine Kombination von Speiseopfer (Mehl-Ol-Mischung), Tieropfer - mit beim Rind einem halben Hin, beim Widder einem drittel Hin, beim Schaf einem viertel Hin Öl - und Weinlibation rekonstruieren.

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Grundlegung

η. Chr. Besonders galten sie dem Leuchter der Gottesgegenwart 22 und dem Jahwe zur Aufrechterhaltung dieser Gegenwart täglich dargebrachten Tieropfer, dessen gänzliche Verbrennung seine uneingeschränkte, menschliche Interessen ausblendende Jahweübereignung dokumentierte. 23 U n k l a r ist, w i e w e i t d i e U b e r g i e ß u n g s a u s s c h l ü s s e f ü r das S ü n d o p f e r (Lev 5,11) u n d das E i f e r o p f e r ( N u m 5,15) n o c h aktuell in G e l t u n g s t a n d e n . A b e r s c h o n d a ß d i e s e A u s s c h l ü s s e u n d e b e n s o die Kritik e i n e s späten P r o p h e t e n tradiert w u r d e n , B r a n d o p f e r u n d S t r ö m e v o n O l s c h ü f e n k e i n e n Z u g a n g z u G o t t ( u n d selbst ein s ü h n e n d e s E r s t g e b u r t s o p f e r versage), w o nicht der L e b e n s w e g recht g e g a n g e n w e r d e ( M i 6 , 6 - 8 ) , 2 4 verraten ein tief e i n g e w u r z e l t e s B e w u ß t s e i n d e s G e w i c h t s unserer Ölsakralisation:

Die Öl-/Salbungs-Sakralisation dient - so läßt sich die Grundvorstellung bündeln - der Nähe Jahwes vor aller Sühne. Sie dokumentiert so schlechthin die Jahwezugehörigkeit, daß sie, wo eine Beeinträchtigung seiner Gegenwart durch zu sühnende oder aufzuweisende Schuld vorliegt, im strengen Sinne nicht vollzogen und nicht ausgesagt werden kann. 25 Ihr Hauptvorgang war Übergießen mit Öl. An dieser Stelle klären sich die Hintergründe für die beobachtete Zurücknahme königlicher und den Wandel hohepriesterlicher Gesalbten-/ Salbungsaussagen um die Zeitenwende. Denn das hier im Kult als äußerste Sakralisierung erfahrene Ubergießen mit Ol war (sachlich und wörtlich) ebenso der Vollzugsritus bei den personalen Salbungen, sei es der Könige (1 Sam = LXX 1 Reg 10,1; 2 Kön = LXX 4 Reg 9,3.6), sei es der Hohenpriester, gewesen (MT/LXX Ex 29,7; Lev 2,1.6.15).26 Es eröffnete daher, wo man es aussagte, den engsten Bereich von Gottes Herrlichkeit. Wo aber war es angesichts der übermächtigen Erinnerung an Schuld und Versagen der historischen Könige und historischen H o -

22

Sach 4,12 LXX fügt das έπιχεϊν-Motiy auch in die Vorstellung der Leuchterspeisung ein. 23 Dieser Zug des Ganzopfers (der „Olah") ist deutlich: Seit alter Zeit (ζ. B. Gen 8,20; 2 Sam 24,25) steht es in besonderem Zusammenhang mit dem Altarbau, dessen Beziehung zu Gott es als Initiationsopfer herstellt (s. Rolf Rendtorff, Studien zur Geschichte des Opfers im Alten Israel, W M A N T 24, Neukirchen 1967, 86ff). Sofern es vormals auch Sühnezüge trug, trat es diese in jüngerer Zeit an die „Mattat" ab (a.a.O. 88 vor 249; schon Ρ differenziert beide: s. D. Kellermann, ThWAT VI, 105-124, hier 112). Es blieb das entscheidende Tagesopfer (s. z.B. S. Safrai, The Temple, CRI 1/2, 1976, 865-907, hier 887ff; weitere Lit. T H A T II, 281). Erst im Rückblick nach der Zerstörung des 2. Tempels akzentuierte man wieder stärker Sühnemotive (bes. TJon zu Lev 6,2, von Kellermann a.a.O. 121 historisch überinterpretiert). 24 S. die Kommentare z.St., z.B. Wolff, Micha 142-145,152. 25 Ein Sachverhalt, der sein Komplement in der bei Anm. 14 angeführten Sicherung des Tempelaltars selbst gegen fremde Schuld durch einen eigenen Blutritus fand. 26 Vgl. B. Johnson, f>r, T h W A T III, 826-829, hier 827f und Anm. 19 zu 2.1.2.

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h e n p r i e s t e r aussagbar? 2 7 E i n z e l p e r s o n a l e S a l b u n g s a u s s a g e n , die an religiösem R a n g z u m Allerheiligsten (χριστόν) des Tempels vergleichbar machten, drängten zu letzter Idealisierung.28 Z u g l e i c h strahlten die Sakralitätsansprüche d e s T e m p e l s auf s e i n e U m g e b u n g u n d ü b e r h a u p t das j ü d i s c h e T e m p e l - V o l k aus. D i e h e i l i g e S t a d t n a h m d e r V e r f a s s u n g s e n t w u r f der T e m p e l r o l l e in d e n Blick u n d s e t z t e fest, alles, w a s sich in ihr b e f i n d e , h a b e rein z u sein, v o r r a n g i g d e r f ü r Libationen am T e m p e l benötigte29 W e i n und unser Ol, sodann N a h rungsmittel und Getränke jedweder Art ( l l Q T e m p 47,5-7). Sogar auf ihrem Transport in die Stadt müßten diese Waren vor Unreinheit geschützt werden, so daß als Transportmaterial nur die Häute von im Tempel geschlachteten Tieren zu benützen seien (47,11-14). Sicher war dies ein Ideal, das durchzusetzen der Uberlieferungsträger der Tempelrolle, die Gemeinschaft von Qumran, keine Macht hatte, aber es bestand, und ihm verwandte Vorstellungen dürfen im Einfluß nicht zu gering geachtet werden. Denn aus Josephus läßt sich entnehmen, wie weit ausstrahlend Juden selbst beim Ol des täglichen Gebrauchs auf rituelle Reinheit achteten: Laut bell. 2,591 ff par vit. 74 vermochte Josephus' persönlicher Feind Johannes von Gischala sich nicht unerheblich dadurch zu bereichern, daß er Juden in Syrien, die kein durch nichtjüdische Hände gegangenes Ol verwenden 3 0 wollten, überteuert von Galiläa aus mit Ol belieferte. N o c h w e i t e r g i n g e n laut bell. 2 , 1 2 3 die E s s e n e r u n d l e h n t e n g r u n d s ä t z l i c h j e d e s S a l b e n u n d G e s a l b t w e r d e n ( ά λ ε ί φ ε ι ν ) ab, ein V o r g a n g , bei d e m es sich u m e i n e alle S a k r a l o r t s - u n d K u l t u s g r e n z e n s p r e n g e n d e Radikalisierung des ursprünglich nur das heilige Öl betreffenden Verb o t s e i n e r S a l b u n g v o n M e n s c h e n - z u m i n d e s t v o n L a i e n - aus E x 30,32f handeln kann.31 A u f f ä l l i g e r w e i s e traf die A b l e h n u n g der E s s e n e r n a c h J o s e p h u s a u c h d a s „ u n f r e i w i l l i g " e r f o l g e n d e G e s a l b t w e r d e n . D a s läßt ü b e r i m d a m a l i 27

S. die kritischen Linien bes. unter 2.1.1.5 (zu David dort auch Anm. 86) und 2.1.2.3. Vgl. unter 2.1.2.3. 29 Vgl. Anm. 21. 30 vit. 74 bietet in einer v.l. χρίσονται, doch ist dies vom Sachzusammenhang ein itazistischer Hörfehler gegenüber der sich bell. 2,591 allein findenden Hauptlesart χρήσονται. 31 Laut Josephus hielten sie Öl näherhin für κηλις, etwas, dessen Gebrauch schuldhaft beflecke (zur Bedeutungsspanne Liddell-Scott s.v.), womit behaftet zu werden Sündenschuld bedeute (κηλιδοΟσθαι entspricht dem Nifal von DiD: s. Hatch-Redpath, Concordance s.v.). Das Umfeld dafür kann im strengen Reinheitsdenken der Tempelrolle, deren Trägerkreis die Essener nahestehen dürften, sichtbar werden: Das sakrale Assoziationen bergende Öl wurde unrein, Befleckung (n^lion l l Q T e m p 49,12), sobald es in die Umgebung von Unreinem geriet (an der angegebenen Stelle im Totenhaus; vgl. aber auch den obigen Transporthinweis). Das Verhalten der Essener erklärt sich, von da erweiternd, am ehesten aus einer Scheu der Begegnung von für den Kult Reinzuhaltendem mit potentiell Unreinem, wäre damit „Zeichen der Demut" (so Kutsch, Salbung 5 Anm. 31) in sehr präzisem Sinn. 28

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Grundlegung

gen Judentum wie der Umwelt geläufige kosmetische Salbungen hinaus an medizinische Öl- und Salbungsbräuche denken. 32 Ihnen haftete in jüdischen Augen eine gewisse Ambivalenz an, denn selbst die beste pharmazeutische Salbungskunst menschlicher Ärzte (ihr φάρμακα έγχρίειν) blieb menschlich und deshalb mit Versagen behaftet (so Tob S 2,10). Daraus resultierte die Suche nach überbietender, religiös von Gott vermittelter Salbungsmedizin und Heilung (in Tob 6,9;ll,7f mit Erfolg gekrönt). 33 Der zu Joh 9 führende Strang des frühen Christentums sah eine Antwort im Wirken Jesu, verband έπιχρίειν-Terminologie mit seiner Gottes Werke offenbarenden Heilung des Blindgeborenen (9,6.11). In einem Umbruch der Vorstellungsentwicklung der Zeit skizziert das einen ganz und gar theonomen Vorgang. 34 Kehren wir noch einmal zu den Essenern zurück, so führt Josephus, bell. 2,136 als Gegenstand ihrer pharmazeutischen Forschungen, so medizinkundig sie galten, 35 nur Wurzeln und Steine, nicht Öle, Salben und diesen verwandte Mittel auf. Das bestätigt den bisherigen Befund. D i e Frage drängt sich auf: Sollten die Essener ein so starkes Ideal kultischer Durchdringung des Lebens gepflegt haben, daß sie alles, was nur im entferntesten an kultische Belange rühren konnte, für ihre jeder Liberalität des Jerusalemer Tempels mit Distanz begegnende Lebensführung mit Tabus belegten? 32

Von Jes 1,6 bis zum barmherzigen Samariter Lk 10,34 hören wir von heilendem Wundöl. Die ältere Tradition verfolgt Kutsch, Salbung 2ff. Bei Josephus wäre ζ. B. ant. 2,300 heranzuziehen. Malka Hershkovitz, Miniature Ointment Vases from the Second Temple Period, IEJ 36, 1986, 45-51 interpretiert eine ganze Vasengruppe unserer Zeit in Palästina auf medizinische Olbehältnisse. Einen Hinweis zum Fortgang in die rabbinische Zeit gibt Reicke, L' onction des malades 53 mit Anm. 14. Die Belege kosmetischer Salbung stellte schon Weinel, n®n 19 zusammen. Für eine zur Toilette gehörige Salbung seien 2 Chr 28,15; Ruth 3,3 und Jdt 10,3;vgl.l6,10, für eine in hellenistischem Kontext darüber hinaus erfolgende Akzeptanz einer Salbung nach dem Bade Susanna Θ 17 (in den ZusDan) genannt. Für eine herrscherliche Bankettsalbung sehe man Josephus, ant. 19,239. Gegen die Salbung Homosexueller, nicht gegen profane Salbung überhaupt, wendet sich Philo, spec.leg. III 37. 33 Testament Salomos 18,33f, wo durch Gott der Macht Salomos unterworfene (s. 18,3) Dämonen die gegen die von ihnen verursachten Krankheiten wirksamen Öl-Salbungsmedikamente verraten müssen (griechisch - ed. McCown - mit έπαλείφειν; vgl. bei einem anderen Medikament 18,20 έπιχρίειν), geht zur Magie über. Die Hs. L steigert die magischen Züge der XQtetv-Motivik in ihrer Expansion der Unterwerfung des Asmodeus 5,12 noch. Ganz anders bricht die Linie in Apk 3,18 zu Kritik an menschlicher und religiöser Selbstsicherheit um: Der „Engel" der Gemeinde zu Laodizea wird in deren Stellvertretung aufgefordert, von Gott die Salbe zum heilenden Salben (έγχρϊσαι) der religiös verschlossenen Augen zu kaufen. Eine besondere Pointe entsteht gegenüber der Herstellung von Augensalben in Laodizea (s. die Kommentare). 34 Näheres in den Kommentaren (ζ. B. Schnackenburg, Johannesevangelium II 307 und Umgebung), die freilich in der Regel kein Gewicht auf das χρίειν-Motiv legen, da die Grundvorstellung auch aus dem Kontext hervorgeht. 35 Vgl. Michel/Bauernfeind, Josephus I 434 Anm. 57.

Der Realienhintergrund

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Gegenpol und Komplement findet die beobachtete jüdische Scheu im Umgang mit Ol in einer verschiedentlich in unseren Quellen feststellbaren Bemühung, das ganze Volk in abgestufter Weise an der durch einen sakralen Salbungsakt vermittelten Gottnähe teilhaben zu lassen. Vorbereitet wurde diese Linie schon im priesterlichen Gesetz, wenn dieses Lev 14,15.26 - noch in einer Zeit vollzogener Hohepriestersalbung - einen abgeleiteten Salbungsritus für die Wiedereingliederung der durch ihre Krankheit schlechthin Unreinen, der Leprösen, in die Kultgemeinschaft im Falle ihrer Genesung vorsah: Dabei sollte der Priester etwas vom Ol des darzubringenden Opfers nehmen und über die Hand des zu Reinigenden gießen (wieder έπιχεΐν; Π&η/χρίειν ist dagegen vermieden), 36 eine Vorgabe, über deren Realitätsdurchsetzung wir freilich nichts wissen. 37

Erstmals schlug im Gesetzesentwurf der Tempelrolle für ein O l Erstlingsfest, das die Kultgrundlage für den im Volk gesuchten reinen Gebrauch des Ols bieten sollte, eine kollektive Variante der Salbsakralisierungslinie durch ( l l Q T e m p 21,12-23,?): Alle Festteilnehmer - im Ideal alle Söhne Israels - sollten sich in jährlich zu wiederholendem Ritus im Tempel voller Freude vom dargebrachten neuen Ol und den Oliven salben (nun "|1038), korrespondierend dazu, daß deren reiner, entsühnter 39 Gebrauch über ein neues Jahr hin eröffnet sei. Freilich fehlt wiederum jeder Beleg, daß dieses Fest real vollzogen wurde, 40 so daß eher ein Ideal als die Wirklichkeit zum Ausdruck kommt. Doch kann ein Ideal in eigener Weise wirklichkeitsbegründend werden, wenn man es als Grundakt bei der entscheidenden religiösen Konstituierung des Volkes - für Israel also bei der mosaischen Jahweverpflichtung - vollzogen sieht. Das bringt Philo in seiner Auslegung von Ex 24,1-8 im Quaestionenwerk zur Geltung: Schon den Altar, den Mose von Jahwe kommend laut v.4b errichtete, hält er auf das Volk beziehbar (quaest. in Ex. 30). Sodann legt er (a.a.O. 33) den Blutbespren-

56

Vgl. dazu neben den Kommentaren Cothenet, Onction 727f. Mk 1,44 par; Lk 17,14 erwähnen sie bei allem Bezug auf Lev 14 nicht eigens; so sprechen diese Texte eher für einen nur noch aus Vorstellung beim Priester und Opfer bestehenden Vorgang. " Dieses Verb, mit dem sich in der Tradition eher kosmetische Vorstellungen verbanden (s. Weinel a.a.O. 18f), wurde hier aufgewertet. " S. die Sühnemotivik 21,15 - wie solche übrigens auch schon bei der Leprösenreinigung (Lev 14,12f) eine Rolle spielte. 40 Außerhalb der Tempelrolle findet sich kein Hinweis auf das Fest, was der starken Akzentuierung durch Yadin (Tempelrolle 109f) widerspricht. Unwahrscheinlich wird seine zur obigen alternative Erklärung des Salbungsverzichts der Essener: für sie sei Öl unrein gewesen, weil sie „in der Einöde von Qumran" das Jerusalemer Ritual nicht hätten befolgen können (a.a.O. 110 unter Ineinssetzung von Essenern und Qumrangemeinschaft). 37

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Grundlegung

gungsakt der w.6.8 als Salbungsakt aus. 41 Ein Teil des Blutes diente demnach als heiliges Opfer für Gott und ein Teil als heilige Salbung (χρίσμα) anstelle von Öl zur Heiligkeit, vollkommenen Reinheit und spirituellen Erleuchtung des Volkes (ebd.). Sicher bleibt das Volk dabei ein „Mischgefäß" (vgl. Ex 24,6 LXX), sowohl was die individuelle Beschaffenheit als auch was die kollektive Zusammensetzung angeht (a.a.O. 33 und 35). Aber es befindet sich wenigstens in dieser einmaligen Situation in einer Stellung der Gottesnähe jenseits aller Übertretung (entsprechend betont quaest. 32, daß Ex 24,5b nur von Brandund Heils-, nicht von Sündopfern spreche) und kann deshalb das Buch der Setzung „direkt ins Ohr" (vgl. Ex 24,7a LXX) vernehmen (quaest. 34) ,42 So rückt der Text an ein Verständnis des heiligen Volkes als Gesalbten Jahwes im vollen, durch keine Verfehlung distanzierten Sinn heran, ein Sehnsuchtsbild, auf dessen Virulenz in den Jahrhunderten um die Zeitenwende zurückzukommen sein wird. 43 Kehren wir von der Idee zu den Realien zurück, so bleibt wohl nur ein Bereich, in dem ein kultischer oder zumindest halbkultischer Salbungsbrauch jenseits des engeren Tempelkults weitere Verbreitung und Anerkennung fand: die gegen eine letzte Jahweferne der Toten gesetzte Salbung der Gebeine bei der Zweitbestattung. Schriftliche Q u e l l e n g e b e n w e n i g A n s a t z p u n k t e . D e n n o b Ps 109,18 h i e r h e r weist, ist n i c h t sicher, u n d n u r ä t h H e n 25,6 bietet e i n e n e s c h a t o l o g i s c h e n R e flex. 4 4 D e r v o n d e n A u s g r ä b e r n gern b e n u t z t e 4 5 B e l e g S e m 12,9 ist u m J a h r h u n derte jünger.

Die Hauptbeweislast liegt auf dem archäologischen Befund. Demnach war die Sitte in unserer Zeit u. a. bei nahe dem Tempel bestatteten Ubersiedlern aus der Diaspora verbreitet. 46 Ihrem Brauch läßt sich der

41 In für ihn nicht ungewöhnlicher Weise: vgl. die Deutung von Lev 4,6.25 in spec.leg. I 231,233 (mit χρίειν). 42 Eine Übersetzung der Passage aus dem Armenischen bietet Ralph Marcus in der Philoedition der LCL Suppl. II 67-78. 43 S. unter 2.2.3. 44 Zu Ps 109,18 s. die Kommentare (Matthias Krieg, Todesbilder im Alten Testament [...], A T h A N T 73, Zürich 1988, 272ff geht auf unsere Frage nicht ein), zu äthHen 25,6 unter 2.3.2. 45 S. ζ. Β. V. Tzaferis, Jewish Tombs at and near Giv'at ha-Mivtar, Jerusalem, IEJ 20, 1970, 18-32, hier 31. 46 Eric M. Meyers, Jewish Ossuaries: Reburial and Rebirth. Secondary Burials in Their Near Eastern Setting, BibOr 24, Rome 1971, 72ff,89ff ordnete diese Bestattungen (ab dem 1.Jh. n.Chr.) noch einer Gebeineüberführung aus der Diaspora zu. Nach neueren Erkenntnissen begann die Gebeineüberführung von dort aber erst im 3. Jh. n. Chr. (s. Rachel Hachlili/Ann Killebrew, Jewish Funerary Customs During the Second Temple Period, in the Light of the Excavations at the Jericho Necropolis, PEQ 115, 1983, 109-132,

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entscheidende Interpretationsanstoß entnehmen: Noch und gerade im Tod suchte man die Nähe zu Jahwe, lokal zum Tempel und ideell zu dessen Sakralisierungsvorgängen. 47 Interessanterweise mochte man den Vorgang auch einem Gekreuzigten nicht verwehren. Denn im Ossuarfund von Giv'at Hamivtar, der erstmals Gebeine eines solchen zutage brachte, wiesen diese die als Folge einer Gebeinesalbung typischen dunklen Flecken auf. Von einer Fluchabsonderung eines Gekreuzigten kann demnach in diesem Fall postum nicht die Rede sein.48 Für eine Leichnamssalbung wie in den umgebenden Kulturen gibt es dagegen in jüdischen Quellen Palästinas um die Zeitenwende keinen Hinweis. 49 Dieser Befund, der für die Deutung der Grabgeschichten des Neuen Testaments von Bedeutung ist, ist im nächsten Paragraphen weiterzuverfolgen. Eine letzte Zuspitzung erfuhren die jüdisch-sakralen Salbungsvorgänge im Jüdischen Krieg.50 Nach wie vor befanden sich große Mengen kultbestimmter Vorräte - einschließlich für die Libationen bestimmten Weines und für die Ganzopfer bestimmten Öles - im Tempel (impliziert in Josephus, bell. 5,564f),51 als die Verteidigungs- und Versorgungslage der Aufständischen nach menschlichem Ermessen aussichtslos wurde (a.a.O. 562 und Kontext). Johannes von Gischala, der uns schon als Lieferant von Ol an die reinheitsbewußten Juden Syriens bekannte Aufstandsführer (und Widersacher des Josephus), wies in dieser Situation die Verteidiger des Tempels an, sich gemäß einem im Einsatz für das Göttliche/die Gottheit (τό θείον) geltenden Sonderrecht aus dem Tempel zu ernähren (a. a. O. 564). Er verteilte weiter die Kultelemente Wein und Öl, und die Aufständischen „salbten sich mit mehr als

hier 124). Ungefähr gleichzeitig - noch vor dem Einsetzen der rabbinischen Literatur zur Sache - schwand die Ossilegienpraxis (s. Rahmani, Funerary Customs I 175). 47 Die Diskussion zu den jüdischen Grabbräuchen der Zeit ist allerdings nicht abgeschlossen (s. nur die Kritik an Hachlili/Killebrew bei L.Y. Rahmani, Some Remarks on R. Hachlili's and A. Killebrew's Jewish Funerary Customs', PEQ 118, 1986, 96-100). 4β Die entscheidenden Befunddaten zu Ölflecken und Beisetzungsweise - die Gebeine des Gekreuzigten wurden nicht abgesondert, sondern in der Ossuarreihe sogar mit denen eines Kindes zusammengeworfen - bei Haas, Skeletal Remains 59,42. Leider unterblieb, da man unter Zeitdruck stand, eine chemische Analyse der Flecken. Die nachfolgende Diskussion setzte andere Akzente (s. etwa - mit weiterer Lit. - Zias/Sekeles, Crucified Man). 49 In der Forschung in der Regel überspielt (bis Rahmani, Funerary Customs III, 44). 50 Was sich erweiterte, wenn ein auf dessen Münzen dargestellter Gefäßtyp kultische Olgefäße darstellte. Doch ist dies unklar (s. Anm. 240 zu 2.1.1), ebenso übrigens auch der Gefäßtyp auf Münzen des Bar Kochba-Aufstands (s. Meshorer, Coinage II 14Iff). 51 Das Ol vielleicht in einer der Eckkammern des Frauenvorhofs (Mid 2,5; vgl. zur Rekonstruktion Busink, Tempel II bes. 1545 vor 1547f, der aber auf die Ölkammer nicht speziell eingeht).

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Grundlegung

einem Hin" Öl (πλέον τοϋ ΐ ν ήλείφοντο) 52 und tranken vom Wein (565). Für Josephus war dies ein Frevel höchsten Maßes, eine ohne jede Scheu vor den heiligen Elementen (δίχα φρίκης 565) begangene Gottlosigkeit, die noch die Sodoms übertraf (a.a.O. 566). Der Vorgang läßt sich aber auch anders interpretieren. Denn sich aus dem Tempel zu ernähren, war nach Num 18,8ff; Dtn 18,Iff und zeitgenössisch 1 Kor 9,13 Recht der Priester, 55 und der Wein und das Ol galten, wie auch Josephus nicht verschweigt, dem täglichen Opferritual. Letzteres ging in unserem Geschehensmonat Panemus (Juli/August) des Jahres 70 „aus Mangel an Männern" (sei. rituell reinen Priestern 54 ) dem Zusammenbruch entgegen und wurde von Johannes allenfalls wenige Tage später 55 (am 17. des Monats) aufgehoben (bell. 6,94), ohne daß er dies als Entsakralisierung der Stadt hätte gelten lassen. Vielmehr beharrte er gegen Josephus darauf, die Stadt „sei Gottes" (a. a. O. 98), eine Haltung, die in dem Augenblick völlig stringent wird, wenn wir den Vorgang von bell. 5,564f nicht als Profanierungs-, sondern als letzten Sakralisierungsakt verstehen: Die verbliebenen Aufständischen übernahmen zunächst die Rolle der Priester, die sich vom Tempel ernährten. Indem sie sich überdies mit dem Opferöl salbten - Josephus wählt dafür άλείφειν, das im hellenistischen Judentum der Zeit, in der er seine Werke schreibt, die Rolle von χρίειν als Äquivalent zu n&a übernimmt 56 - und den Libationswein zu sich nahmen, bereiteten sie zusätzlich eine Übernahme der Rolle der Opfer vor, denen gleich sie sich Gott gänzlich übereigneten. 57 Als Gott in doppelter Weise - als Priester und Opfer - Gehörende verteidigten sie so Gottes Stadt. In ihren Augen erfuhr diese im verbliebenen Tempelbereich um das Allerheiligste eine letzte Verdichtung der Salbungssakralisierung, bevor sie unterging. 2.1.3.2 Der pagane

Kontext

Überaus plastisch zeigt sich in unserem Bereich die Einbettung Palästinas in den antiken Gesamtkulturraum um das Mittelmeer. Denn als 52 Text mit Michel/Bauernfeind, Josephus II/l, 200. Die Hss.-Varianten betreffen nicht die Salbungsaussage, die lat. mit dem Äquivalent ungere wiedergegeben wird. 53 Vgl. - mit je eigenen Akzenten - Michel/Bauernfeind a.a.O. 274 Anm. 218 und Schwier am Anm. 234 zu 2.1.1 a . 0 . 1 5 9 (Anm. 12). 54 S. a.a.O. II/2, 164 Anm. 28. 55 Nach bell. 5,567 müssen sich auch die Vorgänge von 5,562-565 im Panemus abgespielt haben. " Was etwa der Fortgang der Bibelübersetzung zu Aquila dokumentiert (s. HatchRedpath, Concordance 52). 57 Letzteren Akzent betonte Kallander, Defense 149. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Ölmengenangabe „mehr als ein Hin" (in den Haupthss.): mehr als das Doppelte der für das größte Tieropfer vorgesehenen Menge (vgl. o. Anm. 21).

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Übergießungen - gegebenenfalls Einreibungen - vorgestellte Salbungen lassen sich in kultischen Zusammenhängen und Ausstrahlungsbereichen von vorchristlicher Zeit bis zur Durchsetzung des Christentums als Staatsreligion von Ägypten bis Rom gewichtig nachweisen. Freilich teilte die pagane Umgebung nicht Israels strengen Monotheismus mit seiner Jerusalemer, durch den Tempel von Leontopolis wenig tangierten 58 Kultzentrierung und seiner Bildlosigkeit, so daß das Zentrum ihrer sakralen Salbungen nicht ein singuläres Allerheiligstes darstellte, sondern die Vielzahl der Götterbilder und heiligen Stätten. Am weitesten, nämlich in die Pyramidenzeit, zurückverfolgen läßt sich diese Tradition in Ägypten: Uberzeugt, daß die Götter ohne Salben so wenig leben könnten wie ohne Kleidung und Opferkuchen (Pyramidenspruch 465), brachte man ihnen dort schon damals Ölopfer dar, um ihre Stirn zum Erglänzen zu bringen, sie in ihrem göttlichen Lebensbereich liebenswert zu machen (Spruch 301). 59 In der Folgezeit entwikkelte sich daraus neben einem Fortgang der Opfer 60 das Kultbildritual in den Tempeln, das bis in die griechisch-römische Zeit ungebrochen mit aufwendigen Salbungsvorgängen verbunden blieb.61 So entstanden an den großen Tempeln eigene Salbenkammern, die sich in der ptolemäischen Zeit zu „Laboratorien" (in Edfu und Dendera) weiterentwikkelten. 62 Querlinien reichen zu dem gleichfalls seit ältester Zeit als Belebungsvorgang des Gottesbildes - wie der T o t e n - u. a. unter Einbezug von Salbungsvorgängen entwickelten Mundöffnungsritual, das jedenfalls in Edfu IV auch „als Teil der Tempelweihe" verwendet wurde," schließlich in einer Verschmelzform von Statuen- und Leichenbelebungsritual erst in der römischen Zeit ausklang. 64 58

Vgl. o. unter 2.1.2.3. ' Texte übersetzt und kommentiert bei Sethe, Pyramidentexte IV 145ff und II 233-246. 60 Wofür uns wenigstens von Ramses III. eine Aufstellung überkommen ist. Demnach bedurfte es für das Opfer am Amun-Re-Tempel in einem Jahr 34 Gefäße Öles (E.A. Wallis Budge, Osiris and the Egyptian Resurrection I, London 1911, 254f; dort 261 ergänzend die Abbildung einer Salbendarbringung aus Abydos). " S. ο. Anm. 3 mit der dort angegebenen Lit. " S. Dieter Arnold, Wandrelief und Raumfunktion in ägyptischen Tempeln des Neuen Reiches, MASt 2, Berlin 1962, 78-82. Gemäß der ägyptischen Eigenart, kultische Vorgänge zusätzlich zum Vollzug darzustellen, finden sich im Neuen Reich Salbungsdarstellungen zudem in den Kultbildkammern (a.a.O. 8f). Auf gleiche Weise läßt sich das Darbringen von Salben in den Opfertischsälen jedenfalls bis zum Taharqas-Tempel in Kawa verfolgen (a.a.O. 42-56, bes.42,56). Was die ptolemäische Zeit angeht, ist bes. der Befund für Edfu umfangreich behandelt: s. Maurice Alliot, Le culte d'Horus ä Edfou au temps des Ptolemees, 2 fasc., BEt 20/1-2, Le Caire 1949/1954, 91 (Salbungsvorgänge beim täglichen Kultbildritual),166f (beim Festritual; man ergänze dazu 364,537). 63 S. Eberhard Otto, Das ägyptische Mundöffnungsritual II Kommentar, ÄA 3, Wiesbaden 1960, 32 (vor der Behandlung der Salbungsvorgänge in der Ritualtradition a.a.O. 120-126) und passim; das Statuenmundöffnungsritual ist uns dabei nur mittelbar überlies

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Der Stellung im Kultritual nach kam der Salbung nach der in der Regel mit Wasser vollzogenen Lustration eine Schlüsselfunktion in der täglichen Neusakralisierung und Wiederbelebung des Kultbilds zu, folgte sie ab dem Neuen Reich auf Reinigung und Bekleidung als vorletzter Akt vor der Schmückung der Götterstatue. 65 Analog nahm sie im privatreligiösen Bereich eine zentrale Rolle beim Sakralisierungsakt, der τελετή, von Hausgöttern u.ä. ein. So sieht der griechisch-ägyptische P. gr. 121 des Britischen Museums (geschrieben im 3. Jh. n.Chr.") für eine Beschwörung der Selene (Mondgöttin) die Anfertigung und Salbungsweihe eines Bildes dieser Göttin vor (PGrM VII 862-875): Aus einer Lehm-Schwefel-Ziegenblutmischung verfertigt, sollte es in einen Tempel aus Olbaumholz (870) gestellt und nach der Vorweihe mit Mondsalbe gesalbt und bekränzt werden (χρίση δέ αϋτήν και τφ σεληνιακφ χρίσματι κτλ. 873f).

Einen solchen Vorgang spiegelt kurz vor der Zeitenwende 67 auch die polemisch abwertende Skizze paganer Götterbildherstellung in Weish 13,10-16. Sie kritisiert Holzschnitzwerk, das einem menschlichen Bilde oder armseligen Tiere ähnlich geformt, darauf mit Mennige eingeschmiert/gesalbt (καταχρίειν ν. 14) und an seiner ganzen Haut rot geschminkt werde. Der Salbung dient, der Antike nicht ungeläufig,' 8 Mennige. Für jüdische Augen überschmiert sie die in dem Bildwerk befindliche, ihm anhaftende schuldhafte Befleckung" (weiter καταχρίειν ν. 14). Die folgende Polemik zeigt das Ziel, das unser Vorgang für pagane Augen hatte: das Götterbild wirkkräftig, ihm die Lebenskraft inhärent zu machen, aus der heraus es Gebete erhören, Leben und Hilfe vermitteln könne (13,17-14,1; vgl. den Fortgang zum H i l f s - / Dienstmotiv bei der angeführten Selene-Bildung PGrM VII 880-885ff).

fert (a.a.O. 2). - Inzwischen sind auch wichtige Ausschnitte aus dem Neujahrsritual von Edfu deutsch zugänglich: s. Jean Claude Goyon, Das ptolemäische Ägypten: Priester und traditionelle Religion, in: Kleopatra. Ägypten um die Zeitenwende, München 1989 (Ausstellungskatalog der Hypo-Kulturstiftung), 33-44, hier 39ff. 64 S. Goyon, Rituels 91,94f; dort Ubersetzung des Textes zur Salbungsszene 148-152. 65 Erste Hinweise bei Brigitte Altenmüller-Kesting, Reinigungsriten im Ägyptischen Kult, Diss. Hamburg 1968 (Diss.-Druck), 217f nach 189ff (und passim). 66 S. Preisendanz' Einleitung zum Papyrus PGrM Bd.II S.l; bei Mayer, Öl 38 ist er noch nach der Erstedition angeführt. 67 Zur Datierung Dieter Georgi, JSHRZ III 4, 1980, 396. 68 Nach Plinius mai., nat.hist. 33,11 lf diente Mennige („minium") so in älterer römischer Zeit dem Bestreichen („inlinere") Jupiters und stand im 1. Jh. n. Chr. jedenfalls noch bei den Äthiopen für die Anführersalbung (hier „tingere") und Götterbildkolorierung in Gebrauch. Vgl. noch die Zinnober-Variante u. Anm. 80, an Lit. Joseph Reider, The Book of Wisdom [...], JAL, New York 1957, 165. " κηλίς (dazu vgl. Anm. 31); die Übersetzung Georgis a.a.O. 450 entschärft.

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Daß neuerdings eine Ansiedlung der Weish im Mittelmeerraum jenseits Ägyptens erwogen wird,70 erweitert den Blickwinkel. Kaum weniger alt und ausgeprägt als in Ägypten stellen sich nämlich die sakralen Salbungstraditionen im assyrisch-babylonischen Zweistromland dar.71 Auch im griechischen Raum war schon die älteste Dichtung (Homer) überzeugt, daß die Götter sich salbten (χρίειν), näherhin έλαίω άμβρότφ (mit unsterblichem Öl: Od. 8,364f). 72 Wohl noch archaisch begann örtlich die Praxis, „Zeichen" der Götter zu salben, wahrscheinlich aus dem doppelten Bemühen, sie als „Götter" am menschlichen Kultort durch Glanz und Farbe hervorzuheben und sie wie am Olymp der „Ambrosia" teilhaftig werden zu lassen.73 Später geschah die Salbung bevorzugt in der Weise einer Übergießung mit Ol so, daß das feuchte Ol ständig vom geflochtenen Haar der Statue herabrann (s. [Pseudo-]Homer, hymn. 24 [an Hestia],3). 74 Bis zum 3.Jh. v.Chr. setzten sich teilweise gemischte Salben (χρίματα μεικτά) durch, die in einer Kombination von μύρα und άλαβάστροι beigebracht werden konnten (impliziert in Kallimachos, lav.Pall. 13-16 75 ). Aber etwa die Schmückung des Athene-Bildes in Argos griff nach dem Vorbild der Selbstsalbung Athenes weiterhin auf das Ol des der Athene heiligen Ölbaums 76 zurück ( a . a . O . 23-32, χρίειν-χρίμα-Motive umkreisend). Gemeinmittelmeerisch ist der Salbakt mit einer Lustration verbunden, ohne darin auf-

70

S. Georgi a.a.O. 395f. Die wichtigsten Fakten stellte schon Meißner, Babylonien I 243 (Salbung der Tempel und speziell der Adyta[!], der Götterbilder etc.), II 58 und 64 (Hinweise auf das Amt eines Salbpriesters), 188f (Salbung im Adapa-Mythos), vgl. 275ff (Ol in der Wahrsagekunst) jeweils mit Quellenangaben zusammen. Kutsch, Salbung 69f diskutiert ergänzend die von Nabonid (6.Jh. v.Chr.) bei seinen Tempelrestaurierungen gepflogene Salbung der Tempelgründungsurkunden in Verbindung mit einem Opfer; gegen ihn ist darin weniger eine Vorgängerehrung als Suche nach Sakralkontinuität des Bauwerks zu sehen. 72 Vgl. mit άλείφειν II. 14,171f. 73 Schlüsseltext ist das Autokleides-Fragment bei Athenaeus, deipnosoph. XI 473c, das eine altertümliche Bestimmung über die Errichtung von „Semeia" des Zeus Ktesios enthält: Man solle ein (figural vorgestelltes) Kadiskos-Gefäß an den „Ohren" mit weißer Wolle bekränzen - von der rechten Schulter und dem safrangefärbten Gesicht aus - und hineingeben, was man fände, gipfelnd in einem Hineingießen von Ambrosia (έσχέαι άμβροσίαν), die vertreten werde durch Wasser, Öl und Allfrucht. Nur eine genauere Kultgeschichte könnte den Entwicklungsgang von diesem äußeren Färben und inneren Hineingießen in das Gott-Gefäß zum salbenden Ubergießen des nicht mehr gefäßartigen, sondern statualen Götterbildes nachzeichnen. - Anzumerken ist, daß Athenaeus den Kadiskos a. a. O. 473b immer noch als Gefäß kennt, in dem man die Zeus Ktesios-Bilder sitzen lasse. Zur Interpretation vgl. Alois Tresp, Die Fragmente der griechischen Kultschriftsteller, R W 15.1, Gießen 1914, 45-47. 74 Gut kommentiert bei Allen/Halliday/Sikes, Homeric Hymns 419. 75 άλαβάστρως 15 ist dorischer Akk. plur. 74 Einen schönen Beleg bietet das Epigramm auf den Tempel mit dem heiligen Olbaum inLindos A G r X V l l , 9 f . 71

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zugehen: Der Schwerpunkt der Reinigung liegt auch griechisch in Wassermotiven, hier konkret einem Meerbad (s. bes. 6 innerhalb 1-12).

Hinter dem Ritus steht eine intensive Segensvorstellung. Kallimachos besingt sie, das sich von den Haaren der Gottheit ergießende Öl vor Augen, in seinem Apollohymnus (Ap. 38-41) als Herabträufeln eines Allheilmittels, das, wohin es falle, Gesundheit und Lebenskraft verleihe/ 7 Die Brücke über die Zeitenwende schlagen die Reisebeschreibungen des Pausanias. Demnach wußte die sikyonische Sage zu berichten, Athene habe die Annahme des ihr errichteten Tempels in dieser Kunststadt nahe Korinth dadurch angezeigt, daß sie vor dem Tempel Öl fließen ließ (II 6,3), gleichsam in einer sichtbaren Dokumentierung der Segensausstrahlung des Heiligtums also. In Olympia, dessen heiliger Hain schon aus wilden Ölbäumen bestand, 78 war um das berühmte Zeuskultbild des Phidias - das zusätzlich einen Kranz in der Form von Ölzweigen trug (V 11,1) - geradezu eine Schranke errichtet, um das über das Kultbild ausgegossene Öl aufzufangen (a.a.O. 11,10).79 Pausanias führt diesen Vorgang zwar rationalistisch auf eine Standbildpflege zurück, aber das spiegelt nur die Spannung seiner Zeit zwischen Rationalismus und Irrationalismus. An deren irrationalistische Strömung knüpft Artemidor von Daldis in seinem Traumdeutungswerk an. Schaue man, schreibt er onir. II 33, daß man Götterbilder abwische, salbe (άλείφειν) etc., so zeige dies, daß man gegen jene Götter gefrevelt habe und diesen Frevel nun aufheben müsse. 80 Salbungsschau bedeutet die Notwendigkeit einer Neusakralisierung und Neukonstituierung der Segenssphäre der Gottheit.

In der Spätantike tritt die Vorgangsvariante der Einreibung (τρίβειν) des Kultbilds mit einer kunstvollen Salbenmischung bei der Konsekration gelegentlich stärker hervor. 81 Aber der dominante Vollzugsritus bleibt das Übergießen (καταχεΐν), materialmäßig offen mit μυρον, wie Proklos (5. Jh.) in remp. comm. V 1 schreibt: So werde an den heilig77 Vgl. seine Anrufung der Chariten I fr.7, seine Elegien an der Gnade des von ihren Locken herabströmenden Salböls (άλειφα) teilhaben zu lassen, indem sie ihre durch das herablaufende Ol fettglänzend gewordenen Hände an ihnen abwischten. 78 S. Walter Hatto Groß, Öl, Ölbaum, KP IV, 244-246, hier 245f (Lit. und weitere Hinweise auf die griechisch religiöse Gewichtung des Öls und Ölbaumholzes). n Ist das noch ein Überbleibsel der Gottgefäßtradition, auf die für den Zeus Ktesios in Anm. 73 hinzuweisen war? 80 Vgl. noch Pausanias VIII 39,6 (Salbung - έπαλείφειν - der Dionysos-Statue in Phigalia; falls das Salbmaterial nicht in eine Textlacuna fällt, war es der fremdländische Zinnober). 81 S. die bei Euseb, praep.ev. V 11 und 12 zitierten Fragmente des Porphyrios und vgl. dazu Mayer, Öl 40ff (weitere Belege) und Hock, Weihegebräuche 66f. Zur älteren Geschichte der Tradition vgl. die Hinweise in Anm. 68.

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sten Heiligtümern 82 als angemessene Art der Ehrung von Göttern gehandelt. 83 Relativ zögernd scheint der Brauch der Götterbildsalbung in den lateinischen Westen vorgedrungen zu sein. 84 Eine Einflußsphäre war griechisch: Cicero nimmt im ehedem griechischen Segesta den Prozessionsbrauch wahr, Diana beim Tragen aus der Stadt bis zu den Gebietsgrenzen zu salben („unguere unguentis"), zu bekränzen und mit Räucherdüften zu umgeben (Verr. IV 77). Der Prozessionscharakter verrät wieder ein Segensinteresse. Bis zu den Grenzen des Gebiets soll die Wirkung der Göttin fruchtbringend ausstrahlen, und dies auch auf die Frauen und Jungfrauen Segestas; denn sie schreiten die Prozession. 8 5

Eine weitere Wurzel könnten ägyptische Ausstrahlungen bilden, sofern kein Zufall ist, daß Minucius Felix (um 200 n.Chr.) seinen Octavius gerade vor einem Serapisbild in Ostia (Oct. II 3f) darlegen läßt, wie ungut es sei, „Steine" im Verehrungskuß zu berühren, selbst wenn diese kultisch zu einem Standbild geformt, gesalbt („unctos") und bekränzt 86 seien (III 1). Freilich ist der Brauch römisch bis dahin längst eingebürgert. Schon frühaugusteisch greift Tibull II 2,7-10 in einem Geburtstagsglückwunsch das Segensmotiv des von den Schläfen der Gottheit - hier des Genius des Beglückwünschten - herabtropfenden Ols - hier des kostbaren „nardum" (7) - auf, um dem Beglückwünschten die Gewährung all seiner Wünsche zu verheißen (10). Eine kultische Primärbeschreibung ist sodann bei den Riten der Fratres Arvales erhalten: Diese vor82

Nach wie vor nicht überall: vgl. schon Pausanias V 11,11. Proklos kommentiert hier (p.42 ed. Kroll) die schwierige Stelle aus Piatos polit. 3,398A, auf die in Anm. 77 zu 2.1.1 einzugehen war. Bemerkenswert ist, wie sich die Schätzung des Myron als etwas, das Göttliches heilige, bei (Pseudo-)Dionys Areopagita, eccl.hierarch. IV 10 (PG 3,481C-484B) in die kirchliche Reflexion überträgt, um dort für Christus, seine Heiligkeit und Heiligung aller salbkonsekrierenden Vorgänge der Kirche zu stehen. 84 Leider steht hier, soweit ich sehen kann, eine Vertiefung der Ursprungsforschung über die Hinweise bei Hug, Salben, PRE II/l, 1920, 1851-1866, hier 1857f und A.S. Pease, Oleum, PRE XVII, 1937, 2454-2474, hier 2467 (je Lit.) hinaus noch aus. Die von Plinius d.A. berichtete, zu seiner Zeit nicht mehr übliche altrömische Praxis, das Antlitz des Jupiterbildes an Festtagen mit Mennige einzuschmieren (s.o. Anm. 68), dürfte einen vorbereitenden Brauch darstellen. 85 In älterer Lit. (so Mayer a. a. O. 44 Anm. 3) findet sich unser Text in der abweichenden Zählung IV 35. Ein anderes eigenwilliges Beispiel griechischer Traditionsrezeption unter Suche nach göttlichem Beistand führt nach Rom, die Inschrift IG 14,978, die in den entscheidenden Zeilen 6f vom Lateinischen ins Griechische übergeht: Έρμη δ' έπ' αλειφα χε[ύ]σομαι φυλαττομένωι δώμα τόδ' Άττιαδών . 86 Wieder begegnet hier das religiöse Kranzmotiv, das von Baus, Kranz (passim, zu unserer Stelle 20) gut erschlossen ist. 83

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n e h m e a l t r ö m i s c h e B r u d e r s c h a f t , die n a c h ihrer R e s t a u r a t i o n d u r c h A u g u s t u s die K a i s e r z u i h r e n M i t g l i e d e r n zählt, 8 7 p f l e g t ihren ü b e r k o m m e n e n A k t e n der Jahre 2 1 8 / 2 1 9 n . C h r . n a c h je a m z w e i t e n T a g ihres Festes die K u l t b i l d e r d e r D e a D i a z u s a l b e n („unguentare": A c t a f r . A r val., ed. H e n z e n p . 2 6 ) . Interessant trennt der Text (p.26f) Salbung und Bekränzung: Nach der Salbung werden die Göttinnen eingeschlossen und nehmen die Priester eine lange Anrufung vor. Danach erst erhält die Öffentlichkeit wieder Zugang zu den „Deae" und erfolgt die öffentliche Bekränzung. Es liegt nahe, Querlinien zur beschriebenen ägyptischen Abfolge von Salbung und Schmückung des Götterbildes zu ziehen und in ersterer den numinos verstärkten Hauptakt zur göttlichen Belebung des Standbilds zu erblicken. 88 Schließlich findet der Brauch der Göttersalbung auch im W e s t e n 8 9 erst mit d e m A u s k l a n g d e r p a g a n e n K u l t u r s e i n E n d e . N o c h i m s p ä t e n 4. Jh. m u ß P r u d e n t i u s g e g e n S y m m a c h u s auf d a s Bild v o n Laren B e z u g n e h m e n , d i e f e u c h t s e i e n v o n S a l b ö l ( „ u n g u e n t o umescere": c. S y m m . I 204). Für den Osten weiß Julian Apostata sogar von einem Bischof - dem später renegaten Pegasius von Uion (Troja) - zu berichten, der ihn zu einem gesalbten heidnischen Kultbild, näherhin zum λιπαρώς άληλιμμενην [...] εικόνα Hektors in dessen Heroon, geführt habe (ep.79 Bidez, 19 Wright). 90 Bis zum letzten mir bekannt gewordenen Beleg, der Waschung und Neusalbung eines Hausgötzen nach einer muslimischen Verunreinigung in Medina, 91 vergehen noch einmal über zwei Jahrhunderte. S o h a n d e l t es sich h i e r u m ein s e h r l e b e n d i g e s B e z u g s f e l d d e r V o r s t e l l u n g s e n t w i c k l u n g n i c h t n u r im a n t i k e n J u d e n t u m , 9 2 s o n d e r n e b e n s o im a l t k i r c h l i c h e n C h r i s t e n t u m . 87

S. Werner Eisenhut, Arvales fratres, KP I, 629-631, hier 629. Vgl. die Deutung bei Mayer, a.a.O. 44f Anm. 3 nach der Kommentierung durch Guil. Henzen, Acta fratrum Arvalium quae supersunt, Berlin 1874, 11 (Textrekonstitution noch im Sinne einer zusätzlichen Vor-Salbung am Vorabend des Festes), 14, für die Textgrundlage auch CIL 6,2104. Dem gegenwärtigen Forschungsstand nach (s. Eckart O p hausen, „Über die römischen Ackerbrüder". Geschichte eines Kultes, ANRW II 16.1, 1978, 820-832) gehen zumindest einzelne Elemente des Bruderschaftskultes auf sehr alte Zeit (6./5. Jh. v.Chr.) zurück, doch das Alter der Salbungstradition der Dea Dia speziell ist unbekannt. 89 Wo man übrigens als Variante auch eine Wachseinreibung kannte: s. Hock, Weihegebräuche 52. 90 Julian erweckt a.a.O. den Eindruck, Pegasius, den er später zum (heidnischen) Priester ernannte, sei bereits damals renagat gewesen. A.H. Armstrong, The Way and the Ways: Religious Tolerance and Intolerance in the Fourth Century A.D., in: „To See Ourselves as Others See Us". Christian, Jews, „Others" in Late Antiquity, ed. J. Neusner/E.S. Frerichs, Chico, Cal. 1985, 357-372, hier 370f sucht dagegen ein differenzierteres Bild. 91 S. S. Eitrem, Opferritus und Voropfer der Griechen und Römer, SVSK.HF 1914,1, Kristiana 1915, 82f. 92 Man denke, um ein Detail zu benennen, an die Querlinie, die die Segensvorstellung 88

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Zudem wäre falsch, unseren Vorgang auf bildlich gestaltete Kultobjekte beschränkt zu sehen. Sakrale Salbungen lassen sich seit altgriechischer Zeit ebenso für natürliche Kultobjekte, namentlich Bäume 93 und Steine - am berühmtesten den täglich neu mit Ol übergossenen Stein von Delphi, in hellenistisch-römischer Zeit aber auch Kreuzwegsteine etc. 94 - nachweisen. 95 U . a . sucht man im kaiserzeitlichen Italien Grenzsteinen („terminis") den autoritativen Charakter eines Gottes zu geben, indem man sie salbt („unguento"), verhüllt und bekränzt (Siculus Flaccus, cond.agr. p. 141,6 ed. Lachmann = Gromatici Lat. 1, 105,5ff), 96 dadurch als wirksame Götterbilder des Terminus gestaltet. Anderweitig verdichtet sich die Steinvergottung im 2.Jh. n.Chr. mantisch bis zur vollen Belebungsvorstellung, ein willkommenes Objekt für den Spott Lukians. Denn - so meint sein M o m o s deor.conc. 12 - jetzt sei es aus mit dem Ruhme des bisherigen Orakelhauptgottes Apoll, könne doch bereits jeder Stein (wie Altar) dessen Rolle übernehmen, wenn er nur mit Ol übergössen sei (έλαίφ περιχυθη), Kränze trage und über einen Zauberer verfüge. 97

Allerdings bleibt eine Verdichtung auf einen einzigen Begriff aus. Wir stoßen in unserem Bereich sehr wohl auf immer wiederkehrende Wortfelder - χρίειν κτλ., άλείφειν κτλ., ελαιον, μυρον, νάρδον καταχεΐν

des vom Haupt herabrinnenden Ols zur segnenden Jahwerepräsentanz Aarons in Ps 133,2f (s.o. unter 2.1.2.2) herstellt. " S. Hock a.a.O. 18 vor 18ff und Mayer, Öl 35f (Lit.), als Beispiel mit Narde Theokrit, eid. 18,45f, als späten Reflex der Tradition mit χρίειν Nonnos, dion. 44,276 (5. Jh. n.Chr. ). 94 S. zum Stein von Delphi Pausanias X 24,6, für den Aberglauben der hellenistischen und Kaiserzeit je kritisch Theophrast, char. 16,5 (Olübergießung und Proskynese bei Kreuzwegsteinen), Lukian, Alex. 30 (Schutz-, Hilfsgebet beim gesalbten oder bekränzten Stein) und noch Arnobius, adv.nat. I 39 (Gebet beim ölfeuchten Stein, als wohne diesem besondere Kraft inne). Leicht ließen sich die genannten Belege ergänzen (s. z.B. Apuleius, apol. 56 - wonach es sogar auffällig ist, wenn einmal auf einem Besitztum ein „lapis unctus" fehlt - und Anakreontea 32,11 - eine Kritik an der gleichfalls geläufigen Salbung des Grab-Steins - sowie die Hinweise bei J.G. Frazer, Pausanias's Description of Greece [...] V, New York 1965, 354 und Hock, Weihegebräuche 35f). Ihr in den Klammern bezeichneter Duktus zielt wieder eindeutig über eine begrenzte Reinigung und Abwehr böser Geister hinaus - wozu beim Stein von Delphi offenbar eine an jedem Festtag erneuerte und zugleich auch ihrerseits weihende Umwicklung mit roher Wolle diente (s. Hock a. a. O. 34) - und bestätigt so den Zusammenhang von Salbung, Sakralisierung und Suche nach göttlicher Gunst (Mayer a.a.O. 36f entschärft dies zu Unrecht; auch bei ihr übrigens weitere Belege). Ob man religionsgeschichtliche Quer- oder genauer Rücklinien zur bis ins Alte Testament hineinragenden Massebensalbung ziehen kann (vgl. o. am Anfang von 2.1.3.1), mag offenbleiben. 95 Für Weiteres s. Mayer a. a. O. 36. " Wieweit der Brauch zurückreicht, ist schwer zu sagen: Ist seine Praxis schon in der Terminus-Verehrung Tibulls (I 1,11) und Ovids (fast. II 641-644) vorausgesetzt? Ältere Lit. bei Baus, Kranz 31 Anm. 198,200. 97 Mayer a. a. O. 36f verzerrt leider die Interpretation der Stelle, die grammatisch eindeutig den Stein (bzw. Altar) als Orakelsubjekt setzt.

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(oder andere Derivate von χεΐν), lat. ung(u)ere etc. - , aber nicht auf eine herausragende Bevorzugung des uns besonders interessierenden χρίειν und schon gar nicht auf eine Bezeichnung eines der gesalbten Kultobjekte nominal als χριστός/χριστόν. Die Allerheiligsten-Bezeichnung „Gesalbtes" und die Personalbezeichnung „Gesalbter (Gottes)" bleiben so jüdisches und christliches Proprium, heben diese Religionen unverwechselbar und eigenständig von den paganen Religionen ab. Aber zugleich tritt ihr Gebrauch in der uns interessierenden Zeit ins Wechselspiel mit einem blühenden Erlebensfeld. Dessen Verzweigung ist nun noch zu verfolgen: Geweihte Stätten wurden immer wieder mit einer χρΐσις überzogen, bei der sich ohne weitere Forschungen nicht entscheiden läßt, ob es sich nur um einen religiös bedeutungslosen Verputz handelt, oder ob sakrale Dimensionen - von der Hervorhebung der Heiligkeitsausstrahlung am Bauwerk bis zur Abwehr gefährdender Dämonen - mitschwingen. 98 Sicher nur in das weitere Feld unserer Thematik gehört aber, daß wir in der hellenistischen Götterverehrung als Variante zur beschriebenen Jerusalemer Leuchtertradition weit verbreitet Ollampen finden, gern als Art ewiges Licht für die Göttergegenwart, 99 spätantik immer wieder auch als erst bei der Suche nach Gottesbegegnung zu entzündende und so diese Gegenwart gewissermaßen auslösende Leuchten. 100

98 Louis Robert/Jeanne Robert, La Carie [...] II, Paris 1954, die einzige mir bekannt gewordene Lit., führen 281-283,363f mit dem Verb χρίειν bzw. dem Nomen χρΐσις / χρεΐσις Weihinschriften aus dem karischen Apollonia (bei ihnen Nr. 162) und Kidrama (bei ihnen Nr.185), dazu die Inschriften SEG 4,268.270 und BCH 1891, 209, n.151 aus dem Heiligtum von Panamara an. Gestützt auf die profane Erwähnung von „chreismata" in der Inschrift IG 14, 742 aus Neapel, deuten sie in allen Fällen auf einen Verputzungsvorgang ohne sakralen Bezug. Doch spricht manches dafür, zu differenzieren: Die Weihinschrift aus Kidrama nennt die Chrisis erst nach der Schmückung des geweihten Bauvorsprungs, so daß die Reihenfolge κόσμος και χρεισις (και γραφαί) entsteht (s. die Wiedergabe der Inschrift a.a.O. 363 Z.4), und die Inschriften aus Panamara sind ausgeprägt priesterlich orientiert, schildern entweder direkt priesterliches Tun oder doch priesterliche Aufträge (z.B. BCH 1891, 209, n.151 von Priestern: τον της "Ηρας ναόν χρίσαντες και πλάσαντες). Der priesterliche Bezug könnte darauf hinweisen, daß Baupflege im Sakralbereich das Vermitteln von sakraler Ausstrahlung mit beinhaltete. Man beachte ergänzend, daß bei den Lebensriten von Geburt und Hochzeit - wie im folgenden herauszustellen sein wird - gleichfalls bauliche Bestreichungen vorgenommen wurden, die apotropäische Akzente trugen; sollte auch bei der Sakralbaupflege daher eine Dämonenabwehr mit im Blick sein? " Belege bei Pease am Anm. 84 a.O. 2467 (Lit.). Gemäß der religiösen Durchdringung des Polislebens konnte sich ein solches „schlafloses" Licht auch im Prytaneion befinden (Theokrit, eid. 21,36). 100 Zwei Schwerpunkte scheint diese Praxis gehabt zu haben: das Orakel (s. Pausanias VII 22,3) und die magische Gottbezwingung (s. PGrM XIII 10f,126). Eine Reihe weiterer demotischer Belege findet sich in F.W. Griffith, The Demotic Magical Papyrus of Lon-

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Begeben wir uns zum Altar als zentraler öffentlicher Ritualstätte, so scheint seine weihende Salbung oder zumindest Olreinigung hellenistisch-spätantik örtlich lebendiger geblieben zu sein als in Jerusalem.101 Gewichtiger waren aber auch hellenistisch Ol- und Salbungsmotive beim Kultvollzug. Die Ölspende war so geläufig, daß sich dafür ein eigenes, nur sekundär vielseitiger verwendetes Gefäß ausbildete, das Loibeion (s. Pollux X 65) bzw. Loibasion (s. Athenaeus, deipnosoph. XI 486a), dem Stamm λειβ- nach ein Gußgefäß. 102

Für die verschiedenartigsten Opfer von den Pankarpiai über Mischbis zu Tieropfern wurde Öl benötigt. 103 In Delos - w o Abrechnungen des Jahres 180 v.Chr. erhalten geblieben sind wurde es als monatlicher Ausgabenposten geführt. 104 In einer Rechnungsangabe für das Ende des 4. Jh. v.Chr. erscheint ein zum Opferbesorgen (εις ιεροπόιον) benötigtes Ö l - M a ß (χοϋς), 105 das in seiner Ableitung von χέω näherhin an Opferbegießungen denken läßt.

Nun ist freilich gerade dieser Bereich noch unzureichend dokumentiert und müssen wir mit erheblichen örtlichen Differenzen - einschließlich Varianten innerhalb des Rahmens der Ölmotivik 106 - rechnen. Immerhin berichtet Athenaeus (a.a.O.) genauer, daß das Loibasion hellenistisch (vor seiner Zeit, dem 2./3.Jh. n.Chr.) speziell dazu diente, den Göttern völlig Geweihtes mit Öl zu übergießen (τό ελαιον έπισπένδειν τοις ίεροϊς ). Bei Aischylos findet sich vorab die dichteste Vorstellung, die zum Himmel strebende Flamme eines idealen Brandopfers - in der dramatischen Fiktion des Freudenopfers über die Erobedon and Leiden, London 1904, repr. Mailand 1976, Kol. V,VI-VII,VIII 1-12 usw. (s. das Register a.a.O. 14). 101 Nach vorchristlichen Belegen für Athen (IG. Inscr. Atticae I 659,24f (3. Jh. v.Chr., mit περιαλείφειν) und Sunion (s. Mayer a.a.O. 48) gehört hierher jedenfalls der Randhinweis in der o. zitierten Lukianstelle (deor. conc. 12). Für Weiteres vgl. L. Ziehen, Altar I, RAC I, 310-329, hier 323ff; eine Vorgangsvariante scheint die Ausstattung/Bestreuung des Altars mit Olivenzweigen und -blättern gebildet zu haben (s. Mayer a. a. O. 23 Anm. 9). Interessanterweise erfährt die weihende Altarsalbung entweder eine Fortführung oder eine Neuaufnahme im Christentum, im Osten ab dem 4. Jh., im Westen später: s. Th. Klauser, Altar II Β 6-8, RAC I, 347-354, hier 352, als Beleg (Pseudo-)Dionys Areopagita, eccl.hierarch. IV 12 (PG 3,483f C). 102 S. Mayer a.a.O. 57f. 103 Sorgfältig mit den Belegen behandelt bei Mayer a.a.O. 58-71. 104 S. Mayer a.a.O. 65 (mit Quellenzitat). Darauf, daß sich irgendwo im hellenistischen Raum jenseits Jerusalems nochmals die Vorstellung - oder gar Praxis - eines Olerstlingsfestes ausgebildet hätte, konnte ich keine Belege finden. 105 S. Mayer ebd. 106 So legten die Eleer jedenfalls im 2. Jh. n. Chr. bei ihrem Monatsopfer in Olympia Ölzweige auf die Altäre (Pausanias V 15,10).

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rung Trojas - sei mit heiligem χρίμα versetzt, das diese Flamme sanft (inklusive sanft riechend: μαλακός) und fern aller menschlichen List (άδολος) nähre (Agam. 92-95). Überschreiten wir die griechischen Grenzen, so finden wir Ölübergießungen beim ganz einer Gottheit übergebenen, daher verbrannten Opfer um die Zeitenwende im Osten persisch: Strabo dokumentiert die dortige Praxis von Feuer-Opfern, auf denen sich Fett befände und die man von unten anzünde, während man Öl auf sie gieße (ελαιον καταχέοντες; geogr. XI 3,14). 107 Auch in Rom dürfte der Brauch gepflogen worden sein, da Vergil seinen Aeneas im idealen, hier den Zugang zu Pluto eröffnenden Brandopfer fettes Öl über die Eingeweide der von ihm geopferten Stiere gießen läßt („pingue oleum fundens": aen. 6,254). 108

Sicher trugen die Ölübergießungen „beiläufig" zur Brennbarkeit der Opfer bei. 109 Aber das war nur ein Nebenakzent. Vorrangig muß der Sakralzusammenhang mit der gesalbten Kultstatue, der „Gottheit", in den Blick kommen, löst doch noch bei Julian Apostatas zitierter Beschreibung seines Ilionbesuchs erst die Verbindung eines brennenden Altars mit einem gesalbten Bild (Hektors) die Frage aus, ob geopfert werde (ep.79 Bidez, 19 Wright). Noch weiter führt, daß Pausanias (VIII 42,11) für das unblutige Demeteropfer in Phigalia eine Olübergießung zu berichten weiß, ohne sie überhaupt mit einer Verbrennung in Verbindung zu bringen. 110 So tritt die Olübergießung als Akt hervor, der die gebrachten Opfergaben dem besprochenen Zusammenhang von Ol/ Salbung/Gottheit gemäß nicht grundlegend anders als in Israel der Gottheit zuordnet und übergibt. Des Aischylos Chrima-Angabe mit dem Süßigkeitsmotiv wirft, da verbrennendes Ol nicht süß riecht, die Frage auf, ob man den Opfern, um ihnen gottgefälligen Wohlgeruch (εύωδία) zu verleihen, 111 über würzige Feststoffe (Weihrauchkörner etc.) hinaus auch parfümartige Salben beigab. Das ist bislang nur 10 ' Gleich danach folgt übrigens ebd. die Schilderung des persischen Wasser-Opfers, das anders mit einer Öl-Milch-Honig-Spende auf den Boden verbunden sei. 108 Römisch scheint sogar möglich, daß im 1. Jh. n.Chr. auch die Opferschalen gesalbt wurden oder zumindest als gesalbt galten (weil sie gesalbte Opferteile trugen?). Denn der Vorwurf des Persius Flaccus an einen leichtfertigen jungen Mann, dieser verfolge als höchstes Ziel, stets von der gesalbten Schale zu leben („uncta vixisse patella semper": sat. 4,17f), kann dieses religiöse Gefäß im Blick haben: Schon für Cicero kennzeichnete es Verschwender, die Götter nicht Ehrende („non religiosi"), von der kultischen „patella" zu essen (de fin. 2,22). Oder ist gar das nichtsnutzige Erstreben eines Priesterstatus gemeint, der die kultische Ernährung garantiert und so von eigener Hände Arbeit befreit? Jedenfalls diente die „patella" häufig als Opfergefäß: s. Hilgers, Gefäßnamen 240. 10 ' So der von Pease a. a. Ο. 2467 gesetzte Akzent. 110 Den Ersthinweis auf diese Stelle entnahm ich Burkert, Griechische Religion 118. 111 Dazu vgl. grundlegend Lohmeyer, Wohlgeruch passim und neuer ζ. B. Marcel Detienne, Les Jardins d'Adonis. La mythologie des aromates en Grece, o.O. (Paris) 1979 (oder 1972?), bes.93f.

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für das alte Ägypten einigermaßen erschlossen: Schott wies für die 18. Dynastie die Übergießung von Brandopfern mit Myrrhe aus einem Salbtopf nach, ergänzend die Verwendung eines Gießlöffels zum Auflegen von offenbar halb flüssig vorgestelltem Weihrauch und wiederum Myrrhe. 112 Danach verfolgte Wallert die Verwendung des Gußlöffels zum Aufschütten von Myrrhe und zähflüssigem, salbenartigem Räucherwerk bis vor Alexander d. Gr. 113 Nach jenem bricht die Forschung ab. Immerhin weist Wallert noch auf ein Gußlöffelexemplar in einem Aphrodite-Temenos und die Existenz zweier ägyptisch-hellenistischer Stelen hin, die den Löffel als kulturüberschreitendes Opfergerät bezeugen, 1 1 4 womit sich ein Anschluß zu griechisch-römischer Tradition ergeben könnte. 115 Danach spricht der PapBerthey I 59 von einer Rosenölübergießung beim (zauberischen) Raubvogelopfer, 1 1 ' womit sich ägyptisch der Kreis schließt. 117 Für den übrigen Mittelmeerraum scheinen weitere Forschungen nötig. 118

Die nächste Ausstrahlungsebene erreichen wir bei den am Kult Teilnehmenden: Der Ölzweig wurde römisch seit republikanischer Zeit Kennzeichen herausragender Priester - strahlte vielleicht sogar auf jü112 Siegfried Schott, Das schöne Fest vom Wüstentale. Festbräuche einer Totenstadt, AAWLM.G 1952/11, Wiesbaden 1953, bes.l7f,22f,25f,99ff,103. Wie eine Vorwegnahme späteren griechisch-römischen Brauchtums (s.u.) klingt, wenn bei den Totenfesten des Neuen Reichs schließlich ein Zusammenhang der Salbung der Kultobjekte und der am Fest teilnehmenden, bekränzten Personen entsteht (74ff). 113 Ingrid Wallert, Der verzierte Löffel, seine Formgeschichte und Verwendung im Alten Ägypten, AA 16, Wiesbaden 1967, entscheidend 49-68 (in Widerlegung der bis dahin geläufigen Fehleinschätzung des Salblöffels als kosmetischen Gegenstands). 114 A.a.O. 45,60. 115 Hug, Löffel, PRE 13, 965-968, berichtet 967 von griechisch-römisch der Räucherwerkaufschüttung dienenden Löffeln. 116 Nach Mayer a. a. O. 64. 117 Manches spricht dafür, daß für dortiges Denken jedes „thymiama" auch Ole enthielt, so wenn Clemens Alex., paed. II 8: 67,1 mitten in einem Abschnitt über Olgebrauch auf solch wohlriechendes Rauchopfer zu sprechen kommt. 118 Sicher kann man dabei in Fortführung des in der letzten Anm. angesprochenen Sachverhalts davon ausgehen, daß überall Duftstoffmischungen als „Salben" („unguenta", „myra", gegebenenfalls „chrismata" u.ä.) bezeichnet werden konnten (s. Plinius mai., nat.hist. 13, 1,1; Theophrast, odor. VI bes.27f) und zahlreiche Räucherwerkgefäße von ihrer Form her für zähflüssige Materialien geeignet waren, namentlich die Patera und die Phiala (s. Hilgers, Gefäßformen 242-245,250f). Doch was direkte Belege angeht, kommt zur Lückenhaftigkeit der Überlieferung die Schwierigkeit der Interpretation überkommener Texte: So sind die Boustrophedon-Inschriften (um 500 v.Chr.), die um Opfer kreisen und mehrfach das Stichwort χριθδν enthalten (II A a 12, A c 2f usw.), schon wegen ihres fragmentarischen Charakters fast unauswertbar (erhaltene Relikte bei L.H. Jeffery, The Boustrophedon Sacral Inscriptions from the Agora, Hesp. 17, 1948, 86-111). Und die Athener Inschrift Nr.10 bei Franciszek Sokolowski, Lois sacrees de l'Asie Mineure, ficole Franijaise d'Athenes. Travaux et memoires [···] 9, Paris 1955 aus Ilion 77 v.Chr. legt zwar Z.26 (innerhalb 21-29) für das Athena-Fest der Ilion-Konföderation ein αλειμμα παρέχειν im Zusammenhang sakraler Vorgänge am Opferaltar fest; aber es bleibt unklar, ob dies auf eine Opferbeigabe oder eine Salbung besonderer Kultträger zielt.

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dische Priestertumsvorstellungen aus119 der Öl-(oder Lorbeer-, Myrthen- etc.)Kranz griechisch wie römisch weithin Signum am Kult teilnehmender, ein Opfer zum Altar bringender Personen. 120 Kaum weniger verbreitet und gewichtig verbanden sich Salbungen mit den religiösen Lebensvollzügen an den Heiligtümern, den Festen und im Alltag des hellenistisch-kaiserzeitlichen Mittelmeerraums. In der Grunddimension dienten sie - ausgedrückt mit den Verben χρίειν, (άπ-)άλείφειν, καταχεΐν κτλ. (neben Öl auch mit anderer Salbe: „Myron"), ung(u)ere etc. - einer Reinigung, die als Befreiung von den bösen, das Leben begleitenden Dämonen wie den etwaigen Befleckungen des eigenen vorangegangenen Lebensvollzugs eine volle oder erneute Kultteilnahme erst ermöglichte. Griechisch begleiteten sie daher vielfach den Eintritt in Heiligtümer - Tempel wie Orakelstätten 121 - und konnten gelegentlich sogar eine sakralrechtliche Komponente bei der Asylierung Schuldbeladener bilden. 122 Römisch traten sie zuerst enger eingeschränkt bei der Ausübung besonderer Kultfunktionen hervor.123 Mit der Zeit wurde das Lustrationsinteresse durch die Suche nach direkter Teilhabe an der göttlichen Ausstrahlung überlagert, der der Kontakt mit salbungssakralisierten Gegenständen oder anders abgestufte Partizipation am göttlichen Salbungsvollzug diente. 124 Gleich 119

S. Anm. 104 zu 2.1.2. S. Baus, Kranz 7-12, für Vergil (georg. 3,21 u.ö.) noch Beringer, Kultworte 147f. Besonders bekannte Beispiele bieten die - ergänzte - Opferdarstellung der Ära Pads und Tibull II 1,16. Wohl abgeleitet vom allgemeinen Kultbrauch, ging das Kranztragen ab hellenistischer Zeit vielfach zusätzlich in die priesterliche Amtstracht über (s. Baus a.a.O. lOf). 121 Belege von der klassischen Zeit bis zu den späten Platoscholien bei Mayer a. a. O. 50-53 (die Konstantinoi-Andania-Inschrift findet sich leichter IG 5/1,1390 § 22; zu ergänzen ist mit καταλείψει ν die Inschrift Nr. 18 bei Franciszek Sokolowski, Lois sacrees [...]. Suppl., i c o l e Fran^aise d'Athenes. Travaux et memoires [...] 11, Paris 1962 aus Athen 5. Jh. v.Chr., Z.36, jedenfalls nach Sokolowskis Interpretation S.48). Mit χρίειν s. SIG 3 III 983,16 (bei Mayer 51 zitiert als Inschrift 18; Lindos) und Pausanias IX 39,7 (Trophoniusorakel); jeweils ist im Zusammenhang von einer Reinigung die Rede und damit der kathartisch-apotropäische Akzent gesichert, wenn Mayer auch fälschlich zu dessen vereinseitigender Universalisierung neigt. Einen zusätzlichen Akzent auf magische Literatur mit zahlreichen χρίειν-Belegen auch in kathartischem Umfeld setzte Deubner, De incubatione 20-24,33; da Preisendanz' PGrM-Ausgabe nicht abgeschlossen ist, sind seine Quellenangaben noch wertvoll, und unüberholt ist seine Erklärung des kultischen άπαλείφειν als Wegsalben von [Unreinem etc.] (21). 122 S. Inschrift Nr.115 (Kyrene, 4.Jh. v.Chr.) Z.53 innerhalb 50-59 bei Sokolowski a.a.O. (mit χρίειν). 123 In der Salbung der Censoren und weiteren beteiligten Amtspersonen bei dem den Census abschließenden Lustrationsakt, die Varro, ling.lat. VI 9: 86f aus den Censorentafeln berichtet („murra unguentisque unguentur"). 124 Sinnenfällig etwa in der Weiterentwicklung von der eben angeführten Magistratensalbung nach dem Census zur Magistrateneinsetzung bei den fratres Arvales 29.5.120 120

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mehrfache Teilhaberiten begegnen so im Bacchus-(Dionysos-)Kult: Vergil zeigt sich georg. 2,380-384(ff) beeindruckt von der griechischen Tradition des im orgiastischen Ritus vollzogenen Tanzes (Askoliasmos) auf den „gesalbten Schläuchen" („unctos utres" 384), bei denen es sich um die zum (Getränke-)Schlauch geformte Haut des eben geopferten Bockes (s. 380f) handeln kann. 125 Und nur wenige Jahre nach ihm berichtet Tibull (II 1,55) von der römisch-bäuerlichen Tradition, sich zum Bacchusfest mit der uns schon oben begegneten Mennige („minium") zu übergießen. Das dort fehlende Salbungsverb χρίειν trägt aus spätantikem Rückblick Nonnos in seinen Dionysiaka nach, 34,141f mit dem Mennige-Motiv, 126 47,733 in der Variante einer Salbung mit weißem Gips. 127 Kehren wir ins l.Jh. n.Chr. zurück, so ließen sich gegen dessen Ende, um noch ein römisches Beispiel zu nennen, die Saturnalien sogar schlicht als „uncti dies" (gesalbte Tage) des „Sichelträgers" (Saturn) bezeichnen (Martial XI 6,1). Hier hat sich offenbar beim religiösen Volksfest in neuer Weise durchgesetzt, was in älterer, vor Plinius d.A. abgebrochener Tradition bei den römischen Triumphen begegnete: Laut nat.hist. 33,11 lf wurde bei diesen nicht nur das Gesicht der römischen Jupiterstatue mit Mennige eingeschmiert, sondern ebenso die Körper derjenigen, die an der Triumphprozession teilnahmen. Anschließend wurde das „minium" noch den Salben des Triumphmahls („unguenta cenae triumphalis") beigefügt, so daß ein sakraler Gesamtzusammenhang des Festakts entstand. 128

n. Chr.: CIL 6,2080 gibt für diese keinen Reinigungsakt mehr an, sondern die Ausstattung mit Kränzen und gesalbten Zeichen („coronis inlatis signisque unctis"). 125 So jedenfalls die Deutung von John Conington/Henry Nettleship, The Works of Vergil with a Commentary I, Hildesheim 1963 ( = London 1898), 266. 126 Näherhin in der negativen Spiegelung, daß die Silenen im mythischen Krieg auf solche Salbung verzichten müssen, als Dionysos als Kämpfer ausgefallen ist. Der Fortgang zu v.144, wonach in dieser Situation gleichfalls die Stirnbenetzung mit Gips ausfallen mußte, zeigt, daß spätantik die Salbung des Gesichtes beide Farben, das Rot und das Weiß, aufnahm. Sicher wirkten in diesem Brauch auch apotropäische Vorstellungen nach (s. w.l43f), aber die positive Gottverbindung überwiegt, da die Vollziehbarkeit des Ritus an der Anwesenheit des Gottes hängt. 127 Vgl. als einen eventuellen ironischen Reflex verwandter Praxis in vorchristlicher Zeit Aristophanes, nub. 260ff. Eine weitere (spätestantike?) Variante des Dionysos-Festbrauchs berichtet Photius, lex. s.v. μιαρά ήμερα und φαμνός: das ihm als apotropäisch geltende Salben (χρίειν) der Türen und Körper an den Choen (dem zweiten Tag der Anthesterien) mit Harz (vgl. Mayer a. a. O. 22). 128 Man vgl., daß in Athen (laut einem bei Athenaeus, deipnosoph. XV 688ef zitierten Apollonios des 1. Jh. v.Chr.) eine eigene Panathenäen-Salbe hergestellt wurde, deren Gebrauch weiterhin Plinius mai., nat.hist. 13,6 berichtet.

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Angesichts des religiösen Gewichts unserer Salbungsterminologie erstaunt nicht, daß sie verschiedentlich in magischen Zusammenhängen erscheint,129 gehe es um die Bereitung zu einer Gottbeschwörung/Gottkontaktierung 130 - gesteigert die Erzwingung einer dem Gotte zugesellenden Autopsie 131 - oder das Behalten eines gottbezwingend erhaltenen Orakels. 132 Und die magische Durchprägung des hellenistisch-kaiserzeitlichen Lebens war immerhin so stark, daß sie in beträchtlichem Maße auch auf die griechisch-traditionell eher profanen medizinischen Salbvorgänge 133 ausstrahlen konnte. 134 Wie schon länger im assyrisch-babylonischen und semitischen Orient 135 schlug sich so auch im hellenistischen Volksglauben die Überzeugung nieder, daß kein menschlicher Arzt an die medizinische Weisungsfähigkeit eines Gottes heranreichen könne (s. mit χρίειν für den epidaurischen Asklepios SIG 3 III 129 Die Wurzeln dafür dürften weit in altorientalische Divinations- und Heilungspraktiken zurückreichen, erscheinen Ol- und Salbungsmotive dieser beiden Bezüge doch verbreitet schon in den assyrischen Beschwörungs- und Ritualtafeln aus der Zeit Assurbanibals (Einzelnachweise bei Daiches, Magic 8-11 u. ö.; wichtigste Edition Heinrich Zimmern, Beiträge zur Kenntnis der Babylonischen Religion: Die Beschwörungstafeln Surpu [...], Leipzig 1901), Salben auch korrespondierend apotropäisch (mit babylonischer Tradition: s. Knut L. Tallquist, Die assyrische Beschwörungsserie Maqlü nach den Originalen im British Museum hg., I/II, Act.Soc.Scient.Fenn. XX 6, Helsingfors 1895, dort bes. I 22 nach 11-13). Ob Daiches allerdings mit seiner These Recht hat, die Ol- und Salbungsmagie reiche im Zweistromland bis 2000 v.Chr. zurück (a.a.O. 12 u.ö.) und sei in Ägypten von dort übernommen worden (5f), bedürfte genauerer Verifizierung. Bemerkenswert ist sein Verfolgen der Tradition in den babylonischen Talmud (bes. bSan 101a), die zeigt, daß magisch salbender Olgebrauch auch jenseits der Grenzen des Römischen Reiches weit über die Zeitenwende hinaus hohe Ausstrahlungskraft behielt (7-12; 13-42 sogar Weiterverfolgung bis in die Neuzeit). 130 S. für den Zusammenhang Lexa, magie I 109f, als Beleg mit (προ)χρίειν PGrM VII 879 (nachfolgend zu der o. schon besprochenen weihenden Salbung eines magisch hergestellten Selene-Bildes), für eine Mystenmiteinweihung PGrM IV 744ff (χρίειν 746) und für eine demotische Variante (Salbeinschmieren des Auges) Lexa a.a.O. II 127 (dortiger Text VI 2b). Vgl. für das Umfeld den Offenbarungszauber mit Hilfe einer Ölschale und der beschwörenden Beschriftung der Brust eines assistierenden Knaben mit Myrrhenharz P. 21 r. I 39,45 (3. Jh. n.Chr.) aus The Warren Papyri, ed. M. David e.a., PLB 1, Leiden 1941 und verwandt dazu nach Griffiths Papyrusedition (s.o. Anm. 100 - dort übrigens noch mehr Belege: s. das Register S.14) den demotischen, bei Lexa II 135 unter IX 1 übersetzten Text. 151 So PGrM V a mit der Anweisung für eine Helios-Synhistasis: κοινά, και τότε έγχρίου, καϊ αύτοπτήσεις (Ζ.3). 132 Mit χρίειν (näherhin als Lippensalbung) PGrM II 19. 133 S. Mayer, Öl 14. Hier findet sich übrigens öfter das nominalisierte Verbaladjektiv χριστόν oder seine Komposita εγχριστον/κατάχριστον (je Neutrum; Belege von Aischylos, Prom. 479 an gesammelt bei A.S.F. Gow, Theocritus [...] II, Cambridge 1965, 209f zu Theokrit, eid. 11,2). 134 Einige Belege bei Lexa, magie I 199 s.v. onguent, dazu etwa PGrM VII 212f mit άλείφειν. 135 S.o. Anm. 129 und bei Anm. 34.

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1168,124 und als ironisches Gegenstück Lukian, Alex. 53). Konsequent erinnerte man sich bis in die späteste Antike episch an salbend heilendes Tun der (inzwischen entthronten) Götter (mit χρίειν N o n n o s , dion. 9,281 für Apoll und 29,274 für Bacchus). 136 K e i n g r o ß e r Schritt ist v o n d e r v o l k s t ü m l i c h e n M a g i e z u m A u f t r e t e n v o n S a l b u n g e n im F e l d d e r H e x e r e i u n d Z a u b e r e i , w o es u m ein U b e r steigen menschlicher Fähigkeiten geht.137 U n d schließlich ist gut möglich, daß Kore Kosmou 32,8 auf eine Salbung (χρίειν) der aus Hermes' Händen hervorgehenden heiligen Bücher mit dem Medikament der Unvergänglichkeit zu rekonstruieren ist. 138 Das verdient insofern Interesse, als M o s e in AssMos 1,17 Josua eine in verwandter Weise auf Dauer gerichtete Salbvorschrift für die ihm übergebenen (heiligen) Bücher macht, wir hier also von neuem auf einen religionsübergreifenden Vorstellungszusammenhang stoßen könnten. 1 3 9 Kehren wir zu allgemein gepflegten hellenistisch-kaiserzeitlichen Rit e n z u r ü c k , s o spielten, n a c h d e m g e s c h i l d e r t e n D u k t u s f o l g e r i c h t i g , O l u n d S a l b u n g e n bei d e r Bestattung und den Grabbeigaben eine wesentliche Rolle. Die Tradition ist hier griechisch sehr alt. Sie begegnet seit Homer, II. 23,170 und Od. 24,67.72f. 140 Interessanterweise nennt die zuletzt genannte Stelle auch eine Gebeinesalbung (mit αλειφαρ), so daß wir es bei dieser offenbar mit einem mittelmeerisch alten Brauch zu tun haben. Freilich ist sie griechisch und römisch m.W. später nicht mehr belegt, muß sich dort also früh verloren haben, während sie in Israel entweder weitergepflegt wurde oder neu aufkam. 141 D i e V o l l z ü g e sind, w a s d i e s e s G e b i e t b e t r i f f t , i n z w i s c h e n s o g u t erschlossen, daß die Q u e l l e n nicht im einzelnen wiederholt zu w e r d e n

136 Daß an ersterer Stelle die göttliche Ambrosia, an letzterer der aus dem Bacchuskult vertraute (s. o.) Gips verwendet wird, zeigt den sakral-kultischen Hintergrund dieser Salbungen. 137 S. literarisch die Verwandlung der Hexe durch eine Salbung (χρίειν) in der sekundär Lukian zugeschriebenen Fassung des Eselromans Lucius 12; Weiteres bei Gaffron, Studien 141f (vornehmlich zu PGrM; 331 Weiterverweis zum koptischen Zauber). Interessanterweise läßt sich ab can.64 der pseudonizänischen Synode des 5. Jh. und can. 19 der Synode des Katholikos Joseph von 554 der christliche Brauch feststellen, ehemals Zaubereien verfallene Bekehrte durch Gebetsöl und „chnana" zu heilen, also quasi durch einen Gegensalbungsritus (Hofmeister, Öle 226f; dort genauere Belegangaben). Im Westen berichtet Gregor v. Tours, hist. VII 44 (PL 71,445) von der Stirnsalbung eines Besessenen durch den Bischof Agericus (Hofmeister a.a.O. 228). 138 So jedenfalls die Textauffassung Walter Scotts in seiner Edition Hermetica [...] I, Oxford 1924, 460f. Vgl. ergänzend Cothenet, Onction 728. In den Zusammenhang könnte auch slHen 22,12 - die Henoch im Himmel gebrachten Bücher duften nach Myrrhe - gehören. 140 Weiteres bei Mayer a.a.O. 25-31. 141 Zur jüdischen Praxis s.o. unter 2.1.3.1 bei Anm. 44ff.

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brauchen. 142 Sie zeigen zwei Schwerpunkte: die Prothesis (Bereitung des Toten zur Bestattung) und den „cultus" am Grab. Zudem wurden die häufigste Grabbeigabe Unguentaria (die Nachfolger der griechischklassischen Lekythoi). 143 Zur Deutung des Feldes scheidet eine Aquivalenzfortführung von Salbungsbräuchen der Lebendigen aus.144 Denn zu bewußt war man sich des Einschnitts des Todes. Das fängt Bion (um 100 v.Chr.) dramatisch ein, wenn er Aphrodite in seiner Adonis-Klage nach Adonis' T o d zunächst noch beschwört, Adonis mit syrischen Salben zu benetzen (I 77), dem aber sofort (78) den durch keinerlei Uberbrückung entschärften Gegen-Satz nachstellt: όλλυσθω μύρα πάντα, τό σ ο ν μύρον ώλετ' "Αδωνις („zum Untergang mit jedwedem Balsam, denn dein Balsam ging unter, Adonis!").

Den Schlüssel bildet die Verbindung mit der Totenwaschung bzw. im Grabkultus mit dortigen Wasserriten: Die in der Regel vorangehende Waschung wie der gleichfalls vorangehende Wasserguß am Grab reinigen, bilden mit der Salbung und dem Olguß am Grab zusammen - analog zu den oben genannten Waschungs- und Salbungsriten vor dem Eintritt Lebender in irdische Heiligtümer - die den Eintritt in das Götterreich der Toten eröffnende Lustration.145 So wird dem Toten über die Schwelle seines Verunreinigtseins, das auf das Totenhaus ausstrahlt,146 hinweggeholfen. Vorstellungsmäßig nachfolgend kommt alt142 S. für die griechische Tradition Kurtz/Boardman, Burial Customs bes. 142-161,102-105,162-169,209, für die römische Tradition Toynbee, Death 44 u.ö., mit den wichtigsten Sach- und Beleghinweisen auch Hug, Salben, PRE 2/1, 1851-1866, hier 1857; L. Koep u.a., Bestattung, RAC II, 194-219 (griechisch-römisch: E. Stommel) und Maria-Barbara v. Stritzky, Grabbeigabe, RAC XII, 429-445. 143 Deren Gestaltung mit einem engen Hals verwehrt, sie als Duftspender zum Ubertönen des Verwesungsgeruchs zu deuten: s. Kurtz/Boardman a.a.O. bes. 103. 144 Wozu Kurtz/Boardman ebd. tendieren. ,4S S. griechisch - um Zeit und Raum in etwa zu überspannen - für frühhellenistische Zeit den bei Athenaeus a.a.O. IX 410a bewahrten Bericht des Antikleides über den damaligen athenischen Brauch, am Grab einen reinigenden Wasser- und gleich anschließend einen Myron-Guß vorzunehmen, für das 2. Jh. n.Chr. den durch den Spott des kaiserzeitlichen Rationalisten überformten, aber darunter recht präzisen Bericht des Lukian (luct. 11) über die Abfolge von Obolosausstattung, Waschung, Salbung (χρίειν), Bekränzung, Bekleidung bei der Bereitung des Toten für seinen Weg ins Hadesreich. Römischkaiserzeitlich begegnet eine Steigerung der gottübergebenden Salbung in der Salbübergießung der Scheiterhaufen, die Martial XI 54,If voraussetzt und Statius, silv. III 3, 131f für die Amores spiegelt (vgl. Hug a.a.O. 1857). Einen spätantiken Reflex mit Olopfern und Salbung (χρίειν nunmehr der Grundsteine des Scheiterhaufens) bietet Nonnos, dion. 37,bes.50ff.64. 146 Eine Vorstellung, die religionsübergreifend ist (vgl. llQTemp 49,5-50,19 nach Num 19,15 und dazu o. Anm. 31), aber griechisch in der bekannten lex Cea (5. Jh. v.Chr.) zu einer interessanten komplementär-rituellen Konsequenz führte: Auch das Totenhaus sei durch eine Verbindung von Salb- und Wasserritus zu lustrieren - wobei das Salben

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griechisch die Ausstattung des Toten mit Salben fürs unterirdische Symposion hinzu, 147 hellenistisch-kaiserzeitlich eine Salbheroisierung des Toten und seiner Kultusstätte, auf die zurückzukommen sein wird.148 Bei Umstellung der Salbung vor die Waschung ergibt sich - in Analogie zur entsprechenden Variante beim Lustrationsritus Lebender vor deren Eintritt in ein Heiligtum 149 - ein apotropäischer Akzent. Irenäus begegnet einer den Doppelritus engstens zusammenziehenden Brauchübernahme durch christliche Häretiker (adv.haer. I 21,5), die eben dies die Toten für die (dämonischen) Fürsten und Mächte ungreifbar zu machen verfolgt.

Für diese Ritusvariante haben wir spätantik ein babylonisch-jüdisches Äquivalent: bShab 23,5 ( = fol.l51a), die Erlaubnis für Juden, ihre Toten auch am Sabbat mit Ol einzuschmieren/zu salben (|'30) und (im Text eindeutig nachfolgend) abzuwaschen. In die neutestamentliche Zeit läßt sie sich freilich nicht zurücktragen. Denn in deren jüdischen Quellen fehlt, wie im letzten Paragraphen bemerkt, jeder Totensalbungshinweis. Letzteres kann nicht als Zufall erklärt werden. D e n n Josephus berichtet von jüdischen Bestattungen, hebt dabei als besonders auszeichnend, hoheitlich aber - in freier Nachfolge älterer jüdischer Tradition (s. bes. 2 Chr 16,14 150 ) - nur die Ausstattung von Bahre und Begräbnisvollzug mit wohlriechenden Spezereien hervor (bell. 1,673; ant. 15,61;17,199). 151 N o c h auffälliger weiß die Tabita-Tradition in Act 9,37 zwar von einer Waschung und Aufbahrung, aber von keinerlei Salbung. 152 (χρίειν) näherhin mit kathartisch vorgestellter Erde zu erfolgen habe -, nun aber, um es aus dem Einflußfeld des Totenreichs zu lösen, es wieder für den Gebrauch Lebender zu öffnen (so die Textrestitution von Günther Klaffenbach, Epigraphische Studien, Ph. 97, 1948, 372-379, hier 372f, die die Wiedergabe in IG 12/5, 593 entscheidend korrigiert; den neuen Gesamttext und Lit. bietet Franciszek Sokolowski, Lois sacrees des cites grecques, icole Franfaise d'Athenes. Travaux et memoires [...] 18, Paris 1969, 188-191). 147 S. - schon mit spöttischem Beiton (so Baus, Kranz 87) - Aristophanes, tag. fr.488 (ed. Kock, mit χρίειν). 148 S.u. 2.3.1. Im übrigen war das Brauchtum so stark in der Bevölkerung verankert, daß sich das Christentum ihm nicht zu entziehen vermochte: s. ζ. B. Clemens Alex., paed. II 8: 62,3 vor 66,1. 149 Die Anm. 121 direkt genannten Belege bieten diese Abfolge. 150 Wo M T offenbar an die Ausstattung des Scheiterhaufens mit Duftstoffen denkt, zu deren Ingredienzen auch Salben gehören (s. Kurt Galling, Die Bücher der Chronik, Esra, Nehemia, ATD 12, Göttingen 1954, 117 und vgl. Jer 34,5, negativ 2 Chr 21,19), während LXX den Vorgang allgemeiner auf den Leichenzug bezieht. 151 Eine Linie, die vorstellungsmäßig und wohl auch als reale Praxis ins rabbinische Judentum weiterreicht: s. Klein, Tod 31f (Belege). 152 Angemerkt sei, daß die Totensalbungsvorstellung in der späteren Kaiserzeit noch in zwei ursprünglich jüdische Texte einwächst, in die längere, jüngere (3. Jh.?) Rez. Α des TestAbr 20 für Abraham und in ApkMos 40,2 für Adam. Beide Male verrät die Spaltung

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Auf solcher Basis sind die Evangelienerzählungen über die Vorgänge am Grab Jesu zu lesen. Eine auf Salbungsabsichten jüdischer Basis harmonisierende Lektüre153 würde ihre Eigenart überdecken. Denn zwar fügt Mk im Nachsatz zu 16,1 die Motivation ein, die Frauen hätten Jesus salben (άλίίφειν) wollen. Aber nur Lk folgt dem (schon eingeschränkt: 23,56;24,1), während der jüdischen Traditionen näherstehende Mt die Angabe ersatzlos streicht (in 28,1 i54 ) und die Würde des Begräbnisses Jesu nur durch die Reinheit des Begräbnisleinens betont (27,59). Explizit gibt schließlich Joh 19,40 - falls es das Mk kannte, in Korrektur an diesem - an, jüdische Begräbnissitte sei (sei. nicht eine Salbung, sondern) die Umwickelung des Leichnams mit dem uns von Mt bekannten Leinentuch unter Miteinwickelung einer Duftstoffmischung, wie sie Nikodemus in überwältigender Fülle (s. v.39) vorgenommen habe. 155 Die Angabe Mk 16,1b antwortet demnach auf pagan hellenistische Vorstellungen: Die Frauen kommen, um Jesus für den Eintritt in die Schattenexistenz des Toten-(Hades-)Reichs zu bereiten; aber „er wurde auferweckt; er ist nicht hier" (16,6). 156 Kehren wir in die religionsgeschichtliche Grundbeschreibung zu-

der Überlieferung die Sekundarität des Vorgangs, der daher am ehesten der christlichen Überlieferung zuzuordnen ist: Beim TestAbr schweigt die ältere Rez. Β noch darüber (auch sie in der überkommenen Uberlieferung schon christlich angeeignet: zu den Einleitungsfragen Enno Janssen, JSHRZ III 2, 1980, 195-201). Für Adam fehlt der Totensalbungshinweis in der Parallelüberlieferung VitAd 48, zudem in ApkMos gleich nachfolgend (40,7) bei der (Adam-)Abel-Beschickung, die mit dem Wohlgeruchsmotiv die jüdische Tradition noch rein wiedergibt (Stand der Textherstellung bei Marcel Nagel, La Vie grecque d'Adam et d'Eve [Apocalypse de Mo'ise], I/II, Oberbronn 1972; Bianchi, Redemption 6 differenziert die Textfassungen und Schichten nicht). 153 S. schon Klein a.a.O. 23f (bes.23 Anm. 4) und nachfolgend die Kommentare zu Mk 16,1 (einschließlich der stillschweigenden Voraussetzungen bei Bill. II 52f z.St.). 154 Wo er seinen Text von der bis Sem 8,1 bezeugten Sitte jüdischen Grabbesuchs an den ersten Tagen nach dem Tod aus neu gestaltet (vgl. Thomas R.W. Longstaff, The Women at the Tomb: Matthew 28:1 Reconsidered, NTS 27, 1980/81, 277-282). 155 Zum genannten jüdischen Brauch vgl. A.-G. Barrois, Manuel d'Archeologie Biblique II, Paris 1953, 319f. 156 Eine in der Realienmotivik verwandte hellenistische Überarbeitung weist Mk 14,3-9 in v.8 auf: v.3 wahrt die Überlieferung einer Kopfübergießung Jesu, die nicht zu einem griechischen Begräbnisbrauch paßt (in dem die Totensalbung als Bestreichung mit einer Art Spatel vorgenommen wurde: Nachweis von der älteren attischen Tradition aus bei D.A. Amyx, The Attic Stelai III [...], Hesp. 27, 1958, 163-254, hier 215f). v.8 dagegen spricht in einer neuen Zeichnung des ganzen Vorgangs von einer Salbung (μυρίζειν) des Körpers. Folgerichtig tut sich hier Mt mit seiner Vorlage wieder schwer und entschärft sie 26,12 auf ein merkwürdiges Salbbewerfen (βάλλειν) des Körpers (ein Kompromiß zur jüdischen Duftstoffeinwicklung des Leichnams?). Da aber auch Joh 12,7 den Begräbnistag in den Blick nimmt, muß in der Überlieferung breiter ein Bezug aufs Begräbnis Jesu angewachsen sein; vgl. unter 2.3.3.

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rück: Wie die Bestattung verbanden sich die anderen zentralen Lebensereignisse pagan mit Salbungen. So wurden die Neugeborenen römisch laut Plinius mai., nat.hist. 11,239 mit einer Art Milchschaum gesalbt („unguere"), dem man die Kraft von Ol („olei vim") zuschrieb. Direkt auf letzteres griff man griechisch zurück; nach Theophilus von Antiochien wurde jeder Mensch, der ins Leben eintrat, mit Öl gesalbt (έλαίφ χρίεται). 157 Ergänzend wurden die Häuser, in denen Geburten stattfanden, nach dem Lexikon des Photius (9.Jh.) gesalbt (χριειν), um die Dämonen abzuweisen (s.v. ράμνος). Trotz der jungen Bezeugung ist auch bei diesem Brauch mit einer langen Vorgeschichte zu rechnen. 158

Interessanterweise kommt Plinius a. a. O. auf die römische InfantesSalbung eigentlich nur in einer Randbemerkung zu sprechen. Sein Hauptanliegen ist die Beschreibung „barbarischen" Brauchtums: „Omnes barbari" würden sich mit dem krafthaltigen Milchschaum („Butter") salben. Sicher ist diese Angabe zu pauschal. Aber sie wird ergänzt durch die Päonierskizze des Hekataios (überliefert bei Athenaeus, deipnosoph. X 447), w o nach sich diese mit „Milchöl" salbten. Leider fehlt an letzterer Stelle eine Zweckangabe. Aber man wird wohl - ohne daß dem hier nachgegangen werden könnte - damit rechnen müssen, daß religiöse oder halbreligiöse Salbbräuche vielerorts auch bei den „Barbaren" geläufig waren. Laut Mayer ist sogar ein Beleg einer germanischen Götterbildsalbung (-einschmierung) überkommen. 1 5 9

Einen keinesfalls minder alten Salbungsbereich als die Geburt bildet die Hochzeit, bei der man eine Salbung von Braut, Bräutigam und/oder Türpfosten kannte. In altgriechischer Zeit wieder als apotropäischer Ritus entstanden - zur Abwehr der Dämonen, mit deren Bedrohung des Beilagers man (auch jüdisch) verbreitet rechnete 160 - , zudem mit 157 Autol. I 12. - M.W. bislang unverifiziert ist die Vermutung von E.A. Wallis Budge, Osiris and the Egyptian Resurrection II, London 1911, 217f, schon wohlhabendere altägyptische Familien hätten Neugeborene religiös neben der Waschung gesalbt, der besondere Bedeutung zukäme, wenn sich ägyptisch ein Fortgang dieser Linie bis zur spätpagan-altkirchlichen Zeit nachweisen ließe. Denn dann bestände die Möglichkeit eines Anschlusses durch den von Hofmeister, Öle 228 aufgezeigten maronitischen und äthiopischen Brauch, nach der Geburt (und nicht nur bei der Taufe) das Neugeborene - äthiopisch zusätzlich die Mutter - zu salben. 158 S. Mayer a.a.O. 21 f. Dem Bekränzen des Geburtshauses (s. griechisch Hesych s.v. στέφανον έκφέρειν, römisch Juvenal, sat. 9,85f) könnte alternativer Rang zugekommen sein. 159 A.a.O. 45 Anm. 2. 160 S. als jüdischen Beleg Tob 3,8 (freilich ohne Salbungskonsequenz in Kap.8), für die griechisch-pagane Tradition, die zeitweise sogar eine Salbung vor jedem Beischlaf kannte, Mayer a.a.O. 19-22. Dort nicht angeführt, finden sich auch bei Aristophanes Hochzeitsriten für Braut und Bräutigam gespiegelt: Auf die Salbenbesprengung ersterer

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erotischen Motiven verbunden, 161 strahlten diese Salbungen im 1. Jh. v. und n. Chr. römisch partiell auf die Werbephase aus,162 zielten in ihrer Entwicklung bis zur späten Kaiserzeit schließlich auf die umfassende positive Vergewisserung höchsten göttlichen Beistandes namentlich für die Braut in der Ehe. Keine geringere als Juno stand nun als Unxia (!) den Salbungen der Eheschließung vor, um durch sie Glück zu bringen. 163 Angemerkt sei, daß sich für Zeus wenigstens das Epithet Έλαιοϋς („ölreicher") findet: laut Hesych s.v. nannte man ihn auf Zypern so. Aber ob sich dieses Epithet mit Salbungsriten verbinden läßt, bleibt ungewiß, auch wenn die sprachlich gleichfalls naheliegende Deutung auf „Gott der Olivenkulturen" wegen der traditionellen Verbindung Ölbaum - Athene ausscheiden dürfte. N u r eine hier nicht mögliche Durchsicht aller zypriotischen Quellen könnte zur Klärung führen. 164

bezieht sich PI. 528, auf ein Salben (άλείφειν) des Bräutigamspenis durch die Braut in der Hochzeitsnacht Ach. 1063-1066, satirisch die apotropäische Wirkung dieser Salbung gegen die drohende militärische Einberufung des Bräutigams wendend. 161 Man denke an das Motiv des salbenden Eros, das sich laut Victor Chapot, Unguentum, Dictionnaire des Antiquites Grecques et Romaines V, 591-598, hier 594 in dem Bild Mus.Borb. XI pl.16 zur Salbung einer Priaposstatue verdichtet. 162 Gespiegelt in der Dichtung: Ovid, fast. V 340 skizziert eine Haarsalbung und -bekränzung der an der Schwelle der Geliebten singenden Bewerber als Ausgelassenheitsgeschenk der heiteren Flora, und Lukrez IV 1177-1179 sieht unter der Macht der Venus einen Bewerber eine Amarakos-Salbung an den Türpfosten der Geliebten vornehmen (als Liebesbezwingungsakt?). 163 S. Martianus Capella 2,149 in Verbindung mit Arnobius, adv.nat. III 25 (bei letzterem VII 21 noch ein weiterer Beleg für Unxia als titularen Namen Junos; vgl. Keune in ALGM VI, 95f s.v.). Das römische Hochzeitsbrauchtum skizziert zusammenfassend Daniel P. Harmon, The Family Festivals of Rome, ANRW II 16.2, 1978, 1592-1603, hier 1598ff, aber mit wenig Belegen. Ebenso unvollständig (man ergänze so sämtliche u. angeführten Texte und Apuleius, met. 4,27) blieb schon die Belegsammlung Mayers a. a. O. 24 mit Anm. 1, die zudem bei Plinius, nat.hist. 28,42 noch veraltet „se uinxisse" statt „evinxisse" liest. Mit Varianten und Entwicklung des Brauchtums ist zu rechnen: Im l.Jh. n.Chr. konnte Plinius mai. einerseits a.a.O. 13,142 aus Masurius Sabinus (1. Hälfte l.Jh. n. Chr.) eine apotropäische Wolfsfettsalbung von Brauthauspfosten referieren (mit „perunguere"), andererseits nur eine Berührung („attingere") der Pfosten mit Schweinefett selbst beobachten (13,135). Später ragte unter den Hochzeitssalbungen die Türsalbung als Aktion der Braut hervor, was schließlich ermöglichte, „uxor" „quasi unxor" von „unguere" abzuleiten (A. Ernout führt dazu in seiner Textedition - CuFr: Pline l'Ancien, Histoire Naturelle XIII, Paris 1956, Anm. 2 zu § 135 S.151 - die Scholiasten, Donat. Hec. I 2,60, Servius, aen. IV 458 und Isidor, or. IX 712 an). - Von neuem wäre eine Untersuchung des Fortgangs der Tradition ins Christentum interessant: Hofmeister a. a. O. 229 berichtet vom christlich-koptischen Brauch, Brautleute unter Flehgebeten und zur Dämonenabwehr zu salben, freilich ohne einen genaueren Altersnachweis. 164 Nicht uninteressant für den zypriotischen Zusammenhang mag sein, daß Isis in dem von Griffith edierten demotischen Papyrus von London und Leiden (s. Anm. 100) Kol.XX 22 magisch heilendes Öl gerade vom Planeten des Zeus, vom Jupiter, herbeiruft. Zeus-Jupiter-Tradition hat hier altägyptische Traditionen überlagert, in denen schon zur

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Jenseits der Lebensfeste bildeten schließlich die festlichen Mahlzeiten und Gelage sowie die Wettkämpfe und der Besuch der Gymnasien weitere Salbungsbereiche mit religiösen Kontexten. Was die ersteren angeht, salbte man sich nicht nur vor dem Deipnon, dem feierlichen Mahl, das dem Symposion voranging, sondern noch einmal zwischen Deipnon und Symposion, das stets religiöse Elemente wie die Trankspende behielt, gegebenenfalls wiederholt während des Symposions. 165 Ursprünglich stand dabei vielleicht die Abwehr der Trunkenheitsdämonen im Vordergrund. Später brachte man das Salben gern positiv mit Dionysos in Verbindung. 166 Bis zur Kaiserzeit drangen ästhetische Konnotate vor, verschwimmen im allgemeinen Usus daher die Grenzen zwischen profanem und sakralem Vollzug. 167 Doch für jüdische Augen blieb der Brauch verwerflich: Um die Zeitenwende 168 kritisiert JosAs 8,5 im Modell des Auftretens Josefs gegenüber der Ägypterin Asenat scharf den paganen Tatzusammenhang, tote und stumme Götzenbilder zu lobpreisen, Brot der „Erwürgung" (άγχόνη) zu essen, vom Spenden-Wein (der σπονδή) zu trinken und sich dabei mit „Verderbenssalbung" (χρίσματι άπωλείας) zu salben (χρίειν). N u r der genaue Mahlbezug dieser Kritik ist unklar: Sie kann auch spezielle Tempelmahlzeiten (vgl. 21,13f), unwahrscheinlicher umgekehrt das tägliche pagane Mahl im Blick haben. 1 6 '

Pyramidenzeit ein Gott der Ölpresse und Weinkelterung auftauchte, dem der mit Ol einbalsamierte Tote verglichen werden konnte (s. Sethe, Pyramidentexte VI 25 zu bes. Z.545b im Spruch 333), später Nefertem Patron der Salben und Duftstoffe wurde (erste Hinweise bei Hermann Schlögl, Art. Nefertem, LÄ IV, 378-380, hier 379). 165 S. Mayer a.a.O. 32-35, mit χρίειν z.B. Achaeus, fr. 17 Nauck. S. Mayer a.a.O. 33. 167 S. namentlich die breite Erörterung bei Athenaeus, deipnosoph. XV 686c-692f, die durch die Salbung (χρίειν) eines Festteilnehmers ausgelöst (686c) und durch Trankspenden für verschiedene Götter abgeschlossen (692f), aber in sich als Diskussion eines ästhetischen Vorgangs geführt wird. - Eine Behandlung weiterer Aspekte des Symposions und seiner frühchristlichen Kritik, die sittliche Aspekte noch vor den religiösen in den Vordergrund stellte, bietet Baus, Kranz 74-82. 168 Die Einleitungsdiskussion zu JosAs erreicht derzeit einen Konsens jüdischer Ansetzung der Schrift zwischen dem 1. Jh. v. und 117, wahrscheinlicher 70 n.Chr. (s. Lindars, Joseph and Asenath 18Iff und Burchard, Importance of Joseph and Aseneth 104, je mit Lit.). Von der älteren These christlicher Entstehung der Schrift blieb in der neueren Forschung zunächst noch die gerade die Salbungsabschnitte treffende Suche nach Interpolationen (s. Holtz, Joseph und Aseneth bes.483-490), die aber keine überzeugende Evidenz beibringen konnte und daher - nachdem schon Schnackenburg, Brot des Lebens 335 jedenfalls 8,5; 15,4 als ursprünglich anerkannt hatte - inzwischen aufgegeben wurde (s. Lindars a.a.O. 182f u.ö.). - Die Textrestitution schritt über Pierre Battifol, Le Livre de la Priere d'Aseneth, in: ders., Studia Patristica 1-2, Paris 1889-1890, 1-115 fort; als Zitationsgrundlage dient Christoph Burchard, Ein vorläufiger griechischer Text von Joseph und Aseneth, in: Dielheimer Blätter zum Alten Testament 14, 1979, 2-53. ,M Z.St. bes. Lindars a.a.O. 185 und C. Burchard, JSHRZ II 4, 1983, 604 mit Anm. 97.

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Grundlegung

Nicht unähnlich stellt sich die Entwicklung bei der agonalen und gymnasialen Salbung dar. Alle großen griechischen Wettkämpfe hatten religiöse Ursprünge. 170 Ebenso waren die Gymnasien nicht nur Sport-, sondern auch religiöse Stätten.171 Hellenistisch-kaiserzeitliche Abschleifungsprozesse blieben aber nicht aus, in deren Gefolge die von Sophokles bis Nonnos reichende Tradition, die das dortige Salben etwa mit Nike, der Siegverleihenden, und Athene, der Patronin des Öls, in Verbindung brachte, für rationalisierend-kritische Hellenen belanglos werden konnte. 172 Parallel verlor sich die Tradition, Götter selbst mit dem Aryballos, dem Salbgefäß der Palaistriten, darzustellen und so künstlerisch eine enge Verbindung zwischen göttlichem und menschlichem Athletentum zu dokumentieren. 173 Und die Vorstellung, daß sich der siegreiche Athlet bei den Wendungen seines Laufes so in die Menge stürze, daß er deren Mäntel mit Öl benetze, war wohl ausschließlich in der Frühzeit bedeutsam, in der man sich der Orientierung des Laufs als Weg zum Altar noch ursprünglich bewußt war und eine vermittelte Teilhabe aller an solcher Sakralisierung (oder Segensausstrahlung?) suchte. 174 Trotzdem nahmen Juden bis zur frühen Kaiserzeit die sakralen Konnotationsreste wahr: Laut Josephus setzten sie in „Asien" unter

Auf die jüdische Salbungskonzeption in JosAs wird noch zurückzukommen sein (unter 2.2.3.1 und 2.3.2). 170 S. Bruno Schröder, Der Sport im Altertum, Berlin 1927, 14-32. 171 S. allg. (einschließlich Belegen altchristlicher Kritik) Jean Delorme/Wolfgang Speyer, Art. Gymnasium, RAC XIII, 155-176, hier 169f,172 (Speyer). Ein ergänzendes Beispiel für den fließenden Ubergang gymnasialer Nacktheit und Salbung zum Kultvollzug auch außerhalb des Gymnasiums bietet Strabos Bericht über den sakralen Festzug Gesalbter vom Gymnasium in Acharaka aus (geogr. XIV 1,44; mit άπαλείφειν, zu dessen Bedeutung man o. Anm. 121 vergleiche). 172 Laut Athenaeus a.a.O. XV 687c zeichnete Sophokles in seiner nicht erhaltenen Krisis Athene selbst als έλαίω χριομένην καϊ γυμναζομένην. Bei Nonnos, dion. 12,264 (innerhalb 254ff) geht es dagegen um den Athene-Bezug der Athleten, die sich χρίουσιν έλαίφ. Die Nikesalbung belegt Schröder a.a.O. 160 aus der Kunst, versteht sie aber fälschlich als Unikum, da er sich auf eine allein sporthygienische Deutung der Salbung festlegt, obwohl letztere schon beim zentralen Ringen Schwierigkeiten bereitet: Das Ol verursachte eine Glätte der Haut, die durch eine Sandbestreuung ausgeglichen werden mußte (a.a.O.). Freilich wurde die sporthygienische Deutung schon spätantik-rational dominant: s. Lukian, Anach. 24 nach 1 (übrigens nach wie vor im Rahmen eines gottgeweihten Gymnasiums: 7) und Philostrat, gymn. 43 u.ö. 173 S. exemplarisch die Entwicklung der Darstellung Apolls mit dem Aryballos, dokumentiert und kommentiert bei Wassilis Lambrinudakis (u. a.), Art. Apollon, Lexicon Iconographicum mythologiae classicae II/l, 183-327, hier Nr.462-465 und S.325. 174 Den Vorgang skizziert Bakchylides, epin. 10(9),21-24 anhand Aglaos' Siegeslauf bei Poseidonspielen, leider ohne ihn zu deuten. Aber der Fortgang des Textes zu einem Wettlauf beim Altar des Zeus in Nemea (29f) verrät, daß er von der Vorstellung eines Altar-Laufs ausgeht, wie sie bei Philostrat, gymn. 5 immerhin noch als Entstehungserinnerung bewußt ist.

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den Seleukiden das bis zur Abfassung der Antiquitates ungebrochene Recht durch, im Falle eines Gymnasienbesuchs den Gebrauch des „stammesfremd-heidnischen 175 Ols" (άλλόφυλον ελαιον) verweigern zu können und den Gegenwert vom Gymnasiarchen ausbezahlt zu bekommen (ant. 12,119f). 176 Damit schärfen sich die Konturen für die schon berichtete, 177 selbst eine Überteuerung in Kauf nehmende Suche der Juden des 1. Jh. n. Chr. in der Diaspora nach „reinem", nur durch jüdische Hände gegangenem Ol: Sie sahen in ihrer Umgebung nicht nur um das eigene, sondern ebenso um das fremde Ol religiöse Konnotate und vermieden die Berührung mit letzterem von einem strengen, keine fremden Götter duldenden Jahweglauben aus.

Begeben wir uns zuletzt zum militärischen Bereich, so stoßen wir auch dort auf sich nahtlos in den bisherigen Zusammenhang einfügende, im Ritualkern apotropäisch wie kraftverleihend gedachte Salbungsvorgänge: D a ß griechisch nicht unähnlich zu alter jüdischer Tradition Schilde mit Ol begossen wurden (καταχεΐν 1 7 8 ), wissen wir von Aristophanes (Ach. 1128; 179 vgl. jüdisch Jes 21,5 180 ), daß wenigstens eine der griechischen Völkerschaften beim Vorgehen in die Gefahr eine personale Salbung vornahm (vgl. jüdisch bes. die LXX-Fassung von Ps 151,4.6f 181 ), über Suda aus Aelian. 182 Und Athenaeus überliefert, beides im übertragenen Raum zusammenführend, daß in klassischer Zeit Ath175

Vgl. die semantischen Hinweise bei Bauer, WB s.v. αλλόφυλος (Sp.81). Wieder ist ein Ausblick auf die christliche Rezeption interessant: Bis ca. 200 verblaßte die Wettkampfsalbung ähnlich der paganen Umgebung zu einem nur allgemein die Kampfbereitschaft auslösenden Ritus (s. Clemens Alex., paed. II 8: 66,2), spielte daher auch in Tertullians Wettkampfverwerfung (spect. 11) keine Rolle. Aber später konnte ihre religiöse Tradition ins Christliche gewendet neu belebt werden: Für (Pseudo-)Dionys Areopagita, eccl.hierarch. II 6 (PG 3,40lf C.D) wird der Täufling durch seine Salbung in den heiligen Wettkampf unter Christus gestellt. 177 S.o. unter 2.1.3.1. 178 Mit dieser Terminologie sind wir deutlich von einem pragmatischen Einreihen der Schilde etwa um deren Elastizität willen entfernt. 179 Der Kontext läßt den religiösen Aspekt schön hervortreten. Denn der Schild des Lamachos, um den es geht, trägt das religiös erschreckende Gorgonenhaupt (s.l 124,1131). Aristophanes wäre freilich nicht er selbst, würde er nicht ironisieren: Statt Lamachos, den Kriegshelden, zu bewahren, spiegelt der gorgonische, glänzende Schild nur seine künftige Feigheit (1129 vor 1178-1181). Im übrigen beschränkt sich die Assoziation abwehrende Salbung - Gorgo nicht auf Aristophanes: Chapot führt am Anm. 161 a.O. 592 sogar ein Salbgefäß in Gestalt eines Gorgonenkopfes auf (mit Abb.). 180 Dazu s.o. unter 2.1.1.1 mit Anm. 5. 181 Hier wird die religiöse Komponente noch dadurch verstärkt, daß der Philister Davids Salbung (vergeblich) durch eine Verfluchung zu neutralisieren sucht (v.6); Weiteres zum Ps o. unter 2.1.1.5 (dort Anm. 147 mehr Hinweise zum jüdischen Traditionsumfeld: Ps 92,11 usw.). 182 S.v. λίπα, zitiert und als apotropäische Schutzmaßregel gedeutet bei Mayer a.a.O. 54 (mit άλείφειν). 176

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Grundlegung

leten für den Wettkampf Brust und Schild - genauer die äußere Schildhaut - salbten. 183 Schwer ist zu sagen, wie stark verwandte Traditionen im altitalisch-römischen Bereich verankert waren: Die Stelle, die m.W. am nächsten an eine Schildsalbung heranführen könnte - Vergil, aen. 7,626f - , unterscheidet sich erheblich von der ostmittelmeerischen Tradition. Statt von einer Olbegießung spricht sie von einer Fettreinigung für Schild und Speerspitze, die eher pragmatisch, als Pflege der Waffen für ihren Einsatz, gemeint sein dürfte. Sicher nicht pragmatisch erklärbar ist aber die von Plinius mai., nat.hist. 13,23 berichtete und seinen Angaben nach alte, in ihrer Herkunft nicht mehr ausmachbare römische Tradition, die Adler und Feldzeichen an Festtagen zu salben („unguere"). Da Plinius sie zudem selbst in der Kritik noch mit den Siegen der Feldzeichen in Zusammenhang bringt („hac mercede corruptae orbem terrarum devicere aquilae"), könnte sein, daß hier ältere militärisch-religiöse Salbtradition nur nachträglich in römisch-strategischer Rationalität verblaßt ist.184

Seinen Höhepunkt fand der Traditionsbereich erzählerisch kaum zeitverschoben zu Josephus und in bemerkenswerter Parallele zu dessen Bericht über die Aufständischenselbstsalbung in Jerusalem 185 in der Isidas-Erinnerung Plutarchs (vit.Ages. 34): Als Sparta im Zuge des Zusammenbruchs seiner im Peloponnesischen Krieg errungenen Macht von Epameinondas aufs schwerste bedroht wurde, stürzte Isidas sich so Plutarch - nackt und ohne Schutzwaffen, nur mit Lanze und Angriffsschwert, in den Kampf, nachdem er seinen Körper gesalbt hatte (λίπα χρισάμενος τό σώμα). Die Entblößung signalisiert nach Mayer in altgriechischer Tradition - man vergleiche die Kodroslegende - seine Devotio; er „bietet sich den Unterirdischen als Opfer an und salbt sich, um ihnen ein reines und annehmbares Opfer zu sein."186 Freilich, es kommt nicht wie in Jerusalem zum Untergang, zum Opfertod, sondern umgekehrt unterbleibt sogar jede Verwundung des Siegreichen. Die apotropäische und kraftausstattende Dimension der militärisch-sakralen Salbungstradition erweist sich in diesem Fall als die stärkere, nach Plutarch, weil ein Gott Isidas wegen seiner Befähigung bewahrt habe oder etwas Größeres und Stärkeres als Menschliches von ihm für die Feinde ausgestrahlt sei. D.h., die Gottverbindung des Isidas wendet sich vom Opfer zum Tremendum, gleichgültig ob sie sich primär als göttlicher Schutz des menschlich Heldenhaften oder als von vornherein

183

A . a . O . X 414d, aus Achaeus von Eretria (mit χρίειν). A. Ernout schlägt am Anm. 163 a.O. 74f Anm. 1 näherhin einen Bezug zum Kaiserkult vor, doch fehlt dafür der direkte Beleg. 1,5 S. am Ende von 2.1.3.1. 186 Mayer a. a. O. 55. Die Vorstellung, sich opfernd unter Feinde zu stürzen, war übrigens in der Antike durchaus verbreitet: s. Versnel, Self-Sacrifice 152-156 (ohne Berücksichtigung unserer Vorgangsvariante). 184

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übermenschliches Aufleuchten seiner Gestalt äußerte. Spontan reagierten laut Plutarch die spartanischen Ephoren religiös, indem sie Isidas bekränzten. 187 Doch dann bricht nachträglich griechisch eine Kritik hervor, die mutatis mutandis das Äquivalent zur Kritik des Josephus am Tun der Aufständischen im Jahre 70 n. Chr. darstellt: Isidas wird die hohe Strafe von 1000 Drachmen auferlegt, weil er sich ohne jede menschliche Schutzmaßnahme in die Gefahr gestürzt habe (ebd.). Militärische Rationalität und menschliche Scheu vor der Hybris von Isidas' erzwingender Provokation göttlicher Hilfe treten seiner religiösen Würdigung entgegen. Nach Plutarch verlieren sich unter Vertiefung solcher Rationalität bis zum Anfang des 3. Jh. n.Chr. die verbliebenen Reste der religiös-militärischen Salbungstradition, wird diese selbst für christliche Augen nur religiös verblaßte Vergangenheit. 188

Der Spannungsbogen schließt sich. Schlußfolgerungen sind möglich: 2.1.3.3 Schlußfolgerungen und Ausblick Die anders als Königs- und Hohepriestersalbung nicht abgestorbenen, sondern höchst lebendigen kultischen und halbkultischen Salbungsvollzüge des Judentums um die Zeitenwende bilden keinen religionsgeschichtlichen Sonderbereich Israels, sondern zeigen dieses in den übergreifenden mittelmeerischen Religionsraum eingebettet. Denn durchweg begegnen - auf der gemeinsamen Basis sakraler Salbungs187 Zwar behandelt Baus, Kranz unsere Stelle nicht und militärische Dimensionen allg. nur knapp, aber seine Behandlung des Siegeskranzes bei Agonen und Triumphen (144-157) erschließt die Konnotate: gottnahe Ehrung und - letztlich als Voraussetzung dafür - Entsühnung/Lustration von im Kampf aufgeladener Blutschuld. 188 Aufschlußreich ist die Weiterentwicklung der Isidaslegende durch Polyaenus in Rom unter Mark Aurel (strat. II 9): Isidas gibt nun vor dem thebanisch besetzten Gytheion 100 Gleichaltrigen die Anweisung, sich zu salben und zu bekränzen, den Schlachtdegen unter den Achseln zu verstecken und ihm, der nackt vorrenne, wie in einem sportlichen Spiel nachzurennen. Die Thebaner lassen sich überlisten, werden, als sie die scheinbaren Sportler empfangen, niedergemacht und vertrieben. D.h., in die römische Strategie um 161 n.Chr. sollte nur eine an athletische Salbungstraditionen anknüpfende Kriegslist vermittelt werden; eine Salbung religiös-militärischer Tradition interessierte nicht. Tatsächlich scheint letztere nun auch in Ägypten nicht mehr praktiziert worden zu sein: Clemens Alex, blickt paed. II 8: 66,2 auf sie nur mehr als religiös irrelevante Vergangenheit zurück (geht erst zur Athletensalbung - vgl. o. Anm. 176 - ins Präsens über). Reste mögen sich am längsten in Großgriechenland gehalten haben. Denn dort sieht sich Philostrat, gymn. 7 noch zu Anfang des 3. Jh. genötigt einzuschärfen, beim Kriegsruf werde das Ol im Gymnasium aufgehoben und weggetragen „nicht zu nunmehrigen (neuen) Salbakten, sondern zur Beendigung des Sich-Salbens" (so ist diese Stelle kein „verwirrender Zusatz", wie Julius Jüthner, Philostratos: Über Gymnastik, Leipzig.Berlin 1909, 200 meint, sondern gezielter Impuls).

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Grundlegung

wertung gemäß den jeweiligen Religionseigentümlichkeiten verschoben - pagane Äquivalente: Als Kernbereich religiöser Salbung zeigte sich jüdisch der Kult vor dem allerheiligsten Raum des unsichtbaren, abbildlosen Jahwe. Dieser Raum ist dort bezeichenbar als „das Gesalbte" (τό χριστόν) schlechthin. Pagan korrespondiert dem die Pflege der sichtbaren Götter in ihrer Vielzahl: Uberall, wo man im Glauben oder Aberglauben Götterrepräsentationen erblickte - in Götterbildern, aber auch Steinen, Wäldern, Altären usw. - , neigten Bevölkerungskreise zu deren salbender Ehrung und Belebung, nur partiell gebremst durch Einwände und Spott von Seiten kaiserzeitlicher Rationalisten. Zumindest örtlich übergoß man ergänzend wie in Jerusalem salbend mit Ol, was man den Göttern übergab, die Opfer. Weit weniger als im Judentum Palästinas gehemmt durch die Scheu vor einem menschlichen Sich-Nahen an den einen, einzigen Gott - die dort die von l l Q T e m p projektierte Salbung des Kultvolks am Olerstlingsfest wohl nie Realität werden ließ -, erstrebte man pagan an den Tempeln, religiösen Festen und allenthalben in den Lebensvollzügen zudem die eigene Salbungs-Partizipation am Segen, Reden und Wirken der Götter. Daher suchte man den Kontakt mit dem von den Götterbildern tropfenden Salböl oder mit gesalbten Gegenständen. Den Gottkontakt lustrierend vorbereitend, mehr und mehr zugleich als Partizipationsakt an der Götternähe, salbte man sich verbreitet vor dem Begehen religiöser Akte, im Osten örtlich vor jedem Betreten einer sakralen Stätte. Bei den Lebensfesten stellte man sich Götter als Salbungspatrone vor, vollzog Salbungsriten selbst im Krieg und selbstredend vielfach in der Magie. Das sakrale Salbungsdenken griff auch nach der Sphäre des Todes. Im Judentum der Zeitenwende suchte man die Gebeine salbend vor letzter Gottferne zu bewahren. Pagan gewährte man in der hellenistischen und späten Antike schon dem Leichnam als - gegebenenfalls apotropäisches - Geleit ins Götterreich des Todes (Hades) eine Salbung. Vorgänge des religiösen χρίειν, άλείφειν, des Einreibens (τρίβειν κτλ.) oder Übergießens (καταχεΐν, περιχεΐν κτλ.) mit ελαιον, μύρον, νάρδος κτλ., durchzogen so in der uns interessierenden Zeit den ganzen Lebenskreis. Nur wo sich ehedem außeralltäglich-religiöse Erfahrungsfelder zu alltäglich Erlebtem abschliffen - bei den Trinkfesten (Symposien) und Sportveranstaltungen (Agonen, Gymnasien) - , konnte ihre sakrale Bewußtheit kaiserzeitlich in eine konventionelle, hygienische oder kosmetisch-ästhetische Praxis übergehen. 189 Und nur, wo eine übergem

Letztere war als Eigenlinie hier nicht zu verfolgen, so gewiß ihr Gewicht aus der Fülle der Realienangaben etwa bei Plinius mai., nat.hist. 13,1-26 und Athenaeus, deipnosoph. X V 686c-692f hervorgeht. Von Historikern (z.B. Sueton, Cal. 37; vgl. Plinius a.a.O. 22) wie Satirikern (z.B. Petronius, sat. 28,2) nur in Ubersteigerungen gegeißelt

D e r Realienhintergrund

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ordnete strategisch rationale Struktur sie überlagerte, konnten sie - wie die Kampfsalbung im römisch organisierten Militär - ganz verschwinden. In den Zentralbereichen - der Salbung von Göttern (sei. Götterbildern) und diesen Geweihtem - blieben sie dagegen bis zur spätesten Antike ungebrochen. In außeralltäglichen Feldern, namentlich dem Kreis der Magie und Zauberei, gewannen sie kaiserzeitlich sogar eher an Bedeutung. Bei alledem verdichtete sich pagan das griechische Verbaladjektiv χριστός - wie römisch das Partizip Perfekt Passiv „unetus" - weder im Singular noch im Plural zu einer nominal stereotypisierten Personenbezeichnung (Name oder Titel). So macht diese Verdichtung das Proprium des jüdischen wie des kaiserzeitlich parallelen und nachfolgenden christlichen Begriffsgebrauchs aus. In unschätzbarer Weise sicherte sie auf der Basis des gemeinantiken Sprachgebrauchs „wer/was gesalbt ist, ist heilig, Gott nah, Gott übergeben" der christlichen Verkündigung des Gesalbten (Christos) schlechthin an die Völker (εθνη) ihre Einzigartigkeit, bewahrte sie vor einem Abgleiten in die Vielfalt mittelmeerisch-halbmagischen Volks- und Aberglaubens. 190 Anders gesagt: Bei aller Einbettung in ein breites, positiv gewertetes religiöses Erfahrungsfeld klang „der Gesalbte" paganen Ohren zur Zeit der Entstehung des Christentums als singulare, den eigenen Erfahrungsbemühungen vermittel- und doch durch sie nicht nivellierbare religiöse Würdebezeichnung. Religiöse Konnotationsfähigkeit und Singularität verbanden sich in einer Weise, die „Christos" zum idealen Missionsbegriff machte. Das am Anfang dieses Abschnitts noch auffällige 191 Faktum, daß der Christus-Titelname gerade vom Heidenmissionar Paulus forciert und bei Christen paganer Herkunft rasch rezipiert wurde, gewinnt volle Plausibilität. Weitergehend zeichnet sich die entscheidende Perspektive für die Füllung unseres Christus-Begriffs in seinem christlich theologischen Gebrauch ab: Er entstand in einer Zeit der Prägung jüdischer Erinnerung an herrscherlich-hoheitliche und priesterliche Gesalbte durch das Kriterium, wieweit diese Gestalten dem im Begriff mitgehörten Anspruch gerecht geworden waren, personal und handlungsmäßig Gott nah zu sein wie das Allerheiligste des Tempels in Jerusalem. Vor dieser Anspruchstiefe versagten aber nach jüdischer Auffassung zur Zeit Jesu bzw. ironisiert, wurde der Salbengebrauch sogar privat- wie vermögensrechtlich (man bedenke den Wert der Salben) justiziabel; s. die Belege im Vocabularium Iurisprudentiae Romanae [ . . . ] V, 1440 s.v. unguentum/unguere. 1.0 Vgl. schon die Grundsatzausführungen zur antiken Wertigkeit und Bedeutungskraft eines „neuen" ( = aus nichtonomastischem Wortgebrauch neu gebildeten) Namens o. unter 1.2.4. 1.1 S. die Einleitung zum Gesamtabschnitt 2.

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Grundlegung

und der ersten christlichen Generation alle Einzelgestalten der Staatsund Tempelgeschichte. 192 Jesus wird so auch vor jüdischem Hintergrund singulärer Titelträger. Wenn das Urchristentum das Prädikat in seiner Anspruchstiefe auf ihn bezog, sagte es die einzigartige Gottnähe und Heiligkeit seiner Person und seines Tuns aus. In der Eigenart der Begriffsstruktur war das in der Heidenmission gleichermaßen vermittelbar. Wo es um eine nähere Entfaltung dieses Aussage- und Bekenntniskreises geht, bieten sich, wie im folgenden zu besprechen ist, wichtige Anknüpfungs- und Auseinandersetzungsfelder in der jüdischen Verzweigung der personalen Gesalbtenbegrifflichkeit um die neutestamentliche Zeit und in der paganen Verdichtung einer Vorstellung von Salbung als Gottheitsapplikation. Wohin wird schließlich der Weg führen? Um die Perspektive zu zeigen, sei ein Sprung in spätaltkirchliche Zeit, das 5. Jh., gewagt. Wir greifen Nonnos heraus, nicht weil er die Begriffsimplikationen besonders vollständig entfaltete - etwa fehlt bei ihm die anderweitig äußerst verdichtete Dimension Gesalbter/Opfer/Priester 1 9 3 - , sondern weil sein Werk exemplarisch die Spannweite der spätantiken Kultur mit ihrer Gleichzeitigkeit paganer und christlicher Tradition um den Abschluß der christologischen Dogmenbildung dokumentiert. E r schrieb zu dieser Zeit s o w o h l die D i o n y s i a k a , aus d e n e n s c h o n z u zitieren war, wie - nach 431 1 9 4 - eine P a r a p h r a s e des J o h a n n e s e v a n g e l i u m s , aus der nun noch zu zitieren ist.

Sein Ausgangspunkt ist klar. Vielfältig läßt sich in den Dionysiaka unter Fortführung paganer Traditionen von (religiösen) Salbungen sprechen, aber kein einziges Mal das Nomen χριστός gebrauchen; 195 mit den Worten Jesu in der Paraphrase zu Joh 4,26: Χριστός εγώ γενόμην ού δεύτερος άλλος Ικάνει. 196 Die Bedeutung des Prädikats erläutern die Worte des Andreas in der Neuformulierung von Joh 1,42: Μεσσίαν σοφόν εΰρομεν; wir fanden, jüdisch anschließend, den Messias, in dem die bei Philo angeklungene OI-Salbung-Weisheits-(Logos-)Tradition 197 zu ihrer Bündelung kommt. In Geltung steht er als „Gott S. unter 2.1.1.5, 2.1.2.3 und 2.1.3.1 bei Anm. 25ff, ergänzend u. 2.2.2. Das anonyme Pascha-Epigramm AGr I 53 artikuliert: αμβροτον ώπασε ΘΟμα Χριστός, έών ιερεύς, αύτός έών θυσίη - „ein unsterbliches Opfer gab der Gesalbte (Christus), zugleich Priester und selbst das Opfer". 1 . 4 Nonnos verwendet in der metab. als Reflex der Auseinandersetzungen von 431 das θεητόκος-Prädikat (s. Rudolf Keydell, Art. Nonnos, K P IV, 154f, hier 154). 1 . 5 S. die Belegübersicht s.v. χρίω im Lexikon zu den Dionysiaka des Nonnos, Hg. Werner Peek, Alpha Omega 3, Hildesheim 1968-1975, 1781. metab. 4,133 (ed. Schindler), bei jüdischer (als samaritanisch gespiegelter) Tradition ansetzend, aber nicht minder für Heiden geltend. 1 , 7 S.o. unter 2.1.2.3 und 2.1.3.1. 1.2

1.3

Der Realienhintergrund

213

Mensch Gesalbter" (θεός άνηρ Χριστός 198 , ebd.). 199 D.h., zum Erläuterungsprädikat für „Gesalbter" ist „Gott Mensch" geworden; auf diese Weise expliziert sich im christologischen Denken aufs äußerste verdichtet das mittelmeerisch-antike Erbe, Salbung besage Gottzugehörigkeit. 200 Zusätzlich aktualisiert N o n n o s die jüdische Königstradition - er trägt in Joh 12,3 das Basileus-Prädikat sogar neu ein 201 - , aber nur als Explikationsweise der Gottesdimension Jesu. D e n n entscheidend ist, daß Maria die „übermenschlich-göttlichen" (θεσπέσιος) 202 Füße dieses „Königs" salbt, womit sie übrigens auch noch einen apotropäischen Effekt erzielt, die Bewahrung des Körpers Jesu bis zur mörderischen Grabesstunde der Passion. 203 Alles in allem: Das Christentum entwickelte sich zwar als scharfe, daher o f t verfolgte Alternative zu den staatlich verpflichtend gemachten Religionsäußerungen der römischen Prinzipats- und Dominatszeit, aber ohne Scheu, sich Traditionen wie aus dem Judentum 204 so auch aus dem Heidentum in fruchtbar weiterführender Weise anzueignen. 205

1,8 „Christos" ist hier wie in den neuzeitlichen Bibelausgaben erst sekundär durch eine Minuskel/Majuskel-Differenzierung von den vorangehenden Nomina abgesetzt. A.a.O. 1,157f, erzählerisch unter der Warte „griechischsprachiger Juden" (die die Christen vertreten) formuliert. 200 v g i . Jig paraphrase von Joh 20,31, wo das Gottessohnprädikat durch die Neueinfügung von τοκήος vor Christos letztlich zur Erläuterung des Christus-Prädikats wird und die Neuformulierung entsteht, das Joh ziele auf den Glauben, daß Jesus τοκήος Χριστός άειζώοιο θεοϋ γόνος („der geborene Gesalbte = des ewiglebenden Gottes Hervorgebrachter") sei (a.a.O. 20,14lf). - Für die Weiterentwicklung wäre die syrische Linie einzubeziehen. So führt Werner Strothmann, Das Sakrament der Myron-Weihe in der Schrift de ecclesiastica hierarchia des Pseudo-Dionysos Areopagita in syrischen Ubersetzungen [...], GOF 15/1.2, Wiesbaden 1977/78, Teil 2, XLVI aus Jakob von Sarug (f 521) an: „Zwei Salben hat er in seiner Hand, um dadurch Gottheit und Menschheit zu bezeichnen" (myr. 325). 201 A.a.O. 12,13. 202 A.a.O. 12,14. 205 J2,28ff in Paraphrase von Joh 12,7. Ergänzende Hinweise zum altkirchlich-christologischen Gebrauch des Königsprädikats u. am Ende von Ausblick 3. 204 Wofür hier noch ein für unseren Zusammenhang besonders einschlägiges Beispiel angeführt sei: Die Vulgata liest in Dan 9,24 D'tnp Elp (MT) einfach als Maskulinum und gelangt damit statt einer Tempel- zu einer Christusweissagung: ein „Allerheiligster" (statt „Allerheiligstes") werde gesalbt („unguatur sanctus sanctorum"). 205 Yg] Jig 0 b i g e n Hinweise zu den Traditionen des Myron (Anm. 83) sowie den Salbungen von Altar (Anm. 101), Neugeborenen (Anm. 157), Brautleuten (Anm. 163) und Wettkämpfern/Getauften (Anm. 176). Ein mehrgliedriges Paradigma christlich apologetischer Anknüpfung an umgebende pagane Salbungstraditionen bietet Theophilus von Antiochien, Autol. 112: Bemüht um eine Aufwertung des Christennamens gegen dessen heidnische, bei „salben = einschmieren" einsetzende Verspottung (s. o. unter 1.2 mit Anm. 192), geht er zu einer positiven Erinnerung daran über, daß allenthalben als sinnvolles Brauchtum der Neugeborene und Athlet mit Ol gesalbt und ein schmuckreiches Werk (Κργον κόσμιον; da letzteres Adjektiv ist, muß es sich auf „Werk" beziehen, auch wenn eine Partikel es im Text davon trennt)

214

Grundlegung

2.2 Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes Im jüdischen wie paganen Erleben eines Sakralzusammenhangs von Gottesnähe, Gotteswirken, Gottesbegegnung und Salbung/Gesalbtsein liegt nach den bisherigen Untersuchungsergebnissen der realiengeschichtliche Hintergrund für die Bezeichnung Jesu als Gesalbter in den Glaubensartikulierungen der judenchristlichen wie der heidenchristlichen Kirche der ersten Jahrhunderte. Das Judentum prägte darüber hinaus in alttestamentlicher Zeit - wie gezeigt - auch das Nomen Gesalbter (Jahwes), zunächst zur theologisch würdigenden Bezeichnung von Königen, später zur Bezeichnung seiner Hohenpriester. Freilich läßt sich nach den bisherigen Untersuchungen kein spannungsfreier Bogen von diesen alten Titelverwendungen zur frühen Christologie schlagen: Um die Zeitenwende wurden amtierende Könige und Hohepriester nicht mehr als Gesalbte bezeichnet, waren vielmehr beide Salbungslinien seit Jahrhunderten abgebrochen. Das unmittelbare Umfeld des frühen Christentums bildet daher der als Theologumenon weiterentwickelte, übertragene Gebrauch des Nomens Gesalbter und seiner Begriffskombinationen (Gesalbter Jahwes, Gesalbter Israels/Aarons, Gesalbter des Geistes u.a.) in der Phase des institutionell-personalen Salbungsvakuums seit dem 2. Viertel des 2. Jh. v.Chr.

2.2.1 Die Grundlagen für den 'übertragenen Gebrauch des Gesalbtenbegriffs um die Zeitenwende 2.2.1.1 Die alte Eröffnung individueller Begriffsübertragung Es ist durchaus möglich, ja wahrscheinlich, daß die uns hier interessierende Verzweigung der Gesalbtenbegrifflichkeit in der Variante ihrer Übertragung auf Einzelgestalten, die nicht der Institution des israelitisch-judäischen König- oder Priestertums zuzuordnen sind, noch in der vorexilischen Zeit ihre Grundlegung erfuhr. Denn schon der ElijaElischa-Erzählkreis berichtet von einer solchen Ausweitung: Nach 1 Kön 19,15f soll Elija in der Krise Israels um die Mitte des 9. Jh. v.Chr.

gesalbt und zum Erglänzen gebracht werde (χρισ&η καί στιλβωθώ) - wobei mit letzterem nach der obigen Realienerörterung sehr wohl die schmucken, christlich noch immer wenigstens als Kunst bewunderten Götterbilder an all den umgebenden Kultstätten gemeint sein können. Erst im Schluß des Paragraphen sucht Theophilus nach einer weiterführend übertragenen Bedeutung (dazu unter 2.3.3).

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

215

nicht nur Jehu für Israel, sondern gleichermaßen Hasael für Damaskus und Elischa als seinen designierten prophetischen Nachfolger salben. D e r P a s s u s g e h ö r t nicht d e m ältesten E l i j a - o d e r E l i s c h a - E r z ä h l k r a n z , s o n dern (mit v . 1 7 ) einer s e k u n d ä r e n V e r k n ü p f u n g b e i d e r U b e r l i e f e r u n g s s t r ä n g e an. 1 D a m i t verbieten sich R ü c k s c h l ü s s e aus i h m auf e i n e n t a t s ä c h l i c h e n V o l l z u g einer F r e m d k ö n i g s - u n d P r o p h e t e n s a l b u n g in altisraelitischer Zeit. 2 Es bleibt der t h e o l o g i s c h e Impetus, der d e n v o r d e u t e r o n o m i s t i s c h e n 3 R e d a k t o r z u seiner Ü b e r t r a g u n g b e w e g t hat:

Jahwe nimmt alle drei Gestalten durch die Salbung für sein tötendes Gericht in Pflicht und verleiht ihnen zugleich die Befähigung, dieser Inpflichtnahme nachzukommen. Daher ist gewiß „so wird es geschehen" (v.17). Die alte Doppelstruktur von Salbung als Verpflichtung und Kabod-Verleihung ist in den Dienst eines Gerichtsauftrags getreten und in diesem Auftrag über das israelitische Königtum auf Fremdkönig und Propheten entschränkt. 4 Die Gerichtshärte dieser Übertragung fand keine Nachfolge. Doch als mit dem Untergang des Königreichs Juda die Besetzung des Gesalbtenbegriffs durch israelitisch-judäische Könige ihre institutionelle Dekkung verlor, brachen die Übertragungen auf Fremdkönig und Propheten neu auf. Die Situation stellte sich nun anders als Folge von Gerichtshandeln Gottes dar. Daher hat das salbende Befugen Jahwes Wiederaufrichtung des darniederliegenden Gottesvolks zum Ziel (s. den Duktus von Jes 45,1 zu 45,4ff, von Jes 61,1a zu 61,1b ff). Jenseits dieser gemeinsamen Basis gehen die Stränge auseinander. Allein die Übertragung auf den Fremdkönig, Kyrus, in Jes 45,1 knüpft direkt an die israelitisch-judäische Gesalbter Jahwes-Begrifflichkeit an. Dabei ergänzt sie nicht mehr wie 1 Kön 19,15 eine Salbung zu derjenigen eines Königs für Israel (Juda), sondern substituiert jene, setzt damit gegenüber dem bisherigen judäischen Königtum einen unübersehbaren Akzent auf die Gottgewolltheit des Herrschaftsumbruchs: Der Fremdherrscher ist nicht minder legitimer Träger von Jahwes Verpflichtung und Kabodverleihung als einst David. Jahwe selbst ebnet seinen Weg, 1 Der Auftrag an Elija zur Salbung Jehus steht in Spannung zu 2 Kön 9,1-10 (Salbung durch einen Elischa-Jünger), der zur Salbung Elischas in Spannung zu 19,19 (Berufung durch Mantelüberwurf); Weiteres bei Hentschel, Elijaerzählungen 56-60. 2 Es ist also historisch noch mehr Vorsicht geboten als bei dem schon im Text differenzierenden Steck, Elia-Erzählungen 96ff: vgl. Schmitt, Elisa 121 Anm. 242. 3 Dies ist, soweit ich sehen kann, Konsens der Forschung (vgl. neben der genannten Lit. noch Kutsch, Salbung 62), auch wenn Hentschel a. a. O. 225 mit seiner Ansetzung kurz nach 800 zu weit zurückgehen dürfte. 4 Vgl. zur Interpretation die genannte Lit., die freilich das Salbungsmotiv gerne entschärft (z.B. Hentschel a.a.O. 56f trotz 224f auf eine übertragene „Geistmitteilung"), grundsätzlich die semantischen Ausführungen o. unter 2.1.1.1.

216

Grundlegung

beruft ihn in die Rechte und Aufgaben der nieder- und untergegangenen davidischen Dynastie (Jes 45,l-6). 5 Ihren Zusammenhang findet diese Aussage darin, daß prophetische Kritik am Königtum und der Verfassung Judäas schon seit der spätvorexilischen Zeit mit der Übertragung jahwebezogener Ehrentitel auf einen Fremdkönig begonnen hatte; so erblickte Jer 25,9;27,6 (vgl. jünger 43,10) im mit Gewalt einschreitenden Nebukadnezzar einen Knecht Jahwes. Eine Generation später war Wiederaufbau das Thema, aber die Ehrenprädikatsübertragung schritt fort: Deuterojesaja bezeichnet Kyrus auch noch - in der vorliegenden Textfolge vorab als Jahwes Hirten (Jes 44,28).' Nur die Fremdübertragung speziell einer Salbungsaussage bleibt in Jes 45,1 singulär, jedenfalls nach dem gegenwärtigen Stand unserer Texterkenntnis. 7

Die prophetische Inanspruchnahme verfährt in Jes 61,1 begrifflich zurückhaltender, meidet das Nomen Gesalbter Jahwes und ersetzt die Kabodmotivik durch diejenige vom Geist Jahwes. Ihr geht es um eine Jahwebefugung eigener Art: Jahwe salbt zur Verkündigung, zum Ausrufen seines heilvollen Wirkens (61,1b ff). Doch die alte Grundstruktur des Salbungsgedankens bleibt spürbar. Dem inneren Duktus des Textes nach verleiht Jahwe mit der Aufgabenstellung zugleich die Kraft, der Aufgabe so nachzukommen, daß das verkündete Heilsgeschehen Wirklichkeit wird. 8 Befreiung von der herrscherlichen Zentrierung der älteren Salbungstradition schließt also die Kontinuität zentraler semantischer Motive nicht aus. Ps 105,15 gibt in einem nächsten Schritt - falls er nicht eine eigene Übertragungslinie darstellt - die Scheu vor einer Übertragung der königlichen Nominalverbindung Gesalbter Jahwes auf „Propheten" auf, 9 bezieht die Übertragung aber auf Gestalten der vorköniglichen Zeit, näherhin die Patriarchen, die unter der Regentschaft fremder Könige leben mußten und daher besonders des Schutzes Jahwes bedurften. 5

Vgl. neben den Kommentaren etwa Hesse in Grundmann u. a., χρίω κτλ. 494, Jenni, Kyros bes.254, Koch, Propheten II 132-135, Kellermann, Messias-Hoffnung 366 mit Anm. 23 und Waschke, Vorstellungen 159f. 6 Vgl. neben der genannten Lit. (und o. 2.1.1.2) Becker, messianische Erwartung 131 f (mit Hinweis zusätzlich auf Ez 21,32). 7 Zwar könnte auch Ez 28,14 vergleichshaft oder in einem unmittelbaren Zuspruch (je nach Deutung des J1K am Satzanfang) einen Fremdkönig - den König von Tyrus - und Salbungsterminologie verbinden, dann nämlich, wenn npaa dort von riss abzuleiten wäre. Doch sind die Probleme des Textes gegenwärtig unlösbar (vgl. o. unter 2.1.3.1 mit Anm. 4 )· 8 Vgl. zur Interpretation die Kommentare. Der Heilsakzent des Textes verstärkt sich durch den Nachweis Odil Hannes Stecks, Der Rachetag in Jesaja LXI 2. Ein Kapitel redaktionsgeschichtlicher Kleinarbeit, V T 36, 1986, 323-338, daß das komplementäre Unheilsmotiv in v.2 erst auf die großjesajanische Redaktionsschicht zurückgeht. ' „Meine Propheten" steht v.l5b im synonymen Parallelismus zu „meine Gesalbten" v,15a.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

217

Eine Verbindung zwischen der Vorstellung einer Salbung von Propheten und der herausragenden Würdigung von Gestalten der Väterzeit entsteht. Der angesprochene Personenkreis verläßt das Königtum. Doch der Begriff und die Zentrierung der Salbungsmotivik auf den Schutz- und Fürsorgegedanken führen von neuem Anliegen der vorexilischen Königstheologie fort. 10 2.2.1.2 Der alte Ansatz zur

Begriffskollektivierung

Besteht zu den bisher vorgestellten Übertragungen ein weitgehender Forschungskonsens, so kommt f ü r das 6. Jh. v.Chr. und die Folgezeit ein strittiger Übertragungsbereich anderer Art hinzu: der Beginn einer Kollektivierung des Gesalbtenbegriffs. In der kritischen Forschung setzte sich vor knapp 100 Jahren die Beobachtung durch, den Psalmen mit der Gesalbter Jahwes-Verbindung fehle eine eschatologisch-messianische Prägung. Damit wurde deren Weiterüberlieferung und gar teilweise Neubildung in der Zeit des Königsvakuums erklärungsbedürftig. Zur Lösung schlug die Forschung recht einheitlich vor, „Israel" als den „Messias" dieser Psalmen zu deuten: Israel trete in Erwählung und Herrschaftsberufung an die Stelle des Königs (bes. in 1 Sam 2,1-10; Ps 2,2;20;28,8; 84,10; Hab 3)."Diese These wurde nach längerem Zurücktreten in den letzten Jahrzehnten durch J. Becker unter modifizierender Einordnung in ein System theokratischen Denkens erneuert. 12

Tatsächlich ist nicht zu leugnen, daß eine Übertragung der Davidsverheißung auf das Volk, wie sie im Schlüsseltext Jes 5 5 , 3 - 5 begegnet, auf Bahnen heilsorientierter Kollektivierung älterer Königstradition weist, die auch unsere Gesalbtenterminologie einbeziehen konnten. 1 3 Aber ebensowenig ist die Vorsicht und Distanz, mit der die Propheten Salbungsaussagen kollektiv verwenden, zu übersehen: Ezechiel greift statt unser sakrales ΠΡ» das bis dato kosmetische 110 auf, wo er ( 1 6 , 9 ) dem Volk, noch dazu in einer Gerichtsbegründung, vor Augen stellt, wie groß Gott in seinem Salben an ihm gehandelt habe. U n d so gewiß sich zwei Generationen später der Prophet von Jes 61 berufen sieht, den Trauernden „Ol der Freude" zu bringen ( 6 1 , 3 ) wie einst laut Ps 45,8 Gott dem König, zieht er daraus am Schluß des Verses lediglich an einer „Pflanzung Jahwes" orientierte titulare Konsequenzen. 14 10

Vgl. unter 2.1.1.1. Zur Interpretation von Ps 105,15 s. neben den Kommentaren Hesse a. a. O. 494f. " Repräsentative Zusammenfassung bei Weinel, n®8 69-79 (Lit.). 12 Becker bezieht dabei in seinen Beiträgen - messianische Erwartung 137f, Messiaserwartung 63-73, Königspsalmen passim - sukzessive Königspsalmen und königliche Texte überhaupt in die Erörterung ein. 13 Vgl. o. unter 2.1.1.2; zu Becker, Messiaserwartung 63f. 14 Zur Interpretation der Stellen s. die Kommentare.

218

Grundlegung

Es kommen also nur nichtprophetische Kreise als Träger kollektiver Übertragung des Gesalbter Jahwes-Traditionskreises in Frage. Das verweist auf das Feld des begrenzt - nämlich als Klage - vollzogenen Kultes in der tempellosen Zeit des 6. Jh. Dort findet sich die erste philologisch klare Kollektivierung: Der in diesem Rahmen entstandene oder zumindest endgültig formulierte Ps 89 parallelisiert in den w . 5 1 f "|Π'Ε>0

(„dein Gesalbter") zum (Volks-)Plural "|Hiy („deine Knechte") und läßt schon in seinem vorangehenden Duktus das alte leidvolle Königsgeschick auf das Geschick des Gottesvolks durchscheinen. 15 In der Klage also identifizierte sich die Kultgemeinde ab dem 6. Jh., sooft dieser Psalm gesungen wurde, mit dem Leid des einstigen Königtums als gesalbten Königtums; das scheint schwer bestreitbar. Aber tat sie das auch außerhalb der Klage? Hier fehlt für den Raum hebräischer Textüberlieferung bis zum 3. Jh. v.Chr. zwingende Evidenz. U m von den oben genannten Stellen (jeweils M T ) auszugehen: In 1 Sam 2,10 liegt ein Königsbezug aufgrund des Parallelismus zu „König" näher, 16 in Ps 20 aufgrund des v.10. Ps 28 rückt zwar in v.8 Volk und Gesalbten Jahwes eng zusammen, aber das läßt sich auch als synthetischer, nicht synonymer Parallelismus verstehen. In Ps 84 fehlen nicht allein explizit königliche, sondern ebenso zwingend kollektive Züge; die Parallele von v.10 zur Königserinnerung von Ps 89,19 favorisiert eher die individuelle Deutung. Für Ps 132 schließlich ließ sich bereits eine hebräische Uberlieferung in unserem Zeitraum plausibel machen, die sich an vergangenes gesalbtes Königtum erinnerte. 1 7 Hinzu kommt bei einem Teil dieser Texte die nachträgliche Ergänzung königsbezogener Überschriften (Ps 20,1;28,1), die erweist, daß in unseren Jahrhunderten eine Kollektivierung altköniglicher Gesalbtenaussagen nicht notwendig war, vielmehr eine Textzuordnung an David und Salomo eine ebenso gute Möglichkeit zur verstehenden Tradierung bot. 18 N u r Ps 2 ist ein Sonderfall, aber nicht wegen einer kollektivierenden Überlieferung in unseren Jahrhunderten - zu solcher kommt 15 S. Veijola, Verheißung 135-143,173,209f und passim. Parallel zueinander gehen demnach die ursprünglich David geltende Salbungsaussage (v.21) und der ursprünglich jenen ehrende Knechtstitel (w.4.21) in der zweiten Psalmhälfte sukzessive an das Volk über, das sich spätestens ab v.39 mit dem Gesalbten, ab v.40 mit dem Knecht identifiziert. - Daß in v.51 keine Korrektur zum schlechter bezeugten Singular „dein Knecht" vorzunehmen ist, konzediert auch Waschke (Vorstellungen 76), der jüngste pointierte Vertreter durchgängig königsbezogener Deutung (a.a.O. 115-127). Daß er daraus keine interpretatorischen Konsequenzen zog, hängt wesentlich mit seinem Anliegen zusammen, dem Ps 89 mit Ps 132 eine Schlüsselrolle in der Vermittlung restaurativer „messianischer" Königstheologie über die Exilszeit zuzuweisen und so eine Brücke zum späteren herrscherlichen Messiasglauben zu erhalten (a.a.O. 126f u.ö.), eine Brücke, die auch für Ps 132 nur schlecht verankert ist (s.o. Anm. 37 und Anm. 69 zu 2.1.1). " Vgl. aber nochmals u. 2.2.3.2. 17 S.o. Anm. 68 zu 2.1: Veijolas Argument (a.a.O. 137 Anm. 17, nach Wellhausen), in v.10 rede Israel und deshalb sei auch 10b.17b auf Israel zu beziehen, wird durch die individuelle Psalmrezeption in 2 Chr 6,4 lf relativiert. 18 S.o. unter 2.1.1.4.

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

219

es erst d a n a c h - , s o n d e r n d a d u r c h , d a ß er w e n i g s t e n s v o r ü b e r g e h e n d d e n A u s blick auf ein n e u e s G e s a l b t e n k ö n i g t u m aufrechterhält. 1 9 H a b 3,13 g e h ö r t , d a hier f ü r d i e kollektive Interpretation die L X X - F a s s u n g a u s s c h l a g g e b e n d ist, v o n v o r n h e r e i n in die n ä c h s t e E p o c h e . 2 0

Es scheint daher beim gegenwärtigen Stand der Forschung geboten, bis zur frühhellenistischen Zeit nicht von einem breiten Strom kollektiven Gesalbter Jahwes-Denken, sondern lediglich von einem zwar wichtigen, aber nicht allzu starken Impuls in diese Richtung auszugehen, der neben den individuellen Übertragungen tradiert wurde. 2.2.1.3

Der

semantische

Rahmen

um die

Zeitenwende

Der Hintergrund für die Stagnation in der Weiterentwicklung der aufgezeigten altisraelitisch-judäischen Ubertragungsansätze zwischen dem 5. und 3. Jh. v.Chr. ist unschwer auszumachen: Das sich nach der Krise des 6. Jh. allmählich als religiöse und staatliche Leitungsinstanz konsolidierende zadokidische Hohepriestertum vermochte die Salbungsvorstellung während dieser Zeit mit zunehmender Dynamik auf sich zu konzentrieren. 21 Doch wurde die priesterliche Fixierung nie so stark, um eine lebendige Tradierung der älteren Vorgaben auszuschließen. 22 Damit blieben diese Impulse bis zum Zusammenbruch des Gesalbten-Hohepriestertums im frühen 2. Jh. v.Chr. 23 erhalten, der zu einem neuen Vakuum institutioneller Bindung des Gesalbtenprädikats führte. Denn die Makkabäer/Hasmonäer restituierten weder die Tradition gesalbten Königtums noch diejenige gesalbten Hohepriestertums, sondern konstituierten eine neue Form jüdisch-autokratischer Herrschaft, die auf jedwede Salbungsbegründung verzichtete, eine Lage, die sich unter den Herodianern nicht grundsätzlich änderte. 24 Das schuf eine Grundlage nicht nur zur Neubelebung der alten Vorstellungsübertragungen, sondern ebenso zur oppositionellen oder halboppositionellen 19 S.o. unter 2.1.1.3 und 2.1.1.5, ergänzend u. 2.2.3.1 und 2.2.3.2. Zu Recht klammert also Veijola (a.a.O. 137 Anm. 17) Ps 2 überhaupt aus; doch an den anderen Texten (außer 1 Sam 2,1-10) hält er wie Becker als kollektiv fest. 20 S. unter 2.2.3.1 (und vgl. nochmals unter 2.2.3.2). 21 S.o. bes. unter 2.1.2.2. 22 Nie wurde die Bezeichnung des Kyrus als Gesalbter Jahwes in Jes 45,1 eliminiert. Vielmehr behielt man ihn im chronistischen Geschichtswerk in bester Erinnerung (s. o. unter 2.1.1.4 mit Anm. 71; Weiteres bei Becker, messianische Erwartung 132). Die Propheten/Patriarchen-Übertragung fand in ihrer psalmistischen Fassung dort sogar direkten Eingang (als Lied Davids nach dem Einzug der Lade in die Davidsstadt: 1 Chr 16,22 par Ps 105,15). Und daß wir mit einer korrekten Uberlieferung der kollektiven Übertragung beim Ps 89 rechnen müssen, war eben festzuhalten. 23 S.o. unter 2.1.2.3. 24 S. o. 2.1.1.6 mit 2.1.2.3.

220

Grundlegung

Entwicklung neuer, auf Zukunft gerichteter und daher tendenziell eschatologischer Gesalbtenmodelle. Zugleich fehlte bei aller Instabilität der Regime bis in den Jüdischen Krieg eine Einigung der Oppositionsbewegungen, die einer neuen Zentrierung der Gesalbtenvorstellung in ihnen hätte zum Durchbruch verhelfen können. In der Diaspora lagen die Entwicklungskoordinaten noch einmal anders, da dort die Fremdherrschaft nie gebrochen, vielmehr bis zum Ende des l . J h . n. Chr. weithin zumindest halb akzeptiert wurde, was einer nicht nationalköniglichen oder nationalpriesterlichen Rezeption der Vorstellung die Präponderanz geben mußte. 25

Daher steht eine über die alten Impulse noch hinausgehende Diversifizierung des Begriffsgebrauchs zu erwarten, ein Phänomen, das in der Forschung erst seit wenigen Jahren volle Anerkennung findet. 26 Trotzdem wäre falsch, nun als Gegensatz einer beliebigen Begriffsvermehrung das Wort zu reden. Davor warnt schon das auffällige Faktum, daß eine der alten Ubertragungslinien nicht neu belebt wurde, nämlich die auf einen Fremdkönig. 27 Mit diesem Verzicht schränkte sich der Aktualisierungsraum auf Israel ein. Nochmals engere Strukturen erhielt der Begriffsgebrauch durch das Realienumfeld: D a Salbung sich um das Heiligtum zentrierte, waren nur noch Gestalten als Gesalbte bezeichenbar, die man mit einem einzigartigen Heiligkeits-, GottesnäheIdeal verbinden konnte, d.h. Idealgestalten vor, nach oder im Gegensatz zu den erlebten Depravierungen der Geschichte, näherhin also Idealgestalten der Vorzeit und der Endzeit sowie als Kollektivgestalt ein idealisiertes Israel als ganzes. 28 Die Betonung der Gottesnähe/Gottesverbindung im Gesalbtenbegriff wirkt sich terminologisch aus. Man expandiert ihn gern zu „Gesalbter des Geistes" oder „heiliger Gesalbter".

» S.o. 2.1.1.5 mit Anm. 152. 26 Spätestens immerhin seit 1979, als das SNTS-Pseudepigrapha-Seminar Charlesworth' Eingangsfeststellung akzeptierte: „There is no unified concept of ,the (or a) Messiah' either in the Pseudepigrapha or in the other early Jewish writings" (Charlesworth, Pseudepigrapha and New Testament 117). 27 Sicher, man eliminierte auch jetzt die Hervorhebung des Kyrus als Gesalbter Jahwes in Jes 45,1 nicht. Aber das Geschehen, dem Kyrus seinen Ruhm in der Erinnerung verdankte, der Befehl zum Neubau des Tempels nach seiner Zerstörung (s. 2 Chr 36,22f), konnte nach dem seleukidischen Versuch einer Tempelumweihung nur noch als Kontrastbild zu gegenwärtigen Fremdherrschaftserfahrungen gelten. Korrespondierend bemühte man sich selbst in römerfreundlichen Kreisen des l . J h . n.Chr. nicht mehr um römische Tempelförderung, sondern um römische Tempelfreiheit (worauf die Römer mit der Tempelaufsichtsvergabe an die Herodianer reagierten; s.o. unter 2.1.1.6/2.1.2.3). 28 S. zum Hintergrund o. 2.1.3.1/3.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

221

„Gesalbter des Geistes" prägt die nominale Verdichtung der Tradition von Jes 61,1 in l l Q M e l c h 18." „Gesalbte(r) der Heiligkeit7„heilige(r) Gesalbte(r Jahwes)" begegnet nicht nur in Qumran ( C D VI 1), sondern auch bei der Wiederaufnahme der Bezeichnung Davids als Gesalbter am Ende des 1. Jh. n. Chr. in LibAnt 59,2. 30

Eng damit zusammen hängt die Besinnung darauf, daß personale Salbung einen weihenden Einsetzungsakt beinhalte, der im Idealfall von Gott ausgehe. Hier kam der Vorstellungsentwicklung sogar der weltliche Vollzugsverlust zustatten. Denn er hielt den Salbungsgedanken frei von Depravierung durch irdische Verfügung. Hierher gehört die schon beobachtete Linie, zunächst Gottesbeauftragte (TestXII Lev 8), schließlich (LibAnt 48,2) Gott selbst die weichenstellenden priesterlichen Salbungen der Vorzeit (an [Levi,] Pinhas) vollziehen zu sehen. 31 Für David korrespondiert ihr die Darstellung des LibAnt, die Salbung folge der sachlich wie zeitlich vorgängigen Bestimmung Jahwes, er sei „sein Gesalbter" (59,3 nach 51,6;59,lf). 3 2 „Salben" und „einsetzen" rücken für Jahwes Handeln von da an verbal eng zusammen (neben LibAnt 48,2 auch 51,7 33 ), bis sie in nachbiblischer Zeit 34 synonym werden: Tgjes 61,1 deutet den dortigen biblischen Salbungshinweis direkt als Einsetzungsakt Gottes, des Herrn, zur Heilspredigt. 35

" In CD II 12 wird es noch expandiert. 30 Vgl. o. unter 2.1.1.5 bei Anm. 138; für LibAnt wird weiterhin die Edition Kisch' (s. Anm. 130 zu 2.1.2) benützt. 51 Vgl. o. 2.1.2.3. 32 Man beachte, wie in diesem Zusammenhang 59,2 die Kritik von 1 Sam 16,7 an Samuels fälschlicher Zuwendung zu Eliab verschärft: Selbst Samuel läuft zunächst Gefahr, Jahwes Salbungswillen irdisch verfehlt zu wenden, und muß deshalb der mangelnden (Gottes-)Schau bezichtigt werden; nur Jahwe selbst kann dem Salbungsakt die richtige Richtung geben (v.2 Ende). 33 Den theonomen Bezug wahrt an letzterer Stelle die Auskunft, der Akt (Samuels Salbung; dazu s. unter 2.2.2) sei „ante conspectum Domini" erfolgt. 3,4 In der die Targume unsere Bedeutungsakzentuierung schon dadurch dokumentieren, daß sie das biblische nvü, „wo es von Priestern und Tempelgeräten vorkommt, [...] durch .erheben, weihen'" übersetzen: s. Lothar Tetzner, Megilla (Esther-Rolle) = Die Mischna II 10, Berlin 1968, 54. 35 Vermes, Jesus 158f zog den Vorgang noch weiter in die targumische und rabbinische Literatur aus (dort die Quellen, wobei allerdings seine Berufung auf SifBam 117 - zu Num 18,8 - zu korrigieren ist: Dort wird in assoziativer Textexegese zwar ein Zusammenhang Salbung/Größe hergestellt - s. die Hinweise bei Karl Georg Kuhn, Der tannaitische Midrasch: Sifre zu Numeri [...], RT II 3, Stuttgart 1959, 373 mit Anm. 26 -, aber nicht explizit eine Identität von Salbung und Amtseinsetzung ausgesagt). Hultgärd, Testaments des Douze Patriarches I 323f verband den Vorgang mit der o. angeführten Gesalbter/Geist/Heiligkeit-Aussagelinie und rekonstruierte so für alle eschatologischen Gesalbtengestalten der Epoche eine übergreifende Einsetzungsstruktur als „sanctification par l'esprit divine" (Zitat 323).

222

Grundlegung

Nach diesem semantischen Rahmen wird die jüdische Verzweigung des Gesalbtenbegriffs um die Zeitenwende, nicht nur eine Einzellinie daraus, begrifflicher Bezugspunkt urchristlichen Christus-(Messias-) Glaubens. Andererseits erhält alle Diversifikation als gemeinsame Basis die Umsetzung des Salbung/Gottnähe-Kerns aus den erfahrenen sakralen Salbungsvollzügen des zweiten Tempels ins Personale: Die verschiedenen Gesalbtenprädizierungen unserer Zeit gehen gemeinsam davon aus, Gott betraue einzigartige (Individual- oder Kollektiv-) Gestalten mit herausragenden Aufgaben und herausragender religiöser Würde.

2.2.2 Gesalbte als herausragend-ideale in der Vergangenheit

Träger von Gottes

Wirken

Das vorgetragene semantische Grundraster findet eine erste Bewährung bei der Durchsicht des Geschichtsbildes Israels um die Zeitenwende. Denn dieses folgt, was unsere Gesalbtenterminologie angeht, wie dargestellt, nicht der tatsächlichen Entwicklung mit dem Schwerpunkt königlichen Bezugs vom 10. bis zum frühen 6.Jh. v.Chr. und dem Schwerpunkt hohepriesterlichen Bezugs vom 4. bis zum frühen 2. Jh. v.Chr. Vielmehr setzte sich eine außerordentliche Scheu durch, auch nur einen der altisraelitisch-altjudäischen Könige konkret als Gesalbten Jahwes zu bezeichnen.1 Analog verschob sich in der Erinnerung die Zeit gesalbten Hohepriestertums in eine bei Levi und Aaron beginnende und lang abgebrochene idealisierte Vergangenheit. 2 Denn vorexilisch Könige und nachexilisch Hohepriester hatten sich gegen das Gesalbtenprädikat nicht von schuldhafter Verstrickung freizuhalten vermocht. 3

Gesalbten-Aussagen der Vergangenheit verlagerten sich - das ist nun zu vertiefen - durchweg auf Gestalten, deren Gottesnähe man unbeeinträchtigt sah (oder zumindest als unbeeinträchtigt entwarf). Ein bis zur frühneutestamentlichen Zeit dafür signifikantes Textcorpus bilden die Schriften der Gemeinschaft von Qumran und ihres Umkreises. Dort ist 1QM X I im Anschluß an eine Erwähnung Davids als Knecht - nicht Gesalbter4 - Jahwes der Plural „deine (Jahwes) Gesalbten" auf Personen übertragen, die Jahwes Bestimmungen sahen und

1 2 3 4

S. die entsprechenden Hinweise o. unter 2.1.1.5 und 2.1.1.6. S . o . unter 2.1.2.3. S . o . unter 2.1.3.1 bei Anm. 25ff. Vgl. unter 2.1.1.5 mit Anm. 136.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

223

kündeten (XI 7f), dem Vorstellungskreis nach also Propheten. 5 In Radikalisierung der alten prophetischen Ubertragungslinie von 1 Kön 19,15f über Jes 61,1 zu Ps 105,15 avancieren diese zu den entscheidenden Titelträgern der Vergangenheit überhaupt. 6 Das bestätigt sich in der Damaskusschrift. Denn auch sie kennt als - nunmehr näherhin heilige, geisttragende - Gesalbte der Vergangenheit nur Weisungsgestalten, die in Jahwes Auftrag dessen Gesetz und Lehre verkündeten (CD II 12; VI 1). Leider ist die Formulierung in einem Punkte nicht ganz klar: Die (mittelalterliche) Haupthandschrift von C D schreibt an beiden Stellen in'5?a, läßt also an den Singular „sein ( = Jahwes) Gesalbter" denken. Aber aufgrund des jeweiligen Textumfeldes muß, wie van der Woude nachwies, die pluralische Konjektur 'Π'ίΒ („die Gesalbten") vorgezogen werden. 7 Bleibt man aus einer grundsätzlichen Konjekturablehnung trotzdem beim Singular, so ergibt sich für den essenisch-qumranischen CD-Trägerkreis die Bindung an eine einzelne, singulär bedeutende und fest mit dem Gesalbtentitel verbundene Kündungsgestalt der Vergangenheit, die nicht mit Namen benannt ist. Diese These steigert die vergangenheitliche Individualübertragung der Gesalbtenterminologie, läßt sich aber mit der angeführten pluralischen Aussage von 1QM XI 7f nur schwer vereinen. 8

Die Aussagen von 1QM XI 7f und CD II 12; V 21-VI 1 setzen verschiedene Akzente und ergänzen sich dadurch. Geht es nämlich ersterem Text um eine durch die Gesalbten schon längst in der Vergangenheit erfolgte Ansage von Gottes eschatologischem Wirken, 9 so CD um für die Lebensführung durch die Zeiten hindurch verbindliche Belehrung, die ihre Spitze darin erhält, daß ihre Träger (in CD V 21-VI 1) Mose an Rang vergleichbar werden. 10 Zusammengenommen handelt es sich bei den Gesalbten um einerseits kerygmatisch, andererseits ethisch-nomistisch aufs äußerste hervorgehobene Gestalten. Beide Texte nennen keine Namen. Demnach kam es der Qumrangemeinschaft und deren essenischem Umfeld unter exponierter Teilhabe am allgemeinen Zögern der Zeit, vorgegebene geschichtliche Einzelpersonen als Gesalbte zu rühmen, nicht auf personale Einzelidentifikatio5

S. van der Woude, Die messianischen Vorstellungen bes,123f. Das arbeitet van der Woude a. a. O. zwar nicht explizit heraus, aber auch er erkennt (118), daß 1QM XI nicht auf königlich messianische Hervorhebungen zielt. 7 van der Woude a.a.O. 16,25f. Leider ist auch das Fragment 6 Q D VI 1 an der entscheidenden Stelle rekonstruktionsbedürftig (s. DJD III 130). 8 Bei einer Durchsicht derDJD-Bände stößt man in DJD I mit IQ fr.30,1 Z.2 auf einen weiteren scheinbaren Beleg des Singulars, doch wies schon van der Woude a. a. O. 165 darauf hin, daß dieser Beleg nur durch eine Textfehlrekonstruktion entstand. ' Vgl. van der Woude a.a.O. 118-123. 10 Was van der Woude a.a.O. 26 etwas entschärft. Ein angeblicher Qumrantext mit Mose als Gesalbtem ist nicht ediert. 6

224

Grundlegung

nen11 an. „Gesalbte" ist für sie ein Sammelbegriff,12 für dessen Gebrauch das Bewußtsein, daß ein Gesalbter eo ipso Träger von Gottes Wirken sei, ausschlaggebend blieb. Das hielt sie fest vor aller und gegen alle mit Einzelnamen verbundene, stets durch etwaige Verfehlungen der benannten Person gefährdete Fixierung. Gehen wir über die Anfangsjahre des Christentums und den Abbruch der lebendigen Tradierung der Qumranschriften im Jüdischen Krieg hinaus, so verschiebt sich das Bild ein wenig: Nun werden individuelle Identifizierungen nicht mehr ausgeschlossen. Aber nach wie vor bleiben die Gesalbten einzigartig Gott verbundene Gestalten. Plastisch tritt das um die Jahrhundertwende im Geschichtsaufriß des LibAnt hervor. Denn dieses muß, um David wieder als „heiligen Gesalbten des Herrn" (59,3 nach 51,6) einführen zu können,13 ein Bild Davids „ohne Bosheit" entwerfen. Es stützt dies mit Hilfe einer Abwertung Sauls. Ü b e r D a v i d s s a l b u n g s b e g r ü n d e t e n A u f s t i e g s e t z t es 59,3 in p r ä g n a n t e r B ü n d e l u n g der s k i z z i e r t e n K o n n a t a t e j ü d i s c h e n S a l b u n g s d e n k e n s u m die Z e i t e n w e n d e die Ü b e r s c h r i f t „der H e r r w a r mit ihm" („erat D o m i n u s c u m eo"). Saul d a g e g e n s k i z z i e r t es u n t e r Z u s p i t z u n g aller Kritik, die s c h o n ältere Ü b e r l i e f e r u n g an i h m g e ü b t hatte, als R u t e d e s Z o r n s J a h w e s (s. bes. 56,3), als s c h u l d b e ladene, h a s s e n d e u n d u n g e r e c h t e Gestalt (bis z u r A u f l ö s u n g 64,9;65,5). 1 4

Bei einer solchen Skizze wird die altbiblische, David gleiche Bezeichnung Sauls als Gesalbter Jahwes untragbar. Der Verfasser des LibAnt findet für das dadurch entstehende Dilemma seiner Geschichtsrezeption eine bemerkenswerte Lösung: Nicht Saul, sondern Samuel war - so sieht er es - die Gestalt vor David, mit der der Herr war (51,1 Ende par 59,3 Ende); Samuel, nicht Saul, war folgerichtig der vordavidische Gesalbte des Herrn. Um dies zu erreichen, führt er 51,7 eine in der biblischen Tradition (1 Sam Iff) noch unbekannte Salbung Samuels neu ein.15 Dadurch gewinnt er die Basis, in einer großangelegten Umformulierung von 1 Sam 12 die Gesalbtenbezeichnung Sauls auf Samuel zu übertragen: LibAnt 57 tritt Samuel nicht mehr wie 1 Sam 12,1-3 vor das Volk, um als alter Mann in Gegenwart von Jahwe und Jahwes Gesalbtem Saul Rechenschaft abzulegen. Er versammelt vielmehr das Volk um 11 Sogar die in der Forschung favorisierte übergreifende Bezeichnung als Propheten (der Vergangenheit) ist keine Selbstangabe des Textes. 12 Der, wenn van der Woudes Konjekturen zutreffen, entsprechend immer im Plural steht (worauf de Jonge, Anointed 141 hinweist). 13 In 59,4 zu einem alleinstehenden „christus" kontrahiert! 14 Das negative Saulbild des LibAnt arbeitete vor allem Spiro, Pseudo-Philo's Saul 123ff heraus (freilich unter nachfolgender Überziehung der Linie in Richtung auf die Entwicklung der Vorstellung des Messias ben Efraim: bes.l36f). - Als Textgrundlage dient wieder die Edition Kisch' (s. Anm. 130 zu 2.1.2). 15 Z. St. schon 2.2.1.2 mit Anm. 33.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

225

sich u n d b l e i b t d e s s e n „Mitte", „ w i e der H e r r b e f o h l e n hatte" ( 5 7 , 1 ) . W i e ein S o u v e r ä n - als w e l c h e n i h n das V o l k s a m t K ö n i g in v . 4 a n e r k e n n t - b e a n s p r u c h t er R e c h e n s c h a f t ü b e r d i e K o r r e k t h e i t s e i n e s T u n s , statt sie z u g e b e n . Er f o r d e r t A n t w o r t v o m V o l k m i t s a m t d e m K ö n i g (s. v. 1: „ihr u n d e u e r K ö n i g " ) v o r d e m A n g e s i c h t d e s H e r r n u n d sich (!) als d e s s e n G e s a l b t e m ( „ r e s p o n d e t e in c o n s p e c t u D o m i n i et in c o n s p e c t u christi eius" v.3). 1 6 D i e p r o p h e t i s c h e Ü b e r t r a g u n g s l i n i e h a t e i n e n n e u e n H ö h e p u n k t erreicht. Aufgrund des bisherigen Duktus braucht kaum herausgestellt zu werden, daß dieser Vorgang nur Hand in Hand mit einer außerordentlichen Aufwertung Samuels geschehen konnte: Samuel bleibt zwar dem Titel nach Prophet (57,4 u.ö.), aber sein Prophetentum schließt richtende Autorität ein - die laut 57,4 nur wegen der Unwürdigkeit des Volkes depravierend auf einen König übertragen wurde - und bleibt am Priesterort Schilo Licht für das Volk (51,7). Sein Vater Elkana soll im Blick darauf singen, M o s e und Aaron stünden (nun) unter Jahwes Priestern (51,6 in kontrahierender Zitation von Ps 99,6); Samuel übernimmt deren Repräsentation in der Gegenwart, ist ihnen an Würde praktisch gleichgestellt. 17 Wahrscheinlich gleichfalls n o c h im l . J h . n . C h r . dringt z w a r nicht der G e s a l b t e n b e g r i f f , a b e r die S a l b u n g s v o r s t e l l u n g a u c h in d i e H e n o c h ü b e r l i e f e r u n g ein. D e n n b e i d e R e z e n s i o n e n d e s slHen s p r e c h e n 22,8 f f mit n u r g a n z g e r i n g e n , d e n S i n n n i c h t t a n g i e r e n d e n F o r m u l i e r u n g s a b w e i c h u n g e n d a v o n , d a ß H e n o c h in e i n e m l e t z t e n E r h e b u n g s a k t v o r G o t t g e s a l b t w o r d e n sei. Bekanntlich sind die Einleitungsfragen zu slHen einschließlich der Frage des Verhältnisses der beiden Rezensionen nach wie vor nicht abschließend geklärt. Aber daß jedenfalls die aufgenommenen Traditionen alt sind und in eine relativ frühe jüdische Gemeinde gehören, scheint bei allen Problematisierungen Konsens der Forschung zu bleiben. 18

" Zwei kleinere, aber sachlich gewichtige Eingriffe in den Text von 1 Sam 12,3.5 machen obige Textinterpretation zwingend: „respondete" ersetzt ein hebräisches „sagt gegen mich aus" (1 Sam 12,3), d.h., die Stoßrichtung des Textes ändert sich; die Möglichkeit einer Wendung gegen Samuel ist nicht mehr im Blick. Nicht mehr zitiert, ersetzt darauf (noch 57,3) die Angabe allein Jahwes als Zeugen die Angabe J a h w e und sein Gesalbter" von 1 Sam 12,5 - eine unumgängliche Folgeänderung nicht nur, weil sonst noch einmal Saul als Gesalbter erschiene, sondern auch, weil Saul seit 57,1 mit angeredet ist, daher kein neutraler Zeuge sein kann. - Die Übertragung des Gesalbter Jahwes-Begriffs von Saul auf Samuel im LibAnt stellte im übrigen schon Spiro a.a.O. 123f Anm. 13 heraus; die Anm. 3b Christian Dietzfelbingers in JSHRZ II 2, 1979, 250 z.St. ist entsprechend zu korrigieren. 17 Vgl. Dietzfelbinger a.a.O. 238 Anm. 6e. 18 S. zur Diskussion bes. Charlesworth, Pseudepigrapha and Modern Research 103ff und F.J. Andersen, 2 (Slavonic Apocalypse of) Enoch (Late First Century A.D.), in: Charlesworth (ed)., Pseudepigrapha I, 91-213, hier 93-97.

226

Grundlegung

Im Auftrag Gottes vollzieht Michael die Salbung (22,8f), die Henoch Gottes direkte Umgebung eröffnet, ihm die Ehre und Gewichtigkeit verleiht, vor Gottes Angesicht zu treten wie die höchsten himmlischen Wesen und dort Gottes Schreiber zu werden (22,10-12 mit den wahrscheinlich dort einzufügenden w.4.6.7). Gottesnähe- und Kabod 1 9 Motivik erfahren so noch über die Schilderung der Pinhas-Einsetzung von LibAnt 48,220 hinaus eine letzte himmlische Überhöhung, die Henoch von allen menschlichen Befangenheiten und Bedürfnissen ablöst.21 Allerdings verdichtet sich dabei die Salbungsaussage nicht zum Titel Gesalbter Jahwes. Das könnte - falls das slHen oder seine Traditionen um 70 n. Chr. anzusetzen wären 22 - einen Zwischenschritt zwischen dem Verzicht auf namentlich-personale Identifikationen bis zum Abschluß der Qumranüberlieferung und dem Neueinsatz explizit nominaler Gesalbtenidentifizierungen im LibAnt indizieren. N i c h t z u v e r g e s s e n ist im H i n b l i c k auf d e n titularen Schritt auch, d a ß z u u n serer Zeit e i n e r I d e n t i f i z i e r u n g H e n o c h s als M e n s c h e n s o h n (s. ä t h H e n 71 bes. v.14) u n d später der als „Fürst der W e l t " o d e r „kleiner J a h w e " (s. h e b r H e n 30,2; 12,5 u . ö . ) die P r ä d o m i n a n z z u k o m m t . 2 3

Eine durch die Frage, wer von den königlichen wie prophetischen Einzelgestalten der Vergangenheit singular als Gesalbter zu bezeichnen sei, angeregte Verschiebung der Auffassung setzte sich jüdisch nach unserer Zeit noch bis zum Ende der Antike/dem beginnenden Mittelalter fort. S o überliefert bSan 9 8 b d a s ( a n s c h l i e ß e n d 9 9 a diskutierte) V o t u m Rabbi H i l lels ( w i r k e n d im 4. Jh.), s c h o n in d e n T a g e n H i s k i j a s v o n Juda (spätes 8. Jh. v.Chr.) sei der „ M e s s i a s " g e k o m m e n . Bis d a h i n m u ß also unter d e n altjudäischen K ö n i g e n auch H i s k i j a w i e d e r als G e s a l b t e r g e g o l t e n haben, 2 4 w a s nur

" S. Kutsch, Wie David König wurde 85 Anm. 43 (z.St.). S.o. unter 2.1.2.3 mit Anm. 130. 21 Konkret seine irdischen durch himmlische Gewänder ersetzt (22,8) und ihm alles irdische Nahrungsbedürfnis nimmt (56,2, sachlich in beiden Rezensionen übereinstimmend). 22 S. die Datierungshinweise der Anm. 18 genannten Lit. 23 Vgl. zum Zusammenhang einerseits Widengren, Sakrales Königtum 52f (der 53 die Zusammenhänge mit äthHen 71,12-14 allerdings auf ein „Inthronisationsritual" überzieht), andererseits Hengel, Sohn Gottes 73ff, ergänzend u. 2.3.2. Sollte sich die These M. Müllers, „Menschensohn" 74f durchsetzen, die Amtseinsetzung Henochs von äthHen 70f mache ihn auch zum Gesalbten von äthHen 48,10;52,4, hätte er im 1. Jh. n.Chr. doch den Gesalbtentitel erhalten. Freilich bleiben Bedenken: äth Hen 71f greifen in sich nicht auf den Gesalbtentitel zurück, und um ihren Zusammenhang mit den vorangehenden Bilderreden zu glätten, bedarf es bei 70,1 des Rückgriffs auf eine Textvariante (a.a.O. 72f); vor allem aber unterbleibt a.a.O. 71 eine genauere Analyse von 48,10;52,4 (vgl. am Ende von 2.2.3.2). 24 Den wichtigsten Beleg dafür könnte TJon zu Jes 9,5 bilden: Es versetzt den dortigen 20

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

227

dann auffällig ist, wenn man das Fehlen eines alttestamentlichen Salbungsberichts für dessen Person bedenkt. Sobald man aber auf seine singulär positive Wertung in der biblischen Tradition zwischen all seinen problematischen Vorgängern und Nachfolgern blickt (s. 2 Kön 18,l-16;20,20f; Jes 36-39; 2 Chr 29-32), die die Rabbinen fortführten, 25 wird der Befund verständlich: N a c h D a vid hat die Expansion des vergangenheitlichen Begriffsgebrauchs von Gesalbter nun den zweiten der alten Könige erfaßt, von dem - wenigstens in der Linie des überlieferten Bildes - ungebrochene Gottesbeziehung, Gottesnähe aussagbar war. Das Besondere am Votum Rabbi Hilleis liegt nur darin, diesen Vergangenheitsrückblick stärker zu werten als alle futurische „Messias"-Erwartung, ja, ihn bewußt gegen eine solche auszuspielen. 26 Hinzu kommt die - vielleicht noch spätere - Neuverdichtung prophetischer Gesalbtentradition auf Elija, die unter zusätzlichem eschatologisierendem Einfluß zur u. a. in BemR 14 (172b) eingegangenen Vorstellung führte, Elija sei ein Gesalbter („Messias"). 27 Beide Begriffsneuübertragungen indizieren, daß futurisch-herrscherlicher Messianismus nicht einmal in den nachneutestamentlichen Jahrhunderten allein das Feld beherrschen konnte. A l l e s in a l l e m v e r t i e f e n sich die b i s h e r i g e n E r g e b n i s s e : D i e e n t s c h e i d e n d e D y n a m i k der Salbungsvorstellung u n d Gesalbtenaussagen im Jud e n t u m n e u t e s t a m e n t l i c h e r Z e i t lag in d e r A r t i k u l a t i o n s i n g u l ä r e r Würde und Gottnähe. D i e s e Artikulation konnte ebenso unter umfass e n d e m E i n b e z u g p r o p h e t i s c h e r , k ö n i g l i c h e r u n d priesterlicher F u n k t i o n e n e r f o l g e n w i e in ü b e r h ö h e n d e r S t e i g e r u n g e i n z e l n e r A u f g a b e n v o r G o t t . Sie s e t z t e v o r a u s , d a ß d i e als „ G e s a l b t e r " b e n a n n t e P e r s o n keinerlei B e e i n t r ä c h t i g u n g ihres G o t t e s v e r h ä l t n i s s e s v e r s c h u l d e t hatte.

Geburtsvorgang, neu mit Gesalbtenterminologie verbunden, in die Vergangenheit, was nach Levey, Messiah 45 eine Deutung auf Hiskija nahelegt (gegen z.B. Bill. II 332). 25 S. bSan 94b und die weiteren bei Bill. II 332 Anm. 2 angeführten Belege. Bemerkenswert ist nach der letzten Anm. die durch Justin, dial. 43,4-8;67,l;68,7;71,3;77,l bezeugte frühjüdische Beziehung auch von Jes 7,14 auf Hiskija. 26 Vgl. van der Woude in Grundmann u.a., χρίω κτλ. 516,1 Iff. Die Auffassung Hiskijas als „Messias" konnte sich freilich rabbinisch nicht auf Dauer durchsetzen, vielleicht weil die Besonderheit dieser Vergangenheitswertung altkirchlicher Kritik an jüdisch-futurischer Messiaserwartung entgegenzukommen schien: s. Neusner, Messiah 190. Ein weiteres Problem verrät die a. a. O. 190f noch angeführte Debatte in bSan 94a: Wenn man sich schon vergangenheitlich orientierte, wie ist dann das Verhältnis zu David zu bestimmen? 17 Dazu vgl. Bill. IV/1, 463 Anm. 2; IV/2, 786. Hinter der Eschatologisierung Elijas steht die Tradition von Mal 3,23 (s. mMish 19 p.87). Wieweit freilich die Grundidentifikation Elijas als Gesalbter zurückreicht, ist aufgrund der unbefriedigenden Quellenlage nicht mehr feststellbar (vgl. Goldberg, Namen des Messias 75). Nur so viel steht fest: Frühe Quellen fehlen, und da zudem der Schwerpunkt ihrer Eschatologisierung erst sehr spät, nämlich in frühmittelalterlicher Zeit und bei den Karäern liegt - s. Hurwitz, Messias bes.69 (zu bSuk 52b), 8 Iff (zu den späteren Quellen) -, kommt sie für neutestamentliche Zeit sicher noch nicht in Betracht.

228

Grundlegung

Ein so exzeptioneller Anspruch für den Begriffsträger entstand, daß man im Judentum bis jedenfalls zum Ende des Jüdischen Kriegs (70 n.Chr.) vermied, eine geschichtlich mit Namen und Werk bekannte Einzelgestalt als Gesalbten zu bezeichnen. 28

2.2.3 Das Gottesvolk als Gottes Gesalbter Gott wirkt durch Gesalbte, verleiht ihnen Gewichtigkeit und birgt sie in seinem Schutz. Diese Überzeugung hatte nach dem bisherigen Befund im jüdischen Geschichtsbewußtsein um die Zeitenwende Gewicht. Freilich stieß sie aufgrund vieler Enttäuschungen auf die Auffassung, keine geschichtliche Einzelperson sei dem im Wirken Gottes mitgesetzten Anspruch gerecht geworden. Wollte man trotzdem den Gesalbtenbegriff in die eigene Erfahrungswirklichkeit einbringen, so bot das seit der Exilszeit eröffnete, bis zum Beginn unseres Berichtszeitraums eher marginal tradierte Verständnis des Gottesvolks als Gesalbter eine Möglichkeit. In der Diaspora belebte man dieses Kollektiwerständnis verbreitet, in Palästina örtlich neu. Da sich gleichzeitig die politische Lage zuspitzte, wiederholte man fürs Kollektivum die Erfahrung, die für Individuen schon beim gesalbten Königtum und gesalbten Hohepriestertum begegnete: Die Gottverbundenheit Gottgesalbter bewahrt nicht vor Leid und feindlicher Überwältigung, aber zerbricht dadurch auch nicht, bewährt sich vielmehr gerade dann als starker Halt. Christlich bildete die Kollektiventwicklung eine Herausforderung für die Artikulation des eigenen Kollektiwerständnisses. Q u e l l e n m ä ß i g f a ß b a r w i r d letzteres in n i c h t p a l ä s t i n i s c h e m c h r i s t l i c h e m Schrifttum. D a h e r ist d e r - n u r als erster H i n w e i s g e d a c h t e - A u s b l i c k a u f s C h r i s t e n t u m a m E n d e v o n 2.2.3.1 v o r z u n e h m e n .

2.2.3.1 Der Entwicklungsschwerpunkt

in der Diaspora

Die neue Expansion des kollektiven Begriffsverständnisses wird zuerst im hellenistischen Judentum der Diaspora greifbar, aus dem die LXX hervorging. Ab dem 2. Viertel des 2. Jh. v.Chr. 1 setzen dort näm-

28

Das betraf, wie unter 2.1.1.6 gezeigt, auch die real erlebten Aufstandsführer des 1.Jh. n.Chr. 1 Noch nicht in den davor entstandenen Übersetzungen von Tora und deuteronomistischem Geschichtswerk (LXX 1 - 4 Reg), in denen noch die präterital- wie futurisch-königliche Bindung der Gesalbtenterminologie dominierte: s. zum Entwicklungsrahmen (samt den LXX-Einleitungsfragen) o. unter 2.1.1.5.

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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lieh Indizien, schnell auch klare Belege f ü r die Übertragung alter Gesalbtenmotive auf das Gottesvolk ein: Die Ubersetzer des Ezechielbuches modifizieren in 16,9 ihre Vorlage, wenn sie dort "|10 mit χρίειν wiedergeben wie das sakrale n®a. Damit verliert sich der kosmetisch-abstufende T o n des alten Textes: 2 Der Rahmen harter Vorwürfe (16,1.15ff) bleibt. Aber dazwischen entfaltet v.9 in der kontrastierenden Heilslinie nach v.8b den Gedanken, Jahwe habe das ihm zugeeignete Jerusalem einst - unter kosmetischem Bilde sakral gereinigt und gesalbt. Die LXX-Umformulierung von 43,3 knüpft daran an. Entgegen dem hebräischen Text läßt sie Ezechiel nicht mehr auf die Vernichtung der Stadt zurückblicken, sondern auf deren Salbung (wieder χρίειν), die er in Gegenwart Jahwes als symbolische Handlung vollzogen habe. 3 Im so entstehenden Duktus bezieht Jahwe, nach der Tempelentweihung durch Antiochos IV. hochaktuell, gegen jede Infragestellung Wohnung im Tempel innerhalb des kollektiv aufgefaßten Jerusalems, das gesalbter Sakralraum wird (s. w . 5 f f ) . Eine Bezeichnung des Kollektivums als Gesalbter ist verbal vorbereitet (oder schon gespiegelt?). LXX Hab 3,13 f ü h r t einen Schritt weiter. Die Übersetzer fanden dort ein Gebet (s. 3,1), das höchste Gefahr f ü r das Gottesvolk vor Augen hatte und Jahwe an seine früheren Taten erinnerte, um ihn zur Rettung herbeizurufen (3,1-19). Angesichts der seleukidischen Kriege gegen das Gottesvolk in Palästina war das Gebet nicht minder zeitgemäß als am Tage seiner Entstehung. 4 Die Übersetzer aktualisierten die Erwähnung „deines (Jahwes) Gesalbten" in v.l3aß f ü r die neue Situation durch ein Verständnis des Satzbaus als synonymen statt synthetischen Parallelismus: Nachdem der Vordersatz das Volk als die Größe benannte, der Jahwes Rettungstat gelte, faßten sie den Nachsatz als Konkretisierung auf, im Sinne von: Jahwe rette tatsächlich sein Volk als seine(n) Gesalbten. N a c h d e r T e x t h a u p t ü b e r l i e f e r u n g w ä h l t e n die Bearbeiter die nur k o l l e k t i v verstehbare pluralische Ü b e r s e t z u n g „deine Gesalbten". A b e r a u c h die ( g l e i c h -

2

S.o. unter 2.2.1.2. Salbungssubjekt in v.3 ist der Prophet, aber sein Weg zum Salben der Stadt wird begleitet von einer Schau der Herrlichkeit Jahwes. - Schwierig zu entscheiden ist, ob LXX Ez 43,3 direkt auf 16,9 anspielt: Wenn der Übersetzer identisch ist (wofür die Ergebnisse von Leslie John McGregor, The Greek Text of Ezekiel [...], SBL. Septuagint and Cognate Studies 18, Atlanta, GA 1985 sprechen), ist davon auszugehen, aber nur eine genaue Redaktionsstudie könnte Sicherheit bringen. - Die auffällige Variante wurde in späteren Übersetzungen wieder korrigiert: s. den Apparat in der Septuaginta Gottingensia z. St. 4 Zum ursprünglichen historischen Ort s.o. unter 2.1.1.1 mit Anm. 13. 3

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Grundlegung

falls gut bezeugte) Singularvariante trägt keinen anderen Sinn; daran läßt die zuletzt vorkommende freiere Übertragung τούς έκλεκτούς σου keinen Zweifel.5 Was für das Gebet in Hab 3 gilt, gilt gleichermaßen für den Psalter. Die Psalmen werden in neuen Situationen neu gesprochen und gehört. So finden wir dort ab unserer Zeit weitere Kollektivierungsbelege. Für Ps 2 war das schon herauszuarbeiten. 6 Hinzu kommen Ps 84 ( L X X 83); 28 (LXX 27); 89 (LXX 88). LXX Ps 83,10a bittet Gott nicht mehr, auf eine dritte Person ( = den König) als den Schild des Volkes zu schauen, sondern faßt der neuen Situation entsprechend ohne Zwischenglied Gott als „unseren Schild" auf (υπερασπιστώ Vokativ). Wie im Hebräischen behält im Fortgang v.lOb mit dem Gesalbter JahwesMotiv die Struktur eines synonymen Parallelismus bei, aber gerade dadurch ändert sich die Aussage. Denn synonym wird nun „wir" und „Jahwes Gesalbter"; so entsteht eine kollektive Gesalbter Jahwes-Identität. Unmittelbar wandert von da der Blick auf LXX Ps 27,8 (MT 28,8). Denn dort wird in den Text zwar so gut wie nicht eingegriffen, 7 aber nur deshalb, weil schon ohne Eingriff die gleiche Aussage wie in LXX Ps 83,10 erreicht ist: Jahwe ist die Stärke seines Volkes, in der Parallelaussage der rettende „Schild seines Gesalbten" - υπερασπιστής toö χριστοϋ αύτοΟ steht genau an der Stelle, an der in Ps 83,10a die Kontraktion „unser Schild" entstand. Die Fortentwicklung von Ps 89 (LXX 88) rundet den Befund: Die herrscherlichen Symbole in v.40 (Diadem) und v.45 (Zepter) werden durch Heiligtumsund Reinigungsmotive (άγιασμα, καθαρισμός) ersetzt, so daß ein kollektives Gesalbtenverständnis nicht erst wie in der hebräischen Tradition 8 über die sukzessive klagende Aneignung herrscherlicher Gesalbtentradition bis w.51f erreicht wird, sondern im Psalmteil der w.39-53 von vornherein vorausgesetzt ist.9 Weiter wird man die griechisch-biblischen Belege kaum ausweiten dürfen. Denn nach wie vor zeigt das Gros der überkommenen Gesalb-

5

S. Rudolph, Micha-Zephanja 237. S.o. unter 2.1.1.5. 7 mi> im Leningradensis v.8a ist eine Verschreibung für liay\ wie es andere Manuskripte bieten und die LXX korrekt übersetzt. 8 S.o. unter 2.2.1.2. 9 Der Weg dazu wird schon in v.19 gebahnt: Man liest diesen nicht mehr als irdischen Königsverweis - was M T selbst in der königslosen Zeit festhielt - , sondern bezieht ihn auf Gott, ändert „Schild" in „Hilfe" und erhält so den Gott-König-Text „des Herrn ist die Hilfe, des Heiligen Israels, unseres Königs" (vgl. Camponovo, Königtum Gottes 392). Der Gesamtpsalm erhält eine Gliederung in den Jahwe-König-Hymnus der w . 1 - 3 8 (mit lobpreisendem und auf die Davidsgeschichte zurückblickendem Teil: w . 1 - 1 9 . 2 0 - 3 8 , trotz des Salbungsverses 21 ohne Gesalbtenmotivik!) und die klagende Aktualisierung der w.39-52(.53), in der das psalmodierende Volk seine eigene Lage als die eines von Jahwe verworfenen Gesalbten einfängt (bes. v.39), um aus der Erniedrigung heraus Jahwes Gedenken herbeizurufen (bes. w.51f). 6

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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tentexte ein historisierendes Verständnis. 10 Daneben gab es noch die Variante einer Psalmaneignung unter einfacher Auslassung des ehedem königsbezogenen Gesalbter Jahwes-Motivs. 11 Der Einfluß der Kollektivierung beschränkte sich aber nicht auf die Bibelübertragung. Wie schon gezeigt, näherte sich ihr Philo in seinen Quaestionen zu Exodus (30-35). 12 Ihr inneres Ziel erreichte sie, wenn man so will, schließlich am Anfang des 2. Jh. n.Chr. Für diesen Zeitpunkt nämlich liegt uns der erste - und bislang einzige - Beleg der von der Sache her konsequenten, den Namen Jahwes zeitgemäß vermeidenden jüdischen Begriffsneuschöpfung „Gottgesalbte" vor: Im Städteorakel von Sib V 60-72 gegen Memphis, das diesem pars pro toto für Ägypten die Strafe für ein großes Judenpogrom unter Domitian oder Trajan (kaum Hadrian) ansagt, prädiziert Gott die verfolgten Juden als seine gottgesalbten Knechte oder Kinder (έμοι παίδες θεόχριστοι V 68).13 D a ß θ ε ό χ ρ ι σ τ ο ι hier im G o t t e s w o r t s t e h e n b l e i b t u n d nicht syntaktisch z u χ ρ ι σ τ ο ί (ο. ä.) v e r k ü r z t wird, verrät: Es ist s c h o n stereotypisierte, im A u t o r e n u n d A d r e s s a t e n b e w u ß t s e i n f e s t verankerte W e n d u n g . D a h e r wird m a n f ü r die W o r t b i l d u n g ins 1. Jh. n. Chr. z u r ü c k g e h e n m ü s s e n . A b e r interessanter als d i e s e D a t i e r u n g s f r a g e ist die r e l i g i o n s g e s c h i c h t l i c h e B e d e u t u n g der N e u f o r m u l i e rung:

Der Ausdruck θεόχριστος erweckt in seinem paganen Umgebungsraum religiöse Assoziationen weit über jüdische Tradition hinaus, spricht er doch jedem Glied des Gottesvolkes eine unmittelbar von Gott verliehene Salbungssakralität zu, die alle paganen Kulterfahrungen und -bemühungen strikt überbietet: Man muß - und darf - sich als Jude zu religiösen Handlungen im Alltag, bei Festen und an Kultstätten nicht je neu salben, um Zugang zu irgendwelchen Göttern zu finden, denn man ist schon ein für allemal gesalbt, und das von der unüberbiet10

S.o. unter 2.2.1.2 mit dem Querverweis Anm. 18. Dieser Fall liegt im B-Strang der L X X - Uberlieferung von 2 Chr 6,42 vor. 12 S.o. unter 2.1.3.1. 13 Griechischer Text nach der Edition Geffckens (GCS). Für die Einleitungsdiskussion zu den Sib s. bes. Charlesworth, Pseudepigrapha and Modern Research 184ff, John J. Collins, The Sibylline Oracles, CRI II, 1984, 357-381 (zum Text 371) und Hengel, Messianische Hoffnung 668 (je Lit.), für eine erste Behandlung des Textes im Sinne einer jüdischen .„Demokratisierung' des Gesalbtseins" auf „das gesamte Heilsvolk" Berger, Messianität Jesu 24f (Zitate 25). - Die von Charlesworth a.a.O. 185 am Rande vorgetragene Erwägung, an unserer Stelle könne eine christliche Interpolation vorliegen, ist abzuweisen. Denn das frühe Christentum mied den Ausdruck θεόχριστος: Bislang ist (PGL s.v. und nachfolgend Berger a. a. O. 25 Anm. 42) nur ein einziger altkirchlicher Beleg nachgewiesen, und das beim späten (Pseudo-)Dionys Areopagita (div.nom. III 2), zudem nicht einmal dort textlich unumstritten; die Variante θεόχρηστος (PG 3,681 Β [Β. Corderius]) führte in den in Ausblick 1 aufgezeigten Zusammenhang. 11

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Grundlegung

baren, durch Salbungswiederholungen nur zu entwertenden Autorität des einen Gottes selbst. Die wiederholt beobachtete Konkurrenz jüdisch- und pagan-sakralen Salbungsdenkens 14 bündelt sich wie in einem Brennpunkt, und dies von neuem in einer Situation höchster Leiderfahrung. Für den Zusammenhang ist ein Blick auf JosAs anzuschließen. 15 Denn dort findet sich nicht nur die besprochene Abweisung paganer Salbung (8,5), sondern auch das Gegenmodell dazu, eine Skizzierung des Wegs, wie Asenat, die Heidin, jüdischen Gottgesalbtseins teilhaftig wird: durch den Akt eines Engels, der ihr eine überirdische Honigspeise gibt, die in sich neben dem Brot des Lebens und dem Kelch der Unsterblichkeit die Salbe der Unverweslichkeit (χρίσμα αφθαρσίας) enthält und so den Salbungsvollzug (das χρίειν) mitteilt (16,15f). Sicher sind die Probleme dieses Textes hier nicht endgültig zu lösen, aber ob er nun Heiden zur jüdischen Initiation wirbt oder innerjüdisch Rechenschaft über die gottgesetzte Größe des Judentums gibt, in jedem Fall entsteht ein Bezug des χρΐσμα/χρίειν-Motivs zum Selbstverständnis des Diasporajudentums um die Zeitenwende. 16 So ist sehr aufschlußreich, wohin Asenat durch ihren Initiationsakt geführt wird, nämlich in einen fast engelgleichen Status (s. die Linie zu 18,3-11).17 Der eine Salbung einschließende Akt des Engels verleiht eine neue Hoheit und Gottnähe, die alles Irdische überragt. Der in solcher Aneignung der Salbungs-/Gesalbtenmotivik für das Gottesvolk enthaltenen Dynamik korrespondiert abschließend, daß die jüdische Diaspora um die Zeitenwende zwar Heilshoffnungen herrscherlicher Bindung kannte und vertrat, aber bis einschließlich des ägyptischen Aufstands unter Hadrian zögerte, diese mit dem Begriff „Gesalbter (Jahwes)" zu verbinden.

" S.o. unter 2.1.3.2. ls Vgl. zur Schrift unter 2.1.3.2; dort mit Anm. 168 die wichtigsten Hinweise zu den Einleitungsfragen. " S. zur Diskussion bes. die Beiträge Burchards (von Untersuchungen bes. 123-132 bis zu Importance of Joseph and Aseneth bes.l 10-117), Sängers (Joseph und Aseneth bes.167-181) und Hans-Josef Klaucks (Herrenmahl und hellenistischer Kult. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung zum ersten Korintherbrief, NTA 15, Münster 1982, bes.194). Freilich besteht in der Forschung die Tendenz, von der Salbe/Salbung auf Olanspielungen zu schließen, sei es auf die Symbolik nährenden und salbenden Ols als Lebensgrundlage (Burchard, Sänger) oder auf die Verwendung von Ol zur Fingerreinigung nach einem Mahl (Klauck). Doch der Text läßt die Salbungsmaterie offen; nicht sie interessiert ihn, sondern die überirdische, über alle Materie hinaus Leben mitteilende Weise der Salbung (und Brot-, Kelchgabe). Auf deren UnVergänglichkeitsbezug wird unter 2.3.2 zurückzukommen sein. 17 Vgl. Fischer, Eschatologie 109 (innerhalb 107-111).

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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Keine der mit der Forschung hierfür heranzuziehenden Quellen einschließlich des nach 70 in der Diaspora schreibenden Josephus blickt explizit auf einen herrscherlich-individuellen Gesalbten (Messias) aus. Gerade in dieser Eigenart fügen sie sich zur herausgearbeiteten Linie der L X X - U b e r s e t z u n g von der Mitte des 2. Jh. v. bis zum 1. Jh. n. Chr. Näherhin bestimmt auch sie die bei den LXX-Ubersetzern in der fremdherrscherlichen Umwelt hervorgetretene Ambivalenz der Haltung zwischen einem pagan leichter zu vermittelnden theokratischen Universalismus und einer konfliktträchtigen Betonung der jahwegesetzten Sonderrolle des Gottesvolks und seiner Heilsträger: 18 Die Sibyllinen spiegeln in ihrem Wachstum zwischen vorchristlicher Zeit und dem 2.Jh. n.Chr. H ö h e n und Tiefen der jüdisch-paganen Beziehungen, enthalten entsprechend sowohl werbend theokratische wie - vornehmlich distanzierende, antirömisch-königlich orientierte Erwartungspassagen. 19 Philo schreibt in einer Phase sich verschärfenden Konfliktes zur paganen Umgebung unter den Juliern. V o r - oder trotz - diesem Hintergrund widmet er das Gros seines Werks nicht eschatologischen Entwürfen, sondern der zeitüberspannenden Vermittlung jüdischen Gesetzesguts. Freilich empfindet er dies nicht als Spannung zu jüdischen Hoffnungstraditionen, entfaltet so etwa N u m 24,7 L X X (und Jes 11) zur Erwartung eines eschatologischen Heerführers (άνθρωπος. .. στραταρχών), der von Gott unterstützt werde, bis die Frommen die Herrschaftsgewalt zum N u t z e n ihrer Untertanen erhielten (praem. 93-97). Zu einem Messianismus schreitet er darin nicht fort. 20

18

Vgl. o. unter 2.1.1.5 mit Anm. 152. Besondere Aufmerksamkeit fand seit jeher die Königs-(ßασιλεύς-)Erwartung Sib III 652-795 (s. schon etwa Hühn, Die messianischen Weissagungen I 84f und König, Die messianischen Weissagungen 337f), die sich bei Ansetzung um 140 v.Chr. (s. je a.a.O. ) parallel zum unter 2.1.1.5 bezeichneten neuen Hervortreten eines königsorientierten Selbstbewußtseins bei den LXX-Ubersetzern entstanden zeigt. Doch dürfte sie nach den Studien Collins' keinen jüdischen, sondern ägyptischen König („König von der Sonne" III 652) meinen (zuletzt Messianism 98f; Lit.). Daneben wurde vor allem III 265-294 diskutiert, bezieht sich jedoch (nichtmessianisch) auf den „königlichen Stamm" in kollektivem Verständnis (das jüdische Volk), wie Collins (a. a. Ο. 99) zeigt. Aus der weiteren Lit. seien für je verschieden angelegte Gesamtansichten Amir, messianische Idee 199-203 und Simon, Oracles Sibyllins passim genannt. Was zentrale Teilaspekte angeht, akzentuiert Camponovo, Königtum Gottes 332-356 die theozentrische Anlage von Sib III aus der Makkabäerzeit. Hengel, Messianische Hoffnung 668-679 hebt Querlinien zwischen Sib V und dem ägyptischen Judenaufstand unter Trajan hervor, die er als messianisch charakterisiert, so gewiß er (a. a. O. 674 Anm. 74) wahrnimmt, daß ein individueller Gesalbtentitel nirgendwo erscheint. Kim, XPICTOC 167ff schließlich sucht in der Linie von Sib III 49f.286f.652ff zu V 414-427 eine „Kontamination von Messiasund Menschensohnvorstellung" (169), obwohl dies schon titular sehr fraglich ist: Entscheidend für die Herrscherhoffnung bleibt auch in Sib V der Titel König (108); ergänzend tritt 414 nur die Bezeichnung „seliger Mann" hervor. 20 Übergreifend gehört bei Philo in das Umfeld von Zukunftserwartungen praem. 79-172 mit biblischem Ausgangspunkt an Lev 26/Dtn 28, von wo der Schlußteil 162-172 zu Dtn 30 weiterschreitet. Ergänzend bezieht sich vit.Mos. II 288 auf die Verheißungen von Dtn 33 (vgl. virt. 77) und belegt vit.Mos. II 44 eine Hoffnung auf universale Verbreitung des jüdischen Gesetzes (freilich ohne Herrscherhoffnung). - Die Sekundärlit. bis 19

234

Grundlegung

Eine Generation später erlebt Josephus den Jüdischen Krieg mit, schließlich unter Wechsel auf die Seite der Römer. Seine Ignorierung jüdisch-,.messianischer" H o f f n u n g e n einzelherrscherlicher Art wird gern, doch ohne klare Evidenz, als Reaktion auf einen „Messianismus" der Aufständischen interpretiert. 21 Nach dem Gesagten dürfte sie vorab durch eine Situierung des Josephus jenseits individuell-herrscherlicher Gesalbtenerwartung bedingt sein. Über Philo hinaus formuliert er ant. 4,114-117 sogar das Bileamsorakel N u m 24,17 kollektiv um. 22 Wieder von vornherein in der Diaspora, kommt es 115-117 zum ägyptischen Judenaufstand, der die dortigen H o f f n u n g e n antirömisch eruptieren läßt. Die Grenze vor jüdischer Aneignung des Königstitels fällt - zumindest geht der Aufstandsführer Lukuas von Kyrene in die Geschichtsschreibung als „König" ein (s. Euseb, h.e. IV 2,4) - , aber nach den bisherigen Eruierungen ist auch hier kein Salbungsmotiv nachzutragen, stellt sich vielmehr eher die Gedankenverbindung „König eines gottgesalbten Volkes" ein. 23 N u n w i r d m a n n i c h t ü b e r s e h e n d ü r f e n , d a ß d i e j ü d i s c h e D i a s p o r a in der L X X die Erinnerung an individuelle gesalbte Gestalten - Könige, H o h e p r i e s t e r u n d P r o p h e t e n ( P a t r i a r c h e n ) - w a h r t e 2 4 u n d in ihrer V i e l schichtigkeit grundsätzlich auch palästinische Traditionen rezipieren k o n n t e , in d e n e n - w i e s i c h z e i g e n w i r d - s e h r w o h l individualisierte G e s a l b t e n h o f f n u n g e n hervortraten. 2 5 D . h . , k o l l e k t i v e s u n d i n d i v i d u e l l e s Gesalbtenverständnis konnten zusammentreffen und zusammen besteh e n . A b e r f ü r die Struktur e i n e r V e r b i n d u n g b e i d e r z e i c h n e t s i c h in d e r D i a s p o r a u m die Z e i t e n w e n d e k e i n e D o m i n a n z e s c h a t o l o g i s c h e r B e g r i f f s b e s e t z u n g ab. V i e l m e h r tritt e h e r d i e z e i t e n ü b e r s p a n n e n d e U b e r Anfang der 70er Jahre ist Schürer, History II 508 Anm. 26 (C.H. Cave) erschlossen (oft beherrschte die Suche nach einem „Messianismus" das Feld: z.B. Savignac, messianisme passim). Danach sind Dexinger, messianisches Szenarium 250-255 und vor allem Fischer, Eschatologie 184-213 zu nennen (184-186 Forschungsüberblick), der Philo zwar Heilshoffnungen aufnehmen sieht, aber in innerer Distanz. Neuerdings sucht Hecht, Philo die Auffassung durchzusetzen, Philo habe seine Position vor einem aktuell messianischen Hintergrund in Ägypten als „neutralization of popular messianism" (162) entwickelt; doch weiß er um das Quellenproblem zum „volkstümlichen Messianismus" (vgl. 160f). 21 S. zuletzt - schon differenzierend - Fischer a.a.O. 158-183 (Lit.). 22 Weitere die Diskussion bestimmende Stellen sind bell. 6,312f (dazu o. unter 2.1.1.6), die Jotapata-Weissagung bell. 3,350-354.399-408 und der Dan-Hinweis ant. 10,210 (innerhalb 186-281). An Lit. für die obige Interpretation entscheidend ist de Jonge, Josephus bes.210-217. 23 Man denke an die fast gleichzeitige Entstehung von Sib V mit dem Gottgesalbtenmotiv (s. bei Anm. 13) neben einer Königserwartung (s. Anm. 19). In diese Richtung wäre daher m.E. die Aufstandsforschung fortzuführen, die gegenwärtig vor allem Hengel vorantreibt (Messianische Hoffnung passim; ein weiterer Beitrag ist in der Konstanzer Vortragsreihe Xenia angekündigt). 24 S.o. unter 2.1.1.5, am Übergang von 2.1.2.2 zu 2.1.2.3 und die Septuagintapassagen der unter 2.2.1.1 besprochenen Stellen. 25 Vgl. die methodischen Hinweise bei Hengel, Messianische Hoffnung 656 Anm. 2 und 657f (im Rahmen seiner Kritik an Fischer).

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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zeugung hervor, Gott habe in der Vergangenheit durch Einzelgesalbte gehandelt, er würdige gegenwärtig sein Volk kollektiv als Gottgesalbte, und er könne eingedenk seiner Verheißungen seine Kabod und seine Heiligkeit schließlich wieder auf einen Einzelgesalbten ausrichten. In letzterer Richtung durchscheinend zeigt sich die Linie des Ps 131 LXX. Da der Psalm in der Uberschrift (v.la) übersetzerisch redigierend als Wallfahrtslied gekennzeichnet ist, ist die Bitte des v.10, Gott möge sein Angesicht wegen Davids, seines Knechts, nicht von „seinem Gesalbten" wenden, kollektiv, auf das wallfahrende Volk, zu beziehen. Aber der Fortgang drängt darüber hinaus. w . l 7 f blicken in eine Zukunft, in der Gott, der seinem Gesalbten einen Leuchter bereitet habe, ein Machthorn für David aufgehen lassen und das Heiligtum auf den David-Gesalbten (!) zu erblühen lassen werde. Herrschaftsund Heiligkeitsakzent verbänden sich dann wieder in einer Einzelgestalt, wobei ein Blick auf M T (Ps 132) zeigt, daß der Heiligtumshinweis in LXX v,18b neu eingebracht ist, daher besondere Betonung trägt: mit der heiligkeitskonzentrierten Vorstellungsentwicklung unserer Zeit ersetzt er als letztes Wort des Psalms ein Kronmotiv. 26

Von dieser Ausgangslage aus müssen wir auf die urchristlichen Quellen blicken. Unter ihnen bietet nur der Hebr eine, allerdings hochsignifikante, Anknüpfung an das Bild des Gottesvolks als Gesalbten. Mose so schreibt sein jüdischen Traditionen vertrauter Autor ll,24ff - verweigerte sich, im Glauben groß geworden, dem Namen seiner Adoption und zog vor, mit dem Volk Gottes zu leiden (συγκακουχεΐσθαι τ φ λαω τοϋ θεοΰ ν.25). Er achtete τον όνειδισμόν τοϋ χριστοϋ (die Schmähung des Gesalbten) f ü r größeren Reichtum als die Schätze Ägyptens (v.26). „Gesalbter" v.26 steht parallel zu „Volk Gottes" v.25; das macht kollektive Deutung zwingend: Um eine kollektive Gesalbtenaussage bündelt sich die Solidarität des Mose mit dem Leid und Geschmähtwerden des Gottesvolks - und weist doch darüber hinaus. Denn das Tragen der Schmähung des Gesalbten führt im Hebr, schon 10,33 vorbereitet, in eine Linie zum Tragen der Schmähung Jesu (όνειδισμός wie 11,26), die dieser erlitt, um das Volk (λαός wie 11,25) zu heiligen (13,12f). Das leidgeprüfte Gesalbtsein des Gottesvolks weist so zu Christus. Mose lebt weit vor ihm bereits auf ihn hin. 27 26 Ihr Pendant hat diese herrscherlich-heiligkeitliche Erwartung in der (partiellen) Rezeption hohepriesterlicher Gesalbtenerwartung, auf die unter 2.2.5 zurückzukommen sein wird. Wieweit dagegen die unter 2.2.4 zu besprechenden herrscherlich-messianischen Texte in der Diaspora rezipiert wurden, bleibt unklar: Der Ort der griechischen Übersetzung von PsSal (wahrscheinlich vor 80 n.Chr.: s. unter 2.2.4.1) ist unbekannt, die These Bogaerts, Baruch 378ff über eine gar jüdisch-griechische Abfassung des syrBar unhaltbar (erwägbar ist allerdings wiederum eine griechisch-jüdische Erstübersetzung, nun im 2. Jh.: G. Vermes/M. Goodman in Schürer,'History III/2, 753). 27 So lösen sich die Probleme des Textes, dessen Christos in der Regel (auch auf Kosten eines Anachronismus) unmittelbar christologisch (bis Braun, Hebräer 380), selten

236

Grundlegung

Christliches Selbstverständnis ist nicht als gesalbtes Gottesvolk neben Christus, sondern nur auf diesen hin und von diesem her formulierbar, das wird an dieser Stelle deutlich. Entsprechend wird der Kollektivbegriff θεόχριστοι, dessen Tradition keinen expliziten Christusbezug enthält, christlich weit über die neutestamentliche Zeit hinaus gemieden, bemüht sich die U r - und Frühkirche um alternative christusbezogene Selbstbezeichnungen: Von der in 2 Kor 1,21 aufgenommenen Tradition an ordnet sie das eigene „Gesalbtsein" einer Existenz zu, die Gott, der Salbende, εις Χριστόν festmache. Im vorpaulinisch-paulinischen Kreis entstehen die Formulierungen um έν Χριστφ. Von Antiochia aus setzt sich die Benennung χριστιανοί durch (ab Act 11,26), die als neue Ableitung von Christos das Grundkriterium der Christos-Zugehörigkeit prägnant in ein einzelnes Wort faßt; ob sie christlich geprägt oder als ursprüngliche Fremdbezeichnung von den Christen rezipiert wurde, tangiert diese Prägnanz nur sekundär. 28 Eine nähere Untersuchung letzterer Zusammenhänge kann im Rahmen vorliegender Studie freilich nicht geleistet werden, so wünschenswert sie wäre. 2.2.3.2

Die Frage einer Ausstrahlung

nach

Palästina

Schwieriger ist die Frage zu beantworten, wieweit die Kollektivierungstendenz im dominant aramäisch, sakral zusätzlich hebräisch sprechenden Judentum Palästinas um die Zeitenwende ausstrahlte: Wie in der Diaspora bietet sich als zeitlicher Einsatz die jüdische Rückbesinnung im Rahmen des antiseleukidischen Aufstandes an, die geschichtliche Situation also, in der wir LXX Hab 3,13a orteten. Tatsächlich findet sich gerade an dieser Stelle auch in einzelnen hebräischen Handschriften die uns von der LXX bekannte kollektivierende kollektiv (am Rande bei Schillebeeckx, Christus 248) gedeutet wird. Viel von der Interpretation unseres Jahrhunderts ist schon bei Eduard Riggenbach, Der Brief an die Hebräer ausgelegt, K N T 14, Leipzig 1913, 370 grundgelegt. Wichtige umgebende Sachhinweise bietet Michel, Hebräer 409f (u.a. auf das Schmähmotiv Ps 89,52 [LXX 88,52 όνειδίζειν], das im Zusammenhang unserer Analyse - vgl o., anders als bei Michel - die Basis kollektiven Formulierungsansatzes verbreitert). Für unsere Frage wenig ertragreich ist Tadashi Saito, Die Mosevorstellungen im Neuen Testament, EHS.T 100, Bern usw. 1977, 103-108. 28 Zur Rezeptionslücke bei θεόχριστοι s. o. Anm. 13, zu 2 Kor 1,21 Dinkier, Taufterminologie und zur weitergegangenen Diskussion Schnelle, Christusgegenwart 124ff, zum Stand der Erforschung der ekklesiologischen Aspekte der „in Christus"-Formel Klaiber, Gemeinde 86ff und in Verbindung mit Tauftraditionen Schnelle a.a.O. 109-122 (zu den angrenzenden „mit Christus"-Formulierungen zuletzt Wedderburn, Baptism 342-356), zur Christianoi-Bezeichnung schließlich (nach Lipsius, Ursprung des Christennamens) bes. Peterson, Christianus, Bickerman, Christians und Spicq, chretien (und vgl. unter Ausblick 1). Die letzte Spitze christusbezogenen Gemeindeselbstverständnisses stellt die unter 1.2.5.2 besprochene Übertragung des Gesalbtentitels dar.

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

237

Pluralisierung „deine Gesalbten" (ΤΠ'&η). Doch der Zeit- und Gebietsraum, in dem diese erst weit versetzt bezeugte Variante 29 entstanden sein kann, ist zu groß, um sie stärker hervorzuheben. 30 Gewichtiger bezeugt für das Tempelweihgebet Salomos in seiner Fassung von 2 Chr 6,12-42 sogar der Codex Leningradensis an der entscheidenden Stelle des v.42a den Plural, 31 sieht also (nach v.41b) am Heiligtum, dem Zentrum der Heilsgewährung Gottes, Priester und Fromme umfassend als Gesalbte Jahwes auftreten. 32 Aber auch wenn wir im Fehlen neuer Kollektivierungsbelege in datierbarer jüdischer Literatur ab dem 2. Jh. n.Chr. ein Argument gegen spätere Entstehung dieser Variante suchen - jedenfalls konnte ich von dieser Zeit an bis einschließlich der jüdisch mittelalterlichen Literatur keinen weiteren Beleg mehr finden - , bleibt immer noch die Möglichkeit eines inhaltlich nicht hoch zu bewertenden Schreibfehlers. 33 Besonderes Interesse verdient der Sachverhalt bei 1 Sam 2,1-10. D i e K o l l e k t i v i e r u n g s t h e s e B e c k e r s ( u n d seiner V o r g ä n g e r ) w a r hier z w a r f ü r f r ü h e r e E p o c h e n mit e i n i g e r Sicherheit a b z u w e i s e n , 3 4 aber im A u g e n b l i c k d e r p a l ä s t i n i s c h e n D u r c h s e t z u n g e i n e s u n g e s a l b t e n K ö n i g t u m s k a n n e i n e n e u e Int e r p r e t a t i o n s e p o c h e e i n g e s e t z t haben:

Las man den Schlußteil des v.10 im 1. Jh. v. und n.Chr. doch noch als synthetischen statt wie früher als synonymen Parallelismus, also in dem Sinne, der Herr gebe Macht „unseren Königen" (in der Diaspora wie in Judäa) und werde in Fortführung dieses seines Tuns das Horn „seines Gesalbten" = seines heiligen Volkes 35 erhöhen? Eine solche Interpretationsentwicklung könnte erklären, warum die frühen Christen eine direkt christologische Aufnahme der Gesalbtenansage von v.10 vermieden und warum Anklänge an den Hanna-Psalm im kollektiv orientier29

S. den Apparat z. St. in der BHS. Kompliziert ist die Korrekturmotivation Rudolphs, Micha-Zephanja 237: Man habe unsere Stelle messianisch verstanden, eine in ihr implizierte Hilfsbedürftigkeit des Messias aber abgelehnt und sie daher unmessianisch geändert. 31 S. wieder die BHS z.St. 32 Die Forschungslage ist unbefriedigend: Bis zu den neuesten Kommentaren (z.B. H.G.M. Williamson, 1 and 2 Chronicles, NCeB Commentary, Grand Rapids.London 1982, 220f) bleibt die Variante praktisch undiskutiert. 33 Allerdings bleibt die Querlinie zum B-Strang der LXX-Überlieferung von 2 Chr 6,42 bemerkenswert: Wurde dort der kollektive Bezug durch eine Eliminierung des Gesalbter Jahwes-Motivs ermöglicht (s.o. Anm. 11), so hier durch dessen Pluralisierung. Sollte beides auf etwa dieselbe Zeit zurückgehen? 34 S. für M T unter 2.2.1.2 mit Anm. 16 gegen Becker, Königspsalmen 571. Die L X X Fassung war unter 2.1.1.5 zu interpretieren (die Ubersetzer des deuteronomistischen Geschichtswerks gingen, wie die Einfügung unseres Titels in LXX 2 Reg 2,5 zeigt, breiter vom herrscherlichen Gesalbtenbegriff aus). 35 Vgl. das „Horn"-Motiv in der Lit. des späten 1. Jh. n.Chr., aufgelistet bei Förster, κέρας, T h W N T III, 668-671, hier 669. 30

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Grundlegung

ten Magnifikat erscheinen (s. dessen Zulaufen auf die w . Lk l,54f). 36 Freilich, entscheidende positive Evidenz fehlt; auch die Textkritik gibt in diesem Falle keine Hilfestellung. Sichereres Terrain erreichen wir bei einem Qumranfund: 4QFlor I 14-19 bietet um die Zeitenwende einen Midrasch zu Ps 1,1,37 in den es Ps 2,lf mit der Deutung einschließt, dieses Psalmwort beziehe sich auf (die Völker und) die Erwählten Israels (Plural!) am Ende der Tage (Z.18f). Z u v o r artikuliert der T e x t v o n 2 S a m 7 , 1 1 - 1 4 aus die E r w a r t u n g e i n e s S p r o s ses D a v i d s u n d e i n e s e s c h a t o l o g i s c h e n T o r a f o r s c h e r s ( Z . l O f ) , o h n e d e n G e s a l b t e n b e g r i f f z u v e r w e n d e n , b e s e t z t letzteren a l s o nicht individuell. 3 8 A b Z . 1 4 zielt er auf die e s c h a t o l o g i s c h e T r e n n u n g der sich z u G o t t H a l t e n d e n ( 1 4 b . 1 6 . 1 7 , je Plural) v o m R a t der G o t t l o s e n (nach Ps 1,1; Jes 8,11; E z 37,23: Z . 1 4 - 1 7 ) . D i e s e m Ziel d i e n t schließlich P s 2,1 f ( Z . 1 8 f ) , s o d a ß v o m T e x t d u k t u s her d e s s e n k o l l e k t i v e s V e r s t ä n d n i s v o r g e z e i c h n e t ist. D i e Linie s e t z t K o l . II mit der bei aller Z e r s t ö r u n g d e s T e x t e s klar e r k e n n b a r e n E n t g e g e n s e t z u n g B e l i a l / G e s e t z e s haltende b z w . G o t t l o s e / G e r e c h t e f o r t (II 1 - 4 b z w . 5). 3 9

Die einzige Unsicherheit bleibt der schlechte Erhaltungszustand der entscheidenden letzten (19.) Zeile der Kol. I. Weniger Schwierigkeiten bereitet dabei die Zerstörung des Zeilenanfangs. Da darauf der Ubergangshinweis „Pescher" folgt, muß er das in Z.18 begonnene und bis zum vorletzten Wort (Vyi) geführte Zitat aus Ps 2,lf abgeschlossen und damit das Stichwort ΊΠ'&η („seinen Gesalbten") enthalten haben. 40 Aber aus den Pescherangaben ist leider einzig der Schluß „die Erwählten Israels am Ende der Tage" erhalten. So spricht zwar alle Rekonstruktionsevidenz dafür, dieses Erwähltenkollektiv, bei dem die Qumrangemeinschaft an sich selbst denkt, 41 als Pescheraktualisierung der Gesalbtenangabe aufzufassen, doch wird bis zum Auffinden eines voll erhaltenen Textexemplars kein letzter Nachweis möglich sein.42

36

Vgl. zur Rezeption des Hanna-Lieds im Magnifikat 2.1.1.5 (dort Anra. 113 Lit.). Zur Datierung s. Brooke, 4QFlorilegium 83 u.ö., zur Midrasch-Pescher-Form Daniel Patte, Early Jewish Hermeneutic in Palestine, SBLDS 22, Missoula, Mont. 1975, 297f. 38 Nur so weit war der Text van der Woude, Die messianischen Vorstellungen 172-175 bekannt. 39 S. schon Michel/Betz, Von Gott gezeugt 8. 40 Debattabel ist nur, ob nicht schon an dieser Stelle eine Pluralkorrektur (vn'PO) stand; das schlug jedenfalls Yadin, 4Q Florilegium 98 vor, konnte sich aber nicht durchsetzen. 41 Zum Kontext Erwählte/Qumrangemeinschaft s. J. Coppens, L'elu et les elus dans les ecritures saintes et les ecrits de Qumrän, EThL 57,1981, 120-124, bes.l20f. 42 Nach der Edition setzte sich um 1960 schnell die kollektive Deutung durch: s. z.B. Yadin a.a.O. und Michel/Betz a.a.O. 8f. D a aber eine Eruierung für deren Gesamtzusammenhang im jüdischen Denken um die Zeitenwende ausblieb, erschien sie Brooke 1985 (fälschlich) zu isoliert, um sie aufrechterhalten zu können. Er griff (a. a. O. 120-123; 37

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

239

Aus anderen Qumranschriften läßt sich immerhin der Kontext entnehmen, in dem eine solche gemeinschaftsbezogene Aktualisierung eines ursprünglichen Königstextes erwachsen konnte: Die in Qumran zusammenkommende Gruppe verstand sich als eschatologische Gemeinschaft, 43 die alte Heilsverheißungen betont auf sich bezog. So versteht sie sich C D VII 16f verwandt zu unserer Stelle als der König, auf den die Ansage aus Am 9,11 ziele, Jahwe werde die zerfallene Hütte Davids - die man nun auf die Bücher des Gesetzes deutet (Z.15) - wieder aufrichten; hier heißt es sogar ausdrücklich „der König, er ist die Gemeinde". 44 Auch für 4QTest ist kürzlich gegen die bis dato geläufige Auffassung, es handle sich um eine Sammlung individuell-messianischer Beweisworte (nur ohne den Gesalbtenbegriff), mit gewichtigen Argumenten für einen kollektiven Bezug bei den Rückgriffen auf die Segens- und Verheißungstexte N u m 24,15-17 (Bileam); Dtn 33,8-11 und Jos 6,26 plädiert worden: Diese Zeugnissammlung zielt vor aller Zukunft auf die Gegenwart und in ihr näherhin auf „eine Bestätigung der religiösen Treue zur Gemeinschaft und eine Verurteilung der ersten Abtrünnigen". 45 Ein weiterer Beleg kollektiver A n e i g n u n g speziell des Gesalbtenbeg r i f f s in Q u m r a n f e h l t . S o w i r d m a n f e s t h a l t e n m ü s s e n , d a ß m a n s i c h dort im Selbstverständnis einer erwählten G e m e i n s c h a f t z w a r w o h l a u c h als G e s a l b t e r J a h w e s i d e n t i f i z i e r t e , w o d i e s v o n a u f g e n o m m e n e r T r a d i t i o n h e r n a h e l a g , d a ß d i e s e I d e n t i f i k a t i o n aber k e i n e n S c h w e r punkt der R e f l e x i o n bildete. D a s l e n k t das A u g e n m e r k auf d a s P r o p r i u m der p a l ä s t i n i s c h e n E n t w i c k l u n g : W i e in d e r D i a s p o r a blickt m a n auf g r o ß e G e s a l b t e d e r V e r g a n g e n h e i t z u r ü c k , d u r c h die J a h w e h a n d e l t e u n d f ü r die G e g e n w a r t g ü l t i g e G r u n d l a g e n l e g t e . 4 6 A b e r auf d i e s e r Basis z i e l t d a s b e s o n d e r e I n -

vgl. schon die vorab gegebene Textfassung 87,93) auf die Notkonstruktion zurück, der Pescher beschränke sich nicht auf die zitierten w.1-2 des Ps 2, sondern springe zu dessen v.12. So speise sich letztlich nur die Gegnerangabe in Z.19 - für die er wie die Hauptforschungslinie „Kittim" rekonstruiert - direkt aus Ps 2,2; im Erwählten-Teil gehe es dagegen nicht um eine Deutung von „sein Gesalbter" (Ps 2,2), sondern um die, die Zuflucht bei Jahwe suchten (2,12). Seine Auffassung scheitert an den erhaltenen Textbruchstücken: Nicht nur fehlt in diesen jede positive Evidenz für einen Sprung zu Ps 2,12, Brooke muß diesen Sprung sogar durch eine Korrektur des letzten Buchstabens vor der Lacuna von Π zu Π (als Teil des Wortes Ol]n) gegen den erhaltenen Text durchführen. 45 S. jünger Collins, Eschatology at Qumran 356 und passim; in den frühen Untersuchungen zu Qumran hatte man keine Scheu, dies als einen gewissermaßen kollektiven Messianismus zu beschreiben: s. Weiß, Messianismus 358-363 (bes. von 1QM aus). 44 Dazu H.J. Fabry, ^ a V, ThWAT IV, 956f, hier 957. Daß derselbe Text in 4QFlor I 12f eher individuell verstanden ist, zeigt von neuem, daß sich bis zur neutestamentlichen Zeit keine einzelne Auslegungsrichtung der überkommenen Verheißungstexte durchgesetzt hatte, vielmehr nebeneinander verschiedene Aneignungen möglich waren. 45 Lübbe, 4 Q Testimonia passim, Zitat aus der deutschen Zusammenfassung 196. Zum Kontext individueller/kollektiver Aneignung des Bileamorakels vgl. o. unter 2.2.3.1. 46 S.o. unter 2.2.1.1 mit 2.2.2.

240

Grundlegung

teresse nur punktuell auf die eigene kollektive Gesalbten-Würde, hingegen stärker auf Jahwes eschatologisches Handeln durch neue individuelle Gesalbte. Paradigmatisch zeigen diesen Interessengang die Bilderreden des äth Hen (Kap.37-71), wenn sie - wie wahrscheinlich ist47 - jüdisch-aramäischen Ursprung um die Zeitenwende haben und an den beiden Gesalbten-Passagen 48,10;52,4 nicht christlich formuliert sind: 48,10 beschließt einen längeren Abschnitt (Kap.47f) über die eschatologische Erhörung des Gebets der Gerechten, die vielerlei irdische Bedrängnis und Leiden erfuhren. Parallel zum Motiv der Rückforderung des Bluts der Gerechten in 47,4 thematisiert der Vers den Fall der Bedränger als Ziel der Gebetserhörung, nun abschließend motiviert dadurch, jene hätten - ein neuer Gipfelpunkt des so oft beobachteten Zusammenhangs Gesalbter/Leid - „den Herrn der Geister und seinen Gesalbten verleugnet". Dem Duktus nach ist im Gesalbten (Jahwes) das Kollektiv der Gerechten identifiziert. Das Kapitel erhält einen klaren, um v.7 zentrierten Sinn: In den Tagen der Rache des Menschensohns fallen die Bedränger im Strafakt für ihre bedrängende Verleugnung Gottes und der Gerechten, die selbst und gerade in der Bedrängnis die unmittelbare Gottesnähe eines Gesalbten besitzen. 48 Wenn der Gesalbte Jahwes dagegen als Individuum aufgefaßt wird, entsteht ein Bruch des Zusammenhangs. Denn als Individuum erschien in Kap.47f neben Gott (dem Herrn der Geister) nur der Menschensohn, der keineswegs ver-

" Von den Bilderreden wurden im Unterschied zu den anderen Teilen von äthHen in Qumran keine Fragmente gefunden. Das scheidet ein spezielles qumranisch-essenisches Überlieferungsinteresse an ihnen aus, aber nicht die Möglichkeit ihrer vorchristlichen Entstehung. Vom Inhalt erzwingt nichts eine christliche Provenienz; vielmehr bleibt selbst das Nachtragskapitel 71 mit der Identifizierung Henochs (!) als Menschensohn von christlichem Denken unabhängig (oder eine Konkurrenz zu diesem). Daher neigt derzeit die Forschung entgegen den Anfängen im 19. Jh. (s. 1.1.2 mit Anm. 72) jüdischer Entstehung zu (Bündelung der Diskussion bis zum Anfang der 80er Jahre durch Siegbert Uhlig in JSHRZ V 6, 1984, 573-575). Näherhin dürfte der Grundbestand der Bilderreden um die Mitte des 1. Jh. v.Chr. entstanden sein - Kap.56 erklärt sich am besten aus dem römisch-parthischen Konflikt der Jahre 51/50 -, ist aber mit einem Wachstum bis mindestens 70 n. Chr. zu rechnen (neben der u. zu besprechenden Stelle 52,4 in den Kap.70f; 67,4-13 u.ö.: s. Uhlig a.a.O. und an dort noch nicht erfaßter Lit. G. Bampfylde, The Similitudes of Enoch. Historical Allusions, JSJ 15, 1984, 9-31; zum Gesamtrahmen der Datierung vgl. David Winston Suter, Tradition and Composition in the Parables of Enoch, SBLDS 47, Missoula, M T 1979, 23-32). Das präjudiziell die Entscheidung zu unseren Gesalbtenstellen: Sie sind zunächst im Rahmen jüdischen Textwachstums zu betrachten. 48

Man beachte, daß in der Gegensatzbildung von 48,10 (von der Forschung breit wahrgenommen) eine Assoziationssphäre zu Ps 2 (v.2 und passim) entsteht, sich also aufgrund der obigen Besprechungen ein größeres Umfeld kollektiver (nicht, wie etwa de Jonge, Anointed 143 meint, individueller) Traditionsrezeption zeigt.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

241

leugnet wird, vielmehr laut 48,5 allenthalben Anerkennung findet und laut v.7 als Rächer für das Leben der Gerechten auftreten wird. 49

Denken Kap.47f also vom Kollektiv aus, so schreitet 52,4 zu einer individuellen Identifikation fort: Ein Engel führt das Gesalbter JahwesMotiv als Herrschafts-, nicht Verleugnungsmotiv ein. 50 Diese Spannung zu 47f zwingt, hier ein Textwachstum anzunehmen. 51 Für dieses ist der Gesalbte Jahwes näherhin der Einzel-„Erwählte" (w.6.9), in dem sich das Gotterwähltsein des ganzen gerechten Kreises, von dem oben die Rede war, individuell sammelt und eschatologisch zuspitzt. 52 In der Individualisierung des Gesalbten Jahwes wie des Erwählten entfernt man sich doppelt vom Kollektivum Gesalbter Jahwes/Erwählte Israels am Ende der Tage aus 4QFlor I 19.53

49

Trotzdem wurde die Kollektivdeutung bislang, soweit ich sehe, noch nicht erwogen, aber mit hohen Kosten. Denn der entstehende Bruch des Zusammenhangs mußte zur (unnötigen) Annahme einer Interpolation von 48,10 drängen, die - in auffälliger Nähe zu christlichem Denken - hoheitlichen Menschensohn und verleugneten Gesalbten identifiziert habe (s. z.B. Sjöberg, Menschensohn 140f). Mochte man trotzdem den Schritt zu christlicher Ansetzung der Einfügung nicht vollziehen, so entstand die Notwendigkeit, jedenfalls eine jüdische Überarbeitung anzunehmen (so U.B. Müller, Messias 53), für die zeitlich dann nur die Schlußredaktion der Bilderreden in Frage kam (wofür sich folgerichtig K. Müller, Menschensohn 169ff entschied). Doch muß die Redaktion in diesem Fall zwei verschiedene Menschensohnidentifikationen vorgenommen haben, findet sich durch die Anfügung des Kap.71 doch auch noch diejenige mit Henoch. Eine schwer erträgliche Spannung entsteht, deren Auflösung durch M. Müller, „Menschensohn" 74f Henoch sei von Kap.70f aus auch der Gesalbte - die Textstadien und Titel zu sehr zusammenbindet (vgl. Anm. 23 zu 2.2.2). Jüngste Forschung übergeht (in Reaktion darauf?) den Bruch des Zusammenhangs (Nickelsburg, Salvation 59f [mit knappster Behandlung von 48,10]; Charlesworth, Messianology 239f). 50 Korrespondierend fällt der bei 48,10 beobachtete Bezug auf Ps 2 aus (vgl. - bei abweichender Gesamtinterpretation - de Jonge a.a.O. 144). 51 Vgl. U.B. Müller a. a. O. 52, der die schlechte Einbettung in den Kontext als weiteres Indiz sekundärer Einfügung aufweist. " Dabei fehlt auch hier der Menschensohnbegriff in der näheren Umgebung, so daß sich mit Charlesworth, Messiah 206f Anm. 64 gegen eine bis fast zur Gegenwart dominierende Forschungslinie (z.B. Sjöberg a.a.O. 140f, U.B. Müller a.a.O. 52 und - im Ausdruck „der gesalbte [...] Menschensohn" am dichtesten - Zenger, Hoffnungen 73) wieder nicht von einer Messias-Menschensohn-Identifikation sprechen läßt. Neuerdings nimmt freilich Charlesworth, Messianology 240 diese Position „in sharp contrast to the tendency of almost all modern scholars" wieder auf (eine Folge seiner Messias[-Menschensohnj-lnterpretation von 48,10). 53 Schön wäre, wenn wir dieses Textwachstum genauer datieren und dann etwa von einem Fortschritt von kollektivem Deutungsschwerpunkt in der Mitte des 1. Jh. v.Chr. zu individuell-eschatologischem Deutungsschwerpunkt in der Mitte des l.Jh. n.Chr. sprechen könnten. Die von Charlesworth a.a.O. 207 u.a. (s. ebd. Anm. 68) - freilich ohne Schichtung zwischen 48,10 und 52,4 - vertretene Ansetzung der Endfassung der Bilderreden um die Zeit der Entstehung des Christentums käme dem entgegen. Aber zunächst ist der Abschluß der Einleitungsdiskussion abzuwarten.

242

Grundlegung

So drängt die Linie der palästinischen Entwicklung dazu, nun zur Untersuchung der individuellen Eschatologisierungen der jüdischen Gesalbtentraditionen fortzuschreiten.

2.2.4 Der eschatologische Laienfuhrer-

und Herrschergesalbte

Unter den ungesalbten Hasmonäern begannen oppositionelle Gruppen um Qumran und die Träger der Damaskusschrift, eine über die Gegenwart hinausgehende Existenz in idealer Gottnähe u.a. durch das Auftreten individueller Gesalbter zu charakterisieren. Sie entwarfen neben der Erwartung des Gesalbten Aarons das Laienführermodell eines Gesalbten Israels. Andere Kreise wurden von einer Vorstellung, die an das davidische Königtum eines Gesalbten Jahwes anknüpfte, erfaßt, als mit der römischen Besetzung Jerusalems unter Pompeius ein noch schärfer als die Hasmonäer provozierendes Gegenüber zu altisraelitischem Herrschaftsdenken entstand. Doch konnte sich ihr in PsSal 17 und 18 dokumentierter davidisch-messianischer Aufbruch nicht allgemein durchsetzen. Selbst seine Ausstrahlung in die Qumrangemeinschaft blieb begrenzt. Bald prolongierte sich die Erwartung in fernere Zukunft, verlor an aktuell-religiöser Bedeutung und Expansionskraft. Ab äthHen 52,4 begann (um die Mitte des 1. Jh. n.Chr.) neues Interesse an der Erwartung eines Gesalbten Jahwes. Die Impulse verdichteten sich, als der vorübergehend gefundene Modus vivendi mit der römischen Schutz- und Hoheitsmacht bis zum Jüdischen Krieg zusammenbrach. Ein einheitliches Konzept, das die jüdische Gesamtbevölkerung Palästinas erfaßt hätte, setzte sich aber bis zum Ende der neutestamentlichen Zeit nicht durch. Heute so wesentlich erscheinende Züge jüdischen Messianismus wie die Eintragung des herrscherlichen Gesalbtenbegriffs in die alttestamentlichen Heilsweissagungen entwickelten sich erst in einem offenen, mannigfach sich verzweigenden Entwicklungsprozeß der folgenden Jahrhunderte. Dieses Entwicklungsbild ist für das Neue Testament von hoher Bedeutung: Die Wirkungszeit Jesu und Entstehung der christlichen Gemeinde fällt in eine Phase nicht des Aufbruchs, sondern des Zurücktretens herrscherlicher Gesalbtenerwartung und liegt weit vor der Ausbildung eines herrscherlich-messianischen Gesamtszenariums. Sich gleichwohl ergebende Berührungen und Querlinien zum u r - und frühchristlichen Verständnis Jesu als Gesalbter provozieren, wie sich zeigen wird, oft eher christliche Kritik und Umformulierungen als christliche Akzeptanz.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes 2.2.4.1

Die Entwicklung

bis zur ersten Hälfte

243

des 1. Jh. n. Chr.

D i e B e l e g e h e r r s c h e r l i c h e r G e s a l b t e n e r w a r t u n g aus v o r n e u t e s t a m e n t licher Z e i t b e s c h r ä n k e n sich auf w e n i g e A b s c h n i t t e d e r q u m r a n i s c h - e s s e n i s c h e n Literatur, d e r P s S a l u n d - falls sie auf d i e s e Z e i t z u d a t i e r e n ist - die bereits a n g e f ü h r t e Stelle ä t h H e n 52,4. D i e s e g e r i n g e B e l e g z a h l k a n n a n g e s i c h t s d e s in d e r l e t z t e n G e n e r a t i o n e r s c h l o s s e n e n R e i c h t u m s literarischer Q u e l l e n aus u n s e r e r E p o c h e n i c h t m e h r als Z u f a l l g e l t e n . 1 Sie ergibt in sich ein p r ä g n a n t e s E n t w i c k l u n g s b i l d : D a s 2. Jh. v. C h r . b r a c h t e z u n ä c h s t e i n e n A b s c h i e d v o n i n d i v i d u e l l e r Gesalbtenerfahrung und -reflexion. Der letzte hohepriesterliche Gesalbte ging ins Exil oder wurde getötet, und der folgende palästinische Aufstand zielte auf eine neue innerisraelitische Herrschaftsverfestigung, ohne für sie Gesalbtenmotive in Anschlag zu bringen. 2 D i e hebräische Tradition des Ps 2 und die griechische Tradition des Hannalieds L X X 1 Reg (1 Sam) 2,1-10 erhielten keine Relevanz in der Linie der von ihnen eigentlich vorbereiteten individuell-herrscherlichen Gesalbtenhoffnung. 3 Das Gros der judäischen Bevölkerung trug vielmehr bejahend und fördernd den salbungsfernen hasmonäischen Aufstieg bis Simon und Johannes Hyrkan. 4 Selbst d i e O p p o s i t i o n , die z a d o k i d i s c h - p r i e s t e r l i c h e S a l b u n g s v o r s t e l lungen weiterpflegte,5 fand nur z ö g e r n d z u individuell eschatologischer G e s a l b t e n h o f f n u n g . Bei d e n n a c h Ä g y p t e n a b g e w a n d e r t e n O n i a d e n e n t s t a n d e i n e s o l c h e o f f e n b a r ü b e r h a u p t nicht, 6 bei d e r s i c h in P a l ä s t i n a neu konstituierenden Gemeinschaft von Qumran und deren essenis c h e m U m k r e i s erst n a c h e i n e r l ä n g e r e n A n l a u f z e i t . 7 D e n n n a c h d e n bei 1 Vgl. allein zu den Pseudepigraphen die Übersicht Charlesworth', Messiah passim (Ergebnis 216ff nach 190). 2 S.o. unter 2.2.1.3 mit den dortigen Querverweisen. 3 Eher erfuhren sie eine kollektive Umprägung: s. unter 2.2.3. 4 S. unter 2.1.1.6 u.ö. s S. unter 2.1.2.3. 6 Zumindest fehlt jeder Beleg, ein sich zum unter 2.2.3.1 entworfenen Bild der Diasporaentwicklung voll fügender Befund. 7 Was den Ansatz der Analyse angeht, scheint eine Epochenbildung, wie sie Starcky, messianisme begründete, unverzichtbar, auch wenn sie inzwischen differenziert werden muß. Immerhin erkannte Starckys wichtigster Kritiker Brown (Starcky's Theory) dessen Phasen 1 und 2 an, eine Frühperiode ohne erkennbare messianische Erwartungen und die (im folgenden schärfer zu zeichnende) hasmonäerzeitliche Periode ab ca. 110/100 mit der Erwartung eines Propheten und zweier Gesalbter. Er kritisierte erst die Rekonstruktion der um das Auftreten Pompeius' kristallisierten 3. Phase von CD aus, sei CD doch früher zu datieren. Mit letzterem Hinweis stoßen wir auf die Problematik der Einleitungsfragen zu den Qumranschriften: Die Paläographie gibt nur Auskunft über die Niederschrift der Manuskripte, nicht über das Alter der Texte, an denen zudem noch mannigfache literarkritische Arbeit zu leisten ist. Vorläufig ist so mit weiteren Verschiebungen zu rechnen (scharf gegen Starcky vorgetragen von Davies, Eschatology 47). Der radikalste Forschungsvor-

244

Grundlegung

Khirbet Qumran gemachten Funden griff man dort zunächst apokalyptische Texte auf, die den Gesalbtenbegriff nicht enthielten (die älteren Teile von äthHen 8 ), pflegte die Davidserinnerung, ohne dabei den Gesalbtentitel zu verwenden (4QDibHam a IV 5-8 9 ), und setzte auch sonst bei unmessianischen eschatologischen Vorstellungen an (etwa in der ältesten Schicht der Kriegsrolle 10 ). Entsprechend findet sich im ältesten Papyrus der Sektenregel 4QS C (wohl aus der Zeit Hyrkans) noch nicht die Gesalbtenerwähnung des zwischen 100 und 75 v.Chr. entstandenen Hauptexemplars 1QS (IX II). 1 1 Vormessianisch ist auch der für diese Epoche vieldiskutierte Psalm (oder Psalmteil) 1 Q H III 7b-12a. 1 2 Dessen Dichter bedient sich, um erfahrene Bedrängnis im dankbaren Rückblick zu charakterisieren, des Bildes von Geburtswehen, das ihn an die Geburt von Jes 9,5 denken läßt (III 9f). Zu einem Bild „messianischer" Wehen schreitet er aber nicht fort: Er orientiert sich nur rückblickend am Wehenbild und erblickt daher in Jes 9,5 keine spezifisch davidische Hoffnung, hört vielmehr nur allgemein von der Geburt eines männlichen Kindes (133) reden. 13 Ein Gesalbtenmotiv trägt er nicht ein. 14

schlag freilich, Laperrousaz' Zentrierung sämtlicher messianischer Texte vor 68 n. Chr. um die Essener mit der in ihrer Entstehung erst um 100 v.Chr. datierten Gemeinde von Qumran (Messie passim), kann nicht bestehen (s. namentlich die Rez. durch Florentino Garcia Martinez in RdQ 11, Nr.43, 1983, 444-452). 8 Die J.T.F. Milik (with Μ. Black), The Books of Enoch. Aramaic Fragments of Qumran Cave 4, Oxford 1976 edierte und etwa Caquot, messianisme Qumränien 255f für die dortigen Auffassungen auswertete. ' Erstediert bei Μ. Baillet, Un recueil liturgique de Qumran, Grotte 4: Les paroles des luminaires, RB 68, 1961, 195-250, hier 204-206 (Kommentar 221f). Es handelt sich um den retrospektiven (s. Caquot a. a. O. 237) Teil eines hymnischen Gebets, das der Handschriftenlage nach auf ca. 150 v.Chr. zu datieren ist (s. David Flusser, Psalms, Hymns and Prayers, CRI II, 1984, 551-577, hier 567). Die immer noch gelegentlich - z.B. bei Dimant, Qumran Literature 239 Anm. 265 - vorgetragene messianische Deutung hat demnach keinen Anhalt. 10 S. für die Entwicklung von deren Erforschung Dimant a. a. O. 515ff, für den Diskussionsstand (phasenweises Wachstum von der evtl. noch vorqumranisch-naherwartenden Kol. I aus) Matthias Krieg, Mo'ed Näqäm - ein Kultdrama aus Qumran. Beobachtungen an der Kriegsrolle, ThZ 41, 1985, 3-30. 11 S. Caquot a.a.O. 237 nach Starcky a.a.O. 482ff, zur Manuskriptlage der Sektenrolle allg. Dimant a.a.O. 498 Anm. 82. 12 Zur Gesamtcharakteristik des Textes s. Collins, Imagination 135ff. Seine frühere Zuschreibung an den Lehrer der Gerechtigkeit ist fraglich (s. Michael A. Knibb, The Qumran Community, Cambridge Commentaries on Writings of the Jewish and Christian World [...] 2, Cambridge 1987, 175), aber angesichts der Hss.-Lage (s. Dimant a.a.O. 523 mit Anm. 194) eine Entstehung nach 100 v.Chr. unwahrscheinlich. 13 Vielleicht ist der Text sogar so aufzulösen, daß er ausschließlich Gottes starken, rettenden Beistand bei der Geburt akzentuiert: s. van der Woude, Die messianischen Vorstellungen 154. 14 Vgl. van der Woude a.a.O. 155f, Collins a.a.O. 136 und Knibb a.a.O. 174. Wenn alle drei trotzdem an der Begrifflichkeit der messianischen Wehen für unseren Text fest-

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

245

Erst als a m E n d e d e s 2. Jh. v. C h r . p o l i t i s c h e i n e R e s t a u r a t i o n p e r s o n a l e n S a l b u n g s v o l l z u g s a u s g e s c h l o s s e n war, ä n d e r t e sich d a s Bild. A l l e r d i n g s b r a c h „ m e s s i a n i s c h e s " D e n k e n ( z u r Irritation d e r F o r s c h u n g ) n u n in d e r Q u m r a n g e m e i h s c h a f t u n d ihrer U m g e b u n g in z w e i V a r i a n ten auf. D i e den Essenern (außerhalb Q u m r a n s ) z u z u o r d n e n d e D a m a s k u s s c h r i f t f o r m u l i e r t e s i n g u l a r i s c h die E r w a r t u n g „des G e s a l b t e n a u s A a r o n u n d Israel" ( ^ n r i | · π π κ Π'»Β/Π1»Β CD XII23-XIII1; XIV19; XIX lOf; XX 1, a n d e r l e t z t e n Stelle f ü r d i e H e r k u n f t s a n g a b e m i t ]ö k o n s t r u i e r t ) u n d w u r d e in d i e s e r G e s t a l t a u c h in Q u m r a n ü b e r l i e f e r t ( j e d e n f a l l s f ü r die b i s l a n g p u b l i z i e r t e Stelle X I V 19 in 4 Q D b ) . 1 5 D i e R e g e l d e r e n g e r e n Q u m r a n g e m e i n s c h a f t d a g e g e n s c h a u t e in ihrer F a s s u n g ab d e m f r ü h e n 1. Jh. v . C h r . i m Plural auf „die G e s a l b t e n A a r o n s u n d Israels" aus ( V i n n j n n x TPtf» 1QS IX l l ) . l b Angesichts der gleichzeitigen Uberlieferung beider Texte läßt sich der Befund nicht durch Zuordnung zu verschiedenen Epochen auflösen. 1 7 Erwägenswerter ist der Versuch, die C D - B e l e g e trotz der singularischen Formulierung parallel zu S pluralisch zu verstehen. Denn vor zwei Nomina recta kann das N o m e n regens hebräisch „auch dann im Singular stehen f . . . ] , wenn es im pluralischen Sinn gemeint ist."1® Die Belege für diese grammatische Konstruktion bleiben aber spärlich. 19 Daher besitzt ein singularisches Verständnis von C D gleiche, wenn nicht höhere Plausibilität. 20 V o n der bisherigen Traditionsentwicklung her sind beide Varianten g u t v e r s t ä n d l i c h . Sie s t i m m e n in d e r E r s t n e n n u n g A a r o n s u n d d a m i t d e r halten, ist dies nur im weiten Sinne einer Phase eschatologischen Leids vor dem endgültigen Heil möglich. 15 S. de Jonge, Anointed 139 mit Anm. 3; laut Dimant a. a. O. 540 Anm. 267 stützt auch 4QD e den Singular. Die Annahme einer nachträglichen (mittelalterlichen) Korrektur zum Singular, wie sie bei den Vergangenheitsstellen CD II 12; VI 1 vorliegen dürfte (vgl. o. unter 2.2.2), scheidet damit hier aus. 16 Vgl. bei Anm. 11. Die Stelle wurde in der Forschung zunächst, aber ohne Erfolg, zum Singular konjeziert: s. den Bericht Deichgräbers, Messiaserwartung 335. 17 Starckys Versuch, sich mit einer Spätdatierung von CD zu helfen (messianisme 493ff), scheiterte (s. Anm. 7). Denn die CD-Uberlieferung in Qumran setzt schon früh im 1. Jh. v.Chr. ein (s. Dimant a.a.O. 490f Anm. 50), also gegenüber 1QS nicht wesentlich zeitverschoben. Andererseits wird man für unsere Schicht von CD auch nicht viel weiter zurückgehen dürfen, setzt sie doch XIX 35-XX 1 den Tod des Hauptlehrers der Gemeinschaft als schon einige Zeit zurückliegend voraus (Davies, Damascus Covenant 180 wäre in dieser Hinsicht schärfer zu fassen). 18 Deichgräber a.a.O. 341f (Zitat 342). " Deichgräber stützt sich a.a.O. auf Jdc 7,25; Gen 14,10 und 1QM III 13;V 1. 20 Das Problem ist der Forschung bis zur Gegenwart bewußt: s. Dimant a. a. O. 539f mit Anm. 267. Philologisch läßt sich weiterhin der Singular ΊΒ3' nach unserer Phrase in CD XIV 19 für deren singularische Deutung bemühen (entscheidend bei Caquot a.a.O. 241), doch ist wiederum eine Alternative nicht ganz auszuschließen: Die Verbform kann auch Pual sein und dann eine Sündentsühnung nicht aktivisch, sondern passivisch besagen (s. Collins a.a.O. 239 Anm. 48).

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Grundlegung

priesterlichen Präponderanz überein. Die Singularerwartung eines Gesalbten, in dem sich unter Vorordnung der priesterlichen Würde aaronidisches und gesamtisraelitisches 21 Heilsvolk-Erbe bündle, konnte unserem Gemeinschaftskreis aufgrund seiner priesterlichen Orientierung besonders naheliegen. Denn sachlich stellt sie den eschatologischen Umbruch einer priesterlichen Gesamtherrschaftskonzeption dar, wie sie grundlegend vor unserer Epoche entwickelt wurde und in den M T von Sach 6,9-14 einging.22 Die pluralische Erwartung dagegen erhält ihre besondere Stärke als eschatologisch ämterteilendes Gegenstück zur bei den Hasmonäern bestimmend gewordenen Vereinigung von Herrscher- und Priesteramt. 23 Traditionsgeschichtlich kann sie an das Doppelbild von Sach 4,14 anknüpfen, sich zudem auch noch auf die für die LXX maßgeblich gewordene ämterteilende Zweitüberlieferung von Sach 6,9-14 berufen. 24 Beide Male ist das Nachwirken älterer Verfassungsmodelle spürbar, so daß sich von einer Art restaurativer Eschatologie sprechen läßt.25 Deren Ansatzpunkt freilich ist priesterlich und nicht königlich: Aaron ist in beiden Formeltypen vorgeordnet, und es fehlt im Umkreis sämtlicher genannter Stellen jeder königliche oder davidische Querverweis. 26 Sieht m a n dies im G e s a m t r a h m e n d e s G e b r a u c h s d e s K ö n i g t i t e l s in q u m r a n i s c h e n Schriften, s o vertieft sich das Bild. D e n n K ö n i g e sah m a n d e m n a c h in der altisraelitisch-altjudäischen V e r g a n g e n h e i t ( 1 Q M X I 3), u n d eine m ö g l i c h e Ern e u e r u n g d e s K ö n i g t u m s k o n z e d i e r t e m a n in der U b e r l i e f e r u n g d e r T e m p e l rolle (1 l Q T e m p 5 6 , 1 2 - 5 9 , 2 1 [ f f ] ) . A b e r b e i d e M a l e tat m a n dies o h n e S a l b u n g s hinweise, w i e m a n a u c h D a v i d bei aller h e r a u s r a g e n d e n H o c h s c h ä t z u n g nie als G e s a l b t e n b e z e i c h n e t e . 2 7 Für die e i g e n e G e m e i n s c h a f t v e r m o c h t e m a n sich K ö nigstradition s o g a r k o l l e k t i v a n z u e i g n e n ( C D V I I 16f). 2 8

21 „Israel" wird in Qumran näherhin als „Volk Gottes" (s. bes. 1QM III 13) mit den exklusiven Zügen einer von Frevlern freien Kultgemeinschaft verstanden (1QS VI 13f u.ö.; Weiteres bei H.-J. Zobel, bin®', ThWAT III 986-1012, hier 1012). 22 S. zum Hintergrund o. unter 2.1.2.2 vor 2.1.2.3. 23 Vgl. Kellermann, Messias-Hoffnung 442. 24 Vgl. Anm. 116 zu 2.1.2.3. Den Anschluß an Sacharja betont Talmon, Messiah 122ff. 25 Vgl. - auf das Amterteilungsmodell eingeengt - Collins, Eschatology at Qumran 355 (nach der Kategorienbildung durch Talmon, Messiaserwartung). 26 In der Forschung bemerkt, wenn auch gern in der Relevanz reduziert (s. z. B. Liver, T w o Messiahs 156) oder durch eine Eintragung davidischen Bezugs neutralisiert (so bei Kellermann a.a.O. 442). " Auf diese Aspekte war schon unter 2.1.1.5 (bei Anm. 136f) und 2.1.1.6 (bei Anm. 160ff) einzugehen; für David ergänze man den obigen Hinweis zu 4QDibHam. 28 Näheres unter 2.2.3.2; dort auch der Hinweis auf die neue Forschungslage zu den gleichfalls unserer Epoche zuzuordnenden 4QTest, die deren individuell-messianische Heranziehung gegen eine von Starcky (a.a.O. 488) bis zu Vermes (in Schürer, History III/l, 446f) reichende Linie nicht mehr erlaubt.

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D.h., Anstoß gebend für den Aufbruch der Gesalbtenerwartung in Qumran und den Trägerkreisen der Damaskusschrift waren das Priestertum begünstigende Traditionen, nicht die Sehnsucht nach einer eschatologischen Herrschaftsausübung durch ein spezielles Königtum. Wenn David trotzdem für die weitere Vorstellungsentwicklung auch in Qumran hohen Rang erhalten konnte, verdankt er dies nicht einem herausragenden Ansehen inmitten der israelitisch-judäischen Könige, sondern einer Herausnahme aus diesen: Bereits in 4 Q D i b H a m a IV 5 - 8 wird er nicht mit einem Stichwort des vorangegangenen Textes (III 15) als König, sondern als Hirte und Nagid bezeichnet. Seine Sonderrolle setzt sich sowohl in 1 Q M - w o er X I 2 als Knecht Jahwes vor den Königen (XI 3) aufgeführt wird - wie in C D fort. C D bietet nach der Bezeichnung Davids als Nasi (V 1 vor 2.5) sogar die eben erwähnte Kollektivierung des Königsbegriffs (VII 16f) direkt neben einer Erwähnung Davids." Uberblicken wir die David anstelle von „König" zugesprochenen Prädikate, so ergibt sich die Grundstruktur einer Jahwe verpflichteten Fürstenschaft, die in der Linie prophetischer Vorgaben aus der Exilszeit einer Enttäuschung über die Amtsausübung geschichtlich erfahrenen Königtums gerecht wird und andererseits die herausragende Hoheit eines Nagid o. ä. behält. 30

Uberhaupt bleiben die Aussagen über den Gesalbten Israels blaß. In CD läßt sich, auch wenn man ihn als vom Gesalbten Aarons gesonderte Gestalt betrachtet, keine ihm allein geltende Funktion herauskristallisieren.31 1QS IX 11 hält lediglich fest, sein Auftreten erfolge nicht allein, sondern werde vorgängig vom eschatologischen Propheten und dem Gesalbten Aarons begleitet.32 Selbst der dritte für unsere Epoche heranzuziehende Text, die Gemeinschaftsregel IQSa," bietet in der Versammlungsordnung II llb-22 lediglich eine begriffliche Verdichtung, keine funktionale Aufwertung. Denn nun erscheint unser Gesalb29

Damit sind die frühen David-Belege aus Qumran schon erschöpft (ergänzende Mitangabe der späteren Belege in Kuhn, Konkordanz 49). Auf die Texte war bereits einzugehen. 30 Auf die Prädikate des Knechtes Jahwes, des Hirten und des Nasi war unter 2.1.1.2 hinzuweisen. Den Hoheitscharakter des Nagidtitels hebt G.F. Hasel s.v., ThWAT V, 203-219, hier 209 (u.ö.) hervor; nur seine Sicht unseres Textes 4QDibHam a IV 7 ist zu unscharf messianisch (219; vgl. o. Anm. 9). 31 CD XII 23f und XX 1 sprechen in sich nur allgemein vom Kommen des/der Gesalbten. XIV 19 und XIX lOf verbinden mit seinem/ihrem Auftreten Sühne- und Gerichtsgeschehen (welch letzteres Davies, Damascus Covenant 180 auch für XX 1 annimmt), trennen dabei aber nicht Aaron und Israel zuzuordnende Aufgaben. Das erschwert zusätzlich zum Philologischen sachlich den Versuch, die Gesalbtenerwartung von CD auf zwei Gestalten zu verteilen. 32 Eine umfassende Erörterung des Textes bietet van der Woude a. a. Ο. 75-89, freilich unter besonderen Akzentuierungen. 33 Für die Querlinie zwischen 1QS und lQSa s. schon Starcky a.a.O. 488. Beide Manuskripte gehen auf denselben Schreiber zurück: s. Vermes a.a.O. 386.

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ter Israels zwar erstmals philologisch alleinstehend (II 14.20). Seine Bezeichnung wird in der Überschrift des Passus (II IIb-12a) sogar kaum bezweifelbar zu einem knappen absoluten „der Gesalbte" (Π'&ΗΠ) verdichtet (II 12a).34 Doch das Anliegen des Textes geht nicht über seine Einordnung in eine priesterlich dominierte Zusammenkunft hinaus, so daß wir statt einer Erhöhung seines Wirkens und seiner Würde erfahren, jedem Priester gebühre beim Zusammenkommen mehr Ehre als ihm.35 Fragen wir bei solchen Ausführungen, die der führenden Gestalt Israels im Eschaton religiös erlösende Aufgaben versagen, ihre politische Funktion bedeckt halten und ihr den/die Priester vorordnen, nach dem Sitz im Leben, so erschließt sich das Lebensfeld einer priesterlich orientierten Gemeinschaft, die sich eschatologisch begründet und Laien zwar einbezieht, aber ihnen in keinem Fall den Führungsprimat überläßt.36 Ein begrenztes Gegengewicht erhält die Linie im 37 Segensspruch über den „Fürsten der Gemeinde" l Q S b V 20-29. Für diesen entsteht tatsächlich ein klareres Herrscherbild mit den Dimensionen enger Gottverbindung, hoher Macht und gegen die Gottlosen ausgeübter tötender Gerechtigkeit, das alttestamentliche Heilsverheißungen (Jes 11,Iff; Ez 34,2Iff; N u m 24,17 und Gen 49,9f) anklingen läßt. 38 Aber ebenso auffällig bleiben die Aussagelücken: D e m Fürsten „Nasi", wie uns von der Davidrezeption vertraut ist - bleibt der Königstitel ver-

34 Die Textrekonstruktion war nach der Entdeckung der Hs. heftig umstritten (Lit. bei Vermes a.a.O. 387 Anm. 2). So suchte man in llb-12a auch den Priestermessias; doch läßt der erhaltene Buchstabenbestand nicht zu, das Wort vor Π'ΒΟΠ als ]Π3Π zu lesen (zu Deichgräber a.a.O. 335). Bis auf weiteres offen bleibt allerdings das zugehörige Verb (vgl. Collins, Eschatology at Qumran 357): Es kann ein Geboren- oder ein Gesendetwerden des Gesalbten besagt haben, ließe im ersteren Fall eine (allerdings nicht zu hoch zu wertende: s. Grundmann, Gottessohnschaft 101-103) Assoziation von Ps 2,9 zu. Die Begriffsverdichtung der Zeilen IIb-12a erklärt sich aus deren kontrahierendem Uberschriftscharakter und beschränkt sich darauf, während der Folgetext in Erläuterung der Überschrift das volle „Gesalbter Israels" bietet (vgl. Priest, Messiah 97f). Gesamttraditionsgeschichtlich wäre der Verdichtungsprozeß der priesterlichen Gesalbtenaussagen bis Dan 9,25f M T zu vergleichen (s.o. unter 2.1.2.2). 35 S. van der Woude a.a.O. 98-106, Erg. 106: Die Priester treten zuerst zur Versammlung ein und setzen sich zuerst; ihr Haupt spricht beim Essen zuerst den Segen. 36 S. Collins, Eschatology at Qumran 356-359 und ergänzend ders., Imagination 123-125: lQSa II l l b - 2 2 spiegelt das in der Aufforderung, gemäß der eschatologisch entworfenen Versammlungsordnung solle man bei jedem Zusammenfinden handeln (21b-22). Trotz dieser Aktualisierung nennt aber unsere Gemeinschaft in all ihren Texten die eigenen Leitungsämter nicht „gesalbt"; sie läßt sie lediglich als dem Eschaton vorlaufende Ämter - des Priesters und des Aufsehers - den eschatologischen Ämtern korrelieren. 37 Weiterhin zeitgenössischen: zur Datierung Vermes a. a. Ο. 457. 3β Soweit kann der Analyse van der Woudes a.a.O. 114ff gefolgt werden.

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sagt, Subjekt der „Königsherrschaft" ist in Z.21 entsprechend das Volk. 3 9 Mehr noch, auch Salbungsmotivik erscheint nicht, geschweige der Gesalbtentitel, so daß wir entgegen einer verbreiteten Forschungstendenz 4 0 nicht von einem direkt messianischen Text sprechen können, sondern allenfalls von der Vorbereitung eines solchen in den Artikulationsbemühungen unserer für ihre Amter Segen suchenden, aufs Eschaton hin lebenden Gemeinschaft. 4 1

Nach alledem erstaunt nicht, daß der Schritt zur Erwartung eines einzeln auftretenden davidisch-königlichen Gesalbten Jahwes der Quellenlage nach außerhalb qumranisch-essenischer Kreise vollzogen wurde. Sein entscheidender Zeuge sind die PsSal, die aus einer anderen, sich gleichfalls von den Hasmonäern distanzierenden (s. bes. 17,16) 42 Gruppe entworfen und getragen wurden. Leider fehlen ausreichende Anhaltspunkte, um die Gruppe, die auf direkte Selbstangaben verzichtet, im Umfeld der Hasmonäeropposition genauer zu orten, etwa mit den Pharisäern zu identifizieren. 43 Immerhin ist soviel klar: Ihr Ziel war der Gottesdienst, denn sie artikulierte sich in Psalmen, und ihr Erlebensraum war in hohem Maße durch die großen zeitgeschichtlichen Ereignisse mitgeprägt. Denn sie nimmt so deutlich auf die pompeianische Besetzung Jerusalems (63 v.Chr.; PsSal 8,15-21) und auf den T o d des Pompeius (48 v.Chr.; PsSal 2,26f) Bezug, daß sich danach die beiden Hauptphasen für das Wachstum der Psalmgruppe (kurz nach 63 und kurz nach 48 v.Chr.) bestimmen lassen. 44

" Vgl. schon Starcky a.a.O. 488. 40 Von van der Woude a. a. O. bis Vermes a. a. Ο. 41 Zu Recht also übergeht Caquot unseren Text in seiner Erörterung des messianisme Qumränien. 42 Ist an die von Josephus, ant. 13, 14,2 und 14, 2,1 berichteten Geschehnisse zu denken? 43 Letzteres ist zwar die bis Schüpphaus, Psalmen Salomos 158 (nach 127-137) behauptete und noch von Vermes a.a.O. 194f bei allen Bedenken als akzeptabel erachtete Forschungshauptposition. Aber ihr fehlt entscheidende positive Evidenz (s. etwa Charlesworth, Pseudepigrapha and Modern Research 195). Speziell für unsere Frage darf man nicht vergessen, daß einschließlich der rabbinischen Quellen keinerlei Zeugnis eines vorneutestamentlichen pharisäischen Messianismus überkommen ist (pointiert formuliert, wenn auch in nachfolgenden Fragen wieder teilweise überspielt bei Jacob Neusner, The Pharisees in the Light of the Historical Sources of Judaism, in: ders., Formative Judaism. Religious, Historical, and Literary Studies, Brown Judaic Studies 37, Chico, Cal. 1982, 71-83, hier 76). Die in jüngster Zeit (z.B. Franklyn, Psalms of Solomon 17) forcierten Bezüge zu Qumran und Essenern sind allerdings nicht minder problematisch, wurden die PsSal doch nicht einmal in einem Bruchstück bei Qumran gefunden. Mack, Wisdom 34ff versucht, der Sachlage gegenwärtig vielleicht am angemessensten, nur eine offene Umschreibung der Trägergruppe. 44 Näheres etwa bei Vermes a.a.O. 193f und in der gegenwärtig wichtigsten Position bei Schüpphaus bes. a.a.O. 138-150,155. Die bis Caquot a.a.O. 244f und Laperrousaz a.a.O. 285 wirkende Datierung erst auf herodianische Zeit kann als überholt gelten. Die von Mack a.a.O. 35,37f (u.ö.) akzentuierte Synagogen- statt Tempelnähe bei gleichzeitigem kultischem Anspruch der PsSal gäbe ihnen - ließe sie sich bestätigen - wichtigen eigenen Charakter.

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In den schwierigen Jahrzehnten vor der und um die Mitte des 1. Jh. v.Chr. vergewisserte sich diese Gruppe bittend, klagend und hilfsgewiß 45 der Kraft und Gerechtigkeit von Jahwes Königtum. 46 Als Summa ihrer Erwartung kennzeichnete sie in der Redaktion den 11. Psalm,47 der Jahwes (Königs-) Barmherzigkeit in jubelnder Anlehnung an die Botschaft des Freudenboten von Jes 52,7 preist, ohne auch nur einen Blick auf irdische Königskorrelate zu werfen. Letzteres blieb Proprium des 11. Psalms. Aber auch in dem für unsere Frage wichtigsten Psalm 17 rahmte die Gruppe die Inblicknahme irdischen Königtums vorab und abschließend durch den Ruf, der Herr (Jahwe) selbst sei „unser König" (w.1.46), ein.48 Fremdherrschaft wie depraviertes, verwüstend auf Davids Thron sitzendes hasmonäisches Königtum mißachteten das und blieben vor Jahwe illegitim (s. bes. v.22 und w.6.20 4 9 ). Doch für den erhofften Heilsträger werde - wie für uns - gelten: „der Herr selbst ist sein König" (v.34 zwischen 1 und 46). 50 Auffällig treten priesterliche Motive in diesem Reflexionsansatz zurück: Maßgeblich wurde die Erinnerung an das vor aller Verwüstung 45 S. die Formbestimmungen zur ersten Wachstumsphase des Psalters bei Schüpphaus a.a.O. 116 und zu PsSal 17 speziell bei Davenport, Anointed 71. 46 Ubersichten zur theologischen Gesamtanlage der PsSal bieten etwa Camponovo, Königtum Gottes 200-228 und Holm-Nielsen, Poesie bes.l75ff. 47 Ihn allein nannte sie in der Überschriften-Redaktionsphase (vgl. Schüpphaus a. a. O. 15 lf) „zur Erwartung". 48 Nach Schüpphaus, der die beiden angeführten Wachstumsstadien bis in unseren Psalm hinein unterscheidet, gehört dieser Rahmen der jüngeren Schicht an (a.a.O. 81f,155). In der älteren Schicht (w.4-6.1 l-13.21abß.22.23a.26.28-31) dominiere dagegen eine angesichts der äußeren Not drängend aufgebrochene Naherwartung, die im Rahmen des auch damals geltenden Gesamtmodells eines Eingreifens Gottes durch seinen Gesalbten politisch-militärischen Hoffnungen mehr Freiraum belasse (bes.l25f). Wenn sich Schüpphaus' Analyse bestätigt, gibt das dem o. vorgetragenen Bild zusätzliche Schärfe. Eine Psalmentwicklung entsteht, die in der nachträglichen Überschrift „dem König" gipfelt: Von der Angabe des Psalmursprungs bei Salomo abgehoben und unmittelbar vor der Gott-König-Angabe von 17,1 stehend, bezieht sich diese Überschrift nämlich auf Jahwe als König, kennzeichnet sie den Psalm somit - von der Gattungsforschung praktisch unbemerkt (s. die Hinweise bei Camponovo a.a.O. 206 Anm. 24) - als Jahwe-KönigsHymnus. 49 Für v.6 ist nach wie vor Wellhausens Deutung auf die Hasmonäer (Pharisäer 162f) unüberholt. 50 Vgl. Davenport a.a.O. 71f und Camponovo a.a.O. 226. Wieder scheint eine textgeschichtliche Vertiefung nicht ausgeschlossen: Die trotz Schüpphaus (s. vorletzte Anm.) nach wie vor interessanten Eruierungen Kuhns, Psalmen Salomos 56-81 könnten, indem sie die w . 11-14 für ein ältestes Textstadium ausscheiden und die w . 7 - 9 futurisch lesen, die Rekonstruktion eines vorpompeianisch-hasmonäerkritischen Psalmkerns erlauben (s. Zenger, Hoffnungen 67). Ob diesem Vorstadium der Textgeschichte freilich auch schon der Aufbruch der dann anfänglich antihasmonäischen Hoffnung auf einen neuen Gesalbten Jahwes zuzuschreiben ist, muß beim Stand der literarkritischen Diskussion offenbleiben.

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und der Tempelgründung liegende Königtum Davids, das in der Erwählung durch Jahwe ungebrochen dessen Königsherrschaft zugeordnet gewesen sei (s. bes. PsSal 17,4 nach 17,1-3). Ein gesalbtes Priestertum interessierte dagegen weder im Rückblick noch im Hoffnungsentwurf. 51 Der von Gott erbetene König sollte allein Davidide sein (17,21). Darüber hinaus sollte er den Titel tragen, den man wegen seiner Anspruchstiefe für den historischen David nicht zu erneuern wagte," „Gesalbter Jahwes" (17,32). Zur Davididenkennzeichnung aktualisierten die Verfasser des 17. Psalms die Natansverheißung von 2 Sam 7 (s. v.4) und gaben ihr die Richtung auf den neu erbetenen König (v.21). 53 v.21 individualisierten sie die Nachkommenschaftsangabe von v.4 („Same") auf den erhofften Davididen und nannten ihn in hebräischer Individualbezeichnung (nach Rückübersetzung des griechischen υιός Δαυίδ) τ η p 5 4 („Sohn Davids"). Damit implizierten sie genealogische Nachkommenschaft 55 und Autorität des Stammvaters. 56 Zu einem im engeren Sinn titularen, d.h. semantisch hochwertig stereotypisierten und stilisierten Gebrauch der Bezeichnung für den erhofften Gesalbten Jahwes schritten sie nicht fort; sie beließen es vielmehr bei diesem einen, einzigen Beleg. 57 Das prädikative Feld der PsSal 17 und 18 dominiert damit der Titel „Gesalbter des Herrn" (χριστός κυρίου, in der rekonstruierten hebrä-

51 Vgl. Mack a . a . O . 38 u.ö. Die deutliche Verschiebung gegenüber Qumran kann bis in die Akzente des Gottesbildes zurückgehen: Camponovo weist a . a . O . 306f darauf hin, daß die zum Verständnis der PsSal so wichtige Orientierung am Königtum Gottes in den Qumranschriften keine vergleichbar intensive Rolle spielt. 51 Auch in unserem Psalm: s. dazu schon o. unter 2.1.1.5. 53 Jahwes Erwählungsverläßlichkeit kommt dabei in der theozentrischen Anlage unseres Psalms die entscheidende Bedeutung zu, nicht innerdavidischer Machterhaltung: s. Davenport a . a . O . 72. 54 So die Rückübersetzung seit Frankenberg, Psalmen Salomos 83. Duling, Promises 68f versuchte aufgrund der Neuheit unseres Ausdrucks, die Möglichkeit eines Ubersetzungsfehlers ins Spiel zu bringen. Aber der Text gibt zu einer Konjektur keinen Anlaß. 55 Die „Samen"-Verheißung in v.4 ist als 3ΠΤ rückzuübersetzen, ein Begriff, der von Haus aus auf ein Kollektivum von Nachkommen/Stammeszugehörigen zielt (s. allg. H.D. Preuß s.v., T h W A T II, 663-686, hier 680), daher in der L X X mit dem Plural „Söhne" übersetzt werden kann (Neh 9,2; Sir 46,12). In Esr 8,2 findet sich der Plural Söhne Davids auch einmal hebräisch für ferne Davidsnachkommen. Aus einem solchen Plural wird an unserer Stelle in der Linie der geläufigen Verwendung von ja, υιός zur übergreifenden Charakterisierung von Verwandtschaftsbezügen (vgl. H . Haag s.v., T h W A T I 672ff und G. Fohrer s.v., T h W N T VIII 3 4 l f , vgl.345ff) ein Individuum genealogisch herauskristallisiert. 56 Erste Hinweise zu der im Sohn-Begriff implizierten Autorität des „Vaters" bei Fohrer a . a . O . 343 und E. Lohse s.v., T h W N T V I I I 358f. " Wie die Forschung inzwischen allgemein erkennt: s. schon Burger, Davidssohn 18 nach Lohmeyer, Gottesknecht 68.

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ischen Vorlage ΠΙΠ' Π'&η 17,32;58 18,Superscriptio.5.7). Im Gegensatz zu den qumranisch-essenischen Entwürfen, die zur mindernden Variante „Gesalbter Israels" griffen, unterstrichen die Psalmverfasser seinen Rang, indem sie die in den Jahrhunderten zuvor eingebrachten Einschränkungen der altisraelitisch-altjudäischen Königstradition ignorierten und die Titelgrundform „Gesalbter Jahwes" rezipierten. In deren gen. subi.-Konstruktion hörten sie die unmittelbare Erwählung durch Jahwe (den Herrn), die singulär auszeichne. 59 Zu einem Höhepunkt führten sie dies in v.35b. Unser königlicher Gesalbter erhält dort wieder die nachexilisch zum Proprium des Hohenpriesters gewordene Würde, das Volk zu segnen, eine Würde, die sich im Gesamtzusammenhang der PsSal direkt von der Segenstat des Herrn ableitet (vgl. 8,34; 9,7) und eine Segenssphäre Jahwe-Gesalbter-Volk herstellt (vgl. 17,38).60 In dieser Segenssphäre kennzeichnen Jahwes Gesalbten von Jahwe gewährte und von Jahwes Geist getragene Stärke, Weisheit, Reinheit - einschließlich der Reinheit von moralischer Verfehlung 58

Dort muß der Titel griechisch mit einer seit Wellhausen a.a.O. 132 wohlbegründete η Forschungslinie durch eine Emendation aus dem χριστός κύριος der allein erhalten gebliebenen christlichen Überlieferung hergestellt werden. Der jüngst von Hann, Christos Kyrios dagegen vorgebrachte Einspruch kann nicht überzeugen: In PsSal 18 ist die Genitivstruktur des Titels dank der pronominalen Wiedergabe des theonomen Gliedes in v.5 (χριστοϋ αύτοϋ) eindeutig erwiesen (was auch Hann a.a.O. 625f anerkennt). Und der Rückschluß von da auf 17,32 wird dadurch zwingend, daß in 17 Kyrios grundsätzlich nicht irdische Herrschertitulatur, sondern Gottesbezeichnung ist (s. schon 17,1 und in unmittelbarem Zusammenhang nach v.32 v.34), weiter die einer Genitiwerbindung entsprechende Subordination des Gesalbten unter Gott unmittelbar vor unserem Ausdruck in v.32a - als Belehrtwerden - thematisiert wird. Hanns Gegenrekonstruktion zu J V T K Π ' Ρ » einem entgegen der fehlenden Determination von ihm als „the lord messiah" übersetzten, angeblichen „more recent messianic title" (a. a. Ο. 623) - kann nicht einmal eine genauere traditionsgeschichtliche Linie aufweisen; denn der Verweis auf evtl. ägyptische Provenienz (625) bleibt zu blaß. Die Variante kann durch eine grammatisch mißverstehende Ubersetzung oder einen Abschreibfehler entstanden sein (für letzteres Svend Holm-Nielsen, JSHRZ IV 2, 1977, 104 z. St.). Ihre Durchsetzung in der christlichen Überlieferung ist leicht erklärbar, denn das christliche Interesse, eine Aussage über Christus, den Herrn, zu hören, ist dank der entsprechenden Rezeption von T h r 4,20 in der christlichen LXX-Überlieferung (s. Anm. 87 zu 2.1) und der einschneidenden Korrektur von Jes 45,1 in Barn 12,11 L gut belegt. " Vgl. die Traditionsbesprechung o. unter 2.1.1.1, für die nachträglichen Einschränkungen 2.1.1.2ff. Was die Rezeption in den PsSal angeht, hat zwar das ganze Gottesvolk in der anvisierten Situation von 17,32c die Heiligkeit seines Anfangs wiedergewonnen (vgl. 17,30c), aber nur der König trägt gemäß dem Traditionskern unseren ihn theophor auszeichnenden Titel. In dessen Sprachgestalt ergibt sich die einzige Änderung gegenüber der vorexilischen Fassung - Herr statt Jahwe zu sagen - durch die inzwischen durchgesetzte Unterscheidung von Ketib und Kere. 60 Vom Altjudäischen her gesehen ist das wieder nicht neu - vgl. o. am Ende von 2.1.1.1 -, aber gegenüber der inzwischen erfolgten, namentlich unter 2.1.2.2 beschriebenen priesterlichen Entwicklung.

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und Unparteilichkeit, die in rechter Leitung des Staatswesens zu bewähren sind (bes. 17,36a.37.40f innerhalb 17,22-44). 61 So erscheint die Salbung dieses Herrschers - wiederum in Anlehnung an die altisraelitisch-altjudäische Tradition 62 - zugleich mit der Erwählung als Verleihung von Kraft zur Erfüllung seiner Aufgaben. 63 Bei ihrer Durchführung läßt Jahwe ihn auch den eisernen Stab gebrauchen, von dem Ps 2,9 spricht (17,24a), aber verwandelt von physischer Gewalt ins richtende Wort (17,24b.vgl.25.35.43). Analog wiegt v.31 die in v.30 angezielte Fron der Heidenvölker durch deren freiwilliges Kommen in die um den Gesalbten strahlende Herrlichkeitssphäre Jahwes auf. Daher fällt schwer, das anvisierte Regiment primär als nationalpolitisches zu bezeichnen; eher überwiegen weisheitliche, universal offene Züge. 64 Die Linie heilvoller Einbeziehung der Heidenvölker unter das Wirken des Gesalbten ergibt ein anderes Bild als das des angegriffenen Gesalbten von Ps 2,2 MT. So wird dieser Vers nicht rezipiert, seine königbezogene Grundform nicht neu belebt. 65

Alle Kraft von Jahwes Gesalbten lebt in PsSal 17; 18 davon, daß Jahwe ihn in absolut bindender Autorität überragt. Er, der König schlechthin (17,1.46 nach bes. 2,30.32), ist sein König (17,34). Ein für die Psalmverfasser um der Einzigkeit Jahwes willen notwendiger Würdeabstand Jahwe-Gesalbter entsteht, 66 der eine Adoptionsaussage, wie die alte Königstheologie sie kannte, ausschließt: Nur daß der Gesalbte Davids Sohn, nicht daß er Jahwes Sohn sei, läßt sich aussagen. Ps 2,7 und die Spitze von 2 Sam 7,14a werden nicht rezipiert. Der Vorgang begründet eine Reflexionslinie, die in unserer Epoche Verbindlichkeit erlangt:67 Bei den Gesalbtenbelegen der Zeit stoßen wir auf einen ausschließlich negativen Befund zum Gottessohnbegriff. Maximal möglich ist - so in Qumran - , 2 Sam 7,14a zu zitieren, aber nicht mehr, es auslegend zu entfalten, geschweige denn, es auf einen gesalbten König (Messias) zu deuten (vgl. 4QFlor I 1 l-12a 6 8 ). 6 9 61

Dazu s. bes. Davenport a.a.O. 72-79. Man vergleiche deren unter 2.1.1.1 mit thematisierte Verpflichtungsdimension. 63 Welch letzteres Davenport a.a.O. 78,82 bes. hervorhebt. 64 S. Kellermann, Messias-Hoffnung 440, Davenport a. a. Ο. 77f und Mack a. a. Ο. 39f. In der Forschung wird das nationalstaatliche Kolorit immer wieder überzeichnet, noch bei Zenger a.a.O. 69 und Kim, X R I C T O C 136. 65 Ein Gegengewicht zur unter 2.2.3 besprochenen kollektiven Deutung dieses Psalmverses in unserer Zeit entsteht also nicht. " Vgl. soweit Camponovo a. a. Ο. 226. 67 Vgl. allg. Grundmann, Gottessohnschaft passim. 68 An der Stelle wird übrigens kein individuell messianisches Gesalbtenstichwort verwendet (worauf zurückzukommen sein wird). Daß die Identifikation des (ungesalbten) Sprosses Davids als Sohn nicht in die deutende qumranische Aneignung des Psalmtextes 62

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Grundlegung

Ein letztes: PsSal 17 ist kein apokalyptischer Text. 70 Er schließt eine Deutung nicht aus, die in ihm das Bild einer theokratisch geprägten davidischen Gesalbtenherrschaft innerzeitlicher Dauer entworfen sieht. 71 Erst PsSal 18,1-9, 72 der summierend etwas später, von der pompeianischen Krise entfernter, entstandene Abschlußpsalm der Sammlung, 73 akzentuiert eschatologisch. Er verbindet das Wirken des Gesalbten Jahwes mit einer Reinigung Israels für den eschatologischen „Tag der Barmherzigkeit" (v.5). 74 Aber diese eschatologische Vertiefung drängt nicht in die Gegenwart, sondern rückt ab von ihr zu einem „kommenden Geschlecht" (v.6).75 Provozierte die Krise der hasmonäischen Herrschaft in PsSal 17 die Dynamik eines unmittelbaren Herrschaftswechsels an die einst von Gott legitimierte davidische Dynastie, so verliert sich diese Dynamik nun bis dahin, daß man an Jahwes Herbeiführung/ Einsetzung seines Gesalbten festhält, ohne diesen genealogisch zu binden (18,5b). 76 Mit dem Schwinden des speziell davidischen Tons aber verblaßt zugleich die politische Rolle des Gesalbten gegenüber einer „pädagogische(n) Funktion", in der er gerecht, weise und stark den Tag des Herrn „irdisch-nüchtern" vorbereitet. 77 Vielleicht erhält der Gesalbtentitel sogar einen Zug zum Terminus technicus, der seine Lebendigkeit durch Konventionalisierung gefährdet. 78 (Z.llb-12a) „eingedeutet werden" darf, stellte schon Holtz, Untersuchungen 156 heraus (gegen van der Woude, Die messianischen Vorstellungen 174). " Als Korrelat dringt auch in die dank der Qumranfunde sichtbar gewordene jüdische Henochüberlieferung der Gottessohntitel nicht ein, einschließlich äthHen 105,2: Das von Milik am Anm. 8 a.0.206ff wiedergegebene aramäische Fragment erlaubt zwar nicht, den Text so sicher wie Milik zu rekonstruieren, schließt aber eine zum Äthiopischen parallele Fassung aus. Das äthiopische „mein Sohn" ist christliches Interpretament. 70 S. - im Konsens der Forschung - Collins, Imagination 113f. 71 Kim a.a.O. 137 überspitzt eine solche Lektüre unter Vernachlässigung der Linie zu PsSal 18. 72 Die w.10-12 gehören einer weiteren Wachstumsphase an (s. Schüpphaus, Psalmen Salomos 74). 73 Seine Ansetzung erfolgt gegenwärtig in zwei Varianten: einerseits nach Psalm 17 (so de Jonge, Anointed 134f), andererseits in Verbindung mit der Annahme einer Gesamtpsalterredaktion parallel zu einer Überarbeitung des Psalm 17 (so Schüpphaus a.a.O. 82,155). Letzteres würde das hier zu erstellende Bild schon auf eine Spätschicht des 17. Psalms (kurz nach 48 v.Chr.) erweitern. 74 Dies akzentuiert Camponovo a.a.O. 227. 75 Betont von Schüpphaus a.a.O. 125. 76 Der Vorgang ist für das herkömmliche Forschungsbild irritierend. Charlesworth, Messiah 199 überspielt ihn, indem er die αναξις, von der unser Vers spricht, als Zurückbringen eines Königs wie David deutet. Aber das griechische Wort bedeutet nur allgemeiner Herbeiführung/Einsetzung (s. Holm-Nielsens Anm. zum Text a.a.O. 108 und Schüpphaus a.a.O. 74 mit der dort Anm. 357 genannten Lit.). 77 S. Camponovo a.a.O. 227f, Zitate 227,228. 78 So de Jonge a.a.O. 135. Von seinen Argumenten bleibt freilich nur die Gesamtlinie

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

255

Droht also wie drei oder vier Jahrhunderte zuvor 79 ein Hinausschieben aktuell beschworener Erwartung auf Jahwes Einsetzung eines königlichen Gesalbten, bis diese Erwartung irrelevant wird? Die Indizien, die für die Generationen um die Zeitenwende in diese Richtung weisen, dürfen nicht unterschätzt werden: Bereits 63 v.Chr., also in der die Dynamik von PsSal 17 auslösenden Staatskrise, fand herrscherlich-davidischer Messianismus keine breitere Resonanz im Volk. Vielmehr orientierten sich die politisch tragenden Kreise in ihren Verfassungsbestrebungen an einem dritten Weg, an nicht salbungsgebundener, dem Volk seine Freiheiten belassender Herrschaft. 80 Ein herrscherlicher Gesalbtenbeleg jenseits der PsSal entstand nicht. PsSal 18,1-9 stellt sich von daher als halb resignative, halb trotzige Antwort auf die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit der Hoffnung von PsSal 17 dar: Jahwe werde jene entgegen aller Enttäuschung in einer eschatologischen Volksreinigung durch seinen Gesalbten doch zum Zuge bringen.

Wenig später brachte die römische Ernennung von Herodes d. Gr. zum König eine staatliche Konsolidierung unter halb römisch-hellenistischen, halb jüdischen Vorzeichen. So ambivalent seine Gestalt war, 81 ist aus seiner Regierungszeit nur ein einziger neuer Beleg eschatologisch-davidischer Gesalbtenhoffnung überkommen, 4QPB. Er zeigt das Ringen der Qumrangemeinschaft mit der neuen Situation. Immerhin gab Herodes das Hohepriesteramt aus seiner Hand 82 und beseitigte damit einen Hauptanstoß für eine so priesterlich orientierte Gemeinschaft wie die Qumrans. Zudem zeigte er als Herrscher laut Josephus, ant. 15,371-379 eine betont freundliche Haltung gegenüber dem zu Qumran verwandten Kreis der Essener. Doch konnte das nicht überdecken, daß seine Herrschaft aus der Tradition Israels gewonnenen Kriterien nicht genügte. 83

des Psalms und der gegenüber Psalm 17 (1 Beleg) geradezu überschäumende Titelgebrauch (2 bzw. 3 Belege in wenigen Versen). Das Anwachsen des Artikels an die griechische Titelform bis zur Superscriptio darf dagegen nicht herangezogen werden: Mit Artikel wie ohne ihn ist die hebräische Determination vorausgesetzt. 79 In der frühen Rezeptionsgeschichte des Ps 2: s. unter 2.1.1.3. 80 S.o. unter 2.1.1.6 mit Anm. 181. 81 Zum allgemeinen Rahmen wieder o. unter 2.1.1.6. 82 Vgl. o. unter 2.1.2.3. 83 Auch das spiegelt Josephus a. a. O., schließt er doch an die Ansage der Herrschaft Herodes' durch den Essener Menaem dessen Kritik an, Herodes werde Frömmigkeit und Gerechtigkeit vergessen und sich deshalb der Strafe Gottes aussetzen. Yadin, Tempelrolle 9Iff übergeht das in seiner Identifikation der Essener mit den Herodianern des Neuen Testaments.

256

Grundlegung

Die Lösung ist bemerkenswert: 4QPBM akzeptiert die gegenwärtige Inhaberschaft des Throns Davids bei gleichzeitigem Ausblick darauf, daß der Thron eigentlich einem anderen gehöre. D e n A n s a t z n i m m t diese E n t s c h e i d u n g bei d e r A u s l e g u n g des J a k o b s s e g e n s G e n 4 9 , 1 0 M T 8 5 mit seiner A n s a g e d a u e r h a f t e r H e r r s c h a f t J u d a s ( 1 0 a ) u n d nachfolgender

Uberbietung

durch

„eine

höhere,

weitere

Herrschaftsform"

( 1 0 b ) , w a s s c h o n die L X X als V e r h e i ß u n g z u n ä c h s t e i n e r Z e i t k o n t i n u i e r l i c h e r H e r r s c h a f t in J u d a u n d n a c h f o l g e n d eines b e s o n d e r e n k o m m e n d e n H e r r s c h e r s v e r s t a n d . 8 6 D e r e r h a l t e n e T e x t v o n 4 Q P B zitiert ausschließlich v . l O a

(Z.la),

setzt also m i t d e m v o r e s c h a t o l o g i s c h e n Z u s a g e t e i l ein, u n d interpretiert in d e n Z . l b - 2 a , s o l a n g e Israel die H e r r s c h a f t habe, w e r d e n i c h t a u s g e r o t t e t sein einer, d e r a u f d e m T h r o n 8 7 f ü r D a v i d t h r o n e . D . h . , d e r T h r o n D a v i d s gilt, s o l a n g e es innerisraelitische 8 8 H e r r s c h a f t - wie die des H e r o d e s - gibt, als b e s e t z t . 8 9 A b e r b e s e t z t ist e r n u r als T h r o n , d e r eigentlich „ f ü r D a v i d " 9 0 b e s t i m m t ist.

So läßt sich zugleich Bejahung und Infragestellung der nichtdavidisch-herodianischen Thronbesetzung in der Abfassungszeit unseres Textes vernehmen.91 Der Blick wird in die Zukunft gelenkt: Die verpflichtende Zusage der Königsherrschaft ziele darauf, daß „der Ge-

84 Zur Datierung s. paläographisch Starcky, messianisme 500, inhaltlich vertiefend Stegemann, Stücke 2 1 4 - 2 1 6 ; ein Forschungskonsens für herodianische Zeit ist erreicht ( z . B . Caquot, messianisme Qumränien 243).

Zum M T s. Westermann, Genesis III bes.261ff (Zitat 262). Zum L X X - V e r s t ä n d n i s von Gen 49,10 vgl. unter 2.1.1.5 mit Anm. 105. D e r Grundzug der Versteilung bleibt bis zu den Targumen prägend, die in v.lOa (außer T O ) die Vorsicht der Herrschaftsbezeichnung aufgeben und sogar explizit von „Königen" sprechen, bevor der „gesalbte K ö n i g " komme (s. übergreifend Levey, Messiah 7 - 1 1 , zu Neophyti 1 speziell Levy, Neophyti 282f). ,s

86

8 7 An dieser Stelle ist, wie Yadin, Notes 66f vorschlug und die jüngere Forschung anerkannte (s. Schwartz, 4 Q P B 257 Anm. 2), ROD zu lesen, nicht R H (gegen den Ersteditor und T Q u ) . 8 8 „Israel" wird man hier kaum negativ fassen dürfen (gegen Schwartz a . a . O . 260). 8 9 Eine Auffassung, die nach den Implikationen von PsSal 17,6 auf ihre Weise auch schon die Hasmonäer vertraten (vgl.o. bei Anm. 49). , 0 Man beachte die Konstruktion mit V, die an die Stelle der gen. subi.-Verbindung i n K03 (Jer 22,30;29,16 usw. - s. die Konkordanzen - bis PsSal 17,6) getreten ist und auch über ein früheres Stadium der Qumranliteratur hinausgeht: 4 Q D i b H a m a I V 7 sprach in seinem Davidspreis nur vom „Thron Israels", auf dem jener sitze, eine Formulierung, die der zielgerichteten Aussage unseres Textes nicht mehr genügt. " Wobei in der Forschung eine (wohl zu) kritische Lektüre überwiegt: s. Schwartz a . a . O . passim und Stegemann a . a . O . 214f (er stützt sich wesentlich auf die unsichere Zuordnung eines weiteren Fragments zum Text, das Gen 36,12 zitiert, einen Hinweis auf die Herkunft der Amalekiter und damit evtl. des herodianischen Hauses aus Idumäa). Andererseits wird man die Kritikfähigkeit in Qumran auch nicht unterschätzen dürfen: So obrigkeitsbejahend, wie Josephus, bell. 2,140 die Essener beschreibt, war man dort sicher nicht. Denn 4 Q p N a h I V 3 erwartet ζ. Z. Antigonos' oder gar Herodes' durchaus den Sturz des Königtums „Manasses" (s. Stegemann a . a . O . 215).

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

257

salbte der Gerechtigkeit" (plJtt rr'&a) komme, „der Sproß Davids" (ΤΠ nax) (Z.2b-4a.6). Hier scheint davidische Verheißungstradition in hohem Maße aufgenommen. Denn die Formulierung vom Sproß Davids belebt über die PsSal hinaus einen in Jer 23,5;33,1592 begründeten Schlüsselausdruck der Erwartung gerechter davidischer Herrschaft nach jahrhundertelanger Vergessenheit neu. 93 Doch die Variante des Gesalbtentitels zeigt, daß sich die Erwartung gleichzeitig verschiebt. Nicht „Gesalbter Jahwes" - also gottgesetzt gottnaher Gesalbter - wird der erwartete Herrscher bezeichnet, sondern „Gesalbter der Gerechtigkeit". Andere Züge der Herrschaft werden nicht formuliert. Der Königstitel und alle sich aus Jahwes Nähe speisende Umsturzmotivik von PsSal 17 fehlt, ebenso ein Hinweis, Davids Herrschaft diene dem Erwarteten als Modell wie einem Sohn (also „Davidssohn" o.a.). Alles zentriert sich - auch in der Sproßtradition - auf das Motiv der Gerechtigkeit. Der Textzusammenhang enthüllt den Grund: Von Jahwe mit Autorität ausgestattet ist vor aller Herrschertradition die Tora. Auf das Zum-Zuge-Kommen von deren Gerechtigkeit - und nicht auf eine Königsmacht in sich - zielt die Davidssetzung (Z.2b-4b im Zusammenhang mit Z.4c-5). Eine Betrachtungslinie ist gewonnen, die schließlich das Einbringen der eigenen toraorientierten 94 Gemeinschaft in höchster Würde erlaubt: Bewahrer der recht verstandenen Königstradition seien die Männer der Gemeinschaft um den Erforscher 95 des Gesetzes, lesen wir Z.5. Sie hätten die Statthalterfunktion von Jahwes T o r a - und Geschichtswillen bis zum Sproß Davids. 96 4QPB ist also in der Gemeinschaft von Qumran gut verankert, so gewiß hier mit T h r o n - und Davidsmotiv neue Kom-

,2

Dazu vgl. o. unter 2.1.1.2. S. Amsler, rrax, T H A T II 563-566, hier 565 weist richtig darauf hin, daß „Sproß" bis Sach 3,8 erwartend-titulare Bezeichnung eines Davididen wurde. Aber nach Sacharjas Frühverkündigung brach diese Linie ab, wurde - vielleicht schon von Sacharja initiiert bis zum 3. Jh. v.Chr. auf eine Priesterherrscher-Erwartung umgebogen (s. Anm. 56 zu 2.1.2.2). „Sproß" erschien dann bis einschließlich PsSal 17;18 überhaupt nicht mehr in Erwartungsformulierungen. 94 S. Kellermann, Messias 94: Die Gemeinschaft eignet sich 1QS VIII 14f auch Jes 40,3 in diesem Rahmen an - die Wegbereitung für Gott erfolge durch das Studium des Gesetzes. ,5 mrr: so die Füllung der Lacuna mit Schwartz a.a.O. 258 und dem Ersteditor Allegro. " Schwartz a. a. Ο. 260-263 postuliert als Überzeugung unseres Textes sogar das Herkommen des erwarteten davidischen Gesalbten aus der Qumrangemeinschaft. Aber dazu muß er a. a. O. 266 die nur in kleinen Bruchstücken erhaltenen Z.6f stark füllen (ich übersetze seine Rekonstruktion mit Kennzeichnung der Lacunae): „[(das Haus?) ,Juda'] ist die Versammlung der Männer [der Gemeinde und .Zepter' ist der Interpret des Gesetzes], wie Natan [sagte: Ich werde ihn mit dem Stab von Menschen züchtigen (2 Sam 7,14)...]". ,3

258

Grundlegung

ponenten gegenüber der besprochenen Gesalbter Israels-Vorstellung von deren älteren Hauptschriften zum Zuge kommen. Trotzdem bleibt 4QPB einmalige qumranische Aneignung eines davidischen Messianismus. Dessen Relevanzverfall ist sogar an der Geschichte dieses Dokuments feststellbar: Es wird, soweit der Explorationsstand eine Aussage erlaubt, für den Gebrauch späterer Generationen nicht kopiert. 97 Weitergehend werden die PsSal nicht einmal als Fremdschrift in die Bibliothek Qumrans aufgenommen. 98 Und keine Redaktion bis zum Untergang der Gemeinde trägt auch nur an einer der besprochenen Stellen in den qumranisch-essenischen Hauptschriften Davididen-, Gerechtigkeitsgesalbten- oder Thronmotivik ein,99 die den in der Gemeinde erwarteten, als Laienführer für ihre Verfassungsstruktur wesentlichen Gesalbten Israels in einen thronend gerechten Herrscher überführt hätte. So bleibt die Formulierung „Gesalbter der Gerechtigkeit" von 4QPB Hapax legomenon in Qumran, der individualisierte Herrschertitel „Gesalbter Jahwes" wird in Eigenformulierungen sogar völlig vermieden. Nicht herrscherliches Gesalbtsein bildet auch den Integrationspunkt der beiden weiteren qumranischen Texte, die eine Davididenerwartung aufgreifen, 4QpJes a und 4QFlor, sondern die Suche nach Vereinbarung eschatologischer Herrschaftsaussagen mit einer priesterlichen Dominanz und eschatologischen Sonderrolle des „Erforschers des Gesetzes". 4QpJes a zeichnet in Interpretation von Jes 11,1-5 ein Bild des eschatologischen Davididen, 100 das in Rechts- und Thronmotivik zu 4QPB parallel läuft, aber stärkere Züge gewaltsamer, den Gottlosen tötender Rechtsdurchsetzung einbezieht (Z. 14-25 van der Woude nach bes. fr. C 10-13; D 1-5 Allegro). Gegenüber der fremdvölkerfreundlichen LXX-Textfassung tritt damit dualistische Motivik in den Vordergrund. 101 Doch nicht diese stellt den inneren Zielpunkt des Textes dar, sondern die Koordination mit priesterlichen Befugnissen: Die leider nur sehr schlecht erhaltenen Z.25Ende-28 van der Woude ( = Allegro D 5Ende-8) finden ihr Zentrum in den Aussagen, der Davidide werde rich,7 Anders als bei den großen Hauptschriften sind keinerlei Fragmente von Zweit- oder Drittexemplaren überkommen. " Vgl. Vermes in Schürer, History III/l, 195. Am Anfang der Erschließung der Qumranfunde konnte die Fundlücke noch übergangen werden (so bei A. Dupont-Sommer, Les ecrits esseniens decouverts pres de la Mer Morte, Paris 1959, 347 nach 308). Inzwischen wird sie nur von Laperrousaz, Messie 259-285 noch überspielt. " Selbst das Wort K03 fehlt in den Hauptschriften völlig, wie H.-J. Fabry s.v., ThWAT IV 247-272, hier 272 feststellt. 100 Vielleicht mit dem Titel Sproß Davids: Jedenfalls rekonstruiert Allegro, Messianic References 180 die Ζ. D 1 ( = 21 van der Woude) darauf (unsicher, wie Holtz, Untersuchungen 156f betont). 101 Man vergleiche den Einbezug der Magogvernichtung in das Völkergericht Z.24f/D 4f mit der unter 2.1.1.5 besprochenen Linie von LXX Jes, und apokalyptische Einflüsse werden sich kaum leugnen lassen (vgl. Kim, X P I C T O C 144f).

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

259

ten, wie sie (sei. die Priester) ihn lehrten und unterwiesen ( Z . 2 7 / D 7), und ein Priester werde die Bekleidungsbefugnis besitzen ( Z . 2 8 / D 8). 102 4QFlor I 1-12a bietet eine nicht minder bemerkenswerte Interpretation der w . 1 0 - 1 4 aus der Natansverheißung 2 Sam 7: Die Zusage des Herrn 7,10-1 l a ziele auf das eschatologische Haus Jahwes (den Tempel). In ihm, dem von jeder Fremdbefleckung freien Heiligtum, gälten die Taten des Gesetzes als Rauchopfer, und Ruhe herrsche vor all den feindlichen Söhnen Belials (Z.1-9). 1 0 3 Erst von da aus kommt die Dynastiezusage 7,11b-14 in den Blick. Der angesagte Same wird individualisiert auf den uns schon bekannten Sproß, aber seine Funktion bleibt gänzlich blaß - mehr als daß er auftreten werde, und dies nicht allein, sondern mit dem (priesterlichen? 104 ) Erforscher des Gesetzes, wird nicht angesagt (Z.10-12a). l o s Der Königstitel bleibt vermieden.

Sollte sich die jüngst hervortretende Tendenz zur Datierung des Manuskripts von 4QFlor auf die Mitte des l.Jh. n.Chr. statt wie herkömmlich auf frühherodianische Zeit 106 als Abfassungsdatum des Werks durchsetzen, ließe sich die qumranische Vorstellungsentwicklung präzisieren. Die Pflege davidischer Erinnerung hätte dort in der 2.Hälfte des l.Jh. v.Chr. vorübergehend zu einer davidischen Gesalbtenhoffnung geführt. Diese aber konnte keine entscheidende Dynamik entwickeln und verblaßte daher am Anfang des l.Jh. n.Chr. Die von Salbungsvorstellungen wieder gelösten Elemente davidischer Hoffnung wurden nur mehr in anders dominierte Reflexionen eingebracht. Auch wenn wir diese Entwicklungserwägungen offenlassen, 107 bleibt

102 Vgl. bes. Allegro a.a.O. 181 f und van der Woude, Die messianischen Vorstellungen 175-182. Ihre Untersuchungen setzten die priesterliche Prädominanz unseres Textes in der Forschung durch (bis ζ. B. Caquot, messianisme 244), blieben freilich in der Begrifflichkeit für den Davididen messianisch. 103 Die Tempelvorstellung unseres Textes, die in Zusammenhang mit dem Selbstverständnis der Qumrangemeinschaft steht, beschäftigt die jüngere Forschung besonders (Lit. bei Vermes in Schürer, History III/l, 445f; jünger Juel, Messianic Exegesis 65ff). 104 Der Text gibt darüber keine Auskunft, so gewiß in der Forschung bis Caquot a. a. O. 244 die priesterliche Deutung (mit messianischer Vertiefung) dominiert. 105 Daß der Text kein Interesse an einer weiterführenden Aneignung des „Sohn Gottes"-Prädikats für den eschatologischen Davididen zeigt, war schon anzumerken (o. mit Anm. 68). Aber auch, daß er sich den neuen David als den eschatologischen Tempelbauer vorstelle (so Caquot a. a. O. 243), wird man nur vorsichtig vermuten dürfen. Die Versuche textfüllender Interpretation kulminieren bei Brooke, 4QFlorilegium 197-205, etwas vorsichtiger Juel a.a.O. 68(ff). 106 S. für die Spätdatierung Brooke a.a.O. 80-84 u.ö., für die Frühdatierung zuletzt Vermes a.a.O. 445. 107 Die Geschichtslinie könnte sich vertiefen, wenn die Kriegsrolle im Verlauf ihrer Redaktion in frührömischer Zeit einmal das Stichwort „Nagid" (Fürst der Gemeinde) eschatologisch aufnähme (V 1), aber in ihren später angewachsenen Teilen zugunsten einer rein theokratischen Sicht wieder darauf verzichtete (vgl. Krieg am Anm. 10 a.O. passim), und wenn der herodianischer Zeit entstammende Segensspruch llQBer, der die Versetzung in die Heilszeit als Geschehen zwischen Gott und der Gemeinde ohne Vermitt-

Grundlegung

260 davidische

Gesalbten-Erwartung

in Q u m r a n

überaus

schmal.108

nie zeigt sich d e r V o r b e h a l t g e g e n ü b e r d e m Königstitel für den

Und

erwar-

t e t e n H e r r s c h e r , sei e r g e s a l b t o d e r u n g e s a l b t , a u f g e g e b e n . 1 0 9 D i e Khirbet

Qumran

gefundenen

Quellen

scheiden

als

Stütze f ü r die T h e s e einer d o m i n a n t e n D u r c h s e t z u n g schen

Gesalbtenverständnisses

ζ. Z .

bei

herausragende

königlich-davidi-

des W i r k e n s Jesu

auf jeden

Fall

aus.110 Da

4QPB

d e r einzige

B e l e g explizit d a v i d i s c h e r

Gesalbtenerwartung

in

Q u m r a n bleibt, ist diese in Q u m r a n n i c h t h ä u f i g e r b e z e u g t als die b e s p r o c h e n e K o l l e k t i v i e r u n g des „ G e s a l b t e r J a h w e s " - B e g r i f f s . J a , d e r B e l e g l e t z t e r e r findet sich in 4 Q F l o r I 1 8 f w e n i g e Z e i l e n n a c h d e r eben a n g e f ü h r t e n k n a p p e n A u s l e g u n g d a v i d i s c h e r H o f f n u n g u n d zeigt d a m i t , d a ß die davidische

Gesalbten-

o r i e n t i e r u n g in Q u m r a n n i c h t einmal die S t ä r k e besaß, die Kollektivierungslinie zu brechen.111 Die weiteren

Quellen

der

Epoche

vervollständigen

und

bestärken

den Befund: Keine Inschrift, M ü n z e o d e r andere Primärquelle der G e n e r a t i o n e n ) u m die Z e i t e n w e n d e bis z u m T o d e J e s u e n t h ä l t d e n

herr-

scherlichen Messiasbegriff, ebenso kein Pseudepigraphon, dessen

Ent-

s t e h u n g in diese Z e i t fallen

könnte.

Z w e i P s e u d e p i g r a p h e n seien, u m d e n Z u s a m m e n h a n g z u v e r d e u t l i c h e n , h e r a u s g e g r i f f e n , 1 1 2 die V i t a e P r o p h e t a r u m u n d das T e s t a m e n t (die

Assumptio)

Mosis. lungsgestalt entwirft (s. A.S. van der Woude, Ein neuer Segensspruch aus Qumran [ l l Q B e r ] , in: Bibel und Qumran. FS Hans Bardtke, H g . S. Wagner, Berlin 1968, 2 5 3 - 2 5 8 ) , ebenso für die weitere Entwicklung repräsentativ wäre. Dann ergäbe sich bei der Qumrangemeinschaft im 1. J h . n . C h r . ein Zug zur Theokratie, der die Uberlieferung von Texten, die Mittlergestalten vorsehen, erlaubt, aber die Entstehung solcher T e x t e allenfalls dann noch fördert, wenn es um der Vermeidung direkter Gottesaussagen willen nötig ist (wie vielleicht in l l Q M e l c h , worauf unter 2.2.6 zu kommen sein wird). 1 0 8 Die gelegentlich ergänzend angeführte Skizze eines (des) „Erwählten Gottes" in 4 Q M e s s ar wurde schon bei der Edition von Starcky, texte messianique bes.65f nur vorsichtig mit davidischem Denken in Verbindung gebracht (in messianisme 502f noch weiter zurückgenommen). D a sie weder Davids-Querverweis noch Salbungsmotivik enthält, kann sie nicht als messianischer T e x t gelten (s. Hengel, Jesus als messianischer Lehrer der Weisheit 172f; vgl. de Jonge, Intermediaries 5 9 - 6 9 ) . Andere Stellen wurden schon in den 50er Jahren wieder aus der Diskussion genommen, so 1 Q M X I I 8, wo nicht - wie bis Black, Messianic Doctrine 4 5 4 f f angenommen - eine Aussage über den Heiligen des Herrn vorliegt, sondern eine über Gott als den Heiligen, den Herrn (richtiggestellt seit Smith, Messianic Figures 66; dort 6 6 f Hinweise auf weitere zuerst falsch herrscherlichmessianisch gedeutete Stellen).

' Das fiel namentlich Kellermann, Messias-Hoffnung 442 auf. Gegen Starcky, messianisme 504 nach 499ff, dessen Position hier sein sonst scharfer Kritiker Brown bestärkte (Starcky's T h e o r y 52), so daß sie bis heute nachwirkt (ζ. B. Caquot a . a . O . 243ff und Kim, X P I C T O C 132ff). 111 Vgl. o. unter 2.2.3.2. 112 Der Quellenrahmen läßt sich über Charlesworth, Messiah 216f vervollständigen. 10

110

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

261

Für die Ausformulierung ersterer bietet das erste Drittel des l.Jh. n.Chr. den besten Rahmen, erreichte damals die Prophetenehrung doch durch die Errichtung von Monumenten eine neue Dimension (neutestamentlich gegeißelt im Weheruf von Lk 1 l,47f par). 113 Liest man die Vitae vor diesem Hintergrund, so zeigen sie, was die neue Verehrungswelle besonders interessierte, nämlich das Geschick, vor allem das gewaltsame Ende der Geehrten, das man geradezu stereotyp hervorhob - Jesaja sei von Manasse zersägt (VitProph 1,1), Jeremia vom (jüdischen?) Mob in Ägypten gesteinigt (2,1), Ezechiel vom Führer des Volkes Israel in Babylonien ermordet worden (3,1) usw.114 Ergänzend erzählte man Prophetenlegenden und ausgewählte Züge ihrer Botschaft, aber unter Verzicht auf aktualisierende Rezeption auch nur einer ihrer großen Heilsverheißungen, eine Lücke, die den späteren christlichen Tradenten so schmerzlich erschien, daß sie den Einzelviten in der Rezension des Codex D sekundär je die als zugehörig empfundenen „messianischen" Weissagungen voranstellten. 115 Suchen wir dagegen nach einer Zukunftserwartung in den Viten selbst, so läßt sich aus der des Jeremia vielleicht eine mosesorientierte Erlösungshoffnung entnehmen 116 - zumindest wird Mose dort als Erwählter Gottes bezeichnet (2,14) - und aus der des Elija die Erwartung von Elija als Richter Israels „mit Schwert und Feuer" (21,3).117 In beiden Fällen interessieren herrscherliche Dimensionen nicht. In eine andere Textgattung, die des verbindlich ausblickenden Testaments, führt die AssMos. Hier interessiert deren Überarbeitung z.Zt. der Herodessöhne: Bis zu ihnen führt der bei der Überarbeitung eingefügte Geschichtsrückblick der Kap.6 und 7.118 Er skizziert Könige nur als negative, letztlich der

113 Weiteres zu den Einleitungsfragen bei Charlesworth, Pseudepigrapha and Modern Research 175ff und D.R.A. Hare, The Lives of the Prophets (First Century A.D.), in: Charlesworth (ed.), Pseudepigrapha II 379-399, hier bes.380f. Vertritt man eine Ansetzung nach 70 (wie G. Vermes/M. Goodman in Schürer, History III/2, 784), so verlängert sich das im folgenden angesprochene Problem bis dahin: Auch dann hätten die prophetischen Heilsweissagungen noch keinen Punkt zentralen Interesses gebildet. 114 Vgl. Charlesworth a.a.O. 177. Urchristlich antwortete nicht nur Lk 11,48 - in der Verehrung würden die alten Morde sanktioniert sondern auch die Glaubensparadigmata-Aneignung von Hebr 11. Sie sah in den Geschicken (samt Tötungsvarianten), was die erleiden mußten, derer die Welt nicht wert war (s. bes. 11,37 zwischen 32 und 38). Weiteres bei Hans Joachim Schoeps, Die jüdischen Prophetenmorde, in: ders., Aus frühchristlicher Zeit. Religionsgeschichtliche Untersuchungen, Tübingen 1950, 126-143, hier bes,132,135ff. 115 S. Hare a.a.O. 380. 116 Die Entscheidung hängt an der Beurteilung des Retterkind-Hinweises 2,8: Mit Sicherheit ist die Endfassung christlich (darauf legt M. de Jonge, Christelijke Elementen in de Vitae Prophetarum, N e d T h T 16, 1961/62, 167-178, hier 168 alles Gewicht), aber ein jüdischer Kern, der neues Geschehen in Anlehnung an eine Geburt wie die des Mose erwartet hätte, ist nicht auszuschließen (s. - freilich mit messianischer Terminologie - Hare a.a.O. 387 Anm. n, der für den Rahmen noch auf Daube, New Testament 6f verweist). 117 Das Schwert-Feuer-Motiv findet sich in der Majorität der Hss. 118 Die Einleitungsdiskussion führte nach Egon Brandenburger, JSHRZ V 2, 1976, 59-66 Camponovo, Königtum Gottes 142-153 weiter. Klaus Haacker, Assumptio Mosis -

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Grundlegung

Gottlosigkeit verfallene Gestalten (6,1.2.8) 119 - eine fast noch kritischere Haltung als in Qumran - und sieht keine Möglichkeit, daß sich die Depravation vor dem Ende der Zeit wende (Kap.7). Gebotene Reaktion ist - im Anschluß an Vorgaben der Grundschrift - , sich von den Frevlern zu lösen und dafür auch zum Sterben bereit zu sein, wie Kap.9 modellhaft am Auftreten eines Mannes namens T a x o und seiner Söhne schildert. 120 Dann werde in einer gewaltigen Theophanie Gottes Herrschaft erscheinen, die Israel erhöhe, den Teufel und die Feinde aber zuschanden mache (Kap. 10). 121 Gott selbst - und nur er - ist der Überwinder des Negativen. Diese Haltung verdiente besonderes Interesse, wenn die Träger der AssMos sich mit denen der PsSal berührten. 122 D e n n dann hätten auch diese Trägerkreise in ihren Schriften nicht durchgängig auf einer herrscherlichen Gesalbtenerwartung als essentiellem Teil der Enderwartung bestanden. Bei aller Vorsicht ist ja auch die Hervorhebung des PsSal 11 (statt 17 oder 18) in der Uberschriftenredaktion der PsSal als entscheidenden Psalms „zur Erwartung" auffällig.

Damit müssen wir uns der Redaktion der PsSal im 1. Jh. n.Chr. zuwenden. Die Redaktion ergänzt Überschriften. In ihnen schreibt sie die Psalmen der Autorität des seit alters (s. 1 Kön 5,12) als Liederdichter geltenden Salomo zu (was der Text der Psalmen noch nicht voraussetzte); das Modell dafür mögen

eine samaritanische Schrift?, ThZ 25, 1969, 385-404 setzte sich mit der These, AssMos sei erst in samaritanischen Kreisen nach 135 n.Chr. entstanden, nicht durch. 119 An den ersten beiden, sich auf die Hasmonäer und Herodes d.Gr. beziehenden Stellen erscheint das Gottlosigkeitsmotiv explizit, an der dritten, auf die Römer bezüglichen Stelle wird es v.9 in Handlung umgesetzt. 120 In der unter 1.1.2 angedeuteten Renaissance der Suche nach jüdisch-messianischen Stellen im späten 19. Jh. wurde Taxo gern auf den „Messias" gedeutet, was C. Clemen in APAT II 326 Anm. d 1900 als unhaltbar erwies. Lattey, Assumption versuchte 1942 eine Erneuerung der messianischen Deutung und spitzte sie auf einen stellvertretend leidenden Messias zu, was eine unmittelbare Brücke zum Christentum schlage (15-20); doch enthält der Text weder Gesalbten- noch Stellvertretungsgedanken noch eine Anspielung auf Jes 53. Ungeklärt ist bis heute der Name Taxo: Spiegelt er griechisch („Ordner") eine jüdische Ordnungs-, Satzungsvorstellung (so - mit zu starken Querlinien zu CD und Qumran - Sigmund Mowinckel, The Hebrew Equivalent of Taxo in Ass.Mos. IX, in: International Organization for the Study of the Old Testament Congress Volume, VT.S 1, Leiden 1953, 88-96)? Oder muß man sich mit der Bestimmung als für verschiedene Assoziationen offene nichtmessianische Idealgestalt begnügen (vgl. - mit starker Betonung von Wüstenassoziationen nach Dtn 32,10 - Reese, Geschichte 105-110, weiter John Priest, Some Reflections on the Assumption of Moses, PRSt 4, 1977, 92-111, hier 97-104,108 und Camponovo a.a.O. 1490? 121 Dazu Camponovo a.a.O. 165-173; vgl. auch Priest a.a.O. 105ff. 122 Die Forschung verwies dafür u. a. auf die Verwandtschaft des jeweiligen Feindbilds (vgl. bes. AssMos 7 und PsSal 4): Näheres bei Camponovo 161f. Seine Identifikation der gemeinsamen Träger als Pharisäer (nochmals 229) erfolgt allerdings von den PsSal aus und unterliegt damit den o. mit Anm. 43 genannten Problemen, wird von ihm selbst 261f partiell zurückgenommen.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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die Pss 72 und 127 (je v.la) im kanonisch werdenden Psalter gebildet haben. Damit verbindet die Redaktion knappe Inhaltsangaben und gelegentlich musiktechnische Hinweise. 1 2 3 D e n längsten Psalm (17) gliedert sie zudem durch ein Diapsalma, das Sela aus den alttestamentlichen Psalmen (17,29). 124 Ein solches fügt sie weiter in Psalm 18 nach v.9 ein, dort mit dem Ziel, den Grundpsalm (18,1-9) vor dem neu ergänzten Gesamtpsalterabschluß der w . 1 0 - 1 2 erkennbar zu halten. 125 Alle diese Eingriffe setzt die wahrscheinlich vor 80 n.Chr. erfolgende griechische Ubersetzung als verfestigt voraus. So ergibt sich für die Redaktion die Zeit zwischen spätestem 1. Jh. v. und Anfang der 2.Hälfte des l.Jh. n.Chr. 1 2 6 Ihr übergreifendes Interesse ist klar erkennbar. Sie stellt die vorher nur lose verbundenen Psalmen zu einem Corpus zusammen, autorisiert dieses und adaptiert es musiktechnisch einem liturgischen Gebrauch, für den die Psalmen einzeln seit ihrer Formulierung gedacht waren. 127

Die Redaktion setzt in PsSal 17; 18 eigene Akzente. In Psalm 17 blickt nun laut Superscriptio Salomo, der alttestamentliche Sohn Davids,128 nach dem anvisierten gesalbten König als künftigem Sohn Davids aus. 129 Das verstärkt die Verbindung zur altjudäischen Königs123

So bei Psalm 17 μετά φδής. Weiteres in Schüpphaus, Psalmen Salomos 15lf. Zu dessen Etymologie und liturgischer Funktion Kraus, Psalmen I 22ff. Wobei offenbleiben mag, ob der Psalterabschluß im Zusammenhang unserer Redaktion neu formuliert oder aus einem nicht mehr in die Sammlung aufgenommenen 19. Psalm herausgebrochen wurde (vgl. Svend Holm-Nielsen, JSHRZ IV 2, 1977, 55). Daß das Diapsalma gleichzeitig mit den w.10-12 angefügt wurde, scheint wahrscheinlicher als Schüpphaus' Verteilung des Vorgangs auf zwei Redaktionsgänge (a.a.O. 152). 126 Vgl. Holm-Nielsen a.a.O. 54,58. 127 Wieweit dieses Ziel eingelöst wurde, muß offenbleiben. Schüpphaus a.a.O. 15iff ist in diesem Punkt vielleicht zu mutig, Holm-Nielsen a. a. O. 59 vorsichtiger. Franklyn, Psalms of Solomon orientiert sich bei unbestimmter Datierung (6) an einem Sitz im Leben jenseits des Jerusalemer Kults (15ff). Das könnte eine Kontinuität zur gegenwärtig dominierenden Sicht des vorredaktionellen Stadiums herstellen (vgl. o. Anm. 44 [u.ö.]). H. Ludin Jansens Verankerung der für uns entscheidenden Psalmen 17; 18 in Lesungen am Tempel (Die spätjüdische Psalmendichtung, ihr Entstehungskreis und ihr „Sitz im Leben" [...], SNVAO.HF 1937/3, Oslo 1937, Erg.l33ff) verfügt über weniger Evidenz. 128 Schon in der deuteronomistischen Geschichtsüberlieferung wurde Τ Π ρ (mit syntaktischen Varianten) bevorzugt zur Bezeichnung Salomos gebraucht (ab 1 Kön 1,33; Gesamtbelege in den Konkordanzen). Die fortdauernde Lebendigkeit dieser Ausdrucksverwendung führte dazu, daß sie sich bis zu dem/den Chronisten für Salomo halbtitular verfestigte (s. bes. 2 Chr 13,6;30,26;35,3f nach 1,1), so gewiß man auch andere Söhne Davids in Erinnerung behielt (2 Chr 11,18 Jerimot; von Fisher, Son of David 90 übersehen). Für die Folgezeit blieb das Bewußtsein des engen Salomobezugs maßgeblich, wie im Umfeld der neutestamentlichen Zeit die aus anderem Blickwinkel schon einmal herangezogene Redaktion des Koh-Buches zeigt: In Verknappung der dreigliedrigen Autorenkennzeichnung der Prov (Name, Davidssohn- und Königshinweis) um das Namensglied genügte ihr am Ende des 1./Anfang des 2.Jh. n.Chr. schon das Davidssohnprädikat in Verbindung mit der Königsbezeichnung, um eine Identität Kohelet-Salomo herzustellen (vgl. o. unter 2.1.1.5 mit Anm. 140). 129 Salomo, der zudem seit der Endfassung von Ps 72 zum Singen eines Königslieds 124 125

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Grundlegung

theologie durch eine Assoziationssphäre, die der Davidssohnangabe von PsSal 17,21 das Salomo-Muster vor Augen stellt. In der Logik dieser Sphäre wird das Diapsalma v.29 Ende nach dem salomonisch seit 1 Kön 3,16-28 tief verwurzelten Motiv der Rechtsweisheit gesetzt; die Rechtsweisheit wird als salomonisches Grundkriterium einer Gesalbtenherrschaft unter Jahwes Schirm hervorgehoben. 130 Die Gesalbtenhoffnung des PsSal 17 wird also salomonisch akzentuiert. Daran knüpft die Superscriptio von PsSal 18 an, wenn sie weiter Salomo über den „Gesalbten des Herrn" psalmodieren läßt. 131 Schwerer wiegt dort der Eingriff am Ende: In einem durch das Diapsalma nach v.9 nur wenig gelinderten Bruch fügen die Redaktoren - als Schlußton zugleich des ganzen Psalters ein Stück an, das nicht die Chance eines Umbruchs, sondern Gottes Kontinuität im Weltregiment preist: Man schaue Gottes Größe und Herrlichkeit an der unverbrüchlichen Ordnung der Sternenbahnen, in die einzugreifen seinem exzeptionellem Handeln vorbehalten sei (18,10-12).132 Das relativiert die Erwartung von Jahwes Gesalbtem in PsSal 17 und 18,1-9, läßt dessen Auftreten in Gottes freier Verfügung und unwillkürlich nicht minder exzeptionell erscheinen als Abweichungen der Sterne von ihren Bahnen. Daß die Redaktoren vorrangig vor PsSal 17 und 18 den allein theozentrischen PsSal 11 „zur Erwartung" nannten, erweist sich damit als nicht zufällig. Bei aller Salomo-Uberlieferungsverdichtung gehört auch die Redaktion der PsSal in den Kontext des aktuell-religiösen Dynamikschwunds der herrscherlichen Gesalbtenerwartung im frühen 1. Jh. n.Chr. Daß Johannes der Täufer sich nicht von ihr erfaßt zeigt, schließt den Zusammenhang. Denn wie immer wir die Erwartungskomponente seiner Botschaft verstehen, die von ihm erwartete Gestalt erhält ihre Würde und Funktion vom Gericht 133 Gottes her, nicht aus der Konstituierung irdischer Gesalbtenherrschaft, eines Gesalbten-Laienführertums o. ä.: Gesalbtenmotivik erscheint im Kern seiner Botschaftsüber-

besonders befugt gilt. So kann die Verwandtschaft zu Ps 72 die Salomozuschreibung des PsSal 17 gefördert haben: Schon den König von Ps 72 kennzeichnen Gerechtigkeit (w.2ff.7), machtvolle Herrschaft, vor der die Feinde sich beugen müssen (w.8-11), und der Eintritt einer Segenssphäre (v.l7b nach v.15). Ohne den Gesalbtentitel auskommend, schießt Ps 72 dabei in der (wohl vorexilisch formulierten: s. Kraus, Psalmen II 657) Ewigkeitsmotivik der vv.5f.17a aber so über PsSal 17 hinaus, daß dessen Erwartung geradezu zurückhaltend erscheint. 130 Schüpphaus' Analyse a.a.O. 152 schreitet nicht zur Interpretation der Änderung. 131 Zum Charakter dieser Überschrift auch Holm-Nielsen a.a.O. 107 Anm. a ζ.St. 132 Zum literarkritischen Bild s.o. mit Anm. 125. 133 Und evtl. der Geistausgießung (so Rudolf Laufen, Die Doppelüberlieferungen der Logienquelle und des Markusevangeliums, BBB 54, Königstein/Ts.-Bonn 1980, 107,116).

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lieferung nicht, der aus M t 3,1-11 par zu rekonstruieren ist. 134 Auch die in ihrem Alter umstrittene T ä u f e r a n f r a g e M t 11,2-6 par wird erst in der Deutung auf den christlich geglaubten Gesalbten, Christus, also christlich, mit dem Gesalbtenbegriff verbunden (nur bei M t 11,2, nicht in der Parallele L k 7,18f). 1 3 5 D a ß und wie dort die Christos-Eintragung geschieht, ist freilich für unser T h e m a interessant: Sie geht, wie der Vergleich mit Lk zeigt, am ehesten auf matthäische Redaktion zurück. Selbst M t setzt den Christustitel aber, was dieTäuferpassagen angeht, allein hier in 11,2, gemeinsam mit den anderen Synoptikern nicht im Feld von 3,1-11 (par) mit

134 Vergeblich suchen wir nach den Begriffsfeldern Gesalbter Jahwes, Gesalbter Israels, Gesalbter der Gerechtigkeit o. ä. Das darf nicht durch die in Mt 3,11 par erscheinenden Begriffe ισχυρότερος und έρχόμενος überdeckt werden. Denn ganz unabhängig davon, ob sie korrekte Johannesüberlieferung oder erst interpretatio Christiana sind (was Gnilka, Matthäusevangelium I 71,72 erwägt), schlagen sie keine feste Brücke zur bisherigen Entwicklung der herrscherlichen Gesalbtenerwartung: PsSal 17,40 bietet nur eine ίσχυρός-Beschreibung, keine ίσχυρότερος-Prädikatsverdichtung. Έρχόμενος begegnet überhaupt in keinem der Messiastexte bis zum Ende des 1. Jh. n.Chr.; im zentralen Traditionstext Hab 2,3 L X X ist es auf Gott zu beziehen (August Strobel, Untersuchungen zum eschatologischen Verzögerungsproblem auf Grund der spätjüdisch-urchristlichen Geschichte von Habakuk 2,2ff., N T . S 2, Leiden 1961, 53-57; die unscharfe Rezeption bis Laufen a . a . O . 95 mit Anm. 12 S.407ff [Lit.], 112ff geht auf Strobels Gebrauch von „messianisch" bei den Umfeldhinweisen S.54f zurück).

Nach dem Diskussionsstand kommen für die von Johannes erwartete Gestalt vor illem zwei Identifizierungen in Frage: Entweder handelt es sich um Jahwe selbst (vgl. die soeben gemachten Hinweise), der sich dann weltrichtend ohne Vermittlungsgestalt durchsetzt (so eine von Holtzmann, Messiasidee 408 bis Vögtle, Wunder und Wort 223f und Ernst, Johannes 49ff gewichtig repräsentierte Forschungslinie), oder um eine von Jahwe her erscheinende Richtergestalt, die Verbindungen zur Menschensohntradition nach Dan 7,13 zeigt (so der Hauptstrom der Forschung seit Becker, Johannes der Täufer 34-37, dem sich auch Gnilka a. a. O. 72f trotz seiner sehr weitgehenden Überlieferungskritik vorsichtig anschließt). Früher verband sich letztere Position entsprechend dem damaligen (unter 1.1.2/3 skizzierten) Forschungsstand mit dem Messiasbegriff (gewichtig 1911 bei Dibelius, Johannes 134 nach 54ff), was teilweise bis in jüngste Zeit nachwirkt (z.B. bei Laufen a . a . O . 93-115). Durch die Klärungen Beckers (a.a.O. 34) scheint das ausgeschlossen (vgl. jüngst - mit weiterer Lit. - v. Dobbeler, Johannes 144f). - Hare erweitert die Identifikationsmöglichkeiten in seiner Auswertung der Vitae Prophetarum; er denkt an den als Richter von Gott wiederkehrenden Elija (am Anm. 113 a. 0 . 3 8 3 unter Bezug auf die o. angeführte Stelle VitElija 21,3). 135 Die Forschung schwankt, wie groß der alte Johannes-Kern ist (am kritischsten Vögtle a . a . O . 242: ganz urchristliche Bildung). Selbst, wenn man ihn relativ umfangreich ansetzt - wie Kümmel, Jesu Antwort bes. 153-158 - , muß die Basis der Anfrage nach Mt 3,11 par bei Lk 7,19 gesucht werden (Kümmel a . a . O . 153f). Der Ausdruck „Messias", „messianisch" eignet sich demnach nur als nachträgliche christliche Deutungskategorie (man beachte die wachsende begriffliche Vorsicht Kümmels a. a. O. gegenüber ders., Der persönliche Anspruch Jesu und der Christusglaube der Urgemeinde, in: Jesus Christus. Das Christusverständnis im Wandel der Zeiten. Eine Ringvorlesung der Theologischen Fakultät der Universität Marburg, MThSt 1, Marburg 1963, 1-10, hier 6).

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Grundlegung

der Gerichtserwartung des Täufers. Der Gesalbtenbegriff füllt sich 11,2-6 näherhin durch „Werke des Gesalbten" um eschatologisches Heilen (nach Jes 35,5f u.ö.) und Inkraftsetzen der Evangeliumsverkündigung (nach Jes 61,1). Er erhält so einen Horizont von Heilung, Rettung, Euaggelion, dem gegenüber Gerichtskonnotate, auch wenn v.6 sie einbringt, ins zweite Glied treten. Gar nicht in Blick kommt eine politisch-davidische Dimension. D.h., die Aneignung der Täufererwartung für das Verständnis Jesu als Gesalbten erfolgt nicht unter den Perspektiven herrscherlicher Gesalbtenerwartung und, da sie sich auf unsere Perikope Mt 11,2-6 beschränkt, auch nicht vorrangig unter der Perspektive richterlicher Menschensohnerwartung. Sie ist - nicht zuletzt wichtig zum Erfassen der matthäischen Christusauffassung - durch eine Glaubenserfahrung Christi geprägt, der rette, heile und das Euaggelion in Kraft setze. 136 Doch damit zurück von Mt in die erste Hälfte des 1. Jh. Eine allgemeine religiöse Dominanz jüdisch-herrscherlicher Gesalbtenerwartung in Palästina ζ. Z. Jesu läßt sich damit ausschließen. Vielleicht wird man der „Gesalbter Jahwes"-Erwartungsformulierung der PsSal einige Verbreitung zusprechen dürfen, größere als den „Gesalbter Israels" und „Gesalbter der Gerechtigkeit"-Formulierungen der qumranischen Gemeinschaft. 137 Auch diese größere Verbreitung führte jedoch bis zum 2.Viertel des 1. Jh. n.Chr. weder zu einer Verdichtung der Verbindung „Gesalbter Jahwes" zu „der Gesalbte" - hier bleibt die redaktionelle Überarbeitung der PsSal sogar hinter dem entsprechenden Verdichtungsvorgang von „Gesalbter Israels" in l Q S a zurück - noch zu einer allgemeinen Durchsetzung eines Titelkonnexes Gesalbter (Jahwes) - Sohn Davids - König. Noch die erste erhaltene neue Begriffsexpansion auf ein Pseudepigraphon jenseits der PsSal, die bereits ange-

136 Vgl. für die Frage der Werke/Zeichen des Messias Ausblick 3 mit Anm. 57. Die Relevanz unserer Perikope für das Christos-Verständnis des Mt stellt zuletzt MacRea, Messiah 180 heraus (erkennend, daß das eine bemerkenswerte Spannung auch zurück zu Mt lf schafft; vgl. unter Ausblick 2 bis Anm. 220). Für den Einbezug der Predigt unter die „Werke des Christus" vgl. Ernst a . a . O . 168. Weiteres in den Kommentaren (z.B. Gnilka a . a . O . 406,409). - Als Hintergrund der Redaktion nicht unwichtig ist das christliche Textstadium ohne Christos; dessen Sicht Jesu wird man vielleicht vom Bild des eschatologischen wundertuenden Propheten aus entwickeln können: s. Vögtle a. a. O. 242. 137 Jedenfalls wenn es gelang, ihren liturgischen Gebrauch breiter durchzusetzen (vgl. o. Anm. 127). Eine neue Komplikation darf nicht verschwiegen werden: Norman Golb, Who Hid the Dead Sea Scrolls?, BA 48, 1985, 68-82 erstellte die These, die bei Khirbet Qumran gemachten Funde stammten nicht nur von der dortigen Gemeinschaft, sondern gingen auch auf Verstecke nichtessenischer Jerusalemer Bürger zurück. Sollte sich dies bestätigen, erhielte die Überlieferungslücke der PsSal bei Khirbet Qumran noch größeres Gewicht, könnten wir auch außerhalb Qumrans nicht mit einer durchgängigen Verbreitung der PsSal rechnen.

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sprochene Einfügung von äthHen 52,4 in die Bilderreden der Henochüberlieferung am ehesten einige Jahre (oder Jahrzehnte?) nach Jesu Tod, 138 bestätigt dies: Sie greift den irdisch-herrschaftlich bezogenen Doppelbegriff Gesalbter Jahwes unkontrahiert auf, und ohne ihn durch den Königsbegriff 139 oder eine davidische Akzentsetzung näher zu charakterisieren. Allein daß die Herrschaft des Gesalbten Jahwes auf Erden stark und mächtig komme, interessiert den knappen dortigen Hinweis, nicht ihre Verfassungsform und nicht die Genealogie des Gesalbten.140

Ausblick 2 Messias und Davidssohn Es empfiehlt sich, an dieser Stelle innezuhalten. Denn in einem breiten Forschungsstrom gilt die ab dem ersten Vers des Neuen Testamentes (Mt 1,1) thematisierte Davidssohnschaft Jesu als Theologumenon mit dem Ziel, „daß Jesus der für den Messias Israels geltenden Bedingung, ein Nachkomme Davids [...] zu sein, entsprochen habe."141 Nach den vorgetragenen Untersuchungen dagegen finden wir um die Zeitenwende zwar sowohl eine davidische Hoffnung als auch eine verzweigte herrscherliche Gesalbtenerwartung, aber letztere und schon gar die Gesalbtenvorstellung sind in ihrer Gesamtheit nicht notwendig mit ersterer verbunden. Die obige These scheint daher so nicht mehr aufrechterhaltbar zu sein. In welcher Richtung ist sie jedoch zu modifizieren? Um klarer zu sehen, ist zunächst die jüdische Entwicklung des Davidssohnbegriffs weiterzuverfolgen. Sie weist zwei sich nur partiell überschneidende Linien auf, und zwar die Linie Davidssohn-eschatologischer Davidide und die Linie Davidssohn-Salomo. Beginnen wir bei ersterer: Die davidische Reflexion der herrscherlichen Gesalbtenerwartung kommt weit über die neutestamentliche Zeit hinaus nicht zu alleiniger 138

S. am Ende von 2.2.3.2 (Datierungshinweise in Anm. 47 und 53). Der mit der uns inzwischen vertrauten königskritischen Linie vielmehr unmittelbar zuvor (48,8) die negativ zu sehenden „Könige der Erde" charakterisiert, denen die Herrschaft des Erwählten auf Gottes - oder seinem (die Hss. gehen hier auseinander) - Thron entgegenzusetzen ist (51,3). 140 Charlesworth, Messiah 206: „The .Messiah' does not inaugurate a messianic kingdom; surprisingly, he performs no functions. There is no interest in or association with a descent from David". 141 Wirksam grundgelegt bei Wrede, Davidssohn (bes,165f), gebündelt durch Billerbeck (Bill. I 11 f Zitat), nach den Modifizierungen Hahns (Hoheitstitel 242-279) erneuert durch Burger, Davidssohn (Erg.l77); danach z.B. Kim, XPICTOC 209-219. 139

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Grundlegung

Verbindlichkeit. Von 4 Esr und syrBar, den nach den besprochenen nächst beiziehbaren Texten, verbindet nur 4 Esr den erwarteten Gesalbten mit Davids Stamm. Und selbst 4 Esr unternimmt das nicht mit einem der beiden in der bisherigen jüdischen Uberlieferung als halbprädikativ herausragenden Begriffe - dem in Qumran neu belebten „Sproß" bzw. den aus PsSal 17 vertrauten „Sohn Davids" sondern nur in einer allgemeinen genealogischen Angabe: „aus dem Stamm/Samen (im hebräischen Äquivalent 2ΠΤ)"142 Davids gehe der Gesalbte hervor (12,32). N o c h diese Aussage steht im Gesamttext des Buches so allein, daß sie eher ein Zugeständnis an die mit PsSal 17 tradierte davidische Reflexionslinie denn ein echtes Anliegen des Autors wiederzugeben scheint, 141 falls sie nicht auf eine christliche Interpolation zurückgeht. 144 Jedenfalls rezipiert syrBar, dessen Autoren/Redaktoren 4 Esr vielleicht kannten, 145 sie nicht mehr, läßt die irdische Herkunft des erwarteten Gesalbten offen. 1 4 6

Weiter zeigt sich die Offenheit der Entwicklung im Uberlieferungsgang des unter dem Eindruck der Zerstörung Jerusalems zum allgemeinen jüdischen Gebet geprägten Schemone Esre. Dessen unmittelbar die Trauer nach der Katastrophe atmender Kern fleht um das Erbarmen Jahwes über das Untergegangene, ohne einen futurisch-messianischen Ausblick zu formulieren. In Aneinanderreihung des Untergegangenen heißt es in der 14. Benediktion der palästinischen Rezension: „Erbarme dich [ . . . ] über Jerusalem, deine Stadt, und über Zion, die Wohnung deiner Herrlichkeit, und über das Königtum D a -

142

Der Originaltext ist nicht erhalten; eine Übersetzungssynopse bietet Violet in GCS 18 (zu unserer Stelle 356f). 143 So der in der Forschung bis Keulers, Lehre 115 ausgearbeitete, freilich damals 1922 - noch von einem jüdischen Messias-„Dogma" ausgehende Lösungsversuch. Zum Forschungsstand führt Stone, Question 210,219f: Trotz 12,32 entfalte 4 Esr sein Messiasbild (auch 12,32ff) nicht in königlicher Terminologie; die Visionen drängten in ihrer Gesamtlinie über eine Restauration von Davids Reich hinaus (s. bes. 7,30-44). 144 Bloch, Interpolations 93f führt für seine Interpolationsthese die Spannung der irdischen Herkunftsaussage zu den himmlischen Zügen des Messias in 4 Esr an und weist auf das christliche Interesse an der irdischen Verankerung des Messias (Christi) hin. Tatsächlich ist auffällig, daß sich die in der bisherigen jüdischen Entwicklung der herrscherlichen Gesalbtenerwartung fehlende Formulierung „aus dem Samen Davids" christlichchristologisch in noch zu besprechender Linie ab der Formel in Rom l,3f findet. Andererseits wird David schon 4 Esr 3,23 als Jahwes Knecht (wenn auch nicht Gesalbter) gewürdigt, so daß eine gewisse Neigung der Autoren/Redaktoren von 4 Esr zu davidischen Bezugnahmen nicht geleugnet werden kann (vgl. auch 7,108). 145 S. Collins, Imagination 178f und - vorsichtiger - G. Vermes/M. Goodman in Schürer, History III/2, 753. 146 Dabei genießt auch hier David in der Geschichtserinnerung Rang (s. 71), allerdings nicht singular: Salomo, Hiskija und Joschija werden ihm gleich gewürdigt (71;73;76).

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vids, deines gerechten Gesalbten (des Gesalbten deiner Gerechtigkeit)". 147 David, den lange Vergangenen, bezeichnet man hier wieder als Jahwes Gesalbten, in einer Linie, die das uns aus 4 Q P B vertraute 148 Gerechtigkeitsanliegen theozentrisch verstärkt. Aber anders als 4 Q P B trägt man dies nur in die Wertung der Vergangenheit ein, wagt eine futurische Explikation nicht. 149 Verdeckt impliziert ist in der Bitte allenfalls die Wiedererrichtung der davidischen Monarchie, keine individuell-personale Zuspitzung. 150

Herrscherlich-messianische, an David anknüpfende Erwartung lagert sich - unter Rückgriff nicht auf die Gesalbter Jahwes-, sondern auf die Sproß-Verheißungsterminologie - erst in einem jahrhundertelangen Prozeß bis zur 15. Benediktion der babylonischen Rezension 151 an. So läßt sich für lange Zeit nur von einem freien und nicht streng auf den Gesalbtenbegriff festgelegten Gebrauch der messianischen Benediktionsbitte sprechen. 152 Gehen wir ins 2. Jh., so fehlt in der Mischna jeder messianische Davidssohnbeleg, ja in der zentralen messianischen Stelle mSot 9,9-15 153 überhaupt jeder davidische Bezug; d.h. eine verbindliche Festlegung in diese Richtung unterbleibt. Dazu fügt sich die an späterer Stelle zu besprechende Akklamation des Nichtdavididen Bar Kochba als Königsgesalbten in Teilen der Bevölkerung. 154 Doch bleibt die messianische

147

Textgrundlage bei W. Staerk, Altjüdische liturgische Gebete, KIT 58, Berlin 21930,

13. 148

Vgl. unter 2.2.4.1. Der Text rückt damit in eigenwillige Nähe zum pseudophilonischen LibAnt (vgl. unter 2.1.1.5 mit Anm. 138 u.ö.). Das spricht dafür, beide Texte in die gleiche Zeit zu setzen, also das LibAnt nicht (wie bis Charlesworth, Messiah 217 gelegentlich vertreten) früher und den Kern des Schemone Esre (mit einem begründeten - s. Zeitlin, Shemoneh Esreh 239 u. ö. - Forschungskonsens) nicht später zu datieren. 150 Mit de Jonge, Anointed 145. Weiteres zum Zusammenhang unter 2.2.4.2. 151 Text bei Staerk a.a.O. 18. 152 Elbogen, Gottesdienst 39,54 rekonstruierte eine erst babylonisch-amoräische Formulierung der 15. Benediktion in ihrer messianischen Fassung. Dies nahm Zeitlin a.a.O. 241 ein Stück zurück. Inzwischen wird man stärker als beide davon ausgehen müssen, daß die Formulierungen der Frühzeit Varianten zuließen (vgl. Heinemann, Prayer 224 u. ö.), daher auch in Palästina schon bald in Teilen der Bevölkerung eine messianische Benediktionsform gesprochen worden sein kann. Mehr als eine solche Kann-Aussage erlauben die Quellen aber nicht. Namentlich bleibt die neuerdings verstärkt vorgetragene Hypothese, die messianische Benediktion fehle in der palästinischen Gebetsfassung nur wegen einer nachträglichen Eliminierung (Heinemann a. a. O. 225; Lit.), bislang den positiven Beweis schuldig. Auch durch eine Rezeption von Sir 51,12 hebr. läßt sich die Lücke nicht schließen. Denn in seiner Formulierung schießt dieser (in seinem Zusammenhang o. unter 2.1.2.2 mit Anm. 66 eingeordnete) Text nicht über die 14. Benediktion hinaus (zu Duling, Promises 63 mit Anm. 4). 153 Besprochen bei Neusner, Messiah 26-30. 154 Vgl. in Ausblick 3. Der Befund läßt sich - ohne Gesalbtenbegriff - in die Diaspora erweitern: Sib V verraten keinen davidischen Bezug (s. Collins, Imagination 190), ebenso149

270

Grundlegung

Wertung Bar Kochbas nicht unwidersprochen und taucht gerade in ihrer Ablehnung die Erwartung des Davidssohnes auf (yTaan 4,8/68d): 155 Die Davidssohn-Verdichtung wird durch ein Gegenüber gefördert. 156 Sie dominiert aber auch in der Spätantike nicht allein. Am wichtigsten tritt dort neben sie der „Messias ben Josef" (etwa hebrHen 45,5 157 und bSuk 52a). 158 Das zu den Talmuden führende Hauptbelegmaterial wird im übrigen von der isolierten Formel „der Sohn Davids kommt" getragen. Von Rabbinen des 2./3.Jh. geprägt, 159 bündelt sich ihr Verheißungsmoment im vergewissernden „er kommt". 160 Erst in den jüngeren Targumen erfolgt (gelegentlich) eine Verbindung mit dem Messiasprädikat. 161 Jüngere Gebete beleben zusätzlich die Sproß-Tradition. 1 6 2 yBer 2,4; EkhaR 1,16 und bSan 98b führen zur Spitzenaussage, der Königsmessias werde David heißen. 163

Insgesamt tritt zweierlei hervor: W o der Messias mit David verbunden wird, dient das der Evokation des Königtums Davids - dessen Bild immer stärker rabbinisch, toraorientiert geformt wird 164 - als Vorbild für das Königtum des Messias. 165 Und andere oder offene genealogische Zusammenhänge für den Messias bleiben möglich, auch wenn sie in den Artikulationen der Rabbinen nicht den Rang der davidischen Herleitung erreichen. 166 Die zögernde Festlegung des Davidssohnbegriffs auf den erhofften wenig die Überlieferung Lukuas' als Königsführer des Aufstands unter Trajan (Euseb, h.e. IV 2,4). 15s Man wird bei der dort Rabbi Johanan ben Torta zugeschriebenen Ablehnung wegen ihrer Kraßheit mit hoher Wahrscheinlichkeit von aktueller Entstehung um die Aufstandszeit ausgehen können: s. Lenhardt/von der Osten-Sacken, Akiva 315. 156 Weitere alte Belege am ehesten in bSan 97a,98a (vgl. Eduard Lohse, υιός Δαυίδ, T h W N T VIII 482-492, hier 485). 157 Dazu Charlesworth a. a. O. 207f. 158 Weitere Belege bei Goldberg, Namen des Messias 48; im Kontext 25-75 die Breite der noch vorkommenden Varianten. 159 S. Dalman, Worte Jesu 260f und Neusner a.a.O. 156. 160 Z.B. bYom 10; bSan 38a; dazu Goldberg a.a.O. und Dalman a.a.O. Im enger an die Mischna angelehnten Jerusalemer Talmud bleibt die Tradition jenseits der besprochenen Stelle yTaan 4,8/68d belanglos, wie Neusner a.a.O. 230 hervorhebt. 161 So zu Jer 30,9 und Hos 3,5: dazu Chilton, Glory 114,116. 162 S. Burger a. a. O. 22f; umgebendes Material bei Goldberg a. a. Ο. 40ff. Vgl. die Entwicklung des Schemone Esre. Dazu Goldberg a. a. O. 26-32. 164 S. Neusner a.a.O. 190 u.ö., aber auch die Darstellung der Salbung Davids zur Rechten des Toraschreins in der Synagoge von Dura Europos (vgl. Lohse, König 343 und die dort angegebene Lit.). 165 Vgl. bes. Goldberg a.a.O. 30f. 166 Dieser Sachverhalt bildet letztlich den Hintergrund dafür, daß in der Geschichte des Judentums bis Sabbatai Zwi Messiasprätendenten verschiedenster Herkunft auftreten konnten (Zusammenstellung der Prätendenten z.B. bei Bernhardt, Zusätze 79).

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

271

Herrschergesalbten schafft Raum für den zweiten zu besprechenden Entfaltungsbereich: Die Querlinie Davidssohn-Salomo, die wir für die Rezeption der PsSal zum 1. Jh. n.Chr. hin beobachteten, geht nicht verloren, ja sie erhält um die urchristliche Zeit neben den PsSal eine eigene Richtung. Denn zwar behält man in Erinnerung, daß Salomo, der Davidssohn, König war.167 Aber der Schwerpunkt der salomonischen Begriffsentwicklung entsteht nicht an Vorstellungen von Salomos politischer Herrschaft und Gesalbtentum, sondern an einer exorzistisch-heilenden Zuspitzung seiner Weisheit. Die Wurzeln dafür reichen in vorneutestamentliche Zeit zurück, insofern im 2./1. Jh. v.Chr. ärztliche Kunst als Weisheitsgabe Gottes galt (Sir 38,2a) und man namentlich Salomo eine medizinische Kenntnis der Pflanzen und Wurzelkräfte zuschrieb (Weish 7,20). 168 Angesichts der allgemeinen Uberzeugung von dämonischer Krankheitsverursachung verband sich dies um die Zeitenwende mit der Vorstellung, er besäße besondere Dämonenmacht ( l l Q P s A p 1 I).169 Exorzisten beriefen sich vielleicht schon in der Umgebung von Jesu Wirken, 170 mit Sicherheit in der 2.Hälfte des 1. Jh. auf Salomos Namen und Kraft (s. Josephus, ant. 8,45-49). 171 LibAnt 60,3 schildert Salomos dämonenbezwingende Fähigkeit als bereits von David lobsingend ausgesprochene Verheißung. 1 7 2 In der Folgezeit erhält sie in Teilen judentumsferner Uberlieferung ein ambivalentes Gesicht, 173 bleibt

1 " S. die wiederholt, zuletzt o. Anm. 128, angesprochene Zuschreibung von Koh an Salomo als „Davidssohn, König". 168 Z. St. in ihrem Traditionszusammenhang Maurice Gilbert, La figure de Salomon en SG 7-9, in: Etudes sur le Judaisme hellenistique. Congres de Strasbourg (1983), ed. R. Kuntzmann/J. Schlosser, LeDiv 119, Paris 1984, 225-249. 169 Der Editor J.P.M. van der Ploeg, Un petit rouleau de psaumes apocryphes (llQPsAp a ), in: Tradition und Glaube. Das frühe Christentum in seiner Umwelt. Festgabe Karl Georg Kuhn, Hg. G.Jeremias u.a., Göttingen 1971, 128-139 datiert die Rolle nach der Schrift in herodianische Zeit (129). Kol. I ist nur fragmentarisch erhalten, erlaubt aber die Identifizierung sowohl des Salomonamens (Z.2) wie der Stichwörter Dämonen und Heilung (Z.3.7; s. a.a.O. 130f). Zur Besprechung wären Lövestam, Fils de David 101 und Gilbert a.a.O. 241 beizuziehen. 170 Wenn Mt 12,27 auf jüdische Exorzisten salomonischer Berufung Bezug nehmen sollte, wie Lövestam 101 meint. 171 Dazu Berger, Die königlichen Messiastraditionen 6, Lövestam a.a.O. 100 und Duling a.a.O. 241. 172 Der Text ist schwierig, aber eindeutig auf Salomo zu beziehen: s. Christian Dietzfelbinger, JSHRZ II 2, 1979, 254f. Gern hört man einen messianischen Überschuß oder ein Anklingen messianischer Tradition (so z.B. Lövestam a.a.O. 106; offen Berger a. a. O. 6), aber dafür fehlt positive Evidenz. 173 Namentlich gnostisch: s. Seren Giversen, Solomon und die Dämonen, in: Essays on the Nag Hammadi Texts in Honour of Alexander Böhlig, ed. M. Krause, Nag Hammadi Studies 3, Leiden 1972, 16-21.

Ill

Grundlegung

aber jüdisch bis zu einem späten Targum in bester Erinnerung. 174 In der spätantiken Magie gewinnt sie hohen Beschwörungsrang. 175

Im 4. Jh. 176 sammelte man viel Material in das Testament Salomos (TestSal). Manches von dessen erzählerischem Kern dürfte ins l.Jh. n. Chr. zurückgehen. 177 Für uns wichtig schließt es prädikativ an die uns aus der Geschichts- und Weisheitsliteratur bis zum Ende des l.Jh. n.Chr. (u.a. Prov 1,1; Koh 1,1) vertraute Linie an: Salomo, der heilende Helfer, erfährt die Anrede Sohn Davids (am wichtigsten 1,7;20,1) und wird noch in einer ganzen Reihe von Belegen in der 3. Person so bezeichnet. 178 Uberblickt man diesen Gang, so kompliziert sich der Befund fürs 1. Jh. n. Chr. und die Folgezeit. Die Davidssohntradition erhält in ihrer verdichteten Gestalt nicht einen, sondern zwei mögliche Akzente, nämlich den eines eschatologischen Herrschers nach dem Modell Davids und den eines großen Heilers salomonischer Prägung. Dank der königlich-weisheitlichen Gestalt Salomos berühren sich die beiden Stränge, aber noch bis zum Ende der Antike bleiben sie einzeln artikulierbar und verschmelzen nicht. 179 Blicken wir von da auf die christlichen Artikulationen, so müssen wir, um sie sachgemäß zu erfassen, zunächst vor den Davidssohntitel zurückgehen. Der älteste überkommene Text, der eine davidische Beziehung Jesu artikuliert, die in Rom l,3f (im Zusammenhang von τοϋ γενομένου bis νεκρών) aufgenommene christologische Formel, enthält 174 S. den Hinweis auf die eigenwillige Rezeption von 1 Kön 5,13 im Targum Sheni zu Est bei D.C. Duling, Testament of Solomon (First to Third Century A.D.), in: Charlesworth, Pseudepigrapha I 935-987, hier 947. Fisher, Son of David führt noch das von Mordecai Margalioth edierte Sepher Ha-Razim, Jerusalem 1966 an. 175 Quellen bei Schürer, History III/l, 376ff (P. Alexander). Besonders häufig finden sich Bezüge auf den „König Salomon, Sohn Davids" auf späten aramäischen Beschwörungsgefäßen (s. Duling, Solomon 245ff). - Noch weiter verfolgt die Sagenentwicklung über den Davidssohn Salomo Georg Salzberger, Die Salomo-Sage in der semitischen Literatur. Ein Beitrag zur vergleichenden Sagenkunde, Berlin-Nikolassee 1907. 176 Weiter wird man für die Endformulierung des TestSal wegen 15,10;22,20 nicht zurückgehen dürfen: s. Gilbert a.a.O. 243. 177 Zu den schwierigen literarischen und traditionskritischen Fragen Alexander a. a. O. 373f. Bergers Enthusiasmus (a.a.O. 6ff) weicht inzwischen nüchternerer Einschätzung (ζ. B. bei Duling a. a. O. 242; trotzdem geht auch dieser, Testament of Solomon - s. Anm. 174 - bes.939-947 von alten Wurzeln aus). 171 Die Hss.-Lage ist jeweils nicht eindeutig, wie Duling, Solomon 242f hervorhebt, aber ein Kernbestand bleibt (Gesamtbelege im Register bei Chester Charlton McCown, The Testament of Solomon [...], U N T 9, Leipzig 1922 s.v. Δαυείδ 140*). 17 ' Vgl. Duling a. a. O. 250 u. ö. Auf seine Weise bestätigt den Sachverhalt sogar der in der Anlage gegenläufige Versuch Bittners, Zeichen 136-150, die Vorstellung von Wundern als zum Messias gehöriger Taten in der jüdischen Tradition aufzufinden. Denn er kann bei allem Umkreisen des Themas keinen jüdischen Beleg, der gleichzeitig Wunderhinweis und herrscherlichen Gesalbtenbegriff enthielte, beibringen.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

273

dieses Prädikat nämlich noch nicht, sondern setzt bei der viel offeneren Aussage ein, Jesus sei „aus der Nachkommenschaft Davids" (έκ σπέρματος Δαυίδ [κατά σάρκα]). 180 Diese Aussage ist, wie ein Blick auf die έκ σπέρματος-Aussagen im biblischen und frühchristlichen Schrifttum zeigt, vortitular, als genealogischer Hinweis (in der Weite damaligen Abstammungsdenkens), zu interpretieren. 181 Mit έκ σπέρματος - oder der volleren Form έκ τοΰ σπέρματος - kennzeichnet man alttestamentlich ganz allgemein Stammväterangaben (Stellen im folgenden nach LXX), so, daß Tobit aus dem Geschlecht Asiels stamme (Tob 1,1; vgl.l,9;6,17S) oder die (legitimen) Priester aus dem Geschlecht Zadoks (Ez 43,19), dahinter zurück aus der Nachkommenschaft Aarons (Lev 21,21;22,4; Num 16,40 [ = 17,5 MT]; 1 Makk 7,14AR). Diese Priester dürfen nur Frauen „aus der Nachkommenschaft Israels" heiraten (Ez 44,22). Die grundlegendste Entscheidung aber ist seit Gen 17,12, aus Abrahams Samen hervorgegangen zu sein (oder nicht), weshalb noch Paulus einschärft: έγώ 'Ισραηλίτης ειμί, έκ σπέρματος 'Αβραάμ (Rom 11,1). Offen genealogisch sind schließlich die έκ σπέρματος-Angaben auch bei den herrscherlichen Geschlechtern, sei es der Umgebung Israels (3 Reg 11,14 partim) wie Israels/Judas (3 Reg 1,48; 4 Reg 25,25; Ez 17,13; Sir 47,23) bis zu den Makkabäern (1 Makk 5,62).182 Ein Ausblick in nachpaulinische Zeit legt offen, wie stark das frühe Christentum am genealogischen Charakter unserer Wendung festhielt: Die Generationen nach Paulus greifen sie wiederholt im Umfeld christologischer Aussagen auf (2 Tim 2,8; Joh 7,42; IgnEph 18,2; IgnRöm 7,3). Aber noch im Augenblick der Verwendungsexpansion bei Ignatius stereotypisiert sie sich nicht titular. Ins Wechselspiel tritt vielmehr - die Fortdauer der genealogischen Deutung verratend - die Aussage έκ γένους Δαυίδ (IgnEph 20,2; Trail 9,1; Sm 1,1).183 Das setzt den Sprachgebrauch der LXX fort, in der schon έκ σπέρματος und έκ γένους parallel dazu dienten, hebräische Herkunftsangaben um die präpositionale 1,0

Den entscheidenden Impuls zur Erforschung der Forme) gab Bultmann, Theologie 28,52 (nach Vorerwägungen, auf die Burger, Davidssohn 25 hinweist). Namentlich Schweizer, Rom l,3f. und Schlier, Rom l,3f trieben ihre Rekonstruktion voran. Burger a. a.O. 25ff setzte schließlich, nachdem zuletzt van Iersel, Fils de David 116-125 der synoptischen Tradition den historischen Vorrang gegeben hatte, den Einsatz der neutestamentlichen Davidssohn-Erörterungen bei ihr durch. Nachfolgende Lit. s. im folgenden (umfassender etwa bei Theobald, „Dem Juden zuerst" 376,377f). - Manches spricht dafür, daß der κατά σάρκα-Hinweis wie das entsprechende Pneumaglied nicht zum ältesten Bestand gehört (s. auch Wengst, Christologische Formeln 112ff). Daher konzentrieren wir uns im folgenden auf die έκ σπέρματος Δαυίδ-Grundaussage. 181 Mit seit van Iersel a.a.O. 126 eröffneten Analyseaspekten gegen den Hauptstrom der Forschung im Erbe Wredes (Davidssohn 163f, danach am wirkungsvollsten Bultmann a.a.O. 52). 182 H . D . Preuß, SHT, T h W A T II 663-686, hier 680 geht nach dem hierher gehörenden Hinweis auf 1 Kön 11,14 usw. zu der theologisch dichten Samentradition nach 2 Sam 7,12 über, aber diese steht ohne ]ia, έκ. - Entsprechend dem vorgetragenen Befund schließen prophetische Gerichtsworte (allg. Jes 14,29; gegen Jojachin Jer 22,30) wie Heilsworte (Num 24,7; Jes 59,21 partim) gleichermaßen έκ σπέρματος-Aussagen ein. 183 Letztere Formulierung wirkt übrigens danach weiter zu Justin, dial. 45,4.

274

Grundlegung

Verbindung Jntn zu übertragen. 184 Auch aus dieser Warte bestätigt sich so, daß wir uns in einem Aussagestrom befinden, der unter voreschatologisch-vormessianische Herkunftserwähnungen einzuordnen ist. 185

Die έκ σπέρματος-Angabe verbindet sich in der Formel von Rom l,3f nicht mit dem Gesalbtenbegriff, auch in der zweiten Zeile nicht. Statt dessen erscheint dort das Gottessohnprädikat, das umgekehrt in den besprochenen Artikulationen jüdisch-herrscherlicher Gesalbtenhoffnung bis zu unserer Zeit wegen seines besonderen theonomen Charakters vermieden wurde. 186 D.h., es liegt keine in begrifflich engem Sinn messianische Formel vor. 187 Auch Paulus verstand sie nicht als solche, setzte ihr nicht den Gesalbten-, sondern den Sohn-Gottes-Begriff redaktionell voran (v.3a). Das έκ σπέρματος Δαυίδ beläßt er in seinem Sprachgebrauch isoliert und ohne theologische Verstärkung. Spätestens ein Vergleich mit den Abrahamsbezügen deckt seine Zurückhaltung auf: Ein gegenüber allen allgemeinen Abrahamsnachkommen (vgl. noch Rom 4,16.18; Gal 3,29) singuläres Verständnis Christi (des christlich geglaubten Gesalbten) als Same der Abrahamsverheißungen ist Paulus so wichtig, daß er in Gal 3,16 die an sich kollektive Tradition von Gen 13,15;17,8;22,18;24,7 „gegen den Wortsinn und jede jüdische Deutung der Stellen" darauf um184 Belege bei Hatch/Redpath, Concordance s.v. σπέρμα la und γένος 2. Als ein herausgegriffenes Beispiel davidisch-genealogischen Rahmens sei Dan 1,3 genannt. 185 Der Ignatiusbefund vertieft sich IgnTrall 9,1: Die Herkunftsangabe wird dort ergänzt um die Mutterschaft Mariens, was mit antidoketischer Stoßrichtung bekräftigt, daß es um eine irdische Zeugungseinordnung Jesu geht (vgl. Burger a.a.O. 176). 186 Vgl. unter 2.2.4.1 bei Anm. 67ff. Die Forschung zu unserer Stelle nimmt den Befund nur zögernd wahr (bis z.B. Merklein, Studien 229 = Anfänge der Christologie 9). Das Feld des Gottessohnprädikats reicht von Ps 2,7 bis Weish 2,12-20;5,l-7, wo der zum Tod verfolgte Gerechte in seiner Bestätigung durch Gott als Gottessohn (2,18;5,5) offenbar wird. Unsere Formel geht auch über letzteren Akzent hinaus, indem sie ebensowenig Interesse an einer Leidens- wie an einer Herrscherexplikation nach Ps 2,7 verrät (zu Kim, XPICTOC 216f [Lit.]). D.h., es kommt der Formel auf die alle assoziierbaren Dimensionen übergreifende Grundaussage an: Der genealogisch durch davidische Herkunft (nach dem Fleische) Ausgezeichnete ist aus der Auferstehung heraus öffentlich in seiner singulären Gottzugehörigkeit deklariert (nach dem Geist der Heiligkeit). Eine aufwertende Bezeichnung der irdischen Herkunft leitet eine alles überbietende Aussage der gottgesetzten Würde ein. 187 Gegen einen seit Bultmann a. a. O. 52 in verschiedenen Varianten entwickelten Forschungsstrom: s. ζ. B. für eine Deutung des zweiten Gliedes in der ältesten Textstufe als messianischen Kernsatz Schlier a.a.O. 213 und Wengst a.a.O. 115, für eine Abstufung messianischen ersten und überbietenden zweiten Gliedes Burger a.a.O. 26f (nach Vorläufern), für eine Zusammenziehung ersten und zweiten Gliedes in messianischer (Völkerherrscher-)Interpretation Theobald a.a.O. 383f (nach Becker, Auferstehung bes.30), schließlich für eine zunächst unmessianische Analyse der Formel und nachfolgende Eintragung, die Gesamtformel habe doch ein messianisches Christusprädikat zur Voraussetzung, Kim a.a.O. 213-216,217f.

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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biegt.188 Ein singuläres Verständnis Christi (des christlich geglaubten Gesalbten) als Same der von vornherein individuellen, daher sprachlich eigentlich näherliegenden Davidsverheißung von 2 Sam (LXX 2 Reg) 7,12 dagegen ist ihm so irrelevant, daß er nicht ein einziges Mal in all seinen Briefen auch nur auf jene Verheißung anspielt.189 Dem entspricht das markante Desinteresse des Paulus an David als König: Er bemüht ihn in seinen Briefen lediglich noch zweimal als Psalmautor weitab von Salbungs- und Gesalbtenmotivik (in Rom 4,6; 11,9), nie als Typos messianischer Verheißungen, messianischer Herrschaft oder gar herrscherlicher Messianität Jesu. 190 Ganz in dieser Linie liegt die zweite Anspielung des Paulus auf Jesu davidische Herkunft in Rom 15,8-12. Dort greift er auf Jes 11,1.10 LXX zurück. Er bereitet das Zitat dieser großen Heilsverheißung in 15,8f aber völlig querliegend zur Motivik von PsSal 17; 18; 4QPB nicht durch einen Davids-, Königs-, Macht- oder Salomo-, Weisheits-, Gerechtigkeitshinweis vor,191 sondern mit dem Hinweis, Christus (der christlich geglaubte Gesalbte) sei Diener (διάκονος) der Beschneidung geworden mit dem Ziel, daß schließlich die Heiden ins Heil einbezogen würden. Entsprechend beläßt er im Zitat den Wurzelbezug auf Isai, den nichtköniglichen, nichtgesalbten Vater Davids. 192 David erscheint an keiner Stelle. So findet „Messianität" Jesu ihre Spitze in Kategorien universalen soteriologischen Dienstes, nicht davidischen oder davidisch-salomonischen Königtums. Der Gesalbte (Christos) ist beim Hauptzeugen Paulus der in Würde und Tat über alle Davididät hinaus singulär Gottnahe, in dem Gott rettend sein Erbarmen erweist.193 188

S. Vielhauer, Paulus 207 (43). ' Worin ihm übrigens alle Deuteropaulinen folgen. Wer immer 2 Kor 6,18 formuliert (schon Paulus selbst?), zieht, soweit er auf 2 Sam 7,14 anspielt, eine bemerkenswerte und doch sachlich unmittelbar naheliegende Konsequenz: Nicht ein einzelner eschatologischer Davidide, sondern alle Angeredeten sind die Söhne (und Töchter), denen Gott in der Natansverheißung sein Vatersein zusagte. Eine Parallele findet das in Apk 21,7 (vgl. Ausblick 3 mit Anm. 86). 1.0 „Nirgends führt" er „einen Schriftbeweis für die Messianität Jesu" im herrscherlich-davidischen Sinn, wie Vielhauer a. a. O. 206 (42) feststellt. 1.1 Salomo erwähnt er in seinen Briefen überhaupt nicht, worin ihm wiederum die Autoren der Deuteropaulinen folgen. 1.2 Zur näheren Interpretation s. neben den Kommentaren die Hinweise u. in Anm. 245. Duling, Promises 71f macht aufmerksam darauf, wie auffällig Paulus seine ergänzende Zitation aus LXX Ps 17 (MT 18) auf den v.50 beschränkt, vor der Davidsgesalbtenaussage v.51 abbricht. Diese Akzente übergeht Dietrich-Alex Koch, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums. Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus, BHTh 69, Tübingen 1986, 241f. 1.3 Ansatzpunkt der paulinischen Christusauffassung sind also die im Duktus von 2.1.3.3 zu 2.2.1.3 entwickelten semantischen Grundkategorien des Gesalbtenbegriffs vor 18

276

Grundlegung

Ein nochmaliger Blick auf Rom l,3f vertieft. In der paulinischen Aneignung der dortigen Formel bleibt die davidische Herkunft Jesu eine Aussage κατά σάρκα, die kein weiteres Prädikat an sich zieht. 194 Die mit der Auferstehung öffentlich deklarierte195 Gottessohnschaft dagegen ruft als Würdezusammenhang κατά πνεΟμα άγιωσύνης nach einer aller, etwa herrscherlichen, Spezifikation. Ihr Zielpunkt ist die Soteriologie, was nicht zuletzt den unter 1.2.5.1 beobachteten Vorgang verständlich macht, daß im durch Paulus angeregten Schrifttum Christi Gesalbtersein und Gottes Gütigsein bis ins itazistische Wortspiel Χριστός-Χρηστός zusammenrucken. Daß mit diesen Hinweisen der paulinische Befund (und seine Wirkung) nur angerissen ist, braucht kaum gesagt zu werden. Er ist - das sei ergänzt - schon im ältesten Brief, dem 1 Thess, voll angelegt: Das Geschehen Gottes durch (διά) unseren Herrn Jesus, den Gesalbten, zielt nach 5,9 „zur Durchsetzung der Rettung" (εις περιποίηση· σωτηρίας, betont gegenüber „Zorn" gesetzt). In der Forschung ist erwogen worden, diese Passage gehöre zusammen mit der nachfolgenden Sterbeformel („er starb für uns" v.lOa) in vorpaulinische Tradition (vgl. Harnisch, Existenz 124; Havener, 1 Thessalonians 115 [dort 117ff nur Abweisung der größeren Rekonstruktion eines vorpaulinischen Bekenntnisses durch Harnisch]). Ist dies der Fall, dann finden wir vorpaulinisch bereits den Schritt von der Christos-Sterbeformel (zu ihr unter 2.2.7) zur Interpretation mit Rettungsmotivik. Paulus führte uns vornehmlich in die Entfaltung dieses sehr alt begründeten Christos-Verständnisses. Innerhalb der Paulusbriefe läßt sich von fortschreitender Entfaltung sprechen. In deren Gang verdichtet sich, was 1 Thess 5,9f beginnt, über z.B. Gal 3,13 (dazu unter 2.2.7) bis zur zentralen Versöhnungspassage Rom 5,1-11 (zu ihr zuletzt Breytenbach, Versöhnung 143-172 u.ö. [Lit.]): Die Christos-Formel (v.8) drängt zu Rechtfertigungs-, Rettungs- und Versöhnungsaussagen (w.9f), bestimmt sich so als Kristallisationspunkt paulinischer Theologie überhaupt. Interessant ist schließlich, daß das σωτήρ-Prädikat bei Paulus erst spät, im Phil, begegnet und auch dort nur einmal, 3,20, vor einer zu Christos führenden Titelreihe. Verband sich dieses Attribut also nicht nur um der Absetzung von paganen Soter-Kulten willen erst zögernd (und, falls 3,20 eine Formel aufgreift, zuerst nebenpaulinisch) mit dem Christosbegriff, sondern auch, weil sein Aussagekern vom Christusprädikat in sich voll vertreten wurde? Weiteres in den Kommentaren. Aus einem anderen Bildkreis wäre ergänzend 2 Kor 2,14-16a zu vergleichen; dazu Anm. 50 zu 2.2.5. 1.4 Zur näheren Interpretation s. die Kommentare. Paulus dürfte „nach dem Fleische" in der Tradition vorgefunden haben (vgl. bes. Schlier a.a.O. 211, zur Interpretation o. Anm. 186) und, ihr folgend, nicht negativ besetzen, freilich auch nicht aufwerten: Wie die Aufnahme in Rom 9,5a zeigt (dazu vgl. neben den Kommentaren Schweizer, Rom l,3f. 181 mit Anm. 5), versteht er es am ehesten neutral auf die menschliche Abstammung Jesu zielen. In Rom 9,5a formuliert Paulus die Abstammungsaussage Jesu anders als in 1,3 mit dem Gesalbtenbegriff. So geht es an dieser Stelle konkret um die Abstammung „des Gesalbten" (ό Χριστός 9,5a). Markant wiederholt Paulus dafür aber nicht „aus Davids Samen" (nach 1,3), sondern setzt „aus ihnen", den Israeliten (s. 9,4). In der weichenstellenden Eröffnung der zentralen Kapitel seines Ringens um Israel konkretisiert Paulus die Herkunft des Gesalbten (Christi) aus dem Gottesvolk nicht davidisch. Prägnanter läßt sich kaum zeigen, daß Paulus in Eigenformulierungen kein besonderes Interesse an Jesu Davidität hat. 1.5 Vgl. Schlier a.a.O. 214f und die Kommentare.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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Erläuterung durch das bei Gottes Macht seinen Ausgang nehmende έν δυνάμει und nach weiteren christologischen Prädikaten. Dies führt bei Paulus in der Explikation v.4b zu einer Würde Jesu, nun des Gesalbten, die sich unmittelbar von Gottes Herrsein ableitet.196 So ergeben Herrsein aus Gottes Gegenwart 197 und Dienerschaft um unser, der Menschen, willen zusammen das Spezifikum der paulinischen Artikulationen von Jesu Gesalbtersein. 198 Der bei Paulus noch nicht begegnende Schritt zu υιός Δαυίδ stellt sich, von den έκ σπέρματος-Aussagen kommend, als Individualisierung der Nachkommenschaftsaussage dar. Er verdichtet den Zusammenhang mit dem Stammvater David und/oder mit Salomo als dem herausragenden Sohn Davids. Vergegenwärtigen wir vorab noch einmal die Verdichtungen davidischer Sohnschaft in der jüdischen Umgebung. Eine mögliche Nuance, die Beanspruchung davidischer Herrschaftszusage, lernten wir beim Begriffsgebrauch in PsSal 17,21 kennen, eine andere um den Salomokreis. 199 Eine dritte bietet Philo,

1.6

Der Nachtrag „Jesu, des Gesalbten, des Herrn" in v.4 nach der Formel ist unumstritten, der Hinweis έν δυνάμει in der Formel wahrscheinlich paulinische Redaktion (s. die in den bisherigen Anm. angegebene Lit. und etwa das Referat bei Gerhard Friedrich, δύναμις, EWNT I, 859-867, hier 863f). Interessant ist wieder, daß δύναμις und κύριος in den besprochenen jüdisch-herrscherlich messianischen Texten bis zum Wirken des Paulus nicht zur Kennzeichnung des herrscherlichen Gesalbten dienen, und das aus gutem Grund: Kyrios ist dort unverwischbare Bezeichnung Gottes, dessen machtgebende Würde gegenüber dem Herrschergesalbten nicht eingeebnet werden darf, vielmehr als sachliches, dem Gesalbten übergeordnetes Subjekt die - bei Paulus konsequent fehlende - Grundformel χριστός κυρίου bestimmt (PsSal 17,21 usw.). Entsprechend vergißt man selbst in PsSal 17, der die irdische Machtstellung des erwarteten gesalbten Herrschers am stärksten unter den besprochenen Texten herausstellt, nicht, daß jede Dynastenmacht des Gesalbten des Herrn auf dem Herrn beruht, der der jüdischen Tradition als der Dynamisträger gilt (s. Walter Grundmann, δύναμαι κτλ., T h W N T II, 286-318, hier 292ff,296ff); sie ist vom Dynasten her gesehen daher Hoffnungsgut (PsSal 17,34a), so daß dessen Machtstellung besser mit einem anderen Prädikat - ισχύς - zu bezeichnen ist (s. PsSal 17,22.37f, ergänzend 18,7). Die etwa von Duling, Promises 73 trotz unscharfen Einbezugs von 2 Sam 7,12.14 interessant vollzogene Gegenprobe bestätigt den Befund: Für die jüdische Herrscherhoffnung herausragend wichtige Motive um Thron (vgl. 4QPB) oder Königtum (vgl. PsSal 17) fehlen umgekehrt in Röm l,3f. 1.7 Ein Aussagekreis, der sich wieder erweitern läßt: man vgl. frühnebenpaulinisch nur den Zielpunkt des Phil-Hymnus „Herr ist Jesus, der Gesalbte" (Phil 2,11; erste Hinweise z. St. unter 1.2.3 mit Anm. 64, zum Forschungsstand Nikolaus Walter, Geschichte und Mythos in der urchristlichen Präexistenzchristologie, in: Mythos und Rationalität, hg. v. H.H. Schmid, Gütersloh 1988, 224-234, hier 228ff [Lit.]).Aus ihrer Dichte erwächst der Anspruch Christi auf die Lebensführung des Apostels und der Christen, der sich bis zur Formulierung vom „Gesetz des Gesalbten (Christi)" Gal 6,2 zuspitzt: vgl. Ausblick 3 mit Anm. 60f. - Einen besonders schwierigen, eschatologisch weiterführenden Abschnitt bildet 1 Kor 15,23-28; vgl. unten Anm. 257. S. unter 2.2.4.1 (dort Anm. 55 auch die Grunddaten zur Samen-Sohn-Individualisierung).

278

Grundlegung

conf. 149. Zu Recht, schreibt er dort, würden selbst entfernte Nachkommen Davids in Worten der Offenbarung Söhne dieses gottbegnadeten Sängers (υιοί τοϋ τον θεόν ύμνησαντος Δαβίδ ) heißen, denn hier wäre die Entstehung der guten Seelen - nicht der vergänglichen Körper - auf David als alten Führer der Rechtschaffenheit zurückgeführt. Physische Genealogie dient als Ansatzpunkt eines ethisch-theonomen Geschlechtszusammenhangs ohne messianischen Ton. 200 D e r vortitular-genealogische Begriffsansatz erklärt einen auffälligen Befund bei Mt: N a c h 1,1 rekonstruiert M t einen Stammbaum Jesu, der - beginnend bei Abraham - über David z u Josef führt (1,2-16), an seinem Schlußpunkt somit Josef - und nur g e b r o c h e n Jesus, den S o h n M a rias - als Davididen ausweist. In genealogischer Individualisierung redet darauf 1,20 der Engel des Herrn Josef als D a v i d s s o h n an, lange bevor Jesus das erste Mal eine solche Anrede erfährt (9,27). 2 0 1 Josef wird also zuerst von der positiven davidischen Assoziationssphäre und der D a v i d s s o h n b e z e i c h n u n g erfaßt. Deren Proprium liegt hier an einem dritten Punkt neben Philos Orientierung an David, dem Sänger, und - trotz Mt 1,6 - der PsSal-Vorstellung Davids als Modell für einen neuen davidischen Königsgesalbten. Denn Josef ist Weisungsempfänger, keine herrscherliche Figur und kein Sänger: Josefs Genealogie ermöglicht die A n k n ü p f u n g an alte davidische Verheißung, die sich zur D e u t u n g v o n Jesu Geburt und Person eignet. D e r Engel bringt sie in w . 2 0 b - 2 3 mit d e m Jesajawort an Ahas ein, in dem Jesaja seiner Unheilsansage die Geburt eines Kindes „Gott ist mit uns" kontrastierte (Jes 7,14). In die R e z e p t i o n dieses Textes trägt M t den Gesalbtenbegriff nicht ein. N u r über die Vermittlung, daß der Jesus Christus heiße (1,16), nicht als unmittelbar davidische Aussage, erfahren wir s o „Gott mit uns" als D i m e n s i o n auch des Christusprädikats bei Mt. 2 0 2

200 Ein erneuter Hinweis, daß wir die Davidssohnaussagen des 1. Jh. n.Chr. nicht übergreifend von PsSal 17 ableiten dürfen. - Die Philostelle wird in der Lit. nur am Rande gestreift, z.B. Mudiso Mbä Mundla, Streitgespräche 278. 201 Der Befund irritiert die Forschung oft eher, als von ihr positiv aufgenommen zu werden (etwa bei Albert Fuchs, Sprachliche Untersuchungen zu Matthäus und Lukas. Ein Beitrag zur Quellenkritik, AnBib 49, Rom 1971, 96; vgl. aber Stendahl, Quis et Unde 102 nach 95). Tatum, Jesus Messiah überspielt ihn, um eine These des Triumphes davidischen Messianismus in Mt l(-4) durchführen zu können (Erg.534f). Jacques Masson, Jesus fils de David dans les genealogies de saint Mathieu et saint Luc, Paris 1982 (Diss. Rom) ebnet ihn (ohne gesonderte Behandlung) bis 473ff in ein apologetisch historisierendes Genealogiegesamtbild ein. 202 Zum aufgenommenen Schlüsseltext bei Jesaja s. die in Anm. 8 zu 2.1.1 angegebene Lit., zur Textaneignung bei Mt bes. Stendahl a. a. O. 103 (davidische, nicht streng messianische Tradition) und Soares Prabhu, Formula Quotations 229-253. Übergreifende Aspekte zum Zusammenhang von Mt 1,1-17.18-25 bietet weiter neben den Kommenta-

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

279

Das Umfeld für die Bezeichnung Jesu als Davidssohn in den synoptischen Evangelien - nur dort begegnen wir ihr - ist also schattierungsreich. Wie steht es mit ihr selbst? Der erste Beleg der Wendung in unserem ältesten Evangelium, Mk 10,47f, bietet eine Anrede Jesu als Heiler, die Anrede des blinden Bartimäus vor Jericho „Sohn Davids, erbarm dich meiner" (so die Kurzform v.48). Eine Querlinie entsteht zur Tradition des heilenden Davidssohns. Mit dieser verzichtet unser Text gegen die herrscherliche Linie von PsSal 17f - auf ein Evozieren des Gesalbtenbegriffs. 203 Die Textgestaltung bei Mk erinnert zugleich an den genealogischen Ausgangspunkt. 10,47 e r ö f f n e t n ä m l i c h mit der a u s f ü h r l i c h e n A n r e d e „ S o h n D a v i d s , Jesus" strukturgleich zur v o r a n g e h e n d e n B e k a n n t m a c h u n g d e s Bittstellers als „der S o h n d e s T i m ä u s , Bartimäus". S o e v o z i e r t die A n r e d e e i n e p a t r o n y m - g e n e a l o g i s c h e I d e n t i f i k a t i o n ( „ D a v i d i d e " ) . D i e a u f f ä l l i g e Parallelstruktur u n d der Ü b e r g a n g der B i n n e n e r z ä h l u n g in die A n r e d e „ R a b b u n i " s p r e c h e n dafür, hier einen r e d a k t i o n e l l e n V o r g a n g d e s M k z u s e h e n , o b er n u n eine E r h e b u n g Jesu z u m b e s o n d e r s b e f ä h i g t e n S o h n D a v i d s in die G e n e a l o g i e z u r ü c k n i m m t o d e r in der G e n e a l o g i e v e r d i c h t u n g n o c h nicht bis z u einer s o l c h e n f o r t g e s c h r i t t e n ist.

Auf redaktioneller Ebene ergibt sich ein interessantes Gefalle: Auf den doppelten Davidssohn-Ruf der w.47f folgt nur ein begrenztes H ö ren Jesu, nicht mehr als ein Stehenbleiben (v.49a). Erst als das Handlungssubjekt zu Jesus wechselt, bereitet sich (ab v.49) das Heilungsgeschehen vor. Der Blinde steht an dieser Stelle Jesus aber noch fern; er muß seinerseits gerufen werden (v.49). Gerufen, wirft er sein zur Grundexistenz gehörendes Kleidungstuch ab (v.50a) und signalisiert dadurch einen Existenzbruch, der sich im Eintritt in die Nachfolge v.52 erfüllt. In diesem Umbruch wechselt die Anrede v.51 zu Rabbuni (von Mk mit der Tradition belassen?). Im markinischen Gesamtgefälle des Textes gehört die Davidssohnanrede so nur zur Annäherung an Jesus.204 ren etwa Suhl, Davidssohn 62-69. Den matthäischen Akzent in 1,20 (redaktionell!) bearbeitet auch er freilich kaum. Die dortige Bezeichnung Josefs als Davidssohn verschließt den Weg, die im Evangelium folgenden Aussagen über Jesus als König (von 2,2 an) einlinig vom Davidssohngesalbten des PsSal 17 aus zu entschlüsseln. Zum Erfassen des Christosprädikats ist der Duktus von Mt 1,16 über v.18 zu v.23 wesentlich; er vermittelt dem Leser/Hörer, der Titelname Christos sei vom Namen Jesus aus zu verstehen (vgl. zu Mt 1,16 unter 1.2.2/3), und gibt ihm so den genannten Rahmen „Gott mit uns". Der Fortgang des Evangeliums füllt das (zu 11,2-6 o. unter 2.2.4.1; Weiteres u. bis Anm. 220). 203 Bei aller traditionsgeschichtlich gebotenen Vorsicht (s.o. mit Anm. 177f) bleibt die erstmals von Berger, Die königlichen Messiastraditionen 7 nach 3 herausgestellte Parallele in Testament Salomos 20,1 überaus auffällig. Die Salomotradition zu ignorieren (wie in Speziallit. bis Weber, Christologie lOlf nach 97 geschieht), geht daher nicht mehr an. 204 So der Vorschlag einer eigenen Position zum Text, dessen überlieferungs-, literarund redaktionskritischen Probleme nicht konsenshaft gelöst sind (wichtige Positionen

280

Grundlegung

Auch dies ist, wie wir sehen werden, schon die markinische Spitzenaussage zu unserem Prädikat.

Lk 18,35-43 schreitet nicht wesentlich über eine Rezeption der Mk-Perikope hinaus. Anders Mt: Er dupliziert - nach wie vor ohne Eintragung des Gesalbtenbegriffs - die Blindenheilung (9,27-31 vor 20,29-34) und ergänzt den Davidssohnbegriff in den als Dämonenaustreibungen verstandenen Heilungen des Stummen und Blinden (12,22f[.24ff]) und der Tochter der Kanaanäerin (15,21-28). Ein besonderes matthäisches Interesse am Davidssohnprädikat steht deshalb außer Frage. Es kreist um Heilungen ohne Scheu vor exorzistischen Ausführungsweisen, 205 so daß sich die Nähe zur salomonischen Davidssohn-Exorzist/Heiler-Tradition vertieft und ausweitet. 206 Die Verteidigungs- und Zeichenreden Jesu in Mt 12,22-42 zeigen die matthäische Reflexion der Traditionsverdichtung: Die Davidssohndeutung dient, nach einer Heilung von seiten der „Mengen" eingebracht, der Einleitung (w.22f). Jesu Antworten führen in mehreren Schritten zum Schlußsatz „siehe, mehr als Salomo ist hier" (v.42). 207 Eine Uberbietungsordnung entsteht. 208 Ihr entspricht, daß das Davidssohnprädikat auch bei Mt keinen Raum in Bekenntnisartikulationen der Jünger gewinnt. 209

bieten Roloff, Kerygma 121-126; Burger, Davidssohn 42-46; Robbins, Healing bes. 227-236; Dietrich-Alex Koch, Die Bedeutung der Wundererzählungen für die Christologie des Markusevangeliums, BZNW 42, Berlin usw. 1975, 126-132 und Weber a.a.O. 98-103). Daß man nach dem erstellten Befund nur in einem weiten (christlichen) Sinn von messianischen Zügen im Text sprechen kann, braucht nicht mehr eigens betont zu werden. 205 Was die redaktionsgeschichtlichen Studien bis zum Anfang der 70er Jahre zunehmend herausarbeiteten: s. Suhl, Davidssohn 69ff (und Burger a.a.O. 90 nach 72ff). 206 Was der Forschung noch bis zur Mitte der 70er Jahre weithin unbekannt war, so Kingsbury, Son of David, Burger a.a.O. - der sich durch den nicht zum davidischen Herrschergesalbten passenden Befund immerhin schon irritieren ließ und ihn durch „mangelnde Kenntnis der jüdischen [Messias-]Vorstellung" bei Mt zu erklären suchte und Frankemölle, Jahwebund 167ff. 207 Das arbeitete nach der Frageeröffnung durch Fisher, Son of David 90ff Lövestam, Fils de David 103-105 heraus. Zum Verständnis von v.42 ist zu beachten, daß die Heilertätigkeit Salomos, wie o. beschrieben, in neutestamentlicher Zeit als Aspekt seiner Weisheit gilt, zu deren Kundwerden daher die Linie von Josephus, ant. 8,45-49 führt; vgl. Lövestam a.a.O. bes.l03f. 208 Deren Zusammenhänge mit typologischem Denken wären zu überprüfen. Zu eng greift Dulings These (Son of David bes.250), bei Mt ersetze der heilende Davidssohn Jesus den exorzistischen Davidssohn Salomo. 209 Also keinen zum Kyrios- oder Gottessohnprädikat vergleichbaren Rang erhält; vgl. bes. Suhl a.a.O. 76, auch Kingsbury a.a.O. 592f. Im Munde Jesu erscheint „Davidssohn" nicht.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

281

Gleichwohl führt Mt unser Prädikat zu einem Höhepunkt. In den bei ihm zu einer Doppelperikope zusammengebundenen Einzugs- und Tempelszenen 21,1-17 210 integriert er nach einer Selbstbezeichnung Jesu als Kyrios (21,3) die Davidssohn-Heiler- mit der Davidssohn-König-Linie in eigener Akzentuierung. Dem Hosanna-Zuruf an den Sohn Davids beim Einzug, der 21,9 zu einem ersten Anklang des Hilfsmotivs führt, 211 setzt er ein Zitat aus dem Niedrigkeitskönigtext 212 Sach 9,9 voran, das er auf die πραύς-Demutsaussage zentriert (w.4f). 2 1 3 Nicht zum Königspalast zieht sodann der auf „Esel und Fohlen" eines unköniglich dem Arbeitsjoch unterworfenen Tiers (ύποζύγιον) Kommende. Vielmehr begibt er, der nach wie vor nicht als Gesalbter Bezeichnete, 214 sich zum Tempel, wo er sich nach der Reinigung als Heiler erweist (v.14). Als Heiler erfährt er aus dem Munde der Gott lobenden unmündigen Kinder (vgl. v.16) die Wiederholung der Akklamation 215 „Hosanna dem Sohne Davids" (v. 15). 216 Der salomonischen wie der herrscherlichen Davidssohn-Erwartung des Judentums gegenüber entsteht ein Drittes: 210 Nicht nur der Zeit- und Raumvorgang bindet beide Perikopen zusammen - Jesus kommt vom Olberg, also der Tempelseite der Stadt, nach Jerusalem und verläßt die Stadt nach dem unmittelbar zusammenhängenden Einzugs- und Tempelgeschehen wieder in der gleichen Richtung (21,1.17) -, selbst die Bewegung des Einziehens ist für Jerusalem und den Tempel mit derselben Verbkonstruktion (είσέρχεσθαι εις w.10.12) ausgedrückt; vgl. ergänzend Duling a . a . O . 405. 211 „Hosanna" (Kl ny'tnn) ist im semantischen Kern eine Bitte um Hilfe, die zwar seit Mk 11,9 auf einen Huldigungsruf akzentuiert ist, aber dadurch ihre semantische Grundbedeutung nicht gänzlich verliert (vgl. Burger a . a . O . 47f). 212 S.o. unter 2.1.1.4. 213 Diesen matthäischen Akzent sicherte bereits die frühe redaktionsgeschichtliche Forschung (s. Barth in Bornkamm/Barth/Held, Matthäusevangelium 12lf). Nur eines ist inzwischen zu präzisieren: Daß Mt neben dem Gerechtigkeitsmotiv - das eine Linie zu PsSal 17,37; 18,7 hätte herstellen können - auch das Rettermotiv der L X X nicht aufgriff, hat seinen einfachen Grund darin, daß erst eine christliche Rezension nach Mt letzteres in die L X X eintrug (s.o. unter 2.1.1.5 mit Anm. 127). 214 Hier liegt die Pointe des redaktionell retardierenden Verses 21,11: Auf Kosten einer harten Antiklimax zu 21,1-10 (vgl. - bei allerdings überspitzt triumphalem Verständnis der w.7ff - Soares Prabhu, Formula Quotations 156 nach 148ff; dort Redaktionsnachweis) zeigt Mt, daß „die Mengen" aus dem Einzug mit der Davidssohnakklamation keinen hoheitsköniglich-messianischen Schluß ziehen. Weiterhin hinter christlichem Bekenntnis zurückbleibend - προφήτης ist für Mt kein voll christlich-christologischer Titel (s. a . a . O . mit der dortigen Lit.) - , erwägen sie vielmehr nur Jesu Prophetentum (vgl. 16,14 par). 215 Diese Wiederholung spätestens zeigt, daß „Sohn Davids" auch 21,9 nicht allein von „der politischen Messias-Erwartung" aus entwickelt ist (zu zuletzt Sauer, Messias-Erwartung 84f vor 86). 216 Vgl. zur Interpretation bes. Duling a. a. Ο. 404f. Daß Mt seine Fassung des Hosannarufes der christlichen Liturgie entnommen habe (Helmut Köster, Synoptische Uberlieferung bei den Apostolischen Vätern, T U 65, Berlin 1957, 197), ist abzuweisen; dort wird uns eine bemerkenswerte Variante begegnen (Did 10,6: s.u.).

282

Grundlegung

das Bild eines niedrigkeitsköniglichen Helfers/Heilers davidischer Familienherkunft, der gerade in seiner Niedrigkeit mehr ist als David und Salomo und mit Recht als „Herr" (Kyrios) bezeichnet wird. Die mt Fassung der Davidssohnfrage schließt in 22,41-46 den Zusammenhang. In ihr begegnen einander das christologische Gesalbtenund das Davidssohnprädikat nach dem Themaanriß in 1,1 zum ersten Mal,217 klärt sich also für das Mt ihr Verhältnis: Die Behauptung, der Gesalbte sei der Sohn Davids (v.42), bedarf der Erläuterung, inwiefern (πώς) er dies sei (v.45b). An solcher Erläuterung versagen die pharisäischen Zuhörer Jesu (v.46a). Auch Jesus bringt sie nicht ein. Von ihm autorisiert wird allein die Korrektur und Weiterführung, der Gesalbte sei Herr einschließlich Herr Davids (w.43-45a nach Ps 110,1).218 Nur eine in dieser Weise präzisisierte oder besser überbotene Davidssohnaussage ist demnach für Mt christologisch zureichend. Von der Vorschaltung der Davidssohnschaft Josefs über die Aufwertung der Davidssohnanrede Jesu in ihrer Helfer/Heiler-Dimension 219 bis zur zurückhaltenden Gestaltung der Davidssohnfrage entsteht - suchen wir zu bündeln - bei Mt ein davidischer Bezugsrahmen des Gesalbtenprädikats Jesu, aber ein Bezugsrahmen, der es nicht erschöpft und nicht voll bestimmt: „Der Gesalbte" verbindet sich aufgrund Jesu Herkunft mit der davidischen Verheißung, doch nicht von der Vorstellung eines davidischen Königsgesalbten nach PsSal 17 (o.ä.) aus, vielmehr vermittelt durch die Grunddeutung Jesu nach der ohne Gesalbtenbegriff aufgenommenen Ansage Jes 7,14 „Gott ist mit uns" (1,23). Wo es um sein Helfen und Heilen geht, ist eine Annäherung aus Salomo-Davidssohntradition möglich (zwischen 9,27-31 und 21,15), aber ausschließlich eine Annäherung. Wo Jesus selbst gefragt wird, zitiert er David nicht zum Beleg, daß der Gesalbte sein Sohn, sondern daß er sein Herr sei (22,41-46). In der Schlüsselperikope über die „Werke des Gesalbten", in Mt 11,2-6, erscheint das Gesalbtenprädikat sogar absolut, ohne davidischen Bezug. „Der Gesalbte" als Hoheit und rettendes Wirken ansprechendes Prädikat Jesu erschließt sich so auch bei Mt zu-

217

Was problematisch macht, zu den besprochenen vorangehenden Perikopen „messianische" Deutungen zu geben: Selbst die ansonsten wichtige Exegese von Trilling zu Mt 21,1-17 erhält dadurch eine begriffliche Unscharfe (Einzug 304ff). 218 Vgl. zur Interpretation bes. die von Suhl a.a.O. 60f über Burger a.a.O. 87-90 zu Duling a.a.O. 405ff führende Forschungslinie. Gegen Frankemölle a.a.O. 168f wird Jesus nicht gleichermaßen als Kyrios und - emphatisch messianisch - Davidssohn qualifiziert. 219 Die Suhl in ihr eine Explikation des Immanuelworts Mt 1,23 erblicken ließ (a.a.O. 76 nach 62-68).

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

283

erst aus dessen einzigartigem Gottesbezug. Der davidische Bezug dient, was dieses Prädikat angeht, weniger der Ableitung als der Vertiefung. 220 Bei aller Zurückhaltung in der davidischen Vertiefung geht das Mt schon über seine Quellen hinaus: Die Logienquelle bietet das Davidssohnprädikat kein einziges Mal, und das Mk, auf das wir nun zurückkommen müssen, in einer absteigenden Linie. Nach vorn isoliert es die besprochene Davidssohnanrede Jesu durch den blinden Bartimäus (10,47f) im Verzicht auf eine ausgeführte Genealogie. 221 Nach hinten stellt es ihr die Einebnung aller individuellen Davidssohnschaft im Ruf des Volkes beim Einzug Jesu in Jerusalem gegenüber, nun komme „die Herrschaft unseres Vaters David" (11,10a). 222 220

Signifikant ist 1,1 Christos vor „Sohn Davids" und „Sohn Abrahams" gestellt: Es ist die von Mt vor alle - vertiefende - Genealogie als Ausgangspunkt gesetzte Aussage. Zu Mt 1 s.o. bei Anm. 202, zu Mt 11,2-6 unter 2.2.4.1. Das Christos-Verständnis des Mt insgesamt zu behandeln, übersteigt den Raum vorliegender Arbeit. Die nicht angeführten Aspekte erweitern die Perspektive: Zu bekennen ist Jesus, der Gesalbte, wie als Herr nach 16,16 als „Sohn Gottes" (durch 16,17 äußerst hervorgehoben); letzteres ist nach den Ausführungen unter 2.2.4.1 wiederum ein Prädikat, das die Entwicklung der davidischen Gesalbtenvorstellung bis zur neutestamentlichen Zeit theonom überbietet und überspringt. Für die Christen ist der Gesalbte weiter ein neuer, spezifisch matthäischer Akzent - „der eine Lehrer" (23,8.10). Er bestimmt ihr Leben also durch sein Wirken (s. 11,2-6) und Lehren. Die Auseinandersetzung mit den Hohenpriestern schließt den theonomen Bezug eschatologisch: er werde „bald zu Gott erhöht sein und von dort [...] als Richter kommen" (26,63f nach der Deutung durch Ingo Broer, Der Prozeß gegen Jesus nach Matthäus, in: Josef Blank u. a., Der Prozeß gegen Jesus [...], Q D 112, Freiburg usw. 1988, 84-110, hier 94; die Verbindung Messias-Menschensohn ist nicht durch jüdische Messiastradition vorgegeben [vgl. unter 2.2.4.2]). Die Lit. zu Mt ist vielfältig und verschiedenartig. Einige war bei den bisherigen Besprechungen anzuführen; ergänzend wären etwa Lloyd Gaston, The Messiah of Israel as Teacher of the Gentiles [...], Interp. 24, 1975, 24-40; Nolan, Son of God; Kingsbury, Theology 336f (dort Angabe seiner weiteren Arbeiten zum Thema) und Heinz Geist, Menschensohn und Gemeinde [...], fzb 57, Würzburg 1986, 373-382(ff) zu nennen (je weitere Lit.). 221

Eine Genealogie wie die des Mt fehlt. Einzige Davidserwähnung vor unserer Stelle ist 2,25(f), worauf 2,27f aber nicht genealogisch, sondern in einem Menschensohnwort schließen. Breiter sieht das Mk jede familiäre Bindung Jesu durch Jesus relativiert (3,31-35;vgl.6,3f); vgl. Weber, Christologie 106f. 222 Die überlieferungsgeschichtlichen Fragen unserer Perikope sind schwierig. In jedem Fall aber ist v.lOa, da die Aussage „unser Vater David" dem o. bis Philo skizzierten jüdischen Bewußtsein besonderer Davididengenealogie widerspricht, der Akklamation von v.9 erst im Lauf der christlichen Uberlieferung zugewachsen (s. Burger, Davidssohn 50). Der älteste Kern mag im Duktus der w.(l*.)8-9.(10b.)l 1 den in den Tempel einziehenden besonderen Pilger vor Augen gehabt haben, greift v.9b doch auf den Pilgerpsalm 118 (w.25f) zurück (vgl. Hahn, Hoheitstitel 172f und - offener, aber mit wichtigen Hinweisen zum Fehlen messianischer Interpretation des Ps 118 im Frühjudentum - Burger a.a.O. 48f). In diesem Duktus spielt ein Reittier keine Rolle, so daß auch die Reittierszene der w.2-7 (mit bemerkenswerten Parallelen in 14,12-16) erst im Lauf der Überlieferung angewachsen sein könnte (mit gesondertem historischem Kern?: vgl. Hermann

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Grundlegung

Jesus, der auch hier nicht als Gesalbter bezeichnet wird, antwortet auf diesen Ruf weder verbal noch in einer Königstat, verläßt vielmehr Jerusalem wieder, nachdem er sich lediglich „umblickte" ( v . l l ) . Ein bewußt enttäuschender Schluß der Perikope entsteht mk, ein unüberhörbares Signal, der Ruf des Volkes gehe in falsche Richtung; 223 es bediene sich des Jubels lediglich, um Jesus in sich als die Fülle der Davidskinder hineinzuziehen, die ein neu errichtetes D a vidskönigtum erwarten, sich aber der Einzigartigkeit Jesu nicht öffnen. 2 2 4 Der Abstand zu Jesus ist vorgezeichnet, der das Volk beim Prozeß schließlich verführbar machen wird zum Schrei „Kreuzige ihn" (15,1 Iff).

Schließlich ist die den Zusammenhang abschließende Davidssohnperikope bei Mk (12,35-37a) in Streitgespräche eingebettet. Sie dient so zur streitbaren Ablehnung der feindlichen Schriftgelehrten zugesprochenen These, man könne den Christus sachgemäß als Davidssohn verstehen. Viel schärfer als bei Mt heißt es, woher (πόθεν) sollte das möglich sein, nenne David ihn doch selbst „Herr" (v.37a)?225 Patsch, Der Einzug Jesu in Jerusalem, ZThK 68, 1971, 1-26, hier 23,26). Die Anklänge dieser Szene an Sach 9,9 und Gen 49,11 sind noch sehr schwach, so daß die „Inspirationen" zur Erweiterung von dorther nicht überschätzt werden dürfen (gegen Gnilka, Markus II 114; erst Mt und Lk explizieren den Sach-Bezug). Überhaupt ist problematisch, den Text von den alttestamentlichen Anklängen her messianisch zu deuten. Denn weder Gen 49,11 (worauf sich J. Blenkinsopp, The Oracle of Judah and the Messianic Entry, JBL 80, 1961, 55-64 zu stützen sucht) noch das in heutiger Verkündigung und gesamtbiblischer Theologie wirksamere Sach 9,9 (s. etwa Gese, Messias 135ff) zogen in der besprochenen jüdischen Entwicklung bis zu unserer Zeit den Gesalbtenbegriff an sich (Sach 9,9 noch nicht einmal in den Targumen: s.o. unter 2.1.1.5). Kommen wir von daher zur überlieferungsgeschichtlichen oder spätestens markinischen Einfügung von v.lOa, so wird der Akzent des dortigen Plurals „unser Vater David" unüberhörbar: Das Volk artikuliert nach der Erinnerung der überlieferungstragenden Christen seine Erwartung in einer Variante der unter 2.2.4.1 besprochenen zeitgenössischen Davidshoffnung, ohne sich wirklich an Jesus auszurichten (anders die Forschungslinie bis Weber, Christologie 103f). 223 Man beachte, wie isoliert Jesus schon ab v.ll a erscheint - nur in der 3. Pers. sing., also von keinerlei Begleitung ist mehr die Rede. Die Signale von v.ll scheinen uns stärker zu bewerten als in der Breite der Forschung (auch Burger a.a.O. 51 und Gnilka a.a.O. 118f)224 Prägnant spiegelt dies die grammatische Struktur des Fortgangs von v.9b zu 10a: 9b ist personal orientiert (3. Pers. mask.), 10a dagegen wendet sich zur ersehnten Sache; die Basileia Davids wird Subjekt. Dabei kann in vorliegender Interpretation offenbleiben, wieweit erst Mk diesen Akzent setzte, wieweit er ihn aus vorhergehender christlicher Uberlieferung übernahm. 225 Das abweisende Verständnis des Textes eröffnete Wrede, Davidssohn 171ff (interpretierte nur abschließend - vor Beginn der redaktionsgeschichtlichen Forschung - 174ff von Mt aus). Am prägnantesten begründete es Suhl a.a.O. 57-61 (vgl. danach z.B. Weber a.a.O. 105f), während Burger es a.a.O. 56f mit fraglichen Prämissen verband. - Mudiso Mba Mundla überspielt den (Streitgespräche 248,290 von ihm) erkannten relativierenden Charakter des πόθεν und konstruiert (a. a. O. 296f) einen Zusammenhang, nach dem Mk das Davidssohnprädikat akzeptiert habe, wenn auch - angeblich nichtjüdisch - zum „Friedenskönig von Sach 9,9" korrigiert.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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Alle Texte stehen am Übergang von Jesu Wirken zur Passion und dokumentieren damit, daß nur, wer wie Bartimäus Jesu Ruf hört und den Sprung von der Davidssohnanrede in die Nachfolge vollzieht, der schuldhaften Verstrickung ins Passionsgeschehen entgeht. 226

In diesem Duktus ist die Abweisung einer herrscherlichen Messianität Jesu in Linie des Davidssohn-Gesalbten von PsSal 17 impliziert, und es fragt sich, wieweit sich diese Auffassung der Davidssohnfrage zurückverfolgen läßt. Literar- und Überlieferungskritik führen zu aufschlußreichen Ergebnissen: Nach Ablösung aus dem markinischen Kontext und Rahmen - als welcher sich in Wortschatz- und Stilanalyse die w.35a.37b erweisen 227 - verliert die Perikope ihren Streitgesprächcharakter und ihre (markinische) Verankerung im Wirken Jesu, enthüllt sie sich als in der frühen Gemeinde entstandene Reflexion, in der man den Umgang mit der schon damals Schriftgelehrten zugesprochenen These sucht, der Christos sei Davids Sohn. 228 ό Χριστός steht dabei als personale Identifikation ohne ein determinierendes Begleitnomen, läßt so die Christusbezeichnung Jesu mithören. 229 Zugleich stellt die schriftgelehrte Verbindung Gesalbter-Davidssohn einen spezifischen TradiMt erreicht den o. skizzierten freundlicheren Ton der Perikope, indem er Jesus und nicht mehr die Gegner die Ausgangsfrage, wessen Sohn der Gesalbte sei, stellen läßt (22,42) und die Partikel der Schlußfrage v.45 ändert. So entsteht ein Zug zum überlegenoffenen Gespräch Jesu mit Gegnern, freilich - und das erlaubt Mt, den markinischen Ort der Perikope vor einer Schriftgelehrten- und Pharisäerkritik beizubehalten - zu einem scheiternden (vgl. o.). 226 Die Schlüsselstellung der Bartimäusperikope vor dem Einzug nach Jerusalem ist also von Mk bewußt gewählt (wenn auch anders als bei Mudiso Mbä Mundla a.a.O. 296f und Robbins, Healing 24Iff zu interpretieren; wichtig dagegen der hervorgehobene Hinweis bei Koch am Anm. 204 a.0.131, das markinisch-redaktionelle εν τη όδφ ziehe Bartimäus in eine „Nachfolge in die Passion"). Vielleicht läßt sich das Moment der Scheidung zwischen Jesus Hörenden und ihn lediglich Herausfordernden sogar noch in die Mk-Redaktion der Davidssohnfrage verfolgen: Mudiso Mbä Mundla stellt (vorbereitet durch Neugebauer, Davidssohnfrage 82f) a.a.O. 294f heraus, daß Mk mit seinem Rahmen w.35a.37b (bei ihm c) Lehrakzente setze, die im die Lehre hörenden Volk „die christliche Gemeinde" den kritisch gesehenen Schriftgelehrten kontrastiere. Mt übernimmt das nicht. 227 S. Mudiso Mbä Mundla a.a.O. 234-237 (dort 37b als 37c). 228 Einziges personal zugewiesenes Zitat bleibt das der Schriftgelehrten in v.35b. Alles andere ist in der 3. Person gehalten. So ist die Entscheidung gegen einen Haftpunkt im Auftreten und Wirken Jesu zwingend (mit dem Hauptstrom kritischer Forschung seit Wrede a.a.O. 167-17Iff bis Mudiso Mbä Mundla a.a.O. 292-294). Näherhin verweist die LXX-nahe Zitation von Ps 110,1 auf die hellenistische frühe Gemeinde (s. Gnilka a.a.O. 169). 229 Bei Zuschreibung an Jesus müßte dieser hier über sich selbst in dritter Person als „den Gesalbten", „ihn" (35b.37a) gesprochen haben, was etwa Fitzmyer, Son of David 124f ungenügend berücksichtigt. Hay, Glory 110ff hört Jesus tatsächlich von einer dritten Person, dem als Herrn kommenden Menschensohn (welcher Begriff im Text fehlt!), reden.

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Grundlegung

tionsbezug her, nämlich zu PsSal 17, da dort bislang allein unter überlieferten Quellen der Gesalbtenbegriff mit „Sohn Davids" verbunden wurde. 230 Die Entscheidung, wie unser Kerntext die Verbindung beurteilt, hängt an der Formbestimmung. Am freundlichsten fällt sie aus, wenn man in ihm eine haggadische Antinomiefrage sieht, die widersprüchliche Schriftworte zusammenstellt und beide, nur unterschiedlich bezogen, gültig sein läßt.231 Doch wird man bei unserem Text nicht so weit gehen dürfen, da er vor der positiven Lösung abbricht.232 Ein Debatteoder Streitelement, das die Davidssohnschaft stärker relativiert, ist nicht eliminierbar.233 Auch wenn man keine volle Ablehnung hört, wird ihr nicht mehr als partielle, für den Christusglauben irrelevante Richtigkeit beigemessen. Der Ton liegt auf dem Kyriosprädikat nach Ps 110,1, das eine über die jüdische Herrschergesalbtenerwartung hinausgehende Vorstellung vom Christos als „Herrn" ausprägt.234 Nur unter deren Vorzeichen lassen sich (nachmals) die PsSal christlich rezipieren. 235 Die Grundlinie des neutestamentlichen Befundes zeichnet sich ab: Jesu Davidssohnschaft ist kein forciertes Theologumenon, sondern ein 230 Die herrscherlich-davidische Akzentuierung unseres Textes ist Konsens der Forschung. 231 S. bes. Jeremias, Theologie 247 nach Daube, New Testament 163; vgl. zuletzt Juel, Messianic Exegesis 142f. 232 Auf eine Verteilung der Prädikate Irdischer/Inthronisierter (Jeremias a. a. O. u. a.), auf eine implizite Zweistufenchristologie im Sinn von Rom l,3f (Hahn, Hoheitstitel 261f) o. ä. zu schließen (Variantenreferat bei Burger, Davidssohn 54f), verliert durch letzteres sichere Anhaltspunkte. 233 Vgl. die Formbestimmungen bei Schneider, Davidssohnfrage 87 und Gnilka a.a.O. 169; bei ersterem 66-81 Forschungsreferat. 234 Bezeichnend dafür ist, daß der das entscheidende Glied der christlichen Reflexion bildende Ps 110 der jüdisch-herrscherlichen Gesalbtenerwartung nicht nur bis zu unserer Zeit, sondern noch weit darüber hinaus unverbunden blieb. Bis zur Mitte des 3. Jh. und selbst in den Hagiographentargumen danach (s. Levey, Messiah 122) brachte man ihn vielmehr stets mit geschichtlichen Einzelgestalten wie Abraham, Hiskija, David (soweit die Belege bei Bill. IV/1, 453-457) und vielleicht Ijob (TestHiob 33,3; von Hay a.a.O. 19-25 zusätzlich ins Spiel gebracht) in Verbindung, was auf seine Weise übrigens einen sinnvollen Rahmen für die all solche Bezüge in der singulären Gestalt Jesu überboten sehende christliche Psalmrezeption bietet. - Auf keinerlei positive Textevidenz gestützt, begründete Billerbeck die These, das Judentum habe erst im Gegenüber zum Christentum auf eine vorher vorhandene und daher fürs Neue Testament maßgebliche messianische Interpretation unseres Psalms verzichtet (a.a.O. 458ff; wirkend bis zum exegetischen Sprung bei Hay a.a.O. 29f und W.R.G. Loader, Christ at the Right Hand - Ps CX.l in the New Testament, NTS 24, 1977/78, 199-217, hier 199f). 235 Wie in Anm. 58 besprochen, liest die christliche Uberlieferung in PsSal 17,32 als Vorzeichen für die folgende Übernahme der Grundverbindung „Gesalbter des Herrn" (18,Superscriptio.5.7) χριστός κύριος, „Christus der Herr". Wie früh diese Aneignung positiv erfolgte, läßt sich nicht feststellen. Immerhin setzt Justin I apol. 55,4f die analoge χριστός κύριος-Variante für T h r 4,20 voraus.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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interpretatorisch durch die Überlieferung von Jesu Herkunft und jüdische Traditionen evozierter Block, bei dessen Aneignung verschiedene Akzente, doch nie eine Überhöhung entstehen. Lukas bietet eine weitere Nuance, wenn er einerseits zwar über Mk hinaus wie Mt eine davidische Genealogie Jesu nachträgt (Lk 3,23-37 nach 1,32), wie Mt auch die Davidssohnfrage (Lk 20,41-44) etwas entschärft,236 andererseits im Stammbaum die königliche Dimension aufs äußerste reduziert - Jesus geht für ihn nicht auf die David-SalomoKönigslinie, sondern auf eine davidische Seitenlinie zurück 237 - und die Davidssohnbezeichnung Jesu im gesamten Doppelwerk nicht über Mk hinaus expandiert. Den Grund für letzteres enthüllt Act 4,25: Im Verständnis der lukanischen Gemeinde berufen sich in christlicher Radikalisierung der bis Philo grundgelegten Spiritualisierung der Sohnschaft Davids, des Sängers, alle Gott lobpreisenden Christen auf diesen als ihren Vater. 238 „Davidssohn" kann damit auch bei diesem letzten neutestamentlichen Zeugen unseres Ausdrucks nicht zu einem für christologisches Bekenntnis relevanten Titel werden. 239 Außerhalb des engeren Titelgebrauchs liegen die Akzente von Joh und Apk. Ersteres spielt auf die davidische Herkunft Jesu nur in einer kritischen Frage jüdischer Zweifler an (7,42). Sonst schweigt es über den Komplex, sieht in ihm also mit Sicherheit kein wichtiges positives Anliegen. Aufgrund der Eigenart der Formulierung in 7,42 wird man noch weitergehen dürfen: Deren Rahmen seit v.40 ist redaktionell joh, 240 und das, was zu unserem Punkt angeblich die Schrift sagt - der Christus müsse έκ [τοϋ]241 σπέρματος Δαυίδ sein - , ist kein Zitat der Schrift in ihrem vorchristlichen Bestand. Vielmehr ist es die Grundformulierung der Herkunft Jesu in christlichen Schriften seit der Formel von Rom l,3f, 242 so daß die seit Wrede 2 4 3 viel erwogene Frage, ob der Evangelist um die

236

Nämlich zur „Wie"-Frage: v.44 par Mt 22,45. Dazu bes. Voß, Christologie 69 und Burger a.a.O. 119. 238 Dieser Akzent in Act 4,25, der bei allen Abweichungen der Hss. nur vom westlichen Text nicht getragen wird, wird in der Lit. in der Regel nur gestreift (vgl. immerhin Rudolf Pesch, Die Apostelgeschichte I, EKK V/1, Neukirchen-Vluyn 1986, 176); zu Philo vgl. o. bei Anm. 199. 239 Bezeichnend verzichtet Lk in seiner einschneidenden Korrektur der Einzugsperikope (19,28-40), die den Einzugsjubel Jüngern in den Mund legt (w.37f), trotz der Neueinführung des Königstitels auf unser Prädikat und jeden davidischen Hinweis; nicht daß ein davidischer, sondern daß ein König „im Namen des Herrn" kommt, ist ihm vorrangig (auch 1,32). - Eine Parallele zum Zug Salomos vom Gihon in die Stadt nach dessen Salbung (1 Kön 1,33-40) entsteht nicht (gegen Fernandez Marcos, uncion). Weiteres bei Soares Prabhu, Formula Quotations 144ff, zur Davidssohnbezeichnung bei Lk insgesamt Voß a.a.O. 65-72 und Burger a.a.O. 107-127 (anders Kränkl, Jesus 85-87). 240 S. schon Bultmann, Johannes 230 Anm. 5. 241 Der Artikel wird u. a. von p " ausgelassen. 242 v g i . q D i e s e Verbindungslinie bestätigt den in der Forschung meist nur allgemein 237

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Grundlegung

christliche Überlieferung von Jesu davidischer Herkunft wisse, positiv zu bescheiden ist. Die Antwort auf den (angeblichen) jüdischen Einspruch unterbleibt im Joh nicht, weil der Evangelist nicht antworten kann, sondern weil er nicht zu antworten braucht und nicht antworten will. Seinen christlichen Lesern gibt er zu ihrem „schrift"-gemäßen Wissen das Signal: Christi (des Gesalbten) Davidität ist allein für die relevant, die seine Würde in Frage stellen, nicht für die, die glauben. Für sie entstünde, wenn sie auf solche Infragestellungen antworteten, die Gefahr, sich auf falsche Kriterien einzulassen. D e n n Christi Würde ist anders, von seinem Kommen von Gott her (seit Joh 1) zu entfalten. 244 Anders liegt der Akzent der Apk und geht doch auf seine Weise gleichfalls über alle etwaige Autorität Davids hinaus. D e n n der zur Öffnung von Gottes versiegelter Buchrolle befähigte Löwe aus dem Stamm Juda, auf dessen alle Wesen überbietende Befähigung und Würde der Seher Johannes in der Mitteilung seiner Visionen verweist, ist genauer nicht Sproß, sondern Wurzel (ρίζα) Davids (5,5;22,16b) und umfassender Träger von dessen Geschlecht (22,16b). 245 Er

geäußerten „Verdacht", der angebliche jüdische Einspruch setze „christliche Überlieferung voraus" (Burger a.a.O. 156). 245 Wrede, Davidssohn 173f. 244 Ein Stück Ironie wird man also - mit einer von Schnackenburg, Messiasfrage 250 vertretenen Forschungslinie - an unserer Stelle nicht überhören können. Zugleich sind wesentliche Impulse der Interpretation Bultmanns - der Evangelist zeige, „daß die [sei. herrscherlich messianische] Dogmatik den Weg zu Jesus verbaut" (a.a.O. 231) - aufzunehmen (die Bultmann a.a.O. Anm. 2 nur partiell relativiert). Daß der Text sich gegen christliche „Kunde von der [...] Davidsabkunft Jesu" wende (Burger a.a.O. 157f), ist nicht verifizierbar, so gewiß er das Gewicht christlichen Wissens über Jesu Herkunft relativiert (vgl. Michaelis, Davidssohnschaft 330). - Auf die Joh 7,42 überdies angesprochene Verankerung der Betlehemgeburt des Gesalbten (Christi) wird Anm. 105 zu Ausblick 3 einzugehen sein. 245 Bis heute ist in der antiken Literatur nur ein einziger Beleg gefunden, an dem ρίζα von seiner Grundbedeutung Wurzel zu Sproß umschlagen mag, nämlich 1 Makk 1,10 (falls dort nicht ein zu Dtn 29,17 verwandter übertragener Sinn „sündenträchtige Wurzel" vorliegt; die von Christian Maurer s.v., T h W N T VI 985-990, hier 985 beigefügte Stelle Sophokles, Ant. 600 spricht nicht von einem letzten Sproß des Hauses Ödipus', sondern von der letzten in diesem Hause verbliebenen, nun auch hinweggerafften Wurzel). Die Verbindung mit τό γένος in Apk 22,16 schließt, da sie keine Relativierung auf einen Einzelnachfahren erlaubt, eine solche Sproßdeutung für die Apk aus. Nicht nur in der allgemeinen Lit. (wie Schneider, Sohn Davids 252), auch in der Speziallit. (z. B. Comblin, Christ 179) wird das - wohl als Spätfolge des unter 1.1.1 mit Anm. 18 angesprochenen Interpretationsumschwungs um 1600 - in der Regel nur entschärft wahrgenommen. Dabei weist es der Apk einen prägnanten Platz in der Rezeptionsgeschichte von Jes 11,10 zu: Jes 11,10 entstand nach dem Konsens der Forschung als Ergänzung des bis dahin vorliegenden (schon einmal gewachsenen?) Textes von Jes 11,1-9. In der Einleitung „an jenem Tag" bringt es einen eschatologischen Akzent ein, der die in der Forschung bis Wildberger, Jesaja I 458f (und wohl Werner, Jesaja 164f) dominante königlich-messianische Auslegung provozierte, aber genauer nicht dorthin führt. Denn Subjekt des Satzes ist (s. Maurer a.a.O. 986,48) die weit vor jeder Königs- oder Gesalbtenverdichtung liegende Nominalverbindung 'P' BIP, so daß zu übersetzen ist, an jenem Tage werde die Wurzel Isais sein; dastehend zum hochragenden Feldzeichen für die Völker, würden sich die Na-

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besitzt 3,7b den Schlüssel Davids (vgl. Jes 22,20ff) in neuer Weise, nämlich als Träger der Heiligkeit und Wahrhaftigkeit Gottes, 246 aus der er den Zugang tionen suchend an sie wenden, und sie hätte als ihre Wohnung Herrlichkeit (korrekt Luthers unrevidierte Ubersetzung). Das Bild erschließt sich als gezieltes Gegenbild des Ergänzers gegen alte Aussagen Jesajas: Aus 11,1 ist nur das Wurzel-, nicht das individual personalisierende Schößling-Motiv aufgenommen. An dessen Stelle tritt ein Aufschießen der Wurzel selbst, bis sie als hochragende Signalstange dasteht, als 03, der die Völkerheere herbeizieht wie Jes 5,26, nun aber nicht mehr wie dort, damit sie Jahwes Zorn gegen sein Volk bringen (s. 5,25), sondern damit sie lokal und übertragen - namentlich Rat heischend (Konstruktion von t m mit Vk: vgl. Gesenius, Handwörterbuch 170) - dort nach ihrer zentralen Mitte suchen. Die aufragende Wurzel Isais wird so den „Ort der Erholung" (nrun) finden, den der alte Prophet vom Volk durch sein Nichthören verfehlt sah (vgl. 28,12), einen Ort, der alles überbietend „Herrlichkeit" (von Jahwe bestimmte Kabod: vgl. Wildberger a.a.O. 459) ist. Die positiv aufgenommenen/gewendeten Bezugstexte sind jeweils kollektiv wie der Herkunftsverweis für Isai, der als Wurzel das Gottesvolk impliziert. Ans judäische Volk denkt also der Ergänzer mit der Wurzel Isais, das am eschatologischen Tage gegen alles vorangegangene Gericht in Jahwes Herrlichkeit hereingenommen werde, während der besondere königliche Stamm, der aus Isai hervorging, nicht mehr interessiert, eine Haltung, die im exilisch-nachexilischen Abebben und Infragestellen davidischer Erwartungen (vgl. o. unter 2.1.1.2 bis 2.1.1.4) gut vorstellbar ist. Weitergehend fragt sich, ob der Ergänzer auch Jes 11,1-9 kollektiv verstand. Immerhin geht dem Text im redaktionellen Zusammenhang ein kollektiver Passus voraus - Jes 10,24-34 - und erfuhr das in 11,1 zentrale ISJ-Motiv in frühnachexilischer Zeit eine kollektive Wendung in der an die Jesajaüberlieferung anwachsenden, ähnlich 11,1-10 um Gerechtigkeit und Herrlichkeit kreisenden Verheißung Jes 60,21. Ein vorübergehendes kollektives Verständnis des Gesamtabschnitts in frühnachexilischer Zeit ist daher nicht auszuschließen. Die LXX-Ubersetzer verstehen v.10 nicht mehr als Korrektur, sondern als Fortführung von 11,1-9, wo sie wieder individual lesen, und passen v.10 dem vorsichtig an. Das erste Glied - an jenem Tag werde die Wurzel Isais sein - belassen sie, aber den nachfolgenden Relativsatz des M T lösen sie in eine v.l glatt fortführende Parataxe auf: Mit dem Bestehen der Wurzel Isai werde der verbunden sein, der (sei. aus ihr: s. v.l) aufstehe, um über die Völker zu herrschen. Gemäß der Anlage von LXX Jes (dazu unter 2.1.1.5) erhält dieser kein Herrscherprädikat; nicht daß er König, Gesalbter o. ä., sondern daß er Hoffnung der Völker sei, ist den Ubersetzern wichtig (so die Fortführung von v.10 in Uberbietung von 1-9). Der Ausdruck „die Wurzel Isais" ist somit in der LXX deutlich davon entfernt, „zum selbständigen Messiastitel geworden" zu sein (gegen Maurer a. a. Ο. 987). Er leistet vielmehr einer solchen Deutung jüdisch bis in die targumische Zeit Widerstand: TJon ersetzt, um seine königsmessianische Deutung von Jes 11 zu sichern, unser Wurzel- durch ein Nachkommen- (Sohnessohn-)Motiv (11,1 und 10; vgl. Levey, Messiah 49ff). Erst beim späten MTeh 21 § 1 (891; zitiert bei Bill. I 28) kann man von einer Annäherung an ein messianisches Wurzelsproß-Verständnis sprechen. Die erste gesalbtenbezogene Deutung des Textes bietet somit Paulus in Rom 15,12, indem er dort Jes 11,10 LXX von Christus (Begriff w.7f) reden hört: Er sei die Wurzel Isais. Noch liegt kein Gewicht auf „Wurzel Isais" als Prädikat, denn der Duktus zielt nach v.9a zu dem mit der LXX- Tendenz aufgenommenen universalen „auf ihn werden die Völker hoffen". Trotzdem ist zur Position der Apk, auch für David sei Jesus, von Gottes Heilssetzung her gesehen, die Wurzel, aus der erst Davids Gottzugehörigkeit erwachse, nur mehr ein kleiner Schritt. 246 So die weiteren Attribute 3,7b nach Jes 65,16 LXX und Jes 6,3.

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zum wahren Juda öffnend und schließend bestimmt. Das sprengt die Grenzen des alten davidischen Juda, ja bedroht dieses, sofern es die Wahrheit zur Lüge hin verlasse und sich damit dem Satan übereigne, mit dem Ausschluß aus Gottes Juda, eine Drohung, die in ihrem antijüdischen T o n nur partiell durch die Aussage gemildert wird, die Lügner würden schließlich doch niederfallend erkennen, daß der Träger des Schlüssels Davids seine Liebe der Kirche zugewendet habe (3,9 nach 7a). 247

Auch die alte Kirche schließt die Lücke zu einem Verständnis der Davidssohnwendung als messianischen Hoheitstitels Jesu nicht. Aspekte verschieben sich gegenüber dem Neuen Testament, aber die Konturen bleiben, angefangen bei den frühesten nachneutestamentlichen Schriften, scharf: Davids, des Glaubenszeugen (vgl. Hebr ll,32f), Schuld läßt sich für den ersten Davids Salbung erwähnenden christlichen Text, den 1 Clem, nicht wie im etwa gleichzeitigen jüdischen LibAnt248 durch das Gegenüber eines noch problematischeren Saul überspielen, Davids Gesalbtsein daher nicht als Modell für das Gesalbtsein des Christus verwenden. Vielmehr ist Davids Salbung nur als Erbarmenssalbung skizzierbar, die David bewegt, weiter nach Gottes Erbarmen zu rufen (1 Clem 18,1 vor 18,2-17). David wird zum Modell, statt für Christus, für die Christen (s. den Rahmen ab 17,1 und wieder 19,1). Jesu davidische Herkunft, die diesen Akzent verschieben könnte, bleibt im 1 Clem ausgeblendet. Wie ist dann aber das Verhältnis Christus-David in sich zu bestimmen? Die Did gibt darauf Antwort: Im christlichen Gebet spricht man am zentralsten liturgischen Ort, der Eucharistiefeier - nicht „Hosanna dem Sohne", sondern „Hosanna dem Gotte 249 Davids" (10,6). Das läßt sich ein Stück weit als interpretatorische Fortführung der Akzente in Mt 21,1-11 verstehen. Denn der Davidssohnruf blieb dort, wie gezeigt, vorläufige, noch nicht christliche Bekenntnisanrede. Zum christlichen Verständnis setzte Mt die Signale des Kyriostitels, der die Kyriosumschreibung des Jahwenamens assoziieren läßt (v.3), und eines Bebens der Stadt, das weit über eine Erschütterung der Volksmenge hinaus als theophanes Erdbeben verstehbar -

247 Interpretationshinweise zu 3,7 bei Heinrich Zimmermann, Christus und die Kirche in den Sendschreiben der Apokalypse, in: Unio Christianorum. FS Lorenz Jäger zum 70. Geburtstag, Hg. O. Schilling u.a., Paderborn 1962, 176-197, hier 183 und Gottfried Timm, Die Heilsgemeinde in der Welt. Zur Ekklesiologie der Johannesapokalypse, Diss. Rostock 1986 (masch.), 56f. 248 Vgl. o. unter 2.2.2. 249 Die Bezeugung für θεός ist der sachlich zurücknehmenden Variante οίκος (koptisch) hoch überlegen (von Jeremias, Abendmahlsworte 245,250 überspielt), der christologische Bezug eindeutig (vgl. schon Rudolf Knopf, Die Apostolischen Väter I [...], H N T . Erg.-Bd., Tübingen 1920, 29).

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und vielleicht von Mt intendiert - war. 250 D i d setzt solche Interpretationsanstöße, vielleicht zusätzlich durch die jüdisch-traditionelle Richtung des Hosannarufs an Gott (auch in Ps 118,25) angeregt, in Bekenntnis um. 251

Nur Ignatius gelingt unter den apostolischen Vätern, Jesu davidischer Herkunft einen positiven Aspekt abzugewinnen: 252 Sie zeigt unprädikativ-genealogisch - Ignatius verwendet, wie angeführt, nur έκFormulierungen (IgnEph 18,2;20,2; Trail 9,1; Rom 7,3; Sm 1,1) - Jesu wirkliche Menschheit und schließt damit deren doketische Infragestellung aus.253 Barn dagegen treibt die christliche Problematisierung des Davidssohnprädikats auf die Spitze. Er greift in 12,1 Of die Davidssohnfrage aus einer Uberlieferung auf, die deren von Mk vollzogene Einordnung in das Wirken des irdischen Jesus nicht teilt,254 und liest sie als Ablehnung: Nur die Irreführung der Sünder sage, Christus (der Gesalbte) sei Sohn Davids, während David dies verneine (ού λέγει 12,11). Sachgemäß seien die Titel Gottessohn (12,10a) und Kyrios (12,11), während dem Davidssohnprädikat auch noch das an den Herrn (statt an Kyrus) gerichtet verstandene Jesajawort entgegenzuhalten sei, „die Macht von Königen will ich zerbrechen" (12,11 nach Jes 45,1 LXX). Jede Integrationsbemühung um die königliche Gesalbtenerwartung des Judentums ist konterkariert, sündhaften Irreführern zugewiesen. 255 Die Würde Jesu ist nicht davon, sondern von Gottes Gottheit abzuleiten. 256 Die volle Radikalität des Barn setzt sich nicht durch. Nachdem sich im Neuen Testament zögernd die Möglichkeit einer Verwendung des Königsprädikats für Jesus andeutete, 257 wird altkirchlich PsSal 17 mit 250 S. Reinhard Kratz, Auferweckung als Befreiung. Eine Studie zur Passions- und Auferstehungstheologie des Matthäus, SBS 65, Stuttgart 1973, 47-50. 251 Did muß dabei nicht Mt selbst, sondern nur dessen Überlieferungsumfeld gekannt haben (vgl. zur Fragestellung Burger, Davidssohn 82 Anm. 39). Daß sie direkt einen jüdischen, ursprünglich Gott geltenden Liturgiesatz aufgegriffen hätte (so Köster am Anm. 215 a.0.198), läßt sich nicht verifizieren. 252 Did verschweigt sie (auch 9,2) wie 1 Clem. 25j Vgl. Jj es Grillmeier, Jesus der Christus 119 und Lothar Wehr, Arznei der Unsterblichkeit. Die Eucharistie bei Ignatius von Antiochien und im Johannesevangelium, NTA.NS 18, Münster 1987, 104f (Lit.). 254 Das fiel bereits Wrede, Davidssohn 173 auf und bestätigt die obige Überlieferungsanalyse (vgl. Köster a.a.O. 146). 255 S. Lowry, The Confutation of Judaism in the Epistle of Barnabas, JJS 11, 1960, 1-33, hier 19 sieht allein einen antijüdischen Akzent, doch wird das angesichts des Sünderstichworts zu eng sein. Grillmeier a.a.O. 19f, der als Gegenüber kritisierte Christen annimmt, übergeht die Ergänzung aus Jes 45,1 in 12,11. 256 Schon Wrede a.a.O. 173 wies darauf hin, daß das Gottessohn- und Kyriosprädikat des Barn dem Gott Davids-Prädikat der Did äquivalent sind. 257 Wahrscheinlich aufgrund der Fremdbeanspruchung des Titels bei der Kreuzigung Jesu vermieden ihn die Christen der ersten Generation. Noch Paulus schritt nicht über

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Grundlegung

seinem Bild des Gesalbten als König und Davidssohn doch noch rezipiert, wenn auch unter der bereits erwähnten einschneidenden Korrektur, er ziele auf den Gesalbten, den Herrn. 258 D i e davidische Herkunft Jesu wird ab Justin, dial. 45,4; 100,3 u . ö . breit als sinnvolle Ordnung Gottes (οικονομία) reflektiert, freilich vorzugsweise in vorsichtigen άπό-, έκ- Formulierungen. 25 ' David wird spä-

die Grenzaussage einer Basileia Christi als des „Sohnes" (in 1 Kor 15,23-28) hinaus, die die Herrschaftsdimension seines Christusverständnisses theozentrisch (s. v.28) ins Eschaton der Parusie führt (Diskussionsstand zur schwierigen Passage - M. Carrez u. a. - in De Lorenzi, Resurrection 127-169,285f; mit Schräge [dort 142] ist die Querlinie βασιλεύειν-κυριεύειν [vgl. Rom 14,9] zu betonen, mit Schnackenburg [288] das für Paulus singulare, den Gottesbezug betonende „der Sohn" v.28; eine stark apokalyptische Interpretation trug Schade, Christologie 34-37,95-98 vor, einen neuen Versuch der Verankerung in der Auseinandersetzung mit den Korinthern Sellin, Auferstehung 261-276). In der nächsten Generation traten die Vorbehalte etwas zurück. Aber in den Deuteropaulinen wurde eine christologische Aneignung des Königstitels aller theonomen Vertiefung des Christus-Herrschergedankens (s. bes. Eph l,20-22a, zur Linie Hahn, Hoheitstitel 126-132) zum Trotz weiterhin nie oder allenfalls an einer Stelle erreicht, die eine Gottesdoxologie überträgt (1 Tim 1,17; dazu etwa Moule, Influence 253). Bei Mk deutet sich 15,2 eine christologische Akzeptanz des Titels an. Doch dessen Berufung durch Gegner unter dem Kreuz wird als mißverstehender Hohn gebrandmarkt (15,32 in redaktioneller oder zumindest junger Textschicht; zur Forschungslage vgl. - mit Ringen um messianische Konnotationen und Absetzungen - Frank J. Matera, The Kingship of Jesus. Composition and Theology in Mark 15, SBLDS 66, Chico, CA 1982). Die kritische Linie geht Mt 27,42 und nachneutestamentlich im EvPetr 3,7 weiter. Erste Hinweise zu Lk o. Anm. 239. Das Joh wertet, vorbereitet durch die von ihm aufgenommene Fassung des Passionsberichtes (aus der der Großteil der Basileus-Stellen von 12,13—15; 18,33-19,21 stammen dürfte, während sie auffällig keinen einzigen Christos-Beleg bietet), den Königstitel - mit Akzenten von oben, von Gott her - grundlegend auf (in 1,49 und 12,13ff). Die an den letztgenannten Stellen gewählte Titelform βασιλεύς τοΟ 'Ισραήλ entspricht dabei sprachlich PsSal 17,42, aber die Entfaltung führt in andere Richtung: Statt mit herrschaftlichem Auftreten und mit Züchtigung ist Joh 1,49 mit einem Visionskreis verbunden, der die Augen gen Himmel lenkt (bis 1,51). Korrespondierend nimmt die Einzugsschilderung 12,12-19 Sach 9,9 als Königstext auf (v.15), schiebt jedoch gleich nach, das sei vor der Verherrlichung Jesu eigentlich unverständlich gewesen (v.16). Soweit das Volk königlich akklamiert habe (v.13), habe das dem Erwecker des Lazarus gegolten (w,17f), also dem, der - im Namen des Herrn um Hilfe gerufen (v.l) - als König über den Tod Zeichen getan habe, nicht als davidisch-herrscherlicher Gesalbter (der Christustitel wird an dieser Stelle wie im Prozeß, zu dessen Basileusverständnis etwa Hahn, Prozeß 40f und Rosel Baum-Bodenbender, Hoheit in Niedrigkeit [...], fzb 49, Würzburg 1984, 57-61, 248ff Hinweise bieten, auch joh vermieden, ein Indiz für beibehaltene gewisse Eigenständigkeit beider Titel; allg. vgl. de Jonge, Jesus 168-170,175ff und Kuhn, Christologie 521-531; einseitig Meeks, Prophet-King; unbefriedigend Bittner, Zeichen 158-164). - Den Schlußpunkt bietet die Apk, auf die unter 2.2.4.2 einzugehen sein wird. 258 S.o. Die unter 2.2.5 anzusprechende Rezeption der TestXII mit ihren Königsmotiven erweitert den Befund. 259 Weitere Belege im PGL s.v. Δαυίδ 333 (kein einziger mit „Sohn Davids"); Umkreiserschließung bei Walter Bauer, Das Leben Jesu im Zeitalter der neutestamentlichen Apokryphen, Tübingen 1909, VI, 4-21.

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ter über das fortgeführte Büßerbild hinaus auch als Christustypos gewonnen. 2 6 0 Ab dem 4. Jh. werden sogar das Königssalbhorn und Salomos Heilerring in Jerusalem verehrt. 261

Aber Bedenken gegen eine christologisch-prädikative Verwendung der engeren Davidssohnbezeichnung bleiben. Was die Artikulation von Jesu besonderer Würde angeht, erscheint sie der Breite christlicher Reflexionspositionen von den Alexandrinern 262 bis zu den judenchristlichen Pseudoclementinen 263 ungenügend. 264 Alle großen christlichen Bekenntnisformulierungen - Apostolicum, Nicaenum, ephesinische Unionsformel, Chalcedonense - übergehen sie wie überhaupt die davidische Herkunft Jesu.265 D.h., die Frömmigkeitsentwicklung der alten Kirche schritt nicht wesentlich über die Position des Mt hinaus, die Dogmenbildung blieb eher hinter ihr zurück. Kommen wir zum Ergebnis: Jüdische und christliche Entwicklung der Davidssohnvorstellung verlaufen teils vorsichtig anknüpfend, teils nebeneinander bis entgegengesetzt, 266 nirgends jedoch in einem Ver-

260

S. Jean Danielou, David, RAC III 594-603, hier 598ff. Von Konrad Burdach, Der Gral [...], FKGG 14, Stuttgart 1938, 111-115 von der Aetheria-Peregrinatio (37,3; ed. Heraeus p.42f) bis ins Mittelalter verfolgt. 262 Z.B. Clemens Alex., ström. VI 15, 132,4 (im Anschluß an die als vorläufig erkannte Anrede von Mk 10,48 usw.) und Origenes, Joh. X 6 (unter Benützung der Formel von Rom 1,3); Mt. XI 16f (Interpretation von Mt 15,21-28 unter Eruierung der Davidssohnanrede 15,22 und Lektüre des Duktus zu 15,25 hin, wo sich die Frau Jesus wie Gott zu Füßen werfe und [nur noch] die Herr-Anrede gebrauche). 263 Ps-Clem Horn 18, 13,1-5 (GCS 42, 247): Die Juden glaubten, David sei der Vater des Christus, erkennten dadurch seine Gottessohnschaft nicht - eine allenfalls leicht entschärfte Fortführung der Position von Barn 12,1 Of. Umgebend entwickelt das Judenchristentum ein besonders kritisches Bild Davids und des Königtums (s. Schoeps, Judenchristentum 242-247). 264 Im christologischen Streit kann ein extensiverer Rückgriff auf das „ex semine David" sogar den Verdacht einer Trennungschristologie begründen, so für Diodor von Tarsus (aus ihm das Zitat: ACO I 5, 1,3 p.178 = Collectio Palatina Nr.52): s. G.M. de Durand, Cyrille d' Alexandrie. Deux dialogues christologiques [...], SC 97, Paris 1964, bes.64ff und Grillmeier a. a. O. 20. Diodors Verständnis der Davidssohnfrage (syrisches fr.3 bei Maurice Briere, Quelques fragments syriaques de Diodore, eveque de Tarse (378-394?), ROC 10 (30), 1935-1936 (1946), 231-283) geht dabei in den Vorwürfen nicht auf: David - heißt es dort - nenne seinen Sohn auch darin, daß er, der Christus, im Fleisch kam (Ubersetzungsvariante von a.a.O. 260 Anm. 2), zu Recht Herr, sei er dies doch durch die göttliche Kraft, aufgrund derer er der Tempel Gottes, der Logos, wurde. 265 Auch die Dogmen- und Symbolentwicklung des Mittelalters bringt darin keinen Wandel: Kein einziges für diese Zeit bei DS verzeichnetes Dokument widmet sich einer theologischen Hervorhebung der Davidssohnschaft Jesu. Vielleicht merkt man eine Nachwirkung davon selbst noch in der Affirmation der Kindheitsgeschichten bei Mt und Lk durch die päpstliche Bibelkommission 1911/1912 (DS 3567,3570), wenn diese weiterhin alle Davidssohnbegrifflichkeit umgeht. 266 Bis dahin, daß gerade die Prophetenstellen, an denen die Targume Davidssohn261

294

Grundlegung

hältnis christlicher Entsprechung zu verbindlicher jüdisch-messianischer Vorgabe. Grundanstoß der christlichen Aussagen über Jesu Davidität ist nicht das Bemühen um Erfüllung einer - angeblich - unerläßlichen Messiasbedingung, sondern die Uberlieferung von Jesu Herkunft aus der Nachkommenschaft Davids. 267 Eine theologisch reflektierte Aufwertung erfährt diese Überlieferung in der an jüdische Traditionsvorgaben jenseits strenger Gesalbtenmotivik anknüpfenden Skizze Jesu als Heiler, der den Davidssohn Salomo an Befähigung und Würde eschatologisch überbietet, ohne daß dies zu einer christlichen Bekenntnisrezeption führt. Die zweite jüdische Davidssohnlinie bezeugt PsSal 17 mit der Vorstellung von einem Gesalbten, der Israels Königtum nach dem autoritativen Bilde Davids, der an diesen ergangenen Dynastiezusage und der Gerechtigkeit Salomos erneuert. Sie charakterisiert nach u r - und frühchristlicher Überzeugung den christlich geglaubten Gesalbten nicht - so die Auffassung der Davidssohnfrage bei Mk und Barn - oder unzureichend - so die von der ältesten Fassung der Davidssohnfrage eröffnete, auf Dauer wirksamere Reflexionslinie. Nach allgemeiner Auffassung der Kirche in ihrer bekenntnisbildenden Epoche übersteigt die Besonderheit von Jesu Tun und Person alle unter Aufnahme von Davidstradition machbaren Aussagen. Eine einseitige Ableitung des christlichen Gesalbten-(Christus-)Verständnisses von jüdisch-herrscherlicher Gesalbtenerwartung bleibt demnach ungenügend. Für die christliche Füllung der im Christusbegriff gemachten Grundaussage singulären Gottesbezugs Jesu stellt die jüdisch-herrscherliche Messiastradition, soweit sie bisher zu verfolgen war, nicht mehr als eine einzelne Einfluß- oder besser Auseinandersetzungskomponente dar. 2.2.4.2 Die Entwicklung

in der zweiten

Hälfte des 1. Jh. n. Chr.

Einschneidendstes Ereignis der 2. Hälfte des 1. Jh. n.Chr. war der Jüdische Krieg. Dieser brachte für die bis dahin festgestellte Vielschichtigkeit der herrscherlichen Gesalbtenquellen nicht nur Verdichtung, sondern auch Reduktion: Sämtliche qumranischen Texte mit der gesonderten Erwartung eines Gesalbten Israels (QS; QSa) verschwanden (bis zur Entdeckung ihrer im Jüdischen Krieg benützten Verstecke seit 1947) aus der Überliefeund (herrscherlichen) Gesalbtentitel verbinden (Hos 3,5; Jer 30,9: s.o. Anm. 161), neutestamentlich irrelevant bleiben (beobachtet von Duling, Son of David 408 Anm. 2). 267 Deren historische Berechtigung läßt sich aus dem heutigen und schon damaligen Abstand nicht mehr überprüfen, wenn auch nicht vorschnell bestreiten (mit ζ. B. Hahn, Hoheitstitel 244,250). Der vorgetragene Quellenbefund scheidet überspitzte Apologetik (wie die Michaelis', Davidssohnschaft passim) aus.

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

295

rung, 268 verloren also mit dem Zusammenbruch der qumranischen Gemeinschaft ihren Trägerkreis. 269 Auch das bis zum Jüdischen Krieg gewachsene Christentum ignorierte diese Texte und ihre Gesalbtenerwartung. Wie immer es zur Qumrangemeinschaft stand, gab es von seiner christologischen Gesalbtenvorstellung demnach keine Brücke, die die Rezeption oder Integration einer Laienführer-Messiaserwartung im Sinne der Regel Qumrans erlaubt hätte. 270 Desgleichen verlor sich 4QPB mit seiner Erwartung eines davidischen Gesalbten, dessen Gesalbtsein sich durch Gerechtigkeit im Sinne der Tora bestimme. Das ist nun weniger für das Urchristentum auffällig, das sich bis zum Jahre 68/70 schon in wichtigen Bereichen von der direkten Aufnahme der Tora gelöst hatte, zudem davidisch herrscherlichen Gesalbtenvorstellungen - wie gezeigt - nur zögerlich begegnete. Auffällig ist es für das Judentum. Denn dieses nahm - wie gleichfalls gezeigt 271 - nach dem Krieg tendenziell gegenläufig die Trauer um das Königtum Davids als des Gerechtigkeitsgesalbten Jahwes in die 14. Benediktion der palästinischen Rezension des Schemone Esre auf. So müssen wir die Gründe für den Uberlieferungsabbruch zunächst in der Entwicklung der qumranischen Gemeinschaft suchen: Sie blickte, soweit wir feststellen können, schon länger nicht mehr gespannt auf einen Davidsgesalbten aus und kopierte daher 4QPB nicht,272 vermittelte es offenbar auch nicht in weitere Kreise. A u f s c h l u ß ü b e r die v o r h e r r s c h e n d e H a l t u n g g e b e n am e h e s t e n die M a s a d a Funde: D i e d o r t i g e n V e r t e i d i g e r n a h m e n v o r n e h m l i c h die sich an G o t t e s K ö n i g t u m u n d d e s s e n h i m m l i s c h e m G o t t e s d i e n s t jenseits aller G e s a l b t e n e r w a r t u n g o r i e n t i e r e n d e R o l l e der S a b b a t g e s ä n g e Q u m r a n s in d e n v e r z w e i f e l t e n S c h l u ß k a m p f u m die F e s t u n g mit. D a s w e i s t auf e i n e allein t h e o z e n t r i s c h - t h e o kratische O r i e n t i e r u n g der q u m r a n i s c h - e s s e n i s c h e n A u f s t ä n d i s c h e n hin. 2 7 3 268 Auf die abweichende Überlieferungslage der in der Erwartung eigenwilligen Damaskusschrift wird unter 2.2.5 zurückzukommen sein. 269 Im späten 3. Jh. taucht zwar eine ähnlich klingende Formulierung, „Messias für Israel", auf (bSan 99a), doch ohne jede Anknüpfung an Qumrans Laienführermodell. Zu „Messias Israels" im TJon Mi vgl. Anm. 104 zu Ausblick 3. 270 Dieser Befund wird spätestens dadurch zwingend, daß die genannten qumranischen Texte auch nach 70 nicht in christliche Uberlieferung aufgenommen wurden, ein wesentlicher Unterschied zu den herrscherlichen Gesalbten-Texten außerhalb Qumrans (zu PsSal s.o., zu 4 Esr und syrBar u.). 271 S. jeweils in Ausblick 2. 272 S. unter 2.2.4.1. 273 Schon vor den neuen Funden ließ sich aus Josephus, bell. 2,567; 3,11 erschließen, daß Essener im Jüdischen Krieg auf der aufständischen Seite mitkämpften. Das Masadafragment von SirSabb ist bei Carol Newsom/Yigael Yadin, The Masada Fragment of the Qumran Songs of the Sabbath Sacrifice, IEJ 34, 1984, 77-88 ediert; die theozentrischen Aspekte arbeitete Camponovo, Königtum Gottes 273-278 heraus. Weitere Hinweise o. Anm. 109; was die Bedeutung des auf eine herrscherliche Gesalbtenvorstellung verzieh-

296

Grundlegung

Soweit in anderen Bevölkerungskreisen - eher am Ende und nach dem als während des Kriegs, in dem wir von keinerlei davidischen Herrschaftsprätendenten hören 274 - speziell davidische H o f f n u n g e n aufkeimten, wurden sie durch das Vorgehen Vespasians betroffen, der laut Hegesipp (bei Euseb, h. e. III 12) nach der Eroberung Jerusalems eine Davididenverfolgung veranlaßte (ohne Gesalbtenbegrifflichkeit). Das Ziel der Verfolgung - es solle niemand „aus dem königlichen Geschlecht bei den Juden" am Leben bleiben - ist in seiner Zuspitzung sicher von Hegesipp formuliert. Denn es setzt königliches und davidisches Geschlecht mit einer Unbefangenheit in eins, die der zu diesem Zeitpunkt ungebrochenen Existenz der herodianischen Dynastie275 nicht gerecht wird.276 Auffälligerweise fällt weiter kein Name, wird keine Verhaftung oder Hinrichtung konkretisiert. Mehr als eine warnende Anordnung Vespasians wird man daher als historischen Kern nicht annehmen können. Die genannte Schemone Esre-Benediktion beschränkt sich danach auf Trauer über lang Vergangenes, menschlicher Wiederherstellung Fernes. Rom aber blieb dem Anschein nach sensibel. Zeitlich nahe zur eventuellen ersten Wiederaufnahme eines davidischen Hoffnungsmotivs in einer jüdischen Quelle (4 Esr 12,32), unter Domitian, setzt Hegesipp (laut Euseb a.a.O. 20) eine neuerliche römische Verfolgung gegen Davididen an, der sie nur aufgrund ihrer politischen Irrelevanz entgangen seien. Hegesipps messianische Hinweise sind dabei so stark am christlich geglaubten Gesalbten orientiert, daß sie schwerlich einem domitianischen Kern zugeschrieben werden können. Andererseits ist das Bild der Davididen - nach Hegesipp Herrenverwandten - so wenig an deren Auszeichnung interessiert, daß nicht dem ganzen Text historische Glaubwürdigkeit abgesprochen werden kann. Als Rahmengeschehen bleiben Nachforschungen Domitians nach davidischen Kristallisationspunkten politischen Widerstands in Judäa. 277 Die schnelle Entlassung der Davididen aus der Verfolgung zeigt, daß die Gefahr römisch gering geschätzt wurde, und bestätigt so indirekt, daß wir weiterhin von keiner Dominanz eines davidischen Messianismus in Palästina ausgehen dürfen. 278 tenden eschatologischen Kriegsszenarios von Q M angeht, mißt Hahn, Josephus 183 ihm (etwas unscharf) hohen Rang zu, gehören die gefundenen Textfragmente jedoch sämtlich etwas früherer Zeit an (aufgelistet bei Dimant, Qumran Literature 515 Anm. 149). 274 Vgl. unter 2.1.1.6. 275 S. unter 2.1.1.6. 276 Darüber geht Hengel, Zeloten 305 zu schnell hinweg. 277 S. näherhin bes. Burger, Davidssohn 123ff und Pierre Prigent, Au temps de l'Apocalypse I Domitien, RHPhR 54, 1974, 455-483, hier 474f. 278 Vgl. schon o. Ausblick 2. - Noch einmal berichtet Hegesipp (laut Euseb a.a.O. 32,3f) von einer Davididenverfolgung unter Trajan. Auch dort genügt die Zugehörigkeit zum Königsgeschlecht nur zur Verhaftung, wird ein Todesurteil - nach dem Plinius-Trajan-Briefwechsel (Plinius min., ep. 10,96f) konsequent - allein für den zusätzlich als Christ angeklagten Symeon berichtet. Eine grundlegende Änderung gegenüber Domitian ist also nicht erfolgt; nach wie vor wird die politische Gefährlichkeit der Davididen nicht zu hoch eingeschätzt (anders Hengel a.a.O. 305f).

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

297

Doch damit zurück zum Jüdischen Krieg. In ihm erfuhr die herrscherliche Gesalbtenerwartung den quellenmäßig nachweisbaren Impuls der Zeit aus dem Drängen nach Gottes Antwort auf die Not ohne direkte Berührung mit davidischer Reflexion (also Davidsrückblick, Davidssohnaussage o.ä.). Überkommene Literatur spiegelt ihn zunächst korrigierend: Es ist der Ausblick einzelner Bevölkerungskreise in der Krise des Tempels und Staates, Gott werde, wo alle menschlichen Befreiungs- und Rettungsbemühungen scheitern, wiederherstellend/erlösend 279 einen ihm unverbrüchlich nahen Träger seines rettenden Wirkens senden. Er trage den Titel, den die Aufständischen nicht von sich aus zu geben oder zu beanspruchen wagten, 280 unseren Titel Gesalbter. Der Ausblick findet in der seit dem Chresmos amphibolos von begrifflich unbestimmten Herrscherhoffnungen geprägten Zeit einen guten Rahmen. 281 Als Sitz im Leben kommt aufgrund der auffälligen Quellenlage das durch die Geschehnisse vielfach irritierte und doch hoffnungsstarke, von „Propheten" negativ bewertet: Pseudopropheten - auf ein aktuelles Eintreffen von Gottes Hilfe ansprechbare (vgl. Josephus, bell. 6,285f) Volk in Jerusalem in Frage.

Das erste Zeugnis ist ein in den ARN Vers. Β (ed. Schechter p.67) dem größten jüdischen Gelehrten der Zeit, Johanan ben Zakkai, zugesprochenes Diktum: „Wenn ein Schößling in deiner Hand ist und man sagt dir,schau, geh,282 der Gesalbte!', dann komm und pflanz den Schößling, und danach [erst] zieh, ihn (den Gesalbten) zu empfangen!" Die überlieferungsgeschichtliche Erörterung des Textes hat erst begonnen. Zu pauschal stellte Neusner 283 seine Rückführbarkeit auf Johanan - oder zumindest dessen Zeit - in Frage: Sein einziges speziell den Text betreffendes Argument ist dessen schmale Uberlieferung - er findet keine Parallelen in sonstigem rabbinischem Schrifttum - , doch sagt dies nur etwas über das Interesse der Tradenten, nicht über das Alter des Textes aus. Daher konnte sich Neusners Position in der judaistischen Forschung nicht allgemein durchsetzen. 284

27 ' D.h. im Rahmen der unter 2.1.1.6 als für den Aufstand tragend herausgestellten Galut-Motivik. 280 S. für die Herrschaftsdimension unter 2.1.1.6, für die Priesterdimension unter 2.1.2.3. 281 Vgl. unter 2.1.1.6. 282 Seit Ginzberg, Attitude 134 Anm. 46 wird das im Text gebotene, gut verständliche unbegründet und unnötig zu η^Β korrigiert [bis The Fathers According to Rabbi Nathan (Abot de Rabbi Nathan) Version Β. Α Translation and Commentary by Anthony J. Saldarini, SJLA 11, Leiden 1975, 182 Anm. 10]. Das führt zur Verbindung ri'ffan "|i>» („der König des Gesalbten"), die, korrekt gelesen, den Text erschwert (seit Ginzberg überspielt). 283 Jacob Neusner, Development of a Legend. Studies on the Traditions Concerning Yohanan ben Zakkai, StPB 16, Leiden 1970, 128. 284 Vgl. z.B. Schäfer, Hoffnungen 97.

298

Grundlegung

Das Wort erschließt sich in unserer Zeit: Es antwortet auf eine drängende Gesalbtenerwartung, der nichts - keine Genealogie, kein Name, keine spezielle irdische Funktion - wichtig ist als das eine, daß es „den Gesalbten" zu schauen gäbe, denjenigen, den Gott nach allem begriffsgeschichtlich Gesagten 285 mit Würde und Aufgabe für sein Volk in der jetzigen Situation singular betraute. Der antwortende Rabbine freilich verlagert, so gewiß er die Erwartung nicht direkt ablehnt,286 die Gewichte. Aller drängenden Hoffnung zieht er selbst die kleinste Tätigkeit vor, die Lebensgrundlage für eine Zukunft auch ohne Gesalbten schafft. 287 Die Zuschreibung des Wortes an Johanan wirft ein Licht auf sein Handeln: Wie bekannt, arrangierte er sich mit den Römern, um weiterwirken, dem Judentum nach der Tempelzerstörung von Jabne aus eine neue Grundlage schaffen zu können. 288

Bemerkenswert verwandt in der Grundstruktur, nur schärfer, ist die christliche Abweisung in Mk 13,21·. „Und dann, wenn euch einer sagt, ,schau, hierher, der Gesalbte, schau, dort!',289 glaubt nicht!" Bis in den Wortlaut, zum absoluten ό Χριστός (n'pan), reicht die Parallelität der

285

S. bes. o. unter 2.2.1.3. In diesem P u n k t überzieht Saldarini a . a . O . Anm. 11, noch dazu unseren T e x t lesend, als wende er sich gegen charismatische Führer im Plural. 287 Vgl. Ginzberg a . a . O . 134. 288 D a z u bes. Peter Schäfer, Die Flucht Johanan b. Zakkais aus Jerusalem und die G r ü n d u n g des .Lehrhauses' in Jabne, A N R W II 19/2, 1979, 43-101. Entscheidende Quellen sind die Fluchtberichte A R N Vers.A Kap.6, Vers.B Kap.7 und 13; bGit 56af und EkhaR 1,31. Die Zuspitzung der Romfreundlichkeit J o h a n a n s in den Quellen auf eine u n oder antimessianische Königsverheißung an Vespasian (vgl. Dexinger, Messianismus 243) d ü r f t e allerdings sekundär unter dem Einfluß von Josephus, bell. 3,400ff entwickelt worden sein (s. Schäfer a . a . O . 84ff). Weitere „messianische" Äußerungen Johanans unterliegen der Quellenkritik (so der Hiskija-Ausblick bBer 28b par: dazu Neusner a . a . O . 22Iff und Schäfer, H o f f n u n g e n 97f) oder sind nur indirekt zu erschließen (so eine angebliche messianische Reflexion von Jes 10,34; 11,1: s. Schäfer, Flucht 97t). Nach dem gegenwärtigen Wissensstand kommen wir mit der behandelten J o h a n a n ä u ßerung überhaupt an den A n f a n g rabbinischer Auseinandersetzung mit dem herrscherlichen Messianismus. Denn d a ß ihr die Entwicklung eines pharisäisch-rabbinischen „messianischen Szenariums" vorausgegangen oder parallel sei, das die Zerstörung des Tempels als Vorzeichen vor dem Kommen des Messias erwartete (Dexinger, messianisches Szenarium 266-278), ist nicht verifizierbar, da von den f r ü h e r e n Tannaiten kein explizit messianisches W o r t überliefert ist (in der Forschung durchgesetzt seit Klausner, Messianic Idea 392f). Möglich ist Klausners Lösung (a. a. O . 393), solange der Tempel stand, habe f ü r die Pharisäer kein D r u c k bestanden, die herrscherliche (bei ihm: prophetische) Messiasidee weiterzuentwickeln, hätten sie sich ganz in die Lebensgestaltung nach der T o r a vertieft. 289 Die durch Bauer, Wb. 1769 (6. Aufl. 1786) favorisierte Übersetzung von ώδε-έκει mit „hier" (statt der Partikelgrundbedeutung „hierher") - „dort" nimmt dem Satz ein Stück seiner Dynamik. 286

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

299

zitierten Fremdaufforderung zu dem von Johanan aufgegriffenen Diktum. Weiterhin dazu korrelierend weist der Kontext in Mk 13 (w. 14-20) auf den Jüdischen Krieg. Der unmittelbar anschließende v.22 verrät sogar, was man von solcher Ausschau erhoffte, nämlich Zeichen und Wunder, die die Heillosigkeit der erlebten Situation brächen. 290 Der Christ freilich, der in unserer Passage darauf antwortet, sieht darin eine Verführung, die unter Pseudoaufnahme des Christosbegriffs nur vom christlich geglaubten Gesalbten wegführe (v.22), daher die schärfste Glaubensauseinandersetzung, den Imperativ μή πιστεύετε fordert (v.21 Ende). Uber die Situation hinauseilend, erwartet er - oder der Endredaktor Markus - gleich das Auftreten mehrerer ψευδόχριστοι und verrät damit den letzten Grund für die seiner Auffassung nach christliche Unannehmbarkeit unseres neu aufgebrochenen messianischen Impulses: Der eine, einzige Christos des christlichen Glaubens würde in seiner alles sprengenden Besonderheit verflacht, er würde Fremdkriterien menschlicher Sehnsucht in der Krise unterworfen. Auf ihn ist nicht wie auf jemand auszublicken, zu dem man in irdischer Lokalität hier- oder dorthin laufen könnte, sondern auf den Wolken wird man ihn kommen sehen als Menschensohn, der jedem menschlichen Hinzueilen enthoben ist, so gewiß er seinerseits in Macht und Herrlichkeit die Auserwählten von überallher durch Boten/Engel sammelt (w.24-27). 2 9 1 2.0

Vgl. die verwandte Hoffnung auf „Zeichen der Rettung" im o. angeführten unmessianischen Text Josephus, bell. 6,285. 2.1 Die literarischen und religionsgeschichtlichen Fragen zu Mk 13 wurden intensiv diskutiert (Bericht bei Pesch, Markusevangelium II 264ff und jünger Ulrich B. Müller, Apokalyptische Strömungen [in: J. Becker u. a., Die Anfänge des Christentums. Alte Welt und Neue Hoffnung, Stuttgart usw. 1987, 217-254] 229-236). Nur noch gelegentlich wird die Auffassung vertreten, die w.21f (und ihr literarischer Abschluß v.23) stammten ganz aus der Hand des Markus (so Müller a.a.O. 231), denn Redaktionsindizien fehlen in ihrem Grundbestand. Schwer ist dagegen zu entscheiden, ob die w . einer vormarkinischen Gesamtvorlage angehörten, die umfassender zwischen Mk 13,7 und 31 rezipiert wurde (so Ferdinand Hahn, Die Rede von der Parusie des Menschensohnes Markus 13, in: Jesus und der Menschensohn. Für Anton Vögtle, Hg. R. Pesch u.a., Freiburg usw. 1975, 240-266, bes.248,258, auf den hin Pesch seine Redaktionsposition zu v.21 von Naherwartungen 113f zur Vorlagenannahme in Markusevangelium II 298 korrigierte), oder ob sie ursprünglich einen eigenen Traditionskomplex bildeten, den Markus durch geringe Eingriffe (τότε v.21, ψευδόχριστοι καί und Schluß in v.22) seinem neuen Zusammenhang adaptierte (so Brandenburger, Markus 13, 151). In jedem Fall liegt eine von vornherein christliche Auseinandersetzung vor. Für deren Erhebung blieb bislang die angeführte ARN-Parallele unberücksichtigt (weil Bill. I 953, II 46 sie übersah?). Das wirkte sich in der Interpretation aus: Relativ verbreitet sind Versuche, die Warnung von v.21 unmittelbar derjenigen von v.6 zu parallelisieren. Doch ist v.6 (markinische) Uberschrift über den folgenden Gesamtabschnitt und enthält den Gesalbtenbegriff nicht, auch nicht im zitierten Fremdanspruch έγώ είμι (der bis zur Syntax anders als das Zitat in v.21 gestaltet ist). Damit scheidet Webers Deutung (Christologie

300

Grundlegung

Trotzdem darf nicht außer acht gelassen werden, daß es auch die Möglichkeit christlich-positiver Aneignung des neuen jüdischen Impulses gab, namentlich w o es um ein werbendes Eintreten für Jesus als Christus (Gesalbten) vor Juden ging. So könnten sich nämlich die Probleme von Act 3,19ff lösen. Dort integriert Lukas einer Petrusrede an jüdisches Volk die Mahnung, umzukehren (v.19), damit Zeiten des Aufatmens vom Angesicht des Herrn kämen und dieser „den für euch (festsetzend oder erwählend) 292 bereitgestellten Gesalbten, Jesus, sende" (v.20), den der Himmel bis zu den Erfüllungs-, Wiederherstellungszeiten 293 aufnehmen müsse (v.21). Aufgrund seiner Eigentümlichkeit wurde dieser Text für ältestes oder zumindest sehr altes christologisches Traditionsgut gehalten, 2 , 4 doch zerfiel im Fortgang der Analyse die Möglichkeit, eine in ihm aufgenommene Formel klar zu rekonstruieren. 295 So wird man davon ausgehen müssen, daß Lukas ihm als judenchristlich bekanntgewordene Redeweise aufnahm, sie aber stark in eigene

78f) von v.21 auf Personen, die sich nach v.6 für Jesus als den Christus ausgeben würden, aus. Peschs ältere (Naherwartung 114) und Gnilkas (Markus II 198) Deutung auf den drängend geschauten christlichen Parusiechristus scheitert an den Pluralen des v.22. Originell, aber anachronistisch ist schließlich Wolfgang Schenk, Die gnostisierende Deutung des Todes Jesu und ihre kritische Interpretation durch den Evangelisten Markus, in: Gnosis und Neues Testament [...], Hg. K.-W. Tröger, Gütersloh 1973, 231-243, hier 242, wenigstens 13,22 blicke auf Gnostiker, die behaupteten, sie seien Christoi (dieses Gnostikerselbstverständnis entsteht erst am Ende des 2. Jh.: s. o. 1.2.5.2). Als Grundansatz der Interpretation bleibt der etwa von Pesch, Markusevangelium II 298 und Brandenburger a.a.O. 151 eingeschlagene Weg, die Warnungen der w.21f auf Entwicklungen im Judentum zu beziehen, der zu präzisieren ist: v.21 zielt, streng genommen, nicht auf „Heilsverheißungen jüdischer Messiasprätendenten" (PI.; so Brandenburger a. a. O.), auch nicht auf „Messiasprätendenten" (wieder PI.) des Aufstands (so Pesch a.a.O. 298f unter Aneignung der o. unter 2.1.1.6 zu kritisierenden Forschungsposition, Aufstandsführer hätten messianische Ansprüche erhoben), sondern auf eine sich im Volk jenseits der Aufstandsführer ausbreitende Hoffnung, Gott werde doch noch rettend eingreifen und zwar personal durch einen (Sing.), den Gesalbten. Die Pluralisierung in Mk 13,22 entsteht erst durch christliche Polemik. Zum Skopus des Gesamtabschnitts in den w.24-27 schließlich s. neben der obigen Lit. und den Kommentaren die bei Kümmel, Menschensohn 161 mit Anm. 46 angegebene Speziallit. 2.2 So die in der Diskussion nach Hahn, Hoheitstitel 185 und diesen teilweise korrigierend herausgestellten Implikationsmöglichkeiten von προχειρίζειν (s. einerseits Voß, Christologie 152, andererseits Lohfink, Christologie 235f). 2.3 Näherhin den Zeiten der Erfüllung aller auf eine heilvolle Wiederherstellung des Gottesvolks zielender Prophetie: s. etwa Lohfink a.a.O. 238f und Kränkl, Jesus 194ff. 294 Am bekanntesten in je eigener Weise von Robinson, Christology 143-152, Wilckens, Missionsreden 152-155,234f und Hahn a.a.O. 184ff. 2,5 S. bes. Vielhauer, Prüfung der Thesen Hahns 169f, Voß a.a.O. 28-31,151f, Lohfink a.a.O. passim und Kränkl a.a.O. 196ff.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

301

Formulierung einschmolz. 2 " Die traditionellen Elemente bündeln sich dabei in den w , 1 9 f mit ihrer an einen Umkehrruf gebundenen Ansage von Aufatmen und Gesalbtem, während v.21 so stark lukanisch überformt ist, daß er zur Erhellung der Tradition nicht herangezogen werden kann. 297 Die Tradition knüpft an die Vorstellungsentwicklung um und nach dem Jüdischen Krieg an: Das Motiv der eschatologischen „Zeiten des Aufatmens" verdichtet sich parallel in den jüdischen Quellen der spätneutestamentlichen Zeit (4 Esr 7 , 9 0 - 9 8 ; l l , 4 6 und syrBar 73,1-74,1)." 8 Das Bereitstehen des Gesalbten antwortet auf die eben skizzierte drängende H o f f n u n g des Judentums, in der Größe der N o t bleibe ein Eingreifen Gottes durch eine ihm als Gesalbter singular nahe Heilsgestalt nicht aus.

Die Linie des Textes, die Lukas in die Petrusrede einschmilzt, wendet den Impuls christologisch. Statt zum Hinlaufen, Ausschauhalten ruft sie in Steigerung und Umbruch jüdischer Umkehrtradition zu einer sündentilgenden Umkehr zu Jesus, dem Gesalbten. Denn der für die Israeliten bereitstehende Gesalbte sei kein anderer als er - der Name Jesus ist in v.20 betont eingefügt - , der nach Gottes Willen („Muß") bis zu seiner rettenden Sendung in den Himmel aufgenommen sei.299 Ein eigenwilliger Parusiegedanke bildet sich aus, der in Linie der bisher kennengelernten christlichen Entwicklung Davids-, Königs-, Herrschaftsmotivik und ebenso die für nachfolgende jüdische Quellen (etwa syrBar - s.u. - und TFrag, TPsJ zu Gen 49,10) wichtige Vorstellung des Messias als Kriegers außer acht läßt, 300 um allein Heilsmotivik zu betonen. 3 0 1 2

" Dieser Auffassung kommt inzwischen auch Hahn ein Stück entgegen: Problem bes,149ff. 2.7 Lohfink a. a. O. 227-240 hält als Traditionskern nur v.20a fest. Aber dieser setzt als δπως-Satz eine Aufforderung wie die von v.19 voraus, so daß mit Hahn a.a.O. 142 eine an jüdische Umkehrvorstellung anknüpfende Traditionsbasis für v.19 festzuhalten ist. Zwischen 20a und 20b signalisiert sodann der Subjektwechsel, daß zwei verschiedene Traditionen zusammenlaufen, die Lukas mit sicherem Gespür verbindet. Was v.21 angeht, suchte zuletzt Hahn den Kern als Tradition zu halten, wurde dadurch aber zu einer Apokatastasis panton-Vorstellung gezwungen, die - für die Traditionsthese sehr schwierig - nur nichtjüdisch-griechisch zu verankern ist (letztlich auch a.a.O. 146ff). Für lukanische Eigenformulierungen liegt dagegen das Nomen „Apokatastasis" nach dem entsprechenden Verb in Act 1,6 nicht fern; daher ist dafür zu entscheiden. 2.8 Genaueres bei Lohfink a.a.O. 230ff, Umfeldhinweise noch bei Schnackenburg, Christologie 251 f. Vor 70 fehlen Korrelate. 2.9 Die Philologie von v.20b (s. Vielhauer a.a.O. 170) wie das δέχεσθαι am Anfang von v.21 (vgl. O'Neill, Theology of Acts 128) weisen darauf, daß Jesus für die Formel und ihre lukanische Aufnahme als Gesalbter in den Himmel aufgenommen, nicht erst dort dazu eingesetzt worden ist oder eingesetzt werden wird (anders Hahn, Hoheitstitel 185). 300 Hahn, Problem 139 weist darauf hin, daß eine Erhöhungs-, Verherrlichungslinie unseren Text mit Act 2,36;3,13 verbinde. Das ist richtig, aber diese Erhöhung führt zu einer Parallele von Christos und Kyrios (2,36), nicht von Christos und Königstitulatur, somit nicht eigentlich zur Vorstellung einer „Einsetzung als königlicher Herrscher" (Hahn ebd.). 301 Das Gesagte spricht dafür, daß diese spezielle Gestalt des Christos-Parusiegedan-

302

Grundlegung

Kehren wir zu den jüdischen Quellen zurück. D i e drängende Erwartung der in der Johananüberlieferung und M k 13,21 aufgegriffenen „schau, der Gesalbte"-Aufforderung erfüllte sich weder im noch in den Jahrzehnten nach dem Jüdischen Krieg. D o c h das Erwartungsambiente war stark genug, um bei einzelnen Rabbinen Reflexionen auszulösen, wann die Heilszeit komme. 3 0 2 Auch begegnet wohl zwischen 80 und 100 erstmals die Frage, wie lange das Zeitalter des Messias dauere. 303 So läßt sich als erste Summa der Vorstellungsentwicklung nach 70 die knappe Bekräftigung in 4 Esr 7,28* hören, „der Gesalbte" 304 werde von Gott her offenbar und erfreue die Überlebenden für 400 (?) Jahre. 305 Ihre Integration in 4Esr führt uns zu den kurz vor oder um die Jahrhundertwende abgeschlossenen Schriften 4 Esr und syrBar. Deren jüdische Trägerkreise sind, so gewiß sie dem sich ausbildenden Rabbinentum nicht zu fern stehen, nicht sicher bestimmbar. 306 Für uns wichtig, zentrieren sie ihre H o f f n u n g keineswegs exklusiv auf messianische Erwartung; in 4 Esr geht z . B . 6,25 eschatologisch über den Messias hinweg, in syrBar die gesamte Verkündigung des „Baruch"-Briefs 78,1-86,3. 3 0 7 Wir dürfen also auch nach 4 Esr und syrBar am Ende des l . J h . noch von keinem geschlossenen, allgemein dominanten herrschermessianischen System des Judentums sprechen. Innerhalb dieses Rahmens findet sich in beiden Schriften das im Impuls der Jahre um 70 grundgelegte absolute „der Gesalbte" (ins Hebräische rückübertragen Π'&δΠ: in 4 Esr noch 12,32; in syrBar 29,3;30,1). kens urchristlich relativ spät entstand (in Fortführung der von Vielhauer a.a.O. 176f begründeten Forschungsposition; gegen Hahns Frühansetzung bis a.a.O. 150 u.ö.). Die von Roloff, Apostelgeschichte 73 gezogene Querlinie zu Rom 9-11 (bes. ll,25f) deutet nicht auf höheres Alter, sondern weist darauf hin, daß die paulinische Theologieentwicklung (s. noch bes. 1 Kor 15,23ff) zu den Voraussetzungen Lukas' gehört. 302 Das von Schäfer, Hoffnungen 98-102 gesammelte und kommentierte Material (aus bSan 97bf,98a und BerR 64,10) dokumentiert, da es den Messiasbegriff nicht enthält, zugleich eine fortbestehende rabbinische Zurückhaltung gegenüber diesem. 303 Rabbinisch gespiegelt in bSan 99a, bei Neusner, Messiah 174f in weiteren Kontext eingeordnet (etwas anders Dexinger, Messianismus 244 nach Silver, Speculation 14f). 304 So Ar 2 ; U.B. Müller, Messias 90 vermutet für die schwer rekonstruierbare Grundlage „mein Gesalbter". 305 Die Kargheit von 4 Esr 7,28f gegenüber der Adlervision der Kap.l lf betont Stone, Question 21 lf; „mein Sohn" in 7,28 dürfte christliche Interpolation sein (s.u.). Für sich genommen, setzt der Kern von 7,28 mit dem nicht näher (etwa herrscherlich) umschriebenen Gesalbtenhinweis nicht allzufern zum Erwartungsneuaufbruch um 70 an. Greift er daher auf kurz nach diesem entstandene Tradition zurück? 306 Zum gegenwärtigen Stand der Einleitungsdiskussion s. G. Vermes in Schürer, History III/l, 294-306 und ders./M. Goodman a. a. Ο. III/2, 750-756, dazu o. mit Anm. 145, zur Problematik der Bestimmung des Verhältnisses zu den Rabbinen Lester L. Grabbe, Chronography in 4 Ezra und 2 Baruch, SBL 1981 Seminar Papers (ed. K.H. Richards), Chico, CA 1981, 49-63, hier 59ff (sehr einbettend Ferch, Messiah). 307 S. Stone, Messiah 312 und Bogaert, Baruch I 415f.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

303

Es nähert sich, die bisherigen Beobachtungen fortsetzend, nur zögernd spezifisch königlichen Zügen. In 4 Esr evoziert allein die unsichere Stelle 12,32 am Rande das Bild eines Regenten nach David. 308 In syrBar, wo die Ausführung des Prädikats zu „mein ( = Jahwes) Gesalbter" in 39,7;40,1;72,2; vgl. 70,9 der älteren Königstradition näher rückt, thematisiert gleichwohl erst 73,1 Motivik um Diadem, Thron und Königsherrschaft, und dies weiter ohne Gebrauch des Prädikats König. 309 Den Hintergrund solchen Zögerns machen 4 Esr 12,22ff und syrBar 39,3ff sichtbar. An Könige und Königreiche erinnert man sich - in der geschichtlichen Situation unmittelbar verständlich - zuerst als an Plagen und Zerstörer. Nicht in ihrem Strom, sondern gegen ihren Frevel wird darum der Gesalbte auftreten. In 4 Esr 12,3iff erscheint er deshalb schwerpunktmäßig als überführender und vernichtender Richter, in syrBar 39,7-40,2;70,9-72,1 zugleich als tötender Krieger.310 In seinem Befreiungshandeln nach 4 Esr 12,34 kann ergänzend ^SJ („Erlösungs")-Erbe aus der Zeit des Jüdischen Kriegs nachschwingen. 311 Neues Recht setzt er, entsprechend dem Interesse an Gültigkeit und Durchsetzung des überkommenen Gesetzes (s. bes. syrBar 40,7), nicht. 312 All sein Wirken bindet ihn an die gegenwärtige Welt, diesen Aon, so gewiß das ihn umgebende Heil syrBar 73 in Gottes neue Zeit hinüberdrängt. 313 Wie lange sein Auftreten dauere, läßt syrBar offen, 308

S. Stone a.a.O. 311 und o. am Anfang von Ausblick 2. syrBar 39,2-40,3 setzen dem letzten negativen Herrscher zuvor nur einen Anfang, bestenfalls eine άρχή des Gesalbten entgegen (s. die Texthinweise Violets in GCS 10, 256f zu 39,7; 40,3). 310 Umfassender zu den Akzentverschiebungen zwischen den Visionen Charlesworth, Messiah 200-205, zu den gemeinsamen antirömischen Tendenzen Lacocque, 4 Esdras 244. Die Zurückdrängung von Kriegsmotiven in 4 Esr 12,33 kann durch eine antizelotische Tendenz bedingt sein (a.a.O. 102f). - 4 Esr 11-12 sind in sich nicht ganz ausgeglichen: Nach 11,46 liegt das Endgericht nach den Tagen des Messias, dem der Duktus vor 12,31 ff eigentlich stärker kriegerische Züge gäbe (s. Stone a.a.O. 296-303). Zudem verbreitert der Plural in w.33f das Richten des Gesalbten über die in der Adlervision davor im Zentrum stehende Fremddespotie hinaus (Alden Lloyd Thompson, Responsibility for Evil in the Theodicy of IV Ezra [...], SBLDS 29, Missoula, Mont. 1977, 236). 311 Das „liberare" der lateinischen Überlieferung, das unmittelbar an eine Befreiung vom römischen Joch denken läßt (Müller a.a.O. 103), kann auf ^RJ zurückgehen: vgl. die - jeweils zugleich eine Nähe zu „redimere" herstellende - Vulgataübersetzung von VXJ in Jes 35,9;51,10; Jer 31,11. Doch erlaubt das nicht so weitgehende Schlüsse wie bei Kim, XPICTOC 170-175ff, die nach ihrer „gaar-Entscheidung den Bogen zum λυτροϋσθαι von TestLev 2,10 und Lk 24,21 schlägt (was nicht mehr durch ein Vulgata-„liberare" abgedeckt ist), um einen neutestamentlichen Erlösungsvorstellungen nahen Horizont der jüdischen Messiasvorstellung zu erhalten (vgl. 177 und noch bis 191). 312 Dazu bes. Münchow, Ethik 81ff,102ff. 313 Vgl. - in Grundsatzerörterungen über das Geschichtsbild von 4 Esr und syrBar Harnisch, Geschichtsverständnis 256f,259,261 nach 128ff. Die Heilsbeschreibung von 73,2-74,2 ist nur lose mit dem Gesalbten verbunden. 309

304

Grundlegung

während 4 Esr es mit der Aufnahme der bereits erwähnten Stelle 7,28 handschriftlich umstritten auf 400 Jahre festsetzt. 314 Am Ende seiner Jahre wird er laut 4 Esr 7,29 wie alle Menschen sterben.315 Besonderes Augenmerk finden seit jeher die Züge, die die Verbindung des Gesalbten mit Gott vertiefen. So bezeichnen syrBar 29,3;39,7; vgl. 73,1 und 4 Esr 7,28 sein Erscheinen, da von Gott her geschehend, als Offenbarwerden und verdichten damit theonom die Ausschau der besprochenen älteren Voten. Aber noch wird nur ansatzweise über die Existenz des Gesalbten vor seinem Offenbarwerden reflektiert (4 Esr 12,32). Wahrscheinlich stellte der Verfasser/Redaktor von 4 Esr sich ihn vor seinem Auftreten in Gesellschaft der Entrückten vor (14,9). 316 Weitergehende Präexistenzaussagen, wie die Forschung sie immer wieder suchte, liegen fern. Sie werden vom Judentum auch im neuen Entwicklungsschub vom 3. Jh. n.Chr. an nur partiell erreicht, nie in der Gestalt einer Schöpfungsmittlerschaft, wie sie neutestamentlich-christologisch begegnet. 317

314 Eine mögliche Lösung der schwierigen Zahlenangabe bietet Grabbe a.a.O. 52ff,62: Der 4 Esr-Autor sah seine Zeit als ca. das Jahr 5500/5600 von 6000 Jahren Menschheitsgeschichte (vgl. 14,47) und adaptierte gegenbildlich die Erwartung 400 harter Jahre von Gen 15,13. Weniger aufschlußreich bleibt Wilcke, Problem 44f. 515 Ein Teil der französischen Forschung (Gry, Mort du Messie; Grelot, Messie 29f; nicht Bogaert, Baruch 414 Anm. 2) vermutet in dieser Sterbeansage eine Interpolation. Doch enthält sie nichts spezifisch Christliches (vgl. schon Keulers, Lehre 84); vielmehr irritierte die 400-Jahre-Angabe die Christen (s. Bloch, Interpolations 93). - Ein Einfluß von Dan 9,26, wie Lacocque a.a.O. 248 ihn annimmt, ist unwahrscheinlich. Falls syrBar 30,1 ursprünglich von einer Rückkehr des Gesalbten in die Herrlichkeit (Gottes) sprach, liegt eher dort eine verwandte Vorstellung vor (s. die bei Kim a.a.O. 263 Anm. 57 genannte Lit. bis A.F.J. Klijn, JSHRZ V/2, 1976, 142). 316 Dazu Brandenburger, 4.Esra 130,136 (auch die Begleiter des Gesalbten von 7,28 können demnach Entrückte sein) und K. Müller, Menschensohn 183. Stone, Eschatology 133ff denkt 7,28 (und 14,9) eher an eine begleitende Engelschar. 317 Schimanowski, Weisheit und Messias ergänzt zur Begründung seiner These von einer jüdischen Tradition des „präexistenten Messias" im 1. Jh. n.Chr. (307 u.ö.) das auch von ihm festgestellte Ungenügen unseres Textes 4 Esr 12,32 (195ff) vor allem durch Vorstellungen der Bilderreden des äthHen (namentlich 48,1-7), die aber begrifflich keine Gesalbten-, sondern Menschensohntradition entfalten (159-194; 48,8-10 gelten ihm 191 Anm. 142 als Einschub). Kim a.a.O. 158-161 verwendet einen unscharfen Präexistenzbegriff. Vermeidet man beides, so erhalten die Traditionsanalysen etwa von Jarl Egil Fossum, The Name of God and the Angel of the Lord. The Origins of the Idea of Intermediation in Gnosticism, Diss. Utrecht 1982 (Diss.-Druck), 306 und Goldberg, Namen des Messias 76ff Gewicht. Demnach läßt sich jüdisch zwar ab dem 3. Jh. n.Chr. eine Verbindung Beginn der Schöpfung-Messias-Adam (PesR 33,6; BerR 2,4;8,1), in weiterer Literatur auch eine Präexistenz des Messiasnamens nachweisen (bes. MTeh 90 §12), aber nie eine messianische Schöpfungsmittlerschaft. Was die christologischen Schöpfungsmittleraussagen des Neuen Testaments angeht, wird man den jüdischen Wurzelbereich weiterhin in vormessianischen Weisheitstraditionen suchen müssen (s. Fossum a. a. O. 307ff und vgl. auch Schimanowski a.a.O. 13-106,309-328).

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

305

Erstmals erscheint für den eschatologisch-herrscherlichen Gesalbten der Titel des Knechtes Jahwes, genauer „mein Knecht". Allein Gott verwendet das Prädikat - textlich unumstritten in syrBar 70,9 zeichnet seinen Gesalbten dadurch als ihm singular verbundene Dienst- und Zusagegestalt aus.318 Freilich führt das nicht in die Fülle des Gottesknecht-Traditionskreises, sondern akzentuiert nur die Traditionslinien einer gottesknechtlichen Entmachtung der Mächtigen und Rehabilitierung der Gerechten, nicht die Leidensaussagen Deuterojesajas (auch an allen nach dem folgenden in Frage kommenden Stellen von 4 Esr). 319 4 Esr vollzieht titular vielleicht noch einen Schritt und gibt vorübergehend die Scheu auf, Gott vom Gesalbten als „(mein) Sohn" reden zu sehen (7,28f; vgl. 13,32.37.52; 14,9). Der darauf weisende Befund in der allein erhaltenen christlichen Uberlieferung steht allerdings übersetzungstechnisch wie aufgrund der christlichen Textvorschaltung der Kap.lf mit ihrer christologischen Verwendung des Gottessohntitels (2,46f) unter dem begründeten Verdacht, auf die christliche Rezeption von 4 Esr zurückzugehen. „ S o h n " k a n n leicht aus e i n e m v e r l o r e n g e g a n g e n e n 12V („Knecht" w i e in syr Bar) ü b e r d a s - gleichfalls v e r l o r e n e - g r i e c h i s c h e π α ι ς („Knecht, S o h n " ) im Z u s a m m e n h a n g der altkirchlich verbreiteten T e n d e n z e n t s t a n d e n sein, e i n e in der K n e c h t s b e z e i c h n u n g n u n g e h ö r t e E r n i e d r i g u n g Christi z u v e r m e i d e n , sie d u r c h ein B e k e n n t n i s z u r g ö t t l i c h e n S o h n s c h a f t z u ersetzen. 3 2 0

Jüdisch jedenfalls entstand auch durch 4 Esr keine Tradition, den Messias Sohn Gottes zu nennen. Vielmehr bediente sich das rabbinische Judentum in der Folgezeit des Bildkreises Vater-Sohn zur Bezeichnung des Verhältnisses Gott-Gottes Gesalbter allenfalls vorsichtig vergleichend. 321 318

Vgl. Bogaert, Baruch 418f. D a Theisohn, Richter (bis 140ff) einen ähnlichen Gottesknechtrezeptionskreis (nach Jes 49,7) in den Bilderreden des äthHen gewinnt, scheinen wir uns hier in einem breiteren Strom des l.Jh. n.Chr. zu befinden. 320 Der Sachverhalt wird seit Violets editorischer Knecht-Rekonstruktion (GCS 32,74f) viel diskutiert. Wichtigster Vertreter der These christlicher Interpolation bzw. Änderung ist Bloch a.a.O. 88ff, neuer Verfechter ursprünglicher Sohnesbezeichnung in 4 Esr 7,28f Gero, Messiah passim. Beide beziehen den durch die (vielleicht ins 2. Jh. zurückgehende: s. Charlesworth, Christian Additions 46) christliche Vorschaltung von 4 Esr 1-2 (ed. Robert L. Bensly, TaS 3/2, 1895, 83-87) sich ausbildenden christologischen Gesamtzusammenhang nicht ein. 321 Der Befund ist am übersichtlichsten bei Grundmann, Gottessohnschaft 103ff dargestellt, 105 in einem Zitat aus Origenes, c. Celsum I 49 gebündelt: „Ein Jude würde nicht bekennen, daß ein Prophet sagt, ein Sohn Gottes werde kommen, denn sie sagen: Kommen wird der Messias Gottes." Zum Zusammenhang gehört die nur zögernd und entschärfend messianische Rezeption von Ps 2,7 und das gänzliche Fehlen einer solchen von 2 Sam 7,14 im Rabbinat (s. Eduard Lohse, υιός C II, T h W N T VIII 358-363, 363). 319

306

Grundlegung

Stärker e i n g e b e t t e t ist j ü d i s c h die A n e i g n u n g d e s K n e c h t p r ä d i k a t s . D e n n m a n e x p a n d i e r t z w a r a u c h d i e s e s in der F o l g e z e i t nicht in n e u e n F o r m u l i e r u n gen, aber w o es bei alttestamentlichen P r o p h e t e n steht, h ö r t m a n g e l e g e n t l i c h die A s s o z i a t i o n d e s sich v o l l m ä c h t i g herrscherlich d u r c h s e t z e n d e n G e s a l b t e n mit u n d e r g ä n z t dies im Bibeltext. A u f f ä l l i g e r w e i s e bleibt d a v o n das E z - T a r g u m 3 2 2 ausgespart, d o c h d e r V o r g a n g f i n d e t sich T J o n S a c h 3,8 u n d v o r allem in d e n G o t t e s k n e c h t l i e d e r n D e u t e r o j e s a j a s ( T J o n Jes 42,1;43,10;52,13), w o r a u f unter 2.2.7 z u r ü c k z u k o m m e n sein wird.

Durch das Offenbarwerden des Gesalbten aus Gottes Herrlichkeit ergeben sich schließlich Berührungen mit der Tradition eines wie ein Mensch (Menschensohn) bei Gott/von Gott her Erscheinenden (vgl. bes. Dan 7,13; äthHen-Bilderreden). 323 Sie verdichten sich in 4 Esr

Schließlich fällt hier die Entscheidung über die (nicht mit dem Gesalbtenprädikat verbundenen) Sohn Gottes-Belege in ApkEl 41,6f und TestLev 4,4: Sie sind im Lauf der christlichen Uberlieferung zugewachsen (zu TestLev 4,4 vgl. Becker, Testamente 264). 322 Spiegelt sich in ihm, d a ß sich jüdischer Messianismus auch in nachbiblischer Zeit nicht überall gleich durchsetzen konnte (so Levey, Messiah 85ff)? - Die Darstellung Joachim Jeremias', παις θεοδ C, T h W N T V 676-698, ist zum E z - T a r g u m ungenau (680); der Schluß aus der Knappheit der Gesamtbelege auf ein rabbinisches Meiden des Knechtstitels aufgrund christlicher K o n k u r r e n z (696) und die Ansetzung der messianischen Belege vor 100 n . C h r . (680) sind unverifizierbar. 523 Die Menschensohntradition kann hier nicht entfaltet werden. Für unseren Zusammenhang wichtig könnte sich vor allem der Forschungsansatz zeigen, die visionären Mensch-, Menschensohn-, wie ein M e n s c h - E r w ä h n u n g e n seit Ez 1,26;8,2; D a n 7,13; 10,16.18 bis Apk 1,13; 14,14 als „Element der Epiphanieterminologie [aufzuschlüsseln]: eine Figur erscheint als Mensch (nicht als Tier)" (Zitat A.P. van Schaik, "Αλλος άγγελος in Apk 14, in: L'Apocalypse johannique et l'Apocalyptique dans le Nouveau Testament, par J. Lambrecht e.a., BEThL 53, Leuven 1980, 217-228, hier 223). Bislang wurde diese Linie vornehmlich unter angelophanem Aspekt (bis ApkAbr 9 - 1 1 und JosAs 14,1-17,8) verfolgt (bes. durch Christopher Rowland, T h e Vision of the Risen Christ in Rev. 1.13ff: T h e Debt of an Early Christology to an Aspect of Jewish Angelology, J T h S 31, 1980, 1-11 und ders., A M a n Clothed in Linnen. Daniel 10.6ff and Jewish Angelology, J S N T 24, 1985, 99-110). Doch sie könnte auch Schwierigkeiten der Bilderreden von ä t h H e n und 4 Esr lösen. Denn die Menschengestalt erscheint dort in funktionsmäßig nicht eng verbindbarer Weise einerseits vornehmlich als Richter (in den Bilderreden des ä t h H e n vor der Schlußergänzung um Kap. 71, wo sie v. 14 überraschend - nach Kearns, V o r f r a gen II 134f glossarisch - mit dem entrückten H e n o c h identifiziert wird), andererseits (in 4 Esr 13) als vernichtender und errettender Krieger (als Problem hervorgehoben bes. von Theisohn, Richter 144f). W e n n der Kern der Menschen-Erscheinungsformulierungen eine verschieden entfaltbare Aussage von Epiphanie und mit dieser verbundener hoheitlicher Gottesnähe war, um die sich nur allmählich festere Traditionen anlagerten, wird die Divergenz leichter verständlich als durch die bisherigen Entwicklungsableitungen (für diese bei 4 Esr 13 zuletzt Kearns a . a . O . II 139-149, III 160ff,179-190: ein H a d a d - E p i theton sei im theophanen Textkern durch seine Anwendung auf Jahwe u m - , in einer nächsten Interpretationsschicht zum allegorisch übertragbaren Messiassymbol abgewertet worden; das Symbol schließlich habe sich durch seine D e u t u n g auf den Knecht des Höchsten fortgebildet). Eine N e u o r d n u n g der vielfältigen religionsgeschichtlichen Ableitungsversuche (Ubersicht etwa bei Kearns a. a. O . III 4-28) unter diesem Gesichtspunkt,

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

307

13.324 Nachdem schon die Adlervision von 4 Esr l l f eigenwillig auf Dan 7,2ff zurückgriff 325 , entfaltet die dortige Vision des „Menschen" (13,1-13; v.3 „wie ein Mensch") in wiederum partiellen Anklang an Dan 7 (nun w . l 3 f ) das Bild einer theophanen Gestalt, die allen feindlichen Ansturm überwindet und eine Vielfalt von Menschen sammelt. 326 13,32.37.52 deutet diese Gestalt als den Sohn/Knecht des vorangehenden Textes (7,28f), somit indirekt als den Gesalbten. Eine Korrespondenz zwischen Gesalbten- und Menschen-Konzeption entsteht, 327 die zu einer Steigerung der Messiasfunktion führt. D e n n der Gedanke einer messianischen Befreiung/Erlösung von 12,34 weitet sich, durch die Menschenvision angeregt, über das Gottesvolk hinaus auf die ganze Schöpfung aus (13,26; lat. liberare wie 12,34), behält freilich nach wie vor komplementär eine strafrichterliche, vernichtende Komponente (s. 13,27ff). 328

Zugleich bleibt in 4 Esr 13 die verschiedene Provenienz der Ausdrucksweisen erkennbar. Denn der Begriff Gesalbter erscheint in unserem Kapitel nicht, und die Deutung der Menschenvision übergeht, um sie an das vorangehend entworfene Gesalbtenbild anzupassen, 13,25-51 fast alle theophanen Züge der Vision. 329 So bietet auch diese weitestgehende Quelle der neutestamentlichen Zeit keine begrifflich und vorstel-

der sie einerseits relativiert, ihnen andererseits das Recht von je nach Text zu erhebenden Einflußkomponenten beläßt, steht noch aus. 324 Die Versuche, auch in syrBar 53 eine Kontamination Messias-Menschensohn zu finden (U.B. Müller, Messias 134-142; K. Müller, Menschensohn 52ff; Kim, XPICTOC 164ff) scheitern daran, daß dort sowohl Menschen(sohn)- wie Gesalbtenbegriff fehlen (s. Theisohn a. a. O. 147f, akzeptiert etwa von Colpe, Untersuchungen 360). - Auf den in der Forschung weiterhin gern als Parallele herangezogenen Sachverhalt in den Bilderreden des äthHen war schon am Ende von 2.2.3.2 einzugehen. 325 Um das Auftreten des Gesalbten im Bild des Löwen skizzieren zu können, wurde der Löwe aus der Beschreibung des ersten Reichs von Dan 7,4 gelöst, ja gegen jenes gestellt. 326 Kee, Man passim beurteilt den Einfluß von Dan 7 besonders hoch. 4 Esr 13,3f. 10 nehmen in starkem Maß theophane Motive auf (vgl. z.B. Mi 1,4 und Ps 18,9.13; weitere Belege bei U.B. Müller a.a.O. 110 und Stone, Question 221 Anm. 16ff)327 Vgl. Charlesworth, Messiah 205. 328 Den Zusammenhang des Befreiungs-/Erlösungskonnexes von 13,26ff mit dem Bereich des Menschensohngedankens stellte K. Müller a.a.O. 184 unter Querverweis auf äthHen 45,4-5;46,4-8 heraus. Kim a.a.O. 184f löst 13,26 unberechtigt von den Folgeversen, um ihm einen „religiös-existentiellen Horizont" (185) zu geben. 329 Einzelanalyse bei K. Müller a.a.O. 182-185. Von allen theophanen Zügen wird nur das Feuermotiv aufgenommen; die Gesetzesinteressen von 4 Esr spiegelnd, wird es als die sündigen Völker vernichtendes Gesetz gedeutet (v.38 nach 10; vgl. Stone a.a.O. 213f)· Die Differenzen zwischen Vision und Deutung veranlaßten ältere Forschung, eine Interpolation der Vision zu vermuten. Gegenwärtig wird eher angenommen, der 4 Esr-Autor habe seine Interpretation zu einer zuvor existierenden Vision geschrieben (s. Stone a.a.O. 213; Lit.)

308

Grundlegung

lungsmäßig

volle,

explizite

Kontamination

von

Menschensohn

und

Messias.330 Jüdisch f i n d e t 4 Esr 13 k e i n e W e i t e r f ü h r u n g . V i e l m e h r s c h w i n d e t 4 Esr - w i e die ä t h H e n - B i l d e r r e d e n - aus der j ü d i s c h e n U b e r l i e f e r u n g . D i e r a b b i n i s c h e n B e l e g e einer m e s s i a n i s c h e n D e u t u n g der M e n s c h e n s o h n a n s a g e D a n 7,13, die die s o e n t s t e h e n d e L ü c k e f ü l l e n k ö n n t e n , b e g i n n e n erst jenseits der T a r g u m e u n d w e r d e n a u c h d a n n n i c h t allzu breit. 3 3 1 Ein G e g e n g e w i c h t f i n d e n sie in der D e u t u n g v o n Ps 8 0 , 1 6 - 1 8 im ( H a g i o g r a p h e n - ) T a r g u m . D e n n d o r t w i r d z w a r das ρ v o n v . l 6 b M T als „ K ö n i g M e s s i a s " übertragen, aber die parallele M e n s c h e n k i n d a u s s a g e v o n v . l 8 b als e i n f a c h e M e n s c h - , w e n n m a n s o will N i e d r i g k e i t s a u s s a g e belassen. 3 3 2 Für

eine

Einflußnahme

auf

noch

wachsendes

neutestamentliches

S c h r i f t t u m k o m m t 4 Esr 13 z u spät. In k e i n e r Schrift des N e u e n T e s t a ments läßt sich eine B e z u g n a h m e auf seine Zentralabschnitte und

13,26

ausmachen.333

Damit

ergibt

sich: Z u r Z e i t Jesu

13,2-13 und

des

schriftbildenden U r - und Frühchristentums bestand jüdisch noch keine n o r m s e t z e n d e Gleichläufigkeit oder gar Identität zwischen herrscherlicher Gesalbten-(Messias-) und Menschensohntradition.

Traditionsge-

schichtlich sind die neutestamentlichen G e s a l b t e n - u n d M e n s c h e n s o h n a u s s a g e n je g e s o n d e r t a u f z u s c h l ü s s e l n . 3 3 4

530 Für M . Müller, „Menschensohn" 80-87 löst sich das Problem noch einfacher: „Mensch" sei im Kap. ausschließlich visionärer Begriff ohne titulare Tradition; mit der messianischen S o h n - G o t t e s - B e z e i c h n u n g würde nur visionäre Symbolsprache gedeutet. In diesem Fall zerfiele der Zusammenstoß theologischer Traditionen, angesichts der Bezüge zu Dan 7,13 in v.3 kaum haltbar. 331 S. Bill. I 486,956f. Risikoreich erweitert K. Müller a . a . O . 57-65 den Argumentationskreis unter der Linie, Menschensohntradition habe unter der irdisch-nationalen Messiaserwartung überlebt. Weiter ringt mit dem Befund (unter ungenauer Beiziehung von Justin, dial. 22) H r u b y , Anzeichen 87-90. Eine noch kaum erschlossene Komponente stellt die jüdische Auseinandersetzung mit christlicher Menschensohn-Rezeption dar (s. immerhin Dexinger, Messianismus 252 mit Anm. 197 S.264 zu T a a n 65b). 332 S. Levey, Messiah 119f mit Anm. 39 S.160. McNeil, Son of M a n 420 stellt zu schnell eine Querlinie zu den Bilderreden des ä t h H e n her: Unser Text enthält keinerlei Visions- oder überweltlichen Bezug des Menschen (Messiaskönigs), betont vielmehr v,18b wie 16b, d a ß erst Gott ihn stark gemacht habe. 333 Vgl. Kee a . a . O . 204 und die Verweisangaben bei N e s t l e - A l a n d 2 ' (gebündelt 769). Was einzelnes angeht, war auf die Differenz zwischen Gesalbten- und Menschensohnansage in M k 13 schon einzugehen; nicht zufällig erinnert M k 13,8 nur an die Erhebungsmotivik von 4 Esr 13,30f, bleibt die Menschensohnansage M k 13,26f weit davon (und von 4 Esr 13,32) getrennt. Unverifizierbar ist Kims Postulat, die aus 4 Esr 13,26 entnommene religiöse T e n d e n z der Messiasvorstellung (vgl. Anm. 328) ginge an den A n f a n g der neutestamentlichen Zeit zurück, ja sei die „religionsgeschichtliche Voraussetzung f ü r die [sei. christliche] Ü b e r n a h m e des Christostitels" ( a . a . O . 191 nach 185). 334 Vgl. das im forschungsgeschichtlichen Referat (1.1.2) bei Anm. 112 zitierte Urteil Colpes. Von einem Forschungskonsens kann freilich nicht gesprochen werden. Bittner, Gott - Menschensohn - Davidssohn wagt sogar die gegenläufige Konstruktion, ein mes-

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

309

Später übernahm man 4 Esr in christliche Überlieferung, doch ohne Beachtung des ursprünglichen Hoheitscharakters der „Mensch"-Tradition: 33S Man deutete das „homo" von 13,3 ab v.24 nur im Sinne von „vir",336 verstand als den gültigen Hoheitstitel - wie schon bemerkt - statt dessen das „filius meus", das man v.32 usw. las. Noch weiter paßte man die Textaussage der eigenen Christologie in v.26 an. Denn während die dortige jüdische Fassung nach dem Rekonstruktionskonsens der Forschung davon ausging, Gott sei das Handlungssubjekt der durch den erschienenen Menschen als seinen Agenten erfolgenden Befreiung/Erlösung, 337 hält die christliche Hauptüberlieferung (lat., vgl. syr., äth.) fest, der Sohn Gottes erlöse „per semetipsum", ja er habe dies - so korrigieren die lat. Hss. SL weiter - schon getan („liberavit").338 Der Etidkampfszenerie um das Zentrum des Zionsbergs, zu der die w.27-38 führen, schließlich gab man durch die Vorschaltung des Kap.2 ein an die Apk erinnerndes Gepräge. Denn in 2,42-47 psalmodieren auf dem Zion die universalen christlichen Scharen, um den Sohn Gottes gesammelt (vgl. Apk 7,9-17; 14.1-5),339 so daß nun 13,27-38 das Gerichtskorrelat des christlichen Lobpreises wird (vgl. Apk 14,7f). Zwischen 2 und 13 schließlich hörte man 7,28f entweder als Hinweis auf das Wirken des irdischen Jesus (so syr.: 30J.) oder als Variante der innerzeitlichen Seligkeitsansage von Apk 20,4-6 (so lat.).340 Auch syrBar wurde christlich nicht unverändert rezipiert. Nur ist dort die Sachfeststellung aufgrund der schmalen Uberlieferung schwieriger. Ein gewichtiger Eingriff liegt vor allem in 30,1 vor: Dort liest man keine Rückkehr des Gesalbten in die Herrlichkeit nach einer Zeit seiner Anwesenheit mehr, sondern einen Hinweis auf seine neue Ankunft - die Christusparusie -, auf die man in der Linie von 1 Thess 4,13-18 als Zeitpunkt der Auferstehung der Entschlafenen hofft. Die Heilszeit, die laut 29,3-8 der (ursprünglich Be-, nun) Vollendung vorangeht, wird zum auf die Parusie vorweisenden Anfang der eschatologischen Christusoffenbarung (s. das Anfangsmotiv v.3).341 sianisches Verständnis des Menschensohns beginne bereits Dan 7,13 und sei im Zusammenhang einer alt angelegten „.Deifikation' des davidischen Messias" (364,365) zu sehen. 135 Deren Beachtung ging ab Justin, dial. 100,3 breit verloren (Grillmeier, Jesus der Christus I 48ff). So dürfte die christliche Rezeption von 4 Esr wohl ab dem späten 2. Jh. erfolgt sein. 336 Ein Vorgang, den Kearns a.a.O. 167 kaum zu Recht schon vor die Ubersetzungen zurückzuverfolgen versucht. 337 S. die Textrekonstruktionen von B. Violet, GCS 18, 382f bis Josef Schreiner, JSHRZ V/4, 1981, 396. 338 Die Ubersetzungssynopse bei Violet a. a. Ο. verdeckt den christlichen Befund durch ihr Bemühen um den jüdischen Text partiell, doch geht er aus den Apparatangaben (lat. Anm. 3, syr. Anm. 2 - die christologische Lesart findet sich in der Ubersetzung in Klammern äth. Anm. 2, vgl. auch arab. Anm. 1) hervor. 339 Vgl. soweit Charlesworth, Christian Additions 47. 340 Zu ersterem o. Anm. 315. Letzteres wurde Anstoßpunkt für die frühneuzeitlichchiliastische Aneignung von 4 Esr (vgl. o. unter 1.1.1 mit Anm. 26). 341 Die wichtigste Interpolationserörterung für 30,1 bietet U.B. Müller a.a.O. 142ff (nach ihm Kim a.a.O. 157). Doch ist weniger Änderung nötig als bei ihm vorgesehen (zur Textgrundlage vgl. die Übersetzungsedition B. Violets, GCS 32, 245f; syr. die Edition M. Kmoskos, PS 1/2, 1114f): Das Wiederkehrmotiv in der 1. Satzhälfte kann einfach

310

Grundlegung

Suchen wir die urchristliche Schrift, die das christliche Gegenüber zu syrBar und 4 Esr am nächsten darstellt, so werden wir von der Forschung auf die Apk verwiesen. Aus dem Neuen Testament gilt sie oft als am stärksten, gelegentlich „ganz und gar in der Tradition des biblisch-prophetischen Messianismus" stehend. 342 Doch zeigt sich der Sachverhalt nicht ohne Komplikationen. Denn zwar wählt der ApkAutor im Zentrum der Schrift (11,15; 12,10) den Sprachgebrauch „sein (= Gottes, des Herrn) Gesalbter", der an eine Aufnahme der herrscherlichen Entwicklungslinie zwischen PsSal und syrBar denken läßt. 343 Doch steigert er die im gen. subi. τοΰ θεοΰ enthaltene Vorstellung der Herrschaftsnähe des Gesalbten zu Gott zu einem qualitativen Sprung, der die Begriffstradition sprengt: 11,15 zieht den Gesalbten (Christus) ohne subordinatianische Schranke in Gottes Herrschaft über die Welt hinein. So direkt übt er die Basileia mit Gott zusammen aus, daß das auf ihn und Gott, den Herrn, zu beziehende Prädikat des Nachsatzes in den Singular βασιλεύσει übergeht. Darauf skizziert 12,10 die Vollmacht des Gesalbten (Christi) in synonymem Parallelismus zur Basileia Gottes; in dieser engsten Verbindung sieht es die Basis für die christlich zu erfahrende Rettung und Kraft. 344 Ein Duktus entsteht, der die Eigenart des christologischen Gesalbtenverständnisses der Apk besser aus der Vorstellung von Gottes Königsherrschaft verstehen läßt als von der skizzierten jüdischen Herrschergesalbtenhoffnung der Zeit her. Plastisch tritt das im Umgang mit dem Königstitel hervor. Denn während die jüdischen Texte der Zeit diesen - wie skizziert - für den Gesalbten vermeiden, wählt ihn die Apk gleich zweimal, aber gesteigert zu „Herr der Herren und König der Könige" (17,14 und - umgestellt - 19,16). In dieser Wendung formuliert sich traditionell eine Gottesaussage: Die Gottestitulatur von Dan 4,33 LXX (nach Dtn 10,17) und keine jüdisch-messianische Aussage wird auf Jesus übertragen. 345 D a s e r g ä n z t in A p k 1 9 , 1 1 - 1 6 die z i t a t h a f t e A n e i g n u n g w e i t e r e r alter G o t t e s tradition: D e r in s e i n e m Z o r n e die Blutkelter t r e t e n d e J a h w e v o n Jes

uminterpretiert sein (vgl. o. Anm. 315), so daß als Textneueinfügung nur das auf die Wiederkehr als Parusie bezügliche „in der Hoffnung auf ihn-' im 2. Teilsatz bleibt. 342 Zitat Mußner, Traktat 130. 343 Vgl. die Forschung bis de Jonge, Apocalypse 267. 344 Zu 11,15 vgl. bes. Holtz, Christologie 7 mit Anm. 4 und de Jonge a.a.O. 270; die Spitze der dortigen Aussage wird bei Jörns, Evangelium 94f subordinatianisch gebrochen, ist aber von der Textanalyse her unausweichlich. Zu 12,10 vgl. bes. Jörns a.a.O. 11 Iff; auch unabhängig vom Parallelismus schlüsselt er die „exousia" des Gesalbten als Aussage schlechthinniger Erhöhung und Herrschaftsübergabe auf (vgl. Mt 28,18). 345 Vgl. G.K. Beale, The Origin of the Title „King of Kings and Lord of Lords" in Revelation 17.14, N T S 31, 1985, 618-620.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

311

63,l-3(bzw.6) wird von Jesus vertreten (v.15), der v.16 den Titel des Gottkönigs trägt. 346

Zuletzt öffnet sich von daher der Zugang zu Apk 20,4-6. Denn der Text bildet keineswegs eine strenge Parallele zu 4 Esr 7,28f. Nicht um ein durch den Tod - nach 4 Esr 7,29 den Tod nicht nur der Menschen, sondern auch des Messias! - begrenztes Wirken des herrscherlichen Messias geht es in ihm, sondern um eine (1000jährige) Sonderteilgabe des Gesalbten (Christi) für Auferstandene an seiner in sich unbegrenzten Herrschaft. Diese werden so für ihre irdische Standhaftigkeit im Zeugnis Jesu ausgezeichnet mit dem Ziel, daß kein zweiter Tod über sie Verfügung haben werde (w.5b-6). 3 4 7 Ins Zentrum rückt die Herrschaftsansage für die als Priester Gottes bezeichneten unverbrüchlichen Christen (v. 6 c nach 4). „Das messianische Herrschen der Priester Gottes" läßt sich daher der Abschnitt überschreiben. Abgestuft gegenüber der schlechterdings überbietenden Christologie und dieser zugleich aufs engste verbunden, 348 ist jüdisch-herrscherliche Tradition für das neue Volk Gottes, kollektivierend unter dem christlich geglaubten Gesalbten, fruchtbar gemacht. 349 Wie immer man theologisch zum eigenwilligen Chiliasmus von Apk 20,4-6 steht, unterscheidet er sich damit auch von der chiliastischen Rezeption des 4 Esr, soweit letztere den T o d des Gesalbten und aller dann übrigen Menschen in 7,29 stehen ließ, also für beide nur eine vorläufige messianische Zeit zeichnete. Folgerichtig korrigierte die (christliche) Hs. L des 4 Esr auch das dortige „morietur".350 Die Apk wird von neuem Interpretationsmaßstab für 4 Esr, nicht umgekehrt. Der souveräne Traditionsumgang der Apk in unserer Frage korrespondiert im übrigen demjenigen in der Behandlung des davidischen Fragekreises. 351 Die

346 Die ergänzend aufgenommene Menschenerscheinungstradition nach Dan 10,6 (v.12) und Gesalbtenerwartungstradition nach Ps 2,9 (v.15) geraten in diesen Sog, der in unserem Text sogar zur Vermeidung des etwaig mißverständlichen Gesalbtentitels für Jesus führt. - Im Forschungssog zur herrschermessianischen Interpretation möglichst vieler biblischer Stellen fand Apk 19,11-16 (vom Targum aus bei McNamara, New Testament 230ff, vom Menschensohn-Messias-Traditionskreis aus bei U.B. Müller, Messias 199-208) besondere Aufmerksamkeit. Doch blieb Jes 63,Iff, der Schlüsseltext für die Sachentscheidung, der jüdischen Tradierung stets als Gottestext bewußt, auch targumisch trotz Querklängen zu den targumischen Umformulierungen von Gen 49,1 Of ohne Eintragung des Gesalbtentitels (vgl. Bill. III 823 und - den Befund partiell überspielend - Grelot, exegese passim). 547 Zu den besonderen Problemen der Verse s. die Kommentare und Martin Karrer, Die Johannesoffenbarung als Brief [...], FRLANT 140, Göttingen 1986, 257f nach 244f. 348 Man beachte das abschließende „mit"-Motiv in v.6b. 349 Vgl. bes. die Interpretationen von Schüßler Fiorenza, Priester 229-344 (Zitat dort Uberschrift) und (nach ihr) de Jonge a.a.O. 274-278. 350 S. Anm. 15 zum lat. Text bei B. Violet, GCS 18, 140. 351 Vgl. o. in Ausblick 2 mit Anm. 245. - Der Traditionsumgang der Apk erfordert im

312

Grundlegung

„wie ein Mensch"- und „Widder"-Aussagen der Apk sind traditionsgeschichtlich nicht messianisch zu erklären.352 D e r komplexe Befund zur Apk läßt einen anderen Schriftenkreis des N e u e n Testaments für unsere Frage verstärkt zur Geltung k o m m e n , Lk/Act. In den letzten Jahrzehnten ist das Bewußtsein stark gewachsen, daß Lukas Traditionen aufnimmt, die das Gespräch mit dem Judentum suchen oder sich apologetisch an ihm orientieren. D a z u gehört auch die Entdeckung, daß er öfter und in vielleicht dichterer A n k n ü p f u n g ans Judentum als die A p k von Jesus als Gesalbtem des H e r r n / G o t t e s spricht (Lk 2,26;9,20;23,35; Act 4,26). 3 5 3 In der Interpretation ist kein Konsens erreicht, doch zeichnet sich w o h l die entscheidende Linie ab: Lukas hält im Ringen mit d e m bis zu seiner Zeit erfolgten Auseinanderbrechen v o n Christentum und Judentum betont fest, Jesus bedeute vor der Orientierung an den H e i d e n „für Israel das Heil". 5 5 4 Motiviert das seine Darstellung, dann erklärt sich, warum er h o h e s Gewicht auf die Proklamation Jesu einschließlich seines Verständnisses als Gesalbter gemäß der Schrift legt 355 u n d eine der jüdischen Vorstellungsentwicklung seiner Zeit e n t g e g e n k o m m e n d e Tradition wie die in Act 3,19f aufnimmt. Freilich stellt auch Lukas allen „Gesalbter des Herrn"-Formulierungen ein sie überbietendes χ ρ ι σ τ ό ς κύριος voran (Lk 2,1 1). 356 D a n a c h übrigen keine These jüdischer Vorlagen, wie sie etwa U.B. Müller a . a . O . 157-216 erstellte (kritisiert z.B. von de Jonge a . a . O . 280). 352 Eine Messias-Menschensohn-Kontamination in Apk 12 suchte U.B. Müller, Messias 187-189, ohne sich damit durchsetzen zu können (eine Menschen[sohn]aussage fehlt im Kapitel). - Friedrich Spitta, Christus als Lamm, in: ders., Streitfragen der Geschichte Jesu, Göttingen 1907, 172-224 begründete die D e u t u n g des „arnion" der Apk als Messias-Widder, die bis Böcher, O f f e n b a r u n g 23 wirkt. Doch begegnet άρνίον bis zu unserer Zeit nicht in Verbindung mit dem herrscherlichen Gesalbtenbegriff (auch C D VII 14; vgl. VIII 9f und ä t h H e n 89,41-50 füllen die Lücke nicht, so wichtig ihre Motive f ü r das Verständnis des Widder-Begriffs in der Apk sind). 353 Erster Hinweis zur Forschungsentwicklung unter 1.1 mit Anm. 171. O'Neill, T h e o logy of Acts 117-145 setzte - nach Vorläufern (s. 1.1 bei Anm. 177ff) - einen Einschnitt zu späturchristlicher Auffassung der lukanischen Christos-Linie. Zum Forschungsstand f ü h r t MacRea, Messiah 181(ff). 354 Sehr zugespitzt bei Jervell, Messias 77. 355 Vgl. zuletzt Bock, Proclamation bes. 278f (nach 262-265). D a z u gehört, d a ß Act 4,26f die individuelle Interpretation von Ps 2,2 erneuert, die im zeitgenössischen Judentum, wie aufgezeigt, zurücktrat (zur Eigenart der Aneignung in Ausblick 3 bei Anm. 93). 356 Z u r textkritischen Entscheidung s. die Kommentare und Anm. 36 zu 1.2. N a m e n t lich ältere Forschung sah im Kyriostitel die lukanische „Reinterpretation" herrscherlichen Messianismus (vgl. bes. Ignace de la Potterie, Le titre κύριος applique ä Jesus dans l'evangile de Luc, in: FS Beda Rigaux, ed. A. Duchamps/A. de Halleux, Gembloux 1970, 117-146). Eine eigenwillig protolukanische Interpretation von Lk 2,11 versuchte H a r a l d Sahlin, Der Messias und das Gottesvolk. Studien zur protolukanischen Theologie, A S N U 12, Uppsala 1945, 328,383f.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

313

hört er den gen. subi. in der Verbindung entscheidend als Aussage über die Dichte von Gottes Handeln im christlich geglaubten Gesalbten. 357 „König" ist Jesus bei ihm, aber König im Namen Gottes, beides über die jüdische Messiaserwartung der Zeit hinaus. 358 Ihr entgegen ist der christlich geglaubte Gesalbte vor allem - für Lukas auch nach der Proklamation der Schrift - leidender und durchs Leiden in die Herrlichkeit eingegangener auferstandener Gesalbter (s. bes. Lk 24,26.46; vgl. Act 3,18;17,3;26,23).359 Die christliche Glaubenserfahrung Jesu, des Gesalbten, bestimmt den Titel vor seinem herrscherlichen Bezugsfeld der Zeit. Dies bestätigend, überbietet der Gesalbtentitel bei Lukas nicht nur herrscherliche, sondern auch prophetische Gesalbtenvorstellung, wie noch zu behandeln sein wird. 360 Damit läßt sich der Paragraph schließen und summieren: Die jüdische Entwicklung der herrscherlichen Gesalbtenhoffnung bis zum Ende der neutestamentlichen Zeit ist aufs engste mit zeitgeschichtlichen Erfahrungen und Impulsen verwoben, die sie zu keiner vollen Einheit kommen lassen. Die Impulse, die sie ausstrahlt, werden vom schriftbildenden Christentum ignoriert - so das Aussagefeld vom Messias Israels - , korrigiert - so der davidische Gesalbtenerwartungskreis - , uminterpretiert - so die Hoffnung auf eine Messiaszeit in der Apk - , zuletzt missionarisch und apologetisch weitergeführt - so die drängende Ausschau auf den Gesalbten, der Gottes Rettungshandeln bringt, in Act 3,19f und wichtigen Aspekten der lukanischen Redaktion. Wo es zu Annäherungen kommt, erfolgen sie urchristlich spät, also als theologischer Schritt nach der in einer Phase des Zurücktretens herrscherlicher Gesalbtenerwartung erfolgten Grundlegung des christlichen Christos-Verständnisses. Wie in den Abweisungen drängen auch in den weitesten Annäherungen, die die jüdisch-theonome Vorstellungsentwicklung der spätneutestamentlichen Zeit erlaubt, Geschick, Würde, Kraft und soteriologisches Wirken des christlich geglaubten Gesalbten über die jüdisch-herrscherliche Reflexionslinie hinaus. 361 Christus, der christlich geglaubte Gesalbte, überbietet und korrigiert alles in menschlicher Tradition und menschlicher Hoffnung um gesalbtes Herrschertum Erblickte oder Gesuchte. Ein Ausblick in nachneutestamentliche Zeit erweitert den Rahmen und verlängert die Perspektive: 557

Vgl. Dömer, Heil 43ff. Vgl. o. bis Anm. 239 (zum Stammbaum schon unter Ausblick 2). 359 Vgl. aus der älteren Forschung bes. Rese, Lukas 122ff (dort auch Rücklinie zu Paulus) und O'Neill a.a.O. 128f (Linie weiter zu Justin; nach ihm Jones, Christos 73), zuletzt MacRea a.a.O. 183. 360 S. unter 2.2.6. 361 Das bestätigen nicht zuletzt die besprochenen Korrekturen an PsSal, 4 Esr und syr Bar bei ihrer (im 2. Jh. erfolgenden?) Aufnahme in christliche Uberlieferung. 358

314

Grundlegung

Ausblick 3 Nachneutestamentliche Entwicklungen und neutestamentlich-altkirchliche Christologie Setzte die Forschung in den letzten Jahrzehnten für neutestamentliche Zeit an die Stelle jüdisch-messianischer Dogmatik offene Entwicklungen, so führt die Neuaufnahme der Analyse der nachfolgenden jüdischen Quellen 1 in den letzten Jahren dies in die nächsten Jahrhunderte fort. Die früheste rabbinisch-normative Quelle, die Mischna, stellt sich, da sie nur am Rande in mBer 1,5 und mSot 9,(9-) 15 auf „die Tage" und „die Fußspuren" des Messias (Gesalbten) zu sprechen kommt, nach neuer Erarbeitung als Vertreter eines im wesentlichen unmessianischen Systems der Heiligung dar. 2 Kaum weniger zurückhaltend zum Messias bleiben die ihr zu Beginn des 3. Jh. verbundenen oder folgenden rabbinischen Eruierungen. 3 Erst die Talmude vertiefen im Rahmen des von der Mischna ererbten Heiligungsanliegens messianisches Erlösungsdenken (intensiver der babylonische als der Jerusalemer Talmud).4 Die gottesdienstlich-liturgische Synagogenliteratur, die bisweilen als Gegenstück eines Sitzes im Leben behandelt wird, der messianisch-apokalyptisches Erbe aus dem l.Jh. stärker als die normativen Erörterungen bewahre,5 stellt sich in ihrer Entwicklung bei näherer Betrachtung bemerkenswert parallel zu jenen dar. Die Kanonisierung des Synagogengottesdienstes erfolgt sogar noch später, nämlich als - womöglich postumer - Erfolg der Geonim (8.-11. Jh.). 6 Die messianischen Teile der im Kern alten jüdischen Stammgebete lassen sich festgelegt nicht vor das 6./7. Jh. zurückverfolgen. 7 Selbst wenn man sie im offenbleibenden Überlieferungsraum näher an den Anfang der rabbinischen Zeit rücken möchte,8 enthält doch kein überkommenes Gebet aus der Zeit vor der Tempelzerstörung die herrscherliche Messiaserwartung - ein Befund, dessen 1 Gelegentlich verbunden mit (zu) scharfer Kritik an den herkömmlichen Übersichten (Klausner, Scholem): Neusner, Mishnah and Messiah 9f. Es lassen sich auch ältere Differenzierungsansätze wiederentdecken (z.B. über Sarachek, Messiah 1-15). 2 Wiederholt vorgetragen von Neusner: z.B. a.a.O. 3 - 7 und Messiah 25-31. Bei mSot 9,15 ist auch noch die literarische Integrität fraglich (s. Schäfer, Hoffnungen 104). 3 (m)Av und Tosefta: s. Neusner, Messiah 42-74 und Anthony J. Saldarini, The Uses of Apocalyptic in the Mishna and Tosephta, CBQ 39, 1977, 396-409. 4 So die am umfassendsten in Messiah 79-231 entfaltete Grundthese Neusners, deren Einzeltextanalysen allerdings der Überprüfung und Weiterführung bedürfen (s. Peter Schäfers Rez. in ThLZ 112, 1987, 660-663 innerhalb 658-663). 5 Bes. von Neusner, ζ. B. Ancient Judaism 60,62f. 6 S. Lawrence A. Hoffman, The Canonization of the Synagogue Service, University of Notre Dame Center for the Study of Judaism and Christianity in Antiquity 4, Notre Dame. London 1979, Erg.160-171. Dabei debattierten die Geonim namentlich die (etwaigen) messianischen Implikationen des Sch e ma (a. a. O. 25-28,34), mag manches messianische Element sich erst in einem Aufbruch um 1000 (Hai) durchgesetzt haben (vgl. a.a.O. 64f). 7 Hier ist Elbogen, Idee analytisch nicht überholt. 8 Vgl. Heinemann, Prayer 34f im Kontext.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

315

Basis durch die Qumranfunde neu abgesichert ist - , bleibt jene nachfolgend dem Kern der palästinischen Rezension des Schemone Esre und den hellenistischen Synagogengebeten fremd. 9 Korrespondierend wächst die Synagogenpoesie (Piyyut) erst bis ins Mittelalter zu ihrer vorliegenden, partiell messianischen Gestalt. 10

Der neue Analysezusammenhang drängt also auch für die rabbinische Zeit von der Annahme eines geschlossenen Messianismus zu der offenen Sicht allmählicher, für Schübe, Rücknahmen, Verzweigungen Raum lassender Entwicklung. Zu einer solchen Sicht fügen sich die hier besonders interessierenden Fakten: Nur langsam, abgeschlossen erst im babylonischen Talmud, erfährt (herrscherlicher) „Messias" im Judentum eine Konventionalisierung zum Namen, Generationen nach der daher eigenständig zu behandelnden christlichen Namensverfestigung der griechischen Begriffsübertragung Christos. 11 Erst frühestens im 2. Jh. setzt die messianische Prägung der Sederfeier ein, was zu Zurückhaltung gegenüber in deren Sinn messianischen Konnotationen bei der Deutung des Abendmahls Jesu zwingt, auch wenn man dessen Uberlieferung als Paschamahl nach Mk 14,12/17-25 (par) folgt. 12 Die christlich-christologische Pascha-Aneignung läßt in ihrer Erstformulierung 1 Kor 5,7 statt an die Tradition eines gesalbten Herrschers an die des gänzlich Gott übergebenen, gesalbten Opfers denken. Denn dort ist nicht H o f f n u n g auf das Kommen eines Gesalbten formuliert, sondern heißt es, der Gesalbte sei als „unser Pascha" in Opferlinie „geschlachtet" worden. 1 3

' Zu den Gebeten in den Qumranfunden vgl. bes. Lawrence H. Schiffman, Liturgical Texts from Qumran Cave IV, in: Proceedings of the Ninth World Congress of Jewish Studies (1985) A. The Period of the Bible, Jerusalem 1986, 183-190 (Lit.), zum Schemone Esre o. in Ausblick 2, zu den hellenistischen Synagogengebeten (überliefert in Const. Αρ. VII/VIII) D.A. Fiensy in Charlesworth, Pseudepigrapha II bes.674f (innerhalb 671-676) und Charlesworth, Christian Additions 31-35 (die dortigen Gesalbten-, d.h. Christuseintragungen sind christlich und mit einem antijüdisch abgrenzenden Akzent verbunden). 10 Dazu s. Jakob J. Petuchowski, Theology and Poetry. Studies in the Medieval Piyyut, The Littman Library of Jewish Civilisation, London 1978 (14-19 Geschichtsübersicht). 11 S. schon ο. unter 1.1.3 bei Anm. 187ff und unter 1.2.3. Die grundlegende Datenzusammenstellung bietet nach wie vor Dalman, Worte Jesu I 239f. 12 Baruch M. Bokser, The Origins of the Seder. The Passover Rite and Early Rabbinic Judaism, Berkeley usw. 1984 kommt noch für die Beschreibung der sich im 2. Jh. (mPes 10,6 E) mit dem Passa verbindenden Erlösungsmotivik ohne explizit messianische Terminologie aus. Petuchowski, Sederfeier 38 will trotzdem für psychologische Hintergründe der messianischen Entwicklung ins l.Jh. n.Chr. zurückgehen, kann aber die Quellenlücke nicht überwinden. Auch Jeremias, Abendmahlsworte (bes. 242f) ist entsprechend zu korrigieren. 13 Zur Opfersalbungstradition s. unter 2.1.3.1 (und 2), zu 1 Kor 5,7 neben den Kommentaren etwa Notker Füglister, Die Heilsbedeutung des Pascha, StANT 8, München 1963, 19. Justin, dial. 40,1-3; 111,3 (und Melito) führen den Gedanken im 2. Jh. weiter (s. Helmut Moll, Das Opfer Jesu Christi und seine Gegenwart in der Kirche bei den griechi-

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Grundlegung

Auffallend schwinden im 2. Jh. alle bis dahin entstandenen jüdischen Pseudepigraphen mit der herrscherlichen Gesalbtenerwartung (PsSal, 4 Esr, syrBar, äthHen-Bilderreden) aus der jüdischen Überlieferung. Sie sind ab dem späten 2. Jh. daher signifikant nicht mehr für die jüdischmessianische Entwicklung, sondern - geändert - für die christliche Beanspruchung von deren bis zum Ende des 1. Jh. entwickelten Spitzenaussagen. 14 Neu entstehende jüdische Pseudepigraphen reden nur noch in wenigen Ausnahmen vom/von Gesalbten. Das weist auf eine Verlagerung der jüdischen Artikulation und bedeutet für unsere Darstellung, in diesem Abschnitt nicht mehr von den Pseudepigraphen als Leitfaden ausgehen zu können. Eine umfassende Durchsicht der Pseudepigraphen unternahm Charlesworth. Er fand deren einzig sicher und unüberarbeitet jüdische Gesalbtenreflexion ab unserer Zeit in (3 = ) hebrHen aus dem 3. Jh.; dieses bezeugt die Zweiheit Messias, Sohn Josefs, und Messias, Sohn Davids, (45,5) und stellt sich ein Fest zum Königtum des Messias unter dem universalen Königtum Gottes vor (48,10 A). Daneben können unter christlicher Überarbeitung ApkEl 31-34; ApkZef 10,24-12,32 und ApkSedr 15 eine jüdische Antimessias-Vorstellung belegen. 15 Auf diese (wenigen) Texte wird unter den jeweiligen Fragestellungen zurückzukommen sein.

Ca. 100 Jahre nach Jesu Tod kommt es mit Bar Kochba zum ersten quellenmäßig ernsthaft erwägbaren Auftreten eines herrscherlichen sehen Apologeten des zweiten Jahrhunderts, in: Praesentia Christi. FS Johannes Betz, hg. v. L. Lies, Düsseldorf 1984, 118-130, hier 124ff). 14 Bis zu diesem Punkt war daher ihre Besprechung unter 2.2.4.2 zu führen. Zur Erklärung des jüdischen Uberlieferungsabbruchs noch immer interessant ist die These Louis Ginzbergs (Some Observations on the Attitude of the Synagogue towards the Apocalyptic-Eschatological Writings, JBL 41, 1922, 115-136, hier 134ff), die Texte hätten von vornherein eher Randgruppen zugehört und seien daher aus der Überlieferung geraten; freilich forderte das eine Uberprüfung der geläufigen halbrabbinischen Zuordnung von 4 Esr und syrBar (vgl. 2.2.4.2 mit Anm. 306). Anthony J. Saldarini, Apocalyptic and Rabbinic Literature, CBQ 37, 1975, 348-358 macht 357f ein (angenommenes) Abflauen messianischer Erwartung nach dem Scheitern des Bar Kochba-Aufstandes für den Vorgang verantwortlich (bei ihm Referat weiterer Thesen). Weitere Hinweise im folgenden. 15 Charlesworth, Messiah 207ff,211f (dort letztere Texte schon als christlich behandelt). Jüngst legte Klaus Berger, Die Weisheitsschrift aus der Kairoer Geniza. Erstedition, Kommentar und Ubersetzung, Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter 1, Tübingen 1989 ein weiteres Pseudepigraphon der Forschung vor. Er datiert es auf ca. 100 (76ff) und charakterisiert es, für uns interessant, als „weisheitliche Variante zum apokalyptischen Theodizeedenken von 4 Esr" (62f). Der kommende Aon/die kommende Welt ist dieser Schrift wichtig (2,9.13;3,5;4,14), doch ohne jeden Blick auf einen Gesalbten (Messias). Bestätigt sich Bergers Ansetzung, dann erweitert sich der Befund Charlesworth', daß nur ein Bruchteil jüdischer Pseudepigraphen (Charlesworth 193 kennt 51) von Gesalbten spricht. - In byzantinischer Zeit mag sich messianische Motivik wieder verstärken (vgl. Wilken, Restoration 453-461). Die Daniel-Diegese, auf die in Anm. 122 zu Kerinth Bezug zu nehmen ist, ist altkirchlich.

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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Messiasprätendenten im Judentum. Bar Kochba ist, in die Offenheit der Zeit passend, unbekannter Herkunft. 1 6 Einen Selbstanspruch auf den Gesalbtentitel meidet er. Nirgends in seinen offiziellen Dokumenten oder auf seinen Münzen erscheint „Gesalbter".17 Vielmehr bestimmt er sich dort in der zurückhaltenderen Nasi-Linie18 als Fürst und ordnet sich zeitweise einen Priester als zweite führende Gestalt bei, schließt sich verfassungsmäßig somit am ehesten an das seit frühnachexilischer Zeit immer wieder aufgebrochene dyarchische Ideal an.19 Im Galutmotiv seiner Münzen klingt potentiell messianische Motivik in der vom Jüdischen Krieg bis 4 Esr 12,34; 13,26 eröffneten Befreiungs-/Erlösungslinie stärker an.20 Doch ein direktes Diktum, er sei der Messias, wird ihm erst im 4. Jh. unterstellt (in bSan 93b).21 Es ist erwogen worden, ob hinter seinem Zögern eine etwaig in vorneutestamentlich-neutestamentliche Zeit zurückreichende Auffassung stehe, der Messias müsse sich erst in seinen Taten erweisen. 22 Aber f ü r diese These fehlt positive Evidenz. Einfacher ist die Erklärung, daß sich jüdische Staatsverfassungsvorstellungen auch 132-135 n . C h r . noch nicht in herrscherlich-messianischer Weise vereinheitlicht hatten. Entscheidend f ü r die messianische Reflexion Bar Kochbas wird Rabbi Akibas Ausruf, er sei ΚΠ'Ρη KD^a, der gesalbte König/Königsgesalbte. 23 Hinzu tritt Akibas Aktualisierung der Sternansage von N u m 24,17, die bei einem Bezug auf Bar Kochba ( = „Sternensohn") einen aktuell messianischen T o n erhält. 16 Damit muß nicht nur die Forschung zum Davidsmessias, sondern mehr noch diejenige ringen, die Bar Kochba mit dem (späteren) Messias aus Efraim verbinden will (ζ. B. Heinemann, Messiah of Ephraim 348-353). 17 Übrigens auch nicht in dem von Hengel, Zeloten 306f für den Zusammenhang angeführten Beleg für Bar Kochbas Christenverfolgung aus Justin, I apol. 31,6. 18 Zu deren älterer Geschichte s. unter 2.1.1.2 (Eröffnung) und 2.2.4.1 (Wiederaufnahme in Qumran). 19 Vgl. unter 2.1.2.3 mit Anm. 132, zur Dyarchiegeschichte seit 2.1.1.3 und 2.1.2.1. Die jüdische Bar Kochba-Forschung summieren Mor/Rappaport, Survey 62f; danach Shimon Applebaum, The Second Jewish Revolt (A.D. 131-35), PEQ 1984, 35-41 (zu unseren Fragen 41). 20 Darauf baut Meshorer, Coinage II 136 einen messianischen Anspruch Bar Kochbas, während Mildenberg, Coinage bes.44f (nichtmessianische Identifikation des einem Stern nur ähnelnden Münzsymbols der Rosette), 73ff (zu Akiba), 90-105 gegenteilig überpointiert entwirft, der Aufstand sei erst sekundär - und kritisch - messianisch interpretiert worden. 21 Dazu Schäfer, Bar Kokhba-Aufstand 57f (innerhalb 55-67). 22 Longenecker, Christology 7iff nach D. Flusser, Two Notes on the Midrash on 2 Sam. VII, IEJ 9, 1959, 99-109, hier 107ff. 25 Zur Ubersetzung vgl. Dalman a. a. O. 240f: Gesalbter ist Appellativ oder Attribut.

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Grundlegung

Beide Voten Akibas sind zusammen überliefert (am gewichtigsten in yTaan 4,8) und, auch wenn ihr Zusammenhang der Quellenkritik unterliegt, 24 Akiba schwerlich abzusprechen. 25 Ob sie als direkte oder indirekte Aufstandsförderung zu werten sind, ist kaum zu entscheiden. 26 Unser Wissen, wieweit Bar Kochba sonst von rabbinischer Seite oder aus dem Volk messianisch motivierte Unterstützung erfuhr, bleibt begrenzt; 27 hier können Quellen ebenso im nachhinein vernichtet wie gar nicht erst entstanden sein.

Fürs N e u e Testament interessant, bietet Akiba die erste jüdisch-messianische Interpretation von N u m 24,17, 28 beträchtlich nach Mt (2,2) und Apk (22,16). Sofern Mt 2,2 und Apk 22,16 christologisch überhaupt auf N u m 24,17 anspielen, stehen sie also vor der Phase herrscherlich-messianischer Verdichtung der Textrezeption. 2 9 In seinen Voten verlagert Akiba das Aussagegewicht auf die von Gott sanktionierte irdische Funktion des Gesalbten. Er greift betont den bis dato vermiedenen, da irdischem Depravationsverdacht ausgesetzten Titel des (gesalbten) Königs auf. So wird die Möglichkeit menschlichrealpolitischer Verwirklichung zum Orientierungspunkt. 24

S. Schäfer, Aqiva 117ff (dort die Parallelüberlieferungen). Die Kritik Mildenbergs a. a. O. 73(ff) greift zu weit. Denn es fällt schwer, ein sekundäres Anwachsen dieser im Quellenfortgang scharf kritisierten Voten an Akiba, einen besonders verehrten Lehrer, zu erklären: vgl. Lenhardt/von der Osten-Sacken, Akiva 313. 26 Vgl. die Diskussion bei Aleksandrov, Aqiba passim. 27 In den Primärquellen spielt ein Rabbi Batnaya bar Meisa eine gewisse Rolle, von dem wir aber sonst nichts wissen: s. bes. Mildenberg a.a.O. 30 und 75f Anm. 177. 28 Bis dahin verläuft die frühjüdische Aneignung von Num 24,7.17 titular fließend (s. zur LXX unter 2.1.1.5, zu Philo und Josephus - dort sogar kollektiv - unter 2.2.3.1, zur Aufnahme im Chresmos amphibolos unter 2.1.1.6). Selbst in Qumran, in dessen Umkreis CD VII 19ff das Zepter eng mit dem Fürsten der Gemeinde zusammenbringt, unterbleibt eine explizit messianische Interpretation, zitiert man Num 24,17-19 in 1 QM XI 6f vor 8 als Nichtgesalbtentext vor einer Übertragung des Gesalbtenbegriffs auf Jahwekünder der Vergangenheit (vgl. unter 2.2.2). Bei der etwaigen Anwendung auf Bar Kochba stehen wir somit an der Schwelle titular messianischer Textadaption, was ein Blick auf die Targume bestätigt: Nur in T O und TPsJ wird Num 24,17 explizit messianisch gedeutet; in TFrag erscheint es als Königstext. Umgekehrt wird Num 24,7 zwar in TFrag (samt Codex Neofiti 1) auf den Königsgesalbten gedeutet, aber in T O und TPsJ historisiert, auf Saul bezogen (Textzusammenstellung bei Levey, Messiah 20-26). Der Verdichtungsvorgang bleibt also noch länger fließend. 29 Die älteste Auslegung von Mt 2,2 (und Apk 22,16?), IgnEph 19,2f, liegt zu herrscherlichem Messianismus quer. Sie sieht dort (keineswegs textfern) die Rede nicht von einem Stern aus Jakob, sondern einem Stern am Himmel, und deutet diesen auf eine Aufrichtung neuen Lebens von Gott, dem Auslöschung (!) alter Königsherrschaft entspreche (19,3; Näheres zu den Ign-Akzenten bei Paulsen, Ignatius 175-180). Erst Justin, I apol. 32,12f; dial. 126,1 kommt es - zeitlich nur wenig gegenüber Akiba verschoben - zur christologischen Aneignung von Num 24,17 im Sinn von „Stern aus Jakob" (fälschlich übrigens als Jes-Text); vgl. August Strobel, Weltenjahr, große Konjunktion und Messiasstern. Ein themageschichtlicher Überblick, ANRW II 20.2, 1987, 988-1187, hier 1108 und Hans M. Malmede, Die Lichtsymbolik im Neuen Testament, Studies in Oriental Religions 15, Wiesbaden 1986, 191ff. 25

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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D a z u f ü g t sich, d a ß A k i b a laut M T e h 90,15 die m e s s i a n i s c h e Z e i t g e g e n 4 Esr 7,28 w i e d e r auf e i n e n o r m a l e G e n e r a t i o n , n ä m l i c h 4 0 Jahre, b e g r e n z t . 3 0

Dagegen erscheint keiner der besonderen Offenbarungs-, Knecht/ Sohn- und Menschensohn-Akzente von 4 Esr und syrBar mehr, die wie beschrieben - die Spitze der Vorstellungsentwicklung bis zur Jahrhundertwende markierten. Diese Interesseverlagerung wird man als Hintergrund für das Schwinden von 4 Esr und syrBar aus der jüdischen Uberlieferung mitberücksichtigen müssen. Der Ausdruck gesalbter König/Königsgesalbter wird in der Folge im 2. Jh. noch partiell durch das Nachwirken negativer Königtumsassoziationen gebremst 31 - mit leichten Varianten zum verbreitetsten Appellativ des herrscherlichen Messias.32 Er betont die irdische Macht des Herrschergesalbten unter der universalen Königsmacht Gottes (z.B. hebrHen 48,10 A).33 Daneben signalisiert er in der ausdrücklichen Spezifizierung des Gesalbten als König das Bewußtsein, daß die herrscherliche Wendung des Gesalbtenbegriffs bei all ihrem Rang nicht dessen einzige mögliche Applikation ist. Im Entstehungsraum des 2. Jh. läßt sich als Gegenüber namentlich „der gesalbte (Hohe-)Priester"/„der P r i e s t e r g e s a l b t e " d e n k e n (Π'&!3Π | η 3 π / κ π ' ® » Χ3Π3, [ ά ρ χ ] 1 ε ρ ε ύ ς χ ρ ι σ τ ό ς ) , 3 4

ein Vorstellungskreis, auf dessen Virulenz in der Umgebung der neutestamentlichen Zeit zurückzukommen sein wird. 35 In dieser Vielschichtigkeit des Bezugs befinden wir uns jenseits auch des allein davidisch-königlichen Gesalbtendenkens der PsSal 17f. Neben und nach, nicht aus jenen - die fast folgerichtig wiederum aus der jüdischen Überlieferung schwinden - entwirft und gestaltet sich der volkstümliche und rabbinische Königsmessianismus der nachneutestamentlichen Zeit. Eine kontinuierliche Linie Gesalbter-König vom 1. Jh. v. bis zum 2. Jh. n.Chr. besteht nicht. Für die neutestamentliche Zeit schließt sich der Befund: Realpolitisch und herrscherideologisch fällt sie mit einer Phase jüdischer Verfas30 Eine Aussage, deren Authentizität allgemein anerkannt ist (s. Schäfer a.a.O. 120 und Aleksandrov a.a.O. 433). 31 So in der kleinen spättannaitischen Apokalypse mSot 9,15, auf die schon hinzuweisen war; zu ihr bes. Schäfer, Hoffnungen 104f. 32 Grundlegende Beleghinweise für die rabbinische Zeit bei Dalman a.a.O. 240f; eine vollständige Zusammenstellung fehlt m.W., ebenso ein durchgeführter Begriffsausblick in nachrabbinische Zeit, wo das Nebeneinander von „Gesalbter" und „König Gesalbter" etwa bei Maimonides, Hilchot Melachim X I - X I I begegnet (Misne Tora, Jerusalem 1975, 412-420, zuletzt übersetzt von M. Cunz, Maimonides über den König Messias und das messianische Zeitalter, Jud. 42, 1986, 74-79). - Im christlichen Gegenüber setzt sich die Sicht, der jüdische Messias müsse König sein, parallel ab Hippolyt, ref. IX 30 durch. 33 Dazu vgl. Charlesworth, Messiah 209. 34 Vgl. van der Woude, Die messianischen Vorstellungen 246f. 35 S. 2.2.5.

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Grundlegung

sungsreflexion zusammen, die den Königstitel des griechisch-römischherodianischen Herrschaftssuperstrats und ländlichen jüdischen Aufstandsführertums vom Gesalbtentitel der alten Königstradition und von der neu aufbrechenden eschatologischen Herrschergesalbtenhoffnung unterscheidet. 36 Dieser Befund trifft namentlich eine neutestamentliche Schlüsselstelle, den Kreuzestitulus, dessen βασιλεύς von der Erstformulierung bis zum Abschluß der neutestamentlichen Schriften nicht mehr als römische Übertragung von „Gesalbter (Jahwes)", herrscherlicher Messias, gelesen werden kann. 37 Noch eines gehört hierher. Laut Justin vertritt das Judentum der Mitte des 2. Jh. die Auffassung, der herrscherliche Gesalbte könne schon da sein. Aber dann sei er bis zu seiner Bevollmächtigung durch einen Salbungsakt Elijas sogar sich selbst als Gesalbter unbekannt und machtlos (dial. 8,4 in Verbindung mit 49,1; 110,1). Ist hier jüdisches Gut korrekt wiedergegeben - und die Wahrscheinlichkeit spricht dafür 38 - , stoßen wir auf eine weitere interessante Verschiebung der Offenbarungsvorstellung aus den jüdischen Schriften des späten 1. Jh.: Der Gesalbte ist von vornherein irdisch; der zu Gott entrückte Elija macht salbend seine göttliche Legitimation offenbar, und erst dadurch erhält er Macht. Ein von der Forschung gern als verborgener Messias gebündeltes Syndrom entsteht, dessen theonome Gewichte stärker bei Elija als dem Messias liegen. 39

Auswirkungen der Bar Kochba-Niederlage auf die jüdische Herrschergesalbtenreflexion sind aufgrund der Schwierigkeiten der Quellenüberlieferung schwer auszumachen. Die Forschung denkt neben dem Aufkommen einer quietistischen Strömung 40 namentlich an Verdichtungen von Kriegs- und Sterbensmotivik um den in der Uberlieferung neu auftauchenden Gesalbten, Sohn Efraims (Messias ben Efraim/ben Josef). 41 Aber Bar Kochbas Herkunft ist, wie bemerkt, nicht geklärt, und Kriegsmotivik verbindet sich auch in der Folgezeit mit 36

S. ergänzend o. unter 2.1.1.6 und 2.2.4.1/2. Dies zu der unter 1.1.3 skizzierten Forschungsdynamik nach Dahl, Der gekreuzigte Messias. 38 S. bes. Sjoberg, Justin 173-175. 39 Rückdatierungen des Syndroms zur Hintergrundanalyse neutestamentlicher Texte, etwa von Joh 7,27 (s. Higgins, Messianic Beliefs 300 mit Anm. 3) oder Joh 1,26 (s. de Jonge, Expectations 254ff), scheiden aus. Daß es zur Erklärung des sog. Messiasgeheimnisses bei Mk (und der vormarkinischen Tradition) nicht in Frage kommt, klärte schon Wrede, Messiasgeheimnis 21 Iff. 40 Dazu N . N . Glatzer, The Attitude to Rome in the Amoraic Period, Proceedings of the Sixth World Congress of Jewish Studies II, Jerusalem 1975, 9-19. 41 Bes. wirksam Klausner, Messianic Idea 400ff. Die älteste Quelle zum Messias ben Efraim, bSuk 52a (und b), reicht ins späte 2. Jh. zurück. Nicht gedeckt ist Torreys Rückgang in vorneutestamentliche Zeit (Messiah passim), aber auch Heinemanns These, die Vorstellung sei wenigstens vor Bar Kochba schon dagewesen, habe durch die Erfahrung um dessen Geschick nur ihren tragischen Ton erhalten (Messiah of Ephraim passim). 37

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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dem Davidssohn- oder Königs-Gesalbten (hebrHen 45,5 sogar direkt neben einer Erwähnung des Efraimssohns). 42 Laut Hippolyt kennt das Judentum des frühen 3. Jh. vorrangig einen Kriegstod des Davidsgesalbten (ref. IX 30). 43 Erst danach verteilen sich die Gewichte zwischen Davids- und Efraims-/Josefssohn nach Herrschaft und Kriegsführung. 44 An einen Schlüsselpunkt führt dabei die Baraita bSuk 52a nach 51b, die den Davidssohngesalbten angesichts des drohenden oder erfolgten Todes des Josefssohngesalbten Gott um Leben bitten läßt und diese Bitte gemäß der Lebenszusage von Ps 21,5 erfüllt sieht. 45 So wächst ab talmudischer Zeit der Herrschergesalbte erneut und verzweigter als im späten 1. Jh. zu einer übergroßen Gestalt. Reflexionen über seine Zeit und die Präexistenz seines Namens expandieren, während Elija von seinem Salber zum Vorläufer zurückgenommen wird. 46 All das verdrängt freilich den Messias ben Efraim nicht. 47 Langsam und lange wachsen die Erwägungen zu einem Leiden des herrscherlichen Gesalbten. Entsprechend der bisher kennengelernten Entwicklungsvielfalt bleibt die Namenskennzeichnung dabei variabel, fehlt sie immer wieder (so bSan 98a), erscheint sie an der vielleicht eindrucksvollsten Stelle PesR 34-37 als Efraim, „unser gerechter Gesalbter",48 anderweitig als Davidssohn. 4 9 In der Forschung seit dem letzten Jahrhundert erwiesen sich alle Verzweigungen als nachneutestamentlich, vorrangig auch nicht aus einem Sühnegedanken entstanden, son42

Vgl. auch die verschiedenen Kriegsbilder in TPsJ Ex 40,9-11 (der Efraimit kämpft gegen Gog) und TFrag Num 11,26 (der Königsgesalbte führt diesen Krieg). 43 Damit kommt Billerbecks These, der Messias ben Efraim sei unter dem Eindruck der Bar Kochba-Katastrophe und als „Gebilde jüdischer Schriftgelehrsamkeit" nach Dtn 33,17 und Sach 12,1 Off entstanden (Bill. II 294), in Schwierigkeiten. Allerdings ist das in der Forschung viel erwogene Entstehungsproblem (Lit. bei Hugo Odeberg, 3 Enoch or the Hebrew Book of Enoch [...], Cambridge 1928, II 144ff und van der Woude in Grundmann u.a., χρίω κτλ. 517f) nicht überzubewerten: Wie dargestellt, hatte sich bis zum 2. Jh. noch keine Einzelvorstellung der Herkunft des Herrschergesalbten durchgesetzt, so daß leicht Herkunftsvarianten entstehen konnten (BemR 14 [172b] nennt später noch einen Gesalbten aus den Söhnen Manasses). 44 Diese Systematisierung bietet Bill. II 292. Der Gog-Magog-Kampf fällt nun stärker dem Sohn Josefs vor dem Kommen des Davidssohns zu (vgl. Hruby, Anzeichen 79). 45 Vgl. Hruby, Leiden 195ff. 46 S. zu ersterem bes. bSan 99a und die weiteren bei Zobel, Messias 74 genannten Quellen, zum zweiten o. unter 2.2.4.2 mit Anm. 316, zum letzten nach Harnack, Judentum 75 Anm. 1 und den bei Zobel a.a.O. 58-68 zusammengestellten Texten die in Anm. 1 zu 2.2.6 aufgeführte neue Diskussionslit. 47 Mit beiden Gestalten verbindet sich in der Folgezeit gelegentlich gleichermaßen Erlösungsmotivik (Hagiographentargum zu Cant 4,5). Bis zum Mittelalter werden Auftreten und Kriegstod des efraimitischen Gesalbten jüdisches Gemeingut: s. bes. Sarachek, Messiah 309. 48 S. Zobel a.a.O. 143f. Hruby, Exegese 121 sieht Efraim hier als Sohn Davids. 49 Belege innerhalb Bill. II 284-292.

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Grundlegung

dern aus der Vorstellung, in der Mitte der durch Krankheit, Tod und Schuld Belasteten leide der Gesalbte mit. Daher fallen sie als Traditionsvorgabe für die neutestamentliche Auffassung vom Leiden und Sterben des Gesalbten für uns aus.50 Bis z u r Spätantike f ü h r t die E n t w i c k l u n g z u r A u f n a h m e v o n Z ü g e n d e s Ps 22 u n d aus Jes 53, die im n a c h h i n e i n e i n e n V e r g l e i c h mit d e n E v a n g e l i e n erm ö g l i c h t . 5 1 A u f f ä l l i g s c h w i n d e t die H e r a n z i e h u n g der L e i d e n s m o t i v i k v o n Jes 53 aber im H o c h m i t t e l a l t e r w i e d e r aus der j ü d i s c h e n M e s s i a s r e f l e x i o n , vielleicht e i n e R e a k t i o n auf ü b e r g r o ß e christliche B e a n s p r u c h u n g . 5 2

Weiter zur neutestamentlichen Zeit zurück führt die Hoffnung, der herrscherliche Gesalbte werde den Tempel wieder aufbauen. Denn sie dürfte in TJon Jes 53,5 einem frühen tannaitischen Textstratum angehören und ist sachlich ab dem Augenblick der Tempelzerstörung vorstellbar.53 In der Folgezeit breitet sie sich weiter aus. Schon von den Realienvorgaben jenseits des Reflexionsfelds liegt dabei stets die Vorstellung, der Tempel sei vom Messias erst niederzureißen, wie sie im christlich-messianischen Anspruch für Jesus ab dem markinischen Passionsbericht (Mk 14,58 vor 61f) 54 entsteht. So bilden hier jüdische Herrschergesalbtenvorstellungen einen Gegenpol zur christologischen Traditionsbildung. 55 Weitere Felder verbreitern das Auseinanderdriften jüdischer und christlicher Traditionsentwicklung: Im Umkreis jüdisch-herrschermessianischer Tradition im späten l.Jh. klingen zwar wunderbare Geschehnisse an („mirabilia"), insofern der große eschatologische Rettungsakt für die Gott Zugehörigen angesichts der negativen Geschichtserfahrungen auf einen alle menschlichen Fähigkeiten heilvoll und erschreckend überbietenden Vollzug drängt (s. 4 Esr 13,1-13 vor 14 von Menschen-Tradition aus). Aber von den Christen der Zeit wird dies prädominant als verführerischer Gegensatz 50 Unter der Fülle der Lit. seien hier nur Dalman, Messias als älteres Standardwerk und Hurwitz, Messias als neuere, allerdings stärker auf das Sterben des Messias ausgerichtete, Ubersicht mit eigenwilliger These - in der Tradition von (Leiden und) T o d des Messias bilde sich ein Archetypus im Sinn C.G. Jungs aus - genannt. Das Alter der Vorstellung wird man nach jüngster Position (Levine, Aramaic Version 209) bis ca. 200 zurückführen können (in bSan 98b). Weitere Lit. ist über Schürer, History II 547-549 (C.H. Cave) auffindbar, die wichtigsten Quellen in Originalsprache bei Brierre-Narbonne, Messie souffrant 141-180. Zum Zusammenhang vgl. auch u. 2.2.7. 51 S. Hruby, Leiden 206-212 (von PesR aus). 52 S. Hruby, Exegese l l l f nach 106-110 (Midraschbelege). 53 Vgl. bes. Chilton, Temple 53f. 54 Dazu unter 2.2.5. 55 Weit über Bill. I 1003ff hinaus erarbeitet ist das inzwischen von Juel, Messiah (zur jüdischen Tradition 172-197; auch das o. unter 2.2.4.1 besprochene 4QFlor I l - 1 2 a führt nicht von ferne an die Vorstellung von Mk 14,58 heran).

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erlebt (s. nach dem Aufbruch der Vorstellung im Jüdischen Krieg Mk 13,22).56 Nicht mit erhoffter, sondern mit im Glauben schon erfahrener Wunder-Rettungsgeschichte verbinden sie den Gesalbtenbegriff, mit Jesustaten-, Jesuszeichen-Uberlieferung (s. die matthäische Fassung der Täuferfrage Mt 11,2-6 und die johanneische Semeialinie Joh 7,31 vor 20,30f). Gegenüber der jüdischen Entwicklung in späterer Zeit bleibt der Unterschied, allenfalls leicht verschoben. Denn jene rechnet nicht mit Wundertaten des Messias, führt den wunderbaren Charakter der messianischen Zeit auf umfassend heilvolles Wirken Gottes zurück.57 Gleichfalls quer zu jüdischer Herrschergesalbten-Traditionsentwicklung im 1. Jh. n.Chr. oder zumindest neben ihr liegt Jesu etwaiger Anspruch, „der messianische Vollender der Tora" zu sein. Denn die als Brücke dazu vorgebrachte jüdische Erwartung einer neuen eschatologischen (Zions-)Toraoffenbarung erwies sich als religionsgeschichtlich schwer verifizierbar. 58 Vollends ist für die jüdischen Quellen bis zur spätneutestamentlichen Zeit der erwartete herrscherliche Gesalbte kein korrigierender oder erweiternder Vollender, sondern Befolger und Durchsetzer der ihm vorgegebenen Tora (PsSal, 4QPB, 4 Esr, syr Bar).59 Soweit die vorausgehenden Qumranschriften Gesalbte als Mittler Jahwes für sein in der Vergangenheit gegebenes Gesetz kennen, waren das singulare Künder, nicht Herrscher (CD II 12; VI 1; dazu o. unter 2.2.2). Auch der dortigen Vorstellung liegt die Ausdrucksdichte " Vgl. o. unter 2.2.4.2. 57 Das jüdische Traditionsmaterial bei Bill. I 593-596,640f. Klausner, Messianic Idea 506 setzte die Erkenntnis tannaitischer Distanz zu einer Vorstellung, nach der der Messias selbst Wunder tue, durch; der Eigencharakter der Davidssohn-Exorzismus/WunderLinie war o. in Ausblick 2 herauszustellen. Ob es sich nun um Mt 11,2 handelt (Christos dort ist matthäisch: vgl. unter 2.2.4.1 mit Anm. 135f) oder Joh, führt die Christos-Wunder-Vorstellung demnach in spezifisch christliches, spätneutestamentlich unter nur partiellem Rückgriff auf jüdische Traditionen entfaltetes Denken (zu Joh s. bei Annahme einer Semeiaquelle Nicol, Semeia 79ff u. ö. - er sieht hinter den Wundern übrigens starke prophetische Züge, kommt damit aber nicht stringent zum Gesalbtentitel; vgl. Kuhn, Christologie 304-310 -, bei Zuweisung von 7,31 an den Evangelisten Schnelle, Christologie 163, übergreifend de Jonge, Expectations 257ff). Bittners Versuch, über die thematische Zusammenstellung von Schriftstellen (bes. Jes 1 l,2-3a;42,lf;61,lf) und Mt 11,2-6 par zu einer vorneutestamentlichen „Verbindung zwischen Heilungen und davidischer Messianität" zu kommen, ist begrifflich und bei Mt 11,2 auch redaktionsgeschichtlich unscharf (Zeichen 136-150). 58 Aus der Diskussion ist einerseits besonders Stuhlmacher, Gesetz zu nennen (dort 263 das Zitat [hervorgehoben]), der Anregungen für seine Position (s. a.a.O. 257ff nach 252) von Hartmut Gese, Das Gesetz, in: ders., Zur biblischen Theologie. Alttestamentliche Vorträge, BEvTh 78, München 1977, 55-84 erfuhr. Wichtigster Kritiker wurde Räisänen, Zionstora. s ' S. unter 2.2.4.1 und 2.2.4.2 jeweils bei den Texten; erweiternd bleibt auch das Menschensohnwort Dan 7,13 weit vor neuer Toraerwartung.

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Grundlegung

des ältesten christlich zu unserem Thema führenden Textes Gal 6,2 fern, der Christus im Gen. subi. als Bestimmer, nicht nur Mittler seines christlich zu erfüllenden und erfüllbaren „Gesetzes des Gesalbten" (νόμος τοϋ Χριστοϋ) bezeichnet. Bei aller Diskussion um diesen Text unstrittig ist der sich in ihm bekundende volle Anspruch Christi, des Gesalbten, auf die Existenz der Christen. 60 In der nächststehenden Formulierung bei Paulus, 1 Kor 9,21, korrespondiert dem ein Verständnis im Sinne völliger christologischer Durchdringung der Lebensführung, dort des Apostels. Mit der Gesetzesbegrifflichkeit nicht einfach formuliert, zeigen sich die beiden Aussagen als Spitzen der ethisch-personalen Aneignung der Glaubenserfahrung Christi, des Gesalbten, bei Paulus. 61

In rabbinischer Zeit ändert sich das Bild insofern, als sich jüdisch immer stärker die überwältigende Toraerfüllung in der messianischen Zeit gegenüber der menschlichen Vorläufigkeit bis dahin vor Augen stellt. Bis ca. 300 wird die Vorstellung erreicht, das jetzige Lernen der Tora sei nichts im Vergleich mit (sei. den Lernaufschlüssen) der Tora des Messias. 62 Auch einzelne eschatologische Änderungen an der Tora scheinen möglich. 63 Trotzdem dauert es noch bald ein Jahrtausend, bis eine Formulierung von einer neuen Tora, die Gott durch die Hand des Königsgesalbten geben werde, auftaucht (Yalq über Jes 26,2). Wie alt immer deren Quellen sind und was immer unter der neuen Tora zu verstehen ist - denkbar ist, daß es um ein neues Sichtbarwerden der Fundamente der Tora geht - , Gesprächspartner der Diskussion ist nun die Situation des 13. Jh.64 Zum Neuen Testament kommen wir nicht zu-

60 Aus der Diskussion seien nur genannt: Andrea van Dülmen, Die Theologie des Gesetzes bei Paulus, SBM 5, Stuttgart 1967, 66ff, Schürmann, Gesetz bes.289ff, Eckart Reinmuth, Geist und Gesetz [...], ThA 44, Bonn 1985, 61-65, Heikki Räisänen, Paul and the Law, W U N T 29, Tübingen 21987, 77-82 und Wolfgang Schräge, Ethik des Neuen Testaments, G N T 4, Göttingen 51989, 213f. (Kritische) Hinweise zur Diskussion um Querlinien von Gal 6,2 zu einer Messiastoravorstellung etwa bei Hays, Law of Christ 273ff. " Zur Auffassung von 1 Kor 9,21 vgl. bes. Samuel Vollenweider, Freiheit als neue Schöpfung. Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt, FRLANT 147, Göttingen 1989, bes.217f. Eine wirksame ältere Erörterung bietet Dodd, "Εννομος Χριστοϋ. Die Basis unserer Paulus-Erörterung war in Ausblick 2 (bis Anm. 198) zu legen. " S. Davies, Torah 71ff zu MQoh 2,1;12,1 (11,8 = 52a bei Bill. III 577) und ders., The Setting of the Sermon on the Mount, Cambridge 1964, 174f. Einen Zwischenschritt dorthin, die Vorstellung, allein der Messias erfülle das volle Gesetz, könnte, christologisch angeeignet, die Sekte der Ebionäer spiegeln (laut der Verwerfung bei Hippolyt, ref. VII 34). Die großkirchliche Position bietet Justin, dial. 11,2f: Christus (der christlich geglaubte Gesalbte) ist nicht nur Erfüller und Bringer, sondern selbst die den neuen Bund bildende Tora nach Jes 51,4f; Jer 31,31 f. " S. bes. Schäfer, Torah 38-42. 64 Vgl. bes. Davies, Setting (s.o.) 176f und ders., Torah 73f; dort 90f freilich vom Gesamtbefund doch Bogen zum Neuen Testament.

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rück, Querlinien sind allenfalls zur mittelalterlichen Christologieentwicklung zu ziehen. 65 Letzte anzuführende Begriffsentwicklung ist die von Messias zu Anti-Messias, „Antichrist". Bousset sah sie, für die Forschung weichenstellend, in einem vorchristlichen Antichristmythos grundgelegt. 66 Doch ist die These zu differenzieren: Der Begriff Antichrist ist vorchristlich nicht belegt, ebenso kein von hebräisch-aramäisch ΓΡΒΟ ausgehendes Äquivalent. Bleiben wir begrifflich streng, ist der äußerste jüdische Entwicklungsschritt neutestamentlicher Zeit, eine eschatologische Gegengestalt den Anspruch äußern zu hören „Ich bin der Messias" (ApkEl 31,17f). Auch diese Stelle ist vorliegend sehr viel jünger. D o c h machte Schräge plausibel, daß das Bild der ApkEl vom eschatologischen Gegenspieler in domitianische Zeit zurückgehen kann. 67 Hören wir die Entstehung dort, erhält sie als Gegenüber und Voraussetzung den Aufbruch der drängenden Erwartung ab ca.70 „schau, der Gesalbte!", die wir im letzten Paragraphen besprachen: D e r Gegenspieler mißbraucht eschatologisch-messianische H o f f n u n g . Die Kritik verbindet seinen (pseudo-)messianischen Anspruch mit mythologischen Gegenspielermotiven (umfangreicher in ApkEl 31-34).

Der von Bousset vor neutestamentliche Zeit gesetzte Prozeß nähert sich demnach unserem Begriff erst ab deren Ende. Zu einer innerjüdischen Begriffsbildung „Antichrist" führt er allenfalls noch einmal um Generationen verschoben (ab dem 3. Jh.?). Die Belege in den nach ApkEl nächst entscheidenden Quellen ApkZef (10,24-12,32) und ApkSedr (15) sind so stark christlich überformt, daß sie fast eher in die christliche Begriffsgeschichte gehören. 68

" Bei Thomas v. Aquin taucht, wie in Anm. 13 zu 1.3 bemerkt, etwa zeitgleich ein Legislatoramt Christi auf (summa theol. 3, 22,1 ad 3). Aber ob hier eine christliche Mitbeanspruchung nachneutestamentlich weitergehender jüdischer Gesaibtenreflexion vorliegt, könnte nur eine Spezialuntersuchung klären. Die Christus legislator-Vorstellung wird folgenträchtig auf dem Tridentinum (DS 1571) - Zum Verhältnis Messias-Tora vgl. noch unten Anm. 109. " Bousset, Antichrist passim. Nach ihm wurde R.H. Charles, A Critical and Exegetical Commentary on the Revelation of St. John [...], ICC, T.2, Edinburgh 1920, 76-87 besonders wirksam. 67 Wolfgang Schräge, Die Elia-Apokalypse, JSHRZ V / 3 , 2 1 1 . - Rosenstiehl, Antichrist 60 suchte nach dem durch die Qumranfunde ausgelösten Forschungsschub die Ursprünge der Mythenkristallisation zu unserem Begriff in Qumran. Doch mußte auch er die dortige Begriffslücke zugeben. Sie vervollständigt angesichts der inzwischen fast abgeschlossenen Edition der dortigen Funde die Evidenz des negativen Befunds vor 66/70 n.Chr. 6 " Vgl. bes. Charlesworth, Messiah 21 lf. Die Querlinien zwischen jüdischer und altkirchlicher Antichrist-Mythenentwicklung (Laktanz u. bei Anm. 123) verdienten eigene, doch unseren Rahmen sprengende Untersuchung.

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Aus dem Fragekreis bleibt die Relevanz mythologischer Querlinien für wichtige neutestamentliche Gegenspielertexte (bes. Apk 13; 2 Thess 2,1-12). Doch da diese Texte den/die Gegenspieler nicht als „Gegengesalbten" (Antichrist) bezeichnen - unser Begriff fehlt in Apk und 2 Thess wie etwa Mk 13,22 (par) und noch Did 16,4 - , ist das neutestamentliche Antichristverständnis nur teilweise durch sie zu erhellen. 69 Die neutestamentliche Begriffsbildung von speziell αντίχριστος, wie sie in den Johannesbriefen begegnet (1 Joh 2,18.22;4,3; 2 Joh 7), setzt den erstellten Daten nach innerchristlich ein. Sie w i r d f ü r d e n 1 J o h unter 2.3.3 im Streit u m das christliche G e s a l b t e n v e r ständnis z u v e r a n k e r n sein.

Nach diesen thematischen Erwägungen ist zu einer Quellenerörterung zurückzukehren. Denn immer wieder wird eine Vorstellungsbrücke zwischen neutestamentlicher und rabbinischer Zeit über die an den Eintragungen von xn'lpa (KD^ö) zu erkennende messianische Exegese alttestamentlicher Stellen in den Targumen gesucht. 70 Dank der Qumranfunde wissen wir auch, daß targumische Übertragungstätigkeit vom Bibelhebräischen in zeitgenössische aramäische Sprachformen schon vor der Zeitenwende begann/ 1 Aber die Quellenerweiterung erleichtert zugleich das Urteil über das Alter der messianischen Passagen der in der rabbinischen Zeit überlieferten Targume: Unter den bis 68 n. Chr. reichenden Funden von Qumran befindet sich kein Fragment eines der in späterer Zeit geläufigen Targume und keine einzige ΚΠ'&η/ n't?a-Eintragung. Dem entspricht, daß das Neue Testament keinen seiner ca. 531 Christos-Belege in einem Zitat eines der Targume mit „Messias"-Eintragungen bietet. U m g e k e h r t z e i g t e n sich in b i s h e r i g e n E i n z e l e r ö r t e r u n g e n die n e u t e s t a m e n t l i c h - c h r i s t o l o g i s c h e n R e z e p t i o n e n v o n P s 110; Jes 7 , 1 4 ; 1 1 , 1 0 u n d S a c h 9,9 s o w i e die e t w a i g e n A n s p i e l u n g e n auf N u m 24,17 e x e m p l a r i s c h als an T e x t s t r a t e n vor Eintragung des Messiasbegriffs anknüpfend.72

Noch Justin ringt damit, daß im Judentum seiner Zeit (Mitte 2. Jh.) Schriftexegese auf den Gesalbten (Messias) als unsicher, umstritten gilt " Mit dieser Auffassung suchen wir die Forschungsdiskussion nach Bousset begrifflich zu präzisieren. Aus der jüngeren Diskussion seien Ernst, Gegenspieler (283-286 Auseinandersetzung mit Bousset), Schräge a.a.O. 21 Of und Strecker, Johannesbriefe 337-343 (vgl. ders. in N T A p o 5 II 523f) genannt (je Lit.); weitere Lit. bei Otto Böcher, Antichrist II, TRE 3,11-24. Unter den angeführten neutestamentlichen Stellen schreitet Mk 13,22 immerhin bis zu „Pseudochristoi" fort, fällt somit begrifflich in den anzunehmenden Aufbruch unseres Begriffsfelds um und nach 70 (zum Kontext unter 2.2.4.2). Zu den Stellen im einzelnen s. die Kommentare. 70 In jüngerer Zeit wichtig etwa von Grelot, Messie 26-28,31 f. 71 Betont etwa von Forestell, Targumic Traditions 3. 72 S.o. unter 2.2.4.1 bei Anm. 235,202,245,212, hier im Ausblick 3 bei Anm. 24 (u.ö.).

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(dial. 51,1) und weithin andere personale Bezüge vorgezogen werden (polemisch abgewertet in dial. 68,8), so bei Jes 7,14 auf Hiskija (dial. 68,7 u.ö.). 73 Immerhin signalisiert er über die Gestalt seines jüdischen Dialogpartners Tryphon zugleich erste Parallelen, die, so gewiß auch er seine Beweistexte nie targumisch zitiert, nach gegenwärtigem Forschungsstand den Schluß erlauben, er sehe eine Korrespondenz seiner Auffassungen in targumisch-messianischer Interpretation wenigstens zweier zentraler Pentateuchstellen, Gen 49,1 Of und Num 24,17. 74 N u m 24,17 begegnet erstmals messianisch im Umfeld Bar Kochbas (s.o.), was sich gut zu dieser Ansetzung fügt. Nicht weiter zurück wird man für die messianische Rezeption von Gen 49,10 gehen dürfen: Die titulare Bezeichnung der dort erwarteten Gestalt ist bis zum Ende der neutestamentlichen Zeit völlig offen ( L X X ήγούμενος, in der Anspielung von Hebr 7,14 κύριος, in derjenigen von Apk 5,5 λέων [vgl. Gen 49,9]). 4QPB setzt ausgerechnet mit dem voreschatologischen Zusageteil v.lOa ein, und PsSal 17f; äthHen 48,10;52,4; syrBar; 4 Esr assoziieren oder zitieren den Vers überhaupt nicht. 75

Damit kommen wir für den Beginn messianischer Targumbildung in die Zeit ab der 1. Hälfte des 2. Jh., deren weichenstellender Charakter uns inzwischen vertraut ist. Dabei dürfen Umfang und Durchsetzungskraft des Beginns nicht überschätzt werden. Denn wie schon angemerkt, setzt sich in den überkommenen Targumen nicht einmal eine einheitliche messianische Interpretation von Num 24,17 (und 24,7) durch.76 Differenzierte Analyse schreitet allmählich fort. Vielleicht wird sie zum Ergebnis führen, daß wir in den Targumen analog zu den gottesdienstlich-liturgischen und rabbinisch-normativen Texten mit einem vielschichtig offenen Wachstum bis zum frühen Mittelalter zu rechnen haben. 77 Manch irritierender Befund könnte sich auf diese Weise lösen, 73 Vgl. Harnack, Judentum 73f nach 62ff und Skarsaune, Proof 260f (im Kontext), zum genannten Beispiel Jes 7,14 erweiternd o. Anm. 8 zu 2.1.1 und Anm. 24f zu 2.2.2. 74 S. Skarsaune a.a.O. 262-265 (bes. von I apol. 32 aus; vgl. aber auch dial. 52-54). 75 Andere Argumente für eine Datierung um die Zeit Bar Kochbas bei Skarsaune a.a.O. bes.263 und Levey, Messiah 11. Zuletzt sucht Levine, Aramaic Version 20Iff für die messianische Deutung von Gen 49,10(.12) und Num 24,7.17-23 weiter zurückzugehen. 76 S.o. Anm. 24. 77 Zur Forschungslage s. Forestells Bibliographie (a. a. O., mit Indizes zur Erschließung der jeweiligen Fragebereiche); ein jüngerer Beitrag wäre Levine a.a.O. 199-215. - Levey a. a. Ο. bietet eine Textzusammenstellung, die trotz wichtiger Beobachtungen vertieftere Analyse nicht ersetzen kann (vgl. die Rez. durch R. le Deaut, Bib. 56,1975,421-424). Frz. Standardtextsammlung ist Brierre-Narbonne, Exegese targumique. In der Analyse spricht immer wieder viel für Material aus alter Zeit, beim Pentateuch (forciert von McNamara, New Testament; messianische Querüberlegungen zu Apk 19,11-16 S.230ff und allg. 238ff) wie bei den Propheten (forschungseröffnend Humbert, Messie, Tendenz zur Ansetzung um die Zeit Akibas repräsentiert von Fraade, Targum Jonathan). Zugleich wird man zwischen Schriften und Schichten unterscheiden müssen. So

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Grundlegung

so daß Sach 9,9f targumisch (TJon) überhaupt nicht und Ps 2,1-8 (Hagiographentargum) nur höchst zweifelhaft 78 messianisch interpretiert werden, dagegen im babylonischen Talmud - bei Ps 2 zurückhaltend zu den messianischen Texten gehören/ 9 oder daß Ps 110 im Hagiographentargum historisierend auf die Würde Davids bezogen wird, bSan 108b dagegen auf Abraham (messianische Interpretation ist hier überhaupt selten). 80 Besonders auffällig bricht die messianische Interpretation der Natansverheißung, zu der vorneutestamentlich PsSal 17 gefunden hatte,81 ab - nach dem gegenwärtigen Belegstand nicht nur im Targum, sondern in der rabbinischen Literatur überhaupt82 - , eine neuerliche Warnung, zu glatte Entwicklungslinien von vor- zu nachneutestamentlicher Zeit zu ziehen. Im Neuen Testament wird 2 Sam 7,14 von Paulus als Königsverheißung ignoriert. 83 Anders zitiert der Hebr es gewichtig christologisch (1,5), aber mit der Stoßrichtung einer Herrschaft über das All, die selbst Engel schlechthin überrage. 84 Eine Vergleichbarkeit oder Aufgipfelung irdischen Königtums liegt, so gewiß Königsthematik bleibt, außerhalb des Blickfelds. 85 Anderweitig bleibt die Natanverheißung sogar kollektiv übertragbar (2 Kor 6,18 und Apk 21,7). 86

läßt sich allgemein im palästinischen Targum von stärkerer messianischer Prägung sprechen (s. Levine a.a.O. bes.201-204, freilich dort mit sehr früher Datierung verbunden) als im TO. Im TJon fehlt sodann bei Ez explizit messianische Interpretation (auch bei 17,22-24;34,23f;37,24f; vgl. Anm. 322 zu 2.2.4.2), könnte andererseits bei Jes das Eindringen messianischer Interpretation schon am Ende der neutestamentlichen Zeit begonnen haben (Chilton, Glory 95ff), eine Spannung, die sich am einfachsten löst, wenn man sogar innerhalb eines Targums Bearbeiter und Schichten unterscheidet. Anderweitig sprechen Indizien für ein Wachstum, so das Eindringen der Messias ben Efraim-Vorstellung nicht nur in das späte Hagiographentargum, sondern auch TPsJ Ex 40,9-11 (vgl. o. mit Anm. 42). Nach Bernhardt, Zusätze 79-83 könnte letzteres Targum seine abschließende messianische Bearbeitung erst im 11. Jh. erfahren haben. 78 S. Levey a.a.O. 105 und - um einen Blick auf den Midrasch erweiternd - Michel/ Betz, Von Gott gezeugt 7f. 7 ' S. bBer 56b;57a und bSuk 52a, weiter einerseits z.B. Zobel, Messias 83ff und andererseits o. Anm. 321 zu 2.2.4.2. 80 Weiteres o. Anm. 234 zu 2.2.4.2. 81 S.o. unter 2.2.4.1. 82 Bill. III 677 nach 15f ist unüberholt. Die Rücknahme der messianischen Interpretation dieser Stelle ist im Zusammenhang der Vermeidung messianischer Gottessohnaussagen zu sehen (s.o. Anm. 321 zu 2.2.4.2); die von Levey a.a.O. 37 zusätzlich ins Spiel gebrachte implizite Wendung gegen christlich-christologische Textbeanspruchung ist bislang nicht verifizierbar. 83 S. Ausblick 2. 84 Im Hintergrund steht die besondere Qualität des Gottessohnbegriffs, auf die (zwischen 2.2.4.1 und 2.2.4.2) wiederholt hinzuweisen war. 85 Zum Forschungsstand führt - stark königlich akzentuierend - Hurst, Christology 157. - Jenseits des Hebr klingt christologische Interpretation von 2 Sam 7,14 nur noch von ferne an (in Joh 1,49; vgl. von 2 Sam 7,12f aus Lk l,32f). 86 S.o. Anm. 189 zu Ausblick 2, zu Apk 21,7 noch bes. Schüßler Fiorenza, Priester 361

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Letzteres führt zu einem Phänomen, das im 1. Jh. zu beachten ist: Alte Heilsworte waren doppelt, nämlich kollektiv und individuell, rezipierbar. Christlich begegnet uns das in unserem Feld noch für Ps 2 - christologisch werden 2,lf in Act 4,25f und 2,7 in Act 13,33; Hebr 1,5;5,5 aufgenommen, kollektiviert dagegen 2,8f (gegen LXX) in Apk 2,26f und anklingend 2,7 in der gerade genannten Stelle Apk 21,7 87 - , jüdisch für die Bileamsorakel in N u m 24 88 und Am 9,11. 89 Jes 11,2 (in 1 Petr 4,14) und Am 9,11 (in Act 15,16[f]) begegnen im Neuen T e stament sogar allein kollektiv angeeignet, und ebenso ausschließlich kollektivierend wird in Lk 10,19 und Apk 12,17 kontrapunktisch von ferne auf Gen 3,15 angespielt. 90

An dieser Stelle löst sich das von der Forschung am stärksten um 1960 thematisierte Problem, daß das Neue Testament von den „sogenannten messianischen Weissagungen durchaus nicht den Gebrauch (macht), den man erwarten würde":91 Nicht die Vorgabe eines messianischen Schriftsystems prägte die urchristliche Aneignung des Alten Testaments, sondern die Erinnerung und Erfahrung des Glaubens mit Jesus, dem Wirkenden, Gestorbenen und Auferstandenen, dem Gesalbten, in einer interpretatorisch große Offenheiten erlaubenden Zeit. 92 So dient Ps 2,lf in der christologischen Rezeption Act 4,25f (vor 27f) unbefangen zur Deutung der Passion Jesu; dieser ist der Gesalbte, geund Dieter Georgi, Die Visionen vom himmlischen Jerusalem in Apk 21 und 22, in: Kirche. FS Günther Bornkamm, Hg. D. Ltihrmann u. a., Tübingen 1980, 351-372, hier 360f. 87 Genauerhin wird man hier angesichts des unter 2.1.1.5 und 2.2.3.1 erhobenen Hintergrunds von einer beginnenden Brechung der an sich um die Zeitenwende stärker verbreiteten kollektiven Textinterpretation sprechen müssen, denn auch die Apk bietet eine christologische Anspielung auf Ps 2,2 (in 11,15). 88 S.o. unter 2.2.3.1. 89 S. unter 2.2.3.2 mit Anm. 44. ,0 Zu Act 15,16f s. ζ. B. Rudolf Pesch, Die Apostelgeschichte II, EKK V/2, Neukirchen 1986, 80, zu 1 Petr 4,14 Manke, Leiden 207, zur Aneignung des „Protevangeliums" o. Anm. 9 zu 2.1.1. - Die christologische Interpretation von Jes 11,Iff beginnt - für v.l durch Hebr 7,14 vorbereitet - Justin, dial. 86,4;87,2. Bei Tertullian (earn. 21,5) entsteht die geschichtswirksame Gestalt mit Deutung des Reises auf Maria, der Frucht/Blüte auf Christus, die ins Kirchenlied „Es ist ein Ros entsprungen" einging (1609 von M. Prätorius zum Christuslied umgestaltet). - Die christologische Deutung von Gen 3,15 setzt sich bei Irenaus, adv.haer. III 23,7; IV 40,3; V 21,1 durch (s. Michl, Weibessame 479-490). - In das Kollektivfeld kann evtl. noch die Rezeption des Hanna-Lieds 1 Sam 2,1-10 bis Lk l,54f gehören (s.o. unter 2.1.1.5 und 2.2.3.2 bei Anm. 36). 91 Hertzberg, Christusproblem 149(ff); vgl. Edgar, Messianic Interpretation passim. 92 In diesen Koordinaten wird nicht zuletzt die bei Dahl, Promises erörterte Selbstverständlichkeit, mit der die alte Formel in 1 Kor 15,3(ff) vor jeder Einzelverifizierung von der Schriftgemäßheit des Todes Christi ausgeht, begreifbar: Christen setzen in einer Zeit, die der Schriftlektüre noch keine hermeneutische - etwa einen Herrschergesalbten erwartende - Norm aufgeprägt hat, eine Blickvorgabe, deren Einlösung für sie zunächst keine Spannung zu nichtchristlich-jüdischer Schriftaneignung bedeutet. Eine solche Spannung tritt erst ab spätneutestamentlicher Zeit hervor, vertieft sich dann bis Justin, I apol. 36 rasch.

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gen den sich die Herrschenden verschworen haben. Eine Weiterführung in Herrschaftsaspekte erscheint noch Lukas an dieser Stelle nicht nötig. 93 Daneben führt das Ringen mit dem Passionsgeschehen für unser Feld wichtig zur christologischen Aufnahme der Klage um den Durchbohrten von Sach 12,10-14 (rückblickend in Joh 19,37; zugleich eschatologisches Geschehen kontrastierend in Apk 1,7; vgl. Mt 24,30), die im Alten Testament die Antiklimax aller davidischen Herrschaft darstellte,94 jüdisch in rabbinischer Zeit allenfalls für den todverfallenen Messias ben Efraim zitierbar sein wird.95 Einen erheblichen Teil der später sog. messianischen Weissagungen erreicht die christologische Aneignung im Neuen Testament noch überhaupt nicht, namentlich die „messianischen" Texte aus Jer (23,5f;33,15f; 30,9.21), Ez (17,22f;21,32b;37,24) - nur Ez 34,23f kann eine partielle Ausnahme bilden 96 - sowie Hos 3,5; Mi 4,8; Hag 2,20 und Sach 3,8; 6,12.97 Bei anderen Texten erscheinen in der Rezeption lediglich vom „Messianischen" her gesehen nebensächliche Aspekte. Bislang noch nicht besprochen, wird so Jes 8,23aß-9,6 im Erfüllungszitat Mt 4,15f entscheidend aus dem Interesse an den dortigen Ortsangaben aufgegriffen, entsprechend nur bis 9,1 angeführt, nicht im berühmten v.5.98 93 Vgl. (bei ungenauer Textangabe) Dexinger, Messianismus 29 und die Kommentare (nach Rudolf Pesch, Die Apostelgeschichte I [...], EKK 5/1, Neukirchen 1986, 176f geht der Deutungsansatz auf vorlukanische Tradition zurück). 94 Zum Text im Alten Testament o. unter 2.1.1.4, zur neutestamentlichen Aneignung etwa Rudolf Schnackenburg, Das Schriftzitat in Joh 19,37, in: Wort, Lied und Gottesspruch. Beiträge zu Psalmen und Propheten. FS Joseph Ziegler, Hg. J. Schreiner, FzB 2, Würzburg 1972, 239-247. Die Verbindung mit Χριστός verdichtet sich bei Justin, dial. 14,8;32,If, bis zu dem der Text noch eine besondere Schlagseite erhält. Denn während die neutestamentlichen Aneignungen die, die laut Sach auf den von ihnen Durchbohrten schauen, über das Judentum hinaus ausweiten, nimmt Justin den Rahmen wieder ins Judentum zurück, und dies in einem sehr skeptischen, Hoffnung nur für einzelne Juden kennenden Ton (32,2;vgl. 120,2; dazu Skarsaune, Proof 280ff). Justin erweist sich so an der Schwelle zwischen Neuem Testament und kommendem kirchlichem Antisemitismus stehend (vgl. Ben Zion Bokser, Justin Martyr and the Jews, J Q R 64, 1973/74, 97-122,204-211). ,s Belege bei Bill. II 299 und III 159, wichtigste Besprechung bei Hurwitz, Messias 89-112ff. " Falls Joh 10,11.16; Apk 7,17 es anklingen lassen. " Vgl. Hertzberg a.a.O. 150f. 98 Vgl. a.a.O. 149 und Soares Prabhu, Formula Quotations 86-104,108-135. - Nur im Friedenswort von Eph 2,14 läßt sich neutestamentlich eine Anspielung auf Jes 9,5 (letzte Textzeile) erwägen. Zum ersten sicher christologischen Zitat kommt es m.W. bei Justin I apol. 35,1, doch nur bis zur dritten Zeile, die Justin im Passionsbewußtsein der frühen Christen auf die Macht des Kreuzes deutet (nicht Christi als Königs; ergänzend zum Kontext Skarsaune a.a.O. 266f). - Jüdisch erfolgte die wichtigste vorneutestamentliche Assoziation von Jes 9,5 anders vom Geburtsbild aus (1QH III 9f; vgl. unter 2.2.4.1);

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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Ortsinteresse bestimmt bei Mt (2,[4-]6) auch den Rückgriff auf Mi 5.1 (.3), nun mit zusätzlichen Nuancen. Denn Mt - oder seinem christlichen Anreger, gegebenenfalls vorangegangenen Testimoniensammler war unerträglich, daß Micha Betlehem „klein unter den Tausendschaften Judas" (MT) oder gar „zu klein, um zu den Tausendschaften Judas zu gehören" (LXX), nannte. Nein, dieser Ort, nach Mt 2,1 der Geburtsort Jesu, ist laut Mt 2,6 „keineswegs das geringste unter den führenden Gebieten Judas". In der Gebietsbezeichnung verdrängt ήγεμόσιν das ursprünglich militärische χιλιάσιν." Auch der Fortgang läßt sich nur vom Hirtenmotiv Micha 5,3, nicht dem zu Schwert-, Waffenmotivik (v.5) führenden Gesamtduktus von Mi 5,1-5 (MT Endredaktion) anregen. Mit dem Hirtenmotiv springt er sogar aus Micha heraus, zu 2 Sam 5.2 (LXX nach MT) hinüber, einer Hirtenzusage an David,100 die gegenwärtiger Quellenbasis nach jüdisch nie messianisch interpretiert wird. 101 Zwischen den Zitaten überleitend, variiert ήγουμενος das Herrschaftsmotiv von Mi 5,1b in einer Weise, die sich weder aus LXX Mi noch einer Konjektur des problematischen M T Mi ableiten läßt. Falls dagegen vom textbildenden Christen an Dan 9,25 (bes. Θ) gedacht wäre - wie Soares Prabhu meint 102 - , verließen wir den davidisch herrscherlichen Reflexionsbereich zugunsten der ersten christlichen Aufnahme der danielischen Gesalbtenansage, die das weitere Christentum nicht aus Herrschermessianitätsinteressen faszinierte, sondern weil ihr in 9,26 - bis zur Vulgata in einen stringenten christologischen Zusammenhang gebracht - eine Leidensansage folgt. 103 Alles in allem entsteht ein Mischzitat, das weit über eine Begründung der Ortssetzung Betlehem hinausschießt und gerade mit dem zu dieser Ortssetzung vorrangig passenden Michatext erhebliche Schwierigkeiten hat. Der Schluß ist unausweichlich: Von Betlehem ist bei Mt nicht wegen der Micha-Annachneutestamentlich besteht eine gewisse Tendenz, den Text auf Hiskija zu deuten (s. Anm. 24 zu 2.2.2 und bSan 94a). " Zum Text im Alten Testament bes. Wolff, Micha 115ff, daneben Rudolph, MichaZephanja 95(ff). Im Zusammenhang der Mt-Exegese wird sein Kleinheitsmotiv leicht falsch übersetzt (bis Gnilka, Matthäusevangelium I 39), das in der jüdischen Textüberlieferung bis zum TJon unangetastet bleibt. Die Übersetzung von ήγεμόσιν Mt 2,6 auf führende Gebiete ergibt sich aufgrund des Bezugspunkts yfj im ersten Versteil. 100 Das Greifen zum Davidstext gleicht übrigens den Verzicht in v.6a auf den EfrataDavidssippenhinweis von Mi 5,1 partiell aus: vgl. bes. Soares Prabhu a.a.O. 266 gegen Rothfuchs, Erfüllungszitate 61. 101 Negativ ist der Befund bis zum Targum. Bill, bietet in diesem Fall keine Hilfe (I 83); ganz unscharf Rothfuchs a.a.O. 127. 102 A.a.O. 265. 103 Vgl. die Text- und Rezeptionshinweise am Ubergang von 2.1.2.2 zu 2.1.2.3 und Anm. 20 zu 1.1. Die wichtigsten altkirchlichen Aneignungstexte sind Hippolyt, comm. in Dan. IV 30-35, Clemens Alex., ström. I 21,125ff; Origenes, princ. IV 1,5; Euseb, h.e. I 6,11; dem.ev. VIII 2 (Julius Africanus); Pseudo-Athanasius, inc. 39f.

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Grundlegung

sage die Rede, sondern von der Micha-Ansage wegen Betlehem. Vorgabe war auch hier nicht eine die Christen theologisch zur Ortsangabe zwingende Festlegung herrscherlicher Messiaserwartung, 104 sondern alttestamentlich vertiefbare Jesusüberlieferung. 105 Nach Passion, Rezeptionslücken, Akzentverschiebungen schließt die Aufnahme von Ps 45,7f in Hebr l,8f hoheitlich den Befund. Sie überspringt die letzte im alten, schon seinerseits zu singulären Hoheitsaussagen gekommenen Psalmtext 106 gewahrte Grenze vor einer göttlichen Apotheose des im Psalm Besungenen. Ausschließlich die Gipfelverse greift sie heraus und läßt diese statt von höfischen Sängern an den irdi104 Eine Sicht Betlehems als Geburtsort des Messias setzt sich jüdisch frühestens ab der Mitte des 3. Jh. und auch dann nur schmal durch (Belegübersicht bei Bill. I 83). Noch davor liegt Origenes, der m.W. erste christliche Autor, der Mi 5,1 korrekt und vollständig als Begründung für den Geburtsort Jesu, des Gesalbten, zitiert (Justin, dial. 78,1 folgt Mt). Er empfindet die jüdisch-nichtmessianische Interpretation dieser Stelle in der ganzen von ihm überschauten christlichen Zeit als Angriff dagegen. Unbelegt, aber wirkungsvoll schlägt er vor, sie sei in der jüdischen Abweisung der Ankunft Christi entstanden (c. Celsum I 51). Der jüdische Hauptbelegtext, TJon Mi, zeigt sehr fortgeschrittene Reflexion: Vor unserer Stelle stellt er sich (4,8) dem Problem, daß nach anderer (gleichfalls junger) Tradition (TPsJ Gen 35,21) Migdal-Eder als Erscheinungsort des Messias gilt, das im M T Mi 4,8 als Felsenhöhe Jerusalems gilt. Er ersetzt 4,8 Migdal-Eder durch „Messias Israels" und läßt diesen aufgrund der Sünden der Zionsgemeinschaft bis zum Kommen des ihm bestimmten Königtums verborgen sein. Der Messias ist nur bei Gott schon da, woran TJon Mi 5,1 anknüpft. Betlehem ist dort anders als bei Mt kein wichtiger Ort (s.o.). Denn von ihm wird zwar der Gesalbte für seine Herrschaftsübernahme in Israel kommen; aber entscheidend ist, daß sein Name weitab zuvor vor Gott genannt war (was Mt noch nicht kennt). Reflexionsumfeld für den in v.3 zu weiteren Gipfelaussagen kommenden Text ist demnach die jüngere messianische Präexistenzspekulation, auf die unter 2.2.4.2 (mit Anm. 317) hinzuweisen war. Schimanowski, Weisheit und Messias 121-135 übergeht die historischen Abstände; weitere Lit. bei Forestell, Targumic Traditions 71. 105

Für die damit gestellte historische Frage ist zu beachten, daß Lk und Joh, die beiden weiteren neutestamentlichen Autoren, bei denen Betlehem eine Rolle spielt, Mi 5,Iff übergehen, ein erneutes Indiz, daß diesem Text im frühen Christentum nicht die ortserzwingende Rolle zukommt. Lk sucht statt dessen die Aufwertung Betlehems durch dessen Deklarierung zur Stadt Davids (2,4), was auf seine Weise jüdische Tradition nicht weniger ändert als Mt' Eingriff in Mi 5,1, ist die Stadt Davids jüdisch doch durchgängig Jerusalem (vgl. Burger, Davidssohn 136). Joh zeigt an der Betlehemgeburt eigentlich Desinteresse (wie Mk), bringt sie als Motiv lediglich über eine kritische Frage von Gegnern Jesu ein. Wie Lk verbindet er Betlehem dabei mit David, freilich korrekter als Ortschaft, in der David lebte (7,42). Wichtig ist ihm vor allem die ironisierende Abweisung aller Gewichtungen irdischer Herkunft des Gesalbten (Christi), um deretwillen er die Frage ohne Antwort läßt (vgl. die Textgrundbehandlung in Ausblick 2 mit Anm. 244). Theologisch ist damit der Akzent gegenläufig zu Mt und Lk, aber den historischen Sachverhalt läßt er offen. Heutiger Interpretation wird eine Spannung vorgegeben: Einerseits können wir die Ortsangabe Betlehem um Jesu Geburt nicht von vornherein als Theologumenon erklären. Andererseits interessiert Betlehem die Quellen nie einfach als historische Angabe, ist aber ihre Wertung und Verbreiterung, wie Joh zeigt, schon urchristlich umstritten. 106 Textbesprechung o. am Ende von 2.1.1.1.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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sehen König von Gott an den Sohn gerichtet sein. Im Anredecharakter der Verse liest sie das erste ό θεός in v.9 und wohl auch schon das ό θεός in v.8 als Vokativ: 107 Gott spricht den Sohn als Gott an wie er selbst, gibt dem Gesalbtsein des Sohns den Charakter göttlicher H o heit. Die T h r o n - und Königsherrschaftsmotive verschieben sich entsprechend vom irdischen zum göttlichen Königtum der gesalbten Gestalt. Diesen Schritt vermeidet die spätere königsmessianische Textrezeption im Hagiographentargum. Statt dessen formuliert sie - nach v.l in einem prophetischen Entwurf der Korachiter - in der Sache die subordinatianische Zuordnungslinie von PsSal 17108 neu. 109 Letztere wird in Hebr 1 schon v.5 überboten, 110 in unseren w . 8 f apotheotisch umgebrochen. 111

In der christlichen Uberlieferung der Septuaginta setzt sich der Befund fort. Sie bietet kein Indiz herrschermessianischer Schriftvorgabe für die Christen. Keine der in Haupthandschriften überkommenen Christos-Änderungen und Christos-Eintragungen betrifft die später sog. messianischen Verheißungen von Jes bis Sach.112 Vielmehr führen die christlichen Eingriffe, die die ab Origenes einsetzende Revision überstanden oder trotz jener in der Alten Kirche noch vornehmbar wa107

Zum Grammatischen Blaß-Debrunner-Rehkopf § 147,2. Vgl. o. unter 2.2.4.1. 109 Sie durchbricht die in v.3 begonnene Königsgesalbtendeutung des Psalms in v.7, sieht dort nicht den irdischen König angeredet, sondern Jahwe, den Herrn. Er ist ihr der (ewige) König des Psalms (w.2.12.16), vor dem sich so der Messias als sein Königsgesalbter beugt (v.12). - Weitere Interpretationshinweise bei Levey, Messiah 109-113. Bill. III 679 bricht die Gottesanrede in v.7 nach dem ersten Satzglied ab; das ändert zwar die Gesamtinterpretation nicht entscheidend, mißachtet aber die Parallelismusstruktur des v.7. Vor v.12 erfährt sodann der v.ll eine einschneidende Änderung. Er weist nun die Versammlung Israels an, auf die Weisungen des Gesalbten zu hören, der Verantwortung für die Tora trage, ein wichtiger Passus zum Verhältnis Messias-Tora (vgl. o.). 110 S.o. im Paragraphen. 111 Zur Interpretation im Hebr vgl. neben den Kommentaren Allen, Psalm 231-241 (bei unscharfer Annahme vorangehender messianischer Interpretation des Psalms: 233) und - gleichfalls zu präzisieren - Hurst, Christology 159-162. Auffällig ist die Ubereinstimmung des Zitats mit LXX (dort Ps 44,7f). Jüdisch müssen wir in deren Text von v.7 wie im späteren Targum eine Gottesanrede hören, in v.8 eine doppelte Subjektsangabe. Aber viel spricht dafür, daß der überkommene LXX-Text schon christlich-christologisch wie der Hebr zu lesen ist: Die Psalmüberschrift setzt eine Richtung εις to τέλος mit dem Fixpunkt, der Psalm sei zu singen „über den Geliebten" (statt hebr. „Liebeslied"). „Geliebter" (άγαπητός) aber ist seit spätneutestamentlicher Zeit (Mk 1,11 par; 9,7 par; 12,6 par; Mt 12,18; 2 Petr 1,17) ein von Gottes Relation zu Jesus aus gedachtes Christusprädikat. Im absoluten Gebrauch dringt es in den LXX-Psalter noch 67,12f ein, wo aus M T Psalm 68,12f ein Verkündigungstext christlicher Mission formuliert wird. Des weiteren erscheint es vor allem in den großen Klagetexten LXX Am 8,10 und Sach 12,10, deren Aneignung im Blick auf die Christuspassion nahelag. 108

112 S.o. unter 2.1.1.5. Davon unabhängig ist LXX Sach 9,9-17 als christologische Textaneignung interessant: s. Anm. 127 zu 2.1.1.5.

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Grundlegung

ren,113 zu einem bemerkenswerten eigenen Bild: Christus, der christlich geglaubte Gesalbte, ist schon seit altisraelitischer Zeit entscheidende, mehr als königliche Heilsinstanz. Vor Gott und ihm legte Samuel für BS'A u.v.a. in Sir 46,19 letzte Rechenschaft ab. V o n ihm empfing für B2 David in Sir 47,11 die Vergebung seiner Schuld und seine Macht. Ihn verkündete der Herr selbst für die christliche LXX-Gesamtüberlieferung Am 4,13 in einem Wort, das am Schluß zur höchsten Prädizierung fortschreitet, Herr, Gott, Allherrscher sei sein Name. 1 1 4 U n d wie man seine, die Christusfurcht, stark machen könnte im Menschen, überlegte für Β David in seinen letzten Worten unter Änderung einer Aussage über die Gottes-(!)Furcht des hebräischen Textes ( L X X 2 Reg nach 2 Sam 23,3). 115 Bei einer solchen Linie ist mit der heilsgeschichtlichen Situation des nichtchristlichen Israel zu ringen. Α findet die Lösung, Jerusalem sei am Tage seiner Geburt nicht im Wasser Christi gewaschen (seil, getauft) worden, was den großen Umbruch seines Geschicks vorbereitet habe (Ez 16,4 vor 15ff). Gleichwohl habe sich Christus, der christlich geglaubte Gesalbte, einst sogar tempelschützend geoffenbart, in der Gestalt des Reiters, der Heliodor theophan - παντοκράτωρ επιφανής χριστός steht im Text für ein gottbezogenes Kyrios - an dessen beabsichtigtem Tempelfrevel zu Anfang des 2. Jh. v.Chr. gehindert habe (2 Makk 3,24-30; Christos-Eintragung v.30, weiterhin A). S nimmt eine weitere Anknüpfung beim Hohenlied vor - Christus sei der Bräutigam, an den es sich richte (Cant 1,7) - , die LXX-Gesamtüberlieferung 113 Zu Origenes als Wende in der christlichen LXX-Bildung s. Hanhart am Anm. 78 zu 2.1.1. a . 0 . 1 3 . Das wirft die Frage auf, wieweit die im folgenden anzuführenden Christos-Eingriffe vor ihm anzusiedeln sind. Vornehmbar waren sie grundsätzlich, sobald Christus als im Geist durch die Propheten wirkend, sich im voraus bezeugend galt. Letzteres begann spätneutestamentlich (1 Petr 1,11; dazu Manke, Leiden 44ff) und breitete sich im 2. Jh. weit aus (von IgnMagn 8,2;9,2; IgnPhld 5,2 bis Irenäus, adv.haer. IV 20,4; Weiteres bei Manke a.a.O. 44). Andererseits sind die überkommenen christlichen LXXHss. durchweg jünger als Origenes. Demnach ist nicht auszuschließen, daß einerseits frühe Belege verlorengingen, andererseits spät Belege hinzukamen. 114 Der schwierige Text formt eine Rede über Gottes Gesinnung (zum Hebräischen Wilhelm Rudolph, Joel - Arnos - Obadja - Jona [...], ΚΑΤ 13/2, Gütersloh 1971, 170ff) durch die Anfangseinfügung eines betonten „ich" in eine Gottesrede um und liest statt des Ausdrucks für Gottes Sinnen (ιΠί-ΠΒ) ό χριστός αύτοΟ (analog ΊΠ'ϋ»), beläßt zugleich die abschließende Hoheitsprädizierung (κύριος κτλ.) in der 3. Person, so daß sie sich auf den Gesalbten bezieht. Übersetzt entsteht der Wortlaut: „Deshalb siehe, ich (Gott) bin es, der den Donner stark macht und den Geist (Sturmwind) schafft und den Menschen seinen Gesalbten kündet, Morgenlicht und Nebel machend und auf die Höhen der Erde schreitend: Herr, Gott, Allherrscher ist ihm Name." In jüdischer Literatur fehlt, soweit ich sehen kann, jede messianische Textfassung von Am 4,13. Am Ubergang zur christologischen Aneignung steht Apk 15,3, falls man es als „Lied über das Lamm" (Gen.obi.) versteht (was allerdings für den Apk-Autor selbst noch zweifelhaft ist; kritisch Jörns, Evangelium 128 mit Anm. 11). Die Rückrevision erreicht unseren Text laut Rudolph a.a.O. 171 bei Hieronymus. Die Rezeption bis dahin verdiente eine Spezialuntersuchung - sollten schon die w . l l f auf Christus hin verstanden worden sein? 115 Die Textänderung beginnt v.l.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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bei der Klage von Thr 4,20, die sie nun auf die Passion Christi, des Herrn, entworfen hört. 116

Christos wird in der christlichen LXX-Aneignung also entscheidend nicht als Erwartungsprädikat gehört, sondern als Grundbestimmung Christi, des Gesalbten, der von alters her soteriologisch und offenbarend gewirkt habe: Ihn ehrten die großen Gestalten der Heilsgeschichte wie Gott, besangen ihn als Bräutigam und beklagten ihn wegen seines Leidens. Schließlich eröffnet die bis Justin aus neutestamentlichen Parusiechristus-Wurzeln erwachsende Unterscheidung zweier Parusien Christi in der Geschichte, der vergangenen Anwesenheit in Niedrigkeit und Leiden und der kommenden Anwesenheit in Hoheit und Herrlichkeit,117 altkirchlich eine Möglichkeit, Königsvorstellungen für die kommende Anwesenheit stärker aufzunehmen. 118 Aber die bis zur spätneutestamentlichen Zeit über jüdische Gesalbtentradition hinaus gewonnene Uberzeugung von einem zeit- und parusieübergreifenden theonomen Königsein Christi 119 verhindert ein Begriffsumschlagen dorthin. 120 116

Dazu wie zur Gesamtfeststellung der Eingriffe s. Anm. 87 zu 2.1.1. S. bei Justin bes. dial. 36,1, zur Entwicklung bis dahin Skarsaune, Proof 285ff, zum Justinbefund weiter J. Leclerq, L'idee de la royaute du Christ dans l'oeuvre de Saint Justin, ATh 7, 1946, 83-95, hier 87-91 und Sjeberg, Justin 176f. 118 So Hegesipp nach Euseb, h.e. III 20,4 (allerdings deutlich von einem irdischen Reich unterscheidend). Interessant ist weiter die Textgeschichte des 1 Clem: Schon im Grundtext zeigt sich nach der Mehrzahl der Hss. eine Tendenz, die Offenbarungskraft der Herrschaft des Gesalbten vor allem in der Zukunft zu erwarten (50,3). Derer bedient sich C 1 , um in 40,3 noch weiterzugehen, die Apostel verkündigen zu lassen, „daß die Herrschaft des Gesalbten kommen wird." Trotzdem wird man sogar hier mit direkten Querlinien zu jüdisch-herrscherlicher Gesalbtenerwartung (vgl. in der älteren Forschung Kattenbusch, Symbol II 553f) vorsichtig sein müssen. Denn die Hss.-Lage an den genannten Stellen verrät, daß der erste Ableitungsbezug die Basileia Gottes ist, als deren Träger man sich altkirchlich verbreiteter Christus den Herrn vorstellt (vgl. K.L. Schmidt in T h W N T I 593f). 119 Zur neutestamentlichen Gesamtlinie s. Anm. 257 bei Ausblick 2, zur Apk ergänzend unter 2.2.4.2., zum Hebr im vorangehenden Abschnitt. 120 Die Hauptlinie einer Ableitung des Königseins Christi von Gottes Königsein (statt jüdischer Herrschergesalbtenerwartung) klingt außerneutestamentlich erstmals Did 14,3 (in christologischer Aneignung von Mal 1,11.14) an. Die wichtigsten nachfolgenden Quellen sind über PGL s.v. βασιλεύς Β 2 (S.292) auffindbar. Sie weisen Christus als Gottkönig, König der Könige, König der Ewigkeit und aller Schöpfung aus. Mit Diog 10,4 hält auch der judentumsdistante und neben dem Davidssohn- sogar das Christusprädikat vermeidende (s. Klaus Wengst, SUC 2, 1984, 294-297) Zweig des außerkanonischen Schrifttums fest, Gott habe wie ein König seinen Sohn als König geschickt. Origenes, Joh. 1,28 (p.35) faßt die „Königsherrschaft Christi" in Linie seiner Theologie als den vernünftigen Geist regierendes, zur Gottesverehrung erhebendes Königtum. Einen bemerkenswerten Christus-Königs-Hymnus bewahrt die Lehre des Silvanus N H C VII 4, 111,14-20: In Christus als König wird Gottes Güte sichtbar und die Größe der Gottheit offenbart, weswegen man sich mit einer Vergebungsbitte an ihn wenden 117

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Grundlegung

Christos bleibt in den großen Bekenntnissen ( R o m a n u m und danach Apostolicum, Nicänum und danach Nicänoconstantinopolitanum) Grundbezeichnung, die die Gesamtheit der Aussagen über den Herrn Jesus trägt, rückt nie vom Anfangsort des jeweiligen christologischen Artikels vor die Wiederkunftsansage. N u r das N i c ä n o c o n s t a n t i n o p o l i t a n u m nennt ü b e r h a u p t explizit d a s B a s i l e i a M o t i v , im A u s b l i c k d a r a u f , des H e r r n J e s u s , des G e s a l b t e n , Reich w e r d e sein ohne Ende.121

Eine zu starke Gewichtsverlagerung auf die Rezeption jüdisch-herrschermessianischer Erwartung erhält sogar einen häretischen Anstrich, 122 bleibt großkirchlich zumindest immer als chiliastisch anfechtbar, 123 ein Vorwurf, der schließlich nicht einmal die Apk verschont. 1 2 4

kann; Christi Königtum, das Sittlichkeit, Leben, Zeiten und Himmel bestimmt, erfüllt sich in der Fähigkeit zur Vergebung. Ob judenchristlich aus dem 2. Jh. (so Zandee, Teachings 56Iff) oder nachorigenistisch (vgl. - ohne Behandlung unserer Stelle - Reloef van den Broek, The Theology of the Teachings of Silvanus, VigChr 40, 1986, 1-23), gibt die Verbindung von Hoheit und rettender Kraft diesem Hymnus besonderen Wert. Abzulehnen ist angesichts der Breite und des Charakters der Belege die bis Grillmeier, Jesus der Christus I 93 wirksame These, die Alte Kirche habe den Basileus-Titel als (im weiten Sinne) messianisch-konfliktträchtig allmählich unterdrückt. Interessant für den herrscherlichen Bereich ist dagegen die von Grillmeier ebd. hervorgehobene Beanspruchung des Imperator-Titels für Christus ab Tertullian (de fuga 10,1; vgl. Anm. 60 zu 1.2). 121 Quellen zu den Bekenntnissen bei D S Nr. 10-30, C O D 3 1973, 5 und D S Nr. 150. 122 Der erste große Rezeptionseinbruch jüdisch-herrscherlichen Messiasdenkens könnte bei Kerinth erfolgt sein, wenn dessen Bild bei Caius und Dionys von Alexandrien (nach Euseb, h.e. III 28,2.4f) zu folgen wäre. Denn dort erscheinen dichte Motive erhofften irdischen Königtums, bei Dionys sogar mit einer Erneuerung des Tempelkults verbunden (vgl. TJon Jes). In der jüngeren Forschung geht dem bes. Berger, Daniel-Diegese 82f nach; vgl. auch Skarsaune, Proof 407ff. Aber die Quellenprobleme sind groß (vgl. Klijn/Reinink, Sects 3-19). Auf ein anderes Kerinthbild wird in Anm. 107 zu 2.3.3 zu kommen sein. 123 Die sich großkirchlich am weitesten vorwagende Gestalt ist Laktanz, der unter dem Eindruck der diokletianischen Verfolgung das Königtum Christi ganz in die Zukunft verlagert, in der dieser, der gesalbte König, seine Herrschaft machtvoll und richtend gegen die Verkörperung aller Schlechtigkeit in einem Antichrist-König durchsetzen werde (bes. inst.epit. 66f nach 37,9; vgl. div.inst. IV 7,8 und den dortigen Querverweis). Aber übergreifend theologiegeschichtlich fiel er mit unter das Chiliasmusverdikt, das damals gern über eine nicht ressentimentfreie Kritik an jüdischen Auffassungen vorgetragen wurde (vgl. Wilken, Restoration 450f von Hieronymus, in Is. 18 prol. [CChr.SL 73a,740f] aus; im Kontext lenkt Wilken freilich zu sehr auf eine korrekte Zeichnung der jüdischen Auffassungen in spätaltkirchlichen Quellen: Die von ihm vergleichend herangezogenen spätantik-frühmittelalterlichen jüdischen Apokalypsen zeigen nur eine Facette jüdischen Denkens). 124 S. Georg Kretschmar, Die Offenbarung des Johannes. Die Geschichte ihrer Auslegung im 1. Jahrtausend, C T h M 9, Stuttgart 1985, 71f,77ff.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes 2.2.5 Der eschatologische

hohepriesterliche

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Gesalbte

Anders als die Königssalbung, gesalbtes Königtum, war - und ist gesalbtes (Hohe-)Priestertum seit der Einfügung der priestergesetzlichen Bestimmungen in den Pentateuch jüdisch nicht nur in geschichtlicher Erinnerung, sondern auch in Verbindlichkeit beanspruchender Weisung verankert. 1 Das bestimmt - wenn wir zum Umschreiten des Themenkreises zunächst über unseren engeren Berichtszeitraum hinausgehen - Ansatz und Vorkommen der priesterlichen Salbungsmotivik in der Mischna: Sie, die den herrscherlichen Gesalbten nur am Rande erwähnt, 2 widmet dem gesalbten (Hohen-)Priester über alle Zerstörung des Tempels hinweg in ihren normativen Erörterungen gewichtigen Raum (mHor 2,2.3.7;3,4.5 u.ö.). 3 Sogar der im Begriff ursprünglich gesetzte Realvollzug mit sakralem, die Sphäre von Heiligtum-HeiligkeitGottnähe herstellendem Salböl scheint auf, am plastischsten in der Begriffsvariante von mMeg I 9a gegenüber dem dichtesten alttestamentlichen Ausdruck für den gesalbten Hohenpriester. Denn statt Π'ΙΓΗΠ |Π3Π nach Lev 4,3 steht dort mit dem Partizip Passiv qal m®a |Π3 „der Priester, der gesalbt wird" (mit dem Salböl: ΠΠΡ»η ]»&). Allerdings tritt im gleichzeitigen und nachfolgenden Fortschreiten der targumischen Bibelübertragung ein nur die Theonomie, nicht den Realvollzug des Salbungsgedankens erhaltendes Reden von Erhebung, Weihe der Priester an die Stelle des biblisch-hebräischen ntPO.4 Das verrät, daß wir in der MischnaReflexion nur eine Linie der Traditionserwägungen vor uns haben. Nach ihr bleibt aber bis in nachantike Zeit die Assoziation Gesalbter-Aaron möglich; herausragend bezieht MTeh Ps 2,2 die im Psalm thematisierte Erhebung gegen Jahwe („den Ewigen") und seinen Gesalbten nicht nur auf eschatologisches Geschehen um den Königsgesalbten, sondern auch auf die Erhebung Korachs gegen Aaron, „welcher der Gesalbte des Ewigen war."5

Seit der hasmonäischen Zeit wurden aber die priesterlichen Salbungsweisungen des Gesetzes nicht mehr befolgt. 6 Die Mischna-Reflexionen akzeptierten darauf neben dem gesalbten ein ungesalbtes, durch Bekleidung investiertes Hohespriestertum (an allen genannten Stellen). Doch besagt Akzeptanz noch nicht Präponderanz, jedenfalls nicht im

1

Vgl. o. unter 2.1.2.1/2. Vgl. am Anfang von Ausblick 3. 3 Vgl. Neusner, Messiah 25 und - mit den weiteren einschlägigen Belegen - o. am Ende von 2.1.2.3. 4 S. Lothar Tetzner, Megilla (Esther-Rolle) = Die Mischna II 10, Berlin 1968, 54 (sein Gesamtgeschichtsbild ist freilich nach den Hinweisen von 2.1.2.3 Ende zu korrigieren). s Ubersetzung August Wünsche, Midrasch Tehillim oder haggadische Erklärung der Psalmen [ . . . ] I, Trier 1892, 24. 6 S. unter 2.1.2.3. 2

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Grundlegung

erst allmählich zu den Mischna-Formulierungen findenden 2. Jh. n.Chr. Auch die Bezeichnung Bar Kochbas als ΝΠ'&η X3V» ließ - wie angesprochen - Raum für das mögliche Gegenüber eines/des gesalbten Hohenpriesters (aram. Κ3Π3 für hebr. m&»[n]/n'&a[n] ]Π3[η]), so gewiß die Restitution gesalbten Hohenpriestertums während des Aufstands aufgrund des Nichtbesitzes des Tempels unmöglich war und sich die überkommenen Münzen mit einem geringeren pDH-Anspruch begnügten. 7 D e r Z u s a m m e n h a n g gibt den G e s c h e h n i s s e n u m B a r K o c h b a eine b e m e r kenswerte Vielschichtigkeit. D e n n er z w i n g t nicht z u einer ausschließlich e s c h a t o l o g i s c h e n Interpretation des A u f s t a n d s , s o n d e r n bleibt auch d a n n sinnvoll, wenn eine innerzeitlich auf längere D a u e r gerichtete N e u k o n s t i t u t i o n des G o t t e s v o l k e s nach M a ß s t ä b e n der T o r a g e s u c h t w u r d e . Vielleicht erklärt sich der historische B e f u n d - nach d e m B a r K o c h b a mit der E r h e b u n g herrscherl i c h - m e s s i a n i s c h e r A n s p r ü c h e f ü r sich z ö g e r t e - a m ehesten, wenn m a n innerz e i t l i c h - v o r e s c h a t o l o g i s c h e u n d e s c h a t o l o g i s c h e H o f f n u n g e n und Ziele o h n e volle A u s g e g l i c h e n h e i t ineinander v e r w o b e n sieht. 8

Der Rahmen für die Sachbehandlung im uns entscheidend interessierenden Zeitraum zwischen Hasmonäern und Abschluß des Neuen Testaments kristallisiert sich heraus: Die Priestersalbungsweisungen wurden mit dem Pentateuch überliefert, ohne daß die Differenziertheit des Umgangs der Mischna mit ihnen schon erreicht war. Zugleich war die Zeit gesalbten Hohepriestertums in die Verklärung Gott aufs engste verbundener Vergangenheit gerückt (bis LibAnt 48,2). 9 Als Erinnerung und Norm lebendig, provozierte priesterliches Denken in einzelnen Kreisen die Hoffnung eschatologischer Erneuerung, zugespitzt zumindest vorübergehend auf einen neuen priesterlichen Gesalbten. Den dank neuer Quellenfunde bekanntesten dieser Kreise lernten wir schon kennen, die Gemeinschaft von Qumran. 1 0 Ihre Sektenregel begrenzt die Gültigkeit der Gemeinschaftsvorschriften, „bis der Prophet und die Gesalbten Aarons und Israels kommen" ( 1 Q S I X 11). Das setzt zum Auftreten dieser Gestalten einen eschatologischen Einschnitt, läßt mit ihrem Kommen etwas Neues, sich gegenwärtiger Bestimmbarkeit partiell Entziehendes erwarten. Folgerichtig knapp bleibt die Aussage. Den entscheidenden Sachaufschluß müssen wir der Terminologie, dem Ausdruck Gesalbter Aarons selbst entnehmen: Er macht Aaron, das Tora-„Urbild der legitimen Priesterschaft Israels", 11 zur BestimS. am Ende von 2.1.2.3 und Ausblick 3 mit Anm. 34. Vgl. die Aufstandshinweise in Ausblick 3. ' S. unter 2.1.2.3. 10 Vgl. zum folgenden schon unter 2.1.4.1. 11 Zitat Aelred Cody, Aaron I, T R E I, 1-5, hier 1, dort zum - für unsere Zeit entscheidenden - Endstadium des Pentateuch. 7 8

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mungsgestalt des erhofften priesterlichen Gesalbten. Um des Signals von Aarons Urbildnormativität willen geht er sogar hinter den außerhalb Qumrans geläufigen (s. o.), in Qumran aber kaum zufällig fehlenden Ausdruck „gesalbter Priester" zurück. Die Endzeit erhält den Rang einer Erneuerung von Aaron dominierter Konstitutionszeit Israels vor allem Verfall in Königtum und einstigem gesalbtem Priestertum. Der dem Gesalbten Aarons folgende zweite Gesalbte ist entsprechend - wie gezeigt - nicht gesalbter König nach David, sondern Gesalbter Israels, Gesalbter des Heilsvolks als dem Priestertum nachrangiger Laienführer.12 Die Umgebungskreise Qumrans, die in der Damaskusschrift ihr Grunddokument hinterließen, gingen vielleicht noch weiter. Denn ihre Formulierung pirtK Π'ΡΗ/mtfa CD XII23-XIII1; XIV19; XIX 10/; XX 1 - die im Partizip Passiv von XII 23 die Implikation realen Gesalbtseins lange vor der Mischna erneuert - läßt ein singularisches Verständnis, also die Interpretation, ein Gesalbter bilde den Aaroniden und Israelrepräsentanten der Endzeit, zumindest offen. 13 Sich selbst geben die Trägerkreise vorab in I 7 als aus Israel und Aaron gesprossene Wurzel der Pflanzung zu verstehen, so daß der Gesalbte (die Gesalbten) ihren Reihen verbunden sein wird (werden). Bei seinem (ihrem) Kommen wird nicht nur eine große Sühne, also eine Bündelung priesterlichen Tuns, erfolgen (XIV 19),14 sondern auch das Gericht für die Übertreter der Tora (XIX lOf im Kontext), namentlich alle von der Ge12 Vgl. unter 2.2.4.1. - Die erste Phase der Erforschung des Priestergesalbten führte van der Woude, Die messianischen Vorstellungen 77-88 über Prophetentradition zu einer Identifikation mit Elija. Diese Position brach zusammen (s. schon Gnilka, Erwartung 408 Anm. 61). Doch eigene Erarbeitungen des Aaron-Bezugsfelds blieben aus. Die Fülle der Lit. ist stärker an CD und Vermittlungen oder besser Distanzen zum Neuen Testament interessiert; aus ihr seien (je angreifbar) nur noch Liver, Two Messiahs (bes. 150-156) und Higgins, Priestly Messiah (bes. 215-219) genannt. Weitere Sonderfragen ergaben sich um das Verhältnis der Gesalbten zum „Lehrer der Gerechtigkeit" (ζ. B. G.R. Driver, The Judaean Scrolls. The Problem and a Solution, New York 1965, 467-477), wozu aber unsere Texte schweigen. Dem aufgezeigten Zusammenhang entsprechend, spielt Jer 33,17f in Qumran keine Rolle. Das läßt die - übrigens ohne Qumranbehandlung gewonnene - Position Zerafas, Priestly Messianism bes.331, diese davidisch-levitische Doppelverheißung sei die magna charta des priesterlichen Messianismus, unglücklich erscheinen. Kaum zufällig greift das von Collins, Imagination 122 mit dem priesterlichen Messianismus Qumrans verbundene Zitat aus Dtn 33,8-11 in 4QTest 14-20 statt dessen auf die Tora zurück. 13 S. unter 2.2.4.1 bei Anm. 15(ff). Die Grundlagen für alle jüngeren Debatten legten Ginzberg, Sekte 299-363 (These zweier Gesalbter und beim Aaroniden Begründung der von van der Woude - s.o. - auf 1QS erweiterten Elija-Identifikationslinie) und W. Staerk, Die jüdische Gemeinde des Neuen Bundes in Damaskus [...], BFChTh 27/3, Gütersloh 1922, bes. 95f (These eines antidynastisch-priesterlichen Messiasideals). 14 Zur Syntax des Passus s. Anm. 20 zu 2.2.4.1, zum Gebrauch von "103 in Qumran B. Lang s.v., ThWAT IV, 303-318, hier 317f.

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Grundlegung

meinschaft Abgefallenen ( X I X 3 3 - X X l).15 D i e Verbindung der G e s a l b t e n e r w a r t u n g mit A a r o n u n d Israel s c h l ä g t e i n e B r ü c k e z u r e n g e r e n Qumrangemeinschaft, die unseren T e x t den g e f u n d e n e n Fragmenten n a c h in ihre B i b l i o t h e k a u f n a h m ; im Falle d e s S i n g u l a r s aber b l e i b t z u g l e i c h die E i g e n s t ä n d i g k e i t d e r V o r s t e l l u n g z u b e a c h t e n . In diesem Zusammenhang ist nicht uninteressant, daß anders als bei den engeren Qumranschriften, die mit Sicherheit eine gesonderte Gesalbter IsraelsErwartung bezeugen, 1 ' bei C D die Uberlieferung nicht mit dem Untergang Khirbet Qumrans abbricht, sondern bis ins Mittelalter, in dem die in der Kairoer Geniza gefundene Haupthandschrift entstand, fortgeht. 17 So ist nicht auszuschließen, daß der weitere „essenische" Kreis bei all seinem sektenartigen Charakter auch nach dem Jahre 70 noch Anstöße zu geben vermochte oder daß - vorsichtiger - seine Grundschrift in priesterlich orientierten Drittkreisen Einfluß behielt. 18 E i n e w i c h t i g e E r w e i t e r u n g d e s B e l e g m a t e r i a l s b r i n g e n die TestXII, s o f e r n sie - w o m i t g r u n d s ä t z l i c h z u r e c h n e n ist 1 9 - bis z u d e n f ü r u n sere Frage e n t s c h e i d e n d e n P a s s a g e n j ü d i s c h v o r d e r E n t s t e h u n g d e s C h r i s t e n t u m s f o r m u l i e r t w u r d e n . U n t e r d e n F u n d e n bei K h i r b e t Q u m 15

Vgl. Davies, Damascus Covenant 180 (Lit.). Nach Davies müßten wir mit einem Wachstum der Eschatologie bei den CD-Trägerkreisen rechnen, die die Gesalbtenerwartung einem jüngeren Stadium zuordnen läßt (vgl. noch ders., Eschatology 52ff); aber dieses Stadium ist, da in 4QD b dokumentiert (s. unter 2.2.4.1), in jedem Fall bis zur neutestamentlichen Zeit erreicht. Ginzberg erweiterte die Funktion des Gesalbten Aarons auf eine „Vernichtung der Heiden" (362), doch schießt dies über die Angaben von CD hinaus (ist durch komplizierte Erwägungen zum „Kriegsgesalbten" - vgl. Anm. 134 zu 2.1.2.3 - gewonnen). Schwer ist schließlich zu sagen, wie dicht die 40 Jahre-Angabe von CD XX 15 mit unserer Erwartung zusammengebracht werden darf (eine weitgehende Position bei Cave in Schürer, History II 552). 16 Dazu s. am Anfang von 2.4.2.2. 17 G. Vermes schlägt vor (in Schürer, History III/l, 205f), CD sei 68 mit verlorengegangen, aber am Ende des 8. Jh. durch einen Höhlenfund bei Jericho wieder bekannt geworden: Ein Fund alttestamentlicher und jüdischer Schriften ist durch Timotheus I. von Seleucia bezeugt (Quelle mit Ubersetzung bei O. Braun, Ein Brief des Katholikos Timotheos I über biblische Studien des 9. Jahrhunderts, OrChr 1, 1901, 299-313, entscheidende Passage 304f). Aber der Fundbericht gibt keinen Hinweis auf CD (nennt vor allem Psalmen), so daß eine durchgängige CD-Uberlieferung zumindest gleich wahrscheinlich bleibt. 18 Die Geschichte dieser Kreise ist noch kaum erforscht, sicher mit wegen der Schwierigkeit, Reflexe auf sie in rabbinischer Literatur zu finden (auch bei J. Blidstein, A Rabbinic Reaction to the Messianic Doctrine of the Scrolls, JBL 90, 1971, 330-332 [zu ARN Vers. A p.50a-b ed. Schechter]). Bemerkenswerterweise fand man in der Kairoer Geniza neben CD auch (je fragmentarisch erhaltene) Kopien des hebräischen Sir und des aramäischen Testaments Levi (s. Vermes a.a.O.), der Schriften also, die die Entwicklung der priesterlichen Orientierung vor CD besonders dicht dokumentieren (vgl. unter 2.1.2.2 und 2.1.2.3). 19 S. die Einleitungsdiskussion in Anm. 122 zu 2.1.2.3.

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ran fehlen sie, was nicht nur als Manko, sondern auch als wichtiger Trägerhinweis verstanden werden kann: Das in ihnen ausgeprägte Denken läßt aufscheinen, welche eschatologische Zuspitzung priesterlicher Komponenten jenseits der die Höhlen am Toten Meer als Verstecke nutzenden Kreise möglich war. 20 Freilich ist der Trägerkreis der TestXII vorläufig nicht genauer zu bestimmen. Vielleicht erfolgte die Redaktion zur vorliegenden Gestalt unter Rückgriff auf aramäische oder hebräische Teilvorlagen von vornherein in der griechischen Sprache, in der sie uns (neben armenisch) überkamen, was eine Ausweitung des Entstehungs- und Tradierungsbereichs auf palästinisch-griechisches Judentum und die Diaspora ermöglichte. 21

Die TestXII knüpfen in ihrer uns interessierenden Eschatologie an die bikephale Levi-Juda-Erwartung, deren Grundstruktur ins 2. Jh. v.Chr. zurückreicht, 22 und zusätzliche Reflexionen um Levi (das aramäische Testament Levis) und die Geschichte des Priestertums (das in TestLev 17 aufgenommene Traditionsstück) 23 an. Ohne daß die auf Levi und Juda sich richtenden Erwartungspassagen aus einem Guß wären,24 entsteht eine Linie auf Vorordnung der priesterlichen H o f f nungsgestalt (auch im Testjud: 21,2). In TestLev 18 erscheint diese als ιερεύς καινός mit umfassendem Offenbarungswissen um die Worte des Herrn, verbinden sich mit ihrem Kommen Gericht nach dem Maßstab der Wahrheit (soweit v.2), eschatologischer Friede und eschatologisches Heil (w.3-14*). 25 Noch ist freilich der Ausdruck „gesalbter H o herpriester" nicht erreicht. 20

Die Versuche der 50er Jahre, Einordnungen in die Gemeinschaft von Qumran herzustellen (bes. A. Dupont-Sommer, Le Testament de Levy [XVII-XVIII] et la secte Juive de l'Alliance, Sem. 4, 1952, 33-53), sind nur mehr forschungsgeschichtlich interessant (s. Charlesworth, Pseudepigrapha and Modern Research 212). 21 Diskussionshinweise bei Camponovo, Königtum Gottes 314f. 22 Mit dem Jub: dazu unter 2.1.2.3 mit Anm. 100 nach 2.1.1.6. 23 Vgl. die Besprechungen unter 2.1.2.3. 24 Ein Indiz für allmähliches Wachstum oder Aufnahme verschiedenen Materials: s. z.B. Testjud 25,1; Rub 6,7; Gad 8,2; Iss 5,7 neben TestDan 5,10; Naph 8,2 und Jud 24; christliche Überarbeitung offenkundig etwa in TestSim 7,2 (vgl. Collins, Imagination 112). Hultgard, Ideal „Levite" postuliert in seiner Stadienanalyse wenigstens für ein Textstratum Jer 33,17f als Traditionshintergrund (95); doch wie in Qumran (vgl. o. Anm. 12) wird dieser Text nicht zitiert. 25 Jüngste griechische Textherstellung bei Hultgard, L'eschatologie II 247ff, wichtigste Interpretation bei Haupt, Testament des Levi 106-120, allerdings (wohl unter dem Einfluß von Mowinckel, He That Cometh 287ff) mit zu starkem Bemühen, ein auf den Hasmonäer Hyrkan zugeschnittenes Syndrom priesterlicher, königlicher und prophetischer Züge zu finden: Der königliche Spitzenvers 3 steht unter dem starken Verdacht nachträglicher Interpolation (s. Becker, Testamente 297), wie das gegenwärtige Kap. überhaupt auf einen christologischen Zusammenhang hin überarbeitet (nicht formuliert; gegen de Jonge, Two Messiahs 157ff) ist, und prophetische Züge postuliert Haupt ohne Parallelen

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Dieser findet sich TestRub 6,8, dort etwas nachklappend in der Anweisung, auf Levi als Kenner des Gesetzes zu hören, der Rechtsprechung und Opfer in Israel bestimme, μέχρι τελειώσεως χρόνων άρχιερέως χριστοϋ δν ειπεν κύριος. 26 Zuerst bis zur Vollendung der Zeiten, danach bis zu einem gesalbten Hohenpriester, von dem der Herr gesprochen habe, ist der Ausblick Rubens terminiert. Das spricht für eine Überarbeitung des Textes, die vom Stichwort der Vollendung aus das Priesterglied einfügte. 27 Gewichtige Teile der Forschung veranlaßte das, eine christliche Interpolation anzunehmen. 28 Doch der Ausdruck άρχιερεύς χριστός ist neutestamentlich nie belegt - ein Indiz für urchristliche Distanz, auf die zurückzukommen sein wird -, 29 jüdisch dagegen eine sehr naheliegende, eschatologisierte Übersetzungsvariante für das alttestamentlich-priesterliche m&B/rp&a |Π3. Dessen Ubersetzung war bis zum Abschluß der LXX nicht stereotypisiert, so daß wir nebeneinander ό άρχιερεύς ό κεχρισμένος (LXX Lev 4,3), ό Ιερεύς ό χριστός (LXX Lev 4,5.16;6,15), ό χριστός Ιερεύς (2 Makk 1,10) und in TestXII Lev 17,2f noch ό χριόμενος finden.30

Unser Ausdruck kombiniert näherhin das zeitgenössische 31 Archiereusprädikat mit dem Verbaladjektiv des Salbungsverbs. Die fehlende Determination wird wegen des nachfolgenden Relativsatzes nicht überschätzt werden dürfen, signalisiert aber, daß wir uns noch in einem Verdichtungsprozeß befinden: Ein von Gott angesagter und somit von Gott gesetzter Hoherpriester der Erfüllungszeit wird erwartet, noch nicht „der gesalbte Hohepriester" etwa eines geschlossenen Priesterretterkonzeptes schlechthin. 32

nur aufgrund des Offenbarungsmotivs von v.2. Ein Hinweis auf Hyrkan oder einen anderen Hasmonäer fehlt. 26 Textstand nach Hultgärd a.a.O. 240. 27 Tatsächlich begegnet anderweitig in den Testamenten ein Vollendungsausblick ohne Priestererwähnung (TestSeb 9,8f; vgl. auch TestLev 5,2). 2 ' Bes. de Jonge, Christian Influence 21 Of und Becker a.a.O. 197ff. Die amerikanische Forschung Schloß sich dem, soweit ich sehen kann, nie mehrheitlich an (jedenfalls reiht Charlesworth die Stelle bis Christian Additions 35-41 nicht unter die Interpolationen ein). 29 Auch das folgende δν είπεν κύριος steht keineswegs so nahe zu Mk 14,71; Joh 1,15, wie dies Hollander/de Jonge, Testaments 107 erscheint. 30 Vgl. schon Kuhn, Messiahs 57f. 31 Bei aller ursprünglichen Problematik (s. unter 2.1.2.3 bei Anm. 11 Off) im hellenistischen Judentum seit Philo (her. 182) selbst für Mose verwendbare. 32 Auf die fehlende Determination wies bes. Becker a.a.O. 197f hin. Verfechter einer frühkaiserzeitlichen (Diaspora-)Textstufe mit Priesterretter-(pretre-sauveur-)Konzept ist - unter Berufung auf den Textkreis um unsere Stelle und TestLev 18,2-14; Jud 24,1-3; Dan 5,10-12 - Hultgärd a.a.O. I 268-381 (vgl. ders., Ideal „Levite" 99-107). Aber seine Stadienthese ist unsicher, die Breite seiner Textgrundlage durch die Möglichkeit christli-

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Der in den TestXII sichtbare Verdichtungsprozeß kommt in deren jüdischer Textgeschichte nicht mehr zum Abschluß. Die TestXII schwinden vielmehr aus der jüdischen Uberlieferung. Parallel bleibt der Uberlieferungsstrom von CD in Kairo eher untergründig, bis er zum Mittelalter ausklingt. Die das Judentum vom 2. Jh. an prägende rabbinische Literatur hält bei all ihrer beschriebenen rückblickenden Reflexion auf die Salbungsangaben der Tora die Erwartung eines endzeitlichen Priesters nur unter nicht explizit messianischen Ausdrücken wie „der gerechte Priester" (bSuk 25b u. ö.) lebendig. 33 Die von unseren Texten dokumentierte priestermessianische Erwartungshaltung erhält ihren Ort daher in jüdischen Kreisen, deren Umfang und Einfluß zwar stark genug war, um die Katastrophe des Jüdischen Kriegs zu überstehen und mit der Übersetzung (oder griechischen Endfassung) der TestXII sowie der Überlieferung von CD in die Diaspora überzuspringen, aber zu schwach, um auf die Formulierungen des rabbinischen Judentums Einfluß nehmen oder auch nur breiter neben ihnen bestehen zu können. Christlich werden die Texte der Gemeinschaft von Qumran und ihres Umkreises (CD) überhaupt nicht rezipiert, die TestXII erst im Laufe des 2. Jh., also in der Epoche, in der sie ihre jüdische Überlieferungsrelevanz und damit ihre Bindung an jüdisch-nichtchristliche Reflexionsvorgaben verlieren. 34 Zudem erfolgen gewichtige Eingriffe. TestSim 7,2 faßt die nunmehr christologische Stoßrichtung der Lektüre zusammen: der Herr werde aus Levi wie einen Hohenpriester (ώς αρχιερέα) aufstehen lassen und aus Juda wie einen König, Gott und Menschen, der alle Völker und das Geschlecht Israels rette. 35 D.h. die bikephale Struktur des jüdischen TestXII-Textes erfüllt sich im christlich geglaubten „Gott und Mensch", der von den Traditionen Judas und Levis aus nur vergleichsweise („wie") erfaßt werden kann, da er in seiner Rettungstat die Grenzen Israels sprengt. Der Standpunkt ist ein theologisch schon beträchtlich entwickeltes Christentum der Völker. 36

eher Interpolationen belastet (vgl. neben den Kritikhinweisen in Anm. 122 zu 2.1.2 Camponovo a.a.O. 318f). 33 Vgl. - noch relativ großzügig - Kuhn, Messiasvorstellung 201-205, für den Rahmen auch Michael Brocke, Aaron II, TRE I 5ff, hier 5. Levine, Aramaic Version 205f sucht neuerdings im Mose-Ausblick des TFrag bei Ex 12,42 (Passa!) einen nichtrabbinischen Reflex priesterlichen Messianismus. 34 Zur Datierung der Rezeption vgl. die Hinweise in Anm. 122 zu 2.1.3 und bei Jürgen Becker, J S H R 2 III 1, 1980, 23f. Das früheste christliche Zitat findet sich bei Origenes, hom. in Jos 15,6. 35 Interpolationsnachweis bei Becker, Testamente 333f. 36 Vgl. zur Gesamtlinie der christlichen Aneignung - bei im einzelnen nicht unproblematischen Textentscheidungen - Jacob Jervell, Ein Interpolator interpretiert. Zu der christlichen Überarbeitung der Testamente der zwölf Patriarchen, in: Christoph Bur-

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Weitere Eintragungen um „Gott wurde Mensch" finden sich in TestSim 6,5.7; TestBenj 10,7· An mehreren Stellen erhält das christologische „Retter der Welt" antijüdische Akzente (TestLev 10,2.3f;14,2-4a; TestBenj 10,8). Denn zwar war der Herr in seiner Erscheinung Juda und Levi (noch TestLev 2,11 u.ö.), gegebenenfalls Juda - nie Levi - alleinstehend (Testjud 22,2) eng verbunden. 37 D o c h an die jüdische Tempelzeit denken die Redaktoren nur in einem Bruch: Im Bereich des jüdischen Tempels wurde für sie der Herr geschmäht und am Kreuz erhöht; signalisiert im Zerreißen des Tempelvorhangs, sei der Geist Gottes zu den Heidenvölkern übergegangen, auf die Kirche als neuen Tempel (TestBenj 9,2ff bei übrigens noch je eigenen Akzenten in verschiedenen christlichen Uberlieferungskreisen) ,38

Damit ist die entscheidende Problemanzeige artikuliert. Christus, der christlich geglaubte Gesalbte, ist nach frühchristlichem Verständnis allenfalls Hoherpriester in Modifikation und Konflikt, nicht im Anschluß an die jüdischen Hohepriestergesalbtenerwartungen der Zeitenwende. 39 Das Neue Testament ist dabei begrifflich kritischer als die nachfolgende TestXII-Rezeption. Es kennt überhaupt keine positive genealogische oder Verheißungsverbindung Jesu mit Levi und Aaron. Auch der Hebr, der sich dem Themenkreis am stärksten stellt,40 vermeidet den verdichteten Ausdruck άρχιερεύς χριστός (gesalbter Hoherpriester), obwohl er ihm hätte naheliegen können. 41 Das Hohepriestertum, in das er Jesus eingetreten sieht, liegt jenseits levitisch-aaronitischen Priestertums, geht betont hinter alles jüdisch-gesalbte Hohepriestertum auf die Ordnung Melchisedeks zurück. 42 Nach der Ordnung dieses vorjüdi-

chard u.a., Studien zu den Testamenten der Zwölf Patriarchen. Drei Aufsätze [...], BZAW 36, Berlin 1969, 30-61. 37 Gesamtbelege bei Hollander/de Jonge a.a.O. 59. 38 Vgl. zum Ganzen Charlesworth, Christian Additions 35-41 und mit der Bemühung, auch den positiven Aspekt eines Ringens ums Judentum herauszustellen, M. de Jonge, The Future of Israel in the Testaments of the Twelve Patriarchs, JSJ 17, 1986, 196-211. 39 Auch TestRub 6 und TestLev 18 zeichnen in ihrer christlichen Endfassung Christus als Priester „of a different order" (de Jonge, Two Messiahs 155f). 40 Die Levis im Stammbaum Jesu Lk 3,24.29 sind vom Jakobssohn zu unterscheiden, der nur noch Apk 7,7 (als Stamm) erwähnt ist. Aaron begegnet außerhalb des Hebr zweimal, Lk 1,5 für die Herkunft Elisabets, Act 7,40 in einem kritischen Rückblick auf die Geschichte Israels. 41 Am nächsten rückt das Hohepriesterprädikat an Christos in 5,5 und 9,11 heran, aber jeweils bleibt ein syntaktischer Abstand gewahrt: Christos, der christlich geglaubte Gesalbte, ist Satzsubjekt, Archiereus gehört in die Aussagen über ihn. So ist zwar Christus Hoherpriester, aber er ist nicht gesalbter Hoherpriester der jüdischen Tora-Priestersalbungslinie, sondern verherrlichter nach der Ordnung Melchisedeks (5,5f), in seiner Würde und seinem Eingang in die Heiligkeiten durch das größere und vollkommene (Heiligtums-)Zelt, nicht durch das irdische, mit Händen gemachte, bestimmt (9,11). Für Einzelheiten einschließlich des textkritischen Problems in 9,11 s. die Kommentare. 42 Ein Gedanke, der wiederum der jüdischen Erwartung in den TestXII völlig fernlag: Melchisedek wird dort nicht einmal erwähnt (aufgefallen Braun, Hebräer 138). Bis ins

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sehen Priesterkönigs bestimmt, bricht es alles im Gesetz verankerte Priestertum und damit das Gesetz selbst, wie der Herr auch nicht dem Stamme Levi, sondern dem nichtpriesterlichen Stamm Juda entsprossen sei (Hebr 7,11-14 nach 7, Iff). Im Bruch mit dem Gesetz entsteht für den Hebr eine vollkommenere Nähe Gottes, als das alte Priestertum besaß und herstellen konnte (7,18-28 u.ö.). 43 Ein zusätzlicher Ton entsteht im Folgetext durch die Zusammenführung der kultisch-hohepriesterlichen Vorstellungen mit christologischer Opfermotivik (bes. in Kap.8f; vgl. aber auch 13,10ff). Der Versuch, dafür die Basis in einer „im Spätjudentum fixierten Vorstellung vom Selbstopfer des himmlischen Urmensch-Hohenpriesters" 4 4 zu finden, konnte sich nicht durchsetzen. 45 Dagegen ist ein Anschluß an ältere urchristliche Traditionen zu erwägen, unter denen im Falle kultischer Deutung die Formel von Rom 3,25-26a* herausragt. 46

Für uns besonders interessant ist, daß der Hebr die Opfermotivik auch für sich stehend mit dem Gesalbtenbegriff verbindet (9,28 vor 10,5-10), an der entscheidenden Stelle 9,28 in einem passivischen Satz. Als Passivum divinum gedeutet, entsteht ein Bild mit Gott als Opferndem,47 das im Duktus des Verses hinausweist über Sühne auf ein (zweites) Gesehenwerden des Gesalbten getrennt von Sünde (χωρίς άμαρτίας). Plastisch wird diese Formulierung bei Berücksichtigung des im Detail wird sichtbar, warum wir nicht mit zu früher (selbst korrigierter) christlicher Rezeption der TestXII rechnen können. 43 S. zum einzelnen die Kommentare und allg. die Lit. zur Hohepriesterchristologie des Hebr (Forschungsbericht bei Helmut Feld, Der Hebräerbrief, EdF 228, Darmstadt 1985, bes. 76-82, aber auch 36ff). Die jüngste Lit. - die bei Feld (noch) nicht genannten Keijo Nissilä, Das Hohepriestermotiv im Hebräerbrief. Eine exegetische Untersuchung, Schriften der finnischen exegetischen Gesellschaft 33, Helsinki 1979; Mathias Rissi, Die Theologie des Hebräerbriefs. Ihre Verankerung in der Situation des Verfassers und seiner Leser, W U N T 41, Tübingen 1987, 45-91 und Peter Trümmer, Das Christusbild des Hebr, in: ders., Aufsätze zum Neuen Testament, Grazer theologische Studien 12, Graz 1987, 137-174 - verfolgt die Quer- oder besser Distanzlinie zur jüdischen Priestergesalbtentradition nicht. Alter finden sich immer wieder Versuche, eine positive Aufnahmelinie in den Hebr zu verfolgen (ζ. B. bei Schaefer, Messiahship; weitere - kritische - Hinweise bei Loader, Sohn und Hoherpriester 223 Anm. 2 und 285; auch Schillebeeckx, Christus 248ff ist vom vorgetragenen Befund aus zu präzisieren). Umgekehrt versuchte Higgins, Priestly Messiah 230 (mit ungenauer QS-, C D - und TestXII-Exegese), priestermessianische Einflüsse auf den Hebr mit der Begründung auszuschließen, es habe gar keine Priestermessiaserwartung im strengen Sinn gegeben. 44

Käsemann, Gottesvolk 140 nach bes. 137ff. S. bes. Theißen, Untersuchungen 44ff. 46 Auf eine Nachzeichnung der Diskussion kann dank des Referats bei Feld a.a.O. 78ff verzichtet werden. Zum Forschungsstand vgl. Wolfgang Kraus, Der Tod Jesu als Heiligtumsweihe. Eine Untersuchung zum Umfeld der Sühnevorstellung in Rom 3,25-26a, Diss. Erlangen 1990, 281-306. 47 S. Theißen a.a.O. 44 und die Kommentare. 45

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Realienteil aufgezeigten Zusammenhangs von Salbung und Gottnähe beim Opfer: Gesteigert gegenüber aller menschlichen Gottübereignung gesalbten Opfers bringt hier Gott selbst das είς σωτηρίαν gerichtete Opfer dar, ein schlechterdings einmaliges (απαξ) Geschehen. Angesichts der menschlichen Befindlichkeit muß das Opfer Berührung mit der Sünde auf sich nehmen (άναφέρειν), was einen Konflikt mit seiner Gottnähe bedeutet 48 und daher durch das Ziel einer zweiten Schau getrennt von Sünde überboten wird. Die Sühne tritt in den Dienst einer Heiligung der Entsühnten („wir") ein für alle Mal, die die in der Darbringung des Leibes Jesu, des Gesalbten, kundgegebene Absicht ist (10,10), eine Absicht, in der Jesus, der Gesalbte, auch selbst zum (sich) opfernden Hohenpriester wird (vgl. bes. 9,14). 49 D e n Umgebungskreis weiterer neutestamentlicher Aussagen, die den Gedanken des gesalbten Opfers evozieren, voll abzustecken, überschreitet den Rahmen vorliegender Arbeit. 50 D i e skizzierte Verbindung Christus (Gesalbter) -

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S.o. unter 2.1.3.1. ' Vgl. ergänzend die Hinweise zu Hebr 9,28 unter 2.2.7. Auch 10,10 gebraucht mit „Prosphora" Opferterminologie. Näheres in den Kommentaren; weiter etwa H.J. de Jonge, Traditie en exegese: de hogepriester-christologie en Melchizedek in Hebreen, NedThT 37, 1983, 1-19, hier l l f und in (vielleicht zu) pointierter Position Gottfried Fitzer, Auch der Hebräerbrief legitimiert nicht eine Opfertodchristologie [...], KuD 15, 1969, 294-319 (318 u.ö.; kritisch ihm gegenüber z.B. Kraus a.a.O. 291 mit Anm.72). 50 Die älteste Verbindung Gesalbter-Opfer im Neuen Testament stellt der Passahinweis in 1 Kor 5,7 dar (vgl. Ausblick 3 bei Anm. 13; bis zum 2. Jh. verlagert sich die christliche Salbungsassoziation beim Passakreis auf das Salben der Gläubigen mit dem Blute Christi als Erbe der Türrahmenbestreichung von Ex 12,7: Justin, dial. 40,1). Eine interessante paulinische Aufnahme von Assoziationen aus dem Opferbereich bietet daneben 2 Kor 2,14-16a: Paulus charakterisiert sich (mit seinen Begleitern) bei seinem Durch-die-Welt-Geführtwerden als vom Gesalbten (Christus) aufsteigender Wohlgeruch (zu όσμή/εύωδία κτλ. in Verbindung mit Opfern s. griechisch Liddell-Scott s.v.; die direkte Verbindung mit θυσία in Phil 4,18 und ausstrahlend Eph 5,2 veranlaßte schon Lohmeyer, Wohlgeruch 34 Anm. 1, die Bildlichkeit unserer Stelle in diesem Kreis zu suchen). Ganz mit der Bildlichkeit des vom gottverbundenen Opfer aufsteigenden Wohlgeruchs entsteht eine Segens-, Rettungssphäre für die zum Opfer positiv Hinzukommenden. Der durch die Welt getragene Duft des Gesalbten wird für sie Lebensduft, für die sich Verschließenden komplementär Todesgeruch, sofern sie nur dessen Aufsteigen vom Toten/aus dem Tode (έκ θανάτου) wahrnehmen (v.16; allegorische Züge sind nicht auszuschließen, so das Mitklingen von Gotteserkenntnis in όσμή: s. bes. Scott J. Hafemann, Suffering and the Spirit. An Exegetical Study of II Cor. 2:14-3:3 within the Context of the Corinthian Correspondence, WUNT II 19, Tübingen 1986, 44 innerhalb 41-58). Aus der weiteren Lit. zu dem vor allem wegen des Θριαμβεύειν-Motivs diskutierten Text sei nur James I. H. McDonald, Paul and the Preaching Ministry. A reconsideration of 2 Cor. 2:14-17 in its context, JSNT 17, 1983, 35-50 genannt. Nachpaulinisch besonders hervorzuheben ist Eph 5,2, wo sich, soteriologisch bestimmt durch die Kategorie der Liebe des Gesalbten, der ganze religionsgeschichtliche Vorstellungskreis Gesalbter - Gott übereignete Opfergabe - (Opfer-)Wohlgeruch findet. Wichtige umgebende Hinweise neben den Kommentaren etwa bei Hahn, Verständnis 4

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Hoherpriester - Opfer - Miteinbezug Gottes als Opfernder bleibt herausragende Verdichtung des Hebr. Kehren wir zur engeren hohepriesterlichen Motivik zurück, so erfolgt deren sicherste weitere Aneignung im Neuen Testament in der Apk, näherhin in deren Visionsbeschreibung 1,13. Denn der dem Seher Erscheinende trägt dort das hohepriesterliche Gewand und den hohepriesterlichen Gürtel. 51 Wiederum leitet das keinen positiven Anschluß an jüdische Priestertraditionen und -erwartungen ein, sondern steht im Zusammenhang von deren Brechung: Schon 1,5 stellt heraus, Jesus Christus habe alle Christen zu Priestern für Gott gemacht - ein Ende besonderen Priestertums -, 52 und der Fortgang der Apk führt zum Ende des Tempels in Jerusalem (über 11,lf zu 21,22a); denn Gott, der Allherrscher, sei der Tempel des neuen Jerusalem und das Lamm (21,22b) - Christus als das Lamm substituiert geradezu das Allerheiligste.53 Die bis vor zwei Jahrzehnten stark gepflegte Diskussion um weitere hohepriesterchristologische Stellen des Neuen Testaments (ohne „Christos") 54 brachte Ergebnisse nur auf der gleichen Linie: Sofern Jesus in Joh 19,23 als Inhaber des ungenähten Hohepriesterrocks vorgestellt ist - was sich immerhin erwägen läßt -, ist er es als derjenige, dessen Leib zugleich den eigentlichen Tempel darstellt (2,19ff). 55 Mt geht an der gelegentlich (fälschlich) für hohepriesterliche Motivik herangezogenen Stelle 12,6 sogar so weit, Jesus sagen zu lassen, hier (in ihm) sei „mehr als der Tempel", nicht nur, hier sei mehr als ein neuer Hoherpriester. 56 Der christliche Argumentationsbezug reicht in die Erinnerung an den irdischen Jesus zurück. Allen Evangelien nach charakterisierte er

286f im Kontext; daß der Vorstellungskreis auch im paganen Hellenismus unmittelbar vermittelt werden konnte, geht aus 2.1.3.2 hervor. 51 S. Loader a.a.O. 233ff. " Vgl. zuletzt Timm am Anm. 247 zu Ausblick 2 a . 0 . 1 4 f f (Lit.). 53 Einige Hinweise zum Tempelbild der Apk bei William W. Reader, Die Stadt Gottes in der Johannesapokalypse, Diss. Göttingen 1971 (Diss.-Druck), 119,122ff. Weiteres in den Kommentaren. 54 Auf die forschungsrelevantesten Arbeiten - Friedrich, Beobachtungen und Coppens, messianisme sacerdotal; kritisch Gnilka, Erwartung - war schon unter 1.1.1 hinzuweisen. Als ältere Vorstöße in der Richtung seien O. Moe, Das Priestertum Christi im Neuen Testament außerhalb des Hebräerbriefes, ThLZ 77, 1947, 335-338 und C. Spicq, L'origine johannique de la conception du Christ-pretre dans l'fepitre aux Hebreux, in: Aux sources de la tradition chretienne. FS M. Goguel, Neuchätel 1950, 258-269 genannt, als Abschluß der kritischen Hinterfragung in der Mitte der 60er Jahre Hahn, Hoheitstitel 231-241. Wichtigster Beitrag seither ist Longenecker, Christology 113-119. » Vgl. Gnilka a.a.O. 122f. 56 Kritik an Friedrichs hohepriesterlicher Zuspitzung (a.a.O. 80) abgeschlossen bis Hahn a.a.O. 239.

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Grundlegung

sich nie als Priester 57 und suchte in keiner Selbstäußerung einen positiven Anschluß seiner Person und Würde ans Jerusalemer Priestertum. Sein Verhalten leitete sich auch nicht von der H o f f n u n g auf die Erneuerung gesalbten Hohepriestertums nach Levi und Aaron ab. Vielmehr erinnert man sich christlich vorwiegend daran, daß er Tempelverantwortung in Konflikt mit dem für den Tempelkult eigentlich verantwortlichen Hohepriestertum wahrgenommen habe. Die Vollmacht, die er darin bekundete - in der Tempelreinigung (Mk 11,15-18 par) über die Handhabung der dem Tempel dienenden Vollzüge, im Tempelwort (Mk 14,58 par) über den Tempel selbst - , macht im christlichen Tradierungskreis sogar eine zur Passion führende Komponente seines Wirkens aus. Denn sie konfrontierte - so faßt man in der christlichen Uberlieferung zusammen - Jesus als Gesalbten, als singular Gott Nahen, in tödlicher Weise mit dem Hohepriestertum seiner Zeit ( M k 14,53-64/65): Namentlich die historischen Fragen um diesen Text sind außerordentlich umstritten. Wir beschränken uns auf erste Hinweise im Rahmen unserer Untersuchung mit Schwerpunkt M k und weisen auf die Notwendigkeit weiterer Diskussion hin.

Nach den kritischen Forschungsargumenten ist χριστός in 14,61 nicht hinter die christliche Prozeßüberlieferung zurückzuführen. 58 Es " Vgl. Longenecker a.a.O. 119. 58 Denn zwar hat der Grundzusammenhang um Tempelreinigung und Tempelwort historische Anhaltspunkte und dürfte in diesem Kern wesentlich zum Konflikt mit dem jüdischen Hohepriestertum geführt haben (Forschungserträge bei Oberlinner, Todeserwartung 123-127; aus der Lit. zur Tempelreinigung - einschließlich der Parallele bei Joh 2,13-22 - sei Roloff, Kerygma 89-110 hervorgehoben; die Frage, ob die Reinigung eine Tempelaufhebung beinhaltet habe - so pointiert William W. Watty, Jesus and the Temple - Cleansing or Cursing?, ET 93, 1981/82, 235-239; ein Gegenstück bei F.M. Young, Temple Cult and Law in Early Christianity [...], NTS 19, 1972/73, 325-338, hier 335-338 ist offenzulassen; man beachte die Vorsicht etwa bei Longenecker a.a.O. 119; interessant ist die Deutung als Radikalisierung von Sach 14,20f bei Kraus am Anm. 46 a. 0.244-248). Aber ganz abgesehen davon, daß die Rolle von Jesu Tempelhaltung im historischen Prozeß schwierig zu eruieren ist (Problemumriß bei Oberlinner ebd.), enthalten Tempelreinigungsüberlieferung und Tempelwort in sich noch nicht unseren Titel. Auch die Tempelreinigung läßt sich daher nur in nachträglicher christologischer Deutung, nicht im Begriffsgebrauch der damaligen Zeit als „messianische" Zeichenhandlung bezeichnen (zu Stuhlmacher, Jesus 32; vgl. zu Messias und Tempel unter Ausblick 3 bei Anm. 53ff). Ein titularer Zusammenhang entsteht erst in der synoptisch erstmals von Mk gebotenen Verhörschilderung vor dem Hohen Rat (Mk 14,55-64), dort in der Versfolge von 58 zu 61. Der für uns entscheidende v.61 ist dabei titular sehr stark beladen (mit v.62 noch mehr) und erinnert mit der syntaktischen σύ ei (-έγώ ε ί μ ι ) - 5 ί η ι ^ Γ an christlichen Prädikationsstil (vgl. bes. Gnilka, Verhandlungen 15), ist daher trotz des neuerdings gegen die alte Kritik (grundlegend Hans Lietzmann, Der Prozeß Jesu [1931], in: ders., Kleine Schriften II [...], TU 68, Berlin 1958, 251-263 [zu unserer Passage 254ff]) und die bis in die 70er Jahre vorangetriebene kritische Traditionsanalyse (z.B. Donahue, Christ 53-102,

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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zeigt - mit den weiteren Prädikaten der w.61f - also, wie die christliche Gemeinde den Zusammenstoß Jesu mit seinen Gegnern im Prozeß christologisch kulminieren sah.59 Für uns hier interessant ist die Dynamik, die in der Auffassung bis Mk entsteht. Friedrich spitzte sie aus dem Zusammenhang von 14,58.61 auf die in die Mitte unseres Paragraphen führende Frage zu „Bist du der messianische Hohepriester?" Diese Deutung scheiterte. 60 Doch der spätestens redaktionell erreichte Zusammenhang von Tempelwort 61 und Gesalbtenfrage bleibt, da er sich verwandelt unter dem Kreuz wiederholt (15,29-32), signifikant. Während die Gegner Jesu über dem darin abgebildeten Anspruch nur ihr Gewand zu zerreißen (14,63) bzw. zu spotten und zu höhnen (15,29ff) vermögen, bildet sich für Markus in ihm bis zum Zerreißen des Vorhangs vor dem Allerheiligsten (15,38) die Ablösung der Tempelgemeinde durch diejenige Jesu Christi aus.62 Markinisch entsteht daher im Gesalbtentitel an diesen Stellen vorrangig vor der herkömmlich fast selbstverständlich angenommenen Königsgesalbtendeutung ein Bezug auf schlechthin singulare Heiligkeit, Gottverbundenheit Jesu, in der dieser als der Gesalbte das Recht über den Tempel mit dem Allerheiligsten63 besitze. 64 Das ist, was unseren Titel angeht, eine Spitze markinischer Auffassung, doch keineswegs isoliert in ihr.

hier 84-95,101) wachsenden Vertrauens in die Grundzüge der markinischen Schilderung (z.B. Strobel, Strafverfahren 62ff; Betz, Prozeß 630-635; Stuhlmacher a.a.O. 33f mit Anm. 43) nicht vom Vorbehalt christlicher Ausformulierung zu befreien (auch gegen ζ. B. Kurt Schubert, Kritik der Bibelkritik. Dargestellt an Hand des Markusberichts vom Verhör Jesu vor dem Synedrion, WuW 27, 1972, 421-434). Auch bei starker Bewertung der lukanischen Überlieferung ist die historische Frage nicht entschieden (vgl. ζ. B. Schneider, Synedrium). 59 Ab welchem Zeitpunkt sie dabei näherhin unser Prädikat (neben und mit den anderen Prädikaten) verwandte, ist nicht sicher entscheidbar. Bei einer Suche nach möglichst weitgehender prozeßhistorischer Verankerung wird man von vornherein in den alten palästinischen Raum zurückgehen (vgl. etwa Mohr, Markus- und Johannespassion 257f vor 259ff). Andererseits läßt sich auch für junge Überlieferung argumentieren (vgl. Vielhauer, Erwägungen 203ff), gerade beim Christosglied sogar für markinische Redaktion (vgl. Wolfgang Schenk, Der Passionsbericht nach Markus. Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Passionstradition, Gütersloh 1974, 232f). 60 S. die Entwicklung bis Hahn a. a. O. 239 nach Friedrich a. a. O. 80f. 61 Auch beim Tempelwort ist nicht auszuschließen, daß es erst im Lauf der Überlieferung (und Redaktion) bis Markus an seine Verhörstelle 14,58 rutschte. Eine besondere Rolle spielt es in der markinischen Gesamtdarstellung der Passion, wie die Linie zu 15,29 zeigt; wichtigste neuere Lit. Dieter Lührmann, Markus 14.55-64. Christologie und Zerstörung des Tempels im Markusevangelium, NTS 27, 1981, 457-474, hier 465-468 und Vögtle, Tempelworte. " Vgl. bes. Vögtle a.a.O. 367-375. " Jüdisch bezeichenbar als „das Gesalbte" : s. unter 2.1.3.1. 64 Man beachte, daß im Mk das Heiligkeitsmotiv für Jesus schon seit 1,24 eingeführt ist (in der Tradition herausragender heiliger Personen: s. Hahn a. a. O. 235-238), jede Je-

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Grundlegung

Der Titel hat auch sonst bei M k einen überaus starken theonomen Bezug vgl. zum Petrusbekenntnis u. in 2.2.6, zur Davidssohnfrage o. in Ausblick 2 - , während nicht nur priestermessianische, sondern auch herrschermessianische Komponenten in spezifischem Sinn keine größere Relevanz erhalten. 65

Werfen wir abschließend noch einmal einen Blick auf die nachneutestamentliche Entwicklung: Die apostolischen Väter und frühen Apologeten expandierten das Bild Christi (des christlich geglaubten Gesalbten) als hohen und ewigen Priesters über das Neue Testament hinaus 66 noch ohne direkte Beanspruchung der Levi-Aaron-Priestertradition. 67 Doch parallel zur oder nach der Rezeption der TestXII brach dieser Damm. Unter Korrektur des Juda-Levi-Gegensatzes des Hebr zeichnete im frühen 3. Jh. Hippolyt Christus als eschatologischen Antityp und Nachkommen Levis (an erster Stelle!) und Judas (Kommentar über den Vätersegen, ed. Briere-Maries-Mercier, P O 27,1-2, p.68,4-84,8; 144-146; vgl. p.240 Anm. 338). 68 Diese

sus-Königsanspielung aber bis einschließlich 14,61f vermieden wird (vgl. verbreiternd Anm. 47 zu 2.2.6). Die dort Zusammengestellen Titel absolutes ό χριστός, ό υΙός τοΰ εΰλογητοϋ (am ehesten jüdisch formuliert: vgl. das bereits Anm. 111 zu 1.1.2 angeführte 4Q246, aber klarer als bei Betz a. a. O. 634 erkennbar ohne zwingende Verbindung zu 2 Sam 7,14) und „Menschensohn" ergeben nach unseren Untersuchungen (s. unter 2.4) für jüdische Ohren allenfalls am Ende des 1. Jh., ein ganzes Stück nach der Mk-Redaktion, vorübergehend ein herrschermessianisches Syndrom. Davor bleiben sie eigenwertige Hervorhebungen (die Ausführungen bei Juel, Messiah 116ff, 169-213 sind entsprechend zu korrigieren; de Jonge, Passion Narratives 174 läßt viel offen). Das Nebeneinander von Gesalbten- und Königstitel in Mk 15,32 ist, von daher gesehen, keine Zusammenstellung herrschermessianisch vorgeprägter Synonyma, sondern der beiden für Markus im Prozeß Jesu entscheidenden Vorwürfe, unseres Gesalbtenvorwurfs vor den Hohenpriestern von 14,61 und des Königsvorwurfs vor Pilatus von 15,2; im Munde der Gegner höhnisch, verwandeln sie sich für Christen nach Mk zu in neuer Weise gültigen Aussagen (beim Königstitel zurückhaltender als beim Gesalbtentitel: vgl. o. Anm. 257 zu Ausblick 2). 65 Vgl. zu letzterem u. bis Anm. 47 zu 2.2.6. Den theonomen Bezug eröffnet 1,1 (Christos steht vor Sohn Gottes und der Zitatkombination der w.2f, die auf Ansagen des Erscheinens Gottes zurückgreift). Damit bilden die entscheidenden Belege des Mk (1,1; 8,29; 12,35; 14,61; 15,32) eine durchgängige Linie. Die neben ihnen verbleibende Christoserwähnung 9,41 ist von dieser aus zu erschließen (vgl. unter 2.2.6), die Kritik in 13,21f korrespondiert ihr (vgl. unter 2.2.4.2). Nach den Skizzen seit 2.2.4 (und bis 2.2.7) ordnet sich das Mk so gut zwischen den früh- und den spätneutestamentlichen Schriften ein. 66 Hoherpriester 1 Clem 36,1;61,3;64,1; IgnPhld 9,1; ewiger Priester Justin, dial. 34,2; 36,1;96,1;118,2 u.ö.; ewiger Hoherpriester Polyk 12,2; Justin, dial. 42,1 und MartPol 14,3. Umgebende Belege bei Hollander/de Jonge, Testaments 77; Wichtige Hinweise zu 1 Clem und Ign bei Theißen, Untersuchungen 37ff,48ff. 67 Auch A. Jaubert, Themes levitiques dans la Prima Clementis, VigChr 18, 1964, 74-203 konnte keinen expliziten Beleg finden. 68 Stellen samt Umfeld bei Hollander/de Jonge a.a.O. 88 und M. de Jonge, Hippolytus' „Benedictions of Isaac, Jacob and Moses" and the Testaments of the Twelve Patriarchs, Bijdr. 46, 1985, 245-260, hier 257-260 (251-257 Nachweis literarischer Unabhän-

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

351

Tradition wirkte weiter zu Ambrosius (ben. patr. Kap. 3 § 14.16).69 Euseb rezipierte die Hohepriestertradition in Explikation der semantischen Bedeutung von Christos als Gesalbter, über jeden menschlichen Rang Ausgezeichneter, mit der besonderen Note, schon Mose habe diese auf Christus weisende Bedeutung erkannt und vorgezeichnet (h.e. I 3,2).70 Auf eine Weise vertiefte sich damit der alttestamentliche Anschluß. D o c h zugleich trat das neutestamentliche G e g e n ü b e r in den H i n t e r grund, u n d die Exklusivität gegenüber d e r Synagoge verschärfte sich. Denn bei solcher Entwicklung beanspruchte die Kirche über ein Hohepriestertum Christi eigener Art, wie es der Hebr für jüdische Ohren schon anstößig genug skizzierte, hinaus die kirchliche Trägerschaft der gesamten im Gesetz festgehaltenen Levi/Aaron-Priestertradition. Eine ekklesiologische Ausstrahlung war fast zwangsläufig (oder schon Movens der Entwicklung?): Tertullian skizzierte den bis zum Ende des 2. Jh. entstehenden Brauch der Neugetauftensalbung als christliche Umsetzung der Salbung Aarons und seiner Nachfolger (bapt. 7,1).71 Das besondere Priestertum steigerte; örtlich bezog es zumindest vergleichend die Salbung von Jesses Sohn (David) und mit dieser Kronmotivik in bischöfliche Salbtradition ein (Ephraem der Syrer, Nis. 19,2; CSCO 218, Syr. 92, p.50).72 Solche überspitzenden Traditionsaufnahmen setzten sich in der christlichen Bekenntnisbildung aber nicht durch.

2.2.6 Der eschatologische prophetische

Gesalbte

Im jüdischen N e u a u f b r u c h des 2 . J h . v . C h r . schwand der Pessimismus von Ps 74,9, es gebe f ü r unübersehbare Zeit keinen P r o p h e t e n mehr. Schon ererbt, entwickelte sich die Vorstellung vom wiederkehrenden Elija (nach Mal 3,23f; Sir 48,10) bis z u r Vita Elijae in den Vitae P r o p h e t a r u m (21,3) kritisch weiter, w u r d e später auch von den Rabbi-

gigkeit von Hippolyt und TestXII), grundlegende Sacherarbeitung (mit anderem Stellenangabensystem) schon bei Maries, Messie. 6 ' Nach Jaubert a.a.O. 201 mit Anm. 20. Andere Kirchenväterangaben über Christus (den Gesalbten) als König und Priester (z.B. Augustin, civ. Dei 17,4) gehen in ihrer Traditionsbeanspruchung nicht so weit. In Aaronreflexion finden wir freilich noch einmal eine besondere Vorstellungsverdichtung bei Kyrill von Jer. (cat. myst. 10,11: der Name Christus bedeute Priester, näherhin wegen Aarons alttestamentlicher Benennung als Gesalbter Hoherpriester wie Aaron; die königliche Würde verbinde sich dagegen - vorgebildet durch Josua - mit dem Namen Jesus). Bei George W.E. Nickelsburg, Aaron, RAC Suppl.-Lfg. 1/2, 1985, 1-11, hier 10 ergänzende Hinweise auf die Aaron-Jesus-Typologie Kyrills von Alex. 70

Weitere Belege des christologischen άρχιερεύς-Feldes im PGL s.v. C (p.238f). Die Linie setzt sich bei Kyrill von Jer. a.a.O. 21,5f modifiziert fort. 72 Vgl. Robert Murray, Symbols of Church and Kingdom. A Study in Early Syriac Traditions, Cambridge 1975, 180 nach 178ff. 71

352

Grundlegung

nen gepflegt (z.B. BerR 71,9;99,11). 1 Personal unbestimmt brach Prophetenerwartung daneben in makkabäischem Umkreis auf (1 Makk 4,46; 14,41).2 Besonderer Kristallisationspunkt wurde bald Dtn 18,15.18, die Ansage eines Propheten wie Mose. 3 Qumran rezipierte sie in 4QTest 5-8 (Zitat Dtn 18,18f) und gewann daraus vielleicht die Erwartung eines den Gesalbten Aarons und Israels vorangehenden (ungesalbten) Propheten von 1QS IX 11. Allerdings fehlt dort beim Prophetenstichwort eine Determinierung und ein fester Hinweis auf Dtn 18,18f, so daß sich der Sachverhalt nicht so sicher wie in der Forschung geläufig darstellt. 4 Genausowenig gibt der Text eine Querlinie zum nachfolgend zu reflektierenden „Gesalbten des Geistes" von l l Q M e l c h 18 vor. 5 Das in der Forschung wachsende Bewußtsein, daß wir in Qumran nicht von einem festen, geschlossenen System messianischer Lehre ausgehen können,' gilt also auch für die dortige eschatologische Prophetenvorstellung.

Philo formulierte im Anschluß an Dtn 18,15 seine Charakteristik des gottgesandten Propheten als Sprecher Gottes, durch den Gott seinen Willen offenbare (spec.leg. I 65). 7 Breit wirkte Dtn 18,15.18 schließlich zu den Samaritanern, nach neuester Forschungsthese bis zur Prägung von deren Heilsträgererwartung des Taheb („Wiederkehrender", nach anderer Auffassung Paradigma „Umkehrender"; Begriff ab 4. Jh. n.Chr.). 8 Die genannten prophetischen Stränge erreichten in neutestamentlicher Zeit keine sich im Gesalbtenbegriff ausdrückende Verdichtung: Die in dieser Zeit auftretenden Seher, Orakel- und Zeichenpropheten verzichteten unseren Quellen nach durchweg wie Johannes der Täufer 1 S. allg. Horsley, Prophets 439ff und Longenecker, Christology 33, zur VitProph o. unter 2.2.4.1. Die Diskussion von Faierstein, Elijah; Allison, Elijah (Einwände) und Fitzmyer, Elijah (abschließende Antwort) erwies in den letzten Jahren die Unverifizierbarkeit der herkömmlich immer wieder begegnenden These, Elija sei im Judentum des l.Jh. n. Chr. speziell als Vorläufer des Messias erwartet worden. 2 S. Dexinger, Prophet 99 und Horsley a.a.O. 438f; vgl. auch o. unter 2.1.1.6. 5 Neuere Forschungseröffnung durch Teeple, Prophet bes. 29-73; die folgende Darstellung geht von den inzwischen eingetretenen Differenzierungen aus. 4 Vgl. die Forschungslinie von Schnackenburg, Erwartung 63 lf und van der Woude, Die messianischen Vorstellungen 78ff (vor 243 u.ö.) bis Dexinger a.a.O. lOOff (mit gegenwärtigem Stand der Quererwägungen zum Lehrer der Gerechtigkeit). 5 Eine Problematik, die de Jonge, Intermediaries 46 wenigstens anreißt. ' S. bes. Collins, Eschatology at Qumran 372f; die Diskussionseröffnung geht auf Smith, Messianic Figures zurück. 7 Dazu Schnackenburg a.a.O. 623. 8 Dexinger, Taheb bes. 25-41 (mit „Wiederkehrender"-Deutung; der bislang zitierte Beitrag ders., Prophet enthält Umgebungsanalysen). Diese Position geht weit über die bis dato genaueste Analyse bei Kippenberg, Garizim 276-305 und ergänzend 324ff (mit Deutung aus dem Feld „Umkehrende") hinaus.

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

353

in A n s a g e u n d A n s p r u c h a u f d i e s e n A u s d r u c k . 9 M i t E l i j a v e r b i n d e t s i c h die B e z e i c h n u n g G e s a l b t e r erst J a h r h u n d e r t e rabbinische Aneignung

von

Dtn

18,15.18

später. In die

(schmale)

d r i n g t sie ü b e r h a u p t

nicht

e i n . 1 0 S a m a r i t a n i s c h e r s c h e i n t sie e r s t i m 1 6 . J h . 1 1 D i e s e r B e g r i f f s b e f u n d b e d e u t e t , d a ß J o h 4 , 2 5 keine genuin s a m a r i t a n i s c h e , s o n d e r n christliche ( j o h a n n e i s c h e ) F o r m u l i e r u n g aus d e r U b e r z e u g u n g vorliegt, C h r i s t u s , d e r christlich g e g l a u b t e Gesalbte, fülle u n d erfülle wie die E r w a r t u n gen des J u d e n t u m s s o die d e r S a m a r i t a n e r . 1 2 D a s d a d u r c h initiierte g e s a l b t e n - , d.h. c h r i s t u s e r w a r t e n d e Bild d e r S a m a r i t a n e r w i r d v o n d e r A l t e n K i r c h e (ab J u stin, I a p o l . 5 3 , 6 ) f o r t g e f ü h r t . D i e e n t s c h e i d e n d e L a s t für die R e k o n s t r u k t i o n jüdischer

Erwartung

eines e s c h a t o l o g i s c h e n gesalbten P r o p h e t e n u m die Z e i t e n w e n d e daher

llQMelch.

Die Datierung

der erhaltenen

Fragmente

trägt

schwankt

z w i s c h e n d e r M i t t e / 2 . H ä l f t e d e s 1. J h . v . u n d c a . 5 0 n . C h r . 1 3 D i e w e gen der L a c u n a e schwierige Textrekonstruktion findet nur

allmählich

z u e i n e m K o n s e n s . 1 4 R e l a t i v g u t e r h a l t e n ist a b e r d e r f ü r u n s e n t s c h e i d e n d e D u k t u s z u Z . 1 8 A n f a n g . In d i e s e m D u k t u s w i r d ein Z . 1 5 f eingef ü h r t e s Z i t a t v o n J e s 5 2 , 7 g e d e u t e t , in Z . 1 8 d a s d o r t i g e S t i c h w o r t F r e u d e n b o t e n : e r sei „ d e r G e s a l b t e d e s G e i s t e s " ( [ n ] n n ri'&a).15

vom

Dieser

' Vgl. unter 2.1.1.6 und 2.2.4.1 sowie Horsley a . a . O . 4 4 3 - 4 6 1 . 10 Zur Verbindung des Gesalbtenbegriffs mit Elija s. 2.2.2 mit Anm. 27, zur rabbinischen Aneignung von Dtn 18,15.18 Bill. II 626f. 11 S. de Jonge, Expectations 268. Königliche Züge des T a h e b lassen sich evtl. ins 11. J h . zurückverfolgen. 12 Vgl. de J o n g e a . a . O . nach Meeks, Prophet-King 318 und die Kommentare. Christos ist, die fortgeschrittene Begriffsentwicklung bekräftigend, mit der Namenseinführungsformel ό λεγόμενος (vgl. unter 1.2.2 mit Anm. 35) verbunden (durch die Minuskelschreibung in Nestle-Aland 2 6 partiell verdeckt); das parallele Μεσσίας (auch a. a. O . in Majuskelschreibung) gibt die entsprechende aramäische Titelnamenverdichtung (übrigens ohne Artikel: dazu bes. Hahn, Hoheitstitel 208f Anm. 6) wieder. 13 S. einerseits Kobelski, Melchizedek 3, andererseits Horton, Melchizedek 73. Horton a . a . O . 8 0 - 8 2 argumentiert weiter für nicht minder späte Entstehung des Textes. Aber auch wenn man konzediert, daß sich die Charakteristik der Melchisedekgestalt von l Q G e n A p X X 14ff, der anderen Erwähnung Melchisedeks in Qumran, unterscheidet, wird man zunächst die Erträge der Diskussion um die versuchte Materialerweiterung M i liks, Milki-sedeq abwarten müssen (mit seinerseits nicht unproblematischer Datierung auf ca. 120 v.Chr.: 126). 14 Erstedition van der Woude, Melchisedek 358, korrigiert von de Jonge/van der Woude, Melchizedek 302. Einen Einschnitt in der nachfolgenden Editionsarbeit bildete die Fragmentneuordnung Miliks, die zu einer Zeilenverschiebung führte ( Z . 2 3 - 2 6 de Jonge/van der Woude sind nunmehr - a. a. O . 97ff - Z . 2 2 - 2 5 ) , sich freilich mit einer zu extensiven Lacunaefüllung verband (vgl. z . B . Horton a . a . O . 66f). 15 Die zunächst erwogenen Alternativlesarten absolutes ΓΡΒΒΠ (van der Woude, Melchisedek 366) und Pinn rren („erster Gesalbter/Geweihter" vor den in Qumran erwarteten weiteren Gesalbten: Carmignac, document 357) konnten sich nicht behaupten (s. die Hinweise bei Kobelski a . a . O . 21 und Milik a . a . O . 107 Anm. 26).

354

Grundlegung

Ausdruck komprimiert die Aussage von Jes 61,1, prophetische Geistträgerschaft gehe auf eine Salbungshandlung Jahwes zurück, 16 und schließt zugleich an die Bezeichnung von C D II 12 für große Kündergestalten der Vergangenheit als Gesalbte von Gottes heiligem Geist an.17 Für Qumran läßt sich damit die Uberzeugung erschließen, eschatologisch trete ein Gesalbter als Künder auf,18 wie vormals Gesalbte die gültige Weisung und das Wirken Gottes in eschatologischer Zeit verkündeten (vgl. noch 1QM XI 7ff; C D V 21-VI 1). Seine Kunde ist das legt der Text nach der Lacuna von Z.18fin 19 offen - Heilsbotschaft, die sich auf die Zeiten der Welt richtet. Durch die Erwähnung Belials (Z.22, im Fragment) erhält das anvisierte Geschehen um die Durchsetzung Gottes (nach Jes 52,7: s. Z.23) 20 einen dualistischen Ton. Als Gottes Repräsentant, zumindest Träger von dessen Heils-Jubiläe, tritt Melchisedek auf. Erschien er in der Lacuna von Z.25, 21 fällt die Entscheidung für eine volle Repräsentantschaft Gottes. Ohne Berücksichtigung dessen hängt alles an den schwierigen Z.9ff mit der Elohim-Bezeichnung Melchisedeks nach Ps 82,1. Die Diskussion ist nicht abgeschlossen. Den Hintergrund der Aussagen wird man in der Bemühung suchen müssen, Gottes Transzendenz strikt zu wahren und doch welteingreifendes Handeln von ihm - gemäß seiner Transzendenz durch Mittler-, Repräsentantschaftsgestalten - zu artikulieren. 22

16 Wie namentlich Miller, Melchizedek 468 und Sanders, Melchizedek 379 nach 374ff herausstellen, durchziehen Anspielungen auf Jes 61, lf schon den vorangehenden Text (zu 61,1 vgl. Z.4.6, zu 61,2 Z.6.13). 17 Vgl. o. unter 2.2.2. Dies bildete übrigens auch ein Argument in der Rekonstruktionsarbeit: vgl. Horton a.a.O. 78f. 18 Die Qumrangemeinschaft verstand sich wohl auch als erster Adressat seiner Verkündigung: s. die Deutung von Zion in Z.23f (dazu Camponovo, Königtum Gottes 290 [Lit.]). 19 Dem Anschein nach kam dort ein unseren Gesalbten erläuterndes Zitat aus einer Schrift, deren erster Buchstabe 7 lautet. Eine starke Forschungslinie Schloß daraus auf Daniel, näherhin Dan 9,25, was eine Verbindung unserer Gesalbtenaussage mit dem dortigen Fürstenmotiv bedeuten würde (s. für die Rekonstruktionsgeschichte etwa Carmignac a.a.O. 357). Die gewichtigsten Interpretationsschlüsse zog Milik a.a.O. 126 unter Berücksichtigung der priesterlichen Prägung des Dan-Textes: Der Gesalbte sei der 4Q167,2.3 als Priester bezeichnete Lehrer der Gerechtigkeit, der Gründer der Sekte; auf ihn hätten die danielischen Zeitangaben gezielt. Diese einschneidende Interpretation, die auch Miliks erwähnte Frühdatierung erzwingt, ist ausschließlich hypothetisch. Sanders a.a.O. 381 und Kobelski a.a.O. 21 schreiten nicht bis zu ihr fort. 20 Im Zitat erscheint dabei das Königsein Gottes. Ob es für die Interpretation so zurücktritt, wie Camponovo a.a.O. 289 meint, ist fraglich. 21 Wie Milik a. a. O. 99 rekonstruiert. 22 Die wichtigsten Diskussionsbeiträge sind schon genannt: van der Woude, Melchisedek (als Eröffnung), danach Carmignac a.a.O. 363-369, Milik a.a.O. 137ff,143ff und passim, Horton a.a.O. 74ff,85f und Kobelski a.a.O. 49-98,138f.

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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l l Q M e l c h evozierte mit der Rezeption von Jes 52,7;61,lff, dem Gesalbten- und dem Melchisedekstichwort Querlinien zum Neuen Testament, namentlich zu Lukas mit seiner Aufnahme von Jes 61,lf in Lk 4,16-30 und der Geistsalbungsaussage von Act 10,38 sowie zur Melchisedekorientierung des Hebr. 23 A u c h z u r V e r b r e i t e r u n g d e s r e l i g i o n s g e s c h i c h t l i c h e n H i n t e r g r u n d s anderer, uns nicht g l e i c h e r m a ß e n direkt berührender, P a s s a g e n 2 4 u n d V o r s t e l l u n g e n im N e u e n T e s t a m e n t w u r d e der T e x t eingebracht. 2 5

Aber eine direkte Quelle oder frühchristlich akzeptierte Parallele neutestamentlicher Christologie bildet unser Text nicht: Kein einziges Mal wird er neutestamentlich zitiert. Neben- und nachneutestamentlich geht er nicht in christliche Uberlieferung ein. M i t d e m E n d e der Q u m r a n g e m e i n s c h a f t im J ü d i s c h e n K r i e g bricht die Ü b e r l i e f e r u n g ü b e r h a u p t ab. W a r der T e x t also s o e n g mit d o r t i g e n A u f f a s s u n g e n v e r w o b e n , d a ß er jenseits ihrer nicht b e s t e h e n k o n n t e ? 2 6

Zum Hebr 27 liegt llQMelch durch die Distinktion von Gesalbtem als Verkünder und Melchisedek als Heilsgestalt des eschatologischen Jubiläums quer; so beschränken sich die Bezüge auf die Melchisedekjenseits der uns vordringlich interessierenden Gesalbten-Vorstellung. 28 Umgekehrt verzichtet Lukas - wie das ganze Neue Testament neben dem Hebr - auf eine Erwähnung, geschweige denn christologische Benützung von Melchisedek-Tradition. Die Vorstellung Christi, des Gesalbten, als Geistträgers ist ihm so wichtig, daß er den Christustitel in Act 10,38 auf sie hin auflöst. Doch auch dabei verrät nichts eine Kenntnis von l l Q M e l c h oder den vergangenheitlichen Prophetengesalbtenaussagen Qumrans. Denn die entstehende Formulierung, Gott habe Jesus mit heiligem Geist gesalbt, kontrahiert Lukas statt zu χριστός (τοΰ) πνεύματος (άγιου) („Gesalbter des [heiligen] Geistes"), was den An23

Diskussionseröffnung durch de Jonge/van der Woude a. a. O. bes. 309-323. de Jonge/van der Woude behandeln dafür etwa a.a.O. 312ff Joh 10,33-36. 25 Kobelski a.a.O. 99-114, Erg. 140 brachte auch den Paraklet-Kreis ein. 26 Falls mit dem Gesalbten in ihm der Lehrer der Gerechtigkeit gemeint gewesen wäre, wie Milik (unsicher) meint (s. Anm. 19), wäre das unmittelbar plausibel, aber auch falls die den Text bestimmende besondere Melchisedek-Auffassung allein qumranisch-essenisches Proprium geblieben wäre. Eine Lösung wird ohne weitere Fragmentfunde schwerfallen. 27 Wie zu urchristlicher Christologie überhaupt: vgl. Hengel, Jesus als messianischer Lehrer der Weisheit 183. 28 Der Hebr stellt für seinen Gesalbtenbegriff nicht einmal einen anspielenden Bezug zu Jes 52,7;61,lf her, läßt diese Stellen in seiner Schriftrezeption völlig außer acht. Die Erwägung einer „Propheten"-Christologie liegt also jenseits seines Interesses. - Die etwaige Melchisedek-Querlinie zu 1 lQMelch wird viel diskutiert: einführendes Referat bei Feld am Anm. 43 zu 2.2.5 a.O,36ff, nicht dort berücksichtigte Lit. etwa Allen, Psalm 238f und bes. Kobelski a.a.O. 115-129, Erg. 140f. 24

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Grundlegung

schluß dorthin herstellte, zu χριστός τοϋ θεοϋ, „Gott durch Gottes Heilswillen einzigartig verbundener Gesalbter" (Lk 9,20;23,35; vgl.u.). 29 Bei alledem spielt eine prophetische Deutungskategorie zur christlichen Erfassung von Jesu Auftreten und Wirken durchaus eine wichtige Rolle, am positivsten neben Lukas im Joh, untergeordnet bei Mk und Mt. 30 Freilich haben wir nur einen Text, in dem Christosprädikat und Prophetennennungen in älterer Uberlieferung direkt kontrastiert werden, die Perikope vom Petrusbekenntnis Mk 8,27-30 par. Und diese spart 8,28 - wie vorab die Herodesperikope Mk 6,14-16 (par) - Gesalbtenmotivik in der Beschreibung von an Jesus durch Nichtjünger angelagerten Prophetenerwägungen aus,31 behält sie der durch Simon Petrus geäußerten Antwort der Jünger vor „du (Jesus) bist der Gesalbte" (8,29). Die Weichenstellung für die nähere Behandlung fällt mit der Abgrenzung. Sie weist die w . 2 7 - 3 0 als kleine, zunächst für sich bestehende Einheit aus: Vv.31-33 sind bei allem Anschluß durch das überleitende και ήρξατο v.31 neu eröffnet (vgl. Mk 4,1 ;6,2.34) und wiederholen die thematischen Stichworte der w.27ff um Propheten und Gesalbten nicht, gehen statt dessen zu Leidensansage und Petrusauseinandersetzung über. Die bei Markus entstehende drängende Abfolge zum Leitmotiv eines vormarkinischen Uberlieferungszusammenhangs größerer

" Zu Act 10,38 s. neben den Kommentaren etwa Dömer, Heil 68 im Kontext und vgl. Jones, Christology 133ff sowie Turner, Luke 75ff, zum oben semantisch gefüllt übersetzten lukanischen Prädikat „Gesalbter Gottes" bes. Dömer a.a.O. 43ff (vgl. unter2.2.4.2). 50 Zum Gesamten Schnider, Prophet. Zur weitergegangenen Diskussion um Lukas s. bes. Busse, Wunder 362-423; weitere Lit. bei Gottfried Nebe, Prophetische Züge im Bilde Jesu bei Lukas, BWANT 127, Stuttgart 1989, 13 u.ö. (der selbst die Untersuchung der prophetischen Aspekte nicht auf unseren Gesalbtentitel [z.B. 109,205] erweitert). Zu Einzelstellen seien etwa Abel, Genealogies 206-210 (schon die lukanische Genealogie Jesu setze einen prophetischen Akzent) und zu Lk 4,16-30 (nach Jes 61,lf) Ulrich Busse, Das Nazareth-Manifest Jesu. Eine Einführung in das lukanische Jesusbild nach Lk 4,16-30, SBS 91, Stuttgart 1977 sowie Turner a.a.O. 67ff genannt (letzterer mit unter Uberschätzung von 1 lQMelch gewonnener These, der Text ziele auf Geistsalbung zur Ansage der Jubiläen). - Zum Joh s. zuletzt Kuhn, Christologie bes. 327-352 nach 304ff (die Diskussion hat sich gegenüber Meeks, Prophet-King erheblich verschoben), der 311-327 den Forschungsstand zu Synoptikern und Act anschließt (mit bei Lk/Act gegenüber Busse zurückhaltenderen Ergebnissen). - Weitere Lit. bei F. Schnider, προφήτης, EWNT III, 442-448, knapper Hinweis zu Mt schon o. Anm. 214 bei Ausblick 2. 31 Zur Bestimmung der nach diesen Perikopen im Volk kursierenden Anschauungen über Jesus s. neben den Kommentaren etwa Schnackenburg, Erwartung 625f und Schnider, Prophet 181-187. Bei einem Vergleich von Mk 6,15 und 8,28 dürfte letzterer Stelle die traditionsgeschichtliche Priorität zukommen (Schnider a.a.O. 181).

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oder kleinerer Teile von 27-33* zu machen, 32 ist daher analytisch nicht geboten. 33 Vv. 27-30 können allerdings nicht insgesamt auf Tradition zurückgeführt werden. Zumindest für v.30 ist mit markinischer Redaktion zu rechnen, 34 desgleichen bei der Jüngerdoppelung in v.27, während die dortige Ortsangabe Cäsarea Philippi eher der Tradition zuzuweisen ist.35 Somit bleibt als Kern 27* und - mit etwaigen kleinen Eingriffen 28-29. 36 Der Kern ist, so gewiß er Lehrassoziationen erweckt, kein Schulgespräch im Sinne des zum Rabbinentum führenden Typus, da die entscheidende Antwort nicht vom Fragenden (hier Jesus) kommt. 37 Strenge Jesusparallelen gibt es überhaupt nicht.38 Das erschließt den besonderen Charakter der Perikope: Sie entwirft eine Szene, deren Fragestellung Jesus einbringt und deren entscheidende Antwort Petrus gibt. Formal ist sie deshalb, wenn wir sie für sich bestehen lassen,39 ein Petrus-Apophthegma. Ihr Thema bildet die Deutung Jesu, die Petrus dem Duktus von ihr-Anrede zu stellvertretender Antwort in v.29 nach vorbildlich 32 Am wirksamsten wurden Analysen der 60er Jahre, die einen Zusammenhang zwischen (27*.)29(b).33 rekonstruierten (Dinkier, Petrusbekenntnis und Hahn, Hoheitstitel 227-230; zum forschungsgeschichtlichen Rahmen vgl. unter 1.1.3, als neuesten Vertreter der Linie Klein, Bekenntnis 183 u.ö.). Aber auch die Annahme eines Traditionskerns der w.27-29.31.32b-33 (begründet durch Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen 32f) ist lebendig geblieben: s. Räisänen, „Messiasgeheimnis" 95-103. 33 Schon Bultmann 1919/20 mußte sich mit der Frage einer ursprünglichen Zugehörigkeit von v.33 zu 27-30 befassen und wies sie ab (Petrus-Bekenntnis 169f). Wichtigste neuere Abgrenzungserwägungen bei Pesch, Messiasbekenntnis 1973, 180ff. 34 Vgl. 3,12. Peschs Traditionsbehauptung (a.a.O. 183f) kann gegen den Hauptanalysestrom der Forschung nicht überzeugen: Argumentationszusammenfassung bei Weber, Christologie 86f; vgl. daneben etwa Räisänen a.a.O. 97f und Klein a.a.O. 178f. 35 S. bes. Weber a.a.O. 85; gegen Klein a.a.O., der die „Vermutung" äußert, Markus bringe hier „seinen eigenen Heimatort" ein. 36 Vgl. bes. Weber a.a.O. 86. Sogar Hahns Analyse eröffnet auf ihre Weise diesen Weg, weil sie (a. a. O. 227) aus 27-29 zunächst eine eigene Einheit herauskristallisierte (27b-29), bevor sie als angeblich zweite in den Text verwobene Überlieferung die o. angeführten 27a.. ,29b(nochmals).33 konstruierte. - Sich abzeichnend schon bei Müller, Absicht 164, für 8,29 entfaltet von Fleddermann, Mark 8:29 (Petri Antwort hier sei aus der hohepriesterlichen Frage von 14,61 gezogen: 207 u.ö.), findet sich neuerdings auch die Tendenz, Markus die Gesamtbildung der Perikope zuzusprechen. Doch liegen dafür keine zwingenden Gründe vor. 37 Schulgespräch-Stichwort bei Hahn a.a.O. 227, Divergenzhinweis etwa bei Pesch a.a.O. 187. 3e Klein a. a. Ο. 182 findet den noch nächststehenden Text in Mk 12,28-34, macht aber zugleich auf die Unterschiede aufmerksam. " Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition 276f löste die Suche nach einem abgebrochenen Jesus-Schluß der Grundperikope aus, die jedoch zu keinem verifizierbaren Ergebnis führte (weshalb Weber, ein junger Vertreter der Linie, a.a.O. 90f den Schluß offenhält).

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Grundlegung

für den Jüngerkreis ausspricht. Er tut das in einem σύ ει-Satz, der eine titulare, Bekenntnis in Anrede umsetzende Akklamation darstellt.40 In dieser Struktur rechtfertigt unsere Perikope Bekenntnis der Gemeinde, das deren Umgebung überbietet, als für Jesus gültig: Er, der den ersten Jüngerkreis mit Petrus, der nach den Auferstehungserscheinungen eine führende Rolle einnahm, berief und in ihm wirkte, ist anders als Elija, Johannes, Propheten der Gesalbte schlechthin. 41 Das weist auf eine Entstehung der Perikope in der Gemeinde, aufgrund der Erwähnung des hellenistischen Cäsarea Philippi und des Fehlens eines erkennbaren aramäischen Sprachsubstrats - auch der Gesalbtenbegriff ist nur griechisch gesetzt - in Verbindung mit der herausragenden Rolle Petri näherhin in der jüdisch-hellenistischen Gemeinde des Randbereichs Palästinas. 42 Einen strengen Historismus mag die nachträgliche Verankerung im Wirken des irdischen Jesus irritieren. Theologisch bekundet sie die Uberzeugung und Entscheidung der Urgemeinde, daß unser Prädikat, selbst wenn es von einem Jünger nicht explizit dem irdischen Jesus gegenüber gebraucht wurde, doch das Verhältnis rechter Jüngerschaft zu ihm so sachgemäß erfasse, daß sich dieses Verhältnis bekenntnishaft akklamierend darin zusammenfassen lasse. 43 40 Die bislang umfassendste Analyse von σύ εΙ-Sätzen bietet Kuhn, Christologie 256-266. Demnach sind sie nicht an Bekenntnisaussagen gebunden, setzen aber in ihrem christologischen Vorkommen „das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus, dem Sohn Gottes o.a." voraus (bes. 264). Wichtigste Parallelen mit anderen Prädikaten sind Mk 3,11 par Joh 1,49 (Gottessohn), noch einmal Joh 1,49 (König Israels), Joh 4,19 (Prophet) und Joh 6,69 (Heiliger Gottes; dorthin zieht die Forschung von unserer Perikope die stärksten Querlinien: z.B. Dinkier a.a.O. 145ff und noch Klein a.a.O. 183). Joh 11,27 bietetin größerem Gefüge - sogar noch einmal bekenntnishaft unseren Wortlaut σύ ε! ό Χριστός, ein Indiz für größere urchristliche Verbreitung. Noch die in Frage stellenden und ablehnenden Gegen-Sätze Mk 14,61 par; Lk 23,39 und Joh 10,24 zeigen das Gewicht, das in solcher Anrede lag. Ihre Grundstruktur ist nach den alten Untersuchungen Nordens (Agnostos Theos 177-201) orientalischer Herkunft, wird aber in der Umgebung der frühchristlichen Zeit breiter in Artikulationen des griechischen Sprachsuperstrats im östlichen Mittelmeerraum übernommen. Der von Theißen/Vielhauer in Bultmann a. a. O. Ergänzungsheft 90 angeführte Lukian, Ikarom. 24 bietet das σύ ε! - aufgrund der Satzstruktur im Infinitiv - nach einer strukturell zu Mk 8,27 verwandten Gottesfrage; allerdings liegt der Text zu spät, um als direkte Parallele verwendet werden zu können. 41 8,29 gilt also der vormarkinischen Tradition, soweit sich diese verfolgen läßt, als zutreffende Anrede (mit der zu Gnilka, Markus II 18 führenden Forschungslinie, gegen deren zuletzt von Klein a.a.O. 185 vertretene Kritik). 42 Pesch a.a.O. 195 vernachlässigt im Plädoyer für eine „aramäische Urfassung" die o. angeführten Indizien. Interessant sind aber seine Hinweise, daß die Perikopensyntax semitischem Sprachempfinden nahekommt. Das bestärkt das Urteil, Erstträger der Perikope sei die jüdische (hellenistische) Gemeinde gewesen. 43 Unsere Perikope bietet demnach einen Schlüssel zum Verständnis des Einwachsens des Christusprädikats in die Jesusüberlieferung, nicht zu dessen dortiger Verankerung. Anders Stuhlmacher, Jesus 28ff (für den Gesamtduktus von 8,27-33), Pesch a. a. O. passim (innerhalb 8,27-30 bleibend) wie die zuletzt von Klein a.a.O. (bes. 188ff) vertretene Forschungslinie mit Annahme eines Kerns der w.29.33. - Aus dem Fehlen des Titels in Q in Verbindung mit unserer Perikope sollte man keinen weiteren Schluß ziehen, als daß er

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

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Ό χριστός, der Gesalbte, ist an unserer Stelle absolut gesetzt. Kein determinierendes Nomen legt es einseitig auf eine der zeitgenössischen jüdischen Gesalbtenerwartungslinien fest, sei es die des eschatologischen gesalbten Propheten (Gesalbter des Geistes o. ä.), des eschatologisch gesalbten Herrschers oder Laienführers (Gesalbter Jahwes/Israels o. ä.), schließlich des eschatologisch gesalbten Priesters (Gesalbter Aarons o. ä.). 44 Das ist bei einer Verankerung der Perikope in der urchristlichen Glaubensartikulation konsequent, macht die in Anrede umsetzbare Glaubensbegegnung mit Jesus vor allem speziellen Traditionsanspruch zum Artikulationsmaßstab der Grundkategorie Gesalbter = singular Gott Naher, Gott Verbundener. In dieser Auffassung nimmt auch Markus die Perikope in sein Evangelium auf. D e n n er schließt in derselben Struktur wie nach dem „inhaltlich korr e k t e n ) " Dämonenbekenntnis von 3,11 (vgl. schon 1,34) sein Schweigegebot an. 45 Sein Folgetext der w . 3 1 - 3 3 korrigiert nicht, sondern erläutert und ergänzt: Jesus, der als Gesalbter singular Gottnahe, geht in Leiden und Tod, so schwer das für die Jünger mit wiederum der Schlüsselgestalt Petrus zu verstehen ist. 46 Er bleibt auf diesem Weg der Gesalbte, ja kann nach dem Petrusbekenntnis seine Jünger sogar unbefangen mit eigentlich nachösterlicher Gemeindeterminologie als „zum Gesalbten Gehörige" anreden (9,41). 47

sich nicht in allen Teilen der Jesusüberlieferung gleich und gleich schnell durchsetzte (zu Klein a.a.O. 188f). 44 Erwogen werden in der Forschung namentlich die Komponenten eschatologischer Herrschererwartung (in der bis Klein a.a.O. 189f führenden Hauptlinie) und Prophetenerwartung (bei Pesch a.a.O. 1974, 26ff, angeregt durch Berger, Hintergrund christologischer Hoheitstitel bes. 399f). 45 S. Räisänen a.a.O. 103-106 (Zitat 105); vgl. auch Horstmann, Studien 16-18 (nachfolgend den Gehalt des Titels freilich als „vage" - 18 -, bis zum Mk „verblaßt" — 137 — statt als nach wie vor zentralen christologischen Bedeutungsträger zeichnend). 46 Aus der älteren Diskussion der markinischen Redaktion vgl. bes. Haenchen, Weg Jesu 294ff. Für die markinische Aussage sind wichtige Beobachtungen Stuhlmachers a. a. O. gültig. - Vorübergehend wirkungsvoll wurde Weedens These, Mk 8,29 bündle als Abschluß von 1,1-8,29 in Jüngermund eine Theios-Aner-Hoheitschristologie markinischer Zeit, die Markus im folgenden durch eine Christologie des leidenden Menschensohns korrigiere (Mark 52-69,159ff; vgl. danach bes. Perrin, Christology 114f und passim sowie - vorsichtiger, da um die Schwierigkeit der religionsgeschichtlichen Verifizierung einer Theios-Aner-Christologie wissend - Weber, Markus l l l f , 119). 47 Z. St. vgl. neben den Kommentaren etwa Weber a. a. Ο. 75ff und Fleddermann a.a.O. 83-86,89 (Paulusnähe des χριστοΟ είναι: vgl. bes. 1 Kor 1,12). - Nichts am Duktus weist auf einen herrschermessianischen Schwerpunkt der markinischen Redaktion: Bis Räisänen a.a.O. 105 erwiesen sich jüdisch-nationale Herrscherkomponenten hinter keiner markinischen Vorkommensstelle des christologischen Gesalbtenbegriffs verifizierbar (zu den Passionsstellen s. unter 2.2.5). Einseitig stellt sich auch die Ableitung von der Vorstellung eines designierten Königs im futurischen Königtum Gottes bei Boring, Christology 129f dar.

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Grundlegung

Von den nachfolgenden Synoptikern - bei Joh fehlt eine direkte Parallelüberlieferung - nimmt Lukas eine bemerkenswerte Glättung vor. 48 Er löst Lk 9,20 die σύ ει-Abhebung der Petrusantwort aus der Uberlieferung zugunsten einer sprachlichen Fortsetzung von v.l9b auf (Akk. wie dort beim ersten Glied). Die Volksmeinung nach v.l9b bleibt ungenügend, da sie in der prophetischen Deutung zwischen verschiedenen Gestalten schwankt und nicht zu einem abschließenden Gipfel kommt. Doch sie erhält stärker als zuvor den Wert einer positiven Annäherung, die zudem von der gemeinsamen Prophetenakklamation Jesu durch Jünger und Volk in 7,16 (nach 7,15 mit Elija-Assoziationen: vgl. 1 Kön 17,23) vorbereitet ist. In 9,20 muß sie nur präzisierend und steigernd fortgeführt werden, dies allerdings sehr wohl. Die von Lukas dort gewählte Titelform Gesalbter Gottes wird in diesem Duktus prophetisch akzentuiert. Allgemeiner gesagt, f ü r unseren Titel müssen wir im Gesamtfeld lukanischer Christologie auch mit dem Einfluß prophetischer, vom Gesalbten als vollmächtigen eschatologischen Gotteskünder aus entwickelten, Nuancen rechnen. 49 Freilich wird das f ü r die weitere Entwicklung nur partiell bahnbrechend. Denn in der spätneutestamentlichen Zeit kommt für die Prophetengesalbtenreflexion eine neue Komponente hinzu: Johannes dem Täufer verbundene Kreise beginnen zu erwägen, ob nicht dieser statt Jesu der Gesalbte sei. Der ältere Kern der Johannesüberlieferung schweigt davon noch. Desgleichen spielt es in Josephus' stilisierter Johannesdarstellung ant. 18,116-119 keine Rolle. 50 Daher wird man den Vorgang nicht zu früh ansetzen dürfen. 5 1 Erst redaktionell trägt Lukas ihn in Volkserwägungen um das Auftreten des Täufers vor Jesus zurück (Lk 3,15), die der Täufer korrigiert habe (3,16).52 Wenig zeitverschoben läßt das Joh den Täufer klarstellen „Ich bin nicht der Gesalbte" (1,20). Der Täufer selbst macht somit anachronistisch die historische Erinnerung 48

Die Mt-Parallele erweitert die Volksmeinung prophetisch (16,14: um die Nennung Jeremias), das Bekenntnis Petri (16,16) dagegen um „Sohn des lebendigen Gottes", setzt also einen nichtprophetischen Hoheitsakzent (nach dem unter 2.2.4 Gesagten freilich keinen so königlichen, wie Anderson, Messiah 164ff vorschlägt). 49 Vgl. für 9,20 Busse, Wunder 385f, zur breiteren Diskussion die in Anm. 30 genannte Lit. so Zum Kern der Johannesüberlieferung s. unter 2.2.4.1, zu Josephus' Darstellung zuletzt Lichtenberger, Täufergemeinden 43ff und Ernst, Johannes 253ff. Grundappellativ Johannes' in der älteren Tradition und noch bei Josephus a.a.O. 116 ist „der Täufer" (Gesamtbelege bei Lichtenberger a.a.O. 43). - Der von Lichtenberger a.a.O. 38f weiter als täuferisch beigebrachte Text Sib IV 158-169 (nach 79 n.Chr. ) erwähnt Johannes nicht. 51 Thyens Erwägung, ob der täuferische Messianismus in vorchristliche Zeit zurückgeht, ist - von ihm selbst bemerkt - unverifizierbar (Βάπτισμα 115). Die ältere Grundstudie Thomas', mouvement 96-114 läßt genauere Datierungen offen. 52 Für Näheres s. die Kommentare und die Lit. bis Ernst a.a.O. 92,112 u.ö.

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der Christen explizit, daß er den Gesalbtentitel nicht beanspruchte, nicht mit sich in Verbindung brachte. 53 Das indiziert das Gewicht der Entwicklung in der Täufergemeinde. Bis zur frühnachneutestamentlichen Zeit erreicht diese - sich stützend auch auf die Jesusüberlieferung, Johannes sei „mehr als ein Prophet" (Lk 7,26 par Mt 11,9) und der größte der Menschen (Lk 7,28 par Mt 11,11) - die Auffassung „Christum Iohannem fuisse et non Iesum" (Ps-Clem Ree I 60,l). 5 4 Allerdings kann die Gesalbtenprädizierung Johannes' nicht dauerhaft Fuß fassen; übermächtig ist allem Anschein nach das christliche Gegenüber. 5 5

Wieder erhält mit Johannes ein Hingerichteter den Titel; Gottnähe des Gesalbten ist - wie uns nun schon o f t begegnete - durch ein gewaltsames Geschick nicht in Frage gestellt. Näherhin kommt in der Charakteristik des Täufers bei aller gegenbildlichen Anregung durchs Christentum 56 der prophetischen Titelkomponente besonderes Gewicht zu. 57 Denn in die allgemeine Erinnerung geht er zuerst als Prophet ein.58 Entsprechend setzt die Auseinandersetzung im Joh einen prophetischen Akzent: Johannes lehnt in einer Linie ab, der Gesalbte zu sein, Elija und „der Prophet" (1,21). Für nichts hält er sich in der Weiterführung - nun kommt das christologische Gegenüber in Sicht - wert gegenüber dem nach ihm Kommenden (l,25ff). 5 9 Letzterer - für das Joh Jesus - allein ist im Joh in titularer Annäherung als Prophet, souverän Zu den möglichen Rückschlüssen aus dem Joh von Dobbeler, Johannes 227f (Lit.). Dazu etwa Schnackenburg, Johannesjünger 24f und Ernst a. a. Ο. 364f; vgl. auch Ree I 54. 55 Nach Ephraem, sect. 1 (CSCO.Ar 2, 249), der gern noch als Beleg angeführten Quelle (ζ. B. Schnackenburg a. a. O. 25), behaupten die Täuferjünger zwar nach wie vor unter Berufung auf Mt 11,11, Johannes sei größer als Jesus; aber das Stichwort Gesalbter fällt nicht mehr. Vigilius v. Thapsus, c. Arian. I 11 (PL 62, 162 D) kommt kein eigenständiger Quellenwert zu (s. Strecker, Pseudoklementinen 242). Den Diskussionsstand zu den Mandäern bietet Ernst a.a.O. 372-383. " Wie sie Lichtenberger a . a . O . 51 (knapp) betont. " Mit Schnackenburg a . a . O . 62. Die priesterliche Komponente, die Thyen a . a . O . 121ff und Hultgard, Testaments des Douze Patriarchs I 376ff betonen (vgl. auch Wink, John 72-79), ist nicht gleichermaßen begriffsnah verifizierbar; Hauptargument wäre die priesterliche Herkunft des Täufers. Ernst a.a.O. 123f benennt die Probleme priesterlicher wie königlicher Akzentuierung, geht aber auf die prophetische nicht ein. 58 Vgl. allg. Schnider, Prophet 39ff. Lk 1,76 wäre beiziehbar, falls das Benedictus ursprünglich auf die Täufergemeinschaft zurückginge (wie Thyen a.a.O. 115 meint). In nachneutestamentlicher Zeit dringen auch königliche Züge in das Bild des Täufers ein: s. Protev 23,2 und Ephraem, comm.ev.conc. 9,16 (ed. D.L. Leloir, CBM 8, 1963, im Zusammenhang von p.30ff). 59 Zum Duktus vgl. neben den Kommentaren etwa Schnider a. a. Ο. 47f; de Jonge, Expectations 252-256 verkompliziert den Text durch seine Deutung von Quellen des 2. Jh. aus. 53 54

362

Grundlegung

wissender und handelnder Gotteskünder, anred- und bezeichenbar (4,19;6,14;7,40;9,17).6° D i e f r ü h n a c h n e u t e s t a m e n t l i c h e Literatur verhält sich a n d e r s als L u kas u n d - partiell - J o h . Für m e h r als e i n e G e n e r a t i o n v e r s t u m m t die R e d e v o n J e s u s als P r o p h e t . N o c h Justin n i m m t k e i n P r o p h e t e n g l i e d in s e i n e r e i h e n d e n E r l ä u t e r u n g e n der B e d e u t u n g v o n C h r i s t o s ( z . B . dial. 34,2 ό γ α ρ Χ ρ ι σ τ ό ς β α σ ι λ ε ύ ς κ α ι ιερεύς κ α ι θ ε ό ς κτλ.) auf. 6 1 Propheten sind für ihn vielmehr nur große Gestalten Israels bis zu Johannes (dem Täufer), Gestalten, die es - wie jüdische Könige - seit dem Auftreten Jesu, „unseres Gesalbten", nicht mehr gebe (dial. 52, Zitat 52,4). Allerdings gibt er trotz Kenntnis der Existenz von Täufergemeinden (dial. 80,4) keinen Hinweis, der erlaubte, das mit der Konkurrenz prophetischer Gesalbtenbeanspruchung in jenen zu verbinden. D e r Strom prophetischer Erwägungen u m Christus taucht auffällig e r w e i s e z u e r s t in j u d e n c h r i s t l i c h e n G e m e i n d e n w i e d e r auf, die d a s G e g e n ü b e r d e r J o h a n n e s - G e s a l b t e n - T r a d i t i o n k e n n e n ( P s - C l e m R e e I 60; s.o.). Sie steigern in den in die Ps-Clem-Grundschrift eingegangenen Schriften den Gesalbtentitel Jesu zu „ewiger Gesalbter" (Ree I 43,1 f; vgl. „wahrer Gesalbter" Horn II 17,5). Unter teilweise wohl gnostischen Einflüssen stellen sie Jesus näherhin als „wahren Propheten" (vgl. Horn I 19,1; Ree I 16,1) dar, in dem der Propheten-Weg durch die Welt nach vorangehenden Gestaltnahmen gesalbt zur Ruhe gekommen sei (Horn III 20,2; vgl. Ree II 22,4). N o c h Justins Geschichtsbild überbietend, zeichnen sie in Ree I 48,6 (Anabathmoi Jacobi II?) schließlich die Erscheinung Jesu als Ende aller alten Salbungstraditionen, des Chrisma gleichermaßen von Priestertum, Prophetie und Herrschaft. 62

60 Wieweit dieser Akzent in das christologische Gesalbtenverständnis des Joh eindringt, läßt sich gegenwärtig schwer sagen. War etwa eine Schicht joh Theologieentwicklung besonders an Christos im Sinne von .gesalbter Prophet' orientiert (Josef Wagner, Auferstehung und Leben. Joh. 11,1-12,19 als Spiegel johanneischer Redaktions- und Theologiegeschichte, BU 19, Regensburg 1988, bes. 418f vermutet das für die von ihm nach G. Richter angenommene Grundschrift)? Die Diskussion muß über die vorhandene Lit. (neben der eben und o. in Anm. 30 genannten etwa de Jonge, Jesus und Sabugal, ΧΡΙΣΤΟΣ 155-206 u.ö. sowie bei Annahme einer Semeiaquelle Nicol, Semeia 87-90 u.ö.) hinaus fortgeführt werden. - Weitere Aspekte zum Joh noch unter 2.3.3. 61 S. Grillmeier, Jesus der Christus I 32ff. Für die gleiche Zeit schwindet die Act 3,22; 7,37 explizite, im Joh eher unterschwellige christologische Beanspruchung von Dtn 18,15. 62 Die Stellen sind eingebettet in den komplizierten Quellenzusammenhang der PsClem. Für eine genauere Analyse ist bes. auf Strecker a.a.O. 148ff,229,234,237,241ff u.ö. nach 92ff (Zusammenfassung des Umfangs der Grundschrift nach den alten Quellen Kerygmata Petri und Anabathmoi Jacobi) zu verweisen; nach diesem vgl. Schnider a. a. O. 249ff und Smulders, Christologie 394f. - Interessant ist das Ree I 48,3 vor 48,6 gezeichnete Erinnerungsbild (die Satzkonstruktion ist trotz ungeschickter „nunc"-Einleitung präterital) ans gesalbte Priester- und Prophetentum: Die jeweilige Salbung „unguento conposito" habe dem Dienst am Brand(opfer)altar gedient. Altjüdische Priester- und

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

363

A b d e m E n d e d e s 2. Jh. w i r d die P r o p h e t e n k o m p o n e n t e breiterer B e standteil a l l g e m e i n k i r c h l i c h e r C h r i s t o - l o g i e , w o b e i d e r R e z e p t i o n v o n Lk u n d J o h e i n e w i c h t i g e R o l l e z u k o m m t . 6 3 In sektiererisch werdenden Teilen des Judenchristentums vereinseitigt sie sich, ohne daß der Sachverhalt derzeit geschlossen zu erheben wäre. 64 Stärker ist der großkirchliche Sog, der in einem wahrscheinlich komplizierten Gestaltungsprozeß bis zur Mitte des 4. Jh. auch die judenchristlichen Grundteile der angeführten Ps-Clem integriert. 65 Bis E u s e b ( h . e . I 3; d e m . e v . I V 15,20) b i l d e t sich in V e r b i n d u n g m i t d e n h e r r s c h e r l i c h e n u n d p r i e s t e r l i c h e n R e f l e x i o n s l i n i e n e i n e T r i a s aus, die J e s u s als d e n w a h r e n G e s a l b t e n schildert, d e r die a l t t e s t a m e n t l i c h p e r s o n a l e n S a l b u n g s l i n i e n d e s K ö n i g s , P r i e s t e r s u n d P r o p h e t e n in sich, dem einzigen und wahren Gesalbten Gottes, zusammenführe und überbiete. 6 6

2.2.7

Das Gesalbtsein

des

Gottesknechts

In v o r n e u t e s t a m e n t l i c h e r Z e i t läßt s i c h k e i n e g r o ß e W i r k u n g Gottesknechtlieder Deuterojesajas feststellen.

der

Immerhin weist Sir 48,24f darauf, daß man sie (Proto-)Jesaja als eschatologische, auf fernste, verborgene Zeit weisende Texte zuschrieb. 1 Aber schon ob Sir 48,10 näherhin Jes 4 9 , l - 9 a (v.6!) auf den wiederkehrenden Elija bezog, ist nicht

Kultsalbungstradition (vgl. unter 2.1.2 und 2.1.3.1) ist - im Motiv der gemischten Salbe nicht ohne paganen Einfluß (vgl. unter 2.1.3.2) - vom Gedanken der besonderen Gottesnähe am Brandaltar aus auf die Prophetenvorstellung ausgeweitet. Als Grunddienst am Brandaltar gilt - das zeigt der Fortgang zu 48,5 - die Sühne, deren alten Vollzug Jesus durch die Gnadentaufe auslöschte. " Die wichtigsten großkirchlichen Quellen zwischen Irenaus, adv.haer. III 12,3 und Augustin, in Joh.Ev. tract. 24,7 bei Grillmeier a. a. O. 35-40. Zu ergänzen wäre etwa - mit eigenwilliger theologischer Einbettung (s. Rudolf Lorenz, Arius judaizans? Untersuchungen zur dogmengeschichtlichen Einbettung des Arius, FKDG 31, Göttingen 1979, 154ff) - Afrahat, dem. 4,6 p.149,1 Parisot = 4,5 p.56 Bert. 64 Eine wichtige ältere Position wäre Schoeps, Judenchristentum 87ff (vgl. auch ders., Wahrheit 116f). Doch hat sich die Forschung inzwischen sehr differenziert (vgl. nur A.F.J. Klijn, The Study of Jewish Christianity, NTS 20, 1973/74, 419-431), bedürfen die praktisch durchweg von außen kommenden Quellen - hervorzuheben wären Epiphanius, haer. 30, 18,5f und Pseudo-Hieronymus, indic. de haer. 10 (CHaer I 290f); vgl. auch Filaster, haer. 37 (CSEL 38 p.20) - je gesonderter Untersuchung. 65 S. die Anm. 62 genannte Lit. 66 Wie am Anfang von 1.1.1 angeführt, findet hier die spätreformatorisch-neuzeitliche Lehre vom dreifachen Amt Christi ihre deutlichste altkirchliche Vorbereitung, auch wenn es keine direkte theologiegeschichtliche Linie von unserem Text dorthin gibt. 1 Ruprecht, Auslegungsgeschichte 7.

364

Grundlegung

eindeutig. 2 Desgleichen ist offenzuhalten, ob Dan 12,3 eine kollektive Aneignung für die Frommen der Makkabäerzeit vorliegt. 3 Danach entsteht überhaupt eine Lücke. Bis zum Ende des 2. Tempels finden wir nach gegenwärtigem Quellenstand keine jüdische Interpretationsliteratur mehr. 4

Aus dieser Lücke ragt für unsere Fragestellung die Jes-Textüberlieferung Qumrans heraus, da sie IQIs* eine mitten in unseren Zusammenhang führende Lesart des 4. Gottesknechtlieds 52,13-53,12 bietet: Sie ändert5 das sprachlich schwierige Iintpa in 52,14b zu 'nntpa und gewinnt damit6 statt einer Aussage über das Entstelltsein des Gottesknechts den Sinn, Gott (in Gottesrede: ich) habe sein Aussehen gesalbt 7 mehr als das von sonst einem Menschen. 8 Ein wirkungsvoller Kontrast zu 53,2 entsteht, zum Wir-Geständnis der dortigen Sprecher, am Aussehen des Gottesknechts kein Gefallen gefunden zu haben. 9 Theonome Würde und menschliche Verachtung treten einander gegenüber, wie inzwischen so oft in Salbungsaussagen bemerkt,10 gesteigert dadurch, daß hier das Volk Gottes sich selbst zur Verachtung bekennt. Die Spannung setzt sich fort, denn der/die Sprecher des Liedes artikulieren bis 53,9, aufgrund der Vergehen des Volkes sei ein tötender Schlag gegen den Knecht geschehen. 11 Aber Jahwe nimmt die Verwundungshandlung auf sich, gestaltet sie dadurch als Sühnopfer (v.10 nach v.5). 12 Das Unheils- wird durch Gott Heilsgeschehen, und das ausstrahlend über Is2

S. einerseits Ruprecht a.a.O. 10 - mit weitreichenden Schlußfolgerungen 11 ff - und Haag, Gottesknecht 25f, andererseits das gänzliche Ubergehen des Textes bei Fascher, Jesaja 53, 13. 3 S. einerseits Haag a.a.O. 24f, andererseits die Vorsicht Faschers a.a.O. 4 Die entsprechenden Passagen in TestBenj 3 sind interpoliert (Becker, Testamente 5Iff), ein weiterer evtl. in Frage kommender Text (s. Hengel, Sühnetod 136f) noch nicht ediert. 5 Als Grundlesart wird wegen des glatteren Anschlusses an die Entsetzensaussage von v.l4a MT vorzuziehen sein, auch wenn dessen Überlieferung jünger ist. 6 Wenn man - gegen eine Forschungstendenz seit Lindblom, Ebed-Jahwe-Orakel 241 - auf Konjekturen verzichtet. 7 Diese Ableitung vom Verb Πviä kann sprachlich auf jede Hilfserläuterung verzichten, ist somit einfacher als die von Reider, MASHTY vorgebrachte Alternative, es läge ein Sproßbuchstabe oder eine archaische Partizipform mit Schluß-' und sachlich eine zu M T gleichlautende Aussage vor. 8 Man vergleiche die Ja-Konstruktion bei einer Salbungsaussage in Ps 45,8b. ' Der Kontrast verstärkt sich bei Berücksichtigung der dazwischenliegenden Verse und Versteile. Der bis van der Woude, Die messianischen Vorstellungen 166f durchgesetzte Einwand gegen die Qumranlesart von 52,14, man könne doch ein „Aussehen" nicht salben, geht an den Intentionen des Textes vorbei. 10 Man denke an Thr 4,20 (dazu unter 2.1.1.1), Dan 9,26 (dazu am Ende von 2.1.2.2), die unter 2.2.3 besprochenen Kollektivartikulationen und - jünger - das unter 2.2.6 zur Gesalbtenprädizierung Johannes des Täufers Gesagte. 11 Hier verschärft 1 QIs 1 wiederum gegenüber MT: vgl. Lindblom a.a.O. 244f. 12 Wieder mit partieller Textänderung; vgl. Lindblom a. a. O. 246.

365

D e r Begriffsrahmen jüdischen Erbes

r a e l h i n a u s . S c h o n 5 2 , 1 5 s p r i c h t d a s a n , n ä h e r h i n m i t d e m V e r b ΠΤ3 ( h i ) , „besprengen", das nach der Salbungsaussage von 52,14 - und zu dieser im p

parallelisiert -

ein wirkungsvolles Bild ergibt: D a s Ö l ( o d e r

die

S a l b e ; i m T e x t n i c h t e x p l i z i t ) , w o m i t d e r K n e c h t g e s a l b t ist, v e r s p r e n g t er ü b e r „viele V ö l k e r " ;

sein Gesalbtsein

strahlt mit den T r o p f e n

des

v e r s p r e n g t e n S a l b ö l s s e g n e n d u n d s ü h n e n d in d i e W e i t e . 1 3 Bei a l l e d e m ist u n s e r T e x t messianisch n u r im Sinne einer B e a n s p r u c h u n g v o n S a l b u n g s t e r m i n o l o g i e . D a s N o m e n G e s a l b t e r fehlt u n d m i t diesem j e d e r explizite A n s c h l u ß an eines d e r b e s p r o c h e n e n M e s s i a s m o d e l l e u m G e s a l b t e n Israels, A a r o n s , des Geistes ( o . ä . ) . N i c h t die i n n e r e D y n a m i k eines e n g e r e n m e s sianischen V o r s t e l l u n g s k r e i s e s , s o n d e r n das m i t S a l b u n g v e r b u n d e n e G r u n d g e s c h e h e n v o n G o t t e s n ä h e u n d S e g e n s a u s s t r a h l u n g löste d e m n a c h den E i n t r a g des Salbungsverbs a u s . 1 4 D i e in l Q I s a b i s 6 8 n . C h r . ü b e r l i e f e r t e V a r i a n t e d e r A u f f a s s u n g v o n J e s 5 2 , 1 4 b l e i b t U n i k a t in d e r J e s - T e x t ü b e r l i e f e r u n g . W i e d i e v o r a u s g e hende L X X Jes verraten der nachfolgende M T Übertragungen

in T a r g u m ,

Peschitta

und

den

u n d die j ü n g e r e n J e s Ubersetzungswerken

Aquilas, T h e o d o t i o n s u n d S y m m a c h u s ' 1 5 keine Kenntnis v o n ihr. gleichen fehlt jeder Rezeptionshinweis

in j ü d i s c h e r D r i t t l i t e r a t u r

Desein-

schließlich der Gemeinschaftsschriften Q u m r a n s . T r o t z l Q I s a läßt sich daher keine größere Verbreitung einer Auffassung v o m

Gottesknecht

als l e i d e n d e r u n d t r o t z b z w . g e r a d e d u r c h i h r L e i d e n v o n G o t t s a l b e n d e r h ö h t e r , g e s e g n e t e r u n d z u m S e g e n für viele g e m a c h t e r G e s t a l t im J u dentum neutestamentlicher Zeit sichern.16

13 Grundlegend Barthelemy, Isai'e 546f und Lindblom a . a . O . 242f. Nach den unter 2.1.3 beschriebenen antiken Assoziationen für das Herabrinnen und Versprengen von O l / Salbe bei gesalbten Gestalten (vgl. auch das zum Hohenpriester nach Ps 133 unter 2.1.2.2 Gesagte) wird man sich nicht auf Sühnegedanken beschränken können, sondern übergreifend an die Konstitution einer Segenssphäre denken, und das in einem Bild, das auch den im T e x t mit anvisierten paganen Völkern vertraut war. 14 Dieses Spezifikum überspielte die nach Barthelemy von Brownlee (Servant 10ff, Meaning 2 0 4 - 2 1 5 ) vorangetriebene Lektüre des Gottesknechtlieds mit dem Salbungsverb. Insofern konnte sich Brownlee in der Forschung zu Recht nicht durchsetzen (am wirkungsvollsten der Widerspruch bei van der Woude a . a . O . 166f). Aber daß damit zugleich jedes Interesse der Forschung an der 'nnsn-Variante von 52,14 schwand (auch bei Joseph R . Rosenbloom, T h e Dead Sea Isaiah Scroll: A Literary Analysis. A Comparison with the Masoretic T e x t and the Biblia Hebraica, Grand Rapids, Mich. 1970, 60), ist bedauerlich.

Synopse im Anhang von Hegermann, Jesaja 53. Die Vermutung, „daß Jes 53 als ein ,dunkler' T e x t in vorchristlicher Zeit nicht zu den synagogalen Lesungstexten gehörte und es in dieser Zeit keine allgemein anerkannte Deutung dieses Textes gab" (Ruprecht a . a . O . 19, ohne Berücksichtigung von l Q I s a ) , ist ohne weitere Textfunde nicht grundsätzlich zu entkräften, auch wenn in die „Dunkelheit" des Textes durch l Q I s a ein bemerkenswerter Lichtstrahl fällt. 15

16

366

Grundlegung

Mit der im TJon bewahrten Textfassung kommen wir in eine andere Welt. Denn eine neue, so übermächtige Leiderfahrung, daß sie zu einer Neugestaltung des Textes führt, verdrängt dort den alten Gottesknechtsbezug der Leidensaussagen von Jes 52,13-53,12: Das Heiligtum (nicht mehr der Gottesknecht) ist entweiht, geschändet „um unserer Sünde willen", ist deretwegen preisgegeben in fremde Hand (TJon 53,5). Den tempelorientierten (tannaitischen?) Kreisen,17 aus denen die Grundlagen des Jes-Targums hervorgehen, ist das ein äußerster Schrecken. Der Gottesknecht wird es - davon sind sie überzeugt - als herausragend mit Gottes Dienst beauftragte und befugte Gestalt überwinden und den Tempel neu bauen (bes. v.5a, neuer Text). Das führt in die Zeit nach 70, am ehesten zwischen 70 und 135.18 Dorthin, ins Umgebungsfeld der Artikulationen von 4 Esr und syrBar, weist auch die nunmehrige Assoziation einer Salbungs-, genauer Gesalbtenaussage nicht mehr von 52,14 - einem neu auf die Dunkelheit des Hauses Israel zwischen den Völkern gelesenen Vers - aus, sondern in 52,13: Wie in den genannten Pseudepigraphen und TJon Sach 3,8 werden hier Knecht und Gesalbter Bezugstitel. 19 Der Knecht Gottes, das ist „der Gesalbte", heißt es 52,13 vor 53,10. Um seine Aufgabe zu erfüllen - die Restitution Israels gegen die (Fremd-)Königreiche (bes. 53,3)20 samt Tempelneubau und Frieden schaffender Lehre (bes. 53,5), Rückführung der Exulanten (53,8), großangelegter Sühnung (im Duktus von 53,4-11) und Gerechtigkeitsdurchsetzung zu umfassender Dienerschaft der Tora (53,11 zweiter Teil), schließlich einer Verteilung der Beute vieler Völker (53,12)21 -, ist er eine mächtige, nicht mehr leidende Gestalt. Entsprechend ändert sich das Bild der Sühne gegenüber lQIsVMT; zwar vergibt Gott noch um des Knechtes, des Gesalbten, willen, aber nicht mehr durch dessen Leiden und Opferung (s. bes. die Neufassungen in 53,5.10.11).22 Desgleichen weicht das in lQIs a 52,(14-) 15 (in der Grundlegung v.14 diff. MT) so plastische Motiv einer Segensteilgabe an viele Völker einem nach den Leiderfahrungen des

17 Verfolgt mit etwaigen Wurzeln vor 70 zurück bei Chilton, Temple (man beachte noch etwa die markante Änderung von Jes 22,22). 18 Vgl. die Datierung der Grundlagen des Textbildes im TJon bei Chilton, Glory 95f, vgl. 97, und die Hinweise zum Thema Messias und Tempel o. in Ausblick 3. Unverifizierbar postuliert Hegermann a. a. O. 79 eine ältere, sich auf Schändung des Messias beziehende Textschicht. Anders versucht Koch, Messias, hinter das Jahr 70 zurückzukommen: Im Text stünde keine explizite Tempelzerstörungsaussage, obwohl die hebräische Vorlage dies ermöglicht hätte (120,135f). Doch wie ist dann die den v.5 neu eröffnende BauAussage zu erklären? Umgekehrt zeigt sich Churgin, Targum bei seinen Datierungen zu sehr vom Messianismusaufbruch um Bar Kochba bestimmt (zu unserer Stelle 26 vor 83f). " Vgl. o. unter 2.2.4.2 bis Anm. 323. 20 „König" ist im Text noch Fremd-, nicht Messiasbegriff (s. 52,15;53,11), so gewiß die Vorstellung eines erneuerten Königreichs in die Messiasaussage von 53,10 eindringt, ein neues Indiz für Ansetzung um oder kurz nach 4 Esr/syrBar (vgl. das unter 2.2.4.2 und Ausblick 3 zum Werdegang der Verbindung Messias-König Gesagte). 21 Vgl. die Nachzeichnungen des Textduktus bes. bei Seidelin, 'Ebed Jahwe 206-217, Koch a.a.O. und Haag a.a.jO. 27-31. 22 Das wurde in der Forschung besonders viel diskutiert; Ergebnisse etwa bei Haag a.a.O. 30f.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

367

Kriegs verständlichen, gleichwohl schmerzlichen Bild von deren Zerstreuung und Erniedrigung (bes. in neuer Fassung von 52,15;53,3.8fin.l lf). 23 Ein einheitliches Bild des (deutero-)jesajanischen Gottesknechts im Judentum der rabbinischen Zeit begründet das Jes-Targum - das ergänzend noch das erste Gottesknechtslied auf den Messias bezieht (TJon Jes 42,1; vgl. jenseits der Gottesknechtslieder 43,10), das zweite und dritte dagegen auf Israel bzw. den Propheten 24 - allerdings wiederum nicht. Die anderen neu entstehenden Übersetzungen (Aquila; Theodotion; Peschitta, falls hier mit jüdischer Grundlage 25 ) bleiben für 52,13-53,12 näher am hebräischen Text (MT-Linie) mit dessen Leidensaussagen für den Knecht. Da sie eine Einfügung des Gesalbtenbegriffs vermeiden, lassen sie sich nicht im strengen Sinn für eine messianische Textinterpretation beanspruchen. 26 Folgen wir Origenes' Hinweis auf eine von ihm geführte Diskussion mit Juden über den Text in c. Cels. I 55, so herrschte zu seiner Zeit jüdisch überhaupt eine Deutung auf das zerstreute und leidende jüdische Volk vor. Erst in später Antike/frühem Mittelalter stellt rabbinische Textbeanspruchung gelegentlich (etwa MShem Paraschah 19 zu 1 Sam 16,1) einen Bezug der Leidensaussage von 53,5 auf den König-Gesalbten her,27 was freilich im (späteren) Mittelalter wieder schwindet.28 Das Bild des Gottesknechts in Jes 52,13-53,12 faszinierte, vorbereitet durch neutestamentliche Zitationen (Act 8,32f usw.), 29 die Forschung zum Selbstverständnis Jesu und zu seinem Verständnis in der frühen Christenheit. 30 Hier zu verfolgen ist aus diesem Bereich nur der den Christos-Titelnamen betreffende Ausschnitt, der freilich wichtig genug ist. Denn in Christos-Gut finden sich die „für"-Aussagen, die die These eines ältest-urchristlichen Einflusses von Jes 53 noch immer lebendig halten, 31 während die Kritik der späten 50er bis frühen 70er Jahre die Beiziehung von Jes 53 ansonsten auf jüngere neutestamentliche Schichten verwies. 32 23 Für uns besonders interessant ist der Eingriff in 52,14: Das dortige hi von ΠΤ3 wird entkultisiert als „verstreuen" mit dem Objekt „Völker" verstanden; ein geringer Eingriff erzielt einen ganz neuen Ton (vgl. - nur beim Hebräischen unklarer - Hegermann a. a. O. 69). 24 Näheres bei Seidelin a.a. O. 196-206 und Ruprecht a.a.O. 14ff. 25 Dazu Hegermann a.a.O. 22ff. 26 Das berücksichtigt Hegermann a.a.O. (Erg. 112ff,126ff) zu wenig. 27 Näheres bei Hruby, Exegese 106-110; Ruprecht a.a.O. 59 bleibt hier zu pauschal. 28 S. in Ausblick 3 bei Anm. 52. Wichtige ältere Lit. zum ganzen wäre Dalman, Messias 27-98, neuere Quellenzusammenstellungen bei Driver/Neubauer, Isaiah und knapp Juel, Messianic Exegesis 121-127. " Gesamtübersicht bei Nestle-Aland 2 ' 761. 30 Als Exponenten unseres Jahrhunderts für die beiden Bereiche seien Wolff, Jesaja 53 (bes. 55-71) und Jeremias (am unter 1.1.2 mit Anm. 100 referierten Ort) genannt. 31 Vgl. etwa Hengel a.a.O. 137f und Merklein, Studien 24. 32 Als Exponent war unter 1.1.2 mit Anm. 103 Rese, Überprüfung zu nennen. Ins Diskussionsfeld gehört aber auch der Großteil der bisher in diesem Abschnitt angeführten Lit. seit Fascher, zusätzlich Lohse, Gottesknecht 105ff u.v.a. Das zum Anfang der 70er

368

Grundlegung

Der Fund von lQIs* begünstigt allerdings die These ältesten Einflusses nicht. Denn Jes 52,13f wird in ur- und frühchristlichen Schriften nie in der Fassung von l Q I s 1 zitiert, die allein in der zeitgenössischen jüdischen Uberlieferung den deuterojesajanischen Gottesknecht als leidenden mit Salbungsmotivik verbindet. 33 Weiterreichend wird die christliche Überlieferung und Aneignung der Jes-Stelle durch die L X X und die hebräische Uberlieferung in der MT-Linie bestimmt. 34 Auch eine prägende Kenntnis des lQIs a -Textes scheidet so aus. Wenden wir uns den Christos-für-Formulierungen in sich zu, so finden sie sich im Grundstadium der Entwicklung bis Paulus eingebunden in die sogenannte Sterbeformel und deren Erweiterungen. Paulus greift auf die Formel, gesondert wie in weiteres Formelgut oder eigene Syntax eingebettet, o f t zurück (Rom 5,6.8;8,34; 14,9.15; 1 Kor 8,11; 15,3; Gal 2,21; 1 Thess 5,9f; vgl. 2 Kor 5,14f). Jenseits seiner Briefe liegt die Formulierung dem 1 Petr (3,18; 35 in einem Teil der Uberlieferung auch 2,21) 36 zugrunde. Nachneutestamentlich reicht sie zu IgnTrall 2,1 (vgl. auch IgnRöm 6,1) und nachklingend Justin, dial. 13,1 weiter.

Die Häufigkeit der Belege und Diversifizierung ihrer Verbindung von einem festen Kern aus mit weiterem Formelgut machte der Forschung den Rückschluß auf ursprüngliche Selbständigkeit der Formel zwingend. 37 Der Kern sind die Glieder Χριστός (Subjekt, gelegentlich Jahre durchgesetzte kritische Ergebnis hielt Ruprecht a. a. O. 20 fest; vgl. zuletzt Juel a.a.O. 132 nach 127ff. 33 Selbst beim Wachstum der Zitate in der Zeit der apostolischen Väter und Apologeten verrät nichts auch nur eine Kenntnis von lQIs 1 : 1 Clem 16,3-14 folgt, mit der Zitation erst nach unserer Stelle einsetzend, LXX. Justin, der dial. 13 den ganzen Zusammenhang von 52,10-54,6 vorträgt, verknappt in 13,2 Jes 52,13f; in I apol. 50(-51) folgt er LXX. 34 Das gilt auch fürs Judenchristentum mit Symmachus: s. (noch ohne Kenntnis von lQIs 1 ) Hegermann a.a.O. 53-66 u.ö. 35 Die erstmals von Nestle-Aland 2 ' bevorzugte Lesart ϊπαθεν ist schwächer bezeugt. 36 Variiert zum Subjekt ΊησοΟς daneben Joh 11,51. 37 Die Erforschung wurde (ein gutes halbes Jahrhundert nach der für christologisches Formelgut allg. eröffnenden Studie Alfred Seebergs, Der Katechismus der Urchristenheit, Leipzig 1903) vor allem durch die Untersuchung von 1 Kor 15,3ff ausgelöst. Herausgegriffen genannt seien Kramer, Christos 24-29, Wengst, Christologische Formeln 78-86 und Kim, XPICTOC 91-97. Eine knappe neuere Forschungszusammenfassung bietet Haufe, Bekenntnisformeln 220f (zu knapp Schlier, Anfänge 22). Das Interesse der jüngsten Zeit gilt dem Weg zu Paulus; Diskussionsstand dafür bei Breytenbach, Versöhnung 125-127,155-159,197-199,201ff u.ö. (Lit.). Blanks Infragestellung der Formelselbständigkeit aufgrund deren dann angeblich zu schmalen Inhalts (Paulus 142) konnte sich, da nicht eigentlich formgeschichtlich argumentierend, nicht durchsetzen, so gewiß sie im Blick auf 1 Kor 15,3b ff ein gewisses Recht behält: Die dortige Paradosis schießt über ein Konglomerat einzelner Formelstücke hinaus, verbindet sie - immer noch theologiegeschichtlich früh, wenn auch sicher nicht früher als die eingeschmolzenen Grundformeln - zu neuer Einheit.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

369

um Ίησοϋς erweitert) und άπέθανεν (Prädikat im Aorist Ind.; aufgrund übergreifender Satzsyntax in Rom 8,34; 1 Thess 5,10 und IgnTrall 2,1 ins Partizip übertragen), somit die knappe Aussage Χριστός άπέθανεν. Hinzu tritt eine Angabe des Zweckes (εις t o ö t o R o m 14,9), des Grunds (διά mit variierendem Akk.-Objekt: 1 Kor 8,11 δς, IgnTrall 2,1 ήμεΐς), des Für (mit ύπέρ - Rom 5,5f.8;14,15[; 2 Kor 5,14f; 1 Petr 2,21] - oder περί - 1 Thess 5,9f und wieder variierendem Folgenomen) 3 8 - gegebenenfalls „für (unsere) Sünden" (mit ύπέρ 1 Kor 15,3, mit περί 1 Petr 3,18) - , schließlich in Gal 2,21 ein kontrastierendes δωρεάν. In Rom 8,34 ist das für-Glied syntaktisch weit vom Formelkern getrennt. Die Wortstellung der Zusätze ist auch sonst nicht fest (Voranstellung etwa 1 Kor 8,11; Zwischenstellung etwa Rom 5,6.8; Nachstellung im Uberlieferungsstrang von 1 Petr 2,21 mit unserer Formel).

Diesem philologischen Befund nach müssen wir von einem Wachstum der Formel aus dem Kern Χριστός άπέθανεν ausgehen, näherhin einem Wachstum, das seinen Schwerpunkt in für-Aussagen fand. 39 Der Kern ist zu knapp, um einem einzelnen liturgischen Sitz im Leben zugeordnet werden zu können, 40 geht somit als Grundaussage aller nachfolgenden Entwicklung samt deren liturgischen Einbettungen voraus. In den Erweiterungen des Formelkerns vom für-Glied aus vertiefen sich vor allem Bezüge zur Eucharistie, ohne daß man den Uberlieferungsort allein auf diese festlegen könnte. 41

Der Kern ist den aufgezeigten Entwicklungsdaten nach ältestes Überlieferungsgut. Eine hebräisch-aramäische Rückübersetzung ist möglich (als fl'H Π'®»). Auch in der griechischen Übertragung (bzw. nicht ausschließbar - Erstformulierung) kann er aus Jerusalem stammen, weisen doch wie die Anfänge der aramäischen so die der jüdisch-

39

'Ασεβείς Röm 5,5, ος Rom 14,15; ήμεΐς Rom 5,8; 1 Thess 5,10; vgl. ύμεΐς 1 Petr 2,21; πάντες/αύτοί 2 Kor 5,14f. 39 Das Forschungsinteresse ging nur begrenzt hinter das Stadium der Formel mit f ü r Glied zurück, so gewiß man auf die Möglichkeit einer Kurzformel ohne letzteres stieß (vgl. z.B. Hengel, Sühnetod 1 if, umgebend auch Havener, 1 Thessalonians 112). Bei einem Festhalten an der Langformel als Grundstadium zerfällt aufgrund der Varianten die Festigkeit der Formel, bleibt nur eine offene Wendung (vgl. Pokorny, Christologie 56). 40 Mit der Eucharistie verbindet sich zwar nach 1 Kor 11,26 von Anfang an die Verkündigung des Todes des Herrn, aber dort steht Kyrios (nicht Christos). 41 Die Forschung denkt aufgrund der für-Aussagen in 1 Kor 11,24; Mk 14,24 bevorzugt an die Eucharistie (s. z.B. Haufe a.a.O. 221 und vgl. Froitzheim, Christologie 31), aber zusätzliche Uberlieferung bei der Taufe wird man zumindest im Augenblick des Wachstums um das Auferstehungsglied (impliziert in 2 Kor 5,14f; Röm 8,34; 1 Kor 15,3b-5; zur Diskussion um letztere Stelle etwa Cremer, „Heilstod" 233f) nicht ausschließen können (vgl. die Bedeutung von Tod und Auferstehung Jesu, des Gesalbten, in Röm 6 [„Christos" 6,3f.8f.l 1]). Die Diskussion muß - wie zu allen Bekenntnisformeln (vgl. Havener, Credal Formulae) - fortgeführt werden.

370

Grundlegung

hellenistischen G e m e i n d e d o r t h i n z u r ü c k . 4 2 G r a m m a t i s c h stellt e r einen V e r b a l s a t z m i t v o r a n g e s t e l l t e m S u b j e k t d a r , s e m i t i s c h w i e g r i e c h i s c h ein das N o m e n demnach zu

b e t o n e n d e r S a t z b a u . 4 3 „ G e s a l b t e r w a r er, d e r s t a r b " , 4 4

ist

übersetzen.

D a s G e s a l b t e n p r ä d i k a t a n t w o r t e t in d e r F o r m e l a u f d a s S t e r b e n , d e n T o d J e s u . V o m G e s e t z ( D t n 2 1 , 2 2 f ) h e r g e d e u t e t , stellt d i e s e r sich, d a a m K r e u z ( „ H o l z " ) e r f o l g t , als D o k u m e n t a t i o n l e t z t e r F e r n e J e s u

von

G o t t e s K a b o d 4 5 d a r , als E n t h ü l l u n g e i n e r F l u c h b e s c h a f f e n h e i t , d i e sich als g e g e n G o t t g e r i c h t e t w i e v o n G o t t v e r h ä n g t v e r s t e h e n

läßt.46

D i e F l u c h s p h ä r e ist dabei n a c h V o r s t e l l u n g d e r j ü d i s c h e n T r a d i t i o n s c h o n d u r c h das d e m T o d verfallene T u n des B e t r o f f e n e n b e g r ü n d e t

(grundlegend

D t n 2 1 , 2 2 v o r 2 3 ) , 4 7 w i r d d u r c h das A u f h ä n g e n n i c h t eigentlich neu g e s c h a f f e n , s o n d e r n v o l l s t r e c k t . W i c h t i g s t e N e u e r u n g in d e n J h h . v o r J e s u H i n r i c h t u n g w a r , nicht erst d e n L e i c h n a m des z u v o r a n d e r s H i n g e r i c h t e t e n a u f z u h ä n g e n , s o n d e r n s c h o n d e n L e b e n d e n (1 l Q T e m p 6 4 , 6 - 1 3 ) , ein V o r g a n g , d e r die B r ü c k e z u r v o n alters h e r eigentlich n i c h t j ü d i s c h e n K r e u z e s s t r a f e s c h l ä g t . 4 8 U m die Z e i t e n w e n d e w i r d m a n v o n e i n e r gewissen A k z e p t a n z dieser S t r a f a r t im V o l k a u s g e hen müssen, z u g l e i c h a b e r a u c h d a v o n , d a ß sich die F l u c h a u f f a s s u n g des K r e u z e s t o d e s n i c h t überall s t r e n g d u r c h h i e l t . 4 '

42 Eingeschränkt kann man selbst für das hellenistisch-judenchristlich weitergewachsene Formelgut - wozu man nach dem Forschungsstand die Wachstumsstadien unserer Formel und die umfassende Paradosis von 1 K o r 15,3b ff wird rechnen müssen - Wurzeln der Sachaussage in Jerusalem suchen: s. für die heftigste Diskussionsphase (Jeremias-Güttgemanns) o. am Ende von 1.1.3 (bei Jeremias grundlegend Abendmahlsworte 95ff), an nachfolgenden Erörterungen etwa Wengst a. a. O . 6 7 f f und Kim a. a. O . 96ff, für die Wurzeln auch der griechisch sprechenden judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem Hengel a . a . O . 13 (und in anderen Beiträgen). Endgültige historische Entscheidungen bleiben freilich immer Hypothese. 43 Vgl. Gesenius-Kautzsch-Bergsträsser, Teil Gesenius-Kautzsch § 142,1 und B l a ß D e b r u n n e r - R e h k o p f § 472,2. Die These, die Anfangsstellung des Subjekts Christos sei „griechisch-christlicher, nicht semitischer Sprachgebrauch" (Conzelmann, Bekenntnisformel 136), vereinseitigt. 44 V o r „Gesalbter" darf kein deutsches „ein" gesetzt werden: Griechisch (und hebräisch-aramäisch) fehlt eine Kennzeichnung wie spezieller Determinierung so auch spezieller Indefinitisierung; zu letzterer müßte griechisch ein τις oder εις (s. B l a ß - D e b r u n n e r Rehkopf § 301) als Äquivalent zu einem hebräisch-aramäischen "ΤΠ(κ) (vgl. bes. Dalman, Grammatik § 20,1 p. 121) stehen. 45 Die in Dtn 21,23 gebrauchte Wurzel b'pp führt alttestamentlich in den Bereich antithetischer Aussagen zu 133 (s. C.A. Keller s.v., T H A T II 6 4 1 - 6 4 7 , bes. 642). 46 Beide Verstehensmöglichkeiten sind in Dtn 21,23 angelegt: s. Dietzfelbinger, Berufung 34f. 47 l l Q T e m p 64,10 nennt als Spitze kreuzigungsbegründenden Tuns konkret eine Fluchhandlung des Betroffenen (gegen sein Volk). 48 Vgl. bes. Betz, Prozeß 607f. 49 Die Diskussion zur Akzeptanz führte Yadin bis Tempelrolle 2 2 7 - 2 3 7 (unter Einbezug von 4 Q p N a h I 6ff). Auf die nötigen Differenzierungen in der Kreuzigung-FluchDeutung weist Schräge, Anstoß des Kreuzes 6 3 - 6 7 hin. Namentlich daß von den Römern

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

371

Ob der frühesten Gemeinde von ihrer Umwelt die Fluchdeutung des Kreuzes entgegengehalten wurde, wissen wir nicht.50 Unsere Sterbeformel enthält keinerlei Polemik, legt alles Gewicht auf die positive Aussage „Gesalbter" in sich. „Gesalbter" bietet sie dabei alleinstehend. So klingt der ganze um den Begriff gesammelte Vorstellungskreis von singulärer Heiligkeit, 51 bis in den Tod bewährter und bewahrter engster Gottnähe, 52 Gottübergabe im Sterben53 und weiterhin ausstrahlender Trägerschaft der Segenssphäre Gottes 54 an. Jede Beeinträchtigung des Gottesverhältnisses Jesu ist ausgeschlossen. Daß unsere Formel Jesu Gesalbtenbezeichnung in einer Zeit festlegt, die sonst wegen der Dichte des Begriffs nur das Vermeiden von dessen Applikation auf geschichtliche Einzelpersonen kennt, steigert die positive Aussage. 55 Diese Konkurrenzlosigkeit in der Anfangszeit des Begriffsgebrauchs ist der Hintergrund dafür, daß das seit unserer Formel eine zentrale Appellation Jesu bildende Christos so nahtlos wie dargestellt 56 weiterbestehen und neben seinem appellativen Gebrauch zum bedeutungstragenden, unverwechselbaren N a m e n Jesu werden konnte.

Jesu Sterben wird in der Formel nicht verdrängt,57 sondern als geschehenes (Aorist) Faktum festgehalten. Aber da es der Tod eines einzigartig Gesalbten ist, ist die diesen umgebende Segenssphäre stärker als alle dem Kreuz anhaftbare Fluchsphäre.

gekreuzigte Juden (s. Josephus, bell. 5,451 und ant. 17,295) als verflucht galten, ist unwahrscheinlich. Das bestätigt die Salbung der Gebeine des Gekreuzigten von Giv'at Hamivtar (s. unter 2.1.3.1 bei Anm. 48). Zur Verbreiterung des Feldes s. allg. Hengel, Mors und Kuhn, Kreuzesstrafe. 50 So gerne das namentlich von Gal 3,13 aus angenommen wird (und daher gegenüber Paulus Wahrscheinlichkeit hat): vgl. den Hinweis bei Mußner, Galaterbrief 233f Anm. 112 und allg. Dietzfelbinger a.a.O. 36. 51 S. die in 2.1.3 erarbeitete begriffliche Grundstruktur. 52 Man denke an die sich durch die Geschichte ziehende jüdische Verbindung von Gesalbten- mit Leid-, Verfolgungsaussagen seit Thr 4,20 über Dan 9,26 bis zu den zeitgenössischen Texten wie äthHen 48,10 und umgebend auch lQIs a 52,14 (s.o. unter 2.1.1.1, 2.1.2.2, 2.2.3 und in diesem Abschnitt). 53 Hier kommt besonders die Linie des gesalbten Opfers ins Spiel, deren religionsgeschichtliche Basis unter 2.1.3.1 (jüdisch) und 2.1.3.2 (umgebende Kulturen) zu erheben war. 54 Wieder eine von alters her beobachtete Vorstellungslinie: s. am Ende von 2.1.1.1 zur Königstradition, unter 2.1.2.2 zur Priestertradition, unter 2.1.3 für die kultischen Zusammenhänge usw. bis zur obigen Besprechung von lQIs a 52,14f. 55 Vgl. die Eruierungen bis zum Ende von 2.2.2. 56 S. unter 1.2. 57 Ein Thema, das auch eine tiefenpsychologische Erörterung anstieß: s. - mit wichtigen Impulsen, aber ebenso drängender Bedürftigkeit nach Weiterführung - Cott, Problem.

372

Grundlegung

Zum dichtesten Ausdruck führt das Paulus in Gal 3,13: Der Gesalbte (Christus) nimmt die Fluchsphäre auf sich und macht sie dadurch zunichte. 58

Die Christusaussage in der Sterbeformel erhält eine Ausstrahlung „für uns", „für euch", „für alle", die, vorpaulinisch begründet, 59 von der ältesten paulinischen Aufnahme an (1 Thess 5,9f) variierend das Gros der Vorkommensstellen durchzieht (s.o.). In der Regel erscheint dies knapp in einer Anfügung von Präposition (ύπέρ ο. ä.) und Pronomen (ημείς etc.; z.B. an der gerade genannten Stelle 1 Thess 5,9f [v.10]), 60 die das Zugunsten in einer Schwebe zwischen Sühne, Stellvertretung und allgemeiner Heilszueignung bestimmt. 61 Die Linie der Explikation von Gottes Heilszueignung durch den Gesalbten beginnt. 62 Ein verifizierbarer Bezug zum vierten Gottesknechtslied Deuterojesajas entsteht jedoch noch nicht. In der umfassenden Glaubensformel von 1 Kor 15,3b-5 über Christus, den Gesalbten, der starb, begraben, auferweckt wurde und erschien, wird die Aussage präzisiert. Er starb „für unsere Sünden", heißt es nun - eher parallel oder nach als vor den angeführten Kurzformeln formuliert 63 -, „gemäß den Schriften". Ein Zitat aus Jes 52,13-53,12 ist auch damit noch nicht erreicht.64 Aber die Bewegung zur Verankerung 58

Zur neueren Diskussion s. neben den Kommentaren etwa Kuhn, Gekreuzigter 35f, Kertelge, Verständnis 128ff, Dietzfelbinger a.a.O. 37ff und Merklein, Studien 25(ff). Ein Vorstellungszusammenhang entsteht, der die Betonung des Paulus erklärt, er und seine Mitarbeiter verkündigten einen gekreuzigten Gesalbten, den gekreuzigten Christus, auch wenn und so gewiß dies der Umwelt anstößig sei (1 Kor 1,23; vgl. 2,2). Eine Zuspitzung der Anstößigkeit auf Kreuzigung des „Messias" (vgl. Schräge a. a. Ο. 68f) ist nicht nötig. 59 Nach den obigen Hinweisen am ehesten in der hellenistisch-judenchristlichen Gemeinde (nach Breytenbach a. a. O. 202 müssen wir für die paulinische Aufnahme die Diaspora voraussetzen). Aber weiterhin sind hebräisch-aramäische Parallelartikulationen mit den Präpositionen b, ΤΪ2 (hebr.) bzw. bs (aram.) möglich, läßt sich kein Gegensatz hellenistische/aramäische Gemeinde aufbauen. 60 Z.St. vgl. Anm. 193 zu Ausblick 2. 61 Vgl. die Bedeutungen 2 und 3 von ύπέρ mit Gen. bei H. Riesenfeld s.v., T h W N T VIII 510-518, hier 511-516. In Teilen der Forschung hat sich eine Unentscheidbarkeit zwischen den Möglichkeiten durchgesetzt (z.B. Haufe a.a.O. 221; Havener, 1 Thessalonians 116ff). Doch wird die Diskussion zur Für-Aussage - namentlich der Implikation etwaiger kultischer Aspekte - nach wie vor intensiv geführt (s. nur Friedrich, Verkündigung 68-76; Stuhlmacher, Sühne und zuletzt Breytenbach a.a.O. 200-215 u.ö.). Vielleicht wird man im Ansatz von einer gewissen Explikationsbreite ausgehen müssen; so legt sich bei der Formulierung mit περί eine kultische Dimension nahe (vgl. περί αυτών in Lev 4,20 u.ö., an Lit. noch Wilckens, Römerbrief I 240), läßt sich dies jedoch auf den ύπέρ-Kreis nicht ohne weiteres übertragen (s. Breytenbach a.a.O. 201f). 62 Vgl. Froitzheim a.a.O. 32. Nur dessen Königsakzentuierung ist zurückzunehmen. 63 Vgl. o. Anm. 37. Daß die Kurzform „sterben für uns" sich erst sekundär aus der längeren Form „für unsere Sünden" gebildet habe (so Merklein a. a. O. 24 mit Anm. 60), läßt sich nicht verifizieren. 64 Klapperts entsprechender Nachweisversuch (Frage 170ff) konnte, da er eine nicht

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

373

in der Schrift - hier noch unbestimmter Plural „den Schriften" - hat eingesetzt. Bis zur expliziten christologischen Beanspruchung der Tradition vom Gottesknecht, der wegen unserer Sünden und zugunsten unserer, der Schuldigen, dahingegebenen sei (Jes 53,5.10.12), ist kein großer Schritt mehr.65 Paulus am wichtigsten an der Formel ist freilich nicht dies, sondern die Linie zur Auferweckungsaussage, die sich hier gewichtig mit unserem Prädikat verbindet: Christus, der für unsere Sünden in den Tod gegebene Gesalbte, ist, die Gegenwart bestimmend, auferweckt; er prägt den Glauben als Lebendiger. 66 Schwieriger zu ermessen ist, ob und wieweit sich Paulus in der Weiterführung der soteriologischen Aussagen in seinen Briefen dichter auf Jes 52,13-53,12 stützt als die Tradition; positive Evidenz fehlt, so daß man dafür sehr vorsichtig wird sein müssen. 67 In der griechisch sprechenden Gemeinde neben (?) ihm 68 aber entsteht ein herausragendes Christuslied, das die Sterbeformel wie ein „katechetische(s) Lehrstück"69 entfaltet und sich dazu Jes 53 LXX bedient. verifizierbare vorpaulinische Targumgrundlage des von MT und LXX Jes 53,5 differierenden ύπέρ postulieren mußte, nicht überzeugen (s. ζ. B. - bei allerdings umgekehrt zu später Datierung des Jes-Targum - Kloppenborg, 1 Cor 15:3b-5 S.354). 65 Man wird also etwas vorsichtiger als Hahn, Hoheitstitel 201 ( J e s 53 spielte in diesem frühen Stadium noch gar keine Rolle") formulieren müssen. Andererseits ist selbst bei der Annahme, das „gemäß den Schriften" enthalte von Anfang an einen Bezug auf bestimmte Schriftstellen (sei also nicht nur allgemeine Blickpunktvorgabe: vgl. Anm. 92 zu Ausblick 3), eine Explikation dieses Bezugs durch Jes 53 nicht zwingend (ein Eindruck, den Blank a.a.O. 146 erweckt). Eine ausgewogene Position versuchte Roloff, Deutung des Todes Jesu 44ff. Ruppert, Skandalon 32 lf favorisiert eine Assoziation der Leidenspsalmen, die in der frühgemeindlichen Gestaltung des Passionsberichts eine herausragende Rolle spielten. - Zur Begräbnisaussage ergänzend Anm. 63 zu 2.3.3. " Vgl. bes. Schräge, Korinther 32 (die Auferweckungsaussage ist im die Gegenwart grundlegenden Perfekt formuliert; Lit.). Das selbständige Auferweckungsformelgut ist interessanterweise nicht mit „Christos", sondern .Jesus" verbunden (s. Wengst, Christologische Formeln 27-48, für den Diskussionsstand Haufe, Bekenntnisformeln 219f). Indirekt bestätigt das, daß sich das Christosprädikat von der Sterbeaussage aus entwickelt. Aber 1 Kor 15,3ff zeigt, daß dies nicht in einen Gegensatz geführt werden darf, sondern daß Christos von frühester Zeit an auch die Auferweckungsaussage in seine Explikation zieht. - Zum Gesamtduktus der Formel vgl. neben der angeführten Lit. noch etwa Mußner, Struktur. 67 Eine befürwortende Position vertritt, von LXX ausgehend, zuletzt Breytenbach (Zusammenfassung des von ihm angenommenen Entwicklungsgangs a.a.O. 214 nach 210 u.ö.). Auffällig und gegenüber dieser Position irritierend ist freilich, daß Paulus aus dem vierten Gottesknechtslied in all seinen Briefen im Wortlaut nur Jes 53,1a zitiert, und das im Anschluß an Jes 52,7, also ohne Beachtung der Zusammenhänge im Gottesknechtslied (Rom 10,16 nach 15). 68 Zur Problematik der genaueren Verortung s. Manke, Leiden 109. " Letzteres die Formbestimmung Wengsts, Christologische Formeln 85, „Christuslied" dagegen die vorsichtigere Bestimmung des Hauptstroms der Lit. (etwa Goppelt, Petrusbrief 204f).

374

Grundlegung

Der Autor des / Petr schmilzt es in den Text von 2,21-25 so stark ein, daß es in seinem Umfang nur noch grob rekonstruierbar ist. Der Kern liegt in den w.21b(ab Χριστός).22-24* (wohl ohne v.23) und mag schon vor dem Autor des 1 Petr um v.25 gewachsen sein.70 V.21b setzt dem Lied die Sterbeformel mit ύπέρ-Glied unverändert oder mit einer Ersetzung des άπέθανεν durch das ähnlich klingende επαθεν voran, das die Sterbe- zur nach wie vor todzentrierten Leidensaussage erweiterte. 71 „Der Gesalbte starb/litt für uns" wird dadurch zur überschriftartigen Vorgabe. V.22 expliziert als deren Basis die Uneingeschränktheit des Gottesbezugs des Gesalbten: Nichts, keine Sündentat und keine Unwahrhaftigkeit, trennte ihn von Gott. Artikulationshilfe ist die Aussage über den Gottesknecht Jes 53,9; das neugewählte Wort αμαρτία (statt LXX ανομία) verstärkt, daß es in der christologischen Gesalbtenaussage - mit der Grundvorstellung von Gesalbtsein im 1. Jh. 72 - vorrangig um Gottesrelation geht. 73 Der solchermaßen Sündlose aber trug unsere Sünden an seinem Leibe hinauf aufs Holz (w.24a.b). Die Gottesknechtsaussage von Jes 53,4.12 (v.24a) verbindet sich mit der Überlieferung von Jesu Sterben am Fluchholz in einer Weise, die die Sünden dem Fluch des Holzes übergibt. 74 Wir, deren ursprüngliche Träger, sind dadurch von ihnen befreit (άπογενόμενοι), können - und sollen - der Gerechtigkeit leben (v.24c.d).75 V.25 verstärkt den ethischen Zug durch eine Umschreibung des tragenden Raums für christliches Handeln. 76 Das kommt dem Autor des 1 Petr entgegen, der das Christuslied als ethisches Vor- und Leitbild in einer Sklavenparänese (s.

70

Zur Rekonstruktion s. bes. Wengst a. a. O. 84, Goppelt a. a. O. und Manke a. a. O. 105-108. Deichgräber, Gotteshymnus 142 klammert die Zentralzeile aus v.21 unnötig ein. Kosalas geistreiche Einordnung unserer Verse an verschiedene Stellen eines umfassenderen Hymnus, den der 1 Petr insgesamt als Vorlage benützt habe (Taufverständnis 69-115), bleibt hypothetisch (schon Bultmann, Liedfragmente 295ff Schloß eine solche Möglichkeit aus). 71 Vgl. bes. Wengst a.a.O. und Manke a.a.O. 113. 72 Vgl. o. im Zentrum von 2.1.3.1. " Vgl. Manke a.a.O. 117. 74 Zur näheren Auslegung vgl. Kosala 136f und Manke a. a. O. 122-127. Der bei letzterem bemerkte Bezug zu Gal 3,13 ist zu präzisieren: Dort wird Christus selbst „Fluch" und erledigt dadurch den Fluch (s.o.). An unserer Stelle dagegen übergibt der Gesalbte der Fluchsphäre das, was in sie gehört, die Sünden, von denen er frei ist. Zu unseren Gunsten und stellvertretend für uns schafft er sie fort, hinauf aufs Holz. Das ermöglicht den stärkeren ethischen Ton von v.24c.d. 75 Die Diskussion der Stelle bestimmt der Vergleich mit Paulus, dem gegenüber Gerechtigkeit hier weniger als heilvolle Machtsphäre von Gott aus denn als Leitlinie menschlichen Verhaltens gedacht ist (vgl. z.B. Brox, Petrusbrief 138, Manke a. a.O. 127ff und bes. pointiert Kosala a.a.O. 138). 76 Vgl. Manke a.a.O. 130-134.

Der Begriffsrahmen jüdischen Erbes

375

w,18-21a) zitiert, seinen soteriologischen Kern und Bezug auf Jes 53 wahrt, aber nicht weiterentfaltet. 77

Das in 1 Petr 2,21-24(.25) aufgenommene Traditionsstück macht das vierte Gottesknechtslied Deuterojesajas zur Erläuterung von Person (v.22) und Werk (v.24)78 Christi, des Gesalbten, fruchtbar, ohne spezielle Opfervorstellungen einzubeziehen. 79 Dem Hebr liegt dagegen gerade an dem einmal, unüberbiet- und unwiederholbar am Gesalbten dazu vollzogenen Opfer, mit Jes 53,12 „die Sünden vieler wegzunehmen" (9,28). Das Gesalbtsein des Gottesknechts und Opfers verschmelzen in Christus auf neutestamentlich einzigartige Weise.80 Der entscheidende Opferbegriff προσφέρειν aber ist dem Jes-Text nicht entnommen, sondern seiner Beanspruchung vorangestellt. Die Gottesknechtstradition dient auch im Hebr der Entfaltung einer vorgängig gewonnenen Deutung des Christusgeschehens. 81 Selbst wenn man im Hebr die Möglichkeit einer Benutzung des hebräischen Textes offenläßt, 82 setzt sich in der nachfolgenden Literatur die LXX als Grundlage breit durch (von 1 Clem 16,3-14 über Justin, I apol. 50f zu Melito, fr. 8 Ruhbach 83 und - nur mit Kyrios verbunden Diog 5,2), die eine Opferdeutung des Geschehens am Gottesknecht eigentlich erschwert. Denn anders als die hebräische Textüberlieferung bietet sie in v.10 statt einer Aussage über das Sühnopfer des Gottesknechts eine Aufforderung an die Adressaten, selbst für ihre Sünden Opfer darzubringen (δώτε περί αμαρτίας, von 1 Clem und Justin a.a.O. übernommen). Gottesknechtlicher Opfervorstellung nah bleibt nur v.12. Das vierte Gottesknechtslied in sich dient denn auch dem 1 Clem nicht als Opfertext, sondern als geistgetragene Umschreibung der umfassenden Bereitschaft des Herrn Jesus, des Gesalbten, zur Niedrigkeit, die wir uns zum Maßstab machen können (s. den Rahmen 16,lf.l7 um das Zitat), eine Fortsetzung der Linie des 1 Petr.84 Bis spätestens Justin erreicht es ein zweiter Strom christlicher Bemühung um Schriftbegründung, der von den Menschensohnworten mit δει πολλά παθειν

77

Vgl. die Ergebnisse bei Manke a.a.O. 135-139. Aufteilung nach Wengst a. a. O. 84f. 79 Vgl. Goppelt a.a.O. 210 mit Anm. 71. 80 Vgl. schon unter 2.2.5. 81 Die viel stärker diskutierten Evangelientexte (bes. Mk 10,45;14,24 par; Diskussionsübersicht z.B. bei Gubler, Deutungen 284-311 u.ö.) sind nicht mit dem Gesalbtenbegriff verbunden. 82 Vgl. z.St. Michel, Hebräer 327. 83 Altkirchliche Apologeten, Hg. G. Ruhbach, T K T G 1, Gütersloh 1966, 32 (nach CorpAp IX 416ff). 84 Man beachte die Parallele im ungewöhnlichen ύπογραμμός 1 Clem 16,17; 1 Petr 78

2,21.

376

Grundlegung

(Mk 8,31 usw.) ausging und ab Act 3,188S prophetische Begründung forderte. Es wird prophetischer Grundtext übergreifend zur Begründung der Passion Jesu (dial. 89,3).

Jedoch wäre falsch, darauf eine Differenz zu möglicher Opferbeanspruchung des Gottesknechtslieds in Fortführung der Linie des Hebr aufzubauen. In dial. 13 zitiert Justin es so als prophetische Begründung der Vorstellung, in Blut und Tod des christlich geglaubten Gesalbten fuße, alles alttestamentliche Opfergeschehen (!) überbietend und erledigend, die christliche Bußreinigung. 86

Mehr Schwierigkeiten bereitet Justin das Fehlen einer Zuspitzung des Leidens des Gottesknechts auf den Fluchtod der Kreuzigung (dial. 90 [ff]). 87 Melito bietet fr. 8 eine Lösung unter Zusammenfassung der Linien. Er liest Jes 53,7 als Aussage über „unseren Herrn Jesus, den Gesalbten", der wie ein Lamm geschoren, wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt und wie ein Lamm gekreuzigt (!) worden sei. Den Opferzusammenhang stellt er durch eine Querlinie dazu her, wie Isaak zum Geschlachtetwerden hinaufgeführt worden sei (Gen 22,1-19). Die christliche Beanspruchung des alttestamentlichen Bibeltextes erweitert sich, aber unter Vorgabe der Grunddeutung des Christusgeschehens (bei Melito a.a.O. mit der ab 1 Petr 2,21 ;3,18 [Haupttext bzw. Variante; vgl. auch 4,1] begegnenden Sterbeformelvariante „der Gesalbte litt").

Eine weitere Verfolgung in die Alte Kirche ist hier nicht möglich. 88 Doch der Grundzusammenhang ist deutlich: Die frühe Christenheit beansprucht das vierte Gottesknechtslied, liest es nach unklarem Anfang neben und breiter nach Paulus als Aussage über das Gesalbtsein des Gottesknechts, nämlich Christi, aber aus christologischen Deuteinteressen, nicht aufgrund einer Gesalbtenvorgabe in den benützten Textformen.

85 In den Passionsberichten der Evangelien spielt Jes 53 außer bei Lukas (Lk 22,37) keine verifizierbare Gestaltungsrolle (unverifizierbar auch der Lösungsversuch Wolffs, Jesaja 53, 78 u.ö., Jes 53 habe vornehmlich „in das einsame Gebet Jesu gehört"). Das läßt möglich scheinen, daß Lukas unter dem Prophetenverweis in Act 3,18 speziell an unseren Text dachte (vgl. etwa Schütz, Christus 102f nach 100). 86 Vgl. Fascher, Jesaja 53, 23. Eine Anspielung auf Hebr 9 ist möglich (s. Prigent, Justin 247). - Am wichtigsten scheint Opfermotivik übrigens der judenchristlichen Gemeinde geworden zu sein, aus der die Neuübersetzung des Symmachus hervorging. Diese liest nämlich v.10, soweit sich rekonstruieren läßt, wieder nach dem hebräischen Text und trägt vorab v.7 den Opferbegriff ein (s. Hegermann, Jesaja 53, bes.60). " Umfassendere Darstellung Justins bei Wolff a.a.O. 123-142. 88 Erste Hinweise neben der genannten Lit. bei Ruprecht, Auslegungsgeschichte 56ff.

Herausforderung durch griechisch-römische Vorstellungen

377

2.3 Die Herausforderung durch griechisch-römische Vorstellungen um Salbung zu Unsterblichkeit und Vergottung Die Begriffserörterung auf jüdischem Hintergrund ergibt, suchen wir sie knappst zusammenzufassen, ein Bild Christi, das an Gottnähe und Segenskraft alle Gesalbten der Vergangenheit und alle erhoffbaren Gesalbten eschatologischer Zukunft überbietet und das Gottesvolk als ganzes an sich bindet. Christi Gesalbtsein erfüllt sich im Zugleich von Hoheit und rettendem Tun, das sich in seinem Tod als Uberwindung allen Fluchs, als Heilsgeschehen „für uns", „für euch", „für alle" erweist. Dieses Geschehen drängt unter die Völker. Christos wird zum zentralen Missionsbegriff, erleichtert dadurch, daß es in seiner Anspruchstiefe nicht nur für jüdische, sondern auch für heidnische Ohren verständlich ist: Die „Völker" können in Christus (dem Gesalbten) eine Erfüllung der in ihren religiösen Salbungsbräuchen geäußerten Sehnsucht nach einzigartiger Verbundenheit mit der Gottheit, nach vollem Eintritt in den göttlichen Raum vernehmen. 1 Letzteres bedeutet freilich fürs frühe Christentum nicht nur Gewinn, sondern auch Herausforderung. Denn in der Linie der paganen Begriffsvorstellung liegt ein mythologischer Sprung: Der, an dem göttliche Salbung sich im vollen Sinne erfüllte, verließ die Menschlichkeit, wurde Gott und allein Gott von Natur, gesellte sich als neuer Gott dem Pantheon der alten Götter bei. Schon jüdisch begann die Auseinandersetzung damit. Das Christentum war danach gefordert, seine Auffassung von Jesus als Gesalbtem neben und, wo die Menschheit Jesu auf dem Spiel stand, gegen die Ausstrahlungen solcher Religiosität zu entfalten. Die salbungsbezogenen Voraussetzungen und Züge der Auseinandersetzung sind bislang noch kaum erschlossen. So kann das Folgende nicht mehr als einen begrenzten, durch genauere Studien zu überholenden Reflexionsversuch bilden.

2.3.1

Das pagane

Reflexionsfeld

Die Basis des Gedankengangs liegt in der alten, für ihre Anfänge bereits angesprochenen Vorstellung, auch zum Gottsein gehöre, sich zu salben.2 Im Rahmen der Götterwelt dient dazu gemäß dem jenseits aller Sterblichkeit liegenden Götterstatus Unsterblichkeits-, Lebensöl.

1 2

Vgl. soweit unter 2.2 und 2.1.3.3. S. unter 2.1.3.2.

378

Grundlegung

"Ελαιον αμβροτον, „unsterbliches Ο Γ , heißt das Göttersalböl ausdrücklich in Od. 8,364f, w o Homer besingt, wie Aphrodite sich nach dem Bade von Charitinnen mit ihm, das an ewigen Göttern schimmere, salben (χρίειν) ließ. 3 Salbungsvorgänge aus dem Vorstellungskreis zeigen umgebend die Kultvollzüge um die Wiederbelebung der Vergehen und Wiedererstehen darstellenden Gottheiten des Vorderen Orients. Babylonisch stoßen wir darauf bei Tammuz - in der Abfolge von Waschung mit reinem Wasser, Salbung mit feinem Öl und Bekleidung 4 - , ägyptisch für Osiris in wiederum wiederholt Wassermotive einbeziehenden, bis zur Zeitenwende (und nach dieser) wachsenden und sich verändernden Riten. 5 Aber Götter w e n d e n sich salbend auch auserwählten M e n s c h e n zu. Eine griechische Grundszene dafür ist Athenes Salbung der Penelope in Od. 18,190-194 (mit χρίειν), die diese - verbunden mit dem Beibringen unsterblicher Kleider und Ambrosienmotiv - vorübergehend der zum Tanz schreitenden Aphrodite Kythereia vergleichbar macht.' S c h o n bei H o m e r d r i n g t g r i e c h i s c h s o l c h e A u s z e i c h n u n g an d i e S c h w e l l e d e s T o d e s . A p o l l b e w a h r t d u r c h sie S a r p e d o n s L e i c h n a m v o r V e r w e s u n g (II. 1 6 , 6 7 0 . 6 8 0 ) , A p h r o d i t e d e n H e k t o r s (II. 2 3 , 1 8 6 ; s o w e i t die B e l e g e m i t χ ρ ί ε ι ν ) , T h e t i s s c h l i e ß l i c h d e n d e s P a t r o k l o s (II. 19,38 n a c h 32; m i t σ τ ά ζ ε ι ν [ b e t r ä u f e l n , b e g i e ß e n ] ) . 7 D a s T o d e s g e s c h i c k w i r d n i c h t v o l l ü b e r w u n d e n , a b e r ein ü b e r die m e n s c h l i c h e S t e r b l i c h k e i t h i n a u s f ü h r e n d e r R a n g d e r P e r s o n e n b e k u n d e t u n d gesichert, d e r sie mit der G ö t t e r w e l t in V e r b i n d u n g b r i n g t u n d e i n e n a b g e s t u f t e n , n ä m l i c h H e r o e n - K u l t f ü r sie e r m ö g l i c h t . 8 3 Umgebende Belege in den Homerkonkordanzen. Umfeldbeschreibungen finden sich bei Roscher, Ambrosia 39ff und Deonna, ΕΥΩΔΙΑ 170ff, bei Roscher a.a.O. (bes.40f mit Anm. 87) auch Belege für den bis zur Spätantike umgebenden Strang, die Götter-Ambrosia sei ein mehr oder minder dickflüssiges Ol, eine Salbe; ein dort noch nicht bekannter Beleg wäre Kore Kosmou 32,1, ed. Scott, Hermetica I 456,9f. 4 CTBT XV 47,47f, übersetzt bei Widengren, Baptism 578 (nach Laessoe). Bei der Ischtar-Belebung findet sich Lebensmotivik speziell ans Wasser (des Lebens) gebunden (CTBT XV 47,34.38), aber der Übertragung in eine Beschwörung Maqlü VII 35-37 nach verbindet sich auch mit dem Götteröl Lebensmotivik (Öl des Lebens): vgl. Widengren a.a.O. 579f und schon Daiches, Magic 4 (mit Quellenumschrift nach dem o. Anm. 129 zu 2.1.3.2 angegebenen Tallquist). 5 S. die Rekonstruktion der Stundenwachen nach den Inschriften von Dendera, Edfu und Philae (DAWW.PH 54, Wien 1910) in deutscher Übersetzung bei Günther Roeder, Urkunden zur Religion des Alten Ägypten, RSV, Jena 1915, 34-45 (bes. 2. und 4.-6. Tagesstunde), erweiternd über das Einbalsamierungsritual (nach Papyris des l.Jh. n.Chr.) Goyon, Rituels 21-84 (bes. 44,46). 6 Modellbildender wird die Überlieferung von Aphrodites Salbung des Adonis: s. das Epigramm der Nossis AGr VI 275 Z.4 (mit χρίειν; angeführt auch bei Lohmeyer, Wohlgeruch 13) und vgl. die unter 2.1.3.2 berichtete Kontrastierung bei Bion I 77f. 7 Vgl. Deonna a.a.O. 176. * Im Fall Hektors bestand der Heroenkult inclusive Standbildsalbung, wie unter 2.1.3.2 angesprochen, in Ilion noch z.Z. des Julian Apostata (ep. 79 Bidez, 19 Wright).

Herausforderung durch griechisch-römische Vorstellungen

379

Ein eigentümlicher Kontaktbereich zwischen Göttern und Menschen - oder gleichsam Halbgöttern - entsteht, den Pindar in der Vergottung des Aristaios fortführt (Pyth. 9,63ff; mit στάζειν). Erstmals bietet er griechisch die uneingeschränkte Erfolgsformulierung, der so mit Nektar zwischen den Lippen und mit Ambrosia 9 Beträufelte würde unsterblich (αθάνατος), zu einem Zeus und Apoll.10 „Athanasia" ist signalisiert, ein Motiv, das bei der Hellenisierung des Mittelmeerraums nach den Eroberungen Alexanders in Ägypten einen zusätzlichen Impuls erhält. Denn die Diadochen eignen sich dort die Vorstellung göttlichen Königtums an, und griechische Dichtung scheut sich nicht, dem mit Hilfe unserer Terminologie seine Reverenz zu erweisen. Theokrit huldigt eid. 15,106ff Arsinoe (der Frau des Ptolemaios Philadelphos von 276-270) durch einen Preisgesang an Kypris (Aphrodite): Diese habe Arsinoes Mutter Berenike unsterblich gemacht (άθανάταν άπό θνατάς), indem sie ihr Ambrosia auf die Brust träufelte. 11 Kallimachos überbietet das in seinem Epigramm auf die jüngere Berenike (seit 246 Frau des Ptolemaios Euergetes) AGr V 146 (145): Mit ihr (oder ihrem Kultbild), die (das), eben geformt, noch von Salben feucht sei (μύροισι νοτεΐ), gebe es nun vier Chariten. 12

Bis 200 v. Chr. erreicht die Vorstellung das Erinnerungsbild Homers, des einzigartigen Sängers. Ihn hätten - schreibt Alkaios von Messene im Epigramm AGr VII 1 - die Nereiden, als Knaben ihn auf los zu Tode betrübten, mit Nektar - eine neue Stoffvariante - gesalbt (νέκταρι έχρίσαντο Ζ.3) und begraben, was los zur glücklichsten aller Inseln mache.13 Noch zeigt sich die Stelle den griechisch-antiken Grabbräuchen verpflichtet, 14 aber vom menschlichen Vollzug springt sie zum göttlichen, repräsentiert durch die Nymphen. Der Schritt, Homer in einem Zwischenfeld zwischen Sterblichem und Unsterblichem eher als Unsterblichen zu preisen, wie ihn ohne Explikation von Salbungsmotivik jüngere Epigramme vollziehen, 15 ist nicht mehr weit. ' Der Etymologie nach „Unsterblichkeit". 10 Mit Nektar und Ambrosia erfolgte für Pindar auch die Vergottung des Tantalos, der sich dann freilich unendliche Strafe zuzog, weil er zum diebischen Mißbrauch dieser Substanzen der Unsterblichen schritt (Olymp. 1,61-65). 11 Text und erste Erläuterungen bei Beckby, Bukoliker 126f,451ff,456. Vgl. die Skizze der Vergottung Berenikes als Bewahrung vor dem Weg über den Acheron eid. 17,48ff. 12 Erste Hinweise zum Epigramm bei Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf, Die Textgeschichte der griechischen Bukoliker, Philologische Untersuchungen 18, Berlin 1906, 52f; zur zeitlichen Einordnung vgl. AGr Bd. I 676. 13 Das Epigramm blieb so lebendig, daß die Suda den Kern s.v. Χρΐσις aufnahm (ed. Adler I 826,22ff). 14 Skizziert unter 2.1.3.2. 15 AGr XVI 301 und Georg Kaibel, Epigrammata Graeca e lapidibus conlecta, Berlin 1878 Nr.l084c.

380

Grundlegung

Erweiternd dringt späthellenistisch-frühkaiserzeitlich Sehnsucht nach U n sterblichkeit, zumindest Gemeinschaft mit den Unsterblichen, tief in die Auseinandersetzung mit dem T o d . 1 ' Eine eigene Dimension stellt das von Salbungen durchzogene Einbalsamierungsritual Ägyptens dar. 17 Aber auch jenseits dessen findet man sich in den Jahrhunderten um die Zeitenwende verbreitet nicht mehr damit ab, nur Heroen der Vergangenheit zu haben: Man möchte auch eigenen Verstorbenen ein Leben im Götterbereich sichern. D i e Heroisierung der Toten greift um sich 18 und mit ihr eine neue Vertiefung von Salbungsbrauchtum. Bei den Salbgefäßen im Grab müssen wir nun verstärkt nicht nur mit einer Hinüberhilfe ins Reich des Todes, 1 9 sondern auch mit der Vorstellung rechnen, sie strahlten in sich einen D u f t göttlichen Friedens aus. 20 Immer wie-

16

Besonders plastisch formuliert am Anfang der christlichen Zeit auf einer Basis in Smyrna: Nr. 1765 in Griechische Vers-Inschriften, Hg. Werner Peek, I Grab-Epigramme, Berlin 1955. 17 Dessen Grundvorstellungen werden schon in den den Beerdigungs- und Mundöffnungsvorgang begleitenden Sprüchen des Papyrus des Ani (5./6. Dynastie) sichtbar, zum einen apotropäisch die Abwehr Sets (des Hauptfeinds Osiris') und von Unglück, zum anderen positiv die Eröffnung ungebrochenen Götterumgangs (Texte übersetzt zugänglich bei E.A. Wallis Budge, The Book of the Dead. [...], Library of the Magic Arts 24, New York I960, bes. Nr. XXVII-XXX der Beerdigungszeremonie - S.213f - und S.254f aus dem Mundöffnungsritual). Im ganzen können wir mit einer erheblichen Kontinuität bis in griechisch-römische Zeit rechnen (vgl. mit Beiziehung eines Pyramidenspruchs schon Lohmeyer a. a. O. 18). Die Hauptpapyri zum Balsamierungsritual stammen erst aus letzterer. TUAT II 3 (H. Sternberg-el-Hotabi) gibt übersetzt pBoulaq 3 wieder. In ihm verstärkt sich die Linie der Verbindung zu den Göttern, des Eingangs in deren Welt und der Belebung unter der Identität des Osiris gegenüber obigem Text (mit unserer Salbmotivik bes. 2,1-3,13;4,8-20;6,20-7,7;9,13-20). Der ganze Zusammenhang mit fließenden Übergängen zum Osiris- (s. o.) und Statuenkult (dazu vgl. etwa Otto am Anm. 63 zu 2.3 a.O. und Goyon a.a.O. 148-152) bedürfte freilich genauerer Aufarbeitung (umgebend Siegfried Morenz, Das Problem des Werdens zu Osiris in der griechisch-römischen Zeit Ägyptens, in: Religions en fegypte hellenistique et romaine. Colloque [...] 1967, Travaux du Centre d'fetudes sup. spec, d'histoire de religions de Strasbourg 5, Paris 1969, 75-91; was griechische Autoren angeht, verrät Diodorus Sic. 1,9Iff, näherhin 91,6 für die ägyptischen Salbvorgänge kein großes Verständnis; Lukian, luct. 21 ironisiert). 18 Erste Hinweise bei Rohde, Psyche II 360 innerhalb 348-362, jünger bei Hoffmann, Die Toten 52f (dort übrigens 50,53 auch Aufführung der Inschriften Peek Nr. 1765 und 1764 mit Ambrosiamotivik ohne Salbungsstichwort); knappste Bündelung gegenwärtigen Forschungsstands bei Bernhard Schmaltz, Griechische Grabreliefs, EdF 192, Darmstadt 1983, 246f; umgebend wichtig auch Baus, Kranz 125 u.ö. - An herausragenden Inschriften entnehme ich Ernst Pfuhl/Hans Möbius, Die ostgriechischen Grabreliefs, Textbände I/II par. Tafelbände VII, Mainz 1977/1979 nach dem Exkurs Heroisierung (I 47f) IG III 1460 (4jähriger als Familienheros in Athen; vgl. die Ernennung eines 9jährigen zum Gottheros in Rom Anfang 2. Jh. n.Chr. [M. Pallottino, BullCom 62, 1934, 58 Tafel 3] und τέκνφ θεφ in der Inschrift J.G.C. Anderson, JHS 19, 1899, 127) und Pfuhls/Möbius' Inschriften Nr. 447 (I 147: Frau als θεά; Kaiserzeit) und Nr. 2088 (Textband II 502, erste Kaiserzeit: Tote als Hekate). " Vgl. o. unter 2.1.3.2. 20 Ein Kölner Salbgefäß aus einem tunesischen Grab des 1. Jh. n.Chr. trägt so die emphatische Aufschrift, hier sei ΕΥΩΔΙΑ ΕΙΡΗΝΗ, „Wohlgeruch, Friede", wie er - in Konti-

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381

der erfolgen ergänzend an den Gräbern religiöse Handlungen, aus denen für unsere Frage die Salbungen an den Steinen/Stelen/Statuen herausragen. Begonnen mögen jene bei der Ehrung besonderer Toten haben - die jährliche Pompe zum Grabe der bei Plataiai Gefallenen (Plutarch, vit. Aristid. 21, mit χρίειν) ist das bekannteste Beispiel - , aber sie erhalten in der hellenistisch-kaiserzeitlichen Antike breiteren Raum 21 (lat. mit unguere 22 ). Auch frühe Ironie 23 und späterer rationalistischer Vorbehalt 24 bremsen sie lang nur begrenzt.

Damit ist der Rahmen geschaffen, um die griechisch-römischen Salbungslegenden um die Vergottung menschlich Geborener in ihrer Entwicklung bis zur neutestamentlichen Zeit zu verstehen. Deren älteste bietet der Demeter-Hymnus (Pseudo-)Homers (hymn. 2, im Kern 233-262): Demeter übernimmt die Erziehung des eleusinischen Königssohns Demophon mit dem Ziel, ihn zum Unsterblichen zu machen. Dazu salbt sie ihn mit Ambrosia (χρίεσκ' άμβροσίη) wie einen Gottesabkömmling (237) und legt ihn des Nachts ins Feuer, damit das Sterbliche an ihm verbrenne (239). Doch das Vorhaben scheitert. Denn die Mutter Metaneira entdeckt eines Nachts das Kind im Feuer und sieht nur Unheil (bes.248f), worauf Demeter den Knaben aus dem Feuer ziehen muß. 25 nuität oder Bezug zu besonders glücklichen, götternahen Stunden des Diesseits - das Jenseits des Elysiums, des Friedensbereichs der Götter, durchziehe (vgl. Dietmar Korzeniewski, Nugae Colonienses, Gym. 87, 1980, 254-261). Interessant ist auch, wie sich in der Inschrift CIG III 2, 6619 für ein verstorbenes Kind nach der Anrede an die unterirdischen Götter Salbmotivik in einer Dichte um Leben bündelt, die in den entscheidenden Zeilen sogar einen Ubergang in die Anrede des Kindes wie eines Lebenden durch den Vater erlaubt: Έν μύροις σου, τέκνον, ή ψυχή („in deinen Salben, Kind, birgt sich das Leben" Z.8-10; gegen die Editoren weist nichts am Text auf einen christlichen Bezug). 21 Grundhinweise und -belege bei Mayer, Öl 49f und Baus a.a.O. U9,128f; sowohl bei Opfern/Spenden am Grab als auch schon beim Weiheakt müssen wir demnach mit Salbungen rechnen. Ein ergänzendes, jubelndes Beispiel ist CIL 6, 9797 (Rom 2.Viertel 2. Jh.): Präsentisch stellt sich hier der Verstorbene vor und fordert auf, feiernd an seiner Statue zusammenzukommen und sie mit vielfältigem Schmuck sowie träge rinnender Salbe („unguento marcido") zu überhäufen; kein Wort fällt vom Tod. 22 So in der wohl auf jährliche Gedenkspiele zielenden Verfügung „ut statuam meam et uxoris meae tergeat et unguat et coronet [...]" in CIL 8, 9052, 13 aus Mauretania Caesariensis. 23 Vgl. Posidipp bei Athenäus, deipnosoph. X 414d.e (mit χρίειν). 24 Vgl. schon den Hinweis o. in Anm. 94 zu 2.1.3.2. Aus später Zeit (Rom 3./4. Jh.) sei das Epigramm Peek (s.o.) 1906 (Z.9) genannt. Übergreifend gehörten all die pessimistischen Aussagen, kein Toter stehe auf (z.B. Peek 1367) und niemanden verschone der Tod (allg. Hinweis bei Joseph Fischer, Studien zum Todesgedanken in der Alten Kirche [...] I, München 1954, 65, alt auch schon bei Carl Maria Kaufmann, Die Jenseitshoffnungen der Griechen und Römer nach den Sepulcralinschriften [...], Freiburg i.B. 1897, 61f), hierher. 25 Zur Diskussion um die Legende Carl Martin Edsman, Ignis Divinus. Le feu comme moyen de rajeunissement et d'immortalite: contes legendes mythes et rites, SVSL 34, Lund 1949, 224-229 und Burkert, Homo Necans 309; Feuerparallelen auch bei Allen/

382

Grundlegung

Das zeichnet den Blickwinkel der klassischen Antike vor: Die Vision der Salbung durch einen Gott bedeutet für einen Sterblichen kein Glück, denn nur ein Verblendeter setzt auf seine Vergottung. Wirkungsvoll bringt Herodot das V 124f in die Schilderung vom Ende des Polykrates ein. Als dieser, der gefährlich glücklichste unter den Menschen,26 seine Schicksalsreise zu Oroites von Magnesia plant, schaut seine Tochter im Traum, ihr Vater werde hoch in der Luft - also (scheinbar) erhoben über den Bereich der Sterblichen - von Zeus gewaschen und von Helios gesalbt (λοϋσθαι μεν ύπό τοϋ Διός, χρίεσθαι δε ύπό τοϋ 'Ηλίου 124,1). Das im Bereich der Götterbelebung und Götterpflege wichtige Wasser-/Waschungsmotiv 27 ist an die Stelle des Feuermotivs getreten, ansonsten die Grundstruktur göttlichen Herausgreifens aus den Irdischen wiederholt. Die Tochter versteht ihre Vision gleichwohl als drohendes Vorzeichen (124,2). Allein, Polykrates hört nicht auf sie und reist (nun 125). Schrecklich kehrt sich das Omen um in erniedrigendstes Todesgeschehen. Polykrates wird hingerichtet und (tot) ans Kreuz geschlagen. Dort wäscht ihn Zeus durch Regen und salbt ihn Helios im austretenden (Verwesungs-)Saft (125,4 mit genauer Wiederholung der Begriffe). Solche Umkehrung bremst die Expansionsmöglichkeit des Legendengrundrasters jedoch nicht. In hellenistischer Zeit erreicht es die AchillSage, dank dessen, daß es sich hier um einen homerischen Helden handelt, in Anlehung an den Demeter-Demophon-Mythos. Apollonios Rhodios, Argon. IV 869-873ff liefert die Grundformulierung: Thetis will Achill als Neugeborenen unsterblich machen. Nachts sucht sie daher sein sterbliches Fleisch in der Flamme zu zerstören (869f). Tags hinwiederum salbt sie mit Ambrosia (άμβροσίχ] χρίεσκε) seinen schwachen Körper, um ihn unsterblich zu machen (870ff). Nur die Abfolge Verbrennung - Salbung ist gegenüber der Demophon-Sage umgekehrt, und den Erfolg verhindert nun der Vater. Denn er - Peleus - kommt, nimmt sein Kind im Feuer zuckend wahr und reißt es heraus (873ff). Im 1. Jh. n. Chr. 2 8 n i m m t P s e u d o - A p o l l o d o r diese L e g e n d e n o c h e i n m a l mit ihrer g a n z e n M o t i v i k u n d w e i t e r h i n mit χ ρ ί ε ι ν in bibl. III 13,6 auf. 2 9

Den Sprung zum Gelingen erreichen wir genau um die Zeitenwende. Ansatzpunkt ist die um ein Verschwinden Aeneas' am oder besser im Halliday/Sikes, Homeric Hymns 157f. Auf den Sitz im Leben bei den Eleusinien wird in 2.3.3 zurückzukommen sein. 26 Eingefangen in der Sage um seinen Ring: Herodot III 40ff. 27 S.o. und vgl. schon die wiederholten Wasserlustrationsanführungen unter 2.1.3.2, zum übergreifenden Zusammenhang auch Eitrem am Anm. 91 zu 2.1.3 a . 0 . 9 9 , 1 6 2 f f . 28 Zur Datierung Heinrich Dörrie, Apollodoros 5, KP I 438f, hier 439. 29 Erster Hinweis bei Roscher a.a.O. 41.

Herausforderung durch griechisch-römische Vorstellungen

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Numicus kreisende Variante von dessen Lebensende, 30 die bis zum l.Jh. v.Chr. nach älterer Heroisierung 31 eine vergottende Steigerung erfahren hatte. Die verehrungswürdige W o g e des Numicus habe Aeneas als heimischen Gott („deum indigetem") gen Himmel entsandt, besingt so Tibull II 5, 43f.

Ovid, dem die göttlich-kathartische Kraft von Wasser auch anderweitig als wichtiges Darstellungsmittel zum Wegnehmen von Sterblichem dient (metam. XIII 950-955[ff]), 32 greift auf dieses Legendenstadium zur Schilderung seiner Aeneasmetamorphose metam. XIV (599.)600-608 zurück: Der als Gott vorgestellte 33 Fluß erhält von Venus nach Absprache mit Iuppiter und Iuno den Befehl, das an Aeneas Sterbliche abzuspülen und ins Meer wegzutragen (60 lf). Er vollzieht ihn durch seine Wasser als Akt besprengender, reinigender Entsühnung, die die „pars optima" des Aeneas wiederherstellt, die zuvor unter dessen Sterblichem („mortale") verborgen war, und so die Voraussetzung für die Gottheitsapplikation an ihn schafft (602ff). 34 Letztere vollzieht Venus. Als Aeneas entsühnt ist, salbt (ungere) sie - dem Mythos nach seine Mutter - ihn mit göttlichem Geruch und in der Aufstreichung einer Ambrosia-Nektar-Mischung auf seine Lippen „und macht ihn zum Gott" (605ff). 35 All dies ist hier literarisch, halb spielerisch formuliert. Doch zielt es, spielerisch wie ernsthaft zugleich, auf die Begründung aktueller religiöser Praxis. Auf diese hinlenkend, schließt Ovid den Abschnitt in 607f: Mit dem Namen Indiges nenne das Volk den Gott und ehre ihn mit Tempel und Altar. Aeneas erfährt einen vollen Gott-Kult als Indiges, genauer - wie aus Livius I 2,6 hervorgeht als Iuppiter Indiges. Die ihm applizierte Gottheit überwindet mit der Sterblichkeit auch den sterblichen Namen.

30

Grundform der Aeneassage wäre dessen Tod bzw. Verschwinden in der Schlacht (s. Werner Eisenhut, Aineias 1, KP I, 173ff, hier 174). 31 S. - distanziert - Dionysius Hal. 1, 64,4f. 32 Hinweis darauf schon bei Eitrem a. a. O. 99. 33 Hörnerschmuck (602) ist schon VIII 882 Götterattribut; zu den Flußgöttern allg. Nilsson, Geschichte I 236-240. 34 Ein voll ausformuliertes Lustrationsgeschehen: vgl. Börner, Metamorphosen (193-)194. Die in der Spätantike auch aufkommende Variante einer Unsterblichmachung durch Wasser (des Styx, des Lebens; vgl. ζ. B. Roscher a. a. O. 54f und Rohde a. a. Ο. II 390) berührt dagegen unseren Zusammenhang nicht. 35 Vgl. mit der Angabe des Materials nur als „sacrum medicamen" Phoebus' Bemühung um eine vergottende Bewahrung Phaetons vor seiner Vernichtung durchs (Sonnen-) Feuer in I 122f (mit contingere), dazu Börner a.a.O. 194.

384

Grundlegung

Die Hauptlegendenfolge schließt damit.36 Doch finden sich noch spätantik eigenwillige Abkömmlinge. So empört sich Arnobius (um 300), adv.nat. V 14 über die Attis-Agdistis-Legende in einer Gestalt, in der die Göttermutter die zerfetzten Glieder ihres Kindes aufgelesen, bedeckt, gewaschen und gesalbt habe, um sie vor der Todeszerstörung zu bewahren (mit ungere; CSEL 4, 187,Iff), und dies nicht ohne Erfolg. Denn Iuppiter versagt zwar eine volle Lebenswiederherstellung, läßt aber eine partielle zu (a.a.O. 187,9-17). Noch jünger ist die Salbungsvariante des Dionysosmythos belegt. Als Dionysos ( = Bakchos, Lyaios) in der Inderschlacht zu Tode verletzt ist, bittet Zeus so Nonnos (frühes 5. Jh.) - Hera, dessen Verfolgerin, von ihrem Zorn abzulassen (dion. 35,279-299ff) und seinen Leib mit ihrer Milch - eine neue, Mutterbeziehung evozierende (vgl. 302ff) Stoffvariante - zu salben (χρίειν), um ihn zu retten (306f). Hera kommt dem mehr gezwungen als freiwillig nach (ab 314) und vollzieht den Salbvorgang (318,320 mit περιχρίειν, χρίειν), zunehmend fasziniert davon, wie dieser neues Leben verleiht (zugespitzt 328 mit άναζωγρέω; vgl. 13,119).37 Die Legenden sind der markanteste Ausdruck für das Fortschreiten der antiken Reflexion von göttlicher Salbung zu Aussagen gegen die Sterblichkeit bis zu voller Vergottung. Herausforderung für Judentum und Christentum wird weniger ihre spezielle Form als die Gesamtlinie der Vorstellungsentwicklung. 38 2.3.2 Jüdische Abweisung

und

Antwort

Jüdisch stand die Vorstellung salbender Aufnahme Sterblicher in den Raum göttlicher Unsterblichkeit in Spannung zur Einzigkeit Jahwes und der Abweisung ewigen Lebens in Gen 3,22. So wundert nicht, daß die Quellen bis zur Zeitenwende die griechisch-römischen Spitzenaussagen mit ablehnendem Schweigen übergehen. D o c h dann wird die Herausforderung spürbar. Die der Tradition gemäßeste Antwort bietet die Entwicklung der Adamüberlieferung. Denn sie ist in der Grundstruktur durch Gen 3 gebunden. Nur Sehnsucht nach der Uberwindung von Todesbedrängnis kann Adam daher äußern, keine Erfüllung erfahren, wie die neu entwik-

36 Nicht verschwiegen sei, daß die Antike auch das Absinken eines Gottes aus seinem Götterstatus kennt. Dieses Geschick ist bis zur Zeitenwende Aristaios widerfahren (s. Hans v. Geisau, Aristaios 1, KP I 551f), und doch behauptet sich seine Heraushebung aus dem Sterblichen in wiederum für unseren Zusammenhang interessanter Weise: Als er sich für die Auseinandersetzung mit Proteus - Kernstück seines Mythos - rüsten muß, führt seine Mutter Kyrene laut Vergil, georg. 4,415-418 den als Flüssigkeit vorgestellten Ambrosiaduft in Umschreibung eines Salbvorgangs über seinen Körper, woraus er die Kraft zur Begegnung mit Proteus schöpft (vgl. Roscher a.a.O. 42). 37 Der unmittelbare Zusammenhang reicht bis 35,335. 38 Die eingebettet ist in den größeren unter 2.1.3.2 skizzierten Raum.

Herausforderung durch griechisch-römische Vorstellungen

385

kelte Adam-Set-Legende formuliert (ApkMos 9 - 1 3 par VitAd 36-41, jüdisch wohl 1. Jh. n.Chr.): 39 Als Adam von seiner tödlichen Krankheit erfaßt wird, schickt er Eva und Set in der H o f f n u n g zum Paradies, sie könnten dort das Erbarmen Gottes wecken und Öl vom Lebensbaum erhalten, mit dem gesalbt (άλείφειν ApkMos 9,3; 13,2 par) 40 er Ruhe finden würde vor seiner Krankheit. D o c h Gott versagt dies durch den Mund Michaels. Vor den letzten Tagen gibt es keine H o f f n u n g auf das Öl vom Lebensbaum (ApkMos 13,3 par). 41 Interessant ist, wie stark der Text schon die Bitte Adams zurücknimmt. Sie gilt explizit nicht ewigem Leben, sondern nur einer Heilung von der konkreten Krankheit. Damit knüpft Adam vordergründig an die Tradition heilender Salbung an, die wir als auch jüdisch akzeptabel kennenlernten. 42 Er bleibt in seinen menschlichen Grenzen. Daher ist er auch durch die Abweisung nicht überrascht, akzeptiert sie vielmehr als in Evas43 Schuld begründet (ApkMos 14ff par).44 Weniger ist die Henochüberlieferung durch biblische Vorgaben gebremst. Denn Gen 5,23f eröffnete für H e n o c h in altorientalischem Kontext die Vorstellung, er sei nicht gestorben, sondern entrückt worden. 45 In der älteren Entwicklung der Henochliteratur verbindet sich das noch nicht mit einer Salbung. Im Buch der Wächter (äthHen 1-36; bis frühes 2. Jh. v.Chr.)46 hat Henoch lediglich eine Vision des Lebensbaums, die seine Wißbegierde weckt (24,4ff; 25,2). Er erfährt, kein Sterblicher könne diesen einzigartig wohlriechenden Baum berühren. Im Gerichts- und Vollendungsgeschehen aber werde von seiner Frucht den Auserwählten das Leben erwachsen. Mit seinem Wohlgeruch in ihren Gebeinen - ein eschatologisch steigernder Reflex der Gebeinesalbungstradition 47 - würden sie dem Heiligen ohne menschliche Einschränkungen ver-

39 Zu den Einleitungsfragen Charlesworth, Pseudepigrapha and Modern Research 74f,273 und G. Vermes/M. Goodman in Schürer, History III 757-760. 40 Edition Nagel (bibl. in Anm. 152 zu 2.1.3). 41 Dann werde alles Fleisch auferstehen, fährt der Vers fort. Doch ist dies wahrscheinlich schon christliche Formulierung: s. den christologisch geprägten Paralleltext in VitAd 42. 42 S. unter 2.1.3.1 mit Anm. 33. 43 Wir befinden uns in dem um die Zeitenwende verbreiteten Strom der Schuldentlastung Adams, den Bianchi, Redemption 4f in seinen antifemininen Aspekten verfolgt. 44 Die Behandlung bei Quinn, Quest of Seth 24-27 erfolgt von Fragestellungen der mittelalterlichen Rezeption aus, was für ApkMos 13,lf zu einer Lektüre mit „Ol der Gnade" führt (nach der überholten Edition Tischendorfs). Nachfolgende Hinweise wie Reicke, Onction 55 führen freilich nicht über Quinn hinaus. 45 S. Westermann, Genesis I 484ff. 46 Zur Datierung Siegbert Uhlig, JSHRZ V 6, 1984, 506. 47 Vgl. o. unter 2.1.3.1 bei Anm. 44.

386

Grundlegung

bunden sein (25,4ff). 48 Henoch preist diese Erklärung als Verheißung (25,7). Daß sie ihm vorab zuteil würde, liegt außerhalb des Blicks.

Das Bild ändert sich bei der Expansion von Salbungsmotivik f ü r vergangenheitliche Gestalten im späten l . J h . n . C h r . Denn nun wagt slHen, die Erhöhung Henochs mit ihrer Hilfe zu beschreiben (22,8ff beide Rezensionen). Näherhin stammt das benützte Salböl dem Textzusammenhang nach von einem Paradiesesbaum bzw. Paradiesesstrom (8,5) und erhebt die Salbung Henoch in eine Doxa, die ihn aus allen Sterblichen und deren Bedürfnissen - etwa nach N a h r u n g - löse (56,2 beide Rezensionen). Doch bleibt wiederum eine Grenze gewahrt. Der Ol-Baum im Paradies (8,5 kürzere Rezension) - noch deutlicher der Paradiesesstrom der längeren Rezension - ist nicht identisch mit dem Baum des Lebens von Gen 2,9, sondern wächst bzw. entspringt nur neben ihm. So bleibt f ü r die Gesamtformulierung die jüdische SalbungErhöhungslinie ausschlaggebend. Ein Einfluß der paganen Vorstellung ist nicht auszumachen, wenn man nicht die Vorsicht der Annäherung an den Lebensbaum als absichernden Reflex werten will. 49 Der letzte Schritt der Erhöhung Henochs im hebrHen ist sodann durch die innere Dynamik der Henochüberlieferung und Drittimpulse bestimmt. Nun steigt Henoch (Metatron) tatsächlich zur Trägerschaft des Namens „kleiner Jahwe" auf (bes. 12,5), aber nur durch Bekleidung, Bekrönung und Benennung (12,1-5); Salbungsmotivik spielt keine Rolle. 50

Entscheidender Zeuge f ü r einen in der Antwort unmittelbar spürbaren Einfluß der ursprünglich nichtjüdisch-mittelmeerischen SalbungUnsterblichkeit-Verbindung wird JosAs. U m die Zeitenwende vergewissern die Autoren dieser Schrift sich und ihre Leser des richtigen H a n delns Josefs in seiner Heirat einer Ägypterin (nach Gen 41,45) 51 und darüber hinaus des besonderen Wertes der eigenen Religion oder stellen jene werbend der Umwelt vor. 52 Das Verhalten und Geschick Asenats, der gebürtigen Heidin, die zum Gottesvolk findet, dient als M o dell. Vom paganen Lebenszusammenhang mit seiner Durchdringung durch auf „Götzen" bezogene Salbungen muß sie sich abkehren. 5 3 Aber über ihrer Abkehr steht eine große Verheißung: Gottes Engel f ü h r t sie

18

Der Text in v.6 ist dabei schwierig, vielleicht an einer Stelle konjekturbedürftig. " Daher mußte die Grundbesprechung des Textes unter 2.2.2 erfolgen (dort auch Hinweis zu den Einleitungsfragen). 50 Dazu nach den Grundhinweisen Odebergs am Anm. 43 zu Ausblick 3 a.O.II 32f bes. Hengel, Sohn Gottes 73ff. 51 Vgl. Christoph Burchard, JSHRZ II 4, 1983, 579. 52 Zu den Einleitungsfragen samt Entscheidung über die benützte Textgrundlage o. unter 2.1.3.2 mit Anm. 168 und 2.2.3.1 mit Anm. 16. 53 S. unter 2.1.3.2 zu 8,5.

Herausforderung durch griechisch-römische Vorstellungen

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(c.14-17) ins Gottesvolk und verleiht ihr das unvergängliche Leben, zu dem Gott den Menschen eigentlich geschaffen hat.54 Eine Trias von Motiven kennzeichnet diesen Ubergang, Brot des Lebens, Kelch der Unsterblichkeit und Salbe der Unverweslichkeit. 55 Der Kelch der Unsterblichkeit kontrastiert zum Trankopferkelch heidnisch-religiösen Mahls (8,5).56 Das Brot des Lebens nimmt über den Widerspruch zum Brot der Erwürgung (8,5) hinaus heidnisch positiv besetzte Symbolik auf. Denn es erweist sich in 16 als Honigwabe, mit der sich nicht nur jüdisch Heilsassoziationen verbinden (seit Ex 3,8; in Verbindung mit Manna Ex 16,13), sondern ebenso heidnisch (vom Kennzeichen des goldenen Zeitalters bis zur Götterspeise). 57 Unser Salbmotiv schließlich artikuliert sich von vornherein mit dem Verb χρίειν (16,15 neben dem Nomen χρίσμα [αφθαρσίας]), das sich im vorangehenden Abschnitt als Hauptträger der paganen Aussagen um göttliche Zueignung den Tod überwindenden Lebens erwies.58 Bei aller religionsgeschichtlichen Öffnung wird trotzdem wieder die entscheidende Grenze gewahrt: Ein Vollzug der Salbung an Asenat findet durch den Engel nicht statt. Nur Speisung und Kelchgabe berichtet sie Josef in 19,5 als Taten des wie ein Mensch Erschienenen. 59 Das Gesalbtsein erhält sie dagegen lediglich als menschliche Handlung zugesagt. Die entscheidende Formulierung 16,16 geht, um dies auszudrücken, ins Medium κέχρισαι über. Nicht einmal ein Beibringen der Salbe durch den Engel ist berichtet (in der ganzen Kapitelfolge). 60 Damit erweist sich die Zielrichtung der Salbungsaussagen eingebettet in das Selbstverständnis des Judentums als gottgesalbtes Volk. Gesalbt 54 Vgl. schon Weish 2,23a; die Querlinie dorthin stellt namentlich Lindars, Joseph and Asenath 189 her. 55 Gesamtbelege 8,5.9;15,5;16,16;19,5;21,13f.21. Nicht an allen Stellen begegnet das Salbmotiv. 56 Die positive Deutung führt für Burchard (zuletzt Importance of Joseph and Aseneth, Erg. 117) in den jüdischen Umgang mit Trinken als Grundbestandteil menschlicher Existenz, für Lindars a.a.O. 187f in eine Symbolik jüdischer Religion. 57 S. exemplarisch aus zeitgenössischen Quellen einerseits Ovid, metam. I l l l f , andererseits Vergil, georg. 4,149ff, erweiternd die Hinweise bei Holtz, Joseph und Aseneth 484 Anm. 1 und Gerhard Schrot, Honig, KP II 1210f. Karl-Gustav Sandelin, Wisdom as Nourisher [...], AAAbo.H 64/3, Abo 1986, 15Iff deutet die Honigwabe aus jüdischem Weisheitsfeld als himmlische Speisung der Seele (156f). 58 Vgl. die sprachlichen Angaben in 2.3.1. Holtz' Annahme gnostischen Sekundäreinflusses an unseren Stellen (a. a. O. 489f) erübrigt sich. 59 Hier tritt JosAs in die angelophane Mensch-Erscheinungstradition ein, auf die unter 2.2.4.2 mit Anm. 323 hinzuweisen war. 60 Sofern die beiden weiteren Stellen mit Salbungsverb (8,5 Josef; 15,5 Asenat) passivisch statt medial zu deuten sind - worüber sich streiten läßt bekunden sie den nachfolgenden Schritt: Wer sich gesalbt hat mit der vorgestellten gesegneten Salbe, ist mit ihr und ihrer Unverweslichkeitsgabe gesalbt.

388

Grundlegung

z u sein, b e s a g t f ü r j e d e n , d e r z u d i e s e m V o l k k o m m t u n d in i h m lebt, nicht, u n s t e r b l i c h z u s e i n i m S i n n e h e i d n i s c h e r V e r g o t t u n g s h o f f n u n g , s o n d e r n u n s t e r b l i c h - u n v e r w e s l i c h e s L e b e n z u h a b e n in d e r G e g e n w a r t G o t t e s bei s e i n e m V o l k . 6 1

2.3.3

Die Herausforderung

fiirs

Christentum

Zwischen den berichteten griechisch-römischen Vergottungserzähl u n g e n u n d d e r alten J e s u s ü b e r l i e f e r u n g k l a f f t ein u n ü b e r b r ü c k b a r e r A b s t a n d : J e s u s w u r d e n i c h t d u r c h S a l b u n g v o n G o t t aus s e i n e m S t e r b e n h e r a u s g e r i s s e n w i e A e n e a s d u r c h V e n u s , u m w i e j e n e r als A b s c h l u ß sein e s W i r k e n s n a c h h ö h e r e m g ö t t l i c h e n R a t in e i n e G o t t h e i t n e u e n , die M e n s c h h e i t a u f l ö s e n d e n N a m e n s ü b e r f ü h r t z u w e r d e n . Er starb, u n d das am K r e u z , in d e r A s s o z i a t i o n s s p h ä r e d e r g r i e c h i s c h e n L e g e n d e n vergleichbar nur Polykrates, d e n am E n d e die sein Glück s c h e n k e n d e n Götter verließen. Als Torheit - Polykrates' Tochter würde noch stärker sagen: Verblendung stellt sich, von daher gesehen, christliche Verkündigung eines Gekreuzigten als Gesalbten für griechische Ohren dar. 1 Kor 1,23 erhält als griechisch-römisches Gegenüber nicht nur allgemein die dortige Wertung der Kreuzesstrafe griechisch bestenfalls Unheilsgeschehen am Gerechten - , sondern speziell die dortige Spannung der Kreuzigung zu religiös positiver Gesalbtenwertung. 62 D a r a u f w u r d e J e s u s b e g r a b e n als l e t z t e m e n s c h l i c h e H a n d l u n g a m T o t e n , aber w o h l g e m e r k t m e n s c h l i c h e H a n d l u n g u n d a m T o t e n . In 1 Kor 15,3b-5 wird seine Bestattung Bekenntnisgut mit unserem Gesalbtenprädikat: έτάφη erläutert, vertieft und bestärkt die vorangehende Grundaussage Χριστός άπέθανεν. 6 3

61 Hier schließt sich der Bogen zurück zur Textdeutung in 2.2.3.1 (neben der dort und hier bisher genannten Lit. vgl. noch Schnackenburg, Brot des Lebens 339). Auch wenn JosAs dabei partiell auf einen jüdischen Gemeindeeingliederungsritus zurückgreifen sollte (s. bes. Sänger, Joseph und Aseneth 179ff), läßt sich somit in diesem schwerlich eine kultische Realsalbung verankern (auch Sänger a.a.O. weist eine entsprechende Lücke auf). In der Salbungsfrage verrät der Text damit keine positive Berührung durch heidnische Mysterien, wie immer man sonst zum Mysterienbezug stehen mag (vergleichsweise positiv Lindars a.a.O. 188, pointiert kritisch Berner, Initiationsriten 171f nach 156-170). In der christlichen Rezeption scheint Josef typologisch auf Christus gedeutet worden zu sein (s. Holtz a. a. O. 494ff), womit sich auch hier christlich Gott- und Christuszugehörigkeit verbinden (vgl. umgebend am Ende von 2.2.3.1). " Zu 1 Kor 1,23 unter anderem Blickwinkel o. Anm. 58 zu 2.2.7; zur Auffassung der Kreuzesstrafe als Unheilsgeschehen am Gerechten führt griechisch Plato, polit. 2,361E362 (dazu Ernst Benz, Der gekreuzigte Gerechte bei Plato, im Neuen Testament und in der Alten Kirche, AAWLM.G 1950/12, 1037-1043 und Hengel, Mors 141f). " Ehrende Akzente schwingen mit, wenn man betont, Jesus blieb nicht unbestattet

Herausforderung durch griechisch-römische Vorstellungen

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Die Salbung Jesu, die im Lauf der Evangelienüberlieferung an den Anfang des Passionsberichts wuchs (Mk 14,3-9 par),64 schildert vertiefend keine Gottessalbung, sondern eine Salbung durch eine selbst von den Jüngern anfechtbare (s. w.4f par) Frau. Das Verb χρίειν meidet die Perikope zugunsten einer Umschreibung (v.3 par) bzw. von μυρίζειν (Mk 14,8) und άλείφειν (Joh 12,3). Was immer der Kern der Erzählung war," scheidet sie daher als Ätiologie des Christustitels aus. Allerdings blickt sie in dem bis zum Anfang der Passionsgeschichte erreichten Erzählstadium nicht ohne Querlinie zur Christosüberlieferung auf den T o d Jesu: Am Anfang seines Leidens erfährt Jesus eine, wie die Diskussion in Mk 14,4-7 par und danach 14,9 par zeigt, gänzlich außeralltägliche Auszeichnung. 6 6 Aber diese Auszeichnung weist, statt ihn der Sterblichkeit zu entheben, auf seinen Tod, näherhin seine letzte Auslieferung an die Todesmacht im Begräbnis. 67 Sachlich entsteht eine Parallele zum Wachstum der Χριστός άπεθανεν-Überlieferung um das Glied έτάφη. 68 Ungeschminkt hellenistisch deutet dabei Mk auf eine vorweggenommene Totensalbung (14,8). Joh 12,7 bleibt vorsichtiger, rich-

(weitergehend Rengstorf, Auferstehung 52). Läge Einfluß von Jes 53,9 vor (was bis Schräge, Korinther 31 diskutiert wird), schwänden sie. Beherrschend ist in jedem Fall die Vorstellung vom „Begräbnis als [...] endgültige Auslieferung an die Todesmacht" (Blank, Paulus 148; vgl. Schräge a.a.O. 30). Diese Auslieferung bildet erst den vollen Kontrast zur Auferweckung (nicht unwichtig für Pauli Folgeargumentation: vgl. Sellin, Auferstehung 253f nach 238). - Weiteres zu 1 Kor 15,3b-5 schon unter 2.2.7. 64 Dabei muß hier nicht entschieden werden, ob schon sehr früh (s. etwa Pesch, Salbung oder Mohr, Markus- und Johannespassion 145), in einem allmählichen Prozeß (s. z.B. März, Traditionsgeschichte 104 u.ö.) oder gar erst auf redaktioneller Ebene (so Schenk, Passionsbericht 175,273). 65 Eine durch die Bezüge zu Lk 7,36-50 zusätzlich verkomplizierte und kaum mehr entscheidbare Frage. Junger Vertreter der These, alle Salbungserzählungen der Evangelien gingen auf ein gemeinsames Geschehnis zurück, ist Holst, Anointing; aber seine Argumentation ist nicht zwingend. " In der vorhellenistischen Überlieferung, auf die in v.3 etwa das aramäische Lehnwort „pistike" (Pistazie/Behennuß) weist (s. Matthew Black, Die Muttersprache Jesu. Das Aramäische der Evangelien und der Apostelgeschichte, BWANT 115, Stuttgart usw. 1982, 223ff), scheidet die Deutung der Salbhandlung nach v.8b aus - das palästinische Judentum kannte nur eine Gebeinesalbung (s.o. unter 2.1.3.1 und 2.1.3.2) -, was auf alter Textebene zur Korrektur von Jeremias' wirkungsvoller Gesamtschau des Textes unter der Leitlinie Liebeswerk-Totenbestattung (Salbungsgeschichte passim) zwingt. Ärgerlicher freilich ist die Eintragung, Jesus sei „clearly being anointed as king" (bes. Elliott, Anointing 105,107): abgesehen von der langen historischen Lücke steht der Vollzug durch eine Frau in Distanz zu aller Königssalbungstradition (vgl. unter 2.1.1; nachneutestamentlich steigert sich die Würde des Salbers noch auf Elija, s. in Ausblick 3). " Damit ist die Überlieferungsebene erreicht, bis zu der o. Anm. 156 zu 2.1.3.2 führte. Auf dieser läßt sich, wenn man das Stichwort prophetisch weit faßt, „die Salbung als prophetische Handlung auf Jesu Tod hin" (Schnider, Christusverkündigung 175) verstehen. 68 Vgl. o. Anm. 63. Angesichts der nicht konsenshaft klärbaren überlieferungsgeschichtlichen Fragen muß offenbleiben, ob Querlinien auch in der Literaturbildung bestehen.

390

Grundlegung

tet das G e s c h e h e n n u r allgemein a u f d e n T a g des B e g r ä b n i s s e s h i n . " G e m e i n s a m ist beiden d e r A k z e n t g e g e n einen l e t z t e n B r u c h d e r G o t t e s b e z i e h u n g J e s u im T o d 7 0 u n d z u g l e i c h die A k z e p t a n z v o n J e s u A u s l i e f e r u n g an j e n e n . 7 1 Trotzdem

bleibt die H e r a u s f o r d e r u n g

durch den paganen

l u n g s k r e i s n i c h t a u s . J a , e s ist g u t m ö g l i c h , d a ß d e s s e n

Vorstel-

Spitzengedanke

einer die M e n s c h l i c h k e i t mit d e m T o d e s w e g ü b e r s p r i n g e n d e n

Vergot-

t u n g d e s G e s a l b t e n ( c h r i s t l i c h : C h r i s t i ) s c h o n in s p ä t n e u t e s t a m e n t l i c h e r Zeit für Christen

zur Versuchung

wurde.

Denn

der

1 Joh

bekämpft

eine damals neu aus d e r christlichen M i t t e heraustretende, z u v o r G e m e i n d e g e h ö r i g e u n d s i c h in e i g e n e r W e i s e n o c h a l s s o l c h e h e n d e G r u p p e (s. 2 , 1 9 ) . 7 2 W a s

d i e s e k e n n z e i c h n e t , ist d e m

Polemik n a c h eine A k z e p t a n z von C h r i s t o s - neben S o h n

zur

verste-

Gang

der

Gottes-Aus-

s a g e n o h n e R e l e v a n z d e s i r d i s c h e n J e s u s f ü r d e n G l a u b e n u n d in A u s blendung von dessen T o d . N u r der Gesalbte und Sohn Gottes, nicht Jesus g e h ö r t f ü r sie ins B e k e n n t n i s . D i e E n t s c h e i d u n g ü b e r l e t z t e r e n viel diskutierten, 7 3 h i e r speziell in d e r C h r i stuslinie z u v e r f o l g e n d e n P u n k t fällt mit 4 , 3 : W ä h r e n d die I n t e r p r e t a t i o n v o n 2 , 2 2 und 5,1 - d e m j o h a n n e i s c h e n B e k e n n t n i s n a c h sei J e s u s d e r C h r i s t u s 7 4 - s o w o h l eine B e t o n u n g v o n J e s u s wie v o n C h r i s t u s m ö g l i c h hält, ist d o r t eindeutig

" Ein Reflex einer stärkeren Vertrautheit mit der jüdischen Tradition: vgl. o. unter 2.1.3.2 a . a . O . 70 Grundgedanke salbender Handlungen um T o t e n und Begräbnis: s . o . unter 2.1.3.1/2. 71 Innerhalb dieses Rahmens bereitet im J o h die grammatische Konstruktion von 12,7 besondere Schwierigkeiten. Aber wie immer man deutet, bleibt die „prophetic preparation to Jesus' death" erhalten (mit Francis J . Moloney, T h e Johannine Son o f Man, BSRel, R o m 1976, 169ff, Zitat 170). Die besonderen johanneischen Erhöhungsakzente (12,32.34 usw.) heben das Todesgeschehen um Jesus nicht auf, das 19,34 nochmals eigenwillig betont (in eigener Weise läßt sich sogar von einer „theologia crucis" des J o h sprechen - s. Schnelle, Christologie 191). 72 S. etwa Bultmann, Johannesbriefe 41. In der neueren Forschung besteht bei allem sonstigen Dissens Gemeinsamkeit über den innergemeindlichen Ansatz der Gegner, wobei offenzulassen ist, wieweit sie sich schon institutionalisierten; der polemische Aorist in 2,19 verweigert hier positive Aussagen. Vgl. zur Diskussion - je mit Lit. - Müller, Christologie 53 und Wengst, Häresie 12f; zuletzt Strecker, Johannesbriefe 124 u . ö . 73 Diskussionsübersichten bei Müller a . a . O . 56ff und Wengst a . a . O . 15ff jeweils in den Anmerkungen. 74 Wobei offenbleiben muß, ob dieses Bekenntnis vom 1 J o h - A u t o r zur Stärkung seiner Position als geprägtes Taufbekenntnis aufgenommen wird: Müllers entsprechende Argumentation a. a. O . 54f bleibt für unser Christos-Prädikat unscharf, und die bei Havener, Credal Formulae 312 insgesamt zusammengestellten Belege zeigen außerhalb der johanneischen Literatur zunächst eine Verbindung mit ούτος, αύτός statt des Namens J e sus ( M t 16,20, aus dem Petrusbekenntnis herauswachsend; Act 9,22; 17,3; vgl. auch J o h 7,26). Hahn, Bekenntnisformeln 207 spricht nur allgemein von „Grundbekenntnis". Setzte die sich ζ. Z. des 1 J o h neu bildende Gruppe bewußt bei einer Bekenntnisfassung ohne Jesusnamen ein?

Herausforderung durch griechisch-römische Vorstellungen

391

formuliert, zu verwerfen sei, wer Jesus nicht b e k e n n e / 5 Zu verwerfen ist er als erfaßt vom Geist des Antichristen, welch letzteres schon 2,18.22 die Gegner charakterisiert. 76

Näherhin ist ihnen Jesus glaubensirrelevant, weil das ein Gekommensein nur „im Fleisch", als Mensch ist (gespiegelt 4,2 vor 4,3).77 Sie bekennen den Sohn Gottes, aber nicht sein Gekommensein im Blut. Daß der Gesalbte gekommen sei, bestimmt sich für sie nur in einem Durchgang durch Wasser (δι' ύδατος); daß Jesus als Gesalbter starb, blenden sie aus (impliziert in 5,6).78 Die letzte Gefahr, die der Autor darin drohen sieht, prägt sein letztes Wort 5,21: „Kinder, hütet euch vor den Götzen!" 79 Mit der Christusanschauung verbindet sich die besondere Weise des Selbstverständnisses der Kritisierten. Sie sehen sich nicht durch Sünde bestimmt, die einer Stellvertretung, Sühne, Segensüberwindung durch

" Einige Hss. und Kirchenväter bieten „wer Jesus auflöse" (λύει). Die Bezeugung ist zu schwach, um fürs Original erwogen zu werden (vgl. Strecker a.a.O. 213, gegen Wengst a.a.O. 17); sachlich wird die Position des Briefs verdeutlicht fortgeführt (antignostisch? Vgl. Blank, Irrlehrer 190). 76 Das schließt - mit dem Hauptstrom der Forschung - den Interpretationskreis aus, der durch die Gegner das Christus- als „Messias"-Bekenntnis in Frage gestellt sieht (Vertreter bei Wengst 15ff Anm. 11; Blank a.a.O. 189 formuliert zwar diesen nahe, vertritt aber eine eigene Position). 77 So die grammatisch sinnvollste Auflösung der Stelle: vgl. bes. de Jonge, Epistles 68f. 78 Zur Interpretation von 5,6 vgl. bes. Whitacre, Polemic 130f und Müller a.a.O. 58f. Eine volle Diastase irdischer Jesus - himmlischer Christus liegt bei den Gegnern demnach noch nicht vor, so gewiß sie sich bei der Ausklammerung des Todes (Blutes) Jesu aus dem Bekenntnis vorbereitet. Bis ins Philologische drückt der 1 Joh-Autor seinen Gegensatz, daß die Christos-Aussage gerade zum Tod/Blut Jesu gehöre, aus. Er bildet die Satzkonstruktion so, daß Christos nicht als Prädikatsnomen, sondern als Apposition zu Jesus tritt; nur als Titel - und Titelname - Jesu, nicht als gesonderte Bekenntnisgestalt läßt sich für ihn Christus ehren. Bei „Wasser" und „Blut" sind aufgrund der Präteritalstruktur zunächst biographische Jesusbezüge zu hören, beim Wasser die Taufe, beim Blut und der Verbindung der Motive (vgl. Joh 19,34) der Kreuzestod (vgl. z.B. Strecker a.a.O. 272 und Müller a.a.O. 58f). Venetz' Deutung als komplexiver Aorist, der einen ganz allgemeinen Bezug auf Jesu Kommen in seiner Heilsbedeutung ohne spezielle biographische Akzente herstelle (Wasser und Blut 347 u. ö.), überzeugt nicht voll. Zusätzliche sakramentale Assoziationen, die die Aussage für die christliche Heilszueignung öffneten, sind möglich (am kritischsten wieder Venetz a.a.O. 357f u.ö.; begründet offener Strecker a.a.O. 273; die Frage stellt sich für den Bezugstext Joh 19,34b analog [zu jenem etwa Schnelle, Christologie 229]). 79 Die Bedeutung dieses Schlußverses zum Verständnis des 1 Joh stellte Stegemann, Erwägungen heraus. Doch zog er zu weitgehende Schlüsse auf Apostasie unter Verfolgungsdruck (bes.288): eine Verfolgungssituation ist am Brief nicht zu verifizieren. Andererseits wird man die pagane Komponente im Begriff είδωλα nicht leichthin entwerten, sondern auch einbeziehen müssen, wenn man auf „Geister", „Phantome" in antidoketischem Sinn (so J.N. Suggit, 1 John 5:21: TEKNIA, ΦΥΛΑΞΕΤΕ ΕΑΥΤΑ ΑΠΟ ΤΩΝ ΕΙΔΩΛΩΝ, JThS.NS 36, 1985, 386-390) deutet.

392

Grundlegung

den für uns Gestorbenen 80 bedürfte (scharf kritisiert ab l,7/8), 81 sondern durch eine enge Verbindung zum Gesalbten, die sich wiederum in Salbungskoordinaten ausdrücken läßt. Sehr bemüht muß daher der Autor des 1 Joh seinen Leser versichern, sie hätten die aussagekräftige Salbung (2,20.27) - dem innerneutestamentlichen Entwicklungszusammenhang nach eine Deutung der Taufe 82 - , seien so dem im Text zugleich implizierten Salbungsanspruch der Sondergruppe nicht unterlegen. 83 Als noch schärfere Konterkarikatur lassen sich die Antichristaussagen ab 2,18 verstehen: den Gegnern wird ein eigener Salbungszusammenhang konzediert, aber der des Anti-Christus, den sie so als Erscheinungsgestalt, als viele Antichriste (Gegen-Gesalbte), repräsentieren. 84

Bei der Deutung des entstehenden Bildes wird man den polemischen Charakter der Aussagen des 1 Joh einbeziehen sowie das Heraustreten der Kritisierten aus angeeigneter christlicher Tradition (s. 2,19) berücksichtigen müssen. Weder einen vollen Ubertritt in die Gnosis 85 noch einen vollen Eintritt in eine Art Mysterienkult paganer Prägung 86 wird man daher schon unterstellen dürfen. Die einfachste Lösung ergibt sich, wenn man eine im qualitativen Sprung nicht nur Heiden-, sondern auch hellenistischen Judenchristen mögliche Zuspitzung überkomme80

Vgl. die Ausführungen zur Christus-für-Motivik o. unter 2.2.7. Näheres etwa bei Wengst a.a.O. 38ff und Blank a.a.O. 184ff. 82 Mit z.B. Strecker, Anfänge 41. Der Anfang der Tradition wird in 2 Kor 1,21 sichtbar (dazu erste Hinweise o. unter 2.2.3.1 mit Anm. 28). Gary M. Bürge, The Anointed Community. The Holy Spirit in the Johannine Tradition, Grand Rapids, Mich. 1987, 174 löst von der Taufe. 83 Besonders hervorgehoben von Wengst a.a.O. 48f; darauf, daß sich der Salbungsanspruch der Sondergruppe schon sakramental umgesetzt hätte, gibt es im Text kein Indiz. 84 Nur in der Ansage und Auseinandersetzung der johanneischen Briefe erscheint neutestamentlich der Antichristausdruck (nach 2,18 noch 2,22;4,3; 2 Joh 7). Er hat philologisch kein jüdisch-zeitgenössisches Äquivalent (in der Forschung gelegentlich überdeckt; vgl. etwa Bogart, Perfectionism 127 [u.ö.]), ist also christliche Bildung, näherhin wohl solche unserer neutestamentlichen Spätzeit (vgl. soweit unter Ausblick 3). Nach 2,18a entstand er als eschatologische Widersacherbezeichnung gegen Christus. Nach dem (auch unter Ausblick 3) Gesagten wird man eine mythische Füllung erst in einem zweiten Schritt annehmen können. Wieweit sie schon bis zum 1 Joh eingesetzt hat, scheint uns im Augenblick offenzulassen. Die Uberordnung des Singulars in 2,18 spricht dafür. Sein klar erkennbares Proprium erhält der Begriff im 1 Joh aber vom etwaig Mythologischen ins Geschichtliche zurückführend, in der Wendung gegen aus der Gemeinde hervorgegangene Gegner. In 2 Joh 7 allerdings kann das Gefälle andersherum liegen (Diskussion z.B. bei Strecker, Johannesbriefe 336ff). Erste Aufnahme danach ist Polyk 7,1a. 85 So eine nach Bultmann, Johannesbriefe 44 u.ö. sehr wirksame Forschungsposition. 86 So die Tendenz bei Painter, Opponents, Erg. 67, in Verbindung mit der These heidenchristlicher Neuprägung der johanneischen Gemeinde. Schon über letzteres besteht kein Forschungskonsens; als Alternative sei nur Weiß' Linie zu den 1 Kor-Gegnern als jüdisch-hellenistischer Gruppe genannt („Gnosis", Erg. 356). 81

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ner Christusauffassung nach Koordinaten der umgebenden Religionskultur annimmt: Der Gesalbte ist, in diesem Rahmen gedeutet, im Wasser von allem schlechteren menschlichen Teil befreit 87 und gehört als Gottessohn ganz zu Gottes Sphäre. Sterben im Vollsinn ist von ihm nicht aussagbar, weswegen Jesus, dessen Tod überliefert ist, kein religiöser Verehrungsgegenstand sein kann. Dem Gesalbten ist man jenseits des Todesbluts Jesu in der bei der Taufe angeeigneten Salbungssphäre verbunden. Ein eigenwilliges Drittes zwischen dem entstehenden kirchlichen Christentum und paganem Kult für eine durch göttliche Salbung neugeschaffene Gottheit bildet sich aus.88 Der Autor des 1 Joh erweist sich hier, wie immer man sonst die johanneische Schule einschätzen mag, als Wahrer des kirchlichen Erbes. Für ihn ist der Reflexionsschritt der neuentstandenen „christlichen" Gruppe keine Aufwertung, sondern eine Paganisierung Christi (5,21). Denn mit der Ausklammerung des Todes Jesu aus dem Christusbegriff geht nicht nur dessen Traditions-, sondern mit ihr seine Sachwurzel verloren: Nur und gerade im Durchgang durchs Todesgeschehen, in der vollen Auslieferung an dieses begründet und erweist sich die Segenssphäre Christi, die die Lebensfeindschaft des Todes in ihren Dimensionen moralischer, physischer und pneumatischer Trennung von Gott nicht ignoriert, sondern ernst nimmt und dadurch überwindet. Mit den Worten des 1 Joh gesagt: Gerade weil er als Jesus, durch Wasser und Blut Gekommener, zu bekennen ist, ist der Gesalbte der wahre - und wahrhaftige - Gott und ewiges Leben (ό αληθινός θεός και ζωή αιώνιος), 89 in90 dessen Segenssphäre wir uns befinden (5,20). Werfen wir von da einen Blick aufs Joh, so verbreitert sich die Position: Das Bekenntnis, das dem 1 Joh-Autor so wichtig ist - Jesus sei der Gesalbte, der Sohn Gottes - durchzusetzen, setzt es sich insgesamt als Ziel und bindet sich im Weg dazu an eine Niederschrift dessen, was Jesus als der Irdische an „Zeichen" getan habe (20,30f).91 Die erste Erwähnung des Gesalbtenprädikats bietet es,

87

S. die Bedeutung der Wassermotivik in den Mythen unter 2.3.1. Diese Position modifiziert auch die in jüngster Zeit stärkst vertretene Doketismusthese (vgl. z.B. Strecker, Johannesbriefe 133/137) 89 Gerade an dieser Stelle stoßen wir so auf eine, wenn nicht die Spitzenaussage zur Gottheit Christi im Neuen Testament. Zur Einordnung vgl. Strecker a.a.O. 310 und E. Stauffer, Art. θεός II 7, T h W N T III 105-107. 90 έν in Expansion der alten έν Χριστω-Tradition, zu der erste Hinweise o. in 2.2.3.1 mit Anm. 28 zu geben waren. 91 Nicht ganz auszuschließen ist, daß das Joh hier im Kern auf eine (Semeia-)Quelle zurückgriff (etwa Nicol, Semeia 39 u. ö.), doch wird deren Behauptung zunehmend problematisiert (s. bes. Schnelle, Christologie 168-182). Selbst bei ihrer Annahme bleibt die redaktionelle Stellung unserer Verse an den Abschluß des Evangeliums (Kap.21 ist nachträglich angefügt), durch die sie ihre nun gültige Ausrichtung erhalten. Zu den „Zeichen" des Gesalbten im Joh vgl. Ausblick 3 mit Anm. 57. 88

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die Enge der Beziehung betonend, als Apposition zu Jesus (1,17). Gnade und Wahrheit verbindet es mit Jesus, dem Gesalbten (1,17 nach 16), die Eröffnung einzigartiger, von niemand einholbarer Kunde von Gott, dem Vater (1,18). 92 Als Vorbereitung und Gegenüber dieser Sicht des Gesalbten als Träger und Künder (vgl. 4,25c.26b) theo-logisch strikt gefüllter Gnade und Wahrheit erscheinen nur mosaische Traditionen (ab 1,17). Aus dem alten Gottesvolk heraus weist Johannes (der Täufer) so auf den Gesalbten als nach ihm Kommenden, der ihm doch zugleich voraus sei (1,15 vor 26f). 9 3 Erfüller ist Jesus, der Gesalbte, daneben für die samaritanischen Hoffnungen, die H o f f n u n g e n der zweiten - wenn auch fürs Judentum häretisch - durchs mosaische Gesetz geprägten Religionsgruppe (Joh 4,25f). 94 D a ß es auch pagane Gesalbtentraditionen gibt, bleibt ausgespart. 95 Das Christentum begründet sich nur im Anschluß ans alte Gottesvolk, freilich auch im Joh schon zerbrechend. Denn zu dessen Zeit bilden Christentum und Judentum keine Religionseinheit mehr. Das Joh lastet einseitig die Schuld daran dem Judentum an, das beschlossen hätte, jeden, der Jesus als Gesalbten bekenne, aus der Synagoge auszuschließen (9,22; vgl.l2,42;16,2)." Zwei Erklärungen des Zusammenhangs mit dem 1 Joh sind möglich: Wenn das Joh vor letzterem geschrieben ist, spiegelt es eine begonnene Isolierung des Christentums von seinen jüdischen Wurzeln. 97 Der Schritt der 1 Joh-Gegner

92 Zur Interpretation der auch textkritisch schwierigen Verse (v.18!) s. die Kommentare und Michael Theobald, Die Fleischwerdung des Logos [...], NTA. NS 20, Münster 1988, 256-262. Der skizzierte Duktus entsteht durch Aufarbeitung rezipierten Materials durch den Evangelisten. Das Charis-Motiv schafft eine interessante Querlinie zu Paulus. 93 Vgl. o. unter 2.2.6 bis Anm. 60. 94 Eine theologisch bewußte Setzung des Evangelisten: s.o. unter 2.2.6 mit Anm. 12; zur Interpretation im Evangelium vgl. Teresa Okure, The Johannine Approach to Mission. A Contextual Study of John 4:1-42, W U N T II 31, Tübingen 1988, 120-127 (Lit.). Man beachte, wie auffällig (vgl. 2 Einführung) der Evangelist in Kap. 1 wie 4 den hebräisch-aramäischen Traditionsanschluß sogar durch Translitterierung von „Messias" herstellt (1,41;4,25). 95 Im Zusammenhang damit ist der Einsatz der neueren Forschung zum Christos-Titel des Joh beim Gedankenkreis der Werbung um hellenistische Juden zu verstehen (van Unnik, Purpose bes.389-395,410). Schon bald problematisiert - direkt missionarisches Interesse läßt sich am Joh schwer verifizieren (für unsere Frage in Auseinandersetzung mit van Unnik erarbeitet bei Schnackenburg, Messiasfrage, Erg. 264) - , wurde das dann nochmals für die Semeiaquelle erwogen (bei Nicol a.a.O. 77ff). 96 Mit Sicherheit ist diese Position stilisiert. Denn selbst wenn man - was schon problematisch ist - ab dem späten 1. Jh. mit einer Verdichtung jüdisch-christlichen Konflikts in die jüdische Formulierung der Birkat-ha-Minim (Euphemismus für „Verfluchung der sich Trennenden") rechnet, enthält diese doch in keiner Fassung das Stichwort Gesalbter (vgl. bes. Peter Schäfer, Die sogenannte Synode von Jabne. Zur Trennung von Juden und Christen im ersten/zweiten Jh. n.Chr.,Jud. 31, 1975, 54-61,116-124, hier 55-61 und Günter Stemberger, Die sogenannte „Synode von Jabne" und das frühe Christentum, Kairos 19, 1977, 14-21, hier 16-19 sowie in Auseinandersetzung mit diesen William Horbury, The Benediction of the Minim and Early Jewish-Christian Controversy, JThS 33, 1982, 19-61). 97 Am stärksten betont bei Wengst, Bedrängte Gemeinde bes. 48-61. Plausibel ist dann

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wäre dann die in solcher Isolierung mögliche Füllung der Christusauffassung mit den eine Gesalbtenwürde scheinbar am höchsten, nämlich übermenschlichgöttlich beschreibenden Traditionen ihrer paganen Umwelt. 9 8 Ist das Joh dagegen nach dem 1 Joh geschrieben, übernähme es die Aufgabe einer Entfaltung des gegen die neue Gruppe gesetzten Grundbekenntnisses, Jesus sei der Gesalbte, der Sohn Gottes." Die eine Brücke zu heidnischen Traditionen schlagende Position der 1 Joh-Gegner bliebe nicht als unbekannt, sondern als christlich wesensfremd ausgespart, die Suche nach Verankerung im alten Gottesvolk die indirekte Antwort. Die Erschwerung dieses Anschlusses dadurch, daß das nicht christlich gewordene Judentum nicht aus der Vielfalt und Gewichtigkeit seiner Gesalbtenvorstellungen 100 zum Christus-Gesalbten-Bekenntnis schritt, wäre (mit) der Anlaß für die Polemik des Joh. 101 Eine Entscheidung zwischen den Erklärungsmöglichkeiten ist beim gegenwärtigen Forschungsstand nicht vornehmbar, wie wir uns bei der Einschätzung der johanneischen Entwicklung überhaupt in einem sehr unsicheren Forschungsfeld befinden. 1 0 2 W a s aus der i m 1 J o h kritisierten G r u p p e g e w o r d e n ist, w i s s e n w i r nicht. A b e r die H e r a u s f o r d e r u n g b e s c h r ä n k t s i c h n i c h t auf sie. Ignatius e n t d e c k t aus a n t i o c h e n i s c h e m B l i c k w i n k e l 1 0 3 bei s e i n e r D u r c h r e i s e d u r c h K l e i n a s i e n e i n e breitere „Hairesis", die die „christliche Speise" verlasse ( I g n T r a l l 6,1). D i e u n s i n t e r e s s i e r e n d e n Z ü g e t r e t e n a m d e u t lichsten in s e i n e m Brief an die S m y r n ä e r hervor: D i e „ u n g l ä u b i g G e w o r d e n e n " ( I g n S m 2) l e h n e n A u s s a g e n ü b e r ein reales L e i d e n Jesu, d e s G e s a l b t e n ( B e g r i f f v o r a n g e s t e l l t in 1,1), ab. N u r z u m S c h e i n h a b e er g e die These, das Christusverständnis des Joh habe eben in der Ablösung vom Judentum seine spezifisch johanneische Füllung als Gott offenbarender Sohn Gottes erfahren (vgl. bes. Moloney, Christ). 98 Ein größerer heidenchristlicher Zustrom könnte das gefördert haben, ist aber nicht zwingend (zu Painter, Opponents 49). " Vgl., von Strecker angeregt, Schnelle a.a.O. 251 vor 256f (ohne spezielle Behandlung der Implikationen von Christos = Gesalbter). 100 Wie sie o. unter 2.2 darzustellen war. 101 Das wäre dann die Linie, in der der Syntheseversuch Sabugals (ΧΡΙΣΤΟΣ passim; vgl. unter 1.1.3 mit Anm. 172) zu präzisieren und differenzieren wäre. Eine besondere Pointe entstünde 7,42: das Joh wäre selbst in der doppelten Abwehr nicht bereit, der irdischen Herkunft Jesu theologisch größeres Gewicht zu geben (vgl. Anm. 105 zu Ausblick 3 nach Anm. 244 zu Ausblick 2). 102 Von einem Konsens kann bekanntlich bei keiner der literarischen und religionsgeschichtlichen Fragen der johanneischen Schriften gesprochen werden. Selbst eine gnostische Grundschrift im Joh ist noch debattabel (s. Wolfgang Langbrandtner, Weltferner Gott oder Gott der Liebe. Der Ketzerstreit in der johanneischen Kirche [...], BET 6, Frankfurt/Main 1977, ohne Eruierungen zum Christosprädikat). Eine Spezialuntersuchung zu unserem Prädikat in der johanneischen Literatur - nach dem paulinischen Kreis der breiteste Begriffsträger -, die in theologischer Differenzierung die vorhandene Lit. (neben der genannten noch etwa die Beiträge de Jonges [s. Literaturverzeichnis] sowie MacRea, Messiah 176ff) aufnähme und zu religionsgeschichtlich konsensfähigen Entscheidungen weiterführte, übersteigt das im Rahmen vorliegender Arbeit Mögliche. 103 Betont von Donahue, Ignatius 81f,88ff.

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litten, meinen sie (2),104 habe überhaupt keinen Leib im strengen, Sterblichkeit einschließenden Sinn getragen (impliziert in 5,2). In die von ihm konstituierte Heilssphäre läßt man sich verweben (IgnTrall 6,2) als Gewebe asomatischer Existenz, erhält so schon in der Körperlichkeit Erhabenheit über den Tod wie die leiblosen Geister („Daimones"; IgnSm 2 vor 3). Über diese Grundzüge hinaus ist die Gegnerschaft der Ignatianen schwierig in ein einheitliches Bild zu bringen. Anderweitig bestimmen judaisierende Tendenzen die Auseinandersetzung (bes. IgnPhld). Ignatius kann demnach zwei verschiedene Positionen oder eine sehr komplexe, sich von Gemeinde zu Gemeinde verschiebende Strömung vor Augen gehabt haben. 105 Christos ist zwar ein, aber nicht der einzige Schlüsselbegriff in unserer Auseinandersetzung. Gleichfalls eine hohe Rolle spielt das Kyriosprädikat. 106 D e m nach vollzieht sich die Entwicklung eingebettet in ein größeres Feld. Das Christosprädikat darf (auch im 1 Joh) nicht als ihr Auslöser überschätzt werden, bleibt jedoch Paradigma und Movens der Artikulationen. 107 104

An dieser Stelle begegnet das Stichwort δοκεΐν, das namengebend für die uns hier interessierenden Gruppen als doketisch wurde. Die Doketismusforschung ist durch die Variationsbreite der möglichen „Schein"-Aussagen und die Vielfalt der betroffenen Gruppen freilich in keiner glücklichen Lage (zum Forschungsstand Schnelle, Christologie 76-80[ff]; Peter Weigandt, Der Doketismus im Urchristentum und in der theologischen Entwicklung des zweiten Jahrhunderts, Diss. Heidelberg 1961 wurde mir nicht zugänglich). 105 Zur Diskussion s. bes. Donahue a. a. Ο. (eher zwei „Häresien" als eine: 80), Barrett, Judaizers (Zusammenhänge zwischen den Strömungen: bes. 239) und Hammond Bammel, Ignatian Problems 8Iff (nicht ganz getrennte Tendenzen). 106 S. für die ignatianische Auseinandersetzung IgnSm 5,2. Praktisch allein beherrscht das Kyriosprädikat im EvPetr das Feld, das Jürgen Denker, Die theologiegeschichtliche Stellung des Petrusevangeliums. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des Doketismus, Diss. Kiel 1972 (Diss.-Druck) als doketisch mit Beziehungen zu den Ign-Gegnern (126-130) behandelt, vorab als Hintergrund allerdings ganz auf judenchristliche Traditionen setzt (102-118). 107 Das zeigt sich noch bes. in der altkirchlichen Verketzerung Kerinths als Spitzenrepräsentant der Christus von Jesus trennenden Strömung. Bis Wengst, Häresie 24-34 reißen die Versuche nicht ab, Querlinien zwischen ihm und den 1 Joh-Gegnern historisch herzustellen. Doch sprechen die kaum aushaltbaren Spannungen in der Kerinth-Uberlieferung - o. in Ausblick 3 mit Anm. 122 begegnete er schon als (angeblicher) Vertreter jubelnd-messianischen Chiliasmus - eher dafür, daß er der Großkirche zur Einspiegelung aller Häresien Kleinasiens diente (vgl. Klijn/Reinink, Jewish Christian Sects 18f). Das macht sein Bild nicht minder interessant, zeigt es dann doch am konsequentesten die kirchlichen Häresiebefürchtungen. Für unsere Frage artikulieren sie sich mit „Christos": Christos, schreibt Epiphanius, pan. 28,1 (vgl. auch Irenäus, adv.haer. I 26,1), sei laut Kerinth auf Jesus in Gestalt der Taube bei der Taufe herabgekommen, habe ihm - und durch ihn weiter - die Offenbarung des unbekannten Vaters vermittelt (1,5) und die Machttaten vollbracht (1,6). Vor dem Leiden habe er Jesus in der Taubengestalt wieder verlassen (l,6f). Summa summarum sei der von „oben" kommende Christus eigentlich nicht Jesus (1,7). Die Fortentwicklung urchristlicher Überlieferung unter der Voraussetzung, der Gesalbte gehöre ganz das Menschliche sprengend zur Gottessphäre, ist bis zu

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Ob historische Zusammenhänge zwischen den im 1 Joh und bei Ign kritisierten Gruppen bestehen, muß offenbleiben. 108 Ignatius sieht sich in seinem Christusverständnis aber nicht minder als der 1 Joh-Autor herausgefordert. Wer nicht an das Blut Christi glaube, warnt er IgnSm 6,1 in äußerster Schärfe, über den komme das Gericht, und sei er selbst eine himmlische Macht. Denn gerade in Jesu, des Gesalbten, Leiden begründe sich wahres Leben und unsere Auferstehung (IgnSm 5,3 in Verbindung mit IgnTrall 9,2). Wer den Tod ignoriere, verabreiche dagegen nur tödliches Gift, das nichts bringe als Sterben (IgnTrall 6,2). So ergibt sich: Jesus, der Gesalbte, ist sehr wohl als Gott zu verherrlichen (ό θεός IgnSm 1,1), aber weil er litt, wirklich litt, damit wir gerettet würden (ebd. 1,2). Leben haben wir so, weil Jesus, der Gesalbte, der Herr, im Tod wahrhaftiges Leben ist (έν θανάτφ ζωή αληθινή IgnEph 7,2). 109 U m der christologisch begründeten Heilsaussage willen scheut Ignatius, wie die letztgenannte Stelle zeigt, nicht das logische Paradox. Auch seine Rezeption von Mk 14,3-9 par spitzt er bewußt darauf zu. D e n n bei ihm (IgnEph 17,1) ist es nicht mehr die Frau, sondern der Herr selbst, der die in den evangelischen Erzählungen - wie besprochen - auf seinen T o d weisende Salbe auf sein Haupt nimmt, 110 nun pointiert, „damit er der Kirche Unvergänglichkeit zuwehe". 111 Lebensgeschichtlich relevant wird seine Christologie für Ignatius im W e g zum Martyrium in fast beängstigender Konsequenz. D e n n aus Jesu, des Gesalbten, Uberwindung des Todes im Leiden schöpft er nicht nur die Kraft, sondern eigener Mythenbildung geschritten. - Aus der Diskussion seien im übrigen noch Blank, Irrlehrer 174ff und Skarsaune, Proof 407ff genannt. 108 Auch Müller, Christologie 63f beschränkt sich auf die theologische Verwandtschaft. 10 ' Zu den Grundstrukturen der Lebens-Christologie des Ignatius Meinhold, Christologie 49ff; Paulsen, Ignatius 169-187 und Wehr, Unsterblichkeit 106-127. Freilich haben Implikationen und Verwendung speziell unseres Christusprädikats noch kein herausragendes Interesse gefunden. - Bemerkenswert ist das hohe Maß, in dem Ignatius geprägte Gemeindeüberlieferungen über das Geschick Jesu (des Gesalbten, des Herrn) in den Abwehrpassagen aufnimmt. Das Grundglaubensgut seiner Gemeinde dient ihm demnach vorab zur antihäretischen Argumentation (vgl. Elze, Untersuchungen mit den Schlußfolgerungen 60ff; Deichgräber, Gotteshymnus 155ff benützt diese Studie nicht). 110 Aufgrund Kopfsalbung- und Myronhinweis ist der Bezug auf Mk 14,3 par zwingend. 111 Deren Glieder dürfen sich deshalb, so der Nachsatz, nicht „im üblen Geruch der Lehre des Archonten dieses Äons salben" (άλείφειν); die Abwehr führt unsere Salbungsmotivik in eine dualistische Spannung. - Einseitig vertieft Ignatius in IgnEph 9,1: In der Skizze des Kreuzes Jesu, des Gesalbten, als Hebewerk, das die Christen in die Höhe des Baues Gottes ziehe, akzentuiert er nur den Erhebungs-, nicht mehr den Fluchaspekt des Kreuzes. Als Schritt auf die Gnosis zu wird man dies nur vorsichtig werten dürfen, da die neu gefundenen Nag Hammadi-Schriften das Kreuz-Hebewerk-Bild der Stichwortlücke im Nag-Hammadi-Register nach nicht belegen (zu Schlier, Untersuchungen zu den Ignatiusbriefen 110-124, bes. 122), aber ein gewisses Einstimmen in die religionsgeschichtlich umgebende Suche nach einer Verankerung „oben" ist unleugbar (zur Diskussion noch Kuhn, Gekreuzigter 18f).

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die S e h n s u c h t , N a c h a h m e r seiner Leiden z u w e r d e n u n d s o e n d g ü l t i g ihn z u f i n d e n , der f ü r ihn starb ( I g n R ö m 6). 1 1 2

Springen wir, um weitere Aspekte zu erschließen, zwei Generationen weiter. Das Christentum hat sich ausgebreitet, ist zugleich Gegenstand paganer Ablehnung und Spottes wie christlich werbender Verteidigung geworden. Letztere überwindet Berührungsängste vor einer Aufnahme von Traditionen und Anliegen der paganen Adressaten. Keinen Affront löst so bei Theophilus von Antiochien, Autol. 1 1 2 die in seiner Umwelt geläufige Verspottung der Christen als Gesalbte im Sinne von „Eingeschmierte" aus, sondern Impulse der Argumentation: Eingeschmiert zu sein, sei schon technisch sinnvoll - bei der Teerung von Schiffen etc. - , setzt er ein. Mehr noch, steigert er, allgemein anerkannt sei es eine Grundlage der antiken Religionskultur (!) mit ihren vielfältigen Salbungsvorgängen. 113 Im Ziel gar, schließt er, nehme es das Anliegen aller menschlichen Salbungssehnsucht auf; denn „willst du nicht mit dem Ol (eines) 114 Gottes gesalbt werden (σύ δέ ού βουλει χρισθήναι ελαιον θεοΰ)?" 115 Das Anliegen der Adressaten stellt die Frage, das Christentum gibt die Antwort: „Wir Christen tragen sogar unseren Namen danach, daß wir mit dem Öl Gottes gesalbt werden (οτι χριόμεθα ελαιον θεοϋ)." Darin bieten wir - so darf man ergänzen - die Erfüllung der menschlichen Sehnsucht. Interessant ist an dieser Stelle eine Erweiterung des religionsgeschichtlichen Feldes. Nicht erst an der Schwelle des Todes, sondern schon im Leben setzt nämlich in einigen Religionsbereichen der Spätantike die Bemühung um Sicherung der erhofften künftigen Eingliederung in die unsterbliche Göttersphäre ein. Dreimal im Jahr kann man gibt so der große Pariser Zauberpapyrus 116 an - salbend (χρίων) unter Begleitung magischer Worte einen άπαθανατισμός (Todentfernungszauber) vornehmen (PGrM IV 744-748 und Kontext). Mysteriencharakter trägt dieses Geschehen laut dem Papyrus, 117 umgesetzt in den Bereich der Magie. 118 Wie steht es dann mit den Mysterien selbst? Durch deren besonderen 112

Vgl. Paulsen a.a.O. 180-187 (z.St.l86f). Soweit war der Text unter Ausblick 1 mit Anm. 192 und in Anm. 205 zu 2.1.3.3 zu besprechen. 114 Man beachte den geschickten Einsatz der Artikellosigkeit. 115 Vgl. die religionsgeschichtlichen Sehnsuchtsbeschreibungen unter 2.3.1. 116 Niederschrift älteren Materials im frühen 4. Jh.; vgl. Preisendanz in PGrM Bd. I S. 64. 117 Ein Myste ist laut 744 der Handlungsträger; das Stichwort Mysterion fällt ein Stück vorher 723. 118 Vgl. Gaffron, Studien 141. Zur Magie gehört, daß sich die Wirkkraft des Zaubers bei Nichtbefolgung verliert (748ff). 115

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Charakter ist unsere Kenntnis begrenzt, und man wird nicht einfach in die Lücken Salbungsvorstellungen eintragen dürfen. Trotzdem bleiben bemerkenswerte Zusammenhänge: Demeter-Demophon-, Attis-Agdistis- und Dionysos-Mythos, die mit ihren Salbungsaspekten im ersten Abschnitt dieses Kapitels zu berichten waren, spielen in der Spätantike nicht nur als Legenden eine Rolle. Ersterer hat vielmehr seinen wichtigsten Sitz im Leben bei den Mysterien von Eleusis. D a ß d o r t sein Feuerritus n a c h g e a h m t w u r d e , läßt sich a u f g r u n d eines überk o m m e n e n R e l i e f s n a c h w e i s e n . 1 1 9 U b e r Salbriten h a b e n wir k e i n e n Beleg, s o g e w i ß ihr V o l l z u g als K o m p l e m e n t naheliegt. 1 2 0

Desgleichen finden Attis und Dionysos zur Kaiserzeit an Mysterien grenzende Kulte. Freilich b l e i b e n diese n e b e n d e n ö f f e n t l i c h e n , jeweils r a u s c h h a f t e n K u l t ä u ß e r u n g e n s c h w e r erkennbar. O b S a l b u n g s v o l l z ü g e in d e n D i o n y s o s m y s t e r i e n e i n e R o l l e spielten, läßt sich nicht ersehen. 1 2 1 A u c h f ü r d e n Attiskult 1 2 2 gibt es leider in d e n p a g a n e n Q u e l l e n e i n e Lücke.

Die pagane Religionslage ergibt in jedem Fall einen lebendigen religiösen Uberlieferungsort für Salbung-Vergottungs-Mythen. Ergänzen wir die christliche Konterkarikatur bei Firmicus Maternus, err.prof.rel. 22 (CSEL 2, l l l f ) , so erweist sich, daß es örtlich auch zu entsprechenden Vollzügen kam. In einer Nacht, schildert Firmicus 22,1, werde zunächst das Götterbild auf eine Tragbahre gelegt und wie ein zu Tode Gekommener betrauert. Dann werde Licht - Symbol der Gottesgegenwart und Gottesbegegnung 123 - hereingebracht. Vom Priester würden die Kehlen aller, die bis dahin weinten, gesalbt („a sacerdote omnium qui flebant fauces unguentur [Variante: unguntur]") und nach der Salbung kultisch gedämpft die deutenden Worte gesprochen: „Seid guten Muts, Mysten des geretteten Gottes (του θεοΰ σεσωσμένου), denn es 119 S. Burkert, H o m o Necans 309f unter Berufung auf das Relief Sammlung Este, Wien 1095. 120 Bemerkenswert ist immerhin aus alter Zeit das bei Nilsson, Geschichte I Tafel 45,2 (nach anderen) abgebildete Relief aus Eleusis (5. Jh. v.Chr.; Lit. a.a.O. 663 Anm. 5): Eine eleusinische Göttin hält eine Schale über einen nackten, kleineren Menschen (Triptolemos?). Die traditionelle Deutung auf einen Besprengungs-, „Tauf"-Ritus (auch Nilsson a.a.O.) ist inzwischen in Frage gestellt (s. Berner, Initiationsriten 15), die Alternative einer Anzeige göttlicher Salbung noch nicht erwogen worden. - Zu den Eleusismysterien ergänzend Wedderburn, Baptism 318ff u.ö. 121 Zu den Problemen der Dionysosmysterien etwa Berner a.a.O. 117-121 und Wedderburn a. a. O. 320-326. Hinweise auf Salbungsvollzüge beim öffentlichen Dionysoskult unter 2.1.3.2. 122 Am eingehendsten für die Kaiserzeit gewürdigt durch Jerome Carcopino, Aspects mystiques de la Rome pai'enne, Paris 1942, 49-171; Stand der Erforschung bei Wedderburn a.a.O. 327-330 u.ö. 123 Vgl. die Hinweise zur Lichtsymbolik unter 2.1.3.2 (bei Anm. 99f).

400

Grundlegung

wird 124 für euch (Variante: für uns) Rettung aus den Leiden (έκ πόνων σωτηρία) geben!" In 22,3 trägt Firmicus Kultdetails u m e i n e Z u s a m m e n s e t z u n g eines z u v o r z e r s t ü c k e l t e n G ö t t e r b i l d s nach. Sie p a s s e n nicht z u m V o r g a n g n a c h 22,1, w o das G ö t t e r b i l d bei der K l a g e u n z e r s t ü c k e l t auf e i n e r Bahre liegt. D e m n a c h bringt Firmicus v e r s c h i e d e n e K u l t m o t i v e z u s a m m e n . D i e S u m m a u m g e b e n d e r R e t t u n g s k u l t e e i n z u f a n g e n , ist i h m wichtiger, als e i n e n e i n z e l n e n v o n i h n e n präzis z u z e i c h n e n . 1 2 5

Nun ist Firmicus Maternus ein Christ des 4. Jh., so daß man fragen kann, wieweit seine Darstellung auch auf frühere Zeit zutrifft. Nicht nur die Dauer der Kulte spricht dafür, sondern auch die Selbstverständlichkeit, mit der Clemens Alexandrinus lang vor Firmicus an deren Sehnsüchte samt Salbungszügen anknüpft. In einer Theophilus noch überbietenden Souveränität stellt er nämlich protrept. 12,120(—121,1; GCS Clemens I 84f) das Christentum werbend als wahrhafte, heilige Mysterien (Begriff 120,1.2) vor. Als Bakchosfeste skizziert er seine Mysterien, in denen man den Reigen 126 in Überbietung alles Irdisch-Dionysischen mit den Engeln um Gott tanze (120,2). In ihnen wird gewährt, was den Sterblichen sonst versagt bleibt, die Frucht der Unsterblichkeit. Jesus, der Logos Gottes, der Gesalbte (!), der Sohn, lädt dazu ein, daß die Angeredeten ihm ähnlich würden (120,3-4). An ihn geht, dies unterstreichend, die Einladungsrede über, die 120,5 in der Zusage gipfelt: „Ich werde euch salben mit dem Ol des Glaubens, durch das ihr das Vergängliche ablegt" (χρίσω ύμάς τφ πίστεως άλείμματι, δι' οδ την φθοράν αποβάλλετε). Diese Heilszusage sei das Joch von Mt ll,28ff, das χρηστός, Repräsentanz von Gottes Güte und im Itazismus zugleich Christos, Jesus als Leben gebender Gesalbter, ist (120,5 Abschluß). 127 Für Clemens gibt es angesichts dessen nur das eine, hinzueilen, dieses Joch auf sich zu nehmen und im Streben nach der Unvergänglichkeit den Gesalbten als Lenker zu lieben (121,1). Souverän ist ein christliches Gegenüber zu den paganen Vergot124 Das Futur - es geht um eine Verbürgung der Hoffnung auf zukünftiges Leben, nicht volle Lebenswandlung in der Gegenwart - betont bes. Wedderburn (a. a. O. 330 und Soteriology 60). 125 Hier löst sich die Schwierigkeit, Firmicus' Beschreibung einem bestimmten Kult zuzuordnen: Die stärksten Einflüsse lassen sich vom Osiriskult ausmachen (s. schon Simon, fetude 202ff), aber auch derjenige des Attis läßt sich gut assoziieren (zuletzt verfochten von Cosi, Aspetti bes.498). Mit dem Motiv der Rettung aus den Mühen klingt zusätzlich neupythagoreische Theosophie an (Hinweis bei Wedderburn, Baptism 208, der - ebd. und Soteriology 59f - den Osirisbezug favorisiert). 126 Das Gegenüber wäre der Askoliasmos, auf den mit seinen Salbungselementen unter 2.1.3.2 (bei Anm. 125) einzugehen war. 127 Das Itazismusumfeld war unter 1.2.5.1 zu erschließen (erster Hinweis z. St. dort Anm. 151).

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tungsvorstellungen formuliert: Der Gesalbte erfüllt die paganen H o f f nungen, aber in neuer Begründung und Entfaltung. Denn er trägt die Güte des einen, einzigen Gottes, die dessen Unvergänglichkeit 128 zum Heil werden läßt, in die Menschheit hinein und teilt sie als sein leichtes, sein Güte-Christus-Joch mit. Vor aller Problemanzeige an eine solch offene Position, die pagane Kulte mit dem Vorbehalt lediglich, daß sie ihr Ziel noch nicht selbst kennten, fast zu positiven Wegweisern werden läßt, muß man die Lebenskraft der Christus-Leben-Güte-Vorstellung in ihrer Epoche bedenken. In die vielleicht eindrucksvollste Gestalt faßt sie die schon einmal gestreifte 12 ' Katakombeninschrift Εύψύχι, Μουσενα Ίρηνη, ή σή ψυχή αθάνατος παρά Χρηστφ „lebe wohl, Musena Irene" - wie auch die Umwelt dem Verstorbenen Lebewohl sagt,130 aber im vollsten Sinn des Wortes „lebe wohl" genommen -, „denn dein Leben (deine Seele) ist unsterblich bei Christus, der die Güte Gottes (Chrestos) ist."

Der Befund verkompliziert sich, wenn wir die Gnosis des 2. und 3. Jh. einbeziehen. Harnack prägte die Auffassung, deren Christologie bestimme „die Unterscheidung zwischen Jesus und Christus, resp. die Lehre, dass der Erlöser als Erlöser nicht Mensch gewesen ist."131 Als Idealstruktur ergäbe sich daraus für unseren Titel die Auffassung, der Erlöser gehöre als Gesalbter ganz zu Gottes Sphäre jenseits menschlicher Natur und teile durch Salbung die Erlösung mit. Am stärksten nähert sich dieser Idealstruktur das EvPhil. Dort heißt es im log.95, Christus trage seinen Namen nach der Salbung, mit der ihn der Vater salbte. Er, der Sohn, salbte sodann die Apostel, und die Apostel salbten uns. In dieser Salbungsfolge aber besitze, wer gesalbt sei, alles (oder das All), Auferstehung, Licht, Kreuz, Heiligen Geist ( N H C II 3, 74,15-21). Auf seine Weise ist das durchaus eine Antwort auf die paganen Anliegen der Zeit. Doch dürfen die Wurzeln der Formulierung weniger dort gesucht werden als in einer Radikalisierung christlicher Vorstellungen, wie sie in 2 Kor 1,21 und 1 Joh 2,20.27 gemeinkirchlich begannen. 132 Entsprechend beanspruchen die Träger des EvPhil, Christen zu sein in Überbietung des umgebenden Christentums: Nennten dessen Glieder sich Christianoi, Gesalbtenbezogene, so könne sich, wer sich die Salbung im vollen Sinne personal aneigne, direkt Gesalbter (wie der Christus) nennen (log.67 = 67,19-27). 133

128 Im Text um der Adressaten willen wieder im Anschluß an griechische Tradition formuliert: vgl. zu 120,2 Plato, Tim. 52 A. 129 Text nach Simon a.a.O. 194; vgl. o. unter 1.2.5.1. 130 S. Liddell-Scott s.v. II. 131 Harnack, Dogmengeschichte I 286 Anm. 1; wirksam bis Rudolph, Gnosis 178. 132 S. Gaffron, Untersuchungen 140 bis (zu unserem Text) 149f. 133 Vgl. o. unter 1.2.5.2. Einzuordnen ist dies im 2. Jh. mit seinen noch nicht streng fixierten Ubergängen zwischen Großkirche und gnostisierenden Gruppen (beim EvPhil

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Wieweit sich speziell diese Auffassung ausbreitete, ist schwierig zu sagen. Denn eine alle gnostischen Gruppen übergreifende Einheit der Gedanken um Salbung/Gesalbter (Christus)/Salbungs- und Gesalbtenteilgabe an die Gnostiker gibt es nicht,134 so groß die Rolle von realen wie übertragen aufgefaßten Salbungsvorgängen bei ihnen ist. L e t z t e r e n ist hier nicht speziell n a c h z u g e h e n . 1 3 5 A m vielleicht d e u t l i c h s t e n w i r d die E i n b e t t u n g in d e n u m g e b e n d e n r e l i g i o n s k u l t u r e l l e n R a u m in d e r A u f f a s s u n g der bei Irenäus, adv.haer. 1 2 1 b e s c h r i e b e n e n G n o s t i k e r ( w o h l M a r k o sier), die S a l b u n g der V o l l e n d e t e n bilde d e n ü b e r i r d i s c h e n W o h l g e r u c h g ö t t l i cher Sphäre ab (21,3). 1 3 6 P a r a d i g m a der R e z e p t i o n j ü d i s c h e r T r a d i t i o n w ä r e die A u f n a h m e der L e b e n s b a u m - S a l b u n g s v o r s t e l l u n g , in der m a n die A d a m in der jüdischen U b e r l i e f e r u n g 1 3 7 g e s e t z t e G r e n z e aus der Ü b e r z e u g u n g überspringt, wirklich am L e b e n s ö l Anteil z u erhalten. 1 3 8 H i n g e w i e s e n sei weiter, d a ß in d e n

Valentinianern): s. Koschorke, N a m e n 318f nach 315ff, erweiternd zur Einschätzung der großkirchlichen Christen im EvPhil ders., Polemik 187ff. 134 Das erweist spätestens der Fund von N a g Hammadi: Die Aussagen über die „onction du fils" sind, wie Sevrin, dossier 41-45 herausstellt, nicht einmal in den Schriften identisch, die sie am deutlichsten formulieren. Neben dem beschriebenen EvPhil sind das das A p o k r j o h ( N H C II 1 par), das seine Akzente auf eine Reflexion der itazistischen Güte-Implikation von Gesalbt-/Gesalbter-Sein legt (s.o. unter 1.2.5.1), und das Evangelium Veritatis ( N H C I 3 par), das (I 3) 36,13-39 den N a m e n Christi nur zitiert, um die Weitergabe seiner Salbung, nicht um sein eigenes Gesalbtsein zu explizieren (zur Diskussion Orbe, uncion 100,108f und - mit dem Bemühen, eine nichtgnostische Verbindung zu Auffassungen bes. des Joh herzustellen - Arai, Christologie 108ff vor 120ff). 135

S. an Lit. neben der genannten Rudolph, Gnosis 244f,246ff,253. Zum T e x t zuletzt A r n o l d - D ö b e n , Bildersprache 87. Die von Irenäus a . a . O . zuvor zitierte Vollendungsformel stellt die Verbindung zum „Messia [ . . . ] Iesu Nazaria" her. Insgesamt bedürfte die etwaige Beeinflussung gnostischer Salbungsvorstellungen durch pagane Umfelder vertiefter Untersuchung. Nach G a f f r o n s vorsichtigen Anstößen (a. a. O . 140ff) verfolgte bislang Berner, Initiationsriten 122-155 Querlinien zwischen Gnosis und Mysterien. Seine besondere Aufmerksamkeit galt der Naassenerpredigt (eingeschmolzen in Hippolyt, ref. V 6,3-11,1 [bei unklarer Abgrenzung: Berner a . a . O . 295 Anm. 54]), in der er - wie sonst in der Gnosis - umprägende Interpretation paganer Anregungen fand. Die f ü r uns entscheidende Salbungsstelle „am dritten T o r " (a. a. O . 9,22) weist allerdings nicht auf einen Mysterienheros, sondern auf David zurück. Nach Josef Frickel, Hellenistische Erlösung in christlicher Deutung. Die gnostische Naassenerschrift [...], N a g H a m m a d i Studies 19, Leiden 1984, 148ff nach 132 gehört sie zur jüngeren christlich-gnostischen Aneignungsschicht eines ursprünglichen Attistextes. Der aneignende „ P n e u m a Gnostiker" d ü r f t e dabei antikirchliche Polemik spiegeln: N u r die Gnostiker sind wirklich Christen, da ihnen die Salbung nach dem T y p o s Davids lebenslanges Pneuma verleiht, während die großkirchlichen Christen nur wie Saul, d.h. begrenzt, aus irdenem G e f ä ß gesalbt würden. So zeigt unsere Stelle eine Reflexionsentfernung von paganem Gut, ein erneutes Zeugnis f ü r die Vielfalt in der Gnosis. 136

137

S. unter 2.3.2. A r n o l d - D ö b e n a . a . O . 141 behandelt hier (nach G a f f r o n a . a . O . 153f) EvPhil log.92 ( = N H C II 3, 73,15-19) und Vom Ursprung der Welt N H C II 5, l l l , 3 f f . Aber auch der Hinweis Celsus', bei „Kirchen"- Gliedern werde eine Siegelungshandlung vollzogen, in der der Gesiegelte („Sohn") nach der Siegelung durch den „Vater" antworte 138

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ActThom ein Christusbezug bei den Salbungsangaben zwar nicht durchweg, aber gewichtig in 27 (Bonnet p.142) und 132 (p.239f) entsteht. 139 Interessant ist schließlich die Flavia Sophe-Inschrift aus Rom. 1 4 0 Sophe sei - deutet ihr Mann ihren T o d - , unter Waschungen gesalbt mit dem unvergänglichen Salböl des Gesalbten/Christi (λουτροΐς χρεισαμένη χ[ριστο]ϋ μύρον αφθιτον Z.3f), geeilt, zu schauen göttliche Gesichter der Äonen (αιώνων εσπευσας άθρισαι θεία πρόσωπα Z.5f). Die Rückseite ergänzt (mit anderer Hand), dies habe sie herausgehoben aus dem gemeinen Lebensende; da sie starb und doch lebe, lebe sie den Lebenden, starb sie nur für die Sterblichen (ζώει μεν ζωοϊσι, θάνεν δέ θανοΟσιν Z.5f). Christi Salbungsgabe geht auf in einer Lebensetzung, die die Entschärfung des Todes sucht und die Hereinnahme in die Gottheitssphäre der Äonen, eine eigenwillige Mischung christologischer, gnostischer und der paganen Umwelt naher Vorstellungen. 141

Überhaupt wäre falsch, 142 einen grundsätzlichen gnostischen Unterschied Christos = Erlöser versus Jesus = Sterblicher aufzubauen. Denn semantisches Bewußtsein der Antike gilt auch für den Namen Jesus, und dieser bedeutet gerade „die Erlösung", wie unser EvPhil im log.47 (62,13f) formuliert. So kann sich die gnostische Unterscheidung Erlöser/dem Leiden unterworfener Mensch, 143 was die Titelnamen angeht, verschieden äußern. Mit Hervorhebung des Gesalbtenprädikats bringt der Zweite Logos des großen Set ( N H C VII 2) eine besondere Nuance ein: Er bietet die gnostische Auffassung, der Erlöser habe nicht wirklich gelitten, sondern nur „ihr Mensch", „Ich bin gesalbt mit weißer Salbe vom Baum des Lebens" (von Origenes, c. Celsum VI 27 als ihm kirchlich und selbst kirchlich-häretisch unbekannt abgewiesen), könnte hierher gehören. Eine eigenwillige judenchristliche Variante bieten die Ps-Clem Ree I 45(ff): Der Vater habe Christus Jesus am Anfang von allem mit Ol vom Holz des Lebens gesalbt. Wegen dieser Salbung wurde er Christus genannt und salbte Fromme mit ähnlichem Ol, damit sie (einst) mit Unsterblichkeit beschenkt würden (ed. Rehm II 34, bes.22-29). Die großkirchliche Rezeptionsweise schließlich zeigt die Ergänzung in VitAd 42 (ed. Wilhelm Meyer, Vita Adae et Evae, München 1879, 65): Gottes Sohn salbt mit dem Öl der Barmherzigkeit die, die glauben, und bei der Auferstehung wird er Adam zum Paradies mit dem Baum des Erbarmens führen, so zuletzt doch dessen Tod überwinden (vgl. Nikodemusevangelium 3 [20]). 139 A.F.J. Klijn, The Acts of Thomas [...], NT.S 5, Leiden 1962 (z. St. 21 Iff,2870 sucht die ActThom allerdings etwas von der Gnosis zu lösen. 140 In der Edition bei Kaibel (s.o. Anm. 15) Nr.726 auf 3./4.Jh. datiert; gegenwärtig gültige Edition mit Möglichkeit etwas früherer Ansetzung bei A. Ferrua, Questioni di epigrafia eretica romana, RivAC 21, 1944/45, 165-221, hier 186 innerhalb 176-193. 141 Der bei IgnEph 17,1 bemerkte Gegensatz (vgl. o. Anm. 111) ist letztlich aufgehoben. In der Forschung wird die Inschrift vor allem im Blick auf die Gnosis analysiert. Quispel, inscription bes. 65-68 versucht durch Verbindung mit Irenaus, adv.haer. I 21,5 und Hippolyt, ref. VI 41 ein gnostisches Sterbesakrament zu erschließen. 142 Wie schon Harnack a. a. O. nicht an der Scheidung der Namen, sondern der Naturen Erlöser vs. Mensch lag. 143 Vgl. Irenäus, adv.haer. III 17,4.

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Grundlegung

d e n die M e n s c h e n ans K r e u z n a g e l t e n ( 5 5 , 1 5 - 3 5 ) , kontrastiert u . a . mit d e r Lächerlichkeit S a l o m o s , der sich fälschlich f ü r e i n e n G e s a l b t e n g e h a l t e n h a b e ( 6 3 , 1 2 f f ) . E r l ö s e r - O f f e n b a r u n g s g e s t a l t ist dabei z u l e t z t laut 69,20f im d o p p e l ten T i t e l n a m e n Jesus, der Gesalbte. 1 4 4

In der Petrusapokalypse (NHC VII 3) kommt es gar zur Abwertung Christi um Jesu willen: Am Kreuze lache „der lebendige Jesus", werde doch allein sein irrelevant Fleischliches angenagelt (81,15-20). Den Gesalbten überlasse man denen, die den Namen eines Toten verkündigten und damit in ihrem Glauben auf einen Namen der Täuschung hereinfielen (74,8.13-17). 14 ' Gegenbildlich scheint auf, was Kern und Konstituens der u r - und nachfolgend großkirchlichen Christosüberlieferung ausmacht: Der Gesalbte starb, und dies, die Annahme der Menschheit bis zum Tod, nicht deren Verlassen, konstituiert für die Hauptlinie des Christentums nach dem Neuen Testament die für die christliche Rettung ausschlaggebende Segenssphäre. Mit wenigen Strichen läßt sich nun zum Abschluß kommen: Im 4. Jh. setzt sich die Großkirche gegen Gnosis und Mysterien durch. N u r die g l e i c h s a m letzte Kritik bietet s o der zitierte Firmicus M a t e r n u s , err. prof.rel. 22 an d e n k o n k u r r i e r e n d e n M y s t e r i e n . D i e G r u n d s t r u k t u r seiner A r g u m e n t a t i o n trägt das g r o ß k i r c h l i c h e Erbe fort: D i e R e t t u n g s v e r h e i ß u n g der M y s t e r i e n bietet k e i n e R e t t u n g , s o n d e r n T o d , weil die M y s t e r i e n g o t t h e i t e n d e n T o d nicht w i r k l i c h durchlitten u n d a u f e r s t e h e n d ü b e r w a n d e n (22,2). Freilich löst n u n g e g e n ü b e r C l e m e n s P o l e m i k die W e r b u n g ab. 1 4 6

Endgültig schwindet mit der Durchsetzung des Christentums als Staatsreligion die pagane Herausforderung, die die dichtest mögliche Aussage, Jesus, der Gesalbte, sei gesalbter Gott, soweit ich sehen kann, in der ganzen Alten Kirche verhinderte, da sie dem Mißverständnis paganisierend-vergottender Preisgabe der Menschheit Jesu Raum gege-

144 Bemerkenswert läßt die Schrift trotz der Distanz zur kirchlichen Auffassung Christus auch Christus der Kirchenchristen sein (51,20ff); dazu Koschorke, Polemik 192. 145 Zum Text und seiner Einordnung Koschorke a. a. O. bes. 37ff. 146 Für diese scheinen 1 Joh und Ignatius die Bausteine geliefert zu haben. Denn die kritisierten Mysterienanhänger werden 22,4 (CSEL 2, 112,18f) mit dem Antichristverdikt des ersteren belegt, gesteigert dadurch, daß sie statt Antigesalbte (1 Joh 2,18) direkt Gesalbte („christi") des Teufel-Antichristen heißen. Ihre Salbe ist frei nach IgnTrall 6,2 vergiftete Salbe, die Trauer und Verderben bringt (ebd. Z.20ff). Ziel ist zwar zuletzt wie bei Clemens die positive Überbietung durch die Salbe Christi, die wirkliche Uberwindung des Todes bringe (23,1), aber der bittere T o n ist neu. Vielleicht darf man mit aller gebotenen Vorsicht das Gegenstück an Bitterkeit bei Julian (Apostata), Gal. 106 C D hören: Nach christlicher Auffassung habe Gott neben vielem anderen das Chrisma allein den Juden gegeben (seil, der christlich von den Juden ererbten Tradition); doch wenn er - nach Paulus (106 B) - Gott von Juden und Heiden sei, warum habe er dann uns (Heiden) so vernachlässigt?

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ben hätte. 147 Nach der Dogmatisierung des spannungsvollen, christlich auszuhaltenden Zugleichs wahrer Gottheit und wahrer Menschheit des einen und selben Herrn Jesu, des Gesalbten, 148 wird großkirchlich formulierbar: „Ecce deus unctus a deo" („siehe, gesalbter Gott von Gott"; Isidor von Sevilla, fid.cath. III 2). 149

147 Auch die Diskussion um Irenäus hat ergeben, daß die dortigen christologischen Salbungsaussagen (adv.haer. III 18,3 u.ö.; epid.47 [SC 62,107]) nicht der Gottheit, sondern der Menschheit des Sohnes und dessen Tun gelten (s. Jaschke, Irenäus 213-216 mit bes. Anm. 25; Orbe, uncion 501-541 ist somit ungenau). 148 Im Chalcedonense; daß wir in diesem semantisches Titel-Namen-Bewußtsein voraussetzen müssen, war am Ende von 1.2.2 zu zeigen (dort Quellenangabe). 14 ' Zitat lat. und ahd. in Der althochdeutsche Isidor [...], ed. Hans Eggers, Tübingen 1964; nach der Ed. Henchs fällt es in Abschnitt 5. Die Formel wird Eggers III 1, Hench 4 aus christlicher Rezeption des seit Hebr l,8f (vgl. o. in Ausblick 3) christologisch zentralen Ps 45,7f entwickelt. Die althochdeutsche Ubersetzung ist bei kleinen Feinheiten (vgl. Kurt Ostberg, The Old High German Isidor in its Relationship to the Extern Manuscripts [...] of Isidoras, De Fide Catholica, Göppinger Arbeiten zur Germanistik 203, Göppingen 1979, 184-186) korrekt (übrigens älter als die überkommenen lat. Hss.). Wieweit sie im Mittelalter ein semantisches Bewußtsein Christus = Gesalbter unter solcher Hoheitssicht aufrechterhielt, bedürfte gesonderter Untersuchung (zu den Schwierigkeiten dessen aus anderem Blickwinkel vgl. Anm. 13 zu 1.3). Die Rezeption von Ps 45,8; Hebr l,8f in der Idiomenlehre der lutherischen Orthodoxie (s. unter 1.1.1; Belege dort Anm. 7) erfolgt mit neuer Fragestellung ohne Rückgriff auf Isidor.

3 Ertrag Ob der irdische Jesus in der Zeit seines Wirkens von seinen Jüngern als Gesalbter bezeichnet und von seinen Gegnern mit diesem Begriff abgelehnt wurde, ist unsicher, ja unwahrscheinlich. 1 Das bedeutet aber keine Schwächung, sondern eher Stärke des Begriffs. Denn so deutet er nicht nur Jesu Wirken in sich, sondern sein Wirken und seine Würde nach der Auferweckung unter Einbezug der Passion: Χριστός άπέθανεν, „Gesalbter war er, der starb", 2 diese knappe, in unmittelbarer Antwort auf den T o d Jesu entstandene Formel birgt den Kern neutestamentlichen Gesalbtenverständnisses. „Gesalbter" ist in ihr in personaler Einzigartigkeit ausgesprochen. Denn bei Prägung der Formel ist seit über einem halben Jahrtausend kein König, seit 200 Jahren kein Priester Israels mehr gesalbt worden. Der Kult und das Allerheiligste des Tempels in Jerusalem, wo Gott nah und wirksam ist wie sonst nirgends, sind zum Zentrum der Salbungsvollzüge und zum Maßstab für die Salbungsaussagen Israels geworden; das Allerheiligste gilt aller Wahrscheinlichkeit nach als „das Gesalbte". So ist ein Gesalbtenbegriff entstanden, dem nach zeitgenössischer Erinnerung keine Realgestalt der Geschichte zurück bis einschließlich der Staats- und Tempelgründungszeit um David entspricht. 3 Der, der da starb - Jesus - , aber erfüllt den Anspruch des Begriffs nach urchristlicher Glaubenserfahrung. Er erfüllt ihn einzigartig. Konkurrenzlos 4 ist er als Person Gott nah und verbunden. Wie die Segenssphäre Gottes nach ererbtem Glauben vom Kult um das Allerheiligste ausstrahlt, so strahlt sie nach neuer Glaubenserfahrung von ihm, dem christlich geglaubten Gesalbten, aus. Sein Sterben ist „für uns", „für euch", „für alle" geschehen, das impliziert die Kurzformel und explizieren umgehend vielfältige Erweiterungen. 5 Von diesem Kern aus wird „Christos" in der hellenistischen Ge1 Diese Entscheidung ist aufgrund der Analysen von Petrusbekenntnis (Mk 8,27-30 par: s. unter 2.2.6), Davidssohnfrage (Mk 12,35-37a par: s. unter Ausblick 2) und Verhörszene (Mk 14,53-64/65 par: s. unter 2.2.5) zu treffen. 1 Zu den Übersetzungsproblemen der Formel s. unter 2.2.7 mit Anm. 43f. Hebräischaramäisch wäre Jl'ö Π'®η rückzuübersetzen (s.d.). 3 S. die Realienbehandlung unter 2.1 (zum Allerheiligsten S. 175 f.). 4 Die Lücke konkret personaler Begriffsanwendung überdauert, wie unter 2.2 gezeigt (s. bes. 2.2.2), abgesehen von unserer Christusbezeichnung, die ganze erste christliche Generation. 5 S. unter 2.2.7.

Ertrag

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meinde bis Paulus zum Titelnamen, der in größter semantischer Dichte den vorstellt, in dem Gott hoheitlich und rettend sein Erbarmen über die Menschen erweist und seinen Anspruch auf sie erhebt. 6 Zur raschen Expansion des Begriffsgebrauchs im griechischen Bereich trägt nicht zuletzt bei, daß sich Dichte und Einzigartigkeit des Prädikats vor dem Hintergrund der gemeinantiken Salbungsvorstellungen unmittelbar an pagane Adressaten vermitteln lassen.7 Zuerst expliziert sich wohl im Randbereich Palästinas die aus der Titelprägung konsequent hervorgehende Überzeugung, das Bekenntnis „Du bist der Gesalbte" bezeichne sachgemäß auch den irdischen Jesus. Petrus artikuliert es Mk 8,27-29* für die Jünger und mit ihnen die frühe Gemeinde. 8 Von da an wächst unser Prädikat zunehmend in die Jesusüberlieferung hinein. 9 Bis zur spätneutestamentlichen Zeit werden so Jesu Taten, in denen sich Gottes eschatologisches Wirken offenbart, knapp bezeichenbar als „Taten des Gesalbten" (Mt 11,2).10 Vor allem aber kristallisiert sich die Erinnerung an die Passion von der Verhörszene (Mk 14,53-64/65 par) bis zum Kreuz (Mk 15,32 par) im synoptischen Uberlieferungsstrang darum, ob Jesus der Gesalbte, der nicht minder als der Tempel in Würde und Wirken Gott Nahe, und der Sohn Gottes sei. Bis zum Evangelisten Markus erhält dies einen Zug auf Entscheidung und Scheidung, in der sich Christentum und Judentum trennen. 11 Bei aller sichtbar werdenden Ablösung vom Judentum bleibt dieses Anreger und Herausforderer der christlichen Begriffsreflexion. Sein kultischer Realienkern mit der Vorstellung, durch Salbung gehöre ein Opfer ganz zu Gottes Sphäre, erleichtert in übertragener Aneignung eine Opferdeutung des Todes Christi, des Gesalbten, die sich in Teilen des Urchristentums verschieden ausbildet. 12 Das Lied vom Gottesknecht aus Jes 52,13-53,12, der sein Leben hingab und zum Segen wurde für die vielen, gewinnt, wenn auch nicht als begriffliche Vorgabe 6 Zu Paulus s. bes. in Ausblick 2 samt den dortigen Querverweisen, ergänzend unter 2.2.7; zum Belegschwerpunkt in der hellenistischen Gemeinde und den Paulinen vgl. schon unter 1.3 und 2 Einführung. 7 Vgl. unter 2.1.3.3 u.ö. 8 Vgl. unter 2.2.6 mit Anm. 43. ' Noch in Q fehlt es; bei Mk findet es 7, in den jüngeren Evangelien Mt/Lk/Joh zwischen 12 und 19 Belege. Genauer zur Belegverteilung unter 1.3 (u.ö.). 10 Z.St. s. 2.2.4.1 mit Anm. 135f. Die Christos-Eintragung ist, wie dort ausgeführt, matthäische Redaktion; letztere zeigt also diese Entwicklung des Christos-Verständnisses besonders deutlich. Daneben war in Ausblick 3 (mit Anm. 57) auf die Semeia-Linie im Joh hinzuweisen. 11 S. bes. unter 2.2.5 mit Anm. 58-65. 12 Zur Vorstellungsbasis s. unter 2.1.3.1, zur christologischen Opferreflexion unter Ausblick 3 (mit Anm. 13) und 2.2.5 (mit Anm. 50), zu Hebr 9,28 nochmals unter 2.2.7.

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Ertrag

für die christliche Christos-Aussage, so doch als Deutetext für ihre Explikation an Gewicht. 13 Vom Judentum ererbt das Christentum weiterhin die Überzeugung, die einzigartige Nähe des Gottesvolkes zu Gott lasse sich mit Salbungsaussagen ausdrücken. Aber jede so entstehende kollektive Gesalbtenaussage weist nun auf Christus, den Gesalbten schlechthin, und leitet sich von ihm ab. 14 Ein Neues entsteht, in dem sich das Gottesvolk für jeden öffnet, den Gott „salbend" an Christus festmacht. 15 Pagane Adressaten mit ihren Sehnsüchten nach göttlicher Salbung sind uneingeschränkt einbeziehbar. 16 Zu Angehörigen des alten Gottesvolkes, die das Bekenntnis zu Christus verweigern, zerbricht dagegen die unmittelbare Verbundenheit. Die jüdisch-eschatologischen Gesalbtenhoffnungen nimmt man christlich nur begrenzt auf. Keine Brücke beläßt das Neue Testament von Jesus, der in Konflikt zum Hohenpriestertum trat, zur Erwartung eines gesalbten Hohenpriesters nach der Ordnung Levis und Aarons. 1 7 In der Vorstellung vom Gesalbten als eschatologischem Gotteskünder überbietet Jesus nach den urchristlichen Schriften jeden Propheten alter, neuer und erhoffter Zeit. 18 Die Hoffnung auf einen eschatologischen Laienführer - Gesalbten Israels im Sinne Qumrans - ignoriert das Urchristentum. 19 Der Anfrage schließlich, wieweit der christlich geglaubte Gesalbte dem Maßstab eines eschatologischen Herrschers nach dem Bilde Davids genügen solle, begegnet es trotz der Überlieferung von Jesu davidischer Herkunft mit großer Zurückhaltung: In allem Facettenreichtum der Stellungnahme beansprucht es Gottes Herrsein, nicht Davids Herrschertum als entscheidenden Maßstab christlichen Gesalbtenverständnisses. 20 Die stärkste, aber immer noch korrigierende und umprägende, Annäherung ist zur ab dem Jüdischen Krieg entwikkelten theonomen Zuspitzung jüdischer Gesalbtenhoffnung möglich. 21 Christi, des Gesalbten, Hoheit und rettende Kraft drängt so in der Linie des Neuen Testaments unter Überbietung und Korrektur alles Irdisch-Herrscherlichen, ja überhaupt aller menschlichen Gesalbtenhoff-

S. unter 2.2.7. S. bes. am Ende von 2.2.3.1. 15 In neutestamentlicher Zeit sind die Salbungsaussagen (2 Kor 1,21; 1 Joh 2,20.27) dabei noch übertragen zu verstehen; erst um 200 setzt sich ein Taufsalbungsritus durch (s. Anm. 164 zu 1.2.5.2). 16 S. die Hinweise zu Christos als Missionsbegriff seit 2.1.3.3. 17 Zu 2.2.5; anders die Entwicklung in der alten Kirche (s. ebd.). " Zu 2.2.6; im einzelnen ist der Befund hier bis in die alte Kirche komplex. " S. am Anfang von 2.2.4.2. 20 S. bes. unter Ausblick 2 (mit Analyse der Davidssohnfrage etc.). " S. unter 2.2.4.2. 15

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nungen nach einer Explikation aus Gottesaussagen. 2 2 Das führt das Christusverständnis in eine neue Herausforderung. Denn in der Spitze der paganen Salbungsvorstellungen, die die Verwendung von „Christos" im schnell dominierenden Heidenchristentum begünstigen, läge die Verehrung des Gesalbten als eines durch seine Salbung unter Preisgabe der menschlichen Natur und des menschlichen Namens ins Pantheon der Götter eingeführten neuen Gottes. Sterbeaussagen wären von ihm nicht mehr zu machen, soteriologische Aussagen nur als Hereinnahme der ihm verbundenen Menschen in die Gottheitssphäre unter Ausblendung von Verfehlung, Leiden und T o d . Ab der spätneutestamentlichen Zeit muß sich das Christentum, soweit sich erkennen läßt, dieser Herausforderung stellen. Es beharrt auf dem Kern, aus dem seine christologische Gesalbtenaussage erwuchs: Gerade das Geschehen, daß der Gesalbte starb, konstituiert die Rettung, überwindet den T o d durch ewiges Leben und erweist so seine wahre Gottheit. 23 Fruchtbar in der Explikation dessen wird für die Alte Kirche der Itazismus Χριστός-Χρηστός, der - grundgelegt in spätneutestamentlicher Zeit 24 im Gesalbtenprädikat Jesu unmittelbar Gottes Güte vernimmt. Im Gegenüber zu den paganen Kulten und Mysterien wie zur Gnosis bildet sich die Reflexion über die Besonderheit des Zueinanders von Gottheit und Menschheit in ein- und demselben Herrn Jesus, dem Gesalbten, die zum christologischen Dogma führt. 25 Die so gezeichnete Vorstellungs- und Entfaltungslinie wäre durch vielfältige Detailanalysen ur- und altkirchlicher Texte über das im Rahmen dieses Bandes Mögliche zu erweitern, zu präzisieren und zu vervollständigen. Denn nochmals ist zu betonen: Das Hauptaugenmerk vorliegender Arbeit galt der Klärung der Grundlagen des Christusprädikats. Die Fülle seiner ur- und frühchristlichen Entfaltung verdiente eine eigene Darstellung vom sich herauskristallisierenden Kern der urchristlichen Erfahrung aus, daß in Christus, dem Gesalbten schlechthin, als dem Gestorbenen und Auferweckten alle Rettung liegt. Werfen wir abschließend einen kurzen Blick auf Konsequenzen. Neutestamentlich ergibt sich - denken wir an die Weichenstellungen der Forschungsgeschichte zurück 26 - als herausragende Folgefrage: Wie läßt sich der βασιλεύς-Vorwurf an Jesus im Kreuzestitulus (Mk 15,26 par) nicht herrschermessianisch deuten? Denn die geläufige AquiBerührt bes. unter 2.2.4.2 und in Ausblick 3. Soweit in Zusammenfassung von 2.3 bis zur Behandlung des 1 Joh am Anfang von 2.3.3. 24 S . unter 1.2.5.1. 25 S. unter 2.3.3, ergänzend für einen Autor des 5. Jh. mit der knappen Formel θεός άνηρ Χριστός am Ende von 2.1.3.3 (Nonnos). 26 S. bes. unter 1.1.3 (zur Diskussion seit Dahl). 22 23

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valentsetzung von „Basileus" (König) mit „Messias" scheitert, da das Judentum des 1. Jh. n.Chr. den Königstitel für den erhofften gesalbten Herrscher vermied, ihn vielmehr durch das griechisch-römisch-herodianische Herrschaftssuperstrat besetzt sah. 27 Einer Alternative kann man sich vorläufig nur tastend nähern. Der naheliegendste Lösungsversuch wird unter Verzicht auf das messianische Zwischenglied der Titulusinterpretation den Ansatz bei einer Verkürzung des Wirkens Jesu und einer politischen Antwort darauf beibehalten. Eine mögliche Perspektive sei genannt: Nach gegenwärtigem begründetem Forschungskonsens zentrierte Jesus sein Reden auf das Kommen der weltverwandelnden Basileia Gottes und aktualisierte dieses Kommen in seinem Wirken so, daß es sich aufs engste mit seiner Person verband (Lk 11,20 u.ö.). Das konnte den Schluß nahelegen, er beanspruche, der eschatologische König Gottes für sein Volk zu sein.28 Ubertragen in die politische Sicht der römischen Obrigkeit, ist der Schritt von „König Gottes für die Juden" zu „König der Juden" dann begrifflich klein. Theologisch nimmt er dem Auftreten Jesu pointiert - man beachte, aus gegnerischem Horizont - den Verweis auf Gottes Königtum und damit seinen eschatologisch theonomen Bezug. Statt dessen tritt eine aktuelle politische Spitze in den Vordergrund, 2 ' die sich zeitgeschichtlich gut einfügte. Denn die Hinrichtung eines „Königs der Juden" konnte von Seiten Roms als vorzügliche Warnung ans Volk und ebenso die Herodesnachkommen dienen, den Königstitel nicht zu beanspruchen, den ihnen Rom in dieser Zeit vorenthielt. 30 Zu überprüfen wäre demnach, ob ein begrifflich naheliegender, theologisch auch ohne explizit herrschermessianisches Gegenüber das Wirken Jesu verkürzender und schließlich verzerrender Weg von seiner Verkündigung der Basileia Gottes zur Hinrichtung als Basileus führte. Die Überprüfung und Ausarbeitung dieser Möglichkeit übersteigt freilich Raum und, da nicht mehr direkt den Christusbegriff thematisierend, Aufgabe vorliegender Arbeit. In jedem Fall ist „Basileus" im Kreuzestitulus als Vorwurf zu hören, der einen theonomen Anspruch Jesu bestreitet, ihn gegen Ansage und Aktualisierung von Gottes Königtum allein auf menschliches Königtum 27 S. unter 2.1.1.6, 2.2.4.1/2 und Ausblick 3 (dort bis Anm. 37 Abschlußerörterung). Wie unter 2.2.4.1 gezeigt, traten um die Zeit von Jesu Kreuzigung zudem (vorübergehend) überhaupt Artikulationen jüdisch-herrscherlicher Gesalbtenhoffnung zurück. 28 Das unterschiede sich von der jüdisch-herrscherlichen Messiaserwartung der Zeit, insofern diese - wie angesprochen - den Königstitel vermied, wäre daher vor allen Berührungen mit dieser als Begriffsableitung von der hereinbrechenden Basileia Gottes zu interpretieren. 29 „König der Juden" ist ganz politischer Begriff, so für Aristobul bei Diodorus Sic. 40,2, Alexander Jannai in Josephus, ant. 14,36 und Herodes ebd. 16,311. 30 Vgl. unter 2.1.1.6. Erstes herodianisches Gegenüber wäre Antipas (zu ihm dort bei Anm. 21 iff). Eine Rücklinie entstünde auch zur römischen Antwort auf die Aufstands„König"tümer nach Herodes d. Gr. Tod (dort bis Anm. 205 behandelt: sie enden in Kreuzigungen).

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zu fixieren unternimmt. Für die Anfänge des Gebrauchs unseres Christusprädikats zeichnet sich die Spannung ab: hingerichtet gegen die Spitze seines Wirkens als König allein menschlichen Anspruchs - geglaubt aus der Spitze seines Wirkens als Gesalbter einzigartigen, heilvollen Gottesbezugs. 31 Springen wir ins Heute, so verschiebt sich der Auseinandersetzungspol für das christlich-jüdische Gespräch. 32 Gegensätze, die sich bis in jüngste Zeit von einer Auffassung aus artikulierten, das Christentum habe eschatologische Herrscher-Heilserwartung des Judentums in seiner Christologie problematisch historisiert,33 verlieren an Griffigkeit. Aber die Verwendung des Gesalbtenbegriffs im christlichen Bekenntnis beansprucht bei einer Entwicklung vom Sakralverständnis aus keinesfalls weniger als bisher die biblische Tradition. 34 Das christliche Christos-Verständnis und die Messiasvorstellung, die sich jüdisch bis nach der Zerstörung des 2. Tempels durchsetzte, treten so religionsgeschichtlich und theologisch in eher noch vertiefter Schärfe auseinander.35 Das stellt dem Gespräch im getrennten Gottesvolk schwierige 31 In dieser Wendung wäre die Beanspruchung des βασιλεύς-Titels zur Hinrichtung Jesu kritisiert. Der von einer Königsdurchsetzung Gottes ausgehende Ansatz des Titels wäre dagegen nur partiell berührt. Entsprechend entwickelt sich, sobald ein Abstand zur Fremdbeanspruchung entsteht, christlich eine neue Dynamik zu einem theonomen Königsverständnis Jesu (s. Anm. 257 zu Ausblick 2 und Ausblick 3 mit Anm. 118 samt den jeweiligen Querverweisen). 32 Hinweise zur Rahmenlage des christlich-jüdischen Gesprächs unter 1.1.3. 33 Vgl. etwa Ruether, Antisemitismus 230f. 34 Das bis 2.1.3.1 entwickelte Begriffsverständnis zeichnet ja entscheidend die biblische Begriffsentwicklung nach (bis zur Schlüsselstelle Dan 9,26b LXX). Das ist übrigens nicht ohne Relevanz auch für die Frage einer gesamtbiblischen Theologie um unseren Begriff (man vergesse als Gegenüber nicht, daß die speziell herrschermessianische Begriffsentwicklung mit PsSal, äthHen-Bilderreden, syrBar und 4Esr nur in Schriften expliziert wird, die jüdisch wie christlich - christlich trotz vorgenommener Korrekturen - keine Aufnahme in den Schriftenkanon fanden). 35 Skizziert man das in der Religionsgeschichte des Begriffs, so verbinden sich zwei Komponenten, der Ubertritt des Christentums in eine pagan geprägte Umwelt und der jüdische Realieneinschnitt des Jahres 70: Bis zu diesem Zeitpunkt besteht der Kult und steht das Allerheiligste des Tempels in Jerusalem und ist für die christliche Begriffsgrundlegung in Verbindung mit der damals lebendigen Verzweigung der jüdischen Gesalbtenbegrifflichkeit der Vorstellungsmaßstab. Die Verpflichtung an das jüdische Erbe ist bei aller Eigenständigkeit daher groß. Nach 70 bleibt der Anspruch auf das Erbe, aber als Anspruch eigenen Wegs (was auf ihre Weise die Härte des Joh - vgl. unter 2.3.3 - spiegelt). Das Ergebnis zeigt die Interpretation von Dan 9,24 in der Vulgata: Christus, der Allerheiligste, tritt direkt an die Stelle, die in jüdischer Aussage dem Allerheiligsten des Tempels galt (s. Anm. 204 zu 2.1.3.3; der Beginn der Uminterpretation kann sich auch schon in der überkommenen LXX-Textfassung spiegeln: s. Anm. 83 zu 2.1.2 und 15 zu 2.1.3.1; weitere altkirchliche Interpretationstexte in Anm. 103 zu Ausblick 3). Das sich in rabbinischer Richtung entwickelnde Judentum setzt nach 70 anders an.

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Aufgaben, die das gegenseitige Glaubenszeugnis nicht ausklammern lassen.36 Für die christlich-theologische Diskussion ergibt sich eine größere Kontinuität des Christusverständnisses zwischen Urchristentum und alter Kirche als historisch und systematisch in einer breiten Forschungsposition unseres Jahrhunderts angenommen. 37 Denn Christos, Gesalbter, ist von Anfang an nicht nur funktionale, sondern zumindest gleiDer Messias substituiert den Tempel nicht, sondern soll ihn restituieren (s. unter Ausblick 3, bes. zum Jes-Targum). Die vormalige Vielfalt der Gesalbtenbegrifflichkeit ordnet sich neu um den Kristallisationspunkt der Hoffnung auf messianische Zeit. Wiederum besteht dem Anspruch nach Kontinuität zu Entwicklungen vor 70, aber die Entfaltung wird weitgehend neu gewonnen (bis hin zum in Ausblick 3 angesprochenen Aufhören der Überlieferung der PsSal etc.). Uber die Jahrhunderte hin schafft sie einen faszinierenden Vorstellungsreichtum, den in seiner Vielfalt und Lebendigkeit zu umreißen über den Rahmen vorliegender Arbeit hinausführt (an Lit. seien die Beiträge Neusners - s. Literaturverzeichnis Scholems - ebd. -, Silver, Speculation; Sarachek, Messiah und Maier, Erwartung herausgegriffen; Präzisierungen zum Mittelalter bietet Kellner, Dogma 63ff,214ff, umfassende Zusammenstellungen der älteren Quellen Brierre-Narbonne [Beiträge im Literaturverzeichnis]). Zugleich begegnen sich Judentum und Christentum fortlaufend weiter, so daß sich gegenseitige Einflüsse ergeben. Deren Untersuchung böte ein eigenes wichtiges Feld: Aufschlußreich könnte sich etwa eine Inblicknahme der auffällig herrscherlich orientierten (s. unter 1.1.1) Theologiegeschichte unseres Begriffs seit dem 17. Jh. unter dem Gesichtswinkel direkten und indirekten jüdischen Einflusses erweisen. Neben der Verpflichtung der leider häufigen christlichen Polemik an den vorgestellten Gegner wären dabei auch positive Aufnahmen jüdischer Impulse (nur erste Hinweise zum 17. Jh. bei Silver a.a.O. 163f u.ö.) zu berücksichtigen. Wichtige neue Hinweise bietet Martin Friedrich, Zwischen Abwehr und Bekehrung: die Stellung der deutschen Theologie zum Judentum im 17. Jh., B H H 72, Tübingen 1988. 56 Hingewiesen sei ergänzend, daß die über die Jahrhunderte stärker jüdisch als christlich weiterentwickelte Auffassung der messianischen Heilszeit als Hoffnungsgut seit den Umwälzungen der späten Aufklärung und französischen Revolution eine eigene Dimension der Ausstrahlung erhielt: Das Syndrom eines nicht mehr streng religiös faßbaren Messianismus entstand, zu dem G. Biller/U. Dierse, Art. Messianismus, messianisch, H W P V 1163-1166 wichtige Daten sammeln. Für die deutsche Dichtung wurde dieses (bei Biller/Dierse nicht vermerkt) um die Jahrhundertwende bei Rainer Maria Rilke relevant (im Stunden-Buch: Gesammelte Werke II, Leipzig 1930, 277). In den Marxismus brachte es in anderer Gestalt, wie bekannt, Walter Benjamin ein (Über den Begriff der Geschichte, Gesammelte Schriften I 2, Frankfurt a.M. 1974, 695,703 und Theologischpolitisches Fragment, a.a.O. II 1, 1977, 203f). In der Frankfurter Schule ist die letzte (153.) der Reflexionen von Theodor W. Adorno, Minima Moralia [...], Gesammelte Schriften Bd.4, Frankfurt a.M. 1980, 281 zu nennen. Auch mit all diesen Ausstrahlungen ist das Gespräch zu suchen, wieder ohne die Abstände zum Christentum überdecken zu dürfen (man denke nur an die scharfe Christologiekritik bei Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung [...], Frankfurt a.M. 1971 [u.ö.], 159). " Zum Historischen s. unter 1.1.3. Für systematische Schlußfolgerungen spitzte sich die Diskussion in den 50er Jahren besonders zu. Unser Thema direkt behandelte damals unter Entgegensetzung funktionalen Denkens des Neuen Testaments und ontologischen der alten Kirche Potterie, onction (Schlußfolgerungen 250f).

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chermaßen, wenn nicht vorab personale Aussage und behält bis zum Abschluß der christologischen Dogmenbildung hohe semantische Wertigkeit. Nicht zu verschweigen ist zugleich die hermeneutische Herausforderung. Denn der neuzeitliche Wandel gegenüber den antiken Reflexionsstrukturen hat uns weit von den in der alten Kirche immer wichtiger werdenden ontologischen Denkmustern entfernt. Mehr noch, nicht zuletzt dank des Christentums ging ebenso die Lebendigkeit der religiösen Salbungsvollzüge und Salbungsvorstellungen verloren, die die Entfaltung und den Siegeszug des Bekenntnisses zu Jesus als Gesalbtem in der Antike vor allen ontologischen Einflüssen prägten und plastisch machen. So ist heute in einem anderen, neuen Umfeld das unverlierbare Erbe der neutestamentlichen Christusaussage weiterzugeben: Christus, der Gesalbte, eröffnet in einzigartiger Verbundenheit mit Gott Gottes unverbrüchliche Güte und steht in Person für sie. Bis in den T o d nimmt er, der Gesalbte, Leid und Schuld der Menschen auf sich, um ihr Leben rettend zu verwandeln. Das erfährt seine Gemeinde aus seinem T o d und bekennt es nach seiner, des Gesalbten, Auferweckung.

Literaturverzeichnis U m das Literaturverzeichnis zu begrenzen, sind Lexikonartikel und Quellen (samt Quellenübersetzungen) nur in wenigen, durch besonders häufige Zitation oder beigegebene Kommentare begründeten Ausnahmen aufgenommen. Bei griechischen, lateinischen und altkirchlichen Quellen wurden in der Regel Standardeditionen benützt; wo Unsicherheiten auftreten könnten, sind die Editoren/Editionen im Text angegeben. Biblisch bilden die Grundlage BHK und BHS (MT), Septuaginta Gottingensia und Rahlfs' (LXX) sowie das Novum Testamentum Graece, post Ε. et Ε. Nestle ed. K. Aland e. a., Stuttgart "1979 (zit. Nestle-Aland 26 ). Für die Vulgata wurde die Rez. R. Webers benützt. Auch die einen Grenzfall bildende Übersetzungsedition der JSHRZ und unser Thema nicht direkt berührende sowie für die umgebenden Einzelanalysen herangezogene Sekundärliteratur wird nur in den Anmerkungen am jeweiligen Heranziehungsort nachgewiesen. W o immer möglich, wurde weiter das Abkürzungsverzeichnis zur Theologischen Realenzyklopädie, zusammengestellt von Siegfried Schwertner, Berlin. N e w York 1976, benützt. Die d o g m e n - und reformationsgeschichtlichen Quellen (DS; Luther, WA etc.) sowie Barths Kirchliche Dogmatik, die dort nachgewiesen sind, werden nicht nochmals bibliographiert. Ergänzende Abkürzungen (einschließlich Hilfsmittel): Bauer, Wb. = Bauer, Walter, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der übrigen urchristlichen Literatur, Berlin. New York 1971 ( = 51963); gesondert gekennzeichnet: 6. Auflage, hg. v. K. u. B. Aland, 1988 Blaß-Debrunner-Rehkopf = Blaß, Friedrich/Debrunner, Albert, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, bearb. v. F. Rehkopf, Göttingen 151979 (und Folgeauflagen) Concordance to Flavius Josephus = A Complete Concordance to Flavius Josephus, ed. Karl Heinrich Rengstorf, 4 Vol. et Suppl., Leiden 1968-1983 CPA = Clavis Patrum Apostolicorum, ed. Henricus Kraft, Darmstadt 1963 Dalman, Grammatik = Dalman, Gustaf, Grammatik des jüdisch-palästinischen Aramäisch [...]. Aramäische Dialektproben, Darmstadt 1981 ( = Leipzig 2 1905) EWNT = Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, hg. v. H. Balz u. G. Schneider, 3 Bde., Stuttgart usw. 1980/81/83

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